Marcelli Ratio: Die Argumentationsweise Des Hochklassischen Juristen Ulpius Marcellus 9783428146314, 9783428546312, 9783428846313, 342814631X

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Marcelli Ratio: Die Argumentationsweise Des Hochklassischen Juristen Ulpius Marcellus
 9783428146314, 9783428546312, 9783428846313, 342814631X

Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
A. Einleitung
I. Gegenstand und Intention der Untersuchung
II. Auswahl der Textstellen
1. Formelle Kriterien
2. Ausnahmen
III. Arten von Entscheidungsbegründungen
B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung
I. Unvermittelte Rechtsfindung
1. Argumentation mit induktivem Schwerpunkt
a) Gegenüberstellung von Personen und Instituten
b) Fallvergleiche mit deduktiven Elementen
aa) Tertium comparationis
bb) Schlüsse aus Gesetzen
cc) Schlüsse aus Honorarrecht
dd) Schlüsse aus Juristenrecht
2. Deduktion
a) Subsumtion unter Gesetze und Senatsbeschlüsse
b) Subsumtion unter Ediktsvorschriften
c) Subsumtion unter Juristenregeln
II. Rechtsfindung mittels Auslegung
1. Interpretation von Gesetzen
a) Ratio legis
b) Gesetzesauslegung mittels Deduktion
2. Interpretation von Honorarrecht
a) Ratio edicti
b) Ediktsauslegung mit induktivem Schwerpunkt
c) Ediktsauslegung mittels Deduktion
3. Weiterentwicklung des Juristenrechts
a) Induktive Fortbildung einer Regel
b) Deduktive Fortbildung einer Regel
4. Interpretation von Rechtsgeschäften
a) Auslegung von Rechtsgeschäften unter Lebenden
aa) Rationes stipulationem interpretandi
bb) Vertragsauslegung mittels Deduktion
b) Auslegung von Testamenten
aa) Verba und voluntas
bb) Testamentsauslegung mit induktivem Schwerpunkt
cc) Deduktion
C. Rechtsfindung außerhalb der Rechtsordnung
I. Interessenabwägung im Einzelfall
1. Vermeidung unbilliger Nachteile
2. Vermeidung unbilliger Vorteile
II. Überindividuelle Wertungen
1. Schutzwürdige Personengruppen
2. Allgemeine Wertungen
D. Ergebnisse
I. Statistischer Überblick
II. Vergleichende Auswertung der Zahlen
III. Vermutung der Kürzung von Begründungen
IV. Liber singularis responsorum
V. Notae ad Iuliani digesta
Literaturverzeichnis
Sachverzeichnis

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Schriften zur Rechtsgeschichte Band 171

Marcelli ratio Die Argumentationsweise des hochklassischen Juristen Ulpius Marcellus

Von

Arndt Christoph Hendel

Duncker & Humblot · Berlin

ARNDT CHRISTOPH HENDEL

Marcelli ratio

Schriften zur Rechtsgeschichte

Band 171

Marcelli ratio Die Argumentationsweise des hochklassischen Juristen Ulpius Marcellus

Von

Arndt Christoph Hendel

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Bayerischen Julius-Maximilians-Universität Würzburg hat diese Arbeit im Jahre 2014 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2015 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0720-7379 ISBN 978-3-428-14631-4 (Print) ISBN 978-3-428-54631-2 (E-Book) ISBN 978-3-428-84631-3 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

parentibus meis

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2014 / 2015 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Julius-Maximilians-Universität Würzburg als Dissertation angenommen. An erster Stelle möchte ich meinem verehrten Lehrer Professor Jan Dirk Harke größten Dank für seine langjährige Unterstützung aussprechen. Er weckte in seinen Vorlesungen mein Interesse an den Schriften der römischen Juristen, prägte meine Ausbildung nachhaltig und förderte das Entstehen dieser Arbeit in vielfacher Weise. Mein ebenso herzlicher Dank gilt Professor Steffen Schlinker für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Meinen Kollegen und Freunden am Institut für Rechtsgeschichte danke ich für ihre stete Diskussions- und Hilfsbereitschaft. Dabei sei besonders Melanie Thiemann und Norbert Schnellhammer für ihre Mühen gedankt, die sie für die Anfertigung der corrigenda auf sich genommen haben. Außerordentlicher Dank gebührt schließlich Julia Schaller, die mir bei der Interpretation der lateinischen Stellen mit ihren akribischen Recherchen, fundierten Ratschlägen und aufwändigen Korrekturarbeiten eine überaus wertvolle Hilfe war. München, im März 2015

Arndt Christoph Hendel

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 I. Gegenstand und Intention der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 II. Auswahl der Textstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 1. Formelle Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 2. Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 III. Arten von Entscheidungsbegründungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 I. Unvermittelte Rechtsfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 1. Argumentation mit induktivem Schwerpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 a) Gegenüberstellung von Personen und Instituten . . . . . . . . . . . . . . 26 b) Fallvergleiche mit deduktiven Elementen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 aa) Tertium comparationis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 bb) Schlüsse aus Gesetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 cc) Schlüsse aus Honorarrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 dd) Schlüsse aus Juristenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 2. Deduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 a) Subsumtion unter Gesetze und Senatsbeschlüsse . . . . . . . . . . . . . 83 b) Subsumtion unter Ediktsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 c) Subsumtion unter Juristenregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 II. Rechtsfindung mittels Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 1. Interpretation von Gesetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 a) Ratio legis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 b) Gesetzesauslegung mittels Deduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 2. Interpretation von Honorarrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 a) Ratio edicti . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 b) Ediktsauslegung mit induktivem Schwerpunkt . . . . . . . . . . . . . . . 135 c) Ediktsauslegung mittels Deduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 3. Weiterentwicklung des Juristenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 a) Induktive Fortbildung einer Regel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 b) Deduktive Fortbildung einer Regel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 4. Interpretation von Rechtsgeschäften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 a) Auslegung von Rechtsgeschäften unter Lebenden . . . . . . . . . . . . 152 aa) Rationes stipulationem interpretandi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 bb) Vertragsauslegung mittels Deduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 b) Auslegung von Testamenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157

10 Inhaltsverzeichnis aa) Verba und voluntas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 bb) Testamentsauslegung mit induktivem Schwerpunkt . . . . . . . . 160 cc) Deduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 C. Rechtsfindung außerhalb der Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 I. Interessenabwägung im Einzelfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 1. Vermeidung unbilliger Nachteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 2. Vermeidung unbilliger Vorteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 II. Überindividuelle Wertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 1. Schutzwürdige Personengruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 2. Allgemeine Wertungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 D. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 I. Statistischer Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 II. Vergleichende Auswertung der Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 III. Vermutung der Kürzung von Begründungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 IV. Liber singularis responsorum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 V. Notae ad Iuliani digesta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 Verzeichnis der Hauptquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265

Μάλιστα δὲ τὸ παραχωρητικὸν ἀβασκάνως τοῖς δύναμίν τινα κεκτημένοις, οἷον τὴν φραστικὴν ἢ τὴν ἐξ ἱστορίας νόμων ἢ ἐθῶν ἢ ἄλλων τινῶν πραγμάτων, καὶ συσπουδαστικὸν αὐτοῖς, ἵνα ἕκαστοι κατὰ τὰ ἴδια προτερήματα εὐδοκιμῶσι·. Insbesondere zeichnete ihn aber aus, dass er denjenigen, die irgendeine besondere Fähigkeit innehatten, wie etwa die Redekunst, die aus der Wissenschaft gewonnene Rechtskunde, die Kenntnis des menschlichen Verhaltens oder anderer Dinge, ohne Missgunst den Vortritt ließ und dass er sich darum bemühte, dass ein jeder seinen eigenen Vorzügen gemäß Anerkennung fand. Marc Aurel, Τὰ εἰς ἑαυτόν, Erstes Buch, 16 über seinen Adoptivvater Antoninus Pius

A. Einleitung I. Gegenstand und Intention der Untersuchung Während Historiker bei der Beschäftigung mit den großen Philosophen, Staatsmännern und Künstlern der Antike in vielen Fällen ein detailliertes Bild zu deren Leben und Persönlichkeit aus zeitgenössischen Quellen entwerfen können, muss sich der rechtsgeschichtlich interessierte Romanist mit nicht viel mehr als einem Namen zufrieden geben. Denn neben einigen kargen Fakten über Herkunft und politische Karriere ist uns von den römischen Juristen nichts als der Niederschlag ihrer Entscheidungstätigkeit überliefert. So stellt die Untersuchung dieser Texte auf ihre rhetorischen und methodischen Eigenarten die einzige Möglichkeit dar, den Autoren als Rechtswissenschaftlern und individuellen Charakteren ein Stück weit näher zu kommen. Doch hat sich in den vier Jahrzehnten nach Horaks großer Studie zu den Entscheidungsbegründungen der veteres das Verhältnis der rechtsgeschichtlichen Abhandlungen mit methodologischen Bezügen im Vergleich zu den vielen Arbeiten „über minuziöse Teilprobleme“ nicht wesentlich verändert, ist der erhoffte „Wandel des Interesses“ an Methodenfragen ausgeblieben.1 Zu Leben und Werk des im zweiten nachchristlichen Jahrhundert unter Antoninus Pius und den divi fratres tätigen Konsiliarjuristen Ulpius Marcellus ist das Wenige, was aus den juristischen und sonstigen Quellen geschlossen werden kann, an anderer Stelle bereits festgehalten und noch einiges mehr spekuliert worden.2 Die vorliegende Arbeit widmet sich der Erforschung seines Vorgehens bei der Begründung einer juristischen Entscheidung.3 Sie soll in erster Linie als Ergänzung der Arbeiten über die Argumentationsweise der älteren Jurisprudenz, des Iuventius Celsus und des Salvius Iulianus verstanden werden.4 Dabei bleibt es jedoch nicht aus, dass 1  Horak,

Rationes decidendi, S.  3 f. ausführlichsten Darstellungen finden sich bei Rastätter, Marcelli notae ad Iuliani digesta, S. 1 ff. (mit Liebs, Jura 32 (1981), S. 282) und Ankum, Mélanges Cannata, S. 125 ff. jeweils m. w. N. 3  Ankum, Mélanges Cannata, S. 125 und Mélanges Wołodkiewicz, S. 17 beklagt die geringe Aufmerksamkeit, die dem Hochklassiker in der Romanistik zuteilwird. 4  Insbesondere soll das Resultat mit den bei Horak, Rationes Decidendi, S.  288 ff. und Harke, AI–AS, S. 339 ff. gefundenen Ergebnissen verglichen werden. 2  Die

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A. Einleitung

die einzelnen Stellen auch inhaltlich im Detail beleuchtet und die gefundenen Ergebnisse in ihren hochklassischen Kontext eingeordnet werden müssen. In der Gesamtschau wird dadurch auch eine Überprüfung der Behauptungen möglich, die in den beiden werkbezogenen Monographien zu Marcell aufgestellt werden.5 Im Rahmen der Einzelexegesen wird sich schließlich zeigen, dass die begründenden Worte nicht selten ein neues Licht auf die Entscheidung des Juristen und die Behandlung eines bestimmten Rechtsinstituts werfen. Obgleich man heute die oftmals pauschalen Interpolationsverdächtigungen der älteren Literatur sehr kritisch zu beurteilen pflegt und selbst die Echtheit der Begründungssätze kaum einmal in Frage gestellt wird, findet der Wert, den Passagen mit begründendem Charakter für die Erfassung des Sinngehalts einer Stelle haben können, noch immer zu wenig Anklang. Stattdessen werden nicht selten Entscheidungsmotivationen vermutet und in den Vordergrund gerückt, die sich dem heutigen Leser aufgrund des Sachverhalts und der vorgeschlagenen Lösung aufzudrängen scheinen. Die angehängten rationes decidendi werden zwar nicht mehr gestrichen, aber häufig genug für überflüssig oder am Kern der Entscheidung vorbeigehend erklärt. Dabei enthalten die kurzen, bisweilen lakonisch wirkenden Begründungssätze doch zumindest eine Andeutung des Arguments, welches der Autor selbst aus der Menge der in Betracht kommenden Begründungen herausheben wollte.

II. Auswahl der Textstellen 1. Formelle Kriterien In Anlehnung an Horaks weite Definition sollen unter rationes decidendi alle Aussagen verstanden werden, in denen der Jurist weder einen Sachverhalt schildert oder ein bloßes Beispiel zur Verdeutlichung anführt, noch seine rechtliche Entscheidung trifft, sondern die er zum Zwecke der logischen Folgerung eines oder mehrerer Entscheidungssätze anführt.6 Die Auswahl der Stellen richtet sich also in erster Linie nach sprachlichen Merkmalen. In den meisten Fällen wird die Begründung mit nam, enim, quia usw. an die Entscheidung angeschlossen. Ab und an steht die begründende Passage aber auch vor einer Entscheidung, die dann mit ideo, itaque o. ä. eingeleitet wird. Als Argument dienende Vergleichsfälle werden in aller Regel mit quemadmodum, ac (atque) si, sicut usw. angezeigt. Darüber hinaus ist die Anzeige einer Argumentation jedoch auch auf andere Art möglich. Denn 5  Hierbei ist insbesondere einzugehen auf Rastätter, Marcelli notae ad Iuliani digesta, S. 292 ff. und Zülch, Der liber singularis responsorum, S.  202 ff. 6  Vgl. Horak, Rationes decidendi, S. 5.



II. Auswahl der Textstellen

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obwohl die Rechtsliteratur damals wie heute zu einer formelhaften Ausdrucksweise neigt, versteht es sich von selbst, dass Marcell über die sprachlichen Mittel verfügt, eine ratio decidendi in mannigfacher Weise zu kennzeichnen. Gründe und Motivationen werden berücksichtigt, wenn sie im überlieferten Text wenigstens angedeutet sind und mit ausreichender Sicherheit auf Marcell zurückgeführt werden können.7 Eine Beschäftigung mit impliziten Begründungen scheidet demgegenüber von vornherein aus, mögen sie dem heutigen Leser auch noch so evident erscheinen.8 Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass weder über eine originär römische Trivialität spekuliert noch der römischen Denkweise eine Offenkundigkeit oktroyiert wird, die in Wahrheit auf unserer heutigen Erfahrung und Rechtswissenschaft beruht. Denn selbst wenn die Vermutung im Einzelfall inhaltlich zutreffen sollte, kann eine solche Erkenntnis keinesfalls Aussagen über die Argumentationstechnik eines Juristen tragen. Alle formell zu erfassenden Begründungssätze sind also daraufhin zu prüfen, ob ihnen gegenüber dem Sachverhalt und der Entscheidung ein eigenständiger Erklärungswert zukommt.9 Nimmt man diese Prämissen ernst, muss man zunächst alle Distinktionen ausschließen, mit denen zwar mehrere, thematisch zusammengehörige Fälle und deren jeweilige Lösung nebeneinandergestellt werden, sofern es keinerlei Anzeichen für eine kausale Verknüpfung von Vergleich und Entscheidung gibt.10 Dies bedeutet aber nicht, dass alle einfachen Vergleiche ohne Angabe oder Andeutung eines tertium comparationis außer Betracht bleiben, sondern nur solche Ausführungen, die eine bloße Aneinanderreihung und Aufzählung mehrerer Entscheidungen darstellen. Die Abgrenzung kann an folgendem Beispiel veranschaulicht werden: Marcell 148 = D 29.4.7 (12 dig) QuidamTitium et Maevium instituit heredes et centum Titio legavit: uterque omissa testamento legitimam adiit hereditatem. Non probe legatorum actionem Titius postulabit. Idem, si utrique legasset. Jemand hat Titius und Maevius als Erben eingesetzt und dem Titius 100 vermacht. Jeder von beiden hat nach Ausschlagung des Testaments die gesetzliche Erbschaft angetreten. Titius wird den Anspruch auf das Vermachte nicht wirksam einfordern. Ebenso, wenn er beiden vermacht hätte. 7  Nur an solchen Stellen haben die Juristen, wie Horak, Rationes decidendi, S. 6 es ausdrückt, den „Wert oder Unwert [der Begründung] selbst zu vertreten“. 8  Dazu äußern sich Grosso, Index 2 (1971), S. 121 f. und Waldstein, ANRW II 15, S. 9 zu Unrecht kritisch. Wieacker, FS Kaser, S. 5 betont zwar, dass nur die angegebenen Gründe Außenwirkung haben können, vermutet allerdings eine begrenzte Fähigkeit der Juristen, ihre wahre Motivation treffend zu artikulieren. 9  Ebenso Horak, Rationes decidendi, S. 7 und Harke, AI–AS, S. 16. 10  Horak, Rationes decidendi, S.  79 f.

16

A. Einleitung

Das Edikt Si quis omissa causa testamenti ab intestato vel alio modo possideat hereditatem soll Legatare vor Verlusten durch die Ausschlagung der Testamentserben schützen, wenn die Ausschlagenden zugleich gesetzliche Erben sind.11 Grundsätzlich könnte der Prätor demnach auch dem Titius eine fiktizische Klage gegen Maevius erteilen, als ob dieser Testamentserbe geworden wäre. Jedoch leuchtet sofort ein, warum Marcell hiervon eine Ausnahme machen will, wenn auch Titius im Testament als Erbe eingesetzt worden ist und selbst ausgeschlagen hat. Ohne Frage ist dieser Fall nicht vom Sinn und Zweck der Regelung umfasst, da Titius die Ausschlagung selbst veranlasst hat und damit im Gegensatz zu sonstigen Legataren nicht schutzwürdig ist. Diese ratio findet sich jedoch in der überlieferten Fassung des Textes in keinem Wort angedeutet und darf daher nicht in das Ergebnis der Untersuchung einfließen. Eher noch könnte man annehmen, dass Marcell die Vergleichbarkeit zu einer ähnlichen, bereits entschiedenen Konstellation herausgestellt hat. Ein sprachlicher Hinweis auf eine solche Vergleichskonstruktion scheint in der Einleitung des letzten Satzes mit idem vorzuliegen. Bei näherer Betrachtung handelt es sich aber lediglich um die Aussage, dass die Entscheidung ebenso ausfallen würde, wenn im Testament nicht nur dem Titius, sondern zusätzlich auch dem Maevius etwas vermacht worden wäre. Das Problem liegt nicht im Fehlen einer kausalen Konjunktion im Sinne von nam, enim, quia etc., sondern darin, dass keine inhaltliche Verknüpfung mit dem Charakter einer Schlussfolgerung im Text anklingt. In den meisten anderen Fällen allerdings beschränken sich Aussagen mit quemadmodum, idem, simile est oder auch multum interest gerade nicht auf eine derartige Distinktion, sondern enthalten zumindest die Andeutung der Ableitung einer Hauptentscheidung aus einer hilfsweise herangezogenen Vergleichsentscheidung. Alle derartigen Argumentationsformen sollen als Induktion bezeichnet werden, da sie ihren Ausgang im Gegensatz zur Deduktion bei einem bestimmten Einzelfall nehmen.12 Ausschlaggebend ist, dass in der jeweiligen Stelle die Ähnlichkeit oder Unähnlichkeit der angeführten Konstellationen behauptet wird.13 Kann dies festgestellt werden, ist die Erfassung der Ausführungen auch dort geboten, wo nicht einmal eine 11  Vgl.

dazu unten D  29.4.5 (C8). wird allerdings nicht ausdrücklich auf eine allgemeine Regel geschlossen, sondern auf einen anderen konkreten Fall. Um jeglicher – ohnehin müßiger – terminologischer Diskussion aus dem Wege zu gehen, soll gleichzeitig auf eine ins Detail gehende Abgrenzung von Vergleich, Analogie und Fiktion verzichtet werden; vgl. zur Analogie: Bund, Untersuchungen zur Methode Julians, S. 97 ff.; Horak, Rationes decidendi, S.  242 ff.; Larenz, Methodenlehre, S. 381 ff., insb. S. 384 f.; Harke, AI, S. 32 ff. und zur Fiktion: Bund, Untersuchungen zur Methode Julians, S. 122 ff.; Larenz, Methodenlehre, S. 262 ff.; Harke, AI, S. 30 ff. Wie hier Giaro, SZ  105, S. 223 ff., insb. 235 ff. und mittlerweile auch Harke, AI–AS, S.  16 f. 13  Harke, AI–AS, S. 16. 12  Es



II. Auswahl der Textstellen17

Andeutung des rechtfertigenden tertium comparationis erfolgt.14 Formell betrachtet stehen die unvermittelten Vergleichsfälle in gleicher Weise neben Sachverhalt und Entscheidung, wie alle sonstigen rationes decidendi. Für ihre Einbeziehung in eine methodologische Untersuchung spricht daher vor allen Dingen ihre Verwendungsweise durch die Römer selbst. Insbesondere Marcell bedient sich ihrer formell und inhaltlich ebenso wie den einfachen Deduktionen. Und auch aus heutiger Sicht lässt sich kein qualitatives Gefälle zwischen deduktiven und induktiven Argumenten annehmen. Die zusätzliche Erläuterung des hinter den verglichenen Fällen stehenden Musters ist nichts anderes als die Bezeichnung des Prinzips, aus der die Entscheidung deduktiv geschlossen werden kann.15 Wird auf sie verzichtet, deutet die komparative Konjunktion jedenfalls noch auf die Befolgung des Gebots hin, Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln.16 Dabei handelt es sich freilich um das Grundprinzip, das hinter allem induktiven Vorgehen der Jurisprudenz steht.17 Doch ist der ausdrückliche Hinweis auf seine Anwendung im konkreten Fall von keiner geringeren methodischen Bedeutung und Aussagekraft als die Auslegung von Rechtssätzen oder die Berufung auf wertungsabhängige Begriffe. Bereits mit der Auswahl des jeweiligen Vergleichsfalls wird ein bestimmtes Merkmal besonders betont oder als unwesentlich herausgestellt.18 Insofern bedeutet die Behandlung dieser Stellen also keine reine Spekulation über das Vergleichsmotiv.19 Die römischen Juristen haben nicht aus bloßer Autorität heraus unmotiviert Fiktionen ausgesprochen, sondern vielmehr von einer als gesichert geltenden Fallrechtsmasse ausgehend ihr Entscheidungsrepertoire Schritt für Schritt, Tatbestandsmerkmal für Tatbestandsmerkmal weiterentwickelt.20 14  Anders noch Harke, AI, S. 33 und später in Europäische Methodenlehre, S. 11 f., wo er die einfache Fallanknüpfung allerdings schon als „Ausdruck rationaler Rechtsfindung“ bezeichnet. 15  Ebenso Knütel, GS Heinze, S. 490. 16  Harke, Europäische Methodenlehre, S. 11 und AI–AS, S. 16; ähnlich auch Wieacker, FS Kaser, S. 22: „implizite Werturteile, welche die moralische, wirtschaft­ liche, soziale oder politische Gleichbewertung des verglichenen und des zu entscheidenden Sachverhalts aussprechen“. 17  Schulz, Prinzipien des römischen Rechts, S. 27; Wieacker, Vom römischen Recht, S. 139; Kaser, Zur Methode der römischen Rechtsfindung, S. 54; Giaro, SZ  105 (1988), S. 239. 18  Ähnlich auch Wieacker, Römische Rechtsgeschichte II, S. 48. 19  Anders Bund, Untersuchungen zur Methode Julians, S. 28, der von „einer intuitiven Anschauung der Verwandtschaft und des Verbindenden“ spricht und in der Folge nicht von einer Argumentation ausgeht (S. 95); gegen seine künstliche Trennung von Ähnlichkeitsargumenten und Analogie wenden sich auch Horak, Rationes decidendi, S. 242 ff. und Harke, AI–AS, S.  16 f. 20  Dass es sich ebenso gut um Fiktionen handeln könnte, vertrat dagegen noch Harke, AI, S. 33. Allerdings hat schon Kaser, Römische Rechtsquellen, S. 262 f. zu

18

A. Einleitung

Überhaupt sind induktive Schlüsse im hier verwendeten Sinn nicht generell unsicherer als Deduktionen. Denn auch die deduktive Entscheidungsfindung ist nur gerechtfertigt, wenn die Norm oder das Prinzip, aus denen sie abgeleitet wird, allgemein anerkannt ist. Dieselbe Geltungswirkung kann aber auch ein Präzedenzfall erlangen, der von einer anerkannten Autorität entschieden worden ist. Die Zuverlässigkeit des Arguments hängt freilich von der Anzahl und Gewichtigkeit der übereinstimmenden Merkmale ab, doch handelt es sich dabei um keine problematischere Wertung als bei der erweiternden Auslegung oder teleologischen Reduktion von Vorschriften und Rechtsgeschäften. 2. Ausnahmen Das Ergebnis dieser Untersuchung soll nicht durch die Auswahl einiger beispielhafter Textstellen verfälscht, sondern aus der Begutachtung aller überlieferten Stellen mit den genannten Merkmalen gewonnen werden.21 Dabei wird die Untersuchung der einschlägigen Texte ergeben, dass – ausgehend von dem Grundsatz der Echtheitsvermutung – in keinem einzigen Fall ausreichende Beweise für einen den Sinn der ratio verändernden Eingriff gefunden werden können.22 Lediglich Marcells nota in Iul. D 36.1.28.6 taugt nicht für die Statistik; obwohl sie allem Anschein nach eine ratio decidendi enthält, kann ihr Inhalt nämlich aufgrund eines offensichtlichen Textausfalls nicht sicher genug rekonstruiert werden, um eine eindeutige Zuordnung zu einer bestimmten Kategorie zu ermöglichen.23 Ungeachtet der Orientierung an formellen Merkmalen sollen aber solche Aussagen nicht in die Statistik einfließen, die zwar in der Art einer ratio decidendi formuliert sind, aber keinen selbstständigen, neben dem SachverRecht darauf hingewiesen, dass Juristen im Gegensatz zur Legislative nur in seltenen Ausnahmefällen zu diesem wenig überzeugenden Mittel greifen können. 21  Ebenso Horak, Rationes decidendi, S. 71; Harke, AI–AS, S. 13 ff.; anders beispielsweise Pernice, Labeo  8 (1962), S. 351; Bund, Untersuchungen zur Methode Julians, S. 10; Waldstein, SZ  92 (1975), S. 30 f. Insgesamt dominiert der selektive Ansatz in der mit Methodenfragen beschäftigten, romanistischen Literatur, freilich zumeist aus Gründen der Praktikabilität. 22  Demgegenüber hat Horak, Rationes decidendi, S. 289 von über 400 gezählten Begründungen noch ein Viertel von der Behandlung ausgeschlossen, da sie ihm nicht „als höchstwahrscheinlich echt“ galten. Eine genaue Bezeichnung der für nicht klassisch gehaltenen Passagen blieb jedoch dem Anhang des niemals erschienenen, zweiten Bandes vorbehalten. 23  Vgl. aber den Ergänzungsvorschlag bei Mommsen, Corpus Iuris Civilis I, S. 526 Fn. 3. Zum Inhalt der Stelle siehe Rastätter, Marcelli notae ad Iuliani digesta, S.  90 ff.



II. Auswahl der Textstellen19

halt und der Entscheidung stehenden Aspekt einführen.24 Ein anschauliches Beispiel für eine solche Scheinbegründung25 enthält das folgende Fragment: Marcell 127 = D 38.2.31 (9 dig) Patrono libertus fundum, quem ab eo alienum emerat, legavit et constituit patronus ad se pertinere legatum: contra tabulas bonorum possessionem accipere non potest, etsi nihil profecit ei legatum, quia alienam rem legaverit ei libertus, quia patronus ipse eum liberto vendiderat. Ein Freigelassener hat dem Patron ein Grundstück, welches er von diesem als einem Dritten gehörig gekauft hatte, vermacht und der Patron hat beschlossen, dass das Legat ihm gehört. Auch wenn diesem das Legat nichts eingebracht hat, weil ihm der Freigelassene eine fremde Sache vermacht hat, kann er den Nachlassbesitz entgegen dem Testament nicht empfangen, da der Patron selbst dieses [Grundstück] dem Freigelassenen verkauft hatte.

Freigelassene werden durch eine Regelung im Edikt und deren Erweiterung in der lex Papia Poppaea gezwungen, ihrem Patron einen bestimmten Teil ihres Vermögens zu hinterlassen.26 Soll der Patron weniger oder nichts bekommen, kann er die bonorum possessio contra tabulas beim Prätor beantragen, solange er die testamentarischen Zuwendungen des Freigelassenen noch nicht willentlich angenommen hat.27 Wenn dem Patron allerdings nach seiner Annahme das Zugewendete ganz oder teilweise von einem Dritten evinziert wird, der sich als der wahre Rechtsinhaber herausstellt, so lässt der Prätor den Antrag ausnahmsweise weiterhin zu, weil der Patron bei der Billigung des iudicium liberti mit einem höheren Ertrag gerechnet hatte.28 Marcell behandelt einen davon abweichenden Sonderfall: Der libertus hat seinem Freilasser ein Grundstück vermacht, welches er zuvor von diesem selbst erworben hatte. Tatsächlich gehörte dieser fundus aber von Anfang an einem Dritten, so dass der Patron durch seine Annahme keinen beständigen Wert erlangt hat.29 Da er jedoch den Gegenstand des evinzierten Vermächtnisses zuvor selbst als Nichtberechtigter veräußert hat, ist die Fehleinschätzung, durch die Annahme des Vermächtnisses zumindest seine debita portio Harke, AI–AS, S. 14. diesem Ausdruck soll hier nur der formelle Schein bezeichnet werden. Anders als bei rhetorischen Ausführungen, ist die Verwendung von bewusst inhaltsleeren Floskeln oder regelrechten Täuschungen in juristischer Fachliteratur nicht zu erwarten; Wieacker, SZ 94 (1977), S. 9. 26  Gai 3.41 f.; dazu Lenel, Das edictum perpetuum, S. 350 ff. und Kaser, RP I, S.  708 f. 27  Vgl. Ulp. / Gai. D  38.2.6.4, 7, 8pr., Tryph. D  38.2.50.4. 28  Ulp. D  38.2.8.1; nach Paul. D  5.2.19 gilt dies generell für jeden, qui iudicium defuncti falsa opinione motus amplexus est. 29  Masi Doria, Bona libertorum, S. 377. Der Ausdruck constituere se heredem esse meint den Antritt durch cretio; vgl. Kaser, RP I, S. 717 Fn.  25 m. w. N. 24  Ebenso 25  Mit

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A. Einleitung

zu erlangen, hier nicht schützenswert.30 Marcells ausdrückliche Begründung deutet diese naheliegende ratio allerdings nicht einmal an, sondern stellt eine reine Wiederholung des bereits mitgeteilten Sachverhalts dar. Statt quia könnte hier auch ein konditionales si stehen. In solchen Fällen kann keine „Begründungsintention des Autors“31 angenommen werden. Ganz ähnlich steht es um Marcells Erörterung der Auslegung einer unentgeltlichen Verfügung einer Ehefrau zugunsten ihres Mannes: Marcell 90 = D 24.1.49 (7 dig) Sulpicius Marcello. Mulier, quae ad communem filium volebat, qui in potestate patris erat, post mortem patris fundum pervenire, eum patri tradidit, uti post mortem restituatur filio. Quaero, an donatio tibi videatur, ut nihil agatur, an valeat quidem, sed mulieri potestas datur, si noluerit, eum repetere respondit: si color vel titulus, ut sic dixerim, donationi quaesitus est, nihil valebit traditio, idem si hoc exigit uxor, ut aliquid ex ea re interim commodi sentiret maritus: alioquin si solo eius ministerio usa est et id egit, ut vel revocare sibi liceret vel ut res cum omni emolumento per patrem postea ad filium transiret, cur non idem perinde sit ratum ac si cum extraneo tale negotium contraxisset, hoc est extraneo in hanc causam tradidisset? Sulpicius an Marcell: Eine Frau, die wollte, dass ein Grundstück nach dem Tod des Vaters einem gemeinsamen Sohn, der sich in der Gewalt des Vaters befand, zukomme, hat dieses dem Vater übergeben, damit es nach dem Tod dem Sohn herausgegeben wird. Ich frage, ob es dir als Schenkung erscheint, so dass nichts bewirkt wird, oder ob es zwar wirksam ist, aber der Frau die Befugnis gegeben wird, dieses [Grundstück] zurückzufordern, wenn sie nicht mehr will. Er hat geantwortet: Wenn ein Blendwerk oder, um mich so auszudrücken, ein Vorwand für eine Schenkung gesucht worden ist, wird die Übergabe nichts gelten, als hätte die Frau beabsichtigt, dass dem Ehemann zwischenzeitlich aus dieser Sache irgendein Vorteil zufallen sollte. Ansonsten, wenn sie nur dessen Dienst genutzt hat und beabsichtigt, dass es ihr entweder freistehen sollte, zu widerrufen oder dass die Sache mit allem Vorteil später über den Vater auf den Sohn übergehen sollte, warum soll es nicht in der gleichen Weise wirksam sein, wie wenn sie mit einem Fremden ein solches Geschäft abgeschlossen hätte, das heißt einem Fremden [das Grundstück] zu diesem Zweck übergeben hätte?

Es geht hier um die Frage, ob in der Übertragung des Grundstückseigentums eine verbotene Ehegattenschenkung zu sehen ist.32 Marcell verneint 30  Im Normalfall soll den Patron die Belastung des Zugewendeten mit Rechten Dritter nicht treffen. Vorliegend war sein Vermögen jedoch von Anfang an belastet, so dass Marcells Entscheidung auch unabhängig davon gegolten haben dürfte, ob der Freilasser zunächst gut- oder bösgläubig veräußert hatte. 31  So formuliert Horak, Rationes decidendi, S. 7 die Mindestvoraussetzung für seine Stellenauswahl. 32  Zum Inhalt der Stelle vgl. Zülch, Der liber singularis responsorum, S.  229 f. und Babusiaux, Id quod actum est, S.  64 f. jeweils m. w. N.



II. Auswahl der Textstellen21

dies unter der Voraussetzung, dass sich ein bestimmter Parteiwille nachweisen lässt: Soll die Übergabe frei widerruflich sein oder soll neben dem Grundstück selbst auch jegliche Bereicherung an den Sohn gelangen, sieht er keinen Grund für eine Unwirksamkeit. Dem äußeren Anschein nach könnte diese Entscheidung mit dem Argument begründet sein, dass der Fall wertungsmäßig genauso zu behandeln ist, als ob die Frau das nämliche Geschäft mit einer anderen Person geschlossen hätte. Doch eine solche Intention Marcells kann ausgeschlossen werden: Er steht hier nämlich nicht vor der Alternative, die Vereinbarung als Geschäft mit einer beliebigen Person oder als eine ausnahmsweise verbotene Ehegattenschenkung anzusehen. Seine Antwort lautet daher vereinfacht, dass keine donatio inter virum et uxorem vorliegt. Dem letzten Satz fehlt es also an einem über die eigentliche Entscheidung hinausreichenden Element. Schließlich müssen bei der statistischen Erhebung alle rationes decidendi in Texten späterer Juristen ausgelassen werden, die sprachlich nicht eindeutig als Zitat Marcells gekennzeichnet sind.33 Dabei ist zugunsten der Aussagekraft der Schlussbilanz in Kauf zu nehmen, dass einige interessante Argumente keine Beachtung finden, die inhaltlich ebenso gut von Marcell wie vom Autor des Fragments stammen könnten: Marcell 58 = D  16.3.1.39 Ulp 30 ed Si praedo vel fur deposuerint, et hos Marcellus libro sexto digestorum putat recte depositi acturos: nam interest eorum eo, quod teneantur. Wenn ein Räuber oder ein Dieb [das Diebesgut bei einem Dritten] deponiert hat, meint Marcell im sechsten Buch seiner Digesten, dass auch diese zu Recht mit der Verwahrungsklage vorgehen könnten. Es ist nämlich insoweit in ihrem Interesse, als sie [dem Eigentümer] haften.

Die Aktivlegitimation bei der actio depositi steht unabhängig von der Eigentümerstellung demjenigen zu, der den Gegenstand in Verwahrung gegeben hat.34 Dass dies sogar für Räuber und Diebe gelten muss, wird mit dem Argument plausibel gemacht, dass diese trotz der unrechtmäßigen Erlangung der entwendeten Sache ein rechtlich relevantes Interesse an der Wiedererlangung haben, da sie dem wahren Eigentümer gegenüber zur Buße verpflichtet sind. Die hierfür verwendete sprachliche Konstruktion, bei der Ulpian einem indirekten Zitat mit AcI-Konstruktion den Begründungssatz unmittelbar im Indikativ nachfolgen lässt, findet sich häufig in den Quellen. Auf den ersten Blick scheint sie ein sprachliches Mittel zu sein, Marcells Begründung wie eine Art Merksatz besonders hervorzuheHarke, AI–AS, S.  14 f. auch Ulp. D 16.3.1.11; zu diesem Problemkreis eingehend Litewski, RIDA III 47 (2000), S. 317 ff. 33  Ebenso 34  Vgl.

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A. Einleitung

ben.35 Insbesondere die Darstellungsweise mit einem Doppelpunkt, die sich in der Edition eingebürgert hat, verleitet zu einer solchen Annahme. Vor einer vorschnellen Zuschreibung zu Marcell warnt jedoch das folgende Gegenbeispiel:36 Iul 480 = D  34.3.3.5 Ulp 23 Sab … Et Marcellus notat utriusque legatum esse tam meum quam creditoris mei, etsi solvendo fuero: interesse enim creditoris duos reos habere. … Und Marcell bemerkt dazu, dass das Vermächtnis uns beiden gehört, mir ebenso sehr, wie meinem Gläubiger, auch wenn ich zahlungsfähig bin. Es sei nämlich im Interesse des Gläubigers, zwei Schuldner zu haben.

Auch hier erfolgt die Darstellung der Entscheidung im AcI, zusätzlich ist aber die nach dem Doppelpunkt folgende Begründung eindeutig als indirekte Rede gekennzeichnet. Da beide Formulierungsarten Verwendung finden und es für die Vermutung eines Übertragungsfehlers oder einer bloßen Laune Ulpians an ausreichenden Anhaltspunkten fehlt, müssen die grammatikalischen Feinheiten ernst genommen werden.37 Bestenfalls können die indikativisch angeschlossenen rationes als Zusammenfassung einer längeren Argumentation Marcells im Originalwerk gelten. Der zitierende Autor erklärt damit, warum der Hochklassiker im jeweiligen Fall scribit, ait, putat, usw. und interpretiert dessen Aussage zugleich. Dementsprechend bilden die nicht in indirekter Rede wiedergegebenen Begründungen keine zuverlässige Quelle für die Analyse der Argumentationstechnik des zitierten Juristen. Diese einführenden Bemerkungen lassen bereits erkennen, dass auch eine an formellen Kriterien ausgerichtete Selektion nicht frei von den Unsicherheiten und Zufällen der Überlieferungsgeschichte bleiben kann, womit Einfallstore für Kritik und Zweifel an dem statistischen Endergebnis geöffnet sind. Dennoch lässt sich die Vorgehensweise mit den Worten Marcells selbst verteidigen: In re dubia benigniorem interpretationem sequi non minus iustius est quam tutius.38 Da jegliche Arbeit mit den uns überlieferten 35  Ankum, Mélanges Wołodkiewicz, S. 18 verwendet gerade diese Stelle als erstes Beispiel für Marcells herausragende „qualités dogmatiques“. Die Übersetzung von D 16.3.1.39 durch Knütel, in: Behrends / Knütel, CIC III, S. 339 lässt zwar für den letzten Halbsatz keinen Zweifel an Ulpians Urheberschaft, würdigt jedoch das vorausgehende indirekte Zitat Marcells zu wenig. 36  Die eigentliche Besprechung der Stelle erfolgt unter G6. 37  Anders Bund, Untersuchungen zur Methode Julians, S. 8; jedoch gewänne die Exegese eine allzu subjektive Färbung, würde man sich nach seinem Vorschlag eher auf „die Hypothese eines Stil- und Niveauunterschiedes“ zwischen den Juristen berufen. 38  Marcel. D 28.4.3 (T1); vgl. insbesondere auch das dort erläuterte Verständnis von benignior interpretatio.



III. Arten von Entscheidungsbegründungen23

Texten der römischen Juristen nichts anderes als die Beschäftigung mit einer res dubia darstellt, kann größtmögliche Sicherheit bei der Rekonstruktion von Marcells Argumentationsweise ebenfalls nur gewonnen werden, indem man an den tradierten verba festhält, solange nicht deren Fehlerhaftigkeit oder Bedeutungslosigkeit aufgrund von Doppelüberlieferungen und dergleichen als erwiesen gelten muss. Diese generelle Echtheitsvermutung bedeutet jedoch keineswegs ein antikritisches Umschiffen der Authentizitätsfrage und erst recht kein blindes Vertrauen in die Quellen.39 An die Stelle der früheren Pauschalverdächtigungen soll vielmehr eine vorurteilsfreie Erforschung des Inhalts der überlieferten Texte in dem Bewusstsein der unvermeidbaren Unsicherheitsfaktoren treten.

III. Arten von Entscheidungsbegründungen Um die Arbeit in zweckmäßiger Weise methodologisch auszukleiden, ist der schon von Horak als Ideal angestrebte Mittelweg zu beschreiten: Weder eine lose Aneinanderreihung der gefundenen rationes, noch eine allzu strenge Systematik, die die antiken Gedanken in ein modernes Korsett zu zwängen sucht, würde zu brauchbaren Ergebnissen führen.40 Doch erscheinen Horaks Unterscheidung von Deduktionen und Wahrscheinlichkeitsbegründungen, seine Abstufung nach dem Verhältnis von Wertung und Kognition in einer Begründung und insbesondere seine an einzelnen Topoi orientierte Untergliederung nur bedingt geeignet, den spezifischen Charakter der Argumentationsweise eines römischen Juristen herauszuarbeiten und gleichzeitig eine Übersicht zu erhalten, die eine Gegenüberstellung mit der Technik seiner Kollegen ermöglicht. Die Kategorisierung darf immer nur so konkret werden, wie es die Erlangung eines statistisch auszudrückenden Befunds erfordert.41 Nur so kann es vermieden werden, das ursprüngliche Wesen der antiken Überlegungen durch die gewaltsame Anpassung an vorgegebene Prämissen zu verfälschen. Aus diesem Grund soll die hier zur Anwendung kommende Gliederung nicht aus Erwägungen der allgemeinen Rechtstheorie zu denkbaren Arten der Entscheidungsbegründung gewonnen, sondern die tatsächlich vorkommenden rationes decidendi nach einem möglichst zeitlosen Konzept geordnet werden.42 Ausgehend von der Zielsetzung eines Ver39  So der überzogene Vorwurf bei Zülch, Der liber singularis responsorum, S. 15, den er pars pro toto gegen Wieling, Testamentsauslegung, S. 2 ff. richtet; dagegen auch Liebs, SZ 120 (2003), S. 249. 40  Horak, Rationes decidendi, S. 77. 41  Insbesondere sollen Ungereimtheiten, wie die von Bund, Iura 21 (1970), S.  203 f. und Wieacker, FS Kaser, S. 16 ff. zu Recht an Horaks Einteilung bemängelten, im Vorhinein vermieden werden. 42  Dies erklärt auch Harke, AI–AS, S. 11 zu seinem Leitfaden.

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A. Einleitung

gleichs mit Celsus und Julian als zwei anderen hervorragenden Vertretern der Hochklassik bietet es sich an, die Untersuchung an der von Harke hier angestellten Grobgliederung zu orientieren.43 Zumindest zwei Einteilungen ergeben sich ohne Weiteres aus der juristischen Natur des zu untersuchenden Textmaterials: Die sinnvolle Beschäftigung mit der Methode der römischen Jurisprudenz setzt die Anerkennung des Bestehens einer wie auch immer ausgestalteten Rechtsordnung voraus. Bei der Argumentation steht der Jurist daher vor der Alternative, sich entweder innerhalb dieser Ordnung zu bewegen und mit den vorgegebenen Wertungen zu arbeiten oder aber darüber hinauszugreifen und übergeordnete Gesichtspunkte heranzuziehen. Bei der Wahl einer ratio innerhalb des Systems hat er dann die ebenfalls ausschließliche Wahl zwischen Schlüssen aus einem übergeordneten Prinzip oder solchen aus der vergleichenden Heranziehung einer von ihm bereits akzeptierten Entscheidung, also zwischen Deduktion und Induktion.44 Sowohl die deduktive als auch die induktive Vorgehensweise steht ihnen unabhängig davon zur Verfügung, ob sie eine in der Rechtsordnung vorgefundene Regelung durch Modifikation für den zu entscheidenden Fall nutzbar machen, oder ob sie den Sachverhalt ohne Weiteres unter einen solchen Rechtssatz subsumieren. Eine letzte Feingliederung kann schließlich nach den verschiedenen Rechtsquellen vorgenommen werden, mit denen sich der Jurist im Einzelfall beschäftigt. Denn obwohl die Rechtsmassen am Ausgang der hochklassischen Zeit bereits stark verwoben sind und die römische Rechtsordnung durch mannigfaltige Einzelentscheidungen der Juristen und Kaiser zu einem komplexen Uhrwerk ausgestaltet worden ist, in dem die Regeln und Vorschriften des ius civile, ius honorarium und ius gentium wie unzählige kleine Zahnräder ineinandergreifen, lässt sich der normative Ausgangspunkt der Entscheidungen Marcells in allen Fällen noch sicher zurückverfolgen. Gibt er einmal selbst keinen ausdrücklichen Hinweis darauf, ob er von einem bestimmten Gesetz, einem Senatsbeschluss, einem kaiserlichen Erlass, einer Regelung des Edikts oder einer von seinen Vorgängern geschaffenen Regel handelt, können meistens entweder die Ausführungen eines den Marcell zitierenden Spätklassikers oder die in aller Regel zuverlässige Einordnung des Fragments durch die Kompilatoren Justinians hilfsweise heran­ gezogen werden. So müssen nur in den wenigen, noch verbleibenden Zweifelsfällen Rückschlüsse aus dem ermittelten Inhalt der Stelle gezogen werden. Ebenfalls eindeutig zugeordnet werden kann schließlich die Inter43  Harke,

AI–AS, S.  342 f. erkennt auch Horak, Rationes decidendi, S. 33, obgleich er in seiner Gliederung von dem unklaren Begriff der Wahrscheinlichkeitsbegründung ausgeht und darunter neben anderen Begründungsarten seine weit verstandene Analogie fasst. 44  Dies



III. Arten von Entscheidungsbegründungen

25

pretation von privatrechtlichen Verträgen und Testamenten, welcher Marcell einen ausnehmend großen Teil seiner Entscheidungen widmet. Damit ist eine hinreichende Typisierung der rationes erfolgt, die sich zwanglos aus den Quellen selbst ergibt. Einzelne Figuren wie Analogie, Fiktion, argumentum a maiore ad minus oder deductio ad absurdum taugen dagegen kaum als Ordnungsmerkmal. Soweit mit solchen Begriffen überhaupt originär römische Konstruktionen beschrieben werden können, sollen sie im Kontext der jeweiligen Stelle behandelt werden.

B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung I. Unvermittelte Rechtsfindung 1. Argumentation mit induktivem Schwerpunkt a) Gegenüberstellung von Personen und Instituten Die einfachste Art der induktiven Argumentation besteht darin, an die Stelle der im untersuchten Sachverhalt handelnden Personen oder der einschlägigen Rechtsinstitute Vergleichssubjekte oder -objekte zu setzen, die in den wesentlichen Eigenschaften und der konkreten Funktion übereinstimmen. Dass Marcell bei dieser Methode bestimmte Sachverhaltselemente herausnimmt und mit weniger voraussetzungsreichen oder besser erprobten Komponenten ersetzt, darf nicht mit dem Einsatz von Fiktionen verwechselt werden, da dies eine rein autoritative Ergebnisübertragung darstellen würde.1 Seine argumentative Überzeugungskraft gewinnt der hilfsweise herangezogene Fall entweder aus einer – gerade aufgrund der Reduktion des Sachverhalts – erhöhten Anschaulichkeit oder durch die Präzedenzwirkung einer früheren Entscheidung.2 Die augenfällige Schwäche dieser rationes decidendi liegt darin, dass nur ein kleiner Kreis verständiger Fachleute über die nötigen Vorkenntnisse verfügt, um die Gleichsetzung ohne Weiteres nachvollziehen zu können. Marcell verwendet sie daher vornehmlich in Entscheidungen von vergleichsweise geringem Schwierigkeitsgrad: Wenn ein servus communis Rechtsgeschäfte vornimmt, treffen die Folgen seine Eigentümer gemeinschaftlich. Die Probleme, die sich aus einer solchen Konstellation ergeben können, treten in der Praxis noch häufiger unter Miterben auf, so dass es sich anbietet, zur Argumentation auf die reiche erbrechtliche Kasuistik zurückzugreifen: (A1) Marcell 74 = D 21.1.31.7 Ulp ed aedil

Marcellus quoque scribit, si servus communis servum emerit et sit in causa redhibitionis, unum ex dominis pro parte sua redhibere servum non posse: non magis, inquit, quam cum emptori plures heredes exstiterunt nec omnes ad redhibendum consentiunt.

1  Entsprechend unscharf sind die Abgrenzungen bei Bund, Untersuchungen zur Methode Julians, S. 133 ff. 2  Harke, AI–AS, S. 17.



I. Unvermittelte Rechtsfindung27



Auch Marcell schreibt, dass, wenn ein gemeinschaftlicher Sklave einen Sklaven gekauft habe und sich in der Lage einer Rückabwicklung befinde, nicht einer der Eigentümer den Sklaven seinem Anteil entsprechend zurückgeben könne. Ebenso wenig, sagt er, wie wenn der Käufer von mehreren beerbt worden ist und nicht alle in die Rückabwicklung einwilligen.

Ein servus communis hat auf dem Markt einen Sklaven gekauft, der mit Mängeln behaftet ist, die den Erwerber grundsätzlich zur actio redhibitoria berechtigen. Es stellt sich die Frage, ob einer der Eigentümer die Erstattung des Kaufpreises pro parte sua erreichen kann, indem er allein dem Verkäufer den mangelhaften Sklaven rückübereignet. Marcell verneint dies und verweist zur Begründung auf den vergleichbaren Fall, dass der Käufer eines Sklaven verstirbt und mehrere Erben hinterlässt, die nicht alle in die redhibitio einwilligen.3 Der erbrechtliche Fall ist nicht nur eine naheliegende Konstellation, sondern wurde nachweislich bereits von Pomponius entschieden. Dass die Erben keine Befugnis zur Einzelklage hätten, begründete Marcells Vorgänger mit dem Hinweis auf die Gefahr, dass der Verkäufer von einem anderen Miterben gleichzeitig auf Minderung in Anspruch genommen werden könnte.4 Ebenso wie die coheredes nach der alten Regel nomina ipso iure divisa ein quotenmäßiges Forderungsrecht gegen den Veräußerer des mangelhaften Sklaven erwerben,5 so stehen die Gewährleistungsrechte auch den socii nur in der Höhe ihres jeweiligen Anteils zu. Marcell nutzt diese parallele Situation, um mit seiner Entscheidung an einer wenig älteren Falllösung anzuknüpfen. Einen sehr ähnlichen Fallvergleich stellt Marcell im Zusammenhang mit Wegerechten an: (A2) Marcell 164 = D 33.3.2 (13 dig)

Fundum communem habentibus legari potest via, cum et communis servus recte viam stipulatur et, cum duo ei qui ipse viam stipulatus fuerit heredes exstiterint, non corrumpitur stipulatio.



Denjenigen, die ein gemeinschaftliches Grundstück innehaben, kann ein Wegerecht vermacht werden, weil auch ein gemeinschaftlicher Sklave sich wirksam ein Wegerecht versprechen lassen kann; die Stipulation wird auch nicht aufgehoben, wenn zwei Personen denjenigen beerbt haben, der sich selbst ein Wegerecht versprechen lassen hatte.

Ein Wegerecht soll zugunsten eines im Miteigentum stehenden Grundstücks begründet werden können, indem es den Eigentümern eines Grundstücks gemeinschaftlich vermacht wird. Um aufzuzeigen, dass eine besteBenöhr, Das sogenannte Synallagma, S. 30; Ernst, FG Flume, S. 17. Ulp. D  21.1.31.5. 5  Gord. C 3.36.6. 3  Ähnlich

4  Vgl.

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung

hende Servitut auf mehrere Inhaber gemeinschaftlich übertragen werden kann, führt Marcell zwei Konstellationen an, in denen ein Wegerecht durch Rechtsgeschäft unter Lebenden bestellt worden ist:6 Zum einen sei es möglich, die Dienstbarkeit durch ein Versprechen gegenüber einem gemeinschaftlichen Sklaven der Grundstückseigentümer zu bestellen.7 Zum anderen könne ein dem alleinigen Grundstückseigentümer zu Lebzeiten eingeräumtes Wegerecht auf mehrere Erben übergehen. Kann also eine Eigentümermehrheit die Servitut sowohl durch Rechtsgeschäft unter Lebenden als auch im Wege des Erbgangs erlangen, kann es keinem Zweifel unterliegen, dass sie auch von vornherein von Todes wegen zu ihren Gunsten begründet werden kann.8 Die Möglichkeiten eines Geisteskranken im Rechtsverkehr lassen sich am besten abstecken, indem man überlegt, welche Rechtsfolgen auch einem ignorans gegenüber ohne Weiteres eintreten können: (A3) Pomp 375 = D  28.1.16 (reg lib)

Filius familias et servus alienus et postumus et surdus testamenti factionem habere dicuntur: licet enim testamentum facere non possunt, attamen ex testamento vel sibi vel aliis adquirere possunt. (1) Marcellus notat: furiosus quoque testamenti factionem habet, licet testamentum facere non potest: ideo autem habet testamenti factionem, quia potest sibi adquirere legatum vel fideicommissum: nam etiam compotibus mentis personales actiones etiam ignorantibus adquiruntur.



Man sagt, dass Haussöhne, fremde Sklaven, Nachgeborene und Stumme Testierfähigkeit haben. Denn sie können zwar kein Testament errichten, dennoch aber aufgrund eines Testaments für sich oder andere erwerben. (1) Marcell bemerkt dazu: Auch ein Geisteskranker hat die Testierfähigkeit, mag er auch keine Testamente errichten können. Er hat die Testierfähigkeit aber deswegen, weil er für sich ein Legat oder ein Fideikommiss erwerben kann. Denn auch von geistig Gesunden werden persönliche Ansprüche sogar dann erworben, wenn sie keine Kenntnis haben.

Pomponius berichtet, dass bestimmte Personen zwar keine aktive Testierfähigkeit besitzen, dennoch aber über die sogenannte testamenti factio 6  Dass die Bestellung von Servituten schon in klassischer Zeit durch stipulatio möglich war, weist Finkenauer, Vererblichkeit und Drittwirkung der Stipulation, S. 333 ff. ausgehend von Gai 2.31 nach. 7  Die stipulatio servitutis durch einen servus communis ist auch schon von Julian und Pomponius behandelt worden: Ulp. / Iul. D  45.3.7.1 und Pomp. D  45.3.17; dazu ausführlich Finkenauer, Vererblichkeit und Drittwirkung der Stipulation, S. 383 ff. 8  Paulus behandelt in D 8.3.19 dieselben drei Sachverhalte im Zusammenhang mit der Bestellung eines Durchgangsrechts; dazu Meffert, Die Streitgenossenschaft, S. 61 f. Abzugrenzen sind diese Konstellationen von Fällen, die unter das Verbot servitutes pro parte adquiri non possunt fallen: vgl. dazu unten D 33.3.3 (D4).



I. Unvermittelte Rechtsfindung29

verfügen, da sie ex testamento etwas erwerben können.9 Marcell fügt dem Kreis der genannten Personen noch den furiosus hinzu, der ebenfalls kein Testament errichten, aber Legate und Fideikommisse aus einem Testament erlangen können soll. Geisteskrankheit schließt nur die Geschäftsfähigkeit des Betroffenen aus, berührt aber nicht seine Rechtsfähigkeit.10 Um dies zu erklären, verweist Marcell in seiner Begründung darauf, dass auch geistig gesunden Personen personales actiones zustehen können, die sie ohne ihr Wissen und Wollen erworben haben.11 Kommt es also für den Rechtserwerb nicht auf das Bewusstsein des Erwerbenden an, spricht auch nichts gegen die Fähigkeit des furiosus, Rechte aus einem Testament zu erwerben.12 In zwei ähnlich gelagerten Fällen beruht eine Leistung auf der irrtümlichen Annahme, die zu begünstigende Frau sei eine Freie. Marcell zieht jeweils einen Vergleich heran, um die Subsumtion unter einen Kondiktionstatbestand verständlich zu machen: (A4–5) Marcell 82 = D  23.3.59.2 (7 dig)

Eius nomine quae libera videbatur decem in dote dedisti: eo casu habebis condictionem, quo habere potuisses, si mulieris liberae nomine dedisses nec nuptiae secutae essent. si manumissa nupserit, ita demum dos erit, si ea mente dedisti, ut quandoque secutis nuptiis dos esset. Igitur si mulieri donaturus dedisti, dominus condicet, quemadmodum si eum qui sibi donaturus esset mulier ipsam donare iussisset.



Du hast für eine Frau, die frei zu sein schien, 10 als Mitgift gegeben. In diesem Fall wird dir eine Kondiktion zustehen, die du auch gehabt hättest, wenn du für eine freie Frau [eine Mitgift] gegeben hättest und keine Ehe geschlossen worden wäre. Wenn sie geheiratet hat, nachdem sie freigelassen worden ist, ist eine Mitgift nur dann [wirksam] bestellt, wenn du sie in der Absicht gegeben hast, dass es eine Mitgift sein solle, wenn die Ehe irgendwann einmal geschlossen werde. Wenn du [dem Mann Geld] gegeben hast, um der Frau zu schenken, kondiziert demnach ihr Eigentümer auf die gleiche Weise, wie wenn die Frau denjenigen, der ihr schenken wollte, angewiesen hat, gerade dieses [Geld dem Mann] zu schenken.

Wenn jemand einem Mann, dessen Frau er irrtümlich für frei hält, Bargeld in dote zukommen lässt, will ihm Marcell eine Bereicherungsklage gewähren, mithin die später sogenannte condictio causa data causa non 9  Ebenso IJ 2.19.4 a.  E. Zur passiven Verwendung des Begriffs vgl. auch UE 22.1, 16.1a, Ulp. D 29.1.13.2; Kaser, RP I, S. 682. 10  Dazu ausführlich Saas, Die Behandlung der Geisteskranken, S. 102 ff. 11  Vgl. auch IJ 2.9.3 zum Erwerb dinglicher Rechte. 12  So schon Saas, Die Behandlung der Geisteskranken, S. 103 f., 125. Eine ähnliche Argumentation findet sich bei Pomp. / Iul. D 12.1.12, D 44.7.24pr. zum Erwerb einer condictio und bei Paul. D  41.2.1.5 zum Besitzerwerb.

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung

secuta zur Anwendung bringen.13 Demnach geht er davon aus, dass die Leistung auf der Zweckabrede beruht, wonach das Geld dem Mann nicht ohne Weiteres, sondern nur als Mitgift zustehen soll. Zu dieser Entscheidung kommt er durch den einfachen Vergleich mit dem Bereicherungsanspruch eines Mitgiftbestellers, der in seiner Erwartung eines geplanten Eheschlusses enttäuscht worden ist. Die Handhabung dieser Konstellation lässt sich wiederum bis auf Julian zurückverfolgen: Hat der Leistende seine dotis datio nicht ausdrücklich auf die Heirat bedingt, geht das Eigentum sofort auf den Empfänger über.14 Es handelt sich aber um eine datio ob rem, da die Leistung mit der Zweckabrede verbunden ist, dass die Ehe tatsächlich geschlossen wird.15 Fällt die Hochzeit aus, kann das Geleistete vom Empfänger kondiziert werden.16 Diese Überlegungen können auf den Fall einer vermeintlich bereits wirksam geschlossenen Ehe leicht übertragen werden. Sollte die Frau später doch noch freigelassen und eine gültige Ehe geschlossen werden, kommt es für die Wirksamkeit der zuvor geleisteten dos auf die damalige Absicht des Leistenden an. In diesem Zusammenhang bespricht Marcell auch noch die Folgen einer irrtümlichen Leistung an den Mann einer unfreien Frau in der Absicht, ihr etwas schenkungsweise zukommen zu lassen. Der Schenker selbst kann den Gegenstand nicht zurückverlangen, da die Leistung weder im Hinblick auf das Bestehen einer wirksamen Hochzeit, noch mit Rücksicht auf die Rechtsfähigkeit der Beschenkten erfolgte. Jedoch ist der wahre dominus der Frau berechtigt, das Geld für seine Gewaltunterworfene zu kondizieren. Auch diese zweite Entscheidung trifft Marcell unter Heranziehung eines Vergleichsfalles: Wenn ein Dritter auf Anweisung der unfreien Frau dem vermeintlichen Ehemann etwas geleistet hat, kann dies ebenfalls nur deren dominus kondizieren. Dazu passt Paulus’ grundlegende Entscheidung, dass eine tatsächlich freie Frau, die einen Dritten anweist, das Geld, welches er ihr schenken möchte, an ihren Verlobten zu zahlen, selbst einen Bereicherungsanspruch erhalten soll, wenn die erwartete Ehe nicht geschlossen wird.17 Die delegatio wird also generell wie eine Zahlung der Frau an den Mann behandelt.18 Marcell geht einen Schritt weiter und behandelt die datio 13  Während die ursprüngliche legis actio per condictionem nach Gai 4.19 auf zwei Volksgesetze aus republikanischer Zeit zurückgeht, sind die einzelnen Tatbestände, wie sie in Paul. D  12.6.65pr. aufgezählt werden, das Werk der Jurisprudenz; Kaser, RP  I, S. 596 f. m. w. N. 14  Ulp. / Iul. D  41.9.1.2; Ulp. / Cal. D  23.3.7.3, 8, 9pr. 15  Paul. D 12.4.9pr., D 22.1.38.1. 16  So ausdrücklich Julian am Ende von D 12.4.7pr.; vgl. auch Ner. D 12.4.8, Ulp. D 23.3.9pr. 17  Paul. D 12.4.9pr.: Si donaturus mulieri iussu eius sponso numeravi nec nuptiae secutae sunt, mulier condicet.



I. Unvermittelte Rechtsfindung31

eines Dritten in Schenkungsabsicht auch dann wie eine Zahlung der Frau selbst, wenn sie den Leistenden zuvor nicht angewiesen hatte.19 Die Wirkung der teilweise unautorisierten Klage eines procurator ad litem kann durch einen Vergleich mit der außergerichtlichen Novation oder Solution einer Forderung erläutert werden: 18

(A6) Marcell 235 = D  46.8.17 (21 dig) Cum debitore decem creditoris nomine Titius egit: partem petitionis ratam habuit dominus. Dicendum est obligationis partem consumptam, quemadmodum si decem stipulatus esset aut exegisset creditorque non totum, sed partem gestae rei comprobasset. Idcirco si ex stipulatu ‚decem aut Stichum, utrum ego voluero‘ absente me Titius domino quinque petisset, insecuta ratihabitione recte actum videri. Titius hat im Namen eines Gläubigers gegen den Schuldner 10 eingeklagt. Der Geschäftsherr hat [nur] einen Teil der Klageforderung genehmigt. Es ist zu sagen, dass dieser Teil der Forderung auf die gleiche Weise konsumiert worden ist, wie wenn er 10 stipuliert oder eingefordert hätte und der Gläubiger nicht das Ganze, sondern nur einen Teil der Geschäftsführung genehmigt hätte. Deshalb, wenn Titius in meiner, des Geschäftsherren, Abwesenheit aus der Stipulation „10 oder Stichus, welches von beiden ich will“ 5 gefordert hätte, scheint rechtswirksam geklagt worden zu sein, wenn die Genehmigung erfolgt ist.

Der procurator ad litem hat eine Forderung in Höhe von 10 ohne die erforderliche Ermächtigung im Außenverhältnis zum Prozessgegner eingeklagt. In einem solchen Fall wird die Prozessvertretung erst mit der nachträglichen Genehmigung (ratam haberi) durch den dominus litis wirksam.20 Normalerweise wandelt sich bei persönlichen Klagen mit der litis contestatio die Obligation (dari oportere) zunächst für die Zeit des Prozesses in ein condemnari oportere und geht schließlich mit dem Urteil in die Verpflichtung über, eine bestimmte Geldsumme zu bezahlen (iudicatum facere oportere).21 Die ursprüngliche actio in personam erlischt dabei durch Konsumption und kann nicht noch einmal geltend gemacht werden. Das Klagerecht des prokuratorisch Vertretenen wird jedoch, anders als bei der Vertretung durch einen cognitor, nicht schon mit Anhängigkeit der Klage konsumiert. Vielmehr bewirkt der Geschäftsherr erst mit der späteren ratihabitio seine Bindung an die Prozessführung.22 Marcell beschäftigt sich in diesem auch explizit Ulp. D 16.1.8.3: … solvit enim et qui reum delegat. auch Ulp. D 23.3.43.1, wo eine freie Frau die Kondiktion zugesprochen bekommt, weil ein Gläubiger ihres Verlobten diesem in der Absicht, ihr das Geschuldete zu schenken, die Schuld erlassen hat und danach die Hochzeit ausgefallen ist. 20  Vgl. Ulp. D 46.7.3.2, 3. 21  Gai 3.180. 22  Vgl. Gai  4.84, 98; Pap. D  3.3.66; PS  1.3.5, 7; dazu Gehrich, Kognitur und Prokuratur, S.  78 f.; Kaser / Hackl, RZ, S. 215 Fn.  53. 18  So

19  Vgl.

32

B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung

Zusammenhang mit den Auswirkungen einer Genehmigung, die nur einen Teil der prozessualen Geltendmachung durch den procurator bestätigt. Er entscheidet, dass die Klageforderung auch nur in der genehmigten Höhe konsumiert wird. Im Übrigen besteht die actio also fort und kann erneut eingeklagt werden.23 Dieses Ergebnis gewinnt er aus dem Vergleich mit der Wirkung der Handlung eines falsus procurator, der sich die Ermächtigung zur Vermögensverwaltung anmaßt:24 Auch dessen Geschäftsführung kann vom Gläubiger im Nachhinein teilweise oder ganz genehmigt werden, wenn er sich vom Schuldner die Zahlung hat versprechen lassen oder das Geld außergerichtlich eingetrieben hat. Für solche Fälle hat bereits Julian entschieden, dass die Forderung erst mit der ratihabitio domini erlischt.25 Sowohl die Novation durch die stipulatio des procurator als auch die Erfüllung durch Zahlung des Schuldners an den procurator wirken gegenüber dem Gläubiger nur in der später genehmigten Höhe.26 Anschließend knüpft Marcell an dieses Vergleichsargument noch die Lösung eines komplizierteren Falls: Auch bei einer alternativen Schuld mit Auswahlrecht des Gläubigers ist es möglich, dass der Prozessvertreter nur einen Teil einer der beiden wahlweise versprochenen Gegenstände einklagt.27 Für die Wirksamkeit der Klage kommt es wiederum auf die nachträgliche Genehmigung und deren Umfang an.28 Um die Folgen von Willensmängeln bei der Beantragung der bonorum possessio zu klären, greift Marcell auf die Voraussetzungen eines anderen Formalakts zurück: (A7) Marcell 124 = D  29.2.75 (9 dig)

Ex semisse Titius heres scriptus est: quadrantis bonorum possessionem per errorem petit. Quaero, an nihil actum sit an vero perinde omnia servanda sint,

23  Dementsprechend entscheidet auch Pomponius in D 46.8.18, dass eine Sicherheitsleistung des procurator ebenfalls nur in Höhe des nicht genehmigten Teils verfällt. 24  Marcell spricht zwar nicht ausdrücklich von dieser Konstellation, der Ausdruck pars gestae rei comprobare ist jedoch typisch für solche Fälle, wie man insbesondere an der Definition bei Ulp. D 46.8.12.1 ersehen kann: Rem haberi ratam hoc est comprobare adgnoscereque quod actum est a falso procuratore. 25  Vgl. Iul. D  46.3.13; Ulp. / Iul. D  46.3.58, D  46.8.12.2; dazu Seiler, Der Tatbestand der negotiorum gestio, S.  62 f. 26  Zur Gegenüberstellung der Wirkung von litis contestatio und Novation bei den Klassikern vgl. Kaser / Hackl, RZ, S. 300 m. Fn. 37. 27  Vgl. Pap. D 3.3.66: Durch die genehmigte Entscheidung des Vertreters für einen der beiden Gegenstände der Wahlschuld ist dieser rechtshängig und die Geltendmachung der Alternative nicht mehr möglich, weil die stipulatio erloschen ist. 28  Ähnlich De Filippi, Ratihabitio, S. 50.



I. Unvermittelte Rechtsfindung33 ac si quadrans nominatus non sit. Respondit magis nihil actum esse, quemadmodum cum ex semisse scriptus heres ex quadrante per errorem adiit hereditatem.



Titius ist zur Hälfte zum Erben ernannt worden. Aufgrund eines Irrtums beantragt er [die Einsetzung in] den Nachlassbesitz nur zu einem Viertel. Ich frage, ob nichts bewirkt worden ist oder aber alles ebenso erhalten bleiben muss, wie wenn das Viertel nicht genannt worden wäre. Er hat geantwortet, dass eher nichts bewirkt worden sei, ebenso wie wenn der zur Hälfte ernannte Erbe durch Irrtum die Erbschaft nur zu einem Viertel antritt.

Ein Erbe, der im Testament zur Hälfte eingesetzt worden ist, beantragt die bonorum possessio secundum tabulas beim Prätor irrtümlich nur in Höhe eines Viertels der Erbschaft. Es stellt sich die Frage, ob der falsche Antrag unwirksam ist oder zu einer Einweisung in den wahren Erbteil führt.29 Marcell geht in seiner Begründung davon aus, dass ein Erbschaftsantritt unter Benennung einer falschen Quote nichtig ist. Dabei kann er nur an den mit der agnitio bonorum possessionis vergleichbaren Formalakt der cretio gedacht haben, nicht an das formlose pro herede gerere.30 Ebenso wie die förmliche Erklärung einer unwiderruflichen aditio oder repudiatio hereditatis erfordert auch der Antrag auf den Nachlassbesitz eine sichere Kenntnis der wesentlichen Umstände.31 Wenn ein solcher Formalakt auf einem error beruht, soll dadurch nichts bewirkt werden. Marcell schließt von der für die cretio bereits anerkannten Lösung auf die Beantragung der bonorum possessio.32 Schenkungen von Todes wegen werden von den römischen Juristen häufig mit Vermächtnissen verglichen. Marcell bedient sich einer solchen Gegenüberstellung, um die für Soldaten bei der Verteilung ihres Nachlasses bestehenden Möglichkeiten aufzuzeigen: Einsetzung pro parte ist nicht denkbar; vgl. für die aditio Paul. D 29.2.1. Dulckheit, Erblasserwille und Erwerbswille, S. 161. 31  Vgl. insb. Paul. D 29.2.19 und Pomp. D 29.2.23; Kaser, RP I, S. 716, 719. Dazu passt auch, dass Paulus in D 29.2.93 für die Erklärung eines pater familias, er ermächtige seinen Sohn zum Erbschaftsantritt, scientia über Art und Umfang der Berufung verlangt. 32  Auch Paulus kennt einen solchen Grundsatz: Vgl. D  5.4.5.1, wo er nur aufgrund der utilitas zu einem anderen Ergebnis kommt. Bei der Annahme durch formlose gestio pro herede kommt es allerdings nicht auf die Vorstellungen des Erben über seinen Erbteil an: Weder ignorare partem (Ulp. / Iul. D  29.2.21.3.) noch destinare partem habere hereditatis (Ulp. D 29.2.10) verhindern die endgültige Einsetzung in Höhe des wahren Erbteils. Voci, DER I, S. 627 f.; Kaser, RP I, S. 716 Fn. 15 und Liebs, ANRW  II  15, S. 274 unterscheiden dagegen nicht zwischen den Antrittsarten und gehen daher von einer Kontroverse zwischen Julian und Marcell aus. Zülch, Der liber singularis responsorum, S. 225 meint, Julian behandle die bloße Unkenntnis, während Marcell von einer positiven Fehlvorstellung ausgehe. 29  Die

30  Ebenso

34

B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung

(A8) Iul 406 = D  39.6.15 (18 dig)

Marcellus notat: cum testamento relinquendi, cui velint, adepti sint filii familias milites liberam facultatem, credi potest ea etiam remissa, quae donationes mortis causa fieri prohibent. Paulus notat: hoc et constitutum est et ad exemplum legatorum mortis causa donationes revocatae sunt.



Marcell merkt an: Da Haussöhne als Soldaten die freie Befugnis erlangt haben, durch Testament zu hinterlassen, wem sie wollen, kann angenommen werden, dass auch das Verbot, Schenkungen von Todes wegen zu machen, [diesen] erlassen ist. Paulus bemerkt dazu: Dies ist auch angeordnet worden und Schenkungen von Todes wegen sind nach dem Vorbild der Legate widerrufen worden.

Eines der wichtigsten Privilegien für gewaltunterworfene Soldaten ist die Erlaubnis, trotz ihrer grundsätzlichen Testierunfähigkeit über ihr peculium castrense selbständig Verfügungen treffen zu dürfen.33 In der Bemerkung zu einer nicht überlieferten Stelle aus Julians digesta leitet Marcell aus den entsprechenden Kaiserkonstitutionen die zusätzliche Gestattung von donationes mortis causa ab.34 Namentlich wird es ihm um die Zulässigkeit solcher Geschäfte auch ohne Einwilligung des abwesenden pater familias gegangen sein, da es Haussöhnen patre permittente ohnehin erlaubt ist, mortis causa zu schenken.35 Die allgemeine Anpassung der donatio mortis causa an die für Legate geltende Rechtslage war eine Entwicklung, die sich über die gesamte klassische Zeit erstreckte.36 Einer der wichtigsten Schritte dieses Prozesses war die vollständige Anerkennung des Reurechts, die bereits vor Marcell stattgefunden haben muss.37 Demzufolge handelt es sich bei der vorliegenden Begründung auch nicht um eine Gegenüberstellung zweier gleichwertiger Rechtsinstitute, sondern um die Erweiterung des Anwendungsbereichs der privilegierenden Konstitutionen an Hand eines ErstRecht-Schlusses:38 Wenn der Kaiser den gewaltabhängigen Soldaten schon 33  UE 20.10; Ulp. D 49.17.2; IJ 2.12pr. Ihr Urheber war schon Augustus; Avenarius, Der pseudo-ulpianische liber singularis regularum, S.  389 f. 34  So entscheidet später auch Ulpian in D 24.1.32.8: … nam et mortis causa donare poterit, cui testari permissum est; vgl. auch Ulp. D 39.5.7.6; Ankum, Mélanges Wołodkiewicz, S. 30 f. Anders Appleton, NRH  35 (1911), S. 597 ff., demzufolge es Marcell nur um die Erweiterung des Empfängerkreises gegangen sein soll; dagegen zu Recht Lehmann, ANRW II 14, S. 243 und Rastätter, Marcelli notae ad ­Iuliani digesta, S. 170 Fn. 7. 35  Vgl. Marci. D 39.6.25.1: Filius familias, qui non potest facere testamentum nec voluntate patris, tamen mortis causa donare patre permittente potest; ebenso La Rosa, I peculii speciali, S. 64 ff.; Lehmann, ANRW II 14, S. 243. 36  Vgl. nur Gai  2.225 f., Paul. D  39.6.35pr., Alex. C  6.50.5; Kaser, RP I, S. 764. 37  Vgl. Iul. D 39.6.16; für Marcell belegt durch D 40.1.15 (A9) und D 39.6.13.1; Rüger, Die donatio mortis causa, S.  221 ff. 38  Ebenso Simonius, Donatio mortis causa, S.  12 f.; Lehmann, ANRW II 14, S. 243; Rastätter, Marcelli notae ad Iuliani digesta, S.  170 ff.; Rüger, Die donatio



I. Unvermittelte Rechtsfindung

35

erlaubt hat, in einem gewissen Rahmen letztwillige Verfügungen patre non permittente und ohne Einhaltung der ansonsten bestehenden Formvorschriften und Einschränkungen zu treffen, spricht nichts mehr dagegen, ihnen dafür auch das Instrument der weniger reglementierten donationes mortis causa zur Verfügung zu stellen. Paulus‘ Note legt zudem den Schluss nahe, dass Marcell diese Angleichung als erster vertreten hat und seine Meinung später durch eine weitere Konstitution bestätigt worden ist.39 Einen Vergleich zwischen der Freilassung von Todes wegen und einer donatio mortis causa stellt Marcell im folgenden Fragment an: (A9) Marcell 248 = D  40.1.15 (23 dig) Mortis causa servum manumitti posse non est dubitandum. Quod non ita tibi intellegendum est, ut ita liber esse iubeatur, ut, si convaluerit dominus, non fiat liber, sed quemadmodum si vindicta eum liberaret absolute, scilicet quia moriturum se putet, mors eius exspectabitur, similiter et in hac specie in extremum tempus manumissoris vitae confertur libertas, durante scilicet (propter mortis causae tacitam condicionem) voluntate manumissoris: quemadmodum cum rem ita tradiderit, ut moriente eo fieret accipientis, quae ita demum alienatur, si donator in eadem permanserit voluntate. Es ist nicht zu bezweifeln, dass ein Sklave von Todes wegen freigelassen werden kann. Was man nicht so verstehen darf, dass seine Freilassung derart angeordnet wird, dass er nicht frei wird, wenn der Eigentümer genesen ist. Vielmehr wird in gleicher Weise, wie dessen Tod abgewartet wird, wenn er diesen mit dem Stab bedingungslos befreite, weil er nämlich meinte, dass er sterben werde, genauso die Freiheit auch in diesem Fall auf den letzten Zeitpunkt des Lebens des Freilassers verschoben, allerdings nur, wenn der Wille des Freilassers (wegen der stillschweigenden Bedingung von Todes wegen) fortbesteht. Ebenso [verhält es sich,] wenn er eine Sache so übergibt, dass sie dem Empfänger erst bei seinem Versterben zustünde; diese wird ja nur dann veräußert, wenn der Schenker bei derselben Absicht geblieben ist.

Entgegen dem apodiktischen Urteil Marcells (non dubitandum est) geht es um die Frage, ob eine manumissio mortis causa überhaupt zulässig ist.40 Dies ist deshalb problematisch, weil bei der manumissio vindicta, die die übliche Form des Freilassungsrechtsakts unter Lebenden darstellt, das Hinzufügen einer Bedingung oder Befristung zur Unwirksamkeit führt.41 Der mortis causa, S. 231; die Zweifel, die Backhaus, SZ 101 (1984), S. 380 wegen des sofortigen Erwerbs des Zugewendeten äußert, sind gerade in Anbetracht der jederzeitigen Widerruflichkeit der Schenkung unbegründet. Für die Vorstellung der testamentarischen Verfügung als ein maius gegenüber der Schenkung spricht zudem Marci. D  39.6.25.1 (s. o. S. 34 Fn.  35). 39  Rastätter, Marcelli notae ad Iuliani digesta, S. 171. 40  Zur älteren Literatur mit umfangreicher Interpolationskritik vgl. Rüger, Die donatio mortis causa, S. 201 m. Fn. 2 ff. 41  Dies kann mit Kaser, RP  I, S. 255 aus ihrer engen Verwandtschaft zur in iure cessio geschlossen werden; die Aufzählung der bedingungsfeindlichen Rechtsge-

36

B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung

Charakter der Freiheit als absolute Rechtsposition verträgt grundsätzlich keine Unsicherheit.42 Allerdings kennt bereits das Zwölftafelgesetz die testamentarische Freilassung, die frühestens bei Versterben des Freilassers wirksam wird und sogar unter einer zusätzlichen aufschiebenden Bedingung verfügt werden kann.43 Es liegt in der Natur einer letztwilligen Verfügung, dass der Zeitpunkt ihrer Wirksamkeit ungewiss ist. Diesen Überlegungen entsprechend betont Marcell zunächst, dass in der Bezugnahme auf den Tod des Freilassers jedenfalls keine Bedingung zu sehen ist, deren Ausfall durch Genesung des Eigentümers die Freilassung hinfällig machen würde.44 Stattdessen soll der Effekt des Geschäfts bis zu dem Moment aufgeschoben werden, in dem der Freilasser stirbt.45 Hier vergleicht Marcell die manumissio mortis causa mit einer unbedingten manumissio vindicta durch einen dominus, der sich in der sicheren Erwartung seines baldigen Ablebens befindet: Auch dort werde die tatsächliche Wirkung der manumissio hinausgezögert, solange der Freilasser noch am Leben sei.46 Durch die manumissio mortis causa werden die Vorteile einer Freilassung zu Lebzeiten gewahrt,47 während die Wirkung des Geschäfts dennoch an den Fortbestand der voluntas manumittendi beim Eigentümer gebunden ist.48 Zur Begründung verweist Marcell im letzten Satz auf die donatio mortis causa. Bereits Julian hat eine Schenkung von Todes wegen zugelassen, bei der die traditio selbst unter der aufschiebenden Bedingung des Todes vorschäfte in Pap. D  50.17.77 ist nicht abschließend. Eine resolutive Befristung der Freiheitsgewährung ist generell unzulässig; vgl. Paul. D 40.4.33 f. 42  Kaser / Knütel, Römisches Privatrecht, S. 73. 43  UE 2.4. 44  Insofern richtig Simonius, Die donatio mortis causa, S. 133 f.; ebenso Rüger, Die donatio mortis causa, S.  206 m. w. N. 45  Wahrscheinlich ist dabei an eine nicht zivile Freilassung inter amicos gedacht, die nur zu einer vom Prätor geschützten, faktischen Freiheit führt; Lenel, Palingenesia I, Sp. 629; ihm folgend Kaser, Symbolae Taubenschlag, S. 435; Simonius, Die donatio mortis causa, S. 132 Fn. 1; Rüger, Die donatio mortis causa, S. 213. 46  Ob Marcell hier an einen Freigelassenen denkt, der freiwillig weiter dient, um den tatsächlichen Tod seines Freilassers abzuwarten, wie es vielleicht in der Praxis öfters zu beobachten war, oder ob es sich um eine Art Nebenabrede zur bedingungsfeindlichen manumissio vindicta handelt, kann nach dem knappen Wortlaut nicht entschieden werden; Letzteres vermuten Robbe, Il diritto di accrescimento, S. 177 und ihm folgend Rüger, Die donatio mortis causa, S. 205 m. Fn. 22, jedoch ohne zwingende Argumente. 47  Vgl. dazu die Beispiele bei Rüger, Die donatio mortis causa, S.  207 ff. 48  Der alte Streit um die generelle Klassizität des Reurechts wird von Rüger, Die donatio mortis causa, S. 221 ff. nach ausführlicher Behandlung aller einschlägigen Quellen in überzeugender Weise positiv entschieden; zur Gegenauffassung vgl. die dort behandelte Literatur.



I. Unvermittelte Rechtsfindung37

genommen wird, so dass das Eigentum bis zum letzten Moment seines Lebens beim Schenker verbleibt.49 Auch diese Form der donatio ist im Gegensatz zu sonstigen Schenkungen befristet und zugleich widerruflich. Daraus schließt Marcell, dass es möglich sein muss, unter denselben Konditionen einem Sklaven die Freiheit zu schenken. Er gewinnt seine Lösung also aus einer Zusammenschau der beiden Vergleichsfälle. In einer weiteren Entscheidung erklärt Marcell die Berechnung der falzidischen Quart im Falle einer testamentarischen Freilassungsanordnung mit zwei vergleichbaren Konstellationen: (A10) Marcell 242 = D  35.2.56.3 (22 dig)

Is, qui in bonis unum dumtaxat servum habebat, legavit eum Titio et fidei eius commisit, ut post triennium manumitteret: debet ex eo, quod interim ex operis servi ad Titium pervenire potest, quarta apud heredem remanere, quemadmodum si directo post triennium servo libertatem dedisset eiusque usum fructum ei legasset, aut ei proprietatem per fideicommissum relinquit.



Derjenige, der nur einen Sklaven im Vermögen hatte, hat diesen dem Titius vermacht und hat ihm fideikommissarisch auferlegt, dass er ihn nach drei Jahren freilassen sollte. Es muss von dem, was in der Zwischenzeit an Sklavendiensten an Titius gelangen kann, ein Viertel beim Erben verbleiben, auf die gleiche Weise wie wenn er dem Sklaven nach drei Jahren direkt die Freiheit gewährt hätte und diesem den Nießbrauch daran vermacht hätte, oder diesem das Eigentum durch ein Fideikommiss hinterlassen hätte.

Ein Erblasser, dessen gesamtes Vermögen nur aus einem Sklaven bestand,50 hat diesen zum Gegenstand eines Vermächtnisses gemacht und dem Legatar zudem durch Fideikommiss auferlegt, ihn nach drei Jahren freizulassen. Handelt es sich bei einem Vermächtnisgegenstand um eine unteilbare Sache, muss dem Erben grundsätzlich der Kürzungswert vom Vermächtnisnehmer ausbezahlt werden, ansonsten kann er die Erfüllung des Vermächtnisses verweigern.51 Wird allerdings nichts weiter als ein Sklave vermacht und dessen sofortige Freilassung angeordnet, ist die Anwendung der lex Falcidia durch ein nur mittelbar überliefertes senatus consultum ausgeschlossen.52 Auch im vorliegenden Fall könnte die Vorschrift eine Anwendung der lex Falcidia verhindern. Da dem Legatar jedoch zunächst drei Jahre lang die opera des Sklaven zugutekommen sollen, muss nach Marcell ein Viertel des Wertes seiner Bereicherung abgezogen werden und 49  Ulp. / Iul.

D  24.1.11pr., 1, D  39.6.2, Iul. D  39.6.14. ist hier mit dem Ausdruck in bonis habere nicht gesagt; Talamanca, Studi Biondi II, S. 362; Ankum, SZ 104 (1987), S. 360 f. 51  Das schließt Kaser, RP  I, S. 757 m. Fn. 16, aus Scaev. D  35.2.16pr., 1. 52  Paul. D  35.2.33: Si servus tibi legatus sit eumque rogatus sis manumittere nec praeterea capias, unde quartam, quae per Falcidiam retinetur, recipere possis, senatus censuit cessare Falcidiam; vgl. Schanbacher, Ratio legis Falcidiae, S. 221. 50  Mehr

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung

dem Erben zugutekommen. Begründet wird dieses Ergebnis durch den Vergleich mit dem Fall einer direkten manumissio des Testators: Auch eine solche Freilassungsanordnung kann unter einer Bedingung oder für einen späteren als den Todeszeitpunkt getroffen werden, so dass der ususfructus für die Zwischenzeit noch zum Gegenstand eines Vermächtnisses gemacht werden kann.53 Der Wert des dreijährigen Nießbrauchs würde dann ohne Weiteres der Kürzungsregelung der lex Falcidia unterliegen. Ebenso stehen dem Erben die Nutzungsvorteile zu, wenn ihm vom Testator aufgetragen worden ist, das Eigentum am statuliber für die verbliebene Zeit einem Fideikommissar zu übertragen. Marcell ist es darum bestellt, deutlich zu machen, dass in all diesen Konstellationen – unabhängig davon, in wessen Eigentum sich der Sklave bis zu seiner Freilassung befindet und auf welche Weise er letztlich freigelassen wird – die senatorische Bestimmung nicht einschlägig ist, da die Hinterlassenschaft trotz Freilassungsanordnung einen eigenen Wert hat. Nur wenn der Sklave sofort freizulassen ist, müsste der Vermächtnisnehmer die Quart allein aus seinem eigenen Vermögen leisten, ohne letztlich einen Gegenwert zu erhalten.54 Auch im daran anschließenden Fragment geht es um die Frage, ob das Vermächtnis mehr als nur einen freizulassenden Sklaven umfasst: (A11) Marcell 242 = D  35.2.56.4 (22 dig)

Stichum tibi, servo tuo decem legavit vel contra tibi decem, servo tuo Stichum, libertatemque Stichi fidei eius commisit. Lex Falcidia minuit legata: redimere ab herede partem debes, quemadmodum si tibi utrumque legasset.



Jemand hat dir den Stichus und deinem Sklaven 10 vermacht oder umgekehrt dir 10 und deinem Sklaven den Stichus und hat diesem die Freiheit des Stichus fideikommissarisch auferlegt. Die lex Falcidia vermindert die Vermächtnisse. Du musst vom Erben den [vierten] Teil [des Sklaven] loskaufen, auf die gleiche Weise wie wenn er dir beides vermacht hätte.

In einem Testament sind zwei Vermächtnisse angeordnet: Jemand soll einen Sklaven bekommen, der aufgrund eines Fideikommisses sofort freizulassen ist, und dessen eigener Sklave einen bestimmten Geldbetrag oder umgekehrt. Marcell meint, dass die Regelung der lex Falcidia auch hier zu einer Kürzung beider Legate führt und nicht nur des Geldbetrags. Denn obwohl eines der Vermächtnisse ausschließlich einen Sklaven im Sinne des senatus consultum zum Gegenstand hat, also derjenige, dem der Sklave vermacht wird, nicht unmittelbar etwas anderes erhält, unde quartam recipere potest, müssen die beiden Legate an dominus und servus jedoch wirtauch Pomp. D 33.2.20; Talamanca, Studi Biondi II, S. 361. würde es dem Erblasser auch ermöglicht, durch eine entsprechend lange Befristung die falzidische Vorschrift dauerhaft zu umgehen. 53  Vgl.

54  Ansonsten



I. Unvermittelte Rechtsfindung39

schaftlich als Einheit betrachtet werden. Marcell führt daher den simpleren Fall zum Vergleich heran, in dem dieselbe Person einen freizulassenden Sklaven und einen Geldbetrag als Vermächtnis bekommen hat. In dieser Konstellation ist offensichtlich, dass der Vermächtnisnehmer den Sklaven zur Gänze einfordern kann und der Erbe von dem Geldbetrag ein Viertel des Gesamtwertes der Vermächtnisse einbehalten darf, da trotz Befolgung der lex Falcidia die Freilassung nicht verhindert wird.55 Auf dieser Überlegung aufbauend lehnt Marcell auch im vorliegenden Fall die Anwendung des senatus consultum ab, da es für die finanzielle Betrachtung keinen Unterschied macht, ob der Legatar persönlich oder durch einen Gewalt­ unterworfenen erwirbt.56 In zwei Entscheidungen zieht Marcell Vergleiche heran, um die Anwendbarkeit und Funktionsweise einer allgemeinen Juristenregel zur Ausschlagung von Vermächtnissen in unterschiedlichen Zusammenhängen zu erklären: (A12) Marcell 237 = D 9.2.34, 36pr. (21 dig)

Titio et Seio Stichum legavit: deliberante Seio, cum Titius vindicasset legatum, Stichus occisus est: deinde Seius repudiavit legatum. perinde Titius agere possit, ac si soli legatus esset. …



Nam sicut repudiante legatario legatum heredis est actio perinde ac si legatus non esset, ita huius actio est ac si soli legatus esset.



Jemand hat Stichus an Titius und Seius vermacht. Während Seius noch überlegte und Titius das Legat schon vindiziert hatte, ist Stichus ermordet worden. Daraufhin hat Seius das Legat ausgeschlagen. Titius kann auf gleiche Weise klagen, wie wenn ihm [Stichus] allein vermacht worden wäre. …



Denn so wie die Klage bei Ausschlagung eines Legats durch den Vermächtnisinhaber dem Erben zusteht, gerade so als ob [der Gegenstand] nicht vermacht worden wäre, so steht diesem die Klage zu, wie wenn ihm [der Sklave] allein vermacht worden wäre.

Ein Sklave, der Gegenstand eines gemeinschaftlichen Vermächtnisses war, ist ermordet worden. Während einer der beiden Legatare den Sklaven bereits zuvor vom Erben herausverlangt hatte, schlägt der andere nach des55  Ebenso Paul. D 35.2.36.3: … Sed et si aliud praeterea capiat legatarius, adhuc servus totus peti potest: quartam autem utriusque ex legato retinendam, ne impediatur libertas. 56  Entgegen Schanbacher, Ratio legis Falcidiae, S. 221 meint partem redimere gerade nicht, dass auch die falzidische Quart am Sklaven vom Erben erlangt wird, sondern dass er diesen Teil des Wertes mit einem entsprechenden Anteil des Geldvermächtnisses vom Erben quasi erkaufen muss. Insofern besteht auch kein Widerspruch zu Paul. D  31.5.1; ebenso Buchwitz, Servus alienus heres, S. 187.

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung

sen Tod sein Vermächtnis aus. Eigentlich hatte der erste Vermächtnisnehmer im Zeitpunkt der Ermordung nur hälftiges Miteigentum.57 Marcell gewährt ihm die actio legis Aquiliae dennoch zur Gänze, stellt ihn also so, als hätte er den Sklaven von vornherein allein vermacht bekommen und wäre zur Zeit der Tat bereits Alleineigentümer gewesen. Ulpian hat dies später durch den Zusatz verdeutlicht, der zweite Anteil sei ihm mit Rückwirkung angewachsen.58 Marcell selbst beruft sich unmittelbar auf einen Vergleichsfall: Bei der Ausschlagung durch den alleinigen Legatar fällt das Vermächtnis rückwirkend dem Erben zu, und zwar so, als ob der Ausschlagende nie bedacht worden wäre. Bei dieser Fiktion handelt es sich um eine zu Marcells Wirkungszeit bereits etablierte Juristenregel.59 Marcell macht sie auch für den Ausgangsfall fruchtbar. Auf das Prinzip der Rückwirkung von Ausschlagungen beruft sich Marcell auch im Falle eines Freilassungsfideikommisses: (A13) Marcell 153 = D  29.1.31 (13 dig)

Si miles Titio et Seio servum legaverit et eum Titius manumisisset deliberante Seio moxque is legatum omisisset, liberandum fore dico, quia et si heres servum alicui legatum interim manumisisset, deinde legatarius repudiasset, liber esset.



Wenn ein Soldat Titius und Seius einen Sklaven vermacht hat und Titius ihn freigelassen hat, während Seius noch überlegte, und dieser bald danach das Vermächtnis ausgeschlagen hat, bejahe ich, dass er befreit werden muss, weil, wenn der Erbe einen Sklaven, der einem Dritten vermacht worden ist, in der Zwischenzeit freigelassen hätte und der Vermächtnisnehmer hierauf ausgeschlagen hätte, dieser auch frei wäre.

Jemand lässt einen Sklaven frei, der ihm gemeinsam mit einem anderen per vindicationem vermacht worden ist, und zwar während der andere noch überlegt, ob er das Vermächtnis ausschlagen soll.60 Grundsätzlich führt die manumissio eines Miteigentümers zum Alleineigentum des anderen.61 Wenn der andere das Vermächtnis jedoch später ausschlägt, soll der Sklave frei werden. Auch hinter dieser Entscheidung steht das Prinzip, dass ein ausgeschlagenes Legat rückwirkend als nicht verfügt gilt.62 Marcell beschränkt 57  Auf den Schulenstreit über den Erwerb von Vindikationslegaten kommt es dabei nicht an. Die andere Hälfte des Legats ist deliberante Seio entweder nach sabinianischer Ansicht bereits in dessen Eigentum oder den Prokulianern zufolge herrenlos; vgl. Gai  2.195. Dazu Lohsse, Ius adcrescendi, S.  103 f. 58  Ulp. D  9.2.35. 59  Vgl. Iul. D 30.86.2, Pomp. D 30.38.1. 60  Aus der Parallelstelle Vat 84 ist ersichtlich, dass es sich nicht um eine Besonderheit der Soldatentestamente handelt; dazu Astolfi, La lex Iulia et Papia, S.  271 f. 61  UE 1.18, PS 4.12.1. 62  Siehe hierzu D 9.2.34, 36pr. (A12) und D 33.3.3 (D4).



I. Unvermittelte Rechtsfindung41

seine Begründung an dieser Stelle wiederum auf einen Vergleich. Denn die Funktionsweise der Ausschlagung kann am Fall einer repudiatio durch den alleinigen Vermächtnisnehmer noch leichter nachvollzogen werden:63 Auch wenn der Erbe selbst einen zur Erbschaft gehörenden Sklaven, der einem Dritten vermacht ist, deliberante eo freilässt und dieser Legatar später ausschlägt, gilt der Sklave mit Wirkung ex tunc als niemals vermacht und erlangt daher rückwirkend seine Freiheit. Durch den Vergleich wird die eigentliche Problematik freigelegt und kann unabhängig von der zusätzlichen Erschwernis des gemeinsamen Vermächtnisses gelöst werden. Die Ableitung einer Entscheidung zur Rechtsmängelhaftung in Dreipersonenkonstellationen gelingt Marcell durch die theoretische Aufspaltung des Vorgangs in zwei hintereinandergeschaltete Rechtsgeschäfte, wie sie schon in einer Argumentation Celsus’ und Julians zu finden ist: (A14) Marcell 108 = D 21.2.61 (8 dig)

Si quod a te emi et Titio vendidi, voluntate mea Titio tradideris, de evictione te mihi teneri, sicuti si acceptam rem tradidissem, placet.



Wenn du das, was ich von dir gekauft und dem Titius weiterverkauft habe, mit meinem Willen dem Titius übergeben hast, wird vertreten, dass du mir ebenso für Eviktion haftest, als ob ich die Sache, nachdem ich sie [von dir] empfangen hatte, [dem Titius] übergeben hätte.

Marcell untersucht die Eviktionshaftung im dem Fall, dass ein Käufer den Verkäufer angewiesen hat, die Kaufsache direkt an einen Dritten zu übergeben. Er entscheidet, dass der Verkäufer dem Käufer in derselben Weise für Rechtsmängel haftet, wie in dem Fall zweier getrennter Übergaben vom Verkäufer an den Käufer und vom Käufer an den Dritten.64 Wird eine Kaufsache nicht schon nach der Übergabe an den Käufer, sondern erst nach erneuter Veräußerung und Weitergabe an einen Dritten vom wahren Eigentümer evinziert, hat der ursprüngliche Verkäufer nichtsdestoweniger dem ersten Käufer für den Rechtsmangel einzustehen.65 Voraussetzung für eine solche Haftung 63  Auch Ulpian referiert diese Entscheidung in D 40.1.2 mit einem simplen placet ohne Angabe des Urhebers. 64  Die Formulierung mit placet (nicht: placuit) zeigt entgegen Hausmaninger, Casebook zum römischen Vertragsrecht, S. 164 nicht unbedingt die bloße Wieder­ gabe einer schon bestehenden, herrschenden Lehre an; vgl. Heumann / Seckel, Handlexikon, S. 432. Mangels Hinweise auf eine ältere Entscheidung desselben Inhalts ist vielmehr von einer originären Ansicht Marcells auszugehen. Ob er hier eine bestimmte Art der Haftung im Sinn hatte, lässt sich allerdings nicht mehr feststellen; Kaser, FG Lübtow, S. 490, 492; Finkenauer, Vererblichkeit und Drittwirkungen der Stipulation, S. 86 Fn. 178. 65  Zumindest für den Fall der stipulatio duplae ist diese Entscheidung bereits von Julian in D 21.2.39.1 überliefert; dazu eingehend Finkenauer, Vererblichkeit und Drittwirkungen der Stipulation, S. 82 ff.

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung

ist jedoch grundsätzlich ein nach der traditio an den Käufer erfolgter Eingriff in sein habere licere.66 Das eigentliche Problem im Fall der delegatio liegt also darin, dass der Käufer zu keinem Zeitpunkt den tatsächlichen Besitz an der Kaufsache erlangt hat. Daher verdeutlicht Marcell seine Entscheidung zugunsten der Haftung mit der Parallele zu dem einfacheren Fall des tatsächlichen Zwischenerwerbs beim Käufer. Diese Art der Aufgliederung eines Anweisungsverhältnisses findet sich schon bei Celsus und Julian.67 Es handelt sich bei diesen rationes aber nicht etwa um Fiktionen in unserem heutigen Sinn,68 sondern um die bloße Gegenüberstellung der beiden Fälle zur Ableitung eines übereinstimmenden Ergebnisses.69 In seinen notae kritisiert Marcell anhand eines einfachen Vergleichs die bei Julian vorgefundene Auslegung des althergebrachten ius postliminii: (A15) Iul 762 = D  49.15.12.2 Tryph 4 disp

Facti autem causae infectae nulla constitutione fieri possunt. Ideo eorum, quae usucapiebat per semet ipsum possidens qui postea captus est, interrumpitur usucapio, quia certum est eum possidere desisse. Eorum vero, quae per subiectas iuri suo personas possidebat usuque capiebat, vel si qua postea peculiari nomine comprehenduntur, Iulianus scribit credi suo tempore impleri usucapionem remanentibus isdem personis in possessione. Marcellus nihil interesse, ipse possedisset an subiecta ei persona. Sed Iuliani sententiam sequendum est.



Tatsachen aber können durch keine Vorschrift ungeschehen gemacht werden. Daher wird die Ersitzung der Dinge, die der Besitzer, der später gefangen genommen worden ist, in eigener Person ersessen hat, unterbrochen, weil es sicher ist, dass dieser aufgehört hat zu besitzen.



Julian schreibt, es müsse aber angenommen werden, dass die Ersitzung der Dinge, die jemand durch seiner Rechtsgewalt unterworfene Personen besaß und ersaß, oder wenn etwas später [nach Gefangennahme] zum Sondergut hinzuerworben wurde, zu ihrer Zeit vollendet werde, solange dieselben Personen im Besitz blieben. Marcell [meint], es mache keinen Unterschied, ob er selbst besessen habe oder ihm unterworfene Personen. Es ist aber der Entscheidung Julians zu folgen.

Mit seiner Gefangennahme wird ein freier Bürger zum rechtsunfähigen servus hostium. Seine Rechte bleiben aber in einer Art Schwebezustand, da 66  Dies zeigt auch deutlich der Umkehrschluss aus Cels. D 21.2.62pr.; ebenso Calogne, Evicción, S. 63 ff.; Wacke, FS Niederländer, S. 148 m. Fn. 26; Pennitz, Das periculum rei venditae, S. 443 Fn. 1. 67  Zu Ulp. / Cels. D  24.1.3.12 ausführlich Harke, AI, S.  83 ff. m. w. N.; zu Ulp. / Iul. D  24.1.3.13 Harke, AI–AS, S.  144 f. m. w. N. 68  So aber Hausmaninger, Casebook zum römischen Vertragsrecht, S.  164; Klinck, Erwerb durch Übergabe an Dritte, S. 350. 69  Weyand, Der Durchgangserwerb in der juristischen Sekunde, S. 119 f., 128 f.; Harke, AI, S. 89.



I. Unvermittelte Rechtsfindung43

das ius postliminii bei Rückkehr aus der Gefangenschaft die Wiedereinsetzung in die verlorenen Rechtspositionen bewirken kann.70 Tryphonin erörtert die spezielle Frage des Fortlaufens von Ersitzungen bei der Gefangennahme eines possessor. Da er im principium des Fragments zunächst ausdrücklich vom ius postliminii spricht und in § 1 dieses Recht mit der beim Versterben des Betroffenen in Gefangenschaft einschlägigen lex Cornelia vergleicht, ist davon auszugehen, dass auch in § 2 jedenfalls vom ius die Rede ist. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass mit der Bezeichnung nulla constitutio beide Regelungen gemeint sind.71 Die Überlegungen gehen dabei von dem Grundsatz aus, dass der tatsächliche Besitzverlust des captivus auch durch ein solches Rechtsinstitut nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. In diesem Zusammenhang berichtet er, dass Julian eine Ausnahme machen wolle, wenn sich nicht der captivus selbst im Besitz des Gegenstands befunden, sondern ein Gewaltunterworfener für ihn besessen hätte. Die Vermittlung des Besitzerwerbs durch gewaltabhängige Personen ist grundsätzlich in zwei Formen denkbar: zum einen per subiectas personas mit auf den konkreten Gegenstand bezogenem animus domini und zum anderen aufgrund einer generellen Einwilligung peculii nomine.72 Julian nimmt das Fortlaufen der Ersitzung ausdrücklich in beiden Fällen an. Marcell, der sich zu der Problematik des Pekuliarbesitzes überhaupt nicht äußert, widerspricht ihm mit Bezug auf die erste Variante.73 Hierfür dient ihm das schlichte Argument, dass es keinen Unterschied machen könne, ob der captivus selbst oder durch eine ihm unterworfene Person im Besitz stehe.74 Kehrt der Betroffene aus der Gefangenschaft zurück, wäre seiner 70  Gai 1.129. Es handelt sich dabei um einen gesetzesgleich wirkenden Rechtsbrauch; vgl. Paul. D  49.15.19pr.: Postliminium est ius amissae rei recipiendae ab extraneo et in statum pristinum restituendae inter nos ac liberos populos regesque moribus legibus constitutum; Kreller, Paulys RE  43, Sp. 865. 71  So auch Jhering, De hereditate possidente, S. 17 f. und Buckland, The roman law of slavery, S. 295 Fn. 1, 309 Fn. 4 f.; nach Lohsse, FS Knütel, S. 674 Fn. 28 ist die Stelle „wenigstens in erster Linie“ auf das ius bezogen, nach Klinck, Erwerb durch Übergabe an Dritte, S. 144 nur auf dieses; Benöhr, Der Besitzerwerb durch Gewaltabhängige, S. 120 und Rastätter, Marcelli notae ad Iuliani digesta, S. 237 wiederum gehen von einer ausschließlichen Erörterung der lex aus. 72  Paul. / Cels. D  41.4.2.11; Kaser, RP I, S. 392 f. 73  Von einer Kontroverse für den Fall des postea peculiari nomine comprehendere kann also keine Rede sein. Marcells Meinung hierzu ist schlicht nicht überliefert. So auch Jhering, De hereditate possidente, S. 27; a. A. Klinck, Erwerb durch Übergabe an Dritte, S. 146 und Lohsse, FS Knütel, S. 677, jeweils m. w. N. 74  Dabei ist keinesfalls anzunehmen, dass Marcell allgemein dem Grundsatz des Besitzverlustes beim captivus widersprechen wollte; so aber Benöhr, Der Besitzerwerb durch Gewaltabhängige, S. 121; wie hier schon Feust, in: Das corpus iuris civilis IV, S. 310 Fn. 68; zuletzt auch Klinck, Erwerb durch Übergabe an Dritte, S. 146 und Lohsse, FS Knütel, S. 677 f.

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung

Meinung nach also in beiden Fällen die Ersitzung unterbrochen worden. Seine Aussage könnte aber gleichzeitig auch auf den Fall des apud hostes defunctus bezogen sein: Da die Erben nach der erweiterten fictio legis Corneliae so gestellt werden, als wäre der captivus im letztmöglichen Moment vor seiner Gefangennahme verstorben,75 müsste die Ersitzung hier in jedem Fall weiterlaufen, unabhängig davon, wie der Gegenstand besessen wurde.76 Die Induktion selbst wird jedenfalls nicht weiter erläutert. Für Marcell mag die Gleichstellung des Eigenbesitzes und des Besitzes per subiectas personas insbesondere deswegen geboten sein, da für beide die Annahme eines animus captivi erforderlich wäre, wohingegen für den Besitzerwerb peculii nomine das Wissen des dominus gerade nicht erforderlich ist.77 Dem evolvierten Verständnis der fictio legis Corneliae entspringen zwei Falllösungen Marcells: (A16) Marcell 247 = D  49.15.1 (22 dig)

Quod servus eius, qui ab hostibus captus est, postea stipulatus est, aut si legatum sit servo eius, posteaquam ille ad hostes pervenit, hoc habebunt heredes eius, quia et si captivitatis tempore decessisset, adquisitum foret heredi.



Was sich der Sklave desjenigen, der von den Feinden festgenommen worden ist, später hat versprechen lassen, oder was seinem Sklaven vermacht worden ist, nachdem jener zu den Feinden gelangt ist, das werden dessen Erben innehaben, weil es auch für den Erben erworben worden wäre, wenn er im Zeitpunkt der Gefangennahme verstorben wäre.

Wenn ein captivus in Gefangenschaft verstirbt, findet nicht das ius postliminii, sondern die lex Cornelia Anwendung. Ausdrücklich wird hierdurch nur die Wirksamkeit von Testamenten der Gefangengenommenen trotz Verlust der testamenti factio gewährleistet, indem das Gesetz fingiert, dass der Testator als freier Bürger verstorben sei.78 Doch zumindest die spätklassischen Juristen gehen von einer weiteren Wirkung dieser fictio legis aus und unterstellen, dass der Erblasser im letzten Moment vor seiner Gefangennahme noch als römischer Bürger verstorben ist und seine Nachfolger ganz allgemein in die damaligen Rechtspositionen eingetreten sind.79 Einiges 75  Dazu

ausführlich sogleich D  49.15.1 (A16) und D 41.3.15pr. (A17). zur allgemeinen Regel usucapio heredi procedit beim Tod des Ersitzenden: Ner. D 41.3.40; Kaser, RP I, S. 423. Insofern steht die Stelle nicht im Widerspruch zu Marcel. D 41.3.15pr.; anders Klinck, Erwerb durch Übergabe an Dritte, S. 158. 77  Letzteres sagt ausdrücklich Paul. / Cels. D  41.4.2.11. 78  Siehe dazu die Rekonstruktion bei Wesel, Rhetorische Statuslehre und Gesetzesauslegung, S. 56 und die ausführliche Erörterung bei Lohsse, FS Knütel, S. 679 ff. jeweils m. w. N. 79  Pap. D  41.3.44.7, Paul. D  29.1.39, Ulp. D  49.15.18. In Paul. D  35.2.1.1 genügt die ursprüngliche Fiktion für die Entscheidung. 76  Vgl.



I. Unvermittelte Rechtsfindung

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spricht dafür, dass diese Innovation von Marcell ausgegangen ist.80 Er beschäftigt sich mit der Zugehörigkeit von Rechten, die die Sklaven des captivus in der Zeit nach der Gefangennahme erworben haben. Seine Entscheidung, den Erwerb durch Stipulationen und Legate den Erben zuzurechnen, stützt sich auf einen einfachen Vergleich, der sein Verständnis der Fiktion ausdrückt:81 Wäre der Erblasser im letztmöglichen Zeitpunkt vor seiner Gefangennahme verstorben, so hätten die Erben die betroffenen Rechte ebenfalls erlangt, weil sie beim späteren Antritt der Erbschaft das peculium bereits in seinem veränderten Bestand übernommen hätten.82 In Paulus’ Abhandlungen zu diesem Themenkomplex findet sich noch eine knappe Bemerkung Marcells zu Julians Ausführungen, die auf die Verwendung derselben Argumentation hindeutet: (A17) Iul 762 = D  41.3.15pr. Paul 15 Plaut

Si is, qui pro emptore possidebat, ante usucapionem ab hostibus captus sit, videndum est, an heredi eius procedat usucapio: nam interrumpitur usucapio, et si ipsi reverso non prodest, quemadmodum heredi eius proderit? Sed verum est eum in sua vita desisse possidere, ideoque nec postliminium ei prodest, ut videatur usucepisse. Quod si servus eius, qui in hostium potestate est, emerit, in pendenti esse usucapionem Iulianus ait: nam si dominus reversus fuerit, intellegi usucaptum: si ibi decesserit, dubitari, an per legem Corneliam ad successores eius pertineat. Marcellus posse plenius fictionem legis accipi, [quemadmodum enim postliminio reversus plus iuris habere potest in his, quae servi egerunt, quam his, quae per se vel per servum possidebat,

80  Für eine Konstruktion Marcells: Kreller, SZ  69 (1952); Benöhr, Der Besitzerwerb durch Gewaltabhängige, S. 119 f.; Rastätter, Marcelli notae ad Iuliani digesta, S.  238 f.; Liebs, Iura 32 (1981), S. 289; Backhaus, SZ 101 (1984), S. 382 und zuletzt Lohsse, in: Facetten des römischen Erbrechts, S. 105. Wolff, TR 17 (1941), S. 169 geht von einer nachklassischen Entwicklung aus, die bei Marcell erste Ansätze zeige. Wesel, Rhetorische Statuslehre und Gesetzesauslegung, S. 56 ff. nimmt an, dass schon Julian von der erweiterten Fiktion ausgeht und diese auf noch ältere Juristen zurückgeht. 81  Ebenso Wesel, Rhetorische Statuslehre und Gesetzesauslegung, S. 59 f.; Lohsse, FS Knütel, S. 696 f. Fn. 123. 82  So hat im Ergebnis auch Julian in D  49.15.22.1 entschieden, allerdings mit der Begründung, den Erben stünde alles zu, was auch vom ius postliminii umfasst sei. Dazu passt auch, dass er die Fiktion der lex Cornelia noch ohne die Vorverlegung des Todeszeitpunkts mit ac si in hostium potestatem non pervenissent umschreibt; vgl. D  49.15.22pr. und D  28.1.12. Die Bezeichnung tempore captivitatis kann sich nur auf den Zeitpunkt der Gefangennahme beziehen, da der Fall das Versterben in Gefangenschaft gerade voraussetzt; Lohsse, FS Knütel, S. 696 Fn. 123; ders., in: Facetten des römischen Erbrechts, S. 106 m. w. N.; ebenso im Ergebnis Feust, in: Das corpus iuris civilis IV, S. 1101; Wesel, Rhetorische Statuslehre und Gesetzesauslegung, S. 59 f.; a. A. zuletzt Klinck, Erwerb durch Übergabe an Dritte, S. 158.

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung cum ad hostes pervenit. Nam hereditatem in quibusdam vice personae fungi receptum est. Ideoque in successoribus locum non habere usucapionem.]



Wenn derjenige, der aufgrund eines Kaufvertrags besaß, vor der Ersitzung von Feinden gefangen genommen worden ist, ist zu untersuchen, ob für dessen Erben die Ersitzung fortdauert. Denn die Ersitzung wird unterbrochen, und wenn sie dem Zurückgekehrten selbst nicht nützt, auf welche Weise soll sie seinem Erben nützen? Es ist aber richtig, dass dieser zu Lebzeiten aufgehört hatte zu besitzen, und daher hilft ihm auch nicht das postliminium dabei, dass angenommen werden kann, er habe ersessen.



Wenn allerdings ein Sklave desjenigen, der sich in der Gewalt der Feinde befindet, etwas gekauft hat, sagt Julian, dass die Ersitzung in der Schwebe sei. Wenn der Eigentümer nämlich zurückgekehrt sei, gelte es als ersessen. Wenn er dort verstorben sei, werde gezweifelt, ob es nach der lex Cornelia dessen Nachfolgern gehöre. Marcell [meint], dass die Fiktion des Gesetzes umfangreicher angenommen werden könne; [wie kann der Zurückgekehrte nämlich durch das postliminium mehr Rechte innehaben hinsichtlich dessen, was die Sklaven angeschafft haben, als in Anbetracht dessen, was er durch sich selbst oder einen Sklaven besaß, als er zu den Feinden geraten ist. Man hat nämlich angenommen, dass die Erbschaft in gewissen Fällen anstelle einer Person etwas verwaltet. Und daher dauere die Ersitzung bei den Nachfolgern nicht fort.]

Paulus behandelt wie zuvor schon Tryphonin das Schicksal einer laufenden Ersitzung bei Kriegsgefangenschaft des possessor.83 Zwar wird der Gefangengenommene nach seiner Rückkehr in die Heimat in die Rechts­ positionen wiedereingesetzt, die er vor seiner Gefangennahme innehatte.84 Jedoch hilft ihm das ius postliminii bei der Ersitzung grundsätzlich nicht, weil es nur rechtliche Positionen wiederherstellen kann, nicht aber die tatsächliche Sachherrschaft.85 Bei dem Besitzerwerb durch einen Sklaven des captivus vertritt Julian dagegen die Ansicht, dass zumindest die Ersitzung eines im Sondergut befindlichen Gegenstands in pendenti sei und als zwischenzeitlich fortlaufend behandelt werden müsse, wenn er schließlich zurückgekehrt sei.86 Wenn der dominus allerdings in Gefangenschaft verstirbt, erwägt er die Anwendung der lex Cornelia.87 Hier schließt sich ein Kommentar Marcells an, der wiederum mit der umfassenderen Anwendung der fictio legis argumentiert.88 Seine eigentliche Entscheidung ist nicht überlie83  Siehe

oben D  49.15.12.2 (A15). Kaser, RP I, S. 290 f. 85  Dies erläutert Javolen in D 41.2.23.1: … neque enim possunt videri aliquid possidere, cum ipsi ab alio possideantur. 86  In D 49.15.22.3 spricht Julian noch deutlicher von peculiari nomine possidere. 87  Aus Iul. D  49.15.22.3 kann ersehen werden, dass er sich letztlich dafür entschieden hat. 88  Zu dieser Bedeutung von plenius accipere / interpretare vgl. insbesondere Iav. D  1.4.3, Gai. D  18.1.53, D  23.5.4 und Ulp. / Marcel. D  29.5.1.8; a. A. Sintenis, in: 84  Gai 1.129;



I. Unvermittelte Rechtsfindung47

fert. Am wahrscheinlichsten ist jedoch, dass Marcell durch die Annahme, der captivus sei gerade noch als rechtsfähiger Bürger verstorben, ohne Weiteres zu einem Fortlaufen der Ersitzung bei den Erben gekommen ist, während sich Julian mit der Begründung derselben Entscheidung noch wesentlich schwerer getan haben dürfte.89 Zu dem Ergebnis, dass die Ersitzung bei der possessio peculii nomine nicht fortläuft, kann danach aber keiner der beiden Juristen gekommen sein.90 Der Fortgang der Stelle ist stark umstritten.91 Für die vorliegende Untersuchung kann die Bedeutung des letzten Teils jedoch dahinstehen, da es sich nach dem überlieferten Wortlaut weder grammatikalisch noch inhaltlich um Marcells Ausführungen handelt.92 b) Fallvergleiche mit deduktiven Elementen aa) Tertium comparationis In der Mehrzahl der Fälle geht Marcell über die einfache Form des Vergleichs hinaus. Die Übergänge zwischen Induktion und Deduktion sind dabei fließend. Orientiert man sich in erster Linie am Wortlaut der Stellen, ist das Vergleichsmoment in vielen Fällen das prägende Element, während die zusätzlich enthaltenen rationes als Andeutung des tertium comparationis verstanden werden können.93 Das corpus iuris civilis IV, S. 311 Fn. 68, der plenius mit „richtiger“ übersetzen will; dagegen wendet sich auch Lohsse, FS Knütel, S. 692. 89  Vgl. nochmals Iul. D  49.15.22pr. und D  28.1.12. 90  Benöhr, Der Besitzerwerb durch Gewaltabhängige, S. 119  f. und Rastätter, Marcelli notae ad Iuliani digesta, S. 238 f. gehen davon aus, dass Julian und die später herrschende Ansicht den Fortlauf der Ersitzung nur bei possessio peculii nomine zulassen wollte, Marcell dagegen auch bei possessio per servum. 91  Vgl. statt aller Lohsse, FS Knütel, S. 690 ff., der nach ausführlicher Erörterung und unter Einbeziehung zahlreicher Literaturstellen aus mehreren Jahrhunderten nicht umhinkommt, zumindest den Schlusssatz für verfälscht zu erklären. 92  Insofern richtig Klinck, Erwerb durch Übergabe an Dritte, S. 157. Der von Paulus mit quemadmodum im Indikativ angeschlossene Vergleich mit der Rechtslage beim ius postliminii entspricht Julians, nicht aber Marcells Argumentation. Dasselbe gilt für die Vorstellung der Erbschaft als Trägerin der possessio. An diesen Gedanken knüpft wohl auch der Schlusssatz an, der die gesamte Stelle in ihr Gegenteil zu verkehren scheint. Wahrscheinlich handelt es sich um die in Tryph. D  49.15.12.2 überlieferte Einschränkung Julians: … remanentibus isdem personis in possessione. Sobald die Erben den Besitz persönlich erlangen, liegt eine Unterbrechung (usurpatio) vor und der Lauf der Frist beginnt von vorn. 93  Demgegenüber glaubt Bund, Studi Volterra  I, S. 575, dass die Römer keinen Mittelweg zwischen bewusster Fiktion und unreflektiertem Nebeneinanderstellen kannten und das tertium comparationis generell fehlte; ihm folgend Hager, Rechtsmethoden in Europa, S. 11.

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung

An einer Stelle lehnt Marcell die Anwendung der lex Falcidia ohne Begründung ab, formuliert im Anschluss daran jedoch ein allgemeines Prinzip, das man aus der Lösung dieses Falles gewinnen kann: Marcell 255 = D  35.2.57 (26 dig) Cum dotem maritus alicui legaverit, ut uxori restituatur, non habere legem Falcidiam locum dicendum est. Et sane in plerisque ita observatur, ut omissa interpositi capientis persona spectetur. Wenn der Ehemann die Mitgift einem anderen vermacht hat, damit sie der Frau herausgegeben wird, ist zu sagen, dass die lex Falcidia keine Anwendung findet. Und in der Tat wird es so in den meisten Fällen gehandhabt, dass unter Außerachtlassung der Mittelsperson die Person des Empfangenden betrachtet wird.

Marcells Fall ist die Abwandlung einer zumindest auch von Gaius getroffenen Entscheidung: Hat ein Ehemann in seinem Testament die Mitgift an seine Frau vermacht, stehen die davon umfassten Vermögensgegenstände extra rationem legis Falcidiae, weil sie ja nur eine res sua zurückerhält.94 Marcell erweitert die Ausnahme von der gesetzlichen Bestimmung noch um den Fall, dass die dos einem Dritten zum Zwecke der Restitution an die Frau vermacht worden ist. Daraus kann man das Prinzip ableiten, dass es bei derartigen Personenkonstellationen immer auf den letztendlichen Empfänger und nicht auf den interpositus ankommt. Mit anderen Worten soll die Verfügung nicht wie ein normales Legat behandelt werden, nur weil sie unmittelbar einem Dritten gegenüber vorgenommen wird. Da auch hier letztlich die Ehefrau begünstigt wird, ist der Zweck der lex Falcidia hier ebenso wenig berührt, wie in den Fällen eines direkt an sie gerichteten Vermächtnisses. Denn die Mitgift steht der Frau zur Gänze zu und spielt für die Interessenlage zwischen Erben und Legataren keine Rolle. Ob Marcell aus dem gewonnenen Prinzip tatsächlich weitere Falllösungen abgeleitet hat, ist nicht überliefert. Die gemeinsame Komponente, die Marcell in den folgenden Entscheidungen aus den nebeneinandergestellten Sachverhalten zieht, könnte zwar auch als Gegenstand eines Obersatzes begriffen werden, aus dem die Lösung der beiden Fälle abgeleitet wird.95 Dennoch sollen die folgenden argumenta nicht bei den deduktiven Falllösungen eingeordnet werden, da ihr Ausgangspunkt lediglich der Brückenschlag von Fall zu Fall ist und das Prinzip, das in Haupt- und Vergleichsfall wirksam wird, gerade nicht in verallgemeinerter Form dargestellt ist. Wie bei den deduktiven Argumentationsformen kann aber weiter danach unterschieden werden, welcher Rechtsmasse der durch Fallvergleich gefundene oder angewandte Rechtssatz angehört. 94  Gai.

D  35.2.81.1. Harke, AI–AS, S. 16.

95  Ebenso



I. Unvermittelte Rechtsfindung49

bb) Schlüsse aus Gesetzen Bei einigen Gesetzen aus republikanischer Zeit sieht sich Marcell einem jahrhundertelang gewachsenen Geflecht aus erweiternden und einschränkenden Regeln und Einzelentscheidungen gegenüber, in welches er den ihm vorliegenden Sachverhalt einzugliedern hat. Gerade hier bietet sich eine induktive Vorgehensweise an, durch die ein Bezug zur überkommenen Rechtsordnung hergestellt werden kann. Eine derartige Argumentation widmet Marcell der Klärung von Detailfragen bei der Anwendung der etwa 200 Jahre vor seiner Wirkungszeit erlassenen und vielbehandelten lex Falcidia: (B1) Marcell 242 = D  35.2.56pr., 1 (22 dig)

Cum quo de peculio agi poterat, heres creditori exstitit: quaeris, cuius temporis peculium computari oporteat in Falcidia lege. Plerique putant, quod tunc in peculio fuerit, cum adiretur hereditas, inspiciendum. Ego dubito, quoniam mortis tempus in ratione legis Falcidiae ineunda placuit observari: quid enim interest, peculium servi post mortem creditoris deminutum sit an debitor pauperior factus sit?



(1) Aliquis dicet: quid ex contrario, si ante aditam hereditatem adquisierit servus? Et ego quaeram, si debitoris, qui tunc non erat solvendo, ampliatae facultates fuerunt? Et cum in isto placuerit ex post facto uberiorem videri fuisse hereditatem, sicuti cum condicio crediti exstitit post mortem, ita etiam peculii incrementum pleniorem faciet hereditatem.



Jemand, gegen den wegen des Sonderguts geklagt werden konnte, hat den Gläubiger beerbt. Du fragst, nach welchem Zeitpunkt das Sondergut bei der lex Falcidia berechnet werden müsse. Die meisten glauben, es sei zu erforschen, was zu der Zeit im Sondergut gewesen sei, als die Erbschaft angetreten worden sei. Ich zweifle, weil man angenommen hat, dass der Zeitpunkt des Todes als Ausgangspunkt der Berechnung der lex Falcidia behandelt werde. Denn was macht es aus, ob das Sondergut des Sklaven nach dem Tod des Gläubigers vermindert worden ist oder der Schuldner ärmer geworden ist?



(1) Jemand mag sagen: Was gilt im entgegengesetzten Fall, wenn der Sklave vor dem Antritt der Erbschaft etwas erworben hat? Und ich untersuche [den Fall], wenn sich die Vermögenslage des Schuldners, der damals nicht solvent war, gebessert hat. Und da in diesem Fall entschieden worden ist, dass die Erbschaft angesehen werde, als wäre sie von Anfang an reicher gewesen, wie wenn die Bedingung einer Schuld nach dem Tod eingetreten ist, so macht auch eine Vermehrung des Sonderguts die Erbschaft reicher.

Ein Gläubiger hat seinen Schuldner, der ihm aus der actio de peculio für Geschäftsschulden eines seiner Sklaven haftete, als Erben eingesetzt und ist verstorben. Offensichtlich handelt es sich um eine hereditas iacens, da keine Konfusion eintritt, sondern die Forderung bei der Berechnung der falzidischen Quart auf der Aktivseite berücksichtigt werden soll.96 Marcell be96  Kroppenberg,

Die Insolvenz, S. 223 f.

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung

handelt den speziellen Fall einer Veränderung des peculium zwischen dem Todeszeitpunkt und dem Moment des tatsächlichen Erbschaftsantritts. Grundsätzlich richtet sich der Umfang der Haftung bei Pekuliarforderungen nach dem Bestand des Sondergutes im Augenblick der Verurteilung.97 Allerdings wird bei der Berechnung nach der lex Falcidia auf den Todeszeitpunkt abgestellt, so dass postmortale Vermögensveränderungen dort im Normalfall unberücksichtigt bleiben.98 Daher äußert Marcell für den Fall der nachträglichen Verminderung des peculium Zweifel an der Ansicht nicht näher bezeichneter plerique, die auf den Zeitpunkt des Erbschaftsantritts abstellen und daher bei der Berechnung der Quart von einem niedrigeren Erbschaftsvermögen ausgehen. Schließlich könne man sich durchaus fragen, warum es einen Unterschied machen sollte, ob das Pekulium des Sklaven an Wert verliere oder das sonstige Vermögen des Schuldners verringert werde. Letzten Endes belässt er es für diese Konstellation bei den Ausführungen zur ratio dubitandi und wendet sich in § 1 dem umgekehrten Fall zu. Wächst das peculium vor dem Antritt der Erbschaft, muss sich die Vermehrung auch seiner Ansicht nach ex post auf die Erbschaft auswirken.99 Dies begründet er durch die Herleitung aus zwei Vergleichsfällen: Zum einen wirkt sich eine Forderung des Erblassers, die auf ein erst nach seinem Ableben eintretendes Ereignis bedingt ist, ausnahmsweise doch auf die Berechnung nach der lex Falcidia aus. Die Quart wird dann entweder mittels einer Schätzung der Forderung bei Bedingungseintritt berechnet oder sie bleibt zunächst unberücksichtigt und es muss eine Kaution zur Absicherung des nachträglichen Ausgleichs geleistet werden.100 Zum anderen kann sich auch die nachträgliche Veränderung des Schuldnervermögens selbst nach einer von Marcell nicht näher spezifizierten Entscheidung (et cum placuerit) ex post auf den Wert des Nachlassvermögens auswirken, wenn der Schuldner im Todeszeitpunkt des Gläubigers insolvent war und nach dem Erbfall wieder zu Vermögen gekommen ist. Nichts anderes soll für die postmortale Vermehrung des Sondervermögens gelten.101 Die Vergleiche erleichtern also die Einordnung des Sachverhalts als Ausnahmetatbestände zur lex Falcidia, wie sie bereits von Marcells Vorgängern herausgearbeitet worden sind. 97  Proc. / Ulp.

D  15.1.30pr. IJ  2.22.2, Ulp. D  35.2.73pr. 99  Ebenso hat schon Julian in D  35.2.83 entschieden; anders aber Pap. D  15.1.50.1. 100  Gai. D  35.2.73.1. 101  Kroppenberg, Die Insolvenz, S. 220 ff. zeigt durch die Gegenüberstellung von Marcells Fall und Paul. D  35.2.3.1 auf, dass es den Juristen wohl darauf ankam, ob die nachträgliche Entwicklung wie dort vom Erben initiiert oder wie hier noch vom Erblasser selbst veranlasst worden ist. 98  Vgl.



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Die Anwendbarkeit der lex Aelia Sentia auf einen vorderhand untypischen Fall begründet Marcell, indem er den maßgebenden Unterschied zu einem ähnlichen Sachverhalt herausstellt, der nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift keinesfalls darunter subsumiert werden könnte: (B2) Marcell 288 = D  37.15.3 (resp lib)

Titius puerum emit, quem post multos annos venire iussit: postea exoratus accepto ab eo pretio eum manumisit: quaero, an eum filius et heres manumissoris ut ingratum accusare possit. Respondit posse, si nihil aliud esset impedimento: nam plurimum interesse, a suo servo quis vel etiam ab amico eius acceptis nummis dederit libertatem, an ab eo servo, qui cum esset alienus in fidem eius devenit. Etenim ille etiamsi non gratuitum, beneficium tamen praestitit, iste nihil amplius quam operam suam accommodare videri potest.



Titius hat einen Knaben gekauft, den er nach vielen Jahren zu verkaufen befahl. Nachdem er durch Bitten abgebracht worden war und von diesem den Kaufpreis empfangen hatte, hat er ihn freigelassen. Ich frage, ob der Sohn und Erbe des Freilassers diesen [Sklaven] als unwürdig anklagen kann? Die Antwort lautet, dass er es könne, wenn kein anderes Hindernis bestehe. Es mache nämlich einen großen Unterschied, ob derjenige, der die Freiheit gewährt habe, von seinem Sklaven oder auch von dessen Freund eine Geldsumme erhalten habe, oder [ob er sie] von einem Sklaven [erhalten habe], der einem anderen gehört habe, als er in dessen Treueverhältnis geraten ist. Denn jener [Freilasser] hat zwar keine unentgeltliche, aber dennoch eine Wohltat geleistet, dieser [Freilasser] kann als nichts weiter gelten, als dass er seinen Dienst zur Verfügung stellt.

Ein Sklave, der zum Verkauf kommen sollte, hat seinen Eigentümer umgestimmt und seine Freilassung veranlasst, indem er diesem entweder aus seinem peculium oder mit Hilfe eines Freundes den angesetzten Kaufpreis verschafft hat. Die an Marcell gerichtete Frage lautet, ob der Erbe des mittlerweile verstorbenen Patrons eine accusatio ingrati liberti nach den Bestimmungen der lex Aelia Sentia gegen den Freigelassenen erheben kann. Er antwortet, dass dies grundsätzlich möglich sei.102 Nach dem Gesetz wird die auf eine Strafzahlung gerichtete accusatio dem Patron gestattet, wenn der libertus seine sittliche Ehrerbietungspflicht verletzt hat.103 Zur Begründung seiner Anwendbarkeit auf die vorliegende Konstellation stellt Marcell den entscheidenden Unterschied zu einem weiteren Fall heraus: Um seine Freilassung zu erreichen, kann ein Sklave auch einem Dritten Geld aus 102  Offensichtlich geht es nicht um die Frage der ingratia. Aber auch die Aktivlegitimation des Rechtsnachfolgers wird ohne Weiteres vorausgesetzt; ebenso Paul. D  50.16.70. 103  Dazu Kaser, SZ 58 (1938), S. 299; dieses Strafverfahren ist nicht zu verwechseln mit der lediglich auf Wiederherstellung des Sklavenstatus gerichteten revocatio in servitutem. Das tatsächliche Strafmaß der accusatio ist allerdings ebenso wenig überliefert, wie ihr genauer Tatbestand.

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung

seinem peculium geben, damit dieser ihm die Freiheit gewährt, nachdem er ihn von dem verkaufswilligen dominus losgekauft hat. Bei dieser sogenannten redemptio servi suis nummis versichert sich der Sklave seiner späteren manumissio, indem er sie der fides des Käufers anheimstellt.104 Entscheidend für Marcells Argumentation ist, dass der Dritte in diesem Fall nicht die vollständigen Patronatsrechte erwirbt.105 Denn im Gegensatz zu der manumissio des ursprünglichen Eigentümers stellt seine Handlung gegenüber dem Sklaven kein beneficium dar.106 Zwar gewährt er ihm nach dem Kauf selbst die Freiheit, er hat dem Sklaven damit aber lediglich seine Dienste zur Verfügung gestellt, was für die Entstehung der engen, sittlichen Verbundenheit des Patronats nicht genügen kann. Marcell betont diesen Aspekt, um zu zeigen, dass die Gegenleistung, die der Sklave oder sein Freund im Ausgangsfall für die Freilassung aufbringt, das beneficium gerade nicht schmälert. Auch die accusatio ingrati liberti steht nur demjenigen Freilasser zu, der es in der Hand hatte, einem von ihm vollkommen abhängigen Sklaven die Freiheit zu schenken, ohne dazu moralisch oder rechtlich verpflichtet zu sein.107 Bei der redemptio dagegen erklärt sich der Käufer nur bereit, bei einer vom Sklaven selbst initiierten Freilassung mitzuwirken, die immer noch am fehlenden Veräußerungswillen des dominus scheitern kann. Ebenfalls durch unzählige Bearbeitungen der Juristen geprägt ist die bereits aus dem dritten vorchristlichen Jahrhundert stammende lex Aquilia: (B3) Marcell 47 = D  20.1.27 (5 dig)

Servum, quem quis pignori dederat, ex levissima offensa vinxit, mox solvit, et quia debito non satisfaciebat, creditor minoris servum vendidit: an aliqua actio creditori in debitorem constituenda sit, quia crediti ipsius actio non sufficit ad id quod deest persequendum? Quid si eum interfecisset aut eluscasset? Ubi quidem interfecisset, ad exhibendum tenetur: ubi autem eluscasset, quasi damni iniuriae dabimus actionem ad quantum interest, quod debilitando aut vin­ ciendo persecutionem pignoris exinanierit. Fingamus nullam crediti nomine

104  Vgl. Ulp. D 40.1.4.2; daher erklärt sich die ungewöhnliche Formulierung alienus in fidem devenit. Seit den divi fratres kann der Sklave seine Freiheit auch klageweise in einem Kognitionsverfahren gegen den Dritten durchsetzen (Ulp. D 40.1.4pr). Siehe zur redemptio statt aller Zülch, Der liber singularis responsorum, S.  164 f. m. w. N. 105  Vgl. dazu auch Alex. C 6.3.8.; insofern richtig Zülch, Der liber singularis responsorum, S. 165, der allerdings den letzten Satz der Begründung Marcells aufgrund fragwürdiger Textkritik für nachklassisch hält (a. a. O., S. 167 f., 208); dagegen zu Recht Liebs, SZ  120 (2003), S. 257 f. 106  Zum Begriff des beneficium manumissionis vgl. Ulp. D 38.2.1pr.; dazu Waldstein, Operae libertorum, S.  131 ff.; Zülch, Der liber singularis responsorum, S. 165 ff. 107  Ebenso Watson, Roman slave law, S. 19; vgl. auch unten zu Marcel. D 23.2.50 (S.  110 f.).



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actionem esse, quia forte causa ceciderat: non existimo indignam rem animadversione et auxilio praetoris. Ulpianus notat: si, ut creditori noceret, vinxit, tenebitur, si merentem, non tenebitur.

Jemand hat einen Sklaven, den er als Pfand gegeben hatte, wegen eines ganz leichten Vergehens gefesselt, kurz danach [wieder] losgelöst, und weil er die Schuld nicht beglich, hat der Gläubiger den Sklaven für weniger [als den Preis, den er ohne die Fesselung erzielt hätte,] verkauft. Ist dem Gläubiger irgendeine Klage gegen den Schuldner zu gewähren, weil die Darlehensklage nicht zur Verfügung steht, um das Fehlende auszugleichen? Was gilt, wenn er diesen getötet hätte oder ein Auge ausgestochen hätte? Wenn er [ihn] tatsächlich getötet hätte, würde er mit der Klage auf Vorlegung haften. Wenn er aber ein Auge ausgestochen hätte, würden wir eine Klage gleichsam wegen widerrechtlicher Schädigung auf sein Interesse gewähren, weil er die Verfolgung des Pfandes durch eine Verletzung oder Fesselung beeinträchtigt hat. Nehmen wir an, dass es keine Klage in Anbetracht des Darlehens gibt, weil etwa der Rechtsgrund weggefallen war. Ich glaube nicht, dass die Sache der Untersuchung und Abhilfe durch den Prätor unwürdig ist.



Ulpian bemerkt dazu: Wenn er ihn gefesselt hat, um dem Gläubiger zu schaden, haftet er; geschah es verdientermaßen, haftet er nicht.

Marcell untersucht einen Fall, in dem ein Schuldner seinen Sklaven verpfändet und ihn danach in einer Weise gefesselt hat, dass dadurch der Wert für den Pfandverkauf beeinträchtigt worden ist. Bereits in der Fragestellung wird deutlich, dass die Darlehensklage dem Pfandgläubiger hier nicht weiterhelfen kann.108 Doch auch die actio legis Aquiliae steht grundsätzlich nur dem dominus selbst zur Verfügung. Marcell nähert sich der Lösung, indem er zwei weitere Fälle betrachtet. Am klarsten scheint ihm die Lösung zu sein, falls der Schuldner den verpfändeten Sklaven getötet hat. Das besitzlose Pfandrecht des Gläubigers ist durch die dingliche actio Serviana geschützt, so dass er seinen Schaden nach dolosem Besitzverlust wie bei einer Vindikation mit der actio ad exhibendum geltend machen kann.109 Von dieser Klage sind jedoch Konstellationen nicht umfasst, in denen der Schuldner seinen Sklaven nur verletzt und damit nicht schon die Herausgabe des Pfands zur Verwertung vereitelt, sondern lediglich den später zu erzielenden Erlös vermindert. Wäre dem Sklaven beispielsweise ein Auge ausgestochen worden, müsste dem Pfandgläubiger daher eine actio quasi damni iniuriae gewährt werden, um sein Interesse in Höhe des Minderwerts auszugleichen.110 Diese mit großer Wahrscheinlichkeit schon zuvor abmöglichen Gründen vgl. Wolf, SZ  76 (1959), S. 523 Fn.  14. Entscheidung ist nach Ulp. D 10.4.9pr. bereits von Julian überliefert; vgl. dazu Harke, CRRS III 2, S. 96, 122. 110  Ulpian spricht in D 9.2.17 im Zusammenhang mit der Tötung eines verpfändeten Sklaven von einer actio in factum, Paulus in D 9.2.30.1 von einer an die aquilische Regelung angelehnte actio utilis; dazu Harke, CRRS III 2, S. 68, 81 f. 108  Zu

109  Diese

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung

schließend behandelte Variante setzt Marcell schließlich unmittelbar gleich mit dem Fall einer Fesselung. Dabei ist davon auszugehen, dass es ihm gerade nicht um eine körperliche Beeinträchtigung des gefesselten Sklaven geht, sondern um die Wertminderung, die ein Sklave auf dem Markt bereits durch die Bestrafung selbst erfährt.111 Der letzte Schritt in Marcells Argumentationskette ist also die Gleichsetzung einer Substanzbeeinträchtigung mit einer eingriffslosen Handlung. Indem er betont, dass beide Taten die persecutio pignoris gleichermaßen beeinträchtigen, bezeichnet er das ausschlaggebende tertium comparationis, um aus der Vergleichbarkeit die Anwendung der lex Aquilia abzuleiten.112 cc) Schlüsse aus Honorarrecht Feststehende Tatbestandsmerkmale, unter die ein Sachverhalt mit Hilfe von induktiven Argumenten subsumiert werden kann, weisen nicht nur leges, sondern auch die Edikte der Prätoren auf. In den folgenden drei Fällen zieht Marcell einen Vergleich zu Konstellationen, die zwar nicht unmittelbar von der honorarrechtlichen Bestimmung umfasst sind, in denen ihre Anwendung allerdings näher liegt als im Ausgangsfall: (C1) Marcell 186 = D  40.5.10.2 (16 dig)

Is cui ex fideicommisso libertas debebatur ab eo qui solvendo non erat passus est se bonae fidei emptori tradi: existimas in manumissum constituendam actionem exemplo eius, qui liberi hominis emptorem simulata servitute decepit? Ego quoque adducor, ut putem recte adversus venditos actionem competere et magis similem videri statulibero, qui pridie, quam ex testamento ad libertatem perveniret, idem fieri passus est.



Jemand, dem die Freiheit aus einem Fideikommiss von einem nicht Zahlungsfähigen geschuldet wurde, hat sich einem gutgläubigen Käufer veräußern lassen. Meinst du, dass gegen den Freigelassenen eine Klage zu gewähren ist nach dem Beispiel desjenigen, der den Käufer eines freien Menschen durch das Vortäuschen der Unfreiheit betrogen hat? Auch ich werde veranlasst dafürzuhalten, dass gegen die Verkauften zu Recht eine Klage besteht und der-

111  Dies galt nach Pomp. D 21.1.48.3 umso mehr, wenn der Sklave beim Verkauf gefesselt war, weil dadurch die Fluchtneigung angezeigt wurde. Wie hier Wolf, SZ 76 (1959), S. 522; Jakab, Praedicere und cavere beim Marktkauf, S. 44 f.; Swiecicka, RIDA  III  54 (2007), S. 500. 112  Anderer Ansicht ist Wolf, SZ  76 (1959), S. 528 ff., der es ganz allgemein für unwahrscheinlich hält, dass Marcell ein responsum begründet hätte, und darüber hinaus die beiden herangezogenen Fälle als mit Marcells Entscheidung „sachlich und logisch nicht vereinbar“ befindet. Marcell will die anderen Fälle nicht nebenbei mitentscheiden, er greift auf diese vorher gefundenen Ergebnisse zurück, um die Anwendung des Gesetzes zu veranschaulichen.



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jenige eher einem bedingt Freigelassenen ähnlich scheint, der, noch bevor er aus dem Testament zur Freiheit gelangt ist, ebendies hat geschehen lassen.

Jemand hat gutgläubig einen Sklaven gekauft, der schon mit einem Freilassungsfideikommiss belastet war, und ihn später freigelassen. Er will jedoch wegen des Rechtsmangels nicht gegen den Erben klagen, der ihm den Sklaven verkauft hat, da dieser zahlungsunfähig ist. Es stellt sich die Frage, ob er stattdessen gegen den freigelassenen Sklaven selbst vorgehen kann, wenn dieser bei der mancipatio auf seinen Status absichtlich nicht hingewiesen hat, obwohl ihm dies möglich gewesen wäre. Bereits in der Fragestellung wird auf die möglicherweise einschlägige Regelung hingewiesen: Wenn sich ein über 20 jähriger Bürger in betrügerischer Absicht als Unfreier verkaufen lässt, wird ihm nach einer Ediktsbestimmung vom Prätor nicht mehr gestattet, sich auf seine Freiheit zu berufen.113 Der gutgläubige Käufer muss ihn aber nicht als Sklaven behalten, sondern kann auch vor dem Prätor gegen den Verkäufer oder gegen den Verkauften auf das duplum klagen.114 Marcell bejaht den Anspruch gegen den Verkauften auch im vorliegenden Fall, obwohl er im Zeitpunkt des Rechtsgeschäfts noch tatsächlich unfrei war. Zur Begründung nennt er einen Vergleichsfall: Auch der unter einer bestimmten Bedingung ex testamento freizulassende statuliber, der sich kurz vor Bedingungseintritt verkaufen lässt, ohne den Erwerber über seinen Status zu informieren, müsste auf das duplum haften.115 Es wäre nämlich offensichtlich willkürlich, dem Käufer den Anspruch zu versagen, nur weil sich der Betroffene unmittelbar vor seiner tatsächlichen Freiheitserlangung verkaufen lassen hat, während er doch ohne Weiteres von der honorarrechtlichen Regelung betroffen wäre, wenn das Geschäft erst kurz nach seiner manumissio vonstattengegangen wäre.116 Nicht anders verhält es sich im Ausgangsfall. Dann muss es aber für den Erwerber in beiden Fällen die Möglichkeit geben, den doppelten Kaufpreis gegen Verkäufer und Verkauften einzuklagen. 113  Vgl. Ulp. D  40.12.14pr. f., 18pr., Sat. / Hadr. D  40.14.2pr., Pomp. D  40.13.3, Herm. D 40.12.40; dazu Lenel, Das edictum perpetuum, S. 387; Kaser, RP I, S. 292, Wieling, CRRS  I, S. 25. 114  Ulp. D 40.12.14.1, 18pr. 115  Ebenso Wieling, CRRS I, S. 60. Die ausdrückliche Behandlung von Sklaven, die aufgrund eines Fideikommisses freizulassen sind, als quasi statuliber findet sich auch in Marci. D  40.5.51.3 und Pap. D  40.5.21. 116  So argumentiert auch der Jurist Licinnius Rufinus in der Parallelstelle Paul. D 40.13.4: … nec debet meliori loco intellegi, quod in servitute constitutus passus est se venum dari, quam si esset libertatem consecutus; dazu Wieling, CRRS I, S.  66 ff.

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung

Eine ähnliche Begründung findet er für eine von Julian herrührende Falllösung zur honorarrechtlichen in integrum restitutio bei Abwesenheit rei publicae causa: (C2) Iul 495 = D  4.6.41 (35 dig)

Si quis Titio legaverit, si mortis suae tempore in italia esset, aut in annos singulos, quod in Italia esset, et ei succursum fuerit, quia ob id, quod rei publicae causa afuit, exclusus fuerit a legato: fideicommissum ab eo relictum praestare cogitur. Marcellus notat: quis enim dubitabit salva legatorum et fideicommissorum causa militi restitui hereditatem, quam ob id perdidit, quod rei publicae causa afuit?



Wenn jemand dem Titius unter der Bedingung vermacht hat, dass er zum Zeitpunkt seines Todes in Italien wäre, oder für jedes einzelne Jahr, das er in Italien sein werde, und ihm [vom Prätor] Hilfe geleistet wurde, weil er deswegen vom Vermächtnis ausgeschlossen worden ist, da er aus Gründen des Staates abwesend war: Er wird gezwungen das von diesem hinterlassene Fideikommiss zu leisten.



Marcell bemerkt dazu: Wer wird nämlich bezweifeln, dass einem Soldaten die Erbschaft, die er deswegen verloren hat, weil er in einer staatlichen Angelegenheit abwesend war, unter Aufrechterhaltung der Vermächtnisse und Fideikommisse wiederhergestellt wird?

Ist ein Vermächtnis unter der Bedingung angeordnet worden, dass sich der Begünstigte beim Ableben des Erblassers in Italien befindet, und war dieser zu dieser Zeit auf Veranlassung des Staates im Ausland, soll er Julian zufolge vom Prätor so behandelt werden, als hätte er Italien nicht verlassen. Gleiches gilt, wenn die Vermächtnishöhe an die Dauer des Aufenthalts in Italien geknüpft worden ist. Insoweit kann sich schon Marcells Vorgänger auf eine Entscheidung Labeos stützen.117 Es handelt sich allerdings nicht um die unmittelbare Anwendung einer der im Edikt ausdrücklich genannten Fälle, nach dessen Wortlaut nur Nachteile ausgeglichen werden sollen, die durch einen von der Rechtsordnung vorgesehenen Zeitablauf entstanden sind.118 Die Juristen ziehen die Vorschrift über den ursprünglichen Anwendungsbereich hinaus auch für Fälle heran, in denen ein Recht verloren geht, weil die Bedingung einer rechtsgeschäftlichen Verfügung nicht erfüllt werden konnte.119 Der Sinn des Edikts besteht aber nicht nur darin, den staatsdienstlich Abwesenden vor Nachteilen zu schützen, sondern 117  Vgl.

Ulp. D 4.6.17.1. D 4.6.1.1; Lenel, Das edictum perpetuum, S. 120 ff. In Ulp. D 4.6.17.1 heißt es ausdrücklich: … non enim dies actionis exit, ubi praetoris auxilium necessarium erat, sed condicio in causa est. Benöhr, FS Hausmaninger, S. 53 vermutet darin einen Fall von alia iusta causa; anders Rastätter, Marcelli notae ad Iuliani digesta, S. 61 Fn. 63 m. w. N. 119  Ebenso Rastätter, Marcelli notae ad Iuliani digesta, S.  61 f. 118  Ulp.



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auch Vorteile zu beseitigen, die diesem durch seine Abwesenheit zu Lasten Dritter erwachsen sind.120 Daher darf nach Julian der Legatar im vorliegenden Fall zwar die Vermächtnisse herausverlangen, haftet aber wiederum selbst für das Fideikommiss, das der Testator ihm auferlegt hat.121 Marcell ergänzt diese Lösung in seiner Note durch die Begründung mit einem weiteren Vergleichsfall: Soldaten, die eine ihnen zugedachte Erbschaft verlieren, weil sie sich aus dienstlichen Gründen im Ausland befinden, werden ohne Weiteres in den vorigen Stand gesetzt. Die milites sind der Musterfall der absentes causa rei publicae.122 Einen konkreten Grund für den Verlust der Erbschaft nennt Marcell dabei nicht. Es kommt ihm vielmehr darauf an, dass bei Verlust einer belasteten Erbschaft aufgrund einer vom Edikt umfassten Abwesenheit nach der Wiedereinsetzung auch die testamentarischen Belastungen erfüllt werden müssen, um dem Telos der Vorschrift gerecht zu werden. Er ergänzt also den bei Julian nicht vorgefundenen, gedanklichen Zwischenschritt, um die Ableitung der Entscheidung für den Sonderfall eines belasteten Legatars zu erleichtern. Ein Fristenproblem bei der Beantragung des Nachlassbesitzes löst Marcell induktiv, indem er den tatsächlichen Sachverhalt mit dem hypothetischen Verlauf bei fristgemäßer Antragsstellung vergleicht: (C3) Marcell 125 = D  38.15.5pr., 1 (9 dig)

Cum filio familias bonorum possessio delata est, dies, quibus certiorare patrem non potest, ut vel iubeat adgnosci bonorum possessionem vel ratam habeat agnitionem bonorum possessionis, non cedunt. …



(1) Quaeri potest, si, cum posset filius petere bonorum possessionem, patre ita absente, ut certiorare eum non possit, vel etiam furente, petere neglexerit, an peti amplius non possit. Sed quid noceat non petitam bonorum possessionem, quae, si petita esset, tamen non ante adquireretur, quam pater comprobasset?



Wenn einem Haussohn der Nachlassbesitz angetragen worden ist, laufen die Tage nicht ab, an welchen er den Vater nicht in Kenntnis setzen kann, so dass er entweder befehlen kann, dass der Nachlassbesitz beantragt wird, oder so dass er die Beantragung des Nachlassbesitzes genehmigen kann. …



(1) Wenn ein Sohn, als er den Nachlassbesitz fordern konnte, dies versäumt hat, während der Vater abwesend war, so dass er ihn nicht in Kenntnis setzen konnte, oder [der Vater] auch wahnsinnig war, fragt sich, ob er ihn weiterhin fordern kann. Aber was soll es schaden, dass der Nachlassbesitz nicht gefor-

120  So ausdrücklich Ulpian in D 4.6.1pr. und Afr. D 4.6.43; dazu Rastätter, Marcelli notae ad Iuliani digesta, S.  62 m. w. N. 121  Im Gegensatz zu Vermächtnissen dürfen Fideikommisse auch Legataren und Fideikommissaren auferlegt werden; Gai. 2.260, 271. 122  Vgl. Ulp. D 4.6.7; ausführlich zu den geschützten Personengruppen Benöhr, FS Hausmaninger, S. 42 ff.

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung dert worden ist, welcher, wenn er gefordert worden wäre, dennoch nicht erworben würde, bevor der Vater es genehmigt hätte?

Die Beantragung der bonorum possessio ist nach der Regelung im Edikt nur innerhalb einer bestimmten Frist möglich, die für parentes und liberi ein Jahr beträgt.123 Diese Frist läuft allerdings nur an solchen Tagen, an denen der Begünstigte von seiner Antragsberechtigung Kenntnis hat und ihm die Antragsstellung auch möglich ist.124 Marcell untersucht den Sonderfall des persönlichen Antrags durch einen filius familias, für den zur Erlangung des Nachlassbesitzes zusätzlich die auctoritas des Vaters erforderlich ist.125 Im principium des Fragments stellt er zunächst den Grundsatz auf, dass die Frist für den Gewaltunterworfenen auch an denjenigen Tagen nicht abläuft, an denen sein Vater nicht in Kenntnis gesetzt werden kann.126 Dies soll nicht nur dann gelten, wenn der Sohn seinen Antrag innerhalb der Frist gestellt hat und die Entgegennahme der bonorum possessio nur an der erforderlichen Genehmigung des Vaters scheitert.127 Vielmehr entscheidet Marcell ebenso, wenn der Sohn bereits die Antragsstellung versäumt hat, obwohl sie ihm persönlich möglich gewesen wäre, der Vater aber aufgrund von Abwesenheit oder Geisteskrankheit ohnehin nicht von der Berufung seines Kindes in Kenntnis hätte gesetzt werden können. In seiner Begründung betont er, dass auch bei einer fristgerechten Antragstellung der Erwerb des Nachlassbesitzes nicht sofort möglich gewesen wäre. Sinn und Zweck der Fristenregelung ist ja gerade zu gewährleisten, dass das Nachlassvermögen möglichst schnell einem neuen Eigentümer zugeordnet wird, an den sich die Gläubiger halten können.128 Dieses Ziel hätte im vorliegenden Fall aber auch bei sofortigem Tätigwerden des filius nicht schneller erreicht werden können, weswegen der Ablauf der Frist unabhängig davon gehemmt werden muss.129 Marcell stützt also die Anwendung des Edikts durch den Vergleich mit der Situation, auf welche er die Regelung bereits im principium angewandt hat. Eine Sonderstellung nimmt die eingehende Erörterung einiger Varianten des von Julian in der sogenannten nova clausula behandelten Sachverhalts ein. In zwei Fragmenten legt Marcell diese Klausel und eine weitere präto123  Vgl.

Iul. D  38.15.4.1, Ulp. D  38.9.1.12, 16. D  38.15.2; Lenel, Das edictum perpetuum, S. 361. 125  Ulp. D 37.1.7.1; dazu grundlegend Krüger, SZ 64 (1944), S. 398 ff., der allerdings großzügig Interpolationen annimmt. 126  Ebenso Ulp. D 37.1.7.2. 127  Sogar eine gegen den Willen des pater angenommene bonorum possessio kann im Nachhinein noch genehmigt werden; siehe Ulp. D 29.2.6.1. 128  So ausdrücklich Ulp. D 38.9.1pr., 12. 129  Ähnlich Willvonseder, Die Verwendung der Denkfigur der condicio sine qua non, S. 119. 124  Ulp.



I. Unvermittelte Rechtsfindung

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rische Bestimmung nebst zugehöriger Kaiserkonstitution aus. Dabei entwickelt er eine regelrechte Argumentationskette, die zwar von einer Bewertung der Interessen der Beteiligten ausgeht, deren Schwerpunkt aber noch auf der Induktion liegt: (C4–5) Marcell 121 = D  37.8.3 (9 dig)

Qui duos filios habebat, alterum ex his emancipavit, nepotem ex eo in potestate retinuit: emancipatus filium sustulit et a patre exheredatus est: quaero, cum frater eius et ipse emancipatus praeteritus sit et nepotes ex emancipato filio ab avo heredes instituti, quid de bonorum possessione iuris sit? Et quid intersit, si emancipatum quoque, ex quo nepotes erant nati, praeteritum esse ponamus. Respondi, si filium retento ex eo nepote emancipaverit et emancipatus procreaverit filium et heres uterque nepos institutus fuerit, pater eorum exheredatus, alius filius praeteritus: solus filius praeteritus bonorum possessionem contra tabulas petere poterit: exheredatus enim obstat filiis suis post emancipationem susceptis. Nepoti tamen retento in potestate bonorum possessio dari debet, quoniam, si pater eius emancipatus praeteritus esset, simul cum eo bonorum possessionem accipere posset propter id caput edicti, quod a Iuliano introductum est, id est ex nova clausula, nec debet deterioris esse condicionis, quia pater eius exheredatus sit. Idque ei praeterito quoque praestari oportebit. Sed fratris eius, qui post emancipationem natus est, diversa condicio est: conservanda est tamen et illi ad virilem partem hereditas, sicut etiam imperator Antoninus in persona nepotis ex filia rescripsit.



Jemand, der zwei Söhne hatte, hat einen von ihnen aus der Hausgewalt entlassen und einen Enkel von diesem in seiner Gewalt zurückbehalten. Der aus der Hausgewalt Entlassene hat einen [weiteren] Sohn gezeugt und ist vom Vater enterbt worden. Ich frage, welches Recht im Hinblick auf den Nachlassbesitz gilt, wenn auch dessen Bruder, nachdem er selbst aus der Hausgewalt entlassen worden ist, übergangen worden ist und die Enkel, die vom emanzipierten Sohn abstammen, vom Großvater als Erben eingesetzt worden sind? Und welchen Unterschied macht es, wenn wir annehmen, dass auch der aus der Hausgewalt Entlassene, von dem die Enkel gezeugt worden waren, übergangen worden ist.



Hat er einen Sohn aus der Hausgewalt entlassen, wobei er aber einen Enkel von diesem zurückbehalten hat, und hat der Emanzipierte einen [weiteren] Sohn gezeugt und sind beide Enkel als Erben eingesetzt worden, ihr Vater enterbt und der andere Sohn übergangen worden, habe ich geantwortet: Der übergangene Sohn wird den Nachlassbesitz entgegen dem Testament allein fordern können. Der Enterbte steht nämlich seinen nach der Entlassung aus der Hausgewalt gezeugten Söhnen entgegen. Dennoch muss dem in der Gewalt zurückbehaltenen Enkel der Nachlassbesitz gewährt werden, da er ja, wenn dessen emanzipierter Vater übergangen worden wäre, gleichzeitig mit diesem den Nachlassbesitz empfangen könnte wegen des Kapitels des Edikts, das von Julian eingeführt worden ist, das heißt wegen der [sogenannten] neuen Klausel, und er darf sich nicht in einer schlechteren Lage befinden, weil sein Vater enterbt worden ist. Und es wird auch dem Über-

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung gangenen geleistet werden müssen. Sein Bruder aber, der nach der Emanzipation [des Vaters] geboren worden ist, befindet sich in einer anderen Lage. Dennoch muss auch ihm die Erbschaft in Höhe seines Kopfteils bewahrt werden, so wie auch der Kaiser Antoninus im Hinblick auf die Person des Enkels von einer Tochter beschieden hat.



Marcell 120 = D  37.5.25pr. (9 dig)



Qui filium emancipaverat et nepotem ex eo retinuerat in potestate, testamento filium exheredavit, nepotem ex aliqua parte instituit heredem et alium filium emancipatum praeteriit. Potest defendi nepotem quoque bonorum possessionem contra tabulas petere posse: nam pro ea parte, qua quisque intestato suus heres esset, si pater suus heres non esset, bonorum possessio defertur.



Jemand, der einen Sohn aus der Hausgewalt entlassen und einen Enkel von diesem in der Gewalt behalten hatte, hat den Sohn im Testament enterbt, den Enkel zu einem Teil als Erben eingesetzt und einen anderen emanzipierten Sohn übergangen. Man kann vertreten, dass der Enkel auch den Nachlassbesitz entgegen dem Testament fordern kann. Denn zu demjenigen Teil, zu welchem ein jeder nach der Intestaterbfolge Hauserbe wäre, wenn sein Vater nicht Erbe wäre, fällt der Nachlassbesitz an.

Ein Erblasser hat zwei emanzipierte Söhne, von denen er einen im Testament enterbt und den anderen übergeht. Von dem enterbten Sohn hat er zudem zwei Enkel: einen vor der Emanzipation Gezeugten, den er in seiner patria potestas behalten hat, und einen später im fremden Hausverband Empfangenen. Als Erben setzt er nur diese beiden Enkel ein. Es wird gefragt, wer die bonorum possessio contra tabulas beantragen kann. Als Angehörige der männlichen liberi hätten beide Söhne im Testament nach den honorarrechtlichen Bestimmungen entweder eingesetzt oder nominatim enterbt werden müssen.130 Daher könnte der übergangene Sohn den Nachlassbesitz beantragen und damit die testamentarischen Erbeinsetzungen hinfällig machen.131 Die Enterbung des anderen Sohnes müsste der Prätor dagegen aufrechterhalten, so dass die beiden Enkel weder aus dem Testament noch nach der Intestaterbfolge irgendetwas erlangen würden.132 Von dieser Rechtslage ausgehend behandelt Marcell die ausnahmsweise bestehende Antragsbefugnis für jeden Enkel im Einzelnen: Der in der Hausgewalt des Großvaters verbliebene Enkel hätte nach der zivilen Erbfolge als suus heres geerbt. Diese Vorüberlegung ist als alleinige ratio decidendi in D  37.5.25pr. überliefert. Die Parallelstelle D  37.8.3 zeigt allerdings, dass seine Argumentation über den rein induktiven Schluss hinausgegangen ist. Wie bereits in der quaestio angedeutet, soll der vorliegen130  Gai  2.135. 131  Kaser, 132  Vgl.

RP I, S. 707. Ulp. D  37.4.8pr., D  37.4.10.5.



I. Unvermittelte Rechtsfindung61

de Sachverhalt mit dem schon früher entschiedenen Fall verglichen werden, in dem beide Söhne übergangen worden sind. Nach dem Wortlaut einer von Marcell als nova clausula Iuliani bezeichneten Ediktsbestimmung sollen emanzipierte und im Testament übergangene Söhne und deren Kinder, die in der familia des Erblassers verblieben sind, den Nachlassbesitz so beantragen können, als ob der Sohn nicht emanzipiert worden wäre.133 Nach Marcells Ansicht muss dem Enkel die Beantragung der bonorum possessio aber genauso zustehen, wenn sein Vater nicht übergangen, sondern ausdrücklich enterbt worden ist. Seine Lösung läuft also auf eine Erweiterung des Edikts aufgrund der vergleichbaren Interessenlage hinaus.134 Denn aus Sicht des Enkels wäre die Unterscheidung zwischen Enterbung und Übergehung seines Vaters willkürlich. Zudem wollte der avus im vorliegenden Fall offensichtlich nur seinen Sohn treffen und gerade nicht auch den Enkel in eine schlechtere Lage bringen. Es handelt sich also um mehr als eine reine Gegenüberstellung zweier ähnlicher Konstellationen, da mit dem Interesse des Enkels zugleich das tertium comparationis angesprochen ist. Von dem genannten Edikt sollen dagegen solche Enkel ausgenommen bleiben, die nach der Emanzipation des Sohnes gezeugt worden sind und daher der potestas des Großvaters nicht unterstehen. Sie wären auch nach der zivilrechtlichen Erbfolge nicht berufen, weswegen eine Anwendung der salvianischen Ediktsklausel von vornherein ausscheidet. An anderer Stelle des Edikts war jedoch vorgesehen, dass bei Erteilung der bonorum possessio contra tabulas durch den Prätor zumindest die Legate und Fideikommisse zugunsten bestimmter Verwandter aufrechterhalten werden.135 Zu dem Kreis dieser sogenannten exceptae personae zählten insbesondere die liberi und parentes des Erblassers. Auf Anraten Julians erweiterte Antoninus Pius den Anwendungsbereich der Regelung auf Fälle, in denen solche Personen auf einen bestimmten Erbteil eingesetzt worden sind.136 Diese Begünstigung ist allerdings auf die portio virilis begrenzt.137 Marcell bezieht sich ausdrücklich auf diese Bestimmung.138 Zur Begründung einer Anwendung auf den vorliegenden Sachverhalt zieht er einen konkreten Vergleichsfall heran, in dem Antoninus Pius nach diesem Prinzip die Erbeinsetzung zugunsten 133  Vgl. den Wortlaut des Edikts bei Ulp. D 37.8.1pr.; Lenel, Das edictum perpetuum, S. 347. 134  Ähnlich Zülch, Der liber singularis responsorum, S. 232. 135  Vgl. Ulp D  37.5.1; Lenel, Das edictum perpetuum, S.  344 f. 136  Ulp. D  37.5.5.6; dazu eingehend Müller-Eiselt, Divus Pius constituit, S.  72 ff. 137  Tryph. D 37.5.7, Ulp. D 37.5.5.7; Müller-Eiselt, Divus Pius constituit, S.  78 ff. 138  Zülch, Der liber singularis responsorum, S. 233 vermutet in dem Ausdruck ad virilem partem hereditas sogar ein wörtliches Zitat der Konstitution. Zu der ungewöhnlichen Bezeichnung des Kaisers als imperator Antoninus vgl. Müller-Eiselt, Divus Pius constituit, S.  83 f.

62

B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung

des Sohnes einer Erblassertochter aufrechterhalten hat. Ebenso wie der nepos ex filia befindet sich auch der nepos post emancipationem susceptus nicht in der familia testatoris. Marcell leitet also auch die zweite Entscheidung aus dem Edikt ab, indem er zur Verdeutlichung einen Fall mit vergleichbarer Interessenlage gegenüberstellt, den bereits der Kaiser unter die Bestimmung gefasst hat.139 In den Folgeparagraphen überträgt er seine Argumentation auf weitere Konstellationen: (C6) Marcell 120 = D  37.5.25.1 (9 dig)

Is, cuius filius in adoptione erat, nepotem, quem filius postea procreaverat, scripsit heredem, emancipatum filium praeteriit: num habet nepos ex edicto bonorum possessionem? Tuendus tamen exemplo parentium et liberorum, quibus legata praestare coguntur qui bonorum possessionem contra tabulas acceperunt.



Jemand, dessen Sohn sich in Adoption befand, hat einen Enkel zum Erben benannt, den der Sohn später gezeugt hatte, einen aus der Hausgewalt entlassenen Sohn hat er übergangen. Steht dem Enkel etwa der Nachlassbesitz nach dem Edikt zu? Doch er muss nach dem Beispiel der Eltern und der Kinder geschützt werden, denen diejenigen, die den Nachlassbesitz entgegen dem Testament empfangen haben, Vermächtnisse leisten müssen.

Auch von einem Enkel, den der Erblasser von einem in Adoption gegebenen Sohn hat, nimmt Marcell an, dass er den Nachlassbesitz im Sinne des Edikts beantragen kann. Durch die adoptio ist der Sohn in einem anderen Familienverband an die Stelle eines Kindes oder Enkels getreten.140 Seine Enterbung war daher nicht nötig, wohl aber die seines emanzipierten Bruders, weshalb dem Enkel wie im obigen Fall der Verlust seines testamentarischen Erbteils droht. Zunächst wird daher die rhetorische Frage gestellt, ob der Fall direkt unter eine bestimmte Ediktsvorschrift fällt. Damit kann auch hier nur die Aufrechterhaltung der Verfügungen zugunsten der exceptae personae gemeint sein. Wiederum dient Marcell der Vergleich der Interessen der Beteiligten dazu, die Subsumtion unter das Edikt zu erläutern. Er schließt also nicht einfach aus seiner eigenen Entscheidung auf weitere Fälle, sondern greift für die Induktion nochmals auf den althergebrachten Fall zurück. Hat schließlich der Erblasser den von einem später Adoptierten abstammenden Enkel in seiner potestas behalten und zum Erben eingesetzt, ist dieser ebenfalls den exceptae personae gleichzustellen: 139  So

auch Müller-Eiselt, Divus Pius constituit, S. 83. D 1.7.43, Proc. D 1.7.44.

140  Pomp.



I. Unvermittelte Rechtsfindung63

(C7) Marcell 120 = D  37.5.25.2 (9 dig)

Si forte ex eodem filio retinuerat nepotem unum pluresve, indubitate pro ea parte tuendus est, pro qua parte tueretur, si ex filia nepos aut mater defuncti heredes instituti essent: nam his comparatur.



Wenn er etwa von demselben Sohn einen Enkel oder mehrere zurückbehalten hatte, ist [die Erbeinsetzung] zweifellos in der Höhe des Teils zu bewahren, der bewahrt werden würde, wenn der Enkel von einer Tochter oder die Mutter des Verstorbenen als Erben eingesetzt worden wären. Denn diesen wird er gleichgestellt.

Auch dieser Enkel darf nicht anders behandelt werden, als die Mutter des Erblassers oder einer von dessen Töchtern abstammender Enkel. Die Verweigerung der bonorum possessio contra tabulas würde seiner Interessenlage nicht entsprechen. In vier weiteren Entscheidungen bringt Marcell mit Hilfe der Fallanknüpfung einen Begriff zur Anwendung, dessen Inhalt von gewissen Wertungen abhängig ist und dem Prätor einen Ermessensspielraum eröffnet.141 Zur Beurteilung, ob das Verhalten eines Patrons von einer iusta causa im Sinne des Edikts getragen ist, bedient er sich des Vergleichs mit einem offenbar leichter zu lösenden Fall: (C8) Marcell 147 = D  29.4.5 (12 dig)

Excusatus videtur patronus, qui institutionem praetermisit, cum aliter esset a liberto scriptus heres quam eum institui oportet: nam et si servus eius ex asse institutus fuerit et per quemcumque casum non potuerit iussu domini adire hereditatem, impune praetermittet ex testamento hereditatem.



Als entschuldigt wird ein Patron angesehen, der den Erbschaftsantritt unterlassen hat, weil er vom Freigelassenen anders ernannt worden ist, als er hätte eingesetzt werden müssen. Denn auch wenn dessen Sklave auf das Ganze eingesetzt worden ist und er aus irgendeinem zufälligen Grund die Erbschaft nicht auf Befehl des Herrn antreten konnte, unterlässt er unbescholten den Erbschaftsantritt nach dem Testament.

Nach dem Edikt Si quis omissa causa testamenti ab intestato vel alio modo possideat hereditatem gewährt der Prätor gegen einen Intestaterben, der seine testamentarische Erbschaft ausgeschlagen hat, um die im Testament vorgesehenen Belastungen mit Vermächtnissen zu umgehen, entsprechende actiones utiles zugunsten der Legatare.142 Vorliegend hat ein Patron die bonorum possessio contra tabulas beantragt, weil ihm von seinem Freigelassenen im Testament nicht der vollständige, unbelastete Pflichtanteil hinterlassen worden 141  Entsprechende Stellen aus Julians Werken finden sich bei Harke, AI–AS, S. 171 ff. Ein Fall der deduktiven Konkretisierung einer solchen Wendung findet sich in D 39.6.28 (F4). 142  Vgl. Ulp. D 29.4.1pr., 4pr., 10pr.; Lenel, Das edictum perpetuum, S.  363 f.

64

B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung

ist. Die Voraussetzung des causam testamenti praetermittere ist durch Ausschlagung gegen den Willen des Erblassers erfüllt.143 Allerdings erteilt der Prätor die Klage nach einer cognitio causae, so dass er sie bei Vorliegen einer iusta causa omittendi dennoch verweigern kann.144 Es ist davon auszugehen, dass dieser Vorbehalt causa cognita bereits im Ediktswortlaut Ausdruck gefunden hat.145 Marcell gibt dem Prätor hier die Annahme eines solchen Entschuldigungsgrundes vor, empfiehlt ihm also die Anwendung des wertungsgebundenen Begriffs der iusta causa. Denn hätte der Patron nicht ausgeschlagen, wäre er nach den honorarrechtlichen Bestimmungen ohnehin nicht über seine debita portio hinaus verpflichtet gewesen.146 Anstatt jedoch diesen Aspekt hervorzuheben, geht Marcell bei seiner Begründung induktiv vor: Ein libertus kann seiner Pflicht gegenüber dem Patron auch dadurch nachkommen, dass er dessen Gewaltunterworfene im Testament bedenkt.147 Wäre ein Sklave des Freilassers ex asse eingesetzt worden, der Antritt jedoch daran gescheitert, dass der Patron keine entsprechende Anordnung gegenüber dem eingesetzten Sklaven erteilen würde, läge ohne Weiteres ein praetermittere im Sinne des Edikts vor.148 Dagegen müssten die Vermächtnisse ebenso wenig wie im Ausgangsfall geleistet werden, wenn der Antritt dem Sklaven trotz entsprechender Anordnung seines Herrn aufgrund irgendeines von diesem nicht zu vertretenden Umstandes unmöglich wäre.149 Ob Marcell seine Entscheidung zugunsten des Patrons an diesem Vergleich orientiert, weil Fälle fehlender Vorwerfbarkeit beim Gewalthaber bereits vor seiner Zeit als iusta causa anerkannt waren, oder ob er diese schlicht als leichter nachvollziehbar ansieht, muss aufgrund der dürftigen Überlieferungslage offen bleiben.150 143  Vgl.

Ulp. D 29.4.1.6. D 29.4.6.3: Non simpliciter autem praetor pollicitus est se daturum actionem, sed c a u s a c o g n i t a : nam sive invenerit testatorem huius rei auctorem esse ipsumque permisisse ab intestato succedere aut si qua alia i u s t a c a u s a o m i t t e n d i intervenerit, utique non dabit actionem in eum legatorum. 145  Lenel, Das edictum perpetuum, S. 364. 146  Vgl. Marcel. D  31.28 (K3), Paul. D  35.1.43pr. 147  Vgl. Ulp. D 38.2.8. 148  Ulp. D 29.4.1.2. 149  Gleiches gilt nach Ulp. D 29.4.1.4, wenn der Sklave seinen dominus vor der Beantragung der possessio nicht in Kenntnis gesetzt hatte. 150  Die beiden nebeneinandergestellten Fälle liegen durchaus weit auseinander: Einmal scheitert die testamentarische Erbfolge unabhängig vom Patron, nachdem er das von ihm geforderte iubere bereits vollführt hat, das andere Mal verweigert er die Annahme ganz bewusst. Eine ältere Entscheidung des zweiten Falls, auf die sich Marcell vielleicht berufen haben könnte, ist nicht überliefert. Dies allein darf aber nicht zu der fernliegenden Annahme führen, Marcell hätte eine zweite, originäre Entscheidung getroffen und sie ungewöhnlicher Weise gerade mit nam angefügt. 144  Ulp.



I. Unvermittelte Rechtsfindung

65

In zwei weiteren Entscheidungen beschäftigt sich Marcell mit dem Inhalt der aequius melius-Formel der actio rei uxoriae: (C9) Marcell 292 = D 46.3.48 (resp lib)

Titia cum propter dotem bona mariti possideret, omnia pro domina egit, reditus exegit et moventia distraxit: quaero, an ea, quae ex re mariti percepit, in dotem ei reputari debeant. Marcellus respondit reputationem eius quod proponeretur non iniquam videri: pro soluto enim magis habendum est, quod ex ea causa mulier percepit. Sed si forte usurarum quoque rationem arbiter dotis reciperandae habere debuerit, ita est computandum, ut, prout quidque ad mulierem pervenit, non ex universa summa decedat, sed prius in eam quantitatem, quam usurarum nomine mulierem consequi oportebat: quod non est iniquum.



Titia hat, als sie wegen der Mitgift Güter des Ehemannes besaß, alles wie eine Eigentümerin behandelt, Einkünfte eingetrieben und bewegliche Sachen veräußert. Ich frage, ob ihr das, was sie aus dem Vermögen des Ehemannes empfangen hat, auf die Mitgift angerechnet werden muss. Marcell hat geantwortet, dass die Anrechnung dessen, was angeführt worden sei, nicht unbillig erscheine. Was die Frau aus diesem Grund erworben hat, ist nämlich eher als erfüllt zu betrachten.



Wenn aber etwa der Richter, der über die Wiedererlangung der Mitgift entscheidet, in die Erwägung auch Zinsen einbeziehen muss, ist so zu rechnen, dass das, was an die Frau gelangt ist, nicht aus der gesamten Summe scheidet, sondern zuerst aus derjenigen Menge, welche die Frau wegen der Zinsen erlangen musste. Was nicht unbillig ist.

Eine Ehefrau ist vom Prätor wegen des Konkurses ihres Mannes zum Schutz ihrer Mitgiftforderung wie eine Gläubigerin in dessen Vermögen eingesetzt worden (missio dotis servandae causa).151 Bei der Verwaltung der Güter hat sie – einer Eigentümerin gleich – Geschäfte im eigenen Namen und auf eigene Rechnung geführt, insbesondere Forderungen eingetrieben und Mobilien veräußert. Die dadurch erlangten Vorteile sind in ihr eigenes Vermögen geflossen. Grundsätzlich kann eine Frau beim Konkurs ihres Ehemannes sofort mit einer der actio rei uxoriae nachgebildeten Klage gegen den bonorum emptor auf Herausgabe der dos klagen, um die Durchsetzung ihrer privilegierten Mitgiftforderung in vollem Umfang zu gewährleisten. Allerdings sollen hier die erzielten Einkünfte und Erlöse auf ihren Anspruch angerechnet werden. Da die actio rei uxoriae zu den bonae fidei iudicia zu zählen ist, wird ihr Umfang nach quod eius melius aequius erit bemessen.152 In diesem Rahmen kann der Richter auch Gegenforderungen des Schuldners direkt abziehen (compensatio), wenn sie aus demselben 151  Vgl. Paul. D  50.1.26.1, Gai. D  4.5.8; hierzu und zum Folgenden ausführlich Zülch, Der liber singularis responsorum, S.  187 ff. m. w. N. 152  Gai 4.62; Lenel, Das edictum perpetuum, S.  303 ff.; Kaser, RP I, S. 337  f. m. Fn. 3.

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung

rechtlichen Verhältnis (ex eadem causa) stammen.153 Marcells erste Entscheidung gibt dem Richter daher für dessen Abwägung der Interessenlage vor, dass eine solche Anrechnung jedenfalls non iniquum, also billig, ist.154 Dabei legt er besonderen Wert auf die Feststellung, dass die Bereicherung der Frau aus ihren Geschäften mit Dritten (ex ea causa) aus wertender Sicht wie eine teilweise Erfüllung der Mitgiftschuld durch den Ehemann anzusehen ist.155 Am Ende der Stelle beschäftigt sich Marcell noch mit Modalitäten der Anrechnung durch den Richter: Wenn in der universa summa, die der Frau aus der dos zusteht, auch gewisse Zinsen enthalten sind, sollen die erlangten Vorteile zunächst nur von diesen abgezogen werden, so dass der Kapitalstamm möglichst lange erhalten bleibt. Da kein zusätzlicher Sachverhalt geschildert wird, liegt es am nächsten, unter diesen usurae die angefallenen Mitgiftzinsen zu verstehen. Zwar stehen diese grundsätzlich dem Mann als lucrum für den alltäglichen Unterhalt der Familie zur Verfügung, doch kann sich die Frau die Herausgabe vom Mann versprechen lassen. Obwohl aus einer solchen Vereinbarung kein Forderungsrecht entsteht, hat schon Celsus ihre Berücksichtigung im Wege der Anrechnung bei der actio rei uxoriae als eine Art pactum befürwortet.156 Das abschließende quod non est iniquum nimmt noch einmal Bezug auf die aequius melius-Klausel der Klageformel, die auch die Rücksicht auf ein pactum erlaubt.157 Eine noch ausführlichere Abhandlung widmet Marcell dem Problem der Rückforderung eines Nießbrauchsrechts nach der Scheidung: (C10) Marcell 92 = D  24.3.57 (7 dig)

Usu fructu in dotem dato si divortium intervenerit nec proprietas rei apud maritum vel mulierem sit, eam dotis esse restitutionem, ut maritus caveat, quamdiu vixerit, passurum se uti frui mulierem heredemque eius. Quod an verum sit circa adiectionem heredis, dubito. Interest, quemadmodum sit usus153  Vgl.

Gai 4.61. schon Solazzi, La compensazione, S. 156. 155  Damit ist auch klargestellt, dass es sich um zwei aufrechenbare Forderungen aus demselben Schuldverhältnis handelt. Zülch, Der liber singularis responsorum, S. 195 f. geht wenig überzeugend von einem nachklassischen Bearbeiter aus, der dieses pro soluto aus einer Konstitution des Kaisers Alexander Severus (C 4.31.4) entnommen haben soll; dagegen zu Recht Liebs, SZ  120 (2003), S. 259. 156  D 24.1.28.7; dies übersieht Zülch, Der liber singularis responsorum, S. 191 Fn. 678. 157  Entgegen Zülch, Der liber singularis responsorum, S. 201 beweist das Zitat in Ulp. D  46.3.5.3, dass sich gerade Marcell mit dieser Anrechnungsproblematik auseinandergesetzt hat: Apud Marcellum libro vicensimo digestorum quaeritur, si quis ita caverit debitori ‚in sortem et usuras se accipere‘, utrum pro rata et sorti et usuris decedat an vero prius in usuras et, si quid superest, in sortem. 154  So



I. Unvermittelte Rechtsfindung67 fructus in dotem datus. Si, cum haberet mulier fructum, viro, cuius erat proprietas fundi, usum fructum cessit, nihil mulier heredi suo relinquet: debebatur enim ei ususfructus, qui ad heredem non solet transire. Quod si fundi sui fructum mulier viro cessit, restitui is a viro debet: cum proprietate enim ad heredem eius transisset, si vir in reddendo eo non fecisset moram. Si vero alienata sit proprietas aut aliquis fundi sui usum fructum mulieris iussu viro eius dederit in dotem, inspiciendum est primum, quemadmodum mulieri possit restitui: potest autem vel cautionibus interpositis, ut sic ut potest vir iure suo cedat mulieri fruique eam patiatur, vel, si se accommodavit dominus proprietatis, volente eo mulieri constituatur ususfructus: nam aut fructum fundi ille mulieri poterit cedere aut aliquid videlicet pro eo, ut inter eos actum fuerit, dare. Nam et finge hoc ipsum mulierem posse proprietatis domino vendere. Quo casu non inique etiam mulieris herede agente vir facere cogetur: quippe si moram non fecisset, pretium fructus mulier heredi suo reliquisset. Quod si facultatem ususfructus vendendi proprietatis domino mulier non habuerit, patientiam, quam percipiendi fructus praestare ipsi debuit, etiam heredi eius praestat.



Wenn es, nachdem ein Nießbrauch als Mitgift gewährt worden ist, zur Scheidung gekommen ist und das Eigentum der Sache nicht bei dem Ehemann oder der Frau ist, bestehe die Herausgabe der Mitgift darin, dass der Ehemann Sicherheit dafür leistet, dass er, solange er lebe, dulden werde, dass die Frau und ihr Erbe Früchte zögen. Ob dies aber in Bezug auf die Einbeziehung eines Erben richtig ist, bezweifle ich. Entscheidend ist, auf welche Weise der Nießbrauch als Mitgift gewährt worden ist.



Wenn die Frau, als sie das Fruchtziehungsrecht innehatte, dem Mann, dem das Eigentum am Grundstück zustand, den Nießbrauch abgetreten hat, hinterlässt die Frau ihrem Erben nichts. Dieser wurde nämlich der Nießbrauch geschuldet, welcher nicht auf den Erben überzugehen pflegt. Wenn aber die Frau dem Mann das Fruchtziehungsrecht an ihrem eigenen Grundstück eingeräumt hat, muss dieses vom Mann zurückgewährt werden. Es wäre nämlich mit dem Eigentum auf deren Erben übergegangen, wenn der Mann bei dessen Rückgabe keinen Verzug verursacht hätte.



Wenn aber das Eigentum [am Grundstück] entäußert worden ist oder irgendjemand den Nießbrauch an seinem Grundstück auf Geheiß der Frau ihrem Mann als Mitgift gewährt hat, muss zuerst untersucht werden, auf welche Weise der Frau zurückgewährt werden kann. Dies kann durch Sicherheitsleistungen dafür geschehen, dass der Mann, soweit er kann, der Frau sein Recht abtritt und duldet, dass diese Früchte zieht, oder so, dass der Frau, wenn der Inhaber des Eigentums es gestattet hat, der Nießbrauch mit dessen Willen [von Neuem] bestellt wird. Denn entweder kann dieser [Eigentümer] der Frau den Nießbrauch am Grundstück abtreten oder freilich, wie es zwischen ihnen vereinbart worden ist, statt dessen irgendetwas anderes geben.



Und man stelle sich vor, dass die Frau dem Eigentümer des Grundstücks diesen [Nießbrauch] auch selbst verkaufen konnte. In diesem Fall würde der Mann auch nicht unbillig gezwungen zu leisten, wenn der Erbe der Frau klagt. Freilich hätte die Frau, wenn er nicht in Verzug gekommen wäre, ih-

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung rem Erben den Wert des Nießbrauchs hinterlassen. Wenn aber die Frau keine Möglichkeit zur Veräußerung des Nießbrauchs an den Eigentümer des Grundstücks gehabt hätte, muss der Mann dulden, dass deren Erbe Nutzungen zieht, so wie er es gegenüber der Empfangenden selbst hätte dulden müssen.

Einem Ehemann ist als dos der ususfructus an einem Grundstück übertragen worden, das weder im Eigentum der Frau steht noch ihm selbst gehört. Zunächst zitiert Marcell eine nicht bekannte Quelle mit der allgemeinen Feststellung, dass der Mann in einem solchen Fall seiner Restitutionspflicht nach der Scheidung nur dadurch nachkommen könne, dass er der Frau für die Nutznießung eine Sicherheit stelle. Im Anschluss behandelt er ausführlich die Frage, ob auch die Erben der Frau nach deren Tod einen entsprechenden Anspruch gegen den geschiedenen Ehemann geltend machen können. Die Schwierigkeit liegt darin, dass die actio rei uxoriae als höchstpersönliches Recht der Frau verstanden wird, das grundsätzlich nicht auf die Erben übergehen kann.158 Befand sich der Mann jedoch im Zeitpunkt des Todes seiner geschiedenen Frau im Verzug mit der Herausgabe, gebietet die Billigkeit in aller Regel eine abweichende Handhabung;159 denn der Gegenstand kann nur deswegen nicht dem Erben zufallen, weil der Anspruch nicht rechtzeitig erfüllt worden ist. An das eigentliche Problem des Nießbrauchs an einem fremden Grundstück führt Marcell seine Leser nur langsam heran. Zunächst befasst er sich mit Fällen, in denen das Grundstück dem Mann oder der Frau gehört: Hatte die Frau den ususfructus an einem dem Mann gehörenden Grundstück und hat sie diesen zur Vermehrung der Mitgift an ihn abgetreten, können die Erben nichts herausverlangen. Denn auch der ususfructus selbst erlischt mit dem Tod der Berechtigten.160 Selbst wenn der Mann den Nießbrauch also rechtzeitig zurückgeben hätte, wäre er mit dem Tod der Frau erloschen und gerade nicht den Erben zugutegekommen. Dieses hypothetische Geschehen bei ordnungsgemäßem Verhalten des Ehemannes schließt aus, die Verpflichtung des Mannes zur Einräumung des Nießbrauchs für den Erben als melius aequius anzusehen. Wenn die Frau dagegen selbst Eigentümerin eines fundus ist und dem Mann den Nießbrauch daran als dos bestellt, führt die verspätete Restitution durchaus zu einem unbilligen Nutzungsausfall, da die Rechtsnachfolger der Frau bei rechtzeitigem Übergang des unbeschränkten Eigentumsrechts sofort mit ihrem Tod die Möglichkeit gehabt hätten, Früchte zu ziehen.161 Daher ist den Erben nur in dieser zweiten Variante ein 158  Kaser,

RP I, S. 338.

159  UE 6.7. 160  Vgl.

Gai. D  7.1.56; Kaser / Knütel, Römisches Privatrecht, S. 158. Willvonseder, Die Verwendung der Denkfigur der condicio sine qua

161  Ebenso

non, S. 66.



I. Unvermittelte Rechtsfindung69

Anspruch zu gewähren. Zur Begründung verweist Marcell nochmals ausdrücklich auf den hypothetischen Übergang des Nutzungsrechts mitsamt dem Eigentum bei ordnungsgemäßer Restitution. Erst im Anschluss daran kommt er zum eingangs geschilderten Fall, in dem es sich um das Grundstück eines Dritten handelt. Dabei ist unerheblich, ob das Grundstück während der Ehe an den Dritten verkauft worden ist, oder ob der Dritte den ususfructus an seinem Grundstück dem Mann als dos bestellt hat und dies auf Anweisung der Frau geschah. Zu differenzieren ist allerdings nach den Verkaufsmöglichkeiten der Frau: Denn wenn sie den ususfructus vor ihrem Tod hätte veräußern können, wäre der Verzug für die Benachteiligung der Erben in Höhe des hypothetischen Kaufpreises kausal geworden, weil sich dieser ja ansonsten im Nachlass befunden hätte.162 Entsprechendes gilt, wenn der Eigentümer bereit gewesen wäre, der Frau den Nießbrauch an seinem Grundstück neu zu bestellen. Mit dieser Argumentation begründet Marcell seine Aussage, dass es hier non iniquum sei, vom verantwortlichen Mann zu verlangen, den Erben den Wert des Nießbrauchs auszubezahlen. Hätte sich dagegen der Grundstückseigentümer zu keiner Form von Mitwirkung bereit erklärt, hätte der Mann seiner geschiedenen Frau eine Sicherheit dafür leisten müssen, dass sie den Nießbrauch ungestört ausüben kann. Denn wie Marcell bereits zu Beginn der Stelle (ut maritus caveat) und weiter unten noch einmal (cautionibus interpositis, ut) ausführt, kann die Restitution eines ususfructus nur durch Garantieleistungen des Rechtsinhabers erfolgen.163 Eben dies muss der Mann jetzt den Erben gegenüber nachholen. Den Grund für seine Verpflichtung bildet der Vergleich mit der Lage bei rechtzeitiger Erfüllung, an der sich der Richter bei der Beurteilung nach der aequius melius-Formel zu orientieren hat. Bei der Gewährung der actio depositi gegen die Erben eines Verwahrers kommt es maßgeblich auf das Tatbestandsmerkmal des dolus an: (C11) Marcell 60 = D 16.3.22 (6 dig)164

[Si duo heredes rem apud defunctum depositam dolo interverterint, quodam utique casu in partes tenebuntur: nam si diviserint decem milia, quae apud defunctum deposita fuerant, et quina milia abstulerint et uterque solvendo est, in partes obstricti erunt: nec enim amplius actoris interest.] Quod si lancem conflaverint aut conflari ab aliquo passi fuerint aliave quae species dolo eorum interversa fuerit, in solidum conveniri poterunt, ac si ipsi servandam suscepissent: nam certe verum est in solidum quemque dolo fecisse et nisi pro solido res non potest restitui. … 162  Willvonseder,

Die Verwendung der Denkfigur der condicio sine qua non, S. 66. auch Maier, FS Rabel II, S. 223. 164  Lenel, Palingenesia  I, Sp. 598 Fn.  2; der Inskription nach soll das Fragment aus dem fünften Buch stammen. 163  Vgl.

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung [Wenn zwei Erben eine bei einem Verstorbenen deponierte Sache absichtlich unterschlagen haben, werden sie jedenfalls in einem bestimmten Fall auf Anteile haften. Wenn sie nämlich 10.000, die bei dem Verstorbenen deponiert waren, aufgeteilt haben, und 5.000 weggenommen haben und jeder von beiden solvent ist, werden sie auf die Anteile verpflichtet. Denn auch das Interesse des Klägers geht nicht weiter.] Wenn sie aber eine Schüssel geschmolzen haben oder geduldet haben, dass sie von einem anderen geschmolzen worden ist, oder sie irgendein anderes Einzelstück arglistig unterschlagen haben, können sie auf das Ganze belangt werden, wie wenn sie selbst die zu verwahrende Sache angenommen hätten. Denn es ist sicherlich richtig, dass jeder in Anbetracht des Ganzen mit Arglist gehandelt hat und die Sache nur im Ganzen herausgegeben werden kann. …

Treten an die Stelle eines Verwahrers mehrere Erben, haftet aus der formula in factum concepta der actio depositi grundsätzlich jeder für den dolus defuncti nach seiner Erbquote, für seine eigene Arglist jedoch in solidum.165 Ein doloses Verhalten ist bei der Verwahrung immer schon dann anzunehmen, wenn der Detentor dem Herausgabeverlangen des Deponenten nicht sofort nachkommt.166 Sind zwei Erben dafür verantwortlich, dass aus mehreren Erbschaftsgegenständen ein unteilbarer Gegenstand zusammengeschmolzen worden ist,167 oder haben sie eine unteilbare Erbschaftssache unterschlagen, kann von beiden – unabhängig voneinander und von ihrer Erbquote – die vollständige Restitution verlangt werden. Sie sollen bei Unterschlagung einer unteilbaren Sache ebenso stehen wie zwei solidarisch auf das Ganze haftende Depositare.168 Das entscheidende Vergleichsmoment liegt für Marcell darin, dass jeder Erbe für sich einen dolus verwirklicht, der den gesamten Gegenstand umfasst. Anders als im Ausgangsfall169 entspricht die Haftung in solidum hier auch dem Gläubigerinteresse, da die Sache physisch ohnehin nur im Ganzen herausgegeben werden kann.170 165  Paul. / Iul. D  16.3.9, 10; dazu eingehend Litewski, Studien zur Verwahrung, S.  9 ff. m. w. N. 166  Ulp. / Iul. D  16.3.1.22. 167  Dagegen verstehen Litewski, Studien zur Verwahrung, S. 13; MacCormack, BIDR 96–97 (1993–94), S. 133; Knütel, in: Behrends / Knütel, CIC  III, S. 348 und Walter, Die Funktionen der actio depositi, S. 111 Fn. 122, 218 f. Fn. 99 diesen Passus so, dass eine erbschaftliche Schüssel zerstört worden sei; dagegen wendet Steiner, Die römischen Solidarobligationen, S. 236 zu Recht ein, dass ein derartiger Sachverhalt nicht zum übrigen Fall passen würde. 168  Vgl. Ulp. D 16.3.1.43; dazu eingehend Steiner, Die römischen Solidarobligationen, S. 231 ff. Dabei handelt es sich entgegen Giaro, Römische Rechtswahrheiten, S. 457 nicht um eine Fiktion, sondern um ein die Subsumtion unter den dolus-Begriff erläuterndes Vergleichsargument. 169  Die erste Entscheidung der Stelle begründet Marcell durch eine Interessenabwägung, weswegen dieser Teil erst unten (R7) behandelt wird. 170  Der schwierige letzte Abschnitt des Fragments kann für die vorliegende Untersuchung außer Betracht bleiben. Er wird in der Literatur überwiegend für inter-



I. Unvermittelte Rechtsfindung71

dd) Schlüsse aus Juristenrecht Beinahe so häufig wie bei der Behandlung ediktaler Regelungen lassen sich kommentierte Fallvergleiche bei Marcells Auseinandersetzung mit den von seinen Vorgängern geschaffenen Regelungen aufzeigen. Da es hier in aller Regel an einem feststehenden Wortlaut fehlt, können zwar mehr Konstellationen direkt unter die Norm gefasst werden als bei Gesetzen oder honorarrechtlichen Bestimmungen, es besteht aber auch ein erhöhtes Erläuterungs- und Rechtfertigungsbedürfnis. Der erste Fall betrifft die Beteiligung eines Dritten an der Mitgiftbestellung. Die Herleitung der Lösung geht von einem Vergleich aus, nennt aber auch das für die Ableitung der Entscheidung maßgebliche tertium comparationis: (D1) Marcell 82 = D  23.3.59pr. (7 dig)

Si mulier ita dotem promiserit: ‚decem tibi aut titio doti erunt‘, hoc casu dici potest vel Titio dari posse, sed de dote virum teneri, quemadmodum si Titio iussisset dari. Nec mirum, cum etiam promissura viro dotem possit delegante eo alteri promittere, etsi dici solet alii quam marito dotis nomine mulierem non posse obligari. His enim casibus viro dos quaeritur. Non enim existimabimus illam ita promisisse, cum vel de Titii nuptiis cogitaret.



Wenn eine Frau die Mitgift in der Weise versprochen hat: „Dir oder dem Titius sollen 10 als Mitgift zukommen“, kann in diesem Fall gesagt werden, dass auch dem Titius geleistet werden kann, aber der Mann für die [Rückgabe der] Mitgift haftet, ebenso wie wenn er angewiesen hätte, an Titius zu leisten. Und das ist nicht verwunderlich, weil sie, wenn sie dem Mann eine Mitgift versprechen will, auch auf dessen Anweisung einem anderen versprechen kann, obwohl man zu sagen pflegt, dass eine Frau gegenüber einem anderen als ihrem Ehemann nicht zu einer Mitgift verpflichtet werden könne. In diesen Fällen wird die Mitgift nämlich für den Mann erworben. Denn wir nehmen nicht an, die Frau habe so versprochen, als ob sie auch an eine Hochzeit mit Titius gedacht hätte.

Ein Mann hat sich von seiner zukünftigen Ehefrau die dos mit den Worten ‚decem tibi aut Titio doti erunt‘ versprechen lassen. Diese Art der Mitgiftbestellung könnte gegen die Regel verstoßen, dass die Frau niemandem verpflichtet werden darf, eine Mitgift zu leisten, außer ihrem zukünftigen Ehemann.171 Marcell geht jedoch von einer wirksamen Bestellung der Mitgift aus, ohne sich dabei explizit auf den favor dotis zu berufen.172 poliert gehalten: vgl. Sacconi, Studi sulle obbligazioni solidali da contratto, S. 72; Litewski, Studien zur Verwahrung, S. 15 mit Hinweisen zur älteren Literatur; aber ebenso Evans-Jones, RIDA III 33 (1986), S. 131 f.; Steiner, Die römischen Solidarobligationen, S. 236  f. Anderer Ansicht ist Giaro, Römische Rechtswahrheiten, S. 409, 457. 171  Vgl. auch Paul. D 23.3.1: … ita contrahitur, ut semper apud maritum sit. 172  Zu diesem Topos vgl. unten D  23.4.4pr. (S3) und D  23.3.59.1 (S4).

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung

Vielmehr vergleicht er das alternative Versprechen mit einer Anweisung: Der Mann hätte seine zukünftige Frau ohne Weiteres anweisen können, die Mitgift einem Dritten zu stipulieren.173 Auch im Falle einer solchen delegatio obligandi würde der anweisende Mann nach der actio rei uxoriae haften, wie wenn sich die Frau unmittelbar ihm gegenüber verpflichtet und er dieselbe Leistung dem Dritten versprochen hätte. Die entscheidende Parallele liegt für Marcell darin, dass der Erwerb der Mitgift hier wie dort viro erfolgen soll, die Frau also gerade keinem Dritten zur Leistung einer dos verpflichtet wird. Hat der Mann zwar keine delegatio erteilt, der Frau aber ein Versprechen abgenommen, wonach die Mitgift auch dem Titius ausgezahlt werden darf, erhält dieser als sogenannter solutionis causa adiectus bloß eine Empfangsberechtigung.174 Ein eigenes Forderungsrecht gegen die stipulierende Frau erwirbt er dagegen nicht.175 Anders könnte die Entscheidung nur lauten, wenn der Frau der äußerst ungewöhnliche Wille nachgewiesen werden könnte, die Leistung der dos zwei potentiellen Ehegatten alternativ und bedingt auf den jeweiligen Eheschluss zu versprechen.176 Auf die Regeln der Rechtsmängelhaftung stützt Marcell einen Erst-RechtSchluss und verdeutlicht das tertium comparationis durch die Abgrenzung zur Sachmängelhaftung: (D2) Marcell 227 = D  46.3.72.5 (20 dig)

Qui hominem debebat, Stichum, cui libertas ex causa fideicommissi praestanda est, solvit: non videtur liberatus: nam vel minus hic servum dedit quam ille, qui servum dedit nondum noxa solutum. Num ergo et si vispellionem aut alias turpem dederit hominem, idem sit? Et sane datum negare non possumus et differt haec species a prioribus: habet enim servum, qui ei auferri non possit.



Jemand, der einen Sklaven schuldete, hat den Stichus geleistet, welchem die Freiheit aufgrund eines Fideikommisses gewährt werden muss. Er scheint nicht befreit worden zu sein. Denn dieser hat noch weniger einen Sklaven gegeben als jemand, der einen Sklaven gegeben hat, welcher noch nicht von einem Schadensersatzanspruch befreit worden ist. Gilt also auch dasselbe, wenn er einen Grabschänder oder sonst schändlichen Menschen geleistet hat? Und in der Tat können wir nicht bestreiten, dass er geleistet worden ist und dieser Fall unterscheidet sich von den vorigen. Er hat nämlich einen Sklaven, der ihm nicht weggenommen werden kann.

173  Ulpian sagt in D 23.3.19, dass der Ehemann auch zur Rückzahlung der dos verpflichtet wird, wenn sie auf seine Anweisung hin einem Dritten geleistet worden ist, also bei einer delegatio solvendi. Entsprechendes muss auch für die delegatio obligandi gelten; Kaser, RP  I, S. 651. 174  Kaser, RP I, S. 637. 175  So ausdrücklich Paul. D 46.3.10. 176  Ähnlich schon Pellat, Textes sur la dot, S. 281.



I. Unvermittelte Rechtsfindung73

Marcell erörtert die Folgen der Leistung eines mit einem Freiheitsfideikommiss belasteten Sklaven. Um die Frage zu klären, ob dadurch überhaupt eine Befreiung des Schuldners eintreten kann, zieht er zwei weitere Arten von Mängeln vergleichsweise heran: die einem Sklaven unmittelbar anhaftende noxa einerseits und die turpitudo als mangelhafte Charaktereigenschaft andererseits. Eine noch nicht erfüllte Noxalverbindlichkeit geht mit dem Eigentum an dem betroffenen Sklaven auf den Erwerber über.177 Dem Haftenden ist nur die Wahl gelassen, entweder die Bußzahlung zu leisten oder den Sklaven dem Geschädigten mittels noxae deditio auszuliefern.178 Zumindest wenn der Schaden den Wert des Sklaven übersteigt, entsteht also ein faktischer Veräußerungszwang. Schon aus dieser Gefahr, den erworbenen Sklaven wieder zu verlieren, folgern die römischen Juristen bei obligationes dandi das Scheitern der liberatio.179 Marcell leitet daraus sein argumentum a fortiori ab: Die Belastung des Sklaven mit einem Fideikommiss, die den Erwerber in jedem Fall zur Freilassung nötigt, muss umso mehr gegen eine Liberationswirkung sprechen. Zur Distinktion dient ihm schließlich der Fall eines vispellio. Leichengräber werden von den Römern als besonders schändliche Menschen angesehen.180 Bei der turpitudo handelt es sich um einen rein wertmindernden Sachmangel, der je nach Sachverhalt Ansprüche auf Schadensersatz, Wandlung oder Minderung begründen kann. Abschließend nennt Marcell explizit den ausschlaggebenden Aspekt zur Abgrenzung der Konstellationen, der gleichzeitig das tertium comparationis hinsichtlich der ersten beiden Fälle darstellt: Nur wenn das dare trotz der Mangelhaftigkeit endgültig ist und nach dem Übergang keinerlei Eviktionsgefahr mehr besteht, kann die Befreiung des Leistenden eintreten. Wenn die Leistung auf ein rechtliches indebitum nicht kondiziert werden kann, da sie als Erfüllung einer sittlichen Pflicht verstanden wird, spricht dies auch dafür, die stipulatio derselben Leistung für verbindlich zu halten: (D3) Marcell 245 = D  39.5.20.1 (22 dig)

De illo dubitari potest, qui, quod per Falcidiam retinere poterat, voluntatem testatoris secutus spopondit se daturum: sed magis est, ut non possit suae confessioni obviare. Quemadmodum enim, si solvisset, fidem testatori suo adimplesse videbatur et nulla ei repetitio concessa fuerat, ita et stipulatione procedente contra fidem testatoris, quam adgnovit, venienti ei merito occurretur. 177  Gai 4.77;

zur Anzeigepflicht nach dem Ädilenedikt vgl. Ulp. D 21.1.1.1. Gai  4.75. 179  Vgl. Pomp. D  30.45.1, D  46.3.20, Afr. D  46.3.38.3; dazu Kaser, RP I, S. 637 m. Fn. 22; Ernst, Rechtsmängelhaftung, S. 113; Dieckmann, Der Nacherfüllungsanspruch, S.  79 f. 180  Vgl. auch Maec. D 36.1.7, Ulp. D 21.2.31; dazu eingehend Wesel, SZ 80 (1963), S.  392 ff. 178  Vgl.

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung Bei jemandem, der versprochen hat, dass er das, was er nach dem falzidischen Gesetz behalten dürfte, dem Willen des Testators gemäß leisten werde, sind Zweifel angebracht. Aber es spricht mehr dafür, dass er seinem Versprechen nicht zuwider handeln kann. Denn auf die gleiche Weise, wie er, wenn er gezahlt hätte, so angesehen würde, als hätte er die Erwartung des Testators erfüllt und ihm keine Rückforderung gestattet wäre, so wird ihm mit Recht entgegengetreten, wenn er im Falle einer Stipulation gegen die ihm bekannte Treuepflicht gegenüber dem Testator handelt.

Der Erbe hat einem Fideikommissar stipulationsweise versprochen, dass er auch den Teil seiner Erbschaft herausgeben wird, den er nach der Regelung der lex Falcidia hätte zurückbehalten dürfen. Marcell entscheidet, dass er sich durch das Versprechen nichtsdestoweniger verbindlich gemacht hat.181 Zur Begründung zieht er einen Vergleichsfall heran: Hat sich der Erbe bewusst gegen den Vorteil der lex Falcidia entschieden und das gesamte Fideikommiss bereits erfüllt, um dem Willen des Erblassers vollständig zu genügen, besteht für Marcell kein Zweifel daran, dass er später auch den falzidischen Anteil nicht mehr zurückfordern kann.182 Für eine wirksame condictio indebiti wäre nämlich neben der Leistung auf eine Nichtschuld noch die irrtümliche Annahme des Bestehens einer wirksamen Obligation erforderlich.183 Es spricht jedoch eine widerlegliche Vermutung dafür, dass die Leistung mit dem Ziel erfolgt ist, das Vertrauen des Erblassers nicht zu enttäuschen und eine Anstandspflicht zu erfüllen.184 Und ebenso wenig wie der Erbe die tatsächlich erfolgte Leistung zurückfordern kann, soll er von dem bewussten Versprechen der vollständigen Restitution im Nachhinein wieder Abstand nehmen können. Denn auch hier steht zu vermuten, dass die Stipulation in der Absicht der Erfüllung einer Treuepflicht gegenüber dem Testator vorgenommen worden ist.185 Mag also auch keine rechtlich wirksame Verpflichtung entstanden sein, so muss die Rechtsordnung dennoch dieser fides testatoris als sittlicher Pflicht zur Durchsetzung verhelfen. Endgültig scheint erst Justinian den vorliegenden Fall im Sinne Marcells ent181  Diese Entscheidung findet sich auch bei Ulp. D  35.2.46; zur Echtheit der Stelle und insbesondere der ungewöhnlichen Formulierung non confessioni obviare vgl. Manthe, SC Pegasianum, S.  202 ff. m. w. N. 182  Diese Entscheidung kann bereits seit Valens (D 36.1.70.1) bezeugt werden und wird noch von Justinian in C  6.50.19 als certum bezeichnet. 183  Gai 3.91; Ulp. D 12.6.1.1; vgl. dazu statt aller Zimmermann, The law of obligations, S.  849 ff. m. w. N. 184  Val. D 36.1.70.1 und Ulp. / Cels. D  24.1.5.15. Erst seit Septimius Severus und Caracalla wurde die Kondiktion für solche Leistungen nicht mehr nur aus Beweisgründen, sondern unter Annahme einer causa fideicommissi ausgeschlossen: vgl. Paul. D  22.6.9.5; dazu ausführlich Manthe, SC Pegasianum, S.  194 ff. 185  Noch deutlicher ausgesprochen wird dies in Maec. D 12.6.62: Fideicommissum in stipulatione deductum tametsi non debitum fuisset, quia tamen a sciente ­f i d e i e x p l e n d a e c a u s a promissum esset, debetur.



I. Unvermittelte Rechtsfindung

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schieden zu haben, wobei er sich nicht nur auf die ratio aequitatis, sondern ausdrücklich auch auf das vom Klassiker eingeführte Vergleichsargument beruft.186 In einer weiteren Entscheidung über die Anwendbarkeit und Funktionsweise einer allgemeinen Juristenregel zur Ausschlagung von Vermächtnissen187 setzt sich Marcell mit der Übertragbarkeit von Wegdienstbarkeiten auseinander: (D4) Marcell 261 = D 33.3.3 (29 dig)

Si fundum Maevio et ad eum viam per alium fundum et eundem fundum sine via Titio legasset, si uterque fundum vindicasset, sine via legato fundum cessurum, quia neque adquiri per partem servitus possit. Et si prius Maevius fundum vindicaret altero deliberante, posse dubitari, an, si postea Titius omisisset, viae legatum salvum esset, et hoc magis videbatur: quamquam si sub condicione quis fundum legasset, viam pure, aut pro parte fundum pure, pro parte sub condicione et viam sine condicione, si pendente ea legati dies cessisset, interiturum fore viae legatum: ut responsum est, cum alteri ex vicinis, qui fundum communem habebant, viam sub condicione, alteri pure legasset et pendente condicione decessisset, quia alterius legatarii persona impedimento esset, quo minus solidus fundus cum via vindicaretur.



Wenn jemand dem Maevius ein Grundstück und den Weg dorthin durch ein fremdes Grundstück vermacht hatte und dem Titius dasselbe Grundstück ohne das Wegerecht, wird das Grundstück ohne vermachtes Wegerecht anfallen, wenn beide das Grundstück vindiziert hatten, weil eine Servitut nicht für einen Bruchteil erworben werden kann. Und wenn Maevius das Grundstück zuerst vindizierte, während der andere noch überlegte, könne man erwägen, ob das Vermächtnis des Wegerechts wirksam wäre, wenn Titius später ausgeschlagen hätte, und dies scheint eher der Fall zu sein. Und dies obwohl, wenn jemand ein Grundstück unter einer Bedingung vermacht hätte und das Wegerecht unbedingt, oder das Grundstück zum Teil unbedingt, zum Teil unter einer Bedingung und das Wegerecht ohne Bedingung, das Vermächtnis des Wegerechts untergehen würde, wenn der Tag des Vermächtnisses während der Schwebezeit eingetreten wäre. Ebenso ist entschieden worden, als jemand einem seiner Nachbarn, die ein gemeinschaftliches Grundstück innehatten, ein Wegerecht unter einer Bedingung und einem anderen unbedingt vermacht hatte und verstorben war, während die Bedingung schwebte; denn die Person des anderen Vermächtnisinhabers verhindert, dass das ganze Grundstück mit dem Wegerecht vindiziert wird.

Hat der Testator ein Grundstück an zwei Vermächtnisnehmer mit dinglicher Wirkung vermacht, aber nur einem von beiden auch das zugehörige Wegerecht, scheitert der Übergang der via an der Halbierung des Eigentums, 186  Vgl. Iust. C  6.50.19; der dort genannte, klassische Streit ist in den kompilatorischen Digesten nicht mehr zu erkennen. 187  Vgl. dazu bereits oben D 9.2.34, 36pr. (A12) und D 29.1.31 (A13).

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung

sofern das Grundstück von beiden vindiziert wird. Dies folgt für Marcell unmittelbar aus der tradierten Regel, dass eine Servitut nicht pro parte dominii erworben werden kann.188 Doch kommt es ihm an dieser Stelle vor allem auf den Zeitpunkt an, in dem sich die Wirksamkeit des legatum viae entscheidet. Daher trägt er zur Abgrenzung einen Fall vor, in dem nur der mit dem zusätzlichen Wegerecht bedachte Legatar deliberante altero vindiziert hat und der andere später sein Vermächtnis am Grundstück ausgeschlagen hat. Seine zögerliche Entscheidung für die Wirksamkeit ist nicht explizit begründet, steht aber im Einklang mit dem Prinzip der Rückwirkung von Ausschlagungen: Das ausgeschlagene Legat wird behandelt, als hätte es niemals existiert, wodurch der vindizierende Vermächtnisnehmer rückwirkend auf den Antrittszeitpunkt als Alleineigentümer gilt, auf den auch das Wegerecht übergehen konnte.189 Anstatt die Juristenregel anzuführen, verdeutlicht er die genaue Wirkungsweise der Fiktion, indem er Fälle von bedingten Legaten zur Abgrenzung vorträgt: Wenn am dies cedens legati die für das Vermächtnis angeordnete Bedingung noch nicht eingetreten ist, muss ein ohne Bedingung vermachtes Wegerecht erlöschen und zwar unabhängig davon, ob die Bedingung des Legats später noch eintreten kann oder nicht. Im Gegensatz zur Ausschlagung hat der Bedingungseintritt also keine Rückwirkung.190 Daher erlischt ein unbedingt vermachtes Wegerecht ebenfalls vollständig, wenn nur ein Teil des Grundstücks bedingt vermacht wird, der Rest aber unbedingt, da das Wegerecht am dies cedens nicht für den unbedingt erlangten Miteigentumsanteil alleine erworben werden kann und ein späterer Bedingungseintritt für den bedingten Teil nicht zurückwirkt. In dieser Variante kombiniert Marcell also das zu Beginn der Stelle zitierte Prinzip mit der Bedingungsproblematik.191 Auf diesen Fall bezieht sich schließlich auch der begründende Schlussteil des Fragments (quia – fin.): Derjenige Legatar, der seinen Teil des Grundstücks erst dann vindizieren kann, wenn die ihm auferlegte Bedingung erfüllt worden ist, steht dem Erwerb des Wegerechts durch den anderen Legatar entgegen, weil die Servitut selbst eben nicht geteilt werden kann. Gerade aus diesem Grund muss die Entscheidung ebenso lauten, wie in einem zitierten responsum: Dort war das Wegerecht selbst an zwei Personen, dem einen unbedingt, dem anderen bedingt, für ihr gemeinschaftliches Grundstück vermacht worden, so dass es in gleicher Weise erlöschen musste. Dieser letzte Vergleichsfall dient noch einmal zur Bestätigung und Veranschaulichung seiner Lösung zur Bedin188  Afr. / Iul. D 8.3.32: … dici soleat per partes nec adquiri nec imponi servitutes posse …; vgl. auch Mod. D 8.1.11 (volgo traditur), Iav. D  8.4.5, Cels. D  8.3.11, Pomp. D  8.1.17, Ulp. D  8.4.6.1, Paul. D  35.2.49.1, D  45.1.140.2. 189  Vgl. Lohsse, Ius adcrescendi, S. 105 f. 190  Kaser, RP  I, S. 256; Lohsse, Ius adcrescendi, S. 106 m. Fn. 311. 191  So auch Lohsse, Ius adcrescendi, S. 107.



I. Unvermittelte Rechtsfindung77

gungsproblematik. Erst wenn sich der Leser das Fehlen der Rückwirkung in diesen Fällen klar gemacht hat, kann er die gegensätzliche Entscheidung bei Ausschlagungen nachvollziehen. In einem längeren, zusammenhängend überlieferten Text finden sich fünf Entscheidungen Marcells, in denen er die Folgen des Aufeinandertreffens von Schuldner- und Gläubigerverzug erläutert. Dabei gewinnt er zunächst das anzuwendende Prinzip selbst aus einem Vergleich. In der Folge leitet er daraus weitere Lösungen ab, die er jeweils durch induktive rationes plausibel macht. Im Kern geht es Marcell darum, die durch schuldhafte Verzögerung entstandene Interessenlage aufzuzeigen, indem er sich eines Vergleichs mit derjenigen Lage bedient, die ohne das vorwerfbare Verhalten bestehen würde: (D5) Marcell 227 = D  46.3.72pr. (20 dig)

Qui decem debet, si ea optulerit creditori et ille sine iusta causa ea accipere recusavit, deinde debitor ea sine sua culpa perdiderit, doli mali exceptione potest se tueri, quamquam aliquando interpellatus non solverit: etenim non est aequum teneri pecunia amissa, quia non teneretur, si creditor accipere voluisset. Quare pro soluto id, in quo creditor accipiendo moram fecit, oportet esse. Et sane si servus erat in dote eumque optulit maritus et is servus decessit, aut nummos optulit eosque non accipiente muliere perdiderit, ipso iure desinet teneri.



Wenn derjenige, der 10 schuldet, diese dem Gläubiger angeboten und dieser ohne hinreichenden Grund deren Annahme verweigert und der Schuldner hierauf dieses [Geld] ohne seine Schuld eingebüßt hat, kann er sich mit der Arglisteinrede schützen, obgleich er einst, nachdem er gemahnt worden ist, nicht erfüllt hat. Es ist nämlich nicht billig, dass er für das verlorene Geld haftet, weil er [auch dann] nicht haften würde, wenn der Gläubiger es hätte annehmen wollen. Deshalb muss das als erfüllt gelten, bei dessen Annahme der Gläubiger einen Verzug verursacht hat. Und in der Tat, wenn ein Sklave in der Mitgift war und der Ehemann diesen angeboten hat und dieser Sklave verstorben ist, oder er Münzen angeboten hat und diese eingebüßt hat, als die Frau sie nicht annahm, hört er ipso iure auf zu haften.

Ein Schuldner, der seine Leistung nicht erbracht hat, obwohl er hierzu in der Lage ist und die Leistungszeit kennt, kommt in Verzug (mora), so dass er fortan für den zufälligen Untergang des Leistungsgegenstands einzustehen hat.192 Sobald er die Leistung jedoch dem Gläubiger angeboten und dieser die Annahme ohne rechtfertigenden Grund verweigert hat, will ihn Marcell nur noch für culpa haften lassen.193 Während bei Stückschulden die 192  Vgl.

auch Pomp. D  12.1.5. das Angebot allerdings nicht schuldgerecht erfolgt, darf die Annahme im Umkehrschluss verweigert werden; Kaser, RP  I, S. 517 Fn.  36; Apathy, SZ 101 (1984), S. 191 Fn. 6. 193  Ist

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung

unverschuldete Unmöglichkeit ipso iure zu seiner Befreiung führt, soll er bei Gattungsschulden dem Leistungsverlangen des Gläubigers wenigstens die exceptio doli mali entgegenhalten können.194 Diese Ausnahme vom Prinzip des Schuldnerverzugs begründet Marcell, indem er die hypothetische Interessenlage bei ordnungsgemäßer Annahme durch den Gläubiger betrachtet:195 Durch den Gläubigerverzug ändert sich die Bewertung des Verhaltens der Beteiligten ebenso zu Gunsten des Schuldners, als wäre der Gegenstand bereits tatsächlich in den Verantwortungsbereich des Gläubigers übergegangen.196 Der aus dem Zufall resultierende Nachteil muss vor der Übergabe der Sache immer denjenigen treffen, von dem es abhängt, dass bisher noch nicht geleistet worden ist.197 Indem er die Haftung des Schuldners als non aequum bezeichnet, betont Marcell die Verlagerung der Vorwerfbarkeit im Zeitpunkt des erfolglosen Angebots vom Schuldner auf den Gläubiger.198 Zur Bestätigung seiner Regel nennt er noch zwei weitere Fälle, in denen eine Frau die Zurücknahme der vom geschiedenen Ehegatten verspätet angebotenen Heiratsgüter zu Unrecht verweigert. In den darauf folgenden Paragraphen überträgt er diese Überlegungen auf komplexere Sachverhalte, wobei er ausschließlich fallvergleichend vorgeht: (D6) Marcell 227 = D 46.3.72.1 (20 dig)

Cum Stichum mihi deberes et in solvendo moram fecisses, sub condicione eum promisisti: pendente ea Stichus decessit: videamus, an, quia novari prior obligatio non potest, petitio servi competat ea, quae competeret, si non intercessisset stipulatio. Sed in promptu contradictio est debitorem, cum stipulanti creditori sub condicione promisit, non videri in solutione hominis cessasse: nam verum est eum, qui interpellatus dare noluit, offerentem postea periculo liberari.



Als du mir den Stichus schuldetest und bei der Erfüllung einen Verzug verursacht hast, hast du diesen unter einer Bedingung [erneut] versprochen. Während diese noch in der Schwebe war, ist Stichus verstorben. Wir wollen sehen, ob, da die frühere Verpflichtung nicht erneuert werden kann, der Anspruch auf

194  So haben schon Celsus in D 44.4.6 und Julian in D 30.84.3 entschieden; dazu Harke, Mora debitoris und mora creditoris, S.  87 ff. 195  Ebenso Willvonseder, Die Verwendung der Denkfigur der condicio sine qua non, S. 95 f. 196  Hier mag man von einer Fiktion sprechen (pro soluto esse oportet), doch gehört dieser Teil des Textes sowohl nach formellen Gesichtspunkten als auch seinem Inhalt nach eindeutig zur Entscheidung Marcells, nicht zu seiner Argumentation. 197  Vgl. auch MacCormack, BIDR 96–97 (1993–94), S. 124. 198  Begriffe aus dem Wortfeld der aequitas tauchen bei Marcell regelmäßig zur Betonung des Prinzips der ausgleichenden Gerechtigkeit auf. In den meisten Fällen stehen sie im Zusammenhang mit der Vermeidung unbilliger Vor- oder Nachteile für einen Beteiligten; dazu näher unten S. 214 f.



I. Unvermittelte Rechtsfindung79 den Sklaven zusteht, der zustünde, wenn keine Stipulation dazwischengekommen wäre. Aber es liegt der Einspruch auf der Hand, dass der Schuldner bei der Leistung des Sklaven dann nicht [mehr] säumig gewesen zu sein scheint, wenn er dem stipulierenden Gläubiger unter einer Bedingung versprochen hat. Denn es ist richtig, dass derjenige, der nicht geben wollte, nachdem er gemahnt worden ist, von der Gefahr befreit wird, indem er später ein Angebot macht.

Der Schuldner ist mit der Leistung eines versprochenen Sklaven in Verzug gekommen. Daraufhin hat sich der Gläubiger von ihm denselben Sklaven nochmals mittels stipulatio versprechen lassen, diesmal allerdings unter einer Bedingung. Die gewollte Novation der obligatio ist jedoch nicht eingetreten, da der Sklave noch vor dem dafür erforderlichen Bedingungseintritt verstorben und damit der für die zweite Verpflichtung erforderliche Leistungsgegenstand weggefallen ist.199 Es stellt sich daher die Frage, ob die alte, durch den Verzug eigentlich perpetuierte Forderung noch besteht. Grundsätzlich kann der Schuldner dem Gläubiger nach einer Novation eine exceptio entgegenhalten, wenn dieser aus der alten Forderung klagen will.200 Hier ist zwar die bedingte stipulatio letztlich ohne Novationswirkung, sie zeigt jedoch gerade, dass dem Gläubiger nicht mehr an einer sofortigen Leistung gelegen war.201 Marcell begnügt sich bei der Argumentation mit dem Vergleich zu dem im principium des Fragments bereits behandelten Gläubigerverzug. Der stipulator soll demnach nicht anders stehen, als wenn ihm die Leistung tatsächlich angeboten worden wäre. Wenn schon ein einseitiges Angebot durch den Schuldner zu einer purgatio morae führen kann, muss dies hier umso mehr gelten, da ihm der Gläubiger explizit eine Art Aufschub gewährt hat und ihm daher den zufälligen Untergang des Leistungsgegenstandes nicht zum Vorwurf machen kann.202 Marcell stellt also die verzugsbeendende Wirkung als das entscheidende gemeinsame Merkmal von Angebot und Novationsstipulation heraus. An der Lösung ändert sich nichts, wenn nicht der Schuldner selbst, sondern ein Dritter in einer bedingten stipulatio verspricht, den Sklaven zu leisten: 199  Dabei handelt es sich nicht um die Begründung, sondern um den Ausgangspunkt der Entscheidung Marcells. Die Unwirksamkeit einer solchen Novation war zu seiner Zeit offenbar umstritten (vgl. Venul. D 46.2.31pr.), hat sich aber jedenfalls später durchgesetzt: Ulp. / Marcel. D  46.2.14pr.; dazu ausführlich Harke, Mora debitoris und mora creditoris, S.  74 ff.; Effer-Uhe, Die Wirkung der condicio, S.  24 ff., 56 ff. 200  Gai 3.179; dazu Apathy, Animus novandi, S.  124 ff. 201  Flume, SZ  92 (1975), S. 102 f.; Harke, Mora debitoris und mora creditoris, S.  76 f.; Reichard, FS Knütel, S. 924. 202  Ähnlich Effer-Uhe, Die Wirkung der condicio, S. 54 f.

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung

(D7) Marcell 227 = D 46.3.72.2 (20 dig)

Sed quid si ignorante debitore ab alio creditor eum stipulatus est? Hic quoque existimandus est periculo debitor liberatus, quemadmodum si quolibet nomine eius servum offerente stipulator accipere noluisset.



Aber was gilt, wenn sich der Gläubiger diesen [Sklaven] von einem anderen ohne Kenntnis des Schuldners versprechen lassen hat? Auch hier ist anzunehmen, dass der Schuldner von der Gefahr auf die gleiche Weise befreit worden ist, wie wenn der Stipulationsgläubiger nicht hätte annehmen wollen, als irgendjemand den Sklaven im Namen des Schuldners angeboten hat.

Auch durch dieses Geschäft demonstriert der Gläubiger sein fehlendes Interesse an einer sofortigen Leistung.203 Marcell ändert zur Begründung dieser Entscheidung auch den Vergleichsfall ab: Der Schuldner soll hier ebenso befreit werden, als ob ein Dritter den Sklaven in seinem Namen angeboten und der Gläubiger ihn nicht angenommen hätte. Er veranschaulicht also zum einen den Novationsfall durch die Reduktion auf den einfacheren Annahmeverzugsfall, von dem seine Erörterungen ihren Ursprung genommen haben, und demonstriert zum anderen, dass die Mitwirkung des Dritten bei keiner der beiden Konstellationen zu einer anderen Bewertung der im Grundfall aufgezeigten Interessenlage zwischen Schuldner und Gläubiger führt. Schließlich soll nach Marcells Ansicht sogar die bedingte Novation einer condictio ex causa furtiva im Falle des Versterbens des gestohlenen Sklaven vor Bedingungseintritt zur Befreiung des Diebes führen:204 (D8–9) Marcell 227 = D 46.3.72.3 (20 dig)

Idem responsum est, si quis, cum subreptus sibi servus esset, sub condicione stipulatus fuerit quidquid furem dare facere oportet: nam et fur condictione liberatur, si dominus oblatum sibi accipere noluit.



Si tamen, cum in provincia forte servus esset, intercesserit stipulatio (et finge prius quam facultatem eius nancisceretur fur vel promissor, decessisse servum), non poterit rationi, quam supra reddidimus, locus esse: non enim optulisse eum propter absentiam intellegi potest.



Dasselbe wurde entschieden, als sich jemand, da ihm ein Sklave gestohlen worden war, unter einer Bedingung dasjenige hat versprechen lassen, was der Dieb geben oder machen müsse. Denn auch der Dieb wird von der Kondiktion befreit, wenn der Eigentümer das ihm Angebotene nicht hat annehmen wollen.



Wenn die Stipulation jedoch stattgefunden hat, als der Sklave etwa in der Provinz war (und angenommen, der Sklave wäre verstorben, bevor der Dieb 203  Harke,

Mora debitoris und mora creditoris, S. 78. einer Stipulation mit dem Wortlaut: ‚quod ex causa condictionis dare facere oportet‘, handelt es sich nicht um eine verbotene stipulatio rei suae; vgl. die Parallelstelle Ulp. D  45.1.29.1. 204  Bei



I. Unvermittelte Rechtsfindung81 oder der Versprechende die tatsächliche Verfügungsgewalt über ihn erlangen konnte), kann für die Überlegung, welche wir oben angestellt haben, kein Platz sein. Denn wegen der Abwesenheit kann er nicht angesehen werden, als habe er ihn angeboten.

Erneut argumentiert Marcell mit dem Vergleich zur mora creditoris durch Angebot der Leistung, um den Blick auf das Wesentliche zu lenken. Zwar wird der Tatbestand der condictio weder von der Novation noch von dem erfolglosen Angebot des Diebesguts an den Eigentümer berührt.205 Dennoch soll durch diese beiden Vorgänge auch für einen Dieb die Zuweisung der Gefahr des zufälligen Untergangs der Sache in seinem Besitz entfallen.206 Dabei kommt es offensichtlich nicht darauf an, ob das Versprechen vom Dieb selbst oder von einem Dritten geleistet worden ist.207 Zum Abschluss seiner Erörterung behandelt Marcell noch einen Grenzfall, bei dem die vorgenommene Bewertung gerade nicht mehr zutrifft, und kommt dabei auf das ursprünglich aufgestellte Prinzip zurück. Zwar soll grundsätzlich auch ein Dieb von seiner Bereicherungshaftung befreit werden, wenn der Eigentümer durch eine Novationsstipulation das fehlende Interesse an einer sofortigen Besitzerlangung bekundet hat. Doch kann dies dann nicht mehr gelten, wenn sich der Sklave im Zeitpunkt des Versprechens in provincia befand und vor seinem Tod überhaupt nicht mehr in die Verfügungsgewalt des Diebes oder eines promittierenden Dritten gelangt ist. Hier soll nach Marcell die Zufallshaftung des fur trotz Novation fortbestehen, da anders als in allen zuvor besprochenen Konstellationen keine mit einem tatsächlichen Angebot an den Gläubiger vergleichbare Situation mehr gegeben ist. Vielmehr sind Verbleib und Zustand des Sklaven außerhalb Italiens ungewiss und die Herausgabe ist dem Versprechenden auf unabsehbare Zeit unmöglich. In einem solchen Fall kann dem Eigentümer nach der freiwilligen Erneuerung der Verbindlichkeit nicht unterstellt werden, er hätte kein Interesse am sofortigen Erhalt der Leistung, da er sie unabhängig von seinem Willen schon wegen der tatsächlichen Abwesenheit nicht hätte erlangen können.208 Hier bekräftigt Marcell noch einmal ausdrücklich die 205  Harke, Mora debitoris und mora creditoris, S. 80 Fn.  15; Reichard, FS Knütel, S.  916 f. 206  Ebenso Pap. D 13.1.17. Nach Tryph. D 13.1.20 haben dagegen zumindest die veteres eine purgatio morae für die condictio furtiva abgelehnt, da sich die Pflichtverletzung durch den Dieb ständig erneuere; hierzu Harke, Mora debitoris und mora creditoris, S.  80 f. 207  Dies erscheint nach ausführlicher Erörterung auch Reichard, FS Knütel, S. 920 f. wahrscheinlicher, als dass Marcell nur von einer der beiden Konstellationen handelt. 208  Harke, Mora debitoris und mora creditoris, S. 81; Reichard, FS Knütel, S. 917  ff.; ähnlich auch schon Salkowski, Zur Lehre von der Novation, S. 468 m. Fn. 23 und Sturm, Stipulatio Aquiliana, S. 86.

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung

hinter allen fünf Entscheidungen stehende Wertung: Es wäre nur rechtens, die Verantwortlichkeit wieder dem Gläubiger zuzuschieben, wenn es an ihm liegen würde, dass sich der Gegenstand im Zeitpunkt des Untergangs noch nicht in seinem Machtbereich befindet. 2. Deduktion Nur etwa ein Viertel der unvermittelten Falllösungen gewinnt Marcell ohne jegliches vergleichendes Moment durch schlichte Subsumtion. Sind die Fälle auch vergleichsweise einfach gelagert und die Verweise auf die einschlägige Norm jeweils nicht elaboriert, besteht doch kein Anlass, sie nicht als Entscheidungsbegründung gelten zu lassen.209 Denn es macht in der Bewertung des methodischen Vorgehens eines Juristen durchaus einen Unterschied, ob er eine Entscheidung, die unmittelbar auf einer solchen Bestimmung beruht, unkommentiert lässt, oder ausdrücklich mit der schlichten Ableitung begründet und damit deren Bedeutung im Vergleich zu anderen denkbaren Argumenten hervorhebt. Die Untersuchung soll offenlegen, wie oft und in welchen Fällen Marcell das für seine Entscheidung maßgebliche Kriterium selbst bezeichnet. Auch wenn die herangezogene Norm keiner Auslegung bedarf, kann der Jurist es für notwendig halten, seine Entscheidungsgrundlage offen zu legen. Dies gilt in gleicher Weise auch für Marcells Umgang mit Honorar- und Juristenrecht. Bei den Entscheidungen, die Marcell aus Normen ohne den Zwischenschritt ihrer Auslegung trifft, handelt es sich zum einen um die simple Ablehnung der Subsumtion, die weder einen Verweis auf die voluntas des Normgebers enthält, noch von einem Rekurs auf den allgemeinen Sprachgebrauch begleitet wird. Zum anderen finden sich hier Anwendungsfälle von Tatbeständen, die sich wegen des Hinzutretens atypischer Umstände oder der Ausfüllung wertungsabhängiger Begriffe jedenfalls nicht auf den ersten Blick erschließen. Wiederum können die Entscheidungen danach gegliedert werden, ob Marcell seine Ableitung aus Gesetzen, Ediktsvorschriften oder Juristenrecht vornimmt. Vergleichbare Ableitungen einer Lösung durch Subsumtion unter ein Rechtsgeschäft lassen sich bei Marcell dagegen nicht feststellen.

209  So aber Wieacker, FS Kaser, S. 15 unter dem Hinweis, in solchen Fällen fehle es schon an einem „Entscheidungsproblem“.



I. Unvermittelte Rechtsfindung83

a) Subsumtion unter Gesetze und Senatsbeschlüsse Zu Entscheidungen, die unvermittelt aus einer Vorschrift abgeleitet werden können und dennoch von solchem Interesse sind, dass ihre Überlieferung an die Nachwelt lohnt, kommt es in erster Linie dann, wenn ein Jurist schon bei der Betrachtung des Wortlauts einer Bestimmung zu dem Ergebnis kommt, dass ihre Anwendung auf den vorliegenden Sachverhalt ausgeschlossen ist, und daher von einer Auslegung absieht. Eine solche ratio decidendi findet sich bei Marcells Beschäftigung mit der lex Aquilia: (E1) Marcell 37 = D 9.2.41pr. Ulp 41 Sab

Si quis testamentum deleverit, an damni iniuriae actio competat, videamus. Et Marcellus libro quinto digestorum dubitans negat competere. Quemadmodum enim, inquit, aestimatio inibitur? Ego apud eum notavi in testatore quidem hoc esse verum, quia quod interest eius aestimari non potest, verum tamen in herede vel legatariis diversum, quibus testamenta paene chirographa sunt. Ibidem Marcellus scribit chirographo deleto competere legis Aquiliae actionem. Sed et si quis tabulas testamenti apud se depositas deleverit vel pluribus praesentibus legerit, utilius est in factum et iniuriarum agi, si iniuriae faciendae causa secreta iudiciorum publicavit.



Wir wollen betrachten, ob die Klage wegen widerrechtlicher Schädigung zusteht, wenn jemand ein Testament zerstört hat. Und Marcell, der im 5. Buch seiner Digesten zweifelt, verneint, dass sie zustehe. Denn auf welche Weise, sagt er, soll eine Schätzung vorgenommen werden? Ich habe bei ihm angemerkt, dass dies für den Testator freilich richtig ist, weil nicht abgeschätzt werden kann, was sein Interesse ist, es aber bei den Erben oder Legataren, für die Testamente so gut wie Schuldscheine sind, entgegengesetzt ist. Ebenda schreibt Marcell, dass nach der Zerstörung eines Schuldscheins die Klage nach der lex Aquilia zustehe. Aber auch wenn jemand bei ihm hinterlegte Testamentstafeln zerstört hat oder in Gegenwart mehrerer verlesen hat, ist es sachdienlicher, mit einer auf den Sachverhalt zugeschnittenen Klage und der Injurienklage vorzugehen, wenn er den geheim zuhaltenden letzten Willen in Beleidigungsabsicht preisgegeben hat.

Das Zerstören einer Testamentsurkunde fällt ohne Weiteres unter den von den klassischen Juristen weit verstandenen Tatbestand des dritten Kapitels der lex Aquilia.210 Problematisch ist allerdings die Berechnung des für die Höhe der Bußsumme entscheidenden Schadens. Denn das damnum müsste nach dem Höchstwert der Urkunde in den letzten 30 Tagen vor ihrer Vernichtung berechnet werden.211 Dieser richtet sich grundsätzlich nach dem objektiven Sachwert. Bei Urkunden geht es aber nicht um den Wert des 210  Insofern kann Marcell bereits auf Julians Subsumtion zurückgreifen, die uns in D 9.2.42 überliefert ist; dazu Harke, AI–AS, S. 156. 211  Vgl. Gai 3.218; zu der Frage des nicht erwähnten Todeszeitpunkts vgl. Aldinger, Zur Bedeutung des Begriffs eleganter, S.  97 f. m. w. N.

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung

Papieres, sondern des in ihnen verkörperten Gedankens, der das Interesse des Geschädigten ausmacht. Jedenfalls in einzelnen Fällen haben schon Marcells Vorgänger ein über den objektiven Wert hinausgehendes Interesse des Geschädigten berücksichtigt.212 Anders als bei der Zerstörung von Chirographa vertritt Marcell für die Testamentsurkunde die Ansicht, dass kein Anspruch aus der lex Aquilia entstanden sei, weil die richterliche aestimatio zu keinem Ergebnis führen könne. Für ihn besteht allenfalls ein immate­ rielles Interesse, das sich bemerkbar macht, wenn beim Streit um die Erbfolge das Fehlen der Urkunde den Beweis einer entscheidenden Tatsache vereitelt.213 Für den Testator selbst scheidet dies von vornherein aus, da die Testamentsurkunde zu seinen Lebzeiten keine relevante Beweisfunktion entwickelt. Insofern besteht wohl auch Divergenz zwischen Marcell und dem ihn zitierenden Ulpian. Offen ist aber, ob Marcell ebenso wie Ulpian auch Ansprüche der Erben und Legatare behandelt hat.214 Zumindest für Ulpian ist denkbar, den Schaden der testamentarisch Begünstigten durch die Differenz zwischen den Beträgen der letztwilligen Verfügungen und der Intestaterbfolge zu bestimmen.215 Für Marcell hat es damit sein Bewenden, dass es an einem damnum im Sinne der lex Aquilia fehlt. Eine weitere Entscheidung dieser Art ist aus dem Bereich der Vermögensabwicklung nach gescheiterter Ehe überliefert: (E2) Marcell 89 = D 30.43.1 Ulp 21 Sab

Marcellus etiam scribit, si maritus diaetam in uxoris hortis, quos in dotem acceperat, fecerit, posse eum haec detrahere, quae usui eius futura sint, sine mulieris tamen damno, nec ad hoc senatus consultum futurum impedimento. Ergo si non est ei obfuturum, quo minus detrahat, dici oportebit posse eum haec legare, quae detrahere potest.



Marcell schreibt auch, dass der Ehemann, wenn er in dem Garten der Frau, den er als Mitgift empfangen hat, ein Gartenhaus gebaut habe, dasjenige absondern könne, was brauchbar für ihn ist, jedoch ohne Schaden der Frau; und hierbei werde der Senatsbeschluss kein Hindernis sein. Wenn dieser ihm also dafür, dass er [etwas] absondert, nicht hinderlich sein wird, ist zu sagen, dass er das, was er absondern kann, auch vermachen kann. 212  Vgl.

Gai  3.212, Ulp. / Iul. / Lab. D  9.2.23pr.–4. kommt vor allem die Verweigerung der bonorum possessio secundum tabulas durch den Prätor in Betracht; Below, Die Haftung für lucrum cessans, S. 27. Ein ähnliches Beispiel führt Paulus in D 47.2.32.1 für die aestimatio bei der actio furti nach dem Diebstahl einer Urkunde an; dies übersehen Wolf, SZ  76 (1959), S. 526 und Medicus, Id quod interest, S. 243. 214  Ebenso Klingenberg, SZ 96 (1979), S. 241 m. w. N. 215  Ferrini, RISG 12 (1891), S. 185 ff.; Schiller, Studi Riccobono, S. 89; Lawson, Negligence, S. 123 f. Fn. 41pr.; Thomas, Iura  20 (1969), S. 305 nimmt dagegen zu Unrecht an, Ulpian hätte für diese höchstens eine actio in factum gewährt; diese Aussage bezieht sich vielmehr nur auf die im letzten Fall genannten Varianten. 213  Hier



I. Unvermittelte Rechtsfindung

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Marcell 89 = D  24.1.45 Ulp 17 ed



Marcellus libro septimo digestorum scribit etiam eum detrahere sine mulieris damno et citra metum senatus consulti, quod detrahentibus negotiationis causa occurrit.



Marcell schreibt im siebten Buch seiner Digesten, dass auch dieser ohne Schaden für die Frau absondere, ohne dass er den Senatsbeschluss fürchten müsse, welcher denjenigen entgegentritt, die zu geschäftlichen Zwecken etwas absondern wollen.

Wird ein Mann mit der actio rei uxoriae belangt, kann er alle notwendigen oder nützlichen Aufwendungen auf das Dotalvermögen als retentio geltend machen.216 Hinsichtlich der impensae voluptariae hat er dagegen nur ein Wegnahmerecht.217 Ihm wird daher auch gestattet, ein auf dem Dotalgrundstück errichtetes Gartenhaus abzureißen und die Bauteile für sich nutzbar zu machen, solange dabei das Grundstück der Frau nicht beschädigt wird. Allerdings ist bei der Weiterverwertung von Baumaterial grundsätzlich zu bedenken, dass die Eigentümer von Grundstücken durch bestimmte baupolizeiliche Vorschriften in ihrer Verfügungsgewalt beschränkt sind. Überliefert sind insbesondere die senatus consulta Hosidianum und Volusianum, die den spekulativen Handel mit Gebäuden und Baumaterial durch die Kombination von Ankauf, Abbruch und Weiterveräußerung der Bauteile verhindern sollen.218 Neben der Veräußerung eines bestehenden Gebäudes an einen Spekulanten wird durch den zweiten Beschluss ausdrücklich auch dem Eigentümer selbst der Abbruch seiner Gebäude negotiationis causa untersagt.219 Daher betont Marcell, dass es ihm nur um solche Gegenstände geht, quae usui eius futura sint.220 Für sie lehnt er eine Subsumtion des vorliegenden detrahere unter die Vorschrift ab. Während Ulpians Sabinuskommentar nur diese Feststellung zitiert, ist aus dem zweiten Fragment, das dem Ediktskommentar des Spätklassikers entstammt, zu ersehen, dass Marcell auch den entscheidenden Ausdruck der Bestimmung explizit genannt hat: Da nach der Formulierung des Senatsbeschlusses nur das detrahere negotiationis causa untersagt wird, muss die Zulässigkeit des Abreißens zur privaten Verwendung ohne Weiteres einleuchten. 216  Vgl.

UE 6.9, 14 ff. ausdrücklich Ulp. D  25.1.9; zum sogenannten ius tollendi vgl. Gallego, Las impensas, S. 199 ff. 218  Riccobono, FIRA I, S. 288 ff.; dazu ausführlich Rainer, TR 55 (1987), S. 31 ff. m. w. N. 219  Rainer, TR  55 (1987), S. 38. 220  Schulz, SZ  34 (1913), S. 65 m. Fn. 1 hält neben dem SC Hosidianum auch noch ein hadrianisches senatus consultum mit ähnlichem Inhalt für möglich. 217  So

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung

Auch eine eher abwegige Anwendung der lex Iulia peculatus, in der Diebstähle von beweglichem Staatseigentum sanktioniert werden, lehnt Marcell mit schlichter Begründung ab: (E3) Marcell 251= D  48.13.14 (25 dig)

Peculatus nequaquam committitur, si exigam ab eo pecuniam, qui et mihi et fisco debet: non enim pecunia fisci intercipitur, quae debitori eius aufertur, scilicet quia manet debitor fisci nihilo minus.



Es wird keineswegs eine Unterschlagung von Staatsgeldern begangen, wenn ich von jemandem Geld eintreibe, der sowohl mir als auch dem Fiskus etwas schuldet. Denn es wird kein Geld des Fiskus unterschlagen, wenn es dessen Schuldner entzogen wird, weil er freilich trotzdem Schuldner des Fiskus bleibt.

Wenn ein Gläubiger von seinem privaten Schuldner Geld eintreibt, soll er sich freilich nicht strafbar machen, nur weil sein Schuldner gleichzeitig auch beim Staat Schulden hatte. Unter peculatus verstehen die Römer grundsätzlich ein furtum pecuniae publicae aut sacrae.221 Doch der Tatbestand des peculatus, wie er in einer lex Iulia festgehalten worden ist,222 erfordert als Tathandlung in klassischer Zeit nicht unbedingt einen Diebstahl in unserem heutigen Sinn. Vielmehr sind ebenso wie beim furtum selbst auch Unterschlagungen umfasst.223 Als spezieller Fall dieses intercipere wird die Entgegennahme von Geld behandelt, wenn der accipiens arglistig vorgibt, rechtmäßiger Gläubiger des Zahlenden zu sein.224 Schon Labeo hat dies auf einen Fall übertragen, in dem sich jemand als creditor fisci ausgegeben und von einem Staatsschuldner Geld empfangen hat.225 Obgleich es sich dabei um rein private Geldstücke handelt, ist dennoch ein peculatus und kein furtum anzunehmen, da sie vom debitor spätestens mit der Übergabe dazu bestimmt worden sind, in das staatliche Eigentum überzugehen. Wenn derjenige, der vom debitor fisci Geld eintreibt, jedoch gleichzeitig selbst einen Anspruch gegen den Zahlenden hat, liegt es nicht allzu fern, mit Marcell eine Ausnahme davon zu machen. Hier kann unabhängig von den Vorstellungen der Beteiligten keine Unterschlagung gegenüber dem Fiskus angenommen werden, da jedenfalls weiterhin ein durchsetzbarer Anspruch gegen den Schuldner besteht. Durch die Zahlung wird das Rechtsverhältnis zwischen Staat und Schuldner überhaupt nicht berührt.226 Marcell 221  Paul. / Lab. D  48.13.11.2; allgemein zum Straftatbestand: Mommsen, Römisches Strafrecht II, S. 764 ff. 222  Vgl. nur den Titel D 48.13: Ad legem Iuliam peculatus et de sacrilegis et de residuis. 223  Paul. D 47.2.1.2; D 48.13.2; Ulp D 48.13.1pr. 224  Ulp. D 47.2.43pr.; Paul. D 47.2.67.4. 225  Paul. / Lab. D  48.13.11.3. 226  Ähnlich Robinson, The criminal law of ancient Rome, S. 83.



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begründet daher seine Entscheidung damit, dass es schon an einem intercipere im Sinne der Iulia peculatus fehle. In einer seiner Noten zu Julians Digesten führt Marcell aus, warum die Erweiterung des Anwendungsbereichs des SC Trebellianum auf die Zeit vor der Restitution der Erbschaft abzulehnen ist: (E4) Iul 596 = D  36.1.28.7 (40 dig)

Qui ex Trebelliano senatus consulto hereditatem restituit, sive petat a debitoribus hereditariis sive ab eo petatur, exceptione restitutae hereditatis adiuvari vel summoveri potest. Actiones autem fideicommissario competunt, quas habuit heres eo tempore, quo fideicommissum restituebat. Marcellus: sed eas quoque actiones, quae sub condicione erant et quarum dies eo tempore non cesserat, fideicommissario competere placet. Sed antequam restitueretur hereditas, exceptione aliqua heres adiuvandus non est: cum hoc minus ex causa fideicommissi sit restituturus.



Wer eine Erbschaft gemäß dem senatus consultum Trebellianum herausgegeben hat, der kann, sei es, dass er von den Erbschaftsschuldnern etwas fordert, oder dass von ihm etwas gefordert wird, mit der Einrede der herausgegebenen Erbschaft unterstützt werden oder zurückgewiesen werden. Dem Fideikommissar aber stehen die Klagen zu, die der Erbe in dem Zeitpunkt hatte, in dem er das Fideikommiss herausgegeben hat.



Marcell: Man ist aber der Meinung, dass dem Fideikommissar auch diejenigen Forderungen zustehen, die unter einer Bedingung standen und deren Ereignis zu diesem Zeitpunkt nicht eingetreten war. Bevor die Erbschaft jedoch herausgegeben wurde, ist der Erbe nicht mit irgendeiner Einrede zu unterstützen, weil er entsprechend viel weniger aufgrund des Fideikommisses herausgeben muss.

Nach der Regelung des senatus consultum Trebellianum steht der Universalfideikommissar mit Restitution der Erbschaft durch den Erben heredis loco. Der Erbe wird ab diesem Zeitpunkt gegen Forderungen von Erbschaftsgläubigern mit einer exceptio geschützt. Umgekehrt können aber auch die Schuldner des Erblassers dem Erben nach der Restitution eine entsprechende exceptio entgegenhalten.227 Marcell vertieft diese Ausführungen Julians, indem er zunächst klarstellt, dass auch bedingte Forderungen auf den Fideikommissar übergehen, deren Bedingung im Zeitpunkt der Restitution noch nicht eingetreten ist.228 Weiterhin erläutert er, dass der Erbe vor der Restitution keinerlei exceptio geltend machen kann, die Regelung also auch nicht im Wege der Auslegung auf solche Fälle erstreckt werden soll.229 Auf diesen Gedanken könnte man kommen, weil der Erbe 227  Gai  2.251, 253, 255; Ulp. D  36.1.1.4; dazu eingehend Manthe, Das senatus consultum Pegasianum, S. 35 ff. 228  Diesen Fall zieht er in D 36.1.46.1 (H2) zum Vergleich heran. 229  Entgegen Masi, Studi sulla condizione, S. 39 spricht der Aufbau der Stelle auch bei den beiden letzten Sätzen eindeutig für die Urheberschaft Marcells.

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung

in der Regel bereits vorhersehen kann, dass er die Erbschaft demnächst ohnehin herausgeben muss. Dagegen wendet Marcell jedoch ein, dass der Erbe eine Einrede überhaupt nicht benötige, da sich bereits der Restitu­ tionsanspruch des Fideikommissars um einen dem bereits Geleisteten entsprechenden Betrag automatisch verkürzt hat.230 Denn der Restitutionsanspruch aus Fideikommiss muss in klassischer Zeit in einer cognitio extra ordinem geltend gemacht werden.231 In Anlehnung an die bonae fidei iudicia erfolgt die Bemessung der Anspruchshöhe dort ohnehin nach Billigkeitsgesichtspunkten, was selbstverständlich auch die Rücksicht auf bereits beglichene Erbschaftsschulden ermöglicht.232 Somit hat die Rechtsordnung bereits auf anderem Wege die Wahrung der Interessen des Erben sichergestellt. In einer Entscheidung zum Soldatentestament erklärt Marcell die Reichweite des Begriffs testamentum facere in den einschlägigen constitutiones principum: (E5) Marcell 283 = D  29.1.25 (resp lib)

Titius priusquam tribunus legionis factus esset, testamentum fecit et postea cinctus manente eodem defunctus est: quaero, an militis testamentum videatur esse. Marcellus respondit: testamentum quod ante tribunatum fecisset, nisi postea ab eo factum dictum esse probaretur quod valere vellet, ad commune ius pertinet: constitutionibus enim principum non militum testamenta, sed quae a militibus facta sunt confirmantur: sed plane fecisse testamentum eum interpretandum est, qui se velle testamentum quod ante fecerat valere aliquo modo declaravit.



Titius hat, bevor er zum Tribun einer Legion ernannt worden ist, ein Testament errichtet und ist später im Dienst verstorben, wobei dieses [Testament] unverändert geblieben ist. Ich frage, ob es für ein Soldatentestament zu halten ist? Marcell hat geantwortet, dass ein Testament, das vor dem Tribunat angefertigt worden sei, unter das allgemeine Recht fällt, wenn nicht nach der Errichtung bewiesen wird, dass er es nach eigener Aussage gelten lassen wollte. Durch die kaiserlichen Konstitutionen werden nämlich nicht [generell] die Testamente von Soldaten bestätigt, sondern diejenigen, die von Soldaten [während ihrer Dienstzeit] errichtet worden sind. Es muss aber natürlich so ausgelegt werden, dass [auch] derjenige ein Testament errichtet hat, der auf irgendeine Weise erklärt hat, er wolle ein Testament, das er zuvor errichtet hat, gelten lassen.

Marcell wird gefragt, ob die Privilegien für Soldatentestamente auch dann anzuwenden sind, wenn jemand sein Testament vor dem Eintritt in Rastätter, Marcelli notae ad Iuliani digesta, S. 94. Gai 2.278, IJ 2.23.1. 232  Kaser, RP  I, S. 759; Rastätter, Marcelli notae ad Iuliani digesta, S. 94 Fn. 171; Honsell / Mayer-Maly / Selb, Römisches Recht, S. 498 f. 230  Ebenso 231  Vgl.



I. Unvermittelte Rechtsfindung89

den Legionstribunat errichtet und später keine Änderungen mehr daran vorgenommen hat.233 Er antwortet, dass ein solches Testament grundsätzlich den allgemeinen Regeln unterliegt. In seiner ratio betont er, dass die Privilegierung nach dem Wortlaut der Kaiserkonstitutionen daran geknüpft ist, dass die betreffenden Testamente a militibus facta sunt, das heißt von Personen in ihrer Eigenschaft als Soldaten errichtet worden sind, und gerade nicht daran, dass der Testator im Zeitpunkt seines Ablebens Soldat war.234 Der Begriff testamentum facere ist also so zu verstehen, dass die Ausübung des facere während der Zeit des Militärdienstes erfolgt sein muss. Zur Abgrenzung erläutert Marcell noch die Konstellation, in der nachgewiesen werden kann, dass der Testator durch eine Äußerung oder sein Verhalten im Soldatenstatus seinen Willen zur weiteren Gültigkeit des Testaments zum Ausdruck gebracht hat. Ohne weitere Begründung nimmt er hier die Errichtung eines Soldatentestaments an. Dahinter steht offenbar die Überlegung, dass der Anwendungsbereich des Privilegs insofern doch zu erweitern ist, als auch die spätere Bestätigung einer früher errichteten Urkunde für das facere genügen muss.235 Voraussetzung ist lediglich, dass der Erblasser seinen Willen auf irgendeine Art und Weise während des Militärdienstes zum Ausdruck gebracht hat (facere dicere).236 Auch nach einem Reskript von Divus Pius genügt es ganz generell, dass der Soldat maluit eodem testamento durante decedere, so wie ja auch für die erstmalige Testamentserrichtung durch einen Soldaten die nuda voluntas ausreicht.237 Die Quellen widersprechen sich lediglich in der Frage, ob Antoninus wie Marcell im Grundsatz von einer Anwendung des ius commune ausgegangen ist und nur beim Nachweis einer entsprechenden Willensbetätigung ein Soldatentestament angenommen hat,238 oder ob ein der Fortgeltung des Testa233  Zülch, Der liber singularis responsorum, S. 107 geht von dem Fall der Form­ unwirksamkeit eines Testaments nach ius commune aus; ebenso gut kann es sich um eine allgemeine Aussage handeln, die auf alle möglichen Privilegierungen für Soldatentestamente bezogen ist; vgl. dazu Kaser, RP I, S. 680 ff. m. w. N. 234  Diesen Satz hält Schulz, Symbolae Lenel, S. 239 zu Unrecht für „viel zu trivial, als daß man ihn dem Marcellus zutrauen könnte“. Ihm folgt im Ergebnis auch Zülch, Der liber singularis responsorum, S. 210, 214; dagegen Liebs, SZ 120 (2003), S. 253. 235  Dagegen ist hier keine Rede von einer regelrechten „Heilung des alten Testaments“, wie sie Zülch, Der liber singularis responsorum, S. 112 annimmt; richtig Liebs, SZ  120 (2003), S. 252 f. 236  Einige Beispiele für solche Handlungen finden sich schon bei Iul. D 29.1.20.1; ebenso muss auch die Aussage in Paul. D 29.7.8.4 verstanden werden. 237  Vgl. Ulp. D 29.1.1pr. 238  So Ulp. D 29.1.9.1: … nam hoc quoque iure militari incipiet valere, si hoc maluit miles; in diesem Sinne entscheidet auch Paulus in D 29.7.8.

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung

ments entgegenstehender Wille des Soldaten der zu beweisende Ausnahmetatbestand sein sollte.239 Kann der Sachverhalt ohne Weiteres unter den Wortlaut einer Norm gefasst werden, ist es in aller Regel müßig, die Fallentscheidung zu erläutern. Nur in einem einzigen Fall erklärt Marcell eine senatorische Anordnung schlicht für einschlägig, offenbar weil deren typischer Anwendungsfall eine andere Personenkonstellation betrifft: (E6) Marcell 186 = D  40.5.10.1 (16 dig)

Is cui libertas debebatur veniit: si vult ab herede manumitti, non erit interveniendum ei, cum heres praesens erit, emptor latitabit: quoniam poterat uti senatus consulto, ut quasi ex testamento ad libertatem perveniat.



Jemand, dem die Freilassung geschuldet wurde, ist zum Verkauf gekommen. Will er vom Erben freigelassen werden, darf er daran nicht gehindert werden, wenn der Erbe anwesend ist und der Käufer sich versteckt hält, weil er den Senatsbeschluss anwenden kann, damit er gleichsam aus dem Testament zur Freiheit gelangt.

Der Erbe hat einen zum Erbschaftsvermögen gehörenden Sklaven verkauft, den er gemäß einer fideikommissarischen Verfügung eigentlich hätte freilassen sollen. Grundsätzlich kann der Sklave mit partieller Rechtsfähigkeit vor dem praetor fideicommissarius gegen den Belasteten auf Freilassung klagen.240 Vorliegend begibt sich aber nur der Erbe zur Gerichtsverhandlung, während der vom Prätor geladene Käufer säumig ist. Marcell entscheidet unter ausdrücklicher Anwendung eines namentlich nicht bezeichneten senatus consultum, dass der Sklave wie ein unmittelbar ex testamento Freigelassener zu behandeln ist. An anderer Stelle zitiert Ulpian eine Entscheidung Marcells über die Anwendbarkeit des SC Rubrianum von 103  n. Chr.: Marcel 188 = D  40.5.28 Ulp 5 fid Si eum servum, cui erat fideicommissa libertas relicta, distraxerit is qui erat rogatus et emptor quidem latitet, is autem qui rogatus erat praesens sit, an Rubriano senatus consulto locus sit? Et ait Marcellus Rubrianum locum habere, quia abest quem manumittere oportet. 239  So Ulp. D  29.1.15.2: … iure militari valere, si militis voluntas contraria non sit; Zülch, Der liber singularis responsorum, S. 113 geht hier von einer Ungenauigkeit Ulpians aus. Nach Sander, RhMus. 101 (1958), S. 172 geht es Marcell um eine Sondervorschrift für höherrangige Tribunen im Gegensatz zu einfachen milites. Aus den Quellen ist eine solche Unterscheidung der Dienstgrade jedoch nirgendwo ersichtlich; vgl. insb. Alex C 6.21.4, wo die Bezeichnung miles ausdrücklich für einen Tribun verwendet wird. 240  Pomp. D  40.5.44.



I. Unvermittelte Rechtsfindung91 Wenn denjenigen Sklaven, dem die fideikommissarische Freiheit hinterlassen worden ist, jemand verkauft hat, der [darum] gebeten worden war, und der Käufer sich zwar versteckt hält, aber derjenige, der gebeten worden ist, anwesend ist, stellt sich die Frage, ob Raum für das senatus consultum Rubrianum ist? Und Marcell sagt, dass das Rubrianum Platz greife, weil derjenige abwesend ist, dem das Freilassen obliegt.

Diesem Senatsbeschluss gemäß kann der Prätor bei Säumnis des mit einem Freilassungsfideikommiss belasteten Erben die Freiheit des Sklaven feststellen und bewirken, dass der Erblasser selbst als Freilasser angesehen wird.241 Marcell bejaht die Anwendung der Vorschrift auch in Fällen, in denen der Sklave vom Erben weiterverkauft worden ist und vor dem Prätor vom säumigen Käufer die Freiheit verlangt. Ulpian begründet die zitierte Entscheidung mit der einfachen Subsumtion unter die Worte hi, a quibus libertatem praestari oportet. Verpflichtet in diesem Sinne ist nach der Übereignung nicht mehr nur der Erbe, sondern auch der Erwerber des bereits durch das Fideikommiss vorbelasteten quasi statuliber.242 Der aus Marcells Digesten überlieferte Sachverhalt weicht davon insofern ab, als der Sklave dort die Freilassung weiterhin vom Erben selbst und nicht vom Käufer verlangt.243 Der Freizulassende hat im Falle seiner Veräußerung die Wahl, ob er lieber den Erben oder seinen neuen dominus zum Patron haben möchte.244 Bei dem von Marcell zur Anwendung gebrachten Senatsbeschluss, nach dessen Inhalt die Freiheit quasi ex testamento gewährt werden können soll, wird es sich nach alledem ebenfalls um das Rubrianum handeln.245 Wie gesehen, verlangt der Wortlaut aber nur, dass derjenige abwesend ist, der zur manumissio verpflichtet ist. Darunter kann der Käufer auch hier ohne Auslegung subsumiert werden. Denn es kommt weder darauf an, ob er auch Eigentümer des Sklaven ist, noch darauf, wessen libertus der Sklave sein möchte.246 241  Der Wortlaut ist in Ulp. D  40.5.26.7 überliefert: … in haec verba: ‚Si hi, a quibus libertatem praestari oportet, evocati a praetore adesse noluissent, si causa cognita praetor pronuntiasset libertatem his deberi, eodem iure statum servari, ac si directo manumissi essent‘. 242  Vgl. Maec. D  40.5.51.3 i. V. m. Ulp. D  40.7.2pr. 243  Diesen Unterschied übersieht Silla, La cognitio sulle libertates fideicommissae, S. 147 m. Fn. 25; wie hier schon Krüger, SZ 48 (1928), S. 189. 244  Pomp. 40.5.34pr., Pap. D  40.5.23.1, Ulp. D  19.1.45.2, D  40.5.24.21; dazu Krüger, SZ 48 (1928), S. 188. 245  Ebenso Silla, La cognitito sulle libertates fideicommissae, S. 147. Daneben käme allenfalls noch das SC Juncianum in Betracht, in dem der Fall der Veräußerung eines freizulassenden Sklaven offenbar auch geregelt ist; vgl. dazu Marci. D 40.5.51.8 ff. und die eingehende Untersuchung bei Krüger, SZ 48 (1928), S. 183 ff. 246  Würde das senatus consultum nicht eingreifen, müsste der trotz Veräußerung weiterhin zur manumissio verpflichtete Fideikommissar den Sklaven zunächst vom abwesenden dominus zurückkaufen; vgl. Mod. D  40.5.15.

92

B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung

b) Subsumtion unter Ediktsvorschriften Nur in einem einzigen Fall stützt Marcell die Anwendung des Edikts ausdrücklich auf eine bestimmte Formulierung im Wortlaut und lehnt mit diesem schlichten Argument die Gegenmeinung Julians ab: (F1) Iul 46 = D 4.2.9.8 Ulp 11 ed

Cum autem haec actio in rem sit scripta nec personam vim facientis coercerat, sed adversus omnes restitui velit quod metus causa factum est: non immerito Iulianus a Marcello notatus est scribens, si fideiussor vim intulit, ut accepto liberetur, in reum non esse restituendam actionem, sed fideiussorem, nisi adversus reum quoque actionem restituat, debere in quadruplum condemnari. Sed est verius, quod Marcellus notat: etiam adversus reum competere hanc actionem, cum in rem sit scripta.



Da aber diese Klage auf die Sache bezogen ist und nicht die Person des Gewaltausübenden bestraft, sondern von jedermann verlangt, dass rückgängig gemacht wird, was aufgrund von Furcht vorgenommen worden ist, ist Julian mit gutem Grund von Marcell kritisiert worden, wenn er schreibt, dass, wenn der Bürge Gewalt angewendet hat, damit er durch einen wortförmlichen Erlass von seiner Verbindlichkeit befreit wird, nicht das Klagerecht gegen den Schuldner wiederherzustellen sei, sondern der Bürge, wenn er das Klagerecht nicht auch gegen den Schuldner wiederherstellt, auf das Vierfache zu verurteilen sei. Dagegen ist richtiger, was Marcell dazu anmerkt: Auch gegen den Schuldner stehe diese Klage zu, da sie auf die Sache bezogen sei.

Die Untersuchung dreht sich um die Passivlegitimation zur actio quod metus causa in dem Fall, dass ein Bürge seine Befreiung durch acceptilatio vom Gläubiger erpresst hat. Unstrittig ist, dass der Gläubiger gegen den Gewaltanwender selbst die Strafklage auf das Vierfache erheben kann. Der Disput zwischen Marcell und Julian bezieht sich nur auf die Haftung des gutgläubigen Hauptschuldners.247 Denn auch dieser wird durch die acceptilatio, deren Wirkung sich auf alle Schuldner zugleich erstreckt, in unbilliger Weise befreit, auch wenn ihm persönlich kein Vorwurf gemacht werden kann.248 Trotz des Strafcharakters der Klage ist die Verurteilung 247  Die vom Richter veranlasste restitutio in integrum zur Durchsetzung der Rückgewähr abgepresster Güter steht dem Geschädigten in klassischer Zeit neben der Möglichkeit zur Verfügung, vor dem Prätor mit der actio rescissoria die Aufhebung der Wirkung einer erpressten mancipatio oder acceptilatio zu erlangen und gegen den Erpresser oder gutgläubigen Dritterwerber eine fiktizische rei vindicatio geltend zu machen; vgl. Ulp. D 4.2.9.4, 6, D 4.2.21.6; dazu Kaser / Knütel, Römisches Privatrecht, S. 64. Von diesem Institut handelt vorliegend aber keiner der Juristen; so zu Recht gegen die ältere Literatur Kupisch, In integrum restitutio, S.  212 ff. m. w. N.; ihm folgend Kaser, SZ 94 (1977), S. 130 und Rastätter, Marcelli notae ad Iuliani digesta, S. 205 f. 248  Vgl. Ulp. D 46.4.13.12, 16pr.



I. Unvermittelte Rechtsfindung93

eines gutgläubigen Dritten, der durch eine fremde Erpresserhandlung etwas erlangt hat, nicht schon von vornherein ausgeschlossen: Da es sich um eine actio arbitraria handelt, bekommt der Dritte nach einem pronutiatio genannten Zwischenbescheid des Richters die Chance, durch Naturalrestitution der Haftung zu entgehen.249 Verweigert er jedoch die Erstattung, erscheint die Strafzahlung schon durch sein eigenes vorwerfbares Zögern gerechtfertigt zu sein.250 Julian schließt eine Gewährung der actio quod metus causa zulasten des Hauptschuldners dennoch aus. Seine Gründe sind nicht überliefert.251 Marcell jedoch begründet seine gegensätzliche Auffassung ausdrücklich mit dem unpersönlichen Charakter der Klage als actio in rem scripta. Er stellt also schlichtweg darauf ab, dass schon im Wortlaut der Klageformel nicht unbedingt der Schädiger als Beklagter vorgesehen ist.252 Damit erübrigt sich für ihn eine Auslegung der Klage. Die einleitenden Worte Ulpians sind als vorweggenommene Zustimmung für Marcells Argumentation zu verstehen.253 In einem Fall nimmt Marcell nach Betrachtung des Wortlauts eine gewollte Regelungslücke an, um die Ablehnung der Übertragung einer prätorischen Ausnahmebestimmung auf einen scheinbar ähnlichen Fall zu begründen: (F2) Marcell 130 = D 37.12.4 (9 dig)

Patri qui filium emancipavit de his, quae libertatis causa imposita fuerint, praetor nihil edicit, et ideo frustra pater operas stipulabitur de filio.



Der Prätor ordnet im Edikt zugunsten des Vaters, der einen Sohn aus der Gewalt entlassen hat, nichts darüber an, was [diesem] um der Freiheit willen auferlegt worden ist, und daher wird sich der Vater vom Sohn erfolglos Dienste versprechen lassen.

Marcell entscheidet, dass der pater familias kein durchsetzbares Forderungsrecht erwirbt, wenn er sich von einem emanzipierten Haussohn per Stipulation die Leistung bestimmter Dienste libertatis causa versprechen IJ 4.6.31; ausführlich zu dieser Art von actio: Kaser / Hackl, RZ, S. 335 ff. auch Kaser / Knütel, Römisches Privatrecht, S. 63 f. 251  Kupisch, In integrum restitutio, S. 215 f. und ihm folgend Rastätter, Marcelli notae ad Iuliani digesta, S. 206 ff. vermuten einen Zusammenhang mit der wahrscheinlich erst nach Julians Zeit eingeführten Begrenzung der Haftung des Dritten; vgl. dazu Ulp. D  4.2.14.5 (quidam putant) und Gai. / Paul. D  4.2.10 f. 252  Lenel, Das edictum perpetuum, S. 111; Maier, Prätorische Bereicherungsklagen, S.  117 ff.; Hartkamp, Der Zwang, S. 207 ff. Anders Kupisch, In integrum restitutio, S. 178 ff., nach dem die Formel lediglich den Beklagten nicht als den Zwingenden qualifiziert haben soll; dagegen wendet sich auch Kaser, SZ 94 (1977), S.  126 f. 253  In D 4.2.9.1 bestätigt Ulpian die unpersönliche Fassung der Vorschrift: … praetor hoc edicto generaliter et in rem loquitur nec adicit a quo gestum. 249  Vgl. 250  So

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung

lässt. Für freigelassene Sklaven bestimmt ein Edikt des Prätors Rutilius von 118 v. Chr., dass dem Patron gegen ihn ausschließlich die zivilrechtliche actio operarum gewährt wird, um die häufig übertriebenen Belastungen der liberti einzudämmen.254 Allen anderen Ansprüchen kann der Freigelassene mit der exceptio onerandae libertatis causa wehren.255 Zum Verhältnis zwischen pater familias und emancipatus existiert dagegen keine honorarrechtliche Regelung. Aus dieser Tatsache schließt Marcell, dass der Vater überhaupt keine mit der Emanzipation in Zusammenhang stehenden Ansprüche durchsetzen können soll. Das Fehlen einer entsprechenden Bestimmung dient ihm also weder dazu, sich für die Zulässigkeit solcher Vereinbarungen auszusprechen, noch als Anknüpfungspunkt für einen vollständigen Analogieschluss. Stattdessen schließt er aus dem Regelungsmangel auf die Unwirksamkeit der Belastung.256 Ansonsten lohnt sich die Erörterung einer einfachen Subsumtion wiederum nur dort, wo das Vorliegen eines weit gefassten Tatbestandsmerkmals nicht auf den ersten Blick erschlossen werden kann: (F3) Marcell 213 = D 44.2.19 (19 dig)

Duobus diversis temporibus eandem rem pignori dedit: egit posterior cum priore pigneraticia et optinuit: mox ille agere simili actione instituit: quaesitum est, an exceptio rei iudicatae obstaret. Si opposuerat exceptionem rei sibi ante pigneratae et nihil aliud novum et validum adiecerit, sine dubio obstabit: eandem enim quaestionem revocat in iudicium.



Jemand hat dieselbe Sache zwei Personen zu unterschiedlichen Zeiten als Pfand gegeben. Der Letzte hat gegen den Ersten mit der Pfandklage geklagt und hat sich durchgesetzt. Bald hat dieser begonnen, mit derselben Klage [gegen jenen] vorzugehen. Es ist gefragt worden, ob die Einrede der Rechtskraft entgegensteht. Wenn er die Einrede der früheren Pfändung einer Sache entgegengehalten hatte und nichts Anderes, Neues und Rechtserhebliches hinzugefügt hat, wird sie ohne Zweifel entgegenstehen. Denn er bringt dieselbe Frage erneut vor Gericht.

254  Vgl. Ulp. D 38.1.2pr., 1; dazu Lenel, Das edictum perpetuum, S. 338 ff. und ausführlich Waldstein, Operae libertorum, S.  131 ff. 255  Vgl. Ulp. D  44.5.1.4 ff. Ob Marcell hier die stipulatio selbst für unwirksam erklären oder nur eine entsprechende exceptio annehmen will, kann aus dem kurzen Text nicht sicher geschlossen werden. Jedenfalls heißt es in der Parallelstelle Tryph. D  37.15.10 eindeutig: nullum ius habet. 256  Tryphonin kommt in D  37.15.10 zum gleichen Ergebnis, argumentiert allerdings mit dem entscheidenden Unterschied zwischen liberti und emancipati: Während jene für gewöhnlich über ihre Dienstzeit hinaus zu operae verpflichtet sind, schulden diese ihren Vätern ganz generell nur pietas im Sinne einer aus dem engen Verwandtschaftsverhältnis herrührenden, gegenseitigen moralischen Verpflichtung; zur pietas vgl. Heumann / Seckel, Handlexikon, S. 429 f.



I. Unvermittelte Rechtsfindung

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Eine Sache ist hintereinander zwei verschiedenen Gläubigern zum Pfand bestellt worden. Der spätere hat gegen den rangbesseren Gläubiger mit der actio Serviana (hier pigneraticia genannt257) auf Besitzverschaffung geklagt und sich gegen dessen exceptio rei sibi ante pigneratae durchgesetzt.258 Der Verlierer will nun wiederum selbst mit der actio Serviana gegen den anderen vorgehen.259 Marcell setzt an dieser Stelle voraus, dass auch ein Nachgläubiger, dem ein Gegenstand verpfändet wird, an dem bereits ein Pfandrecht besteht, ein unbedingtes Recht erwerben und sofort die Pfandklage erheben kann.260 Seine Entscheidung beschäftigt sich mit der Frage, ob die zweite Klage durch das vorherige Urteil de eadem quaestione präkludiert ist, so dass eine exceptio rei iudicatae erteilt werden kann.261 Er untersucht also, ob die Streitgegenstände der beiden Prozesse im Sinne des Edikts identisch sind.262 Bei actiones in rem kommt es dabei auf das umstrittene dingliche Recht an: So stellt zum Beispiel das Urteil über ein Eigentumsrecht fest, dass dieses eine bestimmte Person innehat, gleichzeitig schließt es aber auch aus, dass dieses Recht zugleich einer anderen Person zustehen kann.263 Mit der Anerkennung mehrerer in einem Rangverhältnis stehender Pfandrechte am selben Gegenstand entsteht jedoch das Problem, dass eine gerichtliche Entscheidung über das Recht des einen Pfandgläubigers keine definitive Aussage über die restlichen Rechte enthält.264 Hier ist das konkurrierende Recht des Beklagten aber dennoch im ersten Prozess zur res iudicata geworden, da dieser sich gegen das festzustellende Pfandrecht des Klägers mit der exceptio rei sibi ante pigneratae verteidigt hat und somit beide Rechte in die Verhandlung eingeführt worden sind. Daher lässt sich der Sachverhalt unmittelbar unter den Wortlaut der exceptio rei iudicatae subsumieren. Marcell unterstreicht an dieser Stelle, dass seine Entscheidung sine dubio erfolgt, es sich also gerade nicht um eine Auslegungsentscheidung handelt. In einem weiteren Fragment beschäftigt sich Marcell mit einer unbestimmten Wendung im Edikt, deren Gebrauch die Bewertung der Partei­ interessen durch den Prätor im Einzelfall erforderlich macht:265 den Bezeichnungen Kaser, RP I, S. 473. dazu auch Marci. D 20.4.12pr. 259  Schanbacher, Die Konvaleszenz von Pfandrechten, S. 37 Fn. 148 m. w. N. 260  Anders Gai. D  20.1.15.2; ausführlich zu den wahrscheinlichen Entwicklungsstufen der Mehrfachverpfändung: Kaser, Studi Grosso I, S. 31 ff. 261  Allgemein zu dieser Einrede: Gai 3.181, 4.106 f. 262  Lenel, Das edictum perpetuum, S. 511 geht von folgendem Wortlaut aus: si ea res qua de agitur iudicata non est inve iudicium deducta non est. 263  Ulp. / Iul. D  3.3.40.2, Gai. D  44.2.15; dazu Wacke, TR 37 (1969), S. 368 f. 264  Vgl. Paul. D 44.2.30.1; Wacke, TR 37 (1969), S. 371 f. 265  Zur induktiven Ausfüllung solcher Begriffe oben C8–11. 257  Zu

258  Vgl.

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung

(F4) Marcell 289 = D 39.6.28 (resp lib)

Avunculo suo debitori mortis causa donaturus quae debebat ita scripsit tabulae vel chirographum tot ubicumque sunt, inanes esse neque eum solvere debere: quaero, an heredes, si pecuniam ab avunculo defuncti petant, exceptione doli mali tueri se possint.266 Marcellus respondit posse: nimirum enim contra voluntatem defuncti heres petit ab eo.



Jemand, der seinem Onkel und Schuldner das, was er schuldete, von Todes wegen schenken wollte, hat Folgendes geschrieben: Die Urkunden oder die Handschrift, [gleich] wie viele es und wo sie auch sein mögen, sollen ungültig sein und dieser braucht nicht zu leisten. Ich frage, ob die Erben sich mit der Arglisteinrede schützen können, wenn sie das Geld vom Onkel des Verstorbenen fordern.267 Marcell hat geantwortet, dass sie es könnten. Der Erbe fordert von diesem nämlich ohne Zweifel entgegen dem Willen des Verstorbenen.

Jemand hat seinem Onkel in Gestalt einer donatio mortis causa Schulden erlassen, indem er in einem Schreiben alle Schrifttafeln und Urkunden für ungültig und den Schuldner für befreit erklärt hat. Die entstellt überlieferte quaestio kann nur gelautet haben, ob der Onkel sich nach dem Todesfall mit einer exceptio doli mali gegen das Zahlungsbegehren der Erben verteidigen kann.268 Diese Einrede umfasst bereits nach ihrem Wortlaut nicht nur arglistiges Verhalten beim Vertragsschluss, sondern auch die treuwidrige Geltendmachung einer actio.269 Die römischen Juristen gehen bei erbrechtlichen Konstellationen ganz allgemein davon aus, dass bereits die Feststellung eines facere contra voluntatem defuncti genügt, um einen dolus des Fordernden anzunehmen.270 Auch Marcell betont daher in seiner Argumentation für die Gewährung der Einrede, dass die Forderung der Erben selbst ohne Zweifel gegen den Willen des Verstorbenen gerichtet ist. Insofern geht er in der Konkretisierung des offenen dolus-Begriffs noch einen Schritt weiter als 266  Mommsen, Corpus Iuris Civilis I, S. 611 Fn. 9: an, si heredes pecuniam … petant, … tueri se possit. 267  Nach Mommsens Vorschlag: Ich frage, ob, wenn die Erben das Geld vom Onkel des Verstorbenen fordern, er sich mit der Arglisteinrede schützen kann? 268  Dies ist ungeachtet der unterschiedlichen Rekonstruktionsversuche inhaltlich unbestritten; vgl. statt aller Zülch, Der liber singularis responsorum, S. 170 und zuletzt auch Liebs, SZ  120 (2003), S. 258. Dies folgt schon daraus, dass mit dem Argument, der Erbe habe gegen den Willen des Erblassers gehandelt, weder begründet werden kann, dass den Erben selbst eine exceptio doli zusteht, noch, dass sich die Erben gegen eine exceptio avunculi erfolgreich verteidigen können. 269  Vgl. Gai 4.119: … sic exceptio concipitur: SI IN EA RE NIHIL DOLO MALO AULI AGERII FA C T U M S I T N E Q U E F I AT ; dazu Lenel, Das edictum perpetuum, S. 512. 270  Vgl. die Entscheidung der beiden Fälle in Scaev. D 44.4.17.1, 3; später als allgemeiner Grundsatz formuliert bei Ulp. D 44.4.4.10; ebenso Zülch, Der liber singularis responsorum, S.  173 f.



I. Unvermittelte Rechtsfindung97

seine Vorgänger: Nach seiner Vorstellung kann eine Treuwidrigkeit im Sinne der Vorschrift sogar in der Nichtbeachtung einer voluntas defuncti liegen, die nicht in einer letztwilligen Verfügung, sondern in einer donatio mortis causa ausgedrückt worden ist.271 Marcells Entscheidung stellt damit einen Schritt des Entwicklungsprozesses dar, in dem die klassischen Juristen Schenkungen von Todes wegen allgemein an die Funktionsweise von letztwilligen Verfügungen angeglichen haben. Schließlich findet sich eine Stelle, in der Marcell ein wortlautgetreues Verständnis ablehnt und unter Berufung auf die divi fratres einen weiten Anwendungsbereich annimmt: (F5) Marcell 104 = D  26.2.19.1 Ulp 35 ed

Hoc edictum de satisdatione ad tutores testamentarios pertinet: sed et si ex inquisitione dati sint tutores, Marcellus ait et ad hos pertinere hoc edictum et id oratione etiam divorum fratrum significari. Ideoque et illi clausulae sunt subiecti, ut, si cui maior pars tutorum decernat, is gerat quem maior pars eligat, quamvis verba edicti ad testamentarios pertineant.



Dieses Edikt über die Sicherheitsleistung bezieht sich auf testamentarische Vormünder. Aber auch wenn die Vormünder aufgrund einer amtlichen Überprüfung gestellt worden sind, sagt Marcell, dieses Edikt beziehe sich auch auf sie und dies ergebe sich auch aus einer Senatsrede der vergöttlichten Kaiserbrüder. Und auch deshalb sind diese [Vormünder] der Klausel unterworfen, damit, wenn sich die Mehrheit der Vormünder für einen entscheidet, derjenige verwaltet, den der größere Teil auswählt, obwohl die Worte des Edikts sich auf die testamentarischen [Vormünder] beziehen.

Ulpian bespricht den Anwendungsbereich einer Ediktsklausel de satisdatione, welche nach ihrem ausdrücklichen Wortlaut nur auf die testamentarische Vormundschaft bezogen ist. Dabei zitiert er Marcell, der die Regelung auch auf die Vormundsbestellung ex inquisitione erstreckt und sich dafür auf einen bestimmten Antrag der divi fratres vor dem Senat stützt.272 Die Vorschrift im Edikt bestimmt, dass bei einer Mehrheit von ernannten Tutoren derjenige die Verwaltung alleine führen soll, der als einziger die Leistung einer cautio rem pupilli salvam fore anbietet, selbst wenn der Testator 271  Gerade seine ratio decidendi zeigt also, für welchen dogmatischen Weg sich Marcell entschieden hat. Daher lässt Zülch, Der liber singularis responsorum, S. 170 ff. zu Unrecht auch andere Deutungen der Stelle offen: Weder die Annahme des Entstehens eines pactum de non petendo durch Zusenden des im Sachverhalt genannten Schriftstückes, noch die Umdeutung des Geschäfts in einen fideikommissarischen Erlass, die auch Simonius, Die donatio mortis causa, S. 274 für gegeben hält, werden im Text auch nur im Geringsten angedeutet; insofern undeutlich Liebs, SZ  120 (2003), S. 258. 272  Vgl. zu dieser Bedeutung von oratio auch die weiteren bei Heumann / Seckel, Handlexikon, S. 396 angeführten Stellen.

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung

einen anderen für diese Aufgabe vorgesehen haben sollte.273 Ursprünglich konnten statt der tutores legitimi nur vom pater familias im Testament bestimmte Vormünder für seine gewaltfrei werdenden Hauskinder ernannt werden.274 Die klassischen Juristen kennen aber bereits die von einer lex Atilia eingeführte Vormundsbestellung durch die Behörden.275 Nach deren Vorbild haben sie auch andere Formen der testamentarischen Ernennung zugelassen, allerdings unter der Voraussetzung einer magistratischen Bestätigung. Handelt es sich bei dem Testator nicht um einen pater familias, wird diese confirmatio nur nach einer Überprüfung der Tauglichkeit des Ernannten erteilt, der sogenannten inquisitio.276 Nach Ulpians Zitat könnte die Erweiterung der honorarrechtlichen Regelung in der genannten oratio der Kaiser selbst ausdrücklich gefordert worden sein. In diesem Fall hätte Marcell an der Stelle seiner Digesten, auf die sich Ulpian bezieht, schlicht den Antrag wiedergegeben und Ulpian hätte darauf nur zurückgegriffen, da ihm das Original nicht mehr vorgelegen hat. Die Begriffe significatio und significare finden bei Marcell allerdings immer dann Anwendung, wenn es um sein Verständnis einer bestimmten Formulierung geht.277 In Anbetracht dieser Wortwahl ist davon auszugehen, dass Marcell die oratio lediglich sinngemäß zur Unterstützung heranzieht. Er versteht die Worte des Antrags in einer Weise, die eine weite Anwendung des Edikts voraussetzt oder zumindest nahelegt. Ulpian übernimmt diese Argumentation im abschließenden Satz noch für eine weitere Bestimmung im Edikt de administratione tutorum.278 c) Subsumtion unter Juristenregeln Die Art, in der Marcell die ratio einer unmittelbar aus Juristenrecht abgeleiteten Falllösung mitteilt, unterscheidet sich nicht wesentlich von den bisher besprochenen Deduktionen. In allen sieben Fällen verstehen sich Anwendbarkeit und Wirkungsweise der Regel nicht von selbst. Erst mit der Einordnung seiner Falllösungen in einen größeren Zusammenhang stehen diese auf gesichertem Grund. Besonders deutlich zeigt sich diese Intention 273  IJ 1.24.1, Ulp. D 26.2.17pr.; dazu Lenel, Das edictum perpetuum, S. 317; Kaser, RP I, S. 362. 274  Vgl. Gai 1.144 ff. 275  Gai  1.185, IJ  1.20pr. 276  Siehe auch Mod. D 26.2.4, Ner. D 26.3.2, Tryph. D 26.6.4.4; Kaser, RP I, S. 355. 277  Vgl. insb. D  32.69pr. (S. 158), D  28.7.4pr. (Q1), und D  40.7.24 (Q3), aber auch, D  13.7.34, D  30.123.1, D  50.16.95. 278  Vgl zu der Mehrheitswahl: Ulp. D 26.7.3.7; Lenel, Das edictum perpetuum, S. 316.



I. Unvermittelte Rechtsfindung99

an einer Stelle, in der er zu einer in Julians Digesten vorgefundenen Entscheidung anmerkt, dass das dahinterstehende Prinzip bis zu den veteres zurückverfolgt werden könne: (G1) Iul 321 = D 26.8.12 (21 dig)

Si servus communis tuus et Titii a pupilla tua te auctore aliquam rem per traditionem [mancipationem] acceperit, tota ad Titium pertinebit. Marcellus notat: nam quodcumque ad omnes dominos non potest pertinere, id pro solido ad eum, cui adquiri potest, pertinere veteres comprobaverunt.



Wenn ein dir und Titius gemeinsam gehörender Sklave irgendeine Sache von deinem weiblichen Mündel mit deiner Ermächtigung durch Übereignung empfangen hat, wird sie dem Titius vollständig gehören. Marcell bemerkt dazu: Denn die alten Juristen haben für richtig befunden, dass etwas, das nicht allen Eigentümern [des Sklaven] gehören kann, demjenigen zur Gänze gehört, für den es erworben werden kann.

Eine Unmündige hat einem servus communis, der Tu und Titius gehört, eine Sache übereignet. Da Tu zugleich der Vormund der pupilla ist, kann er den Gegenstand nicht wirksam erwerben.279 Aus diesem Grund hält Julian dafür, dass stattdessen Titius zum alleinigen Eigentümer werden soll. Marcell kritisiert diese Lösung nicht etwa, sondern ergänzt zu ihrer Begründung, was schon bei den republikanischen Juristen anerkannt gewesen sei: Gegenstände, die aus irgendwelchen Gründen nicht von allen Eigentümern des geschäftsführenden Sklaven erworben werden können, gehen in solidum auf die restlichen Eigentümer über.280 Er fügt also in seiner nota als ratio decidendi das von der Jurisprudenz entwickelte Prinzip hinzu, aus dem die von Julian getroffene und von ihm adoptierte Entscheidung abgeleitet werden kann.281 Dies mag man als „doxographische Mitteilung über Rechtsmeinungen“ abtun,282 doch geschieht diese systematische Einordnung des Sachverhalts ausschließlich zu dem Zweck, die Entscheidung plausibel zu machen und zu legitimieren, und ist als ratio decidendi mit eigenständigem Erklärungswert zu verstehen. Die teilweise Unwirksamkeit eines Rechtsgeschäfts ist auch Thema einer eigenen Entscheidung Marcells zur Wahlschuld: 279  Vgl. Ulp. D 26.8.1pr.: … in rem suam auctorem tutorem fieri non posse; dazu Rastätter, Marcelli notae ad Iuliani digesta, S. 41 Fn.  5 m. w. N. 280  Vgl. auch die von Rastätter, Marcelli notae ad Iuliani digesta, S. 42 Fn. 7 angeführten Stellen mit weiteren Anwendungsbeispielen der Regel durch klassische Juristen. 281  Entgegen Rastätter, Marcelli notae ad Iuliani digesta, S. 101 ff. und Krampe, TR  52 (1984), S. 60 muss der Zweck dieser nota daher nicht rein didaktisch gewesen sein. Die Ergänzung ist vielmehr an alle gerichtet, die das Ergebnis Julians in Frage hätten stellen können. 282  Wieacker, FS Kaser, S. 15.

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung

(G2) Marcell 227 = D 46.3.72.4 (20 dig)

Stichum aut Pamphilum stipulatus sum, cum esset meus Pamphilus: nec si meus esse desierit, liberabitur promissor Pamphilum dando: neutrum enim videtur in Pamphilo homine constitisse nec obligatio nec solutio. Sed ei, qui hominem dari stipulatus est, unum etiam ex his, qui tunc stipulatoris servi erant, dando promissor liberatur: vi quidem ipsa et hic ex his dari stipulatus est, qui eius non erant. Fingamus ita stipulatum: ‚Hominem ex his, quos Sempronius reliquit, dare spondes?‘, cum tres sempronius reliquisset, eorumque aliquem stipulatoris fuisse: num mortuis duobus, qui alterius erant, supererit ulla obligatio, videamus. Et magis est deficere stipulationem, nisi ante mortem duorum desierit esse reliquus servus stipulatoris.



Ich habe mir Stichus oder Pamphilus versprechen lassen, wobei Pamphilus mir schon gehörte. Auch wenn er aufgehört hat, mir zu gehören, wird der Versprechende durch die Gewährung des Pamphilus nicht befreit werden. Denn keines von beiden, weder eine Verpflichtung, noch eine Erfüllung, scheint bei dem Sklaven Pamphilus zustande gekommen zu sein. Der Versprechende wird aber befreit durch die Leistung eines von denjenigen, die damals auch Sklaven des Stipulationsgläubigers waren, an denjenigen, der sich hat versprechen lassen, dass ein Sklave geleistet werde. Implizit hat freilich auch dieser sich versprechen lassen, dass [einer] von denjenigen [Sklaven] gegeben wird, die ihm nicht gehörten. Angenommen, dass Sempronius drei [Sklaven] hinterlassen hätte, es wäre derart versprochen worden: „Versprichst du, einen Menschen von denen, die der Sempronius hinterlassen hat, zu geben?“, und irgendeiner von diesen [drei Sklaven] hätte dem Gläubiger gehört. Lasst uns betrachten, ob etwa, nachdem die beiden, die dem anderen gehörten, verstorben waren, irgendeine Stipulation übrig geblieben ist. Und es spricht mehr dafür, dass die Stipulation erlischt, wenn nicht der verbliebene Sklave vor dem Tod der beiden aufgehört hat, dem Gläubiger zu gehören.

Marcell beschäftigt sich mit der alternativen Stipulation zweier Sklaven, von denen einer im Zeitpunkt des Vertragsschlusses bereits dem stipulator gehört. Soweit sich das Rechtsgeschäft auf diesen Sklaven bezieht, ist es unwirksam, so dass der Schuldner nur zur Leistung des anderen Sklaven verpflichtet wird.283 Der promissor soll sich insbesondere auch dann nicht durch die Leistung des Gläubigersklaven befreien können, wenn der Gläubiger irgendwann nach dem Versprechen das Eigentum an ihm verloren haben sollte. Dies begründet Marcell damit, dass ein solcher Sklave schon nicht Gegenstand der obligatio geworden ist und daher von vornherein für eine solutio nicht in Frage kommt. Er wendet damit schlicht die unter den Juristen etablierte Regel an, dass niemand seine eigene Sache wirksam stipulieren kann.284 Im Fortgang der Stelle führt Marcell weiterhin aus, dass 283  Diese Überlegung findet sich auch in Gai. / Iul. D 45.2.15 und Paul. D 45.1.128; dazu Staffhorst, Die Teilnichtigkeit von Rechtsgeschäften, S. 59 f. 284  Vgl. Gai  3.99, Gai. D  44.7.1.10, Ulp. D  45.1.82pr.



I. Unvermittelte Rechtsfindung101

es sich bei Gattungsschulden anders verhält, ohne dies explizit zu begründen. Offenbar geht er in solchen Fällen davon aus, dass die Verbindlichkeit auf eine abstrakt bestimmbare Gattung und nicht auf die einzelnen Gegenstände bezogen ist, und nimmt daher dort gerade keine Teilunmöglichkeit an.285 In dieselbe Kategorie gehört die einfache Anwendung einer Juristenregel zum Institut der fideiussio: (G3) Marcell 221 = D 46.1.38.1 (20 dig)

A Titio, qui mihi ex testamento sub condicione decem debuit, fideiussorem accepi et ei heres extiti: deinde condicio legati exstitit: quaero, an fideiussor mihi teneatur. Respondit, si ei, a quo tibi erat sub condicione legatum, cum ab eo fideiussorem accepisses, heres exstiteris, non poteris habere fideiussorem obligatum, quia nec reus est, pro quo debeat, sed nec res ulla, quae possit deberi.



Ich habe von Titius, der mir aus einem Testament 10 unter einer Bedingung geschuldet hat, einen Bürgen angenommen und habe jenen beerbt. Hierauf ist die Bedingung des Vermächtnisses eingetreten. Ich frage, ob der Bürge mir haftet. Er hat geantwortet, dass du, wenn du denjenigen beerbt hast, von dem dir unter einer Bedingung vermacht worden war, nachdem du von diesem einen Bürgen angenommen hattest, den Bürgen nicht verbindlich halten können wirst, weil weder ein Schuldner vorhanden ist, für den er schuldet, noch aber irgendeine Sache, die geschuldet werden kann.

Ein Testamentserbe ist mit einem bedingten Vermächtnis belastet. Für die Forderung des Legatars verbürgt sich ein Dritter. Noch vor Bedingungseintritt verstirbt jedoch der Erbe selbst und wird seinerseits vom Legatar beerbt. Gefragt ist nach der Haftung des Bürgen bei Bedingungseintritt. Grundsätzlich erlischt eine Verbindlichkeit durch Konfusion ipso iure, sobald eine Person zugleich Gläubiger und Rechtsnachfolger des Schuldners ist.286 War dieser Anspruch durch eine fideiussio gesichert, geht gleichzeitig auch die Forderung aus der Bürgschaftsstipulation unter, weil ein Bürge nicht gegenüber einer Person dazu verpflichtet sein kann, für diese selbst zu haften.287 Vorliegend wäre die Hauptforderung allerdings erst mit Bedingungseintritt entstanden. Da es durch die vorher eingetretene Identität von Schuldner und Gläubiger gar nicht erst zum Bedingungseintritt gekommen ist, handelt es sich nicht um einen Fall von confusio.288 Vielmehr fehlt es von vornherein an einer Entstehungsvoraussetzung für die Verbindlichkeit 285  Anders sieht dies Papinian in D 31.66.3; dazu eingehend Knütel, Studi Sanfilippo  III, S. 357 ff.; Harke, Si error aliquis intervenit, S.  64 ff. 286  Vgl. Pomp. D 46.3.107. 287  Afr. D 46.1.21.3. 288  Mit der Konfusion der Hauptschuld begründet dagegen Julian eine ähnliche Entscheidung in D 46.3.34.8; vgl. Harke, AI–AS, S. 187.

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung

des Bürgen.289 Nach dem Grundsatz, wonach der Bürge sich nicht zu mehr verpflichten kann als der Hauptschuldner, ist auch die Absicherung einer bedingten Forderung durch eine unbedingte Bürgschaft nicht zulässig.290 Frühestmöglicher Entstehungszeitpunkt für die Bürgschaftsforderung wäre daher ebenfalls der Bedingungseintritt. Gerade diesen Gedanken verdeutlicht Marcell mit seiner Argumentation: Für die fideiussio existiert im entscheidenden Moment weder ein Schuldner noch ein Leistungsgegenstand, mithin fehlt es gänzlich an einer Hauptschuld.291 In einem speziellen Testamentsfall lehnt Marcell die Anwendung einer Regelung der lex Aquilia ab, indem er einen von anderen Juristen etablierten Leitsatz heranzieht und die Subsumtion des konkreten Sachverhalts näher erläutert: (G4) Marcell 237 = D 9.2.36.1 (21 dig)

Si dominus servum, quem Titius mortifere vulneraverat, liberum et heredem esse iusserit eique postea Maevius exstiterit heres, non habebit Maevius cum Titio legis Aquiliae actionem, scilicet secundum Sabini opinionem, qui putabat ad heredem actionem non transmitti, quae defuncto competere non potuit: nam sane absurdum accidet, ut heres pretium quasi occisi consequatur eius, cuius heres exstitit. Quod si ex parte eum dominus heredem cum libertate esse iusserit, coheres eius mortuo eo aget lege Aquilia.



Wenn ein Eigentümer angeordnet hat, dass ein Sklave, den Titius tödlich verwundet hatte, frei und Erbe sein soll und Maevius diesen [Sklaven] später beerbt hat, wird Maevius gegen Titius keine Klage aus der lex Aquilia haben, jedenfalls gemäß der Meinung des Sabinus, der annahm, dass eine Klage, die dem Verstorbenen nicht zustehen konnte, nicht auf den Erben übertragen werde. Denn in der Tat würde etwas Absurdes geschehen, wenn der Erbe wie für einen Getöteten den Wert desjenigen erlangt, dessen Erbe er ist. Wenn aber der Eigentümer angeordnet hat, dass dieser [Sklave] anteilig Erbe in Freiheit sein soll, hat dessen Miterbe, nachdem jener verstorben ist, die Klage aus der lex Aquilia.

In einem Testament ist die Freilassung und Erbeinsetzung eines bereits tödlich verwundeten Sklaven angeordnet. Nach dem Tod des Testators verstirbt auch der freigelassene Sklave.292 Die von Marcell behandelte Frage 289  Ebenso Kieß, Die confusio, S. 92; Steiner, Die römischen Solidarobligationen, S. 123. 290  Vgl. die Ausführungen zur adstipulatio bei Gai 3.113, die gemäß Gai 3.126 auch auf die Bürgschaft anzuwenden sind; ebenso IJ  3.20.5. Zu dem Prinzip der Abhängigkeit der Bürgschaft von der Hauptschuld und seine Ausnahmen vgl. Harke, Römisches Recht, S. 88  f.; Kaser / Knütel, Römisches Privatrecht, S. 301  f. Zur ­durior-Regel Julians vgl. auch unten D 46.1.8.8 (M2). 291  Eine ähnliche ratio findet sich auch bei Julian in D 46.1.11; dazu Harke, AI–AS, S.  186 f. 292  Wäre der Sklave noch zu Lebzeiten des dominus und damit in Unfreiheit verstorben, läge der typische Fall eines Anspruchs aus der lex Aquilia vor, der einer



I. Unvermittelte Rechtsfindung103

ist, ob der Erbe des Sklaven gegen den Täter einen Anspruch aus der lex Aquilia geltend machen kann. Ausgangspunkt der Überlegungen ist eine andere Fallkonstellation, mit der sich schon Julian auseinandergesetzt hat: Unter dem Beifall Ulpians billigt er dem dominus selbst einen deliktischen Anspruch zu, wenn er einen tödlich verwundeten Sklaven freigelassen hat, indem er das occidere als bereits im Zeitpunkt der Verletzungshandlung verwirklicht ansieht.293 Dieser durch den Tod des Sklaven bedingte Anspruch ist grundsätzlich auch vererblich, wie aus der letzten Variante ersehen werden kann, die Marcell in seinen Digesten anführt: So ist die actio legis Aquiliae einem Miterben zu gewähren, der vom Erblasser neben dem verletzten und später verstorbenen Sklaven berufen worden ist. Ein Erbe des Freigelassenen selbst soll einen solchen Anspruch aber nicht geltend machen können. Dazu beruft sich Marcell auf den Ausspruch des Sabinus, dass eine actio, die der Verstorbene zu Lebzeiten nicht hätte geltend machen können, auch nicht auf dessen Erben übergegangen sein kann. In diesem Sinne ist offenbar auch Marcians Argument zu verstehen, das die Kompilatoren unmittelbar an die Stelle aus Ulpians Ediktskommentar angeschlossen haben: Das Rechtsverhältnis befinde sich in einer Lage, in der der Anspruch gar nicht erst hätte entstehen können.294 Im Vermögen des Freigelassenen existierte ja lediglich ein vom Testator hinterlassener Anspruch de vulnerato. Die jetzt geltend gemachte Forderung hingegen hätte zu Lebzeiten des Verletzten niemals eingefordert werden können, selbst wenn man das occidere nach seinem Tod rückwirkend auf den Verletzungszeitpunkt vorverlegen würde. Marcell erläutert die Anwendung der sabinianischen Regel, indem er die Widersinnigkeit des Ergebnisses herausstellt, das eine Anspruchsgewährung bedeuten würde. Denn der Erbe des Freigelassenen hätte eine Forderung vom Erblasser übertragen bekommen, die auf wertmäßige Kompensation seiner eigenen Tötung gerichtet wäre, also einen Anspruch unter der Bedingung seines eigenen Versterbens und in Höhe seines eigenen Wertes.295 Eine solche actio kann gesonderten Behandlung nicht wert wäre; a. A. wohl Schebitz, Berechnung des Ersatzes nach der lex Aquilia, S. 298. 293  D  9.2.15.1: … quasi de occiso agi posse Iulianus ait. 294  Marci. D 9.2.16: quia in eum casum res pervenit, a quo incipere non potest. In Marci. D 34.8.3.2 beschreibt er mit derselben Formulierung den Zustand eines Legats, das zugunsten eines fremden Sklaven verfügt wurde und nichtig wird, weil der Testator diesen Sklaven später selbst erworben hat. 295  Schindler, SZ  74 (1957), S. 220 f. versteht den letzten Satz dagegen in dem Sinn, dass der Erbe keinen Preis für die Tötung seines eigenen Erblassers erhalten solle; ähnlich Schebitz, Berechnung des Ersatzes nach der lex Aquilia, S. 296. Nach Ankum, FG Lübtow, S. 346 f. wiederum liegt die Absurdität für Marcell darin, dass der Anspruchsteller der Tötung des Freigelassenen seine Erbenstellung verdankt und daraus zugleich das eingeforderte Recht geltend machen will.

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung

zwar von seinem Tode an rückwirkend in die Erbmasse seines früheren dominus einfließen und anteilig auf noch lebende Miterben übergehen, niemals jedoch auf den Verstorbenen selbst und in der Konsequenz auch nicht auf seine Rechtsnachfolger. In einem weiteren Nachlassfall beruft sich Marcell auf die vom Erblasserwillen unabhängige physische Unmöglichkeit der Leistung eines Legats: (G5) Marcell 286 = D  34.2.6pr., 1 (resp lib)

Seia ab herede Publio Maevio ita legavit: ‚Antoniae Tertullae lego auri pondo tot et unionem cum hyacinthis‘: postea unionem solvit neque ullum mortis tempore inter ornamenta sua unionem reliquit. Quaero, an heres ex causa fideicommissi aestimationem rei, quae in hereditate non est, praestare debeat. Marcellus respondit non debere. (1) Item quaero, si probari possit Seiam uniones et hyacinthos quosdam in aliam speciem ornamenti, quod postea pretiosius fecit additis aliis gemmis et margaritis, convertisse, an hos uniones vel hyacinthos petere possit et heres compellatur ornamento posteriori eximere et praestare. Marcellus respondit petere non posse: nam quid fieri potest, ut legatum vel fideicommissum durare existimetur, cum id, quod testamento dabatur, in sua specie non permanserit, nam quodammodo extinctum sit? Ut interim omittam, quod etiam dissolutione ac permutatione tali voluntas quoque videatur mutata.



Seia hat ihrem Erben Publius Maevius in folgender Weise ein Legat auferlegt: „Ich vermache der Antonia Tertulla so und so viel Pfund Gold und die Solitärperle mit Amethysten.“ Später löste sie die Perle heraus und hinterließ im Zeitpunkt ihres Todes keine einzelne Perle unter ihren Schmuckstücken. Ich frage, ob der Erbe aufgrund des Fideikommisses den Schätzwert einer Sache, die sich nicht in der Erbschaft befindet, gewähren muss. Marcell hat geantwortet, er müsse nicht.



(1) Ebenso frage ich, ob sie, wenn bewiesen werden kann, dass Seia gewisse Perlen und Amethyste in eine andere Art von Schmuckstück umgearbeitet hat, das sie später durch Hinzufügung von anderen Edelsteinen und Perlen wertvoller gemacht hat, diese Perlen oder Amethyste verlangen kann und der Erbe gezwungen wird, sie aus dem späteren Schmuckstück herauszunehmen und zu leisten.



Marcell hat geantwortet, dass sie es nicht verlangen könne. Denn was kann geschehen, damit ein Legat oder Fideikommiss als fortbestehend angesehen wird, wenn das, was im Testament gewährt wurde, in seiner Gestalt nicht erhalten geblieben ist, [wodurch] es nämlich in gewisser Weise ausgelöscht worden ist? Wobei ich jedoch außer Acht lasse, dass zudem durch eine derartige Ablösung und Umwandlung auch der Wille geändert worden zu sein scheint.

Im Sachverhalt des principium hat die Erblasserin ein bestimmtes Schmuckstück vermacht, das aus einer Solitärperle und Edelsteinen besteht. Marcell entscheidet über die rechtlichen Folgen, die es hat, wenn später aus dem Schmuckstück die Perle herausgelöst worden ist und daher der ver-



I. Unvermittelte Rechtsfindung

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machte Gegenstand als solcher nicht mehr existiert.296 Die Anfrage setzt bereits voraus, dass das ursprüngliche Legat damit hinfällig geworden ist, und zielt auf Ersatzansprüche der Legatarin ab. Marcell verneint eine wirksame Verpflichtung ex causa fideicommissi ohne explizite Begründung.297 Der anschließende Textabschnitt steht zwar in engem Zusammenhang mit dem principium, es muss aber nicht zwingend von ein und demselben Sachverhalt ausgegangen werden.298 Die Erblasserin hat nachweislich einzelne Perlen und Edelsteine, die selbst Gegenstand eines zuvor angeordneten Legats oder Fideikommisses waren, zusammen mit anderen Bestandteilen in ein neues Schmuckstück eingearbeitet. Gefragt wird nach einem Anspruch der ursprünglich Begünstigten auf eximere et praestare. Dabei handelt es sich um einen Anwendungsfall der actio ad exhibendum, mit der zunächst die Abtrennung der Bestandteile einer zusammengesetzten Sache gefordert werden kann, wenn diese auf dem direkten Weg nicht eingeklagt werden können.299 Gegenstand der Klage sind hier also im Gegensatz zum principium die zuvor vermachten Teile des neuen Schmuckstücks.300 Grundsätzlich kann auch ein durch letztwillige Verfügung Begünstigter das Herauslösen hinterlassener Gegenstände verlangen, wenn sie sich als Bestandteil einer zusammengesetzten Sache erweisen, um die entsprechende Klage aus Vermächtnis oder Fideikommiss auf Restitution zu ermöglichen.301 Die fehlende Eigentümerstellung der Klägerin bereitet daher keine Schwierigkeiten. Dennoch verneint Marcell im vorliegenden Fall einen Anspruch, da die in der Verfügung bezeichneten Gegenstände erst im Nachhinein durch die testatrix verarbeitet worden sind. Er begründet seine ablehnende Entscheidung ausdrücklich mit dem Erlöschen des Vermächtnisses.302 Alle Legate und Fideikommisse müssen auf einen existenten Verfügungsgegenstand 296  Entscheidend ist hier, dass die Identität der Bestandteile sich verändert hat: Gegenbeispiele finden sich bei Scaev. / Paul. D  34.2.32.8 f. 297  Zur Problematik der Umdeutung des Legats vgl. die ausführliche Erläuterung bei Zülch, Der liber singularis responsorum, S.  136 ff. 298  So aber Zülch, Der liber singularis responsorum, S. 134, 139 ff. Weist die Darstellungsweise der Responsen auch deutliche Spuren realer Fallentscheidungen auf, finden sich dennoch immer wieder über den konkreten Fall hinausgehende Verallgemeinerungen und systematische Ausführungen. Denkbar ist aber auch, dass der Marcell vorgetragene Sachverhalt selbst beide Konstellationen umfasste. 299  Vgl. Paul. D  6.1.23.5. 300  Dagegen geht Hägerström, Der römische Obligationsbegriff, S. 259 von einer Klage auf Herausgabe des restlichen Schmuckstückes nach Herauslösen der Perlen aus; gegen ihn zu Recht Zülch, Der liber singularis responsorum, S. 140. 301  Vgl. Ulp. D 34.2.17. 302  Vgl. zu dieser Bedeutung von exstinguere auch Marcell D  31.50.1. Der Ausdruck nam quodammodo extinctum sit bezieht sich auf legatum vel fideicommissum, nicht auf id, quod testamento dabatur. Entgegen Mommsen, CIC I, S. 481 Fn. 7 und

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung

gerichtet sein. Durch die nachträgliche Zusammensetzung einer neuen, im Zeitpunkt der testamentarischen Anordnung noch nicht existenten Sache, liegt im Ergebnis die gleiche Situation wie im principium vor. Marcell stellt heraus, dass der Gegenstand der letztwilligen Verfügung nicht mehr geleistet werden kann, es sich also um einen Fall der nachträglichen, objektiven und vom verpflichteten Erben nicht zu vertretenden Unmöglichkeit handelt. Seine Entscheidung basiert damit auf einer schlichten Deduktion aus der Unmöglichkeitsregel der römischen Juristen.303 Nichtsdestoweniger untersucht Marcell abschließend auch noch die – nach seiner Lösung irrelevante – voluntas der Erblasserin. Ihre Verarbeitungshandlung kann nur so gedeutet werden, dass sie ihr ursprüngliches Vorhaben aufgegeben hat und die letztwillige Verfügung über den ursprünglichen Gegenstand nicht mehr von ihrem Willen umfasst ist.304 Damit zeigt Marcell, dass man selbst dann zum selben Ergebnis kommen müsste, wenn man in der vorliegenden Konstellation keinen Fall der Unmöglichkeit annehmen wollte.305 Zur Einordnung eines drittbegünstigenden Vermächtnisses bezieht sich Marcell auf eine bei Julian und Pomponius zu findende Regel: (G6) Iul 480 = D  34.3.3.5 Ulp 23 Sab

Utrique autem legatarii habentur et in hoc casu. Nam et si quod ego debeo Titio sit ei legatum mei gratia, ut ego liberer, nemo me negabit legatarium, ut et Iulianus eodem libro scribit. Et Marcellus notat utriusque legatum esse tam meum quam creditoris mei, etsi solvendo fuero: interesse enim creditoris duos reos habere.



Aber auch in diesem Fall werden beide als Legatare angesehen. Denn auch wenn das, was ich dem Titius schulde, diesem um meinetwillen vermacht worden ist, damit ich befreit werde, wird niemand bestreiten, dass ich Vermächtnisnehmer bin, wie auch Julian im selben Buch geschrieben hat.



Und Marcell bemerkt dazu, dass es ein Vermächtnis für beide sei, so sehr das meine wie das meines Gläubigers, auch wenn ich zahlungsfähig sein werde. Es sei nämlich im Interesse des Gläubigers, zwei Schuldner zu haben.

Zülch, Der liber singularis responsorum, S. 143 muss nam daher nicht in der Bedeutung von immo übersetzt werden. 303  Gai  3.97, Cels. D  50.17.185, Paul. D  18.1.15pr.; Kaser / Knütel, Römisches Privatrecht, S.  181 m. w. N. 304  Ein solcher formloser Widerruf ist bei Legaten und Fideikommissen gleichermaßen möglich; vgl. Kaser, RP  I, S. 755, 760  m. w. N. 305  Wahrscheinlich ist dieser Zusatz auf Julians Ansicht in Ulp. / Iul. D  30.44.2 bezogen, wonach das Einschmelzen eines vermachten Bechers und die Verarbeitung von vermachter Wolle nicht zum Erlöschen des Legats führen soll; Ulpian stimmt ihm dem Grunde nach zu, will das Ergebnis aber von dem Fortbestand der voluntas abhängig machen.



I. Unvermittelte Rechtsfindung107

Jemand hat in seinem Testament dem Gläubiger eines anderen ein Vermächtnis hinterlassen, um den Schuldner von seiner Verpflichtung zu befreien. Julian wird dazu mit der offenbar unstreitigen Entscheidung zitiert, dass jedenfalls der Schuldner als Legatar gelten müsse. Seine Meinung über den Status des Gläubigers ist nicht überliefert. Marcell und Ulpian gehen davon aus, dass dieser neben seiner ursprünglichen Forderung auch unmittelbar die actio ex testamento erheben kann. Die klassischen Juristen haben die Erneuerung einer Obligation allerdings nur dann als wirksam anerkannt, wenn die neue Verbindlichkeit nicht mit der alten identisch ist.306 Die ratio decidendi in Marcells Anmerkung ist daher nicht als Billigkeitsentscheidung, sondern als Subsumtion unter die genannte Regel zu verstehen: Der Gläubiger kann sich gerade deshalb in wirksamer Weise auf das Legat berufen, da er ein Eigeninteresse daran geltend machen kann. Mag es sich nämlich auch um denselben Forderungsgegenstand wie bei der ursprünglichen Verbindlichkeit handeln, so gewinnt der Gläubiger doch anders als bei einem echten legatum debiti einen zusätzlichen Schuldner. Dadurch erlangt er die Möglichkeit, die ihm angenehmere Art der Forderungsbefriedigung zu wählen, was insbesondere sein Insolvenzrisiko reduziert.307 Die Problematik gegenläufiger Interessen von Miteigentümern eines Grundstücks löst Marcell, indem er auf den von den republikanischen Juristen entwickelten Charakter des Miteigentums abstellt: (G7) Marcell 65 = D  8.5.11 (6 dig)

An unus ex sociis in communi loco invitis ceteris iure aedificare possit, id est an, si prohibeatur a sociis, possit cum his ita experiri ius sibi esse aedificare, et an socii cum eo ita agere possint ius sibi prohibendi esse vel illi ius aedificandi non esse: et si aedificatum iam sit, non possit cum eo ita experiri ius tibi non esse ita aedificatum habere, quaeritur. Et magis dici potest prohibendi potius quam faciendi esse ius socio, quia magis ille, qui facere conatur ut dixi, quodammodo sibi alienum quoque ius praeripit, si quasi solus dominus ad suum arbitrium uti iure communi velit.



[Es wird untersucht,] ob einer der Miteigentümer auf gemeinschaftlichem Grund gegen den Willen der Übrigen mit Recht bauen kann, das heißt, ob er, wenn es ihm von den Miteigentümern verboten wird, mit diesen gerichtlich darüber streiten kann, dass ihm ein Recht zu bauen zusteht, und ob die Miteigentümer gegen ihn darauf klagen können, dass ihnen ein Verbotsrecht zusteht oder jenem das Recht zu bauen nicht zusteht. Und es wird gefragt, ob,

306  Iul. D 34.3.11 erklärt ein Vermächtnis des Schuldners an seinen Gläubiger für inutile, si nihil interesset creditoris ex testamento potius agere quam ex pristina obligatione. Allgemeiner formuliert ist die Regel in Pomp. D  45.1.18: Qui bis idem promittit, ipso iure amplius quam semel non tenetur. Vgl. auch Iul. D  45.1.58, Ulp. D 30.49.4, IJ 2.20.14 und die weiteren bei Bernasconi, SDHI  42 (1976), S. 35 ff. genannten Stellen. 307  Ebenso Rastätter, Marcelli notae ad Iuliani digesta, S. 188.

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung wenn schon gebaut worden ist, man nicht darauf klagen kann, dass kein Recht zusteht, ein solches Gebäude zu haben. Und es kann leichter vertreten werden, dass einem Miteigentümer eher ein Verbotsrecht zusteht, als ein Recht zu bauen, weil sich vielmehr derjenige, der zu bauen versucht, wie ich gesagt habe, gewissermaßen auch ein fremdes Recht anmaßt, wenn er wie ein alleiniger Eigentümer das gemeinschaftliche Recht nach seinem Ermessen nutzen will.

Marcell untersucht die Frage, ob ein Miteigentümer eines gemeinschaftlichen Grundstücks gegen seine socii mit einer Klage ein ius aedificare durchsetzen kann, wenn sie ihn am Bauen hindern wollen, oder ob sich umgekehrt die Miteigentümer auf ein ius prohibendi berufen können oder sie zumindest die Feststellung ius aedificandi non esse beantragen können. Bei dem in der Republik entwickelten Miteigentum nach Bruchteilen hat jeder Miteigentümer eine pars pro indiviso und ist daher für einen faktischen Eingriff, der das gesamte Grundstück betrifft, auf die Duldung der anderen angewiesen.308 Für den Fall, dass einer von ihnen mit dem Bauvorhaben nicht einverstanden ist, stellt Marcell zunächst zwei Abwehrmöglichkeiten nebeneinander. In seiner Entscheidung befürwortet er allerdings nur das ius prohibendi, also das Recht, die Ausführung durch Selbsthilfe zu verhindern. Die in der Fragestellung ebenfalls anklingende actio negatoria wird nicht mehr erwähnt.309 Ein ius aedificandi des bauwilligen socius fundi lehnt er dagegen ausdrücklich und im Einklang mit Pomponius ab.310 Ihm bleibt demnach nur die Aufhebung der Gemeinschaft durch die actio communi dividundo. In seiner Begründung scheint sich Marcell auf ein Prinzip zu berufen, nach dem bei gleicher Ausgangslage ein ius prohibendi immer den Vorzug vor dem entsprechenden ius faciendi verdient.311 Er formuliert diesen Satz jedoch eindeutig als Entscheidung und verdeutlicht deren Richtigkeit mit dem gesonderten Argument, dass der Bauende sich als quasi solus dominus gerieren und damit das Recht der anderen verletzen würde. Marcell leitet seine Lösung also aus dem Prinzip ab, dass die Anmaßung eines alleinigen Verfügungsrechts durch den Charakter des Miteigentumsanteils als pars pro indiviso nicht gedeckt sein kann. Zwar hat jeder Miteigentümer auch ein eigenes, anteiliges Recht zur Nutzung des GrundD  50.16.25.1, Pap. / Sab. D  10.3.28; Kaser, RP I, S. 411. können keine Schlüsse bezüglich der Frage gezogen werden, ob Marcell nicht auch eine solche actio negatoria für möglich halten würde. Darüber bestand in hochklassischer Zeit vielleicht ein Streit: vgl. Pomp. D 8.2.27pr., D 8.5.14.1 einerseits und Jav. D 33.3.4, Paul. D 8.2.26 andererseits; Kaser, RP I, S. 411 Fn. 13. 310  Vgl. Pomp. D 8.2.27.1. 311  Die Formulierung prohibendi potius quam faciendi esse ius erinnert an diejenige Papinians in D 10.3.28, der den Grundsatz wiederum auf Sabinus zurückführt: in re enim pari potiorem causam esse prohibentis constat; dazu Kaser / Knütel, Römisches Privatrecht, S. 128. 308  Paul. / Q.Muc. 309  Daraus



II. Rechtsfindung mittels Auslegung109

stücks, doch soll keiner von ihnen eigenmächtig bestandsverändernde Eingriffe durchsetzen können.

II. Rechtsfindung mittels Auslegung 1. Interpretation von Gesetzen a) Ratio legis Ausgangspunkt jeder Interpretation von Normen und Rechtsgeschäften sind Überlegungen zu deren genauem Inhalt und Zweck. Bei der Ermittlung des Telos kann sich der Jurist insbesondere am Wortlaut und dem tatsächlichen oder mutmaßlichen Willen des Autors orientieren. In den insgesamt 39 Auslegungsentscheidungen Marcells werden nicht nur Rechtsgeschäfte sondern auch 18 Gesetze, Senatsbeschlüsse und sonstige Dekrete mit vergleichbarer Wirkung behandelt. In zwei weiteren Fragmenten ist nur eine Gesetzesauslegung Marcells, nicht aber auch die Anwendung auf einen konkreten Fall überliefert. Es handelt sich also nicht um echte rationes decidendi, wohl aber um Illustrationen der Vorgehensweise bei der Auslegung von Vorschriften. So ist aus Marcells Digesten die einzige Beschäftigung eines klassischen Juristen mit dem uralten Recht der Könige überliefert: Marcell 256 = D  11.8.2 (28 dig) Negat lex regia mulierem, quae praegnas mortua sit, humari, antequam partus ei excidatur: qui contra fecerit, spem animantis cum gravida peremisse videtur. Ein königliches Gesetz untersagt, dass eine Frau, die in der Schwangerschaft verstorben ist, begraben wird, bevor die Leibesfrucht aus ihr herausgeschnitten worden ist. Wer dagegen gehandelt hat, wird angesehen, als habe er die Hoffnung auf ein lebendes Wesen mit der Schwangeren zusammen vernichtet.

Die zitierte lex regia verbietet es, schwangere Frauen zu begraben, ohne vorher die Leibesfrucht herausgeschnitten zu haben. Die Identität des zitierten Königsgesetzes kann nicht abschließend geklärt werden.312 Sicher ist nur, dass Marcell sich veranlasst sieht, eine ratio für diese offenbar noch in seiner Zeit wirkende Regelung zu formulieren: Sie diene der Bewahrung einer spes animantis. Die Bedeutung dieses Begriffs ist in der Literatur umstritten. Würde man in diesem Ausdruck einen genetivus subjectivus erkennen, wäre damit die Hoffnung eines beseelten Wesens auf die Entstehung 312  Bianchi, Per un’indagine sul principio conceptus pro iam nato habetur, S. 22, m. w. N. Überwiegend wird die lex dem König Numa Pompilius (8–7. Jh. v. Chr.) zugeschrieben: vgl. u. a. Bruns / Gradenwitz, FIRA, S. 10; Riccobono, FIRA I, S. 13; Schiller, Roman law, S. 138.

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung

oder Weiterführung seines Lebens gemeint.313 Doch selbst wenn die Römer dem partus eine gewisse rechtliche Eigenständigkeit zugestanden haben sollten,314 ist damit nicht zwangsläufig verbunden, ihm auch die Fähigkeit zuzusprechen, gleich einem denkenden Menschen eine spes im Sinne einer schutzwürdigen Erwartung zu bilden. Bei weitem näher liegt die Annahme, dass gewisse Hoffnungen von außen an den, qui nasci speratur, herangetragen worden sind.315 Demnach ist richtigerweise von einem genetivus objectivus auszugehen und der Terminus als die Hoffnung der Lebenden auf die vollendete Entstehung eines menschlichen Wesens zu begreifen.316 Jedenfalls zu Marcells Zeiten soll der postmortale Kaiserschnitt offensichtlich nicht aus rituellen oder religiösen Gründen erfolgen, sondern weil bei schnellem Handeln noch die Hoffnung besteht, ein lebendes Kind zu empfangen.317 Gerade bei einer derart alten Vorschrift, die zudem einer völlig anderen Rechtsordnung entstammt, liegt es auf der Hand, dass Marcell den angeführten Gesetzeszweck nicht als den Willen des historischen Gesetzgebers verstanden wissen will. Vielmehr muss es ihm hier gerade darauf ankommen, aus objektiven Kriterien eine allgemeingültige Interpretation herzuleiten, die eine Fortgeltung der Bestimmung bis in seine Zeit und darüber hinaus rechtfertigen kann. In seinem Kommentar zur lex Iulia et Papia beschäftigt Marcell sich mit einer nicht näher zu bestimmenden Konstitution, die er offenbar nur vom Hörensagen kennt:318 Marcell 273 = D  23.2.50 (3 leg Iul et Pap) Proxime constitutum dicitur, ut, cum quis libertam suam duxerit uxorem, quam ex fideicommissi causa manumiserit, liceat libertae invito eo nuptias contrahere: 313  Dies vertreten Peters, in: Behrends / Knütel, CIC II, S. 48; Wacke, in: Heilkunde und Hochkultur I, S. 161; Waldstein, FS Mayer-Maly, S. 846 f. und Ferretti, In rerum natura esse, S.  84 f. 314  Zur rechtlichen Stellung des nasciturus als bloßer partus des Mutterleibs vgl. insbesondere Ulp. D 25.4.1.1, Pap. D 35.2.9.1; dazu eingehend Kaser, RP I, S. 272 f. m. w. N.; Blanch Nougués, OIR 6 (2000), S. 102 ff. und Kaser / Knütel, Römisches Privatrecht, S. 84 f. mit berechtigtem Einwand gegen Waldstein, FS Mayer-Maly, S.  837 ff. 315  Vgl. die Verwendung ähnlicher Ausdrücke in Gai  2.131; Ulp. D  37.4.1.5, D 37.9.1pr., 8; ebenso Blanch Nougués, OIR 6 (2000), S. 116. Auch Cicero (pro Cluentio 11.32) bezeichnet den abgetriebenen Sohn als spes parentis. 316  So auch Nardi, Procurato aborto, S. 357 m. Fn. 121. 317  Einen religiösen Hintergrund vermuten dagegen Jobbé-Duval, RH IV 2 (1923), S. 356; Schäfer, Geburt aus dem Tod, S. 22; Blanch Nougués, OIR 6 (2000), S. 116; Bianchi, Per un’indagine sul principio conceptus pro iam nato habetur, S.  24 f. 318  Ebenso Liebs, in: Herzog / Schmidt, Handbuch der lateinischen Literatur der Antike IV, S. 109.



II. Rechtsfindung mittels Auslegung111 puto, quia non erat ferendus is qui ex necessitate manumisit, non suo arbitrio: magis enim debitam libertatem praestitit quam ullum beneficium in mulierem contulit. Man sagt, es sei kürzlich festgesetzt worden, dass, wenn jemand seine Freigelassene geheiratet hat, welche er aufgrund eines Fideikommisses freigelassen hatte, es der Freigelassenen erlaubt sei, gegen seinen Willen eine [neue] Ehe einzugehen. Ich glaube, [dies soll deshalb gelten,] weil derjenige nicht angehört werden muss, der aufgrund einer [rechtlichen] Notwendigkeit und nicht nach seinem Ermessen freigelassen hat. Denn er hat eher eine Freiheit, die geschuldet war, geleistet, als dass er der Frau irgendeine Wohltat erwiesen hat.

In dem kaiserlichen Erlass soll geregelt worden sein, dass eine liberta, wenn sie ex fideicommissi causa freigelassen worden ist, sich von ihrem Patron ausnahmsweise auch gegen dessen Willen scheiden lassen und eine neue Ehe eingehen kann.319 Normalerweise ist einer Freigelassenen die erneute Heirat jedenfalls invito patrono nicht gestattet,320 auch wenn sie nicht matrimonii causa freigelassen worden ist und sich ihren Patron freiwillig als Ehepartner ausgesucht hat.321 Den Grund für diese Ausnahmeregelung sieht Marcell darin, dass die Freilassung im Fall des Fideikommisses die Erfüllung einer rechtlichen Pflicht bedeutet und nicht im Ermessen des Patrons steht.322 Dann soll es ihm auch nicht zustehen, die Wiederverheiratung der liberta zu verhindern. Die ehrenhafte Rechtstellung des Patrons hängt demnach wie eine Art Gegenleistung von der freiwilligen Gewährung des beneficium der Freiheit ab.323 Dieser Stelle kann jedenfalls entnommen werden, dass Marcell auch kaiserliche Bestimmungen auf ihren Sinn und Zweck hinterfragt und damit die Grundlage für Präzisierungen und erweiternde Anwendungen schafft.

319  Diese Entscheidung referiert auch Modestin in D 24.2.10 ohne eine Kaiserkonstitution zu erwähnen. 320  Zum hier nicht relevanten Streit, ob und in welchen Fällen es ein echtes Scheidungsverbot gab oder nur ein Wiederverheiratungsverbot, vgl. ausführlich Karl, Castitas temporum meorum, S.  272 ff. m. w. N. 321  Ulp. D 24.2.11pr.–2; Gardner, Woman in Roman law and society, S. 172 geht irriger Weise davon aus, es fehle an einer „condition of marriage imposed by [the patron] himself“. 322  Damit harmoniert die Tatsache, dass fideikommissarisch Freigelassene spätestens seit einem Reskript des Kaisers Hadrian (Ulp. D 38.1.7.4) nicht wirksam zu operae verpflichtet werden können; dazu eingehend Waldstein, Operae libertorum, S.  186 ff. 323  Ebenso Waldstein, Operae libertorum, S. 186  ff.; ähnlich Silla, La cognitio sulle libertates fideicommissae, S. 72 ff. Ulpian unterscheidet dementsprechend in D 38.1.31.1 die libertas fideicommissaria von der Freiheit durch manumittere nulla necessitate cogente.

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung

b) Gesetzesauslegung mittels Deduktion In allen zwölf Fällen kommt Marcells Gesetzesinterpretation gänzlich ohne Vergleichsmomente aus. Auf die konkreten Absichten des Gesetzgebers rekurriert er dabei immerhin zweimal ausdrücklich. So erläutert er ausführlich, warum der Wortlaut des senatus consultum Trebellianum zu eng geraten ist: (H1) Marcell 178 = D  36.1.46pr. (15 dig)

Postulante Sticho, qui eodem testamento libertatem et fideicommissam hereditatem acceperat, heres suspectam adiit: mox Stichus, antequam moram in recipienda hereditate faceret, decessit relicto herede Titio. Quaero, an in Titium, si nolit recipere fideicommissam hereditatem, actiones ex senatus consulto competant. Respondi: quoniam fere is, qui compulsus est adire hereditatem, confestim ei restituet, de manumisso dumtaxat senatus consulto comprehensum est nec heredis facta est mentio. Potest tamen evenire, ut restitutionem distulerit heres, veluti si pecuniam ei debuerit defunctus, quam retinere maluit quam petere. Ceterum existimo idem in herede eius constituendum, quod in illo constitutum est: cur enim recusaret, quam recusare non potuit is, cuius hereditatem suscepit? Quod si forte ante hereditatis restitutionem sine herede decesserit libertus, perinde bona eius creditoribus hereditariis vendere permittendum est, ac si restituta hereditate decessit.



Auf Antrag des Stichus, der im selben Testament die Freiheit und ein Erbschaftsfideikommiss erhalten hatte, hat der Erbe die der Überschuldung verdächtige [Erbschaft] angetreten. Bald darauf ist Stichus verstorben, bevor er mit der Entgegennahme der Erbschaft in Verzug kam, und hat Titius als Erben hinterlassen. Ich frage, ob gegen Titius Klagen aus dem Senatsbeschluss zustehen, wenn er das Erbschaftsfideikommiss nicht entgegennehmen will. Ich habe geantwortet: Weil gewöhnlich derjenige, der gezwungen worden ist anzutreten, die Erbschaft sofort herausgibt, bezeichnet der Senatsbeschluss nur den Freigelassenen ausdrücklich und erwähnt den Erben nicht. Es kann jedoch geschehen, dass der Erbe die Herausgabe verschiebt, wie zum Beispiel wenn der Verstorbene diesem Geld geschuldet hat, das er lieber zurückbehalten wollte als es einzufordern. Im Übrigen meine ich, dass dasselbe im Hinblick auf dessen Erben festzusetzen ist, was bei jenem festgesetzt worden ist. Warum nämlich sollte er die Erbschaft ablehnen [dürfen], deren Annahme sein Erblasser nicht hat verweigern können? Wenn aber freilich der Freigelassene vor der Restitution der Erbschaft ohne einen Erben verstorben ist, muss den Erbschaftsgläubigern erlaubt werden, dessen Güter zu verkaufen, wie wenn er gestorben wäre, nachdem die Erbschaft herausgegeben worden ist.

Der Erblasser hat im Testament einen Sklaven per Fideikommiss mit der Freiheit und der gesamten Erbschaft bedacht. Es handelt sich um einen Anwendungsfall des senatus consultum Trebellianum: Zwar umfasst das Fideikommiss mehr als drei Viertel des Nachlasses, der Erbe weigert sich aber dennoch, die Erbschaft anzutreten, weil er den Verdacht hat, sie könn-



II. Rechtsfindung mittels Auslegung113

te überschuldet sein.324 Dies hat zur Folge, dass der Prätor ihn auf Antrag des Erbschaftsfideikommissars zwingt, die Erbschaft anzutreten und den gesamten Nachlass zu restituieren. Doch ist der Freigelassene im vorliegenden Fall verstorben, noch bevor er die Erbschaft tatsächlich in Empfang nehmen oder deren Annahme verweigern konnte. Die Frage lautet, ob nun sein Erbe gezwungen werden kann, das Fideikommiss entgegenzunehmen, so dass die Erbschaftsgläubiger ihre Forderungen gegen diesen geltend machen können.325 Marcell meint dazu, dass der Erbe des Fideikommissars ebenso wenig die Annahme der Erbschaft verweigern kann, wie es dieser selbst gekonnt hätte. Denn hat sich der Erbschaftsfideikommissar einmal zur Beantragung des prätorischen Zwangs entschieden, kann er seine Meinung nicht im Nach­ hinein wieder ändern.326 Nimmt man den Wortlaut des Senatsbeschlusses allerdings genau, sind davon nur die im Testament bezeichneten Fideikommissare betroffen, während von möglichen Rechtsnachfolgern keine Rede ist.327 Marcell will es bei der einfachen Ablehnung der Subsumtion unter den Tatbestand nicht bewenden lassen, sondern erforscht den Willen des damaligen Senats: Der Gesetzgeber habe offensichtlich nur den typischen Fall der sofortigen Restitution nach erzwungenem Erbschaftsantritt im Blick gehabt. Dennoch sei es denkbar, dass sich die Herausgabe durch den Erben aus legitimen Gründen verzögere.328 Aus Marcells Sicht steht daher der Einstandspflicht einer Person, die lediglich in die Rechte und Pflichten des Fideikommissars eingetreten ist, nichts im Wege. Anders liegen die Dinge, wenn der Fideikommissar ohne Erben verstirbt. Hat er zuvor noch die Erbschaft entgegennehmen können, werden die Erbschaftsgläubiger im Nachlasskonkursverfahren befriedigt.329 Doch auch wenn er vor der Restitution 324  Gai  2.258; dazu eingehend Manthe, Das senatus consultum Pegasianum, S. 85 ff. 325  So auch Manthe, Das senatus consultum Pegasianum, S. 138 m. Fn. 18. 326  Val. / Oct. D  36.1.69pr. 327  Der Wortlaut des Senatsbeschlusses ist in Ulp. D 36.1.1.2 überliefert: … placet, ut actiones, quae in heredem heredibusque dari solent, eas neque in eos neque his dari, qui fidei suae commissum sic, uti rogati essent, restituissent, sed h i s e t i n e o s , q u i b u s e x t e s t a m e n t o f i d e i c o m m i s s u m re s t i t u t u m f u i s s e t , quo magis in reliquum confirmentur supremae defunctorum voluntates‘. 328  Die Ausführungen des Satzes Potest–petere können sich keinesfalls auf den heres fideicommissarii beziehen, da das angeführte Beispiel ansonsten keinen Sinn ergeben würde. Es kann daher nur vom Erben des ursprünglichen Erblassers die Rede sein: Gehört dieser selbst zu den Erbschaftsgläubigern, erlischt seine Forderung eigentlich mit dem Erbanfall durch Konfusion. Er scheint aber ein Zurückbehaltungsrecht gegen den Fideikommissar geltend machen zu können; Kieß, Die confusio, S. 155. 329  Gai 3.78.

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung

verstorben ist, sollen sie zur Befriedigung ihrer Forderungen nicht nur auf die Erbmasse, sondern auch auf die eigenen Güter des verstorbenen Freigelassenen zugreifen können. Auch diese zweite Entscheidung gewinnt Marcell aus dem Gedanken, dass der Senat nicht danach unterscheiden wollte, ob und wann der Fideikommissar verstirbt. Im darauf folgenden Paragraphen stellt er explizit das vom Senat mit der trebellianischen Regelung beabsichtigte Resultat heraus: (H2) Marcell 178 = D  36.1.46.1 (15 dig)

Set in huiusmodi quaestione rogo respondeas, an recte senserim. Rogata est filia ex asse heres restituere hereditatis partem dimidiam deductis legatis minimis et aere alieno non magno, ut legi Falcidiae locus non sit: mora facta non est restitutioni fideicommissi. Desidero verbo tenus mihi restitui hereditatem, ut ex Trebelliano senatus consulto agenti et ex eo competentibus actionibus etiam usuras debitas ex mortis die in tempus restitutionis persequar: item quaero et de pensionibus, quia locationum obligatio in hereditate fuit. Ab herede fructus nullos peto, sed illa desiderat refundere me aut concedere ei actiones usurarum et pensionum: non possum persuadere hereditatis appellatione, quam rogata erat mihi restituere, etiam hanc stipulationem usurarum ad me pertinere. Respondi: omnia haec hereditatis appellatione continentur: quantum enim quod ad hoc refert, inter haec ceteraque, quae sub condicione sunt promissa aut in annos singulos vel menses, nihil interest. Sane pro fructu rei, quae hereditate continetur, haec cedunt, nec fructus fideicommissarium sequitur, si mora non intercessit. Sed quia non ut heres fideicommissum, ut sici dixerim, suppleat postulet, set qualis nunc est hereditas, desideret restitui sibi, nequaquam id debet heres recusare: nam et quodammodo in partem hereditatis senatus recipi voluit fideicommissarium et haberi heredis loco, pro qua parte ei restituta esset hereditas. Sed cum hereditarios nummos faeneravit aut ex fundis fructus percepit, nihil eo nomine praestat ei, cui hereditas per fideicommissum relicta est, si non intercessit mora, scilicet quia suo periculo faeneravit colendove fundo vel in cogendis fructibus insumpsit operam: nec aequum erat alterius, ut sic dixerim, procuratorem constitui. Nullum autem impendium vel opera intercedit heredis, cum his modis, de quibus est quaesitum, augmentum hereditas recepit.



Ich bitte dich aber, dass du in einer Frage dieser Art begutachtest, ob ich richtig überlegt habe: Eine Tochter ist als Alleinerbin gebeten worden, den hälftigen Anteil der Erbschaft herauszugeben, nachdem sehr geringe Legate und eine nicht allzu große fremde Schuld abgezogen worden sind, so dass kein Raum für die [Anwendung der] lex Falcidia bleibt. Bei der Restitution des Fideikommisses ist kein Verzug entstanden. Ich verlange, dass mir die Erbschaft wie einem, der aus dem senatus consultum Trebellianum klagt, aufgrund bloßer Erklärung herausgegeben wird, und ich werde mit den aus diesem [Senatsbeschluss] zustehenden Klagen auch die geschuldeten Zinsen vom Tag des Todes bis zum Zeitpunkt der Herausgabe gerichtlich verfolgen. Ebenso verlange ich auch Zinsen, weil eine Verpflichtung aus Pachtverträgen zur Erbschaft gehörte. Von der Erbin fordere ich keine Früchte, aber sie verlangt,



II. Rechtsfindung mittels Auslegung

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dass ich die Ansprüche auf Zinsen und Pachtzinsen erstattete oder sie ihr abträte. Ich kann [sie] nicht überzeugen, dass mir aufgrund der Beantragung der Erbschaft, um deren Herausgabe an mich sie gebeten worden war, auch diese Stipulation der Zinsen zustehe.

Ich habe geantwortet: All dies wird von der Beantragung der Erbschaft umfasst. Denn was diese Sache anbelangt, gibt es keinen Unterschied zu dem Übrigen, was unter einer Bedingung versprochen oder auf einzelne Jahre oder Monate [befristet] worden ist. In der Tat fällt das Genannte unter die Früchte einer Sache, die in der Erbschaft enthalten ist, und der Fideikommissar erlangt keine Früchte, wenn kein Verzug eingetreten ist. Da er aber nicht fordert, dass der Erbe das Fideikommiss sozusagen vervollständige, sondern verlangt, dass ihm die Erbschaft so herausgegeben werde, wie sie jetzt ist, darf der Erbe dies keinesfalls verweigern. Denn der Senat wollte, dass der Fideikommissar in den Teil der Erbschaft, der ihm herausgegeben worden ist, gewissermaßen aufgenommen und behandelt wird, als [wäre er] an der Stelle des Erben. Wenn er aber erbschaftliche Gelder auf Zinsen ausgeliehen hat oder von den Grundstücken Früchte gezogen hat, leistet er diesbezüglich nichts an denjenigen, dem die Erbschaft als Fideikommiss hinterlassen worden ist, wenn kein Verzug eingetreten ist, freilich weil er auf seine eigene Gefahr ausgeliehen hat oder durch das Bestellen des Grundstücks oder beim Einsammeln der Früchte Arbeit aufgewendet hat. Und es wäre nicht billig, wenn er sozusagen als Prokurator eines anderen eingesetzt worden wäre. Es ist aber weder zu Kostenaufwand noch zu Arbeitseinsatz des Erben gekommen, wenn die Erbschaft auf eine solche Weise, wie sie hier untersucht worden ist, eine Vermehrung erfahren hat.

Der Erblasser hat seine Alleinerbin mit einem Universalfideikommiss in Höhe der Hälfte der Erbschaft belastet. Trotz weiterer Legate und einer fremden Schuld bleibt der Erbin mindestens die falzidische Quart. Der Fideikommissar fordert von der Erbin die Restitution verbo tenus330 einschließlich der Zinsen aus einer einfachen stipulatio usurarum und der Pachtzinsen aus einem zur Erbschaft gehörenden Grundstück. Dabei stützt er sich ausdrücklich nicht auf einen Verzug der Erbin bei der Leistung. Die Erbin vertritt jedoch die Ansicht, dass ihr diese Posten persönlich zustünden, und verlangt daher, dass der Fideikommissar entweder die sofortige Rückerstattung versichere oder seine Forderung von vornherein um den entsprechenden Betrag kürze.331 Marcell gibt ein ausführliches responsum mit mehreren Argumenten, um die Subsumtion der genannten Zinsen unter den Begriff der Erbschaft im Sinne des senatus consultum Trebellianum zu begründen. Zunächst zeigt er 330  Diese einseitige, mündliche Erklärung des Belasteten genügt zur Bewirkung der restitutio; vgl. auch Ulp. D 36.1.38pr. 331  So verstehen den Sachverhalt auch Masi, Studi sulla condizione, S. 39 und Zülch, Der liber singularis responsorum, S. 227.

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung

durch einen Vergleich, dass es für die Zugehörigkeit der Zinsen zur Erbschaft unerheblich ist, ob diese vor oder nach dem Erbfall entstehen: Auch bedingte oder betagte Forderungen, deren Fälligkeit erst zu einem späteren Zeitpunkt eintritt, gehen auf den Fideikommissar über, obwohl sich anfänglich weder eine entsprechende Summe noch ein durchsetzbarer Anspruch in der Erbschaft befindet.332 Insoweit besteht also kein Unterschied zu den hier geltend gemachten Zinsen, die auch erst nach dem Erbfall entstehen und einklagbar werden. Marcell belässt es allerdings nicht bei der Induktion, sondern zeigt die Übereinstimmung der hierdurch nahegelegten Lösung mit dem Willen des Gesetzgebers auf: Der Senat verfolgte das Ziel, den Fideikommissar nach der Herausgabe des Universalfideikommisses für seinen Anteil heredis loco zu stellen und alle Vor- und Nachteile des Erben auf ihn zu übertragen. Demzufolge umfasst der Anspruch auch eine seiner Quote entsprechende Beteiligung an den Früchten, die die Erbschaft nach dem Tod des Erblassers abgeworfen hat. Anders verhält es sich nur dort, wo der ursprüngliche Erbe vor der Restitution unter Einsatz eines persönlichen Risikos oder eigener operae Früchte gezogen hat. Zur weiteren Veranschau­ lichung führt Marcell zwei Beispiele an: Wenn ein Erbe auf sein eigenes Risiko einem Dritten aus Erbschaftsgeldern ein Darlehen gewährt hat oder unter Einsatz seiner eigenen Kräfte ein Nachlassgrundstück bestellt hat, gebühren ihm die daraus verdienten Früchte selbst, solange er mit der Herausgabe nicht in Verzug gerät. Dabei betont Marcell zur Abgrenzung derartiger Fälle von der von ihm zu entscheidenden Konstellation schließlich noch die Interessenlage zwischen den Beteiligten. In den Beispielsfällen würde es der aequitas zuwiderlaufen, wenn der Fideikommissar an dem Gewinn beteiligt werden müsste, da der Erbe somit unfreiwillig zu einer Art beauftragtem Vermögensverwalter (procurator) für den Fideikommissar gemacht würde. Der Fideikommissar hat aber gar kein berechtigtes Interesse an einer solchen Beteiligung, jedenfalls solange der Erbe die Restitution nicht verzögert hat. Vielmehr würde die Erbschaft dadurch zugunsten des Universalfideikommissars in unbilliger Weise vermehrt.333 Dagegen sind die in der Anfrage genannten Zinsen bereits von vornherein in der Erbschaft angelegt, müssen also auch bei der Anwendung des senatus consultum Trebellianum zum Erbschaftsvermögen gezählt werden und sollen vom Fideikommissar in partem hereditatis empfangen werden. Der Erbe kann hier gerade kein eigenes Interesse daran geltend machen, mehr als den ihm zugeschriebenen Anteil für sich zu behalten.334 332  Vgl.

D 36.1.28.7 (E4). aequitas bei Marcell nachfolgend S. 214 f. Hier trägt diese ratio allerdings nicht die Entscheidung selbst, sondern den davon abzugrenzenden Ausnahmefall. 334  Ebenso Zülch, Der liber singularis responsorum, S. 228. 333  Zur



II. Rechtsfindung mittels Auslegung117

Über die Betrachtung der historisch-subjektiven Perspektive einer Norm hinaus geht Marcell, wenn er nicht nach dem intendierten Verständnis eines Begriffs fragt, sondern den Wortlaut nach dem allgemeinen Sprachgebrauch beurteilt. So kritisiert er in einer Stelle die sich allzu weit vom Wortsinn eines Senatsbeschlusses entfernende Interpretation Julians: (H3) Iul 835 = D  48.10.14pr., 1 Paul 22 quaest

Filius emancipatus cum scriberet patris testamentum, iussu patris servo communi Titii et suo legatum adscripsit: …



(1) Sequens quaestio est, an, quoniam placet id quod illicite scriptum est pro non scripto esse, quod servo communi scribentis et alterius adscriptum est, utrum in totum pro non scripto sit an quantum ad eum tantum qui adscripsit, ceterum socio totum debeatur. Et inveni Marcellum apud Iulianum adnotasse. Nam cum Iulianus scripsisset, si sibi et Titio scripsisset aut servo communi, cum pro non scripto sit, facillime quaeri posse, quantum Titio et socio adquiratur ita: adicit iste Marcellus: quemadmodum socio debebitur, si quasi falsum nomen servi subducitur? Quod et in praesenti quaestione observandum est.



Ein aus der Gewalt entlassener Sohn hat, als er das Testament seines Vaters aufsetzte, auf dessen Anordnung hin einem ihm und Titius gemeinschaftlich gehörenden Sklaven ein Vermächtnis zugeschrieben. …



(1) Die sich anschließende Frage ist, ob, weil entschieden ist, dass das, was unerlaubterweise geschrieben worden ist, als nicht geschrieben gilt, das, was einem gemeinschaftlichen Sklaven des Verfassers und eines Dritten zugeschrieben worden ist, insgesamt als nicht geschrieben gelte oder nur in Ansehung dessen, der es geschrieben hat, [und] im Übrigen dem Miteigentümer das Ganze geschuldet wird? Und ich habe entdeckt, dass Marcell bei Julian eine Anmerkung gemacht hat. Nachdem Julian nämlich geschrieben hatte, dass, wenn er sich und dem Titius etwas zugeschrieben habe oder einem gemeinschaftlichen Sklaven und da es als nicht geschrieben gelte, sehr leicht die Frage aufkommen könne, wie viel dem Titius und dem Miteigentümer auf diese Weise zukomme, da hat dieser Marcell hinzugefügt: Auf welche Weise soll einem Miteigentümer geschuldet werden, wenn der Name des Sklaven sozusagen als falsch entfernt wird? Dies ist auch in der gegenwärtigen Frage zu beachten.

Paulus behandelt den Fall eines emanzipierten Sohnes, der für seinen Vater das Testament verfasst hat und dabei etwas einem Sklaven vermacht hat, der ihm selbst und einem Dritten gemeinschaftlich gehörte. Einem senatus consultum Libonianum von 16 n.  Chr. zufolge gelten letztwillige Verfügungen zugunsten eines vom Erblasser hinzugezogenen Testamentsschreibers als pro non scripto.335 Ist ein solches Vermächtnis dem Verfasser und einem Dritten gemeinschaftlich hinterlassen, wird dennoch nur der 335  Vgl. Iul. D  34.8.1, Call. D  48.10.15.1–3; dazu eingehend Bund, FS Lübtow, S.  376 ff.

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung

erste aus dem Testament gestrichen, wohingegen das Legat an den Dritten wirksam bleibt, so dass dieser das ganze Legat erwirbt.336 Der von Paulus zunächst zitierte Julian entscheidet ebenso, wenn das Vermächtnis einem Sklaven ausgesetzt ist, der im gemeinschaftlichen Eigentum des scribens und eines Dritten steht.337 Dazu ist jedoch eine kritische Note Marcells überliefert, die in Form einer rhetorischen Frage eine andere Entscheidung impliziert: Wie kann das Legat einem der Miteigentümer geschuldet werden, wenn doch der Name des Sklaven, der ihnen das Recht erwerben soll, aus dem Testament als quasi falsum gänzlich gestrichen worden ist? Anders als in dem Fall eines Vermächtnisses an zwei jeweils namentlich genannte Empfänger muss hier die gesamte Verfügung hinfällig sein, da die Bestimmung des Empfängers gänzlich weggefallen ist. Marcell will in dieser Variante also nicht mit Julian eine anteilige Nichtigkeit annehmen, weil dies seiner Ansicht nach mit dem Wortlaut des Senatsbeschlusses nicht mehr zu vereinbaren ist, nach dem der Name des Sklaven und damit die gesamte Verfügung als pro non scripto338 zu behandeln sind.339 Anstelle des Wortlauts einer Vorschrift können auch Form und Inhalt anderer Normen herangezogen werden, um einen vernünftigen Sinn zu ermitteln, der mit der restlichen Rechtsordnung im Einklang steht. So geht Marcell einmal vor, um die Subsumtion eines Verhaltens unter die Strafgesetze abzulehnen: 336  PS 3.6.14.

337  Aus Iul. D  33.5.11 ist ersichtlich, dass Julian auch ein Vermächtnis an einen dem Erblasser und einem Dritten gemeinschaftlichen Sklaven zur Gänze dem Dritten zuspricht. Zudem lässt er in Ulp. / Iul. D  45.3.7.1 bei der Stipulation eines gemeinsamen Sklaven den einen Eigentümer voll erwerben, wenn dem anderen der Erwerb nicht gestattet ist; so auch Staffhorst, Die Teilnichtigkeit von Rechtsgeschäften, S. 188 m. Fn. 163. Dagegen meint Bund, Untersuchungen zur Methode Julians, S. 176 und FG Lübtow, S. 377 Julian könne ebenso gut gewollt haben, dass dem socius nur sein Miteigentumsanteil zukommt. Von letzterer Lösung geht auch Rastätter, Marcelli notae ad Iuliani digesta, S. 152 aus. 338  Die genaue Formulierung ist freilich nicht überliefert, doch legen auch Ulp. / Marcel. D  37.4.8.6 und Paul. D  34.8.5 nahe, dass die Fiktion ausdrücklich genannt worden ist; ebenso Rastätter, Marcelli notae ad Iuliani digesta, S. 152 f.; anders Buchwitz, Servus alienus heres, S. 164 f. unter wenig überzeugendem Verweis auf Iul. D 34.8.1. 339  Ähnlich Rastätter, Marcelli notae ad Iuliani digesta, S. 152; Staffhorst, Die Teilnichtigkeit von Rechtsgeschäften, S. 190. Daraus kann entgegen Buchwitz, Servus alienus heres, S. 166 allerdings nicht auf ein „wesentlich formalistischeres Verständnis der Testamentsauslegung“ geschlossen werden. Es geht den Juristen hier um die Interpretation einer Vorschrift, nicht um die Auslegung einer letztwilligen Verfügung.



II. Rechtsfindung mittels Auslegung119

(H4) Marcell 101 = D  25.7.3 Marci. 12 inst

In concubinatu potest esse et aliena liberta et ingenua et maxime ea quae obscuro loco nata est vel quaestum corpore fecit. Alioquin si honestae vitae et ingenuam mulierem in concubinatum habere maluerit, sine testatione hoc manifestum faciente non conceditur. Sed necesse est ei vel uxorem eam habere vel hoc recusantem stuprum cum ea committere: (1) Nec adulterium per concubinatum ab ipso committitur. Nam quia concubinatus per leges nomen assumpsit, extra legis poenam est, ut et Marcellus libro septimo digestorum scripsit.



Im Konkubinat können sowohl fremde Freigelassene als auch Freigeborene leben und insbesondere diejenigen, die von niedriger Herkunft sind oder sich prostituiert haben. Wenn der Mann allerdings lieber mit einer Frau mit ehrenhaftem Lebenslauf und von freier Geburt ein Konkubinat haben will, wird ihm das ohne öffentlichen Zeugenakt, der diesen öffentlich bekannt macht, nicht gestattet. Vielmehr befindet er sich in der Zwangslage, diese entweder zur Frau zu nehmen oder, wenn er das ablehnt, mit ihr Unzucht zu begehen. (1) Auch ein Ehebruch wird durch das Konkubinat von ihm nicht begangen. Denn, weil das Konkubinat von den Gesetzen eine Bezeichnung erfahren hat, unterliegt er nicht der gesetzlichen Strafe, wie auch Marcell im siebten Buch seiner Digesten geschrieben hat.

Marcian zählt zunächst diejenigen unehrenhaften Frauen auf, mit denen ein Zusammenleben im concubinatus straffrei möglich ist. Im Anschluss erklärt er auch das Konkubinat mit einer honestae vitae et ingenua mulier für zulässig, wenn er durch eine testatio öffentlich bekannt gemacht wird. Geschieht dies nicht, ist der Mann gezwungen die Frau zu ehelichen, will er kein stuprum begehen.340 Die hier vorgenommene Unterscheidung der Frauen nach ihrer Ehrenhaftigkeit entspricht den Regelungen der augusteischen Ehegesetzgebung, die sehr wahrscheinlich zum ersten Mal auch Tatbestand und Rechtsfolgen von adulterium und stuprum kodifiziert haben.341 Darin wurde die gesetzliche Ehe mit bestimmten weniger ehrenhaften Frauen verboten und gleichzeitig die Strafe für den Ehebruch von ehrbaren, freien Frauen geregelt.342 Es kann davon ausgegangen werden, dass das Konkubinat bereits in der einschlägigen lex Iulia de adultulteriis coercendis ausdrücklich als legale Möglichkeit des Zusammenlebens mit Frauen ge340  Stuprum war ursprünglich einmal der Überbegriff für jeden Geschlechtsverkehr einer Frau mit einem Mann, mit dem sie nicht verheiratet war. In klassischer Zeit ist damit jedoch nur noch die Beziehung einer unverheirateten Frau zu einem Mann gemeint, während das adulterium nur den Ehebruch mit verheirateten Frauen betrifft; Vgl. Mod. D  48.5.35; Pap. D  48.5.6.1; dazu Mommsen, Römisches Strafrecht II, S. 694; Karl, Castitas temporum meorum, S.  176 ff. 341  Karl, Castitas temporum meorum, S.  148 ff. m. w. N. 342  Dazu eingehend Karl, Castitas temporum meorum, S. 158 ff.

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung

nannt wurde, welche zu heiraten verboten war, mit denen aber der Geschlechtsverkehr straflos vollzogen werden konnte.343 In § 1 geht es um die Frage der Verwirklichung eines adulterium. Auch dieser Tatbestand soll im Falle eines concubinatus nicht einschlägig sein. Es handelt sich also um die außereheliche Beziehung zu einer ehrenhaften, verheirateten Frau, die entgegen den Vorschriften des Augustus ausnahmsweise nicht als adulterium zu bestrafen ist, weil der Mann seine Beziehung durch testatio öffentlich bekannt gemacht hat und damit in einem straffreien Konkubinat lebt.344 Zur Begründung zitiert Marcian das Argument Marcells, dass das Konkubinat generell außerhalb des strafrechtlich relevanten Rahmens stehe, da es in den einschlägigen leges namentlich bezeichnet worden sei.345 Durch die Anerkennung als ordentliches Rechtsinstitut ist für Marcell auch die Straflosigkeit entschieden, mag der Sachverhalt an sich auch unter den Tatbestand einer Strafnorm fallen.346 In allen übrigen Entscheidungen geht es Marcell um den mittlerweile verselbständigten Sinn und Zweck der jeweiligen Norm, wie er sich nach der typischen Interessenlage und anderen objektiven Kriterien darstellt. Die Unterscheidung zwischen subjektiv- und objektiv-teleologischer Auslegung kann am Beispiel eines Falls zur einschränkenden Auslegung der lex Falcidia besonders gut nachvollzogen werden: (H5) Marcell 242 = D  35.2.56.5 (22 dig)

Saepius evenit, ne emolumentum eius legis heres consequatur: nam si centum aureorum dominus viginti quinque alicui dedisset et eum instituerit heredem et dodrantem legaverit, nihil aliud sub occasione legis Falcidiae intervenire potest, quia vivus videtur heredi futuro providere.



Es geschieht öfters, dass der Erbe den Vorteil dieses Gesetzes nicht erlangt. Denn wenn der Eigentümer von 100 Goldstücken jemandem 25 gegeben hatte, diesen als Erben eingesetzt und [die verbliebenen] drei Viertel vermacht hat, kann nicht durch die Veranlassung der lex Falcidia etwas anderes eintreten,

343  Mommsen, Römisches Strafrecht II, S. 693 f. Fn. 2; Kaser, RP I, S. 328 Fn. 7; Grosse, Freie römische Ehe und nichteheliche Lebensgemeinschaft, S. 153; Eisenring, Die römische Ehe als Rechtsverhältnis, S. 61; Behrends, in: Behrends / Knütel, CIC IV, S. 342 Fn. 1. Anders Mette-Dittmann, Die Ehegesetze des Augustus, S. 140 mit dem wenig überzeugenden Argument, Augustus hätte nur das Heiraten und nicht auch außereheliche Beziehungen fördern wollen. 344  Zur Erstellung und möglichen Inhalten einer testatio vgl. Kaser, RP I, S.  231 ff. 345  Marcian formuliert die ratio zwar als eigene Aussage, der Hinweis auf Marcell bezieht sich aber ausdrücklich nur auf die Begründung und gerade nicht auf die Entscheidung. 346  In diesem Sinne übersetzt die Stelle auch Behrends, in: Behrends / Knütel, CIC IV, S. 342.



II. Rechtsfindung mittels Auslegung121 weil er angesehen wird, als habe er zu Lebzeiten für den zukünftigen Erben vorgesorgt.

Wenn der Erblasser seinem Erben schon zu Lebzeiten mindestens ein Viertel seines Vermögens geschenkt hat, stellt sich die Frage, ob dies bei der Anwendung der lex Falcidia berücksichtigt werden muss. Grundsätzlich geht die Berechnung der Quart von dem hinterlassenen Vermögen im Zeitpunkt des Todes des Erblassers und nach Abzug aller Erbschaftsschulden aus.347 Auch handelt es sich im vorliegenden Fall ersichtlich nicht um eine donatio mortis causa, sondern um eine unbedingte und unwiderruf­ liche Schenkung unter Lebenden.348 Demnach müsste dem Erben hier zusätzlich ein Viertel von den beim Eintritt des Erbfalls verbliebenen 75 Goldstücken zukommen. Marcell spricht sich jedoch gegen eine Anwendung des Gesetzes aus und verhilft damit dem vom Erblasser angestrebten, wirtschaftlichen Ergebnis zum Erfolg, wodurch zugleich auch die Mindestanforderungen des Gesetzes erfüllt werden: Dem Erben sollte von vornherein nur ein Viertel des ursprünglichen Vermögens verbleiben, während der Legatar den gesamten Rest bekommen sollte. Im Gegensatz zu den meisten anderen, die zivilrechtliche Erbfolge überlagernden Regelungen, ist die lex Falcidia eine Ausnahmevorschrift, die gerade nicht der Durchsetzung des Erblasserwillens dient, sondern den Grundsatz der Testierfreiheit einschränkt. In der vorliegenden Konstellation ist der Wille des Verstorbenen aber mit den Zielen des Gesetzgebers vereinbar, seine Korrektur also nicht mehr erforderlich. Marcell argumentiert ausdrücklich mit dem Sinn und Zweck der lex Falcidia, indem er die Schutz- und Vorsorgewirkung der Vorschrift zugunsten des Erben als primäre ratio legis herausstellt. Sein Zeitgenosse Gaius bemüht sich dagegen in seinen Institutionen, einen anderen Gesichtspunkt in den Vordergrund zu rücken: Seiner Meinung nach stellt das Gesetz die erste wirksame Maßnahme zum Schutz der Legatare vor der mit einer Ausschlagung verbundenen Unwirksamkeit des gesamten Testaments dar, welchen Zweck die beiden Vorgängerregelungen noch verfehlt hätten.349 Bei einem solchen Verständnis der Vorschrift hätte man auch im vorliegenden Fall die Anwendung für sinnvoll halten können. Doch mag dies auch den historischen Willen des Gesetzgebers zutreffend wiedergeben, kann die falzidische Quart trotzdem niemals mehr als ein Anreiz für den Erben gewesen sein, von seinem Recht zur Ausschlagung keinen Gebrauch zu machen. Die Vermächtnisnehmer dagegen sind vom Erblasser bewusst in eine schlechtere, von der Entscheidung des Erben abhängige Position gesetzt 347  Vgl.

IJ 2.22.2, 3. Abgrenzung vgl. Pap. D 39.6.42.1. 349  Gai 2.224–227. 348  Zur

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung

worden.350 Darüber hinaus verhindert der Prätor mit Hilfe des Edikts si quis omissa causa testamenti ab intestato possideat hereditatem, dass sich Erben, die zugleich als Intestaterben berufen wären, durch die Ausschlagung einen Vorteil verschaffen. Nach alledem ist es jedenfalls nicht abwegig, mit Marcell die Vermeidung der Ausschlagung aller Erben nicht als wichtigstes Ziel, sondern wohl eher als mittelbare Folge der Regelung zu verstehen. Das gesetzliche emolumentum351 soll nur verhindern, dass der Erbe durch die Belastungen zur Ausschlagung regelrecht gezwungen wird. Dafür hat im vorliegenden Fall bereits der Erblasser selbst gesorgt. Marcell reduziert also den Anwendungsbereich des Gesetzes aufgrund einer teleologischen Auslegung. Den Regelungszweck bestimmt er dabei objektiv unter Berücksichtigung der typischen Interessenlage zwischen Erblasser, Erben und Legataren. Drei weitere Texte drehen sich um die Bestimmung des Erbschaftswertes als Berechnungsgrundlage für die falzidische Quart: (H6) Marcell 240 = D  35.2.1.19 Paul leg Falc

De impensa monumenti nomine facta quaeritur, an deduci debeat. Et Sabinus ita deducendum putat, si necessarium fuerit monumentum extruere. Marcellus consultus, an funeris monumentique impensa, quantum testator fieri iussit, in aere alieno deduci debeat, respondit non amplius eo nomine, quam quod funeris causa consumptum est, deducendum. Nam eius, quod in extructionem monumenti erogatum est, diversam esse causam: nec enim ita monumenti aedificationem necessariam esse, ut sit funus ac sepultura. Idcirco eum, cui pecunia ad faciendum monumentum legata sit, Falcidiam passurum.



Es wird hinsichtlich der Aufwendungen, die wegen eines Denkmals gemacht worden sind, gefragt, ob abgezogen werden muss. Und Sabinus meint, es müsse nur insofern abgezogen werden, als es notwendig gewesen sei, das Monument zu errichten. Marcell hat, als er gefragt worden ist, ob die Aufwendungen für die Beerdigung und ein Denkmal bei den Schulden [in der Höhe], wie sie der Testator angeordnet hat, abgezogen werden müssten, geantwortet, dass diesbezüglich nicht mehr abgezogen werden dürfe, als was um der Beerdigung willen ausgegeben worden ist. Denn das, was für die Errichtung des Denkmals erbeten worden ist, habe einen anderen Grund. Der Bau eines Denkmals sei nämlich nicht ebenso notwendig wie die Beerdigung und das Grab. Deshalb werde derjenige, dem Geld zur Errichtung eines Denkmals vermacht worden sei, die [Kürzung der lex] Falcidia erleiden.

Für die Berechnung des Umfangs der falzidischen Quart müssen vom Wert des Erbschaftsvermögens im Todeszeitpunkt bestimmte Posten abge350  Das bestätigt auch Gaius selbst: vgl. D  35.2.73pr. a. E., wo er zudem auf die praxisrelevante Möglichkeit der Legatare hinweist, sich mit dem Erben zu vergleichen, um nicht völlig leer auszugehen; ähnlich auch Ulp. D  35.2.46. 351  Vgl. auch beneficium legis Falcidiae in Flor. D  35.2.90 und auxilium legis Falcidiae in Gord. C  6.50.11.



II. Rechtsfindung mittels Auslegung123

zogen werden. Neben den Erbschaftsschulden können dabei grundsätzlich auch die Begräbniskosten (impensa funeris) abgerechnet werden.352 Vorliegend geht es um die Frage, ob auch sogenannte impensa monumenti des Erben in Abzug gebracht werden können. Unter monumentum verstehen die römischen Juristen alles, was memoriae causa für die Nachwelt errichtet wird.353 Davon abzugrenzen ist das sepulchrum, in dem die menschlichen Überreste und die Reliquien liegen.354 Nach einem Reskript Hadrians zählen die Kosten für ein monumentum sepulchri nur insoweit zu den impensae funeris, als der Bau muniendi causa erfolgt, also unmittelbar dem Schutz und der Befestigung des Bestattungsortes dient.355 Nach Sabinus, den Paulus zunächst zitiert, kommt es auf die necessitas der Errichtung des Bauwerks an. Damit ist weder eine rechtliche Verpflichtung im Gegensatz zu einer nur moralischen Bindung gemeint356 noch die Erforderlichkeit des Baus zur Aufrechterhaltung der postmortalen dignitas des Erblassers je nach seiner sozialen Stellung angesprochen.357 Vielmehr zählt schon Labeo Aufwendungen für die Grabstätte mit der Begründung unter die impensa funeris causa, dass ein Bestattungsort für den Leichnam generell necessarius sei.358 Es geht also um die Abgrenzung von Kosten, die für die Bestattung objektiv notwendig sind, und sonstigen vom Testator veranlassten Aufwendungen. Nur die erste Kategorie soll so betrachtet werden, als mindere sie ebenso wie Erbschaftsschulden das hinterlassene Vermögen von vornherein. Insofern kann ein monumentum entsprechend seiner Eigenart im Einzelfall ganz oder auch nur teilweise umfasst sein.359 Marcellus betont in seiner Argumentation zunächst ausdrücklich die causa der in Frage stehenden Ausgaben. Abzugsfähig sind die Aufwendungen des Erben also nur insoweit, als sie causa funeris gemacht werden. Davon umfasst wären nach dem bisher Gesagten nicht nur die reinen Beisetzungs352  IJ 2.22.3. 353  Vgl.

Flor. D 11.7.42 und Ulp. D 11.7.2.6. D 11.7.2.5. Auch ein leeres monumentum kann durch entsprechende Nutzung jederzeit vom bloßen Scheingrab (Kenotaph) zu einem richtigen sepulchrum werden; vgl. Flor. D 11.7.42. 355  Vgl. Macer. D 11.7.37.1, der die Errichtung eines das Grab nur umrandenden Säulengangs als Beispiel für eine nicht umfasste Aufwendung anführt. 356  Ebenso Nicosia, Iura  8 (1957), S. 88 f. 357  Letzteres meint aber Paulus, Die Idee der postmortalen Persönlichkeit, S. 190. Mayer-Maly, FS Erler, S. 140 wiederum geht von einer größeren Erforderlichkeit im Sinne des Gemeinwohls aus. 358  Vgl. Ulp. / Lab. D  11.7.14.3. 359  A. A. Paulus, Die Idee der postmortalen Persönlichkeit, S. 192, der davon ausgeht, dass nach Sabinus entweder alle oder keine Monumentskosten abgezogen werden dürfen. 354  Ulp.

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung

kosten, sondern auch der Aufwand für die Errichtung eines sepulchrum und das, was muniendi causa gebaut wird. Dagegen beruht die exstructio (aedificatio) monumenti auf einer anderen causa. Marcell bezieht sich hier offenbar auf die bereits genannte Definition des Begriffs monumentum in seiner Funktion als reines Denkmal (memoriae causa). Anschließend greift auch er auf den Begriff der necessitas zurück und führt aus, dass die Errichtung eines solchen monumentum nicht in gleicher Weise erforderlich ist, wie es die eigentliche Bestattung und das Grab sind. Die Aufwendungen dafür können also jedenfalls nicht generell im vollen Umfang einbehalten werden.360 Indem er auf den Grad der Erforderlichkeit der Ausgaben rekurriert, argumentiert Marcell mit dem Sinn und Zweck der lex Falcidia: Aus der Rechnung sollen solche Posten von vornherein herausgehalten werden, die wie Erbschaftsschulden mit einer gewissen Notwendigkeit vom Nachlass abgehen, so dass dem Erben vom Rest noch ein Viertel für sich verbleibt. Ist diesem selbst die Errichtung eines monumentum aufgetragen worden, soll er aber nicht auch die memoriae causa anfallenden Kosten im Vorhinein abziehen dürfen. Am Ende der Stelle folgert Marcell noch weiter, dass auch dann, wenn der Testator einem Dritten zum Zwecke der Finanzierung eines Monuments Geld vermacht hat, dieses Legat der falzidischen Kürzungsregelung unterliegt. Anders wäre es bei der Aufforderung, mit dem vermachten Geld Schulden Dritter oder notwendige Begräbniskosten zu begleichen.361 Bei einem solchen Verständnis der Hauptstelle erscheint auch die im unmittelbar anschließenden Fragment enthaltene Aussage Marcells weder völlig aus dem Zusammenhang gerissen, noch als Widerspruch zu den bisherigen Ausführungen: Marcell 240 = D  35.2.2 (22 dig) Nec amplius concedendum erit, quam quod sufficiat ad speciem modicam monumenti. Und es darf [jedenfalls] nicht mehr zugestanden werden, als das, was für eine durchschnittliche Art von Denkmal ausreicht.

Vielmehr gibt er hier noch eine zusätzliche Höchstgrenze für die Berücksichtigung eines monumentum als impensa funeris causa vor: es darf auf keinen Fall mehr als der für ein durchschnittliches Denkmal erforderliche Betrag als notwendig und somit abzugsfähig betrachtet werden.362 Ergebnis ähnlich Rodger, SZ 89 (1972), S. 347 f. Iura 8 (1957), S. 92 meint dagegen, der letzte Teil müsse interpoliert sein; gegen ihn Rodger, SZ  89 (1972), S. 345 ff. und Paulus, Die Idee der postmortalen Persönlichkeit, S. 191. 362  Von einem nicht aufzulösenden Widerspruch geht dagegen Rodger, SZ 89 (1972), S. 344 f. aus. 360  Im

361  Nicosia,



II. Rechtsfindung mittels Auslegung

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Eine ganz ähnliche Problematik enthält der folgende Fall: (H7) Marcell 172 = D  35.2.54 (15 dig)

Pater filium, ex quo tres habebat nepotes, heredem instituit fideique eius commisit, ne fundum alienaret et ut in familia eum relinqueret: filius decedens tres filios scripsit heredes. Quaerendum est, an omnino quasi creditores unusquisque in ratione legis Falcidiae aliquid possit deducere, quia in potestate sua habuit pater, cui ex his potius relinqueret. Sed hac ratione nemo in Falcidiae ratione quicquam deducet. Quod videndum, ne dure constituatur: utique enim in alieno aere habuit fundum, necessitate quippe obstrictus fuisset filiis eum relinquendi.



Ein Vater hat seinen Sohn, von dem er drei Enkel hatte, als Erben eingesetzt und ihm fideikommissarisch auferlegt, ein Grundstück nicht zu veräußern und dieses in der Familie zu belassen. Der Sohn hat bei seinem Ableben seine drei Söhne als Erben benannt. Es ist zu untersuchen, ob jeder einzelne überhaupt etwas bei der Berechnung der lex Falcidia abziehen kann, so als wären sie Gläubiger, weil es der Vater in seiner Macht hatte, wem von ihnen er es lieber hinterließ. Nach dieser Überlegung würde aber keiner auch nur irgendetwas bei der Berechnung der Falcidia abziehen. Deshalb muss man zusehen, dass nicht streng entschieden wird: denn er hat das Grundstück jedenfalls insofern in fremder Schuld gehabt, als er ja durch die Notwendigkeit, dieses den Söhnen zu hinterlassen, [von vornherein] gebunden war.

Der spätere Erblasser ist im Testament seines Vaters durch ein Fideikommiss dazu aufgefordert worden, ein bestimmtes Grundstück nicht zu veräußern und dafür Sorge zu tragen, dass es im Vermögen der Familie verbleibt. Es stellt sich die Frage, ob die drei als Erben eingesetzten Söhne des Erblassers den Wert des Grundstücks bei der Ermittlung des ihnen hinterlassenen Vermögens in Abzug bringen können, so wie sie eine Schuld des Erblassers gegenüber einem beliebigen Gläubiger abziehen könnten.363 Spätestens seit der Regierungszeit von Severus Alexander (222–235 n. Chr.) können auch Schulden des Erblassers beim Erben selbst vor der Berechnung der falzidischen Quart vom Nachlass abgezogen werden, ungeachtet der beim Erbschaftsantritt eintretenden Konfusion.364 Die vorliegende Stelle zeigt, dass bereits Marcell von dieser Rechtslage ausgegangen sein muss.365 Problematisch ist aber die Art des vom Vater verfügten Fideikommisses. Seit einem senatus consultum unter Hadrian sind nicht nur Legate an personae incertae, sondern auch Fideikommisse, die nicht ausreichend bestimmt adressiert worden sind, unwirksam.366 Erlaubt sind allerdings solche letztwil3; Kaser, FG Sontis, S. 26 Fn. 64. C  6.50.6. 365  Impallomeni, BIDR 70 (1967), S. 49 meint dagegen, Marcell würde den Abzug der Quart gerade untersagen, weil es sich um aes aliena handele. 366  Gai 2.238, 287. 363  IJ 2.22.1, 364  Alex.

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung

ligen Verfügungen, die dem Erben nur die Wahl lassen, wem aus einer genau bezeichneten Gruppe er in welcher Höhe restituieren will, solange es nicht seiner Willkür überlassen ist, ob er überhaupt eine Leistung erbringen will, mithin eine necessitas dandi erzeugt wird.367 Dementsprechend begründet Marcell die Anwendung der Regelung auch ausdrücklich mit dem Argument, dass der Erblasser jedenfalls dazu verpflichtet war, es seinen Söhnen zu hinterlassen, mag es auch in seinem Belieben gestanden haben, zu welchen Anteilen.368 Die vom Erblasser ausgewählten Söhne werden dann bei seiner Rechtsnachfolge wie normale Gläubiger behandelt. Sie stehen also bei der Berechnung der lex Falcidia so, als wären sie bereits im Testament ihres Großvaters nominatim bedacht worden und hätten daraus von vornherein eine Forderung gegen ihren Vater gehabt.369 Ihr Anspruch war lediglich auf die Auswahl durch den Erblasser und dessen Versterben bedingt.370 Die dieser Lösung entgegenstehenden Ausführungen in Marcells Fragment sind dagegen als ratio dubitandi zu verstehen:371 Könnte man nicht auch sagen, dass kein Sohn etwas wie ein Schuldner abziehen darf, weil der Erblasser sich aussuchen konnte, welchem der Söhne er den fundus zu welchem Anteil zukommen lässt? Aus den genannten Gründen bezeichnet Marcell es jedoch als durus, mit einer derartigen Überlegung den Abzug generell zu verneinen, was zur Folge hätte, dass das Grundstück bis zu drei Vierteln seines Wertes mit Vermächtnissen belastet werden könnte. Weil er eine bestimmte testamentarische Formulierung als Versuch der Gesetzesumgehung wertet, kommt Marcell zu einer sinngemäßen Anwendung des SC Plancianum: 367  Gai. D  34.5.7.1: … nec enim in arbitrio eius qui rogatus est positum est, a n o m n i n o v e l i t re s t i t u e re , s e d c u i p o t i u s re s t i t u a t : plurimum enim interest, utrum in potestate eius, quem testator obligari cogitat, faciat, si velit dare, an post n e c e s s i t a t e m d a n d i solius distribuendi liberum arbitrium concedat. Die Entscheidung stellt also eine anerkannte Ausnahme von der Regelung des senatus consultum dar und nicht, wie Johnston, SZ  102 (1985), S. 247 meint, „a breach of the classical principle of incertae personae as found in Gaius“. 368  Zur Erfüllung des großväterlichen Fideikommisses hätte es auch genügt, wenn nur einer seiner Enkel Erbe geworden wäre und das Grundstück erhalten hätte. Ebenso entscheidet Marcian in D 30.114.17, 18; richtig Johnston, SZ  102 (1985), S. 240 Fn. 69. 369  In dieser Weise erklärt auch Papinian die Entscheidung in D 31.67.1: Si de Falcidia quaeratur, perinde omnia servabuntur a c s i n o m i n a t i m ei, qui postea electus est, primo testamento fideicommissum relictum fuisset: non enim f a c u l t a s n e c e s s a r i a e e l e c t i o n i s propriae liberalitatis beneficium est. 370  Vgl. auch Pap. D 31.67.2. 371  Johnston, SZ  102 (1985), S. 247 dagegen vermutet gerade darin die Entscheidung Marcells und muss daher eingestehen, dass ihm der Text „opaque“ erscheint.



II. Rechtsfindung mittels Auslegung127

(H8) Marcell 284 = D 30.123.1 (resp lib)

In testamento ita scriptum est: ‚Gaio Seio illud et illud heres meus dato. Et te rogo, Sei, fideique tuae mando, uti ea omnia quae supra scripta sunt reddas sine ulla mora ei redderes ipse‘. Quaero, an tacitum fideicommissum sit, cum personam testator, cui restitui vellet, testamento non significaverit. Marcellus respondit: si in fraudem legum tacitam fidem Seius accommodasset, nihil ei prodesse potest, si his verbis pater familias cum eo locutus esset: non enim ideo circumvenisse minus leges existimandus est, cum perinde incertum sit cui prospectum voluerit.



In einem Testament ist Folgendes geschrieben: „Mein Erbe soll dem Gaius Seius dies und jenes geben. Und ich bitte Dich, Seius, und trage deiner Treue auf, dass du alles das, was oben beschrieben worden ist, unverzüglich demjenigen zurückgibst, dem du es selbst [ohnehin] zurückgeben würdest.“ Ich frage, ob es sich um ein heimliches Fideikommiss handelt, da der Testator die Person, welcher erstattet werden soll, im Testament nicht bezeichnet hat. Marcell hat geantwortet: Wenn Seius unter Umgehung des Gesetzes ein heimliches Versprechen abgeleistet hat, kann es ihm nichts helfen, wenn der Hausvater mit solchen Worten zu ihm gesprochen hat. Er ist nämlich deswegen nicht weniger als jemand anzusehen, der die Gesetze umgeht, zumal es im selben Maße unsicher ist, für wen er Vorsorge treffen wollte.

Marcell wird gefragt, ob in dem zitierten Testamentswortlaut ein sogenanntes tacitum fideicommissum zu sehen ist und damit eine fraus legis vorliegt. Ausgangspunkt der Überlegungen ist die durch das senatus consultum Pegasianum angeordnete Übertragung der Verfügungsverbote der lex Iulia et Papia auf Fideikommisse an bestimmte Personen wie Unverheiratete oder Kinderlose. Der Wortlaut dieser Vorschrift setzt voraus, dass ein solches Fideikommiss in einem Testament oder Kodizill ausgesetzt worden ist.372 Die Juristen bringen sie allerdings auch zur Anwendung, wenn sich der Belastete außerhalb eines Testaments domestica cautione vel chirographo zur Leistung eines Fideikommisses an eine gesetzlich ausgeschlossene Person verpflichtet, also ein tacitum fideicommissum vereinbart.373 Die Umgehung gesetzlicher Regelungen durch ein Handeln, das trotz Einhaltung der formellen Voraussetzungen gegen die ratio legis verstößt, wird generell einem unmittelbaren Gesetzesverstoß gleichgestellt.374 Obwohl es demnach für die Wirksamkeit des Fideikommisses nicht darauf ankommt, muss dennoch die Unterscheidung zwischen unmittelbarem Gesetzesverstoß und fraus legis getroffen werden, weil die vindicatio cadu372  Vgl. Gai 2.286a; ebenso Johnston, The Roman law of trusts, S. 45 f.; Zülch, Der liber singularis responsorum, S. 123. 373  Iul. D 30.103, Gai. D 34.9.10pr. 374  Paul. D 1.3.29: Contra legem facit, qui id facit quod lex prohibet, in fraudem vero, qui salvis verbis legis sententiam eius circumvenit; ähnlich Ulp. D 1.3.30.

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung

corum nach der Regelung des senatus consultum Plancianum dem sich verpflichtenden Seius bei einem geheimen Versprechen nicht zukommen würde, während er bei einem unwirksamen, aber offen verfügten Fideikommiss die bona caduca herausverlangen könnte.375 In dem Marcell vorgelegten Fall liegt aber weder ein echtes tacitum fideicommissum vor, da die fragliche Verfügung nicht in mündlicher oder privatschriftlicher Form, sondern gerade in einem Testament getroffen ist, noch ist die Formulierung unmittelbar contra legem, nur weil der Begünstigte der von Seius erbetenen Leistung nicht namentlich genannt wird. Seius hat offenbar zunächst heimlich dem Erblasser die Leistung an einen Dritten versprochen (tacitam fidem Seius accommodasset). Diese fraus hätte durch ein nachträgliches palam fideicommissum im Testament wieder geheilt werden können.376 In der Urkunde selbst nimmt der Erblasser aber nur noch Bezug auf das ältere Versprechen, indem er den Seius bittet, das zu leisten, was dieser ohnehin leisten würde (redderes ipse).377 Marcell geht in seiner Argumentation daher vom Telos der Vorschrift aus und leitet daraus die Anwendbarkeit auf diesen untypischen Fall ab: Das tacitum fideicommissum ist verboten worden, da nicht überprüft werden kann, ob der Fideikommissar ein vom Gesetz zugelassener Empfänger ist. Die Beurteilung der Offenkundigkeit erfolgt aus Sicht der Zuhörer beim Vortragen des Urkundeninhalts anlässlich der Testamentseröffnung.378 In der vorliegenden Konstellation liegt zwar eine explizite Verfügung des Testators vor, es handelt sich jedoch ebenso wie bei den üblichen Fällen des tacitum fideicommissum um eine fraus legis, weil aus der Testamentsurkunde nicht zu erkennen ist, wem Seius sich verpflichtet hat.379 Marcell betont, dass der Wortlaut des Testaments dem Seius nicht zugutekommen soll, weil er gerade kein palam fideicommissum im Sinne 375  Zülch, Der liber singularis responsorum, S. 125 f. unter Verweis auf UE 25.17 i. V. m. Mod. D  35.2.59.1. 376  Dies hat bereits Hadrian in einem Reskript zugelassen: vgl. Call. D 49.14.3.1. 377  Ebenso Zülch, Der liber singularis responsorum, S. 127. 378  Vgl. Paul. D 49.14.40pr.: … non enim est palam relinquere, quod ex testamento sciri non potest, cum recitatum est; entgegen Zülch, Der liber singularis responsorum, S. 128 ist der letzte Satz daher auch kein „Rückschritt gegenüber der Antwort Marcells“ und auch nicht „in sich unschlüssig“; für die inhaltliche Unbedenklichkeit auch Nardi, I casi di indegnità, S. 128 Fn. 3; Liebs, SZ 120 (2003), S. 254. 379  Entgegen der Ansicht von Zülch, Der liber singularis responsorum, S. 128 und Liebs, SZ  120 (2003), S. 253 f. ist das perinde ohne Vergleichspartikel zwar selten aber nicht verdächtig: vgl. Pomp. D  1.2.2.11, Ulp. D  16.1.8.14, D  25.3.5.25, D 27.8.1.3, D 43.3.1.2, D 43.17.4. Johnston, The Roman law of trusts, S. 51 versteht das Argument so, dass es für die Umgehung des Gesetzes nicht darauf ankommen soll, ob der durch die fraus Begünstigte bekannt ist oder nicht, muss dafür aber cum perinde mit „just because“ übersetzen.



II. Rechtsfindung mittels Auslegung129

des senatus consultum Plancianum darstellt.380 Da die untersuchte Formulierung also zum gleichen Ergebnis wie ein völliges Verschweigen der Verfügung führt, ist die Anwendung des Senatsbeschlusses gerechtfertigt. Angesichts der durch Rechtsgeschäft drohenden Umgehung der lex Papia Poppaea beschäftigt sich Marcell mit der Reichweite der gesetzlich geschützten verecundia: (H9) Marcell 245 = D  39.5.20pr. (22 dig)

Si patronus ex debita parte heres instituatur et libertus fidei eius commisit, ut quid daret, et hoc stipulanti fideicommissario promiserit, non erit cogendus solvere, ne pars ex legibus verecundiae patronali debita minuatur.



Wenn der Patron auf den geschuldeten Anteil zum Erben eingesetzt wird und der Freigelassene ihm fideikommissarisch auferlegt hat, dass er irgendetwas leisten soll, und er ebendies dem stipulierenden Fideikommissar versprochen hat, darf er nicht gezwungen werden, zu erfüllen, damit der nach den Gesetzen der Patronatshochachtung geschuldete Anteil nicht vermindert wird.

Ein Freigelassener muss nach einer Regelung der lex Papia Poppaea, die eine Erweiterung des Edikts de bonis libertorum darstellt, bei seinem Tod seinem Patron einen bestimmten Pflichtteil (debita portio) hinterlassen, der in seiner Höhe von der Anzahl der mitberechtigten liberi abhängig ist.381 Belastet der libertus diesen Anteil in seinem Testament mit einem Fideikommiss, kann der Patron gegenüber dem Fideikommissar ein Zurückbehaltungsrecht geltend machen.382 Außerdem kann der Freilasser den nicht geschuldeten Erbschaftsteil ohne Weiteres kondizieren, wenn er ihn aufgrund eines Irrtums geleistet hat.383 Vor diesem Hintergrund entscheidet Marcell, dass einem Patron, der sich per Stipulation dazu verpflichtet hat, auch seine debita portio ganz oder teilweise zu restituieren, die Möglichkeit unbenommen bleibt, diesen Anteil nicht zu erfüllen.384 Nach dem überlieferten Wortlaut fehlt jeglicher Hinweis darauf, dass es Marcell hier um ein Versprechen gehen könnte, das auf irgendeinem Irrtum beruht.385 Vielmehr geht es um eine Art Widerruf der vom Patron ganz bewusst geäußerten Willenserklärung, auf die der Fidei380  So hat später auch Paulus in D  49.14.40pr. entschieden. Anders Call. / Iul. D 49.14.3pr.; dazu Harke, AI–AS, S. 250 f. 381  Gai 3.41  f.; dazu Lenel, Das edictum perpetuum, S. 350 ff.; Kaser, RP I, S.  708 f. 382  Iul. D 36.1.28.13; Marcel. D 31.28 (K3). 383  Vgl. Paul. D 36.1.62. 384  Anderer Meinung ist er bei einem stipulationsweisen Verzicht auf die falzidische Quart; vgl. D  39.5.20.1 (D3). 385  Anders Schwarz, SZ 68 (1951), S. 293 f. Fn. 84, der von einem ausnahmsweise beachtlichen Rechtsirrtum ausgeht.

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung

kommissar vertraut hat. Ob Marcell darin jedoch eine Schenkung sieht oder zumindest entsprechende Bestimmungen anwenden will, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden.386 Jedenfalls zeigt seine Argumentation mit der verecundia patronalis, dass er keinen Fall der exceptio legis Cinciae behandelt:387 Marcell stellt heraus, dass die lex Papia dem Schutzherrn seinen Pflichtteil als Ausdruck der Patronatshochachtung und der moralischen Verbundenheit des Freigelassenen sichern soll.388 Aus diesem Gesetzeszweck schließt er, dass der Fideikommissar keinen durchsetzbaren Anspruch auf Herausgabe des Pflichtteils gegen den Patron erwerben soll, auch wenn dieser ihm versprochen hat, den letzten Willen des libertus vollständig zu erfüllen. Denn obwohl der Patron über das ihm zustehende Vermögen nach Belieben verfügen kann, gebietet doch sein besonderer Status, dass seine Leistungszusage frei widerruflich bleibt.389 In einer Entscheidung zur Unterhaltsverpflichtung scheint er das in einem kaiserlichen Reskript390 implizierte Regel-Ausnahme-Verhältnis korrigieren zu wollen: (H10) Marcell 270 = D  25.3.8 (1 Iul et Pap)

Non quemadmodum masculorum liberorum nostrorum liberi ad onus nostrum pertinent, ita et in feminis est: nam manifestum est id quod filia parit non avo, sed patri suo esse oneri, nisi pater aut non sit superstes aut egens est.



So wie uns für die Kinder unserer männlichen Abkömmlinge die Unterhaltslast trifft, ist es nicht auch bei den [Kindern unserer] weiblichen [Abkömmlinge]. Denn es ist offensichtlich, dass das [Kind], welches eine Tochter ge-

386  Dafür spricht jedenfalls der palingenetische Zusammenhang der Stelle mit Marcel. D 41.6.2; vgl. Lenel, Palingenesia I, Sp. 629. 387  So aber Dulckheit, FS Koschaker II, S. 347 und Manthe, SC Pegasianum, S. 200 f., die den letzten Halbsatz daher für einen nachklassischen Zusatz halten. Dass der angeblich erst von Papinian in den juristischen Sprachgebrauch eingeführte Begriff verecundia auch von Marc Aurel verwendet worden ist, zeigt das Zitat bei Call. D 48.7.7; dazu Mayer-Maly, Estudios Iglesias I, S. 380 ff. Für die Echtheit der Passage sind auch Archi, Studi Arangio-Ruiz III, S. 386 und Sicari, Leges venditionis, S. 259 ff. 388  Auch Mayer-Maly, Estudios Iglesias I, S. 377 f. betont den gesellschaftspolitischen Zweck der Vorschrift, der über die Vermögensinteressen des einzelnen Patrons hinausgeht. 389  Dazu passt auch, dass das nach der Überlieferung erste echte Schenkungswiderrufsrecht von Kaiser Phillippus Mitte des 3. Jh. n. Chr. gerade zugunsten des patronus gegenüber seinem libertus ingratus angeordnet worden ist: C  8.55.1pr., Vat 272. 390  Hierbei handelt es sich zwar um eine Einzelfallentscheidung, die den Regelungen des Juristenrechts nahe steht, der Autoritätsunterschied und der erhöhte Abstraktionsgrad rechtfertigen es jedoch, das Reskript als gesetzesgleiche Vorschrift einzuordnen. Dies ist jedoch nicht pauschal für alle kaiserlichen Falllösungen anzunehmen; vgl. Babusiaux, Papinians quaestiones, S. 59.



II. Rechtsfindung mittels Auslegung131 bärt, nicht dem Großvater, sondern seinem Vater zur Last fällt, außer wenn der Vater entweder verstorben oder bedürftig ist.

Das zu Marcells Zeiten noch im Entstehen begriffene Unterhaltsrecht verpflichtet den pater familias grundsätzlich zur Versorgung seiner männlichen und weiblichen Abkömmlinge und deren Kinder, sowie umgekehrt die Kinder zur Unterstützung bedürftiger Eltern und Großeltern.391 Sobald eine Haustochter allerdings durch Heirat in eine andere Familie übergetreten ist, geht auch die Unterhaltssorge auf ihren Ehemann über.392 Daher kann sich Marcell damit begnügen, es als manifestus zu bezeichnen, dass sich auch die aus dieser Verbindung entstammenden Kinder nur noch an ihren eigenen Vater und nicht mehr an die männlichen Vorfahren der Frau halten dürfen. Er schränkt damit den Grundsatz von der Unterhaltspflicht des Großvaters ein, der zuvor in einem Reskript des Antoninus Pius festgehalten worden ist.393 Wegen der vorrangigen Unterhaltspflicht des Ehemanns der Mutter kann diese Regelung nach ihrem Sinn und Zweck nur bei dessen Tod oder Bedürftigkeit relevant werden.394 Aus dem Bereich des Familienrechts stammt auch eine Entscheidung zu den Grenzen der vom Zwölftafelgesetz vorgeschriebenen Pflegschaft von Geisteskranken: (H11) Marcell 4 = D 27.10.12 (1 dig)

Ab adgnato vel alio curatore furiosi rem furiosi dedicari non posse constat: adgnato enim furiosi non usquequaque competit rerum eius alienatio, sed quatenus negotiorum exigit administratio.



Es steht fest, dass die Sache eines Geisteskranken nicht von einem Verwandten im Mannesstamm oder einem anderen Pfleger eines Geisteskranken geweiht werden kann. Denn einem Verwandten im Mannesstamm des Geisteskranken steht die Veräußerung von dessen Sachen nicht schlechthin zu, sondern nur insoweit, als die Vermögensverwaltung es verlangt.

Die Befugnisse und Pflichten eines curator furiosi sind rudimentär bereits in einem Satz des Zwölftafelgesetzes geregelt: Die potestas umfasst neben 391  Die Entwicklung geht offenbar hauptsächlich auf Antoninus Pius und die divi fratres zurück; vgl. C  5.25.1–3, Ulp. D  25.3.5.5–7,9,14; Kaser / Knütel, Römisches Privatrecht, S. 333. 392  Ebenso Sachers, FS Schulz, S. 321 f. und Paulys RE 43, Sp. 1116. Dem Familienunterhalt dienen insbesondere die Früchte der Mitgift; vgl. Marcel. D 23.3.59.1 (S4), Tryph. D 23.3.76. 393  Ulp. D 25.3.5.5: Item divus Pius significat, quasi avus quoque maternus ­alere compellatur. 394  Entgegen Sachers, FS Schulz, S. 322 Fn. 4 und der dort zitierten alten Literatur besteht kein Grund, den einschränkenden Schluss nicht für klassisch zu halten; vgl. auch Divi Fr. C  5.25.2: Competens iudex a filio te ali iubebit, si in ea facultate est, ut tibi alimenta praestare possit.

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung

der Personenpflege auch die allgemeine Vermögensverwaltung.395 Zu diesem Zweck ist der Pfleger grundsätzlich zur Veräußerung von Mündelsachen und sonstigen rechtsübertragenden Handlungen berechtigt.396 Davon soll nach Marcell jedoch die Weihung einer Sache des Geisteskranken ausgenommen sein. Durch eine vom privaten Eigentümer persönlich ausgeführte dedicatio wird die betroffene Sache in eine Art Eigentum der sakralen Gottheit übertragen und die Verwendung für profane Zwecke als Sakralverbrechen (nefas) geahndet.397 Zwar handelt es sich bei einer solchen Beeinträchtigung des Eigentums eines furiosus um eine vom Wortlaut des Gesetzes umfasste Vermögensverfügung. Durch die Auslegung der Vorschrift kommt Marcell jedoch zu dem Ergebnis, dass nach ihrem Telos der Pfleger das Eigentum des Geschäftsunfähigen nicht beliebig veräußern darf, sondern nur, wenn es im Rahmen der administratio negotiorum erforderlich ist. Unentgeltliche Veräußerungen müssen daher eine besondere utilitas furiosi zum Zweck haben.398 Aus diesem Grund lehnt Marcell eine Subsumtion der sakralen Handlung unter den Tatbestand der pflichtgemäßen Vermögensverwaltung ab. Abschließend ist noch eine Falllösung aus dem Bereich des Minderjährigenrechts zu betrachten: (H12) Marcell 249 = D 18.7.4 (24 dig)

Si minor viginti annis servum tibi in hoc vendiderit et tradiderit, ut eum manumitteres, nullius momenti est traditio, quamquam ea mente tradiderit, ut, cum viginti annos ipse explesset, manumitteres: non enim multum facit, quod distulit libertatis praestationem: lex quippe consilio eius quasi parum firmo restitit.



Wenn ein noch nicht Zwanzigjähriger dir einen Sklaven dazu verkauft und übergeben hat, damit du diesen freilässt, ist die Übereignung zu keinem Zeitpunkt wirksam, wenn er auch in der Absicht übereignet hat, dass du [ihn] freilassen sollst, wenn er selbst zwanzig Lebensjahre vollendet hat. Denn es macht nicht viel aus, dass er die Gewährung der Freiheit aufgeschoben hat. Das Gesetz steht ja seinem Entschluss entgegen, weil er nicht hinreichend zuverlässig ist.

Die augusteische lex Aelia Sentia aus dem Jahre 4 n. Chr. verbietet einem minor viginti annis die Freilassung seiner Sklaven. Wenn er den Sklaven allerdings nicht selbst freilässt, sondern mit dem Ziel veräußert, dass der 395  XII  T.  5.7a: SI FURIOSUS ESCIT, ADGNATUM GENTILIUMQUE IN EO PECUNIAQUE EIUS POTESTAS ESTO; Kaser, RP I, S. 90 f., 371 f. 396  Gai 2.64; dazu Saas, Die Behandlung der Geisteskranken, S. 94 ff. 397  Kaser, RP I, S. 378 m. Fn. 22. 398  Ebenso Solazzi, SDHI  16 (1950), S. 269. Vgl. auch Gai. D  27.10.17, wonach eine schenkweise Veräußerung nur zugelassen wird, wenn der tutor ex magna utilitate furiosi handelt.



II. Rechtsfindung mittels Auslegung133

volljährige Erwerber den Sklaven freilassen soll, kann das Gesetz nicht unmittelbar eingreifen. Nach einem Bericht Julians hat sich bereits Proculus mit einer Freilassung unter bewusster Umgehung der lex Aelia Sentia auseinandergesetzt.399 Dem Frühklassiker zufolge stellt die an sich statthafte Freilassung durch den volljährigen Erwerber des Sklaven eine fraus legis dar und ist daher unwirksam. Marcell setzt schon bei dem Veräußerungsgeschäft des Minderjährigen selbst an und erklärt es für gesetzeswidrig und daher nichtig. Erst durch diese Vorverlagerung des Anknüpfungspunktes werden auch Konstellationen erfasst, in denen die manumissio nach einer vertraglichen Bestimmung nicht vor dem Zeitpunkt der Volljährigkeit des Veräußerers erfolgen soll.400 Nach der Ansicht der älteren Juristen wäre dieser Fall zumindest zweifelhaft. Marcell gelangt ein weiteres Mal zu seiner Interpretation, indem er das Telos der gesetzlichen Bestimmung ermittelt. Weil danach gerade das consilium des minderjährigen Verkäufers als parum firmum anzusehen ist,401 muss es zu seinem Schutz auf den Moment der Veräußerung ankommen, durch den der Minderjährige das Geschehen aus der Hand gibt. 2. Interpretation von Honorarrecht a) Ratio edicti Nur etwa 30 Jahre vor Marcells Hauptwirkungszeit hatte Julian auf Anordnung Kaiser Hadrians die über Jahrhunderte hinweg gesammelten Edikte der Prätoren und kurulischen Ädilen zusammengeführt und in die Form des sogenannten edictum perpetuum gefasst. Eine seiner Hauptaufgaben sah daher auch Marcell darin, weiter an den Details der in diesem Korpus zu findenden Grundsätze zu feilen. So konnte bereits gezeigt werden, dass er in 16 Entscheidungen den Gebrauch honorarrechtlicher Ermessensbegriffe und sonstiger kritischer Merkmale veranschaulicht.402 Dazu kommen sechs Texte, in denen er den Anwendungsbereich des Edikts durch Auslegung der tradierten Tatbestände ausweitet. Seine Vorgehensweise bei der Ermittlung des ausschlaggebenden Interpretationskriteriums kann wiederum an einer Stelle verdeutlicht werden, an der Marcell den Zweck einer Regelung erläutert, ohne einen konkreten Sachverhalt darunter zu subsumieren. Hier zeigt sich eine besondere Rücksicht auf Praxis und Prozessökonomie: D  40.9.7.1; dazu Benke, TR  57 (1989), S. 284 f. Fascione, Fraus legi, S.  136 ff. 401  Diese Formulierung findet sich wieder in Ulp. D 4.4.1pr.: … inter omnes constet fragile esse et infirmum huiusmodi aetatium consilium; vgl auch Gai. D  40.2.25. 402  C1–11 und F1–5. 399  Iul. / Proc. 400  Ebenso

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung

Marcell 258 = D  28.8.10 (28 dig) Si plures gradus sint heredum institutorum, per singulos observaturum se ait ­praetor id quod praefiniendo tempore deliberationis edicit, videlicet ut a primo quoque ad sequentem translata hereditate quam primum inveniat successorem, qui possit defuncti creditoribus respondere. Wenn es mehrere Grade von eingesetzten Erben gibt, sagt der Prätor, dass er bei jedem einzelnen das beachten werde, was er im Edikt zur Festsetzung der Bedenkzeit anordnet, freilich damit er auch durch die Übertragung der Erbschaft vom ersten zum nachfolgenden [Erben] möglichst bald einen Nachfolger findet, der sich vor den Gläubigern des Verstorbenen verantworten kann.

Wenn ein Schuldner verstirbt, können sich die Nachlassgläubiger durch Veranlassung einer interrogatio in iure Sicherheit darüber verschaffen, wer ihnen als Rechtsnachfolger haftet und zu welcher Quote.403 Hierzu werden die in Frage kommenden Personen vom Prätor geladen und zu ihrer Erbenstellung befragt, wobei die gegebenen Antworten unabhängig von der wahren Sachlage Bindungswirkung entfalten.404 Die Befragten haben aber die Möglichkeit, sich vom Prätor ein befristetes ius deliberandi auszubitten.405 Bleiben sie bis zum Ablauf dieser Bedenkzeit untätig, werden sie endgültig so gestellt, als hätten sie die Erbenstellung verneint und es kann der Nächstberufene geladen werden. Marcell berichtet, dass im Edikt an entsprechender Stelle die Gewährung einer Deliberationsfrist für jeden einzelnen in der Reihenfolge der gradus geregelt ist.406 Sodann ergänzt er das aus seiner Sicht naheliegende Ziel dieser Regelung: Will der Magistrat den Interessen aller Gläubiger gerecht werden, muss er auch bei Testamenten mit mehreren Ersatzerbeneinsetzungen so schnell wie möglich einen haftenden Rechtsnachfolger finden können.407 Daher ist es sachdienlich, die Betroffenen nacheinander zu einer zeitnahen und verbindlichen Entscheidung zu zwingen, so dass die Gläubi403  Gai 2.167, Kaser / Hackl, RZ, S. 391; Spengler, Studien zur interrogatio in iure, S.  31 ff. 404  Vgl. Ulp. D 11.1.4pr.; ebenso Spengler, Studien zur interrogatio in iure, S. 33; ihm folgend Hackl, SZ  115 (1998), S. 589. Anders Rainer, Iura  45 (1994), S. 187, nach dem auf diese Weise nur die Frage der Passivlegitimation entschieden wurde. 405  Gai. D  11.1.5, Ulp. D  28.8.1.1, Diocl. C  6.30.9. 406  Lenel, Das edictum perpetuum, S. 418. 407  So versteht die Stelle auch Demelius, Die confessio, S. 270. Entgegen Spengler, Studien zur interrogatio in iure, S. 36 Fn. 6, der sich insofern zu Unrecht auf Demelius beruft, ist mit creditoribus respondere gerade nicht die Antwort bei einer zukünftigen interrogatio gemeint. Vielmehr soll diese möglichst schnell abgeschlossen werden, um Sicherheit für die Gläubiger zu schaffen; vgl. auch die Übersetzung des Ausdrucks mit „Genüge leisten“ bei Heumann / Seckel, Handlexikon, S. 514.



II. Rechtsfindung mittels Auslegung

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ger auch über Stellung und Quoten der Substituten so bald wie möglich Gewissheit erlangen können. b) Ediktsauslegung mit induktivem Schwerpunkt Um einen bisher nicht geregelten Sachverhalt einem wertungsmäßig passenden Ediktstatbestand zuzuordnen, greift Marcell in seinen notae ad Iuliani digesta zweimal auf einen vergleichbaren Sachverhalt zurück, der direkt unter die Vorschrift fällt: (J1) Iul 481 = D  34.3.5.2 Ulp 23 Sab

Idem Iulianus eodem libro scripsit, si filius familias debitor fuerit et patri eius fuerit liberatio relicta, patrem pacto liberandum esse, ne etiam filius liberetur. Et parvi, inquit, refert, si sit aliquid in peculio die legati cedente necne: securitatem enim pater per hoc legatum consequitur: maxime, inquit, cum rei iudicandae tempus circa peculium spectetur. Huic patri similem facit Iulianus maritum, cui uxor post divortium liberationem dotis legavit: nam et hunc, licet die legati cedente solvendo non sit, legatarium esse: et utrumque ait solutum repetere non posse. Sed est verius quod Marcellus notat patrem petere posse (nondum enim erat debitor, cum solveret), maritum non posse, quod debitum solvit. Patrem enim etsi quis debitorem existimaverit, attamen loco esse condicionalis debitoris, quem solutum repetere posse non ambigitur.



Ebenso hat Julian im selben Buch geschrieben, dass, wenn ein Haussohn Schuldner war und seinem Vater die Befreiung hinterlassen worden ist, der Vater durch eine formlose Vereinbarung befreit werden müsse, damit nicht auch der Sohn befreit werde. Und es macht wenig Unterschied, hat er gesagt, ob im Moment des Anfalls des Legats etwas im Sondergut ist oder nicht. Der Vater erlangt nämlich durch dieses Vermächtnis eine Sicherheit. Insbesondere deshalb, hat er gesagt, weil hinsichtlich des Sonderguts der Zeitpunkt des Urteilsspruchs betrachtet wird. Julian setzt diesem Vater einen Ehemann gleich, dem die Ehefrau nach der Scheidung die Befreiung von der Mitgift vermacht hat. Denn auch dieser sei Vermächtnisnehmer, möge er auch im Moment des Anfalls des Legats nicht zahlungsfähig sein. Und er sagt, dass beide das Geleistete nicht zurückfordern könnten.



Aber es ist richtig, was Marcell anmerkt, dass der Vater fordern könne (er war nämlich noch nicht Schuldner, als er leistete), der Ehemann jedoch nicht, weil er eine Schuld erfüllt hat. Der Vater sei nämlich, wenn irgendjemand ihn auch als Schuldner betrachtet habe, dennoch nur an der Stelle eines bedingten Schuldners, der zweifellos das Geleistete zurückfordern könne.

Julian stellt in seinen Digesten zwei ähnliche Fälle letztwilliger Verfügungen gegenüber: das durch den Gläubiger eines filius familias angeordnete Vermächtnis, welches auf die Befreiung des Vaters von seiner adjektizischen Haftung gerichtet ist und das Vermächtnis einer Ehefrau nach der Scheidung, welches die Befreiung des Ehegatten von der Mitgiftrückzahlung bewirken

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung

soll. Im ersten Fall ist nach Julian die Befreiung des Vaters durch ein pactum de non petendo zu bewirken, weil nicht anzunehmen ist, dass der Testator durch das Vermächtnis auch die Haftung des Sohnes beseitigen wollte, wie es bei einer acceptilatio der Fall wäre.408 Die zusätzliche Feststellung, dass dies unabhängig davon gilt, ob sich am dies cedens überhaupt etwas im peculium befindet oder nicht, begründet Julian ausführlich mit drei Argumenten: Der Vater habe durch das Vermächtnis eine Sicherheit erlangt. Zudem sei der entscheidende Zeitpunkt für die Berechnung des Sonderguts ohnehin erst die Urteilsfällung. Und schließlich verhalte es sich ebenso im besagten Vergleichsfall: Der Ehemann sei nämlich auch unabhängig von seiner Zahlungsfähigkeit am dies cedens durch das Vermächtnis begünstigt worden. Marcells Kritik bezieht sich aber auf keinen der bis dahin erörterten Punkte, sondern erst auf die von Julian zuletzt getroffene Aussage, dass weder der pater familias noch der maritus eine Rückforderung von bereits getätigten Zahlungen verlangen könne.409 Unstrittig ist zunächst die Haftung eines Ehemanns nach der actio rei uxoriae, die ja auf den Bestand seines Vermögens im Urteilszeitpunkt beschränkt ist.410 Hat er seiner geschiedenen Frau etwas über das id quod facere potest hinaus geleistet, kann er sich nach einhelliger Ansicht der klassischen Juristen dennoch nicht auf die condictio indebiti berufen, da er auf eine zu diesem Zeitpunkt bestehende und fällige Schuld geleistet hat.411 Das später sogenannte beneficium competentiae ist nämlich nur eine mittelbare Haftungsbegrenzung durch Beschränkung der Urteilssumme (taxatio), die die eigentliche Obligation nicht beeinträchtigt.412 Zu einem anderen Ergebnis gelangt Marcell allerdings, wenn der Vater die Schuld seines Sohnes beglichen hat, obwohl er im Zeitpunkt seiner Zahlung wegen der Begrenzung der Haftung durch den Bestand des Sonderguts nicht hätte belangt werden können. Seiner Ansicht nach hat der Vater im Gegensatz zum Ehegatten durchaus auf eine nicht bestehende Schuld geleistet und kann damit einen bereicherungsrechtlichen Rückzahlungsanspruch geltend machen. Julian dagegen nimmt die Unabhängigkeit des Umfangs der Pekuliarschuld von der Werthaltigkeit des peculium an, wonach der Vater nur auf eine nicht einklagbare obligatio naturalis und nicht auf ein indebitum geleistet hätte.413 Mar408  Vgl. zur Abgrenzung insb. Ulp. / Iul. D 34.3.5pr., 1, 3; dazu eingehend Rastätter, Marcelli notae ad Iuliani digesta, S.  139 f. m. w. N. 409  So zu Recht Rastätter, Marcelli notae ad Iuliani digesta, S. 140 ff. gegen die ältere Literatur; ihm folgend Kroppenberg, Die Insolvenz, S. 137. 410  Vgl. Ulp. D 24.3.12, D 42.1.17. 411  So auch Ulp. D 12.6.9. 412  Litewski, Studi Volterra IV, S. 471 f., 476 ff.; Kaser / Hackl, RZ, S. 316 m. Fn. 35. 413  Vgl. auch Ulp. D 12.6.11; dazu Solazzi, BIDR 20 (1908), S. 13 ff.; Rastätter, Marcelli notae ad Iuliani digesta, S. 144 m. Fn. 143; Backhaus, SZ 101 (1984),



II. Rechtsfindung mittels Auslegung137

cell begründet seine abweichende Entscheidung damit, dass der Vater bezüglich seiner Haftung aus dem Pekulium loco condicionalis debitoris stehe.414 Die Erfüllung einer Schuld, deren Bedingung noch in der Schwebe ist, löst zweifellos einen Rückzahlungsanspruch im Sinne der condictio indebiti aus.415 Für Marcell hängt also das Bestehen der Forderung selbst vom Umfang des peculium ab, als ob sie auf dessen Werthaltigkeit bedingt worden wäre. Er stellt dem aus seiner Sicht ungeeigneten Vergleich Julians einen anderen gegenüber, um seine Interpretation des ‚dumtaxat de peculio‘ im Wortlaut des Edikts quod cum eo, qui in aliena potestate est als quasi condicio zu erleichtern.416 An anderer Stelle kommt Marcell durch einen drastischen Vergleich zum Zugeständnis einer honorarrechtlichen actio in vollem Umfang: (J2) Iul 164 = D 13.4.2.7 Ulp 27 ed

Idem Iulianus tractat, an is, qui Ephesi sibi aut Titio dari stipulatus est, si alibi Titio solvatur, nihilo minus possit intendere sibi dari oportere. Et Iulianus scribit liberationem non contigisse atque ideo posse peti quod interest. Marcellus autem et alias tractat et apud Iulianum notat posse dici et si mihi alibi solvatur, liberationem contigisse, quamvis invitus accipere non cogar: plane si non contigit liberatio, dicendum ait superesse petitionem integrae summae, quemadmodum si quis insulam alibi fecisset quam ubi promiserat, in nihilum liberaretur. Sed mihi videtur summae solutio distare a fabrica insulae et ideo quod interest solum petendum.



Julian behandelt ferner die Frage, ob derjenige, der sich versprechen lassen hat, dass ihm oder dem Titius in Ephesus geleistet werde, wenn dem Titius andernorts gezahlt wird, nichtsdestoweniger beanspruchen könne, dass ihm geleistet werden müsse. Und Julian schreibt, dass keine [vollständige] Befreiung eingetreten sei und daher verlangt werden könne, was das Interesse ist.



Marcell aber behandelt die Frage auch bei anderer Gelegenheit und merkt bei Julian an, man könne sagen, dass Befreiung eingetreten sei, auch wenn mir [selbst] andernorts gezahlt werde, obwohl ich nicht gezwungen werde, gegen meinen Willen [dort] anzunehmen. Wenn allerdings keine [vollständige] Befreiung eingetreten ist, meint er, sei zu sagen, dass die Forderung der gesamten Summe übrig sei, in gleicher Weise wie jemand nicht im Geringsten befreit

S. 379 m. Fn. 67 und Kroppenberg, Die Insolvenz, S. 139 m. Fn. 35, die von einem nicht gekennzeichneten Zitat Julians ausgehen, da Ulpian in D  34.3.5.2 Marcells Ansicht folgt. 414  Ähnlich drückt sich auch Tryphonin bei seiner parallelen Entscheidung in D 34.3.27 aus: … Numquid ergo in pendenti sit, an legatarius fuerit, perinde atque si qua alia causa spem legati dubiam faceret? 415  Pomp. D 12.6.16pr., Ulp. D 12.6.18. 416  Ähnlich Rastätter, Marcelli notae ad Iuliani digesta, S. 144 f.; zum Wortlaut des sogenannten edictum triplex ausführlich Lenel, Das edictum perpetuum, S. 275 f., 282.

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung werde, wenn er ein Wohnhaus anderswo errichtet habe, als dort, wo er es versprochen hatte.



Mir aber scheint sich die Zahlung einer Summe vom Bau eines Hauses zu unterscheiden und darum ist alleine das einzuklagen, was das Interesse ist.

Wenn jemand sich stipulationsweise hat versprechen lassen, dass ihm oder einem Dritten ein bestimmter Geldbetrag an einem ausdrücklich genannten Ort gezahlt wird, kann er nach Julian das Interesse an einer dortigen Zahlung mit der Klage aus dem Edikt de eo quod certo loco dari oportet auch dann geltend machen, wenn der Schuldner dem Dritten an einem anderen Ort geleistet hat.417 Ulpian ergänzt dies mit der Bemerkung Marcells, dass die Annahme durch den Gläubiger selbst auch an einem anderen Ort als dem ursprünglich verabredeten zur Befreiung des Schuldners führt. Es kommt also für die Befreiungswirkung des alibi solvere generell darauf an, dass der Gläubiger dem Empfang zustimmt. Insofern handelt sich keineswegs um eine widersprechende, sondern um eine ergänzende nota.418 Im Anschluss daran beschäftigt sich Marcell noch mit dem Umfang des Anspruchs des Gläubigers in Julians Fall. Die Regelung im Edikt sieht eine besondere Klage vor, mit der der Gläubiger an einem anderen Ort als dem vertraglich vereinbarten Leistungsort auf eine Summe klagen kann, die dem Wert des geschuldeten Betrags am Leistungsort entspricht.419 Es stellt sich die Frage, ob hier die Zahlung an den Dritten irgendwelche Auswirkungen auf die actio des Gläubigers hat. Marcell argumentiert mit dem eindeutigen Ergebnis eines Vergleichsfalls: Wenn der Schuldner ein Haus an einer anderen Stelle gebaut hat, als in der Stipulation versprochen, könne niemand bezweifeln, dass überhaupt keine Befreiung eingetreten sei und der Stipulator weiterhin den gesamten Hausbau einfordern könne, also nicht nur das Interesse, das er an der Leistung am vereinbarten Ort hat. Demnach versteht Marcell die Zahlung an den solutionis causa adiectus am falschen Ort als vollständige Nichtleistung mit der Folge, dass der Prätor dem Gläubiger außerhalb von Ephesus weiterhin eine actio auf die integra summa, das heißt auf den objektiven Wert der vereinbarungsgemäßen Zahlung, gewäh417  Ob Julian hier tatsächlich wie Ulpian nur das Ortsinteresse oder eher wie Marcell die gesamte Summe zugestehen wollte, kann hier dahingestellt bleiben; vgl. zu diesem Problem Conrat (Cohn), Die sogenannte actio de eo quod certo loco, S.  131 ff.; Beseler, Das Edictum de eo quod certo loco, S.  98 ff.; Lenel, Das edictum perpetuum, S. 241 m. Fn. 5; Hausmaninger, in: Behrends / Knütel, CIC  III, S. 147 m. Fn. 1 und neuerdings Pulitanò, De eo quod certo loco, S. 197 ff., der ebenfalls nicht ohne Interpolationsvermutung auskommt. 418  Diese Ansicht entspricht auch dem Umkehrschluss aus Iul. D 46.1.16.1, Ulp. 13.4.9; so schon Conrat (Cohn), Die sogenannte actio de eo quod certo loco, S. 91, 132; Apathy, SZ  104 (1987), S. 759; Talamanca, BIDR  III  42–43, S. 612 Fn.  520; a. A. Amarelli, locus solutionis, S. 50. 419  Vgl. Gai. D 13.4.1, Alex. C 3.18.1.



II. Rechtsfindung mittels Auslegung139

ren muss. Ulpian dagegen verneint die Vergleichbarkeit der Konstellationen. Nach seiner Interpretation kann der Gläubiger vom Schuldner nur noch das über den geschuldeten Betrag hinausgehende Ortsinteresse fordern. c) Ediktsauslegung mittels Deduktion Ebenso wie gesetzliche Bestimmungen können auch die Regelungen des Edikts einer Auslegung auf rein deduktivem Weg zugeführt werden. Unmittelbar auf einer Interpretation des Ediktswortlauts basierende rationes decidendi Marcells sind nicht überliefert. Er gewinnt alle vier Lösungen, indem er auf den objektiven Sinn und Zweck der Ediktsbestimmungen abstellt. Aus dem pönalen Charakter einer Vorschrift folgert Marcell die Ablehnung der Übertragbarkeit auf den Rechtsnachfolger des Betroffenen: (K1) Marcell 181 = D  39.1.22 (15 dig)

Cui opus novum nuntiatum est, ante remissam nuntiationem opere facto decessit: debet heres eius patientiam destruendi operis adversario praestare: nam et in restituendo huiusmodi opere eius, qui contra edictum fecit, poena versatur, porro autem in poenam heres non succedit.



Derjenige, dem ein neues Bauwerk untersagt worden ist, ist vor der Aufhebung des Verbots und nach Fertigstellung des Bauwerks verstorben. Sein Erbe muss dem Gegner [nur] die Duldung der Zerstörung des Werkes gewähren. Denn bei dem Beseitigen eines solchen Bauwerkes handelt es sich auch um eine Strafe desjenigen, der dem Edikt zuwiderhandelt; der Erbe tritt aber in eine Bestrafung nicht weiter ein.

Einem Erblasser ist von einem anderen Grundstückseigentümer oder sonst einem Berechtigten ein bestimmtes Bauvorhaben mit der nuntiatio operis novi untersagt worden. Dennoch hat er das Bauwerk vor seinem Tode noch vollendet, ohne sich zuvor mit einem Antrag auf Aufhebung des privaten Bauverbots, der sogenannten remissio, beim Prätor zu verteidigen. Daher hätte der Nuntiant von ihm mit dem später als interdictum demolitorium bezeichneten Rechtsbehelf die Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustands auf eigene Kosten verlangen können.420 Marcell untersucht die Frage, ob der Beeinträchtigte auch gegen den Rechtsnachfolger des Verantwortlichen vorgehen kann. Er entscheidet, dass ihm der Erbe nur auf patientiam des­ truendi praestare haftet und nicht auf restituere operem.421 Der Rechtsnach420  Vgl. den Wortlaut des Edikts nach Ulp. D 39.1.20pr.; dazu Lenel, Das edictum perpetuum, S. 486 und eingehend Rainer, Bau- und nachbarrechtliche Bestimmungen, S.  188 ff. 421  Laut Ulp. D 39.1.20.8 hat Labeo ebenfalls eine solche Haftung bejaht, allerdings begrenzt auf id quod ad eum pervenit. Doch auch die Ansetzung eines solchen Maßstabs widerspricht Marcells Lösung nicht, da das patientiam praestare ebenfalls zu nichts weiter führen kann, als dass der Erbe das erlangte Bauwerk dem Beein-

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung

folger soll also lediglich den Abriss des Bauwerkes durch den Gegner dulden, ohne selbst etwas dafür aufwenden zu müssen.422 Dies begründet er ausdrücklich damit, dass die im Edikt vorgesehene Restitution zumindest auch pönalen Charakter besitzt:423 In erster Linie soll das bewusste Hinwegsetzen über das dem Schutz des Nuntianten dienende Bauverbot sanktioniert werden. Rechtsnachfolger sollen jedoch grundsätzlich nicht für Erbschaftsschulden einstehen müssen, die auf einer persönlichen poena des Verstorbenen beruhen.424 Ihre Haftung muss vielmehr auf das begrenzt werden, was sich als Folge der unerlaubten Handlung des Erblassers noch im Nachlass befindet.425 Die Erweiterung der Subsidiaritätsklausel der actio de dolo erläutert Marcell, indem er die genaue Wirkungsweise dieser Klage aufzeigt: (K2) Marcell 21 = D 4.1.7 (3 dig)

Divus Antoninus Marcio Avito praetori de succurrendo ei, qui absens rem amiserat, in hanc sententiam rescripsit: ‚Etsi nihil facile mutandum est ex sollemnibus, tamen ubi aequitas evidens poscit, subveniendum est. Itaque si citatus non respondit et ob hoc more pronuntiatum est, confestim autem pro tribunali te sedente adiit: existimari potest non sua culpa sed parum exaudita voce praeconis defuisse, ideoque restitui potest.‘ (1) Nec intra has solum species consistet huius generis auxilium: etenim deceptis sine culpa sua, maxime si fraus ab adversario intervenerit, succurri oportebit, cum etiam de dolo malo actio competere soleat, et boni praetoris est potius restituere litem, ut et ratio et aequitas postulabit, quam actionem famosam constituere, ad quam tunc demum descendendum est, cum remedio locus esse non potest.



Divus Antoninus hat dem Prätor Marcius Avitus im Hinblick auf den Beistand, der demjenigen zu leisten ist, der in Abwesenheit einen Rechtsstreit verloren hat, wie folgt Bescheid erteilt: „Wenn auch bei den Förmlichkeiten nichts

trächtigten preisgeben muss, damit dieser es beseitigen kann; ebenso Peters, SDHI  35 (1969), S. 212; Hartkamp, Der Zwang, S. 262; Finkenauer, Vererblichkeit und Drittwirkung der Stipulation, S. 255 f. Marcell hat also den allgemein anerkannten Haftungsmaßstab nur für den konkreten Fall präzisiert; Rainer, Bau- und Nachbarrechtliche Bestimmungen, S. 190. 422  Nach Ulp. D 43.24.7.2 will Julian in diesem Fall zusätzlich das interdictum quod vi aut clam gegen den Erben gewähren, was allerdings im Ergebnis keinen Unterschied macht, da auch bei diesem Rechtsbehelf nur der Täter selbst die Kosten der Restitution tragen muss. Die Haftung von Rechtsnachfolgern ist dagegen bei beiden Rechtsbehelfen zumindest auf id quod ad eum pervenit begrenzt; vgl. Ulp. D  43.24.15.3 und die eben genannte Stelle Ulp. / Lab. D  39.1.20.8. 423  So auch Maier, Prätorische Bereicherungsklagen, S. 77; Seidl, Römisches Privatrecht, S. 239; Finkenauer, Vererblichkeit und Drittwirkung der Stipulation S. 256. Anders zunächst Kaser, Restituere, S. 33 f., der seine Interpolationsannahme allerdings später in den Nachträgen (S. 201) widerrufen hat. 424  Vgl. auch Gai 4.112, Paul. D 44.7.33, Ulp. D 47.1.1pr. 425  Seidl, Römisches Privatrecht, S. 239.



II. Rechtsfindung mittels Auslegung141 leicht zu ändern ist, muss man dennoch, wo die Billigkeit es offensichtlich verlangt, zu Hilfe kommen. Deshalb kann, wenn ein vor Gericht Geladener sich nicht gemeldet hat und wegen dieser Sache nach dem Rechtsbrauch geurteilt worden ist, er aber gleich zu dir gekommen ist, als du vor Gericht saßt, angenommen werden, dass er nicht aus eigener Schuld ferngeblieben ist, sondern weil er die Stimme des Herolds nicht laut genug gehört hat, und daher kann er wiedereingesetzt werden.“



(1) Und Rechtsschutz dieser Art wird nicht nur in solchen Fällen zuteil. Es wird nämlich auch den ohne eigene Schuld Getäuschten Beistand geleistet werden müssen, besonders wenn der Betrug vom Gegner ausgegangen ist, wenngleich auch die Arglistklage zuzukommen pflegt. Und es ist Aufgabe eines guten Prätors, den Prozess eher in den vorherigen Stand zurückzuversetzen, wo es sowohl Vernunft als auch Billigkeit erfordern, als eine Klage zu gewähren, welche die Ehrlosigkeit [des Verurteilten] zur Folge hat und zu welcher man sich erst dann herablassen muss, wenn kein [anderer] Rechtsbehelf Platz greifen kann.

Im principium des Fragments zitiert Marcell ein Reskript des Kaisers Antoninus Pius, in dem dieser dem Prätor vorschreibt, einen Beklagten im Versäumnisverfahren, der auch nach der endgültigen Feststellung seiner Säumnis durch den Aufruf des Herolds nicht erschienen ist, dennoch wieder in den vorigen Stand einzusetzen, wenn er sich während der anschließenden Verhandlung noch meldet. In diesem Fall könne nämlich vermutet werden, dass er ohne seine Schuld säumig sei. Das vom Kaiser in diesem Zusammenhang vorgegebene, allgemeine Prinzip, dass die grundsätzlich zu beachtenden prozessualen Förmlichkeiten in Ausnahmefällen, also wenn die aequitas es gebietet, durch den Prätor abgemildert werden dürfen, wurde von den Kompilatoren in Marcel. D  50.17.183 nochmals als Rechtsregel übernommen und dort dem Juristen selbst zugeschrieben. Marcell nimmt diese kaiserliche Rechtsprechung zum Anlass, Fälle zu untersuchen, in denen die säumige Partei im Prozess ohne eigenes Verschulden durch den Prozessgegner oder einen Dritten getäuscht worden ist. Für solche Fälle befürwortet er die Anwendung einer in integrum restitutio, um dem Säumigen zunächst das gegenwärtige Verfahren offen zu halten, anstatt ihn auf eine actio de dolo gegen den Verantwortlichen zu verweisen. Dabei handelt es sich nicht um eine in integrum restitutio propter dolum sondern um den Sonderfall der Wiedereinsetzung eines Säumigen. Dieser soll nicht nur dann noch zur Sache aussagen dürfen, wenn er ohne sein Verschulden der Verhandlung fern geblieben ist, sondern auch dann, wenn das Urteil auf falschen Tatsachen beruht, gegen deren Vorbringen er sich nicht unmittelbar wehren konnte.426 Daher kann hier gemäß der sogenannten Generalklausel 426  Ebenso die Note Marcells in D  5.1.75: … Marcellus notat: si per dolum sciens falso aliquid allegavit et hoc modo consecutum eum sententiam praetoris liquido fuerit adprobatum, existimo debere iudicem querellam rei admittere. Bezeich-

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung

si qua alia mihi iusta causa videbitur mit der restitutio durch den Prätor Abhilfe geschaffen werden.427 Marcell will dieses honorarrechtliche Institut für das Versäumnisverfahren fruchtbar machen, indem er die ebenfalls einschlägige Arglistklage als subsidiär behandelt.428 Seine Entscheidung zugunsten einer in integrum restitutio begründet er, indem er auf die infamierende Wirkung der actio de dolo hinweist.429 Nach dem Wortlaut des Edikts wird diese Klage nur unter der Voraussetzung gewährt, si de his rebus alia actio non erit.430 Offenbar kann die in integrum restitutio nicht ohne Weiteres unter das Tatbestandsmerkmal alia actio gefasst werden, da Marcell auf den Sinn und Zweck der Subsidiaritätsklausel abstellt, um sein Ergebnis zu begründen: Im Zweifelsfall soll die harte Rechtsfolge der Infamie vermieden werden.431 Dann kann es aber keinen Unterschied machen, ob der Betroffene sein Recht durch eine weitere Klage oder durch ein sonstiges Rechtsmittel, das im Edikt noch nicht vorgesehen war, ebenso gut durchzusetzen vermag.432 nenderweise ergänzt Paulus diese Aussage um die Bemerkung, dass einem Säumigen auch im Krankheitsfall oder bei von Staats wegen erforderlicher Abwesenheit geholfen werden muss. Diese besondere Lage übersehen Wacke, SZ 88 (1971), S. 124 ff., Kreutzpointner, Das arglistige Verhalten einer Partei, S. 62 f. und Mader, FS Waldstein, S. 222; wie hier Kaser, SZ  94 (1977), S. 152 f.; Rastätter, Marcelli notae ad Iuliani digesta, S. 285 ff. 427  Vgl. den Ediktswortlaut nach Ulp. D 4.6.1.1, D 4.6.26.9 und die weiteren Beispielsfälle in Call. / Hadr. D  42.1.33, Ulp. / Cels. D  14.5.4.5, Iul. D  2.10.3.1; dazu eingehend Wacke, SZ  88 (1971), S. 115 f., 121 ff. 428  Kupisch, In integrum restitutio, S. 241 ff. hat überzeugend dargelegt, dass die in integrum restitutio propter dolum grundsätzlich mit der actio de dolo identisch ist. Der vorliegende Sonderfall betrifft seine These jedoch nicht; ähnlich Kaser, SZ 94 (1977), S. 152 f., der betont, dass es sich um ein Verfahren der cognitio extra ordinem gehandelt haben muss. 429  Entgegen Kreutzpointner, Das arglistige Verhalten einer Partei, S. 62 f. und Rastätter, Marcelli notae ad Iuliani digesta, S. 289 verwendet Marcell vorliegend die Begriffe ratio und aequitas nicht als rationes decidendi. Neben dem Aufbau der Stelle spricht dafür vor allem der Vergleich mit der aus dem principium stammenden Regel (… ubi aequitas evidens poscit): Diese Wertungen entscheiden im Einzelfall darüber, ob ein Einschreiten des Prätors geboten ist. Marcells Entscheidung lautet aber, dass bei Vorliegen dieser Voraussetzungen eher die restitutio als die actio de dolo zu gewähren ist. Auch Ulp. D 4.6.26.9 zeigt ganz deutlich, dass es sich um die gewöhnliche Formulierung handelt, um das Einzelfallermessen bei der in integrum restitutio als Voraussetzung für deren Anwendbarkeit zu betonen: … multi enim casus evenire potuerunt, qui deferrent restitutionis auxilium, nec singillatim enumerari potuerunt, ut, q u o t i e n s a e q u i t a s re s t i t u t i o n e m s u g g e r i t , ad hanc clausulam erit descendendum. Ut ist hier also im Sinne von ubi oder quotiens zu verstehen. 430  Vgl. Ulp. D 4.3.1.1; Lenel, Das edictum perpetuum, S.  114 ff. 431  Dies erklärt auch Ulpian in D 4.3.1.4 ausdrücklich zum Telos der Regelung; ebenso Hartkamp, Daube noster, S. 135.



II. Rechtsfindung mittels Auslegung143

Durch die Anwendung einer Regelung, die der Prätor zugunsten einer Personengruppe mit besonderem Rechtsstatus erlassen hat, sollen Dritte nicht zu unbilligen Vorteilen gelangen: 432

(K3) Marcell 264 = D 31.28 (29 dig)

Cum patronus ex debita parte institutus fideicommissum relictum ab eo praestare non cogitur: si omiserit institutionem, qui eam partem vindicant utrum eodem modo retinere an vero praestare debeant fideicommissum? Et magis est deberi fideicommissum, quoniam quod illius personae praestaretur, hoc nequaquam ad alium pertinere deberet.



Wenn ein Patron auf den Pflichtteil eingesetzt worden ist, wird er nicht gezwungen, das von diesem [Erblasser] hinterlassene Fideikommiss zu leisten. Dürfen diejenigen, die diesen Teil vindizieren, im Falle seiner Ausschlagung das Fideikommiss gleichermaßen behalten oder müssen sie es vielmehr ­leisten? Und es ist eher so, dass das Fideikommiss geschuldet wird, weil das, was jener Person gewährt wird, sich keinesfalls auf einen anderen erstrecken darf.

Ein Freigelassener hat seinen Patron in der Höhe des Anteils zum Erben eingesetzt, der ihm als Pflichtteil ohnehin zustünde, ihn jedoch mit einem Fideikommiss belastet.433 Anders als in den Fällen, in denen einem Patron von vornherein zu wenig zugewendet worden ist, muss hier keine bonorum possessio contra tabulas beantragt werden. Vielmehr kann er die Erbschaft annehmen und wird vom Prätor unmittelbar von den testamentarischen Belastungen befreit.434 Hat er die Erbschaft jedoch ausgeschlagen, so muss derjenige, der als Erbe an seine Stelle getreten ist, den Fideikommissar befriedigen. Diese Entscheidung begründet Marcell damit, dass sich die Regelung im Edikt eindeutig nur auf die Person des patronus bezieht und Dritte nicht davon profitieren sollen.435 Er lehnt also eine Subsumtion ab, indem er auf den Sinn und Zweck der honorarrechtlichen Bestimmung verweist, die ausschließlich der Durchsetzung von Patronatsrechten dient. In einem weiteren Text beschäftigt er sich mit dem Umfang der prätorischen Anordnungen zur fraus creditorum:

432  In Ulp. D 4.3.1.4 wird zudem ausgeführt, dass Pedius die Subsidiarität gegenüber Interdikten und Einreden eingeführt hat und Pomponius vertreten hat, dass sogar die stipulationsweise Absicherung des Betroffenen zur Ablehnung der Klage hinreicht. Für restitutiones im Allgemeinen hat dies gemäß Ulp. / Pomp. D  4.3.1.6 schon Labeo entschieden. 433  Zum Pflichtteilsrecht vgl. auch oben D  39.5.20pr. (H9). 434  Vgl. auch Paul. D  35.1.43: … praestatione fideicommissorum et legatorum heres exoneratur per praetorem. 435  In diesem Sinne bereits Schmidt, Das Pflichtteilsrecht des patronus, S. 77 Fn. 130.

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung

(K4) Marcell 204 = D 42.8.12 (18 dig)

Si pater filio familias liberam peculii administrationem dederit, non videtur ei et hoc concessisse, ut in fraudem creditorum alienaret: talem enim alienationem non habet. At si hoc quoque concessit filio pater, ut vel in fraudem creditorum facere possit, videbitur ipse fecisse et sufficient competentes adversus eum actiones. Etenim filii creditores etiam patris sunt creditores, cum eius generis videlicet habebunt actionem, ut his de peculio praestari necesse sit.



Wenn ein Vater seinem Haussohn die freie Verwaltung eines Sonderguts gewährt hat, kann er nicht so angesehen werden, auch erlaubt zu haben, etwas in Hintergehung der Gläubiger zu veräußern. Eine derartige Veräußerung steht ihm nämlich [selbst] nicht zu. Wenn der Vater dem Sohn allerdings ebenfalls erlaubt hat, auch in Hintergehung der Gläubiger zu handeln, wird er so angesehen, als habe er selbst es gemacht und es werden die gegen ihn zustehenden Klagen ausreichen. Denn die Gläubiger des Sohnes sind auch die Gläubiger des Vaters, wenn sie freilich einen Anspruch dahingehend innehaben, dass ihnen aus dem Sondergut geleistet werden muss.

Die Sondergutsbestellung durch den dominus berechtigt Gewaltunterworfene zwar generell zu allen vorteilhaften Rechtsgeschäften und auch zu belastenden Verpflichtungsgeschäften, nicht allerdings zu nachteiligen Verfügungen, die das peculium unmittelbar reduzieren würden.436 Für die letzte Art ist vielmehr die ausdrückliche Zustimmung des Gewalthabers erforderlich. Sie kann allerdings nicht nur in Bezug auf ein konkretes Geschäft erteilt werden, sondern auch allgemein als libera administratio peculii.437 Marcell beschäftigt sich mit den Grenzen einer solchen Generalermächtigung anlässlich von Verfügungen, die mit der Absicht zur Benachteiligung von Gläubigern vorgenommen worden sind. Hätte der pater selbst eine solche Verfügung getätigt, würde der Prätor den Gläubigern mit verschiedenen Rechtsmitteln zu Hilfe kommen.438 Zur Vermeidung von Umgehungsversuchen wäre es wünschenswert, diese Regelung auch bei Handlungen von Haussöhnen und Sklaven zur Anwendung zu bringen. Voraussetzung für ein Vorgehen gegen den dominus ist aber freilich eine persönliche Vorwerfbarkeit. Die Erteilung einer grundsätzlich unbeschränkten General­ ermächtigung für seinen Gewaltunterworfenen enthält aus Marcells Sicht nicht die Einwilligung zu Geschäften, für die dem Gewalthaber selbst nach den Bestimmungen des Edikts die rechtliche Befugnis fehlt.439 Im Allgemei436  Vgl. Flor. D 46.2.16; zu dieser Unterscheidung ausführlich Wacke, Symposium Wieling, S. 257 ff. 437  Vgl. Ulp. D  15.1.7.1, Paul. / Gai. D  12.2.20 f., D  46.2.34pr.; Wacke, Symposium Wieling, S. 260 m. Fn. 36 und S. 269 ff. 438  Das Edikt ist in Ulp. D 42.8.1pr., 10pr. wörtlich überliefert; vgl. dazu Lenel, Das edictum perpetuum, S. 435 ff., 495 ff.; Grevesmühl, Die Gläubigeranfechtung, S. 25 ff. mit Harke, TR 72 (2004), S. 383 ff.



II. Rechtsfindung mittels Auslegung

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nen scheitert ein Vorgehen gegen den Vater also schon an den immanenten Grenzen der Generalermächtigung. 439

Sollte dennoch im Einzelfall nachgewiesen werden, dass dem Gewaltunterworfenen eine fraus creditorum ausdrücklich erlaubt worden ist, wird die betroffene Verfügung so behandelt, als hätte sie der pater persönlich vorgenommen.440 Hier erweitert Marcell den Anwendungsbereich der Vorschrift, indem er schon die Erlaubnis und Duldung der Verminderung durch den Gewalthaber selbst als tatbestandliches Verhalten interpretiert.441 Auch wenn diese Ermächtigungsfälle vom Wortlaut nicht ausdrücklich erfasst werden, ist dennoch die Interessenlage dieselbe wie im dort vorgesehenen Fall: Da der Gewalthaber den Gläubigern des Sohnes für dessen Geschäfte ohnehin mit der actio de peculio haftet, hat der Vater durch die Autorisierung im Grunde seine eigenen Gläubiger hintergangen.442 3. Weiterentwicklung des Juristenrechts a) Induktive Fortbildung einer Regel Die tradierten Sätze und Regeln seiner Vorgänger gelten Marcell als Prinzipien, die grundsätzlich Anwendung finden sollen, im Einzelfall aber ausgelegt und weiterentwickelt werden müssen, um die Konsistenz der Rechtsordnung wahren und neueren Entwicklungen Rechnung tragen zu können.443 Dies kann durch die Betonung der Ähnlichkeit zu einer bereits bestehenden Falllösung gerechtfertigt werden, auch wenn dadurch nur selten die nötige Überzeugungskraft zur Etablierung der neu geschaffenen Regel erzeugt wird: 439  In Paul. D  15.1.46 ist dieses Prinzip zur allgemeinen Regel erhoben: Qui peculii administrationem concedit, videtur permittere generaliter, quod et specialiter permissurus est; dazu Wacke, Symposium Wieling, S. 293. 440  Ob die Römer darin einen Fall von „Anstiftung zum Delikt“ gesehen haben, wie Gradenwitz, SZ 7 (1886), S. 68 meint, ist fragwürdig und kann jedenfalls für Marcell nicht entschieden werden. 441  Dagegen hält er sich in C8–11 und F4 innerhalb der vorgegebenen Grenzen. 442  Welchen Inhalt die genannten actiones competentes haben können, wird aus der Stelle nicht deutlich. Es wird sich aber zumindest auch um den im Edikt genannten Rechtsbehelf handeln, der den Gläubigern adversus ipsum, qui fraudem fecit zusteht; insoweit richtig Grevesmühl, Die Gläubigeranfechtung, S. 140 Fn. 634; ebenso schon Girard, Manuel élémentaire, S. 458 Fn.  1. 443  Demgegenüber geht Wieacker, Vom römischen Recht, S. 152 davon aus, dass die überkommenen Lehrmeinungen grundsätzlich nicht „in deduktivem Folgerungszusammenhang eingeordnet, sondern als Autoritäten gegeben werden“. Zum gesetzesgleichen Status der responsa prudentium siehe auch Gai 1.7 und Pap. D 1.1.7pr.; Nörr, SZ 89 (1972), S. 77.

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung

(L1) Marcell 157 = D  46.3.67 (13 dig)

Si quis duos homines promiserit et Stichum solverit, poterit eiusdem Stichi dominium postea consecutus dando liberari. In nummis minor vel prope nulla dubitatio est: nam et apud Alfenum servius eum, qui minus a debitore suo accipere et liberare eum vellet, respondit posse saepius aliquos nummos accipiendo ab eo eique retro dando ac rursus accipiendo id efficere: veluti, si centum debitorem decem acceptis liberare creditor velit, ut, cum decem acceperit, eadem ei retro reddat, mox ab eo accipiat ac novissime retineat: etsi in dubitationem a quibusdam hoc male deducatur, quod non possit videri is qui ita accepit, ut ei a quo accepit retro reddat, solvisse potius quam decessisse.



Wenn jemand zwei Sklaven versprochen hat und den Stichus geleistet hat, wird er, nachdem er später das Eigentum desselben Stichus wiedererlangt hat, dadurch, dass er ihn erneut übergibt, befreit werden können. Bei Geldstücken besteht weniger oder beinahe kein Zweifel: Denn auch bei Alfenus hat Servius befunden, dass derjenige, der von seinem Schuldner weniger annehmen und diesen befreien wolle, dies bewirken könne, indem er mehrmals einige Geldstücke von diesem annehme, an denselben zurückgebe und wieder annehme. Wie zum Beispiel, wenn ein Gläubiger den Schuldner zu 100 befreien wolle, nachdem 10 empfangen worden seien, so dass er, sobald er 10 empfangen habe, diesem [Schuldner] dieselben [10] wieder zurückgäbe, bald darauf von diesem wieder empfange und zu guter Letzt zurückbehalte. Auch wenn dies von einigen zu Unrecht in Zweifel gezogen wird, weil derjenige [Schuldner]444, der so empfangen hat, dass er dem, von dem er empfangen hat, wieder zurückgebe, nicht so erscheinen könne, als habe er erfüllt, vielmehr als sei er ausgefallen.

Im Mittelpunkt der Erörterung steht eine besondere Art der Erfüllung einer stipulatio mit dem Inhalt duo homines dare. Dabei beschäftigt sich Marcell allerdings nicht mit der Auslegung des Stipulationswortlauts.445 Vielmehr geht es ihm um die allgemeine Frage, ob ein Schuldner, der das Eigentum am zunächst ordnungsgemäß geleisteten Gegenstand später wiedererlangt hat, durch dessen erneute Leistung eine wirksame solutio vornimmt. Er entscheidet sich für die Erfüllungswirkung, indem er auf die Parallele zu einer bereits von den veteres entschiedenen Konstellation hinweist.446 So habe er bei Alfenus ein responsum des Servius gefunden, in 444  Der ungereimte Schluss (solvisse und decessisse) würde auf den Gläubiger bezogen noch weniger Sinn ergeben; Birks, The Irish Jurist 23 (1988), S. 107 f. 445  Knütel, Studi Sanfilippo III, S. 369 f. 446  Daraus darf mit Knütel, Studi Sanfilippo III, S. 363  ff. auf ein bestimmtes Verständnis von Gattungsschulden bei Marcell geschlossen werden: Anders als Papinian in D 31.66.3 geht er offensichtlich von einem nach gewissen Gattungsmerkmalen bestimmbaren Obligationsinhalt aus, so dass es für die Erfüllung nur darauf ankommt, dass der übergebene Gegenstand im Leistungszeitpunkt den vereinbarten Merkmalen entspricht; vgl. dazu auch Marcel. D 46.3.72.4 (G2) und Harke, Si error aliquis intervenit, S.  62 ff.



II. Rechtsfindung mittels Auslegung147

dem dieser eine bemerkenswerte Art zur Schuldentilgung billige: Ein Geldschuldner solle sich befreien können, indem er einen Teilbetrag der geschuldeten Summe solange leiste und vom Gläubiger zurückempfange, bis der gesamte Betrag getilgt worden sei.447 Im Unterschied dazu wird im Ausgangsfall mit dem Ausdruck dominium postea consecutus keine solche direkte Rückübertragung des Sklaven vom Gläubiger auf den Schuldner gemeint sein, sondern die zufällige Wiedererlangung des Eigentums. Dies muss allerdings auch im Hinblick auf die Konsistenz des induktiven Arguments nicht notwendig zu der Annahme führen, es sei eine Textpassage mit der Erörterung der anderen Konstellation ausgefallen.448 Vielmehr bemüht sich Marcell lediglich darum, die Solutionswirkung der wiederholten Leistung desselben Gegenstands zu illustrieren. Denn nur das ungewöhnliche Zusammenwirken von Schuldner und Gläubiger führt im Fall der Geldschuld zu den Zweifeln der quidam, die gerade in dem geplanten Hin- und Herschieben von Sachen keine auf Erfüllung gerichtete Leistung sehen wollen.449 Unabhängig davon besteht dort aber minor vel prope nulla dubitatio, dass für die solutio bei einer Gattungsschuld nicht zwingend verschiedene Gegenstände geleistet werden müssen.450 Dies gilt vor allem für Geldmünzen, bei denen es dem Gläubiger von vornherein nicht darauf ankommt, ob er die Münzen, die er in Empfang nimmt, früher schon einmal entgegengenommen und weiterveräußert hat.451 447  Der genaue Sinn und Zweck dieser Prozedur kann nur noch vermutet werden. Am wahrscheinlichsten ist, dass der promissor nicht mehr als 10 zu leisten imstande war, nach außen aber der Schein einer vollständigen Zahlung gewahrt werden sollte, um die nach der lex Iulia municipalis drohende infamia abzuwenden: tab. Herc. 114 ff.; vgl. Lenel, Das edictum perpetuum, S. 79; Watson, The law of obligations, S.  210 f.; Daube, Roman law, S. 93 f.; Paulus, Die Idee der postmortalen Persönlichkeit, S. 308; Kroppenberg, Die Insolvenz, S. 327; Stagl, Favor dotis, S. 134 f. Aber auch die weiteren bei Knütel, Studi Sanfilippo III, S. 372 ff. und in der dort zitierten älteren Literatur vorgeschlagenen Gründe liegen im Bereich des Möglichen. Siehe dazu auch Birks, The Irish Jurist 23 (1988), S. 102 ff. 448  So aber Birks, The Irish Jurist 23 (1988), S. 118 f. mit der Begründung, „for only the direct reconveyance version of Stichus’s case was immediately parallel to the case of collusive multiple transfer of money“; sein darauf basierender Rekonstruktionsversuch (S. 124 f.) ist daher ebenfalls abzulehnen. 449  Darauf bezieht sich offenbar auch Ulp. D 46.3.55: Qui sic solvit, ut reciperet, non liberatur, quemadmodum non alienantur nummi, qui sic dantur, ut recipiantur; dazu Birks, The Irish Jurist  23 (1988), S. 106 f., 115. 450  Dies übersieht Birks, The Irish Jurist 23 (1988), S. 116 f.; wie hier Harke, Si error aliquis intervenit, S. 64. 451  Nach Knütel, Studi Sanfilippo III, S. 372 könnte sich zumindest die minor dubitatio auf Fälle der Leistung eines individualisierbaren corpus nummorum gerichtet haben; für die Behandlung eines solchen Sonderfalls gibt es jedoch keine Anzeichen im Text; ebenso Birks, The Irish Jurist  23 (1988), S. 116 m. Fn. 52.

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung

b) Deduktive Fortbildung einer Regel In den restlichen Fällen der Auslegung und Weiterentwicklung der durch die Jurisprudenz entwickelten Regeln begnügt sich Marcell nicht damit, den überkommenen Entscheidungen vergleichbare Fälle mit abweichenden Ergebnissen gegenüberzustellen. Vielmehr bemüht er sich um die Darstellung überzeugender Prinzipien, aus denen sich seine Lösungen ableiten lassen. Dabei folgt seine Interpretation denselben Regeln wie im Bereich der sonstigen Vorschriften. Soweit möglich geht er also auch hier zunächst vom überlieferten Wortlaut der Regel aus und sucht dessen Inhalt zu erforschen: (M1) Marcel 192 = D 41.2.19.1 (17 dig)

Quod scriptum est apud veteres neminem sibi causam possessionis posse mutare, credibile est de eo cogitatum, qui et corpore et animo possessioni incumbens hoc solum statuit, ut alia ex causa id possideret, non si quis dimissa possessione prima eiusdem rei denuo ex alia causa possessionem nancisci velit.



Soweit bei den alten Juristen geschrieben worden ist, niemand könne den Grund seines Besitzes ändern, ist wahrscheinlich an denjenigen gedacht, der, während er sowohl körperlich als auch willentlich den Besitz innehat, einfach beschlossen hat, den Gegenstand aus einem anderen Grund zu besitzen, und nicht wenn jemand, nachdem er den ersten Besitz aufgegeben hatte, den Besitz an derselben Sache von neuem aus einem anderen Grund erlangen will.

Die iusta causa possessionis civilis ist bekanntlich der Erwerbstitel, dessen Vorliegen darüber entscheidet, ob ein Gegenstand wirksam ersessen werden kann.452 Dieser Rechtsgrund soll nach Ansicht der veteres nicht vom Besitzer ausgewechselt werden können. Marcell versteht diese Regel so, dass der bloße Entschluss des possessor nicht hinreichen soll, um die Art der iusta causa zu ändern.453 Allerdings nimmt er nicht an, dass von der weiten Formulierung dieser Juristenregel jegliche Form der Veranlassung einer Titeländerung umfasst sein soll. Vielmehr muss ein Besitzer nach der Aufgabe seiner tatsächlichen Gewalt über die Sache ohne Weiteres eine neue possessio mit anderer causa daran begründen können.454 Die Stelle zeigt, dass für Marcell die argumentative Orientierung am Wortlaut von die beispielhafte Aufzählung bei Paul. D 41.2.3.21; Kaser, RP I, S. 420 ff. bei der Zulassung von Putativtiteln unterscheiden die meisten Juristen nach den verschiedenen Arten von causae; siehe nur die reiche Kasuistik bei MayerMaly, Das Putativtitelproblem, S. 30 ff. und Bauer, Ersitzung und Bereicherung, S. 14 ff. Aus dem Vergleich mit Iul. D 41.5.2.1 kann ersehen werden, dass die Juristen dabei insbesondere an die usucapio pro herede gedacht haben; dazu Finck, Erwerb durch Übergabe an Dritte, S. 261 f. m. w. N. 454  MacCormack, BIDR  75 (1972), S. 89. Daher ist es auch unbedenklich, den Besitz an sich durch reines Besitzkonstitut übergehen zu lassen; Marcel. D 41.2.19pr. (S.  241 f.). 452  Vgl.

453  Gerade



II. Rechtsfindung mittels Auslegung149

Juristendogmen nicht von vornherein ausgeschlossen ist: Er geht von einer bestimmten Fassung aus, die allerdings so offen ist, dass sie mehrere Interpretationen zulassen würde. Um den Geltungsbereich der Regelung zu bestimmen, erforscht er daher die subjektive voluntas veterum.455 Bei der weit überwiegenden Anzahl solcher Rechtssätze wird Marcell keine definitive Formulierung zur Verfügung gestanden haben, so dass ihm zwangsläufig nur die Möglichkeit einer Auslegung nach dem Telos blieb.456 Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass ihm einige Schriften seiner Vorgänger im Original vorgelegen haben, und auch aus älterer Zeit hatten sich bekanntlich einige lehrsatzartige Formulierungen eingebürgert. Die dort vorgefundenen Ausdrücke konnten Marcell wiederum als Anhaltspunkte für ein bestimmtes Verständnis der jeweiligen Regel dienen. Besonders intensiv setzt sich Marcell mit dem Werk seines unmittelbaren Vorgängers und Lehrers Julian auseinander.457 Dessen Regel zur Wirksamkeit von Bürgschaften verfeinert Marcell durch eine leichte Abwandlung, die sich zwar auf die Lösung des kommentierten Falls nicht auswirkt, mit Blick auf andere Konstellationen jedoch dem Sinn und Zweck dieser Regel noch besser entspricht: (M2) Iul 710 = D 46.1.8.8 Ulp 47 Sab

Si qui Stichum stipulatus fuerit, fideiussorem ita acceperit: ‚Stichum aut decem fide tua iubes?‘, non obligari fideiussorem Iulianus ait, quia durior eius fit condicio, utpote cum futurum sit, ut mortuo Sticho teneatur. Marcellus autem notat non ideo tantum non obligari, quia in duriorem condicionem acceptus est, sed quia et in aliam potius obligationem acceptus est: denique pro eo, qui decem promiserit, non poterit fideiussor ita accipi, ut decem aut Stichum promittat, quamvis eo casu non fit eius durior condicio.



Wenn jemand, der sich den Stichus hatte versprechen lassen, derart einen Bürgen angenommen hat: „Verbürgst du dich für die Leistung von Stichus oder 10?“, hat Julian gesagt, dass der Bürge nicht verpflichtet werde, weil seine Lage schlechter werde, da es ja geschehen könne, dass er für den verstorbenen Stichus haftet. Marcell dagegen bemerkt dazu, dass er nicht allein deshalb nicht verpflichtet werde, weil er zu einer härteren Bedingung angenommen worden ist, sondern weil er vielmehr auch zu einer anderen Verpflichtung angenommen worden ist. Demnach wird für denjenigen, der 10 verspricht, kein Bürge derart angenommen werden können, dass er 10 oder Stichus verspreche, obwohl in diesem Fall dessen Lage nicht härter wird.

Es geht um die Frage, ob eine einfache Stückschuld mit einer alternativ formulierten Bürgschaft gesichert werden kann, die auf Leistung eines SklaGiaro, Römische Rechtswahrheiten, S. 406. Harke, Europäische Methodenlehre, S. 16. 457  Allgemein zum Verhältnis der beiden Hochklassiker: Honoré, TR 32 (1964), S.  24 ff. 455  Ebenso

456  Ähnlich

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung

ven oder Zahlung eines bestimmten Geldbetrags lautet. Zwar muss ein fideiussor nach klassischem Recht nicht mehr wie ein sponsor oder fidepromissor zwingend auf idem dari haften, doch ist auch seine Verpflichtung in gewissem Maße von der Hauptschuld abhängig.458 Quantitativ darf die Bürgschaftsstipulation jedenfalls nicht über die zu sichernde Forderung hinausgehen.459 Julian verfeinert diese Regelung, indem er das Kriterium der durior condicio einführt, also darauf abstellt, ob die Verpflichtung, die der Bürge eingeht, qualitativ über diejenige des Hauptschuldners hinausgeht.460 In Anwendung dieses Prinzips kommt er im vorliegenden Fall zur Unwirksamkeit der Bürgschaftsstipulation: Da nämlich der Gläubiger den Bürgen auch bei Unmöglichkeit des Hauptleistungsgegenstandes noch haftbar machen könnte, würde der Bürge mit der Wahlschuld eine strengere Obligation als der Hauptschuldner eingehen.461 Diese Argumentation betrifft zumindest alle Fälle, in denen die Ausübung des Wahlrechts dem versprechenden Bürgen zukommen soll.462 Würde das Wahlrecht dagegen dem Gläubiger zustehen, bestünde der Nachteil bereits in der fehlenden Entscheidungsbefugnis des Bürgen selbst.463 Marcells Kritik bezieht sich offensichtlich nicht auf Julians Ergebnis, sondern lediglich auf dessen Herleitung.464 So ergänzt er den aus seiner Sicht ausschlaggebenden Gesichtspunkt, indem er erläutert, dass die Bürgschaftsschuld nicht nur eine härtere Verpflichtung gegenüber der Hauptschuld darstellen würde, sondern durch das Hinzufügen der Alternative eine alia obligatio entstehen würde. Dies ist keineswegs so zu verstehen, als wollte Marcell in Rückgriff auf die vorklassische Dogmatik für die Wirk458  Zum Akzessorietätsgedanken im römischen Bürgschaftsrecht vgl. Harke, Römisches Recht, S. 88 f.; Kaser / Knütel, Römisches Privatrecht, S. 301 f. und die dort angeführte Literatur. 459  Vgl. Gai 3.126. 460  Vgl. Iul. D  46.1.16.1, 2, Ulp. / Iul. D  46.1.8.9, 10 Paul. / Iul. D  46.1.34; dazu Rastätter, Marcelli notae ad Iuliani digesta, S. 159 f. 461  Nach Ziliotto, Studi sulle obbligazioni alternative, S. 260 betrifft Julians Auffassung nicht die fideiussio, sondern eine andere, weniger akzessorische Art der Bürgschaft; dagegen zu Recht Apathy, FS Knütel, S. 50 Fn.  26. 462  Eine Wahlbefugnis des Gläubigers müsste in der Stipulation explizit bestimmt sein: vgl. Ven. D  45.1.138.1, Paul. D  18.1.34.6 und die Unklarheitenregel in Cels. D  34.5.26; Kaser / Knütel, Römisches Privatrecht, S. 184. 463  Vgl. Ulp. D 46.1.8.9, wo Julian ausführt, dass eine Bürgschaft, deren Inhalt der Gläubiger bestimmen kann, während die Wahl der Hauptschuld dem Schuldner überlassen ist, nicht wirksam vereinbart werden kann, weil sie eine durior condicio darstellt. Demgegenüber würde nach seiner in Ulp. D 46.1.8.10 überlieferten Meinung eine melior condicio vorliegen, wenn der Gläubiger den Hauptleistungsgegenstand wählen darf, der Bürge aber über seinen Leistungsgegenstand selbst bestimmen kann; dazu Apathy, FS Knütel, S. 48 f. 464  Vgl. dazu Apathy, FS Knütel, S. 50 Fn.  27 m. w. N.



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samkeit der Bürgschaft ein idem im Verhältnis zur Hauptverbindlichkeit verlangen.465 Stattdessen legt er den Schwerpunkt seiner Argumentation darauf, dass sich der Bürge hier neben der ursprünglichen Verbindlichkeit zusätzlich noch zu einer weiteren Leistung verpflichtet hat (e t in aliam obligationem). Wie Ulpian noch ergänzt, würde Marcell demzufolge auch in solchen Fällen zur Unwirksamkeit der Bürgschaft kommen, in denen die Hauptschuld in einer Geldleistung besteht. Da deren Erfüllung niemals unmöglich werden kann, müsste Julian unter Anwendung seiner durior-Regel dort zum gegenteiligen Ergebnis kommen. Nach dem Telos dieses Prinzips soll sich der Bürge jedoch ganz generell nicht für eine Leistung verbindlich machen können, die der Schuldner niemals hätte bewirken müssen. Schließlich geht es nicht darum, den Bürgen selbst vor einer Benachteiligung zu schützen, sondern darum, dem Hauptschuldner eine unbillige Regressforderung zu ersparen.466 Überlegungen dieser Art finden sich auch in den Digesten Marcells wieder, wo er selbst zum Problem des Auseinanderfallens der Wahlrechte Stellung nimmt: (M3) Marcell 221 = D 46.1.38pr. (20 dig)

Si Stichum aut Pamphilum stipulatus essem, utrum promissor voluisset, non possum fideiussorem ita accipere Stichum aut Pamphilum, utrum fideiussor vellet, quia futurum esset in eius potestate alium velle, quam reus voluisset.



Wenn ich mir Stichus oder Pamphilus, welchen von beiden der Versprechende wollte, versprechen lassen habe, kann ich nicht derart einen Bürgen annehmen: Stichus oder Pamphilus, welchen von beiden der Bürge wollte, weil es in seiner Macht stünde, einen anderen zu wollen, als der Schuldner gewollt hätte.

Die fideiussio ist auch unwirksam, wenn bei einer alternativen Hauptschuld die Wahl des Leistungsgegenstands dem Schuldner überlassen ist, während die auf dieselbe Alternative lautende Bürgschaft ein Wahlrecht des Bürgen vorsieht.467 Bei dieser Gelegenheit spricht Marcell noch deutlicher davon, dass dem Bürgen nicht die Möglichkeit gegeben werden soll, sich durch die Auswahl des Leistungsgegenstands in Widerspruch mit dem Wil465  So aber Wolff, Iura  2 (1951), S. 242; Talamanca, Studi Grosso III, S. 181 ff. und insbesondere Rastätter, Marcelli notae ad Iuliani digesta, S. 158, 161 f., 301, der in Marcell daher einen konservativen Verteidiger der historisch gewachsenen Regelung sieht; ihm folgend auch Backhaus, SZ 101 (1984), S. 379. 466  Harke, Römisches Recht, S. 88 f. 467  Wie Julian in einem solchen Fall entschieden hätte, lässt sich auch mit Hilfe von Iul. D 46.3.34.10 nicht sicher feststellen, da diese Stelle das Problem von Teilzahlungen zweier Bürgen bei alternativen Haupt- und Bürgschaftsschulden zum Gegenstand hat und deshalb die Frage, wem das Wahlrecht zukommen sollte, dort offen bleiben muss; ebenso Apathy, FS Knütel, S. 55 f.

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung

len des Schuldners zu setzen. Es geht ihm wie in der vorherigen Stelle darum, dass es bei Zulässigkeit einer solchen Bürgschaft in der Hand des Bürgen läge, sich ohne Rücksicht auf den Schuldner für die ihm günstigere Leistung zu entscheiden. Ob dabei aus Sicht des fideiussor eine durior condicio in Julians Sinne entsteht, ist für Marcell nicht unmittelbar relevant. Gerade in der Zusammenschau beider Stellen wird klar, dass nicht die Verbindlichkeit des Bürgen generell als alia obligatio verstanden werden soll, sondern nur die hinzugefügte Alternative.468 4. Interpretation von Rechtsgeschäften a) Auslegung von Rechtsgeschäften unter Lebenden aa) Rationes stipulationem interpretandi Bemerkenswert selten scheint sich Marcell mit der Auslegung von Verträgen befasst zu haben. Immerhin kann anhand dreier Fragmente, die anstelle einer definitiven Entscheidung nur eine Verweisung an die Tatsacheninstanz enthalten, die Bedeutung des quod actum est, also des übereinstimmenden Parteiwillens, für seine Rechtsfindung ersehen werden: Marcell 27 = D  45.1.94 (3 dig) Triticum dare oportere stipulatus est aliquis: facti quaestio est, non iuris. Igitur si de aliquo tritico cogitaverit, id est certi generis certae quantitatis, id habebitur pro expresso: alioquin si, cum destinare genus et modum vellet, non fecit, nihil stipulatus videtur, igitur ne unum quidem modium. Jemand hat sich versprechen lassen, dass Getreide geleistet werde: Es handelt sich um eine Frage der Tatsachen, nicht des Rechts. Wenn er also an ein bestimmtes Getreide gedacht hat, das heißt von bestimmter Art und bestimmter Menge, wird dies als ausdrücklich erklärt angesehen werden. Wollte er allerdings Art und Maß bestimmen, hat es aber nicht gemacht, nimmt man an, er habe sich nichts versprechen lassen, also nicht einmal irgendein Maß. Marcell 44 = D  45.1.95 (5 dig) Qui insulam fieri stipulatur, ita demum adquirit obligationem, si apparet, quo in loco fieri insulam voluerit: si et ibi insulam fieri interest eius. 468  Dies übersieht auch Apathy, RIDA III 18 (1971), S. 437, 439 und FS Knütel, S. 50, 53. Seine These, dass Marcell immer von dem Fehlen des idem debitum ausgegangen sei, wenn verschiedenen Personen das jeweilige Wahlrecht zustünde, kann jedenfalls aus den überlieferten Texten nicht begründet werden. Wiederum anderer Ansicht ist Ziliotto, Studi sulle obbligazioni alternative, S. 230 ff., die im Wortlaut der Stipulationen unterschiedliche Zeitformen vermutet, wofür die überlieferten Texte aber ebenfalls keine sichere Grundlage bieten; insofern ablehnend auch Apathy, FS Knütel, S. 51 f.



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Wer sich versprechen lässt, dass ein Gebäude gebaut werde, erwirbt nur dann eine Obligation, wenn klar ist, an welchem Ort er das Gebäude erbaut haben will. Und wenn es auch in seinem Interesse ist, dass das Gebäude dort gebaut wird.

Beide Texte handeln von der Wirksamkeit einer Stipulation mit unbestimmtem Inhalt. Ist der Wortlaut allzu vage formuliert, setzt die Annahme einer Obligation voraus, dass durch Auslegung ein übereinstimmender Parteiwille über die für das jeweilige Geschäft wesentlichen Punkte ermittelt werden kann. Bleibt die Vereinbarung jedoch unverständlich, führt dies zu ihrer Nichtigkeit.469 Für die Erforschung des quod actum est stand den klassischen Juristen eine Vielzahl an Kriterien zur Verfügung. Neben dem Wortlaut der Erklärung selbst können vor allem die Interessenlage470, die Beweislastverteilung471 und der typische Inhalt einer bestimmten Vertragsart472 in die Überlegungen einbezogenen werden. In den von Marcell besprochenen Fällen geht es um die Konkretisierung des Geschäftsgegenstands, wenn triticum dare oportere oder insulam fieri versprochen worden ist, ohne die erforderlichen Details zu klären. Er stellt zunächst fest, dass für die hinreichende Bestimmbarkeit des Gegenstands der Stipulationen keine Rechtsfrage den Ausschlag geben kann, es sich also um eine quaestio facti handelt. Entscheidend sind die Umstände des konkreten Falls und deren Nachweisbarkeit.473 Denn nur wenn ein präziser Stipulatorwille eruiert werden kann, entfaltet das Geschäft die entsprechende Rechtswirkung. Dies darf allerdings nicht als einseitige Bevorzugung der Interessen des Gläubigers verstanden werden. Vielmehr ist auch sein Wille aus der objektiven Sicht beider Parteien zu bestimmen.474 Die Tatsacheninstanz hat also im ersten Fall zu erforschen, welches genus und welche quantitas tritici übereinstimmend gewollt sind, im zweiten Fall, an welchem Ort das Gebäude 469  Kaser,

RP I, S. 249 Fn. 30 mit weiteren Quellen. das Beispiel zur Bestimmung des Streitgegenstandes in Ulp. / Cels. D  5.1.61pr.; dazu Babusiaux, Id quod actum est, S.  13 ff. 471  Vgl. nur Pap. D 2.14.39: Veteribus placet pactionem obscuram vel ambiguam venditori et qui locavit nocere, in quorum fuit potestate legem apertius conscribere; ähnliche Regeln finden sich auch in Paul. D  18.1.21, D  50.17.172pr., Pomp. D  18.1.33, Cels. D  34.5.26, D  45.1.99pr.; dazu Baldus, Regelhafte Vertragsauslegung II, S. 683 ff.; Babusiaux, Id quod actum est, S.  90 ff.; Harke, AI–AS, S. 52 f. jeweils m. w. N. 472  Vgl. Ulp. D 21.1.31.20 und insbesondere D 19.1.11.1: … Quod si nihil convenit, tunc ea praestabuntur, quae naturaliter insunt huius iudicii potestate; dazu Babusiaux, Id quod actum est, S.  219 f. 473  Ebenso Babusiaux, Id quod actum est, S.  78 f. 474  Vgl. Ulp. D  45.1.41pr.: … Si autem non addat quibus ianuariis, facti quaestionem inducere, quid forte senserit, hoc est quid inter eos acti sit (utique enim hoc sequimur quod actum est), easque adsumemus; daher besteht auch kein Widerspruch zu Pap. D  45.1.115pr.; Babusiaux, Id quod actum est, S.  76 f., 79 f. 470  Vgl.

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung

entstehen soll. Zu einer möglichen Vorgehensweise macht er hier aber keine Angaben. In einem anderen Text finden sich jedoch einige Anhaltspunkte für die spätere Untersuchung des quod actum. Es geht dabei um Rahmenbedingungen des Geschäfts, die mit dem Wortlaut in keinem Zusammenhang stehen: Marcel. 279 = D 17.1.38 (resp lib)475 Lucius Titius Publio Maevio filio naturali domum communem permisit non donationis causa creditori filii obligare: postea Maevio defuncto relicta pupilla tutores eius iudicem adversus Titium acceperunt et Titius de mutuis petitionibus: quaero, an domus pars, quam Titius obligandam filio suo accommodavit, arbitratu iudicis liberari debeat. Marcellus respondit, an et quando debeat liberari, ex persona debitoris itemque ex eo, quod inter contrahentes actum esset, ac tempore, quo res de qua quaereretur obligata fuisset, iudicem aestimaturum: Est enim earum specierum iudicialis quaestio, per quam res expediatur, (1) non absimilis illa, quae frequentissime agitari solet, fideiussor an et prius quam solvat agere possit, ut liberetur. … Lucius Titius hat dem Publius Maevius, seinem leiblichen Sohn, ohne Schenkungsabsicht erlaubt, ein gemeinschaftliches Haus zu verpfänden. Nachdem Maevius gestorben war und eine Unmündige hinterlassen hatte, haben ihre Vormünder gegen Titius und Titius [gegen sie] wegen der gegenseitigen Forderungen einen Richter angerufen. Ich frage, ob der Gebäudeanteil, den Titius seinem Sohn zur Verpfändung überlassen hat, durch Ermessensentscheidung des Richters [von der Pfandhaftung] befreit werden muss? Marcell hat geantwortet, ob und wann er befreit werden müsse, habe der Richter nach der Person des Schuldners und ebenfalls danach, was zwischen den Vertragsparteien vereinbart worden sei und zudem nach dem Zeitpunkt, in dem die Sache, um die es gehe, verpfändet worden sei, zu beurteilen. Es ist nämlich die richterliche Untersuchung solcher Fälle, durch welche die Sache erledigt wird, (1) nicht unähnlich [der Situation] in jenem Fall, der häufig verhandelt zu werden pflegt, ob ein Bürge auch bevor er bezahlt hat, auf Befreiung klagen kann. …

Ein Haus, das einem Vater und seinem Sohn gemeinsam gehört, ist mit Einverständnis des Vaters einem Gläubiger des Sohnes verpfändet worden. Nach dem Tod des Sohnes kommt es zur gerichtlichen Auseinandersetzung zwischen seinem Vater und den tutores seiner noch unmündigen Rechtsnachfolgerin.476 Dabei soll insbesondere geklärt werden, ob der Vater die 475  Es soll hier der Textüberlieferung nach Mommsen, Corpus Iuris Civilis I, S. 220 gefolgt werden; vgl. zu den unterschiedlichen Überlieferungsarten Nishimura, Mandatum und Verwandtes, S. 101 ff. 476  Pringsheim, SZ 78 (1961), S. 10 f. geht dabei von einer actio mandati contraria des Vaters als Miteigentümer aus, wie es der zugehörige Digestentitel nahelegen möchte. Dagegen nimmt Zülch, Der liber singularis responsorum, S. 77 f. mit beachtlichen Argumenten an, dass es sich um eine actio communi dividundo handelt; inso-



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vorzeitige Befreiung seines Anteils am streitgegenständlichen Gebäude verlangen kann, zumal unstrittig feststeht, dass er durch die Vereinbarung gerade keine Schenkungsabrede treffen wollte.477 Marcell enthält sich einer endgültigen Entscheidung und beschränkt seine Ausführungen auf die Hervorhebung der maßgeblichen Umstände, welche der Richter bei der Ausübung seines Ermessens zu beachten hat: Die Entscheidung muss sich danach richten, wer die Person des Schuldners ist, welchen Inhalt die Vereinbarung nach dem Willen der Parteien haben sollte und wann der Verpfändungszeitpunkt war.478 Im letzten Satz des principium bekräftigt er noch einmal seinen Entschluss, keine eigene Lösung anzubieten, da derartige Angelegenheiten nur durch eine quaestio iudicialis erledigt werden können.479 Das Herzstück der richterlichen Ermittlungen muss freilich die Interpretation des von den Parteien übereinstimmend angestrebten Ziels sein.480 Neben dem Wortlaut kommen als Anhaltspunkte aber offensichtlich auch alle Umstände in Betracht, die die abgegebenen Erklärungen beeinflusst haben können. In § 1 schließlich ergänzt Marcell dies durch den Bericht eines regelmäßig vorkommenden Bürgschaftsfalls, in dem für die quaestio iudicialis ähnliche Kriterien ausschlaggebend wären.481 Er erklärt weit folgt ihm auch Liebs, SZ  120 (2003), S. 250 f. Eine weitere Option hat zuletzt Babusiaux, Id quod actum est, S. 235 f. unter Heranziehung von Pomp. D 19.5.16pr. aufgezeigt, wonach dem Eigentümer, der jemandem die Nutzung seines Grundstücks zur Gewinnung irgendwelcher Vorteile eingeräumt hat, ganz allgemein auch die actio praescriptis verbis zukommt. Für die vorliegende Untersuchung kann die Frage dahinstehen. Zum Ausdruck accipere iudicem vgl. Jahr, Litis contestatio, S.  201 ff. 477  Zülch, Der liber singularis responsorum, S. 79. 478  Entgegen Nishimura, Mandatum und Verwandtes, S. 107 spricht die Formulierung nicht dafür, dass „Marcellus sicher an den Zeitlauf des Pfandes gedacht“ hat. 479  Dieser Begriff ist keinesfalls gleichbedeutend mit quaestio facti als Gegenbegriff zu quaestio iuris, sondern im Sinne von „gerichtliche Untersuchung“ zu verstehen; anders Schulz, Symbolae Lenel, S. 237 f. und Pringsheim, SZ 78 (1961), S. 10 f.; dagegen zu Recht Zülch, Der liber singularis responsorum, S. 80 f. und Babusiaux, Id quod actum est, S. 236. 480  Schon aus diesem Grund ist es unwahrscheinlich, dass das vom Richter zu erforschende quod actum nicht Art und Inhalt der permissio des Vaters, sondern die mit dem Gläubiger geschlossene Pfandvereinbarung betreffen soll, die für die Frage der Haftung des Vaters nur über einige Umwege von Belang sein könnte; dessen ungeachtet will sich Babusiaux, Id quod actum est, S. 236 Fn.  1151 nicht zwischen den beiden Alternativen entscheiden. 481  Liebs, in: Strukturen der Mündlichkeit, S. 89 spricht von einer „lockere[n] Assoziation“. Auf den Sachverhalt soll hier nicht im Einzelnen eingegangen werden. Allerdings kann Schulz, Symbolae Lenel, S. 238 und Zülch, Der liber singularis responsorum, S. 81 ff., 206 f. nicht gefolgt werden, wenn sie den gesamten Paragraphen nach umfangreicher aber nicht überzeugender Untersuchung zum Werk eines nachklassischen Bearbeiters erklären, der nach Diokletian gewirkt haben soll; gegen diese Behauptungen richtet sich ausführlich Liebs, SZ  120 (2003), S. 250 f.

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung

damit allerdings nur die Art des Vorgehens bei Ermessensentscheidungen des Richters, ohne eine materielle Induktion vornehmen zu wollen.482 bb) Vertragsauslegung mittels Deduktion Es ist lediglich eine Stelle tradiert, in der Marcell die Auslegung eines Rechtsgeschäfts unter Lebenden begründet. Dabei gewinnt er seine Lösung rein deduktiv: (O1) Marcell = D  45.1.98.1 (20 dig)

Ex hac stipulatione: ‚insulam fulciri spondes?‘ quando nascatur actio, quaeritur. Et utique non est exspectandum, ut ruat: nec enim nihil stipulatoris interest fultam potius esse, quam non esse: nec tamen recte agetur, si nondum praeterierit temporis tantum, quo fulcire potuerit redemptor.



Es wird gefragt, wann aus dieser Stipulation ein klagbarer Anspruch entsteht: „Versprichst du, dass das Gebäude gestützt wird?“. Und man muss durchaus nicht abwarten, bis es einstürzt. Und es liegt nämlich sehr wohl im Interesse des Stipulators, dass es eher gestützt ist, als dass es nicht gestützt ist. Jedoch wird unberechtigt geklagt, wenn noch kein so großer Zeitraum vorübergegangen ist, in dem der Unternehmer die Möglichkeit hatte es zu stützen.

Wenn in einer Stipulation versprochen wird, dass an einem bestimmten Haus Stützarbeiten durchgeführt werden, ohne dass ein bestimmter Zeitpunkt für die Ausführung genannt ist, richtet sich die Fälligkeit des Anspruchs nach den Umständen.483 Einerseits muss mit einer Klage nicht abgewartet werden, bis das einsturzgefährdete Haus tatsächlich zusammengebrochen ist.484 Dies begründet Marcell ausdrücklich mit dem Interesse des stipulator, dem es gerade auf den Erhalt seines Gebäudes ankommt. Dabei handelt es sich allerdings nicht um eine Billigkeitserwägung, sondern um eine Deutung des Geschäfts nach seinem vernünftigen Sinn.485 Diesem entspricht andererseits auch, dass dem Schuldner zumindest ein für die Fertigstellung der versprochenen Bauarbeiten angemessener Zeitraum zuzubilligen ist und der Gläubiger vorher nicht klagen darf.486

aber Nishimura, Mandatum und Verwandtes, S. 105. Grundsatz aus Pomp. D  50.17.14: In omnibus obligationibus, in quibus dies non ponitur, praesenti die debetur, ist dazu subsidiär; Kaser, RP I, S. 638. 484  Diese Entscheidung zitiert auch Ulpian in D  45.1.72.2. 485  Anders ist es dagegen, wenn ein völlig unabhängiger Gesichtspunkt herangezogen wird; vgl. nur D 46.3.68 (S2) oder D 28.4.3 (T1). 486  Ebenso Pomp. D  45.1.14 im Falle einer Stipulation ‚domum aedificari‘. 482  So

483  Der



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b) Auslegung von Testamenten aa) Verba und voluntas Dass sich Ausführungen zur Interpretation von letztwilligen Verfügungen in Marcells Werken wesentlich häufiger als Vertragsinterpretationen finden, ist kein überraschender Befund. Denn aufgrund der römischen Sozialstruktur kam letztwilligen Verfügungen eine entscheidende Rolle im Rechtsleben zu; und trotz ihrer enormen Bedeutung wurden sie nicht anders als heute häufig ohne Kenntnis der rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten getroffen. Kommt es nach dem Ableben des Testators zum Streit, muss in der Regel gerade der vom Laien abgefasste Wortlaut nach Anhaltspunkten für dessen Vorstellungen durchforscht werden. Je mehr Deutungsmöglichkeiten die vom Testator gewählte Formulierung eröffnet, desto wichtiger werden objektive Kriterien, nach denen ein bestimmter Erblasserwille zumindest vermutet werden kann. Aus methodischer Sicht interessieren vor allem die unterschiedlichen Optionen zur Begründung einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit für die angenommene voluntas. Auch hier besteht die Möglichkeit, induktive oder deduktive Schlüsse zu ziehen. Zudem ist danach zu differenzieren, ob die Entscheidung bereits an einer vom Wortlaut vorgegebenen Beschränkung festgemacht wird, ob die mehrdeutigen Worte einer Verfügung immerhin noch als Indiz herangezogen werden oder ob nur solche Umstände und Wertungen den Ausschlag geben, die mit der Urkunde in keinem Zusammenhang stehen. Dies darf aber keinesfalls so verstanden werden, dass Marcell einmal nach den verba und ein anderes Mal nach der voluntas entscheiden würde, wie es die weit überwiegende Ansicht in der Literatur generell für die Hochklassiker annimmt.487 Vielmehr ist davon auszugehen, dass für Marcell wie für den heutigen Rechtsanwender das Ziel 487  Dies basiert insbesondere auf den umfangreichen Untersuchungen von Wieling, Testamentsauslegung, 107 ff.; gegen ihn und die genannte Vorstellung im Allgemeinen wendet sich Harke, Facetten des römischen Erbrechts, S. 55 ff., indem er ausgehend von Cels. D  33.10.7.2, Ulp. / Cels. D  28.5.9pr.–2 und Ulp. / Pomp. D 30.4pr. darlegt, wie verba und voluntas als konstitutive Elemente jeder wirksamen Verfügung zusammenwirken. Auch Kaser, RP I, S. 239 ff. will die beiden Aspekte getrennt halten; er kann sich dabei auf zahlreiche Hinweise zur älteren Literatur stützen. Doch auch in neuerer Zeit bleibt es im Kern bei dieser Sichtweise: vgl. nur Honsell / Mayer-Maly / Selb, Römisches Recht, S. 89; Zimmermann, The law of obligations, S. 625 ff.; Kunkel / Schermaier, Römische Rechtsgeschichte, S. 135 ff.; Kaser / Knütel, Römisches Privatrecht, S. 55 f.; Honsell, Römisches Recht, S. 194; Longchamps de Bérier, Law of succession, S. 228 ff. Dagegen bezeichnet Paulus, Die Idee der postmortalen Persönlichkeit, S. 308 f. den angeblichen Gegensatz als artifiziell und hält ihn für zu kurz gegriffen; seine eigene Vorstellung eines „variablen Koordinatensystems“ bleibt jedoch ebenfalls zu vage.

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung

einer jeden Auslegung die Ermittlung des der letztwilligen Verfügung wahrscheinlich zugrunde liegenden Erblasserwillens ist.488 Der Wortlaut kann zwar im Ausnahmefall zu einer Einschränkung eines nicht mehr formwirksam erklärten Willens führen. In aller Regel geht es jedoch um mehrdeutige Formulierungen, die ihrerseits durch das Willenselement konkretisiert werden müssen. Ein anderes Bild vermittelt auf den ersten Blick eine regula Marcells: Marcel. 285 = D  32.69pr. (resp lib) Non aliter a significatione verborum recedi oportet, quam cum manifestum est aliud sensisse testatorem. Es darf in keinem anderen Fall von der Bedeutung der Wörter abgewichen werden, als wenn es offensichtlich ist, dass der Testator etwas anderes gemeint hat.

Dies ist allerdings kein Plädoyer für den grundsätzlichen Vorrang der verba vor der voluntas. Ebenso wenig darf der Satz für die Aussage in Beschlag genommen werden, es sei in Ausnahmefällen zulässig, eine formunwirksame Verfügung nur aufgrund eines entsprechenden Erblasserwillens aufrechtzuerhalten. Jeder Wortlaut eröffnet einen mehr oder weniger großen Rahmen für den interpretationsfähigen Inhalt. Geht der erwiesene oder mutmaßliche Wille des Verfügenden darüber hinaus, entfaltet er insoweit keinerlei Wirkung.489 Könnte sich die voluntas im Einzelfall gegen Formgebote durchsetzen, wäre das formale Testament insgesamt überflüssig, da man auf jede Weise alles erklären könnte.490 Wo dagegen ein Ausdruck vom Testator formwirksam in unterschiedlicher Bedeutung benutzt worden sein könnte, liegt ein offener Wortlaut vor, der durch Auslegung konkretisiert werden muss. Daher ist in einem nächsten Schritt zu prüfen, in welchem Umfang die verba von der voluntas gedeckt sind. Hierbei gilt nach Marcells Regel eine Vermutung dafür, dass der Wortlaut so, wie er nach dem allgemeinen Sprachgebrauch verstanden wird, auch dem Erblasserwillen entspricht.491 Eine abweichende Sprachgewohnheit des Schreibenden müsste mit zusätzlichen Beweisen manifestiert werden. Dieses Verständnis der Stelle bestätigt sich bei einem Blick auf die unmittelbar anschließende 488  Dem entspricht auch, dass Marcell in Ulp. D  28.5.9.5 eine förmlich korrekte Verfügung aufgrund des Nachweises eines gegen die unbedingte Wirkung stehenden Willens für unwirksam erklärt und ebenso eine Bedingung streicht, die der Erblasser nachweislich nicht gewollt hat; vgl. Harke, Facetten des römischen Erbrechts, S. 60. 489  Vgl. für Marcell unten Ulp. D 28.7.4pr. (Q1) und Marcel. D 34.2.6pr., 1 (G5). Weitere Beispiele aus hochklassischer Zeit bespricht Harke, Facetten des römischen Erbrechts, S.  66 ff. 490  Harke, Facetten des römischen Erbrechts, S. 58. 491  So wohl auch Kaser, RP I, S. 240 m. Fn. 39 und Wieling, Testamentsauslegung, S.  148 f.



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Entscheidung über die Auslegung des Wortes iuvenis.492 Spätestens in der Zusammenschau mit der dort gegebenen ratio decidendi wird deutlich, dass sich die Ausführungen lediglich um die Abweichung von allgemeinem und individuellem Wortschatz drehen.493 Eine weitere Interpretationsregel Marcells steht in etwas anderem Kontext: Marcel. 144 = D  34.5.24 (11 dig) Cum in testamento ambigue aut etiam perperam scriptum est, benigne interpretari et secundum id, quod credibile est cogitatum, credendum est. Es ist die Ansicht zu vertreten, dass, wenn in einem Testament etwas mehrdeutig oder sogar falsch geschrieben worden ist, wohlwollend ausgelegt wird und gemäß dem, was wahrscheinlich gedacht worden ist.

Lassen die Worte in einem Testament mehrere Deutungen zu, soll sich die Auslegung zugleich an der benignitas und an dem wahrscheinlichen Erblasserwillen orientieren. Wohlwollend in diesem Sinne ist eine Auslegung, die diejenige Variante bevorzugt, bei der die Anordnungen des Testators im größtmöglichen Umfang zur Wirksamkeit gelangen.494 Der Wertungsbegriff kommt nicht generell zum Zuge, sondern nur, wenn bei der Ermittlung der voluntas nach Wortlaut und sonstigen Umständen mehrere, in gleichem Maße wahrscheinliche Vermutungen in Frage kommen. Ebenso soll im Falle eines perperam scriptum verfahren werden.495 Ist das vom Testator offenbar gewollte Ziel mit dem Mittel, auf das der untechnisch gebrauchte Ausdruck im Testament hindeuten mag, aus rechtlichen Gründen nicht erreichbar, ist ihm durch eine laienfreundliche benigna interpre492  Vgl. unten D 32.69.1 (Q2). Diese Verbindung übersehen Rastätter, Marcelli notae ad Iuliani digesta, S. 226 und Giaro, Römische Rechtswahrheiten, S. 446. Auch Zülch, Der liber singularis responsorum, S. 131 f. sieht keinerlei Zusammenhang und spricht dem Satz letztlich die Herkunft aus Marcells Responsensammlung ab, da es darin ansonsten keine „abstrakt-regelhaften Äußerungen“ gebe; dazu kommt er freilich nur unter der fragwürdigen Prämisse, dass so gut wie alle rationes in diesem Werk nicht von Marcell stammen: dazu nachfolgend S. 242 ff. 493  Liebs, SZ  120 (2003), S. 255 scheint dagegen von Irrtumsfällen auszugehen. Würde sich der Erblasser jedoch über einen Gattungsbegriff wie iuvenis nachweislich irren, würde mit großer Wahrscheinlichkeit auch Marcell gerade nicht dem Willen zur Durchsetzung verhelfen, sondern die Verfügung für nichtig erklären; vgl. Ulp. / Pomp. D  28.5.9pr., 1, D  30.4pr. und dazu ausführlich Harke, Si error aliquis intervenit, S.  34 ff. 494  Zur benignitas vgl. unten D 28.4.3 (T1). 495  Perperam kann hier nicht im Sinne von „irrtümlich“ verstanden werden, da die Annahme eines Verschreibens gerade die Kenntnis des tatsächlichen Erblasserwillens voraussetzt und nicht die Ermittlung des credibile cogitatum erfordert; vgl. auch Heumann / Seckel, Handlexikon, S. 422.

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tatio entgegenzukommen.496 Demnach steht dieser Leitsatz der erstgenannten Regel insoweit nahe, als in beiden Varianten eine Ausdrucksweise des Testators gebilligt wird, obwohl sie der für Außenstehende zu erwartenden Wortwahl widerspricht, weil sie von seinem wahrscheinlichen Willen gedeckt ist. Auch dies setzt aber voraus, dass der Rechtsanwender überhaupt von einem Interpretationsspielraum ausgeht. Nach alledem bleibt es also dabei, dass auch für Marcell noch das Prinzip von verba und voluntas als homologe Elemente einer wirksamen Verfügung gilt.497 Die Umsetzung dieses Schemas im Einzelfall lässt sich bei der Untersuchung der mit einer ratio überlieferten Auslegungsentscheidungen gut nachvollziehen. bb) Testamentsauslegung mit induktivem Schwerpunkt Zunächst sollen diejenigen Falllösungen untersucht werden, zu deren Begründung auf bereits anerkannte Auslegungsergebnisse für ähnliche Konstellationen rekurriert wird. Dabei geht es Marcell in allen vier Fällen darum, zur Ermittlung des nicht eindeutig zu verifizierenden Erblasserwillens die im Vergleichsfall angestellte Vermutung auf den hiesigen Sachverhalt zu übertragen. In zwei Fragmenten begnügt er sich mit rein induktiven Schlüssen, ohne dabei das maßgebende Prinzip auch nur anzudeuten. Als Anknüpfungspunkt für einen Vergleich bietet sich bei Testamenten insbesondere der gewählte Wortlaut an: (P1) Marcell 186 = D  40.5.10pr. (16 dig)

Quidam in testamento scripserat: ‚Illum et illum servos meos venire nolo‘. Si ideo eos noluit venumdari, ut, si veneant, ad libertatem perveniant, praestanda erit libertas: nam et illi videtur libertas relicta, de quo ita scriptum est: ‚Nolo alii quam tibi serviat‘. Secundum haec igitur si quoquo modo vendere temptaverit servum, confestim peti poterit libertas nec, quominus praestet libertatem, proderit heredi, si eum redemerit, quia semel exstitit condicio.



Jemand hatte im Testament geschrieben: „Ich will nicht, dass dieser und jener – meine Sklaven – zum Verkauf kommen“. Wenn er deswegen untersagt hat, dass diese verkauft werden, damit sie, wenn sie zum Verkauf kommen, zur Freiheit gelangen, wird die Freiheit zu gewähren sein. Denn auch demjenigen scheint die Freiheit hinterlassen, über den so geschrieben worden ist: „Ich will

496  Ein Beispiel für eine solche Verwendung der benignitas liefert Iul. D 40.4.18.1: Haec condicio ‚cum moriar, liber esto‘ vitae tempus complectitur et idcirco inutilis esse videtur. Sed melius est verba benignius interpretari, ut post mortem suam ­videatur testator ei libertatem reliquisse. 497  Zu einem anderen Ergebnis kommt neuerdings Harke, Argumenta Papiniani, S. 59 ff., insb. S. 77 f. für den Spätklassiker Papinian: Demnach bedeute das Abstellen auf die verba für diesen nur mehr noch eine übertriebene subtilitas, die er durch die stärkere Ausrichtung an einer typisierten voluntas zu vermeiden suche.



II. Rechtsfindung mittels Auslegung161 nicht, dass er einem anderen als dir dient“. Demzufolge wird also, wenn der Erbe auf irgendeine Weise versucht hat, den Sklaven zu verkaufen, auf der Stelle die Freiheit gefordert werden können, und auch wenn er diesen zurückgekauft hat, wird es ihm nicht dazu verhelfen, dass er die Freiheit nicht leisten muss, weil die Bedingung ein für alle Mal eingetreten ist.

Ist in einem Testament ausgedrückt, dass ein bestimmter Sklave nicht zum Verkauf kommen soll, ist dies grundsätzlich so auszulegen, als habe der Testator seinem Erben für den Fall einer Zuwiderhandlung fideikommissarisch die Freilassung des Sklaven auferlegt. Da der Wortlaut allerdings auch Raum für andere Interpretationen lässt, bleibt es dem Erben unbenommen, einen entgegenstehenden Erblasserwillen nachzuweisen.498 Dass zumindest eine Vermutung zugunsten der ersten Auslegungsvariante spricht, begründet Marcell, indem er den einfacher zu entscheidenden Vergleichsfall anführt, mit dem er sich ausführlich auch in D  40.5.9 beschäftigt: die testamentarische Anordnung, dass ein bestimmter erbschaftlicher Sklave niemandem außer dem Erben dienen soll.499 Da dort zweifelsohne jegliche Begründung eines anderen Gewaltverhältnisses gegen den Willen des Erblassers wäre, steht zur Beendigung der Sklaverei einzig noch die Freilassung zur Verfügung. Der Wortlaut im Ausgangsfall schließt demgegenüber die Möglichkeit einer Eigentumsübertragung nicht vollständig aus. Dennoch ist es geboten, zumindest für den Fall des venire gleichermaßen von einem auf die Freiheitserlangung gerichteten Willen auszugehen. Da Marcell die Veräußerung also im Ergebnis wie eine Bedingung für die Forderung des Sklaven aus einem Freilassungsfideikommiss behandelt, kann er auch die Frage, ob der Erbe dem Freilassungszwang durch einen Rückkauf des bereits veräußerten Sklaven noch entgehen kann, nur noch verneinen.500 Denn nach dem Bedingungseintritt ist der Anspruch unabhängig vom weiteren Geschehen entstanden. In einem anderen Fragment geht es um die Verantwortlichkeit für einen Bedingungsausfall: (P2) Marcell 145 = D  28.7.23 (12 dig)

‚Uter ex fratribus meis consobrinam nostram duxerit uxorem, ex dodrante, qui non duxit, ex quadrante heres esto‘. Aut nubit alteri aut non vult nubere. Consobrinam qui ex his duxit uxorem, habebit dodrantem, erit alterius quad-

498  So auch ausdrücklich Ulp. / Cels. D  40.5.24.8; dort finden sich zudem zwei Beispiele für solche Ausnahmefälle und der Hinweis, dass der Inhalt eines Fideikommiss nicht vom Wortlaut allein abhängt, sondern durch das Zusammenwirken von verba und mens testatoris bestimmt wird. 499  D  40.5.9 (Q9); ähnlich versteht die Argumentation auch Paulus, Die Idee der postmortalen Persönlichkeit, S. 153. 500  Silla, La cognitio sulle libertates fideicommissae, S. 71. Auch diese Entscheidung wird in Pap. D  40.5.21 wiedergegeben.

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung rans. Si neuter eam duxerit uxorem, non quia ipsi ducere noluerunt, sed quia illa nubere noluerit, ambo in partes aequales admittuntur: plerumque enim haec condicio: ‚si uxorem duxerit‘, ‚si dederit‘, ‚si fecerit‘ ita accipi oportet, quod per eum non stet, quo minus ducat aut det aut faciat.



„Derjenige von meinen beiden Brüdern, der unsere Cousine zur Frau nehmen wird, soll zu drei Vierteln, derjenige, der sie nicht heiraten wird, soll zu einem Viertel Erbe sein.“ Entweder wird sie einen von beiden heiraten oder sie will nicht heiraten. Derjenige von ihnen, der die Cousine zur Frau nimmt, wird drei Viertel haben, ein Viertel wird dem anderen gehören. Wenn keiner von beiden sie zur Frau nehmen wird, nicht [etwa] weil die beiden sie nicht heiraten wollen, sondern weil sie selbst nicht heiraten will, werden beide zu gleichen Teilen [zur Erbschaft] zugelassen. Denn eine solche Bedingung: „wenn er sie zur Frau nimmt“, „wenn er leistet“, „wenn er macht“ muss in den meisten Fällen so verstanden werden, dass es von ihm nicht abhängen darf, dass er nicht heiratet, leistet oder macht.

In einem Testament sind die Quoten der zwei Erben davon abhängig gemacht, welcher von beiden eine bestimmte Cousine heiraten wird: Der Bräutigam soll drei Viertel der Erbschaft erhalten, der andere den Rest. Es findet sich jedoch keine Regelung für den Fall, dass keiner von beiden mit ihr eine Ehe eingeht. In der Konstellation, dass die Heirat nicht an den Erben scheitert, sondern die Cousine von sich aus keinen von ihnen zum Mann nehmen will, vermutet Marcell, der Erblasser hätte gewollt, dass die beiden je zur Hälfte erben sollen. Ebenso entscheidet später auch Papinian, wenn die Bedingung aufgrund des Vorversterbens der Cousine nicht mehr erfüllt werden kann.501 In dessen Begründung wird deutlich, dass er den generellen Willen des Testators, die Genannten als Erben einzusetzen, überhaupt nicht in Zweifel zieht. Nach diesem Verständnis steht also nicht etwa die Erbeinsetzung selbst unter einer Bedingung, sondern lediglich die Bevorzugung des einen oder des anderen Erben. Auch Marcell erwägt nicht, dass die Erben völlig leer ausgehen könnten.502 Vielmehr beschäftigt sich auch er nur mit der beim Ausfall der Hochzeit hypothetisch gewollten Quotenverteilung. Dabei beruft er sich ausdrücklich auf eine allgemeine Vermutungsregel, die er mit zwei weiteren vergleichbaren Beispielen veranschaulicht: Im Zweifel ist eine Bedingung, die auf eine bestimmte Handlung gerichtet ist, immer so zu verstehen, dass sie auch dann als erfüllt anzusehen ist, wenn der Belastete das Unterbleiben der angeordneten Handlung nicht zu vertreten hat. Dies gilt für das Heiraten ebenso wie für ein bloßes Geben oder Tun. Nach alledem würden den beiden Erben jeweils drei Viertel der 501  D 28.7.24: … Vivo testatore consobrina defuncta ambo ad hereditatem venientes semisses habebunt, quia verum est eos heredes institutos, sed emolumento portionum eventu nuptiarum discretos; ähnlich auch Ulp. D  28.5.9.10. 502  Über die Konsequenzen des Verschuldens eines der beiden Erben soll hier nicht spekuliert werden.



II. Rechtsfindung mittels Auslegung163

Erbschaft zustehen, was freilich nach der allgemein bekannten Regel zur gleichmäßigen Kürzung der Anteile auf zwei Hälften führt.503 Ein rein induktiver Schluss auf das Auslegungsergebnis kann auch durch den Vergleich des komplexen Rechtsverhältnisses, auf das die untersuchte Verfügung bezogen ist, mit der trivialeren Beziehung zu einem beliebigen Dritten erfolgen. Dabei steht wiederum die Ergründung des vom Erblasser mutmaßlich gewollten Ziels im Vordergrund: (P3) Marcell 284 = D 30.123pr. (resp lib)

Lucius Titius cum duos filios heredes relinqueret, testamento ita cavit: ‚Quisquis mihi liberorum meorum heres erit, eius fidei committo, ut si quis ex is sine liberis decedat, hereditatis meae bessem cum morietur fratribus suis restituat‘: frater decedens fratrem suum ex dodrante fecit heredem: quaero, an fideicommisso satisfecerit. Marcellus respondit id, quod ex testamento Lucii Titii fratri testator debuisset, pro ea parte, qua alius heres exstitisset, peti posse, nisi diversum sensisse eum probaretur: nam parvum inter hanc speciem interest et cum alias creditor debitori suo exstitit heres. Sed plane audiendus erit coheres, si probare possit ea mente testatorem heredem instituisse fratrem suum, ut contentus institutione fideicommisso abstinere deberet.



Lucius Titius hat, da er zwei Söhne als Erben hinterließ, Folgendes im Testament angeordnet: „Welches meiner Kinder auch immer mein Erbe sein wird, das belaste ich mit dem Fideikommiss, dass es, sobald es verstirbt, seinen Brüdern zwei Drittel meines Erbes herausgeben soll, wenn einer von diesen ohne Kinder versterben sollte.“ Ein Bruder verstarb und setzte seinen Bruder als Erben zu drei Vierteln ein. Ich frage, ob er das Fideikommiss erfüllt hat? Marcell hat geantwortet, dass das, was der Testator dem Bruder aus dem Testament des Lucius Titius schulde, für denjenigen Teil, zu dem der andere erbe, verlangt werden könne, wenn nicht bewiesen werde, dass dieser etwas anderes gemeint habe. Denn es besteht kaum ein Unterschied zwischen diesem Fall und demjenigen, in dem ein anderer Gläubiger seinen Schuldner beerbt. Freilich aber müsste der Miterbe gehört werden, wenn er beweisen könnte, dass der Testator seinen Bruder in der Absicht eingesetzt hatte, dass er von dem Fideikommiss Abstand nehmen sollte, da er durch die Einsetzung befriedigt worden sei.

Der Erblasser hat seine zwei Söhne als Erben eingesetzt und demjenigen von ihnen, der zuerst und ohne Nachkommen verstirbt, fideikommissarisch auferlegt, zwei Drittel der erhaltenen Erbschaft an seinen Bruder herauszugeben. Einer der beiden Söhne hat später in seinem eigenen Testament seinen Bruder als Erben zu drei Vierteln und einen Dritten auf den Rest eingesetzt, ohne dabei seine Absichten näher zu erläutern. Nachdem dieser Sohn verstorben ist, stellt sich die Frage, ob das vom Vater auferlegte Erbschaftsfideikommiss als durch die Erbeinsetzung vollständig erfüllt anzuse503  Vgl.

Ulp. D  28.5.13.4.

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung

hen ist, oder ob der Überlebende als Fideikommissar noch ein Viertel seines ursprünglichen Anspruchs gegen den im brüderlichen Testament eingesetzten Miterben fordern können soll. Marcell beschäftigt sich nur mit der Auslegung des späteren, nicht wörtlich überlieferten Testaments.504 Entscheidend ist die Erfüllungsabsicht des Verstorbenen. Dabei geht er von dem Grundsatz aus, dass auch die Schuld aus einem Erbschaftsfideikommiss von den Erben anteilig erfüllt werden muss.505 Demzufolge ist die Forderung des eingesetzten Bruders, die aus dem väterlichen Testament herrührt, grundsätzlich nur in Höhe seines Anteils auf ihn übergegangen, während die Restitution eines Viertels der väterlichen Erbschaft noch vom Miterben eingefordert werden kann. Dem Miterben bleibt es allerdings unbenommen, im konkreten Fall eine vollständige Erfüllungsabsicht seines Erblassers bei der testamentarischen Verfügung nachzuweisen. Zur Begründung dieser Lösung stellt Marcell seinem Sachverhalt die schlichte Rechtsnachfolge eines Gläubigers nach seinem Schuldner gegenüber und demonstriert, dass zwischen den Konstellationen kein relevanter Unterschied besteht:506 Alle Forderungen, die ein Erbe gegen seinen Erblasser zu dessen Lebzeiten innehatte, gleich ob bedingt oder unbedingt, erlöschen in Höhe seiner Erbquote mit dem Anfall der Erbschaft durch Konfusion. Im Übrigen bleiben sie jedoch bestehen. Da mangels anderslautender Hinweise zu vermuten ist, dass der Testator das von der Rechtsordnung vorgesehene Ergebnis erreichen wollte, erlöschen auch nur drei Viertel der fideikommissarischen Forderung ohne Weiteres mit dem Erbfall.507 Erneut dient der reduzierte Vergleichsfall dazu, den Fokus auf das eigentliche Problem zu richten: Nur weil es sich um eine vom Vater herrührende Verpflichtung handelt, ist hier nicht mehr oder weniger als bei einer sonstigen Schuld von der Erfüllungsabsicht des verstorbenen Schuldners auszugehen. Auch die Annahme eines hypothetischen Willens kann durch Induktion erreicht werden: 504  Mit der Bedingung si quis ex is sine liberis decedat im väterlichen Testament hält sich Marcell dagegen nicht auf, so dass angenommen werden kann, dass sie erfüllt worden ist; ebenso Voci, DER  II, S. 959 f.; Zülch, Der liber singularis responsorum, S. 114. 505  Die Aufteilung des Fideikommiss folgt wie bei allen teilbaren erbschaftlichen Schulden und Forderungen dem Prinzip nomina ipso iure divisa; vgl. Gord. C 3.36.6. und dazu Kaser, RP I, S. 729, 733. 506  Entgegen Zülch, Der liber singularis responsorum, S. 120 f., 214, der die letzten beiden Sätze wenig überzeugend als nachklassische Paraphrase verdächtigt, handelt es sich also durchaus um eine die vorgenommene Auslegung rechtfertigende und erläuternde ratio decidendi; ähnlich Liebs, SZ  120 (2003), S. 253. 507  In Pap. D 31.77.7 ist der Fall einer ausdrücklichen Regelung im Testament eines fideikommissarisch Beschwerten überliefert: … pro parte ita heredem instituit, ut hereditatem fideicommisso compensaret.



II. Rechtsfindung mittels Auslegung

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(P4) Marcel 166 = D 29.7.19 (14 dig)

Is qui unum filium habebat, cum codicillos ad eum scripsisset, decessit intestatus herede eo et quem postea procreavit. Adgnatione sui heredis nemo dixerit codicillos evanuisse: igitur si nihil tum de postumis speravit, et codicilli non evanescent et quae relicta sunt, pro parte dimidia filius, ad quem codicillus factus est, solvere compellitur, non etiam postumus. Sed et si codicillos reliquisset duobus superstitibus filiis decedens, cum putaret alterum ex his prius decessisse, simili modo dici potest omnia perinde debere filium, ad quem scripti sunt codicilli, atque si solus heres exstitisset patri. immo dumtaxat partem debet: eorum tamen, quae pro parte praestari non possunt, nihil eorum praestandum, quoniam illi non fuerit filio ablaturus, nisi solum putaret successorem sibi futurum.



Jemand, der einen Sohn hatte, starb, nachdem er Kodizille an diesen geschrieben hatte, ohne Testament und hinterließ als Erben diesen und einen [weiteren Sohn], den er später gezeugt hatte. Niemand wird behaupten, dass die Kodizille durch die Blutsverwandtschaft eines Eigenerben erloschen seien. Also erlöschen die Kodizille auch nicht, wenn er damals keine Nachgeborenen erwartet hat, und [nur] der Sohn, an den das Kodizill gerichtet ist, wird gezwungen, das Hinterlassene zur Hälfte zu leisten, nicht auch der Nachgeborene. Aber auch wenn ein Sterbender, der zwei überlebende Söhne hat, Kodizille hinterlassen hatte, wobei er glaubte, dass der eine von ihnen vorher verstorben wäre, kann in ähnlicher Weise gesagt werden, dass der Sohn, an welchen die Kodizille gerichtet sind, ebenso alle [Fideikommisse] schuldet, wie wenn er alleiniger Erbe des Vaters wäre. Allerdings schuldet er nur seinen Anteil. Es muss jedoch von demjenigen, was nicht anteilig geleistet werden kann, nichts geleistet werden, weil er es jenem Sohn nicht weggenommen haben würde, wenn er nicht gedacht hätte, dass er sein einziger Nachfolger sein werde.

Der Erblasser hat kein Testament, sondern nur ein nicht konfirmiertes Kodizill hinterlassen, in dem er einige fideikommissarische Anordnungen zu Lasten seines Sohnes verfügt hat. Bis zu seinem Tod hat er kein Testament mehr errichtet. Die Intestaterbfolge tritt jedoch neben diesem Sohn noch ein später unerwartet geborener Sohn an. Die Übergehung eines solchen postumus suus in einem Testament würde zur Unwirksamkeit aller Verfügungen führen.508 Hier ist der Nachgeborene jedoch nicht enterbt oder übergangen, sondern tritt gerade in die ihm zustehende Erbenstellung ein. Für diesen Fall hat schon Julian entschieden, dass die in einem Intestatkodizill angeordneten Fideikommisse von den Erben erfüllt werden müssen, als wären sie in einem Testament eingesetzt worden.509 Weiterhin hat er entschieden, dass von dem Wortlaut ‚Quisquis mihi heres erit bonorumve possessor, eius fidei 508  Vgl. testamentum rumpitur in Gai 2.131; UE 22.18; dazu Robbe, I postumi, S.  263 ff.; Kaser, RP I, S. 706 f. 509  Iul. D 29.7.3pr.; vgl. auch Voci, DER II, S. 93; Paulus, Die Idee der postmortalen Persönlichkeit, S. 231 f.

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung

committo‘ sogar postumi umfasst werden.510 Marcell dagegen behandelt einen Fall, in dem die Verfügungen im Kodizill ausdrücklich an den erstgeborenen Sohn adressiert sind. Die Frage lautet auch hier, ob der nachgeborene Sohn, den er in seine Überlegungen überhaupt nicht einbeziehen konnte, trotzdem, bezogen auf seinen Anteil, für die Erfüllung der Fideikommisse haften soll. Die Annahme eines solchen hypothetischen Erblasserwillens ist deswegen nicht völlig abwegig, weil die im Kodizill geäußerten Wünsche nur auf diese Weise vollständig erfüllt werden könnten und es aus der damaligen Sicht des Erblassers keinen Unterschied machte, ob er die Verfügung an quisquis mihi heres erit oder namentlich an seinen Sohn richtete. Marcell entscheidet sich dennoch dagegen und nimmt an, dass der erste Sohn die Anordnungen pro parte dimidia erfüllen soll, während der postumus überhaupt nicht belastet sein soll. Dies entspricht auch der Vorgabe eines Dekrets Marc Aurels, nach dem die Belastung eines Erben mit Vermächtnissen verhältnismäßig zu kürzen ist, wenn sein Erbteil im Nachhinein vermindert wird.511 Seine Interpretation unterstreicht Marcell mit einem Vergleichsfall: Die Lage des postumus ist wie die eines Sohnes, den der Erblasser bei Erstellung der Kodizille bereits verstorben wähnte. In beiden Konstellationen muss der im Kodizill benannte Sohn so behandelt werden, als wäre er der einzige Erbe. Diese Aussage ist allerdings so zu verstehen, dass nur er allein und nicht auch sein Bruder von den Anordnungen betroffen sein soll, wobei seine hereditas im Ergebnis freilich nur die Hälfte des Vermögens des Erblassers ausmacht. Daher stellen die Worte simili modo dici potest omnia perinde debere filium auch keinen Widerspruch zu den vorhergehenden Ausführungen dar.512 Marcell geht es zunächst nur darum, dass der erste Sohn überhaupt haftet, die Kodizille also nicht gänzlich unwirksam sind, und darum, dass sein Bruder nicht mit ihm zusammen haftet. Insofern hat der erste Sohn omnia (fideicommissa) zu leisten. Erst im nächsten Satz präzisiert er das Ergebnis dahingehend, dass er alle Fideikommisse pro parte, nämlich nach dem Anteil seines Erbteils schuldet. Schließlich stellt er noch fest, dass Leistungen, die nicht geteilt werden können, ausnahmsweise überhaupt nicht erbracht werden müssen. Auch 510  Iul.

D 29.7.3.1. Pap. D  35.2.11.2; anders Mommsen, Corpus Iuris Civilis  I, S. 415 Fn.  9 und Manthe, Das senatus consultum Pegasianum, S. 52 Fn.  54, der pro parte dimidia für einen späteren Zusatz hält und davon ausgeht, Marcell hätte den ersten Sohn alles schulden lassen. 512  Für insoweit verdorben halten die Stelle dagegen Kaser, SZ  58 (1938), S. 99 m. Fn. 1; Manthe, Das senatus consultum Pegasianum, S. 52 Fn.  54; Paulus, Die Idee der postmortalen Persönlichkeit, S. 231 f. Mommsen, Corpus Iuris Civilis I, S. 415 Fn. 10 und Lenel, Palingenesia I, Sp. 615 Fn. 2 gehen ab immo von der nota eines späteren Juristen aus. 511  Vgl.



II. Rechtsfindung mittels Auslegung167

dies folgt aus dem bereits ermittelten hypothetischen Erblasserwillen: Wäre er bei der Verfügung nicht davon ausgegangen, nur einen Sohn zu haben, sondern hätte er die Teilung seines Vermögens vorhergesehen, hätte er nicht dem einen von beiden Erben die Herausgabe unteilbarer Gegenstände auferlegt.513 An zwei weiteren Stellen liegt der Schwerpunkt der Argumentation zwar ebenfalls auf einer vergleichenden Betrachtung, daneben klingt in Marcells Darstellungen aber noch das tertium comparationis an. Inhaltlich geht es bei beiden Fällen um den Umfang der durch ein Legat am gegenständlichen Grundstück erworbenen Berechtigung: (P5) Marcell 161 = D  33.2.15.1 (13 dig)

Qui duos fundos habebat, unum legavit et alterius fundi usum fructum alii legavit: quaero, si fructuarius ad fundum aliunde viam non habeat quam per illum fundum qui legatus est, an fructuario servitus debeatur. Respondit, quemadmodum, si in hereditate esset fundus, per quem fructuario potest praestari via, secundum voluntatem defuncti videtur id exigere ab herede, ita et in hac specie non aliter concedendum esse legatario fundum vindicare, nisi prius ius transeundi usufructuario praestet, ut haec forma in agris servetur, quae vivo testatore optinuerit, sive donec usus fructus permanet sive dum ad suam proprietatem redierit.



Jemand, der zwei Grundstücke hatte, hat eines vermacht und den Nießbrauch am anderen Grundstück einem anderen. Ich frage, ob dem Nießbraucher eine Dienstbarkeit geschuldet wird, wenn er keinen anderen Zugang zu seinem Grundstück hat als über das vermachte Grundstück. Er hat geantwortet, auf die gleiche Weise, wie der Nießbraucher, wenn sich in der Erbschaft ein Grundstück befindet, durch das ihm ein Zugang gewährt werden kann, dies vom Erben gemäß dem Willen des Verstorbenen zu fordern scheint, so dürfe auch dem Legatar in diesem Fall nur dann zugestanden werden, das Grundstück zu vindizieren, wenn er zuvor dem Nießbraucher das Recht des Durchgangs gewährt, so dass derjenige Zustand bei den Grundstücken beibehalten wird, der sich zu Lebzeiten des Testators durchgesetzt hat, sei es, solange der Nießbrauch andauert oder solange bis er zu seinem Eigentum zurückgekehrt ist.

Der Erblasser hat zwei Grundstücke, von denen das eine nur über das andere erreicht werden kann. In seinem Testament vermacht er jemandem das Eigentum an dem allgemein zugänglichen Grundstück und bestimmt für das andere ein Nießbrauchsvermächtnis zugunsten einer dritten Person. Gefragt wird, ob aufgrund dieser Verfügungen der Ususfruktuar des unzugänglichen Grundstücks ein Wegerecht über das vermachte Grundstück geltend machen kann, obwohl eine entsprechende Servitut nicht ausdrück513  Es besteht kein Anlass, im letzten Teil (immo – fin.) mit Behrends / Knütel, CIC  V, S. 252 eine Anmerkung Ulpians zu vermuten.

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung

lich vermacht worden ist. Marcell antwortet, dass der erste Vermächtnisnehmer dem Nießbraucher ein ius transeundi zu gewähren hat, solange diesem der ususfructus zusteht. Dabei betont er, dass damit diejenige Lage beibehalten wird, die auch zu Lebzeiten des Testators bestand. Er vergleicht diese Konstellation mit dem Fall, dass ein vererbtes Grundstück von vornherein mit dem ususfructus eines Dritten belastet ist und der Nießbraucher vom Erben die Duldung des Zugangs über ein weiteres vererbtes Grundstück verlangt. In diesem Fall ist es offensichtlich, dass nach dem Willen des Erblassers der Nießbrauch in derselben Weise fortgeführt werden soll, wie es vor dem Erbfall üblich war. Die Belastung des Erben mit dem Nießbrauch ist daher automatisch mit der zur Ausübung dieses Rechts notwendigen Beschränkung des Eigentums am benachbarten Grundstück verbunden.514 Dementsprechend ist auch bei einer neuen Bestellung eines Nießbrauchs im Testament davon auszugehen, dass der Testator die rechtliche Stellung des am benachbarten Grundstück berechtigten Legatars von vornherein durch das erforderliche Recht auf Zugang zum Nießbrauchsgrundstück begrenzen wollte.515 Im Mittelpunkt der Argumentation steht also auch hier die Auslegung des Erblasserwillens.516 Der Testator hat die Zugangsproblematik bei Erstellung des Testaments entweder nicht bedacht oder das Bestehen des Rechts als selbstverständlich angesehen. Bei der Ermittlung des wahrscheinlichen Erblasserwillens betrachtet Marcell die tatsächliche Situation zu Lebzeiten des Testators und geht mangels entgegenstehender Hinweise davon aus, dass er diese nach seinem Tode auch weiterhin bestehen lassen wollte.517 Die Entscheidung geht also insoweit über die reine Induktion hinaus, als der Fallvergleich zur Veranschaulichung dieser für beide Konstellationen treffenden Willensvermutung dient. Ganz ähnliche Probleme ergeben sich, wenn einem vermachten Gebäude der natürliche Lichteinfall verbaut wird:

514  Kaser, RP I, S. 444 m. Fn. 55 spricht von einer „stillschweigende(n) Servitutsbestellung“. 515  Auch Scaevola entscheidet in D 8.2.41, dass der Erbe den schon immer bestehenden Zugang zum erbschaftlichen Garten durch ein vermachtes Haus im Zweifel weiterhin nutzen darf; ähnlich auch Scaev. D 8.5.20. Das Fragment Ulp. D 7.6.1.1 schließlich enthält die allgemeine Regel, dass das Vermächtnis eines ususfructus immer auch die zur Ausübung notwendigen Nebenrechte (adminicula) umfasst; vgl. dazu Staffhorst, Die Teilnichtigkeit von Rechtsgeschäften, S. 230 ff. 516  Eine ähnliche Entscheidung findet sich bei Julian in D 30.81.3; dazu Harke, AI–AS, S.  308 f. 517  Stössel, Die stillschweigende Willenserklärung, S. 14 f. will eine „secundum voluntatem defuncti gemacht(e)“ Fiktion annehmen; das Verb videtur zeigt hier aber lediglich die wahrscheinlichste Deutung des Erblasserwillens an.



II. Rechtsfindung mittels Auslegung169

(P6) Marcell 33 = D 8.2.10 (4 dig)

Gaurus Marcello: binas aedes habeo, alteras tibi lego, heres aedes alteras altius tollit et luminibus tuis officit: quid cum illo agere potes? Et an interesse putes, suas aedes altius tollat an hereditarias? Et de illo quaero, an per alienas aedes accessum heres ad eam rem quae legatur praestare debet, sicut solet quaeri, cum usus fructus loci legatus est, ad quem locum accedi nisi per alienum non potest. Marcellus respondit: qui binas aedes habebat, si alteras legavit, non dubium est, quin heres alias possit altius tollendo obscurare lumina legatarum aedium: idem dicendum est, si alteri aedes, alteri aliarum usum fructum legaverit. Non autem semper simile est itineris argumentum, quia sine accessu nullum est fructus legatum, habitare autem potest et aedibus obscuratis. Ceterum usu fructu loci legato etiam accessus dandus est, quia et haustu relicto iter quoque ad hauriendum praestaretur. Sed ita officere luminibus et obscurare legatas aedes conceditur, ut non penitus lumen recludatur, sed tantum relinquatur, quantum sufficit habitantibus in usus diurni moderatione.



Gaurus an Marcell: Ich habe zwei Gebäude, das eine vermache ich dir, das andere Gebäude baut der Erbe weiter in die Höhe und beeinträchtigt deinen Lichteinfall: was kannst du gegen diesen unternehmen? Und meinst du, dass es darauf ankommt, ob er sein eigenes oder das ererbte Gebäude weiter in die Höhe baut? Und ich frage, ob der Erbe den Zugang zu der vermachten Sache über ein fremdes Hausgrundstück gewähren muss; diese Frage kommt gewöhnlich auf, wenn der Nießbrauch an einem Grundstück vermacht worden ist, auf das man ausschließlich über fremden Grund gelangen kann.



Marcell hat geantwortet: Wenn jemand, der zwei Gebäude hatte, eines davon vermacht hat, besteht kein Zweifel daran, dass der Erbe das Fensterlicht des vermachten Gebäudes verdunkeln kann, indem er das andere weiter in die Höhe baut. Gleiches ist zu sagen, wenn er dem einen ein Gebäude, dem anderen den Nießbrauch am anderen [Gebäude] vermacht hat. Für ein Wegerecht gilt die Schlussfolgerung aber nicht immer in gleicher Weise, weil es kein Vermächtnis eines Nießbrauchs ohne Zugang gibt, man in verdunkelten Gebäuden aber durchaus wohnen kann. Im Übrigen ist bei einem vermachten Nießbrauch an einem Grundstück auch der Zugang zu gewähren, weil genauso auch im Falle eines hinterlassenen Schöpfrechts der Weg zum Wasserschöpfen gewährt werden muss. Allerdings wird die Beeinträchtigung des Lichteinfalls und das Verdunkeln von vermachten Gebäuden nur insoweit gestattet, als das Licht nicht völlig genommen wird, sondern so viel belassen wird, wie es den Bewohnern dem Maße nach zum alltäglichen Gebrauch genügt.

Auch hier geht es um testamentarische Verfügungen über zwei benachbarte Erbschaftsgrundstücke.518 Im Hauptfall hat der Alleinerbe eines der ererbten Gebäude derart in die Höhe gebaut, dass er damit dem daneben stehenden Haus, das er an einen Vermächtnisnehmer herausgeben musste, 518  Das Vermächtnis eines Gebäudes ist grundsätzlich auch auf das Eigentum des Grund und Bodens bezogen und nicht nur auf ein Wohn- oder Nutzungsrecht; vgl. Iul. D 30.81.3.

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung

Licht und Aussicht genommen hat. Nach Marcell darf der Erbe grundsätzlich unbeschränkt bauen und der Legatar kann nicht gegen die Verdunkelung vorgehen. Ebenso kann auch ein Vermächtnisnehmer das ihm vermachte Haus grundsätzlich erhöhen, ohne auf andere Legatare, denen der Erblasser den Nießbrauch am nächstgelegenen Grundstück vermacht hat, Rücksicht nehmen zu müssen.519 Im letzten Satz schränkt er diese Regelung allerdings insoweit ein, als den Bewohnern zumindest so viel Licht belassen werden muss, wie sie in usus diurni moderatione benötigen.520 Wie in D  33.2.15.1 handelt es sich auch hier um eine Frage der Testamentsauslegung.521 Dabei geht Marcell davon aus, dass sich der Testator eine durchschnittliche Nutzung des beeinträchtigten Gebäudes durch den Legatar oder Ususfruktuar vorgestellt hat, für die eine Servitut ne altius tollendi oder ne luminibus officiatur nicht erforderlich ist.522 Das bloße Verdunkeln eines Hauses verhindert grundsätzlich nicht dessen Nutzung durch habitare. Die testamentarische Verfügung wird aber zumindest das nicht näher bezeichnete Recht enthalten, sich gegen solche durch den Erben vorgenommenen Baumaßnahmen zu wehren, die das normale Bewohnen des Gebäudes gänzlich unmöglich machen würden. Diese Überlegung verdeutlicht Marcell durch die Abgrenzung zu den Fällen des Zugangs zu einem vermachten Gebäude oder Nießbrauchsgrundstück: Können diese nur über ein weiteres erbschaftliches Grundstück erreicht werden, gilt das notwendige Zugangsrecht als automatisch in der Verfügung enthalten.523 Zur näheren Erläuterung führt er ein zusätzliches Vergleichsargument an: Auch das Vermächtnis eines haustus enthält ohne Weiteres das zur Durchführung des Wasserschöpfens erforderliche Wegerecht.524 Diesen Fällen ist gemein, dass das jeweilige Vermächtnis seinem Inhalt nach ohne Zugangsbefugnis 519  Dabei handelt es sich nach dem überlieferten Wortlaut (idem dicendum est) entgegen Rodger, Owners and neighbours, S. 67 nicht um ein Vergleichsargument, sondern um eine parallel getroffene Entscheidung Marcells. 520  Paulus spricht in der Parallelstelle D 7.1.30 unter Bezugnahme auf Marcells Entscheidung ungenauer von modicum lumen, meint aber wohl dasselbe. 521  Entgegen Palma, Iura vicinitatis, S. 198 ist hier keine über die Auslegung privater Rechtsgeschäfte hinausgehende, allgemeine nachbar- oder baurechtliche Regelung bezeugt. Es sind zu diesem Thema keinerlei von Marcell getroffene ­Entscheidungen ohne Bezug auf die Auslegung letztwilliger Verfügungen überliefert; dies übersieht auch Rainer, Bau- und nachbarrechtliche Bestimmungen, S. 252 f. 522  Ähnlich Ulp. D 7.6.1.4. 523  Es handelt sich also um dieselbe Überlegung, die Marcell in D  33.2.15.1 ausführt. 524  Dabei wird er sich an einer in Ulp. D 8.3.3.3 zitierten Entscheidung Neraz’ orientiert haben, wonach mit einem ausdrücklich eingeräumten (cedere) Wasserschöpfrecht immer auch das entsprechende Wegerecht verbunden ist.



II. Rechtsfindung mittels Auslegung171

völlig gegenstandlos wäre.525 Bei der Verdunklung eines bewohnten Gebäudes kann dies dagegen nicht pauschal angenommen werden, sondern nur dann, wenn die im konkreten Fall vorgesehene Benutzung nicht mehr im vernünftigen Maße durchführbar ist. Wiederum zieht Marcell die Vergleichsund Abgrenzungsfälle heran, um die seiner Interpretation zugrundeliegende Maxime herauszustellen: Im Zweifel wollte der Erblasser mit seinen Verfügungen die bisherige oder allenfalls die durchschnittliche Verwendung seiner Erbschaftsgegenstände durch die Begünstigten erreichen. cc) Deduktion Etwas öfter als induktiv begründete Interpretationen sind Fälle von Testamentsauslegung überliefert, die auf einer deduktiven Argumentation basiert. Dabei steht den neun Sachverhalten, in denen Marcell von einem mehrdeutigen Wortlaut ausgeht, nur ein Fall gegenüber, in dem der Wortlaut überhaupt nicht mit dem wahrscheinlichen Erblasserwillen in Einklang gebracht werden kann: (Q1) Marcell 142 = D 28.7.4pr. Ulp 8 Sab

Si qui ita sint instituti: ‚Si socii una bonorum meorum permanserint usque ad annos sedecim, heredes sunto‘, inutilem esse institutionem secundum verborum significationem Marcellus ait: Iulianus autem, quoniam et ante aditam hereditatem iniri societas potest quasi rei futurae, valere institutionem, quod est verum.



Wenn mehrere [Personen] derart eingesetzt worden sind: „Wenn sie 16 Jahre lang gemeinschaftlich Miteigentümer meiner Güter geblieben sind, sollen sie Erben sein“, sagt Marcell, dass die Einsetzung der Bedeutung des Wortlauts gemäß unwirksam sei. Weil aber eine Gemeinschaft auch vor dem Antritt der Erbschaft eingegangen werden kann, sozusagen [eine Gemeinschaft] bezüglich einer zukünftigen Sache, [meint] Julian, die Einsetzung sei wirksam, was richtig ist.

Der Erblasser hat seine Erben unter der Bedingung eingesetzt, dass sie 16 Jahre lang gemeinschaftliche Eigentümer der Erbschaftsgegenstände bleiben. Offenbar wollte er erreichen, dass sein Vermögen in dieser Zeit nicht veräußert werden kann. Problematisch ist aber, dass er damit eine aus rechtlicher Sicht unmöglich zu erfüllende condicio für den Erbschaftsantritt gestellt hat, da der Übergang der Eigentumsrechte auf die Erben gerade Voraussetzung für die Entstehung der Erbengemeinschaft ist.526 Eine auf525  Ebenso Rodger, Owners and neighbours, S. 73 f.; Bund, in: Behrends / Knütel, CIC II, S. 673. Dagegen meint nullum legatum gerade nicht die Nichtigkeit eines Vermächtnisses, welches keine ausdrückliche oder stillschweigende Verfügung über das Wegerecht enthält. 526  Ebenso Wieling, SZ 78 (1970), S. 222; Meissel, Societas, S. 127.

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung

schiebend bedingte Erbeinsetzung ist von vornherein nicht denkbar.527 Dass weder Marcell noch Julian die Möglichkeit erwähnen, eine solche Bedingung als pro non scripta anzusehen, muss nicht verwundern, da die sabinianische Fiktion zumindest bei rechtlicher Unmöglichkeit offensichtlich kein ausnahmslos geltendes Prinzip war.528 Julian nimmt an, dass der Ausdruck socii bonorum meorum für eine Auslegung Raum lässt, wonach die Bedingung bereits vor der aditio erfüllt werden kann, indem die Erben eine societas rei futurae gründen, deren Zweck die spätere Vergemeinschaftung der bona hereditaria ist.529 Marcell dagegen hält die Erbeinsetzung ausdrücklich aufgrund des Wortlauts für unwirksam.530 Nach seiner Meinung lässt der zu enge Rahmen der significatio verborum von vornherein keine Deutung zu, die einer zulässigen und gewollten Verfügung entsprechen könnte. Alle übrigen deduktiven Schlüsse erfolgen unter der Prämisse eines ambigen Wortlauts. An einer Stelle erläutert Marcell, warum das Verharren bei einer nach objektiven Kriterien gewonnenen Begriffsdefinition im Rahmen der Auslegung von Testamenten oft nicht zielführend ist: (Q2) Marcell 285 = D  32.69.1 (resp lib)

Titius codicillis suis ita cavit: ‚Publio Maevio omnes iuvenes, quos in ministerio habeo, dari volo‘: quaero, a qua aetate iuvenes et in quam intellegi debeant. Marcellus respondit, quos verbis quae proponerentur demonstrare voluerit testator, ad notionem eius, qui de ea re cogniturus esset, pertinere: non enim in causa testamentorum ad definitionem utique descendendum est, cum plerumque abusive loquantur nec propriis nominibus ac vocabulis semper utantur. Ceterum existimari posset iuvenis is, qui adulescentis excessit aetatem, quoad incipiat inter seniores numerari.



Titius hat in seinen Kodizillen Folgendes angeordnet: „Ich will, dass dem Publius Maevius alle jungen Männer gegeben werden, die ich in meinem Dienst habe.“ Ich frage, von welchem Alter an und bis zu welchem [Alter] man von jungen Männern ausgehen muss?



Marcell hat geantwortet, [die Frage,] welche [Personen] der Testator mit den angeführten Worten bezeichnen wollte, falle in den Untersuchungsbereich dessen, der in dieser Sache zu urteilen habe. Man muss nämlich bei Testamen-

Gai  2.184, Pap. D  28.5.34; Kaser, RP I, S. 688. zeigt Marci. / Iul. D  28.7.16: ‚Si Titius heres erit, Seius heres esto: si Seius heres erit, Titius heres esto‘. Iulianus inutilem esse institutionem scribit, cum condicio existere non possit; dazu Kaser, RP  I, S. 254 m. Fn. 13. 529  Eine ähnliche Vereinbarung enthält Paul. D 17.2.3.2; dazu eingehend Meissel, Societas, S. 118 ff. Vgl. auch Julians Lösung in Ulp. D 28.7.4.1. 530  Dies verkennt Backhaus, Casus perplexus, S. 40 f., wenn er es für wahrscheinlich hält, dass die Auslegung Julians auch von Marcell grundsätzlich mitgetragen worden sei und sich der Streit nur um die Zulässigkeit einer societas rei futurae gedreht hätte. 527  Vgl. 528  Das



II. Rechtsfindung mittels Auslegung173 ten nicht unbedingt auf eine Begriffsbestimmung zurückgreifen, da viele sich missbräuchlich ausdrücken und nicht immer die gewöhnlichen Namen und Wörter verwenden. Im Übrigen könnte man den für einen jungen Mann halten, der das Alter eines Jünglings überschritten hat, bis man beginnt, ihn zu den Senioren zu zählen.

In einem Kodizill ist der Gegenstand eines Fideikommisses als iuvenes, quos in ministerio habeo bezeichnet worden. Es stellt sich die Frage, welche Sklaven von dieser Verfügung umfasst sein sollen. Marcell geht davon aus, dass der Ausdruck iuvenis mehrdeutig und auslegungsbedürftig ist und es daher auf die voluntas testatoris im Einzelfall ankommt.531 Daher verweist er vorrangig auf die Tatsacheninstanz apud iudicem, wo der Erblasserwille nach den konkreten Umständen ermittelt werden muss. Dabei legt er großen Wert darauf, dass in solchen Fällen auf das individuelle Vokabular des Testators abzustellen sei, da die Verwendung von Namen und Wörtern häufig in einer vom allgemeinen Sprachgebrauch abweichenden Weise erfolge. Im konkreten Fall ist für Marcell entscheidend, dass der Begriff iuvenis in der Umgangssprache zu unpräzise verwendet wird, als dass eine allgemeingültige Bedeutung ermittelt werden könnte. Sollte die Untersuchung der voluntas hier allerdings ergebnislos bleiben, kann mit der Vermutung gearbeitet werden, dass der Erblasser den Begriff mit der in seiner Umgebung gebräuchlichen Bedeutung verwenden wollte. Daher stellt Marcell abschließend fest, dass gewöhnlich bei Menschen, die nicht mehr als adulescentes gelten, aber auch noch nicht als seniores bezeichnet werden können, von iuvenes gesprochen wird.532 Die Stelle und die dazugehörige Regel im principium533 zeigen deutlich, dass Marcell noch in der Tradition seiner hochklassischen Vorgänger steht und in erster Linie den individuellen Erblasserwillen zu erforschen sucht, statt von vornherein dar531  So auch Harke, in: Facetten des römischen Erbrechts, S. 62 f. Anders Wieling, Testamentsauslegung, S. 149 ff., der die Stelle zu Unrecht neben anderen als Beleg für seine These anführt, der Wille habe sich als Interpretationselement in der hochklassischen Zeit gegen den Wortlaut durchgesetzt. 532  Insofern richtig Wieling, Testamentsauslegung, S. 151 m. Fn. 23. Zülch, Der liber singularis responsorum, S. 129 f. meint dagegen, es handele sich um den Versuch einer juristischen Begriffsbestimmung, der im Widerspruch zu Marcells voranstehenden Ausführungen und dem juristischen Sprachgebrauch seiner Zeit stehe und hält die beiden Schlusssätze daher für einen nachklassischen Zusatz; gegen ihn wendet sich auch Liebs, SZ  120 (2003), S. 254 f., indem er insbesondere aufzeigt, dass die von Zülch zum Nachweis der juristischen Begriffsverwendung angeführten Stellen Ulp. D  2.15.8.10 und Gai. D  4.4.27.1 in völlig anderen Zusammenhängen stehen; das von Liebs als Hintergrund der Entscheidung unterstellte Prinzip der größtmöglichen Schonung des Erben (vgl. Proc. D 31.47) ist in der Stelle allerdings nicht einmal angedeutet. 533  s. o. S. 158 f.

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung

auf abzustellen, was ein vernünftiger Testator typischerweise gemeint haben wird.534 Die Ausdrucksweise des Testators steht auch im Mittelpunkt, wenn unklar bleibt, ob er einen Begriff im juristisch-technischen Sinn gebrauchen wollte: (Q3) Marcell 190 = D 40.7.24 (16 dig)

‚Stichus, si heredi meo decem promiserit vel operas daturum se iuraverit, liber esto‘. Potest expleri condicio, si promiserit: nam spopondisse aliqua significatione dici potest, etiamsi non sit secuta obligatio.



„Stichus soll frei sein, wenn er meinem Erben 10 versprochen hat oder er geschworen hat, dass er Dienste leisten werde“. Die Bedingung kann erfüllt werden, wenn er es versprochen hat. Denn es kann gesagt werden, dass er durch irgendeine Erklärung versprochen hat, auch wenn keine [rechtliche] Verpflichtung erfolgt ist.

Marcell erörtert die Auslegung einer Testamentsformel, nach der einem Sklaven die Freiheit unter einer alternativen Bedingung gewährt ist: Zur Erfüllung soll er entweder dem Erben einen bestimmten Geldbetrag versprechen oder schwören, dass er weiterhin Dienste leisten wird. Das rechtliche Problem liegt darin, dass ein statuliber in der Schwebezeit den rechtlichen Status eines Sklaven behält. Daher kann er durch seine promissio weiterhin nur den dominus, nicht aber sich selbst wirksam verpflichten.535 Es ist zwar grundsätzlich möglich, sich zur Durchführung von operae nicht durch stipulatio, sondern durch das Ableisten eines iusiurandum zu verpflichten.536 Jedoch kann auch das Schwören erst nach erfolgter manumissio in rechtswirksamer Weise erfolgen.537 Eine gültige obligatio ist für einen Unfreien also generell nicht zu begründen.538 Daher stellt sich die Frage, wie die formulierte Bedingung hier zu verstehen ist. Bei der Auslegung geht Marcell ungeachtet der im juristischen Sinn klar definierten Begrifflichkeiten davon aus, dass ein mehrdeutiger Testamentswortlaut vorliegt:539 Es fehlt an einer Klarstellung, ob überhaupt eine rechtliche Verpflichtung des Freigelassenen gewollt ist, die dem Erben eine gerichtliche Durchsetzung ermögli534  Vgl. dazu Harke, Facetten des römischen Erbrechts, S. 55 ff. und ders., Argumenta Papiniani, S. 59 f., 77. 535  Vgl. Waldstein, Operae libertorum, S.  112 ff. 536  Vgl. Paul. D 38.1.37pr.; zu den beiden Arten der Verpflichtung vgl. die ausführliche Darstellung bei Waldstein, Operae libertorum, S.  239 ff. 537  Ulp. D 38.1.7pr., 2. 538  Venul. D 40.12.44pr. 539  Die Verwendung des Begriffs significatio scheint auf den ersten Blick darauf hinzudeuten, Marcell habe unmittelbar nach dem Wortlaut (significatione verborum) entschieden, in dem eben nur von einem Versprechen, nicht aber von einer obligatio die Rede ist. Eine solche Deutung scheitert allerdings daran, dass das adjektivische aliqua nur auf significatione bezogen werden kann.



II. Rechtsfindung mittels Auslegung

175

chen soll. In zeitlicher Hinsicht soll der Sklave jedenfalls unmittelbar mit der Erklärungshandlung frei werden und nicht erst nach der Erfüllung seines Versprechens, da der Erblasser gerade nicht unter einer Bedingung der Art si decem dederit verfügt hat. Wegen des endgültigen Charakters der libertas ist es von vornherein ausgeschlossen, eine durch die Erfüllung des Versprechens auflösend bedingte Freiheit anzunehmen.540 Aber auch die Deutung als rechtlich unmögliche Bedingung lehnt Marcell ab.541 Vielmehr geht er davon aus, dass der Testator die Freilassung nur von der tatsächlichen Vornahme des promittere oder iurare abhängig machen wollte, ohne dass es ihm auf eine rechtliche Wirkung angekommen wäre.542 Dieses Ergebnis begründet er damit, dass mit den Begriffen des Versprechens und Schwörens vorliegend zuvörderst das spondere als rein tatsächliche Handlung angesprochen wird und damit nicht unbedingt zugleich die Eingehung einer rechtlichen Verpflichtung gemeint sein muss.543 Die Formulierung nam spopondisse dici potest zeigt, dass Marcell den mutmaßlichen Erblasserwillen aus Überlegungen zum allgemeinen Sprachgebrauch gewinnt: Verwendet ein juristischer Laie in seinem Testament promittere oder iurare, wo es ansonsten üblich ist, von decem oder operas dare oder auch von servire zu sprechen, kann angenommen werden, dass er dabei nicht an die Entstehung einer rechtlich durchsetzbaren Verpflichtung gedacht hat, sondern eher an irgendeine Erklärungshandlung (aliqua significatio), die den guten Willen zur Leistung demonstrieren und ihn vor allem sittlich und moralisch binden soll.544 Da die so ermittelte voluntas bereits zur Freiheit des Betroffenen führt, braucht Marcell im Übrigen auch den Topos favor libertatis nicht mehr zu bemühen.545 Auch ein offener Wortlaut wird in den meisten Fällen eine gewisse Tendenz zugunsten einer der möglichen Auslegungsvarianten aufweisen, so Paul. D 40.4.33 f.; Kaser, RP  I, S. 257. solche Bedingung hätte er wohl nicht als pro non scripto behandelt, sondern vielmehr die bedingte Freilassung insgesamt als unwirksam angesehen; vgl. oben zu D 28.7.4pr. (Q1). 542  Ebenso Paul. 40.4.36, Lab. / Paul. 40.7.41.1. 543  Der Ausdruck spondere wird gerade bei der stipulatio als technischer Begriff für die Antwort des Versprechenden verwendet, betont also den faktischen Charakter; vgl. Kaser, RP I, S. 168 Fn. 19. 544  Dagegen geht Waldstein, Operae libertorum, S. 116 von einer Entscheidung gegen den (mutmaßlichen) Erblasserwillen aus. Es besteht aber keinerlei Hinweis dafür, Marcell wäre der Meinung gewesen, dass der Erblasser eigentlich eine rechtliche Bindung des Sklaven wollte, und hätte nur aufgrund des fehlerhaften Wortlauts oder eines anderen Umstands zugunsten des Sklaven entschieden. 545  Vgl. dazu unten D 29.5.16 (S1). In D 40.4.17.2 findet sich eine Entscheidung Julians, bei der sich die Ermittlung des wahrscheinlichen Erblasserwillens mangels anderer Anhaltspunkte auf den favor libertatis stützt; dazu Harke, AI–AS, S. 314. 540  Vgl.

541  Eine

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung

dass die voluntas mangels weiterer Indizien unmittelbar daraus abgeleitet werden kann: (Q4) Marcell 282 = D  28.5.54 (resp lib)

Lucius Titius Seio et Sempronio ex semissibus heredibus institutis et ceteris exheredatis invicem heredem substituit, deinde legata et libertates dedit, postea ita subiecit: ‚Cornelius et Sallustius et Varro aequis partibus heredes sunto, quos invicem substituo‘: quaero, quantum vel priores duo ex semissibus instituti vel posteriores habere debeant. Marcellus respondit in obscuro esse, Cornelium et Sallustium et Varronem primo an secundo vel tertio gradu heredes instituere voluerit: sed secundum scripturam testamenti quae proponeretur, alterum assem datum eis videri.



Lucius Titius hat, nachdem er Seius und Sempronius je zu hälftigen Erben eingesetzt und die anderen enterbt hatte, [die beiden] wechselseitig ersatzweise als Erben eingesetzt, danach Vermächtnisse und Freilassungen verfügt und hierauf Folgendes hinzugefügt: „Cornelius, Sallustius und Varro sollen Erben zu gleichen Teilen sein und ich setze sie gegenseitig ersatzweise ein“. Ich frage, wie viel entweder die ersten beiden, die zu gleichen Teilen eingesetzt worden sind, oder die späteren erhalten müssen. Marcell hat geantwortet, es sei zweifelhaft, ob er Cornelius, Sallustius und Varro zu Erben ersten, zweiten oder dritten Grades habe einsetzen wollen. Aber dem vorgetragenen Testamentswortlaut zufolge scheine ihnen eine von zwei Erbschaftseinheiten zugeteilt worden zu sein.

Ein Testator hat am Anfang seines Testaments die Einsetzung zweier Erben zu gleichen Teilen verfügt. Nach einer gegenseitigen Ersatzerbeneinsetzung und der Bestimmungen einiger Vermächtnisse hat er ohne nähere Erläuterung drei weitere Erben benannt, wobei er wiederum von einer Einsetzung zu gleichen Teilen und der wechselseitigen Substitution spricht. Auf die Frage nach den Erbquoten führt Marcell in seinem responsum aus, dass der Erblasserwille insofern in obscuro sei, als der Erblasser völlig unterschiedliche Konstellationen im Sinn gehabt haben könnte: Die drei zuletzt Genannten könnten als gleichrangige Erben ersten Grades neben den anderen beiden eingesetzt, als zweitrangige Erben den anderen substituiert oder sogar nur als drittrangiger Ersatz für die Substituten bestimmt sein.546 Im Ergebnis nimmt er an, dass der Testator beide Gruppen im ersten Grad einsetzen und ihnen jeweils ein alter as zuteilen wollte. Die Römer behandeln die gesamte Erbschaft rechnerisch grundsätzlich als ein as, welches wie Jahreszinsen in zwölf Teile geteilt werden kann.547 Ist durch anteilsmäßige Einsetzung mehrerer Erben über mehr als zwölf Zwölftel verfügt 546  Zu den verschiedenen Konstellationen vgl. im Einzelnen Zülch, Der liber singularis responsorum, S.  103 f. 547  Dazu und zu den folgenden Berechnungen eingehend Kaser, RP I, S. 687 und Zülch, Der liber singularis responsorum, S. 105.



II. Rechtsfindung mittels Auslegung177

worden, werden diese Quoten anteilig gekürzt.548 Wenn aber einige Erben mit Quotenangabe (cum partibus) und ein weiterer ohne Bezeichnung seines Anteils eingesetzt werden, wird vermutet, dass auf die Gruppe ein as und auf den zusätzlichen Erben ein alter as entfallen soll, so dass dieser nach anteiliger Kürzung zur Hälfte erben soll, während sich jene die zweite Hälfte der Erbschaft nach ihren Quoten teilen müssen.549 Sind schließlich, wie im vorliegenden Fall, zwei Gruppen jeweils cum partibus eingesetzt, so entfällt prinzipiell auf beide je ein as, das innerhalb der einzelnen Gruppe nach den im Testament angegebenen Quoten verteilt wird.550 Dies würde hier dazu führen, dass sich die ersten beiden Erben ein as teilen und somit zu je einem Viertel erben würden, während die drei zuletzt Eingesetzten je ein Drittel des alter as, also je ein Sechstel der gesamten Erbschaft erhalten müssten. Dass dies auch dem mutmaßlichen Erblasserwillen entspricht, begründet Marcell allerdings nicht in dem Sinne secundum scripturam testamenti, dass bereits vom Wortlaut her jede andere Interpretationsmöglichkeit ausgeschlossen wäre. Vielmehr führt er die denkbaren Varianten selbst an und stellt aus Mangel an Argumenten für eine abgestufte Begünstigung der Genannten die Vermutung auf, dass die Gleichbehandlung am ehesten dem Willen des Erblassers entsprochen habe.551 Dafür dient ihm keine Wertung, sondern der Wortlaut selbst als ausschlaggebender Anhaltspunkt.552 In manchen Fällen kann auch eine aus rechtlicher Sicht völlig überflüssige Formulierung für die Festlegung des mutmaßlichen Erblasserwillens nutzbar gemacht werden: (Q5) Marcell 168 = D  35.1.47 (14 dig)

Servo libertatem ita dedit: ‚Ille, si meus erit, liber esto‘: legatum vel hereditatem sine condicione ei dedit: deinde eum alienavit. Debebitur domino eius legatum vel hereditas et iussu eius adiri poterit: nam id expressit ‚si meus erit‘ in libertate danda, quo futurum erat ut impediretur libertas, etiamsi expressum non esset. Saepenumero tamen mutatur rei effectus, quamquam id expresserit testator, quod et si non fecisset, inesset tamen.



Jemand hat einem Sklaven die Freiheit in folgender Weise gewährt: „Jener soll frei sein, wenn er mein sein wird“. Er hat für ihn ein Legat oder eine Erbschaft ohne Bedingung verfügt. Danach hat er ihn veräußert. Das Legat oder die Erbschaft wird seinem Eigentümer geschuldet und sie wird auf dessen 548  Ulp.

D  28.5.13.4. D  28.5.17.3. 550  Ulp. D  28.5.17.2, 4 und Paul. D  28.5.18. 551  Entgegen Paulus, Die Idee der postmortalen Persönlichkeit, S. 51 f. Fn.  44 geht Marcell also nicht davon aus, dass der Testator den Überblick über seine Erben verloren hat, sondern, dass er sich lediglich nicht in den üblichen Quoten ausgedrückt hat. 552  Vgl. dazu auch Harke, Facetten des römischen Erbrechts, S. 60 a. E. 549  Ulp.

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung Geheiß hin angetreten werden können. Denn er hat ausdrücklich im Hinblick auf die Gewährung der Freiheit „wenn er mein sein wird“ gesagt, wodurch bewirkt werden sollte, dass die Freilassung verhindert wird, auch wenn es nicht ausdrücklich gesagt worden ist. Oftmals wird, obwohl der Testator etwas ausdrücklich gesagt hat, was ohnehin inbegriffen gewesen wäre, auch wenn er es nicht getan hätte, dennoch die Wirkung einer Sache verändert.

In einem Testament ist die Freilassung eines Sklaven ausdrücklich unter die Bedingung si meus erit gestellt worden. Zusätzlich hat der Testator den Sklaven als Erben eingesetzt oder ihm ein Vermächtnis hinterlassen. Hat er den Sklaven später vor seinem Tod einem anderen verkauft, stellt sich die Frage, ob die letztwillige Verfügung dennoch irgendeine Wirkung entfalten soll. Marcell entscheidet, dass der Sklave, obwohl er natürlich nicht zur Freiheit gelangt, dennoch wirksamer Erbe oder Vermächtnisnehmer bleibt und iussu novi domini antreten kann.553 Diese Interpretation des Erblasserwillens begründet er damit, dass die Bedingung im Wortlaut eindeutig nur auf die Freilassung bezogen worden ist. Daher ist es wenig wahrscheinlich, dass von einer Veräußerung neben der libertas auch die zweite Verfügung abhängen sollte. Isoliert betrachtet handelt es sich bei der Bedingung für die manumissio um die bloße Wiedergabe einer rechtlich ohnehin erforderlichen Voraussetzung. Solche condiciones iuris werden für gewöhnlich pro non scripto behandelt.554 Doch wie Marcell im letzten Satz noch ausführt, kann bisweilen auch das Hinzufügen einer solchen Bedingung eine gewisse Wirkung entfalten: Hätte der Testator die condicio nicht geschrieben, müsste man davon ausgehen, dass der Testator sich über die Möglichkeit der nachträglichen Veräußerung des Sklaven überhaupt keine Gedanken gemacht hatte. Dann läge es aber näher, eine umfassende Änderung des Erblasserwillens anzunehmen und die gesamte, den Sklaven betreffende Verfügung zu streichen.555 Dagegen kann er im vorliegenden Fall gerade aus dieser Formulierung seine gegenteilige Vermutung ableiten. Weniger an den verba, sondern eher an der inneren Systematik der vorgenommenen Verfügungen orientiert sich Marcell bei der Frage, wann ein bestimmtes Fideikommiss fällig sein soll: (Q6) Marcell 287 = D  35.1.36.1 (resp lib)

Titia codicillis de praediis, quae testamento Septiciae reliquerat, ita cavit: ‚A te peto, Septicia, ut filio meo, cum annorum sedecim esset, eadem praedia restitueres: quod si filius meus sedecim annos non impleverit, peto uti reddas ea restituas Publio Maevio et Gaio Cornelio‘. Quaero, cum Septicia decesserit,

553  Ebenso Gai 2.188; in IJ 2.14.1 findet sich zudem der Gedanke, dass die Veräußerung als konkludenter Widerruf der Freilassung angesehen werden könne. 554  Vgl. Pomp. D 36.2.22.1. 555  Ähnlich Willvonseder, Die Verwendung der Denkfigur der condicio sine qua non, S. 120.



II. Rechtsfindung mittels Auslegung179 deinde filius quintum decimum annum agens defunctus sit, an repraesentetur fideicommissum quinto decimo anno impleto et heredes Septiciae restituere id Publio Maevio et Gaio Cornelio debeant. Marcellus respondit Septiciam ius, quod in his praediis habuisset, heredi suo reliquisse: etenim videri contra voluntatem testatricis repraesentationem fideicommissi desiderari, ut amplius ad substitutos perveniat, quam ad puerum pervenire vel a Septicia vel ab heredibus potuisset. Et verba quidem videntur repraesentare fideicommissum, sed non est verisimile, ut maturius voluerit testatrix ad substitutos id transferre. Nec quicquam mutat, quod Septicia ante decessit: nam etsi puer viveret, non prius Septiciae heredes quam Septicia possent conveniri.



Titia hat im Hinblick auf Landgüter, die sie im Testament der Septicia hinterlassen hatte, in Kodizillen Folgendes angeordnet: „Ich verlange von Dir, Septicia, dass du meinem Sohn, wenn er 16 Jahre alt ist, eben diese Landgüter herausgibst. Wenn mein Sohn aber 16 Lebensjahre nicht vollendet haben wird, verlange ich, dass Du diese an Publius Maevius und Gaius Cornelius herausgibst.“ Ich frage, ob das Fideikommiss, wenn Septicia verstorben ist, hiernach der Sohn im fünfzehnten Lebensjahr gestorben ist, mit Vollendung des fünfzehnten Lebensjahres fällig wird und die Erben der Septicia dieses dem Publius Maevius und dem Gaius Cornelius herausgeben müssen.



Marcell hat geantwortet, dass Septicia das Recht, das sie an ihren Landgütern gehabt habe, ihrem Erben hinterlassen habe. Und es erscheine nämlich gegen den Willen der Erblasserin, wenn die Leistung des Fideikommisses [in der Weise] gefordert werde, dass mehr [Vermögen] an die Ersatzfideikommissare gelange, als entweder von Septicia oder von den Erben an den Jungen hätte gelangen können. Und freilich scheinen die Worte das Fideikommiss [sofort] fällig zu stellen, aber es ist nicht wahrscheinlich, dass die Erblasserin dieses früher an die Ersatzfideikommissare übertragen wollte. Und es ändert nichts, dass Septicia vorher verstorben ist. Denn auch wenn der Knabe leben würde, könnten die Erben der Septicia nicht früher als Septicia selbst verklagt werden.

Titia hat der Septicia zunächst in ihrem Testament bestimmte Grundstücke hinterlassen und ihr dann in einem Kodizill fideikommissarisch aufgetragen, diese Titias Sohn herauszugeben, sobald er sechzehn Jahre alt sein wird, oder ersatzweise zwei weiteren Personen, wenn er vorher versterben sollte. Nach dem Erbfall stirbt zunächst Septicia und erst danach Titias noch vierzehnjähriger Sohn.556 Der Herausgabeanspruch der Substituten gegen die Erben der Septicia entsteht völlig unproblematisch bei Versterben des Sohnes vor seinem sechzehnten Geburtstag (sedecim annos non impleverit). Marcell soll aber darüber Auskunft geben, ob für diesen Anspruch ein abweichender Fälligkeitszeitpunkt gewollt ist. Namentlich soll geklärt werden, ob die Vollendung des sechzehnten Lebensjahres bereits in dessen ersten 556  Mit quintum decimum annum agens kann nicht ein Alter von 15 Jahren ausgedrückt sein, da es sich um eine Ordnungszahl handelt; Menge, Lehrbuch der lateinischen Syntax und Semantik, S. 460; anders aber Voci, DER II, S. 896; Bustelo, Studi Metro, S. 270.

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung

Moment, also am Tag des fünfzehnten Geburtstags des Sohnes, als erfüllt angesehen werden soll. Die Vermutung eines solchen Erblasserwillens wurde seit Marcells Zeit insbesondere dort diskutiert, wo der Wortlaut der letztwilligen Verfügung von pervenire ad annum spricht.557 Bei seinen Ausführungen im responsum setzt Marcell bereits stillschweigend voraus, dass der Sohn der Titia seine Forderung aus dem Fideikommiss gegen Septicia erst mit der tatsächlichen Vollendung des sechzehnten Lebensjahres hätte geltend machen können. Es ist ihm offenbar selbstverständlich, dass die vorliegende Formulierung cum annorum sedecim esset noch weniger für einen Erblasserwillen spricht, der auf einen Fälligkeitszeitpunkt vor dem sechzehnten Geburtstag gerichtet ist, als es auf den bereits von Marc Aurel entschiedenen Fall zutrifft.558 Seine Untersuchung konzentriert sich daher auf die Frage, ob im Substitutionsfall etwas anderes gewollt ist. Nach dem Wortlaut des Kodizills ist sowohl denkbar, dass sich die Fälligkeitsangabe aus dem ersten Satz auch auf den zweiten bezieht, als auch, dass gerade aus dem Fehlen einer erneuten Zeitangabe auf eine frühere Fälligkeit geschlossen werden soll.559 Für Letzteres sprechen nach Marcells Ansicht die formellen Gesichtspunkte (verba quidem videntur), doch schließt dies andere Interpretationsmöglichkeiten nicht von vornherein aus.560 Vielmehr lässt der Wortlaut mehrere Deutungen zu, so dass der mutmaßliche Erblasserwille erforscht werden muss. Im Zentrum seiner Argumentation steht daher die Feststellung, es sei nicht verisimile, dass die Erblasserin einen früheren Fälligkeitszeitpunkt beabsichtigt habe. Es kann nicht ohne Weiteres angenommen werden, die testatrix hätte gewollt, dass die substituti die Grundstücke früher erlangen, als es für den Sohn vorgesehen war, und damit sogar mehr bekommen als diesem zugestanden hätte. Denn neben dem Eigentum sollten der Septicia auch alle möglichen Nutzungen an den Grundstücken bis zum vorgesehenen Fälligkeitszeitpunkt des Fideikommiss zustehen.561 Für die An557  Marcel. D 35.1.48, Scaev. D 36.1.64.1, Paul. D 36.1.76 und Alex. C 6.53.5pr.; dazu eingehend Brassloff, SZ 22 (1901), S. 179 ff. und Zülch, Der liber singularis responsorum, S. 155 ff. 558  Vgl. Marcel. D  35.1.48: Non putabam diem fideicommissi venisse, cum sextum decimum annum ingressus fuisset, cui erat relictum, cum ad annum sextum decimum pervenisset: et ita etiam Aurelius imperator Antoninus ad appellationem ex Germania iudicavit. Auch Ulpian differenziert daher in D 30.49 nicht zwischen den beiden Formulierungen. 559  Ähnlich Liebs, SZ  120 (2003), S. 257. 560  Dies erkennt auch Zülch, Der liber singularis responsorum, S. 153 f., der den Satz dann aber so versteht, dass ein „Konflikt zwischen verba und voluntas“ ausgedrückt werden soll, was er als Indiz für die Nachbearbeitung des Schlussteils auffasst, da ein „Bruch in der Argumentation“ vorliege; gegen ihn abermals Liebs, SZ  120 (2003), S. 257. 561  Insoweit richtig Zülch, Der liber singularis responsorum, S. 152.



II. Rechtsfindung mittels Auslegung181

nahme einer solchen Bevorzugungsabsicht zugunsten der nur ersatzweise Eingesetzten wäre eine deutlichere Regelung erforderlich gewesen. Abschließend bemerkt Marcell noch, dass die Tatsache des Vorversterbens der Septicia für seine Überlegungen nicht von Belang ist. Wenn der Sohn nicht verstorben wäre, hätte er zweifellos von den Erben wie von Septicia erst an seinem sechzehnten Geburtstag fordern können. Denn es fehlt auch an Hinweisen dafür, dass nach dem Willen der Erblasserin deren Sohn von einem Vorversterben der Septicia hätte profitieren sollen, indem er von ihren Erben früher als von ihr selbst hätte fordern dürfen. Genauso wenig ist aber dafür zu halten, dass die Ersatzfideikommissare von den Erben der Septicia früher hätten fordern dürfen als von ihr selbst. Insgesamt kommt Marcell also zu seiner Entscheidung, indem er vom eindeutigen Teil des Testaments ausgeht und seine Interpretation im Übrigen daran ausrichtet, um einen in allen denkbaren Konstellationen stimmigen Erblasserwillen zu ermitteln. Auch im folgenden Testament lassen sich Anhaltspunkte für den Willen des Autors finden: (Q7) Marcell 286 = D 34.2.6.2 (resp lib)

Lucius Titius testamento scripsit: ‚Heredem meum volo fideique eius committo, ut in patriam meam faciat porticum publicam, in qua poni volo imagines argenteas, item marmoreas‘: quaero, an legatum valeat. Marcellus respondit valere et operis ceterorumque, quae ibi testator poni voluerit, legatum ad patriam pertinere intellegi: enim potuit aliquod civitati accedere ornamentum.



Lucius Titius hat im Testament geschrieben: „Ich verlange von meinem Erben und lege es ihm fideikommissarisch auf, dass er in meiner Heimatstadt eine öffentliche Säulenhalle errichtet, und ich will, dass dort silberne und marmorne Reliefbilder angebracht werden.“ Ich frage, ob das Legat wirksam ist.



Marcell hat geantwortet, dass es wirksam sei und das Vermächtnis des Bauwerkes und des Übrigen, von dem der Testator möchte, dass es dort angebracht werde, müsse als der Heimatstadt zugehörig angesehen werden. Denn der Stadt könnte manches als Zierrat zuteilwerden.

Der Testator hat angeordnet, dass in seiner Heimatstadt ein öffentlicher Säulengang errichtet und darin Bilder aufgestellt werden sollen. Die Frage lautet, ob eine solche Verfügung wirksam ist. Zwar handelt es sich um die klassische Formulierung für ein Fideikommiss, jedoch geht Marcells Antwort ebenso wie die Fragestellung selbstverständlich von einem legatum aus, woraus ersehen werden kann, dass das Problem des Falls jedenfalls nicht in der Unterscheidung der beiden Institute liegt.562 Vielmehr beschäf562  Zu möglichen Deutungen vgl. Zülch, Der liber singularis responsorum, S.  144 f.; Liebs, SZ  120 (2003), S. 256 geht von einer rechtlich überflüssigen Absicherung des Legats durch ein zusätzliches Fideikommiss aus.

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung

tigt sich Marcells responsum mit der rechtlichen Zuordnung der aufzustellenden Bilder. Denn der Testator hat sie im Gegensatz zur porticus nicht ausdrücklich als publicae qualifiziert, so dass zweifelhaft ist, zu wessen Gunsten diese Verfügung überhaupt gehen soll. Für die Wirksamkeit von Legaten ist es erforderlich, dass sie an eine persona certa adressiert sind.563 Da die Säulenhalle nach dem Wortlaut eindeutig auf die öffentliche Hand übertragen werden soll, liegt es nahe, dasselbe für die darin aufzustellenden Bilder zu vermuten. Gemeinden gelten in diesem Zusammenhang auch nicht als incertae personae, da Nerva und Hadrian ihnen die Fähigkeit, Vermächtnisse zu empfangen, ausdrücklich zugesprochen haben.564 Die Bilder sind in ihrem rechtlichen Status allerdings nicht zwingend von ihrer Umgebung abhängig. Vielmehr ist für eine wirksame Verfügung zugunsten der Gemeinde eine entsprechende Widmung durch den Erblasser erforderlich.565 Der Testamentswortlaut ist diesbezüglich nicht eindeutig, so dass es darauf ankommt, was der Erblasser mit Blick auf die Bilder im Sinn hatte. Marcell begründet seine Entscheidung zugunsten der Wirksamkeit des gesamten Legats damit, dass solche Bilder für gewöhnlich als ornamentum civitatis vermacht werden.566 Mangels entgegenstehender Hinweise ist daher davon auszugehen, dass dies hier auch der voluntas entspricht und es sich in rechtlicher Hinsicht um der Gemeinde zustehende res publicae handeln soll.567 In einem weiteren Fragment leitet Marcell seine Lösung aus Art und Zweck einer bestimmten Bedingung ab: 563  Vgl.

Gai 2.238, UE 24.18, PS 3.6.13. Ulpian UE 24.28, Maec. D 36.4.12. Bei dem unter Hadrian erlassenen Senatsbeschluss handelt es sich wahrscheinlich um das in Paul. D 36.1.27 genannte SC Apronianum; Voci, DER  I, S. 421 Fn.  85; Johnston, JRSt.  75 (1985), S. 108 f.; Avenarius, Der pseudo-ulpianische liber singularis regularum, S. 471. 565  Vgl. Pomp. D 33.1.7: … Ad auctoritatem scribentis hoc quoque pertinet, cum quis iussit in municipio imagines poni: nam si non honoris municipii gratia id fecisset, sed sua, actio eo nomine nulli competit. Dagegen meint Düll, Studi Betti, S. 141 die Wirksamkeit der Zuwendung hänge nur von der Einwilligung der öffentlichen Hand ab. 566  Vgl. dazu die ähnliche Formulierung bei Paul. D 30.122pr.: Civitatibus legari potest etiam quod ad honorem o r n a t u m que c i v i t a t i s pertinet. 567  Anders Schulz, Symbolae Lenel, S. 241, der den Schlusssatz schlichtweg für „töricht“ befindet und Zülch, Der liber singularis responsorum, S. 146, 208, der eine überflüssige, nachklassische Begründung mit der außerjuristischen Wertung, die Stadt solle verschönert werden, vorzufinden glaubt. Liebs, SZ  120 (2003), S. 256 verteidigt zwar die Klassizität, nimmt aber an, Marcell habe den Legatar mit dem Hinweis auf die willkommene Verschönerung der Stadt emotional zur Erfüllung motivieren wollen; vgl. auch ders., in: Strukturen der Mündlichkeit, S. 89: „inhaltsarm (…) aber ironisch untertrieben“. 564  Vgl.



II. Rechtsfindung mittels Auslegung183

(Q8) Marcell 290 = D  40.5.56 (resp lib)

Lucius Titius testamento ita cavit: ‚Si quos codicillos reliquero, valere volo. Si quis mihi ex paula, quae uxor mea fuit, intra decem menses natus natave erit, ex semisse heredes sunto. Gaius Seius ex semisse heres esto. Stichum et Pamphilum servos meos et Erotem et Diphilum peto et fidei heredum committo, ut, cum ad pubertatem liberi mei pervenerint, manumittant‘. Deinde novissima parte ita cavit: ‚Quod si mihi liberi nati non erunt aut intra pubertatem decesserint, tunc heredes ex paribus partibus sunto Mucius et Maevius. Legata, quae priore testamento, quo filios et Seium, reliqui, praestari volo, hoc est et a sequentibus heredibus‘. Deinde codicillis ita cavit: ‚Lucius Titius heredibus primis et substitutis salutem. Peto, ut ea quae testamento cavi legavi et ea quae codicillis cavero legavero, praestetis‘. Quaero, cum liberi Lucio Titio nati non sint, an Sticho et Pamphilo et Eroti et Diphilo servis confestim fideicommissa libertas praestari debeat. Marcellus respondit condicionem, quae libertati eorum, de quibus quaereretur, si filii heredes exstitissent, adposita esset, repetitam non videri ideoque confestim libertatem praestandam esse et a primis et a substitutis heredibus: nam ut supra scriptum est, petit, ut quae testamento cavisset praestarentur, cavit autem de libertate eorum servorum. Atquin sub condicione cavit et, si alterius generis condicio esset, exspectanda esset: sed non est verisimile, ut hoc in ista condicione cogitaverit, cum fidei substitutorum committeret, qui admitti ad hereditatem non possent, si impleretur condicio.



Lucius Titius hat im Testament Folgendes angeordnet: „Wenn ich irgendwelche Kodizille hinterlasse, will ich, dass sie gültig sind. Wenn mir von Paula, die meine Ehefrau war, innerhalb von 10 Monaten ein Sohn oder eine Tochter geboren wird, sollen sie Erben zur Hälfte sein. Gaius Seius soll zur Hälfte Erbe sein. Ich bitte die Erben und lege es ihnen fideikommissarisch auf, dass sie Stichus und Pamphilus, meine Sklaven, und Eros und Diphilus freilassen, wenn meine Kinder die Mündigkeit erreicht haben.“ Hierauf hat er im letzten Teil [des Testaments] Folgendes angeordnet: „Wenn mir aber keine Kinder geboren werden oder sie vor Eintritt der Mündigkeit versterben, dann sollen Mucius und Maevius Erben zu gleichen Teilen sein. Ich will, dass die Vermächtnisse geleistet werden, die ich im früheren Testament, in dem die Söhne und Seius [eingesetzt worden sind], hinterlassen habe, das heißt, auch von den nachfolgenden Erben.“ Nachher hat er in Kodizillen Folgendes angeordnet: „Lucius Titius grüßt die ersten Erben und die Ersatzerben. Ich verlange, dass ihr das leistet, was ich im Testament angeordnet und vermacht habe und was ich in den Kodizillen anordnen und vermachen werde.“ Ich frage, ob den Sklaven Stichus, Pamphilus, Eros und Diphilus aus dem Fideikommiss unverzüglich die Freiheit gewährt werden muss, wenn dem Lucius Titius keine Kinder geboren worden sind.



Marcell hat geantwortet, dass die Bedingung, die der Freiheit der in Frage stehenden Personen hinzugefügt worden wäre, wenn Söhne als Erben vorhanden wären, nicht wiederholt worden zu sein scheine und deshalb die Freiheit sowohl von den ersten als auch von den ersatzweisen Erben unverzüglich gewährt werden müsse. Denn, wie oben geschrieben worden ist, hat er ver-

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung langt, dass das geleistet werde, was er im Testament angeordnet habe. Er hat aber eine Anordnung über die Freiheit dieser Sklaven getroffen. Gleichwohl hat er unter einer Bedingung angeordnet und sie hätte abgewartet werden müssen, wenn es eine Bedingung anderer Art wäre. Es ist aber nicht wahrscheinlich, dass er dies bei einer solchen Bedingung beabsichtigt hat, als er das Fideikommiss den Ersatzerben auferlegte, die zur Erbschaft nicht zugelassen werden könnten, wenn die Bedingung erfüllt würde.

Ein Erblasser hat in seinem Testament die Kinder, die seine Frau eventuell innerhalb von zehn Monaten nach seinem Tod zur Welt bringt, zu Erben auf die eine Hälfte seines Vermögens eingesetzt und einen Dritten auf die andere Hälfte. Des Weiteren hat er alle seine Erben mit einem Fideikommiss belastet, nach dem vier bestimmte Sklaven unter der Bedingung, dass seine Kinder die Mündigkeit erreichen, freigelassen werden sollen. Für den Fall, dass keine Kinder geboren werden oder dass die Kinder vor dem Eintritt in die Mündigkeit versterben, verfügt er in einem späteren Teil desselben Testaments die Einsetzung zweier Ersatzerben zu gleichen Teilen anstelle der Kinder.568 Außerdem betont er, dass die bereits verfügten Freilassungsfideikommisse sowohl von den genannten Erben als auch von den sequentes heredes geleistet werden sollen.569 Schließlich hat er nochmals in einem Kodizill angeordnet, dass sowohl die Erben als auch die Substituten die im Testament angeordneten Verfügungen leisten sollen. Gefragt wird, ob die genannten Sklaven sofort freigelassen werden müssen, wenn dem Erblasser keine Kinder geboren worden sind. Der Wortlaut des Testaments lässt Raum für zwei mögliche Deutungen der Anordnungen im Substitutionsfall: Auf der einen Seite könnten die allgemein formulierten Verweisungen im zweiten Teil der Urkunde und im Kodizill auf die Verfügung des Freilassungsfideikommisses mitsamt der Bedingung cum ad pubertatem liberi mei pervenerint bezogen sein. In seiner ausführlichen Begründung betont Marcell daher, dass die später in Bezug genommene Anordnung unter einer Bedingung getroffen worden ist, welche grundsätzlich, also si alterius generis condicio esset, von allen Erben erfüllt werden müsste. Auf der anderen Seite hat der Testator aber gerade nur die Anordnung der Freilassungen zulasten der Erben explizit wiederholt und die Ersatzerben als Belastete hinzugefügt, ohne auch die Bedingung erneut zu formulieren. 568  Der Ausdruck priore testamento ist auf den ersten Teil des Testaments bezogen; vgl. Gai 2.180. 569  Trotz der Bezeichnung als legata steht es außer Frage, dass der Testator von den Freilassungsfideikommissen spricht; vgl. Liebs, SZ  120 (2003), S. 258. Zudem ist es für Marcell nicht erwähnenswert, dass mit dem laienhaften Ausdruck sequens nur substitutus gemeint sein kann; ebenso Zülch, Der liber singularis responsorum, S. 175 Fn.  596.



II. Rechtsfindung mittels Auslegung

185

Marcell glaubt, der mutmaßliche Erblasserwille sei auf die sofortige Freilassung gerichtet. Er hält es nicht für wahrscheinlich, dass der Testator den Substituten das Fideikommiss unter einer Bedingung auferlegen wollte, die von ihnen niemals erfüllt werden könnte, weil gerade die Nichterfüllung dieser condicio eine Vorbedingung für den Substitutionsfall ist.570 Solange daher das Gegenteil nicht glaubhaft gemacht werden kann, geht Marcell von einem Erblasserwillen zugunsten eines unbedingten und sofort fälligen Freilassungsanspruchs aus. Neben der vollen Übertragung der Bedingung auf die Substituten wäre zudem eine Auslegung denkbar, die im Substitutionsfall auf eine Befristung des Fideikommisses bis zum hypothetischen Erreichen der Mündigkeit der nicht geborenen Kinder des Erblassers hinausläuft. Daher klingt die Problematik der sofortigen Fälligkeit sowohl in der Fragestellung als auch in Marcells Antwort deutlich an. Da ein entsprechender Erblasserwille ohne ausdrückliche Anordnung allerdings äußerst fernliegend ist, kann es nicht verwundern, dass Marcell hierzu keine näheren Ausführungen macht.571 Er stellt lediglich in seinem Entscheidungssatz klar, dass sich die unverzügliche Leistungspflicht sowohl auf die Substituten selbst als auch auf alle daneben berufenen primi heredes bezieht. Mit dieser Bemerkung räumt er insbesondere die weniger abwegige Zweifelsfrage aus, ob auch der auf die andere Hälfte zum Erben eingesetzte Dritte im Substitu­ tionsfall sofort leisten muss oder erst im Zeitpunkt der hypothetischen Mündigkeit. Letztlich führt also die spezifische Formulierung der fraglichen Bedingung, die eben nur auf eine der im Testament vorgesehenen Konstellationen ohne Weiteres passt, zur Vermutung der Anordnung unbedingter Freilassungen im Übrigen.572 Auf den favor libertatis kommt es danach nicht mehr an. Neben der Urkunde selbst kommen auch tatsächliche Umstände als Indizien für die voluntas in Frage: (Q9) Marcell 179 = D  40.5.9 (15 dig)

Cum fidei heredis commisit, ne servus alienam servitutem patiatur experiri, potest confestim, ut fuerit alienatus, petere libertatem. Sed ubi alienatio non est voluntaria, sed necessitas alienandi ex causa testatoris pendeat, prope est,

570  Ebenso Johnston, The Roman law of trusts, S. 208 f.; Liebs, SZ 120 (2003), S. 259. 571  Demgegenüber nimmt Zülch, Der liber singularis responsorum, S. 176 ff. an, dass die Leistungspflicht der Substituten als solche bereits von der quaestio vorausgesetzt werde, während der Fälligkeitszeitpunkt das eigentliche Problem darstelle. In der Folge bezeichnet er den Schluss der Stelle nicht nur als überflüssig, sondern als in sich widersprüchlich und nachklassisch. 572  Warum Schulz, Symbolae Lenel, S. 244 dies wegen „unerträglicher Breite bei ebenso unerträglicher Gedankenarmut“ nicht als Argument durchgehen lassen will, kann daher keinesfalls nachvollzogen werden.

186

B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung ut nondum debeat praestari fideicommissum, quod potest videri defunctus ­nihil sensisse de huiusmodi casu alienationis.



Wenn jemand dem Erben fideikommissarisch auferlegt hat, dass ein Sklave es nicht erleiden soll, in fremde Gewalt zu geraten, kann dieser sofort, sobald er veräußert worden ist, die Freiheit fordern. Wo aber die Veräußerung nicht freiwillig ist, sondern die Notwendigkeit zu veräußern auf einem vom Testator herrührenden Grund beruht, ist es naheliegend, dass das Fideikommiss nicht mehr geleistet werden muss, weil anzunehmen ist, dass der Verstorbene an einen derartigen Fall von Veräußerung überhaupt nicht gedacht hat.

Die testamentarische Anordnung, dass ein bestimmter Sklave niemals in fremder Gewalt stehen soll, kann regelmäßig als Freilassungsfideikommiss ausgelegt werden, das unter der aufschiebenden Bedingung einer Veräußerung durch den Erben steht.573 Sollte der Sklave also nach dem Erbfall in fremdes Eigentum geraten, kann er unter Berufung auf das Testament seine sofortige Freilassung einfordern.574 Unproblematisch ist dies in dem Fall, dass der Sklave nach dem freien Willen des Erben veräußert worden ist. Hierfür könnte sich Marcell eventuell bereits auf eine kaiserliche Konstitution berufen.575 Liegt dem Geschäft jedoch eine nach dem Testament geschaffene necessitas ex causa testatoris zugrunde und hat sich der Testator nicht ausdrücklich dazu geäußert, ist es für Marcell ausgemacht, dass er den eingetretenen Fall bei der Testamentserrichtung überhaupt nicht bedacht hatte. Dabei ist der Begriff necessitas hier als allgemeiner Gegenbegriff zur voluntas des Erben zu verstehen.576 Hat der Erblasser selbst noch zu seinen Lebzeiten irgendeinen Veräußerungszwang begründet, kann seine Klausel im Testament keinesfalls mehr als Fideikommiss gelten.577 Denn unabhängig davon, ob in dem späteren Akt sogar ein formloser Widerruf gesehen werden könnte, ist jedenfalls offensichtlich, dass er bei seiner Verfügung nicht an diese Möglichkeit gedacht hat. Daher ist ein hypothetischer Wille anzunehmen, der sich im Falle der mittlerweile eingetretenen 573  Vgl. auch Pap. D 40.5.21 und Marcel. D 40.5.10pr. (P1); dem entspricht auch, dass in Ulp. D  40.5.24.7 eine Klausel, wonach ein Sklave nach dem Erbfall überhaupt nicht mehr dienen soll, als unbedingtes Freilassungsfideikommiss ausgelegt wird. 574  Zum Verfahren vgl. Kaser / Hackl, RZ, S. 452 f. 575  Jedenfalls beweist die Formulierung placuit principi in Pap. D  40.5.21, dass noch in klassischer Zeit ein Kaiser so entschieden hat. 576  Ebenso Mayer-Maly, SZ 83 (1966), S. 494; vgl. auch Pap. D 10.2.13. 577  Eine ähnliche Interpretation findet sich in IJ 2.14.1 für die Veräußerung durch den Testator selbst: … destitisse etenim a libertatis datione videtur dominus qui eum alienavit. Dessen ungeachtet nimmt Silla, La cognitio sulle libertates fideicommissae, S. 69 an, Marcell handele von einem nachträglichen Fideikommiss des Inhalts, dass der Sklave auf einen Dritten übertragen werden soll; die Erörterung eines derart unproblematischen Falls wäre jedoch überflüssig.



II. Rechtsfindung mittels Auslegung187

Umstände auf eine Veräußerung und damit freilich gegen die Freiheit des Sklaven richtet.578 Einmal widerspricht Marcell der Fallbehandlung Julians gerade aus dem Grund, da dieser zur Ermittlung der voluntas auf die Tatsachenaufklärung verwiesen hatte: (Q10) Iul 559 = D  36.1.26pr. (39 dig)

Quidam ita testamento scripserat: ‚A te, heres, peto fideique tuae committo, ut quidquid ex hereditate mea ad te pervenerit, filio meo prima quaque die aut, si prius quid ei acciderit, matri eius des reddas‘. Quaeritur, cum antequam adeatur hereditas puer decesserit, an fideicommissum matri debeatur. Respondi, si puer, antequam dies fideicommissi cedat, decessisset, fideicommissum translatum esse ad matrem, postea autem quam dies fideicommissi cessit si decesserit, ad heredem pueri fideicommissum pertinere. Sed an ea voluntas fuit patris familias, ut, si ante restitutum fideicommissum puer decessisset, matri potius quam heredibus praestaretur, praetor aestimabit ex persona matris et ex persona heredis pueri. Marcellus: sed testatoris voluntati congruum est, quandocumque puer decesserit, sive antequam dies fideicommissi cedit sive postea, ad matrem transferri fideicommissum, si non iam puer hoc acceperit, eoque iure utimur.



Jemand hatte im Testament Folgendes geschrieben: „Von Dir, Erbe, erbitte ich und überlasse es deiner Treue, dass Du alles, was Dir aus meiner Erbschaft gehören wird, meinem Sohn zum frühestmöglichen Zeitpunkt oder, wenn diesem zuvor irgendetwas zustößt, seiner Mutter gibst und erstattest.“ Es wird gefragt, ob der Mutter das Fideikommiss geschuldet wird, wenn der Knabe verstirbt, bevor die Erbschaft angetreten wird. Ich habe geantwortet, dass das Fideikommiss, wenn der Knabe gestorben ist, bevor der Anfalltermin des Fideikommisses verstrichen ist, auf die Mutter übertragen werden muss, dass es aber, wenn er verstirbt, nachdem der Anfalltermin des Fideikommisses verstrichen ist, dem Erben des Knaben gehört. Ob es aber einen dahingehenden Willen des Hausvaters gab, dass eher der Mutter als den Erben geleistet werden soll, wenn der Knabe verstorben war, bevor das Fideikommiss herausgegeben worden ist, wird der Prätor unter Berücksichtigung der Person der Mutter und der des Erben des Knaben abschätzen.



Marcell: Vielmehr ist es [unabhängig von den Umständen] dem Willen des Erblassers entsprechend, dass das Fideikommiss der Mutter übertragen werde, wenn der Knabe es nicht bereits empfangen hat, wann auch immer der

578  Papinian scheint im Schlussteil von D  40.5.21 das Gegenteil zu vertreten: Idem probandum est et si non voluntaria alienatio ab herede facta est: nec refragabitur, quod non per ipsum alienatio facta est. Fuit enim quasi statuliber et quacumque ratione condicio impleta est. Allerdings erwähnt er gerade nicht, ob davon auch eine necessitas ex causa testatoris umfasst sein soll. Ihm geht es darum, dass die vom Testator gesetzte Bedingung auf unterschiedliche Arten eintreten kann, wobei er im Gegensatz zu Marcell nicht von einem der Erfüllung entgegenstehenden Erblasserwillen spricht.

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B. Argumentation im Rahmen der Rechtsordnung Knabe verstirbt, sei es vor dem Anfalltermin, sei es danach. Und dieses Recht wenden wir an.

In einem Testament ist dem Erben ein Fideikommiss auferlegt worden, wonach er dem Sohn des Testators zum frühestmöglichen Zeitpunkt alles herausgeben soll, was er aus der Erbschaft erlangt. Für den Fall, dass der Sohn zu diesem Zeitpunkt schon verstorben sein sollte, ist dessen Mutter ersatzweise zur Fideikommissarin eingesetzt. Julian untersucht die Frage, ob für den Bedingungseintritt der dies cedens oder der Erbschaftsantritt ausschlaggebend sein soll. Vermächtnisnehmer können die ihnen zugedachten Rechte nicht eher erlangen, als der beschwerte Erbe die Erbschaft erworben hat, also bei Außenerben erst nach der aditio hereditatis. Daher kann hier jedenfalls kein späterer Zeitpunkt gemeint sein.579 Allerdings entsteht am sogenannten dies cedens, das heißt bei unbedingten Fideikommissen im Zeitpunkt des Versterbens des Erblassers, bereits ein vererbliches Recht auf den Erwerb in Form einer Art Anwartschaft.580 Verstirbt der Sohn vor diesem Zeitpunkt, kann demnach überhaupt kein Recht auf die Erben übergehen, so dass es ebenfalls nicht zu einem Konflikt zwischen seinen Erben und der Ersatzfideikommissarin kommen kann. Daher sind sich Julian und Marcell auch darin einig, dass das Vermächtnis in diesem Fall der Mutter zufallen soll. Umstritten ist allerdings die Variante, in der der Sohn zwischen dies cedens und Erbschaftsantritt verstirbt. Dabei gehen beide Juristen offenbar davon aus, dass der Wortlaut des Testaments auslegungsbedürftig ist, was die Bedeutung des Ausdrucks prima quaque die anbelangt.581 Die Entscheidung des Falles hängt daher für beide von der Ermittlung des Erblasserwillens ab. Julian will diese im Einzelfall dem Prätor überlassen, wobei er immerhin als wichtigsten Anhaltspunkt vorgibt, dass die Personen der in Frage kommenden Begünstigten nähere Berücksichtigung finden sollen.582 579  Vgl.

auch Gai  2.250. RP  I, S. 752, 760. 581  Die Auslegungsbedürftigkeit dieser Formulierung verkennt dagegen Paulus, Die Idee der postmortalen Persönlichkeit, S. 271. 582  Entgegen Rastätter, Marcelli notae ad Iuliani digesta, S. 225 und Paulus, Die Idee der postmortalen Persönlichkeit, S. 271 stellt der erste Satz der Antwort Julians keine eindeutige Entscheidung nach dem dies cedens-Prinzip dar, welches er dann doch wieder relativiert. Vielmehr stellt er nur einen Herausgabeanspruch der Mutter fest (translatum esse), während er mit Rücksicht auf die Erben des Kindes nur von der rechtlichen Zugehörigkeit (pertinere) spricht. Entscheidend ist jedoch auch für ihn der Erblasserwille. In Iul. D 34.4.10.1 spricht er dagegen ausdrücklich von einem generellen Forderungsrecht, allerdings bezogen auf Legate und angesichts eines wesentlich offeneren Wortlauts: Quod ita legatum est: ‚Titio decem heres meus dato: si Titio non dederit, eadem decem Sempronio dato‘, si moriatur Titius ante diem legati, Sempronius legatum utiliter petet. 580  Kaser,



II. Rechtsfindung mittels Auslegung189

Marcell dagegen betont, dass bei einer solchen Formulierung grundsätzlich ein Erblasserwille zu vermuten ist, der auf den Moment der tatsächlichen Restitution bei Erbschaftsantritt abstellt.583 Denn er hält es generell für unwahrscheinlich, dass der Testator den dies cedens im Sinn hatte, mit dem zwar aus juristischer Sicht eine vererbbare Bereicherung des Sohnes entsteht, die einzelnen Vermögensgegenstände sich aber tatsächlich noch nicht beim Begünstigten befinden.584 In zwei weiteren Entscheidungen kommt Marcell zur Annahme eines typisierten Erblasserwillens, indem er einen außerhalb der Rechtsordnung stehenden Wertungsbegriff zugrunde legt.585 Anders als bei der Subsumtion eines Sachverhalts unter wertungsgebundene Begriffe, die dem Rechtsanwender von einer Norm vorgegeben sind, handelt es sich dabei jedoch nicht mehr um systemimmanente Rechtsfindung.586 Denn Marcell führt den wertenden Begriff selbst ein und sei es auch nur zu dem Zweck, dessen Beachtung dem Verfügenden als vernünftiges Verhalten zu unterstellen. Damit bedient er sich ebenso wenig eines direkt aus der tradierten Rechtsordnung abgeleiteten Gedankens wie bei der Korrektur des von einem Rechtssatz vorgegebenen Ergebnisses anhand einer offenen Wertung. Dass Marcell möglicherweise auch ohne Rückgriff auf die Topoi zur selben Entscheidung gelangt wäre, kann hier freilich keine Beachtung finden. Daher sind die beiden Fälle methodisch von den im vorliegenden Kapitel besprochenen Entscheidungen, bei welchen dem Testator gerade eine rechtsordnungskonforme voluntas unterstellt wird, zu trennen.

583  Anders als Ulpian in D 34.4.3.1 f. behandeln Julian und Marcell nicht den Fall eines Verzugs bei der Restitution. 584  Insoweit richtig Rastätter, Marcelli notae ad Iuliani digesta, S. 226  f., der allerdings zugleich eine am angeblich eindeutigen Wortlaut der Verfügung orientierte Auslegung Marcells annimmt; dagegen zu Recht Backhaus, SZ 101 (1984), S. 381 Fn. 73. Weniger deutlich Liebs, Iura 32 (1981), S. 289. 585  Siehe unten D 46.3.68 (S2) und D 28.4.3 (T1). 586  Anders Harke, AI–AS, S. 307, 314, der sowohl die Rettung einer nach strenger Wortlogik unwirksamen Verfügung durch die benignitas in Iul. D 40.4.18.1, als auch die Vermutung eines dem favor libertatis gemäßen Erblasserwillens in Iul. D 40.4.17.2 zu den deduktiv erlangten Interpretationen zählt.

C. Rechtsfindung außerhalb der Rechtsordnung I. Interessenabwägung im Einzelfall Bei den noch zu erörternden 16 Stellen handelt es sich um rationes decidendi, in deren Zentrum eine Wertung steht, die Marcell von außen an die bestehende Rechtsordnung heranträgt. Die so gewonnenen Lösungen müssen sich jedoch nicht zwangsläufig mit der überkommenen Dogmatik und Systematik in Widerspruch setzen, sondern können nur der Ausfüllung ihrer Lücken dienen. Auch entspringen die Wertungsmaßstäbe nicht Marcells Intuition, und ihre Anwendung unterliegt nicht seiner Willkür. Sie sind vielmehr in der gesellschaftlichen, aber auch der rechtlichen Ordnung seiner Zeit allgegenwärtig und liegen daher ebenso den systemimmanenten Argumentationen zugrunde. Hier interessieren Entscheidungen, bei denen der Jurist die eventuell einschlägigen Rechtsinstitute und Vorschriften weder direkt anwendet noch interpretiert, sondern darin nicht ausreichend gewürdigte Interessen in den Fokus rückt und in seinen Ausführungen die herangezogene offene Wertung als Maßstab wenigstens andeutet.1 Dies kann zum einen immer dann angenommen werden, wenn Marcell die unbilligen Konsequenzen darstellt, welche die regelkonforme Lösung für eine Seite bedeuten würde. Zum anderen sind Stellen darunter zu fassen, in denen Marcell das Verhalten einer Partei als derart tadelnswert bezeichnet, dass es einen von der Ordnung nicht vorgesehenen Rechtsverlust nach sich ziehen soll. 1. Vermeidung unbilliger Nachteile An sechs Stellen argumentiert Marcell aus der Perspektive einer Partei, deren berechtigtem Interesse im konkreten Fall eine unzureichende Rücksicht droht. Eine Möglichkeit, dem entgegenzuwirken, besteht darin, die besondere Schutzwürdigkeit der betroffenen Person zu betonen und zu erläutern:

1  Unter dem Begriff der offenen Wertung soll mit Wieacker, SZ 94 (1977), S. 1 „die Begründung fachjuristischer Entscheidungen und Rechtsmeinungen durch moralische Urteile oder Zweckerwägungen, die außerhalb der positivierten römischen Rechtsordnung“ liegen, verstanden werden.



I. Interessenabwägung im Einzelfall191

(R1) Marcell 53 = D  15.1.19.1 Ulp 29 ed … Quae quaestio dilucidius est in fructuario tractata, utrum ex eo demum contractu potest de peculio conveniri, quod ad se pertinet, an ex omni. Et Marcellus etiam fructuarium teneri scribit et ex omni contractu: eum enim qui contrahit totum servi peculium velut patrimonium intuitum. Certe illud admittendum omnimodo dicit, ut priore convento, ad quem res respicit, in super­ fluum is, cui quaesitum non est, conveniatur: quae sententia probabilior est et a Papiniano probatur. … … Diese Frage ist beim Nießbraucher einleuchtender ausgeführt worden: Kann er nur aus demjenigen Vertrag wegen des Sonderguts belangt werden, der sich auf ihn bezieht, oder aus allen? Und Marcell schreibt, dass auch der Nießbraucher hafte und zwar aus jeglichem Vertrag. Denn derjenige, der kontrahiert, habe das ganze Sondergut des Sklaven gleichsam als ein [einheit­ liches] Vermögen angesehen. Sicherlich, sagt er, sei jedenfalls anzunehmen, dass, nachdem zuerst derjenige belangt worden ist, auf den sich die Sache bezieht, derjenige, für den nichts erworben worden ist, auf den Restbetrag in Anspruch genommen werden könne. Diese Ansicht ist überzeugender und wird von Papinian gebilligt. …

Ulpian behandelt in diesem langen Fragment den Umfang der Haftung aus der actio de peculio für Geschäftsschulden eines Mitgiftsklaven. Dabei wirft er die Frage auf, ob der Ehemann vom Bestand des Sonderguts alle Verbindlichkeiten, die der Sklave ihm gegenüber hat, abziehen darf, oder nur solche, die einem Rechtsverhältnis entstammen, das ihn selbst und nicht seine Frau betrifft. Zur Verdeutlichung der Problematik berichtet er von einem ähnlichen Fall, den Marcell im Hinblick auf Erwerbsgeschäfte von Nießbrauchsklaven entschieden hat. Die Einnahmen solcher Sklaven kommen nur dann dem fructuarius zugute, wenn der Gegenstand ex re fructuarii oder ex operis servi erworben worden ist. Ansonsten, also wenn die causa wie bei letztwilligen Zuwendungen oder Schenkungen an den Sklaven in keinem Zusammenhang mit dem Nießbrauch steht, profitiert hiervon weiterhin der Eigentümer.2 Dieselbe Unterscheidung nach der jeweiligen causa wird auch bei der Haftung für Geschäftsschulden von Nießbrauchsklaven getroffen.3 Marcell präzisiert dies in der von Ulpian zitierten Stelle durch die Anmerkung, dass der fructuarius durchaus auch wegen solcher Geschäfte belangt werden könne, deren causa sich nicht auf ihn beziehe. Allerdings handelt es sich dabei um eine sekundäre Haftung hinter derjenigen des Eigentümers, der zuerst soweit wie möglich in Anspruch genommen werden muss. Nur wenn der Gläubiger dabei nicht vollständig befriedigt wird, kann er demnach das superfluum vom Nießbraucher verlangen.4 Die2  Gai 2.91;

IJ 2.9.4; IJ 3.28.1, 2. D  15.1.2. 4  Die umgekehrte Entscheidung zur sekundären Haftung des Eigentümers nach dem Nießbraucher findet sich bei Iul. D 15.1.37.3; Sturm, Symposium Wieling, S. 239 f. 3  Pomp.

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C. Rechtsfindung außerhalb der Rechtsordnung

se Entscheidung begründet Marcell damit, dass sich das peculium aus Sicht des außenstehenden Geschäftspartners als ein patrimonium im Sinne einer einheitlichen Vermögensmasse darstelle.5 Er betont also die schutzwürdige Perspektive des Gläubigers, dessen Insolvenzrisiko nicht von den für ihn uneinsichtigen internen Verhältnissen der Sondergutsinhaber abhängen soll.6 Zuweilen stellt er das Ungleichgewicht der Interessen dar, indem er die negativen Konsequenzen vor Augen führt, die sich in der speziellen Situation für den Betroffenen ergeben könnten: (R2) Marcell 250 = D  40.13.2 (24 dig)

Servum quis per vim a Titio accepit et testamento liberum esse iussit: quamquam solvendo decesserit, non erit ille liber: alioquin fraudabitur Titius, qui non procedente quidem libertate cum herede eius agere potest, at si ad libertatem servus pervenerit, nullam actionem habiturus est, quia nihil videbitur heres ex defuncti dolo consecutus.



Jemand hat einen Sklaven von Titius mit Gewalt erlangt und im Testament angeordnet, dass er frei sein soll. Dieser wird nicht frei sein, auch wenn jener solvent verstorben ist. Andernfalls wird Titius übervorteilt, der freilich, wenn die Freilassung ungültig ist, gegen dessen Erben klagen kann; ist der Sklave allerdings zur Freiheit gelangt, wird er keine Klage haben, weil nicht angenommen werden kann, dass der Erbe etwas aufgrund der Arglist des Verstorbenen erlangt hat.

Es geht um die testamentarische Freilassung eines vom Erblasser unter Gewaltanwendung von einem Dritten erworbenen Sklaven. Da unter Zwang zustande gekommene Rechtsgeschäfte nach ius civile wirksam sind, wird die letztwillige Anordnung selbst von der gewaltsamen Erlangung durch den Freilasser nicht beeinträchtigt. Gegen den Erwerber selbst könnte der Geschädigte aber vor dem Prätor die actio quod metus causa geltend machen.7 Gegen den Erben des Gewaltanwenders ist dieses Rechtsmittel allerdings nur statthaft, solange sich der Sklave noch als Bereicherung in seinem Vermögen befindet.8 Nachdem der Sklave die Freiheit erlangt hat, ist eine Haftung des Erben gegenüber dem Geschädigten ausgeschlossen.9 5  Dieser Argumentation bedienen sich expressis verbis auch Ulpian in D  15.1.32pr. und Paulus in D  15.1.47.6. Mandry, ZRG 8 (1869), S. 383 f. spricht von einer Billigkeitserwägung „in Berücksichtigung der äußerlich hervortretenden Einheitlichkeit“; ähnlich Chiusi, Die actio de in rem verso, S. 80 m. Fn. 101. 6  Vgl. auch Wacke, Symposium Wieling, S. 256 Fn.  20. 7  Vgl. Ulp., Paul. D 4.2.1 ff.; dazu Kaser, RP I, S. 243 ff.; Kupisch, In integrum restitutio, S.  123 ff. 8  Vgl. Ulp. D  4.2.16.2, D  3.6.5pr. Im Übrigen ist der Grundsatz zu beachten, dass poenae des Erblassers nicht übertragen werden können und seine crimina mit dem Tod erlöschen; dazu auch oben Marcel. D 39.1.22 (K1). 9  Auch das Patronatsrecht wird nicht als eine messbare Bereicherung angesehen: Ulp. D 50.17.126.1 und Paul. D 19.5.5.5; dazu Medicus, Id quod interest, S.  71 f.



I. Interessenabwägung im Einzelfall193

Auch gegen den Freigelassenen selbst bestehen keinerlei Ansprüche.10 Die einzige Möglichkeit, den Geschädigten auch in einem solchen Fall zu seinem Recht kommen zu lassen, ist die Verhinderung der Entreicherung des Erben durch unmittelbare Versagung der Freiheit. In diesem Zusammenhang könnte die Regelung der lex Aelia Sentia eine Rolle gespielt haben.11 Dieses Gesetz ordnet bei Vorliegen einer manumissio in fraudem creditoris die unmittelbare Nichtigkeit der Freiheit an.12 Dies wird jedenfalls dann angenommen, wenn der Freilasser in Kenntnis seiner Insolvenz gehandelt hat.13 Die offenen Formulierungen der einschlägigen Stellen sprechen aber dafür, dass solvendo non esse nur der Hauptanwendungsfall des in fraudem manumittere war, nicht aber ein zwingendes Tatbestandsmerkmal der lex Aelia Sentia.14 Marcell kommt jedenfalls ausdrücklich auch für den Fall der Solvenz des Erblassers zur Nichtigkeit der manumissio und erwähnt das Gesetz mit keinem Wort. Seine ratio decidendi besteht vielmehr darin, den drohenden Nachteil für den Geschädigten bei Wirksamkeit der Freilassung aufzuzeigen.15 Dessen Schutzwürdigkeit überwiegt die Interessen des unbeteiligten Erben und des Sklaven. In einem anderen Fall bringt die Abwägung der Interessen Marcell dazu, die von Julian befürwortete Anwendung einer mündelschützenden Anordnung des Edikts abzulehnen: (R3) Iul 630 = D  42.4.3pr. Ulp 59 ed

Apud Iulianum quaeritur, si communem rem cum Titio pater pupilli habuerit et communi dividundo iudicio pupillus non defendatur nihilque erit, cuius nomine propter personam patris condemnatio fieri debeat: utrum venire bona patris oporteat an vero rei servandae causa possideantur. Et ait Iulianus, si quidem pater aliquos fructus percepit aut fecerit rem deteriorem, bona eius venire possunt: si vero nihil sit, propter quod patris bona veneant, pupilli possideri. Marcellus autem notat perquam iniquum esse eum, qui nihil cum pupillo contraxit, expectare eius pubertatem. Quae sententia habet rationem: ideoque cum contractus ex persona patris descendat, dicendum erit non esse exspectandam pupilli pubertatem.

10  Die gewährte Freiheit selbst ist zwar ein beneficium, aber als res inaestimabilis (Paul. D  50.17.106) keine Bereicherung; so schon Schlossmann, Lehre vom Zwange, S. 74 Fn. 102. 11  So schon die Einordnung des Fragments bei Lenel, Palingenesia I, Sp. 630. 12  Gai 1.37. 13  Gai. D  40.9.10, Pomp. D  40.9.23, Paul. D  40.9.16.5. 14  Maier, Prätorische Bereicherungsklagen, S. 49 ff.; Klinck, Symposium Wieling, S. 101 m. Fn. 54. Von einer analogen Anwendung geht dagegen Ankum, FS Hübner, S. 8 Fn. 22 aus; ähnlich Schulz, SZ 48 (1928), S. 234 und D’Ors, RIDA III 23 (1976), S. 111. 15  Entgegen Indra, Status quaestio, S. 204 handelt es sich demnach nicht um einen einfachen Fallvergleich.

194

C. Rechtsfindung außerhalb der Rechtsordnung



Bei Julian wird untersucht, ob, wenn der Vater eines Mündels eine gemeinsame Sache mit Titius gehabt hat und der Mündel im Verfahren der Teilungsklage nicht verteidigt wird und es nichts gibt, weswegen eine Verurteilung in Anbetracht der Person des Vaters erfolgen müsste, die Güter des Vaters veräußert oder vielmehr einer Besitzeinsetzung zur Bewahrung der Sache unterworfen werden müssen. Und Julian hat gesagt, dass freilich, wenn der Vater irgendwelche Früchte gezogen hat oder die Sache schlechter gemacht hat, seine Güter veräußert werden können. Wenn es aber keinen Grund gebe, weswegen die Güter des Vaters veräußert würden, werde das dem Mündel Gehörende der Besitzeinsetzung unterworfen.



Jedoch bemerkt Marcell dazu, es sei überaus unbillig, dass derjenige, der nichts mit dem Mündel vereinbart hat, dessen Mündigkeit abwarten müsse. Diese Meinung macht Sinn: Und daher ist zu sagen, dass die Mündigkeit des Mündels nicht abgewartet werden muss, da der Vertrag die Person des Vaters erfasst.

Ulpian berichtet von einer Entscheidung Julians zu den Folgen einer nicht ordnungsgemäßen Verteidigung von Minderjährigen vor Gericht. Im konkreten Fall handelt es sich um ein iudicium communi dividundo zwischen dem einen Eigentümer einer res communis und dem noch unter Vormundschaft stehenden Erben des zweiten, mittlerweile verstorbenen socius. Grundsätzlich gewährt der Prätor gegen denjenigen, der in iure abwesend ist und nicht verteidigt wird, die missio in bona rei servandae causa zu Gunsten des Gegners. Dabei wird das Vermögen beschlagnahmt und der Antragsteller in den Besitz eingesetzt, um das Vermögen schließlich im Wege der Zwangsvollstreckung veräußern zu können (venditio bonorum).16 Zum Schutz von Unmündigen, die nicht verteidigt werden, bestimmt jedoch das speziellere Edikt Quod cum pupillo contractum, dass es ihnen gegenüber nur zur missio und nicht auch zur venditio bonorum kommt.17 Diese Rechtsfolge will Julian auch gegenüber dem unmündigen Erben des socius herbeiführen.18 Marcell widerspricht ihm und tritt für die Zulassung der sofortigen Zwangsvollstreckung ein. Zur Begründung betont er die Unangemessenheit der Lösung Julians aus Sicht des Miteigentümers: Er würde nämlich so behandelt werden, als hätte er selbst Geschäfte mit einem pupillus gemacht.19 Im 16  Gai 

3.78 f. Lenel, Das edictum perpetuum, S. 415; Kaser / Hackl, RZ, S. 223 Fn. 30, S. 390 Fn.  25. 18  Es sei denn, der Miteigentümer könnte wegen zusätzlicher Ansprüche gegen seinen socius als Erbschaftsgläubiger eine seperatio bonorum beantragen und in das abgetrennte väterliche Vermögen vollstrecken; vgl. dazu Rastätter, Marcelli Notae ad Iuliani digesta, S.  114 f. 19  Entgegen Rastätter, Marcelli Notae ad Iuliani digesta, S. 115, 257 und Backhaus, SZ 101 (1984), S. 376 geht Marcells Argumentation also über die bloße Ablehnung der Subsumtion des Sachverhalts unter das contrahere im Edikt hinaus. Für seine gegenläufige Entscheidung im Falle eines Mündels, der als Erbe eingesetzt 17  Vgl.



I. Interessenabwägung im Einzelfall

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normalen Anwendungsfall des Edikts Quod cum pupillo contractum überwiegt das Interesse des Minderjährigen die Interessen des Gläubigers an einer möglichst schnellen Vollstreckung deshalb, weil dieser sich den unmündigen Geschäftspartner selbst ausgesucht hat. Im vorliegenden Fall würde die Durchsetzung seiner Teilungsklage hingegen daran scheitern, dass sein socius zufälligerweise von einem Unmündigen beerbt worden ist. Da auch dieser Fall von dem Edikt umfasst ist und Marcell nicht auf dessen Sinn und Zweck verweist, liegt kein Fall einer teleologischen Reduktion vor;20 vielmehr stützt sich Marcell auf eine von der Rechtsordnung unabhängige Billigkeitserwägung. Dass er diese Art der Argumentation gerade gegen eine Ansicht seines Lehrers wendet, mag daran liegen, dass Julian sie in ähnlichen Zusammenhängen offenbar selbst für zweckmäßig hielt: So tritt er in seinen digesta für eine Haftung des nicht vor Gericht erschienenen Beklagten ein, wenn die nach dem Edikt eigentlich gegen den verantwortlichen Dritten einschlägige Klage wegen dessen Insolvenz scheitern würde.21 Dazu betont Julian, die aequitas gebiete, dass der dolus alienus einerseits dem Beklagten keinen unrechten Gewinn einbringe und andererseits dem Kläger keinen Schaden zufüge.22 Beide Juristen gebrauchen also den Billigkeitsbegriff, um die argumentative Gegenüberstellung der Parteiinteressen zu unterstreichen.23 Einmal weist Marcell ausdrücklich darauf hin, dass das einschlägige rechtliche Instrumentarium in der konkreten Fallkonstellation keinen ausreichenden Schutz für einen Betroffenen bietet, und gleicht diese Benachteiligung durch interessengerechte Maßnahmen wieder aus: (R4) Marcell 43 = D 12.2.34pr. Ulp 26 ed

Iusiurandum et ad pecunias et ad omnes res locum habet: etiam de operis iusiurandum deferri potest. Nec de iniuria queri adversarius potest, cum possit iusiurandum referre. Quid tamen, si ideo dicat reus se liberatum, quoniam Stichum, quem promiserat, putat decessisse? Non erit tutus per relationem. Et ideo ex hac causa putat Marcellus, et recte, aut remittendum ei iusiurandum aut spatium dandum, ut certioretur et sic iuret.



Ein Eid findet sowohl im Hinblick auf Gelder als auch in Bezug auf alle Sachen statt. Ein Eid kann auch wegen Dienstleistungen angetragen werden. Und die Gegenpartei kann nicht über Unrecht klagen, da sie den Eid zurückschieben kann. Was gilt jedoch, wenn der Beklagte deshalb sagt, er sei befreit

und mit einem Legat beschwert worden ist, fehlt es an einer Begründung; vgl. Ulp. D 42.4.3.3. Ulpian legt dort hereditatem adire als contrahere aus. 20  Eine solche Argumentation verwendet er in D  35.2.56.5 (H5), indem er explizit das von der lex Falcidia verfolgte Ziel für schon zu Lebzeiten erreicht erklärt. 21  Iul. D 2.10.3.1. 22  Dazu Harke, AI–AS, S.  316 f. 23  Zur aequitas siehe ferner unten S. 214 f.

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C. Rechtsfindung außerhalb der Rechtsordnung worden, weil er meint, dass Stichus, den er versprochen hatte, gestorben sei? Er wird durch das Zurückschieben nicht sicher sein. Und daher meint Marcell in diesem Fall, und zwar zu Recht, dass diesem entweder der Eid erlassen werden müsse oder eine Frist gegeben werden müsse, damit ihm die Zweifel genommen würden und er so den Eid leiste.

Ein Kläger verlangt die Leistung von Stichus, den der Beklagte unstreitig versprochen hat. Bei actiones certae rei hat der Kläger nach dem Edikt die Möglichkeit, dem Beklagten in iure einen Eid zuzuschieben (deferre). Dabei handelt es sich um das seit Justinian sogenannte iusiurandum necessarium.24 Mit ihm kann die behauptete Forderung noch vor der litis contestatio außer Streit gestellt werden, weil der Beklagte nach Ableistung des Eides vom iudex ohne Weiteres freigesprochen wird.25 Im vorliegenden Fall soll der Beklagte beeiden, dass ihn keine Verpflichtung zur Herausgabe des Stichus trifft. Dies ist jedoch problematisch, da er sein Leistungsversprechen zugibt, jedoch vermutet, der Sklave sei bereits verstorben, sich aber auch nicht sicher genug ist, um dies beschwören zu wollen. Wäre seine Annahme richtig, so wäre die geschuldete Leistung durch zufälligen Untergang nachträglich unmöglich geworden und die Verpflichtung tatsächlich weggefallen. Schwört der Beklagte den zugeschobenen Eid jedoch nicht und leistet auch weiterhin nicht, müsste er apud iudicem zur Leistung verurteilt werden, wenn der Sklave doch noch leben sollte. Die erste in der Stelle erwogene Lösung ist der Erlass (remissio) der Eidesleistung durch den Kläger, der den Beklagten so stellt, als ob er den Eid geleistet hätte, ohne ihn in Gewissenskonflikte zu bringen. Lässt sich der Kläger hierauf nicht ein, will Marcell, gefolgt von Ulpian, den Beklagten von der sofortigen Eidesleistung befreien und ihm eine Frist gewähren, damit er sich zunächst Gewissheit über den Zustand des Sklaven verschaffen kann. Diese Befreiung ist erforderlich, will man den Beklagten nicht in die Lage bringen, über eine Tatsache zu schwören, die ihm ohne sein Verschulden nicht bekannt ist. Die Argumentation, welche Ulpian dem Marcell zuschreibt, hat allerdings einen anderen Schwerpunkt: In aller Regel genügt dem Beklagten die Möglichkeit, dem Kläger den Eid zurückzuschieben (referre), wodurch diesem das Beschwören des Bestehens des geltend gemachten Anspruchs abverlangt wird. Wie Ulpian am Anfang des Fragments ausführt, ist das Recht des Klägers zur delatio aus Sicht des Beklagten keine iniuria, weil er so den Spieß jederzeit herumdrehen kann. Daher ist es grundsätzlich unbedenklich, dem Kläger die Befugnis einzuräumen, das 24  Vgl. Ulp. D 12.2.34.6; dazu ausführlich Harke, Der Eid im klassischen römischen Privat- und Zivilprozessrecht, S. 117 ff. 25  So Harke, Der Eid im klassischen römischen Privat- und Zivilprozessrecht, S. 126 ff. gegen die seit Demelius, Schiedseid und Beweiseid, S. 16, 35 herrschende Ansicht; vgl. auch Kaser / Hackl, RZ, S. 269 m. Fn. 28.



I. Interessenabwägung im Einzelfall197

Verfahren in iure vorzuentscheiden und die Beweisaufnahme durch den i­ udex zu übergehen. In der vorliegenden Konstellation dagegen bietet die relatio nicht den nötigen Schutz für den Beklagten. Denn der Zwang, entweder zu leisten, selbst zu schwören oder dem Kläger durch relatio die Möglichkeit zu geben, die Vollstreckbarkeit herbeizuführen, entspricht der Interessenlage der Parteien nur dann, wenn sich der Beklagte sicher sein kann, dass der Anspruch nicht besteht.26 Ansonsten wäre es ein unzumutbarer Nachteil, ihm die Beweisaufnahme apud iudicem abzuschneiden. Eine weitere Stelle zum sogenannten freiwilligen Eid aus dem Edikt de iureiurando, welche sich in den Marcelli digesta findet, kann nicht getrennt von einer durch Ulpian überlieferten Entscheidung Marcells zum selben Thema betrachtet werden: (R5) Marcell 100 = D  12.2.3.3 Ulp 22 ed

Unde Marcellus scribit etiam de eo iurari posse, an praegnas sit mulier vel non sit, et iuriiurando standum: denique ait, si de possessione erat quaestio, servari oportere, si forte quasi praegnas ire in possessionem volebat et, cum ei contradiceretur, vel ipsa iuravit se praegnatem vel contra eam iuratum est: nam si ipsa, ibit in possessionem sine metu, si contra eam, non ibit, quamvis vere praegnas fuerit: proderitque, inquit Marcellus, mulieri iuranti iusiurandum, ne conveniatur quasi calumniae causa ventris nomine fuerit in possessionem neve vim patiatur in possessione. Sed an iusiurandum eo usque prosit, ut post editum partum non quaeratur, ex eo editus sit an non sit cuius esse dicitur, Marcellus tractat: et ait veritatem esse quaerendam, quia iusiurandum alteri neque prodest neque nocet: matris igitur iusiurandum partui non proficiet: nec nocebit, si mater detulerit et iuretur ex eo praegnas non esse.



Daher schreibt Marcell, dass auch darüber geschworen werden könne, ob eine Frau schwanger sei oder nicht, und man müsse an dem Eid festhalten. Hierauf sagt er, dass er beachtet werden müsse, wenn der Streit um den Besitz [am Nachlass des Kindesvaters] ging, wenn sie etwa wie eine Schwangere in den Besitz treten wollte und sie, als ihr widersprochen wurde, entweder selbst geschworen hat, sie sei schwanger, oder wenn gegen diese ein Eid geleistet worden ist. Denn wenn sie selbst geschworen hat, wird sie ohne Furcht in den Besitz eintreten, wenn gegen sie ein Eid geleistet worden ist, wird sie nicht eintreten, wenngleich sie wirklich schwanger gewesen ist. Und der Eid, sagt Marcell, werde der schwörenden Frau in der Weise helfen, dass sie nicht belangt werde, als sei sie im Wege eines Prozessbetrugs für die Leibesfrucht in Besitz gewesen, und dass sie im Besitz keine Gewalt erleide.



Aber Marcell führt [ebenfalls] aus, ob der Eid soweit nütze, dass nach Geburt des Kindes nicht untersucht werde, dass es von demjenigen, von dem gesagt

26  Ähnlich schon Zimmermann, Glaubenseid, S. 32 f.; Münks, Vom Parteieid zur Parteivernehmung, S. 11. Vgl. auch den Fall des Erben in PS 2.1.1.4, von dem keine Kenntnis über einen vom Erblasser geschlossenen Vertrag erwartet wird; dazu Harke, Der Eid im klassischen römischen Privat- und Zivilprozessrecht, S. 143 f.

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C. Rechtsfindung außerhalb der Rechtsordnung wird, es sei sein Kind, gezeugt worden sei oder nicht. Und er sagt, die Wahrheit sei zu untersuchen, weil der Eid einem Dritten weder nützt noch schadet. Der Eid der Mutter wird dem Kind also nicht nützen. Und es wird ihm nicht schaden, wenn die Mutter den Eid zugeschoben hat und geschworen wurde, dass sie von diesem [Erblasser] nicht schwanger sei.

(R6) Marcell 100 = D 37.10.10 (7 dig)

Cum mulier deferente herede iuraverit se praegnatem esse, bonorum possessio ex edicto Carboniano dari debet, vel denegari, si illa heredi detulit iusiurandum, cum causa cognita detur possessio, ne aut heredi bonorum possessio data faciat praeiudicium aut denegata ius ordinarium eripiat pupillo.



Obwohl eine Frau geschworen hat, dass sie schwanger sei, als der Erbe [den Eid] zugeschoben hat, muss der Nachlassbesitz [erneut] nach dem carbonianischen Edikt gewährt werden, oder [erneut] verweigert werden, wenn jene dem Erben den Eid zugeschoben hat, weil der Besitz nach Sachverhaltsermittlung gewährt wird, damit nicht entweder der eingeräumte Nachlassbesitz eine Vorentscheidung aus Sicht des Erben bewirkt oder seine Verweigerung dem Mündel das ordentliche Recht entzieht.

In dem von Ulpian behandelten Fall beantragt eine Frau, die behauptet, vom Erblasser schwanger zu sein, beim Prätor für ihr ungeborenes Kind die Einweisung in den Besitz der Erbschaft, die sogenannte missio ventris in possessionem. Die Erben auf der Gegenseite bestreiten jedoch, dass die Frau überhaupt schwanger ist. Wenn die Frau in dieser Situation von den Erben den Eid zugeschoben bekommt, kann sie durch das Beschwören der Schwangerschaft die missio herbeiführen. Danach ist sie vor einer actio calumniae causa der Erben sicher und wird in ihrer Position durch ein spezielles Interdikt geschützt.27 Umgekehrt verweigert der Prätor die Einweisung, wenn die Gegenpartei ihre Ansicht nach einer delatio des Eides durch die Frau beeidet. Die wahre Sachlage wird in diesem Stadium des Prozesses nicht erforscht.28 Nach Geburt des Kindes hat sich zwar die Frage der Schwangerschaft erledigt, nicht jedoch die der Abstammung. Zu deren Klärung muss Marcell zufolge nun tatsächlich nach der veritas geforscht werden, unabhängig davon, ob der geleistete Eid schon explizit auf ex eo (non) praegnas gerichtet war. Seine Entscheidung begründet er mit dem regelhaft formulierten Satz: quia iusiurandum alteri neque prodest neque nocet. Die vorherige Eidesleistung soll in ihrer Wirkung nicht über das Verhältnis zwischen der Frau und den Erben hinausreichen und keine Drittwirkung auf die Rechtstellung des Kindes in dessen folgenden Rechtsstreit mit den Erben entfalten.29 Dieses Prinzip klingt zwar bereits in einer Entscheidung Julians zur hereditatis petitio an, findet sich jedoch erst später 27  Vgl.

auch Ulp. D  25.6.1pr., D  43.4.3.2, 3. Studi Sanfilippo II, S. 230. 29  Stiegler, SZ  85 (1968), S. 397; Kaser, Studi Sanfilippo II, S. 232. 28  Kaser,



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bei Ulpian als offenbar gefestigte Regel wieder.30 Es kann daher davon ausgegangen werden, dass diese Argumentation zu Marcells Zeiten noch kein fester Bestandteil der vorgegebenen Rechtsordnung war. Das Fragment D 37.10.10 ist offensichtlich aus seinem ursprünglichen Kontext gerissen worden, weswegen die Rekonstruktion seiner Aussage bei isolierter Betrachtung einige Schwierigkeiten bereitet.31 In der Zusammenschau mit den soeben behandelten Ausführungen Marcells wird der Inhalt aber klarer.32 Es geht um das Verhältnis von missio ventris nomine und bonorum possessio ex edicto Carboniano.33 Während die missio nur zu einer Detention der Mutter an dem Erbteil führt, der ihrem ungeborenen Kind zustehen würde, stellt die bonorum possessio den begünstigten pupillus selbst heredis loco. Wie gesehen, hat die Frau hier zunächst die missio beantragt und die Erben wehren sich dagegen mit der Behauptung, dass die Frau überhaupt nicht schwanger sei.34 Die erste Aussage der Stelle ist daher so zu verstehen, dass, auch wenn die Frau in diesem Verfahren ihre Schwangerschaft beschworen und der Prätor ihr mit der missio die Detention verschafft hat, nach der Geburt des Kindes dennoch eine erneute Gewährung der possessio nach den Regeln des edictum Carbonianum erforderlich ist. Wäre die Abstammungsfrage durch den zuvor geleisteten Eid bereits endgültig geklärt, könnte für das Kind sofort nach seiner Geburt die ordentliche bonorum possessio intestati beantragt werden. Die Besitzeinsetzung wird aber nur vorläufig gestattet, da eine endgültige Klärung der Abstammung des Kindes erst nach dessen Mündigkeit erfolgen soll.35 Dies begründet Marcell damit, dass die Gewährung der possessio gerade deswegen causae cognita erfolgt, damit der Prätor im Rahmen seines Ermessens die Interessen der Parteien im konkreten Fall optimal be30  Vgl.

Ulp. / Iul. D  12.2.11.3 und Ulp. D  25.6.1pr. Studi Sanfilippo II, S. 233 Fn. 89 bezeichnet den Text als „so unsinnig, dass er (…) einer Rekonstruktion spottet“; zu den bisherigen Interpolationsverdächtigungen und Rekonstruktionsversuchen vgl. insb. Simon, SZ 83 (1966), S. 183 Fn. 136 und Stiegler, SZ  85 (1968), S. 394 ff. jeweils m. w. N. 32  Schon Lenel, Palingenesia  I, Sp. 605 m. Fn. 3 behandelt die beiden Fragmente als aus einer gemeinsamen Originalstelle abstammend. 33  Das decretum ad exemplum Carboniani edicti kann dagegen nicht gemeint sein, weil es gerade nur dann zum Einsatz kommt, wenn kein Eid geschworen wird; Stiegler, SZ  85 (1968), S. 398; Kaser, Studi Sanfilippo II, S. 230 f. 34  Dass es auch in Fr. 10 um die Frage der Abstammung geht, folgt aus dem Vergleich mit Fr. 3.3, wo diese Frage am Ende im Mittelpunkt steht, obwohl zunächst ebenfalls nur von an praegnas sit die Rede ist. 35  Für dieses Verständnis der Stelle sind weder Umstellungen noch Streichungen erforderlich, sondern lediglich die Ergänzung des überlieferten Sachverhalts mit den in D 12.2.3.3 enthaltenen Aussagen; vgl. schon Lenel, Palingenesia I, Sp. 605 Fn. 3; ebenso Kaser, Studi Sanfilippo II, S. 233 Fn. 89. 31  Kaser,

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C. Rechtsfindung außerhalb der Rechtsordnung

rücksichtigen kann. Entscheidend ist nämlich, dass durch die vorläufigen Maßnahmen des Magistrats kein wirksames praeiudicium zu Lasten oder zum Vorteil des zunächst unbeteiligten Dritten getroffen wird.36 Entsprechendes muss natürlich auch im umgekehrten Fall gelten: Schiebt die Frau den Erben das iusiurandum zurück und beschwören diese, dass die Frau nicht schwanger ist, so denegiert der Prätor unmittelbar die missio. Die später beantragte bonorum possessio soll aber wiederum nur causae cognita und mit carbonianischer Prozessdilation verweigert werden können, damit die Interessen des pupillus bis zu seiner Mündigkeit gewahrt bleiben und nicht zuvor schon eine endgültige Entscheidung gegen ihn gefällt wird. 2. Vermeidung unbilliger Vorteile Gerade in der zuletzt behandelten Stelle wird deutlich, dass die Verhinderung eines unbilligen Nachteils derjenigen, zu deren Lasten die abgelehnte Entscheidung gehen würde, immer auch die spiegelbildliche ratio der Vermeidung eines unrechten Vorteils der Gegenseite enthält. Es bleiben noch die Stellen zu begutachten, in denen Marcell allein diese Kehrseite akzentuiert, indem er die Unbilligkeit einer bestimmten Bereicherung oder eines Rechtsgewinns aufzeigt. Im ersten der drei hierunter zu fassenden Texte markiert er die Grenze des schützenswerten Gläubigerinteresses: (R7) Marcell 60 = D 16.3.22 (6 dig)37

Si duo heredes rem apud defunctum depositam dolo interverterint, quodam utique casu in partes tenebuntur: nam si diviserint decem milia, quae apud defunctum deposita fuerant, et quina milia abstulerint et uterque solvendo est, in partes obstricti erunt: nec enim amplius actoris interest. …



Wenn zwei Erben eine bei einem Verstorbenen deponierte Sache absichtlich unterschlagen haben, werden sie jedenfalls in einem bestimmten Fall auf Anteile haften. Wenn sie nämlich 10.000, die bei dem Verstorbenen deponiert waren, aufgeteilt haben, und 5.000 weggenommen haben und jeder von beiden solvent ist, werden sie auf die Anteile verpflichtet. Denn auch das Interesse des Klägers geht nicht weiter. …

Die beiden Erben eines verstorbenen Verwahrers haben jeweils die Hälfte der hinterlegten 10.000 Geldstücke unterschlagen. Beide haben unstrittig die honorarrechtlichen dolus-Voraussetzungen erfüllt. In Frage steht lediglich die Höhe der jeweiligen Haftungssumme. Die Erben haften hier für 36  Zu den unterschiedlichen Bedeutungen von praeiudicium vgl. Hackl, Praeiudicium, S.  18 ff. 37  Lenel, Palingenesia  I, Sp. 598 Fn.  2; der Inskription nach soll das Fragment aus dem fünften Buch stammen.



I. Interessenabwägung im Einzelfall201

ihre eigene Arglist, so dass der Anspruch aus der actio depositi nicht auf die Erbquoten beschränkt ist.38 Marcell entscheidet dennoch, dass der Hinterleger von jedem Erben nur 5.000 Geldstücke einfordern kann.39 Seiner Ansicht nach rechtfertigt das fehlende Interesse des Anspruchsinhabers eine ausnahmsweise beschränkte Haftung.40 Jedenfalls solange beide Erben solvent sind, würde ihm das Forderungsrecht in solidum einen unbilligen Vorteil verschaffen. Zwei weitere Entscheidungen orientiert Marcell daran, dass sich die Interessenlage wegen eines vorwerfbaren Verhaltens zu Ungunsten eines der Beteiligten verschoben hat, und betont den ungebührlichen Vorteil der zu tadelnden Person. Erneut verwendet Marcell Begriffe aus dem Wortfeld der aequitas und illustriert damit sein Bestreben, mit seiner Lösung den gegenläufigen Interessen aller Beteiligten möglichst gerecht zu werden.41 Im ersten Fragment geht es um den Umfang der Vormundschaftsklage und die Vorwerfbarkeit der Verweigerungshaltung eines tutor: (R8) Marcell 110 = D 12.3.8 (8 dig)

Tutor rem adulti, quam possidet, restituere ei non vult: quaero, utrum quanti res est an quanti in litem iuratum fuerit condemnari debet, respondi: non est aequum pretio, id est quanti res est, litem aestimari, cum et contumacia punienda sit et arbitrio potius domini rei pretium statuendum sit potestate petitori in litem iurandi concessa.



Ein Vormund will die Sache eines mündig gewordenen Mündels, die er besitzt, diesem nicht zurückgeben. Ich frage, ob er darauf verurteilt werden muss, wie viel die Sache [wert] ist oder wie viel im Prozess beschworen worden ist. Ich habe geantwortet, dass es nicht billig ist, den Streitgegenstand nach dem Wert, d. h. danach, wie viel die Sache [wert] ist, einzuschätzen, da zum einen die Widerspenstigkeit zu bestrafen ist, zum anderen der Wert eher durch eine Ermessensentscheidung des Eigentümers der Sache nach Einräumung der Befugnis zum Schätzungseid an den Kläger festzusetzen ist.

Ein mittlerweile volljähriger Mündel verlangt von seinem Tutor die Herausgabe einer in dessen Besitz verbliebenen Sache mit der actio tutelae. Da der Beklagte aber dem Restitutionsbefehl des Richters nicht nachgekommen ist, darf der Kläger den Wert der Sache mit einem Schätzungseid (iusiuran38  Dazu

bereits oben D 16.3.22 (C11). muss nicht zwingend der Erbquote entsprochen haben. Marcell spricht ausdrücklich von einer Haftung in partes und nicht pro parte; Evans-Jones, RIDA III 33 (1986), S. 127 Fn. 21; ähnlich Steiner, Die römischen Solidarobliga­ tionen, S. 236. 40  Marcell betrachtet die beiden Teilsummen hier quasi als zwei getrennte Verwahrungsgegenstände; Evans-Jones, RIDA III 33 (1986), S. 128; vgl. auch Medicus, Id quod interest, S. 260; Walter, Die Funktionen der actio depositi, S.  286 f. 41  Dazu unten S. 214 f. 39  Dies

202

C. Rechtsfindung außerhalb der Rechtsordnung

dum in litem) nach seinem Ermessen beziffern.42 Die von ihm abgelehnte Alternative einer objektiven Wertbestimmung bezeichnet Marcell dagegen als non aequus. Im Prinzip würde dem Interesse des Eigentümers an der freiwilligen Herausgabe die Leistung des objektiven Sachwerts durchaus entsprechen. Das Versäumnis des Beklagten verschiebt das Verhältnis jedoch zu seinen Lasten. Der Begriff contumacia drückt eine Art Widerspenstigkeit aus.43 Es handelt sich also um eine Situation, in der dem Beklagten das gebotene Verhalten ohne Weiteres möglich wäre. Zum Ausgleich soll der Kläger ausnahmsweise sein zusätzliches Affektionsinteresse geltend machen können.44 Marcell betont in seiner Argumentation zwei Aspekte: Zunächst weist er auf die Straffunktion des Rechtsinstituts hin.45 Natürlich könnte sowohl das über den objektiven Wert hinausgehende Interesse des Klägers als auch die Strafwürdigkeit des Beklagten im Rahmen des quidquid dare facere oportet ex bona fide der actio tutelae Berücksichtigung finden. Die Verweigerungshaltung wird aber nicht einfach mit einer erhöhten Klagesumme abgestraft, sondern durch die Erweiterung der klägerischen Einflussmöglichkeiten geahndet. Im Ergebnis wird der Beklagte damit so gestellt, als hätte er die Sache vom Kläger gekauft.46 Dann hätte er ebenfalls den vom Verfügungsberechtigten festgelegten Preis zu zahlen, um die Sache behalten zu dürfen.47 Mit dem zweiten Teil des Begründungssatzes weist Marcell noch darauf hin, dass die Wertbestimmung ohnehin am besten vom Eigentümer des betroffenen Gegenstands vorgenommen werden kann. Der Richter hat den Gegenstand der Schätzung dagegen niemals zu Gesicht bekommen und wäre auf die Aussagen der Parteien angewiesen.48 Eine einheitliche Entscheidung bilden zwei weitere Stellen, die sich mit der Zinsschuld des Tutors bei Verzögerung der restitutio tutelae beschäftigen: 42  Die Festlegung einer Höchstgrenze durch den Richter (taxatio) war wohl erst in spätklassischer Zeit möglich; vgl. Grzimek, Studien zur Taxatio, S. 152 ff. 43  Kaser / Hackl, RZ, S. 339 Fn. 36. 44  Grzimek, Studien zur Taxatio, S. 149 f. 45  In diesem Sinne auch Iav. D  35.2.60.1. 46  Diesen Gedanken scheint als erster Julian formuliert zu haben: vgl. Iul. D  25.2.22pr., Ulp. / Iul. D  6.2.7.1; dazu Levy, SZ 42 (1921), S. 482 ff. 47  Wubbe, FS Kaser, S. 180 f.; vgl. auch Paul. D  25.2.9: non enim aequum est invitum suo pretio res suas vendere. 48  Man könnte den letzten Halbsatz auch in einem prozessökonomischen Sinn verstehen: Der Wert soll nach dem Ermessen des Klägers bestimmt werden, weil der Richter ihm im Rahmen der Beweisaufnahme die Befugnis für ein iusiurandum in litem ohnehin schon eingeräumt hatte; so wohl Seiler, in: Behrends / Knütel, CIC III, S. 92, der die zeitliche Komponente des ablativus absolutus hervorhebt. Allerdings ist die Existenz eines solchen Beweiseids über den Klageanspruch nicht bewiesen; vgl. Kaser / Hackl, RZ, S. 366.



I. Interessenabwägung im Einzelfall203

(R9) Marcell 107 = D 26.7.28.1, 29 (8 dig)

Tutor, qui post pubertatem pupilli negotiorum eius administratione abstinuit, usuras praestare non debet ex quo optulit pecuniam: quin etiam iustius mihi videtur eum per quem non stetit, quo minus conventus restitueret tutelam, ad praestationem usurarum non compelli.



[Ulpianus notat: non sufficit optulisse, nisi et deposuit obsignatam tuto in loco.]



Maximeque heredem tutoris: nam periniquum est eum, cui forte post viginti annos vel amplius in mentem venit tutelam reposcere, etiam usuras postulare.



Ein Vormund, der nach [dem Erreichen] der Mündigkeit des Mündels von der Verwaltung seiner Geschäfte zurückgetreten ist, muss von da an keine Zinsen leisten, wenn er das [dem Mündel geschuldete] Geld angeboten hat. Ja, es erscheint mir sogar gerechter, denjenigen, von dem es nicht abhing, dass er nach Aufforderung über die Vormundschaft keine Rechnung gelegt hat, nicht zur Leistung der Zinsen zu zwingen.



[Ulpian bemerkt dazu: Es genügt nicht, das Geld angeboten zu haben, wenn er es nicht auch versiegelt an einem sicheren Ort deponiert hat.]



Und insbesondere [wäre es ungerecht,] einen Erben des Vormunds [zur Zahlung von Zinsen zu zwingen]: Denn es ist äußerst unbillig, dass derjenige auch Zinsen fordert, dem es etwa nach zwanzig Jahren oder länger in den Sinn kommt, Rechenschaft über die Vormundschaft zu fordern.

Nach Beendigung der Vormundschaft muss der Vormund dem Mündel Rechenschaft über die gegenseitigen Ansprüche ablegen und verbliebenes Mündelvermögen herausgeben. Tut er dies nicht freiwillig, kann er mit der auf bona fides gestützten actio tutelae belangt werden.49 Marcell erörtert, in welchem Umfang der Tutor zusätzlich Zinsen zu leisten hat, ohne auf die Art der usurae näher einzugehen. In Frage kommen zum einen Verzugszinsen, die hier sowohl auf der allgemeinen mora in re gegenüber Minderjährigen als auch auf schlichter mora ex persona beruhen könnten.50 Zum anderen könnte es sich um die Verpflichtung handeln, das herauszugebende Mündelvermögen unabhängig von einem Verzug zu verzinsen, entweder bis zum Zeitpunkt der freiwilligen restitutio oder bis zum Abschluss des Verfahrens über die actio tutelae.51 Marcells Aussagen in Fr. 28.1, ein erfolgloses Angebot der Leistung beende automatisch auch die Zinspflicht und diese Schuld sei ganz allgemein davon abhängig, dass die Nichtleistung dem Schuldner vorgeworfen werden kann, zeigen jedoch deutlich, dass es ihm um die purgatio morae geht.52 Der Begriff conventus ist daher im Kaser, RP  I, S. 365 f. D 22.1.32pr.; zu dieser Unterscheidung eingehend Harke, Mora debitoris und mora creditoris, S.  48 ff. 51  Vgl. Pap. D  22.1.1.3 und Ulp. D  26.7.7.15. 52  Dazu bereits oben D  46.3.72pr.–3 (D5–9) und ausführlich Harke, Mora debitoris und mora creditoris, S.  91 f. 49  Vgl.

50  Marci.

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C. Rechtsfindung außerhalb der Rechtsordnung

Sinne von interpellatus zu verstehen.53 Zusammenfassend lautet die Auffassung also, dass eine Verpflichtung zur Leistung von Zinsen bei Verzug des Vormunds nur für die Zeit zwischen interpellatio und Beendigung der Vorwerfbarkeit besteht.54 Ulpian verlangt für das Ende des Zinslaufs dagegen obsignatio und depositio. Im anschließenden Fragment überträgt Marcell diese Entscheidung unmittelbar auf den Erben des Tutors.55 Marcell erscheint es mit der Interessenlage zwischen den Beteiligten gänzlich unvereinbar, dem ehemaligen Mündel des Erblassers nach 20 Jahren oder noch längerer Zeit neben seinen Ansprüchen auf Rechnungslegung auch noch Zinsen zu gewähren.56 Dabei denkt er offensichtlich an einen Fall, in dem der pupillus seine lange Untätigkeit nicht durch besondere Umstände rechtfertigen kann (in mentem venit tutelam reposcere). Da Ansprüche im klassischen römischen Recht keiner allgemeinen Verjährung unterliegen, können sie normalerweise gerichtlich durchgesetzt werden, solange sie beweisbar sind. Bei der Vormundschaftsklage besteht allerdings die Besonderheit, dass der Vormund, in dessen Verwaltung der Mündel normalerweise keinen Einblick hatte, zunächst einmal die gegenseitigen Ansprüche darlegen muss, was ihm, besonders aber seinen Erben, mit zunehmender Zeit schwerer fallen wird. Insofern trifft auf den Erben 20 Jahre oder länger nach Beendigung der Vormundschaft das per eum non stetit, quo minus restituerit generell zu. Die Schutzwürdigkeit des untätig bleibenden Gläubigers nimmt demgegenüber immer weiter ab, bis sie gänzlich entfallen ist. Die Interessenlage des Erben ist mit derjenigen eines Vormunds vergleichbar, der die restitutio erfolglos angeboten oder aus einem sonstigen rechtmäßigen Grund nicht erbracht hat: In all diesen Fällen wird ein (erneutes) freiwilliges Angebot vom Schuldner nicht mehr erwartet, so dass ihm eine Verzögerung auch nicht zum Vorwurf gemacht werden kann.57 Vielmehr wird vom ehemaligen Mündel erwartet, sich frühzeitig um seine Forderung zu kümmern.

53  Vigneron, Offerre aut deponere, S.  133  ff.; ebenso Kaser, SZ 98 (1981), S. 496, der allerdings zu Unrecht annimmt, Marcell unterscheide einen Fall, in dem Verzug vorlag, und einen Fall ohne Verzug. 54  Harke, Mora debitoris und mora creditoris, S. 92. 55  Der Akkusativ heredem bezieht sich eindeutig auf ad praestationem usurarum non compelli. 56  Gegen die Ansicht von Nitschke, SDHI  24 (1958), S. 138, dass es sich nur um Verwendungszinsen handelt, wendet Vigneron, Offerre aut deponere, S. 136 f. zu Recht ein, dass diese 20 Jahre nach der pubertas keine Rolle mehr hätten spielen können. 57  Vgl. auch die allgemeine Regel in Gai. D  50.17.42, wonach Erben eine iusta causa ignorantiae haben, was ihre Erbschaftsschulden anbelangt.



II. Überindividuelle Wertungen

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II. Überindividuelle Wertungen Mit einer Zahl von insgesamt sieben Stellen relativ selten anzutreffen sind Entscheidungen, in denen Marcell sich explizit auf einen von der konkreten Personenkonstellation unabhängigen favor oder einen allgemeinen Wertungsbegriff beruft. Oftmals finden sich neben der Argumentation mit einem solchen Topos noch weitere, systemimmanente rationes, die zur Unterstützung des Wertmaßstabs herangezogen werden. 1. Schutzwürdige Personengruppen Einige Teile der Gesellschaft, deren Rechte von vornherein stark eingeschränkt sind, betrachten die Römer generell als schützenswert. Die darauf basierenden Falllösungen richten sich nicht nach den Belangen der einzelnen Beteiligten, sondern erfolgen im Interesse der Öffentlichkeit.58 So sollen insbesondere die Nachteile von Sklaven, Frauen und Kindern im Rechtsverkehr soweit ausgeglichen werden, wie es für den ihnen in der Gesellschaft zugedachten Wirkungsbereich erforderlich und wünschenswert erscheint. Solche Wertungen finden ihren Niederschlag freilich in erster Linie in entsprechenden Vorschriften. Sie werden aber bisweilen auch durch die Jurisprudenz als übernormatives Korrektiv eingesetzt.59 In den Werken der römischen Juristen begegnen diese Topoi am häufigsten als Zweifelsregelungen bei der Auslegung von Rechtsgeschäften.60 Dort prägen sie den Erblasser- oder Parteiwillen insofern, als eine widerlegbare Vermutung dafür angenommen wird, dass der Erklärende diesen Wertvorstellungen jedenfalls nicht zuwiderhandeln wollte.61 Allerdings findet sich unter den vier einschlägigen Entscheidungen Marcells immerhin auch eine Verwendung des favor libertatis zur unmittelbaren Konkretisierung der Wirkung einer senatorischen Freilassungsanordnung: (S1) Marcell 150 = D  29.5.16 (12 dig) Domino a familia occiso servus communis necem eius detexit: favore libertatis liber quidem fieri debet, pretii autem partem sibi contingentem socium consequi oportet. 58  Vgl. exemplarisch für den favor dotis: Pomp. D 24.3.1 (publice interest); dazu Stagl, Favor dotis, S.  301 ff. m. w. N. Ebenso Harke, AI–AS, S. 332. 59  Bretone, Storia del diritto romano, S. 292 spricht im Hinblick auf den favor libertatis von „un criterio valutativo, assiologico, in una certa misura esterno all’ordinamento giuridico“; ihm folgend Stagl, Favor dotis, S. 322. 60  Kaser, RP  I, S. 239 f., 257 Fn.  48; Kaser / Knütel, Römisches Privatrecht, S. 57 f.; Harke, Römisches Recht, S. 318. 61  Harke, in: Facetten des römischen Erbrechts, S. 71  ff. mit Nachweisen zur Testamentsauslegung.

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C. Rechtsfindung außerhalb der Rechtsordnung Nachdem ein Herr vom Gesinde ermordet worden ist, hat ein gemeinschaftlicher Sklave den Mord aufgedeckt. Wegen des Vorrangs der Freiheit muss er natürlich freigelassen werden, der Miteigentümer muss aber den ihm zustehenden Teil des Wertes erlangen.

Das senatus consultum Silanianum enthält grausame Bestimmungen zur Folterung und Tötung aller Sklaven, die sich während der Ermordung ihres Herrn in der Nähe des Tatortes aufgehalten und nicht unter Einsatz ihres eigenen Lebens versucht haben, die Tat zu verhindern.62 Gleichzeitig ermächtigt es den Prätor, einen Sklaven zur Belohnung freizulassen, wenn er im Nachhinein die Aufklärung des Verbrechens durch indicare oder arguere bewirkt hat.63 Im vorliegenden Fall handelt es sich bei dem zu belohnenden Sklaven allerdings um einen servus communis, dessen anderer, an den Geschehnissen nicht beteiligter Eigentümer freilich kein Interesse an der Freilassung hat. Es entsteht ein ähnlicher Konflikt, wie in dem Fall, dass ein servus communis von einem seiner Eigentümer freigelassen wird. In solchen Fällen zwingt der Prätor die anderen Miteigentümer, ihre Anteile an den Freilasser zu verkaufen, so dass ihnen letztlich nur der geschätzte Wert ihres jeweiligen Anteils verbleibt.64 Zu einer ähnlichen Entscheidung kommt auch Julian, wenn der Beklagte einer vindicatio in servitutem nur gegen einen von zwei Miteigentümern des betroffenen Sklaven verliert, so dass der Sklave eigentlich zur Hälfte frei, zur anderen unfrei sein müsste:65 Gemäß dem Prinzip des favor libertatis soll der Sklave zur Freiheit gelangen, anstatt dem siegreichen Miteigentümer dienen zu müssen.66 Dabei handelt es sich um die von den Klassikern am häufigsten eingesetzte allgemeine Vorzugsregel.67 Marcell entscheidet die vorliegende Konstellation ebenfalls ausdrücklich favore libertatis gegen den unbeteiligten Miteigentümer und zu Gunsten der prätorischen Freilassung. Die Verluste des betroffenen Miteigentümers sollen durch Wertersatzleistung wieder ausgeglichen 62  Dazu ausführlich Wolf, Das Senatusconsultum Silanianum, S.  10 ff.; Torrent, Index 37 (2009), S. 271 ff.; Finkenauer, Die Rechtsetzung Mark Aurels, S. 77 ff. 63  Vgl. Ulp. D  29.5.3.13 f., Paul D  35.2.39, Marci. D  40.8.5. 64  Justinian berichtet von dieser Regelung in C 7.7.1.1a und merkt unter anderem an, dass sie schon von Julian und Marcell vertreten worden sei. 65  Iul. D 40.12.30: … Et sane ridiculum est arbitrari eum pro parte dimidia duci, pro parte libertatem eius tueri. Commodius autem est f a v o re l i b e r t a t i s liberum quidem eum esse, compelli autem pretii sui partem viri boni arbitratu victori suo praestare. 66  Ebenso Harke, AI–AS, S. 335; anders Starace, in: Diritto e giustizia nel processo, S. 54, 65 f., die von einer „incongruenza logica del contento“ ausgeht und die vorsichtige Vermutung einer nicht gekennzeichneten Note Marcells aufstellt. 67  Vgl. die Quellenübersicht bei Stagl, Favor libertatis, S. 321 Fn. 34. Weitere Stellen mit sklavenbegünstigendem Inhalt hat Härtel, Index  5 (1974), S. 285 ff. zusammengetragen, wenn auch in recht unstrukturierter und oberflächlicher Weise.



II. Überindividuelle Wertungen207

werden.68 Der favor dient hier ausnahmsweise nicht zur typisierenden Unterstellung einer voluntas im Rahmen der Auslegung eines Rechtsgeschäfts, sondern der Bewältigung einer vom Senat offensichtlich nicht bedachten Folge des SC Silanianum. Obgleich die offensichtliche Belohnungsfunktion der Vorschrift sein Ergebnis ebenfalls tragen würde, beruft sich Marcell nicht auf Sinn und Zweck der Regelung, sondern auf die systemübergreifende Maxime des favor libertatis. Immerhin soll ein Bürger enteignet werden, der in den Vorfall nicht im Geringsten involviert war, ohne dass dies in der einschlägigen Vorschrift unmittelbar angeordnet würde.69 Die andere Erwähnung des favor libertatis in Marcells Werk betrifft den gewöhnlichen Anwendungsbereich der Testamentsauslegung: Am Ende von D 28.4.3 erläutert er, dass Marc Aurel sein Urteil zugunsten der Wirksamkeit einer testamentarischen Freilassung favore libertatis gefällt hat.70 Ein weiteres bedeutsames Prinzip stellt für die römischen Juristen die naturbedingte Schutzbedürftigkeit von Minderjährigen im Rechtsverkehr dar, die im folgenden Fall mit dem favor libertatis abgewogen werden muss. Marcell spricht dabei zwar nicht von einem favor pupilli,71 er betont aber deren Wankelmütigkeit und legt dem Erblasser den Schutzgedanken in den Mund: (S2) Marcell D 46.3.68 (16 dig)

Servus decem dare iussus pupillo et liber esse, si heres sit pupillus sive tantum condicio in eum collata sit, an absente quoque tutore pupillo dando libertatem consequatur? Moveris comparatione condicionis, quae constitit in facto, veluti ‚si pupillo servierit‘, quae potest impleri citra interventum quoque tutoris. Et quid, inquis, si curatorem habeat et si furioso dare iussus sit, an curatori dando liberetur? Et finge alicui fundum legatum, si dedisset pupillo furiosove. Et sciendum est in omnibus istis casibus tutori quidem vel curatori utiliter dependi, ipsis autem, id est furioso vel pupillo, non recte persolvi, ne datio ex illorum inbecillitate pereat: nec enim hoc egit testator, ut, quoquo modo esset datum, expleta videretur condicio.

68  Wegen Iul. D 40.12.30 ist anzunehmen, dass auch Marcell den Freizulassenden selbst dafür aufkommen lassen will; dazu Starace, in: Diritto e giustizia nel processo, S. 65. 69  Dagegen könnte eine Entscheidung, die einer Norm tatsächlich zuwiderläuft, wohl auch nicht auf eine offene Wertung gestützt werden; Harke, Europäische Methodenlehre, S. 19. 70  … Nomen servi, quem liberum esse iusserat, induxit. Antoninus rescripsit liberum eum nihilo minus fore: quod videlicet f a v o re c o n s t i t u i t l i b e r t a t i s . Der Rest des Fragments wird unten (T1) besprochen. 71  Dieser Ausdruck scheint erst von den spätklassischen Autoren etabliert worden zu sein; vgl. die von Stagl, Favor dotis, S. 321 Fn. 36 angeführten Belege (statt Ulp. D 44.4.4.22 ist § 23 gemeint).

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C. Rechtsfindung außerhalb der Rechtsordnung



Erlangt ein Sklave, nachdem er angewiesen worden ist, einem Mündel 10 zu geben – sei es, dass der Mündel Erbe ist, sei es, dass nur die Bedingung sich auf ihn bezieht –, und für frei erklärt worden ist, durch die Übergabe [des Geldes] an den Mündel auch in Abwesenheit des Vormunds die Freiheit? Du wirst durch den Vergleich mit einer Bedingung verunsichert, die in etwas Tatsächlichem besteht, wie zum Beispiel „wenn er dem Mündel gedient hat“, welche auch ohne Beteiligung des Tutors erfüllt werden kann. Und was sagst du, wenn er einen Pfleger hat und angeordnet worden ist, dass dem Geisteskranken [das Geld] übergeben wird? Wird er durch die Übergabe an den Pfleger befreit? Angenommen, jemandem wäre ein Grundstück vermacht worden unter der Bedingung, dass er dem Mündel oder dem Geisteskranken [Geld] übergibt.



Und man muss wissen, dass in allen diesen Fällen zwar dem Vormund oder dem Pfleger wirksam gezahlt wird, diesen selbst aber, das heißt dem Geisteskranken oder dem Mündel, nicht rechtswirksam geleistet wird, damit das Geleistete nicht aufgrund ihrer Schwäche untergeht. Und der Testator hat nämlich nicht beabsichtigt, dass, auf welche Weise auch immer [das Geld] übergeben worden wäre, die Bedingung als erfüllt angesehen werden solle.

Marcell behandelt die testamentarische Freilassung eines Sklaven unter der Bedingung, einen bestimmten Geldbetrag an einen Mündel zu leisten.72 Die impuberes infantia maiores bedürfen zur wirksamen Beteiligung an Rechtsgeschäften, welche ihre Rechtslage nicht ausschließlich verbessern, mit denen sie also Rechte aufgeben oder Verpflichtungen eingehen, der auctoritas tutoris.73 Die datio an einen solchen pupillus bewirkt zwar den Übergang von Besitz74 und Eigentum am betroffenen Gegenstand, der Schuldner bleibt aber zur Leistung verpflichtet und trägt das Risiko der Entreicherung des Unmündigen.75 Auch Marcell will dem Sklaven im vorliegenden Fall die Erfüllung der Bedingung nicht ohne Mitwirkung des Vormunds zugestehen. Vielmehr soll er entweder auf dessen Zustimmung angewiesen sein oder das Geld unmittelbar dem zugehörigen tutor oder curator übergeben.76 Noch deutlicher ist die Problematik einer schuldbefreienden Leistung gegenüber den infantes und furiosi, die vollständig geschäftsunfähig sind, also unabhängig vom Vorhandensein einer auctoritas durch eigenes Handeln weder berechtigt noch verpflichtet werden können. 72  Dabei kommt es ihm ausdrücklich nicht darauf an, dass der Mündel selbst Erbe ist. 73  Vgl. IJ 1.21pr.; Kaser, RP  I, S. 275 f.; Knothe, Die Geschäftsfähigkeit der Minderjährigen, S.  18 ff. 74  Paul. D 41.2.1.3. 75  Vgl. Gai  2.83 f., Paul. D  46.3.15; dazu Kober, Die unautorisierte Erfüllungsannahme, S. 15 ff., 29 ff.; Kaser, RP I, S. 276, 636. Eine noch vorhandene Bereicherung kann allerdings spätestens seit einem Reskript des Antoninus Pius zurückgefordert werden; vgl. Ulp. D 26.8.1pr. 76  Vgl. auch Paul. D  35.1.13.



II. Überindividuelle Wertungen209

Mit dieser Erweiterung und Verallgemeinerung des Sachverhalts exponiert Marcell das eigentliche Problem des Falls: die Auswirkungen der datio an einen nicht (voll) Geschäftsfähigen auf eine condicio. Dem gleichen Zweck dient auch die Erwähnung der Variante, in der die Bedingung nicht auf eine Freilassung, sondern ein Legat bezogen ist. Zudem ist damit klargestellt, dass der favor libertatis hier keine wesentliche Rolle spielt. Die besondere Schwierigkeit des Falls wird bei Betrachtung der ratio dubitandi augenscheinlich: Bestünde die Bedingung darin, dem Mündel für eine gewisse Zeit tatsächlich gedient zu haben, könnte sie ohne Zweifel ausschließlich gegenüber dem Unmündigen selbst erfüllt werden. Es stellt sich also die Frage, ob sich das pecuniam dare als Gegenstand einer condicio von servire unterscheidet. Der genaue Inhalt der geforderten Leistung muss freilich im Wege der Auslegung des Testaments ermittelt werden. Der im Wortlaut verwendete Begriff dare scheint auf den ersten Blick nicht mehr als die Übergabe und Übereignung des Geldes bedeuten zu können. Marcell nimmt jedoch letztlich an, dass eine derartige Formulierung des Testators nicht auf eine Bedingung in facto, sondern auf eine rechtlich wirksame, befreiende Leistung gerichtet ist. Zwar mag sich der Erblasser lediglich eine tatsächliche Übergabe an den pupillus vorgestellt haben. Bei näherer Betrachtung geht sein Wille jedoch darüber hinaus, wie Marcell im letzten Satz erklärt.77 Denn es ist zu vermuten, dass es ihm nicht nur auf die momentane Bereicherung des Mündels angekommen ist, sondern auf die dauerhafte Vermehrung dessen Vermögens.78 Dies ist aber nur durch die Übergabe an den Vormund zu garantieren, da bei den Unmündigen zu befürchten steht, dass das überreichte Geld verloren geht.79 Eine solche Gefahr besteht beim servire naturgemäß nicht. An dieser Stelle betont Marcell die inbecillitas der schutzwürdigen Personengruppe, also die natürliche Willensschwäche und Unerfahrenheit. Der Begriff und sein Synonym infirmitas werden häufiger als Telos einer Regelung zum Schutz von Minderjährigen, 77  Ähnlich Ankum, Studi Martini  I, S. 45. Mit der Formulierung id agere, ut leiten die Römer ganz allgemein Erläuterungen zu rechtsgeschäftlichen Absichten ein: vgl. nur Ulp. / Marcel. D  16.1.8.2, D  17.1.6.7 und D  18.4.2.13. Ähnlich Horak, Rationes decidendi, S. 220 f. und im Überblick Babusiaux, Id quod actum est, S. 1 ff., 251 ff. 78  Mit der Frage, ob auch Obligationen gegenüber Minderjährigen nur dann erlöschen, wenn der Gegenstand in den Machtbereich des tutor gelangt, beschäftigt sich ausführlich Kober, Die unautorisierte Erfüllungsannahme, S. 54 ff.; die Tat­sache, dass in den von ihm behandelten Texten – wie auch im vorliegenden Fragment – immer von Geld gehandelt wird, trägt allerdings nicht seinen Schluss, es handele sich um eine besondere Eigenschaft von Geldschulden (S. 17 f.). 79  So setzt er sich auch über die Schwierigkeit hinweg, dass der tutor im Testament überhaupt nicht genannt wird; vgl. auch Babusiaux, Papinians quaestiones, S. 126.

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C. Rechtsfindung außerhalb der Rechtsordnung

Frauen und Geisteskranken herangezogen – relativ häufig in Verbindung mit Reskripten von Antoninus Pius.80 Auch Marcells Vergleich von pupilli und furiosi dient der Verdeutlichung dieses Schutzgedankens.81 Seine Interpretation beruht also auf einer rechtspolitischen Wertung: Solange sich im Einzelfall nichts Gegenteiliges erweist, soll derjenige Erblasserwille angenommen werden, der dem Schutz des Minderjährigen am zuträglichsten ist. Dabei setzt sich dieses Prinzip im vorliegenden Fall sogar gegen den favor libertatis durch.82 In zwei weiteren Texten korrigiert Marcell die Rechtslage im Sinne des favor dotis, also mit dem Ziel, die der Mitgift in der römischen Gesellschaft zukommende Funktion zu wahren. An dieser Wertung müssen sich alle Vereinbarungen messen lassen, die eine Mitgift direkt oder mittelbar beeinträchtigen. Am Beispiel seiner Erläuterungen kann ersehen werden, dass dieser favor über die einseitige Bevorzugung der Gruppe der betroffenen Frauen hinausgeht und stattdessen ein bestimmtes Idealbild der familia zum öffentlichen Schutzobjekt erhebt: (S3) Marcell 83 = D 23.4.4pr. Ulp 31 Sab

Si convenerit, ut fructus in dotem converteretur, an valeat conventio? Et Marcellus ait libro octavo digestorum conventionem non valere: prope enim indotatam mulierem hoc pacto fieri. Sed ita distinguit, ut, si quidem fundum in dotem dederit mulier ita, ut maritus fructus redderet, non esse ratum pactum: idemque esse et si usum fructum in dotem hoc pacto dedit. Quod si convenisset de fructibus reddendis, hoc est ut in dote essent fructus quosquos percepisset, et fundus vel usus fructus in hoc traditus est, non ut fundus vel fructus fieret dotalis, sed ut fructus perciperet dotis futuros, cogendum de dote actione fructus reddere. Erunt igitur in dote fructus et fruetur iste usuris, quae ex fructibus collectis et in sortem redactis percipi possunt. …



Wenn man vereinbart hat, dass die Früchte zur Mitgift gerechnet werden sollen, ist diese Vereinbarung wirksam? Und Marcell hat im achten Buch seiner Digesten gesagt, die Vereinbarung sei nicht wirksam. Denn die Frau werde durch diese Vereinbarung gewissermaßen zu einer [Ehefrau] ohne Mitgift. Aber er unterscheidet derart, dass die Vereinbarung freilich nicht wirksam sei, wenn die Frau ein Grundstück so als Mitgift gegeben habe, dass der Ehemann die Früchte zu erstatten habe. Und es sei genauso, wenn sie mit einer solchen

80  Vgl. Nerv. D 27.10.9, Scaev. D 33.1.21.2, Ulp. D 4.4.18.1, D 16.1.2.3, D 46.6.4.8, Paul. D 22.6.9pr., D 28.6.43pr., Mod. D 48.19.22. Weitere Aspekte des römischen Minderjährigenschutzes haben Knothe, Die Geschäftsfähigkeit der Minderjährigen, S. 41 ff. und Wacke, TR 48 (1980), S. 203 ff. zusammengetragen. 81  Siehe dazu auch Paul. D 29.2.9: … neque enim scire neque decernere talis aetas potest, non magis quam furiosus … . 82  Ebenso verhält es sich, wie gesehen, auch in Marcel. D 18.7.4 (H12). Dort beruft sich Marcell allerdings auf eine gesetzliche Manifestierung des Schutzgedankens.



II. Überindividuelle Wertungen211 Vereinbarung den Nießbrauch als Mitgift bestellt hat. Wenn man aber über die Rückgabe der Früchte übereingekommen ist, das heißt, dass all die Früchte in der Mitgift sein sollten, die er empfangen hatte, und das Grundstück oder der Nießbrauch nicht dazu übertragen worden ist, damit das Grundstück oder die Frucht [selbst] zur Mitgift gehören, sondern damit der Mann Früchte zieht, die zur Mitgift gehören werden, müsse er mit der Klage auf Rückgabe der Mitgift gezwungen werden, die Früchte herauszugeben. Es werden also die Früchte in der Mitgift sein und der Mann wird die Zinsen genießen, die aus den gesammelten und zu einem Stammkapital gemachten Früchten gezogen werden können. …

Ein zukünftiges Ehepaar hat eine Vereinbarung getroffen, wonach die Früchte, die während der Ehe aus der Mitgift gewonnen werden, selbst Teil der dos werden sollen. Dies ist problematisch, da die fructus dotis eigentlich dem Mann als Ausgleich für die Übernahme der Lasten der Ehe zustehen sollen.83 Ulpian zitiert eine Entscheidung Marcells zur Unwirksamkeit einer solchen Abrede. Dessen Begründung, wonach die Frau durch die Geltung einer solchen Abrede prope indotata wäre, stellt die – auf den ersten Blick allzu drastisch wirkende – Ermahnung dar, die Maxime des favor dotis zu beachten.84 Er zielt damit allerdings nicht unmittelbar auf das Interesse der Frau, die bei Gültigkeit der Klausel ja einen Vorteil erlangen würde, indem sie bei Beendigung der Ehe ausnahmsweise die Früchte zusätzlich herausverlangen könnte.85 Ebenso kommt es ihm nicht in erster Linie auf die Funktion der Mitgift als Garantie für den Bestand der Ehe an.86 Vielmehr geht er offenbar von der Vorstellung aus, dass eine Mitgift, die nichts zum Unterhalt der Familie während der Ehe beiträgt, überhaupt nicht als dos im rechtlichen Sinn zu betrachten ist.87 Dazu passt auch, dass Marcell dort eine Ausnahme zulassen will, wo nicht das Grundstück oder das daran bestehende Nießbrauchsrecht selbst als Mitgift übertragen worden ist, sondern ausschließlich die daraus gewonnenen Früchte in den Betrag der dos gerechnet werden sollen. In einem solchen Fall dienen die Zinsen aus dem entstehenden Kapital dem Mann zur Bestreitung der onera matrimonii.88 Die dos soll demnach bei Marcell nicht nur die Belange des ManUlp. D 23.3.7pr., 1; dazu Söllner, Actio rei uxoriae, S. 36. auch Stagl, Favor dotis, S. 64 m. Fn. 10. Eine ähnliche Argumentation findet sich auch bei Iul. D  35.2.85: aliter enim videbitur indotatam uxorem habere. 85  Zu dieser Funktion vgl. Paul. D 23.4.12.1 und dazu Stagl, Favor dotis, S.  133 ff. Genius, FS Seidl, S. 46 ff. sieht darin den wichtigsten Zweck in klassischer Zeit. 86  So aber Söllner, Actio rei uxoriae, S. 118  f.; dagegen auch Wacke, TR 43 (1975), S. 246 f. und Genius, FS Seidl, S. 45. 87  Ähnlich drastisch äußert sich auch Tryphonin am Ende von D 23.3.76: … quia nisi matrimonii oneribus serviat, dos nulla est. 88  Auch Ulpian stellt im Fortgang der Stelle fest, dass nur solche Vereinbarungen unwirksam sein sollen, nach denen der Mann weder regelmäßige Erträge aus 83  Vgl. 84  So

212

C. Rechtsfindung außerhalb der Rechtsordnung

nes während und diejenigen der Frau nach der Ehe schützen, sondern die finanzielle Basis der gesamten familia sicherstellen. Der favor dotis geht weit über die Begünstigung rein privater Interessen hinaus.89 Die Durchsetzung der Maxime kann in solchen Fällen unmittelbar zur Nichtigkeit des betroffenen Teils der Mitgiftbestellung führen. Im zweiten Fall wird der Topos in entgegengesetzter Weise nutzbar gemacht. Hier fördert er gerade die zur Aufrechterhaltung der dotis promissio erforderliche Umdeutung des Rechtsgeschäfts: (S4) Marcell 82 = D  23.3.59.1 (7 dig)

Ex asse heres institutus rogatusque mulieri dodrantem hereditatis restituere iussu eius quod debet doti promisit marito. Vereor, non sit obligatus: nam mulieri in hoc tenetur, ut hereditatem restituendo transferat actiones et quas habet et quibus est obstrictus, quas transferre ad alium, quam cui debet fideicommissum, non potest. Aliquis dixerit incerti cum eo agi posse, fideicommissi praestet aestimationem. Huic ego consentire non possum: nam obligari mulieris debitorem ita aequum est, si accipere id ipsum quod ei debetur vir potest. Sed ne indotata mulier esse videatur, dicendum est ipsi mulieri ex Trebelliano restituendam esse partem hereditatis quae ei relicta est, ut ea suo marito pro dote eam solveret, quia et ad eam fideicommissum et onera eius pertinent delegatione propter nimiam suptilitatem et casus necessitatem minime optinente.



Ein Erbe hat, nachdem er auf das Ganze eingesetzt und gebeten worden war, einer Frau drei Viertel der Erbschaft herauszugeben, auf deren Anweisung dem Ehemann das, was er schuldete, als Mitgift versprochen. Ich fürchte, dass er nicht verpflichtet worden ist. Denn er haftet der Frau darauf, dass er im Zuge der Herausgabe der Erbschaft die Forderungen überträgt, sowohl diejenigen, die ihm zustehen, als auch diejenigen, aus denen er verpflichtet ist; diese kann er auf einen anderen, als denjenigen, dem er ein Fideikommiss schuldet, nicht übertragen. Jemand mag gesagt haben, dass gegen diesen mit der actio incerti darauf geklagt werden könne, den Schätzwert des Fideikommisses zu leisten. Dem kann ich nicht zustimmen. Denn, dass der Schuldner der Frau [dem Mann gegenüber] verpflichtet wird, ist [nur] dann billig, wenn der Mann eben das empfangen kann, was ihr geschuldet wird. Aber damit die Frau nicht angesehen werden muss, als sei sie ohne Mitgift, ist zu sagen, dass der Teil der Erbschaft, der ihr hinterlassen worden ist, der Frau selbst entsprechend dem senatus consultum Trebellianum herausgegeben werden muss, damit sie es ihrem Ehemann als Mitgift leistet, weil sich auf diese [Frau] sowohl das Fideikommiss als auch dessen Lasten beziehen, während eine Anweisung wegen der allzu spitzfindigen Rechtsanwendung und dem Erfordernis des Einzelfalls keinesfalls in Frage kommt.

dem Mitgiftkapital erhält, noch auf sonstige Weise finanziell entlastet wird, indem beispielsweise die Ehefrau selbst zum Unterhalt der Familie beiträgt. 89  Ausführlich zur öffentlichen Funktion der Mitgift: Stagl, Favor dotis, S.  22 ff. und S. 301 ff. mit vielen weiteren Belegen.



II. Überindividuelle Wertungen213

In einem Testament ist dem Alleinerben ein Fideikommiss zugunsten einer Frau in Höhe von drei Vierteln der gesamten Erbschaft auferlegt worden. Die Frau erteilt dem Erben die Verpflichtungsanweisung, ihrem zukünftigen Ehemann den geschuldeten Betrag als Mitgift zu versprechen. Marcell wendet sich ausdrücklich gegen eine Ansicht, die dem Mann daraus eine actio incerti auf den Schätzwert des Fideikommisses gegen den Erben gewähren will. Ansonsten könnte er zwar die Leistung von drei Vierteln der Erbschaft verlangen, würde aber anders als ein Fideikommissar nach der Herausgabe nicht heredis loco stehen, weil das senatus consultum Trebellianum nach seinem Wortlaut nur anwendbar ist, wenn dem Fideikommissar selbst die Erbschaft restituiert wird.90 So könnte er einerseits nicht von den Erbschaftsgläubigern belangt werden, andererseits hätte er auch keine anteiligen Forderungen (durch actiones utiles) gegen mögliche Erbschaftsschuldner. Gegen dieses Ergebnis wendet sich Marcell mit ungewöhnlich hohem argumentativem Aufwand und kommt unter Beachtung unterschiedlicher Wertungsgesichtspunkte zu einer komplexeren Konstruktion:91 Das senatus consultum Trebellianum soll den Erben davor schützen, in voller Höhe von den Erbschaftsgläubigern belangt zu werden, ohne ihnen für den Anteil, den er einem Dritten restituieren muss, eine exceptio entgegenhalten zu können. Diese gesetzgeberische Wertung würde durch das Anweisungsgeschäft unterlaufen werden, was insbesondere für den Erben nachteilig wäre. Auf der anderen Seite würde die gänzliche Unwirksamkeit des Geschäfts den Interessen der Frau und dem Grundsatz des favor dotis zuwiderlaufen, den Marcell bewusst ins Zentrum seiner Argumentation stellt. Daher wird das Geschäft derart umgedeutet, dass die Frau selbst das Fideikommiss empfängt und damit pro rata parte heredis loco steht, während der Mann die vom Erben stipulierte dos wirksam von ihr herausverlangen kann. Denn die Frau ist nur dann keine indotata, wenn ihr Ehemann auch einen durchsetzbaren Anspruch erwirbt.92 Durch die Umdeutung kann die Mitgift die bereits dargestellten Funktionen vollständig erfüllen. Nur mit dieser scheinbar umständlichen Konstruktion gelingt Marcell der schwierige Interessenausgleich zwischen allen Beteiligten. Dieses Ziel verdeutlicht er wiederum durch die Betonung der aequitas seiner Lösung.93 Im letzten Halbsatz wird noch einmal das Vorliegen einer wirksamen delegatio ausgeschlossen. Dazu führt Marcell zunächst den Begriff der nimia subtilitas an. Die Wendung wird hier nicht in ihrer positiven Bedeutung als dogmatische 90  Vgl.

den von Ulp. D 36.1.1.2 (S. 113 Fn. 327) überlieferten Wortlaut. Folgenden Stagl, Favor dotis, S.  179 f. 92  So auch Stagl, Favor dotis, S. 179 m. Fn. 47 gegen Wubbe, Ius vigilantibus scriptum, S. 372. 93  Vgl. dazu sogleich S. 214 f. 91  Zum

214

C. Rechtsfindung außerhalb der Rechtsordnung

Genauigkeit oder juristische Scharfsinnigkeit verwendet.94 Vielmehr dient sie der Ablehnung der Gegenauffassung als zu spitzfindig und zu sehr an formellen Gesichtspunkten orientiert.95 Wird damit ansonsten häufig die Aufrechterhaltung eines aus formaljuristischer Sicht nichtigen Geschäfts befürwortet, bezieht sich die subtilitas vorliegend auf die Ablehnung der aus Wertungsgesichtspunkten ungünstigen delegatio. Zuletzt wird das gefundene Ergebnis als durch die necessitas casus geboten bezeichnet. Die dargestellten Erfordernisse dieses speziellen Einzelfalles verhindern eine Abkürzung des Leistungsweges über eine delegatio trotz der Einhaltung aller formellen und sonstigen rechtlichen Voraussetzungen.96 2. Allgemeine Wertungen Andere Wertungsbegriffe wie die benignitas, die humanitas und die utilitas beziehen sich auf rechtspolitisch förderungswürdige Tugenden, welche immer dort als ultima ratio zum Einsatz kommen, wo weder die Vorgaben der Rechtsordnung noch die Eigenschaften der tatsächlich beteiligten Personen für eine Seite den Ausschlag geben können. Dass es sich dabei jedenfalls für Marcell um ein letztes, äußerst restriktiv zu gebrauchendes Mittel handelt, kann sowohl an der geringen Anzahl entsprechender Stellen als auch daran abgelesen werden, dass er nur zur Lösung anders nicht zu entscheidender Auslegungsproblematiken hierauf zurückgreift. Nicht unter diese Kategorie zu fassen sind Stellen, an denen ein Ergebnis lediglich als iustum bezeichnet wird. Die Orientierung einer Entscheidung an der allgemeinen Gerechtigkeit stellt noch keinen zur Differenzierung geeigneten Aspekt dar, gerade wenn man den Begriff als Betonung der Übereinstimmung mit der bestehenden Rechtsordnung begreift.97 Von anderer Qualität ist die Argumentation mit der aequitas.98 Durch ihren Einsatz 94  Zu entsprechenden Stellen vgl. Hausmaninger, FG Kaser, S. 62; Kleiter, Entscheidungskorrekturen, S. 22 Fn. 100–102. 95  In diesem Sinn verwenden auch Marcells Zeitgenossen Gaius und Pomponius die nimia subtilitas: Gai 3.94, 4.30; Pomp. D 40.4.4.2; ebenso Hausmaninger, FG Kaser, S. 71 m. Fn. 74. 96  So deutet auch Pellat, Textes sur la dot, S. 284  f. den Ausdruck, hält den Schlusssatz aber insgesamt für tribonianisch. 97  Vgl. Kaser, RP I, S. 195; Wieacker, Römische Rechtsgeschichte I, S. 508 f. Auch Kleiter, Entscheidungskorrekturen, S. 16 ff., 37 ff. geht im Ergebnis von einer rein rhetorischen Hervorhebung der Richtigkeit einer Entscheidung aus, obwohl er zunächst die Abgrenzbarkeit zu wertneutralen Ausdrücken wie melius oder verus betont; von „Rechtskonformität“ spricht dagegen auch Babusiaux, SZ 129 (2012), S. 750. 98  Auch in Iul. / Marcel. D  50.17.66 werden die beiden Begriffe im Zusammenhang, jedoch mit unterschiedlicher Bedeutung gebraucht; dazu Rastätter, Marcelli notae ad Iuliani digesta, S.  48 ff.; Kaser, Ius gentium, S. 64 Fn.  255.



II. Überindividuelle Wertungen

215

wird der Gesichtspunkt der kommutativen Gerechtigkeit im Sinne eines optimalen Ausgleichs der Interessen aller involvierten Personen hervorgehoben.99 Die Zusammenschau der einschlägigen Stellen in Marcells Werk zeigt, dass es sich dabei um ein flexibel einsetzbares Instrument handelt, welches die im Einzelfall vorgenommene Beurteilung bestimmter Individualinteressen hervorheben soll.100 Dabei lässt sich eine deutliche Tendenz Marcells zur Verwendung des Wertungsbegriffs im Zusammenhang mit der Kompensation von unbilligen Vor- und Nachteilen beobachten.101 Anders als bei der Verwendung überindividueller Wertungen wie benignitas oder humanitas führen die römischen Juristen mit der aequitas keinen neuen, eigenständigen Aspekt ein, sondern verstärken mit ihr lediglich die im Einzelfall eingesetzten rationes decidendi.102 99  Zu dieser Tendenz der klassischen aequitas siehe insbesondere die ausführliche Darstellung von Stagl, in: Testi e problemi del giusnaturalismo, S. 675 ff.; vgl. außerdem Wieacker, Römische Rechtsgeschichte  I, S. 506 f., Baldus, Regelhafte Vertragsauslegung II, S. 497 f. und Kleiter, Entscheidungskorrekturen, S. 30 ff., 221 f. jeweils m. w. N. Waldstein, ANRW  II  15, S. 94 f. betont unter Berufung auf Ulp. D 2.2.1pr.–1 und das Edikt quod quisque iuris in alterum statuerit, ut ipse eodem, iure utatur den Leitgedanken der „Gleichheit vor dem Recht“. 100  Insofern treffend Mayer-Maly, FG Lübtow, S. 351 f.: „Die aequitas, deren Evidenz behauptet wird, erscheint nicht als eine umfassende Ordnung, sondern als die Billigkeit der Lösung eines enger gefaßten Problems“; dazu Waldstein, SZ 89 (1972), S.  477 f. Auch Wieacker, SZ 94 (1977), S. 5 will die aequitas nur „in gewissen Anwendungen“ zu den offenen Wertungen zählen. Die Variabilität betont ebenso Maifeld, Die aequitas bei L. Neratius Priscus, S. 138 ff.; er schließt daraus jedoch unzulässiger Weise auf die inhaltliche Unbestimmtheit des Begriffs und das Fehlen einer einheitlichen Funktion (S. 125) und folgt damit einer Richtung, die insbesondere von Pringsheim, Gesammelte Abhandlungen  I, S. 159 ff. vertreten wird; ausführliche Kritik erfährt diese Haltung bei Stagl, in: Testi e problemi del giusnaturalismo, S. 676 f. m. w. N. in Fn. 4–7. 101  Während Marcell in D  46.3.72pr. (D5), D  36.1.46.1 (H2) und D  42.4.3pr. (R3) die Unbilligkeit eines drohenden Nachteils für einen Beteiligten unterstreicht, dient ihm die aequitas in D 12.3.8 (R8), D 26.7.29 (R9) und im nachfolgend zu besprechenden D  5.2.10pr. (T2) für den Hinweis auf einen unbilligen Vorteil. In D  23.3.59.1 (S4) betont er, dass nur die von ihm gewählte Lösung zu einem ausgewogenen Verhältnis zwischen den Parteien führen kann. Dagegen bezieht sich Marcell in D 46.3.48 (C9) lediglich auf das vom Edikt vorgegebene aequius melius und in D 4.1.7 (K2) auf das bei der in integrum restitutio erforderliche Einzelfallermessen. Die Konkretisierbarkeit der aequitas in diese Richtung zeigt auch Stagl, in: Testi e problemi del giusnaturalismo, S. 684 f., 692 ff. anhand zahlreicher Stellen auf; weitere deutliche Beispiele finden sich in Gai 3.149, 4.116, Iul. D 2.10.3.1, Pomp. D  50.17.206, Ulp. / Marcel. / Lab. D  44.4.4.13, Paul. / Serv. D  3.5.20pr. 102  Zu diesem Ergebnis kommt auch Babusiaux, Papinians quaestiones, S.  226 ff., die entsprechende Stellen Papinians aus rhetorischer Sicht beurteilt. Ein weitergehender erzieherischer Zweck des Werkes, „das den Leser zur Vervollkommnung der eigenen Lebensführung führen soll“ (S. 269), kann aus dem Gebrauch des Begriffs durch Marcell aber nicht geschlossen werden.

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C. Rechtsfindung außerhalb der Rechtsordnung

In einem protokollartig aufgebauten Fragment findet sich eine Auslegungsentscheidung, die Marcell auf die benignitas stützt. Da es sich um eine ungewöhnliche Verwendungsart des Terminus handelt, verdeutlicht der Jurist in einer regelartigen Formulierung die konkreten Vorzüge seiner benignior interpretatio: (T1) Marcell 263 = D 28.4.3 (29 dig)

Proxime in cognitione principis cum quidam heredum nomina induxisset et bona eius ut caduca a fisco vindicarentur, diu de legatis dubitatum est et maxime de his legatis, quae adscripta erant his, quorum institutio fuerat inducta. Plerique etiam legatarios excludendos existimabant. Quod sane sequendum aiebam, si omnem scripturam testamenti cancellasset: nonullos opinari id iure ipso peremi quod inductum sit, cetera omnia valitura. Quid ergo? Non et illud interdum credi potest eum, qui heredum nomina induxerat, satis se consecuturum putasse, ut intestati exitum faceret? Sed in re dubia benigniorem interpretationem sequi non minus iustius est quam tutius. Sententia imperatoris Antonini Augusti Pudente et Pollione consulibus. ‚Cum Valerius Nepos mutata voluntate et inciderit testamentum suum et heredum nomina induxerit, hereditas eius secundum divi patris mei constitutionem ad eos qui scripti fuerint pertinere non videtur‘. Et advocatis fisci dixit: ‚Vos habetis iudices vestros‘. Vibius Zeno dixit: ‚Rogo, domine imperator, audias me patienter: de legatis quid statues?‘ Antoninus Caesar dixit: ‚Videtur tibi voluisse testamentum valere, qui nomina heredum induxit?‘ Cornelius Priscianus advocatus Leonis dixit: ‚Nomina heredum tantum induxit‘. Calpurnius Longinus advocatus fisci dixit: ‚Non potest ullum testamentum valere, quod heredem non habet‘. Priscianus dixit: ‚Manumisit quosdam et legata dedit‘. Antoninus Caesar remotis omnibus cum deliberasset et admitti rursus eodem iussisset, dixit: ‚Causa praesens admittere videtur humaniorem interpretationem, ut ea dumtaxat existimemus nepotem irrita esse voluisse, quae induxit‘. …



Kürzlich als jemand die Namen der Erben durchgestrichen hatte und dessen Güter vom Fiskus herausverlangt wurden, als seien sie dem Staat verfallen, ist im kaiserlichen Rechtsrat lange über die Vermächtnisse beraten worden und insbesondere über die Vermächtnisse, die denjenigen zugeschrieben worden waren, deren Einsetzung durchgestrichen war. Die meisten meinten, dass auch die Vermächtnisinhaber ausgeschlossen werden müssten. Dem wäre freilich zu folgen, sagte ich, wenn er den gesamten Text des Testaments gestrichen hätte. Einige meinten, dass das, was durchgestrichen worden sei, ipso iure vernichtet werde, alles Übrige wirksam bleibe. Wie also? Könnte bisweilen nicht auch angenommen werden, dass derjenige, der die Namen der Erben durchgestrichen hat, meinte, er habe genug erreicht, so dass er als Testamentsloser versterbe? Aber bei einer zweifelhaften Sache der benignior interpretatio zu folgen, ist ebenso gerechter wie auch sicherer.



Das Urteil des Kaisers Antoninus Augustus, unter dem Konsulat von Pudens und Pollio: „Da V. Nepos, der seinen Willen geändert hatte und sowohl sein Testament aufgeschnitten hat, als auch die Namen der Erben durchgestrichen hat, ist anzunehmen, dass seine Erbschaft, gemäß einer Konstitution meines vergöttlichten Vaters, nicht zu denjenigen gelangt, die eingesetzt worden



II. Überindividuelle Wertungen217 sind.“ Und den Advokaten des Fiskus hat er gesagt: „Ihr habt eure Richter.“ Vibius Zeno hat gesagt: „Ich bitte, Herr und Kaiser, höre mich geduldig an: Was wirst du in Bezug auf die Legate bestimmen?“ Kaiser Antoninus hat gesagt: „Scheint dir derjenige, der die Namen der Erben durchgestrichen hat, gewollt zu haben, dass das Testament wirksam ist?“ Cornelius Priscianus, der Advokat des Leo hat gesagt: „Er hat lediglich die Namen der Erben ausgestrichen.“ Calpurnius Longinus, der Advokat des Fiskus, hat gesagt: „Ein Testament, das keinen Erben hat, kann nicht gültig sein.“ Priscianus hat gesagt: „Er hat einige freigelassen und Vermächtnisse zugewendet.“ Kaiser Antoninus hat, nachdem er alle entlassen hatte und als er abgewogen und angeordnet hatte, dass sie ebendahin wieder vorgelassen werden, gesagt: „Der vorliegende Fall scheint eine humanere Auslegung zuzulassen, weshalb wir entscheiden, dass Nepos nur die Ungültigkeit dessen gewollt hat, was er durchgestrichen hat.“ …

Marcell berichtet von einem vor der cognitio extra ordinem des Marc Aurel geführten Prozess, in dem um den Widerruf testamentarischer Verfügungen gestritten wurde:103 Der Erblasser hat seine bereits verschlossene Testamentsurkunde wieder aufgeschnitten und die Namen der Erben durchgestrichen, jedoch die Vermächtnisse und Freilassungsanordnungen unverändert gelassen. Da er damit seinen gegen die bezeichneten Erben gerichteten Willen klar zum Ausdruck gebracht hat, verfallen die Erbschaftsgegenstände ut caduca, gehen also wie bei Erbunwürdigkeit an den Fiskus.104 Bei Kaduzität können trotz des Wegfalls des caput testamenti die sonstigen Verfügungen ausnahmsweise aufrechterhalten werden.105 Es muss jedoch die Frage geklärt werden, ob dies auch dem Erblasserwillen entspricht. Denn der Testator könnte sich durchaus vorgestellt haben, dass es zum Widerruf des gesamten Testaments erforderlich sei, die Namen aller Erben einzeln auszustreichen.106 Jedenfalls Marcell geht letztlich davon aus, dass im vorliegenden Fall keine Gewissheit darüber erlangt werden kann, ob in dem Nichtdurchstreichen der restlichen Anordnungen eine weitere, bewusste Willensbetätigung des Erblassers zu sehen ist.107 Zu seiner Entscheidung 103  Eine ausführliche Behandlung der Stelle mit Hinweisen zur umfangreichen Literatur findet sich bei Hendel, SZ 130 (2013), S. 419 ff. 104  So erklärt auch Papinian die Entscheidung ausdrücklich in der Parallelstelle D 34.9.12. 105  Vgl. auch Iul. D 30.69.1. 106  Die Kenntnis der komplizierten Rechtslage kann dem juristischen Laien sicherlich nicht zugetraut werden: Während aus zivilrechtlicher Sicht überhaupt nur ein neues, vollständig wirksames Testament zu einem Widerruf taugt, genügt dem Prätor bereits die Öffnung der Urkunde durch Zerschneiden der Schnur und Lösen der Siegel für die Erteilung der bonorum possessio intestati; vgl. Gai 2.144, 147, Ulp. D 37.11.1.10. 107  So auch Wubbe, Symbolae David, S.  243 f.; Wankerl, Apello ad principem, S. 78; von einer Auslegung nach dem mutmaßlichen Willen gehen dagegen Müller-

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C. Rechtsfindung außerhalb der Rechtsordnung

gelangt er daher unter Anwendung einer an der benignitas orientierten Vermutungsregel: In Zweifelsfällen sei anzunehmen, dass der Erblasser die getroffenen Verfügungen aufrechterhalten wollte. In der Regel meint die benignior interpretatio in hochklassischer Zeit die Annahme derjenigen Bedeutung einer Willenserklärung, die dem tatsächlichen oder jedenfalls wahrscheinlichen Willen des Erklärenden im Rahmen des gesetzlich Möglichen zur weitestgehenden Verwirklichung verhilft.108 Die Juristen verwenden sie dort als regelrechten Gegenbegriff zur subtilitas im Sinne eines allzu strengen Formalismus.109 Warum eine wohlwollende Auslegung allerdings auch im vorliegenden Fall Sinn macht, in dem gerade unsicher ist, was der voluntas entspricht, sagt Marcell selbst ausdrücklich: non minus iustius est quam tutius. Der dahinterstehende Sicherheitsgedanke erschließt sich bei dem Vergleich der sonstigen Verwendungsarten des Begriffs tutus in den klassischen Quellen.110 Allgemein bezieht er sich auf die Sicherung von Personen, Gegenständen und Rechtspositionen.111 Die Sicherheit kann sich aber auch in der leichteren Nachweisbarkeit einer Tatsache oder der Vorteilhaftigkeit eines Rechtsmittels ausdrücken.112 Anhand des Vergleichs von D  45.1.80113 und D  34.5.12114 kann schließlich ersehen werden, dass tutus speziell bei der Auslegung des Wortlauts von Rechtsgeschäften die Aufrechterhaltung des gewollten Inhalts im größtmöglichen Umfang anzeigen kann.115 Diese Auslegungsregeln stehen auch dem später Eiselt, Divus Pius constituit, S. 196 und Zülch, Der liber singularis responsorum, S. 58 f. Fn.  56 aus. 108  Vgl. Marcel. D 34.5.24, Iul. D 40.4.18.1; auch die regula in Marcel. D 32.69pr. (S. 158 f.) ist in diesem Kontext zu sehen; näheres dazu bei Hendel, SZ 130 (2013), S.  423 ff. 109  Dazu eingehend Hausmaninger, FG Kaser, S. 63 ff. und S. 70 f. 110  Dagegen erscheint eine nähere Betrachtung des Ausdrucks iustius zumindest aus inhaltlicher Sicht nicht lohnenswerter als die Untersuchung wertneutraler Begriffe wie verius, melius oder potius; vgl. oben S. 214. 111  Vgl. u. a. Ulp. / Marcel. D  26.7.28.1, Gai. D  2.4.18, Gai  2.181, Scaev. D 33.7.20.8, Paul. D 39.2.34, Ulp. D 29.5.1pr., D 33.7.12.40 und Marci. D 20.6.8.10, Ulp. D  13.5.18.3, D  39.2.4.6. 112  Vgl. zu den Fällen der actio praescriptis verbis: Afr. D  19.5.24, Paul. D 19.5.5, Ulp. D 19.5.17 u. 19; dazu im Einzelnen Kranjc, SZ 106 (1989), S. 435 ff.; Artner, Agere praescriptis verbis, S. 81 f. In Ulp. D 4.8.21.6 findet sich tutius im Zusammenhang mit einer drohenden Auslegungsproblematik. 113  Quotiens in stipulationibus ambigua oratio est, commodissimum est id accipi, quo res, qua de agitur, i n t u t o s i t . 114  Quotiens in actionibus aut in exceptionibus ambigua oratio est, commodissimum est id accipi, quo res de qua agitur m a g i s v a l e a t q u a m p e re a t . 115  Eine ähnliche Formulierung findet sich auch in Paul. D  34.5.21.1. Darüber hinaus wird die Tendenz zur Wahrung des einmal Geschriebenen deutlich bei Cels. D 1.3.18, 19, wo es allerdings um die Auslegung von Gesetzen geht.



II. Überindividuelle Wertungen219

als favor negotii bezeichneten Topos nicht fern.116 Marcells Ausführungen sind daher so zu verstehen, dass die eindeutige testamentarische Verfügung sicherheitshalber aufrechterhalten werden soll, auch wenn die Möglichkeit einer späteren Willensänderung nicht ausgeschlossen werden kann. Lediglich der auf die Streichung der Erben gerichtete Erblasserwille kann mit ebenso großer Wahrscheinlichkeit angenommen werden, während eine darüber hinausgehende Motivation in dubio bleibt. Marcell setzt die benignitas hier also nicht zur Rechtfertigung einer wohlwollenden Entscheidung zugunsten des aus formellen Gründen eigentlich nicht umsetzbaren Erblasserwillens ein. Vielmehr impliziert der Wertungsbegriff die Aufrechterhaltung der Legate in Anbetracht der leichteren Nachweisbarkeit der positiven Verfügungen, des Vertrauens der Beteiligten in deren Fortbestand und der Schutzwürdigkeit des in der ersten, eindeutigen Urkunde festgehaltenen Erblasserwillens.117 Marc Aurel folgt zwar der Lösung seines consiliarius, beruft sich aber in seiner eigenen Argumentation auf die humanitas. Ob dies auf einer rein stilistischen Präferenz beruht oder damit eine von Marcells Begründung abweichende Schwerpunktsetzung in der Argumentation betont werden soll, lässt sich nicht abschließend klären.118 Marcell selbst bezieht sich allerdings in zwei anderen Entscheidungen auf die humanitas. Dabei betrifft die offene Wertung im ersten Text, in dem erneut die Wirksamkeit von Testamenten behandelt wird, nicht die Auslegung einer letztwilligen Verfügung, sondern setzt erst bei der Bewältigung einer prozessualen Pattsituation an: (T2) Marcell 17 = D  5.2.10pr. (3 dig)

Si pars iudicantium de inofficioso testamento contra testamentum, pars secundum id sententiam dederit, quod interdum fieri solet, humanius erit sequi eius partis sententiam quae secundum testamentum spectavit: nisi si aperte iudices inique secundum scriptum heredem pronuntiasse apparebit.



Wenn ein Teil der über ein pflichtwidriges Testament urteilenden Richter sich gegen das Testament ausspricht, ein Teil dafür, was bisweilen zu geschehen pflegt, wird es menschlicher sein, der Meinung des Teils zu folgen, der dem Testament gemäß entschieden hat. Außer wenn es sich zeigt, dass die Richter offensichtlich unbillig zugunsten des eingesetzten Erben entschieden hatten.

Über die querela inofficiosi testamenti eines enterbten oder übergangenen Angehörigen des Erblassers entscheidet die Mehrheit eines Richterkollegi116  So auch Kleiter, Entscheidungskorrekturen, S. 143 m. Fn. 630. Daneben können aber auch Leitprinzipien wie der favor testamenti oder der favor libertatis zu einer „konservierenden Auslegung“ führen; Kaser / Knütel, Römisches Privatrecht, S. 57. 117  Ähnlich Avenarius, RLT 6 (2010), S. 19 f. 118  Hendel, SZ 130 (2013), S. 428 ff. m. w. N.

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C. Rechtsfindung außerhalb der Rechtsordnung

ums. Bei Stimmengleichheit soll nach Marcells Ansicht grundsätzlich zugunsten der Wirksamkeit des angefochtenen Testaments entschieden werden, weil dies humaner sei als die Intestaterbfolge. Die humanitas könnte daher bei Marcell ebenso wie die benignitas einen von den Interessen der Beteiligten unabhängigen favor testamenti ausdrücken.119 Allerdings ist zu beachten, dass bei der querela eine besondere Situation vorliegt: Es muss nach richterlichem Ermessen darüber befunden werden, ob die angenommenen Motive des Testators einen Verstoß gegen die sozialen Pflichten seiner Familie gegenüber darstellen. Dabei ist auch das Verhalten des benachteiligten Verwandten zu berücksichtigen, welches im Einzelfall eine iusta causa offensionis erzeugen kann.120 Die Aussagen Marcells in D 5.2.5, die in einem unmittelbaren palingenetischen Zusammenhang mit Fr. 10 zu sehen sind,121 zeigen, welche drastischen Folgen mit dem Richterspruch verbunden sein können. Die Entkräftung von Testamenten ist grundsätzlich mit der Annahme verbunden, der Erblasser sei im Zeitpunkt der betroffenen Verfügung nicht bei gesundem Verstand gewesen.122 Damit wird gerade die Schutzwürdigkeit des ausgedrückten Erblasserwillens in Frage gestellt, weswegen die für die benignitas aufgezeigte konservierende Wirkung hier wohl nicht angebracht wäre.123 Es spricht folglich einiges dafür, dass Marcell die Testamente gerade deswegen im Zweifelsfall aufrechterhalten will, um eine dem Ansehen des Verstorbenen schadende Missachtung seines eindeutig geäußerten Willens zu vermeiden. Der letzte Satz des Fragments wiederum zeigt, dass die Maxime der Aufrechterhaltung ihre Grenzen findet, wenn dem eingesetzten Erben dadurch im Vergleich zu den Intestaterben ein evident unbilliger Vorteil verschafft werden würde. Erneut rekurriert der Jurist auf die aequitas, um die 119  Davon geht Zülch, Der liber singularis responsorum, S. 57 Fn.  44 aus. Dies würde der Ansicht all derer entsprechen, die von der Synonymie der benignior interpretatio und der humanior interpretatio ausgehen; Hendel, SZ 130 (2013), S.  430 f. 120  Einzelne Beispiele ehrenrührigen oder gegen den Erblasser gerichteten Verhaltens finden sich erst in kaiserlichen Erlassen des dritten Jahrhunderts: vgl. z. B. Alex. C 3.28.11 (sua sponte harenarius) oder Diocl. C 3.28.19 (cum flagitiosa foeditate vivere); Kaser, RP I, S. 711 Fn. 17. 121  Lenel, Palingenesia  I, Sp. 592. 122  … Huius autem verbi ‚de inofficioso‘ vis illa ut dixi est docere immerentem se et ideo indigne praeteritum vel etiam exheredatione summotum: resque illo colore defenditur apud iudicem, ut videatur ille q u a s i n o n s a n a e m e n t i s fuisse, cum testamentum inique ordinaret. Freilich wurde er nicht im rechtlichen Sinn als furiosus behandelt; vgl. Marci. D  5.2.2. 123  Im Allgemeinen aber dürften die beiden Begriffe als Auslegungskriterien einen großen Deckungsbereich aufweisen; ebenso Palma, Benignior interpretatio, S. 99; ansatzweise auch Baldus, Regelhafte Vertragsauslegung II, S. 623.



II. Überindividuelle Wertungen221

Notwendigkeit einer Abwägung der gegenläufigen Interessen zu betonen.124 Allerdings sind hier nur solche Fälle angesprochen, in denen die Hälfte der Richter entgegen der offensichtlichen Interessenlage, mithin nach sachfremden Kriterien geurteilt hat.125 Daher können aus dem einschränkenden Zusatz keine Rückschlüsse auf einen Zusammenhang zwischen humanitas und Parteiinteressen gezogen werden.126 Sicher ist lediglich, dass die Verwendung der offenen Wertung hier für einen Extremfall erfolgt: Nur wenn trotz fehlerfreier Anwendung des richterlichen Ermessens keine Ansicht überwiegt, soll die abstrakte Wertung entscheiden. In einem letzten Fragment ermittelt Marcell mit Hilfe von humanitas und utilitas die Rechtsnatur und den Inhalt einer widersprüchlichen Willenserklärung in dem Brief eines Vormunds: (T3) Marcell 277 = D  13.5.24 (resp lib)

Titius Seio epistulam emisit in haec verba: ‚Remanserunt apud me quinquaginta ex credito tuo ex contractu pupillorum meorum, quos tibi reddere debebo idibus maiis probos: quod si ad diem supra scriptum non dedero, tunc dare debebo usuras tot.‘ Quaero, an Lucius Titius in locum pupillorum hac cautione reus successerit. Marcellus respondit si intercessisset stipulatio, successisse. Item quaero, an, si non successisset, de constituta teneatur. Marcellus respondit in sortem teneri: est enim humanior et utilior ista interpretatio.



Titius hat dem Seius einen Brief mit folgendem Wortlaut geschickt: „Bei mir sind 50.000 von deinem Darlehen aus dem Vertrag mit meinen Mündeln zurückgeblieben, die ich dir am 15. Mai in guter Münze werde wiedergeben müssen. Wenn ich aber am oben geschriebenen Termin nicht gezahlt habe, dann werde ich soundso viele Zinsen schulden.“ Ich frage, ob Lucius Titius durch dieses Sicherheitsversprechen als Schuldner an die Stelle der Mündel getreten ist. Marcell hat geantwortet, dass er [nur dann] an deren Stelle getreten sei, wenn eine Stipulation hinzugekommen sei.



Ebenso frage ich, ob Titius, wenn er nicht an deren Stelle getreten sein sollte, aus einer Erfüllungszusage haftet. Marcell hat geantwortet, dass er in Höhe des Kapitals hafte. Diese Auslegung ist nämlich menschlicher und zweckmäßiger.

124  Dazu oben S. 214 f.; demgegenüber muss Mayer-Maly, FG Lübtow, S. 351 von einem nachklassischen Zusatz ausgehen, da er unter aperte inique ein offensichtlich juristisch falsches Ergebnis verstehen will, wodurch die Aussage jegliche Relevanz verlieren würde. 125  Vgl. auch die Übersetzung des inique mit „parteiisch“ durch Wieling, in: Behrends / Knütel, CIC  II, S. 499. 126  Anders Kleiter, Entscheidungskorrekturen, S.  221, dessen Umkehrschluss, „dass jede Entscheidung, die den Erben nicht in ungerechtfertigter Weise bevorzugt, als humanius [sic] bezeichnet werden kann“, nicht zwingend ist. Zu seiner vagen Charakterisierung der humanitas als Wertungskriterium zugunsten von Einzelpersonen würde freilich auch die besondere Beachtung des Testators passen; kritisch dazu Babusiaux, SZ  129 (2012), S. 754 f., 764.

222

C. Rechtsfindung außerhalb der Rechtsordnung

In seinem Schreiben an die Gläubiger seiner Mündel äußert der Tutor den Willen, deren Schuld zu übernehmen und zusätzlich eine Pflicht zur Zahlung eventueller Verzugszinsen zu begründen.127 Zunächst wird gefragt, ob dies ein Sicherheitsversprechen solcher Art darstellt, dass die Schuld von den ursprünglichen Schuldnern auf den Versprechenden übergeht. Da dies aber der Wirkung einer Novationsstipulation entsprechen würde, verlangt Marcell dafür auch die Einhaltung der entsprechenden Form, also eine ordnungsgemäße stipulatio zwischen Tutor und Gläubiger. Liegt eine solche nicht vor, kommt nur eine Haftung neben den Mündeln aufgrund eines sogenannten constitutum debiti alieni in Frage.128 Der Wortlaut des Briefs (tibi reddere debebo) kann aber auch nicht ohne Weiteres als eindeutiges Leistungsversprechen verstanden werden.129 Die Auslegung der Erklärung hängt daher von der Ermittlung des Willens des Erklärenden ab.130 Dass sich Titius gegenüber dem Gläubiger zur Zahlung verpflichten wollte, unterliegt keinem Zweifel. Würde man jedoch zu dem Ergebnis kommen, dass er eine stipulationsweise Übernahme der Schuld gewollt hätte, die lediglich an der Formunwirksamkeit gescheitert wäre, dürfte der Brief nicht in eine Erfüllungszusage umgedeutet werden.131 Doch obgleich die zusätzlich gewollte Zinsverpflichtung für eine solche Absicht spricht, unterstellt Marcell einen Willen, der den Interessen der Beteiligten gerechter wird: Er geht davon aus, dass nur ein constitutum debiti gewollt war und gewährt dem Gläubiger gegen Titius eine actio pecunia constituta in Höhe des Darlehenskapitals. Eine Verpflichtung zur Leistung von Zinsen kann dadurch allerdings nicht entstehen, da – unabhängig von der Rechtzeitigkeit der Leistung – ein constitutum debiti niemals über den Bestand der Hauptforderung hinausgehen kann.132 Marcells knappe Begründung bezieht sich ausdrücklich 127  Entgegen Baldus, Regelhafte Vertragsauslegung  II, S. 635 ff. spricht die Wendung remanserunt apud me nicht für einen Bereicherungsanspruch des Gläubigers wegen eines unautorisierten Mündelgeschäfts. Vielmehr handelt es sich um den standardmäßigen Ausdruck für Gegenstände, die sich (noch) bei einer vermögensverwaltenden Person befinden: vgl. etwa Scaev. D 34.3.31.2 oder Papir. D 50.8.11pr. Demgegenüber ist weder von mangelnder auctoritas noch von einer Bereicherung (locupletior factus) die Rede. 128  Vgl. Iul. D  13.5.2, D  13.5.5.3, Gai. D  13.5.28. 129  Das Problem liegt zwar – wie auch Baldus, Regelhafte Vertragsauslegung II, S. 634 f. richtig erkennt – nicht in der Briefform an sich, wohl aber in der Formulierung der epistula; ebenso Zülch, Der liber singularis responsorum, S. 54. 130  Vgl. auch die Auslegung des Wortlauts quos denarios vobis numerare debebo in Scaev. D 14.3.20; dazu eingehend Zülch, Der liber singularis responsorum, S. 55. 131  So ausdrücklich Ulpian in D  13.5.1.4. 132  Vgl. Ulp. D  13.5.11.1. Entgegen Frezza, Studi Funaioli, S. 706 und Baldus, Regelhafte Vertragsauslegung II, S. 634 fehlt jeglicher Hinweis darauf, dass in der vorliegenden Stelle eine sponsio dimidiae partis thematisiert würde.



II. Überindividuelle Wertungen223

auf ista interpretatio und damit auf die Auslegung des Briefinhalts als constitutum debiti alieni. Eine Auslegung als Novationsstipulation kommt wegen der fehlenden Form von vornherein nicht in Betracht. Die Alternative, gegen die Marcell seine Interpretation als humanior et utilior verteidigt, kann daher nur die gänzliche Nichtigkeit der Erklärung und nicht die zusätzliche Zinszahlungspflicht sein.133 Der Begriff der utilitas findet sich vereinzelt bereits bei früh- und hochklassischen Juristen als ratio decidendi, vor allem aber in spätklassischer Zeit.134 Im Zusammenhang mit Minderjährigen und Geisteskranken begegnet die utilitas des Öfteren als Hinweis auf einen Vermögensvorteil oder ein bestimmtes Interesse der schützenswerten Personen.135 Offenbar schon seit Beginn des Prinzipats wird die utilitas pupillorum allerdings noch in einem allgemeineren Sinn gebraucht: So haben laut Papinian bereits Labeo und Pegasus utilitatis causa entschieden, dass eine wirksame datio an den Tutor erfolgen kann, wenn ein pupillus in einem Rechtsgeschäft als solutionis causa adiectus oder als derjenige angeführt wird, dem condicionis implendae causa etwas geleistet werden soll.136 Gaius gesteht dem Tutor aus Gründen der utilitas zu, die stipulatio rem pupilli salvam fore auch dem grundsätzlich als geschäftsunfähig geltenden infanti proximus gegenüber wirksam leisten zu können.137 In seinen Institutionen begründet er außerdem mit der utilitas pupillorum die allgemeine Maxime einer wohlwollenden Auslegung des Rechts gegenüber verstandesunfähigen Minderjährigen.138 Ulpian schließlich zitiert eine Note Marcells, in der dieser sich gegen die von Julian angenommene Haftung eines Pupillarsubstituten ausspricht, wenn der Mündel zuvor die väterliche Erbschaft ausgeschlagen hatte.139 Als Begründung wird angeführt, dass die Substitutenhaftung der utilitas pupilli entgegenlaufe, da der Substitut das Risiko der Erbschaftsannahme scheuen könnte.140 In all diesen Stellen geht es um die Zweckmäßigkeit einer Entauch Zülch, Der liber singularis responsorum, S. 56. allgemein Leptien, Utilitas causa, S.  6 ff.; Ankum, Symbolae David, S.  3 ff.; Wieacker, SZ 94 (1977), S. 29 ff. 135  Vgl. etwa Gai. D  27.10.17, Tryph. D  26.7.54, D  27.1.45.4, Pap. D  26.7.39.3, Ulp. D  27.4.1.6, D  27.4.3pr., D  27.9.5.10, Paul. D  27.10.11. 136  Pap. D  46.3.95.7. Weitere Stellen, in denen die utilitas den Stellvertretungsgedanken fördert, sind Pap. D  41.2.44.1 und D  13.5.5.9, dazu Leptien, Utilitas causa, S. 35 ff. 137  Gai. D 46.6.6; dazu Leptien, Utilitatis causa, S.  167 ff. 138  Gai 3.109, Inst 3.19.10. 139  Ulp. D 24.2.42pr.; dazu ausführlich Rastätter, Marcelli notae ad Iuliani digesta, S. 257 ff. 140  Der Gedanke ist aller Wahrscheinlichkeit nach von Marcell übernommen. Entgegen Rastätter, Marcelli notae ad Iuliani digesta, S. 259 Fn.  11 kann trotzdem 133  So

134  Dazu

224

C. Rechtsfindung außerhalb der Rechtsordnung

scheidung oder Regelung unter besonderer Berücksichtigung der Schutzwürdigkeit der Minderjährigen einerseits und deren bestmögliche Eingliederung in den Geschäftsverkehr andererseits.141 Im vorliegenden Fragment steht die utilitas funktionell mit der humanitas auf einer Ebene und ist auf die Auslegung eines Rechtsgeschäfts bezogen, das sich mittelbar auch auf die Lage von Minderjährigen auswirkt. Marcells Entscheidung schützt die Mündel davor, vom Darlehensgläubiger belangt zu werden, obwohl sich das restliche Geld beim Tutor befindet. Vor allem aber begünstigt sie das Auftreten des Vormunds im Rechtsverkehr als Interessenvertreter der Mündel. Der Hinweis auf die utilitas erscheint nach alledem weder willkürlich noch inhaltsleer, sondern steht im Einklang mit ihrer gewöhnlichen Verwendungsweise als offener Wertung. Gleiches kann für die Hinzunahme der humanitas angenommen werden, mag eine nähere Qualifikation ihrer Funktionsweise in Marcells Werk auch nicht möglich sein.142 Die Wertung kann hier ebenso gut auf den reinen favor negotii wie auf die Interessen jedes einzelnen Beteiligten bezogen werden: Denn während sich der Wille des Tutors immerhin soweit durchsetzt, wie es die Form zulässt, wird zugunsten des Gläubigers das Vertrauen in die Vereinbarung geschützt. Schließlich profitieren, wie gesehen, auch die Mündel von der Wirksamkeit des Geschäfts.143 Daher kann auch aus dieser Stelle nichts dafür gewonnen werden, ob Marcell tatsächlich zwischen der genauen Bedeutung von humanitas und benignitas unterschieden hat.144 ungeachtet des nachfolgenden alioquin, inquit nicht mit ausreichender Sicherheit von einer originären Formulierung Marcells ausgegangen werden, da es keinen Anhaltspunkt dafür gibt, dass Ulpian sich nicht bewusst gegen eine Formulierung in indirekter Rede entschieden hat. Auch Eckardt, Iavoleni epistulae, S. 139 geht von einer unterstützenden Argumentation Ulpians aus. 141  Die spätklassischen Juristen wenden dieses Prinzip dann häufiger an: vgl. Tryph. D 26.3.10, Aqu. D 26.7.34, Macer. D 1.21.4pr., Ulp. D 26.7.3pr. 142  Entgegen Zülch, Der liber singularis responsorum, S. 58, der die Verwendung offener Wertungsbegriffe durch die klassischen Juristen nur für gänzlich systemwidrige Entscheidungen anerkennen will, ist die interpretatio keinesfalls derart banal, dass die Argumentation als unangebracht erscheint; wie hier Kleiter, Entscheidungskorrekturen, S. 217 Fn. 951. Krüger, SZ 19 (1898), S. 32 bezeichnet die Begründung als „nichtssagend“ und „wenig sachlich“, Schulz, Symbolae Lenel, S. 237 als „nichtssagend“ und „überflüssig“, Schermaier, Iura 44 (1993), S. 346 als „naseweis“; auch Liebs, SZ  120 (2003), S. 250 geht mittlerweile von einer Glosse aus; anders noch ders., in: Strukturen der Mündlichkeit, S. 89 m. Fn. 44. 143  Baldus, Regelhafte Vertragsauslegung II, S. 638 sieht in diesem Aspekt den Schwerpunkt der Auslegungstendenzen. 144  Für eine tiefergehende Analyse des Gebrauchs der humanitas bei hochklassischen Juristen fehlt es sowohl an Material als auch an erläuternden Zusätzen oder Definitionen. Die Versuche, eine einheitliche Tendenz für die gesamte Klassik herauszuarbeiten, verlieren sich zumeist in Gemeinplätzen: Palma, Humanior interpre-



II. Überindividuelle Wertungen

225

Doch bestätigt sie nochmals die Art und Weise der Verwendung wertender Begriffe als ultima ratio in besonders komplexen Auslegungssituationen. Der Jurist geht dabei nicht weniger strukturiert vor als bei der Mitteilung seiner übrigen rationes decidendi. Man kann ihm daher auch nur schwerlich einen planvollen und präzisen Gebrauch der einzelnen offenen Wertungen absprechen.

tatio, S. 46 bezeichnet die humanitas als „strumento (…) idoneo al superamento del rigor iuris“ und beschränkt sich im Übrigen auf eine chronologische Aneinanderreihung der einschlägigen Texte; dies kritisieren zu Recht Schermaier, Iura 44 (1993), S.  343 ff. und Rilinger, Klio  77 (1995), S. 527. Baldus, Regelhafte Vertragsauslegung II, S. 679 fasst seine Untersuchung der „schuldner- oder gläubigerbegünstigenden humanitas“ (S. 626) mit der Beobachtung zusammen, der Ausdruck diene der Vermeidung von rechtsmissbräuchlichem Formalismus und Förderung interessengerechter Lösungen. Kleiter, Entscheidungskorrekturen, S. 68 ff., 105 ff., 176 ff., 220 f. erkennt immerhin einen gewissen Bezug des Begriffs zu Auslegungsentscheidungen, welche schützenswerte Einzelpersonen begünstigen. Insoweit könnte die humanitas als Oberbegriff aller favores zu verstehen sein. Kleiter geht aber jedenfalls zu weit, wenn er die strikte Trennbarkeit von humanus als willensorientiertes und benignus als personenorientiertes Wertungskriterium undifferenziert für die gesamte Klassik behauptet (S. 217 ff.); wie hier Babusiaux, SZ 129 (2012), S. 764.

D. Ergebnisse I. Statistischer Überblick Anzahl

Häufigkeit in Prozent

Gesamtzahl der Stellen   in Originalauszügen

452 218

100  %   48 %

Rationes decidendi   in Originalauszügen

113  94

  25 % 100 %   83 %   43 %

Unvermittelte Fallentscheidung (A–G)

  58

  51 % 100 %

I n d u k t i o n (A–D)

 40

  69 %

D e d u k t i o n (E–G)   Gesetze (E)   Edikt (F)   Juristenrecht (G)   Rechtsgeschäfte

 18   6    5   7   0

  31 % 100 %   33 %   28 %   39 %   0 %

Entscheidung durch Auslegung (H–Q)

  39

  35 % 100 %

I n d u k t i o n (J / L / P)   Gesetze   Edikt (J)   Juristenrecht (L)   Verträge   Testamente (P)

  9   0   2   1   0   6

  23 %   0 %    5 %   3 %   0 %   15 %

100 %   0 %   22 %   11 %   0 %   67 %

D e d u k t i o n (H / K / M / O / Q)   Gesetze (H)   Edikt (K)   Juristenrecht (M)   Verträge (O)   Testamente (Q)

 30  12   4   3   1  10

  77 %   31 %   10 %   8 %   3 %   26 %

100 %   40 %   13 %   10 %   3 %   33 %

Offene Wertung (R–T)   Einzelinteressen (R)   Überindividuelle Wertungen (S / T)

  16   9   7

100 %

  14 %   8 %   6 %



II. Vergleichende Auswertung der Zahlen227

II. Vergleichende Auswertung der Zahlen Legt man die von Horak und zunächst auch von Harke verwendete Zählweise zugrunde, ergibt sich für Marcell ein Verhältnis von 113 Begründungen aus 352 Nummern in Lenels Palingenesie, also etwas weniger als ein Drittel. Zu den 292 Fragmenten, die Lenel unmittelbar bei Marcellus abgedruckt hat, sind noch 57 Fragmente aus den notae ad Iuliani digesta und drei Fragmente aus den notae ad Pomponii regularum librum singularem zu addieren.1 Horak kommt für die älteren Juristen bis einschließlich Labeo zu einem Verhältnis von ca. 300 aus 1000 Fragmenten, wobei er allerdings weitere 100 Begründungen, die ihm nicht mit ausreichender Sicherheit in ihrer Urfassung überliefert erscheinen, nicht in die Betrachtung einbezieht.2 Es darf also vermutet werden, dass bei einer großzügigeren Anwendung der Echtheitsvermutung ein über 33% liegendes Begründungsaufkommen zu verzeichnen wäre. Eine ähnliche Relation ergibt sich auch nach den früheren Berechnungen Harkes, als er für Celsus noch von etwa 100 rationes decidendi in 279 Fragmenten ausgegangen ist, was einem Satz von 36% entspricht.3 Jedenfalls nach diesen Zahlen kann also keine deutliche Tendenz der Zunahme begründeter Entscheidungen bei den Klassikern gegenüber ihren Vorgängern beobachtet werden.4 Seidl hat der Methode der beiden zu Beginn der spätklassischen Epoche stehenden Juristen Tryphonin und Callistrat einen Aufsatz gewidmet und dabei für Tryphonin 70 begründete Entscheidungen gezählt, was beinahe eine ratio pro Fragment in der Palingenesie ergeben würde.5 Seine knappe Untersuchung ist allerdings noch beherrscht von der allgegenwärtigen Interpolationsangst, die ihn dazu bringt, seine Ergebnisse an vielen Stellen selbst wieder in Frage zu stellen. Hinzu kommt, dass er seine Vorgehensweise bei der Stellenauswahl nicht offenlegt und wohl auch einige lediglich implizite Motivationen einbezogen hat. Seine vage Einteilung in Entscheidungen nach Vorteilsausgleich (S. 232–242), menschlichem Willen (S. 242 u. 251), ratio legis (S. 242–243), Beherrschungsvermögen der Beteiligten (S. 243– 244 u. 249–251), Interessenjurisprudenz (S. 244–245 u. 247–249) und Rechtsmissbrauch (S. 249) eignet sich jedoch ohnehin nicht für einen genaueren Vergleich mit den Ergebnissen der oben dargestellten Statistik. Lenel, Palingenesia I, Sp. 633. Rationes decidendi, S. 289. 3  Harke, AI, S. 17. 4  Ein solches Verhältnis behauptet jedoch Waldstein, ANRW  II  15, S. 9 ohne nähere Erläuterung. 5  Vgl. Seidl, Eranion Maridakis I, S. 232 und Lenel, Palingenesia  II, Sp. 351 ff. Im Hinblick auf Callistrat verschweigt Seidl die ermittelten Zahlen. 1  Vgl.

2  Horak,

228

D. Ergebnisse

Doch lässt die Zusammenstellung immerhin erkennen, dass alle verwendeten Aspekte bereits in den Werken der Früh- und Hochklassiker anklingen. Freilich wäre es überraschend, wenn sich die Methodik innerhalb einer Juristengeneration grundlegend geändert hätte. So sind die Schritte von Celsus und Julian zu Marcell und weiter zu Tryphonin und Callistrat marginal und hauptsächlich durch persönliche Vorlieben des einzelnen Juristen veranlasst. Auch Marcell entwickelt keine neuen Argumentationstechniken, setzt aber das tradierte Handwerkszeug mit leicht veränderter Akzentuierung ein. Einige Begründungsarten sind bei Marcell allerdings überhaupt nicht zu finden. So scheint er sich, anders als Celsus und Julian, weder mit der Effizienz der Prätur oder der Rechtspflege allgemein noch mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen auseinandergesetzt zu haben.6 Auch eine Argumenta­ tion mit der publica utilitas, wie sie sich bei Tryphonin und Callistrat zeigt, ist aus Marcells Werk nicht überliefert. Rechts- oder gesellschaftspolitische Aspekte, die nicht die Schutzwürdigkeit Einzelner oder bestimmter Gruppen betreffen, erwähnt Marcell trotz seiner amtlichen Stellung im kaiserlichen Rat kaum einmal explizit.7 Eine wesentlich genauere Bilanz lässt sich ziehen, indem man die Zahl der untersuchten rationes decidendi mit den einzelnen Entscheidungen Marcells vergleicht. Die von den Kompilatoren vorgenommene Auswahl und Einteilung in Abschnitte erfolgte in der Regel nach den von Marcell behandelten Hauptfällen. Weitere Entscheidungen innerhalb einer Stelle entpuppen sich bei näherer Betrachtung in aller Regel als Vergleichs- oder Abgrenzungsfälle, in seltenen Fällen auch als bei Gelegenheit mitbehandelte Varianten, denen Marcell keine eigenständige Argumentation widmet.8 Dies zugrunde gelegt, lässt sich eine Gesamtzahl von 452 Stellen mit je einer Entscheidung in ihrem Zentrum ermitteln.9 Diese Abschnitte stammen zu 48% aus Fragmenten, die die Kompilatoren unmittelbar aus Werken Marcells entnommen haben. Dazu müssen neben den 164 Digestenstellen, den 22 Responsen und den sechs Auszügen aus dem liber I ad legem Iuliam et Papiam auch 23 notae ad Iuliani digesta und 48 notae ad Pomponii regularum librum singularem gerechnet werden. Die Noten sind bei Lenel den Originalauszügen von Julian und Pomponius zugeordnet, wurden aber, wie die Zitierweise der Kompilatoren deutlich macht, direkt aus den Notenapdazu Harke, AI–AS, S. 63 f., 335 ff. Seltenheit solcher Bezüge betonen auch Schulz, Prinzipien des römischen Rechts, S. 66; Bund, Studi Volterra  I, S. 581; Wieacker, Römische Rechtsgeschichte  II, S. 50. 8  Ebenso Harke, AI–AS, S. 13. 9  In drei Fragmenten finden sich ausnahmsweise je zwei begründete Entscheidungen: D  23.3.59.2 (A4–5), D  16.3.22 (C11, R7), D  46.3.72.3 (D8–9). 6  Vgl. 7  Die



II. Vergleichende Auswertung der Zahlen229

paraten abgeschrieben.10 83% der rationes decidendi Marcells stammen aus diesen Originalauszügen. Deutet man das Fehlen des spätklassischen Glieds in der Überlieferungskette als Indikator einer höheren Wahrscheinlichkeit für den Erhalt der ursprünglichen Aussage, können die hier gewonnen Ergebnisse als noch zuverlässiger gelten als die bei Celsus und Julian feststellbaren Zahlen.11 Im Gesamtergebnis liegt Marcell mit 25% begründeter Entscheidungen knapp über Celsus (21%) und Julian (22%). Betrachtet man ausschließlich die Originalauszüge der drei Hochklassiker, erscheint das Bild noch deutlicher: Während nur 23% der 197 im Original überlieferten Celsus-Fragmente eine ratio enthalten, sind es bei Julian bereits 32% der 762 Stellen und bei den 218 originären Marcellus-Stellen sogar 43%. Dies erlaubt die vorsichtige Annahme einer leicht ansteigenden Tendenz zur spätklassischen Zeit hin.12 Ebenfalls vergrößert hat sich der Anteil der systemübergreifenden Argumentationen (14% bei Marcell im Gegensatz zu 7% bei Celsus und 8% bei Julian)13. Dabei fällt die selektive Berufung auf bestimmte favores und die offenen Wertungen benignitas, humanitas und utilitas auf. Diese Begriffe gewinnen in der Spätklassik noch an Bedeutung. Das Verhältnis von unvermittelten und Auslegungsentscheidungen hat sich bei Marcell nicht gewandelt: Ähnlich den Verhältnissen bei Celsus (56% zu 37%) und Julian (66% zu 26%), stehen bei Marcell 58% der Begründungen in unvermittelten Fallentscheidungen, wohingegen nur 35% seiner argumenta eine Auslegung erläutern. Dabei ist freilich zu berücksichtigen, dass sich die Einteilung der untersuchten Stellen in dieser speziellen Frage nur in begrenztem Maße an formelle Kriterien halten kann und die Normen oder Rechtsgeschäfte, auf die Marcell sich bezieht, häufig nicht im Detail überliefert sind, so dass die subjektive Auswertung des Entscheidungsinhalts hier eine größere Rolle spielt als bei den übrigen Kategorien. Trotz der fließenden Übergänge zwischen den beiden Kategorien kann aber mit einiger Sicherheit behauptet werden, dass Marcell sich zumindest nicht seltener als seine Vorgänger mit der Interpretation und Fortentwicklung der besteÜbersicht aller notae gibt Lenel, Palingenesia I, Sp. 633. 68% der Begründungen Julians und sogar nur 57% derjenigen des Celsus sind aus Originalstellen entnommen; diese Angaben sowie die Zahlen im Folgenden richten sich nach den Tabellen bei Harke, AI–AS, S.  342 f. 12  Für den zur selben Zeit wie Marcell tätigen Sextus Pomponius kann diese Beobachtung allerdings nicht bestätigt werden: Im überlieferten Werk des Begründers der Tradition umfangreicher Kommentare lässt sich nur eine Argumentationsdichte von 16% (bzw. 20% in Originalauszügen) feststellen; Harke, Argumenta Pomponiana, S. 168. 13  Bei Pomponius kann wiederum nur eine Quote von 6,4% ermittelt werden; Harke, Argumenta Pomponiana, S.  169 f. 10  Eine

11  Lediglich

230

D. Ergebnisse

henden Regelungen beschäftigt. Umso fragwürdiger erscheint daher die weit verbreitete, bisweilen panegyrische Heraushebung von Julians und Celsus’ kreativer Leistung und Originalität aus der ansonsten angeblich eher konservativen grauen Masse der römischen Juristen.14 Soweit aus den wenigen Entscheidungen ersichtlich, hat Marcell unvermittelt aus Gesetzen, Honorarund Juristenrecht gleichermaßen, nicht aber aus Rechtsgeschäften geschlossen. Aussagekräftiger sind die Zahlen im Hinblick auf die Auslegungsentscheidungen: Die 18 Auslegungen von Gesetzen und Ediktsbestimmungen (46%) halten sich mit 17 Rechtsgeschäftsinterpretationen (44%) die Waage, wohingegen lediglich vier Weiterentwicklungen überkommener Juristenregeln erhalten sind (11%). Hierin zeigt sich eine Abweichung von Julian und Celsus, bei denen das Hauptaugenmerk der unvermittelten Entscheidungen offensichtlich auf das Juristenrecht gerichtet ist und der Schwerpunkt bei der Auslegung auf den Rechtsgeschäften liegt. Was schließlich den Vergleich von induktiver und deduktiver Vorgehensweise betrifft, setzt Marcell offenbar den von Celsus zu Julian erkennbaren Trend fort: Wo Celsus noch zu 82% und Julian zu 54% deduktiv entschieden haben, kommt Marcell bei seinen unvermittelten Fallentscheidungen in nur noch 31% der Fälle ohne induktives Element aus.15 Bei den Auslegungsentscheidungen steht bei ihm die Deduktion ebenso im Vordergrund (77%) wie bei Julian (73%), jedoch bei weitem nicht mehr in der für Celsus (97%) ermittelten Dominanz. Da diese Trennung aufgrund der sprachlichen Indikation im Einzelnen ohne Schwierigkeiten nachvollzogen werden kann, darf eine gewisse Vorliebe für die fallanknüpfende Argumentation bei Marcell konstatiert werden. Ob darin allerdings eine zeitliche Entwicklung Ausdruck findet, muss der Klärung durch die methodologische Untersuchung späterer römischer Juristen vorbehalten bleiben. Wie bei Julian ist in diesem Zusammenhang auch für Marcell darauf hinzuweisen, dass er in Entscheidungen mit induktivem Kern öfter das Ziel verfolgt, eine Subsumtion oder Auslegung zu veranschaulichen, als dass er eine einfache Gegenüberstellung von Personen oder Instituten vornimmt.16 Er setzt die Induk­tion systematisch bei seiner Argumentation ein, um den behandelten Sachverhalt von unnötigem Ballast zu befreien oder in einen vertrauteren Kontext zu bringen, niemals aber in der Art einer autoritativen Fiktion. 14  Vgl. nur Bund, Untersuchungen zur Methode Julians, S. 179  ff.; Rastätter, Marcelli notae ad Iuliani digesta, S.  163 ff.; Giaro, in: Der neue Pauly 6, Sp. 8, 117; Hausmaninger / Selb, Römische Rechtsgeschichte, S. 44 f.; Liebs, Römisches Recht, S. 56 f.; Wieacker, Römische Rechtsgeschichte II, S. 98 ff.; Waldstein / Rainer, Römische Rechtsgeschichte, S. 203. 15  Pomponius dagegen scheint sich wieder mehr auf die Deduktion konzentriert zu haben; Harke, Argumenta Pomponiana, S. 169. 16  Vgl. Harke, AI–AS, S. 340.



II. Vergleichende Auswertung der Zahlen231

Wie bei allen juristischen Autoren der klassischen Zeit ist der strukturelle Aufbau in Marcells Werken weit überwiegend kasuistisch. Ein liber regularum Marcelli ist in den Quellen nicht überliefert.17 Die Basis seiner Erörterungen ist beinahe immer ein bestimmter Sachverhalt, der in aller Regel auf einem praktischen Fall beruht und auf die wesentliche Problematik reduziert worden ist.18 Dass davon auch die kurzen, regelartigen Sätze, die sich in Justinians Digesten ohne Kontext erhalten haben, nicht ausgenommen werden müssen, zeigt das Beispiel der Doppelüberlieferung des benignitas-Arguments aus D 28.4.3 in D 50.17.192.19 Die Kompilatoren waren an dem Herausarbeiten und der gesammelten Wiedergabe solcher Merksätze offensichtlich mehr interessiert als die hochklassischen Autoren. Abstraktheit und Allgemeingültigkeit erlangen ihre Entscheidungen dennoch bereits durch die selektive Sachverhaltsschilderung.20 Die Konkretheit Marcells rationes decidendi ist sehr unterschiedlich. Die meisten Argumentationen sind aber ohne Weiteres auf ähnliche Konstellationen übertragbar und bilden damit einen Anknüpfungspunkt für die Arbeit der nachfolgenden Generationen. Dessen ungeachtet hat das Fehlen rein theoretischer Abhandlungen ohne Fallbezug dazu geführt, dass ein Teil der Romanistik sich die Entscheidungsfindung bei den Römern als unserem heutigen, rationalen Verfahren mehr oder weniger entgegengesetzt vorstellt. Die dabei zentralen Vorurteile der intuitiven Fallerfassung, der Priorität von Erfahrung und Autorität des Juristen oder seiner Vorgänger und der allgemeinen Begründungsarmut können nach den vorliegenden Resultaten auch für Marcell als widerlegt gelten.21 17  Zu dieser Werkgattung Schmidlin, Die römischen Rechtsregeln, S. 122 ff. und Nörr, SZ 89 (1972), S. 18 ff. 18  Der durchschnittliche Abstraktionsgrad ist in den Digesten zwar höher als im liber responsorum, jedoch wirken die Grundfälle an keiner Stelle derart ungewöhnlich und konstruiert, dass man von einer reinen Erfindung Marcells ausgehen müsste. Dagegen können die zur Argumentation herangezogenen Vergleichsfälle durchaus rein fiktiv sein; ebenso Giaro, SZ  105 (1988), S. 215. 19  Dazu Hendel, SZ 130 (2013), S. 427 f. 20  Ob dies nach Marcells Vorstellungen tatsächlich „eine wortreiche Begründung der Entscheidung überflüssig“ machen konnte, wie bei Kunkel / Schermaier, Römische Rechtsgeschichte, S. 148 zu lesen ist, muss zweifelhaft bleiben, da durch das Exponieren der Problempunkte zwar einige Nebensächlichkeiten ausgeblendet werden, nicht aber offenlegt wird, welche Art von Entscheidungsgrundlage zur Orientierung dient. 21  Repräsentativ sind Schulz, Prinzipien des römischen Rechts, S. 125 ff. und Geschichte der römischen Rechtswissenschaft, S. 146 f.; Wieacker, Vom römischen Recht, S. 151 ff. (wesentlich differenzierter allerdings: Wieacker, FS Kaser, S. 10 ff.); Kaser, Zur Methode der römischen Rechtsfindung, S. 54 ff., 68 f., 72 f.; RP  I, S. 212 und Römische Rechtsquellen, S. 86, 265; Bund, Studi Volterra  I, S. 572 f., 579 ff.; Waldstein, ANRW  II  15, S. 4 f.; Waldstein / Rainer, Römische Rechtsgeschichte, S.  196 f.

232

D. Ergebnisse

Am weitesten entfernt sich Marcell vom Einzelfall, wenn er das Telos einer Norm losgelöst von einem konkreten Anwendungsfall erläutert.22 Selbst wenn man vermuten möchte, dass diese Aussagen im ursprünglichen Text Teil einer ausführlicheren Argumentation waren und somit primär doch der Lösung eines bestimmten Falls dienten, zeigt die Vorgehensweise nicht nur die bei allen Juristen zu erwartende Fähigkeit zur Abstrahierung, sondern auch das Bemühen um eine Systematisierung der vorhandenen Rechtsmassen. Bei der Anwendung und Interpretation von Normen und Rechtsgeschäften nutzt Marcell seine Erkenntnisse über den Wortlaut, den zugrundeliegenden Sinn und Zweck oder den angenommenen Willen der Erklärenden zur planmäßigen Ableitung einer Lösung. Doch auch die relative Häufigkeit induktiver Argumente ist kein Hinweis auf das Überwiegen einer intuitiven oder von Autoritäten geprägten Entscheidungsfindung, sondern vielmehr wesentlicher Bestandteil der Systembildung und -erweiterung.23 Wie gezeigt werden konnte, folgen Marcells Induktionen sowohl formellen als auch inhaltlichen Mustern, kommen also gerade nicht in willkürlicher oder opportunistischer Weise zum Einsatz. In einigen längeren, im Zusammenhang überlieferten Fragmenten entwickelt Marcell den Ausgangsfall durch Varianten mit einzelnen Abweichungen in kleinen Schritten weiter.24 Die Abwandlungen werden entweder einer bestehenden Gruppe von Vergleichsfällen wertungsmäßig zugeordnet oder ausdrücklich davon abgegrenzt. So entsteht eine Art Koordinatensystem, in das die neu auftretenden Konstellationen umso leichter eingefügt werden können, je mehr Fälle mit einem oder mehreren Vergleichsmerkmalen bereits entschieden sind. Diese Vorgehensweise dient vor allem dem Auffüllen der Lücken, die das grobmaschige Netz der vereinzelten Gesetzesbestimmungen und Ediktsklauseln zurückDagegen wenden sich insbesondere Horak, Rationes decidendi, S.  288 ff.; Kunkel / Schermaier, Römische Rechtsgeschichte, S. 135; Knütel, GS Heinze, S. 475 ff.; Harke, Europäische Methodenlehre und AI–AS, S. 341. Wenn Waldstein, GS Mayer-Maly, S. 545 ff. neuerdings versucht, die Lehre von der Intuition zu verteidigen, indem er sie insbesondere unter Verweis auf Aristoteles, Cicero und einige Digestenstellen – in denen freilich ohnehin mit offenen Wertungen argumentiert wird – als „die Grundlage der menschlichen Rationalität und die Voraussetzung für wissenschaftliche Erkenntnis“ (S. 549) darstellt, bleibt unklar, worin die Unterschiede zwischen der römischen und unserer heutigen Methode bestehen sollen, auf welche es den Verteidigten gerade ankam. 22  Siehe dazu D 11.8.2 (S. 109 f.), D 23.2.50 (S. 110 f.) und D 28.8.10 (S. 134 f.). 23  Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch Babusiaux, Papinians quaestiones, S. 134 f. bei der Untersuchung der dialektischen Katenen Papinians: „Die Kasuistik Papinians ist (…) keine assoziative Weiterentwicklung eines Falls, sondern Ausdruck einer geplanten, weit ausgreifenden Argumentationskultur“; vgl. zudem Knütel, GS Heinze, S. 490 ff. zu Gai. D 30.70. 24  Am deutlichsten wird dies in D  24.3.57 (C10), D  46.3.72pr.–3 (D5–9) und D  37.5.25 (C5–7).



III. Vermutung der Kürzung von Begründungen233

lässt. Der syllogistische Grundcharakter seiner Methode bleibt schließlich auch durch die wenigen, nicht aus der bestehenden Rechtsordnung abgeleiteten Entscheidungen unbeeinträchtigt. Die schützenswerten Interessen mögen zwar im konkreten Fall nicht mit konventionellen Mittel durchgesetzt werden können, sie sind der von Marcell korrigierten Ordnung aber freilich bereits inhärent. Auf noch abstraktere Maßstäbe greift er nur als ultima ratio zurück. In der Summe erscheint Marcells Instrumentarium an argumenta also keineswegs als ein Baukastensatz beliebig austauschbarer Elemente.25 Vielmehr steht das angewandte Mittel für gewöhnlich in offenkundiger Relation zur Komplexität und zum Schwierigkeitsgrad des Sachverhalts.26 Dies bedeutet freilich keine strikte Hierarchie der Begründungsarten, der Marcell bewusst und formalistisch gefolgt wäre. Doch ist seine Wahl durchaus abhängig davon, wie intensiv die tradierten Regelungen und Institute auf den untersuchten Fall einwirken, wie ungewöhnlich sich die Umstände darstellen und wie viele konkurrierende Interessen beteiligt sind. Von einer allzu großen Beliebigkeit dürfte ihn zudem schon der Wunsch nach einer wirkungsvollen und auf Dauer überzeugenden Argumentation abgehalten haben.27

III. Vermutung der Kürzung von Begründungen Anstatt diese Ergebnisse durch ohnehin nicht zu verifizierende Interpolationsvermutungen wieder in Frage zu stellen, erscheint es gewinnbringender, in Anbetracht einer beinahe zwei Jahrtausende andauernden Überlieferungsgeschichte von vornherein einige Ungenauigkeiten bei den dargestellten Argumentationen in Kauf zu nehmen, und sich zum Ausgleich mit der Wahrscheinlichkeit des Wegfalls weiterer rationes decidendi zu beschäftigen.28 Die Selbstverständlichkeit, mit der die früher in der romanistischen Literatur vorherrschende Meinung die Irrelevanz von Begründungen für die Tätigkeit des respondere angenommen und auf das gesamte literarische 25  So aber Wieacker, Römische Rechtsgeschichte II, S. 49 und FS Kaser, S. 22 f. Auf die je nach Definition belanglose oder unzutreffende Charakterisierung des römischen Rechts als topische Wissenschaft muss hier nicht mehr eingegangen werden; vgl. dazu Horak, Rationes decidendi, S. 45 ff. 26  Vgl. nur die einfachen Gegenüberstellungen zu Beginn (A1–3) mit den höchst strittigen Konstellationen im letzten Abschnitt (T1–3). 27  Auf den Adressatenkreis rekurriert auch Wieacker, FS Kaser, S. 24  ff., der damit zwar die Überschaubarkeit des Arsenals, nicht aber auch den angeblichen „Synkretismus des Beweisverfahrens“ (S. 23) nachvollziehbar machen kann. 28  Einem ähnlichen Ansatz folgen Bund, Untersuchungen zur Methode Julians, S.  8 f.; Horak, Rationes decidendi, S. 291 und Harke, Europäische Methodenlehre, S. 11.

234

D. Ergebnisse

Wirken der römischen Jurisprudenz übertragen hat,29 kann angesichts der gefundenen Ergebnisse nur verwundern.30 Wolf bringt den Kern dieser ehemals dominierenden Ansicht in einer Bemerkung anlässlich der Behandlung von Marcel. D 20.1.27 auf den Punkt: „Um ein Gutachten angegangen, äußerte der klassische Jurist autoritativ seine Meinung; in den seltensten Fällen pflegte er sie zu begründen; das Gutachten war ja für seinesgleichen bestimmt. Aus dem gleichen Grunde ist es nicht wahrscheinlich, daß Marcellus den Gedankengang, der ihn zu seiner Entscheidung geführt hatte, hinzugefügt hat, als er den Fall in seine Digesten aufnahm“.31 Zwar mögen auctoritas und Intuition eine wichtigere Rolle für die Entwicklung und die alltägliche Anwendung des römischen Rechts gespielt haben, als es die gesellschaftliche und rechtliche Ordnung der heutigen Zeit zulassen würde.32 Insbesondere besteht kein Zweifel daran, dass die responsa prudentium gesetzesähnliche Wirkung entfalten konnten.33 Doch widerspricht nicht nur die reine Anzahl der vorgefundenen rationes decidendi der Behauptung, die Jurisprudenz habe für ihre Entscheidungen generell keiner Rechtfertigung bedurft. Das statistische Ergebnis bestätigt vielmehr Überlegungen allgemeiner Art, die a priori gegen einen lakonisch-autoritativen Stil der römischen Jurisprudenz sprechen. So lässt sich bereits die Tatsache, dass trotz der auf widerspruchsfreie Vereinheitlichung der Rechtsordnung abzielenden Arbeit der Kompilatoren Justinians auch aus den Digesten immer noch deutliche Spuren von Meinungsverschiedenheiten aus 29  Vgl. nur Bruns / Lenel, in: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft, S. 357; Pringsheim, Gesammelte Abhandlungen I, S. 161; Wieacker, Vom römischen Recht, S. 131, 139 f., 151; Bund, Studi Volterra  I, S. 572; Ankum, Symbolae David, S. 2; zuletzt auch Zülch, Der liber singularis responsorum, S. 18 ff., 45; weitere Nachweise bei Horak, Rationes decidendi, S. 70 Fn. 20 f. 30  Den naheliegenden Zusammenhang mit der damaligen Interpolationsforschung betont Harke, Europäische Methodenlehre, S. 11 unter Verweis auf die bei Knütel, GS Heinze, S. 476 im Hinblick auf die Vertreter des intuitiven Charakters römischer Rechtsfindung vorgefundenen Bemerkungen. 31  Dass dies gerade auf D 20.1.27 (B3) nicht zutrifft, konnte bereits gezeigt werden; vgl. insbesondere S. 54 Fn.  112. 32  Hier kann der in diesem Zusammenhang oft zitierte Spruch Senecas (Ep 94.27) angeführt werden: Quid quod etiam sine probationibus ipsa monentis auctoritas prodest? Sic quomodo iurisconsultorum valent responsa, etiam si ratio non redditur. Seneca wehrt sich gegen die Ansicht des Stoikers Ariston, der philosophische Vorschriften, die keine universale Geltung haben und nicht ausreichend begründet sind, für unbeachtlich hält. Daher verwendet er das Beispiel der responsa iurisconsultorum, welche auch ohne ratio aufgrund ihrer auctoritas Wirksamkeit entfalten. Dies sagt jedoch nicht mehr aus, als dass die Geltung der Rechtsgutachten nicht von dem Vorhandensein einer Begründung abhängig ist; Pernice, Marcus Antistius Labeo, S. 61; Berger, Paulys RE  17, Sp. 1165; Horak, Rationes decidendi, S. 72 m. Fn. 27. 33  Vgl. Gai 1.7; Pap. D 1.1.7pr.



III. Vermutung der Kürzung von Begründungen

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beinahe allen zitierten klassischen Werken herausleuchten, deren Echtheit nicht einmal von den größten Interpolationsjägern ernsthaft angezweifelt werden könnte, nicht mit der Grundannahme der Begründungsarmut römischer Rechtsliteratur in Einklang bringen.34 Standen die Juristen im ständigen Disput mit Rechtssuchenden, Rhetorikern und Kollegen und mussten im Prinzipat ihre Entscheidungen sogar gegenüber dem Kaiser verteidigen, können sie sich dabei nicht größtenteils auf Autoritäten verlassen und bei der späteren Aufzeichnung und Sammlung der responsa auf jegliche Argumentation verzichtet haben.35 Gerade diejenigen Fälle, die den Juristen der Veröffentlichung in einer schriftlichen Sammlung würdig erschienen, werden in der Mehrzahl derart komplex und umstritten gewesen sein, dass die bloße Darstellung von Sachverhalt und Lösung die nachfolgenden Generationen zur Widerlegung regelrecht herausgefordert hätte. Die Aufzeichnung von Recht ist aber überhaupt nur dann sinnvoll, wenn sie in dem Glauben erfolgt, einen bestimmten Sachverhalt für spätere Zeiten gültig in zweckmäßiger Weise entschieden zu haben. Insbesondere nach dem Verfassen der Noten zu Julians und Pomponius’ Werken muss auch Marcell bewusst gewesen sein, dass sein eigenes Werk der Kritik der Späteren ausgesetzt sein würde, was eine antizipierte Auseinandersetzung mit möglichen Gegenargumenten und zumindest für kritische Fälle eine ausdrückliche Betonung der entscheidenden ratio sehr wahrscheinlich macht. Er konnte sich der Fortwirkung seiner eigenen Autorität nur sicher sein, indem er seine Entscheidungen mit der größtmöglichen Überzeugungskraft ausstattete.36 Ein eindrucksvolles Zeugnis der Bedeutung von Argumentation und Diskurs auch im Angesicht größtmöglicher Autorität stellt das Protokoll des Verfahrens vor dem kaiserlichen Gericht des Marc Aurel in D 28.4.3 (T1) dar. Wie gezeigt, erläutert Marcell nicht nur das schließlich ergangene Urteil des princeps, er erlaubt sich sogar, seine eigene ratio mit einem gewissen Stolz in den Mittelpunkt der Ausführungen zu stellen. Wenn aber nicht einmal das Urteil der obersten Instanz ohne die Darstellung des Für und Wider und des letztlich maßgebenden Kriteriums festgehalten worden ist, wie könnte dies dann bei den eigenen Entscheidungen der Juristen ein Sakrileg oder auch 34  Horak, FS Kaser, S. 53 verweist in diesem Zusammenhang zusätzlich auf die „zögernd vorgeschlagenen Lösungen“, die mit magis, verius, existimo etc. eingeleitet werden. 35  Bund, Studi Volterra  I, S. 573; Horak, Rationes decidendi, S.  72 ff. Harke, AI, S. 145 m. Fn. 602 zeigt, dass Celsus gerade dann seine responsa ausführlich begründet, wenn sie sich an einen Kollegen richten. Auch bei Hausmaninger / Selb, Römisches Privatrecht, S. 37 wird auf die Begründungsbedürftigkeit hingewiesen. 36  Ebenso Berger, Paulys RE 19, Sp. 1163, 1173, der im Gegensatz zur Autorität des Pontifikalkollegiums der Frühzeit bei den Juristenresponsen „persönliches Wissen und Können“ als „das entscheidende Moment“ ansieht, das es gegenüber den Kollegen zu verteidigen galt.

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D. Ergebnisse

nur eine Rarität gewesen sein?37 Im Übrigen genügt ein kurzer Blick in den justinianischen Codex, um festzustellen, dass auch die principes selbst ihre Entscheidungen einer Begründung nicht unwürdig hielten, sondern ihre Erlässe oftmals mit rationes decidendi überliefert sind.38 Hätte Marcell sein eigenes fachliches Ansehen und seine juristische Intui­ tion als allein ausschlaggebende Faktoren seiner Entscheidungsgewalt angesehen, müsste sich dies auch darin ausdrücken, dass er denselben Status seinen geschätzten Vorgängern zuschreiben und dies bei jeder sich bietenden Gelegenheit hervorheben würde. Doch ist die geringe Zahl der Fragmente augenfällig, in denen er sich überhaupt auf andere Juristen beruft.39 Mit insgesamt nur 16 Entscheidungen, bei denen Marcell ausdrücklich auf einen oder mehrere seiner Vorgänger referenziert, erreicht er nicht einmal die Hälfte der 39 Zitate, die bei Celsus zu finden sind.40 An lediglich neun oder zehn dieser Stellen stehen die fremden Aussagen allein, also ohne sofortige Relativierung durch eigene, ergänzende oder gar widersprechende argumenta.41 An weiteren drei Stellen baut er das Zitat in seine eigene ratio decidendi ein: Einmal ergänzt er das hinter einer gebilligten Entscheidung Julians stehende Prinzip der veteres,42 ein andermal zieht er die von 37  Für Celsus kommt Harke, AI, S. 20 zum gleichen Ergebnis, wobei er sich insbesondere auf Cels. D 33.10.7.2 stützt, wo der Hochklassiker eine Ansicht des Tubero ablehnt: Sed etsi magnopere me Tuberonis et ratio et auctoritas movet, non tamen … – Demzufolge sind ratio und auctoritas bei der Entscheidungsfindung zumindest gleichberechtigte Kriterien; vgl. dazu auch Horak, Rationes decidendi, S. 75 f. m. w. N. 38  In seltenen Fällen werden die kaiserlichen Begründungen wiederum von den Juristen wörtlich zitiert; vgl. beispielsweise das Reskript von Marc Aurel und Commodus bei Macer D 1.18.14. 39  Auch Bund, Studi Volterra I, S. 579 konstatiert bei den Hochklassikern eine im Vergleich mit den früh- und spätklassischen Zeiten augenfällige Armut an Zitaten. 40  Vgl. Harke, AI, S. 20. Nicht in diese Erhebung fallen seine Hinweise auf Vertreter einer bestimmten Ansicht ohne nähere Präzisierung: Marcel. D 23.2.33 (plerique), D  35.2.56pr. (B1) (plerique), D 46.3.73 (quidam), D 28.4.3 (T1) (nonnulli) und D  45.1.98pr. (secundum illorum opinionem, qui); ebenso verfährt Ankum, Mélanges Cannata, S. 133 Fn. 41. 41  Dreimal verwendet er dazu eine Sammelbezeichnung: Marcel. D  11.7.35 (maiores putaverunt), D 7.1.71 (veteres responderunt), Ulp. D 24.1.11.3 (placuisse scio Sabinianis); im Übrigen nennt er die einzelnen Juristen: Marcel. D 47.2.69, 71 (Iulianus negabat), D  50.16.85 (Neratius Priscus existimat), D  50.16.87 (Alfenus ait), D 29.7.9 (Aristo negavit), D 30.80 (Sabinus probat), D  31.50.2 (Publicius putat). Die Formulierung Labeonis et Nervae sententiam probat in Ulp. D 7.6.1.pr. scheint ebenfalls für ein unmittelbares Zitat zu sprechen (ebenso Ankum, Mélanges Cannata, S. 132), die genaue Art der Verwendung muss jedoch offen bleiben. Harke, AI, S. 20 zählt bei Celsus immerhin 19 solcher undifferenzierter Zitate (in 378 Abschnitten; Harke, AI–AS, S. 13). 42  Iul. D 26.8.12 (G1).



III. Vermutung der Kürzung von Begründungen237

Alfenus überlieferte Entscheidung des Servius für ein Vergleichsargument heran.43 Die opinio Sabini dient ihm zur Unterstützung einer weitergehenden Argumentation bei der Beschäftigung mit einer Regel Julians.44 Zudem findet sich in seinen digesta die Auslegung eines überkommenen Rechtssatzes der veteres45 und eine Besprechung der nova clausula Iuliani.46 Einen Sonderfall stellt das folgende Fragment dar: Marcell 20 = D 1.9.2 (3 dig) Cassius longinus non putat ei permittendum, qui propter turpitudinem senatu motus nec restitutus est, iudicare vel testimonium dicere, quia lex Iulia repetundarum hoc fieri vetat. Cassius Longinus meint, dass demjenigen, der wegen einer Schandtat aus dem Senat ausgestoßen worden und nicht wiedereingesetzt worden ist, nicht zu erlauben sei, Recht zu sprechen oder Zeugnis abzulegen, weil die lex Iulia repetundarum verbietet, dass dies geschieht.

Marcell zitiert die Entscheidung des frühklassischen Juristen Gaius Cassius Longinus: Ist ein Beamter wegen einer turpitudo endgültig aus dem Senat verwiesen worden, soll er auch sein Recht verlieren, als Richter aufzutreten und öffentlich als Zeuge auszusagen. Dazu folgt der Hinweis auf die lex Iulia repetundarum aus dem Jahre 59 v. Chr. Der genaue Inhalt dieses Gesetzes ist nur bruchstückhaft überliefert.47 Fest steht jedoch, dass darin die Folgen einer Vorteilsannahme durch Beamte detailliert geregelt waren.48 Als Strafe drohte den Verurteilten unter anderem die Untersagung, öffentlich Zeugnis abzulegen oder als Richter tätig zu werden.49 Den Begriff turpitudo verwenden die römischen Juristen ganz allgemein im Sinne einer schändlichen, die Ehre beeinträchtigenden Handlung.50 Es finden sich aber viele Stellen, in denen der Ausdruck eine bestimmte Art von Schandtat meint, wie zum Beispiel den Abschluss eines sitten- oder rechtswidrigen Geschäfts51, Ehebruch52 oder eben auch Bestechlichkeit53. Gleichzeitig 43  Marcel.

D 46.3.67 (L1). D 9.2.36.1 (G4). 45  Marcel. D 41.2.19.1 (M1). 46  Marcel. D 37.8.3 (C4). 47  Berger, Paulys RE 24, Sp. 2389 ff.; eine Übersicht über alle Repetundengesetze gibt Mommsen, Römisches Strafrecht II, S. 708 ff. 48  Vgl. im Einzelnen die in D 48.11 aufgezählten Tatbestände und Rechtsfolgen. 49  Venul. D  48.11.6.1, Ulp. D  28.1.20.5, Paul. D  22.5.15pr. 50  Vgl. Heumann / Seckel, Handlexikon, S. 597 f. 51  Ulp. D  12.5.4.1, 2, 3, Paul. D  17.1.22.6. 52  Ulp. D  23.2.43.4, D  48.5.24pr., 30pr. 53  Paul. D  12.5.3: Ubi autem et dantis et accipientis turpitudo versatur, non posse repeti dicimus: veluti si p e c u n i a d e t u r, u t m a l e i u d i c e t u r . 44  Marcel.

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D. Ergebnisse

berichtet Sueton, dass nach einer Anordnung Caesars die des crimen repetundarum Überführten aus dem Senat verwiesen werden.54 Aus der Erörterung Marcells kann daher nicht geschlossen werden, dass die Rechtsfolge der lex Iulia repetundarum analog auf den Fall eines „wegen schlechter Lebensführung aus dem Senat Verstoßenen“ angewendet worden ist.55 Vielmehr erläutert er die Entscheidung Longinus’, der einem wegen Bestechlichkeit senatu motus nec restitutus zugleich das Verbot auferlegen will, als Richter oder öffentlicher Zeuge aufzutreten. Der begründende Halbsatz ist im Indikativ angeschlossen und daher nicht als Teil des indirekten Zitats zu verstehen. Marcell erklärt lediglich, warum sich der alte Jurist dafür ausgesprochen hat: Wer nach der Bestimmung Caesars aus dem Senat verwiesen worden ist, hat zugleich auch den Tatbestand der repetundae verwirklicht, weswegen auch die anderen Strafen einschlägig sind. All dies zeigt deutlich, dass weder die eigene noch die auctoritas der vorangegangenen Kollegen in den Augen Marcells eine Begründung ersetzen kann.56 Vielmehr dienen die Referenzen wie auch heute noch zur Bekräftigung der Richtigkeit eines gefundenen Ergebnisses.57 Von einer unreflektierten Übernahme der durch die alten Autoritäten geschaffenen Regeln kann bei Marcell nach alledem noch weniger die Rede sein, als es die Betrachtung der überlieferten Zitate Celsus’ zulässt.58 Die Art und Weise, in der er tatsächlich mit dem von seinen Vorgängern überkommenen Rechtskorpus arbeitet, sollte nicht aus einigen wenigen Zitierungen, sondern aus einer Gesamtschau der einschlägigen rationes decidendi abgeleitet werden: Zum einen zieht er Juristenregeln 16-mal heran, um aus ihnen unvermittelt eine Entscheidung abzuleiten, indem er entweder durch einen induktiven Schluss die Ableitbarkeit aus einem übergeordneten Prinzip veranschaulicht oder sein Ergebnis deduktiv aus dem Juristensatz gewinnt.59 Zum anderen kommt er in vier Fällen durch die Auslegung von Juristenrecht zu seiner 54  Suet.

Div.Iul. 43. aber Steck, Der Zeugenbeweis in den Gerichtsreden Ciceros, S. 147. 56  Solches behauptet Pernice, Labeo 8 (1962), S. 383 für einen nicht geringen Teil von Ulpians Entscheidungen; Schulz, Prinzipien des römischen Rechts, S. 125 f. spricht dieser Aussage allgemeine Gültigkeit für die römischen Juristen zu. Der Gedanke des Ausgleichs fehlender Rationalität durch fremde Autorität findet sich auch bei Bruns / Lenel, in: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft, S. 357 und Bund, Studi Volterra  I, S. 579. 57  Ebenso Horak, Rationes decidendi, S. 75 f.; Harke, AI, S. 23. 58  Vgl. Harke, AI, S. 21 f., der auf den offensichtlichen Widerspruch zwischen den Textbelegen und den von Schulz, Prinzipien des römischen Rechts, S. 125 ff. und Kaser, Zur Methode der römischen Rechtsfindung, S. 55 aufgestellten Behauptungen hinweist. 59  Siehe oben D1–9 und G1–7. 55  So



III. Vermutung der Kürzung von Begründungen239

Lösung.60 Insgesamt ist aus den gefundenen Ergebnissen der Schluss gerechtfertigt, dass sich Marcell bei seiner Entscheidungsfindung in der weit überwiegenden Zahl der Fälle lieber auf selbst entwickelte Gedanken als überkommene Juristenworte stützt.61 Daher wäre auch eine noch höhere Begründungsdichte in den überlieferten Stellen nicht überraschend gewesen. Der Verlust einer Originalbegründung kann sich auf verschiedenen Überlieferungsstufen und aus mannigfaltigen Gründen ereignet haben und ist heute kaum noch nachzuweisen. Es darf aber zumindest damit gerechnet werden, dass bereits Ulpian und die anderen spätklassischen Juristen beim Zitieren der Schriften Marcells auf die Übernahme einiger rationes verzichtet haben, die ihnen für den neu geschaffenen Kontext nicht relevant erschienen.62 Dies findet auch in den Statistiken deutlichen Ausdruck: Bei Celsus enthalten 35 (19%) von 181 Stellen aus Werken späterer Juristen eine Begründung, während in 197 Originalauszügen die etwas größere Anzahl von 46 (23%) rationes ausfindig gemacht werden kann.63 Bei Julian sind nur 112 (13%) von 861 Zitaten mit einer Begründung versehen, jedoch sind 242 (32%) rationes in 762 originalen Stellen zu ermitteln.64 Am eindrucksvollsten ist das Verhältnis bei Marcell: Er wird nur ganze 19-mal mit ratio decidendi zitiert, was bei einer Gesamtzahl von 234 Stellen aus Werken jüngerer Juristen einer Begründungsdichte von 8% entspricht.65 Dem steht ein bemerkenswert hoher Anteil von 42% begründeter Auszüge aus seinen eigenen Büchern gegenüber. Es kann also bei Marcell keinen Zweifel daran geben, dass viele der zumeist sehr kurzen Zitate bei Ulpian, Paulus und den anderen Spätklassikern aus längeren Abhandlungen entnommen sind, die ursprünglich auch seine Motivationen preisgaben. Nichtsdestoweniger bleibt es auch für Marcell dabei, dass über die Hälfte seiner Entscheidungen ohne eine ratio decidendi festgehalten worden sind. Für die nachklassischen römischen Juristen, denen es kaum noch um die Schaffung neuen Rechts, sondern vor allem um das Verständnis und die Anwendung der überkommenen und als verbindlich geltenden Rechtssätze ging, können Autoritäten eine wesentlich gewichtigere Rolle als für Celsus, Julian und Marcell gespielt haben. Dies drückt sich nicht zuletzt in dem 60  Siehe

oben L1 und M1–3. auch Ankum, Mélanges Cannata, S. 132. 62  Seidl, Eranion Maridakis I, S. 232 Fn. 3; Harke, AI, S. 18 und Europäische Methodenlehre, S. 11. 63  Die Berechnungen gehen von den Zahlen bei Harke, AI–AS, S. 342 aus. 64  Vgl. die Zahlen bei Harke, AI–AS, S. 343. 65  Die größte Aussagekraft entfalten diese Zahlen in Bezug auf Ulpian: Er zitiert Marcell in 198 Stellen, womit dieser nach Julian und Pomponius der meistzitierte Jurist bei Ulpian ist; so auch Ankum, Mélanges Cannata, S. 134, der von 241 Einzelzitaten in 191 Texten ausgeht. 61  So

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D. Ergebnisse

Bestreben aus, für die Gerichtspraxis eine zweckmäßige Hierarchie der klassischen Autoren festzusetzen:66 So wird Marcell neben Julian und anderen in der uns bekannten Version des sogenannten Zitiergesetzes von 426 n. Chr. als einer derjenigen Juristen namentlich bezeichnet, deren scientia mit den Schriften der Spätklassiker auf einer Geltungsstufe stehen soll, wobei die auctoritas der Zitierfähigen ausdrücklich betont wird.67 Justinian führt Marcell neben Celsus in C  4.5.10.1 an, nachdem sich bereits Ulpian in einem höchst umstrittenen Fall auf deren Meinung berufen hatte: et [Ulpianus] tam Marcellum quam Celsum sibi consonantes refert. Die drei Juristen vertreten die Ansicht, dass derjenige, dem versehentlich beide Gegenstände einer eigentlich alternativen Schuld geleistet worden sind, selbst wählen dürfe, welchen er zurückerstatten möchte. Im Fortgang der Stelle schlägt sich Justinian jedoch auf die Seite von Papinian und dessen hochklassische Referenz Julian. Diese gewähren die Wahl dem Schuldner, qui et antequam dependat ipse habet electionem. Ungeachtet dieser versteckten Andeutung einer ratio decidendi lässt der Kaiser keinen Zweifel daran aufkommen, dass er sich in erster Linie zugunsten der überragenden Autorität Julians entschieden hat: et [Papinianus] huiusmodi sententiae sublimissimum testem adducit Salvium Iulianum s u m m a e a u c t o r i t a t i s h o m i n e m et praetorii edicti ordinatorem. Für diese Zeit kann also mit Recht davon gesprochen werden, dass die ratio durch die auctoritas ersetzt wurde. Anders als die Jurisprudenz in klassischer Zeit konnten sich die Kompilatoren Justinians demnach auf die bloße Autorität der überlieferten Entscheidungen verlassen, ohne eine allzu leichte Widerlegbarkeit der Ausführungen befürchten zu müssen. Ihnen mag die klassische Argumentation daher tatsächlich als schmückendes Beiwerk erschienen sein.68 Hält man sich in diesem Zusammenhang das Vorhaben der byzantinischen Redaktion vor Augen, das gesamte Zivilrecht innerhalb weniger Jahre in einer konsistenten Rechtssammlung zusammenzufassen, liegt die Vermutung der Kürzung von rationes decidendi schwerlich ferner als die Annahme nachträglicher Veränderungen der überlieferten oder der Schöpfung neuer argumenta.69 66  Vgl. nur Waldstein / Rainer, Römische Rechtsgeschichte, S. 238  ff. und Wie­ acker, Römische Rechtsgeschichte II, S. 202 ff. jeweils m. w. N. 67  CTh 1.4.3. 68  Ähnlich Seidl, Eranion Maridakis, S. 232 Fn. 3. 69  Entgegen Kaser, Zur Methode der römischen Rechtsfindung, S. 55 Fn.  26 ist es daher nicht „von vornherein unwahrscheinlich“, dass in nachklassischer Zeit Begründungen aus Marcells Originalschriften verlorengegangen sind; wie hier Wie­ acker, FS Kaser, S. 4., der sich dafür aber zu Unrecht auf Kaser, Zur Methodologie der römischen Rechtsquellenforschung, S. 24 f., 34 beruft, wo nur von Kontroversenberichten die Rede ist. Die umgekehrte Vermutung bei Wieacker, Römische Rechtsgeschichte II, S. 297, die Kompilatoren hätten den Entscheidungen „meist knappe Begründungen hinzugefügt, deren stereotype Phrasierung die Aufdeckung des Ein-



III. Vermutung der Kürzung von Begründungen241

Ein weiteres Indiz für die hier vertretene These kann darin erblickt werden, dass 13 von 14 Fragmenten, die in Lenels Palingenesie mindestens eine Länge von 20 Zeilen erreichen und somit die längsten noch erhaltenen Originalpassagen aus Marcells Werken darstellen, mindestens eine ratio decidendi enthalten.70 Der vierzehnten Stelle, D 17.1.38,71 fehlt es zwar an einer echten Entscheidungsbegründung, doch finden sich auch dort gewisse argumentative Ausführungen Marcells: Wie gesehen, zählt er einige Kriterien auf, an denen sich die Ermessensentscheidung des Richters orientieren soll und vergleicht die Situation mit einem weiteren Fall. Aus diesem Befund kann freilich nicht geschlossen werden, alle kürzeren Fragmente müssten ursprünglich in einem ebenso komplexen und begründungsbedürftigen Kontext gestanden haben. Dennoch rechtfertigt die mit der Länge des überlieferten Textes zunehmende Begründungsdichte die Vermutung, dass in den Originalwerken Marcells tendenziell mehr rationes decidendi vorhanden waren, als in den fragmentarischen Auszügen des Corpus Iuris Civilis überliefert werden. Zuletzt ist in diesem Zusammenhang noch auf eine Stelle einzugehen, in der Marcells Formulierung anzuzeigen scheint, dass er eine Argumentation selbst für verzichtbar hält: Marcel 192 = D 41.2.19pr. (17 dig) pr. Qui bona fide alienum fundum emit, eundem a domino conduxit: quaero, utrum desinat possidere an non. Respondi: in promptu est, ut possidere desierit. Jemand hat gutgläubig ein fremdes Grundstück gekauft und dasselbe vom Eigentümer gepachtet. Ich frage, ob er aufhört zu besitzen oder nicht? Ich habe geantwortet: Es liegt auf der Hand, dass er aufgehört hat zu besitzen.

Der gutgläubige Erwerber eines Grundstücks verliert seine possessio ad usucapionem in dem Moment, in dem er mit dem wahren Eigentümer ein Pachtverhältnis eingeht und diesen so zum Besitzer des Grundstücks macht.72 Dass hierdurch trotz unveränderter tatsächlicher Sachherrschaft der Ersitzungsbesitz endet, ist für Marcell evident. Zusammen mit § 173 griffs erleichtert“ ist freilich im Einzelfall beweisbedürftig. Noch unwahrscheinlicher als die Schaffung neuer Begründungen ist allerdings die planmäßige Überarbeitung klassischer rationes; Horak, Rationes decidendi, S. 290. 70  Es handelt sich um D  8.2.10 (P6), D  23.3.59 (A4–5, D1, S4), D  24.3.57 (C10), D  37.8.3 (C4), D  36.1.46 (H1–2), D  40.5.10 (C1, E6, P1), D  46.3.72 (D2, D5, D6, D7, D8–9, G2), D 35.2.56 (A10–11, B1, H5), D 28.4.3 (T1), D 30.123 (H8, P3), D  34.2.6 (G5, Q7), D  35.1.36 (Q6) und D  40.5.56 (Q8). 71  Vgl. S. 154 ff. 72  Vgl. MacCormack, SZ  86 (1969), S. 117 f. und BIDR  75 (1972), S. 88 f.; allgemein zum Besitzkonstitut Harke, Römisches Recht, S. 232 f. 73  D 41.2.19.1 (M1).

242

D. Ergebnisse

stellt das Fragment eine logische Einheit dar, die den Ausfall einer ursprünglich zwischen den beiden Texten stehenden Begründung äußerst unwahrscheinlich macht.74 Die dort zitierte Regel der veteres erklärt Celsus in D 41.2.18pr. explizit für den Fall des Besitzkonstituts für nicht anwendbar und verweist zur Begründung auf die Parallele zum Besitzerwerb durch Sklaven.75 Die Existenz der älteren Entscheidung könnte durchaus auch Marcells Entscheidung beeinflusst und ihn dazu verleitet haben, die Lösung des im principium behandelten Falles für evident zu erklären. Die Formulierung in promptu est taucht bei Marcell ansonsten nur noch einmal in D 46.3.72.1 (D6) auf. In diesem Text erklärt er jedoch mit einem Vergleichsargument, warum es auf der Hand liegt, dass der Versuch einer novatio zur Bereinigung des Schuldnerverzugs führt. Er bezieht sich dabei auf seine unmittelbar zuvor im principium getroffene Aussage. Die Betonung der Evidenz dient dort als stilistisches Mittel, mit dem das gefundene Ergebnis als richtig herausgestellt, nicht aber der Argumentation enthoben werden soll.76 Auch im vorliegenden Fall darf die Formulierung daher nicht dazu verleiten, Marcell eine Art Begründungsverweigerung zu unterstellen.77 Ist somit im Ergebnis festzuhalten, dass deutlich mehr Gründe für nachträgliche Streichungen von rationes decidendi aus Marcells Werk sprechen als für deren Hinzufügung durch spätere Autoren, darf der statistisch ermittelte Prozentsatz, bezogen auf das Originalwerk des Juristen, nicht als zu hoch angesetzt, sondern muss vielmehr als Mindestanzahl verstanden werden.78

IV. Liber singularis responsorum Dass es auch heutzutage noch der Warnung vor übereilten Interpolationsannahmen bedarf, zeigt eine unlängst erschienene Arbeit über den liber singularis responsorum Marcells. Hierin werden sämtliche Schlusspassagen mit Begründungsfunktion einer nachklassischen Bearbeitungsschicht zuge74  MacCormack, BIDR  75 (1972), S. 88 stellt zu Recht fest, der Zweck des §  1 scheine darin zu bestehen, „to anticipate a possible objection to the decision in the principium“. 75  Dazu eingehend Harke, AI, S. 103 ff. und Klinck, Erwerb durch Übergabe an Dritte, S. 259 ff. jeweils m. w. N. 76  Ähnliches stellt auch Mayer-Maly, Daube noster, S. 230 f. im Hinblick auf die Verwendung der ratio evidens bei Ulp. D  30.34.3, D  30.75.1 und D  40.7.3.15 fest: „die Behauptung einer evidenten ratio [verbindet sich] stets mit dem Versuch einer konkreter argumentierenden Begründung“. 77  So aber Zülch, Der liber singularis responsorum, S. 225 Fn.  121. 78  Zu diesem Ergebnis kommen auch Horak, Rationes decidendi, S. 289 ff. und ihm folgend Harke, AI, S. 18 und Europäische Methodenlehre, S. 11.



IV. Liber singularis responsorum243

schrieben.79 Zuvor hatte bereits Schulz in Marcells Responsenwerk einen Apparat „im Stile nachklassischer, vorjustinianischer Noten“ erkannt, ohne diese aber inhaltlich zu beanstanden.80 Die neue Arbeit kommt mit aufwändiger Beweisführung zu einem ähnlichen Ergebnis und erklärt bei sechs Stellen einen nachträglichen Texteingriff für erwiesen.81 In weiteren sechs Texten sollen immerhin Indizien für eine Interpolation vorhanden sein.82 Die verbliebenen beiden Entscheidungen sollen zwar, für sich genommen, unverdächtig sein, werden aber aufgrund formeller Übereinstimmungen mit den anderen Stellen letztlich auch zu der angeblich unklassischen Bearbeitungsschicht gezählt.83 Nicht zu übersehen ist, dass der liber responsorum Marcells die Aufzeichnung eines tatsächlichen Vorgangs enthält, sei es der Bescheid des Juristen auf eine schriftliche Anfrage eines Rechtssuchenden, sei es die mündliche Beratung und Diskussion des Sachverhalts. Die spätere Aufzeichnung und Sammlung der Fälle ist ohne eine Reduktion der Bestandteile auf das wesentliche juristische Problem überhaupt nicht vorstellbar.84 Doch gibt es keine stichhaltigen Argumente gegen die Autorenschaft Marcells. Die Einzeluntersuchungen der kritisierten Stellen haben ergeben, dass die gegebenen Begründungssätze nicht nur keinen Anlass zu Verdächtigungen bieten, sondern in allen Fällen einen oder mehrere Gesichtspunkte hervorheben, die neben Sachverhalt und Entscheidung einen eigenständigen Gedanken darstellen, der sinnvoll und geeignet ist, die gefundene Lösung zu motivieren. Selbst wenn man für Interpolationen einen „unstrenge[n]“ Beweis gelten lässt, kann dieser nicht ohne inhaltliche Bedenken gegen die verdächtigten Stellen auskommen und sich nicht allein aus Schwankungen

79  Zülch, Der liber singularis responsorum, S. 14  ff. verweist dabei auch auf Wieacker, Textstufen, S. 22 f., 57 ff., der sich zu Marcells Werken nicht unmittelbar äußert, aber auf S. 175 f. m. Fn. 248 Interpolationen der Digesten und Responsen für folgerichtig hält. 80  Schulz, Symbolae Lenel, S.  236  ff.; in Schulz, Geschichte der römischen Rechtswissenschaft, S. 293 f. spekuliert er darüber, ob der liber nur ein nachklassischer Auszug der digesta ist; dagegen schon Mayer-Maly, Paulys RE II 17, Sp. 570. Auch bei Wolf, SZ  76 (1959), S. 528 ist der Gedanke ausgeführt, Gutachten wären in aller Regel nicht begründet worden; vgl. auch oben S. 54 m. Fn. 112. 81  Darunter fallen die oben behandelten D  46.3.48 (C9), D  34.2.6.1 (G5), D  32.69.1 (Q2), D  35.1.36.1 (Q6) und D  17.1.38 (S. 154 ff.); Zülch, Der liber singularis responsorum, S.  206 f. 82  Hier nennt Zülch D 39.6.28 (F4), D 30.123.1 (H8), D 34.2.6.2 (Q7), D 40.5.56 (Q8) und D  13.5.24 (T3); Zülch, Der liber singularis responsorum, S. 208. 83  Es handelt sich um D  29.1.25 (E5) und D  30.123pr. (P3); Zülch, Der liber singularis responsorum, S. 214. 84  Vgl. auch Liebs, in: Strukturen der Mündlichkeit, S. 88, 93 f.

244

D. Ergebnisse

im darstellerischen Niveau ergeben.85 Auch ein Vergleich zu Marcells digesta rechtfertigt nicht das Urteil mangelnden Tiefgangs im liber singularis:86 Zum einen sind Argumentationen, die über einen Satz hinausgehen und mehrere Aspekte enthalten, auch in den digesta eine Seltenheit. Zum anderen enthalten gerade die im liber singularis kritisierten Stellen besonders ausführliche rationes decidendi.87 Keine dieser Begründungen ist ihrer Art oder sprachlichen Form nach bei Marcell einzigartig. Vielmehr fügen sie sich ohne Weiteres in den Gesamtkanon ein. Die größtenteils einheitliche Struktur der überlieferten Responsen, der eben nicht nur Sachverhalt, Fallfrage und Entscheidung, sondern auch ratio decidendi unterliegen, zeigt gerade, dass diese für Marcell einen – wenn auch nicht unabdingbaren, so doch regelmäßigen – Bestandteil des angewendeten Schemas darstellt.88 Damit ist freilich nichts über die Form gesagt, in der die Bescheide an die Rechtssuchenden ausgegeben wurden. Hierüber kann anhand der uns überlieferten Sammelwerke nur spekuliert werden.89 Die formelle Standardisierung der rationes decidendi bei der Edition des Werkes deutet aber einmal mehr auf eine durchweg systematische Rechtsfindungsmethode hin.

V. Notae ad Iuliani digesta Weitgehend ohne Interpolationsvermutungen kommt dagegen eine ältere Arbeit über die Marcelli notae ad Iuliani digesta aus.90 Die Begründungsdichte in diesem Werk ist deutlich geringer als im liber responsorum: In 61 Noten sind nur 14 rationes decidendi überliefert. Der Befund ist wenig überraschend, da zum einen nur etwas mehr als ein Drittel der Texte aus Originalauszügen stammt und zum anderen schon das Wesen der Notenliteratur knappere Ausführungen als in den Digesten oder Responsen erwarten 85  Zülch, Der liber singularis responsorum, S. 47 und S. 206; siehe dazu die detaillierte Kritik bei Liebs, SZ 120 (2003), S. 243 ff. 86  Zülch, Der liber singularis responsorum, S. 224 ff. setzt sich mit D  29.2.75 (A7), D 36.1.46.1 (H2), D 24.1.49 (S. 20 f.) und D 37.8.3 (C4) auseinander. 87  Was Schmid, Ulpius Marcellus, S. 27 zu der Aussage bewogen hat, die 16 Fragmente seien „rarissime additis rationibus“ überliefert, lässt sich nicht mehr nachvollziehen. 88  Auch in den meisten anderen klassischen Responsensammlungen finden sich Begründungen; Liebs, in: Strukturen der Mündlichkeit, S. 89 ff. und SZ 120 (2003), S. 249. 89  Berger, Paulys RE 19, Sp. 1168, 1173 geht davon aus, dass die Gründe generell erst in der schriftlichen Version hinzugefügt worden sind. 90  In der früheren Literatur sind die Noten allerdings auf eine ähnlich pauschale Ablehnung gestoßen: vgl. nur Kaser, SZ  58 (1938), S. 99 m. Fn. 1 und Schulz, Geschichte der römischen Rechtswissenschaft, S. 276 f.; dazu Rastätter, Marcelli notae ad Iuliani digesta, S. 295 ff.



V. Notae ad Iuliani digesta

245

lässt; denn die notae sind nur auf ein einzelnes Detail der Vorlage gerichtet. Mit 23% liegt das Ergebnis dennoch nur knapp unter dem allgemeinen Durchschnitt. Auch das Spektrum der Argumentationsarten ist breit gefächert und lässt kaum Besonderheiten erkennen. Insbesondere kann in keiner der verschiedenen Textarten die Tendenz hin zu einer bestimmten Begründungsform verzeichnet werden. Sechs der Entscheidungen haben einen induktiven Schwerpunkt, der Rest erfolgt durch Deduktion. Drei Entscheidungen sollen den sogenannten erklärenden Anmerkungen zugehören, die lediglich der näheren Erläuterung des salvianischen Urteils dienen.91 Auch hier hat es Begründungsfunktion, wenn Marcell etwa die zugrundeliegende Regel der veteres ergänzt oder einen zusätzlichen Vergleichsfall zur Erleichterung der Interpretation des Edikts anführt.92 Weniger erläuternden als vielmehr abgrenzenden Charakter hat die Ablehnung der Lösung Julians für eine andere als die von diesem entschiedene Konstellation mit der Begründung, dass in der Rechtsordnung dafür ohnehin eine andere Abhilfe vorgesehen sei.93 Die rationes decidendi für Anmerkungen, denen begrenzende Funktion zugeschrieben wird, ergeben ein buntes Bild: Einmal zieht Marcell den vom Wortlaut eines senatus consultum vorgegebenen Rahmen enger als Julian,94 ein anderes Mal gelangt er unter Berufung auf das Telos zu einer großzügigeren Anwendung einer Juristenregel,95 und in einem dritten Fall stützt er seine Abweichung auf die Auswechslung des von Julian zur Edikts­ auslegung verwendeten induktiven Elements.96 In sechs weiteren Noten, die Ansätze zur Rechtsfortbildung enthalten sollen,97 handelt es sich teils um einfache Induktionen,98 teils um die Anwendung von Edikts99- und Juristenregeln100, während nur in einem Fall eine Testamentsauslegung101 vorliegt. Bei letzterer orientiert sich Marcell allerdings nicht stärker an den verba als Julian.102 Vielmehr nehmen beide Juristen eine ambige Formulierung an, die 91  Rastätter,

Marcelli notae ad Iuliani digesta, S.  40 ff. (G1) bzw. D 4.6.41 (C2); die Bezeichnung als Beispiel bei Rastätter, Marcelli notae ad Iuliani digesta, S. 59 ist daher ungenau, er beschreibt die Funktion der Gegenüberstellung aber auf S. 61 f. treffend. 93  D 36.1.28.7 (E4). 94  D 48.10.14pr. (H3). 95  D 46.1.8.8 (M2); Rastätter, Marcelli notae ad Iuliani digesta, S. 161 ff., 301 geht hier zu Unrecht von einer Rückbesinnung auf ein überkommenes Prinzip aus. 96  D  34.3.5.2 (J1). 97  Rastätter, Marcelli notae ad Iuliani digesta, S.  168 ff. 98  D  39.6.15 (A8), D  49.15.12.2 (A15) und D  41.3.15pr. (A17). 99  D 4.2.9.8 (F1). 100  D  34.3.3.5 (G6). 101  D 36.1.26pr. (Q10). 102  So aber Rastätter, Marcelli notae ad Iuliani digesta, S. 226 f., 252; Zweifel daran äußert auch Wieling, Gnomon  55 (1983), S. 52 Fn.  6. 92  D 26.8.12

246

D. Ergebnisse

nach der voluntas näher zu bestimmen ist. Der Unterschied besteht nur darin, dass Julian im Gegensatz zu Marcell mehrere mögliche Absichten des Erblassers für gleich wahrscheinlich hält.103 Ein Großteil der Überlegungen zum Einsatz der Wertungsbegriffe utilitas und aequitas können für die vorliegende Untersuchung nicht fruchtbar gemacht werden, da die angeführten Stellen nicht den formalen Anforderungen für die Annahme einer ratio decidendi genügen: Drei der Entscheidungen werden zwar ausdrücklich mit verschiedenen Interessenserwägungen begründet, die entsprechenden Aussagen stammen der Formulierung nach jedoch allesamt von Ulpian.104 Das zuletzt in diesem Zusammenhang angeführte Fragment enthält zwar einen Originalauszug aus Marcells notae, es fehlt aber an einer expliziten Argumentation.105 Die einzige Stelle, in der Marcell tatsächlich die aequitas als Hauptargument heranzieht, wird wegen der Annahme eines abweichenden Begründungsschwerpunkts wiederum nicht in die Überlegungen einbezogen,106 sondern zu Unrecht zu den limitierenden Noten gezählt, in denen seine angeblich „traditionalistische Orientierung“ besonders zum Ausdruck kommen soll.107 Da Julian selbst in einer ganz ähnlichen Entscheidung auf die aequitas rekurriert, kann es nicht verwundern, dass sich auch Marcell dieses Mittels bedient. Es würde seiner Rechtsfindungsmethode keinesfalls gerecht, wenn man ihm generell absprechen wollte, auf eine missliebige Entscheidung Julians mit einer Billigkeitserwägung geantwortet haben zu können. Das Ergebnis, dass Marcell sich bei der Entscheidungsfindung „nicht auf außerrechtliche – und damit zugleich systemfremde – Argumentationshilfen“ berufe, sondern diese Wertungen lediglich zur Entkräftung von konkurrierenden Meinungen oder als Kontrollmaßstab zum Einsatz brächte,108 kann nach den Resultaten der vorliegenden Untersuchung weder für seinen Notenapparat noch für seine sonstigen Werke bestätigt werden. In der Zusammenschau mit den Gesamtstatistiken zeigt das untersuchte Viertel der Noten, dass weder Marcell noch Julian als Vertreter methodi103  Auch die auf D  28.7.4pr. (Q1) und D  32.69pr. (S. 158 f.) gestützte, unrich­tige Annahme bei Ankum, Mélanges Wołodkiewicz, S. 32, im Rahmen von Interpreta­ tionen sei für Marcell der Wortlaut, für Julian die Intention wichtiger gewesen, beruht auf der angeblichen Antithese von verba und voluntas. 104  Ulp. D 29.2.42pr., D 36.1.3pr., D 37.4.17; Rastätter, Marcelli notae ad Iuliani digesta, S. 257 ff. 105  Iul. D  5.1.75; dazu oben S. 141 Fn.  426. 106  Rastätter, Marcelli notae ad Iuliani digesta, S. 257; siehe aber oben D 42.4.3pr. (R3). Wie hier andeutungsweise auch Bund, Untersuchungen zur Methode Julians, S. 181 f. m. Fn. 43. 107  Rastätter, Marcelli notae ad Iuliani digesta, S. 291. 108  Rastätter, Marcelli notae ad Iuliani digesta, S. 290.



V. Notae ad Iuliani digesta247

scher Extrempositionen gelten dürfen. So wenig es zutrifft, dass es Julian weniger als allen anderen klassischen Juristen auf eine systematische Fundierung seiner Falllösungen angekommen wäre, so wenig kann in Marcells Schaffen der Höhepunkt eines peniblen Traditionalismus gesehen werden.109 Die systemübergreifende Rechtsfindung mag bei Marcell nur eine untergeordnete Rolle gespielt haben, doch unterscheidet er sich darin gerade nicht von Celsus und Julian.110 Vielmehr zeigt sich bei ihm im Vergleich der gesamten Begründungen ein etwa doppelt so hoher Anteil an solchen Wertungsentscheidungen. Umgekehrt spricht auch die höhere Anzahl an deduktiven Herleitungen bei Julian und Celsus gegen die behaupteten Charakterisierungen. Jedenfalls konnte weder in den untersuchten notae noch in den übrigen behandelten Stellen eine Gesinnung „schulmeisterlicher Pedan­ te­ rie“111 entdeckt werden.

109  So aber Bund, Untersuchungen zur Methode Julians, S. 179  ff.; Rastätter, Marcelli notae ad Iuliani digesta, S. 163, 166 und ihm folgend Liebs, Iura 32 (1981), S. 290. Dagegen richtet sich explizit Wieling, Gnomon  55 (1983), S. 51 f., der zu Recht davon ausgeht, dass fast alle notierten Entscheidungen Julians auf „systemkonforme Gründe“ zurückgeführt werden können und die rechtsfortbildenden Noten des Marcell dieselbe methodische Herangehensweise demonstrieren wie die Ausführungen Julians; kritisch auch Backhaus, SZ 101 (1984), S. 382; Krampe, TR  52 (1984) S. 61 f. und Ankum, Mélanges Wołodkiewicz, S. 31. 110  Vgl. auch Honoré, TR 32 (1964), S. 24; Ankum, Mélanges Wołodkiewicz, S.  31 f.; Harke, AI–AS, S. 341. 111  So das Urteil bei Bund, Untersuchungen zur Methode Julians, S. 181.

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Verzeichnis der Hauptquellen Corpus Iuris Civilis – Digesta D 1.9.2  D 4.1.7  D 4.2.9.8  D 4.6.41  D  5.2.10pr.  D 8.2.10  D  8.5.11  D 9.2.34  D 9.2.36.1  D 9.2.41pr.  D 11.8.2  D 12.2.3.3  D 12.2.34pr.  D 12.3.8  D 13.4.2.7  D  13.5.24  D  15.1.19.1  D 16.3.1.39  D 16.3.22  D 17.1.38  D 18.7.4  D 20.1.27  D 21.1.31.7  D 21.2.61  D  23.2.50  D  23.3.59pr.  D  23.3.59.1  D  23.3.59.2  D 23.4.4pr.  D  24.1.45  D 24.1.49 

237 f. 140 ff. 92 f. 56 f. 219 ff. 169 ff. 107 ff. 39 f. 102 ff. 83 f. 109 f. 197 f. 195 ff. 201 f. 137 ff. 221 ff. 191 f. 21 f. 69 f., 200 f. 154 ff. 132 f. 52 ff. 26 f. 41 f. 110 f. 71 f. 212 ff. 29 ff. 210 ff. 85 20 f.

D  24.3.57  D  25.3.8  D  25.7.3  D 26.2.19.1  D 26.7.28.1  D 26.8.12  D 27.10.12  D 28.1.16  D 28.4.3  D  28.5.54  D 28.7.4pr.  D 28.7.23  D 28.8.10  D  29.1.25  D 29.1.31  D  29.2.75  D  29.4.5  D 29.4.7  D  29.5.16  D 29.7.19  D 30.43.1  D 30.123pr.  D 30.123.1  D 31.28  D 32.69pr.  D 32.69.1  D  33.2.15.1  D 33.3.2  D 33.3.3  D 34.2.6.2  D 34.2.6pr. 

66 ff. 130 f. 119 f. 97 f. 203 f. 99 131 f. 28 f. 216 ff. 176 f. 171 f. 161 ff. 134 f. 88 ff. 40 f. 32 f. 63 f. 15 f. 205 ff. 165 ff. 84 f. 163 f. 127 ff. 143 158 f. 172 ff. 167 f. 27 f. 75 ff. 181 f. 104 ff.

264

Verzeichnis der Hauptquellen D  34.3.3.5  D  34.3.5.2  D  34.5.24  D  35.1.36.1  D  35.1.47  D  35.2.1.19  D  35.2.2  D  35.2.54  D  35.2.56pr.  D  35.2.56.3  D  35.2.56.4  D  35.2.56.5  D  35.2.57  D 36.1.26pr.  D 36.1.28.7  D 36.1.46pr.  D 36.1.46.1  D  37.5.25pr.  D  37.5.25.1  D  37.5.25.2  D 37.8.3  D 37.10.10  D 37.12.4  D  37.15.3  D 38.2.31  D  38.15.5pr.  D 39.1.22  D  39.5.20pr.  D  39.5.20.1  D  39.6.15  D 39.6.28  D  40.1.15  D  40.5.9 

22, 106 f. 135 ff. 159 f. 178 ff. 177 f. 122 ff. 124 125 f. 49 f. 37 f. 38 f. 120 ff. 48 187 ff. 87 f. 112 ff. 114 ff. 60 ff. 62 63 59 ff. 198 ff. 93 f. 51 f. 19 f. 57 ff. 139 f. 129 f. 73 ff. 34 f. 96 f. 35 ff. 185 ff.

D  40.5.10pr.  D  40.5.10.1  D  40.5.10.2  D  40.5.28  D  40.5.56  D 40.7.24  D 40.13.2  D 41.2.19pr.  D 41.2.19.1  D  41.3.15pr.  D 42.4.3pr.  D 42.8.12  D 44.2.19  D  45.1.94  D  45.1.95  D  45.1.98.1  D 46.1.8.8  D 46.1.38pr.  D 46.1.38.1  D 46.3.48  D 46.3.67  D 46.3.68  D 46.3.72pr.  D 46.3.72.1  D 46.3.72.2  D 46.3.72.3  D 46.3.72.4  D  46.3.72.5  D 46.8.17  D 48.10.14pr.  D 48.13.14  D  49.15.1  D  49.15.12.2 

160 f. 90 f. 54 f. 90 183 ff. 174 f. 192 f. 241 f. 148 f. 45 ff. 193 ff. 144 f. 94 f. 152 ff. 152 ff. 156 149 ff. 151 f. 101 f. 65 f. 146 f. 207 ff. 77 f. 78 f. 80 80 ff. 100 f. 72 f. 31 f. 117 f. 86 f. 44 f. 42 ff.

Sachverzeichnis acceptilatio  92, 136 actio –– ad exhibendum  53, 105 –– communi dividundo  108 –– de dolo  140 ff. –– depositi  21, 70, 201 –– operarum  94 –– quod metus causa  92 f., 192 –– redhibitoria  27 –– rei uxoriae  65 f., 68, 72, 85, 136 –– Serviana  53, 95 –– tutelae  201 f., 203 aditio hereditatis  33, 172, 188 adoptio  62 aequitas  66, 68 f., 75, 78, 116, 141, 195, 201, 202, 204, 213, 214 f., 220 f., 246 benignitas  22, 159 f., 218 f., 229, 231 bonorum possessio  19, 33, 58, 60 f., 63, 143, 199 f. cognitio extra ordinem  88, 217 condictio –– causa data causa non secuta  29 f. –– ex causa furtiva  81 –– indebiti  74, 136 f. delegatio  30, 42, 72, 213 f. dies cedens  76, 136, 188 f. dolus  70, 96, 195, 200 donatio inter virum et uxorem  21 donatio mortis causa  34 f., 36 f., 96 f., 121 dos  30, 48, 65 f., 68 f., 71 f., 85, 135, 191, 211 ff. edictum –– Carbonianum  199

–– de eo quod certo loco  138 –– de satisdatione  97 –– si quis omissa causa  16, 63, 122 exceptio –– doli mali  78, 96 –– legis Cinciae  130 –– onerandae libertatis causa  94 –– rei iudicatae  95 –– rei sibi ante pigneratae  95 favor –– dotis  71, 210 ff. –– libertatis  175, 185, 206 f., 209 f. –– negotii  219, 224 –– pupilli  209 –– testamenti  220 fideiussio  101 f., 150, 151 furiosus  29, 132 humanitas  219 ff., 229 impensa  85, 123 f. in integrum restitutio  56, 141 f. iter  27 f., 75 f., 167, 170 iusiurandum  174, 195 ff., 201 f. iusta causa  64, 142, 148, 220 lex –– Aelia Sentia  51, 132, 193 –– Aquilia  40, 53 f., 83 f., 103 –– Cornelia  43 ff. –– Falcidia  37 ff., 48, 50, 74, 121, 124, 126 –– Iulia de adultulteriis coercendis  119 –– Iulia et Papia  110, 127 –– Iulia peculatus  86 f. –– Iulia repetundarum  237 f. –– Papia Poppaea  19, 129 libertus  19, 51, 64, 91, 111, 113, 129

266 Sachverzeichnis manumissio  35 ff., 40, 52, 55, 91, 132 f., 174 f., 178, 192 f. missio in bona  194, 198 ff. mora  68, 77 ff., 115, 203 f., 222 nova clausula Iuliani  61, 237 novatio  32, 79 ff., 222 f., 242 noxa  73 nuntiatio operis novi  139 peculium  34, 43, 45, 47, 50, 51 f., 136 f., 144, 191 f. postliminium  43 ff. postumus  165 f. procurator  116 procurator ad litem  31 f. quod actum est  153 ff. ratihabitio  31 f.

senatus consultum –– Hosidianum  85 –– Libonianum  117 –– Pegasianum  127 –– Plancianum  128 f. –– Rubrianum  91 –– Silanianum  206 f. –– Trebellianum  87, 112 ff., 213 –– Volusianum  85 servus communis  27, 99, 206 solutionis causa adiectus  72, 138, 223 statuliber  38, 55, 91, 174 stuprum  119 usucapio  43, 46 f., 241 usura  66, 115 f., 203 f., 211, 222 f. ususfructus  38, 68 f., 168 utilitas  223 f., 228, 229, 246