Martin Buber Werkausgabe: Band 4 Schriften über das dialogische Prinzip 9783641248536

Von »Ich und Du« bis zum Nachwort zu den diesbezüglichen Schriften versammelt der vorliegende Band Bubers Grundtexte zum

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Martin Buber Werkausgabe: Band 4 Schriften über das dialogische Prinzip
 9783641248536

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Martin Buber Werkausgabe Im Auftrag der Philosophischen Fakultät der Heinrich Heine Universität Düsseldorf und der Israel Academy of Sciences and Humanities herausgegeben von Paul Mendes-Flohr und Bernd Witte

Gütersloher Verlagshaus

Martin Buber Werkausgabe 4 Schriften über das dialogische Prinzip

Herausgegeben und eingeleitet von Paul Mendes-Flohr Kommentiert von Andreas Losch unter Mitarbeit von Bernd Witte

MBW 4 (02679) / p. 4 / 2.7.2019

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Inhalt Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Ich und Du . . . Erster Teil . . . Zweiter Teil . . Dritter Teil . .

37 39 59 82

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Kraft und Richtung, Klugheit und Weisheit . . . . . . . . . . . . . 110 Freiheit und Verantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 Zwiesprache . . . . . . . . . . . . Erster Abschnitt: Beschreibung . Urerinnerung . . . . . . . . Das mitteilende Schweigen .

. . . . Meinungen und das Faktische . Religionsgespräche . . . . . . Fragestellung . . . . . . . . .

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Beobachten, Betrachten, Innewerden Die Zeichen . . . . . . . . . . . . . Eine Bekehrung . . . . . . . . . . . Wer redet? . . . . . . . . . . . . . . Oben und unten . . . . . . . . . . . Verantwortung . . . . . . . . . . . . Moral und Religion . . . . . . . . . Zweiter Abschnitt: Begrenzung . . . . . Die Bereiche . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . Die wortlose Tiefe . . . . . . . . . . Vom Denken . . . . . . . . . . . . Die Grundbewegungen

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6

Inhalt

Eros . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 Dritter Abschnitt: Bewährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 Gespräch mit dem Gegner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 Nachwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149

Die Frage an den Einzelnen . . . . . . . . . »Der Einzige« und der Einzelne . . . . . . . Der Einzelne und sein Du . . . . . . . . . . Der Einzelne und das öffentliche Wesen . . Der Einzelne in der Verantwortung . . . . . Trennungsversuche . . . . . . . . . . . . . Die Frage . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vorwort [zu Between Man and Man] . . . . . . . . . . . . . . . . 196 Urdistanz und Beziehung

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197

Vorwort [zu Dialogisches Leben] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 Martin Buber und Ferdinand Ebner . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 Elemente des Zwischenmenschlichen . . . . . 1. Das soziale und das Zwischenmenschliche . 2. Sein und scheinen . . . . . . . . . . . . . 3. Die personale Vergegenwärtigung . . . . . 4. Auferlegung und Erschliessung . . . . . . . 5. Das echte Gespräch . . . . . . . . . . . . . Nachbemerkung . . . . . . . . . . . . . . .

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212 212 216 219 222 225 228

Nachwort [zu »Die Schriften über das dialogische Prinzip«] . . . . 229 Foreword [zu Pointing the Way] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 Nachwort [zu Ich und Du] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 Aus: Philosophical Interrogations . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252

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Inhalt

Kommentar Editorische Notiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 Diakritische Zeichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 Einzelkommentare . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446 Stellenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 454 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455 Personenregister

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458

Gesamtaufriss der Edition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 467

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Vorbemerkung Der vorliegende Band ist der sechzehnte, der nach der Übernahme der Arbeit an der Martin Buber Werkausgabe durch die Heinrich Heine Universität Düsseldorf publiziert werden kann. Er ist nach den neuen Editionskriterien gestaltet, wie sie erstmals in Band 9 der MBW angewandt und im vorliegenden Band in der Editorischen Notiz als Einleitung zum Kommentar erörtert werden. Dieser Band versammelt die Schriften zu Bubers dialogischer Philosophie. Den Schwerpunkt bildet Bubers erste und maßgebliche Schrift hierzu, das nach der intensiven Auseinandersetzung mit der Katastrophe des Ersten Weltkriegs entstandene Ich und Du (1923). Dieses Werk ist von zentraler Bedeutung sowohl für Bubers eigene Biographie als auch für die Entwicklung des dialogischen Denkens im 20. Jahrhundert. Buber schließt in ihm eine Umorientierung nach seiner frühen, von Mystik und neuromantischem Mythos geprägten Schaffensphase ab. Zudem werden in Ich und Du philosophische Motive eingeführt, die bis hin zu Emmanuel Lévinas für die folgende Philosophie prägend werden sollten. Im Kommentar zum Werk werden in diesem Band die komplexe Entstehung von Ich und Du detailliert rekonstruiert und erstmals erhalten gebliebene Fragmente eines ersten Entwurfs abgedruckt. In den folgenden Jahren gab Buber zwar seinen ursprünglichen Plan auf, demzufolge Ich und Du als Prolegomena einer fünfbändigen Reihe zur Religionsphilosophie fungieren sollte, doch kam er wiederholt auf dessen Grundmotive zurück, um seine dialogische Philosophie weiter zu entfalten. So gibt Buber in der eher literarisch als philosophisch orientierten Zwiesprache (1932) zahlreiche Beispiele einer dialogischen Lebensführung, die von philosophischen Reflexionen unterbrochen werden. In Die Frage an den Einzelnen (1936) setzt sich Buber kritisch mit den individualistischen Philosophien Kierkegaards und Stirners auseinander, um ihnen eine dialogische Perspektive gegenüberzustellen, die zugleich als Invektive gegen die totalitären Strömungen des Zeitalters vorgetragen wird. In Elemente des Zwischenmenschlichen (1954) wiederum gibt Buber schließlich konstruktive Momente an, mittels derer das dialogische Prinzip in gesellschaftliche Beziehungen umgesetzt werden könnte. Flankiert werden diese zentralen Texte zur dialogischen Philosophie von dem Aufsatz »Urdistanz und Beziehung«, kürzeren Gelegenheitstexten und Vorworten, sowie den dem Thema entsprechenden Passagen aus dem Interviewband Philosophical Interrogations (1964). Ergänzt werden diese zu Lebzeiten Bubers veröffentlichen Texte durch

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Vorbemerkung

bislang unpublizierte Mitschriften zweier Vorträge Bubers, die im Kommentarteil des Bandes zu Zwiesprache und Die Frage an den Einzelnen erstmals abgedruckt werden. * Die Israel Academy of Sciences and Humanities, deren erster Präsident Martin Buber war, hat im Jahre 2012 die Arbeit an der Werkausgabe als ein »highly important project« anerkannt und fördert sie seitdem mit einem jährlichen Beitrag. Ein Projekt wie diese Werkausgabe wäre ohne eine großzügige finanzielle Förderung nicht möglich. Wir danken insbesondere der Gerda Henkel Stiftung und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung für ihre nachhaltige Unterstützung des Gesamtprojekts der Martin Buber Werkausgabe. Zudem hat die Anton-Betz-Stiftung der Rheinischen Post e. V. durch einen Druckkostenzuschuss das Zustandekommen des Bandes gefördert. Nicht zuletzt sei der Heinrich Heine Universität Düsseldorf gedankt, die das Projekt logistisch und administrativ betreut. Düsseldorf, im Mai 2019

Paul Mendes-Flohr, Bernd Witte

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Dank Ich danke Bernd Witte für die gelungene Übersetzung meiner Einleitung und die anregenden Diskussionen über Bubers Werk. Gedankt sei des Weiteren den Mitarbeitern der Martin Buber Arbeitsstelle, Simone Pöpl, Kerstin Schreck und Arne Taube, für die sorgfältige Bearbeitung der Texte Bubers, die Korrektur des Kommentars und die Erstellung des kritischen Apparats. Mein Dank gilt zudem Heike Breitenbach für ihre ertragreiche Archivarbeit und Andreas Losch für seine inhaltlichen Beiträge und seine freundschaftliche Zusammenarbeit. Jerusalem im Mai 2019

Paul Mendes-Flohr

Den Herausgebern der Martin Buber Werkausgabe, Paul Mendes-Flohr und Bernd Witte, danke ich dafür, dass sie mir die Bearbeitung dieses Bandes anvertraut und mit mir zusammen unternommen haben. Dank schulde ich auch den Mitarbeitern des Martin Buber Archivs in Jerusalem und Heike Breitenbach für ihre Hilfe bei der Materialbeschaffung. Zuletzt geht ein besonders herzlicher Dank an die immer hilfsbereiten Mitarbeiter der Martin Buber Arbeitsstelle – Arne Taube und Simone Pöpl – für ihre konstruktive Hilfe, ihre kritischen Bemerkungen sowie ihre Vorschläge bei der Gesamtredaktion des Bandes. Melanie Sampayo Vidal danke ich für ihre wertvolle Assistenz bei der Belegsuche, Evan Hanks sei für seine Hilfe bei der Suche nach asiatischen Quellen in Ich und Du gedankt. Bern, im Frühjahr 2019

Andreas Losch

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Einleitung Martin Buber pflegte zwischen seinen frühen Schriften und seinem »reifen Denken« zu unterscheiden, das sich mit der Veröffentlichung von Ich und Du von 1923 an entwickelte. Die Fragestellung, die Buber in seiner Philosophie des Dialogs entwickelte, kristallisierte sich jedoch bereits während der Jahre seines Studiums unter dem Einfluss sowohl seiner philosophischen Lehrer als auch seiner lebenslangen Partnerin Paula, geb. Winkler (1877-1958), heraus und ist schon in den frühesten Schriften zu entdecken. In einem Brief, datiert vom 16./17. August 1899, schreibt sie ihrem geliebten Martin: »Mensch zu Mensch« sollten wir vor allem zu einander stehen, oh ja – nicht »Franzose zu Deutschem«, nicht »Jude zu Christ«, vielleicht auch weniger »Mann zu Weib«. So: tat tvam asi. Einfach: Das bist Du! Aber was heißt das? Sollen wir alle Unterschiede verwischen, alle Gegensätze aufheben darum? Wozu? Um es mit unserer Menschlichkeit leichter zu haben? Oder würden wir es dann leichter haben? Liebt man am meisten das, was sich am wenigsten von einem unterscheidet? Liebt man am meisten das Abgeschliffenste, Flachste? Sind nicht die Gegensätze der höchste und letzte und feinste Lebensreiz? Liebt man nicht Fülle in Farbe, Form und Tönen – Fülle an Individualitäten? 1

Das Beharren der damals zweiundzwanzigjährigen Paula darauf, dass die »Mensch zu Mensch« Beziehungen nicht notwendigerweise alle individuellen Differenzen ausschließen müssten, ja dies sogar nicht sollten, wurde später von Buber als die Kategorie der »Urdistanz« zwischen den Individuen ausgearbeitet, durch die eine Unterscheidung zwischen Ich und Du erst ermöglicht und somit als der ontologische Grund der »Beziehung« etabliert wird. 2 Kurz nachdem er Paulas cri de cœur erhalten hatte, ging Buber nach Berlin, um bei Wilhelm Dilthey (1833-1911) und Georg Simmel (18581918) zu studieren. Sie lehrten ihn, seine Aufmerksamkeit als Philosoph auf die Unwägbarkeiten des Alltagslebens und auf die alltäglichen Beziehungen zu lenken. In seiner grundlegenden Vorlesung »Die Kultur der Gegenwart und die Philosophie«, die er mehrfach vor seinen Studenten

1. 2.

B I, S. 149. Martin Buber, Urdistanz und Beziehung, Studia Philosophica Jahrbuch der Schweizerischen Philosophischen Gesellschaft, Basel: Verlag für Recht und Gesellschaft 1950, S. 7-19; in diesem Band, S. 197–208.

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Einleitung

hielt, betonte Dilthey, dass er ihnen mehr als »bloße Kulturphilosophie« bieten wolle: Nur aus dem Verständnis der Gegenwart kann das rechte philosophische Wort an Sie hervorgehen. Versuchen wir also, die Grundzüge der Gegenwart zu erfassen, welche die heutige Generation bestimmen und ihrer Philosophie das Gepräge geben. Der allgemeinste Grundzug unseres Zeitalters ist sein Wirklichkeitssinn und die Diesseitigkeit seiner Interessen. 3

Dieser innerweltliche Realismus, so behauptet Dilthey, wurde von Goethe vertreten, der im Faust verkündete: Der Erdenkreis ist mir genug bekannt, Nach drüben ist die Aussicht uns verrannt; Thor! wer dorthin die Augen blinzend richtet, Sich über Wolken Seinesgleichen dichtet; Er stehe fest und sehe hier sich um; Dem Tüchtigen ist diese Welt nicht stumm; […] 4

Dilthey forderte seine Studenten auf, Goethes Rat zu folgen: »D u r c h d r i n g e n S i e s i c h g a n z m i t d i e s e m Wi r k l i c h ke i t s s i n n , dieser Diesseitigkeit unseres Interesses, dieser H e r r s c h a f t d e r W i s s e n s c h a f t über das Leben!« 5 Allerdings räumte Dilthey ein, dass diese Weltlichkeit der Interessen das menschliche Verlangen, die Existenz und ihren letzten Sinn zu verstehen, nicht befriedigen könne. Seinen Studenten erzählte er, leider seien wir in dieser Hinsicht nicht weiser als die Bewohner des antiken Ionien oder die Araber zu Zeiten des Averroes. Trotz des rapiden Fortschritts der Wissenschaften fehlten uns sogar noch mehr als ihnen die Antworten, was den letzten Sinn und das letzte Ziel des Lebens betrifft. Die Grundlagen des religiösen Glaubens und die philosophischen Überzeugungen früherer Zeiten seien mehr und mehr von den Wissenschaften unterminiert worden. Zudem erweise »das historische Bewußtsein […] immer deutlicher die Relativität jeder metaphysischen oder religiösen Doktrin, die im Verlauf der Zeiten aufgetreten ist. Es scheint uns im menschlichen Erkenntnisstreben selbst etwas Tragisches zu liegen, ein Widerspruch zwischen Wollen und Können.« 6 Ein unüberwindlicher Pessimismus habe den 3. 4. 5. 6.

Wilhelm Dilthey, Die Kultur der Gegenwart und die Philosophie, in: ders.: Gesammelte Schriften, Leipzig u. Berlin 1931, Band VIII, S. 194-203, hier S. 194. Johann Wolfgang Goethe, Faust. Zweiter Theil, in: Goethes Werke, hrsg. im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen, I. Abt., Bd. 15, Weimar 1888, V. 1144111446, S. 309. Dilthey, Die Kultur der Gegenwart und die Philosophie, S. 197. Ebd., S. 197 f.

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Einleitung

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Menschen ergriffen. »Dieser Schmerz der Leere, dies Bewußtsein der Anarchie in allen tieferen Überzeugungen, diese Unsicherheit über die Werte und Ziele des Lebens«, behauptet Dilthey, »rufen die verschiedensten Versuche in Dichtung und Literatur hervor, die Fragen nach Wert und Ziel unseres Daseins zu beantworten.« 7 Buber identifizierte sich mit Diltheys »Fragestellung« und übernahm seinen innerweltlichen Realismus. Diltheys Wissenschaftslehre unterscheidet sich in signifikanter Weise von der Kants und der der Empiristen. »In den Adern des erkennenden Subjekts, das Locke, Hume, und Kant konstruierten, rinnt nicht wirkliches Blut, sondern der verdünnte Saft von Vernunft als bloßer Denktätigkeit.« 8 Deshalb bestand er darauf, dass die menschliche Erkenntnis der Welt und die menschliche Selbsterkenntnis nicht auf die »Erfahrung der Erscheinungswelt« begrenzt sei, also auf die Welt, wie sie sich den Sinneswahrnehmungen, vornehmlich dem Gesichtssinn, darbiete. Vielmehr hätten wir auch Kenntnis der dynamischen, subjektiven Ereignisse des menschlichen Geistes. Solche Kenntnis werde nicht durch die »Erfahrung« vermittelt, sondern durch das »Erlebnis«, das uns die Erkenntnis der subjektiven inneren Realität der Anderen erleichtere. Während »Erfahrung« die Grundlage der Erklärung der Erscheinungen der äußeren, objektiven Welt sei, ermögliche das »Erlebnis« ein »Verstehen« sowohl der Anderen als auch des Selbst. Denn die Menschen teilen miteinander gemeinsame grundlegende Wissensstrukturen, die Dilthey »die Kategorien des Lebens« nennt, und damit die Verfertigung von Weltanschauungen als Antwort auf die Rätselhaftigkeit des Lebens. Daraus sei zu folgern: »Das Verstehen ist ein Wiederfinden des Ich im Du; der Geist findet sich auf immer höheren Stufen von Zusammenhang wieder; diese Selbigkeit des Geistes im Ich, im Du, in jedem Subjekt einer Gemeinschaft, in jedem System der Kultur, schließlich in der Totalität des Geistes und der Universalgeschichte macht das Zusammenwirken der verschiedenen Leistungen in den Geisteswissenschaften möglich.« 9 Dennoch erkennt auch Dilthey die Grenzen seiner Wissenschaftstheorie an. Schließlich muss er zugestehen, dass Subjektivität, wie sie sich im individuellen »Willen« manifestiert, und der objektive, rationale Grund der Welt unvereinbar bleiben. »Wille und Denken lassen sich aber nicht eines auf das andere reduzieren. Das logische Denken des Weltgrundes 7. 8. 9.

Ebd. Wilhelm Dilthey, Einleitung in die Geisteswissenschaften, in: ders., Gesammelte Schriften, Leipzig u. Berlin 1922, Bd. I: S. xviii (Vorrede). Wilhelm Dilthey, Entwürfe zur Kritik der historischen Vernunft, in: ders., Gesammelte Schriften, Band VII, Leipzig u. Berlin 1927, S. 191-291, S. 191.

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Einleitung

endigt hier, und es bleibt nur die Spiegelung der Lebendigkeit in demselben durch die Mystik übrig.« 10 Während er noch in Diltheys Seminaren eingeschrieben war, publizierte Buber 1901 seinen Essay »Über Jakob Böhme« in der von Felix Rappaport herausgegebenen jüdischen Zeitschrift Wiener Rundschau, in dem er auf die epistemologische Sackgasse seines Lehrers erneut einging: »Die Welt bleibt das Räthsel, das auf Einen einwirkt, auf das Einer einwirkt, und das doch ewig fern und fremd ist. Der Einzelne verzehrt sich in stummer hoffnungsloser Einsamkeit.« 11 Die Neukonstruktion eines »Standorts«, von dem aus der Sinn der menschlichen Existenz zu behaupten wäre, sollte sowohl Bubers frühes Interesse für die Mystik, wie auch die spätere Wendung in seinem Denken bestimmen, die er als »Ontologie des Zwischenmenschlichen« charakterisieren sollte. Die Ich – Du Begegnung werde getragen von einem Ewigen Du, einer Präsenz, die immer in jedem wirklichen Dialog gegenwärtig sei. Neben Dilthey, auf den sich Buber bis an sein Lebensende respektvoll als »meinen Lehrer« zu beziehen pflegte, wird vor allem Georg Simmel, bei dem Buber ebenfalls studierte, zu einem seiner wichtigen geistigen Mentoren. Als einer der Begründer der wissenschaftlichen Disziplin der Soziologie richtete Simmel schon früh Bubers Aufmerksamkeit auf die flüchtige Natur der zwischenmenschlichen Beziehungen, insbesondere im Leben einer modernen Großstadt. Dass Simmel einen entscheidenden Einfluss auf den intellektuellen Werdegang Bubers hatte, bezeugt nicht zuletzt die Serie von Monographien mit dem Titel Die Gesellschaft, die Buber von 1905 bis 1912 herausgab. Im Geleitwort zum ersten der vierzig Bände von Die Gesellschaft prägte Buber den Begriff »das Zwischenmenschliche«, um den sozialen Raum zwischen Individuen in gegenseitiger Interaktion zu bezeichnen. An der Universität von Wien studierte er bei Friedrich Jodl (1849-1914), der Diltheys Zurückweisung aller metaphysischen Spekulation bekräftigte und ähnlich wie Simmel einen metaphysischen Realismus vortrug, der die faktische Existenz einer intersubjektiven Realität postulierte, die durch die Du-Erfahrung garantiert sei und damit das Vorhandensein des Mitmenschen voraussetze. Als Herausgeber von Ludwig Feuerbachs Sämtlichen Schriften führte Jodl Buber auch in dessen anthropologische Religionskritik ein. In seinem Essay »Über Jakob Böhme« zitiert Buber Feuerbach: 10. Wilhelm Dilthey, Die Typen der Weltanschauung und ihre Ausbildung in den metaphysischen Systemen, in: Ders., Gesammelte Schriften, Bd. VIII, S. 75-118, hier S. 117 f. 11. Martin Buber, Über Jakob Boehme, Wiener Rundschau 12 (1901), S. 251-253, hier S. 251; jetzt in: MBW 2.1, S. 70-74, hier S. 70.

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Einleitung

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»Ein jedes Wesen sehnet sich nach dem andern, das Obere nach dem Untern und das Untere nach dem Obern, denn es ist von einander entschieden, und solchem Hunger empfahen sie einander in der Begierde« [J. Boehme]. Dies aber ist nach Boehme der rechte Weg zum neuen Gott, den wir schaffen, zur neuen Einheit der Kräfte. Diese Auffassung findet in einem Worte Ludwig Feuerbachs ihre Bejahung und Ergänzung: »… Der Mensch für sich ist Mensch (im gewöhnlichen Sinn); der Mensch mit Mensch – die Einheit von Ich und Du – ist Gott.« Feuerbach will die Einheit, von der er spricht, auf die »Realität des Unterschiedes von Ich und Du« gestützt sehen. Wir aber stehen heute Boehme näher als der Lehre Feuerbachs, dem Gefühle des heiligen Franciscus von Assisi, der Bäume, Vögel und Sterne seine Geschwister nannte und noch näher dem Vedânta [d. h., der hinduistischen Doktrin, dass die scheinbar individualisierte, zerrissene Realität der Welt nur der »Schleier der Maja« ist, eine schreckliche, mit Schmerz beladene Illusion]. 12

Obwohl der junge Buber Feuerbachs Anthropologie in mystischer Umdeutung übernahm, sollte er später festhalten, dass Feuerbachs Entdeckung des Du, »die man ›die kopernikanische Tat‹ des modernen Denkens genannt hat«, für ihn die »entscheidende Anregung« 13 war, die nach fünfzehnjähriger Gärung die Philosophie des Dialogs hervorbringen sollte. Die Anregung war doppelter Art. In ausdrücklichem Gegensatz zu Kant und Hegel, die sich auf die menschliche Erkenntnis konzentrierten, suchte Feuerbach den Menschen anthropologisch zu verstehen. 14 Dem entsprechend behauptete er, dass der Mensch nicht allein als erkennendes Subjekt verstanden werden kann, sondern mehr noch als eines, das sich durch interpersonale Beziehungen konstituiert. In der frühen, mystischen Phase von Bubers Denken blieb der Einfluss von Feuerbachs anthropologischem Denken jedoch unerheblich. Ein Zusammenwirken verschiedener Einflüsse trug zu Bubers Vorstellung von Mystik bei, deren bedeutendster Diltheys Begriff des »Erlebnisses« war. Wie er von Buber verwendet wird, überschreitet das »Erlebnis« die kognitiven Beschränkungen der »Erfahrung«. Auf dem Prinzip der Individuation basierend nimmt diese die Realität als einen verwirrenden Wirbel vielfältiger Phänomene wahr. So findet das »erkennende Selbst« sich nicht nur in Opposition zu den »Dingen«, sondern auch zu den anderen menschlichen Wesen. Im Gegensatz dazu überwindet das »Erlebnis« die Nöte der Erfahrung – den »Schleier der Maya« – und ermöglicht die Realisation von Einheit und die Einsicht in den Sinn des Lebens jen12. Ebd., S. 252; jetzt in: MBW 2.1, S. 71 f. 13. Martin Buber, Das Problem des Menschen, Heidelberg: Lambert Schneider 1948, S. 62; jetzt in: MBW 12, S. 221-312, hier S. 253. 14. Ludwig Feuerbach, Grundsätze der Philosophie der Zukunft (Leipzig, 1847), § 1:1; § 37: 62-63; § 61-65:83-84.

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seits der Einsamkeit des Selbst, wie sie der »Erfahrungswelt« immanent ist, in der sich »das Chaos, das Gewimmel der Finsternis, das keine Einheit kennt«, manifestiert: Allein es gibt ein Erlebnis, das aus der Seele selber in ihr wächst, ohne Berührung und ohne Hemmung, in nackter Eigenheit. Es wird und vollendet sich jenseits des Getriebes, vom Andern frei, dem Andern unzugänglich. Es braucht keine Nahrung und kein Gift kann es erreichen. Die Seele, die in ihm steht, steht in sich selber, hat sich selber, erlebt sich selber – schrankenlos. Nicht mehr weil sie sich ganz an ein Ding der Welt hingegeben, sich ganz in einem Ding der Welt gesammelt hat, erlebt sie sich als die Einheit, sondern weil sie sich ganz in sich eingesenkt hat, ganz auf ihren Grund getaucht ist, Kern und Schale, Sonne und Auge, Zeche und Trank zugleich. Dieses allerinnerlichste Erlebnis ist es, das die Griechen Ekstasis, das ist Hinaustreten, nannten. 15

Die »Erlebnismystik« befreit den Menschen von der Erfahrung der Andersheit; und wichtiger noch, sie befreit den Menschen von dem Bewusstsein des Selbst als eines partikularen und von anderen begrenzten. Aus der Perspektive dieser Konzeption von Erlebnismystik hat Buber ausführlich über die Mystik in den verschiedenen Kulturtraditionen und die universale Suche nach dem Erlebnis der Einheit jenseits der verwirrenden Vielfalt der Erscheinungswelt geschrieben. In seinen frühen Schriften über den Chassidismus feierte er die einsame Geistreise des Ekstatikers, der »alles Leid und Schwere abgetan« hat und »›über der Natur und über der Zeit und über dem Denken‹« ist, der alle individuellen Dinge der Welt als Einheit erlebt, für den das All nichts und die Seele alles ist und dessen wahres Leben nicht unter seinen Mitmenschen stattfindet. 16 Dennoch erkennt Buber an, dass der Chassidismus durch eine Dialektik von Rückzug aus der Welt und Integration in die Gemeinschaft gekennzeichnet ist, ein Prozess, der ihn von anderen mystischen Traditionen unterscheidet. Der Chassidismus ist die Ethos gewordene Kabbala. Aber das Leben, das er lehrt, ist nicht Askese, sondern Freude in Gott. […] Er nimmt das Jenseits ins Diesseits herüber und läßt es in ihm walten, und es formen, wie die Seele den Körper formt. Sein Kern ist eine höchst gotterfüllte und höchst realistische Anleitung zur Ekstase, als zu dem Sinn und dem Gefühl des Daseins. Aber die Ekstase ist hier nicht, wie etwa bei der deutschen Mystik, ein »Entwerden« der Seele, sondern deren Entfaltung; nicht die sich beschränkende und entäußernde, sondern die s i c h v o l l e n d e n d e Seele mündet in das Absolute. 17 15. Martin Buber, Ekstatische Konfessionen, Jena: Eugen Diederichs 1909, S. XIIf.; jetzt in: MBW 2.2, S. 51. 16. Martin Buber, Die Legende des Baalschem, Frankfurt a. M.: Rütten & Loening 1908, S. 4 f.; jetzt in: MBW 16, S. 176. 17. Martin Buber, Die jüdische Mystik, in: Die Geschichten des Rabbi Nachman, Frank-

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Aber es war nicht diese Dialektik, die die Einbildungskraft des jungen Buber gefangen nahm. In einer anscheinend autobiographischen Passage in Daniel gesteht er – in der Gestalt des »Getreuen« – ein, dass er versucht gewesen sei, von »jene[r] sublime[n] Weisheit, die gebietet, die Welt der Zweiheit als die Welt des Scheins abzustreifen ›wie eine Schlangenhaut‹ und in die Welt der Einheit einzukehren«. Aber im Endeffekt widersteht »der Getreue« dieser Versuchung und entscheidet sich, die Einheit als ein menschliches Wesen zu suchen, als ein die ganz[e] Schwingung der Zweiheit durchlebender Mensch [zu] finden, der ihren furchtbaren Segen empfängt und erträgt. Was gilt es ihm hinfort, daß diese die Welt der Illusion sei? […] Er will hinfort nicht weichen aus der schwankenden, tobenden, wirbelnden Welt der Entzweiung und des Widerspruchs; […] lieber dem Heil entsagen, als Satans Reich von ihm auszuschließen. Nicht hinter der Welt, in der Welt will seine Einheit gesucht werden, denn die er sucht, ist nicht Überwindung, sondern Vollendung. 18

Diese Erklärung wird am Ende von Daniel abgegeben und markiert einen merklichen Wechsel in Bubers Bemühung, das principium individuationis durch einen neu gefassten Begriff der Dualität zu überwinden. »Das Verlagen nach Einheit ist der glühende Grund seiner Seele« 19 , dies gelte seit unvordenklichen Zeiten. Die Überwindung der Dualität ist die philosophia perennis; unterschiedlich benannt und verschieden verstanden (Geist und Materie, Sein und Werden, Vernunft und Wille und andere Namenspaare), »bleibt [sie im Grunde] sich gleich in der Spannung.« Der »Getreue«, das ist Buber, kommt zu dem Schluss, dass »ihm keiner der Wege genügen [kann], die die Weisheit der Zeiten geht.« 20 Der Weg, die Dualität zu überwinden, besteht nicht darin, die Spannung zu eliminieren, »sondern [sie] zu umfassen.« 21 Das Ich kann nicht von der Welt gelöst werden; in der Tat: »Es gibt wahrhaft kein Ich als das Ich einer Spannung.« 22 Auch wenn das menschliche Leben der Tatsache nicht entkommen kann, dass es durch die gebieterischen Gesetze der Erfahrungswelt bedingt ist, hat der Mensch dennoch die Möglichkeit, auf die Wirklichkeit einzuwirken und sie zu formen. »Die Seele erlebt weltweit die eigne Freiheit und die eigne Gebundenheit, die eigne Spon-

18. 19. 20. 21. 22.

furt a. M.: Rütten & Loening 1906, S. 5-19, hier S. 13 f.; jetzt in: MBW 16, S. 61-70, hier S. 66. Martin Buber, Daniel. Gespräche von der Verwirklichung, Leipzig: Insel Verlag 1913, S. 143 f.; jetzt in: MBW 1, S. 183-245, hier S. 241. Ebd., S. 142; jetzt in: MBW 1, S. 240. Ebd., S. 141; jetzt in: MBW 1, S. 240. Ebd., S. 143; jetzt in: MBW 1, S. 240. Ebd., S. 151; jetzt in: MBW 1, S. 244.

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taneität und die eigne Eingestelltheit.« Der »Getreue« ist auf die Spannung, die der universalen Erfahrung der Welt inhärent ist, eingestellt: »Der Mensch nimmt die Spannung von Sein und Werden auf sich, und die Seele erlebt weltweit die eigne Stille und die eigne Bewegung, die eigne Starrheit und den eignen Wirbel, die eigne Beständigkeit und die eigene Verwandlung.« 24 Der Mensch sollte dieses zweifache »Geheimnis seines Erlebens« 25 bekräftigen und dadurch seine Einheit hervorbringen. »Er tut sie, da er die Spannung, die er auf sich genommen hat, in sich zusammenbildet: d a e r d a s I c h d i e s e r S p a n n u n g erweckt.« 26 In der Tat, die »Einheit mußte gelebt, mußte v e r w i r k l i c h t werden können. […] Die wahrhafte Einheit kann nicht gefunden, sie kann nur getan werden.« 27 Diese Spannung bringt notwendigerweise auch eine gegensätzliche Antwort auf das eigene Erlebnis hervor: Verwirklichung und Orientierung. Entweder man lebt und verwirklicht in sich selbst die einander widersprechenden Ansprüche der Wirklichkeit oder man gibt völlig den Erfahrungsgrundsätzen nach und sucht sein Leben entsprechend zu orientieren. Indem man an der zeitlichen und räumlichen Oberfläche der Dinge 28 bleibt, vermittelt diese Haltung nur den Schein von Sicherheit, somit eine »falsche […] Sicherheit« 29 , weil sie das Selbst zur Isolation inmitten des vielfältigen und in sich instabilen Sogs der Erfahrung verurteilt. Ohne Frage ist eine rationale Orientierung in dieser vom principium individuationis regierten Welt notwendig. »Ein nur orientierender [Mensch müßte] in das Nichts verkommen«. 30 »Die Orientierung, die sich als allumfassend gebärdet, ist durchaus gottlos.« 31 Andererseits, »ein nur realisierender müßte in den Gott vergehen« 32 , und damit scheitern, wie Buber besonders in seiner Darstellung der chassidischen Erzählungen betont, die den Alltag heiligen. Orientierung und Verwirklichung sind dialektisch aufeinander bezogen, weil sie beide notwendig sind. »Das Menschenleben kann der Bedingtheit nicht ent23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31. 32.

Ebd., S. 150; jetzt in: MBW 1, S. 244. Ebd., S. 151; jetzt in: MBW 1, S. 244. Ebd. S. 143; jetzt in: MBW 1, S. 240. Ebd., S. 151; jetzt in: MBW 1, S. 244. Ebd., S. 147 u. 149; jetzt in: MBW 1, S. 242 u. 243. Vgl. ebd. In Cheruth. Eine Rede über Jugend und Religion, Wien: Verlag R. Löwith 1919, S. 9 spricht Buber von »den seichten Wellen [der] privaten Erfahrungen«; jetzt in: MBW 8, S. 109-127, hier S. 113. Buber, Daniel, S. 54; jetzt in: MBW 1, S. 204 Ebd., S. 41; jetzt in: MBW 1, S. 197. Ebd., S. 73; jetzt in: MBW 1, S. 211. Ebd., S. 41; jetzt in: MBW 1, S. 197

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raten. Aber das Unbedingte steht unauslöschbar im Herzen der Welt geschrieben.« 33 Wie Buber später festhielt, ist Daniel der Ausdruck »der großen Dualität des menschlichen Lebens« 34 – wobei Orientierung und Verwirklichung im Keim dem korrespondieren, was Buber in Ich und Du als »die zwiefältige Haltung« zur Welt darstellt, »die Ich-Du und Ich-Es Haltungen der Welt gegenüber.« Aber in Daniel ist die »große Dualität«, wie Buber betont, »nur als Erkenntnis, nicht in ihrem verbindenden und existenziellen Charakter« zum Ausdruck gekommen. 35 Sie war noch im Individuellen und noch nicht zwischen Sein und Sein angesiedelt. »Ich hatte seiner Erkenntnis [der des dialogischen Prinzips] schon in der in meinem Buche ›Daniel‹ (1913) dargelegten Unterscheidung zwischen einer ›orientierenden‹, vergegenständlichenden, und einer ›realisierenden‹, vergegenwärtigenden Grundhaltung vorgearbeitet, einer Unterscheidung, die sich in ihrem Kern mit der in ›Ich und Du‹ ausgeführten zwischen der Ich-Es-Relation und der Ich-Du-Relation deckt, nur daß die später nicht mehr in der Sphäre der Subjektivität, sondern in der zwischen den Wesen gegründet ist.« 36 Der entscheidende Moment im Übergang zu »einer neuen Art zu denken« war die Kristallisation des Begriffs der zwischenmenschlichen Begegnung. Wie Buber festhält: »In Wahrheit ist er [der Begriff der Begegnung] auf dem Wege meines Denkens aus der Kritik des Erlebnisbegriffs, dem ich in meiner Jugend anhing, aus einer radikalen Selbstberichtigung entstanden.« 37 In diesem Prozess wurde ihm klar, dass es »im Grunde […] ja überhaupt nicht auf das ›Erleben‹, also auf die abgelöste Subjektivität, sondern auf das Leben an[kommt]; nicht auf das religiöse Erleben, das eine Abteilung der Psychik betrifft, sondern auf das religiöse Leben, das heißt auf das v o l l s t ä n d i g e Leben des Menschen, des Volkes, im wirklichen Umgang mit Gott und der Welt. Die ›Verabsolutierung‹ des Menschlichen bedeutet dessen Herausreißen aus dem vollständigen Leben, aus der Wirklichkeit; und habe ich je – so viel 33. Ebd., S. 153; jetzt in: MBW 1, S. 245. 34. Brief an Maurice Friedman vom 2. März 1962, B III, S. 537; zitiert im »translator’s preface.« Vgl. Buber, Daniel. Dialogues on Realization, transl. and intro. by Maurice Friedman (Holt, Rinehart and Winston, 1964), o. S. 35. Ebd. 36. Martin Buber, Nachwort, in: Ders., Die Schriften über das dialogische Prinzip, Heidelberg: Lambert Schneider 1954, S. 287-306, hier S. 295; in diesem Band, S. 243. 37. Martin Buber, Antwort [an meine Kritiker], in: Martin Buber. Philosophen des 20. Jahrhunderts, hrsg. von Paul Arthur Schilpp und Maurice Friedman, Stuttgart: W. Kohlhammer Verlag 1963, S. 589-639, hier S. 610; jetzt in: MBW 12, S. 467-524, hier S. 491.

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ich weiß, unwissentlich – zu ihrer Förderung beigetragen, so obliegt es mir nun, um so nachdrücklicher auf die Dimensionen der Wirklichkeit hinzuweisen.« 38 Im Vorwort zur englischen Übersetzung der Hinweise, einer Sammlung seiner Essays aus den Jahren 1909 bis 1954, erläutert Buber des Weiteren, dass seine »Erlebnismystik« ein Stadium gewesen sei, »that I had to pass through before I could enter into an independent relationship with being«. 39 Er fährt fort, indem er so etwas wie die ausführlichste Erklärung seiner »radikalen Selbstberichtigung« gibt, die zu seiner emphatischen Differenzierung von Ich und Du führte, weil die Einheit, die er suchte, nicht im Selbst, sondern im Zwischen von Ich und Du zu finden sei. Er erklärt, dass seine mystisch-ekstatische Phase vom Streben nach einer Vereinigung des »self« mit dem »all-self« getragen war, die aber in Wahrheit nur die »experience of an exclusive and all-absorbing unity« des eigenen Selbst sei. Dabei entziehe man sich der Aufgabe des Lebens, die verschiedenen Bereiche seines Lebens zu vereinigen. Rather in the ›lower‹ periods he regards everything as preparation for the ›higher‹. But in these »higher« hours he no longer knows anything over against him: the great dialogue between I and Thou is silent; nothing else exists than his self, which he experiences as the self. That is certainly an exalted form of being untrue, but it is still being untrue. Being true to the being in which and before which I am placed is the one thing that is needful. 40

Seine frühe Anschauung komme noch in »Die Lehre vom Tao« von 1909 zum Ausdruck; er habe sie fünf Jahre später verworfen und konnte seine neue Einsicht erst weitere fünf Jahre später zu Papier bringen. Im Jahre 1914 veröffentlichte Buber eine Sammlung von Essays mit dem Titel Ereignisse und Begegnungen, 41 die den Übergang von Daniel 38. Martin Buber, Eine Vorrede, in: Ders., Reden über das Judentum, Leipzig: Rütten & Loening 1923, S. [VII]-XIX, hier S. XVf.; jetzt in: MBW 20, S. 27-32, hier S. 30. 39. Martin Buber, Pointing the Way. Collected Essays, edited and translated by Maurice Friedman (New York: Schocken Books 1957), S. IX; in diesem Band, S. 241. 40. Ebd., S. X. Vgl. »Marta, Marta, du hast viel Sorge und Mühe. Eins aber ist Not.« Lk 10,41 f. Die Wendung »Eins aber ist Not« ist ein häufig wiederkehrender Topos in Bubers Schriften. 41. In Ereignisse und Begegnungen, Leipzig: Insel Verlag 1917 (jetzt in: MBW 1, S. 247278) stellt Buber in drei Teilen elf kurze, zwischen 1907 und 1914 geschriebene Essays zusammen. In seinem Vorwort zur zweiten Auflage des Werks (1925) weist er darauf hin, dass der zweite und dritte Teil des Werks aus Essays bestehe, die im Frühling und Herbst 1914 verfasst wurden, demnach nach der Publikation von Daniel. »Mit einem Monisten« wurde zuerst in der Zeitschrift Die Weißen Blätter I/6 (1914), S. 615-620 veröffentlicht.

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zu Ich und Du markiert. In dem zentralen Essay dieses Bandes »Mit einem Monisten« 42 bringt er seine Gegnerschaft zur Mystik zum Ausdruck. »Der Mystiker kriegt es wahrhaft oder scheinbar fertig, die ganze Welt, oder was er so nennt, alles, was ihm seine Sinne an Gegenwart und an Gedächtnis darreichen, auszurotten und hinwegzuschaffen, um mit neuen, entleibten Sinnen oder einer ganz übersinnigen Kraft zu seinem Gotte vorzudringen.« 43 Im Gegensatz zum Mystiker behauptet Buber: »Mich aber geht eben diese Welt, diese schmerzensreiche, und köstliche Fülle all dessen, was ich sehe, höre, taste, ungeheuer an. Ich vermag von ihrer Wirklichkeit nichts hinwegzuwünschen, nein, nur noch steigern möchte ich diese Wirklichkeit. […] Wirklichkeit ist keine feststehende Verfassung, sondern eine steigerungsfähige Größe.« 44 Die Wirklichkeit tritt in ihre Fülle ein, wenn man dem Anderen begegnet, wenn »das Gegenübertretende, das Gestalthafte, das Schenkende des Dinges entgegenspringt und mich umfängt« 45 . »Das Gegenübertretende des Dinges« bezieht sich allerdings noch nicht ausdrücklich auf die zwischenmenschliche Begegnung. Zudem konzentriert sich Buber in »Mit einem Monisten« immer noch auf außergewöhnliche Erlebnisse, die Elemente einer religiösen Erleuchtung mit sich bringen. Diese Beschäftigung mit sich selbst wurde 1914 entschieden in Frage gestellt, so erzählt Buber, als er mitten im Krieg von einem jungen Soldaten besucht wurde, der dringlich um seinen Rat fragte. Da dieser Besuch in eine Stunde »›religiöser‹ Begeisterung« einbrach, empfing Buber den jungen Mann zwar mit der entsprechenden Höflichkeit und hörte diesem auch »aufmerksam« zu, war aber während der folgenden Unterhaltung, wie er selbst zugibt, nicht wirklich »mit der Seele dabei«. Daher entging es ihm, dass der junge Mann entscheidende Dinge ungesagt ließ. Als Buber später erfuhr, dass der Besucher im Kampf gefallen war, 46 wurde ihm klar, dass er es versäumt hatte, sorgfältig auch den unausgesprochenen Fragen seines Gegenübers »zuzuhören«. Seither habe ich jenes ›Religiöse‹, das nichts als Ausnahme ist, Herausnahme, Heraustritt, Ekstasis, aufgegeben oder es hat mich aufgegeben. Ich besitze nichts mehr als den Alltag, aus dem ich nie genommen werde. Das Geheimnis tut sich nicht 42. 43. 44. 45.

Ereignisse und Begegnungen, S. 22-36; jetzt in: MBW 1, S. 252-257. Ebd., S. 30; jetzt in: MBW 1, S. 255. Ebd., S. 30 f.; jetzt in: MBW 1, S. 255. Ebd., S. 32; jetzt in: MBW 1, S. 256. Vgl. Wilhelm Michel, Martin Buber. Sein Gang in die Wirklichkeit, Frankfurt 1926. 46. Aubrey Hodes schreibt, dass Buber ihm berichtet habe, der junge Mann habe sich kurz nach dem Zusammentreffen das Leben genommen. Vgl. Aubrey Hodes, Martin Buber. An Intimate Portrait, New York 1971, S. 10 f.

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mehr auf, es hat sich entzogen oder es hat hier Wohnung genommen, wo sich alles begibt, wie es sich begibt. Ich kenne keine Fülle mehr als die jeder sterblichen Stunde an Anspruch und Verantwortung. 47

Seitdem gilt für ihn, was er im »Vorwort« zur englischen Übersetzung von Hinweise gesagt hat: »Being true to the being in which and before which I am placed is the one thing that is needful.« In den Tagen unmittelbar vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs empfing Buber einen weiteren Besucher, der sein Verständnis von Gott herausforderte. Bis dahin war Gott für ihn die unpersönliche mystische Gestalt der Gottheit gewesen, die sich in der Seele des einsamen Mystikers manifestierte. Im Zuge der Unterhaltung mit seinem Besucher, dem Reverend William Hechler (1845-1931), der die Aussicht auf den Krieg mit apokalyptischem Enthusiasmus als die unmittelbar bevorstehende Ankunft der Erlösung, wie sie vom Propheten Daniel vorhergesagt war, begrüßte, wandelte sich diese Anschauung. Als er bemerkte, dass Buber seine überschwänglichen Erwartungen nicht teilte, legte der anglikanische Geistliche seine Hand auf Bubers Schulter und sagte: »Lieber Freund! Wir leben in einer großen Zeit. Sagen Sie mir: Glauben Sie an Gott?« Buber zögerte, darauf mit Ja zu antworten, aber nach einem Augenblick bestätigte er, um seinen verehrten Freund nicht zu beleidigen, dass er an ihn glaube. Nachdem er Hechler verabschiedet hatte, fragte er sich, warum er trotz seines Zögerns dennoch versichert hatte, dass er an Gott glaube. »Hatte ich die Wahrheit gesagt? ›Glaubte‹ ich an den Gott, den Hechler meinte? Wie verhielt es sich mit mir?« Erst später fand Buber eine Antwort auf diese Frage: »Wenn an Gott glauben«, so hieß es, »bedeutet, von ihm in der dritten Person reden zu können, glaube ich nicht an Gott. Wenn an ihn glauben bedeutet, zu ihm reden zu können, glaube ich an Gott.« […] »Der Gott, der diese Stunde der Menschengeschichte, diese Stunde da vor dem ›Weltkrieg‹, Daniel so vorzuwissen gibt, daß der ihren festen Platz im Zug der Zeiten bestimmen kann, ist nicht mein Gott und nicht Gott. Der Gott, zu dem Daniel in seinem Leid betet, ist mein und aller Gott«. 48 47. Martin Buber, Begegnung. Autobiographische Fragmente, Stuttgart: Kohlhammer 1960, S. 37; jetzt in: MBW 7, S. 274-312, hier S. 297. 48. Ebd., S. 35; jetzt in: MBW 7, S. 295. In seinem späten Text Begegnung stellt Buber fest, dass ihm die Antwort, seinen Glauben betreffend, unmittelbar nach Hechlers Abschied kam. In einer Vorlesung, die er im März 1922 hielt, erzählte er, dass ihm die Antwort auf einer Zugfahrt im Herbst 1921 eingefallen sei. »Vor einigen Monaten nun, es ist etwa ein halbes Jahr her, als ich im Zug zu einer Zusammenkunft mit einigen Freunden fuhr, kam mir plötzlich, ohne dass ich vorher darüber nachgedacht hätte. […] kam mir urplötzlich aufs Wort genau, also nicht aus Worten zusammengesetzt, die ich vorher überlegt hatte, in einer gefügten Wortfolge […]

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Die Koinzidenz des Austauschs mit Hechler mit der unglücklichen Begegnung – in Wahrheit einer Vergegnung – mit dem jungen Besucher haben den theologischen und existentiellen Horizont für Bubers Philosophie des Dialogs bestimmt. Das Konzept des Dialogs sollte langsam Gestalt annehmen; die erste flüchtige Skizze des Gesamtwerks, in dessen Rahmen Ich und Du als Auftakt geplant war, wurde im Frühjahr 1916 notiert. 49 Im Anschluss daran verordnete sich Buber eine »spirituelle Askese« 50 , um seinen Gedanken Gelegenheit zu geben, sich zu fokussieren. Es dauerte noch einmal drei Jahre, bevor Buber im Herbst 1919 »die erste, noch unbeholfene Niederschrift von ›Ich und Du‹« anfertigen konnte. Dieses Dokument »sollte ursprünglich den ersten Teil eines fünfbändigen Werkes bilden.« 51 Obwohl dieser erste Entwurf nicht sehr kohärent ist, 52 besitzen wir aus derselben Zeit auch eine veröffentlichte Version der ursprünglichen Formulierung seiner Philosophie des Dialogs. Wie Buber erläutert, geschah »die Klärung […] zunächst […] im Zusammenhang meiner Deutung des Chassidismus: In dem im September 1919 verfaßten ›Geleitwort‹ zu dem Buch, ›Der große Maggid und seine Nachfolge‹ (1921) wird die jüdische Lehre als ›ganz auf die doppelgerichtete Beziehung von Menschen-Ich und Gott-Du, auf die Gegenseitigkeit, auf die Begegnung gestellt‹ gekennzeichnet.« 53 Als Ziel der chassidischen Frömmigkeit wird nicht mehr das mystische Erlebnis des einsamen Individu-

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die Antwort.« Buber, Religion als Gegenwart. Siebenter Vortrag, (Arc. Ms. Var. 350 bet 29); jetzt in: MBW 12, S. 87-160, hier S. 145. Martin Buber, Nachwort [zu Die Schriften über das dialogische Prinzip], S. 294; in diesem Band, S. 233. Ebd. In einem Brief vom 21. Januar 1919 an Hugo Bergmann berichtet Buber: »Ich arbeite jetzt an den allgemeinen Grundlagen eines philosophischen (gemeinschaftsund religionsphilosophischen) Systems, dessen Aufbau die nächsten Jahre gewidmet sein sollen.« B II, S. 28. Ebd. Siehe Brief vom 13. Mai 1922 an Hugo Bergmann: »Ich bin nun an der Kelter. Der Prolegomenaband meines Religionswerkes, ›Ich und Du‹, der das Urphänomen behandelt, erscheint demnächst; der erste Teil des Werkes wird hoffentlich im Herbst folgen; wenn mir die gleiche Arbeitsgnade wie seit einer Weile beschieden bleibt, wird das Ganze 1924 fertig werden.« B II, S. 99. Rivka Horwitz vertritt die Ansicht, dass der erste Entwurf nicht mehr existiert. (Rivka Horwitz, Buber’s Way to ›I and Thou‹. An Historical Analysis and the First Publication of Martin Buber’s Lectures ›Religion als Gegenwart‹, Heidelberg 1978, S. 163.) Bei den Recherchen zu diesem Band sind allerdings weitere umfangreiche Materialien zu Tage getreten, darunter vermutlich auch wesentliche Bestandteile dieses ersten Entwurfs. Vgl. den Kommentar zu Ich und Du in diesem Band und Andreas Losch, Überlieferung und Kompositionsstruktur von Ich und Du. Ein Neuansatz der Interpretation, ZfBeg 1/2018, S. 19-33. Buber, Nachwort [zu Die Schriften über das dialogische Prinzip], S. 294; in diesem Band, S. 233.

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ums bezeichnet. Buber ist jetzt der Meinung, dass »die asketische Ekstase […] nicht göttlicher, sondern dämonischer Art [sei]. Man soll den ›bösen Trieb‹, die Leidenschaft in sich nicht ertöten, sondern m i t i h r Gott dienen.« 54 Ohne Zweifel hat die Askese und ihr Impuls, das Unendliche zu erreichen, den Chassidismus geprägt, aber sie wurde durch »die Lehre der Heiligung des Alltags« in Grenzen gehalten. Das Grundprinzip des Chassidismus ist nun nicht mehr die Verwirklichung einer unpersönlichen mystischen Gottheit in den Tiefen der Seele; vielmehr ist es das Ereignis der Begegnung als Antwort auf Gottes Ansprache, wie sie in allen Aspekten unseres kreatürlichen Lebens gespiegelt wird. Auf Grund der Antwort auf Gottes dialogische Ansprache wird die Einheit (Jichud) der Welt verwirklicht. Und Gott selbst, »die Einheit ohne Vielheit« 55 , nimmt Wohnung in der Jichud der Vielheit, wie er vom Chassiden verwirklicht wird. Die Anerkennung und die aufmerksame Antwort auf die Andersheit des Anderen, die Andersheit Gottes manifestiert sich in der Welt. Obwohl schicksalslos, entscheidet sich Gott, in die Welt einzutreten und ihr Schicksal zu teilen. »Die Weltgeschichte ist nicht Gottes Spiel sondern Gottes Schicksal.« 56 Göttliche Immanenz wird nicht allein durch Gott bewirkt, noch allein durch den Menschen. Gott und Mensch müssen zusammen am Werk der Schöpfung arbeiten. »Hier ist der Mensch, dieser elende Mensch, seinem Ursinn nach der Helfer Gottes. Um seines, des ›Wählenden‹, des Gottwählen-könnenden willen ist die Welt erschaffen worden. […] Die Sphären sind auseinandergewichen, daß er [der Mensch] sie einander nähere. Seiner harrt die Kreatur. Gott harrt seiner. Von ihm, von ›unten‹ muß der Antrieb zur Erlösung ausgehen. Die Gnade ist Gottes A n t w o r t .« 57 Gnade wird ein Schlüsselbegriff in Ich und Du werden: »Das Du begegnet mir von Gnaden – durch Suchen wird es nicht gefunden« 58 ; denn es bezeichnet den freien Akt eines transzendenten Anderen, auf den Buber in einem kurzen Vorschlag für ein Buchprojekt, der auf den 5. Februar 1918 datiert ist, als auf das Gegenüber 59 sich bezieht. In die54. Martin Buber, Geleitwort, in: Der große Maggid und seine Nachfolge, Frankfurt a. M.: Rütten und Loening 1922, S. XIII-XCVI, hier S. XXVI. jetzt in: MBW 17, S. 53-96, hier S. 60. 55. Ebd., S. XXXV; jetzt in: MBW 17, S. 64. 56. Ebd., S. XXXVI; jetzt in: MBW 17, S. 65. 57. Ebd., S. XXII; jetzt in: MBW 17, S. 58 58. Martin Buber, Ich und Du, Leipzig: Insel Verlag 1923, S. 18; jetzt in diesem Band, S. 44. 59. Horwitz, Buber’s Way to ›I and Thou‹, S. 156-165. Auf der Grundlage einer detaillierten Analyse dieses nur eine Seite umfassenden Dokuments äußert Horwitz die Vermutung, es habe als Ideenskizze für den dritten Teil von Ich und Du gedient.

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sem Entwurf ist das Gegenüber Gott, aber mit zunehmender Präzisierung seines Dialog-Konzepts bezeichnete es jede Art von Dialogpartner, dessen radikale Andersheit durch eine Urdistanz konstituiert wird, die anthropologische Grundlage 60 jeder dialogischen Beziehung. Auf Grund der Urdistanz zwischen allem Sein beruht »jede wirkliche Beziehung in der Welt […] auf der Individuation; die ist ihre Wonne, denn nur so ist Einandererkennen der Verschiedenen gewährt« 61 . Auf die Bitte von Franz Rosenzweig hin hielt Buber im Januar und Februar 1922 eine Folge von Vorlesungen am Frankfurter Freien Jüdischen Lehrhaus, das Rosenzweig gegründet hatte und leitete. Diese Vorlesungen, unter dem allgemeinen Titel »Religion als Gegenwart« 62 , dienten Buber dazu, seinen Gedankengang 63 weiter zu klären. Die acht Vorlesungen, besonders die vierte, fünfte, sechste und achte, stellen die Grundlage von Ich und Du dar. 64 In diesen vier Vorlesungen widmet er sich der Frage, die er in der ersten Vorlesung gestellt hatte: Wir wollen gemeinsam zu erkunden suchen, inwiefern es Religion als Gegenwart gibt. Religion also nicht als Erinnerung und Hoffnung, sondern als gelebte Gegenwart. Das bedeutet aber auch, dass diese Frage nicht etwa gerichtet wird zur Erkundung, nicht etwa vorgenommen wird an diesem Zeitalter, in dem wir leben, so sehr gerade es uns diese Frage auferlegt, sondern dass notwendigerweise wir diese Frage richten müssen an alle Zeit, dass wir nicht fragen können, inwiefern Religion in dieser unserer Gegenwart Gegenwart ist, sondern dass wir fragen müssen, inwiefern Religion absolute Gegenwart ist, die nie zur Vergangenheit werden kann und somit in jeder Zeit und für jede Zeit Gegenwart werden und Gegenwart sein muss. Denn sonst wäre diese Frage in die ganze Problematik unserer Zeit und jeder Zeit wieder eingestellt, müsste immer neu gestellt werden und könnte nie wirklich beantwortet werden. Nur indem wir sie so absolut stellen, so zeitlos und allzeitlich, stellen wir sie restlos. Wir fragen uns: Inwiefern ist Religion absolute Gegenwart, die nicht zur Vergangenheit werden kann? Inwiefern ist sie eine Gegenwart, die von keiner anderen begrenzt wird und die daher auch von keiner anderen aufgehoben werden kann? Das bedeutet zugleich: Inwiefern ist Religion unbedingte Wirklichkeit und dennoch an nichts Wirkliches grenzend, von keinem Wirklichen 60. Vgl. Martin Buber, Nachwort [vom Oktober 1957] zu Ich und Du, Heidelberg: Lambert Schneider 1958, S. 107; in diesem Band, S. 243. 61. Ich und Du, S. 125; in diesem Band, S. 62. 62. Buber, Religion als Gegenwart, jetzt in MBW 12, S. 87-160. 63. Buber, Nachwort [zu Die Schriften über das dialogische Prinzip], S. 294; in diesem Band, S. 233. 64. In den ersten drei Vorlesungen kritisiert Buber Auffassungen der Religion, die sie in Funktion oder in Abhängigkeit von verschiedenen Sphären des Lebens sehen. Damit übt er implizit Kritik an seinen früheren vordialogischen Positionen. Für eine umfassende philosophische Analyse von »Religion als Gegenwart«. Vgl. Ashraf Noors Einleitung zu MBW 12, S. 39-50.

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sich abhebend, von keinem andern Wirklichen zu berichtigen, sondern aus sich selbst, in sich selbst unbedingt wirklich? Und zum dritten bedeutet es: Inwiefern ist Religion für jeden gegenwärtig? Inwiefern ist sie etwas, was da ist für jeden? 65

Rosenzweig sorgte dafür, dass ein Stenograph Bubers Vorlesungen niederschrieb, ebenso die Einwürfe der Zuhörer wie auch Bubers Antwort auf die Kommentare und die aufgeworfenen Fragen. Das vom Stenographen angefertigte Typoskript der Vorlesungen wurde zuerst von Rivka Horwitz 66 publiziert und ist jetzt im Band 12 der MBW unter dem Titel »Religion als Gegenwart« verfügbar. Rosenzweig versuchte den Vorlesungen beizuwohnen, so weit es die versagenden Kräfte seines Körpers erlaubten; als das nicht mehr möglich war, informierte er sich mit Hilfe des stenographischen Transskripts der Vorlesungen. Er teilte Buber seine kritischen Reflektionen mit, so auch später, als er die Korrekturbögen von Ich und Du las. Buber antwortete stets dankbar auf Rosenzweigs Kritik und kümmerte sich pflichtschuldigst um die Klarstellungen und Berichtigungen, die sein Freund vorschlug: »Ich danke Ihnen von Herzen für Ihre große, großartige Kritik und bitte Sie, den weiteren Bogen […] die gleich gütige Unerbittlichkeit und strenge Rückhaltlosigkeit zu bewahren.« 67 Ihr Briefwechsel war des Weiteren mit Reflexionen über die Natur der Religion durchsetzt – ein Begriff, den Rosenzweig vehement ablehnte, weil er ein genuines Glaubensleben zu sehr einenge und verzerre. Buber teilte Rosenzweigs Furcht, dass die »Religion« oft genug den Menschen von Gott und von dem ablenke, was er in seinen chassidischen Schriften als »Heiligung des Alltags« rühmte. In einem Essay, den er kurz nach der Veröffentlichung von Ich und Du schrieb, stellte er fest: [Es ist] weit gemächlicher […], mit der Religion als mit dem Gott zu tun zu haben, der einen aus Heimat und Vaterhaus auf die ruhelose Wanderschaft verschickt. Dazu kommt, daß Religion ihren kultivierten Anhängern allerlei ästhetische Erquickungen zu bieten hat. […]. Deshalb sind zu allen Zeiten die wachen Geister wachsam gewesen und haben vor der in der Religion versteckten ablenkenden Kraft gewarnt. 68

Ganz im gleichen Sinne warnte Rosenzweig Buber davor, nicht die IchDu-Beziehungen zum Nachteil der Welt des Es, die Gottes geschaffene 65. 66. 67. 68.

Buber, Religion als Gegenwart, jetzt in: MBW 12, S. 88 f. in: Horwitz, Buber’s Way to ›I and Thou‹, S. 43-152. Buber an Rosenzweig, 14. September 1922 in B II, S. 128. Buber, Religion und Gottesherrschaft, Frankfurter Zeitung vom 28. April 1923; jetzt in MBW 9, S. 84-86. Buber glaubte auch: »Die Religion ist die Urgefahr der Menschheit.« Zitiert von Rudolf Pannwitz, Der Chassidismus, Merkur 9 (1954), S. 810-830, hier S. 820.

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Ordnung darstelle, zu privilegieren und bemerkte dazu: »Was soll denn aus Ich und Du werden, wenn sie die ganze Welt und den Schöpfer dazu verschlingen müssen? Religion? Ich fürchte es – und schüttle mich vor dem Wort wie immer wenn ich es höre.« 69 Rosenzweig und Buber teilten die Auffassung, dass das Leben des religiösen Glaubens, das bis dahin die gesamte menschliche Existenz beherrscht hatte, seit der Aufklärung in erbärmlicher Weise beschränkt und zu einer der disparaten und miteinander konkurrierenden Sphären von Handlungen und Werten eingeengt worden war, wie sie die moderne Gesellschaft charakterisieren. In dieser Weise auf den Bereich individueller Wahl verwiesen, wurde der religiöse Glaube zu einer subjektiven Option. Man hatte, wie Max Webers berühmtes Wort lautete, entweder »ein Ohr« für die Religion oder nicht. (Weber gab offen zu, er habe es nicht, trotz seines Interesses an der Religionssoziologie.) Zu Beginn seiner Vorlesungen verwarf Buber diese Ansicht rundheraus. Religiöser Glaube ist, bekundete er, »nicht eine Gabe neben andern Gaben, die man hat oder nicht. Man ist auch nicht so religiös, wie man künstlerisch ist, und auch nicht einmal so, wie man moralisch ist.« 70 Die Religion auf persönliche Neigungen beschränken zu wollen, zu »Seelenmomenten«, beklagt Buber, kommt ihrer »Vernichtung« 71 und einem »Selbstmord des Geistes« 72 gleich. Vielmehr, so argumentiert er, gehört das Religiöse zum Urgrund des wahren Lebens und um es zu öffnen, bedarf es keiner »besondere[n] geistige[n] Begabung.« 73 Das Religiöse ist die Antwort auf den »Auftrag eines Seienden, de[n] Auftrag des Seienden« 74 , den wir gewöhnlich Gott nennen und den Buber in seinen Lehrhaus-Vorlesungen die »absolute Gegenwart« und in Ich und Du das »Ewige Du« nennt. Das Religiöse »ruht auf dem Fundament einer Seinsbindung, einer Bindung an das Seiende.« 75 Ohne diese Bindung werden alle religiösen Begriffe und Praktiken inhaltsleer, im besten Falle eine »Abart der Kunst«, eine freie Schöpfung des menschlichen Geistes. Zudem wird die »Seinsbindung« zu Unrecht »Glaube« genannt. 76 Vielmehr wird diese Bindung auf Grund einer Beziehung zur »Absoluten Gegenwart«, zum »Ewigen Du« verwirklicht. Abgeleitet vom Verb »ziehen«, bezeichnet 69. 70. 71. 72. 73. 74. 75. 76.

Rosenzweig an Buber, undatiert, B II, S. 128. Buber, Religion als Gegenwart, jetzt in: MBW 12, S. 89. Ebd., S. 111. Ebd., S. 91. Ebd., S. 89. Ebd., S. 97. Ebd. Ebd.

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»Beziehung« die dynamische Qualität eines gegenseitigen Bezogenseins zwischen zwei autonomen Subjekten, einem »Ich« und einem »Du«. Das familiäre Pronomen der zweiten Person – Du – ist in der umgangssprachlichen deutschen Rede beschränkt auf die Ansprache enger Freunde, Verwandter und Kinder. Aber man spricht auch Gott als Du an. Es ist genau dieses Kontinuum des Du-sagens als zugleich weltlich und heilig, das Buber einzufangen sucht, indem er die Ich – Du Beziehung, eine Beziehung, die zu verstehen ist als eine zwischen zwei Individuen, »eine Seinsbindung, eine Bindung an das Seiende«, als den eigentlichen religiösen Akt bezeichnet. Gottes Gegenwart wird widergespiegelt in der Gegenwart eines Gegenüber, des Er oder der Sie, denen man im alltäglichen, säkularen Leben begegnet. Denn »the I-Thou relation to God and the I-Thou relation to one’s fellow man are at bottom related to each other.« 77 Der Eintritt in die Beziehung mit der ewigen Gegenwart findet nicht in der Einsamkeit statt, »sondern eben dadurch, daß man in die Welt auch eintritt, in der Welt den Sinn bewährt.« 78 Rosenzweig äußert ein ähnliches Verständnis von der überwältigenden Stimme der Offenbarung. In einer Passage des Sterns der Erlösung, die Buber in seinem Exemplar des Werks unterstrichen hat, 79 ist zu lesen: »Liebe deinen Nächsten. Das ist, so versichern Jud und Christ, der Inbegriff aller Gebote. Mit diesem Gebot verläßt die mündig gesprochene Seele das Vaterhaus aus göttlicher Liebe und wandert hinaus in die Welt.« 80 In einem Essay, den Buber und Rosenzweig später gemeinsam verfassten, stellen sie diese weltliche Berufung der Offenbarung als den kerygmatischen Kern der biblischen Religiosität dar: »›Soziales‹ und ›religiöses‹ Gebot sind in der Tora nicht zu scheiden: das Religiöse ist die Richtung, aber das Soziale ist der Gang.« 81 In einem seiner frühesten Briefe an Rosenzweig hielt Buber fest, dass diese Lehre in einem Diktum des römischen Gelehrten Plinius des Älteren aus dem ersten Jahrhundert zusammengefasst sei: Deus est mortali 77. Buber, Philosophical Interrogations: Interrogations of Martin Buber [and others], hrsg. und eingel. von Sydney and Beatrice Rome, New York u. Evanston: Holt, Rinehart and Winston 1964, S. 33-117, hier S. 99; jetzt in: MBW 13, S. 594. Vgl. Heiligkeit »ist wahrhafte Gemeinschaft mit Gott und wahrhafte Gemeinschaft mit den Wesen i n e i n e m «. Martin Buber, Der heilige Weg. Ein Wort an die Juden und die Völker, Frankfurt a. M.: Rütten und Loening 1919, S. 19; jetzt in: MBW 11.1., S. 125-156, hier S. 131. 78. Buber, Religion als Gegenwart, jetzt in: MBW 12, S. 147. 79. Horwitz, Buber’s Way to ›I and Thou‹, S. 145, 80. Franz Rosenzweig, Der Stern der Erlösung, Frankfurt a. M. 1993, S. 229. 81. Martin Buber und Franz Rosenzweig, Die Sprache der Botschaft, in: Die Schrift und ihre Verdeutschung, Berlin: Schocken Verlag 1936, S. 55-75, hier S. 64; jetzt in: MBW 14, S. 56-67, hier S. 61.

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iuvare mortalem, was, wie Rosenzweig erklärt, zu verstehen sei als »Gott besteht darin, daß der Mensch dem Menschen helfe.« 83 Bubers Philosophie des Dialogs zeichnet sich durch das aus, worin diese »Hilfe«, die der Mensch dem Anderen gewähren soll, besteht. Die kumulativen »Einsichten«, die er in der Periode unmittelbar vor und während des Ersten Weltkriegs über die menschlichen Verhältnisse und, wie er betonen sollte, über sich selbst 84 sammelte, veranlassten ihn dazu zu erkennen, dass die Befolgung von Gottes Gebot: »Liebe Deinen Nächsten« nicht auf ethische Taten beschränkt ist. Vielmehr ist es ein Akt der Begegnung mit dem Anderen, »der Treue zu dem Sein, in das und vor das man gestellt ist« 85 . Obwohl die Begegnung mit dem Anderen »die einzige Sache ist, die getan werden muss«, gibt es dafür keine Vorschriften und schnellen Rezepte, wie das zu tun ist, außer der »vollkommnene[n] Akzeptation der Gegenwart« des Anderen. 86 Buber hatte gelernt, dass es Momente im Leben mit Anderen gibt, in denen der Mensch aufgerufen ist, mit ihnen in Verbindung zu treten ohne die Anleitung durch etablierte kognitive Kategorien und Verhaltensregeln im intersubjektiven Umgang oder im sozialen Leben. Dem Anderen als Du zu begegnen bedeutet, das sichere Wissen und die Normen, die durch diese Kategorien und Codes bereitgestellt werden, beiseite zu stellen; in der Tat, die Ich – Du Beziehung beinhaltet Unsicherheit, aber eine heilige Unsicherheit. »Das ist aber die erhabne Schwermut unsres Loses« 87 , dass es notwendig ist, unser Leben in den gegebenen kognitiven und normativen Strukturen der eigenen Lebenswelt zu verankern. Aber so notwendig sie für einen ordnungsgemäßen Verlauf des Lebens sein mögen, wer ihnen folgt, läuft Gefahr, sich auf den Anderen, der in seinem existenziellen Bedürfnis als Gegenwart vor einem steht, als auf ein Es, einen bloßen Gegenstand zu beziehen. 82. Buber an Rosenzweig, Brief vom 24. August 1922, B II, S. 120. 83. Vgl. »Ein wundervolles Wort habe ich neulich bei Plinius gefunden (offenbar aus Poseidonios zitiert), ein Motto für den Sozialistischen Bund: Deus est mortali iuvare mortalem. Wohl die schönste Definition Gottes!« Brief Bubers an Gustav Landauer vom 9. August 1913, B I, S. 340, sowie Anmerkung 3, die die Übersetzung Bubers wiedergibt. 84. Vgl. »Der Mensch soll zuerst selbst erkennen, dass die Konfliktsituationen zwischen ihm und den anderen nur Auswirkungen der Konfliktsituationen in seiner eigenen Seele sind, und dann soll er diesen seinen inneren Konflikt zu überwinden suchen, um nunmehr als ein Gewandelter, Befriedeter zu seinen Mitmenschen auszugehen und neue, gewandelte Beziehungen zu ihnen einzugehen.« Buber, Der Weg des Menschen nach der chassidischen Lehre, Den Haag: Pulvis Viarum 1948, S. 26; jetzt in: MBW 17, S. 233-250, hier S. 243. 85. Vgl. Buber, Foreword zu Pointing the Way, S. X; jetzt in diesem Band, S. 242: 86. Buber, Ich und Du, S. 92; jetzt in diesem Band, S. 83. 87. Ebd., S. 114; jetzt in diesem Band, S. 96.

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Buber stellt das dialogische Leben dar als durch das dialektische Wechselspiel von Gegenwart und Gegenstand bestimmt. Nach seiner Darstellung ist die Etymologie dieser Begriffe kennzeichnend: Gegenwart verweist auf ein Subjekt, das vor einem wartet, wartet anerkannt zu werden, als ein Du angesprochen zu werden; Gegenstand auf etwas (ein Es), das vor einem steht, um benutzt zu werden oder um in ein epistemologisches Netz von räumlich-zeitlichen Kategorien eingestellt zu werden, um seine Beziehung zu anderen Objekten zu bestimmen. Im Gegensatz zu einem Gegenstand transzendiert eine Gegenwart die Matrix von Zeit und Raum; als solche ist die Gegenwart eines anderen menschlichen Wesens – ebenso wie die Flora und Fauna der natürlichen Ordnung und die Werke der Kunst und der Literatur, die den schöpferischen Geist der Mitmenschen verkörpern – in Gott gegründet, der absoluten Gegenwart, dem Ewigen Du. In der Tat ist Gott, wie Rosenzweig dafür hielt, eine Gegenwart, ewig gegenwärtig. Beide, sowohl er als auch Buber, haben demgemäß Ehejeh ascher Ehejeh, Gottes Antwort auf Moses’ Bitte, seinen Namen zu offenbaren, (Exodus 3:14) als »Ich werde dasein, als der ich dasein werde« übersetzt. 88 In ihrer detaillierten Analyse von Rosenzweigs grundlegendem Beitrag zur Klärung von Bubers Philosophie des Dialogs vermutet Rivka Horwitz, dass er Buber gedrängt habe, das aus einem Gedicht Goethes entnommene Motto aus der Erstausgabe von Ich und Du zu entfernen: »So hab ich endlich von dir erharrt: / In allen Elementen Gottes Gegenwart.« 89 Nach Erhalt eines Exemplars des Buches habe er energisch gegen die Aufnahme des Mottos protestiert. 90 Buber habe der dringlichen Bitte seines Freundes nachgegeben. Als er gefragt wurde, warum er das Goethesche Motto aus allen folgenden Editionen von Ich und Du getilgt habe, antwortete Buber, dass es wegen seines pantheistischen Klangs hätte missverstanden werden können. Er änderte auch einige Sätze in späteren Ausgaben von Ich und Du, um seine Position von der des Pantheismus zu unterscheiden. 91 Walter Kaufmann (1921-1980) vermutet, dass das dir des Mottos sich auf Bubers Frau Paula bezieht. 92 Zur Unterstützung seiner Vermutung weist Kaufmann darauf hin, dass Zwie88. Martin Buber u. Franz Rosenzweig, Das Buch Namen, Berlin: Lambert Schneider [1926], S. 15. 89. Johann Wolfgang Goethe, West-östlicher Divan, in: Goethes Werke, hrsg. im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen, Bd. 6, Weimar 1888, S. 223. 90. Horwitz, Buber’s Way to ›I and Thou‹, S. 225. 91. Vgl. den Kommentar in diesem Band, S. 301. 92. Walter Kaufman, I and You. A Prologue, in: Buber, I and Thou, trans. Walter Kaufmann, New York 1970, S. 27.

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sprache, die Ergänzung von Ich und Du, Paula mit einer Strophe von vier Versen gewidmet wurde: AN PAULA Der Abgrund und das Weltenlicht, Zeitnot und Ewigkeitsbegier, Vision, Ereignis und Gedicht: ZWIESPRACHE WARS UND ISTS MIT DIR. 93

Kaufmann stimmt mit Grete Schaeder (1903-1990), der Herausgeberin von Bubers Briefwechsel, überein, dass das Motto von Goethe »eine versteckte Widmung« an Paula gewesen sein könne. 94 Diese Interpretation wird durch die beiden Verse unterstützt, die in Goethes Divan auf das Motto folgen: »Wie du mir so lieblich gibst! /Am lieblichsten aber dass du liebst.« »Richtig verstanden«, vermutet Kaufmann, »verweist der Leitspruch darauf, dass das Buch in einer wirklichen Beziehung zwischen einem menschlichen Ich und einem menschlichen Du begründet war.« 95 In den Vorlesungen über »Religion als Gegenwart« hat Buber festgehalten, dass das Judentum existiere, um von dieser religiösen Wirklichkeit Zeugnis zu geben, einer Wirklichkeit allerdings, die »nicht das Vorrecht einzelner Religionen« sei. 96 In Ich und Du sind die einzigen Juden, die er erwähnt, Jesus, Petrus und Paulus, aber auch und viel häufiger Buddha und die Hindu Upanischaden. Im Vorwort zur Gesamtausgabe seiner Reden über das Judentum von 1923 unterstreicht er, dass göttliche Offenbarung nicht das privilegierte Wissen einer Religion sei: »nicht aus der Wolke zuckt da die Offenbarung herab, aus den niedern Dingen selber, im Verströmen der Alltage flüstert sie uns an, ganz nah, ganz hüben ist sie lebendig, mitverbannt, mitharrend wohnt die Schechina [Gottes Gegenwart] bei uns […]. Das ist die Geschichte Israels, wie es die Geschichte der menschlichen Person ist, aber es ist wohl die Geschichte der Welt […].« 97 Die Herausarbeitung der These – dass authentisches religiöses Leben in der Ich-Du Begegnung verwirklicht wird – wurde zukünftig Bubers Lebensprojekt. In seinen Vorlesungen über »Religion als Gegenwart« bediente sich Buber einer gesprächsähnlichen Redeweise, wobei er sich häufig unterbrach, um an seine Zuhörer zu appellieren, über ihre eigene 93. In MBW 7, S. 135. Vgl. den Kommentar, ebd. S. 578. 94. Grete Schaeder, Martin Buber. Ein biographischer Abriß, in: B I, S. 19-141, hier S. 39. 95. Ebd., 28. 96. Buber, Religion als Gegenwart, S. 151. 97. Eine Vorrede [zu Reden über das Judentum], S. XIII; jetzt in: MBW 20, S. 29.

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Lebenserfahrung zu reflektieren und damit über diese These nachzudenken: »Und ich bitte Sie, dies alles so konkret zu fassen, als Sie es jeder aus seinem Leben, aus dem, was er selbst unmittelbar von der Du-Beziehung weiss, zu fassen vermögen.« 98 In Ich und Du sucht Buber in ähnlicher Weise die innerliche Selbstbeobachtung seiner Leser anzuregen, aber hier nicht durch einen direkten Appell. Vielmehr bedient er sich eines poetischen Pathos, um einen »Aha!«-Effekt und das Eingeständnis dessen hervorzurufen, was er als eine allgemeine menschliche Erfahrung betrachtet. Ich und Du ist so voller aphoristischer Formulierungen, evozierender Sprachfiguren und von einer beinahe musikalischen Intonierung. In der Tat ist das Werk in einer quasi musikalischen Form aus drei Teilen konfiguriert, ähnlich den drei Sätzen einer Sonate, jeder Satz mit einem eigenen unverwechselbaren Rhythmus, durchsetzt mit angedeuteten thematischen Motiven, eingeschrieben in zweiundsechzig Segmente von unterschiedlicher Länge, die wiederkehren, und mit einem volleren begrifflichen Echo entwickelt und erweitert werden. 99 In dieser Weise ist Ich und Du als philosophisches Poem charakterisiert worden. Bubers Entfaltung einer poetischen Rhetorik stand in Übereinstimmung mit seiner Ablehnung traditioneller Formen des philosophischen Diskurses. Er betrachtete die Funktion philosophischen Denkens als die einer Deixis, eines Zeigens, oder vielmehr einer Apodeixis, eines Aufzeigens. Entsprechend verstand er Erkennen als Wiedererkennen und Wissen als Anerkennen. Deshalb gab er zu, dass er in einem begrifflichen strengen Verständnis nichts zu »lehren« habe. »Ich zeige nur etwas. Ich zeige Wirklichkeit, ich zeige etwas an der Wirklichkeit, was nicht oder zu wenig gesehen worden ist. Ich nehme ihn, der mir zuhört, an der Hand und führe ihn zum Fenster. Ich stoße das Fenster auf und zeige hinaus. // Ich habe keine Lehre, aber ich führe ein Gespräch.« 100 Es war eben diese poetische Stimme, in der das Gespräch geführt wurde, die der berühmte argentinische Dichter Jorges Luis Borges (18991986) in Bubers Schriften so hinreißend fand. Mit der Erinnerung an ein Bonmot von Ralph Waldo Emerson (1803-1882), dass »Argumente niemanden überzeugen«, merkte er an: When something is merely said or – better still – hinted at, there is a kind of hospitality in our imagination. We are ready to accept it. I remember reading … the 98. Buber, Religion als Gegenwart, S. 135. 99. Für eine umfassende Analyse von Ich und Du als »a kind of romantic symphony in three movements, each with a different internal structure and rhythm«, vgl. Robert E. Wood, Martin Buber’s Ontology. An Analysis of »I and Thou«, Evanston 1969, S. 29-33. 100. Buber, Antwort [an meine Kritiker], S. 593; jetzt in: MBW 12, S. 471.

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works of Martin Buber – I thought of them as being wonderful poems. Then, when I went to Buenos Aries, I read a book by a friend of mine, and found in its pages, much to my astonishment, that Martin Buber was a philosopher and that all his philosophy lay in the books I read as poetry. Perhaps I accepted these books because they came to me through poetry, through suggestion, through the music of poetry, and not as arguments. 101

Es ist nicht sicher, dass Rosenzweig sich Borges’ Einschätzung zu eigen gemacht hätte, aber er stimmte mit Bubers Reserviertheit in Bezug auf den traditionellen philosophischen Diskurs überein und befürwortete eine Alternative, die er »Neues Denken« nannte: An die Stelle der Methode des Denkens, wie sie alle frühere Philosophie ausgebildet hat, tritt die Methode des Sprechens. Das Denken ist zeitlos, will es sein; es will mit einem Schlag tausend Verbindungen schlagen; das Letze, das Ziel ist ihm das Erste. Sprechen ist zeitgebunden, zeitgenährt; es kann und will diesen Nährboden nicht verlassen; es weiß nicht im voraus, wo es herauskommen wird; es läßt sich seine Stichworte vom andern geben. Es lebt überhaupt vom Leben des anderen. […] Im wirklichen Gespräch geschieht eben etwas; ich weiß nicht vorher, was mir der andre sagen wird, weil ich nämlich auch noch nicht einmal weiß, daß ich überhaupt etwas sagen werde! … [Sprechen] heißt zu jemandem sprechen und für jemanden denken; und dieser Jemand ist immer ein ganz bestimmter Jemand und hat nicht bloß Ohren wie die Allgemeinheit, sondern auch einen Mund. 102

Und in ähnlicher Weise wie Buber wendet sich Rosenzweig an seine Leser, um sich die Gültigkeit dieser Beobachtung durch ihre alltägliche Erfahrung bestätigen zu lassen, eine Erfahrung, auf die er sich als »gesunden Menschenverstand« bezieht: »Das gilt von alltäglichen Dingen, und für die gibt es jeder zu.« 103 Buber teilte die Überzeugung mit ihm, dass der philosophische und religiöse Diskurs neu auf die alltägliche Erfahrung des Reden-Denkens ausgerichtet werden müsste.

101. Jorges Luis Borges, This Craft of Verse. The Charles Eliot Norton Lectures. 19671968, Cambridge: Harvard University Press 2000, S. 31 f. Vgl. auch Hans FischerBarnicol, »… und Poet dazu«. Die Einheit von Dichten und Denken bei Martin Buber, in: Bulletin des Leo Baeck Instituts, 9. Jg., Nr. 33, 1966, S. 1-20. 102. Rosenzweig, Das neue Denken (1925), in: Ders., Zweistromland. Kleinere Schriften zur Religion und Philosophie. Mit einem Nachtwort von Gesine Palmer, Berlin 2001, S. 223 f. 103. Ebd., S. 221.

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Ich und Du So hab ich endlich von dir erharrt: In allen Elementen Gottes Gegenwart.

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Ich und Du

Erster Teil

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Die Welt ist dem Menschen zwiefältig nach seiner zwiefältigen Haltung. Die Haltung des Menschen ist zwiefältig nach der Zwiefalt der Grundworte, die er sprechen kann. Die Grundworte sind nicht Einzelworte, sondern Wortpaare. Das eine Grundwort ist das Wortpaar Ich–Du. Das andre Grundwort ist das Wortpaar Ich–Es; wobei, ohne Änderung des Grundworts, für Es auch eins der Worte Er und Sie eintreten kann. Somit ist auch das Ich des Menschen zwiefältig. Denn das Ich des Grundworts Ich–Du ist ein andres als das des Grundworts Ich–Es. *

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Grundworte bedeuten nicht Dinge, sondern Verhältnisse. Grundworte sagen nicht etwas aus, was außer ihnen bestünde, sondern gesprochen stiften sie einen Bestand. Grundworte werden mit dem Wesen gesprochen. Wenn Du gesprochen wird, ist das Ich des Wörterpaars Ich–Du mitgesprochen. Wenn Es gesprochen wird, ist das Ich des Wörterpaars Ich–Es mitgesprochen. Das Grundwort Ich–Du kann nur mit dem ganzen Wesen gesprochen werden. Das Grundwort Ich–Es kann nie mit dem ganzen Wesen gesprochen werden. * Es gibt kein Ich an sich, sondern nur das Ich des Grundworts Ich–Du und das Ich des Grundworts Ich–Es. Wenn der Mensch Ich spricht, meint er eins von beiden. Das Ich, das er meint, dieses ist da, wenn er Ich spricht. Auch wenn er Du oder Es spricht, ist das Ich des einen oder das des andern Grundworts da. Ich sein und Ich sprechen sind eins. Ich sprechen und eins der Grundworte sprechen sind eins. Wer ein Grundwort spricht, tritt in das Wort ein und steht darin. *

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Ich und Du

Das Leben des Menschenwesens besteht nicht im Umkreis der zielenden Zeitwörter allein. Es besteht nicht aus Tätigkeiten allein, die ein Etwas zum Gegenstand haben. Ich nehme etwas wahr. Ich empfinde etwas. Ich stelle etwas vor. Ich will etwas. Ich fühle etwas. Ich denke etwas. Aus alledem und seinesgleichen allein besteht das Leben des Menschenwesens nicht. All dies und seinesgleichen zusammen gründet das Reich des Es. Aber das Reich des Du hat anderen Grund.

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* Wer Du spricht, hat kein Etwas zum Gegenstand. Denn wo Etwas ist, ist anderes Etwas, jedes Es grenzt an andere Es, Es ist nur dadurch, daß es an andere grenzt. Wo aber Du gesprochen wird, ist kein Etwas. Du grenzt nicht. Wer Du spricht, hat kein Etwas, hat nichts. Aber er steht in der Beziehung.

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* Man sagt, der Mensch erfahre seine Welt. Was heißt das? Der Mensch befährt die Fläche der Dinge und erfährt sie. Er holt sich aus ihnen ein Wissen um ihre Beschaffenheit, eine Erfahrung. Er erfährt, was an den Dingen ist. Aber nicht Erfahrungen allein bringen die Welt dem Menschen zu. Denn sie bringen ihm nur eine Welt zu, die aus Es und Es und Es, aus Er und Er und Sie und Sie und Es besteht. Ich erfahre etwas. Daran wird nichts geändert, wenn man zu den »äußeren« die »inneren« Erfahrungen fügt, der unewigen Scheidung folgend, die der Begier des menschlichen Geschlechts entstammt, das Geheimnis des Todes abzustumpfen. Innendinge wie Außendinge, Dinge unter Dingen! Ich erfahre etwas. Und daran wird nichts geändert, wenn man zu den »offenbaren« die »geheimen« Erfahrungen fügt, in jener selbstsichern Weisheit, die in den Dingen einen verschloßnen Abteil kennt, den Eingeweihten vorbehalten, und mit dem Schlüssel hantiert. O Heimlichkeit ohne Geheimnis, o Häufung der Auskünfte! Es, es, es! *

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Erster Teil

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Der Erfahrende hat keinen Anteil an der Welt. Die Erfahrung ist ja »in ihm« und nicht zwischen ihm und der Welt. Die Welt hat keinen Anteil an der Erfahrung. Sie läßt sich erfahren, aber es geht sie nichts an, denn sie tut nichts dazu, und ihr widerfährt nichts davon. * Die Welt als Erfahrung gehört dem Grundwort Ich–Es zu. Das Grundwort Ich–Du stiftet die Welt der Beziehung. *

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Drei sind die Sphären, in denen sich die Welt der Beziehung errichtet. Die erste: das Leben mit der Natur. Da ist die Beziehung im Dunkel schwingend und untersprachlich. Die Kreaturen regen sich uns gegenüber, aber sie vermögen nicht zu uns zu kommen, und unser Du-Sagen zu ihnen haftet an der Schwelle der Sprache. Die zweite: das Leben mit den Menschen. Da ist die Beziehung offenbar und sprachgestaltig. Wir können das Du geben und empfangen. Die dritte: das Leben mit den geistigen Wesenheiten. Da ist die Beziehung in Wolke gehüllt, aber sich offenbarend, sprachlos, aber sprachzeugend. Wir vernehmen kein Du und fühlen uns doch angerufen, wir antworten – bildend, denkend, handelnd: wir sprechen mit unserm Wesen das Grundwort, ohne mit unserm Munde Du sagen zu können. Wie dürfen wir aber das Außersprachliche in die Welt des Grundworts einbeziehn? In jeder Sphäre, durch jedes uns gegenwärtig Werdende blicken wir an den Saum des ewigen Du hin, aus jedem vernehmen wir ein Wehen von ihm, in jedem Du reden wir das ewige an, in jeder Sphäre nach ihrer Weise. *

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Ich betrachte einen Baum. Ich kann ihn als Bild aufnehmen: starrender Pfeiler im Anprall des Lichts, oder das spritzende Gegrün von der Sanftmut des blauen Grundsilbers durchflossen. Ich kann ihn als Bewegung verspüren: das flutende Geäder am haftenden und strebenden Kern, Saugen der Wurzeln, Atmen der Blätter, unendlicher Verkehr mit Erde und Luft – und das dunkle Wachsen selber.

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Ich und Du

Ich kann ihn einer Gattung einreihen und als Exemplar beobachten, auf Bau und Lebensweise. Ich kann seine Diesmaligkeit und Geformtheit so hart überwinden, daß ich ihn nur noch als Ausdruck des Gesetzes erkenne – der Gesetze, nach denen ein stetes Gegeneinander von Kräften sich stetig schlichtet, oder der Gesetze, nach denen die Stoffe sich mischen und entmischen. Ich kann ihn zur Zahl, zum reinen Zahlenverhältnis verflüchtigen und verewigen. In all dem bleibt der Baum mein Gegenstand und hat seinen Platz und seine Frist, seine Art und Beschaffenheit. Es kann aber auch geschehen, aus Willen und Gnade in einem, daß ich, den Baum betrachtend, in die Beziehung zu ihm eingefaßt werde, und nun ist er kein Es mehr. Die Macht der Ausschließlichkeit hat mich ergriffen. Dazu tut nicht not, daß ich auf irgendeine der Weisen meiner Betrachtung verzichte. Es gibt nichts, wovon ich absehen müßte, um zu sehen, und kein Wissen, das ich zu vergessen hätte. Vielmehr ist alles, Bild und Bewegung, Gattung und Exemplar, Gesetz und Zahl, mit darin, ununterscheidbar vereinigt. Alles, was dem Baum zugehört, ist mit darin, seine Form und seine Mechanik, seine Farben und seine Chemie, seine Unterredung mit den Elementen und seine Unterredung mit den Gestirnen, und alles in einer Ganzheit. Kein Eindruck ist der Baum, kein Spiel meiner Vorstellung, kein Stimmungswert, sondern er leibt mir gegenüber und hat mit mir zu schaffen, wie ich mit ihm – nur anders. Man suche den Sinn der Beziehung nicht zu entkräften: Beziehung ist Gegenseitigkeit. So hätte er denn ein Bewußtsein, der Baum, dem unsern ähnlich? Ich erfahre es nicht. Aber wollt ihr wieder, weil es euch an euch geglückt scheint, das Unzerlegbare zerlegen? Mir begegnet keine Seele des Baums und keine Dryade, sondern er selber.

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* Stehe ich einem Menschen als meinem Du gegenüber, spreche das Grundwort Ich–Du zu ihm, ist er kein Ding unter Dingen und nicht aus Dingen bestehend. Nicht Er oder Sie ist er, von andern Er und Sie begrenzt, im Weltnetz aus Raum und Zeit eingetragner Punkt; und nicht eine Beschaffenheit, erfahrbar, beschreibbar, lockeres Bündel benannter Eigenschaften. Son-

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dern nachbarnlos und fugenlos ist er Du und füllt den Himmelskreis. Nicht als ob nichts andres wäre als er: aber alles andre lebt in s e i n e m Licht. Wie die Melodie nicht aus Tönen sich zusammensetzt, der Vers nicht aus Wörtern und die Bildsäule nicht aus Linien, man muß dran zerren und reißen, bis man die Einheit zur Vielheit zubereitet hat, so der Mensch, zu dem ich Du sage. Ich kann die Farbe seiner Haare oder die Farbe seiner Rede oder die Farbe seiner Güte aus ihm holen, ich muß es immer wieder; aber schon ist er nicht mehr Du. Und wie das Gebet nicht in der Zeit ist, sondern die Zeit im Gebet, das Opfer nicht im Raum, sondern der Raum im Opfer, und wer das Verhältnis umkehrt, hebt die Wirklichkeit auf, so finde ich den Menschen, zu dem ich Du sage, nicht in einem Irgendwann und Irgendwo vor. Ich kann ihn hineinstellen, ich muß es immer wieder, aber nur noch einen Er oder eine Sie, ein Es, nicht mehr mein Du. Solang der Himmel des Du über mir ausgespannt ist, kauern die Winde der Ursächlichkeit an meinen Fersen, und der Wirbel des Verhängnisses gerinnt. Den Menschen, zu dem ich Du sage, erfahre ich nicht. Aber ich stehe in der Beziehung zu ihm, im heiligen Grundwort. Erst wenn ich daraus trete, erfahre ich ihn wieder. Erfahrung ist Du-Ferne. Beziehung kann bestehn, auch wenn der Mensch, zu dem ich Du sage, in seiner Erfahrung es nicht vernimmt. Denn Du ist mehr, als Es weiß. Du tut mehr, und ihm widerfährt mehr, als Es weiß. Hierher langt kein Trug: hier ist die Wiege des Wirklichen Lebens. *

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Das ist der ewige Ursprung der Kunst, daß einem Menschen Gestalt gegenübertritt und durch ihn Werk werden will. Keine Ausgeburt seiner Seele, sondern Erscheinung, die an sie tritt und von ihr die wirkende Kraft erheischt. Es kommt auf eine Wesenstat des Menschen an: vollzieht er sie, spricht er mit seinem Wesen das Grundwort zu der erscheinenden Gestalt, dann strömt die wirkende Kraft, das Werk entsteht. Die Tat umfaßt ein Opfer und ein Wagnis. Das Opfer: die unendliche Möglichkeit, die auf dem Altar der Gestalt dargebracht wird; alles, was eben noch spielend die Perspektive durchzog, muß ausgetilgt werden, nichts davon darf ins Werk dringen; so will es die Ausschließlichkeit des Gegenüber. Das Wagnis: das Grundwort kann nur mit dem ganzen Wesen gesprochen werden; wer sich drangibt, darf von sich nichts vorenthalten; und das Werk duldet nicht, wie Baum und Mensch, daß ich in der

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Entspannung der Es-Welt einkehre, sondern es waltet: – diene ich ihm nicht recht, so zerbricht es, oder es zerbricht mich. Die Gestalt, die mir entgegentritt, kann ich nicht erfahren und nicht beschreiben; nur verwirklichen kann ich sie. Und doch schaue ich sie, im Glanz des Gegenüber strahlend, klarer als alle Klarheit der erfahrenen Welt. Nicht als ein Ding unter den »inneren« Dingen, nicht als ein Gebild der »Einbildung«, sondern als das Gegenwärtige. Auf die Gegenständlichkeit geprüft, ist die Gestalt gar nicht »da«; aber was ist so gegenwärtig wie sie? Und wirkliche Beziehung ist es, darin ich zu ihr stehe: sie wirkt an mir, wie ich an ihr wirke. Schaffen ist Schöpfen, Erfinden ist Finden. Gestaltung ist Entdeckung. Indem ich verwirkliche, decke ich auf. Ich führe die Gestalt hinüber – in die Welt des Es. Das geschaffene Werk ist ein Ding unter Dingen, als eine Summe von Eigenschaften erfahrbar und beschreibbar. Aber dem empfangend Schauenden kann es Mal um Mal leibhaft gegenübertreten.

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Was erfährt man also vom Du? Eben nichts. Denn man erfährt es nicht. Was weiß man also vom Du? Nur alles. Denn man weiß von ihm nichts Einzelnes mehr.

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* Das Du begegnet mir von Gnaden – durch Suchen wird es nicht gefunden. Aber daß ich zu ihm das Grundwort spreche, ist Tat meines Wesens, meine Wesenstat. Das Du begegnet mir. Aber ich trete in die unmittelbare Beziehung zu ihm. So ist die Beziehung Erwähltwerden und Erwählen, Passion und Aktion in einem. Wie denn eine Aktion des ganzen Wesens, als die Aufhebung aller Teilhandlungen und somit aller – nur in deren Grenzhaftigkeit gegründeter – Handlungsempfindungen, der Passion ähnlich werden muß. Das Grundwort Ich–Du kann nur mit dem ganzen Wesen gesprochen werden. Die Einsammlung und Verschmelzung zum ganzen Wesen kann nie durch mich, kann nie ohne mich geschehen. Ich werde am Du; Ich werdend spreche ich Du. Alles wirkliche Leben ist Begegnung. *

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Die Beziehung zum Du ist unmittelbar. Zwischen Ich und Du steht keine Begrifflichkeit, kein Vorwissen und keine Phantasie; und das Gedächtnis selber verwandelt sich, da es aus der Einzelung in die Ganzheit stürzt. Zwischen Ich und Du steht kein Zweck, keine Gier und keine Vorwegnahme; und die Sehnsucht selber verwandelt sich, da sie aus dem Traum in die Erscheinung stürzt. Alles Mittel ist Hindernis. Nur wo alles Mittel zerfallen ist, geschieht die Begegnung. *

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Vor der Unmittelbarkeit der Beziehung wird alles Mittelbare unerheblich. Es ist auch unerheblich, ob mein Du das Es anderer Ich (»Objekt allgemeiner Erfahrung«) schon ist oder erst – eben durch die Auswirkung meiner Wesenstat – werden kann. Denn die eigentliche Grenze, freilich eine schwebende, schwingende, führt weder zwischen Erfahrung und Nichterfahrung, noch zwischen Gegebenem und Ungegebenem, noch zwischen Seinswelt und Wertwelt hin, sondern quer durch alle Bezirke zwischen Du und Es: zwischen Gegenwart und Gegenstand. *

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Gegenwart, nicht die punkthafte, die nur den jeweilig im Gedanken gesetzten Schluß der »abgelaufenen« Zeit, den Schein des festgehaltenen Ablaufs bezeichnet, sondern die wirkliche und erfüllte, gibt es nur insofern, als es Gegenwärtigkeit, Begegnung, Beziehung gibt. Nur dadurch, daß das Du gegenwärtig wird, entsteht Gegenwart. Das Ich des Grundworts Ich–Es, das Ich also, dem nicht ein Du gegenüber leibt, sondern das von einer Vielheit von »Inhalten« umstanden ist, hat nur Vergangenheit, keine Gegenwart. Mit anderm Wort: insofern der Mensch sich an den Dingen genügen läßt, die er erfährt und gebraucht, lebt er in der Vergangenheit, und sein Augenblick ist ohne Präsenz. Er hat nichts als Gegenstände; Gegenstände aber bestehen im Gewesensein. Gegenwart ist nicht das Flüchtige und Vorübergleitende, sondern das Gegenwartende und Gegenwährende. Gegenstand ist nicht die Dauer, sondern der Stillstand, das Innehalten, das Abbrechen, das Sichversteifen, die Abgehobenheit, die Beziehungslosigkeit, die Präsenzlosigkeit. Wesenheiten werden in der Gegenwart gelebt, Gegenständlichkeiten in der Vergangenheit. *

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Diese wesenhafte Zwiefältigkeit wird auch nicht durch die Anrufung einer »Ideenwelt« als eines Dritten und Übergegensätzlichen überwunden. Denn ich rede von nichts anderem als von dem wirklichen Menschen, dir und mir, von unserem Leben und unserer Welt, nicht von einem Ich an sich und nicht von einem Sein an sich. Für den wirklichen Menschen aber geht die eigentliche Grenze auch quer durch die Welt der Ideen. Freilich, mancher, der sich in der Welt der Dinge damit begnügt, sie zu erfahren und zu gebrauchen, hat sich einen Ideen-Anbau oder -Überbau aufgerichtet, darin er vor der Anwandlung der Nichtigkeit Zuflucht und Beruhigung findet. Er legt das Kleid des üblen Alltags an der Schwelle ab, hüllt sich in reines Linnen und erlabt sich am Anblick des Urseienden oder Seinsollenden, an dem sein Leben keinen Anteil hat. Auch mag ihm wohltun, es zu verkünden. Aber die Es-Menschheit, die einer imaginiert, postuliert und propagiert, hat mit einer leibhaften Menschheit, zu der ein Mensch wahrhaft Du spricht, nichts gemein. Die edelste Fiktion ist ein Fetisch, die erhabenste Fiktivgesinnung ist ein Laster. Die Ideen thronen ebensowenig über unsern Köpfen, wie sie in ihnen hausen; sie wandeln unter uns und treten uns an; beklagenswert, wer das Grundwort ungesprochen läßt, aber erbärmlich, wer sie statt dessen mit einem Begriff oder einer Parole anredet, als wäre es ihr Name!

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* Daß die unmittelbare Beziehung ein Wirken am Gegenüber einschließt, ist an einem der drei Beispiele offenbar: die Wesenstat der Kunst bestimmt den Vorgang, in dem die Gestalt zum Werk wird. Das Gegenüber erfüllt sich durch die Begegnung, es tritt durch sie in die Welt der Dinge ein, unendlich fortzuwirken, unendlich Es, aber auch unendlich wieder Du zu werden, beglückend und befeuernd. Es »verkörpert sich«: sein Leib steigt aus der Flut der raum- und zeitlosen Gegenwart an das Ufer des Bestands. Nicht so offenbar ist die Wirkensbedeutung an der Beziehung zum Menschen-Du. Der Wesensakt, der hier die Unmittelbarkeit stiftet, wird gewöhnlich gefühlhaft verstanden und damit verkannt. Gefühle begleiten das metaphysische und metapsychische Faktum der Liebe, aber sie machen es nicht aus; und die Gefühle, die es begleiten, können sehr verschiedner Art sein. Das Gefühl Jesu zum Besessenen ist ein andres als das Gefühl zum Lieblingsjünger; aber die Liebe ist eine. Gefühle werden »gehabt«; die Liebe geschieht. Gefühle wohnen im Menschen; aber der

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Mensch wohnt in seiner Liebe. Das ist keine Metapher, sondern die Wirklichkeit: die Liebe haftet dem Ich nicht an, so daß sie das Du nur zum »Inhalt«, zum Gegenstand hätte; sie ist z w i s c h e n Ich und Du. Wer dies nicht weiß, mit dem Wesen weiß, kennt die Liebe nicht, ob er auch die Gefühle, die er erlebt, erfährt, genießt und äußert, ihr zurechnen mag. Liebe ist ein welthaftes Wirken. Wer in ihr steht, in ihr schaut, dem lösen sich Menschen aus ihrer Verflochtenheit ins Getriebe; Gute und Böse, Kluge und Törichte, Schöne und Häßliche, einer um den andern wird ihm wirklich und zum Du; das ist losgemacht, herausgetreten, einzig und gegenüber wesend; Ausschließlichkeit ersteht wunderbar Mal um Mal – und so kann er wirken, kann helfen, heilen, erziehen, erheben, erlösen. Liebe ist Verantwortung eines Ich für ein Du: hierin besteht, die in keinerlei Gefühl bestehen kann, die Gleichheit aller Liebenden, vom kleinsten bis zum größten und von dem selig Geborgnen, dem sein Leben in dem Eines geliebten Menschen beschlossen ist, zu dem lebenlang ans Kreuz der Welt Geschlagnen, der das Ungeheure vermag und wagt: d i e M e n s c h e n zu lieben. Im Geheimnis verbleibe die Wirkensbedeutung im dritten Beispiel, dem von der Kreatur und ihrer Anschauung. Glaub an die schlichte Magie des Lebens, an den Dienst im All, und es wird dir aufgehn, was jenes Harren, Ausschaun, »Halsrecken« der Kreatur meint. Jedes Wort würde fälschen; aber sieh, die Wesen leben um dich herum, und auf welches du zugehst, du kommst immer zum Wesen. *

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Beziehung ist Gegenseitigkeit. Mein Du wirkt an mir, wie ich an ihm wirke. Unsre Schüler bilden uns, unsre Werke bauen uns auf. Der »Böse« wird offenbarend, wenn ihn das heilige Grundwort berührt. Wie werden wir von Kindern, wie von Tieren erzogen! Unerforschlich einbegriffen leben wir in der strömenden All-Gegenseitigkeit.

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– Du redest von der Liebe, als wäre sie die einzige Beziehung zwischen Menschen; aber darfst du sie auch nur als das Beispiel gerechterweise wählen, da es doch den Haß gibt? – Solange die Liebe »blind« ist, das heißt: solang sie nicht ein g a n z e s Wesen sieht, steht sie noch nicht wahrhaft unter dem Grundwort der Beziehung. Der Haß bleibt seiner Natur nach blind; nur einen Teil eines Wesens kann man hassen. Wer ein ganzes Wesen sieht und es ablehnen

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muß, ist nicht mehr im Reich des Hasses, sondern in dem der menschhaften Einschränkung des Dusagenkönnens. Daß dem Menschen widerfährt, zu seinem menschlichen Gegenüber das Grundwort, das stets eine Bejahung des angesprochenen Wesens einschließt, nicht sprechen zu können, entweder den andern oder sich selbst ablehnen zu müssen: das ist die Schranke, an der das In-Beziehung-treten seine Relativität erkennt und die erst mit dieser aufgehoben wird. Doch der unmittelbar Hassende ist der Beziehung näher als der Liebund Haßlose.

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Das aber ist die erhabne Schwermut unsres Loses, daß jedes Du in unsrer Welt zum Es werden muß. So ausschließlich gegenwärtig es in der unmittelbaren Beziehung war: sowie sie sich ausgewirkt hat oder vom Mittel durchsetzt worden ist, wird es zum Gegenstand unter Gegenständen, zum vornehmsten etwa, dennoch zu einem von ihnen, in Maß und Grenze gesetzt. Am Werk bedeutet Verwirklichung im einen Entwirklichung im anderen Sinn. Echte Anschauung ist kurz bemessen; das Naturwesen, das sich mir eben erst im Geheimnis der Wechselwirkung erschloß, ist nun wieder beschreibbar, zerlegbar, einreihbar geworden, der Schnittpunkt vielfältiger Gesetzeskreise. Und die Liebe selber kann nicht in der unmittelbaren Beziehung verharren; sie dauert, aber im Wechsel der Aktualität und Latenz. Der Mensch, der eben noch einzig und unbeschaffen, nicht vorhanden, nur gegenwärtig, nicht erfahrbar, nur erfüllbar war, ist nun wieder ein Er oder eine Sie, eine Summe von Eigenschaften, ein figurhaftes Quantum geworden. Nun kann ich aus ihm wieder die Farbe seiner Haare, die seiner Rede, die seiner Güte holen; aber solang ich es kann, ist er mein Du nicht mehr und noch nicht wieder. Jedem Du in der Welt ist seinem Wesen nach verhängt, Ding zu werden oder doch immer wieder in die Dinghaftigkeit einzugehn. In der gegenständlichen Sprache wäre zu sagen: jedes Ding in der Welt kann, entweder vor oder nach seiner Dingwerdung, einem Ich als sein Du erscheinen. Aber die gegenständliche Sprache erhascht nur einen Zipfel des wirklichen Lebens. Das Es ist die ewige Puppe, das Du der ewige Falter. Nur daß es nicht immer Zustände sind, die einander reinlich ablösen, sondern oft ein in tiefer Zwiefalt wirr verschlungnes Geschehen. *

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Im Anfang ist die Beziehung. Man betrachte die Sprache der »primitiven«, das heißt jener Völker, die gegenstandsarm geblieben sind und deren Leben sich in einem schmalen Umkreis gegenwartsstarker Akte aufbaut. Die Zellkerne dieser Sprache, die Satzworte, vorgrammatische Urgebilde, aus deren Sprengung die Mannigfaltigkeit der Wörterarten entsteht, bezeichnen zumeist die Ganzheit einer Beziehung. Wir sagen: »weit fort«, der Zulu sagt dafür ein Satzwort, das bedeutet: »da wo einer aufschreit: ›o Mutter, ich bin verloren‹«; und der Feuerländer überflügelt unsre analytische Weisheit mit einem siebensilbigen Satzwort, dessen genauer Sinn ist: »man blickt einander an, jeder erwartend, daß der andre sich erbiete zu tun, was beide wünschen, aber nicht tun mögen«. In dieser Ganzheit sind die Personen, die substantivischen und die pronominalen, noch reliefhaft, ohne gerundete Selbständigkeit, eingebettet. Es kommt nicht auf diese Produkte der Zerlegung und Überlegung, es kommt auf die wahre ursprüngliche Einheit, die gelebte Beziehung, an. Wir grüßen den uns Begegnenden, indem wir ihm Gutes wünschen oder ihn unsrer Ergebenheit versichern oder ihn Gott anempfehlen. Aber wie mittelbar sind diese abgescheuerten Formeln (was ahnt man noch in »Heil!« von der ursprünglichen Machtverleihung!) gegen den ewig jungen, leiblichen Beziehungsgruß des Kaffern: »Ich sehe dich!« oder dessen amerikanische Variante, das lächerliche und sublime »Rieche mich!« Man darf vermuten, daß sich die Bezeichnungen und Begriffe, aber auch die Vorstellungen von Personen und Dingen aus Vorstellungen von Beziehungsvorgängen und Beziehungszuständen herausgelöst haben. Die elementaren, geistweckenden Eindrücke und Erregungen des »Naturmenschen« sind die von Beziehungsvorgängen, Erleben eines Gegenüber, und Beziehungszuständen, Leben mit einem Gegenüber, herrührenden. Über den Mond, den er allnächtlich sieht, macht er sich keine Gedanken, bis der, im Schlaf oder im Wachen, leiblich auf ihn zu, ihm nahe kommt, ihn mit Gebärden bezaubert oder ihm mit Berührungen etwas antut, Schlimmes oder Süßes. Davon behält er nicht etwa die optische Vorstellung der wandernden Lichtscheibe und auch nicht die eines ihr irgendwie zugehörigen dämonischen Wesens, sondern zunächst nur das motorische, den Leib durchströmende E r r e g u n g s b i l d jenes Mondwirkens, woraus sich das Personbild des wirkenden Monds erst allmählich distanziert: jetzt erst nämlich beginnt das Gedächtnis des allnächtlich Aufgenommenen und Ungewußten sich zum Vorstellen des Täters und Trägers jener Wirkung zu entzünden und seine Vergegenständlichung, das Er- oder Sie-Werden eines ursprünglich unerfahrbaren, nur eben erlittenen Du zu ermöglichen.

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Aus diesem anfänglichen und lang fortwirkenden Beziehungscharakter aller wesentlichen Erscheinung wird auch ein von der gegenwärtigen Forschung viel beachtetes und besprochenes, aber noch nicht hinlänglich erfaßtes geistiges Element des primitiven Lebens verständlicher, jene geheimnisvolle Macht, deren Begriff in mancherlei Abwandlungen in dem Glaubensbestand oder der Wissenschaft (beide sind hier noch eins) vieler Naturvölker aufgefunden worden ist, jenes Mana oder Orenda, von dem ein Weg bis zum Brahman in seiner Urbedeutung und noch bis zu den Dynamis, Charis der Zauberpapyri und der apostolischen Briefe führt. Man hat es als eine übersinnliche oder übernatürliche Kraft bezeichnet, beides von unseren Kategorien aus, die denen des Primitiven nicht gerecht werden. Die Grenzen seiner Welt zieht sein leibliches Erleben, zu dem etwa die Besuche der Toten völlig »natürlich« gehören; Unsinnliches als vorhanden anzunehmen, muß ihn widersinnig dünken. Die Erscheinungen, denen er die »mystische Potenz« zuschreibt, sind alle elementaren Beziehungsvorgänge, also überhaupt alle Vorgänge, über die er sich Gedanken macht, weil sie seinen Leib erregen und ein Erregungsbild in ihm hinterlassen. Der Mond und der Tote, die ihn nachts mit Pein oder Wollust heimsuchen, haben jene Potenz, aber auch die Sonne, die ihn brennt, und das Tier, das ihn anheult, der Häuptling, dessen Blick ihn zwingt, und der Schamane, dessen Gesang ihn zur Jagd mit Kraft lädt. Mana ist eben das Wirkende, das, was die Mondperson da drüben am Himmel zum blutbewegenden Du gemacht hat, und dessen Erinnerungsspur blieb, als aus dem Erregungsbild das Gegenstandsbild sich ablöste, wiewohl es selber nie anders als in dem Täter und Träger einer Wirkung erscheint; es ist das, womit man, wenn man es, etwa in einem wunderbaren Stein, besitzt, selber so wirken kann. Das »Weltbild« des Primitiven ist magisch, nicht weil die menschliche Zauberkraft in dessen Mitte stünde, sondern weil diese nur eine besondre Abart der allgemeinen ist, der alle wesentliche Wirkung entstammt. Die Kausalität seines Weltbilds ist kein Kontinuum, sie ist ein immer neues Aufblitzen, Ausfahren und Sichhinwirken der Kraft, eine vulkanische Bewegung ohne Zusammenhang. Mana ist eine primitive Abstraktion, vermutlich primitiver als etwa die Zahl, aber nicht übernatürlicher als sie. Die sich schulende Erinnerung reiht die großen Beziehungsereignisse, die elementaren Erschütterungen, aneinander; das für den Erhaltungstrieb Wichtigste und für den Erkenntnistrieb Merkwürdigste, eben das »Wirkende«, tritt am stärksten hervor, hebt sich ab, verselbständigt sich; das Unwichtigere, das Ungemeinsame, das wechselnde Du der Erlebnisse tritt zurück, bleibt isoliert im Gedächtnis, vergegenständlicht sich allmählich und schließt sich sehr allmählich zu Gruppen, zu Gattungen zu-

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sammen; und als Drittes, schaurig in seiner Abgelöstheit, zuweilen spukhafter als der Tote und der Mond, aber immer unabweisbarer deutlich, erhebt sich der andere, der »gleichbleibende« Partner: »Ich«. Dem ursprünglichen Walten des »Selbst«-Erhaltungstriebs haftet das Ichbewußtsein ebensowenig an wie dem der anderen Triebe; nicht das Ich will sich da fortpflanzen, sondern der Leib, der noch von keinem Ich weiß; nicht das Ich, sondern er will Dinge machen, Werkzeug, Spielzeug, will »Urheber« sein; und auch in der primitiven Erkenntnisfunktion ist ein cognosco ergo sum in noch so naiver Gestalt, die noch so kindliche Konzeption eines erfahrenden Subjekts unauffindbar. Das Ich tritt aus der Zerscheidung der Urerlebnisse, der vitalen Urworte Ich-wirkend-Du und Du-wirkend-Ich, nach der Substantivierung, Hypostasierung des Partizips, elementhaft hervor. *

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Der fundamentale Unterschied zwischen den zwei Grundworten kommt in der Geistesgeschichte des Primitiven darin zutage, daß er schon in dem ursprünglichen Beziehungsereignis das Grundwort Ich–Du auf naturhafte, gleichsam vorgestaltliche Weise spricht, also ehe er sich als Ich erkannt hat, wogegen das Grundwort Ich–Es überhaupt erst durch diese Erkenntnis, durch die Ablösung des Ich möglich wird. Das erste zerlegt sich wohl in Ich und Du, aber es ist nicht aus ihrer Zusammenlegung entstanden, es ist vorichhaft; das zweite ist aus der Zusammenlegung von Ich und Es entstanden, es ist nachichhaft. Im primitiven Beziehungsereignis ist das Ich eingeschlossen: durch dessen Ausschließlichkeit. Indem es in ihm nämlich seinem Wesen nach nur die zwei Partner, den Menschen und sein Gegenüber, in ihrer vollen Aktualität gibt, indem die Welt in ihm zum dualen System wird, verspürt der Mensch darin schon jene kosmische Pathetik des Ich, ohne noch dessen selbst innezuwerden. Dagegen ist in der naturhaften Tatsache, die in das Grundwort Ich–Es, das ichbezogene Erfahren, übergehen wird, das Ich noch nicht eingeschlossen. Diese Tatsache ist die Abgehobenheit des menschlichen Leibes, als des Trägers seiner Empfindungen, von seiner Umwelt. Der Leib lernt sich in dieser seiner Eigentümlichkeit kennen und unterscheiden, aber die Unterscheidung verbleibt im reinen Nebeneinander, und so kann sie den Charakter der implizierten Ichhaftigkeit nicht annehmen. Aber wenn das Ich der Beziehung hervorgetreten und in seiner Abgelöstheit existent geworden ist, fährt es auch, sich seltsam verdünnend und funktionalisierend, in die naturhafte Tatsache der Abgehobenheit

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des Leibes von seiner Umwelt und erweckt die Ichhaftigkeit darin. Jetzt erst kann der bewußte Ichakt, die erste Gestalt des Grundworts Ich–Es, des ichbezogenen Erfahrens entstehen: das hervorgetretene Ich erklärt sich als den Träger der Empfindungen, die Umwelt als deren Gegenstand. Das geschieht freilich eben in »primitiver« und nicht in »erkenntnistheoretischer« Form; aber ist der Satz »Ich sehe den Baum« erst so ausgesprochen, daß er nicht mehr eine Beziehung zwischen Menschen-Ich und Baum-Du erzählt, sondern die Wahrnehmung des Baum-Gegenstands durch das Menschen-Bewußtsein feststellt, hat er schon die Schranke zwischen Subjekt und Objekt aufgerichtet; das Grundwort Ich–Es, das Wort der Trennung, ist gesprochen.

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* – So wäre denn jene Schwermut unsres Loses eine urgeschichtlich gewordene? – Eine gewordene wohl: insofern das bewußte Leben des Menschen ein urgeschichtlich gewordenes ist. Aber in dem bewußten Leben kehrt nur welthaftes Sein als menschliches Werden wieder. Der Geist erscheint in der Zeit als Erzeugnis, ja als Nebenprodukt der Natur, und doch ist eben er es, der sie zeitlos umhüllt. Der Gegensatz der zwei Grundworte hat in den Zeiten und Welten viele Namen: aber in seiner namenlosen Wahrheit inhäriert er der Schöpfung.

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* – So glaubst du aber doch an ein Paradies in der Urzeit der Menschheit? – Mag sie eine Hölle gewesen sein – und sicherlich war die, auf die ich im geschichtlichen Denken zurückzugehen vermag, voll Grimm und Angst und Qual und Grausamkeit –: unwirklich war sie nicht. Die Begegnungserlebnisse des Urmenschen waren gewiß nicht zahmes Wohlgefallen; aber besser noch Gewalt am real erlebten Wesen, als die gespenstische Fürsorge an antlitzlosen Nummern! Von jener führt ein Weg zu Gott, von dieser nur der ins Nichts.

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* Der Primitive, dessen Leben, auch wenn wir es völlig zu erschließen vermöchten, uns das des wirklichen Urmenschen nur wie im Gleichnis darstellen kann, eröffnet uns nur kurze Durchblicke in den zeitlichen Zu-

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sammenhang der beiden Grundworte. Vollständigere Kunde empfangen wir vom Kind. Daß die geistige Realität der Grundworte sich aus einer naturhaften erhebt, die des Grundworts Ich–Du aus der naturhaften Verbundenheit, die des Grundworts Ich–Es aus der naturhaften Abgehobenheit, wird uns hier unverschleiert klar. Das vorgeburtliche Leben des Kindes ist eine reine naturhafte Verbundenheit, Zueinanderfließen, leibliche Wechselwirkung; wobei der Lebenshorizont des werdenden Wesens in einzigartiger Weise in den des tragenden eingezeichnet und doch auch wieder nicht eingezeichnet erscheint; denn es ruht nicht im Schoß der Menschenmutter allein. Diese Verbundenheit ist so welthaft, daß es wie das unvollkommne Ablesen einer urzeitlichen Inschrift anmutet, wenn es in der jüdischen Mythensprache heißt, im Mutterleib wisse der Mensch das All, in der Geburt vergesse er es. Und sie bleibt ihm ja als geheimes Wunschbild eingetan. Nicht als ob seine Sehnsucht ein Zurückverlangen meinte, wie jene wähnen, die im Geist, ihn mit ihrem Intellekt verwechselnd, einen Parasiten der Natur sehen: der vielmehr ihre – nur freilich allerlei Krankheiten ausgesetzte – Blüte ist. Sondern die Sehnsucht geht nach der welthaften Verbundenheit des zum Geist aufgebrochnen Wesens mit seinem wahren Du. Jedes werdende Menschenkind ruht, wie alles werdende Wesen, im Schoß der großen Mutter: der ungeschieden vorgestaltigen Urwelt. Von ihr auch löst es sich ins persönliche Leben, und nur noch in den dunkeln Stunden, da wir diesem entgleiten (das widerfährt freilich auch dem Gesunden Nacht um Nacht), sind wir ihr wieder nah. Aber jene Ablösung geschieht nicht, wie die von der leiblichen Mutter, plötzlich und katastrophal; es ist dem Menschenkind Frist gewährt, für die verlorengehende naturhafte Verbundenheit mit der Welt geisthafte, das ist Beziehung, einzutauschen. Es ist aus der glühenden Finsternis des Chaos in die kühle, lichte Schöpfung getreten, aber es hat die noch nicht, es muß sie erst recht eigentlich herausholen und sich zur Wirklichkeit machen, es muß sich seine Welt erschauen, erhorchen, ertasten, erbilden. Die Schöpfung offenbart ihre Gestaltigkeit in der Begegnung; sie schüttet sich nicht in wartende Sinne, sie hebt sich den fassenden entgegen. Was den fertigen Menschen als gewohnter Gegenstand umspielen wird, muß vom entstehenden in angestrengter Handlung erworben, umworben werden; kein Ding ist Bestandteil einer Erfahrung, keins erschließt sich anders als in der wechselwirkenden Kraft des Gegenüber. Wie der Primitive, so lebt das Kind zwischen Schlaf und Schlaf (auch ein großer Teil des Wachens ist da noch Schlaf), im Blitz und Widerblitz der Begegnung.

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Die Ursprünglichkeit des Beziehungstrebens zeigt sich schon auf der frühsten, dumpfsten Stufe. Ehe Einzelnes wahrgenommen werden kann, stoßen die blöden Blicke in den ungeklärten Raum, einem Unbestimmten zu; und in Zeiten, wo ersichtlich kein Begehren nach Nahrung besteht, allem Anschein nach zwecklos suchen, greifen die weichen Handentwürfe in die leere Luft, einem Unbestimmten entgegen. Mag man dies immerhin animalisch nennen, es ist nichts damit begriffen. Denn eben diese Blicke werden nach langen Proben auf einer roten Tapetenarabeske haften bleiben und sich nicht losmachen, bis die Rotseele sich ihnen aufgetan hat; eben diese Bewegung wird an einem zottigen Spielbären ihre sinnliche Form und Bestimmtheit gewinnen und eines vollständigen Körpers liebevoll und unvergeßlich innewerden; beides nicht Erfahrung eines Gegenstands, sondern Auseinandersetzung mit einem – freilich nur in der »Phantasie« – lebendig wirkenden Gegenüber. (Diese »Phantasie« ist aber durchaus keine »Allbeseelung«; sie ist der Trieb, sich alles zum Du zu machen, der Trieb zur Allbeziehung, der, wo ihm kein lebendig wirkendes Gegenüber, sondern dessen bloßes Abbild oder Symbol gegeben ist, das lebendige Wirken aus der eignen Fülle ergänzt.) Noch ertönen kleine, ungegliederte Laute sinnlos und beharrlich ins Nichts; aber eben sie werden eines Tags, unversehens, zum Gespräch geworden sein, womit wohl? vielleicht mit dem brodelnden Teekessel, aber zum Gespräch. Manche Regung, die Reflex heißt, ist eine feste Kelle beim Weltbau der Person. Es ist eben nicht so, daß das Kind erst einen Gegenstand wahrnähme, dann etwa sich dazu in Beziehung setzte; sondern das Beziehungstreben ist das erste, die aufgewölbte Hand, in die sich das Gegenüber schmiegt; die Beziehung zu diesem, eine wortlose Vorgestalt des Dusagens, das zweite; das Dingwerden aber ein spätes Produkt, aus der Zerscheidung der Urerlebnisse, der Trennung der verbundnen Partner hervorgegangen – wie das Ichwerden. Im Anfang ist die Beziehung: als Kategorie des Wesens, als Bereitschaft, fassende Form, Seelenmodel; das Apriori der Beziehung; das e i n g e b o r e n e D u . Die erlebten Beziehungen sind Realisierungen des eingeborenen Du am begegnenden; daß dieses als Gegenüber gefaßt, in der Ausschließlichkeit aufgenommen, endlich mit dem Grundwort angesprochen werden kann, ist im Apriori der Beziehung begründet. In dem Kontakttrieb (Trieb zunächst nach taktiler, sodann nach optischer »Berührung« eines andern Wesens) wirkt sich das eingeborene Du sehr bald aus, so daß er immer deutlicher die Gegenseitigkeit, die »Zärtlichkeit« meint; aber auch der später einsetzende Urhebertrieb (Trieb nach Herstellung von Dingen auf synthetischem oder, wo dies nicht angeht, auf analytischem Weg: durch Zerlegung, Zerreißung) wird dadurch

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bestimmt, so daß eine »Personifizierung« des Gemachten, ein »Gespräch« entsteht. Die Entwicklung der Seele im Kinde hängt unauflösbar zusammen mit der des Verlangens nach dem Du, den Befriedigungen und Enttäuschungen dieses Verlangens, dem Spiel seiner Experimente und dem tragischen Ernst seiner Ratlosigkeit. Das echte Verständnis dieser Phänomene, durch jeden Versuch, sie auf engere Sphären zurückzuführen, beeinträchtigt, kann nur gefördert werden, wenn man bei ihrer Betrachtung und Erörterung ihres kosmisch-metakosmischen Ursprungs eingedenk bleibt: des Hinauslangens aus der ungeschieden vorgestaltigen Urwelt, aus der wohl schon das in die Welt geborene körperliche Individuum, aber noch nicht das leibliche, das aktualisierte, das Wesen völlig getreten ist, aus der dieses sich vielmehr erst allmählich, eben durch das Eingehen in Beziehungen, herauswickeln muß. *

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Der Mensch wird am Du zum Ich. Gegenüber kommt und entschwindet, Beziehungsereignisse verdichten sich und zerstieben, und im Wechsel klärt sich, von Mal zu Mal wachsend, das Bewußtsein des gleichbleibenden Partners, das Ichbewußtsein. Zwar immer noch erscheint es nur im Gewebe der Beziehung, in der Relation zum Du, als Erkennbarwerden dessen, das nach dem Du langt und es nicht ist, aber immer kräftiger hervorbrechend, bis einmal die Bindung gesprengt ist und das Ich sich selbst, dem abgelösten, einen Augenblick lang wie einem Du gegenübersteht, um alsbald von sich Besitz zu ergreifen und fortan in seiner Bewußtheit in die Beziehungen zu treten. Nun aber erst kann sich das andre Grundwort zusammenfügen. Denn wohl verblaßte immer das Du der Beziehung wieder, aber es wurde damit nicht zum Es eines Ich, nicht zum Gegenstand eines unverbundnen Wahrnehmens und Erfahrens, wie es fortan werden wird, sondern gleichsam zum Es für sich, zum vorerst Unbeachteten und der Erstehung in neuem Beziehungsereignis Harrenden. Und wohl hob sich der zum Leib reifende Körper als Träger seiner Empfindungen und Vollstrecker seiner Antriebe von der Umwelt ab, aber nur im Nebeneinander des Sichzurechtfindens, nicht in der absoluten Sonderung von Ich und Gegenstand. Nun aber tritt das abgelöste Ich, verwandelt: aus der substantiellen Fülle zur funktionalen Punkthaftigkeit eines erfahrenden und gebrauchenden Subjekts verschrumpft, an all das »Es für sich« hin, bemächtigt sich seiner und setzt sich mit ihm zum andern Grundwort zusammen. Der ichhaft gewordene Mensch, der Ich–Es sagt, stellt sich vor den Dingen auf, nicht ihnen gegenüber im Strom der Wechselwir-

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kung; mit der objektivierenden Lupe seines Nahblicks über die einzelnen gebeugt oder mit dem objektivierenden Feldstecher seines Fernblicks sie zur Szenerie zusammenordnend, sie in der Betrachtung isolierend ohne Ausschließlichkeitsgefühl oder sie in der Betrachtung verknüpfend ohne Weltgefühl – jenes könnte er nur in der Beziehung, dieses nur von ihr aus finden. Nun erst erfährt er die Dinge als Summen von Eigenschaften: Eigenschaften waren wohl aus jedem Beziehungserlebnis, dessen erinnertem Du zugehörig, in seinem Gedächtnis verblieben, aber nun erst bauen sich ihm die Dinge aus ihren Eigenschaften auf; nur aus dem Gedächtnis der Beziehung, traumhaft oder bildhaft oder gedankenhaft je nach der Art dieses Menschen, ergänzt er den Kern, der sich im Du gewaltig, alle Eigenschaften umschließend offenbarte, die Substanz. Nun erst aber auch stellt er die Dinge in einen räumlich-zeitlich-ursächlichen Zusammenhang, nun erst bekommt jedes seinen Platz, seinen Ablauf, seine Meßbarkeit, seine Bedingtheit. Das Du erscheint zwar im Raum, aber eben in dem ausschließlichen Gegenüber, darin alles andre nur der Hintergrund, aus dem es hervortaucht, nicht seine Grenze und sein Maß sein kann; es erscheint in der Zeit, aber in der des in sich erfüllten Vorgangs, der nicht als Teilstück einer steten und festgegliederten Folge, sondern in einer »Weile« gelebt wird, deren rein intensive Dimension nur von ihm selbst aus bestimmbar ist; es erscheint zugleich als wirkend und als Wirkung empfangend, nicht aber eingefügt einer Kette von Verursachungen, sondern in seiner Wechselwirkung mit dem Ich Anfang und Ende des Geschehens. Dies gehört zur Grundwahrheit der menschlichen Welt: Nur Es kann geordnet werden. Erst indem die Dinge aus unsrem Du zu unsrem Es werden, werden sie koordinierbar. Das Du kennt kein Koordinatensystem. Aber da wir hierher gelangt sind, tut es not, auch das andere auszusprechen, ohne welches dieses Stück der Grundwahrheit untaugliches Bruchstück wäre: Geordnete Welt ist nicht die Weltordnung. Es gibt Augenblicke des verschwiegnen Grundes, in denen Weltordnung geschaut wird, als Gegenwart. Da wird im Flug der Ton vernommen, dessen undeutbares Notenbild die geordnete Welt ist. Diese Augenblicke sind unsterblich, diese sind die vergänglichsten: kein Inhalt kann aus ihnen bewahrt werden, aber ihre Kraft geht in die Schöpfung und in die Erkenntnis des Menschen ein, Strahlen ihrer Kraft dringen in die geordnete Welt und schmelzen sie wieder und wieder auf. So die Geschichte des Einzelnen, so die des Geschlechts. *

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Die Welt ist dem Menschen zwiefältig nach seiner zwiefältigen Haltung. Er nimmt das Sein um sich herum wahr, Dinge schlechthin und Wesen als Dinge, er nimmt das Geschehen um sich herum wahr, Vorgänge schlechthin und Handlungen als Vorgänge, Dinge aus Eigenschaften, Vorgänge aus Momenten bestehend, Dinge ins Raumnetz, Vorgänge ins Zeitnetz eingetragen, Dinge und Vorgänge von andern Dingen und Vorgängen eingegrenzt, an ihnen meßbar, mit ihnen vergleichbar, geordnete Welt, abgetrennte Welt. Diese Welt ist einigermaßen zuverlässig, sie hat Dichte und Dauer, ihre Gliederung läßt sich überschauen, man kann sie immer wieder hervorholen, man repetiert sie mit geschloßnen Augen und prüft mit geöffneten nach; sie steht ja da, deiner Haut anliegend, wenn du’s so annimmst, in deiner Seele eingekauert, wenn du’s so vorziehst, sie ist ja dein Gegenstand, sie bleibt es nach deinem Gefallen, und bleibt dir urfremd, außer und in dir. Du nimmst sie wahr, nimmst sie dir zur »Wahrheit«, sie läßt sich von dir nehmen, aber sie gibt sich dir nicht. Nur über sie kannst du dich mit andern »verständigen«, sie ist, ob sie auch sich jedem anders anbildet, bereit, euch gemeinsam Gegenstand zu sein, aber du kannst andern nicht in ihr begegnen. Du kannst ohne sie nicht im Leben beharren, ihre Zuverlässigkeit erhält dich, aber stürbest du in sie hinein, so wärst du im Nichts begraben. Oder der Mensch begegnet dem Sein und Werden als seinem Gegenüber, immer nur e i n e r Wesenheit und jedem Ding nur als Wesenheit; was da ist, erschließt sich ihm im Geschehen, und was da geschieht, widerfährt ihm als Sein; nichts andres ist gegenwärtig als dies eine, aber dies eine welthaft; Maß und Vergleich sind entwichen; es liegt an dir, wieviel des Unermeßlichen dir zur Wirklichkeit wird. Die Begegnungen ordnen sich nicht zur Welt, aber jede ist dir ein Zeichen der Weltordnung. Sie sind untereinander nicht verbunden, aber jede verbürgt dir deine Verbundenheit mit der Welt. Die Welt, die dir so erscheint, ist unzuverlässig, denn sie erscheint dir stets neu, und du darfst sie nicht beim Wort nehmen; sie ist undicht, denn alles durchdringt in ihr alles; dauerlos, denn sie kommt auch ungerufen und entschwindet auch festgehalten; sie ist unübersehbar: willst du sie übersehbar machen, verlierst du sie. Sie kommt, und kommt dich hervorholen; erreicht sie dich nicht, begegnet sie dir nicht, so entschwindet sie; aber sie kommt wieder, verwandelt. Sie steht nicht außer dir, sie rührt an deinen Grund, und sagst du »Seele meiner Seele«, hast du nicht zuviel gesagt; aber hüte dich, sie in deine Seele versetzen zu wollen – da vernichtest du sie. Sie ist deine Gegenwart, du hast nur Gegenwart, indem du sie hast; und du kannst sie dir zum Gegenstand machen, sie zu erfahren und zu gebrauchen, du mußt es immer wieder tun, und hast nun keine Gegenwart mehr. Zwi-

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schen dir und ihr ist Gegenseitigkeit des Gebens; du sagst Du zu ihr und gibst dich ihr, sie sagt Du zu dir und gibt sich dir. Über sie kannst du dich mit andern nicht verständigen, du bist einsam mit ihr; aber sie lehrt dich andern begegnen und ihrer Begegnung standhalten; und sie führt dich, durch die Huld ihrer Ankünfte und durch die Wehmut ihrer Abschiede, zu dem Du hin, in dem die Linien der Beziehungen, die parallelen, sich schneiden. Sie hilft dir nicht, dich im Leben zu erhalten, hilft dir nur, die Ewigkeit zu ahnen.

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* Die Eswelt hat Zusammenhang im Raum und in der Zeit. Die Duwelt hat in beiden keinen Zusammenhang. Das einzelne Du m u ß , nach Ablauf des Beziehungsvorgangs, zu einem Es werden. Das einzelne Es k a n n , durch Eintritt in den Beziehungsvorgang, zu einem Du werden. Dies sind die zwei Grundprivilegien der Eswelt. Sie bewegen den Menschen, die Eswelt als die Welt anzusehn, in der man zu leben hat und in der sich auch leben läßt, ja die einem auch mit allerlei Anreizen und Erregungen, Betätigungen und Erkenntnissen aufwartet. Die Du-Momente erscheinen in dieser festen und zuträglichen Chronik als wunderliche lyrisch-dramatische Episoden, von einem verführenden Zauber wohl, aber gefährlich ins Äußerste reißend, den erprobten Zusammenhang lokkernd, mehr Frage als Zufriedenheit hinterlassend, die Sicherheit erschütternd, eben unheimlich, und eben entbehrlich. Da man aus ihnen doch in »die Welt« zurückkehren muß, warum nicht in ihr verbleiben? Warum das Gegenübertretende nicht zur Ordnung rufen und in die Gegenständlichkeit heimsenden? Warum, wenn man nun einmal, etwa zu Vater, Weib, Gefährten, Du zu sagen nicht umhin kann, warum nicht Du sagen und Es meinen? Den Laut Du mit den Lautwerkzeugen hervorbringen heißt ja beileibe noch nicht das unheimliche Grundwort sprechen; ja, auch ein verliebtes Du mit der Seele flüstern ist ungefährlich, solange man nur ernstlich nichts anderes meint als: erfahren und gebrauchen. In bloßer Gegenwart läßt sich nicht leben, sie würde einen aufzehren, wenn da nicht vorgesorgt wäre, daß sie rasch und gründlich überwunden wird. Aber in bloßer Vergangenheit läßt sich leben, ja nur in ihr läßt sich ein Leben einrichten. Man braucht nur jeden Augenblick mit Erfahren und Gebrauchen zu füllen, und er brennt nicht mehr. Und in allem Ernst der Wahrheit, du: ohne Es kann der Mensch nicht leben. Aber wer mit ihm allein lebt, ist nicht der Mensch.

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Die Geschichte des Einzelnen und die der Menschengattung stimmen, worin immer sie auseinandergehen mögen, in dem einen jedenfalls überein, daß sie eine fortschreitende Zunahme der Eswelt bedeuten. Das wird für die Geschichte der Gattung bezweifelt; man weist darauf hin, daß die einander ablösenden Reiche der Kultur jeweilig mit einer, wenn auch verschiedenartig gefärbten, so doch gleichartig gebauten Primitivität und ihr gemäß mit einer kleinen Gegenstandswelt beginnen; es würde somit dem Leben des Individuums nicht das der Gattung, sondern das der einzelnen Kultur entsprechen. Aber, wenn man von den isoliert scheinenden absieht: die unter dem geschichtlichen Einfluß anderer stehenden Kulturen übernehmen in einem bestimmten – nicht ganz frühen, dem Zeitalter der Höhe jedoch vorausgehenden – Stadium die Eswelt jener, sei es durch unmittelbares Empfangen der noch gleichzeitigen, wie das Griechentum die ägyptische, sei es durch mittelbares der vergangnen, wie die abendländische Christenheit die griechische empfing: sie vergrößern ihre Eswelt nicht bloß durch eigne Erfahrung, sondern auch durch die aufgenommnen Zuflüsse von fremder; und nun erst vollzieht sich an der so gewachsenen die entscheidende, entdeckerische Erweiterung. (Wobei vorerst außer acht gelassen sei, wie übermächtig daran das Schauen und die Taten der Duwelt beteiligt sind.) Es ist somit im allgemeinen die Eswelt jeder Kultur umfänglicher als die der vorangehenden, und trotz etlichen Stockungen und scheinbaren Rückläufen ist in der Geschichte die fortschreitende Zunahme der Eswelt deutlich zu erkennen. Nicht wesentlich ist hierfür, ob dem »Weltbild« einer Kultur mehr der Charakter der Endlichkeit oder der der sogenannten Unendlichkeit, richtiger Nichtendlichkeit, zukommt; eine »endliche« Welt kann recht wohl mehr Bestandteile, Dinge, Prozesse enthalten als eine »unendliche«. Zu beachten ist auch, daß es nicht bloß den Umfang der Naturerkenntnis, sondern auch den der gesellschaftlichen Differenzierung und den der technischen Leistung zu vergleichen gilt; durch beide wird die gegenständliche Welt erweitert. Das Grundverhältnis des Menschen zur Eswelt umfaßt das Erfahren, das sie immer wieder konstituiert, und das Gebrauchen, das sie ihrem vielfältigen Zweck, der Erhaltung, Erleichterung und Ausstattung des Menschenlebens, zuführt. Mit dem Umfang der Eswelt muß auch die Fähigkeit sie zu erfahren und zu gebrauchen zunehmen. Der Einzelne kann zwar immer mehr unmittelbares Erfahren durch mittelbares, das »Erwerben von Kenntnissen«, ersetzen, er kann den Gebrauch immer

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mehr zur spezialisierten »Verwendung« abkürzen, dennoch ist eine stete Ausbildung der Fähigkeit von Generation zu Generation unerläßlich. Diese meint man zumeist, wenn man von einer fortschreitenden Entwicklung des geistigen Lebens redet. Wobei man sich freilich der eigentlichen Sprachsünde wider den Geist schuldig macht; denn jenes »geistige Leben« ist zumeist das Hindernis für ein Leben des Menschen im Geist und bestenfalls die Materie, die darin, bewältigt und eingeformt, aufzugehen hat. Das Hindernis. Denn die Ausbildung der erfahrenden und gebrauchenden Fähigkeit erfolgt zumeist durch Minderung der Beziehungskraft des Menschen – der Kraft, vermöge deren allein der Mensch im Geist leben kann.

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* Geist in seiner menschlichen Kundgebung ist Antwort des Menschen an sein Du. Der Mensch redet in vielen Zungen, Zungen der Sprache, der Kunst, der Handlung, aber der Geist ist einer, Antwort an das aus dem Geheimnis erscheinende, aus dem Geheimnis ansprechende Du. Geist ist Wort. Und wie die sprachliche Rede wohl erst im Gehirn des Menschen sich worten, dann in seiner Kehle sich lauten mag, beides aber sind nur Brechungen des wahren Vorgangs, in Wahrheit nämlich steckt die Sprache nicht im Menschen sondern der Mensch steht in der Sprache und redet aus ihr, – so alles Wort, so aller Geist. Geist ist nicht im Ich, sondern zwischen Ich und Du. Er ist nicht wie das Blut, das in dir kreist, sondern wie die Luft, in der du atmest. Der Mensch lebt im Geist, wenn er seinem Du zu antworten vermag. Er vermag es, wenn er in die Beziehung mit seinem ganzen Wesen eintritt. Vermöge seiner Beziehungskraft allein vermag der Mensch im Geist zu leben. Aber das Schicksal des Beziehungsvorgangs reckt sich hier am gewaltigsten auf. Je mächtiger die Antwort, um so mächtiger bindet sie das Du, bannt es zum Gegenstand. Nur das Schweigen zum Du, das Schweigen a l l e r Zungen, das verschwiegene Harren im ungeformten, im ungeschiednen, im vorzunglichen Wort läßt das Du frei, steht mit ihm in der Verhaltenheit, wo der Geist sich nicht kundgibt, sondern ist. Alle Antwort bindet das Du in die Eswelt ein. Das ist die Schwermut des Menschen, und das ist seine Größe. Denn so wird Erkenntnis, so wird Werk, so wird Bild und Vorbild in der Mitte der Lebendigen. Was aber so zum Es sich gewandelt hat, dem ist, dem zum Ding unter Dingen Erstarrten, der Sinn und die Bestimmung eingetan, daß es sich immer wieder entwandle. Immer wieder – so war es gemeint in der Stun-

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de des Geistes, als er sich dem Menschen antat und die Antwort in ihm zeugte – soll das Gegenständliche zu Gegenwart entbrennen, einkehren im Element, daraus es kam, von Menschen gegenwärtig geschaut und gelebt werden. Die Erfüllung dieses Sinns und dieser Bestimmung wird von dem Menschen vereitelt, der sich mit der Eswelt als einer zu erfahrenden und zu gebrauchenden abgefunden hat und nun das in ihr Eingebundene, statt es zu lösen, niederhält, statt ihm zuzublicken, beobachtet, statt es zu empfangen, verwertet. Erkenntnis: Im Schauen eines Gegenüber erschließt sich dem Erkennenden das Wesen. Er wird, was er gegenwärtiglich geschaut hat, wohl als Gegenstand fassen, mit Gegenständen vergleichen, in Gegenstandsreihen einordnen, gegenständlich beschreiben und zergliedern müssen; nur als Es kann es in den Bestand der Erkenntnis eingehen. Aber im Schauen war es kein Ding unter Dingen, kein Vorgang unter Vorgängen, sondern ausschließlich gegenwärtig. Nicht in dem Gesetz, das danach aus der Erscheinung abgeleitet wurde, sondern in ihr selber teilte sich das Wesen mit. Daß das Allgemeine gedacht wird, ist nur eine Abwicklung des knäuelhaften Ereignisses, da es im Besondern, im Gegenüber geschaut wurde. Und nun ist dieses in der Esform der begrifflichen Erkenntnis eingeschlossen. Wer es daraus erschließt und wieder gegenwärtig schaut, erfüllt den Sinn jenes Erkenntnisaktes als eines zwischen den Menschen Wirklichen und Wirkenden. Aber man kann Erkenntnis auch so betreiben, daß man feststellt: »so also verhält es sich damit, so heißt das Ding, so ist es beschaffen, da gehört es hin«, daß man das zu Es Gewordene als Es beläßt, als Es erfährt und gebraucht, es mitverwendet für die Unternehmung, sich in der Welt »auszukennen«, und sodann für die, die Welt zu »erobern«. So auch die Kunst: Im Schauen eines Gegenüber erschließt sich dem Künstler die Gestalt. Er bannt sie zum Gebilde. Das Gebilde steht nicht in einer Götterwelt, sondern in dieser großen Welt der Menschen. Wohl ist es »da«, auch wenn kein Menschenauge es heimsucht; aber es schläft. Der chinesische Dichter erzählt, die Menschen hätten das Lied nicht hören mögen, das er auf seiner Jadeflöte spielte; da spielte er es den Göttern, und sie neigten das Ohr; seither lauschten auch die Menschen dem Lied: – so ist er denn von den Göttern zu denen gegangen, deren das Gebild nicht entraten kann. Nach des Menschen Begegnung schaut es wie im Traum aus, daß er den Bann löse und die Gestalt umfange, für einen zeitlosen Augenblick. Da kommt er nun gegangen und erfährt was zu erfahren ist: so ist es gemacht, oder dies ist darin ausgedrückt, oder sol-

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cherart sind seine Qualitäten, und dazu wohl auch noch welchen Rang es einnimmt. Nicht als ob wissenschaftlicher und ästhetischer Verstand nicht vonnöten wäre: aber um sein Werk getreu zu tun und unterzutauchen in der überverständlichen, das Verständliche umschließenden Wahrheit der Beziehung. Und zum dritten, über Geist der Erkenntnis und Geist der Kunst erhöht, weil hier der vergängliche körperhafte Mensch sich nicht dem dauernderen Stoff einzubilden braucht, sondern ihn überdauernd selber als Gebild, von der Musik seiner lebendigen Rede umrauscht, am Sternenhimmel des Geistes aufgeht: das reine Wirken, die Handlung ohne Willkür. Hier erschien dem Menschen aus tieferem Geheimnis das Du, sprach ihn aus dem Dunkel selber an, und er antwortete mit seinem Leben. Hier ist das Wort Mal um Mal Leben geworden, und dieses Leben, ob es Gesetz erfüllte oder Gesetz brach – beides tut jeweilig not, damit der Geist auf Erden nicht sterbe –, ist Lehre. So steht es vor den Nachgeborenen, sie zu lehren, nicht was ist und nicht was sein soll, sondern wie im Geist, im Angesicht des Du, gelebt wird. Und das heißt: es steht bereit, ihnen allzeit selbst zum Du zu werden und die Duwelt aufzutun; nein, es steht nicht bereit, es kommt immerdar auf sie zu und rührt sie an. Sie aber, zum lebendigen Verkehr, dem weltauftuenden, unlustig und untauglich geworden, wissen Bescheid; sie haben die Person in der Geschichte und ihre Rede in der Bücherei eingefangen; sie haben die Erfüllung oder den Bruch, gleichviel, kodifiziert; und sie geizen auch nicht mit Verehrung und gar Anbetung, hinlänglich mit Psychologie untermischt, wie es dem modernen Menschen geziemt. O einsames Angesicht sternhaft im Dunkel, o lebendiger Finger auf einer unempfindlichen Stirn, o verhallender Schritt!

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* Die Ausbildung der erfahrenden und gebrauchenden Funktion erfolgt zumeist durch Minderung der Beziehungskraft des Menschen. Derselbe Mensch, der den Geist sich zum Genußmittel präparierte, was fängt er mit den ihn umlebenden Wesen an? Unter dem Grundwort der Trennung stehend, das Ich und Es voneinanderhält, hat er sein Leben mit den Mitmenschen in zwei sauber umzirkte Reviere geschieden: Einrichtungen und Gefühle. Es-Revier und Ich-Revier. Einrichtungen sind das »Draußen«, in dem man sich zu allerlei Zwekken aufhält, in dem man arbeitet, verhandelt, beeinflußt, unternimmt,

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konkurriert, organisiert, wirtschaftet, amtet, predigt; das halbwegs geordnete und einigermaßen stimmende Gefüge, in dem sich unter vielfältigem Anteil von Menschenköpfen und Menschengliedern der Ablauf der Angelegenheiten vollzieht. Gefühle sind das »Drinnen«, in dem man lebt und sich von den Einrichtungen erholt. Hier schwingt einem das Spektrum der Emotionen vor dem interessierten Blick; hier genießt man seine Neigung und seinen Haß, seine Lust und, wenn ers nicht zu arg treibt, seinen Schmerz. Hier ist man daheim und streckt sich im Schaukelstuhl aus. Die Einrichtungen sind ein kompliziertes Forum, die Gefühle eine immerhin an Abwechslungen reiche Kemenate. Die Abgrenzung ist freilich stets gefährdet, da die mutwilligen Gefühle zuweilen in die sachlichsten Einrichtungen einbrechen, aber sie läßt sich mit einigem guten Willen wiederherstellen. Am schwersten ist die zuverlässige Abgrenzung in den Gebieten des sogenannten persönlichen Lebens. In der Ehe etwa ist sie mitunter nicht ohne weiteres zu bewerkstelligen; aber das gibt sich. Vortrefflich führt sie sich in den Gebieten des sogenannten öffentlichen Lebens durch; man betrachte etwa, wie fehlerfrei im Jahr der Parteien, aber auch der überparteilich gemeinten Gruppen und ihrer »Bewegungen« die himmelstürmenden Tagungen und der – gleichviel, mechanisiert-gleichmäßig oder organisch-schlampig – am Boden hinkriechende Betrieb einander ablösen. Aber das abgetrennte Es der Einrichtungen ist ein Golem und das abgetrennte Ich der Gefühle ein umherflatternder Seelenvogel. Beide kennen den Menschen nicht: jene nur das Exemplar, diese nur den »Gegenstand«, keins die Person, keins die Gemeinsamkeit. Beide kennen die Gegenwart nicht: jene, auch die modernsten, nur die starre Vergangenheit, das Fertigsein, diese, auch die ausdauerndsten, immer wieder nur den huschenden Augenblick, das Nochnichtsein. Beide haben keinen Zugang zum wirklichen Leben. Einrichtungen ergeben kein öffentliches und Gefühle kein persönliches Leben. Daß Einrichtungen kein öffentliches Leben ergeben, verspüren Menschen in wachsender Zahl, verspüren es mit wachsendem Leid; dies ist der Ort, von dem die suchende Not des Zeitalters ausgeht. Daß Gefühle kein persönliches Leben ergeben, haben erst wenige verstanden: hier scheint ja das Allerpersönlichste zu hausen; und wenn man erst wie der moderne Mensch gelernt hat, sich ausgiebig mit den eignen Gefühlen zu befassen, wird einen auch die Verzweiflung an ihrer Unwirklichkeit nicht leicht eines Besseren belehren, da ja auch sie ein Gefühl und interessant ist.

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Die Menschen, die daran leiden, daß Einrichtungen kein öffentliches Leben ergeben, sind auf ein Mittel verfallen: man müsse die Einrichtungen eben durch die Gefühle auflockern oder aufschmelzen oder aufsprengen, man müsse sie eben aus den Gefühlen erneuern, indem man die »Freiheit des Gefühls« in sie einführt. Wenn etwa der automatisierte Staat wesensfremde Bürger zusammenkoppelt, ohne ein Miteinander zu stiften oder zu fördern, sei er durch die Liebesgemeinde zu ersetzen; und Liebesgemeinde, die entstehe eben, wenn Leute aus dem freien, überschwenglichen Gefühl zueinander kommen und miteinander leben wollen. Aber dem ist nicht so; die wahre Gemeinde entsteht nicht dadurch, daß Leute Gefühle füreinander haben (wiewohl freilich auch nicht ohne das), sondern durch diese zwei Dinge: daß sie alle zu einer lebendigen Mitte in lebendig gegenseitiger Beziehung stehen und daß sie untereinander in lebendig gegenseitiger Beziehung stehen. Das zweite entspringt aus dem ersten, ist aber noch nicht mit ihm allein gegeben. Lebendig gegenseitige Beziehung schließt Gefühle ein, aber sie stammt nicht von ihnen. Die Gemeinde baut sich aus der lebendig gegenseitigen Beziehung auf, aber der Baumeister ist die lebendige wirkende Mitte. Auch Einrichtungen des sogenannten persönlichen Lebens können nicht aus dem freien Gefühl erneuert werden (wiewohl freilich nicht ohne es). Die Ehe etwa wird sich nie aus etwas andrem erneuern, als woraus allzeit die wahre Ehe entsteht: daß zwei Menschen einander das Du offenbaren. Daraus baut das Du, das keinem von beiden Ich ist, die Ehe auf. Dies ist das metaphysische und metapsychische Faktum der Liebe, das von den Liebesgefühlen nur begleitet wird. Wer die Ehe von andrem her erneuern will, ist nicht wesensverschieden von dem, der sie aufheben will: beide sagen aus, daß sie das Faktum nicht mehr kennen. Und in der Tat, wenn man von all der vielberedeten Erotik des Zeitalters alles abrechnete, was Ichbezogenheit ist, alles Verhältnis also, worin eins dem andern gar nicht gegenwärtig, von ihm gar nicht vergegenwärtigt wird, sondern eins am andern nur sich selbst genießt, was bliebe wohl? Wahres öffentliches und wahres persönliches Leben sind zwei Gestalten der Verbundenheit. Auf daß sie werden und bestehen, tun Gefühle not, der wechselnde Gehalt, tun Einrichtungen not, die stetige Form, aber auch beide zusammengetan schaffen das menschliche Leben noch nicht, sondern das Dritte schafft es, die zentrale Gegenwart des Du, vielmehr, daß ichs wahrer sage, das in der Gegenwart empfangene zentrale Du. *

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Das Grundwort Ich–Es ist nicht vom Übel – wie die Materie nicht vom Übel ist. Es ist vom Übel – wie die Materie, die sich anmaßt, das Seiende zu sein. Wenn der Mensch es walten läßt, überwuchert ihn die unablässig wachsende Eswelt, entwirklicht sich ihm das eigne Ich, bis der Alp über ihm und das Gespenst in ihm einander das Geständnis ihrer Unerlöstheit zuraunen. *

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– Aber ist denn das Gemeinleben des modernen Menschen nicht mit Notwendigkeit in die Eswelt versenkt? Sind die zwei Kammern dieses Lebens, die Wirtschaft und der Staat, in ihrem gegenwärtigen Umfang und in ihrer gegenwärtigen Durchbildung denkbar auf einer andern Grundlage als auf der eines überlegnen Verzichts auf alle »Unmittelbarkeit«, ja einer unbeugsam entschloßnen Ablehnung jeder »fremden«, nicht diesem Gebiet selbst entstammenden Instanz? Und wenn es das erfahrende und gebrauchende Ich ist, das hier waltet, das Güter und Leistungen gebrauchende in der Ökonomie, das Meinungen und Strebungen gebrauchende in der Politik, ist nicht eben dieser uneingeschränkten Herrschaft die ausgedehnte und standfeste Struktur der großen »objektiven« Gebilde in diesen zwei Umkreisen zu danken? Ja, ist nicht die bildnerische Größe des führenden Staatsmanns und des führenden Wirtschaftsmanns eben daran gebunden, daß er die Menschen, mit denen er zu schaffen hat, nicht als Träger des unerfahrbaren Du, sondern als Leistungs- und Strebungszentren ansieht, die es in ihren besonderen Befähigungen zu berechnen und zu verwenden gilt? Würde seine Welt nicht über ihm zusammenbrechen, wenn er versuchte, statt Er + Er + Er zu einem Es zu addieren, die Summe von Du und Du und Du zu ziehen, die nie etwas anderes als wieder Du ergibt? Hieße das nicht die formende Meisterschaft gegen einen bastelnden Dilettantismus und die lichtmächtige Vernunft gegen eine neblichte Schwärmerei vertauschen? Und wenn wir von den Lenkern auf die Gelenkten blicken, hat nicht die Entwicklung selbst in der modernen Art der Arbeit und in der modernen Art des Besitzes fast jede Spur des Gegenüberlebens, der sinnvollen Beziehung getilgt? Es wäre absurd, sie zurückschrauben zu wollen – und gelänge das Absurde, so wäre zugleich der ungeheure Präzisionsapparat dieser Zivilisation zerstört, der allein der ungeheuer angewachsenen Menschheit das Leben ermöglicht. – Redender, du redest zu spät. Eben noch hättest du deiner Rede glauben können, jetzt kannst du es nicht mehr. Denn vor einem Nu hast du es wie ich gesehen, daß der Staat nicht mehr gelenkt wird; die Heizer häufen

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noch die Kohlen, aber die Führer regieren nur noch zum Schein die dahinrasenden Maschinen. Und in diesem Nu, während du redest, kannst du es wie ich hören, daß das Hebelwerk der Wirtschaft in einer ungewohnten Weise zu surren beginnt; die Werkmeister lächeln dich überlegen an, aber der Tod sitzt in ihren Herzen. Sie sagen dir, sie paßten den Apparat den Verhältnissen an; aber du merkst, sie können fortan nur noch sich dem Apparat anpassen, solang er es eben erlaubt. Ihre Sprecher belehren dich, daß die Wirtschaft das Erbe des Staates antrete; du weißt, daß es nichts andres zu erben gibt als die Zwingherrschaft des wuchernden Es, unter der das Ich, der Bewältigung immer unmächtiger, immer noch träumt, es sei der Gebieter. Das Gemeinleben des Menschen kann ebensowenig wie er selbst der Eswelt entraten, – als über der die Gegenwart des Du schwebt wie der Geist über den Wassern. Nutzwille und Machtwille des Menschen wirken naturhaft und rechtmäßig, solang sie an den menschlichen Beziehungswillen geschlossen sind und von ihm getragen werden. Es gibt keinen bösen Trieb, bis sich der Trieb vom Wesen löst; der ans Wesen geschloßne und von ihm bestimmte Trieb ist das Plasma des Gemeinlebens, der abgelöste ist dessen Zersetzung. Wirtschaft, das Gehäuse des Nutzwillens, und Staat, das Gehäuse des Machtwillens, haben so lange teil am Leben, als sie am Geist teilhaben. Schwören sie ihm ab, so haben sie’s dem Leben getan; das Leben läßt sich freilich Zeit, seine Sache auszutragen, und eine gute Weile vermeint man noch ein Gebild sich regen zu sehn, wo längst schon ein Getriebe wirbelt. Mit der Einführung etwelcher Unmittelbarkeit ist da in der Tat nicht zu helfen; die Lockerung der gefügten Wirtschaft oder des gefügten Staates kann nicht aufwiegen, daß sie nicht mehr unter der Suprematie des dusagenden Geistes stehen; keine Aufrührung der Peripherie kann die lebendige Beziehung zur Mitte ersetzen. Gebilde des menschlichen Gemeinlebens haben ihr Leben aus der Fülle der Beziehungskraft, die ihre Glieder durchdringt, und ihre leibhafte Form aus der Bindung dieser Kraft im Geist. Der Staatsmann oder Wirtschaftsmann, der dem Geist botmäßig ist, dilettiert nicht; er weiß wohl, daß er den Menschen, mit denen er zu schaffen hat, nicht schlechthin als Trägern des Du gegenübertreten kann, ohne sein Werk aufzulösen; aber er wagt es dennoch, nur eben nicht schlechthin, zu tun, bis zur Grenze nämlich, die ihm der Geist eingibt; und da gibt ihm der Geist die Grenze ein; und das Wagnis, das ein abgetrenntes Gebilde gesprengt hätte, gerät in dem von der Gegenwart des Du überschwebten. Der schwärmt nicht; er dient der Wahrheit, die, übervernünftig, die Vernunft nicht verstößt, sondern im Schoße hält. Er tut im Gemeinleben nichts andres, als im persönlichen der Mensch, der sich wohl unfähig

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weiß, das Du rein zu verwirklichen, und es doch alltäglich am Es bewährt, nach dem Recht und Maß dieses Tages, täglich neu die Grenze ziehend, – die Grenze entdeckend. So auch sind Arbeit und Besitz von sich aus nicht zu erlösen, nur vom Geiste aus; nur aus seiner Präsenz kann aller Arbeit Bedeutung und Freude, allem Besitz Ehrfurcht und Opferkraft einströmen, nicht randvoll, aber quantum satis, – kann alles Gearbeitete und alles Besessene, der Eswelt verhaftet bleibend, dennoch sich zum Gegenüber und zur Darstellung des Du verklären. Es gibt kein Dahinter-zurück, es gibt, noch im Augenblick der tiefsten Not, erst in ihm ein vorher ungeahntes Darüber-hinaus. Ob der Staat die Wirtschaft regelt oder die Wirtschaft den Staat beauftragt, ist, solange beide unverwandelt sind, nicht wichtig. Ob die Einrichtungen des Staates freier und die der Wirtschaft gerechter werden, ist wichtig, aber nicht für die Frage nach dem wirklichen Leben, die hier gefragt wird; frei und gerecht können sie von sich aus nicht werden. Ob der Geist, der dusagende, der antwortende Geist am Leben und an der Wirklichkeit bleibt; ob das, was noch von ihm im Gemeinleben des Menschen eingesprengt ist, weiterhin dem Staat und der Wirtschaft unterworfen ist oder selbständig wirkend wird; ob das, was von ihm noch im persönlichen Leben des Menschen ausharrt, sich dem Gemeinleben wieder einverleibt: ist entscheidend. Mit einer Aufteilung des Gemeinlebens in unabhängige Bereiche, zu denen auch »das geistige Leben« gehörte, wäre dies freilich nicht getan; das hieße nur die in die Eswelt versenkten Gebiete endgültig der Zwingherrschaft preisgeben, den Geist aber vollends entwirklichen; denn selbständig ins Leben wirkend ist der Geist niemals an sich, sondern an der Welt: mit seiner die Eswelt durchdringenden und verwandelnden Gewalt. Der Geist ist wahrhaft »bei sich«, wenn er der ihm erschloßnen Welt gegenübertreten, sich ihr hingeben, sie und sich an ihr erlösen kann. Das könnte die zerstreute, geschwächte, entartete, widerspruchdurchsetzte Geistigkeit, die heute den Geist vertritt, freilich erst, wenn sie wieder zum Wesen des Geistes, zum Dusagenkönnen gediehe. *

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In der Eswelt waltet uneingeschränkt die Ursächlichkeit. Jeder sinnlich wahrnehmbare »physische«, aber auch jeder in der Selbsterfahrung vorgefundene oder gefundene »psychische« Vorgang gilt mit Notwendigkeit als verursacht und verursachend. Davon sind auch die Vorgänge, denen der Charakter einer Zwecksetzung beigemessen werden darf, als Bestandteile des Eswelt-Kontinuums nicht ausgenommen: dieses verträgt

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wohl eine Teleologie, aber nur als den in einen Teil der Kausalität eingewirkten Revers, der deren zusammenhängende Vollständigkeit nicht beeinträchtigt. Das uneingeschränkte Walten der Ursächlichkeit in der Eswelt, für das wissenschaftliche Ordnen der Natur von grundlegender Wichtigkeit, bedrückt den Menschen nicht, der auf die Eswelt nicht eingeschränkt ist, sondern ihr immer wieder in die Welt der Beziehung entschreiten kann. Hier stehen Ich und Du einander frei gegenüber, in einer Wechselwirkung, die in keine Ursächlichkeit einbezogen und von keiner tingiert ist; hier verbürgt sich dem Menschen die Freiheit seines und des Wesens. Nur wer die Beziehung kennt und um die Gegenwart des Du weiß, ist sich zu entscheiden befähigt. Wer sich entscheidet, ist frei, weil er vor das Angesicht getreten ist. Die feurige Materie all meines Wollenkönnens ungeheuer wallend, all das mir Mögliche vorwelthaft kreisend, verschlungen und wie untrennbar, die lockenden Blicke der Potenzen aus allen Enden flackernd, das All als Versuchung, und ich, im Nu geworden, beide Hände ins Feuer, tief hinein, wo die eine sich verbirgt, die mich meint, meine Tat, ergriffen: Nun! Und schon ist die Drohung des Abgrunds gebannt, nicht mehr spielt das kernlos Viele in der schillernden Gleichheit seines Anspruchs, sondern nur noch Zwei sind nebeneinander, das Andere und das Eine, der Wahn und der Auftrag. Nun aber erst hebt die Verwirklichung in mir an. Denn nicht das hieße entschieden haben, wenn das Eine getan würde und das Andere bliebe, erloschne Masse, gelagert und verschlackte mir die Seele Schicht auf Schicht. Sondern nur wer die ganze Kraft des Anderen einlenkt in das Tun des Einen, wer in das Wirklichwerden des Gewählten die unverkümmerte Leidenschaft des Ungewählten einziehen läßt, nur wer »Gott mit dem bösen Triebe dient«, entscheidet sich, entscheidet das Geschehen. Hat man dies verstanden, so weiß man auch, daß eben dies das Gerechte zu nennen ist, das Gerichtete, wozu sich einer richtet und entscheidet; und gäbe es einen Teufel, so wäre es nicht, der sich gegen Gott, sondern der sich in der Ewigkeit nicht entschied. Den Menschen, dem die Freiheit verbürgt ist, bedrückt die Ursächlichkeit nicht. Er weiß, daß sein sterbliches Leben seinem Wesen nach ein Schwingen zwischen Du und Es ist, und spürt dessen Sinn. Es genügt ihm, die Schwelle des Heiligtums, darin er nicht verharren könnte, immer wieder betreten zu dürfen; ja, daß er es immer wieder verlassen muß, gehört ihm innig zum Sinn und zur Bestimmung dieses Lebens. Dort, an der Schwelle, entzündet sich in ihm immer neu die Antwort, der Geist; hier, im unheiligen und bedürftigen Land, hat sich der Funke

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zu bewähren. Was hier Notwendigkeit heißt, kann ihn nicht schrecken; denn er hat dort die wahre erkannt, das Schicksal. Schicksal und Freiheit sind einander angelobt. Dem Schicksal begegnet nur, wer die Freiheit verwirklicht. Daß ich die Tat, die mich meint, entdecke, darin, in der Bewegung meiner Freiheit offenbart sich mir das Geheimnis; aber auch, daß ich sie nicht so, wie ich sie meinte, vollbringen kann, auch in dem Widerstand offenbart sich mir das Geheimnis. Wer alles Verursachtsein vergißt und sich aus der Tiefe entscheidet, wer Gut und Gewand von sich tut und bloß vor das Angesicht tritt: dem Freien schaut, als das Gegenbild seiner Freiheit, das Schicksal entgegen. Es ist nicht seine Grenze, es ist seine Ergänzung; Freiheit und Schicksal umfangen einander zum Sinn; und im Sinn schaut das Schicksal, die eben noch so strengen Augen voller Licht, wie die Gnade selber drein. Nein, den Menschen, der, den Funken tragend, in die Eswelt zurückkehrt, bedrückt die ursächliche Notwendigkeit nicht. Und von den Männern des Geistes strömt in den Zeiten gesunden Lebens die Zuversicht zu allem Volk; allen, auch den Dumpfsten, ist da ja irgendwie, naturhaft, triebhaft, dämmerhaft, die Begegnung, die Gegenwart widerfahren, alle haben irgendwo das Du verspürt; nun deutet ihnen der Geist die Bürgschaft. Aber in den kranken Zeiten geschieht es, daß die Eswelt, nicht mehr von den Zuflüssen der Duwelt als von lebendigen Strömen durchzogen und befruchtet: – abgetrennt und stockend, ein riesenhaftes Sumpfphantom, den Menschen übermächtigt. Indem er sich mit einer Welt von Gegenständen, die ihm nicht mehr zu Gegenwart werden, abfindet, erliegt er ihr. Da steigert sich die geläufige Ursächlichkeit zum bedrückenden, erdrückenden Verhängnis. Jede große völkerumfassende Kultur ruht auf einem ursprünglichen Begegnungsereignis, auf einer einmal an ihrem Quellpunkt erfolgten Antwort an das Du, auf einem Wesensakt des Geistes. Dieser, verstärkt durch die gleichgerichtete Kraft der nachfolgenden Geschlechter, schafft eine eigentümliche Fassung des Kosmos im Geist – erst durch ihn wird Kosmos, gefaßte Welt, heimische, haushafte Welt, Weltbehausung des Menschen immer wieder möglich; nun erst immer wieder kann der Mensch aus getroster Seele in einer eigentümlichen Fassung des Raums Gotteshäuser und Menschenhäuser bauen, kann die schwingende Zeit mit neuen Hymnen und Liedern füllen und die Gemeinschaft der Menschen selber zur Gestalt bilden. Aber eben nur, solang er jenen Wesensakt im eigenen Leben tuend und leidend besitzt, solang er selbst in die Beziehung eingeht: so lang ist er frei und somit schöpferisch. Zentriert eine Kultur nicht mehr im lebendigen, unablässig erneuten Beziehungsvor-

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gang, dann erstarrt sie zur Eswelt, die nur noch eruptiv von Weile zu Weile die glühenden Taten vereinsamter Geister durchbrechen. Von da an steigert sich die geläufige Ursächlichkeit, die vordem nie die geistige Fassung des Kosmos zu stören vermochte, zum bedrückenden, erdrükkenden Verhängnis. Das weise, meisternde Schicksal, das, der Sinnfülle des Kosmos eingestimmt, über aller Ursächlichkeit waltete, ist, zur sinnwidrigen Dämonie verwandelt, in sie gefallen. Dasselbe Karman, das den Vorfahren als wohltätige Fügung erschien – denn was wir in diesem Leben tun, hebt uns für ein künftiges in höhere Sphären –, gibt sich nun als Tyrannei zu erkennen: denn das eines früheren, uns unbewußten Lebens hat uns in den Kerker gesperrt, dem wir in diesem Leben nicht entrinnen können. Wo vordem das Sinngesetz eines Himmels sich wölbte, an dessen lichtem Bogen die Spindel der Notwendigkeit hängt, herrscht jetzt sinnlos und knechtend die Gewalt der Wandelsterne; nur der Dike, der himmlischen »Bahn«, die auch die unsere meint, galt es sich einzutun, um freien Herzens im Allmaß des Geschicks zu wohnen – nun zwingt uns, was immer wir tun, jedem Nacken die ganze Last der toten Weltmasse aufladend, die geistfremde Heimarmene. Das anstürmende Verlangen nach Erlösung bleibt in mannigfachen Versuchen am letzten unbefriedigt, bis einer es stillt, der dem Rad der Geburten entrinnen lehrt, oder einer, der die den Mächten verfallenen Seelen in die Freiheit der Gotteskinder rettet. Solches Werk kommt aus einem neuen, zur Substanz werdenden Begegnungsereignis, einer neuen schicksalbestimmenden Antwort eines Menschen an sein Du. In der Auswirkung dieses zentralen Wesensakts kann eine Kultur von einer andern, seinem Strahl hingegebenen abgelöst, kann eine aber auch in sich selbst erneuert werden. Die Krankheit unsres Zeitalters gleicht der keines, sie gehört mit denen aller zusammen. Die Geschichte der Kulturen ist nicht ein Stadion der Äonen, in dem ein Läufer nach dem andern munter und ahnungslos den gleichen Todeskreis zu durchmessen hätte. Durch ihre Auf- und Niedergänge führt ein namenloser Weg. Kein Weg des Fortschritts und der Entwicklung; ein Hinabstieg durch die Spiralen der geistigen Unterwelt, wohl auch ein Aufstieg zum innersten, feinsten, verschlungensten Wirbel zu nennen, wo es kein Weiter mehr und erst recht kein Zurück gibt, nur noch die unerhörte Umkehr: den Durchbruch. Werden wir den Weg bis ans Ende gehen müssen, bis in die Probe der letzten Finsternis? Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch. Das biologistische und das historiosophische Denken dieser Zeit haben, so verschieden sie sich meinten, zusammengewirkt, um einen Glauben an das Verhängnis herzustellen, zäher und beklommener, als je einer bestand. Es ist nicht mehr die Macht des Karman und nicht mehr die

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Sternenmacht, was unabwendbar das Menschenlos regiert; vielerlei Gewalten beanspruchen die Herrschaft, aber wenn mans recht betrachtet, glauben die meisten Zeitgenossen an ein Gemisch von ihnen, wie die späten Römer an ein Gemisch von Göttern. Das wird durch die Art des Anspruchs erleichtert. Ob es das »Lebensgesetz« eines Allkampfes ist, in dem jeder mitfechten oder auf das Leben verzichten muß; oder das »Seelengesetz« eines restlosen Aufbaus der psychischen Person aus eingebornen Gebrauchstrieben; oder das »Gesellschaftsgesetz« eines unaufhaltsamen sozialen Prozesses, den Wille und Bewußtsein nur begleiten dürfen; oder das »Kulturgesetz« eines unabänderlich gleichmäßigen Werdens und Vergehens der Geschichtsgebilde; und was der Formen mehr sind: immer bedeutet es, daß der Mensch in ein unentrinnbares Geschehen eingespannt sei, gegen das er sich nicht oder nur in seinem Wahn wehren könne. Vom Zwang der Sterne befreite die Mysterienweihe, vom Zwang des Karman das erkenntnisbegleitete Brahmanopfer, in beiden bildete sich die Erlösung vor; der Mischgötze duldet keinen Glauben an Befreiung. Es gilt als töricht, sich eine Freiheit zu imaginieren; man habe nur die Wahl zwischen resolutem und aussichtslos rebellischem Sklaventum. Wieviel auch in all den Gesetzen von teleologischer Entwicklung und organischem Werden die Rede geht, allen liegt die Besessenheit vom Ablauf, das heißt von der uneingeschränkten Ursächlichkeit zugrunde. Das Dogma des allmählichen Ablaufs ist die Abdikation des Menschen vor der wuchernden Eswelt. Der Name des Schicksals wird von ihm mißbraucht: Schicksal ist keine Glocke, die über die Menschenwelt gestülpt ist; keiner begegnet ihm, als der in der Freiheit ausging. Das Dogma des Ablaufs aber läßt keinen Raum für die Freiheit, keinen für ihre allerrealste Offenbarung, deren gelaßne Kraft das Angesicht der Erde ändert: die Umkehr. Das Dogma kennt den Menschen nicht, der den Allkampf durch die Umkehr überwindet; der das Gespinst der Gebrauchstriebe durch die Umkehr zerreißt; der sich dem Bann der Klasse durch die Umkehr enthebt; – der durch die Umkehr die sicheren Geschichtsgebilde aufrührt, verjüngt, verwandelt. Das Dogma des Ablaufs läßt dir vor seinem Brettspiel nur die Wahl: die Regeln beobachten oder ausscheiden; aber der Umkehrende wirft die Figuren um. Das Dogma will dir immerhin erlauben, die Bedingtheit mit dem Leben zu vollstrecken und in der Seele »frei zu bleiben«; aber diese Freiheit erachtet der Umkehrende für die schmählichste Knechtschaft. Das einzige, was dem Menschen zum Verhängnis werden kann, ist der Glaube an das Verhängnis: er hält die Bewegung der Umkehr nieder. Der Glaube an das Verhängnis ist ein Irrglaube von Anbeginn. Alle Ablaufbetrachtung ist nur ein Ordnen des Nichts-als-geworden-seins,

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des abgetrennten Weltgeschehnisses, der Gegenständlichkeit als Geschichte; die Gegenwart des Du, das Werden aus der Verbundenheit ist ihr unzugänglich. Sie kennt die Wirklichkeit des Geistes nicht, und ihr Schema ist für ihn nicht gültig. Weissagung aus der Gegenständlichkeit gilt nur für den, der die Gegenwärtigkeit nicht kennt. Der von der Eswelt Übermächtigte muß in dem Dogma des unabänderlichen Ablaufs eine im Wuchernden Klärung schaffende Wahrheit sehen; in Wahrheit läßt es ihn nur noch tiefer der Eswelt hörig werden. Aber die Welt des Du ist nicht verschlossen. Wer mit gesammeltem Wesen, mit auferstandner Beziehungskraft zu ihr ausgeht, wird der Freiheit inne. Und vom Glauben an die Unfreiheit frei werden heißt frei werden.

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* Wie man Gewalt über den Alp bekommt, wenn man ihm seinen wirklichen Namen zuruft, so muß sich die Eswelt, die sich eben noch unheimlich vor der kleinen Menschenkraft reckte, dem ergeben, der sie in ihrem Wesen erkennt: als die Versonderung und Verfremdung eben dessen, aus dessen anströmend naher Fülle einem jedes irdische Du entgegentritt; dessen, was einem wohl zuweilen groß und furchtbar wie die Muttergöttin, aber eben doch immer mütterlich erschien. – Wie aber möchte der die Gewalt aufbringen, den Alp beim Namen anzurufen, dem selbst im Innern ein Gespenst hockt – das entwirklichte Ich? Wie kann in einem Wesen die verschüttete Beziehungskraft auferstehn, wo allstündlich ein rüstiges Gespenst den Schutt feststampft? Wie sammelt sich ein Wesen ein, das unablässig von der Sucht der abgelösten Ichheit im leeren Kreis gejagt wird? Wie soll einer der Freiheit innewerden, der in der Willkür lebt? – Wie Freiheit und Schicksal zusammengehören, so gehören Willkür und Verhängnis zusammen. Aber Freiheit und Schicksal sind einander angelobt und umfangen einander zum Sinn; Willkür und Verhängnis, der Seelenspuk und der Weltmahr, vertragen sich, nebeneinander hausend und einander ausweichend, verbindungslos und reibungslos, im Sinnlosen – bis in einem Nu Blick irr an Blick prallt und das Geständnis der Unerlöstheit aus ihnen bricht. Wieviel beredter und kunstreicher Geistigkeit wird heute aufgewandt, um diese Begebenheit zu verhüten oder doch zu verhüllen! Der freie Mensch ist der ohne Willkür wollende. Er glaubt an die Wirklichkeit; das heißt: er glaubt an die reale Verbundenheit der realen Zweiheit Ich und Du. Er glaubt an die Bestimmung und daran, daß sie seiner bedarf: sie gängelt ihn nicht, sie erwartet ihn, er muß auf sie zu-

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gehen, und weiß doch nicht, wo sie steht; er muß mit dem ganzen Wesen ausgehn, das weiß er. Es wird nicht so kommen, wie sein Entschluß es meint; aber was kommen will, wird nur kommen, wenn er sich zu dem entschließt, was er wollen kann. Er muß seinen kleinen Willen, den unfreien, von Dingen und Trieben regierten, seinem großen opfern, der vom Bestimmtsein weg und auf die Bestimmung zu geht. Da greift er nicht mehr ein, und er läßt doch auch nicht bloß geschehen. Er lauscht dem aus sich Werdenden, dem Weg des Wesens in der Welt; nicht um von ihm getragen zu werden: um es selber so zu verwirklichen, wie es von ihm, dessen es bedarf, verwirklicht werden will, mit Menschengeist und Menschentat, mit Menschenleben und Menschentod. Er glaubt, sagte ich; damit ist aber gesagt: er begegnet. Der willkürliche Mensch glaubt nicht und begegnet nicht. Er kennt die Verbundenheit nicht, er kennt nur die fiebrige Welt da draußen und seine fiebrige Lust, sie zu gebrauchen; man muß dem Gebrauchen nur einen antiken Namen geben, und es wandelt unter den Göttern. Wenn er Du sagt, meint er: »Du mein Gebrauchenkönnen«; und was er seine Bestimmung nennt, ist nur Ausstattung und Sanktion seines Gebrauchenkönnens. In Wahrheit hat er keine Bestimmung, nur ein Bestimmtsein von Dingen und Trieben, das er mit dem Gefühl der Selbstherrlichkeit, das heißt eben in Willkür, vollzieht. Er hat keinen großen Willen; nur die Willkür, die er dafür ausgibt. Ganz unfähig ist er zum Opfer, ob ers auch etwa im Mund führen mag; du erkennst ihn daran, daß es nie konkret wird. Er greift fortwährend ein, und zwar zu dem Zweck, »es geschehen zu lassen«. Wie sollte man denn, sagt er dir, nicht der Bestimmung nachhelfen; nicht die erreichbaren Mittel verwenden, die solch ein Zweck erfordert? So sieht er auch den Freien; er kann ihn nicht anders sehen. Aber der Freie hat nicht hier einen Zweck und da holt er die Mittel dazu herbei; er hat nur das eine: immer wieder nur seinen Entschluß, auf seine Bestimmung zuzugehen. Er hat ihn gefaßt, er wird ihn zuweilen an jeder Wegscheide erneuern; aber eher könnte er glauben, er lebe nicht, als dies, der Entschluß des großen Willens reiche nicht zu und müsse durch Mittel unterstützt werden. Er glaubt; er begegnet. Aber das ungläubige Mark des willkürlichen Menschen kann nichts anderes wahrnehmen als Unglauben und Willkür, Zwecksetzen und Mittelersinnen. Ohne Opfer und ohne Gnade, ohne Begegnung und ohne Gegenwart, eine verzweckte und vermittelte Welt ist seine Welt; keine andre kann es sein; und diese heißt Verhängnis. So ist er in all seiner Selbstherrlichkeit schier unauswirrbar ins Unwirkliche verstrickt; und er weiß es, sooft er sich auf sich besinnt – darum richtet er den besten Teil seiner Geistigkeit darauf, die Besinnung zu verhüten oder doch zu verhüllen.

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Sie aber, die Besinnung auf das Abgefallensein, auf das entwirklichte und auf das wirkliche Ich, in den Wurzelgrund sich versenken lassen, den der Mensch Verzweiflung nennt und aus dem die Selbstvernichtung und die Wiedergeburt wachsen, wäre der Anfang der Umkehr. *

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Im Wettstreit, so erzählt das Brahmana der hundert Pfade, lagen einst Götter und Dämonen. Da sprachen die Dämonen: »Wem mögen wir wohl unsre Opfergaben bringen?« Sie legten alle Gaben in den eignen Mund. Die Götter aber legten die Gaben einander in den Mund. Und da gab Pradschapati, der Urgeist, sich den Göttern.

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* – Daß die Eswelt, sich selbst überlassen, das heißt: nicht vom Duwerden berührt und aufgeschmolzen, sich zum Alp verfremdet, ist zu verstehn; aber wie geht es zu, daß, wie du sagst, das Ich des Menschen sich entwirklicht? Ob in der Beziehung lebend, ob außer ihr, das Ich bleibt sich verbürgt in seinem Selbst-Bewußtsein, dem starken Goldfaden, an dem sich die schillernden Zustände aufreihen. Ob ich nun sage: »Ich sehe dich« oder: »Ich sehe den Baum«, vielleicht nicht gleich wirklich ist in beidem das Sehen, aber gleich wirklich ist in beidem das Ich. – Prüfen wir, prüfen wir uns, ob dem so ist. Die wörtersprachliche Form erweist nichts; meint doch auch vieles gesagte Du im Grund ein Es, zu dem man nur eben aus Gewohnheit und Stumpfheit Du sagt, und vieles gesagte Es meint im Grund ein Du, an dessen Gegenwart man sich etwa in der Ferne mit dem ganzen Wesen erinnert; so ist zahlloses Ich nur ein unentbehrliches Pronomen, nur eine notwendige Abkürzung für »Dieser da, der redet.« Aber das Selbstbewußtsein? Wenn in dem einen Satz wahrhaft das Du der Beziehung und in dem andern das Es einer Erfahrung gemeint ist, und wenn also das Ich in beiden wahrhaft gemeint ist, ist es das gleiche, aus dessen Selbstbewußtsein beides gesagt wird? Das Ich des Grundworts Ich–Du ist ein andres als das des Grundworts Ich–Es. Das Ich des Grundworts Ich–Es erscheint als Eigenwesen und wird sich bewußt als Subjekt (des Erfahrens und Gebrauchens). Das Ich des Grundworts Ich–Du erscheint als Person und wird sich bewußt als Subjektivität (ohne abhängigen Genitiv). Eigenwesen erscheint, indem es sich gegen andere Eigenwesen absetzt.

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Person erscheint, indem sie zu andern Personen in Beziehung tritt. Das eine ist die geistige Gestalt der naturhaften Abgehobenheit, das andre die der naturhaften Verbundenheit. Der Zweck des Sichabsetzens ist das Erfahren und Gebrauchen, und deren Zweck das »Leben«, das heißt das eine menschliche Lebensfrist dauernde Sterben. Der Zweck der Beziehung ist ihr eigenes Wesen, das ist: die Berührung des Du. Denn durch die Berührung jedes Du rührt ein Hauch des Du, das ist: des ewigen Lebens uns an. Wer in der Beziehung steht, nimmt an einer Wirklichkeit teil, das heißt: an einem Sein, das nicht bloß an ihm und nicht bloß außer ihm ist. Alle Wirklichkeit ist ein Wirken, an dem ich teilnehme, ohne es mir eignen zu können. Wo keine Teilnahme ist, ist keine Wirklichkeit. Wo Selbstzueignung ist, ist keine Wirklichkeit. Die Teilnahme ist um so vollkommener, je unmittelbarer die Berührung des Du ist. Das Ich ist wirklich durch seine Teilnahme an der Wirklichkeit. Es wird um so wirklicher, je vollkommener die Teilnahme ist. Aber das Ich, das aus dem Beziehungsereignis in die Abgelöstheit und deren Selbstbewußtsein tritt, verliert seine Wirklichkeit nicht. Die Teilnahme bleibt in ihm angelegt und lebendig bewahrt; mit einem andern Wort, das, von der höchsten Beziehung gesprochen, auf alle angewandt werden darf, »der Same bleibt in ihm«. Dies ist der Bereich der Subjektivität, darin das Ich seiner Verbundenheit und seiner Abgelöstheit in einem innewird. Die echte Subjektivität kann nur dynamisch verstanden werden, als das Schwingen des Ich in seiner einsamen Wahrheit. Hier auch ist der Ort, wo das Verlangen nach immer höherer, unbedingterer Beziehung, nach der vollkommenen Teilnahme am Sein sich bildet und emporbildet. In der Subjektivität reift die geistige Substanz der Person. Die Person wird sich ihrer selbst als eines am Sein Teilnehmenden, als eines Mitseienden, und so als eines Seienden bewußt. Das Eigenwesen wird sich seiner selbst als eines So-und-nicht-anders-seienden bewußt. Die Person sagt: »Ich bin«, das Eigenwesen: »So bin ich.« »Erkenne dich selbst« bedeutet der Person: erkenne dich als Sein, dem Eigenwesen: erkenne dein Sosein. Indem das Eigenwesen sich gegen andre absetzt, entfernt es sich vom Sein. Damit soll nicht gesagt sein, daß die Person ihr Sondersein, ihr Anderssein irgend »aufgäbe«; es ist ihr an ihr nur nicht Blickpunkt, nur eben da, nur eben die notwendige und sinnvolle Fassung des Seins. Das Eigenwesen dagegen schlemmt an seinem Sondersein; vielmehr zumeist an der Fiktion seines Sonderseins, die es sich zurechtgemacht hat. Denn sich erkennen bedeutet ihm im Grund zumeist: eine geltungskräftige und

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es selbst immer gründlicher zu täuschen fähige Selbsterscheinung herstellen und sich in deren Anschauung und Verehrung den Schein einer Erkenntnis des eigenen Soseins verschaffen; dessen wirkliche Erkenntnis es zur Selbstvernichtung – oder zur Wiedergeburt führen würde. Die Person schaut ihr Selbst, das Eigenwesen befaßt sich mit seinem Mein: meine Art, meine Rasse, mein Schaffen, mein Genius. Das Eigenwesen nimmt an keiner Wirklichkeit teil und gewinnt keine. Es setzt sich gegen das Andere ab und sucht so viel davon als es kann in Besitz zu nehmen, durch Erfahren und Gebrauchen. Das ist s e i n e Dynamik: das Sichabsetzen und die Besitznahme, beides am Es, beides im Unwirklichen geübt. Das Subjekt, als das es sich erkennt, mag sich noch soviel zu eigen machen, ihm wächst keine Substanz daraus, es bleibt punkthaft, funktionell, das Erfahrende, das Gebrauchende, nichts weiter. All sein ausgedehntes und vielfältiges Sosein, all seine eifrige »Individualität« kann ihm zu keiner Substanz verhelfen. Es gibt nicht zweierlei Menschen; aber es gibt die zwei Pole des Menschentums. Kein Mensch ist reine Person, keiner reines Eigenwesen, keiner ganz wirklich, keiner ganz unwirklich. Jeder lebt im zwiefältigen Ich. Aber es gibt Menschen, die so personbestimmt sind, daß man sie Person, und so eigenwesenbestimmte, daß man sie Eigenwesen nennen darf. Zwischen jenen und diesen trägt sich die wahre Geschichte aus. Je mehr der Mensch, je mehr die Menschheit vom Eigenwesen beherrscht wird, um so tiefer verfällt das Ich der Unwirklichkeit. In solchen Zeiten führt die Person im Menschen und in der Menschheit eine unterirdische, verborgne, gleichsam ungültige Existenz – bis sie aufgerufen wird.

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* Der Mensch ist um so personhafter, je stärker in der menschlichen Zwiefalt seines Ich das des Grundworts Ich–Du ist. Nach seinem Ichsagen – danach, was er meint, wenn er Ich sagt – entscheidet sich, wohin ein Mensch gehört und wohin seine Fahrt geht. Das Wort »Ich« ist das wahre Schibboleth der Menschheit. Hört nur darauf! Wie mißtönig ist das Ich des Eigenmenschen! Es kann zu dem großen Mitleiden bewegen, wenn es aus einem tragischen, vom Verschweigen eines Selbst-Widerspruchs gepreßten Munde kommt. Es kann zum Grauen bewegen, wenn es aus einem chaotischen, den Widerspruch wild,

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sorg- und ahnungslos darstellenden Munde kommt. Wenn es aus einem eitlen und verglättenden kommt, ist es peinlich oder widerwärtig. Wer das abgetrennte Ich mit großem Anfangsbuchstaben spricht, deckt die Schande des Weltgeistes auf, der zur Geistigkeit erniedrigt worden ist. Aber wie schön und rechtmäßig klingt das so lebhafte, so nachdrückliche Ich des Sokrates! Es ist das Ich des unendlichen Gesprächs, und die Luft des Gesprächs umwittert es auf allen seinen Wegen, noch vor den Richtern und noch in der letzten Gefängnisstunde. Dieses Ich lebte in der Beziehung zum Menschen, die sich im Gespräch verkörpert. Es glaubte an die Wirklichkeit der Menschen und ging zu ihnen aus. So stand es mit ihnen in der Wirklichkeit, und sie verläßt es nicht mehr. Auch seine Einsamkeit kann nie Verlassenheit sein, und wenn die Menschenwelt ihm schweigt, hört es das Daimonion Du sagen. Wie schön und rechtmäßig klingt das volle Ich Goethes! Es ist das Ich des reinen Umgangs mit der Natur; sie ergibt sich ihm und spricht unaufhörlich mit ihm, sie offenbart ihm ihre Geheimnisse und verrät doch ihr Geheimnis nicht. Es glaubt an sie und spricht zur Rose: »Du bist es also« – da steht es mit ihr in Einer Wirklichkeit. So bleibt, wenn es auf sich zurückgeht, der Geist des Wirklichen bei ihm, das Schauen der Sonne haftet an dem glücklichen Auge, das sich auf seine Sonnenhaftigkeit besinnt, und die Freundschaft der Elemente geleitet den Menschen in die Stille des Sterbens und Werdens. So tönt das »zulängliche, wahre und reine« Ichsagen der Verbundenen, der sokratischen und der goethischen Personen, durch die Zeiten. Und um vorwegnehmend aus dem Reich der unbedingten Beziehung ein Bild hierherzustellen: wie gewaltig, bis zur Überwältigung, ist das Ichsagen Jesu, und wie rechtmäßig, bis zur Selbstverständlichkeit! Denn es ist das Ich der unbedingten Beziehung, darin der Mensch sein Du so Vater nennt, daß er selbst nur noch Sohn und nichts andres mehr als Sohn ist. Wann immer er Ich sagt, er kann nur noch das Ich des heiligen Grundworts meinen, das sich ihm ins Unbedingte hob. Rührt ihn je die Abgelöstheit an, die Verbundenheit ist größer; und nur aus ihr redet er zu den andern. Vergebens sucht ihr dieses Ich auf ein in sich Mächtiges oder dieses Du auf ein in uns Wohnendes einzuschränken und wieder einmal das Wirkliche, die gegenwärtige Beziehung, zu entwirklichen: es bleiben Ich und Du, jeder kann Du sprechen und ist dann Ich, jeder kann Vater sprechen und ist dann Sohn, die Wirklichkeit bleibt. *

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– Wie aber, wenn eines Menschen Sendung von ihm begehrt, daß er nur noch die Verbundenheit mit seiner Sache, also kein wirkliches Verhältnis zu einem Du, keine Vergegenwärtigung eines Du mehr kenne; daß alles um ihn Es, eben seiner Sache dienstbares Es werde? Wie steht es um das Ichsagen Napoleons? Ist es nicht rechtmäßig? Ist dieses Phänomen des Erfahrens und Gebrauchens keine Person? – In der Tat, der Herr des Zeitalters kannte offenbar die Dimension des Du nicht. Man hat es richtig bezeichnet: alles Wesen war ihm valore. Er, der die ihn nach seinem Sturz verleugnenden Anhänger in milder Bedeutung mit Petrus verglich, hatte niemand, den er hätte verleugnen können; denn er hatte niemand, den er als Wesen anerkannte. Er war das dämonische Du der Millionen, das nicht antwortende, das auf Du mit Es antwortende, das im Persönlichen fiktiv antwortende, – das nur in seiner Sphäre, der seiner Sache, nur mit seinen Taten antwortende. Dies ist die geschichtselementare Schranke, wo das Grundwort der Verbundenheit seine Realität, seinen Charakter der Wechselwirkung verliert: das dämonische Du, dem keiner Du werden kann. Diesen Dritten zu Person und Eigenwesen, zu dem freien und dem willkürlichen Menschen, nicht zwischen ihnen, diesen Dritten gibt es, schicksalhaft ragend in Schicksalszeiten: dem alles zuglüht und der selbst in einem kalten Feuer steht; zu dem tausendfache, von dem keine Beziehung führt; der an keiner Wirklichkeit teilnimmt und an dem unermeßlich teilgenommen wird als an einer Wirklichkeit. Wohl sieht er die Wesen um sich als zu verschiedner Leistung befähigte Motoren, die es für die Sache zu berechnen und zu verwenden gilt. So aber auch sich selber (nur daß er seine Leistungskraft immer neu im Experiment ermitteln muß und doch ihre Grenzen nicht erfährt). Auch er selbst wird von sich als Es behandelt. So ist denn sein Ichsagen kein lebhaft nachdrückliches, kein volles; aber erst recht nicht ein (wie beim modernen Eigenmenschen) dergleichen vortäuschendes. Er spricht gar nicht von sich, er spricht nur »von sich aus«. Das Ich, das er redet und schreibt, ist das notwendige Satzsubjekt seiner Feststellungen und Anordnungen, nicht mehr und nicht weniger; es hat keine Subjektivität, aber es hat auch kein sich mit dem Sosein befassendes Selbstbewußtsein und erst recht keinen Wahn der Selbsterscheinung. »Ich bin die Uhr, die besteht und sich nicht kennt« – so hat er selbst seine Schicksalhaftigkeit, die Wirklichkeit dieses Phänomens und die Unwirklichkeit dieses Ich ausgesprochen, in der Zeit, als er aus seiner Sache geworfen war und nun erst von sich sprechen, sich denken mußte und durfte, nun erst sich auf sein Ich besinnen – das nun erst erschien. Das erscheinende ist nicht bloßes Subjekt, aber auch zur Sub-

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jektivität gerät es nicht; entzaubert, aber nicht erlöst, spricht es sich in dem furchtbaren, so rechtmäßigen wie unrechtmäßigen Wort aus: »Das All betrachtet Uns!« Zuletzt versinkt es wieder, im Geheimnis. Wer möchte, nach solchem Schritt und solchem Untergang, zu behaupten wagen, dieser Mensch habe seine ungeheure, ungeheuerliche Sendung verstanden, – oder, er habe sie mißverstanden? Gewiß ist, daß das Zeitalter, dessen Herr und Vorbild der Dämonische, Gegenwartlose geworden ist, ihn mißversteht. Es weiß nicht, daß hier Schickung und Vollzug, nicht Machtbrunst und Machtgenuß walten. Es begeistert sich am Gebietertum dieser Stirn und ahnt nicht, welche Zeichen darauf geschrieben stehen wie Ziffern auf dem Blatt der Uhr. Es befleißt sich, diesen Blick auf die Wesen nachzuahmen, ohne seine Not und Nötigung zu begreifen, und vertauscht die Sachstrenge dieses Ich mit gärender Eigenbewußtheit. Das Wort »Ich« bleibt das Schibbolet der Menschheit. Napoleon sprach es ohne Beziehungskraft, aber er sprach es als das Ich eines Vollzugs. Wer es ihm sich nachzusprechen bemüht, verrät nur die Heillosigkeit des eignen Selbst-Widerspruchs. *

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– Was ist das: Selbst-Widerspruch? – Wenn der Mensch das Apriori der Beziehung nicht an der Welt bewährt, das eingeborene Du nicht am begegnenden auswirkt und verwirklicht, dann schlägt es nach innen. Es entfaltet sich am unnatürlichen, am unmöglichen Gegenstand, am Ich; das heißt: es entfaltet sich da, wo es gar keinen Ort zur Entfaltung hat. So entsteht das Gegenübertreten in sich selbst, das nicht Beziehung, Gegenwart, strömende Wechselwirkung, sondern nur Selbstwiderspruch sein kann. Der Mensch mag ihn als eine Beziehung, etwa als eine religiöse, auszudeuten versuchen, um sich dem Grauen des Doppelgängertums zu entwinden: er muß immer wieder das Trügerische der Deutung entdecken. Hier ist der Rand des Lebens. Ein Unerfülltes ist hier in den wahnwitzigen Schein einer Erfüllung geflüchtet; nun tastet es in den Irrgängen umher und verliert sich immer tiefer. *

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Zuweilen, wenn es den Menschen in der Verfremdung zwischen Ich und Welt schaudert, überkommt ihn die Erwägung, daß etwas zu tun sei. Wie wenn du in schlimmer Mitternacht vom Wachtraum gepeinigt liegst, die Bollwerke sind zerfallen und die Abgründe schreien, und du

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merkst mitten in der Pein: es gibt das Leben noch, ich muß nur hindurch zu ihm – wie aber, wie!: so der Mensch in den Stunden der Besinnung, schaudernd, erwägend und richtungslos. Und vielleicht weiß er die Richtung doch, ganz unten, mit dem ungeliebten Wissen der Tiefe, die Richtung der Umkehr, die über das Opfer führt. Aber er verwirft dieses Wissen; das »Mystische« hält der elektrischen Sonne nicht stand. Er ruft den Gedanken herbei, dem er – mit Recht – viel zutraut: der soll ihm alles wieder gutmachen. Es ist ja die hohe Kunst des Gedankens, ein zulängliches und geradezu glaubhaftes Weltbild zu malen. So sagt der Mensch zu seinem Gedanken: »Sieh diese furchtbar Lagernde da mit den grausamen Augen – ist es nicht dieselbe, mit der ich einst gespielt habe? Weißt du noch, wie sie mich damals anlachte mit eben diesen Augen, und da waren sie gut? Und sieh mein elendes Ich – ich will dirs gestehn: es ist leer, und was immer ich in mich tue, aus Erfahrung und Gebrauch, es dringt nicht in seine Höhlung. Willst du’s nicht wieder gutmachen zwischen mir und ihr, daß sie ablasse und ich genese?« Und der dienst- und kunstfertige Gedanke malt mit seiner berühmten Schnelligkeit eine – nein, zwei Bildreihen, auf rechte und linke Wand. Auf der einen ist (vielmehr: geschieht, denn die Weltbilder des Gedankens sind zuverlässige Kinematographie) das Universum. Dem Wirbel der Gestirne enttaucht die kleine Erde, dem Wimmeln auf der Erde enttaucht der kleine Mensch, und nun trägt ihn die Geschichte weiter durch die Zeiten, die Ameisenhügel der Kulturen, die sie zertritt, beharrlich wieder aufzubauen. Unter der Bilderreihe steht geschrieben: »Eins und alles.« Auf der andern geschieht die Seele. Eine Spinnerin spinnt: das Kreisen aller Gestirne und das Leben aller Geschöpfe und die ganze Weltgeschichte; alles ist eines Fadens Gespinst, und heißt nicht mehr Gestirne und Geschöpfe und Welt, sondern Empfindungen und Vorstellungen, oder gar Erlebnisse und Seelenzustände. Und unter der Bilderreihe steht geschrieben: »Eins und alles.« Wenn den Menschen fortan einmal in der Verfremdung schaudert und die Welt ihn ängstet, blickt er auf (rechtshin oder linkshin, wie es sich grad schickt) und erblickt ein Bild. Da sieht er, daß das Ich in der Welt steckt und daß es das Ich eigentlich gar nicht gibt, also kann die Welt dem Ich nichts anhaben, und er beruhigt sich; oder er sieht, daß die Welt im Ich steckt und daß es die Welt eigentlich gar nicht gibt, also kann die Welt dem Ich nichts anhaben, und er beruhigt sich. Und ein andermal, wenn den Menschen in der Verfremdung schaudert und das Ich ihn ängstet, blickt er auf und erblickt ein Bild; und welches er sieht, gleichviel, das leere Ich ist mit Welt vollgestopft oder die Weltflut überströmt es, und er beruhigt sich.

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Aber ein Augenblick kommt, und er ist nah, da sieht der schaudernde Mensch auf und sieht in einem Blitz beide Bilder auf einmal. Und ein tieferer Schauder erfaßt ihn.

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Dritter Teil Die verlängerten Linien der Beziehungen schneiden sich im ewigen Du. Jedes geeinzelte Du ist ein Durchblick zu ihm. Durch jedes geeinzelte Du spricht das Grundwort das ewige an. Aus diesem Mittlertum des Du aller Wesen kommt die Erfülltheit der Beziehungen zu ihnen, und die Unerfülltheit. Das eingeborene Du verwirklicht sich an jeder und vollendet sich an keiner. Es vollendet sich einzig in der unmittelbaren Beziehung zu dem Du, das seinem Wesen nach nicht Es werden kann.

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* Ihr ewiges Du haben die Menschen mit vielen Namen angesprochen. Als sie von dem so Benannten sangen, meinten sie immer noch Du: die ersten Mythen waren Lobgesänge. Dann kehrten die Namen in die Essprache ein; immer stärker trieb es die Menschen, ihr ewiges Du als ein Es zu bedenken und zu bereden. Aber alle Gottesnamen bleiben geheiligt: weil in ihnen nicht bloß von Gott, sondern auch zu ihm geredet worden ist. Manche wollen verweisen, das Wort Gott rechtmäßig zu gebrauchen, weil es so mißbraucht sei. Und gewiß ist es das beladenste aller Menschenworte. Eben darum ist es das unvergänglichste und unumgänglichste. Und was wiegt alle Irr-Rede über Gottes Wesen und Werke (wiewohl es keine andere gegeben hat und geben kann) gegen die Eine Wahrheit, daß alle Menschen, die Gott angesprochen haben, ihn selbst meinten? Denn wer das Wort Gott spricht und wirklich Du im Sinn hat, spricht, in welchem Wahn immer er befangen sei, das wahre Du seines Lebens an, das von keinem andern eingeschränkt zu werden vermag und zu dem er in einer Beziehung steht, die alle andern einschließt. Aber auch wer den Namen verabscheut und gottlos zu sein glaubt, wenn der mit seinem ganzen hingegebnen Wesen das Du seines Lebens anspricht, als das von keinem andern eingeschränkt zu werden vermag, spricht er Gott an.

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Wenn wir eines Wegs gehen und einem Menschen begegnen, der uns entgegenkam und auch eines Wegs ging, kennen wir nur unser Stück, nicht das seine, das seine nämlich erleben wir nur in der Begegnung. Von dem vollkommnen Beziehungsvorgang wissen wir, in der Art des Gelebthabens, unser Ausgegangensein, unser Wegstück. Das andre wi-

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derfährt uns nur, wir wissen es nicht. Es widerfährt uns in der Begegnung. Aber wir verheben uns daran, wenn wir davon als von einem Etwas jenseits der Begegnung reden. Womit wir uns zu befassen, worum wir uns zu bekümmern haben, ist nicht die andre, sondern unsre Seite; ist nicht die Gnade, sondern der Wille. Die Gnade geht uns insofern an, als wir zu ihr ausgehn und ihrer Gegenwart harren; unser Gegenstand ist sie nicht. Was wir mit unserm Gelebthaben, mit unserm Leben vom Weg wissen, das ist nicht ein Warten, nicht ein Offensein. Das Du tritt mir gegenüber. Aber ich trete in die unmittelbare Beziehung zu ihm. So ist die Beziehung Erwähltwerden und Erwählen, Passion und Aktion in einem. Wie denn eine Aktion des ganzen Wesens, als die Aufhebung aller Teilhandlungen und somit aller (nur in deren Grenzhaftigkeit gegründeter) Handlungsempfindungen, der Passion ähnlich werden muß. Das ist die Tätigkeit des ganz gewordenen Menschen, die man das Nichttun genannt hat, wo sich nichts Einzelnes mehr, nichts Teilhaftes mehr am Menschen regt, also auch nichts von ihm in die Welt eingreift; wo der ganze, in seiner Ganzheit geschloßne, in seiner Ganzheit ruhende Mensch wirkt; wo der Mensch eine wirkende Ganzheit geworden ist. In dieser Verfassung Stetigkeit gewonnen haben heißt zur höchsten Begegnung ausgehen können. Dazu bedarf es nicht etwa eines Abstreifens der Sinnenwelt als einer Scheinwelt. Es gibt keine Scheinwelt, es gibt nur die Welt; die uns freilich zwiefältig erscheint nach unserer zwiefältigen Haltung. Nur der Bann der Abgetrenntheit ist abzutun. Es bedarf auch keines »Überschreitens der sinnlichen Erfahrung«; jede Erfahrung, auch die geistigste, könnte uns nur ein Es ergeben. Es bedarf auch keiner Hinwendung zu einer Welt der Ideen und Werte: die uns nicht Gegenwart werden kann. Alles dessen bedarf es nicht. Kann man sagen, wessen es bedarf? Nicht im Sinn einer Vorschrift. Alles, was je in den Zeiten des Menschengeistes ersonnen und erfunden worden ist an Vorschrift, an angebbarer Vorbereitung, Übung, Versenkung, hat mit dem ureinfachen Faktum der Begegnung nichts zu schaffen. Was immer für Vorteile an Erkenntnis oder Machtwirkung dieser oder jener Übung zu verdanken sein möchten, all das rührt nicht daran, wovon hier gesprochen wird, es hat in der Eswelt seinen Platz und führt nicht einen Schritt, führt nicht d e n Schritt aus ihr. Im Sinn von Vorschriften ist das Ausgehen unlehrbar. Es ist nur aufzeigbar, so nämlich, daß man einen Kreis zieht, der alles ausschließt, was nicht dieses ist. Dann wird das eine sichtbar, worauf es ankommt: die vollkommne Akzeptation der Gegenwart.

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Freilich setzt die Akzeptation, je weiter der Mensch sich in das Abgetrenntsein verlaufen hat, ein um so schwereres Wagnis, eine um so elementarere Umkehr voraus; ein Aufgeben nicht etwa des Ich, wie die Mystik zumeist meint: das Ich ist wie zu jeder Beziehung so auch zur höchsten unerläßlich, da sie nur zwischen Ich und Du geschehen kann; ein Aufgeben also nicht des Ich, aber jenes falschen Selbstbehauptungstriebs, der den Menschen vor der unzuverlässigen, undichten, dauerlosen, unübersehbaren, gefährlichen Welt der Beziehung in das Haben der Dinge flüchten läßt.

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Jede wirkliche Beziehung zu einem Wesen oder einer Wesenheit in der Welt ist ausschließlich. Losgemacht, herausgetreten, einzig und gegenüber wesend ist ihr Du. Es füllt den Himmelskreis: nicht als ob nichts anderes wäre, aber alles andre lebt in s e i n e m Licht. Solang die Gegenwart der Beziehung währt, ist diese ihre Weltweite unantastbar. Sowie jedoch ein Du zu Es wird, erscheint die Weltweite der Beziehung als ein Unrecht an der Welt, ihre Ausschließlichkeit als eine Ausschließung des Alls. In der Beziehung zu Gott sind unbedingte Ausschließlichkeit und unbedingte Einschließlichkeit eins. Wer in die absolute Beziehung tritt, den geht nichts Einzelnes mehr an, nicht Dinge und nicht Wesen, nicht Erde und nicht Himmel; aber alles ist in der Beziehung eingeschlossen. Denn nicht von allem absehen heißt in die reine Beziehung treten, sondern alles im Du sehen; nicht der Welt entsagen, sondern sie in ihren Grund stellen. Von der Welt wegblicken, das hilft nicht zu Gott; auf die Welt hinstarren, das hilft auch nicht zu ihm; aber wer die Welt in ihm schaut, steht in seiner Gegenwart. »Hier Welt, dort Gott« – das ist Es-Rede; und »Gott in der Welt« – das ist andre Es-Rede; aber nichts ausschalten, nichts dahinterlassen, alles – all die Welt mit im Du begreifen, der Welt ihr Recht und ihre Wahrheit geben, nichts neben Gott, aber auch alles in ihm fassen, das ist vollkommne Beziehung. Man findet Gott nicht, wenn man in der Welt bleibt, man findet Gott nicht, wenn man aus der Welt geht. Wer mit dem ganzen Wesen zu seinem Du ausgeht und alles Weltwesen ihm zuträgt, findet ihn, den man nicht suchen kann. Gewiß ist Gott »das ganz Andere«; aber er ist auch das ganz Selbe: das ganz Gegenwärtige. Gewiß ist er das Mysterium tremendum, das erscheint und niederwirft; aber er ist auch das Geheimnis des Selbstverständlichen, das mir näher ist als mein Ich. Wenn du das Leben der Dinge und der Bedingtheit ergründest,

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kommst du an das Unauflösbare, wenn du das Leben der Dinge und der Bedingtheit bestreitest, gerätst du vor das Nichts, wenn du es heiligst, begegnest du dem lebendigen Gott. * 5

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Der Du-Sinn des Menschen, dem aus den Beziehungen zu allem einzelnen Du die Enttäuschung des Eswerdens widerfährt, strebt über sie alle hinaus und doch nicht hinweg seinem ewigen Du zu. Nicht wie man etwas sucht: es gibt in Wahrheit kein Gott-Suchen, weil es nichts gibt, wo man ihn nicht finden könnte. Wie töricht und hoffnungslos wäre einer, der vom Weg seines Lebens abwiche, um Gott zu suchen: ob er auch alle Weisheit der Einsamkeit und alle Macht der Sammlung gewänne, ihn verfehlte er. Vielmehr ist es, wie wenn einer seines Wegs geht und nur eben wünscht, es möchte der Weg sein; in der Kraft seines Wunsches äußert sich sein Streben. Jedes Beziehungsereignis ist eine Station, das ihm einen Blick in das erfüllende auftut; so ist er in allen des einen unteilhaftig, aber teilhaftig auch, weil er gewärtig ist. Gewärtig, nicht suchend, geht er seines Wegs; daher hat er die Gelassenheit zu allen Dingen und die Berührung, die ihnen hilft. Aber wenn er gefunden hat, ist sein Herz ihnen nicht abgewandt, ob ihm nun auch alles in einem begegnet. Er segnet alle Zellen, die ihn beherbergt haben, und alle, in denen er noch einkehren wird. Denn dieses Finden ist nicht ein Ende des Wegs, nur seine ewige Mitte. Es ist ein Finden ohne Suchen; ein Entdecken dessen, was das Ursprünglichste und der Ursprung ist. Der Du-Sinn, der sich nicht ersättigen kann, bis er das unendliche Du findet, hatte es vom Anfang sich gegenwärtig: die Gegenwart mußte ihm nur ganz wirklich werden, aus der Wirklichkeit des geheiligten Weltlebens. Es ist nicht so, daß Gott aus irgend etwas erschlossen werden könnte, etwa aus der Natur als ihr Urheber, oder aus der Geschichte als ihr Lenker, oder auch aus dem Subjekt als das Selbst, das sich in ihm denkt. Es ist nicht so, daß irgend etwas anderes »gegeben« und dies erst daraus abgeleitet wäre, sondern dies ist das uns unmittelbar und zunächst und dauernd gegenüber Wesende: das rechtmäßig nur angesprochen, nicht ausgesagt werden kann. * Man will als das wesentliche Element in der Beziehung zu Gott ein Gefühl ansehen, das man Abhängigkeitsgefühl, neuerdings genauer Krea-

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turgefühl nennt. So richtig die Heraushebung und Bestimmung dieses Elements ist, so sehr wird durch dessen gegengewichtslose Betonung der Charakter der vollkommnen Beziehung verkannt. Was von der Liebe schon gesagt worden ist, gilt hier noch gewisser: Gefühle begleiten nur das metaphysische und metapsychische Faktum der Beziehung, die sich ja nicht in der Seele, sondern zwischen Ich und Du vollzieht. Man mag ein Gefühl noch so essentiell verstehen, es bleibt der Dynamik der Seele unterworfen, wo eins vom andern überholt, übertroffen, aufgehoben wird; es steht – zum Unterschied von der Beziehung – in einer Skala. Vor allem aber hat jedes Gefühl seinen Platz innerhalb einer polaren Spannung; es zieht seine Farbe und seine Bedeutung nicht aus sich allein, sondern aus seinem Gegenpol auch; jedes Gefühl ist gegensatzbedingt. So wird die absolute Beziehung, die in der Wirklichkeit alle relativen einschließt und kein Teil mehr wie sie, sondern das Ganze als ihrer aller Vollendung und Einswerden ist, in der Psychologie relativiert, indem sie auf ein herausgehobnes und abgegrenztes Gefühl zurückgeführt wird. Von der Seele aus kann die vollkommne Beziehung nur bipolar, nur als die coincidentia oppositorum, als die Einung der Gefühlsgegensätze erfaßt werden. Freilich entschwindet der eine Pol oft – von der religiösen Grundeinstellung der Person niedergehalten – dem rückschauenden Bewußtsein und kann nur in der reinsten, unbefangensten Tiefenbesinnung erinnert werden. Ja, du hast dich in der reinen Beziehung schlechthin abhängig gefühlt, wie du in keiner andern irgend zu fühlen vermögend bist, – und schlechthin frei auch, wie nie und nirgends sonst; kreaturhaft – und kreatorisch. Da hattest du nicht mehr das eine vom andern eingeschränkt, sondern beides schrankenlos, und beides mitsammen. Daß du Gott brauchst, mehr als alles, weißt du allzeit in deinem Herzen; aber nicht auch, daß Gott dich braucht, in der Fülle seiner Ewigkeit dich? Wie gäbe es den Menschen, wenn Gott ihn nicht brauchte, und wie gäbe es dich? Du brauchst Gott, um zu sein, – und Gott braucht dich – zu eben dem, was der Sinn deines Lebens ist. Belehrungen und Gedichte mühen sich mehr zu sagen, und sagen zuviel: welch ein trübes und überhebliches Gerede, das vom »werdenden Gott« – aber ein Werden des seienden Gottes ist, das wissen wir unverbrüchlich in unserem Herzen. Die Welt ist nicht göttliches Spiel, sie ist göttliches Schicksal. Daß es die Welt, daß es den Menschen, daß es die menschliche Person, dich und mich gibt, hat göttlichen Sinn. Schöpfung – sie geschieht an uns, sie glüht sich uns ein, glüht uns um, wir zittern und vergehn, wir unterwerfen uns. Schöpfung – wir nehmen

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an ihr teil, wir begegnen dem Schaffenden, reichen uns ihm hin, Helfer und Gefährten. Zwei große Diener gehen durch die Zeiten, das Gebet und das Opfer. Der Beter schüttet sich in rückhaltloser Abhängigkeit hin, und weiß sich – unbegreifbar – auf Gott wirken, wenn auch nicht eben von Gott erwirken; denn wenn er sich nichts mehr begehrt, sieht er sein Wirken in der höchsten Flamme brennen. Und der Opferer? Ich kann ihn nicht verachten, den redlichen Knecht der Vorzeit, der meinte, Gott habe Verlangen nach dem Duft seines Brandopfers: er wußte, in einer närrischen und kräftigen Weise, daß man Gotte geben kann und soll; und das weiß auch, wer seinen kleinen Willen Gott darbringt und ihm im großen begegnet. »Dein Wille geschehe«, nicht mehr als das spricht er, aber die Wahrheit spricht weiter für ihn: »durch mich, den du brauchst.« Was unterscheidet Opfer und Gebet von aller Magie? Diese will wirken, ohne in die Beziehung einzutreten, und übt Künste im Leeren; sie aber stellen sich »vor das Angesicht«, in die Vollendung des heiligen Grundworts, das Wechselwirkung bedeutet. Sie sprechen Du, und vernehmen. Die reine Beziehung als Abhängigkeit verstehen wollen heißt den einen Träger der Beziehung und damit sie selber entwirklichen wollen. *

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Von der entgegengesetzten Seite aus geschieht das gleiche, wenn man als das wesentliche Element im religiösen Akt die Versenkung oder Einwandlung in das Selbst ansieht – sei es durch dessen Entledigung von aller ichhaften Bedingtheit, sei es durch dessen Erfassung als des Einen Denkenden und Seienden. Die erste Betrachtungsweise meint, daß Gott in das ichledige Wesen eingehe oder dieses in Gott aufgehe, die andre, daß es unmittelbar in sich selbst als dem göttlichen Einen stehe; die erste also, daß in einem höchsten Moment das Dusagen aufhöre, weil keine Zweiheit mehr sei, die andre, daß das Dusagen überhaupt nicht in Wahrheit bestehe, weil in Wahrheit keine Zweiheit sei; die erste glaubt an die Vereinigung, die andre an die Identität des Menschlichen mit dem Göttlichen. Beide behaupten ein Jenseits von Ich und Du, die erste ein – etwa in der Ekstase – werdendes, die andre ein seiendes und sich – etwa in der Selbstschau des denkenden Subjekts – offenbarendes. Beide heben die Beziehung auf, die erste gleichsam dynamisch durch das Verschlungenwerden des Ich vom Du, das nun aber eben nicht mehr Du, sondern das Alleinseiende ist, die andre gleichsam statisch durch das sich als das Alleinseiende Erkennen des zum Selbst gelösten Ich. Wenn die Ab-

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hängigkeitslehre den Ich-Träger des Weltbogens der reinen Beziehung so schwach und nichtig sieht, daß seine Tragfähigkeit nicht mehr glaubhaft ist, läßt die eine Versenkungslehre den Bogen in seiner Vollendung verschwinden, die andre behandelt ihn als ein zu überwindendes Wahnbild. Die Versenkungslehren berufen sich auf die großen Sprüche der Identifizierung – die eine vor allem auf das Johanneische »Ich und der Vater sind eins«, die andre auf die Lehre des Sandilya: »Das Allumfassende, dieses ist mein Selbst im inneren Herzen.« Die Wege dieser Sprüche sind einander entgegengesetzt. Der erste entspringt (nach unterirdischem Strömen) dem mythengroßen Leben einer Person und entfaltet sich in einer Lehre, der andre taucht in einer Lehre auf und mündet (vorerst) im mythengroßen Leben einer Person. Auf diesen Wegen wandelt sich der Charakter des Spruchs. Der Christus der Johanneischen Tradition, das einmalig fleischgewordene Wort, führt zum Eckhartschen, den Gott ewiglich in der Menschenseele zeugt; die upanischadische Krönungsformel des Selbst »Das ist das Wirkliche, es ist das Selbst, und das bist du« führt in weit kürzrer Frist zu der buddhischen Absetzungsformel: »Ein Selbst und ein Selbstgehöriges ist in Wahrheit und Wirklichkeit nicht zu erfassen.« Beider Wege Anfang und Ende wollen gesondert betrachtet sein. Daß die Berufung auf das ἑν ἐσμεν nicht begründet ist, wird jedem offenbar, der unbefangen Abschnitt für Abschnitt das Evangelium nach Johannes liest. Es ist recht eigentlich das Evangelium der reinen Beziehung. Hier ist Wahreres als der geläufige Mystenvers: »Ich bin du und du bist ich.« Der Vater und der Sohn, die Wesensgleichen – wir dürfen sagen: Gott und der Mensch, die Wesensgleichen, sind die unaufhebbar wirklichen Zwei, die zwei Träger der Urbeziehung, die von Gott zum Menschen Sendung und Befehl, vom Menschen zu Gott Schauen und Vernehmen, zwischen beiden Erkenntnis und Liebe heißt und in der der Sohn, wiewohl der Vater in ihm wohnt und wirkt, sich dem »Größeren« beugt und zu ihm betet. Alle modernen Versuche, diese Urwirklichkeit der Zwiesprache in ein Verhältnis des Ich zum Selbst oder dergleichen, in einen in der sich genügenden Innerlichkeit des Menschen beschlossenen Vorgang umzudeuten, sind vergeblich; sie gehören mit in die abgründige Geschichte der Entwirklichung. – Aber die Mystik? Sie berichtet, wie Einheit ohne Zweiheit erlebt wird. Darf die Treue ihres Berichts angezweifelt werden? – Ich weiß nicht von einem allein, sondern von zweierlei Geschehnis, darin man keiner Zweiheit mehr gewahr wird. Die Mystik vermengt sie zuweilen in ihrer Rede; auch ich habe es einst getan. Das eine ist das Einswerden der Seele. Das ist nicht etwas, was sich

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zwischen dem Menschen und Gott, sondern etwas, was sich im Menschen ereignet. Die Kräfte sammeln sich in den Kern ein, alles, was sie abziehn will, wird einbewältigt, das Wesen steht allein in sich selbst und jubiliert, wie Paracelsus spricht, in seiner Exaltation. Das ist der entscheidende Augenblick des Menschen. Ohne ihn ist er zum Werk des Geistes nicht tauglich. Mit ihm: es entscheidet sich in einem Innersten, ob dies Rüste oder Genügen bedeutet. Der Mensch kann, zur Einheit eingesammelt, zur nun erst vollkommen geratenden Begegnung mit dem Geheimnis und Heil ausgehn. Er kann aber auch die Seligkeit der Sammlung auskosten und, ohne sich in die höchste Pflicht zu nehmen, in die Zerstreuung zurückkehren. Alles auf unsrem Weg ist Entscheidung: gemeinte, geahnte, geheime; diese im Innersten ist die urgeheime und an Bestimmung mächtigste. Das andre Geschehnis ist jene unausforschliche Art des Beziehungsakts selbst, darin man Zwei zu Eins werden wähnt: »ein und ein vereinet da liuhtet bloz in bloz.« Ich und Du versinken, die Menschheit, die eben noch der Gottheit gegenüberstand, geht in ihr auf, Verherrlichung, Vergottung, Alleinheit ist erschienen. Wenn einer aber verklärt und erschöpft in die Not des irdischen Getriebes zurückkehrt und mit wissendem Herzen beides besinnt, muß ihm das Sein nicht gespalten und mit dem einen Teil der Heillosigkeit preisgegeben vorkommen? Was hilft es meiner Seele, daß sie aus dieser Welt hier von neuem in die Einheit entrückt werden kann, da doch diese Welt selbst der Einheit notwendigerweise gänzlich unteilhaftig bleibt – was frommt aller »Gottesgenuß« einem entzweigerissenen Leben? Hat jenes überschwenglich reiche himmlische Nu mit meinem armen Erdennu nichts zu tun – was soll es mir, da ich doch auf Erden noch zu leben, in allem Ernst noch zu leben habe? So sind die Meister zu verstehn, die den Wonnen der »Einungs«Ekstase entsagt haben. Die keine Einung war. Ich nehme die Menschen zum Gleichnis, die in der Leidenschaft des erfüllenden Eros so vom Wunder der Umschlingung verzückt werden, daß ihnen das Wissen um Ich und Du im Gefühl einer Einheit untergeht, die nicht besteht und nicht bestehen kann. Was der Ekstatiker Einung nennt, das ist die verzückende Dynamik der Beziehung; nicht eine in diesem Augenblick der Weltzeit entstandene Einheit, die Ich und Du verschmilzt, sondern die Dynamik der Beziehung selbst, die sich vor deren einander unverrückbar gegenüberstehende Träger stellen und sie dem Gefühl des Verzückten verdecken kann. Hier waltet dann eine randhafte Übersteigerung des Beziehungsakts; die Beziehung selbst, ihre vitale Einheit wird so vehement empfunden, daß ihre Glieder vor ihr zu verblassen scheinen, daß über i h r e m Leben das Ich und das Du, zwi-

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schen denen sie gestiftet ist, vergessen werden. Hier ist eine der Erscheinungen des Randes, zu dem sich die Wirklichkeit hinbreitet und an dem sie verschwimmt. Aber größer als alle Rätselwebe am Rande des Seins ist uns die zentrale Wirklichkeit der alltäglichen Erdenstunde, mit einem Streifen Sonne auf einem Ahornzweig und der Ahnung des ewigen Du. Dem jedoch will sich der Anspruch der andern Versenkungslehre widersetzen, daß das Allwesen und das Selbstwesen dasselbe seien und also kein Dusagen eine letzte Wirklichkeit zu gewähren vermöge. Diesen Anspruch beantwortet die Lehre selbst. Eine Upanischad erzählt, wie der Götterfürst Indra zu Pradschapati, dem Schöpfergeist, kommt, um zu erfahren, wie man das Selbst finde und erkenne. Er weilt ein Jahrhundert im Schülerstand, wird zweimal mit unzulänglicher Auskunft entlassen, bis sich ihm endlich die rechte zuteilt: »Wenn einer im Tiefschlaf beschlossen traumlos ruht, dies ist das Selbst, dies ist das Unsterbliche, das Gesicherte, das Allwesen.« Indra zieht von dannen, aber bald beschleicht ihn ein Bedenken; er kehrt um und fragt: »In solcher Verfassung, o Erhabener, weiß einer doch nicht von seinem Selbst: ›Das bin ich‹, und nicht: ›Das sind die Wesen‹. Der Vernichtung ist er anheimgefallen. Ich sehe hier kein Frommen.« »Ganz so, Herr, verhält es sich damit«, entgegnet Pradschapati. Insofern die Lehre eine Aussage über das wahre Sein enthält, hat sie, wie immer es um ihren – in diesem Leben nicht zu ermittelnden – Wahrheitsgehalt steht, mit Einem nichts gemein: mit der gelebten Wirklichkeit; sie muß diese denn auch zur Scheinwelt erniedern. Und insofern die Lehre eine Anleitung zur Versenkung in das wahre Sein enthält, führt sie nicht in gelebte Wirklichkeit, sondern in die »Vernichtung«, in der kein Bewußtsein waltet, aus der kein Gedächtnis leitet, und als deren Erfahrung der Mensch, der ihr enttaucht ist, immerhin das Grenzwort der Nichtzweiheit bekennen mag, doch ohne diese als die Einheit proklamieren zu dürfen. Wir aber wollen das heilige Gut unserer Wirklichkeit, das uns für dieses Leben, und vielleicht für kein anderes, wahrheitsnäheres, geschenkt ist, heilig pflegen. In der gelebten Wirklichkeit gibt es keine Einheit des Seins. Wirklichkeit besteht nur im Wirken, ihre Kraft und Tiefe in der seinen. Auch »innere« Wirklichkeit ist nur, wenn Wechselwirkung ist. Die stärkste und tiefste Wirklichkeit ist, wo alles ins Wirken eingeht, ohne Rückhalt der ganze Mensch und der allumfangende Gott, das geeinte Ich und das schrankenlose Du. Das geeinte Ich: denn es gibt (ich sprach schon davon) in der gelebten Wirklichkeit das Einswerden der Seele, die Einsammlung der Kräfte in

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den Kern, den entscheidenden Augenblick des Menschen. Aber das ist nicht wie jene Versenkung ein A b s e h e n von der wirklichen Person. Die Versenkung will nur das »Reine«, das Eigentliche, das Dauernde wahren und alles andere abstreifen; die Einsammlung achtet das Triebhafte nicht zu unrein, das Sinnenhafte nicht zu peripher, das Gemüthafte nicht zu flüchtig, – alles muß einbezogen, einbewältigt werden. Sie will nicht das abgezogene Selbst, sie will den ganzen, ungeschmälerten Menschen. Sie meint Wirklichkeit und ist es. Die Versenkungslehre fordert und verheißt die Einkehr in das Eine Denkende, »das wovon diese Welt gedacht wird«, in das reine Subjekt. Aber in der gelebten Wirklichkeit gibt es kein Denkendes ohne Gedachtes, vielmehr ist hier das Denkende auf das Gedachte nicht minder als dieses auf jenes angewiesen. Ein Subjekt, das sich des Objekts enthebt, hebt sich als wirkliches auf. Ein Denkendes für sich gibt es – im Denken, als dessen Erzeugnis und Gegenstand nämlich, als vorstellungsfreien Grenzbegriff; sodann in der vorwegnehmenden Determination des Todes, für den man auch sein Gleichnis, den schier ebenso undurchdringlichen Tiefschlaf setzen kann; und endlich in der Aussage der Lehre über einen tiefschlafähnlichen Zustand der Versenkung, der seinem Wesen nach ohne Bewußtsein und ohne Gedächtnis ist. Dies sind die höchsten Aufgipflungen der Es-Sprache. Man muß die sublime Kraft ihres Absehens verehren, und mit eben diesem verehrenden Blick sie erkennen als das immerhin zu Erlebende, aber nicht zu Lebende. Buddha, der »Vollendete« und der Vollender, sagt nicht aus. Er weigert sich zu behaupten, daß Einheit sei, und daß sie nicht sei; daß der durch alle Proben der Versenkung Gegangene nach dem Tod in der Einheit bestehe, und daß er nicht in ihr bestehe. Diese Weigerung, dieses »edle Schweigen« wird auf zweierlei Art erklärt; theoretisch: weil die Vollendung den Kategorien des Denkens und der Aussage entzogen sei; praktisch: weil die Enthüllung ihres Wesensbestands nicht ein wahrhaftes Heilsleben begründe. Beide Erklärungen gehören als Wahrheit zusammen: wer das Seiende als Gegenstand einer Aussage behandelt, zieht es in die Schiedlichkeit, die Antithetik der Eswelt – in der es kein Heilsleben gibt. »Wenn, o Mönch, die Ansicht obwaltet, Seele und Körper seien wesenseins, gibt es kein Heilsleben; wenn, o Mönch, die Ansicht obwaltet, die Seele sei eins und der Körper ein andres, auch dann gibt es kein Heilsleben.« Im geschauten Geheimnis, wie in der gelebten Wirklichkeit, waltet nicht das »So ist es« und nicht das »So ist es nicht«, nicht das Sein und nicht das Nichtsein, sondern das So-und-anders, das Sein-undNichtsein, das Unauflösbare. Dem unschiedlichen Geheimnis unschiedlich gegenüberstehen ist die Urbedingung des Heils. Daß Buddha zu de-

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nen gehört, die dies erkannt haben, ist gewiß. Wie alle rechten Lehrer, will er keine Ansicht, sondern den Weg lehren. Nur e i n e Aussage bestreitet er, die der »Toren«, es gebe kein Handeln, es gebe keine Tat, es gebe keine Kraft: man kann den Weg gehen. Nur e i n e Aussage wagt er, die entscheidende: »Es gibt, ihr Mönche, ein Ungeborenes, Ungewordenes, Ungeschaffenes, Ungestaltetes«; gäbe es dieses nicht, es gäbe kein Ziel, es gibt dieses, der Weg hat ein Ziel. So weit dürfen wir, der Wahrheit unserer Begegnung getreu, Buddha folgen; ein weitrer Schritt wäre Untreue an der Wirklichkeit unseres Lebens. Denn nach der Wahrheit und Wirklichkeit, die wir nicht aus uns holen, die uns eingegeben und zugeteilt ist, wissen wir: Ist jenes eins der Ziele nur, so kann es nicht das unsere sein, ist es das Ziel, so ist es falsch bezeichnet. Und: Ist es eins der Ziele, so mag der Weg bis zu ihm führen, ist es das Ziel, so führt er ihm nur näher. Als das Ziel bezeichnet Buddha die »Aufhebung des Leidens«, das ist des Werdens und Vergehens: die Erlösung aus dem Rad der Geburten. »Nicht gibt es hinfort eine Wiederkehr« sei die Formel dessen, der sich von der Begierde nach dem Dasein und damit von dem Immer-wiederwerden-müssen befreit habe. Wir wissen nicht, ob es Wiederkehr gibt; wir ziehen die Linie dieser Zeitdimension, in der wir leben, nicht über dieses Leben hinaus, und versuchen nicht aufzudecken, was sich uns zu seiner Frist und in seinem Gesetz offenbaren will; aber wüßten wir, daß es Wiederkehr gibt, wir würden keiner zu entrinnen suchen, und wohl nicht nach dem krassen Dasein, aber danach begehren, in jedem, in dessen Art und Sprache, das ewige Ich des Vergänglichen und das ewige Du des Unvergänglichen sprechen zu dürfen. Ob Buddha zum Ziel der Erlösung vom Wiederkehrenmüssen führt, wissen wir nicht. Zu einem Zwischenziel führt er gewiß, das auch uns angeht: zum Einswerden der Seele. Aber er führt dahin nicht bloß, wie es notwendig ist, abseits vom »Dickicht der Meinungen«, sondern auch vom »Trug der Gestaltungen« – der für uns kein Trug, vielmehr (trotz aller subjektivierenden Paradoxien der Anschauung, d i e f ü r u n s e b e n d a z u g e h ö r e n ), die zuverlässige Welt ist; auch sein Weg ist ein Absehen, und wenn er uns etwa der Vorgänge in unserem Körper innewerden heißt, meint er damit fast das Gegenteil unserer sinngewissen Leibeseinsicht. Und er führt das geeinte Wesen nicht weiter zu jenem höchsten Dusagen, das ihm erschlossen ist. Seine Entscheidung im Innersten scheint auf die Aufhebung des Dusagenkönnens zu gehen. Buddha kennt das Dusagen zum Menschen – das zeigt der groß überlegne, aber auch groß unmittelbare Verkehr mit den Schülern –, doch er

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lehrt es nicht; denn dieser Liebe, die »alles was geworden ist unbegrenzbar einbegreifen in der Brust« heißt, ist das schlichte Gegenüberstehen von Wesen zu Wesen fremd. Gewiß kennt er in der Tiefe seines Schweigens auch das Dusagen zum Urgrund, über all die von ihm wie Schüler behandelten »Götter« hinweg, – aus einem zur Substanz gewordenen Beziehungsvorgang ist seine Tat gekommen, auch sie eine Antwort an das Du; aber er verschweigt es. Seine Völker-Nachfolge jedoch, »das Große Fahrzeug«, hat ihn herrlich verleugnet. Sie hat das ewige Du des Menschen angesprochen – unter Buddhas Namen. Und als den kommenden Buddha, den letzten dieses Weltalters, erwartet sie den, der die Liebe erfüllen soll. Alle Versenkungslehre gründet in dem gigantischen Wahn des in sich zurückgebognen menschlichen Geistes: er geschehe im Menschen. In Wahrheit geschieht Geist vom Menschen aus – zwischen dem Menschen und Dem, was nicht er ist. Indem der zurückgebogne Geist diesem seinem Sinn, diesem seinem Beziehungssinn absagt, muß er Das, was nicht der Mensch ist, in den Menschen hereinziehen, er muß Welt und Gott verseelen. Dies ist der Seelenwahn des Geistes. »Ich verkündige, Freund«, spricht Buddha, »daß in diesem klaftergroßen, empfindungbehafteten Asketenleibe die Welt wohnt und die Entstehung der Welt und die Aufhebung der Welt und der Weg, der zur Aufhebung der Welt führt«. Das ist wahr, aber im letzten ist es nicht mehr wahr. Gewiß »wohnt« die Welt in mir als Vorstellung, geradeso wie ich in ihr als Ding wohne. Aber darum ist sie doch nicht in mir, geradeso wie ich doch nicht in ihr bin. Sie und ich sind wechselseitig einbezogen. Dieser Denkwiderspruch, dem Esverhältnis inhärent, wird vom Duverhältnis aufgehoben, das mich von der Welt löst, um mich mit ihr zu verbinden. Den Selbst-Sinn, das nicht mit in die Welt Einbeziehbare, trage ich in mir. Den Seins-Sinn, das nicht mit in die Vorstellung Einbeziehbare, trägt die Welt in sich. Dieses aber ist nicht ein denkbarer »Wille«, sondern eben die ganze Welthaftigkeit der Welt, wie jenes nicht ein »erkennendes Subjekt«, sondern die ganze Ichhaftigkeit des Ich ist. Hier gilt kein weiteres »Zurückführen«: wer die letzten Einheiten nicht ehrt, vereitelt den nur begreifbaren, nicht begrifflichen Sinn. Die Entstehung der Welt und die Aufhebung der Welt sind nicht in mir; sie sind aber auch nicht außer mir; sie sind überhaupt nicht, sie geschehen immerdar, und ihr Geschehen hängt auch mit mir, mit meinem Leben, meiner Entscheidung, meinem Werk, meinem Dienst zusammen, auch von mir, von meinem Leben, meiner Entscheidung, meinem Werk, meinem Dienst ab. Aber nicht davon, ob ich die Welt in

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meiner Seele »bejahe« oder »verneine«, sondern davon, wie ich meine Seelenhaltung zur Welt zu Leben, zu welteinwirkendem Leben, zu Wirklichem Leben werden lasse, – und im Wirklichen Leben können die Wege von sehr verschiednen Seelenhaltungen auseinander kreuzen. Wer aber seine Haltung nur »erlebt«, nur in der Seele vollzieht, der mag noch so gedankenvoll sein, er ist weltlos – und alle Spiele, Künste, Räusche, Enthusiasmen und Mysterien, die sich in ihm begeben, rühren an die Haut der Welt nicht. Solang sich einer nur in seinem Selbst erlöst, kann er der Welt weder Liebes noch Leides tun, er geht sie nicht an. Nur wer an die Welt glaubt, bekommt es mit ihr selbst zu tun; und gibt er sich dran, kann er auch nicht gottlos bleiben. Lieben wir die wirkliche, die sich nicht aufheben lassen will, nur wirklich in all ihrem Grauen, wagen wir es nur, die Arme unseres Geistes um sie zu legen: und unsre Hände begegnen den Händen, die sie halten. Ich weiß nichts von einer »Welt« und von einem »Weltleben«, die einen von Gott trennten; was so genannt wird, ist das Leben mit einer verfremdeten Eswelt, das erfahrende und gebrauchende. Wer wahrhaft zur Welt ausgeht, geht zu Gott aus. Sammlung und Ausgehn, beide wahrhaft, das Ein-und-andre, welches das Eine ist, tut not. Gott umfaßt das All, und ist es nicht; so aber auch umfaßt Gott mein Selbst, und ist es nicht. Um dieses Unbesprechbaren willen kann ich in meiner Sprache, wie jegliches in seiner, Du sagen; um dieses willen gibt es Ich und Du, gibt es Zwiesprache, gibt es Sprache, gibt es den Geist, dessen Urakt sie ist, gibt es in Ewigkeit das Wort. * Die »religiöse« Situation des Menschen, sein Da-sein in der Präsenz, ist durch ihre wesenhafte und unauflösbare Antinomik gekennzeichnet. Daß diese Antinomik unauflösbar ist, macht ihr Wesen aus. Wer die These annimmt und die Antithese ablehnt, verletzt den Sinn der Situation. Wer eine Synthese zu denken versucht, zerstört den Sinn der Situation. Wer die Antinomik zu relativieren strebt, hebt den Sinn der Situation auf. Wer irgendwie anders als mit dem Leben den Widerstreit der Antinomik austragen will, vergeht sich gegen den Sinn der Situation. Der Sinn der Situation ist, daß sie in all ihrer Antinomik gelebt und nur gelebt und immer wieder, immer neu, unvorsehbar, unvordenkbar, unvorschreibbar gelebt wird. Ein Vergleich der religiösen mit der philosophischen Antinomie wird dies verdeutlichen. Kant mag den philosophischen Widerstreit zwischen Notwendigkeit und Freiheit relativieren, indem er jene der Welt der Er-

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scheinung, diese der des Seins zuweist, so daß die beiden Setzungen einander nicht mehr eigentlich entgegenstehn, vielmehr sich miteinander ebenso vertragen, wie die Welten, für die sie gültig sind. Aber wenn ich Notwendigkeit und Freiheit nicht in gedachten Welten meine, sondern in der Wirklichkeit meines Vor-Gott-stehens, wenn ich weiß: »Ich bin anheimgegeben« und zugleich weiß: »Es kommt auf mich an«, dann darf ich dem Paradox, das ich zu leben habe, nicht durch Zuweisung der unverträglichen Sätze an zwei gesonderte Geltungsbereiche zu entkommen suchen, dann darf ich mir auch von keinem theologischen Kunstgriff zu einer begrifflichen Versöhnung helfen lassen, ich muß beide in einem zu leben auf mich nehmen, und gelebt sind sie eins. *

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Die Augen des Tiers haben das Vermögen einer großen Sprache. Selbständig, ohne einer Mitwirkung von Lauten und Gebärden zu bedürfen, am wortmächtigsten, wenn sie ganz in ihrem Blick ruhen, sprechen sie das Geheimnis in seiner naturhaften Einriegelung, das ist in der Bangigkeit des Werdens aus. Diesen Stand des Geheimnisses kennt nur das Tier, nur es kann ihn uns eröffnen, – der sich eben nur eröffnen, nicht offenbaren läßt. Die Sprache, in der es geschieht, ist, was sie sagt: Bangigkeit – die Regung der Kreatur zwischen den Reichen der pflanzenhaften Sicherung und des geistigen Wagnisses. Diese Sprache ist das Stammeln der Natur unter dem ersten Griff des Geistes, ehe sie sich ihm zu seinem kosmischen Wagnis, das wir Mensch nennen, ergibt. Aber kein Reden wird je wiederholen, was das Stammeln mitzuteilen weiß. Ich sehe zuweilen in die Augen einer Hauskatze. Das domestizierte Tier hat nicht etwa von uns, wie wir uns zuweilen einbilden, die Gabe des wahrhaft »sprechenden« Blicks empfangen, sondern nur – um den Preis der elementaren Unbefangenheit – die Befähigung, ihn uns Untieren zuzuwenden. Wobei nun aber in ihn, in seine Morgendämmerung und noch in seinen Aufgang, ein Etwas aus Staunen und Frage gekommen ist, das dem ursprünglichen, in all seiner Bangigkeit, doch wohl gänzlich fehlt. Diese Katze begann ihren Blick unbestreitbar damit, mich mit dem unter dem Anhauch meines Blicks aufglimmenden zu fragen: »Kann das sein, daß du mich meinst? Willst du wirklich nicht bloß, daß ich dir Späße vormache? Gehe ich dich an? Bin ich dir da? Bin ich da? Was ist das da von dir her? Was ist das da um mich her? Was ist das an mir? Was ist das?!« (»Ich« ist hier eine Umschreibung für ein Wort der ichlosen Selbstbezeichnung, das wir nicht haben; unter »das« stelle man sich den strömenden Menschenblick in der ganzen Realität seiner Bezie-

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hungskraft vor.) Da war der Blick des Tiers, die Sprache der Bangigkeit, groß aufgegangen – und da ging er schon unter. Mein Blick war freilich ausdauernder; aber er war der strömende Menschenblick nicht mehr. Der Weltachsendrehung, die den Beziehungsvorgang einleitet, war fast unmittelbar die andre gefolgt, die ihn endet. Eben noch hatte die Eswelt das Tier und mich umgeben, ausgestrahlt war einen Blick lang Duwelt aus dem Grunde, nun war sie schon in jene zurückgeloschen. Um der Sprache dieses fast unmerklichen Geistsonnen-Aufgangs und -Untergangs willen erzähle ich die winzige Begebenheit, die mir etliche Male widerfuhr. An keiner andern habe ich so tief die Vergänglichkeit der Aktualität in allen Beziehungen zu den Wesen erkannt, die erhabne Schwermut unsres Loses, das schicksalhafte Eswerden alles geeinzelten Du. Denn sonst gab es zwischen Morgen und Abend des Ereignisses seinen ob auch kurzen Tag, hier aber flossen Morgen und Abend grausam ineinander, das lichte Du erschien und schwand: war die Bürde der Eswelt wirklich dem Tier und mir einen Blick lang abgenommen worden? Ich konnte mich immerhin noch darauf besinnen, das Tier aber war aus dem Stammeln seines Blicks in die sprachlose, fast gedächtnislose Bangigkeit zurückgesunken. Wie ist es doch mächtig, das Kontinuum der Eswelt, und wie zart die Erscheinungen des Du! So vieles kann die Kruste der Dinglichkeit nie durchbrechen! O Glimmerstück, welches anschauend ich einst zuerst verstand, daß Ich nicht etwas »in mir« ist, – mit dir war ich dennoch nur in mir verbunden; nur in mir, nicht zwischen mir und dir hat es sich damals begeben. Wenn aber eins hervorsteigt aus den Dingen, ein Lebendes, und mir Wesen wird, und sich in Nähe und Sprache zu mir begibt, wie unabwendbar kurz ist es mir nichts als Du! Nicht die Beziehung ist es, die notwendig nachläßt, aber die Aktualität ihrer Unmittelbarkeit. Die Liebe selber kann nicht in der unmittelbaren Beziehung verharren; sie dauert, aber im Wechsel von Aktualität und Latenz. Jedem Du in der Welt ist seinem Wesen nach geboten, uns Ding zu werden oder doch immer wieder in die Dinghaftigkeit einzugehn. Nur in einer, der allumfassenden Beziehung ist die Latenz noch Aktualität. Nur Ein Du hört seinem Wesen nach nie auf, uns Du zu sein. Wohl kennt, wer Gott kennt, die Gottferne auch und die Pein der Dürre über dem geängstigten Herzen; aber die Präsenzlosigkeit nicht. Nur wir sind nicht immer da. Der Liebende der Vita Nova sagt richtig und rechtmäßig zumeist Ella und nur zuweilen Voi. Der Schauende des Paradiso, wenn er Colui sagt, redet – aus dichterischer Notdurft – uneigentlich, und weiß es. Ob man

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Gott als Er oder als Es beredet, es ist immer Allegorie. Sprechen wir aber Du zu ihm, dann ist die ungebrochne Wahrheit der Welt von sterblichem Sinn gewortet. * 5

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Jede wirkliche Beziehung in der Welt ist ausschließlich; das Andere bricht in sie ein und rächt seine Ausschließung. Einzig in der Beziehung zu Gott sind unbedingte Ausschließlichkeit und unbedingte Einschließlichkeit eins, darin das All begriffen ist. Jede wirkliche Beziehung in der Welt ruht auf der Individuation; die ist ihre Wonne, denn nur so ist Einandererkennen der Verschiedenen gewährt, und ist ihre Grenze, denn so ist das vollkommne Erkennen und Erkanntwerden versagt. Aber in der vollkommnen Beziehung umfaßt mein Du mein Selbst, ohne es zu sein; mein eingeschränktes Erkennen geht in einem schrankenlosen Erkanntwerden auf. Jede wirkliche Beziehung in der Welt vollzieht sich im Wechsel von Aktualität und Latenz; jedes geeinzelte Du muß sich zum Es verpuppen, um wieder neu sich zu beflügeln. In der reinen Beziehung aber ist die Latenz nur das Atemholen der Aktualität, darin das Du präsent bleibt. Das ewige Du ist es seinem Wesen nach; nur unser Wesen nötigt uns, es in die Eswelt und Esrede zu ziehen. *

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Die Eswelt hat Zusammenhang im Raum und in der Zeit. Die Duwelt hat in beiden keinen Zusammenhang. Sie hat ihren Zusammenhang in der Mitte, in der die verlängerten Linien der Beziehungen sich schneiden: im ewigen Du. In dem großen Privileg der reinen Beziehung sind die Privilegien der Eswelt aufgehoben. Kraft seiner gibt es das Kontinuum der Duwelt: die isolierten Momente der Beziehungen verbinden sich zu einem Weltleben der Verbundenheit. Kraft seiner steht der Duwelt die gestaltende Macht zu: der Geist kann die Eswelt durchdringen und verwandeln. Kraft seiner sind wir der Verfremdung der Welt und der Entwirklichung des Ich, sind wir der Übermächtigung durch das Gespenstische nicht ausgeliefert. Umkehr ist das Wiedererkennen der Mitte, das Sich-wieder-hinwenden. In dieser Wesenstat ersteht die verschüttete Beziehungskraft des Menschen auf, aller Beziehungssphären Welle schwillt in lebendigen Strömen und erneuert unsre Welt. Vielleicht nicht die unsre allein. Denn als die metakosmische: der Welt

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als Ganzem in ihrem Verhältnis zu dem, was nicht Welt ist, einwohnende Urform der Zwiefalt, deren menschliche Gestalt die Zwiefalt der Haltungen, der Grundworte und der Weltaspekte ist, dürfen wir diese Doppelbewegung ahnen: Abwendung vom Urgrund, vermöge deren sich das All im Werden erhält – Hinwendung zum Urgrund, vermöge deren sich das All im Sein erlöst. Beides in der Zeit schicksalhaft entfaltet, gnadenhaft eingehegt in der zeitlosen Schöpfung, die unbegreiflich zugleich Entlassen und Bewahren, zugleich Freigabe und Bindung ist. Unser Wissen um die Zwiefalt verstummt vor der Paradoxie des Urgeheimnisses.

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Drei sind die Sphären, in denen sich die Welt der Beziehung baut. Die erste: das Leben mit der Natur, darin die Beziehung an der Schwelle der Sprache haftet. Die zweite: das Leben mit den Menschen, darin sie sprachgestaltig wird. Die dritte: das Leben mit den geistigen Wesenheiten, darin sie sprachlos, aber sprachzeugend ist. In jeder Sphäre, in jedem Beziehungsakt, durch jedes uns gegenwärtig Werdende blicken wir an den Saum des ewigen Du hin, aus jedem vernehmen wir ein Wehen von ihm, in jedem Du reden wir das Ewige an, in jeder Sphäre nach ihrer Weise. Alle Sphären sind in ihm beschlossen, es in keiner. Durch alle strahlt die eine Gegenwart. Wir aber können jede der Gegenwart entheben. Wir können aus dem Leben mit der Natur die »physische« Welt heben, die der Konsistenz; aus dem Leben mit den Menschen die »psychische« Welt, die der Affizierbarkeit; aus dem Leben mit den geistigen Wesenheiten die »noetische« Welt, die der Gültigkeit. Nun ist ihnen die Transparenz und damit der Sinn genommen; jede ist brauchbar und trüb geworden, und bleibt trüb, ob wir sie, auch mit leuchtenden Namen – Kosmos, Eros, Logos – belehnen. In Wahrheit nämlich gibt es dem Menschen Kosmos nur, wenn das All ihm zum Haus wird mit heiligem Herd, daran er opfert; und gibt es ihm Eros nur, wenn die Wesen ihm zu Bildern des Ewigen werden und die Gemeinschaft mit ihnen zur Offenbarung; und gibt es ihm Logos nur, wenn er das Geheimnis anspricht mit Werk und Dienst am Geist. Das heischende Schweigen der Gestalt, das liebende Sprechen des Menschen, die kundgebende Stummheit der Kreatur: alle sind sie Pforten in die Präsenz des Worts.

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Wenn aber die vollkommne Begegnung geschehen soll, sind die Pforten vereinigt zum Einen To r des Wirklichen Lebens, und du weißt nicht mehr, durch welche du eingetreten bist. * 5

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Unter den drei Sphären ist eine ausgezeichnet: das Leben mit den Menschen. Hier vollendet sich die Sprache als Folge, in Rede und Gegenrede. Hier allein begegnet das sprachgeformte Wort seiner Antwort. Hier nur geht das Grundwort gleichgestaltig hin und wieder, in Einer Zunge sind das der Ansprache und das der Entgegnung lebendig, Ich und Du stehen nicht bloß in der Beziehung, – auch in der festen »Redlichkeit«. Die Beziehungsmomente sind hier, und nur hier, verbunden durch das Element der Sprache, in das sie eingetaucht sind. Hier ist das Gegenüber zur vollen Wirklichkeit des Du erblüht. Hier allein gibt es denn auch als unverlierbare Wirklichkeit Schauen und Geschautwerden, Erkennen und Erkanntwerden, Lieben und Geliebtwerden. Dies ist das Hauptportal, in dessen umfangende Öffnung die beiden Seitenpforten eingehn. »Wenn ein Mann mit seinem Weibe beisammen ist, sind sie von der Sehnsucht der ewigen Hügel umweht.« Die Beziehung zum Menschen ist das eigentliche Gleichnis der Beziehung zu Gott: darin wahrhafter Ansprache wahrhafte Antwort zuteil wird. Nur daß in Gottes Antwort sich alles, sich das All als Sprache offenbart. *

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– Aber ist nicht auch die Einsamkeit eine Pforte? Tut sich nicht zuweilen im stillsten Alleinsein ein unvermutetes Schauen auf? Kann sich nicht der Verkehr mit sich selbst geheimnishaft in einen mit dem Geheimnis verwandeln? Ja, ist nicht erst der keinem Wesen mehr Verhaftete würdig, dem Wesen gegenüberzutreten? »Komm, Einsamer, zum Einsamen«, ruft Symeon der Neue Theologe seinen Gott an. – Es gibt zweierlei Einsamkeit, nach dem, wovon sie sich kehrt. Heißt dies Einsamkeit, sich aus dem erfahrenden und gebrauchenden Umgang mit den Dingen zu lösen: ihrer bedarf es stets, um überhaupt zum Akt der Beziehung, nicht erst der höchsten, zu kommen. Meint Einsamkeit aber Beziehungslosigkeit: wen die Wesen, zu denen er das wahre Du sprach, verlassen haben, wird von Gott aufgenommen, nicht so wer die Wesen verließ. Verhaftet etwelchen unter ihnen ist nur, wer Gier trägt, sie

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zu gebrauchen; wer in der Kraft der Vergegenwärtigung lebt, kann ihnen nur verbunden sein. Der Verbundene aber, der allein ist der für Gott Bereite. Denn er allein bringt Gottes Wirklichkeit eine menschliche entgegen. Und wieder gibt es zweierlei Einsamkeit, nach dem, wozu sie sich wendet. Ist Einsamkeit der Ort der Reinigung, wie sie auch dem Verbundenen nottut, ehe er das Allerheiligste betritt, wie sie ihm aber auch mitten in seinen Proben, zwischen dem unvermeidlichen Versagen und dem Aufstieg zur Bewährung nottut: dazu sind wir beschaffen. Ist sie jedoch die Burg der Absonderung, wo der Mensch mit sich selbst Zwiesprache führt, nicht um sich für das Erwartende zu prüfen und zu meistern, sondern im Selbstgenuß seiner Seelenfiguration: dies ist der eigentliche Abfall des Geistes zur Geistigkeit. Der sich bis zur letzten Abgründlichkeit steigern kann, wo der Selbstbetörte wähnt, Gott in sich zu haben und mit ihm zu reden. Aber so wahr Gott uns umfaßt und in uns wohnt: wir haben ihn in uns nie. Und wir reden mit ihm nur, wenn es in uns nicht mehr redet.

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* Ein moderner Philosoph meint, jeder Mensch glaube notwendig entweder an Gott oder an »Götzen«, das heißt an irgendein endliches Gut – seine Nation, seine Kunst, die Macht, das Wissen, den Gelderwerb, die »immer neue Überwältigung des Weibes« –, das ihm zum absoluten Wert geworden sei und sich zwischen ihn und Gott gestellt habe; man brauche ihm nur die Bedingtheit dieses Gutes zu erweisen, den Götzen zu »zerschmettern«, und der abgelenkte religiöse Akt kehre von selbst zu dem ihm gemäßen Gegenstand zurück. Diese Auffassung setzt voraus, daß das Verhältnis des Menschen zu den von ihm »vergötzten« endlichen Gütern dem zu Gott im Wesen gleich und nur am Gegenstand verschieden sei; denn nur dann könnte die bloße Substitution des rechten Gegenstandes für den falschen den Fehlgehenden erretten. Aber das Verhältnis eines Menschen zu dem »besonderen Etwas«, das sich den höchsten Wertthron seines Lebens anmaßt und die Ewigkeit verdrängt, ist stets auf Erfahren und Gebrauchen eines Es, eines Dings, eines Genußobjektes gerichtet. Denn nur dieses Verhältnis kann den Ausblick auf Gott versperren: durch die undurchdringliche Eswelt; die dusagende Beziehung eröffnet ihn immer wieder. Wer von dem Götzen, den er gewinnen, haben und behalten will, beherrscht, von einem Besitzenwollen besessen ist, hat keinen Weg zu Gott als die Umkehr, die eine Änderung nicht des Ziels allein, sondern der

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Bewegungsart ist. Man heilt den Besessenen, indem man ihn zur Verbundenheit erweckt und erzieht, nicht indem man seine Besessenheit auf Gott hinleitet. Wenn einer in der Verfassung der Besessenheit bleibt, was bedeutet es, daß er nicht mehr den Namen eines Dämons oder eines ihm dämonisch verzerrten Wesens, sondern den Gottes anruft? Es bedeutet, daß er nunmehr lästert. Es ist Lästerung, wenn einer, nachdem der Götze hinterm Altar hinstürzte, das auf dem entweihten aufgeschichtete unheilige Opfer Gott darbringen will. Wer ein Weib, ihr Leben im eignen vergegenwärtigend, liebt: das Du ihrer Augen läßt ihn in einen Strahl des ewigen Du schauen. Aber wer nach der »immer neuen Überwältigung« begierig ist, – seiner Begier wollt ihr ein Phantom des Ewigen hinhalten? Wer einem Volk, aufglühend im unermeßlichen Schicksal, dient: wenn er sich ihm hingeben will, meint er Gott. Wem aber die Nation ein Götze ist, dem er alles dienstbar machen möchte, weil er in dessen Bild das eigne erhöht, – meint ihr, ihr brauchtet es ihm nur zu verleiden und er schaute die Wahrheit? Und was soll es gar heißen, daß einer das Geld, das leibhafte UnWesen, behandle »als wäre es Gott«? Was hat die Wollust des Erraffens und Schatzhütens mit der Freude an der Gegenwart des Gegenwärtigen gemein? Kann der Mammonsknecht zum Geld Du sagen? Und was soll er mit Gott anfangen, wenn er nicht Du zu sagen versteht? Er kann nicht zwei Herren dienen – auch nicht einem nach dem andern; er muß erst a n d e r s dienen lernen. Der durch die Substitution Bekehrte »hat« nun ein Phantom, das er Gott nennt. Gott aber, die ewige Gegenwart, läßt sich nicht haben. Wehe dem Besessenen, der Gott zu besitzen meint! *

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Man spricht von dem »religiösen« Menschen als einem, der in keiner Beziehung zur Welt und zu den Wesen zu stehen brauche, weil die Stufe des Sozialen, das von außen bestimmt werde, hier durch eine von innen allein wirkende Kraft überstiegen sei. Aber unter dem Begriff des Sozialen wird zweierlei Grundverschiednes verquickt: die sich aus der Beziehung aufbauende Gemeinschaft und die Massierung beziehungsloser Mensch-Einheiten, die handgreiflich gewordene Beziehungslosigkeit des modernen Menschen. Der lichte Bau der Gemeinschaft aber, zu dem auch noch aus dem Verlies der »Sozialität« eine Befreiung führt, ist das Werk derselben Kraft, die in der Beziehung zwischen Mensch und Gott wirkt. Es ist jedoch diese nicht eine Beziehung neben den andern; sie ist die Allbeziehung, in die alle Ströme sich ausgießen, ohne darum zu ver-

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siegen. Meer und Ströme – wer will hier scheiden und Grenzen bestimmen? Da ist nur das Eine Fluten von Ich zu Du, immer unendlicher, die Eine grenzenlose Flut des Wirklichen Lebens. Man kann sein Leben nicht zwischen eine wirkliche Beziehung zu Gott und ein unwirkliches Ich-EsVerhältnis zur Welt aufteilen, – zu Gott wahrhaft beten und die Welt benützen. Wer die Welt als das zu Benützende kennt, kennt auch Gott nicht anders. Sein Gebet ist eine Entlastungsprozedur; es fällt ins Ohr der Leere. Er – nicht der »Atheist«, der aus der Nacht und Sehnsucht seines Kammerfensters das Namenlose anspricht – ist der Gottlose. Des weitern sagt man, der »religiöse« Mensch trete als Einzelner, als Einziger, als Abgelöster vor Gott, weil er auch die Stufe des »Sittlichen« überschritten habe, der noch in Pflicht und Schuld der Welt stehe. Der freilich sei noch mit der Verantwortung für das Handeln der Handelnden beladen, weil er nämlich ganz bestimmt sei von der Spannung zwischen Sein und Seinsollen, und in die unausfüllbare Kluft zwischen beiden werfe er in grotesk aussichtslosem Opfermut Stück um Stück seines Herzens. Der »Religiöse« aber sei jener Spannung in die zwischen Welt und Gott entstiegen; da herrsche das Gebot, die Unruhe der Verantwortlichkeit und auch die des Von-sich-forderns abzustreifen, da gebe es kein eigenes Wollen, nur noch das in die Fügung Gefügtsein, da gehe alles Sollen im unbedingten Sein auf, und die Welt bestehe wohl noch, aber sie gelte nicht mehr; man habe das Seine in ihr zu verrichten, doch gleichsam unverbindlich, im Aspekt der Nichtigkeit alles Tuns. Aber das heißt meinen, Gott habe seine Welt zum Schein und seinen Menschen zum Taumel geschaffen. Wohl hat, der vor das Angesicht tritt, Pflicht und Schuld überflogen – aber nicht weil er sich von der Welt entfernt: weil er sich ihr wahrhaft genähert hat. Pflichtig und schuldig ist man nur dem Fremden: dem Vertrauten ist man geneigt und liebevoll. Wer vor das Angesicht tritt, in der Fülle der Gegenwart wird ihm erst, von der Ewigkeit erleuchtet, die Welt ganz gegenwärtig, und er kann in Einem Spruch zur Wesenheit aller Wesen Du sagen. Da ist keine Spannung mehr zwischen Welt und Gott, nur die Eine Wirklichkeit. Der Verantwortung ist er nicht ledig geworden: er hat für die Pein der endlichen, den Wirkungen nachspürenden, die Schwungkraft der unendlichen eingetauscht, die Gewalt der Liebesverantwortung für das ganze, unaufspürbare Weltgeschehen, das tiefe Welteinbezogensein im Angesicht Gottes. Das sittliche Urteilen hat er freilich für immer abgetan: der »Böse«, das ist nur eben der ihm zu tieferer Verantwortung Empfohlene, der Liebesbedürftigere; aber das Sichentscheiden wird er in den Tiefen der Spontaneität üben müssen bis an den Tod, das gelassene Sich-immer-wieder-entscheiden zum rechten Tun. Da ist das Tun nicht nichtig; es ist gemeint, es ist aufgetragen, es

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wird gebraucht, es gehört zur Schöpfung; aber dieses Tun legt sich der Welt nicht mehr auf, es wächst an ihr daher, wie wenn es Nichttun wäre. *

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Was ist das ewige: das im Jetzt und Hier gegenwärtige Urphänomen dessen, was wir Offenbarung nennen? Es ist dies, daß der Mensch aus dem Moment der höchsten Begegnung nicht als der gleiche hervorgeht, als der er in ihn eingetreten ist. Der Moment der Begegnung ist nicht ein »Erlebnis«, das sich in der empfänglichen Seele erregt und selig rundet: es geschieht da etwas am Menschen. Das ist zuweilen wie ein Anhauch, zuweilen wie ein Ringkampf, gleichviel: es geschieht. Der Mensch, der aus dem Wesensakt der reinen Beziehung tritt, hat in seinem Wesen ein Mehr, ein Hinzugewachsenes, von dem er zuvor nicht wußte und dessen Ursprung er nicht rechtmäßig zu bezeichnen vermag. Wie immer die wissenschaftliche Weltorientierung in ihrem befugten Streben nach einer lückenlosen Ursächlichkeit die Herkunft des Neuen einreiht: uns, denen es um die wirkliche Betrachtung des Wirklichen geht, kann kein Unterbewußtsein und kein andrer Seelenapparat taugen. Die Wirklichkeit ist, daß wir empfangen, was wir zuvor nicht hatten, und es so empfangen, daß wir wissen: es ist uns gegeben worden. In der Sprache der Bibel: »Die auf Gott harren, werden Kraft eintauschen.« In der Sprache Nietzsches, der der Wirklichkeit in seinem Bericht noch treu ist: »Man nimmt, man fragt nicht, wer da gibt.« Der Mensch empfängt, und er empfängt nicht einen »Inhalt«, sondern eine Gegenwart, eine Gegenwart als Kraft. Diese Gegenwart und Kraft schließt dreierlei ein, ungeschieden, und doch so, daß wir es als drei gesondert betrachten dürfen. Zum ersten die ganze Fülle der wirklichen Gegenseitigkeit, des Aufgenommenwerdens, des Verbundenseins; ohne daß man irgend anzugeben vermöchte, wie das beschaffen sei, womit man verbunden ist, und ohne daß das Verbundensein einem das Leben irgend erleichterte – es macht das Leben schwerer, aber es macht es sinnschwer. Und das ist das zweite: die unaussprechliche Bestätigung des Sinns. Er ist verbürgt. Nichts, nichts kann mehr sinnlos sein. Die Frage nach dem Sinn des Lebens ist nicht mehr da. Aber wenn sie da wäre, wäre sie nicht etwa zu beantworten. Du weißt den Sinn nicht aufzuzeigen und weißt ihn nicht zu bestimmen, du hast keine Formel und hast kein Bild für ihn, und doch ist er dir gewisser als die Empfindungen deiner Sinne. Was meint er nur mit uns, was begehrt er von uns, der offenbarte und verhohlene? Nicht gedeutet – das vermögen wir nicht –, nur getan will er von uns werden. Dies ist das dritte: es ist nicht der Sinn eines »andern

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Lebens«, sondern dieses unseres Lebens, nicht der eines »Drüben«, sondern dieser unserer Welt, und er will in diesem Leben, an dieser Welt von uns bewährt werden. Der Sinn kann empfangen werden, aber er kann nicht erfahren werden; er kann nicht erfahren werden, aber er kann getan werden; und dies meint er mit uns. Die Bürgschaft will nicht in mir verschlossen, sondern durch mich in die Welt geboren werden. Aber wie der Sinn selber sich nicht übertragen, nicht zu einem allgemein gültigen und allgemein annehmbaren Wissen ausprägen läßt, so kann seine Bewährung nicht als ein geltendes Sollen tradiert werden, sie ist nicht vorgeschrieben, sie steht auf keiner Tafel verzeichnet, die über aller Köpfen aufzurichten wäre. Zu bewähren vermag den empfangenen Sinn jeder nur mit der Einzigkeit seines Wesens und in der Einzigkeit seines Lebens. Wie uns zur Begegnung keine Vorschrift führen kann, so führt auch aus ihr keine. Wie es zum Zu-ihr-kommen nur der Akzeptation der Gegenwart bedarf, so in einem neuen Sinn im Aus-ihr-gehen. Wie man mit dem bloßen Du auf den Lippen in die Begegnung gelangt, so wird man mit ihm auf den Lippen aus ihr zur Welt entlassen. Das wovor wir leben, das worin wir leben, woraus und worein wir leben, das Geheimnis: es ist geblieben, was es war. Es ist uns gegenwärtig geworden und hat sich mit seiner Gegenwart uns kundgetan als das Heil, wir haben es »erkannt«, aber wir haben keine Erkenntnis von ihm, die uns seine Geheimnishaftigkeit minderte – milderte. Wir sind Gott nahe gekommen, aber einer Enträtselung, Entschleierung des Seins nicht näher. Erlösung haben wir verspürt, aber keine »Lösung«. Was wir empfangen haben, damit können wir nicht zu den andern gehen und sagen: Dieses ist zu wissen, dieses ist zu tun. Wir können nur gehen und bewähren. Und auch dies »sollen« wir nicht – wir können – wir müssen. Das ist die ewige, die im Jetzt und Hier gegenwärtige Offenbarung. Ich weiß von keiner, die nicht im Urphänomen die gleiche wäre, ich glaube an keine. Ich glaube nicht an eine Selbstbenennung Gottes, nicht an eine Selbstbestimmung Gottes vor den Menschen. Das Wort der Offenbarung ist: Ich bin der ich bin. Das Offenbarende ist das Offenbarende. Das Seiende ist, nichts weiter. Der ewige Kraftquell strömt, die ewige Berührung harrt, die ewige Stimme tönt, nichts weiter. * Das ewige Du kann seinem Wesen nach nicht zum Es werden; weil es seinem Wesen nach nicht in Maß und Grenze, auch nicht in das Maß des Unermeßlichen und die Grenze des Unbegrenztseins gesetzt werden kann; weil es seinem Wesen nach nicht als eine Summe von Eigenschaf-

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ten, auch nicht als eine unendliche Summe zur Transzendenz erhobner Eigenschaften gefaßt werden kann; weil es weder in noch außer der Welt vorgefunden werden kann; weil es nicht erfahren werden kann; weil es nicht gedacht werden kann; weil wir uns an ihm, dem Seienden, verfehlen, wenn wir sagen: »Ich glaube, daß er ist« – auch »er« ist noch eine Metapher, »du« aber nicht. Und doch machen wir das ewige Du immer wieder zum Es, zum Etwas, machen Gott zum Ding – unserm Wesen nach. Nicht aus Willkür. Die dingliche Geschichte Gottes, der Gang des Gott-Dings durch die Religion und ihre Randgebilde, durch ihre Erleuchtungen und Verfinsterungen, ihre Lebenserhöhungen und -zerstörungen, der Gang vom lebendigen Gott weg und wieder zu ihm hin, die Wandlungen von Gegenwart, Eingestaltung, Vergegenständlichung, Verbegrifflichung, Auflösung, Erneuerung sind ein Weg, sind der Weg. Das ausgesagte Wissen und das gesetzte Tun der Religionen – woher kommen sie? Die Gegenwart und Kraft der Offenbarung (denn alle berufen sich notwendig auf irgendeine Art der Offenbarung, worthafte, naturhafte, seelenhafte – es gibt nur Offenbarungsreligionen), die Gegenwart und Kraft, die der Mensch in der Offenbarung empfängt, wie werden sie zu »Inhalt«? Die Erklärung hat zwei Schichten. Die äußere, psychische erkennen wir, wenn wir den Menschen für sich, von der Geschichte abgelöst betrachten, die innere, faktische, das Urphänomen der Religion, wenn wir ihn sodann in die Geschichte wiedereinstellen. Beide gehören zusammen. Der Mensch begehrt, Gott zu haben; er begehrt nach einer Kontinuität des Gotthabens in der Zeit und im Raum. Er will sich mit der unaussprechlichen Bestätigung des Sinns nicht begnügen, er will sie ausgebreitet sehen als etwas, was man immer wieder vornehmen und handhaben kann, ein zeitlich und räumlich lückenloses Kontinuum, das sein Leben an jedem Punkt und in jedem Moment versichert. Der Lebensrhythmus der reinen Beziehung, der Wechsel von Aktualität und einer Latenz, in der nur unsre Beziehungskraft und darum die Gegenwart, nicht aber die Urpräsenz abnimmt, genügt dem Kontinuitätsdurst des Menschen nicht. Er verlangt nach zeitlicher Ausbreitung, nach Dauer. So wird Gott zum Glaubensobjekt. Ursprünglich ergänzt der Glaube in der Zeit die Beziehungsakte; allmählich ersetzt er sie. An die Stelle der stets erneuten Wesensbewegung der Einsammlung und des Ausgehens tritt das Ruhen in einem geglaubten Es. Die Dennoch-Zuversicht des Kämpfers, der Gottferne und Gottnähe kennt, verwandelt sich

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immer vollständiger in die Sicherheit des Nutznießers, ihm könne nichts geschehen, weil er glaube, daß Einer sei, der ihm nichts geschehen lasse. Auch die Lebensstruktur der reinen Beziehung, die »Einsamkeit« des Ich vor dem Du, das Gesetz, daß der Mensch, wie er auch die Welt in die Begegnung einbezieht, doch nur als Person zu Gott ausgehn und ihm begegnen kann, tut dem Kontinuitätsdurst des Menschen nicht Genüge. Er verlangt nach räumlicher Ausbreitung, nach der Darstellung, in der sich die Gemeinschaft der Gläubigen mit ihrem Gott vereint. So wird Gott zum Kultobjekt. Auch der Kult ergänzt ursprünglich die Beziehungsakte: indem er das lebendige Gebet, das unmittelbare Dusagen, in einen räumlichen Zusammenhang von großer Bildkraft einfügt und mit dem Leben der Sinne verknüpft; und auch er wird allmählich zum Ersatz, indem das persönliche Gebet vom Gemeindegebet nicht mehr getragen, sondern verdrängt wird und, da nun einmal die Wesenstat keine Regel zuläßt, die geregelte Andacht an ihre Stelle tritt. In Wahrheit aber kann die reine Beziehung zu raumzeitlicher Stetigkeit nur auferbaut werden, indem sie sich an der ganzen Materie des Lebens verleiblicht. Sie kann nicht bewahrt, nur bewährt, sie kann nur getan, nur in das Leben eingetan werden. Der Mensch kann der Beziehung zu Gott, deren er teilhaftig geworden ist, nur gerecht werden, wenn er nach seiner Kraft, nach dem Maß jedes Tages neu Gott in der Welt verwirklicht. Darin liegt die einzige echte Bürgschaft der Kontinuität. Die echte Bürgschaft der Dauer besteht darin, daß die reine Beziehung erfüllt werden kann im Duwerden der Wesen, in ihrer Erhebung zum Du, daß das heilige Grundwort sich in allen austönt; so bildet sich die Zeit des Menschenlebens zu einer Fülle der Wirklichkeit auf, und ob es auch das Esverhältnis nicht überwinden kann und soll, ist das Menschenleben dann so von Beziehung durchwirkt, daß sie in ihm eine strahlende, durchstrahlende Stetigkeit gewinnt; die Momente der höchsten Begegnung sind da nicht Blitze in der Finsternis, sondern wie aufsteigender Mond in einer klaren Sternennacht. Und so besteht die echte Bürgschaft der Raumstetigkeit darin, daß die Beziehungen der Menschen zu ihrem wahren Du, die Radien, die von all den Ichpunkten zur Mitte ausgehn, einen Kreis schaffen. Nicht die Peripherie, nicht die Gemeinschaft ist das erste, sondern die Radien, die Gemeinsamkeit der Beziehung zur Mitte. Sie allein gewährleistet den echten Bestand der Gemeinde. Nur wenn diese beiden entstehen und nur solang sie bestehen, die Bindung der Zeit im beziehungsgemäßen Heilsleben und die Bindung des Raums in der mittegeeinten Gemeinde, nur dann entsteht und nur so lang besteht um den unsichtbaren Altar, aus dem Weltstoff des Äons

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im Geist gefaßt, ein grenzhafter, formhafter, menschlicher Kosmos, eine heimische, haushafte Welt, eine Weltbehausung des Menschen. Die Gottesbegegnung widerfährt dem Menschen nicht, auf daß er sich mit Gott befasse, sondern auf daß er den Sinn an der Welt bewähre. Alle Offenbarung ist Berufung und Sendung. Aber wieder und wieder vollzieht der Mensch statt der Verwirklichung eine Rückbiegung auf den Offenbarenden; er will sich statt mit der Welt mit Gott befassen. Nur steht ihm nun, dem Rückgebogenen, kein Du mehr gegenüber, er kann nichts anderes als ein Gottes-Es in die Dinglichkeit einstellen, von Gott als von einem Es zu wissen glauben und von ihm reden. Wie der ichsüchtige Mensch, statt irgend etwas, eine Wahrnehmung, eine Zuneigung, unmittelbar zu leben, auf sein wahrnehmendes oder zugeneigtes Ich reflektiert und damit die Wahrheit des Vorgangs verfehlt, so reflektiert der gottsüchtige Mensch (der sich übrigens mit jenem recht gut in einer Seele verträgt), statt die Gabe sich auswirken zu lassen, auf das Gebende, und verfehlt beides. Im Ausgesandtsein bleibt Gott dir Gegenwart; der in der Sendung Wandelnde hat Gott stets vor sich: je treuer die Erfüllung, um so stärker und stetiger die Nähe; befassen kann er sich freilich mit Gott nicht, aber unterreden kann er sich mit ihm. Die Rückbiegung dagegen macht Gott zum Gegenstand. Ihre scheinbare Hinwendung zum Urgrund gehört in Wahrheit zur Weltbewegung der Abwendung, wie die scheinbare Abwendung des die Sendung Erfüllenden in Wahrheit zur Weltbewegung der Hinwendung gehört. Denn die beiden metakosmischen Grundbewegungen der Welt: die Ausbreitung in das Eigensein und die Umkehr zur Verbundenheit finden ihre höchste menschliche Gestalt, die eigentliche Geistesform ihres Kampfs und Ausgleichs, ihrer Mischung und Entmischung in der Geschichte des menschlichen Verhältnisses zu Gott. In der Umkehr wird das Wort auf Erden geboren, in der Ausbreitung verpuppt es sich zur Religion, in neuer Umkehr gebiert es sich neu beflügelt wieder. Nicht Willkür waltet hier; ob auch die Bewegung zum Es zuweilen so weit geht, daß sie die des Wiederausgehns zum Du niederhält und zu ersticken droht. Die gewaltigen Offenbarungen, auf die sich die Religionen berufen, sind der stillen wesensgleich, die sich allerorten und allezeit begibt. Die gewaltigen Offenbarungen, die im Anfang großer Gemeinschaften, in den Wenden der Menschenzeit stehen, sind nichts anderes als die ewige Offenbarung. Aber die Offenbarung schüttet sich ja nicht durch ihren Empfänger wie durch einen Trichter in die Welt, sie tut sich ihm an, sie ergreift sein ganzes Element in all seinem Sosein und verschmilzt damit.

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Auch der Mensch, der »Mund« ist, ist eben dies, nicht Sprachrohr, – nicht Werkzeug, sondern Organ, eigengesetzliches lautendes Organ, und lauten heißt umlauten. Es gibt aber eine qualitative Verschiedenheit der Geschichtszeiten. Es gibt ein Reifwerden der Zeit, wo das niedergehaltene, verschüttete wahre Element des Menschengeistes zu unterirdischer Bereitschaft gerät, in solcher Drängung und solcher Spannung, daß es nur einer Berührung des Berührenden harrt, um hervorzubrechen. Die Offenbarung, die da erscheint, ergreift das ganze bereite Element in all seiner Beschaffenheit, sie schmilzt es um und treibt darin eine Gestalt, eine neue Gestalt Gottes in der Welt. So aber wird im Weg der Geschichte, in den Wandlungen des menschlichen Elements immer neuer Bezirk der Welt und des Geistes in die Gestalt gehoben, zur göttlichen Gestalt berufen. Immer neue Sphären werden zum Ort der Theophanie. Es ist nicht Eigenmacht des Menschen, die hier wirkt, es ist auch nicht reiner Durchgang Gottes, es ist Mischung von Göttlichem und Menschlichem. Der in der Offenbarung Ausgesandte nimmt in seinen Augen ein Gottesbild mit – so übersinnenhaft es ist, er nimmt es im Auge seines Geistes mit, in der gar nicht metaphorischen, ganz wirklichen Augenkraft seines Geistes. Der Geist antwortet auch durch ein Schauen, durch ein b i l d e n d e s Schauen. Ob wir Irdischen auch nie Gott ohne Welt, nur die Welt in Gott schauen, schauend bilden wir ewig Gottes Gestalt. Gestalt ist Mischung auch von Du und Es. Sie kann in Glauben und Kult zum Gegenstand erstarren; aber aus der Essenz der Beziehung, die in ihr fortlebt, wird sie immer wieder zur Gegenwart. Gott ist seinen Gestalten nah, solang sie der Mensch ihm nicht entrückt. Im wahren Gebet vereinigen und reinigen sich Kult und Glaube zur lebendigen Beziehung. Daß das wahre Gebet in den Religionen lebt, ist das Zeugnis ihres wahren Lebens; solang es in ihnen lebt, leben sie. Entartung der Religionen bedeutet die Entartung des Gebets in ihnen: die Beziehungskraft wird in ihnen immer mehr von der Gegenständlichkeit verschüttet, es wird in ihnen immer schwerer, mit dem ganzen, ungeteilten Wesen Du zu sagen, und der Mensch muß endlich, um es zu können, aus der falschen Geborgenheit in das Wagnis des Unendlichen, aus der nur noch von der Tempelkuppel, nicht auch vom Firmament überwölbten Gemeinschaft in die letzte Einsamkeit ziehen. Es heißt diesen Antrieb zutiefst verkennen, wenn man ihn dem »Subjektivismus« zurechnet: das Leben im Angesicht ist das Leben in der Einen Wirklichkeit, dem einzigen wahren »Objektivum«, und der ausziehende Mensch will sich in das wahrhaft seiende vor dem scheinhaften, illusionären Objektivum ret-

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ten, ehe es ihm seine Wahrheit verstört hat. Subjektivismus ist Verseelung, Objektivismus Vergegenständlichung Gottes, dieser falsche Verfestigung, jener falsche Befreiung, beides Abbiegung vom Weg der Wirklichkeit, beides Ersatzversuch für sie. Gott ist seinen Gestalten nah, wenn der Mensch sie ihm nicht entrückt. Wenn aber die ausbreitende Bewegung der Religion die umkehrende niederhält und die Gestalt Gott entrückt, verlischt das Antlitz der Gestalt, ihre Lippen sind tot, ihre Hände hängen herab, Gott kennt sie nicht mehr, und das Welthaus, das um ihren Altar gebaut ist, der geistgefaßte Kosmos zerfällt. Und es gehört zu dem, was da geschieht, daß der Mensch in der Verstörung seiner Wahrheit nicht mehr sieht, was da geschehen ist. Zersetzung des Worts ist geschehen. Das Wort ist in der Offenbarung wesend, im Leben der Gestalt wirkend, in der Herrschaft der erstorbenen wird es geltend. So die Bahn und Widerbahn des ewigen und ewig gegenwärtigen Worts in der Geschichte. Die Zeiten, in denen das wesende Wort erscheint, sind die, in denen sich die Verbundenheit von Ich und Welt erneuert; die Zeiten, in denen das wirkende Wort regiert, sind die, in denen sich das Einvernehmen zwischen Ich und Welt erhält; die Zeiten, in denen das Wort geltend wird, sind die, in denen sich die Entwirklichung, die Verfremdung zwischen Ich und Welt, das Werden des Verhängnisses vollzieht – bis der große Schauder kommt, und das Atemanhalten im Dunkel, und das bereitende Schweigen. Aber die Bahn ist kein Kreislauf. Sie ist der Weg. Das Verhängnis wird in jedem neuen Äon erdrückender, die Umkehr sprengender. Und die Theophanie wird immer n ä h e r, sie nähert sich immer mehr der Sphäre z w i s c h e n d e n We s e n : nähert sich dem Reich, das in unsrer Mitte, im Dazwischen sich birgt. Die Geschichte ist eine geheimnisvolle Annäherung. Jede Spirale ihres Wegs führt uns in tiefres Verderben und in grundhaftere Umkehr zugleich. Das Ereignis aber, dessen Weltseite Umkehr heißt, dessen Gottesseite heißt Erlösung.

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Kraft und Richtung, Klugheit und Weisheit (Aus einem Brief) Kraft ist gewiß nicht eine Richtung. Vielmehr ermangelt und bedarf sie der Richtung so sehr, daß sie ohne Die ein Wirbel bleibt; und sogar in ihrer höchsten Gestalt, als Mächtigkeit der Person, wirbelt sie so lange ein und aus, als sie der Richtung auf das Eine, das eben nicht in dieser Person befaßt sein kann, entbehrt. Und Klugheit? Klugheit ist ein System vieler kleiner Kreislinien, unzähliger winziger Zweckkreise, die im Getriebe entstehen, sich runden, verlaufen sind, und weiter und weiter so, bis das Leben in den Tod verläuft. Weisheit freilich – ja, wie ist das mit der Weisheit? Sie ist eine große Kreislinie. Vermißt sie sich des Unmöglichen, Unsinnigen: von der Mitte des Kreises aus, als könnte sie ihren Sitz darin haben, sich auf die Peripherie hinzurichten, dann kann sie der Unendlichkeit der Wahrheitspunkte gegenüber, die sich vor ihr auftut, nichts andres mehr üben als die sythetische Scheinfunktion; sie wird zum Weisheitswahn. Vergegenwärtigt sie aber die Konkretheit irgend eines der Punkte und verwirklicht die ihnen allen gemeinsame Eine Richtung, die auf die Mitte hin, die radiale Dynamik, dann geht sie, sie selber, die Weisheit, zur Liebe ein, muß nun sich, muß die Liebe erfüllen am menschlichen Du, das je und je im konkreten Lebensaugenblick ihr das Du der Mitte, das Du Gottes, zu vertreten berufen ist. Und um die Liebe wahrhaft zu erfüllen, bedarf sie der Mächtigkeit, die nun erst, indem auch sie in der Liebe aufgeht, ihre Richtung und damit ihre Wesenheit, ihre Seele gewonnen hat.

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Zeitweilige Zwangsgebundenheit kann eine Wohltat werden; wenn sie den Menschen zu einer anderen Art von Freiheit führt, als er sie vorher kannte. Zu einer Freiheit, die nicht mehr mit den Möglichkeiten des Handelns spielt, sich an ihnen versucht, in sie hinein abenteuert; die nicht mehr Willkür übt. Zu der Freiheit, die aus dem Wirbel der Möglichkeiten je und je sich die Richtung erringt, sich in der Entscheidung bewährt, auf die wechselnden Situationen des Lebens eingeht und antwortet; die also Verantwortung übt.

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Zwiesprache

An Paula Zwiesprache wars und ists mit dir

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Erster Abschnitt Beschreibung Urerinnerung In allerlei Abwandlungen kehrt mir, zuweilen nach einem Zwischenraum von mehreren Jahren, der gleiche Traum wieder. Ich nenne ihn den Traum vom Doppelruf. Seine Umwelt bleibt sich stets darin ähnlich, daß es eine apparatarme, »primitive« Welt ist: ich befinde mich in einer großen Höhle, wie die Syrakuser Latomien, oder in einem Lehmbau, der mich im Erwachen an die Fellachendörfer erinnert, oder aber auch am Saum eines riesenhaftes Waldes, dessengleichen gesehen zu haben ich mich nicht entsinne. Der Traum beginnt auf sehr verschiedene Weise, immer aber damit, daß mir etwas Außergewöhnliches widerfährt, zum Beispiel, daß ein kleines, löwenjungenähnliches Tier, dessen Namen ich im Traum, aber nicht im Erwachen kenne, mir den Arm zerfleischt und von mir nur mit Mühe bezwungen wird. Das Seltsame nun ist, daß dieser erste und sowohl der Dauer wie der äußeren Bedeutung der Vorgänge nach weitaus belangreichste Teil der Traumgeschichte stets in einem jagenden Tempo abgespielt wird, als komme es auf ihn nicht an. Dann verlangsamt es sich plötzlich: ich stehe da und rufe. Meiner wachbewußten Übersicht der Ereignisse nach müßte ich ja annehmen, daß der Ruf, je nach dem, was ihm vorausging, einmal freudig, einmal schreckhaft und einmal wohl zugleich schmerzlich und triumphierend sei. Aber mein Gedächtnis am Morgen meldet ihn mir nicht so gefühlsbetont und wandlungsreich; es ist jedesmal derselbe Ruf, nicht artikuliert, aber rhythmisch streng, ab und wieder ansetzend, schwellend bis zu einer Fülle, die meine wache Kehle nicht trüge, lang und langsam, ganz langsam und sehr lang, ein Lied-Ruf – wenn er endet, stockt mir der Herzschlag. Dann aber erregt sich irgendwo, in der Ferne, auf mich zu ein anderer Ruf, ein anderer und der gleiche, der gleiche von einer anderen Stimme gerufen oder gesungen, dennoch nicht der gleiche, nein, ganz und gar nicht ein »Widerhall« des meinen, vielmehr sein wahrer Gegenhall, Ton um Ton die meinen nicht, auch nicht abgeschwächt, wiederholend, sondern den meinen entsprechend, entgegnend, – so sehr, daß die meinen, die eben erst meinem eigenen Ohr durchaus nicht fragend klangen, nun als Fragen, als eine lange Reihe von Fragen erscheinen, die jetzt alle eine Antwort empfangen, unausdeutbar so Antwort wie Frage. Und doch scheinen die dem einen gleichen Ruf entgegnenden Rufe einander nicht zu gleichen. Die Stimme ist jedesmal eine neue. Wie nun aber die Er-

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Erster Abschnitt: Beschreibung

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widerung zu Ende ist, im ersten Nu nach ihrem abscheidenden Schall, gerät eine Gewißheit, eine echte Traumgewißheit über mich: Nun ist es geschehen. Nichts weiter, nur eben dies, gerade so: Nun ist es geschehen. Wenn ich es zu erklären versuchen soll, bedeutet es, daß jene Begebenheit, die meinen Ruf erzeugte, jetzt erst, mit dem Gegenhall, sich wirklich und unanzweifelbar begeben hat. So ist der Traum jedesmal wiedergekehrt – bis auf eins, das letzte Mal, nun vor zwei Jahren. Erst war’s wie sonst (es war der Traum mit dem Tier), mein Ruf verklang, wieder stand das Herz mir still. Dann aber war Stille. Kein Gegenruf kam. Ich horchte hin, erhorchte keinen Laut. Ich erwartete nämlich, zum erstenmal, die Antwort, die mich sonst stets, als hätte ich sie nie zuvor erfahren, überrascht hatte; und die erwartete blieb aus. Nun jedoch geschah etwas mit mir: als hätte ich bisher keine anderen Zugangswege von der Welt zur Empfindung gehabt, als die über die Ohren führen, jetzt aber entdeckte ich mich als schlechthin mit Sinnen, organbekleideten und nackten, ausgestattetes Wesen, so reichte ich mich offen, zu aller Empfangnahme, Wahrnahme aufgeschlossen, an die Ferne. Und da kam, nicht aus ihr, sondern aus der Luft nah um mich, lautlos die Antwort. Eigentlich kam sie nicht, sie war da. Sie war – so darf ich wohl erklärend sagen – schon vor meinem Ruf dagewesen, war überhaupt da und ließ sich nun, da ich mich ihr auftat, von mir empfangen. Ich habe sie so vollständig wahrgenommen wie nur je den Gegenhall in einem der früheren Träume. Wenn ich berichten sollte, womit, würde ich berichten müssen: mit allen Poren meines Leibes. Wie nur je der Gegenhall in einem der früheren Träume, entsprach, entgegnete sie. Sie übertraf ihn noch in einer ungekannten, schwer zu bezeichnenden Vollkommenheit: eben daß sie schon da war. Als ich geendet hatte sie aufzunehmen, verspürte ich wieder, glockenhafter als je, jene Gewißheit: Nun ist es geschehen. Das mitteilende Schweigen Wie auch das eifrigste Aufeinanderzu-Reden kein Gespräch ausmacht (am deutlichsten zeigt das jener absonderliche Sport einigermaßen denkbegabter Menschen, den man zutreffend Diskussion, Auseinanderschlagung, nennt), so bedarf es hinwieder zu einem Gespräch keines Lauts, nicht einmal einer Gebärde. Sprache kann sich aller Sinnenfälligkeit begeben und bleibt Sprache. Ich meine natürlich nicht das zärtliche Ineinanderschweigen der Liebesleute, das in einem Blick, ja in der bloßen Gemeinsamkeit eines be-

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ziehungsreichen Vorsichhinsehens sich an Äußerung und Einvernehmen genugtun kann. Aber auch nicht das mystische Miteinanderschweigen meine ich, wie es von dem Franziskusjünger Ägidius und Ludwig von Frankreich (oder fast ebenso von zwei chassidischen Rabbis) berichtet wird, die in einer einmaligen Zusammenkunft kein Wort redeten, sondern »im Spiegel des göttlichen Angesichts stehend« einander erfuhren; denn auch hier noch ist Gebärde, eine körperliche Haltung des einen zum andern, äußernd. Was ich meine, will ich an einem Beispiel verdeutlichen. Man stelle sich zwei Männer vor, in irgendeiner Einsamkeit der Welt nebeneinander sitzend. Sie reden nicht miteinander, sie sehen einander nicht an, sie haben sich nicht einmal einander zugewandt. Sie sind nicht miteinander vertraut, einer weiß nichts vom Lebenslauf des andern, heute frühmorgens auf der Wanderschaft haben sie einander kennen gelernt. Keiner denkt in diesem Augenblick an den andern; wir brauchen nicht zu wissen, woran sie denken. Der eine sitzt auf der gemeinsamen Bank so, wie es offenbar seine Art ist: gelassen, allem gastfrei zugeneigt, was kommen mag; sein Wesen scheint zu sagen, es sei zu wenig, bereit zu sein, man müsse auch wirklich da sein. Der andere: seine Haltung verrät ihn nicht, er ist ein gehaltener, verhaltener Mann; aber wer um ihn weiß, weiß, daß ein Kindheitsbann auf ihm liegt, daß seine Verhaltenheit noch anderes als Haltung ist, hinter aller Haltung lagert das undurchdringliche Sich-nicht-mitteilen-können. Und nun – stellen wir uns vor, daß dies eine der Stunden ist, die es fertigbringen, die sieben Eisenbande um unser Herz aufzubrechen – löst sich unversehens der Bann. Aber auch jetzt spricht der Mann kein Wort, rührt keinen Finger. Dennoch tut er etwas. Die Lösung hat sich ohne sein Tun an ihm ereignet, gleichviel woher; jetzt aber tut er dies, daß er einen Rückhalt, über den nur er selber Macht hat, in sich aufhebt. Rückhaltlos strömt die Mitteilung aus ihm, und das Schweigen trägt sie zu seinem Nachbarn, dem sie ja doch zugedacht war und der sie, wie alles echte Schicksal, das ihm begegnet, rückhaltlos aufnimmt. Er wird niemand, auch nicht sich selbst, erzählen können, was er erfahren hat. Was »weiß« er nun vom andern? Es bedarf keines Wissens mehr. Denn wo Rückhaltlosigkeit zwischen Menschen, sei es auch wortlose, gewaltet hat, ist das dialogische Wort sakramental geschehen.

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Erster Abschnitt: Beschreibung

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Meinungen und das Faktische

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Die menschliche Zwiesprache kann also, wiewohl sie im Zeichen, also Laut und Gebärde (der Buchstabe gehört nur in besonderen Fällen hierher, etwa wo zwischen Freunden in einer Versammlung die stimmungbeschreibenden Bulletins über den Tisch hin und her wandern), ihr eigentümliches Leben hat, ohne das Zeichen bestehn; freilich nicht in einer sachlich erfaßbaren Form. Hingegen scheint ein – noch so innerliches – Element der Mitteilung zu ihrem Wesen zu gehören. Aber in seinen höchsten Momenten langt der Dialog auch über diese Grenzen hinaus. Er vollendet sich außerhalb der mitgeteilten oder mitteilbaren Inhalte, auch der persönlichsten, und doch nicht etwa in einem »mystischen«, sondern in einem im genauen Sinn faktischen, durchaus der gemeinsamen Menschenwelt und der konkreten Zeitfolge eingefügten Vorgang. Man möchte wohl geneigt sein, das für das Sondergebiet des Erotischen zuzugeben. Aber eben dieses gedenke ich hier nicht zur Erläuterung heranzuziehen. Denn Eros ist in der Wirklichkeit noch viel wunderlicher zusammengesetzt, als in Platons genealogischer Mythe, und das Erotische keineswegs, wie zu vermuten naheliegt, rein Verdichtung und Entfaltung der Zwiesprache. Vielmehr kenne ich keinen andern Bereich, in dem so wie in diesem (ich werde davon noch zu reden haben) das Dialogische und das Monologische sich miteinander vermengen, aber auch wieder gegeneinander streiten. Manche berühmte Liebesverzükkungen sind nichts als Ergötzen an den in nicht geahnter Fülle aktualisierten Möglichkeiten der eigenen Person. Eher noch würde ich an einen unscheinbaren, aber bedeutenden Winkel des Daseins denken: an die Blicke, die im Getümmel der Straße aufflattern zwischen Unbekannten, die aneinander gleichbleibenden Schritts vorübergehen; es sind Blicke darunter, die schicksallos schwingend zwei dialogische Naturen einander offenbaren. Aber eigentlich aufzeigen kann ich, was ich im Sinn habe, nur an Begebenheiten, die in einer echten Wandlung aus der Kommunikation zur Kommunion, also in einer Verleiblichung des dialogischen Wortes münden. In Begriffen ist das, um was es hier geht, dem lesenden Menschen nicht zu überreichen. Aber in Beispielen dürfen wir’s darstellen, nur haben wir, wo es Wichtiges gilt, uns nicht zu scheuen, sie aus den innersten Kammern des persönlichen Lebens zu holen. Denn wo sonst sollte dergleichen zu finden sein? Meine Freundschaft mit einem nun Toten ist in einem Ereignis entstanden, das man, wenn man will, als abgebrochenes Gespräch bezeich-

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nen kann. Das Datum ist Ostern 1914. Einige Männer aus verschiedenen europäischen Völkern waren zusammengekommen, um im unbestimmten Vorgefühl der Katastrophe einen Versuch zur Aufrichtung einer übernationalen Autorität vorzubereiten. Die Unterredungen waren von jener Rückhaltlosigkeit getragen, deren substantielle Fruchtbarkeit ich kaum je so stark erfahren habe: sie wirkte auf alle Teilnehmer so, daß das Fiktive zerfiel und jedes Wort Tatsache war. Als wir nun die Zusammensetzung des größeren Kreises besprachen, von dem die öffentliche Initiative ausgehen sollte (man beschloß, ihn im August desselben Jahres zusammentreten zu lassen), erhob einer von uns, ein Mann von leidenschaftlicher Konzentration und richterlicher Liebeskraft, das Bedenken, es seien zu viele Juden genannt worden, so daß etliche Länder in ungehöriger Proportion durch ihre Juden vertreten sein würden. Obgleich mir selber ähnliche Erwägungen nicht fremd waren, da ich meine, das Judentum könne nur in seiner Gemeinschaft, nicht in zersprengten Gliedern einen mehr als anregerischen, einen werkhaften Anteil am Bau einer standfesten Friedenswelt gewinnen, erschienen sie mir, so ausgesprochen, in ihrer Rechtmäßigkeit beeinträchtigt. Hartnäckiger Jude, der ich bin, protestierte ich gegen den Protest. Ich weiß nicht mehr, auf welchem Weg ich dabei auf Jesus zu sprechen kam und darauf, daß wir Juden ihn von innen her auf eine Weise kennten, eben in den Antrieben und Regungen seines Judenwesens, die den ihm untergebenen Völkern unzugänglich bleibe. »Auf eine Weise, die Ihnen unzugänglich bleibt« – so sprach ich den früheren Pfarrer unmittelbar an. Er stand auf, auch ich stand, wir sahen einander ins Herz der Augen. »Es ist versunken«, sagte er, und wir gaben einander vor allen den Bruderkuß. Die Erörterung der Lage zwischen Juden und Christen hatte sich in einen Bund zwischen dem Christen und dem Juden verwandelt; in dieser Wandlung erfüllte sich die Dialogik. Die Meinungen waren versunken, leibhaft geschah das Faktische.

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Religionsgespräche Hier erwarte ich zwei Einwände, einen gewichtigen und einen gewaltigen. Man kann mir entgegnen: Wo es um wesentliche, »weltanschauliche« Ansichten geht, darf das Gespräch gar nicht solcherart abgebrochen werden; jeder der beiden muß sich real, in seiner menschhaft unvermeidlichen Einseitigkeit, restlos exponieren und sich eben dadurch real

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als vom andern begrenzt erfahren, so daß beide gemeinsam das Schicksal unserer Bedingtheit erleiden und einander in ihm begegnen. Darauf antworte ich: Die Erfahrung des Begrenztseins ist in dem worauf ich hinweise eingeschlossen, aber auch die seiner gemeinschaftlichen Überwindung, die sich freilich nicht auf »weltanschaulichem« Boden vollziehen kann, sondern auf dem der Wirklichkeit. Keiner jener beiden braucht seine Ansicht aufzugeben, nur eben betreten sie, indem sie unversehens etwas tun und ihnen unversehens etwas widerfährt, das Bund heißt, ein Reich, in dem das Gesetz der Ansicht nicht mehr gilt. Auch sie erleiden das Schicksal unserer Bedingtheit, aber sie ehren es zuhöchst, wenn sie es, wie uns verstattet ist, für einen unsterblichen Augenblick sich lösen lassen. Begegnet waren sie sich schon vorher, als sie sich, jeder in seiner Seele, so zueinander hinwandten, daß jeder hinfort, den anderen vergegenwärtigend, wahrhaft zu ihm und an ihn sprach. Der andre Einwand, der von ganz verschiedner, geradezu entgegengesetzter Seite kommt, besagt: Das mag zutreffen, soweit eben der Bezirk der Ansicht reicht, für das Bekenntnis trifft es nicht mehr zu. Zwei Bekennern, die miteinander um ihre Glaubenslehren streiten, geht es um die Vollstreckung des göttlichen Willens, nicht um ein flüchtiges, persönliches Einvernehmen. Wer zu seinem Glauben so steht, daß er für ihn zu sterben oder für ihn zu töten vermag, dem kann es kein Reich geben, wo das Gesetz des Glaubens nicht mehr gilt. Ihm liegt ob, der Wahrheit zum Sieg zu verhelfen, von Sentiments läßt er sich nicht betören. Der Anders-, d. i. Irrgläubige muß bekehrt oder zumindest belehrt werden, eine unmittelbare Berührung mit ihm vermag nur außerhalb der Glaubensvertretung, nicht von ihr aus zu erfolgen. Die These des Religionsgesprächs darf nicht »versinken«. Auf diesen Einwand, der seine Gewalt daher hat, daß er sich um die als selbstverständlich herrschende Unverbindlichkeit des relativierten Geistes nicht kümmert, kann ich nur mit einem Bekenntnis zulänglich antworten. Ich habe nicht die Möglichkeit über Luther zu urteilen, der Zwingli in Marburg die Gemeinschaft absagt, und auch nicht über Calvin, der Servetos Tod befördert; denn Luther und Calvin glauben, das Wort Gottes sei so unter die Menschen niedergegangen, daß es eindeutig gekannt werden könne und also ausschließend vertreten werden müsse, ich aber glaube das nicht, sondern das Wort Gottes fährt vor meinen Augen nieder wie ein fallender Stern, von dessen Feuer der Meteorstein zeugen wird, ohne es mir aufleuchten zu machen, und ich selber kann nur das Licht bezeugen, nicht aber den Stein hervorholen und sagen: Das ist es. Diese Glaubensverschiedenheit jedoch ist weder in der Verschie-

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denheit der Subjektivität noch in der der Religionen begründet, sondern in der großen Realverschiedenheit der Geschichtszeiten. Kein gläubiger Mensch des gegenwärtigen Zeitalters vermag von dem Wort Gottes das zu glauben, was Luther und Calvin (oder gar Samuel und Elija) von ihm geglaubt haben. Nicht weil wir glaubensschwach seien; es wird bleiben, wenn unser Glaube noch so sehr erstarkt. Vielmehr, weil wir einer Theophanie harren, von der wir nichts wissen als den Ort, und der Ort heißt Gemeinschaft. In den öffentlichen Katakomben dieses Harrens gibt es ein eindeutig kennbares und vertretbares Gotteswort nicht, sondern die überlieferten Worte deuten sich uns in unserem menschlichen Einanderzugewandtsein aus. Kein Gehorsam zum Kommenden besteht ohne die Treue zu seiner Kreatur. Dies erfahren zu haben ist unser Weg – kein »Fortschritt«, aber ein Weg. Eine Zeit echter Religionsgespräche beginnt, – nicht jener so benannten Scheingespräche, wo keiner seinen Partner in Wirklichkeit schaute und anrief, sondern echter Zwiesprachen, von Gewißheit zu Gewißheit, aber auch von aufgeschloßner Person zu aufgeschloßner Person. Dann erst wird sich die echte Gemeinsamkeit weisen, nicht die eines angeblich in allen Religionen aufgefundenen gleichen Glaubensinhalts, sondern die der Situation, der Bangnis und der Erwartung.

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Fragestellung Das Dialogische ist nicht auf den Verkehr der Menschen miteinander beschränkt: es ist, so hat es sich uns gezeigt, ein Verhalten der Menschen zueinander, das sich in ihrem Verkehr nur eben darstellt. Demnach scheint, mag auch Rede, mag auch Mitteilung zu entbehren sein, eins denn doch zum Mindestbestand des Dialogischen sinngemäß unablösbar zu gehören: die Gegenseitigkeit der inneren Handlung. Zwei Menschen, die dialogisch verbunden sind, müssen doch offenbar einander zugekehrt sein, sich also – gleichviel, mit welchem Maß von Aktivität oder gar von Aktivitätsbewußtsein – einander zugekehrt haben. Es ist gut, sich das so kraß formelhaft vorzurücken. Denn hinter der formulierenden Frage nach den Grenzen einer erörterten Kategorie birgt sich eine Frage, die alle Formeln zersprengt.

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Beobachten, Betrachten, Innewerden

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Es gilt drei Arten zu unterscheiden, auf die wir einen Menschen, der vor unsern Augen lebt (ich meine nicht ein Objekt der Wissenschaft, von der ich hier nicht rede), wahrzunehmen vermögen. Der Gegenstand unsrer Wahrnehmung braucht von uns, von unserm Dabeisein nichts zu wissen; ob er zum Wahrnehmenden ein Verhältnis, ein Verhalten hat, ist hier gleichgültig. Der Beobachter ist ganz darauf gespannt, den Beobachteten sich einzuprägen, ihn zu »notieren«. Er sucht ihn ab und zeichnet ihn auf. Und zwar ist er beflissen, so viele »Züge« als möglich aufzuzeichnen. Er lauert den Zügen auf, daß ihm keiner entgehe. Der Gegenstand besteht aus Zügen, und von jedem weiß man, was dahintersteckt. Die Kenntnis des menschlichen Expressionssystems verleibt sich die neuerscheinenden individuellen Variationen stets im Nu ein und bleibt verwendbar. Ein Gesicht ist nichts als Physiognomie, Bewegungen nichts als Ausdrucksgebärde. Der Betrachter ist überhaupt nicht gespannt. Er nimmt die Haltung ein, die ihm den Gegenstand frei zu sehen gibt, und erwartet unbefangen, was sich ihm darbieten wird. Nur zu Anfang darf bei ihm die Absicht walten, alles weitere ist unwillkürlich. Er notiert nicht drauf los, läßt sich gehn, er fürchtet sich gar nicht, etwas zu vergessen (»Vergessen ist gut«, sagt er). Er gibt seinem Gedächtnis keine Aufgaben, er vertraut dessen organischer Arbeit, die das Erhaltenswerte erhält. Er fährt nicht, wie der Beobachter, das Gras als Grünfutter ein, er wendet es und läßt es von der Sonne bescheinen. Auf Züge paßt er nicht auf (»Züge«, sagt er, »führen irre«). Am Gegenstand ist ihm das erheblich, was nicht »Charakter« und nicht »Ausdruck« ist (»Das Interessante«, sagt er, »ist nicht wichtig«). Alle großen Künstler sind Betrachter gewesen. Es gibt aber eine Wahrnehmung, die von entscheidend anderer Art ist. Dem Betrachter und dem Beobachter ist das gemeinsam, daß sie eine Einstellung haben, eben den Wunsch, den vor unsern Augen lebenden Menschen wahrzunehmen; sodann, daß dieser für sie ein von ihnen selber und ihrem persönlichen Leben abgetrennter Gegenstand ist, der eben nur deshalb »richtig« wahrgenommen werden kann; daß somit das, was sie so erfahren, ob es nun wie beim Beobachter eine Summe von Zügen oder wie beim Betrachter eine Existenz ist, ihnen weder Tat abfordert noch Schicksal zufügt; daß das Ganze sich vielmehr in den abgeschiedenen Gefilden der Ästhesie begibt. Anders geht es zu, wenn mir, in einer empfänglichen Stunde meines persönlichen Lebens, ein Mensch begegnet, an dem mir etwas, was ich

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gar nicht gegenständlich zu erfassen vermag, »etwas sagt«. Das heißt keineswegs: mir sagt, wie dieser Mensch sei, was in ihm vorgehe und dergleichen. Sondern: mir etwas sagt, mir etwas zuspricht, mir etwas in mein eigenes Leben hineinspricht. Das kann etwas über diesen Menschen sein, zum Beispiel, daß er mich braucht. Es kann aber auch etwas über mich sein. Der Mensch selber in seinem Verhalten zu mir hat mit diesem Sagen nichts zu schaffen; er verhält sich nicht zu mir, er hat mich wohl gar nicht bemerkt. Nicht er sagt es mir, wie jener Einsame seinem Nachbarn auf der Bank schweigsam sein Geheimnis gestand: es sagt. Wer hier »sagen« als Metapher versteht, versteht nicht. Die Phrase »das sagt mir nichts« ist metaphorisch verschliffen; aber das Sagen, auf das ich hinzeige, ist wirkliche Sprache. Im Haus der Sprache sind viele Wohnungen, und das ist eine der innern. Die Wirkung dieses Gesagtbekommens ist eine völlig andere als die des Betrachtens und des Beobachtens. Ich kann den Menschen, an dem, durch den mir etwas gesagt worden ist, nicht abmalen, nicht erzählen, nicht beschreiben; versuchte ich es, wär’s schon aus mit dem Gesagtsein. Dieser Mensch ist nicht mein Gegenstand; ich habe mit ihm zu tun bekommen. Vielleicht habe ich etwas an ihm zu vollbringen; aber vielleicht habe ich nur etwas zu lernen, und es kommt nur darauf an, daß ich »annehme«. Es kann sein, daß ich sogleich zu antworten habe, eben an diesen Menschen hier hin; es kann auch sein, daß dem Sagen eine lange, vielfältige Transmission bevorsteht und daß ich darauf anderswo, anderswann, anderswem antworten soll, wer weiß in was für einer Sprache, und es kommt jetzt nur darauf an, daß ich das Antworten auf mich nehme. Immer aber ist mir ein Wort geschehen, das eine Antwort heischt. Diese Wahrnehmungsweise sei Innewerden genannt. Es muß keineswegs ein Mensch sein, dessen ich innewerde; es kann ein Tier sein, ein Gewächs, ein Stein. Keine Art von Erscheinung, keine Art von Begebenheit schaltet grundsätzlich aus der Reihe derer aus, durch die mir jeweils etwas gesagt wird. Nichts kann sich weigern, dem Wort Gefäß zu sein. Die Möglichkeitsgrenzen des Dialogischen sind die des Innewerdens. Die Zeichen Jeder von uns steckt in einem Panzer, dessen Aufgabe ist, die Zeichen abzuwehren. Zeichen geschehen uns unablässig, leben heißt angeredet werden, wir brauchten nur uns zu stellen, nur zu vernehmen. Aber das

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Wagnis ist uns zu gefährlich, die lautlosen Donner scheinen uns mit Vernichtung zu bedrohen, und wir vervollkommnen von Geschlecht zu Geschlecht den Schutzapparat. All unsere Wissenschaft versichert uns: »Sei ruhig, das geschieht eben alles wie es geschehen muß, aber an dich ist nichts gerichtet, du bist nicht gemeint, das ist eben ›die Welt‹, du kannst sie erleben wie du willst, aber was immer du in dir damit anfängst geht von dir allein aus, man fordert dir nichts ab, man redet dich nicht an, alles ist still.« Jeder von uns steckt in einem Panzer, den wir bald vor Gewöhnung nicht mehr spüren. Nur Augenblicke gibt es, die ihn durchdringen und die Seele zur Empfänglichkeit aufrühren. Und wenn sich dergleichen uns angetan hat und wir dann aufmerken und uns fragen: »Was hat sich, denn da Besondres ereignet? War’s nicht von der Art, wie es mir alle Tage begegnet?«, so dürfen wir uns erwidern: »Freilich, nichts Besondres, so ist es alle Tage, nur wir sind alle Tage nicht da.« Die Zeichen der Anrede sind nicht etwas Außerordentliches, etwas was aus der Ordnung der Dinge tritt, sie sind eben das, was sich je und je begibt, eben das, was sich ohnehin begibt, durch die Anrede kommt nichts hinzu. Die Ätherwellen brausen immer, aber wir haben zumeist unsern Empfänger abgestellt. Was mir widerfährt ist Anrede an mich. Als das, was mir widerfährt, ist das Weltgeschehen Anrede an mich. Nur indem ich es sterilisiere, es von Anrede entkeime, kann ich das, was mir widerfährt, als einen Teil des mich nicht meinenden Weltgeschehens fassen. Das zusammenhängende, sterilisierte System, in das sich all dies nur einzufügen braucht, ist das Titanenwerk der Menschheit. Auch die Sprache hat sie ihm dienstbar gemacht. Von diesem Turm der Zeiten aus wird mir, wenn etwelche seiner Torwächter solchen Gedankengängen irgend Beachtung schenken sollten, entgegengehalten werden, das sei doch nichts andres als eine Abart des uralten Aberglaubens, daß die kosmischen und tellurischen Vorgänge eine zu erfassende unmittelbare Bedeutung für das Leben der menschlichen Person hätten: statt einen Vorgang physikalisch, biologisch, soziologisch zu begreifen (wofür ich, von je zum Bewundern echter Forschungsakte geneigt, sehr viel übrig habe, wenn die es tun nur wissen, was sie tun, und die Grenzen des Bereichs, in dem sie sich bewegen, nicht aus den Augen verlieren), suche man hinter seine angebliche Signifikanz zu kommen, für die in einem vernunftgemäßen raumzeitlichen Weltkontinuum kein Platz sei. So wäre ich denn ungeahnterweise in die Gesellschaft der Auguren geraten, von denen es ja bekanntlich merkwürdige moderne Spielarten gibt.

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Aber Leber- oder Sternenschau: ihren Zeichen ist dies eigentümlich, daß sie in einem Wörterbuch, wenn auch nicht notwendig in einem niedergeschriebenen, stehn. Und mag es noch so heimlich überlieferte Kunde sein, der nach ihnen ausguckt kennt sich darin aus, welche Lebenswendung dieses, welche jenes Zeichen nun einmal bedeutet; und mag auch das Zusammentreffen mehrerer verschiedenartigen besondere Schwierigkeiten des Trennens und Kombinierens schaffen, es gibt ein »Nachschlagen«. Die gemeinsame Signatur all des Treibens ist die Allmaligkeit: das Gleichbleibende, das ein für allemal Ermittelte, die durchgehende Anwendbarkeit von Regeln, Gesetzen und Analogieschlüssen. Was man so Aberglauben nennt, kommt mir eher wie ein Aberwissen vor. Vom »Aberglauben« an den Dreizehnten führt eine ununterbrochene Leiter bis in die schwindligsten Höhen der Gnosis; von einem wirklichen Glauben ist dies nicht einmal der Affe. Der wirkliche Glaube – wenn ich denn das Sichstellen und Vernehmen so nennen darf – fängt da an, wo das Nachschlagen aufhört, wo es einem vergeht. Was mir widerfährt, sagt mir etwas, aber was das ist, das es mir sagt, kann mir durch keine geheime Kunde eröffnet werden, denn es ist noch nie zuvor gesagt worden und es setzt sich nicht aus Lauten zusammen, die je gesagt worden sind. Es ist undeutbar, wie es unübersetzbar ist, ich kann’s nicht erklärt bekommen und ich kann’s nicht darlegen, es ist ja gar nicht ein Was, es ist ja mir in mein Leben hinein gesagt, es ist keine Erfahrung, die sich unabhängig von ihrer Situation erinnern läßt, es bleibt immer die Anrede jenes Augenblicks, unisolierbar, es bleibt die Frage eines Fragenden, die ihre Antwort will. (Die Frage. Denn das ist ja der andere große Gegensatz zwischen allem Zeichenwesen der Deuterei und der Zeichensprache, die hier gemeint ist: sie ist nie Auskunft, nie Bescheid, nie Beruhigung.) Der Glaube steht in der Flut der Einmaligkeit, die vom Wissen überspannt wird. Unentbehrlich für die Arbeit des Menschengeistes sind all die Notbauten der Analogik, der Typologie, aber Flucht wär’s, sie zu betreten, wenn dich, mich die Frage des Fragenden antritt. In der Flut allein erprobt und erfüllt sich das gelebte Leben. Das raumzeitliche Weltkontinuum in Ehren – lebensmäßig kenne ich nur das Weltkonkretum, das mir jeweils, in jedem Augenblick zugereicht wird. Ich kann es in seine Bestandteile zerlegen, kann sie vergleichend Gruppen ähnlicher Phänomene zuteilen, kann sie von früheren ableiten, auf einfachere zurückführen – und habe nach alledem es, mein Weltkonkretum, nicht angerührt: unzerlegbar, unvergleichbar, unzurückführbar, nun schauervoll einmalig blickt es mich an. So will in Strawinskis Ballett der Direktor des wandernden Puppentheaters dem Jahrmarktspublikum

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zeigen, daß ein Pierrot, der es erschreckte, nichts als ein bekleideter Strohwisch ist, er reißt ihn auseinander – und bricht schlotternd zusammen, denn auf dem Dach der Bude sitzt der lebende Petruschka und lacht ihn aus. Der wahre Name des Weltkonkretums ist: die mir, jedem Menschen anvertraute Schöpfung. In ihr werden uns die Zeichen der Anrede gegeben. Eine Bekehrung

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In jüngeren Jahren war mir das »Religiöse« die Ausnahme. Es gab Stunden, die aus dem Gang der Dinge herausgenommen wurden. Die feste Schale des Alltags wurde irgendwoher durchlöchert. Da versagte die zuverlässige Stetigkeit der Erscheinungen; der Überfall, der geschah, sprengte ihr Gesetz. Die »religiöse Erfahrung« war die Erfahrung einer Anderheit, die in den Zusammenhang des Lebens nicht einstand. Das konnte mit etwas Geläufigem beginnen, mit der Betrachtung irgendeines vertrauten Gegenstandes, der dann aber unversehens heimlich und unheimlich wurde, zuletzt durchsichtig in die Finsternis des Geheimnisses selber mit ihren zuckenden Blitzen. Doch konnte auch ganz unvermittelt die Zeit zerreißen, – erst der feste Weltbau, danach die noch festere Selbstgewißheit versprühte, und man, das wesenlose Man, das man eben nur noch war, das man nicht mehr wußte, wurde der Fülle ausgeliefert. Das »Religiöse« hob einen heraus. Drüben war nun die gewohnte Existenz mit ihren Geschäften, hier aber waltete Andacht, Erleuchtung, Verzückung, zeitlos, folgelos. Das eigene Dasein umschloß also ein Diesund ein Jenseits, und es gab kein Band außer jeweils dem tatsächlichen Augenblick des Übergangs. Die Unrechtmäßigkeit einer solchen Aufteilung des auf Tod und Ewigkeit zuströmenden Zeitlebens, das sich ihnen gegenüber nicht anders erfüllen kann, als wenn es eben seine Zeitlichkeit erfüllt, ist mir durch ein Ereignis des Alltags aufgegangen, ein richtendes Ereignis, richtend mit jenem Spruch geschlossener Lippen und unbewegten Blicks, wie ihn der gängige Gang der Dinge zu fällen liebt. Es ereignete sich nichts weiter, als daß ich einmal, an einem Vormittag nach einem Morgen »religiöser« Begeisterung, den Besuch eines unbekannten jungen Menschen empfing, ohne mit der Seele dabei zu sein. Ich ließ es durchaus nicht an einem freundlichen Entgegenkommen fehlen, ich behandelte ihn nicht nachlässiger als alle seine Altersgenossen, die mich um diese Tageszeit wie ein Orakel das mit sich reden läßt auf-

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zusuchen pflegten, ich unterhielt mich mit ihm aufmerksam und freimütig – und unterließ nur, die Fragen zu erraten, die er nicht stellte. Diese Fragen habe ich später, nicht lange darauf, von einem seiner Freunde – er selber lebte schon nicht mehr – ihrem wesentlichen Gehalt nach erfahren, erfahren, daß er nicht beiläufig, sondern schicksalhaft zu mir gekommen war, nicht um Plauderei, sondern um Entscheidung, gerade zu mir, gerade in dieser Stunde. Was erwarten wir, wenn wir verzweifeln und doch noch zu einem Menschen gehen? Wohl eine Gegenwärtigkeit, durch die uns gesagt wird, daß es ihn dennoch gibt, den Sinn. Seither habe ich jenes »Religiöse«, das Ausnahme ist, aufgegeben oder es hat mich aufgegeben. Ich besitze nichts mehr als den Alltag, aus dem ich nie genommen werde. Das Geheimnis tut sich nicht mehr auf, es hat sich entzogen oder es hat hier Wohnung genommen, wo sich alles begibt wie es sich begibt. Ich kenne keine Fülle mehr als die Fülle jeder sterblichen Stunde an Anspruch und Verantwortung. Weit entfernt ihr gewachsen zu sein, weiß ich doch, daß ich im Anspruch angesprochen werde und in der Verantwortung antworten darf, und weiß, wer spricht und Antwort heischt. Viel mehr weiß ich nicht. Wenn das Religion ist, so ist sie einfach alles, das schlichte gelebte Alles in seiner Möglichkeit der Zwiesprache, die ganze Verbundenheit.

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Wer redet? Wir werden in den Zeichen des widerfahrenden Lebens angeredet. Wer redet? Es würde uns nicht frommen, zur Entgegnung die Vokabel Gott herzusetzen, wenn wir’s nicht von jener entscheidenden Stunde der persönlichen Existenz aus tun, wo wir alles vergessen mußten, was wir von Gott zu wissen wähnten, nichts Überkommenes, nichts Gelerntes, nichts Selbstersonnenes behalten durften, keinen Fetzen Wissen, und eingetaucht wurden in die Nacht. Wenn wir aus ihr ins neue Leben steigen und darin die Zeichen zu empfangen beginnen, was können wir von dem wissen, das – der sie uns gibt? Nur was wir jeweils aus den Zeichen selber erfahren. Nennen wir den Sprecher dieser Sprache Gott, so ist es immer der Gott eines Augenblicks, ein Augenblicksgott. Ich will nun einen linkischen Vergleich gebrauchen, weil ich keinen rechten kenne. Wenn wir ein Gedicht wirklich aufnehmen, wissen wir von dem Dich-

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ter nur das, was wir daraus von ihm erfahren – keine biographische Weisheit taugt zur reinen Aufnahme des Aufzunehmenden: das Ich, das uns angeht, ist das Subjekt dieses einzigen Gedichts. Wenn wir aber in der gleichen getreuen Weise andre Gedichte desselben Dichters lesen, schließen sich ihre Subjekte doch in all ihrer Mannigfaltigkeit, einander ergänzend und bestätigend, zu dem einen polyphonen Dasein der Person zusammen. So ersteht uns aus den Gebern der Zeichen, den Sprechern der Sprüche im gelebten Leben, aus den Augenblicksgöttern identisch der Herr der Stimme, der Eine. Oben und unten

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Oben und unten sind aneinander gebunden. Wer mit den Menschen reden will, ohne mit Gott zu reden, dessen Wort vollendet sich nicht; aber wer mit Gott reden will, ohne mit den Menschen zu reden, dessen Wort geht in die Irre. Es wird erzählt, ein gottbegeisterter Mann sei einst aus den Bereichen der Geschöpflichkeit in die große Leere gegangen. Da wanderte er, bis er an die Pforte des Geheimnisses kam. Er pochte. Von drinnen rief es ihn an: »Was willst du hier?« »Ich habe«, sagte er, »den Ohren der Sterblichen dein Lob verkündet, aber sie waren mir taub. So komme ich zu dir, daß du selber mich vernehmest und mir erwiderst.« »Kehr um«, rief es von drinnen, »hier ist dir kein Ohr. In die Taubheit der Sterblichen habe ich mein Hören versenkt.« Die wahre Anrede Gottes weist den Menschen in den Raum der gelebten Sprache, wo die Stimmen der Geschöpfe aneinander vorübertasten und eben im Verfehlen den ewigen Partner erreichen. Verantwortung

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Der Begriff der Verantwortung ist aus dem Gebiet der Sonderethik, eines frei in der Luft schwebenden »Sollens«, in das des gelebten Lebens zurückzuholen. Echte Verantwortung gibt es nur, wo es wirkliches Antworten gibt. Antworten worauf? Auf das, was einem widerfährt, was man zu sehen, zu hören, zu spüren bekommt. Jede konkrete Stunde mit ihrem Welt- und Schicksalsgehalt, die der Person zugeteilt wird, ist dem Aufmerkenden Sprache. Dem Auf-

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merkenden; denn mehr als dessen bedarf es nicht, um mit dem Lesen der einem gegebenen Zeichen anzuheben. Eben deshalb ist, wie ich schon angedeutet habe, der ganze Apparat unserer Zivilisation erforderlich, um den Menschen vor diesem Aufmerken und seinen Folgen zu bewahren. Der Aufmerkende nämlich würde mit der Situation, die ihn in diesem Augenblick antritt, nicht mehr, wie er gewohnt ist, im nächsten »fertig werden«: er wäre aufgefordert, auf sie und in sie einzugehen. Und dabei würde ihm nichts helfen, was er als stets Verwendbares zu besitzen glaubte, keine Kenntnis und keine Technik, kein System und kein Programm, denn nun hätte er es mit dem Uneinreihbaren, eben mit der Konkretion selber zu tun. Diese Sprache hat kein Alphabet, jeder ihrer Laute ist eine neue Schöpfung und nur als solche zu erfassen. Es wird also dem Aufmerkenden zugemutet, daß er der geschehenden Schöpfung standhalte. Sie geschieht als Rede, und nicht als eine über die Köpfe hinbrausende, sondern als die eben an ihn gerichtete; und wenn einer einen andern fragte, ob auch er höre, und der bejahte, hätten sie sich nur über ein Erfahren und nicht über ein Erfahrnes verständigt. Die Laute aber, aus denen die Rede besteht – ich wiederhole es, um das vielleicht doch noch mögliche Mißverständnis zu beseitigen, ich meinte etwas Außerordentliches und Überlebensgroßes –, sind die Begebenheiten des persönlichen Alltags. In ihnen werden wir angeredet, wie sie nun sind, »groß« oder »klein«, und die als groß geltenden liefern nicht größere Zeichen als die andern. Damit, daß wir ihrer innewerden, ist jedoch unsere Haltung noch nicht entschieden. Immer noch können wir das Schweigen um uns schlagen – eine für einen bedeutenden Typus des Zeitalters charakteristische Entgegnung – oder in die Gewöhnung ausweichen; obwohl wir beidemal eine durch keine Produktivität und durch keine Betäubung zu vergessende Wunde davontragen. Doch es kann geschehen, daß wir zu antworten uns unterfangen, stammelnd etwa, zu sichrerer Artikulation langt uns nur selten die Seele zu, aber es ist ein rechtschaffenes Stammeln, wie wenn zwar Sinn und Kehle einig sind in dem, was zu sagen ist, aber die Kehle darüber zu erschrocken, um den schon geschlichteten Sinn rein auszutönen. Die Worte unserer Antwort sind in der wie die Anrede unübersetzbaren Sprache des Tuns und des Lassens gesprochen, – wobei das Tun sich wie ein Lassen und das Lassen wie ein Tun gebärden darf. Was wir so mit dem Wesen sagen, ist unser Eingehen auf die Situation, in die Situation, sie, die uns eben jetzt angetreten hat, deren Erscheinung wir nicht kannten und nicht kennen konnten, weil es ihresgleichen noch nicht gegeben hat. Wir werden nun mit ihr nicht fertig, darauf haben wir verzichten müs-

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sen, nie ist mit einer Situation, deren man inne ward, fertig zu werden, aber wir bewältigen sie in die Substanz des gelebten Lebens ein. So erst, dem Augenblick treu, erfahren wir ein Leben, das etwas anderes als eine Summe von Augenblicken ist. Dem Augenblick antworten wir, aber wir antworten zugleich für ihn, wir verantworten ihn. Ein neu erschaffenes Weltkonkretum ist uns in die Arme gelegt worden; wir verantworten es. Ein Hund hat dich angesehen, du verantwortest seinen Blick, ein Kind hat deine Hand ergriffen, du verantwortest seine Berührung, eine Menschenschar regt sich um dich, du verantwortest ihre Not.

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Verantwortung, die nicht einem Wort antwortet, ist eine Metapher der Moral. Wer aber die reale, die dialogische Verantwortung übt, braucht den Sprecher des Worts, dem er antwortet, nicht zu benennen – er kennt ihn in der Substanz des Wortes, das andringend, eindringend, den Tonfall einer Innerlichkeit annehmend, ihm das Herz des Herzens bewegt. Einer kann mit aller Kraft abwehren, daß »Gott« da sei, und kostet ihn im strengen Sakrament der Zwiesprache. Man meine jedoch nicht, daß ich die Moral fraglich mache, um die Religion zu rühmen. Religion hat zwar vor der Moral dies voraus, daß sie ein Phänomen und kein Postulat ist, und weiter dies, daß sie außer der Entschlossenheit auch die Gelassenheit zu umfassen vermag; die Wirklichkeit der Moral hat Platz in ihr, ihre Wirklichkeit nicht in der Moral. Aber wenn sie sich genugtut und sich behauptet, ist sie noch weit bedenklicher als jene, eben weil sie tatsächlicher und weil sie umfassender ist. Religion als Wagnis, die sich selber aufzugeben bereite, ist der nährende Arterienstrom; als System, besitzend, gesichert und sichernd, Religion, die an Religion glaubt, ist sie Venenblut, das ins Stocken geriet. Und wenn es nichts gibt, das uns so das Antlitz des Mitmenschen verstellen kann wie die Moral, kann die Religion uns wie nichts andres das Antlitz Gottes verstellen. Prinzip dort, Dogma hier, ich weiß die »objektive« Dichtigkeit des Dogmas zu schätzen, aber hinter beiden lauert der – profane oder heilige – Krieg gegen die dialogische Gewalt der Situation, lauert das Ein-für-allemal, das dem unvorhersehbaren Augenblick widersteht. Das Dogma ist, auch wo sein Herkunftsanspruch unbestritten bleibt, die erhabenste Form des Gefeitseins gegen die Offenbarung geworden. Die will kein Perfektum dulden, aber der Mensch mit den Künsten seines Sicherungswahns steift sie zur Perfektion ab.

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Zweiter Abschnitt Begrenzung Die Bereiche Die Bereiche dialogischen und monologischen Lebens decken sich auch dann nicht mit denen des Dialogs und des Monologs, wenn man von diesen die lautlosen, ja gebärdelosen Formen mit einbezieht. Es gibt nicht bloß große Sphären dialogischen Lebens, die der Erscheinung nach nicht Dialog sind, es gibt auch Dialog, der es nicht als Leben ist, das heißt: der vom Dialog die Erscheinung, aber nicht das Wesen hat. Zuweilen sieht es gar so aus, als gäbe es nur noch solchen. Ich kenne dreierlei Dialog: den echten – gleichviel, geredeten oder geschwiegenen –, wo jeder der Teilnehmer den oder die anderen in ihrem Dasein und Sosein wirklich meint und sich ihnen in der Intention zuwendet, daß lebendige Gegenseitigkeit sich zwischen ihm und ihnen stifte; den technischen, der lediglich von der Notdurft der sachlichen Verständigung eingegeben ist; und den dialogisch verkleideten Monolog, in dem zwei oder mehrere im Raum zusammengekommene Menschen auf wunderlich verschlungenen Umwegen jeder mit sich selber reden und sich doch der Pein des Aufsichangewiesenseins entrückt dünken. Die erste Art ist, wie gesagt, selten geworden; wo sie sich erhebt, und sei es in noch so »ungeistiger« Gestalt, wird für den Fortbestand der organischen Substanz menschlichen Geistes Zeugnis abgelegt. Die zweite gehört zum unveräußerlichen Kerngut der »modernen Existenz«, wiewohl sich hier immer noch in allerlei Schlupfwinkeln die wirkliche Zwiesprache verbirgt und gelegentlich in ungebührlicher Weise, freilich immer noch öfter überlegen geduldet als geradezu anstoßerregend, etwa im Tonfall eines Bahnschaffners, im Blick einer alten Zeitungsverkäuferin, im Lächeln des Schornsteinfegers, überraschend und unzeitgemäß hervortaucht. Und die dritte … Eine Debatte, in der man seine Gedanken nicht so äußert, wie man sie vordem im Sinn hatte, sondern sie im Reden so zuspitzt, wie sie am empfindlichsten treffen können, und zwar, ohne sich die Menschen, zu denen man redet, irgend als Personen gegenwärtig zu halten; eine Konversation, die weder von dem Bedürfnis, etwas mitzuteilen, noch von dem, etwas zu erfahren, noch von dem, auf jemand einzuwirken, noch von dem, mit jemand in Verbindung zu kommen, bestimmt ist, sondern allein von dem Wunsch, das eigene Selbstgefühl durch das Ablesen des gemachten Eindrucks bestätigt oder ein ins Wanken geratenes gefestigt zu bekom-

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men; eine freundschaftliche Unterhaltung, in der jeder sich als absolut und legitim und den andern als relativiert und fragwürdig ansieht; ein Liebesgespräch, in dem der eine wie der andere Partner die eigene herrliche Seele und ihr kostbares Erlebnis genießt: – welch eine Unterwelt antlitzloser Dialoggespenster! Dialogisches Leben ist nicht eins, in dem man viel mit Menschen zu tun hat, sondern eins, in dem man mit den Menschen, mit denen man zu tun hat, wirklich zu tun hat. Monologisch lebend ist nicht der Einsame zu nennen, sondern wer nicht fähig ist, die Gesellschaft, in der er sich schicksalsmäßig bewegt, wesensmäßig zu verwirklichen. Erst die Einsamkeit zeigt das Innerste des Gegensatzes. Der dialogisch Lebende bekommt da, im gewohnten Ablauf der Stunden, etwas gesagt und fühlt sich um Erwiderung angegangen; aber auch in der großen Ausgespartheit einer begleiterlosen Gebirgswanderung etwa verläßt ihn das metamorphosenreiche Gegenüber nicht. Der monologisch Lebende gewahrt das Andere nie als etwas, das zugleich schlechthin nicht er ist und womit er doch kommuniziert. Einsamkeit kann für ihn aufsteigende Fülle der Gesichte, der Gedanken bedeuten, nie aber den tiefen, in einer neuen Tiefe eroberten Verkehr mit dem unfaßlich Wirklichen. Natur ist für ihn entweder ein état d’âme, also ein »Erlebnis« in ihm, oder ein passiver Gegenstand der Kenntnis, entweder idealistisch verseelt oder realistisch verfremdet; sie wird ihm nicht zum Wort, das man mit schauenden und spürenden Sinnen vernimmt. Dialogisches Dasein empfängt auch in der äußersten Verlassenheit eine herbe und stärkende Ahnung der Reziprozität, monologisches wird auch in der zärtlichsten Gemeinschaft nicht über die Umrisse des Selbst hinaustasten. Mit dem von einigen Moralisten erdachten Gegensatz von »Egoismus« und »Altruismus« darf dieser nicht verwechselt werden. Ich kenne Leute, die in der »sozialen Tätigkeit« aufgehen und nie mit einem Mitmenschen von Wesen zu Wesen geredet haben; und andere, die keine persönlichen Beziehungen außer zu ihren Feinden haben, zu ihnen aber so stehen, daß es nur noch an denen liegt, wenn das Verhältnis nicht zum dialogischen gedeiht. Mit der Liebe ist die Dialogik erst recht nicht gleichzusetzen. Ich weiß niemand in den Zeiten, der es fertiggebracht hätte, alle Menschen, denen er begegnete, zu lieben. Auch Jesus liebte unter den »Sündern« offenbar nur die lockeren, liebenswürdigen, die gegen das Gesetz, nicht auch die dichten, erbgutstreuen, die gegen ihn und seine Botschaft sündigten; doch er stand zu diesen wie zu jenen unmittelbar. Mit der Liebe ist die Dialogik nicht gleichzusetzen. Aber Liebe ohne Dialogik, also ohne wirk-

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liches Zum-Andern-ausgehen, Zum-Andern-gelangen und Beim-Andern-verweilen, die bei sich bleibende Liebe ist es, die Luzifer heißt. Freilich muß man, um zum Andern ausgehen zu können, den Ausgangsort innehaben, man muß bei sich gewesen sein, bei sich sein. Zwiesprache zwischen bloßen Individuen ist nur ein Entwurf, erst in der zwischen Personen ist er ausgeführt. Aber woran könnte ein Mensch aus einem Individuum zur Person so eigentlich werden wie an den strengen und holden Erfahrungen der Zwiesprache, die ihn den grenzenlosen Gehalt der Grenze lehren? Was hier gesagt wird, ist das eigentliche Gegenteil des in Zeitalterdämmerungen zuweilen vernehmbaren Schreis nach universaler Rückhaltlosigkeit. Wer zu jedem Passanten rückhaltlos sein kann, hat keine Substanz zu verlieren; aber wer nicht zu jedem ihm Begegnenden unmittelbar sein kann, dessen Fülle ist eitel. Zu Unrecht hat Luther das hebräische »Genosse« (aus dem schon die Siebzig einen Nahen, einen Nachbarn gemacht hatten) in einen »Nächsten« verwandelt. Wenn alles Konkrete gleich nah, gleich nächst ist, hat das Leben mit der Welt nicht Gliedrung und Bau, nicht menschhaften Sinn mehr. Aber zwischen mir und einem meiner Genossen in der Genossenschaft der Schöpfung braucht, wann irgend wir einander nah kommen, nichts zu mitteln, weil wir der gleichen Mitte verbunden sind.

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Die Grundbewegungen Grundbewegung nenne ich eine Wesenshandlung des Menschen (man mag sie als eine »innere« verstehen, aber sie ist nicht da, wenn sie nicht bis in die Spannung der Augenmuskeln und bis in den Auftritt der Fußsohle da ist), um die sich eine Wesenshaltung aufbaut. Das ist nicht zeitlich gemeint, als ginge die einmalige Handlung der dauernden Haltung voraus; diese hat vielmehr ihre Wahrheit darin, daß die Grundbewegung immer wieder, ohne Vorsatz, aber auch ohne Gewöhnung, vollzogen wird. Sonst hätte die Haltung nur noch ästhetische oder wohl auch politische Bedeutung, als schöne und als wirksame Lüge. Die bekannte Maxime, man möge erst eine Haltung einnehmen, das weitere ergebe sich von selber, bewährt sich nicht mehr im Umkreis von Wesenshandlung und Wesenshaltung, also wo es um die Ganzheit der Person geht. Die dialogische Grundbewegung ist die Hinwendung. Das ist ja scheinbar etwas Allstündliches und Belangloses: wenn man jemand ansieht, anredet, wendet man sich ihm eben zu, naturgemäß körperlich, aber auch in dem erforderlichen Maße mit der Seele, indem man die

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Aufmerksamkeit auf ihn richtet. Aber was von alledem ist eine Wesenshandlung, mit dem Wesen getan? So also, daß aus der Unumfaßlichkeit des Vorhandenen diese eine Person hervortritt und zur Gegenwart wird, und nun ist in unsrer Wahrnahme die Welt nicht mehr eine indifferente Vielfältigkeit von Punkten, von denen einem wir etwa momenthafte Beachtung schenken, sondern ein schrankenloses Wogen um einen schmalen, hellumrissenen, tragstarken Damm, – schrankenlos, aber eben durch ihn eingeschränkt, somit wenn auch nicht umzirkt, so doch mitteninne endlich geworden, bildlich geworden, von der eignen Indifferenz erlöst! Und doch ist keine der allstündlichen Berührungen unwert, von unserm Wesen aufzunehmen soviel sie eben vermag, – da ja kein Mensch ohne Kraft zur Äußerung ist und unsre Hinwendung eine noch so unmerkliche, noch so schnell erstickte Entgegnung in einem vielleicht in bloßer Innerlichkeit verlaufenden und doch eben existenten Aufschauen, Auflauten der Seele bewirkt. Die Vorstellung des modernen Menschen, Hinwendung sei sentimental und entspreche nicht der Dichtigkeit heutigen Lebens, ist ein grotesker Irrtum, wie seine Versicherung, Hinwendung sei im Getriebe dieses heutigen Lebens unpraktizierbar, nur das maskierte Eingeständnis seiner Initiativschwäche der Zeitlage gegenüber ist; er läßt sich von ihr diktieren, was möglich oder zulässig sei, statt als gelassener Partner mit ihr zu vereinbaren, was mit jeder Zeitlage zu vereinbaren ist, welchen Raum nämlich und welche Gestalt sie dem kreatürlichen Dasein zuzugestehen gehalten sei. Die monologische Grundbewegung ist nicht etwa die Abwendung als Gegensatz zur Hinwendung, sondern die Rückbiegung. Elfjährig, auf dem Gut meiner Großeltern den Sommer verbringend, pflegte ich mich, sooft ich es unbeobachtet tun konnte, in den Stall zu schleichen und meinem Liebling, einem breiten Apfelschimmel, den Nacken zu krauen. Das war für mich nicht ein beiläufiges Vergnügen, sondern eine große, zwar freundliche, aber doch auch tief erregende Begebenheit. Wenn ich sie jetzt, von der sehr frisch gebliebenen Erinnerung meiner Hand aus, deuten soll, muß ich sagen: was ich an dem Tier erfuhr, war das Andere, die ungeheure Anderheit des Anderen, die aber nicht fremd blieb, wie die von Ochs und Widder, die mich vielmehr ihr nahen, sie berühren ließ. Wenn ich über die mächtige, zuweilen verwunderlich glattgekämmte, zu andern Malen ebenso erstaunlich wilde Mähne strich und das Lebendige unter meiner Hand leben spürte, war es, als grenzte mir an die Haut das Element der Vitalität selber, etwas, das nicht ich, gar nicht ich war, gar nicht ichvertraut, eben handgreiflich das Andere, nicht ein anderes bloß, wirklich das Andere selber, und mich doch heranließ, sich mir anvertraute, sich elementar mit mir auf Du und Du stellte. Der

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Schimmel hob, auch wenn ich nicht damit begonnen hatte ihm Hafer in die Krippe zu schütten, sehr gelind den massigen Kopf, an dem sich die Ohren noch besonders regten, dann schnob er leise, wie ein Verschworner seinem Mitverschwornen ein nur diesem vernehmbar werden sollendes Signal gibt, und ich war bestätigt. Einmal aber – ich weiß nicht, was den Knaben anwandelte, jedenfalls war es kindlich genug – fiel mir über dem Streicheln ein, was für einen Spaß es mir doch mache, und ich fühlte plötzlich meine Hand. Das Spiel ging weiter wie sonst, aber etwas hatte sich geändert, es war nicht mehr Das. Und als ich tags darauf, nach einer reichen Futtergabe, meinem Freund den Nacken kraulte, hob er den Kopf nicht. Schon wenige Jahre später, wenn ich an den Vorfall zurückdachte, meinte ich nicht mehr, das Tier habe meinen Abfall gemerkt; damals aber dünkte ich mich verurteilt. Rückbiegung ist etwas andres als Egoismus und sogar als »Egotismus«. Es ist nicht dies, daß einer sich mit sich befaßt, sich betrachtet, sich befingert, sich genießt, sich verehrt, sich beweint; das kann alles hinzukommen – wie zur Hinwendung, sie vollendend, hinzukommen kann, daß man den Andern in dessen eigentümlichem Dasein vergegenwärtigt, ja ihn umfaßt, so daß man die ihm und einem selber gemeinsamen Situationen auch von seinem, des Andern, Ende aus erfährt –, aber es gehört nicht dazu. Rückbiegung nenne ich es, wenn einer sich der wesensmäßigen Annahme einer andern Person in ihrer seinem Selbstkreis schlechthin nicht einschreibbaren, seine Seele wohl substantiell berührenden und bewegenden, aber nirgends ihr immanenten Sonderheit entzieht und den Andern nur als das eigne Erlebnis, nur als eine Meinheit bestehen läßt. Da wird denn Zwiesprache zum Schein, der geheimnishafte Verkehr zwischen menschlicher Welt und menschlicher Welt wird nur noch gespielt, und in der Ablehnung des gegenüberlebenden Wirklichen beginnt sich die Essenz aller Wirklichkeit zu zersetzen. Die wortlose Tiefe Ich höre zuweilen sagen, alles Ich und Du sei nur Oberfläche, tief darunter bestehe nicht Wort, nicht Antwort mehr, nur das eine Ursein ohne Gegenüber; wir sollten uns in die schweigsame Einheit versenken, im übrigen aber dem zu lebenden Leben seine Relativität belassen, statt ihm dieses verabsolutierte Ich und dieses verabsolutierte Du mit ihrer Zwiesprache aufzuerlegen. Nun weiß ich wohl aus eigner, nie zu vergessender Erfahrung; daß es Zustände gibt, in denen die Bande der Personhaftigkeit von uns abgefal-

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len scheinen und wir eine unteilige Einheit erleben. Aber ich weiß nicht – was die Seele freilich gern wähnt und wohl wähnen muß (auch meine hat das einst getan) –: daß ich darin eine Vereinigung mit dem Ursein oder der Gottheit erreicht hätte. Das ist eine der verantwortlichen Erkenntnis nicht mehr erlaubte Übersteigerung. Verantwortlich, das heißt: als ein der Wirklichkeit standhaltender Mensch kann ich jenen Erlebnissen nur dies abdeuten, daß ich in ihnen an eine unschiedliche, nicht gestaltige und nicht inhaltbefaßte Einheit meiner selbst gelangt bin. Ich mag diese Einheit eine ursprüngliche, eine vorbiographische nennen und vermuten, daß sie sich unter allem biographischen Wandel, aller Entfaltung und Verschlingung der Seele gleichgeblieben berge; sie ist dennoch in der rechtschaffnen, heilig nüchternen Rechenschaft der verantwortlichen Erkenntnis nichts andres als eben die Einheit dieser meiner Seele, auf deren »Grund« ich gelangt bin, so sehr auf ihren Grund unterhalb aller Formungen und Gehalte, daß mein Geist nicht umhin kann, ihn als den Ungrund zu verstehen. Die Grundeinheit meiner eigenen Seele aber ist wohl aller durch das bisherige Leben empfangenen Vielfältigung entrückt, aber ganz und gar nicht der Individuation, ganz und gar nicht der Vielfältigkeit all der Seelen in der Welt, deren eine sie ist: diese eine einmalige, einzige, ohnegleiche, unableitbare, – diese geschöpfliche. Eine der Menschenseelen und nicht die »Allseele«. Ein Sosein und nicht das Sein. Die geschöpfliche Grundeinheit eines Geschöpfs, Gott verbunden wie im Nu vor der Freilassung die Kreatur dem creator spiritus, Gott unverbunden wie die Kreatur dem creator spiritus im Augenblick der Freilassung. Für das Gefühl des Menschen ist die Einheit des eignen Selbst von der Einheit überhaupt nicht unterscheidbar; denn wer im Akt oder Vorgang der Versenkung unter den Bereich aller in der Seele waltenden Vielheit gesunken ist, kann das Nicht-mehr-sein der Vielheit nicht anders denn als die Einheit selber erfahren, also das eigene Nicht-mehr-vielfältig-sein als das Nicht-mehr-zuzweit-sein des Seins, als die enthüllte oder erfüllte Zweitlosigkeit. Das Einsgewordensein kann sich selbst nicht mehr diesseits der Individuation, aber sogar nicht mehr diesseits der Zweiheit von Ich und Du begreifen, denn für die Randerfahrung der Seele ist »eins« anscheinend notwendigerweise gleichbedeutend mit der Eins. Aber in der Tatsächlichkeit des gelebten Lebens ist der Mensch solch eines Augenblicks nicht oberhalb, sondern unterhalb der Schöpfungssituation, die mächtiger und wahrer ist als alle Verzückungen; er ist nicht oberhalb, sondern unterhalb der Zwiesprache. Er ist der Verborgenheit Gottes, die über Ich und Du ist, nicht näher und der Zugewandtheit Gottes, der einem Du sich zum Ich und einem Ich sich zum Du gibt, ferner als jener andre, der betend, dienend, lebend nicht aus dem Gegenüber-

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stande tritt und keiner wortlosen Einheit gewärtig ist, es sei denn jener, die etwa der leibliche Tod erschließt. Eine gelebte Einheit kennt jedoch auch der dialogisch Lebende. Es ist eben die Einheit des Lebens, als die, einmal wahrhaft gewonnen, durch keine Verwandlungen mehr zerrissen wird, nicht entzweigerissen wird in kreatürlichen Alltag und »vergottete« Hochstunden; die des lückenlosen, entrückungslosen Verharrens in der Konkretheit, in der man das Wort vernimmt und eine Antwort stammeln darf.

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Vom Denken Daß alle Kunst von ihrem Ursprung her wesenhaft dialogisch ist: daß alle Musik einem Ohr ruft, das nicht das eigne des Musikers, alle Bildnerei einem Auge, das nicht das eigne des Bildners ist, die Architektur auch noch einem den Bau abwandelnden Schritt, und daß sie alle dem sie Empfangenden etwas nur eben in dieser einen Sprache Sagbares sagen (nicht ein »Gefühl«, sondern ein wahrgenommenes Geheimnis), – das eröffnet sich jeder unbefangenen Besinnung. Aber dem Gedanken scheint etwas Monologisches anzuhaften, zu dem die Mitteilung als ein Zweites, Sekundäres tritt; er scheint monologisch zu entstehen. Ist es so, daß hier – wo, wie die Philosophen sagen, aus der konkreten Person sich das reine Subjekt löst, um eine Welt sich zu gründen und zu ergründen – eine über dem dialogischen Leben ragende, ihm unzugängliche Burg sich erhebt, darin der Mensch mit sich, der Einzelne, herrlich einsam leidet und triumphiert? Platon hat zu wiederholten Malen das Denken ein stimmloses Gespräch der Seele mit sich selber genannt. Jeder, der wirklich gedacht hat, weiß, daß es innerhalb dieses merkwürdigen Prozesses ein Stadium gibt, in dem eine »innere« Instanz befragt wird und erwidert. Aber das ist nicht die Entstehung des Gedankens, sondern die erste Prüfung und Erprobung des entstandenen. Die Entstehung des Gedankens vollzieht sich nicht im Selbstgespräch. Weder die Einsicht in ein Grundverhältnis, mit der das erkennende Denken beginnt, noch das Fassen, Abgrenzen und Verdichten der Einsicht, noch ihre Einwandlung in die selbständige Begriffsgestalt, noch die bezugstiftende, einfügende und verlötende Aufnahme dieser Gestalt in eine begriffsgestaltige Ordnung, noch sogar endlich – bis dahin hatte die Sprache nur eine technische und vorbehaltliche Symbolfunktion – die sprachliche Ausprägung und Vereindeutigung hat monologischen Charakter. Eher wird man schon hier dialogische Elemente entdecken: nicht sich redet auf den Stufen des Gedankewerdens,

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in deren Verantwortungen, der Denker an, sondern etwa das Grundverhältnis, dem gegenüber er seine Einsicht, oder die Ordnung, der gegenüber er die neu eintretende Begriffsgestalt zu verantworten hat, – und es heißt die Dynamik des denkerischen Geschehens mißkennen, wenn man vermeint, diese Apostrophierungen eines naturhaft oder ideenhaft Existenten seien »eigentlich« Selbstgespräche. Aber auch die erste Prüfung und Erprobung des vorerst fertigen Gedankens vor der »innern« Instanz, die im platonischen Sinn monologische Stufe, hat außer der geläufigen eine andre, eine große dialogisierende, Platon wenn irgendeinem wohlbekannte Erscheinungsform: da ist der um Urteil Angegangene nicht das empirische Selbst, sondern der Genius, der mit mir intendierte Geist, das Bild-Selbst, dem der neue Gedanke vorgetragen wird, ob er von ihm gebilligt, das heißt: in sein eigenes Vollendungsdenken aufgenommen werden möchte. Und nun erscheint, von einer Dimension aus, der auch diese Ermächtigung noch nicht Genüge tut, das Verlangen nach einer rein dialogischen Prüfung und Erprobung, darin das empfängerische Amt nicht mehr dem Du-Ich, sondern einem echten Du übertragen wird, das entweder ein gemeintes und doch als höchst lebendig und »anders« empfundenes bleibt oder aber sich in einer vertrauten Person verkörpert. »Der Mensch«, sagt Wilhelm von Humboldt in seiner bedeutenden Abhandlung über den Dualis (1827), »sehnt sich auch zum Behuf seines bloßen Denkens nach einem dem Ich entsprechenden Du; der Begriff scheint ihm erst seine Bestimmtheit und Gewißheit durch das Zurückstrahlen aus einer fremden Denkkraft zu erreichen. Er wird erzeugt, indem er sich aus der bewegten Masse des Vorstellens losreißt und dem Subjekt gegenüber zum Objekt bildet. Die Objektivität erscheint aber noch vollendeter, wenn diese Spaltung nicht in dem Subjekt allein vorgeht, wenn der Vorstellende den Gedanken wirklich außer sich erblickt, was nur in einem andren, gleich ihm vorstellenden und denkenden Wesen möglich ist. Zwischen Denkkraft und Denkkraft aber gibt es keine andere Vermittlerin als die Sprache.« Ein Hinweis, der, zum Aphorismus vereinfacht, 1843 bei Ludwig Feuerbach wiederkehrt: »Die wahre Dialektik ist kein Monolog des einsamen Denkers mit sich selbst, sie ist ein Dialog zwischen Ich und Du«. Aber dieses Wort weist doch auch schon über jenes »Zurückstrahlen« hinaus; es deutet darauf hin, daß bereits im Urstadium des rechtmäßigen Denkakts die innere Handlung auf ein echtes, nicht bloß »innerliches« (Novalis) Du hin geschehen möchte. Und in der modernen Philosophie, da, wo sie am ernstesten von der menschlichen Existenz, Situation, Gegenwart aus fragen will, ist, in einigen Abwandlungen, ein wichtiger

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weiterer Schritt erfolgt. Es geht hier durchaus nicht mehr bloß um das aufnahmebereite und zum Symphilosophieren geneigte Du, vielmehr vorzugsweise gerade um das widerständige, weil wahrhaft um den Andern, den anders und anderes Denkenden; also auch nicht um ein Brettspiel im Turmgemach des Ätherschlosses, sondern um ein verbindliches Lebensgeschäft auf der harten Erde, bei dem man unerbittlich der Anderheit des Andern gewahr wird, sie aber nun nicht etwa vergegenwärtigungsbar beficht, sondern ihre Beschaffenheit in das eigne Denken aufnimmt, auf sie hin denkt, eben sie denkerisch anspricht. Dieser Mensch der modernen Philosophie jedoch, der solcherweise nicht mehr im unberührbaren Bezirk der reinen Ideation, sondern in der Wirklichkeit denkt, denkt er in der Wirklichkeit? nicht lediglich in einer gedachten? Ist der Andere, den er so an- und aufnimmt, nicht lediglich der gedachte Andere, also doch der unwirkliche? Hält der Denker, von dem die Rede ist, dem leibhaften Faktum der Anderheit stand? Machen wir Ernst mit dem Denken zwischen Ich und Du, dann ist es nicht genug, auf das gedachte andre Denksubjekt hin zu denken: man müßte, auch mit dem Denken, eben mit dem Denken, auf den andern nicht gedachten, sondern leibhaft vorhandnen Menschen hin leben, auf seine Konkretheit hin. Nicht auf einen andern Denker hin, von dem man nichts wissen will außer seinem Denken, sondern, auch wenn der andre ein Denker ist, auf sein leibhaftes Nichtdenken hin; vielmehr auf seine Person hin, zu der ja immerhin auch die Tätigkeit des Denkens gehört. Wann wird die Handlung des Denkens die Gegenwart des Gegenüberlebenden ertragen, einschließen, meinen? wann die denkerische Dialektik zur Dialogik werden? zu einer unsentimentalen, unaufgelockerten, zu einer strengen denkerischen Zwiesprache mit dem jeweils gegenwärtigen Menschen?

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Eros Die Griechen haben einen gewaltigen welterzeugenden und einen leichten seelenwaltenden, aber auch einen himmlischen und einen gemeinen Eros unterschieden. Beides scheint mir keine unbedingte Scheidung zu bedeuten. Denn der Urgott Wunsch, von dem die Welt abgeleitet wird, eben er ist es, der als »zarter Albgeist« (Jacob Grimm) gestaltet sich in die Seelensphäre begibt und in daimonischer Willkür sein kosmogonisches Werk hier durch Mittlung der Wesensbefruchtungen fortführt, der große blütenstaubtragende Falter der Psychogenie. Und der »Pandemos« – vorausgesetzt daß es ein echter Eros und nicht ein sich frech für den Höhern

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ausgebender Priapos ist – braucht nur die Flügel zu regen, damit in den Spielen der Leiblichkeit sich das Urfeuer offenbare. Freilich, um dieses geht es: ob er die Flugkraft nicht eingebüßt hat und nun verdammt ist, unter zähen Sterblichen zu hausen und nur noch die dürftigen Liebesgebärden ihrer Sterblichkeit zu lenken. Dann nämlich tun zwar die Seelen der Liebenden einander was sie einander tun, aber flügellahm unter dem Regiment des Flügellahmen – denn seine Macht und Unmacht bekundet sich stets in der ihren – hocken sie wo sie sind, jede in ihrem Gehäus, statt auszufliegen, jede zur geliebten Partnerin, und dort, im hübengewordenen Drüben, zu »erkennen«. Die Getreuen des dialogischen, des flügelstarken Eros erkennen das geliebte Wesen. Sie erfahren dessen eigentümliches Leben in schlichter Gegenwart: nicht wie ein gesehenes und getastetes Ding, sondern von den Innervationen zu seinen Bewegungen her, von dem »Innen« zu seinem »Außen« her. Damit aber ist nichts anderes gemeint als die bipolare Erfahrung; ja, mehr als ein Sichhinüberschwingen im Nu, – ein ruhendes Zugleich. Jenes Kopfneigen da drüben, du spürst, wie die Seele im Nakken es entbietet, spürst es nicht an deinem Nacken, sondern eben an dem da drüben, dem geliebten, und bist doch selber nicht etwa hinweggenommen, bist im verspürenden Selbersein hier, und empfängst das Kopfneigen, seine Entbietung, als die Antwort dem Wort deines eigenen Schweigens; Zwiesprache tust und erfährst du im ruhenden Zugleich. Die zwei Getreuen des dialogischen Eros, die einander lieben, bekommen jeder das gemeinsame Ereignis auch vom andern aus, also von seinen beiden Seiten her, zu empfinden, und so erst, nun erst begreifen sie Ereignis körperhaft. Das Reich des flügellahmen Eros ist eine Welt von Spiegeln und Spieglungen. Wo aber der geflügelte waltet, wird nicht gespiegelt: da meine ich, der Liebende, diesen andern Menschen, den geliebten, in seiner Anderheit, in seiner Selbständigkeit und Selbwirklichkeit, und meine ihn mit aller Ausrichtungsstärke meines eignen Gemüts. Gewiß, ich meine ihn als einen, der auf mich zu da ist, aber durchaus in eben der mir nicht eintragbaren, vielmehr mich umfangenden Realität, in der ich auf ihn zu da bin. Ich verseele mir nicht, was mir gegenüber lebt, ich gelobe es mir an und mich ihm, ich gelobe, ich glaube. Der dialogische Eros hat die Einfalt der Fülle; der monologische ist vielfältig. Ich bin viele Jahre durchs Menschenland gezogen und habe die Varietäten des »Erotikers« (so bezeichnet sich zuweilen der Untertan des Fluggebrochnen) noch immer nicht zu Ende studiert. Da streift ein Verliebter umher und ist nur in seine Leidenschaft verliebt. Da trägt einer seine differenzierten Gefühle wie Ordensbänder. Da genießt einer das

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Abenteuer seines Faszinierens. Da schaut einer entzückt dem Spektakel seiner eignen vermeintlichen Hingabe zu. Da sammelt einer Erregungen. Da läßt einer die »Macht« spielen. Da plustert sich einer mit fremder Vitalität auf. Da vergnügt sich einer, zugleich als er selbst und als ein ihm sehr unähnliches Idol vorhanden zu sein. Da wärmt sich einer am Brand des ihm Zugefallenen. Da experimentiert einer. Und so fort und fort – all die vielfältigen Spiegel-Monologisten im Gemach der vertrautesten Zwiesprache! Ich habe von den kleinen Barschen gesprochen, aber ich habe mehr noch die großen Hechte im Sinn. Es gibt welche, die sich mit dem Gegenstand, den sie zu fressen unternehmen, dahin verständigen, daß eben dies, das Tun als heiliges Recht, das Erleiden als selige Pflicht, mitsammen es sei, was man Heldenliebe zu nennen habe. Ich weiß von »Führern«, die mit ihrem Zugreifen das Plasma eines werdenden Menschenwesens nicht allein verwirren, sondern im Kern zersetzen und unbildsam machen, diese ihre Wirkungsgewalt schmecken, dabei aber sich und ihrer Schar vortäuschen, sie seien Bildner jugendlicher Seelen, und als den Schutzgott dieses Werks Eros, den dem profanum vulgus Unzugänglichen, ausrufen. Sie fassen alle in die Luft. Nur wer den andern Menschen selber meint und sich ihm zutut, empfängt in ihm die Welt. Nur das Wesen, dessen Anderheit, von meinem Wesen angenommen, ganz existenzdicht mir gegenüberlebt, trägt mir die Strahlung der Ewigkeit zu. Nur wenn Zwei mit allem was sie sind zu einander sagen: »Du bist es!«, ist die Einwohnung des Seienden zwischen ihnen.

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Gemeinschaft Nach der heute geläufigen, politikbestimmten Weise der Betrachtung ist an den Gruppen, in der Gegenwart wie in der Geschichte, nur wichtig, was sie bezwecken und was sie ausrichten. Dagegen wird dem, was in ihnen vorgeht, nur insofern eine Bedeutung zugeschrieben, als es die zweckgemäße Aktion der Gruppe beeinflußt. Einem zur Eroberung der Staatsgewalt verschworenen Bund etwa billigt man zu, daß die Kameradschaftlichkeit, die ihn erfüllt, ein Wert sei, eben weil sie die zuverlässige Stoßkraft des Bundes verstärkt; doch tut’s auch ein präziser Gehorsam, wenn ein begeisterter Drill für das Einanderfremdbleiben der Genossen entschädigt, ja man hat gute Gründe, das starre System vorzuziehn. Strebt die Gruppe gar eine höhere Form des gesellschaftlichen Lebens an, dann kann es bedenklich erscheinen, wenn im Leben der Gruppe

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selbst etwas davon sich keimhaft zu verwirklichen anschickt, da man von dergleichen vorzeitigem Ernstmachen eine Dämpfung des »durchsetzenden« Schwungs befürchtet. Man nimmt offenbar an, wer in einer Oase zu Gast weile sei für das Projekt einer Bewässerung der Sahara verloren. Durch diesen vereinfachten Abschätzungsmodus bleibt der wesentliche Eigenwert einer Gruppe ebenso unerfaßt, wie wenn wir eine Person nach ihrer Wirkung allein und nicht nach ihrer Beschaffenheit beurteilen. Die Verkehrtheit wächst noch, wenn ein Gerede vom Daseinsopfer, vom Verzicht auf die eigne Realisierung, womöglich unter Verwendung des beliebten Düngergleichnisses, dazukommt; man kann auf Glück verzichten, auf Besitz, auf Macht, auf Geltung, auf das Leben, aber ein Daseinsopfer ist ein sublimer Widersinn. Auch kann kein Augenblick, wenn er sich über sein Verhältnis zur Wirklichkeit auszuweisen hat, sich auf irgendwelche späteren, künftigen berufen, um deren willen, sie zu mästen, er so armselig geblieben sei: »Kommende Sternengeschicke / rechtfertigen nicht, daß es nicht war, / alle Augenblicke / sind reichsunmittelbar.« Die Gesinnung der Gemeinschaftlichkeit waltet nicht da, wo man gemeinsam, aber gemeinschaftslos einer widerstrebenden Welt die ersehnte Änderung der Einrichtungen abringt, sondern wo der Kampf, der gekämpft wird, von einer um ihre eigne Gemeinschaftswirklichkeit ringenden Gemeinschaft aus gekämpft wird. Aber auch das Künftige wird hier mitentschieden; alle politischen »Durchsetzungen« sind bestenfalls Hilfstruppen der kernwandelnden Wirkung, die auf den unüberschaubaren Bahnen der heimlichen Geschichte der Augenblick der Verwirklichung übt. Kein Weg führt zu einem andern Ziel als zu dem, das ihm gleicht. Wer jedoch in all diesen massierten, vermengten, marschierenden Kollektivitäten ahnt noch, was die, nach der er zu streben vermeint, was Gemeinschaft ist! Jeder hat sich ihrem Widerpart ergeben. Die Kollektivität ist nicht Verbindung, sie ist Bündelung: zusammengepackt Individuum neben Individuum, gemeinsam ausgerüstet, gemeinsam ausgerichtet, von Mensch zu Mensch nur so viel Leben, daß es den Marschtritt befeure. Gemeinschaft aber, werdende Gemeinschaft (nur die kennen wir bislang) ist das Nicht-mehr-nebeneinander-, sondern Beieinandersein einer Vielheit von Personen, die, ob sie auch mitsammen sich auf ein Ziel zu bewege, überall ein Aufeinanderzu, ein dynamisches Gegenüber, ein Fluten von Ich zu Du erfährt: Gemeinschaft ist, wo Gemeinschaft geschieht. Die Kollektivität gründet sich auf einem organisierten Schwund der Personhaftigkeit, die Gemeinschaft auf ihrer Steigerung und Bestätigung im Zueinander. Die Kollektivitätsbeflissenheit der Stunde ist Flucht

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vor der Gemeinschaftsprobe und Gemeinschaftsweihe der Person, vor der den Einsatz des Selbst heischenden vitalen Dialogik im Herzen der Welt. Die Männer des Kollektivums blicken mit überlegner Gebärde auf die »Sentimentalität« der nächstvergangnen Generation, des Geschlechts jener »Jugendbewegung« nieder. Damals befaßte man sich weitläufig und tiefsinnig mit der Problematik aller Lebensbeziehungen, man intendierte »Gemeinschaft« und problematisierte sie zugleich, man kreiste in Kreisen und kam nicht vom Fleck. Jetzt aber wird kommandiert und marschiert, denn jetzt gibt es die »Sache«. Man ist aus den Irrgängen der Subjektivität auf die zielgerechte Straße des Objektivismus gelangt. Doch wie dort eine Pseudo-Subjektivität, da es an der elementaren Kraft des Subjektseins fehlte, so besteht hier ein Pseudo-Objektivismus, da man nicht einer Welt, sondern einer weltlosen Parteiung eingefügt ist. Wie dort alle Loblieder auf die Freiheit ins Leere gesungen wurden, weil man nur die Freimachung von den Bindungen, nicht aber die Befreiung zur Verantwortung kannte, so sind hier auch die edelsten Hymnen auf die Autorität ein Mißverstand, weil sie faktisch nur die erredete, erschriene Scheinautorität stärken, hinter der sich eine in die mächtigen Faltenwürfe der Haltung gewandete Haltlosigkeit birgt, die echte Autorität aber, die jene Hymnen feiern, die des echten Charismatikers in seiner steten Verantwortung zum Herrn der Charis, dem politischen Raum der Gegenwart unbekannt geblieben ist. Der Oberfläche nach sind die beiden Generationen artverschieden bis zur Gegensätzlichkeit, in Wahrheit stekken beide in der gleichen Chaotik. Der problematisierende Mensch der Jugendbewegung befaßte sich, um welche Sache immer es jeweils ging, mit seinem höchsteignen Anteil daran, er »erlebte« sein Ich, ohne ein Selbst einzusetzen, – um nicht ein Selbst in Antwort und Verantwortung einsetzen zu müssen; dem agierenden Menschen der Kollektivunternehmung ist es vorweg gelungen, sich los zu werden und damit der Frage nach der Einsetzung eines Selbst radikal zu entgehn. Ein Fortschritt ist immerhin zu verzeichnen. Dort war der Monolog als Dialog aufgetreten; hier geht es erheblich einfacher zu, denn das Monologische wird den meisten ihrem Wunsch gemäß ausgetrieben oder doch abgewöhnt, und die andern, die Befehlenden, brauchen jedenfalls keine Dialogik zu heucheln. Zwiegespräch und Selbstgespräch schweigen. Ohne Du, aber auch ohne Ich marschieren die Gebündelten, die von links, die das Gedächtnis abschaffen wollen, und die von rechts, die es stabilisieren wollen, feindlich getrennte Scharen, in den gemeinsamen Abgrund.

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Dritter Abschnitt Bewährung Gespräch mit dem Gegner

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Ich erhoffe diesen Hinweisen zwei Arten von Lesern. Den amicus, der um die Wirklichkeit weiß, auf die ich, mit einem Zeigefinger, den ich so ausstrecken können möchte wie Grünewalds Täufer, hinweise, und den hostis oder adversarius, der diese Wirklichkeit leugnet und darum mich, weil ich darauf als auf eine Wirklichkeit, also irreführend, hinweise, bekämpft; der also doch wohl das, was hier gesagt wird, ebenso ernst nimmt, wie ich selber, nach langem Warten schreibend was zu schreiben ist, es nehme, – ebenso ernst, nur eben mit negativem Vorzeichen. Den bloßen inimicus, als den ich jeden ansehe, der mich aufs Ideologische abdrängen und da gelten lassen will, würde ich gern missen. Dem amicus brauche ich an dieser Stelle nichts zu sagen. Der Stundenschlag der gemeinsamen Sterblichkeit und des gemeinsamen Wegs schlägt an seine und meine Ohren, als stünden wir auch im Raum beisammen und kennten einander. Dem adversarius aber – es genügt nicht, ihm an dieser Stelle zu sagen, worauf ich ihn hinweise: auf die Verborgenheit seines persönlichen Lebens, auf sein Geheimnis, und daß er, wenn er über eine sorgsam gemiedene Schwelle tritt, das entdecken wird, was er leugnet. Es genügt nicht. Ich darf seinen schwersten Einwand nicht abweisen, ich muß den annehmen, wo und wie er erhoben wird, und muß antworten. Nun sitzt also der adversarius in seiner aktuellen, zeitgeistgemäßen Erscheinungsform mir gegenüber und spricht, mehr über mich weg als auf mich zu, in Tonfall und Haltung des üblichen personfreien Universalduells: »In alledem wird der Tatsächlichkeit unseres gegenwärtigen Lebens nicht Rechnung getragen, ja der Bedingtheit des Lebens überhaupt. Alles, wovon Sie reden, begibt sich im Nirgendwo, nicht in der sozialen Umwelt, in der wir nun einmal unsere Tage verbringen und von der, wenn von irgend etwas, unsere Realität bestimmt wird. Ihre ›zwei Männer‹ sitzen auf einer einsamen Bank, offenbar während einer Ferienwanderung; in einem Großstadtbureau würden Sie sie nicht sitzen lassen können, da würde ihnen das ›Sakramentale‹ nicht gelingen. Ihr ›abgebrochenes Gespräch‹ findet zwischen Intellektuellen statt, die Muße haben, ein paar Monate vor dem ungeheuren Massengeschehen Phantasien von seiner Verhütung durch geistige Einwirkung zu spinnen. Das mag ja ganz inter-

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essant sein für Leute, die in keine Pflicht genommen sind. Aber soll der Handelsangestellte sich seinen Kollegen ›rückhaltlos mitteilen‹ ? Soll der Arbeiter am Fließband ›aus dem, was ihm widerfährt, eine Anrede empfangen‹ ? Soll der Leiter eines technischen Riesenunternehmens ›dialogische Verantwortung üben‹ ? Sie fordern, daß man in die Situation eingehe, die einen antritt, und vernachlässigen die dauernde Situation, in der sich jeder von uns, soweit er am Leben der Gesellschaft teil hat, elementar befindet. Das ist, trotz alles Hindeutens auf die Konkretheit, der Vorkriegsindividualismus in verbesserter Neuausgabe.« Und ich, aus tiefem Bewußtsein, wie fast unmöglich es ist, gemeinsam, sei’s auch nur gegeneinander, zu denken, wo man nicht gemeinsam erfährt, antworte: Vor allen Dingen, lieber Gegner: wenn wir uns miteinander und nicht aneinander vorbei unterhalten sollen, bitte ich Sie zu beachten, daß ich nicht fordere. Dazu habe ich keine Berufung und nicht einmal eine Befugnis. Ich versuche nur zu sagen, daß es etwas gibt, und anzudeuten, wie das beschaffen ist; ich berichte. Und wie vermöchte man überhaupt das Dialogische zu fordern! Zwiesprache gibt man keinem auf. Antworten wird nicht gesollt; aber es wird gekonnt. Es wird wirklich gekonnt. Das Dialogische ist kein Vorrecht der Geistigkeit wie das Dialektische. Es fängt nicht im oberen Stockwerk der Menschheit an, es fängt nicht höher an als wo sie anfängt. Begabte und Unbegabte gibt es hier nicht, nur Sichhergebende und Sichvorenthaltende. Und wer sich morgen hergibt, dem ist’s heute nicht anzumerken, auch er selber weiß noch nicht, daß er’s in sich hat, daß wir’s in uns haben, er wird’s eben finden, »und wenn er findet, wird er staunen«. Sie halten mir den in Pflicht und Betrieb Genommenen vor. Ja, den gerade meine ich, den, den in der Fabrik, den im Laden, den im Bureau, den unter Tag, den am Dampfpflug, den in der Zeitung, den Menschen. Ich suche nicht nach Menschen, suche mir die Menschen nicht aus, ich nehme an die da sind, sie habe ich im Sinn, ihn, den Eingespannten, den Radtretenden, den Bedingten. Zwiesprache ist keine Angelegenheit des geistigen Luxus und der geistigen luxure, sie ist eine Sache der Schöpfung, des Geschöpfs, und das ist er, der Mensch, von dem ich rede, der Mensch, von dem wir reden, Geschöpf, triviale Unersetzlichkeit. In meinen Hinweisen auf das Dialogische habe ich die Beispiele so »rein«, so paradigmatisch wählen müssen, als die Erinnerung sie mir irgend darbot: um mich über so unvertraut Gewordenes, so schier Verschollenes deutlich zu machen. Darum erzähle ich scheinbar aus dem Bezirk, den Sie den geistigen nennen, in Wirklichkeit nur aus dem Bezirk des Glückenden, des sich Rundenden, eben des Exemplarischen. Aber es

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geht mir nicht um das Reine. Um das Trübe geht es mir, um das Gehemmte, um den Trott, um die Mühsal, um die dumpfe Widersinnigkeit – und um den Durchbruch. Um den Durchbruch geht es und nicht um eine Vollkommenheit, und zwar um den Durchbruch nicht aus der Verzweiflung mit ihren mörderischen und erneuernden Gewalten, nein, nicht um den großen, katastrophalen, einmaligen (von ihm geziemt es eine Weile – auch im eigenen Herzen – zu schweigen), sondern um das Durchbrechen aus dem Status der dumpf-temperierten Widerwärtigkeit, Widerwilligkeit und Widersinnigkeit, in dem der Mensch, den ich aufs Geratewohl aus dem Getümmel greife, lebt und aus dem er durchbrechen kann und zuweilen durchbricht. Wohin? In nichts Erhabenes, Heroisches, Heiliges, in kein Entweder und in kein Oder, nur in diese kleine Strenge und Gnade des Alltags, wo ich mit eben derselben »Wirklichkeit«, in deren Pflicht und Betrieb ich genommen bin, so zu tun bekomme, so Blick in Blick, Wink in Wink, Wort in Wort, daß ich sie als mir und mich als ihr gereicht, sie als zu mir und mich als zu ihr geredet erfahre und mir nun in all dem Gerassel der Routine, das ich meine Wirklichkeit nannte, unansehnlich und herrlich die wirkende Wirklichkeit, die kreatürliche, die anvertraute und verantwortete erscheint. Den Sinn finden wir nicht in den Dingen vor, wir legen ihn auch nicht in die Dinge hinein, aber zwischen uns und den Dingen kann er sich begeben. Es taugt nicht, lieber Gegner, mir erst die Pathetik des »Alles oder nichts!« zuzuschreiben und dann die Unmöglichkeit meiner angeblichen Forderung zu beweisen. Ich weiß weder, was Alles, noch was Nichts ist, eins kommt mir so unmenschlich und ausgedacht vor wie das andre, und was ich meine, ist das schlichte quantum satis dessen, was dieser Mensch in dieser Stunde seines Lebens zu erfüllen und zu empfangen vermag – wenn er sich hergibt. Das heißt: wenn er sich nicht von der kompakten Geläufigkeit einreden läßt, es gebe Räume, die von der Schöpfung ausgenommen sind, er arbeite in solch einem Raum und könne erst nach Feierabend in jene zurück, oder gar, die Schöpfung sei überholt, das habe es mal gegeben, aber es sei unwiderruflich vorüber, jetzt gebe es den Betrieb, und jetzt heiße es alle Romantik abstreifen, die Zähne zusammenbeißen und mit dem als notwendig Erkannten fertig werden. Ich sage: wenn er sich das nicht einreden läßt! Keine Fabrik und kein Bureau ist so schöpfungsverlassen, daß nicht von Arbeitsplatz zu Arbeitsplatz, von Schreibtisch zu Schreibtisch ein geschöpflicher Blick auffliegen könnte, nüchtern und brüderlich, der die Wirklichkeit der geschehenden Schöpfung verbürgt: quantum satis. Und nichts ist so sehr ein Dienst an der Zwiesprache zwischen Gott und Mensch, wie solch ein unsentimentaler

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und rückhaltloser, ja, rückhaltloser Blicktausch zwischen zwei Menschen im Fremdraum. Aber ist es, unwiderruflich, ein Fremdraum? Muß hinfort in alle Zeiten der Welt das Leben des in den Betrieb gespannten Wesens zwiegeteilt sein, in die Fremde »Arbeit« und die Heimat »Erholung«? vielmehr: muß es, da Abend und Sonntag sich doch nicht von dem Charakter des Werktags freimachen können, sondern unvermeidlich von ihm geprägt werden, zwischen Arbeitsbetrieb und Erholungsbetrieb aufgeteilt sein, ohne einen Rest von Unmittelbarkeit, von unreguliertem Überschuß, – von Freiheit? (Und die Freiheit, die ich meine, wird ja auch von keiner neuen Gesellschaftsordnung hergestellt.) Oder regt sich schon, unterhalb aller zu befriedigenden Unzufriedenheiten, eine unbekannte und urtiefe, für die es noch nirgends ein Befriedigungsrezept gibt, die aber zu solcher Mächtigkeit erwachsen wird, daß sie den technischen Leitern, den Unternehmern, den Erfindern diktiert: Rationalisiert immerzu, aber humanisiert in euch die rationalisierende Ratio, daß sie in ihre Zwecksetzungen, in ihre Berechnungen den lebenden Menschen einbeziehe, den es danach verlangt, in der Gegenseitigkeit zur Welt zu stehen! Regt sich schon auf den Gründen – Antrieb zum großen Aufbau oder Fünklein der letzten Revolution – die Sehnsucht, lieber Gegner, nach Dialogisierung des Betriebs? Das heißt, in der Formulierung des quantum satis: nach einer Werkordnung, in der der Betrieb jeweils so sehr von vitaler Dialogik durchdrungen wird, als es die von ihm zu erfüllenden Aufgaben gewähren? Und in welchem Maße sie es gewähren können, wird heute kaum erst geahnt – in einer Stunde, wo die Frage, die ich stelle, wirklichkeitsblinden Fanatikern der Zeitgemäßheit und möglichkeitsblinden Verkündern der unzugänglichen Welttragik ausgeliefert ist. Machen Sie sich klar, wovon es Zeugnis ablegt, wenn ein Arbeiter sogar seine Beziehung zur Maschine als eine dialogische empfinden kann, wenn etwa ein Buchdrucker erzählt, er habe gelegentlich ihr Summen vernommen als »ein lustiges und dankbares Lächeln der Maschine an mich, daß ich ihr geholfen, die Schwierigkeiten und Hindernisse, die sie störten, schrammten und schmerzten, zu beseitigen, so daß sie jetzt frei laufen konnte«. Müssen nicht auch Sie da an die Geschichte von Androklus und dem Löwen denken? Wo einer aber ein lebloses Ding, ihm Seele und Rechte verleihend, in seine Begier nach Zwiesprache zieht, da mag ihm schon das Vorgefühl einer welthaften aufgehn, der Zwiesprache mit dem Weltgeschehen, das ihn ja eben in seiner, auch dinglichen, Umwelt antritt. Oder meinen Sie ernstlich, daß Zeichengabe und Zeichennahme an der Schwelle des Be-

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triebs haltmachen, in dem es ein rechtschaffen aufgeschlossenes Gemüt gibt? Kann, so fragen Sie lachend, der Leiter eines großen technischen Unternehmens dialogische Verantwortung üben? Er kann es. Denn er übt sie, wenn er sich den von ihm geleiteten Betrieb, soweit es angeht, quantum satis, in dessen Konkretheit vergegenwärtigt; wenn er ihn also, statt als ein Gefüge aus mechanischen Kraftzentren und deren organischen Bedienern, zwischen welch letzteren es für ihn außer der funktionellen Differenzierung keine gibt, als einen Zusammenhang gesichthabender, namenhabender, biographiehabender Personen erfährt, verbunden durch ein Werk, das sich in den Leistungen eines komplizierten Mechanismus darstellt, aber nicht aus ihnen besteht; wenn er die Menge dieser Personen, die er natürlich nicht als solche unterschiedlich zu kennen und zu erinnern vermag, mit einer latenten, disziplinierten Phantasie inne hat, so daß, wenn eine von ihnen aus irgendeinem Anlaß nun wirklich als Individuum in seinen Gesichtskreis und seinen Entscheidungsbereich tritt, er sie nicht als eine Nummer mit menschlicher Maske, sondern, ohne Anstrengung, als Person wahrnimmt; und wenn er, größtenteils notwendigerweise indirekt, durch ein je nach Umfang, Art, Struktur des Unternehmens variables Mittlungssystem, aber in den ihn organisativ berührenden Teilen auch unmittelbar, diese Personen als Personen erfaßt und behandelt. Selbstverständlich wird zunächst von beiden Lagern, vom Kapital und vom Proletariat, seine meisterliche Phantasiehandlung als Phantasterei und seine praktische Personalistik als Dilettantismus verschrien werden, aber ebenso selbstverständlich nur so lang, bis seine technischen Mehrleistungen ihn beglaubigen. Dann freilich wird etwas Schlimmeres folgen: man wird ihn pragmatisch nachahmen, also sein »Verfahren« ohne seine Gesinnung und Einbildsamkeit anzuwenden suchen; aber diese Urdämonie der Geistesgeschichte (denken Sie nur an all die Magisierung der Religion) wird hier wohl an der Unterscheidungsfähigkeit der Menschenseelen scheitern. Und inzwischen steigt hoffentlich ein neues, am Lebendigen lernendes Geschlecht auf und macht Ernst wie er. Unverkennbar nimmt die Bedingtheit der Menschen von den »Verhältnissen« im Gang dieses Zeitalters zu. Nicht nur die absolute Masse der sozialen Objektiva wächst, auch ihre relative Macht. Als der durch sie Mitbedingte steht der Einzelne in jedem Augenblick vor dem Weltkonkretum, das sich ihm zureichen und von ihm Entgegnung empfangen will, situationsbeladen begegnet er den neuen Situationen. Und dennoch, in all der Vervielfältigung und Verflochtenheit ist er Adam geblieben: immer noch entscheidet es sich real in ihm, ob er der in den Dingen

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und Begebenheiten lautwerdenden Rede Gottes an ihn standhalte oder sich entziehe. Und ein geschöpflicher Blick zum Mitgeschöpf kann zuweilen der Antwort genug sein. Die soziologische Bedingtheit des Menschen wächst. Aber dieses Wachsen ist das Reifen einer Aufgabe, nicht im Sollen, sondern im Dürfen und Bedürfen, in Sehnsucht und Gnade. Es gilt, der pantechnischen Sucht oder Gewöhnung zu entsagen, die mit jeder Situation »fertig wird«; es gilt, jede, von den trivialen Mysterien der Alltäglichkeit bis zur Majestas des zerstörenden Schicksals, in die dialogische Gewalt des echten Lebens aufzunehmen. Die Aufgabe wird stets schwerer und stets wesenhafter, die Erfüllung stets gehemmter und stets entscheidungsreicher. All das geregelte Chaos des Zeitalters wartet auf den Durchbruch, und wo immer ein Mensch vernimmt und erwidert, wirkt er daran.

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Nachwort

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Diese Schrift darf als Ergänzung meines 1923 erschienenen Buchs »Ich und Du« gelten (als Ergänzung, nicht als die Fortsetzung, mit deren endgültiger Ausarbeitung ich jedoch nunmehr bald beginnen zu können hoffe), ist aber auch aus sich selber zu verstehen. Sie ist zum Teil schon 1929 in der damals von mir im Verein mit Victor von Weizsäcker und Joseph Wittig herausgegebenen Zeitschrift »Die Kreatur« gedruckt worden. Die Probleme, an die das Kapitel »Gemeinschaft« des zweiten Abschnitts rührt, werden in meiner demnächst unter dem Titel »Um die Gemeinschaft« zur Veröffentlichung gelangenden Sammlung von Reden und Schriften aus den Jahren 1918 bis 1932 erörtert.

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Die Frage an den Einzelnen Verantwortung ist der Nabelstrang zur Schöpfung. P. B.

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Die Frage an den Einzelnen

Diese Schrift ist die Ausarbeitung eines Ende November 1933 vor den Studentenschaften der drei deutschen Universitäten der Schweiz gehaltenen Vortrags.

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»Der Einzige« und der Einzelne

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Daß Sören Kierkegaard der Durchdenker des Christentums als einer paradoxen Aufgabe des einzelnen »Christen« geworden ist, verdankt er der Kategorie des »Einzelnen«, die über ihn kam und die er bis zur äußersten Reinheit ausarbeitete. Daß er aber dies vermocht hat, verdankt er der Radikalität seiner Einsamkeit. Man kann seinen »Einzelnen« nicht ohne seine Einsamkeit verstehen. Diese war von anderer Art als die eines der früheren christlichen Denker, die man mit ihm zusammennennen möchte, Augustins etwa oder Pascals. Es ist nicht beiläufig, daß neben Augustin eine Mutter und neben Pascal eine Schwester stand und die organische Verbindung zur Welt erhielt, wie jeweils nur eine Frau als Abgesandte des Elements es kann, wogegen Kierkegaards zentrales Lebensereignis und der Kristallisationskern seines Denkens die Lossagung von Regine Olsen als von der Frau und als von der Welt war. Man darf diese Einsamkeit auch nicht der eines Mönchs, eines Einsiedlers vergleichen: bei diesem steht die Lossagung wesentlich nur am Anfang, und auch wenn sie immer neu errungen und vollzogen werden muß, nicht sie ist das Thema des Lebens, nicht sie das Problem auf dem Grunde und der Stoff, aus dem sich alle Lehre webt; dies aber eben ist sie bei Kierkegaard. Ihre Eingestaltung ist die Kategorie des Einzelnen, »die Kategorie, durch die in religiöser Hinsicht die Zeit, die Geschichte, das Geschlecht hindurch muß« (Kierkegaard 1847). Durch eine Gegenüberstellung kann man zunächst dessen genau inne werden, was der Einzelne in einem besondern, besonders gewichtigen Sinn nicht ist. Wenige Jahre, ehe Kierkegaard unter dem Titel »Der Gesichtspunkt für meine Wirksamkeit als Schriftsteller« seinen »Rapport an die Geschichte« entwarf, in dessen »Beilagen« die Kategorie des Einzelnen ihre zureichende Formulierung fand, verfaßte Max Stirner sein Buch über den »Einzigen«. Auch dies ist ein Randbegriff wie der Einzelne, aber einer vom andern Ende. Stirner, ein pathetischer Nominalist und Ideenentlarver, wollte die angeblichen Reste des deutschen Idealismus (als welche er Ludwig Feuerbach ansah) dadurch auflösen, daß nicht mehr das denkende Subjekt, aber auch nicht mehr der Mensch, sondern das konkrete sich vorfindende Individuum als »das alleinige Ich« zum Träger der Welt, »seiner« Welt nämlich, erhoben wird. Da es hier ein Anderes als diesen im »Selbstgenuß« sich »selbst verzehrenden« Einzigen primär nicht gibt, sondern primär immer wieder, wo nur einer seiner selbst solchermaßen habhaft und bewußt wird, nur ihn gibt – wegen der »Einheit und der Allmacht unseres Ichs, das sich selbst genügt, weil es außer ihm

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nichts Fremdes stehen läßt« –, ist auch die Frage nach einer wesentlichen Beziehung zwischen ihm und dem Andern ausgelöscht. Er hat keine wesentliche Beziehung als zu sich selbst (Stirners angebliche »lebendige Teilnahme« »an der Person des Andern« ist wesenlos, da es ja den Andern für ihn primär gar nicht gibt). Das heißt: er hat keine als nur jenes merkwürdige Selbstverhältnis, das – da alles sonst Seiende hier zu einem Treiben halb höriger, halb unabhängiger Geister wird – gewisser zaubrischer Möglichkeiten nicht entbehrt, aber der echten Beziehungskraft so ledig ist, daß man besser tut, als Beziehung nur noch die zu bezeichnen, in der man nicht bloß Ich, sondern auch Du sagen kann. Man pflegt dieses Randgebild eines deutschen Protagoras zu unterschätzen: die unsere Stunde kennzeichnende Entwirklichung der Verantwortung und der Wahrheit hat hier, wenn auch nicht ihren geistigen Ursprung, so doch ihre exakte begriffliche Ansage. »Der Eigene … ist ursprünglich frei, weil er nichts als sich anerkennt« und »Wahr ist, was Mein ist« sind Vorformeln einer von Stirner in all seiner rednerischen Sicherheit ungeahnten Vereisung der Seelen. Aber auch manches starre kollektive Wir, das eine übergeordnete Instanz ablehnt, läßt sich leicht als eine Übersetzung aus der Sprache des Einzigen in die des nichts als sich allein anerkennenden Gruppen-Ich verstehn, – vorgenommen entgegen der Absicht Stirners, der aller pluralischen Fassung heftig widerstreitet. Kierkegaards Einzelner hat mit dem Einzigen Stirners als mit seinem Gegenpunkt dies gemein, daß beide Rand sind, hat mit ihm nicht mehr gemein als dies, aber auch nicht weniger. Auch die Kategorie des Einzelnen meint nicht das Subjekt und nicht »den Menschen«, sondern die konkrete Singularität, doch nicht das sich vorfindende Individuum, eher die sich findende Person. Das Sichfinden ist aber, so urfern, gegenpunktfern eben es dem Stirnerschen »Verwerte dich« ist, auch jenem »Erkenne dich«, das Kierkegaard ersichtlich viel zu schaffen gemacht hat, nicht nah. Denn es bedeutet ein Werden, und zwar in einer jedenfalls für das Abendland erst durch das Christentum möglich gewordenen Schwere des Ernstes: ein Werden also, das, obgleich Kierkegaard seine Kategorie schon von Sokrates »zur Auflösung des Heidentums« gebraucht worden sein läßt, in entscheidender Weise ein anderes ist als das durch das sokratische Entbinden bewirkte. »Niemand ist davon ausgeschlossen, ein Einzelner zu werden, außer dem, der sich selbst ausschließt, indem er ›Menge‹ sein will.« Hier steht nicht bloß der »Einzelne« der »Menge«, sondern auch das Werden einem sich dem Werden entziehenden Sosein gegenüber. Das mag ja noch mit Sokratischem zusammenstimmen. Was aber heißt das, ein Einzelner werden? Kierkegaards Auskunft zeigt deutlich die nicht-mehr-sokratische Art seiner Ka-

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tegorie. Sie lautet: »die erste Bedingung aller Religiosität« erfüllen, die eben, »ein einzelner Mensch zu sein«. Darum ja ist »der Einzelne« »die Kategorie, durch die in religiöser Hinsicht die Zeit, die Geschichte, das Geschlecht hindurch muß«. Da der Begriff der Religiosität seither unbestimmt geworden ist, muß genauer bestimmt werden, was Kierkegaard meint. Er kann nicht meinen, ein Einzelner werden sei die erste Bedingung der seelischen Verfassung, die Religiosität heiße. Es geht nicht um die Verfassung einer Seele, sondern um die Existenz in jenem strengen Sinn, mit dem sie, gerade indem sie die Personhaftigkeit erfüllt, die Grenze der Person wesensmäßig überschreitet, so daß Sein, das vertraute Sein, unvertraut wird und nicht mehr mein Sein, sondern meine Teilnahme am Seienden bedeutet. Daß Kierkegaard eben dies meint, sagt er mit dem grundlegenden Wort aus, der Einzelne »entspreche« Gott. Man hat also in der angeführten Auskunft Kierkegaards den Begriff »aller Religiosität« genauer zu bestimmen durch: aller religiösen Wirklichkeit. Da aber auch das noch der epidemischen Erkrankung des Wortes in unsrer Zeit, durch die jedes sich im Nu mit dem Aussatz der Geläufigkeit bedeckt und zum Schlagwort verwandelt, allzusehr ausgesetzt ist, muß man noch weiter, so weit als es überhaupt möglich ist gehen und, die leidige »Religion« aufgebend, im Wagnis, aber im notwendigen Wagnis, erläutern: alles wirklichen menschlichen Umgangs mit Gott. Daß Kierkegaard dies meint, bezeichnet er dadurch, daß er von einem »mit Gott Reden« spricht. Und in der Tat, der Mensch kann nur als Einzelner, als der zum Einzelnen gewordene Mensch mit Gott Umgang haben, – was das Alte Testament, ob darin auch ein Volk als Volk der Gottheit begegnet, so zum Ausdruck bringt, daß es jeweils nur eine namentragende Person, Henoch, Noah, »mit dem Elohim umgehen« läßt. Nicht eher, als man in vollkommner Wirklichkeit – also: sich findend – Ich sagen kann, kann man in vollkommner Wirklichkeit – also: zu Gott – Du sagen. Man kann es, auch wenn man es in einer Gemeinde tut, nur »allein« tun. »Als der ›Einzelne‹ ist er [jeder Mensch] allein, allein in der ganzen Welt, allein vor Gott.« Das ist – was Kierkegaard seltsamerweise nicht bedenkt – durchaus unsokratisch: in dem Wort »Das Göttliche gibt mir ein Zeichen« stellt sich, für alle Zeiten bedeutsam, Sokrates’ »Religiosität« dar, ein Wort »Ich bin allein vor dem Gott« ist in seinem Mund unvorstellbar. Kierkegaards »Allein« ist nicht mehr sokratisch; es ist abrahamisch – Genesis 121 und 222 heischen zusammen im gleichen »Geh vor dich hin« das sich Ablösenkönnen von allen Bindungen, an Vaterwelt und an Sohnwelt –, und es ist christisch. Eine zweifache Abgrenzung tut noch zur Klärung not. Zum ersten: gegen die Mystik. Auch sie läßt den Menschen allein vor Gott sein, aber

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nicht als den Einzelnen. Das Verhältnis zu Gott, das sie meint, ist ja das »Entwerden« des Ich, und den Einzelnen gibt es nicht mehr, wenn er nicht mehr – auch noch in der Hingabe – Ich sagen kann. Wie die Mystik Gott nicht gestatten will, die Knechtsgestalt der redenden und handelnden Person, eines Schöpfers, eines Offenbarers, auf sich zu nehmen und als der alles Schicksal miterleidende Partner der Geschichte den Passionsweg durch die Zeit zu gehn, so verwehrt sie dem Menschen, als der Einzelne, als dieser beharrend, wirklich zu beten, wirklich zu dienen, wirklich zu lieben, wie man es nur als Ich zu einem Du vermag; sie duldet den Einzelnen nur, damit er gründlich zerfließe. Kierkegaard aber weiß, jedenfalls im Verhältnis zu Gott, was Liebe ist, und somit, daß es zwar keine Selbstliebe gibt, die nicht Selbsttäuschung wäre (da der liebende Teil, auf den es ankommt, nur den andern, aber wesentlich nicht sich liebt), daß es aber ohne Selbstsein und Selbstbleiben keine Liebe gibt. Die zweite notwendige Abgrenzung ist die gegen den »Einzigen« Stirners (um der begrifflichen Präzision willen ist diese Fassung den humanistischeren, z. B. dem égotiste Stendhals, vorzuziehen). Vorangehn muß ihr eine Abgrenzung gegen den sogenannten Individualismus, der ja auch eine »religiöse« Abart hervorgebracht hat. Der Einzelne, die zum Allein-vor-Gott-stehen bereite und fähige Person, ist der Widerpart dessen, was man noch in unferner Zeit – mit einem an dem Geiste Goethes Verrat übenden Terminus – Persönlichkeit nannte, und das Werden des Menschen zum Einzelnen ist der Widerpart der »persönlichen Entwicklung«. Aller Individualismus, ob er sich ästhetisch, ethisch oder religiös zubenennt, hat ein billiges und leichtfertiges Gefallen am Menschen, wenn der sich nur »entwickelt«. Mit andern Worten: der »ethische« und der »religiöse« Individualismus sind nur Abwandlungen des »ästhetischen« (der ebensowenig echte Aisthesis ist wie jene echtes Ethos und echte Religio). Auch die Sittlichkeit und die Frömmigkeit müssen, wo sie solchermaßen zu einem in sich beschloßnen Ziel gemacht worden sind, den Schaustücken und Schauspielen eines nicht mehr um das Sein, sondern nur noch um dessen Spieglungen wissenden Geistes zugezählt werden. Wo der Individualismus aufhört leichtfertig zu sein, beginnt Stirner. Ihm ist es zwar auch um eine »Ausbildung der freien Persönlichkeit«, aber in der Bedeutung einer Entweltung des »Eigenen« zu tun: um die Zerreißung seiner existenziellen Verbundenheiten und Verbindlichkeiten, um sein Loskommen von aller ontischen Anderheit der Dinge und der Wesen, die nur noch »Nahrung« seiner Eigenheit sein dürfen. Die Gegenpunktigkeit von Stirners Einzigem zu dem Einzelnen Kierkegaards

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wird am deutlichsten, wo sich die Fragen nach der Verantwortung und nach der Wahrheit erheben. Für Stirner müssen beides Irrfragen sein. Aber es ist wichtig zu sehen, daß er, vermeinend die beiden Grundbegriffe zu zerstören, nur ihre Geläufigkeit zerstört und so, wider all seine Absicht, ihrer Reinigung und Erneuerung vorgearbeitet hat. Historisierende Zeitgenossen haben ihn einen modernen Sophisten gescholten; seither ist das auflösend-bereitende Amt der Sophisten und damit auch das von ihresgleichen erkannt worden. Stirner mag Hegel ebensowenig wie Protagoras den Heraklit verstanden haben, aber wie nichts damit gesagt ist, wenn man jenem vorwirft, die Gärten der großen Kosmologen zu verwüsten, so ist Stirner nicht getroffen, wenn man ihn als den ahnungs- und ehrfurchtslosen Eindringling in die Gefilde nachkantischer Philosophie verpönt. Stirner ist in der Geschichte des menschlichen Denkens ebensowenig wie die Sophisten ein kurioses Zwischenspiel. Er ist wie sie ein Epeisodion im ursprünglichen Sinn: in seinem Monolog wandelt sich insgeheim die Handlung, was darauf folgt ist ein Neues, – wie Protagoras auf seinen Zeitgenossen Sokrates, führt Stirner auf seinen Zeitgenossen Kierkegaard zu. Verantwortung setzt einen primär, d. h. aus einem nicht von mir abhängigen Bereich mich Ansprechenden voraus, dem ich Rede zu stehen habe. Er spricht mich um etwas an, das er mir anvertraut hat und das mir zu betreuen obliegt. Er spricht mich von seinem Vertrauen aus an, und ich antworte in meiner Treue oder versage die Antwort in meiner Untreue oder aber ich war der Untreue verfallen und entringe mich ihr durch die Treue der Antwort. Dieses: einem Vertrauenden über ein Anvertrautes so Rede stehen, daß Treue und Untreue zutage tritt, beide aber nicht gleichen Rechtes, da eben jetzt die wiedergeborne Treue die Untreue überwinden darf, – dies ist die Wirklichkeit der Verantwortung. Wo mich, weil alles »Mein Eigentum« ist, kein primärer Anspruch berühren kann, ist die Verantwortung ein Schemen geworden. Damit jedoch zugleich zerrinnt der Gegenseitigkeitscharakter des Lebens. Wer nicht mehr Antwort gibt, vernimmt das Wort nicht mehr. Aber diese Wirklichkeit der Verantwortung ist gar nicht das von Stirner in Frage Gestellte, sie ist ihm unbekannt. Er kennt ja schlechthin nicht, was an elementarer Wirklichkeit zwischen Wesen und Wesen geschieht, also auch die Geheimnisse von Anrede und Redestehn, von Anspruch und Widerspruch, von Wort und Antwort nicht; er hat dies nicht erfahren, weil man es nur erfahren kann, wenn man sich der Anderheit, der ontischen Uranderheit des Andern nicht verschließt (der Uranderheit des Andern, die freilich, auch wenn es um Gott geht, nicht auf eine

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»Ganzanderheit« eingeschränkt werden darf). Was Stirner mit seiner destruktiven Kraft erfolgreich angreift, ist das Surrogat für eine nicht mehr geglaubte Wirklichkeit: es ist die Scheinverantwortung vor einer Vernunft, einer Idee, einer Natur, einer Institution, vor allerhand erlauchten Gespenstern, vor alledem, was wesentlich nicht Person ist und also nicht wirklich, wie Vater und Mutter, wie Fürst und Meister, wie Gatte und Freund, wie Gott, zur Verantwortung ziehen kann. Das zur Phrase verweste Wort will er in seiner Nichtigkeit zeigen, das lebendige hat er nie gekannt, er enthüllt was er kennt; unkundig der Wirklichkeit, deren Schein der Schein ist, erweist er dessen Scheinhaftigkeit. Stirner löst die Auflösung auf. »Lüge ist was ihr Verantwortung nennt!« schreit er – und hat recht: es ist Lüge. Aber es gibt eine Wahrheit. Und der Weg zu ihr liegt freier, nachdem die Lüge durchschaut ward. Die wahre Verantwortung meint Kierkegaard, wenn er, parabolisch an Stirner vorbeisausend, so von der Menge und dem Einzelnen spricht: »Daß man in Menge ist, entbindet entweder von Reue und Verantwortung oder schwächt doch die Verantwortung des Einzelnen ab, weil sie diesem an der Verantwortung immer nur ein Bruchteil zukommen läßt.« Dieser Spruch, auf den ich noch zurückzuverweisen gedenke, meint keine Illusion einer empfängerlosen Verantwortung mehr, sondern die wiedererkannte echte, darin mir der Forderer das anvertraute Gut abverlangt und ich muß die Hände öffnen oder sie versteinen mir. Die nur-ethische Verantwortung hat Stirner als nichtig entlarvt, indem er die Nichtexistenz der vorgegebenen Empfänger als solcher darlegte; die glaubensmäßige hat Kierkegaard neu kundgetan. Und wie die Verantwortung, so die Wahrheit selber. Hier wird die parabolische Begegnung noch unheimlicher. »Wahrheit … existiert nur – in deinem Kopfe.« »Die Wahrheit ist eine – Kreatur.« »Für Mich gibt es keine Wahrheit, denn über Mich geht nichts!« »Solange du an die Wahrheit glaubst, glaubst du nicht an dich … Du allein bist die Wahrheit.« Was Stirner hier unternimmt, ist die Auflösung der gehabten Wahrheit, des in Besitz nehmbaren und besitzbaren, des zugleich von der Person unabhängigen und der Person zugänglichen Allgemeinguts »Wahrheit«. Er unternimmt es nicht, wie die sophistische und andre Skepsis, mit erkenntnistheoretischen Mitteln; die erkenntnistheoretische Methode scheint ihm gar nicht bekannt zu sein, er benimmt sich so dreist-naiv, als ob Hume und Kant nie gelebt hätten. Aber die Erkenntnistheorie hätte ihm auch nicht geleistet was er brauchte; denn sie, und auch die solipsistische, leitet immer nur auf das erkennende Subjekt und nicht auf die konkrete menschliche Person hin, auf die Stirner mit fanatischer Unablenkbarkeit zielt. Das Mittel, mit

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dem er die Auflösung der gehabten Wahrheit unternimmt, ist der Nachweis ihrer Personbedingtheit. »Wahr ist, was Mein ist« – darin steckt schon der Grundsatz des Tages an dem wir leben: »Was ich für wahr halte ist bestimmt durch das was ich bin«, wozu, Stirner gewiß zum Entsetzen, aber in folgerichtiger Fortbildung, als unabtrennbare Auslegung zwei Sätze zur Wahl oder zur Kombination treten: der Satz »und was ich bin, ist bedingt durch meine Komplexe« und der Satz »und was ich bin, ist bedingt durch meine Klassenzugehörigkeit« mit all seinen Varianten. Stirner ist der unfreiwillige Vater der modernen psychologischen und soziologischen Relativierungen, die ihrerseits – das sei hier schon vorweggenommen – zugleich wahr und falsch sind. Aber wieder hat Stirner recht, wieder löst er die Auflösung auf. Die gehabte Wahrheit ist nicht einmal eine Kreatur, sie ist ein Spuk, ein Sukkubus, mit dem der Mensch zu leben sich nur wirksam einbilden, mit dem er nicht leben kann. Du kannst die Wahrheit nicht in dich schlingen, sie kocht in keinem Topf der Welt, du kannst sie nicht einmal angaffen, denn sie ist kein Gegenstand. Und doch gibt es eine Teilnahme am Sein der unzugänglichen Wahrheit – für den der sie bewährt. Es gibt ein Realverhältnis der ganzen menschlichen Person zur ungehabten, unhabbaren Wahrheit, und es vollendet sich erst in der Bewährung. Dieses Realverhältnis ist, wie immer es sich benennt, das zum Seienden. Die Wiederentdeckung der in der Menschenwelt durch den Wahrheitsschein entthronten, in Wahrheit aber ewig unabsetzbaren Wahrheit, die man nicht haben, der man aber und um die man dienen kann, durch Wahrnahme und Bewährung, vollzieht Kierkegaard mit einer paradoxen Satzfolge. Sie beginnt mit den Worten: »Der sie [die Wahrheit] mitteilt, ist nur ein Einzelner. Und dann ist ihre Mitteilung wieder nur für den Einzelnen; denn diese Betrachtung des Lebens, ›der Einzelne‹, ist gerade die Wahrheit.« Man muß hier gut zuhören. Nicht, daß es den Einzelnen gibt, und nicht, daß es ihn geben soll, wird als die Wahrheit bezeichnet, sondern »diese Betrachtung des Lebens«, die darin besteht, daß der Einzelne ist, und die daher auch einfach mit ihm identifiziert wird: der Einzelne sein ist die Mitteilung der Wahrheit, das heißt die menschliche Wahrheit. Die Menge, sagt Kierkegaard, »erzeugt Vorzugsstellungen im Menschenleben«, die »zeitlich-weltlich die ewige Wahrheit übersehen: den Einzelnen«. »Du allein bist die Wahrheit«, heißt es bei Stirner, »Der Einzelne ist die Wahrheit«, heißt es hier; das ist das unheimliche parabolische Wortphänomen, auf das ich hingedeutet habe: es gibt in einer »Zeit der Auflösung« (Kierkegaard) den ausgesparten Punkt, in dem das Nein und das Ja mit all ihrer Gewalt, aber rein objektiv, ohne Bewußtsein, an einander und aneinander vorbei geraten. Kierkegaard fährt nun

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so fort: »Die Wahrheit kann nicht mitgeteilt und empfangen werden außer gleichsam vor Gottes Augen, durch Gottes Hilfe; so daß Gott dabei ist, daß er die Zwischenbestimmung ist, wie er die Wahrheit ist … Denn Gott ist die Wahrheit und deren Mittelbestimmung.« Also: »›Der Einzelne‹ ist die Wahrheit« und »Gott ist die Wahrheit«. Das ist wahr, weil der Einzelne Gott »entspricht«. Darum kann Kierkegaard sagen, die Kategorie »der Einzelne« sei und bleibe »der feste Punkt, welcher der pantheistischen Verwirrung standhalten kann«. Der Einzelne entspricht Gott. Denn »der Mensch ist verwandt mit der Gottheit«. Alttestamentlich ausgedrückt: der Einzelne verwirklicht das »Bild« Gottes, dadurch eben, daß er ein Einzelner geworden ist. In der Sprache ausgedrückt, in der allein ein mit der Wahrheitsproblematik ringendes, ihr erliegendes, sich abkehrendes, aber auch wieder neu ausholendes Zeitalter die Überwindung fassen kann: der Einzelne bewährt existenziell, dadurch daß »das persönliche Existieren das Gesagte [ich würde sagen: das Ungesagte] ausdrückt«, die erscheinende Wahrheit. Es gibt diese Menschenseite der Wahrheit: in der menschlichen Existenz. Gott ist die Wahrheit, weil er ist, der Einzelne ist die Wahrheit, weil er sich zu seiner Existenz findet. Stirner hat die nur-noetische Wahrheit aufgelöst und, all seinem Wissen und Wollen entgegen, den Raum freigemacht, in den die geglaubte und bewährte Wahrheit Kierkegaards getreten ist, die Wahrheit, die man nicht mehr mit der Noesis allein bekommen und haben kann, die man existierend verwirklichen muß um ihrer innesein und sie mitteilen zu dürfen. Aber da ist noch ein Drittes und Letztes an Berührung und Abstoßung. Für Stirner ist jeder Mensch der Einzige, wenn er nur allen ideologischen Ballast (zu dem hier das Religiöse gehört) abwirft und sich als Eigner seines Welteigentums niederläßt. Für Kierkegaard »kann und soll« »jeder, unbedingt jeder Mensch« »der Einzelne« sein, – er muß nur …, ja, was muß er nur? Er muß nur ein Einzelner werden. Denn »die Sache ist die, daß diese Kategorie nicht doziert werden kann; sie ist ein Können, eine Kunst, … und zwar eine Kunst, deren Ausübung dem Künstler seinerzeit das Leben kosten könnte«. Aber wenn man genau nachprüft, ob denn nicht doch irgendwo eine nähere Bestimmung, wenn auch nicht eben eine dozierende, steht, wird man eine finden, – nicht mehr als eine, nicht mehr als ein einziges Wort, das aber findet man: »gehorchen«. Das ist nun auf jeden Fall das, was dem Einzigen Stirners von seinem Urheber unter allen Umständen verboten ist, ja, es ist leicht zu ermitteln, daß hinter allen Verboten Stirners an seinen Einzigen dieses als das eigentliche, umfassende und entscheidende steht. Mit diesem

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einen Verb, diesem »Tuwort«, stößt Kierkegaard den Geist, der ihm, ohne daß beide es wußten, in der Zeit der Auflösung so nah, zu nah getreten war, endgültig ab. Und doch wirken – die Beleuchtung der Stunde macht es sichtbar – die beiden Urverschiedenen, Urfremden, die einander nichts angehen, aber miteinander uns angehen, zusammen: nicht vor hundert Jahren, sondern heut, Zerfall als Zerfall anmeldend der eine, der andre den ewigen Bau als unantastbar erweisend. Keinem angemaßten Herrn mehr gehorchen, das ist Stirners Anliegen; Kierkegaard hat keins – er wiederholt das uralte, mißbrauchte, entweihte, zerschlissene, unantastbare: dem Herrn gehorchen. Wenn einer der Einzelne wird, »da geht es schon mit dem Gehorchen«, auch in der Zeit der Auflösung, wo es sonst nicht mehr damit geht. Stirner führt die Leute aus allerhand Gassen aufs offne Feld, wo jeder der Einzige und die Welt sein Eigentum ist. Da tummeln sie sich nun in eitel Unverbindlichkeit, und es ergibt sich nichts als Getümmel, – bis einer um den andern zu merken beginnt, wie dieses Feld heißt. Kierkegaard führt an einen »Engpaß«: seine Aufgabe sei, »womöglich die Vielen zu veranlassen, einzuladen, zu bewegen, daß sie durch diesen Engpaß, ›der Einzelne‹, hindurchdringen, durch den doch wohlgemerkt keiner kommt, ohne daß er ›der Einzelne‹ wird, da ja das Gegenteil durch den Begriff selbst ausgeschlossen ist.« Ich meine aber, daß in der tatsächlichen Geschichte der Weg an diesen Engpaß über jenes offene Feld führt, das zuerst Individualegoismus und dann Kollektivegoismus und dann mit seinem wahren Namen Verzweiflung heißt. Führt aber wirklich ein Weg durch den Engpaß fort? Kann man wirklich der Einzelne werden? »Ich selbst behaupte ja nicht von mir«, sagt Kierkegaard, »daß ich es sei; denn ich habe zwar darum gekämpft, habe es aber noch nicht ergriffen, und werde beim Fortkämpfen stets wieder daran erinnert, daß es über Menschenkräfte geht, im höchsten Sinne der ›Einzelne‹ zu sein.« »Im höchsten Sinne« – das ist christlich und christologisch gesprochen, es weist die Paradoxie der christlichen Aufgabe auf; aber es ist auch dem Nichtchristen überzeugend. Es schließt ein, daß kein Mensch von sich sagen könne, er sei der Einzelne geworden, da ja immer noch ein höherer Sinn der Kategorie unerfüllt über ihm bleibe; aber es schließt zugleich ein, daß jeder Mensch dennoch ein Einzelner werden könne. Beides ist wahr. »Um das Ewige, Entscheidende kann nur gearbeitet werden, wo Einer ist; und dieser Eine zu werden, der alle werden können, heißt sich von Gott helfen lassen.« Das ist Weg.

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Und doch ist es nicht der Weg: dessen wegen, wovon ich in diesem Abschnitt nicht sprach und nun zu sprechen habe.

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Kierkegaards »ein Einzelner werden« ist, wie wir gesehen haben, nicht sokratisch gemeint: zum Ziel hat dieses Werden nicht das »richtige« Leben, sondern den Eintritt in eine Beziehung. Werden heißt hier für etwas werden, »für« im strengen Sinn, der den Umkreis der Person selbst schlechthin transzendiert: eben hergerichtet werden für die eine Beziehung, in die man nur als der Einzelne, der Eine, eintreten kann, sie, um deren willen es den Menschen gibt. Diese Beziehung ist eine ausschließliche, die ausschließliche, und das bedeutet nach Kierkegaard, daß sie die ausschließende, alle andern Beziehungen ausschließende, genauer: die kraft ihrer einzigen Wesentlichkeit alle andern Beziehungen ins Reich der Unwesentlichkeit verbannende ist. »Jeder soll nur mit Vorsicht sich mit den ›andern‹ einlassen und wesentlich nur mit Gott und mit sich selbst reden«, heißt es in der Darlegung der Kategorie; jeder, so ist es zu verstehen, auf Grund dessen, daß jeder der Eine werden kann. Hier ist schon die Verknüpfung des »mit Gott« mit dem »mit sich selbst« eine schlimme, durch nichts zu mindernde Unstimmigkeit. Alle Monologbegeisterung der Philosophen von Platon bis Nietzsche rührt nicht an die schlichte Glaubenserfahrung, daß das Reden mit Gott etwas toto genere anderes ist als das »Reden mit sich selbst«, dagegen merkwürdigerweise nicht etwas toto genere anderes als das Reden mit einem anderen Menschenwesen. Da nämlich ist beiden die Tatsache eines in keiner Tiefe der Seele vorwegnehmbaren Angetreten-, Angefaßt-, Angesprochenwerdens gemeinsam, dort ist es beiden, trotz all der Verdopplungsabenteuer der Seele – Spiele, Räusche, Träume, Visionen, Überraschungen, Überrumplungen, Überwältigungen –, ja trotz aller Spannungen und Spaltungen, und trotz all der edlen und starken Bilder für den Verkehr mit sich selbst, durchaus ungemeinsam. »Da ward eins zu zwei« – das kann nie ontisch wahr werden, ebenso wie das umgekehrte »ein und ein vereinet« der Mystik nie ontisch wahr werden kann. Nur wenn ich mit einem Anderen wesentlich zu tun bekomme, so also, daß er gar nicht mehr ein Phänomen meines Ich, dafür aber mein Du ist, nur dann erfahre ich die Wirklichkeit des Mit-einem-redens – in der unverbrüchlichen Echtheit der Gegenseitigkeit. Abyssus abyssum clamat: was das bedeutet, erfährt die Seele erst, wenn sie an ihre Grenze gerät und sich einem gegenüber findet, das schlechthin nicht sie selbst und doch ein Selbst ist.

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Aber in diesem Punkte scheint Kierkegaard sich selbst zu berichtigen. An der Stelle seiner Tagebücher, wo er die Frage ausspricht: »Und wie wird man ein Einzelner?«, beginnt die Antwort mit der in dem erörterten Belange offenbar gültigeren Formulierung, es komme darauf an, daß man »was die höchsten Anliegen anlangt, einzig zu Gott sich verhält«. Wenn man in dem Satz das Wort »höchsten« als inhaltlich einschränkend versteht, ist er eine Selbstverständlichkeit: die höchsten Anliegen vermag nur der Höchste zu empfangen. Aber so kann es, das geht aus dem andern Satz (»Jeder soll …«) hervor, nicht gemeint sein. Hält man beide zusammen, dann ergibt sich als Kierkegaards Meinung: Der Einzelne läßt sich wesentlich (ohne »Vorsicht«) nur mit Gott ein. Damit aber ist die Kategorie des Einzelnen, kaum zulänglich entdeckt, auch schon in verhängnisvoller Weise mißkannt. Kierkegaard, der um die »Gleichzeitigkeit« mit Jesus bemühte Christ, spricht hier seinem Meister zuwider. Auf die Frage – eine nicht bloß ihn zu »versuchen« bestimmte, vielmehr eine geläufige und bedeutungsreiche Streitfrage der Zeit –, welches das alle andern umfassende und begründende, das »große« Gebot sei, antwortet Jesus, indem er die zwei Gebote des Alten Testaments, die für die Antwort vor allem zur Wahl standen, zusammenbindet: »Liebe Gott mit all deiner Macht« und »Liebe deinen Genossen dir gleich«. Zu »lieben« sind also beide, Gott und der »Genosse« (d. h. der Mensch nicht im allgemeinen, sondern der mir jeweils lebensmäßig begegnende Mensch), aber auf verschiedene Weise: der Genosse als der mir Gleiche (nicht »wie ich mich liebe«, man liebt sich selbst eben nicht in letzter Wirklichkeit, man soll sich vielmehr erst durch die Genossenliebe selbst lieben lernen), dem ich also Liebe erweisen soll, wie ich will, daß mir Liebe erwiesen werde, – Gott aber mit all meiner Seele und mit all meiner Macht. Damit, daß Jesus beides zusammenbindet, hebt er die Wahrheit des Alten Testaments ans Licht, daß Gott und der Mensch nicht Rivalen sind. Die ausschließliche (»mit all deinem Herzen«) Liebe zu Gott ist, weil er Gott ist, die einschließliche Liebe, bereit alle Liebe aufzunehmen und einzuschließen. Gott schafft nicht sich, er erlöst nicht sich, ja er offenbart, indem er »sich offenbart«, nicht sich: nicht einmal seine Offenbarung hat ihn zum Gegenstand. Er beschränkt sich in all seiner Schrankenlosigkeit, er macht Raum für die Wesen, – und so macht er in der Liebe zu ihm Raum für die Liebe zu den Wesen. »Um zum Lieben zu kommen«, sagt Kierkegaard über seine Lossagung von Regine Olsen, »mußte ich den Gegenstand entfernen«. Das heißt Gott auf die sublimste Weise mißverstehen. Die Schöpfung ist keine Hürde auf der Bahn zu Gott, sie ist diese Bahn selbst. Wir sind miteinander

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erschaffen und auf ein Miteinander zu. Die Geschöpfe sind mir in den Weg gestellt, damit ich, ihr Mitgeschöpf, durch sie und mit ihnen zu Gott finde. Ein durch Ausschluß ihrer zu Erreichender wäre nicht der Gott aller Wesen, in dem sich alles Wesen erfüllt. Ein Gott, in dem sich nur die parallelen Gottzugänge der Einzelnen schneiden, ist dem »Gott der Philosophen« verwandter als dem »Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs«. Gott will, daß wir durch die Reginen, die er erschaffen hat, und nicht durch die Lossagung von ihnen zu ihm kommen. Entfernen wir den Gegenstand, dann – entfernen wir den Gegenstand; gegenstandslos, den Gegenstand nur noch aus der Fülle des Menschengeistes hervorfingierend und ihn »Gott« benennend, west diese Liebe im Leeren. »Zurück zu dem Kloster, aus dem Luther ausbrach, muß die Sache geführt werden«; so bestimmt Kierkegaard die Aufgabe der Zeit. »Kloster« kann hier nur verstanden werden als die institutionelle Behütung des Menschen vor einem wesentlichen, seine Ganzheit einbeziehenden Verhältnis zu andern als zu Gott. Und gewiß wird dem so Behüteten die Ausrichtung auf den Punkt Gott mit einer anders nicht zu erlangenden Geradheit ermöglicht. Aber was da »Gott« heißt, ist in der Tat nur noch der Endpunkt einer menschlichen Richtungslinie. Der wirkliche Gott aber läßt keine kürzere als jedes Menschen längste Linie ihn, Gott, erreichen: die Linie, welche die diesem Menschen zugängliche Welt umspannt. Denn er, der wirkliche Gott, ist der Schöpfer, und alle Wesen stehn vor ihm zueinander in seiner Schöpfung, im Miteinander brauchbar werdend für sein Schöpferziel. Eine akosmische Beziehung zu Gott lehren heißt den Schöpfer nicht kennen. Akosmische Verehrung eines Gottes, von dem man mit Kierkegaard weiß, es sei Gnade von ihm, »daß er im Verhältnis zu dir Person sein will«, ist Marcionismus ohne Folgerichtigkeit: sie reißt den Schöpfer und den Erlöser nicht auseinander, wie sie müßte, wenn sie folgerichtig wäre. Man darf aber nicht übersehen, daß es Kierkegaard keineswegs darum zu tun ist, den aus dem Kloster ausbrechenden Luther ins Unrecht zu setzen. Er behandelt einmal Luthers Ehe wie etwas aller natürlichen Personhaftigkeit, aller Unmittelbarkeit zwischen Mann und Weib eigentlich Enthobenes, wie eine sinnbildliche Handlung, eine die Wendung der geistigen Geschichte des Abendlandes vertreterisch aussprechende Tat; »das Wichtigste ist«, läßt er Luther sagen, »daß es notorisch wird, daß ich verheiratet bin«. Hinter Luthers Ehe mit Katharina taucht nun aber, namenlos aber deutlich, Kierkegaards Nichtehe mit Regine auf. »Umgekehrt könnte einer sagen: … dem ganzen neunzehnten Jahrhundert zum Trotz kann ich mich nicht verheiraten.« Hier kommt also als neue Perspektive die qualitative Verschiedenheit der Geschichtszeiten hinzu. Zwar gilt

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nach Kierkegaard jedenfalls für beide Zeitalter, daß der Einzelne sich nicht mit anderen als mit Gott wesentlich einlassen solle, und Luther redet also nach ihm nicht wesentlich, sondern nur sinnbildlich mit Katharina, weltverbunden bleibt er doch in der Eigentlichkeit weltlos und »allein vor Gott«. Aber die sinnbildlichen Handlungen sind eben entgegengesetzt: durch die eine wird dem einen Jahrhundert das Wort einer, wenn auch vielleicht letztlich nur unverbindlichen Wiederverbindung mit der Welt zugesprochen, durch die andre dem andern das Wort einer neuen, jedenfalls verbindlichen Lossagung. Weshalb doch? Weil das neunzehnte Jahrhundert der »Menge« verfallen ist, und »die Menge ist die Unwahrheit«. Nun ist aber zweierlei möglich. Entweder ist für Kierkegaard die von Luther lebensmäßig gepredigte Verbindung mit der Welt doch nur eine unverbindliche, nicht »wesentliche«, nicht für die Führung jener Zeit zu Gott notwendige. Das wäre aber ein Luther, der das Unverbindliche als ein Verbindliches wirken läßt, für die Menschen eine andre Aussage hat als für Gott und mit dem Sakrament umgeht, als vollzöge es sich außerhalb Gottes; und das wäre ein Luther, dessen sinnbildlicher Handlung keine Vollmacht innewohnen könnte. Oder aber für Kierkegaard ist die von Luther lebensmäßig gepredigte Verbindung mit der Welt eine verbindliche, wesentliche, für die Führung zu Gott notwendige. Dann würde die im übrigen unanzweifelbare qualitative Verschiedenheit der Geschichtszeiten in das hineinreden, was seinem Grunde nach geschichtsunabhängig ist, geschichtsunabhängiger noch als Geburt und Tod: das Verhältnis des Einzelnen zu Gott, – dessen wesenhafte Beschaffenheit nicht in jenem Jahrhundert eine solche und in diesem eine andre sein, das nicht damals mitten durch die Welt und jetzt über die Welt hinweg gehen kann. Die menschlichen Vorstellungen von der Beziehung wechseln, die Wahrheit der Beziehung ist unwandelbar, weil sie in der ewigen Gegenseitigkeit steht und nicht der Mensch seinen Zugang zu ihr bestimmt, sondern der Schöpfer mit der Eindeutigkeit seiner Erschaffung des Menschen den Zugang eingesetzt hat. Wohl geht es nicht an, über Gott anders als dialektisch zu reden, weil er nicht unter dem Satz vom Widerspruch steht. Es gibt jedoch eine Grenze der Dialektik, wo zwar nicht mehr ausgesagt, aber gewußt wird. Wer, der sich zu dem Gott bekennt, zu dem Kierkegaard und ich uns bekennen, könnte in der entscheidenden Einsicht vermeinen, Gott wolle, daß nur zu ihm wahrhaft Du gesagt werde, zu allen andern aber nur ein unwesentliches und eigentlich ungültiges, – Gott fordre von uns, zwischen ihm und seiner Schöpfung zu wählen! Man wendet ein, die Welt sei als gefallen nicht mit der Schöpfung zu identifizieren. Aber welcher

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Fall der Welt könnte so mächtig sein, daß er sie für ihn seiner Schöpfung entbräche! Das hieße ja, das Handeln der Welt zu einem dem Handeln Gottes übermächtigen und ihn zwingenden machen! Es kann nicht darum gehen, die Dinge von Gott abgehoben, noch auch, sie in ihm aufgehoben zu sehen; es kann nur darum gehen, die Dinge »in Gott zu sehen«, die Dinge selber. Auf unsre Beziehungen zu den Wesen angewandt: erst wenn alle Beziehungen, unverkürzt, in die eine hereingenommen werden, legen wir den Ring unsrer Lebenswelt um die Sonne unseres Seins. Gewiß, das ist das Schwerste, und der Mensch muß, damit er es vermöge, sich zuweilen von einem innerweltlichen »Kloster« helfen lassen. Unsre Beziehungen zu den Wesen drohen unablässig sich zu verkapseln. Wie die Welt selber sich in ihrer Welthaftigkeit, ihrer Selbständigkeit, dadurch erhält, daß sie, die als Schöpfung ihrem Gotte offene, gegen ihn sich zu verschließen strebt, so wehrt sich jede große Bindung des Menschen, wiewohl er gerade in ihr den Zusammenhang mit dem Unendlichen verspürt hat, kräftig dagegen, dauernd im Unendlichen zu münden. Hier helfen uns die Klostergestalten des Weltlebens, die Einsamkeiten mitten in ihm, in die wir wie in Herbergen einkehren, daß die Kommunikation der bedingten Bindungen mit der einen unbedingten nicht erlahme. Auch dies ist ein, wollen wir unsre Teilnahme am Seienden nicht absterben sehen, unerläßlicher Wechsel, die Systole der Seele zu ihrer Diastole, und die Einsamkeit muß die Eigenschaft der Strenge, der Klosterhaftigkeit kennen, um ihr Werk zu tun. Aber nie darf sie uns den Wesen entreißen wollen, nie sich weigern uns zu ihnen zu entlassen: dann verginge sie sich gegen ihr Gesetz und verschlösse uns, statt uns, wie es ihres Amtes ist, zu befähigen, die Pforten der Endlichkeit offen zu halten. Kierkegaard verhehlt uns keinen Augenblick, daß sein Widerstand gegen die Weltbindung, seine religiöse Einsamkeitslehre in einer persönlichen Art und einem persönlichen Schicksal gegründet ist. Er gesteht, er habe mit den Menschen »keine gemeinsame Sprache mehr«. Er verzeichnet, der schönste Augenblick in seinem Leben sei im Badehaus, ehe er ins Wasser springe: »ich habe nichts mehr mit der Welt zu tun«. Er legt vor unsern Augen etliche der Wurzeln seiner »Schwermut« bloß. Er weiß genau, was ihn dazu gebracht hat, sich nur mit Vorsicht mit den andern einzulassen und wesentlich nur mit Gott und mit sich selbst zu reden. Und doch spricht er, sowie er mit dem »direkten« Sprechen beginnt, es als Imperativ aus: jeder solle so tun. Er zeigt immerzu auf seinen Schatten – und will ihn überspringen. Er ist ein Ausgenommener und Preisgegebener, und gewiß, wir alle sinds, weil der Mensch, als Mensch, es

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ist; Kierkegaard aber ist an den Rand der Ausgenommenheit und Preisgegebenheit geraten und hält sich im Gleichgewicht nur noch durch die unerhörte Schwunghaftigkeit seiner »schriftstellerischen«, verhalten mitteilerischen Existenz mitsamt den komplizierten Sicherungen all der »Pseudonyme«, – wir jedoch sind nicht am Rande, und das ist kein Nochnicht und keine Kompromißlerei, kein Klammern an das Diesseits der Schwermut, sondern es ist organischer Bestand und Gnade der Bewahrung und bedeutend für die Zukunft des Geistes. Kierkegaard verhält sich zu uns wie ein Schizophrener, der den geliebten Einzelnen in »seine« Welt als in die wahre herüberzulocken versucht. Aber es ist nicht die wahre. Wir dürfen, selber auf schmalem Grate wandelnd, den Anblick der vorschießenden Felszacke, auf der er über dem Abgrund steht, nicht scheuen und dürfen sie nicht betreten. Wir haben viel von ihm zu lernen, das Letzte nicht. Unsere Ablehnung kann sich auf Kierkegaards eigne Lehre stützen. Als »das Einzige, wodurch Gott mit ›dem Menschen‹ kommuniziert«, bezeichnet er (1853) »das Ethische«. Der Zusammenhang der Lehre hält selbstverständlich die Gefahr fern, das im Sinn einer Absolutierung des Ethischen zu verstehen. Aber es muß so verstanden werden, daß nicht bloß eine autarke Ethik, sondern auch eine autarke Religion unzulässig ist, daß wie das Ethische vom Religiösen so dieses von jenem nicht abgelöst werden kann, ohne damit aufzuhören, der seienden Wahrheit gerecht zu werden. Das Ethische erscheint hier nicht mehr, wie im früheren Denken Kierkegaards, als ein »Stadium«, von dem zum Religiösen ein »Sprung« führe, mit dem man auf eine ganz andre, andersinnige Ebene gelangt; es wohnt dem Religiösen inne, dem Glauben und dem Dienst. Dieses Ethische kann nicht mehr eine dem Bereich der Relativität angehörige, jeweils vom Religiösen überholte und entwertete Sittlichkeit bedeuten, sondern nur ein wesentliches, der wesentlichen Beziehung zu Gott zugeordnetes Handeln und Leiden an den Menschen. Wesentlich an den Menschen handeln und leiden kann aber nur, wer sich wesentlich mit ihnen einläßt. Ist das Einzige, wodurch Gott mit dem Menschen kommuniziert, das Ethische, dann ist es mir verboten, wesentlich nur mit ihm und mir selber zu reden. Und so ist es in der Tat. Ich sage nicht, daß es Kierkegaard auf seiner Felszacke verboten sei, auf der er mit dem Erbarmen des Erbarmers allein ist. Ich sage nur, daß es mir und dir verboten ist. Kierkegaard ist sich der Problematik, die aus dem negativierenden Ausbau der Kategorie des Einzelnen hervorgeht, tief bewußt: »Das Fürchterliche«, schreibt er in sein Tagebuch und wir lesen es mit Furcht und Zittern wie er es schrieb, »ist, daß just die höchste Form der Fröm-

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migkeit: alles Irdische ganz fahren zu lassen der höchste Egoismus sein kann«. Hier wird aber offenbar noch nach Motiven unterschieden und der verwendete Begriff des Egoismus ist ein Motivationsbegriff. Setzen wir an seine Stelle einen objektiven, einen Zustandsbegriff, und der Satz ändert sich zu einem noch fürchterlicheren: »Just was sich uns als die höchste Form der Frömmigkeit darstellt: alles Irdische ganz fahren zu lassen ist der höchste Egoismus.« Ist es wahr, daß der Einzelne Gott »entspricht«? Verwirklicht er das »Bild« Gottes dadurch allein, daß er ein Einzelner geworden ist? Eins fehlt noch dazu, daß es so sei, – das Entscheidende. »Freilich«, sagt Kierkegaard, »ist Gott kein Egoist, aber er ist das unendliche Ego«. Jedoch von dem Gott, zu dem wir uns bekennen, ist damit – wagt man überhaupt auszusagen – zu wenig gesagt. Er schwebt über seiner Schöpfung nicht wie über einem Chaos, er umfängt sie. Er ist das unendliche Ich, das alles Es zu seinem Du macht. Der Einzelne entspricht Gott, wenn er, wie Gott seine Schöpfung göttlich, das ihm zugereichte Stück Welt menschlich umfängt. Er verwirklicht das Bild, wenn er, soviel er personhaft vermag, zu den ihn umlebenden Wesen mit seinem Wesen Du sagt. Niemand kann Kierkegaard so widerlegen wie Kierkegaard. Mit sich rechtend, sich richtend, berichtigt er von der Tiefe aus den eigenen Geist, manchesmal ehe der sein Wort gesprochen hat. 1843 trägt Kierkegaard in sein Tagebuch das unauslöschliche Bekenntnis ein: »Hätte ich Glauben gehabt, so wäre ich bei Regine geblieben.« Damit will er sagen: Hätte ich wirklich geglaubt, daß »für Gott alles möglich ist«, also auch dies, meine Schwermut, meine Ohnmacht, meine Angst, meine schicksälige Fremdheit zur Frau und zur Welt zu lösen, so wäre ich bei Regine geblieben. Aber indem er dies sagen will, sagt er etwas anderes noch: daß der Einzelne, wenn er wirklich glaubt, und das heißt: wenn er wirklich der Einzelne ist (welcher er ja, wie wir sahen, für die eine Glaubensbeziehung geworden ist), sich mit einem andern wesentlich einlassen kann und darf. Dahinter aber dämmert ein Äußerstes auf: daß, wer dies kann und darf, es auch soll. »Das Einzige, wodurch Gott mit dem Menschen kommuniziert, ist das Ethische.« Das Ethische aber in seiner unverfälschten Wahrheit bedeutet: Gott helfen, indem man seine Schöpfung in seinen Geschöpfen liebt, indem man sie zu ihm hinliebt. Wozu man sich freilich von ihm helfen lassen muß. »Der Einzelne ist die Kategorie, durch die in religiöser Hinsicht die Zeit, die Geschichte, das Geschlecht hindurch muß.« Was ist das, die religiöse Hinsicht? Eine Hinsicht neben anderen Hinsichten? Das Hinsehen auf Gott, gewonnen durch das Absehen von allem andern? Gott ein

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Gegenstand neben andern Gegenständen, der erwählte neben den verworfenen? Gott als Reginens erfolgreicher Rivale? Ist das noch Gott? Ist das nicht bloß das zugepaßte Objekt der religiösen Genialität? (Wohlgemerkt, ich spreche nicht von der wahren Heiligkeit, für die es, da sie alles einheiligt, keine »religiöse Hinsicht« gibt.) Der religiösen Genialität? Kann es religiöse Genies geben? Ist das nicht eine contradictio in adjecto? Kann das Religiöse eine Spezifizierung sein? Die »religiösen Genies« sind theologische Genies. Ihr Gott ist der Gott der Theologen. Das ist zwar nicht der Gott der Philosophen, aber auch nicht der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs. Auch der Gott der Theologen ist ein logisierter Gott; auch der einer Theologie ist es, die nur dialektisch reden will und sich über den Satz vom Widerspruch hinwegsetzt. Sie kommen, solange sie Theologie treiben, von der Religion als Spezifizierung nicht los. Als Pascal in vulkanischer Stunde jene stammelnde Unterscheidung zwischen Gott und Gott machte, war er kein Genie, sondern ein Mensch, der die Urglut des Glaubens erfuhr, zu andern Zeiten aber war er ein theologisches Genie und verweilte in der spezifizierenden Religion, der das Ereignis jener Stunde ihn entrückt hatte. Religion als Spezifizierung verfehlt ihr Ziel. Gott ist nicht ein Gegenstand neben Gegenständen und kann daher nicht durch Verzicht auf Gegenstände erreicht werden. Gott ist zwar nicht das All, aber er ist erst recht nicht das Sein minus das All. Er ist durch Abzug nicht zu finden und nicht durch Abstrich zu lieben.

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Kierkegaards Denken kreist um das Faktum, daß er auf eine wesentliche Beziehung zu einem bestimmten Menschen wesentlich verzichtet hat. Nicht beiläufig, nicht in der Relativität der vielen Lebens-Erfahrungen und -Entscheidungen, nicht einmal lediglich mit der Seele resignierend, sondern wesentlich. Die Wesentlichkeit, die geradezu positive Wesentlichkeit seines Verzichts ist das, was er zum Ausdruck bringen will: »Dem ganzen neunzehnten Jahrhundert zum Trotz kann ich mich nicht verheiraten.« Wesentlich wird der Verzicht dadurch, daß er den Verzicht auf eine wesentliche Beziehung zur Welt, als welche das Alleinsein vor Gott behindre, in biographischer Konkretheit darstellt; und zwar wie gesagt nicht in einer einmaligen, wie wenn einer ins Kloster ging und damit sich eben von der Welt losgesagt hat und nun eben außer ihr als der Losgesagte lebt, sondern in einer eigentümlich dauernden: der Verzicht wird zum Bezugspunkt eines geistigen Koordinatensystems, dessen jeder Punkt daher seinen Stellenwert empfängt. So gerade gewinnt dieses System seinen eigentlichen existenziellen Charakter, durch den es zu einer neuen Philosophie und zu einer neuen Theologie den Anstoß gegeben hat. Und gewiß gehört zu dieser säkular bedeutsamen biographischen Konkretheit die wunderlich vielfältige und doch unanzweifelbar rechtmäßige, Stück für Stück in den Lotungen der Innerlichkeit vorgefundene Motivation des Verzichts, die Kierkegaard direkt, indirekt, andeutend, verhohlen ausspricht. Aber darüber hinaus ist bei genauer Betrachtung zu merken, daß zwischen dem Verzicht und einer immer stärker gewordenen, schließlich in den »Beilagen« zum »Rapport« mit eindringlicher Klarheit ausgesprochenen Anschauung und Haltung ein geheimer, unausgesprochener, aber für Kierkegaard und für uns wichtiger Zusammenhang besteht. »Die Menge ist die Unwahrheit.« »Diese Betrachtung des Lebens, der Einzelne, ist die Wahrheit.« »Niemand ist davon ausgeschlossen, ein Einzelner zu werden, außer dem, der sich selbst ausschließt, indem er Menge sein will.« Und weiter: »›Der Einzelne‹ ist die Kategorie des Geistes, der geistigen Erweckung und Belebung, und ist der Politik so sehr als wohl überhaupt möglich entgegengesetzt.« Der Einzelne und die Menge, der »Geist« und die »Politik« – dieser Gegensatz ist von dem, in den Kierkegaard, ihn eben durch seinen Verzicht sinnbildlich äußernd, zur Welt tritt, nicht zu trennen. Kierkegaard verheiratet sich nicht: »dem neunzehnten Jahrhundert zum Trotz«. Was er als das neunzehnte Jahrhundert bezeichnet, ist die

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»Zeit der Auflösung«, die Zeit von der er sagt, ein einzelner Mensch könne ihr »nicht helfen oder sie retten«, er könne »nur ausdrücken, daß sie untergeht«, – daß sie untergeht, wenn sie nicht durch den »Engpaß« zu Gott kommt. Und Kierkegaard verheiratet sich nicht, in sinnbildlicher Nein-Handlung, dieser Zeit zum Trotz, weil es die Zeit der »Menge« und die Zeit der »Politik« ist. Luther verheiratete sich in sinnbildlicher Handlung, weil er den gläubigen Menschen seiner Zeit aus einer versteiften religiösen Abgeschiedenheit, die ihn zuletzt von der Gnade selber abschied, zu einem Leben mit Gott in der Welt führen wollte. Kierkegaard verheiratet sich nicht (das gehört natürlich nicht zu der vielfältigen subjektiven Motivation, aber es ist die objektive Bedeutung des Sinnbilds), weil er den ungläubigen Menschen seiner Zeit, der in die Menge verstrickt ist, zum Einzelner-Werden, zum einsamen Glaubensleben, zum Alleinsein vor Gott führen will. Gewiß, Ehe oder Nichtverehelichung? ist die repräsentative Frage, wo es um das »Kloster« geht. Wenn der Einzelne wirklich, wie Kierkegaard meint, ein Mensch sein muß, der sich nicht wesentlich mit den anderen einläßt, dann hindert ihn die Ehe, wenn er sie ernst nimmt, – und wenn er sie nicht ernst nimmt, dann ist, trotz Kierkegaards Bemerkung über Luther, nicht zu verstehen, wie er als Existierender »die Wahrheit« sein kann. Für den Mann, um den sich Kierkegaard im Grunde allein bekümmert, kommt hinzu, daß nach ihm das Weib, »ganz anders als der Mann, in gefährlichem Rapport zur Endlichkeit« steht. Aber es kommt noch etwas Besonderes dazu, was hier deutlich zu machen ist. Wenn man den ganzen Labyrinthbau des Kierkegaardschen Denkens über den Verzicht einigermaßen überblickt, erkennt man, daß es nicht lediglich ein schwerer, schwer errungener, mit dem Herzblut erkaufter Verzicht auf das Leben mit einer Person ist, wovon geredet wird, sondern dazu der durchaus positiv gewertete und zu wertende Verzicht auf das durch das Leben mit einer Person bedingte Leben mit einem unpersonhaften Wesen, das im Vordergrund des Geschehens »die Leute«, in seinem Hintergrund »die Menge« heißt: einem Wesen, das in seiner Wesenheit aber – von der Kierkegaard nichts weiß oder nichts wissen will – diese Bezeichnungen als die von Zerrbildern zurückweist und als seinen wahren Namen nur den einer res publica, auf Deutsch eines öffentlichen Wesens, anerkennt. Wenn Kierkegaard sagt, die Kategorie des »Einzelnen« sei »der Politik so sehr als wohl überhaupt möglich entgegengesetzt«, meint er offenbar ein Getriebe, das mit seiner Herkunft, mit der Polis, essentiell nicht mehr zusammenhängt; aber noch dieses Getriebe, wie abgeartet auch, ist eine der Entscheidungen und Kundgebungen des öffentlichen Wesens. Alle Abartung deutet auf Art, und so, daß

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jene zu dieser sich niemals einfach wie Gegenwart zu Vergangenheit verhält, sondern wie in einem entstellten Antlitz die Verunstaltung zu der darunter fortdauernden Gestalt. Das öffentliche Wesen, das zuweilen auch »die Welt«, die Menschenwelt nämlich, heißt, sucht in seinen echten Gestaltungen, wissend oder nichtwissend, das schöpfungsmäßige Zueinander der Menschen zu verwirklichen; die falschen verunstalten, aber sie können den ewigen Ursprung nicht aufheben. Kierkegaard, in seinem Abscheu vor der Ungestalt, wendet sich ab; wer aber in aller Erniedrigung der Menschenwelt nicht aufgehört hat sie zu lieben, schaut auch heute noch die Gestalt. Es sei daß die Menge die Unwahrheit ist: sie ist nur ein Zustand des öffentlichen Wesens; wie sich hier Wahrheit zu Unwahrheit verhält, daran wird die wahre Frage an den Einzelnen rühren müssen, für die jene Warnung vor der Menge nur der Vorspruch sein kann. Von hier aus ist jenes Besondere, wovon ich sagte, daß es für Kierkegaard zu der sonstigen Hinderlichkeit der Ehe hinzukomme, deutlich zu machen. Die Ehe, als wesentlich verstanden, bringt einen in ein wesentliches Verhältnis zur »Welt«, genauer: zum öffentlichen Wesen, – zu seiner Ungestalt und seiner Gestalt, zu seinem Unheil und seinem Heil. Die Ehe, als die entscheidende Verbindung eines Menschen mit dem Andern, versetzt in die Konfrontation mit dem öffentlichen Wesen und seinem Schicksal, – ausweichen kann ihr der Mensch in der Ehe nicht mehr, er kann nur noch sich darin bewähren oder darin versagen. Die vereinzelte Person, ehelos oder nur fiktiv verehelicht, kann sich isoliert erhalten, die Ehe-»Gemeinschaft« ist Teil der großen Gemeinschaft, mit ihrer eigenen Problematik in die allgemeine gefügt, mit ihrer Heilshoffnung an die des großen Wesens gebunden, das in seinem unseligsten Zustand die Menge heißt. Wer »eine Ehe eingegangen ist«, wer in die Ehe eingegangen ist, hat in der Intention des sacramentum damit Ernst gemacht, daß der Andere ist: daß ich am Seienden nicht rechtmäßig teilnehmen kann, ohne am Sein des Andern teilzunehmen; daß ich auf die lebenslange Anrede Gottes an mich nicht antworten kann ohne für den Andern mitzuantworten; daß ich mich nicht verantworten kann ohne den Andern mit zu verantworten, als der mir anvertraut ist. Damit aber ist der Mensch entscheidend in das Verhältnis zur Anderheit getreten; und das Grundgebild der Anderheit, das vielfach unheimliche, aber nie ganz unheilige und der Heiligung entzogene, in das ich und die mir in meinem Leben begegnenden Andern eingetan sind, ist das öffentliche Wesen. Daran, darein will die Ehe uns führen. Kierkegaard läßt selber einmal einen seiner Pseudonymen, den »Ehemann« der »Stadien«, dergleichen aussprechen, jedoch im Stil einer niederen Ansicht, die durch eine höhere über-

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wunden zu werden bestimmt ist; aber nur trivialisiert ist es eine niedere Ansicht, es gibt keine höhere, weil die Erhebung über die Situation, in die wir gesetzt sind, nie eine in Wahrheit höhere Ansicht ergibt. Die Ehe ist die exemplarische Bindung, sie trägt uns wie keine andre in die große Gebundenheit, und nur als Gebundene können wir in die Freiheit der Kinder Gottes gelangen. Auf den Mann zu gesprochen: ja, das Weib steht »im gefährlichen Rapport zur Endlichkeit«, und ja, die Endlichkeit ist die Gefahr, denn nichts bedroht uns so sehr wie an ihr haften zu bleiben; aber an ebendiese Gefahr ist unsre Heilshoffnung geschmiedet, denn nur über die erfüllte Endlichkeit führt unsre menschliche Bahn zum Unendlichen. Dieser Mensch ist anders, wesenhaft anders als ich, und diese seine Anderheit meine ich, weil ich ihn meine, ich bestätige sie, ich will sein Anderssein, weil ich sein Sosein will; das ist der Grund-Satz der Ehe, und von diesem ihrem Grunde aus führt sie, gerade wenn sie es wirklich ist, zur Einsicht in das Recht und die Rechtmäßigkeit des Andersseins und damit zu jener vitalen Anerkennung der vielgesichtigen Anderheit – auch noch im Widerspruch und Streit mit ihr –, von der der Verkehr mit dem öffentlichen Wesen sein religiöses Ethos erhält. Daß die Menschen, mit denen zusammen ich dem öffentlichen Wesen eingetan bin und mit denen ich darin unmittelbar oder mittelbar zu tun bekomme, wesenhaft anders sind als ich, daß der und der nicht bloß ein andres Gemüt, eine andre Denkweise, eine andre Gesinnung und eine andre Haltung, sondern auch eine andre Weltwahrnehmung, eine andre Erkenntnis, eine andre Sinnhaftigkeit, ein anderes Berührtwerden vom Sein her, einen andern Glauben, einen andern Boden hat: das alles noch mitten in den harten Konfliktssituationen und ohne ihren Wirklichkeitsernst aufzuweichen bejahen, es geschöpflich bejahen, dies ist es, wodurch wir in diesem weiten uns mitanvertrauten Bereich als Helfer amten dürfen und von wo allein uns je und je erlaubt ist, in unserm Bedenken an die »Wahrheit« oder »Unwahrheit«, die »Treue« oder »Untreue«, die »Gerechtigkeit« oder »Ungerechtigkeit« des Andern, in Demut und redlicher Erforschung zu rühren. Dazu aber führt uns, wenn sie es wirklich ist, mit kaum ersetzbarer Mächtigkeit die Ehe, durch ihre gleichmäßige Erfahrung der Lebenssubstanz des Andern als des Andern, und mehr noch durch ihre Krisen und deren aus organischen Urtiefen aufsteigende Überwindungen: wenn das Ungetüm der Anderheit, das eben erst uns mit seinem eisigen Dämonenatem anblies, durch unser auferstandenes, alles Nein kennendes und vernichtendes Ja zum Andern erlöst sich in den gewaltigen Engel der Einung verwandelt, von dem wir im Mutterschoß träumten.

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Freilich besteht zwischen dem privaten Wesen, dem die Ehe angehört, und dem öffentlichen ein gattungsmäßiger Unterschied: die Identifikation vollzieht sich dort und hier auf eine qualitativ verschiedene Weise. Das private Wesen ist eben das, mit dem der Mensch, jedenfalls in den Zeiten der Gesundheit dieses Wesens, sich, ungeachtet der individualen Differenz, der naturhaft-geisthaften Differenz zwischen den Mitgliedern einer Familie etwa, in aller Konkretheit identifizieren kann, indem er von dieser seiner Familie oder von diesem seinem Bund (der echte Bund steht in dieser Hinsicht auf der Seite des privaten Wesens, in andrer auf der des öffentlichen) in aller Konkretheit Wir, ja Ich sagt und damit nicht bloß das Ganze, sondern zugleich die einzelnen von ihm in ihrem Sosein erkannten und bejahten Personen meint; wogegen die Identifizierung mit dem öffentlichen Wesen nicht wirklich die konkreten Personen konkret zu umfassen vermag. Ich sage etwa von meinem Volk Wir, und dies kann sich bis zu einem elementaren »Das bin ich« steigern; sowie aber die Konkretion, die Ausrichtung auf die Personen, aus denen das Volk besteht, hinzutritt, begibt sich eine Aufspaltung, und das Wissen um die unüberbrückbare Vielheits-Anderheit durchdringt die Identifikation in breitem Rinnsal. Geschähe Ähnliches einem Bezirk des privaten Wesens, so würde er entweder in sich fragwürdig oder ginge ins öffentliche über; für das Verhältnis zum öffentlichen Wesen kann jede solche Prüfung eine Erprobung und Befestigung sein. Es gibt jedoch zwei Grundhaltungen, bei denen die Identifizierung mit dem öffentlichen Wesen die Konkretion, die Ausrichtung auf die Personen abwehrt und sich, vorübergehend oder dauernd, behauptet; untereinander sehr verschieden üben sie doch oft fast die gleiche Wirkung aus. Die eine entstammt dem Begeisterungsakt »historischer« Stunden: die Menge aktualisiert sich, sie tritt in die Handlung ein und verklärt sich in ihr, und von rauschhafter Ekstasis überwältigt taucht die Person in der Bewegung des öffentlichen Wesens unter. Hier gibt es kein entgegenstrebendes, hemmendes Wissen um die Anderheit der andern Personen: die Verklärung der Menge überglänzt alle Anderheit, und der feurige Identifikationstrieb kann ein wirkliches »Familien«-Gefühl für den Unbekannten erzeugen, der im Demonstrationszug mitwallt oder im enthusiastischen Straßenwirbel einem in die Arme rennt. Die andere Grundhaltung ist eine passive und stetige; es ist das gewohnte »Mitmachen« der öffentlichen Meinung und der öffentlichen »Stellungnahme«. Hier bleibt die Menge latent, sie erscheint nicht mengenhaft, sie wirkt nur, und zwar wie man weiß so, daß ich entweder der Meinungsbildung und Entscheidung gänzlich enthoben oder in einer trüben Schicht der Innerlichkeit gewissermaßen der Ungültigkeit meines Meinens und Entscheidens

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überführt und an dessen Stelle mit einem beglaubigt gültigen ausgestattet werde. Der Anderen werde ich hierbei gar nicht gewahr, da es ihnen ebenso ergeht wie mir und ihre Anderheit übertüncht worden ist. Von diesen beiden Grundhaltungen ist die erste solcher Art, daß sie uns über die Konfrontation mit der großen Gestalt der Anderheit im öffentlichen Wesen, über die schwerste der innerweltlichen Aufgaben, hinweg in das geschichtliche Mengenparadies verzückt; die zweite unterhöhlt den Boden, auf dem die Konfrontation zu vollziehen ist, sie wischt die pathetischen Zeichen der Anderheit aus und überzeugt uns sodann anschaulich, daß die Einerleiheit das Eigentliche sei. Von hier aus ist Kierkegaards Verwechslung des öffentlichen Wesens mit der Menge zu verstehen. Er kennt das öffentliche Wesen zwar auch in der Form des Staates, der ihm aber nur eine transzendenzfremde Tatsache in der Relativitätswelt ist, respektabel, aber für das religiöse Verhältnis des Einzelnen ohne Belang; sodann eben kennt er eine Menge, die nicht respektabel, aber von stärkstem negativem Belange ist, die Transzendenz wohl angehend, aber als die kompakte Teufelei. Dieser für das Denken unserer Zeit in wachsendem Maße folgenreichen Verwechslung ist mit der Kraft der Unterscheidung entgegenzutreten. Der Mensch in der Menge – das ist ein Span in ein Bündel gepreßt, das, der Strömung überliefert oder durch einen Stecken uferher Richtung um Richtung empfangend, im Wasser treibt. Mags dem Span zuweilen wie Eigenbewegung erscheinen, er hat keine, und auch dem Bündel in dem er treibt wohnt nur eine Illusion davon ein. Ich weiß nicht, ob Kierkegaard recht hat, wenn er sagt, die Menge sei die Unwahrheit, – ich möchte sie eher als die Nichtwahrheit bezeichnen, da sie ja (zum Unterschied von manchen ihrer Herren) gar nicht auf der gleichen Ebene mit der Wahrheit, gar nicht ihr entgegengesetzt ist. Aber die Unfreiheit ist sie sicherlich. Wie Unfreiheit beschaffen ist, kann man nicht unter dem Druck eines Verhängnisses, sei es Zwang einer Not oder von Menschen, zulänglich erfahren, da einem immer noch die Auflehnung des innersten Herzens, die stumme Appellation an das Geheimnis der Ewigkeit verbleibt; zulänglich erfahren kann mans nur in die Menge eingebündelt, meinend was sie meint, wollend was sie will, und nur noch stur wahrnehmend, daß es sich so mit einem verhält. Ganz anders der Mensch, der mit dem öffentlichen Wesen lebt. Das ist nicht Bündelung, sondern Verbindung. Er ist jenem verbunden, angelobt, angetraut, also dessen Schicksal miterleidend, vielmehr: es erleidend, stets es zu erleiden, willens und bereit, aber sich keiner der Bewegungen dieses Wesens blind überlassend, vielmehr jeder gegenüber wach

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und sorgend, daß sie die Wahrheit und die Treue nicht verfehle. Er sieht die Gewalten antreiben – und sieht Gottes übergewaltige Hände in der Höhe verhalten, damit die Sterblich-unsterblichen da unten sich selber entscheiden können. Er weiß sich in all seiner Schwäche in den Dienst der Entscheidung gestellt. Ists Menge, entscheidungsfremde, entscheidungswidrige Menge, was ihn umwimmelt, er nimmt sie nicht hin: an dem Ort, wo er steht, erhöht oder unscheinbar, mit den Kräften, die er besitzt, verdichtete Obmacht oder verhallendes Wort, tut er das Seine, um die Menge zu entmengen. Die Anderheit breitet sich um ihn, die Anderheit, der er angelobt ist; aber nur in der Gestalt des Andern, jeweils des Andern, des begegnenden Andern, des aufgesuchten Andern, des aus der Menge geholten Andern, des »Genossen«, nimmt er sie in sein Leben auf. Auch wenn er zur Menge zu reden hat, sucht er die Person, denn nur durch Personen, durch Bewährung von Personen kann Volk zu seiner Wahrheit finden und wiederfinden. Das ist der Einzelne, der »die Menge umsetzt in Einzelne« – wie könnte es einer sein, der der Menge fernbleibt! Kein Vorenthaltener kann es sein, nur ein Hingegebener; ein Hingegebener, kein Anheimgegebener. Es ist ein paradoxes Werk, an das er seine Seele setzt, die Menge entmengen: es heißt aus der Menge auf die Bahn der Schöpfung bringen, die zum Reiche führt. Und richtet er nicht viel aus, er hat Zeit, er hat Gottes eigene Zeit. Denn wer Gott und den Genossen in einem liebt, bekommt, wiewohl in aller Brüchigkeit des Menschentums verbleibend, Gott zum Genossen. »Der Einzelne« ist nicht, wer wesentlich mit Gott und nur unwesentlich mit den Andern sich einläßt, in Unbedingtheit mit Gott und in Bedingtheit mit dem öffentlichen Wesen umgeht. Sondern das ist der Einzelne, wem die Beziehungswirklichkeit zu Gott, die ausschließliche, die Beziehungsmöglichkeit zu aller Anderheit einschießt und umschließt, und dem das ganze öffentliche Wesen, der Speicher der Anderheit, der Anderheit eben genug darbietet, um sein Leben damit zu verbringen.

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Der Einzelne in der Verantwortung Die Kategorie des Einzelnen hat sich gewandelt. Es kann nicht sein, daß die Beziehung der menschlichen Person zu Gott durch Weglassen der Welt entstehe; also muß der Einzelne seine Welt, was an Welt ihm eben lebensmäßig zugereicht und anvertraut wird, in seine Lebensandacht ohne Abstrich mitnehmen und es an deren Wesentlichkeit ungeschmälert teilnehmen lassen. Es kann nicht sein, daß der Einzelne, wenn er über die Schöpfung hinweg die Hände ausstreckt, Gottes Hände finde; er muß die Arme um die leidige Welt legen, deren wahrer Name Schöpfung ist, dann erst langen seine Finger in den Bereich des Blitzes und der Gnade. Es kann nicht sein, daß auch im Glaubensverhältnis der Geist der Reduktion walte; der Einzelne, der seinem Glaubensverhältnis lebt, muß es in den unverkürzten Maßen seines gelebten Lebens sich erfüllen lassen wollen. Der Stunde, die ihn antritt, der biographischen und geschichtlichen Stunde, muß er, so wie sie ist, mit ihrem ganzen Weltgehalt, mit all ihrem Widerspruch der wie Widersinn anmutet, standhalten, ohne die Wucht der Anderheit in ihr abzuschwächen. Die Botschaft, die an ihn von dieser Stunde her, in der Erscheinung dieser Situation ergeht, muß er unbeschönigt, unveredelt vernehmen; er darf auch ihre wilde, krasse Profanität sich nicht ins keusch Religiöse übersetzen; er muß erkennen, daß die Frage an ihn, die sich in der Sprache der Situation birgt, ob die nun nach Engels- oder nach Teufelszungen klingt, Gottes Frage an ihn bleibt, natürlich ohne daß damit die Teufel zu Engeln würden. Frage ists, auf Wundersart dem wilden, krassen Laute eingetönt; und antworten soll er, der Einzelne, mit seinem Tun und Lassen antworten, die Stunde, die Weltstunde, die Allerweltsstunde als die ihm gewordene, ihm anvertraute annehmen und verantworten. Abstrich ist verboten, aussuchen darfst du das dir Zusagende nicht, die ganze grausame gilt, die ganze heischt dich an, antworten sollst du – Ihm. Den Anspruch vernehmen, durch welchen Mißklang auch er an dein Ohr stößt, – und dir von niemand dreinreden lassen! Die Antwort geben, von dem Grunde aus, wo noch ein Hauch vom Eingehauchten schwingt, – und niemand darf dir einsagen! Dieses Erzgebot, um dessen willen die Schrift ihren Gott schon welterschaffend reden läßt, bestimmt, wenn es gehört wird, auch das Verhältnis des Einzelnen zu seiner Gemeinschaft neu. Die menschliche Person gehört, ob sie es wahrhaben, ob sie damit ernstmachen will oder nicht, der Gemeinschaft zu, in die sie geboren oder geraten ist. Wer aber erkannt hat, was Schickung, sehe sie auch wie

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Verschickung aus, Hingestelltsein, mag es uns auch wie Verstelltsein dünken, bedeutet, der weiß auch, daß er es wahrhaben, damit ernstmachen muß. Dann aber, gerade dann merkt er, daß einer Gemeinschaft wahrhaft zugehören die vielfältig wechselnde, nie endgültig zu formulierende Erfahrung der Grenze dieser Zugehörigkeit einschließt. Vernimmt der Einzelne das Wort der historisch-biographischen Stunde getreu, faßt er die Situation seines Volks, die seine, als Zeichen und Forderung an ihn, schont er sich und seine Gemeinschaft nicht vor Gott, dann erfährt er die Grenze. Er erfährt sie in solcher Pein, als würde ihm der Grenzpfahl in die Seele gerammt. Der Einzelne, der verantwortlich lebende Mensch, kann auch seine politischen Handlungen – und selbstverständlich sind auch Unterlassungen Handlungen – nur von jenem Grunde seines Daseins aus vollziehen, zu dem der Anspruch des furchtbaren und gütigen Gottes, des Herrn der Geschichte und unseres Herrn, dringen will. Es ist offenbar, daß für den in der Gemeinschaft lebenden Menschen der Boden der personhaften Wesensentscheidung von dem Faktum der sogenannten Kollektiventscheidungen dauernd bedroht ist. Ich erinnere an Kierkegaards Warnung: »Daß man in Menge ist, entbindet entweder von Reue und Verantwortung oder schwächt doch die Verantwortung des Einzelnen ab, weil sie diesem an der Verantwortung immer nur ein Bruchteil zukommen läßt.« Aber ich muß es anders fassen: in praxi, im Augenblick des Vollzugs, nur den Schein eines Bruchteils, danach aber, wenn du im wachen Traum nach Mitternacht vor den Thron geschleppt wirst und die verscherzte Berufung zum Einzelnen dich überfällt, die ganze Verantwortung. Hinzusetzen muß man freilich noch dies, daß die Gemeinschaft, der einer angehört, gewöhnlich nicht einheitlich und eindeutig aussagt, was sie in einer gegebenen Lage für das Rechte hält und was nicht. Sie zerfällt in mehr oder weniger sichtbare Gruppen, die einem äußerst verschiedene, aber gleicherweise unbedingte Authentizität beanspruchende Interpretationen des Schicksals und der Aufgabe liefern. Jede weiß, was der Gemeinschaft fromme, jede verlangt dein rückhaltloses Mitwissen um des Heils der Gemeinschaft willen. Unter politischer Entscheidung versteht man heute im allgemeinen den Anschluß an eine solche Gruppe. Ist dieser erfolgt, dann ist alles endgültig geordnet, die Zeit des Sich-entscheidens ist vorüber. Man braucht fortan nichts anderes zu tun als die Bewegungen der Gruppe mitzumachen. Nie mehr steht man am Kreuzweg, nie mehr hat man unter den möglichen Handlungen die rechte zu erwählen, es ist entschieden. Was man einst glaubte: daß man stets neu, Situation um Situation,

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das jeweils Gewählte zu verantworten hätte, das ist man nun los. Die Gruppe hat einem seine politische Verantwortung abgenommen. Man fühlt sich in ihr verantwortet, man darf es fühlen. Die eben gekennzeichnete Haltung bedeutet, wenn sie dem gläubigen Menschen (nur von ihm will ich hier reden) widerfährt, seinen Sturz aus dem Glauben, – ohne daß er es sich einzugestehen, sich zuzugeben geneigt ist: seinen faktischen Sturz aus dem Glauben, wie laut und nachdrücklich auch er ihn nicht bloß mit dem Munde, sondern sogar mit der die innerste Wirklichkeit überschreienden Seele selber fortbekennt. Das Glaubensverhältnis zu dem Einen Seienden verkehrt sich in Schein und Selbstbetrug, wenn es nicht ausschließlich ist. Die »Religion« mag sich dazu verstehen, eine Abteilung des Lebens neben anderen, ebenso wie sie eigenständigen und eigengesetzlichen Abteilungen zu sein, – sie hat damit das Glaubensverhältnis schon verkehrt. Diesem, seiner Bestimmungsmacht, irgendeinen Bereich grundsätzlich entziehen, heißt ihn der Bestimmungsmacht Gottes, die dem Glaubensverhältnis obwaltet, entziehen wollen. Dem Glaubensverhältnis vorschreiben: »So weit darfst du bestimmen, was ich zu tun habe, nicht weiter, hier endet deine Gewalt und beginnt die der Gruppe, der ich angehöre«, heißt, eben so zu Gott reden. Wer sein Glaubensverhältnis nicht, so sehr er eben je und je vermag, sich in den unverkürzten Maßen seines gelebten Lebens erfüllen läßt, der unterfängt sich, Gottes Herrschaft über die Welt in ihrer Erfüllung zu verkürzen. Wohl ist das Glaubensverhältnis kein Regelnbuch, in dem man jeweilen nachschlagen kann, was in dieser Stunde da zu tun ist. Was Gott von mir für diese Stunde verlangt, erfahre ich, sofern ich es erfahre, nicht eher als in ihr. Aber auch dann ist es mir nicht anders gegeben, es zu erfahren, als wenn ich sie, diese Stunde, als meine Stunde ihm, Gott, gegenüber verantworte, wenn ich die Verantwortung für sie auf ihn zu austrage, so sehr ich eben vermag. Was mich jetzt angetreten hat, das Unvorhergesehene, Unvorhersehbare, ist Wort von ihm, Wort, das in keinem Wörterbuch steht, Wort, das jetzt gewortet worden ist, – und was es von mir heischt, ist meine Antwort an ihn. Ich worte meine Antwort, indem ich unter den möglichen Handlungen die vollziehe, die meiner hingegebenen Einsicht als die rechte erscheint. Mit meiner Wahl, Entscheidung, Handlung – Tun oder Lassen, Eingreifen oder Aushalten – antworte ich, wie unzulänglich auch, dennoch rechtmäßig dem Wort, verantworte ich meine Stunde. Diese Verantwortung kann mir meine Gruppe nicht abnehmen, ich darf sie mir von ihr nicht abnehmen lassen, sonst verkehre ich mein Glaubensverhältnis, sonst schneide ich aus Gottes Machtbereich den Bereich meiner Gruppe zu-

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recht. Nicht aber als ob die mich in meiner Entscheidung nichts anginge – sie geht mich ungeheuer an: ich sehe ja, indem ich mich entscheide, von der Welt nicht ab, ich sehe sie an und ein, und in ihr zuvorderst, der ich mit meiner Entscheidung gerecht zu werden habe, darf ich meine Gruppe sehen, an deren Heil ich hange; ihr vor allem mag ich gerecht zu werden haben. Dies jedoch nicht für sich, sondern ihr im Angesicht Gottes; und kein Programm, kein taktischer Beschluß, kein Befehl kann mir sagen, wie ich, mich entscheidend, meiner Gruppe im Angesicht Gottes gerecht zu werden habe. Es kann sein, daß ich ihr so dienen darf, wie Programm, Beschluß, Befehl angeordnet haben; es kann sein, daß ich ihr anders dienen soll; es könnte sogar sein – wenn in meinem Entscheidungsakt so Unerhörtes mir aufginge –, daß ich grausam wider ihren Erfolg gestellt wäre, weil ich inne würde, daß Gott sie anders liebt als zu diesem Erfolg. Auf eins nur kommt es an: daß ich mein Ohr für die Situation, wie sie sich mir dartut, als für die Erscheinung des Wortes an mich öffne bis auf den Grund, wo das Hören ins Sein verfließt, und vernehme, was zu vernehmen ist, und auf das Vernommene antworte. Wer mir eine Antwort so einsagt, daß es mich am Vernehmen hindert, ist der Hinderer, er sei sonst, wer er sei. Keineswegs ist gemeint, der Mensch müsse allein, unberaten aus seiner Brust die Antwort holen. Nichts derartiges ist gemeint: wie sollte die Weisung derer, die meiner Gruppe vorstehen, nicht wesenhaft mit eingehen in die Substanz, aus der die Entscheidung geschmolzen wird? Aber ersetzen darf sie diese nicht; es wird kein Ersatz angenommen. Wer einen Meister hat, mag »sich« ihm übergeben, seine leibliche Person; seine Verantwortung nicht. Zu der muß er sich selber aufmachen, ausgerüstet mit allem in der Gruppe geschmiedeten Sollen, aber ausgesetzt dem Schicksal, daß im heischenden Augenblick alle Rüstung von ihm abfällt. Er darf sogar an dem »Interesse« der Gruppe mit seiner ganzen Kraft festhalten, – bis etwa in der letzten Konfrontation mit der Wirklichkeit ein allerleisester, aber nie mißachtbarer Finger daran rührt. Das ist freilich nicht der »Finger Gottes«, dessen zu harren wir nicht befugt sind, und so ist nicht die geringste Gewißheit einer anders als persönlichen Richtigkeit der Entscheidung zulässig. Gott reicht mir die Situation hin, auf die ich zu antworten habe; daß er mir von meiner Antwort etwas zureichte, habe ich nicht zu erwarten; wohl bin ich antwortend seiner Gnade anheimgegeben, aber ich vermag den oberen Anteil nicht zu bemessen, und auch das seligste Gnadengefühl kann täuschen. Der Finger, von dem ich rede, ist lediglich der des »Gewissens«, aber nicht des geläufigen, des nutzbaren, benutzten und abgenutzten, des Oberflächenspiels, mit dessen Diskreditierung man die Tatsächlichkeit einer positiven Antwort des

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Menschen aufgehoben zu haben wähnte; es ist das unbekannte, immer neu entdeckungsbedürftige Gewissen auf dem Grunde, auf das ich hinzeige, das Gewissen des »Fünkleins«, denn das echte Fünklein ist auch in der einigen Gelassenheit jeder echten Entscheidung wirkend. Die Gewißheit, die durch dieses Gewissen erzeugt wird, ist freilich nur eine personhafte; es ist die ungewisse Gewißheit; aber was hier Person heißt, ist eben die angerufene und antwortende. Ich sage also, daß der Einzelne, das heißt der verantwortlich Lebende, auch seine politischen Entscheidungen jeweils nur von jenem Grunde seines Daseins, an dem er des Geschehens als der göttlichen Rede an ihn inne wird, rechtmäßig vollziehen kann, und daß er, wenn er diese Gewärtigkeit des Grundes sich von seiner Gruppe abschnüren läßt, Gott die aktuale Erwiderung verweigert. Mit »Individualismus« hat das, wovon ich spreche, nichts zu schaffen. Ich halte das Individuum weder für den Ausgangs- noch gar für den Zielpunkt menschlicher Welt. Aber ich halte die menschliche Person für den unverschiebbaren zentralen Platz des Kampfes zwischen der Bewegung der Welt von Gott weg und ihrer Bewegung auf Gott zu. Dieser Kampf begibt sich heute zu einem unheimlich großen Teil im Bereich des öffentlichen Lebens, natürlich nicht zwischen Gruppe und Gruppe, sondern im Innern einer jeden; aber die Entscheidungsschlachten auch dieses Bereichs werden in der Tiefe der Person, Grund oder Abgrund, geschlagen. Die Generation ist bestrebt, sich dem fordernden Immer-wieder solches Verantwortensollens durch die Flucht in ein schützendes Ein-fürallemal zu entziehen. Auf den Freiheitsdusel des nächstvergangenen Geschlechts ist die Fesselungssucht des gegenwärtigen gefolgt, auf die Untreue des Rausches die Untreue der Hysterie. Treu dem Einen Seienden ist einzig, wer sich gebunden weiß an seinen Standort – und eben da frei zur eigenen Verantwortung. Nicht anders als aus so Gebundenen und Freien wird ein Gebild entstehen, das wahrhaft Gemeinschaft genannt werden darf. Doch auch jetzt schon kann der gläubige Mensch, wenn er einer Sache anhangt, die sich in einer Gruppe darstellt, daran recht tun, sich der anzuschließen; aber ihr angehörend muß er mit seinem ganzen Leben, also auch mit seinem Gruppenleben dem Einen botmäßig bleiben, der sein Herr ist. Das wird zuweilen seine verantwortende Entscheidung gegen eine etwa taktische seiner Gruppe setzen, zuweilen ihn bewegen, den Kampf für die Wahrheit, die menschliche, die ungewiß-gewisse Wahrheit, die das tiefe Gewissen ihm schöpft, in die Gruppe selber zu tragen und damit eine innere Front in ihr aufzurichten oder zu verstärken. Diese kann – da sie, wenn überall aufrecht und stark, als eine heimliche Einheit quer durch alle Gruppen liefe – für die Zukunft unserer

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Welt wichtiger werden als alle Fronten, die heute zwischen Gruppe und Gruppe, Gruppenverband und Gruppenverband sich ziehen.

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Trennungsversuche Gegen die hier umrissene Position des Einzelnen in der Verantwortung muß sich jene mächtige Anschauung unserer Zeit erheben, für die letztlich nur die sogenannten Objektiva, richtiger Kollektiva wirklich sind, wogegen den Personen nur als deren Werkern oder Werkzeugen eine Bedeutung beigemessen wird. Ihr kann zwar die nur religiöse Kategorie Kierkegaards gleichgültig bleiben, für die nur die Person wesentlich, das Objektivum aber entweder lediglich sekundär existent oder – als Menge – das zu meidende Negativum ist. Wenn jedoch der Einzelne, eben als solcher, sich mit der Welt, und sogar mit der Welt im besondern, dem öffentlichen Wesen, wesentlich einläßt, dies aber nicht, um nunmehr bewußt und mit Glaubensbetonung über sich verfügen zu lassen, sondern in der Verantwortung für das woran er vor Gott teilhat, dann muß jene Anschauung ihm entgegentreten und muß ihn ein für allemal widerlegen wollen. Dieses kann sie mit Gründen unternehmen, die sie bei einer bestimmten zeitgemäßen und anscheinend zeitgerechten Gedankenrichtung der Zeit findet. Es ist eine Richtung, deren Vertreter bei ihrer sonstigen mannigfachen Verschiedenheit zunächst ein Angriffsobjekt gemeinsam haben, – man mag es als Liberalismus oder als Individualismus oder mit einem beliebigen andern Schlagwort bezeichnen. (Wobei gewöhnlich – wie begreiflicherweise oft in Fällen dieser Art – vernachlässigt wird, an dem angegriffenen Ismus eine begriffliche Zerlegung vorzunehmen und das was man damit meint von dem was man nicht meint, also das Bekämpfenswerte von einem unbehelligt zu lassenden Element zu scheiden. Wenn eine solche Zerlegung etwa den »Liberalismus« träfe, entstünden einzelne Tendenzbegriffe, zu denen in ganz anderer Klarheit und Eindeutigkeit Stellung zu nehmen wäre, also etwa: der Libertinismus, als die armselige Denkweise des Freigelassenen, der nur weiß, was alles ihm, dem »Menschen«, erlaubt sei oder sein sollte; daneben aber der Liberismus, als die Denkweise des Freigeborenen, für den die Freiheit die Voraussetzung der Bindung, des wahren personhaften Eingehens in die Bindung ist, nicht mehr und nicht weniger, – eine Denkweise also, würdig, von jedem, der überhaupt weiß, was es um den Geist ist, in der Schatzburg des Geistes bewahrt und mit ihr verteidigt zu werden.) Aber wichtiger ist, daß die Vertreter dieser Richtung auch eine Absicht gemeinsam haben oder zumindest eine Wirkung: sie verleihen dem politischen Bezirk eine übersteigerte Autonomie, sie heben das öffentliche Leben von allem übrigen Leben ab, sie entziehen es der Verantwortung des daran teilnehmenden Einzelnen.

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Um anzudeuten, was von der gewandelten Kategorie des Einzelnen aus auf solche Gegengründe erwidert werden möchte, seien zwei Beispiele der Denkrichtung, von der ich spreche, erörtert, ein staatsphilosophisches und ein staatstheologisches. Ich schicke ihnen aber zunächst ein drittes, weniger gewichtiges, aber doch auch lehrreiches, ein historiosophisches, voraus. Oswald Spengler will den Sonderbereich des Politischen dadurch als einen unabhängigen und der »Ethik« unzugänglichen begründen, daß er den Menschen unter die Raubtiere einreiht. Es gehe wenn auch nicht mehr zwischen den gebändigten Individuen, so doch zwischen den Gruppen stets, notwendig und sinngemäß wie zwischen Raubtierscharen zu. Hier, in seinem Gruppendasein, sei der Mensch ungeschwächtes Raubtier geblieben, und der Einzelne müsse sich hüten, bereichfremde Maßstäbe heranzutragen. Diese These ist die Banalisierung einer Nietzscheschen. Nietzsche meinte, es komme darauf an, daß die Mächtigkeit in der Geschichte sich zu sich selbst bekenne; werde ihr Selbstbekenntnis niedergehalten, dann sei Entartung die Folge. Damit bleibt Nietzsche bei einer Voraussetzung stehen. Worauf es ankommt, ist, daß die Mächtigkeit sich in der Geschichte zu sich als dem einen Partner eines dialogischen Geschehens bekenne, in dem auch die kräftigste Betätigung ein Ausweichen vor der Antwort, das Versagen einer Antwort bedeuten kann. Die These Nietzsches redet eine geschichtliche, die Spenglers eine biologische Sprache. Alles biologische Verstehenwollen des menschlichen Handelns ist (so wenig man die biologische Existenz vergessen kann, wenn man den Menschen deutet) ein Banalisieren, eine schlechte Vereinfachung nämlich, weil es ein Aufgeben des anthropologischen Eigenbestands, dessen also ist, was die Kategorie des Menschen erst konstituiert. Raubtiere haben keine Geschichte. Ein Panther kann sogar eine Biographie haben, ein Termitenstaat vielleicht sogar eine Staatschronik, aber Geschichte, in dem großen unterscheidenden Sinn, der uns erlaubt, von der Menschengeschichte als der »Weltgeschichte« zu sprechen, haben sie nicht. Durch Rauben bekommt man keine Geschichte. Der Mensch hat sie dadurch bekommen, daß er sich fundamental auf etwas eingelassen hat, was dem Raubtier sinnlos und grotesk erscheinen müßte: auf Verantwortung; darauf also, eine Person mit einem Verhältnis zur Wahrheit zu werden. So aber ist es unmöglich geworden, den Menschen vom Biologischen allein her zu erfassen. »Geschichte« ist nicht die Abfolge der Machterkämpfungen und

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Machthandlungen, sondern der Zusammenhang der Machtverantwortungen in der Zeit. Die Raubtierthese bedeutet somit eine Verleugnung der menschlichen Wesenheit und eine Verfälschung der menschlichen Geschichte. Daß, wie Spengler zu ihrer Verteidigung vorbringt, »die großen Raubtiere edle Geschöpfe in vollkommenster Art« sind, ist wahr, aber ohne Beweiskraft; es geht darum, daß der Mensch in seiner entwicklungsgeschichtlich und geschichtlich bedingten Art ein ebenso »edles Geschöpf« werde wie sie in der ihren, – und das heißt: daß er jene »Freiheit der Kinder Gottes« verwirklichen helfe, nach der, wie Paulus sagt, alle Kreatur »den Kopf vorstreckt«. Ernsthafter ist die Begriffsbestimmung des Politischen zu betrachten, die uns ein namhafter katholischer Staatsrechtslehrer, Carl Schmitt, anbietet. Das Politische hat nach ihm sein eigenes, nicht von dem eines anderen Bereichs ableitbares Kriterium. Es ist die Unterscheidung von Freund und Feind, die nach Schmitt »den relativ selbständigen Kriterien anderer Gegensätze: Gut und Böse im Moralischen, Schön und Häßlich im Ästhetischen usw.« entspricht. Zum Begriff des Feindes aber gehöre die Eventualität des realen Kampfes, der die »Möglichkeit der physischen Tötung« einschließt; von daher gewinne »das Leben der Menschen seine spezifisch politische Spannung«. Die »Möglichkeit der physischen Tötung« – eigentlich müßte es heißen: die Absicht der physischen Tötung. Denn Schmitts These überträgt eine Situation des privaten Lebens ins öffentliche: die klassische DuellSituation. Diese liegt dann vor, wenn zwei Menschen einen zwischen ihnen bestehenden Konflikt als einen unbedingten empfinden, der also nur in der Vernichtung des einen durch den andern seine Lösung finden könne: es gibt keine Versöhnung, keine Vermittlung, keine zulängliche Buße, ja die Hand die den Streich führt darf keine andre als die des Gegners sein, dies aber ist die Lösung. Jedes klassische Duell ist ein verkapptes »Gottesgericht«; in jedem wirkt der Glaube nach, Menschen könnten ein Gottesgericht betreiben. Das ist es, was Schmitt, auf das Verhältnis der Völker zueinander übertragen, das spezifisch Politische nennt. Aber die These ruht auf einem methodischen Irrtum. Das Wesensprinzip eines Bereichs, das Prinzip also, das ihn als solchen verfaßt, kann man nicht der Labilität der Gebilde dieses Bereichs entnehmen, sondern nur ihrem dauernden Charakter. Die Freund-Feind-Formel entstammt der Erschütterlichkeitssphäre der politischen Gebilde, nicht ihrer Zusammenhaltssphäre. Die radikale Unterscheidung, die Schmitt meint, tritt jeweils in Erscheinung in Zeiten, in denen das Gemeinwesen bedroht ist, nicht in Zeiten, in denen es seinen Bestand als einen selbstver-

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ständlichen und zugesicherten erfährt. Sie taugt daher nicht, das Prinzip des Politischen herzugeben. Aber die Formel umfaßt auch nicht einmal die ganze Labilität eines politischen Gebilds. Diese ist stets eine doppelte: eine äußere, die durch den auf die Grenze pressenden Nachbarn oder zum Nachbarn gewordenen Angreifer kundgetan wird, und eine innere, die der Empörer anzeigt. Schmitt nennt diesen den »inneren Feind«, verkennt damit aber eine grundlegende Differenz der beiden Labilitätsarten. Der Feind hat kein Interesse an der Erhaltung des Gebilds, wohl aber der Empörer, der es zwar »ändern« will, jedoch eben es. Nur der erste ist radikal genug, um den Ernst der Formel zu begründen. Die Freund-Feind-Formel erfaßt somit nur die eine Seite der Labilität und ist nicht auf die andere auszudehnen. Die Gegensätze »Gut und Böse im Moralischen, Schön und Häßlich im Ästhetischen«, mit denen Schmitt diesen zusammenstellt, sind zum Unterschied von ihm normativ intendiert, das heißt: nur von da aus, daß das Gute, das Schöne in einem wesenhaften Sinngehalt gefaßt ist, hat es einen Sinn, das Böse, das Häßliche zu bestimmen. »Freund und Feind« aber bezeichnet nicht einen normativen Wesensbegriff, sondern nur einen haltungsmäßigen Situationsbegriff. Es scheint mir im übrigen, daß hinter den geläufigen gegensätzlichen Begriffspaaren Gut-Böse und Schön-Häßlich andere stehen, in denen der negative Begriff sich intim mit dem positiven verknüpft, als der Mangel zu seiner Fülle, das Chaos zu seinem Kosmos: hinter Gut und Böse als Kriterium des Ethischen die Richtung und das Richtungslose, hinter Schön und Häßlich als Kriterium des Ästhetischen die Gestalt und das Gestaltlose. Für den Bereich des Politischen fehlt das vordergründige Paar, offenbar weil es darin schwerer oder unmöglich ist, den negativen Pol zu verselbständigen; das hintergründige möchte ich die Ordnung und das Ordnungslose nennen, wobei man den Ordnungsbegriff von der ihm zuweilen anhaftenden Entwertung befreien muß: rechte Ordnung ist Richtung und Gestalt im politischen Bereich. Aber man darf diese beiden Begriffe nicht erstarren lassen; ihre Wahrheit haben sie nur von der Konzeption einer einheitlichen Ordnungsdynamik aus, die das wirkliche Prinzip des Politischen ist. Die eigentliche Geschichte eines Gemeinwesens darf als dessen Streben nach der ihm gemäßen Ordnung verstanden werden. Dieses Streben, dieses Ringen um die Verwirklichung der wahren Ordnung – Ringen zwischen den jeweiligen so verschiedenen Vorstellungen, Plänen, Entwürfen der wahren Ordnung, aber auch ein ihnen allen mitten darin gemeinsames, ungewußtes, unaussprechliches Ringen – konstituiert die Ordnungsdynamik des politi-

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schen Gebilds. Als Ergebnis wird immer wieder eine Ordnung erkämpft und eingesetzt. Sie wird fest und umschließend, sie verfestigt sich auch gegen den Widerstand der verbliebenen Dynamik, sie versteift sich, sie stirbt, sich von der Dynamik die sie einsetzte vollends lossagend, innerlich ab und bewahrt doch ihre Macht, gegen den neu erstarkenden Kampf um die wahre Ordnung. Der Feind bedroht die gesamte Ordnungsdynamik des Gemeinwesens, der Empörer nur die jeweilige Ordnung. Jede Ordnung ist, von der gesamten Dynamik aus betrachtet, fragwürdig. Das ist das Doppelwesen des Staates: immer wieder Verwirklichung, immer wieder Infragegestelltsein der politischen Struktur. Die »Höhepunkte der konkreten Politik« sind nicht, wie Schmitt meint, »zugleich die Augenblicke, in denen der Feind in konkreter Deutlichkeit als Feind erblickt wird«, sondern es sind die Augenblicke, in denen eine Ordnung vor der ernstesten Verantwortung des sich mit ihr konfrontierenden Einzelnen die Rechtmäßigkeit ihrer Statik, ihren – wenn auch notwendigerweise nur relativen – Erfüllungscharakter erweist. Nach Schmitt setzen alle »echten« politischen Theorien den Menschen als »böse« voraus. (Nebenbei: Warum tun das die Theorien, die es tun? Da von Schmitt aus gesehen die politische Theorie nur eine Abteilung der praktischen Politik ist, wäre in seinem Sinn zu antworten: Weil es ihren Urhebern politisch zweckmäßig erscheint.) Dieses »böse« erklärt er zwar mit »keineswegs unproblematisch« und »gefährlich« – und für beides halte auch ich den Menschen –, aber er stützt sich für die Richtigkeit seiner Voraussetzung auf die theologische Lehre von der absoluten Sündhaftigkeit des Menschen. Einen gewichtigen theologischen Bundesgenossen hat er in Friedrich Gogarten gefunden. Gogarten erklärt in seiner »Politischen Ethik«, alle ethischen Probleme erhielten allein von dem politischen Problem aus ihre ethische Relevanz, d. h. das Ethische habe seine Gültigkeit als dieses nur durch den Zusammenhang mit dem politischen Sein des Menschen. Durch diesen Satz wird Kierkegaards Kategorie des Einzelnen grundsätzlich aufgegeben. Gogarten meint wohl nur den Individualismus zu bekämpfen, aber er bekämpft zugleich die Position des persönlichen Lebens im Ernst seiner Verantwortungsganzheit. Die ethischen Probleme können, wenn sie ihre Relevanz vom Politischen her erhalten, sie nicht auch vom Religiösen her erhalten, auch nicht wenn jenes sich religiös begründet. Erhalten sie sie aber nicht von dem Religiösen her, dann haben wir, wenn auch in politisierter Gestalt, die abgelöste Ethik wieder, die Kierkegaard uns überwinden geholfen hat. Gogarten mag noch so nachdrücklich theologisch reden, er schmälert das grundlegende, das Gottesverhältnis des Einzelnen, wenn er dessen Handeln – und was sind denn die »ethischen Probleme«

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anderes als die Fragen des Menschen nach seinem eigenen Handeln und dessen Sinn! – anderswoher seine Gültigkeit erhalten läßt, sei es auch von dem für sich betrachteten Schicksal der Gemeinschaft, der der Einzelne zugehört. So wahr es ist, daß er, der Einzelne, die Rechtmäßigkeit seines Gottesverhältnisses nicht ohne ein rechtmäßiges Verhältnis zum öffentlichen Wesen gewinnen kann, so wahr ist es doch auch, daß nicht diesem, sondern jenem allein die bestimmende Kraft zukommt, das heißt: daß ich mir innerhalb meines Verhältnisses zu meiner Gemeinschaft jeweils von Gott die Grenze zwischen Mitmachen und Nichtmitmachen ziehen lassen soll. Man vernehme oft nichts? Nun denn, wir haben mit der rückhaltlosen Anstrengung unseres Seins zu horchen. Vernehmen wir auch dann nichts, dann, aber erst dann, mögen wir uns dahin wenden, wohin Gogarten uns weist. Horchen wir aber nicht so oder hören wir und gehorchen nicht, dann wird in der Ewigkeit diese unsre Unterlassung und nicht unsre Berufung auf irgendein Verhältnis der ethischen Probleme zum politischen stehen. Nach Gogarten ist der Mensch »radikal und darum unaufhebbar böse, das heißt der Macht des Bösen verfallen«. Die Relevanz des Politischen komme daher, daß »allein im Politischen« der Mensch »gegenüber dieser Erkenntnis die Möglichkeit der Existenz« habe. Der Staat habe »seine ethische Qualität darin, daß er mit seiner Souveränität, mit seinem Recht über Leben und Eigentum seiner Untertanen, dem Bösen wehrt, dem die Menschen verfallen sind«. (Nebenbei: eine theologische Fassung des alten Polizeistaat-Begriffs.) Denn »woher soll der Staat Souveränität haben, die er ja nur aus der Erkenntnis des Verfallenseins des Menschen unter die Macht des Bösen haben kann … ?« Der von Gogarten angewandte Begriff des radikal bösen Menschen, seiner absoluten Sündhaftigkeit ist dem Bereich des Vor-Gott-Stehens des Menschen entnommen, und hat nur darin seine Bedeutung. Was die christliche Theologie, in deren Namen Gogarten redet, nach meinem Wissen und Verständnis lehrt, ist dies, daß der Mensch, genauer der gefallene Mensch, seiner Unerlöstheit nach betrachtet, »vor Gott« (coram Deo) sündig und verderbt sei. Ich sehe nicht, wie man aus der dialektischen Verbundenheit von Unerlöstheit und Erlöstheit (ab his malis liberemur et servemur) die Unerlöstheit heraus brechen und gesondert verwenden, ich sehe auch nicht, wie man den Begriff des Böseseins aus dem Bereich des Seins »vor Gott« in den des Seins vor irdischen Instanzen übertragen und ihm doch seine Radikalität belassen kann. Im Angesicht Gottes kann dem Menschen das radikale Bösesein deshalb zugesprochen werden, weil Gott Gott und der Mensch Mensch, weil der Abstand zwischen ihnen ein absoluter Abstand ist und weil gerade in diesem Abstand

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und kraft seiner die erlösende Tat Gottes getan wird. Im Angesicht von Mitmenschen, von Menschengruppen und Menschenordnungen kann, so dünkt es mich, der Mensch nicht rechtmäßig als schlechthin sündhaft bezeichnet werden, weil die Distanz fehlt, die allein die Unbedingtheit zu begründen vermag. Daran ändert sich nichts, wenn man eine Menschenordnung als von Gott eingesetzt oder ermächtigt betrachtet. Denn keinesfalls wird dieser dadurch jener absolute, Unbedingtheit stiftende (damit zugleich aber den Raum der Erlösung erschließende) Abstand zum Menschen verliehen, woraus allein sich dessen radikales Bösesein auch im Angesicht des öffentlichen Wesens ergeben könnte. Der Begriff der menschlichen Sündhaftigkeit ist somit nicht rechtmäßig politisch auswertbar, auch nicht in der politischen Theorie. Meiner Einsicht nach freilich ist der Mensch überhaupt nicht »radikal« Dies oder Jenes. Nicht eine Radikalität kennzeichnet den Menschen als von allem Nuranimalischen urtief abgehoben, sondern seine Potentialität. Stellen wir ihn allein vor die gesamte Natur, dann erscheint in ihm der Möglichkeitscharakter des naturhaften Daseins, der sonst überall die dichte Realität nur wie ein Dunstkreis umschwebte, verkörpert. Der Mensch ist die geronnene Potentialität des Daseins. Aber er ist diese Potentialität in ihrer faktischen Beeinträchtigung. Die Möglichkeitsfülle des Daseins, dem Tier durch seine knappe Wirklichkeit ferngehalten, stellt sich hier in einem von der Natur aus unerfaßlichen Zeichen dar, jedoch nicht frei waltend, so daß das Leben der jeweiligen Vorwegnahme des Geistes beschwingt zu folgen vermöchte, sondern eingeengt. Diese Einengung ist nicht eine wesensmäßige, sie ist nur faktisch. Das bedeutet, daß die Tat des Menschen nach Art und Maß unvorhersehbar ist, daß er, und wenn er in allem andern kosmisch peripher wäre, das Überraschungszentrum der Welt bleibt. Aber er ist eben die gefesselte, nur in der Innerlichkeit ungebundene Überraschung, und seine Fesseln sind stark. Der Mensch ist nicht gut, der Mensch ist nicht böse, er ist, im eminenten Sinn, gut-und-böse. Wer von ihm ißt, kennt, wie wer von jener Frucht aß, Gut-und-Böse. Das ist seine Beeinträchtigung, das der Witz der Schlange: wie Gott sollte er werden, Gut und Böse kennend, aber was er »erkannt«, in der Vermischung damit als ein Vermischtes erkannt hat, ist Gut-und-Böse, gut-und-böse ist er geworden, das ist die Nacktheit, in der er sich erkennt. Nur faktisch, nicht wesenwandelnd, nicht Gottes Werk zerstörend ist die Beeinträchtigung. Wer der Schlange die Macht der Zerstörung zuspricht, erhebt sie zu Gottes Nebenbuhler, der ihm zunächst, wie Ahriman zeitweilig dem Ormuzd, überlegen bleibt, da er seine Schöpfung verkehrt. Das aber ist die Schlange der Schrift nicht.

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Sie ist kein Gegengott, sie ist nur die Kreatur, die den Menschen durch ihn selbst verderben will. Sie ist die »listige« Kreatur, die List der heimlich giftigen Kreatur, die Unordnung anzettelt, und aus der Unordnung wird die Geschichte, die tappend, versuchend, verfehlend sich um die Ordnung Gottes bemüht. Der Urvorgang, auf den die Schrift mit ihren Bildern hinzeigt, untersteht dem Satz vom Widerspruch nicht: a und non-a haben hier wunderlich miteinander zu schaffen. So kann da Gut und Böse kein Gegensatzpaar wie Rechts und Links, wie Oben und Unten sein. »Gut« ist die in die Richtung der Heimkehr gestreckte Bewegung, »Böse« ist der Wirbel der richtungslos kreisenden Möglichkeitskraft des Menschen, ohne die nichts gerät, durch die, nimmt sie die Richtung nicht an und bleibt in sich verfangen, alles mißrät. Und wären es selbst Pole, so wäre wohl blind, wer sie als solche nicht sähe, blinder aber wäre, wer den von Pol zu Pol zuckenden Blitz, das Und, nicht gewahrte. Als Zustand der einzelnen Seele ist das Böse das krampfige Ausweichen vor der Richtung, vor der Ganz-Ausrichtung der Seele, durch die sie sich in die Raumordinate der personhaften Verantwortung vor Gott aufrichtet. Das Ausweichen kann aus Leidenschaft oder aus Trägheit geschehen. Der leidenschaftliche Mensch weicht mit seiner Leidenschaft aus, der träge mit seiner Trägheit. In beiden Fällen verläuft sich der Mensch in sich selbst. Die eigentlichen geschichtlichen Dämonien sind die Ausnutzungen dieses Ausweichens durch geschichtliche Mächte. Die Richtung aber, die eine, und zugleich immer wieder konkretisiert die wechselnde Richtung der Stunde auf Gott, kann der Staat als solcher nicht angeben. Das kann nur der Einzelne, der in der Tiefe der Verantwortung steht. Und dies kann freilich auch ein Staatsmann sein. Gogarten setzt den Staat an Stelle des jeweiligen geschichtlichen, das heißt der jeweiligen Staatsregierung (ἄρχοντες), – die dem »Bösen« eben nicht als unpersönlicher Staat, sondern nur von der eigenen personhaften Verantwortung aus zu steuern vermag, sonst aber selber der Dynamik zwischen Gut und Böse ausgesetzt ist. Der Staat ist die sichtbare Form der Autorität, und für Gogarten ist Autorität einfach das Eingesetzte, das Diakonische, Macht ist Vollmacht. Aber wenn man die Eingesetztheit der Macht ernst, theologisch ernst, biblisch ernst nimmt, erweist sich die Einsetzung als der genaue Auftrag, und die Macht erweist sich als das große Verantwortensollen. Das Alte Testament weiß in Geschichten von Königen Israels und in Geschichten von Fremdherrschern von der Abartung der Rechtmäßigkeit in Unrechtmäßigkeit und der Vollmacht in Widermacht zu berichten. Wie kein staatsphilosophischer, so führt auch kein staatstheologischer Begriff über die Glaubens-

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wirklichkeit der menschlichen Person und ihrer, sei es Knecht, sei es Kaiser, Verantwortung für das öffentliche Wesen von Mensch zu Gott hinweg.

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In der Krisis des Menschen, die wir in dieser Stunde erfahren, ist ein Zwiefaches in Frage gestellt: die Person und die Wahrheit. Wie beides zusammengehört, wissen wir aus dem Akt der Verantwortung. Damit sie, die verantwortende Antwort, dasei, tut die Wirklichkeit der Person not, auf die das Wort im Geschehen, sie anfordernd, trifft, und es tut die Wirklichkeit der Wahrheit not, auf die die Person geeinten Wesens ausgeht, und die sie eben deshalb, nicht in einer Allgemeinheit, nur als die sie selber angehende in solcher Besonderung, im Wort zu empfangen vermag. Die Frage, in die heut die Person und die Wahrheit gestellt sind, ist die Frage an den Einzelnen. Die Person ist dadurch in Frage gestellt, daß sie kollektiviert wird. Diese Kollektivierung der Person knüpft sich geistesgeschichtlich an eine grundverschiedene Unternehmung, an der auch ich teilhatte und zu der ich mich deshalb hier bekennen muß. Es ist dies jener Kampf der letzten Jahrzehnte gegen den idealistischen Begriff des selbstherrlichen, weltumschließenden, welttragenden, welterschaffenden Ich. Der Kampf wurde unter anderm durch den Hinweis auf die vernachlässigte kreatürliche Gebundenheit der konkreten menschlichen Person geführt. Es wurde gezeigt, wie grundwichtig es sei, in jedem Denkmoment dies mitzuwissen, daß der Denkende an einen Raumbezirk, an eine Geschichtsstunde, an die Gattung Mensch, an ein Volk, an eine Familie, an eine Gesellschaft, an eine Berufsgruppe, an eine Gesinnungsgemeinschaft in verschiedenen Graden der Substantialität, aber nie rein funktional gebunden ist. Dies Verflochtensein in ein vielfältiges Wir wehrt, tatsächlich gewußt, die Versuchung des Souveränitätsgedankens ab, der Mensch findet sich in geschöpflicher Enge; aber er ist in den Stand gesetzt zu erkennen, daß dies seine echte Weite ist: denn Gebundenheit ist Verbundenheit. Es ist aber geschehen, daß eine wesentlich anderswoher stammende und anders geartete Tendenz sich der neuen Einsichten bemächtigte, die Gebundenheitswahrnehmung zur Hörigkeitslehre überspannte und verkehrte. Hier wird einer Kollektivität der Primat zugesprochen; sie erhält das Recht, die ihr eingebundene Person solchermaßen gebunden zu halten, daß der auch die vollständige Verantwortung nicht mehr zusteht. Das Kollektiv wird das eigentlich Existierende, die Person wird das Abgeleitete; in alle den Bereichen, mit denen sie dem Gesamt angehört, soll ihr die persönliche Antwort abgenommen sein.

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Die Frage an den Einzelnen

Damit wird ein unermeßlicher Wert, eben der den Menschen konstituierende gefährdet. In den Dialog der Zeiten, den die Gottheit mit der Menschheit führt, kann das Kollektiv nicht anstatt der Person eintreten. Das menschliche Vernehmen bleibt aus, die menschliche Antwort verstummt, wenn die Person nicht mehr da ist, zu hören und zu reden. Eine Reduktion auf das Private ist unvollziehbar: nur in den unverkürzten Maßen des gelebten Lebens, also nur mit Einschluß der Teilnahme am öffentlichen Wesen kann der Anspruch vernommen und die Erwiderung gesprochen werden. Die Wahrheit aber ist dadurch in Frage gestellt, daß sie politisiert wird. Die soziologische Doktrin des Zeitalters hat am Wahrheitsbegriff, indem sie die Seinsverbundenheit des Denkens an der Abhängigkeit der Denkprozesse von den Sozialprozessen nachwies, eine folgenreiche Relativierung geübt. Diese Relativierung war berechtigt, indem sie die »Wahrheit« eines Menschen an seine sie bedingende Wirklichkeit band; aber ihre Berechtigung schlug ins Gegenteil um, als ihre Urheber es unterließen, die grundsätzliche Grenzlinie zwischen dem aus solcher Bedingtheit zu Verstehenden und dem nicht daraus zu Verstehenden zu ziehen, das heißt die um Wahrheit werbende und ringende Person in ihrer ganzen Wirklichkeit zu fassen. Gehen wir von dem als ganzes Wesen, mit der Gesamtheit seines Wesens erkennen wollenden Einzelnen aus, so finden wir, daß die Kraft seines Verlangens nach der Wahrheit die »ideologischen« Bande seines sozialen Soseins an entscheidenden Punkten sprengen kann. Der »existenziell« denkende, das heißt in seinem Denken sein Leben einsetzende Mensch bringt in sein Realverhältnis zur Wahrheit nicht bloß seine Bedingtheiten, sondern auch die sie transzendierende Unbedingtheit seiner Suche, seines Griffs, seines unbändigen, die ganze Bewährungsmacht der Person mitreißenden Wahrheitswillens ein. Gewiß werden wir an dem, was er jeweils ergebnismäßig als Wahrheit befindet, keine Scheidung zwischen dem sozial Ableitbaren und dem Unableitbaren vollziehen können; aber es ist unumgängliche Pflicht, das Unableitbare als Grenzbegriff zu bejahen und so auf das, was sich zwischen dem Unableitbaren an der erkennenden Person und dem Unableitbaren an dem Gegenstand ihrer Erkenntnis begibt, als auf den nie zu erreichenden Horizont der wissenssoziologischen Unterscheidung hinzuzeigen. Diese Pflicht ist versäumt worden. Die Folge war, daß die politische Theorie der modernen Kollektivismen sich leichter Hand des bereitliegenden Prinzips bemächtigen und das den (wirklichen oder vermeintlichen) Lebensinteressen einer Gruppe Entsprechende als deren rechtmäßige und inappellable Wahrheit proklamieren konnte, der gegenüber dem Einzelnen kein Anspruch mehr

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Die Frage

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auf eine von ihm erkannte und von ihm zu bewährende Wahrheit zukam. Damit hat die Zersetzung des menschlichen Glaubens an die nie zu besitzende und doch im existenziellen Realverhältnis zu umfangende Wahrheit, die Lähmung des menschlichen Werbens um die Wahrheit angehoben. »Das wovon ich rede«, sagt Kierkegaard, »ist etwas Schlichtes und Einfältiges: daß die Wahrheit für den Einzelnen nur da ist, indem er sie selber handelnd erzeugt.« Genauer gefaßt: der Mensch findet die Wahrheit erst wahrhaft, wenn er sie bewährt. Die menschliche Wahrheit ist hier an die Verantwortung der Person gebunden. »Wahr ist«, sagt Stirner, »was Mein ist.« Die menschliche Wahrheit ist hier an die Unverantwortlichkeit der Person gebunden. Die Kollektivismen übersetzen in die Gruppensprache: »Wahr ist, was Unser ist«. Aber damit der Mensch nicht verloren gehe, tun Personen not, die nicht kollektiviert sind, und Wahrheit, die nicht politisiert ist. Personen tun not, nicht bloß »Vertreter« in irgendeinem Sinn, gewählte oder eingesetzte, die den Vertretenen die Verantwortung abnehmen, sondern auch »Vertretene«, die sich nur eben in der Verantwortung nicht vertreten lassen. Not tut die Person als der unaufgebbare Grund, von dem aus der Eintritt des Endlichen in das Gespräch mit dem Unendlichen allein möglich ward und wird. Not tut der Glaube des Menschen an die Wahrheit als an ein von ihm Unabhängiges, das er nicht innehaben kann, zu dem er aber in ein lebensmäßiges Realverhältnis zu treten vermag, – der Glaube der menschlichen Personen an die Wahrheit als an das sie alle gemeinsam Tragende, in sich Unzugängliche, aber dem real um die Wahrheit Werbenden sich im Faktum der bewährungsbereiten Verantwortung Erschließende. Not tut, damit der Mensch nicht verloren gehe, die Wahrheitsverantwortung der Person in ihrer geschichtlichen Lage. Der Einzelne tut not, der dem ganzen ihm gegenwärtigen Sein, also auch dem öffentlichen Wesen standhält und für das ganze ihm gegenwärtige Sein, also auch für das öffentliche Wesen einsteht. Echte Gemeinschaft und echtes Gemeinwesen werden sich nur in ebendem Maße verwirklichen, in dem die Einzelnen wirklich werden, aus deren verantwortendem Dasein sich das öffentliche Wesen erneut.

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Vorwort [zu Between Man and Man] Die fünf Arbeiten, die ich für den englischen Leser in diesem Band vereinigt habe, sind im Anschluss an mein kleines Buch »Ich und Du« (1923) 1 entstanden, als Ergänzungen und Anwendungen des dort Gesagten, und ganz besonders im Hinblick auf die Nöte unserer Zeit. Die erste dieser Arbeiten, »Zwiesprache«, ist im Jahr 1929 aus dem Wunsch hervorgegangen, das in »Ich und Du« dargelegte »dialogische« Prinzip zu klären, es an Beispielen zu erläutern und sein Verhältnis zu den wesentlichen Bereichen des Lebens zu präzisieren. Die einige politische Folgerungen enthaltende »Frage an den Einzelnen« ist die Ausarbeitung eines Vortrags, den ich Ende 1933 vor den Studentenschaften der drei deutschen Universitäten der Schweiz gehalten habe. Das Buch erschien 1936 in Deutschland, erstaunlicherweise, da es die Lebensbasis des Totalitarismus angreift. Dass es unbehelligt veröffentlicht werden konnte, ist gewiss daraus [zu] erklären, dass es bei den zuständigen Instanzen nicht verstanden worden ist. Es folgen hier zwei Vorträge über Hauptprobleme der Erziehung, von denen der erste auf der III. Internationalen Pädagogischen Konferenz in Heidelberg 1925, der zweite auf der Landeskonferenz der jüdischen Lehrer Palästinas in Tel-Aviv 1939 gesprochen worden ist. Beide behandeln die Bedeutung des dialogischen Prinzips im Bereich der Erziehung, der erste für deren Grundlegung überhaupt, der zweite für ihre wichtigste Aufgabe. Den Schluss macht der Vorlesungszyklus, mit dem ich 1938 meine Tätigkeit am Lehrstuhl für Sozialphilosophie der Universität Jerusalem begonnen habe. Er zeigt an der Entwicklung der Frage nach dem Wesen des Menschen, dass dieses weder vom Individuum noch von der Kollektivität aus, sondern nur von der Realität der gegenseitigen Beziehung zwischen Mensch und Mensch aus zu erfassen ist. Jerusalem, 24. Dezember 1945

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Englisch 1937, 3. Auflage 1945.

Martin Buber

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Es ist die Frage nach dem Prinzip des Menschseins, nach seinem Anfang also, zu stellen. Dieser kann hier nicht als ein Anfang in der Zeit gemeint sein. Es ist nicht sinngemäß, etwa ermitteln zu wollen, wann und wie eine bestimmte Gattung von Lebewesen, statt sich wie die andern mit der Wahrnehmung von Dingen und Zuständen zu begnügen, auch noch das eigene Wahrnehmen wahrzunehmen begann. Es darf nur darum gehen, die Seinskategorie, die mit dem Namen des Menschen bezeichnet wird, in all ihrer Paradoxie und Tatsächlichkeit zu betrachten, um in Erfahrung zu bringen, worin sie ihren Grund und Anfang hat. Doch wäre es durchaus verfehlt, im Stellen der Frage von der Wirklichkeit des Geistes auszugehen. Das Prinzip eines Seins ist ja nicht anders zu erschließen, als daß man zunächst die Wirklichkeit dieses Seins gegen die Wirklichkeit anderen bekannten Seins sich abheben läßt. Die Wirklichkeit des Geistes aber ist uns nicht ohne den Menschen gegeben; alles uns gegebene Geistige hat seine Wirklichkeit in ihm. Die Natur allein bietet sich uns zum Akt des Sich-abheben-Lassens dar, sie, die wohl den Menschen mitumfaßt, aber, sowie wir zu dessen Eigentlichkeit vordringen, ihren Umgriff zu lockern, ja das – von ihr aus gesehen – aus der Art geschlagene Kind für unsere Sonderbetrachtung freizugeben genötigt wird. Diese Sonderbetrachtung geschieht nunmehr nicht innerhalb der Natur, aber von ihr aus. Von der Natur aus, in diesem Falle also: von dem Verband der »Lebewesen« ausgehen, dem der Mensch, insofern er ein Bestandteil der Natur ist, zugerechnet werden muß, bedeutet nicht, die Merkmale ausfindig machen, durch die er von jenen sich unterscheidet, sondern untersuchen, worin die Gesamtheit dieser Merkmale ihren Seinsgrund hat. Nur so wird uns kund, daß und warum diese Gesamtheit der unterscheidenden Merkmale nicht lediglich eine besondere Gruppe der Lebewesen, sondern eine besondere Seinsweise, somit eine eigene Kategorie des Seins konstituiert. Die echt und zulänglich ausgeführte Abhebung führt zur Erfassung des Prinzips als solchen. Auf diesem Wege gelangen wir zur Einsicht, daß das Prinzip des Menschseins kein einfaches, sondern ein doppeltes ist, in einer doppelten Bewegung sich aufbauend, und zwar solcher Art, daß die eine Bewegung die Voraussetzung der anderen ist. Die erste sei die Urdistanzierung, die

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zweite das In-Beziehung-Treten genannt. Daß die erste die Voraussetzung der zweiten ist, ergibt sich daraus, daß man nur zu distanziertem Seienden, genauer: zu einem ein selbständiges Gegenüber gewordenen, in Beziehung treten kann. Ein selbständiges Gegenüber aber gibt es nur für den Menschen. In der modernen Biologie 2 wird von der Umwelt eines Tieres gesprochen, worunter die gesamte seinen Sinnen zugängliche Gegenständlichkeit verstanden wird, wie sie durch die ihm eigentümlichen Lebensumstände bedingt ist. Ein Tier, so sagt man beiläufig, nimmt nur die Dinge wahr, die es in seiner ihm vorgegebenen Gesamtsituation angehen, und sie eben machen seine Umwelt aus. Es erscheint aber fraglich, ob der Begriff einer Welt hier zu Recht angewendet wird, ob man also berechtigt ist, den mit »Umwelt« bezeichneten Zusammenhang als eine Art von Welt und nicht lediglich als eine Art von Bereich anzusehen. Mit Welt ist ja doch notwendigerweise das sich wesenhaft über den Bereich des »in« ihr befindlichen Betrachters hinaus Erstreckende und als solches Selbständige gemeint. Auch eine »Sinnenwelt« ist eben damit eine Welt, daß sie nicht aus Sinnesdaten allein zusammengesetzt ist, sondern das Wahrgenommene durch das Wahrnehmbare ergänzt wird und erst die Einheit beider ihr den Eigenbestand gibt. Der Organismus des Tieres holt sich, konstant oder je und je ansetzend, aus dem »Vorhandenen« die seinen Lebensbedürfnissen und Lebensnöten zugeordneten Elemente zusammen, den Umkreis seines Daseins daraus zu konstruieren. Wohin immer Schwalben oder Tunfische wandern, stets vollzieht ihre Leiblichkeit diese Selektion an der ihnen als solche völlig unbekannten »Natur«, auf die sie doch auch, eben ins Unbekannte, Unkennbare hinein, wirkt. Das »Weltbild«, vielmehr Bereichsbild des Tieres ist nichts weiter als die Dynamik der Präsenzen, die durch das leibliche Gedächtnis in dem Maße miteinander verbunden sind, als es die zu leistenden Lebensfunktionen erfordern. Es hangt, es haftet am Lebensgetriebe des Tieres. Erst der Mensch setzt an Stelle dieser unsteten Konglomerate, deren Reihe der Lebenszeit des individuellen Organismus eingepaßt ist, eine von ihm als für sich seiend vorstellbare oder denkbare Einheit. Er greift gewaltigen Schwungs über das ihm Gegebene hinaus, überfliegt den Horizont und die jeweils wahrgenommenen Sterne und faßt nun ein Ganzes. Mit ihm, mit seinem Menschsein gibt es eine Welt. Die Begegnung des naturhaften Seins mit dem Lebewesen erzeugt jene mehr oder weniger wechselnden 1. 2.

Dieser Grundakt darf natürlich nicht mit der zwischen irgendwelchen Gegenständen bestehenden Relation, welcher Art immer, verwechselt werden. Vgl. insbesondere die bahnbrechenden Arbeiten v. Uexkülls.

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Haufen verwendbarer Sinnesdaten, die den Lebensbereich des Tieres ausmachen; aber erst aus der Begegnung jenes mit dem Menschen ersteht das Neue und Beharrende, das den Bereich Umfangende und unendlich Übergreifende. Das Tier befindet sich in dem Bereich seiner Wahrnehmungen wie der Fruchtkern in der Schale; der Mensch ist in der Welt oder kann doch in der Welt sein wie ein Wohngast in einem ungeheuren Bau, der unablässig durch Zubauten erweitert wird, und zu dessen Grenze er nie vorzudringen vermag, den er aber doch weiß, wie man eben ein Haus weiß, in dem man wohnt: weil er die Ganzheit des Baus als solche innezuhaben befähigt ist. Daß er das aber ist, liegt daran, daß er das Wesen ist, durch dessen Sein das Seiende von ihm abgerückt und in sich anerkannt wird. Erst der abgerückte, der nackten Präsenz enthobene, dem Getriebe der Bedürfnisse und Nöte halbwegs entzogene, der distanzierte und damit sich selber übergebene Bereich ist mehr und anderes als Bereich. Erst wenn einem Seienden ein Seinszusammenhang selbständig gegenüber, selbständiges Gegenüber ist, ist Welt. Man könnte meinen, diese Verselbständigung einer Welt sei doch erst das Ergebnis urlanger Entwicklungen des Menschengeschlechts, könne also nicht für den Menschen als solchen konstitutiv sein. Es kann uns ja aber nicht darum zu tun sein, wann und wie die Kategorie des Menschen sich verwirklicht hat, sondern worin sie sich gründet. Eben wenn und insofern es Welt gibt, gibt es den sie bedingenden Menschen im Sinne nicht einer Gattung der Lebewesen, sondern einer in die Wirklichkeit gekommenen Kategorie. Man kann ihn, den Menschen, auf seinem Wege nirgends betreten, ohne daß er in irgendeinem Maße, in irgendeiner Weise mit dem ihm Bekannten auch das ihm Unbekannte, beides zu einer – wenn auch noch so »primitiven« – Welt verbunden, sich gegenüber hielte. Das gilt natürlich für sein Verhältnis zur Zeit nicht weniger als für das zum Raum: das Tier befaßt sich handelnd mit seiner und seiner Jungen Zukunft, aber nur der Mensch imaginiert sie – der Biber treibt seinen Bau in einen Zeitbereich hinein, aber der gepflanzte Baum wurzelt in der Zeitwelt, und wer den ersten Baum pflanzt, ist eben der, der den Messias erwarten wird. Damit freilich ist schon zur ersten Bewegung die zweite gefügt: dem abgerückten Zusammenhang des Seienden wendet sich der Mensch zu und tritt zu ihm in Beziehung. Wieder sind »erste« und »zweite« nicht im Sinn eines zeitlichen Aufeinanderfolgens zu verstehen; es ist kein Einer-Welt-Gegenübersein denkbar, das nicht auch schon ein Zu-ihrals-Welt-sich-Verhalten, und das heißt, der Umriß eines Beziehungsverhaltens wäre. Es soll somit eben nur dies gesagt sein, daß das Tier den Beziehungsstand deshalb nicht kennt, weil man zu einem nicht als abge-

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hoben und für sich seiend Wahrgenommenen nicht in einer Beziehung stehen kann. Der Regenmacher, der mit der hinter seinem Gesichtskreis heransegelnden Wolke verhandelt, tut kategorial dasselbe wie der Physiker, der den noch ungesehenen Planeten errechnet hat und am Schreibtisch mit ihm kommuniziert. Akt und Werk des In-Beziehung-Tretens zur Welt als solcher – also nicht zu Bestandteilen ihrer und nicht zu aller Summe, sondern zu ihr als Welt – dürfen wir als synthetische Anschauung bezeichnen, wofern wir nur feststellen, daß dieser Begriff in diesem seinen prägnanten Gebrauch die Einheitsfunktion involviert: synthetische Anschauung nennen wir die Anschauung eines Seienden als Ganzheit und Einheit. Anschauung solcher Art ist nur und wird immer wieder nur von der Anschauung der Welt als Welt aus gewonnen. Die Konzeption der Ganzheit und Einheit ist ursprünglich mit der der Welt identisch, der der Mensch zugewandt ist. Wer sich dem zur Welt ergänzten und gewandelten Bereich, den er von sich abgerückt hat, – wer sich der Welt zuwendet und anschauend zu ihr in Beziehung tritt, wird des Seins von Ganzheit und Einheit dermaßen inne, daß er von da her, je und je, Seiendes als Ganzheit und Einheit zu erfassen vermag; das einzelne Seiende hat den Charakter der Ganzheit und Einheit in seinem Wahrgenommenwerden von der der Welt in deren Wahrgenommenwerden empfangen. Die Distanzierung und Verselbständigung allein aber liefert dem Menschen diese Anschauung noch nicht; sie würde ihm die Welt nur zum Gegenstand bieten, als welcher nur eine Summe beliebig vermehrbarer Qualitäten, nicht eine echte Ganzheit und Einheit ist. Nur die Anschauung des mir gegenüber welthaft Wesenden in seiner vollen Gegenwärtigkeit, zu der ich, selber als Gesamtperson gegenwärtig, mich in die Beziehung gesetzt habe, gibt mir die Welt wahrhaft als ganze und eine. Denn nur in solchem Gegenüber ist der Bereich des Menschen und alles seinen Bereich im Geist Ergänzende letztlich eins. So von je und so in dieser Stunde. Man darf das hier Angedeutete jedoch nicht dahin mißverstehen, als ob gemeint wäre, das Ich »setze« die Welt oder dergleichen. Der Distanzierungsakt des Menschen ist ebensowenig wie sein damit verbundener Beziehungsakt als ein Erstes zu fassen. Vielmehr ist dies das schlechthin Eigentümliche am Menschsein, daß hier, und hier allein, der Allheit ein Wesen entsprungen ist, begabt und befugt sie als Welt von sich abzusetzen und sie sich zum Gegenüber zu machen, statt wie alle andern sich mit seinen Sinnen sein notdürftiges Teil aus ihr zu schneiden und damit auszukommen. Diese dem Menschen verliehene Gabe und Befugnis treibt aus der Allheit das Weltsein hervor, das immer nur bedeuten kann,

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für den Menschen eben als Für-sich-Seiendes da zu sein, zu dem er in Beziehung zu treten vermag. Es ist nun aber erneut die Doppelheit des Prinzips ins Auge zu fassen. So sehr und so vielfältig die beiden Bewegungen in ihm miteinander verknüpft sind, so sind sie doch keineswegs etwa als zwei Seiten desselben Vorgangs oder Prozesses zu fassen. Es besteht keinerlei Parallelismus zwischen ihnen, nichts auch was bedingte, daß der Vollzug der einen den der andern mit sich führte. Vielmehr ist streng daran festzuhalten, daß die erste die Voraussetzung der zweiten bildet – nicht die Herkunft, sondern die Voraussetzung. Es ist also mit dem In-Erscheinung-Treten der ersten nicht mehr als der Raum für die zweite gegeben. Ob und wann und wie die zweite sich manifestiert, ist nicht mehr von der ersten aus zu bestimmen. An diesem Punkte setzt erst die eigentliche Geschichte des Geistes, eben als Geschichte, ein, die ihren ewigen Ursprung im Maße des Anteils der zweiten Bewegung an den Kundgebungen der ersten, in den Maßen ihres Aufeinanderzuwirkens, ihres Gegeneinanderwirkens und ihres Zusammenwirkens hat. Der Mensch kann distanzieren, ohne zu dem Distanzierten wesentlich in Beziehung zu kommen; er kann den Distanzierungsakt selber mit dem Willen zur Beziehung füllen, als welche durch jenen erst möglich wird; er kann den Beziehungsakt in der Anerkennung der fundamentalen Tatsächlichkeit der Urdistanz vollziehen; es können aber auch die beiden Bewegungen miteinander ringen, weil jede in der andern das Hindernis für die eigene Verwirklichung erblickt; und schließlich kann, in Momenten und Gestalten der Gnade, aus der gewaltigsten Anspannung des Widerspruchs als dessen erst jetzt und so gewährte Überwindung die Einheit hervorgehen. II.

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Wer, den Blick auf das Doppelprinzip des Menschseins gerichtet, dem Geschichtsgang des Geistes nachzugehen versucht, muß beachten, daß die großen Phänomene auf der Seite der Distanzakte überwiegend universal, die auf der Seite der Beziehungsakte überwiegend personal sind, wie es ja ihrem Verhältnis zueinander entspricht. Die Tatsachen der Urdistanz liefern uns eben die wesentliche Antwort auf die Frage »Wie ist der Mensch möglich?«, die Tatsachen der Beziehung aber die wesentliche Antwort auf die Frage »Wie verwirklicht sich das Menschsein?« Die erste Frage ist streng kategorial, die zweite kategorial-geschichtlich; die Urdistanz stiftet die menschliche Situation, die Beziehung das Menschwerden in ihr.

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An zwei Sphären ist diese Differenz anschaulich zu machen: innerhalb des Verhältnisses zu den Dingen und innerhalb dessen zu den Mitmenschen. Auch das Tier verwendet Dinge. Ja, gerade bei Tieren können wir das Verwenden im genauen Sinn beobachten, wenn sie ein Ding, auf das sie stoßen, um und um wenden, bis sie auf die Möglichkeit geraten, es zur Erreichung eines bestimmten, vorgefaßten oder jetzt eben aufsteigenden Zwecks zu verwenden. Affen verwenden einen gefundenen Stock, um eine Öffnung durchzustoßen, an die sie mit dem Arm nicht gelangten, einen gefundenen Stein, um Nüsse aufzuklopfen; aber sie stellen keines dieser für den Augenblick zu Gerät gewordenen Dinge beiseit, um es morgen ähnlicherweise benützen zu können, keines offenbar dauert in ihrem Bewußtsein als eines, dem die Fakultät des Hebels, des Hammers innewohnt; sie sind jeweils im Bereich zuhanden, bekommen aber nie ihren Platz in einer Welt. Nur der Mensch, als Mensch, distanziert Dinge, auf die er in seinem Bereich trifft, und versetzt sie in ihre Selbständigkeit, als etwas, was nunmehr funktionsbereit fortbesteht und was er auf ihn warten machen kann, daß er je und je sich wieder seiner bemächtige und es aktualisiere. Ein geeignetes Metallstück, einmal als Bohrer verwendet, hört nicht auf, Bohrer zu sein: es dauert in seiner bekanntgewordenen Beschaffenheit, es selber, dieses bestimmte leistungsfähige Es dauert nun dort – verfügbar. Alle am Stoffe der Dinge vorgenommene Änderung, die sie zur Erfüllung eines Zwecks geschickter machen soll, alle Verstärkung und Verfeinerung, Differenzierung und Kombinierung, alle Technik baut sich auf diesem elementaren Grunde auf: daß ein Wesen Vorgefundenes von sich absetzt und es in ein Fürsichsein stellt, darin es aber, das zu Werkzeug Gewordene, stets wiedergefunden, und zwar als eben dieses, eben diese Arbeit auszuführen Bereites wiedergefunden werden kann. Ein Affe kann einen Ast als Waffe schwingen; aber der Mensch allein vermag dem Ast ein Sondersein zu verleihen, darin er, nunmehr eben als »Waffe« konstituiert, der Wiederverwendung zu Willen bleibt. Was immer sodann an ihm vorgenommen wird, um ihn zu völlig wehrgemäßer Keule auszugestalten, wesenhaft ändert sich nichts mehr: die Techne vollbringt nur, was eine primäre Herausstellung und Zuteilung, ein primärer Nomos gestiftet hat. Nun aber kann ein Neues und essentiell Anderes hinzutreten. Vergegenwärtigen wir uns einen naturnahen Volksstamm, dem bereits das Beil, ein schlichtes, aber zuverlässiges Steinbeil, bekannt ist. Da kommt es einem Burschen bei, mit einem schärferen Stein in sein Beil einen geschwungenen Strich zu ritzen. Es ist ein Bild von etwas und von nichts; mag sein, ein Zeichen, aber auch sein Urheber weiß nicht, was es

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bezeichnen soll. Was hatte er im Sinn? Magie, dem Gerät erhöhte Wirkung zu verleihen? oder Spiel mit der Möglichkeit, die der freie Raum auf dem Schafte darbietet? Die beiden schließen einander nicht aus, sie mischen sich – die magische Absicht verdichtet das Spiel zu festeren Gestalten, die spielende Freiheit lockert die magiebestimmte Form und wandelt sie –, aber mitsammen genügen sie noch nicht, um das Unerhörte zu erklären, daß über den technischen Zweck hinaus ein vorbildloses Werk getan wird. Wir müssen uns dem Prinzip des Menschseins in seinem Doppelcharakter zuwenden, um zu ergründen, was da geschieht. Der Mensch distanziert die Dinge, die er in Gebrauch nimmt, er schickt sie in eine Selbständigkeit, in der die Funktion Dauer gewinnt, er reduziert und potenziert sie zu Trägern der Funktion; der ersten Bewegung des Prinzips ist so genug getan, der zweiten nicht. Der Mensch hat ein großes Verlangen, zu den Dingen in persönliche Beziehung zu kommen und seine Beziehung zu ihnen ihnen aufzuprägen. Am Gebrauch, auch am Besitz ist’s nicht genug; sie müssen auf andere Weise sein werden: indem er im Bildzeichen ihnen seine Beziehung zu ihnen eingibt. Aber das Bildzeichen wächst zum Bilde: nicht mehr Akzessorium eines Gerätes, sondern selbständiges Gebild. Die Gestalt, auf die schon das unbeholfenste Ornament hindeutete, erfüllt sich nun im selbeigenen Gebiet, als der Niederschlag der Beziehung des Menschen zu den Dingen. Kunst ist weder Impression naturhafter Objektivität noch Expression seelenhafter Subjektivität, sie ist Werk und Zeugnis der Beziehung zwischen der substantia humana und der substantia rerum, das gestaltgewordene Zwischen. Man betrachte etwa große Aktskulpturen der Zeiten: keine ist von der Gegebenheit des Menschenleibes, keine von dem Ausdruckswillen einer Innerlichkeit aus zulänglich zu erfassen, sondern einzig davon aus, was sich zwischen zwei Auseinandergetretenen, dem abgerückten »Körper« und der ihn abrückenden »Seele«, beziehunghaft begibt. Eine spezifische Entsprechung zum Beziehungscharakter des Bildes gibt es in jeder der Künste. Musik etwa ist kategorial nur zu erfassen, wenn man erkennt, daß es um das distanzierende Entdecken des tonalen Seins und dessen beziehunghaftes Erlösen zur gestalthaften Erscheinung geht, wieder und wieder. III. Noch vollständiger ist das Doppelprinzip des Menschseins an dem Verhältnis der Menschen zueinander zu klären. In einem Insektenstaat schließt das System der Arbeitsteilung nicht

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bloß jede Variation, sondern auch jede im genauen Sinn individuelle Zuerkennung einer Funktion aus; in der menschlichen Gesellschaft, auf allen ihren Stufen, bestätigen die Personen, in irgendeinem Maße, einander praktisch in ihrer persönlichen Beschaffenheit und Befähigung, und man darf eine Gesellschaft in dem Maße eine menschliche nennen, als ihre Mitglieder einander bestätigen. Außer der Technik des Gerätes und der Waffe ist es dies gewesen, was das »von Natur« so schlecht ausgerüstete Lebewesen sich hat behaupten und die Erdenherrschaft erlangen lassen: die durch das Faktum der gegenseitigen individuellen Funktionsergänzung und das ihm gemäße der gegenseitigen individuellen Funktionsanerkennung ermöglichte dynamische, anpassungsfähige, pluralistische Form des Zusammenschlusses. Innerhalb des gebundensten Clans bestehen noch freie Genossenschaften von Fischern, freie Ordnungen des Tauschverkehrs, freie Assoziationen mannigfacher Art, die sich auf der anerkannten Verschiedenheit der Eignungen und Neigungen aufbauen; in den starrsten Epochen der alten Reiche bewahrt die Familie ihren Sonderbestand, in dem trotz seiner autoritativen Struktur die Einzelnen einander in ihrer Vielfalt bejahen; und überall wird die Position der Gesellschaft durch diesen Ausgleich von Festigkeit und Lockerheit gestärkt. Gegen die natürlichen Mächte steht der Mensch von je als das mit selbständig beharrendem Gerät ausgestattete Wesen, das aus selbständigen Einzelleben seine Verbände errichtet. Das Tier gelangt nie dazu, die Gefährten aus dem Knäuel der Gemeinsamkeit mit ihnen herauszuwickeln, wie es nie dazu gelangt, dem Feind ein Dasein außerhalb seines Feindtums, und das heißt außerhalb des eigenen Bereiches, zuzuerkennen; der Mensch, als Mensch, distanziert und verselbständigt den Menschen, er läßt sich von Menschen wie er selber umleben, und so kann er, nur er, als er selber in Beziehung zu seinesgleichen treten. Das Fundament des Mensch-mit-Mensch-Seins ist dies Zwiefache und eine: der Wunsch jedes Menschen, als das, was er ist, ja was er werden kann, von Menschen bestätigt zu werden, und die dem Menschen eingeborene Fähigkeit, seine Mitmenschen eben so zu bestätigen. Daß diese Fähigkeit so unermeßlich brachliegt, macht die eigentliche Schwäche und Fraglichkeit des Menschengeschlechts aus: aktuale Menschheit gibt es stets nur da, wo diese Fähigkeit sich entfaltet. Wie freilich anderseits der leere Anspruch auf Bestätigung ohne die Andacht zu Sein und Werden je und je die Wahrheit der Existenz zwischen Mensch und Mensch zuschanden macht. Das große Merkmal des menschlichen Miteinanderseins, die Sprache, ist in doppeltem Belang ein Zeugnis für das Prinzip des Menschseins. Menschen äußern sich zu Menschen anders – nicht nach Art und Grad,

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sondern wesenhaft anders – als Tiere sich zu ihren Gefährten äußern. Das Anrufen hat der Mensch mit vielen Tieren gemein, das Anreden ist ihm wesenhaft eigentümlich, und das Anreden gründet sich auf die Setzung und Anerkennung der selbständigen Anderheit des Andern, mit dem man auf eben diesem Grunde anredend und Rede stehend Beziehung pflegt 1 . Die älteste Wortform mag, neben der »holophrastischen« Bezeichnung von Situationen in einem Satzwort, die sie den zu Verständigenden signalisierte, ja vielleicht noch vor ihr, der Eigenname gewesen sein: als der den Gefährten und Helfer auf eine Entfernung hin in Kenntnis setzte, daß, von einer gegebenen Situation aus, seine, eben seine Gegenwart benötigt werde. Beides sind noch Signale und doch schon Worte; denn – dies ist das zweite Zeugnis der Sprache für das Prinzip des Menschseins – der Mensch distanziert und verselbständigt auch seine Rufe, er setzt sie, wie das hergerichtete Gerät, als fertiges und gebrauchsfähiges Objekt beiseit, er macht sie zu Worten, die für sich bestehen. Hier, in der Wortsprache, hebt die Anrede sich gleichsam auf, sie neutralisiert sich – aber um immer wieder, zwar nicht in den beliebten Diskussionen, die die Sprachwirklichkeit mißbrauchen, aber im echten Gespräch, sich lebendig wiederzugewinnen. Wenn wir je dazu gelangten, uns nur noch durch den Diktographen, also kontaktlos, miteinander zu verständigen, wäre die Chance der Menschwerdung bis auf weiteres vertan. Das echte Gespräch, und so jede aktuale Erfüllung der Beziehung zwischen Menschen, bedeutet Akzeptation der Anderheit. Wenn zwei Menschen einander ihre grundverschiedenen Meinungen über einen Gegenstand mitteilen, jeder in der Absicht, seinen Partner von der Richtigkeit der eigenen Betrachtungsweise zu überzeugen, kommt im Sinne des Menschseins alles darauf an, ob jeder den andern als den meint, der er ist, bei allem Einflußwillen also ihn doch in seinem Dieser-Mensch-Sein, in seinem So-beschaffen-Sein rückhaltlos annimmt und bestätigt. Die Strenge und Tiefe der menschlichen Individuation, das elementare Anderssein des Andern, wird dann nicht bloß als notwendiger Ausgangspunkt zur Kenntnis genommen, sondern von Wesen zu Wesen bejaht. Einflußwille bedeutet dann nicht die Bestrebung, den andern zu ändern, ihm meine eigene »Richtigkeit« einzupfropfen, sondern die, das als richtig, als recht, als wahr Erkannte, das ja eben darum auch dort, in der Substanz des andern angelegt sein muß, dort, eben durch meinen Einfluß, in der der Individuation angemessenen Gestalt aufkeimen und er1.

Das Tier, insbesondere das domestizierte, vermag einen Menschen »sprechend« anzusehen, es meint ihn also als einen, dem es sich kundgeben will, aber nicht als ein auch für sich, außerhalb des Anspruchs, bestehendes Wesen. Über dieses merkwürdige Grenzgebiet der Beziehung vgl. mein »Dialogisches Leben« (1947) 104 ff., 162 f.

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wachsen zu lassen. Diesem steht die Verwendungssucht gegenüber, von der besessen der »Propagierende« und »Suggerierende« in seinem Verhältnis zu den Menschen als in einem Verhältnis zu Dingen beharrt, und zwar zu Dingen, zu denen er nie in Beziehung treten wird, ja die er ihres Distanzseins und ihrer Selbständigkeit zu berauben beflissen ist. Menschentum und Menschheit werden in echten Begegnungen. Da erfährt der Mensch sich vom Menschen nicht etwa bloß begrenzt, auf die eigene Endlichkeit, Partialität, Ergänzungsbedürftigkeit hingewiesen, sondern das eigene Verhältnis zur Wahrheit wird ihm erhöht durch des andern individuationsmäßig verschiedenes, verschieden zu keimen und zu wachsen bestimmtes Verhältnis zur selben Wahrheit. Es ist den Menschen not und ist ihnen gewährt, in echten Begegnungen einander in ihrem individualen Sein zu bestätigen; aber darüber hinaus ist ihnen not und gewährt, die Wahrheit, die die Seele sich erringt, der verbrüderten andern anders aufleuchten und eben so bestätigt werden zu sehen.

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IV. Die Verwirklichung des Prinzips in der Sphäre zwischen den Menschen gipfelt in einem Vorgang, der Vergegenwärtigung genannt sei. Als Teilmoment ist etwas davon überall zu finden, wo Menschen miteinander umgehen, aber in seiner essentiellen Ausbildung kommt er wohl nur selten vor. Er beruht auf einer Fähigkeit, von der jeder etwas besitzt und die als Realphantasie bezeichnet werden mag; ich meine die Fähigkeit, sich eine in diesem Augenblick bestehende, aber nicht sinnenmäßig erfahrbare Wirklichkeit vor die Seele zu halten. Auf den Umgang zwischen Menschen angewandt, bedeutet Realphantasie, daß ich mir vorstelle, was ein anderer Mensch eben jetzt will, fühlt, empfindet, denkt, und zwar nicht als abgelösten Inhalt, sondern eben in seiner Wirklichkeit, das heißt, als einen Lebensprozeß dieses Menschen. Die volle Vergegenwärtigung geht darüber in einer entscheidenden Weise hinaus: der Vorstellung gesellt sich etwas vom Charakter des Vorgestellten selber, das heißt, meiner Vorstellung eines Willensakts des andern ist etwas vom Wesen eines Willensaktes beigetan, und so fort. Als ein geläufiges Beispiel dafür mag das sogenannte Mitgefühl dienen, wofern man nur die vage Sympathie außer acht läßt und den Begriff auf jenen Vorgang beschränkt, in dem ich etwa den spezifischen Schmerz eines andern so erfahre, daß mir das Spezifische an ihm, also nicht ein allgemeines Unbehagen oder Leidwesen, sondern dieser besondere Schmerz, und doch eben als der des andern, fühlbar wird. Zur Paradoxie der Seele steigert sich die Vergegen-

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wärtigung, wo ich und der andere von einer gemeinsamen Lebenssituation umschlossen sind und etwa der Schmerz, den ich ihm zufüge, in mir selber aufzuckt, bis daß die Widersprüchlichkeit des Lebens zwischen Mensch und Mensch sich abgründig offenbart. Da kann etwas erstehen, was nicht anders aufgebaut zu werden vermag. Das erkannte Prinzip des Menschseins gibt uns das Verständnis der Vergegenwärtigung in ihrer ontologischen Bedeutung an die Hand. Innerhalb der Distanzierung und Verselbständigung der Welt und doch auch wesenhaft darüber hinausreichend und im Eigentlichen nicht in jene einbeziehbar steht des Menschen selber Distanzierung und Verselbständigung: als die Anderen. Wohl umleben uns die Mitmenschen als Bestandteile der uns gegenüber selbständigen Welt, aber sofern wir jeden als ein Mensch-Seiendes fassen, ist er nicht mehr Bestandteil, sondern in seinem Selbstsein da wie ich, und seine Distanzhaftigkeit ist nicht bloß als auf mich hin existent: sie ist von dem Faktum meiner Distanzhaftigkeit auf ihn hin nicht zu trennen. Die erste Bewegung des Menschseins gibt mir die Menschen in das gegenseitige Sein, fundamental und gleichmäßig. Die zweite aber gibt sie mir in die gegenseitige Beziehung, je und je und höchst ungleichmäßig, je nachdem wir sie eben vollziehen. Die Beziehung erfüllt sich in der vollen Vergegenwärtigung, wo ich den andern nicht bloß als eben diesen meine, sondern in der jeweiligen Approximation die ihm als eben diesem zugehörige Erfahrung erfahre. Hier und nun erst wird mir der andere zum Selbst, und die in der ersten, distanzierenden Bewegung erfolgte Verselbständigung seines Seins erweist sich in einem neuen, höchst prägnanten Sinn als Voraussetzung: Voraussetzung dieser Selbstwerdung-für-mich, die aber nicht psychologisch, sondern streng ontologisch zu verstehen, eher also Selbstwerdung-mitmir zu nennen ist. Ihre ontologische Vollständigkeit gewinnt diese aber erst, wenn der andere sich von mir in seinem Selbst vergegenwärtigt weiß und dieses Wissen den Prozeß seines innersten Selbstwerdens induziert. Denn das innerste Wachstum des Selbst vollzieht sich nicht, wie man heute gern meint, aus dem Verhältnis des Menschen zu sich selber, sondern aus dem zwischen dem Einen und dem Andern, unter Menschen also vornehmlich aus der Gegenseitigkeit der Vergegenwärtigung – aus dem Vergegenwärtigen anderen Selbst und dem sich in seinem Selbst vom anderen Vergegenwärtigtwissen – in einem mit der Gegenseitigkeit der Akzeptation, der Bejahung und Bestätigung. In seinem Sein bestätigt will der Mensch durch den Menschen werden und will im Sein des andern eine Gegenwart haben. Die menschliche Person bedarf der Bestätigung, weil der Mensch als Mensch ihrer bedarf. Das Tier braucht nicht bestätigt zu werden, denn es ist, was es ist, unfrag-

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lich. Anders der Mensch: aus dem Gattungsreich der Natur ins Wagnis der einsamen Kategorie geschickt, von einem mitgeborenen Chaos umwittert, schaut er heimlich und scheu nach einem Ja des Seindürfens aus, das ihm nur von menschlicher Person zu menschlicher Person werden kann; einander reichen die Menschen das Himmelsbrot des Selbstseins.

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Vorwort [zu Dialogisches Leben]

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Die sechs Schriften und Reden aus den Jahren 1922-1941 1 , die ich in diesem Band vereinigt habe, sind in der Absicht entstanden, auf eine vom Denken vernachlässigte Wirklichkeit hinzuweisen, von der ich heute wie im Beginn dieser Arbeit gewiß bin, daß sie die für das Dasein des Menschen wesentliche ist, mächtig an Sinn und rettender Kraft. Als ich sie im Gedanken zu erfassen, und auch noch, als ich sie schriftlich darzustellen begann, kannte ich wohl einige ermutigende Sprüche aus früheren Geschlechtern, die von ihr handelten, aber keine verwandte Lehre aus unserer Zeit. Als mir dann innerhalb weniger Jahre eine nach der andern gegenübertrat – als die beträchtlichsten nenne ich die von Ferdinand Ebner und einem bestimmten Teil nach die von Franz Rosenzweig –, ging es mir auf, daß die Sicht, die für mich den Charakter einer persönlichen, anfangs kaum aussprechbar scheinenden Entdeckung getragen hatte, in den Zusammenhang mehrerer unabhängig voneinander unternommenen Versuche eingetan war: Versuche, durch die Klärung einer Kategorie der Existenz, die so alt ist wie der Mensch, neuen Grund für menschliches Lebenkönnen zu legen. In der Stille hat sich damals eine verstreute kleine Schar aufgemacht, von der Fülle des Leidens an dem großen Irregang aus einen neuen, sinnhaften und rettenden Weltblick zu eröffnen. So ist die Bewegung auch zumeist von denen, die sich geistesgeschichtlich mit ihr befaßten, verstanden worden (vgl. was in der letzten der Schriften dieses Bandes dazu beispielsweise erwähnt wird). Von Wichtigkeit ist, daß bereits auf einigen Gebieten des Lebens und Wissens an der Anwendung der hier gewonnenen Erkenntnisse gearbeitet wird. Wir stehen aber wohl erst am Anfang ihrer Auswirkung. Der starke und wachsende Einfluß, der von der englischen Übertragung von »Ich und Du« gerade in den letzten Jahren ausgegangen ist, scheint mir da von symptomatischer Bedeutung zu sein. *

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Zu den einzelnen Bestandteilen dieses Buches ist noch zu vermerken: »Ich und Du« steht an der Spitze, weil alles andere sich dazu erläuternd und ergänzend verhält. Es ist zuerst 1923 erschienen. Die kleine 1.

»Ich und Du« ist sogar schon im Frühling 1916 entworfen und in der ersten Fassung im Herbst 1919 niedergeschrieben worden, wiewohl es die endgültige erst im Frühling 1922 erhalten hat.

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Vorwort [zu Dialogisches Leben]

Schrift »Zwiesprache«, die das dialogische Prinzip als solches deutlicher machen will, stammt von 1930; der Hauptteil ist im 3. Jahrgang der damals von mir gemeinsam mit Prof. Viktor von Weizsäcker und Prof. Joseph Wittig herausgegebenen Zeitschrift »Die Kreatur« gedruckt worden, die Buchausgabe folgte 1932. »Die Frage an den Einzelnen«, das einige Folgerungen für das Verhältnis zwischen der Person und dem öffentlichen Leben zieht, ist die Ausarbeitung eines im November 1933 vor den Studentenschaften der drei deutschsprachigen Universitäten der Schweiz gehaltenen Vortrags; daß die Buchausgabe 1936 in Deutschland erscheinen konnte, ist wohl daraus zu erklären, daß es den Instanzen, deren Grundlage hier untergraben wurde, unverständlich blieb. Für die beiden Reden, die die pädagogischen Folgerungen ziehen, die über das Erzieherische (Buchausgabe 1926) und die über Charaktererziehung (hebräisch 1941 publiziert), sind in diesem Band im Buchtext selbst die nötigen Vermerke gegeben worden, weil sie ihrem Verständnis dienlich sind; in die Ausarbeitung der ersten habe ich damals einiges aufgenommen, das sich erst in den Aussprachen – einem, wie der Konferenzbericht sie mit Recht nannte, fast leidenschaftlichen Ringen – und von ihnen aus formulierte. Die diesen Band abschliessende, in ihrem ersten Teil problemgeschichtliche, im zweiten erörternde Schrift, die die Frage nach dem Wesen des Menschen zum Gegenstand hat, hilft die Erkenntnis des Dialogischen historisch einordnen und gegen einige zeitgenössische Theorien kritisch abheben; sie ist die Ausarbeitung der ersten Vorlesung, die ich, im Sommersemester 1938, an der Universität Jerusalem gehalten habe (hebräische Buchausgabe 1942; das letzte Kapitel ist hier in der für die englische Ausgabe – enthalten in meinem Buch »Between Man and Man« 1947 – umgearbeiteten Fassung gegeben). Am Text der Erstausgaben habe ich, bis auf einige kleine Zusätze, inhaltlich nichts geändert. Jerusalem, im Herbst 1946

Martin Buber

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Martin Buber und Ferdinand Ebner

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Prioritätsfragen sind im allgemein nicht besonders wichtig, und ich habe daher keinen Anlass zu öffentlicher Erwiderung gesehen, als Kritiker meine philosophischen Grundgedanken auf nach ihnen veröffentlichte von Gabriel Marcel und Karl Jaspers zurückführten. Wenn ich es mit der in Ihrem Heft vom 18. Dezember abgedruckten Aeusserung von Friedrich Pater »Ferdinand Ebner und Martin Buber« anders halte, so liegt das daran, dass es sich hier um ein sachlich bedeutsames Zugleich handelt. Ich habe den Sachverhalt 1947 in dem Vorwort meines Buches »Dialogisches Leben« (das von Pater erwähnte »Das Problem des Menschen« stellt nur den Lizenz-Wiederabdruck eines Teils daraus dar) mit aller erwünschten Eindeutigkeit klargestellt. Es heisst dort von der Wirklichkeit, die ich die dialogische nenne. »Als ich sie im Gedanken zu erfassen, und auch noch, als ich sie schriftlich darzustellen begann, kannte ich wohl einige ermutigende Sprüche aus früheren Geschlechtern, die von ihr handelten, aber keine verwandte Lehre aus unserer Zeit. Als mir dann innerhalb weniger Jahre eine nach der andern gegenübertrat – als die beträchtlichsten nenne ich die von Ferdinand Ebner und einem bestimmten Teil nach die von Franz Rosenzweig – ging es mir auf, dass die Sicht, die für mich den Charakter einer persönlichen, anfangs kaum aussprechbar scheinenden Entdeckung getragen hatte, in den Zusammenhang mehrerer unabhängig voneinander unternommenen Versuche eingetan war. Versuche, durch die Klärung einer Kategorie der Existenz, die so alt ist wie der Mensch, neuen Grund für menschliches Lebenkönnen zu legen. In der Stille hat sich damals eine verstreute kleine Schar aufgemacht, von der Fülle des Leidens an dem grossen Irregang aus einen neuen, sinnhaften und rettenden Weltblick zu eröffnen. So ist die Bewegung auch zumeist von denen, die sich geistesgeschichtlich mit ihr befassten, verstanden worden.« Dies ist der Behauptung von Pater gegenüberzustellen, ich hätte den »notorischen Tatbestand« meiner Abhängigkeit von Ebner »nicht sehr augenfällig, aber immerhin« festgestellt. Ergänzend sei gesagt, dass Ebners Grundidee die solitäre Beziehung des menschlichen Ich zum Du Gottes, die meine der fundamentalen Zusammenhang zwischen ihr und seiner Beziehung zum Du des Mitmenschen ist.

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Elemente des Zwischenmenschlichen 1 Das Soziale und das Zwischenmenschliche Man pflegt das, was sich zwischen Menschen begibt, dem Gebiet des »Sozialen« zuzurechnen und verwischt damit eine grundwichtige Trennungslinie zwischen zwei wesensverschiedenen Bereichen der Menschenwelt. Ich selbst habe, als ich vor nahezu fünfzig Jahren mich in dem Wissen von der Gesellschaft selbständig zurechtzufinden begann und mich dabei des damals noch unbekannten Begriffs des Zwischenmenschlichen bediente 1 , den gleichen Irrtum begangen. Seither ist mir mit zunehmender Klarheit die Erkenntnis aufgegangen, daß wir hier eine Sonderkategorie, ja, wenn ein mathematisches Fachwort solcherart bildlich gebraucht werden darf, eine Sonderdimension unseres Daseins vor uns haben, und zwar eine, die uns so vertraut ist, daß wir bisher ihrer Besonderheit kaum recht inne geworden sind. Und doch ist die Einsicht in diese ihre Besonderheit von hoher Bedeutung nicht für unser Denken allein, sondern auch für unser Leben. Von sozialen Phänomenen dürfen wir überall da sprechen, wo das Miteinanderdasein einer Vielheit von Menschen, ihre Verbundenheit miteinander gemeinsame Erfahrungen und Reaktionen zur Folge hat. Diese Verbundenheit aber bedeutet nur, daß all die einzelnen Existenzen in einer gruppenhaften beschlossen und von ihr umfangen sind; sie bedeutet nicht, daß zwischen einem und dem andern innerhalb der Gruppe eine irgend personhafte Beziehung bestehe. Wohl empfinden sie einander spezifisch zusammengehörig in einer Weise, die von jeder möglichen Zusammengehörigkeit mit jemandem außerhalb der Gruppe sozusagen grundsätzlich verschieden ist; und wohl ergeben sich auch immer wieder, insbesondere im Leben kleinerer Gruppen, Kontakte, die die Entstehung individueller Beziehungen häufig begünstigen, nicht selten freilich eher erschweren. Auf keinen Fall jedoch involviert schon die Mitgliedschaft in der Gruppe eine Wesensrelation zwischen einem Mitglied und dem andern. Es hat zwar in der Geschichte Gruppen gegeben, die sogar höchst intensive und intime Beziehungen zwischen je zwei ihr Angehörigen – etwa homoerotische wie bei den japanischen Samurai und den dorischen Kriegern – umfaßten und sie um des strafferen Zu1.

Vgl. mein Vorwort zur Erstausgabe von Sombarts »Das Proletariat« (1. Band der von mir herausgegebenen Sammlung »Die Gesellschaft« 1905).

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1. Das Soziale und das Zwischenmenschliche

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sammenhalts der Gruppe willen begünstigten; im allgemeinen aber ist zu sagen, daß die Führungen der Gruppen, zumal im späten Verlauf der Menschengeschichte, eher geneigt sind, das persönliche Beziehungselement zugunsten des rein kollektiven Elements zu verdrängen. Wo dieses ausschließlich oder doch überwiegend waltet, fühlt sich der Mensch von der Kollektivität getragen, die ihn der Einsamkeit, der Weltangst, der Verlorenheit enthebt, und in dieser für den modernen Menschen wesentlichen Funktion scheint das Zwischenmenschliche, das Leben zwischen Person und Person, mehr und mehr gegen das Kollektive zurückzutreten. Das kollektive Miteinander ist darauf bedacht, die Neigung zum personhaften Zueinander in Schranken zu halten. Es ist, als sollten die in der Gruppe Verbundenen in der Hauptsache nur noch gemeinsam dem Werk der Gruppe zugekehrt sein und nur in sekundären Begegnungen sich den von jener tolerierten persönlichen Beziehungspartnern zuwenden. Der Unterschied zwischen den zwei Bereichen ist mir einmal sehr spürbar geworden, als ich mich in einer großen Stadt dem Umzug einer Bewegung angeschlossen hatte, der ich nicht angehörte; ich tat es aus Anteilnahme an der von mir als bevorstehend geahnten tragischen Entwicklung im Schicksal eines Freundes, der einer der Führer jener Bewegung war. Während der Zug sich formte, stand ich im Gespräch mit ihm und einem andern, einem gutherzigen »wilden Mann«, der aber auch schon vom Tod gezeichnet war. In diesem Augenblick fühlte ich die beiden noch wirklich mir gegenüber, jeden von beiden als einen mir vertrauten Menschen, vertraut auch noch in dem, was mir am fernsten war; so anders als ich, daß meine Seele sich je und je an seiner Anderheit wehstieß, aber doch mit eben dieser Anderheit mir das Sein authentisch gegenüberstellend. Da setzten sich die Formationen in Gang, und nach kurzer Zeit war ich schon allem Gegenüber entrückt, nur noch in den Zug einbezogen, den ziellosen Schritt mitschreitend, und ganz ebenso verhielt es sich offenbar mit den beiden, mit denen ich eben erst das Menschenwort getauscht hatte. Nach einer Weile kamen wir an einem Kaffeehaus vorbei, in dem ich tags vorher mit einem mir nur flüchtig bekannten Musiker zusammengesessen hatte. Im gleichen Nu öffnete sich die Tür, der Musiker stand an der Schwelle, erblickte mich, anscheinend mich allein, und winkte mir zu. Sogleich war es mir, als würde ich aus dem Zug und der Gegenwart der mitschreitenden Freunde geschaltet und dorthin, dem Musiker gegenüber, gestellt. Ich wußte nichts davon, daß ich im gleichen Takt weiterging, ich erfuhr mich als drüben stehend und lautlos, mit einem Lächeln des Einvernehmens, dem Anrufenden die Antwort gebend. Als das Bewußtsein der Tatsächlichkeit mir wieder-

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kehrte, hatte der Zug, dessen Spitze meine Gefährten und ich bildeten, das Kaffeehaus schon hinter sich gelassen. Selbstverständlich erstreckt sich der Bereich des Zwischenmenschlichen weit über den der Sympathie hinaus. Es können ihm schon so simple Vorfälle zugehören, wie wenn im überfüllten Straßenbahnwagen zwei Unbekannte Beachtungsblicke tauschen, um sogleich wieder in die Konvenienz des Nichts-voneinander-wissen-wollens zurückzugleiten. Aber auch alles, noch so beiläufige, Zusammentreffen von Gegnern ist hierher zu zählen, wenn es auf die gegenseitige Haltung einwirkt, wenn sich also etwas, wie unmerklich auch, zwischen ihnen vollzieht, gleichviel ob es zur Stunde gefühlsbetont ist oder nicht. Es kommt auf nichts anderes an, als daß jedem von zwei Menschen der andere als dieser bestimmte Andere widerfährt, jeder von beiden des andern eben so gewahr wird und eben daher sich zu ihm verhält, wobei er den andern nicht als sein Objekt betrachtet und behandelt, sondern als seinen Partner in einem Lebensvorgang, sei es auch nur in einem Boxkampf. Dies ist das Entscheidende: das Nicht-Objekt-sein. Bekanntlich behaupten manche Existentialisten, es sei das Grundfaktum zwischen Menschen, daß einer dem andern Objekt ist; soweit es aber so zugeht, ist die eigentümliche Wirklichkeit des Zwischenmenschlichen, das Geheimnis des Kontakts, schon in hohem Maße eliminiert. Ganz kann es freilich nicht eliminiert werden. Man nehme als krasses Beispiel dies, daß zwei Menschen einander beobachten: das Wesentliche an der Begebenheit ist nicht, daß der eine den andern zu seinem Objekt macht, sondern daß und warum es ihm nicht völlig gelingt. Gegenstand der Beobachtung werden zu können haben wir mit jedem Ding gemein; daß ich aber durch die verborgene Aktion meines Seins der Objektivierung eine unübersteigliche Schranke zu setzen vermag, ist das Privileg des Menschen. Wahrgenommen, als seiende Ganzheit wahrgenommen kann es nur partnerlich werden. Von soziologischer Seite mag meiner Unterscheidung von Sozialem und Zwischenmenschlichem entgegengehalten werden, die Gesellschaft erbaue sich doch gerade auf den menschlichen Beziehungen und die Lehre von ihnen sei demgemäß recht eigentlich als die Grundlegung der Soziologie anzusehen. Aber hier gibt sich eine Doppeldeutigkeit des Begriffs »Beziehung« kund. Wir sprechen etwa von einer werkkameradschaftlichen Beziehung zwischen zwei Menschen und meinen damit keineswegs bloß das, was sich zwischen ihnen als Kameraden begibt, sondern auch eine dauernde Verfassung, die sich in jenen Begebenheiten aktualisiert, aber auch rein individualpsychische Vorgänge umschließt, wie den der Erinnerung an den abwesenden Kameraden. Ich meine jedoch mit der Sphäre des Zwischenmenschlichen lediglich aktuale Ereig-

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1. Das Soziale und das Zwischenmenschliche

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nisse zwischen Menschen, sei es voll gegenseitige, sei es solche, die sich unmittelbar zu gegenseitigen zu steigern oder zu ergänzen geeignet sind; denn die Partizipation beider Partner ist prinzipiell unerläßlich. Die Sphäre des Zwischenmenschlichen ist die des Einander-gegenüber; ihre Entfaltung nennen wir das Dialogische. Demgemäß ist es auch von Grund aus irrig, die zwischenmenschlichen Phänomene als psychische verstehen zu wollen. Wenn etwa zwei Menschen ein Gespräch miteinander führen, so gehört zwar eminent dazu, was in des einen und des andern Seele vorgeht, was, wenn er zuhört, und was, wenn er selber zu sprechen sich anschickt. Dennoch ist dies nur die heimliche Begleitung zu dem Gespräch selber, einem sinngeladenen phonetischen Ereignis, dessen Sinn weder in einem der beiden Partner noch in beiden zusammen sich findet, sondern nur in diesem ihrem leibhaften Zusammenspiel, diesem ihrem Zwischen.

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2 Sein und Scheinen Die eigentliche Problematik im Bereich des Zwischenmenschlichen ist die Zwiefalt von Sein und Scheinen. Daß Menschen sich oft angelegentlich darum kümmern, welchen Eindruck sie auf andere machen, ist zwar eine allgemein bekannte Tatsache; sie ist aber bisher weit mehr moralphilosophisch als anthropologisch erörtert worden. Und doch bietet sich hier der anthropologischen Betrachtung einer ihrer wichtigsten Gegenstände. Wir dürfen zwischen zwei Arten menschlichen Daseins unterscheiden. Die eine mag als Leben vom Wesen aus, Leben bestimmt von dem was einer ist, die andre als Leben vom Bilde aus, Leben bestimmt von dem wie einer erscheinen will, bezeichnet werden. Im allgemeinen treten sie miteinander vermischt auf; es wird wohl wenige Menschen gegeben haben, die völlig unabhängig von dem Eindruck waren, den sie auf andere machten, aber ein ausschließlich davon Geleiteter dürfte kaum zu finden sein. Wir müssen uns damit begnügen, Menschen, bei denen in ihrem wesentlichen Verhalten das eine, und solche, bei denen das andre vorherrscht, zu unterscheiden. Am stärksten macht sich dieser Unterschied naturgemäß im Bereich des Zwischenmenschlichen, also im Umgang von Menschen miteinander geltend. Man nehme als einfachstes und doch schon recht deutliches Beispiel eine Situation, in der zwei Personen einander ansehen, von denen die eine dem ersten, die andre dem zweiten Grundtypus angehört. Der Wesensmensch sieht den andern so an, wie man eben jemand ansieht, mit dem man sich persönlich abgibt; es ist ein »spontaner«, ein »unbefangener« Blick, er ist zwar selbstverständlich nicht unbeeinflußt von der Absicht, sich dem andern verständlich zu machen, aber er ist unbeeinflußt von einem Gedanken darüber, welche Vorstellung von der Beschaffenheit des Blickenden er in dem Angeblickten erwecken kann oder soll. Anders der Widerpart: da es ihm um das Bild zu tun ist, das seine Erscheinung, also ganz besonders der »sprechendste« Bestandteil seiner Erscheinung, sein Blick, im andern erzeugt, »macht« er diesen Blick; er stellt mit Hilfe der dem Menschen mehr oder minder eignenden Fähigkeit, ein bestimmtes Element des Seins im Blick erscheinen zu lassen, einen Blick her, der als spontane Äußerung wirken soll und oft genug auch wirkt, ja nicht allein als Äußerung eines angeblich in diesem Moment sich psy-

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chisch Ereignenden, sondern auch gleichsam als Spiegelung eines so und so beschaffenen persönlichen Seins. Man muß dies freilich gegen einen anderen Bezirk des Scheinens sorgsam abgrenzen, dessen ontologische Rechtmäßigkeit nicht angezweifelt werden kann, weil es hier sozusagen mit rechten Dingen zugeht. Ich meine das Reich des »echten Scheins«, in dem etwa ein Jüngling sein heldisches Vorbild nachahmt und mitten in seinem Gebaren das heroisch Faktische ihn ergreift, oder die Darstellung eines Schicksals, die das authentische Schicksal herbei beschwört. »So laßt mich scheinen, bis ich werde« – damit ist genau an dieses Geheimnis gerührt. Hier ist eben nirgends etwas Vorgebliches, die Nachahmung ist echte Nachahmung und die Darstellung echte Darstellung, auch die Maske ist eine Maske und keine Vortäuschung. Wo aber der Schein der Lüge entspringt und von ihr durchsetzt ist, wird das Zwischenmenschliche in seiner Existenz bedroht. Das ist auch nicht, wie wenn einer eine Lüge sagt, etwa einen Sachverhalt verfälschend berichtet: die Lüge, die ich meine, vollzieht sich nicht an einem Tatbestand, sondern an der Existenz selber, und sie greift die zwischenmenschliche Existenz selber an. Zuweilen kann einer, um einer schalen Eitelkeit zu genügen, die große Chance des wahren Geschehens zwischen Ich und Du verscherzen. Stellen wir uns nun zwei Bildmenschen vor, die beieinander sitzen und miteinander reden – nennen wir sie Peter und Paul – und zählen wir die Figurationen nach, die dabei im Spiel sind. Da sind erst mal der Peter, wie er dem Paul erscheinen will, und der Paul, wie er dem Peter erscheinen will; sodann der Peter, wie er dem Paul wirklich erscheint, Pauls Bild von Peter also, das gemeiniglich keineswegs mit dem von Peter gewünschten übereinstimmen wird, und vice versa; dazu noch Peter, wie er sich selbst, und Paul, wie er sich selbst erscheint; zu guter Letzt der leibliche Peter und der leibliche Paul. Zwei lebende Wesen und sechs gespenstische Scheingestalten, die sich in das Gespräch der beiden mannigfaltig mischen! Wo bliebe da noch Raum für die Echtheit des Zwischenmenschlichen! Was immer in anderen Bereichen der Sinn des Wortes »Wahrheit« sein mag, im Bereich des Zwischenmenschlichen bedeutet es, daß Menschen sich einander mitteilen als das was sie sind. Es kommt nicht darauf an, daß einer dem andern alles sage, was ihm einfällt, sondern darauf allein, daß er zwischen sich und den andern keinen Schein sich einschleichen lasse. Es kommt nicht darauf an, daß einer sich vor einem andern »gehen lasse«, sondern daß er dem Menschen, dem er sich mitteilt, an seinem Sein teilzunehmen gewähre. Auf die Authentizität des Zwischenmensch-

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lichen kommt es an; wo es sie nicht gibt, kann auch das Menschliche nicht authentisch sein. Deswegen müssen wir, die wir die Krisis des Menschen als die Krisis des Zwischen zu erkennen beginnen, den Begriff der Aufrichtigkeit von dem dünnen Moralpredigtton, der sich ihm angeheftet hat, befreien und ihn wieder an den Begriff der Aufrechtheit anklingen lassen. Wenn eine Voraussetzung des Menschseins in der Urzeit durch das Aufrechtgehen gegeben worden ist, erfüllt kann es erst durch die aufrecht gehende Seele, durch die hohe Aufrichtigkeit werden, die kein Schein mehr anficht, weil sie die Scheinhaftigkeit besiegt hat. Wie aber – so mag gefragt werden –, wenn einer seiner Art nach sein Leben den Bildern hörig macht, die er in anderen hervorbringt? Kann er denn noch zum Wesensmenschen werden – kann er aus seiner Art fahren? Die so verbreitete Neigung, von der Jeweiligkeit des gemachten Eindrucks statt von der Stetigkeit des Wesens aus zu leben, ist keine »Art«. Sie hat ja ihren Ursprung in der Rückseite des Zwischenmenschlichen selber: in der Abhängigkeit der Menschen voneinander. Es ist kein Leichtes, von den anderen in seinem Wesen bestätigt zu werden; da bietet sich der Schein zur Aushilfe an. Ihm willfahren ist die eigentliche Feigheit des Menschen, ihm widerstehen dessen eigentlicher Mut. Das aber ist nicht ein unerbittliches Sosein, nicht ein Sobleibenmüssen. Man kann darum ringen, zu sich zu kommen, das heißt, zum Vertrauen auf das Wesen. Man ringt mit wechselndem Erfolg, aber nie umsonst, auch wenn man zu erliegen meint. Man muß das Leben aus dem Wesen zuweilen teuer bezahlen; zu teuer ist es nie bezahlt. Aber gibt es denn nicht das schlechte Wesen, wuchert es nicht überall? Ich habe keinen jungen Menschen gekannt, der mir hoffnungslos schlecht erschienen wäre. Später wird es freilich immer schwerer, die immer zäher werdende Schicht, die sich auf das Wesen gewälzt hat, zu durchstoßen. So entsteht die falsche Perspektive der unabdingbaren »Art«. Sie ist falsch; der Vordergrund trügt; der Mensch ist, als Mensch, erlösbar. Wieder sehen wir die Zwei vor uns, die vom Spuk der Scheingestalten umringt sind. Spuk kann gebannt werden. Stellen wir uns einen Peter und einen Paul vor, die es anzuwidern beginnt, die es immer heftiger anwidert, durch Gespenster vertreten zu werden. In jedem von beiden erwacht, erstarkt der Wille, als dieser Seiende und nicht anders bestätigt zu werden. Wir sehen die Kräfte des Wirklichen an ihrem bannenden Werk, bis der Schein hier und hier zerrinnt und die Abgründe des Personseins einander anrufen.

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3 Die personale Vergegenwärtigung

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Das weitaus meiste von allem, was sich heute unter Menschen Gespräch nennt, wäre richtiger, in einem genauen Sinn, als Gerede zu bezeichnen. Im allgemeinen sprechen die Leute nicht wirklich zu einander, sondern jeder ist zwar dem andern zugewandt, redet aber in Wahrheit zu einer fiktiven Instanz, deren Dasein sich darin erschöpft, ihn anzuhören. Den gültigen dichterischen Ausdruck für diesen Zustand hat schon Tschechow in seinem Schauspiel »Der Kirschgarten« geliefert, wo die Mitglieder einer Familie ihr Beisammensein auf nichts anderes verwenden als aneinander vorbeizureden; aber erst Sartre hat das, was hier noch als die Not des in sich gesperrten Menschen erscheint, zum Lebensprinzip erhoben. Er sieht die Mauern zwischen den Gesprächspartnern als schlechthin unübersteiglich an, für ihn ist es das unabwendbare Menschenschicksal, daß einer es unmittelbar nur mit sich und seinen Affären zu tun hat; die innere Existenz des andern ist eben dessen Sache und nicht die meine, eine Unmittelbarkeit zum andern gibt es nicht und kann es nicht geben. Hier erscheint so deutlich wie kaum je sonst der unselige Fatalismus des modernen Menschen, der die Entartung als die unabänderliche Art und das Mißgeschick, sich in eine Sackgasse verrannt zu haben, als das Urschicksal des homo sapiens betrachtet und jeden Gedanken an einen Durchbruch als reaktionäre Romantik brandmarkt. Wer wirklich erkennt, wie weithin sich unser Geschlecht von der wahren Freiheit, der freien Freigebigkeit von Ich und Du verloren hat, müßte, kraft des Auftragscharakters jeder großen Erkenntnis solcher Art, selber, und wäre es als der einzige auf Erden, Unmittelbarkeit üben und nicht von ihr lassen, bis die Spötter erschrecken und in seiner Stimme die der eigenen, niedergehaltenen Sehnsucht vernehmen. Die Hauptvoraussetzung zur Entstehung eines echten Gesprächs ist, daß jeder seinen Partner als diesen, als eben diesen Menschen meint. Ich werde seiner inne, werde dessen inne, daß er anders, wesenhaft anders ist als ich, in dieser bestimmten ihm eigentümlichen einmaligen Weise wesenhaft anders als ich, und ich nehme den Menschen an, den ich wahrgenommen habe, so daß ich mein Wort in allem Ernst an ihn, eben als ihn, richten kann. Vielleicht muß ich seiner Ansicht über den Gegenstand unseres Gesprächs die meine Mal um Mal in aller Strenge entgegenhalten, um eine Auflockerung der Überzeugungen geht es ganz und gar nicht, aber diese Person, den personhaften Träger der Überzeugung nehme ich in seinem Sosein an, aus dem seine Überzeugung ge-

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wachsen ist, eben die Überzeugung, von der ich etwa Stück um Stück zu zeigen versuchen muß, was da nicht stimmt. Ich sage Ja zu der Person, die ich bekämpfe, partnerisch bekämpfe ich sie, ich bestätige sie als Kreatur und als Kreation, ich bestätige auch das mir entgegen Stehende als das mir gegenüber Stehende. Freilich hängt es nun von jenem ab, ob zwischen uns ein echtes Gespräch, die zu Sprache gewordene Gegenseitigkeit aufkommt. Aber ist es erst so weit, daß ich den andern, als einen Menschen, mit dem ich dialogisch umzugehn bereit bin, so mir gegenüber legitimiere, dann darf ich ihm zutrauen und zumuten, daß auch er partnerisch handle. Was aber bedeutet das, in dem genauen Sinn, in dem ich hier das Wort verwende, eines Menschen innewerden? Eines Dings oder Wesens innewerden heißt ganz allgemein: es als Ganzheit und doch zugleich ohne verkürzende Abstraktionen, in aller Konkretheit erfahren. Aber ein Mensch ist, wiewohl als Wesen unter Wesen und sogar als Ding unter Dingen befindlich, doch etwas von allen Dingen und von allen Wesen kategorial Verschiedenes: weil ein Mensch nicht wirklich erfaßt werden kann, ohne daß man ihn auch von der dem Menschen allein unter ihnen allen eignenden Gabe des Geistes her erfaßt, und zwar des Geistes als entscheidend beteiligt an dem Personsein dieses Lebewesens hier: des personbestimmenden Geistes. Eines Menschen innewerden heißt also im besonderen seine Ganzheit als vom Geist bestimmte Person wahrnehmen, die dynamische Mitte wahrnehmen, die all seiner Äußerung, Handlung und Haltung das erfaßbare Zeichen der Einzigkeit aufprägt. Solch ein Innewerden ist aber unmöglich, wenn und solang der andere mir das abgelöste Objekt meiner Betrachtung oder gar Beobachtung ist, denn ihr gibt sich diese Ganzheit und gibt sich diese ihre Mitte nicht zu erkennen; es ist erst möglich, wenn ich zu dem andern elementar in Beziehung trete, wenn er mir also Gegenwart wird. Darum bezeichne ich das Innewerden in diesem besonderen Sinne als personale Vergegenwärtigung. Dem Wahrnehmen des Mitmenschen als einer – wenn auch zumeist recht mangelhaft entfalteten – Ganzheit, Einheit und Einzigkeit widerstrebt in unserer Zeit fast alles, was man als das spezifisch Moderne zu verstehen pflegt. In dieser Zeit herrscht ein analytisches, reduktives und ableitendes Blicken zwischen Mensch und Mensch vor. Es ist analytisch oder vielmehr pseudoanalytisch, da es das gesamte leibseelische Sein als zusammengesetzt und daher zergliederbar behandelt, nicht das sogenannte Unbewußte allein, das einer relativen Objektivierung zugänglich ist, sondern auch den psychischen Strom selber, der in Wahrheit niemals als objektiv Bestehendes erfaßbar ist. Reduktiv ist das Blicken, weil es die aus der mikrokosmischen Fülle des Möglichen gespeiste Viel-

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3. Die personale Vergegenwärtigung

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fältigkeit der Person auf schematisch überschaubare und überall wiederkehrende Strukturen zurückführen will. Und ableitend ist es, weil es vermeint, das Gewordensein eines Menschen, ja sein Werden, in genetische Formeln fassen und auch noch das dynamisch zentrale Individualprinzip dieses Werdens durch einen Allgemeinbegriff vertreten lassen zu dürfen. Nicht bloß »Entzauberung« – das könnte man sich recht wohl gefallen lassen – sondern auch eine radikale Entgeheimnissung wird heute zwischen Mensch und Mensch angestrebt. Die Personhaftigkeit, das unablässig nahe Mysterium, einst der Beweggrund der stillsten Begeisterungen, wird eingeebnet. Was ich eben gesagt habe, wendet sich keineswegs gegen die analytische Methode in den Geisteswissenschaften; diese Methode ist überall da unentbehrlich, wo sie die Erkenntnis eines Phänomens fördert, ohne die anders beschaffene Erkenntnis seiner den rechtmäßigen Geltungskreis der Methode transzendierenden Individuität zu beeinträchtigen. Die Geisteswissenschaft, die sich der analytischen Methode bedient, muß demgemäß stets die horizontartige unbeschreitbare Grenze solcher Betrachtung im Auge halten. Diese Pflicht macht die Übertragung der Methode ins Leben so fragwürdig; denn es ist exzessiv schwierig, hier jeweils die Grenze als solche zu beachten. Wollen wir zugleich das Heutige wachsam betreiben und das Morgige hellsichtig bereiten, dann müssen wir in uns selber und in den nach uns kommenden Generationen eine Gabe ausbilden, die als Aschenbrödel und vorbestimmte Prinzessin in der Innerlichkeit der Menschen lebt. Manche nennen sie Intuition, aber das ist ein nicht ganz eindeutiger Begriff. Ich möchte den Namen Realphantasie vorziehen, denn in ihrem eigentlichen Wesen ist sie nicht mehr ein Anschauen, sondern ein kühnes, fluggewaltiges, die intensivste Regung meines Seins beanspruchendes Einschwingen ins Andere, wie es eben die Art aller echten Phantasie ist, nur daß hier der Bereich meiner Tat nicht das Allmögliche, sondern die mir entgegentretende besondere reale Person ist, die ich mir eben so und nicht anders in ihrer Ganzheit, Einheit und Einzigkeit und in ihrer all dies immer neu verwirklichenden dynamischen Mitte zu vergegenwärtigen versuchen kann. Dies aber, noch einmal sei darauf hingewiesen, vermag nur in lebendiger Partnerschaft zu geschehen, das heißt, wenn ich, in einer gemeinsamen Situation mit dem andern stehend, mich seinem Anteil daran, als dem seinen, vital aussetze. Gewiß, diese meine Grundhaltung kann unerwidert bleiben und die Dialogik kann im Keim ersterben. Gerät die Gegenseitigkeit aber, dann blüht das Zwischenmenschliche im echten Gespräch auf.

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4 Auferlegung und Erschliessung Ich habe auf zwei Momente hingewiesen, die das Wachstum des Zwischenmenschlichen hemmen: den sich eindrängenden Schein und die Unzulänglichkeit der Wahrnehmung. Ein drittes steht nun vor uns, offenkundiger als jene beiden, dazu in dieser kritischen Stunde mächtiger und gefährlicher als je. Es gibt zwei Grundweisen, auf Menschen, auf ihre Gesinnung und Lebensgestaltung einzuwirken. In der ersten will einer sich, seine Meinung und Haltung, dem andern so auferlegen, daß der wähne, das seelische Ergebnis der Aktion sei seine, durch jene Beeinflussung nur eben entbundene Einsicht. In der zweiten Grundweise der Einwirkung will einer das, was er in sich selber als das Rechte erkannt hat, auch in der Seele des andern, als darin angelegt, finden und fördern; weil es das Rechte ist, muß es auch in dem Mikrokosmos des andern, als Möglichkeit unter Möglichkeiten, lebendig sein, der andre muß nur in dieser seiner Potentialität erschlossen werden, und zwar im wesentlichen nicht durch Belehrung, sondern durch Begegnung, durch existentielle Kommunikation zwischen einem Seienden und einem Werden-könnenden. Die erste Weise hat sich am stärksten im Bereich der Propaganda, die zweite in dem der Erziehung ausgebildet. Den sich auferlegenden Propagandisten, den ich meine, geht die Person, auf die er einwirken will, als Person überhaupt nicht an; etwelche individuelle Eigenschaften sind ihm nur insofern von Belang, als er sie für die Gewinnung des andern ausnutzen kann und zu diesem Zweck kennen lernen muß. In seiner Gleichgültigkeit gegen alles Personhafte geht der Propagandist über die Partei, für die er wirkt, noch erheblich hinaus. Für die Partei sind die Personen in ihrer Verschiedenheit von Bedeutung, weil jede ihrer besonderen Eignung nach in einer besonderen Funktion zu gebrauchen ist; das Personhafte wird somit zwar nur auf die spezifische Verwendbarkeit hin beachtet, aber in diesen Grenzen immerhin praktisch anerkannt. Der Propaganda als solcher hingegen ist das Individuelle eher lästig, es geht ihr einfach um das Mehr – mehr Mitglieder, mehr Anhänger, eine zunehmende Stützfläche. Das politische Mittel, wo es wie hier in seiner extremen Form waltet, bedeutet: sich des andern bemächtigen, indem man ihn depersonalisiert. Diese Art der Propaganda geht verschiedene Verbindungen mit dem Zwang ein, sie ergänzt oder ersetzt ihn, je nach Bedarf und Aussichten, sie ist aber letztlich nichts anderes als der sublimierte, der unmerklich gewordene Zwang. Sie setzt

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4. Auferlegung und Erschliessung

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die Seelen unter einen Druck, der die Illusion der Autonomie ermöglicht. Das politische Mittel vollendet sich in der effektiven Aufhebung des Menschenfaktums. Der Erzieher, den ich meine, lebt in einer Welt der Individuen, von der ein bestimmter Teil jeweils seiner Hut anvertraut ist. Jedes dieser Individuen erkennt er als darauf angelegt, eine einmalige, einzige Person und damit der Träger eines besonderen, durch sie und durch sie allein erfüllbaren Seins-Auftrags zu werden. Jedes personhafte Wesen zeigt sich ihm als in einem solchen Prozeß der Aktualisierung begriffen, und er weiß aus eigner Erfahrung, daß die aktualisierenden Kräfte je und je in einem mikrokosmischen Kampf mit Gegenkräften stehen. Er hat sich als einen Helfer der aktualisierenden Kräfte verstehen gelernt. Er kennt diese Kräfte: sie haben auch an ihm gewirkt und wirken. Es ist dieses an ihm getane Werk, das er Mal um Mal ihnen begegnen läßt, ihnen für neuen Kampf und neues Werk zur Verfügung stellt. Er kann sich nicht auferlegen wollen, denn er glaubt an das Wirken der aktualisierenden Kräfte, das heißt, er glaubt, daß in jedem Menschen das Rechte in einer einmaligen und einzigartig personhaften Weise angelegt ist; keine andere Weise darf sich diesem Menschen auferlegen, aber eine andere Weise, die dieses Erziehers, darf und soll das Rechte, wie es eben hier werden will, erschließen und dazu helfen, daß es sich entfalte. Der sich auferlegende Propagandist glaubt nicht einmal an die eigene Sache wirklich, denn er traut ihr nicht zu, daß sie aus eigener Kraft, ohne seine Methoden, deren Gleichnis der Lautsprecher und die Lichtreklame sind, zur Wirkung käme. Der erschließende Erzieher glaubt an die Urmacht, die sich in all die Menschenwesen ausgestreut hat und ausstreut, um in jedem zu einer eigentümlichen Gestalt zu erwachsen; er vertraut darauf, daß dieses Wachstum jeweils nur jener in den Begegnungen gegebenen Hilfe bedarf, die eben auch er herzugeben berufen ist. Ich habe an zwei extrem antithetischen Beispielen den Charakter der beiden Grundhaltungen und ihr Verhältnis zueinander verdeutlicht. Aber überall, wo Menschen miteinander umgehn, ist ein Maß der einen oder der andern zu finden. Man darf jedoch diese zwei Prinzipien, sich jemandem auferlegen und jemanden erschließen, durchaus nicht mit Begriffen wie Hochmut und Demut verwechseln. Einer kann recht wohl hochmütig sein ohne sich anderen auferlegen zu wollen, und es genügt nicht demütig zu sein um einen andern zu erschließen. Hochmut und Demut sind Seelenverfassungen, individual-psychologische Tatsachen mit ethischem Akzent, Auferlegung und Erschließung sind Vorgänge zwischen Menschen, an-

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thropologische Sachverhalte, die auf eine Ontologie, die Ontologie des Zwischenmenschlichen eben, hinweisen. Auf ethischem Gebiet hat Kant den überaus wichtigen Grundsatz ausgesprochen, der Mitmensch dürfe niemals bloß als Mittel, sondern müsse jederzeit zugleich als selbständiger Zweck gedacht und behandelt werden. Der Satz steht im Zeichen eines Sollens, das von der Idee der Menschenwürde getragen wird. Unsere im Kern verwandte Betrachtung kommt anderswoher und zielt anderswohin. Uns geht es um die Voraussetzungen des Zwischenmenschlichen. Der Mensch ist nicht in seiner Isolierung, sondern in der Vollständigkeit der Beziehung zwischen dem einen und dem andern anthropologisch existent: erst die Wechselwirkung ermöglicht, das Menschentum zulänglich zu erfassen. Dazu, zum Bestande des Zwischenmenschlichen ist, wie gezeigt wurde, erforderlich, daß sich in die Beziehung von personhaftem Sein zu personhaftem Sein nicht der Schein verderblich einmische; es ist dazu des weiteren, wie gezeigt wurde, erforderlich, daß jeder den anderen in dessen personhaftem Sein meine und vergegenwärtige. Daß keiner der Partner sich dem andern auferlegen wolle, ist die dritte basische Voraussetzung des Zwischenmenschlichen schlechthin. Daß einer auf den andern erschließend einwirke, gehört nicht mehr zu diesen Voraussetzungen; wohl aber ist dies ein Element, geeignet, zu einer höheren Stufe des Zwischenmenschlichen zu führen. Daß jedem Menschen die Bestimmung innewohnt, das rechte Menschsein auf seine besondere, ihm allein eigentümliche Art zu erlangen, kann man im aristotelischen Bilde der Entelechie, der eingeborenen Selbstverwirklichung fassen; nur muß man darauf achten, daß das eine Entelechie des Schöpfungswerkes ist. Irrig ist es, hier von der Individuation allein zu sprechen; diese bedeutet nur das urnotwendig personhafte Gepräge aller Verwirklichung des Menschseins. Nicht das Selbst als solches ist das Letztwesentliche, sondern daß der Schöpfungssinn des menschlichen Daseins sich je und je als Selbst erfülle. Die erschließende Funktion zwischen den Menschen, die Hilfe zum Werden des Menschen als Selbst, das Einander-Beistehn zur Selbstverwirklichung des schöpfungsgerechten Menschentums ist es, das das Zwischenmenschliche zu seiner Höhe führt. Erst in zwei Menschen, von denen jeder, wenn er den andern meint, zugleich das Höchste meint, das eben diesem zubestimmt ist, und der Erfüllung der Bestimmung dient, ohne dem andern etwas von der eigenen Realisierung auferlegen zu wollen, stellt sich die dynamische Herrlichkeit des Menschenwesens leibhaft dar.

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5 Das echte Gespräch

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Es gilt nun noch, die Merkmale des echten Gesprächs klärend zusammenzufassen. Im echten Gespräch geschieht die Hinwendung zum Partner in aller Wahrheit, als Hinwendung des Wesens also. Jeder Sprecher meint hier den Partner, an den, oder die Partner, an die er sich wendet, als diese personhafte Existenz. Jemanden meinen heißt in diesem Zusammenhang zugleich das dem Sprecher in diesem Augenblick mögliche Maß der Vergegenwärtigung üben. Die erfahrenden Sinne und die Realphantasie, die das von ihnen Befundene ergänzt, wirken zusammen, um den andern als ganze und einzige, als eben diese Person gegenwärtig zu machen. Der Sprecher nimmt aber den ihm so Gegenwärtigen nicht bloß wahr, er nimmt ihn zu seinem Partner an, und das heißt: er bestätigt, soweit Bestätigen an ihm ist, dieses andere Sein. Die wahrhafte Hinwendung seines Wesens zum andern schließt diese Bestätigung, diese Akzeptation ein. Selbstverständlich bedeutet solch eine Bestätigung keineswegs schon eine Billigung; aber worin immer ich wider den andern bin, ich habe damit, daß ich ihn als Partner echten Gesprächs annehme, zu ihm als Person Ja gesagt. Des weiteren muß, wenn ein echtes Gespräch entstehen soll, jeder, der daran teilnimmt, sich selber einbringen. Und das bedeutet, daß er willens sein muß, jeweils zu sagen, was er zu dem besprochenen Gegenstand im Sinn hat. Und das wieder bedeutet, daß er jeweils den Beitrag seines Geistes ohne Verkürzung und Verschiebung hergebe. Auch sehr redliche Menschen wähnen, im Gespräch durchaus nicht gehalten zu sein, alles zu sagen »was sie zu sagen haben«. Aber in der großen Treue, welche der Atemraum des echten Gesprächs ist, hat das, was ich jeweils zu sagen habe, schon in mir den Charakter des Gesprochenwerdenwollens, und ich darf es nicht davon ab-, darf es nicht in mir zurückhalten. Es trägt ja, mir unverkennbar, das Zeichen, das die Zugehörigkeit zum gemeinschaftlichen Leben des Wortes anzeigt. Wo das dialogische Wort echtbürtig besteht, muß ihm sein Recht durch Rückhaltlosigkeit werden. Rückhaltlosigkeit aber ist das genaue Gegenteil des Drauflosredens. Alles kommt auf die Legitimität des »Was ich zu sagen habe« an. Und freilich muß ich auch darauf bedacht sein, das, was ich eben jetzt zu sagen habe, aber noch nicht sprachlich besitze, ins innere Wort und sodann ins lautliche zu heben. Sagen ist Natur und Werk, Gesproß und Gebild zugleich,

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und es hat, wo es dialogisch, im Atemraum der großen Treue erscheint, die Einheit beider stets neu zu vollenden. Dazu gesellt sich jene Überwindung des Scheins, auf die ich hingewiesen habe. In wem auch noch in der Atmosphäre des echten Gesprächs der Gedanke an die eigene Wirkung als Sprecher des von ihm zu Sprechenden waltet, der wirkt als Zerstörer. Wenn ich statt des zu Sagenden mich anschicke, ein zur Geltung kommendes Ich vernehmen zu lassen, habe ich unwiederbringlich verfehlt, was ich zu sagen gehabt hätte, fehlbehaftet tritt es ins Gespräch, und das Gespräch wird fehlbehaftet. Weil das echte Gespräch eine ontologische Sphäre ist, die sich durch die Authentizität des Seins konstituiert, kann jeder Einbruch des Scheins es versehren. Wo aber das Gespräch sich in seinem Wesen erfüllt, zwischen Partnern, die sich einander in Wahrheit zugewandt haben, sich rückhaltlos äußern und vom Scheinenwollen frei sind, vollzieht sich eine denkwürdige, nirgendwo sonst sich einstellende gemeinschaftliche Fruchtbarkeit. Das Wort ersteht Mal um Mal substantiell zwischen den Menschen, die von der Dynamik eines elementaren Mitsammenseins in ihrer Tiefe ergriffen und erschlossen werden. Das Zwischenmenschliche erschließt das sonst Unerschlossene. Aus der Zwiesprache ist dieses Phänomen ja vielfach bekannt; aber auch im mehrstimmigen Dialog habe ich es zuweilen erfahren. Um die Ostern 1914 trat, aus geistigen Vertretern einiger europäischen Völker zusammengesetzt, ein Kreis zu einer dreitägigen Beratung zusammen, die als Vorbesprechung gedacht war. Man wollte gemeinsam erwägen, wie etwa der von allen geahnten Katastrophe vorzubeugen wäre. Ohne daß man etwelche Modalitäten der Aussprache vorweg vereinbart hätte, waren alle Voraussetzungen des echten Gesprächs erfüllt. Von der ersten Stunde an herrschte Unmittelbarkeit zwischen allen, von denen manche einander eben erst kennen gelernt hatten, jeder sprach mit einer unerhörten Rückhaltlosigkeit, und offenbar war nicht ein einziger unter den Teilnehmern dem Scheine hörig. Ihrer Absicht nach muß man die Zusammenkunft als eine gescheiterte bezeichnen (wiewohl es in meinem Herzen auch jetzt noch nicht feststeht, daß sie scheitern mußte); die Ironie der Situation wollte es, daß man die endgültige Besprechung auf Mitte August ansetzte, und der Weltgeschichte war es naturgemäß bald gelungen, den Kreis zu sprengen. Dennoch hat in aller Folge gewiß keiner der damals Versammelten bezweifelt, daß er an einem Triumph des Zwischenmenschlichen teilgenommen hatte. Ein Hinweis ist noch vonnöten. Selbstverständlich brauchen nicht alle zu einem echten Gespräch Ver-

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5. Das echte Gespräch

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einten selber zu sprechen; schweigsam Bleibende können mitunter besonders wichtig werden. Jeder aber muß entschlossen sein, sich nicht zu entziehen, wenn es etwa dem Gang des Gesprächs nach an ihm sein wird zu sagen, was eben er zu sagen hat. Wobei natürlich keiner von vornherein wissen kann, was das etwa sein wird: ein echtes Gespräch kann man nicht vordisponieren. Es hat zwar seine Grundordnung von Anbeginn in sich, aber nichts kann angeordnet werden, der Gang ist des Geistes, und mancher entdeckt, was er zu sagen hatte, nicht eher, als da er den Ruf des Geistes vernimmt. Auch dies jedoch ist selbstverständlich, daß alle Teilnehmer, ohne Ausnahme, so beschaffen sein müssen, daß sie den Voraussetzungen des echten Gesprächs zu genügen fähig und bereit sind. Die Echtheit ist schon in Frage gestellt, wenn ein noch so geringer Teil der Anwesenden von sich und von den andern als solche empfunden werden, denen keine aktive Beteiligung zugedacht ist. Ein Zustand dieser Art kann sich zu einer schweren Problematik steigern. Ich hatte einen Freund, den ich zu den beträchtlichsten Männern des Zeitalters zähle. Er war ein Meister des Gesprächs, und er liebte es; seine Echtheit als Sprecher war evident. Aber einmal ereignete es sich, daß er mit zwei Freunden und den Frauen der drei beisammen saß und ein Gespräch aufstieg, an dem die Frauen seinem Wesen nach offenkundigerweise nicht teilnahmen, wiewohl freilich ihre Gegenwart höchst bestimmend war. Das Gespräch zwischen den Männern entwickelte sich bald zu einem Gefecht zwischen zweien (ich war der dritte). Auch der andere, mir ebenfalls befreundet, war von edler Art, ein Mann des Wortes auch er, aber mehr der sachlichen Gerechtigkeit als den Ansprüchen des Geistes ergeben und aller Eristik urfremd. Der Freund, den ich einen Meister des Gesprächs genannt habe, sprach nicht gelassen-gewichtig wie sonst, sondern »glänzend«, fechterisch, siegerisch. Das Gespräch verdarb. In unserer Zeit, in der das Verständnis für das Wesen des echten Gesprächs selten geworden ist, werden seine Voraussetzungen von dem falschen Öffentlichkeitssinn so gründlich mißkannt, daß man vermeint, ein solches Gespräch vor einem Publikum interessierter Zuhörer mit gebührender publizistischer Assistenz veranstalten zu können. Aber eine öffentliche Debatte von noch so hohem »Niveau« kann weder spontan noch unmittelbar noch rückhaltlos sein; eine als Hörstück vorgeführte Unterredung ist von dem echten Gespräch brückenlos geschieden.

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Nachbemerkung Während des Drucks dieses Buches bin ich auf zwei Stellen in Alexander von Villers’ »Briefen eines Unbekannten« aufmerksam gemacht worden, die mir merkwürdig genug scheinen, um hier angeführt zu werden: »Wiesenhaus, 27. Dezember 1877. Ich habe einen Aberglauben an den Zwischenmenschen. Ich bin es nicht, auch du nicht, aber zwischen uns entsteht einer, der mir Du heißt, dem Andern ich bin. So hat jeder seinen Zwischenmenschen mit einem gegenseitigen Doppelnamen, und von all den hundert Zwischenmenschen, an denen jeder von uns mit fünfzig Prozent beteiligt ist, gleicht keiner dem andern. Der aber denkt, fühlt und spricht, das ist der Zwischenmensch, und ihm gehören die Gedanken; das macht uns frei.« »Wiesenhaus, 28. Februar 1879. So, jetzt kommen wir auf den Trichter. Das ist Red und Antwort, lebendiger Gegenstand, Reibung, vielleicht das Innere der Zeugung. Denn ich habe eine Vorstellung von einem Ding, nicht an sich, aber einem Ding an mich und an dich. Um einen Namen zu haben, einen Henkel, an dem man’s faßt, nenn ich’s den Zwischenmenschen. Der Zwischenmensch ist eine nur zwei bestimmten Menschen eigene und zugehörige Vorstellung vom Anderen. Das B zwischen A und C in ihrer Mitte. In dem Verhältnisse des A zu einem D E F kommt dieser Zwischenmensch, obgleich immer dasselbe A, nie wieder vor, er gehört nur dem Verhältnis A bis C.«

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Nachwort [zu »Die Schriften über das dialogische Prinzip«]

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Zu allen Zeiten wohl ist geahnt worden, daß die gegenseitige Wesensbeziehung zwischen zwei Wesen eine Urchance des Seins bedeutet, und zwar eine, die dadurch in die Erscheinung trat, daß es den Menschen gibt. Und auch dies ist immer wieder geahnt worden, daß der Mensch eben damit, daß er in die Wesensbeziehung eingeht, als Mensch offenbar wird, ja daß er erst damit und dadurch zu der ihm vorbehaltenen gültigen Teilnahme am Sein gelangt, daß also das Du-Sagen des Ich im Ursprung alles einzelnen Menschwerdens steht. Diese Ahnung ist, in der Unmittelbarkeit ihrer eigenen Sprache, in einem Briefe Friedrich Heinrich Jacobis von 1775 an einen Ungenannten (angeführt in einem Brief Jacobis an Lavater von 1781) ausgesprochen. Da heißt es: »Ich öffne Aug oder Ohr, oder ich strecke meine Hand aus, und fühle in demselbigen Augenblick unzertrennlich: Du und Ich, Ich und Du.« Im Übergang zur Sprache der ausgesagten Einsicht äußert sie sich in einem von Jacobis Fliegenden Blättern: »Quelle aller Gewißheit: Du bist und Ich bin!« Und die reife Formulierung lautet (1785): »Ohne Du ist das Ich unmöglich.« 1 Aber erst ein halbes Jahrhundert danach ist ein von Jacobi grundverschiedener, von ihm jedoch nicht unbeeinflußter Denker, Ludwig Feuerbach, daran gegangen, seine Erkenntnis der Urbeziehung von Ich und Du in einander ergänzende philosophische Thesen einzufassen. Er findet sich zunächst nur im Vorraum des Baus zurecht, der sich ihm eröffnet hat: »Das Bewußtsein der Welt ist für das Ich vermittelt durch das Bewußtsein des Du« – womit man den späteren, aber nicht eigentlich über Jacobi hinausgehenden Satz verknüpfen mag, das wirkliche Ich sei »nur das Ich, dem ein Du gegenübersteht, und das selbst einem anderen Ich gegenüber Du ist«. Bald nach jenem Spruch jedoch, sichtlich von einer der Wellen einer genialischen Begeisterung überflutet, die kommen und gehen, schreibt Feuerbach über das »Geheimnis der Notwendigkeit des Du für das Ich« den Satz, der für ihn offenbar den Charakter der Endgültigkeit hat, und bei dem er denn auch stehen geblieben ist, ohne ein Weitergehen auch nur zu versuchen: »Der Mensch für sich ist Mensch (im gewöhnlichen Sinn); der Mensch mit Mensch – die Einheit von Ich und 1.

Man mag mit dieser Formulierung den, freilich in ganz anderem Sinnzusammenhang zu verstehenden, Satz Fichtes von 1797 vergleichen: »Das Bewußtsein des Individuums ist notwendig von einem anderen, dem eines Du, begleitet und nur unter dieser Bedingung möglich.«

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Nachwort [zu »Die Schriften über das dialogische Prinzip«]

Du ist Gott.« Hier ist der Standort der neuen Denkweise festen Fußes betreten, aber im gleichen Nu schon ins Unbestimmte einer schlechten Mystik hinein überschritten, wo den Philosophen kein tragfähiger Boden mehr erwartet. Der Satz ist offenbar, bewußt oder unbewußt, gegen Jacobis Grundanschauung gerichtet, der in jenem Brief, nachdem er das Du als ein irdisches dargetan hat (»Stütze der eigenen Existenz des Andern; ein liebes Du«), mit ebendem Du Gott anruft. Auf diese Zueinandersetzung von menschlichem und göttlichem Du antwortet Feuerbach nicht mit der Forderung eines radikalen Verzichts auf den Gottesbegriff, sondern mit der Substitution eines anthropologischen Gottersatzes. Statt folgerichtig zu schließen: »Die Einheit von Ich und Du ist Mensch (im eigentlichen Sinn)«, führt er eine pseudomystische Konstruktion ein, der weder er selber noch irgend jemand nach ihm einen echten Gehalt hat abgewinnen können. Die Ausschaltung dieser Konstruktion, unter Bewahrung von Feuerbachs Wirklichkeitserfassung, ist kurze Zeit danach durch das Denken Sören Kierkegaards erleichtert worden. Die Kategorie »Der Einzelne sein«, die er seiner Epoche in den Weg gestellt hat, soll ja im strengen Sinn als die entscheidende Voraussetzung für die oberste Wesensbeziehung verstanden werden, denn Gott »will den Einzelnen, nur mit dem Einzelnen will er sich einlassen, gleichgültig ob der Einzelne hoch oder gering, ausgezeichnet oder erbärmlich ist«. Aber es waltet hier, wenn auch nicht grundsätzlich, so doch faktisch, eine bedenkliche Umgrenzung. Zwar fordert Kierkegaard, daß der Mensch auch in seinem Verhalten zu seinem Mitmenschen als Einzelner handle, aber zu einer Wesensbeziehung in jenem strengen Sinn wird das Verhältnis zum Mitmenschen nicht, kann es für Kierkegaard, so großartig er auch von der Nächstenliebe zu predigen weiß, nicht werden. Als Jacobi in jenem Brief von seiner Unmittelbarkeit berichtete, brachte er in einem Gefühlsüberschwang, dessen Ausdruck wörtlich (»Herz! Liebe! Gott!«) an Fausts Antwort an Gretchen – der Urfaust stammt ja aus eben jener Zeit – gemahnt, das Du des »anderen« und das Gottes zusammen, wobei freilich die Gefahr eines vagen Ineinanderfließens nicht ganz vermieden war. Im äußersten Gegensatz dazu wird in Kierkegaards existentiellem Denken das menschliche Du nie ins göttliche, das eingeschränkte nie ins schrankenlose transparent. Von diesem Nein aus ist eine große Frage an die nachkommenden Geschlechter gestellt, die eine nüchtern-unbefangene Erwägung und Erwiderung heischt. Denn mit der aufbrechenden Seinskluft zwischen Du und Du droht die innerste Bedeutung jener Entdeckung von »Ich und Du«, wie zuvor von einem scheinmystischen Atheismus aus, so

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Nachwort [zu »Die Schriften über das dialogische Prinzip«]

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nunmehr von einer fast monadisch intendierten theistischen Frömmigkeit aus, verkehrt zu werden. Erst an siebzig Jahre danach, 1 als in der Zeit des ersten Weltkriegs aus der Erfahrung der vesuvischen Stunde das seltsame Verlangen erwacht, mit dem Denken dem Existieren selber gerecht zu werden, und auch den Systematiker ergreift, beginnt die Bewegung aufs neue. Es ist sinnreich, daß als erster der Neukantianer Hermann Cohen, im Winter 1917/1918, dem Tode nah, in dem Buche »Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums« (1919) die Sicht des Du erneuert. Als Weiterführung der Linie Jacobis darf es angesehen werden, wenn hier erkannt wird, daß »erst das Du, die Entdeckung des Du mich selbst zum Bewußtsein meines Ich« bringt, und daß es »die Persönlichkeit« ist, die »durch das Du an den Tag gehoben wird«. Aber ein vordem in der Philosophie Ungesagtes wird laut, wenn es von der Wechselbezogenheit von Mensch und Gott, ihrer »Korrelation«, heißt, sie könne »nicht in Vollzug treten, wenn nicht vorerst an der eingeschlossenen Korrelation von Mensch und Mensch«. So weit von Kierkegaard weg hat sich Cohens erstaunlicher Schüler Franz Rosenzweig, der in jenem Winter die »Religion der Vernunft« in der Handschrift kennen lernte und sie – ohne freilich zentral davon beeinflußt zu werden – im Sinn trug, als er im darauffolgenden Sommer in den mazedonischen Schützengräben an seinem »Stern der Erlösung« (1921) zu bauen begann, nicht entfernt. Aber in dem Verstehen des Du als eines gesprochenen geht er, von der dichten Konkretheit seines Sprachdenkens befeuert, bemerkenswert über Cohen hinaus: die wesentliche Gesprochenheit des Du ist ihm in Gottes an Adam gerichtetem »Wo bist du?« gefaßt, und dieses ausdeutend fragt er: »Wo ist ein solches selbständiges, dem verborgenen Gott frei gegenüberstehendes Du, an dem er sich als Ich entdecken konnte?« Daß nun von hier aus innerbiblisch ein Weg zu jenem »Ich habe dich beim Namen gerufen. Du bist mein« sichtbar wird, mit dem Gott sich »als der Urheber und Eröffner dieses ganzen Zwiegesprächs zwischen ihm und der Seele« ausweist, das ist Rosenzweigs bedeutungsvoller theologischer Beitrag zu unserer Sache. 2 Im Februar 1919 war der »Stern« beendet. Aber im gleichen Winter 1.

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Doch darf hier aus der Zwischenzeit ein beachtenswerter Satz von William James (The Will to Believe, 1897) nicht unangeführt bleiben. Er lautet: »Wenn wir gläubig [religious] sind, ist das Universum nicht mehr ein bloßes Es, sondern ein Du; und jedes Verhältnis, das von Person zu Person möglich sein mag, mag hier möglich sein.« Franz Rosenzweig muß auch in diesem Belange im Zusammenhang eines Kreises gesehen werden, aus dem hier insbesondere Hans Ehrenberg und Eugen Rosenstock hervorzuheben sind.

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und in den Frühling hin schrieb ein von Krankheit und Depressionen schwer heimgesuchter katholischer Volksschullehrer in der österreichischen Provinz, Ferdinand Ebner, seine »pneumatologischen Fragmente«, die er dann in dem Buch »Das Wort und die geistigen Realitäten« (1921) zusammenfügte. Ebner geht aus von der Erfahrung der »Icheinsamkeit« in jenem existentiellen Sinn, den sie in unserer Zeit gewonnen hat; sie ist für ihn »nichts Ursprüngliches«, sondern das Ergebnis der »Abschließung von dem Du«. Von hier aus vertieft er sich, Hamanns Spuren folgend, aber die Einsichten stärker aneinander bindend, in das Mysterium der Sprache als der ewig neuen Setzung des Verhältnisses zwischen dem Ich und dem Du. Er bekennt sich, in direkterer Weise als Kierkegaard, als einer, der das Du im Menschen nicht zu finden vermochte. Schon 1917 hat er die Gefahr verzeichnet, am Bewußtsein dieser »Unmöglichkeit« geistig zugrunde zu gehen. Die Rettung findet er im Gedanken: »Es gibt nur ein einziges Du und das eben ist Gott«. Zwar postuliert auch er, wie Kierkegaard: »Der Mensch soll nicht nur Gott, sondern auch den Menschen lieben«, aber wo es um die Eigentlichkeit des Daseins geht, entschwindet auch ihm alles andere Du vor dem Gottes. Fragen wir hier, wie bei Kierkegaard, nach dem Letztgültigen, so stehen wir wieder vor dem zwar weltschauenden, aber letztlich akosmisch, dem zwar menschenliebenden, aber letztlich ananthropisch sich verhaltenden Einzelnen. An dieser Stelle habe ich von mir selber zu reden. Die Frage nach Möglichkeit und Wirklichkeit eines dialogischen Verhältnisses zwischen Mensch und Gott, also eines freien Partnertums des Menschen in einem Gespräch zwischen Himmel und Erde, dessen Sprache in Rede und Antwort das Geschehen selber ist, das Geschehen von oben nach unten und das Geschehen von unten nach oben, hat mich schon in meiner Jugend angefordert. Insbesondre seit die chassidische Überlieferung mir zum tragenden Grund des eigenen Denkens gedieh, also seit etwa 1905, ist jene Frage mir zu einer innersten geworden. In der Sprachform der viele Jahre danach entstandenen Schriften über das dialogische Prinzip findet sie sich zum erstenmal wohl im Herbst 1907, in der Einführung zu meinem Buch »Die Legende des Baalschem«. Hier geht es um die radikale Unterscheidung zwischen dem Mythos im engeren Sinn (dem Mythos der Mythologien) und der Legende. Es wird gesagt: »Die Legende ist der Mythos der Berufung. In dem reinen Mythos gibt es keine Verschiedenheit des Wesens … Auch der Heros steht nur auf einer anderen Stufe als der Gott, nicht ihm gegenüber; sie sind nicht das Ich und das Du … Der Gott des reinen Mythos beruft nicht, er zeugt; er sendet den Gezeugten, den Heros. Der Gott der Legende beruft, den

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Menschensohn: den Propheten, den Heiligen … Die Legende ist der Mythos des Ich und Du, des Berufenen und des Berufenden, des Endlichen, der ins Unendliche eingeht, und des Unendlichen, der des Endlichen bedarf«. Hier ist das dialogische Verhältnis also an seiner höchsten Aufgipfelung exemplifiziert: weil auch auf dieser Höhe noch die wesenhafte Verschiedenheit zwischen den Partnern ungeschwächt fortdauert, zugleich aber auch noch in solcher Nähe die Selbständigkeit des Menschen gewahrt bleibt. Von diesem Vorgang der Ausnahme, des Ausnehmens, führte das Denken mich nun aber immer ernstlicher auf das Gemeinsame, von allen Erfahrbare hin. Die Klärung geschah zunächst auch hier im Zusammenhang meiner Deutung des Chassidismus: in dem im September 1919 verfaßten »Geleitwort« zu dem Buch »Der große Maggid und seine Nachfolge« (1921) wird die jüdische Lehre als »ganz auf die doppelgerichtete Beziehung von Menschen-Ich und Gott-Du, auf die Gegenseitigkeit, auf die Begegnung gestellt« gekennzeichnet. Bald danach, im Herbst, folgte die erste, noch unbeholfene Niederschrift von »Ich und Du« (es sollte ursprünglich den ersten Teil eines fünfbändigen Werkes bilden, dessen Inhalt ich schon 1916 flüchtig skizziert hatte, dessen systematischer Charakter es mir aber zusehends entfremdete). 1 Es kamen nun zwei Jahre, in denen ich bis auf Chassidisches fast gar nicht arbeiten konnte, aber auch – mit Ausnahme des wieder einmal vorgenommenen »Discours de la méthode« – keine Philosophica las (deshalb habe ich auch die genannten Werke von Cohen, Rosenzweig 2 und Ebner erst später, verspätet gelesen). Es gehört dies in den Zusammenhang eines Vorgangs, den ich damals als spirituale Askese verstand. Dann durfte ich an die endgültige Fassung gehen, die – nachdem ich den Gedankengang im Januar und Februar 1922 in einem Kolleg über »Religion als Gegenwart« des von Rosenzweig gegründeten und geleiteten Freien jüdischen Lehrhauses in Frankfurt a. M. vorgetragen hatte – im Frühling 1922 beendet war. Als ich den dritten und letzten Teil schrieb, brach ich die Lese-Askese und begann mit Ebners Fragmenten. 3 Das Buch zeigte mir, wie kein anderes seither, stellenweise in einer fast unheimlichen Nähe, daß in dieser unserer Zeit Menschen verschiedener Art und Tradition sich auf die Suche nach dem verschütteten Gut begeben hatten. Ähnliches ergab sich mir bald auch von anderer Seite. 1. 2. 3.

Vgl. meine Nachbemerkung zur Erstausgabe von »Ich und Du«. Daraus erklärt sich u. a. Rosenzweigs briefliche Mitteilung (Briefe S. 462), daß ich im Dezember 1921 sein Buch noch nicht kannte. Zuerst bekam ich einiges in einem Heft des »Brenner« Veröffentlichte zu Gesicht und ließ mir nun das Buch schicken.

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Nachwort [zu »Die Schriften über das dialogische Prinzip«]

Von den Ahnen hatte ich Feuerbach und Kierkegaard schon als Student gekannt, Ja und Nein zu ihnen war ein Teil meines Daseins geworden, Jacobi kannte ich nur erst ganz unzulänglich (ich habe ihn erst vor kurzem ausreichend gelesen); nun umgab mich im Geiste ein wachsender Kreis von Menschen der gegenwärtigen Generationen, denen es, wenn auch in ungleichem Maße, um das eine ging, das mir immer mehr zur Lebenssache wurde. Ich hatte seiner Erkenntnis schon in der in meinem Buche »Daniel« (1913) dargelegten Unterscheidung zwischen einer »orientierenden«, vergegenständlichenden, und einer »realisierenden«, vergegenwärtigenden Grundhaltung vorgearbeitet, einer Unterscheidung, die sich in ihrem Kern mit der in »Ich und Du« ausgeführten zwischen der Ich-Es-Relation und der Ich-Du-Relation deckt, nur daß die später nicht mehr in der Sphäre der Subjektivität, sondern in der zwischen den Wesen gegründet ist. Dies aber ist die entscheidende Wandlung, die sich in der Zeit des ersten Weltkriegs an einer Reihe von Geistern vollzog. Kundgegeben hat sie sich in sehr mannigfachem Sinn und Bereich, aber die fundamentale, aus der erschließenden Wandlung der menschlichen Situation stammende Gemeinsamkeit ist unverkennbar. Unter diesem Gesichtspunkt ist eine Anzahl von Publikationen aus dem auf die genannten Werke folgenden Jahrzehnt als aus dem Zeitabschnitt, in dem die Klärung sich vollendet, zusammenzustellen. Aus dem Kreise Rosenzweigs kamen die Bücher zweier protestantischer Denker: Hans Ehrenbergs »Disputation I Fichte« (1923) und Eugen Rosenstocks »Angewandte Seelenkunde« (1924), von der Rosenzweig, der eine frühere Fassung davon kannte, beim Schreiben seines Buches »entscheidend« beeinflußt war (vgl. jetzt auch Rosenstocks »Der Atem des Geistes«, 1951). Aus der protestantischen Theologie ist zuerst Friedrich Gogartens »Ich glaube an den dreieinigen Gott« (1926) zu nennen, das die Geschichte als »die Begegnung von Du und Ich« verstehen will, aber zugleich an der undialektischen These »Die Geschichte ist Gottes Werk« festhält und so den Begegnungscharakter der Geschichte letztlich verfehlen muß, und des gleichen Verfassers »Glaube und Wirklichkeit« (1928), darin die Lehre, daß die Begegnung von Du und Ich die Wirklichkeit ist, schlechthin als Bestandteil des reformatorischen Protestantismus behandelt wird. Sodann haben wir hier Karl Heims umfassenden theologisch-philosophischen Systematisierungsversuch »Glaube und Denken« (19311) vor uns, in dem wohl am nachdrücklichsten auf die Bedeutung der zu vollziehenden Wendung hingewiesen wird (»Wenn zunächst das Ich-Es-Verhältnis vorhanden war und uns nun das Du aufgeht, … ist eine viel radikalere Umwälzung eingetreten als die Entdek-

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kung eines neuen Weltteils oder die Erschließung neuer Sonnensysteme. Das Ganze der raumzeitlichen Es-Welt einschließlich aller Sternenstrudel und Sternennebel der Milchstraße ist in eine neue Sicht getreten«). Auch in Arbeiten Emil Brunners aus jener Zeit wird bereits unser Problem einbezogen. Die katholische Philosophie hat damals vornehmlich Gabriel Marcels »Journal métaphysique« (1927) hervorgebracht, in dem, anscheinend unabhängig von dem bis dahin in deutscher Sprache Gesagten, die zentrale Einsicht mit ihrem jeweiligen Kommen aufgezeichnet erscheint, ohne daß sie irgendwo den elementaren Erfahrungen des katholischen Denkers Ebner vergleichbar wäre; an die Tiefen des Sprachreichs wird hier nicht gerührt. Doch haben mir Tatsachen wie die, daß hier der grundlegende Satz von »Ich und Du«, das ewige Du könne seinem Wesen nach nicht zum Es werden, wiederkehrt, die Universalität des geistigen Werdens, von dem dieses Nachwort handelt, erneut bestätigt. Innerhalb der »freien« Philosophie – womit hier gemeint ist: der nicht mehr, wie etwa die von Descartes oder Leibniz, in einer Glaubenswirklichkeit existentiell wurzelnden und daher das Anliegen der Verbindung zwischen dem Umgang mit dem bedingten und dem Umgang mit dem unbedingten Du grundsätzlich ausschaltenden – stehen in jener Zeit vier Werke, Theodor Litts »Individuum und Gemeinschaft« (19242, 19263), Karl Löwiths »Das Individuum in der Rolle des Mitmenschen« (1928), Eberhard Grisebachs »Gegenwart« (1928) und Karl Jaspers’ »Philosophie« II und III (1932) im Vordergrund. Für Litt ist der Begriff des »Du-Erlebnisses« bestimmend, doch geht er über den psychologischen Bereich eindeutig hinaus, wenn er z. B. in der veränderten Beziehung zur Welt »aus dem dialektischen Verhältnis einen wahrhaften ›Dialogos‹« werden läßt. Löwiths Buch ist der eigentliche Beitrag der Phänomenologie, 1 eine zuverlässige, insbesondre die großen sprachphilosophischen Findungen Wilhelm von Humboldts eindringlich verwertende Strukturanalyse, die aber nicht umhin kann, wenn ein Tor unprogrammatisch aufspringen will, es sorgsam zu verrammeln. 1.

Max Schelers »Wesen und Formen der Sympathie« (1923) gehört bei aller Bedeutsamkeit nicht hierher, weil es dem Seins-Charakter unserer Fragestellung nicht entspricht. Sätze, wie, daß die »Duwelt« »genau so eine selbständige Wesenssphäre« sei wie die Außenweltsphäre, die Innenweltsphäre, die »Sphäre des Göttlichen«, führen über diese Beschränkung der Sicht nicht hinaus. (Doch seien hier, wiewohl aus späterer Zeit stammend, die einschlägigen Abschnitte in Ludwig Landgrebes »Phänomenologie und Metaphysik« [1948], als Interpretation von Gedanken Husserls erwähnt.)

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Die strenge und überstrenge Folgerichtigkeit der radikalen Kritik Grisebachs opfert dem Postulat der Anerkennung des mitmenschlichen Du in dessen existentiellem An- und Widerspruch manche konkreten Gehalte der Du-Beziehung. Unbeachtet bleibt hier, daß ich in einer wirklichen Begegnung mit meinem Nächsten vor lauter Übung des geforderten Hörens auf die Anderheit des Anderen gerade jene Hilfe verfehlen kann, auf die es ankam: die Erschließung eines gemeinsam zu Betrachtenden. Sich vom Du wirklich begrenzen lassen ist wichtig, aber weit wichtiger vermag zu sein, sich zusammen mit ihm dem uns beide einander entgrenzenden Unbegrenzten auszusetzen. »Das Angesprochensein vom Absoluten«, sagt Grisebach, »ist ein Dogma der Erinnerung« – wie aber, wenn man in der Gegenwart des Anderen und eben durch sie angesprochen wird? Grisebach fügt hinzu: »Ein Einzelner kann seinem Wesen nach wohl eine Unbedingtheit, aber niemals das Unbedingte als Besitz beanspruchen«, und seine unerbittliche Lauterkeit hindert ihn zu erkennen, daß gerade das wirkliche Angesprochenwerden – nicht freilich vom »Absoluten«, das nicht spricht, aber von dem die Welt zu mir sprechenden Gott – es ist, das allen Besitzanspruch auf ein Absolutes ausbrennt. Eminent gehört Jaspers hierher durch den Abschnitt über Kommunikation in seiner »Existenzerhellung« und den über Lesen der Chiffreschrift in seiner »Metaphysik«. Beide zusammen bilden den exemplarischen Abschluß einer Entwicklungsphase, in der die »freie« Philosophie sich der neuen Entdeckung reduzierend bemächtigt. Reduzierend, sage ich, weil die dieser Entdeckung eigentümliche Verbindung der Transzendenz mit der Konkretion als Willkür behandelt, der Vorstoß zur Grenzenlosigkeit des Du gleichsam annulliert wird. Keinem Wurzelgrund einer Glaubenswirklichkeit mehr verhaftet, vermeint diese Philosophie, wenn sie nur die Grundlage einer Existentialität der philosophierenden Person wahrt, im Neuland unbehindert schalten zu können, und es gelingt ihr auf ihre Weise. Wir hatten erkannt, daß eben dasselbe Du, das von Mensch zu Mensch geht, eben dasselbe es ist, das vom Göttlichen her zu uns niederfährt und von uns her zu ihm aufsteigt. Um dieses Gemeinsame in der äußersten Ungemeinsamkeit ging es und geht es. Jene biblische Verschwisterung von Gottesliebe und Menschenliebe im Doppelgebot lenkte unseren Blick auf die Transparenz des endlichen Du, aber auch auf die Gnade des unendlichen, zu erscheinen, wo und wie es erscheinen will. Nun soll uns das Du-sagen zur Gottheit als unrechtmäßig verwiesen werden. Gewiß ist der Philosoph unverbrüchlich befugt zu erklären, »philosophische Existenz« ertrage es, »dem verborgenen Gotte nicht zu nahen«. Er ist

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aber nicht befugt, das seiner Erfahrung also fremde Gebet als »fragwürdig« zu bezeichnen. 1 Nicht erheblich anders verhält es sich mit der Lehre vom Lesen der Chiffreschrift. »Zeichen«, hatten wir gemerkt, »geschehen uns unablässig, leben heißt angeredet werden«, und »Was mir widerfährt, ist Anrede an mich. Als das, was mir widerfährt, ist das Weltgeschehen Anrede an mich.« Es scheint nun Ähnliches gemeint zu sein, wenn uns die Philosophie darauf hinweist, daß »die Welt keine direkte Offenbarung, sondern nur eine Sprache ist, die, ohne allgemeingültig zu werden, nur der Existenz jeweils geschichtlich vernehmbar und auch dann nicht endgültig zu entziffern« ist, und wenn noch prägnanter von der Transzendenz gesagt wird: »Sie kommt wie aus ihrem fernen Sinn als fremde Macht in diese Welt und spricht zur Existenz; sie tritt ihr nah, ohne je mehr als eine Chiffre zu zeigen.« Nur daß vorausgeschickt worden ist, es sei, »mythisch gesprochen, die Chiffre des Teufels so sichtbar wie die der Gottheit«. Damit wird deutlich, wie Verschiedenes doch hier und dort gemeint ist. Was ist das für eine wunderliche »Transzendenz«, in der die Chiffreschriften fatal durcheinanderwirren! Den Teufel, mythisch gesprochen, in Ehren, aber so viel Macht, daß er mit seinem Code den Gottes nicht bloß stören, sondern verstören kann, sollte ihm doch wohl nicht zugestanden werden. Wenn der Begriff »Chiffreschrift« einen einheitlichen Sinn haben soll, so muß doch eine chiffrierende Instanz vorausgesetzt werden, die will, daß ich ihre mir für mein Leben zubestimmte Schrift richtig entziffere, und die es also wohl auch, wenngleich schwierig, so doch möglich macht. Freilich erklärt Jaspers hier ausdrücklich, »das echte Bewußtsein von Transzendenz« wehre sich dagegen, Gott »schlechthin als Persönlichkeit zu denken«. Nun wohl, so mancher Gläubige möchte dem zustimmen; wenn nur das Wort »schlechthin« hinreichend betont worden ist. Ihm, diesem Gläubigen, ist Gott nicht schlechthin Person, er ist ihm nur auch Person, aus der Unendlichkeit seiner Attribute dieses eine, unter ihnen nur eben auch seiende, die Personhaftigkeit, im Umgang mit ihm, dem Gläubigen, ihm zukehrend. So aber will Jaspers, trotz jenem »schlechthin«, keinesfalls verstanden werden. »Ich weiche«, fährt er fort, »im Impulse, der die Gottheit mir zum Du macht, alsbald zurück, weil ich fühle, daß ich die Transzendenz antaste.« So darf denn Gott alles sein, nur eben Person nicht, und zwar deshalb nicht, weil per definitionem Persönlichkeit »die Weise des Selbstseins« sei, »die ihrem Wesen nach nicht allein 1.

In dem Buch »Der philosophische Glaube« von 1948 äußert sich Jaspers über das Gebet zwar merklich positiver, um die beiden Bereiche einander nahezubringen; aber er verwischt den vitalsten Unterschied, wenn er das »spekulative Vergewissern«, »wo es echte Kontemplation wurde«, als die Hochform des Gebets versteht.

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sein kann«. Als ob solch eine Definition auch noch im Paradox der absoluten Person ihre Geltung behalten müßte, da doch das Absolute, soweit es überhaupt zu denken ist, dem Gedanken nur als complexio oppositorum erscheinen kann! Und wenn sie sogar ihre Geltung behielte: »Die Gottheit«, rügt Jaspers, »bedürfte unser, des Menschen, zur Kommunikation« – aber unter den Glaubenslehren scheint mir jene der Transzendenz nicht unwürdig zu sein, die Gott die Menschen sich zur Kommunikation geschaffen haben läßt. Schließlich jedoch wird festgesetzt, »die Kommunikation zur Gottheit« habe »die Tendenz, die Kommunikation unter Menschen zu hemmen«, denn »Kommunikation von Selbst zu Selbst als die wahrhaft gegenwärtige Wirklichkeit, in der Transzendenz zum Sprechen kommen kann«, werde »gelähmt, wenn die Transzendenz direkt als ein Du zu nahe gebracht und zugleich degradiert wird«. Man merke auf: der Beter, der sich demütig erkühnt, sich personhaft-unmittelbar an das Überseiende als das ihm Gegenwärtige zu wenden, degradiert es eben damit und lähmt in sich eben damit die Fähigkeit, mit seinen Mitmenschen zu kommunizieren. Innerhalb des Denkens scheinbar derselben Idee wird hier der Gegenpol unserer Einsicht kundbar. Auf diesen philosophischen Abschluß, der kein Ende war, sind zwei Jahrzehnte gefolgt, in denen manche beachtliche Arbeit hervortrat – besonders in der Verwertung der neuen Schau für Geistesgebiete wie Gesellschaftskunde, Pädagogik, Psychologie, Psychotherapie, Arztkunde –, die hier unerörtert bleiben muß. Nur auf eins dieser Werke, ein gewichtiges freilich, darf ich mir nicht versagen einzugehn, weil eine Stelle darin mir eine persönlich-sachliche Klärung nötig erscheinen läßt. Es ist in Karl Barths »Kirchlicher Dogmatik« der zweite Teil der »Lehre von der Schöpfung« (1948). Für seine Darlegung der »Grundform der Menschlichkeit« nimmt Barth, bei aller Fülle und Eigenkraft seines theologischen Denkens, doch den spezifischen Erwerb einer Geistesbewegung in Anspruch, die im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert von einem unkirchlich gläubigen Idealisten und einem ungläubigen Sensualisten angebahnt worden war und im zwanzigsten, unter dem nicht unbeträchtlichen Anteil einiger gläubigen Juden, einen einigermaßen zulänglichen Ausdruck gefunden hatte. Nicht daß Barth sie, wie es einst mit fast naiver Gebärde Gogarten tat, für den reformatorischen Protestantismus annektierte: er sucht, selber in einer so erschwerenden Sphäre wie die Theologie die von ihm gelehrte »Freiheit des Herzens« übend, dem Geist, der außerhalb des Christentums weht, gerecht zu werden. So übernimmt er einerseits, natürlich in der Weise des echten Selbstdenkens, unsere Erkenntnisse der grundlegenden Scheidung zwischen Es und Du und des wahren

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Seins des Ich in der Begegnung; anderseits aber kann er nicht recht zugeben, daß solch eine Fassung der Menschlichkeit auf anderem Boden als dem christologischen (Jesus Christus als »der Mensch für den Mitmenschen und also das Bild Gottes«) gewachsen sein könnte. Er stellt zwar fest, daß »die theologische Anthropologie hier auf ihrem eigenen Weg und indem sie diesen entschlossen zu Ende geht, zu Sätzen kommt, die denen ganz ähnlich sind, in denen die Humanität auch schon von ganz anderer Seite (z. B. von dem Heiden Konfuzius, von dem Atheisten L. Feuerbach, von dem Juden M. Buber) beschritten worden ist«, und fragt mit vollkommenem Recht: »Sollten wir uns darum von diesen Aussagen abhalten lassen?«, ja er will sich »in aller Ruhe freuen, daß wir uns in der allgemeinen Richtung unserer Nachforschung und Darstellung mit den Weiseren unter den Weisen dieser Welt in einer gewissen Übereinstimmung befinden«; aber er hegt – ohne freilich »insistieren« zu wollen – ein starkes Bedenken, »ob und inwiefern sie (jene »Weiseren«) uns ihrerseits bis in die letzten und entscheidenden Konsequenzen dieser Konzeption … folgen werden«. Dieser Äußerung gegenüber habe ich zunächst einen kleinen sprachlichen Vorbehalt anzumelden: wäre es denn nicht denkbar, daß die erwähnten mehr oder minder Weisen zwar jenen Theologen (»uns«) nicht »folgten«, aber nur deshalb, weil sie selber auf ihrer eigenen Suche bereits zu ähnlichen, wenn auch nicht unbedingt den gleichen »Konsequenzen« gelangt waren? Es geht Barth dabei um »jene Freiheit des Herzens zwischen Mensch und Mensch als die Wurzel und Krone des Humanitätsbegriffs« – sie meint er bei den genannten Nichtchristen, eben als solchen, doch wohl vermissen zu müssen. Es geht ihm darum, daß der Mensch Mensch ist, indem er gerne menschlich ist: »in dem Sinn gerne, daß ein ›ungern‹ gar nicht zur Wahl steht«. Wo ist dieses »gern« zu finden und wo nicht? »Es sieht nun doch nicht so aus«, sagt Barth, »als ob dies bei Konfuzius, bei Feuerbach, bei Buber sicher der Fall wäre«. Ich möchte mich in diesem Zusammenhang weder für die erhabene, aber mir eher etwas fremde konfuzianische Lehre, noch für die mehr anthropologisch-postulative als ursprünglich-humane Lehre Feuerbachs einsetzen. Aber was mich selber anbelangt, darf ich hier die Klärung nicht unterlassen. Wohl wäre es mißlich, darauf angewiesen zu sein, dem von außen herantretenden Zweifel eigene Gewißheiten entgegenzusetzen. Es verhält sich jedoch so, daß hier ebensowenig von meiner persönlichen Gedankenwelt als solcher wie von der Barths als solcher die Rede zu sein braucht; vielmehr steht hier der protestantischen Glaubenswelt in seinem Verständnis die chassidische in meinem Verständnis gegenüber. Und da, bei den Chassidim – in einer Glaubenswelt, deren Lehre letztlich der Kommentar zu einem gelebten Leben ist – ist das

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»gern« der Herzensfreiheit zwar nicht Konsequenz, wohl aber die innerste Voraussetzung, Grund des Grundes. Man höre nur, wie da gesprochen wird: »Klugheit ohne Herz ist gar nichts. Fromm ist falsch.« Denn »die wahre Gottesliebe fängt mit der Menschenliebe an«. Aber ich wollte, ich könnte Karl Barth hier, in Jerusalem zeigen, wie die Chassidim die Freiheit des Herzens zum Mitmenschen – tanzen.

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* In diesem Band sind vier Schriften vereinigt: »Ich und Du« (1923), »Zwiesprache« (Erstdruck 1930, Buchausgabe 1932), »Die Frage an den Einzelnen« (1936) und die ergänzende kleine Abhandlung »Elemente des Zwischenmenschlichen« von 1953. Außerhalb dieses Bandes gehören die folgenden Veröffentlichungen in den Umkreis des Grundthemas: »Rede über das Erzieherische« (1925, jetzt in »Reden über die Erziehung«, 1953), die die Grundanschauung auf pädagogische Fragen anwendet, »Das Problem des Menschen« (hebräisch 1942, deutsch in dem Band »Dialogisches Leben«, 1947, Sonderausgabe 1948), die geistesgeschichtliche Einleitung zu einer anthropologischen Begründung; »Urdistanz und Beziehung« (1951), das erste Stück dieser Begründung, und »Gottesfinsternis, Betrachtungen zur Beziehung zwischen Religion und Philosophie« (1953).

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Foreword [zu Pointing the Way] In this selection of my essays from the years 1909 to 1954, I have, with one exception, included only those that, in the main, I can also stand behind today. 5

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The one exception is ›The Teaching of the Tao,‹ the treatise which introduced my 1909 translation of selected Talks and Parables of Chuang-tzu. I have included this essay because, in connection with the development of my thought, it seems to me too important to be withheld from the reader in this collection. But I ask him while reading it to bear in mind that this small work belongs to a stage that I had to pass through before I could enter into an independent relationship with being. One may call it the ›mystical‹ phase if one understands as mystic the belief in a unification of the self with the all-self, attainable by man in levels or intervals of his earthly life. Underlying this belief, when it appears in its true form, is usually a genuine ›ecstatic‹ experience. But it is the experience of an exclusive and all-absorbing unity of his own self. This self is then so uniquely manifest, and it appears then so uniquely existent, that the individual loses the knowledge, ›This is my self, distinguished and separate from every other self.‹ He loses the sure knowledge of the principium individuationis, and understands this precious experience of his unity as the experience of the unity. When this man returns into life in the world and with the world, he is naturally inclined from then on to regard everyday life as an obscuring of the true life. Instead of bringing into unity his whole existence as he lives it day by day, from the hours of blissful exaltation unto those of hardship and of sickness, instead of living this existence as unity, he constantly flees from it into the experience of unity, into the detached feeling of unity of being, elevated above life. But he thereby turns away from his existence as a man, the existence into which he has been set, through conception and birth, for life and death in this unique personal form. Now he no longer stands in the dual basic attitude that is destined to him as a man: carrying being in his person, wishing to complete it, and ever again going forth to meet worldly and above-worldly being over against him, wishing to be a helper to it. Rather in the ›lower‹ periods he regards everything as preparation for the ›higher.‹ But in these ›higher hours‹ he no longer knows anything over against him: the great dialogue between I and Thou is silent; nothing else exists than his self, which he experiences as the self. That is certainly an exalted form of being untrue,

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Foreword [zu Pointing the Way]

but it is still being untrue. Being true to the being in which and before which I am placed is the one thing that is needful. I recognized this and what follows from it five years after setting down this small work. lt took another five years for this recognition to ripen to expression. The readers for whom I hope are those who see my way as one, parallel to their own way towards true existence. Jerusalem, Israel June 1957

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Als ich (vor mehr als 40 Jahren) die erste Skizze dieses Buches entwarf, trieb mich eine innere Notwendigkeit an. Eine Sicht, die mich seit meiner Jugend immer wieder heimgesucht hatte und immer wieder getrübt worden war, hatte nun eine beständige Klarheit erlangt, und diese war so offenbar von überpersönlicher Art, daß ich alsbald wußte, für sie Zeugnis ablegen zu sollen. Einige Zeit, nachdem ich mir auch das zuständige Wort erdient hatte und das Buch in seiner endgültigen Gestalt niederschreiben durfte 1 , ergab sich, daß zwar noch manches zu ergänzen war, aber eben an eigenem Ort und in selbständiger Form. So sind einige kleinere Schriften entstanden 2 , die die Sicht, um die es ging, teils an Beispielen verdeutlichten, teils zur Widerlegung von Einwürfen erläuterten, teils auch an Anschauungen Kritik übten, denen sie wohl Wichtiges zu verdanken hat, denen jedoch mein wesentlichstes Anliegen, die enge Verbundenheit der Beziehung zu Gott mit der Beziehung zum Mitmenschen, nicht in seiner zentralen Bedeutung aufgegangen ist. Später sind weitere Hinweise, sei es auf die anthropologischen Grundlagen 3 , sei es auf soziologische Konsequenzen 4 , hinzugekommen. Dennoch hat es sich erwiesen, daß noch keineswegs alles hinreichend geklärt ist. Mal um Mal haben sich Leser an mich gewandt, um zu erfragen, was mit jenem und diesem gemeint sei. Ich habe lange Zeit jedem einzelnen geantwortet, aber allmählich merkte ich, daß ich der Anforderung nicht gerecht zu werden vermag, und überdies darf ich doch das dialogische Verhältnis nicht auf diejenigen Leser beschränken, die sich zum Reden entschließen, – vielleicht sind gerade unter den Schweigenden manche, die besondere Beachtung verdienen würden. So habe ich denn darangehen müssen, öffentlich zu antworten, zunächst auf einige essentielle Fragen, die sinnmäßig untereinander zusammenhängen.

1. 2. 3. 4.

Es erschien 1923. Zwiesprache 1932; Die Frage an den Einzelnen 1936; Rede über das Erzieherische 1926; Das Problem des Menschen, hebräische Erstausgabe 1942, deutsch in dem Band »Dialogisches Leben«, 1947, Sonderausgabe 1948. Urdistanz und Beziehung 1951. Elemente des Zwischenmenschlichen, in dem Band »Die Schriften über das dialogische Prinzip« 1954.

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2. Die erste Frage läßt sich mit einiger Präzision etwa so formulieren: Wenn wir, wie in dem Buche gesagt ist, nicht bloß zu anderen Menschen, sondern auch zu Wesen und Dingen, die uns in der Natur entgegentreten, im Ich-Du-Verhältnis stehen können, was ist es, das den eigentlichen Unterschied zwischen jenen und diesen ausmacht? Oder, noch genauer: wenn das Ich-Du-Verhältnis eine beide, das Ich und das Du, faktisch umfangende Wechselseitigkeit bedingt, wie darf die Beziehung zu Naturhaftem als ein solches Verhältnis verstanden werden? Noch exakter: wenn wir annehmen sollen, daß auch Wesen und Dinge der Natur, denen wir als unserem Du begegnen, uns eine Art von Gegenseitigkeit gewähren, was ist dann der Charakter dieser Gegenseitigkeit und was berechtigt uns, darauf diesen fundamentalen Begriff anzuwenden? Offenbar gibt es auf diese Frage keine einheitliche Antwort; wir müssen hier, statt die Natur gewohnterweise als ein Ganzes zu fassen, ihre verschiedenen Bezirke gesondert betrachten. Der Mensch hat einst Tiere »gezähmt« und er ist jetzt noch fähig, diese eigentümliche Wirkung auszuüben. Er zieht Tiere in seine Atmosphäre und bewegt sie dazu, ihn, den Fremden, auf eine elementare Weise anzunehmen und »auf ihn einzugehen«. Er erlangt von ihnen eine, oft erstaunliche, aktive Erwiderung auf seine Annäherung, auf seine Anrede, und zwar im allgemeinen eine um so stärkere und direktere Erwiderung, je mehr sein Verhältnis ein echtes Dusagen ist. Tiere wissen ja nicht selten, wie Kinder, eine geheuchelte Zärtlichkeit zu durchschauen. Aber auch außerhalb des Zähmungsbezirks findet zuweilen ein ähnlicher Kontakt zwischen Menschen und Tieren statt: es handelt sich da um Menschen, die eine potentielle Partnerschaft zum Tier im Grunde ihres Wesens tragen, – vorwiegend übrigens nicht etwa »animalische«, sondern eher naturhaft geistige Personen. Das Tier ist nicht, wie der Mensch, zwiefältig: die Zwiefalt der Grundworte Ich-Du und Ich-Es ist ihm fremd, wiewohl es sich sowohl einem anderen Wesen zuwenden als auch Gegenstände betrachten kann. Wir mögen immerhin sagen, die Zwiefalt sei hier latent. Darum dürfen wir diese Sphäre, auf unser zur Kreatur ausgehendes Dusagen hin betrachtet, die Schwelle der Mutualität nennen. Ganz anders verhält es sich mit jenen Bezirken der Natur, denen die uns mit dem Tier gemeinsame Spontaneität fehlt. Zu unserem Begriff der Pflanze gehört, daß sie auf unsere Aktion zu ihr hin nicht reagieren, daß sie nicht »erwidern« kann. Doch bedeutet dies nicht, daß uns hier schlechthin keinerlei Reziprozität zuteil werde. Die Tat oder Haltung eines Einzelwesens gibt es hier freilich nicht, wohl aber eine Reziprozität

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des Seins selber, eine nichts als seiende. Jene lebende Ganzheit und Einheit des Baums, die sich dem schärfsten Blick des nur Forschenden versagt und dem des Dusagenden erschließt, ist eben dann da, wenn er da ist, er gewährt es dem Baum, sie zu manifestieren, und nun manifestiert sie der seiende Baum. Unsere Denkgewohnheiten erschweren uns die Einsicht, daß hier, durch unser Verhalten erweckt, vom Seienden her etwas uns entgegen aufleuchtet. In der Sphäre, um die es geht, gilt es, der sich uns eröffnenden Wirklichkeit unbefangen gerecht zu werden. Ich möchte diese weite, von Steinen zu Sternen reichende Sphäre als die der Vorschwelle, d. h. der vor der Schwelle liegenden Stufe bezeichnen. 3.

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Nun aber erhebt sich die Frage nach der Sphäre, die in der gleichen Bildsprache die der »Überschwelle« (superliminare) genannt werden mag, d. h. die des Balkens, der die Tür oben deckt: der Sphäre des Geistes. Auch hier muß eine Scheidung zwischen zwei Bezirken vollzogen werden; hier aber reicht sie tiefer als jene innerhalb der Natur. Es ist die zwischen dem, was an Geist schon in die Welt eingegangen und unter der Vermittlung unserer Sinne in ihr wahrnehmbar ist, einerseits und dem, was noch nicht in die Welt eingegangen, aber bereit ist in sie einzugehen und uns gegenwärtig wird; anderseits. Diese Scheidung ist in der Tatsache begründet, daß ich dir, mein Leser, das schon in die Welt eingegangene Geistgebild gleichsam zeigen kann, das andere aber nicht. Ich kann dich auf die Geistgebilde, die in der uns gemeinsamen Welt nicht weniger denn ein Ding oder Wesen der Natur »vorhanden sind«, als auf etwas dir in Wirklichkeit oder Möglichkeit Zugängliches hinweisen, – nicht aber auf das noch nicht in die Welt Eingegangene. Wenn ich auch hier, auch für dieses Grenzgebiet noch, gefragt werde, wo denn da die Mutualität zu finden sei, bleibt mir nur die indirekte Hindeutung auf bestimmte, aber kaum beschreibbare Vorgänge im Leben des Menschen, denen Geist als Begegnung widerfuhr, und letztlich, wenn es am Indirekten nicht genug ist, bleibt mir nichts mehr als an das Zeugnis deiner eigenen – etwa verschütteten, aber wohl doch noch erreichbaren Geheimnisse, mein Leser, zu appellieren. Kehren wir denn nun zu jenem ersten Gebiet, dem des »Vorhandenen«, zurück. Hier ist es möglich, Beispiele heranzuziehen. Der Fragende vergegenwärtige sich einen der überlieferten Sprüche eines vor Jahrtausenden gestorbenen Meisters und versuche es, so gut er kann, den Spruch nunmehr mit den Ohren, also als von dem Sprecher in

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seinem Beisein gesprochen, ja etwa gar ihm zugesprochen, aufzufangen und zu empfangen. Dazu muß er sich mit seinem ganzen Wesen dem nicht vorhandenen Sprecher des vorhandenen Spruches zuwenden, das heißt, er muß ihm, dem Toten und Lebendigen, gegenüber, die Haltung einnehmen, die ich das Dusagen nenne. Wenn es ihm gerät (wozu freilich der Wille und die Bemühung nicht hinreichen, aber es kann wieder und wieder unternommen werden), wird er, vielleicht nur erst undeutlich, eine Stimme hören, mit der identisch, die ihm aus anderen echten Sprüchen desselben Meisters entgegentönen wird. Er wird jetzt nicht mehr können, was er konnte, solange er den Spruch als einen Gegenstand behandelte: er wird aus ihm keinen Inhalt und keinen Rhythmus heraussondern können; er empfängt nur die unteilbare Ganzheit einer Gesprochenheit. Aber dies ist noch an eine Person, an die jeweilige Kundgabe der Person in ihrem Wort gebunden. Was ich meine, ist nicht auf das Fortwirken eines personhaften Daseins im Wort beschränkt. Darum muß ich zur Ergänzung auf ein Beispiel hindeuten, dem nichts Persönliches mehr anhaftet. Ich wähle, wie stets, ein Beispiel, das für manchen mit starken Erinnerungen verknüpft ist. Es ist die dorische Säule, wo immer sie einem Menschen erscheint, der fähig und bereit ist, sich ihr zuzuwenden. Mir trat sie zuerst aus einer Kirchenmauer in Syrakus entgegen, in die sie einst eingemauert worden war: geheimes Urmaß sich in so schlichter Gestalt darstellend, daß nichts Einzelnes dran zu besehn, nichts Einzelnes zu genießen war. Zu leisten war, was ich zu leisten vermochte: diesem Geistgebild da, diesem durch Sinn und Hand des Menschen Hindurchgegangenen und Leibgewordenen gegenüber Stand zu fassen und zu halten. Verschwindet hier der Begriff der Mutualität? Er taucht nur ins Dunkel zurück – oder er wandelt sich in einen konkreten Sachverhalt, die Begrifflichkeit spröd abweisend, aber hell und zuverlässig. Von hier aus dürfen wir auch in jenes andere Gebiet, das Gebiet des »nicht Vorhandenen«, das des Kontaktes mit »geistigen Wesenheiten«, das der Entstehung von Wort und Form hinüberblicken. Wort gewordener Geist, Form gewordener Geist, – in irgendeinem Grade weiß jeder, den der Geist berührte und der sich ihm nicht verschloß, um das grundlegend Faktische: daß solches nicht ungesät in der Menschenwelt keimt und wächst, sondern aus ihren Begegnungen mit dem Anderen hervorgeht. Nicht Begegnungen mit platonischen Ideen (von denen ich keinerlei unmittelbare Kenntnis habe und die als Seiendes zu verstehen ich nicht imstande bin), wohl aber mit dem Geist, der uns umweht und sich uns einweht. Wieder werde ich an das seltsame Bekenntnis Nietzsches gemahnt, der den Vorgang der »Inspiration« dahin

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umschrieb, man nehme, aber man frage nicht, wer da gibt. Es sei immerhin – man fragt nicht, doch man dankt. Wer den Anhauch des Geistes kennt, vergeht sich, wenn er sich des Geistes bemächtigen oder dessen Beschaffenheit ermitteln will. Aber Untreue übt er auch dann, wenn er die Gabe sich selber zuschreibt. 4.

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Betrachten wir erneut, was hier von den Begegnungen mit Naturhaftem und denen mit Geisthaftem gesagt worden ist, in einem. Dürfen wir denn – so mag nun gefragt werden – von »Erwiderung« oder »Anrede«, die von außerhalb all dessen kommen, dem wir in unserer Betrachtung der Seinsordnungen Spontaneität und Bewußtsein zuerkennen, als von etwas sprechen, das eben so, als eine Erwiderung oder eine Anrede, in der Menschenwelt geschieht, in der wir leben? Kommt dem, was hier davon gesagt wurde, eine andere Gültigkeit zu als die einer »personifizierenden« Metapher? Droht hier nicht die Gefahr einer problematischen »Mystik«, die die von aller rationalen Erkenntnis gezogenen und notwendigerweise zu ziehenden Grenzen verwischt? Die klare und feste Struktur des Ich-Du-Verhältnisses, jedem vertraut, der ein unbefangenes Herz und den Mut hat, es einzusetzen, ist nicht mystischer Natur. Aus unseren Denkgewohnheiten müssen wir zuweilen treten, um sie zu verstehen, nicht aber aus den Urnormen, die das menschliche Denken der Wirklichkeit bestimmen. Wie im Bereich der Natur, so darf im Bereich des Geistes – des Geistes, der in Spruch und Werk fortlebt, und des Geistes, der zu Spruch und Werk werden will – das Wirken an uns als ein Wirken von Seiendem verstanden werden. 5.

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In der nächsten Frage geht es nicht mehr um Schwelle, Vorschwelle und Überschwelle der Mutualität, sondern um sie selber als um die Eingangstür unseres Daseins. Gefragt wird: Wie verhält es sich mit dem Ich-Du-Verhältnis zwischen Menschen? Steht dieses denn immer in voller Gegenseitigkeit? Kann es das immer, darf es das immer? Ist es nicht, wie alles Menschliche, der Beschränkung durch unsere Unzulänglichkeit ausgeliefert, aber auch der Beschränkung durch innere Gesetze unseres Miteinanderlebens unterstellt?

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Das erste von diesen beiden Hindernissen ist ja bekannt genug. Von deinem eigenen Blick Tag um Tag in die befremdet aufschauenden Augen deines deiner doch bedürfenden »Nächsten« bis zur Wehmut der heiligen Männer, die Mal um Mal das große Geschenk vergebens anboten, – alles sagt dir, daß die volle Mutualität nicht dem Miteinanderleben der Menschen inhäriert. Sie ist eine Gnade, für die man stets bereit sein muß und die man nie als gesichert erwirbt. Es gibt jedoch auch manches Ich-Du-Verhältnis, das sich seiner Art nach nicht zur vollen Mutualität entfalten darf, wenn es in dieser seiner Art dauern soll. Als ein solches Verhältnis habe ich an anderem Ort 5 das des echten Erziehers zu seinem Zögling charakterisiert. Um den besten Möglichkeiten im Wesen des Schülers helfen zu können, sich zu verwirklichen, muß der Lehrer ihn als diese bestimmte Person in ihrer Potentialität und ihrer Aktualität meinen, genauer, er muß ihn nicht als eine bloße Summe von Eigenschaften, Strebungen und Hemmungen kennen, er muß seiner als einer Ganzheit inne werden und ihn in dieser seiner Ganzheit bejahen. Das aber vermag er nur, wenn er ihm jeweils als seinem Partner in einer bipolaren Situation begegnet. Und damit seine Einwirkung auf ihn eine einheitlich sinnvolle sei, muß er diese Situation jeweils nicht bloß von seinem eigenen Ende aus, sondern auch von dem seines Gegenüber aus in all ihren Momenten erleben; er muß die Art von Realisation üben, die ich Umfassung nenne. Wie sehr es jedoch darauf ankommt, daß er auch im Zögling das Ich-Du-Verhältnis erwecke, daß dieser also ebenfalls ihn als diese bestimmte Person meine und bejahe, so könnte doch die besondere erzieherische Beziehung nicht Bestand haben, wenn der Zögling seinerseits die Umfassung übte, also den Anteil des Erziehers an der gemeinsamen Situation erlebte. Ob das Ich-Du-Verhältnis nun endet oder aber den ganz andersartigen Charakter einer Freundschaft annimmt, es erweist sich, daß der spezifisch erzieherischen Beziehung als solcher die volle Mutualität versagt ist. Ein anderes, nicht minder aufschlußreiches Beispiel für die normative Beschränkung der Mutualität bietet uns die Beziehung zwischen einem echten Psychotherapeuten und seinem Patienten. Wenn er sich damit begnügt, diesen zu »analysieren«, d. h. aus seinem Mikrokosmos unbewußte Faktoren ans Licht zu holen und die durch ein solches Hervortreten verwandelten Energien an eine bewußte Lebensarbeit zu setzen, mag ihm manche Reparatur gelingen. Er mag bestenfalls einer diffusen, strukturarmen Seele helfen, sich einigermaßen zu sammeln und zu ordnen. 5.

Rede über das Erzieherische (jetzt in »Reden über Erziehung«).

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Aber das, worauf es recht eigentlich ankommt, die Regeneration eines verkümmerten Person-Zentrums wird er nicht zu Werke bringen. Das vermag nur, wer mit dem großen Blick des Arztes die verschüttete latente Einheit der leidenden Seele erfaßt, was eben nur in der partnerischen Haltung von Person zu Person, nicht durch Betrachtung und Untersuchung eines Objekts zu erlangen ist. Damit er die Befreiung und Aktualisierung jener Einheit in einem neuen Einvernehmen der Person mit der Welt kohärent fördere, muß er, wie jener Erzieher, jeweils nicht bloß hier, an seinem Pol der bipolaren Beziehung, sondern auch mit der Kraft der Vergegenwärtigung am anderen Pol stehen und die Wirkung seines eigenen Handelns erfahren. Wieder aber würde die spezifische, die »heilende« Beziehung in dem Augenblick enden, wo es dem Patienten beifiele und gelänge, seinerseits die Umfassung zu üben und das Geschehen auch am ärztlichen Pol zu erleben. Heilen wie erziehen kann nur der gegenüber Lebende und doch Entrückte. Am nachdrücklichsten wäre die normative Beschränkung der Mutualität wohl am Beispiel des Seelsorgers darzulegen, weil hier eine Umfassung von der Gegenseite her die sakrale Authentizität des Auftrages antasten würde. Jedes Ich-Du-Verhältnis innerhalb einer Beziehung, die sich als ein zielhaftes Wirken des einen Teils auf den anderen spezifiziert, besteht kraft einer Mutualität, der es auferlegt ist, keine volle zu werden. 6.

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In diesem Zusammenhang kann nur noch eine einzige Frage erörtert werden, diese muß es aber auch, weil sie die unvergleichlich wichtigste ist. Wie kann – so wird gefragt – das ewige Du in der Beziehung zugleich exklusiv und inklusiv sein? Wie kann das Du-Verhältnis des Menschen zu Gott, das die unbedingte und durch nichts abgelenkte Hinwendung zu ihm bedingt, dennoch alle anderen Ich-Du-Beziehungen dieses Menschen mit umfassen und sie gleichsam Gott zubringen? Wohlgemerkt, es wird nicht nach Gott gefragt, nur nach unserer Beziehung zu ihm. Und doch muß ich, um antworten zu können, von ihm reden. Denn unsere Beziehung zu ihm ist so übergegensätzlich wie sie ist, weil er so übergegensätzlich ist wie er ist. Selbstverständlich ist nur davon zu reden, was Gott in seiner Beziehung zu einem Menschen ist. Und auch das ist nur im Paradox auszusagen, genauer: durch den paradoxen Gebrauch eines Begriffs; noch genau-

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er: durch die paradoxe Verbindung eines Nominalbegriffs mit einem Adiectum, das dessen uns geläufigem Inhalt widerspricht. Die Geltendmachung dieses Widerspruchs muß der Einsicht weichen, daß so und nur so die unentbehrliche Bezeichnung des Gegenstands durch diesen Begriff zu rechtfertigen ist. Der Inhalt des Begriffs erfährt eine umwälzende, umwandelnde Erweiterung, – aber so ergeht es uns ja mit jedem Begriff, den wir, von der Glaubenswirklichkeit genötigt, der Immanenz entnehmen und auf das Wirken der Transzendenz anwenden. Die Bezeichnung Gottes als einer Person ist unentbehrlich für jeden, der wie ich mit »Gott« kein Prinzip meint, wiewohl Mystiker wie Eckhart zuweilen »das Sein« mit ihm gleichsetzen, und der wie ich mit »Gott« keine Idee meint, wiewohl Philosophen wie Plato ihn zeitweilig für eine solche halten konnten, der vielmehr wie ich mit »Gott« den meint, der – was immer er sonst noch sei – in schaffenden, offenbarenden, erlösenden Akten zu uns Menschen in eine unmittelbare Beziehung tritt und uns damit ermöglicht, zu ihm in eine unmittelbare Beziehung zu treten. Dieser Grund und Sinn unseres Daseins konstituiert je und je eine Mutualität, wie sie nur zwischen Personen bestehen kann. Der Begriff der Personhaftigkeit ist freilich völlig außerstande das Wesen Gottes zu deklarieren, aber es ist erlaubt und nötig zu sagen, Gott sei auch eine Person. Wenn ich, was darunter zu verstehen ist, ausnahmsweise in eine philosophische Sprache, die Spinozas, übersetzen wollte, müßte ich sagen, von Gottes unendlich vielen Attributen seien uns Menschen nicht zwei, wie Spinoza meint, sondern drei bekannt: zu Geisthaftigkeit – in der das seinen Ursprung hat, was wir Geist nennen – und Naturhaftigkeit – die sich darin darstellt, was uns als Natur bekannt ist – als drittes das Attribut der Personhaftigkeit. Von ihm, von diesem Attribut stamme mein und aller Menschen Personsein, wie von jenen mein und aller Menschen Geistsein und Natursein stammt. Und nur dieses Dritte, das Attribut der Personhaftigkeit, gebe sich uns in seiner Eigenschaft als Attribut unmittelbar zu erkennen. Nun aber meldet sich, unter Berufung auf den allbekannten Inhalt des Begriffs Person, der Widerspruch an. Zu einer Person, erklärt er, gehöre doch wohl, daß ihre Eigenständigkeit zwar in sich bestehe, aber im Gesamtsein durch die Pluralität anderer Eigenständigkeiten relativiert werde; und das könne selbstverständlich von Gott nicht gelten. Diesem Widerspruch entgegnet die paradoxe Bezeichnung Gottes als der absoluten Person, d. h. der nicht relativierbaren. In die unmittelbare Beziehung zu uns tritt Gott als die absolute Person. Der Widerspruch weicht der höheren Einsicht. Gott nimmt – so dürfen wir nun sagen – seine Absolutheit in die Be-

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ziehung mit auf, in die er zum Menschen tritt. Der Mensch, der sich ihm zuwendet, braucht sich daher von keiner andern Ich-Du-Beziehung abzuwenden: rechtmäßig bringt er sie alle ihm zu und läßt sie sich »in Gottes Angesicht« verklären. Man muß sich aber überhaupt davor hüten, das Gespräch mit Gott, das Gespräch, von dem ich in diesem Buch und in fast allen, die darauf folgten, zu reden hatte, als etwas lediglich neben oder über dem Alltag sich Begebendes zu verstehen. Gottes Sprache an die Menschen durchdringt das Geschehen in eines jeden von uns eigenem Leben und alles Geschehen in der Welt um uns her, alles biographische und alles geschichtliche, und macht es für dich und mich zur Weisung, Botschaft, Forderung. Ereignis um Ereignis, Situation um Situation ist durch die Personsprache befähigt und ermächtigt, von der menschlichen Person Standhalten und Entscheidung zu heischen. Wir meinen gar oft, es sei nichts zu vernehmen, und haben uns doch vorlängst selber Wachs in die Ohren gesteckt. Die Existenz der Mutualität zwischen Gott und Mensch ist unbeweisbar, wie die Existenz Gottes unbeweisbar ist. Wer dennoch von ihr zu reden wagt, legt Zeugnis ab und ruft das Zeugnis dessen an, zu dem er redet, gegenwärtiges oder künftiges Zeugnis. Jerusalem, Oktober 1957.

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Aus: Philosophical Interrogations C. Human Life Perry LeFevre: Can you point to some of the kinds of factors in the lives of individuals which make it more or less likely, which make it easier or more difficult for them to enter into dialogue? In other words, what do you believe accounts for the fact that some individuals seem more capable of dialogue than others? Buber: This is a field into which I can venture only with difficulty. But one thing seems certain to me: There are men who allow as little as possible what befalls them in life to be dependent on something other than themselves; and there are men whom, in a deep sense, it suits that the other, until now unknown, unforeseen, shall enter into their lives. The counterstriving of the first type of man is to be understood thus: All risk that his own plans, projects, attempts, undertakings entail is, in fact, by its nature nothing at all compared with that to which one exposes oneself through the genuine contact with otherness. The aims of the first kind of man – let us call him the self-withholding man – often ripen faster and more easily than those of the man whom we can designate as exposing himself; however, the easily and quickly ripening aims often prove to be worm-eaten. With a simplification unavoidable here, I might say that these men not seldom become famous – they have success – but no sphere of existence seems to me so thoroughly penetrated by deception and self-deception as that which the man of heedless heart books as a success. Friedrich Thieberger: The insight toward which Buber led us is this: Only after we inwardly grasp the Thou within the It of men or events or things which confront us do we enter into a real relationship with them, and only then do we have a share in true reality. My question is concerned with the origin of such a comprehension and awareness, that is, the starting point of the transformation of the It into a Thou. There is doubtless no method which can be made to serve the will here. The conditions vary from case to case and become incalculable and vast. Suddenly one sees the Thou in a flash and is seized and gripped by it. Nevertheless, there is a difference between the very first phase of the illumined I-Thou relation and all subsequent ones. Buber himself once said that a poet has entered into his own innermost being through one of his works and that he, the poet, will continue to dwell there notwithstanding that which he might create later. The ear-

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liest phase is something that overpowers the individual and sets him afire; the later phases conserve the new view, deepen and broaden it. Only the illuminating breakthrough that opens the senses in a flash – the spontaneous, the unique – characterizes the origin. Another characterizing distinction between the original phase and all later ones is the consciousness of a personal upheaval, of the inner transformation of the I. The later phases merely follow the new but already indicated way; they bring the I and the Thou into a kind of balance. A third distinction between the original and all later phases is the encounter of ages: the encounter of the past that is still experienced as something quite different with a newborn present; on the other hand, all subsequent phases are characterized by an assurance, shielded from the storms of time, and a trust in all the future potentialities of the I-Thou relationship. All these are not distinctions of a similar kind of process, but rather of qualitative differences. What we consider to be the first phase is probably connected with the I-Thou relationship as its first cause, but is not to be equated with it. Should not one, therefore, separate the »original phase« from the later ones, that is, place it before the phenomenon of the »deeply stirred,« the »awakening,« and attempt to comprehend it as a particular kind of human reality? Buber: It frequently happens, indeed, that the I-Thou relation begins with an »illumination« an »awakening.« But I am in no case inclined to understand this manifestation as the rule. I cannot do this because I already find this relation – as I have maintained from the beginning – in the life of the small child, as in that of the so-called primitive man, in a directly natural form; and I also understand the meaning of most spiritual forms in their connection with the natural. I acknowledge, therefore, the significance of »being seized,« but I can see in it no necessary presupposition for the origin of an I-Thou relation. F. I-Thou Relation with Nature

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Malcolm L. Diamond: There is a common misunderstanding of the philosophy of I and Thou which presents the I-Thou attitude as one proper to man’s relation with other men and the I-It attitude as proper to man’s experience of things. I and Thou insists that the I-Thou attitude is as appropriate to man’s relations with things, ideas, and works of art as it is to man’s relation to other men. It is the quality of relatedness, not the object of the relation, that determines whether an I-Thou or an I-It atti-

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tude is to prevail. Therefore, it would seem that all beings are of equal worth as Thou’s, and that within the framework of the philosophy of I and Thou there would be no basis of evaluation between different I-Thou meetings or between different Thou’s. If this is the case, the exploiting of children in a sweatshop would be no more reprehensible than the exploiting of a forest. Is this a fair picture of the consequences which follow from the emphasis upon the quality of man’s relation with all beings in lieu of traditional moral concern with the nature of the objects to which man relates, as well as with the quality of relation? If so, is there any basis within the philosophy of I and Thou for affirming the humanistic distinctions which value a child above a tree? Buber: Here I must again refer to the Postscript to I and Thou: there are several different grades of the capacity for mutuality. But I am by no means of the opinion that from this alone a »basis of evaluation« can be established. To this end, rather, our whole knowledge about the world must co-operate, a knowledge that is ever again renewed through the I-Thou relation, but is not borne by it.

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G. I-Thou and I-It Maurice Nédoncelle: What place would Professor Buber give to the impersonal in the evolution and elevation of dialogue? Buber: The essential significance of the impersonal for the »evolution and elevation of dialogue« seems to me to lie in the fact that it is at times common to two men and yet not common to them. That of which the other and I speak, that of which the other and I think, both describing it with the same word, indeed, what we perceive at the same time as this particular thing, is problematic just herein: we mean the same and not the same; we see the same and not the same; the word with which we designate it has for both of us the same and not the same significance. Thus the impersonal ever again involves a tension between the partners in dialogue. But the tension is fruitful; more precisely, it can be fruitful in that between what this »impersonal« is for you and what it is for me a fusion can take place, which is only possible in dialogue. That over which we have »come to an understanding« is then not in the least more pallid than what existed before on the one side and on the other; it can even be stronger, clearer, more definite. The difference that at

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times again exists after the dialogue is in any case different from that which existed before. On this theme there is still much to say; here I must content myself with what I have just said. 5

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Malcolm L. Diamond: 1. According to the philosophy of I and Thou, man in his meetings with other beings must assume either the I-It attitude of distance and detachment or the I-Thou attitude of engagement and relation. As I understand it, a pure I-Thou meeting would be one in which the total self was engaged, so that all the material channeled from the I-It attitude of detachment would be transformed into the I-Thou mode of relatedness and engagement. Is such a pure I-Thou meeting possible? If so, is it a rare phenomenon analogous to mystical experience or a comparatively frequent occurrence? 2. In an I-Thou meeting one is seized by the power of exclusiveness. The whole man is absorbed into the relation which exists between himself and his Thou, so that all else exists in the light of the relation. Would it therefore be correct to say that if a person becomes aware of being involved in an I-Thou relation, this would itself be a sign that the element of detachment characteristic of the I-It attitude has entered into and vitiated the I-Thou relation? If so, how is a consciousness of an I-Thou relation possible? Is it possible only in retrospect? Buber: 1. I speak very reluctantly of perfection as of something empirically verifiable. Since the perfect I-Thou relation in general makes no statement concerning itself, I do not know how frequent or how rare it is. But I am not at all concerned about perfection, either here or in general. I am concerned that the I-Thou relation be realized where it can be realized, and I cannot declare where it cannot be realized. I am concerned that the life of man be determined and formed by it. For I believe that it can transform the human world, not into something perfect, but perhaps into something very much more human, according to the created meaning of man, than exists today. 2. One must be careful about the double meaning of the concept »consciousness.« If what is understood by it is that one becomes conscious of an object, an It, then naturally the I-Thou relation must from time to time come to an end with this becoming conscious – for the present. But the interhuman I-Thou relation does not belong to the unconscious, even in its most exclusive form, although its roots, of course, are sunk in the »unconscious,« that is, in the ground of being of the person. The consciousness of the I-Thou relation is a highly intensive one; but it is a

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direct, an elementary consciousness. It does not make itself an object; it does not detach itself from itself; its knowing about itself is given it with its being. David Baumgardt: Has the life of dialogue a supremacy also over the intensity of the scientist’s impersonal exploration of, and submersion in, the It of inorganic matter? I fully agree with what you say in Zwiesprache. 1 Even in the Betrieb of huge industrial plants, a far-reaching Durchdrungensein von Vitaler Dialogik (being soaked in vital dialogic) is possible and needed; and the worker may seine Beziehung zur Maschine als eine dialogische empfinden (experience his relation to the machine as one of dialogue). Moreover, as the philosophies of nature in the early European Renaissance and modern romanticism show, everything inorganic can be angesprochen (addressed) in this way. But would you not agree that it may be no less of a profound attitude to abandon age-old vagueness of the dialogue in favor of a precise impersonal description of inorganic matter by means of exact mathematical formulas? For any kind of dialogue in this direction would do no justice to what is to be explored in this field; and it would even undermine and destroy the profoundly impersonal devotion of the scientist to his »object of investigation.« Is there not the grave danger of human vanity in expecting »personal« or even emotional response, in whatever sense, from the nature of dead matter which was wisely created not in the way of living personalities? Does it not follow from these two basic experiences – the amor fati and the reverence for the impersonal character and the mathematical structure of natural processes – that it is not the life of dialogue which makes the difference between true and minor value but exclusively the how of saying Thou or It? Buber: I do not speak of a general supremacy of the life of dialogue, but rather of its especial importance for the personal existence of man. The series of meetings that a man has taken part in is more important for this personal existence than his total possession of impersonal scientific knowledge, no matter how highly this too is to be prized. It is the former that builds up the core of the person. That holds also for the life of the investigator, even for his life as an investigator. What an »original« 1.

Pp. 96 ff. Cf. Between Man and Man (Boston: Beacon Press, paperback, 1958), pp. 36 ff.

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investigator discovers, what he »finds,« he discovers and finds in his contacts with the unique: in the vision of a familiar and yet in-this-moment surprising natural phenomenon, in the »penetration« into a text granted to the genuine philologist from which the intention of the author shines forth to him, in the visions of the great historian that show him long-past events in their interconnection in which not only his presentation of the happening, but also his interpretation of the epoch has its origin. Certainly, an I-Thou relation in the full sense of the term does riot, for the most part, prevail here, but the essential is there: a person and what he stands over against, which in this hour is, to begin with, only presence, not yet object, the contact of the unique with the unique, still prior to all transposition into the general. What the investigator has relinquished when he proceeds to this transposition is no »age-old vagueness,« but the act of standing before concrete reality. Certainly, he must from time to time radically relinquish it in order to attain general insights or even exact formulae, but at the beginning of the way he is ever again led by the genius of meetings until it can deliver him to the reliable spirit of objectification. That it is not by any words of mine that »human vanity« may be summoned to its expectation of a »personal or even emotional response from the nature of dead matter« I have ever again, and even ever more strongly, stressed. Peter A. Bertocci: The underlying ambiguity which for me casts a deep shadow over almost every problem touched in Buber’s thought seems to center in two incompatible modes of being, process and relation, which this »brink« philosophy would »somehow« bring together. First, and so far as I can see, the dominating one in Buber’s thought: the part-whole relationship. To be sure, this is a very dynamic conception of part-whole as opposed to Spinoza’s essentially logical substance-mode relation 1 and is closer to Hegel’s experiential dynamism of the Phenomenology of the Mind. But the part-whole model of metaphysical relationship, when it escapes a rigid logicism, falls into a spatializing interpretation of metaphysical relationships, which deduces what seems to me to be the essentially non-spatial interaction involved in all personal experience. Thus the fundamental relation of I-Thou is conceived of in such words as meeting, participation, inclusive, exclusive, entering. While absorption in God is explicitly denied, we are told to »include the whole world in the Thou, to give the world its due and its truth, to include nothing beside 1.

Cf. I and Thou, pp. 78-79.

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God but everything in him.« Thus, curiously enough, we find ourselves using terms to describe an I-Thou relation which fit, I would say, It relations but never personal relations. For is it not true to experience to say that the distinguishing characteristic of persons is that they are dynamic-unities-in-striving-andpurpose? 3 But purposes do not »meet« or »participate,« and when they »include« and »exclude« they do so because their growth-of-meaning, their creativity, their directive goals are distinctive. The unity of purposes, human and divine, then must be conceived in admittedly difficult, unpicturable, nonspatial terms: but the analogy must be closer to that of husband and wife and children, each coming closer in a directive, controlling purpose and in action at different levels. Interaction is not the flow of energy from one to another within a common medium. It perhaps can be better conceived in terms of stimulated-evoked growth of common meanings, which are possible to individuated I’s because such commonness is potentially present in their created being. There is much in Buber’s exposition 4 which is consistent with this conception of interpersonal unity as a growth in purposeful community, but his thinking at all explanatory levels seems to be closer to the unity of an organic whole rather than to the growing unity (or disunity) of created-creative purposes with their Creative Purposer. Buber: Bertocci’s objections appear to me to rest in great part on a deep misunderstanding of some of my basic concepts. But that he finds in my thought the idea of an evident all-embracing »unity of an organic whole« or of a »part-whole relationship« I cannot even explain to myself in this way. This completely erroneous conception of my philosophy must have formed itself very early in Bertocci’s thinking and then he has apparently understood, that is, misunderstood, this-and-that concept as a confirmation of it. I have, since I matured to independent thought, never sought to explain man as a »part« of God. All that I have thought and said of the relation between man and God proceeds from the fixed presupposition that man, the human person, stands over against God from birth till death (my thinking about man does not extend further); nothing that befalls us in our lives, and nothing that happens through us, can attenuate this primal fact of standing over against. Therefore, since I wrote I 2. 3. 4.

Ibid., p. 79. Italics added. Ibid., p. 89. Ibid., p. 82.

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and Thou, I have ever again designated the conception of a unio mystica as a mistaken interpretation of the unification of the person himself. Therefore, too, I have treated pantheism, where I have had to deal with it, as a speculative oversimplification. The words »to include … everything in him« can then only be misunderstood as pantheism if one does not pay sufficient attention to the context; they correspond to the phrase that stands shortly before, »to see everything in the Thou.« What concerns me fundamentally is that our relation to our fellow man and our relation to God belong together, that their basic character, that of a reciprocal I-Thou relation, joins them to each other; practically speaking, that in reality there does not exist a special sphere of »religion« and a special sphere of »ethics.« Although I say and mean that reality exists only where there is mutual action 1 , yet I can in no way accept the characterization of the person as a »dynamic-unity-in-striving-and-purpose.« It does not do justice to the most essential in the person, the connection of full uniqueness and full capacity for relation. And now Bertocci continues thus: »But purposes do not ›meet‹ or ›participate‹« – now, instead of persons, only »purposes« are being talked of. But real persons really meet each other, not merely in space, but also, for example, when they think of each other at the same time, therefore in pure time. »To participate,« however, is only seemingly a »spatial« concept; in reality, »to participate in each other« is so much a category of spiritual existence that the primal metaphysical ground of the expression is no longer even perceptible. And only by means of their difference, by means of the uniqueness of this man and the uniqueness of that one, can men participate in one another. But now Bertocci misses in my thought a »doctrine of real yes-and-no freedom.« I am, on the contrary, of the opinion that just such a doctrine is to be found in the second part of I and Thou. 2

1. 2.

I and Thou, p. 89. Pp. 57-61.

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Editorische Notiz Der vorliegende Band folgt den neuen, in Band 9 der MBW (»Schriften zum Christentum«) erstmals vorgestellten Editionskriterien. Die Gesamteinleitung, die der Textsammlung vorausgeht, enthält allgemeine Hinweise zur Entstehungsgeschichte der Texte, ordnet sie in Bubers Gesamtwerk ein und erläutert ihre zeitgenössische Rezeption. Die hier gebotenen Fassungen von Bubers Texten sind im Allgemeinen auf Grundlage der Erstdrucke erstellt und folgen ihnen in Orthographie und Interpunktion. Die Texthervorhebungen der Originaltexte mit gesperrter und kursiver Schrift sowie Kapitälchen werden beibehalten. Die Reihenfolge der Texte Bubers im vorliegenden Band folgt einer möglichst chronologischen Ordnung. Berichtigende Eingriffe in Texte, denen Drucke zugrundelagen, werden nur im Fall von offenkundigen Druckfehlern und angesichts von Korrekturen Bubers in späteren Drucken vorgenommen. Diese Eingriffe sind im Variantenapparat des Kommentarteils zum jeweiligen Text verzeichnet. Es wurde nach Möglichkeit darauf verzichtet, mit Korrekturen in die zum Abdruck kommenden Typoskripte einzugreifen, die in der Regel stenografische Mitschriften der unmittelbaren Reden Bubers darstellen. Der freien Rede ist es geschuldet, dass die Sätze mitunter ihrem syntaktischen Bau nach unvollendet geblieben oder in sich nicht stimmig sind. Es erschien den Herausgebern nicht legitim, an diesen Stellen einzugreifen und dadurch den Duktus der freien Rede zu stören. Eine stillschweigende Berichtigung erfolgte nur im Fall von offenkundigen Tippfehlern, nicht geschlossenen Klammern und fehlenden An- oder Abführungszeichen. Die Schreibung von Namen wurde vereinheitlicht oder bei offenkundigen Fehlern korrigiert. Die Kommasetzung hingegen wurde nicht verändert. * Im Kommentarteil des Bandes wird zu jedem Text zunächst eine individuelle Einleitung geboten, die auf die Textentstehung eingeht, die Quellen analysiert und die Rezeptionsgeschichte umreißt. Anschließend werden die in den Variantenapparaten berücksichtigten, mit Siglen versehenen Textzeugen aufgelistet und, falls erforderlich, kurz charakterisiert. Darunter befinden sich ggf. Handschriften und Typoskripte aus dem MBA und die zu Bubers Lebzeiten erschienenen, d. h. die von ihm

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autorisierten Drucke. Der Bestimmung der Druckvorlage folgen ggf. die bibliographischen Angaben zu den Übersetzungen des Textes. Darauf folgend, wird ein Variantenapparat geboten, der inhaltliche, den Sinn des Textes verändernde Abweichungen der vorhandenen Textfassungen von der Druckvorlage verzeichnet. Einträge des Herausgebers sowie herausgeberbezogene Zeichen werden kursiv, der edierte Text recte formatiert. Der Kommentarteil zu dem jeweiligen Text wird durch Wort- und Sacherläuterungen vervollständigt. Den Abschluss des Bandes bilden umfangreiche Register zu der verwendeten Literatur, den Bibelstellen, den Sachbegriffen und den Personen.

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Diakritische Zeichen Ko r r e k t u re n v o n B u b e r s Ha n d : [Text] Texttilgung hTexti Texteinfügung ! Korrektur zu folgender Variante Herausgeberbezogene Zeichen: x, xx, xxx … Unentzifferte(s) Zeichen X Unentzifferte Zeichenfolge ? unsichere Lesung des davor stehenden Wortes [Textverlust] eindeutig fehlende, nicht ergänzbare Textlücken wegen Schreibabbruch, Textzeugenbeschädigung etc. {Text} Variante aus einem Textzeugen, eingeblendet innerhalb einer Variante aus einem anderen Textzeugen / Zeilenumbruch Te x t z e u g e n - S i g l e n : D1, D2 … Drucke d1, d2 … Teilabdrucke, Druckfahnen und Korrekturbögen H1, H2 … Handschriften h1, h2 … Teilhandschriften TS1, TS2 … Typoskripte TS1.1, TS1.2… Schichten innerhalb eines Textzeugen

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Einzelkommentare Ich und Du Martin Buber hat die Entstehungsgeschichte seiner wichtigsten und einflussreichsten philosophischen Abhandlung Ich und Du selbst mehrfach dargestellt. Auf der letzten unpaginierten Seite [139] des im Frühjahr 1923 im Leipziger Inselverlag in schlichter, aber solider Aufmachung erschienenen Buches hält er fest: »Entwurf des Werkes, dessen Anfang dieses Buch ist: Frühling 1916; erste Niederschrift dieses Buchs: Herbst 1919; endgültige Fassung: Frühling 1922.« Diese kurze Notiz hat in der Forschungsliteratur zum Thema vielfach zu Verwirrung geführt, die unter anderem darauf zurückzuführen ist, dass Buber seine Entstehungsgeschichte sehr viel später mit verändertem Wortlaut noch zweimal wiederholt hat. 1954, also fast vierzig Jahre nach dem ersten »Entwurf« und immerhin noch 31 Jahre nach der Publikation des Buches schreibt Buber in seinem »Nachwort« zum Sammelband Das dialogische Prinzip (1954) er habe schon »seit etwa 1905«, ausgehend von seiner Einsicht in das Wesen des Chassidismus, die »Frage nach Möglichkeit und Wirklichkeit eines dialogischen Verhältnisses zwischen Mensch und Gott« gestellt und in seiner Einführung zu dem Buch Die Legende des Baalschem (1908) auch zum ersten Mal in Worte gefasst. Wiederum im Kontext seiner Beschäftigung mit dem Chassidismus habe er »in dem im September 1919 verfassten ›Geleitwort‹ zu dem Buch ›Der große Maggid und seine Nachfolge‹ […] die jüdische Lehre als ›ganz auf die doppelt-gerichtete Beziehung von Menschen-Ich und Gott-Du, auf die Gegenseitigkeit, auf die Begegnung gestellt‹. Bald danach, im Herbst [1919], folgte die erste noch unbeholfene Niederschrift von ›Ich und Du‹ (es sollte ursprünglich den ersten Teil eines fünfbändigen Werkes bilden […].« Hier ist also nicht mehr von einem frühen »Entwurf« die Rede. Die Entstehung der Philosophie des Dialogs wird direkt aus der Einsicht in die Beziehungsstrukturen zwischen dem chassidischen Zaddik und seinen Schülern abgeleitet. In dem »Nachwort« schließlich, das Buber 1957 der Neuausgabe von Ich und Du im Rahmen des Sammelbandes Das dialogische Prinzip folgen lässt, lautet der erste Satz: »Als ich vor mehr als vierzig Jahren die erste Skizze dieses Buches entwarf, trieb mich eine innere Notwendigkeit an.« Der Unterschied zwischen dieser letzten historischen Auskunft und der Notiz von 1923 ist beachtlich. Aus einem »Entwurf« ist eine »erste Skizze« geworden und 1957 bezieht sich diese nicht mehr auf das ur-

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sprünglich geplante fünfbändige Werk, sondern auf »dieses Buch«, das heißt, auf Ich und Du. Wenn man die ursprüngliche Mitteilung ernst nimmt und sie mit dem »Nachwort: Zur Geschichte des dialogischen Prinzips« zusammenhält, ließe sich folgern, aus der Einsicht in die Begegnung zwischen Ich und Du, wie sie im Chassidismus gedacht und praktiziert wird, sei ein erster »Entwurf« eines allgemeinen, in fünf Teile gegliederten Systems einer Beziehungsphilosophie entstanden, ein Entwurf, den Buber als Ideenskizze im Kopf entwickelt haben kann, der aber nicht notwendig niedergeschrieben worden sein muss. Allerdings könnte man als dessen schriftliche Dokumentation vielleicht die auf Zetteln im MBA aufbewahrten Pläne einer fünfgliedrigen Buchreihe in Betracht ziehen, deren frühester von Buber selbst auf den 5. II. 18 datiert wird. »Das Gegenüber und das Dazwischen Das Gegenüber als Kern und Substanz Die Formen des Gegenüber (Gott, Werk, Geliebte usw.) Die Beziehungen zum Gegenüber (schaffen, lieben, gebieten usw.) Das Dazwischen als Hypostasierung der Beziehung Der Gott – Gegenüber Der Dämon – Dazwischen / Die Tendenz zur Erlösung des Dazwischen / Dionys. Christus Den Dualismus von Gegenüber und Dazwischen in Mythos, Magie und Mysterium aufzuzeigen« (Faksimile bei Horwitz, Buber’s Way to ›I and Thou‹, S. 157) Rivka Horwitz betont zu Recht, dass in diesem frühesten uns vorliegenden Zeugnis die spätere Terminologie »Ich – Du« und »Ich – Es«, die für das Buch von 1923 zentral sein wird, noch völlig fehlt: »the dialogical terminology is absent from the Plan of 1918« (Horwitz, ebd. S. 158). Zwar kann das Ganze als »Entwurf« einer allgemeinen Welterklärung durchgehen, in dem schon zentrale Beispiele für die Du-Beziehung (Gott, Werk, Geliebte) aufgeführt werden und das, was später die IchEs-Beziehung sein wird, als ein dämonisches »Dazwischen« gefasst ist. Allerdings fehlt – und das ist noch wichtiger als das Fehlen der »dialogischen Terminologie« – in diesem ersten Entwurf die Beziehung zur Sprache, die Buber in seinem Buch von 1923 von Anfang an betont. Entstehung und Niederschrift des Buches Ich und Du im engeren Sinne lassen sich auf das genaueste anhand des veröffentlichten Briefwechsels verfolgen. Dabei ist in der Tat davon auszugehen, dass Buber gegen Ende des Jahres 1918 und zu Beginn des Jahres 1919 den Plan gefasst

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hat, sich nicht mehr mit der jüdischen Frage im engeren Sinne zu befassen, sondern sein Denken in einen allgemeineren Systemzusammenhang zu stellen. Am frühesten greifbar ist dies in einem Schreiben vom 27. Oktober 1918 an seinen Freund Elijahu Rappeport, in dem er diesem seine »Einsicht« mitteilt, »daß ich die nächsten Jahre auf die endgültige Fassung meines Gedankensystems (das in den letzten zur Reife gekommen ist) verwenden muß«. Es sei dies die Aufgabe, »wofür allein ich schlechthin unersetzbar bin« (B II, S. 541 f.). Und wie 1904, als er sich nach Herzls Tod vom politischen Zionismus abwandte und seine Ausrichtung auf ein neues Interessengebiet mit dem Stichwort »Jüdische Renaissance« markierte, so setzt er auch 1918 in seinem Brief an Rappeport ein deutliches Zeichen eines bewussten Neuanfangs mit einem Zitat aus dem ersten Abschnitt von Dantes Vita Nuova: »Meine Berliner Rede (voraussichtlich die letzte für lange Zeit) soll wohl veröffentlicht werden, aber ich habe jetzt anderes im Sinn. Übrigens habe ich dabei das Erlebnis der Grenze gehabt: ich kann nicht mehr ›zu Juden‹ reden, überhaupt nicht mehr zu … Incipit vita nova.« (B I, S. 542.) Das »Erlebnis der Grenze«, das nach Bubers eigenem Bekunden zu diesem dramatischen Umbruch führte, lässt sich damit genauer bestimmen, handelt es sich doch bei jener »Berliner Rede« um eine Rede mit dem Titel »Das Judentum und die wahre Gemeinschaft«, die am 6. Oktober vor dem zionistischen Jugendtag in Berlin gehalten wurde und die Grundlage für die 1919 veröffentlichte Schrift Der heilige Weg bilden sollte. Bubers Rede scheint den Rezeptionszeugnissen nach die Hörer überfordert und Buber selbst der mangelnden Resonanz wegen enttäuscht zu haben (vgl. Der heilige Weg, jetzt in: MBW 11.1, S. 125-156 sowie den Kommentar, ebd., S. 448 ff.), was erklären könnte, weshalb Buber nun nicht mehr »zu Juden« reden konnte. Zu bedenken wäre ferner, dass Buber im Verlauf der Jahre 1918/1919 sich zunehmend dem revolutionären Zeitgeist und in den Folgejahren einem religiösen Sozialismus zuwandte. Auch andere, ihm Nahestehende weist er in dieser Zeit unmissverständlich auf die neue Epoche seines Lebens und Denkens hin. So schreibt er am 7. Januar 1919 an seinen künftigen Schwiegersohn Ludwig Strauss und kommt auch an dieser Stelle auf das »Erlebnis der Grenze« zu sprechen: »Das Erlebnis der Grenze, das mich seit einem Jahr immer wieder heimgesucht hat (die letzten Dinge, nun auch soweit sie Anruf bedeuten, nicht mehr in judaistischer Begrenzung und πρὸς Ἑβραίους formulierbar), ist vor kurzem so gewaltsam geworden, daß ich die feste Umzäunung, meiner Hände Werk, niederriß und πρὸς ἀνϑρώπους zu reden (zu schreiben) begann.« (B II, S. 22 f.) Nicht nur weist er mit der Wendung, er spreche jetzt zu allen Menschen und nicht ausschließlich

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zu den Juden, darauf hin, dass er sich von der Fixierung auf »die feste Umzäunung«, das Judentum, – wie er es etwa in den Drei Reden über das Judentum von 1910/11 aufgerufen hatte – gelöst habe und sich der ganzen Menschheit als seinem Publikum zuwende. Dadurch, dass er die entscheidenden Begriffe in griechischen Lettern und in griechischer Sprache, also der Sprache der Philosophie, einfügt, macht er zudem kenntlich, dass er jetzt als Philosoph spricht. Aber als einer, der für seine neue Mission den »Anruf« Gottes empfangen hat, also als PhilosophenProphet. Seinem Prager Freund, dem angehenden Philosophen Hugo Bergmann, gegenüber äußert er sich wenige Tage terminologisch präziser: »Ich arbeite jetzt an den allgemeinen Grundlagen eines philosophischen (gemeinschafts- und religionsphilosophischen) Systems, dessen Aufbau die nächsten Jahre gewidmet sein sollen.« (21. Januar 1919; B II, S. 28.) Das, was hier allgemein theoretisch beschrieben wird, ließe sich inhaltlich exakt auf das abbilden, was Buber in dem fünfgliedrigen Aufriss vom Februar 1918 festgehalten hatte. Allerdings ist Buber in den nächsten Monaten durch die politischen Ereignisse, vor allem durch die Ermordung seines Freundes Gustav Landauer in München, in eine tiefe Schaffenskrise gestürzt, die ihn an der Weiterarbeit hindern wird. An Fritz Mauthner schreibt er am 7. Mai 1919: »Ich bin in diesen Tagen und Nächten selbst durch den Scheol [die Hölle] gewandert.« (B II, S. 42.) Im Herbst 1919 und der ersten Hälfte 1920 nimmt Buber die Arbeit an dem fünfteiligen Werk wieder auf, wie er im Nachwort zu den Dialogischen Schriften konstatiert: »im Herbst [1919] folgte die erste noch unbeholfene Niederschrift von ›Ich und Du‹ (es sollte ursprünglich den ersten Teil eines fünfbändigen Werkes bilden …)« Diese historische Feststellung, die mit der Bemerkung von 1923: »erste Niederschrift dieses Buchs: Herbst 1919« übereinstimmt, wird auch durch Bubers damaligen Briefwechsel bestätigt. So schreibt er am 3. März 1920 an Robert Weltsch: »Ich bin gegenwärtig ganz tief an der Arbeit an meinen religionsphilosophischen Prolegomena, und zwar an ihrem schwersten Abschnitt. Zu dieser Arbeit, die fünf Jahre fast ganz ruhte, bin ich erst seit kurzem wieder gekommen, nach Überwindung starker seelischer und körperlicher Hemmungen. Auch jetzt muß ich mir die innere Möglichkeit zu ihr noch täglich erkämpfen.« (B II, S. 66.) Mit dem Begriff »Prolegomena«, der an dieser Stelle zum ersten Mal auftaucht, ist hier immer noch das fünfteilige Gesamtwerk gemeint, an dem Buber nach den früheren Unterbrechungen die Arbeit wieder aufgenommen hat. Deren ersten Niederschlag lässt sich im »Geleitwort« zum Großen Maggid (1922) von 1919 ausmachen. Dort heißt es von der »jüdischen Lehre«,

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sie sei »so ganz auf die doppeltgerichtete Beziehung von Menschen-Ich und Gott-Du, auf die Realität der Gegenseitigkeit, auf die Begegnung gestellt«. (Jetzt in: MBW 17, S. 58.) Hier tritt zum ersten Mal eines der »Wortpaare« auf, die das sprachliche Fundament des Buches von 1923 bilden werden. Zudem hat sich im Martin Buber Archiv ein Konvolut von Notizen und Niederschriften erhalten, die – wie ihr über das enge Begriffsfeld von Ich und Du hinausgehender Diskussionsgegenstand erkennen lässt – aus dem Umfeld jener »ersten noch unbeholfenen Niederschrift« vom Herbst 1919 stammen. Im Folgenden als fragmentarisches Manuskript (h1) eingeordnet, werden diese Materialien im Kommentar nach der Aufzählung der Textzeugen als Anhang abgedruckt. Diese umfangreichen Manuskriptbestände der mutmaßlich ersten Niederschrift, die vor der späteren, in einem Heft vorzufindenden endgültigen Fassung (H2) (Arc. Ms. Var. 350 02 9) einzuordnen sind, umfassen Teile aus dem zweiten, und fast den ganzen dritten Teil der Endfassung von Ich und Du. Zudem wurden einige Manuskriptblätter der ersten Niederschrift offensichtlich auch direkt in das Heft mit der Endfassung übernommen, d. h. eingeklebt, so dass auch einige Elemente des ersten Teils auf die frühe Fassung zurückgehen (in H2 die Seiten 5, 15, 56a, vgl. Losch, Überlieferung und Kompositionsstruktur von »Ich und Du«, S. 33). Das Konvolut der Manuskriptblätter umfasst des Weiteren zahlreiche eher notizenhafte Aufzeichnungen, bei denen es sich um stichwortartige Notizen teils zu Ich und Du, teils zur Vorlesung Religion als Gegenwart zu handeln scheint, teils aber auch um Aufzeichnungen für die geplanten, nicht mehr realisierten weiteren Bände. Da es sich um Notizen und Exzerpte, nicht um einen zusammenhängenden Text handelt, werden diese Aufzeichnungen im Folgenden nicht abgedruckt. Im Jahr 1922 erfolgt dann die endgültige Ausarbeitung von Ich und Du. Zunächst in mündlicher Rede. Franz Rosenzweig, der Buber am 4. Dezember 1921 in Heppenheim besucht hatte, konnte ihn überzeugen, sich als Lehrer an dem von ihm gegründeten Freien Jüdischen Lehrhaus in Frankfurt zu engagieren. In seinem Antwortbrief vom 8. Dezember 1921 auf diesen Besuch geht Buber auf Rosenzweigs Vorschlag ein, dort zu Beginn des Jahres 1922 einen Vorlesungszyklus zu halten: »Ich könnte in diesem Trimester nur über einen enger begrenzten Gegenstand lesen, zu benennen etwa: ›Religion als Gegenwart‹ (den Prolegomena einer Arbeit entsprechend, mit der ich befaßt bin)«. (B II, S. 92.) Dieser aus acht zwischen dem 15. Januar und dem 12. März 1922 gehaltenen Vorträgen bestehende Zyklus enthält in den Vorlesungen Vier und Fünf, die von der »Welt des Es« und der »Welt des Du« han-

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deln, vielfach wörtliche Übereinstimmungen mit dem »Erste[n] Teil« von Ich und Du, der Schluss von Fünf, sowie Sechs und Sieben, in denen Buber das »Absolute Du« in den Mittelpunkt rückt, ist in den »Dritte[n] Teil« von Ich und Du eingegangen. (Für eine Liste der genauen Übereinstimmungen vgl. Horwitz, Appendix A: Parallels between the Lectures and Ich und Du, ebd. S. 245-247.) Die Vorlesungen sind 1922 mitstenographiert worden und liegen in einer maschineschriftlichen Transkription vor, die von Rivka Horwitz 1978 publiziert wurde (jetzt in: MBW 12, S. 87-160). Ein wichtiger Unterschied zwischen dem fertigen Buch und der »allmählichen Verfertigung der Gedanken beim Sprechen« ist darin zu sehen, dass in den Vorlesungen immer nur von der »Du-Welt« oder der »Es-Welt« die Rede ist, während die Fundierung des ganzen Systems auf einer linguistischen Begrifflichkeit – wie in dem ursprünglichen Entwurf – in der Vorlesungsreihe noch fehlt. Allerdings taucht in Religion als Gegenwart der zentrale Begriff des »Grundworts« in terminologischer Bedeutung schon in der Frage-und-Antwort-Sektion der VI. Vorlesung vom 26. Februar 1922 auf (Horwitz, ebd. S. 120), was darauf hindeutet, dass Buber durch seine Lehrtätigkeit auf die Fundierung seines »Systems« in der Sprache verwiesen worden ist. So leitet er das ganze Buch dann mit einer Reflexion über die »Zwiefalt der Grundworte« ein: »Das eine Grundwort ist das Wortpaar Ich – Du. Das andre Grundwort ist das Wortpaar Ich – Es.« (Ich und Du, S. 9; jetzt in diesem Band S. 39.) In Franz Rosenzweigs brieflicher Darstellung der Entwicklung des Frankfurter Lehrhauses, die er Anfang Dezember 1922 seinem Nachfolger in der Leitung des Hauses, Rudolf Hallo, zukommen lässt, weist er darauf hin, dass die Vorlesungsreihe das Medium sei, in dem Buber die endgültige Formulierung seiner Gedanken gefunden habe: »Wie er im Januar und Februar 22 den ersten Band seines fünfbändigen Lebenswerks, ehe er ihn niederschrieb, gesprochen hat und jetzt den zweiten sprechen wird, so wars ihm eine vollkommene Selbstverständlichkeit, daß er auch die weiteren Bände mit Vorlesungen im Lehrhaus einleiten oder begleiten wird.« (Franz Rosenzweig, Briefe, Berlin 1935, S. 462.) Demnach hat Buber die endgültige Fassung von Ich und Du erst in der ersten Hälfte des Jahres 1922 niedergeschrieben, dabei aber noch immer den Plan eines fünfbändigen Gesamtwerks im Auge behalten. Am 13. Mai 1922 berichtet er aus Heppenheim an Hugo Bergmann: »Ich bin nun an der Kelter. Der Prolegomenaband meines Religionswerkes ›Ich und Du‹, der das Urphänomen behandelt, erscheint demnächst; der erste Teil des Werkes wird hoffentlich im Herbst folgen; wenn mir die gleiche Arbeitsgnade wie seit einer Weile beschieden bleibt, wird das

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Ganze 1924 fertig werden.« (B II, S. 99.) Das in den ersten Monaten des Jahres 1922 geschriebene Manuskriptheft (H2), das schließlich als Druckvorlage diente, liegt im Martin Buber Archiv vor (Arc. Var. 350 02 9). Der Druck erschien Anfang 1923 im Insel Verlag in Leipzig. In dem zitierten Brief bezeichnet Buber Ich und Du als »Prolegomenaband« des immer noch geplanten größeren Werks. In seinen Verhandlungen mit Franz Rosenzweig über die nächste Vorlesungsreihe »Die Urformen des religiösen Lebens«, die den zweiten Band des Gesamtwerkes bilden sollte, fasst er im August 1922 auch schon einen dritten, vierten und fünften Band des Gesamtwerks ins Auge. (B II, S. 116.) Auf der letzten Seite (S. 100) des Manuskripthefts (H2) finden sich mehrere Gliederungen dessen, was er hier »Bücherreihe: Religion als Gegenwart« nennt: I. Ich und Du II. Die Urformen des religiösen Lebens III. Die religiöse Person IV. Die Religionen V. Die religiöse Kraft und unsere Zeiten (Arc. Var. 350 02 9, S. 100; Faksimile bei Horwitz, ebd. S. 210.) Allerdings hat Buber dann im Laufe des Jahres 1923 das ehrgeizige Projekt der fünfbändigen Gesamtdarstellung seiner Religionsphilosophie endgültig aufgegeben. An dieser Stelle ist es nicht möglich, die umfangreiche Rezeption von Ich und Du im Detail zu rekonstruieren. In einem Brief vom 28. Dezember 1936 an den Übersetzer der ersten englischen Ausgabe des Buches, Ronald Gregor Smith, geht Buber allerdings selbst auf den frühen Einfluss von Ich und Du ein (B II, S. 628 f.). Buber nennt Das Leiden am Ich (1930) des Schriftstellers Wilhelm Michel (1877-1942) an erster Stelle, und spezifiziert dann die Rezeptionen in verschiedenen Wissensgebieten. Für die evangelische Theologie verweist er auf Karl Heim (1874-1958) und dessen Glaube und Denken (Berlin 1931, insbes. S. 199 ff.) und Friedrich Gogarten (1887-1967), der sich Ich und Du gegenüber zu besonderem Dank verpflichtet weiß (Glaube und Wirklichkeit, Jena 1928). Diesen beiden Theologen ist sicher Emil Brunner (1889-1966) und in gewissem Sinne sogar Karl Barth (1886-1968) hinzuzufügen (vgl. B II, S. 455; B III, S. 293). In den Zusammenhang »verwandter Denkarbeit« stellt er Franz Rosenzweigs Aufsatz »Das neue Denken« (in: Zweistromland, Dordrecht u. a. 1984, S. 139-161), Theodor Steinbüchels (1888-1949) von Ferdinand Ebner ausgehendes Der Umbruch des Denkens (1936) (zu diesem vgl. »Martin Buber und Ferdinand Ebner« in diesem Band; S. 211), und

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John Cullbergs (1895-1983) Das Du und die Wirklichkeit (1933). In philosophischer Hinsicht verweist Buber auf Simon Maringers Zürcher Dissertation Martin Bubers Metaphysik der Dialogik im Zusammenhang neuerer philosophischer und theologischer Strömungen (Köln 1936). Schließlich nennt Buber Anwendungen auf psychologische Probleme bei Hans Trüb (»Individuation, Schuld und Entscheidung. Über die Grenzen der Psychologie«, in: Psychologischer Club Zürich (Hrsg.), Die kulturelle Bedeutung der Komplexen Psychologie, Heidelberg 1935, S. 529-555) Buber aktualisierte diese Zusammenstellung im Nachwort zu den Schriften über das dialogische Prinzip (in diesem Band, S. 229240). Buber gestand bereitwillig ein, dass seine Philosophie des Dialogs, wie er sie 1923 mit der Veröffentlichung von Ich und Du eingeführt hatte, von der Frage nach der Intersubjektivität ausgeht, die bis zur deutschen Philosophie der Aufklärung Friedrich Heinrich Jacobis (1743-1819), zur Philosophie Ludwig Feuerbachs (1804-1872) und schließlich Sören Kierkegaards (1813-1855) zurückreicht. Jedenfalls kristallisierten sich diese dialogischen Ansätze während des zweiten und dritten Jahrzehnts des zwanzigsten Jahrhunderts im Denken von u. a. Hermann Cohen, Ferdinand Ebner, Eugen Rosenstock-Huessy und Franz Rosenzweig. Eine systematische Analyse dessen, was Dialogismus genannt werden sollte, wurde von Michael Theunissen (1932-2015) in seiner Monographie Der Andere: Studien zur Sozialontologie der Gegenwart (Berlin 1965) angestoßen. In seiner Arbeit untersucht Theunissen die Ich-Du Beziehung aus einer historischen und philosophischen Perspektive, wobei er sich insbesondere auf die Unterscheidung zwischen Transzendentalismus und Dialogik im Konzept der »Anderheit« bei Edmund Husserl (1859-1938) und Martin Buber konzentriert. Des Weiteren beschäftigt er sich mit den scharfen Kontrasten zwischen beiden, um die allgemeinen philosophischen Grundlagen verschiedener moderner Ansätze zur Intersubjektivität, etwa bei Heidegger und Sartre (1905-1980), Alfred Schütz (1899-1959) und Karl Jaspers (1883-1969), offenzulegen. Theunissen verortete Bubers Denken in der Perspektive dessen, was er als grundlegenden Wandel in der Philosophie betrachtete, und inspirierte dadurch eine Reihe bedeutsamer Analysen zu Bubers Konzept des Dialogs, unter denen Bernhard Casper, Das dialogische Denken. Franz Rosenzweig, Ferdinand Ebner und Martin Buber, Freiburg 1967 (überarb. und erw. Neuaufl. 2002) sowie Jochanan Bloch, Die Aporie des Du. Probleme der Dialogik Martin Bubers (Heidelberg 1977) besonders zu erwähnen sind. Der von Paul A. Schilpp und Maurice Friedman in der Reihe Philosophen des 20. Jahrhunderts herausgegebene Sammelband

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Martin Buber (Stuttgart 1963) enthält 29 erklärende und kritische Aufsätze über Bubers Philosophie, Bubers Antwort auf die Ausführungen seiner Fachkollegen, unter ihnen Gabriel Marcel und Emmanuel Levinas, die zur kritischen Klärung der Philosophie von Ich und Du beitragen. Für einen umfassenden Überblick zur philosophischen Rezeption von Ich und Du und Bubers dialogischer Philosophie in Deutschland vgl. Hans-Joachim Werner, »Ich habe keine Lehre, aber ich führe ein Gespräch. Linien der Buber-Rezeption im deutschsprachigen Raum«, in: Thomas Reichert, Meike Siegfried und Johannes Waßmer (Hrsg.), Martin Buber neu gelesen, Lich 2013, S. 13-36. Textzeugen: h1: Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350 02 9a); Konvolut von Notizund Manuskriptblättern in verschiedenem Format, teils einseitig, teils zweiseitig beschrieben. Die Blätter wurden nachträglich mit Bleistift von S. 1 bis 141 nummeriert, stellen aber keinen einheitlichen Entwurf dar. Im Gegenteil verweisen die verschiedenen Schriftbilder, Papiere und Formate auf zeitlich nicht zusammenhängende Niederschriften, die erst durch die spätere Nummerierung zu einer formalen Einheit zusammengefügt worden sind. Teile der Blätter enthalten Textstücke, andere Blätter wiederum lediglich Skizzen, Stichworte und Notizen. Im Folgenden werden jene Abschnitte abgedruckt, bei denen es sich um erste Fassungen zu Ich und Du handelt, die aber nicht in den Druck aufgenommen worden sind oder in ihrer Textgestalt vom Druck zu stark abweichen, um in einem Variantenapparat berücksichtigt zu werden. Einige Blätter, die Entwürfe der Textabschnitte von S. 72,36-74,4, S. 79,34-82,29, S. 83,8-84,9 und S. 94,26-108,38 von D1 enthalten, werden im Variantenapparat berücksichtigt. 2 H : Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350 02 9); 100 paginierte Blätter eines Notizbuches; in der Regel einseitig beschrieben; vereinzelt finden sich auf der Blattrückseite Ergänzungen zum Text der Blattvorderseite; beschrieben mit blauer Tinte; mit Korrekturen versehen. Auf einzelnen Seiten wurden lose Blätter eingeklebt, die vermutlich aus dem ersten Entwurf stammen. Der Text selbst geht bis Seite 91; nach einigen Leerseiten werden auf den Seiten 99 und 100 der Inhalt sowie die Teile der geplanten Reihe »Religion als Gegenwart« skizziert. 1 D : Leipzig: Insel-Verlag 1923, 137 S. (MBB 283). D2: Berlin: Schocken 1936, 138 S. (MBB 534).

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D : Dialogisches Leben. Gesammelte philosophische und pädagogische Schriften, Zürich: G. Müller 1947, S. 13-128 (MBB 761). D4: Die Schriften über das dialogische Prinzip, Heidelberg: Lambert Schneider 1954, S. 5-121 (MBB 951). 5 D : Heidelberg: Lambert Schneider 1958, 117 S. [Neuausgabe] (MBB 1086). D6: Das dialogische Prinzip, Heidelberg: Lambert Schneider 1962, S. 5121 (MBB 1188). D7: Werke I, S. 77-160 (MBB 1193). 3

Druckvorlage: D1 Übersetzungen: Dänisch: Jeg og Du, übers. aus dem Deutschen von J Vikjaer Andersen, Munksgaardserien 5, Kopenhagen: Munksgaard 1964, 175 S. (MBB 1250). Englisch: I and Thou, übers. von Ronald Gregor Smith, Edinburgh: T. and T. Clark 1937, XIII, 119 S. (MBB 558); I and Thou, übers. von Ronald Gregor Smith with a postscript by the author, New York: Scribner 1958, XII, 137 S., auch als Taschenbuch im selben Jahr erschienen (MBB 1087); I and Thou, übers. von Ronald Gregor Smith with a postscript by the author, Edinburgh: T. and T. Clark 1959, XII, 137 S. (MBB 1118); I and Thou, a new translation with a prologue ›I and Thou‹ and notes by Walter Kaufmann; New York: Scribner 1970 und 1977 in der Hudson River Edition, sowie in Edinburgh: T. and T. Clark 1970, 185 S. (MBB 1343); I and Thou, in: Alexander S. Kohanski, An Analytical Interpretation of Martin Buber’s ›I and Thou‹, with a biographical introduction and glossary, New York: Barron’s Educational Series 1975, S. 45-147 (MBB 1385); [Auszug] I and Thou, in: Contemporary Philosophical Problems. Selected Readings, hrsg. von Y. H. Krikorian u. A. Edel, New York: MacMillian 1959, S. 629-635 (MBB 1127). Französisch: Je et tu, übers. aus dem Deutschen von Geneviève Bianquis, mit einem Vorwort von Gaston Bachelard, Philosophie de l’esprit, Paris: F. Aubier 1938, 172 S. (MBB 572); Je et tu, in: La Vie en dialogue, übers. von Jean Loewenson-Lavi, Paris: Aubier 1959 (MBB 1122); Je et tu, übers. von Geneviève Bianquis mit Vorworten von Gaston Bachelard u. Gabriel Marcel, Paris: Aubier 1970 (MBB 1344). Hebräisch: [Auszug] Ani we-ata, übers. von Zwi Woyslawski, Ha-aretz vom 15. April 1938 (MBB 586); Ani we-ata, übers. von Zwi Woyslawski, in: Be-sod Siach. Al adam wa-amidato nokhach ha-hawaja, Jerusalem: Mossad Bialik 1959, S. 3-103 (MBB 1133).

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Italienisch: L’Io e il Tu, in: Il Principio diologico, übers. von Paolo Facchi u. Ursula Schnabel, Mailand: Edizioni di Communitá 1959 (MBB 1121). Japanisch: Ich und Du, japanische Übersetzung von K. Nogushi, Tokio 1958, 201 S. (MBB 1088); in: Schriften über das dialogische Prinzip; I-II, übers. von Yoshiguro Taguchi, Tokio: Misuzu-Shobo 1967 (MBB 1298a). Niederländisch: [Nur erstes Kapitel] Ik en du, in: Martin Buber. Zijn Leven en zijn Werk, gesammelt und hrsg. von Juliette Binger, mit einer Einleitung von W. Banning, s’ Graveland: De Driehoek 1947 (MBB 763); Ik en Gij, übers. von I. J. van Houte, Utrecht: E. J. Bijleveld 1959, 143 S. (MBB 1119). Norwegisch: [Auszug] Jeg og Du, Minervas’s Kvartalsskript, III/3, S. 228221 (MBB 1129); Jeg och Du, übers. von Hedwig Wergeland, Oslo: J. W. Cappelens 1968, 114 S. (MBB 1314). Portugiesisch: Eu e tu, übers. u. eingel. von Newton Aquiles von Zuben, Sào Paul: Cortez & Moraes 1977, 171 S. (MBB 1397). Schwedisch: Jag och du, übers. von Margit u. Curt Norell, Stockholm: Bonniers 1962, 129 S. (MBB 1189) [der Anfang der Übersetzung stammt von Dag Hammerskjöld]. Spanisch: Yo y Tu, übers. von Horacio Crespo, Buenos Aires: Galatea: Nueva Vision 1956, 108 S., 3. Aufl. 1967 mit 127 S. (MBB 1023). Tschechisch: Já a Ty, übers. von J. Navrátil, Prag: Mladá Fronta 1969, 107 S. (MBB 1328). Abdruck der nicht in den Druck aufgenommenen frühen Entwürfe in h1 in der Reihenfolge der nachträglichen Paginierung Fragmente eines ersten Textteils Jede wirkliche Beziehung in der Welt ist ausschliesslich. Jedes Du? füllt den Himmelskreis: nicht als ob nichts andres wäre, aber alles andre lebt in seinem Licht. Losgemacht, hinausgetreten, einzig und gegenüber seiend ist [das] ! ihr Du. [Aber sowie das Du zu] ! Solang die Gegenwart der Beziehung währt, ist diese ihre Welthaftigkeit unantastbar. Sowie jedoch ein Du zu Es wird, erscheint die Welthaftigkeit als ein Unrecht an der Welt, die Ausschliesslichkeit als eine Ausschliessung [des Anderen] ! des Alls. Die Beziehung zu Gott ist [höchste] ! unbedingte Ausschliesslichkeit, und unbedingte Einschliesslichkeit. Wer in die absolute Beziehung tritt, den geht nichts Einzelnes mehr an, nicht Dinge und nicht Wesen, nicht

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Erde und nicht Himmel; aber alles [Einzelne] ist in seiner Beziehung eingeschlossen. Denn nicht von allem absehen heisst in die reine Beziehung treten, sondern alles im Du sehen; nicht der Welt entsagen, sondern die Welt mitnehmen. »Hie Welt, dort Gott« – das ist Esrede; und »hie Gott in der Welt« – das ist andre Esrede; aber nichts ausschalten, nichts dahinterlassen, alles – all die Welt mit im Du begreifen, der Welt ihr Recht und ihre Wahrheit geben, nichts mehr neben Gott und alles, wahrhaft alles in ihm schauen, das ist vollkommne Beziehung. Man findet Gott nicht, wenn man in der Welt bleibt, man findet Gott nicht, wenn man aus der Welt geht. [Wer die Welt zu Gott hin liebt, findet ihn, wem alles zu Sinn in Gott wird, findet ihn, wer mit dem ganzen Wesen ausgeht und nicht sucht, findet ihn.] ! Wer mit dem ganzen Wesen [ausgeht] ! zu seinem Du ausgeht und alles Weltwesen ihm zuträgt, findet ihn, den man nicht suchen kann. * [Hat Gott die Welt denn nun entlassen und nicht auch] ! Gewiss ist Gott das ganz Andere; aber er ist auch das ganz Gegenwärtige. Von der Welt wegschauen, das hilft nicht zu ihm; auf die Welt hinschauen, das hilft auch nicht zu ihm; aber wer die Welt in ihm schaut, steht in seiner Gegenwart. Wenn du das Leben ergründest, begegnest du dem Geheimnis, wenn du das Leben bestreitest, dem Nichts, wenn du es heiligst, Gott. * Die Welt ist dem Menschen zwiefältig nach seiner zwiefältigen Haltung. [Aber] ! Die Haltung des Menschen ist zwiefältig nach der Zwiefalt der Grundworte, die er sprechen kann. Aber wie die Sprache nicht ein vom Menschen Gemachtes, sondern der im menschlichen Wesensakt wiederkehrende Urakt des Geistes ist, so ist seine Zwiefalt nicht aus dem Menschen (allein) zu verstehen. Das Grundwort, das Verbundenheit, und das Grundwort, das Getrenntheit zwischen dem Ich und der Welt stiftet, gehören zusammen. So gehören die kosmischen Kräfte zusammen, die gegensätzlich im schwingenden Gleichgewicht jedes Ding der Welt im Dasein erhalten. Jenes Widerspiel der Grundworte und dieses der Kräfte sind im Wesen eins. Aber die Welt als Ganzes – auch sie können wir nicht anders als in der zwiefältigen Bewegung fassen: vom Ursprung weg, zur Ursprung hin – in dieser Doppelbewegung [besteht] ! verharrt und harrt die Welt.

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Die metakosmischen Bewegungen des Kosmos gehören zusammen. Und wieder: ihr Widerspiel und das der Grundworte sind eins. Zum Letzten aber, um verzagenden Worts an den Saum des Ewigen selber zu rühren: dass die Welt in der Doppelbewegung steht, woher kann das sein als dass der Schöpfer sie zugleich entliess und wahrte, zugleich freigab und band? So verstummt unser Wissen um die Zwiefalt der Paradoxie des Geheimnisses. * Der Bestand jedes Dings ruht im Gleichgewicht, der kosmischen Kräfte und Bewegungen, der Bestand der Welt in dem der metakosmischen. Wie steht es um die Gestalten der Zwiefalt im Menschengeist? Wie um die mächtigste dieser Gestalten, die Zwiefalt der Grundworte? Waltet auch hier das Gleichgewicht und verbürgt den Bestand? Das Ding vergeht, wenn die trennende Kraft die bindende überwältigt. Und die Welt? Plötzlich schaut uns aus der Frage an: am Menschen entscheidet sich das Schicksal der Welt. Er, zur Stiftung der geistigen Verbundenheit in die Welt gesetzt, damit ihre Verbundenheit sich erneuert, er ist verantwortlich. Wer? Wer ist das, der Mensch? Du bist es und ich bin es. Waltet das Gleichgewicht im Menschengeist? Das heilige Grundwort lebt einsam im Einsamen fort. Sonst allüberall erstickt es fast unter Schutt. Die Zersetzung waltet. [Von wannen kommt uns das Heil?] Entscheidung! Umkehren! Aber was vermagst du, was vermag ich, was vermögen wir alle? Von wannen kommt uns das Heil? Es kommt nicht von uns, aber es kommt nicht, wenn es nicht aus uns kommt. * Zuweilen, wenn es den Menschen in der Verfremdung zwischen Ich und Eswelt schaudert, meint er, mit dem Gedanken, dem er hmit Rechti viel zutraut, alles wieder [zurechtrücken] ! gutmachen zu können. Es ist ja die hohe Kunst des Gedankens, ein zulängliches und geradezu glaubhaftes Weltbild zu malen, darin sich eben nur nicht wohnen lässt.

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Weiteres Fragment auf gesondertem Blatt: [Die zwei Wege der Illusionen, denen sich der Mensch] ! Des heiligen Grundworts entwöhnt, ergibt sich der Mensch, um dem Grauen, der steten Abgelöstheit zu entrinnen?, die er sich nicht mit der Wirklichkeit zu X getraut, jeweilig einer von zwei Illusionen. Verweltung und Verseelung – beiden gilt der Kampf des Geistes; aber der bösere Feind ist wohl die Verseelung. Weiteres Fragment auf gesondertem Blatt: Verweltung und Verseelung – beiden gilt der Kampf; aber der bösere Feind ist die Verseelung. Denn werfe ich alles, und mich dazu, in die Eswelt, sehe nichts mehr als sie, und mich als ihr Seelenatom: ich brauche nur zu mir selbst zu erwachen und finde mich der Welt gegenüber, und die Wirklichkeit ist mir offen. Ziehe ich aber alles in meine Seele, weiss nichts mehr als sie, und die Welt als ihr Gebilde: dann entschwindet mir der Weg in die Wirklichkeit, Spiegelungen und Widerspiegelungen umgeben mich, und mein Leben versinkt. Weitere Fragmente eines Textteils – Und das Ichsagen Napoleons? Ist es nicht rechtmässig? – und doch kannte er offenbar die Dimension des Du nicht doch sah er die Wesen um sich als zu verschiedner Leistung befähigte Motoren, die es zu berechnen und zu verwenden gilt. Dieser Koloss des Erfahrens und Gebrauchens – ist er keine »Person«? Dieses Ich, das sich dem Leben des Planeten auferlegte – war es unwirklich? – Der Dämon des Zeitalters ist beim Namen genannt. Ja, man hat es richtig gesagt: alles [Lebendige] ! Wesen war ihm v a l o r e . Er, [der seine Freunde hat, die Freunde, die ihn verleugneten] ! der die Anhänger, welche ihn verleugneten, in milder Bedeutung mit Petrus verglich, hatte [im Grunde] niemand [zu verleugnen] ! , den er hätte verleugnen können; denn er hatte niemand, den er als Wesen anerkannte. Er war das dämonische Du der Millionen, das nicht [erwidernde] ! antwortende, das auf das Du mit Es antwortende [, das fiktiv antwortende]. Dies ist die [weltgeschichtlich] schicksalhafte Grenze, wo das Grundwort der

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Verbundenheit seine Realität, seinen Charakter der Wechselwirkung verliert: das [dämonische Du] ! menschdämonische Du, das keinem Du Ich werden kann. Diesen [Dritten] gibt es hzwischen Person und Eigenweseni, schicksalhaft ragend in Schicksalszeiten, dem alles zuglüht und der selbst in einem kalten Feuer steht; zu dem tausendfach, von dem keine Beziehung führt; [und so ist das Zeichen des Fluchs auch über jener] ! der [nicht] ! an keiner Wirklichkeit teilnimmt und an dem ungeheuer teilgenommen wird als an einer Wirklichkeit [, und dadurch allein wird er zu ihr, zu einer dämonischen]. Kein lebhaft nachdrückliches, kein volles, kein gewaltiges Ichsagen ist das seine; aber auch kein (wie beim modernen Eigenmenschen) dergleichen vortäuschendes. Das Ich, das er redet und schreibt, ist das notwendige Subjekt seiner haussagenden und anordnendeni Sätze, nicht mehr und nicht weniger; es hat keine Subjektivität, aber es hat auch keinen Wahn der Selbsterscheinung. »Ich bin die Uhr die besteht und sich nicht kennt« – so hat er selbst die Schicksalhaftigkeit, die wirkungsmächtige Unwirklichkeit dieses Ich ausgesprochen, in der Zeit des Endes, als er ein andres Ich zu sagen begonnen hatte. Eins nämlich, das nicht mehr Subjekt schlechthin ist, sondern Bekenntnis des Dämons und – unrechtmässig. »Das All betrachtet Uns!« Wenn das wahr wäre, wäre es noch unrechtmässig gesagt. – Wie aber, wenn eines Menschen [Schickung und] Sendung von ihm [heischt] ! begehrt, dass er nur noch die Verbundenheit mit seiner Sache, also kein wirkliches Verhältnis zu einem Du, keine Vergegenwärtigung eines Du mehr kenne; dass alles um ihn Es, eben seiner Sache dienstbares Es werde? Wie steht es um das Ichsagen – Napoleons? Ist es nicht rechtmässig? Ist dieses Phänomen des Erfahrens und Gebrauchens keine »Person«? – In der Tat, der dämonische Herr des Zeitalters kannte offenbar die Dimension des Du nicht. Man hat es richtig [gesagt] ! bezeichnet: alles Wesen war ihm valore. Er, der die Anhänger, welche ihn verleugneten, in milder Bedeutung mit Petrus verglich, hatte niemand, den er hätte verleugnen können; denn er hatte niemand, den er als Wesen anerkannte. Er war das dämonische Du der Millionen, das nicht antwortende, das auf das Du mit Es antwortende, das im Persönlichen fiktiv antwortende, – das dennoch in seiner Sphäre, der seiner Sache hund nur in ihri, wahrhaft: mit seinen Taten antwortende. Dies ist die [Grenze] ! schicksalhafte X, wo das Grundwort der Verbundenheit seine Realität, seinen Charakter der Wechselwirkung verliert: das dämonische Du, das keinem Du Ich werden kann. Diesen gibt es, schicksalhaft ragend in Schicksalszeiten: dem alles zuglüht und der selbst in einem kalten Feuer

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steht; zu dem tausendfache, von dem keine Beziehung führt; der an keiner Wirklichkeit teilnimmt und an dem ungeheuer teilgenommen wird als an einer Wirklichkeit. Wohl sieht er die Wesen um sich als zu verschiedner Leistung befähigte Motoren, die es für die Sache zu berechnen und zu verwenden gilt. So aber auch sich selber (nur dass er seine Leistungskraft immer neu im Experiment ermitteln muss und doch ihre Grenzen nicht erfährt). Auch [das stille Ich] ! er selbst wird von sich als Es behandelt [; auch jenes stillste Du]. So ist denn [sein] ! dieses Mannes Ichsagen kein lebhaft nachdrückliches, kein volles, kein gewaltiges; aber erst recht nicht ein (wie beim modernen Eigenmenschen) dergleichen vortäuschendes. hEr spricht gar nicht von sich, er spricht »von sich aus«.i Das Ich, das er redet und schreibt, ist das notwendige Subjekt seiner aussagenden und anordnenden Sätze, nicht mehr und nicht weniger; es hat keine Subjektivität, aber er hat auch keinen Wahn der Selbsterscheinung. »Ich bin die Uhr die besteht und sich nicht kennt« – so hat er selbst seine Schicksalhaftigkeit, die Wirklichkeit dieses Phänomens und die Unwirklichkeit dieses Ich, ausgesprochen, in der Zeit [des Endes], als er aus seiner Sache geworfen war und [nun erst von sich sprechen] ! sich nun erst auf sein Ich besinnen durfte – das nun erst erschien. Nun ist es nicht mehr blosses Subjekt, aber auch zur Subjektivität gerät es nicht; entzaubert, aber nicht erlöst, so spricht es sich in dem furchtbaren, unrechtmässigen und rechtmässigen Worte aus: »Das All betrachtet Uns!« Dann versinkt es, für die Jahre des Endes, im schweigenden Geheimnis. Wer möchte, nach solchem Werk und solchem Untergang, zu behaupten wagen, dieser Mensch habe seine Sendung verstanden, – oder er habe sie missverstanden? [Aber das ist offenbar, dass der moderne Eigenmensch, dessen Vorbild er geworden ist, ihn missversteht.] ! Aber das Zeitalter, dessen Herr und Vorbild der Dämonische, der Sachbesessene hohne Gegenwarti geworden ist, missversteht ihn. Es weiss nicht, dass hier [Erleiden der Schickung] ! Schickung und Vollzug, nicht [Wunschesherrlichkeit] ! Wunschesbrunst und Machtlust walten. Es ist beflissen, diesen Blick auf die Wesen nachzuahmen, [ohne die [Sachlichkeit] ! X dieses Ich zu erfassen] ! ohne seine Not und Nötigung zu spüren, und vertauscht die Sachstrenge dieses Ich mit gärender Eigenbewusstheit. Das Wort »Ich« bleibt das [wahre] Schibolet der Menschheit. Napoleon sprach es beziehungslos, aber nicht unverbunden; denn er sprach es als das Ich seiner Sache. Wer es ihm nachsprechen will, [äussert nur die Heillosigkeit und den Widerspruch, die im Eigenwesen hausen] ! verrät die Heillosigkeit des X Widerspruchs.

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Weiteres Fragment auf gesondertem Blatt Ein Ichsagen scheint zu widersprechen, das Napoleons, das doch in seiner personhaften Legitimität nicht angezweifelt werden kann. Und doch kannte er offenbar die Dimension des Du nicht [. Ohne Vergegenwärtigung in der Leidenschaft, ohne] ! ; doch sah er, gerade er, »die Wesen um sich als Leistungszentren, die es in ihrer besonderen Befähigung zu erkennen und zu verwenden gilt.« Weiteres Fragment auf gesondertem Blatt Objektive? Einrichtungen [haben wohl mit dem Ich zu tun, aber nur insofern es sich kennen keine Person, nur Individuen] ! sind reines Es: das Ich geht sie nur so an, wie das Subjekt sein Objekt angeht, aber sie kennen den Menschen nicht. Objektive? Gefühle sind reines Ich: [das des Grundworts Ich-Es] ! sie können wohl einen menschlichen »Gegenstand« haben, aber sie haben kein Gegenüber. Jene sind in der [steten] ! starren Vergangenheit; diese im flüchtigen Augenblick; in der dauernden Gegenwart diese und jene nicht. Weiteres Fragment auf gesondertem Blatt Zwei Arten sich mit dem Ich zu befassen 1) als mit dem faktisch nur notwendigen Partner der Verbundenheit, also mit dem »Ausgangspunkt«, nicht also mit dessen besondrer Beschaffenheit, sondern mit seiner »Selbstheit« oder Existenz, auch »Person« zu nennen; 2) als mit einem sich vom Andern abhebenden, mit einer Beschaffenheit, einem Sosein und Nichtanderssein, einer »Eigenheit«, einer »Persönlichkeit«, einer »Begrenztheit«: meine Art, meine Rasse [, mein Beruf] usw. Fragmente eines weiteren Textteils Der Mensch, das jüngste Kind eines jungen Planeten, zu einem Wiederbringer und Wahrer des Geistes im All bestellt, gründete sein Sonderreich, indem er sich immer weiter aus der naturhaften Verbundenheit hob. Er [kann] ! wird es nur [erhalten] ! vollenden können, wenn er

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sich in die geisthafte [Verbundenheit] hebt, die er nur aus immer flüchtigeren Beziehungen kennt. Er wird es nur erhalten können, wenn er es vollendet. Denn nur in der Verbundenheit hat er das wirkliche Leben. Wenn er sie verlässt, verlässt ihn die Wirklichkeit; des Schöpferhauchs ledig schrumpft sein Geist zur leeren Geistheit zusammen; die Antwort X X war, wird zur schauspielerischen Gebärde; und ein Morgen kam [, da entdeckte der Mensch, dass sein Reich aus dem Sein, in den Abgrund versetzt worden ist, wohin] Der Mensch hat [irgendwo im Weltraum, irgendwann in der Weltzeit], das Wort Ich gesprochen. Da war Ich in der Welt. Aber Ich war nun am Du. Der Mensch hat mit Ich nicht seine Abgelöstheit, sondern seine – geisthaft gewordene – Verbundenheit, die ihn [zum Wort, zum Grundwort] bestürzte und erschütterte, gesagt. Die Bestürzung und Erschütterung im Innewerden des Verbundenseins X das Grundwort, das noch vorsprachliche Grundwort aus seinem Wesen, beides in einem [Ich und Du] ! IchDu. Das löste sich im [Wachsen des Geistes, in der Bildung der geistigen Welt,] ! Geist und in der Sprache [Textverlust wegen fehlender Blätter] Weiteres Fragment auf gesondertem Blatt [Wirklichkeit kann rechtmässig nichts anderes heissen.] Gehen wir nicht vom »Subjekt« aus, sondern von der Gott-Welt-Fülle, in der wir leben, dann erkennen wir, das »Gott verwirklichen« bedeutet: Gotte in der Welt eine Stätte seiner Wirklichkeit bereiten; [die Welt zum »Ort« Gottes bereiten] mit anderem, heiligem Wort: die Wirklichkeit »einigen«. In diesem unserem Dienst am Werden des Reichs erscheint die Entgegenkunft des Menschen [ins Welthafte erhöht] ! zu welthaftem Wirken erhöht. Vermögen wir so viel? Wir vermögen X X um dessen willen wir auf der Welt sind; X einen, das Gott ohne uns nicht vermögen will. Dieses Wissen, unverbrüchlich, dieses Wissen allem Makel, aller Schwäche, allem Widerspruch zum Trotz bewahren – dass die Wirklichkeit der Begegnung in der Wirklichkeit, mit der [Lebensgewissheit] ! Wesensgewissheit des lebendigen Gewissens – nicht über die X hinweg, in aller X, weltverhaftet, welteingebannt Gott nahe sein, unmittelbar, in der Unmittelbarkeit des Ich und Du [verzweifelt und zuversichtlich] zu Gott stehen – das vor allem macht das Judentum zu einem Phänomen der religiösen Wirklichkeit X X X. Dieses Volk, das einst als erstes hwie vor ihm nur der Einzelnei Gott angesprochen hat, wird nach allem Versagen, mitten im Versagen, nicht ablassen, sich neu für Gottes Hand zu bereiten.

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Weitere Fragmente und Notizen auf gesonderten Blättern 1. Diskontinuität der areligiösen Duwelt. Die Frage nach der Kontinuität. 2. Gott als das absolute Du, das s e i n e m Wesen nach nicht mehr Es werden kann. Nicht aus Natur, Geschichte, Subjekt erschlossen, sondern unmittelbar gegenwärtig. 3. Die r e i n e Beziehung. Sie, wie jede, nicht psychologisch zu fassen. Die Begegnung. Die zwei Seiten. Gnade (= Begegnung) ist von der Seele aus g e s a m m e l t e Tätigkeit (nicht als solche empfunden, da von der Tätigkeitsempfindung, die wir von aller schiedlich, gespaltenen Tätigkeit her kennen, wesenhaft verschieden; »Nicht-Tun«), Totalität-Werden (nur ein Ganzes kann das Ich der reinen Beziehung [werden] ! sein). 4. Kein »Abstufen der Sinnenwelt« als Scheinwelt; es gibt keine Scheinwelt, sondern nur ein unzulängliches Verhältnis zur Welt (das »Erfahren«). Kein »Überschreiten der sinnlichen Erfahrung« (J e d e kann uns nur ein Es geben). Keine Hinwendung zu einer Welt der Ideen und Werte (die nur der Überbau der Eswelt ist und nicht Du, nicht Gegenwart, nicht in unmittelbare Beziehung zu uns tretend). 4a. (Unlehrbarkeit zu erwähnen, dennoch aufzeigbar:) a) nicht aus der Welt gehen, sondern mit ihr; sie nur nicht zur Eswelt werden lassen; sie »erheben«; nichts draussen lassen; a l l e s bejahen: im All-Du; b) nicht aus der Du-Beziehung treten, sondern sie alle einströmen lassen in die absolute, die weder aus ihrer Summierung, noch aber aus ihrem Abscheiden, sondern aus ihrem Allwerden entsteht; c) kein Mittel bestehen lassen, sondern jedes mitnehmen in die Unmittelbarkeit. 5. Kein »mystischer« Akt gemeint, sondern nur die Akzeptation der unmittelbaren Gegenwart; welche Akz. Freilich, je weiter sich der Mensch in die Eswelt verlaufen, verloren hat, um so grösseren Einsatz, um so schwereres Wagnis [Aufgeben der] ! um so [vehement] ! gewaltiger Umkehr voraussetzt: ein Aufgeben nicht des »Ich«, das vielmehr zur reinen D-B unerlässlich ist, sondern des falschen, in [eine] ! die Orientierung flüchtenden Selbstbehauptungstriebs (wer vom Baum d. Erk. noch nicht gegessen hat [Anm: Ungeschiedenheit (z. B. von Gut und Böse)] – wer von ihm isst, ohne auch vom Baum d. Lebens zu essen [Anm: Scheidung (z. B. von Gut und Böse): Trennung d. Welten] / Gleichnis d. Baalschem / – keine Umkehr zu jenem [Nichtgegessenwerden], aber eine Umkehr zum Baum des Lebens). [Anm: Einheit (Übereinung) im Du] 5a. (Parenthese) »Ekstase« oder »Vereinigung« bedeutet eine Hypostasierung der reinen Beziehung; was hier »Einheit« genannt wird, ist die

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Einzelkommentare

Dynamik der Beziehung, welche D. die (in der Wahrheit der X einander unverrückbar gegenüberstehenden: zwei) Glieder der B. stellt; eine Übersteigerung? des menschlichen Akt-Anteils der D-B, welche sie aufhebt, und dadurch unmöglich macht, sie in den Fortgang des Lebens zu überleiten und in den Aufbau einer Duwelt einströmen zu lassen (wie anderweitig die »Religion«; Mystik u. Dogmatik sind die Pole, die die D-B anziehen u. aufheben) Weitere Fragmente und Notizen auf gesonderten Blättern 1. Wiederholung: Aus der Urschicht der Ungeschiedenheit führen zwei Wege: Der Es-Weg, der zur reinen Trennung, zu Welt-»Kenntnis« und Weltbenützung führt, und der Du-Weg, der zur reinen Verbindung, zu Welt-Liebe und Welterschliessung führt. Die Eswelt hat ihre natürliche raumzeitliche Kontinuität, da alle Dinge und Vorgänge unmittelbar in sie eingestellt werden können; sie entsteht und erhält sich durch die stete Orientierung in Raum und Zeit. Eine Duwelt ist infolge der Diskontinuität der Dubeziehungen in Raum und Zeit nicht entstanden: sie bleiben nicht Gegenwart – dem Wesen des jeweiligen Du nach, das zum Gegenstand werden muss. Nur die Beziehung zum absoluten Du ist wesentlich anderer Art. Aber auch in ihr, in der reinen Beziehung, kann der Mensch s e i n e m Wesen nach nicht verharren. So scheint auch sie keine Kontinuität zu gewähren. Hieraus ist die Existenz der Religionen und ihre Paradoxie z u n ä c h s t zu erfassen. hVorausschicken: Ich und Wir (Individualismus; falscher relig. Indiv.)i 2. Die Hechlerfrage (Notwend. d. Bekennens am diesem Punkte) h»so weiss ich nicht« (meine Zunge erlahmt)i (Glauben = Erschlossenheit: zur DB) hFrage nach Gebundenheit. Ewigkeit.i 3. Die Religionen. Die Versetzung Gottes in die Eswelt (aus u n s e r e m Wesen) (Gott wird in die gottentlaufene Schöpfung versetzt). In der Geschichte ist Gott Götter. Die erhabene Tragödie des Menschengeistes. S o m i t nicht Willkür sondern schicksalsmässige, welt-schicksalsmässige, geschichtliche, kosmisch-geschichtliche, wahrhaft welt-geschichtliche Notwendigkeit. Abfall ist das erste Menschwerden. hDer Abfall gehört zu Gottes Erschaffung in der Welt.i 4. Ausgesagtes Wissen und normiertes Tun. Welches Wissen u. Tun ergeben sich aus der reinen Beziehung? Wissen um den – u n b e s t i m m b a r e n – Sinn

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Tun in der – u n v o r s c h r e i b b a r e n – Bewährung / Die Lehre vom Geheimnis Dagegen Wissen und Tun in den Religionen: 3. Person – Wissen um Gott / Mythos – Dogma (dynamisch) (statisch) 2. Person aber – ! – Tun aus dem Gesetz / Kultgesetz – X X X Wie entstehen die zweiten statt der ersten? aus den ersten? Der Weg zur G e s t a l t bisher ein Weg zum Gefängnis. 5. Offenbarung (auch sie vom Menschen gesehen) Es gibt n u r Offenbarungsreligion a) im Selbstbewusstsein b) im Weltbewusstsein c) im Wort / das Selbst als Du / / die Sinnenwelt / eigentl. als Gottesgestalt / Offenbarung / Jeder reine Beziehungsakt ist eine kleine Offenbarung (Nietzsche: »Man nimmt, man fragt nicht, wer da gibt«) Der Mensch empfängt in ihr eine Kraft Diese Kraft schliesst ein: a) die Fülle der Gegenseitigkeit, b) die Bestätigung des Sinns, c) den Anruf zu seiner Bewährung Wie wird das, was d. Mensch empfängt, als e. Kraft zu e. Inhalt? Zu e. Inhalt, der aussagt über das Wesen, die Taten, den Willen Gottes den Ursprung, die Bestimmung, d. Zukunft d. Seele d. Werden, den Bestand, d. Vollendg. zur Welt (Wie wird das »Erkennen« zur »Erkenntnis«?) 6. Die Versetzung Gottes in die Eswelt (aus u n s e r e m Wesen). Die Tragödie des Menschengeistes. Ihre geschichtliche, schicksalsmässige (kosmisch-geschichtlich, wahrhaft welt-geschichtlich) Notwendigkeit: der Abfall, urgemeint, das Mensch-werden. Ob auch ewig notwendig? 1. Wiederholung: Aus der Urschicht der Ungeschiedenheit führen zwei Wege; der Es-Weg, der zur reinen Trennung, zu Welt-»Kenntnis« und Weltbenützung führt, und der Du-Weg, der zur reinen Verbindung, zu Welt-Liebe und Welterschliessung führt. Die Eswelt entsteht durch Ausbau des Orientierungssystems mit seiner raumzeitlichen Kontinuität. Eine Duwelt ist infolge der Diskontinuität der Dumomente/Dubeziehungen in Raum und Zeit nicht entstanden: sie bleiben nicht Gegenwart (dem Wesen des jeweiligen Du nach, das zum Gegenstand [wird] werden muss). Nur die Beziehung zum absoluten Du ist anderer Art. Aber auch in ihr, in der reinen Beziehung, kann der Mensch s e i n e m Wesen nach nicht verharren (: die aktuelle Beziehung besteht im »Augenblick«. Aus dem übermächtigen Verlangen nach ihrer Dauer wird

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Einzelkommentare

sie zur Es-Relation umgebogen. Aber in diesem Vorgang waltet nicht Willkür, sondern der Sinn des Menschentums, seines Schicksals und seiner Geschichte.) 6. Offenbarung d. Religionen e v . (Ablehnung d. symbol. Ausdeutung?) 7. Ursprung der Umbiegung / Objektivierungstendenz / Verlangen nach Zusammenhang / Kontinuität des Gotthabens in Zeit u. Raum / Erklären a) Verlangen nach Dauer (der Beziehungsakt besteht im »Augenblick«): Gott als Es »gewusst« b) Verlangen nach Gemeinschaft (der Beziehungsakt besteht in der »Einsamkeit«): Gott als Kultobjekt Die reine D-B kann nicht festgehalten sond. nur bewährt werden kann nicht geäussert sond. nur erfüllt werden (Verwirklichung) Persp. der Dauer: durch die universale Erfüllung d. reinen Beziehung (Bewährung d. Beziehung zum absol. Du am Duwerden jedes Es, das grosse Dusagenkönnens sich an den Wesen X), aus der sie selbst immer wieder aufleuchten kann Persp. d. Gemeinschaft: nicht Gemeinsamkeit des Bewusstseins u. d. Handlung, sondern Begegnung der reinen Du-Beziehungen hDie wahre Gem. nur i. Gott möglich. Die Schechina zwischen den Wesen.i [(Wir Preisgegebenen / Einsamen fühlen tief die geschichtl. Macht von Dogma und Institution – u. harren aus im Augenblick.)] hA u s g e s a n d t s e i n u . R ü c k b i e g u n g (Gott als Gegenstand)i Urbedeutung u. Notwendigkeit d. Objektivierungstendenz Zwei Welttendenzen 8. Problem der Sprache 9. Eindringen der Objektivierungstendenz i n die Beziehung (an a l l e n Formen aufzuweisen?) 10. D O-T in d. reinen Beziehung Wirkung d. r. B. auf den Menschen. Wie es aus dem Moment hervorgeht. Offenbarung = Bestätigung? Offenbarung und Erhaltung 11. Die religiösen Grundakte und die D-B Gebet – Opfer – Wiedergeburt Die Objektivierung der drei Grundakte Schrift – Kult – Mysterium (griech.) Sakrament (christl.) Mythos und Dogma

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Ich und Du

Weiteres Fragment auf gesonderten Blättern [Textverlust] Gegenwart gilt, so Aus-ihr-Gehen. Wie man [ohne mehr als das unheilige Grundwort [abzuschaffen] ! abzulegen, mit der Weltlichkeit angehen und aber] mit dem blossen Du auf den Lippen zu ihr kommt, so geht man mit ihm auf den Lippen aus ihr zur Welt. hWie man ganz, gesammelt, bereit zu ihr X muss, so muss man ganz, gesammelt, muss von ihr ausgehen.i Das wovor wir leben, das worin wir leben, das woraus und worin wir leben, das Geheimnis: es ist nicht überwunden durch ein Wissen und wird nicht überwunden durch ein Befolgen. Es bleibt. Wir haben es in der Begegnung nicht durchbrochen, wir haben es nicht enträtselt, wir haben keine Lösung. Was wir empfangen haben, damit können wir nicht zu den andren gehen und sagen: Dieses sollt ihr wissen, dieses sollt ihr tun. Wir können nur gehen und bewähren. Und auch dies »sollen« wir nicht – wir können – wir müssen. Das ist die ewige, die im Jetzt und Hier gegenwärtige Offenbarung. Ich weiss von keiner, ich glaube an keine andre. Ich glaube an eine Selbstbenennung Gottes, nicht an eine Selbstbestimmung Gottes vor den Menschen. Das Wesen der Offenbarung ist: Ich bin der ich bin. Das Offenbarende ist das Offenbarte. Das Seiende ist, nichts weiter. Der ewige Kraftquell strömt, die ewige Beziehung harrt, die ewige Stimme tönt, muss weiter. * Wenn wir eines Wegs gehen und einem Menschen begegnen, der uns entgegenxxx und auch eines Wegs ging, wir nur unser Stück, nicht das seine. Das seine nämlich erleben wir nur in der Begegnung. Von der vollkommenen Beziehung X wissen wir, in der Art des Gelebthabens, unser Ausgegangensein, unser Wegstück. Das andre widerfährt uns nur, wir wissen es nicht. Es widerfährt uns in der Begegnung. Aber wir verheben uns daran, wenn wir davon als einem Es reden, das jenseits der Begegnung bestünde. Womit wir uns zu befassen, worum wir uns zu bekümmern haben, ist nicht die andre, sondern unsre Seite, es ist nicht die Gnade, sondern der Wille. Die Gnade geht uns insofern an, als wir zu ihr ausgehen und ihrer Gegenwart harren; unser Gegenstand ist sie nicht und kann sie X X.

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Einzelkommentare

Weiteres Fragment auf gesondertem Blatt: Alle Beziehungen zu den Wesen ist der Urakt der Ausschliesslichkeit. Das Wesen, zu dem ich Du sage, ist nicht Er oder Sie, von andern Er und Sie begrenzt, sondern nachbarnlos und fugenlos ist er Du, und füllt den Himmelskreis. Nicht als ob nichts andres wäre als er: aber alles andre lebt in seinem Licht. Das Eigenlicht alles andern ist aus der Beziehung ausgeschlossen. Nicht so die Beziehung des Menschen zu Gott. Wohl ist sie ausschliesslich über allen, sie verträgt keine Teilung, keine Ablenkung und keine Schranken. Variantenapparat: 37,Motto So hab ich […] Gegenwart] gestrichenes Motto [Die Götter und die Dämonen stritten miteinander / Da sprachen die Dämonen in Hochmut] H2 fehlt, D3, D4, D5, D6, D7 37,Motto] zusätzliche gestrichene Vorbemerkung auf separater Seite [[Du der dies liest [– bereite dich]: / Was du hier lesen willst, ist [gesprochen,] zu dir gesprochen [– weiche nicht aus, halt stand, blättre nicht um, ehe du entschieden hast: von diesem Lesen lassen oder es als das Wort nehmen, das zu dir gesprochen ist.] / Ich kenne dich nicht, [ich liebe dich nicht,] wie darf ich Du zu dir sagen? Ich kenne dich, [ich liebe dich,] ich sage Du zu dir, ich rede dich an.] Vorbemerkung auf weiterer Seite Was hier Sprache genannt wird, ist der Urakt des Geistes, dessen menschlichem Vollzug [als eine Hilfs- und Ausdrucksform] die [Lautsprache] ! Laut- und alle Zeichensprache hund alle Mächte der Äusserungi als Helfer und Werkleute dienen. H2 39,4 er sprechen] [sie bestimmen] ! er sprechen H2 39,5 Einzelworte] Wörter H2 39,13 Grundworte […] Verhältnisse,] fehlt D3, D4, D5, D6, D7 39,16 dem Wesen] [der Seele] ! dem Wesen H2 39,21 Das Grundwort […] ganzen Wesen] [Es ist dem Grundwort Ich – Du eigentümlich] ! [Wenn ich gesprochen wird, ist Du oder Es mitgesprochen] ! Das Grundwort Ich – Du kann nur mit [der ganzen Seele] ! dem ganzen Wesen H2 39,23 dem ganzen Wesen] [der ganzen Seele] ! dem ganzen Wesen H2 40,1 des Menschenwesens] [der Menschenseele] ! des Menschenwesens H2 40,2 Tätigkeiten] [Handlungen] ! Tätigkeiten H2 40,4 Ich nehme] davor kein Absatzwechsel D3, D4, D5, D6, D7

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40,6 des Menschenwesens] [der Menschenseele, das Leben des Menschen] ! des Menschenwesens H2 40,12 grenzt] grenzt [, und Gegenstand hat seinen Stand an Gegenständen, seinen Halt an der Vielheit] H2 40,13 Wo aber Du] davor kein Absatzwechsel D3, D4, D5, D6, D7 40,13 kein Etwas] kein Etwas [und kein Gegenstand] H2 40,18 Der Mensch befährt] davor kein Absatzwechsel D3, D4, D5, D6, D7 40,19 Erfahrung] Erfahrung [– Erfahrungen] H2 40,20 an den Dingen ist.] an den Dingen ist. [ / So holt sich der Fischer seinen Fang. Aber der Fund ist des Tauchers.] H2 40,26 unewigen] [kunstreichen] ! unewigen H2 40,33 O Heimlichkeit] [Wissbares X, Aussagbares] ! O Heimlichkeit H2 40,34 Es, es, es!] Es, es, es! [ / Netzewerfer fangen mehr als Angler, und mehr noch mögen sie Netze mit listreicher Vorrichtung auswerfen, wiewohl auch allerlei Wunderliches und Untaugliches. Aber der Fund ist des Tauchers.] H2 41,7-8 Die Welt […] der Beziehung.] h Die Welt […] der Beziehung.i H2 41,8 Das Grundwort] davor kein Absatzwechsel D4, D5, D6 41,10 Sphären] Stufen H2 41,10 errichtet] baut H2 41,12 schwingend] [schwellend] ! schwingend H2 41,20 handelnd] uns entscheidend H2 41,24-27 In jeder Sphäre […] ihrer Weise.] Auf jeder Stufe, durch jedes [Gegenwärtige] ! uns gegenwärtig Werdende blicken wir [in das unsichtbare Du] ! an den Saum des ewigen Du hin, aus jedem vernehmen wir [das unlautbare Du selber] ! ein Wehen von ihm, in jedem [reden wir es an] ! Du reden wir das ewige an, auf jeder Stufe nach deren Weise. / Alle Stufen sind in ihm heinbegriffeni X X H2 41,33 flutende] [unendlich] ! [unerfassbar] ! sphärenhaft flutende H2 42,3 Geformtheit] [ewige] Gestalt H2 42,8 verewigen.] ergänzt / (Es gibt auch welche, die den Baum als ihren »Seelenzustand« behandeln [; denen helfe Gott, dass sie wieder eine Welt bekommen und nicht mehr ihre Seele ins Maul nehmen müssen wie der Bär seine Tatzen!]) H2 42,9-10 und hat seinen Platz […] Beschaffenheit] hund hat seinen Platz […] Beschaffenheiti H2 42,13 kein Es mehr] kein Es mehr sondern Du H2 42,16 mußte] müßte D2, D3, D4, D5, D6, D7 42,29 unsern ähnlich] meinen ähnlich H2

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42,31 zerlegen?] zerlegen? [Aber das Du widersteht. Der reine Leib des Du setzt sich nicht wie euer präparierter aus Körper und Seele zusammen.] H2 42,32 er selber] er selber. [/ Und so tut Natur an jedem, der sie anzureden bereit ist. / Bezeuge mir es du, Natur!] H2 42,34 Stehe ich einem Menschen als meinem Du gegenüber] [Wenn meine Liebe zu einem Menschen wirklich wird] ! Stehe ich einem Menschen als meinem Du gegenüber H 42,37-38 im Weltnetz […] eingetragner Punkt] [nicht eine] Nagelspur auf dem [Koordinaten] ! Weltkreuz aus Raum und Zeit gezimmert H2 42,39 beschreibbar, lockeres] [wissbar, sagbar, nicht ein lockeres] ! beschreibbar, lockeres H2 43,2-3 Nicht als ob […] Licht.] hNicht als ob […] Licht.i H2 43,5-6 zerren und reißen] [fingern und rupfen] ! zerren und reißen H2 43,8 oder die Farbe seiner Güte] hoder die Farbe seiner Gütei H2 43,8-9 , ich muß es immer wieder] h, ich muß es immer wiederi H2 43,16 kauern] [schwingen] ! kauern H2 43,18 gerinnt] [hält den Atem an] ! gerinnt H2 43,24 Du tut […] Es weiß.] hDu tut […] Es weiß.i H2 43,29 an sie tritt] an seine »Seele«, das ist an seine Fähigkeit zur Beziehung, tritt H2 43,30 eine Wesenstat] einen Akt H2 43,31 mit seinem Wesen das Grundwort] er das Grundwort Ich – Du H2 43,32 strömt die wirkende Kraft] [beginnt die Kraft] ! strömt die wirkende Kraft H2 43,33 Die Tat umfaßt] Der Akt [schliesst] ! umfasst H2 43,35 ausgetilgt] [gemordet] ! ausgetilgt H2 43,36 nichts davon darf ins Werk dringen] hnichts davon darf ins Werk dringeni H2 43,37 Grundwort] Grundwort Ich – Du H2 44,2 es zerbricht mich.] es zerbricht mich. [Wer weiss was er sagt, lästert nicht, wenn er diesen Akt mit dem gewaltigen [Urwort] ! Namen der »Schöpfung« benennt.] H2 44,5 klarer als alle Klarheit] [deutlicher als alle Deutlichkeit] ! klarer als alle Klarheit H2 44,7 sondern als das Gegenwärtige] [nicht als einen Gegenstand] ! sondern als das gegenwärtige Du H2 44,8-9 ist so gegenwärtig wie] wäre gegenwärtiger als D6 44,11 Schöpfen, Erfinden ist Finden] hSchöpfen,i Erfinden H2

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44,14-15 empfangend Schauenden […] gegenübertreten] Schauenden wird es je und je zum Du H2 44,17 – Was erfährt man also vom Du?] davor zusätzlicher Abschnitt, teils gestrichen, teils in späteren Abschnitt aufgenommen [Entscheidung, du erstgeborene Tochter des Geistes, irdische [Gefährtin] ! Gesellin der Gnade, die sich in deinen Augen zu beschauen liebt: [Deinen Ruhm will ich sagen, bis mich der [Seelentod] ! dieser irdische Tod deines Dienstes entbindet. Von deinen Bereichen habe ich eben Mal um Mal gesprochen; nur von dir selbst [zu sagen] ! ist kaum anders zu reden als von einem [Lied] ! Gesang, dessen Lob versteht wer kennt.] / Zur Tat, die meiner bedarf, Du sagen, das bedeutet die Ausschliesslichkeit erblicken h, so dass nicht mehr besteht als um des welthaften Du der Tat willeni. Da dies geschieht, erfahre ich sie nicht, [weiss nichts von ihr] ! kann sie neben nichts halten, kann nichts von ihr aussagen. Aber sie steht, verborgen, mir gegenüber und gibt sich mir zu erkennen, als mein Du, nicht auf dass ich sie kenne: auf dass ich sie vollbringe. Meint ihr, sie sei »noch nicht« da? Mögt ihr zu guter Zeit so da, so gegenwärtig sein wie sie, möge euch zu guter Zeit das heilige Grundwort in solchem Lebensstrom der Erwählung entgegengerufen werden! Freilich, ihr Leben ist nun in meins gegossen; ich kann sie [vernichten] ! verderben, indem ich sie nicht verwirkliche, und [mich mit ihr verderben] ! sie zu einem Gift in meiner Seele werden lassen. Und freilich, indem ich sie verwirkliche, führe ich sie hunabwendbari in die Welt des Es hinüber: [Das ist die edle Schwermut unsres Loses] ! nun wird sie ein Ding unter Dingen [vergleichbar, beurteilbar] ! die vorerst urfreie zwischen Ursachen und Wirkungen [eingefügt] ! eingepresst, die vorerst alleinzige messbar, vergleichbar, beurteilbar. Das ist die [edle] ! erhabne Schwermut unsres Loses. H2 44,22-24 Das Du […] Wesenstat] [Die Beispiele weisen.] / Das Du tritt [uns] ! mir gegenüber von Gnaden – es wird nicht durch Suchen gefunden. Aber dass ich zu ihm das Grundwort Ich – Du spreche, ist Akt [unsres] ! meines Wesens, [unser] ! mein Wesensakt H2 44,25 begegnet mir] tritt [uns] ! mir gegenüber H2 44,28-30 und somit […] werden muß] [mit der Passion verschmelzen muss] ! und somit […] werden muss H2 45,12 Wesenstat] Wesensakts H2 45,12-13 eigentliche Grenze, freilich eine schwebende, schwingende] [wesentliche Linie] ! eigentliche Grenze H2 45,19-20 , den Schein […] Ablaufs] h, den Schein […] Ablaufsi H2 46,1 wesenhafte] grundhafte D2, D3, D4, D5, D6, D7

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Einzelkommentare

46,1 Zwiefältigkeit] Zwiefältigkeit [der menschlichen Welt] H2 46,10 der Anwandlung] dem Anhauch H2 46,16-17 wahrhaft Du] wahrhaft Du, das Du der [Beziehung] ! Liebe H2 46,17-18 Die edelste Fiktion […] ein Laster] Die Es-Natur, die einer im Kopfe und im Munde führt, hat mit der hleibhafteni Du-Natur, der, zu der ein Mensch wahrhaft Du, das Du der Anschauung spricht, nichts gemein. [Ideen leben in der Gegenwart solcher menschlicher Wesensakte X X X in einem weltfernen Tiefschlaf, die schier übermenschlichen, (denn es ist ein Ungeheuer, eine Idee als Du zu erfassen!); und wandeln sie etwa dazwischen wie hohe Schatten über der Niederung einher, so möchte man meinen, dass es sie wie Schmähworte trifft, wenn statt des ersehnten Du ihr Name im Parolenklang zu ihnen dringt.] Diese sind gewaltige Wirklichkeiten, jene, die ihren Namen usurpieren, jämmerliche Schatten. Es kann geschehen, dass einem die Freiheit zum [Du] ! Gegenüber wird; welches [ungeheures] Schicksal! Wer sie aber auf das [idealistische oder aktivistische] Postament stellt, erniedrigt sie [und sich]. [Was nicht in der Gegenwart gelebt oder zu leben versucht wird, ist nicht lebendig.] H2 46,24 Daß die unmittelbare] [Die Wesensakte Liebe, Anschauung, Schöpfung, Entscheidung] ! Dass die unmittelbare H2 46,24 Gegenüber] Du H2 46,25 Wesenstat der Kunst] Wesensakte [unserer Schöpfung und unserer Entscheidung] ! der Kunst H2 46,26 wird. Das Gegenüber] wird [, den, in dem die erschienene Tat sich vollzieht]. Das Du H 46,29 beglückend] [beseligend] ! beglückend H2 46,30 steigt aus der Flut] [zieht den Körper an, durch den er hinfort immer wieder in seiner Wahrheit erschaut werden kann, erhält zur unmessbaren Dauer] ! steigt aus der Flut H2 46,34 verkannt] in seinem Grundwesen verkannt H2 46,37 Besessenen] Aussätzigen H2 47,2 Wirklichkeit] leibhafte Wirklichkeit H2 47,6 ein welthaftes Wirken] [ein Wirkendes] ! [weder körperhaft und seelenhaft] ! ein welthaftes Wirken H2 47,7 Menschen] Menschen [, Mensch um Mensch,] H2 47,10 wesend] seiend H2 47,16 lebenlang] [furchtbar Preisgegebenen] ! lebenlang H2 47,19 Kreatur und ihrer Anschauung] [Kreatur. Wem es sich ereignete, bedarf der Deutung nicht, die andern würde sie befremden oder als Gleichnis anmuten, und das soll sie nicht.] ! Kreatur und ihrer Anschauung. H2

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47,21 »Halsrecken«] »Kopfvorstrecken« D , D , D , D , D 47,22 herum] her D6 47,22-23 auf welches du zugehst] [welchem du entgegengehst] ! auf welches du zugehst H2 47,26 Schüler […] Werke] Werke […] Taten H2 47,28-29 Unerforschlich […] All-Gegenseitigkeit] Und von den Sternen lernen wir noch Grösseres als aus ihnen H2 47,36 seiner Natur] seinem Wesen H2 48,1-2 menschlichen Einschränkung] Tragödie H2 48,1-2 menschhaften] menschimmanenten H2 48,2-9 Einschränkung […] Haßlose.] Textverlust H2 48,16 Am Werk] An Werk und Tat H2 48,17 Echte] Reine H2 48,21-22 im Wechsel der Aktualität und Latenz] [wie alles im Wechsel des Aus- und Einatmens] ! im Wechsel der Aktualität und Latenz H2 48,23 erfüllbar] berührbar D3, D4, D5, D6, D7 48,28 verhängt] [verhängt] ! [befohlen] ! geboten H2 48,30 Ding in der Welt] Ding in der Welt (Innendinge wie Aussendinge) H2 48,34 ewige Puppe, das Du der ewige Falter] Puppe, das Du der Falter D6 49,13-14 reliefhaft, ohne gerundete] [unbeweglich] reliefhaft, ohne [vollkommene] ! gerundete H2 49,15 Zerlegung und Überlegung] Zerlegung hund Überlegungi H2 49,20 (was ahnt man […] Machtverleihung!)] h(was ahnt man […] Machtverleihung!)i H2 49,22 »Rieche mich!«] »Rieche mich!« / [Auf einer neugriechischen Insel gibt es eine Sprache, in der eine verschollene Wörtergattung X, die Konjugationsform X, die in je einem] H2 49,23 Bezeichnungen] Beziehungen D3, D4, D5, D6, D7 49,24 Personen und Dingen] Personen und Dingen [aus der Auflösung] H2 49,26 Die elementaren] [Die ursprüngliche Einheit] ! [Wenn wir uns noch weiter zurückzudenken suchen] ! Die elementaren H2 49,31 mit Gebärden bezaubert] [anfasst oder mit erstaunlichen Gebärden bedrängt] ! mit Gebärden bezaubert H2 49,33 der wandernden Lichtscheibe] [des Planeten] ! der wandernden Lichtscheibe H2 49,34 zugehörigen] verbundnen H2 49,38 Aufgenommenen] Wahrgenommnen H2 3

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49,38-39 des Täters und Trägers] [eines Gegenstands, als des Urhebers jener] ! des Täters und Trägers H2 50,1 anfänglichen] ursprünglichen H2 50,4-5 geheimnisvolle] [alldurchdringende] ! geheimnisvolle H2 50,7 jenes Mana oder Orenda] das Mana der Melanesier, Orenda der Huronen H2 50,8-9 und noch […] apostolischen Briefe] fehlt H2 50,14 widersinnig dünken] [unsinnig scheinen] ! widersinnig dünken H2 50,15 »mystische Potenz«] [Manakraft] ! »mystische Potenz« H2 50,19-20 die Sonne, […] anheult,] hdie Sonne, […] anheult,i H2 50,22 das Wirkende, das] das Wirkende, [das was bleibt, von den Erregungsbildern bleibt, wenn] das H2 50,25-26 , wiewohl es selber […] erscheint;] h, wiewohl es selber […] erscheint;i H2 51,19-20 diese Erkenntnis] [dieses Wissen] ! diese Erkenntnis H2 51,20 möglich wird.] ergänzt / Das Grundwort Ich–Du bedeutet eben die faktische Verbundenheit der funktional verknüpften Elemente Ich und Du, das Grundwort Ich–Es die faktische Getrenntheit der funktional verknüpften Elemente Ich und Es. H2 51,26-27 , in ihrer vollen Aktualität] h, in ihrer vollen Aktualitäti H2 51,35 Nebeneinander, und so] Nebeneinander, [wird nicht zum Einandergegenüber, nimmt] ! und so H2 51,38-39 , sich seltsam […] funktionalisierend,] h, sich seltsam […] funktionalisierend,i H2 52,11 Trennung] [Welttrennung] ! Trennung H2 52,21 Namen] Namen [, viele Erscheinungen] H2 52,25-26 , auf die ich […] vermag,] h, auf die ich […] vermag,i H2 52,26 Grimm] [Mühsal] ! Grimm H2 52,28 Begegnungserlebnisse des Urmenschen] Du-Akte des [Primitiven] ! Urmenschen H2 52,28-29 zahmes Wohlgefallen] [eitel Liebe und Wohlwollen] ! zahmes Wohlgefallen H2 52,33-35 Leben […] darstellen kann, eröffnet] wahres Leben wir nur mit Vorsicht und Vorbehalt erschliessen können, [gewährt] ! eröffnet H2 53,4 Verbundenheit] Beziehung H2 53,5-6 wird uns hier unverschleiert klar] zeigt sich hier mit einer unverdeckten Deutlichkeit H2 53,7-8 reine naturhafte Verbundenheit] [reines naturhaftes Beziehungsleben] ! reine naturhafte Verbundenheit H2

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Ich und Du

53,10 eingezeichnet] [segmenthaft] eingezeichnet H 53,11 ; denn es ruht […] allein] h; denn es ruht […] alleini H2 53,15 Wunschbild] Gleichnis H2 53,29 , das ist Beziehung,] h, das ist Beziehung,i H2 53,30 glühenden] [warmen] ! glühenden H2 53,32 zur Wirklichkeit] [wirklich] ! zur Wirklichkeit H2 54,4 Zeiten] Augenblicken H2 54,7 begriffen] erklärt H2 54,9-10 aufgetan] erschlossen H2 54,14-18 (Diese »Phantasie« […] Fülle ergänzt.)] h(Diese »Phantasie« […] Fülle ergänzt.)i H2 54,25 aufgewölbte] offene H2 54,30 fassende Form] [Tendenz] ! fassende Form H2 54,32 Realisierungen] [Auswirkungen] ! Realisierungen H2 54,33 begegnenden] [gegenübertretenden] ! begegnenden H2 54,37-38 wirkt sich […] bald aus] geht es sehr bald ein H2 55,3 Befriedigungen] Erfüllungen D3, D4, D5, D6, D7 55,5 echte Verständnis] Verständnis H2 55,6-7 , durch jeden Versuch, […] beeinträchtigt,] fehlt H2 55,7 kann nur gefördert werden] [wird zutiefst gefördert] ! kann nur gefördert werden H2 55,9-10 ungeschieden vorgestaltigen Urwelt] Ungeschiedenheit H2 55,16 verdichten] [stiften] ! verdichten H2 55,19 Gewebe] Gefüge H2 55,19-20 , als Erkennbarwerden […] nicht ist,] h, als Erkennbarwerden […] nicht ist,i H2 55,26-27 es wurde damit nicht] [nicht eigentlich] ! es wurde damit nicht H2 55,29 Erstehung] [Erweckung] ! Erstehung H2 55,32 Umwelt ab] Umwelt ab, die beides nicht war, H2 55,33 Sonderung] [Getrenntheit] ! Sonderung H2 55,34-37 tritt das […] bemächtigt] [stellt sich das abgelöste Ich vor die Dinge hin, nicht ihnen gegenüber im Strom gegen die Wechselwirkung, sondern mit der objektivierenden Lupe seiner Betrachtung über sie gebeugt oder mit dem objektivierenden Takt seines Fernblicks zu ihnen [emporstarrend] ! hinstarrend, bald sie isolierend] ! tritt das […] bemächtigt H2 56,5 jenes könnte] [beide Gefühle blühen] ! jenes kann H2 56,14 bekommt] [empfängt] ! bekommt H2 56,16-17 Hintergrund] tonlose Hintergrund H2 56,17 hervortaucht] hervortritt H2 2

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Einzelkommentare

56,20 »Weile«] »Dauer« H 56,20 intensive Dimension] Intensität H2 56,28-29 auszusprechen] [zu erkennen] ! auszusprechen H2 56,29 untaugliches] [unbrauchbares] ! untaugliches H2 56,32 als Gegenwart] [unvergesslich, doch nicht festzuhalten nicht zu bewahren als Gegenüber] ! als Gegenwart H2 56,32 Da wird im Fluge] [Sie sind unsterblich] ! [Da wird der Ton vernommen, der nicht gemessen] H2 56,38 des Geschlechts] [der Menschheit, des menschlichen] ! des Geschlechts H2 57,2 nimmt das Sein um sich herum wahr] sieht das Seiende um sich herum H2 57,3 nimmt das Geschehen] [sieht das Werden] ! nimmt das Geschehen H2 57,9 Dauer] Bestand H2 57,10 hervorholen] hervorholen [und nachprüfen] H2 57,12 du’s so […] du’s so] dus […] dus D2, D3, D4, D6, D7 57,13-14 , und bleibt die urfremd, außer und in dir] h, und bleibt die urfremd, außer und in diri H2 57,15 nehmen] zum Objekt nehmen und auch du lässt dich von ihr zum Subjekt nehmen H2 57,15 dir nicht] dir nicht und du gibst ihr nicht H2 57,17 anders] verschieden H2 57,22 e i n e r Wesenheit […] Wesenheit] einem Wesen […] Wesen H2 57,25 welthaft] welthaft [, es grenzt nur ans Ich? und auch dies nicht im Raum oder in der Zeit, sondern in der lebendigen Beziehung] H2 57,26 Die Begegnungen] [Geordnet ist diese Welt nicht, aber sie ist in dir? ein Zeichen und eine Bürgschaft der Welt] ! Die Begegnungen H2 57,27 Zeichen] Zeichen [und eine Bürgschaft] H2 57,31-32 dauerlos] bestandlos H2 57,34 hervorholen] hervorlangen D3, D4, D5, D6, D7 57,38-39 Sie ist deine Gegenwart] [Nie wird sie dir zum Gegenstand werden] ! Sie ist deine Gegenwart H2 57,39 Gegenwart, du hast nur Gegenwart, indem du sie hast] Gegenwart: nur indem du sie hast, hast du Gegenwart D4, D6, D7 57,40-41 , du mußt es immer wieder tun,] fehlt H2 58,3-4 aber sie lehrt] [aber sie führt dich zu dem Du hin, in dem die Linien der Beziehungen, die parallelen, sich schneiden] ! aber sie lehrt H2 58,8 Ewigkeit zu ahnen.] ergänzt gestrichenen Abschnitt [ // Du, der dies liest: wir sind jetzt eben hHand in Handi über das hinweggesprun2

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gen, was zunächst zu sagen ist, in etwas, was erst danach zu sagen ist. Wir sind gesprungen und haben diese Strecke des Wegs nicht vollbracht, denn der Weg will Schritt für Schritt vollbracht werden; wir müssen zurück und dann des Wegs weiter. [Aber in dem Augenblick, da wir hier drüben beisammenstehn, noch ein Wort von mir zu dir: Die zwiefältige Haltung des Menschen ist die geistige Form] ! Aber auch der Sprung gehört solcherweise zum Weg.] H2 58,11 beiden] Raum und Zeit D4, D5, D6, D7 58,18 auch leben] auch schlecht und recht leben H2 58,20 Chronik] [Historie] ! Chronik H2 58,24 entbehrlich] unentbehrlich D4, D5, D6, D7 58,33 bloßer] purer H2 58,33 einen] dich H2 58,35 bloßer] purer H2 58,38 in allem Ernst der] in aller H2 59,2 der Menschengattung] des Geschlechts H2 59,5 der Gattung] des Geschlechts H2 59,14 unmittelbares Empfangen] [unmittelbare Einwirkung] ! unmittelbares Empfangen H2 59,16 , wie die abendländische […] empfing:] h, wie die abendländische […] empfing:i H2 59,17 sie vergrößern ihre Eswelt] [ihre Eswelt nimmt somit] ! sie vergrößern ihre Eswelt H2 59,18 fremder;] [fremder. Es ist somit im allgemeinen die Eswelt jeder Kultur umfänglicher als die der vorangehenden] ! fremder; H2 59,21 das Schauen und die Taten der Duwelt] [die Duwelt] ! das Schauen und die Taten der Duwelt H2 59,28 enthalten] [aufweisen] ! enthalten H2 59,37 zunehmen.] zunehmen. [Diese Zunahme meint man zumeist wenn man von einer fortschreitenden Entwicklung geistigen Lebens redet.] H2 60,10 durch Minderung] [auf Kosten] ! durch Minderung H2 60,14 Antwort des Menschen an sein Du] [Ansprache an das Du] ! Antwort des Menschen an sein Du H2 60,15 Der Mensch redet] [Erkenntnis, Kunst, Handlung haben] ! Der Mensch redet H2 60,15 Sprache] [Erkenntnis] ! Sprache H2 60,17 erscheinende, aus dem Geheimnis] herscheinende, aus dem Geheimnisi H2 60,18 die sprachliche Rede] [das gesprochene Wort] ! die sprachliche Rede H2

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60,20-21 steckt die Sprache […] sondern] hsteckt die Sprache […] sonderni H2 60,22 Geist ist nicht] [Dass der Mensch das Du ansprechen kann, geschieht eben] ! Geist ist nicht H2 60,23-24 Er ist nicht […] atmest.] hEr ist nicht […] atmest.i H2 60,24-25 seinem Du zu antworten] [das Du anzusprechen] ! seinem Du zu antworten H2 60,30 zum Du] [vor dem Du] ! zum Du H2 61,2 das Gegenständliche zur Gegenwart entbrennen] [die Kruste des Objekts aufbrechen und X im feurigen Äther der Gegenwärtigkeit] ! das Gegenständliche zur Gegenwart entbrennen H2 61,3 im Element] zum Element D3, D4, D5, D6, D7 61,7 Eingebundene] eingebundene Geistige H2 61,8 zu lösen] zu lösen [zur Gegenwart] H2 61,8 ihm zuzublicken] [es zu schauen] ! ihm zuzublicken H2 61,24-25 feststellt: […] gehört es hin«,] hfeststellt: […] gehört es hin«,i H2 61,32 heimsucht] berührt H2 62,1 Qualitäten] Proportionen H2 62,3 ästhetischer] [künstlerischer] ! ästhetischer H2 62,4 unterzutauchen] [aufzugehen] ! unterzutauchen H2 62,8 der vergängliche] [das Leben selbst Antwort ist] ! der vergängliche H2 62,10 seiner lebendigen Rede] [seines lebendigen Worts] ! seiner lebendigen Rede H2 62,22 die Person] [den Menschen] ! die Person H2 62,23 ihre Rede] [ihr Wort] ! ihre Rede H2 62,28 verhallender Schritt!] zusätzlicher gestrichener Abschnitt [Die [Menschheit] ! Menschenschar ist geneigt, ihre Genien [für sich arbeiten zu lassen] ! in den Zweikampf zu schicken, statt selbst zu kämpfen; sie braucht ihre Heroen, um sie die zwölf Arbeiten für sie verrichten zu lassen. »Wenn nun schon«, meint sie, »die Epopöe nicht ohne diese Abenteuer der Präsenz [vor sich gehen will] ! sich fortsetzen will, mögen es nur allweil die bestehn, die es danach gelüstet; die [Siegesbeute] ! Beute bringen sie ja doch in das Museum des Geistes, dass wir und die Künftigen uns daran erfreuen und lernen, was daran zu lernen ist.« Aber damit geht es wunderlich zu: je kräftiger die Schar es meint, um so gründlicher verschwinden die Genien, und wenn sie ganz gewissensfrei und esselig die Last dem Heros aufgebürdet hat, ist er nicht mehr da. Denn nicht Münzknechte am Du sind die Gewaltigen, es in gültige [Esheller] ! Taler umzuprägen,

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sondern Spielleute sind sie daran, die die [instrumentlos vernommene] ! in den Sphären hängende Musik [instrumentiert den Menschen zutragen] ! in die Luft der Welt tragen [, dass die sie vernehmen]. Finden sie kein [wahres] Gehör für den Urklang, nur Kennerverständnis und [Laienentzücken] ! Laienbeifall für ihr Spiel, dann [zerbrechen sie wieder] ! – dann geschieht scheinbar nichts Besonderes: weder zerbrechen sie ihre Flöten und werfen die Stücke ins Publikum noch treten sie mit grossem Blick ab. [Vielmehr nur noch eindringlicher verkünden sie die Botschaft, mahnend und warnend [droht] ! schallt sie über den Köpfen: »Wachet und geht aus zur Gegenwart, dass der Geist in euch nicht sterbe!«] Und dann sind sie nicht mehr da, einfach, einfach [nicht] ! keine mehr da, das Podium ist leer, die Schar wartet eine Weile, niemand erscheint, sie verläuft sich [; zu Hause schlagen etwelche die Partitur auf – die Partitur ist unlesbar geworden] / Die grossen Sendboten sind in der [Gleichzeitigkeit] ! Zeit nicht mehr, dahin sind die späten Rufer zum Gegenüberleben, die Heldischen hin der Abenddämmerungi, jene Bruno und Michelangelo und die noch späteren, die Einsamen vor Mitternacht, diese Beethoven und Hölderlin. [Wie nah dürfen wir ihnen sein und wie fern sind wir ihnen!] Ihre Botschaft wird nicht [vernommen] ! angenommen; was frommt es, besitzesstolz him elektrischen Lichti die Schätze ihres Erbes auszubreiten – auch die herrlichen nur noch Dinge unter Dingen?] H2 62,39 verhandelt,] verhandelt, [organisiert,] H2 63,1 konkurriert, organisiert] [amtet, rechtet] ! konkurriert, organisiert H2 63,7 Neigung] [Liebe] ! Neigung H2 63,19 fehlerfrei im Jahr] fehlerlos im Seelenjahr H2 63,20 parteilich gemeinten Gruppen] überparteilichen Gruppengebilde H2 63,24-25 abgetrennte] getrennte D3, D4 63,25-30 Beide kennen […] das Nochnichtsein.] hBeide kennen […] das Nochnichtsein.i H2 63,37 hausen] [walten] ! hausen H2 64,7 zu fördern] [auch nur anzuerkennen] ! zu fördern H2 64,7 zu ersetzen] von innen zu ersetzen H2 64,8-9 Leute aus dem […] Gefühl] [Menschen aus dem Gefühl] ! Leute aus dem freien, strömenden, überschwenglichen Gefühl H2 64,11 Leute] [Menschen] ! Leute H2 64,13 lebendig gegenseitiger Beziehung] [lebendiger Gegenseitigkeit] ! lebendig gegenseitiger Beziehung H2

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64,22 Menschen] [Wesen] ! Menschen H 64,23-24 offenbaren. Daraus baut […] Ehe auf] [offenbaren, einander zur Offenbarung des Du werden] ! offenbaren. Daraus baut […] Ehe auf H2 64,29 Ichbezogenheit] eitel Ichbezogenheit H2 64,29-31 eins dem andern […] sondern] heins dem andern […] sonderni H2 64,32 öffentliches und wahres persönliches Leben] [öffentliches Leben ist Verbundenheit von Ich und Du] ! und wahres persönliches Leben H2 64,33 bestehen] leben H2 64,33 Gefühle] [Einrichtungen] ! Gefühle H2 64,36 zentrale Gegenwart] Gegenwart H2 64,37-38 zentrale Du] Du H2 65,1 die Materie] [der Stoff] ! die Materie H2 65,2-3 die Materie, die sich anmaßt, das Seiende zu sein] [der Stoff die Welt zu sein vorgibt] ! die Materie, die sich anmaßt, das Seiende zu sein H2 65,5 Geständnis] [hoffnungslose] ! Geheimnis H2 65,14 entstammenden] [entsprossenen] ! entstammenden H2 65,24 berechnen] [erkennen] ! berechnen H2 65,28-29 lichtmächtige] sonnenhafte H2 66,2-3 kannst du es wie ich hören] hörst du wie ich H2 66,29 Gebilde] [objektive] Gebilde H2 66,29-31 haben ihr Leben […] Kraft im Geist] [bestehen in Wahrheit nur aus der Kraft des einzigen [unabhängigen] ! selbständigen Objektivums, des geistigen Kosmos, der welthaften Darstellung des Du] ! haben ihr Leben […] Kraft im Geist H2 66,37 abgetrenntes] [autonomes] ! abgetrenntes H2 67,14 nach dem wirklichen] [des wahren] ! nach dem wirklichen H2 67,16-17 am Leben […] bleibt] ham Leben […] bleibti H2 67,18 eingesprengt] [verblieben] ! eingesprengt H2 67,22 Bereiche, zu denen auch […] gehörte,] Sphären H2 67,25 entwirklichen] [abtrennen] ! entwirklichen H2 67,25 ins Leben wirkend] [wirkend ist der Geist niemals in sich, im Wirklichen] ! ins Leben wirkend H2 67,28-29 sie und sich an ihr] sie an ihr D3, D4 sie und an ihr sich D5, D6, D7 67,37 verursacht und verursachend] bewirkt und bewirkend H2 68,7 entschreiten] [treten] ! entschreiten H2 68,7 kann] darf D7 2

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68,14 ungeheuer] unbändig D , D , D , D , D 68,36 Schwelle des Heiligtums, […] immer wieder] [Vorhof der Welt, in der er nicht atmen] ! Schwelle des Heiligtums, darin er nicht verharren könnte, mit seinen sterblichen Füssen H2 68,39 an der Schwelle] im Vorhof H2 69,3 einander angelobt] [vermählt; sie sind wie die Kalebassen des Himmels und der Erde im polynesischen Mythus, die aneinander haften] ! einander angelobt H2 69,5-6 das Geheimnis] [mein Du] ! das Selbst H2 69,7 das Geheimnis] mein Du H2 69,12-13 Schicksal, die […] Gnade selber drein] [Schicksal der Freiheit ihren wahren Namen: Gnade, und seine eben noch so harten Augen sind voller Licht] ! Schicksal, die […] Gnade selber drein H2 69,15 bedrückt] [bedrängt] ! bedrückt H2 69,19 irgendwo das Du] irgendwo [und sei’s im Blick eines Rindes] ! das Du H2 69,22-23 von den Zuflüssen […] befruchtet] [vom Anhauch der Duwelt durchflossen, sondern stocken, abgesetzt] ! von den Zuflüssen […] befruchtet H2 69,23-24 riesenhaftes Sumpfphantom] [ungeheurer Moorspuk] ! riesenhaftes Sumpfphantom H2 69,24-26 Indem er sich […] erliegt er ihr.] hIndem er sich […] erliegt er ihr.i H2 69,29 Begegnungsereignis] [Beziehungsvorgang] ! Begegnungsereignis H2 69,30 an das Du] [eines Menschen an das Du] ! an das Du H2 69,33 , gefaßte Welt, […] Weltbehausung] fehlt D3, D4, D5, D6, D7 69,33 Weltbehausung] [Weltheim] ! [Welthaus] ! Weltbehausung H2 69,34-35 kann der Mensch] [ist der Mensch behaust] ! kann der Mensch H2 69,35 Seele] [Sehnsucht] ! Seele H2 69,36 schwingende] klingende H2 69,37 Liedern] [Tänzen] ! Liedern H2 69,37-38 und die Gemeinschaft […] bilden] hund die Gemeinschaft […] bildeni H2 70,5-12 Das weise, meisternde […] entrinnen können.] fehlt H2 70,8-9 wir in diesem Leben tun] uns in diesem Leben gerät D3, D4, D5, D6, D7 70,10 das eines] das Tun eines D3, D4, D5, D6, D7 70,16 Geschicks] [Schicksals] ! Geschicks H2 3

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70,18 geistfremde Heimarmene] menschenfremde Heimarmene. Dasselbe Karmen, das den Vorfahren als wohltätige Fügung erschien – denn was wir in diesem Leben tun, hebt uns für ein künftiges in höhere Sphären –, gibt sich nun als Tyrannei zu erkennen: denn das eines früheren, uns unbewussten Lebens hat uns in den Kerker gepresst, dem wir in diesem Leben nicht entrinnen können H2 70,22 Solches Werk] Solche Tat H2 70,23 Begegnungsereignis] Beziehungsvorgang H2 70,33 innersten, feinsten, verschlungensten] innersten h, feinsten, verschlungensteni H2 70,39 meinten] sahen D3, D4, D5, D6, D7 70,40-41 je einer bestand] je einer bestand [, und um so schlimmer, je voluntaristischer er sich verkleidet] H2 71,2 mans recht betrachtet] man genauer zuschaut H2 71,12 unentrinnbares] [zwingendes] ! unentrinnbares H2 71,15 erkenntnisbegleitete Bramanopfer] Karman des gegenwärtigen Lebens H2 71,21 Ursächlichkeit] Ursächlichkeit [als der Wahrheit der Menschengeschichte] H2 71,22 des allmächtigen Ablaufs] [der allmächtigen Evolution] ! des allmächtigen Ablaufs H2 71,27 Offenbarung, deren gelaßne Kraft] [Kraft, die mit gewaltigen Armen ihrer gelassenen Gewalt] ! Offenbarung, deren gelassene Gewalt H2 71,27-28 ändert] [verwandelt: das Widerstreben, das Opfer] ! ändert: die Umkehr, das Opfer H2 71,28-29 Allkampf durch die Umkehr] [Kampf durch das Opfer] ! Allkampf durch die Umkehr H2 71,29-31 die Umkehr […] die Umkehr […] die Umkehr […] die Umkehr] [das Opfer […] das Opfer […] das Opfer […] das Opfer] ! die Umkehr […] die Umkehr […] die Umkehr […] die Umkehr H2 71,34 der Umkehrende] [Opfernde] ! [Opferbereite] ! Umkehrende H2 71,39 Bewegung] [Kraft] ! Bewegung H2 71,41-72,1 Nichts-als-geworden-seins, […] Weltgeheimnisses] [Gewordenseins] ! Nichts-als-geworden-seins, […] Weltvorgangs H2 72,2 Werden aus der Verbundenheit] [Werden, die Geburt der Entscheidung] ! Werden aus der Verbundenheit H2 72,4-5 Weissagung […] nicht kennt.] hWeissagung […] nicht kennt.i H2 72,10 wird der Freiheit inne] [der Umkehrende wird frei] ! wird der Freiheit inne H2

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72,13-14 wirklichen] [heimlichen] ! wirklichen H 72,14-15 unheimlich] [ungeheuer] ! unheimlich H2 72,17 anströmend naher] [stürmender] ! anströmend naher H2 72,20 Gewalt] [Kraft] ! Gewalt H2 72,22 Wesen] [Herzen] ! Wesen H2 72,24 unablässig] [in jedem Augenblick] ! unablässig H2 72,25 gejagt] [getrieben] ! gejagt H2 72,32 Geständnis] Geheimnis H2 72,33 beredter und kunstreicher] [pathetischer] ! beredter und kunstreicher H2 72,34 Begebenheit zu verhüten] [Augenblick hintanzuhalten] ! Begebenheit zu verhüten H2 72,36 Der freie Mensch] Beginn eines entsprechenden Textfragments in h1 72,36 ohne Willkür wollende] [gläubige Mensch, der an die Wirklichkeit glaubt, das heisst] ohne Willkür wollende h1 72,39-73,1 sie gängelt ihn nicht, sie erwartet ihn, er muss auf sie zugehen] sie [vollzieht sich nicht, indem sie ihn] ! gängelt ihn nicht, sie erwartet ihn, [er selber muss sie wollen] ! er muss auf sie zugehen h1 73,19 ein Bestimmtsein] eitel Bestimmtsein h1, H2 73,25-26 dir, nicht der Bestimmung nachzuhelfen, nicht die erreichbaren Mittel] dir, nicht die Mittel h1, H2 73,30-31 Er […] erneuern] Er fasst ihn, er [erneuert ihn in] ! muss ihn zuweilen, [am Kreuzweg] ! an jeder Wegstrecke erneuern h1 73,35 Zwecksetzen und Mittlersinnen] [Zweckhaftigkeit] ! Zwecksetzen und Mittlersinnen h1 73,38-39 schier unauswirrbar] [abgründlich] ! schier unauswirrbar h1 74,4 der Umkehr.] Ende des Textfragments h1 74,10 den Göttern.] ergänzt Aus seiner Selbstopferung ist die Welt entstanden. // [Der Mensch, das jüngste Kind eines jungen Planeten, zu einem [Wiederbringer und Wahrer] ! Bringer und Hüter des Geistes im All bestellt, gründete sein Sonderreich, indem er sich immer weiter aus der naturhaften Verbundenheit hob. Da ward ihm, dass sein Reich in der Wirklichkeit dauern und sich vollenden könne, die geisthafte Verbundenheit geöffnet. Er aber, statt hwahrhafti in sie einzutreten und in ihr hheimischi zu verbleiben, suchte sie nur zuzeiten und immer flüchtiger auf. Weiss er nicht, dass er das Reich nur in ihr vollenden kann? und dass er es nur [erhalten] ! bewahren kann, wenn er es vollendet? Denn nur in der Verbundenheit hat er das wirkliche Leben. Wenn er sie verlässt, verlässt er die Wirklichkeit; des Schöpferhauchs ledig schrumpft sein Geist zur leeren Geistheit 2

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zusammen; was Antwort an das Anredende war, wird zur schauspielerischen Gebärde; und ein Morgen käme, da entdeckte der Mensch, dass sein [schönes] Sonderreich aus [dem Sein] ! der Welt in den Abgrund versetzt worden ist.] H2 74,17 schillernden] wechselnden D3, D4, D5, D6, D7 74,17 Zustände] Zustände [des Menschen] H2 74,21 im Grund] [im Wesen] ! im Grund H2 74,22 Stumpfheit] Indolenz H2 74,23 Grund] [Wesen] ! Grund H2 74,33 Grundworts Ich-Es erscheint als Eigenwesen] Andern [wirkt] ! erscheint als [Individuum] ! Eigenwesen H2 74,34 Gebrauchens).] Gebrauchens). [ / Person schliesst Individuum ein, nicht umgekehrt; Subjektivität schliesst Subjekt ein, nicht umgekehrt.] H2 74,35-37 Das Ich des Grundworts […] Eigenwesen absetzt.] fehlt H2 75,5 menschliche] [irdische] ! menschliche H2 75,12-13 mir eignen zu können] [zu besitzen] ! mir eignen zu können H2 75,13-14 Wo Selbstzueignung ist, ist keine Wirklichkeit.] hWo Besitznahme ist, ist keine Wirklichkeit.i H2 75,22 der Bereich] die Sphäre H2 75,25 Wahrheit] Wahrheit hzwischen Sein und Nichtseini H2 75,27-28 nach der vollkommenen […] emporbildet] [reift] ! [sich bildet und überbildet] ! nach der vollkommenen […] emporbildet H2 75,32 Die Person […] »So bin ich.«] hDie Person […] »So bin ich.«i H2 75,38 des Seins] des Seins [und zuweilen etwas peinlich] H2 75,39 Sondersein] Sondersein [und vergnügt sich] H2 75,39-76,1 ; vielmehr zumeist […] führen würde] h; vielmehr zumeist […] führen würdei H2 76,5-6 Die Person […], mein Genius.] hDie Person […], mein Genius.i H2 76,7 gewinnt keine] [bleibt unwirklich. Das Subjekt des Erfahrens und Gebrauchens, als dass es sich erkennt] ! gewinnt keine H2 76,14 ausgedehntes] [üppiges] ! ausgedehntes H2 76,16-17 Es gibt nicht […] Menschentums.] hEs gibt nicht […] Menschentums.i H2 76,19 So bleibt] Daher bleibt D5, D6, D7 76,25 im Menschen und in der Menschheit] him Menschen und in der Menschheiti H2 76,35 Eigenmenschen] modernen Eigenmenschen H2

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76,37 Selbst-Widerspruchs gepreßten Munde kommt] [heimlichen Widerspruchs] ! Selbst-Widerspruchs verzerrten Munde kommt [, und man ihm anhört, wie diesem Menschen die Speisen von der reichen Tafel seines Selbst zu immer tödlicherem Gifte werden] ! dem schon der Finger? des Wahnsinns naht H2 77,3 abgetrennte] [abgelöste] ! abgetrennte H2 77,8-9 vor den Richtern] im Gerichtssaal H2 77,10 verkörpert.] verkörpert. [Wenn es mit sich allein ist, ist es immer noch mit den Menschen.] H2 77,15 volle Ich] volle [leibgestaltige] H2 77,16-18 Natur, sie ergibt sich […] spricht zur Rose] Natur, [das »zulänglich wahre und reine« Ich], dem sie sich ergibt und mit dem sie unaufhörlich spricht, dem sie ihre Geheimnisse offenbart und doch ihr Geheimnis nicht verrät. [Dieses Ich lebt in dem Verhältnis zur Natur, das sich im Schauen [verkörpert] ! offenbart.] ! [Es glaubte an die Wirklichkeit der [Natur] Schöpfung und] ! Es glaubte an sie und sprach zu Rose H2 77,19 – da steht es mit ihr in Einer Wirklichkeit] h– da steht es mit ihr in Einer Wirklichkeiti H2 77,21 glücklichen] seligen H2 77,23 Sterbens und Werdens.] Sterbens und Werdens. / [Wie selbstverständlich klingt das Ich solchen Menschen. Und es gibt auch heute noch goethische, auch heute wieder sokratische Personen.] H2 77,35 Wohnendes] [Denkendes] ! Wohnendes H2 78,15 geschichtselementare] schicksalhafte H2 78,17 dem keiner Du werden kann] das keinem Du Ich werden kann H2 78,23 Wirklichkeit] Wirklichkeit [, die, ohne Freiheit und ohne Willkür, im Bann des Schicksals lebt] H2 78,29 kein volles] kein volles, kein gewaltiges H2 78,32-33 Satzsubjekt seiner Feststellungen und Anordnungen] Subjekt seiner aussagenden und anordnenden Sätze H2 78,34-35 kein sich mit […] und erst recht] fehlt H2 78,39-40 , sich denken] fehlt H2 78,41 Das erscheinende ist nicht] Nun ist es nicht mehr H2 79,3 Geheimnis] [schweigendem] Geheimnis H2 79,4 Schritt] [Werk] ! [Triumph] ! Schritt H2 79,5 ungeheure, ungeheuerliche] hungeheure, ungeheuerlichei H2 79,7 Gegenwartlose] [Sachbesessene ohne Gegenwart] ! Gegenwartlose H2 79,9-11 Es begeistert sich […] der Uhr.] hEs begeistert sich […] der Uhr.i H2

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Einzelkommentare

79,10 welche Zeichen] dass in Befehlszeichen H 79,15 ohne Beziehungskraft, aber er sprach es] [beziehungslos, aber nicht unverbunden] ! ohne Beziehungskraft, aber er sprach es H2 79,15-16 eines Vollzugs] seiner Sache H2 79,19-32 – Was ist das […] immer tiefer.] Abschnitt auf zusätzlichem Blatt eingefügt H2 79,21 begegnenden] [erlebten] ! begegnenden H2 79,21 auswirkt] auswirkt [: wenn das Du ihm nicht wirklich wird] H2 79,32 immer tiefer] immer tiefer [, bis er an einem Rand steht und den dunklen Teich? zu seinen Füssen stockt] H2 79,34 Zuweilen] Beginn eines entsprechenden Fragments von h1 [Die Person wird sich ihrer selbst als eines am Sein Teilnehmenden, als eines Mitseienden und als eines Seienden bewusst. Das Eigenwesen wird sich seiner selbst als eines [Soseienden] ! So-und-nicht-anders-Seienden bewusst. / Die Person sagt: »Ich bin«, das Eigenwesen: »So bin ich.« / Das Ich und die Welt haben ihre Wirklichkeit in ihrer Wechselwirkung] ! Zuweilen H2 79,35 Welt] Eswelt h1 79,35 überkommt ihn die Erwägung] kommt ihm die Ahnung h1 [kommt ihm die Ahnung] ! überkommt ihn die Erwägung H2 79,37 Abgründe schreien,] Abgründe schreien, [und die Ottern der unbenannten Ängste beschleichen dir die Brust] h1 80,2-3 Besinnung] Erkenntnis h1 [Erkenntnis] ! Besinnung H2 80,3 erwägend] ahnend h1 [ahnend] ! erwägend H2 80,4 Richtung] Richtung [, die man nicht zeigen, die man mit dem Wort nur umschreiben kann, »Sammlung«, »Ausgehn«] h1 80,9 zulängliches] zuverlässiges D3, D4, D5, D6, D7 80,9 Weltbild zu malen] Weltbild zu malen [(darin sich freilich nur eben nicht wohnen lässt, aber dazu ist das Bild doch nicht da)] h1 80,11-12 mit der ich einst gespielt habe] [die mich einst angelacht] ! mit der ich einst gespielt habe h1 80,15 dringt nicht zu seiner Höhlung] [will wieder in seine Höhlung eingehen] ! es [frommt ihm nicht zu ihm] ! dringt nicht zu seiner Höhlung h1 80,17 kunstfertige Gedanke] kunstfertige Gedanke [hat schon die Staffelei bereit und] h1 80,22 kleine] winzige h1 [winzige] ! kleine H2 80,23 zertritt] zertritt h1 [zerstört] ! zertritt H2 80,30 »Eins und alles«.] »Eins und alles«. [Nun ist der Gedanke fertig] h1 80,32-33 wie es sich grad schickt] wie der Esel des Buridan h1 81,2 auf einmal] auf einmal [und beide sind nicht mehr wahr] h1 2

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82,1 Dritter Teil] darunter gestrichene Abschnitte, die teils mit dem Anfang korrespondieren [Die Welt ist dem Menschen zwiefältig nach seiner zwiefältigen Haltung. / Die Haltung des Menschen ist zwiefältig nach der Zwiefalt der Grundworte, die er sprechen kann. / Aber dieses Sprechen ist nicht ein vom Menschen Gemachtes. Es ist der im menschlichen Wesensakt wiederkehrende Urakt des Geistes. Seine Zwiefalt ist nicht aus dem Menschen zu verstehen. / Das Grundwort, das Verbundenheit, und das Grundwort, das Getrenntheit zwischen dem Ich und der Welt stiftet, gehören zusammen. / So gehören die kosmischen Kräfte zusammen, die gegensätzlich im schwingenden Gleichgewicht jedes Dings der Welt im Dasein erhalten. / Jenes Widerspiel der Grundworte und dieses der Kräfte sind im Wesen eins. / Aber die Welt als Ganzes, auch sie können wir nicht anders als in der zwiefältigen Bewegung fassen: vom [Ursprung] ! Urgrund weg, zum [Ursprung] ! Urgrund hin, in dieser Doppelbewegung verharrt die Welt. / Die metakosmischen Bewegungen des Kosmos gehören zusammen. / Und abermals: ihr Widerspiel und das der Grundworte sind im Wesen eins. / Zum Letzten noch, um an den Saum des Ewigen selber zu rühren: dass die Welt in der Doppelbewegung steht, woher kann das sein, als dass der Schöpfer sie zugleich entliess und wahrte, zugleich freigab und band? / So verstummt unser Wissen um die Zwiefalt in der Paradoxie des Urgeheimnisses. //*// Der Bestand jedes Dings ruht im Gleichgewicht der kosmischen Kräfte und Bewegungen, der Bestand der Welt in dem der metakosmischen. / Wie steht es um den Menschengeist? um die Gestalten der Zwiefalt in ihm? wie um die mächtigste unter ihnen, die Zwiefalt der Grundworte? Waltet auch hier das Gleichgewicht und verbürgt den Bestand? / Das Ding vergeht, wenn die trennende Kraft die bindende überwältigt. Und die Welt? wiegt in ihr die Bewegung vom [Ursprung] ! Urgrund weg nicht vor? versondert, vereignet, verstockt sie sich nicht? / Aus der dunklen Flut der Fragen sieht uns das Angesicht einer Ahnung an: entscheidet das Schicksal der Welt sich im Menschen? / Er, zur Stiftung der geistigen Verbundenheit in die Welt gesetzt, damit ihre naturhafte sich verklärt hund vollendeti – er ist für sie verantwortlich. / Wer? Wer ist das, der Mensch, der Verantwortliche? Du bist es und ich bin es. Waltet das Gleichgewicht im Menschengeist? Das heilige Grundwort lebt verborgen bei Verborgenen fort. Sonst allüberall erstickt es fast unterm Schutt. Die Zersetzungen waltet. / Entscheidung im Menschen über die Welt! Umkehr der Welt im Menschen! Aber was vermögen du und ich, was vermögen wir alle? / Wir schauen um uns, wir lugen aus: von wannen

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Einzelkommentare

kommt uns das Heil? Von uns kann es doch nicht kommen! / Es kommt nicht von uns, aber es kommt nicht, wenn es nicht aus uns kommt. /*/ Es gibt nicht zweierlei Menschen, [aber es gibt die zwei] ! sondern vielerlei und einerlei. Aber es gibt die zwei Pole des Menschentums, zwischen denen sich die Bewegungen der Menschheit, die wahre Geschichte, austrägt. H2 82,2 verlängerten] parallelen h1 [parallelen] ! verlängerten H2 82,3 geeinzelte] einzelne h1, H2 82,3 geeinzelte] einzelne h1, H2 82,4 Aus diesem Mittlertum] [Aus dieser Mittelbarkeit kommt die Unerfülltheit aller Beziehungen zu den Wesen, jede unmittelbare ist doch zugleich mittelbar. Das eingeborene Du] ! Aus diesem Mittlertum h1 82,5 Wesen] [Wesen] ! Geschöpfe h1 Geschöpfe H2 82,13-14 ihr ewiges Du als ein Es zu bedenken und zu bereden] [von ihrem Du zu wissen] ihr [Du] ! ewiges Du [als ein gewusstes] ! als ein Es zu bedenken und zu bereden h1 82,17 missbraucht sei] [mit unsäglichem Menschenirren beladen sei] ! missbraucht sei h1 82,26-27 den Namen verabscheut und gottlos zu sein glaubt] das Wort Gott [nicht spricht und nichts davon wissen will, aber] ! verabscheut und gottlos zu sein [vermeint] ! glaubt h1 82,26 glaubt] wähnt D3, D4, D5, D6, D7 82,29 spricht er Gott an.] Ende des Textfragments h1 82,31-83,41 Wenn wir eines Wegs […] Gegenwart.] fehlt H2 83,8 Was wir] Beginn eines entsprechenden Textfragments von h1 83,8-9 Was wir mit […] Offensein.] fehlt D3, D4, D5, D6, D7 83,8-9 Gelebthaben, mit unserm Leben vom Weg wissen] Leben vom Weg wissen, das ist nicht in der Begegnung selber vorgebildet? h1 83,25-26 der Bann der Abgetrenntheit] das unheilige Grundwort [, nur das Die-Welt-haben] h1 84,9 Dinge flüchten läßt.] Ende des Textfragments h1 84,11 zu einem Wesen oder einer Wesenheit] fehlt H2 84,12 Losgemacht, herausgetreten] [Solang die Gegenwart der Beziehung währt, ist diese in ihrer Welthaftigkeit unantastbar.] Losgemacht, herausgetreten H2 84,15 Weltweite] [Welthaftigkeit] ! Weltweite H2 84,16 Weltweite] [Welthaftigkeit] ! Weltweite H2 84,24-26 Von der Welt […] Gegenwart.] hVon der Welt […] Gegenwart.i H2 84,35 das ganz Selbe:] fehlt H2

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85,1 kommst du an das Unauflösbare] begegnest du dem Unauflösbaren H2 85,11 Weisheit] [Kunst] ! Weisheit H2 85,11 Sammlung] [Kasteiung] ! Sammlung H2 85,14 Jedes Beziehungsereignis] Jede Beziehung H2 85,18 hilft] [wohltut] ! hilft H2 85,33 gegenüber Wesende] Gegenwärtige und gegenüber Wesende H2 85,36 in der Beziehung] im [Vorgang] ! Akt der Beziehung H2 86,4 Was von der Liebe] [Es geht hier nicht um eine Theorie, sondern um das Leben des Lebens selbst.] / Was von der Liebe H2 86,4 gewisser] [unbedingter] ! gewisser H2 86,5 metaphysische und metapsychische] fehlt D6 86,7 Man mag ein Gefühl] [Die psychologische Formulierung, wie notwendig sie auch ist, wirkt notwendigerweise irreführend, weil die subjektiviert] ! Man mag ein Gefühl H2 86,15 als ihrer aller […] Einswerden] hals ihrer aller […] Einswerdeni H2 86,21 der Person niedergehalten] [überwunden] ! niedergehalten H2 86,25 wie du] wie du dich D3, D4, D5, D6, D7 86,33 Belehrungen] [Lehre] ! [Wahrheiten] ! Belehrungen H2 86,34-35 trübes und überhebliches Gerede] [närrisches] ! trübes und überhebliches Geschwätz H2 86,40 glüht] [brennt] ! glüht H2 87,4-6 weiß sich […] Gott erwirken] [er wirkt – unbegreifbar – auf Gott] ! weiss sich […] Gott erwirken H2 87,6-7 sieht sein Wirken in der höchsten Flamme brennen] brennt sein Wirken in der höchsten Flamme H2 87,10 kräftigen] [gewaltigen] ! kräftigen H2 87,12 spricht er,] spricht er, [und um mehr bekümmert er sich nicht] H2 87,20 entwirklichen wollen] [unwirklich macht] ! [als unwirklich betrachten] ! entwirklichen wollen H2 87,22 Von der entgegengesetzten Seite] Beginn eines weiteren Textfragments h1 87,32-33 Göttlichen] Gott H2 87,36-37 das Verschlungenwerden] [ihren Übergang in das Nichts X X] ! das Verschlungenwerden h1 87,39 gelösten Ich] gelösten [geklärten, gehobenen] Ich h1 88,4 überwindendes Wahnbild.] überwindendes Wahnbild. [Noch einmal, es geht nicht um Theorien, sondern um das Leben des Lebens selber. / Die »dynamische« Versenkungslehre beruft sich vor allem auf den johanneisch-eckhartschen Christus, den Gott ewig in der

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Seele zeugt und der mit dem Vater eins ist, und die »statische« auf den Buddha des Hinayana.] h1 88,16 ist das Wirkliche] All ist das Wirkliche h1, H2 88,21 ἑν ἐσμεν] »sind eins« D3, D4, D5, D6, D7 88,21 nicht begründet] unberechtigt h1 [unberechtigt] ! nicht begründet H2 88,23-24 reinen Beziehung] Bekenntnisses zur reinen Beziehung h1 [Bekenntnisses zur] reinen Beziehung H2 88,24 Wahreres] Grösseres h1 [Grösseres] ! Wahreres H2 88,24-25 »Ich bin du und du bist ich.«] »Was du bist bin ich auch.« h1, H2 88,25 Der Vater und der Sohn] [Gott und Mensch] ! Der Vater und der Sohn h1 88,25 Wesensgleichen] Wesensgleichen [– so verkündet fast jeder Abschnitt –] h1 88,27 Urbeziehung] Beziehung h1, H2 88,30 Sohn] [Mensch] ! Sohn h1 89,1 Menschen und Gott,] Menschen und Gott, [zwischen dem Ich und seinem Du] h1 89,1-2 im Menschen] im Menschen [in den Hallen der Idee?] h1 89,6 Innersten] ungewussten Innersten h1, H2 89,9 Heil ausgehn] Heil ausgehn [; er kann auch seine Beseligung auskosten] h1 89,14 unausforschliche] [eigentümliche] ! unausforschliche h1, H2 89,15 wähnt] fühlt H2 89,17 Verherrlichung] [Einung, Verschmelzung] ! Verherrlichung h1 89,18-28 verklärt und erschöpft […] Meister zu verstehn] aus diesem zeitlos Gewaltigen verklärt? und erschöpft? in die [irdische] Not des irdischen Getriebes [zurückkehrt] ! niedersteigt, muss ihn nicht die Vergeblichkeit alles Lebens anwandeln? Und X er mit wissendem Herzen b e i d e s , das Zeitlose und das Zeitliche X, muss ihm das Sein nicht gespalten vorkommen, [entzweit, wirklich eine Zweiheit zwischen Verkehr und Verhältnis X X X X] preisgegeben? Was hilft es meiner Seele, dass sie aus dieser Welt hier von neuem hin die Einheiti entrückt werden kann, da doch diese Welt selbst der Einheit notwendig und unüberwindlich unteilhaftig bleibt – was frommt aller »Gottesgenuss« einem entzweigerissenen Leben? Mit diesen meinem armen X. Hier hat jenes überschwenglich reiche himmlische Nu zu tun, was soll es mir, da ich doch auf Erden noch zu leben, in allem Ernst noch zu leben habe? [Wenn es mir für das Irdische] ! Am ehesten möchte er als Vorwegnahme des Todes seinen Sinn bewahren;

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aber alle Vorwegnahme ist [Sünde] ! Unrecht wider das Geheimnis des Da-Seins, ein voreiliges Aufdecken dessen was sich zu seiner Zeit und in seinem Gesetz offenbaren will [und so ein Selbstbetrug] – und wie erst die Vorwegnahme des Todes! So verstehe ich die Meister h1 89,18 verklärt] [aus diesem zeitlos Gewaltigen] verklärt H2 89,19 zurückkehrt […] preisgegeben vorkommen] [niedertaucht, muss ihn nicht die Vergeblichkeit alles Lebens anwandeln? Und starrt er mit wissenden Augen beides an, das Zeitliche und das Zeitliche zugleich, muss ihm das Sein nicht gespalten vorkommen, entzweit, und das in einer Zweiheit, wo] ! zurückkehrt […] preisgegeben vorkommen H2 89,27-28 zu leben habe?] zu leben habe? [Am ehesten mochte er als Vorwegnehmen des Todes seinen Sinn bewahren; aber alle Vorwegnahme ist Unrecht wider das Geheimnis des Da-Seins, bestenfalls ein voreiliges Aufblicken dessen was sich zu seiner Zeit und in seinem Gesetz offenbaren will – und wie erst die Vorwegnahmen des Todes!] H2 89,30 Ich nehme die Menschen] [Denn wo es Menschen gibt] ! Ich nehme die Menschen h1 89,32 verzückt] [überwältigt] ! verzückt h1 89,38 des Verzückten] fehlt H2 89,40-41 vor ihr zu verblassen scheinen] [abzuwelken?] ! vor ihr zu verblassen scheinen h1 90,3 Rätselwebe] [Rätselstelle] ! Rätselwebe h1 [Rätselspiel] ! Rätselwebe H2 90,3 des Seins] [der Welt] ! des Seins h1 90,4 der alltäglichen Erdenstunde] [des alltäglichen Sonnenlaufs] ! der alltäglichen Erdenstunde h1 90,36 Wechselwirkung] Wechselwirkung [in der Seele] h1 90,37-38 ohne Rückhalt der ganze Mensch und der allumfangende] der ganze Mensch ohne Rückhalt und der allumfassende D3, D4, D5, D6, D7 90,37 Rückhalt] [Rest und] Rückhalt h1 90,39 schrankenlose] [ewige] ! schrankenlose h1 91,2 der wirklichen Person] [der wirklichen Welt und der wirklichen Person, vielmehr ein Einsehen und Ineinssehen der wirklichen Welt und] der wirklichen Person h1 91,15-16 vorstellungsfreien Grenzbegriff] [Begriff] ! vorstellungsfreien Grenzbegriff h1 91,21 Aufgipflungen] Aufschwünge h1 [Aufschwünge] ! Aufgipflungen H2 92,5 Mönche] Jünger h1, H2

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Einzelkommentare

92,6 Ungeschaffenes] Ungemachtes h , H 92,13 kann es nicht das unsere sein] ist es nicht das unsere h1, H2 92,18-20 Wiederkehr […] Wiederkehr] Wiedergeburt […] Wiedergeburt h1, H2 92,22-23 , und versuchten […] offenbaren will] fehlt h1 h, und versuchten […] offenbaren willi H2 92,24 Wiederkehr] Wiedergeburt h1, H2 92,25 jedem] jedem Dasein D3, D4, D5, D6, D7 91,27 in ihr bestehe] in ihr bestehe [ebenso wie er sich weigert, für die Welt, in der wir leben, den Satz »Es ist« oder den Satz »Es ist nicht« als gültig zu bestätigen] h1 91,33-40 nicht das Sein […] Unauflösbare] sondern das So-und-anders, das Sein-und-Nichtsein, das Unauflösbare hnicht des Sein und nicht des Wahreni h1 92,6 Ungeschaffenes] [Ungeschöpftes] ! Gemachtes h1 92,28 Wiederkehrenmüssen] Wiedergeborenwerden h1, H2 Wiederkehren-müssen D4, D5, D6, D7 93,3 Gewiß kennt er] [Man darf vielleicht vermuten, dass er] ! Gewiss kennt er H2 93,5-7 – aus einem […] verschweigt es] aber er spricht das Grundwort nicht aus h1 [aber er spricht das Grundwort nicht aus] ! – aus einem […] verschweigt es H2 93,12 gigantischen] majestätischen h1 93,13 zurückgebognen] zurückgebognen [des immer wieder sich in sich zurückbiegenden] h1 93,13-14 In Wahrheit] [Es ist der Seelenwahn des Geistes, er wohne wie] ! [Er wähnt, er wohne als die Seele im Leibe] ! In Wahrheit h1 93,14 Geist] er D3, D4, D5, D6, D7 93,26-27 Dieser Denkwiderspruch] [Dieses Paradoxon] ! Dieser Denkwiderspruch h1 93,28 aufgehoben] [aufgelöst] ! aufgehoben h1 93,29 Den Selbst-Sinn] [Das Selbst-Geheimnis] ! Den Selbst-Sinn h1 93,30 Den Seins-Sinn] [Das Welt-Geheimnis] ! Den Seins-Sinn h1 93,34 ehrt] ehrfürchtet h1, H2 93,40 auch von mir] hängt auch von mir D4, D5, D6, D7 94,1-2 meine Seelenhaltung zur Welt] [mein Bejahen oder Verneinen] ! meine Seelenhaltung zur Welt H2 94,5 seine Haltung nur »erlebt«] [das Bejahen oder Verneinen] ! seine Haltung nur »erlebt« h1 94,6 gedankenvoll] Textverlust wegen fehlender Seiten h1 94,18 Sammlung] [Versenkung] ! Sammlung H2 1

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94,26 Die »religiöse Situation«] Beginn eines entsprechenden Textfragments von h1 94,26 in der Präsenz] [im Angesicht] ! in der Präsenz h1 94,27 unauflösbare] [unüberwindliche] ! unauflösbare h1 94,28 unauflösbar] [unüberwindlich] ! unauflösbar h1 94,31 Wer die […] Situation auf.] hWer die […] Situation auf.i h1 95,2 eigentlich] [unbedingt] ! eigentlich h1 95,4 gedachten Welten] [der Abgelöstheit] ! gedachten Welten H2 95,11 gelebt sind sie eins.] ergänzt Denn wie immer »Er«, der Es-Gott [der Theologen] ! der Kundigen, den ich nicht kenne, [prädestiniert] ! vorbestimmt haben soll, du, Gott, willst, dass ich wolle, und gibst mich frei? Ich habe es gewusst und weiss es neu: du umfassest mein Selbst und bist es nicht? Du umfassest mein Selbst und doch [spreche] ! sage ich in der Wahrheit Du, – ich, ein [verwesendes [Tröpflein?] ! Tierlein] und dein Kind. Ich trage Verlangen nach deiner Gnade – da [sprichst du zu mir] ! vernehme ich X X. Ich trage Verlangen nach deiner Freiheit. [Das Leben ist fruchtbar und lieblich] ! [Ich bin X bei dir, aber ich begegne dir.] Zu mir, zu mir auch sprichst du deine Welt] h1 gelebt sind sie eins. / [Denn wie immer »Er«, der Es-Gott der Kundigen, den ich nicht kenne, vorbestimmt haben soll, du, Gott, willst, dass ich wolle und gibst mich frei. Ich trage Verlangen nach deiner Gnade, da vernehme ich, du tragest Verlangen nach meiner Freiheit. Ich habe es gewusst und weiss es neu: du umfassest mein Selbst und bist es nicht. Du umfassest mein Selbst, und doch sage ich in der Wahrheit: Du, – ich ein zerbröckelndes Krümlein und dein Kind. Zu mir, zu mir auch sprichst du deine Welt.] H2 95,13 des Tiers] [der Kreatur] ! des Tiers h1 95,16 Einriegelung] [Getriebenheit] ! Einriegelung h1 95,16-17 Bangigkeit des Werdens] hervorgehoben h1 95,20 der Kreatur] des Lebendigen h1 [des Lebendigen] ! der Kreatur H2 95,22-23 kosmischen Wagnis] Wagnis, dem kosmischen experimentum crucis h1 [Wagnis, dem kosmischen experimentum crucis] ! kosmischen Wagnis H2 95,24 mitzuteilen weiß.] mitzuteilen weiß. [hBangigkeit im Blick des schwarzen Stiers auf jenen Dolomitenalpen, Bangigkeit im Hiobsblick des Seidenäffchens hinter jenen Käfigstangen, o Sprache!i] H2 95,29 nun aber in] [freilich in sein Entglimmen] ! nun aber in ihn h1 95,37-38 »Ich« ist hier […] nicht haben;] fehlt h1, H2 96,2-3 unter. Mein Blick […] nicht mehr] [unter; er hatte etwa zwanzig Sekunden gedauert. / Um der Sprache dieses Untergangs willen er-

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zählte ich diese winzige Begebenheit. In keiner andern habe ich je so tief erkannt, wie in den Beziehungen zu den Wesen] ! unter. Mein Blick […] nicht mehr h1 96,13 zwischen Morgen und Abend des Ereignisses] [Flut und Ebbe des Ereignisses] ! zwischen Morgen und Abend des Ereignisses h1 96,22-23 O Glimmerstück] [O der Moränen starrer Unendlichkeit, ihr übersteigt mein X Gefild!] O Glimmerstück h1 96,24 dir war ich dennoch nur in mir verbunden] dir [habe ich doch nichts zu schaffen gehabt] ! war ich doch nur in mir verbunden h1 96,28 nichts als Du!] ergänzt Wie lauert im magnetischen Strom [der Begegnung] das Gesetz des Nachlassens! h1 96,28 Beziehung] [Liebe] ! Beziehung h1 96,31 Wechsel von Aktualität] Wechsel [wie das Atemholen und Ausatmen] der Aktualität h1 96,35 Ein Du] Ein Du, das ewige, h1 96,37-38 Nur wir sind nicht immer da.] fehlt h1 h[Gott ist immer da;] Nur wir sind nicht himmeri da.i H2 96,41 redet – aus dichterischer Notdurft – uneigentlich, und weiß es] redet uneigentlich h1 96,41 – aus dichterischer Notdurft –] h– aus dichterischer Notdurft –i H2 97,2-3 sterblichem Sinn] sterblicher Kehle h1 [sterblicher Kehle] ! sterblichem Sinn H2 97,5 das Andere] das All h1 [das All] ! [die Dinglichkeit] ! das Andere H2 97,10-11 , denn nur so […] gewährt,] fehlt h1 h, denn nur so […] gewährt,i H2 97,17 beflügeln] [entfaltern] ! beflügeln h1 97,16 geeinzelte] einzelne H2 97,19 Das ewige Du] [Du muss einem Wesen nach Es werden, das ewige muss dem] ! Das ewige Du h1 97,24 Mitte] geistigen Mitte h1 97,28-29 verbinden sich […] Verbundenheit] [sind zu einer Wirklichkeit verbunden] ! verbinden sich […] Verbundenheit h1 97,33 Mitte] geistigen Mitte h1 97,34 In dieser Wesenstat] Von der Mitte aus h1 97,37 Vielleicht nicht die unsre allein.] fehlt h1 98,1 einwohnende] betreffende h1 [betreffende] ! einwohnende H2 98,6 erlöst] [erneuern] ! erlöst [; die Ausbreitung und die Umkehr] H2 98,11 Sphären] [Stufen] ! [Reiche] ! Sphären h1 98,12 Natur] [Natur] ! Schöpfung h1 98,21 jeder Sphäre] [jedem Reich] ! jeder Sphäre h1

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98,22 Alle Sphären […] in keiner] [Die drei Sphären sind die drei Entdeckungskreise des Geheimnisses] ! [Die drei Sphären umgeben nur das Geheimnis, das durch sie strahlt] h1 98,23 die eine Gegenwart] [das eine Geheimnis] ! die eine Gegenwart h1 98,25 Natur die »physische« Welt] Schöpfung die [Körperhaftigkeit der Welt] ! physische Welt h1 98,28 »noetische« Welt] [Geisthaftigkeit] ! [»logische«] ! »noetische« Welt h1 98,32 das All] die Welt h1 [die Welt] ! das All H2 98,33 und gibt es] [und daraus er seine Nahrung bereitete] ! und gibt es h1 98,34 mit ihnen] mit ihrem Leben H2 98,35 das Geheimnis anspricht] [seinem wahren Du antwortet] ! das Geheimnis anspricht h1 98,38 kundgebende] [untersprachliche] ! kundtuende D7 99,2 vereinigt] verschmolzen H2 99,2-3 , und du weißt […] eingetreten bist] fehlt h1 99,5-23 Unter den drei Sphären […] offenbart.] fehlt, vermutlich wegen Textverlust eines Blattes h1 99,7 sprachgeformte Wort seiner] [spracherblühte] ! sprachgeformte Wort [der gleichen] ! seiner H2 99,16-17 Hauptportal, in […] eingehn] Mittelportal, in dem die zwei Seitenpforten aufgehn H2 99,18 beisammen] innig beisammen D7 99,25 Pforte?] Pforte? (Ja eine Pforte der Pforten?) h1 99,35 Wesen] [Menschen] ! Wesen h1 99,37 Wesen] [Menschen] ! Wesen h1 100,5-6 wozu sie sich wendet] was sie enthält h1 100,7 das Allerheiligste] die Schwelle des Adyton h1 100,12 Seelenfiguration] [Seeleneinsamkeit] ! Seelenfiguration h1 100,23 und sich zwischen […] gestellt habe] hund sich zwischen […] gestellt habei h1 100,33 Ewigkeit] Gottheit h1 100,33 stets auf Erfahren] stets eine Auswirkung des unheiligen Grundworts, stets auf Erfahren h1, H2 100,33 Erfahren und Gebrauchen] Erfahren und Gebrauchen [, Bewältigen und Überwältigen] h1 100,34 Genußobjekt gerichtet.] Genussobjekt gerichtet. [Wird ihm die Begrenztheit des Gegenstands dargetan und es auf das Unbegrenzte gelenkt, dann ist nicht anders geschehen, als dass] h1 100,37 gewinnen] erlangen h1

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Einzelkommentare

100,38 , von einem Besitzenwollen besessen ist,] h, von einem Besitzenwollen besessen ist,i h1 101,1 Bewegungsart] Bewegung H2 101,2 erweckt und erzieht] erweckt h1 101,12 Ewigen] [Seienden] ! Ewigen H2 101,13 sich ihm hingeben will] [es sterbend anspricht] ! sich ihm opfern will h1 101,13 hingeben] [opfern] ! hingeben H2 101,15 meint] wähnt D7 101,17 leibhafte] leibhaftige D3, D4, D5, D6, D7 101,18 Erraffens und Schatzhütens] Erwerbens und Besitzens h1 [Erwerbens und Besitzens] ! Erraffens und Schatzhütens H2 101,26 zu besitzen meint!] besitzt wie Fafner sein Gold und Juan sein Weib! h1, H2 101,31-34 Aber unter dem Begriff […] Mensch-Einheiten, die handgreiflich] Aber »das Soziale« ist ja nichts andres als die ungeheuer handgreiflich h1 101,32 wird zweierlei Grundverschiednes verquickt] werden zwei grundverschiedene Realitäten [verknüpft] ! verquickt H2 101,35 modernen Menschen] modernen Menschen [, blicklos und sprachlos] H2 101,35-36 Der lichte Bau […] dem Verlies] Die beziehungslose Zusammenrottung der Vielheit, die Massierung der Einheiten ohne [Antlitz und Blick] ! Auge und ohne Mund, blicklos und sprachlos, jenseits der Begegnung, jenseits der Gegenwart. Die Beziehung aber zwischen den Wesen, zu der hier auch noch aus der stumpfen Finsterns h1 101,36 aus dem Verlies] aus [der stumpfen Finsternis der blick- und sprachlosen Sozialität] ! dem Verlies H2 101,39 die alle Ströme sich ausgießen] der die Ströme alle münden h1 102,7 Entlastungsprozedur] Entlastungsverrichtung h1 [Entlastungsverrichtung] ! Entlastungsprozedur H2 102,10 Einzelner] [Einsamer] ! Einzelner h1 102,11 Abgelöster] Gelöster H2 102,11 »Sittlichen«] »sittlichen« Menschen D3, D4, D5, D6, D7 102,22-23 verrichten, doch gleichsam unverbindlich] tun h1 102,23 , im Aspekt der Nichtigkeit alles Tuns] h, im Aspekt der Nichtigkeit alles Tunsi H2 102,23-24 meinen] wähnen D3, D4, D5, D6, D7 102,34-35 die Gewalt der Liebesverantwortung] [der unendlichen Verantwortung] ! die [schwebende] Gewalt der Liebesverantwortung h1 102,37 abgetan] verlernt h1

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102,37-38 ihm zu tieferer Verantwortung Empfohlene] Verantwortungsbetontere h1 [Verantwortungsbetontere] ! ihm zu tieferer Verantwortung Empfohlene H2 102,39 in den Tiefen der Spontaneität] fehlt h1 hin den Tiefen der Spontaneitäti H2 103,2 Nichttun wäre.] zusätzlicher gestrichener Abschnitt [/*/ Die vollkommene Beziehung ist Vollendung, nicht Aufhebung der Beziehungen. Man wandert nicht aus der Vielheit in die Einheit, man umfasst die Vielheit in der Einheit. Nie schauen wir Irdischen in der Wahrheit Gott ohne Welt, wir schauen die Welt in Gott. Und [da ist das Ereignis der Begegnung, dass] ! [da werden wir befähigt, Gott in der] ! das Schauen entsendet uns in die Welt. / Was ist der »Inhalt« der Begegnung? Ich weiss von keinem andern als diesem: unaussprechliche Bestätigung des Sinns und die Sendung, ihn an der Welt zu bewähren. / Nichts, nichts ist mehr sinnlos. Aber der Sinn will unser Sinn sein. Nicht gedeutet – das vermögen wir nicht – nur getan will er von uns werden.] h1 103,11-12 Wesen ein Mehr, ein Hinzugewachsenes] Wesen, seinem Leben, seiner Person ein Mehr, ein Hinzugetanes h1 103,14 nach einer] nach der [lückenlosen] Darbietung h1 nach [der Darbietung] einer H2 103,16 Betrachtung des Wirklichen] Betrachtung des Wirklichen [und nicht um Arbeitshypothesen] geht h1 103,19 wissen] zuinnerst wissen H2 103,27 Gegenseitigkeit, des Aufgenommenwerdens, der Verbundenseins] Gegenseitigkeit: das Nicht-mehr-Abgetrennt-, Nicht-mehrauf-sich-angewiesen-, Nicht-mehr-preisgegeben sein h1 103,27 des Aufgenommenwerdens] [des Nicht-mehr-abgetrennten] ! des Aufgenommenwerdens H2 103,32 Er ist verbürgt] Unanzweifelbar, von keiner Erfahrung [zu erschüttern] ! erschütterlich, ist der Sinn verbürgt h1 104,4 erfahren […] erfahren] [erkannt] ! erfahren […] [erkannt] ! erfahren h1 104,10 Tafel] Tafel des Gesetzes h1 104,12 der Einzigkeit […] in der Einzigkeit] seiner Kraft, nach seiner Art, [in seinen Grenzen,] in seiner Sprache, an dem [einmaligen] ! einen Ort wo er steht und in dem einen Augenblick den er besteht, in der Einzigkeit h1 104,13 führen kann] führen kann, [und alles, was in der Zeit des Menschengeschlechts je X und erfunden worden ist an angebbarer X,

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Übung, Versenkung mit dem ureinfachen Faktum der Begegnung nichts zu schaffen hat] h1 104,14 Akzeptation der] Abbruch wegen fehlender Seiten h1 104,19 geblieben] [nicht überwunden] ! geblieben H2 104,32 der ich bin] da als der ich da bin D3, D4, D5, D6, D7 104,36 Das ewige Du] [Gott ist nicht der Gegenstand seiner Offenbarung. Seine Offenbarung hat keinen Gegenstand. Sie ist reine Gegenwart; sie ist ja nur die Bestätigung und Entsendung, die uns in der Begegnung widerfährt. Die Offenbarung als das Offenbartwerden hat keinen Gegenstand. Aber als das Offenbartsein: u n s e r e Offenbarung hat, die Offenbarungen die der Menschengeist besitzt haben Gott zum Gegenstand] ! Das ewige Du H2 105,2-3 weil es weder […] werden kann;] hweil es weder […] werden kann;i H2 105,17 notwendig] fehlt H2 105,18 es gibt nur] es gibt, genau genommen, nur D3, D4, D5, D6, D7 105,27-28 unaussprechlichen Bestätigung] [Bürgschaft] ! unaussprechlichen Bestätigung H2 105,30 sein Leben] ihm das Leben D3, D4, D5, D6, D7 105,39-40 Dennoch-Zuversicht des Kämpfers] [gewaltige] Dennoch-Zuversicht des [Mannhaften] ! Kämpfers H2 106,2 geschehen lasse.] geschehen lasse. [Das ist die Zeitkontinuität des Religionsmenschen.] H2 106,9 ursprünglich] zunächst H2 106,15 Stelle tritt.] Stelle tritt. [Das ist die Raumkontinuität des Religionsmenschen.] H2 106,25 heilige Grundwort] [grosse Dusagenkönnen] ! heilige Grundwort H2 106,34 die Peripherie] [der Kreis] ! die Peripherie H2 106,37-107,2 Nur wenn […] des Menschen.] hNur wenn […] des Menschen [– so der christliche Kosmos, kreuzhaft fundiert, das hwaagerechtei Zeitalter mit der Weltschöpfung als erstem, dem Jüngsten Gericht als rechtem Ende, die Erlösung in der Mitte, der senkrechte Raumbalken mit dem Dreifaltigkeitshimmel oben, mit der Hölle unten, das Herz des [armen Sünders] ! sündigen Menschen in der Mitte, so dass die Zeitmitte die Raummitte]i H2 107,1 grenzhafter, formhafter] fehlt D3, D4, D5, D6, D7 107,2 eine heimische, […] Menschen] fehlt D3, D4, D5, D6, D7 107,29 In der Umkehr] Beginn eines weiteren Textfragments in h1

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107,32 Nicht Willkür] [Auch die Rückbiegung im Letzten verstanden, ist nicht Willkür; sie gehört zum sinnhaften Geschehen, auch noch wenn sie] ! Nicht Willkür h1 107,32 zum Es] [des Entwerdens] ! zum Es H2 107,35 Gemeinschaften] Gemeinschaften, im Anfang der Völker und der religionhaften Übervölker h1 107,37-38 in den Wenden] [im Anfang der Völker und der religionhaften Übervölker,] in den Wenden H2 107,39 Offenbarung. ] Offenbarung. [Nicht die Stimme ist verschieden: aber der Hörer der Stimme.] h1 108,9 seiner Beschaffenheit] seinem Sosein h1, H2 108,10 treibt] schafft h1 108,11 in der Welt.] ergänzt in der Welt. Die ewige Stimme wird am Menschen, an der Fläche des lebenden Menschen der sie berührt, an seinem Ohr zum »Wort und Gottes«, aber sie wird erst im Menschen zu einem Wort von Gott – zu einem Wort, das von Gott redet. Gott redet nicht von sich h1 [Die ewige Stimme wird am Menschen, an der Fläche des lebenden Menschen der sie berührt, an seinem Ohr zum »Wort und Gottes«, aber sie wird] ! Das Wort Gottes wird erst im Menschen zu einem Wort vor Gott H2 108,12-13 , in den Wandlungen des menschlichen Elements] h, in den Wandlungen des menschlichen Elementsi h1 108,20 Augenkraft] [Sehkraft] ! Augenkraft H2 108,21 Irdischen] fehlt h1 108,30 lebt, leben sie] wahrhaft lebt, leben sie wahrhaft h1 108,30 Entartung] [Erstarrung] ! Entartung H2 108,31 Entartung] [Entartung] ! Erstarrung H2 108,31-32 die Beziehungskraft […] verschüttet,] hdie Beziehungskraft […] verschüttet,i H2 108,34-37 aus der falschen […] Einsamkeit ziehen] in die [Freiheit der Einsamkeit und das Ausgehen] ! freie Einsamkeit flüchten h1 [will er sich das Objektivum der Einen Wirklichkeit in die freie Einsamkeit flüchten] ! aus der falschen […] Einsamkeit ziehen H2 108,37-109,6 Es heißt […] nicht entrückt.] fehlt h1 108,39 im Angesicht] [in der Beziehung] ! im Angesicht H2 108,40 ausziehende] [flüchtende] ! ausziehende H2 109,2-3 , dieser falsche […] Befreiung] h, dieser falsche […] Befreiungi H2 109,9-10 geistgefaßte] menschliche D3, D4, D5, D6, D7 109,10 Kosmos zerfällt.] Abbruch wegen Textverlust h1

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109,13 Zersetzung des Worts ist geschehen] [Geschehen ist die [Entwandlung] ! Auflösung des Worts] ! Zersetzung des Worts ist geschehen H2 109,14-15 wirkend, in der Herrschaft der erstorbenen wird es geltend] real, in der Herrschaft der erstorbnen wird es fiktiv H2 109,16 die Bahn und Widerbahn] der Weg und Widerweg des Worts H2 109,17 in der Geschichte] [In seiner [Wahrheit] ! Wesenheit aber lebt das Wort [in Ewigkeit] ewig und ewig] ! in der Geschichte H2 109,18 wesende] faktische H2 109,20 wirkende Wort regiert] reale Wort [waltet] ! regiert H2 109,21 geltend] fiktiv H2 109,24 Dunkel] Abgrund H2 109,32 grundhaftere Umkehr zugleich] [innerlicher] ! grundhafterer Umkehr zugleich, bis in die grundhafte und unerhörte, den Durchbruch in das Reich H2 109,32 Das Ereignis aber, dessen Weltseite] [Das Namenlose aber, dessen Menschseite] ! Die Wende aber, deren Weltseite H2 109,34 heißt Erlösung.] ergänzt nach einigen Leerseiten Inhaltsverzeichnis Die zwei Grundworte 3 – Das Sprechen der Grundworte 3 – Das zwiefältige Ich 3 – Es und Du 4 – Die Beziehung 4 – Erfahren 5 – Welt und Erfahrung 5 – Die drei Stufen 5a – [Der Baum] ! Die Kreatur 7 – Der Mensch 6 – Die Gestalt 9 – Nichts und alles 10 – Der Wesensakt 10 – Unmittelbarkeit 12 – Die Grenze 12 – Gegenwart und Gegenstand 12 – Die Ideen 13 – Das Wirken 14 – Liebe und Hass 15a – Gegenseitigkeit 15 – Das Eswerden 15 – [Der Primitive] ! Die Urmenschen 16 – Die Ablösung des Ich 20 – Geist und Werden 21 – Das »Urparadies« 21 – Verbundenheit und Beziehung 21 – [Das Beziehungstreben des Kindes] ! Das angeborene Du 23 – Die Entstehung der geordneten Welt 25 – Eswelt und Duwelt 27 – Die Privilegien der Eswelt 29 – Die Zunahme der Eswelt 30 – Geist und Beziehung 32 – Gefühl und Einrichtungen 36 – Geist und Gemeinleben 39 – Freiheit und Verhängnis 42 – Der Freie und der Willkürliche 46 – In den eigenen Mund 49 – Person und Eigenwesen 50 – Das Ichsagen 52 – Das dämonische Ich 54 – Der Selbstwiderspruch 56a – Die Wandbilder 56 – [Die grosse Zwiefalt 58 – Das Gleichgewicht 58] ! Das ewige Du 60 – Der Name 60 – Ausschliesslichkeit und Einschliesslichkeit 61 – Die Abhängigkeitslehren 63 – Die Versenkungslehren 65 – Antinomik 73 – Aktualität und Latenz 74 – hDie Beziehungen und die reine Beziehung Xi – Die geistige Mitte 77 – Die Pforten 78 – Das Gleichnis 78 – Die Einsamkeit 79 – Die Substitution 80 – Der Soziale, der Sittliche und der Re-

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ligiöse 81 – Offenbarung 83 – Das Eswerden Gottes 86. ergänzt auf weiterer Seite die Skizze einer geplanten Reihe Bücherreihe: Religion als Gegenwart / I. Ich und Du / II. Die Urformen des religiösen Lebens / III. Die religiöse Person / IV. Die Religionen / V. Die religiöse Kraft und unsere Zeit // Das religiöse Leben / 1. Die Offenbarung / 2. Die Weihe (Mysterium) / 3. Der Dienst (Opfer und Gebet) / 4. Die Kunde (Mythos – Dogma) / 5. Die Lehre / 6. Die Gemeinde / 7. Das Reich // Die Urformen und die Magie / I. Ich und Du / II. Urformen des religiösen Lebens 1. Magie 2. D. Opfer 3. D. Mysterium 4. Das Gebet / III. Gotteskunde und Gottesgesetz 1. Mythus 2. Dogma 3. Gesetz 4. Lehre / IV Die Person und die Gemeinde 1. Der Stifter 2. Der Priester 3. Der Prophet 4. D. Reformator 5. Der Einsame / V. Die religiöse Kraft und unsere Zeit (Die Kraft und das Reich) H2 Wort- und Sacherläuterungen: 37,2-3 So hab ich endlich von dir erharrt: / In allen Elementen Gottes Gegenwart.] Johann Wolfgang Goethe, West-östlicher Divan, WA, I, Bd. 6, S. 223. Vgl. dazu die Einleitung in diesen Band, S. 32 f. 40,17-18 Man sagt, der Mensch […] erfährt sie.] Walter Kaufmann (I and Thou, S. 55, Anm. 4) verweist darauf, dass die Wirkung des Satzes darin liege, dass der Leser sich plötzlich der Möglichkeit bewusst wird, dass etwas zu erfahren wörtlich bedeutet, es durch gehen, fahren oder auch reisen herauszufinden. Indem Buber »erfahren« mit »befahren« verknüpft, deutet er an, dass diese Erfahrung jedoch oberflächlich bleibt. Im Handmanuskript wird dies durch eine anschließende Passage noch deutlicher, die Buber im Druck gestrichen hat: »So holt sich der Fischer seinen Fang. Aber der Fund ist des Tauchers.« (Vgl. den Variantenapparat zu 40,20.) Später gibt Buber die rein negative Konnotation des Erfahrungsbegriffs auf (vgl. MBW 12, S. 467, Anm. 1). Vgl. auch die Wort- und Sacherläuterungen zu 41,7 und 43,19. 41,7 Die Welt als Erfahrung gehört dem Grundwort Ich–Es zu.] Nach Kants Erkenntnistheorie erschließt Erfahrung die Erscheinungswelt, wie sie sich der Sinneswahrnehmung darstellt, anhand der Kategorien von Raum, Zeit und Kausalität. Schopenhauer identifiziert Kants Erscheinungswelt mit dem principium individuationis; durch die Kantschen erkenntnistheoretischen Kategorien wird die Welt als eine Vielheit von individuierten Wesenheiten und voneinander getrennten Objekten wahrgenommen, also als eine Es-Welt. Für Schopenhauer ist dies die Tragödie des Menschen, denn auch wir sind daher isolierte Objekte. Buber folgt Schopenhauer, wenn er die Es-Welt, also Kants

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Erscheinungswelt, eine Welt der Trennung nennt. (Vgl. Paul MendesFlohr, Von der Mystik zum Dialog, Königsstein/Ts. 1978, S. 55 ff.) Vgl. auch die Wort- und Sacherläuterungen zu 40,17-18 und 43,19. 41,14 Sprache] Der Begriff wird in einem der dem Handmanuskript vorangestellten Motti als »Urakt des Geistes« erläutert, vgl. den Variantenapparat zu 37,Motto.. 41,17 geistigen Wesenheiten] Anspielung auf Diltheys Hermeneutik, nach der Kunstwerke und literarische Werke den Geist dessen verkörpern, der sie hervorgebracht hat. 41,24-25 an den Saum] Walter Kaufmann (S. 57, Anm. 7) verweist auf Jes 6,1: »sah ich den HERRN sitzen auf einem hohen und erhabenen Stuhl, und sein Saum füllte den Tempel.« (Luther 1912.) 41,25 des ewigen Du] Gemeint ist das ewige Du Gottes. Zu diesem Ausdruck vgl. den dritten Teil von Ich und Du. 41,29 Baum] Bereits Bubers früher literarischer Text Daniel (1913) beginnt mit der Beschreibung einer naturmystischen Szene, die die IchDu-Beziehung auf Tiere und Pflanzen – in dem Fall auf die Begegnung mit einer Esche – ausdehnt (vgl. MBW 1, S. 183). Zur Ausweitung der Ich-Du-Kategorie auf die Natur vgl. die Antwort Bubers auf eine diesbezügliche Frage von Hermann Gerson in seinem Brief vom 18. Februar 1933: »Ich würde heute sagen, daß die Kategorie Ich-Du nur da realisiert ist, wo auf beiden Seiten personhaftes Verhalten, also Gegenseitigkeit besteht. […] Naturmystik ist falsch, aber dadurch ist noch keinerlei Naturskepsis legitimiert.« B II, S. 470. 42,25 leibt mir gegenüber] Rivka Horwitz (Buber’s Way to I and Thou) betont die Bedeutung des »Gegenüber« als im Ansatz neue Kategorie in der Entstehung von Ich und Du. Vgl. Rivka Horwitz Buber’s Way to »I and Thou«. An historical Analysis and the First Publication of Martin Buber’s Lectures »Religion als Gegenwart«, Heidelberg 1978, S. 155 ff. 43,19 Den Menschen, zu dem ich Du sage, erfahre ich nicht] Die IchDu-Beziehung transzendiert die erkenntnistheoretischen Koordinaten der Kantischen Erscheinungswelt. Vgl. auch die Wort- und Sacherläuterung zu 40,7-18 und 41, 7. 43,25 Wirklichen] Buber schreibt Wirklich und Eines gegen die Regeln der Grammatik an vielen Stellen groß, vgl. dazu Bernhard Casper, Das dialogische Denken, Freiburg u. München 2002, S. 266. 45,23-24 gegenüber leibt] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 42,25. 46,37-38 Das Gefühl Jesu […] Lieblingsjünger] Zum Besessenen vgl. Mk 5; zum »Jünger, den Jesus liebte«, vgl. Joh 13,23-26; 19,26-27; 20,210; 21, 7; 21,20.

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47,3 z w i s c h e n ] Zum »Zwischen« vgl. Bubers Rede Der heilige Weg, jetzt in: MBW 11.1, S. 125 ff., insbesondere S. 129-130. 47,15 Eines] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 43,25. 47,21 »Halsrecken«] Walter Kaufmann (S. 67 Anm. 1) deutet dies als Bewegung einer Katze, vgl. Bubers spätere Erwähnung seiner Hauskatze, in diesem Band S. 95. 48,11 die erhabne Schwermut unseres Loses] Vgl. die Einleitung in diesen Band, S. 31. 49,1 Im Anfang ist die Beziehung] Buber erläutert diesen Satz in »Antwort [an meine Kritiker]«; jetzt in: MBW 12, S. 484. 49,20 »Heil!«] Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung von Ich und Du noch nicht politisch konnotiert, erlangten Heil! und Heil Hitler! 1933 offiziellen Status als »deutscher Gruß« (Walter Kaufmann S. 70, Anm. 1). 50,8 Brahman in seiner Urbedeutung] In einem Schreiben an den engl. Übersetzer, Ronald Gregor Smith, verweist Buber auf Hervey D. Griswold, Brahman: A Study in the History of Indian Philosophy, New York 1900, »wo in der Vorrede 5.II eine gute Uebersicht über die Wortunterschiede [zwischen Brahma und Brahman] gegeben wird; Brahman ist unpersönlich.« (Arc. Var. 350 008 741a.) 51,4-7 Dem ursprünglichen Walten […] von keinem Ich weiß] Walter Kaufmann (S. 73 Anm. 7) verweist auf das Kapitel »Von den Verächtern des Leibes« in Teil 1 von Friedrich Nietzsches Also sprach Zarathustra, welches der junge Buber ins Polnische übersetzt hatte (vgl. Treml, Einleitung, MBW 1, S. 36) »›Ich‹ sagst du und bist stolz auf diess Wort. Aber das Grössere ist, woran du nicht glauben willst, – dein Leib und seine grosse Vernunft: die sagt nicht Ich, aber thut Ich.« Friedrich Nietzsche, Also sprach Zarathustra, in: Nietzsche Werke. Kritische Gesamtausgabe, Sechste Abteilung. Erster Band, hrsg. Von Giorgio Colli und Mazzino Montinari, Berlin 1968, S. 35. 51,9 cognosco ergo sum] Descartes Discours de la Methode war das einzige philosophische Buch, das Buber während der ersten Niederschrift von Ich und Du las, vgl. das Nachwort [zu Die Schriften über das dialogische Prinzip], in diesem Band, S. 233. Man beachte Bubers Variation von »cogito« in »cognosco«, das wohl im Sinne des biblischen Erkennens, welches die Leiblichkeit einschließt, zu verstehen ist. 52,13 jene Schwermut unsres Loses] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 48,11. 56,20 »Weile«] Buber erläutert in einem Brief gegenüber seinem Übersetzer Smith, dass Bergsons durée gemeint ist. (Arc. Var. 350 008 741a.)

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58,24 entbehrlich] Ab der Auflage von 1954 steht »unentbehrlich«, vgl. die Diskussion in Walter Kaufmann S. 85, Anm. 4: Auf den ersten Blick erwecke der Wechsel den Eindruck, dass Buber es sich anders überlegt habe. Doch »entbehrlich« sei offensichtlich wie der Rest der Passage ironisch gemeint und konsistenter mit dem unmittelbar folgenden Satz. Schließlich jedoch könne Buber mit dem ironischen Ton unzufrieden geworden sein und sich entschlossen haben, dem Leser seine wahre Absicht zu demonstrieren. Das Ergebnis passe jedoch wirklich nicht zu den folgenden Sätzen. 58,38-39 ohne Es kann der Mensch […] nicht der Mensch.] Walter Kaufmann (S. 85, Anm. 6) verweist auf einen ähnlichen Gedanken bei Hillel (mAv I, 14), auf den sich Buber beziehen könnte: ohne ewiges Du, ohne Gott, kann der Mensch nicht sein. 63,24 Golem] Buber erläutert den Begriff als »animierter Klumpen ohne Seele« (»an animated clod without a soul«) (Arc. Var. 350, 008 741a). 63,25 Seelenvogel] Anspielung auf das mythische Verständnis der Seele als Vogel. 65,1-2 wie die Materie nicht vom Übel ist] Vgl. Mt 5,37. 65,5 Unerlöstheit] Buber erläutert: »wie im Märchen die Nixen« (Arc. Var. 350, 008 741a). 67,27 »bei sich«] Walter Kaufmann (S. 100, Anm. 6) verweist darauf, dass Wortgebrauch und Anwendung auf den Geist hegelianisch sind. Man vergleiche das »bei sich« mit dem »an sich« in der Zeile weiter oben, das mit dem »an der Welt« kontrastiert wird. 70,7-8 den Vorfahren] In einem Schreiben an den englischen Übersetzer, Ronald Gregor Smith, kommentiert Buber: »es handelt sich um das vorbuddhistische Indien zum Unterschied vom späteren buddhistischen« (Arc. Var. 350 008 741a). 70,13 die Spindel der Notwendigkeit] Gemäß der platonischen Lehre regiert die »Spindel der Notwendigkeit«, der Ananke, sowohl kosmisch den Lauf der Gestirne als auch die Geschicke der Götter und Menschen. Vgl. Platon, Politeia, übersetzt von Friedrich Schleiermacher, erläutert von J. H. v. Kirchmann, Berlin 1870, Zehntes Buch, Kap. XIV, S. 471-478. 70,18 Heimarmene] Griech. Wort für »Schicksal«. 70,36-37 Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch] Zitat aus dem Anfang von Hölderlins Hymne »Patmos«: »Nah ist / Und schwer zu fassen der Gott./ Wo aber Gefahr ist, wächst / Das Rettende auch.« Friedrich Hölderlin, Patmos, in: ders., Sämtliche Werke, Bd. 2.1: Gedichte nach 1800, hrsg. von Friedrich Beissner, Stuttgart 1951, S. 172180.

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70,14-15 nur der Dike […] einzutun] Die mit Buber befreundete Reformpädagogin Elisabeth Rotten (1882-1964) liest diese Stelle so: »›Dike‹ ist nach der griechischen Sage die waltende Gerechtigkeit, die nach dem Mythos, weil auf Erden heimatlos, an den Himmel versetzt wurde. In dem Ausdruck ›die Bahn‹ schwingt wohl eine Erinnerung an das TAO des LAOTSE mit, das mit ›Bahn‹, ›Weg‹, ›Sinn‹ wiedergegeben wird und die ewige innere Ordnung der Dinge meint, aus der der Mensch, sie nicht verstehend und nicht genug suchend, eigensüchtig immer wieder herausfällt. Würde er sich der waltenden Gerechtigkeit (Dike), der kosmischen Ordnung des Lebens hingeben, sich ›eintun‹, so ›wohnt er freien Herzens im Allmass des Geschicks‹ und einzelnes Missgeschick kann ihm nichts anhaben oder wendet sich zum Besten.« (Arc. Var. 350, 008 741a.) 72,33 Unerlöstheit] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 65,5. 74,6-10 Im Wettstreit […] sich den Göttern.] Śatapatha Brāhmana XI.1.8.1-3: 1, in: Julius Eggeling, trans., The Śatapatha Brāhmana According to the Text of the Mâdhyandina School, Part V (Oxford 1900), S. 22. 75,30 Eigenwesen] Buber erklärt diesen Begriff so: »Individualität ist ein objektiver, auf das So-Sein eines Wesens bezüglicher Begriff; Eigenwesen dagegen bezieht sich auf das Verhältnis eines Menschen zu sich selbst.« (Arc. Var. 350 008 741a.) 75,22, »der Same bleibt in ihm«] 1. Joh 3,9. 75,32-33 »Erkenne dich selbst«] Inschrift am Apollotempel von Delphi. Der Satz wird laut Überlieferung ursprünglich dem Gott Apollon selbst zugeschrieben. Der Spruch zielte darauf, dass sich der Mensch in seiner Beschränktheit und Vergänglichkeit im Unterschied zu den Göttern erkennen und aus dieser Erkenntnis ein maßvolles, besonnenes Leben führen solle. 77,14 das Daimonion] Laut Platon behauptete Sokrates, bei wichtigen Entscheidungen von den Weisungen eines Dämons, gleichsam einer Vorform der Eingebung oder des Gewissens, angeleitet worden zu sein. Vgl. Platon, Apologie, 31D und 41D. 77,18-19 spricht zur Rose: »Du bist es also«] Aus dem Gedicht Johann Wolfgang Goethes: »Chinesisch-Deutsche Jahres- und Tageszeiten«, wo es heisst: »Als Allerschönste bist du anerkannt, / Bist Königin des Blumenreichs genannt; / Unwidersprechlich allgemeines Zeugnis, / Streitsucht verbannend, wundersam Ereignis! / Du bist es also, bist kein bloßer Schein, / In dir trifft Schaun und Glauben überein; / Doch Forschung strebt und ringt, ermüdend nie, / Nach dem Gesetz, dem Grund, Warum und Wie.« WA, I, Bd. 4, S. 114.

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77,20-22 das Schauen der Sonne […] besinnt] Goethe, Zahme Xenien III: »Wär nicht das Auge sonnenhaft, / Die Sonne könnt es nie erblicken; / Lag nicht in uns des Gottes eigne Kraft, / Wie könnt uns Göttliches entzücken?« WA, I, Bd. 3, S. 279. 77,22-23 die Freundschaft […] Sterbens und Werdens.] Anspielung auf Goethes Gedicht »Selige Sehnsucht« aus dem »Buch des Sängers« aus West-östlicher Divan, WA, I, Bd. 6, S. 28. 79,36-80,6 Wie wenn du […] Sonne nicht stand. ] Buber erläutert die vorgestellte Situation wie folgt: »es ist ja Mitternacht; der Mensch, von dem erzählt wird, steckte – als Abwehr gegen den peinigenden Wachtraum – die starke elektrische Lampe an der Zimmerdecke, diese kleine Sonne an; sie ist aber zugleich das Symbol für den ›Gedanken‹, den er herbeiruft.« Arc. Var. 350 08 741a. 82,2 Die verlängerten Linien der Beziehungen schneiden sich im ewigen Du.] Buber erläutert in einem Brief an Hugo Bergmann: »Mit dem Satz […] meine ich nichts anderes als die chassidische Lehre, daß jede Beziehung zu irgendeinem Ding oder Wesen sich zu einer Beziehung zum Göttlichen ›erheben‹ lässt.« Vgl. auch die weiteren Ausführungen Bubers in B III, S. 154-156. 83,26-27 »Überschreitens der sinnlichen Erfahrung«] Quelle nicht nachgewiesen. 83,33 Versenkung] Buber erläutert, das buddhistische Dhyaya sei gemeint (Arc. Var. 350 08 741a). Dhyaya oder Dhyana bezeichnet den Bewusstseinszustand, der durch meditiative Versenkung erzeugt wird, worin sich der Meditierende von der Unruhe seines bedürftigen Egos, seinen Interessen und Leidenschaften löst. 84,35 »das ganz Andere«] Rudolf Otto argumentiert in Das Heilige (Breslau 1917), dass Gott »das ganz Andere« ist und als mysterium tremendum erfahren werde. 85,23 Entdecken] Buber erläutert: »es ist wirklich entdecken gemeint, wie die Entdeckung eines Kontinents«. Arc. Var. 350 008 741a. 85,37 Abhängigkeitsgefühl] Friedrich Schleiermacher (1768-1834) spricht in Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt (Berlin 1821/22) von Frömmigkeit als »Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit«. 85,37-86,1 Kreaturgefühl] Rudolf Otto, Das Heilige, versteht das Kreaturgefühl als »erste Reflexwirkung des Numinosen im Selbstgefühl« (S. 8). 88,6-7 »Ich und der Vater sind eins«] Joh 10,30. 88,7-8 »Das Allumfassende, dieses ist mein Selbst im inneren Herzen.«] »He from whom all works, all desires, all sweet odours and tastes

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Ich und Du

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proceed, who embraces all this, who never speaks and who is never surprised, he, myself within the heart, is that Brahma(n) […] Thus said Sandilya, yea, thus he said.« Max Müller, The Sacred Books of the East, Vol. 1: The Upanishads, Oxford 1879, Chandogya Upanishad III 14.4, S. 48. 88,15 Eckhartschen] Gemeint ist Meister Eckhart, eigentlich Eckhart von Hochheim (um 1260-1328): spätmittelalterlicher Theologe, scholastischer Philosoph und Hauptvertreter der »deutschen Mystik«. 88,16-17 »Das ist das Wirkliche, es ist das Selbst, und das bist du«] Eine Art Refrain in Max Müller, The Sacred Books of the East, Vol. 1: The Upanishads, Chandogya Upanishad VI 8.7 9.4. 10.3 11.3 12.3 13.3 14.3 15.2 16.3. 88,21 έν ἐσμεν] Joh 10,30. 88,24-25 »Ich bin du und du bist ich.«] Spruch aus einer Vision der italienischen Mystikerin und Franziskanerin Angela von Foligno (12481309), die in Martin Buber, Ekstatische Konfessionen, S. 135-145, hier S. 139, aufgenommen ist (jetzt in: MBW 2.2, S. 147-153, hier S. 149). 89,4 Paracelsus] eigentlich Theophrastus Bombast von Hohenheim (1493 oder 1494-1541): schweiz. Arzt, Naturforscher, Alchemist, Theologe und Mystiker. 90,9-20 Eine Upanischad erzählt: […] Pradschapati] Müller, The Sacred Books of the East, Vol. 1: The Upanishads, Chandogya Upanishad VIII 11.1-3, S. 140. 91,33 Antithetik] Antithetik umfasst sowohl These als auch Antithese. 91,34-37 »Wenn, o Mönch, […] kein Heilsleben.«] Andere Übersetzung derselben Stelle: Max Ladner, Gotamo Buddha: sein Werden, seine Lehre, seine Gemeinde, Zürich 1948, S. 159. Buber hat in der Vorbereitung von Ich und Du sechzehn Stellen aus buddhistischen Quellen zusammengestellt (Vgl. h1, S. 46-51). 92,5-6 »Es gibt, […] Ungestaltetes«] Reden des Buddha, Lehre / Verse / Erzählungen, übersetzt und eingeleitet von Hermann Oldenberg, München 1922, 94. Nirvana, S. 291. 93,19 Buddha] eigentlich Siddhartha Gautama (um 560-480 v. Chr.): Religionsstifter, Begründer des Buddhismus. 93,19-22 »Ich verkündige, […] Aufhebung der Welt führt«.] Der Text findet sich in Anguttara Nikaya 4:45, vgl. z. B. The Pali Text Society London, The Book of Gradual Sayings, Vol. 2, London 1933, S. 58. 93,24 Gewiß »wohnt« die Welt in mir als Vorstellung] Vgl. Arthur Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, Leipzig 1819. 94,19 das Ein-und-andre, welches das Eine ist, tut not] Vgl. Lk 10,42. Vgl. dazu den ausführlichen Kommentar in MBW 2.1, S. 356.

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94,20-21 Gott umfaßt […] ist es nicht] Walter Kaufmann (S. 143 Anm. 6) kommentiert, das All korrespondiere mit dem Brahma der Upanischaden, und das Selbst mit Atman. 94,26 »›religiöse‹ Situation«] In Abschnitten wie diesem, wenn der Ausdruck »religiös« oder »Religion« von Buber selbst in Anführungszeichen gesetzt wird, bezieht er sich nicht auf Bubers eigenes Verständnis von Religion, sondern auf dasjenige anderer Autoren (in diesem Fall Kierkegaard, vgl. Irene Kajon, »Religio« Today: The Concept of Religion in Martin Buber’s Thought, in: Paul Mendes-Flohr (Hrsg.), Dialogue as a Trans-Disciplinary Concept, Berlin 2015, S. 101-111, hier S. 106 f.). 96,11-12 die erhabne Schwermut unseres Loses] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 48,11. 96,22-25 O Glimmerstück, welches anschauend […] damals begeben.] Vgl. Daniel, jetzt in: MBW 1, S. 243: »Ich ging an einem trüben Morgen auf der Landstraße, sah ein Stück Glimmer liegen, hob es auf und sah es lange an; der Tag war nicht mehr trüb, so viel Licht fing sich im Stein. Und plötzlich, als ich die Augen weghob, merkte ich es: ich hatte im Anschauen nichts gewußt von ›Objekt‹ und ›Subjekt‹ ; in meiner Anschauung waren der Glimmer und ›ich‹ eins gewesen; ich hatte in meiner Anschauung die Einheit gekostet.« 96,39-41 Der Liebende der Vita Nova […] weiß es.] Dante Alighieri (1265-1321) beschreibt in La Vita Nuova die Geschichte seiner Liebe zu Beatrice, die zu einer platonischen Idealfigur erhoben wird. Die italienischen Wörter können mit Sie (Ella), Ihr (Voi) und derjenige (Colui) wiedergegeben werden. 100,19-26 Ein moderner Philosoph meint, […] Gegenstand zurück.] Max Scheler, Vom Ewigen im Menschen, Berlin 1921, S. 559-564. 101,21-22 Er kann nicht zwei Herren dienen] Mt 6,24; vgl. Lk 16,13. 101,28 »religiösen« Menschen] Anspielung auf Schleiermacher, vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 94, 26. 102,8-9 aus der Nacht und Sehnsucht seines Kammerfensters] Buber erklärt in einem Brief an seinen Übersetzer Smith die vorgestellte Situation so: »Es ist ein armer Student, der in einer Mansarde wohnt; nachts macht er das Fenster weit auf und sieht in das unendliche Dunkel hinaus.« (Arc. Var. 350 008 741a.) 103,19-20 »Die auf Gott harren, werden Kraft eintauschen.«] Jes 40,31. 103,21-22 »Man nimmt, man fragt nicht, wer da gibt.«] »Hat Jemand, Ende des neunzehnten Jahrhunderts, einen deutlichen Begriff davon, was Dichter starker Zeitalter I n s p i r a t i o n nannten? Im andren Falle will ich’s beschreiben. Mit dem geringsten Rest von Aberglau-

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Kraft und Richtung, Klugheit und Weisheit

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ben in sich würde man in der That die Vorstellung, bloss Incarnation, bloss Mundstück, bloss Medium übermächtiger Gewalten zu sein, kaum abzuweisen wissen. Der Begriff Offenbarung, in dem Sinn, dass plötzlich, mit unsäglicher Sicherheit und Feinheit, Etwas s i c h t b a r, hörbar wird, Etwas, das Einen im Tiefsten erschüttert und umwirft, beschreibt einfach den Thatbestand. Man hört, man sucht nicht; man nimmt, man fragt nicht, wer da giebt; wie ein Blitz leuchtet ein Gedanke auf, mit Nothwendigkeit, in der Form ohne Zögern, – ich habe nie eine Wahl gehabt.« Friedrich Nietzsche, Ecce Homo, KGA 6. Abt., Bd. 3, Berlin 1967 ff., S. 337. 104,10 Tafel] Gemeint ist, wie Buber in einem Brief an seinen Übersetzer Smith erläutert, eine Gesetzestafel. (Arc. Var. 350, 008 741a) 104,32 Ich bin der ich bin] Später zu »Ich bin da als der ich da bin« abgeändert. Vgl. Variantenapparat zu 104,32. Diese Interpretation der Offenbarung des Gottesnamens in Ex 3,14 wird für Bubers Religionsphilosophie sehr wesentlich, vgl. Königtum Gottes, Berlin: Schocken 1932 (jetzt in: MBW 15, S. 93-241, hier S. 145). 107,28 ihrer Mischung und Entmischung] Vgl. Empedokles Fragment 17 in: Die Fragmente der Vorsokratiker. Griechisch und Deutsch von Hermann Diels, 1. Band, Berlin 1903, S. 187-189. 107,36 stillen] Vgl. Nietzsche, Also sprach Zarathustra, Teil 2, KGA, S. 165. »Von grossen Ereignissen«: »Die größten Ereignisse – das sind nicht unsre lautesten, sondern unsre stillsten Stunden.« 108,22 Welt in Gott schauen] Anspielung auf den französischen Philosophen Nicolas Malebranche (1638-1715), der lehrte, Wahrheit sei die Dinge in Gott zu sehen. Vgl. Nicolas Malebranche, Recherche de la vérité, in: Œuvres de Malebranche, hrsg. von Geneviève Rodis Lewis, Paris 1962, Bd. 1, S. 437. In seinen Notizen zu Ich und Du kommt Buber direkt auf Malebranche zu sprechen: »Malebranches ›Sehen der Dinge in Gott‹. Diese ›Dinge‹ sind nichts anderes als d. platon. Ideen.« (h2, Arc. Ms. Var. 350 02 9a, S. 5). Kraft und Richtung, Klugheit und Weisheit Der Name der Zeitschrift, in der das Briefstück Bubers veröffentlicht wurde, Das Werdende Zeitalter, lehnt sich programmatisch an den Titel einer Sammlung der wichtigsten Aufsätze Gustav Landauers (18701919) an, die Martin Buber herausgegeben hatte (Gustav Landauer: Der Werdende Mensch. Aufsätze über Leben und Schrifttum, hrsg. von Martin Buber. Potsdam 1921). Buber war einer der ständigen Mitarbeiter

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dieser Zeitschrift der deutschen Reformpädagogik, welche 1922-1932 erschien. Herausgeber des Organs des Weltbundes für Erneuerung der Erziehung waren Elisabeth Rotten und Karl Wilker (1885-1980) (vgl. MBW 8, S. 390), der in derselben Ausgabe Martin Buber zum fünfzigsten Geburtstag gratuliert und einen weiteren Beitrag »Zu Martin Bubers Schaffen« beisteuert. Das ganze Heft war somit Buber gewidmet, der das genannte Briefstück mitteilt. Im Text geht es in geometrischen Gleichnissen um Weisheit und das Verhältnis von menschlichem und ewigen Du. (Vgl. dazu Maurice Friedman, Martin Buber. The Life of Dialogue, London u. New York 2002, S. 138.) Der Brief, aus dem das Stück entnommen ist, konnte nicht ermittelt werden. Textzeuge: D: Das Werdende Zeitalter, VII/4, April 1928, S. 97 [Auszug eines Briefes] (MBB 367). Druckvorlage: D Freiheit und Verantwortung Die Brücke, in der dieser kurze Text Bubers erschien, war die erste Gefangenenzeitung Deutschlands. Sie wurde von 1928 bis 1933 vom Zuchthaus Untermaßfeld in Thüringen in 22 Ausgaben publiziert, auch an Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens versandt und diente so dem Gedankenaustausch von Gefangenen und Außenwelt. Von daher versteht sich das Thema Bubers von den Chancen einer zeitweiligen »Zwangsgebundenheit«. Im Grunde geht es wie im zweiten Teil von Ich und Du (vgl. in diesem Band, S. 59-81) um die Abgrenzung der Freiheit von Willkür. Textzeuge: D: Die Brücke, 24. Dezember 1928 (MBB 365). Druckvorlage: D

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Zwiesprache

Zwiesprache Zwiesprache, Bubers »libellus cordis mei« (Herzensbüchlein) (Brief an Ernst Simon vom 26. November 1932, vgl. B II, S. 450), legte er explizit als »Ergänzung«, jedoch nicht als »Fortsetzung« von Ich und Du vor (vgl. das Nachwort, in diesem Band, S. 149). Er hatte 1932 also offenbar den Plan für ein fünfbändiges Gesamtwerk, für das Ich und Du der Auftakt sein sollte, noch nicht aufgegeben. Das kleine Buch wurde daher i. d. R. auch in engem Zusammenhang mit Ich und Du wahrgenommen. Zwiesprache besteht aus drei Abschnitten, von denen der umfangreiche erste (»Beschreibung«) und kurze dritte Abschnitt (»Bewährung«) bereits unter dem Titel »Zwiesprache« 1929 in der Zeitschrift Die Kreatur veröffentlicht worden waren. Der Anfang des zweiten Abschnitts (»Begrenzung«) wurde 1930 als »Dialogisches und monologisches Leben« vorabgedruckt, in einer Festgabe zu Ehren von Louise Dumont und Gustav Lindemann zum Theaterjubiläum des Düsseldorfer Schauspielhauses (vgl. MBW 7, S. 47 f. Anm. 24). Einen Vortrag zu diesem Thema hatte Buber bereits am 13. Juni 1928 in Zürich gehalten (vgl. den in diesem Kommentar abgedruckten Text). Das Werk ist Martin Bubers Frau Paula gewidmet. Wie spätere Auflagen zeigen, ist die Zeile »Zwiesprache wars und ists mit dir« zum Schluss eines vierzeiligen Gedichts geworden, das Buber – handschriftlich in Paulas Exemplar ergänzt – ihr gewidmet hatte (vgl. jetzt MBW 7, S. 135 sowie der Kommentar, ebd. S. 578), und das ab der zweiten Auflage von Zwiesprache auch im Druck erscheint. Inhaltlich ist Zwiesprache anekdotenhafter als Ich und Du. Zwei Teile (»Eine Bekehrung« und »Das Pferd«) sind auch in Bubers autobiographische Schrift Begegnung eingegangen, vgl. MBW 7, S. 661). Und nicht nur die drei Abschnitte des Buches, sondern auch jedes Teilstück ist betitelt. Interessant erscheint, dass der ursprüngliche Anfang, in dem sich Buber vom Logosgedanken absetzt, gestrichen wurde (»Im Anfang war die Zwiesprache«, vgl. die Varianten in diesem Kommentar). Ein ursprünglicher Titel des Büchleins war »Vom dialogischen Leben« (vgl. die Varianten und den Brief an Hermann Gerson vom 17. April 1930 in: B II, S. 373; es ist aber nicht anzunehmen, dass es in ein größeres Werk eingehen sollte); dies macht noch deutlicher, dass Zwiesprache als Versuch betrachtet werden kann, die gewissermaßen »theoretische« Philosophie von Ich und Du mit Beispielen aus dem – eigenen und fremden – Leben zu füllen. (Vgl. B II, S. 452.) Buber nennt das Büchlein »eine Hinzeigung«. »Diese Hinzeigung kann man natürlich auch als Antwort verstehen, aber dann m. E. nur als

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diese ganz einfache, die darin besteht, auf einen sich tatsächlich begebenden Vorgang (das dialogische Leben) hinzuweisen.« (Ebd., S. 453) Die »Bewährung« des dritten Abschnitts erfolgt in Auseinandersetzung mit einem gedachten »adversarius«, der eben den Erfolg dessen bezweifelt. Ernst Simon urteilt in seinem Aufsatz »Zwiesprache mit Martin Buber« (Der Morgen, 10. Jg., Sept.-Okt. 1934, S. 311-315): »Bubers Buch ›Zwiesprache‹ (Schocken-Verlag, Berlin) kann man nicht ›besprechen‹ ; man kann es nur ansprechen. Das heißt: man muß aus der eigenen Situation heraus zu ihm reden, sei es als Freund oder als Feind.« (S. 311.) Buber selbst sagt, die Arbeit sei »im Jahr 1929 aus dem Wunsch hervorgegangen, das in ›Ich und Du‹ dargelegte ›dialogische‹ Prinzip zu klären, es an Beispielen zu erläutern und sein Verhältnis zu den wesentlichen Bereichen des Lebens zu präzisieren.« (Vorwort zu Between Man and Man, in diesem Band, S. 196). Textzeugen: h1: Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350 02 57); Konvolut von 11 losen, unpaginierten Blättern zu verschiedenen Abschnitten von »Zwiesprache«; teils einseitig, teils doppelseitig beschrieben mit Bleistift; mit vielen Korrekturen versehen. Enthält Entwürfe zu den Abschnitten »Die Zeichen«, »Wer redet«, »Oben und unten«, »Religionsgespräche«, »Meinungen und das Faktische«, »Beobachten, Betrachten, Innewerden« und »Moral und Religion«. h2: Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350 02 57); 10 lose, unpaginierte Blätter; einseitig beschrieben mit blauer Tinte; mit vielen Korrekturen versehen. Enthält die Abschnitte »Eros«, »Gemeinschaft« und »Nachwort«. H3: Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350 02 57) 51 lose, paginierte Blätter, einseitig beschrieben mit blauer Tinte; vereinzelt mit Korrekturen versehen. Die Paginierung gliedert den Textzeugen in zwei Teile: der erste Teil mit einem durchgängigen Text und durchgängiger Paginierung bis Seite 29 umfasst den ersten und den dritten Abschnitt. Der zweite Teil liegt in einem Textstück mit eigener Paginierung bis Seite 17 vor. Zu vermuten ist, dass Buber zunächst eine Fassung niederschrieb, die noch ohne den dritten Abschnitt war und letzteren dann nachträglich entwarf. ts1: Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350 02 57); 3 lose Blätter, einseitig beschrieben; enthalten den Abschnitt »Bekehrung« und das »Nachwort«. Ohne Korrekturen. 2 ts : Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350 07 073); 18 lose paginierte Blätter; einseitig beschrieben; mit vereinzelten, Tippfehler betreffen-

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den Korrekturen versehen; Abbruch des Textes nach Seite 18. Das Typoskript enthält einen »Vortrag von Martin Buber in Zürich« vom 13. Juni 1928 unter dem Titel »Monologisches und dialogisches Leben«. Obgleich es sich bei dem Vortrag um einen selbständigen Text handelt, bildet er die Grundlage für Passagen aus Zwiesprache. Der Text wird im Folgenden reproduziert. Vgl. in diesem Band S. 334-344. d1: Die Kreatur, III/3, S. 201-222 (MBB 408). d2: Dialogisches und monologisches Leben, in: Deutsches Theater am Rhein, hrsg. von der Gemeinschaft der Freunde des Düsseldorfer Schauspielhauses, Düsseldorf 1930, S. 79-80 (in MBB nicht verzeichnet). Enthält den Abschnitt 130,4-131,27. D3: Berlin: Schocken 1932, 104 S. (MBB 450). d4: Die literarische Welt, 3. Juni 1932, S. 1 f. (MBB 452). Enthält den Abschnitt »Gemeinschaft«, in diesem Band, S. 124-126. D5: Berlin: Schocken 1934, 78 S. (MBB 491). D6: Dialogisches Leben – Gesammelte philosophische und pädagogische Schriften, Zürich: G. Müller 1947, S. 129-186 (MBB 761). D7: Die Schriften über das dialogische Prinzip, Heidelberg: Lambert Schneider 1954, S. 123-182 (MBB 951). D8: Das dialogische Prinzip, Heidelberg: Lambert Schneider 1962, S. 137-196 (MBB 1188). 9 D : Werke I, S. 171-214 (MBB 1193). Druckvorlage: D3 Übersetzungen: Englisch: Dialogue, in: Between Man and Man, übers. von Ronald Gregor Smith, London: Routledge & K. Paul 1947, S. 1-39 (MBB 760); Dialogue, in: Between Man and Man, übers. von Ronald Gregor Smith, New York: MacMillan 1948, S. 1-39 (MBB 783); Dialogue, in: Between Man and Man, übers. von Ronald Gregor Smith, Boston: Beacon Press 1955 (MBB 980), S. 1-39; Dialogue, in: Will Herberg (Hrsg.), Four Existentialist Theologians. A Reader from the Works of Jacques Maritain, Nicolas Berdyaev, Martin Buber and Paul Tillich, with an Introduction and Biographical Notes, Doubleday Anchor Books, New York: Doubleday & Company 1958, S. 160-193 (MBB 1103); Dialogue, in: Between Man and Man, übers. und eingel. von Ronald Gregor Smith, London: Collins, The Fontana Library 1961 u. 1974, S. 17-59 (MBB 1159); Dialogue, in: Between Man and Man, übers. von Ronald Gregor Smith, mit einer Einleitung von Maurice Friedman, New York: MacMillan 1965, S. 1-39 (MBB 1266).

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Französisch: [Ausschnitte] Dialogues, übers. von Germain Landier, enthält »Reminiscences«, »La communion dans le silence«, »La profondeur inexprimable«, »De penser«, Mesures, 4, 15. Oktober 1937, S. 17-29 (MBB 562); Dialogue, in: La Vie en dialogue, übers. von Jean Loewenson-Lavi, Paris: Aubier 1959 (MBB 1122). Hebräisch: Sichat-Schtajim, Ha-po’el ha-tza’ir, 23. Jg., Nr. 11 vom 3. Januar 1930, S. 11-14, Nr. 13 vom 31. Januar 1930, S. 12-13, Nr. 14 vom 7. Februar, S. 7-9 (MBB 431); Du-siach, in: Be-sod Siach. Al adam wa-amidato nokhach ha-hawaja, übers. von Zwi Woyslawski, Jerusalem: Mossad Bialik 1959 (MBB 1133). Italienisch: Dialogo, in: Il Principio diologico, übers. von Paolo Facchi u. Ursula Schnabel, Mailand: Edizioni di Communitá 1959 (MBB 1121). Japanisch: in: Schriften über das dialogische Prinzip; I-II, übers. von Yoshiguro Taguchi, Tokio: Misuzu-Shobo 1967 (MBB 1298a). Abdruck von ts2: Vortrag von Martin Buber in Zürich. 13. 6. 1928. Monologisches und dialogisches Leben.

Mit dieser Antithese monologisches und dialogisches Leben meine ich nicht einen Hinweis auf etwas, was in der Geschichte oder der gegenwärtigen Gesellschaft lokalisiert werden könnte, sodass ich Ihnen sagen könnte, dass da in dieser oder jener Epoche ist monologisches, das ist dialogisches Leben. Weder historisch noch soziologisch, noch psychologisch ist das so einfach aufzeigbar. Durch unsere heutige Welt um die es mir zu tun ist, (auch alles Geschichtliche, was ich Ihnen sagen werde, bezieht sich darauf) geht die Front, in dem Ernst ihrer Aktualität, die Kampffront zwischen monologischem und dialogischem Leben. Sie geht quer durch alle Weltanschauung, quer durch alle geistigen Gebilde, quer vor allem durch die Seele, die personhafte Seele des Menschen. Der Ort des eigentlichen Kampfes, der Entscheidung, des eigentlichen Sieges, der wahren geschichtlichen Entscheidung ist die Person. Ich kann Ihnen, das hängt ja mit dieser Komplikation zusammen, auf die ich hingedeutet habe, nicht systematisch darlegen, wie sich in der Geschichte je und je monologisches und dialogisches Leben miteinander kreuzen. Ich kann Ihnen hier nur einige Hinweise geben und bitte Sie, sie auch unsystematisch aufzunehmen, aber im wörtlichsten Sinne als Hinweise. Und wenn

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es mir glückt, habe ich den Zeigefinger ausgestreckt und hingewiesen, sodass es Ihnen leichter ist zu sehen, was da ist und darum ist es mir zu tun. Und wenn wir dazu scheiden müssen, so meine ich die Scheidung, die notwendig ist, um das was da ist, in seiner Wirklichkeit zu unterscheiden. Monologisches und dialogisches Leben. Vielleicht kann ich es Ihnen zunächst nahe bringen, wenn ich Sie auf das hinweise, was jetzt zwischen uns geschieht, indem ich jetzt zu Ihnen spreche und Sie zuhören. Das kann auf zweierlei Art geschehen: Man kann so sprechen, als ob es diese bestimmten Menschen garnicht gäbe, diese bestimmten Menschenschicksale garnicht gäbe, ins Blaue hinein, über die Köpfe hinweg, ja eben eigentlich mit sich selbst. Man kann aber auch, und wenn man sie zum erstenmal sieht, zu diesen bestimmten Menschen sprechen, in Wahrheit diese Menschen meinen, von Person zu Person in diesem bestimmten Moment. Und ebenso ist es mit dem Zuhören. Man kann sich eine Auffassung anhören mit dem Wunsch, sie nun irgendwie seiner eigenen Auffassung einzufügen. Sodass was einem leibhaft gegenüber tritt wahr wird; das man es spürt, erfährt; also wirklich ausgeht auf dieses Gegenüber zu, ihm wirklich mit seinem Hören begegnen. Beides ist möglich. Das eine ist monologisch, das andere dialogisch. Noch deutlicher ist es, wenn es aus dieser etwas unnatürlichen Situation (ich empfinde es immer so, wenn einer allein zu so vielen redet, die schweigend zuhören) in eine Diskussion übergeht. Dies ist ein heilloser Begriff. Wenn nämlich jeder hineintritt, nicht etwa mit dem, was bisher in ihm an Wahrheit oder Wahrheitsuchen gelebt hat, in das jetzt sich gemeinsam Begebende und darauf zugeht, sondern wenn er in diesem Augenblick sein Wissen zugespitzt hineinträgt als etwas Vorzutragendes im Gefecht zu Verwendendes ohne das Gegenüber wirklich zu erfahren. Es ist entscheidend, wenn Menschen miteinander reden, ob das eine oder das andere geschieht. Es gehört also zur dialogischen Situation zweierlei: zunächst Vergegenwärtigung der anderen Wesen, mit denen man zu tun hat. Es genügt also nicht, den anderen ins Auge zu fassen, sondern die eigentliche Vergegenwärtigung ist das man obwohl man hierbleibt und sich selbst bleibt, auch drüben ist; das man ihr Sosein aufzunehmen vermag. Es ist etwas, was leider selten geschieht; aber es ist so einfach. Man muss einfach nicht steif an seinem Platz stehen und seinen Panzer geniessen; sondern man muss spüren wie das Leben einem gegenüber west, lebt und sich vergegenwärtigen, was in der mir gegenüberlebenden Seele in dieser gemeinsamen Situation geschieht. Es ist so einfach, dass ich fürchte missverstanden zu werden.

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Nehmen Sie das einfache sich Hinwenden. Es scheint garnichts. Aber es ist etwas sehr grosses und merkwürdiges. Wenn ich mich einem Menschen zuwende, aus der Unendlichkeit der Richtungsmöglichkeiten diese erwähle und mich einem Menschengesicht zuwende und auf diesen Menschen zuspreche und lebe, so geschieht etwas Unvergleichliches. Etwas sogar, ehe er mir gleicherweise antwortet; sogar schon ehe die Gegenseitigkeit bestimmtes wirkt, geschieht etwas; eben dass hier Richtung da ist, Beziehung. Ich möchte sagen, dass das Coordinatensystem der Welt sich ändert: anstelle der unendlichen Möglichkeiten entsteht die schmale Brücke – das Ich und Du. Ich habe gewählt. Und nehmen Sie hinzu, wenn die Gegenseitigkeit erweckt wird, wenn das Wunderbare hinzutritt, dass von dem anderen Menschen aus das Gleiche geschieht, Vergegenwärtigung und Hinwendung, dann ist das da, um dessentwillen diese Menschenwelt besteht. Und das Höchste, was wir zu fassen vermögen, die Hinwendung zum Namenlosen, über aller Erfahrung hinaus zu dem, zu dem wir doch eben Du zu sagen vermögen, ist nur die Vollendung eben dessen, was wir so einfach jeden Augenblick von Mensch zu Mensch erfahren können, wenn wir uns in die dialogische Situation einstellen. Nun ist es vielleicht gut, wenn ich zurückgreife auf das Monologische im engeren Sinne. Was ist das eigentlich? Vielleicht erscheint es Ihnen als Metapher. Was für eine Bedeutung hat der Monolog etwa in dem Drama? In der alten griechischen Tragödie, in der des Ursprungs ist der Monolog etwas anomales. Er kommt sehr selten vor und in zwei ganz bestimmten und besonderen Situationen: die eine ist die des Wahnsinns. Der aus der Gemeinschaft durch seinen Zustand Herausgerissene, aus der Möglichkeit der Verbindung mit der Gemeinschaft Herausgerissene, der auf das Sprechen mit sich selbst gestellt ist (Ödipus) die andere ist die der tiefsten Einsamkeit, die Einsamkeit des gefesselten Prometheus, im Anfang, ehe der Chor der Okeaniden ihm naht. Da spricht er zu sich selbst, vielleicht auch zu dem namenlosen Du. Das ist der in seine Einsamkeit gebannte Mensch, der noch kein Du hat. So in der eigentlichen klassischen Tragödie: Einsamkeit in diesem letzten strengsten Sinn, die des Prometheus in Aischylos’ Tragödie, oder die des Ajas bei Sophokles im Wahnsinn. Anders ist es dann in der barocken Tragödie des Euripides. Da gibt es den Monolog als Form, die den Dialog unterbricht. Einmal reden die Personen miteinander, dann redet der eine oder der andere abseits. Diese merkwürdige Entwicklung hängt mit der Fiktivierung des Dialogs zusammen. Die ungeheure Entwicklung des griechischen Dramas drängte sich ja in die kurze Zeit dieser drei Leben zusammen. Bei Euripides wird nicht mehr in diesem Ernst, wie in der früheren Tragödie angesprochen.

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Das zeigt sich deutlich da, wo die Götter angeredet werden. Der Dichter weiss, dass man Zeus nicht zulänglich anreden kann: Wer du auch seist, wie Dein rechter Name sei [Leerstelle im Text] wir wissen nicht, wie Dein rechter Name sei. So im Anfang der Tragödie. Nicht so bei Euripides, dort tut die Königin den merkwürdigen Anruf: Wer Du auch seist, Zeus oder Ananke oder Geist der Sterblichen, Geist der Menschheit, Dich rufe ich an. Der Wiedersinn dieser Situation, dass ein Mensch in tiefster Not den Geist der Menschheit, die pure Fiktivierung anruft. Dem entspricht das Einsetzen des Monologs als technisches Mittel. Wie ist es mit dem philosophischen Dialog? Der wirkliche Dialog ist der Platonische. Er vollzieht sich in Wirklichkeit. Es ist Sokrates um diesen Menschen mit dem er redet wirklich zu tun, er verwendet die Menschen nicht. Seine Ironie bedeutet nie, dass er sich über die Personen hinwegsetzt sondern sie gilt der Situation. Es ist ihm um diesen Jüngling zu tun, den er liebt, den er bilden möchte. Immer geht es von Person zu Person. Niemals sind die Partner Träger von Namen oder von Weltanschauungen. Später, am deutlichsten bei Epiktet sehen Sie den völlig fiktiven Dialog, ausgedachte Figuren, die gar keine Personen darstellen. Jeder meint ja garnicht den anderen in Wirklichkeit: er ist ja gar kein Du für den anderen. Es sind nicht einmal Masken, es sind Namen. Dem entspricht, dass Epiktet zum erstenmal die Maxime ausgibt: Rede mit Dir selbst. Die widergöttlichste Maxime die ich kenne. Dass es einem passiert, mit sich selbst reden zu müssen, gut. Aber das man es lehrt, ist das widersinnigste, lebenswidrigste was ich kenne. Das soll ja nicht heissen: befasse Dich mit Dir; erkenne Dich; nimm Dich selbst wahr; nimm Deine Wirklichkeit als lebender Mensch wahr. Das wäre das Gegenteil aller Selbstbefassung, das Gegenteil alles Monologs, wäre Selbstwahrnehmen. Diese lebenswidrige Maxime hängt mit der Künstlichkeit seiner Dialoge zusammen und darum gibt es bei ihm als berechtigte Form das Selbstgespräch. Auf den Spuren Epiktets schreibt später Marc Aurel, der Selbstgespräche des Sokrates, als Übung verfasst. Platon hat das Denken als Selbstgespräch aufgefasst. Das ist etwas, was wir ernst zu nehmen haben. Was bedeutet das von Platon? Nun, wie ist das? Denken? Im wirklichen menschlichen Leben geschieht Denken; dass der Mensch mitten im Lebendigen, in der Fülle in sich, wie man wohl zu Recht sagt, einkehrt und jetzt gleichsam zusammenrafft, gleichsam erntet, zu fassen, zu bewerten sucht, was ihm geschehen ist, was er erfahren hat, was sich zwischen ihm und den anderen lebendigen Kreaturen begeben hat – er muss sich besinnen. Das gehört dazu; ohne das kann das Leben sich je und je nicht erneuern. Also diese Pause, dieser merkwürdige Akt des Anhaltens aus dem Leben Herausziehens – in diesem Sinn ist es

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auch Selbstgespräch. Ich appelliere an Sie alle, wie das ist, das fruchtbare Denken, das Denken, dessen Frucht Sie dann eben im Leben kennen lernen, die sich umsetzt in Lebensarbeit, Werk, Beruf, Leben in der Familie; das wirkliche Denken. Ist dieses auch ganz und gar Selbstgespräch? Es ist es nur im äusseren Sinne. Nein, mir scheint, im wirklichen Denken fehlt das Du nicht. Es ist nicht Befassung des Menschen mit sich selbst; ich möchte sagen, das Du wird aus dem sichtbaren ein unsichtbares. Aus einem benannten ein unbenanntes. Es setzt sich das Du im Denken in seiner Präsenz in einer nicht zu beschreibenden Weise fort. Man kann nur appellieren an die Erinnerung die der Mensch vom wirklichen Denken hat. Das wirkliche Denken ist nicht Du-Frei. Es ist nur herausgehoben aus der lebendigen Gegenseitigkeit, aus dem Verkehr mit dieser und dieser namentragenden Person. Das bedeutet dieses Selbstgespräch. So scheint es sich mir mit diesem platonischen Einwand zu verhalten. Ich sehe von dort in die Neuzeit. Ich gehe hinüber über das christliche Mittelalter, das ja die eigentliche Zeit des Dialogs war. Wo zeigt sich nun zum ersten Male der monologische Mensch als solcher, der nackte monologische Mensch? Wo haben wir ihn im Drama? Es ist Hamlet. Er ist ein monologischer Mensch, seine Dialoge sind nur verkappte Monologe. Indem er mit den andern redet, redet er nur mit sich selbst. Er, der sich erstmalig rein mit sich selbst befasst anlässlich jener ungeheuren Schicksale. Diese Person ist ja erst möglich von der Renaissance aus, wo der Dialog sich erst vollends fiktiviert hat. Der Dialog, wo er als solcher auftritt, ist fiktiv, abstrakt. Das Drama ist die Zuflucht von jener Fiktivierung zum Leben zurück. Aber da greift das monologische mit der ungeheuren Gestalthaftigkeit des Hamlet ein. Hamlet ist des Dialogs unfähig. Das ist der moderne Mensch Katexochen. Diese eigentümliche Verfassung des Hamlet ist mir am allerdeutlichsten geworden, wo er den betenden König nicht tötet und sich einzureden versucht, dass er ihn nicht töte, weil das Beten seine Seele schütze. An dem seltsamen Betroffensein des Hamlet von diesem Beten scheint mir etwas zu sein, was vielleicht bisher noch nicht erkannt worden ist. Als welcher Mensch tritt er denn dem betenden König gegenüber? Als einer, der nicht beten kann, der sich nicht in Wirklichkeit hinzuwenden und Du zu sagen vermag, sowenig wie er eine Geliebte als Geliebte anzureden vermag. Sein Liebesgespräch ist ein Monolog. Er befasst sich mit sich, wenn er sich scheinbar mit der Geliebten befasst. Er ist nicht nur genial gestaltet; er ist der monologische Mensch als Genie, exemplarisch. Ich habe nun auf das schon hingewiesen, was in den Kern des Problems führt: das Menschliche und das göttliche Du, das Du sagen zu einem Menschen und zu Gott gehört zusammen. Das wir zu einem ge-

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liebten Menschen Du sagen können (da ist es wohl am leichtesten Du sagen zu können) das ist die Bürgschaft dessen, das Pfand dafür, das wir auch zu Gott rechtmässig und vielleicht dass wir nur rechtmässig Du zu Gott zu sagen vermögen und nicht von Gott sprechen dürfen; dass das Sprechen von Gott etwas Fiktives ist, ebenso wie das Sprechen von der Geliebten etwas Fiktives ist. Man kann nicht von einem geliebten Menschen als Summe von Qualitäten reden und ebenso nicht von Gott als Summe von in die Transzendenz erhobenen Qualitäten. Beides gehört zusammen. Das eine vertritt in einer Weise, die ich nicht zu beschreiben vermag das andere. Beides stellt das dialogische Leben rein dar. Beides, das Zuwenden dem allervertrautesten Menschengesicht zu und das ungeheure Sichhinwenden in der dunklen Unendlichkeit der Welt auf Gott zu bedeutet das Sichhinwenden und Du-Sprechenkönnen. Dieses Atem beraubende des Du-Sagenkönnens zu Gott (so ist es, wenn man wirklich erfasst, um was es geht) ist dennoch nur die Vollendung dessen, was der Mensch tut, wenn er in Liebe Du sagt und meint dieses gegenüberseiende Wesen; nicht am andern sich geniesst, nicht am Verkehr mit dem andern sich selbst kostet, sondern in Wirklichkeit dieses andere Wesen meint, sein Sosein, sein Anderssein. Das Erfahren der gemeinsamen Situation von Mann und Weib, dass ich die Liebessituation auch vom Weib aus erfahre und doch ich hier bleibe, als ich dies lebe, dieses in Wahrheit Gegenüberleben, diese dialogische Präsenz, – das hat die Liebe zwischen Menschen, die konkrete Liebe (nicht die Menschenliebe – als Höchstes kann sich allerdings die konkrete Liebe so erfüllen) und die Liebe Gottes gemein. Ich möchte das an einigen zusammengehörigen historischen Beispielen verdeutlichen, was das bedeutet, die dialogische Situation im Verhältnis zum Göttlichen. Es bedeutet nicht etwas kultisches, nicht etwas, neben dem gelebten Leben einhergehendes, sondern die Artung, die mögliche Artung des ganzen Lebens, des Alltags. Das wird vielleicht am deutlichsten, wenn Sie an jene Zeit der Frühantike denken, wo sich die grossen Kulturen der Babylonier und der Ägypter gegenüberstanden. Die babylonische Kultur errichtet auf der Konzeption des Glaubens an die Schicksalsmacht, die wissbare Macht der Sterne. Der Raum in dem der Mensch gestellt ist, ist schicksalhaft wissbar: ich weiss um die Sternenmacht, von der ich umgeben bin und weiss von ihr als einer, der sich Kraft dieses Wissens dieser Macht bemächtigen kann; also Herr des Schicksals, Herr der Sterne werden kann. Das ist der Sinn der babylonischen Urgnosis. Der Mensch kann sich dieser Schicksalsmacht bemächtigen durch das Wissen. Auf der anderen Seite Ägypten. Das ganze Sein des Menschen hingewendet auf das Faktum, das Unräumliche, reine

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Zeitfaktum, das unter allen das einzige rein Zeitliche ist – auf den leiblichen Tod. Doch dies nicht in der Weise, wie der rechtschaffene Mensch auf seinen Tod hingewendet ist, dass er bereit ist, ihn zu seiner Zeit zu erfahren, garnicht vorweg nehmend, garnicht gerüstet, auch nicht mit der Fantasie vorwegnehmend, aber bereit. Er ist ihm, ohne alle Sicherung irgend eines Wissens, einer Einbildungskraft vertraut. Das ägyptische Hinblicken auf den Tod ist das gerade Gegenteil. Es ist rezepthafte Sicherung in der gewaltigsten Art. Die gewaltige ägyptische Kunst, jene Könige, für die Jahrhunderte hingesetzt, dauernd, nie werden sie wieder aufstehen, Gehäuse für jene Doppelgängerseele, Sicherung. Und jene andere Seele, die nach dem Tode in die Unterwelt geht: die wird ausgerüstet mit fertigen Beschwörungsformeln, die ihr die Macht geben über die Dämonen; die ihr die Macht geben fertig zu werden mit dem was nach dem Tode einen erwartet. Ausspruch eines ägyptischen Zauberers: Wenn Du mir nicht nach meinem Willen tust, dann schmeiss ich Dir deinen Himmel zusammen. Also Ausgerüstetsein mit rezepthafter Macht. Wahrhafte Kultur hier und dort, Wissenschaft, Kunst. Und nun diese Gnosis dort und diese Magie hier, beide völlig undialogisch. Ungeheure Gebäude des Monologismus. Eine ungeheure Überdeckung alles Strebens der zitternden Menschenseele nach einem Du-Sagen-dürfen – Überdeckung, Übertäubung. Wie sehr dies so ist, spürt man da, wo in der einen oder andern Kultur eine Seele auszubrechen sucht. In dem babylonischen Gilgameschepos: Dem König ist der Freund gestorben. Und nun steht er dem Leichnam des Freundes gegenüber als dem Tod und spürt jetzt, was das ist, dass ein Mensch angetreten wird von etwas, wogegen er nicht gesichert sein kann, durch kein Wissen, keinen Glauben an Schicksalsbemächtigung. Hier hat die babylonische Gnosis ihre Lücke. Er steht in der Präsenz des Todes. Und jetzt geht er auf die Wanderung, die er richtig dialogisch angetreten hat. Damit flüchtet er in die Lebensgrundlage der ägyptischen Kultur, der Frage nach dem Tode. Und umgekehrt: Der ägyptische König Amenophis der die Religion reformierte. In Wirklichkeit ist der Sonnengott, zu dem er betet, garnicht so neu, trotz des neuen Namens. Aber neu ist, dass er ihn in Wahrheit anredet, wie nie zuvor in Ägypten ein Gott (in einem überlieferten Dokument) angeredet wurde. Wie er in Wirklichkeit betet, sich hinwendet, Du sagt, damit tritt er aus dem ägyptischen in die Welt der Sterne. Aber eben in den dialogischen Lebenskern jener ungeheuren monologischen Kultur. Die Kulturen sind zumeist ungeheure Überwölbungen, Übertäubungen jenes dialogischen Lebenskerns. Und nun jene schmale Begebenheit jener Menschenschar, in jenem Faktum, dass die Schar zum Volke macht und in dem es nun etwas er-

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fährt, was anscheinend bisher keine Menschenschar erfahren hat: sich nämlich angeredet erfährt und auf jenem Berge erfährt, dass es darauf ankommt, dass diese Menschenschar antwortet. Es ist nichts weiter. Es ist keine Kultur daraus geworden. Nur ein Buch. Nur das Wissen: Es kommt darauf an, dass wir antworten. Und natürlich dann weiter das Versagen, das Nichtredestehen, das Fälschen der Rede, das Versagen in dem grossen menschlichen Versagen: das Volk Israel. In der ungeheuren Selbstenttäuschung des Volkes Israel immer wieder das wirkliche Zwiegespräch. Es ist nicht darum zu tun, dass nun worthaft hin und her die Rede geht. Das eigentlich dialogische Leben, wie es hier gefasst wird, heisst ja das, was wir Geschichte nennen, die geschehende Geschichte: das, was uns Menschheit widerfährt, zu uns gesprochen wird. Dass wir auf das, was uns widerfährt, was zu uns gesprochen wird, mit dem, was wir tun, antworten. Dass es wirkliches Tun vom Menschen aus gibt, Redestehen, Antworten. Was dem Menschen widerfährt ist je und je dieses Stück anvertrauter zugereichter Welt, für das er jetzt zu antworten hat, das er zu verantworten hat. Dieses Antworten und Verantworten ist die geschehende Geschichte, der Weg durch den Fall zur Erlösung, das im Versagen noch antworten Wollen. Dieses Verspüren, dass es auf die Antwort ankommt. Also das Antworten mit dem Versagen. Weil auch im Versagen je und je noch ein Kern da ist eines Versuches. Was ist denn das Quantum Satis dessen was wir tun? Dass der Mensch dieses Stammeln hervorbringt, das man seine Tat bestenfalls nennen kann. Dieses Versuchen, dieses solchermassen Antworten ist der menschliche Weg, dieses Handeln zwischen Mensch und dem was nicht Mensch ist. Ich meine mit dem was ich sage weder Religion noch Moral, die wirklich das Angesicht des Du zu verstellen vermögen. Nichts vermag das Angesicht des Du zu verstellen, wie Religion und Moral. Man weiss Bescheid über Gott und muss nicht gewärtig sein, dass er einen in einer nicht zu ahnenden Gestalt antritt. Oder man weiss Bescheid über die ethischen Normen und ist gesichert. Aber da, wo die Normen zerbrechen, wo ich in Wahrheit nichts mehr weiss, weil ich nichts vorhersehen kann, da geschieht die Entscheidung. Da wo mich das Böse, das Widersittliche antritt, als das was mich heischt, was mich braucht, was zu lieben ich da bin. Weil Religion und Moral so Fluchtsysteme werden vor dem dialogischen Leben, werden je und je jene grossen Wiederherstellungsversuche gemacht, jene Neustiftungen, Reformationen. Sie sind verständlich; doch sie schaffen das dialogische Leben nicht. Es wird da, wo das reine Wort

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das nackte unvorbereitete Gegenübertreten hergestellt wird; das was im Ursprung war, die Wiederherstellung der Präsenz. Wenn etwa die Propheten gegen den Opferkult sich wenden, so meinen sie damit, dass bei der Handauflegung auf das Opfer nicht die Stellvertretung im letzten Ernst gemeint sei, so wie Mose die Hand auf Josuas Haupt legte als er ihn zu seinem Nachfolger machte; so dass es nur kultische Gebärde ist. Und nun in dieser monologischen Welt, was ist da, was besteht jetzt an dialogischem Leben fort? Worauf können wir noch bauen? Was haben wir noch? Ich glaube es gibt zwei Dinge, die durch die Zeiten gehen und in einer noch so monologischen Welt das Lebendige bewahren, diese organische Substanz: das eine ist der Aufschrei des einsamen Menschen. Der Mensch, der irgendwo in der Nacht in seiner Dachkammer lautlos aus einem Elend aufschreit, vielleicht garnicht zu Gott. Vielleicht ist ihm der Name Gott verhasst, dass er ihn am wenigsten in den Mund nehmen kann, so dass sein Schrei nicht bewusst zu ihm aufsteigt; und dennoch zu wem denn sonst, als zu dem Du? Dieser Schrei aus der letzten Tiefe der Not, der eben doch, wenn er’s auch nicht weiss, ein sich Hinwenden de facto ist, als ein sich Hinwenden angenommen wird. Das ist die eine gebliebene Bürgschaft des dialogischen Lebens. – Und das andere, allerdings etwas was heute recht selten geworden ist, das ist das wirkliche [Liebesgespräch. In einer Zeit, der die Erotik so geläufig geworden ist, ist es beinahe etwas Literarisches geworden, das] wirkliche Liebes- und das Freundschaftsgespräch, das Einanderbegegnen, die Lösung der Zunge, der erste Gruss von Kreatur zu Kreatur, das Neubeginnen, das Schöpfen. Ich meine dies ist, wie auch verborgen, kurzlebig, die andere Bürgschaft. Eine dritte weiss ich nicht. Die echte Hinwendung ist dem heutigen Menschen ungeheuer erschwert, vor allem durch die Selbstbefassung. Ich habe mit manchen Menschen gesprochen, die in einer überlieferten Religion stehen; und wenn es mir gelang, mit diesen Menschen in ein rückhaltloses Gespräch zu kommen, wenn ich sie fragen durfte, wie es um ihr persönliches Leben stehe, so gestand mir fast jeder, dass das einfache Hinwenden ihm ungeheuer schwer sei, weil er sich mit dem Ich beschäftigen müsse, mit seinem Wesen. Das ist die schwere Problematik, das ist das eigentliche Hindernis. Ein so schweres Hindernis, dass ich wahrhaftig nicht weiss, wie es zu überwinden ist. Nur das eine: sich ganz tief besinnen, besinnen auf dies in uns lagernde Hindernis. Erlauben Sie mir einen Seitenweg. Es ist ein Hinzeigen auf die Philosophie; was sie zu dieser Verbiegung des Lebens beiträgt. Jeder wirkliche gedachte Gedanke stammt aus dem Angetretenwerden der konkreten

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Person. Aber alle Philosophie vollzieht sich so, dass fortschreitend von dem Angetretenwerden abgesehen wird. Dieses ist zwar eine Notwendigkeit. Aber es ist zu sehen, wie es mit einwirkt auf diesem Wege. Es geschieht von dort eine Sanktionierung des Monologs, durch die Geschlossenheit der Systeme. Spinozas deus sive natura; der Gott, der nicht angeredet werden kann. Von dem an der sublimsten Stelle Spinoza sagt, dass er sich selbst in den Kreaturen liebe. Jenes unmittelbare Gegenübertreten wird hier verraten; denn damit, dass wir Kreaturen sind ist uns die Möglichkeit gegeben Gott zu lieben. Und nicht dadurch, dass wir den Gott in uns spüren und meinen, Gott liebe sich in uns. Damit wird das Gegenübertreten verraten. Einer der aus der Welt von damals austritt: Pascal, jener aus der monologischen Welt mächtig Ausbrechende. So ist seine Urkunde zu verstehen. Oder Kant, wo Gott von der praktischen Vernunft postuliert wird und was daraus geworden ist. Dann Kierkegaard, – auch er der gewaltig Ausbrechende. Die Lage Kierkegaards ist sehr viel schwerer als die Pascals. Das Ausbrechen wird immer schwerer; die Kompaktheit der monologischen Welt wird immer dichter. Da darf vielleicht ein Wort angeführt werden, das dafür ein tragisches Exempel ist, wie man aus dieser monologischen Welt ausbrechen und dennoch mitten darin sie verherrlichen kann: das Wort Nietzsches von der wachsenden Wüste. Alles was sich Weltanschauung nennt, geht in der gleichen Richtung. Etwa der Psychologismus Amiels, der erklärte, die Landschaft sei ein Seelenzustand. Freilich ist sie auch das. Aber was uns wichtig ist, ist, dass wir vor ihr stehen, dass diese Baumwipfel über uns zusammenschlagen als das Naturhafte. Wir sind es nicht und dürfen das erfahren, ihm gegenüber leben. Jener ganze Unfug des sogenannten Erlebnisses – sogar von sogenannten religiösen Erlebnissen hat man gesprochen – wo also der Sinn des Gegenüberwesens in die Seele hineingenommen wird, ist eine ungeheure Selbstgefangenschaft der Seele, die noch gesteigert wird durch die Analytik. Eingebannt in diese Selbstbefassung verhebt sich der Mensch an dem, um dessentwillen er da ist. Die eigentliche Krankheit ist nicht in ihm, aber zwischen ihm und der Welt – und weiter: wo alles in technische Prozesse aufgelöst, bewältigt wird; wo der Mensch nicht eintritt, nicht sich einsetzt, nicht fertig wird, vielleicht untergeht. Dieser Psychologismus und Technizismus, dieser Libertinismus, dieses Fertigwerden, alles das ist hoffnungslos Monolog. Damit hängt zusammen diese heute zwischen Menschen und vor allem vielleicht in der Jugend herrschende Du-Blindheit. Wenn ein Mensch mit einem Menschen zu tun hat, dass man nicht hinschaut auf diese einmalige einzige unvergleichbare Person, sondern einreiht; sondern einreiht, das was jetzt zu mir

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spricht, in irgend eine psychologische Bedingtheit, es politisiert. Es wird etwas zu mir gesprochen: ich führe es zurück auf Klasseninteressen, psychologische Komplexe, die mir ersparen in diese Situation einzugehen und mit meinem Wesen zu antworten. Auch dieses ein grossartiges Fluchtsystem. Fast alles was auf eine freiere bessere Zeit hinweist, ist berührt, gefärbt von diesem Monologismus. Fragen wir nach der Problematik z. B. der Ehe. Es ist nicht wahr, dass die Problematik der Ehe darin besteht, dass zwei Wesen mit mehr oder weniger Unabhängigkeit einander gegenüberstehen; nein, dass sie nicht zu einander Du zu sagen vermögen, sich nicht hinzuwenden vermögen, ist ihre Problematik. Oder die Problematik der Beziehung: was heillos fehlt, ist der echte Dialog zwischen den Generationen. Dass die ältere Generation in voller Vergegenwärtigung der Jugend zu ihr spricht und sie zu sich sprechen lässt. Das erst würde Beziehung bedeuten. Und die ungeheure soziale Frage: es ist nicht darum zu tun, dass die Herrschaftsform geändert werde, dass die Situation einer Klasse geändert werde, sondern das die Menge entmengt wird. Wenn schon die Vergesellschaftung in irgendeiner Form geschehen ist, was dann? Ist damit etwa in Sowjet-Russland irgend etwas für das dialogische Leben geschehen? Es ist nicht so, dass wir meinen, man könne scheiden, zwischen dem Jetzt und dem Dann. Dass es ein Dann geben wird, wo alles von selber kommen wird und ein Jetzt das verdammt ist. Wenn es jetzt nicht verwirklicht wird, quantum satis soviel wie jeder von uns vermag, dann wird es nicht verwirklicht werden. Alle Politik, alles was Durchsetzung meint anstelle von Verwirklichung, ist Fluchtsystem. Alle Reformbewegung, alles begibt sich jenseits des Eintretens in die konkrete Situation, ist monologischer Schein. Soweit wir es vermögen, da wo jeder von uns steht, da wo das dialogische Leben verwirklicht werden kann, natürlich hingestellt, da kann es sich entfalten. Also wenn überhaupt noch an diese Destruction zu rühren ist, dann Umkehr, nicht Rückkehr an einen Punkt, der schon gewesen ist, sondern jene Wendung, die hinausführt aus der Verstrickung dahin, wohin wir nicht zu schauen vermögen, aber wohin wir zu gelangen vermögen. Variantenapparat: 114,1-2 Erster Abschnitt / Beschreibung] [Vom dialogischen Leben / Im Anfang / Im Anfang war [das Zwiegespräch] ! die Zwiesprache. / Nicht »das Wort« schlechthin – gleichviel ob damit der Logos der Griechen oder ein göttlicher Machtspruch gemeint wird. / Der Logos ist, wenn irgendwo, in einer reinen Zeitlosigkeit. Er mag sich im Geschehen kundtun, aber er selber geschieht nicht, er ist nur. Dieses

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»Wort« wird nicht wirklich geredet, es besteht, es erscheint. Im Anfang aber, als im Hervorbrechen der Zeit aus dem Abgrund der Ewigkeit ist Geschehen, Geschehen zur Welt, oder es gibt keinen Anfang. / Und der monologische Machtspruch eines Gottes? / Marduk von Babylon will sich vor den Göttern als der Mächtigste unter ihnen ausweisen. Er spricht, und ein geheimnisvolles Gewand [erscheint] ! wird sichtbar; er spricht wieder, und es verschwindet. Der Ausweis wird angenommen. Das sind die Scherze der Völker in ihren Göttern; im Anfang kann ein solcher Spruch nicht sein. / Ein zauberkundiges Menschenweib, Isis, erlangt hum ihn von einem Schlangenbiss heilen zu können,i vom Sonnengott Re, ja geradezu aus seinem Innern seinen heimlichen Namen, mit dem er einst die Dinge schuf. Des Wortes mächtig wird sie zur Göttin. Das wirkende Wort besitzen und es zu schleudern verstehn, hat Menschen von je im Menschenland den Rang von Göttern verliehen. Das ist Geschichte, nicht [Anfang. Nie hat dieser kranke Magier ein Ding erschaffen. Schöpfung durch Magie ist der Fiebertraum] ! Anfang, und Re berühmt sich zu Unrecht. Wenn Schöpfung Magie wäre, bestünde die Welt aus Gewalt und alle Liebe löge. / Nicht das Wort an sich, nicht das Wort in sich hinein, sondern Wechselrede, Antwort heischende Anrede, [das sich als [Selbst] ! selbstheitlich erheben sollende Gegenüber anredend anerkennender Ruf: so und nicht] ! Ruf, der ein Gegenüber zugleich zu selbstheitlichem Leben erweckt und anredend in seiner Selbheit anerkennt: das und nichts andres kann Ursprung einer eigenwüchsigen Welt sein. / So eben erzählt es der biblische Bericht. Gott redet die im Nichts ruhenden Elemente und Wesen an, und sie antworten durch ihren Eintritt zur anvertrauten Tätigkeit; vielmehr, er redet das Nichts als Dinge an, und die Dinge antworten, indem sie sind. »Licht werde!« ist weder Zauber noch Kommando, sondern, wiewohl in der dritten Person, wie das noch Ungewordene erfordert, gewährender Zuspruch; das Werden des Lichts ist Entgegnung; und Gottes bestätigende Namengebung schliesst das erste Zwiegespräch. / Andre Kosmogonien, in reinster Ausbildung die des Rigveda, suchen den Dialog in den Gott selber zu verlegen, der, aus dem Sein nach dem Werden verlangend, sich mit sich unterredet – und töten damit die Wirklichkeit der Welt. / Von der Ewigkeit haben [wir] ! unsre versagenden Metaphern zu schweigen; in der Zeit aber, hin der allein es Anfang gibt,i kann niemals Selbstgespräch der Anfang einer Wirklichkeit sein.] H3 114,3 Urerinnerung] Urerinnerung [und Alltag] H3 114,6 Doppelruf] [Doppelschrei, obgleich es vorgekommen ist, dass sich nur ein einziger Schrei darin ereignete] ! Doppelruf H3

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114,12 mir etwas Außergewöhnliches widerfährt] [ich etwas Ungeheures zustande gebracht, etwa eine neue Axt oder einen neuen Tanz erfunden habe oder dass ich] ! mir etwas Außergewöhnliches widerfahren ist H3 114,12-13 zum Beispiel, daß ein kleines] [etwa als hätte ein Blitz mir die Vorräte verbrannt oder ein kleines] ! zum Beispiel, dass ein kleines H3 114,20-21 Ruf, je nach dem, was ihm vorausging] [Schrei zuweilen freudig] ! Ruf, je nach dem, was ihm vorausging H3 114,23-24 wandlungsreich] variiert H3 114,24 Ruf] [Schrei] ! Ruf H3 114,27 stockt mir der Herzschlag] [steht mir das Herz still] ! stockt mir der Herzschlag H3 114,29 Ruf] [Schrei] ! Ruf H3 114,30 gerufen] [geschrien] ! gerufen H3 114,36 unausdeutbar] [unübertragbar] ! unausdeutbar H3 115,1 abscheidenden] [letzten] ! abscheidenden H3 115,2 gerät eine] [kommt eine grosse] ! gerät eine H3 115,5 Ruf] [Schrei] ! Ruf H3 115,8-9 mit dem Tier] von dem Tier D6, D7, D8 115,10 Kein Gegenruf] [Keine Antwort] ! Kein Gegenruf H3 115,11 erwartete] nicht hervorgehoben H3 115,16 nackten,] nackten, [namenlosen] H3 115,17 Empfangnahme] [Aufnahme] ! Empfangnahme H3 115,20 Ruf] [Schrei] ! Ruf H3 115,22 empfangen] [entdecken und] empfangen H3 115,26-27 bezeichnenden] [benennenden] ! bezeichnenden H3 115,28 geendet] vollendet H3 116,2 Miteinanderschweigen] [Schweigensbegegnung] ! Miteinanderschweigen H3 116,21 Kindheitsbann] [Bann] ! Kindheitsbann H3 116,24-25 um unser Herz aufzubrechen] [die von jener Zeit »im Brunnen« her] ! um unser Herz aufzubrechen H3 117,25 bedeutenden] [kostbaren] ! bedeutenden H3 117,35 zu überreichen.] ergänzt Und in Gleichnissen ist nicht mehr gegeben zu reden. H3 117,39 Meine Freundschaft] Beginn des Textfragments in h1 117,39 Meine Freundschaft mit einem nun Toten] Zwei meiner Freundschaften mit nun Toten h1 118,5-6 , deren substantielle […] erfahren habe] fehlt h1 118,9-10 (man beschloß, […] zu lassen)] fehlt h1 118,11 Konzentration] Geist h1

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118,14 ich meine] meiner Einsicht nach h , H 118,18 Hartnäckiger] Obstinater h1, H3 118,24 früheren Pfarrer] früheren Pfarrer (bis dahin hatte er sich nur mit der Kirche überworfen, Staat und Wirtschaft, in denen er hohe Ämter bekleidete X X X) h1 118,32-33 Hier erwarte ich […] gewaltigen.] fehlt h1 118,34 entgegnen] entgegnen [(ich höre die Stimme eines mir werten kritischen Philosophen des gewissenhaftesten philosophischen Grenzwächters)] h1 119,2 Bedingtheit] [Gebundenheit] ! Bedingtheit H3 119,4 gemeinschaftlichen] gemeinsamen h1 119,6 Wirklichkeit] Wirklichkeit [, der ein zuverlässiger Boden ist] h1 119,8-9 , das Bund heißt,] fehlt h1 119,10 Bedingtheit] Gebundenheit h1 119,15-31 Der andre Einwand […] zulänglich antworten.] fehlt h1 119,15 verschiedner] andrer H3 119,22 Ihm liegt ob] [Die Wahrheit muss siegen! das ist die Gewissheit] ! Ihm liegt ob h1 119,34 befördert] befördert [oder nicht verhindert] ! – ich kann sie beklagen, aber nicht sie beurteilen – H3 119,38 Meteorstein] Meteorstein in meiner Tasche h1 119,41-120,8 Diese Glaubensverschiedenheit […] Gemeinschaft] Aber diese Glaubensverschiedenheit ist keineswegs bloß als eine subjektive zu verstehen, sie ist nicht darin begründet, daß wir heute Lebenden glaubensschwach sind, und sie wird bleiben, wenn unser Glaube noch so sehr erstarkt. Die Weltsituation selber im ernstesten Sinn, genauer: das Verhältnis zwischen Gott und Mensch hat sich geändert. Und diese Änderung wird durchaus nicht in ihrem Wesen erfaßt, wenn man nur an die uns so vertraute Verfinsterung des höchsten Lichts, an die offenbarungslose Nacht unsres Daseins denkt. Es ist die Nacht eines Harrens – nicht einer vagen Hoffnung, sondern eines Harrens. Wir harren einer Theophanie, von der wir nichts wissen als den Ort, und der heißt Gemeinschaft D6, D7, D8 120,2 Geschichtszeiten] Geschichtszeit, worunter freilich etwas anders zu verstehen ist als die beliebte soiologische Bedingtheit h1 120,12-13 Dies erfahren […] ein Weg.] fehlt H3 120,16 Zwiesprachen] Dialoge h1 120,21 Fragestellung] [Beobachten, Betrachten, Innewerden] ! Formel und Frage h1 [Formel und Frage] ! Fragestellung H3 120,31-33 vorzurücken. […] Formeln zersprengt] vorzurücken h, der folgenschweren Entscheidung wegen, die sich hier eröffneti. Denn 1

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hes wird sich noch zeigeni entweder ist das wahr, und dann ist das Dialogische ein Sonderfall des Zwischenmenschlichen, eine soziologische Kategorie, und ich habe den Mund zu voll genommen. Oder es ist nicht wahr, das Dialogische greift auch über die menschliche Gegenseitigkeit hinaus, und dann ist das Zwischenmenschliche nur eine seiner Realisierungen, die Soziologie steht in einem Raum, dessen Dimensionen sie nicht von sich aus begreifen kann, und das »Problem«, das hier behandelt wird, ist Leben oder Sterben der Welt. / Denn hinter der formulierenden Frage nach den Grenzen eines erörterten Begriffs steht die alle Formeln zersprengende: [Wer redet. Wer redet an?] ! [Ist Anrede nur, wo der anredende Gegenstand des Beredens sein kann? / Leser, wir beginnen ein neues Wegstück.] h1 121,2 Es gilt drei Arten] Beginn des Textfragments in h1 121,4 wahrzunehmen vermögen] in seiner Erscheinung, seinem Gebaren und, soweit es sich darin bemerkbar macht, in seinem Wesen wahrzunehmen vermögen h1 [in seiner Erscheinung, seinem Gebaren und, soweit es sich darin bemerkbar macht, in seinem Wesen] wahrzunehmen vermögen H3 121,18-19 erwartet unbefangen] nimmt in ihr unbefangen auf h1 121,27 »Charakter«] [»Charakter«] ! »Typus« H3 121,28 Betrachter gewesen.] ergänzt Beobachten ist nützlich, um zeitgemäss zu sein und der Zeit zu gefallen; Grösse gedeiht dabei nicht. h1, H3 121,29 Wahrnehmung, die von entscheidend anderer Art ist] Wahrnehmungsweise, der gegenüber die beiden fast auf eine Linie rücken h1 121,37-38 abgeschiedenen] isolierten h1 121,39 empfänglichen] erschütterten oder sonstwie [verschütteten] ! aufgerührten oder sonstwie H3 121,40 Lebens] Lebens, oder auch unversehens mich erschütternd und die eben noch X Seele zur Empfänglichkeit aufrührend h1 122,15 Gesagtbekommens] Sagens h1, H3 122,31 schaltet […] aus] ist […] geschaltet D6, D7, D8 122,33 Möglichkeitsgrenzen] Grenzen h1 122,34 Innewerdens] Innewerdens – die des Daseins h1 122,35 Die Zeichen] Der Mensch in der Anrede h1 Der Mensch in der [Sprache] ! Anrede H3 123,1 gefährlich, die lautlosen Donner] gross, die [Stimme verschwebenden Schweigens] ! lautlosen Donner h1 123,2 wir vervollkommnen] [wir verhüllen unser Haupt] ! wir vervollkommnen h1

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123,9-10 , den wir bald […] spüren] ! h, den wir bald […] spüreni h 123,10-11 durchdringen und die Seele] durchbrechen, die die eben noch überkrustete Seele h1, H3 123,14 Freilich] Nein h1, H3 123,15 alle Tage] alle Tage, so ist Alltag h1 123,18-19 , eben das, was […] nichts hinzu] , eben das, was […] nichts hinzu fehlt h1 123,25-26 braucht, ist das Titanenwerk der Menschheit] hat, ist das [grosse] ! gewaltige Werk der Menschheit h, der Turm der Zeiteni h1 123,26 Titanenwerk] ungeheure Werk H3 123,26-27 hat sie ihm dienstbar gemacht] ist ihm dienstbar gemacht geworden D6, D7, D8 123,28 Turm der Zeiten aus wird mir] System aus (dessen Alleinherrschaft lockern zu helfen [ich rede und schreibe] ! die Absicht meines Redens und Schreibens ist) wird mir h1 123,29 Gedankengängen] [vermutlich unter »Mystik« einzureihenden] Gedankengängen h1 123,30 als eine Abart] als [der verkappte Wahn, der an eine anthropozentrische Teleologie, wonach die Dinge und Wesen auf den Menschen und] h1 123,33-34 einen Vorgang physikalisch, biologisch] [das, was mir widerfährt, naturwissenschaftlich] ! einen Vorgang physikalisch, biologisch h1 123,34-35 , von je zum […] geneigt,] fehlt h1 123,36 Bereichs] Bezirks h1 123,41 bekanntlich merkwürdige moderne Spielarten] auch heute nicht wenige, darunter X h1 124,1 ihren Zeichen ist dies eigentümlich] ihre Zeichen zeichnen sich dadurch aus h1, H3 124,4 kennt sich darin aus] w e i s s h1 124,7 Trennens] Scheidens h1, H3 124,9-10 das ein für allemal Ermittelte, die durchgehende Anwendbarkeit] die Anwendbarkeit h1 124,10 Gesetzen und Analogieschlüssen] [Gesetzen. Das ist kein Aberglaube, sondern ein Aberwissen, wirklicher Aberglaube fängt wie wirklicher Glaube da an, wo die Rechnung aufhört. Der Aberglaube steht wie der Gläubige im] ! Gesetzen und Analogieschlüssen h1 124,16 das Nachschlagen] [die Rechnung] ! das Nachschlagen h1 124,21 darlegen] [weiter erzählen] ! darlegen h1 124,26-27 (Die Frage […] Beruhigung.)] fehlt h1 1

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124,29 in der Flut] im Abgrund h , H 124,29-30 die vom Wissen überspannt wird] den die Wissenschaft überbrückt h1 den das Wissen überbrückt H3 124,30 Arbeit des Menschengeistes] Weg des Menschen h1, H3 124,32 In der Flut] Im Abgrund h1, H3 124,35 , in jedem Augenblick,] fehlt h1 124,39 unzerlegbar] [unberührt,] unzerlegbar h1 125,5-7 Der wahre Name […] gegeben] In diesem allaugenblicklich erlebbaren Weltkonkretum werden uns die Zeichen der Anrede gegeben h1 [In diesem allaugenblicklich erlebbaren Weltkonkretum werden uns die Zeichen der Anrede gegeben] ! Der wahre Name […] gegeben H3 125,8-126,21 Eine Bekehrung […] ganze Verbundenheit.] fehlt H3 125,23 Andacht] Entrückung D6, D7, D8 126,10 Ausnahme ist] Ausnahme ist, Herausnahme, Heraustritt, Ekstasis D6, D7, D8 126,20-21 Zwiesprache, die ganze Verbundenheit] Zwiesprache. / Hier ist Raum auch für ihre höchsten Gestalten. Wie wenn du betest und dich damit nicht von diesem deinem Leben entfernst, sondern eben es meinst du betend, und sei es auch nur es herzugeben, so auch im Unerhörten und Überfallenden, wenn du von Oben angerufen wirst, angefordert, erwählt, ermächtigt, gesandt: du mit diesem deinem sterblichen Stück Leben bist gemeint, dieser Augenblick ist nicht davon herausgenommen, er lehnt sich ans Gewesene an und winkt dem noch zu lebenden Rest, du wird nicht in einer unverbindlichen Fülle verschlungen, du wird gewollt für die Verbundenheit. D6, D7, D8 126,22 Wer redet?] fehlt h1 126,24 Wir werden […] angeredet] Es redet uns […] an h1 126,28 nichts Überkommenes] [nichts Geläufiges] ! nichts Überkommenes h1 126,29-30 eingetaucht wurden in die Nacht] [gebeugt wurde unter das Joch, der Furcht, eingetaucht in die Finsternis, dass uns das Nichtbegreifenkönnen ins Mark der Knochen drang] ! eingetaucht wurden in die Finsternis h1 eingetaucht wurden in die Finsternis H3 126,32 empfangen beginnen] empfangen [, die Stimme in ihm zu vernehmen] beginnen h1 127,3 das Subjekt] der Sprecher h1 127,6 dem einen polyphonen Dasein] der einen erhabnen Fülle h1, H3 127,4 desselben Dichters] fehlt D6, D7 dieses Dichters D8 127,12 Oben und unten sind aneinander gebunden.] fehlt h1 1

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127,16 gottbegeisterter] verzückter h 127,17 Geschöpflichkeit] Sterblichkeit h1 127,17 Leere] [Wüste] ! Leere h1 127,25 vorübertasten] vorüberstammeln h1 127,33-34 zu spüren] zu spüren, zu fühlen, zu erleben h1, H3 128,17 Erfahren] Faktum H3 128,17 Erfahrnes] Inhalt H3 128,19 beseitigen] zerstören H3 129,6 ; wir verantworten es] , uns anvertraut worden H3 129,11-12 Metapher der Moral] Metapher der Moral; faktisch ist Verantwortung nur, wenn es die Instanz gibt, vor der ich mich verantworte, und »Selbstverantwortung« hat nur dann Realität, wenn das »Selbst«, vor dem ich mich verantworte, in das Unbedingte durchsichtig wird D6, D7, D8 129,12 dialogische] [antwortende] ! reale, dialogische h1 129,13-14 Moral hat Platz […] Moral] Moral, die Forderung des Fordernden, hat Platz in ihr, aber ihre Wirklichkeit, das unbedingte Sein des Fordernden, hat nicht Platz in der Moral D6, D7, D8 129,15 Innerlichkeit] Innerlichkeit [, des Gewissens,] h1 129,20 Phänomen] Tatsache H3 129,21 Entschlossenheit] Entscheidung H3 129,25 aufzugeben] aufzuopfern h1 129,26 besitzend, gesichert] [aufschlussgebend] ! besitzend, gesichert h1 129,31-32 – profane oder heilige – Krieg gegen] [sanktionierte Verzicht] ! – profane oder heilige – Krieg gegen h1 129,37 Perfektion ab.] Perfektion ab. [»Wort Gottes« – mit dem Wort Gottes verstopft ihr euch die Ohren und schriftgeworden will das Wort Gottes die Ohren öffnen und nicht stopfen] H3 zusätzlicher Abschnitt Die Welt annehmen // Rabbi Nachum, einer der fünf Söhne des großen Rižiner Rabbis, sprach einmal von seinem Bruder David Mosche, dem Rabbi von Czortkow, der noch bis in meine Mannestage, ein Letzter, gelebt hat: »Wenn mein Bruder David Mosche das Buch der Psalmen aufschlägt und die Lobpreisungen zu sagen beginnt, ruft Gott ihm zu: ›David Mosche, mein Sohn, da gebe ich dir die ganze Welt in die Hand, tu mit ihr was du willst.‹ Ach, gäbe er mir so die Welt, ich wüßte, was ich zu tun habe! David Mosche aber ist ein getreuer Knecht, – er reicht sie in ebendem Stande zurück, in dem er sie empfangen hat.« In jedem Augenblick wird jedem von uns Menschen die Welt in die Hand gelegt. Nicht das, was unser bildloser Gedanke die »ganze« Welt nennt – wie könnten wir die fassen! –, und doch etwas, was ganz und nicht Bruchstück, etwas, was 1

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Einzelkommentare

Welt und nicht eine Vielheit von Gegenständen ist. Es ist das, was wir an Welt und an Ganzheit wahrzunehmen vermögen, das, womit wir eben jetzt zu tun bekommen, die jeweilige Konkretheit, die jeweilige Wirklichkeit, meine ganze gegenwärtige Welt. Sie wird mir zugereicht, zu meiner Einsamkeit, zum Abgrund dieses meines Ich herangereicht. Vermöchte ich das Inventar all der Dinge und Wesen aufzunehmen, aus denen sie zu bestehen scheint, vermöchte ich jedes von ihnen auch noch bis in seinen plasmatischen Ursprung zurück zu verfolgen, ich würde nicht mehr von ihrem Weltsein und von ihrem Ganzsein begreifen als jetzt, da ich ihr wie einer prallen Frucht, die mir in die hohle Hand die fühlende, gelegt wird, begegne. / Zum Nehmen, zum Annehmen wird mir die Welt gereicht. Ich kann sie auch abweisen. Das Abweisen hat ebensowenig mit »Pessimismus« wie das Annehmen mit »Optimismus« zu schaffen; das sind Brettspielregeln ohne eigenen Sinn; ich brauche die Welt nicht »schlecht« zu finden, um sie abzuweisen, nicht »gut«, um sie anzunehmen, – das einzige rechtmäßige »Gut«, das ihr zugesprochen ist, das der Schöpferrede in der Schöpfung, mit dessen Steigerung zum »Sehr gut« nach einer jüdischen Überlieferung der Tod bestätigt wird, bleibt mir ja doch entrückt. Ich weise die Welt ab, wenn ich, statt sie anzunehmen, sie hinnehme. Wenn ich nicht erfahre, nicht erfahren will, daß sie mir gegeben wird und von mir zu empfangen ist. Wenn ich auf die Frage, die man durch die Gabe an mich richtet, nicht das Ja meiner Person und persönlichen Existenz antworte. Wenn ich diese Welt nicht verantworte. Ich kann ihr jenes »Gut« und »Sehr gut« des Schöpfers nicht zusprechen, aber ich kann sie annehmen und verantworten. / Doch für den »getreuen Knecht« gilt es ja nicht bloß anzunehmen, sondern auch noch »zurückzureichen«. / Meine Welt ist mir anvertraut. Sie ist mir zu treuen Händen übergeben. Sie soll von mir betreut werden. Sie will mir vertrauen dürfen. Das ist die Realisierung der Verantwortung: diese meine Betreuung, dieses ihr Vertrauen, diese unsere Treue. / Ist es aber nicht ein »Quietismus«, daß ich die Welt, wenn ich ein getreuer Knecht heißen will, in ebendem Stande zurückzureichen gehalten sei, in dem ich sie empfangen habe? Auch der Quietismus ist nur eine Brettspielregel. Der Mensch ist wahrhaftig eingesetzt, und das Verhältnis zwischen Gottes Willen und dem seinen ist ein Geheimnis, das der dogmatischen Festlegung widerstrebt. / Soll ich denn aber die Welt nicht ändern wollen? Ist sie nicht änderungsbedürftig? nicht hilfsbedürftig? nicht bedürftig meiner sie ändernden Hilfe? Gehört nicht eben dies zu meiner Verantwortung ihrer, daß ich, indem ich sie zu ändern

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trachte, zur Stillung ihres Bedürfens, zur Füllung ihres Mangels beitrage? »Ach, gäbe er mir so die Welt, ich wüßte, was ich zu tun habe!« / Sowie ich die Welt annehme, beginnt meine eigentliche Wirkung auf sie. Ich lebe mit ihr, mein Leben mit ihr bestimmt ihr Leben mit. Ich sorge um das mir Anvertraute, meine Sorge betätigt sich, hilft der Welt zu ihrem Gedeihen. An Änderung denke ich nicht, nur daß sie, die ich empfangen habe, sei, bleibe, gedeihe. Wie sollte ich ändern mögen, was mir zugereicht worden ist? Nur darauf muß ich etwa sinnen, mich zu ändern, damit ich mit ihr recht leben kann. Aber sie, die ich nicht ändern will, sie ändert sich, indem ich mit ihr lebe. Heißt das, daß sie doch anders wird, als da ich sie empfing? Es heißt, daß der Stand, in dem ich sie empfangen habe, ein lebendiger, ein Lebens-Stand war, der also zu seiner Gestalt erwachsen will, und daß er durch meine Verbundenheit, durch meine Verantwortung sich erfüllt. Sie, meine Welt, hat keinen andern Mangel, kein andres Bedürfen. Sie verlangt nach keiner Gerechtigkeit als der mit mir, nach keinem Frieden als diesem. Aber wenn ich ihr das erfülle, erfülle ich die Gerechtigkeit und den Frieden. D5 130,2 Begrenzung] Abgrenzung H3 130,3-142,39 Die Bereiche […] gemeinsamen Abgrund.] fehlt H3 130,4-5 auch dann nicht […] Monologs, wenn] durchaus nicht […] Monologs. Auch nicht, wenn d2 130,13 der Intention] dem Verlangen d2 130,18-19 und sich doch […] entrückt dünken] fehlt d2 130,35 auf jemand einzuwirken] jemand zu beeinflussen d2 130,37-38 des gemachten Eindrucks] der gemachten Wirkung d2 131,2 fragwürdig] problematisch d2 131,5 Dialoggespenster] Truggebilde D7, D8 131,14-15 metamorphosenreiche] wandlungsreiche d2 131,15 nicht] nicht, das leibt wie er und ihm auch ohne Stimme Botschaft zuzutragen weiß d2 131,26-27 Selbst hinaustasten.] Ende von d2 131,32 stehen] unmittelbar stehen H3 131,36 in den Zeiten] in den Zeiten [(und vermag mir niemand in den Zeiten vorzustellen)] H3 131,41-132,1 wirkliches] faktisches H3 131,18 menschhaften] [erdhaften] ! menschhaften H3 132,28 Wahrheit] [Wirklichkeit] ! Wahrheit H3 133,3 Vorhandenen] Bestehenden H3 133,7 tragstarken Damm] tragstarke Brücke H3 133,9 bildlich] bildhaft D6, D7, D8

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133,30 tief erregende] ans Herz greifende H 133,33 ungeheure] gewaltige H3 134,13 dünkte] erschien D6, D7, D8 134,23 substantiell] elementar H3 135,12 rechtschaffnen] redlichen D7, D8 135,23-24 Freilassung […] Freilassung] Loslassung […] Loslassung D6, D7, D8 136,5 Verwandlungen] [Abgrundfahrten] ! Verwandlungen H3 136,10 Kunst] nicht hervorgehoben H3 136,10 von ihrem Ursprung her] fehlt H3 136,13 Schritt] Menschenschritt H3 136,16 Gedanken] nicht hervorgehoben H3 136,22 herrlich] glorreich D6, D7, D8 136,32 noch ihre Einwandlung] das [Höchste,] nächste, ihre Einverwandlung H3 136,33 bezugstiftende] raumschaffende, bezustiftende H3 137,18 Du-Ich] »Ich« H3 138,14 unwirkliche] Unwirkliche D6, D7, D8 138,27 gegenwärtigen] faktischen H3 138,29 Eros] [Amor bifrons] ! Eros h2 138,30-31 leichten] fehlt h2 138,33-34 Urgott Wunsch] Urwunsch h2 138,33 die Welt] alle [Dinge] ! Wesen h2 138,35 Seelensphäre] Sphäre h2 138,35 in daimonischer Willkür] [willkürlich seine grosse Willkür übend] ! in daimonischer Willkür h2 138,36 Wesenbefruchtungen] Seelenbefruchtungen h2 139,4 unter zähen Sterblichen zu hausen] unverwandelt zwischen zähen Sterblichen zu weilen h2 139,4-5 die dürftigen Liebesgebärden […] zu lenken] den Liebesgebärden […] zu dienen h2 139,7-8 – denn seine Macht […] der ihren –] h– denn seine Macht […] der ihren –i h2 139,10 hübengewordenen] zum Hüben gewordenen D7, D8 139,11 Die Getreuen] Das also sind die Getreuen h2 139,11 , des flügelstarken] fehlt h2 139,12 schlichter] unmittelbarer h2 139,13-35 nicht wie ein gesehenes […] ich glaube] die von ihm aus auch das gemeinsame Ereignis, also von zwei Seiten her, zu empfinden bekommen, und so erst, nun erst Ereignis [leibhaft] ! körperhaft begreifen; [Textverlust] h2 3

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139,37 vielfältig] vielfältig [und kompliziert] h 139,39 Fluggebrochnen] Fluggebrochnen [, der von keinem Meister als dem seinen wissen will] h2 139,39-40 Da streift ein Verliebter umher] [Da ist einer, der in seine Leidenschaft verliebt ist und einer, der sich mit seinen hgrosseni Gefühlen dekoriert; einer, der das Abenteuer seines Faszinierens geniesst und einer, der dem Spektakel seiner »Hingabe« zuschaut; einer, der sich am Brand des ihm Zugefallnen wärmt] ! Da streift ein Verliebter umher h2 139,41 differenzierten] grossartigen h2 [grossartigen] ! erhabnen H3 140,1 Faszinierens] Faszinierens [, und tröstet sich, dass er mit der Welt nicht zusammenkam] h2, H3 140,4-5 zugleich als […] zu sein] Idol zu sein h2, H3 140,6 Da experimentiert] [Da beobachtet einer.] Da experimentiert h2 140,12-13 das Tun […] mitsammen] Aktion und Passion h2 140,14 Zugreifen] aufrührenden Zugreifen h2 [aufrührenden] Zugreifen H3 140,16-18 diese ihre Wirkungsgewalt […] Werks Eros] Wirkung, von der sie etwas in den eignen Fingerspitzen »erleben«, delektieren und dabei Eros h2 140,16 diese ihre Wirkungsgewalt schmecken] Wirkung, von der sie etwas in den eignen Fingerspitzen »erleben«, [delektieren] ! geniessen H3 140,20-25 Sie fassen […] zwischen ihnen.] fehlt h2 140,26 Gemeinschaft] Beginn von d4 140,28 , in der Gegenwart wie in der Geschichte,] fehlt h2 140,33 ihn erfüllt] in ihm herrscht h2 140,34 verstärkt] verbürgt h2 140,35 begeisterter] enhusiastischer h2 140,35 der Genossen] aller Mitglieder h2 140,36 ja man hat […] vorzuziehn] dieser zweite Weg wird unter Umständen vorgezogen h2 141,3-5 Man nimmt […] verloren] Wenn ich Kommunisten von dem Gemeinschaftsernst palästinensischer Arbeitersiedlungen erzähle, pflegen sie sich über die Rückständigkeit solch einer sentimentalen »Oasen«-Gesinnung zu empören h2 141,5-6 diesen vereinfachenden […] Eigenwert einer Gruppe] diese [Perspektivik] ! ausschliessliche Abschätzung auf Zweck und Erfolg bleibt vom [Wert] ! Gehalt einer Gruppe h2 141,7 Beschaffenheit] Dasein h2 141,8 Die Verkehrtheit […] Widersinn.] fehlt h2 2

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141,9 Realisierung] Erfüllung H 141,11 Geltung] Freiheit D6, D7 141,11 auf das Leben] fehlt H3 141,14-15 , sie zu mästen,] fehlt h2 141,20 Einrichtungen] Einrichtungen und Machtverteilungen h2 141,25 heimlichen] geheimen h2 141,26-27 Kein Weg […] ihm gleicht.] fehlt h2, H3, d4 141,26-27 andern Zeil als zu dem, das ihm gleicht] Ziel anderer Art als die seine D7, D8 141,31 Verbindung] Verbündung h2, H3, d4 141,35 Beieinandersein] Miteinandersein h2, H3, d4 141,38 Fluten] Fluten der Seelenflut h2, H3 141,38 erfährt] tausendfältig erfährt h2 141,39 Das Kollektiv] Die Kollektivität H3 141,39 einem organisierten Schwund] einer Atrophierung h2 141,41 Flucht] Flucht und Zuflucht h2 Flucht, Zuflucht H3 142,2 den Einsatz des Selbst] das Wesen h2 142,5 »Sentimentalität«] »Sentimentalität«, auf die »Romantik« h2 142,12 Kraft] Tiefe h2 142,15 ins Leere gesungen wurden] [ein Unfug] ! eine X waren h2 142,17 edelsten] strengsten h2, H3, d4 142,18-19 erschriene] erpolitisierte, erorganisierte h2 erschriebene d4 142,19-20 in die mächtigen Faltenwürfe der Haltung] gut maskierte h2 142,23 Der Oberfläche nach] Scheinbar h2 142,32 aufgetreten] [verkleidet] ! gebärdet h2 142,37 stabilisieren] regulieren D6, D7, D8 142,37-38 , die von links […] stabilisieren wollen,] fehlt h2 142,39 gemeinsamen Abgrund.] Ende von d4 143,1-2 Dritter Abschnitt / Bewährung] fehlt H3 143,3 Gespräch mit dem Gegner] Der bedingte Mensch H3 143,11 negativem] umgekehrtem H3 144,20 gekonnt] gekonnt [, vom Menschen wird es gekonnt] H3 144,29 Zeitung] Setzerei D7, D8 144,31 Eingespannten] [Eingekapselten] ! Ratsuchenden H3 146,7-8 , sondern unvermeidlich […] werden,] fehlt H3 146,26 Fanatikern der Zeitgemäßheit] Optimisten H3 147,9-10 gesichthabender] mannigfaltiger H3 147,13 Menge] Fülle H3 147,19 Umfang] Grösse H3 147,21 Personen] Personen [, sofern sie ihm »anvertraut« sind,] H3 147,22 behandelt] behandelt [, sie also in diesem Maß »verantwortet«] H3 3

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147,26 ihn beglaubigen] ihn in ihren Augen beglaubigen (womit natürlich nicht gesagt sein soll, daß solche Mehrleistungen mit Notwendigkeit kämen: zwischen Wahrheit und Erfolg gibt es keine prästabilierte Harmonie) D6, D7, D8 148,1 lautwerdenden] sich manifestierenden H3 149,27 Verkündern] Getreuen H3 149,1-12 Nachwort […] erörtert.] fehlt D6, D7, D8 Wort- und Sacherläuterungen: 114,3 Urerinnerung] Buber erläutert in einem Brief vom 2. Dezember 1932 an Ernst Simon: »Mit ›Urerinnerung‹ meine ich eigentlich […], daß ich den Traum, den ich behandle, selbst als eine Erinnerung an eine Urwelt (die Höhle, der Kampf mit dem kleinen Raubtier und andere Züge, die ich nicht erwähne) verstehe.« B II, S. 451 f. 114,8 wie die Syrakuser Latomien] Die berühmten »Latomien« von Syrakus sind Höhlen, die in griechischer Zeit durch den Abbau von Steinen entstanden sind, die für jede Art von Bauvorhaben in der syrakusischen Metropole benötigt worden waren. 114,8-9 in einem Lehmbau, der mich im Erwachen an die Fellachendörfer erinnert] Fellachen sind die einfachen, oft rechtlosen und von der städtischen Bevölkerung geringgeschätzten Ackerbauern Ägyptens. Ihre Häuser bestehen oft aus Lehm. 116,3 Franziskusjünger Ägidius] Aegidius von Assisi (von 1208 an Jünger des heiligen Franziskus, starb 1262). Buber verwendete Aufzeichnungen ekstatischer Zustände des Aegidius in den Ekstatischen Konfessionen, S. 59-62 (jetzt in: MBW 2.2, S. 97-98). 116,3-4 Ludwig von Frankreich] (1214-1270): König von Frankreich; führte zwei Kreuzzüge an; gilt als Vorbild eines christlichen Königs; 1297 heiliggesprochen. 116,4 von zwei chassidischen Rabbis] Vgl. die Erzählung »Der Weg des Schweigens« aus Bubers Die Erzählungen der Chassidim, Zürich: Manesse 1949, S. 818 f. (jetzt in: MBW 18.1, [Nr. 1232]): »Einst kamen Rabbi Mendel, der Sohn des Zaddiks von Worki, und Rabbi Eleasar, der Enkel des Maggids von Kosnitz, zum erstenmal zusammen. Sie gingen ohne Gefährten in eine Stube, setzten sich einander gegenüber und schwiegen eine Stunde lang. Dann ließen sie die andern ein. ›Nun sind wir fertig‹, sagte Rabbi Mendel.« 116,6 »im Spiegel des göttlichen Angesichts stehend«] Vgl. Buber, Ekstatische Konfessionen, S. 62 (jetzt in: MBW 2.2, S. 98): »Und im ewigen Spiegel stehend, erfuhren wir mit vollkommener Tröstung, was er mir zu sagen gedacht hatte, was ich ihm, ohne Geräusch der Lippen

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und der Zunge, und besser, als wenn wir mit den Lippen geredet hätten.« 117,17 als in Platons genealogischer Mythe] In Platons Symposion ist Eros kein Gott, sondern ein am Geburtstag der Göttin Aphrodite gezeugter Daimon. Seine Eltern sind Poros (Findigkeit, Erfindergeist, Betriebsamkeit, Reichtum) und Penia (Mangel, Armut), so dass er immer ein Bedürftiger und Unruhiger ist, ein Suchender nach dem Glückseligen und Guten (Platon, Symposium, 203b ff.; vgl. hierzu Karl Matthäus Woschitz, »Die Macht der Liebe«, in: Disputatio philosophica, Vol. 13, No. 1, Prosinac 2011, S. 121-135, hier S. 123). 117,20 ich werde davon noch zu reden haben] Vgl. den zweiten Abschnitt dieses Buches, S. 138-140 in diesem Band. 117,39 Meine Freundschaft mit einem nun Toten] Es kann sich nur um Florens Christian Rang handeln, einen dt. protestantischen Theologen und Schriftsteller, der 1924 verstorben war. 118,7-8 die Zusammensetzung des größeren Kreises] Es ist der ForteKreis gemeint, der im Juni 1914 zu Pfingsten zu einer Gründungstagung in Potsdam zusammenkam. Beabsichtigt war, angesichts der wachsenden Spannungen in Europa eine übernationale Vereinigung von Intellektuellen zu schaffen, die eine friedliche Verständigung bewirken sollte. Neben Buber gehörten dem Kreis Erich Gutkind (1877-1965), Gustav Landauer, Frederik van Eeden (1860-1932), Henri Borel (1869-1933), Theodor Däubler und Florens Christian Rang an. Zum Forte-Kreis vgl. die Einleitung in MBW 1, S. 68-73. 119,26-27 Die These des Religionsgesprächs darf nicht »versinken«] Rückverweis auf 118,25 oben. 119,32 Zwingli] Huldrych (Ulrich) Zwingli (1484-1531): schweiz. Theologe; legte die Grundlage für die reformierte Kirche in der Schweiz. 119,33 Calvin] Johannes Calvin (1509-1564): bedeutender franz. Reformator; verhalf der Reformation zum Durchbruch in Westeuropa. 119,33-34 Servetos Tod] Miguel Serveto (1509/11-1553): span. Arzt und humanistischer Gelehrter; wurde wegen Zweifel an der Trinitätslehre nicht zuletzt auf Betreiben Calvins verbrannt. 122,13-14 Im Haus der Sprache sind viele Wohnungen] Mögliche Anspielung auf Joh 14,2. 123,31-33 uralten Aberglaubens, […] menschlichen Person hätten] Gemeint ist die Astrologie. 123,40 Auguren] römische Beamte, die aus dem Verhalten von Tieren, etwa dem Flug der Vögel, Hinweise der Götter herauslesen sollten, ob diese den Vorhaben des Staates gewogen seien oder nicht.

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124,12-14 Vom »Aberglauben« […] nicht einmal der Affe] Buber deutet die Gnosis im Gegensatz zum echten Glauben als Synonym für die Es-Erfahrung im religiösen Bereich. Vgl. Lorenz Wachinger, Der Glaubensbegriff Martin Bubers, München 1970, S. 182. 124,40 Strawinskis Ballet] Buber meint vermutlich das »Petruschka Ballet« (1911) des russ. Komponisten Igor Strawinsky (1882-1971) dessen Handlung auf einem Jahrmarkt in St. Petersburg spielt. 125,34-35 unbekannten jungen Menschen] Nicht ermittelt. 127,16 Es wird erzählt] Es handelt sich vermutlich um eine Geschichte aus den Upanischaden. 131,20 état d’âme] Frz. für »Seelenzustand«. 132,14-16 Zu Unrecht hat Luther […] »Nächsten« verwandelt] Luther übersetzt Lev 19,18 mit »Nehesten«. Die Septuaginta gibt die Stelle mit πλησιον wieder, während die hebräische Bibel vom ‫ ֵרַע‬spricht. 132,15 die Siebzig] Buber meint die Septuaginta. Gemäß der legendären Überlieferung sollen 72 jüdische Gelehrte in Alexandrien die Tora ins Griechische übertragen haben. 133,26 Elfjährig, auf dem Gut meiner Großeltern den Sommer verbringend] Vgl. dieselbe Stelle im Abschnitt »Das Pferd«, in Begegnung, Bubers autobiografischen Fragmenten, jetzt in: MBW 7, S. 281-282. 135,2-3 auch meine hat das einst getan] Vgl. S. 22 der Einleitung zu diesem Band und die entsprechenden Passagen in Ich und Du, jetzt S. 87 in diesem Band. 135,15-16 Ungrund] Auf den deutschen Mystiker Jakob Böhme (15751624) zurückgehender Ausdruck. In seiner Dissertation (Zur Geschichte des Individuationsproblems, jetzt in: MBW 2.1, S. 75-101, hier S. 96) verweist Buber zur Erläuterung von Böhmes »Ungrund«, dessen Herkunft von den Valentinianern und dessen Nachwirken bei Schelling auf Arthur Schopenhauer, Ueber die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde. Eine philosophische Abhandlung, 2. Kap., § 8: »Daß er [Schelling] übrigens die ganze Fabel [vom Ungrund] aus Jacob Böhmes ›Gründlichem Bericht vom irdischen und himmlischen Mysterio‹ genommen hat, ist heutzutage bekannt genug: woher aber Jacob Böhme selbst die Sache habe und wo also eigentlich der Ungrund zu Hause sei, scheint man nicht zu wissen; daher ich mir erlaube, es herzusetzen.« In: Arthur Schopenhauer, Sämtliche Werke, hrsg. von Wolfgang Frhr. von Löhneysen, Bd. III: Kleinere Schriften, Darmstadt 1962, S. 5-189, hier S. 29. 135,24 creator spiritus] Lat. »Schöpfergeist«. 136,24-25 Platon hat […] sich selber genannt.] Vgl. Platon, Sophistes 263e, 9-11.

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Einzelkommentare

137,21-32 »Der Mensch […] Vermittlerin als die Sprache.«] »Schon das Denken ist wesentlich von Neigung zu gesellschaftlichem Daseyn begleitet, und der Mensch sehnt sich, abgesehen von allen körperlichen und Empfindungs-Beziehungen, auch zum Behuf seines blossen Denkens, nach einem dem I c h entsprechenden D u ; der Begriff scheint ihm erst seine Bestimmtheit und Gewissheit durch das Zurückstrahlen aus einer fremden Denkkraft zu erreichen. Er wird erzeugt, indem er sich aus der bewegten Masse des Vorstellens losreisst, und dem Subject gegenüber, zum Object bildet. Die Objectivität erscheint aber noch vollendeter, wenn diese Spaltung nicht dem Subject allein vorgeht, sondern der Vorstellende den Gedanken wirklich ausser sich erblickt, was nur in einem andren, gleich ihm vorstellenden und denkenden Wesen möglich ist. Zwischen Denkkraft und Denkkraft aber giebt es keine andre Vermittlerin, als die Sprache.« Wilhelm von Humboldt, Über den Dualis [1828], in: ders., Gesammelte Schriften, hrsg. von der Preussischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 6, Berlin 1907, S. 26. 137,21 Wilhelm von Humboldt] (1767-1835): preuß. Gelehrter, Sprachphilosoph, Schriftsteller und Staatsmann. 137,33 Ludwig Feuerbach] (1804-1872): dt. Philosoph und Religionskritiker; zunächst Junghegelianer, arbeitete Feuerbach später eine als materialistisch deklarierte Anthropologie aus, die wesentlich auf zwischenmenschliche Beziehungen abstellte. 137,33-35 »Die wahre Dialektik […] Ich und Du«] Ludwig Feuerbach, Grundsätze der Philosophie der Zukunft, in: ders., Gesammelte Werke, Bd. 9, hrsg. von Werner Schuffenhauer, Berlin 1967, S. 339. 137,38-39 »innerliches« (Novalis) Du] »Eine wahrhafte Liebe zu einer leblosen Sache ist wohl gedenkbar, auch zu Pflanzen, Thieren, der Natur ja zu sich selbst. Wenn der Mensch erst ein wahrhaftes innerliches Du hat, so entsteht ein höchst geistiger und sinnlicher Umgang und die höchste Leidenschaft ist möglich.« Novalis Schriften, hrsg. von Ludwig Tieck u. Friedrich Schlegel, Stuttgart 1826, S. 104. 137,39 Novalis] eigentlich Georg Philipp Friedrich von Hardenberg (1772-1801): dt. Schriftsteller und Philosoph der Frühromantik. 138,30-32 Die Griechen haben […] Eros unterschieden] Platon, Symposion 180c–e. Vgl. James M. Rhodes, Eros, Wisdom, and Silence, Columbia 2003, S. 216-218. 138,34 »zarter Albgeist«] Jacob Grimm, Über den Liebesgott, Berlin 1851, S. 16: »ein Eros als sanfter knabe in entfalteter schönheit oder als zarter albgeist mag uns gefallen«. 138,34 Jacob Grimm] (1785-1863): dt. Sprach- und Literaturwissenschaftler; Begründer der dt. Philologie und Altertumswissenschaft.

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138,37 »Pandemos«] »Pandemos«: griech. Beiname der Aphrodite. 139,1 Priapos] griech. Gott der Fruchtbarkeit. Mit der Gegenüberstellung von Eros und Priapos meint Buber den Gegensatz von höherer Liebe und bloßer Wollust. 139,10 »erkennen«] Im Sinne des biblischen jadaʿ , welches das leibliche Erkennen des Gegenübers miteinschließt. 140,18 profanum vulgus] Lat. »gemeinem Volk«. 140,24-25 Einwohnung des Seienden zwischen ihnen] Anspielung auf die Schechina, d. h. Gegenwart bzw. Einwohnung Gottes, des Seienden. Vgl. die Erläuterung zur Übersetzung des Gottesnamens in Ex 3,14, die in der Verdeutschung Buber und Rosenzweigs: »Ich werde da sein als der ich da sein werde« lautet. Vgl. Zu einer neuen Verdeutschung der Schrift – Beilage zu dem Werk »Die fünf Bücher der Weisung«, verdeutscht von Martin Buber, Olten (Schweiz): Jakob Hegner 1954, Abschnitt 8 (jetzt in: MBW 14, S. 186-221, hier S. 207 f.) 141,15-17 »Kommende Sternengeschicke […] reichsunmittelbar.«] Bubers Verse spielen auf das Ranke-Wort an, dass »jede Epoche unmittelbar zu Gott sei«. Vgl. Lorenz Wachinger, Der Glaubensbegriff Martin Bubers, S. 141, Anm. 19. 143,4 amicus] Lat. »Freund«. 143,5-6 mit einem Zeigefinger, […] wie Grünewalds Täufer] Der deutsche Maler Matthias Grünewald (1475/1480-1528/1532) gestaltete den »Isenheimer Altar«, der die Stationen Christi nachzeichnet. Die Bildtafel, welche die Kreuzigung darstellt, zeigt auch Johannes den Täufer, der auf den Verstorbenen mit den Zeigefinger verweist. Buber bezieht sich auf den Altar, der seit der Jahrhundertwende zunehmend populär geworden war, bereits 1914 in dem Text »Der Altar« (jetzt in: MBW 1, S. 249-252). 143,7 hostis oder adversarius] Lat. »Feind«. 143,12 inimicus] Lat. »Feind, feindlich«. 144,33 luxure] Frz. »Sinnengenuss«. 145,26 quantum satis] Lat. »so viel wie nötig« 146,31-34 »ein lustiges […] frei laufen konnte«] Hendrik de Man, Der Kampf um die Arbeitsfreude, Jena 1927, Fall 69 m 25, S. 97-105, hier S. 103. 146,34-35 Geschichte von Androklus und dem Löwen] Z. B. in Aulus Gellius: Die attischen Nächte, übers. von Fritz Weiss, Darmstadt 1965 (V. Buch, Cap. 14.) S. 294. 148,6 quantum satis] Vgl. Wort- und Sacherläuterung zu 145,26 149,6 Victor von Weizsäcker] Viktor von Weizsäcker (1886-1957): dt. Mediziner, Physiologe, Anthropologe. Mitherausgeber der Zeitschrift

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Die Kreatur (1926-1930) mit Martin Buber und Joseph Wittig (18791949). Entwickelte die Theorie des Gestaltkreises auf der Grundlage der Gestaltpsychologie. 149,7 Joseph Wittig] (1879-1949): dt. kath. Kirchenhistoriker, Priester und Schriftsteller; 1926 exkommuniziert; 1926-1929 Mitherausgeber der Zeitschrift Die Kreatur zusammen mit Martin Buber und Viktor von Weizsäcker; 1948 Aufhebung der Exkommunikation. Die Frage an den Einzelnen Ebenso wie Zwiesprache verstand Buber seine 1936 im Schocken Verlag erschienene Schrift Die Frage an den Einzelnen als Abschluss der »bloßen Ergänzung zu Ich und Du«; erst jetzt sei er »intensiv mit der eigentlichen Fortsetzung [von Ich und Du] befaßt« (Brief an Ernst Simon vom 13. Oktober 1936, in: B II, S. 612). Im selben Brief bezeichnet Buber die Schrift als »theologische[n]-politischen[n] kleine[n] Traktat«. Die Schrift ist die »Ausarbeitung eines Ende November 1933 vor den Studentenschaften der drei deutschen Universitäten der Schweiz gehaltenen Vortrags«, informiert Buber seine Leserschaft (in diesem Band, S. 152). Das erste Kapitel abzüglich einer kurzen Überleitung am Schluss erschien bereits mit dem Untertitel »Ueber Stirner und Kierkegaard« in Bd. 1, Nr. 10 vom 15. Oktober 1936 der Zeitschrift Synthese (S. 300-308). Vorangestellt ist dem Aufsatz ein Motto von Paula Buber: »Verantwortung ist der Nabelstrang der Schöpfung«, und Verantwortung ist das Thema dieses »kleine[n] politisch-theologische[n] Traktat[s]« (Brief an Hans Trüb vom 15. Februar 1933 in: B II, S. 468; vgl. auch den Brief an Hermann Gerson vom 15. Dezember 1932, in: B II, S. 454), den er »innerlich« Anfang 1933, vor einer Grippeerkrankung, bereits »fast fertig hatte« (B II, S. 468), sich dann aber neu erarbeiten musste. Die Zeitumstände taten das Ihre dazu, das Buch erschien dann »1936 in Deutschland, erstaunlicherweise, da es die Lebensbasis des Totalitarismus angreift. Dass es unbehelligt veröffentlicht werden konnte, ist gewiss daraus [zu] erklären, dass es bei den zuständigen Instanzen nicht verstanden worden ist.« (Vorwort zu Between Man and Man, in diesem Band, S. 196). Das Buch beginnt mit einem Vergleich von Sören Kierkegaards »Einzelnem« und Max Stirners »Einzigem«, wobei die Sympathien Bubers für Kierkegaard deutlich überwiegen. Im zweiten Kapitel wird Kierkegaard dann kritisch fokussiert und anschließend, im dritten Kapitel, dessen Aufkündigung der Verlobung mit Regine Olsen vor dem Hintergrund

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seiner Philosophie problematisiert. Buber knüpft daran die Frage der verantwortlichen Beziehung zur Gesellschaft, und wendet sich dann kritisch den politischen Strömungen seiner Zeit zu. In diesem Zusammenhang kommt Buber auf die Bosheit des Menschen und die resultierende Rolle des Staates zu sprechen und kritisiert Gogartens Ansicht (in diesem Band, S. 188 ff.); auf Anraten Karl Ludwig Schmidts hin (B II, S. 607) sucht er briefliche Rückversicherung bei Karl Barth, ob seine Darstellung von Gogartens Position korrekt sei. Barth antwortet, er beziehe sich nur auf Bubers Äußerungen und nicht die von Buber kritisierte Gogartensche Position (B II, 608 f.), was Buber noch einmal zu einer Klarstellung veranlasst. Das abschließende Kapitel bündelt die Gedanken in der Artikulierung der Frage an den Einzelnen. Dem Erstdruck ist ein Anhang mit Nachdrucken der beiden Artikel »Was ist zu tun?« (1919) (jetzt in: MBW 3, S. 177 ff.) und »Gandhi, die Politik und wir« (jetzt in: MBW 11.1, S. 340 ff.) beigefügt. Das Buch wurde teilweise als vergleichsweise schwer zu lesen empfunden, teilweise aber auch freudig begrüßt, so von Wilhelm Michel: »Ich habe mich über das Buch sehr gefreut, weil es schön gedacht ist und weil die Wahrheit seiner Grundthese, das Bestehen auf der Wahrheitsverantwortung der Person, uns alle unverbrüchlich bindet.« (B II, S. 619) Auch so unterschiedliche Autoren wie Ludwig Binswanger (1881-1966), Hermann Herrigel (1888-1973), Emil Brunner und Albert Schweitzer (18751965) danken Buber für die Übersendung des Buches und erklären sich mit Bubers Ausführungen weitgehend einverstanden. Binswanger sieht in ihnen »auch einen Bundesgenossen nicht nur gegen Kierkegaard, sondern auch gegen Heidegger« (Binswanger an Buber, 17. November 1936; B II, S. 621) obgleich Herrigel kritisiert, Buber habe Carl Schmitt falsch aufgefasst (B II, S. 622 ff.). Schweitzer hält die Auseinandersetzung »mit diesem armen Psychopathen Kierkegaard« für obsolet (Brief an Martin Buber vom 27. November 1936, in: B II, S. 625). Textzeugen: H: Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350 02 10); 45 paginierte Blätter (einschließlich Titelblatt) eines Notizbuches; in der Regel einseitig beschrieben; vereinzelt finden sich auf der Blattrückseite Ergänzungen zum Text der Blattvorderseite; beschrieben mit blauer Tinte; mit Korrekturen versehen. TS1: Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350 02 10); 18 geheftete, paginierte Blätter; enthält die Mitschrift des Vortrags »Der Einzelne und das öffentliche Wesen«, gehalten in Zürich, am 29. November 1933. Die Mitschrift ist später überarbeitet als dritter Abschnitt in Die Fra-

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Einzelkommentare

ge an den Einzelnen eingegangen. Der Text wird im Folgenden reproduziert. ts2: Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350 02 10); 24 lose, paginierte Blätter, einseitig beschrieben; mit wenigen handschriftlichen Korrekturen versehen. Das Typoskript enthält neben einer nicht in den Druck aufgenommenen Vorbemerkung den Text des ersten Abschnittes. d1: Vorabdruck: »Der Einzige und der Einzelne«, Synthese, I/12, 15. Oktober 1936, S. 300-308 (MBB 543). D2: Berlin: Schocken 1936, 124 S. (MBB 533). D3: Dialogisches Leben – Gesammelte philosophische und pädagogische Schriften, Zürich: G. Müller 1947, S. 187-256 (MBB 761). D4: Die Schriften über das dialogische Prinzip, Heidelberg: Lambert Schneider 1954, S. 183-253 (MBB 951). D5: Das dialogische Prinzip, Heidelberg: Lambert Schneider 1962, S. 197-267 (MBB 1188). D6: Werke I, S. 215-266 (MBB 1193). Druckvorlage: D2 Übersetzungen: Englisch: The Question to the Single One, in: Between Man and Man, übers. von Ronald Gregor Smith, London: Routledge & K. Paul 1947, S. 40-82 (MBB 760); The Question to the Single One, in: Between Man and Man, übers. von Ronald Gregor Smith, New York: MacMillan 1948, S. 40-82 (MBB 783); The Question to the Single One, in: Between Man and Man, übers. von Ronald Gregor Smith, Boston: Beacon Press 1955 (MBB 980); The Question to the Single One, in: Will Herberg (Hrsg.), Four Existentialist Theologians. A Reader from the Works of Jacques Maritain, Nicolas Berdyaev, Martin Buber and Paul Tillich, with an Introduction and Biographical Notes, Doubleday Anchor Books, New York: Doubleday & Company 1958, S. 204223 (MBB 1103); The Question to the Single One, in: Between Man and Man, übers. und eingel. von Ronald Gregor Smith, London: Collins, The Fontana Library 1961 u. 1974, S. 60-108 (MBB 1159); The Question to the Single One, in: Between Man and Man, übers. von Ronald Gregor Smith, mit einer Einleitung von Maurice Friedman, New York: MacMillan 1965, S. 40-82 (MBB 1266). Französisch: La question qui se pose à l’individu, in: La Vie en dialogue, übers. von Jean Loewenson-Lavi, Paris: Aubier 1959 (MBB 1122).

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Hebräisch: Ha-sche’la sche-jachid nisch’al, in: Be-sod Siach. Al adam wa-amidato nokhach ha-hawaja, übers. von Zwi Woyslawski, Jerusalem: Mossad Bialik 1959 (MBB 1133). Italienisch: La domanda rivolta al singolo, in: Il Principio diologico, übers. von Paolo Facchi u. Ursula Schnabel, Mailand: Edizioni di Communitá 1959 (MBB 1121). Abdruck von TS1: D e r E i n z e l n e u n d d a s ö f f e n t l i c h e We s e n . Vortrag gehalten am 29. November 1933 in Zürich.

Meine Damen und Herren, zunächst ist etwas vorauszuschicken, damit mit Recht verstanden wird, wovon ich rede und nicht rede. Das Letztere ist in einem Punkte genau zu bestimmen: Ich rede nicht über einzelne Regimes, über einzelne politische Systeme der Gegenwart. Ich rede nicht über die Gesamtheit dieser Systeme oder über das eine oder andere System. Ich rede über etwas, was alle diese Systeme in irgendeiner Weise – wenn auch verschieden – betrifft, was unmittelbar auf die Existenz der Gesamtheit dieser Systeme abzielt: es geht um die Person und die Verantwortung, um den Geist und um die Wahrheit. Die Kategorie, von der ich ausgehe – in genauem Ernst ausgehe – ist die Kategorie des Einzelnen. Es geht nicht um das Individuum, sondern – Kierkegaard – um den Einzelnen. Max Stirner hat in seinem Werk »Der Einzige und sein Eigentum« das Individuum, die konkrete menschliche Person als solche, gleichsam als den Träger der Welt darzustellen versucht. Etwas andres meinte Kierkegaard: er meint die Person, die sich – so wie sie ist – mit dem Seienden konfrontiert, die dem Seienden, so wie sie es irgendwie vermag, entgegen tritt. Stirner meint letztlich ein triumphatorisches Ausweichen vor dieser Konfrontation der konkreten menschlichen Person mit dem Sein. Stirner führt den Idealismus ad absurdum. Statt des Ichs des Subjekts, mit dem sich der Individualismus als dem Träger des Weltseins befasst, setzt Stirner – damit im Zusammenhang mit Kierkegaard – die konkrete, leibhafte Person ein, aber eben als Träger der Welt. Wenn die Person so gefasst wird, dass sie dem Sein nicht mehr gegenüber steht, sondern das Sein zu haben scheint, das Sein zu sein vermeint, dann bleibt ihr nichts anderes übrig als sich selber zu ver-

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schlingen. Kierkegaard ist der erste grosse Gegner des Idealismus. Auch er setzt anstelle des Ichs die konkrete Person. Aber er setzt diese konkrete menschliche Person ein in die Konfrontation mit dem Sein. Die Person, der Einzelne, wie er sagt »ist die Kategorie, durch die in religiöser Hinsicht Zeit, Geschichte, Geschlecht hindurch muss.« Beachten Sie die Einschränkung »in religiöser Hinsicht«. Denn diese Kierkegaard’sche Konfrontation des Einzelnen mit dem Sein, dieses Ernstmachen mit der Person, dies kommt nur zustande durch Ausschaltung der Welt, und zwar der Welt als dessen, womit die Person wesentlich zu tun hat. Kierkegaard kann die Welt als etwas, womit die menschliche Person wesentlich zu tun hat, nicht zulassen. Jeder – so sagt er – soll sich nur mit Vorsicht mit andern einlassen und wesentlich nur mit Gott und mit sich selber reden. Und weiter: als der Einzelne, als die Person in diesem ernstesten Sinne, ist er (Kierkegaard meint: jeder Mensch kann der Einzelne werden. Nur Einer erreicht das Ziel, aber jeder kann der Eine werden) allein, allein in der ganzen Welt, allein vor Gott. Dieses Alleinstehen kommt dadurch zustande, dass das Dasein reduziert wird auf diese schmale Linie, auf der der Einzelne seinem Gott gegenüber steht. Das Religiöse, von dem Kierkegaard spricht, ist eben diese absondernde Macht, die die Welt ausschliesst, um den Einzelnen vor das göttliche Angesicht zu stellen. Darin liegt eine grosse Wahrheit der menschlichen Seele: das hat Augustin bezeugt, Pascal, Kierkegaard. Es liegt zugleich eine sehr grosse Problematik darin: dieser grundlegende Verzicht auf die Welt, auf das wesentliche Verhältnis zur Welt ist etwas, was Kierkegaard nicht etwas bloss in Gedanken ausgesprochen hat, – das ist sein Leben, darauf steht sein Leben. Er hat in grosser, entscheidender Weise davon gesprochen, was der Verzicht auf einen bestimmten Menschen, auf seine Braut, für ihn bedeutet hat, für sein Leben und nicht nur für dies Leben, sondern für sein Leben auf Gott zu und mit Gott. Was ist das: ein Verzicht auf eine wesentliche Beziehung zu einem Menschen, um Gottes willen? Wenn wir genau zusehen, wenn wir nicht nur die verhältnismässig direkten Mitteilungen Kierkegaards, sondern auch seine ganz indirekten einbeziehen, dann erkennen wir, dass es hier nicht um einen Verzicht auf das Leben mit einer Person letztlich geht, sondern um einen Verzicht auf das durch das Leben mit einer Person bewirkte Leben mit der Welt. Mit den Leuten, mit der Gesellschaft, mit der Welt, denn für Kierkegaard ist die Ehe ein Weg zu einem entscheidenden Verhältnis zur Welt. Wer in der Ehe steht, hat unabweislich das Verhältnis zur Welt, das der Einzelne vermeiden kann. Es geht recht eigentlich um die Absage an die Konfrontation mit dem öffentlichen Wesen. Denn die Ehe, die Familie, die entscheidende Verbindung von Menschen mit Andern ist so be-

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schaffen, dass sie zu dem öffentlichen Wesen nicht verhältnislos bleiben kann. Der Einzelne kann es, die Ehe, die menschliche Verbindung mit Andern nicht mehr. Damit hängt nun die wiederholt eingestandene Scheu Kierkegaards vor der Politik zusammen. Der Einzelne, so sagt Kierkegaard, ist die Kategorie des Geistes, der geistigen Erweckung und Belebung und ist der Politik so sehr als überhaupt möglich entgegen gesetzt. – Nun ist Politik wohl eine der Erscheinungen und Bewegungen des öffentlichen Wesens, aber Kierkegaard meint das Ganze. Vergegenwärtigen wir uns, was die Kategorie des öffentlichen Lebens für die Verwirklichung der Kierkegaardschen Kategorie des Einzelnen bedeutet? Was ist das öffentliche Wesen? Ich versuche damit, den Begriff der res publica in seinem allgemeinen Sinne wiederzugeben. Nicht bloss der Staat, sondern das politisch-statische Gebilde, der Status, das politische »So-Sein«. Das öffentliche Wesen – so gefasst – hebt sich von dem privaten Wesen ab, und zwar etwa folgendermassen, dass es sich mit der Konfrontation vom privaten und vom öffentlichen Wesen ganz verschieden verhält, dass der Mensch dem einen oder dem andern in ganz verschiedener Weise gegenüber steht. Mit dem privaten Wesen – das private ist so beschaffen, dass der Mensch je und je sich damit identifiziert, mit seiner Familie, seinem Haus, etc. sich identifiziert; er kann davon »ich« sagen – kann er sich identifizieren. Wir ist je und je nur als erweitertes Ich gemeint. Beim öffentlichen Wesen kann der Mensch der Andersgeartetheit nicht ausweichen. Er kann nicht illusionär ausweichen. In Wirklichkeit tritt ihm im öffentlichen Wesen das »Anderssein« entgegen. Trotzdem habe ich mit ihm zu schaffen, obwohl es wesentlich anders ist. Das private Wesen ist mein rechtmässiger Identifikationsbereich. Bezirke des privaten Wesens, in denen je und je zu irgendwelchen Zeiten der Geschichte die Identifikation fraglich und fragwürdig wird (z. B. die Familie, Ehe) werden im gleichen Masse selber fragwürdig. Das öffentliche Wesen ist der Bereich, der die Anderheit der mir gegenüber stehenden Menschen unausweichlich zeigt und daher der menschlichen Konfrontation die grosse Chance bietet, mit dem Andern wirklich zu tun zu bekommen, mit ihm in personhafter Verantwortung des Einzelnen zu tun zu bekommen. Es gibt Identifikationsillusionen, die eine Anderheit scheinbar überwinden helfen, die von der Konfrontation abhalten, schützen. Nehmen wir als Gleichnis das Verhältnis des Menschen zu Gott. Eine solche Identifikationsillusion, die sehr grosse, mächtige und herrliche Illusion, welche wundervolle geistige Werte erzeugt hat und je und je den Menschen verleitete, sich mit Gott zu identifizieren, ist die Mystik.

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Es gibt auch solche Illusionen, vorübergehende, historische Illusionen gegenüber dem öffentlichen Wesen. Der Einzelne taucht im öffentlichen Wesen unter, dergestalt, dass er ihm nicht mehr gegenüber stehen zu können und zu müssen glaubt. So schön und pathetisch es ist, es ist eine Illusion. Von da aus ist Kierkegaards Verwechslung des öffentlichen Wesens mit der Menge zu verstehen. Kierkegaard kennt den Begriff des öffentlichen Wesens nicht. Er kennt, wenn er von Politik spricht, nur die Menge. Menge, sagt er, ist die Unwahrheit, der Widerpart des Einzelnen. Dies ist eine schwere und für das menschliche Denken des letzten Jahrhunderts bedeutsame Folgen tragende Verwechslung. Der Einzelne in der Menge – der Mensch in ein Bündel gesteckt – bedeutet Bündelung des Menschen, der Einzelne im Verhältnis zum öffentlichen Wesen bedeutet Verbindung des öffentlichen Wesens – Staat, Gesellschaft, Partei oder wie immer –, mit dem er je und je als verantwortliche Person zu tun hat. Bei dieser Verbindung des Einzelnen muss man die Säule des Einzelnen deutlich sehen, von der ein Bogen geschlagen wird zu einem wirklichen Bund des Einzelnen zum öffentlichen Wesen. So verstanden wandelt sich der Begriff Kierkegaards des Einzelnen, wenn wir nicht zugeben wollen, dass das Verhältnis der menschlichen Person zu Gott durch Abstrich, Reduktion, durch Weglassen der Welt entsteht, wenn wir nicht zugeben wollen, dass der Einzelne jenseits der Welt, um die Welt herum die Hände nach Gott ausstrecke, und nicht um sie, die arme Welt, die Hand ausstreckt. Wenn wir nicht zugeben wollen, dass das Glaubensverhältnis der Geist der Reduktion sei, dann müssen wir wollen, dass der Einzelne – wirklich der Einzelne, der seinem Glaubensverhältnis lebt, derjenige, der dieses Glaubensverhältnis, so sehr er eben je und je vermag, in dem unverkürzten Masse seines gelebten Lebens erfüllen will – je und je der Stunde, die ihn antrifft, der biographischen, geschichtlichen Stunde, so wie sie ist, ihrer ganzen Härte, ihrem ganzen Widerspruch, ohne sich zu schonen, ohne irgend etwas abzuschwächen, standhält. Dass er die Anrede, die ihm von dieser Stunde her in Gestalt dieser Stunde zuteil wird, vernimmt, dass er mit seinem Tun und Lassen auf diese Anrede antwortet, die Stunde als ihm gewordene, ihm zugeneigte Stunde begreift. Dies gestaltet das Verhältnis des Einzelnen zur Gruppe, zur Kollektivität wesentlich anders. Der Mensch, sofern er nicht ein so subtiles und gleichsam zu diesem Zweck durch die menschliche Genialität hergestelltes Abstraktum ist, gehört der Gruppe, der Kollektivität, in die er hinein geboren ist, an. Dies ist wesentlicher Bestandteil seines Lebens. Wenn es der Einzelne ist, der einer solchen Kollektivität angehört, dann hat seine Zugehörigkeit ihre Bedeutung, dass sie je und je eine sich immer neu ergebende, niemals zu formulie-

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rende Grenze hat. Wenn der Einzelne das Wort der historischen, biographischen Stunde wahrhaft vernimmt, seines Volkes, der Menschheit Situation wirklich erfasst, wenn er sich nicht schont, sein Volk, seine Welt nicht schont, dann erfährt er, dass je und je seine Zugehörigkeit zu den Gruppen eine Grenze hat und eine andere ist. Dann erfährt er die Grenze. Der verantwortlich lebende Mensch kann also seine politischen Entscheidungen, seine politischen Handlungen nur von jenem Grunde des Daseins aus vollziehen, an dem er der Anrede inne wird. Das ist – man ist den Schlagworten ausgesetzt – kein Individualismus, hat nichts mit dem Individuum zu tun. Es wird hier nicht behauptet, dass das Individuum der Sinn, das Ziel des Daseins sei. All das hat überhaupt keine wesentliche Bedeutung. Die menschliche Person ist der unersetzliche Platz des Kampfes zwischen – eine persönliche Formulierung – der Bewegung »Welt von Gott weg« und »Welt auf Gott zu«. Die Entscheidungsschlachten im Bereiche des öffentlichen Wesens, auch die sogenannten politischen Entscheidungsschlachten werden in Wahrheit in der Tiefe des Einzelnen geschlagen. Das Entscheidende, wie sie geschlagen werden und was daraus wird, ist – wenn es in der Zeit der politischen Entscheidung noch so etwas gibt wie Person und Tiefe der Person – Grund und Kampf. Dem gegenüber – ich will nicht sagen, dieser Forderung gegenüber, denn das hiesse, als ob hier ein Sollen formuliert würde; ich möchte eher auf ein schicksalsmässiges Bedingtsein hinweisen als auf ein Sollen –, der Erfüllung jener von Kierkegaard angeregten Kategorie des Einzelnen im Hinblick auf die Ganzheit des Menschenlebens stehen, noch ehe sie wahrhaft versucht worden ist, bestimmte Verhinderungsversuche innerhalb des Geisteslebens unserer Zeit gegenüber, von denen ich einige nennen möchte. Es sind Versuche, den Einzelnen, die menschliche Person von dem öffentlichen Wesen solchermassen abzulösen, dass das öffentliche Wesen dem Verantwortungsbereich des Einzelnen entzogen wird. Das öffentliche Wesen wird als etwas schlechthin Autonomes behandelt, als etwas absolut Autonomes, nämlich als der unter dem politischen Gesetz stehende Bereich, der als solcher dem Einzelnen, seiner Verantwortung die andern Gesetzes ist, nicht unterworfen werden kann. Da ist der Einzelne mit seiner Verantwortung – dort das öffentliche Wesen. Dieser Autonomisierung des öffentlichen Wesens wird eine Anästhesierung, eine Unempfindlichmachung des Verantwortungsgefühles des Einzelnen gegenüber dem Walten dieses politischen Gesetzes unternommen. Beginnen wir mit dem Unernsthaftesten: in seiner letzten Schrift »Jahre der Entscheidung« sagt Oswald Spengler, der Mensch sei ein Raubtier. Wir sollten keine solchen Begriffe wie Verantwortung des Einzelnen ein-

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mengen. Es geht zwischen Menschen wie zwischen Raubtierscharen zu. – Diese These Spenglers ist historisch betrachtet eine Banalisierung einer These Nietzsches. Nietzsche meinte, es komme darauf an, dass die Mächtigkeit in der Geschichte sich zu sich selbst bekenne. Wenn das Bekenntnis der Mächtigkeit zu sich selbst verdrängt wird, dann geht es bergab. Nietzsche bleibt bei einer ganz selbstverständlichen Voraussetzung stehen. Worauf es ankommt, ist, dass die Mächtigkeit sich zu sich als dem einen Partner eines dialogischen Geschehens in der Geschichte bekennt. Dieser eine Partner, die menschliche Mächtigkeit, gehört dazu, nämlich als die verantwortende, die geschichtliche Taten verantwortende Mächtigkeit. Spenglers Banalisierung dieser These ist biologisch. Alles biologische Verstehen des Menschen in diesem Bereich ist Banalisierung, wenn es den Anspruch einer Aussage über die Ganzheit stellt, wie es hier geschieht. Raubtiere haben kein Geschehen. Der Panther hat eine Biographie, aber eine Geschichte hat er nicht. Es gibt auch Tierstaaten, z. B. der Termitenstaat, vielleicht sogar eine Staatschronik. Eine Geschichte hat aber weder der Panther noch der Termitenstaat; durch Raub kriegt man keine Geschichte. Der Mensch hat eine Geschichte gekriegt, weil er sich fundamental auf etwas eingelassen hat, was dem Raubtier sinnlos und grotesk erscheinen müsste, nämlich auf Verantwortung. Darauf baut sich die Person mit einem wesentlichen Verhältnis zur Wahrheit. Dadurch hört die Gattung Mensch auf, nur biogenetisch zu existieren. Es bestehen Zusammenhänge der Machtverantwortungen in der Geschichte. Spengler bedeutet eine Art der Verleugnung des Menschen in der Geschichte. Dass er die Existenz edelster Geschöpfe in vollkommenster Art zugibt, bedeutet für die Richtigkeit seiner These nichts und entbehrt jeglicher Beweiskraft. Es kommt darauf an, dass der Mensch seiner entwicklungsgeschichtlichen und geschichtlichen Art nach ein ebenso edles Geschöpf ist wie sie, dass er jene Freiheit der Kinder Gottes wirklich macht, nach der – wie Paulus sagt – alle Kreaturen den Hals recken. Ernster möchte ich die Begriffsbestimmung des Politischen nehmen, die ein bedeutender katholischer Staatsrechtslehrer, Carl Schmitt, liefert. Das Politische hat nach ihm sein eigenes Kriterium. Es ist von keinem andern Kriterium eines andern Bereiches ableitbar. Das Kriterium ist Freund und Feind, ist ebenso selbständig wie z. B. gut und böse im moralischen, schön und hässlich im ästhetischen Sinne. Er nennt die Eventualität des Realkampfes, der die Möglichkeit der physischen Tötung einschliesst. Er müsste sagen: die Absicht der physischen Tötung. Von daher gewinnt das Leben der Menschen spezifisch politische Spannung. Ich bitte Sie zu beachten, dass es bei all diesen Versuchen um die Zurückdrängung der personhaften Verantwortung geht. Auf den ersten Blick

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erkennt man wohl, dass die Schmitt’sche These die Uebertragung einer ganz bestimmten Situation aus dem privaten Leben zur Grundlage hat, nämlich der Duell-Situation. Die klassische Duell-Situation liegt vor, wenn zwei Menschen, die etwas miteinander haben, beide gewiss und überzeugt sind, dass es nicht anders gehe als wenn einer von beiden weggehe. Einer muss weg. Da beide diese Gewissheit haben, so legen sie es darauf an, dass der andere weg gehe. Dies ist, was Schmitt mit dem Kriterium Freund – Feind meint. So stehe es auch mit den Völkern. So sei das Verhältnis der Völker zu einander, dass jedes das andere, wenn es mit ihm geschichtlich zu tun bekommt, so empfindet, wie der Duellant seinen Gegner. Wir müssen, um die Schmitt’sche These in ihrer Falschheit zu erkennen, uns fragen: was heisst es, dass man sagt, das Kriterium für das Politische sei der Gegensatz Freund – Feind. Ich frage demgegenüber: kann das Wesensprinzip, das Kriterium irgend eines Bereiches, also das Prinzip, das diesen Bereich als solchen konstituiert, überhaupt der jeweiligen Labilität dieses Bereiches entnommen werden? Das Kriterium ist nicht der jeweiligen Erschütterbarkeit, sondern der Struktur zu entnehmen. Die Labilität der politischen Gebilde, ihre Erschütterbarkeit, das Kriterium Freund – Feind kann für den Begriff des Politischen nicht die entscheidende Grundlage bilden, sondern vielmehr der Dauercharakter dieser Gebilde. Die Freund – Feind – Formel genügt nicht. Der äussere Feind ist der feindliche Nachbar; als innern Feind nennt Schmitt den Empörer. Dies bedeutet Verkennung eines fundamentalen Unterschiedes. Die innern und äusseren Labilitätsarten sind fundamental verschieden: der äussere Feind hat kein Interesse an der Erhaltung des Gebildes, der innere Feind – Empörer – will das Gebilde erhalten, aber er will es ändern. Die Freund-Feind-Formel bezeichnet nur die eine Seite der Labilität, aber nicht die andere. Am ehesten ist das Prinzip des Politischen in dem Begriff der Ordnungsdynamik zu fassen, das aber wieder ein Ringen um die Verwirklichung der wahren Ordnung voraussetzt. Immer wird eine Ordnung erkämpft, eingesetzt. Sie vertieft sich, sie lebt, versteift sich und existiert, obwohl abgestorben, dennoch fort. Der Kampf um die Ordnung ersteht neu gegen diese Versteifung usw. Der Feind bedroht die gesamte Ordnungsdynamik, der Empörer bedroht nur die jeweilige Ordnung. Jede Ordnung ist – von der gesamten Ordnungsdynamik aus – problematisch. Das ist das Doppelwesen des Staates: je und je Verwirklichung, je und je Infragegestelltsein des Politischen. Die Höhepunkte der konkreten Politik sind nicht, wie Schmitt sagt, die Augenblicke, in denen der Feind in konkreter Deutlichkeit als Feind erblickt wird, sondern jene,

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in denen eine Ordnung sich der ernstesten Verantwortung der Einzelnen gegenüber als rechtens erweist, wenn eine Ordnung die Rechtmässigkeit ihres Daseins, ihre relative Endgültigkeit gegenüber der strengen verantwortlichen Prüfung des Einzelnen erweist. Freund und Feind bilden keinen normativen Wesensbegriff, sondern nur einen haltungsmässigen Begriff. Nach Schmitt, der mit der Theologie allerlei zu tun gehabt hat, setzen alle echten politischen Theorien den Menschen als böse voraus, d. h. wie er definiert »als keineswegs unproblematisches, sondern gefährliches und dynamisches Wesen«. Ich halte den Menschen nicht für unproblematisch … Schmitt frägt: warum setzen alle politischen Theorien den Menschen als böse voraus? Offenbar, weil sie es nötig haben. Die politischen Theorien von der Absolutheit des Staates beziehen sich auf diese Bosheit der Menschen. Schmitt beruft sich auf die theologische Lehre, und zwar auf die Lehre von der absoluten Sündhaftigkeit des Menschen. Er hat einen Bundesgenossen in Gogarten gefunden, der in seiner »Politischen Ethik« sagt: Alle andern ethischen Probleme erhalten allein von den politischen Problemen aus ihre ethische Relevanz. Damit, dass dies gesagt wird, dass die ethischen Probleme von den politischen ihre Relevanz erhalten, ist die Position Kierkegaards, die Kategorie des Einzelnen schlechthin aufgehoben. Wenn vom Politischen die Relevanz der ethischen Probleme herkommt, dann gibt es den Einzelnen im Ernste der Verantwortung gegenüber Gott nicht mehr. – Ferner sagt er: Der Mensch ist radikal und darum unaufhebbar böse. Er ist der Macht des Bösen verfallen. Allein im Politischen aber hat der Mensch gegenüber dieser Erkenntnis noch die Möglichkeit einer Existenz. Das Politische allein gibt dem Menschen die Möglichkeit, im Angesichte der Erkenntnis seines radikalen Böseseins in der Existenz zu verbleiben. Der Staat hat seine ethische Qualität darin, dass er »mit seiner Souveränität, seinem Recht über Leben und Eigentum seiner Untertanen dem Bösen wehrt, dem die Menschen verfallen sind.« Gogarten stützt sich auf einen Paulinischen Satz (allerdings lässt sich dieser Satz auch ganz anders auslegen, wie dies Karl Barth getan hat), auf den Paulinischen Satz von der Obrigkeit: Der Staat als die eingesetzte Obrigkeit, die dem Bösen wehrt. Wenn dem so ist, wer hat dann das Kriterium dafür, was böse sei? Nun spricht Gogarten auch jene Motivation aus, die Schmitt meinte, als er sagte, dass alle politischen Theorien den Menschen als böse voraussetzen. Woher soll der Staat Souveränität haben, die er ja nur aus der Erkenntnis des Verfallenseins der Menschen gegenüber dem Bösen haben kann? Die Grundvoraussetzung Gogartens ist falsch. Ich habe nicht die Absicht, den theologischen Begriff der Sündhaftigkeit des Menschen kri-

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tisch zu erörtern. Der theologische Begriff der Sündhaftigkeit des Menschen ist nicht politisch auswertbar, weil er nur – exegetisch und dogmengeschichtlich beweisbar – innerhalb des Verhältnisses des Menschen zu Gott seine Bedeutung bewahrt. Ausserhalb dieses Verhältnisses zu Gott ist der Mensch überhaupt nicht radikal, weder radikal gut noch radikal böse. Erlauben Sie mir, an die jungen Menschen folgende Worte an dieser Stelle einzuschalten: Man soll kühn und klar denken, gerade in dieser Zeit, aber man muss sich vor dem Pathos der Antithetik hüten, vor dem Pathos der absoluten Begriffsgegensätzlichkeit, das mit dem kühnen, klaren Sehen des Geistes sich nicht verträgt. Der Mensch ist weder radikal böse noch radikal gut, der Mensch ist – wenn ich eine Definition wagen darf, die natürlich durchaus in aller Eingeschränktheit zu verstehen ist – die Potenzialität des Daseins. Stellen wir den Menschen vor die gesamte Natur, dann merken wir an ihm den Möglichkeitscharakter des naturhaften Daseins. Aber er ist diese Potenzialität in ihrer faktischen Beeinträchtigung, Beengung. Diese Möglichkeit des Daseins ist nicht potentiell beengt, sondern nur faktisch. Nicht bloss das Schicksal, auch die Tat des Menschen ist nicht voraus zu sehen und kann wohl Ueberraschungen bringen. Aber es bestehen Grenzen. Diese Möglichkeiten sind durch eine harte, strenge, furchtbare Gebundenheit je und je beeinträchtigt. Gut und Böse ist überhaupt kein Gegensatzpaar wie links und rechts, sondern Gut und Böse stehen einander gegenüber wie Richtung und Irren. Das Gute ist die Richtung. Das Böse ist das In-sich-selbst-verlaufen. Das Böse ist das Ausweichen vor der personhaften Verantwortung, das Ausweichen, sei es aus Leidenschaft oder aus Trägheit. Der leidenschaftliche Mensch weicht mit seiner Leidenschaft aus, der andere mit seiner Trägheit. In beiden Fällen ist es aber ein Ausweichen. Die eigentlichen geschichtlichen Dämonien sind die Ausnützungen dieses Ausweichens durch geschichtliche Mächte. Die Richtung als solche, auf das Gute als solches, die Richtung, der das Böse ausweicht, kann der Staat als solcher nicht angeben. Es kann je und je Gemeinschaften im Staate geben, Gruppen oder Menschen, die dies können, aber nicht als Staat. Das kann nur der Einzelne, der in der Tiefe der personhaften Verantwortung steht, das kann mitunter auch ein Staatsmann. Gogarten setzt den Staat anstelle des jeweiligen geschichtlichen Staates, den man gar nicht ins Auge fassen kann ohne dass man die jeweilige Staatsregierung ins Auge fasst. Und dann kann sich zuweilen auch das Böse oben befinden, was Gogarten nicht zu ahnen scheint. Was wird dann aus der Aufgabe des Staates, das Böse zu bezwingen? Gogartens Lehre hängt zusammen mit der Lehre von der Autorität schlechthin. Der Staat ist nur eine der wichtigsten Erscheinungsformen

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der Autorität. Autorität ist eingesetzt, mit andern Worten: Macht ist Vollmacht. Meine Gegenfrage lautet: Ist also die Autorität schlechthin rechtmässig? Wenn wir zugeben wollen, dass sie in ihrem Ausgangspunkt schlechthin rechtmässig sei, dass alle Autorität als solche ermächtigt, bevollmächtigt sei, gibt es dann nicht je und je in der Geschichte Beispiele einer Verkehrung dieser ursprünglich rechtmässigen Autorität zu Unrechtmässigkeit (Saul, Beispiel der Fremdherrscher als Stecken Gottes), wenn nämlich die Autorität in der Verantwortung dem göttlichen Auftrag gegenüber versagt, z. B. in der Behandlung der ihr unterworfenen Kreaturen? Zweierlei ist festzuhalten: Es ist in Frage gestellt die Person und die Wahrheit. Beides gehört beim Akt der persönlichen Verantwortung im strengen Sinne zusammen. Wir reden von Verantwortung nicht im verschlissenen Sinne, wie dies heute geschieht, sondern ich verstehe unter Verantwortung nichts anderes als die rückhaltlose Antwort der Person auf das, was sie antrifft, auf die Erscheinung einer bestimmten Stunde ihres persönlichen oder des sie umgebenden geschichtlichen Lebens. Die Person ist in Frage gestellt, dass sie kollektiviert wird. Diese Kollektivierung der Person beginnt geistesgeschichtlich mit etwas ganz anderem. Ich kann davon nicht sprechen, ohne in gewisser Hinsicht autobiographisch bestimmt zu sein. Dieses Andere, daran habe ich einen gewissen Anteil. Das ist jener Kampf der letzten Jahrzehnte gegen den Idealismus, der von verschiedenen Kreisen geführt worden ist, der Kampf gegen den Begriff des selbstherrlichen, weltempfangenden, weltschaffenden, welttragenden Ichs. Der Kampf war ein Hinweis auf die Ausgesetztheit und die Gebundenheit der menschlichen Person. Aus diesem Hinweis sind in den letzten Jahrzehnten philosophische Systeme entstanden. Das war nicht gemeint und nicht beabsichtigt. Gemeint war nur ein Hinweis, dass wir Wesen sind, die allem ausgesetzt sind. Man muss sich nur besinnen, was die menschliche Person ist. Wir und alle diese verschiedenartigen Kreise sagen, dass die menschliche Person nicht in den Wolken steht, über den irdischen Bindungen, sondern dass sie gebunden ist an den Planeten, an die Gattung Mensch, an ihr Volk, ihre Gruppen, usw. Die Bindung an sein Volk, diese Enge und zugleich Weite ist sehr wichtig, die er mit der Geburt auf sich genommen hat, die er immer tiefer erfasst. Nun aber geschah es, dass diese Gebundenheit überspannt wurde, so nämlich, dass das Kollektivum den Primat bekam, und zwar so grausam, so unbarmherzig, dass ihm das Recht zugesprochen wurde, der Person die Verantwortung abzunehmen, jene Verantwortung, durch die die Per-

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son erst eigentlich sein kann. Sodass also die Person aufgehoben wurde. – Das Kollektivum wird das eigentlich Existierende, die Person ist nur noch etwas Nebensächliches. Damit ist ein unendlicher Wert gefährdet, nicht ein geschichtlich bedingter, sondern ein unendlicher, ungeschichtlicher und unbedingter Wert. Gefährdet ist die Anteilnahme, die dialogische Gegenüberstellung, die angeredete und antwortgebende Person. Die menschliche Antwort bleibt ungesprochen, wenn die Person nicht mehr da ist, die allein sie zu sprechen vermag. Die Antwort der Person kann nicht in der Reduktion auf das sogenannte Persönliche gesprochen werden, sondern in dem ganzen unverkürzten Masse des von ihr gelebten Lebens, also mit wesentlichem Einschluss des öffentlichen Wesens. – Um nicht missverstanden zu werden, weise ich darauf hin, dass ich mit Kollektivum nicht etwa nur den Staat oder das Volk verstehe, sondern ebenso gut eine Partei, usw. Die Erscheinungsformen sind andere, aber das Wesentliche bleibt gleich. Es kommt darauf an: Gibt es einen rechtmässigen Anspruch der Gruppe, mir meine personhafte Verantwortung abzunehmen, oder bin ich auch in meiner durchaus rechtmässigen Zugehörigkeit zur Gruppe gehalten, in allem Ernste diese Verantwortung zu üben, ohne sie mir durch irgend etwas schmälern und verkürzen zu lassen? Dies ist das Eine. Die Gefährdung besteht in dem Anspruch des Kollektivums, die Verantwortung an meiner Stelle zu haben, gleichviel, wer dann der eigentliche Inhaber der Verantwortung ist, meine Konfrontation nicht zu ihrer Ganzheit, zu ihrem vollkommenen Dasein gedeihen zu lassen, sie zu ertöten. Das Andere ist die Politisierung der Wahrheit. Wir müssen auf eine frühere Entwicklung zurückgreifen, auf eine andere, aus einem ganz andern Bereiche stammende Entwicklung, nämlich auf die Lehre von der psychologischen und soziologischen Bedingtheit der von Menschen geäusserten Erkenntnis. Diese Relativierung der vom Menschen geäusserten Erkenntnis hat zweifellos eine Berechtigung im Sinne der wissenschaftlichen Aufdeckung eines Sachverhaltes. Aber sie begnügte sich nicht damit, etwas Gesehenes in seiner Teilhaftigkeit aufzuzeichnen, sondern sie ging darüber hinaus und relativierte das menschliche Verhältnis zur Wahrheit überhaupt. Wahrheit ist nur noch etwas relatives. Der Mensch hat je und je nur diese relativierte Wahrheit, die durch seine soziologischen und psychologischen Umstände bedingte Wahrheit. Dabei wird das Verhältnis des Menschen zur Wahrheit ausser Acht gelassen, das Ringen des Menschen, das Werben des Menschen um Wahrheit. Uebersehen wird, dass der Mensch über alle soziologischen und psychologischen Bedingtheiten die Wahrheit sucht und um sie kämpft. Der Mensch befindet sich in einem realen Verhältnis zur Wahrheit, und die-

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ses reale Verhältnis vernachlässigte die Lehre. Kierkegaard sagt mit Recht, der Einzelne sei die Wahrheit. Dieses so beschaffene, mit dem Einsatz der ganzen Person Gesuchte ist Wahrheit. Allerdings ist der Mensch kein Gefäss, in das die Wahrheit gegossen wird, aber die Wahrheit wird ihm durch sein Ringen und Suchen gegeben. Die Relativierungslehre erfährt in der Politisierung der Wahrheit ihre Verwendung. Um ein Wort von Goethe zu parodieren: Was fruchtbar ist allein ist Wahrheit. Die Politisierer der Wahrheit meinen: was verwendbar sei, sei wahr. Damit wird der Glaube an die Wahrheit als an etwas vom Menschen unabhängig Seiendes, vom Menschen nicht erreichbar Seiendes, mit dem jedoch der Mensch in ein Realverhältnis treten kann, aufgelöst. Das Edelste am Menschen, sein Werben um Wahrheit oder – wie die jüdische Ueberlieferung sagt – die Siegel Gottes werden damit gelöst. Damit der Mensch als Mensch nicht verloren geht, brauchen wir Personen, die nicht kollektiviert sind, brauchen wir Wahrheit, die nicht politisiert ist. Wir brauchen Personen, die nicht bloss Vertreter in irgendeinem Sinne sind (gewählt oder eingesetzt), und die den Vertretenen die Verantwortung abnehmen, wir wollen Vertretene, die sich in der Verantwortung nicht vertreten lassen wollen. Wir brauchen die menschliche Person als den unaufhebbaren Grund, von dem aus der Eintritt des Endlichen in das Gespräch mit dem Unendlichen, die Konfrontation der menschlichen Existenz mit dem Seienden allein möglich ist. Wir glauben, wir brauchen den Glauben des Menschen an die Wahrheit, als das, was sie – die Menschen – alle gemeinsam trägt, als etwas an sich Unzugängliches, das aber dem realen, um Wahrheit werbenden Menschen sich im Faktum seiner Verantwortung erschliesst. Wir brauchen, damit der Mensch nicht verloren geht, die Wahrheitsverantwortung des Einzelnen. Wir brauchen den Einzelnen, der dem Ganzen im gegenwärtigen Sein, also auch im öffentlichen Wesen, standhält, der für das Ganze im gegenwärtigen Sein, also auch für das öffentliche Wesen, so sehr er vermag, verantwortend eintritt. Das ist kein Individualismus, das ist das eigentliche, aber nicht begriffliche Gegenteil zum Individualismus. Nicht Kollektivismus, sondern konkrete, lebendige Einmaligkeit, demütige Bejahung dieser Einmaligkeit. Wir wollen keine Antithetik. Wir werden echte Gemeinschaft und echte Gemeinwesen nur eben in dem Masse realisieren, in dem wir die Einzelnen realisieren werden, aus deren verantwortendem Dasein allein sich das öffentliche Wesen erneuern kann.

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Variantenapparat: 151,Titel Die Frage an den Einzelnen] [Der Einzelne in der Verantwortung] ! Die Frage an den Einzelnen H 152,1-2 Diese Schrift […] Vortrags.] Ich muss etwas vorausschicken, damit man keinen Augenblick lang misskenne, wovon ich rede [und wovon nicht]. / Ich rede nicht von politischen Systemen, weder von dem oder jenem noch auch von allen in ihrem Neben-, Gegen- und Durcheinander. Wenn man an dem Ort der Erkenntnis steht, an den ich gelangen musste um dies bedenken zu können – es ist gewiss kein Wohnplatz, verweilen wird hier keiner, es ist nur eben ein Beobachtungsstand –, sieht man nur noch ihre Gesamtheit, nichts Einzelnes mehr in sich, und da gleichen sich die »Verfassungen« beinah, wie die verschiedentonigen? Reihen einer Baumschule. Was die Menschen in ihrem öffentlichen Wesen treiben, das ist, auf das Letzte, das Letztmenschliche hin angesehen (wovon allein hier die Rede sein soll), nicht so mannigfaltig, wie es sonst erscheint. Die streitenden Farben füllen den Vordergrund; aber wem die Augen das ungebrochne Licht gebannt hat, erfährt, dass sein Wort nunmehr in diesen Dienst genommen ist. / Was ich zu sagen habe, betrifft die Menschen allerorten, in allen Abwandlungen ihres Verhältnisses zu den Gruppen, denen sie angehören. Es geht hier aber nicht um die unterschiedlichen Gefüge, Charaktere, Meinungen und Absichten dieser Gruppen. Es geht nur um ein Gemeinsames, das aber nicht, wie es sich so oft bei den Versuchen die vordergründige Vielfältigkeit zu durchdringen ergibt, ein fahles Allgemeines, sondern das konkreteste Gut, hauf welches man sich einlassen muss, um sich zu ihm zu finden,i die warme Sonnenhelle der menschlichen Welt ist. H, TS fehlt D3, D4, D5, D6 153,2-3 paradoxen Aufgabe] paradoxen [, unabweisbaren und unerfüllbaren] Aufgabe H 153,12-13 Lebensereignis und] Lebensereignis – noch ehe es geschah, noch ehe es sich ankündigen konnte, schon H 153,26 seinen »Rapport« […] dessen] seine »Meldung« […] deren D4, D5, D6 153,30 andern Ende] Gegenrand H 153,30-31 Ideenentlarver] Begriffsentlarver H 154,2 dem Andern] den Andern D3, D4, D5, D6 154,14 Ansage] [Ankündigung] ! Ansage [und manche kollektivegoistische Denkweisen von heute lassen sich leicht als Übersetzungen aus der Sprache Stirners (freilich entgegen seiner Absicht) in die der Gruppen sich verstehen] H

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154,18-21 Übersetzung […] widerstreitet] entgegen der Absicht Stirners – der aller pluralischen Fassung heftig widerstreitet – vorgenommene Übersetzung aus der Sprache des Einzigen in die des Gruppenich verstehn. H 154,28 gegenpunktfern] randfern H 154,35-36 »Niemand ist […] sein will.«] »Davon, ein Einzelner zu werden, ist niemand, niemand ausgeschlossen, außer dem, der sich selbst ausschließt, indem er Menge wird.« D4, D5, D6 155,14-15 in der angeführten […] Begriff] fehlt H 155,22 mit Gott] mit Gott [, den Kierkegaard selbst dadurch bezeichnet] H 155,38-39 das sich Ablösenkönnen […] christisch] [das Gebot der Ablösung von allen Bindungen] das sich von allen Bindungen, an Vaterwelt und an Sohnwelt, Ablösenkönnen) und christisch H 156,5 auf sich] faktisch auf sich H 156,29 Religio] Religion D3, D4, D5, D6 156,38 ontischen] [existenziellen] ! ontischen H 156,40 Gegenpunktigkeit] Gegenrandigkeit H 157,12 ahnungs-] rohen, ahnungs- H 157,16 seinem Monolog] [Frage und Gegenfrage] ! seinem Monolog H 157,39 erfahren kann] erfahren kann, wie zwischen Mensch und Mensch so auch zwischen Gott und Mensch nun erfahren kann, H 158,14 Die wahre Verantwortung] [Diese Wahrheit] ! Die wahre Verantwortung H 158,16-18 »Daß man […] zukommen läßt.«] »Menge gewährt entweder völlige Reuelosigkeit und Unverantwortlichkeit oder schwächt doch die Verantwortung für den Einzelnen dadurch, daß sie diese zur Größe eines Bruchs herabsetzt.« D4, D5, D6 158,23 nichtig] irreal D3, D4, D5, D6 158,36 Methode] Dimension H 158,36-37 ihm gar nicht bekannt zu sein] er gar nicht betreten zu können H 158,40 Gewalt] Passion H 159,13 wieder neu] wieder [– die Stunde ist näher als man nach dem Sonnenstand am Weltanschauungshimmel annehmen möchte –] neu H 159,24-25 durch Wahrnahme und Bewährung] indem man sie bewährt H 159,27-29 Einzelner. Und dann […] Wahrheit] Einzelner, sodann, ihre Mitteilug verhält sich zum Einzelnen; denn diese Lebensbetrachtung, der ›Einzelne‹, ist eben die Wahrheit D4, D5, D6 159,31 »diese Betrachtung des Lebens«] »Lebensbetrachtung« D4, D5, D6 159,34-36 Die Menge, […] Einzelnen«.] fehlt D4, D5, D6

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160,4 Mittelbestimmung] Mitbestimmung D , D , D 160,7-8 der pantheistischen Verwirrung standhalten kann] Widerhalt zu bieten vermag gegen pantheistische Verwirrung D4, D5, D6 160,9 der Mensch ist verwandt] Mensch sein heißt verwandt sein D4, D5, D6 160,29 niederläßt] etabliert H 160,32 ist die, daß diese Kategorie nicht doziert werden kann; sie] ist, dozieren kann man diese Kategorie nicht; es D4, D5, D6 160,33-34 dem Künstler seinerzeit das Leben kosten] vielleicht zu ihrer Zeit das Leben des Darbietenden heischen D4, D5, D6 161,1 , diesem »Tuwort«,] fehlt H 161,10 zerschlissene] [zerfetzte] ! zerschlissene H 161,21-22 daß er ›der Einzelne‹ […] ausgeschlossen ist] ›der Einzelne‹ zu werden; das Entgegengesetzte ist ja eine kategoriale Unmöglichkeit D4, D5, D6 161,24 Individualegoismus] [Individualismus] ! Singularegoismus H 161,24 Kollektivegoismus] [Kollektivismus] ! Pluralegoismus H 161,28 »Ich selbst behaupte […] ›Einzelne‹ zu sein.«] »Ich selbst gebe nicht vor«, sagt Kierkegaard, »daß ich es schon sei, weil ich zwar darum gekämpft, aber es noch nicht ergriffen habe, und darum kämpfe, aber als einer, der doch nicht vergißt, daß nach dem höchsten Maßstabe ›der Einzelne‹ über die Kräfte eines Menschen geht.« D4, D5, D6 161,32 »Im höchsten Sinne«] »Nach dem höchsten Maßstabe« D4, D5, D6 161,39-41 »Um das Ewige, […] helfen lassen.«] »Für das Ewige kann, entscheidend, nur gearbeitet werden, wo da Einer ist; und dieser Eine sein, zu dem alle werden können, heißt sich von Gott helfen lassen wollen.« D4, D5, D6 163,1 Der Einzelne und sein Du] [Kritik an Kierkegaard] ! [Der Einzelne und die Wege] ! Der Einzelne und sein Du H 163,14-15 nur mit Vorsicht […] nur mit Gott] mit den ›andern‹ nur vorsichtig sich einlassen, wesentlich allein mit Gott D4, D5, D6 163,19 eine schlimme […] Unstimmigkeit] ein schwerer, durch nichts zu überwindender Widerspruch H 163,24 Tatsache] das Faktum H 163,31 zu zwei«] zu zwei« (Nietzsche) D4, D5, D6 163,32 der Mystik] (Eckhart) D4, D5, D6 163,33-35 wenn ich […] erfahre ich] man mit einem Anderen, nicht bis ins [ontisch] ! ontologisch Gerechte Introjizierbaren wesentlich zu tun hat, erfährt man H 163,36 Gegenseitigkeit] Reziprozität H 164,36-39 Abyssus […] Selbst ist.] fehlt D4, D5, D6 4

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164,4 gültigeren] rechtmässigen H 164,6-7 inhaltlich einschränkend] betont und als bloßen Superlativ H 164,7-8 die höchsten […] empfangen] fehlt H 164,10 Meinung] Absicht H 164,16 bloß ihn zu »versuchen« bestimmte] ihn zu »versuchen« ersonnene D4, D5, D6 164,27-28 Liebe erweisen […] erwiesen werde] lieben soll, wie ich selbst geliebt werden will H 164,29 zusammenbindet] in eins bindet H 164,32 aufzunehmen] [einzuschliessen] ! aufzunehmen H 164,38-39 über seine […] Olsen] fehlt H 165,3-4 nicht der Gott aller Wesen] [ein Gott neben den Wesen, nicht aller Wesen zureichender Gott] ! nicht der Gott aller Wesen H 165,11 west diese Liebe im Leeren] kreist die verschlossene Liebe H 165,13 Aufgabe der Zeit] [Richtung seiner Sache] ! Aufgabe seiner Zeit H 165,16 Verhältnis] Beziehung H 165,17 Ausrichtung] Richtung D4, D5, D6 165,19-20 Der wirkliche Gott aber läßt […] ihn, Gott] Den wirklichen Gott aber kann […] kaum D4, D5, D6 165,22 er, der wirkliche Gott,] er ist der Schöpfer H 165,22 alle Wesen] [seine Welt] ! alle Wesen H 165,25 nicht kennen] misskennen H 165,32-33 natürlichen Personhaftigkeit] [menschlichen Verliebtheit] ! natürlichen Personhaftigkeit H 166,1 nach Kierkegaard jedenfalls] fehlt H 166,3 also nach ihm] fehlt H 166,14 jener Zeit] fehlt H 166,15 Gott notwendige] Gott notwendige, und dafür scheint die für Kierkegaard bestehende Unwesentlichkeit der sinnbildlichen Handlung, mit der sie gepredigt wird, zu sprechen. [Dann aber würde damit ein auch von Luther als solches geglaubtes und bewahrtes Sakrament entwirklicht] H 166,21 Dann würde] Dann hbestünde erst recht ein fundamentaler Widerspruch zwischen Wirklichkeit und Wirken bei Luther, und zudemi würde H 166,37 entscheidenden] letzten strengsten H 167,11 helfen lassen] helfen lassen [, oder wie immer die Einsamkeit heisst] H 167,30 seine religiöse Einsamkeitslehre] sein religiöser Solipsismus H 168,6 Klammern] Sichklammern D4, D5, D6

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168,22 seienden] ontischen H 168,26 wohnt dem Religiösen inne] inhäriert dem Religiösen H 168,32 mit ihnen einläßt] auf sie einlässt H 168,35-36 auf der er […] allein ist] auf die ihm das Erbarmen des Erbarmers folgt H 168,40 Furcht] Angst H 169,31 mit einem] auf einen H 169,32 Äußerstes] Letztes H 169,35-37 liebt, indem man […] helfen lassen muß] [liebt. So sieht man die Dinge in Gott, so hebt man alle Beziehungen in die eine, die geheimnisvolle Wirklichkeit der unbedingten Beziehung ergänzt sich durch ihre nicht minder geheimnisvolle Möglichkeit in den faktischen Begegnungen mit der Welt, und] ! liebt, indem man […] helfen lassen muss H 170,3-5 (Wohlgemerkt […] gibt.)] fehlt H 170,16 Urglut] Passion H 170,18 der das Ereignis […] hatte] der ihr jene Stunde entführte, im Dienst des Theologengottes. Theologen müssen viel lieben, um nicht zu genial zu werden H 170,22-23 Er ist […] zu lieben.] Er will von dir nur [zusammen] ! in einem mit deinem Genossen geliebt werden; auch nicht neben ihm: in einem. H 171,16 daher] von dieser Bezogenheit H 171,25 »Rapport«] »Meldung« D4, D5, D6 171,29 Betrachtung des Lebens] Lebensbetrachtung D4, D5, D6 171,33 und ist der Politik […] entgegengesetzt] – der Politik so entgegengesetzt wie nur möglich D4, D5, D6 172,15-16 Wenn der Einzelne] [Aber hier kommt noch etwas Besonderes dazu. Die Ehe behindert nach Kierkegaard einen Menschen, ein Einzelner zu werden] ! Wenn der Einzelne H 172,21 nach ihm] fehlt D3, D4, D5, D6 172,29 durchaus positiv] von dem Denker D4, D5, D6 172,29 und zu wertende] fehlt D4, D5, D6 172,35 einer res publica] bei Kierkegaard nicht vorkommenden und für ihn wahrscheinlich belanglos dünkenden einer res publica H 172,37-38 sehr […] entgegengesetzt] so entgegengesetzt wie nur möglich D4, D5, D6 173,2 Verunstaltung] [Entstellung] ! Verunstaltung H 173,15-16 , wovon ich sagte, […] hinzukomme,] fehlt H 173,7-8 seinem Abscheu vor der] [seiner Empörung wider die] ! seinem Abscheu vor der H

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173,11 hier] hervorgehoben D , D , D , D 173,19 seinem Unheil] [seiner Krankheit] ! seinem Unheil H 173,21 versetzt] versetzt [unausweichlich] H 173,31-32 lebenslange Anrede Gottes an mich] Anrede Gottes, die mein Leben ist, H 174,8-9 an ihr haften] [in ihr stecken] ! an ihr haften H 174,26 , einen andern Glauben, einen andern Boden] fehlt D4, D5, D6 174,26 noch] fehlt D4, D5, D6 174,26 andern Boden] berichtigt aus ander Boden nach D3, D4, D5, D6 174,26 andern Boden] andere »Sache« H 174,38 auferstandenes] wiedergeborenes H 174,39 vernichtendes] auflösenden H 174,40 gewaltigen] [mächtigen] ! gewaltigen H 175,5 ungeachtet] [unbeschadet] ! ungeachtet H 175,14-15 meinem Volk] [meiner Gemeinde] ! meinem Volk H 175,16 Ausrichtung] Achtsamkeit D3, D4, D5, D6 175,24-25 , die Ausrichtung auf die Personen] fehlt H 175,24 Ausrichtung] Achtsamkeit D3, D4, D5, D6 176,9 pathetischen] eindringlichen D3, D4, D5, D6 176,10 Eigentliche sei] Eigentliche sei [, sie lähmt den Schwung zu der die ungeschmälerte Anderheit überspannende Beziehung] H 176,12 verstehen] verstehen [, eine für das Denken des letzten Jahrhunderts in wachsendem Masse folgenreiche Verwechslung] H 176,17 wohl] direkt H 178,2 Es kann nicht sein] Wir können nicht zugeben H 178,5 seine Lebensandacht] [sein religiöses Leben] ! seine Lebensandacht H 178,8 Es kann nicht sein] Wir können nicht zugeben H 178,17 Botschaft] [Geschicke] ! Botschaft H 178,18 Erscheinung] [Gestalt] ! Erscheinung H 178,28 Zusagende] [Geschehene] ! Zusagende H 178,34 Schrift] Bibel H 179,2 merkt er] wird er inne H 179,5 einschließt] involviert H 179,19-22 »Daß man […] zukommen läßt.«] »Menge gewährt entweder völlige Reuelosigkeit und Unverantwortlichkeit oder schwächt doch die Verantwortung für den Einzelnen dadurch, daß sie diese zur Größe eines Bruchs herabsetzt.« D4, D5, D6 179,25-26 die ganze Verantwortung] ist die ganze Verantwortung erstanden D4, D5, D6 180,3 , man darf es fühlen] fehlt D4, D5, D6 3

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180,11 ausschließlich] allumfassend D , D , D 180,34 vollziehe] erwähle H 181,25 Meister] Lehnsherr H 181,28 heischenden] [abgründigen] ! heischenden H 182,2 neu] erst H 182,30 wird] kann noch D4, D5, D6 182,31 Doch auch jetzt] Doch auch heute D3 Auch heute D4, D5, D6 183,2 sich ziehen.] ergänzt / Was jeweils das Rechte ist, kann keine der heute bestehenden Gruppen anders erfahren, als daß Menschen, die ihr angehören, die eigene Seele dransetzen es zu erfahren und es sodann, sei es noch so bitter, den Gefährten eröffnen – schonend, wenn es sein darf, grausam, wenn es sein muß. In dieses Feuerbad taucht die Gruppe Mal um Mal oder sie stirbt den inneren Tod. / Und fragt einer immer noch, ob man denn auf diesem steilen Pfad sicher sei das Rechte zu finden: noch einmal, nein, es gibt keine Sicherheit. Es gibt nur eine Chance; aber es gibt keine andere als diese. Das Wagnis sichert uns die Wahrheit nicht; es führt uns nur in ihren Atemraum, und es allein. D3, D4, D5, D6 184,22 Zerlegung] Destruktion H 184,25 Zerlegung] Destruktion H 184,28 armselige] [natürliche] ! preiszugebende H 184,34 Schatzburg] Schatzkammer H 184,37 übersteigerte] absolute H 185,18 Voraussetzung] selbstverständlichen Vo r a u s s e t z u n g H 185,21 kräftigste] nachdrücklichste H 185,25 kann] darf H 185,26-27 Vereinfachung] Verkürzung H 185,30 Raubtiere] Raubtiere – Tiere überhaupt – H 185,38-39 So aber […] zu erfassen] Dadurch hört die Gattung Mensch auf, vom Biogenetischen aus erfassbar zu sein H 186,10 verwirklichen helfe] verwirkliche H, D3, D4, D5, D6 186,27 Vernichtung] Tötung H 186,28-30 keine zulängliche Buße] [ja nicht einmal die Intervention des Schicksals wird als gültig angenommen] ! keine [richterliche] Entscheidung, keine gültige Busse H 186,30-31 verkapptes] heimliches H 186,31-32 ; in jedem […] betreiben] fehlt H 187,23 Mangel] Privation H 187,35 wirkliche] [eigentliche] ! wirkliche H 188,9 fragwürdig] problematisch H 188,12-13 in konkreter Deutlichkeit als Feind] fehlt D4, D5, D6 4

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188,29-30 , d. h. das Ethische […] Menschen] fehlt H 188,35 Relevanz] ethischen Relevanz H 188,36 , auch nicht wenn jenes sich religiös begründet] fehlt H 188,38 die abgelöste Ethik] innerhalb des Lebens des »religiösen« Menschen die abgelöste Ethik D3, D4, D5, D6 188,40 schmälert] verkürzt H 189,10 vernehme] höre H 189,11 unseres Seins] unseres Wesens H 189,11 Vernehmen] Hören H 189,13 Horchen] Hören H 189,14-16 diese unsre […] politischen stehen] keine Relevanz der politischen Probleme helfen H 189,28-29 des Vor-Gott-Stehens des Menschen] der Beziehung zwischen Mensch und Gott H 189,30-31 , nach meinem Wissen und Verständnis] fehlt H 189,33 sündig und verderbt] böse H 189,33-39 Ich sehe […] Gottes kann] Man kann nicht [zugleich] den Begriff in einem andern Bereich, dem des Zwischenmenschlichen übertragen und ihm doch seine Radikalität belassen. Im Verhältnis zu Gott kann H 189,41-190,1 und weil gerade […] getan wird] fehlt H 190,1 Angesicht von] Verhältnis zu H 190,3 , so dünkt es mich,] fehlt H 190,5 begründen] begründen [, Unbedingheit gegen Unbedingtheit abzusetzen] H 190,7 dieser dadurch jener] ihr dadurch der absolute Abstand zum Menschen verliehen H 190,7-8 (damit zugleich […] erschließende)] fehlt H 190,11 rechtmäßig] fehlt H 190,13-14 Meiner Einsicht […] Jenes.] Für einen Theologen, der, wie es sein gutes Recht ist, diesen Boden betritt, wäre es, so will es mir scheinen, von eigentümlicher Bedeutung, wenn er dabei die Bewusstseinsaufgabe vollzöge, sich aus der Sphäre der unbedingten Gültigkeiten in eine der bedingten zu begeben. Dann würde er, meine ich, auch merken, dass der Mensch nunmehr nicht mehr als dem Bösen verfallen, sondern nur noch als dem Bösen ausgesetzt wahrzunehmen ist. / In Wahrheit ist der Mensch [ausserhalb seines Verhältnisses] – und für meine von der besprochenen theologischen abweichende Anschauung auch in der Beziehung zwischen ihm und Gott – überhaupt nicht »radikal« h, weder radikal gut noch radikal bösei. Es dünkt mich angemessen meinen Leser vor dem für das Denken so

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verführerischen Pathos der Antithetik zu warnen, dem meines Erachtens der zu kühnem und klaren S e h e n erwachsene Geist entwächst. Die grossartigsten Antithesen sind die bedenklichsten; sie hindern den nach dem Gewaltigen [hungernden] ! [ausspähenden] ! verlangenden Blick, sich der Gewalt der heilig nüchternen, der nicht sonderlich antithetischen Wirklichkeit der Erde zu ergeben. H 190,19-20 geronnene Potentialität […] in ihrer faktischen] Potentialität in ihrer faktischen D4, D5, D6 190,30 Fesseln sind stark.] Abbruch des Textes in H 191,17 der Ganz-Ausrichtung] dem Ganz-Gerichtetsein D3, D4, D5, D6 191,29 Staatsregierung (ἄρχοντες)] faktischen Staatsregierung D3, D4, D5, D6 Wort- und Sacherläuterungen: 153,2 Søren Kierkegaard] (1813-1855): dän. Philosoph; Vorläufer der modernen Existenzphilosophie. Übte großen Einfluss auf die protestantische Theologie nach dem Ersten Weltkrieg aus. 153,9 Augustins] Augustinus von Hippo (354-430): Kirchenlehrer und Philosoph der Spätantike; zunächst einem manichäischen Glauben anhängend ließ er sich 380 taufen und wurde zu einem der ersten und einflussreichsten Denker einer platonisch geprägten christlichen Philosophie. 153,9 Pascal] Blaise Pascal (1623-1662): franz. Philosoph, Mathematiker und Physiker; durch die Begegnung mit dem Jansenismus Zuwendung zu religiös-theologischen Fragestellungen; besonders einflussreich sind die fragmentarischen und postum veröffentlichten Pensées geworden. 153,12-14 Kierkegaards […] Lossagung von Regine Olsen] Die Verlobung mit Regine Olsen (1822-1904) hatte Kierkegaard 1841 nach großen Selbstzweifeln aufgelöst. Diese Entscheidung wurde Kern seiner Philosophie des Verzichts. 153,20-22 »die Kategorie, […] hindurch muß« (Kierkegaard 1847)] Sören Kierkegaard, Der Gesichtspunkt für meine Wirksamkeit als Schriftsteller, in: ders., Gesammelte Werke, Bd. 10, hrsg. von Hermann Gottsched, Jena 1922, S. 92. 153,25-27 »Der Gesichtspunkt […] die Geschichte«] Ebd., S. 1. 153,28 Max Stirner] (1806-1856): dt. Schriftsteller und Anarchist; 1846 erschien seine populäre Schrift Der Einzige und sein Eigentum. 153,30 Nominalist] Der Nominalismus geht im Gegensatz zum Realismus davon aus, dass Allgemeinbegriffe, genannt »Universalien«, nur im Denken der Menschen existieren, während der Realismus annimmt, dass diese eine eigenständige ontologische Existenz haben.

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153,34-35 Individuum als »das alleinige Ich« zum Träger der Welt […] erhoben wird] »Ich bin aber nicht ein Ich neben andern Ichen, sondern das alleinige Ich: Ich bin einzig.« Max Stirner, Der Einzige und sein Eigentum, Leipzig 1845, S. 483. 153,36 im »Selbstgenuß« sich »selbst verzehrenden« Einzigen] »Mein Verkehr mit der Welt besteht darin, daß Ich sie genieße und so sie zu meinem Selbstgenuß verbrauche. Der Verkehr ist Weltgenuß und gehört zu meinem – Selbstgenuß.« Ebd., S. 426. 153,38-154,1 »Einheit und der Allmacht […] stehen läßt«] Max Stirner, Das unwahre Prinzip unserer Erziehung oder Der Humanismus und Realismus, Basel 1926, S. 28. 154,3-4 »lebendige Teilnahme« »an der Person des Andern«] »Soll Ich etwa an der Person des Andern keine lebendige Theilnahme haben, soll seine Freude und sein Wohl Mir nicht am Herzen liegen, soll der Genuß, den Ich ihm bereite, Mir nicht über andere eigene Genüsse gehen?« Stirner, Der Einzige und sein Eigentum, S. 386. 154,11 Protagoras] (ca. 490 v. Chr.-ca. 411 v. Chr.): Vorsokratiker, bekannt durch seinen Ausspruch, der Mensch sei das Maß aller Dinge. Wie die Lehren der anderen Vorsokratiker ist seine Philosophie nicht in eigenen Schriften erhalten und nur in späteren antiken Quellen überliefert. Laut Überlieferung wurde er 411 in Athen wegen Gottlosigkeit verurteilt und seine Schriften öffentlich verbrannt, während er selbst auf der Flucht ertrank. 154,14-15 »Der Eigene […] sich anerkennt«] »Jener ist ursprünglich frei, weil er nichts als sich anerkennt; er braucht sich nicht erst zu befreien, weil er von vornherein Alles außer sich verwirft, weil er nichts mehr schätzt als sich, nichts höher anschlägt, kurz, weil er von sich ausgeht und ›zu sich kommt‹.« Stirner, Der Einzige und sein Eigentum, S. 216. 154,15 »Wahr ist, was Mein ist«] »Wahr ist, was mein ist, unwahr das, dem Ich eigen bin; wahr z. B. der Verein, unwahr der Staat und die Gesellschaft.« Ebd., S. 476. 154,28-29 Stirnerschen »Verwerte dich« […] »Erkenne dich«] Es handelt sich nicht um Zitate, sondern um Bubers Interpretation der Essenz des Stirnerschen bzw. Kierkegaardschen Gedankens. 154,33-34 »zur Auflösung des Heidentums«] Kierkegaard, Der Gesichtspunkt für meine Wirksamkeit als Schriftsteller, S. 97. 154,35-37 »Niemand […] ›Menge‹ sein will.«] Ebd., S. 86. 155,1-2 »die erste Bedingung […] Mensch zu sein«] Ebd., S. 91. 155,2-4 »der Einzelne« »die Kategorie, […] hindurch muß«] Ebd., S. 92.

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155,23 er von einem »mit Gott Reden« spricht.«] »[…] jeder soll nur mit Vorsicht sich mit den ›andern‹ einlassen und wesentlich nur mit Gott und mit sich selbst reden«, ebd., S. 80 155,25-28 das Alte Testament […] Henoch, Noah, »mit dem Elohim umgehen« läßt] Gen 5,22.24; Gen 6,9. Der Ausdruck wird auch auf Abraham angewandt, vgl. Bubers Aufsatz »Abraham der Seher« von 1939 in: Martin Buber, Sehertum, Köln: Jacob Hegner 1955, S. [9]45, jetzt in: MBW 13, S. 114 ff., bes. S. 122 u. 124. 155,31-32 »Als der ›Einzelne‹ ist er [jeder Mensch] allein, allein in der ganzen Welt, allein vor Gott.«] Kierkegaard, Der Gesichtspunkt für meine Wirksamkeit als Schriftsteller, S. 97. 155,34 »Das Göttliche gibt mir ein Zeichen«] Anspielung auf den »Daimonion« des Sokrates. Vgl. Wort- und Sacherläuterung zu 77,14. 155,35-36 »Ich bin allein vor dem Gott«] Buber paraphrasiert hier Kierkegaard. 155,38 im gleichen »Geh vor dich hin«] Der Ausdruck Lech Lecha kommt sowohl in Gen 12,1 als auch Gen 22,2 vor und rahmt die Abrahamserzählung ein. Vgl. zu diesem Thema Bubers Aufsatz »Abraham der Seher«, jetzt in: MBW 13, S. 114-131. 156,11 im Verhältnis zu Gott, was Liebe ist] Vgl. das zu Regine Olsen Gesagte, Wort und Sacherläuterungen zu 153,12-14. 156,17 dem égotiste Stendhals] Stendhal ist das Pseudonym des französischen Schriftstellers Marie-Henri Beyle (1783-1842). 1892 wurde postum das Fragment Souvenirs d’égotisme veröffentlicht. 156,21-22 in unferner Zeit […] Persönlichkeit nannte] Anspielung auf die um die Jahrhundertwende und zur Zeit des Jugendstils verbreitete Redeweise von der Persönlichkeit, der zufolge ein Individuum ästhetisch seine Eigenart zu kultivieren suchte. Buber betrachtet dies als Verfallsform des Begriffs bei Goethe, der eine humanistische weitreichende Bildung umfasste. 156,35 »Ausbildung der freien Persönlichkeit«] Buber fasst hier Stirners Gedanken, der den Begriff der Persönlichkeit mehrfach benutzt, zusammen, zitiert also nicht im eigentlichen Sinn. 157,7 Sophisten] Die Kritik der Sophisten (wie Protagoras einer war) »greift die Verbindung zwischen dem Ethischen und dem Absoluten an, indem sie den Kosmos als einheitliches Vorbild in Frage stellt, und zwar von den biologischen Tatsachen aus.« Martin Buber, Gottesfinsternis, Zürich: Manesse 1953; jetzt in: MBW 12, S. 359-444, hier S. 425. 157,9 Hegel] Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831): dt. Philosoph; wichtigster Vertreter des deutschen Idealismus.

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157,9 Protagoras] Vgl. Wort- und Sacherläuterungen zu 154,11. 157,9 Heraklit] Heraklit von Ephesos (ca. 520-ca. 460 v. Chr.): vorsokratischer Philosoph. 157,15 Epeisodion] griech.: »Hinzukommendes«. Es handelt sich hierbei um die zwischen die Chorgesänge im altgriechischen Drama eingeschobenen Dialoge der Schauspieler, die mit der Zeit eine größere Bedeutung gewannen und schließlich zur Nebenhandlung wurden. Das Wort »Episode« ist hiervon abgeleitet. 157,40 ontischen] Bedeutung: »seinsmässigen«. 158,11»Lüge ist was ihr Verantwortung nennt!«] Buber fasst hier Stirners Äußerungen zusammen, er zitiert nicht. 158,16-18 »Daß man in Menge […] zukommen läßt.«] Kierkegaard, Der Gesichtspunkt für meine Wirksamkeit als Schriftsteller, S. 81. 158,28 »Wahrheit … existiert nur – in deinem Kopfe.«] »Wahrheit erwartet und empfängt alles von Dir und ist selbst nur durch Dich: denn sie existirt nur in – deinem Kopfe.« Stirner, Der Einzige und sein Eigentum, S. 472 158,28-29 »Die Wahrheit ist eine – Kreatur.«] Ebd., S. 474. 158,29-31 »Für Mich gibt es keine Wahrheit, denn über Mich geht nichts!«] Ebd., S. 475 158,30-31 »Solange […] Du allein bist die Wahrheit.«] »So lange Du an die Wahrheit glaubst, glaubst Du nicht an Dich und bist ein – Diener, ein – religiöser Mensch. Du allein bist die Wahrheit, oder vielmehr, Du bist mehr als die Wahrheit, die vor Dir gar nichts ist.« Ebd., S. 473. 159,2 »Wahr ist, was Mein ist«] Ebd., S. 476. 159,3-4 »Was ich für wahr halte […] Klassenzugehörigkeit«] Buber zitiert hier nicht Aussagen Stirners, sondern paraphrasiert dessen Gedanken mit seinen eigenen Sätzen. 159,13-14 Sukkubus] Wollüstiger Dämon in weiblicher Gestalt, der den Schlafenden überkommt und ihn seiner Kräfte beraubt. 159,26-29 »Der sie [die Wahrheit] […] ist gerade die Wahrheit.«] Kierkegaard, Der Gesichtspunkt für meine Wirksamkeit als Schriftsteller, S. 84. 159,31 »diese Betrachtung des Lebens«] Ebd. 159,34-36 Die Menge, sagt Kierkegaard, »erzeugt […] Einzelnen«.] Ebd., S. 86. 159,36 »Du allein bist die Wahrheit«, heißt es bei Stirner] Buber zitiert wiederholt Stirner, Der Einzige und sein Eigentum, S. 473. 159,36-37 »Der Einzelne ist die Wahrheit«, heißt es hier] Kierkegaard, Der Gesichtspunkt für meine Wirksamkeit als Schriftsteller, S. 84. 159,39 »Zeit der Auflösung« (Kierkegaard)] Ebd., S. 93. 160,1-4 »Die Wahrheit […] Mittelbestimmung.«] Ebd., S. 84 f.

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160,4-6 »›Der Einzelne‹ ist die Wahrheit« […] »entspricht«] Ebd., S. 84 f. u. S. 96. 160,6-8 kann Kierkegaard sagen, […] standhalten kann«.] Ebd., S. 96. 160,9 »der Mensch ist verwandt mit der Gottheit«] sinngemäß Kierkegaard, ebd., S. 80. 160,9-10 Alttestamentlich ausgedrückt] Vgl. Gen 1,27. 160,15-16 »das persönliche Existieren das Gesagte […] ausdrückt«] Kierkegaard, Der Gesichtspunkt für meine Wirksamkeit als Schriftsteller, S. 93-94. 160,23 Noesis] griechisch für »Denken«. 160,29-30 »kann und soll« […] »der Einzelne«] Ebd., S. 164. 160,31-34 »die Sache ist die, […] kosten könnte«] Ebd., S. 97. 161,11-12 »da geht es schon mit dem Gehorchen«] Ebd. 161,18 »Engpaß«] Ebd., S. 92. 161,18-22 »womöglich die Vielen […] ausgeschlossen ist.«] Ebd., S. 92. 161,28-31 »Ich selbst […] der ›Einzelne‹ zu sein.«] Ebd. 161,39-41»Um das Ewige, […] Gott helfen lassen«] Ebd., S. 81. 163,14-15 »Jeder soll […] mit sich selbst reden«] Ebd., S. 80. 163,23 toto genere] lat.: »die ganze Klasse«. 163,30-31 »Da ward eins zu zwei«] »Um Mittag wars, da wurde Eins zu Zwei …« Friedrich Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse, Nachgesang, KGA, 6. Abt., 2. Bd., S. 255. 163,31-32 das umgekehrte »ein und ein vereinet« der Mystik] Deutsche Mystiker des vierzehnten Jahrhunderts. Zweiter Band Meister Eckhart. II. Tractate. XII. Von dem überschalle, hrsg. von Franz Pfeiffer, Leipzig 1857, S. 517, Z. 11 f. Vgl. das Motto der von Buber gesammelten Ekstatischen Konfessionen, S. [IV] (jetzt in: MBW 2.2, S. 45): »Daz einez daz ich da meine daz ist wortelos. / Ein und ein vereinet da liuhtet bloz in bloz.« 163,36-37 Abyssus abyssum clamat] Lat. »Ein Abgrund ruft es dem Anderen zu«. Gemeint ist: ein Fehler ziehe den anderen nach sich. 164,2-5 An der Stelle […] einzig zu Gott sich verhält.] Sören Kierkegaard, Die Tagebücher. 1834-1855, Innsbruck 1923, S. 207. 164,14 der um die »Gleichzeitigkeit« mit Jesus bemühte Christ] Ebd., S. 99. 164,16-21 Auf die Frage […] »Liebe deinen Genossen dir gleich«] In Mt 22,12-38 antwortet Jesus auf die Frage nach dem höchsten Gebot mit den Versen Dtn 6,5 und Lev 19,18, die Buber hier gemäß seiner gemeinsam mit Franz Rosenzweig vorgenommenen Verdeutschung wiedergibt.

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164,38-39 »Um zum Lieben […] Gegenstand entfernen«] Sören Kierkegaard, Die Lilien auf dem Felde und die Vögel unter dem Himmel: drei fromme Reden; Hoherpriester; Zöllner; Sünderin: drei Beichtreden, Halle 1905, S. 105. 165,5-6 dem »Gott der Philosophen« verwandter als dem »Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs«] Anspielung auf Pascals berühmtes Memorial, seine aufbewahrte Erinnerung an eine mystische Erfahrung im Jahr 1654: »… Feuer. ›Gott Abrahams, Gott Isaaks, Gott Jakobs‹, nicht der Philosophen und Gelehrten. Gewissheit, Gewissheit, Empfinden: Freude, Friede.« Blaise Pascal, Über die Religion und über einige andere Gegenstände, übersetzt und herausgegeben von Ewald Wasmuth, Heidelberg 1972, S. 248 f. Buber setzt sich im Dezember 1946 in einem Beitrag zu einer Sammelmappe zu Lina Lewys 80. Geburtstag mit Pascals Memorial auseinander (vgl. B III, S. 125) sowie in dem 1953 auf Deutsch publizierten Buch Gottesfinsternis (jetzt in: MBW 12, S. 363). 165,25-27 Verehrung eines Gottes, […] Person sein will«] Kierkegaard, Die Tagebücher. 1834-1855, S. 392. 165,27 Marcionismus] Von Marcion (ca. 85-160 n. Chr.) begründete und vom frühen Christentum als häretisch betrachtete Denkrichtung. Marcion verwarf den Schöpfergott (Demiurgen) des Alten Testaments und akzeptierte nur Gott, den Vater von Jesus. Er forderte den Ausschluss des Alten Testaments aus dem Kanon der biblischen Schriften. 165,31 den aus dem Kloster ausbrechenden Luther] Luther selbst war ursprünglich Mönch, seine Ehefrau Katharina von Bora war Nonne. 165,36-37 »das Wichtigste […] verheiratet bin«] Sören Kierkegaard, Der Einzelne und die Kirche. Über Luther und den Protestantismus, Übersetzung und Vorwort von Wilhelm Kütemeyer, Berlin 1934, S. 169. 165,38-40 »Umgekehrt […] nicht verheiraten.«] Ebd. 166,10-11 »die Menge ist die Unwahrheit«] Kierkegaard, Der Gesichtspunkt für meine Wirksamkeit als Schriftsteller, S. 81 und mehrfach. 166,34 Satz vom Widerspruch] Gemäß diesem Satz ist die gleichzeitige Gültigkeit zweier einander entgegengesetzter Aussagen auszuschließen. 167,5-6 die Dinge »in Gott zu sehen«] Der Ausspruch geht auf den franz. Philosophen Nicolas Malebranche (1638-1715) zurück (vgl. Nicolas Malebranche, Recherche de la vérité, in: Œuvres de Malebranche, hrsg. von Geneviève Rodis Lewis, Paris 1962, Bd. 1, S. 437). Im Opus postumum II, in: Kant’s gesammelte Schriften, Bd. 22, Berlin u. Leipzig 1957, findet sich die Losung u. a. auf S. 64. Kant verbindet den Gedanken mit Spinoza.

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167,22-23 die Systole der Seele zu ihrer Diastole] Systole (griech. für »Einschränkung«, von systellein, »zusammenziehen«), Zusammenziehung des Herzmuskels; Diastole (griech. für »Trennung«, »Unterschied«), die auf die Systole folgende Erweiterung der Herzkammern. »Systole und Diastole sind Konkretionen des goethischen PolaritätsBegriffs, die vorwiegend zur Beschreibung biologischer Prozesse herangezogen werden. ›Alle organische Bewegungen manifestiren sich durch Diastolen und Systolen‹ (WA II, 11, S. 290).« In: Goethe-Handbuch, hrsg. von Bernd Witte u. a., Bd. 4.2, Stuttgart u. Weimar 1998, S. 1034. 167,32 »keine gemeinsame Sprache mehr«] Sören Kierkegaard, Stadien auf dem Lebensweg, Jena 1922, S. 318. 167,34 »ich habe nichts mehr mit der Welt zu tun«] Kierkegaard, Die Lilien auf dem Felde und die Vögel unter dem Himmel: drei fromme Reden; Hoherpriester; Zöllner; Sünderin: drei Beichtreden, S. 84. 168,4-5 mitsamt den komplizierten Sicherungen all der »Pseudonyme«] Kierkegaard verwandte zur Kennzeichnung der Autorschaft seiner Werke zusätzlich zu seinem richtigen Namen sieben verschiedene Pseudonyme, die unterschiedliche Standpunkte und Sichtweisen markieren sollten. 168,16-17 Als »das Einzige, […] »das Ethische«] Ebd., S. 124. 168,23-24 im früheren Denken Kierkegaards] Kierkegaard stellt in seinem Erstlingswerk Entweder – Oder zwei Stadien gegenüber, das Ästhetische und das Ethische, an die sich später das religiöse Stadium als wichtigstes anschließt. Der Übergang von einem Stadium ins nächste erfolgt für Kierkegaard nicht kontinuierlich, sondern durch einen qualitativen Sprung. 168,39-169,2 »Das Fürchterliche«, […] Egoismus sein kann«] Kierkegaard, Der Einzelne und die Kirche, S. 127. 169,5-7 »Just was sich uns […] der höchste Egoismus.«] Buber wandelt diesen Satz in seinem Sinne ab. Vgl. Kierkegaard, ebd. 169,8 Ist es wahr, daß der Einzelne Gott »entspricht«?] Kierkegaard, Der Gesichtspunkt für meine Wirksamkeit als Schriftsteller, S. 96. 169,11-12 »Freilich«, sagt Kierkegaard, »ist Gott […] Ego«] Kierkegaard, Die Lilien auf dem Felde und die Vögel unter dem Himmel: drei fromme Reden; Hohepriester; Zöllner; Sünderin: drei Beichtreden, S. 104. 169,13-14 Er schwebt über seiner Schöpfung nicht wie über einem Chaos] Anspielung auf Gen 1,3. 169,23-24 »Hätte ich Glauben gehabt, so wäre ich bei Regine geblieben.«] Kierkegaard, Die Tagebücher. 1834-1855, S. 195. 169,25 »für Gott alles möglich ist«] Mt 19,26.

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169,33-34 »Das Einzige, wodurch Gott mit dem Menschen kommuniziert, ist das Ethische.«] Kierkegaard, Die Lilien auf dem Felde und die Vögel unter dem Himmel: drei fromme Reden; Hohepriester; Zöllner; Sünderin: drei Beichtreden, S. 124. 169,38-39 »Der Einzelne […] hindurch muß.«] Kierkegaard, Der Gesichtspunkt für meine Wirksamkeit als Schriftsteller, S. 92. 170,6-7 contradictio in adjecto] Lat. für einen Widerspruch, der durch eine unzulässige Attribuierung eines Substantivs entsteht wie z. B. ein »rundes Quadrat«. 171,7-9 »Dem ganzen neunzehnten Jahrhundert zum Trotz kann ich mich nicht verheiraten.«] Kierkegaard, Der Einzelne und die Kirche, S. 169. 171,25 in den »Beilagen« zum »Rapport«] Es handelt sich um die Beilagen zu Der Gesichtspunkt für meine Wirksamkeit als Schriftsteller, eine Schrift, an der Kierkegaard bis 1848 gearbeitet, dann aber aufgegeben hat. Erst postum wurde diese Schrift samt den Beilagen 1859 von Kierkegaards Bruder herausgegeben. Die Beilagen bestehen einerseits aus »Drei ›Anmerkungen‹ betreffs meiner Wirksamkeit als Schriftsteller« und andererseits »Die bewaffnete Neutralität oder meine Position als christlicher Schriftsteller in der Christenheit«. Vgl. Markus Kleinert und Gerhard Schreiber (Hrsg.), Deutsche Søren Kierkegaard Edition Band 5, Journale und Aufzeichnungen. Journale NB6-NB10, Berlin 2015, S. 588. 171,29 »Die Menge ist die Unwahrheit.«] Kierkegaard, Der Gesichtspunkt für meine Wirksamkeit als Schriftsteller, S. 81 und mehrfach. 171,30-32 »Niemand […] Menge sein will.«] Sören Kierkegaard, Zur Widmung an »jenen Einzelnen«, in: August Dorner u. Christoph Schrempf, Sören Kierkegaards Angriff auf die Christenheit, Erster Band: Die Akten, Stuttgart 1896, S. 459-466, hier S. 466. 171,32-34 »›Der Einzelne‹ […] entgegengesetzt.«] Im Original: »›Der Einzelne‹ ist die Kategorie des Geistes, der geistigen Erweckung und Belebung, und ist der Politik so sehr, als wohl überhaupt möglich ist, entgegengesetzt.« Sören Kierkegaard, Ein Wort über das Verhältnis meiner schriftstellerischen Thätigkeit zu »dem Einzelnen«, in: Sören Kierkegaards Angriff auf die Christenheit, Erster Band: Die Akten, S. 467-478, hier S. 475. 171,38-39 »dem neunzehnten Jahrhundert zum Trotz«] Vgl. die Wortund Sacherläuterung zu 171,7-9. 171,39-172,3 Was er als das neunzehnte […] »nur ausdrücken, daß sie untergeht«] Buber komponiert zwei Zitate, Kierkegaard spricht von der »Zeit der Auflösung« in Sören Kierkegaard, Die Schriften über

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Die Frage an den Einzelnen

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sich selbst, Düsseldorf 1951, S. 114; das weitere ist zu finden in Kierkegaard, Die Tagebücher. 1834-1855, S. 33. 172,22-23 das Weib, »ganz anders als der Mann, in gefährlichem Rapport zur Endlichkeit«] Kierkegaard, Die Lilien auf dem Felde und die Vögel unter dem Himmel: drei fromme Reden; Hohepriester; Zöllner; Sünderin: drei Beichtreden, S. 157. 172,36-38 die Kategorie des »Einzelnen« […] entgegengesetzt] Vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 168,32-34. 173,40 den »Ehemann« der »Stadien«] Nicht nachgewiesen. 175,27 Begeisterungsakt »historischer« Stunden] Mögliche Anspielung auf die Machtergreifung Hitlers, die zu ihrer Zeit als historische Stunde verstanden wurde. 177,16 »die Menge umsetzt in Einzelne«] Nicht nachgewiesen. 178,34-35 um dessen willen die Schrift ihren Gott schon welterschaffend reden läßt] Vgl. das wiederholte »Und Gott sprach …« in Genesis 1. 179,19-22 »Daß man in Menge […] zukommen läßt.«] »Daß man in Menge ist, entbindet entweder von Reue und Verantwortung oder schwächt doch die Verantwortung für den Einzelnen ab, weil sie diesem an der Verantwortung immer nur ein Bruchteil zukommen läßt.« Kierkegaard, Zur Widmung an »jenen Einzelnen«, S. 461. 181,19 der Hinderer] Ronald Gregor Smith verweist darauf, dass es sich dabei um die sinngemäße Übersetzung des biblischen ‫שטן‬, d. h. Satan handelt. Vgl. Martin Buber, Between Man and Man, translated by Ronald Gregor Smith, S. 208, Nr. 12. 182,3 »Fünkleins«] Terminologie Meister Eckharts, vgl. z. B.: »Diu seele hat etwaz in ir, ein fünkelin der redelicheit, daz niemer erleschet.« Franz Pfeiffer (Hrsg.), Deutsche Mystiker des vierzehnten Jahrhunderts: Zweiter Band. Meister Eckhart, S. 39. Ronald Gregor Smith verweist darauf, dass das »Fünklein« bei Buber stärker ethisch konnotiert ist als bei Eckhart. Vgl. Martin Buber, Between Man and Man, translated by Ronald Gregor Smith, S. 208 Nr. 13. 182,17-18 der Bewegung der Welt von Gott weg und ihrer Bewegung auf Gott zu] Buber vertritt die Ansicht, dass sich die Welt in zwei metakosmischen Grundbewegungen befindet: »die Ausbreitung in das Eigensein und die Umkehr zur Verbundenheit« (Ich und Du, in diesem Band, S. 107). 184,3 jene mächtige Anschauung […] Kollektiva wirklich sind] Anspielung auf die kollektivistischen Massenbewegungen des 20. Jahrhunderts. 185,7 Oswald Spengler] (1880-1936) dt. Geschichtsphilosoph u. Kulturkritiker; Vertreter der sog. »Konservativen Revolution«; mit seinem

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Hauptwerk Der Untergang des Abendlandes (2 Bände 1918 u. 1922) wurde er schlagartig berühmt. 185,9 den Menschen unter die Raubtiere einreiht] »Der Mensch ist ein Raubtier.« Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung, München 1933, S. 36. 185,15 Diese These ist die Banalisierung einer Nietzscheschen.] »der Mensch nämlich ist das beste Raubthier« Friedrich Nietzsche, Also sprach Zarathustra, KGA, 6. Abt., Bd. 1, S. 259. 185,16-18 es komme darauf an, […] Entartung die Folge] Nicht nachgewiesen. 186,5-6 »die großen Raubtiere edle Geschöpfe in vollkommenster Art«] Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung, S. 36. 186,9-11 »Freiheit der Kinder Gottes« […] »den Kopf vorstreckt«] Röm 8, 21-23. 186,13 Carl Schmitt] (1888-1985) dt. Staatsrechtler; bereitete mit seiner Theorie des Ausnahmezustands den nationalsozialistischen Terror vor; verteidigte 1935 die Nürnberger Rassengesetze. 186,16-18 »den relativ selbständigen […] Häßlich im Ästhetischen«] Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen, München 1932, S. 14. 186,18-21 Begriff des Feindes […] politische Spannung«] »Denn zum Begriff des Feindes gehört die im Bereich des Realen liegende Eventualität eines Kampfes. […] Die Begriffe Freund, Feind und Kampf erhalten ihren realen Sinn dadurch, daß sie insbesondere auf die reale Möglichkeit der physischen Tötung Bezug haben und behalten. […] Von dieser extremsten Möglichkeit her gewinnt das Leben der Menschen seine spezifisch politische Spannung.« Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 20 u. 23. 188,11-13 Die »Höhepunkte […] erblickt wird«] Ebd., S. 54. 188,17-18 Nach Schmitt […] »böse« voraus] Ebd., S. 49. 188,21-22 Dieses »böse« […] »gefährlich«] Ebd. 188,24-25 die theologische Lehre von der absoluten Sündhaftigkeit des Menschen] »Das theologische Grunddogma von der Sündhaftigkeit der Welt und der Menschen führt […] ebenso wie die Unterscheidung von Freund und Feind zu einer Einteilung der Menschen, zu einer ›Abstandnahme‹, und macht den unterschiedslosen Optimismus eines durchgängigen Menschenbegriffes unmöglich.« Ebd., S. 51 f. 188,26 Friedrich Gogarten] (1887-1967): deutscher protestantischer Theologe; Vertreter der Dialektischen Theologie. Zur Auseinandersetzung Bubers mit ihm siehe die Einführung zu diesem Kommentar. 188,27 Gogarten erklärt in seiner »Politischen Ethik«] Friedrich Gogarten, Politische Ethik, Jena 1932, S. 118.

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Vorwort [zu Between Man and Man]

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189,17-18 Nach Gogarten […] Bösen verfallen«] Ebd. 189,19-20 daß »allein […] Existenz« habe] Ebd. 189,20-23 Der Staat habe »seine […] verfallen sind«] Ebd., S. 117. 189,24-26 Denn »woher soll der Staat […] Bösen haben kann … ?«] Ebd., S. 122. 189,34-35 ab his malis liberemur et servemur] Lat. »Durch seine [Christi] Leiden werden wir befreit und wird uns gedient«; aus der Konkordienformel, in: Irene Dingel (Hrsg.), Die Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche, Göttingen 2014, S. 1323. 190,33-37 der Witz der Schlange […] Nacktheit, in der er sich erkennt] Gen 3. 190,40 wie Ahriman, zeitweilig dem Ormuzd] Ormuzd und Ahriman sind Verkörperungen von Licht und Dunkelheit in der zoroastrischen Religion. Am Ende des dauernden Kampfes zwischen beiden herrscht Ormuzd im ewigen Lichte. 191,6 Satz vom Widerspruch] Vgl. Wort- und Sacherläuterung zu 166,34. 193,2 In der Krisis des Menschen, die wir in dieser Stunde erfahren] Vgl. Wort- und Sacherläuterung zu 175,27. 195,7-9 »Das wovon […] handelnd erzeugt.«] »Das, wovon ich hier rede, ist etwas ganz Simples und Einfältiges: daß die Wahrheit für den Einzelnen nur da ist, indem er selbst handelnd sie produziert.« Sören Kierkegaard, Der Begriff der Angst, in: ders., Gesammelte Werke, Bd. 5, hrsg. von Hermann Gottsched, Jena 1923, S. 137. 195,12 »Wahr ist«, sagt Stirner, »was Mein ist.«] Vgl. Wort- und Sacherläuterung zu 154,15. Vorwort [zu Between Man and Man] In dem ursprünglich auf Deutsch formulierten Vorwort zu der von Ronald Gregor Smith übersetzten englischsprachigen Ausgabe zentraler dialogischer Schriften Bubers benennt und skizziert Buber die Bestandteile des Sammelwerkes. Von den genannten Werken befinden sich Zwiesprache und Die Frage an den Einzelnen in diesem Band, die Rede über das Erzieherische und Über Charaktererziehung sind in MBW 8, und Das Problem des Menschen in MBW 12 abgedruckt. Smith war bereits der Übersetzer der ersten englischsprachigen Ausgabe von Ich und Du. Smith fand bei der Übersetzung – insbesondere bei der Wiedergabe von Zwiesprache – Unterstützung bei Kurt Emmerich. Und zu einem

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Einzelkommentare

gewissen Grad auch von Hans Ehrenberg, wie aus einem Brief Smiths an Buber vom 26. Februar 1945 hervorgeht (Arc. Ms. Var. 350 08 741a). Textzeugen: H1: Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350 02 15c); 1 Blatt, einseitig beschrieben mit blauer Tinte; mit Korrekturen versehen. H2: Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350 02 15c); 1 Blatt, einseitig beschrieben mit blauer Tinte; mit Korrekturen versehen; Reinschrift von H1. D1: Foreword, in Between Man and Man, London: Routledge & K. Paul 1947, S. VII (MBB 760). Druckvorlage: H2 Variantenapparat: 196,11 einige politische] die politischen H1 196,14-15 erstaunlicherweise, da es […] angreift] [zu meinem Erstaunen und dem aller verständigen Leser, da es sich in einer grundsätzlichen und umfassenden Weise gegen den sogenannten Totalitarismus wendet] ! erstaunlicherweise, da es die Lebensbasis des Totalitarismus angreift H1 196,16 ist gewiss daraus zu erklären] lässt sich wohl nur daraus erklären H1 [lässt sich wohl nur daraus erklären] ! ist gewiss daraus zu erklären H2 196,18 Hauptprobleme] Grundprobleme H1 [Grundprobleme] ! Hauptprobleme H2 196,22 Prinzips] [Verhältnisses] ! Prinzips H1 196,23-24 ihre wichtigste Aufgabe] [die wichtigste Einzelfrage] ! das wichtigste Einzelgebiet H1 Urdistanz und Beziehung Der in vier Abschnitte gegliederte Aufsatz erschien zunächst 1950 im Jahrbuch der Schweizerischen Philosophischen Gesellschaft Studia Philosophica, bevor er ein Jahr später dann als eigenes Büchlein neu aufgelegt worden ist. Erst in der späteren Buchveröffentlichung betitelte Buber die Abschnitte und fügte ein Vorwort hinzu. Die Vermutung von Lothar Stiehm, die Redakteure der Zeitschrift hätten in der Erstpublikation »zahlreiche Bubersche Stileigenheiten« getilgt, die erst in der Buchveröffentlichung wieder zur Geltung gekommen seien (Lothar Stiehm, Edi-

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Urdistanz und Beziehung

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torischer Anhang, in: Urdistanz und Beziehung, Heidelberg 1978, S. 43), lässt sich bei einem Abgleich mit den vorliegenden Archivmaterialien allerdings nicht halten. Im Briefwechsel mit Hugo Bergmann kommt Buber auf den Text zu sprechen (B III, S. 152 u. 174); daraus geht hervor, dass er im Sommer 1948 erarbeitet worden ist. Wie in der Einleitung zu diesem Band dargelegt, mögen dabei frühere Gedanken eingeflossen sein. In der Buchausgabe sind die Abschnitte betitelt, beginnend mit »I. Das Prinzip des Menscheins«. Urdistanz und In-Beziehung-Treten als zwei wesentliche Bewegungen stellen für Buber zusammen dieses doppelte Prinzip des Menschseins dar. In Abgrenzung von der Biologie (Jakob von Uexküll) gesteht Buber dem Tier die Kenntnis seiner Umwelt als »Bereich«, die Idee der »Welt« aber nur dem Menschen zu. »Eben wenn und insofern es Welt gibt, gibt es den sie bedingenden Menschen im Sinne […] einer in die Wirklichkeit gekommenen Kategorie.« (In diesem Band, S. 199.) Die Geschichte des Geistes dokumentiert sich in verschiedenen Maßen der zweiten Bewegung an den Kundgebungen der ersten. »[D]ie Urdistanz stiftet die menschliche Situation, die Beziehung das Menschwerden in ihr« (ebd. S. 201), wie Buber sodann innerhalb des Verhältnisses zu Dingen (»II. Mit den Dingen«) und Mitmenschen (»III. Mit den Menschen«) deutlich macht. Die Verwirklichung des Prinzips in der Sphäre zwischen den Menschen gipfelt in dem Vorgang der Vergegenwärtigung (»IV. Die Vergegenwärtigung«), deren Möglichkeit in der Fähigkeit des Menschen zur Realphantasie (emphatischen Teilnahme am Mitmenschen) angelegt ist, ein Ausdruck, den Buber in dieser Schrift prägt und forthin gerne verwendet. Im ersten Band seiner 1962 veröffentlichten Werke hat Buber diese Schrift unter die »Beiträge zu einer philosophischen Anthropologie« eingereiht, und wie er Das Problem des Menschen (jetzt in: MBW 12, S. 221-312) als geistesgeschichtliche Einleitung zu einer anthropologischen Begründung verstanden hat, verstand er den vorliegenden Text als dieser Begründung erstes Stück (Nachwort [zu Die Schriften über das dialogische Prinzip], jetzt in diesem Band S. 240); vgl. dazu auch die Einleitung in MBW 12, S. 50 f. Textzeugen: H1: Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var 350 02 42); 13 lose paginierte Blätter, doppelseitig beschrieben mit blauer Tinte, mit zahlreichen Korrekturen versehen. h2: Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var 350 02 42); 16 lose paginierte Blätter, einseitig beschrieben mit blauer Tinte, mit vereinzelten Korrekturen versehen; Seite 1 und 2 fehlen; Reinschrift von H1.

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TS : Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var 350 02 42); 18 lose paginierte Blätter; einseitig beschrieben. Zwischen den Seiten 16 u. 17 ist ein handschriftliches Blatt eingelegt. Das Typoskript ist zweischichtig: TS1.1: Grundschicht. TS1.2: Überarbeitungsschicht: handschriftliche Korrekturen Bubers mit verschiedenfarbigem Stift. D1: Studia Philosophica Jahrbuch der Schweizerischen Philosophischen Gesellschaft, Separatum Bd. X, Basel: Verlag für Recht und Gesellschaft 1950, S. 7-19 (MBB 843). D2: Heidelberg: Lambert Schneider 1951, 44 S. (MBB 858). D3: Heidelberg: Lambert Schneider 1960, 37 S. [Zweite Auflage] (MBB 858). D4: Werke I, S. 411-423 (MBB 1193). 1

Druckvorlage: D1 Übersetzungen: Englisch: Distance and Relation, übers. von Ronald Gregor Smith, The Hibbert Journal, 49, Januar 1951, S. [105]-113 (MBB 862); Distance and Relation, übers. von Ronald Gregor Smith, Psychiatry, XX/2, 1957, S. 105-104 (MBB 1050); in: The Knowledge of Man. Selected Essays, hrsg. und eingel. von Maurice Friedman, übers. von Ronald Gregor Smith u. Maurice Friedman, New York: Harper & Row 1965 (MBB 1269). Hebräisch: Recheq we-ziqa, Ijjun, 2. Jg., Januar 1951, S. 32-42 (MBB 881); Recheq we-ziqa, in: Pene adam. Bechinot be-anthropologia filosofit, Jerusalem: Mossad Bialik 1962 (MBB 1209). Japanisch: in: Beiträge zu einer philosophischen Anthropologie, übers. von Minoru Inaba, Tokio: Misuzu-Shobo (MBB 1326). Niederländisch: Oerdistantie en relatie, übers von F. de Miranda, Utrecht: J. Bijleveld 1978, 160 S. (MBB 1401). Variantenapparat: 197,2 I.] fehlt H1 Das Prinzip des Menschseins TS1.2, D2, D3, D4 197,5 gemeint] verstanden H1 197,9 wahrzunehmen begann.] ergänzt Alle Versuche, die Menschwerdung als einen zeitlich [determinierten Vorgang] ! vollzogenen Prozess zu erfassen, münden im Widersinn H1 Alle Versuche, die Menschwerdung als einen zeitlich vollzogenen Prozess zu erfassen, münden im Widersinn TS1.1

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197,9-12 Es darf nur […] Anfang hat] Alternative Fassung auf Einlegeblatt Um die Seinskategorie, die mit dem Namen des Menschen bezeichnet wird, in all ihren Paradoxien und Tatsächlichkeiten zu [betrachten] ! erkennen, müssen wir sachgemäss den Menschen sich vom Nichtmenschen sich abheben lassen TS1 197,16 sich abheben läßt] abhebt H1, TS1.1 197,18 alles uns gegebene] Nur gegen die Wirklichkeit der Natur lässt sich alles erfahrbare] ! alles uns gegebene H1 197,18 in ihm] [von ihm zum Lehen] ! in ihm H1 197,19 des Sich-abheben-Lassens] der Abhebung H1, TS1.1 197,35 Auf diesem Wege gelangen wir zur Einsicht] [Wir werden auf diesem Wege, darauf sei schon jetzt hingedeutet – zu Einsicht gelangen] ! Auf diesem Weg gelangen wir zur Einsicht H1 197,37 Bewegung] [Dynamik] ! Bewegung H1 198,1 das In-Beziehung-Treten genannt] [die Interrelationierung oder das Zwischengeschehen genannt. / Zunächst ist die erste der beiden Bewegungen aufzuzeigen. Damit die Aufzeigung ihre Aufgabe erfülle, muss sie zunächst am konkreten Gegenstand, der menschlichen Person je und je, und zwar nicht an ihrer »Innerlichkeit«, sondern an ihrem Verhältnis zu dem, was wesenhaft nicht sie ist, erfolgen] ! das In-Beziehung-Treten genannt H1 198,Anm 1] fehlt H1, TS1.1 198,5 für den Menschen.] ergänzt / Aufzuzeigen ist das Doppelprinzip nicht am »Innenleben« des Menschen, sondern an den grossen Phänomenen seines Verhältnisses zu einer Anderheit, die als solche erst durch den Vorgang der Distanzierung konstituiert wird. Aus dieser Aufzeigung wird auch die Auswirkung des Prinzips im Innenleben der menschlichen Person deutlich werden. H1, TS1.1 198,9 beiläufig] etwa H1, D2, D3, D4 198,Anm 2] fehlt H1, TS1.1 198,Anm 2 bahnbrechenden] fehlt D2, D3, D4 198,11 Umwelt] »Merkwelt« D2, D3, D4 198,14 und nicht […] Bereich] hund nicht […] Bereichi H1 198,16 Betrachters hinaus] Beginn von h2 198,16-17 und als solches Selbständige] fehlt H1, TS1.1 198,20 ihr den Eigenbestand gibt] ihren Bestand erlangt H1 ihr den Bestand gibt h2, TS1.1 198,20 gibt] verleiht D2, D3, D4 198,30 Es hangt […] des Tieres.] fehlt H1, h2, TS1.1 198,35 und faßt nun ein Ganzes] fehlt H1, h2, TS1.1

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199,3-4 Umfangende und unendlich Übergreifende] Um- und Überfangende H1, h2, TS1.1 199,4-5 in dem Bereich seiner Wahrnehmungen] in seinem Bereich H1, h2, TS1.1 199,5 Fruchtkern in der Schale] [der Fötus im Mutterwasser] ! die Schnecke im Schneckenhaus H1 [Fötus im Mutterwasser] ! Fruchtkern in der Schale h2 199,7-10 ungeheuren Bau, der […] als solche] [Haus, das] ! Bau der zu gross ist, als dass er je seine Mauern zu erreichen vermöchte, den er aber doch weiss, wie man ein Haus weiss in dem man wohnt, weil er seine Ganzheit H1 199,7-8 und zu dessen […] vermag] zu gross ist, als dass er je seine Mauern zu erreichen vermöchte h2, TS1.1 199,12 und in sich anerkannt] fehlt H1, h2, TS1.1 199,14-15 ist mehr und anders als Bereich] [kann Welt werden] ! ist mehr und anders als Bereich H1 199,25 betreten] antreffen D3 199,30-31 der Biber treibt seinen Bau in einen Zeitbereich] der Biberbau dehnt sich in einen {Bereich H1 Zeitbereich h2} hin H1, h2 199,32 Zeitwelt] Welt H1 199,38 Einer-Welt-Gegenübersein] »Gegebensein« einer Welt H1 199,39-40 und das heißt, […] Beziehungsverhaltens] fehlt H1 200,1-2 einer Beziehung stehen] eine Beziehung treten D2, D3 200,6-8 – also […] bezeichnen,] nennen wir die synthetische Erkenntnis oder abgekürzt die Erkenntnis H1, h2 dürfen wir die synthetische Erkenntnis nennen TS1.1 200,10 synthetische Anschauung] Erkenntnis in diesem Sinn H1, h2 200,11 die Anschauung […] Einheit] [die Erfahrung eines Gegenstands als Einheit. Erfahrung solcher Art ist nur und wird immer wieder nur von der Erfahrung der Welt als Welt aus gewonnen] ! die Anschauung […] Einheit H1 200,15-20 und gewandelten] fehlt H1 200,19-21 den Charakter […] empfangen] seine Ganzheit und Einheit von der Welt zu Lehen H1 200,21 empfangen] zu Lehen H1 200,21-22 Distanzierung] [Abrückung] ! Distanzierung H1 200,24 nur eine Summe] [notwendigerweise Gegenstand unter Gegenständen ist] ! nur eine Summe H1 200,29-30 ist der Bereich […] im Geist] , wo gleichsam auch mich ein ungeheurer Blick aus der Tiefe des Allandern trifft, wird der Bereich

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des Tiers Mensch und alles ihn im Geist H , h , wo auch mich ein ungeheurer Blick aus der Tiefe des Allandern trifft TS1.1 200,32 das Ich] [der Mensch erst] ! das Ich H1 200,36 entsprungen] hervorgesetzt H1 201,6 Parallelismus] Parallelismus, keinerlei Verknüpfung h2, TS1.1 201,9-10 – nicht die Herkunft] , wohlgemerkt: nicht den Ursprung H1 201,14 Ursprung] Ursprung und Antrieb H1 201,18 kommen] treten H1 201,19 füllen] erfüllen H1 201,25-26 Anspannung […] hervorgehen] Spannen und völligem Loslassen der Leierseiten die reine Harmonie H1, h2, TS1.1 201,27 II.] fehlt H1 Mit den Dingen TS1.2, D2, D3, D4 201,28-29 Wer, den Blick […] muß beachten] Es ist noch, wenn wir [den Wegen] ! der Geschichte des Geistes nachgehn, zu beachten H1 201,29 Geschichtsgang] [Gang] ! Geschichtsgang h2 201,30-31 universal] [vorgeschichtlich und] universal h2 201,31 personal] [innergeschichtlich und] personal h2 202,20 Bohrer zu sein] Bohrer zu sein, bis es in dieser seiner Eigenschaft [wiederentdeckt] ! wiederbetätigt wird H1 202,32-33 wehrgemäßer] [zweckgemässer] ! wehrgemässer H1 202,34 vollbringt] führt nur aus H1 202,37 Volksstamm] Stamm H1 202,40 einen geschwungenen Strich] [ein Zeichen] ! einen geschwungenen Strich H1 202,40 zu ritzen.] ergänzt Er soll sichtlich einen Blitz bedeuten, aber nie hat ein Blitz so ausgesehen. H1 203,5 wandelt] erneut H1 203,11 eine Selbständigkeit] ein Selbstsein H1, h2, TS1.1 203,12 zu Trägern] zum Gebild H1 203,17 ihnen eingibt] ihnen eingibt [, auf Höhlenwände sie, von seiner Bedrohung zu ihnen erfüllt, aneinanderreiht] H1 203,21 Niederschlag der Beziehung] Signatur für die Beziehung H1, h2, TS1.1 203,23 Werk und Zeugnis der Beziehung] das Dokument der [Verbindung] ! Beziehung H1 das Dokument der Beziehung h2, TS1.1 203,35 III.] fehlt H1 Mit den Menschen TS1.2, D2, D3, D4 204,6 bestätigen] in ihrem Sosein bestätigen H1 204,8 Erdenherrschaft] Herrschaft H1 204,15 anerkannten] zugestandenen H1 204,16 den starrsten Epochen der alten Reiche] [der starrsten Zeit Chinas bewahrten Familie und Dorfgemeinde, in der starrsten Zeit 1

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Ägyptens bewahrt die Familie] ! den starrsten Epochen der alten Reiche H1 204,29 Mensch-mit-Mensch-Seins] berichtigt aus Mensch mit-MenschSeins nach H1, h2, TS1.1, TS1.2, D2, D3, D4 204,30-31 ja was er werden kann] was er vermag, ja was er werden, was vermögend er werden kann H1 204,33 unermeßlich] [vielfach] ! unermesslich H1 204,34 Fraglichkeit] [Problematik] ! Fraglichkeit H1 204,39 Merkmal] Merk- und Denkmal D2, D3, D4 205,4 Anerkennung] [Bejahung] ! Anerkennung H1 205,Anm 1] fehlt H1, h2, TS1.1 205,8 ja vielleicht noch vor ihr,] fehlt H1 205,10 eben seine] fehlt H1 205,11 Signale] [Rufe] ! Signale H1 205,12-13 des Menschseins] fehlt H1 205,18 mißbrauchen] nur benützen H1 205,20 , also kontaktlos,] fehlt H1 205,21 vertan] verloren H1 205,22 Erfüllung] [Entfaltung] ! Erfüllung H1 205,36 angelegt sein] [lagern] ! angelegt sein H1 206,5 beflissen ist.] ergänzt Mit solchem Treiben hat das Menschengeschlecht von je das Werden des Menschen wirksam zu behindern gewusst, und weiss es heute wirksamer als je. H1 206,15 zu sehen.] ergänzt Wer die Menschen ins nutzbare Dingsein bannt, erstickt auch sein eigenes Menschtum. / Von da aus ist die heute vordringlichste Assoziationsform zu betrachten, die man etwa als Gesinnungsgemeinschaft zu bezeichnen pflegt. Hier müsste, wenn das Doppelprinzip des Menschseins sich auswirken dürfte, die »gemeinsame Gesinnung« sich immer wieder an echten Begegnungen erproben und erneuern; die »Gesinnungsgenossen« müssten einander immer wieder die zu verkrusten drohende aufrühren, müssten einander immer wieder helfen, sie in neu unbefangener Anschauung mit der sich wandelnden Wirklichkeit zu konfrontieren, ja, das gegenseitige Hinzeigen, das gegenseitige Zu-sehen-geben, das gegenseitige Prüfen und Berichtigen in der gemeinsamen Anschauung müsste der Prozess sein, durch den die Gesinnung Mal um Mal wiedergeboren wird. Statt dessen ist man auf nichts andres aus als sich selber und die andern am Festgesetzten festzuhalten; hdie Kraft, sich aus der Tiefe zu besinnen, das heisst, die Wahrheitssubstanz der Gesinnung neu zu schöpfen, weiss man in sich und in den andern niederzuhalten;i die Tatsachen werden durch die obligate Brille kor-

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rigiert; echten, also notwendig aufrührenden Begegnungen weicht man erfolgreich aus; und schliesslich ist der sture [Menschenklumpen] ! Menschenklüngel, immer noch Gesinnungsgemeinschaft zubenannt, für seine Mitglieder keine Menschenwelt mehr, nur noch Bereich. Aus dem Stande der Distanz und Selbständigkeit, der die lebendige Beziehung ermöglicht, ist der Menschenverband in die vormenschliche Situation zurückgekehrt, die nur zwei wesentliche Bestandteile aufweist: im Vordergrund die zusammenklebende »Diesheit«, innerhalb derer es keine Sonderexistenzen gibt, und aus dem Hintergrund jeweils vorbrechend die bedrohende »Jenheit«, auch sie ohne alles personhafte Aussichsein, gestaltlos, [wesenlos,] nur noch ein Schemen aus Flecken, die Angriff und Abwehr anzeigen, nur noch der »Feind«. / Was ist aus der Kameradschaft geworden? Wie kann sie wieder werden? Das sind Fragen, vor die das erkannte Prinzip des Menschseins in dieser Stunde uns stellt. H1 206,21 besitzt] besitzen dürfte H1 206,16 IV.] Die Vergegenwärtigung TS1.2, D2, D3, D4 206,23 sinnenmäßig] unmittelbar H1, h2, TS1.1 206,24 vor der Seele zu halten] mit annähernder Richtigkeit vorzustellen H1 206,28-29 Die volle Vergegenwärtigung] [Von da zur eigentlichen Vergegenwärtigung führt nur ein Schritt, aber einer von entscheidender Bedeutung: es geht darum] ! Die volle Vergegenwärtigung H1 207,10-11 steht des Menschen […] die Anderen] ist der Mensch selber, als die Anderen, distanziert und verselbständigt H1, h2, TS1.1 207,17 das gegenseitige Sein] die Gegenseitigkeit H1, h2, TS1.1 207,26-27 nicht psychologisch, sondern] fehlt TS1.1 208,3 schaut er] im Letzten ungewiss, schaut er H1 [im Letzten ungewiss,] schaut er h2 208,5 des Selbstseins.] ergänzt / Noch aber steht ein Letztes aus: die Distanzierung und Objektivierung der menschlichen Person durch sich selbst. Sie geschieht auf zwei wesensverschiedenen Stufen. Um ihre Verschiedenheit zu erfassen, müssen wir uns in äusserster Unbefangenheit [die Beschaffenheit des] ! das Wesen der Zweiheit vergegenwärtigen, die man Körper und Seele zu nennen pflegt. H1 Wort- und Sacherläuterungen: 198,Anm 2 die bahnbrechenden Arbeiten v. Uexkülls] Jakob Johann v. Uexküll, (1864-1944): baltischer Biologe; gilt als Begründer einer neueren Umwelttheorie, die sowohl die Psychologie als auch die Verhaltensforschung beeinflusst hat.

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200,3-5 der Physiker, […] mit ihm kommuniziert] Nach eher zufälliger Entdeckung des Uranus durch William Herschels (1738-1822) Himmelsbeobachtungen war es der Planet Neptun, dessen Existenz mathematisch aufgrund von Störungen der vorhergesagten Bahn des Uranus postuliert wurde und der dann auch entdeckt worden ist. 200,32 das Ich »setze« die Welt oder dergleichen] Anspielung auf die Philosophie Johann Gottlieb Fichtes (1762-1814), der zufolge das als absolut erachtete Ich die Welt als dessen »Nicht-Ich« setze. 203,22-25 Kunst ist weder Impression […] gestaltgewordene Zwischen.] Buber zitiert diesen Satz in seiner Schrift Der Mensch und sein Gebild, jetzt in: MBW 12, S, 449-463, hier S. 463. 208,5 Himmelsbrot des Selbstseins] Metaphorische Anspielung auf das Manna in Exodus 16. Vorwort [zu Dialogisches Leben] Im Vorwort zur Ausgabe von Dialogisches Leben benennt und skizziert Buber die Bestandteile des Sammelwerkes. Von den genannten Werken befinden sich Ich und Du, Zwiesprache und Die Frage an den Einzelnen in diesem Band, die Rede über das Erzieherische (1926) und Über Charaktererziehung (1947) sind in MBW 8 (S. 136-154, bzw. S. 327-340), und das Problem des Menschen (1942/147) in MBW 12 (S. 221-312) abgedruckt. Anders als im deutschen Original des Vorworts zu Between Man and Man, welches außer Ich und Du denselben Bestand an Texten hat, bietet dieses Vorwort vor der Auflistung der Bestandteile des Buches eine Vorrede, welche die existentielle Bedeutung des Dargelegten betont. Der Klappentext der Erstausgabe erläutert: »Die gesammelten Reden und Schriften Bubers haben gerade jetzt eine besondere Bedeutung, da die Existenzfrage durch eine Reihe bedeutender Philosophen neu gestellt worden ist.« Textzeuge: D: Dialogisches Leben – Gesammelte philosophische und pädagogische Schriften, Zürich: G. Müller 1947, S. 9-11 (MBB 761). Druckvorlage: D

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Martin Buber und Ferdinand Ebner

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Martin Buber und Ferdinand Ebner Anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an Martin Buber am 26. September 1953 erschien in der Wochenzeitung Der Standpunkt (Nr. 40 vom 2. Oktober 1953, S. 5) ein würdigender Artikel von Ewald Kliemke über »Martin Bubers geistige Gestalt«. Darauf verfasste Friedrich Pater (1891-1954), der in engem Kontakt mit der Zeitschrift Der Brenner stand, wo Arbeiten Ebners veröffentlich worden waren, einen Leserbrief mit dem Titel »Ferdinand Ebner und Martin Buber«, der etwas später (Nr. 51 vom 18. Dezember 1953, S. 2) publiziert wurde. Darin moniert er die fehlende Nennung von Ferdinand Ebner, von dem Buber seine Ideen bezogen habe. Offensichtlich fühlte sich Buber angesichts dessen genötigt, sein Verhältnis zu Ferdinand Ebner noch einmal klarzustellen. Bereits im Vorwort zu Dialogisches Leben nennt Buber neben Franz Rosenzweig auch Ebner als Autoren ähnlicher Klärungsversuche wie der eigenen. Er zitiert aus diesem Vorwort um in dieser kurzen Republik (ebenfalls als »der Standpunkt des Lesers« publiziert, Ausgabe vom 12. Februar 1954) der von Friedrich Pater erhobenen Behauptung zu widersprechen. Brieflich spezifiziert Buber an anderer Stelle, dass er Ebners »Das Wort und die geistigen Realitäten« erst erhielt, als er mit Ich und Du bei der Niederschrift des vorletzten Kapitels angelangt war (B III, S. 366). Textzeugen: TS: Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350 02 113); 1 loses Blatt, einseitig beschrieben; ohne Korrekturen. D: Der Standpunkt, 12, Februar 1954 (MBB 963). Druckvorlage: D Wort- und Sacherläuterungen: 211,5 Gabriel Marcel] (1889-1973): franz. Philosoph und Schriftsteller; bedeutendster Vertreter des französischen Existentialismus. 211,5 Karl Jaspers] (1883-1969): dt. Philosoph; einflussreicher Vertreter der Existenzphilosophie. Elemente des Zwischenmenschlichen Der Text »Elemente des Zwischenmenschlichen« wurde 1954 gleich dreifach publiziert, und zwar sowohl in den Zeitschriften Merkur (Heft 8

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1954, S. 112-127) und Neue Schweizer Rundschau (Heft 21, 1954, S. 593-603) als auch in dem Sammelband Schriften über das dialogische Prinzip, Heidelberg: Lambert Schneider 1954, S. 255-284. Im Martin Buber Archiv finden sich dazu sowohl zwei Manuskripte – ein erster Entwurf und die Reinschrift – und ein Typoskript als auch drei Seiten Konzeptpapiere mit dem Titel »Grundformen des Zwischenmenschlichen«. (Arc. Ms. Var. 350 02 35b.) In Abgrenzung von eigenem früheren Gebrauch (vgl. dazu die Einleitung zu diesem Band, S. 16) unterscheidet Buber in diesem Text 1.) das Zwischenmenschliche grundsätzlich vom Sozialen. Letzteres bezieht Buber auf Erfahrungen aus Gruppenzugehörigkeit, während das Zwischenmenschliche die Sphäre des »Einander-gegenüber« darstellt. Als eigentliche Problematik im Bereich des so definierten Zwischenmenschlichen charakterisiert Buber sodann 2.) die Zwiefalt von Sein und Scheinen. Die Authentizität des Zwischenmenschlichen scheint dort auf, wo sich Menschen einander mitteilen als das, was sie sind. Hauptvoraussetzung eines echten Gesprächs ist, dass jeder seines Gesprächspartners inne wird, was nur möglich ist, »wenn ich zu dem andern elementar in Beziehung trete, wenn er mir also Gegenwart wird« (in diesem Band, S. 220). Von daher spricht Buber auch 3.) von der personalen Vergegenwärtigung, einem bereits in »Urdistanz und Beziehung« (in diesem Band, S. 206) gebrauchten Ausdruck. Wie Schein und unzulängliche Wahrnehmung, so bedroht ein Drittes das Wachstum des Zwischenmenschlichen, der Versuch propagandistischer Belehrung statt erzieherischer Begegnung, wie er in dem Unterschied zwischen 4.) Auferlegung und Erschließung zum Ausdruck kommt. Es geht also um das Erschließen der aktualisierenden Kräfte, des Rechten, das in jedem Menschen »in einer einmaligen und einzigartig personhaften Weise angelegt ist« (S. 223). 5.) Abschließend fasst Buber die Merkmale des echten Gesprächs noch einmal zusammen. In einer Nachbemerkung verweist er auf verwandte Ausführungen in Alexander von Viller’s »Briefe eines Unbekannten«, auf die er während des Drucks aufmerksam gemacht worden sei. Textzeugen: H1: Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350 05 35a); 15 lose paginierte Blätter; doppelseitig beschrieben mit blauer Tinte; mit zahlreichen Korrekturen versehen. H2: Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350 05 35a); Heft, 19 doppelseitig mit blauer Tinte beschriebene Blätter; mit einzelnen Korrekturen versehen; Reinschrift von H1.

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TS: Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350 05 35a); 25 lose, paginierte Blätter, einseitig beschrieben, ohne Korrekturen. D1: Die Schriften über das dialogische Prinzip, Heidelberg: Lambert Schneider 1954, S. 255-284 (MBB 951). 2 D : Merkur, VIII/2, Februar 1954, S. 112-127 (MBB 958). D3: Neue Schweizer Rundschau, XXI/10, Februar 1954, S. 593-608 (MBB 958). D4: Das dialogische Prinzip, Heidelberg: Lambert Schneider 1962, S. 269-298 (MBB 1188). D5: Werke I, S. 267-289 (MBB 1193). Druckvorlage: D1 Übersetzungen: Englisch: Elements of the Interhuman, übers. von Ronald Gregor Smith, Psychiatry, XX/2, 1957, S. 105-113, auch in: Bridges and Walls, hrsg. von John Stewart, London: Addison-Wesley 1973 u. 1977 (MBB 1051); in: The Knowledge of Man. Selected Essay, hrsg. und eingel. von Maurice Friedman, übers. von Ronald Gregor Smith u. Maurice Friedman, New York: Harper & Row 1965, S. 72-87 (MBB 1269). Französisch: Eléments de l’interhumain, in: La Vie en dialogue, übers. von Jean Loewenson-Lavi, Paris: Aubier 1959 (MBB 1122). Hebräisch: Bejn adam la-chavero, Akhsanja, 1, Siwan 715 (= 1955), S. 21-37 (MBB 1010); Jesodotaw schel ha-bejn enoschi, in: Be-sod Siach. Al adam wa-amidato nokhach ha-hawaja, übers. von Zwi Woyslawski, Jerusalem: Mossad Bialik 1959 (MBB 1133); Metzi’ut ha-bejnajim, Schdemot, 18. Jg., Juli 1965, S. 32-34 (MBB 1280) Italienisch: Elementi del contatto diretto tra uomo e uomo, in: Il Principio diologico, übers. von Paolo Facchi u. Ursula Schnabel, Mailand: Edizioni di Communitá 1959 (MBB 1121). Japanisch: in: Schriften über das dialogische Prinzip; I-II, übers. von Yoshiguro Taguchi, Tokio: Misuzu-Shobo 1967 (MBB 1298a). Variantenapparat: 212,1 Elemente] [Grundformen] ! Elemente H1 212,Anm 1 1905)] (1905); der wichtigste Abschnitt ist in dem Buch »Martin Buber. Sein Werk und seine Zeit« von Hans Kohn (1930) auf S. 311 ff. wiederabgedruckt H1, H2, D2, D3 212,10 begangen] [begangen] ! verfallen H1 verfallen H2 212,12 mathematisches Fachwort] [kosmologische Bezeichnung gleich-

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nishaft verwendet] ! kosmologisches Fachwort H [kosmologisches] ! mathematisches Fachwort H2 212,29 individueller] personhafter H1 212,35 umfaßten] zur Voraussetzung hatten H1 213,5 der Mensch] der Mensch hin der Gruppei H1 213,6 die ihn] sie ist es, die ihn entscheidend H1 213,14-15 zuwenden] den Kameraden, Freunden, Ehegenossen, zuwenden. / [Ich habe mich einmal, in den Tagen der Hitlerei, aus freien Stücken, nur um entzogene Reisepässe wiederzubekommen, in das Berliner Zentralquartier der Geheimen Staatspolizei begeben. Da ich stundenlang in einem Korridor zu warten hatte, benutzte ich die atmosphärisch etwas kuriose Musse, um die zahlreichen nah an mir haber ohne sich um mich zu kümmerni vorüberziehenden Parteifunktionäre darauf hin zu beobachten, wie sie sich zueinander verhielten. Es war freilich nur ein] H1 [den Kameraden, Freunden, Ehegenossen,] zuwenden H2 213,37 aus dem Zug […] geschaltet] dem Zug […] enthoben H1 214,1 Gefährten] Freunde H1 214,11 zur Stunde gefühlsbetont ist] im Augenblick gefühlsbetont erscheint H1 [gegenwärtig] ! zur Stunde gefühlsbetont erscheint H2 214,17 Nicht-Objekt-sein] Nicht-Objekt-sein des andern H1 214,20 das Geheimnis] [die Tatsache] ! das Geheimnis H2 214,39 Vorgänge] Akte H1 214,41-215,1 Ereignisse] Vorgänge H1 215,12 Ereignis] Vorgang H1 216,14 Menschen […] Eindruck waren] [in der Geschichte des Menschengeschlechts gegeben haben, die rein vom Wesen aus lebten, aber auch ein völlig] ! Menschen […] Eindruck lebten H1 216,17 Wir müssen uns] [Die Anthropologie muss sich] ! Wir müssen uns H1 216,24 Personen] Menschen H1 217,2 persönlichen Seins] [Dauerwesens] ! persönlichen Seins H1 217,6 Reich des »echten Scheins«] [geheimnisvolle] Reich [der [menschlichen] ! latenten Verwandlungen] ! des »echten Scheins« H1 217,13 Vortäuschung] Verstellung H1 217,17 an der Existenz] [am Sein] ! an der Existenz H1 217,19-20 des wahren Geschehens] [der Wahrheit] ! des wahren Geschehens H1 217,29 Ich und Du verscherzen.] Ich und Du verscherzen. [ / Die Problematik im Bereich des Zwischenmenschlichen, von der die Rede ist, kompliziert sich noch durch eine wunderliche Erscheinung, die zwar 1

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gänzlich ausserhalb dieses Bereichs zu stehen scheint, aber verschiedentlich mit ihm zu schaffen hat, Ich meine die Bedeutung, die für den Bildmenschen [der Eindruck gewinnen kann, den er sich selbst von sich macht; diese Bedeutung kann so gross werden, dass das Machen dieses Bildes] ! [Das ist zunächst nicht anders gemeint, als wenn wir von jemand sagen, dass er sich etwa von einem ihm unbekannten Menschen] die Gestalt zu gewinnen vermag, als die er sich selbst erscheinen will. Diese Bedeutung kann so gross werden, dass die gewünschte [Gestalt] ! Scheingestalt das Wissen des Menschen um [sein Sosein] ! seine Beschaffenheit, sein Selbstwissen überwältigt und ihn in ihren Dienst zwingt, so dass die Herstellung der Scheingestalt durch ihr entsprechende Handlungen seine eigentliche Tätigkeit wird.] H1 217,29-30 gespenstische Scheingestalten] [Gespenster] ! gespenstische Scheingestalten H1 217,40 teilzunehmen gewähre.] teilzunehmen gewähre. [Es kommt auch nicht darauf an, dass man gesellig sei, sondern dass man auch wenn man gesellig ist s e i .] H1 218,4 Zwischen] Zwischenmenschlichen H1 218,12 hervorbringt] hervorruft H1 218,13-14 aus seiner Art fahren] [»aus seiner Haut«,] aus seiner Art fahren, kann er »sich selbst entfliehn« H1 218,20 willfahren] folgen H1, H2, TS 218,22 Sobleibenmüssen] Sobleibenmüssen[, dem einer unterworfen ist] H1 218,28 schlecht erschienen wäre] schlecht [gewesen wäre, unerlösbar schlecht gewesen wäre] erschienen wäre H1 218,34 umringt] unterstellt H1 218,34 gebannt werden] gebannt werden; vielleicht ist er um des Bannens willen da H1 218,39-40 die Abgründe […] anrufen] [Wirkliches auf Wirkliches wirkt] die Abgründe […] zueinander reden H1 219,2 personale] fehlt H1 219,12 Lebensprinzip] Prinzip H1 219,24 freien Freigebigkeit] unbefangenen Freiheit und Freigebigkeit H1 219,33 nehme den Menschen an] akzeptiere den Menschen H1, H2, TS, D2, D3 219,39 nehme ich in seinem Sosein an] akzeptiere ich in seinem Sosein H1 220,7 aufkommt] entsteht H1, H2, TS 220,17 kategorial] schlechthin H1

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220,19 Gabe] [Tatsache] ! Gabe H 220,19-20 entscheidend] fehlt H1 220,21-22 im besonderen] fehlt H1 220,23 dynamische] hdynamischei geistige H1 220,24 erfaßbare] fehlt H1 220,24-25 ein Innewerden] [eine Wahrnahme] ! ein Innewerden H1 220,26 Objekt] Gegenstand H1 220,33 als das spezifisch Moderne] [letztlich irrigerweise] als das spezifisch Modernde H1 220,40 niemals als objektiv Bestehendes erfaßbar] nirgends zureichend als Objekt {gegeben ist H1 besteht H2, TS} H1, H2, TS 221,5 durch einen Allgemeinbegriff] den »Archeus« in paraxxxx Sprache, durch einen Allgemeinbegriff H1 221,5 dürfen] können H1 221,7 radikale] fehlt H1 221,8-9 wird heute zwischen Mensch und Mensch angestrebt] waltet heute zwischen Mensch und Mensch H1 221,9-10 nahe Mysterium […] eingeebnet] präsente Mysterium einst das Motiv der stillsten Enthusiasmen, wird neutralisiert H1 [präsente Mysterium einst das Motiv der stillsten Enthusiasmen, wird neutralisiert] ! nahe Mysterium […] eingeebnet H2 221,12 den Geisteswissenschaften] der Geistesarbeit und insbesondere in der Wissenschaft H1 221,14-15 anders beschaffene […] Individualität] seiner sie transzendierenden Besonderheit H1 221,16 Geisteswissenschaft] Wissenschaft H1 221,19 fragwürdig] problematisch H1 221,21 wachsam] rechtmässig H1 [rechtmässig] ! wachsam H2 221,22 hellsichtig] wachsam H1 221,27 eigentlichen] intimsten H1 221,27 Anschauen] Betrachten H1 221,30 Tat] Aktion H1 221,31 reale Person] Realität H1 [Realität] ! reale Person H2 221,33 verwirklichenden] in Wirklichkeit setzenden H1 222,12 Einsicht] Einsicht [; man pflegt dieses Vorgehen, mit einer etwas irreführenden Bezeichnung, Suggestion zu nennen] H1 222,14 fördern] fördern, entfalten H1 222,14 Rechte] Gute H1 222,18 existentielle Kommunikation] Mitsammensein H1 222,26 Gleichgültigkeit] Indifferenz H1, H2, D2, D3 1

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222,27 Partei] Grundhaltung der [Gruppe] ! Partei H [Grundhaltung der] Partei H2 222,30 Funktion] Funktion innerhalb der Tätigkeit der Partei H2 222,31-32 in diesen Grenzen immerhin praktisch anerkannt] in diesem Maße anerkannt 222,34 Anhänger] Wähler H1 222,38 Aussichten] Möglichkeit H1 223,2 effektiven] praktischen H1 223,3 Menschenfaktums] gegenüberstehenden Menschenfaktums H1 223,4 Inividuen] [Personen] ! Individuen H1 223,5-6 Individuen] [Personen] ! Individuen H1 223,6 einmalige, einzige] bestimmte, einmalige und einzigartige H1 223,15 Er kann sich] berichtigt aus Er kann sie nach H1, H2, D2, D3, D5 223,19-20 , die dieses Erziehers,] fehlt H1 , die seine, H2, TS 223,29 Hilfe] Förderung und Hilfe H1 223,35 durchaus nicht mit Begriffen] in keiner Weise mit [ethischen] Begriffen H1 224,3 den überaus wichtigen Grundsatz] [den wichtigen Satz] ! die wichtige Einsicht H1 224,4-6 niemals bloß […] behandelt werden] nicht als Mittel zu einem Zweck behandelt werden, man müsse ihn vielmehr als Selbstzweck achten H1 224,6-7 das von der Idee […] getragen wird] dessen entscheidende Kategorie die Menschenwürde ist H1 224,7 im Kern] fehlt H1 224,12 , das Menschentum zulänglich zu erfassen] ein zulängliches Bild H1 224,26 Selbstverwirklichung] Sonderzwecks und seiner Erfüllung H1 224,28 urnotwendig] fehlt H1 224,31 menschlichen Daseins] des Menschen H1 224,37-38 , ohne dem andern […] zu wollen,] h, ohne dem andern […] zu wollen,i H1 224,39 dynamische Herrlichkeit] [Höhe und Herrlichkeit] dynamische Herrlichkeit H1 224,39 leibhaft] zulänglich H1 225,3-4 Es gilt […] zusammenzufassen] Ich habe die Merkmale des echten Gesprächs zum grössten Teil schon angedeutet und fasse sie nunmehr klärend zusammen H1 225,5-6 in aller Wahrheit] nicht als Gebärde, sondern in Wahrheit H1 225,8 personhafte Existenz] Person oder diese Personen H1 225,23 besprochenen] beredeten H1 1

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225,24-25 den Beitrag seines Geistes] was in ihm bereit liegt H1 [was in ihm bereit liegt] ! den Beitrag seines Geistes H2 225,26 wähnen] glauben H1 225,38 Gesproß und Gebild] Wachstum und [Gestaltung] ! Bildnerei H1 226,2 vollenden] einzubringen H1 226,15-16 denkwürdige] eigentümliche H1 226,31-32 nicht ein einziger […] Scheine hörig] unter den Teilnehmern nicht ein einziger Bildmensch H1 226,19-20 Das Zwischenmenschliche […] Unerschlossene] Was sonst [ein Mensch] ! nur eine Person an der andern tun kann, die Erschliessung und Aktualisierung, ist hier keinem Einzelnen zuzuschreiben: das Zwischenmenschliche selber übt es H1 226,25 gedacht war] zusätzliche Anmerkung Eine Episode dieser Tagung habe ich anderswo (in dem Abschnitt »Meinungen und das Faktische« des Buchs »Zwiesprache«) erzählt. H2, D2, D3 227,13 ein noch so geringer] fehlt H1 227,21-22 offenkundigerweise nicht teilnahmen] nicht eigentlich, nur etwa durch beflügelte Stichworte H1 227,24-25 , mir ebenfalls befreundet,] fehlt H1 227,25 edler Art] [hohem Rang] ! edler Art H1 227,26-27 mehr der sachlichen […] Geistes ergeben] mit seinem Gewissen mehr der Sache zugetan H1 227,38 von dem echten Gespräch brückenlos geschieden] [ein Scheingespräch] ! von dem echten Gespräch kategorial geschieden H1 228,1-22 Nachbemerkung […] Verhältnis A bis C.«] fehlt D2, D3 228,2 Während des Drucks dieses Buches] Nach Abschluß des Manuskripts D5 Wort- und Sacherläuterungen: 212,Anm 1 Vorwort zur […] Sammlung »Die Gesellschaft« 1905).] Martin Buber, Geleitwort zur Sammlung, in: Die Gesellschaft. Sammlung sozialpsychologischer Monographien, Bd. 1: Werner Sombart, Das Proletariat, Frankfurt a. M.: Rütten & Loening 1906, S. V-XIV; jetzt in: MBW 11.1, S. 101-107, hier S. 105 f. 212,Anm 1 Werner Sombart] (1863-1941): dt. Nationalökonom und Soziologe. 213,18-21 ich tat es aus Anteilnahme […] Führer jener Bewegung war] Vermutlich handelt es sich um Gustav Landauer, der wegen seiner Beteiligung an der Münchener Räte-Republik am 2. Mai 1919 von Freikorpssoldaten ermordet wurde.

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Nachwort [zu Die Schriften über das dialogische Prinzip]

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217,9-10 »So laßt mich scheinen, bis ich werde«] Johann Wolfgang von Goethe, Wilhelm Meisters Lehrjahre, WA, I, Bd. 23, Weimar 1901, S. 159. 219,8-9 Tschechow] Anton Pawlowitsch Tschechow (1860-1904): russ. Schriftsteller und Dramatiker. 221,26 Ich möchte den Namen Realphantasie vorziehen] Vgl. dazu »Urdistanz und Beziehung«, in diesem Band, S. 197 ff., hier S. 206. 224,3-6 Kant […] Zweck gedacht und behandelt werden] »Handle so, daß du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.« Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, 4. Aufl. 1797, S. 66 f. 226,23-25 Ostern 1914 trat, […] ein Kreis […] zusammen] Vgl. Wortund Sacherläuterungen zu 118,7-8. Der Forte-Kreis kam allerdings erst zu Pfingsten 1914 zusammen. 227,17 Ich hatte einen Freund] Nicht ermittelt. 227,27 Eristik] Bezeichnet in der philosophischen Rhetorik die »Lehre vom Streitgespräch«. 228,2-3 Alexander von Villers] (1812-1880): öster. Diplomat und Schriftsteller. 228,5-12 »Wiesenhaus […] das macht uns frei.«] [Alexander von Villers] Briefe eines Unbekannten, ausgewählt und eingeleitet von Wilhelm Weigand, Leipzig 1925, S. 180. 228,13-22 »Wiesenhaus, 28. Februar […] gehört nur dem Verhältnis A bis C.«] »So, jetzt kommen wir auf den Trichter. Das ists. Red und Antwort, lebendiger Gegenstand, Reibung, vielleicht das Innere der Zeugung. Denn ich habe eine Vorstellung von einem Ding, nicht an sich, aber einem Ding an mich und an dich. Um einen Namen zu haben, einen Henkel, an dem mans faßt, nenn ichs den Zwischenmenschen. Der Zwischenmensch ist eine nur zwei bestimmten Menschen eigene und zugehörige Vorstellung vom Anderen, das B zwischen A und C, das B in ihrer Mitte. […] In dem Verhältnisse des A zu einem D, E, F kommt dieser Zwischenmensch, obgleich immer derselbe A, nie wieder vor, er gehört nur dem Verhältnis A – C.« [Alexander von Villers] Briefe eines Unbekannten, S. 206 f. Nachwort [zu Die Schriften über das dialogische Prinzip] Der Text war ursprünglich als »Vorrede« der 1954 bei Lambert Schneider veröffentlichten Schriften über das dialogische Prinzip gedacht (B III,

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Einzelkommentare

366), wurde dann aber als deren Nachwort publiziert (Heidelberg: Lambert Schneider 1954, S. 287-306). In ihm verortet Buber die Erkenntnis des dialogischen Prinzips historisch und geht dabei über Feuerbach bis auf Friedrich Heinrich Jacobi (1775) zurück. In die andere zeitliche Richtung wird die Wirkungsgeschichte des eigenen Ansatzes als Klärungsprozess in der zeitgenössischen Philosophie und Theologie dargestellt und über eine ausführliche Auseinandersetzung mit Jaspers bis hin zu Karl Barths Schöpfungslehre verfolgt. Bereits in einem Brief an Ronald Gregor Smith hatte Buber die beginnende Rezeption verzeichnet (siehe die Einleitung zu Ich und Du, in diesem Band S. 271), auf Barth hatte er Maurice Friedmann später aufmerksam gemacht (B III, S. 293). Die Skizze einer Übersicht über die in dem Band zusammengestellten Schriften rundet die Darstellung ab. Textzeugen: H1: Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350 02 15a); 12 lose, paginierte Blätter, doppelseitig beschrieben mit blauer Tinte; mit zahlreichen Korrekturen versehen. H2: Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350 02 15a); 8 lose, paginierte Blätter, doppelseitig beschrieben mit blauer Tinte; mit vereinzelten Korrekturen versehen; Reinschrift von H1. 1 TS : Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350 02 15a); 13 lose, paginierte Blätter. Das erste Blatt trägt einen Stempel des Lambert Schneider Verlags, obgleich das Typoskript nicht die Druckvorlage bildet. Das Typoskript ist zweischichtig: TS1.1: Grundschicht. TS1.2: Überarbeitungsschicht: handschriftliche Korrektur von Tippfehlern und vereinzelte Änderungen von Formulierungen. TS2: Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350 02 15a); 13 lose paginierte Blätter. Das Typoskript ist zweischichtig: 2.1 TS : Grundschicht: Durchschlag von TS1. TS2.2: Überarbeitungsschicht: handschriftliche Korrektur von Tippfehlern und mehrere Änderungen von Formulierungen. TS3: Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350 02 15a); 13 lose paginierte Blätter. Das Typoskript ist zweischichtig: TS3.1: Grundschicht: Durchschlag von TS1.1. TS3.2: Überarbeitungsschicht: handschriftliche Korrektur von Tippfehlern und mehrere Änderungen von Formulierungen. Diese Überarbeitungsschicht bildet die Vorlage für D1. 1 D : Die Schriften über das dialogische Prinzip, Heidelberg: Lambert Schneider 1954, S. 287-306 (MBB 951).

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Nachwort [zu Die Schriften über das dialogische Prinzip]

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D : Zur Geschichte des dialogischen Prinzips, in: Werke I, S. 291-305 (MBB 1193) 2

Druckvorlage: D1 Übersetzungen: Englisch: Afterword: The History of the Dialogical Principle, in: Between Man and Man, übers. von Ronald Gregor Smith, mit einer Einleitung von Maurice Friedman, New York: MacMillan 1965, S. 209-224 (MBB 1266). Variantenapparat: 229,3 wohl ist geahnt worden, daß] haben Menschen geahnt, dass das Einander-gegenüber H1 229,4 Urchance] [Fundamentalchance] ! Urchance H1 229,5 in Erscheinung trat] [offenbar geworden ist] ! in Erscheinung trat H1 229,11 Sprache] Sprache, [aber doch schon als gewusste Einsicht] H1 229,Anm 1] fehlt H1, H2, TS1.1, TS1.2, TS2.1, TS2.2, TS3.1 229,20-21 von Jacobi […] unbeeinflußter Denker] grundverschiedener Denker H1 229,23 einzufassen] zu formulieren H1 229,26-29 – womit man […] Du ist«] h– womit man […] Du ist«i H1 230,6 irdisches] menschliches H1 230,7-8 Zueinandersetzung] Nebeneinandersetzung H1, H2, TS1.1, TS1.2, TS3.1 230,10 mit der Substitution] wie später Nietzsche, nur eben auf dialogischem und nicht auf monologischem Grunde, mit der Substitution H1, H2 230,12 pseudomystische] [pseudotheologische] ! pseudomystische H1 230,13 echten Gehalt] [Wahrheitsgehalt] ! echten Gehalt H1 230,16 Wirklichkeitserfassung] [Wahrheitserfassung] ! Wirklichkeitserfassung H1 230,19 oberste] entscheidende H1 [entscheidende] ! oberste H2 230,28 nicht werden] offenbar nicht werden [, nicht in der Lehre. Führen wir hier jenes grundlegende »Ich und Du« Jacobis ein] H1 230,29 Gefühlsüberschwang] emotionalen Überschwang H1, H2 230,31 gemahnt] anklingt H1, H2, TS1.1, TS1.2, TS2.1, TS3.1 230,32-34 , wobei freilich […] in Kierkegaards] zusammen. In Kierkegaards H1 230,37-38 , die eine nüchtern-unbefangene […] heischt] fehlt H1

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416

Einzelkommentare 1.1

1.2

2.1

3.1

231,Anm 1] fehlt H , H , TS , TS , TS , TS 231,23 dichten] [unvergleichlichen] ! dichten H1 232,9 Myterium] Geheimnis H1 232,18 Gottes] Gottes [: »in den letzten Gründen unseres geistigen Lebens in Gott«] H1 232,21 ananthropisch sich verhaltenden] [anhumanen] ! ananthropisch sich verhaltenden H1 232,29 angefordert] befasst H1 232,32 Sprachform] Sprache H1, H2, TS1.1, TS1.2, TS2.1, TS3.1 233,10 ernstlicher] stärker H1 [nachdrücklicher] ! ernstlicher H2 233,19 1916] [im Frühling] 1916 H1 233,21 bis auf Chassidisches] fehlt H1 233,22-23 des wieder einmal vorgenommenen] fehlt H1, H2, TS1.1, TS1.2, TS2.1, TS3.1 233,21 Klärung sich vollendet] Klärung sich vollzieht H1, H2, TS1.1, TS1.2, TS2.1, TS2.2, TS3.1 Exposition sich vollendet TS2.3, TS3.2 233,26 eines Vorgangs, […] spirituale Askese] dessen, was ich damals als die X der erfahrenen Erschütterung der Begriffssprache zu vollziehende »spirituale Kasteiung« H1 233,30 vorgetragen] gemeinverständlich aber unverkürzt dargelegt H1 233,33-34 Nähe] Nähe der Erfahrung [und des Ausdrucks] H1 233,34 unserer Zeit] [dürftigen preisgegebenen] ! unsrer Zeit H1 233,35-36 Ähnliches […] anderer Seite.] hÄhnliches […] anderer Seite.i H1 234,17 erschließenden] [gewandelten] ! [sich offenbarenden] ! erschlossenen H1 234,33-36 , und des gleichen […] behandelt wird] h, und des gleichen […] behandelt wirdi H1 234,39 vollziehenden] auszuführenden TS1.2 235,4 Auch in Arbeiten […] einbezogen] [Von Emil Brunners Arbeiten ist in diesem Zusammenhang vornehmlich »Der Mensch im Widerspruch« (1937) zu nennen. Eine besondere Bedeutung kommt Karl Barths »Die kirchliche Dogmatik« III/2 (1948) dem Abschnitt »Die Grundform der Menschlichkeit« zu, auf den ich daher gesondert eingehen will, daher etwas genauer eingehen muss.] ! Auch von Emil Brunners Arbeiten aus jener Zeit gehört manches hierher H1 235,11 Sprachreichs] [Sprachseins] ! [Sprachwesens] H1 [Sprachwesens] ! Sprachreichs H2 235,16 »freien«] [»reinen«] ! »freien« H1 235,19-20 dem Umgang […] unbedingten Du] dem [Du im Umgang 1

2

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Nachwort [zu Die Schriften über das dialogische Prinzip]

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von Gott und Mensch und dem Du im Umgang der Menschen miteinander] ! unbedingten Du und dem bedingten H1 235,Anm 1 (Doch seien hier, […] erwähnt.)] fehlt H1, H2, TS1.1, TS1.2, TS2.1, TS3.1 236,2 Postulat] [fundamentalen] Postulat H1 236,5 mit meinem Nächsten] fehlt H1, H2, TS1.1, TS1.2, TS2.1, TS3.1 236,12-13 wie aber, wenn […] fügt hinzu] und fügt unmittelbar hinzu H1 236,16 Angesprochenwerden] Angesprochenwerden [in der äussersten Gegenwart allen Besitzanspruch ausbrennt] H1 236,23 die »freie« Philosophie] hwesensgemässi alles sich aneignende h»freie«i Philosophie H1 [wesensgemäss alles sich aneignende] »freie« Philosophie H2 236,25 Verbindung] Einbeziehung H1, H2 236,29-30 Existentialität […] Person wahrt] personhaften Existentialität beibehält H1 236,31 auf ihre Weise.] ergänzt Sie hat alles – mit der alleinigen Ausnahme dessen, was not tut. H1, H2, TS1.1, TS1.2, TS3.1 236,32 erkannt] [mit Furcht und Zittern [dargetan] ! darauf hingezeigt] ! erschlossen H1 erschlossen H2, TS1.1, TS1.2, TS2.1, TS3.1 236,34 Um dieses Gemeinsame] [Nun wird uns das Dusagen zur Transzendenz als unrechtmässig und unschicklich verwiesen] ! Um dieses Gemeinsame H1 236,35 ging es und geht es] [war es und, war es dem Flug des Geistes, der hier seinen Flug unternahm, zu tun] ! ging es und musste es gehen H2 236,36 im Doppelgebot] fehlt H1 236,39-237,2 zur Gottheit […] zu bezeichnen] [zur Transzendenz] ! zur Gottheit als unrechtmässig und unschicklich verwiesen; das Gebet, die demütige Erkühnung, sich personhaft an [die Ewigkeit als Gegenwart] ! das Überseiende als mir gegenwärtig zu wenden, wird demgemäss mit einer geradezu verächtlichen Gebärde tief unter das Philosophieren gestellt. Uns hatte sich das Du als Himmelsleiter kundgetan; man zeigt sie als zusammenlegbar auf, legt sie zusammen und steckt sie in die Truhe einer als solche freilich rühmenswerten umfassenden Begrifflichkeit. Wir sahen, dass ein Gespenst gebannt worden ist; Lebenden ist nichts geschehn H1, H2 Uns hatte sich das Du als Himmelsleiter kundgetan; man zeigt sie als zusammenlegbar auf, legt sie zusammen und steckt sie in die Truhe einer als solche freilich rühmenswerten umfassenden Begrifflichkeit. Wir sahen, dass ein Gespenst gebannt worden ist; Lebenden ist nichts geschehen TS1.1, TS1.2, TS3.1

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418

Einzelkommentare 1.1

1.2

2.1

2.2

237,Anm 1] fehlt H , H , TS , TS , TS , TS 237,19-20 nicht bloß stören, sondern verstören] verstören H1 237,21 der Begriff] das Symbol H1 237,24 auch, wenngleich schwierig, so doch möglich] auch möglich H1 237,26 Transzendenz« wehre] Transzendenz« [([identisch mit dem Bewusstsein des] ! man beachte das Pronomen und das Objektiv)] H1 237,30-31 , unter ihnen nur eben auch seiende,] fehlt H1 237,31 seiende] existente H2 237,32 ihm zukehrend] [ergreifend] ! ihm zukehrend und offenbarend H1 238,2-4 , da doch das Absolute […] erscheinen kann] fehlt H1 238,6 unter den Glaubenslehren scheint mir] es scheint mir unter den Mythen H1, H2, TS1.1, TS1.2, TS2.1, TS3.1 238,8 festgesetzt] ausdrücklich erklärt H1 238,13-18 Man merke […] Einsicht kundbar] Hier wird uns der Gegenpol unserer eigenen Einsicht kundbar, und es bleibt uns in diesem [wahrhaft tragischen Stadium] ! fast tragischen Spätstadium einer Kommunikation nichts andere übrig als Existenz gegen Existenz zu setzen. / Gern – dies sei noch hinzugefügt – sei das grosse Gedankenwerk anerkannt, das uns hier geboten wird. Es ist alles da, zuständig, erfahren, besonnen, überlegen gedacht, eben alles Gedachte, auch das Undenkbare erscheint als solches in der Gedachtheit – und wenn man dich anheischte zu sagen, was dir hier fehlt, was wüsstest du als vermisst zu melden, es sei denn den Zehenschritt des Ungedachten, nur eben Anwesenenden, in der atemanhaltenden Pause? Aber wie dürftest du gegen den Philosophen geltend machen, dass er im Philosophieren nicht innehält?] H1 238,19 Ende] Abschluss H1, H2 238,20 beachtliche] wichtige H1 238,22 Psychologie] Psychologie [, medizinische Psychologie] H1 238,22 Arztkunde] Arztkunde, Seelsogerkunde, [Sozialphilosophie] ! Gesellschaftskunde H1 238,24-25 weil eine Stelle […] erscheinen läßt] weil es mich zu einer persönlichen Klärung anfordert H1, H2 238,31 unkirchlich] fehlt H1, H2, TS1.1, TS2.1, TS3.1 238,37-38 die von ihm gelehrte »Freiheit des Herzens«] [Menschlichkeit und Gerechtigkeit] ! die von ihm gelehrte »Freiheit des Herzens« H1 239,5 fest] [gerechterweise] fest H1 239,10 vollkommenem] [höchsten] ! vollkommenem H1 239,21 auf ihrer eigenen Suche] von ihren eigenen Einsichten aus H1, H2, TS1.1, TS1.2, TS2.1, TS3.1 1

2

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419

Nachwort [zu Die Schriften über das dialogische Prinzip] 1.1

1.2

2.1

3.1

239,38-39 Glaubenswelt] Theologie H , H , TS , TS , TS , TS 239,40 Glaubenswelt] Theologie H1, H2, TS1.1, TS1.2, TS2.1, TS3.1 240,1-2 die innerste Voraussetzung] etwas anderes: [Urantrieb] ! innerste Voraussetzung, über die kaum geredet zu werden braucht H1 die innerste Voraussetzung, über die kaum zu reden not ist H2 240,6 Mitmenschen – tanzen.] Mitmenschen – tanzen. [/ In meiner Entgegnung an die Theologen habe ich nicht, wie in der an den Philosophen, am Ende Existenz gegen Existenz zu setzen. Mein Wunsch wäre vielmehr, es stünde in meiner Macht, das grosse verschlossene Fenster aufzustossen und wir sähen gemeinsam das zu Sehende.] H1 1

2

Wort- und Sacherläuterungen: 229,12 Jacobis] Friedrich Heinrich Jacobi (1743-1819): dt. Philosoph und Schriftsteller. 229,13 Lavater] Johann Caspar Lavater (1741-1801): schweiz. reformierter Pfarrer, Philosoph und Schriftsteller. 229,14-16 »Ich öffne Aug oder Ohr, oder ich strecke meine Hand aus, und fühle in demselbigen Augenblick unzertrennlich: Du und Ich, Ich und Du.«] Friedrich Heinrich Jacobi’s auserlesener Briefwechsel, Erster Band, Leipzig 1825, S. 330. 229,17-18 »Quelle aller Gewißheit: Du bist und Ich bin!«] Friedrich Heinrich Jacobi’s Werke, Sechster und letzter Band, Leipzig 1825, S. 224. 229,18-19 »Ohne Du ist das Ich unmöglich.«] Friedrich Heinrich Jacobi, Ueber die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn, Breslau 1785, S. 163. 229,Anm 1 »Das Bewußtsein des Individuums […] möglich.«] Johann Gottlieb Fichtes sämmtliche Werke, herausgegeben von Immanuel Hermann Fichte, Band I: Zur theoretischen Philosophie I, Zweite Einleitung in die Wissenschaftslehre, Berlin 1971, S. 451 ff., hier S. 476, zuerst veröffentlicht 1797. 229,25-26 »Das Bewußtsein […] des Du«] »Das Bewußtsein der Welt ist also für das Ich vermittelt durch das Bewußtsein des Du.« Ludwig Feuerbach, Das Wesen des Christentums, Leipzig 1843, S. 123. 229,27-29 »nur das Ich, […] Du ist«] »Das wirkliche Ich ist nur das Ich, dem ein Du gegenübersteht, und das selbst einem andern Ich gegenüber Du, Object ist.« Ludwig Feuerbach, Theogonie nach den Quellen des classischen, hebräischen und christlichen Alterthums, in: Ludwig Feuerbach’s sämmtliche Werke, Neunter Band, Leipzig 1857, S. 186. 229,31-32 »Geheimnis der Notwendigkeit des Du für das Ich«] Ludwig Feuerbach, Philosophische Kritiken und Grundsätze, in: Ludwig Feuerbach’s sämmtliche Werke, Zweiter Band, Leipzig 1846, § 63, S. 345.

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420

Einzelkommentare

229,34-230,1 »Der Mensch […] Du ist Gott.«] Ebd., § 60, S. 344. 230,6-7 »Stütze der eigenen Existenz des Andern; ein liebes Du«] Friedrich Heinrich Jacobi’s auserlesener Briefwechsel, Erster Band, S. 331. 230,16-17 das Denken Sören Kierkegaards] Zu Kierkegaard vgl. Die Frage an den Einzelnen, in diesem Band, S. 151-195, insbesondere S. 153-176. 230,20-22 »will den Einzelnen, […] erbärmlich ist«.] »… will den Einzelnen, nur mit dem Einzelnen will er sich einlassen, gleichgültig, ob dieser Einzelne der Hohe oder der Geringe ist, der Ausgezeichnete oder der Elende«. Sören Kierkegaard, Erbauliche Reden in verschiedenem Geist, Jena 1864, S. 134. 230,28-32 Als Jacobi […] Gottes zusammen] »Herz! Liebe! Gott!« erscheint sowohl bei Jacobi wie auch bei Goethe: Friedrich Heinrich Jacobi’s auserlesener Briefwechsel, Erster Band, S. 331; Faust. Erster Theil, WA, I, Bd. 14, S. 174. 231,8-9 »Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums« (1919)] Hermann Cohen, Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums, Leipzig 1919. 231,10-12 »erst das Du, […] Ich« bringt] »Vielleicht verhält es sich umkehrt, daß erst das Du, die Entdeckung des Du mich selbst zum Bewußtsein meines Ich, zur sittlichen Erkenntnis meines Ich zu bringen vermöchte.« Ebd., S. 17. 231,12-13 »die Persönlichkeit« ist, die »durch das Du an den Tag gehoben wird«] »Offenbar ist es die Persönlichkeit, welche mehr als vom Er durch das Du an den Tag gehoben wird.« Ebd., S. 19. 231,15-16 »Korrelation«, […] »nicht in Vollzug […] Mensch«.] »Die Korrelation von Mensch und Gott kann nämlich nicht in Vollzug treten, wenn nicht vorerst an der eingeschlossenen Korrelation von Mensch und Mensch.« Ebd., S. 133. 231,21-22 »Stern der Erlösung« (1921)] Franz Rosenzweig, Der Stern der Erlösung, Frankfurt a. M. 1921. 231,25-26 Gottes an Adam gerichtetem »Wo bist du?«] Ebd., S. 223 zitiert Gen 3,9. 231,26-28 »Wo ist ein solches […] konnte?«] »Wo aber ist ein solches selbständiges, dem verborgenen Gott frei gegenüberstehendes Du, an dem er sich als Ich entdecken könnte?« Ebd., S. 223. 231,29 »Ich habe dich beim Namen gerufen. Du bist mein«] »Ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Du bist mein.« Ebd., S. 232 zitiert Jes. 43,1. 231,30-31 »als der Urheber […] der Seele«] Ebd.

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Nachwort [zu Die Schriften über das dialogische Prinzip]

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231,33 Im Februar 1919 war der »Stern« beendet.] Vgl. dazu den Brief Franz Rosenzweigs an Margrit »Gritli« Rosenstock vom 16. Februar 1919, in: Franz Rosenzweig, Die »Gritli«-Briefe. Briefe an Margrit Rosenstock-Huessy, hrsg. von Inken Rühle und Reinhold Mayer, Tübingen 2002, S. 239. 231,Anm 1 »Wenn wir gläubig […] möglich sein.«] »The universe is no longer a mere It to us, but a Thou, if we are religious; and any relation that may be possible from person to person might be possible here.« William James, The Will to Believe, New York 1897, 27 f. 231,Anm 2 Hans Ehrenberg und Eugen Rosenstock] Hans Ehrenberg (1883-1958): dt. Philosoph und prot. Geistlicher; Cousin Franz Rosenzweigs; ab 1910 Privatdozent für Philosophie in Heidelberg; ab 1925 Pfarrer in Bochum-Altstadt; 1938 KZ Sachsenhausen; 1939 Emigration nach England; 1947 Rückkehr nach Deutschland. Eugen Rosenstock-Huessy (1888-1973): dt. Sprachphilosoph, Rechtshistoriker und Soziologe; Calvinist jüd. Herkunft; Gründer der »Akademie der Arbeit« in Frankfurt; Privatdozent der Rechtswissenschaft an der Universität Leipzig, wo er 1913 Franz Rosenzweig begegnet; 1916 Briefwechsel mit Rosenzweig über Judentum und Christentum; 1923-34 Prof. in Breslau, dann Emigration in die USA. 232,1-5 schrieb ein von Krankheit […] zusammenfügte.] Vgl. das Vorwort von Ferdinand Ebner, Das Wort und die geistigen Realitäten. Pneumatologische Fragmente, Innsbruck 1921. 232,5-8 »Icheinsamkeit« […] »nichts Ursprüngliches«, […] »Abschließung von dem Du«] »Die Icheinsamkeit ist nichts Ursprüngliches im Ich, sondern das Ergebnis eines geistigen Aktes in ihm, einer Tat des Ichs, nämlich seiner Abschließung vor dem Du.« Ebd., S. 15. 232,13 »Unmöglichkeit«] »Geistig zugrunde gehen am Ekel über den Menschen, am Bewußtsein der Unmöglichkeit, im Menschen das Du seines Ichs zu finden.« Matthias Flatscher u. Richard Hörmann (Hrsg.), Ferdinand Ebner Tagebuch 1917, Wien 2011, Eintrag vom 7. Juni 1917, S. 105. 232,14-15 »Es gibt nur ein einziges Du und das eben ist Gott«.] »Es gibt aber auch nur ein einziges Du und das eben ist Gott.« Ferdinand Ebner, Das Wort und die geistigen Realitäten. Pneumatologische Fragmente, S. 24. 232,15-17 Zwar postuliert auch er, wie Kierkegaard: »Der Mensch soll nicht nur Gott, sondern auch den Menschen lieben«] Matthias Flatscher, Richard Hörmann (Hrsg.), Ferdinand Ebner Tagebuch 1918, Wien 2014, Eintrag vom 14. Dezember 1918, S. 217. Zu Bubers Posi-

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Einzelkommentare

tion bzgl. Kierkegaard, vgl. Die Frage an den Einzelnen, in diesem Band S. 153-176. 232,37-233,4 »Die Legende […] des Endlichen bedarf«] »Die Legende ist der Mythos der Berufung. Das bedeutet: die ursprüngliche Personalität des Mythos ist in ihr gespalten. In dem reinen Mythos gibt es keine Verschiedenheit des Wesens. Er kennt die Vielheit, aber nicht die Zweiheit. Auch der Heros steht nur auf einer anderen Stufe als der Gott, nicht ihm gegenüber: sie sind nicht das Ich und das Du. Der Heros hat eine Sendung, nicht eine Berufung. Er steigt empor, aber er wandelt sich nicht. Der Gott hat Sonderheit wie er und wie er Grenze. Der Gott des reinen Mythos beruft nicht, er zeugt; er sendet den Gezeugten, den Heros. Der Gott der Legende beruft den Menschensohn: den Propheten, den Heiligen. Zuweilen mag, wo sich Mythos und Legende durchdringen, ein Gott stehen, der zeugt u n d beruft. Die Legende ist der Mythos des Ich und Du, des Berufenen und des Berufenden, des Endlichen, der ins Unendliche eingeht, und des Unendlichen, der des Endlichen bedarf.« Martin Buber, Die Legende des Baalschem, jetzt in: MBW 16, S. 173. 233,14-16 »ganz auf die […] Begegnung gestellt«] »In anderen Lehren konnte die Gottseele, vom Himmel zur Erde gesandt oder zur Erde entlassen, vom Himmel wieder heimgerufen oder heimbefreit werden, Schöpfung und Erlösung in gleicher Richtung, von »oben« nach »unten« geschehen; nicht in einer Lehre, die, wie die jüdische, so ganz auf die doppelgerichtete Beziehung von Menschen-Ich und Gott-Du, auf die Realität der Gegenseitigkeit, auf die B e g e g n u n g gestellt war.« Martin Buber, Geleitwort [zu Der große Maggid und seine Nachfolge], jetzt in: MBW 17, S. 58. 233,25 Ebner erst später, verspätet gelesen)] In einem Brief an Karl Thieme vom 16. Februar 1954 präzisiert Buber seine Erstbekanntschaft mit Ebner: »Als ich mitten im 3. (letzten) Teil [von Ich und Du] war, erhielt ich von einem Wiener Freund das Juniheft 1920 des ›Brenner‹ zugeschickt und las darin mit einem mir unvergeßlichen beglückten Erschrecken den Anfangssatz von Ebners ›Wort und Menschwerdung‹. Bald danach schickte mir derselbe Freund ›Das Wort und die geistigen Realitäten‹. Inzwischen war ich beim vorletzten Kapitel meines Buches angelangt.« B III, S. 366. 233,Anm 2 Rosenzweigs […] Buch noch nicht kannte] Buber »hatte damals den Stern noch nicht gelesen«. Franz Rosenzweig, Briefe, Berlin 1935, S. 462. 234,7-14 in der in meinem Buche »Daniel« (1913) dargelegten Unterscheidung] Vgl. dazu die Einleitung in diesen Band, S. 21.

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Nachwort [zu Die Schriften über das dialogische Prinzip]

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234,23 Hans Ehrenbergs »Disputation I Fichte« (1923)] Hans Ehrenberg, Fichte. Der Disputation erstes Buch, München 1923. Hans Ehrenberg (1883-1958): dt. evangelischer Theologe jüdischer Abstammung; Mitbegründer der Bekennenden Kirche. 234,24 Rosenstocks] Vgl. Wort- und Sacherläuterungen zu 231, Anm 2 234,24 »Angewandte Seelenkunde« (1924)] Eugen Rosenstock, Angewandte Seelenkunde: Eine programmatische Übersetzung, Darmstadt 1924. 234,26-27 »Der Atem des Geistes«, 1951] Eugen Rosenstock-Huessy, Der Atem des Geistes, Frankfurt a. M. 1951. 234,28-29 Friedrich Gogartens »Ich glaube an den dreieinigen Gott« (1926)] Friedrich Gogarten, Ich glaube an den dreieinigen Gott. Eine Untersuchung über Glauben und Geschichte, Jena 1926. 234,29-30 das die Geschichte als »die Begegnung von Du und Ich« verstehen will] »Geschichte ist also die Begegnung von Du und Ich.« Ebd., S. 71. 234,31 »Die Geschichte ist Gottes Werk«] »An Gott den Schöpfer glauben, heißt aber, daran glauben, daß die Geschichte Gottes Werk ist.« Ebd., S. 78. 234,33-34 des gleichen Verfassers »Glaube und Wirklichkeit« (1928)] Friedrich Gogarten, Glaube und Wirklichkeit, Jena 1928. 234,36 Karl Heims] Karl Heim (1874-1958): dt. evangelischer Pfarrer und Professor für Systematische Theologie. 234,37-38 »Glaube und Denken« (19311)] Karl Heim, Glaube und Denken, Berlin 1931. 234,39-235,3 »Wenn zunächst […] eine neue Sicht getreten«] »Genauso ist es, wenn zunächst das Ich-Es-Verhältnis vorhanden war und uns nun das Du aufgeht. Es ist nicht etwa innerhalb der Ich-Es-Welt ein neues Gebiet entdeckt worden, das an die bisher bekannten Gebilde angrenzt. Es ist eine viel radikalere Umwälzung eingetreten als die Entdeckung eines neuen Weltteils oder die Erschließung neuer Sonnensysteme. Das Ganze der raumzeitlichen Es-Welt einschließlich aller Sternenstrudel und Sternennebel der Milchstraße ist in ein neues Licht getreten.« Ebd., S. 213. 235,4 Auch in Arbeiten Emil Brunners aus jener Zeit] Z. B. Emil Brunner, Der Mensch im Widerspruch, Die christliche Lehre vom wahren und vom wirklichen Menschen, Berlin 1937; Emil Brunner, Wahrheit als Begegnung. Sechs Vorlesungen über das christliche Wahrheitsverständnis, Berlin 1938. 235,4 Emil Brunners] Emil Brunner (1889-1966): schweiz. evangelischreformierter Theologe.

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Einzelkommentare

235,6-7 Gabriel Marcels »Journal métaphysique« (1927)] Gabriel Marcel, Journal métaphysique, Paris 1927. 235,12-14 grundlegende Satz […] wiederkehrt] »Dieu est le toi absolu que ne peut jamais devenir un lui.« Gabriel Marcel, Journal métaphysique, Paris 1927, S. 137. Maurice Friedmann interpretiert diese Ähnlichkeit in einem Brief vom 9. September 1950 an Buber so: »Wenn Ihnen Marcel sein Buch geschickt hat, so würde das doch andeuten, daß er mit ›Ich und Du‹ vertraut war und auf diese Weise Ihren Einfluß anerkennen wollte. Ich habe immer angenommen, daß die ›Koinzidenz‹ in der Terminologie keine wirkliche Koinzidenz war, d. h. daß er von Ihnen beeinflußt war.« (B III, S. 264.) Der Eintrag im Journal métaphysique datiert allerdings bereits auf den 23. Juli 1918. 235,17 Descartes] René Descartes (1596-1650): franz. Philosoph, Mathematiker und Naturwissenschaftler. 235,17 Leibniz] Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716): dt. Philosoph, Mathematiker, Jurist und Universalgelehrter. 235,21 Theodor Litts »Individuum und Gemeinschaft« (19242, 19263)] Theodor Litt, Individuum und Gemeinschaft. Grundlegung der Kulturphilosophie, Leipzig 2. Aufl. 1924, 3. Aufl. 1926. 235,22 Karl Löwiths »Das Individuum in der Rolle des Mitmenschen« (1928)] Karl Löwith, Das Individuum in der Rolle des Mitmenschen, München 1928. 235,23 Eberhard Grisebachs »Gegenwart« (1928)] Eberhard Grisebach, Gegenwart. Eine kritische Ethik, Halle/Saale 1928. 235,23-24 Karl Jaspers’ »Philosophie« II und III (1932)] Karl Jaspers, Philosophie II. Existenzerhellung, Berlin 1932 und ders., Philosophie III. Metaphysik, Berlin 1932. 235,27-28 »aus dem dialektischen Verhältnis einen wahrhaften ›Dialogos‹«] Theodor Litt, Individuum und Gemeinschaft. Grundlegung der Kulturphilosophie, Leipzig 3. Aufl. 1926, S. 100. 235,Anm 1 Max Schelers »Wesen und Formen der Sympathie« (1923)] Max Scheler, Wesen und Formen der Sympathie, Bonn 1923. 235,Anm 1 daß die »Duwelt« »genau so […] des Göttlichen«,] Ebd., S. 272. 235,Anm 1 Ludwig Landgrebes »Phänomenologie und Metaphysik« [1948]] Ludwig Landgrebe, Phänomenologie und Metaphysik, Hamburg 1949. 236,10-11 »Das Angesprochensein […] Erinnerung«] Eberhard Grisebach, Gegenwart. Eine kritische Ethik, Halle/Saale 1928, S. 122. 236,13-15 »Ein Einzelner […] beanspruchen«] Ebd., S. 122.

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Nachwort [zu Die Schriften über das dialogische Prinzip]

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236,20-21 Abschnitt über Kommunikation in seiner »Existenzerhellung«] Gemeint ist der dritte Abschnitt »Kommunikation« im ersten Hauptteil »Ich selbst in Kommunikation und Geschichtlichkeit« in Jaspers, Philosophie II. Existenzerhellung, S. 50 ff. 236,21-22 Lesen der Chiffreschrift in seiner »Metaphysik«] Vgl. den Abschnitt »Lesen der Chiffreschrift«, in Jaspers, Philosophie. III. Metaphysik, S. 128 ff. 236,40-41 »philosophische Existenz« ertrage es, »dem verborgenen Gotte nicht zu nahen«.] »Philosophische Existenz erträgt es, dem verborgenen Gotte nie direkt zu nahen.« Jaspers, Philosophie. III Metaphysik, S. 152. 237,1-2 das seiner Erfahrung also fremde Gebet als »fragwürdig« zu bezeichnen] »Sie [die existentielle Kontemplation] ist nicht Gebet, das vielmehr die Grenze des Philosophierens, philosophisch unzugänglich und darum fragwürdig ist.« Ebd., S. 152. 237,Anm 1 »Der philosophische Glaube« von 1948] Karl Jaspers, Der philosophische Glaube, Zürich 1948. 237,Anm 1 »spekulative Vergewissern«, »wo es echte Kontemplation wurde«] »Das spekulative Vergewissern ist, wo es echte Kontemplation wurde, wie ein einziges Gebet.« Ebd., S. 74. 237,4-7 »Zeichen«, […] Anrede an mich.«] Martin Buber, Zwiesprache, in diesem Band, S. 112-149, hier S. 122 f. 237,8-11 »die Welt […] zu entziffern«] Jaspers, Philosophie. III Metaphysik, S. 164. 237,12-14 »Sie kommt […] Chiffre zu zeigen.«] Ebd. 237,14-15 »mythisch […] die der Gottheit«.] Ebd. 237,25-27 »das echte Bewußtsein […] zu denken«.] Ebd., S. 166. 237,33-35 »Ich […] Transzendenz antaste.«] Ebd. 237,37-238,1 »die Weise […] allein sein kann«.] Ebd. 238,4-6 »Die Gottheit«, […] Kommunikation«] Ebd. 238,8-10 »die Kommunikation […] zu hemmen«,] Ebd. 238,10-13 »Kommunikation […] zugleich degradiert wird«.] Ebd., S. 166. 238,26-27 Karl Barths »Kirchlicher Dogmatik« der zweite Teil der »Lehre von der Schöpfung« (1948).] Karl Barth, Kirchliche Dogmatik, Bd. III/2, Zollikon-Zürich 2. Aufl. 1959. Barth hatte ursprünglich sogar viel umfassendere Ausführungen zu Buber vorgesehen, siehe dazu den 1. Supplementband zur Kirchlichen Dogmatik sowie Martin Leiner, Karl Barth und die jüdische Religionsphilosophie, in: Susanne Hennecke (Hrsg.), Karl Barth und die Religion(en), Göttingen 2018, S. 129-150, hier S. 144.

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Einzelkommentare

238,27 seine Darlegung der »Grundform der Menschlichkeit«] Barth, Kirchliche Dogmatik III/2, S. 264 ff. 238,37-38 die von ihm gelehrte »Freiheit des Herzens«] Ebd., S. 328 ff. 239,3-4 Jesus Christus als »der Mensch für den Mitmenschen und also das Bild Gottes«] »Jesus ist in einem Sinn der Mensch für den Mitmenschen und also das Bild Gottes, wie es der andere Mensch in keiner Annäherung sein kann, wie ja auch kein anderer Mensch so, im gleichen Sinn wie er, für Gott ist.« Ebd., S. 265. 239,5-9 »die theologische Anthropologie […] beschritten worden ist«] Ebd., S. 333. 239,10-11 »Sollten wir uns darum von diesen Aussagen abhalten lassen?«] Ebd. 239,11-14 »in aller Ruhe […] befinden«] Ebd., S. 334. 239,14-17 »aber er hegt […] folgen werden«] Ebd., S. 334 f. 239,23-24 »jene Freiheit […] Krone des Humanitätsbegriffs«] »Ich möchte das an einem Punkt klar machen, der in der theologischen Diskussion der letzten Jahrzehnte eine gewisse Rolle gespielt hat und der nun gerade im Blick auf das, was wir hier als Wurzel und Krone der Humanität bezeichnet haben, nämlich im Blick auf jene Freiheit des Herzens zwischen Mensch und Mensch, im Blick auf jenes ›gerne‹ von höchster Bedeutsamkeit ist.« Ebd., S. 336. 239,26-27 »in dem Sinn gerne, daß ein ›ungern‹ gar nicht zur Wahl steht«] Ebd., S. 321. 239,27-30 »Es sieht […] der Fall wäre«.] Ebd., S. 334. 240,3 »Klugheit ohne Herz ist gar nichts. Fromm ist falsch.«] Zu diesem chassidischen Spruch siehe Martin Buber, Gottesliebe und Nächstenliebe im Chassidismus, Neue Wege, 41. Jg., Nr. 7/8, Juli/August 1947, S. 330-345; jetzt in: MBW 17, S. 217-232, hier S. 221. Die Klugheit ohne Herz wird in dieser Formulierung oft Rabbi Ahron von Karlin (1736-1772) zugeschrieben. In seinem Bet Aharon (Brody 1875) findet sich die Formulierung »die Hauptsache der Klugheit ist ein kluges Herz zu haben … wo auch immer in der Tora Klugheit steht, steht auch Herz« usw. (S. 141). Es könnte sich also um eine Bearbeitung dieser Aussage handeln. Für diesen Hinweis sei Ran HaCohen gedankt. 240,4 »die wahre Gottesliebe fängt mit der Menschenliebe an«.] »Die wahre Gottesliebe ist, mit der Menschenliebe anzufangen.« Buber, Gottesliebe und Nächstenliebe im Chassidismus, jetzt in: MBW 17, S. 223. Der Satz ist laut dem Kommentar in MBW 17, S. 488, Teil einer von Buber übersetzten chassidischen Geschichte aus Jitzchak Zinger (Hrsg.), Seva Ratzon, Podgórze 1900, fol. 8a (S. 15).

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Foreword [zu Pointing the Way]

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Foreword [zu Pointing the Way] Pointing the Way (1957) ist die durch Maurice Friedman besorgte (B III, S. 383) englische Übersetzung von Hinweise (1953), einer Sammlung, in der Buber 32 (englische Ausgabe: 29) Essays zusammengestellt hat, hinter denen er auch zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Sammlung »in der Hauptsache« noch stehen könne. Zwischen beiden Ausgaben variiert die Auswahl etwas, es findet sich aber jeweils auch der Aufsatz »The Teaching of the Tao« (dt.: »Die Lehre vom Tao«, jetzt in: MBW 2.3, S. 101-125) aus dem Jahre 1909. Offensichtlich war sich Buber zwischenzeitlich bewusst geworden, dass er die im Text gemachte Aussage nicht mehr für zutreffend hält, weswegen er im Foreword der englischen Ausgabe seine Wandlung von der Mystik zum Dialog dem Leser der Sammlung noch einmal darlegt (vgl. die Einleitung in diesen Band, S. 22). Zu den zustimmenden Lesern gehörte auch der Generalsekretär der Vereinten Nationen Dag Hammarskjöld (1905-1961) (Vgl. den Brief vom 16. April 1958, in: B III, S. 454 f.). Zu der sich daraus entwickelnden Beziehung vgl. »Erinnerung an Hammarskjöld« (in: Martin Buber, Nachlese, Heidelberg: Lambert Schneider 1965, S. 33-36; jetzt in: MBW 11.2, S. 364 f.) sowie den Kommentar in MBW 11.2, S. 700. Das weitaus kürzere deutsche Vorwort Bubers in Hinweise von 1953 lautete: »In diesem Band habe ich eine Auslese meiner in den Jahren 1909 bis 1953 entstandenen Essays zusammengestellt. Von den ältesten sind nur solche aufgenommen, zu denen ich in der Hauptsache auch heute noch stehe; wo ich die Grundanschauung eines Aufsatzes nicht mehr vertreten darf, habe ich auf ihn, ohne Rücksicht auf philosophischen oder literarischen Wert, verzichtet. Gelegenheitsarbeiten, deren Gegenstand in ihnen eher angedeutet als dargelegt worden ist, sind auch dann ausgeschlossen worden, wenn ihnen eine gewisse Wichtigkeit zuzuschreiben ist. Vorträgen ist Einlaß nur gewährt worden, wenn sie letztlich doch mehr den Charakter von Essays als von Reden hatten. Der Wortlaut der Erstdrucke ist im wesentlichen unverändert geblieben; erhebliche Kürzungen habe ich nur an Texten vorgenommen, die (zumeist in der Hitler-Zeit verfaßt) ursprünglich für eine jüdische Leserschaft oder Hörerschaft als solche bestimmt waren, nun aber einer allgemeineren Öffentlichkeit mitgeteilt werden sollten.«

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Einzelkommentare

Textzeuge: D: Pointing the Way – Collected Essays, transl. from the German and ed. by Maurice Friedman, New York: Harper 1957, S. ix-x (MBB 1045). Druckvorlage: D Wort- und Sacherläuterungen: 241,6 ›The Teaching of the Tao,‹ […] Talks and Parables of Chuang-tzu] Der später von Buber unter dem Titel »Die Lehre des Tao« veröffentlichte Essay war nicht die Einführung, sondern das »Nachwort« zu Reden und Gleichnisse des Tschuang-Tse. Deutsche Auswahl von Martin Buber, Leipzig: Insel Verlag 1910; jetzt in: MBW 2.3, S. 51-129. 241,19-20 principium individuationis] Bubers Dissertation hatte das Thema: »Zur Geschichte des Individuationsproblems (Nicolaus von Cues und Jakob Böhme)«, jetzt in: MBW 2.1, S. 75-101. 242,2 the one thing that is needful] dt. »das Eine, das not tut«. Vgl. den Kommentar in MBW 2.1, S. 356 f. zu diesem bei Buber häufig anzutreffenden Wort. Ursprünglich biblisch (Lk 10,42: »Eins aber ist not. Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden.«) wird es auch von Kierkegaard und Nietzsche verwendet. Im Nachwort zu Reden und Gleichnisse des Tschuang-Tse wird es von Buber als Inbegriff der Lehre dargestellt – vgl. Martin Buber, Nachwort [Die Lehre vom Tao], in: ders., Reden und Gleichnisse des Tschuang-Tse, bes. S. 94-97; jetzt in: MBW 2.3, S. 101-125, bes. S. 109-111; vgl. dort auch S. 269. »Öfters verwendete Buber die Worte ›das Eine, das not tut‹, aber er zielte damit nicht auf etwas bestimmtes, sondern auf sie selbst, auf die Einheit die not tue.« Manfred Voigts, Martin Buber oder: Entscheidung und Gemeinschaft, in: Richard Faber u. Christine Holste (Hrsg.), Der Potsdamer Forte-Kreis, Würzburg 2001, S. 101-110, Zitat S. 105. Nachwort [zu Ich und Du, 1958] Das im Oktober 1957 verfasste Nachwort wurde zuerst der 1958er Ausgabe von Ich und Du beigefügt, die zum 80. Geburtstag von Buber bei Lambert Schneider in Heidelberg erschien. In einem Brief vom 19. September 1957 an Malcom L. Diamond (1924-1997), der eine Dissertation über Buber als »Jewish Existentialist« abgefasst hatte, verweist Buber darauf, dass der Text zunächst als »Vorwort einer Neuausgabe von ›Ich und Du‹ geplant war« (B III, S. 437 f.). Buber würdigt Dia-

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Nachwort [zu Ich und Du, 1958]

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monds Dissertation, kritisiert jedoch deren Gedankenführung: »Sie ›überbetonen‹ das Element der Begriffe und gedanklichen Voraussetzungen in meiner ›Lehre‹ und bekämpfen dann Voraussetzungen, die Sie als solche überbetont haben.« (S. 437.) Er betont zudem, daß er »nicht, wie Sie annehmen, an geschichtliche Vorbilder (die Propheten etc.)« appelliere, »sondern an das wirkliche und mögliche Leben meines Lesers. Die Intention meiner Schriften ist wirklich eine ganz intim dialogische.« Im Anschluss daran weist er dann darauf hin, dass »eine mehr ins Einzelne gehende Darlegung dieser Punkte […] im Vorwort einer Neuausgabe von ›Ich und Du‹« zu finden sei, »die im Frühjahr herauskommt«. (S. 438.) Diamond übernimmt Bubers Kritik und setzt sie in der Buchpublikation seiner Dissertation um. (Vgl. Brief vom 19. August 1959, in: B III, S. 482 f.) Der schließlich als Nachwort erschienene Text behandelt die Frage der Gegenseitigkeit der Ich-Du-Beziehung in den von Buber unterschiedenen drei Sphären, zielt also auf das Kernstück des Werkes. Buber bemüht das Beispiel einer Tür, um diese Sphären zu charakterisieren. Als »Schwelle der Mutualität« (in diesem Band, S. 244) bezeichnet Buber das Verhältnis zu dem Teil der Natursphäre, in dem die Zwiefalt der Grundworte immerhin noch latent angelegt sei: der Tierwelt. Als »Vorschwelle« nennt er den Bereich der Pflanzenwelt, in der eine »Reziprozität des Seins selber« (ebd., S. 245) angelegt sei. Ebenso sei die »Überschwelle« – also die Sphäre des Geistes – in zwei Bereiche aufzuteilen. Buber unterscheidet zwischen dem »was an Geist schon in die Welt eingegangen« und also dort wahrnehmbar ist, und dem noch nicht in sie Eingegangenen andererseits; auch in letzterem kann »Geist als Begegnung« erfahren werden. Buber deutet dies aber nur an, um sich dann dem bereits vorhandenen Geist in der Welt zu widmen. Im folgenden Abschnitt grenzt Buber diese Ausführungen von mystischen Gedanken ab, um sich sodann der »Eingangstür unseres Daseins« selber zu widmen, dem Ich-Du-Verhältnis zwischen Menschen, das auch nicht immer in voller Gegenseitigkeit ausgebildet sei. Abschließend geht Buber dem ewigen Du nach und der Frage der Mutualität zwischen Gott und Mensch. Buber gibt auch in »Antwort« (in: Martin Buber, Philosophen des XX. Jahrhunderts, hrsg. v. Arthur Schilpp u. Maurice Friedman, Stuttgart: W. Kohlhammer 1963, S. 589-639) einen Teil (die Abschnitte 2.-4.) aus dem vorliegenden Text wieder, weil auch dort das Problem der Mutualität diskutiert wurde. Der entsprechende Text ist abgedruckt in MBW 12, S. 467-524, insbesondere S. 483-491.

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Einzelkommentare

Textzeugen: H1: Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350 02 9c); 12 lose, paginierte Blätter, zumeist doppelseitig beschrieben mit blauer Tinte; Seite 15 liegt auf drei Blättern vor, die Entwürfe für die ersten Absätze des 6. Abschnitts enthalten; mit vielen Korrekturen versehen. H2: Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350 02 9c); 14 lose, paginierte Blätter; einseitig beschrieben mit blauer Tinte; mit mehreren Korrekturen versehen; Reinschrift von H1. D1: Ich und Du, Heidelberg: Lambert Schneider 1958 [erweiterte Neuausgabe], S. 107-117 (MBB 1086). D2.0: Korrekturfahnen zu D2; 5 lose Korrekturbögen, mit handschriftlichen Korrekturen Bubers versehen. Der Satz erfolgte nach D1; die Korrekturen sind mit D2 identisch. D2: Das dialogische Prinzip, Heidelberg: Lambert Schneider 1962, S. 122-136 (MBB 1188). Druckvorlage: D1 Übersetzungen: Englisch: Postscript, in: I and Thou, übers. von Ronald Gregor Smith with a postscript by the author, New York: Scribner 1958, S. 121 ff., auch als Taschenbuch im selben Jahr (MBB 1087); Postscript, in: I and Thou, übers. von Ronald Gregor Smith with a postscript by the author, Edinburgh: T. and T. Clark 1959 (MBB 1118); Afterword, in: I and Thou, a new translation with a prologue ›I and Thou‹ and notes by Walter Kaufmann; New York: Scribner 1970 und 1977 in der Hudson River Edition, sowie Edinburgh: T. and T. Clark 1970, S. 169-182 (MBB 1343). Hebräisch: Acharit davar le-sefer ›ani we-ata‹, in: Be-sod Siach. Al adam wa-amidato nokhach ha-hawaja, Jerusalem: Mossad Bialik 1959 (MBB 1133). Italienisch: Poscritto a L’Io e il Tu, in: Il Principio diologico, übers. von Paolo Facchi u. Ursula Schnabel, Mailand: Edizioni di Communitá 1959 (MBB 1121). Variantenapparat: 243,4 Notwendigkeit] Nötigung H1 243,6 beständige] stete H1 243,8 Einige Zeit, nachdem ich mir] [Das zuständige Wort stand noch aus, aber auch es erschien] ! Als ich mir H1 243,12 Schriften] Bücher H1

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Nachwort [zu Ich und Du, 1958]

243,15-17 denen […] aufgegangen ist] die […] erkannt haben H 243,22 jedem einzelnen] jedem einzelnen nach besten Können H1 243,23-24 nicht gerecht zu werden vermag] bei weitem nicht gerecht werden kann H1 243,26-27 manche, die besondere Beachtung verdienen würden] besonders wichtige [zu finden] H1 243,28-29 zu antworten, […] zusammenhängen] Antwort [auf die Hauptfragen – in der Reihenfolge, in der ein Freund sie für mich zusammengestellt hat – zu geben] ! wenn nicht auf alle so doch auf einige essentielle und untereinander sinnmässig zusammenhängende Fragen zu geben H1 244,12 der Charakter] [das Wesen] ! der Charakter H1 244,13 fundamentalen] gewichtigen H1 244,20 Erwiderung] [Gegenseitigkeit] ! Erwiderung H2 244,21 im allgemeinen] fehlt H1 244,23 Kinder] Menschenkinder H1 244,23 geheuchelte] gemachte H1 244,32 hier latent] hier latent [, wie der Geist latent ist, ist die Latenz unwandelbar, latent, wie [der Geist] ! die Seele es ist] H1 244,33 Dusagen] Du-Verhältnis H1 244,34 Mutualität nennen.] Mutualität nennen. [Diese Schwelle hat das Menschengeschlecht selbst sich gebaut.] H2 244,39-245,1 Die Tat […] als seiende] Aber es ist die Reziprozität der Tat oder Haltung eines Einzelwesens, es ist – man kann es, glaube ich, nicht anders ausdrücken – die des [Seins] ! Seienden selber. H1 245,1 als seiende] als seiende [, nichts weiter als die blosse Manifestation des Seins] H2 245,8 Wirklichkeit] Wirklichkeit [ohne Mythologie und ohne Mystik] H1 245,17 dem, was […] eingegangen] dem schon in die Welt Eingegangenen H1 245,21 Tatsache] [wahrhaft fundamentalen] Tatsache H1 245,22-36 eingegangene Geistgebild […] überlieferten Sprüche] eingegangene, also in der mir und [meinem Leser] ! dir gemeinsamen Welt hnicht weniger als ein Ding oder Wesen der Naturi vorhandene Geistgebilde, darauf als die in Wirklichkeit oder Möglichkeit zugänglich hinweisen, es dir also [direkt oder indirekt] zeigen kann, – nicht aber das nicht in die Welt Eingegangene. Für dieses bleibt mir, wenn ich dir, mein Leser, auf die Frage danach antworten will [nichts übrig als dass ich selber dir gegenüber dafür zeuge]. Nehmen wir an, ich weise meinen Leser auf einen [ihm wohlbekannten] ! überlieferten Sprüche H1 1

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Einzelkommentare

246,2 und zu empfangen] fehlt H 246,2 mit seinem ganzen Wesen] fehlt H1 246,15 ist nicht] ist aber nicht D2.0, D2 246,18-19 Ich wähle […] verknüpft ist.] fehlt H1 246,20-22 Menschen erscheint, der […] Urmaß] einem erscheint. Mir trat sie [[einmal] ! zuerst, nachdem sie mir schon aus herrlichen [grossen] ! gewaltigen Tempeln vertraut geworden war] ! einzeln aus einer Kirchenmauer in Syrakus entgegen, geheimes [Maß in offenbarer Gestalt] ! Urmaß H1 246,24-25 war. Zu leisten […] Geistgebild] war, nichts vermochte ich als diesem Geisthaften da H1 246,28-29 konkreten […] hell und zuverlässig] Gefühl, hell [, und solch ein Gefühl ist ja nichts andres als das Anzeichen eines sich an der Seele voll] H1 246,30-32 Von hier aus […] hinüberblicken.] fehlt H1 246,35 grundlegend Faktische] Grundfaktum H1 246,38-247,5 (von denen ich […] selber zuschreibt] – auch Platons Ideen haben ihren Ursprung in grossen Begegnungen mit irdischen Wirklichkeiten – sondern mit leibhafter Welt, mit Gliedern des [Universums] ! Alls. Leibliche Wirklichkeit muss auf dem Weg durch die Begegnung zu Geist werden, damit der Geist durch Menschensprache und Menschenwerk sich für uns verleibe H1 246,38-39 und die als Seiendes […] imstande bin] [und zu schweigen vorziehe] ! und die als Seiendes […] imstande bin H1 247,7-8 Betrachten wir […] in einem.] fehlt H1 247,9 Dürfen wir] [Dürfen wir denn aber [ein realistischen Denken] ! solch ein realistisches, der Realität] ! Dürfen wir H1 247,15-16 problematischen] fehlt H1 247,17 verwischt] verwischt und uns ins Bodenlose entführt H1 247,23 Natur] stummen Natur H1 247,23 in Spruch] im Wort H1 247,24 Spruch] Wort H1 247,25 verstanden werden] verstanden werden, wenn dieses Seiende auch weder in seiner dinglichen Beschaffenheit beschrieben noch einem aus Dinglichkeit bestehenden Weltsystem einzureihen ist. [/ Letztlich aber gilt hier, was für alles gilt, das ich aufzuzeigen suche: im Dialog zwischen mir und dem, der mir zuhört,] H1 247,32-35 Ist es nicht […] unterstellt] Steht es nicht, wie alles Menschliche, unterm Gesetz befugter? Hinderer und unter dem Eingriff [illegitimer] ! unbefugter H1 1

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Nachwort [zu Ich und Du, 1958]

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248,1-7 Das erste […] gesichert erwirbt] Zu Recht wird so gefragt. Sagt uns doch schon die erste Einsicht in das Ich-Du-Verhältnis, dass die volle Mutualität je und je eine Gnade ist, die Mal um Mal erst errungen und gehütet werden will, aber keinerlei Bürgschaft der Dauer in sich trägt, sondern immer wieder von den seichten Wellen des IchEs überspült wird, um dann doch wieder aus ihnen aufzutauchen und seine Wahrheit strahlen zu lassen H1 248,23 Wie sehr es jedoch] Obzwar es aber D2.0, D2 249,1 worauf es recht eigentlich ankommt] was ihm hier eigentlich aufgetragen ist D2.0, D2 249,2 Person-Zentrums] Zentrums H1 249,4-6 was eben nur […] zu erlangen ist] und das ist eben nur […] zu erlangen D2.0, D2 249,5-6 Untersuchung] [Behandlung] ! Untersuchung H1 249,10-11 die Wirkung seines eigenen Handelns erfahren] der Wirkung seines eigenen Wirkens inne werden H1 249,21 des einen Teils auf den anderen] fehlt H1 249,22 einer Mutualität, […] werden] Ausschaltung der vollen Mutualität H1 249,25-26 aber auch […] wichtigste ist] aber auch. Es ist die Frage nach dem ewigen »Du« H1 249,23 6.] alternative Fassung des Abschnitts auf eigener Seite Von grundverschiedener Art ist jene Niederhaltung der Mutualität, die von der mangelhaften Neigung oder der dürftigen Fähigkeit sehr vieler Menschen herrührt, in das Ich-Du-Verhältnis einzutreten. Ich sage »mangelhafte«, »dürftig« und nicht »fehlend«, weil ich mich weigere, an das Vorhandensein von Menschen zu glauben, denen beides völlig fremd ist, das Verlangen und die Tauglichkeit. Jene Mangelhaftigkeit und die Dürftigkeit aber weiss ich nicht zu erklären. Lasst uns nur mitsammen an die heiligen Bettler denken, die zu allen Zeiten die Welt durchwanderten und jedem, dem sie begegneten, im Wort oder Blick und Gebärde [das Wasser des Lebens] ! das Ich-und-Du des Lebens boten [zumeist vergebens und] ! sie bekamen zumeist [statt des erwarteten Gegengrusses] nichts dafür als ein schiefes Lächeln. H1 249,25-26 , weil sie […] wichtigste ist] fehlt H1 249,27-31 Wie kann […] zubringen?] fehlt H1 249,35 wie er ist.] ergänzt Wie könnte sonst eine Beziehung zu ihm möglich sein? H1 wie er ist. [Wie wäre sonst eine Beziehung zu ihm möglich] H2 249,36 Selbstverständlich] [Aber davon, was Gott in sich ist, kann ich nicht reden, weil ich nichts davon weiss.] ! Selbstverständlich H1

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Einzelkommentare

250,2-3 widerspricht. Die Geltendmachung […] weichen] zunächst widerspricht, bis der Widerspruch sich durch die Einsicht aufhebt H1 250,5-8 Der Inhalt […] anwenden.] fehlt H1 h Der Inhalt […] anwenden.i H2 250,15 unmittelbare] persönliche H1 unmittelbare [und personhafte] H2 250,16 unmittelbare] persönliche H1 250,18-20 Der Begriff […] aber es ist] [Es wäre aber töricht und vermessen, aus dieser Urtatsache einen Satz abzuleiten, lautend: »Gott ist eine Person.« Und, dem solches von ihm widerfährt, ist aber] ! Der Begriff […] aber es ist H1 250,32-33 sich, unter Berufung […] Person] bedarf das mit »Gott« Gemeinte nur auf das mit »Person« Gemeinte sich berufend H1 250,37 paradoxe] paradoxe oder vielmehr bis auf weiteres paradoxe H1 paradoxe oder zunächst paradox erscheinende H2 250,38 unmittelbare] persönliche H1 250,39 absolute Person.] absolute Person. [Wir dürfen vielleicht auch noch hinzufügen: um des von ihm intendierten Partnertums des Empfangens in Schöpfung, Offenbarung und Erlösung willen hat er das Attribut der absoluten Person auf sich genommen.] H1 250,39-40 Der Widerspruch […] Einsicht.] fehlt H1 250,39-40 weicht der höheren Einsicht] muß der höheren Einsicht weichen D2.0, D2 251,1 Menschen tritt,] Menschen tritt [; wiewohl er diesem in seiner X fassbar werden will in seinem Wort, in seinem Anspruch dem Menschen fassbar werden will, bleibt er doch auch hier noch der Allumfasser] H1 251,2 Ich-Du-Beziehung] echten Beziehung H1 251,4 verklären.] verklären. [Wohl hat in ihnen die Sonnenkraft des IchDu zuzeiten erblassen; aber was einmal [vor Gottes Angesicht gestellt] ! Gott zugebracht worden ist erneut die Kraft aus ihm] H1 251,10-11 alles biographische […] geschichtliche,] fehlt H1 251,11-12 zur Weisung, Botschaft, Forderung] zu Weisung, zu Forderung D2.0, D2 251,13 Personsprache] Personsprache Gottes H1 251,14 Standhalten und Entscheidung] Entscheidung H1 251,14 zu heischen] zu heischen [, ihr die Wege zu zeigen, ihr Unheil und Heil anzubieten] H1 251,14-16 es sei nichts […] Ohren gesteckt] wir vernähmen nichts, weil wir uns zu hören scheuen, Ohren sind uns gebohrt; aber wir müssen dennoch erst H1

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Nachwort [zu Ich und Du, 1958]

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251,17-18 Die Existenz […] unbeweisbar ist] Die Mutualität, die Gott dem Menschen gewährt, [ist keine volle, sie ist nur vollkommen] ! kann zwar selbstverständlich nicht als eine volle bezeichnet werden, wohl aber als vollkommen [, da sie ja aus der für jeden einzelnen Menschen das ihm erträgliche Maß an vollkommener Gabe]. Ihre Existenz ist unbeweisbar H1 251,19-20 und ruft […] Zeugnis] und schlägt seine Hörer zu? Erprobung vor, ohne zu verschweigen, dass die Erprobung den ganzen Menschen erheischt H1 Wort- und Sacherläuterungen: 244,2-5 Wenn wir, […] im Ich-Du-Verhältnis stehen können,] Martin Buber, Ich und Du, jetzt in diesem Band S. 37-109, insbesondere S. 41 u. 98 f. 245,20-22 Diese Scheidung […] gleichsam zeigen kann,] Auch im Manuskriptheft, welches die unveröffentlichte Vorstufe des endgültigen Textes von Ich und Du enthält (vgl. dazu den Variantenapparat zu 58,8, in diesem Band, S. 296 f.), wählt Buber an einigen Stellen die direkte Ansprache an den Leser. 246,40-247,1 das seltsame Bekenntnis Nietzsches […] wer da gibt.] Vgl. Wort- und Sacherläuterungen zu 103,21-22. 248,22-23 er muß die Art von Realisation üben, die ich Umfassung nenne.] Vgl. Martin Buber, Daniel, jetzt in MBW 1, S. 183-246, insbesondere S. 222 ff. 249,36-37 Selbstverständlich […] Menschen ist.] »›Wenn an Gott glauben‹, so hieß es, ›bedeutet, von ihm in der dritten Person reden zu können, glaube ich nicht an Gott. Wenn an ihn glauben bedeutet, zu ihm reden zu können, glaube ich an Gott‹.« Martin Buber, Begegnung, jetzt in: MBW 7, S. 295. 250,14-15 in schaffenden, offenbarenden, erlösenden Akten] Mögliche Anspielung an die dreiteilige Struktur von Franz Rosenzweigs Stern der Erlösung. 250,36-39 Diesem Widerspruch […] absolute Person.] Vgl. die Rede von Gott als absolutem Du in der Vorlesungsreihe Religion als Gegenwart: »Gott ist das absolute Du, das seinem Wesen nach nicht mehr Es werden kann.« Jetzt in: MBW 12, S. 131.

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Einzelkommentare

Aus: Philosophical Interrogations Die Philosophical Interrogations sind eine Zusammenstellung ausgewählter Befragungen, die ursprünglich für die Review of Metapyhsics vorgesehen waren, aber dann in einem eigenen Band ausgekoppelt worden sind (Philosophical Interrogations, eingeleitet und herausgegeben von Sydney u. Beatrice Rome, New York: Holt, Rinehart & Winston 1964, S. 7). Konzeption des Bandes ist es, die Auseinandersetzung zwischen den ausgewählten Philosophen und ihren Kollegen zu ermöglichen, wie wie sie im 17. Jh. zwischen Descartes und einigen seiner Zeitgenossen stattgefunden hatte. (S. 3). In Bezug auf Bubers Philosophie des Dialogs liegt diese Herangehensweise nahe, und so gehört er zu den ausgewählten Philosophen, mit der ihm eigenen Besonderheit, »that every effort to compress his sense of dialogue into a standard sentence structure, or into conventional forms of expression, tended to transform his eloquence into something commonplace« (S. 5). Buber hat die Fragen auf Deutsch beantwortet, die Übersetzung übernahm Maurice Friedman, der auch für die Befragung Bubers verantwortlich war. Die Entwürfe der ursprünglich deutschsprachigen Antworten befinden sich in Gestalt von handschriftlichen Entwürfen und Typoskripten im Martin Buber Archiv (Arc. Ms. Var. 350 02 85) und werden nach der Auflistung der Textzeugen nach der Typoskriptfassung abgedruckt. In den hier abgedruckten Teilen aus Teil »I. The Philosophy of Dialogue« wird Buber zunächst von Perry LeFevre und Friedrich Thieberger (C. Human Life), dann von Malcolm L. Diamond (F. I-Thou Relation with Nature) und schließlich von Maurice Nédoncelle, Malcolm L. Diamond, David Baumgardt und Peter A. Bertocci befragt (G. I-Thou and I-It). Die ebenfalls philosophische Fragen behandelnden Abschnitte A., B. und E. finden sich in MBW 12, S. 543 ff. und werden dort, S. 817 ff. kommentiert, einschließlich einer ausführlicheren Einleitung zu den Interrogations an sich. Textzeugen: H: Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350 02 85); Konvolut loser paginierter Blätter, einseitig beschrieben, mit vielen Korrekturen versehen. Es handelt sich um die deutschsprachigen Entwürfe Bubers zu den Antworten auf die auf Englisch formulierten Fragen. Da es sich um erste Formulierungsversuche, zumal in anderer Sprache als der Veröffentlichung handelt, wird auf eine Berücksichtigung der einzelnen Korrekturen in Gestalt eines kritischen Apparats verzichtet.

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Aus: Philosophical Interrogations

TS: Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350 bet 85); Konvolut loser paginierter Blätter, einseitig beschrieben. Es handelt sich um die Abschrift von H, mit einigen Korrekturen versehen. Diese den englischsprachigen Antworten Bubers ensprechenden deutschen Vorlagen werden im Anschluss abgedruckt. D: in: Philosophical Interrogations: Interrogations of Martin Buber, John Wild, Jean Wahl, Brand Blanshard, Paul Weiss, Charles Hartshorne, Paul Tillich. Edited, with an Introduction by Sydney and Beatrice Rome, New York u. Evanston: Holt, Rinehart and Winston 1964, S. 29-31 u. 36-45. Druckvorlage: D Abdruck der deutschsprachigen Passagen aus TS: [C. Human Life] Le Fevre Das ist ein Feld, auf dem ich mich nicht ohne Schwierigkeit vorwärts wagen kann. Eins aber scheint mir gewiss: es gibt Menschen, die darauf aus sind, so wenig wie möglich von dem, was ihnen im Leben widerfährt, von etwas anderem als sie selbst abhängig sein zu lassen, und es gibt Menschen, denen es tief entspricht, dass das Andere, bisher Unbekannte, Unvorhergesehene in ihr Leben eingreife. Das Widerstreben der ersteren ist zu verstehen: alles Wagnis, das eigene Pläne, Entwürfe, Versuche, Unternehmungen mit sich bringen, ist ja seinem Wesen nach gar nicht jenem zu vergleichen, dem man sich durch den echten Kontakt mit der Anderheit aussetzt. Den Menschen der ersten Art – nennen wir sie, die sich Vorbehaltenden – reifen ihre Absichten oft leichter und schneller als jenen, die wir als die sich Aussetzenden (exposing themselves) bezeichnen können; nur dass die so leicht und schnell reifenden Absichten sich oft als wurmstichig erweisen. Mit einer hier unentbehrlichen Vereinfachung möchte ich sagen, dass diesen Menschen nicht selten nachgerühmt wird, sie hätten Erfolg; aber kein Bereich des Daseins scheint mir so sehr von Täuschung und Selbsttäuschung durchdrungen zu sein wie der, den man unbedachten Herzens als Erfolg verbucht.

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Einzelkommentare

Thieberger Es geschieht in der Tat häufig, dass Ich-Du-Beziehungen mit einem »Aufleuchten«, einer »Erweckung« beginnen. Aber ich neige keinesfalls dazu, diese Erscheinung als Regel zu verstehen. Ich kann deshalb nicht, weil ich diese Beziehung – wie ich von Anbeginn dargelegt habe – schon im Leben des Kleinkinds, wie in dem des sogenannten »Primitiven«, in einer geradezu naturhaften Form finde und ich auch die geisthaftesten Formen in ihrem Sinn-Zusammenhang mit den naturhaften verstehe. Ich erkenne also die Bedeutsamkeit der »Ergriffenheit« an, aber ich kann in ihr keine notwendige Voraussetzung für die Entstehung einer Ich-Du-Beziehung sehen. [F. I-Thou Relation with Nature] Diamond Hier muss ich wieder auf das Postscriptum zu »Ich und Du« verweisen: es gibt sehr verschiedene Grade der Mutualitätsfähigkeit. Aber ich bin keineswegs der Meinung, dass von hier aus allein sich eine basis of evaluation errichten liesse. Dazu muss vielmehr unser ganzes Wissen um die Welt zusammenwirken, das durch die Ich-Du-Beziehung zwar immer wieder erneuert, aber nicht von ihr getragen wird. [G. I-Thou and I-It] Nédoncelle Für die »Entwicklung und Erhebung des Dialogs« scheint mir das Unpersönliche seine wesentliche Bedeutung darin zu haben, dass es jeweils zwei Menschen gemeinsam und doch zugleich ungemeinsam ist. Das, wovon der andere und ich sprechen, das woran der andere und ich, es beide mit dem gleichen Worte bezeichnend, denken, ja was wir gleichzeitig als dieses bestimmte Ding wahrnehmen, ist eben darin problematisch: wir meinen dasselbe und nicht dasselbe; wir sehen dasselbe und nicht dasselbe; das Wort, mit dem wir es benennen, hat für uns beide die gleiche und nicht die gleiche Bedeutung. Das Unpersönliche involviert also immer wieder eine Spannung zwischen den Gesprächspartnern. Aber diese Spannung ist fruchtbar, genauer, sie kann fruchtbar werden: indem zwischen dem, was dieses »Unpersönliche« da für dich, und dem, was es für mich ist, sich eine, nur eben dialogisch mögliche Verschmelzung vollzieht. Worüber wir »uns verständigen«, ist dann

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durchaus nicht blasser, als was vordem auf der einen und der anderen Seite bestanden hatte, es kann sogar stärker, klarer, entschiedener sein. Die Unterschiede, die jeweils nach dem Dialog fortbestehen, wieder bestehen, werden auf jeden Fall anders sein als jene, die vor ihm bestanden. Zu diesem Thema ist noch viel zu sagen; hier muss ich mich mit dem eben Gesagten begnügen. Diamond 1. Ich spreche sehr ungern von der Vollkommenheit als von etwas empirisch Feststellbarem. Da die vollkommene Ich-Du-Beziehung im allgemeinen keine Aussagen über sich macht, weiss ich nicht, wie häufig oder wie selten sie ist. Aber es kommt mir gar nicht auf die Vollkommenheit an, weder hier noch überhaupt. Es kommt mir darauf an, dass die Ich-Du-Beziehung sich verwirkliche, wo sie sich verwirklichen kann; und ich kann nicht deklarieren, wo sie das nicht könne. Und es kommt mir darauf an, dass das Leben des Menschen von ihr aus bestimmt und gestaltet werde. Denn ich glaube daran, dass dies die Menschenwelt zu verwandeln vermag. Nicht in etwas Vollkommenes; wohl aber in etwas sehr viel Menschlicheres, dem Schöpfungssinn des Menschen nach, als was heute besteht. 2. Man muss sich vor der Doppeldeutigkeit des Begriffs »Bewusstsein« hüten. Soll darunter verstanden werden, dass man eines Es, eines Gegenstands bewusst werde, so wäre natürlich jeweils mit dem Bewusstwerden der Ich-Du-Beziehung ihr Ende gegeben – bis auf weiteres. Aber die zwischenmenschliche Ich-Du-Beziehung gehört doch nicht dem Unbewussten an, auch in ihrer exklusivsten Gestalt nicht; wiewohl freilich ihre Wurzeln im »Unbewussten« d. h. im Wesensgrund der Personen, versenkt sind. Ihre Bewusstheit ist eine höchst intensive; aber es ist eine unmittelbare, eine elementare Bewusstheit. Sie macht sich nicht zum Gegenstand, sie setzt sich nicht von sich ab, ihr Wissen um sich selbst ist mit ihrem Sein gegeben. Baumgardt Von einer allgemeinen Suprematie des dialogischen Lebens rede ich nicht, wohl aber von seiner besonderen Wichtigkeit für die persönliche Existenz des Menschen. Für sie ist die Reihe der Begegnungen, die einem Menschen zuteil geworden sind, wichtiger als sein Gesamtbesitz an unpersönlich wissenschaftlicher Erkenntnis, wie hoch diese auch einzuschätzen ist. Jene sind es, die die Kernsubstanz der Person aufbauen. Das gilt auch für das Leben des Forschers, auch für sein Forscherleben selber. Was ein »originaler« Forscher entdeckt, was er »findet«, das ent-

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Einzelkommentare

deckt und findet er in seinen Kontakten mit dem Einmaligen: in der Schau einer wohlbekannten und doch in diesem Augenblick überraschenden Naturerscheinung, in der dem echten Philologen gewährten »Eindringen« in einen Text, aus dem ihm die Intention des Autors entgegenleuchtet, in den Visionen des grossen Historikers, die ihm längst vergangene Begebenheiten in ihrem Zusammenhang zeigen und in denen nicht bloss seine Darstellung des Geschehens, sondern auch seine Deutung der Epoche ihren Ursprung hat. Gewiss, eine Ich-Du-Beziehung im prägnanten Sinn waltet hier zumeist nicht, aber das Wesentliche ist da: eine Person und ihr Gegenüber, das ihr in dieser Stunde nur erst Gegenwart, noch nicht Gegenstand ist, die Berührung des Einmaligen mit dem Einmaligen, noch vor aller Umsetzung ins Allgemeine. Was der Forscher, wenn er zur Umsetzung schreitet, aufzugeben hat, das ist keine age-old vagueness, sondern das Stehen vor der konkreten Wirklichkeit. Gewiss, das m u s s er jeweils radikal aufgeben, um allgemeine Einsichten oder gar exakte Formeln zu gewinnen, aber am Anfang des Wegs wird er immer wieder vom Genius der Begegnungen geführt, bis der ihn dem zuverlässigen Geist der Objektivierung übergeben kann. Dass die human vanity sich für ihre Erwartung von personal or even emotional response from the nature of dead matter nicht auf die Worte von mir berufen darf, habe ich immer wieder und sogar immer stärker betont. Bertocci Bertoccis Einwände scheinen mir zu einem grossen Teil auf einem tiefen Missverstehen einiger meiner Grundbegriffe zu beruhen. Dass er aber bei mir den Gedanken einer offenbar allumfassenden unity of an organic whole oder dem part-whole-relationship findet, kann ich mir auch so nicht erklären; es muss sich wohl sehr früh bei Bertocci diese völlig irrige Vorstellung von meiner Philosophie gebildet haben, und dann hat er anscheinend diesen und jenen Begriff als Bestätigung dafür verstanden, d. h. missverstanden. Ich habe, seit ich zu selbständigem Denken gereift bin, niemals den Menschen als einen »Teil« Gottes zu erklären versucht. Alles, was ich von der Beziehung zwischen Mensch und Gott gedacht und gesagt habe, geht von der unverrückbaren Voraussetzung aus, dass der Mensch, die menschliche Person, von der Geburt bis zum Tode (weiter reicht mein Denken des Menschen nicht) Gott gegenüber steht; nichts, was uns in unserem Leben widerfährt, und nichts, was von uns aus geschieht, vermag diese Urtatsache des Gegenüberstehens abzuschwächen. Deshalb habe ich, seit ich »Ich und Du« geschrieben habe, immer wieder die Vor-

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Aus: Philosophical Interrogations

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stellung einer unio mystica als eine Fehlinterpretation des Einswerdens der Person selber gekennzeichnet. Deshalb auch habe ich den Pantheismus, wo ich mich mit ihm abzugeben hatte, als eine spekulative Vereinfachung behandelt. Die Worte, »to include everything in Him« können nur dann pantheistisch missverstanden werden, wenn man den Kontext nicht hinreichend beachtet; sie entsprechen den kurz vorher stehenden »to see everything in the Thou«. Um was es mir fundamental geht, ist, dass unsere Beziehung zu unseren Mitmenschen und unsere Beziehung zu Gott zusammengehören, dass ihr Grundcharakter, der einer gegenseitigen Ich-DuBeziehung, sie miteinander verknüpft; praktisch gesprochen: dass es in Wahrheit nicht eine Sondersphäre der »Religion« und eine Sondersphäre der »Ethik« gibt. Obgleich ich sage und meine, Wirklichkeit gebe es nur wo es gegenseitige Wirkung gibt (I and Thou 98), so kann ich doch keineswegs die Charakterisierung der Person als einer dynamic-unity-in-striving-andpurpose akzeptieren; sie wird dem Wesentlichsten an der Person, der Verbindung von völliger Einzigheit und völliger Beziehungsfähigkeit (Fähigkeit, in eine Beziehung einzutreten), nicht gerecht. Und nun fährt Bertocci so fort: »But purposes do not meet or participate« – jetzt ist statt Personen nur noch von purposes die Rede, wirkliche Personen aber begegnen einander wirklich, nicht bloss im Raum, sondern auch zum Beispiel, wenn sie gleichzeitig an einander denken, also in der reinen Zeit. »Teilnehmen« (participate) aber ist nur scheinbar ein »spatialer« Begriff; in Wahrheit ist »aneinander teilnehmen« so sehr eine Kategorie des seelenhaften Daseins, dass der metaphorische Urgrund des Ausdrucks gar nicht mehr spürbar ist. Und nur vermöge ihrer Verschiedenheit, vermöge der Einzigkeit dieses und der Einzigkeit jenes, können Menschen an einander teilnehmen. Nun aber vermisst Bertocci bei mir eine doctrine of real yes-and-no freedom. Ich bin dem gegenüber der Meinung, dass eben eine solche doctrine im 2. Teil von I and Thou (S. 57-61 der englischen Ausgabe) zu finden ist. Wort- und Sacherläuterungen: 252,3 Perry LeFevre] (1921-2006): US-amerik. Theologe; Professor für Constructive Theology am Chicago Theological Seminary. 252,25 Friedrich Thieberger] (1888-1958): österr.-jüd. Religionsphilosoph und Publizist. 253,32 Malcolm L. Diamond] Zur Person vgl. die Einleitung zum Nachwort von Ich und Du, in diesem Band S. 429.

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Einzelkommentare

254,12-13 I must again refer to the Postscript to I and Thou: there are several different grades of the capacity for mutuality] Vgl. Bubers Nachwort zu Ich und Du, jetzt in diesem Band S. 243-251. 254,19 Maurice Nédoncelle] (1905-1976): franz. Philosoph; unterrichtete an der Theologischen Fakultät der Universität von Strasbourg. 256,4 David Baumgardt] (1890-1963): dt.-jüd. Philosoph; bis 1935 als außerordentlicher Professor für Philosophie an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität; emigrierte 1935 nach England, 1939 in die USA. 256,7 what you say in Zwiesprache] jetzt in diesem Band S. 112-150, hier S. 146. 256,25 amor fati] dt.: »Liebe zum Schicksal«, d. h. zum Notwendigen und Unausweichlichen. 257,23 Peter A. Bertocci] (1910-1989): US-amerik. Philosoph; Professor für Philosophie an der Boston University. 257,37-258,1 »include the whole […] in him.«] Martin Buber, I and Thou, Translated by Ronald Gregor Smith, T&T Clark: Edinburgh 1937, S. 79. Dt.: »all die Welt mit im Du begreifen, der Welt ihr Recht und ihre Wahrheit geben, nichts neben Gott, aber auch alles in ihm fassen«. Martin Buber, Ich und Du, jetzt in diesem Band S. 37-109, hier S. 84. 258,36-259,1 Therefore, since I wrote I and Thou, I have ever again designated the conception of a unio mystica as a mistaken interpretation of the unification of the person himself.] Vgl. Martin Buber, Ich und Du, in diesem Band, S. 88 f. 259,2-3 Therefore, too, I have treated pantheism, where I have had to deal with it, as a speculative oversimplification.] Vgl. dazu die Einleitung zu diesem Band, S. 32-33. 259,12-13 Although I say and mean that reality exists only where there is mutual action] »›Inner‹ reality, too, exists only if there is mutual action.« Martin Buber, I and Thou, Translated by Ronald Gregor Smith, S. 89. Dt.: »Auch ›innere‹ Wirklichkeit ist nur, wenn Wechselwirkung ist.« Martin Buber, Ich und Du, in diesem Band, S. 37-109, hier S. 90. Vgl. auch das Nachwort zu Ich und Du, in diesem Band, S. 243-251. 259,27-28 such a doctrine is to be found in the second part of I and Thou.] Martin Buber, Ich und Du, jetzt in diesem Band S. 37-109, hier S. 72-74, ursprünglich als »Der Freie und der Willkürliche« betitelt; vgl. dazu den Variantenapparat zu 109,34

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Abkürzungsverzeichnis B I-III

KGA MBA MBB

MBW

Martin Buber, Briefwechsel aus sieben Jahrzehnten, 3 Bde., hrsg. und eingel. von Grete Schaeder, Heidelberg: Verlag Lambert Schneider 1972-75. Bd. II: 1918-1938 (1973), Bd. III: 1938-1965 (1975). Friedrich Nietzsche, Werke. Kritische Gesamtausgabe, hrsg. von Giorgio Colli u. Mazzino Montinari, Berlin u. New York 1967 ff. Martin Buber-Archiv der National Library of Israel. Martin Buber. Eine Bibliographie seiner Schriften, 1891-1924, zusammengestellt von Margot Cohn und Rafael Buber, Jerusalem: Magnes Press, Hebräische Universität und München/New York et al.: K. G. Saur 1980. Martin Buber Werkausgabe: Bd. 1 Frühe kulturkritische und philosophische Schriften 1891-1924, bearbeitet, eingeleitet und kommentiert von Martin Treml, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2001. Bd. 2.1 Mythos und Mystik. Frühe religionswissenschaftliche Schriften, bearbeitet, eingeleitet und kommentiert von David Groiser, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2013. Bd. 2.2 Ekstatische Konfessionen, bearbeitet, eingeleitet und kommentiert von David Groiser, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2012. Bd. 2.3 Schriften zur chinesischen Philosophie, bearbeitet, eingeleitet und kommentiert von Irene Eber, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2013. Bd. 3 Frühe jüdische Schriften 1900-1922, bearbeitet, eingeleitet und kommentiert von Barbara Schäfer, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2007. Bd. 7 Schriften zu Literatur, Theater und Kunst. Lyrik, Autobiographie und Drama, bearbeitet, eingeleitet und kommentiert von Emily D. Bilski, Heike Breitenbach, Freddie Rokem u. Bernd Witte, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2016. Bd. 8 Schriften zu Jugend, Erziehung und Bildung, bearbeitet, eingeleitet und kommentiert von Juliane Jacobi, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2005. Bd. 9 Schriften zum Christentum, bearbeitet, eingeleitet und kommentiert von Karl-Josef Kuschel, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2011. Bd. 11.1 Schriften zur politischen Philosophie und zur Sozialphilosophie. 1906-1938, eingeleitet von Francesco Ferrari, bearbeitet und kommentiert von Stefano Franchini, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2019.

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444

WA

Abkürzungsverzeichnis

Bd. 11.2 Schriften zur politischen Philosophie und zur Sozialphilosophie. 1938-1965, eingeleitet von Francesco Ferrari, bearbeitet und kommentiert von Massimiliano De Villa, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2019. Bd. 12 Schriften zur Philosophie und Religion, bearbeitet, eingeleitet und kommentiert von Ashraf Noor und Kerstin Schreck, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2017. Bd. 13 Schriften zur biblischen Religion, herausgegeben von Christian Wiese, eingeleitet von Michael Fishbane, bearbeitet und kommentiert von Christian Wiese und Heike Breitenbach, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2019. Bd. 14 Schriften zur Bibelübersetzung, eingeleitet und kommentiert von Ran HaCohen, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2012. Bd. 15 Schriften zum Messianismus, bearbeitet, eingeleitet und kommentiert von Samuel Hayim Brody, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2014. Bd. 16 Chassidismus I. Frühe Erzählungen, eingeleitet von Bernd Witte, bearbeitet und kommentiert von Ran HaCohen, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2018. Bd. 17 Chassidismus II. Theoretische Schriften, bearbeitet, eingeleitet und kommentiert von Susanne Talabardon, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2015. Bd. 18 Chassidismus III. Die Erzählungen der Chassidim, bearbeitet, eingeleitet und kommentiert von Ran HaCohen, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2015. Bd. 20 Schriften zum Judentum, bearbeitet, eingeleitet und kommentiert von Michael Fishbane und Paul Mendes-Flohr, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2019. Goethes’ Werke. Herausgegeben im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen, Abtlg. I-IV. 133 Bände in 142 Teilen. H. Böhlau, Weimar 1887-1919.

Hebräische Bibel Gen Ex Lev Dtn Jes

Genesis (1. Mose) Exodus (2. Mose) Leviticus (3. Mose) Deuteronomium (5. Mose) Jesaja

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445

Abkürzungsverzeichnis

Neues Testament Mt Mk Lk Joh Röm 1. Joh

Matthäus Markus Lukas Johannes Römerbrief 1. Johannesbrief

Rabbinische Literatur mAv

Mischna, Traktat Avot

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Quellen- und Literaturverzeichnis 1. Quellenverzeichnis 2. Literaturverzeichnis 2.1 Bibliographien 2.2 In den Band aufgenommene Schriften Martin Bubers 2.3 Verwendete Werke Martin Bubers 2.4 Verwendete Literatur 1. Quellenverzeichnis Aus dem Martin Buber Archiv (MBA) der National Library of Israel sind folgende unveröffentlichte Quellen verwendet worden:

1.1 Handschriften und Typoskripte Ich und Du (Handschriften) Arc. Ms. Var. 350 02 9a u. 350 02 9 Zwiesprache (Handschriften und Typoskripte) Arc. Ms. Var. 350 02 57 Die Frage an den Einzelnen (Handschrift und Typoskripte) Arc. Ms. Var. 350 02 10 Vorwort [zu Between Man and Man] (Handschriften ) Arc. Ms. Var. 350 02 15c Urdistanz und Beziehung (Handschriften und Typoskript) Arc. Ms. Var 350 02 42 Martin Buber und Ferdinand Ebner (Typoskript) Arc. Ms. Var. 350 02 113 Elemente des Zwischenmenschlichen (Handschriften und Typoskript) Arc. Ms. Var. 350 05 35a Nachwort [zu Die Schriften über das dialogische Prinzip] (Handschriften und Typoskripte) Arc. Ms. Var. 350 02 15a Nachwort [zu Ich und Du, 1958] (Handschriften) Arc. Ms. Var. 350 02 9c Philosophical Interrogations (Handschrift und Typoskript) Arc. Ms. Var. 350 02 85 Monologisches und dialogisches Leben [Vortrag] (Typoskript) Arc. Ms. Var. 350 07 073

1.2 Notizen und Briefe Briefe Bubers an Ronald Gregor Smith Arc. Var. 350 008 741a Grundformen des Zwischenmenschlichen [Konzeptpapier] Arc. Ms. Var. 350 02 35b

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Quellen- und Literaturverzeichnis

2. Literaturverzeichnis 2.1 Bibliographie Martin Buber. Eine Bibliographie seiner Schriften, 1897-1978, zusammengestellt von Margot Cohn u. Rafael Buber, Jerusalem: Magnes Press, Hebräische Universität Jerusalem u. München [u. a.]: K. G. Saur 1980.

2.2 In den Band aufgenommene Schriften Martin Bubers Elemente des Zwischenmenschlichen, in: Die Schriften über das dialogische Prinzip, Heidelberg: Lambert Schneider 1954, S. 255-284. Foreword, in: Pointing the Way – Collected Essays, transl. from the German and ed. by Maurice Friedman, New York: Harper 1957, S. ix-x. Die Frage an den Einzelnen, Berlin: Schocken 1936. Freiheit und Verantwortung, Die Brücke, 24. Dezember 1928. Ich und Du, Leipzig: Insel-Verlag 1923. Kraft und Richtung, Klugheit und Weisheit, Das Werdende Zeitalter, VII/4, April 1928, S. 97 [Auszug eines Briefes]. Martin Buber und Ferdinand Ebner, Der Standpunkt, 12, Februar 1954. Nachwort, in: Ich und Du, Heidelberg: Lambert Schneider 1958 [erweiterte Neuausgabe], S. 107-117. Nachwort, in: Die Schriften über das dialogische Prinzip, Heidelberg: Lambert Schneider 1954, S. 287-306. Philosophical Interrogations: Interrogations of Martin Buber, John Wild, Jean Wahl, Brand Blanshard, Paul Weiss, Charles Hartsthorne, Paul Tillich. Edited, with an Introduction by Sydney and Beatrice Rome, New York u. Evanston: Holt, Rinehart and Winston 1964, S. 29-31 u. 36-45. Urdistanz und Beziehung, Studia Philosophica Jahrbuch der Schweizerischen Philosophischen Gesellschaft, Separatum Bd. X, Basel: Verlag für Recht und Gesellschaft 1950, S. 7-19. Vorwort [zu Between Man and Man], Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350 02 15c). Vorwort, in: Dialogisches Leben – Gesammelte philosophische und pädagogische Schriften, Zürich: G. Müller 1947, S. 9-11. Zwiesprache, Berlin: Schocken 1932.

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448

Quellen- und Literaturverzeichnis

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Stellenregister Bibelstellen

Neues Testament

Hebräische Bibel

Mt 5,37 6,24 19,26 22,12-38

324 328 391 389

Mk 5

322

Lk 10,41 f. 10,42 16,13

22 327, 428 328

Joh 10,30 13,23-26 14,2 19, 26-27 20, 2-10 21, 7 21,20

326, 327 322 358 322 322 322 322

Röm 8,21-23

394

Gen 1,3 1,27 5,22 5,24 6,9 12,1 22,2 Ex 3,14 16 Lev 19,18 Dtn 6,5 Jes 6,1 40,31 43,1

391 389 387 387 387 155, 387 155, 387 32, 329, 361 404 359, 389 389 322 328 420

1. Joh 3,9

325

Rabbinische Literatur Mischna mAv I,14 324 Platon Apologie 31D 41D

325 325

Politeia Zehntes Buch Kap. XIV 324 Sophistes 263e, 9-11

359

Symposion 180c-e 203b ff.

360 358

Aulus Gellius Die attischen Nächte V. Buch, Cap 14 361

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Sachregister Ägypten 339, 340 Alltag 125, 126, 128, 339 –, Heiligung des 26, 28 Altes Testament 155, 164, 191 Arbeitsteilung 203-203 Autorität 142, 373-374 Babylon 339 Begegnung 21, 24, 25-26, 44-45, 46, 53, 61, 82, 83, 99, 103-104, 206, 222, 233, 245, 265, 269, 283, 287, 317, 402 Beobachtung 121-122 Betrachten 121-122 Bewährung 159, 285 Beziehung 13, 41, 43, 44-45, 46, 47, 49, 5456, 60, 62, 64, 68, 69, 75, 82, 84, 86, 96, 97, 163, 166, 198, 200-201, 207, 214, 220, 249-250, 275, 286, 288, 336, 397 –, reine 87, 97, 103, 105-106, 275-276, 283286 Bibel 103 Böses 188-191, 372-373, 384 Buber, Martin –, Begegnung 331 –, Daniel 19, 21, 22, 234, 322 –, Ereignisse und Begegnungen 22 –, Der große Maggid und seine Nachfolge 25, 233, 265, 268 –, Der heilige Weg 267 –, Hinweise 21, 427 –, Die Legende des Baalschem 232, 265 –, Die Lehre vom Tao 22 –, Das Problem des Menschen 397 –, Reden über das Judentum 33 –, Reden und Gleichnisse des TschuangTse 428 –, Religion als Gegenwart 27, 33, 233, 269270 –, Über Jakob Böhme 16 Charismatiker 142 Chassidismus 18, 25-26, 233, 265, 266 Christentum 154 Christus 88, 308, 426 Cohen, Hermann –, Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums 231

Daniel 24 Denken 337-338, 360 Descartes, René –, Discours de la méthode 233, 323 Dialog, Dialogisches 117, 120, 130, 338, 348 Dialogik 131 Diskussion 115, 205 Dogma 129 Du, dämonisches 78 Du, ewiges 16, 29, 82, 85, 97, 104-105, 249, 284, 286 Ebner, Ferdinand –, Das Wort und die geistigen Realitäten 232 Egoismus 169 Ehe 63, 64, 173-175, 344, 366 Eigenwesen 74-76, 325 Einrichtung 62-64 Einsamkeit 99-100, 106, 131, 153, 167, 336 Einheit 135-136, 200 Einung 89 Einzelner 156, 158-161, 163-164, 166, 169, 171, 172, 177, 178, 179, 184, 189, 193, 195, 230, 365-367, 368-369, 372, 376 Ekstase 18, 283 Elija 120 Entscheidung 89, 177, 181-182, 277, 291, 334, 341 –, politische 179, 182 Erfahrung 15, 17, 40-41 –, religiöse 125 Erkenntnis 61 Erlebnis 15, 17-18, 20, 343 Erlösung 26, 109, 341 Eros 98, 117, 138-140 Erziehung, Erzieher 222-223, 248-249 Ethik 168, 188 Feind 187-188, 370-371, 394 Forte-Kreis 358 Freies Jüdisches Lehrhaus 27, 270 Freiheit 69, 71, 72, 111, 146 Ganzheit 200 Gebet 43, 87, 108, 237, 417 Gedanke 136 Gefühl 62-64, 86

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456 Gegenstand 32, 45, 57 Gegenwart 32, 45, 56, 57, 58, 83, 103 Geheimnis 69, 91, 104 Geist 52, 60-62, 66-67, 69, 108, 197, 220, 227, 245, 246-247, 282 Gemeinde, wahre 64, 106 Gemeinschaft 101, 120, 141-142, 179, 182, 195, 347, 376 Geschichte 59, 109, 185, 341, 370 Die Gesellschaft 16 Gespräch 115, 118, 219, 226 –, echtes 205, 219-220, 221, 225-227, 406 Gewissen 181-182 Glaube 124, 180 Glaubensverhältnis 180 Gnade 26, 69, 83, 181, 283, 287 Gnosis 124, 340, 359 Gogarten, Friedrich –, Politische Ethik 188 Gott 26, 28, 32, 82, 84-85, 86, 94, 99-100, 101, 104-107, 108-109, 126, 127, 155, 160, 164-167, 169-170, 180, 181, 189190, 232, 237, 249-251, 276, 282-283, 284, 286, 313, 317, 318, 319, 339, 343, 440 –, Wort 119-120 Gottesname 82 Götze 100 Hamlet 338 Hass 47-48 Henoch 155 Hinwendung 132-133, 134 Humboldt, Wilhelm von –, Abhandlung über den Dualis 137 Idee 46, 292 Individualismus 156, 182, 184, 188 Innewerden 122 Johannesevangelium 88 Judentum 282 Jüdische Renaissance 267 Jugendbewegung 142 Kabbala 18 Klugheit 110 Kollektiv 193-194 Kosmos 98, 107, 109 Die Kreatur 210, 331, 362 Krisis 218 Kultur 59, 69, 70

Sachregister Kunst 43, 61, 136, 203 Leben, dialogisches 32, 130-131, 334-335, 339, 341-343 –, monologisches 130-131, 333-335 Legende 232-233, 422 Lehre 62 Leib 51-52 Liberalismus 184 Liebe 46-47, 48, 64, 110, 131, 156, 164, 165, 339 Logos 98, 344 Mana 50 Marcionismus 165 Menge 158, 166, 171, 173, 175-177, 344, 368, 382 Mensch 190, 197-201, 202, 204-205, 207208, 220, 229, 277, 281-282, 307, 373, 440 –, moderner 62, 63, 101, 133, 213, 219, 338 –, monologischer 338 –, religiöser 101-102 Messias 199 Mitte 64, 66, 106, 110, 132 Monolog 336-337, 343 Moral 129, 341, 351 Moses 32 Mutualität 248, 254, 429, 433, 435 Mystik 16, 17-18, 23, 84, 88, 155-156, 163, 284, 367 Mystiker 23 Mythos 232-233, 422 Natur 41, 42, 52, 98, 197 Nietzsche, Friedrich –, Also sprach Zarathustra 323 Noah 155 Offenbarung 30, 33, 104, 105, 107-108, 129, 164, 285, 286-287, 318, 329 Opfer 43, 73, 80, 87, 342 Ordnung 187-188, 371-372 Orientierung 20-21 Pantheismus 32, 259, 441 Person 74-76, 132, 133, 158, 182, 193-195, 220, 250-251, 306, 334, 365-366, 374375, 376 Philosophie 342-343 –, dialogische 13, 17, 25 –, moderne 137-138 Politik 367, 371 Prinzip, dialogisches 196, 332

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Sachregister Propaganda 222-223 Realphantasie 206, 221, 225 Religion 27-29, 105, 109, 129, 155, 168, 170, 180, 284, 341 Religiosität 155 Rosenzweig, Franz –, Stern der Erlösung 30, 231, 435 Rückbiegung 133-134 Samuel 120 Saul 374 Schechina 33 Schein 217-218, 222, 226 Schicksal 69-70, 71 Schöpfung 52, 53, 86, 98, 128, 132, 164, 166-167, 178, 344 Sinn 69, 72, 103-104 Sozialismus, religiöser 266 Soziologie 214 Sprache 60, 99, 115, 123, 127-128, 137, 204-205, 276, 288, 360 Staat 66-67, 189, 191, 371, 372, 373, 375 Theologie 170, 189 Tier 190, 198-199, 202, 204-205, 207, 244, 397 Tod 340 Tora 30 Tragödie 336 Trieb, böser 66, 68

457 Umkehr 71, 74, 80, 97, 100, 107, 109, 283, 307, 344 Umwelt 198 Urdistanz 13, 27, 197, 201, 397 Verantwortung 127, 129, 157-158, 179, 180, 181, 182, 184, 192, 193, 195, 351, 352, 362, 365, 369, 370, 374-376 Vergegenwärtigung 206-207, 225, 406 Verhängnis 71, 72, 73 Versenkungslehre 90-91, 93 Verwirklichung 20-21 Wahrheit 158-160, 193-195, 365, 374, 375376 Wahrnehmung 121 Weisheit 110 Welt 57, 199-200, 352-353 –, Du- 62, 69, 97, 285 –, Es- 58, 59, 65, 67-70, 72, 74, 83, 94, 97, 100, 285 Das Werdende Zeitalter 329 Wesen, öffentliches 172-175, 184, 189-190, 192, 194, 366-368, 369, 375, 376 Wiener Rundschau 16 Willkür 72, 73, 107 Wirklichkeit 75 Wirtschaft 66-67 Zionismus 266 Zwiesprache 117, 132, 135, 139, 144, 146 Zwischenmenschliches 16, 214-215, 216, 217, 221, 222, 224, 226, 348, 406, 408

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Personenregister Aegidius von Assisi (1190-1262): von 1208 an Jünger des heiligen Franziskus. 116, 357 Aischylos (525 v. Chr.-456 v. Chr.): gehörte mit ! Euripides und ! Sophokles zu den drei großen altgriech. Tragödiendichtern. 336 Amenophis IV/Echnaton (1353-1336/1351-1334 v. Chr.): altägypt. König der 18. Dynastie (Neues Reich). 340 Amiel, Henri-Frédéric (1821-1881): schweiz. Schriftsteller und Philosoph. 343 Augustinus von Hippo (354-430): Kirchenlehrer und Philosoph der Spätantike; zunächst einem manichäischen Glauben anhängend ließ er sich 380 taufen und wurde zu einem der ersten und einflussreichsten Denker einer platonisch geprägten christlichen Philosophie. 153, 366, 385 Averroes, eigentlich Mohamed Ibn Ruschd (1126-1198): in Spanien geborener arabischer Philosoph, Jurist, Arzt und Schriftsteller; bedeutender Vordenker der islamischen Aufklärung. 14 Barth, Karl (1886-1968): bedeutender schweiz. evangelisch-reformierter Theologe und radikaldemokratischer Sozialist; Begründer der Dialektischen Theologie und Mitbegründer der Bekennenden Kirche. 238-240, 271, 363, 372, 414, 416, 425 Baumgardt, David (1890-1963): dt.-jüd. Philosoph; bis 1935 als außerordentlicher Professor für Philosophie an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität. 256, 436, 442 Beethoven, Ludwig van (1770-1827): dt. Komponist. 299 Bergman(n), Samuel Hugo (1883-1975): österr. Philosoph und Zionist; Mitglied des Vereins jüdischer Hochschüler Bar Kochba in Prag; Freund Bubers; 1920 Emigration nach Palästina; erster Direktor der Jüdischen Nationalbibliothek; ab 1935 Prof. für moderne Philosophie an der Hebräischen Universität Jerusalem, deren Rektor er 1935-1938 war. 268, 270, 397 Bergson, Henri (1859-1941): franz. Philosoph jüd. Herkunft; 1927 Nobelpreis für Literatur; bedeutender Vertreter der Lebensphilosophie. 323 Bertocci, Peter Anthony (1910-1989): US-amerik. Philosoph; Professor für Philosophie an der Boston University. 257, 258-259, 436, 440 Binswanger, Ludwig (1881-1966): schweiz. Psychiater und Psychoanalytiker. 363 Böhme, Jakob (1575-1624): dt. Mystiker, Philosoph und christlicher Theosoph. 17, 359 Borel, Henri (1869-1933): niederl. Schriftsteller. 358 Borges, Jorges Luis (1899-1986): argent. Erzähler, Essayist und Lyriker; Wegbereiter der modernen hispanischen Literatur. 34-35 Brunner, Emil (1889-1966): schweiz. evangelisch-reformierter Theologe. 235, 271, 363, 416, 423

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Bruno, Giordano (1548-1600): ital. Naturphilosoph; wegen ketzerischer Lehren verbrannt. 299 Buber, Paula (1877-1958): Ehefrau Martin Bubers; Schriftstellerin. 13, 32, 331 Buddha, eigentlich Siddhartha Gautama (um 560 v. Chr.-480 v. Chr.): Religionsstifter, Begründer des Buddhismus. 92-93, 327 Calvin, Johannes (1509-1564): franz. Reformator; verhalf der Reformation zum Durchbruch in Westeuropa. 119, 358 Cohen, Hermann (1842-1918): dt.-jüd. Philosoph; Vertreter des Neukantianismus. 231, 233, 272 Cullberg, John (1895-1983): schwed. luth. Theologe und Bischof. 272 Dante, Alighieri (1265-1321): ital. Dichter und Philosoph; Verfasser der Göttlichen Komödie. 267, 328 Däubler, Theodor (1876-1934): österr.-dt. Schriftsteller, Lyriker, Erzähler und Kunstkritiker. 358 Descartes, René (1596-1650): franz. Philosoph, Mathematiker und Naturwissenschaftler. 235, 424, 436 Diamond, Malcolm L. (1924-1997): Prof. für Religion und Religionsphilosophie an der Princeton University. 253, 255, 428, 436 Dilthey, Wilhelm (1833-1911): dt. Philosoph, Geistes- und Literaturhistoriker; etablierte die Geisteswissenschaften als eigene Disziplin. 13-15, 16, 17, 322 Dumont, Louise (1862-1932): dt. Schauspielerin und Intendantin; zus. mit ihrem Mann ! Gustav Lindemann gründete sie 1905 das Düsseldorfer Schauspielhaus. 331 Ebner, Ferdinand (1882-1931): österr. Pädagoge und Philosoph; gehört neben Buber zu den Begründern der Dialogphilosophie. 209, 211, 232, 233, 235, 271, 405, 422 Eeden, Frederik van (1860-1932): niederl. Psychologe, Sozialreformer und Schriftsteller. 358 Ehrenberg, Hans (1883-1958): dt. prot. Theologe jüdischer Abstammung; Mitbegründer der Bekennenden Kirche. 231, 234, 396, 421, 423 Elijahu (auch Elija / Elia): biblischer Prophet im Nordreich des 9. Jh. v. Chr. 120 Emerson, Ralph Waldo (1803-1882): US-amerik. Philosoph, Essayist und Schriftsteller. 34 Epiktet (50- um 138): antiker griech. Philosoph; Vertreter der späten Stoa. 337 Euripides (480 o. 485/484 v.-406 v. Chr.): klass. griech. Dramatiker. 336-337 Fichte, Johann Gottlieb Fichte (1772-1814): dt. Philosoph; bestimmte mit seiner Wissenschaftslehre (1794) maßgeblich die Entwicklung des deutschen Idealismus. 404

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Feuerbach, Ludwig (1804-1872): dt. Philosoph und Religionskritiker. 16-17, 137, 153, 229, 230, 234, 239, 272, 360, 414 Foligno, Angela von (1248-1309): ital. Mystikerin und Franziskanerin; Heilige der röm.-kath. Kirche. 327 Franciscus von Assisi (1181/1182-1226): Ordensgründer der Franziskaner, einer der ersten Bettelorden der Kirchengeschichte. 17 Friedman, Maurice Stanley (1921-2012): US-amerik. Philosoph; machte Bubers Denken in der englischsprachigen Welt bekannt. 424, 427, 436 Gerson, Hermann (1908-1989): dt.-jüd. Jugendführer; Gründer der Werkleute, eines zionistischen Bundes; 1933/34 Auswanderung nach Palästina; führender Erziehungswissenschaftler der Kibbuzbewegung; in jungen Jahren Schüler Bubers. 322, 362 Goethe, Johann Wolfgang von (1749-1832): dt. Dichter und Universalgelehrter; bedeutendster Repräsentant der dt. Klassik. 14, 32, 33, 77, 156, 376, 387 Gogarten, Friedrich (1887-1967): dt. prot. Theologe; mit u. a. ! Karl Barth Mitbegründer der dialektischen Theologie; trat 1933 den Deutschen Christen bei, einer rassistischen und antisemitischen Vereinigung des deutschen Protestantismus, von der er sich kurze Zeit später allerdings wieder distanzierte. 188-189, 191, 234, 238, 271, 363, 372, 373, 394, 423 Grimm, Jakob (1785-1863): dt. Sprach- und Literaturwissenschaftler; Begründer der dt. Philologie und Altertumswissenschaft. 138, 360 Grisebach, Eberhard (1880-1945): dt. Philosoph und Pädagoge; Mitbegründer der Dialogischen Ich-Du Philosophie der zwanziger und dreißiger Jahre; befreundet mit ! Karl Barth und ! Friedrich Gogarten. 236 Grünewald, Matthias (um 1480-1528): dt. Maler; gestaltete den »Isenheimer Altar«, der die Stationen Christi nachzeichnet. 361 Gutkind, Erich (1877-1965): dt.-jüd. Philosoph. 358 Hamann, Johann Georg (1730-1788): dt. Schriftsteller und Philosoph. 232 Hammarskjöld, Dag (1905-1961): schwed. Politiker; Generalsekretär der Vereinten Nationen (1953-1961); Friedensnobelpreis (1961). 427 Hechler, William Henry (1845-1931): anglikan. Geistlicher; Unterstützer ! Theodor Herzls zionistischer Bestrebungen; unterhielt freundschaftliche Kontakte zum jungen Buber. 24-25 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (1770-1831): dt. Philosoph; wichtigster Vertreter des deutschen Idealismus. 17, 157, 387 Heidegger, Martin (1889-1976): dt. Philosoph, der Existenzphilosophie zugerechnet; 1928 Nachfolger ! Edmund Husserls in Freiburg; zeitweiliger Fürsprecher des Nationalsozialismus. 272, 363 Heim, Karl (1874-1958): dt. prot. Pfarrer und Professor für Systematische Theologie. 234, 271, 423

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Heraklit, Heraklit von Ephesos (um 520 v. Chr. – um 460 v. Chr.): vorsokratischer Philosoph. 157, 388 Herrigel, Hermann (1888-1973): dt. Journalist; bis 1935 Redakteur der Frankfurter Zeitung. 363 Herschel, William, eigentlich Friedrich Wilhelm (1738-1822): dt.-brit. Astronom und Musiker; Entdecker des Planeten Uranus und seiner Monde. 404 Herzl, Theodor (1860-1904): österr.-jüd. Schriftsteller, Publizist und Politiker; theoretischer Begründer des modernen politischen Zionismus; Mitbegründer der Zionistischen Weltorganisation, deren erster Präsident er von 1897-1904 war; Vorsitzender der ersten sechs Zionistenkongresse. 267 Hillel (gest. ca. 9 n. Chr.): pharisäischer Rabbiner zur Zeit des Zweiten Tempels; steht für eine weniger strenge Gesetzespraxis, die sich im Judentum durchgesetzt hat. 324 Hodes, Aubrey (Lebensdaten nicht ermittelt): israel. Journalist und Übersetzer; Schüler Bubers und Verfasser mehrerer Werke über Buber. 23 Hölderlin, Friedrich (1770-1843): dt. Dichter. 299 Horwitz, Rivka (1926-2007): israel. Philosophin und Professorin für jüdische Philosophie und Geistesgeschichte. 32, 266 Humboldt, Wilhelm von (1767-1835): preuß. Gelehrter, Sprachphilosoph, Schriftsteller und Staatsmann. 137, 360 Hume, David (1711-1776): schott. Philosoph, Ökonom und Historiker. 15, 158 Husserl, Edmund (1859-1938): österr. Philosoph jüd. Herkunft; Begründer der Phänomenologie. 272 Jacobi, Friedrich Heinrich (1743-1819): dt. Philosoph und Schriftsteller. 229-231, 234, 272, 414, 419 James, William (1842-1910): US-amerik. Philosoph. 231 Jaspers, Karl (1883-1969): dt. Philosoph; einflussreicher Vertreter der Existenzphilosophie. 211, 235, 236, 237-238, 272, 405, 414 Jesus von Nazareth (gest. ca. 30 n. Chr.): zentrale Gründergestalt des Christentums. 33, 46, 77, 118, 131, 389, 340 Jodl, Friedrich (1849-1914): dt. sozialliberaler Philosoph; Religionskritiker und Vertreter des kritischen Realismus; Mitherausgeber der Werke ! Ludwig Feuerbachs. 16 Kant, Immanuel (1724-1804): einflussreicher dt. Aufklärungsphilosoph; sein Werk wurde zur Grundlage der modernen Philosophie. 15, 17, 94, 158, 224, 321, 343, 390 Kaufmann, Walter (1921-1980): US-amerik. Sozialphilosoph und Religionswissenschaftler dt.-jüd. Herkunft; übersetzte u. a. Bubers Ich und Du neu ins Englische (1970). 32-33, 321, 322, 324, 328 Kierkegaard, Sören (1813-1855): dän. Philosoph und Schriftsteller; Vorläufer der modernen Existenzphilosophie. 153-154, 155-161, 163, 164-169, 171-173, 179,

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184, 188, 195, 230, 231-232, 234, 272, 328, 343, 362, 365-367, 368, 369, 372, 376, 380, 385, 391, 392, 428 Konfuzius (ca. 551-479 v. Chr.): chines. Philosoph u. Lehrer; steht am Anfang der chines. klass. Philosophie. 239 Landauer, Gustav (1870-1919): dt. Schriftsteller und Anarchist jüd. Herkunft; seit 1900 eng mit Buber befreundet; ab Herbst 1918 in der Münchener Revolution aktiv; 1919 Ermordung durch gegenrevolutionäre Milizionäre; besorgte den dreizehnten Band Die Revolution (1907) in der von Buber herausgegebenen Reihe Die Gesellschaft. 329, 358, 412 Landgrebe, Ludwig (1902-1991): österr. Philosoph und Phänomenologe. 235 Lavater, Johann Caspar (1741-1801): schweiz. reformierter Pfarrer, Philosoph und Schriftsteller. 229, 419 LeFevre, Perry (1921-2006): US-amerik. Theologe; Professor für Constructive Theology am Chicago Theological Seminary. 252, 436, 441 Leibniz, Gottfried Wilhelm (1646-1716): dt. Philosoph, Mathematiker und Universalgelehrter. 235, 424 Levinas, Emmanuel (1905-1995): aus Litauen stammender franz.-jüd. Philosoph. 273 Lindemann, Gustav (1872-1960): dt. Theaterleiter, Regisseur; gründete 1904 gemeinsam mit seiner Frau ! Louise Dumont das Düsseldorfer Schauspielhaus. 331 Litt, Theodor (1880-1962): dt. Pädagoge und Kulturphilosoph. 235 Locke, John (1632-1704): engl. Philosoph. 15 Löwith, Karl (1897-1973): dt. Philosoph jüd. Herkunft. 235 Ludwig von Frankreich (1214-1270): König von Frankreich; führte zwei Kreuzzüge an; gilt als Vorbild eines christlichen Königs; 1297 heiliggesprochen. 116, 357 Luther, Martin (1483-1546): dt. Reformator, Augustinermönch und Theologe. 119, 132, 165-166, 173, 390 Malebranche, Nicolas (1638-1715): franz. Priester, Theologe und rationalistischer Philosoph; Hauptvertreter des Cartesianismus. 329, 390 Marc Aurel (121-180): röm. Kaiser (161-180) und Philosoph; Vertreter der jüngeren Stoa. 337 Marcel, Gabriel (1889-1973): franz. Philosoph und Schriftsteller; bedeutendster Vertreter des französischen Existentialismus. 211, 235, 273, 405 Marcion (ca. 85-160): begründete eine von der Kirche bekämpfte Glaubensbewegung, die dualistisch-gnostische Lehren vertrat. 390 Mauthner, Fritz (1849-1923): österr. Schriftsteller und Philosoph; bekannt durch seine sprachphilosophischen Schriften; eng befreundet mit Gustav Landauer; seit 1905 bekannt mit Martin Buber. 268 Meister Eckhart, Eckhart von Hochheim (um 1260-1328): spätmittelalterlicher Theologe, scholastischer Philosoph und Hauptvertreter der »deutschen Mystik«. 250, 327, 393

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Michel, Wilhelm (1877-1942): dt. Schriftsteller; 1906-1930 Mitarbeiter der radikaldemokratischen bürgerlichen Zeitschrift Die Schaubühne (1918 in Die Weltbühne umbenannt); 1925 Georg-Büchner-Preis, mit Buber befreundet. 271, 363 Michelangelo di Lodovico Buonarroti Simoni (1475-1564): ital. Maler, Bildhauer, Baumeister und Dichter. 299 Napoleon Bonaparte (1769-1821): franz. General und Staatsmann; 1799 Konsul; 1804-1815 franz. Kaiser. 78, 79, 278, 279, 280, 281 Nédoncelle, Maurice (1905-1976): franz. Philosoph; unterrichtete an der Theologischen Fakultät der Universität von Strasbourg. 254, 436, 442 Nietzsche, Friedrich Wilhelm Nietzsche (1844-1900): dt. Philosoph, klassischer Philologe und Dichter; beeinflusste die Lebensphilosophie und den Ästhetizismus der Jahrhundertwende. 103, 163, 185, 246, 285, 323, 343, 370, 428 Novalis, eigentlich Georg Philipp Friedrich von Hardenberg (1772-1801): dt. Schriftsteller und Philosoph der Frühromantik. 137, 360 Olsen, Regine (1822-1904): mit Sören Kierkegaard verlobt, der die Verbindung 1841 löste. 153, 165, 169-170, 362, 385 Otto, Rudolf (1869-1937): dt. Religionswissenschaftler und prot. Theologe. 326 Paracelsus, eigentlich Theophrastus Bombast von Hohenheim (1493/1494-1541): schweiz. Arzt, Naturforscher, Alchemist, Theologe und Mystiker. 89, 327 Pascal, Blaise (1623-1662): franz. Religionsphilosoph, Mathematiker und Physiker. 153, 170, 343, 366, 385, 390 Pater, Friedrich (1891-1954): dt.-jüd. Publizist. 211, 405 Paulus, Paulus von Tarsos (ca. 10 – nach 60): christl. Apostel der Heidenmission, der vom Verfolger zum eifrigen Verbreiter der neuen Lehre wurde; formulierte erste Grundlehren des entstehenden Christentums. 33, 186, 370, 372 Petrus (gest. ca. 65): Jünger des ! Jesus von Nazareth. 33 Platon (427-347 v. Chr.): antiker griech. Philosoph. 117, 136-137, 163, 250, 325, 337, 358, 432 Plinius der Ältere (23/24-79): röm. Gelehrter, Historiker und Schriftsteller. 30 Protagoras (ca. 490 v. Chr.-ca. 411 v. Chr.): antiker griech. Philosoph, zählt zu den bedeutendsten Vertretern des Sophismus. 154, 157, 386 Rabbi Nachum, Nachum von Stepinescht (1813-1868): chassidischer Rabbiner; Sohn von Israel von Rižin. 351 Rang, Florens Christian (1864-1924): dt. prot. Theologe und Schriftsteller; Mitglied des Forte-Kreises; mit Buber befreundet. 358 Rappaport, Felix (Lebensdaten nicht ermittelt): Herausgeber der Wiener Rundschau. 16 Rappeport, Elijahu (1889-1952): jüd.-österr. Schriftsteller; mit Buber befreundet; 1920 Auswanderung nach Palästina. 267

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Rosenstock-Huessy, Eugen (1888-1973): dt. Rechtshistoriker, Soziologe und Kulturphilosoph jüdischer Herkunft; ab 1933 in den USA; mit ! Rosenzweig befreundet. 231, 234, 421, 423 Rosenzweig, Franz (1886-1929): dt.-jüd. Philosoph; übersetzte mit Buber die Bibel; 1919 Leiter der jüdischen Volkshochschule (ab 1920 Freies Jüdisches Lehrhaus); anders als Buber vertrat er eine Rückbesinnung auf das traditionelle Judentum und stand dem Zionismus kritisch gegenüber. 27, 28-30, 32, 35, 209, 211, 231, 233, 269, 270, 405, 421 Rotten, Elisabeth (1882-1964): dt. Reformpädagogin und Friedensaktivistin; mit Buber befreundet. 325, 330 Sartre (1905-1980): franz. Philosoph und Schriftsteller. 219, 272 Schaeder, Grete (1903-1990): dt. Germanistin und Privatgelehrte; Verfasserin einer Buber-Biographie und Herausgeberin seines Briefwechsels. 33 Scheler, Max (1874-1928): dt. Philosoph, Anthropologe und Soziologe. 235 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von (1775-1854): dt. Philosoph des Idealismus, den er zusammen mit ! Hegel und ! Fichte maßgeblich prägte; philosophischer Hauptvertreter der Romantik. 359 Schilpp, Paul Arthur (1897-1993): US-amerik. Philosoph und Methodisten-Geistlicher; von 1939-1981 Herausgeber der Library of Living Philosophers. 272 Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst (1768-1834): dt. prot. Theologe, Philosoph, Altphilologe und Pädagoge. 326 Schmidt, Karl Ludwig (1891-1956): dt. prot. Theologe und Professor für Neues Testament. 363 Schmitt, Carl (1888-1985): dt. Staatsrechtler; bereitete mit seiner Theorie des Ausnahmezustands den nationalsozialistischen Terror vor; verteidigte 1935 die Nürnberger Rassengesetze. 186-188, 363, 370-372, 394 Schopenhauer, Arthur (1788-1860): dt. Philosoph; vertritt einen empirischen und metaphysischen Pessimismus. 321 Schütz, Alfred (1899-1959): österr. Philosoph jüdischer Herkunft. 272 Schweitzer, Albert (1875-1965): dt.-franz. Arzt, protest. Theologe, Philosoph, Musikwissenschaftler und Pazifist; Friedensnobelpreisträger. 363 Servetos, Miguel (1511-1553): span. Arzt und humanistischer Gelehrter; wurde wegen Zweifel an der Trinitätslehre nicht zuletzt auf Betreiben ! Calvins verbrannt. 119, 358 Simon, Ernst Akiba (1899-1988): dt.-jüd. Historiker, Pädagoge, Religionsphilosoph; 1923-28 Redakteur der von Buber herausgegebenen Zeitschrift Der Jude; 1928 Emigration nach Palästina; ab 1939 Dozent für Geschichte und Philosophie der Pädagogik und 1950-1967 Pädagogikprofessor an der Hebräischen Universität Jerusalem. 332, 357 Simmel, Georg (1858-1918): dt. Soziologe und Philosoph; Mitbegründer der Soziologie; hatte bedeutenden Einfluss u. a. auf das Denken Martin Bubers, Georg Lukaćs oder Max Webers. 13, 16

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Smith, Ronald Gregor (1913-1968): Professor für Religionswissenschaft an der Universität von Glasgow; Übersetzer von Bubers philosophischen Schriften ins Englische. 271, 323, 324, 328, 393, 395, 414 Sokrates (469-399 v. Chr.): antiker griech. Philosoph. 77, 154, 157, 325, 337, 387 Sombart, Werner (1863-1941): dt. Nationalökonom und Soziologe. 412 Sophokles (496 v. Chr.-406 v. Chr.): neben ! Aischylos und ! Euripides der bedeutendste altgriech. Tragödiendichter. 336 Spengler, Oswald (1880-1936): dt. Geschichtsphilosoph u. Kulturkritiker; Vertreter der sog. »Konservativen Revolution«; mit seinem Hauptwerk Der Untergang des Abendlandes (2 Bände 1918 u. 1922) wurde er schlagartig berühmt. 185-186, 369-370, 393 Spinoza, Baruch de (1632-1677): niederl. Philosoph jüdischer Herkunft; Begründer der mod. Bibel- und Religionskritik. 250, 343, 390 Steinbüchel, Theodor (1888-1949): dt. kath. Theologe und Philosoph. 271 Stendhal, eigentlich Marie-Henri Beyle (1783 – 1842): franz. Schriftsteller und Politiker. 156, 386 Stirner, Max, eigentlich Johann Caspar Schmidt (1806-1856): dt. Philosoph und Journalist; vertrat einen individualistischen Anarchismus. 153-154, 156-161, 195, 362, 365, 385, 387, 388 Strauss, Ludwig (1892-1953); dt.-jüd. Schriftsteller und Literaturwissenschaftler; mit Bubers Tochter verheiratet: 267 Strawinski, Igor (1882-1971): russ. Komponist und Dirigent. 124, 359 Theunissen, Michael (1932-2015): dt. Philosoph. 272 Thieberger, Friedrich (1888-1958): österr.-jüd. Religionsphilosoph und Publizist. 252, 441 Thieme, Karl (1902-1963): dt. Historiker, Politologe und Theologe; engagierte sich für den jüdisch-christlichen Dialog. 422 Trüb, Hans (1889-1949): schweiz. Arzt und Psychotherapeut. 272, 362 Tschechow, Anton Pawlowitsch (1860-1904): russ. Schriftsteller und Dramatiker. 219, 413 Uexküll, Jakob Johann von (1864-1944): baltischer Biologe, Zoologe, Verhaltensforscher und Philosoph; führte den Begriff der Umwelt in die Biologie ein und war ein Wegbereiter der Ökologie. 397, 403 Villers, Alexander von (1812-1880): österr. Diplomat und Schriftsteller. 413 Weber, Max (1864-1920): bedeutender dt. Rechtswissenschaftler, Nationalökonom und Soziologe. 29 Weizsäcker, Viktor von (1886-1957): dt. Mediziner, Physiologe, Anthropologe; 1926-29 Mitherausgeber der Zeitschrift Die Kreatur (1926-1930) mit Martin Buber und ! Joseph Wittig. 149, 210, 361, 362

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Weltsch, Robert (1891-1982): deutschsprachiger Publizist, Journalist und Zionist; Mitglied in der Prager Vereinigung Bar Kochba; 1919-1938 Chefredakteur und Mitherausgeber der Zeitschrift Jüdische Rundschau; 1938 Emigration nach Palästina; nach dem Zweiten Weltkrieg lebte er in England; ab 1955 Leiter des Londoner Leo Baeck Instituts; mit Buber befreundet. 268 Wilker, Karl Hermann (1885-1980): dt. Reformpädagoge; gründete 1922 mit ! Elisabeth Rotten die deutschsprachige Sektion des Weltbundes für Erneuerung in der Erziehung, und gab mit ihr die Zeitschrift Das Werdende Zeitalter heraus. 330 Wittig, Joseph (1879-1949): dt. kath. Kirchenhistoriker, Priester und Schriftsteller; 1926 exkommuniziert; 1926-1929 Mitherausgeber der Zeitschrift Die Kreatur zusammen mit Martin Buber und Viktor von Weizsäcker; 1948 Aufhebung der Exkommunikation. 149, 210, 362 Zwingli, Huldrych (Ulrich) (1484-1531): schweiz. Theologe; legte die Grundlage für die reformierte Kirche in der Schweiz. 358