Mahler im Kontext / Contextualizing Mahler 9783205791201, 9783205784968

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Mahler im Kontext / Contextualizing Mahler
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Mahler im Kontext Contextualizing Mahler

Herausgegeben im Auftrag der Internationalen Gustav Mahler Gesellschaft von Erich Wolfgang Partsch und Morten Solvik Mit einer Einleitung von Constantin Floros

Böhlau Verlag Wien . Köln . Weimar

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Gedruckt mit Unterstützung durch:

Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung in Wien Musikwissenschaftlicher Verlag Wien Spendergemeinschaft Dir. Franz Neumayr Universal Edition Wien MA 7 - Kulturamt der Stadt Wien – Wissenschafts- und Forschungsförderung

Umschlagabbildung: Herwig Zens, „Gustav Mahler“ Umschlaggestaltung: Michael Haderer

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek. Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-205-78496-8 Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdruckes, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf fotomechanischem oder ähnlichem Wege und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. © 2011 by Böhlau Verlag Ges. m. b. H. & Co. KG, Wien · Köln · Weimar http://www.boehlau-verlag.com Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlor- und säurefrei gebleichtem Papier. Druck: Prime Rate kft., Budapest

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Inhalt Vorwort / Foreword . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Constantin Floros: Mahlers intellektuelle Neugier . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Christian Glanz: Gustav Mahlers politisches Umfeld . . . . . . . . . . . . . .

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Rainer Bischof: Gustav Mahler – Dunkel ist das Leben, ist der Tod . . . . .

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Georg Mohr: Die Gedanken sind frei! Gustav Mahler und die Philosophie seiner Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 Stephen E. Hefling: Siegfried Lipiner’s On the Elements of a Renewal of Religious Ideas in the Present . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 Siegfried Lipiner: Über die Elemente einer Erneuerung religiöser Ideen in der Gegenwart/On the Elements of a Renewal of Religious Ideas in the Present . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 Catherine Keller: The Luxuriating Lily. Fechner’s Cosmos in Mahler’s World . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 Erich Wolfgang Partsch: Mahlers Weg ins Freie. Landschaft als ästhetischer Erlebnis- und Inspirationsraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 Jeremy Barham: Mahler’s Verkehrte Welt: Fechner, ‘Learned Satire’ and the Third Movement of Symphony No. 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 Morten Solvik: Cosmology and Science in Gustav Mahler’s Third Symphony . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 Barbara Boisits: Der Musikwissenschaftler als Erzieher. Guido Adlers Stilkritik und die Symphonik Gustav Mahlers . . . . . . . 233

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Inhalt

Stefan M. Schmidl: „Freud hat ganz recht“. Mahler und die frühe Psychoanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 Martina Pippal: Gustav Mahler und die bildende Kunst – Geschichte einer Beziehung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 Margarete Wagner: Mahlers Verhältnis zur zeitgenössischen Literatur . . . 291 Oskar Pausch: Gustav Mahler und das Theater seiner Zeit . . . . . . . . . . . 337 Timothy David Freeze: “Fit for an Operetta”: Mahler and the Popular Music of His Day . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 Peter Gülke: Dazwischen nur einer: Mahler und Beethoven . . . . . . . . . . 397 Stephen McClatchie: Mahler’s Wagner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407

Die Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443

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VORWORT / FOREWORD

„Mahler war ein literarischer Musiker. Nicht nur in seiner Musik, auch in seinem Anregungs- und Bildungsbedürfnis“, erinnerte sich Ferdinand Pfohl in seinen Eindrücken und Erinnerungen aus den Hamburger Jahren. Mahlers lebenslanges Bildungsbedürfnis galt vor allem Weltliteratur, Philosophie und Naturwissenschaften. Aufmerksam verfolgte er die politische Umgebung, suchte sein Weltbild durch zeitgenössische Theorien und Anschauungen zu bereichern und setzte sich mit verschiedenen künstlerischen Reformen auseinander. Das vorliegende Buch, als gedankliche Reise konzipiert, soll die Vielfalt und Tiefe der Wissens- und Ideenlandschaften des Komponisten aufzeigen. Beginnend mit Mahlers politischer und philosophischer Einstellung, führt es über Wissenschaft und Kunst schließlich zu Musik und Musikern. Großes Augenmerk wird auf Mahlers Sichtweise des Themas Existenz (Nietzsche, Schopenhauer, Fechner) gelegt und es enthält eine zweisprachig annotierte Ausgabe eines zentralen Textes von Siegfried Lipiner. Selektiv erscheinen in den Beiträgen diverse Themenfelder, geistige Perspektiven und maßgebliche Persönlichkeiten, die die Tiefe von Mahlers Denken dokumentieren. Zum Teil überblicksartig, zum Teil auf Details konzentriert, werden essentielle Bausteine von Mahlers intellektuellem Profil herausgearbeitet, zugleich auch Fragen zugespitzt: In welcher Weise und durch wen bestehen Einflüsse? Welche Wirkungen gingen von Mahler an die Mit- und Nachwelt? Das Buch bietet dank seiner bunten Zusammensetzung ganz verschiedenartige Streifzüge, die zum Weiterdenken und Weiterlesen – ganz im Sinne Mahlers – anregen mögen. Unser Dank gilt allen Autoren, unter ihnen speziell dem Präsidenten der Internationalen Gustav Mahler Gesellschaft, Herrn Dr. Rainer Bischof, der das vorliegende Buchprojekt gefördert und auch den Kontakt zu Herrn Prof. Herwig Zens vermittelt hat. Ihm sei für seine spontane künstlerische Mitwirkung herzlich gedankt. Freundlicherweise haben mehrere Institutionen eine finanzielle Unterstützung zugesagt. Ohne die große Einsatzbereitschaft und Unterstützung von Frau Prok. Ulrike Dietmayer im Verlag wäre die verlässliche und zeitgerechte Herstellung des Buches nicht möglich gewesen – auch dafür möchten wir uns herzlich bedanken. Frau Martina Ackerl war bei der Redaktion der deutschen Texte hilfreich.

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Foreword

“Mahler was a literary musician. Not only in his music, also in his need for stimulation and learning,” recalled Ferdinand Pfohl in his Eindrücke und Erinnerungen aus den Hamburger Jahren. Mahler’s lifelong need to learn was especially focused on world literature, philosophy, and the natural sciences. He remained finely attuned to his political surroundings, sought to enrich his worldview through contemporary theories and perspectives, and deeply engaged himself in various artistic reforms. The book presented here is conceived as a journey in ideas. It begins with Mahler’s political and philosophical setting, moves through the sciences and the arts, and ends with music and musicians. Much attention is given to how Mahler viewed existence (Nietzsche, Schopenhauer, Fechner) and includes a bilingual annotated edition of a central text by Siegfried Lipiner. The articles take a selective look at intellectual topics and personalities that collectively demonstrate the diversity and the depth of the composer’s vast vista of thinking and learning. In part in overview, in part in detailed studies these essays work out essential components in Mahler’s intellectual makeup and at the same time pose pointed questions about influences on the composer and how he, in turn, impacted those who have followed him. True to Mahler’s own ambitions, we have assembled a wide variety of perspectives that we hope will inspire to read more and think even further. Our thanks to all the authors, among them especially the President of the International Gustav Mahler Society, Dr. Rainer Bischof, who supported this book project and also provided the contact to Prof. Herwig Zens, to whom we also owe a heartfelt thanks for his spontaneous artistic participation. Several institutions were gracious enough to provide financial support. Without the tremendous effort and support of Frau Prok. Ulrike Dietmayer at Böhlau Verlag, the dependable and timely production of this book would not have been possible – for this, too, we would like to express our thanks. Martina Ackerl was helpful with the editing of the German texts.

Die Herausgeber / The Editors Wien, im Herbst 2010 / Vienna, Autumn 2010

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Constantin Floros

MAHLERS INTELLEKTUELLE NEUGIER

Von den meisten großen Komponisten des 19. Jahrhunderts lässt sich behaupten, dass sie sich für die geistigen Strömungen ihrer Zeit lebhaft interessierten. Was Robert Schumann von sich sagte, dass ihn nämlich alles affiziere, was in der Welt vorgehe, Politik, Literatur, Menschen, und dass er über alles nach seiner Weise nachdenke, was auch in seiner Musik Niederschlag fände, gilt fast für alle seine bedeutenden Kollegen, angefangen von Ludwig van Beethoven bis zu Arnold Schönberg. Schumann, Berlioz und Liszt verstanden sich als literarische Musiker. Richard Wagner war darüber hinaus auch Sozialutopist und Philosoph. In seinen späten Jahren träumte er von der Erneuerung der Menschheit durch die Kunst und trat entschieden für die Idee der Kunstreligion ein, wodurch er ungeheures Aufsehen erregte. Gustav Mahler bekannte sich zeitlebens zum Bayreuther Meister. Mit großem Engagement führte er seine Musikdramen auf, und nicht nur als Musiker, sondern auch als geistiger Mensch verdankte er ihm viel. Dennoch unterscheidet sich seine geistige Welt beträchtlich von der Wagners. Beiden gemeinsam ist freilich der Glaube an die Überwindung des Todes durch die Liebe. Im Zentrum des Mahlerschen Denkens standen religiöse, philosophische und vor allem existentielle Fragen. Man könnte sagen, dass er durstig nach Erkenntnis war. Noch während seiner letzten Tage auf dem Krankenbett – so berichtet seine Frau – las er Das Problem des Lebens von Eduard von Hartmann.1 Liest man einige seiner Briefe und die Gespräche, die er mit seinen engeren Freunden (Natalie Bauer-Lechner, Siegfried Lipiner und Bruno Walter) geführt hat, so wird deutlich, dass sein Hauptinteresse existenzphilosophischen Fragen galt: der Frage nach dem Sinn der Existenz, der Aporie des Todes, der Frage nach der Fortdauer der Existenz nach dem Tode. Erfreulicherweise teilte Bruno Walter einige der zentralen Fragen, die Mahler tief bewegten, mit. Sie lauteten: „Auf welchem dunklen Untergrunde ruht doch unser Leben … Von wo kommen wir? Wohin führt unser Weg? Habe ich wirklich, wie Schopenhauer meint, dies Leben gewollt, bevor ich noch gezeugt war?2 Warum glaube 1 2

Alma Mahler, Gustav Mahler. Erinnerungen und Briefe. 2. Aufl. Amsterdam 1949, S. 247. Diese Aussage bezieht sich offenbar auf Schopenhauers Metaphysik der Geschlechtsliebe, in: Die Welt als Wille und Vorstellung II, Viertes Buch, Kap. 44.

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Constantin Floros

ich frei zu sein und bin doch in meinen Charakter gezwängt wie in ein Gefängnis? Was ist der Zweck der Mühe und des Leides? Wie verstehe ich die Grausamkeit und Bosheit in der Schöpfung eines gütigen Gottes? Wird der Sinn des Lebens durch den Tod endlich enthüllt werden?“3 Wie Walter betont, habe die Frage nach dem Sinn der Existenz Mahler unablässig beschäftigt: „Das Wozu blieb die quälende Grundfrage seiner Seele. Aus ihr entsprangen die stärksten seelischen Impulse zu seinem Schaffen, jedes seiner Werke war ein neuer Versuch zu einer Antwort.“4 Mahlers intellektuelle Neugier, sein erkenntnistheoretisches Hauptinteresse zielte darauf, das Geheimnis des Lebens und des Todes zu ergründen. Der Tod war ein Thema, um das sich seine Gedanken oft kreisten. Er hatte das Sterben mehrerer seiner jüngeren Geschwister miterlebt, allem Anschein nach ging ihm der Selbstmord seines Bruders Otto im Jahre 1895 sehr nahe. Im Februar 1901 erlitt er in Wien einen heftigen Blutsturz, an dem er beinahe gestorben wäre. Etwas später erzählte er seiner Vertrauten Natalie Bauer-Lechner, wie der Tod ihm im Traume erschien. Gespräche über das Todesproblem waren ein beliebtes Thema seiner Unterredungen mit Siegfried Lipiner und Bruno Walter. Dabei hatte sich bei ihm der Glaube an die Unsterblichkeit festgesetzt. Er hoffte durch die Lektüre vieler Bücher Argumente für ihn zu finden und verlieh ihm durch die Schlussverse seiner „Auferstehungssymphonie“ künstlerischen Ausdruck im Sinne der Wagnerschen Idee der Kunstreligion. Die von ihm gedichteten Verse für das Finale dieser Symphonie gipfeln in der Aussage: „Sterben werd’ ich, um zu leben“ – eine Aussage, die einen Spruch aus dem ersten Korintherbrief (1. Kor. 15, 36) paraphrasiert. Wesentliche Anregungen für seinen Unsterblichkeitsglauben empfing Mahler von Goethes Lehre von der Entelechie, von Friedrich Nietzsches Lehre von der „ewigen Wiederkunft“ aus Also sprach Zarathustra (einem Buch, das er außerordentlich schätzte), aus buddhistischen Weisheitslehren und aus den philosophischen Schriften Gustav Theodor Fechners, des seinerzeit berühmten Begründers der Psychophysik und der „Ästhetik von unten“. In seiner frühesten Schrift, dem Büchlein vom Leben nach dem Tode, entwickelte Fechner seine zunächst fremdartig anmutende These über die drei Daseinsstufen des Menschen: „Der Mensch lebt auf der Erde nicht einmal, sondern dreimal.“5 Die erste, niedrige Lebensstufe liegt vor der Geburt und ist ein steter Schlaf. Die zweite Lebensstufe wird von erster Geburt und Tod begrenzt, während die dritte, 3 4 5

Bruno Walter, Gustav Mahler. Ein Porträt. Berlin und Frankfurt am Main 1957, S. 97. Ebenda. Gustav Theodor Fechner, Das Büchlein vom Leben nach dem Tode. 1. Aufl. 1836, 5. Aufl. Hamburg und Leipzig 1903.

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MAHLERS INTELLEKTUELLE NEUGIER

höchste Lebensstufe ein ewiges Wachen sei. Sie beginnt mit dem Tod, der nur „eine zweite Geburt zu einem freiern Sein“ ist. Mahlers Interesse an lebensphilosophischen Fragen war enorm. Bezeichnenderweise verfolgte er die vehemente Debatte, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zwischen den Materialisten und den Idealisten entbrannte, mit großer Aufmerksamkeit. Schriften wie Der Kreislauf des Lebens von Jacob Moleschott (1852) und Kraft und Stoff von Ludwig Büchner (1855) bedeuteten einen Affront gegen den Idealismus und die Religion und konnten nicht unwidersprochen bleiben. 1866 erschien erstmals die Geschichte des Materialismus von Friedrich Albert Lange, einem der bedeutendsten Vertreter des Neukantianismus, der den Materialismus als erkenntnistheoretisch simpel verwarf. Mahler, der entschieden Partei gegen den Materialismus ergriff, kannte das Buch von Lange, schrieb im Juni 1901 einen inhaltsreichen Brief an den BrahmsBiographen Max Kalbeck und fragte ihn: „Ich kann es nämlich nicht begreifen, dass Sie, einer Musiker-Poetenseele, nichts glauben = wissen. Was entzückt Sie denn, wenn Sie Musik empfinden? Was macht Sie leicht, frei? Ist die Welt weniger rätselhaft, wenn Sie sie aus Materie konstruieren – ist es eine Erklärung, wenn Sie sie als Spiel der mechanischen Kräfte erkennen? Was ist Kraft? Wer spielt? Sie glauben an die ,Erhaltung der Kraft’, an die Unzerstörbarkeit der Materie! Ist das nicht auch Unsterblichkeit?“6 Nach dem Dargelegten versteht man besser, warum Mahler den Haeckelschen Materialismus ablehnte und warum er sich für die Forschungen von Johannes Reinke interessierte. Ernst Haeckel, der umstrittenste Biologe des ausgehenden 19. Jahrhunderts, lehnte die Annahme eines das Weltgeschehen lenkenden Gottes ab und erblickte in dem „Monismus“, der materialistisch-energetischen Alleinheitslehre, die neue Religion und Ethik. Die Naturphilosophie seiner Widersachers Johannes Reinke ließ sich dagegen mit der religiösen Weltanschauung gut vereinbaren. Reinke erklärte nämlich biologische Erscheinungen durch die Annahme intelligenter Kräfte, die in den Organismen die physikalisch-chemischen Kräfte regieren. Mahler stammte bekanntlich aus einer jüdischen Familie, konvertierte aber am 23. Februar 1897 in Hamburg zum Katholizismus. Die Konversion war eine unabdingbare Voraussetzung für seine Berufung als Hofopernkapellmeister nach Wien. Deshalb unterstellte man ihm ausschließlich opportunistische Motive – man muss sagen zu unrecht, weil christologische Fragen ihn schon lange davor faszinierten. Seine Religiosität trug freilich ausgesprochen persönliche Züge und vereinigte christliches Gedankengut mit neuzeitlichen Reflexionen.

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Gustav Mahler, Briefe. Neuausgabe, erweitert und revidiert von Herta Blaukopf. Wien–Hamburg 1982, S. 261.

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Constantin Floros

Aus seiner tiefen Religiosität erwuchsen ethische Postulate, die untrennbar zu seinem Denken gehörten. Seine Frau Alma meinte, er habe die Dostojewski-Frage an das Leben musiziert: „Wie kann ich denn glücklich sein, wenn irgendwo ein anderes Geschöpf noch leidet?“ – einen Ausspruch aus den Brüder Karamasow, den er über alles liebte.7 Natalie Bauer-Lechner zufolge ging ihm das Leiden aller und überall zu Herzen. Ähnliches berichtet auch Bruno Walter. Von ihm erfahren wir, dass die Fragen nach Gott und nach dem Warum des unsäglichen Leides in der ganzen Schöpfung seine Seele umdüsterten: „Zu furchtbar ging ihm das Leid der Kreatur zu Herzen; der Mord in der Tierwelt, das Böse, das die Menschen sich gegenseitig zufügen, die Anfälligkeit des Körpers für Krankheiten, die ständigen Drohungen des Schicksals – all das erschütterte immer wieder die Sicherheit seines Glaubens, und immer bewusster wurde das Problem seines Lebens, wie das Weltleid und das Weltböse mit der göttlichen Güte und Allmacht zu vereinigen seien.“8 Die Theodizee war also ein Problem, über das er viel nachgrübelte. Einen wichtigen Platz in Mahlers Denken nahmen die kunsttheoretischen Grundsätze Johann Wolfgang von Goethes ein. Mahlers Glaube an das Erlebnis als die unentbehrliche Voraussatzung des künstlerischen Schaffens, seine Auffassung der Kunst als Antizipation des Schicksals und seine Überzeugung, wonach das Geistige das Primäre und das Materielle das Sekundäre sei, gehen letzten Endes auf Goethe zurück. Übrigens: Mahlers Bekenntnis, er habe noch nie eine Note geschrieben, die nicht absolut wahr sei, schlägt eine Brücke zu Schönbergs Aperçu „Die Musik soll nicht schmücken, sie soll wahr sein“ und unterstreicht den autobiographischen Hintergrund vieler seiner Werke. Wichtig für ein tieferes Verständnis Mahlers ist, dass er die philosophischen, religiösen und existentiellen Fragen, die ihn beschäftigten, in seinem symphonischen Oeuvre thematisierte.9 Sein Diktum, es gebe seit Beethoven keine Musik ohne „inneres“ Programm, bedeutet nicht zuletzt, dass die Sujets seiner Werke – im Gegensatz zu vielen seines Antipoden Richard Strauss – nicht der Weltliteratur entlehnt worden seien, sondern aus Erlebtem schöpfen. Sein Liedschaffen und seine Symphonik dürfen deshalb nicht als „Musik an sich“ aufgefasst werden, vielmehr spiegeln sie Züge seiner Persönlichkeit und seiner geistigen Welt wieder: Biographisches, Literarisches, Weltanschauliches und Religiöses. Die Autoren des vorliegenden Bandes haben sich – einen weiten Bogen spannend – zur Aufgabe gemacht, wichtige Aspekte seiner vielgestaltigen geistigen Welt zu erhellen. 7 8

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Alma Mahler, Anm. 1, S. XVII. Bruno Walter, Mahlers Weg. Ein Erinnerungsblatt, in: Der Merker, III. Jg. H. 5 (März 1912) S. 169 ff.; ders., Thema und Variationen. Erinnerungen und Gedanken. Frankfurt am Main 1960, S. 99. Vgl. dazu die dreibändige Mahler-Trilogie des Verfassers. Wiesbaden 1977–1985.

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Christian Glanz

GUSTAV MAHLERS POLITISCHES UMFELD

Es darf als Binsenweisheit gelten, dass auch der Kunst gewidmete Lebensläufe in freilich sehr unterschiedlicher Intensität von den jeweils bestimmenden politischen Rahmenbedingungen beeinflusst werden. Gustav Mahlers Leben stellt hier natürlich keine Ausnahme dar. Wie auch in zahlreichen vergleichbaren Fällen hat die wissenschaftliche und belletristische Biographik diese Zusammenhänge in höchst unterschiedlicher Weise thematisiert, das Spektrum reicht dabei vom Bild des „unpolitischen“ Künstlers bis hin zu versuchten Vereinnahmungen von Person und Werk im politischen oder ideologischen Kontext. Keines dieser Extreme soll hier fortgesetzt werden. Vielmehr wird der bescheidene Versuch unternommen, die sehr unterschiedlichen Erscheinungsformen des „Politischen“ zu skizzieren, mit denen Mahler im Lauf seines Lebens konfrontiert war. „Politik“ ist dabei aber ein eigentlich immer recht unbestimmtes Spektrum. Manche meinen damit „Weltanschauung“ im philosophischen Sinn, andere wollen den Begriff auf die alltägliche Praxis („Tagespolitik“) eingeengt sehen. Schließlich erscheint in diesem Kontext, vor allem aus heutiger Perspektive, auch die Frage von zentralem Interesse, wie sich im weitesten Sinn politische Ideologien und Ideologeme formierten und auswirkten. Gerade der hier zu behandelnde Zeitraum bietet auch aus dieser Sicht umfangreiche Befunde, die in ihrer Relevanz jedoch den Zeitraum weit übersteigen und zumindest teilweise bis heute eine manchmal beklemmende Aktualität haben. Der Zeitraum zwischen 1860 und 1911 beinhaltet aus politischer Perspektive eine Fülle von Entwicklungen und Tendenzen, die sich vor allem aus heutiger österreichischer Perspektive einerseits als „Endphase“, andererseits aber als „Vorschein“ des Kommenden lesen lassen. Im Hinblick auf eine Biographie, die mit Ausnahme der letzten vier Jahre schwerpunktmäßig eindeutig im mitteleuropäischen Kontext steht, bezieht sich diese „Endphase“ natürlich auf die letzten Jahrzehnte der europäischen „Vorkriegsordnung“, die so gut wie überall von Krisen auf unterschiedlichsten gesellschaftlichen und kulturellen Ebenen gekennzeichnet war. Diese Krisen wurden auch entsprechend intensiv diskutiert und befanden sich daher im Bewusstsein zumindest jener Gesellschaftsschichten, die sich den Luxus einer derartigen Diskussion leisten konnten. 1860, Mahlers Geburtsjahr, kann zwar in der allgemeinen Geschichte nicht

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das Gewicht eines „Epochenjahres“ beanspruchen, leitet jedoch – speziell im österreichischen Kontext – eine Phase ein, in der sich das Tempo der gesellschaftlichen Differenzierung deutlich erhöht. Das Ende unseres Bezugszeitraums ist weitaus dramatischer: Drei Jahre nach Mahlers Tod begann der Weltkrieg, in dessen Folge die erwähnte Ordnung obsolet wurde. Zunächst der Versuch eines Blickes aus der historischen „Vogelperspektive“. Im weltgeschichtlichen Zusammenhang sind die Jahrzehnte unseres Beobachtungszeitraums von Tendenzen gekennzeichnet, die einerseits als Fortschreibung bestehender Machtstrukturen gelten können, andererseits das Erscheinen „neuer Mitwirkender“ auf der weltpolitischen Bühne bringen. Ersteres meint die Fortsetzung der imperialistischen Großmachtpolitik, maßgeblich verantwortet von den europäischen Kolonialmächten.1 Diese Politik konsolidierte einerseits die großteils außereuropäischen kolonialen Besitzstände und ermöglichte so eine Fortführung der ökonomischen Entwicklung der Kolonialmächte auf Kosten der kolonisierten Regionen, andererseits führte sie auch zu Konfrontationen zwischen den Kolonialmächten, die wiederholt nur knapp am Krieg vorbeischrammen (zum Beispiel die 1898 eskalierende „Faschoda-Krise“ zwischen Großbritannien und Frankreich um ihre konkurrierenden Interessen im Nordsudan), überhaupt zu kriegsähnlichen Zuständen oder zu den später so häufigen „Stellvertreterkriegen“. Der Blick auf die traditionellen europäischen Kolonialmächte, zu denen nach 1871 das Deutsche Reich und das geeinte Italien verbissen aufzuschließen suchen, sollte nicht die diesbezüglichen Bemühungen des zaristischen Russland – im Beobachtungszeitraum erfolgt eine konsequente Expansion in den zentralasiatischen Raum – unbeachtet lassen. Und auch die Habsburgermonarchie spielte eine nicht unbeträchtliche Rolle in diesem Kontext, wenngleich nicht auf der Weltbühne, sondern in Gestalt einer harten Interessenspolitik in Südosteuropa, die – ganz nach dem üblichen kolonialistischen Legitimationsmodell – als „kulturelle Mission“ definiert wurde. Neue Mitwirkende erscheinen zunächst von der europäischen Öffentlichkeit noch weitgehend unbemerkt. Das gilt ganz besonders für die USA, die nach Beendigung des mit großer Brutalität ausgetragenen Bürgerkriegs (1861–1865) rasch die Inbesitznahme des Westens abschließen und sich in der Folge einer zunehmend selbstbewussten Außenpolitik verschreiben, deren Interessen zunächst vor allem im zentralamerikanischen und karibischen Raum liegen: erfolgreiche „antikolonialistische“ Einmischung gegen Spanien auf Seiten Kubas 1898 mit sofortiger Etablierung einer de facto Hegemonie über die Insel ab 1902, Abtrennung des nachmaligen Panama von Kolumbien mit Blick auf den 1

Eric J. Hobsbawm, Das imperiale Zeitalter 1875–1914. Frankfurt am Main 2004; Gregor Schöllgen, Das Zeitalter des Imperialismus. München 2000; Wolfgang J. Mommsen, Das Zeitalter des Imperialismus. (=Weltbild Weltgeschichte 28). Augsburg 2000.

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Kanalbau.2 Es folgt die Entwicklung einer „panamerikanischen“ Politik unter ökonomischer Ägide der USA. Die im Verlauf des 19. Jahrhunderts vom „alten“ europäischen Kolonialismus (Spanien, Portugal) großteils aus Eigeninitiative befreiten Länder Mittelund Südamerikas geraten dabei sukzessive in die Rolle von US-„Finanzprotektoraten“, einer wie sich zeigen sollte enorm zukunftsträchtigen Variante des Kolonialismus. Als ein nach wenigen Jahren gescheitertes spätes Symbol der „alten“ Kolonialinszenierung darf in diesem Zusammenhang übrigens der Einsetzung des österreichischen Erzherzogs Maximilian als Kaiser von Mexiko durch Großbritannien, Spanien und Frankreich gedacht werden (1863, Hinrichtung Maximilians 1867). Weltpolitisch bedeutender war die schon vor Beginn des Bürgerkriegs begonnene Orientierung in den pazifischen Raum und somit nach Ostasien: bereits 1854 erzwingen die USA (im gemeinsamen Interesse mit den europäischen Kolonialmächten) die Öffnung der japanischen Häfen, in der Folge etabliert man sich vor allem ökonomisch, machtpolitische Opfer der USInteressen im Pazifik werden unter anderem Hawaii und die Philippinen (1898). Freilich war damit auch der Grundstein für die japanische Expansionspolitik gelegt, die sich zunächst gegen China wandte und 1904 mit den russischen Ostasienplänen auch militärisch kollidierte. Aus heutiger Sicht ist zu betonen, dass diese weltpolitischen Tendenzen gerade in unserem Beobachtungszeitraum aber auch schon erste, zum Teil beträchtliche Widerstände von Seiten jener fanden, die eigentlich als Interessensobjekte und Schauplatz jener Politik vorgesehen waren. Beispiele hiefür sind zahlreiche antikolonialistische Aufstände, etwa der erfolgreiche Abessiniens gegen Italien (1896), der Hottentotten in „DeutschSüdwestafrika“ (1897 zunächst niedergeworfen), des Geheimbunds der „Boxer“ in China (1900 von einer europäischen Allianz niedergeworfen), aber auch verstärkte Selbstbestimmungstendenzen bei beherrschten Völkern in Europa, beispielsweise die irischen oder katalanischen Unabhängigkeitsbestrebungen. Womit wir in Europa wären. Der Zeitraum von Mahlers Leben ist unter dem bisher verfolgten machtpolitischen Blickwinkel von wesentlichen Veränderungen in der Balance der bestimmenden Mächte gekennzeichnet: Im Krimkrieg (1853–1856) hatte eine europäisch-osmanische Allianz die russischen Interessen im europäischen Raum vorerst eingegrenzt, was die erwähnte Orientierung nach Zentralasien wesentlich mitbedingte. Preussen, das sich im Kampf um die bestimmende Rolle im deutschen Raum 1866 (Schlacht bei Königgrätz) gegen Österreich durchgesetzt hatte, übernahm erfolgreich die Rolle im Prozess der deutschen Einigung (1871 Gründung des Deutschen Reiches nach dem Sieg im deutsch-französischen Krieg) und auch die zur 2

Howard Zinn, Eine Geschichte des amerikanischen Volkes. Berlin 2007, S. 149 ff.; Philip S. Foner, The Spanish-Cuban-American War and the Birth of American Imperialism 1895–1900. New York–London 1972.

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gleichen Zeit abgeschlossene Einigung Italiens unter der Führung Piemonts ging vorrangig zulasten der Habsburgermonarchie, die sich ihrerseits verstärkt der Südosteuropapolitik zuwandte (1878 Okkupation und 1908 Annexion Bosniens und der Herzegowina), hierbei zunächst mit den jungen nationalstaatlichen Bestrebungen auf dem Balkan, weiters mit nach wie vor bestehenden Ambitionen des reformbedürftigen osmanischen Reichs kollidierte und drittens der ohnehin schon beträchtlichen innenpolitischen Problemlage – die uns in anderem Kontext noch beschäftigen wird – zu weiterer Komplexität verhalf. Die Jahrzehnte bis zum Ausbruch des Weltkriegs sind in der Folge von Versuchen gekennzeichnet, das zunehmend fragiler werdende System durch Allianzen und (zum Teil geheime) Zusatz- und Rückversicherungen aufrecht zu erhalten. Das Panorama aus der Vogelperspektive wäre unvollständig, würde man ausschließlich das „Spiel der Mächte“ skizzieren und nicht auf die sich auffällig häufenden Zeichen von politischem Widerstand „von unten“, also innerhalb der Systeme hinweisen. In unterschiedlichen Zusammenhängen kommt es im Beobachtungszeitraum zu oft nachdrücklichen und breitenwirksamen Protesten, Aufständen, Streiks und Unruhen, die sich im Großen und Ganzen als Widerstand derer lesen lassen, auf deren Ausbeutung die Wirtschaft der europäisch bestimmten „Vorkriegsordnung“ und des raschen Aufstiegs der USA aufgebaut waren. Selten waren diese Sozialrevolten umsichtig geplant, von einer klaren Ideologie geleitet oder effektvoll inszeniert, noch seltener fanden sie auch eine ihrer Bedeutung gemäße Dokumentation, was ihr weitgehendes Fehlen in der allgemeinen Geschichtsliteratur aber nur teilweise erklärt. Es seien hier wenigstens exemplarisch genannt: die New Yorker Revolte der frühen 1860er Jahre gegen die Zwangsrekrutierung der Unterschicht für den Bürgerkrieg, besonders getragen von den irischen Immigranten, militärisch niedergeworfen; die Pariser Kommune (März bis Mai 1871) mit dem Versuch einer Selbstverwaltung nach sozialistischen, kommunistischen und linksbürgerlichen Prinzipien, ebenfalls militärisch niedergeworfen; die Wiener „Hungerrevolten“ vom Oktober 1910 und September 1911 mit hunderttausenden Teilnehmern und Schusswaffengebrauch seitens der Polizei und von Provokateuren. Der „Petersburger Blutsonntag“ (22. Jänner 1905) läutete schließlich eine umfassende und monatelang andauernde revolutionäre Bewegung im Zarenreich ein, die jedoch noch militärisch niedergeschlagen werden konnte. Zum Großteil von Anarchisten ausgeführte Attentate sorgten im Beobachtungszeitraum überdies laufend für Schlagzeilen, zu den prominentesten Opfern gehören der russische Zar Alexander II. (1881), die österreichische Kaiserin Elisabeth (1898), König Umberto I. von Italien (1900), US-Präsident William McKinley (1901) und der griechische König Georg I. (1913).

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Aus der „historischen Vogelperspektive“ ergibt sich somit bereits ein äußerst dynamisches Bild, das dem interessierten Zeitgenossen schon einmal ganz allgemein die Vorstellung einer dramatischen, auch unübersichtlichen und widersprüchlichen Szenerie vermittelt haben mag. Speziell die in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts immer öfter beschworene Kriegsgefahr stellt dabei einen Aspekt dar, der (natürlich nachträglich) interpretierend wiederholt auf Musik von Gustav Mahler angewendet worden ist. Speziell untersucht wurde dies im Hinblick auf die zeitgenössische Interpretation der Sechsten Symphonie.3 Ein sukzessives „Heranzoomen“ an Mahlers Lebensumfeld muss diesen Befund der Widersprüchlichkeit, Unübersichtlichkeit und Dramatik naturgemäß nachhaltig verstärken. Wir wollen hierbei nicht ausschließlich chronologisch vorgehen und versuchen, die maßgeblichen politischen Rahmenbedingungen und Umstände nun genauer zu skizzieren. Dabei bieten sich zwei besonders relevante Ebenen des Politischen an: einerseits die politische Geschichte im engeren Sinn, also die wesentlichen Entwicklungen vorrangig in der österreichischen politischen Geschichte während der Zeit Mahlers, andererseits das davon nicht zu trennende, jedoch auch nicht nur als „politisches“ Thema abzuhandelnde Phänomen des Antisemitismus. Während der ersten Lebensjahre Gustav Mahlers vollzieht sich in der österreichischen politischen Landschaft eine wesentliche und folgenreiche Veränderung. Mitbedingt durch militärische Niederlagen vor allem in Oberitalien war die auf die Revolution von 1848/49 folgende Phase des „Neoabsolutismus“ mit dem Versuch der Reinstallierung vorrevolutionärer Herrschaftsstrukturen endgültig nicht mehr aufrecht zu erhalten.4 Die 1860er Jahre waren in der Folge geprägt von Diskussionen und Kämpfen um eine Verfassung. Beschleunigt durch die Niederlage gegen Preussen 1866 und das damit verbundene Ausscheiden aus dem Spiel um die Dominanz im deutschen Raum steht der sogenannte „Ausgleich“ mit Ungarn 1867 am vorläufigen Ende dieser Entwicklung womit „de facto zwei selbständige Staaten innerhalb der Monarchie konstituiert“5 wur3

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Stefan Hanheide, Mahlers Visionen vom Untergang. Interpretationen der Sechsten Symphonie und der Soldatenlieder. Osnabrück 2004. Grundsätzliche Informationen u. a. bei Erich Zöllner, Geschichte Österreichs. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Wien 7/1984, S. 404 ff.; Robert A. Kann, Geschichte des Habsburgerreiches 1526 bis 1918. Wien– Köln 1990, S. 291 ff.; Friedrich Heer, Der Kampf um die österreichische Identität. Wien–Köln–Graz 1981, S. 211 ff. Wolfgang Maderthaner, Politik als Kunst: Victor Adler, die Wiener Moderne und das Konzept einer poetischen Politik, in: Die Wiener Jahrhundertwende. Einflüsse, Umwelt, Wirkungen. Hrsg. Jürgen Nautz und Richard Vahrenkamp. Wien–Köln–Graz 1993, S. 759–776.

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den. Bekanntlich führte die weitere Entwicklung außenpolitisch bald zu einem festen Bündnis mit dem neu entstandenen Deutschen Reich, innenpolitisch blieb jedoch das Verhältnis insofern eine offene Agenda, als sich ein beträchtlicher Teil der deutschsprachigen Österreicher konsequent für einen Anschluss an das Deutsche Reich und somit implizit gegen die österreichisch-ungarische Staatsidentität, die „schwarzgelbe“ offizielle Staatsidee – wendete. Dies stellte im Kontext mit der multinationalen Verfasstheit der Monarchie – wesentliche Teile der Reichsbevölkerung hatten ihr ethnisches Zentrum ja außerhalb der Grenzen der Donaumonarchie – ein grundsätzliches und letztlich auch nicht annähernd befriedigend gelöstes Problem dar.6 Schon an dieser Stelle wird der allgemeine historische Befund direkt auf Mahlers Biographie anwendbar: seine „mehrfache Marginalisierung“ – als Jude in Böhmen geboren, Adoleszenz in einer deutschen „Sprachinsel“ im mährischen Umfeld, frühe Orientierung am Vorbild der deutschen Kultur – ist ja seit langem fester Bestandteil der Literatur und findet meiner Ansicht nach zu Recht auch stets nachdrückliche Betonung7 bis hin zur grundlegenden Leitkategorie für die Darstellung der Spezifika von Leben und Werk.8 Wichtige Stationen seines beruflichen Werdegangs – Laibach, Olmütz, Prag, Budapest – sind naturgemäß auch primäre „Schauplätze“ der Probleme und Kämpfe, die aus dieser multinationalen Struktur des Staates resultierten. Die Veränderungen der 1860er Jahre manifestierten sich aber auch noch in einer anderen Weise, nämlich im Beginn dessen, was man heute die „Phase der liberalen Hegemonie“ nennen könnte. Sichtbarstes Ergebnis der liberalen kulturellen Vormachtstellung, die sich in erster Linie in den städtischen Räumen und dabei natürlich besonders in der mit enormem Tempo anwachsenden Reichshauptstadt Wien in den 1860er Jahren etablieren konnte, ist die Entstehung der Ringstraße als „kulturelles Programm“ eines nun selbstbewusst auftretenden finanzstarken Unternehmertums, das sich nicht damit zufrieden geben will, die ökonomischen Marksteine zu setzen (weitere Industrialisierung, Kapitalbeschaffung über die Börse), sondern auch das Erscheinungsbild der Gesellschaft und des öffentlichen Raums maßgeblich bestimmen will.9 Der erste Boom der „Gründerzeit“ erfuhr ja in der Börsenkrise von 1873 bereits eine heftige Zäsur, die 6

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Alfred Opitz, Zeitenwende im Donauraum. Von der Doppelmonarchie zu den Nachfolgestaaten. Graz–Wien– Köln 1983. Carl E. Schorske, Eine österreichische Identität: Gustav Mahler. (= Wiener Vorlesungen im Rathaus 51). Wien 1996. Beispielsweise bei Henry A. Lea, Gustav Mahler. Man on the Margin. Bonn 1985. Karlheinz Rossbacher, Literatur und Liberalismus. Zur Kultur der Ringstraßenzeit in Wien. Wien 1992; Marianne Bernhard, Zeitenwende im Kaiserreich. Die Wiener Ringstraße. Architektur und Gesellschaft 1858– 1906. Regensburg 1992; Heribert Hutter, Versteinerte Weltgeschichte. Die Wiener Ringstraße als Ideologie, in: Das größere Österreich. Geistiges und soziales Leben von 1880 bis zur Gegenwart. Hrsg. Kristian Sotriffer. Wien 1982, S. 32–37.

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darauf folgende Börsenflaute dauerte bis Mitte der neunziger Jahre. Dann allerdings folgte eine „zweite Gründerzeit“, diesmal stark von Banken und hereindrängendem deutschen Kapital geprägt.10 Der Liberalismus proklamierte zum Teil in die bürgerliche Revolution von 1848 zurückreichende Werte wie die Freiheit des Individuums, vor allem die Bedeutung von Bildung und Wohlstand. Der wirtschaftlichen Hegemonie konnte man längerfristig aber keine breiter wirksame politische Hegemonie an die Seite stellen, auch in Wien nicht, wo die Ära der politischen Dominanz des Liberalismus schon Ende der 1870er Jahre Krisensymptome zeigte, im Laufe der achtziger Jahre zunehmend demontiert wurde und spätestens in den 1890er Jahren zu Ende ging. Das Hauptproblem des politischen Liberalismus war seine Unfähigkeit, die vergleichsweise sehr schmale Schicht derer zu transzendieren, die ökonomisch von ihm profitieren konnten.11 Schon der Börsenkrach von 1873 hatte umfassende Verunsicherungstendenzen großer Bevölkerungsteile zur Folge, besonders in den unteren bürgerlichen Schichten und bei den Handwerkern. Die bereits zu diesem Zeitpunkt feststellbare Kluft zwischen dem liberalen Großbürgertum und dem zunehmend von Existenzängsten bedrängten Kleinbürgertum sollte sich in der Folge konsequent verschärfen und den Boden bereiten für die Entstehung einer neuartigen Form von politischer Massenmobilisierung. Die „unteren Mittelschichten“ wurden dabei zum bevorzugten und entscheidenden Diskursfeld „einer neuen, populistisch orientierten Politik“, kulminierend im Erfolg der „christlich-sozialen“ Partei Karl Luegers, der ja – wie viele andere Exponenten durchaus sehr unterschiedlicher politischer Richtungen – seine erste politische Sozialisation in der Phase der liberalen Hegemonie erlebt hatte. Antisemitismus war dabei von Beginn an nicht nur eine Zutat, sondern ein durchgehaltener Hauptbestandteil, jahrelang sogar für die Parteiinteressen des Kleinbürgertums sogar de facto namensgebend.12 Auch der politische Kontext der kurzzeitigen liberalen Hegemonie kann auf biographische Umstände Mahlers angewendet werden, und das mehrfach: Iglau war zwar natürlich nicht Wien, auch nicht Prag, wo beispielsweise Victor Adlers Vater die neuen Chancen vor seiner Übersiedlung nach Wien zu nutzen begonnen hatte; dennoch hat der Unternehmer Bernhard Mahler in dem für ihn möglichen Rahmen geschäftlich durchaus von der deutlich freieren Szenerie profitiert, die sich nun auch in den Städten 10 11

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Maderthaner, Anm. 5, S. 760. Wolfgang Maderthaner und Lutz Musner, Die Logik der Transgression: Masse, Kultur und Politik im Wiener Fin-de-Siècle, in: Metropole Wien. Texturen der Moderne. Hrsg. Roman Horak, Wolfgang Maderthaner, Siegfried Mattl u. a.. Bd. 1. Wien 2000, S. 97–168. Ebenda S. 136 ff.; John W. Boyer: Karl Lueger (1844–1910). Christlichsoziale Politik als Beruf. Eine Biographie. Wien–Köln–Weimar 2010; ders., Culture and Political Crisis in Vienna. Christian Socialism in Power, 1897–1918. Chicago–London 1995.

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der „Provinz“ eröffnete. Gerade vor dem Hintergrund dieser Szenerie ist auch der deutlich verstärkte, über die eigentliche liberale Dominanz hinaus anhaltende Zuzug speziell aus den östlichen Teilen der Monarchie nach Wien in jenen Jahren zu sehen. Wirtschaftliche Chancen, die Hoffnung auf bürgerliche Freiheiten und das Faszinosum Bildung führten beispielsweise auch die Familie David Josef Bachs damals aus Lemberg in die Hauptstadt. Die Vorstellung der Möglichkeit eines erfolgreichen Weges musste dabei nicht auf das Ökonomischen beschränkt bleiben: Exemplarische Fälle gelungener Etablierung im Kunstleben der Metropole, wie etwa der des aus vergleichbar marginalisierten Milieu stammenden Carl Goldmark, belegen dies bereits in den 1860er Jahren. Die politische Krise des Wiener Liberalismus wurde dann auch nicht zufällig besonders unter jenen zum Thema gemacht, die mit den erwähnten liberalen Idealen eigentlich viel hätten anfangen wollen. Besonders unter der gymnasial gebildeten Jugend (das allgemein bildende Gymnasium war ein nachhaltiger praktischer Erfolg liberaler Ambitionen), deren Familien unter der liberalen Hegemonie unterschiedliche Grade an Etablierung erreicht hatten, bildeten sich informelle kritische Gesprächs- und Diskussionszirkel mit breiter Interessenlage, beispielsweise um den Unternehmerssohn Victor Adler und den Schneiderssohn Engelbert Pernerstorfer schon während ihrer gemeinsamen Schulzeit am Schottengymnasium. Pernerstorfer verfügte auch bereits über Verbindungen zur frühen, noch lange nicht als Partei organisierten Wiener Arbeiterbewegung (konkret zum Gumpendorfer Arbeiter-Bildungsverein). Verfestigung erfuhren diese Ambitionen einerseits in reformorientierten studentischen Kreisen (zum Beispiel in Gestalt der „Progress-Studentenverbindung“ Arminia), andererseits im „Leseverein der deutschen Studenten“, „intellektuelles Zentrum der rebellierenden deutschnationalen Jugend“.13 Zentrale Anliegen dieser Diskussionskreise waren Fragen der bürgerlichen Freiheit und der sozialen Gerechtigkeit, nach dem Börsenkrach von 1873 und parallel zur fortschreitenden politischen Demontage des Liberalismus aber auch vermehrt ästhetische und lebensformspezifische Aspekte. Dabei stellte die Schopenhauer-, Wagner- und Nietzscherezeption ein früh präsentes und durchgehendes Motiv dar.14 Dies galt bereits für die Zusammenkünfte des Adler’schen Kreises während der 1870er Jahre im „Adlerhorst“ genannten Elternhaus und setzte sich mit der Übersiedlung des Arztes Dr. Adler in die Berggasse 19 (1881) noch weiter fort. Obwohl sich der Kreis um Adler (dem neben Pernerstorfer unter anderen Heinrich Friedjung, 13 14

Maderthaner, Anm. 5, S. 763 ff. Ebenda S. 765; vgl. auch Anna Maria Christiane Casapicola, Netzwerk „Pernerstorfer Kreis“, in: Nachrichten zur Mahler-Forschung 54, Herbst 2006, S. 1–17; Jens Malte Fischer: Ahnung und Aufbruch. Der junge Gustav Mahler und das Wien um 1870, in: Neue Zürcher Zeitung, 2./3. Juni 2001, S. 79 f.

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die Brüder Braun, später Hermann Bahr, Hugo Wolf, Siegfried Lipiner und – Gustav Mahler angehörten) auch mit sozialistischer Literatur auseinandersetzte, ist keinesfalls eine „linke“ oder gar „marxistische“ Tendenz als grundlegend auszumachen. Vielmehr ging der Zirkel in einem umfassenden Verständnis von deutschnationaler Orientierung aus. Nur am Rande kann hier erwähnt werden, dass Victor Adler ja noch 1882 den sozialpolitischen Abschnitt des deutschnationalen „Linzer Programms“ Georg von Schönerers verfasst hatte.15 Inhaltliche Ergänzung und zeitliche Parallele fanden diese Ambitionen in dem vor allem im Café Griensteidl beheimateten Zirkel um Engelbert Pernerstorfer, dem zusätzlich zu den bereits Genannten unter anderen Richard von Kralik angehörte. Auch Engelbert Pernerstorfer war wie Victor Adler deutschnational engagiert, wirkte in diesem Zusammenhang bis 1883 als Obmann des „Deutschnationalen Vereins“ und gab das deutschnationale Peridicum „Deutsche Worte“ heraus. Erst mit der Wende Schönerers zum rassisch argumentierenden Antisemitismus kam – wie für Adler – auch für Pernerstorfer der Anlass, mit der praktizierten deutschnationalen Politik zu brechen.16 Nach Absolvierung einiger Umwege wurden Adler und Pernerstorfer bekanntlich in der Folge zu prägenden Leitgestalten der Sozialdemokratie. Dabei ist jedoch speziell bei Pernerstorfer, der seit 1885 zunächst als Parteiloser im Reichsrat aktive Politik machte und erst 1896 der sozialdemokratischen Partei formell beitrat, nach wie vor eine starke deutschnationale Orientierung feststellbar, auch in der wiederholten Auseinandersetzung mit der Parteigründungs- und Vaterfigur Adler, etwa um die Frage des Umgangs mit der „slawischen Frage“.17 Der erwähnte Aspekt der Lebensform tritt in erster Linie als stark von den in Religion und Kunst postulierten Überlegungen Richard Wagners beeinflusste Forcierung der vegetarischen Ernährung zutage, bekanntlich auch für den jungen Mahler einige Zeit (zumindest bis Anfang 1883) von großer Bedeutung. Dieser „dritte“ Kreis, deutlich von Mitgliedern des „Wiener Akademischen Richard Wagner-Vereins“ dominiert und von seinem Mitglied Friedrich Eckstein eindrücklich beschrieben, versammelte sich 1879/80 bevorzugt in Ramharters 1877 eröffnetem „Vegetarischem Restaurant“ in der Wallnerstraße.18 Freilich wäre es eine Verkürzung, würde man nicht auch für diesen Kreis die erwähnte politische Interessenslage annehmen. Adler- und Pernerstorferkreis, auch der Vegetarierkreis im „Ramharter“ sehen Gustav Mahler somit als Bestandteil eines zwar grundsätzlich wohl „weltanschaulich“ 15 16 17 18

Maderthaner, Anm. 5, S. 771. Ebenda S. 766. Ebenda. Helmut Brenner und Reinhold Kubik, Mahlers Wien – Eine Spurensuche, in: „… leider bleibe ich ein eingefleischter Wiener“. Gustav Mahler und Wien. Hrsg. Reinhold Kubik und Thomas Trabitsch. Wien 2010, S. 48. Hier auch ausführliche Informationen zu den übrigen Orten mit Mahlerrelevanz in Wien.

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motivierten, in wesentlichen Aspekten aber zumindest auch mit einer klaren Tangente zur „tatsächlichen Politik“ ausgestatteten, sehr spezifischen sozialen Ortes. Angesichts der in viele Bereiche weisenden Kompetenz der Beteiligten – vom Historiker Friedjung über die Schriftsteller Bahr und Kralik zu den in unterschiedlichem Ausmaß politisch Aktiven – ist es schwer vorstellbar, dass diese doch über mehrere Jahre erstreckende Sozialisierung bei Mahler keine bleibenden Spuren hinterlasssen haben soll, von den aufrecht erhaltenen persönlichen Kontakten einmal ganz abgesehen (die Wahl des Ferienortes Steinbach am Attersee erfolgte ja beispielsweise auch deswegen, weil ganz in der Nähe die Familien Adler und Pernerstorfer urlaubten). Freilich bleibt es im Einzelfall sinnvoll und auch notwendig, diesbezügliche Vermutungen, wie sie sich etwa im Hinblick auf gedankliche Hintergründe von Werken Mahlers im Zusammenhang mit seiner Nietzsche-Rezeption geäußert finden und sich möglicherweise auch aufdrängen, nicht eindimensional auf diese Erfahrungen zu beziehen. Die Mitglieder dieser Kreise, deren Anfänge wie erwähnt in der vielfältigen intellektuellen Reaktion auf Idee und Praxis des Liberalismus liegen, haben in der Folge zwar sehr unterschiedliche Wege eingeschlagen, in Politik und Kunst haben sie jedoch das Panorama der österreichischen Kultur des frühen 20. Jahrhunderts ganz entscheidend mitgestaltet. In diesem Zusammenhang lohnt sich – weil zumindest für die Mahler-Rezeption sehr bedeutend – auch ein noch etwas näherer Blick auf Victor Adlers Politikverständnis und seine politische Praxis. Nach der erfolgreich verlaufenen Bemühung um Einigung der zuvor in langwierige Fraktionskämpfe zersplitterten Partei (1888/89) avancierte Adler ja bekanntlich rasch zur unumstrittenen Führer- und Vaterfigur der Bewegung, eine Symbolik, die nach seinem Tod 1918 eher noch stärker werden sollte. Dabei fällt aus historischem Blickwinkel unter anderem Adlers demonstrative Distanz zur politischen Theorie, also zum theoretischen Schrifttum des Marxismus auf (das sogenannte „Theoriedefizit“ der österreichischen Sozialdemokratie).19 Als „politischer Empiriker“ (Maderthaner) geht es Adler nicht primär um folgerichtige Umsetzung einer politischen Theorie, sondern um die Erreichung konkreter Ziele, unter denen wiederum kulturelle Ziele eine maßgebliche Rolle spielen. Die politische Praxis besonders der Wiener Sozialdemokratie ist daher früh von „kulturellen Netzwerken“ bestimmt, die den Versuch belegen, nicht nur „Politik“, sondern auch Lebensform zum Thema zu machen („Naturfreunde“, Anti-Alkohol-Kampagnen, Bildungseinrichtungen).20

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Maderthaner, Anm. 5, S. 771 f.; vgl. auch Brigitte Perfahl, Marx oder Lassalle? Zur ideologischen Position der österreichischen Arbeiterbewegung 1869–1889. Wien 1982. Ebenda, S. 772 f.

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Sie zielt auf eine gefühlsmäßige, emotionale Bindung breiter Arbeitermassen über einen fest umschriebenen, ritualisierten Kanon von Feier und Festen, und gründet in der praktischen Umsetzung der Wagnerianischen Ideologie einer radikal-deokratischen, großdeutschen und größtenteils jüdischen Führungsschicht.21

Öffentliche Inszenierung und ihre genau geplante „Liturgie“ spielen dabei eine wesentliche Rolle, beispielsweise die seit 1890 jährlich stattfindenden Aufmärsche zum 1. Mai. Die Inbesitznahme des öffentlichen Raumes durch die organisierte Arbeiterschaft war zwar mit jeweils konkreten politischen Forderungen verbunden (etwa um das Thema Achtstundentag oder Wahlrecht), erfolgte aber vor allem als genau orchestrierte öffentliche Selbstinszenierung einer Klasse, deren Wirkung mehr als beträchtlich war und die Kreise der Parteigänger der Sozialdemokratie weit transzendierte. Adler hat den 1. Mai in diesem Zusammenhang als „Weckruf für die Arbeiterklasse“ (Maderthaner) bezeichnet. Bei diesen Großinszenierungen – beispielhaft auch die Großdemonstration vom November 1905 für das allgemeine Wahlrecht – wurde radikale Phraseologie bewusst hintangestellt und eine gleichsam „sakralisierte“ Sprache bevorzugt.22 In deutlichster Form erscheint diese „Ästhetisierung des Politischen“ in der Kultur der im Dezember 1905 ins Leben gerufenen Arbeiter-Symphoniekonzerte: keineswegs zufällig und hoch symbolisch intentioniert folgte das erste dieser Konzerte fast unmittelbar auf die erwähnte Wahlrechts-Großdemonstration und das emanzipatorische Programm der Konzerte – maßgeblich formuliert und jahrzehntelang getragen von David Josef Bach – wurde immer wieder unter Hinweis auf Ideen Richard Wagners („Kunst und Volk“) formuliert. Dies geschah in deutlicher Übereinstimmung mit Pernerstorfer, der dasselbe für das Theater forderte.23 Und von hier aus erfolgte auch die vielleicht konsequenteste „zeitgenössische“ politische Vereinnahmung von Person und Werk Gustav Mahlers, charakteristischerweise sehr häufig in Form der offen symbolischen Verbindung der Personen Mahler und Adler. Ein oft zitiertes Beispiel betrifft etwa Bachs Bericht von einer 1904 gemeinsamen mit Victor Adler erlebten Aufführung der Dritten Symphonie, die zum ausschlaggebenden Impuls, zur Gründungsidee für die Installierung der Arbeitersymphoniekonzerte stilisiert wird.24 Die politische Zielrichtung dieser Erzählung ist offensichtlich: Adler und Mahler erscheinen hier – Bach publizierte diesen Text 1922 vor dem Hintergrund einer mittlerweile fest etablierten Arbeitermusikbewegung – in ihrer 21 22 23

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Ebenda S. 773. Ebenda S. 774. Christian Glanz, David Josef Bach and Viennese Debates on Modern Music, in: Culture and Politics in Red Vienna. (= Austrian Studies 14). Hrsg. Judith Beniston und Robert Vilain. Leeds 2006, S. 185–196. Zit. u. a. bei Gerhard Scheit und Wilhelm Svoboda, Feindbild Gustav Mahler. Zur antisemitischen Abwehr der Moderne in Österreich. Wien 2002, S. 38 f.

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jeweiligen Symbolik als legitimierende „Instanzen und Ahnherren“ für Geschichte und Gegenwart dieser Bewegung. Bach konstruiert die Gründungsidee aus der Verbindung der Vision des „Vaters der österreichischen Sozialdemokratie“ mit dem damals (1904) in Wien ja noch keineswegs akzeptierten gleichermaßen „visionären“ musikalischen Werk Mahlers. Beide Personen erscheinen somit als Garanten und Wahrer gültiger Vermächtnisse. Es ist daher nur logisch, dass gerade die Dritte Symphonie zur Symbolisierung dieser Verbindung herangezogen wird. Bach scheint Adlers „Weckruf“ hier symbolisch verortet zu haben. Selbstverständlich erscheint in diesem Kontext auch immer wieder das Bild des Hofoperndirektors als Sympathisant der Partei (dazu Emma Adler, Victor Adlers Witwe: „Daß er sozialistisch gefühlt hat, weiß jedermann, der mit ihm in Berührung kam“)25, vermittelt durch die aus der Literatur bekannten Berichte über Mahlers euphorisches, sein Umfeld nachhaltig irritierendes Miterleben eines Maiaufmarsches (1905) und der mehrfach überlieferten öffentlichen Stimmabgabe zugunsten Victor Adlers, der bei den Reichsratswahlen von 1901 sozialdemokratischer Spitzenkandidat in Mahlers Wahlbezirk war (Wahlkreis II: Landstraße, Wieden, Favoriten, Simmering. Adler kam gegen den christlichsozialen Kandidaten Prochazka in die Stichwahl und verlor nur ganz knapp26). Gerade diese beiden Episoden wurden in der Kultur der Arbeitermusikbewegung konsequent verbreitet, etwa im Zusammenhang mit erläuternden Texten zu Aufführungen von Werken Mahlers im Rahmen der Arbeitersymphoniekonzerte der 1920er Jahre.27 Derartige Vereinnahmungen erlauben natürlich keinen irgendwie verbindlichen Rückschluss auf Mahlers tatsächliche politische Einstellung. Aus der demonstrativen Stimmabgabe für den Kandidaten Adler, für einen amtierenden, ohnehin schon umstrittenen k.k. Operndirektor freilich mehr als unüblich und daher kaum überraschend von heftigen Angriffen, etwa im „Deutschen Volksblatt“ begleitet28, kann ebenfalls streng genommen noch keine politische Überzeugung im Sinn einer deklarierten Anhängerschaft zur Sozialdemokratie gefolgert werden. Auch die nachgewiesene Nähe wichtiger Personen aus seinem privaten Umfeld zu sozialistischen Ideen im weitesten Sinn, dokumentiert etwa für Nathalie Bauer-Lechner29 (sie war wie Mahler auch stark vom Vegetarismus beeinflusst und gehörte ebenfalls bereits zum Kreis bei „Ramharter“) sollte dieser Einschätzung nicht substanziell widersprechen. Im Hinblick auf Mahlers eigene Lebensweise und alltägliche Praxis hat ja auch sein Freund Ferdinand Pfohl deut25 26 27

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Hanheide, Anm. 3, S. 44. Ausführliche Berichte u. a. in Neue Freie Presse. Morgenblatt, 8. Januar 1901, S. 2. Christian Glanz, Zur Rezeption von Mahlers Werk in der Ersten Republik und im Austrofaschismus, in: Mahlers Wien, Anm. 18, S. 207–212. Hanheide, Anm. 3, S. 44. Ebenda S. 32.

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lich der Einschätzung zugeneigt, dass es sich bei ihm eher um einen „Theoretiker der Menschenliebe“, nicht aber um einen „werktätigen Bekenner des Mitleids“ handle.30 Dieser Befund sieht sich auch in Äußerungen Mahlers durchaus bestätigt, etwa im Hinblick auf den von ihm als notwendig erachteten allgemeinen (hohen) Lebensstandard oder die folgende vom Sommer 1892 im Zusammenhang mit der in Hamburg wütenden Cholera-Epidemie: Jedenfalls vergeßt nicht, daß die Epidemie hauptsächlich denjenigen Theil der Bevölkerung trifft welcher nicht die Intelligenz und die Mittel hat, sich vor ihr zu wehren. – Wer gesund und frei wohnt, sich Diät hält, und Geld genug hat, um nur das Beste und Reinlichste zu genießen hat nichts zu fürchten.31

Dokumentiert ist freilich auch eine vergleichsweise kosmopolitische Haltung Mahlers (die er mit Adler und Pernerstorfer teilte), etwa im Zusammenhang mit Diskussionen im privaten Kreis kontra Hans Pfitzner und seine diesbezügliche Übereinstimmung mit Gerhart Hauptmann, bei dem er auch von dessen sozialpolitischem Engagement beeindruckt gewesen sein soll.32 Man darf in diesem Zusammenhang Mahlers gesellschaftlichen Standort nicht vergessen, vor allem in seiner „zweiten Wiener Zeit“ als Hofoperndirektor. Bei aller möglicherweise gegebenen grundsätzlichen Sympathie für Positionen – wohl mehr für einzelne Personen – der Sozialdemokratie war Mahler selbstverständlich Angehöriger der schmalen obersten Gesellschaftsschicht, sowohl vom Rang als auch vom Einkommen her. Sein primäres Lebensumfeld war jenes der Inneren Stadt und des großbürgerlichen Stadtrandes. Spätestens seit den 1880er Jahren hatte sich jedoch ein Vorgang vollzogen, an dessen Ende eine klare und kulturell umfassende Trennung zwischen City und Vorstädten stand. Dabei „residierte im Zentrum das nervöse und fragmentierte Ich des fin-de-siècle, das als „unrettbares Ich“ in der Philosophie von Ernst Mach thematisiert und in Robert Musils Mann ohne Eigenschaften als Fragmenttext des Individuellen erzählt wird. Die „Massen“ der Vorstadt hingegen werden als Gruppenidentitäten neu konstituiert – und zwar sowohl als politische Kollektivsubjekte der Sozialdemokratie wie auch als soziale Ressentimentobjekte des Luegerschen Populismus.33 30 31

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Ebenda S. 31. Brief aus Berlin an die Schwester Justine vom 27. August 1892, in: „Liebste Justi!“ Briefe an die Familie. Hrsg. Stephen McClatchie. Redaktion der deutschen Ausgabe: Helmut Brenner. Bonn 2006, S. 256 f. Scheinbar wollte sich Mahler aber nicht darauf verlassen, nicht betroffen sein zu können und zögerte seine Rückkehr nach Hamburg hinaus. Hinweise u. a. bei Hanheide, Anm. 3, S. 45, 48 f. Maderthaner /Musner, Anm. 11, S. 157.

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Hiermit ist nun eine wiederum andere Ausprägung von „Politik“ zur Zeit Mahlers angesprochen, eine, die im Hinblick auf Alltagsrelevanz wohl besonders großes Gewicht beanspruchen darf. Der bereits erwähnte zunehmende Bedeutungsverlust des Liberalismus im Hinblick auf die praktische Politik seit den 1870er Jahren fand seinen Gegenpol in der Entstehung und Perfektionierung eines damals neuen Typs von politischer Praxis. Gemeint ist die vor allem mit dem Namen Karl Lueger verbundene populistische Stadtpolitik, die einen „Prozess der Veränderung und Neuverhandlung sozialer, ökonomischer und politischer Hegemonien und eine neue Kartographierung des urbanen Terrains“34 zur Folge hatte. Diese „Transgression“ äußerte sich in der Konstruktion einer neuartigen städtischen Identität, die die vorhandenen gesellschaftlichen Segmentierungen neu definierte. Dieser Prozess hatte seinen ersten symbolträchtigen Höhepunkt im Jahr 1897, als der zuvor bereits wiederholt gewählte Karl Lueger zum Bürgermeister von Wien ernannt wurde. Der Kaiser hatte seinen Widerstand aufgegeben, ein Widerstand, der vor allem aus Luegers offensichtlichem Antisemitismus resultierte. In den Jahren als Bürgermeister – Lueger starb ein Jahr vor Mahler – perfektionierte die herrschende christlichsoziale Partei in Wien das Konstrukt einer „Bürger- und Heimatstadt“. Das Funktionieren dieses Konstrukts setzte das Vorhandensein eines Gegenkonstrukts unabdingbar voraus, nämlich das Bild jener, die nicht dazu gehören: „Der Andere wird als Outcast stereotypisiert, um so das Phantasma einer in sich identischen Gesellschaft überhaupt ansprechen und in Gestalt einer Imagined Community der Bürgerstadt Wien erwecken zu können.“35 Nach der Erringung der Herrschaft über die Stadt waren das insbesondere die Juden, aber auch die Arbeiterschaft in den 1890 eingemeindeten Vorstädten.36 Schon der Aufstieg der Partei Luegers, überhaupt ihre eigentliche Parteiwerdung, war untrennbar mit der Formulierung von möglichst variabel formulierten Gruppeninteressen und der gleichzeitigen Abschottung vor jenen verbunden, die diese Interessen zu gefährden schienen.37 Zunächst umfasste die anvisierte Zielgruppe vor allem die sich in ihrer Existenz bedroht fühlenden Handwerker und Kleinstunternehmer, sukzessive wurden dann – in kluger Rücksichtnahme auf die Möglichkeiten des bis 1907 ja noch durch Zensus eingeschränkten Wahlrechts – weitere Adressatenkreise zunächst aus der unteren bürgerlichen Schicht angesteuert. Gemeinsames Argument war dabei von Anfang an das Feindbild des „jüdischen Großkapitals“ (die Börsenkrise von 1873 wurde bereits antisemitisch instrumentalisiert) und Luegers Politik firmierte jahrelang überhaupt global unter dem Trademark der „Antisemiten“. Ähnliches ist zwar in vergleichbaren Städten ebenfalls zu 34 35 36 37

Ebenda S. 131. Ebenda S. 159. Rudolf Spitzer, Des Bürgermeisters Lueger Lumpen und Steuerträger. Wien 1988. Boyer, Culture and Political Crisis, Anm. 12, S. 123 ff.

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beobachten, nirgends jedoch mit dieser systematischen Konsequenz und vor allem Dauer.38 In weiterer Folge konnten auch untere bis mittlere Beamtenschichten und vor allem Besitzende (Hausherren) erfolgreich angesprochen werden, nicht zuletzt bedingt durch eine programmatische Aufwertung des politischen Katholizismus.39 Luegers Konstrukt des „Wiener Bürgers“ erwies sich als höchst erfolgreich und verband unbestreitbare Fortschritte in der materiellen Modernisierung mit verklärenden Geschichtskonstruktionen eines fortwirkenden „Alt-Wien“.40 Das für diese „imagined community“ notwendige Gegenbild des „Anderen“ betraf wie erwähnt in erster Linie die Juden, wobei hier traditionelle katholische Klischees ebenso zum Einsatz kamen wie die Angst vor dem angeblich „jüdischen“ Großkapital und die Verdrängungs- und Konkurrenzangst des Handwerkers. Einzelne prominente Exponenten der christlichsozialen Politik bedienten auch konsequent die antiintellektuellen Vorurteile, die oft in Verbindung mit den antisemitischen Reflexen auftauchten, beispielsweise der diesbezüglich berüchtigte LuegerVertraute Herrmann Bielohlawek, der für sich erfolgreich das Image des „gemütlichen Wieners vom Grund“ pflegte.41 Dabei ist im Falle Luegers keinesfalls von einem manischen oder gar rassisch motivierten Antisemitismus zu sprechen, sondern – was die Sache selbstverständlich in keiner Weise erträglicher macht oder gar relativiert – von einem prinzipiell funktionalistischen und kasuistischen42 Zugang. Damit ist Luegers politische Praxis klar von der rassisch (und antikatholisch) argumentierenden Linie Schönerers abgrenzbar, selbstverständlich auch von der sektiererischen Linie des Adolf Lanz („Jörg Lanz von Liebenfels“).43 Vor allem beeinflusst von Schönerer, aber auch in noch weiter radikalisierender Abgrenzung von diesem konnte sich eine radikale rassisch argumentierende Sprache im öffentlichen Diskurs durchaus Gehör verschaffen. In diesen Kontext gehört schließlich auch die Gründung der „Deutschen Arbeiterpartei“ (1903/04), die ihren Hauptimpuls aus den seit den 1890er Jahren intensivierten Nationalitätenkonflikten zwischen Tschechen und Deutschen in Nordböhmen bezog und als wichtige Vorläuferorganisation der späteren NSDAP gelten muss.44 38

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Peter Pulzer, Liberalismus, Antisemitismus und Juden im Wien der Jahrhundertwende, in: Wien um 1900. Aufbruch in die Moderne. Hrsg. Peter Berner, Emil Brix und Wolfgang Mantl. Wien 1986, S. 32–38. Boyer, Culture and Political Crisis, Anm. 12, S. 164 ff. Wolfgang Maderthaner, Dem Volke, was des Volkes ist. Das Stadtimago und die Stadtpolitik des Karl Lueger, in: Alt-Wien. Die Stadt, die niemals war. Hrsg. Wolfgang Kos und Christian Rapp. Wien 2004, S. 98–108. Bekannt wurden seine bildungsfeindlichen Sprüche, z. B. „Wissenschaft is’, was ein Jud’ vom anderen abschreibt“ oder „Wenn i a Büch’l seh’, hob i scho’ g’fress’n“, vgl. Maderthaner /Musner, Anm. 11, S. 150 f. Also „je nach Bedarf“ einzusetzend, vgl. den vielfach zitierten Ausspruch „Wer a Jud’ is’, bestimm’ i!“ Wilfried Daim, Der Mann, der Hitler die Ideen gab. Die sektiererischen Grundlagen des Nationalsozialismus. Wien 1985. Bruce F. Pauley, Hitler and the Forgotten Nazis. A History of Austrian National Socialism. University of North Carolina Press 1988, S. 24 ff.

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Wir fassen kurz zusammen: Antisemitismus stellt eines der durchgängig angewandten Mittel im Zuge der erfolgreichen Etablierung der christlichsozialen Partei als einer populistisch agierenden Massenpartei dar, bleibt jedoch keineswegs auf diesen Teil des politischen Spektrums beschränkt. Ursprünglich eher eine Chiffre für „Antikapitalismus“ beziehungsweise „Schutz vor vielfältiger Existenzangst“ in unteren bürgerlichen Schichten avanciert der Antisemitismus zu einer weite Schichten der Gesellschaft durchdringenden, in seiner Intensität sehr unterschiedlich ausgeprägten Einstellung. Von traditioneller kirchlicher Judenfeindschaft über Luegers kasuistischen Zugang reicht das diesbezügliche Spektrum bis zum programmatischen, rassisch argumentierenden Antisemitismus. An dieser Stelle ist freilich festzuhalten, dass auch die „zweiten Anderen“, die neben den Juden dem konstruierten „Wiener Bürger“ der Lueger’schen Ausfertigung gegenüberstanden, nicht von Antisemitismus frei waren. Die Rede ist also von den Sozialdemokraten. In ihren unveröffentlichten Erinnerungen charakterisiert Emma Adler ihren Mann Victor ausdrücklich als einen Antisemiten „von strenger Observanz“.45 Damit ist wohl gemeint, dass sich der bildungsbeflissene und von der deutschen Kultur früh Begeisterte vor allem von der Praxis des osteuropäischen Judentums abgrenzen wollte. Die Konversion zum Protestantismus war somit auch für ihn – wie für zahlreiche Wiener Intellektuelle und Künstler jüdischer Herkunft, die diesen Schritt setzten – eine Art „Eintritt in die deutsche Kultur“. Nicht überraschend ist in diesem Kontext auch, dass Adler dem Zionismus Theodor Herzls und Max Nordaus distanziert bis ablehnend gegenüberstand. Nur am Rande soll hier darauf hingewiesen werden, dass es sich ja auch im Fall des Zionismus um eine „imagined community“, ein durchaus dem erfolgreichen Verfahren Luegers vergleichbares Konstrukt gehandelt hat. Übrigens sollte auch bedacht werden, welche bedeutende symbolische Rolle auch bei Herzl dem Schaffen Wagners (man denke an den Tannhäuser !) zukommt.46 In der distanzierten bis offen ablehnenden Haltung zur ostjüdischen Tradition trifft sich bekanntlich Adler auch mit Mahler. Der häufig zitierte Brief an Alma aus Lemberg beinhaltet zwar eine sehr drastische, für den heutigen Leser wahrscheinlich auch schockierende Distanzierung von den dort beobachteten „polnischen Juden, die hier herumlaufen wie anderswo die Hunde“.47 Bei näherer Betrachtung bestreitet Mahler in diesem Brief aber nicht nur jegliche Verwandtschaft mit den Ostjuden, sondern (und möglicherweise vor allem) 45 46 47

Zit. bei Maderthaner, Anm. 5, S. 769. Steven Beller, Herzl. Wien 1996, S. 55. Brief vom 31. März 1903, in: Ein Glück ohne Ruh’. Die Briefe Gustav Mahlers an Alma. Hrsg. Henry-Louis de La Grange und Günther Weiß. Berlin 1995, S. 143 ff., dieses Zitat S. 144.

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die Gültigkeit sämtlicher „Racentheorien“, eine Haltung, die er sicherlich wiederum mit Adler teilt. Dessen Antisemitismus war aber klarerweise und zweifellos von ganz anderer Qualität als der im Zusammenhang mit Lueger beschriebene. Auch Pernerstorfer hat wiederholt Antisemitisches geäußert, jedoch ausschließlich im Zusammenhang mit der erwähnten Funktion als „antikapitalistische“ und in diesem Kontext ursprünglich antiliberale Chiffre. Sein Bruch mit Schönerer 1883 spricht auch diesbezüglich eine klare Sprache. Einig waren sich beide auch in der Proklamierung der deutschnationalen Orientierung und der Verfolgung des Anschlusses an Deutschland, wie auch Karl Kautsky in seiner Charakterisierung der österreichischen Sozialdemokratie betont hat: „Die österreichischen Juden waren damals die feurigsten Vertreter des Anschlussgedankens“.48 Schließlich bediente sich auch der in der Wiener Öffentlichkeit wohl erfolgreichste und beliebteste Exponent der Sozialdemokratie, der 1913 ermordete Franz Schuhmeier, in seinem höchst effektvollen populistischem Stil (der ihn zum wahren rhetorischen Widerpart Luegers machte) wiederholt des Antisemitismus als Bestandteil des von ihm bewusst eingesetzten „vormodernen politisch Popularen“.49 Mahlers zweite Wiener Zeit war also geradezu durchzogen von antisemitischen Tendenzen unterschiedlichster Intensität und Relevanz. Das Spektrum reicht vom Versuch der deutsch(national) denkenden, auf Integration in die deutsche Kultur setzenden gebürtigen Juden, allfällige Verbindungen mit traditionellem (osteuropäischem) Judentum nach Möglichkeit zu kappen beziehungsweise abzulehnen über das in sich extrem breite Spektrum des Antisemitismus als „politisches Kalkül“ bis zu den bereits erwähnten rassisch argumentierenden Extrempositionen. Die Allgegenwart des antisemitischen Spektrums – die entsprechenden Angriffe auf den Hofoperndirektor Mahler sind in der Literatur umfassend dokumentiert – kann wohl in Summe als existenziell belastend aufgefasst werden, auch dann, wenn das Selbstbild in keiner Weise dem kolportierten Stereotyp entsprach und auch das private Umfeld vor zumindest aggressivem Antisemitismus doch weitgehend frei blieb (Tendenzen bei Alma und ihrer Familie können hier nicht erörtert werden). Erfahrungen mit den Folgen antisemitisch getönter Politik hatte Mahler freilich schon wesentlich früher machen müssen, man bedenke die diesbezüglichen Traditionen an der Wiener Universität (Theodor Billroths Rede von 1875 mit der darin enthaltenen Warnung vor drohender „Überfremdung“, gefolgt von den ersten „Arierparagraphen“ bei Wiener Burschenschaften), antisemitisch grundierte oder begleitete 48 49

Zitiert nach Maderthaner, Anm. 5, S. 769. Maderthaner /Musner, Anm. 11, S. 146 f.

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Attacken auf den Kapellmeister Mahler an verschiedenen Stationen seiner Laufbahn (Kassel, Budapest) und der diesbezüglich schon eindeutige „Empfang“ durch weite Teile der Wiener Presse 1897.50 Indirekt politische Akzente im Zusammenhang mit dem Komplex Antisemitismus hatte aber auch Mahlers Freundschaft zum Wiener „Picquart-Kreis“ und auch zum Helden des Dreyfus-Skandals Georges Picquart persönlich. Die Verbindung erfolgte durch Sophie Clemenceau (geb. Szeps), die Schwester von Bertha Zuckerkandl, wie jene Tochter des renommierten liberalen Journalisten Moritz Szeps. Eine erste Begegnung kam während des Gastspiels der Wiener Philharmoniker 1900 in Paris zustande, 1906 programmierte Mahler zu Ehren der in Wien weilenden Freunde die oft zitierten „geheimen Festwochen“.51 Über im engeren Sinn politische Aspekte dieser Freundschaft ist zwar nichts bekannt, besonders die Gestalt Picquarts wird jedoch für Mahler auch wegen der von ihm gemachten Erfahrungen mit dem politischen Antisemitismus auf seinen unterschiedlichen Ebenen durchaus von hohem Interesse gewesen sein. Zusammenfassend ist festzustellen, dass sich das weite Spektrum des Politischen Mahler in unterschiedlichster Konkretheit präsentiert hat. Die ersten Jahre seines Lebens fallen mit dem Beginn der kurzen liberalen Hegemonie zusammen, die durchaus auch für die bisher Marginalisierten die Vorstellung der Möglichkeit der Erringung eines würdigen Platzes in der Gesellschaft nahezulegen geeignet war. Mahlers Wiener Studienund Lehrjahre waren dann von einer intensiven Auseinandersetzung auch mit politischen Diskursen gekennzeichnet, jedoch nicht als praktische Politik, sondern eben als informelle, durch persönliche Bekanntschaft charakterisierte Kreise zu erleben. Mitglieder dieser Kreise, zu denen Mahler weiterhin unterschiedlich intensiven Kontakt gehalten hat, haben in der Folge große Wirksamkeit auch in der praktischen Politik entfaltet. Schon im Rahmen der Auseinandersetzung mit Gegenwart und Idee des Liberalismus, vermehrt in den erwähnten Zirkeln, haben deutschnationale Orientierung – genauer: die Orientierung an Tradition und Gegenwart der deutschen Kultur, intensive und anhaltende Auseinandersetzung mit dem als Reformer verstandenen Richard Wagner eingeschlossen – und Antisemitismus eine wichtige Rolle gespielt. Letzteres durchzieht speziell die Wiener Politik auf unterschiedlichen Ebenen in ebensolcher Intensität, erscheint jedoch im Großen und Ganzen als durchgehendes Motiv. Mahler 50 51

Eine Auflistung u. a. bei Hanheide, Anm. 3, S. 22 ff. Hanheide, Anm. 3, S. 41 ff., vgl. auch Caroline Therese Lindmayr, Regards francais – Gustav Mahler und Frankreich. Aspekte des Zwischenmenschlichen und der Werkrezeption zwischen 1900 und 1911. Unveröff. Diplomarbeit. Wien 2007, S. 18 ff.

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erfährt die Relevanz des Antisemitismus auf ebenso unterschiedliche Weise, obwohl er wie zahlreiche Intellektuelle seiner Generation konsequent versucht, dem klischierten Bild nicht nur nicht zu entsprechen, sondern von sich aus eine sehr distanzierte Haltung zum Judentum in seiner Praxis einnimmt. Vor allem die Rezeption unter politischen Vorzeichen hat Mahler post mortem zum Sympathisanten der Partei Victor Adlers gemacht. Tatsächlich Dokumentierbares wurde dabei konsequent überhöht und zum Bestandteil eines historisch legitimierenden Narrativs, das auch ansatzweise eine entsprechende Interpretation der Musik Mahlers anzunehmen bereit war. Zumindest teilweise ist dieser interpretierende Ansatz, wenn auch über den engeren sozialdemokratischen Bereich hinaus, auch in der späteren Mahler-Rezeption durchaus aufzufinden. Die vielfältigen, widersprüchlichen bis dramatischen Tendenzen in seinem zeitgenössischen politischen Umfeld geben dafür jedenfalls noch für viele Interpretationen Anlass.

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I Wien war mehr als nur die Hauptstadt des Habsburgerreiches – Wien war ein Geisteszustand. Zwei Haltungen standen im Gesichtsfeld der meisten Einwohner dieser Stadt einander gegenüber: heiteres Genießen der Künste oder Ästhetizismus einerseits und Indifferenz gegenüber politischen und gesellschaftlichen Reformen oder therapeutischer Nihilismus andererseits.1

In dieser Definition der spezifisch wienerischen Kultur und deren Begründungen sind sehr viele Elemente enthalten, die in besonderer Weise auf das Leben und Werk Gustav Mahlers zutreffen. Ja eigentlich mehr noch, die Besonderheit des Lebens und des Werkes Mahlers bestimmen und daher erklären. Es mag wohl zutreffend sein, dass wahrscheinlich jeder europäischen Metropole eine ganz bestimmte Geisteshaltung zukommt. Für Wien scheint dies aber eine Besonderheit zu sein, ist doch der Geist, der diese Stadt und damit die Menschen, die durch diese Stadt geprägt wurden, doch nur in einer wesentlichen Dialektik zu verstehen, nämlich in der Dialektik eines stringenten Denkens in der Philosophie und einer dieses stringente Denken sprengenden Phantasie in den Künsten und im Alltagsleben der Menschen. Zu dem kommt das Problem der Sprache. Die großen europäischen Kulturen vermitteln sich weitgehend über die Identität der Sprache. Sprache schafft Identität und wird somit aus der reinen Kommunikationsfunktion in den Geist gehoben, bekommt jenen übersprachlichen Charakter, den Hölderlin als „Der Geist ist in das Wort gehüllt“ bezeichnet. Es ist keine Frage, dass die österreichischen Lande und damit Wien zum deutschen Sprachraum, aber damit noch lange nicht zur deutschen Kultur gehören. Es wäre eine Verkennung, wollte man die deutsche Sprache als das prägend die österreichische und Wiener Kultur Bestimmende bezeichnen. Daraus folgt, dass man eine weitere Differenzierung vornehmen muss, welche den Geisteszustand Wiens erst wirklich erklärt, nämlich die Differenzierung in österreichische Kultur und Wiener Kultur, welche im Besonderen von Einflüssen auf und in diese Kultur unterschiedlich bestimmt sind. 1

William M. Johnston, Österreichische Kultur- und Geistesgeschichte. Wien 1980, S. 127.

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Deutsch war die Lingua franca des Reiches, aber durch die politischen, religiösen, ideologischen Einflüsse speziell auf den Verwaltungsapparat der Monarchie, welcher auf Wien konzentriert war, bekommt der Geist dieser Stadt seinen besonderen Zustand. Die Ausbreitung der Monarchie über den Balkan, über Norditalien bis einschließlich der Toskana (unter Franz Stephan von Lothringen), Ungarn, über das heutige Tschechien, die Slowakei, über Polen bis hinein in die heutige Ukraine, schlägt sich geistig in der gesamten Kultur Wiens nieder. Diese Geisteshaltung ist nicht verwurzelt in jenem Raum, der unter anderen Einflüssen liegt, wie z. B. Salzburg, Oberösterreich, Tirol, die Steiermark oder Vorarlberg. Die Differenzierung zwischen Wiener und österreichischer Kultur, besonders durch die verschiedenen Sprachen, bekommt einen zusätzlichen Akzent, wenn man auch die Verbindungen zu Spanien durch die Habsburgerkaiser Ferdinand I. (1503–1564) und Karl VI. (1685–1740) berücksichtigt. Die spanische Beeinflussung, was sowohl die Übernahme spanischer Idiome im Wiener Dialekt als auch verschiedene Besonderheiten der spanischen Kultur betrifft, wird meist unterschätzt. Dieser Einfluss gilt aber vornehmlich für Wien, die übrigen Lande bleiben davon eher unberührt. Die Tatsache, dass Wien vor allem durch das Alltagsleben zum Schmelztiegel dieser durch Sprache, Mentalität und Kultur unterschiedlichsten Nationalitäten wurde, erzeugt ein Spannungsfeld – die Einflüsse sind zu vielfältig und verschiedenartig –, und all dies begründet die Identitätssuche speziell des Wieners. Er fühlt sich immer als Heimatloser, Fremder, Ausgestoßener und Verletzter. Er, der Wiener, fühlt sich als solcher, weiß aber nicht, was er in tiefster Seele ist. Er weiß eigentlich nicht, was er auf dieser Erde soll. Die Empfindung der Heimatlosigkeit führt in die Einsamkeit, und die Heimatlosigkeit als Einsamkeitsempfindung mündet direkt in die Todessehnsucht. Die Identitätssuche produziert Phantasie, die Phantasie filtert die Wirklichkeit, die Phantasie produziert Hoffnung, schafft Utopie, Sehnsucht, und die Sehnsucht erfüllt sich im Traum und wird im Tod zur Realität. Das Programm des Wiener Geistes lautet: „Stringente, reine Vernunft, deduktiver Rationalismus versus Phantasie“. Die Phantasie kann das Denken über das Leben, die Erkenntnismöglichkeiten des Menschen, das Denken über Religion und Kunst nicht ersetzen. Sie sucht sich ein geistiges Territorium, wo sie Antworten auf die das Denken produzierenden Lebensfragen geben kann – die Kunst. Das Programm des Wiener Geistes erfährt eine neue Variante, gekleidet in die phantasievolle Unverbindlichkeit der Ausrede. Phantasie ist Freiheit, Denken ist gebundene Verbindlichkeit, daher der Ausweg über die phantasievolle Unverbindlichkeit. Warum denken, wenn ich doch das „Erleben im Leben“ habe, und dieses Erleben durch die Phantasie erst wirklich wird? Dieses Erleben wird nicht in eine zu bewältigende Realität umgesetzt, sondern findet

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in der Verdrängung durch Sehnsucht im Traum, in der Kunst statt. Erst über den Umweg in die Kunst wird das Erleben als Resultat des Träumens Realität: Traum und Wirklichkeit. Die deutsche Sprache steht hiefür als die das logische Denken repräsentierende Sprache der stringenten Vernunft, der Klarheit, der definierten Begrifflichkeit, welche das Dasein des Menschen und die Welt erklärt, mit einem Wort, sie steht für die Philosophie. Traditionell war die Philosophie in Wien, bis Schopenhauer und Nietzsche in das Bewusstsein des Denkens traten, ganz wesentlich von einem Philosophen, von G. W. F. Leibniz bestimmt. Die Theodizee und die Monadologie Leibniz’ waren seit der Zeit des Prinzen Eugen – Leibniz war mit Prinz Eugen von Savoyen befreundet – Grundlage der Wiener philosophischen Tradition, nicht nur durch die Rechtfertigung des Leidens der Menschen am Leben, sondern vor allem durch den Gedanken der prästabilisierten Harmonie, welche den Naturbegriff als von Gott geschaffene Ordnung der Welt repräsentiert, die mit der menschlichen Vernunft nachvollziehbar als Einheit, Ordnung und vollkommene Schönheit erkennbar wird. Dieses Gedankengebäude repräsentiert die aristotelisch-scholastische Tradition, welche in Wien kaum in der Philosophie gelehrt wurde, aber in der Theologie das Denken des gesamten Mittelalters bestimmte. Die Philosophie in Wien versuchte vielmehr schon in der Barockzeit, soweit dies geistesgeschichtlich bzw. politisch möglich war, „untheologisch“ zu denken, man könnte sogar so weit gehen zu sagen, dass der Positivismus des Wiener Kreises der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in dieser philosophischen Entwicklung seine Wurzeln hat. Leibniz blieb aber als eine neue, auf der aristotelisch-scholastischen Tradition fußende, aber neu entwickelte Theodizee und Philosophie verbindlich für die Philosophie im Wien des 19. Jahrhunderts. Der Leibniz’sche Naturbegriff, der auf dem in der Natur waltenden Vernunftbegriff Gottes basiert, gewinnt für das Denken in Wien für alle Bereiche größte Bedeutung. Philosophie, Theologie und der die Kunst bestimmende Naturbegriff im 19. Jahrhundert basieren auf der Leibniz’schen Philosophie. Der Stammvater der Philosophie in Österreich und besonders in Böhmen war der Sachse G. W. F. Leibniz (1646–1716), der von 1712 bis 1714 als Günstling des Prinzen Eugen in Wien lebte. Hier hat er seine Monadologie ‚Principes de la nature et de la grace‘ geschrieben. Mathematiker, Physiker, Historiker, Ingenieur und Philosoph in einem, begegnete dieses Universalgenie Kontroversen stets in versöhnlichem Geist.2

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Leibniz beeinflusste das Denken in Wien bis ins 20. Jahrhundert, während der Rationalismus Kants und des deutschen Idealismus der in Wien gepflogenen Phantasie gegenüber stand. Stifters „sanftes Gesetz“ ist ohne den Einfluss der Leibniz’schen Philosophie undenkbar. Für den Mahler’schen Naturbegriff – dies vorwegnehmend nur in Paranthese gesagt – wird Leibniz’ und Jean Pauls Wirkung auf Stifters „sanftes Gesetz“ von entscheidender Bedeutung. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren es dann vor allem Schopenhauer und Nietzsche, welche, die deutsche Philosophie repräsentierend, das geistige Wien prägten. Von beiden Denkern kann man behaupten, dass ihre Gedanken ihrer Zeit entsprachen und somit „Mode“ gewesen sind, nicht nur für die Intellektuellen, sondern auch für die Parvenus, die es für intellektuell hielten, Schopenhauer und Nietzsche zu „studieren“, wobei nicht unerwähnt bleiben darf, dass sich beide eigentlich ganz streng genommen, aber auch in ihrer Rezeption, nicht zwischen dem rigorosen Rationalismus eines Philosophen und der phantasievollen Lebensbewältigung eines Künstlers, sprich Dichterpoeten, entscheiden konnten. Sowohl Schopenhauer als auch Nietzsche stellten sich vehement gegen den traditionell entwickelten Schul- oder akademischen Philosophiebegriff, welcher sich in der Scholastik aristotelischer Prägung begründet sah. Es erscheint nur sehr einsichtig zu sein, dass gerade diese beiden Denker im Programm des Wiener Geistes „Vernunft versus Phantasie“ quasi die dazwischen liegende oder/ und verbindende Lücke füllten. Sie vermittelten ein Denken, das doch in letzter Konsequenz auf einer künstlerischen Phantasie beruhte, uns somit vieles mehr im Dunkel der Phantasie als in der Klarheit des stringenten Denkens der Philosophie beließen. Trotzdem wurden sie als Philosophen mehr der Philosophie als der Kunst zugerechnet. Nietzsche hätte sich allerdings gegen diese meine Kategorisierung gewehrt, wie gegen jede andere Vereinnahmung. Die Phantasie und die aus ihr resultierenden Künste als Lebensbewältigung des Menschen betrachteten die Philosophie als Zwangsjacke, als Einschränkung, als Unterdrückung, ja sogar als unmenschliche Vernichtung. Den Druck bis zur Infragestellung des eigenen Lebens, den die Rigorosität fordernde Philosophie auf einen „philosophischen Dichterpoeten“ ausüben kann, zeigen als besonders eindrucksvolles Beispiel Friedrich Hölderlins Briefe zu dieser Thematik an seine Mutter. Die Philosophie erklärt die Welt und das Leben. Je klarer, zwingender, rigoroser, konsequenter, desto besser und damit höher ist das Niveau des Denkens. Die Kunst erklärt das Leben ebenso, aber durch die Phantasie, nicht stringent, sondern „Möglichkeiten offen lassend“. Es entsteht somit eine phantasievolle Unverbindlichkeit, welche immer ein Geheimnis und ein Rätsel offen lässt. Diese Unverbindlichkeit wird zum zweiten Programm des Wiener Geistes, natürlich resultierend aus dem ersten. Sie

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drückt sich in der duplex veritas aus, für welche die einfache Erklärung „Das Glas ist halb voll, das Glas ist halb leer“ als Beispiel gilt. Für die Phantasie bleibt immer ein Rest, den es noch einmal zu hinterfragen gilt. Das stringente Denken der Philosophie führt zu Lösungen, die Phantasie produziert Sehnsucht und wird zum permanenten Motor des Fragens des Menschen. Die in der Kunst waltende Phantasie findet keine Lösungen, sondern nur Möglichkeiten. Die Phantasie ist Ausdruck der Freiheit und nicht Ausdruck der Rigorosität eines Denk- und Handlungsgesetzes. Man kann mit der Phantasie sehnsuchtsvoll schön träumen und ist nicht in die Zwangsjacke der Verantwortung gepresst. Verantwortung ist strenges, rigoroses Denken, das in das Handeln des Menschen nach Vernunftprinzipien einfließt. Bestes Beispiel dafür ist der kategorische Imperativ Kants. Daher sucht sich die Phantasie, mit ihr die Kunst, über die phantasievolle Unverbindlichkeit, einen Partner, der in letzter Konsequenz alle Fragen beantwortet und dennoch offen lässt – den Tod des Menschen. In allen österreichischen Kultur- und Geistesgeschichten, speziell der wienerischen, wird der Stellung des Todes besonderes Augenmerk geschenkt. Der Tod ist einerseits etwas Ungewisses, doch mit der Absolutheit der Gewissheit ausgestattet. Die Gewissheit des Todes bleibt aber trotzdem immer in der Unverbindlichkeit stecken. Welcher Unverbindlichkeit? Der Unverbindlichkeit des Lebens und des Todes, Eros und Thanatos. Unverbindlichkeit und Gewißheit bestimmen Eros und Thanatos. „Sicher werde ich sterben“ steht der Ungewissheit wann, wo, unter welchen Umständen gegenüber. Diese Unverbindlichkeit findet auch rein sprachlich schon ihren Niederschlag im berühmten Wiener Ausspruch „Es hilft nix“. Hier gerinnen die Begriffe Verantwortung, Unverbindlichkeit, Lebensherausforderung und Bewältigung des Lebens in einen Begriff ineinander, in den des Todes, denn er ist Gewissheit, aber auch Unverbindlichkeit. Für menschliches Denken ergeben sich zwei wesentliche Problemkreise im Leben: das verantwortliche Handeln aus der Freiheit und der Tod. Für diese beiden Problemkreise des menschlichen Lebens hat sich menschlicher Geist immer Ausreden und Fluchtwege gesucht. Ich bin für nichts verantwortlich, denn durch das Schicksal, oder als gläubiger Mensch durch die Gnade, ist sowieso alles vorherbestimmt. Durch diesen Determinismus bin ich vom verantwortungsvollen Handeln befreit. Durch den Determinismus, welcher in verschiedensten Ausformungen die Kulturgeschichte des Menschen bestimmt, von der Vorherbestimmung bis zur Gnade im christlichen Sinn, von der „Kindschaft Gottes“ bis zu den neuzeitlichen Diktaturen, die dem Menschen das Handeln abnehmen, wird das sich dem Leben Ergeben und Sich-aus-der-Verantwor-

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tung-Stehlen im Wiener Geist zu einer Besonderheit. Dies drückt ein Wiener Lied in ganz eindringlicher Weise aus: „Wenn der Herrgott net will, nutzt es gar nix“, es ist sowieso alles egal, es gilt eigentlich nur, den Tod zu überlisten. Der Tod gewinnt in Wien eine ganz besondere Bedeutung, weil ihm der Wiener nicht zuletzt durch eine Symbolfigur des Wienertums, den Lieben Augustin, der den Tod durch den Alkohol überlistet, entkommen ist. Oder um es korrekter zu sagen, den der Tod nicht geholt hat, weil der Liebe Augustin sich mit ihm dahingehend verbrüdert hat, dass er in der Pestgrube schon unter den Toten gelegen ist, also einer von ihnen war, und weil er so betrunken war, aber in der Früh als Lebender erkannt wurde, ist er dann aufgestanden und heimgegangen. Die Geisteshaltung, die dahintersteht, ist ganz einfach: Wenn ich mit dem Tod Freundschaft schließe, dann wird er mir nichts tun, weil ein Freund wird sich immer um mein Wohlergehen sorgen. Noch mehr, wenn ich ihn besinge, ihm ein Ständchen bringe, kann ich ihn bei guter Laune halten. Die Freundschaft, ja sogar die Verwandtschaftsbeziehung des Wieners mit dem Tod wird beispielsweise durch den Titel eines Wiener Liedes ausgedrückt: Der Tod, der muss a Wiener sein. Die Beschäftigung mit dem Tod in der Wiener Kultur ist durchaus von einer dialektischen Beziehung gekennzeichnet. Zwischen Todessehnsucht, die sich besonders im Suizidgedanken manifestiert, also eine radikale Lösungsmöglichkeit von Lebensproblemen darstellt, bis zur Überwindung des Todes in der christlichen Religion, bis zu den Einflüssen von Ideologien asiatischer Prägung, vor allem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, von Wiedergeburt oder Transformation des Lebens als Ewigkeitsvorstellung, ist dieses dialektische Verhältnis eingespannt.

II In diesen Geisteszustand wurde Gustav Mahler 1860 hineingeboren. Wenn auch nicht in Wien, sondern in Kališt , einem Dorf nahe Jihlava in Böhmen geboren, war er ein österreichischer Jude. Damals hieß Jihlava noch Iglau und war mit 95% deutschsprachiger Bevölkerung eine deutsche Sprachinsel in Österreich-Böhmen. Die Familie war eine jüdische, aber das Judentum wurde eigentlich nicht praktiziert. Hans Holländer zufolge war Bernhard Mahler, der Vater, ein Freidenker, der jeglichen religiösen Brauch des traditionellen Hebräertums ablehnte. Noch kategorischer ist Almas Behauptung, wonach Mahler der jüdischen Religion skeptisch gegenüberstand, und der jüdische Ritus ihm nie etwas gegeben habe. Maßgeblich ist daher die Frage,

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fühlte er sich als Jude... Folgt man den Angaben von Alfred Roller, so hat Mahler seine jüdische Abstammung zwar nie versteckt, doch habe sie ihm keine Freude gemacht. Sie sei für ihn Sporn, zu umso höherer reinerer Leistung gewesen. „Wie wenn ein Mensch mit einem zu kurzen Arm auf die Welt kommt, da muß der andere Arm desto mehr vollbringen lernen und leistet schließlich vielleicht Dinge, die beide gesunden Arme nicht fertiggebracht hätten.“3 Die Prägung, die durch Familienumstände auf die Adoleszenz eines menschlichen Lebens erfolgt, darf nie unterschätzt werden, auch wenn sie nicht unmittelbar in der intellektuellen Beeinflussung religiöser Inhalte oder in der praktischen Anwendung religiöser Bräuche im Familiengeschehen stattfindet. Im Dossier von La Granges Enfance Kalischt-Iglau, Bibliothèque Gustav Mahler, o. J., Paris, befindet sich eine Kopie des Gymnasialzeugnisses Nr. 27 Iglau 1870, aus welchem hervorgeht, dass Mahler am mosaischen Religionsunterricht teilgenommen hat. Es bleiben immer Einflussreste des geistigen Umfeldes, in welches ein Mensch hineingeboren wurde, bestehen, und sie bestimmen das Leben des Menschen. Ob nun Mahler gemäß der Aussage von Alma der jüdischen Religion skeptisch gegenüberstand, mag dahingestellt bleiben. Ich sistiere hier diese Diskussion, wie ich überhaupt die MahlerForschung betreffend, gegenüber dieser Frau Misstrauen hege. Tatsache scheint mir aber, dass ein Kind die Grundzüge der einer Religion zugrunde liegenden Philosophie mitbekommt, auch wenn diese Religion nicht mehr zur Gepflogenheit gehört. Eine weitere Prägung für den heranwachsenden Gustav Mahler scheint mir das harmonische Einvernehmen zwischen Katholizismus und Judentum in Iglau gewesen zu sein. In seinen Erinnerungen Wollen und Wirken betont Guido Adler ferner die Harmonie zwischen den katholischen Priestern und dem jüdischen Rabbiner J. J. Unger. Obwohl Adlers Erfahrungen auf diesem Gebiet andere gewesen sein mögen als jene Mahlers, ist es somit möglich, dass Mahlers erste Begegnung mit dem Antisemitismus etwas später stattgefunden hat als allgemein angenommen wird.4 Mahlers leidvolle Erfahrungen mit dem Antisemitismus scheint er ziemlich sicher erst in seiner Wiener Zeit gemacht zu haben. Aber das gute Einvernehmen zwischen katholischen Priestern und dem Rabbi von Iglau hat wohl Mahlers niemals doktrinäres, richtungsfreies Denken mitbestimmt. Vielleicht ist aus diesem Aspekt auch Mahlers liberale und vom Humanismus getragene Lebenseinstellung, welche die Gerechtigkeit zur Grundlage hat, anzusetzen. 3 4

Constantin Floros, Gustav Mahler, Visionär und Despot. Zürich–Hamburg 1998, S. 99. Edward Reilly, Gustav Mahler und Guido Adler. Wien 1978, S. 13.

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Sein Gerechtigkeitssinn scheint in der jüdischen Tradition zu liegen, denn die jüdische Ethik beruht im Wesentlichen auf dem Begriff der Gerechtigkeit und dieser findet immer nur im Handeln des Menschen seinen realen Niederschlag, in der Realität des Lebens, im Handeln des Menschen. „Im Judentum glaubt man nicht, sondern ist gerecht“, schrieb der junge Gerhard Scholem 1916 in sein unveröffentlichtes Tagebuch. „Es geht gar nicht um das Verhältnis von Glaube und Erkenntnis, nicht um die Beziehung von Theologie und Philosophie, das ist viel zu christlich gedacht.“5 Der Begriff des gerechten Handelns wird für Mahler zur wichtigsten Triebfeder seines Handelns als Mensch und als Künstler und bildet eine seiner jüdischen Wurzeln, welche sein Leben bestimmen. Sein Arbeitsfanatismus, sein Perfektionsstreben, seine bis zur Erschöpfung gehende Arbeitswut, aber auch seine Einsicht in die Unvollkommenheit menschlicher Existenz und Kunst trotz des Bemühens um Vollkommenheit, hat in diesem Erbe seine Wurzeln. Es liegt dem Handeln Mahlers eine die Richtigkeit suchende Gerechtigkeit zu Grunde, welche sein Leben und sein Werk bestimmt. Diese Richtigkeit der Gerechtigkeit ist Mahlers Lebenshaltung, der Welt, den Menschen, der Natur, Gott, der Kunst und somit seinem eigenen Werk gerecht, wahrhaftig, im Sinne von richtig und wahr, gegenüber zu treten. Das macht ihn zu einem Gerechten im Scholem’schen Sinne, und das macht ihn auch zu dem Visionär, der er ist. Er war immer ein Suchender, der sich vollenden wollte. Dies ist vielleicht einer der wenigen, aber wesentlichen Aspekte, in dem Mahler dem Wiener Geist nicht entspricht. Mahlers gerechtes Handeln in dieser verantwortungsvollen, ethisch begründeten Weise musste dem Wiener Geist suspekt sein. Mahlers Gymnasiumsbesuch in Iglau und in Prag bildet die Grundlage, von 1875–79 in Wien am Konservatorium und an der Universität studieren zu können. Die Prägung des Wiener Kultur- und Geisteszustandes lässt Mahler nie mehr los. Wenn auch Mahler von sich sagte, er sei ein dreifach Heimatloser, „als Böhme unter den Österreichern, als Österreicher unter den Deutschen und als Jude in der ganzen Welt, überall ist man Eindringling, nirgends erwünscht“, so bezieht sich diese Aussage auf eine Zeit, in der Mahler mit Wien sehr schlechte Erfahrungen gemacht hatte. Dennoch, was nicht nur für Mahler, sondern für das Verhältnis des Wieners zu seiner Stadt typisch ist, er fühlte sich immer als Wiener. Kaum schöner geht dies aus einem Brief an Friedrich Löhr aus Hamburg, September 1891, hervor: „Ich habe Heimweh. […] So will ich mich auch heute darauf beschränken, Dir aus der Fremde, die mich ja leider mein Leben lang nicht herausgeben will, einen Herzensgruß in die Heimat zu senden.“6 Mahler hat immer unter Heimweh nach Wien gelitten und pflegte seine an sich 5 6

Friedrich Niewöhner, Maimonides. Aufklärung und Toleranz im Mittelalter. Heidelberg 1988, S. 24. Gustav Mahler, Briefe. Hrsg. Herta Blaukopf. Wien 1996, S. 114.

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charakterlich bedingte Ambivalenz in seiner Beziehung zu Wien. Im April 1908, also schon in einer Zeit, in der Mahler unter den Wiener Verhältnissen stark gelitten hat, schreibt er an die Gräfin Wydenbruck: „Mein Heimweh, das mich die ganze Zeit geplagt hat, (leider bleibe ich ein eingefleischter Wiener) verwandelt sich in jenes gewisse erregte Sehen, das Sie gewiß kennen.“7 Am Konservatorium in Wien wird Mahler mit der großen musikalischen Tradition der Wiener Klassik und der Romantik vertraut, bekommt ein gründliches handwerkliches Rüstzeug für einen Musiker mit, sein musikalisches Können ist schon in jungen Jahren hochausgebildet und entwickelt. Allerdings lässt er sich, was sich wahrscheinlich sogar fundamental für das Verständnis seines Werkes erweisen soll, vom Kontrapunkt-Unterricht, also verkürzt ausgedrückt, von der Unterweisung in der Fuge, befreien, ein Versäumnis mit ungeheuren Konsequenzen. In seinem Konservatoriumsunterricht werden die Grundlagen gelegt, sein Verständnis der Musik an Hand der Meisterwerke zu schärfen. Dies erweist sich für seine spätere Tätigkeit als Dirigent von höchstem Nutzen, kommen doch immer wieder in seinem Leben Bekenntnisse der Qualität Mozarts, Beethovens, Schuberts u. v. a. und vor allem durch diese Beschäftigung eine vollkommen unideologische und uneitle Liebe zur Musik zum Ausdruck. Allerdings, eine Grundlage Mahler’schen Musikverständnisses wird in jungen Jahren gelegt, die ihn bis zu seinem Tod nicht verlässt: die Liebe, die Verehrung und das Erkennen der Bedeutung Richard Wagners. Er wird – und das kommt dann tatsächlich einmalig in Mahlers Leben zum Ausdruck – er wird ein vollkommen untypischer, unideologischer „Wagnerianer“, der sich nie in ein Korsett bestimmter ideologischer, musikästhetischer Richtungen hat zwingen lassen. Mahler wird als junger Student mit der geistigen Auseinandersetzung von Natur und Geist konfrontiert. Ordinarius für Philosophie war von 1861 bis 1895 Robert Zimmermann, ein Herbart-Schüler, dessen Hauptinteresse auf Ethik und Ästhetik ausgerichtet war. Von Herbart hatte Zimmermann ein sehr stark an Leibniz orientiertes, den deutschen Idealismus ablehnendes, aber Schopenhauer und Nietzsche wenn auch nur ungern akzeptierendes philosophisches Denken übernommen. Durch Herbarts Ablehnung von Hegel nachhaltig geprägt, war dennoch Zimmermanns Kenntnis der hellenistischen Philosophie, aber natürlich auch der kantischen und hegelschen umfassend. Wie sehr Mahler an philosophischen Begriffen geschult war und er sie Zeit seines Lebens für die Erklärung seines Werkes angewendet hat, zeigt beispielsweise eine Briefstelle aus dem Jahre 1896: „… ironisch im Sinne des Aristoteles ‚eironeia‘.“8

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Zimmermann pflegte eine langjährige Freundschaft mit Eduard Hanslick, war entscheidend an Hanslicks Schrift Vom musikalisch Schönen geistig beteiligt und galt als Vertreter der Leibniz’schen Weltanschauung in Österreich. In Zimmermann verband sich unter anderem die Leibniz’sche Philosophie mit goetheschem Gedankengut. Zimmermann übernahm für seine Ästhetik vor allem die Verurteilung der Romantik als eine rein dem Gefühl verpflichtete Kunstanschauung, konform mit Goethe und sich auf diesen berufend. Bei Zimmermann wird das Gefühl zu einem sich der Rationalität entziehenden Begriff, welcher alles offen lässt, somit ein wesentlicher Topos wienerischen Denkens. Wie stark diese Gedanken gewirkt haben, lässt sich aus einer späteren Briefstelle von Mahler deutlich ablesen: Eben lese ich, lieber Berliner, in Eckermann folgende Worte Goethes, welche ich Ihnen in Erinnerung an unsere damalige nächtliche Exkursion in die Ästhetik mitteilen muß. Goethe über die Bedeutung der Bezeichnung von classisch und romantisch: ,Das classische nenne ich das Gesunde und das Romantische das Kranke. Das meiste neuere ist nicht romantisch, weil es neu, sondern weil es schwach, kränklich und krank ist, und das Alte ist nicht classisch, weil es alt, sondern weil es stark, frisch, froh und gesund ist. – Wenn wir nach solchen Qualitäten classisches und romantisches unterscheiden, so werden wir bald im reinen sein.‘ Die innere Berührung meiner Ausführung mit dem Goethe’schen dürfte in die Augen fallen.9

Für das weitere Verständnis von Mahlers Denken wird diese Sicht Goethes in höchstem Maße bedeutsam. Die Wirkung Zimmermannschen Denkens auf den jungen Mahler muss sehr stark gewesen sein, denn nur so kann man sich das hohe Interesse des jungen Musikers für die Literatur und die Philosophie erklären. Mahler bekam in seinen Universitätsvorlesungen ein geistiges Rüstzeug mit, vor allem fußend auf der Beschäftigung mit Aristoteles, Leibniz, Goethe, Schopenhauer, Nietzsche. Zimmermanns Denken hatte aber keineswegs jene stringente Form, wie sie der kritische Rationalismus Kants, Hegels, Fichtes und Schellings repräsentiert. Mahlers Leben und Werk bestimmender Naturbegriff rührt sicher von der Beschäftigung mit Leibniz und Goethe her, wurde aber besonders von Jean Paul beeinflusst. Mahlers ambivalentes Verhältnis zur deutschen Romantik lässt sich schon daraus ersehen, dass er, bei aller Ablehnung konform mit Goethe, dennoch die deutschen Romantiker Tieck oder Wackenroder hochschätzt und die Musik Richard Wagners als den Höhepunkt und Endpunkt jenes romantischen Weltgefühls ansieht. Der junge Mahler wird in die grundsätzlichen Fragen der Musikästhetik hineingeboren, die um die Problematik kreisen, in welcher Weise der musikalische Ausdruck 9

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einem Programm unterliegt und/oder die Darstellung seelischer Vorgänge des Komponisten beschreibt und vom Zuhörer rezipiert wird. Es ist dies die Auseinandersetzung, die letztlich in der Gretchenfrage mündet, was vermag Musik mehr oder weniger, wozu andere Künste nicht, oder eben mehr, in der Lage sind.

III In dieser Zeit, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, wird aber eine musikästhetische Frage zum zentralen Problem: Was ist „hinter den Tönen?“, was drücken sie aus, sind sie Resultat der autobiographischen Charakterdarstellung des einzelnen Komponisten, sind sie „mehr Ausdruck der Empfindung als Mahlerey“ (Beethoven), unterliegt jedem Musikstück ein Programm, welches es zu verdeutlichen gilt? In letzter Konsequenz sind all diese Fragen nur eine einzige: Was drückt Musik aus, was ist sie? Dies ist die Geburtsstunde der modernen Musikwissenschaft, eine sich von der Philosophie befreit glaubende Einzeldisziplin der Geisteswissenschaften, welche dem Komponisten einen Ästhetik-Kanon vorschreibt; dies war Mahler immer suspekt gewesen. Ob diese Ablehnung einer akademischen Musiklehre mit der Ablehnung der akademischen Philosophie durch Schopenhauer und Nietzsche auf Mahler gewirkt hat, wird wohl Vermutung bleiben. Die Musikwissenschaft in Wien wurde von Guido Adler begründet, einem Freund Mahlers, der gleichfalls ein aus Iglau stammender Jude war. Fundamental eingespannt in die Frage, inwieweit jedem Musikstück ein programmatischer Inhalt unterliegt, ist das dialektische Problem Wort–Ton, welches sowohl die Metaphysik der Musik bei Schopenhauer betrifft, als auch die von Nietzsche ausgehende Kunstreligion im Sinne eines höheren Wertes der Kunst bis hinein in die Hegelsche Ästhetik, die, weil viel zu klar, logisch, stringent, daher in Wien kaum eine geistige Heimat fand. Die Wirkung der Schopenhauerschen und Nietzscheschen Ästhetik – ein Begriff, für welchen mich Nietzsche gekreuzigt hätte –, verbunden mit kunstund kulturphilosophischen Überlegungen in der großen Literatur sind für Mahlers Denken richtungweisend. Mahlers Belesenheit, Resultat eines lebenslangen, aufmerksamen, immer in die Tiefe gehenden verständnisvollen Lesens, ist hinlänglich bekannt, seine Vertrautheit mit der großen Weltliteratur von Goethe, Schiller über Jean Paul, E. T. A. Hoffmann bis zu Dostojewski, Tolstoi scheint noch viel mehr die Basis seines Denkens ausgemacht zu haben als die Beschäftigung mit Philosophie. Mahlers Vertrautheit speziell mit dem

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Werk Friedrich Schillers rührt schon aus seiner Gymnasialzeit in Iglau her, wo er nicht nur eine umfassende Abhandlung über Schiller schrieb und die meisten Balladen und Gedichte des den deutschen Liberalismus bestimmenden Dichters auswendig konnte. Mahlers glühende Beschäftigung mit Nietzsche wurde im späteren Leben von einer heftigen Ablehnung abgelöst. In einem Brief an Alma warnt er diese sogar vor Nietzsche. Dies erklärt aber sehr eindringlich, dass schon im jungen Studenten Mahler Begeisterung und reifliche Überlegung, inwieweit philosophische Inhalte, seien sie in der Philosophie oder in der Dichtung, für sein musikalisches Denken tauglich sind, nebeneinander existierten. Es wird sich erst später herausstellen, dass viele Inhalte und Positionen in den philosophischen Systemen für die individuelle Musikästhetik nicht tauglich sind. Mahler bezieht sicher für wesentliche Gedanken seiner Ästhetik die Inhalte eher aus der Literatur. Er müht sich durch Schillers und Jean Pauls Lektüre immer wieder mit Begriffen ab – zum Beispiel dem Erhabenen –, ohne dass diese Begrifflichkeit für Mahler einen Bezug zu seinem ästhetischen Denken hat. Vielleicht war es aber auch die Musik selbst als ertönende Vernunft – Humanität – (Philosophie), welche Mahler, ganz in der wienerischen Tradition der Phantasie und nicht dem stringenten Denken systematischer Philosophie zugetan, ihm seinen ästhetischen Begriff fundierte. „Offensichtlich war er [Mahler] vom letzten Beethoven, vor allem von op. 135 überaus beeindruckt. Deutsche Philosophie und Musik waren seit Kant und Beethoven System. Was darin nicht aufging, sein Korrektiv, flüchtete in die Literatur.“10 Seit seinem achten Lebensjahr erhielt Mahler Musikunterricht. Sein weiterer Lebensweg als Musiker war absolut klar vorgezeichnet, nicht aber seine Entscheidung zwischen dem Dirigenten, dem dienenden Musiker, dem Advokaten eines Komponisten und dem selbst schöpferischen Künstler, dem Komponisten. Mahler entschied sich für beides, obwohl er unter der Fron speziell des Opernbetriebes Zeit seines Lebens litt. Unbestreitbar hingegen ist der ungeheure Einfluss, welchen seine Profession als Dirigent auf sein kompositorisches Werk ausübte. Auch seine Entscheidung, beide musikalischen Professionen auszuüben, drückt einen Charakterzug Mahlers aus, sich als Diener an der Kunst zu verstehen, sich nicht zu gut zu sein, wo man doch selbst Musik erschafft, also Komponist mit Sendungsbewusstsein ist, sich für andere als Interpret einzusetzen. Dadurch in die Dialektik einzutreten, die anderen besser zu verstehen, da man sich selbst besser versteht, um damit letztendlich die Welt besser erfassen zu können, kommt eigentlich einem philosophischen Anspruch gleich.

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Theodor W. Adorno, Mahler. Frankfurt 1963, S. 89.

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Mahlers Leben ist wie kaum ein anderes Komponistenleben vom Bemühen geprägt, zum Verständnis der Musik durch philosophische Inhalte zu gelangen. Zeit seines Lebens ein eifrig Lesender, war er mit nahezu allen bedeutenden, die Musikästhetik seiner Zeit bestimmenden Philosophen und Dichtern vertraut. Den in diesem Zusammenhang nachhaltigsten Einfluss übten sicher Schopenhauer, Nietzsche, Wagner (als Schriftsteller) sowie Schiller, Dostojewski, Jean Paul, E. T. A. Hoffmann aus. Strindberg, Ibsen, Tolstoi sind für die Mahler’sche Rezeption sicher erst in zweiter Linie zu nennen. Dass Adalbert Stifter in keinem einzigen Dokument Mahler’scher Beschäftigung und seines Denkens vorkommt, bleibt mir persönlich bei der umfassenden Bildung Mahlers ein Rätsel. Trotzdem könnte man Stifters „sanftes Gesetz“ als eine Lebensmaxime Mahlers ansehen. Für den Dramatiker und Tragöden Mahler wird ein Weltgigant des Theaters von größter Bedeutung. Fast jede „theatralische Gestik“ in Mahlers Musik lässt sich auf Shakespeare zurückführen. Mahlers Welt existiert ohne Shakespeare nicht. Dies erklärt Mahlers Beschäftigung mit der Literatur im Suchen und Auffinden von Antworten auf sein künstlerisches Streben als Komponist. Zur Lösung all dieser Problemstellungen für Mahlers „Welt“ – ein Begriff, der nicht nur zeitgeistig eine gewaltige Rolle im Denken des 19. Jahrhunderts spielte, sonder zu Mahlers ureigensten persönlichen Begriffen wurde – scheint die Literatur einen höheren Stellenwert eingenommen zu haben als die Philosophie, repräsentiert sie doch als Dichtung jenen Raum, der ein Geheimnis, ein Rätsel offen lässt, welches nach Mahlers Meinung jedem Kunstwerk inhärent sein muss. Wenn er von den dunklen Mächten, die im Kunstwerk walten, spricht, so wird dieser Rätselcharakter, das Geheimnis jedes Kunstwerks, offenkundig. Die Grundlagen zu all diesen Gedanken wurden zweifellos im jungen Studenten Mahler am Konservatorium und an der Universität Wien gesetzt. „Im Rahmen der studentischen Gegenkultur kam Mahler auch mit den antirationalistischen Philosophien Schopenhauers und Nietzsches in Berührung.“11 Die Schriften dieser beiden Denker wirkten nachhaltig auf Mahlers Weltsicht. Nie ist zu vergessen, dass aber gerade der dunkle, rätselhafte Rest die Philosophie Schopenhauers und Nietzsches antirationalistisch in ein Spannungsfeld von Kunst und Philosophie stellt. Somit verbindet sich in Mahlers heranreifendem Denken eine Synthese von Kunst und Philosophie, wobei ohne Zweifel die Philosophie für Mahler zur ancilla der Kunst wird. Im Mittelpunkt des Lebens und Denkens des jungen böhmisch-jüdischen, von der deutschen Philosophie – allerdings nur zu einem nicht zu überschätzenden Teil – 11

Carl E. Schorske, Mit Geschichte Denken. Wien 2004, S. 209.

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geprägten Heimatlosen, steht die Musik. In ihr und an ihr müssen sich alle Gedanken als nützlich zum Verständnis und zur Ausübung einer musikalischen Profession erweisen. Wahrscheinlich ist in dieser geistigen Auseinandersetzung Mahlers sein fundamentaler Liberalismus und seine Entwicklung zu einem der ernsthaftesten Künstler, die je in der Musik geherrscht haben, anzusehen. Zeit seines Lebens war Mahler für keinen der den damaligen Ästhetik-Diskurs bestreitenden Parteien (Wagnerianer – Brahminen, Modernisten – Traditionalisten) zu vereinnahmen, ebenso war er nie „nationalistisch“ in der Beschäftigung mit Kultur und Kunst. Mahler war, obwohl Wagnerianer, ein undoktrinärer Musiker. Er trat für Peter Iljitsch Tschaikowski und Bedrich Smetana ein, er zählte zu den Bewunderern Mascagnis, er nahm sich mit Liebe einer – heute vergessenen – Oper wie Joseph und seine Brüder von Etienne Méhul an, und schrak nicht einmal vor Giacomo Meyerbeer zurück.12

Auch wenn es einen Disput zwischen Mahler und Guido Adler bezüglich der Sechsten Symphonie von P. I. Tschaikowsky gab, welche von Mahler abgelehnt wurde, bleibt diese Charakterisierung von Herta Blaukopf zu Recht bestehen. Es lag dieser Beschäftigung mit diesen geistigen Voraussetzungen immer ein tiefer Glaube an die Humanität zu Grunde, ein Glaube an den Menschen, an die dem Menschen als Vorbild dienende und mit ihm gemäß dem sanften Gesetz in Harmonie und Liebe verbundene Natur und an die den Menschen auszeichnende Kunst. Dies alles ist wesentlich das Erbe Leibniz’, Goethes, Schillers, und bekommt durch die Vertrautheit speziell mit Shakespeare, Dostojewski und Jean Paul eine Besonderheit im Denken Mahlers. Die besondere Beeinflussung dieser Künstler-Philosophen auf Mahler arbeitet Constantin Floros in eindringlicher Weise im 1. Band seines Werkes Gustav Mahler. Die geistige Welt Gustav Mahlers in systematischer Darstellung heraus. Denn das Denken Mahlers kreiste immer nur um einen einzigen Begriff: die Liebe. „Der Komponist Gustav Mahler hingegen ist der verkörperte Wille zur Liebe. Sein ganzes Leben, sein ganzes Werk kennen in den mannigfaltigsten Abwandlungen nur ein Einziges: die Sehnsucht nach Liebe“ (Floros). Liebe ist hier im Sinne des Platonischen Gastmahles und phänomenologisch verstanden, die Liebe zur Kunst, die Liebe zur Natur, die Liebe zum Menschen, die Liebe zu Gott, schlechthin die Liebe zum Dasein als Erkenntnis der Beseeltheit der Welt.

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Herta Blaukopf, Rivalität und Freundschaft, in: Gustav Mahler/Richard Strauss. Briefwechsel 1888–1911. Hrsg. Herta Blaukopf. München 1995, S. 153.

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IV Der sprachlose Wille der Musik dringt in die Sprache. Musik ruft sich selber beim Wort, als Einspruch…Indem Musik aber den Trost anredet, will sie nicht sowohl ihn ausdrücken als selber trösten. Dem ist das Gefühl der Vergeblichkeit bloßen Trostes bei Mahler stets beigemengt. Der Einspruch weiß mit sich Bescheid…Dem absurden Traum aus Blöken und schwermütigem Trost. Mütterlich fährt Mahlers Musik, denen, welchen sie sich zuwendet, über die Haare. So verschränken sich in den Kindertotenliedern Zärtlichkeit des Nächsten und zwielichtiger Trost des Fernsten. Sie blicken auf die Toten wie auf Kinder. Die Hoffnung des nicht Gewordenen, die als Schein von Heiligkeit um die sich legt, welche früh starben, erlischt auch den Erwachsenen nicht. Mahlers Musik bringt Speise dem vernichtenden Mund, wacht über dem Schlaf der nicht mehr Erwachenden. Gleicht jeder Tote einem, der von den Lebenden ermordet wurde, so auch einem, den sie zu erretten hätten. Oft denk ich, sie sind nur ausgegangen, nicht weil sie Kinder waren, sondern weil fassungslose Liebe den Tod faßt einzig, als wäre der letzte Ausgang der von Kindern, Heimkehrenden. Bei Mahler ist Trost der Reflex von Trauer. Bangend konserviert Mahlers Musik darin jenes besänftigende, heilende, das Überlieferung seit undenklicher Zeit der Musik als Kraft zuschrieb. Dämonen zu bannen und dass doch zur Chimäre verblasst nach dem Maß der Entzauberung der Welt.13

Der sprachlose Wille der Musik dringt in die Sprache. Dieser Satz Adornos ist der Schlüssel zum Verständnis von Mahlers Musik. Für Schopenhauer ist die Musik einerseits etwas vollkommen Selbständiges, daher etwas von der Sprache, dem Wort, der Begrifflichkeit Unabhängiges, nimmt in der Stufenleiter der Künste den obersten Rang ein, steht nach wie vor in einem Parallelzustand der erscheinenden Natur im Sinne Leibniz’ und repräsentiert den Willen selbst, welcher im schopenhauerschen Denken zur welterzeugenden Kraft (energia) wird. Weil die Musik nicht, gleich allen andern Künsten, die Ideen oder Stufen der Objektivationen des Willens, sondern unmittelbar den Willen selbst darstellt; so ist hieraus auch erklärlich, daß sie auf den Willen, d. i. die Gefühle, Leidenschaften und Affekte des Hörers unmittelbar einwirkt, so daß sie dieselben schnell erhöht oder auch umstimmt. So gewiß die Musik, weit entfernt eine bloße Nachhülfe der Poesie zu seyn, eine selbständige Kunst, ja die mächtigste unter allen ist […] Die Musik als solche kennt allein die Töne, nicht aber die Ursachen, welche diese hervorbringen […] Die Worte sind und bleiben für die Musik eine fremde Zugabe von untergeordnetem Werthe, da die Wirkung der Töne ungleich mächtiger, unfehlbarer und schneller ist als die der Worte …14

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Adorno, Anm. 10, S. 44. Arthur Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung. Dittes Buch, Kap. 39. Zur Metaphysik der Musik. München 1998, S. 521 f.

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Diese Definition der Musik kommt dem Wiener Geist, der phantasievollen Unverbindlichkeit, in hohem Maße entgegen, ist doch der Wille als welterzeugende Macht in mir als Wille und Vorstellung die Stufe zur Erkenntnis meiner selbst und der Welt nicht in concreto zu fassen, letztendlich bleibt daher alles im Dunkel. Wenn also die Musik den Willen an sich darstellt, so ist die Musik dennoch ein Werkzeug der Erkenntnis menschlichen Geistes. Die Musik operiert aber nicht mit Worten im Sinne der geistigen Objektivierung, sondern lebt in den Tönen und durch die Töne in ihrer Bewegung. Der Wille als ein – man möge mir den ketzerischen Vergleich verzeihen – dem hegelschen Geistbegriff verschwisterter Ansatz zur Erklärung des menschlichen bewussten Seins als kantisches Erbe, bleibt aber doch immer dunkel im Gegensatz zu Hegels Geistbegriff. So wie die Töne nicht die Klarheit des Wortes haben, so bleibt auch der Wille immer im Dunkel. Er tritt erst im menschlichen Leben, in menschlicher Erkenntnis und im Handeln in die Realität. „Mein Bedürfnis, mich musikalisch – symphonisch – auszusprechen, beginnt erst da, wo die dunklen Empfindungen walten, an der Pforte, die in die andere Welt hineinführt; die Welt , in der die Dinge nicht mehr durch Zeit und Ort auseinanderfallen.“15 Für diese Erklärung der Musik als Darstellung der tiefsten Empfindungen wird Nietzsche noch deutlicher. „… er kennt einen Klang für jene heimlich unheimlichen Mitternächte der Seele, wo Ursache und Wirkung aus den Fugen gekommen zu sein scheinen und jeden Augenblick etwas ‚aus dem Nichts’ entstehen kann.“16 Mahlers Welt findet sich nicht in der Klarheit der Erkenntnis des Lebens durch die Philosophie, sondern bleibt im Dunkel der Empfindungen, jenen Rest erfassend, welchen Kunst in sich trägt und als Rätsel, als Geheimnis, als Mysterium offen lässt. „Ein Rest Mysterium bleibt immer, selbst für den Schöpfer.“17 Dass Mahler so weit geht, sogar für den Schöpfer der Kunst, also für sich selbst, ein Geheimnis zu reservieren, sich selbst als Geheimnis zu begreifen, zeigt sehr klar sein Verhältnis zu den dunklen Empfindungen. Mahler empfindet sich selbst, wie er es einmal ausdrückt, als Werkzeug, um Dinge zu schaffen, die in Parallele zu dem Schöpfer Gott gesehen werden können. Er hat das Gefühl, geleitet zu werden, und ist sich im Schöpfungsprozess gar nicht bewusst, welchen Weg er einschlagen soll, um zum fertigen Produkt zu kommen. „Wenn dann die drei fertigen Sätze vor mir stehen, so hat sich alles so geklärt, dass ich wie von selbst mit logischer Konsequenz den richtigen Pfad aus der Wirrnis entdecke.“18 Mahler weiß oft nicht, in welche Richtung sein kompositorisches Denken führt, es bleibt ein Rätsel, aber es bleibt die Hoffnung, welche auf dem Vertrauen in die Richtigkeit des eigenen Handelns beruht. 15 16 17 18

Mahler, Anm. 6, S. 171. Friedrich Nietzsche, Werke. Nietzsche contra Wagner. Leipzig o. J. Bd. 5, S. 53. Mahler, Anm. 6, S. 277. Ebenda S. 272.

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Wie stark dieses Vertrauen in die Richtigkeit der Erfindung, der Kreativität ist, zeigt eine Briefstelle von Alban Berg, einem der größten Bewunderer Mahlers, an seinen Schüler Hans Erich Apostel aus dem Jahre 1929: „… dann arbeiten Sie so weiter, wie ich Ihnen immer rate: entwickeln, nicht sequenzieren und steigern, und wenn es ausgeschöpft ist, immer wieder Neues bringen. Es schließt sich schon von selbst zu einer Einheit zusammen, oder man hilft nach.“19 Es schließt sich schon von selbst zusammen, man muss nur Vertrauen in sich selbst und in das Schicksal seiner selbst haben, um überhaupt schöpferisch tätig sein zu können. Bei allem Selbstzweifel, der Mahler Zeit seines Lebens geplagt hat, ist doch in ihm, in seinem Innersten, das Sendungsbewusstsein, sich als Schöpfer von Neuem anzusehen, vorhanden. Nicht nur dem Schöpfer eines Kunstwerks, sondern jedem Kunstwerk bleibt der Rätselcharakter inhärent, denn jeder Mensch trägt ein Geheimnis in sich, weil Kunst immer ein Spiegel des individuellen Menschen, in der allgemeinen Menschheit aufgehoben, ist. Wenn man Kunst objektiv durch Begriffe erklärend auflösen kann, also von ihrem Rätsel befreit, somit der Kunst ihr Geheimnis nimmt, hört sie auf, Kunst zu sein. Sie geht dann in Wissenschaft über. Eine Erkenntnis, die bereits Kant in der Kritik der Urteilskraft in den Paragraphen 43 und 44 klar formuliert hat. Eine Erkenntnis, die fast jede Ästhetik in der abendländischen Tradition der Philosophie formuliert. „Alle Kunstwerke und Kunst insgesamt sind Rätsel; das hat von alters her die Theorie der Kunst irritiert. Dass Kunstwerke etwas sagen und mit dem gleichen Atemzug es verbergen, nennt den Rätselcharakter unterm Aspekt der Sprache.“20 Dieser Gedanke Adornos ist für die Problematik der Geistigkeit des Tones bedeutsam. Der Rätselcharakter unter dem Aspekt der Sprache, der Geistigkeit des Tones, ist nur in Geistparallele von Logos und Wort zu denken. Sowohl Schopenhauer als auch Nietzsche, durch Mahlers Denken rezipiert, waren nicht nur die Mode-Philosophen im Wien der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts, sondern kamen dem Wiener Geist, der phantasievollen Unverbindlichkeit, in höchstem Maße entgegen. Begründet doch dieser Gedanke nicht so sehr eine auf philosophische Stringenz basierende Ästhetik, sondern vielmehr eine Phantasie der Kunst. „ – die Wissenschaft unter der Optik des Künstlers zu sehen, die Kunst aber unter der des Lebens…“21 Für Mahler ist dies schlechthin der Ausweg, aus der Bedeutung des Denkens in der Musik durch den „Repräsentanten des Geistes“ – das Wort – herauszukommen. 19 20 21

Harald Kaufmann, Hans Erich Apostel. Wien o. J., S. 66. Theodor W. Adorno, Ästhetische Theorie. Frankfurt am Main 1977, S. 182. Nietzsche, Anm. 16, Die Geburt der Tragödie. Leipzig o. J. Bd. 1, S. 32.

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Denn wenn Schopenhauer das Wort als „Störfaktor“ für die Musik ansieht, dann ist er wohl mit Hegel einer Meinung, aber durch die vorgenommene Rangordnung der Künste wird immer wieder Verwirrung geschaffen. Für Hegel ist die Musik durch ihre keine Begrifflichkeit aufweisende Unbestimmtheit, durch ihre Wortlosigkeit und damit „geringere Geistigkeit“, die unterste auf der Stufenleiter der Künste. Für Schopenhauer ist die Musik die höchste auf dieser Stufenleiter, weil sie die Welterzeugung – „den Willen an sich“ – repräsentiert. Eine Beurteilung in der Rangordnung der Künste abzugeben, war immer ein Hindernis zum Erkennen der eigenständigen Besonderheit der einzelnen Künste, denn die Künste können jede für sich etwas, was die andere nicht kann. Sie drücken sich nicht nur durch ihr eigenständiges, besonderes Material aus, sondern im Zusammenwirken ihrer Elemente. Es gibt überhaupt keine Veranlassung, den einzelnen Künsten „Zensuren“ zu erteilen. Dass es Verwandtschaftsbeziehungen der Künste untereinander gibt, bleibt natürlich unangetastet, Goethes Wort von der „Architektur als gefrorene Musik“ verdeutlicht dies sehr eindringlich. Für Mahler war diese gegenseitige Befruchtung und Abhängigkeit vollkommen einsichtig, spricht er doch von Literaten, Philosophen, Malern, welche alle im Musiker enthalten sind. Dass man als Musiker die Musik, dass jeder Künstler seine Kunst als das Wichtigste seines eigenen Lebens betrachtet, mag wohl als allzu Menschliches vollkommen logisch erscheinen, ist aber philosophisch nicht relevant. Wieso man immer wieder die Musik durch den Gedankengang Worte versus Töne zu erklären versucht, blieb mir immer unverständlich, kann man doch den Ton in Wortparallele setzen, ohne dem Wort, welches in den Geist gehüllt ist, sein Wesen zu nehmen und das Wesen des Tones im Wort aufgehen zu lassen. Auch der Ausspruch von Robert Schumann, welchen Nikolaus Harnoncourt als Titel seines Buches (Salzburg 2007) verwendet hat, „Töne sind höhere Worte“, scheint mir nicht zutreffend. Töne sind gleich wie das Wort nur dem Menschen als Gedankliches und damit Menschliches entsprungen und sind somit in geistiger Parallele dem Wort verschwistert. Der Ton ist ein anderes (Wort), aber dennoch ein gleiches (im Geiste). Der Ton ist bewusster Klang, Klang als Bewusstsein des Menschen, aber kein „höheres“ oder „geringeres“ Wort, er ist geistfähiges Material. Denn wir anerkennen keine Schönheit ohne jeglichen Anteil von Geist. [..] Der Begriff der Form findet in der Musik eine ganz eigentümliche Verwirklichung. Die Formen, welche sich aus Tönen bilden, sind nicht leer, sondern erfüllte, nicht bloße Linienbegrenzung eines Vakuums, sondern sich von innen heraus gestaltender Geist.22

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Eduard Hanslick, Vom musikalisch Schönen. Leipzig 1910, S. 63.

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Das bedeutet, dass Musik nur auf dem Boden des Geistes existiert und dass hier der Ton zu einem geistfähigen Material wird. „Nach Humboldt ist Sprache – um es mit Hanslicks Worten zu sagen, die nahezu Humboldts Worte sind –‚ ein Arbeiten des Geistes in geistfähigem Material.“23 Das Gleiche gilt für den Ton, es ist somit das Wort als Träger des Geistes durch den Geist dem Ton verschwistert. In der Musik wird das Wort zum Ton, natürlich nur in dem übergeordneten Sinne, dass es ein geistfähiges Material ist.

V Es kann aber ohne weiteres auch die Sprache in der Dichtung zu Musik werden. Ich hege stark die Vermutung, dass Nietzsches Einfluss auf Mahler sich nicht allein in philosophischen Gedanken manifestiert, sondern ebenso in einem inhaltlich nicht relevanten, aber emphatischen Ausdruck in höchstem Maße auf Mahler gewirkt hat. Das eigentliche Wesen der Sprache Nietzsches ist Musik, sein Satzbau ist immer musikalisch gedacht und drückt sich nicht alleine durch Heben und Senken von Silben und seiner Satzkonstruktion aus, es ist wesentlich die Interpunktion, welche, ähnlich der musikalischen Sprache, in Punkten, in die Leere gehend, Gedankenstriche setzend und aufeinander folgend Rufzeichen, Fragezeichen, dem ganzen Satzablauf eine rhythmische, musikalische Dimension gibt. Darüber hinaus, und dies ist nicht nur über den Inhalt erklärbar, findet sich in der Sprache Nietzsches eine Emphase, welche Mahler ganz sicher tief beeindruckt hat. „Ich bin kein Mensch, ich bin Dynamit!“24 ist der Emphase „Sterben werd’ ich, um zu leben“ (Zweite Symphonie) verwandt, nicht im Inhalt, nur im Ausdruck der Emphase. Wie stark Nietzsche auf Mahlers Denken gewirkt hat, geht aus einer Briefstelle aus dem Jahre 1891 aus Hamburg an Emil Freund hervor: „Auch habe ich in diesen Wochen eine so merkwürdige Lektüre beendet, die wohl einen epochemachenden Einfluß auf mein Leben zu nehmen scheint.“25 Dass es sich hier um Nietzsche handelt, ist nicht gesichert, scheint aber aus dem Zusammenhang logisch. Herta Blaukopf argumentiert, dass Mahlers Auseinandersetzung mit Nietzsche erst in die Zeit der Dritten Symphonie (1895) fällt. Wir wissen aber aus anderen Quellen, dass sich Mahler schon viel früher mit Nietzsche eingehend befasst hat.

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Carl Dahlhaus, Die Idee der absoluten Musik. Kassel 1987, S. 113. Nietzsche, Anm. 16, Ecce homo. Warum ich ein Schicksal bin. Leipzig o. J., Bd. 5, S. 399. Mahler, Anm. 6, S. 119.

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Für den Musiker Mahler ist diese Beeinflussung durch Nietzsche sicher in gleicher Weise bestimmend gewesen wie der Einfluss der Wagner’schen Sprachmusik, in welcher die Wort-Ton-Problematik in besondere Weise durch die dialektische Verbindung gelöst erscheint. Wie stark dies auf Mahler gewirkt hat, ist hinlänglich bekannt. Dass hier ein Ansatz zum Verständnis des spezifischen Wort-Ton-Verhältnisses bei Mahler vorliegt, scheint mir sehr beachtenswert. Daher immer wieder die Beschäftigung Mahlers mit dem Lied, wo diese dialektische Beziehung Wort-Ton gehoben sein muss. Im Lied wie in der Oper kann keinem der beiden, Wort/Ton, eine Priorität eingeräumt werden, das Lied wie die Oper – in der Oper kommt allerdings als dritter Faktor die Darstellung hinzu – sind nicht durch Gleichberechtigung, sondern durch dialektische Gleichheit determiniert. In der Lyrik kann scheinbar eine Sinnlosigkeit der Bedeutung herrschen, erst in der Umsetzung der Bedeutung, im Zusammenwirken der Worte ergibt sich ein Sinn, der in die Darstellung einer atmosphärischen Situation einfließt. Das Wort, für sich allein gestellt in der Lyrik, ergibt oft keinen Sinn, nur im Entwerfen eines Bildes, einer Atmosphäre, einer reinen Geistigkeit erreicht Lyrik ihren Sinn; damit ist das Wort in der Lyrik dem Ton in der Musik verschwistert. Für Mahler war es sicher nur ein rein musikalisches, kompositorisches Problem, dem Wort seine adäquate Tonfolge oder einen Einzelton sich selbst finden zu lassen. Das Wort sucht seinen Sinn im Ton und der Ton sucht seinen Sinn im Wort, das bildet das Geheimnis des Liedes. Wenn der Ton sich nicht im Wort finden kann, so bleibt er sprachlos, aber nie geistlos. Der Ton ist der sprachlose Wille der Musik und, schopenhauerisch gesprochen, sucht sich der Wille seinen Weg durch die Empfindung des Menschen. „Daß unsere Musik das ‚rein menschliche’ (alles was dazu gehört, also auch das ‚Gedankliche‘) in irgendeiner Weise involviert, ist ja doch nicht zu leugnen. Es kommt wie in aller Kunst eben auf die reinen Mittel des Ausdrucks an.“26

VI Klingen ist grundsätzlich Geräusch, erst durch menschlichen Geist und die daraus resultierende Erkenntnisfähigkeit wird der Ton zum bewussten Klingen. Der Ton wird zum Wort nicht als Unmittelbarkeit in der Sprache, sondern in der Geistigkeit menschlicher Gedankendarstellung im Klingen, damit ist er geistfähiges Material. Dazu bedarf der Einzelton des anderen Tones, um so zu einem Fortschreiten eines musikalischen 26

Ebenda S. 316.

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Gedankens zu kommen; dies ist in Parallele gedacht zur Notwendigkeit der Existenz des Anderen für den Einzelmenschen, also das Funktionieren in der Sozietät, oder wie es die Ich-Du-Philosophie ausdrückt. Musikalische Sprache wird nicht über den Sinn der Bedeutung von Worten vermittelt, sie geht über den Sinn der Bewegung von Tönen. Die Bewegung als Grundlage der Musik ist nicht reduziert auf eine inhaltlich fixierte Bewegung, schon gar nicht auf den klingenden Ton. Die Bewegung an sich ist in der Musik immer Ausdruck menschlichen Seins, impliziert die Bewegung an sich, vom Schlag (Takt) des Herzens über die Bewegung des Blutkreislaufes bis zum von all diesem abhängigen Atem des Menschen. Jede Bewegung hat einen eigenen Klang. Dass der Blutkreislauf ein Geräusch verursacht, weiß jeder, der eine diesbezügliche UltraschallUntersuchung an sich hat vornehmen lassen; man kann seinen eigenen Blutfluss hören. Die Musik setzt dieses Geräusch in geistiges Klingen um. Musik vermittelt sich schlechthin über den Sinn der Bewegung des Menschen an sich, welche sich aber nicht immer tönend ausdrückt. Dies begründet die Pause als Stille mit einem ganz bestimmten Wert im Zeitablauf, die Pause wird zum nicht klingenden Ton. Die Vermittlung schafft aber immer nur der Geist des Menschen. Die musikalische Interpunktion bekommt eine besondere Bedeutung, den Atem des Menschen. Durch das Atmen bekommt Musik spezifische Artikulationen, welche der Gesamtheit der Töne, dem Ablauf der Töne – Musik – ihren Charakter gibt, weshalb sie durch all die genannten Gründe für manche Theoretiker zur „menschlichsten“ aller Künste wird. Musik, also durch die Bewegung aneinander gereihte Töne – dies bedeutet ja der Begriff componere, zusammensetzen, komponieren – drückt sich genauso durch das Nichts als sinnvolles Nichts – Stille als Pause – oder artikuliertes Ertönen aus. Musik kann Dinge ausdrücken, beispielsweise durch Pausen, zu welchen die Sprache nicht imstande ist, und Musik kann durch Töne Inhalte der Geistigkeit des Wortes ausdrücken, wozu das Wort nicht in der Lage ist. Die Pause in der Musik ist ein Innehalten in der Bewegung, welche aber mit einer Pause in der Sprache nicht vergleichbar ist. Die der Musik als Zeitkunst inhärenten Zeitabläufe bilden eigentlich das Material der Musik. Die Zeit wird in der Musik zum geistigen Material. Musik wird somit zur Zeitkunst, zur Kunst in der Zeit, und die Zeit wird zum Material. Es kann „die Zeitbedingheit des Klingenden nicht nur als Zeitverfallenheit sondern auch als Zeitmächtigkeit, als aktive Gestaltung von Zeitlichkeit gefasst und erlebt werden.“27 Musik wird zum bewegenden Erklingen in der Zeit, nur für den Menschen verfügbar. Die Zeit ist das wissende Fortschreiten des Lebens, Zeit gibt es nur für den Menschen in der Erwartung der Zukunft (expectatio), der Erinnerung des 27

Peter Gülke, Die Sprache der Musik. Stuttgart 2001, S. 73.

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Vergangenen (memoria) und im Ansehen des Augenblicks (contuitus). (Augustinus, Bekenntnisse, 11. Buch, 20). Betrachte die Herde, die an Dir vorüberweidet: sie weiß nicht, was gestern, was heute ist, springt umher, frisst, ruht, verdaut, springt wieder und so vom Morgen bis zur Nacht und von Tage zu Tage, kurz angebunden mit ihrer Lust und Unlust, nämlich an den Pflock des Augenblicks und deshalb weder schwermütig noch überdrüssig. Dies zu sehen geht dem Menschen hart ein, weil er seines Menschentums sich vor dem Tiere brüstet und doch nach seinem Glücke eifersüchtig hinblickt – denn das will er allein, gleich dem Tiere weder überdrüssig noch unter Schmerzen leben.28

Da das Sterben des Menschen in der Zeit erfolgt, als Fortschreiten des Lebens in die ungewisse Zukunft, als Ende, wird der Tod zu einem einzig dem Menschen durch sein Bewusstsein erfolgendes Ereignis. Dieses am Ende des Lebens stehende Ereignis wird im Fortschreiten der Zeit ausgedrückt. Dies formuliert Adam von Fulda (15. Jahrhundert) mit seiner nachdenklich tiefsinnigen Definition der Musik als „meditatio mortis“. Tiefsinnig erscheint sie auch in der Zweideutigkeit des doppelten Genitivs – als genitivus objectivus benennt meditatio mortis das Nachdenken über den Tod, im genitivus possessivus denken der Tod, die Vergänglichkeit selbst nach, wird Musik also als deren Organ verstanden – metaphorisch gesprochen: in klingenden Tönen können Tod und Vergänglichkeit nachdenken und für uns wird dieses Nachdenken vernehmbar.29

Die „meditatio mortis“ wird zum zentralen musikalischen Denken in Mahlers Leben. Dies macht Mahler zu jenem Komponisten, dem alles in letzter Konsequenz zum Totentanz gerinnt. Der Trauermarsch, seit Beethovens Eroica und Schuberts Großer C-Dur Symphonie bis zu Schumanns Trauermarsch (C-Dur!) in den Faust-Szenen, bekommt eine neue Dimension. Der Marsch, der bei Mahler in einer Tradition des Schubert’schen „Militär-Marsches“ steht, hört auf, Marsch zu sein, obwohl er weiter Marsch ist, ähnlich der Metamorphose des Tanzes bei Bach, welcher auch trotz Beibehaltung des Tanzcharakters keine Tänze mehr geschrieben hat, nur mehr deren Desiderat, beispielsweise die Cello-Suiten. An manchen Stellen verschränken sich bei Mahler Marsch und Walzer, gehen ineinander über und verdeutlichen somit die Bewegung des Tanzes in den Tod. Ähnliche musikalische Auflösungen finden wir, nur in Paranthese gesagt, bei Johann Strauß, beispielsweise in der 4/4-Takt-Marsch-Einleitung zum Kaiserwalzer. Diese Einleitung ist, 28 29

Nietzsche, Anm. 16, Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben. Leipzig o. J. Bd. 1, S. 101. Gülke, Anm. 27, S. 72.

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weil zwei Kaisern zugedacht und zweimal zwei vier ist, wie die meisten Einleitungen in Strauß’sche Walzer kein Tanz, eigentlich auch kein Marsch mehr, sondern durch thematische Verzahnung ein Vorgriff auf das nachfolgende Walzerthema. Im Gesamten bilden aber besonders die Johann Strauß’schen Einleitungen durch ihre „NichtTanzeignung“ eine Rückerinnerung an den Divertimento-Charakter des Tanzes, welcher nunmehr durch die Ereignisse der Zeit gebrochen ist. Die Strauß’schen Einleitungen zu seinen Walzern sind sein Beitrag zur Symphonik der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Pointiert ausgedrückt, sind es Symphonien, in ihrer Kürze Anton von Webern verwandt. Sie sollen nicht nur unterhalten, sondern geistig das vorwegnehmen, was dann kommt: der Linkswalzer in den Tod. Links ist immer die Richtung in den Tod, der Wiener Walzer der einzige Tanz, der nach links geht. Johann Strauß war immer schwer getroffen von der Aussage des Publikums, die Einleitung wegzulassen, weil „wir wollen tanzen!“. Die Kunst, besonders die Musik, hört auf zu erfreuen. Das divertirsi ist gebrochen und wird in die „leere Unterhaltung“ verlagert. Die Kunst wird Konzentrat menschlicher Lebensbewältigung und entzieht sich damit dem „leeren“ divertirsi. Unterhaltung versus denkender, ernsthafter moralischer Lebensbewältigung wird das Programm der Kunst. Im Fin de siècle – Mahlers Zeit und Welt – gibt die Kunst auf, angenehm, unterhaltend, erfreulich zu sein, sie pocht auf die intellektuelle Auseinandersetzung, unabhängig von Theologie und Philosophie, sie emanzipiert sich. Die Komödie als Zwillingsschwester der Tragödie trifft diese Entwicklung ins Mark. Sie muss sich den „Mangel der Ernsthaftigkeit“, den Vorwurf des „unintellektuellen, leeren divertirsi“ gefallen lassen. Die Welt ahnt noch nicht – Zeit des Fin de siècle –, dass „keine Lyrik nach Auschwitz“ (Adorno) mehr geschrieben werden kann. Der absurde Traum wird zum Maß der Entzauberung der Welt. Der Mensch kann nicht mehr lachen, er weint nur mehr, sein Trost ist Reflex von Trauer, er hat durch die Geschichte das Lachen verlernt. Natürlich wurden sowohl große Komödien als auch große Lyrik nach Auschwitz geschrieben, aber nie mehr unbelastet; die Menschheit und ihr Denken haben sich verändert. Die Kunst sucht sich einen neuen Partner, geht mit der Moral einen neuen Bund ein. Die gesellschaftskritische, politische, die Weltgeschichte erklärende Kunst entsteht. Kants Postulat, das Schöne als Symbol des Guten, wird wiederentdeckt, mehr noch, entdeckt sich selbst. Die Kunst fordert den menschlichen Geist heraus, bekommt religiöse Züge, welche Nietzsche zur Religion der Kunst bündelt. In diesem Sinne wird Mahler dem Schönberg’schen Ausspruch folgend ein Heiliger. Das macht aber Mahler andererseits zu einem der menschlichsten Komponisten, er gibt keine Antworten auf die Lebensfragen, er fragt selbst.

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VII Dem Gedanken des Todes ist das Enden in der Musik verschwistert. Bei Mahler wird das Enden zum inneren Programm seines Lebens, in Musik umgesetzt. Für Mahler wird das „Innere“ des Komponisten wie bei jedem Musiker zum zentralen Moment seines Lebens. „Das Leben eines Musikanten bietet ja an äußeren Ereignissen nichts. – Er lebt nach innen.“ 30 „…es gibt, von Beethoven angefangen, keine moderne Musik, die nicht ihr inneres Programm hat.“31 Mahlers inneres Programm ist seine „meditatio mortis“ als Lebensverzweiflung, und er stellt fest: „… die höchste Glut der freudigsten Lebenskraft und die verzehrendste Todessehnsucht: beide thronen abwechselnd in meinem Herzen, ja oft wechseln sie mit der Stunde.“32 Dieses „innere Programm“ wird immer wieder in Musik umgesetzt. „Die Ursachen von Mahlers Leiden, die sich in seinem Werk widerspiegeln, sind unschwer in seinen Familienverhältnissen und Kindheitserlebnissen zu erkennen.“33 Die traumatischen Kindheitserlebnisse werden durch die Traumdeutung Realität in der Musik. „Der Parallelismus zwischen Leben und Musik geht vielleicht tiefer und weiter als man jetzt noch zu verfolgen imstande ist.“34 Die Ereignisse im Leben jedes Menschen werden in seinem Inneren durch den Traum gefiltert. „Die Formel, der Traum ist eine (verkappte) Erfüllung eines (verdrängten) Wunsches trifft im Grunde das Wesen des Traumes am besten. […] Nun ist der Traum kein krankhaftes Symptom, sondern eine Leistung des normalen Seelenlebens.“35 Das Träumen als eine Form, mit der Sehnsucht fertig zu werden, bekommt durch die Deutung dessen, was im Inneren eines Menschen vorgeht, Realität. … was wir über die vorwiegende Bedeutung des Traumes für das Ur-Eine bemerkt haben, dürfen wir das gesamte wache Leben des einzelnen Menschen als eine Vorbereitung für seinen Traum ansehen. […] Der Genius als der ‚nicht wachende, nur träumende Mensch‘, der wie ich sagte vorbereitet wird und entsteht in den zugleich wachenden und träumenden Menschen.36

Die Dialektik von Nicht-Wachen gegenüber Nur-Träumen ersteht in der Realität des Lebens durch die Kunst wieder auf. 30 31 32 33 34 35 36

Mahler, Anm. 6, S. 206. Ebenda S. 277. Ebenda S. 30. Reilly, Anm. 4, S. 11. Mahler, Anm. 6, S. 163. Sigmund Freud, Kurzer Abriss der Psychoanalyse. Frankfurt am Main 1971, S. 212. Nietzsche, Anm. 16, Der griechische Staat. Leipzig o. J. Bd. 1, S. 206.

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Es wird somit beim Künstler, Musiker, Komponisten der Traum zu einer Besonderheit, welche das der Welt zugrunde liegende Ur-Eine, schopenhauerisch gesprochen „der Wille an sich“, direkt zum inneren Programm hat. In diesem inneren Programm ist das Konfliktleben eines Künstlers begründet. Diese merkwürdige Realität der Gesichte, die sofort zu einem Schemen auseinanderfließt wie die Erlebnisse eines Traums, ist die tiefste Ursache zu dem Konfliktleben eines Künstlers. Er ist zu einem Doppelleben verurteilt und wehe, wenn ihm Leben und Träumen einmal zusammenfließt…37

„Der Komponist soll Leidenschaften nicht porträtieren, sondern wie Schubart es ausdrückt – ‚seine Ichheit in der Musik heraustreiben’. Nur wer in sich selbst zurückgeht und aus dem eigenen Inneren schöpft, ist ‚original’.“38 Mit dem inneren Programm ist nicht die Biographie gemeint, sondern ganz wesentlich das im Inneren eines Künstlers vorgenommene Leben, in welchem sich Traum und Wirklichkeit dialektisch bedingen. Dadurch eben wird der Traum zur Wirklichkeit, und die Wirklichkeit ersteht in Mahlers Fall in der Musik wieder auf. Dies scheint mir auch der Grund zu sein, warum Mahler – der große Operndirigent – nie eine Oper geschrieben hat. Die drei Pintos hat er ja lediglich bearbeitet. Es wird ihm wahrscheinlich zeitlebens nie darum gegangen sein, „fremdes“ Geschehen als Musik auf der Bühne darzustellen. Das hat er ja schließlich als Dirigent sein ganzes Leben lang gemacht. Er wollte immer nur sein eigenes, individuelles inneres Programm, seine Ichheit in Musik setzen, daher hat Mahler auch nie eine Tondichtung im Sinne Franz Lizsts und Richard Strauss’ geschaffen. Die Todtenfeier ist nur eine „meditatio mortis“ als inneres Programm Mahlers und keine Tondichtung im landläufigen Sinne. Mahler löst das Problem der seine Epoche bestimmenden Frage nach dem Programm in der Musik als erster in Anlehnung an Beethoven auf. „Mehr Ausdruck der Empfindung als Mahlerey“, mehr inneres Programm als äußerliche Erzählung. Mahler erzählt keine bereits stattgefunden habenden Geschichten wie Richard Strauss in Don Juan oder Till Eulenspiegel, Mahler erzählt seine inneren Empfindungen als sein inneres Programm immer in der Gegenwart der gerade stattfindenden Musik. Die Musik Mahlers erzählt keine Biographie des Komponisten oder Ereignisse aus dessen Leben, sie erzählt den Charakter und die Weltanschauung, die Sehnsüchte und Träume, eben das Innere eines Menschen, der „zufälligerweise“ Komponist ist. Die Musik erzählt hic et nunc und ist quasi selbst die Geschichte. Dort, wo sie sich des 37 38

Mahler, Anm. 6, S. 396. Carl Dahlhaus, Musikästhetik. Köln 1976, S. 35.

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Wortes bedient, nimmt Mahler eine Umdeutung des Wort-Ton-Problems vor. War die Ästhetik noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf dem Gedanken beruhend, dass der Ton dem Wort untergeordnet ist, so macht Mahler das Wort zur ancilla des Tones. Mahler emanzipiert den Ton.

VIII Eigentlich erfüllt Mahler in seinem Werk eine Forderung Hegels. Dieser kommt in Mahlers Äußerungen und Briefen, ebenso wie Stifter, nie vor, er wird ihn mit ziemlicher Sicherheit nicht in sein Denken aufgenommen haben, aber Hegel – ebenso Stifter für Mahlers Begriff der Natur – formuliert quasi vorweggenommen Mahlers inneres Programm und seine Leistung, den Ton verselbständigt zu haben. Das Prinzip der Musik macht die subjektive Innerlichkeit aus. Das Innerste aber des konkreten Selbst ist die Subjektivität als solche, durch keinen festen Gehalt bestimmt und deshalb nicht genötigt, sich hierhin oder dorthin zu bewegen, sondern in ungefesselter Freiheit nur auf sich selbst beruhend. Soll diese Subjektivität nun gleichfalls in der Musik zu ihrem vollen Recht kommen, so muss sie sich von einem gegebenen Text losmachen und sich ihren Inhalt rein aus sich selbst entnehmen.39

Der Inhalt der Musik ist ihr Geist, schlechthin sie selbst, eine in Töne gegossene Sprache, weil der Ton geistfähiges Material ist. Obwohl Hanslick in seiner Schrift Vom musikalisch Schönen Hegelsches Gedankengut ablehnt, formuliert er in Anlehnung an Hegel: Eine musikalische Idee entspringt primitiv in des Tondichters Phantasie, er spinnt sie weiter. […] An die Darstellung eines bestimmten Inhaltes denkt der instrumentale Tonsetzer nicht. […] Seine Komposition wird die Übersetzung eines Programms in Töne.40

Der Einfluss von Hanslicks Gedanken auf Mahler scheint offenkundig, Hanslick hat vielleicht nur das Attribut „inneres“ Programm vergessen. Das innere Programm Mahlers bleibt immer die Darstellung des ertönenden Alls, des Ur-Einen, schopenhauerisch gesprochen des „Willens an sich“, nämlich das Universum zum Tönen zu bringen. In Mahlers Vorstellung von Musik fließen immer alle das Leben eines Menschen bestimmenden Elemente zusammen. Das letzte Wort bei Mahler hat aber immer der Tod. 39 40

Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Ästhetik. Berlin 1965. Bd. 2, S. 320. Hanslick, Anm. 22, S. 73.

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Bei Mahler löst sich somit die Frage nach dem Programm, welches seiner Musik unterlegt ist, durch die „meditatio mortis“ auf. Seine Lebensverzweiflung drückt sich wahrscheinlich am eindringlichsten in seiner Suche nach dem Ende aus. Mahlers Lebensverzweiflung wird durch die Hinwendung des Wiener Geistes zum Tode verstärkt. Die Todessehnsucht, Resultat der Heimatlosigkeit, erfüllt sich im Traum. „Alle Sehnsucht will nur träumen“ verkündet Mahler im Lied von der Erde im Abschied. Das Träumen der Sehnsucht ist dem „Ertrinken, Versinken, unbewusst, höchste Lust“ (Wagner) verschwistert. Die Verzweiflung über das Nicht-enden-Können aber Enden-Müssen, über das Leben und den Tod, drückt Mahler in unvergleichlicher Weise im Finale der Dritten Symphonie am Schluss aus, wo die Pauken in der Kadenzierungsformel TonikaDominante wie ein Ostinato, dann in der Vergrößerung der Welt einhämmern möchten: Wie soll ich enden? Dieser Gedanke findet in Mahlers Leben einen Endpunkt als Höhepunkt im Finale der Neunten Symphonie und des Liedes von der Erde, welches ja auch Abschied heißt. „… auf der Linie von Gadamers Auskunft ‚im Abschied ist immer Erkenntnis‘ mag Dahlhaus in seiner oben diskret bemängelten Formulierung im Auge gehabt haben. Musik erreiche ‚ihr eigentliches Dasein gerade in dem Moment, in dem sie vergangen ist.’“41 Wo in der Musik nichts mehr tönt, ist aber noch immer Musik, wenn es der geistig musikalische Text durch den Ton (Tod) als geistfähiges Material es verlangt. Musik als Geist ist in ihrem Ende nach dem Abschied noch immer existent, sie tönt geistig weiter in der Stille, in die Pause, in und durch den Geist. Diese Erkenntnis des Abschieds macht Mahlers Werk zu einem einzigartigen in der Erkenntnis menschlichen Daseins, welches sich in der Zeiterstreckung von der Geburt bis zum Tode erfüllt. Dieses musikalische Ausdrucksmittel, dass Musik über das Tönen den geistigen Raum erweitert, macht Alban Berg im Schluss seiner Oper Wozzek zum direkten Mahler-Nachfolger. Die Tragödie des Waisenkindes bleibt weiter bestehen im Erklingen des Endes als ewige Pause, welche nur mehr in reiner Geistigkeit der Musik sich in Stille ausdrückt, und diese Tragödie, dass Kinder als Opfer der Erwachsenen alleine übrig bleiben, wird immer wieder passieren; ewig, ewig… Es versinkt die Welt in Stille. Die Stille wird zur Angst. „Wir brauchen Musik. Das Gespenst ist die lautlose Welt.“42 So gerät das Finale einer Mahler’schen Symphonie tatsächlich zu einem Ende. Es ist nicht mehr der schöne Schein, den das Kunstwerk scheinbar spiegelt, es ist die Realität in die Musik getreten und zu Ende gebracht, weil in Mahlers Vorahnung die Humanität aufhören wird zu existieren. Als einer der letzten Diatoniker, Harmoniker, die euro41 42

Gülke, Anm. 27, S. 79. Ingeborg Bachmann, Die wunderliche Musik, in: Werke. Bd. IV. München 1978, S. 54.

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päische Tradition in der Musik Zusammenhaltender, ist Mahler zugleich der Zerstörer der harmonisch-unterhaltungstiftenden Musik. Er ist mit Beethoven, aber wesentlich Schubert der neue emanzipierte, selbständige, unabhängige Künstler, welcher die Geschehnisse der Welt wörtlich nimmt. Er verklärt nicht mehr, er wird zum Berichterstatter des Weltzustandes, zum ersten „Journalisten“ der Musik, die Weltsituation hic et nunc und in futuro beschreibend. „Oft denke ich, sie sind nur ausgegangen“, es scheint nur so zu sein, es ist aber Realität, dass sie fort sind, die Kinder – wenn wir keine Kinder mehr haben, gibt es auch keine Zukunft für uns – ich kann nur mehr träumen, dass es nicht Realität ist, aber die Musik spricht eine andere Sprache als die des Traumes, des Scheins, diese verblassen zur Chimäre nach dem Maß der Entzauberung der Welt. Die Musik Mahlers ist aber Trost als Reflex von Trauer in der Umkehrung von Schein. Es kehrt sich alles um, die Umkehrung aller Werte findet statt, die Vision Nietzsches wird aus der Ahnung – Sehnsucht – Traum – in die Realität gehoben. Das Grauen der Realität ist wirklich Wirklichkeit. Das Spiel zwischen Schein und Wirklichkeit ist aus. Und das hat Mahler als erster Komponist gewusst und in Musik gesetzt. Diese Schreckensvision in der Musik ist Mahlers Vermächtnis bis heute. Dies machte ihn zum Visionär und Warner aus Nietzsches Geist – o Mensch, gib Acht! (Nietzsches Worte aus Also sprach Zarathustra, die Mahler für den vierten Satz seiner Dritten Symphonie auswählte). Jean Améry, nicht wie Mahler ein Warner, sondern einer, der das von Mahler vorgezeichnete Grauen in der Menschheitsgeschichte selbst erlebt hat, resumiert: „Schönheit, das war eine Illusion. Erkenntnis, das erwies sich als Begriffsspiel. Der Tod verhüllte sich in alle seine Unkenntlichkeit.“43 Jean Pauls Der Traum der Wahrheit – ein Kapitel in seinem Roman Der Titan – wird zur Chimäre. Von der Wahrheit können wir nur träumen, eigentlich gibt es sie nicht mehr, so wie es die Schönheit nicht mehr gibt. Weil die Erkenntnis zum Begriffsspiel geworden ist, gibt es die Wahrheit nicht mehr. Sie wird subjektiv und willkürlich. Der Geschmack, bei Kant noch „Kenntnis“, wird immer mehr subjektiv, willkürlich, vom dunklen Gefühl vereinnahmt. Alles ist erlaubt, es darf jedem etwas anderes gefallen. Meinte dies vielleicht Améry als Erklärung von Nietzsches Warnung und Mahlers Vision? Weil die Realität unglaubwürdig wurde. Die Wahrheit kann man nur mehr träumen. Es gerinnen die Zeiten ineinander, die Gegenwart beantwortet in der Erinnerung die Fragen an die Zukunft, die Suche nach der verlorenen Zeit (Marcel Proust) steht Pate. Das Mysterium der Musik als Zeitkunst und damit Todeskunst wirkt unmittelbar und 43

Jean Améry, Jenseits von Schuld und Sühne. Stuttgart 1977, S. 44.

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direkt. Der Dirigent Ingo Metzmacher beschreibt Mahlers Finale der Neunten Symphonie und des Liedes von der Erde: „Dann beginnen die Stimmen zu verrinnen. Allmähliches Verstummen. Das Leben ist gelebt, der Wille ist gebrochen. Musik löst sich auf ins Nichts. Macht Platz für das, was kommen wird. Offen nach vorn, offen zum Morgen hin. Als eine Brücke in die Zukunft.“44

IX Die Basis, dass das Wort so wie der Ton nur in der Geistigkeit des Menschen existiert, reserviert Musik und damit jeder Kunst ihren Platz ausschließlich im Raum der Humanität. Musik gibt es nur für den Menschen, in der Natur gibt es keine Musik. Das Rauschen des Waldes, der Gesang der Vögel können nur vom Menschen zur Musik gemacht werden, in der Natur ertönen sie, selbst wenn sich der Mensch, wie beispielsweise Gustav Mahler, dies zum Vorbild nimmt. Mahler transformiert diese Erkenntnisse seines Erlebens in die Musik und gibt der Natur dadurch Kunstcharakter. Mahler unterscheidet, pointiert und überzeichnet ausgedrückt, nicht mehr zwischen Kunst und Natur. Musik bleibt immer ertönende Humanität. Das Mittelalter, von der aristotelisch-scholastischen Tradition geprägt, postulierte für die Kunst den Satz „ars imitatur naturam“, die Kunst ahmt die Natur nach. Die Leibniz’sche Philosophie, den Grundgedanken der in der Natur durch Gott waltenden Vernunft weiterführend, von Spinoza durch das „deus sive natura“ radikalisiert, wird für Goethe zum zentralen Naturbegriff, in welchem Ordnung und Vernunft – Chaos hingegen nur scheinbar – walten. Die aristotelische Tradition wird wesentlich von Kant gebrochen, wenngleich es viele weiterführende Gedanken trotz der Verschiebung, der Fokussierung auf den Menschen durch das neuzeitliche Weltbild – die Kopernikanische Wendung – , gibt. Findet sich bei Kant noch das Schöne als Symbol des Guten, entsprechend dem Lehrsatz der ontologischen Trias „ens et bonum et verum et pulchrum convertuntur“, so findet sich bei Schopenhauer der Chaosbegriff in Anlehnung an Leibniz auf den Kunstbegriff angewandt. Da … die Welt nach einer vollkommenen Ordnung geregelt ist, so muß es auch eine Ordnung in dem Vorstellenden geben. […] Jedes Stück Natur kann als ein Garten voller Pflanzen und als ein Teich voller Fische aufgefasst werden. […] daher gibt es nichts Ödes, nichts Unfruchtbares, nichts Totes in der Welt; kein Chaos, keine Verwirrung, außer nur scheinbare.45 44 45

Ingo Metzmacher, Keine Angst vor neuen Tönen. Berlin 2005, S. 53. Gottfried Wilhelm Leibniz, Monadologie. Hrsg. Hartmut Hecht. Stuttgart 1998, § 63, 67, 69.

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So zeigt uns eine Beethoven’sche Symphonie die größte Verwirrung, welcher doch die vollkommenste Ordnung zum Grunde liegt, den heiligsten Kampf, der sich im nächsten Augenblick zur schönsten Eintracht gestaltet. […] Ein treues und vollkommenes Abbild des Wesens der Welt, welche dahinrollt in unübersehbarem Gewirre zahlloser Gestalten und durch stete Zerstörung sich selbst erhält. Zugleich nun aber sprechen aus dieser Symphonie alle menschlichen Leidenschaften und Affekte.46

In der Musik mit Beethoven, in der Malerei mit Goya, in der Literatur mit Hölderlin bricht ein neues Bestreben der Kunst auf. Der neuzeitliche Künstler schafft nunmehr seine neue, individuelle Welt. Er schafft ein scheinbar künstliches, künstlerisches Chaos, in Parallele zum Leibniz’schen (Schein)Chaos in der Natur, aber durch seinen Verstand organisiert er die Vernünftigkeit in der Kunst. Der Künstler wird zum verlängerten Arm der Natur, parallel zur Vernunft in der Natur gedacht, damit der Göttlichkeit und damit der Absolutheit. Dies ist der Ansatz zu Kants Genietheorie, die er im Paragraph 45 und 46 der Kritik der Urteilskraft postuliert: „Schöne Kunst ist eine Kunst, sofern sie zugleich Natur zu sein scheint.“ „Schöne Kunst ist Kunst des Genies. […] Genie ist die angeborene Gemütslage (ingenium), durch welche die Natur der Kunst die Regel gibt.“ Mahler befindet sich zweifellos noch in der Parallelsetzung deus artifex – homo artifex im Sinne der aristotelisch-scholastischen Tradition, gewinnt aber ganz wesentlich in seiner Naturnachahmung und damit seiner Welterzeugung seine Selbständigkeit als neuzeitlicher Künstler und Denker. Er bricht die Tradition, indem er nicht mehr den Vernunftträger Natur als Vernunftbeweis Gottes und damit Gott, den Schöpfer – deus artifex – verherrlicht, sondern er verherrlicht und ahmt die Natur selbst nach. Die Kunst ahmt nicht mehr die Natur als Abbild nach, sondern nimmt sich nur mehr die Natur in ihrer Struktur, in ihrer Vernunftparallele und ihrer Besonderheit als Geschaffenes zum Vorbild. Das Kunstwerk wird in Naturparallele gemäß der kantischen, goetheschen Forderung als Organismus gedacht, welcher das innere Programm des Künstlers widerspiegelt. Goethe bündelt seine Gedanken in seiner Metamorphosenlehre. Das Kunstwerk wird zum Organismus, zur lebendigen Existenz. Dieser Gedanke fließt durch Kant und Goethes Metamorphosenlehre direkt in die Mahlersche Welt ein. Damit wird für Mahler der Begriff Natur zu einem der zentralen Begriffe seines Denkens überhaupt. Die Natur, ein Begriff welcher auf Mahler über Leibniz, Goethe, Jean Paul wesentlich gewirkt hat, wird für ihn zum Vorbild, erhält Individualität und übt Katharsis aus. Die Reinheit der Natur, sowohl in der Antike als auch im Mittelalter gab es den Begriff „natura pura“, der Reinheit der Natur im Sinne der vom Menschen nicht ange46

Schopenhauer, Anm. 14, S. 523.

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tasteten und daher „naturbelassenen“ Natur, wurde wesentliches Sehnsuchtsmoment und Vorbild für Mahler. Er ahmt nicht mehr die göttliche Vernunft, welche in der Natur waltet im Sinne der aristotelisch-scholastischen Tradition und Leibniz’ nach, sondern er verherrlicht die Vernunft der Natur per se. So gesehen hat nur mehr die Natur Einfluss auf den Menschen und nicht mehr Gott, der Schöpfer. Für Mahler wird der Jean Paul’sche Naturbegriff Vorbild, ohne welchen Stifters „sanftes Gesetz“ undenkbar wäre. Der absolute Einklang, in dem sich der Mensch mit der Natur zu befinden hat, das bedeutet ja das sanfte Gesetz, wird Sehnsuchtsmoment der Liebe zur Natur als Reinigung von den Unbilden menschlichen Lebens. Die Wechselwirkung gemäß des sanften Gesetzes, welches das Verhältnis des Menschen zur Natur in Harmonie ausdrückt, wird für Mahler Triebfeder seines Schaffens, manchmal sogar mehr noch; die Natur erfährt eine Anthropomorphisierung, und Mahler lässt sich als Genie von der Natur die Regeln geben. …ich will ebenso gern zu einer Liebeserklärung öffentlich niederknien, das trunkene Auge auf Dich, Natur, meine Geliebte, heften.47 Daß die Menschen immer meinen, die Natur liege an der Oberfläche! Was das Äußerlichste an ihr betrifft, ja! Aber die sind ihr noch nicht auf die Spur gekommen, die nicht alle Schauer eines unendlich geheimnisvollen, göttlichen im Angesichte der Natur ergreift, das wir nur ahnen, nicht begreifen und durchdringen können. Und eine Spur dieses Unendlichen in der Natur muß in jedem Kunstwerk, das ein Abbild von ihr sein soll, liegen.48 Wahrscheinlich empfangen wir die Urrhythmen und – themen alle aus der Natur. Wie ja der Mensch und Künstler im besonderen jeden Stoff und jede Form der Welt, die ihn umgibt, entnimmt, freilich in ganz anderem, erweiterten Sinne.49

X Mahler schafft eine menschliche Welt in seinen Symphonien, in sich geschlossene, individuelle Welten. Der Begriff Welt ist für Mahler zu einem seiner persönlichsten Begriffe geworden. Mahler schafft immer wieder in seiner Musik sein inneres Programm und erklärt damit seine Symphonien als eine von ihm geschaffene Welt, in welcher das ganze Universum tönt.

47 48 49

Jean Paul, Titan. Leipzig und Wien o. J. Bd. 1, S. 54. Gustav Mahler in den Erinnerungen von Natalie Bauer-Lechner. Hrsg. Herbert Killian. Hamburg 1984, S. 160. Ebenda S. 95.

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Die Symphonie Mahlers ist die Darstellung seiner Welt als sein Wille und seine Vorstellung. In dieser Welt gibt es neben der Natur hauptsächlich Menschen, die Großes, Erhabenes, Schreckliches, Grauenvolles, Entsetzliches verursacht haben, aber diese Welt in Totalität repräsentieren. „Nun aber denke Dir so ein großes Werk, in welchem sich in der Tat die ganze Welt spiegelt – man ist sozusagen selbst nur ein Instrument, auf dem das Universum spielt.“50 Um diese seine Welt zu erschaffen, benötigt Mahler, anders als andere Komponisten, einen größeren Orchesterapparat. … ob es denn eines so großen Apparates wie des Orchesters bedarf, um einen großen Gedanken auszudrücken. […] Je weiter sich die Musik entwickelt, desto komplizierter wird der Apparat, den der Komponist aufbietet, um seine Ideen auszudrücken. Vergleichen Sie nur einmal das Orchester, das Haydn in seinen Symphonien anwendet …51

Natürlich ist Mahlers Weltdarstellung ein großer Gedanke, aber das ist nicht die Antwort darauf, warum Mahler nur in zwei musikalischen Bereichen seine Welt erstehen ließ: in der Symphonie und im Klavierlied. Mahler benötigt, um seine Welt auszudrücken, das große Orchester, nicht weil es groß ist, sondern weil es im Ertönen vielfältig ist und vor allem vielfältige Farben durch seine Instrumentation erzeugen kann. Arnold Schönberg sagt in seiner berühmten Rede über Mahler: „Das einzige, was jeder an Mahler gelten ließ, war seine Instrumentation. […] Und in der Tat, Mahler hat in seinen Kompositionen nie etwas an der Form geändert, aber fortwährend in der Instrumentation.“52 Mahler ist wesentlich in seinem Ausdruck Kolorist, er braucht die Vielfalt der Farben des Klanges, er braucht den Kontrast, er braucht das wild Hineinfahren genauso wie das ganz zart Verträumte, das sich als Ausdrucksbezeichnung in den Partituren findet. Er zeigt aber damit, dass die vier Parameter der Musik Tonhöhe, Rhythmus, Dynamik, Farbe nicht zu trennen sind, sondern sich notwendig gegenseitig bedingen. Die Farbe durch das jeweilige Instrument gibt dem Ton erst seinen besonderen, individuellen Charakter und erst recht in seinem Zusammenklingen in der Akkordik und im Auseinanderbrechen der Stimmen in einer jeweiligen Färbung, aber in ihrem sich gegenseitig entsprechenden Unterschied bilden sie eine Einheit. Kammermusik, wenn man von dem Klavierquartett aus der Jugendzeit absieht, war für Mahlers Welt zu eng. Da ging er dann gleich in die Unverbindlichkeit des Klavier50 51 52

Mahler, Anm. 6, S. 187. Ebenda S. 129. Mahler, in: Arnold Schönberg, Stil und Gedanke. Hrsg. Ivan Vojtech. Frankfurt/Main 1992, S. 29.

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tones, der für Mahler quasi neutral gewesen sein muss und nicht zur Emanzipation des Tones in seinem musikalischen Denken führte. Wie sehr der Unterschied des neutralen Klaviertones und des färbigen „Orchestertones“ für Mahlers Denken bestimmend war, zeigt eine Briefstelle an Max Marschalk: … und dann eine wechselvolle und vor allem durch logische Entwicklung der inneren Idee – andernteils (durch) echte Gegensätzlichkeit der gegenübergestellten Motive fesselnde Ausführung. Bei ihnen verschwimmt das alles noch, ferner: sie müssen den Klavierspieler loswerden! Das ist alles kein Orchestersatz – sondern für Klavier gedacht – und dann ziemlich unfrei im Geiste dieses Instruments für Orchester übertragen – ...53

Mahler dachte immer schon, obwohl er Klavierparticelle entwarf, überwiegend orchestral. Das Klavier war für ihn nur ein Hilfsmittel zur Darstellung von Mehrstimmigkeit und das Reduzieren des Orchesterapparats für den Korrepetitor. Im Klavierlied bekommt das Klavier seine Eigenständigkeit bei Mahler. So paradox dies klingt, für Mahlers reine Sprachbezogenheit, eine neutrale Ausdeutung des unabhängigen und selbständigen Wortes gegenüber dem färbigen Ton, benötigt das Klavierlied das Klavier. Aber seine wahre innere Welt als inneres Programm seiner subjektiven Innerlichkeit war die große Färbigkeit des Orchesterapparates.

XI Mahlers Kunstwelt scheint nicht mehr die Realität widerzuspiegeln, sie wird und ist unmittelbare Realität. In Mahlers Welt hat Gott scheinbar keinen Platz mehr, der Mensch nimmt diesen Platz ein. Weil Gott Mensch geworden ist, wird der Mensch Gott. Dies ist ganz im christlichen Sinne, aber nur in christlicher Dialektik zu verstehen. Für Mahler, den Juden, der Christ geworden ist, so vermute ich, bleibt Jesus Christus als Erlöser der falsche Rabbi, der das Judentum verraten hat. Daher bleibt Mahler auch der ewige Gottsucher. In diese Dialektik ist Mahlers religiöse Welt eingespannt. Er möchte den unangetasteten jüdischen Gott, von dem man sich kein Bild machen darf, behalten und ihn nicht dem Christentum ausliefern, bleibt aber in der Ungewissheit und Sehnsucht verharrend, dass der Messias noch kommen wird. Oder?! war er schon da in der Person Jesu Christi als Gott? Mahler fragt, das macht seine Musik so menschlich. Der Fragecharakter seiner Musik, seine vollkommene menschliche Unvollkommenheit. 53

Gustav Mahler, Anm. 6, S. 175.

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Nur in Paranthese gesagt, für Bruckner stellt sich dieses Problem nicht. Bruckner glaubt, und der Glaube an seine Religion bringt ihm das Heil. Daher hat auch Bruckners Musik keinen Fragecharakter, sie ist immer sicher, vielleicht ist sie sogar die letzte in der europäischen Musikgeschichte, welche absolut ist. Die jüdischen Wurzeln Mahlers verbieten ihm den Gedanken, dass das Heil bereits erreicht wurde und man in der Sicherheit des Glaubens lebt. Diese Gedanken sind viel zu christlich. Jüdisches Denken belässt Gott immer nur als Gott und den Menschen nur als Menschen. Mahlers Musik sucht sich ihren menschlichen Weg direkt, sie bleibt immer auf dem Boden der Unvollkommenheit der Menschlichkeit. Sie spiegelt aber auch die Unvollkommenheit menschlichen Lebens und die Unvollkommenheit als Gegensatz zur Göttlichkeit. Sie ahmt nicht mehr die Schönheit der von Gott geschaffenen Welt nach als Verherrlichung Gottes im Sinne der aristotelisch-scholastischen Tradition, sondern der neuzeitliche Mensch steht im Mittelpunkt der Mahler’schen Welt. In Mahlers Welt spiegelt sich die ganze Welt, das heißt, die Welt wird durch Mahler in seinem Kunstwerk zu seiner Welt, durch seine Imagination und die Expression seines inneren Programms. Er schafft seine Welt durch seinen Willen und seine Vorstellung. Wenn auch in einem anderen Zusammenhang, so gilt der nachfolgende Satz Mahlers auch für sein Lebenswerk als Komponist und gehört zum Berührendsten: „Statt eines Ganzen, Abgeschlossenen wie ich geträumt, hinterlasse ich Stückwerk, Unvollendetes; wie es dem Menschen bestimmt ist.“54 Das Eingeständnis des eigenen Scheiterns, weil es dem Menschen bestimmt ist, trotz permanenten Bemühens fußend auf seiner Gerechtigkeitssuche durch sein Handeln, macht Mahler zu einer der menschlichsten Künstlerpersönlichkeiten. Sein Lebenswerk steht dafür. „Mahler zog aus, hohe Lieder zu schreiben und hat das ‚Lied von der Erde‘ geschrieben.“55

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55

Gustav Mahler, Abschiedsbrief an die Mitglieder der Wiener Hofoper. 7. Dezember 1907, in: Gustav Mahler, Anm. 6, S. 346. Adorno, Anm. 10, S. 177.

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DIE GEDANKEN SIND FREI! Gustav Mahler und die Philosophie seiner Zeit

Die Bücher leider gehen mir schon aus! Und da ich es nicht so machen kann wie Quintus Fixlein der sich seine Bibliothek nach und nach selbst geschrieben / (so wie ihm ein Titel in den gelehrten Anzeigen zu Gesicht gestanden, flugs schrieb er sich gleich das Buch zu), / so muß ich mir irgend etwas kaufen, wenn ich nach Klagenfurt komme.1 Es war nun 5 Uhr geworden, die Schmerzen sehr heftig. Ich ging zu Mahler, er erschrak, zog sich sofort an, holte die weise Frau und versuchte dann alles, um mir meine Schmerzen wegzusuggerieren. Er verfiel auf den närrischen Gedanken, mir Kant vorzulesen. Ich saß auf seinem Schreibtisch, wand mich vor Schmerzen und das monotone Geräusch des Vorlesens war zum Verrücktwerden. Verstehen konnte ich ohnedies nicht mehr, was er las. Es war zu viel! Ich revoltierte. Heute weiß ich, daß er unbedingt recht hatte, und daß es nur eine Schmerzüberwindung gibt, nämlich die, sich geistig zu konzentrieren. Nur war das Objekt schlecht gewählt, es war zu schwer zu fassen.2 Gewöhnlich kam Mahler ernst nach Hause, legte sich nach dem Nachtmahl auf unseren blauen Divan, und ich las ihm vor. So ‚Zwei Menschen‘ von Dehmel, ‚Parsifal‘ von Wolfram von Eschenbach, ‚Tristan‘ von Gottfried von Straßburg oder auch Aktuelles. Damals hörte ich ein Kolleg Professor Siegels an der Universität ‚Himmelsbild und Himmelsgewölbe von Aristoteles bis Kant‘. Ich schrieb mit, versuchte, es zu Hause auszuarbeiten, las es Mahler am Abend vor, und er war rührend lieb in seinem Eifer, mir alles damals Unverständliche zu erläutern, wobei er selbst oft um Hilfe zu seinen Philosophen gehen mußte. Auf diese Art kamen wir auf Giordano Bruno und Galilei. Ich las ‚Die triumphierende Bestie‘, ‚Das Aschermittwochmahl‘ vor, – Galilei, dann die ‚Geschichte des Materialismus‘ von Lange usw. Jemand sagte einmal zu mir: ‚Alma, Du hast ein Abstraktum zum Mann, keinen Menschen!‘

1

2

Brief Gustav Mahlers an Alma Mahler aus Maiernigg am 3. Juli 1904, in: Ein Glück ohne Ruh’. Die Briefe Gustav Mahlers an Alma. Erste Gesamtausgabe, hrsg. und erläutert von Henry-Louis de La Grange und Günther Weiß. Berlin 1995, S. 208. Die Herausgeber korrigieren Mahler: Die Anspielung bezieht sich nicht auf Jean Pauls Quintus Fixlein, sondern auf dessen Leben des vergnügten Schulmeisterlein Maria Wutz in Auenthal (ebenda S. 209). Alma Mahler-Werfel, Erinnerungen an Gustav Mahler / Gustav Mahler, Briefe an Alma Mahler. Hrsg. [mit Einleitung und Nachwort] Donald Mitchell. Frankfurt/M. 1980, S. 95. Es war der 15. Juni 1904, an dem Anna Justine (Gucki) geboren wurde.

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Dies war die Wahrheit. Niemals aber möchte ich auch nur einen Tag aus dem damaligen Leben missen.3 Im Zimmer [im Komponierhäuschen in Maiernigg] stand ein Flügel und auf den Regalen ein vollständiger Goethe und Kant. Außerdem an Noten nur Bach.4

I. Gustav Mahler: Ein Musiker als Philosoph? In der allgemeinen Wahrnehmung, nicht nur in der musikwissenschaftlichen MahlerForschung, sondern auch in den Feuilletons, Konzertprogrammheften und TonträgerBegleittexten, ist Gustav Mahler ein stark von philosophischen Gedanken geprägter und auch selbst philosophierender Musiker. Hermann Scherchen nennt Mahler in einem kleinen Beitrag von 1919 einen „Musiker-Philosophen“.5 Kaum eine Interpretation Mahlerscher Musik kommt nicht auf den einen oder anderen philosophischen Gedanken zu sprechen, der in seiner Musik zum Ausdruck käme, sei es als ein die Musik veranlassender Gedanke oder gar als ein den Entwicklungsgang der Musik leitendes Programm. Auffallend häufig wird Mahlers Musik als ‚Philosophie in Tönen‘ oder ‚tönende Metaphysik‘ bezeichnet, so wie Beethoven als Ideen-Musiker bezeichnet wird. Beethoven, Berlioz, Schumann, Wagner, Mahler – das sind „Musiker-Philosophen“. Auf Mahler trifft diese Charakterisierung vielleicht am meisten zu. Die These, dass Gustav Mahler als philosophierender Musiker zu verstehen ist, kann in zwei Varianten vertreten werden. Die schwächere, gewissermaßen harmlosere Variante besagt: Mahler hat viel Philosophisches gelesen und viel über philosophische Fragen nachgedacht, auch eigene philosophische Gedanken entwickelt, sie häufig auch mit Zeitgenossen diskutiert. Laut dieser schwächeren Variante war Mahler auch Philosoph, er war Musiker und Philosoph. Um dies genau nachzuvollziehen, kann man in den betreffenden Quellen (Briefen, Erinnerungen von Zeitgenossen, Biographien) nachlesen, welche Texte welcher Philosophen Mahler gelesen, über welche philosophischen Fragen er nachgedacht und welche philosophischen Thesen und Theorien er rezipiert oder auch selbst vertreten hat. Daraus würde ersichtlich, welche Philosophie welche Rolle als Teil der intellektuellen Biographie Mahlers neben seinem musikalischen Schaffen gespielt hat.

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Ebenda S. 148 (im Kapitel Leid und Angst 1907). Ebenda, S. 71. Hermann Scherchen, Gustav Mahler, der Musiker-Philosoph, in: Freie deutsche Bühne 1, 1919 –1920. S. 446– 449.

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Die stärkere, aber auch wesentlich heiklere Variante besagt: In Mahlers Musik ist eine philosophische Dimension, sind philosophische Aussagen identifizierbar. Laut dieser stärkeren Variante war Mahler als Musiker Philosoph. Mahlers philosophische Reflexionen kommen in seiner Musik zum Ausdruck, Philosophie wird musikalisch versinnbildlicht. Oder mehr noch: Seine Musik ist Philosophie (in einem dann näher zu bestimmenden Sinne). Demnach könnte Mahlers musikalisches Werk nur angemessen interpretiert werden, indem man in ihm Mahlers Philosophie identifiziert. So schreibt Reinhard Schulz: „Spätestens seit der III. Symphonie ist Mahlers Musik zugleich Philosophie. Ihr Ringen ist eines um Erkenntnis.“6 Oder etwas vorsichtiger Karl-Josef Müller: „Mahlers Werk ist bewußter und intensiver als das anderer Komponisten Spiegelung seines Verhältnisses zur Welt. Die Suche nach Möglichkeiten einer WeltBewältigung führt ihn sehr früh in philosophische Bereiche, deren Wurzeln in die griechische Antike zurückreichen. Daher ist seine Musik nicht allein aus philosophischer Perspektive, aber auch nicht ohne sie interpretierbar.“7 Auch Gustav Mahler selbst scheint zu behaupten (zumindest zeitweise), dass seine Symphonien philosophische Fragen stellen und philosophische Antworten geben. So erläutert Mahler bei Gesprächen mit Natalie Bauer-Lechner am 4. Juli 1896 in Steinbach am Attersee, dass er in seiner Zweiten Symphonie die „höchsten Menschheitsfragen […] stellte und zu beantworten suchte: Wozu sind wir? und: Werden wir sein auch über dieses Leben hinaus?“. In der Dritten habe er dann das Thema gewechselt: Die Menschheitsfragen der Zweiten könnten Mahler in der Dritten „nicht mehr bewegen“. Jetzt ginge es um das „All“, „wo alles lebt und leben muß und wird“, um den unsterblichen „Geist, der den ewigen Schöpfungsgedanken der Gottheit in einer Symphonie wie dieser nachdenkt“.8 Für beide Varianten der These vom Philosophen Mahler ist es unverzichtbar, Informationen über Mahlers philosophische Lektüren zu bekommen und philosophische Auslassungen Mahlers in Wort und Schrift zu studieren. Mahler hat selbst keine philosophischen Abhandlungen verfasst, auch nicht in fragmentarischer Form in handschriftlichen Notizen, Tagebüchern, Lebenserinnerungen oder Briefen. Man muss aus oft beiläufigen Mitteilungen in Mahlers Briefen sowie verstreuten – Gesprächsaufzeichnungen oder Erinnerungen von Zeitgenossen Mahlers Beschäftigung mit Philosophen und philosophischen Theorien rekonstruieren. 6

7 8

Reinhard Schulz, „Ist das nicht auch Unsterblichkeit?“ Mahlers philosophisch-geistiger Hintergrund, in: Renate Ulm (Hrsg.), Gustav Mahlers Symphonien. Entstehung, Deutung, Wirkung. München 2001, S. 265. Karl-Josef Müller, Mahler. Leben – Werke – Dokumente. Mainz und München 1988, S. 589. Natalie Bauer Lechner, Erinnerungen an Gustav Mahler [1891–1902]. Hrsg. Herbert Killian, mit Anmerkungen und Erläuterungen von Knud Martner. Revidierte und erweiterte Ausgabe. Hamburg 1984, S. 59.

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Dass philosophische Theorien eine große Rolle für Mahlers Denken im Allgemeinen und für sein musikalisches Denken im Besonderen gespielt haben, wird durch zahlreiche Selbstauskünfte Mahlers sowie Zeugnisse von Zeitgenossen bestätigt. Von jungen Jahren an liest er zahlreiche philosophische Bücher, als Student an der Wiener Universität erörtert er mit Freunden in Kaffeehäusern und vor allem im PernerstorferKreis um Engelbert Pernerstorfer, Victor Adler und Siegfried Lipiner philosophische Texte. Dies tut er keineswegs nur sporadisch, sondern kontinuierlich als wesentliches Medium seiner persönlich-gedanklichen Selbstverständigung. Über den schon Todkranken berichtet Alma Mahler: „Er las bis in die letzten Tage hinein nur philosophische Bücher während der Krankheit. ‚Das Problem des Lebens‘ von Eduard von Hartmann9 […] ist das letzte Buch, das er gelesen hat.“10 Wie wichtig es Mahler ist, noch in seinem letzten Krankenbett ein philosophisches Werk zu lesen, veranschaulicht die Tatsache, dass Mahler sich das dicke Buch habe in Teile zerreißen lassen, um „immer nur ein paar Seiten in seinen kraftlosen Händen halten“ zu können.11 Diese Geschichte spiegelt die Bedeutung wider, die philosophische Literatur und die gedankliche Auseinandersetzung mit philosophischen Theorien für Mahler sein Leben lang gehabt hat. Hinzu kommt, dass er Philosophie nicht nur nebenbei, parallel zum musikalischen Schaffen treibt, sondern sie auch als gedankliche Seite seines musikalischen Universums grundlegende Bedeutung für ihn hat. Mahler hört und entwirft Musik häufig veranlasst durch und blickend auf philosophische Gedanken. Eine in der Mahler-Literatur nicht einhellig beantwortete Frage ist, wie mit diesem Befund umzugehen ist. In welcher Weise kommt Philosophie in Mahlers Musik ‚zur Sprache‘? Theodor W. Adorno beschreibt den „Sprachcharakter“ von Mahlers Musik, Constantin Floros und seine Schüler führen „semantische Analysen“ von Mahlers Werken durch. Trifft Mahler in seinen musikalischen Werken philosophische Aussagen? Oder ist die ‚Präsenz‘ von Philosophie in Mahlers Musik von anderer Art? Diese Frage ist unmittelbar relevant für die stärkere Variante der These vom Musiker-Philosophen Mahler. Aber auch für die schwächere Variante kann sie interessant sein, dann nämlich, wenn man unterstellt, dass die lebenslange Auseinandersetzung einer Person mit philosophischen Fragen und Theorien den Zugang dieser Person zur Musik mit prägen wird. Die Mahler-Forschung hat unter dem von Wilhelm Dilthey entlehnten Topos der ‚geistigen Welt‘12 in den letzten Jahrzehnten zahlreiche, zum Teil umfangreichere 9

10 11 12

Eduard von Hartmann, Das Problem des Lebens. Biologische Studien. Bad Sachsa 1906. Siehe dazu einige knappe Ausführungen unten, III. Abschnitt. Alma Mahler-Werfel, Anm. 2, S. 227. Ebenda. Vgl. Wilhelm Dilthey, Die geistige Welt. Einleitung in die Philosophie des Lebens, in: ders., Gesammelte Schriften,

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Untersuchungen vorgelegt, die Zusammenhänge zwischen Mahlers Musikschaffen und seinem philosophischen Denken herausarbeiten. Vor allem die dreibändige MahlerMonographie von Constantin Floros ist hier zu nennen. Den Ausdruck ‚geistige Welt‘ verwendet Floros als Bezeichnung für die „Totalität der Beziehungen, die zwischen Mahlers literarischer Bildung, religiöser und philosophischer Weltanschauung, Ästhetik und Symphonik bestehen“.13 Es gibt gute Gründe, den großen Komplex von Mahlers ‚geistiger Welt’ insgesamt zum Gegenstand der Untersuchung zu machen und eine umfassende Weltanschauung Mahlers herauszuarbeiten, statt sich im engeren Sinne auf spezifisch philosophische Aspekte seines Denkens zu konzentrieren. Immerhin war Mahler nicht an akademischen Disziplinen-Trennungen interessiert, sondern an einem umfassenden Verständnis des menschlichen Lebens und der Gesetze, die die Welt zusammenhalten. Aber ein solcher ‚holistischer‘ Zugriff auf Mahlers Gedankenwelt birgt auch die Gefahr, unterschiedliche Facetten und ‚Regionen‘ des Denkens zu stark zu vereinheitlichen und auf eine tendenziell undifferenzierte Weltanschauung zu reduzieren. Dieser Gefahr erliegen nicht selten diejenigen, die entsprechenden nachträglich vereinfachenden Darstellungen Alma Mahlers und anderer Zeitgenossen folgend Gustav Mahlers intellektuelle Persönlichkeit auf Religiosität, katholische Mystik und dogmatische Metaphysik und seine Musik auf deren künstlerischen Ausdruck festlegen möchten. Die als Zusammenstellungen von Mahlers philosophischen und allgemeiner weltanschaulichen Äußerungen verdienstvollen Monographien von Constantin Floros etwa sind belastet durch eine ideologische Fixierung von Mahlers Schaffen auf eine „metaphysisch-religiöse Mission der Musik“.14 Der vorliegende Beitrag geht demgegenüber wieder einen Schritt zurück. Er berichtet über Mahlers philosophische Lektüren im engeren Sinne. Das heißt, er geht von einem enger gefassten Philosophieverständnis aus, das Dichtung und Religion weitgehend ausblendet. Damit soll nicht geleugnet werden, dass Dichtung und Religion eine bedeutende Rolle in Mahlers Denken spielen, denn das tun sie ganz offensichtlich. Und

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14

Bde. V und VI. Göttingen 1924; ders., Der Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften, in: Gesammelte Schriften, Bd. VII. Göttingen 1927, Kap. „Die geistige Welt als Wirkungszusammenhang“. Constantin Floros, Gustav Mahler. Bd. 1: Die geistige Welt Gustav Mahlers in systematischer Darstellung, Wiesbaden 1977. 2. Aufl. 1987, S. 11. Vgl. auch Adolf Nowak, Mahlers geistige Welt, in: Mahler-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Hrsg. Bernd Sponheuer und Wolfram Steinbeck. Stuttgart etc. 2010, S. 62. Floros, ebenda S. 155. Vgl. auch ders., Gustav Mahler. Visionär und Despot. Porträt einer Persönlichkeit. Zürich und Hamburg 1998, S. 116. Anwendungen und werkmonographische Ausarbeitungen von Floros’ Interpretationsansatz finden sich z. B. in Dissertationen seiner Schüler Alexander Odefey, Gustav Mahlers Kindertotenlieder. Eine semantische Analyse. Frankfurt/M. 1999, und Christian Wildhagen, Die Achte Symphonie von Gustav Mahler – Konzeption einer universalen Symphonik. Frankfurt/M. 2000. Auch die anthroposophische Mahler-Deutung von Frank Berger, Gustav Mahler. Vision und Mythos. Versuch einer geistigen Biographie. Stuttgart 1993, knüpft an Floros an.

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auch wenn bei Mahler Philosophie, Dichtung und Religion oft fließend in einander übergehen, so kann es doch aufschlussreich sein, aus dem Amalgam der ‚geistigen Welt‘ nur den Ausschnitt des spezifisch philosophischen Repertoires zu betrachten, um so den im engeren Sinne philosophischen Kontext von Mahlers Denken in den Blick zu bekommen. Es geht dabei erst einmal um eine möglichst unbefangene Bestandsaufnahme, mit welchen Philosophen, philosophischen Werken und philosophischen Theorien sich Mahler befasst hat. Aus dieser Bestandsaufnahme allein werden allerdings keine Schlussfolgerungen zu ziehen sein, ob Mahlers Musik philosophische Aussagen ‚transportiert‘, ‚zum Ausdruck bringt‘, ‚vertont‘ und welche das sind. Aus Mahlers mündlichen oder brieflichen Äußerungen zu philosophischen Fragen allein lässt sich noch kein inhaltlich bestimmtes Profil einer Philosophie in der Musik Gustav Mahlers oder einer ‚philosophischen Botschaft‘ seiner Musik zeichnen. Hinweise auf eine Philosophie des Musikers Gustav Mahler können sich erst ergeben, wenn Mahlers Musik einer musikalischen Analyse unterzogen wird und das musikalisch-kompositorische Profil in ein hermeneutisch produktives Spiel wechselbezüglicher Bestimmung mit den philosophischen Lektüren und Stellungnahmen Mahlers eingebracht wird. Zumindest für die stärkere (und interessantere) der beiden oben angeführten Varianten der These vom Musiker-Philosophen Mahler muss davon ausgegangen werden, dass es ein grundlegendes Spezifikum einer musikalisch identifizierbaren Philosophie eines Komponisten sein sollte, dass diese Philosophie sich nur einer solchen wechselbestimmend-multimedialen15 Interpretation erschließt. Das heißt, dass die musikalische Gestaltungs- und Äußerungsform selbst ein philosophisch wesentliches Moment der Philosophie eines Musiker-Philosophen ist. Dass Mahler sich musikalisch äußert (Mahler legt auf diese Feststellung immer wieder den größten Wert), ist selbst von philosophischer Bedeutung, ist konstitutives Moment von Mahlers Philosophie. Daher kann eine bloße Erhebung von verbalsprachlichen Bekenntnissen und Stellungnahmen Mahlers keine hinreichende Grundlage für eine Charakterisierung der Philosophie des Musikers Gustav Mahler sein. Der vorliegende Beitrag liefert Material nur für den einen, von Musik noch absehenden Teil der wechselbestimmend-multimedialen Interpretation von Mahlers Philosophie. Auf musikalische Analysen wird nicht eingegangen. Es handelt sich somit nur um einen Teilbeitrag zur ‚Rekonstruktion‘ von Mahlers Philosophie, ein erster Schritt, der erst dadurch zu substantiellen Aussagen führen kann, dass die musikalische 15

Zum Begriff der Multimedialität im Kontext musikalischer Interpretation vgl. Albrecht Wellmer, Versuch über Musik und Sprache, München 2009. Vgl. dazu Johannes Picht, Werk-Sein durch Diskurs?, in: Musik & Ästhetik. Heft 53. 2010, S. 61–72, und Georg Mohr, Eine neue Philosophie der Neuen Musik – mit und nach Adorno, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 58, 4/2010.

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Analyse hinzutritt und beide zusammen in den hermeneutischen Zirkel eintreten. Dies sei vorausgeschickt, um Missverständnissen hinsichtlich der Einschätzung des Werts einer solchen ‚Materialerhebung‘ vorzubeugen. Gleichzeitig ist damit auch eine explizite Distanzierung von solchen Portraits ausgesprochen, die schon anhand von Berichten von Zeitgenossen und der verbalsprachlich geäußerten Bekenntnisse und Stellungnahmen eines Komponisten dessen Weltanschauung glauben profilieren zu können. Es wird hier also nur darum gehen, ein Bild von dem Spektrum der philosophischen Problemstellungen und Theorien zu bekommen, das durch Mahlers Lektüren bzw. die von Mahler rezipierten philosophischen Theorien abgesteckt wird. Dazu hat die Mahler-Forschung der letzten Jahrzehnte einige Vorarbeit geleistet. Das sich ergebende Philosophie-Repertoire kann hier nur in Ansätzen ausgewertet werden.

II. Welche Philosophen, welche philosophischen Theorien hat Mahler rezipiert? a) Gustav Mahlers Bibliothek Mahler sagte von sich selbst: „Bücher fresse ich immer mehr und mehr.“16 Ein möglicher Weg zur Rekonstruktion der Lektüren Gustav Mahlers wäre ein Blick in seine Bibliothek. Diese ist jedoch nicht erhalten. Es gibt aber Hinweise auf den wahrscheinlichen Bestand der Bibliothek zu Mahlers Lebzeiten. Jeremy Barham hat eine Liste derjenigen Bücher im Katalog der ‚Alma Mahler-Werfel Book Collection‘ zusammengestellt, die vor Gustav Mahlers Tod erschienen sind und daher grundsätzlich zum Bestand von Gustav Mahlers Bibliothek gehört haben können.17 Mit Hilfe zweier weiterer Kriterien, die Barham in dieser Auflistung berücksichtigt: ob ein Buch Anmerkungen von Gustav Mahlers Hand enthält und ob es in der Quellen- und Forschungsliteratur Hinweise darauf gibt, dass das betreffende Buch in Gustav Mahlers Besitz war, gelangt Barham zu einer annähernden Rekonstruktion von Gustav Mahlers Bibliothek. Jedoch liefert diese nur insoweit inhaltlich aufschlussreiche Indizien, wie sich in den Büchern Vermerke Mahlers finden, die erkennen lassen, dass er das betreffende Buch gelesen und, im günstigsten Fall, was er zum Inhalt des Buches gedacht hat. Die von Barham vorge16

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Vgl. Mahlers Brief an Friedrich Löhr, Ende 1894 oder Januar 1895. In: Gustav Mahler, Briefe. Hrsg. Herta Blaukopf. Neuausgabe, zweite, nochmals revidierte Aufl., Wien 1996, S. 141 f. Im Folgenden zitiert als: Briefe (Blaukopf ). Dazu Herta Blaukopf, „Bücher fresse ich immer mehr und mehr!“ Gustav Mahler als Leser. In: Friedbert Aspetsberger und Erich Wolfgang Partsch (Hrsg.), Mahler Gespräche. Rezeptionsfragen – literarischer Horizont – musikalische Darstellung. Innsbruck u.a. 2002, S. 96–116. Jeremy Barham, Mahler the Thinker: The Books of the Alma Mahler-Werfel Collection, in: Jeremy Barham (Hrsg.), Perspectives on Gustav Mahler. Aldershot 2005, S. 37–151.

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nommene Auswertung der Bibliothek, die für sich genommen natürlich äußerst wertvoll ist, ergibt nur relativ wenige stabile Informationen mit Bezug auf unsere Fragestellung. Zahlreiche Bücher, von denen aus anderen Quellen sicher ist, dass Mahler sie gelesen hat und sie für Mahlers Denken von großer Bedeutung waren, fehlen in der Bibliothek. Vorhandene Bücher geben nur sehr eingeschränkt Auskunft darüber, ob Mahler sie gelesen hat, da es sich als schwierig erweist, die Autoren der handschriftlichen Eintragungen eindeutig zu identifizieren.18 Die sachlich aufschlussreicheren Quellen sind demnach immer noch die Schilderungen und Gesprächsnotizen von Zeitgenossen sowie Mahlers Briefe.

b) Schilderungen von Zeitgenossen Beginnen wir mit einigen aussagekräftigen Berichten von Zeitgenossen Mahlers, die aus der persönlichen Bekanntschaft mit ihm seine Lektürepräferenzen kannten und die uns Mahlers philosophisches Leseengagement zuverlässig und eindrücklich vermitteln. Die ausgesuchten Stellen werden hier – wie auch in den nächsten beiden Unterabschnitten c) und d) – zunächst nur vorgestellt. Erläuterungen zum philosophischen Kontext folgen dann im nächsten Abschnitt III. Bruno Walter hatte selbst ausgeprägte Interessen an Philosophie und war außerdem mit Mahler bis zu dessen Lebensende gut befreundet. Er gibt in seinem „Porträt“ Gustav Mahlers ein einfühlsames und gewissenhaftes Bild von Mahlers philosophischen Interessen und Lektüren. Für unser Thema ist er der wichtigste Informant. Er schreibt: Mahler war dem „geistigen Leben der Menschheit weit aufgetan. Neben den im Folgenden genannten Philosophen und philosophischen Werken verfolgte er die Entwicklungen der Naturwissenschaften“. Allerdings weiß Walter zu berichten: In seiner Lektüre belehrte er sich über naturwissenschaftliche Fragen freilich am liebsten aus der zusammenfassenden und folgernden Darstellung des Philosophen. Lotzes Mikrokosmos [sic] beschäftigte ihn lange Zeit hindurch, und besonders dessen ins Immaterielle entwickelte Atomtheorie wurde ihm zum anregendsten Gegenstand des Denkens. Fechners Zend Avesta machte ihm dauernden Eindruck, und mit herzlicher Freude erfüllte ihn dessen Nana [sic] oder das Seelenleben der Pflanzen. Daß Goethes Verhältnis zur Natur im ganzen sowie die Fülle der Goetheschen Arbeiten auf diesem Gebiet ihn sein Leben hindurch fesselten, versteht sich von selbst. […] Als ich ihn in Hamburg kennenlernte, stand er ganz unter Schopenhauers Einfluß. Nietzsche machte einen großen, allerdings nicht dauernden Eindruck auf ihn. Was dessen Zarathustra 18

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betrifft, könnte man sagen, daß er sich vom dichterischen Feuer des Werkes angezogen, vom Kern seines Gedankengutes abgestoßen fühlte. Nietzsches Antiwagnerianismus empörte ihn, und später wandte er sich gänzlich von ihm ab; […] In seinen letzten Lebensjahren beschäftigte ihn ernstlich die Hartmannsche Philosophie. Als Sonne aber stand am Himmel seiner geistigen Welt Goethe, den er in selten umfassender Weise kannte und aus unbegrenzter Gedächtniskraft zu zitieren liebte.19

In seinem Buch Thema und Variationen ergänzt Bruno Walter seinen Bericht: Mahler weckte in mir das Interesse an Nietzsche, mit dessen ‚Also sprach Zarathustra‘ er sich damals gerade intensiv beschäftigte, und als er meine Neigung zur Philosophie erkannte, schenkte er mir zu Weihnachten / 1894 Schopenhauers Werke […] Ein Buch will ich noch erwähnen, das ich auf Mahlers Empfehlung hin las; es war Albert Langes ‚Geschichte des Materialismus‘, das klassische Werk über die älteste Denkkrankheit des Menschen, das jeder derartigen Anfälligkeit in meinem eigenen Denken definitiv ein Ende machte.20

Bruno Walter glaubt im Laufe der Jahre bei Gustav Mahler einen Wandel vom Romantiker mit „einem höchst subjektiven Ichgefühl“ zum „objektivierten“ Gott-Sucher zu beobachten: […] der Mann, der dieses furchtbare musikalische Bild einer entgötterten Welt [in der Sechsten Symphonie] entworfen hatte, fing an, in Büchern nach Gott zu suchen. In der Welt hatte er ihn verloren, sie schien ihm immer rätselvoller und düsterer. Wo war der Gott geblieben, dessen Blick früher doch wenigstens manchmal und einmal sogar schon so herrlich den seinen getroffen hatte? Er suchte ihn im Spinoza, im Plotin und in anderen Philosophen und Mystikern; und von den Philosophen wandte er sich zu den Naturforschern und durchstöberte biologische Werke, ob nicht der aus dem Universum ihm Entschwundene ihm vielleicht in der Zelle wieder erscheine. […] Nicht mehr konnte er sich von den immer dringender und immer erschütternder ihn einnehmenden metaphysischen Fragen durch die Kunst befreien. Die Fragen nach Gott, nach dem Sinn und dem Ziel unserer Existenz und nach dem Warum des unsäglichen Leidens in der ganzen Schöpfung umdüsterten seine Seele.21

Ein Wegbegleiter während einiger Hamburger Jahre, Ferdinand Pfohl, schreibt in seinen Eindrücken und Erinnerungen: 19

20 21

Bruno Walter, Gustav Mahler. Ein Porträt. Wien etc. 1936, 2. Aufl. Frankfurt/M. und Berlin 1957, Nachdruck Wilhelmshaven 1971, S. 101 f. Bruno Walter, Thema und Variationen. Erinnerungen und Gedanken. [1947]. Frankfurt/M. 1988, S. 115 f. Bruno Walter, Mahlers Weg. Ein Erinnerungsblatt, in: Der Merker. Heft 3/5, März 1912, S. 69 ff.; wiederabgedruckt in und zitiert nach Norman Lebrecht, Gustav Mahler im Spiegel seiner Zeit – Portraitiert von Zeitgenossen. Zürich und St. Gallen 1990 (Taschenbuchausgabe unter dem Titel: Gustav Mahler. Erinnerungen seiner Zeitgenossen. München 1993), S. 135 und 137.

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Mahler war ein literarischer Musiker. Nicht nur in seiner Musik, auch in seinen Anregungsund Bildungsbedürfnissen. Er gehörte zu den Menschen, von denen Goethe sagt: sie haben schrecklich viel gelesen. Er las wirklich unendlich viel und immer nur Wertvolles. Je kostbarer, desto höher schätzte er Bücher; wie z. B. Dostojewskys ‚Raskolnikoff‘ und Fechners psychologisch-philosophische Schriften, die seine Einbildungskraft stark erregten. Die Beweisführung Fechners von der Kugelgestalt der Engel entzückte ihn: Weil die Kugel die vollkommenste Form ist, so müßten die Engel, weil sie die vollkommensten Wesen sind, auch vollkommenste Formen besitzen: Also, sie müßten Kugeln sein, die ihr überdimensionaler Zustand nicht im geringsten davon abhält, durcheinander hindurch zu wallen …! […] Das Gespräch von den Engeln erfuhr seine Fortsetzung. Mahler war zum Zweifeln geboren, immer quälte er sich mit metaphysischen Rätseln. Er war ein Heautontimorumenos [Selbstquäler].22

Laut Paul Stefan hat Mahler in seinen Lehrjahren den Grund zum stolzen Bau seines Wissens gelegt. Er wurde mit den Philosophen, besonders mit Kant und Schopenhauer, vertraut; später kamen auch Fechner, Lotze, Helmholtz hinzu. An Nietzsche schätzte er besonders das Hymnische. Die Philosophie, namentlich die Grenze gegen die Naturwissenschaften, hat ihn stets angelockt, wie er denn noch zuletzt den Forschungen Reinkes lebhaft folgte; hier leitete ihn, wie zu Fechner, der religiöse Trieb. Goethe, Schiller, die Romantiker wurden ihm damals schon zu eigen. Seine Lieblinge waren Hölderlin, E. T. A. Hoffmann und Jean Paul, vor allem der Titan. Geschichte, Biologie, Psychologie fesselten ihn immer. Als Psychologe und Dichter wurde ihm Dostojewsky zum Ereignis.23

Hermann Behn schildert Mahlers Beweglichkeit zwischen den poetischen und philosophischen Literaturen: Mahler konnte ein Volkslied oder eines von Grimms Märchen mit derselben Ernsthaftigkeit und Konzentration erörtern, mit der er sich über Kants Vernunfttheorie oder Schopenhauers Theorie des Willens auslassen konnte. Jean Paul passte zu seiner sentimentalen Seite, während E. T. A. Hoffmann seiner Neigung zum Grotesken entsprach.24

Zdenek Nejedlý schließlich beschreibt Mahler selbst als Philosophen und hebt damit, wie an anderer Stelle auch Bruno Walter, den nicht nur rezeptiv sondern auch produktiv eigenständigen Umgang Mahlers mit philosophischen Gedanken hervor: 22

23

24

Ferdinand Pfohl, Gustav Mahler. Eindrücke und Erinnerungen aus den Hamburger Jahren. Hrsg. Knud Martner. Hamburg 1973, S. 20. Paul Stefan, Gustav Mahler. Eine Studie über Persönlichkeit und Werk. 4. Aufl., neue, ergänzte und vermehrte Bearbeitung. 1. Aufl. München 1910, S. 28 f. Hermann Behn, Mahler, in: Musikwelt; zitiert nach Henry-Louis de La Grange, Gustav Mahler. Vol. 3. Vienna: Triumph and Disillusion (1904–1907). Oxford 1999, S. 463. Das Zitat wurde von mir aus dem Englischen rückübersetzt.

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Die innere Arbeit an sich selbst machte aus Mahler einen Philosophen – einen Geist, der nicht nur die Kultur des philosophischen Denkens seiner Zeit rezipierte, sondern selbst im Inneren philosophisch lebte und schöpfte. Er war ein leidenschaftlicher Leser. […] Er las meist philosophische Bücher. Kant und Schopenhauer waren sein Ausgangspunkt; er ging aber weiter zu Fechner, Lotze und Nietzsche. Große deutsche Klassiker und Romantiker gaben ihm Anreiz zum Nachdenken. Er gehörte zu jenen modernen Menschen, die Dostojewski erlebt haben. Dieser russische Meister hat ihn nicht nur künstlerisch, sondern auch philosophisch sehr stark angezogen. […] Dostojewski war für ihn ein Philosoph ersten Ranges.25

Die folgende Auskunft Alma Mahlers, Gustav Mahler habe in den letzten Lebensjahren William James und Henri Bergson gelesen, findet sich leider nur in einem Buch, dessen Inhalt aufgrund der dem Autor verschiedentlich nachgewiesenen Fälschungen, in diesem wie auch in anderen seiner Bücher, wohl nicht authentisch ist: Sein [Mahlers] Bestreben, der tiefen Religiosität, die in ihm wurzelte, die rechte Basis zu geben, hatte ihn in den Jahren 1908/1909 zu den Schriften von William James und Henri Bergson geführt, die man damals die Väter einer modernistischen Bewegung in der Philosophie nannte. […] Er meinte, daß die Kunst zu unterstützen sei, die im Sinne der modernistischen Bewegung ausgerichtet war. Kunst also in Beziehung zum Alltagsleben, zum Augenblick, zur Gegenwart und Zukunft. Heute würde man sagen: ein realistischer Zug – vielleicht sogar mit sozialkritischem Background. / Bei James hatte er den Satz gefunden: ‚Kunst und Religiosität müssen zu einem gewissen Teil auch dem Handeln dessen entsprechen, dem sie innewohnen; Kunst und Religion sind ein Teil praktischer Lebensanschauung; Kunst und Religiosität sind nur dann von Nutzen, wenn der Urheber von der Nützlichkeit für einen Teil der Umwelt überzeugt ist.‘26

Aus diesen Berichten von Zeitgenossen Mahlers ergibt sich bereits ein breites Spektrum philosophischer Theorien, die Mahler offenbar zum Teil sehr gut kannte und sich mit ihnen auch produktiv, zum Zwecke der Arbeit an eigenen philosophischen Gedanken auseinandersetzte. Einige der genannten Autoren waren sowohl Dichter als auch Philosophen, andere waren rein theoretisch ausgerichtete Philosophen im Sinne der akademischen Fachdisziplinen. Rekapitulieren wir die genannten Autoren, so ergibt sich in historischer Reihenfolge folgende Liste: Plotin, Spinoza, Immanuel Kant, Johann Wolfgang Goethe, Friedrich Schiller, Jean Paul, Friedrich Hölderlin, E. T. A. Hoffmann, Arthur Schopenhauer, Gustav Theodor 25

26

Zdenek Nejedlý, Gustav Mahler, 1912/13, Auszug in: Vladimir Karbusicky, Gustav Mahler und seine Umwelt. Darmstadt 1978, S. 133–138, hier S. 136. Alma Mahler in einem Rundfunkinterview vom 17. März 1962 mit Berndt Wessling, in: Berndt W. Wessling, Gustav Mahler. Ein prophetisches Leben. Hamburg 1974, S. 293. Hier gilt der bei Wessling leider immer zu machende Vorbehalt, dass die Echtheit seiner Belege fraglich ist.

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Fechner, Hermann Lotze, Fjodor M. Dostojewski, Hermann Helmholtz, Friedrich Albert Lange, William James, Eduard von Hartmann, Friedrich Nietzsche, Johannes Reinke, Henri Bergson. Das ist zunächst nur eine – nicht unbeachtliche – Liste von Philosophen, mit Bezug auf die es irgendeinen Hinweis gibt, dass Mahler sich mit ihnen befasst hat, d. h. dass er sie gelesen oder die gelesenen Texte nachweislich auch mit anderen erörtert hat. Auf die Theorien, die von diesen Philosophen entwickelt wurden, deren Interesse für Mahler und deren Stellenwert in der Philosophie des 19. Jahrhunderts wird noch zurückzukommen sein.

c) Mahler über Philosophien und Philosophen in Gesprächen In einem nächsten Schritt ist nun zu prüfen, zu welchen Philosophen, zu welchen ihrer Texte und zu welchen Fragestellungen Mahler sich in protokollierten Gesprächen (laut Erinnerungen von Zeitgenossen) oder in den veröffentlichten Briefen selbst geäußert hat. Ob sich in unveröffentlichten Briefen weitere aufschlussreiche Äußerungen Mahlers zu seinem philosophischen Kontext finden, entzieht sich meiner Kenntnis. Im Folgenden seien nur diejenigen Ausschnitte aus Gesprächsaufzeichnungen veröffentlichten Briefe berücksichtigt, die inhaltlich aufschlussreiche Äußerungen Mahlers enthalten, Vollständigkeit kann hier nicht angestrebt werden. Die wichtigste Quelle für Mahlers mündliche Erläuterungen zum musikphilosophischen Kontext seines Denkens sind für die Zeit von 1891 bis 1902 Natalie BauerLechners Erinnerungen an Gustav Mahler. Angesichts der Fülle der oben aus anderen Quellen ermittelten Philosophennamen ist es einigermaßen überraschend, dass gerade in den sehr ergiebigen Erinnerungen Bauer-Lechners, die neben recht ausführlichen Kommentaren Mahlers zu eigenen Werken (bis zur Vierten Symphonie) auch sehr aufschlussreiche musikästhetische Reflexionen Mahlers enthalten, kaum ein Philosoph auch nur erwähnt wird. Der Name Nietzsches fällt einige Male, seine Schriften Also sprach Zarathustra und Die fröhliche Wissenschaft werden erwähnt. Philosophische Thesen Nietzsches werden nicht angesprochen, es ist lediglich von den diesen beiden Schriften als textlicher Grundlage oder literarischer Inspiration insbesondere der Dritten Symphonie und deren viertem Satz, des Nachtwandler-Liedes, die Rede. Zugespitzt formuliert erscheint Nietzsche hier nicht als Philosoph, sondern als Poet, als ‚musikalischer Poet’, als ‚poetischer Symphoniker‘. In seiner Vertonung des Nachtwandler-Liedes habe er, wie Richard Strauss auch, „als Musiker die sozusagen ‚latente Musik’ in dem gewaltigsten Werke Nietzsches herausgeführt“. Nietzsches Zarathustra

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sei „ganz aus dem Geiste der Musik geboren, ja geradezu ‚symphonisch‘ aufgebaut“.27 Häufig ist die Rede von Goethe und Lipiner, sehr häufig von Richard Wagner, jedoch nicht von seinen für Mahler nachweislich wichtigen theoretischen Schriften. Dieser Befund passt schlecht zu der oben zitierten einhelligen Charakterisierung der ausgeprägten philosophischen Bildung Mahlers; man würde erwarten, dass sie sich in Gesprächen ebenso deutlich niederschlägt, wie sie offenbar von seinen Zeitgenossen wahrgenommen wurde. Tatsächlich ist dieser Befund nicht Ausdruck eines philosophischen Desinteresses auf Mahlers Seite. In der von Bauer-Lechner dokumentierten Zeit ist Mahler, wie aus anderen Quellen hervorgeht, sehr wohl intensiv mit philosophischer Lektüre befasst. Die Erklärung liegt wohl im Interesse der Protokollantin, Natalie Bauer-Lechner, das sich eben nicht auf philosophische Fragen richtet, sondern sich auf die unmittelbar musikalischen Bezüge von Mahlers Ausführungen konzentriert. Literarisches wird insoweit thematisiert, als es als Textgrundlage oder Inhalt eines Programms zu einer von Mahler komponierten Musik fungiert. Philosophisches tritt nicht in ähnlich direkter Weise musikalisch in Erscheinung, wie vertonte Texte. So ließe sich erklären, dass nicht nur ein äußerst kleiner Ausschnitt der für Mahler nachweislich wichtigen Philosophen erwähnt wird, sondern dass auch die in Mahlers Denken ganz zentralen und dominanten Philosophen und Dichter-Philosophen vollständig fehlen: So fallen die Namen E. T. A. Hoffmanns und Schopenhauers, Gustav Theodor Fechners und Eduard von Hartmanns in Natalie Bauer-Lechners Erinnerungen an Gustav Mahler überhaupt nicht. In den anderen Quellen kommen nur sporadisch explizite Kommentare zu Philosophen und philosophischen Theorien vor. Sehr oft nennt Mahler keinen Namen eines Philosophen und auch keine Kennzeichnung einer philosophischen Theorie. Seine Ausführungen sind häufig im Duktus eigenständiger philosophischer Reflexion geschrieben. In vielen dieser Fälle ist aber bei näherem Hinsehen zu erkennen, dass Mahler andere Philosophen paraphrasiert oder kommentiert. Die herausragende Bedeutung, die Schopenhauers Philosophie und insbesondere seine Musikphilosophie für Mahlers Denken hat, wird in einer von Alma Mahler überlieferten, offenbar wiederholt gemachten Äußerung Mahlers deutlich. Als Herausgeberin der ersten Ausgabe von Mahlers Briefen (1924) schreibt Alma Mahler in einer Fußnote zu Mahlers Brief an Arnold Berliner vom 14. Juli 1892:

27

Interview Gustav Mahlers mit Bernard Scharlitt im August 1906, gekürzt erschienen in der Neuen Freien Presse 1911, abgedruckt in: Norman Lebrecht, Gustav Mahler. Erinnerungen seiner Zeitgenossen. Mainz–München 1993, S. 201.

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Mahler hat öfter geäußert, daß über das Wesen der Musik außer Wagner im ‚Beethoven‘ nur Schopenhauer in der ‚Welt als W[ille] u. V[orstellung]‘ Wertvolles zu sagen gehabt hätte. Die Stelle in der ‚Welt als W. u. V.‘ hat B. ihn einmal als das Tiefste bezeichnen hören, was seiner Kenntnis nach je darüber geschrieben worden sei.28

Ein für Mahler zentraler ethischer Grundsatz lautet: „Wie kann man glücklich sein, wenn ein Geschöpf auf Erden noch leidet!“29 Es ist der Grundsatz der Schopenhauerschen Mitleidsethik, der sich auch prominent bei Dostojewski (insbesondere in Die Brüder Karamasoff ) und in Richard Wagners Parsifal findet. In der Vorrede zur Briefausgabe 1924 schreibt Alma, Mahler habe „die Dostojewski-Frage an das Leben musiziert: ‚Wie kann ich denn glücklich sein, wenn irgendwo ein anderes Geschöpf noch leidet?‘ … Ein Ausspruch aus den Brüdern Karamasow, den er über alles liebte.“30 Im musikalischen Werk Mahlers taucht der mitleidsethische Grundsatz im Programm der Dritten Symphonie als Motto zum 6. Satz auf, das Mahler der Sammlung Des Knaben Wunderhorn entnimmt: „Vater sieh an die Wunden mein! / Kein Wesen laß verloren sein!“ Mahler verbindet die Mitleidsethik mit der bei Johann Wolfgang Goethe und Gustav Theodor Fechner formulierten Vorstellung von einer unio und communio aller Lebewesen, die Glieder eines Universums sind. Jedes Unrecht, das mir angetan wird, ist ein Unrecht am ganzen Universum und muß den Weltgeist (oder wie immer man das zentrale Weltwesen nennen mag) schmerzen. Wenn ich mich am kleinen Finger verletze, so tut es mir weh, nicht dem kleinen Finger, und ich bin an meinen Funktionen gehindert. Ganz ebenso ist es im Großen; wenn ich mich auch nicht als den kleinen Finger des Kosmos fühlen darf. Goethe hat hierüber Unendliches gesagt; was ich meine, kann ich freilich nur als Musiker ganz aussprechen.31

Zur Vorstellung von der synchronen Einheit kommt die der Wiedergeburt des Menschen, also der diachronen Identität der ‚Geister‘ hinzu, die Mahler offenbar wiederum von Fechner übernimmt, der sie bereits in seinem frühen Büchlein vom Leben nach dem Tode (1836) vorgetragen hat. Auch hier ist wieder Richard Specht der Zeuge: Wir kehren alle wieder, das ganze Leben hat nur Sinn durch diese Bestimmtheit und es ist vollkommen gleichgültig, ob wir und in einem späteren Stadium der Wiederkunft an ein früheres erinnern. Denn es kommt nicht auf den einzelnen und sein Erinnern und Behagen an; 28 29 30 31

Briefe. (Blaukopf). S. 124. Alma Mahler, Erinnerungen an Gustav Mahler. S. 30. Briefe. (Blaukopf). S. 17. Richard Specht, Gustav Mahler. Berlin und Leipzig 1913, S. 39.

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sondern nur auf den großen Zug zum Vollendeten; zu der Läuterung, die in jeder Inkarnation fortschreitet. Deshalb muß ich ethisch leben: um meinem Ich, wenn es wiederkommt, schon jetzt ein Stück Weges zu ersparen und um ihm sein Dasein leichter zu machen. Dahin geht meine sittliche Pflicht, ganz gleichgültig, ob mein späteres Ich davon weiß oder nicht und ob es mir danken oder nicht.32

Ernst Decsey berichtet in seinem Aufsatz Stunden mit Mahler (1911): „An einem anderen Tage entwickelte er die Gründe für den Gottesglauben. Er empfahl dringend eine gute Schrift des russischen Physikers [Oreste Danilovich] Choolson [1852–1934] ‚Hegel, Haeckel und Kossuth’, worin dem Haeckelschen Materialismus zuleibe gerückt werde.“33 Hierin äußert sich Mahlers Ablehnung des Materialismus. Er schätzt daher auch, wie mehrere Zeitgenossen berichten, Friedrich Albert Langes Geschichte des Materialismus und Kritik seiner Bedeutung in der Gegenwart (1866), die er u. a. Bruno Walter und Alma Mahler zur Lektüre empfiehlt. Mahler hält nichts von blindem Dogmatismus. Metaphysische Vorstellungen wie der von der universalen ethischen communio oder der Wiedergeburt intelligenter Wesen prüft Mahler immer wieder an wissenschaftlichen Theorien bzw. an deren philosophischer Interpretation. Was nichtwissenschaftlich geglaubt wird, muss nichtsdestotrotz mit Naturwissenschaft vereinbar sein. Es sind in jedem Fall die Voraussetzungen zu prüfen, unter denen eine ‚Glaubensgewissheit’ als solche gelten kann. Gegenüber Ferdinand Pfohl führt Mahler aus: […] wenn wir uns mit unseren äußeren Sinnen das Jenseits auch nicht vorstellen können, oder, wenn wir es uns vorstellen wollen, immer zu kindlichen Anschauungen des Himmels gelangen, so möchte ich doch an der Gewißheit dieses Jenseits nicht zweifeln, weil es in uns ist und weil alles das, was in uns ist, eine größere Gewißheit seiner Existenz besitzt, als alles andere, das außerhalb der Innerlichkeit des Menschen sich befindet.34

Mahlers philosophische Grundhaltung, noch unabhängig von bestimmten Präferenzen für diese oder jene bestimmte philosophische Theorie, kommt in folgender Bemerkung zu Alma und deren Kommentar dazu zum Ausdruck: „Mahler sagte mir einmal, daß er gern ein widerspruchsfreies Weltbild gehabt hätte. Es gehört irgendwie zu seinem Wesen, nach Möglichkeit alles bis ans äußerste Ende zu durchdenken.“35 Obwohl auch 32 33

34 35

Ebenda. Abgedruckt in Lebrecht, Anm. 19, S. 235 f. Decseys Erinnerungen beginnen laut Lebrecht im Juni 1909 in Toblach. Pfohl, Anm. 20, S. 21. Alma Mahler in einem Rundfunkinterview vom 13. März 1962 mit Berndt Wessling, in: Wessling, Anm. 24, S. 17.

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hier wieder ein Authentizitätsvorbehalt gemacht werden muss wegen der Quellenunsicherheit in Wesslings Büchern, spricht doch die Tatsache, dass andere Zeitgenossen einen ganz ähnlichen Eindruck von Mahlers Denkhaltung schildern, sehr dafür, dass etwas sachlich Richtiges getroffen ist.

d) Philosophie und Philosophen in Mahlers Briefen Das Spektrum der rezipierten Philosophen und philosophischen Theorien wird durch einige Briefe noch ergänzt. In einem Brief an Alma während der Zeit der Vorproben für die Achte Symphonie in München erinnert sich Mahler an eine frühere Lektüre von Platons Symposion. Den platonischen Eros interpretiert er in Verbindung mit Goethes Faust II und der Goetheschen Philosophie der Liebe als „Schöpfer der Welt“ und gibt damit einen philosophischen Kommentar zum Finale der Achten. In den Reden des Sokrates spricht Plato seine eigene Weltanschauung aus die als missverstandene ‚platonische Liebe’ sich durch die Jahrhunderte bis zu den untersten Intellekten geschwungen hat. – Das Wesentliche daran ist eben die Göethische Anschauung, daß alles Lieben ein Zeugen, Schaffen ist; daß es eben ein physische[s] und ein geistiges Zeugen giebt, das eben der Ausfluß dieses ‚Eros’ ist. – In der Schlußscene des Faust hast Du es ja in einer symbolischen Darstellung. Zuerst gefällt Einem am Symposium der Schwung der Darstellung, und das dramatische Feuer der ‚Erzählung’. So erinnere ich mich, daß in meinen Bubenjahren mir hauptsächlich die Scene gefallen hat, wo Alkibiades herein stürmt, weinbekränzt und jugendtoll – und später als entzückender Gegensatz und Ausklang des Ganzen, wie Sokrates – noch allein aufrecht unter den bezecht dahingesunkenen Genossen – sich besonnen erhabt, und auf den Marktplatz geht, zu philosophiren. Erst später gewinnt man einen Gefalle an den verschiedenen Darlegungen und ganz zum Schluß entdeckt man erst, wo das Alles in woldurchdachter Steigerung hinziehlt: zu den wundervollen Auseinandersetzungen zwischen Diotima und Sokrates, die den Kern der platonischen Welt – Aus- und Überblick wiedergeben.36

Die weiter ausgreifende Philosophie der All-Beseelung, in deren Kontext Mahler die Platonisch-Goethesche Eros-Theorie zu verstehen scheint, wird unten im Zusammenhang Fechner, Lotze und Hartmann noch thematisch werden. Den Ironiebegriff bei Aristoteles bringt Mahler in einer an Max Marschalk adressierten brieflichen Erläuterung zu seiner Ersten Symphonie zur Sprache.

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Der so genannte ‚philosophische‘ Brief an Alma, München, 18. Juni 1910, in: Ein Glück ohne Ruh’, Anm. 1, S. 430 f.

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Beim 3. Satz (Marcia funebre) [der 1. Symphonie] verhält es sich allerdings so, daß ich die äußere Anregung dazu durch das bekannte Kinderbild erhielt (Des Jägers Leichenbegängnis) [Holzschnitt nach einer Zeichnung von Moritz von Schwind, Wie die Tiere den Jäger begraben]. – An dieser Stelle ist es aber irrelevant, was dargestellt wird – es kommt nur auf die Stimmung an, welche zum Ausdruck gebracht werden soll, und aus der dann jäh, wie der Blitz aus der dunklen Wolke, der 4. Satz springt. Es ist einfach der Aufschrei eines im Tiefsten verwundeten Herzens, dem eben die unheimlich und ironisch brütende Schwüle des Trauermarsches vorhergeht. Ironisch im Sinne des Aristoteles eironeia.37

Auf Aristoteles kommt Mahler ein weiteres Mal im Zusammenhang mit einer Erläuterung zu seiner Auffassung vom Verhältnis zwischen Stoff und Form in der Kunst. Erlauben Sie mir, Ihnen nur ganz kurz zu betonen, daß es in Kunstangelegenheiten nur auf die Form und nie auf den Stoff ankommen, – wenigstens bei einem höheren Standpunkte ankommen sollte. – Wie ein Stoff behandelt und durchgeführt ist, nicht was für ein Stoff es ist – darauf allein kommt es an. Ein Kunstwerk ist dann als ernst zu betrachten, wenn die Tendenz des Künstlers vorwaltet, den Stoff ganz allein durch künstlerische Mittel zu bewältigen, und ohne Rest in der ‚Form’ (‚Gestalt’) (Sie können diesen Ausdruck im Aristotelischen Sinne deuten) aufgehen zu lassen. – Nach diesem Prinzip wäre also z. B. eine Oper wie Don Juan (in der ein Wüstling mit Gott und der Welt Krieg führt) oder z. B. die NibelungenTetralogie, in welcher Blutschande etc. etc. nicht tragiert [?] sondern auch verständlich gemacht werden, ernste Kunstwerke.“38

Da im engeren Sinne musikästhetische Auffassungen Mahlers hier nicht thematisiert und der Fokus auf die von Mahler rezipierte Philosophie des 19. Jahrhunderts gelegt werden soll, lasse ich diese Zitate unkommentiert stehen. Der für Mahlers Musikverständnis neben Schopenhauer wohl wichtigste Autor ist E. T. A. Hoffmann. Vor allem der junge Mahler wird von Zeitgenossen gelegentlich mit der Hoffmannschen Figur des Kapellmeisters Kreisler verglichen.39 Mit Hoffmanns romantischer Musikphilosophie wird meistens auch ein zentraler, von Natalie BauerLechner festgehaltener Satz Mahlers in Verbindung gebracht: „Die Musik muß immer ein Sehnen enthalten, ein Sehnen über die Dinge dieser Welt hinaus.“40 Hoffmann

37 38

39

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Mahlers Brief an Marschalk, 20. März 1996, in: Briefe (Blaukopf), S. 170. Brief an den Oberbürgermeister von Mannheim vom 8. Dezember 1905, in: Gustav Mahler, Briefe. Hrsg. Mathias Hansen. 2., erweit. Aufl. Leipzig 1985, S. 331. Der Brief ist nicht in Briefe (Blaukopf) abgedruckt. Zur Deutung des Briefes vgl. Nowak, Anm. 12, S. 64. Vgl. etwa Pfohl, Anm. 20, S. 46: „Mahler ist Romantiker und sucht als Romantiker die Natur. Er steht im Bannkreis Hoffmanns, er hat Momente, wo er fast als der wieder auferstandene ‚Kapellmeister Kreisler‘ in aller seiner Fantastik vor uns steht.“ Mahler im Juni-Juli 1899, in: Erinnerungen an Gustav Mahler, Anm. 2, S. 138. Müller hält Gustav Theodor

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hatte als das Wesen der Musik „jene unendliche Sehnsucht, welche das Wesen der Romantik ist“, bezeichnet.41 In einem frühen Brief an Alma schreibt Mahler: Wenn Sie sich ein wenig liebevoll mit Hoffmanns Werken beschäftigen wollten, so werden Ihnen ganz neue Lichter aufgehen über die eigenthümlichen Beziehungen unserer ewig geheimnisvollen und nicht zu enträthselnden, aber oft wie ein [*] Blitz unser Inneres durchleuchtenden Musik zur Realität. Und Sie werden es fühlen, daß die einzige wahre Realität auf Erden unser Gemüth ist – und daß alle Wirklichkeit für den, der dies erfaßt hat, nur ein Schemen, ein nichtiger Schatten ist. – Und zwar bitte ich Sie, dies nicht für einen ‚poetischen‘ Vergleich zu halten; sondern eine Erkenntniß, welche auch von dem nüchternen Blick des Verstandes ihre unwiderrufliche Geltung behalten wird.42 [* „einem“ korrigiert in „ein“ – Konjektur d. Vf.]

Von zentraler Bedeutung für Mahlers Denken ist, neben Schopenhauer und Hoffmann, Gustav Theodor Fechner. Mehr als andere Philosophen erwähnt Mahler ihn in seinen Briefen. Und stärker als bei anderen ist bei Fechner der Ton der Begeisterung und sogar gedanklichen Identifikation in Mahlers Äußerungen. Am 2. April 1903 schreibt Mahler an Alma: Dazwischen lese ich nun mit höchster Theilnahme Zend Avesta, was mir Altgekanntes, Selbstgeschautes = und erlebtes, wie ein theueres, vertrautes Gesicht vor die Seele bringt. Merkwürdig, wie Fechner Rückertisch empfindet und schaut; es sind 2 sehr verwandte Menschen und – eine Seite meines Wesens ist der 3. im Bunde. Wie Wenige wissen was von den Beiden!43

Alma Mahler lässt sich offenbar von Gustav Mahlers Fechner-Begeisterung zur eigenen Lektüre verleiten. Worauf Mahler wiederum erfreut reagiert: Ich freue mich riesig, daß Du Fechner liest. Überhaupt merke ich bei Dir eine zunehmende Vertiefung – was Du schreibst, zeugt so von innerem Leben und daß Du Dich auf der ‚Höhe‘ erhältst.44

Offenbar spielt die Fechner-Lektüre eine wichtige Rolle in den Gesprächen der Mahlers. Am 25. August 1905 schreibt Mahler:

41

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44

Fechner für die entscheidende Inspirationsquelle dieses für Mahler so wichtigen Gedankens. Vgl. Karl-Josef Müller, Mahler. Leben – Werke – Dokumente. Mainz und München 1988, S. 571 f. E. T. A. Hoffmann, Rezension zu Ludwig van Beethoven, Fünfte Sinfonie (1810), in: Gesammelte Werke in Einzelausgaben, Bd. 9: Schriften zur Musik. Singspiele. Berlin u. Weimar 1988, S. 25. Ein Glück ohne Ruh’, Anm. 1, S. 72; auch in Gustav Mahler, Briefe, Anm. 36, S. 268 f. Ein Glück ohne Ruh’, ebenda, S. 148. Mahler bezieht sich auf Gustav Theodor Fechner, Zend-Avesta oder über die Dinge des Himmels. 3 Bde., Leipzig 1851, 2. Aufl. 1901. Mahler am 23. Oktober 1903 an Alma Mahler, in: ebenda, S. 173.

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Als Lectüre hatte ich mir Fechner Aesthetik (höchst interessant, wird Dir riesig gefallen) mitgenommen. Das einzige Buch, das Du mir am Schreibtisch liegen gelassen hast. – Mitten im ersten Capitel wurde ich gewahr, daß es der II. Theil ist – der erste befindet sich also in der Kiste. – In meiner Verzweiflung aber habe ich einfach diesen weitergelesen. – Nun passirte es mir aber, daß ich das Buch im Coupé liegen lasse. Ich werde an die Südbahn schreiben! Ich glaube, daß dieses Buch nur ‚ehrliche‘ Finder haben wird.45

In einer längeren Briefpassage, die sich auf Hermann Helmholtz bezieht, geht es um die Frage der „Unveränderlichkeit der durch Naturwissenschaft gewonnenen Anschauung“, die Frage der „Denkmöglichkeit, daß sich im Laufe von Äonen (etwa infolge eines natürlichen Evolutionsgesetzes) selbst die Naturgesetze ändern können; daß also beispielsweise die Gravitation nicht mehr statthaben wird“.46 Auf Mahlers naturwissenschaftliches Interesse wird in einem eigenen Beitrag in diesem Band eingegangen. Die Liste der oben in Abschnitt II.b) genannten Philosophen ist durch den Blick in die Briefe um die Namen Platon und Aristoteles ergänzt worden. Darüber hinaus ist festzustellen, dass im Vergleich zu den Schilderungen der Zeitgenossen, die die philosophischen Neigungen und Kenntnisse Mahlers besonders hervorheben, in den veröffentlichten Briefen selten substantielle Ausführungen Mahlers zu den von ihm rezipierten Philosophen zu finden sind. Die textliche Quellengrundlage für die Identifizierung einer Philosophie Gustav Mahlers ist also dünn. Angesichts der vollmundigen und blumigen Porträts, die häufig vom Philosophen Mahler gemalt werden, ist das ein erstaunlicher Befund. Natürlich folgt daraus, dass es von Mahler nur wenige explizite textliche Äußerungen zu Philosophen gibt, nicht, dass mehr, als in solchen Äußerungen zu finden ist, nicht zu sagen wäre. Aber es heißt, dass weiter gehende Aussagen nur auf dem Wege einer ‚intermedialen‘ Interpretation zu entwickeln sind, die die Musik Mahlers, seine expliziten Äußerungen und die Kenntnisse, die wir von seinen Lektüren haben, auf einander bezieht und aus einer behutsamen hermeneutischen Wechselbestimmung der ‚multimedialen‘ ‚Materialien‘ ihre Hypothesen entwickelt.

III. Auswertung von Mahlers philosophischen Lektüren Für die Einschätzung der Lektüren und – inhaltlich eher spärlichen – expliziten Ausführungen Mahlers ist es erforderlich, den Diskussionskontext kennen zu lernen, aus dem die Philosophien stammen, die Mahler rezipiert hat. 45 46

Ebenda S. 257. Gemeint ist Fechners Vorschule der Ästhetik. 2 Bde. Leipzig 1876. In Mahlers Brief an Richard Horn, Anf. Dezember 1903, in: Briefe (Blaukopf), Anm. 26, S. 342.

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Einen hohen Stellenwert hat für Gustav Mahler die Frage, ob sich alles, was ist, auf Materie reduzieren lässt, ob Materie das Prinzip alles Seienden ist. Mahler sucht nach einer philosophischen Theorie, die die Vereinbarkeit von Naturwissenschaft und Metaphysik zu begründen vermag. Der Materialismus, der bereits in der Antike, etwa mit Demokrits Atomismus, und in der französischen Aufklärung vor allem mit L’homme machine (1748) von La Mettrie und dem Système de la nature (1770) von d’Holbach einflussreich war, bekam in der Mitte des 19. Jahrhunderts in Deutschland durch Jacob Moleschotts Der Kreislauf des Lebens (Mainz 1852) und dem Bestseller Kraft und Stoff. Empirisch-naturphilosophische Studien. In allgemein-verständlicher Darstellung von Ludwig Büchner (Leipzig 1855) neuen Aufwind. Gleichzeitig hatten experimentelle Methoden in den empirischen Wissenschaften Konjunktur. Aufsehen erregte die Psychologie, die sich von der Philosophie löst und sich als empirische Naturwissenschaft neu formiert. Johann Friedrich Herbart (1776– 1841) und Friedrich Eduard Beneke (1798–1854) haben hier richtungsweisend gewirkt. Zunehmend wird die Psychologie als empirische Wissenschaft auf experimentelle Grundlage gestellt, Messmethoden werden entwickelt. In Weiterentwicklung der Theorie Benekes und Herbarts von einem psychischen ‚Mechanismus‘ gelangt Gustav Theodor Fechner (1801–1887) zu seiner „Psychophysik“, einer „Physik des Seelenlebens“ (Elemente der Psychophysik, 2 Bde., 1860). Die Weber/Fechnerschen Gesetze sind mathematische Formulierungen von psychischen Gesetzmäßigkeiten. Andererseits hat aber gerade in Deutschland der Idealismus durch Hegelianer ebenso wie durch Romantiker eine starke Position im kulturellen Klima. Auch Tendenzen zum Spiritualismus werden immer stärker. In der Person des Physikers und Philosophen Fechner finden beide Tendenzen, Mechanismus und Materialismus, auf der einen Seite, und Metaphysik und Idealismus, auf der anderen Seite, zu einer eigenartigen Synthese. Fechner beansprucht, den Panpsychismus, die von Spinoza und Goethe inspirierte Theorie der Allbeseeltheit des Universums, nach der auch Pflanzen, Planeten, das Universum, ein Seelenleben (mentale Eigenschaften) haben, durch empirische Indizien zu stützen. Die wichtigsten Schriften Fechners hat Mahler gelesen, insbesondere: Das Büchlein vom Leben nach dem Tode – unter dem Pseudonym Dr. Mises (Dresden 1836, 2. Aufl. 1866), Nanna oder über das Seelenleben der Pflanzen (Leipzig 1848), Zend-Avesta oder über die Dinge des Himmels und des Jenseits. Vom Standpunkt der Naturbetrachtung (3 Bände, Leipzig 1851). Nachdem Fechner in der akademischen Philosophie lange in Vergessenheit geraten ist, wird er seit einigen Jahren neu entdeckt und für eine aus heutiger Sicht attraktive Position in Anspruch genommen: den ‚nichtreduktiven Materialismus‘.47 47

Vgl. Michael Heidelberger, Die innere Seite der Natur. Gustav Theodor Fechners wissenschaftlich-philosophische Weltauffassung. Frankfurt/M. 1993. Zur Bedeutung Fechners für Mahlers musikalisches Denken siehe Jeremy

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Herrmann Lotze (1817–1881), wie Fechner eine Persönlichkeit beider ‚Wissenschaftskulturen‘, der Naturwissenschaft und der Philosophie, hat mit seinem Mikrokosmus. Ideen zur Naturgeschichte und Geschichte der Menschheit (1856–64) sowohl in naturwissenschaftlichen als auch philosophischen und theologischen Kreisen breite Wirkung entfaltet. Er ist ein Gegner der Lebenskraft-Theorie (Vitalismus) und beansprucht, die kausal-mechanistische Methode der Naturwissenschaft mit einem ‚teleologischen Idealismus‘ zu verbinden. Wie Fechner ist Lotze daher ein Autor, von dessen Programm und Methode Mahler sich eine Lösung seiner philosophischen Grundprobleme verspricht.48 Während der Materialismusstreit hohe Wellen schlägt, verfasst Friedrich Albert Lange (1828–1875) ein von Mahler sehr geschätztes und bis heute als Standardwerk geltendes Buch: Geschichte des Materialismus und Kritik seiner Bedeutung in der Gegenwart (Iserlohn 1866). Seine differenzierte und sachlich kluge Position lautet: Für die Naturwissenschaft ist der Materialismus die angemessene, unverzichtbare methodische Einstellung, aber er eignet sich für eine umfassende Weltanschauung. Die Metaphysik beantwortet ihrerseits das Sinnbedürfnis der Menschen, taugt aber nicht als Methode der Wissenschaft. Beide müssen sich wechselseitig ergänzen und begrenzen. Diese Position überzeugt Mahler. Eduard von Hartmanns (1842–1906) Philosophie des Unbewußten. Versuch einer Weltanschauung (Berlin 1869, bereits 1882 in 9. Aufl. 1882; 2 Bde.) wurde zum meistgelesenen philosophischen Buch des 19. Jahrhunderts.49 Es ist eine idiosynkratische Verbindung aus Schelling, Hegel und Schopenhauer. Nietzsche mokiert sich über das „Modephilosöphchen“. Mahler liest auf dem Sterbebett Das Problem des Lebens. Biologische Studien (Bad Sachsa 1906). Wieder ist für Mahler die Verbindung einer an die Naturwissenschaften anschließenden, naturalistischer Philosophie mit der begrifflichen Systematik idealistischer Spekulation von Interesse. Das sind nur einige Schlaglichter auf die Philosophie des 19. Jahrhunderts, betrachtet durch die Brille Mahlers.50 Schopenhauer ist zu kurz gekommen, ist aber in der

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49 50

Barham, Gustav Mahler’s Third Symphony and Philosophy of Gustav Fechner: Interdisciplinary Approaches to Criticism, Analysis and Interpretation, unpublished PhD thesis, University of Surrey, 1998. Vera Micznik möchte zeigen, dass sich in Mahlers Fünfter Symphonie Spuren von Mahlers Lotze-Lektüre finden. Vgl. Vera Micznik, Textual and Contextual Analysis: Mahler’s Fifth Symphony and Scientific Thought, in: International Review of the Aesthetics and Sociology of Music 27, 1996, S. 13–29. Vgl. Großes Werklexikon der Philosophie. Hrsg. Franco Volpi. Stuttgart 1999, Bd. 1, S. 621. Eine Übersicht gibt Morten Solvik, The Literary and Philosophical Worlds of Gustav Mahler. In: Jeremy Barham, The Cambridge Companion to Mahler, Cambridge 2007, S. 21–34. Vgl. auch die Goethe, Fechner, Lotze und Hartmann betreffenden Passagen in Jens Malte Fischer, Gustav Mahler. Der fremde Vertraute. Biografie, Wien 2003, insbes. S. 488–498 und 845–848.

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Mahler-Literatur – wie auch Nietzsche – vielfach behandelt worden.51 Sieht man den obigen Kontext, muss man den ersten Eindruck, den Mahlers Umgang mit Literatur und Philosophie erweckt, korrigieren. Der Ruf des Eklektizisten, der Mahler anhaftet und der auch noch in zahlreichen Mahler-Forschungsbeiträgen fortwirkt, ist nur bedingt berechtigt. Die oben eruierte Namenliste ist eine gute Mischung aus Klassikern der Philosophie und einer repräsentativen Auswahl aus aktuellen, zum Teil wissenschaftlich-akademischen, zum Teil populären philosophischen Texten. Mahler rezipiert die dominierenden zeitgenössischen philosophischen Diskussionen über den Ertrag von Naturwissenschaft und Philosophie für die Beantwortung der alten Menschheitsfragen nach dem Sinn des Lebens, der menschlichen Seele, dem Tod und den Gesetzen, die das Universum zusammenhalten. Entgegen der ‚konservativen‘ Textauswahl im Bereich der Literatur (Poesie)52 liegt Mahler mit seinen philosophischen Lektüren weitgehend im Trend der Zeit. Mahler liest diese Werke mit einem profund philosophischen Interesse an einem Begriff der Seele, der nicht einfach eine Funktion willkürlichen Bekenntnisses ist, sondern sich in einen umfassenden Kontext empirisch-wissenschaftlicher und philosophisch-metaphysischer Theorien kohärent integrieren lässt. Mahler begnügt sich nicht mit dem Insistieren auf Glaubensartikel, er verfolgt Möglichkeiten und Wege einer begrifflich-philosophischen Fundierung eines kohärenten, mit empirisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen vereinbaren Weltbildes. Aber das ist nur eine, die philosophie-interne Seite dessen, was den ‚MusikerPhilosophen‘ Gustav Mahler charakterisiert. Eine andere, spezifischer musikbezogene Seite von Mahlers philosophischen Ambitionen lässt die Auswahl der philosophischen Theorien, deren Einflüsse auf Mahlers musikalisches Werk identifizierbar sind, noch in einem anderen Licht erscheinen. Aus philosophischem Gedankengut nimmt Mahler auffällig narrative, metaphorsche, allegorische, bildlich-visionäre Elemente heraus. Es taucht das ‚Erzählbare‘ der Philosophie in Mahlers Musik auf. Eine genauere Analyse 51

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Zu Schopenhauer vgl. Ulrike Kienzle, Tönende Metaphysik: Nachwirkungen von Schopenhauers Philosophie in der Musik des 19. und 20.Jahrhunderts. In: Ulrike Kienzle, ... daß wissend würde die Welt! Religion und Philosophie in Richard Wagners Musikdramen. Würzburg 2005, S. 247–257, darin über Mahler S. 253–256. Zu Nietzsche vgl. Eveline Nikkels, „O Mensch! Gib Acht!“. Friedrich Nietzsches Bedeutung für Gustav Mahler, Amsterdam/Atlanta 1989. Anette Unger, Welt, Leben und Kunst als Themen der „Zarathustra-Kompositionen“ von Richard Strauss und Gustav Mahler. Frankfurt/M u.a. 1992. Zu beiden Jeremy Barham, Gustav Mahler and the Philosophy of Schopenhauer and Nietzsche. Unpublished MMus thesis, University of Surrey 1992. Georg Mohr, Das Gehör als Tor zur Welt. Mahlers Dritte Symphonie als Musik über Musik, in: Nachrichten zur Mahler-Forschung 48, 2003, S. 3–22. Vgl. Albert Berger, Zum historischen Ort von Mahlers Textverstandnis, in: Aspetsberger/Partsch, MahlerGespräche, siehe Anm. 16, S. 78–95. In Bezug auch auf die philosophische Positionierung Mahlers vgl. Morten Solvik, Mahler’s Untimely Modernism, in: Perspectives on Gustav Mahler. Hrsg. Jeremy Barham Aldershot 2005, S. 153–174.

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der Musik Mahlers vor dem Hintergrund seines philosophischen Kontextes müsste zeigen können, dass Mahler zum einen Philosophie (auch) auf das Musizierbare hin liest und andererseits Musik (auch) auf das Philosophische hin komponiert. Es wäre unangemessen, in Mahlers Werk in einem technischen Sinne philosophische Theorien zu suchen. Dass er offenbar kein Bedürfnis verspürte, auch nicht in Tagebüchern, Notizheften, philosophische Thesen oder Argumente aufzuschreiben, ist wenigstens ein Indiz dafür, dass ihn philosophische Argumentation nicht als ‚Medium‘, sondern nur als ‚ideelles Material‘ musikalischer Komposition interessierte. Selbst die Dichtung, in der er sich in frühen Jahren immerhin auch als Autor betätigt hat (in einigen frühen Liedern, besonders natürlich in den Liedern eines fahrenden Gesellen53), ist offenbar mehr ein ‚Instrument‘ der semantischen Stützung oder ideellen Fokussierung der Musik, als dass sie einen eigenen Stellenwert als Medium hätte. Gerade von besonderem musikphilosophischem wäre es, jenen Gedanken in Mahlers Musik nachzuspüren, von denen Mahler sagt, er könne sie nur als Musiker in Musik sagen54, die also auch kein begriffssprachliches Äquivalent haben. Hier liegt vielleicht ein Indiz dafür, dass Mahler Philosophie nicht auf begriffssprachlich deduzierbare Theorie reduzieren wollte und Musik tatsächlich als auch philosophisches Medium verstand. Mahler hätte in seinem Denken und Komponieren an der musikphilosophischen Intuition gearbeitet, Musik drücke dasjenige Philosophische aus, das durch begriffliche Philosophie philosophisch unzulänglich gesagt wird.

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Vgl. Georg Mohr, „Rücksichtslose Polyphonie“ oder: Was geschah unter dem Lindenbaum? Gustav Mahlers Lieder eines fahrenden Gesellen, in: Musik-Konzepte 136, IV/2007, S. 5–26. Vgl. z.B. Richard Specht, Gustav Mahler, Anm. 31, S. 39.

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For nearly a quarter of a century Siegfried Lipiner (1856 –1911) was Mahler’s closest friend and most influential mentor – one of very few people whose thoughts and opinions Mahler invariably respected. Slightly older than Mahler, Lipiner was also of Jewish ancestry and modest means and hailed from a provincial Austrian crown land (Galicia, formerly part of Poland). Exactly when Mahler and Lipiner met remains uncertain, but their circles of acquaintances certainly overlapped by the time Mahler joined Vienna’s Akademischer Wagner-Verein in 1877.1 Guido Adler, co-founder of that organization and a longtime friend of both artists, tells us that Lipiner […] with his profound cultivation and the buoyancy of his imaginative life, exerted a powerful influence on the friend of his youth. Philosophic themes were considered with fervor and deep penetration by these friends, world literature in its most powerful manifestations taken up in detail, and religious questions discussed with solemn severity.2

Although their friendship would be interrupted in 1901 by Mahler’s engagement to the enchanting young Alma Schindler (she and Lipiner immediately despised each other), it was, significantly, Lipiner to whom Mahler turned for counsel and reassurance in 1909, when he knew his days were numbered.3 1

2

3

Fünfter Jahresbericht des Wiener Akademischen Wagner-Vereins (Vienna, 1877), cited in Kurt Blaukopf, comp. and ed., Mahler: A Documentary Study (New York: Oxford University Press, 1976), 156. Guido Adler, Gustav Mahler (Vienna: Universal Edition, 1916), 35, translated in Edward R. Reilly, Gustav Mahler and Guido Adler: Records of a Friendship (Cambridge: Cambridge University Press, 1982), 33. Herta Blaukopf, ed., Gustav Mahler Briefe, 2nd rev. ed. (Vienna: Paul Zsolnay, 1996), no. 404; for the English translation, see Selected Letters of Gustav Mahler, ed. Knud Martner, trans. Eithne Wilkins, Ernst Kaiser, and Bill Hopkins (New York: Farrar Strauss Giroux, 1979), no. 382. See also Bruno Walter, Theme and Variations: An Autobiography (New York: Knopf, 1946), 148; idem, “Gustav Mahlers Weg: Ein Erinnerungsblatt,” Der Merker 3/5 (1912): 171; and Hefling, “‘Freuet Euch des Lebens’: Die ängstlich erwartete Neunte,” in Gustav Mahler und Wien, ed. Reinhold Kubik and Thomas Trabitsch (Vienna: Christian Brandstaetter, 2010), 185–90.

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Lipiner’s writings, however, have remained largely unknown, probably for several reasons. He never fulfilled the promise apparent in his youthful Der entfesselte Prometheus [Unbound Prometheus] (1876), and published no original poetry after 1883. Copies of his writings were long relatively scarce (fewer than a dozen examples of the essay under consideration here are preserved in public institutions). But more significantly, they stem from a time and place that changed enormously during and shortly after Mahler and Lipiner reached maturity. On the Elements of a Renewal of Religious Ideas in the Present, however, encapsulates many of the aesthetic and spiritual issues with which they and their contemporaries were deeply concerned during their formative years. Mahler may well have heard Lipiner deliver the text to the Leseverein der deutschen Studenten Wiens in January of 1878, and there can be little doubt that he read and absorbed it carefully. The history of its genesis extends back to a meeting of the Leseverein in the fall of 1875: At an evening lecture meeting of the Reading Society of German Students […] during the discussion a very young, insignificant-looking man rose to speak, and immediately gripped the attention of the entire audience through the suggestive power of his words. A few days later, at a smaller gathering, he read aloud to us a completed, full-length drama entitled Arnold von Brescia. That was the occasion on which he made his entry into a students’ society that had existed for a long time; […] At a time when the name of Nietzsche was not generally known, this group was studying his Unzeitgemäße Betrachtungen [Untimely Meditations], then newly published. Indeed, it may be said that this group was a centre of vigorous intellectual life unique among the Vienna students of that time.4

The impressive young orator on that occasion was none other than Lipiner, then in his first year of study at the University; the topic of discussion was the second of Nietzsche’s Untimely Meditations, “On the Uses and Disadvantages of History for Life” (1874). And the “smaller gathering” for whom he later read his own work was the loosely organized group founded by Viennese Gymnasium cohorts from the 1860s, mostly of Jewish origin, who would eventually have a major impact upon the politics of both Vienna and the Austrian nation, as well as upon the intellectual development of young Gustav Mahler. Now known as “the Pernerstorfer circle,” these young men, like most German Austrians, felt that they had lost their secure world of political predominance as a result of Austria’s 1866 defeat by the Prussians and the ensuing Compromise (Ausgleich) that the Hungarians forced upon the weakened imperial regime. Concurrently, their hopes 4

Engelbert Pernerstorfer, “Nekrolog Siegfried Lipiner,” Zeitschrift des österreichischen Vereins für Bibliothekwesen 3/2 (1912): 122–23, cited in Kurt Blaukopf, Mahler: A Documentary Study,156–57, translation modified; for the German edition, see idem, Mahler: Sein Leben, sein Werk und seine Welt in zeitgenössischen Bildern und Texten (Vienna: Universal Edition, 1976), 155.

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for an eventual großdeutsch united German homeland had been seriously undermined.5 Yet the erosion of Habsburg power and prestige also resulted in the reduction of restrictions against Jews and the declaration of universal (male) equality before the law, which were essential for the flourishing of the Pernerstorfer circle. As students of the Benedictine monks at Vienna’s Schottengymnasium, the founders of the circle had absorbed a strong sense of social consciousness and the need for the integration of ideality and reality. Indeed, three of them would become leaders of the socialist movement in Austria: Victor Adler (1852–1918), who would found the Social Democratic Party in 1889, the historian-to-be Heinrich Friedjung (1851–1920), and Engelbert Pernerstorfer (1850–1918), future leader of the socialist delegates in the Austrian Parliament, after whom the group is named. All were deeply disenchanted with the repressive, reactionary Habsburg regime and appalled by the unscrupulous greed of the rising laissez-faire Liberals. Such views put these budding radicals directly at odds with their immediate elders, giving rise to a generational split that lent a certain cynical hostility and concomitant insecurity to their adolescent rebellion.6 Their teachers at the Schottengymnasium had also imbued these students with a deep love of both classical learning and folk culture, including the medieval German saga of the Nibelungenlied, which they read in the original middle-high German, marveling at the similarity between the ancient language and their own Viennese dialect.7 Eventually the Pernerstorfer circle would include Mahler’s closest friends from his student years in Vienna – Fritz Löhr, Albert Spiegler, Hugo Wolf, Richard Kralik, and most notably, Siegfried Lipiner, whose influence would introduce Mahler to an intellectual world that affected all of his creative activity. In addition to their intense preoccupation with the Austrian political situation, members of the Pernerstorfer circle were also deeply concerned with philosophical and aesthetic issues. In 1871 they discovered the philosophy of Schopenhauer, whom Victor 5

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The foundational study of the Pernerstorfer circle is William J. McGrath, Dionysian Art and Populist Politics in Austria (New Haven: Yale University Press, 1974); other important discussions include idem, “Student Radicalism in Vienna,” Journal of Contemporary History 2/3 (1967): 183–201; idem, “Mahler and the Vienna Nietzsche Society,” in Jacob Golomb, ed., Nietzsche and Jewish Culture (London: Routledge, 1997), 218–32; Aldo Venturelli, “Nietzsche in der Berggasse 19: Über die erste Nietzsche-Rezeption in Wien,” in Nietzsche-Studien: Internationales Jahrbuch für die Nietzsche-Forschung 13 (1984): 448–80; Hubert Lengauer, “Siegfried Lipiner: Biographie im Zeichen des Prometheus,” in Die österreichische Literatur: Ihr Profil von der Jahrhundertwende bis zur Gegenwart (1880–1980), ed. Herbert Zeman (Graz: Akademische Druck- u. Verlagsanstalt, 1989), 2: 1227–46; and Anna Maria Christiane Casapicola, “Netzwerk ‘Pernerstorfer Kreis,’ ” Nachrichten zur Mahler-Forschung 54 (Fall 2006): 1–17. McGrath, Dionysian Art, 19–20; Carl Schorske, Fin-de-siècle Vienna: Politics and Culture (New York: Knopf, 1980), 21, 212, et passim. McGrath, Dionysian Art, 29–31.

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Adler enthusiastically declared “absolutely first rate.” Looking back some years later, Pernerstorfer would write that Adler’s study of Schopenhauer had been “the greatest influence on his development and philosophical thought” – even as Mahler would frequently declare that, as regards the essence of music, only Schopenhauer and Wagner (in his 1870 essay “Beethoven”) had anything worthwhile to say.8 In 1874 Victor Adler joined Vienna’s Akademischer Wagner-Verein, founded by Guido Adler (no relation) and associates in 1873. Most of the Pernerstorfer circle soon followed suit, thereby strengthening the link of cooperation between the Leseverein and the Wagner Society. The Great Crash of May 1873 was disastrous for the Liberals, and indeed the entire empire; it precipitated an economic depression that would last for over twenty years. Through bitter irony of fate, Austria’s long overheated economy collapsed just a week after the opening of the Vienna World Exhibition, which had been planned as a celebration of Austrian progress during twenty-five years of Franz Joseph’s rule. Many overextended investors were expecting an economic boost from the Exhibition, but heavy rains kept the anticipated crowds away during its opening days. The casualties that week included 230 bankruptcies, followed by over one hundred more in the ensuing months; there were 152 suicides. Later that summer a cholera epidemic broke out at the Exihibition’s Hotel Donau, claiming nearly 3,000 lives in Vienna as it raged for 141 days; failed harvests elsewhere in the Empire added further to the misery.9 The Liberal financiers and businessmen, many of whom were Jewish, became obvious scapegoats for the outraged masses. As one historian succinctly observes, “anti-Semitism rose as the stock market fell,”10 and the growing prejudice against Jews would become increasingly politicized over the next two decades. Both financial insecurity and social discrimination were inherent features of life in the Dual Monarchy as Mahler grew to maturity. Within weeks of the Crash, however, Johann Strauss Jr. began writing his carnivalesque champagne antidote to these bitter times, the operetta Die Fledermaus [The Bat]. “Glücklich ist, wer vergißt, was doch nicht zu ändern ist” [“Happy is he who forgets what cannot be changed anyway”] is the catchy refrain of the first-act drinking-song finale: in retrospect, that line seems to epitomize the widespread attitude of denial dur-

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Ibid., 40; Blaukopf, Gustav Mahler Briefe, no. 114 (Selected Letters, no. 105 and note on p. 412). Joachim Riedl, “The City without Qualities,” in Vienna 1900: Klimt, Schiele, Moser, Kokoschka, ed. Serge Lemoine and Marie-Amélie zu Salm-Salm (Aldershot, UK and Burlington, VT: Lund Humphries, 2005), 28–29; Allan Janik and Stephen Toulmin, Wittgenstein’s Vienna (New York: Simon and Schuster, 1973), 54–55. R. J. Sontag, Germany and England: Background of Conflict, 1848–1894 (New York, 1938), 146, cited in Hans Rosenberg, “Political and Social Consequences of the Great Depression of 1873–96 in Central Europe,” Economic History Review 13 (1943): 63; cf. Janik and Toulmin, 54.

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ing “Vienna’s Gay Apocalypse,” as the writer Hermann Broch would characterize the period around 1870–90.11 “One cannot build railroads with moral aphorisms.” That was the contemptuous self-defense of Victor Ritter Ofenheim von Ponteuxin (1820-86), one of the wealthiest and most unscrupulous tycoons of the Liberals’ economic boom period, who was brought to trial for fraud in early 1875. His acquittal outraged the Leseverein, which thereupon paid for the publication of the state prosecutor’s speeches as well as a condemnation of the trial by their own invited lecturer, professor of philosophy Johannes Volkelt. Their disgust with Liberalism had reached its zenith, and members of the Leseverein earnestly sought alternative values. Later in 1875 they would begin to find them, in the writings of Wagner and, especially, the early works of Nietzsche; indeed, they were among Nietzsche’s first serious readers in all of Europe.12 Such were the earnest concerns of Vienna’s youthful intellectuals in 1875 when Siegfried Lipiner enrolled in the University and Gustav Mahler entered the Vienna Conservatory. A wunderkind of sorts, the nineteen-year-old Lipiner entered the University with his first long poems already in hand. Among them were portions of the soon-to-berenowned Der entfesselte Prometheus.13 In the summer of 1876 Lipiner went to Leipzig to study with the elderly philosopher and scientist Gustav Theodor Fechner, whose panentheistic and anti-materialist worldview would considerably influence both Lipiner and Mahler.14 Fechner was greatly impressed by his new student and acknowledged him “sans façon as a tragic poet and as well as a student of philosophy.”15 Lipiner in turn persuaded Fechner to write his last book,16 Die Tagesansicht gegenüber der Nachtansicht [The 11

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Hermann Broch, Hugo von Hofmannsthal and His Time: The European Imagination, 1860–1920, ed. and trans. Michael P. Steinberg (Chicago: University of Chicago Press, 1984), 59; and Riedl, 30–31. McGrath, Dionysian Art, 45–52 and idem, “Mahler and the Vienna Nietzsche Society,” 218–32. Hartmut von Hartungen, “Der Dichter Siegfried Lipiner (1856–1911)” (Dr. Phil. diss., Munich, 1932 [mimeographed]), 1; and Paul Natorp, introduction to Siegfried Lipiner, Adam: Ein Vorspiel / Hippolytos: Tragödie (Stuttgart: Verlag von W. Spemann, 1913), 4. Other useful studies of Lipiner include Gabriele Brezina, “Siegfried Lipiner 1856–1911: Eine Monographie” (Dr. Phil. diss., University of Vienna, 1925) and Ida Schein, “Die Gedanken- und Ideenwelt Siegfried Lipiners” (Dr. Phil. diss., University of Vienna, 1936). Hartungen, Brezina, and Schein all had access to materials from Lipiner’s estate that are no longer available, as well as discussions with his relatives. See especially Jeremy Barham, “Mahler’s Third Symphony and the Philosophy of Gustav Fechner: Interdisciplinary Approaches to Criticism, Analysis, and Interpretation” (Ph. D. diss., University of Surrey, 1998), which also contains a useful section on Lipiner (pages 368 –82); see also Catherine Keller, “The Luxuriating Lily: Fechner’s Cosmos in Mahler’s World” in this volume. F. Fügner, “Siegfried Lipiner, ein Dichter unserer Zeit,” Blätter für Handel, Gewerbe und sociales Leben (Beiblatt zur Magdeburgischen Zeitung), Montagsblätter 5 (31 January 1881): 38–39; 6 (7 February 1881): 42–45; 7 (14 February 1881): 49–51, cited by Hartungen, 3–4. Josef Breuer, letter of March 1903 to Franz Brentano, reproduced in Albert Hirschmüller, The Life and Works of Josef Breuer, trans. C. J. Lill (New York: New York University Press, 1989), 245.

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Daylight View as Contrasted with the Night View] (Leipzig 1879), a fairly systematic summary of his diffuse thinking and writing over the course of many years that is widely regarded as his most lucid work. In the fall of 1876 Lipiner resumed his studies in Vienna, and near the end of the year Prometheus was published by the prestigious firm of Breitkopf und Härtel in Leipzig.17 This plus Fechner’s endorsement garnered Lipiner considerable cachet among members of the Pernerstorfer circle, and not later than May of 1877 he had summoned the courage to send a copy of Prometheus to his longtime idol, Nietzsche.18 Only upon receipt of a second copy in early August did Nietzsche issue his famous pronouncement to his friend Erwin Rohde: Just recently I experienced a true day of consecration through the “unbound Prometheus.” If the poet is not a veritable “genius,” then I no longer know what one is: everything is wonderful and it is as though I encountered my elevated and apotheosized self in it. I bow deeply before one who can experience something like this inwardly and present it.19

Less well known is an 1877 fragment in Nietzsche’s Nachlaß apparently characterizing Prometheus as “a rainbow bridge hovering over the last millenia, the highest poem of culture [Cultur-Gedicht].”20 Yet there are already signs from this period of Nietzsche’s ambivalence toward the poem as well (see below). To understand both Nietzsche’s temporary infatuation with a poem that history has largely ignored as well as Lipiner’s role in the intellectual development of the Pernerstorfer group requires a certain familiarity with several texts, especially Schopenhauer’s Die Welt als Wille und Vorstellung [The World as Will and Representation] (1819/44)21 and Nietzsche’s Die Geburt der Tragödie aus dem Geist der Musik [The Birth of Tragedy from the Spirit of Music] (1872)22 plus 17

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Hartungen, 5. Der entfesselte Prometheus is now available on the Internet, both through Google Books and from Hathi Trust Digital Library at http://hdl.handle.net/2027/mdp.39015019356669. The chronology of and correspondence from Lipiner’s brief relationship with Nietzsche are carefully examined by Venturelli and Lengauer (see note 5). “Ganz neuerdings erst erlebte ich durch den ,entfesselten Prometheus‘ einen wahren Weihetag: wenn der Dichter nicht ein veritables ,Genie‘ ist, so weiss ich nicht mehr was eins ist: alles ist wunderbar, und mir ist als ob ich meinem erhöhten und verhimmlischten Selbst darin begegnete. Ich beuge mich tief vor einem der so etwas in sich erleben und herausstellen kann.” Friedrich Nietzsche, Briefwechsel: Kritische Gesamtausgabe, ed. Giorgio Colli and Mazzino Montinari (Berlin: Walter de Gruyter, 1975 ff.), II. Abteilung, Band 5, 278. “Gef[esselter] Prom[etheus] als Regenbogenbrücke über den letzten Jahrtausenden schwebend, das höchste Cultur-Gedicht.” Nietzsche, Werke: Kritische Gesamtausgabe, ed. Giorgio Colli and Mazzino Montari (Berlin: Walter de Gruyter, 1967 ff.), IV. Abteilung, Band 2, 490, fragment 22[88], spring-summer 1877. Dritte, verbesserte und beträchtlich vermehrte Auflage (Leipzig: Brockhaus, 1859) available from Google Books; trans. E. F. J. Payne as The World as Will and Representation (New York: Dover, 1966). In Friedrich Nietzsche: Werke, ed. Karl Schlechta (Munich: Hanser, 1969 / Frankfurt/M: Ullstein, 1980), vol. 1; translated by Walter Kaufmann as The Birth of Tragedy, Vintage Books (New York: Random House, 1967).

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the second and third of his Unzeitgemäße Betrachtungen [Untimely Meditations] (1873– 76).23 The following summary is offered with the caveat that necessary brevity leaves much unsaid. According to Schopenhauer, the world, which is experienced as representation, is, in itself, Will – “the innermost essence, the kernel of every particular thing, and also of the whole.”24 Schopenhauerian Will is the blind force of nature, yet also the driving force of human beings (akin in many respects to Freud’s notion of the id). Humanity is deceived by the principium individuationis, the principle of individuation, which is the form of phenomena; as a result, we live out an endlessly egoistic cycle in which desires of the Will can be at best only partially fulfilled. Dissatisfaction ensues, and the cycle recurs – it is the punishing, perpetually rolling wheel of Ixion (to which Mahler referred in comments about the Third Symphony).25 “Birth and death belong equally to life, and hold the balance as mutual conditions of each other – poles of the whole phenomenon of life.” That is the reason, Schopenhauer says, that Indian mythology gives the god Shiva, who represents destruction and death, both a necklace of skulls and the lingam, or phallus – the symbol of procreation that appears as the counterpart of death.26 For Schopenhauer there were only two sources of relief from the wheel of Ixion: the effect of grace occurring in Christian or Buddhist religion, and the temporary stilling of the Will that occurs in dispassionate aesthetic contemplation of art.27 But music, he asserts, is the highest of the arts because it is the direct and immediate expression of the Will, without intervening conceptualizations; it “never expresses the phenomenon, but only the inner nature[…]. We could just as well call the world embodied music as embodied will.”28 In The Birth of Tragedy, Nietzsche transposes the duality of Will and representation into passionate Dionysian abandon versus harmonious Apollonian restraint. Metaphorically, the two polarities may be likened to intoxication (Dionysus) versus dreaming (Apollo), or orgiastic passion as opposed to beautiful illusion. The Apollonian world is that of fair illusion and the plastic arts. The Dionysian realm, however, is rap23

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26 27 28

In Nietzsche: Werke, ed. Schlechta, 1:19 –134; translated by R. J. Hollingdale as Untimely Meditations (Cambridge: Cambridge University Press, 1997), 57–194; available online through NetLibrary. Schopenhauer, trans. Payne, 1:110 (§21). Ibid., 1:196 (§38); cf. Gustav Mahler in den Erinnerungen von Natalie Bauer-Lechner, revised and expanded edition, ed. Herbert Killian, with notes by Knud Martner (Hamburg: Karl Dieter Wagner, 1984), 68; for the English translation, see Nathalie Bauer-Lechner, Recollections of Gustav Mahler, trans. Dika Newlin, ed. Peter Franklin (London: Faber and Faber, 1980), 67. According to Greek mythology, when Ixion attempted to seduce Zeus’ wife Hera, Zeus punished Ixion by binding him to a fiery wheel that rolls perpetually through the sky. Schopenhauer, trans. Payne, 1:275–76 (§54); cf. also 330–31 (§60). Ibid., 1:378–412 (§67–71), esp. 404, and 179 (§34), 184–85 (§36), 195–98 (§38). Ibid., 1:257, 263 (§52).

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ture and ecstasy such as that aroused by the potent coming of spring; it is union of man and nature; and it is also music, the immediate language of the Will. “Transform Beethoven’s song celebrating ‘Joy’ into a painting,” Nietzsche writes; “let your imagination conceive the multitudes bowing to the dust, awestruck – then you will approach the Dionysian.”29 Dionysian ecstasy tears aside the veil of illusion, shattering the principium individuationis. Thereby nature celebrates an aesthetic event – for in Nietzsche’s view, “it is only as an aesthetic phenomenon that existence and the world are eternally justified.”30 And it is the titanic, tragic artist-hero who defiantly reveals Dionysian wisdom through sacrilege and hubris; just such a hero was Aeschylus’ Prometheus, who, believing that man and the gods were mutually dependent, challenged divine supremacy and seized fire for humankind. Prometheus’ punishment was severe, yet worth enduring: “The splendid ‘ability’ of the great genius for which even eternal suffering is a slight price, the stern pride of the artist – that is the content and soul of Aeschylus’ poem […].”31 According to Nietzsche, the power that delivered Prometheus from the torturing vultures and transformed the myth into a vehicle of Dionysian wisdom was “the Heracleian power of music”; attaining its highest manifestation in tragedy, music invests myth with new and more profound significance. Nietzsche expands on this as follows: […] it is only through the spirit of music that we can understand the joy involved in the annihilation of the individual. For it is only in particular examples of such annihilation that we see clearly the eternal phenomenon of Dionysian art, which gives expression to the will in its omnipotence, as it were, behind the principium individuationis, the eternal life beyond all phenomena, and despite all annihilation. […] the hero, the highest manifestation of the will, is negated for our pleasure, because he is only phenomenon, and because the eternal life of the will is not affected by his annihilation. […] music is the immediate idea of this life.32

Music gives birth to tragic myth, and “tragedy absorbs the highest ecstasies of music, so that it truly brings music […] to its perfection.”33 For Nietzsche “all that comes into being must be ready for a sorrowful end”; the “maddening sting of these pains” pierces us just at the moment when, in Dionysian ecstasy, we anticipate the indestructibility and eternity of infinite primordial joy. The “metaphysical comfort” of art is only momentary.34 Nevertheless, in The Birth of Tragedy Nietzsche is 29 30 31 32 33 34

Nietzsche, The Birth of Tragedy, trans. Kaufmann, 37 (§1); translation amended. Ibid., 52 (§5); cf. also 141 (§24). Ibid., 70 (§9). Ibid., 104 (§16). Ibid., 125 (§21). Ibid., 104–5 (§17).

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already moving away from Schopenhauer’s pessimism and aesthetic withdrawal, and recommending instead, as he would increasingly, that man “listen to the ecstatically luring call of the Dionysian bird that hovers above him and wants to point the way for him.”35 As noted above, “On the Uses and Disadvantages of History for Life” was the topic of discussion when Lipiner entered the Pernerstorfer circle in 1875. In this “Untimely Meditation” Nietzsche argues that the current era has become oversaturated with history and with a reverence for the monumental moments of the past, which “suffocates and stifles […] the path that greatness has to tread on its way to immortality.”36 It is as though the worshippers of the past had as their motto “let the dead bury the living.”37 The result is an enfeebling division between inward feeling and outward convention, whereby people hide behind masks instead of being and becoming themselves; and this in turn leads to the prevalent moods of irony and cynicism.38 Only the capacity to address oneself and others truthfully in both word and deed will reveal “the distress, the inner misery, of modern man.” And then, in place of that anxious concealment through convention and masquerade, art and religion, true ancillaries, will be able to combine to implant a culture which corresponds to real needs and does not, as present-day universal education teaches it to do, deceive itself as to these needs and thereby become a walking lie.39 The ‘pure objectivity’ sought and claimed by the historian is an illusion; the ‘historically educated’ are eunuchs: “they themselves are neither man nor woman, nor even hermaphrodite, but always and only neuters or, to speak more cultivatedly, the eternally objective.”40 “If you are to venture to interpret the past you can do so only out of the fullest exertion of the vigour of the present”: history is for life, but it cannot show us “the How? and the Wherewith? to this life.”41 While The Birth of Tragedy says virtually nothing about Christianity, here Nietzsche lays much of the blame for historical oversaturation upon the Church: A religion which of all the hours of a man’s life holds the last to be the most important, which prophesies an end to all life on earth and condemns all who live to live in the fifth act of a 35 36

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Ibid., 139 (§23). “On the Uses and Disadvantages of History for Life,” in Untimely Meditations, trans. R. J. Hollingdale (Cambridge: Cambridge University Press, 1997), 68 (§2). Ibid., 72 (§2). Ibid., 82–84 (§4–5). Ibid., 85 (§5). Ibid., 87 (§5); cf. also 84. Ibid., 94 (§6), Nietzsche’s italics.

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tragedy […] is inimical to all new planting, bold experimentation, free aspiration; it resists all flight into the unknown because it loves and hopes for nothing there: it allows what is becoming to force its way up only with reluctance, and then when the time is ripe it sacrifices it or sets it aside as a seducer to existence, as a liar as to the value of existence.42

Thus, everything still coming into being is smothered “in the awareness of being a latecomer and epigone, in short of being born grey-haired”43 (a problem of which Mahler was certainly aware).44 He claims further that the historical awareness rendering humanity passive is a psychological substitute for the formerly absolute power of the Church: “In this sense we are still living in the Middle Ages and history is still disguised theology. […] What one formerly gave to the church, one now gives, though more sparingly, to learning […].” The absence of living mythologies and the dying of religions is due to the “religion of the power of history” and “the idolatry of the factual.”45 Thus science, too, is problematic because it “lives in a profound antagonism towards the eternalizing powers of art and religion” that give existence its stable and eternal, “suprahistorical,” qualities; science, moreover, is tainted by materialism, the profit motive, and factory mentality.46 Life must prevail over knowledge, and science must be monitored accordingly. History does, however, have one single purpose in Nietzsche’s view: the advancement of genius, of the “highest exemplars” of humanity: The time will come when […] one will regard not the masses but individuals, who form a kind of bridge across the turbulent stream of becoming. These individuals do not carry forward any kind of process but live contemporaneously with one another; thanks to history, which permits such a collaboration, they live as that republic of genius of which Schopenhauer once spoke; one giant calls to another across the desert intervals of time and, undisturbed by the excited chattering dwarfs who creep about beneath them, the exalted spirit-dialogue goes on. It is the task of history to be the mediator between them and thus again and again to inspire and lend the strength for the production of the great man. No, the goal of humanity cannot lie in its end but only in its highest exemplars.47 42 43 44

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Ibid., 101–102 (§8). Ibid., 102 (§8). See Bauer-Lechner, Erinnerungen, 33 (August 1893): “Kein leichtes Amt haben auch die Nachgeborenen, die Epigonen solch großer Geister wie Beethoven und Wagner. Denn die Ernte ist eingeführt und es sind nur noch die vereinzelt zurückgebliebenen Ähren aufzulesen.” [Recollections, 38: “The epigones, those born after such great spirits as Beethoven and Wagner, have no easy charge. For the harvest is brought in and there remain only isolated ears left behind to be gleaned.”] Nietzsche, “On the Uses of History,” 102 and 105 (§8). Ibid., 120 and 99 (§10 and 7). Ibid., 111 (§9). This passage recalls Nietzsche’s 1877 fragment cited above describing Prometheus as “a rainbow bridge hovering over the last millenia, the highest poem of culture [Cultur-Gedicht].” (Cf. “Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben,” Nietzsche: Werke, ed. Schlechta, 1:270: “Es wird die Zeit sein […]

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Who, Nietzsche asks, can provide the antidote to the malady of men and bring about new life? His answer was clearly heard by Lipiner and his colleagues: “No god and no man: only their own youth: unchain this and you will therewith have liberated life. For life was only lying hidden, in prison, it has not yet withered away and died – […] But it is sick, this unchained life, and needs to be cured. […] a paradise of health has been lost.” Youth, however, posesses “nature’s clairvoyant gift” and therefore “divines with the curative instinct of this same nature how this paradise is to be regained […].” The medicines needed are “the suprahistorical,” noted above – art and religion – and “the unhistorical,” which is “the art and power of forgetting and of enclosing oneself within a bounded horizon […].”48 By organizing the chaos within ourselves and honoring our real needs with honesty and strength, each one of us can revolt against the passive, repetitive, decorative ‘culture’ of the present (a rebellion that may not be pleasant); then will be unveiled to us “the Greek conception of culture […] as a new and improved physis [nature], without inner and outer, without dissimulation and convention, culture as unanimity of life, thought, appearance and Will.”49 Although the Leseverein der deutschen Studenten Wiens did not formally discuss Nietzsche’s third untimely observation, “Schopenhauer als Erzieher” [“Schopenhauer as Educator”] (1874) until the spring of 1877,50 it is likely that Lipiner had read it before he completed Prometheus. Here Nietzsche actually says relatively little about Schopenhauer’s philosophy, but as in the “Uses of History” essay, he deplores the deterioration of religion, the rampant overemphasis of science, the contemptible economic system, and the general shallowness of the human population. Here, too, he sees genuine culture as transformed nature, and expands on the implications of this. Humanity is the consummate goal of nature, and our quite demanding collective duty is to form a mighty community held together by a fundamental idea: It is the fundamental idea of culture, insofar as it sets for each one of us but one task: to promote the production of the philosopher, the artist and the saint within us and without us and thereby to work at the perfecting of nature. For, as nature needs the philosopher, so does it need the artist, for the achievement of a metaphysical goal, that of its own self-enlightenment, so that it may at last behold as a clear and finished picture that which it could see only obscurely in the agitation of its evolution – for the end, that is to say, of self-knowledge. It was Goethe

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in der man überhaupt nicht mehr die Massen betrachtet, sondern wieder die einzelnen, die eine Art von Brücke über den wüsten Strom des Werdens bilden.”) Nietzsche, “On the Uses of History,” 120 (§10). Ibid., 123 (§10). Nietzsche: Werke, ed. Schlechta, 1:287–365; translated by R. J. Hollingdale as “Schopenhauer as Educator,” in Untimely Meditations, 125–94.

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who declared, in an arrogant but profound assertion, that nature’s experiments are of value only when the artist finally comes to comprehend its stammerings, goes out to meet it halfway, and gives expression to what all these experiments are really about.51

This is a heroic task that demands self-sacrifice and self-forgetting, and ruthless disregard for delight in the material as well as for one’s own virtues and vices. Above all it requires a turning away from the illusion of endless ‘becoming’ and its hollowness, deceptiveness, and superficiality – all of which makes man the toy that time plays with. To cease being that toy is the “heroism of truthfulness”: “the enigma which man is to resolve he can resolve only in being, in being thus and not otherwise, in the imperishable.”52 Nietzsche declares that it is the saint who most fully achieves such dissolution of the ego and unity with all living things, and in whom is manifest the “miracle of transformation” that is immune to the play of becoming, “that final and supreme becominghuman after which all nature presses and urges for its redemption from itself.”53 And Nietzsche offers the following glimpse of what such transformation might be like, which Lipiner clearly did not miss: The thinkers of old sought happiness and truth with all their might – and what has to be sought shall never be found, says nature’s evil principle. But for him who seeks untruth in everything and voluntarily allies himself with unhappiness a miracle of disappointment of a different sort has perhaps been prepared: something inexpressible of which happiness and truth are only idolatrous counterfeits approaches him, the earth loses its gravity, the events and powers of the earth become dreamlike, transfiguration spreads itself about him as on summer evenings. To him who sees these things it is as though he were just beginning to awaken and what is playing about him is only the clouds of a vanishing dream. These too will at some time be wafted away: then it will be day. –54

Nearly all of the major motifs in Lipiner’s Prometheus – the necessity of active sin and hubris, the redemption of the heroic individual through sacrifice and annihilation, the bankruptcy of materialism and scientific knowledge, man’s Dionysiac ecstasy and the subjugation of the individual will, the tragic character of suffering and the necessity of embracing it for transformation and redemption – all clearly have their roots in Schopenhauer, Wagner, and especially Nietzsche. Among the first to notice the Nietzschean influence was the aforementioned philosopher Johannes Volkelt, well known

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“Schopenhauer as Educator,” trans. Hollingdale, 160 (§5). Ibid., 155 (§4). Ibid., 161 (§5). Ibid., 155 (§4).

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to the Pernerstorfer group, who wrote a very positive fourteen-page review of Unbound Prometheus.55 The cover page of Lipiner’s poem bears a motto taken from 1. Corinthians (15:36): “What you sow shall not come to life unless it has died first.”56 This is indeed the core of the work, and it is rephrased in the fifth lied of the fifth and final Gesang: “For he who has never lost the God in himself / wanders nevermore in the world of God.”57 As preface to the poem there is a Vorgesang addressed to “the children of Prometheus” (An die Promethiden), which assures them that, although they be called sinners and sacrilegiously outrageous, and although they will never see their father again, they shall become him, and he will dwell within them forever.58 In the first Gesang, “Die Befreiung” [“The Liberation”], the poet himself is wandering through the mountains at night and sees the living image of Prometheus in chains before him. But the defiant Titan is deep in sleep, dreaming that the entire development of humanity passes before him, including the memorable crucifixion of a martyr long ago, and extending up to the present. Through the quarreling of the Fates, who rule the world yet hope for its destruction and hate its inhabitants, Prometheus’s bonds are suddenly broken.59 Although apprensive in his heart, he agrees to accompany the poet down into the world. There, in the second Gesang, “Götterlos” [“Without Gods”], he finds that what he had dreamt about humanity is actually true: his defiant gift of fire has given rise to the senseless struggles of aimless, godless, hateful men. The first person he and the poet encounter is a philosopher who declares “Nothing exists but ‘I.’ That is the entire truth. / The ‘I,’ that is the world. The ‘I’ is God. / And other gods there are not.”60 The second person Prometheus encounters calls himself “ R e i n e W i s s e n s c h a f t ” [“Pure Science”]. In a parody obviously inspired by Nietzsche’s second “Untimely Meditation,” he declares that observation (betrachten) is real life as well as all that is good:

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“‘Der entfesselte Prometheus.’ Eine Studie,” Die Wage: Wochenblatt für Politik und Literatur, 5/38 and 5/39 (21 and 28 September 1877): 602–607 and 617–24. “Das du säest, wird nicht lebendig, es sterbe denn.” Der entfesselte Prometheus, 162: “Denn wer nie den Gott in sich verloren, / Wandelt nimmer in des Gottes Welt!” Useful introductions to the poem are found in Hartungen, 16–26, and Brezina, 6–21. As Hartungen points out (21–22), in this Vorgesang there are notable echoes from Goethe’s “Dedication” at the very beginning of Faust. Cf. Acts of the Apostles12:6–11, in which Peter’s chains are suddenly and unexpectedly broken, releasing him for further service. Der entfesselte Prometheus, 44–45: “Nichts ist, als Ich. Das ist die ganze Wahrheit. / Das Ich, das ist die Welt. Das Ich ist Gott. / Und andre Götter sind nicht.” As Brezina points out (16), this would seem to parody the philosophy of Johann Gottlieb Fichte (1762–1814).

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Sie ist gesund und kalt und sie beschwichtigt Die heisse Leidenschaft des kranken Herzens. Da steht ihr auf der Höh’ und lernt verachten Das Drüben, das die Thoren sich geträumt, Die Götterbilder, die sie sich geschaffen, Die Schwachheit überflutender Empfindung, Das ungesunde Drängen nach dem Neuen, Und was noch sonst unreifen Sinn bezeugt. ............................ Wenn jetzt der Jugend heisses Blut nicht sehr Beschwichtigt wird und ihre Kraft gebunden, Führwahr, dann steht uns Schreckliches bevor. Ich stehe abseits und betrachte nur, Da wird man weise ohne Schmerz und Schaden [usw.].

It is healthy and cold and it assuages The hot passion of the sick heart. Then you all stand on high and learn to scorn The ‘beyond,’ which the fools dreamed up, The images of gods that they created for themselves, The weakness of overflowing feeling, The unhealthy drive after what is new, And whatever else attests to immature sense. ............................ If now the hot blood of youth is not greatly Pacified and its power bound up, Forsooth, then something fearful awaits us. I stand aside and only observe, Thereby one grows wise without pain and damage [etc.].61

Strong youthful spirits must be satisfied with knowledge alone; they are not to attempt the deeds done in the past, but only to know of and describe them. Next Prometheus conceals himself in a veil of mist to eavesdrop on the argument between a father and his son, which is taking place outside their house; inside is a party of celebrating ‘artists.’ The father is incensed by his son’s haughty withdrawal from their guests. But the son cannot bear the falseness, hypocrisy, flattery, and hollowness of these people, who are merely inferior imitators of great art from the past and do not deserve to be called artists: “In truth the muse has not placed her sweet kiss of consecration upon their brows! In truth there does not glow in them the fire that mightily presses toward the creative deed!”62 Now ensues the enactment of Nietzsche’s ‘historical repression of youth’: the father will have none of such insolent, unenlightened thinking, and turns scornfully away. Of more serious concern is the imminent outbreak of violent social revolution seeking destruction of political restraints as well as dissolution of all religious bonds. Fearing the abolition of all divinity, Prometheus departs in anguish, lamenting his inability to save his people. But as he flees, he senses a giant hand hovering over him in the sky, and feels it slowly drawing his divinity from him. This is an act of the Fates, and the third 61 62

Der entfesselte Prometheus, 48–49. Ibid., 53: “Fürwahr, auf ihre Stirne hat die Muse / Nicht ihren süssen Weihekuss gedrückt! / Fürwahr, das Feuer glüht in ihnen nicht, / das mächtig drängt zur schöpferischen That!”

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Gesang – “Die Entfesselten” [“The Unbound”] – opens with Prometheus in dire struggle with the silent, seemingly all-powerful Parcae. But although they batter him with a fearful storm, Prometheus will not yield, will not renounce the defiant deed he had done out of love and for which he has suffered so much. He curses the Fates, enjoining them to destroy him if they will; but although they have taken the divine radiance from his head, he insists that they have not taken from him immortality. He accepts unending woe, including the necessity of witnessing the complete destruction, lawlessness, licentiousness, treachery, and suffering wrought by the anarchy resulting from the revolution on earth – as though a long-chained lion whom no one can subdue had escaped and laid waste to an entire herd. High above the valley in the sunny mountain peaks, Prometheus lies in blackest despair, as though his very being had sunk into the endless abyss and his life and identity had slipped away into that primal night. Suddenly he recognizes before him in a sea of fire the crucified martyr, pale and crowned with thorns, whom he saw during his earlier dream of human history. Christ has come to him in twofold guise: first, as a patient co-sufferer who laments the destructive, hateful, hubris-driven deeds of the humanity in which Prometheus is deeply implicated, and declares that he cannot save this ill-fated race. But then he commands Prometheus to rise, whereupon Christ has become a majestic sovereign of glowing countenance who pronounces that he will judge Prometheus.63 The still-proud Titan, however, refuses to be judged: Prometheus kneels and demands that the martyr reveal himself, vowing to bow his proud neck and atone for his weighty guilt only if the martyr is greater than he. Christ tells him that the light and life Prometheus gave to the earth are extinguished, and he must now once again accomplish the original transgression by bathing in the fiery sea and taking it into his veins; then by the light glowing within himself, Prometheus will see him whom he demands to be revealed. Both Prometheus and humanity must accept suffering in place of nothingness and endless abyss, but when the fire enters his heart, Prometheus will die. This he accepts; upon putting his arms around Christ, he feels unlimited woe as his body is consumed, and floats aloft and is embraced by the sweet, soft breezes of eternity and, transfigured and awakened, he looks into the smiling countenance of day.64 The poet is left alone on the earth. But as the fourth Gesang, “Die Schicksalsschwestern” [“The Fates”], begins, it appears to the poet that the Fates still rule the world after all. At length, however, in response to the cry of the entire earth for redemption, Prometheus reappears: his heroic deed has broken the iron scepter with which the Fates ruled, and there is no more fate, 63 64

This recalls Nietzsche’s insistence that all truth has its roots in justice; see “On the Uses of History,” 88–89. Cf. Nietzsche’s imagery of transfiguration cited above.

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but only divinity. Yet before fate was completely overcome, it demanded Prometheus as its last sacrifice; thus he must die and vanish. He entreats the poet to guard and pass on to others the legacy that has been entrusted to his zealous heart. The poet will sound the wakeup call, the proclamation of morning to the slumbering Spirit, who will blend all the tones that resound in his breast unto eternity into one great heroic world-song, which will announce redemption to all things living. Then Truth will appear in chaste garb and without weapons, to overcome every enemy. Whenever wisdom fails, reason gropes in darkness, insight trembles at the future, and the energetic spirit is extinguished, then the people are to let the song roar ragingly forth. Prometheus vanishes into the clouds. The fifth Gesang begins with a Dionysian panentheistic glorification of light and creation. The world is a boundless theater, an unending play, but also an all-powerful hero, a spirit, a ‘unique-unity’ [Einzig-Einer] that infuses the tiny worm as well as the eternal universe, the most burning joy and most extreme pain […]. And it should be called what longing calls it, should be called that which formerly was dragged into the dust by the raw mockery of madness, that which calls forth from the constrained heart: God. In comparison, the evil, cursing, storms, and chaos of the world are all like unto the sound of a drop falling into the breakers of the sea. The world goes on, and Prometheus shall ever live on in his people, giving them strength for whatever strife is to come. The eternal God does not look down cheerfully from on high; he is a holy contender in the struggle of joy and pain. And in that struggle, that which, enflamed by the ardor of action, defiant and fateless, creates itself: that is He, who heralds and reveals his power. The final lied of the poem is a rapturous paean to pain, the lofty passion that gathered itself into the spirit and with divine power freed it from the yoke. He who has the courage to look into the eye of pain will see there the embers of sacrifice that absolves both man and God, and he will also see that by the dew of pain’s tears the eternal tree of the world greens forth. Unbound Prometheus concludes thus: Umschlingt den Schmerz, umschlinget ihn, Und nah und näher zieht Ihn bis an’s Herz – dann stirbt er hin, Und Tod und Hölle flieht! Nun fliege, wie ein Morgenstrahl, Ein neues Lied aus Nacht und Qual Von Berg zu Berg, von Thal zu Thal: Weltfreude heisst das Lied!

Embrace pain, enfold it in your arms, And near and nearer draw it Into your heart – then it dies away, And flees death and hell! Now let there fly, like a morning ray, A new song out of night and agony From mountain to mountain, from valley to valley: World Joy the song is called!

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Despite his initial enthusiasm for Unbound Prometheus, Nietzsche never consented to meet the poem’s author. For at the same time he was declaring Lipiner a genius, Nietzsche had private doubts about his reaction to the poem, as the following Nachlaß fragment from the summer of 1877 suggests: Lipiner. The most stunning success, if it compels one to lay aside the book, to catch one’s breath; tears of deep rapture, drunken swimming in melodious sound that makes the eyes shut, like as if one were diving into the blue depth of a southern lake; melancholy deep emotion, when we, ashamed of ourselves, look beyond ourselves.65

For their idealized mentor’s thirty-third birthday on 15 October 1877, members of the Pernerstorfer circle sent Nietzsche a collective letter, the gist of which follows: We believe we are proceeding entirely in your spirit when rather than seeking to convey to you in words how much your writings have gripped us, we give you the assurance that this emotion has firmly established in each of us the serious decision to follow you as our illuminating and enrapturing example and – in so far as our ability allows – to strive with most powerful volition, selflessly and truthfully, like you, for the enacting of those ideals that you have portrayed for us in your writings, particularly in your “Schopenhauer as Educator.” In full consciousness of the difficult obligation that we thereby take upon ourselves, we say that none of us would bear the thought of having to be ashamed in any intention or deed before the presence of a paragon, such as you, that lives powerfully and presently in us.66

Evidently Nietzsche responded in a friendly manner to this declaration of loyalty.67 But 65

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Nietzsche, Werke: Kritische Gesamtausgabe, IV. Abteilung, Band 2, 488, fragment 22[78], summer 1878: “Lipiner. Der schönste Erfolg, wenn es zwingt das Buch wegzulegen, Athem holen; Thränen tiefer Verzückung, trunkenes Schwimmen im Wohlk[lang] welcher die Augen schliessen macht, wie als ob man in die blaue Tiefe südlicher See taucht; wehmutsvolle Ergriffenheit, wenn wir vor uns selber beschämt über uns hinweg sehen.” Cf. also 487, fragment 22[69]. “Wir glauben ganz in Ihrem Sinne zu verfahren, wenn wir nicht sowohl in Worten zu schildern versuchen, wie sehr uns Ihre Schriften ergriffen haben, als wenn wir Ihnen die Versicherung geben, dass diese Ergiffenheit in jedem von uns den ernsten Entschluss gefestigt hat, Ihnen, als unserem vorleuchtenden und hinreissenden Beispiele, zu folgen und – so weit unser Können reicht – mit kräftigstem Wollen, selbstlos und wahrhaftig, wie Sie, nach der Verwirklichung jenes Ideals zu streben, welches Sie uns in Ihren Schriften, namentlich in Ihrem ,Schopenhauer als Erzieher‘ gezeichnet haben. Wir sagen es, in vollem Bewusstsein der schweren Pflicht, welche wir und dadurch auferlegen, dass Keiner von uns den Gedanken ertragen würde, sich in irgend einem Wollen und Thun vor einem Vorbilde, das, wie Sie, mächtig-gegenwärtig in uns lebt, schämen zu müssen.” Nietzsche, Briefwechsel: Kritische Gesamtausgabe, II. Abteilung, Band 6, zweiter Halbband, 737–38; the letter is dated 15 October 1877 and signed by Lipiner, Max Gruber, Victor Adler, Sigmund Adler, Heinrich Braun, and Engelbert Pernerstorfer. Cf. also McGrath, Dionysian Art, 69–70. See Lipiner’s letter to Nietzsche of 3 November 1877 (Briefwechsel: Kritische Gesamtausgabe, II. Abteilung, Band 6, zweiter Halbband, 753).

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his correspondence with and about Lipiner reveals that his young admirer, while desperate for a closer relationship with Nietzsche, could be annoyingly melodramatic, tactless, embarrassingly candid, meddlesome, and, in a word, pushy. At the beginning of 1878 Nietzsche sardonically referred to Lipiner as “a good Wagnerian; parenthetically one might almost wish he would like to ‘over-versify’ [überdichten] Parsifal,”68 a remark that reflects his own increasing disenchantment with Bayreuth. In April of that year Lipiner sent him a copy of On the Elements of a Renewal of Religious Ideas in the Present ;69 by mid-May of 1878 Nietzsche’s regard for Lipiner had grown distinctly cooler –“Farthest be it from me to create proselytes,” he wrote a friend. Four months later he declared the relationship finished.70 It was a complex situation. As Venturelli has plausibly suggested, Nietzsche’s ambivalence toward Lipiner probably stemmed at least in part from philosophical and psychological changes that were evolving within himself. As a passionately idealistic advocate of religion and art, Lipiner represented a part of Nietzsche’s past that he was already moving beyond, yet not without lingering regret. In Human, All Too Human, which would appear in April 1878, aphorism 153 is entitled Art makes the thinker’s heart heavy: How strong the metaphysical need is, and how hard nature makes it to bid it a final farewell, can be seen from the fact that even when the free spirit has divested himself of everything metaphysical the highest effects of art can easily set the metaphysical strings, which have long been silent or indeed snapped apart, vibrating in sympathy; […] – If he becomes aware of being in this condition he feels a profound stab in the heart and sighs for the man who will lead him back to his lost love, whether she be called religion or metaphysics. It is in such moments that his intellectual probity is put to the test.71

That he probably had Lipiner in mind here is suggested by a preliminary version of aphorism 32 of Vermischte Meinungen und Sprüche [Assorted Opinions and Maxims] (1879), the first sequel to Human, All Too Human: The Poet as Fraud: he imitates being a knower […], he succeeds before the unknowing: finally he himself believes it. Thus he gains the feeling of honesty. – People of feeling approach him and actually say that he possesses higher truth: they are temporarily tired of reality. Sleep and 68

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Nietzsche, letter of 4 January 1878 to Reinhart von Seidlitz, Briefwechsel: Kritische Gesamtausgabe, II. Abteilung, Band 5, 300. Nietzsche, Werke: Kritische Gesamtausgabe, IV. Abteilung, Band 4, “Chronik,” 44. See Lengauer, 1232, and Nietzsche, Briefwechsel: Kritische Gesamtausgabe, II. Abteilung, Band 5, 326–27 and 346–47. Friedrich Nietzsche, Human, All Too Human: A Book for Free Spirits, trans. R. J. Hollingdale (Cambridge: Cambridge University Press, 1996), 82.

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dream for the head – that is the artist for the people. He makes things more valuable: then people think that that which appears more valuable is the more true, the more real. Even now poetic people (e. g., Emerson, Lipiner) still seek the boundaries of knowledge, and indeed skepticism, with fondness so as to escape the spell of logic. They want uncertainty, because then the magician, intuition, and great soul-effects become possible again.72

In Human, All Too Human, not only metaphysics and art, but religion generally and Christianity particularly are abandoned by Nietzsche. Lipiner was “completely unhappy” about the philosopher’s change of course in this book, and it alienated others of the Pernerstorfer group as well.73 Evidently Nietzsche anticipated this,74 even as he anticipated the negative reception his latest work would receive chez Wagner, from whom he had begun distancing himself following the first Bayreuth Festival in 1876. Meanwhile, Malwida von Meysenbug, a friend of the Wagners’ as well as Nietzsche’s whom Hollingdale describes as “a kind of universal aunt to the younger generation of writers and artists of the German-speaking world,”75 had given a copy of Unbound Prometheus to Wagner. Despite Cosima Wagner’s negative reaction to the poem,76 Lipiner was invited to spend several days at Bayreuth late in September of 1878, because Wagner hoped this bright young man could create popularizing versions of his prose works for the Bayreuther Blätter. But the two fell into arguments about socialism and about Schopenhauer; Lipiner (who had already moved beyond Schopenhauer’s asceticism in Prometheus) apparently spoke of the philosopher’s “illogicities,” which criticism Wagner could not abide.77 As they parted, Wagner half-jokingly (in light of the revolution 72

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Nietzsche, Werke: Kritische Gesamtausgabe, IV. Abteilung, Band 4, 260: “Der Dichter als Betrüger: er imitirt, ein Wissender (Feldherr Schuster Seemann) zu sein, es gelingt ihm, vor Nichtwissenden: er glaubt endlich selber daran. So gewinnt er das Gefühl der Ehrlichkeit. – Die empfindenden Menschen kommen ihm entgegen und sagen sogar, er habe die höhere Wahrheit: sie sind der Wirklichkeit zietweilig müde. Schlaf und Traum für den Kopf – das ist der Künstler für die Menschen. Er macht die Dinge mehr werth: da meinen die Menschen, das werthvoller Scheinende sei das Wahrere, Wirklichere. – Auch jetzt noch suchen die dichterischen Menschen (z. B. Emerson, Lipiner) die Grenzen der Erkenntniß, ja die Skepsis mit Vorliebe, um sich dem Bann der Logik zu entziehen. Sie wollen Unsicherheit, weil dann der Zauberer, die Ahnung, und die grossen Seelen-Effekte wieder möglich werden.” Cf. also Venturelli, 463. The revised, published version of this aphorism was considerably altered (see Human, All Too Human, trans. Hollingdale, 222). Richard Kralik, Tage und Werke: Lebenserinnerungen (Vienna: Vogelsang-Verlag, 1922), 61. See Nietzsche’s letter to Lipiner of 24 August 1877 (Briefwechsel: Kritische Gesamtausgabe, II. Abteilung, Band 6, zweiter Halbband, 274). R. J. Hollingdale, Nietzsche: The Man and His Philosophy, rev. ed. (Cambridge: Cambridge University Press, 1999), 107. Letter to Nietzsche of 18 May 1878 from Reinhart von Seidlitz, Briefwechsel: Kritische Gesamtausgabe, II.Abteilung, 6. Band, 2. Halbband, 855. See Cosima Wagner’s Diaries, trans Geoffrey Skelton, ed. Martin Gregor-Dellin and Dietrich Mack (New York: Harcourt Brace Jovanovich, 1980), 152–56.

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described in Unbound Prometheus) commended Lipiner to anarchism: “So then, smash everything, burn everything to create something entirely new!”78 Subsequently neither of the trial essays Lipiner wrote for the Blätter proved satisfactory to Wagner.79 It is noteworthy, however, that on a sleepless night about ten days prior to Lipiner’s 1878 visit to Bayreuth, Wagner read “Herr Lipiner’s book on the revival of religious ideas,”80 which anticipates a number of ideas that subsequently appear in Wagner’s 1880 essay “Religion and Art.” Like Nietzsche in his earlier writings, Lipiner in On the Elements of a Renewal of Religious Ideas in the Present insists that religion, art, and metaphysics are both inextricably intertwined and necessary to human existence, and he emphasizes that their foundation is human feeling: “I call religious that which goes out beyond the common perceptual world of the human race, so-called reality, insofar as it is experienced in feeling; it is art insofar as it presents itself to intuition; it is metaphysics in so far as it is ordered by reason.” And as in Nietzsche’s second and third Untimely Meditations, Lipiner enjoins against the divided self brought on by dull reality the oppression of history, and the overvaluation of reason. But whereas Nietzsche says little about what the positive nature of religion might be, that is Lipiner’s starting point. Whoever sees the world differently from commonplace reality, as does the artist, already dwells in a world above reality. And that is a religious element in the artist’s being, whether he acknowledges it as such or not. His portrayal of the world in a particular way is his artistry, but he is religious “insofar as his feeling experiences life differently from the generic man; we could virtually say he lives another life” (page 4).81 Actions motivated by that which transcends normal reality are both religious and heroic in nature: that, of course, is central to his tragic drama Unbound Prometheus. Lipiner takes it as certain that the human soul is not satisfied with what it experiences in ordinary “reality”; rather, like Faust, it longs for eternal happiness: “But linger, you are so fair!” It is, however, an “outrageous misunderstanding” on the part of man to suppose that he might find in one moment what he actually seeks in the moment – the gathering up of time into a single point, the timeless and undying. No earthly joy can satisfy this original and absolute wish (6–7).

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79 80 81

Kralik, Tage und Werke, 61–62; idem, “Gesichter und Gestalten: Siegfried Lipiner,” Reichspost [Vienna], vol.36, no. 158 (9 June 1929): 7. Cosima Wagner’s Diaries, 173, 194, and 254. Ibid., 147 Page numbers given here in parentheses refer to the original German text of 1878.

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In the pessimistic current of the post-Schopenhauerian period Lipiner sees elements of religious renewal, precisely in the resultant decline in ecclesiastical ceremony and dogma, which constitute “a void, illusory inheritance”: Robbed of tasteless and insipid physical wonders, the soul flees to the undying wonder that never need fear the arrows of science, to the wonder of holiest compassion, to the wonder of self-overcoming, of the victory over pain and death, to that glorious wonder that surely is and surely will never find its place in our reason, of which one can with full justification, astonished and trembling, utter the great and inspired word: I believe because it is absurd! (7–8)

The general relationship between art and religion emerges because the empirical image of the senses does not satisfy our soul: art is needed as an ordering of life’s confused turmoil. The more the soul immerses itself in genuine art, the more painfully does it regard the labyrinthine passageways of the ordinary. Thereupon may arise the realization that “art is a symbolic abbreviation of life” – this in contrast to Nietzsche’s observation in “Schopenhauer as Educator” that the philosopher is “a brief abstract of the world”82 – and in moments of greatest longing for art our soul may “sense the world as a work of art”: In such moments our feeling is filled by the highest religious agitation, and believing and worshipping, will name the world as artwork, which is assuredly not the world of reality – this world of religious horizon it will name God. (9)

In Lipiner’s judgment, more recent art has no relationship whatever to religion, because “the man of recent times stands with bitterly shrewd countenance before the truth, and finds no gods and also seeks none”; his art is as small and vapid as his life (10). Clearly influenced by Nietzsche’s Birth of Tragedy, Lipiner proclaims tragic art to be the source of religious renewal; it is an art that “we thirst to transform into life”: […] there sounds a poetic word in my ear – an exhortation, an answer to the astonished questioning of my soul: “Take the divinity of the world into your will, and it will come down from its throne!” The will that has absorbed divinity into itself, the willing person who accomplishes what is enormous, who overcomes his mortality, transformed into the god-man by struggling with himself, the willing person who, suffering, conquering, beholding the prize of victory, the approaching peace – who is man, intercessor, and god all at once, him do I see in the tragic hero, I see lost divinity rising again in tragedy. Tragedy is religion, and in the presence of tragic art man becomes religious. For in tragic art he sees himself, sees how he negates reality and as phenomenon joyfully passes away – joyfully, for precisely in this passing away, and only in it, does he feel what cannot pass away, and as a man dying away, he feels his resurrection as God. (10–11) 82

“Schopenhauer as Educator,” trans. Hollingdale, 181 (§7).

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While we cannot here undertake an exhaustive consideration of the relationship between the works of Lipiner and Mahler, it is nevertheless worth noting that such self-overcoming of the tragic hero became the poetic theme of the First Symphony, and particularly its finale, as Mahler himself later described it: The last movement begins with a terrifying scream; here we see our hero, wholly abandoned, in frightful struggle with all the sorrow of this world. “Again and again he is hit on the head by Fate – as is the motive of victory with him –” when he seems to have raised himself above destiny and to have become the master of it, and first in death, after which he has conquered himself […] does he achieve the victory. (Magnificent victory chorale!)83

Lipiner goes on to elaborate upon the notion of “each great transformation” as “the tragic event, the tragedy”: […] in it we suffer most deeply, for only bleeding does man wrest himself from his transitory self, and in [tragedy] the joy of all joys rushes through us, for in this bleeding tearing-oneselfaway we feel the omnipotence and magnificence of the higher self, our own godliness. And then we may well kneel before ourselves – our mortality may kneel before our immortality, and even the proudest and boldest combatant of the gods himself, the truest son of Prometheus, may here, proudly and boldly as never before, praise the divinity, for he himself has become this divinity. Here and only here are death and time overcome, here and only here are torn away from pain its sting and from hell its victory. And deeper and more fundamentally than all ideas about the improvement of human fate, as necessary as these are, that which heals the eternal wound of humanity is tragedy and the tragic transformation. The giant Pain is here – and only here – justified; it overcomes the giant: I. (11–12)

Not at all coincidentally, these last lines are closely linked to verses Mahler himself penned for the gigantic chorus-and-soloists finale of his Second Symphony, which he regarded as “the true and higher redemption” of the First Symphony’s hero:84 O believe, my heart, O believe: Yours is […] what you longed for! Yours, what you loved, what you struggled for: .......................

83 84

Erinnerungen, 174–5 (November 1900); Recollections, 238 and 240. Erinnerungen, 173; Recollections, 237 and 239.

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O Pain! You all-penetrating one! From you I have broken away! O Death! You all-conquering one! Now you are conquered! With wings which I have won for myself in fervent striving of Love I will soar […]. ....................... I will die in order to live!

Lipiner also speaks of pantheism in connection with tragic transformation. He rejects that “banal and laughable pantheism” which is merely a euphemistic coverup for atheism or materialism; Nature perceived from without is not divine. Rather, “true and serious pantheism we grasp only when we see this Nature from within, when the great transformation has gone forward in us, when we have ceased to know and to feel ourselves as individual beings: then we are Pan, the All-One, and then we are Theos, the divine[…]” (11) Throughout numerous philosophical writings Fechner had sought to demonstrate this sort of cosmic unity, arguing that the soul and the body are not separate, but rather different aspects of the same nature, which is immortal and permeates the entire universe. The interrelated totality of individual components in the universe is hierarchically organized, yet fully included within God. This panentheistic viewpoint would become central to Mahler’s Third Symphony, which is a lengthy meditation upon spiritual evolution from parched and rocky lifelessness and the awakening of raw Nature through successive stages of being – flowers, animals, man, angels – culminating in “What Love Tells Me,” the realm of divinity.85 As he was nearing completion of the Third, the first work he specifically designated as “a world,” Mahler seriously considered entitling it “Pan,” or “Pan, Symphonic Poems.” 86 Lipiner is convinced that the fundamental premises of materialism have been reputed, that “everything hints at a metaphysics, without, however, itself being able to reach it,” and that the principal teachings of all true religions do not contradict science; rather, for scientists such as Fechner and J. K. F. Zöllner (1834–82), the scientific enter-

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86

See especially Barham, “Mahler’s Third Symphony and the Philosophy of Gustav Fechner” (note 14), as well as Morten Solvik Olsen, “Culture and the Creative Imagination: The Genesis of Gustav Mahler’s Third Symphony” (Ph. D. diss., University of Pennsylvania, 1992). See Mahler’s letter of 9 July 1896 to Anna von Mildenburg, in Blaukopf, Gustav Mahler Briefe, no. 184, and Erinnerungen, 60 (4 July 1896); Recollections, 63.

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prise leads to idealistic and even theistic ideas. “Let each person immerse himself in the thoughts of the aforementioned men [including Kant and Lange], and grasp them with his entire being!” Lipiner exhorts us, and continues thus: And if for him – in the recognition of the barriers of the human mind, in looking down into the deepest depths, in wandering back and forth lost in the labyrinths of the most complicated problems, in the futile searching for answers, towards which all elements of his nature drive him – a pain grips him, such as Heinrich von Kleist felt after the publication of the Kantian critique: then will “the great mistress, Need” produce from his innermost being a supplement to empirical knowledge; in free or perhaps necessary poetry – free as regards the fundamental principles of empirical research that absolutely do not touch it, and necessary as a specific product of the personality – he will build a world of artistic intuition and religious feeling. (14–15)

That, in a nutshell, sums up the life and work of Gustav Mahler, for whom composing a symphony was “to build a world.”87 “[…] a spirit who portrays the human species in high perfection,” Lipiner declares, “can carry away other individuals, can force them to transform their organization in certain respects according to his own, to see with his eyes, to feel with his heart, as does the artist, the founder of religion” (17). That would become Mahler’s messianic mission.88

87 88

Erinnerungen, 35 (14 June 1895); Recollections, 40. Cf. William Ritter’s review of the premiere of Das Lied von der Erde, “Une nouvelle symphonie de Mahler,” La Vie Musicale 5/7 (1 December 1911): 136–140, esp. 137.

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ÜBER DIE ELEMENTE EINER ERNEUERUNG RELIGIÖSER IDEEN IN DER GEGENWART Vortrag gehalten im Lesevereine der Deutschen Studenten Wiens am 19. Januar 1878 Re l i g i ö s nenne ich Alles, was über die der menschlichen Gattung gemeinsame Vorstellungswelt, die sog. Wirklichkeit, hinausgeht, sofern es im Gefühle er lebt wird; es ist Ku n s t , sofern es der Anschauung sich darstellt; es ist Me t a p h y s i k , sofern es sich in der Vernunft ordnet. – In der Regel treten diese über die Wirklichkeit hinausgehenden Ideen in allen drei genannten Formen auf; was das Gemüth erregt, steht in grösserer oder geringerer Helligkeit auch vor den Sinnen da, und die Vernunft macht Anstrengungen, das Gesehene und Gefühlte auch zu einem Begriffenen zu machen; nur nach dem überwiegenden Elemente bestimmt sich der Charakter dieser Ideen, als Kunst, als Metaphysik, als Religion. – Denn der Mensch kann sich nicht spalten; es gibt keinen Augenblick, in welchem nicht sein ganzes Wesen beschäftigt wäre; und je mächtiger ein Mensch ist, desto energischer drängen sich alle Elemente seiner Natur zusammen und sehnen sich als Einheit nach einem einheitlichen Eindruck. Da aber Gefühl, Anschauung und Vernunft einander durchaus nicht an Kraft und Klarheit gleichen, da die Vernunft oft stammelt, wo das Gefühl mit Feuerzungen spricht, die Anschauung nicht ausreicht, wo der Gedanke noch erfasst, das Gefühl verwirrt, was

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ON THE ELEMENTS OF A RENEWAL OF RELIGIOUS IDEAS IN THE PRESENT Speech held at the Leseverein der Deutschen Studenten Wiens on 19 January 1878* I call religious everything that extends beyond the common perceptual world of the human race, so-called reality, insofar as it is experienced in feeling; it is art insofar as it presents itself to intuition; it is metaphysics insofar as it is ordered by reason.1 Generally, these ideas that go beyond reality appear in all of the three forms mentioned: that which arouses our sensibility stands with greater or lesser intensity before the senses, and reason exerts itself to make what is seen and felt into something comprehended; it is only according to their predominant element that these ideas are characterized as art, as metaphysics, as religion. – For the human being cannot divide itself;2 there is no moment in which his entire being is not engaged; and the stronger a person is, the more energetically do all elements of his nature crowd together and yearn as a unity for a unified impression. But since feeling, intuition, and reason are not at all comparable to each other with respect to strength and clarity, since reason often stammers where feeling speaks with fiery tongues, since intuition does not suffice where thought still grasps, since feeling confuses what *

ÜBER DIE ELEMENTE / EINER / ERNEUERUNG RELIGIÖSER IDEEN / IN DER GEGENWART. / VORTRAG / GEHALTEN

/ AM 19. JANUAR 1878 / VON / SIEGFRIED LIPINER. / 1878. / IM SELBSTVERLAGE DES LESEVEREINES DER DEUTSCHEN STUDENTEN WIENS. / DRUCK VON HIRSCHFELD. Numbers in square brackets refer to the pagination of the original German text; italics are used where the original employs wide character spacing for emphasis. The translator is especially grateful to Morten Solvik for many helpful suggestions and much editorial patience. Cf. Friedrich Albert Lange, Geschichte des Materialismus und Kritik seiner Bedeutung in der Gegenwart, 2nd ed. (Iserlohn: Baedeker, 1873–75); authorized English edition: The History of Materialism and Criticism of its Present Importance, 3rd ed., trans. Ernest Chester Thomas, 3 vols. in 1 (London: Routledge & Kegan Paul, 1925), 3:280: “[…] the classification of religion with art and metaphysic, will at no very distant time be generally conceded […].” Lange (1828–1875) was a neo-Kantian philosopher whose History of Materialism was enthusiastically received by the Leseverein der deutschen Studenten Wiens; see William J. McGrath, Dionysian Art and Populist Politics in Austria (New Haven: Yale University Press, 1974), 78 ff.; see also passim below. Nietzsche had emphasized this point in “On the Uses of History for Life,” in Untimely Meditations, trans. R. J. Hollingdale (Cambridge: Cambridge University Press, 1997), 82–85 (§4–5) and 119 (§10). IM LESEVEREINE DER DEUTSCHEN STUDENTEN WIENS

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[2] Vernunft und Anschauung klären, so ergibt sich sehr oft ein grelles Missverhältniss zwischen einer religiösen Idee und der sinnlichen Einkleidung oder begrifflichen Begründung derselben; die Religion wird zum Dogmatismus und Fetischismus. Dann kann der Fall eintreten, dass das Gefühl, mit Widerwillen das Zerrbild erblickend, welches die Rohheit der Sinne oder die anmassliche Ohnmacht der Vernunft aus dem zarten Geheimniss des Herzens geschaffen haben, unmuthig von der ganzen Sphäre religiöser Ideen sich abwendet und die entheiligten Heiligthümer zertrümmert. Das ist der e r s t e Fall, in welchem die grosse und verhängnissvolle Anomalie des religiösen Indifferentismus eintritt. Er wird hervorgerufen durch die E n t a r t u n g der Religion, eigentlich der religiösen Formen. Jene Rohheit der Sinne kann aber so gross sein, dass sie das Gefühl nicht sowohl zum Verwerfen einer im Laufe der Zeit verzerrten religiösen Bildung treibt, als vielmehr die Entstehung religiöser Ideen überhaupt verhindert; sie kann nämlich bewirken, dass jede religiöse Vorstellung dem Menschen von vorneherein in jener verzerrten Form erscheint, welche einzig und allein das bieten kann, was rohe Sinne fordern, nämlich p 1 a t t e G r e i f b a r k e i t . Und auch die oben genannte anmassliche Ohnmacht der Vernunft kann eine gleiche Unterdrückung des religiösen Elementes bewirken, indem sie das verlangende Gefühl mit der Forderung zurücktreibt, dass Alles, was geglaubt und gefühlt wird, von ihr, der obersten Richterin, als bündig und giltig befunden werden müsse. So entspringt aus derselben Wurzel die Verflachung und Entartung der Religion, die pseudowissenschaftliche Dogmatik einerseits – und die Irreligiosität andererseits ; und gewöhnlich hat der fanatische Dogmenvertheidiger und der abergläubische Kirchengänger mehr Verwandtschaft mit dem crassesten Materialisten, als der kühnste Zweifler, der Alles preisgibt, weil er Alles selbst zu erringen hofft. – Doch besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen Demjenigen, der gewisse Erscheinungsformen der Religion verabscheut und nicht scharf genug Erscheinung und Wesen trennt, um das Letztere nicht mitzuverwerfen – und Demjenigen, der in lächerlichem

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[2] reason and intuition clarify, so there arises very often a glaring mismatch between a religious idea and its sensual rendering or its conceptual rationale; religion becomes dogmatism and fetishism. It can then come to pass that feeling, glimpsing against its will that distorted picture that the rawness of the senses or the pretentious powerlessness of reason have created from the sweet secret of the heart, turns with displeasure away from the entire sphere of religious ideas and demolishes the desecrated shrines. This is the first case in which the egregious and fateful anomaly of religious indifferentism emerges. It is evoked by the degeneration of religion, actually of religious forms. This rawness of the senses can, however, be so egregious that feeling does not so much impel the rejection of a religious culture distorted over the course of time, but rather hinders the very formation of religious ideas; it can namely cause every religious concept from the outset to appear to humans in a distorted form that can offer solely what the raw senses demand, namely dull tangibility. And the previously mentioned presumptuous powerlessness of reason can also bring about a similar suppression of religious elements by driving back the feeling of longing, demanding that everything which is believed and felt must be found conclusive and valid by her, the highest judge. Thus from the same root there arises, on the one hand, the flattening and degeneration of religion, pseudo-scientific dogma – and, on the other, irreligion; and the fanatical defender of dogma and the superstitious churchgoer usually have more in common with the crassest materialist than does the boldest skeptic, who exposes everything because he hopes to win everything himself. But there exists an essential difference between him who detests certain outward forms of religion and does not sufficiently separate appearance and being, so as not to reject the latter with the former, and him who, with laughable

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[3] Wissenshochmuth und platter Gefühllosigkeit mit Faust’s Famulus wiederholt: „Wie wir’s so herrlich weit gebracht!“ und sich wunderklug dünkt, wenn er Michelangelo’s Lieder liest und an dem erhabenen Manne „die Mängel des Zeitalters“, und wie die Flachköpfe das noch sonst ausdrücken, mit mitleidigem Vergnügen wahrnimmt. In diesem z w e i t e n Falle des religiösen Indifferentismus befinden sich die meisten unserer aufgeklärten Zeitgenossen. Ob und wie diese beiden Fälle des religiösen Indifferentismus aus unserem Leben zu eliminiren möglich sei, ob und wie eine Erneuerung religiöser Ideen in der Gegenwart stattfinden könne, das bildet den Gegenstand folgender Betrachtungen. Denn beide Fälle sehen wir deutlich in unserer Zeit; wir sehen sie zumeist mit gleichgiltigem Auge und zeigen dadurch, dass wir Kinder unserer Zeit sind; manchmal aber überkommt uns bei diesem Anblick ein unheimliches Gefühl; wir ertappen uns selbst auf dem Gedanken, dass wir nur darum gleichgiltig zusehen, weil wir kein Mittel wissen, wie hier zu helfen und umzugestalten sei; und so oft wir uns wiederholen, dass uns ja nichts fehle, dass wir ja Grossartiges und Herzerfreuendes genug schauen und vollbringen, so ist uns doch zuweilen, als müssten wir mit Goethe sagen: „Zufrieden bin ich, doch ist mir nicht wohl dabei“ – und dadurch zeigen wir, dass wir nicht blos Kinder unserer Zeit sind, sondern auch Männer einer besseren Zeit, Umgestalter unserer eigenen Zeit sein können. Es scheint nun, dass es methodisch wäre, von den beiden Theilen unserer Frage: O b und W i e zuerst das Ob und dann das Wie zu erörtern, der Hauptbetrachtung aber die Beantwortung einer dritten Frage voranzuschicken, die Jemand stellen könnte, – nämlich, ob denn die ganze Angelegenheit der Mühe des Betrachtens werth sei, ob es nicht vielmehr einer jener berühmten Fortschritte unserer Zeit sei, dass sie diese Angelegenheit nach und nach beseitigt? – So .scheint es; doch ist’s nicht so. Was den letzterwähnten Punkt betrifft, die Frage nach dem Wo z u , so wird Das, was davon ernsthaft zu nehmen ist, im Verlaufe der Erörterung miterörtert werden; das Andere gehört anderswohin, nämlich in’s Gebiet der

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[3] arrogance of knowledge and dull lack of feeling, repeats along with Faust’s famulus: “How splendidly far we’ve come!”3 and who considers himself wonderfully clever when he reads Michelangelo’s sonnets and perceives in the sublime man, with pitying pleasure, “the shortcomings of the era,” and however else the numbskulls put it.4 It is in this second case of religious indifferentism that most of our enlightened contemporaries find themselves. Whether and how it would be possible to eliminate both these cases of religious indifferentism from our lives, whether and how a renewal of religious ideas in the present could take place, that is the subject of the following considerations.5 For we see both cases clearly in our time; we see them mostly with an apathetic eye and reveal thereby that we are children of our time. But sometimes an uncanny feeling comes over us at the sight of this; we catch ourselves thinking that we only look on indifferently because in this case we know no means of helping and reshaping; and as often as we repeat that we lack nothing, indeed, that we see and accomplish enough that is grand and heartwarming, so still occasionally for us it is as though we must say with Goethe: “I am satisfied, but I do not feel good about it.”6 And thereby we reveal that we are not merely children of our time, but that we can be men of a better time and re-shapers of our own time. It now appears that, of the two parts of our question, whether and how, it would be systematic first to discuss the ‘whether’ and then the ‘how,’ but also to place before the principal contemplation the answering of a third question that one could pose, – namely, whether the entire issue is worth the trouble of considering, whether it is not rather one of the celebrated advancements of our time that it is gradually disposing of this issue?7 That is what it looks like; but it is not so. As far as the last-mentioned point is concerned, the question of what for – that aspect of that which is to be taken seriously in all of this – will be considered in the course of the discussion; the remainder belongs elsewhere, namely in the domain of 3

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A reference to Wagner’s speech in Part I of Goethe’s Faust, lines 570–573: “The pleasure, by your leave, is great, to cast / The mind into the spirit of the past, / And scan the former notions of the wise, / And see what marvelous heights we’ve reached at last.” Translation by Philip Wayne (London: Penguin Books, 1949), 50. Lipiner here echoes Nietzsche’s objections that culture has become oversaturated, indeed smothered, by history, the ‘historical viewpoint,’ and the false belief in pure objectivity; the pronouncements of Lipiner’s figure “Pure Science” in Unbound Prometheus constitute a biting satire of the problem. Lange, having refuted the foundations of materialism (see below), raised but did not answer this question: “So even to-day again a new religious community might, by the power of its ideas and the charm of its social principles, conquer a world by storm […]. Whether even out of the old confessions such a stream of new life might proceed, or whether conversely a religionless community could kindle a fire of such devouring force, we do not know” (History of Materialism, trans. Thomas, 3:355). Goethe, Zahme Xenien [Gentle Epigrams] (1820), 1: “›So still und so sinnig! / Es fehlt dir was, gesteh es frei.‹ / Zufrieden bin ich, / Aber mir ist nicht wohl dabei. / Weißt du, worin der Spaß des Lebens liegt? / Sei lustig! – Geht es nicht, so sei vergnügt.” (“‘So quiet and so thoughtful! / Something’s the matter, admit it openly.’ / I am satisfied, / but I do not feel good about it. / Do you know wherein the fun of life lies? / Be jolly! – If it doesn’t work, then be cheerful.” Goethe, Berliner Ausgabe: Poetische Werke (Berlin: Aufbau-Verlag, 1960ff), 1:647. Lipiner’s use of “the whether” and “the how” in framing this portion of the discussion may reflect his familiarity with the final chapter of a book well known to the Pernerstorfer circle, Gustav Theodor Fechner’s Das Büchlein

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[4] Satire. – Das O b aber wird sich aus dem W i e ergeben und kann nicht anders, als durch das Wie beantwortet werden. Nicht Glaubensartikel eines neuen Glaubens, nicht Reformartikel einer neuen Reformation aufzustellen, ist unsere Aufgabe. Unsere Aufgabe ist, die Frage zu erörtern: Wo sind in unserer Zeit die Elemente und wie müssen sie wirken, um eine Wiederbelebung der erschlaffenden religiösen Ideen hervorzurufen, falls eine solche möglich ist? Zum Anfangspunkte meiner Betrachtung zurückkehrend, will ich das im ersten Satze Gesagte näher bestimmen. Alles über die „Wirklichkeit“ Hinausgehende, ist, sofern es im Gefühle erlebt wird, religiös. – So flüssig und unbestimmt nun auch der Begriff der Wirklichkeit ist, so wollen wir doch, um im Folgenden klar zu bleiben, unter „Wirklichkeit“ immer das allen Menschen gemeinsame Vorstellungsbild der Welt verstehen. Wer die Dinge wesentlich anders sieht, als der normale Repräsentant der menschlichen Gattung, wie z. B. der Künstler, lebt schon in einer überwirklichen Welt, – und es ist ein religiöses Element in seinem Wesen, auch wenn er es selbst nicht eingestehen mag. Künstler ist er, insofern er diese von ihm in besonderer Weise gesehene Welt d a r s t e 1 l t , d. h. zu einer allgemeinen Weise zu machen sucht; religiös aber ist er, insofern sein Gemüth das Leben anders, als der Gattungsmensch, wir können geradezu sagen: ein a n d e r e s Leben erlebt. Dieses zweiten Lebens wird er sich als eines überwirklichen nur dann bewusst, wenn er das normale Leben, die Wirklichkeit, erlebt, d. h. wenn er nicht Künstler ist, – und in diesem Gegensatze wird ihm auch seine religiöse Natur klar. – Es ist religiös, wenn das, was das normale Vorstellungsbild nicht bietet und seiner Natur nach nicht bieten kann, zum Motive einer Handlung wird: wenn ein Held in kühnstem Vertrauen zu einer ihn beherrschenden Idee auch dort, wo die Wirklichkeit Keinen, der bloss an sie glaubt und nur aus ihr Motive seines Handelns entnimmt, zu opfervoller That bestimmen würde, – in fester Zuversicht, blind und fast um seine Blindheit wissend, wie von einem Gotte getrieben, für seine Idee streitet und

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[4] satire. – The whether will emerge from the how and cannot be answered other than by way of the ‘how.’ Our task is not to put forward the articles of belief of a new faith or the articles of reformation of a new Reformation. Our task is to investigate the question: Where in our time are the elements and how must they act in order to prompt a revival of dormant religious ideas, if such a thing is possible? Turning back to the opening point of my reflections, I want to characterize more precisely what was said in the first sentence. Everything that extends beyond “reality” is, insofar as it is experienced in feeling, religious. However fluid and uncertain the concept reality is, we want to remain clear in what follows that we always understand “reality” to mean the conceptual picture of the world common to all people. Whoever sees things essentially differently than does the normal representative of the human species, as, for example, the artist, already lives in a world above reality – and there is a religious element in his being, even if he himself does not want to admit it.8 He is an artist insofar as he portrays – in other words, tries to depict in a universal manner – this world, which he sees in an exceptional way; but he is religious insofar as his feeling experiences life differently from the generic man; we could virtually say he experiences a different life. He becomes conscious of this second life as one above reality only when he experiences normal life, reality – that is to say, when he is not an artist – and in this opposition his religious nature also becomes clear to him. It is religious when that which the normal conceptual picture does not offer, and cannot offer according to its nature, becomes the motive for an act: when a hero, with boldest confidence in an idea that dominates him – even where reality would not require a sacrificial deed of someone who believes only in [reality] and whose motives for taking action are taken only from it – in firm faith, blind and almost recognizing his blindness, as though driven by a god, strives for his idea and

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vom Leben nach dem Tode (Dresden 1836; repr. Hamburg and Leipzig: Voss, 1887), 76: “Du fragtest nach dem Ob; ich antwortete mit dem Wie. Der Glaube erspart die Frage des Ob; doch wird sie gethan, so gibt es nur die eine Antwort darauf durch das Wie; und so lange das Wie nicht fest steht, wird das Ob nicht aufhören zu gehen und zu kommen.” (Trans. Mary C. Wadsworth as Life after Death [New York: Pantheon Books, 1943], 90: “You ask as to the whether. I answer with the how. Faith does without the question whether; but if asked, the one answer is through the how; and so long as the how does not stand fast, the whether will not cease from troubling.”) This citation was kindly furnished by Caroline Kita, whose dissertation “Jacob Struggling with the Angel: Siegfried Lipiner, Gustav Mahler, and the Search for Aesthetic-Religious Redemption in Fin-de-siècle Vienna” (Ph. D., Duke University) will be completed in 2011. Schopenhauer, for example, had claimed that “The composer reveals the innermost nature of the world, and expresses the profoundest wisdom in a language that his reasoning faculty does not understand, just as a magnetic somnambulist gives information about things of which she has no conception when she is awake. Therefore in the composer, more than in any other artist, the man is entirely separate and distinct from the artist.” The World as Will and Representation, trans. E. F. J. Payne (New York: Dover, 1966), 1:260 (§52).

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[5] stirbt, so ist das religiöse Element in seiner Seele mächtig geworden. – Es ist gewiss nicht religiös, wenn ein Mensch durch die Drangsale des Lebens, d. h. der Wirklichkeit, zum Selbstmorde getrieben wird; wenn aber in den Leiden des empirischen Daseins, die jedem normalen Intellecte sichtbar sind, einem Geiste das Leiden des allem Dasein zu Grunde liegenden ewigen Wesens aufgeht und er von der erschütternden Gewalt dieser Erkenntniss zu einem inneren Abwenden von allem Dasein, nicht bloss zum Aufgeben der irdischen Vorstellungswelt getrieben wird, so ist dies ein religiöses Geschehen. So kann es denn eine Religion geben, die nichts weniger als Theismus ist, wie die buddhistische. Diesem Begriffe der Religion gegenüber, den ich so weit als möglich gefasst habe, ist Alles schlechthin i r r e l i g i ö s zu nennen, was in dem ausschliesslich empirischen Leben wurzelt. Stelle ich also die Frage: Ob die gemeine, d. h. der menschlichen Gattung gemeinsame Wirklichkeit, dem Gemüthe genüge, ob das Gefühl sich nicht sehne, etwas Anderes, als das empirische Leben zu erleben, so stelle ich damit die Frage: Bedürfen wir der Religion oder nicht? Und wird gefragt, ob der Anblick der gemeinen Wirklichkeit unsere Sinne befriedige, so heisst dies: Bedürfen wir der Kunst oder nicht? Und wenn die Frage gethan wird, ob die empirische Erkenntniss, vollendet gedacht, unserer Vernunft keine Räthsel mehr lasse, so heisst dies: Bedürfen wir der Philosophie oder nicht? – Scheinbar interessirt uns hier bloss die erste Frage. Doch schon aus jener Untheilbarkeit der menschlichen Natur, von der ich im Anfange dieser Erörterung gesprochen, dürfen wir folgern, dass die Beantwortung der zweiten und dritten Frage für unser Thema nicht gleichgiltig sein kann. Wird auch nur Eine dieser Fragen bejaht, so erhellt schon hieraus, dass wir ohne eine Ergänzung der Wirklichkeit nicht leben können; und wenn die Anschauung eines zweiten Daseins oder die metaphysische Einsicht oder auch nur die Forderung einer solchen unser Gemüth mitergreifen muss, und zwar in um so höherem Grade, je mächtiger und in sich geschlossener unsere Individualität ist, so sind wir religionsbedürftig schon dadurch, dass wir kunstbedürftig oder erkenntnissbedürftig sind. Wir werden aber sehen, dass

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[5] dies, then the religious element in his soul has become all-powerful.9 – It is certainly not religious if, through the hardship of life, that is, of reality, a man is driven to suicide; but if in the sufferings of empirical existence that are apparent to every normal intellect, the suffering of the eternal being lying at the basis of all existence takes hold of someone’s spirit and he is driven by the shattering power of this realization to an inner turning away from all existence, not merely to the giving up of the world of earthly imagination, then that is a religious event. Thus there can exist a religion that is anything but theism, such as the Buddhist religion. As regards this concept of religion, which I have conceptualized insofar as possible, absolutely everything that is rooted in exclusively empirical life should be called irreligious. Thus I pose the question: Whether common reality, which is to say, that common to the human species, proves sufficient to the soul, whether feeling does not long to experience something other than empirical life, and with that I pose the question: Do we need religion or not? And if it be asked whether the sight of common reality satisfies our senses, then this means: Do we need art or not? And if the question is posed whether empirical knowledge, perfectly conceived, leaves no further riddles for our reason, then this means: Do we need philosophy or not?10 Seemingly only the first question interests us here. But from that indivisibility of human nature about which I spoke at the beginning of these remarks we may conclude that the answer to the second and third question cannot be without consequence to our topic. Even if only one of these questions is answered affirmatively, it already becomes evident that we cannot live without a supplementation of reality;11 and if intuition of a second existence, or metaphysical insight, or even only the need for such a thing must take hold of our sensibilities – and that to an increasingly elevated degree the stronger and more enclosed in itself our individuality is – we are already in need of religion in that we are in need of art or knowledge. But we will see that

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Nietzsche, “On the Uses of History for Life,” 112 (§9): “[…] try for once to justify the meaning of your existence as it were a posteriori by setting before yourself an aim, a goal, a ‘to this end,’ an exalted and noble ‘to this end.’ Perish in pursuit of this and only this – I know of no better aim of life than that of perishing, animae magnae prodigus, in pursuit of the great and the impossible.” (Hollingdale translates animae magnae prodigus as “prodigal of a great soul,” in the sense “careless of life,” and identifies the quote as Horace, Odes. I.xii.38.) This idea is central to Lipiner’s Unbound Prometheus. As noted in the Introduction, p. 101, in “Schopenhauer as Educator” Nietzsche had insisted that “the philosopher, the artist and the saint” were the highest manifestations of the humanity toward which all nature has been driving for its fulfillment and redemption (trans. Hollingdale, 155 [§4]). Cf. Lange, 3:342: “One thing is certain, that man needs to supplement reality by an ideal world of his own creation, and that the highest and noblest functions of his mind co-operate in such creations.”

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[6] auch noch in ganz anderem Sinne Kunst und Philosophie in einem besonders innigen Verhältnisse zur Religion, und zwar gerade in unserer Zeit, stehen. Und so wollen wir denn diese drei Fragen in doppelter Weise behandeln: allgemein und in besonderer Rücksicht auf die Gegenwart. Nun wird es wohl nicht schwer sein, die allgemeine Antwort auf die Frage, ob unser Gemüth von dem befriedigt werde, was es in der „Wirklichkeit“ erlebt, zu erlangen. Jeder wird ein schmerzliches: Nein! erwidern. Gäbe es auch Nichts auf Erden, was dieses Nein begründete, als den grossen ,.Musageten der Philosophie“ (Schopenhauer), den Tod, besser und gründlicher gesagt: die Zeit, gäbe es nichts Schreckliches, als nur das neben jedem blühenden Antlitz starrende hippokratische Gesicht: es wäre genug, nicht um den Pessimismus zu begründen, sondern um die höchste und feurigste Sehnsucht nach einem anders angeschauten Leben zu wecken und zu erhalten immerdar. Denn diese Sehnsucht ist nichts Anderes, als der grenzenlose und unvertilgbare Wunsch nach Glück, das heisse Gebet, das seit Ewigkeiten an den Augenblick gerichtet wurde: Verweile doch, du bist so schön! – Diese unvertilgbare Sehnsucht äussert sich nur in dem irrenden Bewusstsein als Jagd nach bestimmtem Gut, nach geniessbarer „Wirklichkeit“; denn wie selten weiss ein Mensch, welch’ ein Wunsch ihn treibt, von Wünschen nur kann er wissen; – doch gibt es wohl nicht Einen, dem nicht die dunkle Ahnung, und sei es nur ein einziges Mal, in der Seele emporgestiegen wäre: dass er nicht Das sucht, was er zu suchen glaubt. Denn zu deutlich steht’s auf allem Geschaffenen geschrieben, dass es nicht darnach angethan ist, ein Z i e l zu werden, die Zeit aufzuheben, den eigentlichen und einzigen Wunsch, den Wunsch nach dem Unvergänglichen zu stillen; zu deutlich sagt uns der Augenblick, dass es seine Natur ist, zu fliehen, – und in dem lächerlich furchtbaren Wahne, in dem der Mensch sich an den Augenblick klammert, liegt wohl nur das ungeheure Missverständniss, in e i n e m Augenblick Das zu finden, was er in dem Augenblick sucht, im Zusammen-

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[6] also in an entirely different sense, art and philosophy stand in a particularly intimate relationship to religion, especially in our time. And so we will deal with these three questions in a twofold manner: generally, and with particular concern for the present. Now it will certainly not be difficult to attain the general answer to the question whether our soul is satisfied by that which it experiences in “reality.” Everyone will utter a painful: No! Even if there were nothing on earth that could justify this “no” other than death, the great “inspiring muse of philosophy” (Schopenhauer)12 – better and more fundamentally stated: time, were there nothing terrifying other than that Hippocratic face staring next to each flourishing countenance:13 it would be sufficient, not to justify pessimism, but to awaken the highest and most fiery longing for a life looked at differently and to sustain it forever. For this longing is nothing other than the boundless and indestructible wish for happiness, the fervent prayer that for all eternity has been addressed to the moment: But linger, you are so fair! –14 This indestructible longing expresses itself only in the erring consciousness as the pursuit of a particular commodity, of enjoyable “reality”; for how seldom does a person know what sort of wish is driving him, – he can only know that from wishes; but there is probably no one in whose soul the dark presentiment has not arisen, be it only a single time, that he isn’t seeking that Thing which he believes he is seeking.15 For it stands too clearly written upon everything created that it is not meant to be turned into a goal, to abolish time, to fulfill the original and only wish, the wish for immortality; too clearly the moment says to us that it is its nature to flee, – and in the laughably dreadful madness in which man clings to the moment lies surely only the outrageous misunderstanding of finding in one moment that Thing which he seeks in that moment, in the gathering up16 [7] 12 13

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The World as Will and Representation, trans. Payne, 2:463 (§41). “Hippocratic face” refers to the set of facial characteristics considered by the Hippocratic school of medicine to portend death: “the nose sharp, the eyes sunken, the temples fallen in, the ears cold and drawn in and their lobes distorted, the skin of the face hard, stretched and dry, and the colour of the face pale or dusky”; see Hippocratic Writings, ed. G. E. R. Lloyd, trans. J. Chadwick et al. (Harmondsworth, UK: Penguin, 1983), 171. “Verweile doch! du bist so schön!” Goethe, Faust, Part I, line 1700; Part II, line 11582. By the terms of his wager with Mephistopheles, if Faust should ever utter these words, he would forfeit his life to the devil. This occurs in Part II, Act 5, but shortly thereafter Mephistopheles is foiled by an unexpected group of cherubs. The section immediately following is that which Mahler set to music in his Eighth Symphony. Schopenhauer several times observes that the intellect is the servant of the Will, and that it rationalizes the Will’s potentially embarrassing desires; see e. g.: The World as Will, trans. Payne, 2:210: “In fact, we are often entirely mistaken as to the real motive from which we do or omit to do something, till finally some accident discloses the secret to us, and we know that our real motive was not what we thought of it as being, but some other that we were unwilling to admit to ourselves, because it was by no means in keeping with our good opinion of ourselves.” “Wer Großes will, muß sich zusammenraffen; / In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister,” Goethe,

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[7] raffen der Zeit in einen einzigen Punkt, im Unzeitlichen und Unsterblichen. Das ist’s, was das Gemüth erleben will, dem genügt keine irdische Freude, so gross sie sei – und darum durfte ich es verschmähen, zur Begründung des religiösen Bedürfnisses die irdischen Schmerzen zu schildern, so gross sie sind. Ja, wir bedürfen der Religion, haben ihrer immer bedurft und werden ihrer immer bedürfen, so lange die Zeit dauert und der Tod nicht gestorben ist. – Und nun, wer ist so blind und taub und thöricht, zu verkennen, dass zugleich mit dem lauten Zusammenbruche des religiösen Baues in der Gegenwart der Ruf nach Religion, das Gebet um die Erlösung aus dem Banne des Sterblichen gewaltiger, als je, erklingt? Nennt man unsere Zeit eine pessimistische? hat derjenige Philosoph, der am meisten von der Tragik des Zeitlichen erschüttert wurde, hat A r t h u r S c h o p e n h a u e r die Gemüther ergriffen? Ist dies so – und versteht ihr nicht den Ruf der Religion nach Wiedergeburt, der zugleich mit ihrem Grabgesange erschallt? Ja sie, die Ewige, geht wieder in einer ihrer Erscheinungen zu Grabe und sehnt sich auf ’s Neue und schöner zu erscheinen. Wie ist es möglich, beim Anblicke so gewaltiger Dinge von der Schopenhauer’schen Philosophie, wie von einer „verdriesslichen Stimmung“ zu sprechen? Wie ist es möglich, bei noch so schwachsinnigem und flachem Geiste, die göttliche Tragödie des Lebens so in seinem Kopfe zu einer schaalen, tragischen Posse, wie sie über die Bretter unserer Bühnen laufen, zu verkehren? Und wie ich in diesem sogenannten pessimistischen Zuge unserer Zeit, d. h. in unserem grossartig gesteigerten Bewusstsein des Unseligen und Hinfälligen aller Wirklichkeit ein Element religiöser Erneuerung erkenne, so sehe ich eine kräftige Stütze dieser Erneuerung im Ve r f a l l e d e r r e l i g i ö s e n Fo r m e n . Die kirchliche Ceremonie, das Dogma und die Formel, kurz Alles, was im Beginne eines religiösen Lebens fast unschädlich ist, den religiösen Organismus entschieden stärkt und dem schwankenden Gefühle derbe Stützen bietet, Alles dies wird im Laufe der Zeit zu hohlen, marklosen Knochen, zu einer Fratze des Lebens. Doch geheiligt durch das

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[7] of time into a single point, in the timeless and undying. That is what the soul wants to experience; no earthly joy suffices, however great it may be – and therefore I may be allowed to spurn portraying earthly pains, however great they are, in accounting for religious need. Yes, we need religion, have always needed it, and will always need it as long as time endures and death is not dead. – And now, who is so blind and deaf and stupid as to fail to recognize that with the loud collapse of the religious edifice in the present the simultaneous call for religion, the prayer for salvation from the exile of mortality, sounds more powerfully than ever? Does one call our time a pessimistic one? Has precisely that philosopher who was most shattered by the tragedy of the temporal, has Arthur Schopenhauer grasped our souls?17 Is this so – and do you not understand the call of religion for rebirth which rings forth simultaneously with its funeral dirge? Yes, [religion], the eternal one, again goes to its grave in one of its manifestations and longs to appear anew and more beautiful. How is it possible at the sight of such powerful things to speak of Schopenhauerian philosophy as if of a “morose mood”? How is it possible even for the most feeble-minded and shallow spirit thus to invert in his head the divine tragedy of life into the kind of stale, tragic farce that is played on the stages of our theaters? And just as I discern an element of religious renewal in this so-called pessimistic current of our time, that is, in our greatly heightened consciousness of the wretched and the decrepit elements in all reality, so also do I see a powerful pillar of this renewal in the deterioration of religious forms.18 Ecclesiastical ceremony, dogma and formula, in short, everything which at the beginning of a religious life is almost harmless, which decisively strengthens the religious organism and offers weakening feelings stout support, all of this will in the course of time turn into hollow bones without marrow, into a caricature of life. Yet sanctified through

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“Natur und Kunst, sie scheinen sich zu fliehen” in idem, Berliner Ausgabe: Poetische Werke (Berlin: AufbauVerlag, 1960ff ), 2: 89–90, 121–122. These lines also appear in Was wir bringen (1802), Goethe’s Vorspiel for the opening of the new theater in Lauchstädt. Lipiner, like the early Nietzsche, came to reject Schopenhauer’s pessimistic determinism and asceticism. Lange, 3:275, attributes “to the quiet but continual operation of Christian ideas, not merely our moral, but even our intellectual progress; and yet these ideas can only develop their full activity by bursting asunder the ecclesiastical and dogmatic form in which they have been enclosed, as the seed of a tree in its hard shell.”

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[8] Alter und die Furchtsamkeit der Menschen, besteht es länger, als der Geist, der ihm einst Werth verliehen, und das Gemüth täuscht sich selbst mit dem nichtigen Scheinbesitz. Die Masse ist sinnlos und dumpf und bückt sich vor dem Vorhang, der einst das Allerheiligste verdeckt hatte und jetzt Nichts mehr verdeckt. Denn aus dem Dasein des Vorhangs schliesst es auf das Dasein dessen, was er verdeckt. Fällt aber einmal der Vorhang und zeigt sich, was hinter ihm gewesen, so entsetzt sie sich vor der Leere und sucht das Allerheiligste, das ihr entschwunden. – Darum ist es gut, dass jetzt der Leib der Religion in Stücke gerissen wird, denn ihr Geist wird nie untergehen, und nur die Täuschung, als wäre der Leib der Geist, ist benommen. Wer der Religion wohl will, schütze und stütze die Bestrebungen der dogmenmörderischen Kritik. Was schadet es den Ideen der Bergpredigt, wenn gezeigt wird, dass das 4. Evangelium nicht von Johannes, sondern eine spätere Parteischrift ist? Was ist uns Lucas, Marcus, Matthäus? So lange eine Religion auf die historische Wahrheit ihrer kanonischen Schriften Werth legt, ist sie unwirksam und nichtig. Hell und leuchtend steht der nackte Kern da, wenn die modernden Fetzen von ihm gefallen sind. Der abgeschmackten und flachen physischen Wunder beraubt, flieht das Gemüth zum unvergänglichen Wunder, das nie die Pfeile der Wissenschaft zu fürchten hat, zum Wunder des heiligsten Mitleids, zum Wunder der Ueberwindung des Selbst, des Sieges über Schmerz und Tod, zu jenem glorreichen Wunder, das sicherlich ist und sicherlich nie in unsere Vernunft eingehen wird, von dem man mit vollem Rechte staunend und schauernd das grosse, das geniale Wort aussprechen kann: Credo, quia absurdum! Und wenn der Mensch in seiner ganzen Wesenheit von diesem Wunder ergriffen wird, wenn nicht blos das Gemüth sich laben, sondern auch die Sinne dürsten werden, so wird immer und immer auf ’s Neue das flache und abgeschmackte physische Wunder, wie es jetzt vom h i s t o r i s c h e n Standpunkte mit vielem Aufwand kritisirt wird, zum Mythos werden und wird nicht aufhören, als Mythos, d. i.: als künstlerische Darstellung eines Ueberwirklichen, die Wesen zu ergreifen, bis durch einen neuen

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[8] age and the fearfulness of men, it persists longer than the spirit that once conferred value upon it, and the soul deceives itself with the void illusory inheritance. The mass [of humanity] is senseless and dull and bends down before the curtain that once covered the Holy of Holies but now no longer covers anything.19 For from the existence of the curtain is inferred the existence of what it covers. But once the curtain falls and reveals what was behind it, [the mass of men] is horrified by the void and seeks the Holy of Holies that has vanished for them. Therefore it is good that now the body of religion is torn to pieces, for her spirit will never perish, and only the illusion that the body were the spirit is taken away. Whoever wishes religion well, protect and support the efforts of dogma-murdering criticism. How does it lessen the ideas of the Sermon on the Mount if it is shown that the Fourth Gospel is not by John but is a later partisan script? What are Luke, Mark, and Matthew to us?20 As long as a religion places value in the historical truth of its canonical scripture, it is ineffective and void.21 Bright and glowing stands the naked core when the moldering tatters have fallen from it. Robbed of tasteless and insipid physical wonders,22 the soul flees to the undying wonder that never need fear the arrows of science, to the wonder of holiest compassion, to the wonder of self-overcoming, of the victory over pain and death, to that glorious wonder that surely is and surely will never find its place in our reason, of which one can with full justification, astonished and trembling, utter the great and inspired word: Credo, quia absurdum!23 [I believe, because it is absurd!] And if man is seized in his entire being by this wonder, when not only the soul is refreshed by it, but also the senses thirst for it, so ever and anew will that tasteless and insipid physical wonder, as it is now criticized from the historical standpoint with great effort, become myth, and as myth, that is, as the artistic representation of something beyond reality, never cease to seize beings,24 until through a new 19

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Holy of Holies: historically, the small inner sanctum in the Temple of Jerusalem that was reserved for the presence of God and separated from the rest of the sanctuary by a veil; only the High Priest was permitted to enter it, and only on Yom Kippur (the Day of Atonement). By 1878 Lipiner had long since abandoned Judaism, as had most of the Pernerstorfer group who were of Jewish origin; see William J. McGrath, “Mahler and the Vienna Nietzsche Society,” in Jacob Golomb, ed., Nietzsche and Jewish Culture (London: Routledge, 1997), 223–25. Lipiner refers here to biblical source criticism that had been ongoing during the nineteenth century. By 1863 Heinrich Holtzmann (1832–1910) had essentially solved the so-called Synoptic problem through the “twosource hypothesis,” whereby the gospels of Matthew and Luke are based on that of Mark plus the “Q” source (Quelle), which is no longer extant. In the 1840s F. C. Baur (1792–1860), founder of the Tübingen school, had seriously questioned the historicity of John (cf. “Biblical literature,” Encyclopædia Britannica Online and “John, Gospel of St.,” The Oxford Dictionary of the Christian Church, ed F. L. Cross and E. A. Livingstone, http://www.oxfordreference.com/views/ENTRY.html? subview=Main&entry=t257.e3687). Lange adverts to this at several points, e.g., 3:353–54. Biblical criticism had raised serious doubts about the veracity of the miracle stories in the Bible. “Credo quia absurdum est” is a paradox put forth by the early Christian theologian Tertullian (ca. 160–ca. 240). Here Lipiner seems to reflect Nietzsche’s claim in The Birth of Tragedy that music is the power that invests myth with new and more profound significance, the power that freed Prometheus.

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[9] Verfall das wahrhafte Wunder aus den menschlichen Gemüthern wieder entschwunden sein wird, die Mythen wieder zu Wundergeschichten werden, die ein Professor der Geschichte zu Tode kritisirt. Wie aber verhält sich die Ku n s t zu den religiösen Ideen in unserem Zeitalter? Die Frage, ob wir der Kunst bedürfen, setze ich als von selbst beantwortet voraus. Gewiss, wir bedürfen der Kunst; das empirische Sinnenbild genügt unserem Verlangen gewiss nicht. Wir sehnen uns nach dem künstlerischen Bilde, wir können eine Ordnung der bunten Lebenswirren nicht entbehren. Allein es sind nur kurze Augenblicke im langen Spiel der Alles wandelnden Zeit, in denen wir ein Unwandelbares schauen. Und je inniger sich unser Gemüth mit den Bildern der Kunst erfüllt hat, desto schmerzlicher blickt es auf das verworrene Leben, das so seltsam labyrinthische Gänge wandelt, während doch der gerade Weg so kurz ist; und wohl mag ihm da der Riesengedanke aufsteigen, dass die Kunst nur eine s y m b o l i s c h e Abbreviatur des Lebens sei, dass das Weltwesen, das sich stets gestaltet und umgestaltet, seine Sache nicht schlechter mache, als der Künstler, dass dem Stoffe des Daseins, wie dem Stoffe der Kunst eine Form entspreche, nur dem grössern Stoffe eine grössere Form: und so mag es wohl in den erleuchtetsten Augenblicken, in Momenten tiefster Kunstsehnsucht den grössten Gedanken, d i e We l t a l s K u n s t w e r k ahnen. In solchen Momenten ist das Gemüth von den heiligsten religiösen Schauern erfüllt, und die Welt als Kunstwerk, die gewiss nicht die Welt der Wirklichkeit ist, diese Welt des religiösen Anschauens wird es glaubend und anbetend G o t t nennen. Dies ist das allgemeine Verhältniss der Kunst zur Religion. Ein ganz besonderes aber besteht zwischen diesen beiden Mächten in der neuen Zeit. – Wenn die Kunst des Alterthums Religion war und die Kunst des Mittelalters religiös, wenn der überschwänglich gläubige Hellene, die höchste Blüthe einer durchdringenden Erkenntniss der Welt anticipirend, die Götter unmittelbar in der Erscheinung sah – und die christliche Kunst, die die Erscheinung im Principe entgöttert und verneint, sich doch mit ihr durch die vermittelnde Gestalt des Gottmen-

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[9] decline the genuine wonder will again have vanished from human sensibilities, and myths have again become miracle stories that a history professor criticizes to death. But how is art related to religious ideas in our time? I take it for granted that the question whether we need art is answered by itself. Certainly we need art; the empirical image of the senses certainly does not satisfy our longing. We long for the artistic image, we cannot do without an ordering of life’s confused turmoil.25 But there are only brief moments in the long play of everything changing in time in which we see something immutable. And the more intimately our soul has fulfilled itself with the images of art, all the more painfully does it look upon that confused life which so peculiarly wanders on labyrinthine passageways even while the direct way is so short; and there may well arise [to our soul] the gigantic thought that art is only a symbolic abbreviation of life, that the being of the world that constantly shapes and reshapes itself does not do its job any worse than the artist, that a form corresponds to the material of being just as it does to the material of art, except that to the greater material belongs the greater form; and so in the most enlightened moments, at instants of the greatest longing for art, it may well divine the greatest thought, the world as a work of art. In such moments our sensibility is filled by the most sacred religious shudder, and the world as artwork, which is assuredly not the world of reality, this world of religious intuition it [our sensibility] will faithfully and reverently call God. This is the general relationship of art to religion. But a very special one exists between both of these forces in recent times. – If the art of Antiquity was religion and the art of the Middle Ages religious, if the effusively devout Hellene, anticipating the highest blossom of a pervasive knowledge of the world, saw the gods unmediated in appearances – and Christian art, which in principle denies and deconsecrates appearance, but nevertheless conjoined with it in the intercessional form of the god-

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Cf. Nietzsche, The Birth of Tragedy, trans. Walter Kaufmann, Vintage Books (New York: Random House, 1967), 45 (§4): “[…] the truly existent primal unity, eternally suffering and contradictory, also needs the rapturous vision, the pleasurable illusion, for its continuous redemption.”

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[10] schen verband, so steht der Mensch der neueren Zeit mit bitterkluger Miene vor der Wirklichkeit und findet keine Götter und sucht auch keine, und der Gott über den Gestirnen sank von seinem Throne auch, und es ist kein Himmel mehr droben, und auch des Mittlers bedarf es nicht mehr; – denn was sollte Der vermitteln? Und so scheint es fast, dass die neuere Kunst darin ihr besonderes Verhältniss zur Religion habe, dass sie eben gar keines hat, und dass die Kunst, die sonst überlebensgross dargestellt, sich nun schon begnügen müsse, lebensgross – wohl auch lebensklein – darzustellen. Und wenn dem so wäre, wie gestaltete sich dann die Anwendung des oben geschilderten allgemeinen Verhältnisses zwischen Kunst und Religion auf diesen besonderen Fall? Sehnte sich wohl der Mensch auch dann nach einem Festhalten der künstlerischen Augenblicke, nach einem Verwandeln der Kunst im Leben? Gewiss nicht – der Mensch dieser Kunstepoche führt ja schon ein künstlerisches Leben, er erlebt ja Das, was sein Kunstwerk darstellt, denn sein Kunstwerk stellt ja nichts Anderes, als eben platterdings – höflicher gesagt, realistisch – sein Leben dar! Und dieses Leben, wie echt, wie lebendig – so echt und lebendig, als diese Kunst echt und künstlerisch ist! Da sind dramatische Knoten, ja dramatische Knäuel – Spannung, Fesselung, Reizung, donnernder Effect und welch’ ein Erfolg! Doch fürwahr, wenn es Mancher schon im wirklichen Leben nicht bis zum fünften Acte aushalten kann, sondern sich früher davonmacht, so darf sich wohl die Darstellung dieses Lebens nicht beklagen, wenn nicht Jeder Muth und Kraft genug besitzt, um ihr bis zum Fallen des Vorhangs beizuwohnen. Und doch – doch gibt es in unserem Kunstleben Augenblicke, nach deren Festhaltung wir uns sehnen, es gibt eine Kunst, die wir in Leben zu verwandeln dürsten! Ich sehe die Götter nicht mehr in Berg und Baum, ich sehe auf dem Throne den Höchsten nicht mehr, – da tönt mir ein Dichterwort in’s Ohr – eine Mahnung, eine Antwort auf das verwunderte Fragen meiner Seele: „Nehmt die Gottheit auf in euern Willen, und sie steigt von ihrem Weltenthron!“ Den Willen, der die Gottheit in

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[10] man26 – so stands the man of recent times with bitterly shrewd countenance before reality and finds no gods and also seeks none, and the God above the stars27 has descended from his throne as well, and there is no longer a heaven up there, and there is also no need for intercessors anymore – for what should He convey? And thus it almost seems that here is where more recent art may have its particular relationship to religion: that it has precisely none at all, and that art, which usually appeared larger than life, must now be content to present itself life-size – if not to say as small as life. And if that be so, how then did the general relationship between art and religion described above manifest itself when applied to this particular case? Did man then also perhaps long for the preservation of artistic moments, for a transformation of art in life? Surely not – the man of this artistic epoch already leads the life of an artist; he experiences just That which his artwork portrays, for his artwork simply – more politely stated, realistically – portrays indeed nothing other than his own life! And this life, how genuine, how alive – just as genuine and alive as this art is genuine and artistic! There are dramatic knots, dramatic tangles, even – suspense, captivation, provocation, of thunderous effect, and what a success! But forsooth, if some cannot even hold out to the fifth act in real life but slip away sooner, the portrayal of this life surely cannot complain if not everyone is possessed of sufficient courage and strength to be present for it up until the fall of the curtain.28 And yet – yet there are moments in our artistic life the preservation of which we long for; there is an art that we thirst to transform into life! I no longer see the gods in mountain and tree, I no longer look to the throne of the most high, – there sounds a poetic word in my ear – an exhortation, an answer to the astonished questioning of my soul: “Take the divinity of the world into your will, and it will come down from its throne!”29 The will that

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“Gottmensch”: here and elsewhere Lipiner is referring to the Son of God. Perhaps an allusion to Schiller’s “An die Freude,” the text for the finale of Beethoven’s Ninth Symphony, Op. 125: “Brüder über’m Sternenzelt / Muss ein lieber Vater wohnen […]” [“Brothers, above the canopy of stars / Must a loving father dwell”]. In Opera and Drama (1851), Wagner sees Beethoven’s musical treatment of these lines as particularly prophetic of the future; see Richard Wagner’s Prose Works, trans. William Ashton Ellis, 2nd ed. (London: Kegan Paul, 1900), 2:110 and 290. A Greek tragedy usually consisted of five parts, a format adopted by the Romans and subsequently the English, including Shakespeare, as well as the classical French dramatists. In “On the Uses of History for Life,” Nietzsche refers to Christianity as a religion that “condemns all who live to live in the fifth act of a tragedy” (trans. Hollingdale, 101–102 [§8]). Friedrich Schiller, “Das Ideal und das Leben”: “Nehmt die Gottheit auf in euren Willen, / Und sie steigt von ihrem Weltenthron.” Schiller, Werke in drei Bänden, ed. Herbert Gömpfert et al. (Munich: Hanser, 1962), 1:204.

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[11] sich aufgenommen, den wollenden Menschen, der das Ungeheuere vollzieht, der sein Sterbliches überwindet, zum Gottmenschen sich ringend umgestaltet, den wollenden Menschen, der leidend, siegend, den Siegespreis, den nahenden Frieden, schauend, – Mensch, Mittler und Gott zugleich ist, ich sehe ihn im t r a g i s c h e n H e l d e n , ich sehe die verlorene Gottheit in der T r a g ö d i e auferstehen. Die Tragödie ist Religion, und vor der tragischen Kunst wird der Mensch religiös. Denn in der tragischen Kunst sieht er sich selbst, wie er die Wirklichkeit vernichtet und als Erscheinung freudig vergeht – freudig, denn eben in diesem Vergehen und nur in ihm fühlt er, was nicht vergehen kann, und als Mensch dahinsterbend, fühlt er seine Auferstehung als Gott. Es gibt einen banalen und lächerlichen Pantheismus, der übrigens von seinen Bekennern selten aufrichtig gemeint ist, und der sich in unserer Zeit, die gern das Nichtigste durch das Grossklingendste ausdrückt, dorthin gesetzt hat, wo man weder den Muth hat, zu läugnen, noch den grösseren, zu glauben, – richtiger gesagt, wo man das Wort Atheismus oder Materialismus nicht anständig genug findet. – Die Natur aber, wie sie von aussen gesehen wird, ist nicht Gott; die Quantität erhöht nicht die Art; ist ein kleines Stück Erde nicht Gott, so dürfen wir auch den unendlichen Weltbau nicht so nennen. Den wahren und ernsten Pantheismus erfassen wir nur, wenn wir diese Natur von innen sehen, wenn in unserm Innern die grosse Wandlung vorgegangen ist, wenn wir aufgehört haben, uns als Einzelwesen zu wissen und zu fühlen: dann sind wir Pan, das All-Eine, und dann sind wir Theos, das Göttliche, – und jene grosse Wandlung ist der tragische Vorgang, die Tragödie; in ihr leiden wir am tiefsten, denn nur blutend reisst der Mensch von seinem vergänglichen Selbst sich los, und in ihr durchströmt uns die Freude aller Freuden, denn in diesem blutenden Sich-Losreissen empfinden wir die Allmacht und Herrlichkeit des höhern Selbst, unserer eigenen Göttlichkeit. Und dann mögen wir wohl vor uns selbst knien – knien mag unser Sterbliches vor unserm Unsterblichen, und selbst der stolzeste und kühnste Götterbekämpfer, der echteste Sohn des Prometheus, mag hier,

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[11] has absorbed divinity into itself, the willing person who accomplishes what is enormous, who overcomes his mortality, transformed into the god-man by struggling with himself, the willing person who, suffering, conquering, beholding the prize of victory, the approaching peace – who is man, intercessor, and god all at once, him do I see in the tragic hero, I see lost divinity rising again in tragedy. Tragedy is religion, and in the presence of tragic art man becomes religious. For in tragic art he sees himself, sees how he negates reality and as phenomenon joyfully passes away – joyfully, for precisely in this passing away, and only in it, does he feel what cannot pass away, and as a man dying away, he feels his resurrection as God [Gott]. There is a banal and laughable pantheism that, incidentally, is seldom sincerely meant by its confessors, and that in our time, which gladly expresses what is least important through what sounds greatest, has settled there where one has neither the courage to deny, nor what is greater, to believe – more correctly described as where one doesn’t find the word atheism or materialism sufficiently respectable. Nature, however, as perceived from without, is not God; quantity does not elevate the type; if a little piece of the Earth is not God, neither may we so name the endless structure of the world. We grasp true and serious pantheism only when we see this Nature from within, when the great transformation has proceeded within us, when we have ceased to know and to feel ourselves as individual beings:30 then we are Pan, the All-One, and then we are Theos, the divine, – and this great transformation is the tragic unfolding, the tragedy; in it we suffer most deeply, for only bleeding does man wrest himself from his transitory self, and in [tragedy] the joy of all joys rushes through us, for in this bleeding tearing-oneself-away we feel the omnipotence and magnificence of the higher self, our own godliness. And then we may well kneel before ourselves – our mortality may kneel before our immortality, and even the proudest and boldest combatant of the gods himself, the truest son of Prometheus, may here,

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This is the viewpoint expounded by Gustav Theodore Fechner; see Introduction, p. 113.

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[12] stolz und kühn, wie nie, die Gottheit preisen, denn er selbst ist diese Gottheit geworden. Hier und nur hier ist der Tod und die Zeit überwunden, hier und nur hier ist dem Schmerze sein Stachel und der Hölle ihr Sieg entrissen. Und gründlicher und tiefer als alle Ideen zur Verbesserung des menschlichen Schicksals, so sehr diese auch Noth thun, heilt die ewige Wunde des Menschen die Tragödie und d i e t r a g i s c h e Wa n d l u n g . Der Riese S c h m e r z ist hier – und nur hier – gerechtfertigt; er überwindet den Riesen: I c h – das Vergängliche offenbart sich in seiner ganzen Hinfälligkeit und in unermessener Freude schauen wir uns in jenem Zustande, in welchem die flüchtige Erscheinung unseres ewigen Wesens unser Leib, uns eben so gleichgiltig ist, wie irgend ein anderer Gegenstand unserer Vorstellung, und wie wir ein unbedeutendes Ding nach Belieben hierhin legen oder dorthin, so legen wir unsern Leib hierhin oder dorthin und legen ihn, wenn die Stunde schlägt, lächelnd in’s Grab. – Und gewiss: man kann sagen, dass wirklich der Schmerz überwunden war und der eigene Leib und seine Pein nicht mehr als zum wahrhaften Selbst gehörig gefühlt wurde in jenen Stunden, da die Märtyrer den Flammentod starben mit dem jauchzenden Gesange: Gloria in excelsis! – Und die leuchtendste der tragischen Gestalten, die Gestalt, in deren Namen vor 18 Jahrhunderten die erlösungsbedürftige Welt umgewandelt worden ist, diese bleibt in alle Ewigkeit, was immer sie historisch gewesen sein mag, in unserm Herzen und Geiste als der wahrhafte Gottmensch stehen, und wenn die erneuerten religiösen Ideen eines Namens bedürfen, so mögen sie nur seinen Namen tragen. Und muss ich etwas von der heiligen Dreifaltigkeit opfern, so opfere ich gern den Gott-Vater und den heiligen Geist, den Gott-Sohn aber opfere ich nicht. – Und wenn der von Schmerz, Angst und Begier gejagte Mensch, der nach Erlösung dürstet und doch die gekrümmten Finger von dem Irdischen nicht losreissen kann, eine tragische Gestalt erblickt, da mag wohl die sterbensehnende Sünde aus ihm sprechen, wie Kundry zu Parsifal (bei Richard Wagner) spricht:

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[12] proudly and boldly as never before, praise the divinity, for he himself has become this divinity. Here and only here are death and time overcome, here and only here are torn away from pain its sting and from hell its victory. And deeper and more fundamentally than all ideas about the improvement of human fate, as necessary as these are, that which heals the eternal wound of humanity is tragedy and the tragic transformation. The giant Pain is here – and only here – justified; it overcomes the giant: I – the transitory reveals itself in its complete frailty, and in immeasurable joy we look upon ourselves in that state in which the fleeting appearance of our eternal being, our body, is just as unimportant to us as any other object of our contemplation, and just as we place an insignificant thing here or there as we like, so we lay our body here or there, and lay it, when the hour strikes, smilingly in the grave.31 – And certainly: one can say that pain was truly overcome and one’s own body and its pain no more felt as belonging to the true self than in those hours when the martyrs died their fiery death with the exultant song: Gloria in excelsis!32 And the most luminous of the tragic figures, the figure in whose name eighteen centuries ago the world in need of salvation was transformed, this figure, whatever it may have been historically, remains for all eternity in our heart and spirit as the true god-man, and if the renewed religious ideas be in need of a name, may they bear only his name. And if I must sacrifice something from the Holy Trinity, I would gladly sacrifice the god-father and the holy spirit, but the godson I would not sacrifice. – And when the man harried by pain, anxiety, and desire, who thirsts after redemption and yet cannot tear his contorted fingers free from the earthly, when he catches sight of a tragic figure, then the sin longing for death may well speak out from him, as Kundry speaks to Parsifal (by Richard Wagner):33

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In “On the Uses of History for Life” Nietzsche claims that truly strong, thoughtful, and merciful people leave behind them “a single teaching: that he lives best who has no respect for existence. […] often they descended to their grave with an ironic smile – for what was there left of them to bury! Only the dross, refuse, vanity, animality that had always weighed them down […]” (trans. Hollingdale, 69 [§2]). The tradition of Christian martyrs singing as they approach death dates at least to Sts. Cecilia and Perpetua in the second and third centuries respectively. Two well-known later victims were John Huss of Bohemia, burned at the stake in 1415, and his follower, Jerome of Prague, executed in 1416; both sang hymns while dying in the flames. From Wagner’s Parsifal, Act 2; the libretto had been published in 1877, whereas the full score would not be completed until 25 December 1881.

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„Oh! – Kenntest du den Fluch, der mich durch Schlaf und Wachen, durch Tod und Leben, Pein und Lachen, zu neuem Leiden neu gestählt, endlos durch das Dasein quält! Ich sah – Ihn – Ihn – und – lachte – – – Da traf mich Sein Blick. – Nun such' ich ihn von Welt zu Welt, ihm wieder zu begegnen: in höchster Noth – wähn’ ich sein Aug’ schon nah’, den Blick schon auf mir ruh’n: – da kehrt mir das verfluchte Lachen wieder, – ein Sünder sinkt mir in die Arme! Da lach’ ich – lache –, kann nicht weinen: nur schreien, wüthen, toben, rasen – in stets erneuten Wahnsinns Nacht. aus der ich büssend kaum erwacht. – Den ich ersehnt in Todesschmachten, den ich erkannt, den blöd’ Verlachten, lass' mich an seinem Busen weinen, nur eine Stunde dir vereinen, und, ob mich Gott und Welt verstösst, in dir entsündigt sein und erlöst!“ –

Wenn endlich zu allen Zeiten die dritte Frage: Genügt uns das empirische Wissen? ohne Weiteres v e r n e i n t und die Frage nach der Nothwendigkeit der P h i 1 o s o p h i e ohne Weiteres bejaht werden muss, so haben auch diese Antworten in der neuern Zeit einen besonderen Sinn, der auch ein besonderes Verhältniss der Philosophie zur Religion begründet. Greift schon jede Einsicht in die mangelhafte Natur der empirischen, nie eigentlich erklärenden Erkenntniss oder eine Einsicht, die etwa über diese Erkenntniss hinausgeht, tief in das Innere unseres Gemüthes, und zwar um so tiefer, je mehr ein Individuum den Anspruch auf den Namen eines g a n z e n Menschen

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“Oh! – If you knew the curse, that through sleep and waking, through death and life, pain and laughing, newly steeled for new suffering, endlessly tortures living! I saw – Him – Him – and – laughed – – – Then His glance fell upon me. – Now I seek Him from world to world, to encounter Him again: in greatest need – I imagine His eye to be near, the glance already resting upon me: – then the accursed laughter comes back to me, a sinner sinks in my embrace! Then I laugh – laugh –, I cannot weep: only scream, storm, rage, rave – in the ever-renewed night of madness, from which, repentant, I scarcely awake. – For whom I have longed in mortal languishing, for whom I recognized, the stupidly ridiculed, let me weep upon his breast, for only one hour unite with you, and, even if God and the world were to disown me, be cleansed of sin and redeemed in you!” –

If finally, at all times, the third question: Does empirical knowledge suffice for us? must immediately be answered in the negative and the question concerning the necessity of philosophy must immediately be answered in the affirmative, these answers, too, have in more recent times a particular meaning that likewise establishes a particular relationship of philosophy to religion. Since every insight into the inadequate nature of empirical knowledge, which never actually explains, or an insight that perchance extends beyond this knowledge reaches deep into the core of our sensibility – and the deeper the more an individual may make a claim upon the name of a complete human being:

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[14] machen darf: so ergibt die Philosophie seit Hume und Kant ein Resultat, das wohl Jedem, der in dasselbe eingedrungen, mehr als eine blosse Kopfsache werden muss. Hier muss ich die Kenntniss der Kantischen Philosophie und wohl auch der herrlichen „Geschichte des Materialismus“ von Fr. Albert Lange einfach voraussetzen. Eine Auseinandersetzung der Ergebnisse dieser Philosophie ist hier weder möglich, noch sollte sie nöthig sein; sofern sie unser Thema angehen – und sie sind für dasselbe von höchster Wichtigkeit – kann man sie in folgende Sätze zusammenfassen: Die empirische Erkenntniss genügt uns nicht, doch ist keine andere gesicherte Erkenntniss möglich; die „Wirklichkeit“ ist eine unserer Organisation gemäss geartete Vorstellung; über das wahre Wesen der Dinge vermag die Wissenschaft Nichts zu sagen; die Anmassung, die Welt als Vorstellung so zu behandeln, als ob sie etwas von uns ganz Unabhängiges, ausserhalb unserer Vorstellung ebenso wie in unserer Vorstellung Existirendes wäre, also die Grundvoraussetzung des Materialismus, ist zurückgewiesen; die Erklärungsweise der Wissenschaft soll und muss materialistisch und mechanistisch sein; doch reicht diese Erklärungsweise nicht einmal aus, die äussersten Endpunkte der Erscheinungswelt fasslich zu machen: die letzten Bestandtheile der Materie und das Bewusstsein. Und namentlich in dieser letztern Frage führt gerade der consequent materialistische Weg von Atomkräften über Atomkräfte zu Atomkräften, ohne je das Bewusstsein, das ja andererseits der Träger dieser ganzen Vorstellungswelt ist, zu berühren. Wie dies in’s Einzelne ausgeführt sich darstellt, wie die Wissenschaft, von welchem Punkte immer man beginnen mag, endlich auf ihre enggezogenen Grenzen stösst, wie diese Grenzen die ernstesten und mächtigsten Fragen n i c h t umfassen, wie Alles uns auf ein Metaphysisches hinweist, ohne es doch selbst zu erreichen, wie endlich die Hauptlehren aller echten Religion gemäss ihrer Natur und der Natur der Wissenschaft dieser letzteren n i c h t widersprechen, ja die Wissenschaft selbst, z. B. bei Zöllner und Fechner zu idealistischen und selbst theistischen Ideen leitet: Alles dies kann hier selbstverständlich nicht behandelt werden. Versenke sich Jeder in die Gedanken der genannten

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[14] so philosophy since the time of Hume and Kant offers up a conclusion that must well become more than merely academic to anyone who has comprehended it. Here I must simply take for granted knowledge of Kantian philosophy and certainly also of the splendid “History of Materialism” by Fr. Albert Lange.34 Engagement with the conclusions of this philosophy is here neither possible, nor should it be necessary; in so far as they concern our subject – and for that they are of highest importance – one can sum them up in the following sentences: Empirical knowledge does not suffice for us, but no other type of secure knowledge is possible; “reality” is representation shaped according to our organization; about the true essence of things science is able to say nothing; the presumption of treating the world as representation, as though it were something entirely independent from us, something existing outside of our conception just as much as in our conception – thus, the fundamental premise of materialism – has been repudiated;35 the scientific method of explanation should and must be materialistic and mechanical, but this manner of explanation is not even adequate for making intelligible the outermost endpoints of the phenomenal world: the ultimate components of matter, and consciousness. And, particularly in this last question, the consistently materialistic path leads directly from atomic powers over atomic powers to atomic powers, without ever touching upon consciousness, which, on the other hand, is the bearer of this entire conceptual world. How this appears worked out in detail, how science, from whatever point one may begin, ultimately bumps up against its narrowly drawn boundaries, how these boundaries do not encompass the most serious and powerful questions, how everything points us to the metaphysical, without, however, itself being able to reach it, how finally the main teachings of all true religion, in accordance with its nature and the nature of science, do not contradict the latter, indeed, that even science for, e. g., Zöllner and Fechner, leads to idealistic and even theistic ideas: All of this, it goes without saying, cannot be dealt with here. Let each person immerse himself in the thoughts of the aforementioned

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The following lines up to “All of this, it goes without saying […]” summarize positions argued at length by Lange, 3:233–303. Lange accepted the physiological observations of Hermann von Helmholtz (1821–94) indicating that human nerves do not directly transmit external properties to our consciousness, but rather transform them into sensations, which are symbolic representations of reality. This enables Lange to reject materialistic claims that everything can be explained in terms of matter alone; he turns the tables on materialists, asserting that they are actually unwitting idealists (cf. also Stanford Encyclopedia of Philosophy, s. v. “Lange, Friedrich Albert” by Nadeem J. Z. Hussain, http://plato.stanford.edu/entries/friedrich-lange/). Cf. Lange, 3:336: “The world is not only idea, but also our idea; a product of the organisation of the species in the universal and necessary characteristics of all experience; […].”

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[15] Männer und erfasse sie mit seinem ganzen Wesen! Und wenn ihm bei der Erkenntniss der Schranken des menschlichen Geistes, beim Hinabblicken in tiefste Abgründe, beim Hin- und Herirren in den Labyrinthen der verwickeltsten Probleme, bei dem vergeblichen Suchen nach Antworten, nach denen alle Elemente seiner Natur sich hindrängen, ein Schmerz fasst, wie ihn Heinrich von Kleist nach dem Erscheinen der Kantischen Kritik empfunden: dann wird „die grosse Meisterin, die Noth“ aus seinem innersten Wesen eine Ergänzung des empirischen Wissens erzeugen, er wird in freier oder doch nothwendiger Dichtung – frei gegenüber den sie durchaus nicht berührenden Grundsätzen wissenschaftlicher Forschung und nothwendig als bestimmtes Produkt der Persönlichkeit – eine Welt der künstlerischen Anschauung und des religiösen Gefühles erbauen. Glaube aber Niemand, dass die Philosophie überflüssig sei, weil sie die Antworten auf gewisse Fragen versagt. Nicht das Antworten, sondern das Fragen ist ihre erste Aufgabe. Nicht das Nicht-antworten-können, sondern das Nicht-fragen-können ist’s, woran die Erkenntniss der meisten Menschen krankt. Immer und immer auf ’s Neue muss die Philosophie die Probleme erörtern, sie muss zeigen, was wir nicht wissen und was uns zu wissen Noth thut. Sie hat damit eine ungeheure Aufgabe zu erfüllen, des edelsten Strebens werth. Sie ist jetzt mehr, als je, eine ernsthafte, ja furchtbare Sache. Und mehr, als je, ist sie Herzenssache geworden. Gerade dadurch, dass die philosophischen Räthsel nicht ganz in den Kopf eingehen, hören sie auch auf, eine b l o s s e Sache des Kopfes zu sein; das Geheimniss ist hier wirksamer, als das vollständige Erkennen, und wie diese Probleme uns in Hinsicht auf die Erkenntniss über die Wirklichkeit hinaustragen, so tragen sie auch unser Fühlen und Wollen über sie hinaus. Und gewiss wird dann das Gefühl die Vernunft überflügeln; der Glaube wird schneller entstehen, als die Erkenntniss einer Wahrscheinlichkeit. Und der Glaube wird alle grossen Leidenschaften entzünden, alles Gemeine und Kleine, woran jetzt unser Herz hängt, wird in seinem Werthe sinken und die religiöse Gluth wird, mit Fr. Albert Lange zu

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[15] men, and grasp them with his entire being! And if for him – in the recognition of the barriers of the human mind, in looking down into the deepest depths, in wandering back and forth lost in the labyrinths of the most complicated problems, in the futile searching for answers, towards which all elements of his nature drive him – a pain grips him, such as Heinrich von Kleist felt after the publication of the Kantian critique:36 then will “the great mistress, Need”37 produce from his innermost being a supplement to empirical knowledge; in free or perhaps necessary poetry – free as regards the fundamental principles of empirical research that absolutely do not touch it, and necessary as a specific product of the personality – he will build a world of artistic intuition and religious feeling. Let no one, however, believe that philosophy is superfluous because it fails to provide answers to certain questions. Not answering, but questioning, is its first duty. It is not the inability to answer, but the inability to question, wherein the knowledge of most people suffers. Always and ever anew must philosophy thoroughly discuss the problems, it must show what we do not know and what we need to know. Therewith it has an immense duty to fulfill, one worthy of the noblest striving. It is, now more than ever, a serious, even frightful matter. And it has become more than ever a matter of the heart. Precisely because philosophical riddles do not completely go into the head, they cease to be merely a concern of the head; here the mystery is more potent than complete apprehension, and, as regards knowledge, these problems carry us over and above reality; they also carry our feelings and volition beyond it. And then, certainly, feeling will fly past reason; faith will arise more quickly than the perception of a probability. And faith will ignite all the great passions; everything common and small upon which our heart now depends will diminish in its value, and religious ardor will, to quote Fr. Albert Lange, 36

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Heinrich von Kleist (1777–1811), German poet and dramatist. Lipiner refers here to a letter of 22 March 1801 from Kleist to Wilhelmine von Zenge: “Vor kurzem ward ich mit der neueren sogenannten Kantischen Philosophie bekannt – und Dir muß ich jetzt daraus einen Gedanken mitteilen, indem ich nicht fürchten darf, daß er Dich so tief, so schmerzhaft erschüttern wird, als mich. […] Wir können nicht entscheiden, ob das, was wir Wahrheit nennen, wahrhaft Wahrheit ist, oder ob es uns nur so scheint. Ist das letzte, so ist die Wahrheit, die wir hier sammeln, nach dem Tode nicht mehr – und alles Bestreben, ein Eigentum sich zu erwerben, das uns auch in das Grab folgt, ist vergeblich. – Ach, Wilhelmine, wenn die Spitze dieses Gedankens Dein Herz nicht trifft, so lächle nicht über einen andern, der sich tief in seinem heiligsten Innern davon verwundet fühlt. Mein einziges, mein höchstes Ziel ist gesunken, und ich habe nun keines mehr–” Kleist, Sämmtliche Briefe, Kleist-Archiv Sembdner, Heilbronn, http://www.kleist.org/briefe/037.htm. Nietzsche had cited this same letter of Kleist’s in “Schopenhauer as Educator,” §3 (trans. Hollingdale, 140–141): “Not long ago I became acquainted with the Kantian philosophy – and now I have to tell you of a thought I derived from it, which I feel free to do because I have no reason to fear it will shatter you so profoundly and painfully as it has me. – We are unable to decide whether that which we call truth really is truth, or whether it only appears to us to be. If the latter, then the truth we assemble here is nothing after our death, and all endeavors to acquire a possession which will follow us to the grave is in vain. – [Ah, Wilhelmine,] If the point of this thought does not penetrate your heart, do not smile at one who feels wounded by it in the deepest and most sacred part of his being. My one great aim has failed me and I have no other.” Friedrich Hölderlin, Das Schicksal (1793/94): “Als nun des Schicksals ehrne Rechte, / Die große Meisterin, die Not, / Dem übermächtigen Geschlechte / Den langen, bittern Kampf gebot, […]”[“When now the iron

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[16] reden, „mit der Forderung des Unmöglichen die Wirklichkeit aus ihren Angeln

reissen.“ Und glaube Niemand, dass etwa eine erkannte Hoffnungslosigkeit des Suchens ihn entschuldigen könne, wenn er behaglich allen transcendenten Forderungen ein skeptisches Lächeln entgegensetzt. Fände er auch nichts auf seinem Wege, gelangte er auch nicht in einem Punkte zu einem religiösen Ergänzen der Wirklichkeit, der Weg schon ist hier das Ziel, schon im Suchen liegt der Preis: der Preis des Erhabenseins über die Gemeinheit, d. h. über das Haften an dem der menschlichen Gattung gemeinsamen Vorstellungsbilde, über das, was wir früher das eigentlich Irreligiöse genannt haben. Nur ein Schwächling hält es im Skepticismus aus; oder wie Herbart irgendwo sagt: „Wer viel gelesen und wenig gedacht hat, wird ein Skeptiker." Auch glaube Niemand, etwa mit der Miene der Gewissenhaftigkeit sagen zu können: „Wie mag ich mich für etwas erwärmen, was ich nur für subjectiven Schein, nicht für Wahrheit halten kann?" Für Wahrheit? für wissenschaftliche Wahrheit? Meint ihr, die Grossen, die unwandelbar geglaubt und in diesem Glauben gestritten haben, hätten die Gegenstände ihres Glaubens für wissenschaftlich bewiesen angesehen? Sie haben eben geglaubt – und hielten ihren Glauben für über alle wissenschaftliche Beweisbarkeit, d, h. über allen menschlichen Verstand erhaben! – Was ist Schein? was ist Wahrheit? Ist die Sinnenwelt nicht Schein? Und waltet nicht schon in der Herstellung dieser Sinnenwelt, des Bildes der Wirklichkeit, von vornherein ein idealisirendes, mit subjektiver Nothwendigkeit die Dinge verbindendes und umgestaltendes Element? Es ist kein essentieller Unterschied zwischen der sogenannten Wirklichkeit und der Ideendichtung. Von der Erscheinung sind gewisse Elemente f e s t , d. h. in der Organisation der G a t t u n g begründet und bilden den Gegenstand wissenschaftlicher Forschung, welche die der Gattung gemeinsamen Kategorien, die selbst fest sind, auf diese festen Elemente anwendet. Andere Elemente sind w a n d e l b a r, d. h. je nach dem Individuum verschieden, und können daher nicht den Gegenstand wissenschaftlicher Erörterung, d. h. einer Fixirung ihres Zu-

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[16] “with the demand of the impossible, tear reality from its hinges.”38 And let no one believe that, for instance, a recognized despair of seeking could excuse him when he calmly counters all transcendent challenges with a skeptical smile. Even should he find nothing on his path, should he not in a single respect arrive at a religious supplementation of reality, here the path is already the goal, already in seeking lies the prize: the prize of an elevated being beyond vulgarity, that is, beyond adhering to the conceptual picture common to the human species, beyond that which we earlier named the truly irreligious. Only a weakling endures in skepticism; or, as Herbart says somewhere, “He who has read much and thought little becomes a skeptic.”39 And also let no one believe that he can say with the look of conscientiousness, for instance: “How can I warm to something that I can only regard as subjective appearance, not truth?” As truth? as scientific truth? Do you think that the great ones, who steadfastly believed and who struggled in this faith, regarded the articles of their belief as scientifically proven? They simply believed – and held their faith to be exalted above all scientific demonstrability, that is to say, above all human reason! – What is appearance? what is truth? Is not the sensual world appearance? And does there not already prevail in the fabrication of this sensual world, of the picture of reality, from the outset, an idealizing element combining and reshaping things with subjective necessity?40 There is no essential distinction between so-called reality and the poeticizing of ideas [Ideendichtung].41 Certain elements of appearance are constant, that is, grounded in the organization of the species, and [they] constitute the object of scientific research, which applies the categories common to the species, which themselves are constant, to these constant elements. Other elements are mutable, that is, different for each individual, and therefore cannot become the object of scientific discussion, i.e., of a fixing of their interrelatedness

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law of fate, / The great mistress, Need, / Commanded to the superior race / The long, bitter struggle, […]”] Hölderlin, Sämtliche Werke, ed. Friedrich Beissner (Stuttgart: Cotta, 1946), 1:190. Lange, Geschichte der Materialismus, 6th ed. (Leipzig: Baedeker, 1898), 557: “Den Sieg über den zersplitternden Egoismus und die ertödtende Kälte der Herzen wird nur ein grosses Ideal erringen, welches wie ein ,Fremdling aus der andern Welt‘ unter die staunenden Völker tritt und mit der Forderung des Unmöglichen die Wirklichkeit aus ihren Angeln reisst.” (Trans. Thomas, 3:355: “The victory over disintegrating egoism and the deadly chilliness of the heart will only be won by a great ideal, which appears amidst the wondering peoples as a ‘stranger from another world,’ and by demanding the impossible unhinges the reality.”) Johann Friedrich Herbart (1776–1841), German philosopher, psychologist, and pedagogue who was the most widely read philosopher in Austria between 1820 and 1880; see William M. Johnston, The Austrian Mind: An Intellectual and Social History 1848–1938 (Berkeley: University of California Press, 1972), 281–86. The quotation apparently comes from Herbart’s Lehrbuch zur Einleitung in der Philosophie, 2nd ed. (Königsberg: August Wilhelm Unzer, 1821), 16: “Von fremden Gedanken und vom Widerstreite derselben gedrückt, werden, auch heut zu Tage noch, Diejenigen fast immer Skeptiker, welche fleißig waren im Lesen, und faul im Denken. Ein trauriger Zustand; […]” [“Depressed by strange thoughts and the conflict therewith, those who were diligent in reading and lazy in thinking almost always become skeptics, apparently even in the present day. A sad situation; […]”]. Cf. Lange, 3:285.

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[17] -sammenhanges mit den Mitteln der Gattung und für die Organisation der Gattung werden. Doch kann ein typisches Individuum, ein Geist, der die menschliche Gattung in hoher Vollkommenheit darstellt, die andern Individuen fortreissen, sie zwingen, ihre Organisation in bestimmten Punkten nach der seinigen umzuwandeln, mit seinem Auge zu sehen, mit seinem Herzen zu fühlen, wie der Künstler, der Religionsstifter. Ist denn die „Wirklichkeit“ so schön oder so respectabel, dass ihr es nicht wagen solltet, sie mit der Kraft eures Geistes, wie mit der Arbeit eurer Hände zu verwandeln? Ja, verwandeln müssen wir, verwandeln und verwandelt werden! Wir müssen das Wirrsal der Dinge, in dem wir richtungslos und preisgegeben irren und straucheln, in unserem Innern und kraft der Noth und der Sehnsucht unseres Innern ordnen; wir können nicht in der Finsterniss wandeln, und wenn wir uns durch die Macht unseres eigenen Geistes ein Licht entzündet haben: so mögen nur die Klugen kommen und uns beweisen, es sei Nacht – wir sehen und freuen uns der Strahlen und wandeln weiter. Von den Schmerzen der Wirklichkeit aus dem Kreise dieser Wirklichkeit getrieben, an den höchsten Problemen leidend und in unserem eigenen Innern als das Beste und Kräftigste Das findend, was uns im tragischen Kampfe, d. h. im Kampfe gegen das Selbst und in der Vernichtung des Selbst bleibt und nimmer vernichtet wird, werden wir glaubend und hoffend dem g u t e n G e i s t e vertrauen, der in jener Stunde des Kampfes sich in uns verkündigt; in diesem Glauben und in dieser Hoffnung werden wir die Liebe üben in schrankenloser Hingebung und in rastlosem Schaffen; und in dieser Liebe werden wir fühlen, wie das heisse Gebet um Glück erfüllt ist, und das Gebet selbst wird nur ein Bewusstwerden dieses Glückes sein, ein Bewusstwerden der Lust an unserem eigenen e w i g e n Wesen. So sagt Eine von den Wenigen, die da überwunden haben, die Verfasserin der „Memoiren einer Idealistin“ (III. Band, S. 168): „Ich fühlte, dass ich betete, wie ich nie zuvor gebetet hatte, und erkannte nun, was das eigentliche Gebet ist: Einkehr, aus der Vereinzelung der Individuation

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[17] with the means of the species and for the organization of the species. Yet a typical individual, a spirit who represents the human species in high perfection, can carry away other individuals, [can] force them to transform their organization in certain respects according to his own, to see with his eyes, to feel with his heart, as does the artist, the founder of religion. Is then “reality” so beautiful or respectable that you should not risk transforming it with the power of your spirit as with the work of your hands? Yes, transform we must, transform and be transformed! In our inner being and by virtue of the necessity and longing of our inner being, we must sort out the confusion of things, in which we roam and stumble about, without direction and vulnerable; we cannot wander in the darkness, and when through the power of our own spirit we have ignited a light for ourselves: then just let the smart ones come and prove to us that it is night – we see and rejoice in the rays, and wander on. Driven by the pains of reality from the realm of this reality, suffering from the highest problems and finding in our own inner being the best and most powerful That, which remains to us in the tragic battle (i.e., in the battle waged against the self and in the annihilation of the self) and will never be annihilated: we, believing and hoping, will trust the good spirit that in the hour of the battle proclaims itself within us; in this faith and in this hope we will practice love in boundless devotion and in tireless creativity; and in this love we will feel how the fervent prayer for happiness is fulfilled, and the prayer itself will only be the becoming conscious of this happiness, a becoming conscious of the desire in our own eternal being. Thus says one of the few who have surmounted this, the author of the “Memoirs of an Idealist” (vol. 3, p. 168):42 “I felt that I prayed as I never before had prayed, and realized now what the actual prayer is: Turn inward, out of the isolation of individuation

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Ideendichtung: poetry specifically intended to convey moral or intellectual ideas. Schiller is regarded as a master of the genre, and Lange (3:343) specifically notes that “we have in the philosophical poems of Schiller a performance which unites with the noblest vigour of thought the highest elevation above reality, and which lends to the ideal an overpowering force by removing it openly and unhesitatingly into the realm of fantasy.” Volkelt, in his review of Lipiner’s Prometheus, classifies it as a “Gedankendichtung”; see “‘Der entfesselte Prometheus.’ Eine Studie,” Die Wage: Wochenblatt für Politik und Literatur 5/39 (28 September 1877): 617. Malwida von Meysenbug (1816–1903), Memoiren einer Idealistin (Stuttgart: Auerbach, 1876); see Introduction.

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[18] heraus, in das Bewusstsein der Einheit mit Allem, was ist; niederknien als das Vergängliche und aufstehen als das Unvergängliche.“ Niederknien als das Vergängliche und aufstehen als das Unvergängliche! Das sei unsere Losung. – O! Sie wird uns sehr verkümmert werden, – sie werden sie sehr belächelnswerth, sehr unpraktisch finden, die praktischen Menschen! Aber wir werden praktischer sein, als sie. Wir werden nicht verzweifeln, wenn uns ein Besitz entrissen ist; wir werden nicht in den Tod gehen, wenn wir irdisches Gut verloren. Nein, wir werden freudig das Vergängliche opfern, denn unser ist das Unvergängliche. Und wenn mit der Erneuerung religiöser Ideen auch alle anderen Grundlagen unseres Daseins erneuert werden sollten, wenn eine z w e i t e R e n a i s s a n c e über uns leuchtend, wie eine Sonne, heraufziehen und die drückenden Dämmernebel unserer Zeit zerstreuen sollte: dann werden wir mit dieser Losung nicht unwürdig die Stunde der Wiedergeburt und den jungen Tag begrüssen und, selbst wiedergeboren, kräftig die Hände regen und mitbauen dem Bau des neuen Lebens.

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[18] into the consciousness of unity with all that is; to kneel down as that which is mortal [Vergängliche43] and arise as that which is immortal.” To kneel down as that which is mortal and arise as that which is immortal! Let that be our motto. – Oh! Things will be very spoiled for us, – they will find it very laughable, very impractical, those practical people! But we will be more practical than they. We will not despair when a possession is torn from us; we will not pass unto death when we have lost earthly goods. No, we will joyfully sacrifice the transitory, for ours is the immortal. And if with the renewal of religious ideas all other fundamentals of our being should be renewed, if a second Renaissance, glowing like a sun above us, should rise up and dispel the oppressive twilight fog of our time: then we will not unworthily greet the hour of rebirth and the Last Day with this motto, and, reborn ourselves, vigorously engage our hands and help build the building of a new life.

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Possibly an allusion to the Chorus mysticus at the end of Faust, part II, “Alles Vergängliche / Ist nur ein Gleichnis,” lines 12104–12105 (also set to music in the second movement of Mahler’s Eighth Symphony).

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THE LUXURIATING LILY Fechner’s Cosmos in Mahler’s World

The question of the conceptual, non-musical influence of one virtually unknown thinker upon one celebrated composer might seem terribly arcane. And, of course, if the question only addresses Gustav Mahler’s interactions within their own context, its interest will be – altogether honorably – limited to the specialists who seek that buried history. But, arguably, from the perspective of a 21st century context construed, roughly, as that of a civilization in danger of squandering its ecological viability, this arcane intellectual exchange becomes significantly more interesting. Why? There is something of luminous consequence happening in Mahler’s relation to nonhuman nature. And I would like to suggest that the strong influence of Gustav Theodor Fechner’s mystical naturalism on Mahler’s music brings that significance – more important now, perhaps, than ever – to light. The Fechnerian influence on Mahler discloses the intensity of a small subculture already bridging the chasm between science and spirituality. What could be more crucial for the renegotiation of our collective relation to the Earth today, than to re-stimulate such a history? Indeed, the very obscurity of Fechner throughout the 20th century may be a symptom of the perilous spiritual condition upon which Mahler might, just might, exercise a healing effect. Fechner lived from 1801 until 1887. When Fechner’s name appears in a textbook now, it is as the father of experimental psychology. He pioneered perhaps the first measurable correlation of psychological sensation and the intensity of a physical stimulus. He invented a field he called “psychophysics,” based on the premise that the mind and the body are neither separable from, nor reducible to the other. So a certain holism was, from the start, motivating his rigorously empirical research. He would move on to produce an immense corpus of works, many highly philosophical, even theological, in genre. Indeed, they bear no resemblance to the moods and methods of the modern science that were coming to their climax during the same century. Perhaps therefore he fell between the cracks of the many disciplines he crossed. But, as a student, Mahler would have been studying his works. At the age of 20, Mahler became friends with Siegfried Lipiner, who had studied with Fechner in Leipzig.

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Fechner’s wider obscurity, however, is itself a kind of historical phenomenon. William James considered him a passionate genius of high order, “a writer but little known as yet to English readers, but destined, I am persuaded to wield more and more influence as time goes on.” He found him offering an alternative both to both materialistic science and absolute idealism, both of which thin out what James called a “thick” universe. Fechner’s great “thickness” of thought exhibited “the intense concreteness” and “fertility of detail” that filled him with admiration.1 A century later, Fechner has only become less known among German, as well as English, readers. The philosopher Charles Hartshorne (an heir to the Jamesian tradition in the US) wrote of Fechner that “he saw so much and wrote with such feeling that one is amazed that he has been subject to such neglect.”2 Hartshorne was inducted into the Jamesian tradition in the US by way of his teacher, the mathematician and cosmologist Alfred North Whitehead (1861–1947). Whitehead, himself, makes no mention of Fechner. And yet, even for those of us involved today (as is this writer) in the ecological theology shaped by Whitehead’s cosmology – for which the first duty of philosophy is the reconciliation of religion and science – Fechner’s name has only the most fleeting of associations. It was actually within the world of Mahler-lovers that the importance of Fechner’s thought began to register for me. More specifically, it was in Morten Solvik’s pathbreaking analysis of the Third Symphony. He demonstrates Mahler’s wide and rigorous engagement with questions of natural science. In fact, one of Mahler’s close friends in the 1890’s and early 1900’s was Arnold Berliner, the physicist and friend of Albert Einstein. Mahler, Solvik notes, “was not simply a passive listener in these conversations. He queried Berliner and others extensively and even suggested scientific thoughts of his own.”3 Within this context, Mahler found a special kinship with Fechner’s vision, which Solvik maps onto a wider landscape of “thinkers, mostly forgotten today, [who] attempted to synthesize an animistic, non-rational world-view with the mechanistic and material models of modern science.”4 That is, thinkers like Herman Lotze and Friedrich Lange, and most impressively Fechner, sought to retrieve something long neglected by modern Western science. They refused to dismiss the sensibility of pre-scien1 2

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William James, A Pluralistic Universe (New York: Longsmans, Green & Co., 1920), 135. Charles Hartshorne and William L. Reese, Philosophers Speak of God (Chicago and London: The University of Chicago Press, 1976), 243. Morten Solvik Olsen, “Culture and the Creative Imagination: The Genesis of Gustav Mahler’s Third Symphony,” 2 vols. (Ph. D. diss., University of Pennsylvania, 1992). Solvik cites Bruno Walter referring to Berliner: “An eminent physicist whom he met frequently could not tell me enough about Mahler’s intuitive understanding of the ultimate theories of physics and about the logic keenness of his conclusions or counterarguments,” 43. Morten Solvik, “Mahler and Germany,” The Mahler Companion, ed. Donald Mitchell and Andrew Nicholson (Oxford: Oxford University Press, 1999), 137.

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tific traditions to the aliveness of all things as irrational. Rather, they sought to build the experience of this fully animate nature into a capacious rationality, in which the latest natural science mingled with elements of the romantic and idealist traditions. In Fechner’s case, it was his very attempt to refute materialism that led to his establishment of some of the fundamental principles of experimental psychology and brain physiology. He would characterize that animate or soulful quality of all creatures as their “interior luminosity.” How, then, would this experimental naturalism enter not only into Mahler’s conversations but into his music? Solvik attends very precisely to its influence on the Third Symphony, itself a great vision of natural and spiritual evolution unfurling in six movements, and above all on the second movement, dubbed “What the Flowers in the Meadow Tell Me.” Mahler loved a work of Fechner’s called Nanna oder über das Seelenleben der Pflanzen [Nanna, or, On the Soul Life of Plants]. Let me share an autobiographical paragraph from the conclusion of this lengthy work. Here Fechner narrates the moment when he emerges from three years of blindness, during which he had been confined to a dark room. His experiments in optics, color and electricity had ruined his eyesight and caused him to resign his professorship at Leipzig. But, stunningly, his sight returned. I still remember well what an impression it made upon me when, after suffering for some years from an ailment which affected my sight, I stepped out for the first time from my darkened chamber and into the garden with no bandage upon my eyes. It seemed to me like a glimpse beyond the boundary of human experience. Every flower beamed upon me with a peculiar clarity, as though into the outer light it was casting a light of its own.

There is the imagery of his definition of soul – as interior luminosity. To me the whole garden seemed transfigured, as though it were not I but nature that had just arisen. And I thought: So nothing is needed but to open the eyes afresh, and with that, old nature is made young again. Indeed, one will hardly believe how new and vivid is the nature which meets the man who himself comes to meet it with new eyes.5

In the mystical intensity of this (literally) eye-opening moment, Fechner realizes that he is seeing through, or beneath, the conventional constructs – the categories of perception by which culture organizes our vision. Soaked by the afterimages when he returned to his room, he had “no doubt then that I saw the shining of the plant souls.” 5

Gustav Fechner, “The Soul Life of Plants,” in Religion of a Scientist: Selections from Gustav Th. Fechner, ed. and transl. Walter Lowrie (New York: Pantheon Books, 1946), 211f. Lowrie is another powerful advocate of Fechner, expecting him yet to be discovered.

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The normalized, habitual vision would soon return, but the insight remained. Not coincidentally, he would later call this perspective “the daylight view.” And of course it is never just a view of a particular subset of creatures but of their entwined interconnections. Thus in the same passage he notes that the wider sort of consciousness that such an experience intensifies and illumines “ties together all individual consciousness by common situations and effective relationships, the highest unity of which is found in the last knot.” In this experiential field we see (or hear) the affinity to Mahler’s composition. “In his descriptions of the second movement Mahler depicted a plant world very similar to Fechner’s. Mahler’s approach to plants here suggests an animistic approach to creation. Flowers ‘feel’ threatened and ‘long’ for transcendence; thus they achieve a state of being bordering on consciousness.”6 Thus the music sways, stretches and sparkles with life. One can readily picture the alpine fields of wildflowers. But in every bar the sense of growth and beauty resists trivialization. We hear an efflorescence vibrating with preanimal animation, calling to the listener from an interiority beyond our own. While Mahler scholars might grant the artist (not pretending to scientific claims) his fanciful excesses, Fechner’s feeling for the feelings of flowers is another matter. It is this animism (also called “panpsychism”) that gets written off, without a second thought, by modern materialists. This would not, perhaps, have surprised him. He realized the depth of the modern presumption of human separateness and supremacy. But we do, nonetheless, attribute psyche, or sensitive feeling, to nonhuman animals. So he asks: “If one will not venture to deny that the plant has life, why deny it a soul? For it is much simpler to think that a different plan of bodily organization built upon the common basis of life indicates only a different plan of psychic organization.” So does an earthworm, he prods, “look to us more soulful than a forget-me-not?”7 He does not imply that plants have literal thoughts, or carry on flowery conversations. He is attempting to articulate an altogether different spatial feeling and temporal speed, a subtle, collective sensitivity, lacking in mobility or a nervous system. Yet it has capacities that we do not. “It is an error to think that nature has placed one creature absolutely and in every respect lower than another.”8 Across many books, Fechner developed an immense theory of the livingness of all things. He wrote of a “diffusion of the realm of souls throughout nature or the world of bodies.”9 Not just plants but every atom, every microcosm, participates in the greater 6 7 8 9

Solvik Olsen, Culture, 199. Fechner, The Soul Life of Plants, 168–170. Ibid., 185. Gustav Fechner, “Concerning Souls,” in Religion of a Scientist, 131.

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whole; yet each atomic creature is alive in itself and itself has a faint analogue of what we mean by feeling, or soul – what Fechner calls their inward luminosity.10 Without benefit of extensive anthropological data or comparative religious theory, Fechner recognized this awareness as available to all ancient spiritual sensibilities. Indeed it is common sense to tribal consciousness, with its shamanistic practices and stories of inter-creaturely disclosures. Even in the Bible, where monotheism gradually dictates a push against animism, the trees clap their hands in praise, or the lilies of the field bask in their creaturely clothing. With his animistic psychophysics, Fechner may be read as developing, for his own context, a deep counter-tradition in Western modern thought. I can only suggest, here, that it has roots not only in pre-modern sensibilities, but also in various configurations from the 15th century on of Neoplatonism, Jewish Kabbalah, Catholic mysticism on its dissident edge, and Renaissance science (as in Nicholas of Cusa and Giordano Bruno).11 It morphs into an overtly animist reaction against the direction of natural philosophy as modernity progresses. I find, here, a captivating set of thinkers in the 17th century – especially Anne Conway and her friend, Von Helmont, with their joint influence upon Leibniz. They were constructing alternatives to Descartes and the new, sharply dualistic, separation of soul from the body, which was becoming nothing but a machine, built of the dead machines making up all the universe. Their dissident vision took new forms among the 18th century romantic poets in Germany and England, among whom Goethe, of course, is of paramount concern in the study of Mahler’s intellectual context. The neo-animist counter-culture does not comprise a school of thought or a lineage (many of these thinkers do not know about most of these other thinkers) but rather a multi-faceted, and evolving, sensibility. It persistently attempts to foster an empiricism that will take into account the full life of the creature embedded in its symbiotic milieu of interdependence. These neo-animistic thinkers all, in some sense, pursue a cosmological mysticism, or animism, though mostly not an explicit panpsychism. I am in need of an alternative nomenclature – such as “cosmological conviviality” – for the shared insight into the ‘together-life,’ the symbiosis, of all creatures. But however much brilliance these thinkers demonstrate in their various syntheses of poetic sensibility, 10

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“If then the question is asked, Has the plant a soul? This means, Is there in the plant an inward luminosity corresponding to the outward luminosity which is apparent in its body? Or is it dark thru and thru?” Fechner, “Concerning Souls,” 133. Cf. Frances Yates, The Art of Memory (London: Routledge and Kegan Paul, 1966); also Frances Yates, Giordano Bruno and the Hermetic Tradition (London: Routledge and Kegan Paul, 1964); and more recently Allison P. Coudert, Leibniz and the Kabbalah (Dorderecht, Boston, London: Kluwer Academic Publishers, 1995). See also Catherine Keller, “Be a Multiplicity: Toward a Convivial Polydoxy, with the Assistance of Anne Conway (1631–79),” in Catherine Keller and Laurel Schneider, eds., Polydoxy: A Theology of Relationality and Multiplicity (London: Routledge, 2010).

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insistent observation and disciplined analysis, one must acknowledge that the whole project has, so far, failed. It has had little cultural impact. Their convivial cosmos was not marketable in their own contexts, nor is it in ours. Its vitalities would be increasingly subjugated to the projects of power, dislodged from its inherent universalism. As these thinkers saw with increasing clarity and alarm, it is the world of inert, machinelike matter that can be commodified for control and profit. From this vantage point, one might have to retort, Fechner appears rather as a prophet: In the fact that machines are more and more replacing life, that railroads and telegraphs cover the earth, many see a sign that the times are striking out in an entirely different direction. And in fact if this goes on, only one of two things is possible: either all life upon the earth will be submerged by the machines; or all machines will finally merge in the life of the earth.12

Fechner is no Luddite. This either/or comes awesomely close to our contemporary situation. Will our technological civilization take over and undermine the life and viability of the Earth. Or might it yet, through electronic webs of interconnection, support the evolutionary leap we need? What would that leap into a planetary conviviality be comprised of? First of all it might be the embrace of Fechner’s insight that we as humans are parts of the terrestrial whole – but not like people dwelling in a house. Rather, we are like members of a body. Analogical speaking, the Earth is a great organism whose mind, whose self-consciousness, we as a species are. Fechner anticipated the great (and greatly reviled) “Gaia Hypothesis” of the biologists James Lovelock and Lynn Margulis.13 Our brains are so many billions of its brain cells. But instead, as Fechner puts it, we habitually abstract ourselves from the Earth. We imagine ourselves merely living on its surface: “The dot above the letter ‘I’ is proud of its position; man above the earth is just as proud of his position; and in both cases it is the same idle dream that they stand above what they are within.”14 Might we begin (at long last) to imagine ourselves as parts of the earth-whole, as in the Earth and of it? Has nature or the world a soul? To the totality of that which we see and apprehend – the whole system of bodies revolving about one another, greening and blooming and carrying

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Fechner, “Concerning Souls,” 130. Multiple voices have suggested that Fechner’s cosmology was, in fact, an early forerunner to the Gaia hypothesis. In his study of panpsychism, David Skrbina suggests that, due to his “ecstatic love of nature,” Fechner therefore “deserves to be held as a founding father of the modern environmental movement; certainly he anticipated much of Gaia theory, more than a century before Lovelock.” See David Skrbina, Panpsychism in the West (Cambridge: MIT Press, 2005), 224. Fechner, “Concerning Souls,” 150.

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the creatures and their history – does there correspond a unified Being which only to itself is apparent, just as to the totality of circulation, veins and bones, there corresponds such a being? Such a Being is no more to be known by telescopes, deep drillings in the earth, measurements and all the mathematics in the world, than is the corresponding being in us to be known by microscopes, scalpels, chemical analysis and mathematics.15

From our current context, the profound cultural critique implied at every stage of Fechner’s cosmology becomes deafeningly audible. And so, we begin to grasp the dark undertone of Mahler’s mystical naturalism. It is not just a matter of the inevitable mortality we face as bodies, as his reception of Fechner in the second movement of the Third Symphony suggests. “The creatures do not serve as mere objects of human contemplation, they stare back at their beholders and mock them. Mahler’s apparent covenant with nature reveals itself instead as an essay in alienation,” argues Solvik. The edge that creeps into the flower movement not only nips sentimental prettiness in the bud – it injects a caustic tone. “In an inversion of knowledge, humankind has lost control and true understanding of the world resides in the wild.”16 Yet in the daunting perception of our mortal lives as, at once, alienated from and embedded in nonhuman nature, a deeper insight is insisting itself. Fechner’s vision of – and in – science refuses (as does Mahler’s, in music) to divorce itself from theology. Or perhaps one should say, from questions heretofore reserved for theology, thus escaping altogether from doctrinal or parochial supervision. Fechner, in other words, develops his analogy of our individual relation to our own bodies as that of a relation of our species to the Earth. “In short,” he writes, “it is the question whether there is a God of the world – not outside it, not behind it, not above it in a far hereafter, but in a relation to the world like that of our soul to our body.”17 In other words the universe may be read as the body of God. In my own discipline this metaphor became famous through The Body of God: An Ecological Theology, by Sallie McFague.18 She was popularizing, for a new context, the trope earlier advanced by Charles Hartshorne.19 The metaphor is carried by an international movement of philosophical theology based on an intimate relation to natural science. It is sometimes called process thought.20 It was the work of the aforemen15 16 17 18 19

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Ibid., 133. Solvik Olsen, “Culture,” 204f. Fechner, “Concerning Souls,”133. Sallie McFague, The Body of God: An Ecological Theology (Minneapolis: Fortress Press, 1993). Charles Hartshone, Omnipotence and Other Theological Mistakes (Albany, NY: State University of New York Press, 1984). Panentheism as a concept is claimed across a spectrum; this includes not only process theology as such, but also, for example, the work of Philip Clayton in religion and science, via McFague the feminist ecotheology

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tioned Alfred North Whitehead, the mathematician turned cosmologist and follower of James, which drew me into this lively trans-generational and interdisciplinary conversation. Whitehead was profoundly influenced by the quantum physics in the 1920s, just as it was being born, to seek systematically to reconcile science and religion. But his analysis of Western science had, from the start, been influenced by that convivial naturalist counterculture – especially in the form of the British Romantic poets Wordsworth and Coleridge – with their challenge to modern mechanism, as well as of the vitalism of Leibniz. So with a mere trace of Fechner’s influence, as carried by Hartshorne and James but largely unnoticed by process theologians, it has been the multi-disciplinary influence of Whiteheadian philosophy in the 20th century that has advanced a new and robust version of the animist intuition. Each creature – even an electron – has feelings (though not for process thinkers, consciousness or a psyche); it “prehends” in microcosm its entire world. As Whitehead put it in the 1920’s: “There is nothing in the real world which is merely an inert fact. Every reality is there for feeling; it promotes feeling, and it is felt.” The quantum physicist Shimon Malin has recently drawn on this material from Whitehead.21 Regarding the new quantum universe, Whitehead had written: “In a certain sense, everything is everywhere at all times. For every location involves an aspect of itself in every other location. Thus every spatiotemporal standpoint mirrors the world.”22 Gilles Deleuze, Isabelle Stengers and more recently Bruno Latour develop the Whiteheadian philosophy (sans theology) in a Continental context.23 But process theology articulates a notion of the divine as sensitively prehending all that happens at any moment in the universe. It is internalized as God’s own experience – figuratively speaking, as God’s own living, materializing and expanding body. At its core process thought is thus appropriately linked to a wider sensibility that is called “panentheism.” This term handily encodes an alternative to both pantheism and classical theism. It suggests a third way that includes certain features of both. The ‘all’ of panentheism invokes an alternative divine spatiality, displacing the supernaturalism that once lodged God above, outside, beyond the space-times comprising the creation. In

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of the Brazilian Ivone Gebara. For a helpful history see John W. Cooper, Panentheism: the Other God of the Philosophers (Grand Rapids, MI: Baker Academic, 2006). Shimon Malin, Nature Loves to Hide: Quantum Physics and the Nature of Reality, a Western Perspective (Oxford: Oxford University Press, 2001), 169. Alfred White Whitehead, Science in the Modern World (New York: Free Press, 1925), 91. See, for example, Gilles Deleuze, The Fold, trans. Tom Conley, chapter 6; see also Deleuze, What Is Philosophy? (NY: Columbia University Press, 1994); Process and Difference: Between Cosmological and Poststructuralist Postmodernisms, edited by Catherine Keller and Anne Daniell (Albany: SUNY Press, 2002); and Isabelle Stengers, Penser avec Whitehead: Une libre et sauvage création de concepts (Paris: Gallimard, 2002).

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that absolutely transcendent beyond, God could be imagined as omnipotently ruling, and omnisciently knowing from all eternity, what is to take place. The language of panentheism challenges the entire edifice of classical theism. It is by this challenge, as well as by a certain hospitably cosmic spatiality, that the theology of all-in-god seems to make room for a new interreligious and indeed transreligious (for the very notion of a traditionally bounded “religion” will come into question) interchange. And Hartshorne finds this spatiality explicated for the first time in Fechner. “Fechner at his best advanced the view of an inclusive eternal-temporal deity far beyond the point which Plato at his best had reached.”24 Fechner reconceives God’s environment as internal. There is no place outside the deity. God, feeling everything that becomes, all the life, the sex, the tragedy, is – by a natural but heretofore almost unheard of inference – also becoming. Panentheism, to put it bluntly, brooks no Big Guy in the Sky, preoccupied only with the timeless destiny of human souls. For Fechner, however, the soul’s journey through an expanded spatiotemporality was of great interest. Human souls will live endlessly, but are not destined for an eternity in either “heaven” or “hell.” In this he was, like Origen in the second century, a universalist. As a body dies its subtler life is folded into the wider energies of the universe, all the while retaining its adventure in individual consciousness. This is the other aspect of Fechner’s thought that seemed to have exerted special fascination upon Mahler. Stephen Hefling has mused upon the influence of Fechner’s universalist vision of spiritual ascent upon several pieces of Mahler. “The soul continues to develop after death. Mahler, doubtless influenced by Lipiner, presents virtually the same vision of resurrection in the finale of his Second Symphony (1894), wherein we soar above death on wings won in the fervent strivings of love.”25 Even among process theologians there is considerable reserve about reflections upon life beyond death. But if there is such life, I for one would gladly embrace the version of it that Mahler found in Fechner. The soul will now return to nature with full freedom. He [sic] will no longer be conscious of the waves of light and sound only as they strike eye and ear, but, as the waves roll forth into the sea of ether and the sea of air, he will not merely feel the blowing of the wind and the wash of the waves against his body, but will himself murmur in the air and sea; no more wan-

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Hartshorne and Riese, Philosophers Speak of God, 243. Stephen E. Hefling, “The Rückert Lieder,” in The Mahler Companion, 342. Hefling notes of “Fechner’s panpsychic philosophy” that there is “now little doubt that it substantially affected the making of Mahler’s symphonic worlds – especially the Second, Third, and Das Lied von der Erde. For Fechner, the entire universe is an organic spiritual hierarchy leading up to the deity. Such is also the underlying metaphor of Mahler’s Third Symphony (1896).”

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der outwardly through verdant woods and meadows, but himself consciously pervade both wood and meadow and those wandering there.

In other words, the psyche does not become a mere bodiless spirit once its earthly body dies; it is now clothed in the energies of the wider world of bodies, partaking of subtler sensualities, engaging new and infinite possibilities, “the current of our future life will merge as one with the waves of light and sound.”26 But such “diffusion of the reality of souls throughout nature or the world of bodies” surrounds and pervades us always and already.27 This is not an otherworldly vision but a hyper-worldliness; it suggests no preoccupation with life after death but with the unfathomable fullness of embodied life. I hope, in this countercultural theology, the reader may find at least the poetic hint of an experience made audible in Mahler – the resonance of an infinite conviviality. In conclusion, however, I wish to return to the motif of the very finite flowers. Flowers were luminously pervading the May moment of the MahlerFest in Boulder, Colorado, for which I had prepared these remarks. Here is another key moment in the Soul Life of Plants: I stood on a hot summer’s day beside a pool and contemplated a water-lily which had spread its leaves evenly over the water and with an open blossom was basking in the sunlight. How exceptionally fortunate, thought I, must this lily be which above basks in sunlight and below is plunged in the water – if only it might be capable of feeling the sun and the bath. And why not? I asked myself. It seemed to me that nature surely would not have built a creature so beautiful, and so carefully designed for such conditions, merely to be an object of idle observation – or not even that, seeing that thousands of water lilies bloom where no one can observe them. I was inclined rather to think that nature had built it thus in order that all the pleasure which can be derived from bathing at once in sunlight and in water might be enjoyed by one creature in the fullest measure.28

Perhaps I was just envying the lily, bathing alternately in sunlight and in water. Perhaps I just needed a summer vacation. But I suspect rather that Fechner was onto something about life that we as a civilization may be ready again to hear. Perhaps now, on pain of mass extinctions, of rapid die-offs of species and habitats, of the slow apocalypse of climate change, we may want to reconsider this counter-tradition. Of course any adequate ecological response will require the tuning of all fields of endeavor, all arts and sciences, all media, to the truth of our current context. But, then, the supportive harmonies of 26

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Fechner, The Little Book of Life After Death, trans. Mary C. Wadsworth (Boston: Little, Brown & Company, 1905), 69. Fechner, “Concerning Souls,”131. Fechner, “Soul Life of Plants,” 176f.

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past contexts become crucial for inspiring the great change that we now require. And what better medium for conveying the soulful animation, the vitality of all the Earth’s creatures, than the symphonic creations of Gustav Mahler?

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Der Wanderer in der Landschaft: Mahler im Fischleintal bei Sexten in Südtirol, 1907 (Archiv der Internationalen Gustav Mahler Gesellschaft, Wien)

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MAHLERS WEG INS FREIE Landschaft als ästhetischer Erlebnis- und Inspirationsraum

Für den denkenden und handelnden Menschen geht der verschmelzende Schein, welcher die Landschaft erst macht, in Sonderung bestimmter Gegenstände über; sie wird bloß zum Vordergrunde, auf welchem Figuren handeln können. Der Landmann, der Mineralog, der Geometer, der General, sieht jeder durch die Aussicht hin etwas anderes; für den musikalisch gestimmten Menschen ist sie einzig vorhanden. August Wilhelm Schlegel, Vorlesungen über schöne Literatur und Kunst, 1. Teil: Die Kunstlehre (1801/02)

I Das Foto, das Mahler als Wanderer in der Dolomitenlandschaft zeigt, wird gerne abgebildet, zeigt es doch den Künstler in ungewohntem Ambiente. Das Bild – es existieren zwei voneinander leicht differierende Varianten – dokumentiert als einziges den Naturfreund inmitten einer Landschaft. Die übrigen wenigen Fotos aus Mahlers Freizeit schließen Familienmitglieder oder Ferienquartiere im Hintergrund (Maiernigg) mit ein. Die im stimmungsvoll-beeindruckenden Fischleintal bei Sexten entstandenen Bilder hingegen sind Momentaufnahmen jener bevorzugten Freizeitaktivität, die man nur indirekt aus Briefen oder Schilderungen von Zeitgenossen kennt. Fernab von Theater-Hektik und künstlerischem Engagement befindet sich der Künstler „frei“ auf einer Wanderung: mit dunkelgrauem Anzug samt Weste und Kniebundhose, weißem Hemd und Fliege, Bergschuhen, also in damals üblicher Kleidung. (Auch der Naturforscher und Begründer der Wiener Lehrkanzel für Geografie Friedrich Simony etwa war Ende des 19. Jahrhunderts ganz ähnlich adjustiert auf dem Dachstein unterwegs.) Dennoch hat das Bild mit Inszenierung und nichts mit einem Schnappschuss zu tun: Zurückgewandt posiert Mahler nahezu mittig repräsentativ, links auf seinen

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Wanderstock gestützt (wobei in der Hand noch eine dunkle Kappe sichtbar ist), die rechte Hand in die Seite gestemmt. Der leicht zusammengekniffene Mund lässt fast eine leise Ungeduld mit dem Fotografen und späteren Bildbetrachtern spüren, als wären sie Eindringlinge in eine private Welt. Denn diese private Welt hing eng mit der schöpferischen Arbeit zusammen, wurde doch immer wieder überliefert, dass Mahlers Schaffen nicht strikt an die berühmten Komponierhäuschen gebunden war. Gerade bei Spaziergängen und Touren beschäftigte ihn die sich neu „im Kopf“ konstituierende Musik weiter. Und auch die Schreibarbeit in den Häuschen verlief keineswegs statisch, so hat der Komponist seine Refugien immer wieder verlassen, um die Umgebung zu erkunden und sich auf diese Weise anzueignen. Dass Blicke in die Landschaft künstlerisch inspirierend zu sein vermochten, war nicht bloß eine eigentümliche Note in Mahlers Schaffensprozess. Auch andere Wanderer sind aus der Musikgeschichte bekannt: Johannes Brahms, Hugo Wolf, Richard Strauss, um nur drei zu nennen. Sie alle bewegten sich viel im Freien umher und strichen die Bedeutung des Spazierens und Wanderns für ihr Schaffen heraus. Landschaft als zweckfreier Raum für Freizeit, Genuss oder auch Inspiration musste jedoch kultur- und sozialgeschichtlich initiiert erst als solche entdeckt werden, um auf diese Weise wirken zu können. Vor dem Hintergrund eines langsam fortschreitenden fundamentalen Einstellungswechsels des Menschen zur Natur und deren nicht zuletzt durch (Bildende) Kunst gefestigte Ästhetisierung1 wurden erst bestimmte Facetten einer Landschaft bewusst mittels subjektiv konstituierter „Fenster“ ermöglicht. Damit konnte der Spaziergang in freier Natur zum ästhetischen Genuss werden, und selbst gewaltige Gebirgsszenerien, denen einstmals Livius Hässlichkeit (foeditas Alpium) zusprach, die in der frühen Neuzeit strikt gemieden wurden und in die der Naturforscher Johann Jakob Scheuchzer noch zu Beginn des 18. Jahrhunderts gefährliche Drachen projizierte (und sogar abbildete), gerieten allmählich zu gerne aufgesuchten Orten, die nunmehr (Natur)-Schönes und „Erhabenes“ enthüllten. In Mahlers Leben mutet es allerdings paradox – oder in anderer Sichtweise: tragisch ironisch – an, dass er die von ihm so oft aufgesuchte Natur in Wirklichkeit gar nicht richtig genießen konnte. Er war in seinem künstlerischen Wirken vollkommen gefangen, und der Zeitdruck und Zwang, vor der Theatersaison das jeweilige symphonische Werk zumindest in großen Teilen beenden zu müssen, machte die ihn umgebende 1

Zum Übergang von einem metaphysischen zu einem ästhetischen Naturbegriff siehe näher Jörg Zimmermann, Zur Geschichte des ästhetischen Naturbegriffs, in: Das Naturbild des Menschen. Hrsg. Jörg Zimmermann. München 1982, S. 130. – Zum Problem der Prägung durch Landschaftsmalerei, das im vorliegenden Rahmen nicht ausgeführt werden kann, siehe Matthias Eberle, Individuum und Landschaft. Zur Entstehung und Entwicklung der Landschaftsmalerei. Gießen 1986.

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Landschaft zu einem überdimensionalen Arbeitsraum. Stand im 19. Jahrhundert eine Reihe von Alpenreisen unter dem Zeichen eines „Laboratoriums der Natur“2, also einer naturwissenschaftlichen Zugangsweise, die vielerlei neue Erkenntnisse über biologische und physiologische Vorgänge brachte, bedeutete sie für den Komponisten im übertragenen Sinne ein Laboratorium für seine gedanklichen musikalischen Experimente.

II Mehrerenorts wird überliefert, dass der berühmte Archäologe Johann Joachim Winckelmann um die Mitte des 18. Jahrhunderts auf dem Brenner noch erschauernd die Vorhänge seines Wagens schloss, um nicht die schreckliche Alpenlandschaft ansehen zu müssen. Bei näherer Betrachtung erweist sich diese Anekdote freilich als ein von einem einzigen Ereignis – nämlich einer temporären Unpässlichkeit – hergeleitetes Klischee, um den in die antike Kunstwelt des Südens reisenden klassizistisch geprägten Bildungsbürger gegenüber der neuen Naturauffassung abzusetzen. Denn tatsächlich existieren ebenso überaus lobende Worte des Gelehrten3: Auf der ganzen Reise bis nach Rom ist mir die Reise durch Tyrol die angenehmste gewesen. […] Ich bin freudiger gewesen in einem Dorf, mitten in einem Kessel von Gebirgen mit Schnee bedeckt, als selbst in Italien. Man hat nichts wunderbares, nichts erstaunendes gesehen, wenn man nicht dieses Land mit denjenigen Augen, mit welchen ich es betrachtet habe, gesehen hat. Hier zeigt sich die Mutter Natur in ihrer erstaunenden Größe, und der Ueberfluß herrscht zwischen den ungeheuren Klippen. […] Ueber die höchsten Gebirge geht ein Weg wie in der Stube. […] Alle halbe Stunde sieht man ein großes Wirthshaus, wo auch kein Dorf ist, an den Füßen erschrecklich schöner Berge, wo Sauberkeit und Ueberfluß regiert.

Höchste Töne der Begeisterung sind hier angeschlagen; auch wird die Überraschung gegenüber düsterer Erwartungen nicht verhehlt. Zugleich wird aber die Möglichkeit einer Überwindung von Schwierigkeiten angedeutet (man könne sich dort doch „wie in der Stube“ bewegen). Winckelmanns Formulierung „erschrecklich schön“ weist schließlich eine entscheidende Polarität auf: Die gewaltige, wilde Natur lässt selbst den Klassizisten Winckelmann Erhabenheit empfinden und – schauderndes Genießen. 2 3

Philipp Felsch, Laborlandschaften. Physiologische Alpenreisen im 19. Jahrhundert. Göttingen 2007. Zitiert nach Carl Justi, Winckelmann. Sein Leben, seine Werke und seine Zeitgenossen. Bd II, Leipzig 1872, S. 7; siehe auch Jacek Wozniakowski, Die Wildnis. Zur Deutungsgeschichte des Berges in der europäischen Neuzeit. Frankfurt am Main 1987, S. 317 f.

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Damit erging es ihm ganz ähnlich wie Saint-Preux, dem Helden in Jean-Jacques Rousseaus Nouvelle Héloise, der (dem 23. Brief zufolge) die Alpenlandschaft in der Gegend um Valais durchquert und dort einen überraschenden Wechsel der Szenerien erlebt, hin- und hergerissen zwischen wilder und bebauter Natur. Francesco Petrarcas Bericht über seine Besteigung des Mont Ventoux in der französischen Provence im Jahre 1336 gilt allgemein als erster Ansatz einer Landschaftsschilderung, in der kontemplative und ästhetische Sichtweisen miteinander verbunden erscheinen. Es sollte aber noch lange dauern, bis sich Gletscher, Schluchten, Sturzbäche und schroffe Felsszenerien zu pittoresken, „unberührten“ Schauplätzen jenseits von Überzivilisation und urbanen Getriebes wandelten. Gerade Gipfel, dem Numinosen näher gestellt und einen Überblick – ein Panorama – gewährend, wurden bald zu einem eigenen Faszinosum. Hier oben konnte der Tourist Weltenferne erleben und das Gefühl eines Herausgehobenseins, das auch Künstler in ihren Bann zog. Schon Heinrich Heine sprach diese Gedanken im Eingangsgedicht seiner berühmten Harzreise aus: „Auf die Berge will ich steigen, / Wo die frommen Hütten stehen, / Wo die Brust sich frei erschließet, / Und die freien Lüfte wehen.“ Hier erscheinen Distanzierung von der banalen Alltagswelt (und den Kulturbanausen), Suche nach neuartigen Emotionen, Inspiration und Selbsterfahrung miteinander vereinigt. Gleichzeitig offenbarten sich an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert ein neues Bewusstsein für geschichtlichen Wandel, für ökologische Veränderung und der in einer übertechnisierten, politisch unsicheren Welt verzweifelte Versuch, Ursprüngliches zurückzugewinnen. So erweisen sich Eindrücke von Landschaften auch stets als Metaphern oder Symbole für Vergangenes.4 „Die Welt ist zu enge geworden, und wir fühlen die Macht der Sehnsucht zurück nach den Alpen“5, so formulierte ein ambitionierter Bergwanderer dieses Gefühl um 1800. Aber ebenso in Tallandschaften und Parks entdeckte man – nicht zuletzt auf den Englischen Garten bezogen, in dem menschliche Manipulationen geschickt kaschiert waren – vielfältige optische Reize, die zum Flanieren einluden. Besaß in früheren Zeiten der Spaziergang auf der Bastei oder hinaus aus dem Stadttor durchaus kommunikative bzw. repräsentative Funktionen, erhielt er im 19. Jahrhundert als bürgerliche Freizeitbetätigung durch prononcierte Nutzlosigkeit eine neue Dimension.6 Vor dem 4 5 6

Hansjörg Küster, Schöne Aussichten. Kleine Geschichte der Landschaft. München 2009, S. 72 f. Johann August Schultes, Ausflüge nach dem Schneeberge in Unterösterreich. Bd 1. Wien 1802, S. 423 ff. Allgemein dazu Gudrun M. König, Eine Kulturgeschichte des Spaziergangs. Spuren einer bürgerlichen Praktik 1780–1850. Wien – Köln – Weimar 1996.

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Hintergrund industrieller Ausbeutung und systematischer Erforschung wurden die Natur bzw. bestimmte Landschaften als individuelle Ausschnitte („Fenster“) zum Zufluchtsort und Idealziel für viele Städter. Die fortschreitende Dissoziation von Mensch und Natur sollte dort wenigstens für begrenzte Zeit aufgehoben werden.

III Landschaft stellt nie ein reales Objekt dar, sondern ist immer ein subjektiv erfahrenes Konstrukt, das jedoch auf einem realem Substrat basiert.7 Anders ausgedrückt: In der Natur befindliche Hügel, Felskuppen, Bäche, Lärchen, Bauernhöfe usw. werden in unserer Wahrnehmung zu einer bestimmten Landschaft zusammengesetzt und bewertet (wobei diese häufig Elemente von Kultur wie Hütten, Felder o. ä. miteinschließt). Landschaft entsteht beim Betrachten der Einzelheiten von Natur und Kultur erst dann, wenn sie in einen Zusammenhang gestellt und interpretiert werden. Manches erhält dabei eine metaphorische Bedeutung: Man benennt eine spezielle Landschaft nach Idealen oder Vorbildern, hält sie für Wildnisse, für gezähmte Natur, ein Paradies, für besonders schön oder für abstoßend. Einige Landschaften sucht man gerne auf, von anderen wendet man sich ab. Die Ansichten darüber, welche Landschaften man besonders schätzt, ändern sich mit der Zeit, vielleicht im Laufe eines Lebens, vielleicht im Urteil der Zeitgenossen mehrerer aufeinanderfolgender Epochen.8

Das bedeutet, dass die Rezeption einer Gegend als Landschaft eine komplexe kognitivemotionale Integrationsleistung voraussetzt, in der „Sedimente historischer Wahrnehmung“ mit „Gefühlen und Stimmungen“ verbunden erscheinen.9 Zugleich liegen nicht nur Blicke – also eine rein visuelle Wahrnehmung – vor, sondern überhaupt polysensorische Erfahrungen: Der Ruf eines Tannenhähers, der Geruch von frischem Heu oder die Empfindung eines felsigen Gehgeländes konstituiert Landschaft mit und prägt für den Betrachter eine individuelle „Anmutung“ aus. Von daher ergeben sich dann wertende Zuordnungen wie „schön“, „erhaben“, „düster“ usw. Unter den unterschiedlichen Theorien zur Landschaft10, die im vorliegenden Rahmen nicht erörtert werden können, sei nur kurz jene des Geographen und 7

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Sándor Békési, Die einfältige Landschaft oder Das Bild als Endstation, in: Zu Begriff und Wahrnehmung von Landschaft. Redaktion: Petra Schneider und Gerhard Strohmeier. Wien 2000, S. 43. Küster, Anm. 4, S. 15. Gerhard Strohmeier, Zur Wirklichkeit von Landschaft: Ästhetische Konstruktion und Erfahrungswelt, in: ebenda, S. 35. Einen guten Überblick gibt Claude Reichler in seinem Buch Entdeckung einer Landschaft. Reisende, Schriftsteller, Künstler und ihre Alpen. Zürich 2005, S. 27–33.

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Kulturwissenschaftlers Augustin Berque herausgegriffen. Im Zentrum seiner Theorie steht der Neologismus „Médiance“, der ein spezifisches Geflecht mehrerer Faktoren bezeichnet. Landschaft befindet sich demnach in einer dreifachen Relation: zu ihrem biologisch-physikalischen Substrat, zu einer Kultur und zu einem bestimmten Subjekt.11 Das Substrat steht in einem spezifischen kulturellen Zusammenhang, der von geschichtlicher Entwicklung, aber ebenso von literarischen und/oder bildnerischen Darstellungen geprägt ist. Schließlich erfolgt die konkrete Wahrnehmung dieses kulturgeschichtlich habitualisierten Anschauungsmusters durch einen Betrachter mit individuellen Vorerfahrungen und emotionaler Befindlichkeit (die wandelbar ist). Berques Modell kann auch gut als Basis für künstlerische Inspiration durch Landschaft bzw. kreative Transformation dienen. Konstitution von Landschaft verläuft im weiteren keineswegs statisch. Gerade in der Bewegung – etwa beim Spaziergang – gerät eine Kette von diffizilen Eindrücken in räumliche Beziehungen zueinander und kann so zu einer angenehmen voyage pittoresque werden. Die Ausschnitte, Perspektiven, Abgrenzungen erweisen sich hierbei als variabel.12 Bereits die Benützer der „Claude-Gläser“ im England des 18. Jahrhunderts wollten Landschaft selektiv in gerahmten Einzelbildern rezipieren. Vor dem Hintergrund der beliebten Gemälde Claude Lorrains dienten kleine Konvexspiegel auf dunkler Folie dazu, geeignete Landschaftsausschnitte im Freien zu suchen und auf diese Weise als „natürliche“ Bilder zu genießen. Aus dem soziologischen Vokabular stammt der Terminus „Raumbilder“: dies sind Bilder, die stets in Veränderung begriffen sind, je nach Eingriffen in eine vertraute Landschaft. Überdies verändert sich das Bild von Landschaft ebenso durch die Wahl von Ausschnitten und Perspektiven. Der kleine, stille Moorsee mit Wollgras und Schachtelhalmen kann aufgrund unterschiedlicher Blickrichtungen in seiner Anmutung variieren; jeder Bergsteiger weiß, dass ein- und dieselbe Tour bei Wiederholungen neue, überraschende Blicke freizugeben vermag. Nicht bloß, was wir sehen oder hören, sondern was wir in die jeweilige Landschaft hinein-sehen, in sie hinein-deuten, macht die ästhetische Wahrnehmung aus. Anders als beim Bauern oder Jäger – ein kurzer Rekurs auf das einleitende Motto von Schlegel –, die in einem klar abgegrenzten Tätigkeitsfeld zweckorientiert agieren, bietet ein Blick in die Landschaft für Künstler hingegen Freiheit. Joachim Ritters in seinem berühm11 12

Augustin Berque, Cinq propositions pour une théorie du paysage. Seyssel (Champ Vallon) 1994. Dazu auch Georg Simmel, Philosophie der Landschaft, in: Die Güldenkammer 3, 1913, H. 2, S. 635–644 und Wolfgang Kos, Die Eroberung der Landschaft. Zu einem kulturhistorischen Ausstellungsprojekt, in: Die Eroberung der Landschaft. Semmering – Rax – Schneeberg. Katalog zur Niederösterreichischen Landesausstellung Schloss Gloggnitz 1992. Hrsg. Wolfgang Kos. Wien 1992, bes. S. 37–41.

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ten Aufsatz über Landschaft vertretene These, dass es sich grundsätzlich um eine ästhetische Vergegenwärtigung für einen fühlenden und empfindenden Betrachter handle13, ist besonders für deren Rezeption mittels Kunst von großer Bedeutung. Oder wie es André Malraux einmal formulierte: „Die Kunst ist eine Auslegung der Natur – dessen, was die Menschen sehen können.“14 Auf Mahler bezogen könnte erweiternd hinzugefügt werden: „dessen, was mit musikalischen Klängen darstellbar ist“.15

IV Rezipiert ein Künstler als betrachtender Spaziergänger eine Landschaft, transformiert er sein Konstrukt mit den ihm eigenen Ausdrucks- und Stilmitteln in ein anderes Medium. Die ästhetische Aneignung vollzieht sich beispielsweise als Gemälde zweidimensional auf einer Leinwand, sprachlich in einem Text oder in einer Symphonie. Gerade eine solche „Transformation“ in Musik erweist sich aufgrund deren prinzipiell asemantischen Charakters als schwierig; die Rezeption befindet sich hier vieldeutig jenseits von visueller Darstellung und sprachlicher Artikulation. Boten in der älteren Musikgeschichte unter dem ästhetischen Diktat der imitatio naturae eine Reihe kodifizierter Figuren noch einen praktikablen, auf Konsens eingestellten Kommunikationsrahmen, führte die zum Teil heftig ausgetragene Debatte über Darstellungsarten der Natur im 18. Jahrhundert in neue Richtungen.16 Die Ablösung des alten, metaphysischen Naturbegriffes und die langsame Etablierung eines neuen, ästhetischen war folgenschwer17: Denn neben einer allgemeinen semantischen Verbreiterung wurden nun auch Wege in die Abstraktion geöffnet. Natur bzw. Landschaft waren nicht mehr reduzierbar auf Imitationen von Vogelrufen, Donnergrollen oder die gestische Wiedergabe eines fliehenden Hirschen. Damit folgte konsequenterweise die Aufforderung an den Künstler, landschaftliche Eindrücke – also sein ganz persönlich konstruiertes „Bild“ – weiterzudenken, ja weiterzu(er)leben, neue Inhalte zu schaffen und mit künstlerischen Botschaften zu verknüpfen. 13 14

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In: Subjektivität. Sechs Aufsätze. Frankfurt am Main 1974, S. 150 f. André Malraux, Das Haupt aus Obsidian. Über Picasso und die Macht der Kunst. Frankfurt am Main 1975, S. 213. Eine zeitgenössische ästhetische Vergegenwärtigung von „Landschaft“ – auf Berggipfel fokussiert – war im Sommer 2008 in der Kremser Minoritenkirche zu sehen und zu hören: Georg Nussbaumers Klanginstallation Die schönsten Gipfel der Alpen – Ein akustisches Hängemodell. Allgemein dazu Peter Schleuning, Die Sprache der Natur. Natur in der Musik des 18. Jahrhunderts. Stuttgart– Weimar 1998. Dazu näher Zimmermann, Anm. 1, S. 130.

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Johann Jacob Engel, einer der einflussreichsten Köpfe der Berliner Aufklärung, war Ende des 18. Jahrhunderts ein Vertreter dieses neuen Ansatzes, wenn er in seiner Studie Über die musikalische Malerei (1780) versuchte, vor allem die Instrumentalmusik vom Prinzip der alten imitatio naturae loszulösen und damit klar die Empfindungen über die betreffenden Referenzobjekte zu stellen. Auch in den Nachbarkünsten ist dieser Prozess nachvollziehbar – immer stärker trat der Künstler als schaffendes Subjekt in den Vordergrund, immer mehr verloren sich die konkreten Bezugslinien zum eigentlichen Objekt der Betrachtung. In William Wordsworths Lines Composed A Few Miles above Tintern Abbey (1798), einem Schlüsselwerk englischer romantischer Lyrik, exponiert der Autor in freier Form subjektive Assoziationen, die zugleich auf unbewusste Vorgänge in unserem Inneren verweisen. Indem der Musik seit der Frühromantik eine neue transzendente Wertigkeit zugesprochen, sie gewissermaßen als eigene Sprache zur Weltdeutung erhoben wurde18, ergaben sich Folgen für die Natur- bzw. Landschaftswahrnehmung, in deren Zentrum das künstlerische Ich mit veränderter Erfahrungswirklichkeit stand. Zugleich öffneten sich vielfältige Möglichkeiten für Deutungen. Beethovens Sechste Symphonie, die der Komponist – belegt durch das berühmte Zitat, das die Empfindung über die Tonmalerei setzt – selbst in der neuen Naturauffassung positionierte, wurde nicht zufällig von Mahler überaus geschätzt und mehrfach angesprochen. Seine Auseinandersetzung ging bis in aufführungspraktische Fragen hinein. Er entdeckte darin so etwas wie eine ursprüngliche, unverfälschte Sprache der Natur im übergeordneten, allumfassenden Sinne, die mittels des komponierenden Subjekts lediglich zum Erklingen gebracht wurde, eine Auffassung, die er ja wiederholt auch auf eigene Werke bezog. Beharrlich verweigerte Mahler jeglichen „Abklatsch“ von Natur und betonte das Moment der Stilisierung.19 Damit stellt seine Kunst eine Art „zweiter Natur“ dar, d. h. einen Reflex auf das reale Referenzobjekt, das – nunmehr individuell neukonstituiert und mit eigenem Aussagegehalt ausgestattet – das Substrat für seine monumentalen musikalischen Weltentwürfe darstellt. Die ästhetische Rezeption von realen Landschaften war für den Komponisten somit der Ausgangspunkt für die Konstruktion musikalischer Landschaften, die – weit über das tatsächlich Wahrgenommene hinaus – von Empfindungen, Selbsterfahrung und eigener Weltsicht geprägt sind. Der für die Natur empfängliche Künstler trat damit in einen imaginären Dialog ein: 18

19

Zu musikphilosophischen Bezügen in der Frühromantik siehe Georg Mohr, Das Gehör als Tor zur Welt. Mahlers Dritte Symphonie als Musik über Musik, in: Nachrichten zur Mahler-Forschung 48 (Frühjahr 2003), S. 3–22, bes. S. 8 ff. Gustav Mahler in den Erinnerungen von Natalie Bauer-Lechner. Hrsg. Herbert Killian. Hamburg 1984, S. 182.

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Die Natur kann zum ästhetischen Gegenstand werden, wo sie zugleich expressiv und natürlich ist, und das Natürliche zum Ausdruck kommt in ihr zur Erscheinung, wie Dufrenne bemerkt, wenn sie die ‚Notwendigkeit’, die sie beherrscht, oder besser, ‚die sie ist’, auszudrücken vermag. ‚Die Natur spricht zu mir und ich höre sie […], und indem sie zu mir über sich spricht, spricht sie mit mir über mich.20

V Für Mahler bedeuteten die Sommeraufenthalte bekanntlich einen integrativen Bestandteil des Schaffensprozesses. In der Landschaft fand er nicht nur künstlerische Inspiration; sein Weg ins Freie brachte – manchen Sommer nur sehr mühselig erreicht – Entspannung, Ruhe und damit eine Entbindung seiner schöpferischen Kräfte. Auch dieses Faktum zählt zum Wirkungskreis von Landschaften für Künstler. Mahlers Landschaften sind von Seen, Wald und Gebirge geprägt. In Steinbach am Attersee genoss er den Blickwinkel von der Seewiese aus, vor ihm das schroffe Höllengebirge mit geringer Tiefenstaffelung als Prospekt, das den Bildausschnitt zentral beherrschte und begrenzte. Rückwärts dehnte sich die offene Seelandschaft aus. Anders war die Raumstrukturierung in Maiernigg: Mahlers Komponierhäuschen befand sich mitten im dichten Wald auf einem kleinen Kogel, also in erhöhter Position, wo man tatsächlich „der Welt abhanden kommen“ konnte. Nur eine schmale Schneise gab den Blick zum Wasser des Wörthersees frei. In Altschluderbach bei Toblach schließlich befand sich der Komponist ebenfalls im Wald, allerdings freier gelegen. Mahler hatte die grün-wellige Pustertaler Landschaft im Blickfeld, dahinter traten die Spitzen hoher Berge hervor. Erst beim Spaziergang waren die rückwärtigen Vorberge der Sextener Dolomiten zu sehen. Durch Blicke in diese Landschaften und das Herumgehen in ihnen erfolgte eine ästhetische Aneignung als entscheidende Vorbedingung für eigene Kreativität.21 Das Begehen von Landschaftsräumen vollzog sich im wesentlichen polysensorisch und zählte zu den exogenen Bedingungen des Schaffensprozesses. So lassen sich immer wieder motorische Momente, spezifische Bewegungscharaktere (z. B. als Marsch) in musikalischen Satzverläufen erkennen. Die „Vorstellung des Fortschreitens, des Sichbewegens, des Entstehens in Bewegung, der unablässigen Veränderung“22 besitzt – vielleicht etwas überspitzt formuliert – ein Pendant in den Spaziergängen und Wande20

21 22

Manfred Smuda, Natur als ästhetischer Gegenstand und als Gegenstand der Ästhetik. Zur Konstitution von Landschaft, in: Landschaft. Hrsg. Manfred Smuda. Frankfurt am Main 1986, S. 51. Siehe dazu auch Simmel, Anm. 12. Paul Bekker, Gustav Mahlers Sinfonien. Berlin 1921, S. 212.

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rungen des Ferienkomponisten Mahler, denn auch diese Erlebnisse waren von Veränderung bzw. Entstehung von Neuem getragen. Überdies konstituieren diffizile Staffelungen im orchestralen Klangraum für den Hörer gleichsam Wanderungen durch akustische Landschaften.23 Ein illustratives Beispiel hiefür bietet die Durchführung des Kopfsatzes der Sechsten Symphonie, in der eine Herdenglocken-Episode gleichsam exterritorial – als neues „Blickfeld“ (und „Hörfeld“) – eingeblendet erscheint. Laut Mahler sollen diese Herdenglocken „in realistischer Nachahmung“ erklingen, ihre akustische Inszenierung geschieht hiebei höchst differenziert: in Vielzahl, dann wieder in Vereinzelung, der Klang höherer und tieferer Glöckchen verschwimmt ineinander. Zudem tönen sie aus der Ferne herüber, kommen näher und entschwinden wieder. In diesen wenigen Takten werden tatsächlich reale Laute aus der Almlandschaft evoziert, dennoch ist schon dieser Prozess der Nachahmung ein reines Produkt künstlerischer Imagination und fungiert in neuem Kontext.24 Der ursprüngliche Bedeutungsträger erscheint in der ästhetischen Rezeption mittels motivischer Beziehungen zu Seitensatz und Choralthema in Mahlers „musikalischer Landschaft“ verankert. Mahlers gleichzeitige Abweisung eng programmatischer Deutung – er wollte die Anmerkung als rein technische verstanden wissen – zielt auf den springenden Punkt: reflectio statt imitatio. Der Blick aus dem Fenster des Häuschens am Attersee auf die prachtvolle Blumenwiese oder jener auf das imponierende Höllengebirge fungierten für den Komponisten ohne Zweifel als Reize für Neuschaffen. Die oft zitierte, auf die Dritte Symphonie bezogene Anekdote über das „wegkomponierte Höllengebirge“ ist aber bloß als eine Metapher für eigene Imagination unter dem visuellen Eindruck, oder anders ausgedrückt: als eine Form von musikalischer Verinnerlichung zu lesen. So stellt der Kopfsatz (der im übrigen vom Komponisten auch andere kommentierende Titel erhalten hat) keinerlei musikalische Nachzeichnung des Gebirgsmassivs dar (was ja rein in Tönen auch gar nicht möglich wäre), auch nicht dessen reale Erkenntnis, sondern vielmehr dessen ästhetische Reflexion als eine autonome Deutung in musikalischer Gestalt, wobei der einzige gesicherte gedankliche Konnex über die Thematik der unbelebten Natur gegeben ist.25 Julian Johnsons These folgend bildet von der musikalischen Konzeption her die „construction of space by means of acoustic resonance“ eine Brücke 23

24

25

Der Begriff „akustische Landschaft“ ist hier bewusst eng auf Mahlers naturlautlich-räumliche Konzeptionen bezogen. Der von R. Murray Schafer stammende Terminus „soundscape“ kann heute als Sammelbezeichnung für mehrere Bedeutungsinhalte gelten, gleichwohl er in angloamerikanischen Musikrezensionen des öfteren auf Mahlers Werk bezogen erscheint. Julian Johnson rückt „the idea of a lyrical voice emanating from nature“ ins Zentrum seiner Betrachtung (Mahler’s Voices. Expression and Irony in the Songs and Symphonies. Oxford 2009, S. 70). „Aufgabe der Kunst ist es weniger, die Welt zu erkennen, als Komplemente von ihr hervorzubringen, auto-

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zum geologischen Substrat.26 Zudem unterstreicht – nochmals auf die Dritte gemünzt – die perpetuierte Formel „was mir … erzählt“ die überhöhte Subjektivierung durch den Künstler; die musikalische Vergegenwärtigung ist gleichsam doppelt gebrochen.27 In ähnlicher Weise bezeichnet die Angabe „Wie ein Naturlaut“ das Als-Ob: Es handelt sich eben um keinen realistischen „Abklatsch“, wenn der Kuckuck in der Ersten Symphonie mit einem Quartintervall in der Introduktion auf die Szene tritt, sondern er ist mit eben diesem Strukturintervall in die autonome symphonische Welt integriert. Der originale Naturlaut wurde als artifizielle Figur zum Symbol für etwas über ihn Hinausweisendes.28 Ebenso losgelöst von der realen Bootsfahrt am Wörthersee erscheint die markante Rhythmik zu Beginn der Siebenten. Vielleicht haben die Ruderschläge einmal schöpferische Gedanken entbunden, ja zu diesem Gestus angeregt – nun fungieren sie jedenfalls als Bausteine inmitten einer eigenständigen Klangwelt. ‚Wer die Örtlichkeit nicht kennt‘, sagte Mahler, ‚müßte sie fast dazu erraten, so einzig ist sie in ihrer Lieblichkeit, wie geschaffen, den Anstoß zu einer solchen Inspiration zu geben.‘29

Selbstverständlich ist der Schaffensort des stilisierten „Minuetto“ aus der Dritten für niemanden rekonstruierbar; schon der Komponist schränkt ja durch den Konjunktiv sofort ein derartiges Verfahren ein. Die reale Attersee-Landschaft ist nicht aus dem Satz deduzierbar. Mühsam versuchte Mahler bloß, das Inkommensurable seines Schaffensprozesses in Worte zu fassen. Aber es handelt sich eben um keine ins Romantische gewendete imitatio naturae, um eine Abbildung der schönen Gegend – ihr Konstrukt als Landschaft gab nur den „Anstoß zu einer solchen Inspiration“, zu einer Inspiration, das ästhetisch angeeignete Bild mittels eigener Gesetzmäßigkeiten und Strukturen in die Musik zu transformieren und darin neue Bedeutungsinhalte zu konstituieren. Der ursprünglich zweckfreie Genuss verwandelte sich zum Impuls für künstlerische Aneignung und ästhetische Vergegenwärtigung.

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nome Formen, die zu den schon existierenden hinzukommen und eigene Gesetze und persönliches Leben offenbaren.“ Umberto Eco, Das offene Kunstwerk. Frankfurt am Main 1977, S. 46. – Zur Problematik des „Als-Ob“ siehe Eckhard Roch, „Wie ein Naturlaut“. Ästhetik des Uneigentlichen in der Symphonik Gustav Mahlers, in: Gustav Mahler und die Symphonik des 19. Jahrhunderts. Referate des Bonner Symposions 2000. Hrsg. Bernd Sponheuer und Wolfram Steinbeck. Frankfurt/Main etc. 2001, S. 141–155. Johnson, Anm. 24, S. 52. Dazu näher Mohr, Anm. 18. Dazu schon früh Bekker, Anm. 22, S. 38: „Wichtig ist nicht, daß der Kuckuck, sondern daß die Natur ruft in wechselnden rhythmischen Gestaltungen.“ Siehe auch Gustav Theodor Fechners Ausführungen bzgl. (außermusikalischer) landschaftlicher Eindrücke, imitatio als unzureichendem Zugriff und musikalischem „Weltinhalt“ in: Vorschule der Aesthetik. Teil I. Leipzig 1897, S. 123 –136, bes. 162 f. Gustav Mahler, Anm. 19, S. 49.

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Die Wahrnehmung – Konstruktion – von Landschaft ist somit die Voraussetzung dafür, um in einem „Akt der imaginativen Deutung des Seins in der Welt“30 die alles umspannenden musikalischen Weltentwürfe schaffen zu können. In dieser neu geschaffenen Welt müssen konsequenterweise dann selbst die realen Naturlaute schweigen: „Kein Laut in der weiten Runde! Umgeben von Blumen und Vögeln (welche ich nicht höre, sondern nur sehe).“31

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Martin Seel, Eine Ästhetik der Natur. Frankfurt am Main 1991, S. 18. Mahler an Arnold Berliner, undatierte Karte [Poststempel: 15. Juni 1894], (Kopie im Archiv der IGMG, Wien).

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Mahler and the Satirical Works of Fechner: Documentary Evidence Mahler’s familiarity with the works of the 19th-century German philosopher-scientist Gustav Fechner (1801–87) has been well documented.1 However, the significance of Fechner for the composer and evidence of his potential influence have been less well established. This study explores one such possibility. Fifty years before he produced his final philosophical and aesthetic summations (Die Tagesansicht gegenüber der Nachtansicht [1879] and Vorschule der Aesthetik [1876]), forty years before his epoch-making work of empirical psychology (Elemente der Psychophysik [1860]), twenty years before his spiritual epiphany and the first religiophilosophical works of his maturity (Zend-Avesta, oder über die Dinge des Himmels und des Jenseits, vom Standpunkt der Naturbetrachtung [1851] and Nanna oder über das Seelenleben der Pflanzen [1848]), and in the decade leading to his appointment as professor of physics at Leipzig University (1834), during which he was under the influence of a Bohemian student colleague named Martin Gottlieb Schulze and the works of Jean Paul, Fechner was busy producing a series of fanciful satires and literary-aesthetic studies under the pseudonym of Dr. Mises: Beweis, dass der Mond aus Iodine besteht (1821) Panegyrikus der jetzigen Medecin und Naturgeschichte (1822) Stapelia Mixta (1824) Vergleichende Anatomie der Engel. Eine Skizze (1825) Schutzmittel für die Cholera (1832) ‘Friedrich Rückert,’ Blätter für literarische Unterhaltung (1835) ‘Heinrich Heine als Lyriker,’ Blätter für literarische Unterhaltung (1835) 1

For a full account of references to Fechner made by Mahler and his circle, see Jeremy Barham, “Mahler’s Third Symphony and the Philosophy of Gustav Fechner: Interdisciplinary Approaches to Criticism, Analysis and Interpretation” (Ph. D. diss., University of Surrey, 1998).

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Such work was not unique to his early years; mind puzzles, games, poetry, and various forms of aesthetic and satirical enquiry can also be found scattered occasionally amongst his subsequent voluminous output: Gedichte (1841) Vier Paradoxa (1846) Räthselbüchlein (1850) Bericht über das auf der Dresdner Holbein-Austellung ausgelegte Album (1872)2 ‘16 Scherzräthsel,’ Die Gartenlaube (1872) Kleine Schriften (containing, among other things, Vergleichende Anatomie der Engel. Eine Skizze, Stapelia Mixta and Vier Paradoxa) (1875) Das Wünschelmännchen. Ein Märchen (1882) Zur Kritik des Leipziger Mendebrunnens (1887)

Fechner was a multi-disciplinary thinker who attempted to embrace the totality of intellectual activity in the true tradition of the 19th-century German Gelehrter. He perceived his work not in a fragmented sense but as representing differing facets of a unified whole, designed to substantiate his late-idealist belief in the interconnected nature of the material and spiritual worlds. Built on four principal conceptual pillars – (i) a ‘double-perspective’ theory of identity between the physical and spiritual, (ii) a panentheistic belief in the living, ‘ensouled’ nature of the world, (iii) the hierarchical, graded structure of organisms and souls, and (iv) the doctrine of immortality (initially in the materialist sense of the conservation of energy, and later in a more religio-transcendent sense) – his Weltanschauung is anticipated even in the earliest literary humoresques. Of these, from evidence provided by Ferdinand Pfohl and less concretely by Bruno Walter, Friedrich Eckstein3 and Natalie Bauer-Lechner, it appears that Mahler knew Vergleichende Anatomie der Engel. Eine Skizze: Mahler was a literary musician. Not only in his music but also in his thirst for intellectual stimulation and knowledge. […] He actually read an immense amount […] for example […] Fechner’s psychological-philosophical writings which strongly aroused the powers of his imagination. Fechner’s arguments for the spherical shape of angels delighted him: they had to be spheres because the sphere is the most perfect shape, and their supra-dimensional state does not in the least stop them from bubbling confusedly right through each other […]!4

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The final item published in a series of ten stretching back to 1866, devoted to a discussion of Holbein’s Madonna. Friedrich Eckstein (1861–1939) was closely associated with the Pernerstorfer Circle, a pupil of Bruckner and a personal friend of Siegfried Lipiner. Ferdinand Pfohl, Eindrücke und Erinnerungen aus den Hamburger Jahren, ed. Knud Martner (Hamburg:

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In his conversations with me he gave free rein to his imaginative ideas concerning physical theories […] Although every detail in the realm of nature was close to his heart, he was interested mainly in those phenomena of natural history that furnished philosophy with new material for thought […] Today, by the way, the physical fantasies indulged in by Mahler seem by no means more artistically unscientific to me than Gustav Theodor Fechner’s philosophic thoughts about the soul-life of plants or doctrine of ‘The Comparative Anatomy of the Angels.’5 I have already mentioned how much our preoccupation with greater diversity and higher spatial dimensions in connection with meta-geometric fantasies had led us to the ideas of astronomer Zöllner and to the philosophical raptures of Fechner, to his profoundly poetic ‘Comparative Anatomy of Angels.’6 In the essay ‘Of the spherical shape of angels’ [sic] (under the pseudonym Dr Mises) and in his most important philosophical work ‘Zend Avesta,’ Fechner, the great physicist and philosopher, gives the most vivid expression of his scientific-religious belief in the individual ensouling of heavenly bodies, and, in his attempt to demonstrate this using the example of the Earth, he expresses it in the greatest detail.7

In the remains of Mahler’s and Alma’s library of books, housed at the University of Pennsylvania and catalogued by the present author, there can also be found a singlevolume combined edition of Stapelia Mixta and Vier Paradoxa.8 Additional evidence of

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Karl Dieter Wagner, 1973), 20. “Mahler war ein literarischer Musiker. Nicht nur in seiner Musik, auch in seinen Anregungs- und Bildungsbedürfnissen […] Er las wirklich unendlich viel […]z. B. […] Fechners psychologisch-philosophische Schriften, die seine Einbildungskraft stark erregten. Die Beweisführung Fechners von der Kugelgestalt der Engel entzückte ihn: Weil die Kugel die vollkommeneste Form besitzen: Also, sie mußten Kugeln sein, die ihr überdimensionaler Zustand nicht im geringsten davon abhält, durcheinander hindurch zu wallen […]!” All translations mine unless otherwise noted. Bruno Walter, Theme and Variations, transl. J.A. Galston (London: Hamish Hamilton, 1947), 93. Friedrich Eckstein, ‘Alte unnennbare Tage!’ Erinnerungen aus siebzig Lehr- und Wanderjahren (Vienna: Reichner, 1936), 70 (from the chapter entitled “Ästhetische Diskussionen an den Grenzen der Menschheit”). “Ich habe schon erwähnt, wie sehr unsere Beschäftigung mit den höheren Mannigfaltigkeiten und Raumdimensionen im Zusammenhang mit metageometrischen Phantasien, uns zu den Ideen des Astronomen Zöllner und den philosophischen Schwärmereien Fechners hingeführt hatten, zu dessen tief poetischer ‘Vergleichenden Anatomie der Engel.’” Whilst it is difficult to be definitive, there is good reason to suggest that the ‘our’ in the first sentence applied to Mahler, given Eckstein’s close affinity and interaction with intellectual and cultural circles of which the composer was a part, and especially his friendship with Mahler’s closest associate, Lipiner. Natalie Bauer-Lechner, Fragmente. Gelerntes und Gelebtes von Natalie Bauer-Lechner (Vienna: Rudolf Lechner & Sohn, 1907), 128. “Fechner, der große Physiker und Philosoph, bringt in dem Aufsatz: ‘Von der Kugelgestalt der Engel’ (unter dem Pseudonym Mises) und in seinem philosophischen Hauptwerk ‘Zend Avesta’ seine wissenschaftlich religiöse Überzeugung von der individuellen Beseelung der Gestirne aufs Lebendigste, und mit seinem Versuch, an dem Beispiel der Erde es darzutun, aufs Detaillierste zum Ausdruck.” The book collection in Philadelphia also includes Fechner’s Ueber die Seelenfrage. Ein Gang durch die sicht-

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Mahler’s general familiarity with Fechner can be found in letters,9 and from the commentaries of Paul Stefan, Bruno Walter and Ferdinand Pfohl;10 evidence of wider contemporary interest in Fechner is provided by Siegfried Lipiner, F. Fügner, Josef Breuer, Richard Kralik, Eckstein, and Bauer-Lechner.11

Romantic Irony and Fechner’s ‘Learned Satire’ Fechner’s satirical writings contributed a unique scientific-philosophical dimension to long-established traditions of ironic literary commentary and thought that stretched back to the ancient Greeks. Mahler specifically invoked Aristotelian eironeia to describe the “uncanny and ironically brooding oppressiveness” of the First Symphony’s funeralmarch movement.12 This concept, which literally means ‘dissembling’ or ‘dissimulation’, had its origins in Socratic irony, a practice consisting of dialogical questioning from a position of feigned ignorance through which the philosopher would trap his subject into error, or indeed into seeing the truth. Such a method thus served as a means of both serious philosophical investigation and satirical undermining of individuals and institutions. In the early 19th century it was Friedrich Schlegel who was principally responsible for bridging the gap between Socratic and romantic irony, observing that a vein of paradox was essential to the ironic disposition: Socratic irony is the only involuntary and yet completely deliberate dissimulation. […] In this sort of irony everything should be playful and serious, guilelessly open and deeply hidden. It originates […] in the conjunction of a perfectly instinctive and a perfectly conscious

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bare Welt, um die unsichtbare zu finden (1861), Nanna oder über das Seelenleben der Pflanzen (3rd edn., 1903), and Zend-Avesta (3rd edn., 1906). See Jeremy Barham, “Mahler the Thinker: the Books of the Alma MahlerWerfel Collection” in Barham, ed., Perspectives on Gustav Mahler (Aldershot: Ashgate, 2005), 113–4. See “Ein Glück ohne Ruh’”: Die Briefe Gustav Mahlers an Alma, ed. Henry-Louis de La Grange and Günther Weiß (Berlin: Siedler, 1995), 148, 173, 257. See Paul Stefan, Gustav Mahler. Eine Studie über Persönlichkeit und Werk (Munich: Piper, 1912), 28 and 116; Bruno Walter, Gustav Mahler, transl. L. Walter Lindt (London: Quartet Books, 1990), 117; Walter, Theme and Variations, 93; and Pfohl, Eindrücke und Erinnerungen, 20. See Lipiner, Elemente einer Erneuerung religiöser Ideen in der Gegenwart (Vienna: Hirschfeld, 1878), 14–15; Hartmut von Hartungen, “Der Dichter Siegfried Lipiner (1856–1911)” (Ph. D. diss., Ludwig-MaximiliansUniversität, Munich, 1932), 3–4; F. Fügner, “Siegfried Lipiner, ein Dichter unserer Zeit,” Blätter für Handel, Gewerbe und soziales Leben, 5 (1881): 38–9; 6: 42–5; 7: 49–51, 39 and 50; Michael Heidelberger Nature from Within. Gustav Theodor Fechner and His Psychophysical Worldview (Pittsburgh; University of Pittsburgh Press, 2004), 62; Richard Kralik, Tage und Werke. Lebenserinnerungen von Richard Kralik (Vienna: Vogelsangverlag, 1922), 60–1; Eckstein ‘Alte unnennbare Tage!’, 69, 70; and Bauer-Lechner, Fragmente, 128. Herta Blaukopf, ed., Gustav Mahler Briefe, 2nd rev. ed. (Vienna: Paul Zsolnay, 1996), 170.

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philosophy. […] It contains and arouses a feeling of indissoluble antagonism […] between the impossibility and necessity of complete communication.13

Moreover, Schlegel attaches great importance to the ability of such irony to perplex, hinting at an anti-bourgeois sentiment: It is a very good sign when the harmonious boors are at a loss about how they should react to this continuous self-parody, when they fluctuate endlessly between belief and disbelief until they get dizzy and take what is meant as a joke seriously and what is meant seriously as a joke.14

Between them, Ludwig Tieck, Jean Paul and Schlegel identify a number of features characteristic of romantic irony and ironists: control over material, critical self-parodying, willful chaos (through exploiting the seemingly fortuitous and unusual), manipulation of oppositions between form and practice, and, crucially, destruction of illusion.15 Tieck furthermore distinguishes a higher from a crude form of irony: “the irony of which I speak is not derision, mockery, persiflage […] Rather irony is the most profound seriousness, yet bound up with play and genuine joviality.”16 Jean Paul concurs, viewing true humor as elevated and self-conscious, and suggesting that whilst such romantic irony strove to transcend the finite, nevertheless – through a kind of proto-Adornian dialectical interaction of the subjective and the objective – it inevitably failed to reach the infinite: The comic itself consists in the alternating contrast of the subjective and objective principles. We have defined the objective principle as a desired infinity; this I cannot conceive and posit outside myself, but only within myself, where I ground it upon the subjective principle.17

It is through such unfulfilled striving itself, however, that the finite artwork becomes for its recipients a symbolic incitement to contemplate the infinite. A work’s meaning 13

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Friedrich Schlegel, “Critical Fragment” 108, Lyceum der schönen Kunst, 1797, cited by Schlegel in “On Incomprehensibility” [“Über die Unverständlichkeit”], Athenäum, 1800, quoted in Kathleen Wheeler, ed., German Aesthetic and Literary Criticism. The Romantic Ironists and Goethe (Cambridge: Cambridge University Press, 1984), 36. Ibid. See Wheeler, German Aesthetic and Literary Criticism and Rey Longyear, “Beethoven and Romantic Irony,” The Musical Quarterly 56/4 (1970): 647–64. Ludwig Tieck, Nachgelassene Schriften II, cited in Wheeler, German Aesthetic and Literary Criticism, 19. Jean Paul, Vorschule der Aesthetik, “On Humorous Poetry” §34 of “Humorous Subjectivity,” cited in Wheeler, German Aesthetic and Literary Criticism, 19. For a fuller account of Jean Paul’s concept of humor and its relation to music, see Mirjam Schadendorf, Humor als Formkonzept in der Musik Gustav Mahlers (Stuttgart and Weimar: J.B. Metzler, 1995).

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is contingent on its formal dynamics, and the search for this meaning is revealed as a continuous and changeable process more akin to the unending peeling of an onion’s layers than to the locating of a single seed of truth within a fruit. It is therefore the job of the romantic artist, mediated perhaps by the ‘poetic critic,’ to cultivate active aesthetic responses to an ironic work’s play with its materials, language and traditions, and to encourage from its recipients an ongoing creative engagement with inherent and inherited expectations or presuppositions. According to Fechner’s nephew and first biographer, Johannes Kuntze,18 the philosopher developed a romantic-ironic penchant for mixing serious and humorous conceptual processes in this manner from his early youth. The published pseudonymous fruits of this cognitive stance listed above took their place as part of a time-honored German tradition known as gelehrte Satire (learned satire), itself a development from the mediaeval practice of delivering humorous speeches called Quaestiones fabulosae at university ceremonies. Through stringent rational argument, and by relying on a suspension of disbelief in the principle of reductio ad absurdum, these speeches and subsequent published essays endeavored to coax the audience into mock-serious contemplation of the most preposterous propositions, finally destroying the carefully constructed illusion in a Heine-like Stimmungsbrechung. During the 18th and 19th centuries medical and theological satires appeared, for example, from the literary giant Jean Paul himself, with whom Fechner corresponded in 1825, enclosing a copy of his Stapelia Mixta. In 1752 a certain Christian Tobias Ephraim Reinhard (1719-1792) produced an investigation of whether or not Adam and Eve had navels. Known for his biting parodies and satires which ironically probed and dissected the shortcomings of obscurantism and hypocrisy, Georg Lichtenberg (1742–99) contributed to the genre with ‘On the Accents of Ancient Greek Sheep Compared With Their Newer Brothers on the Elbe: or, Concerning Beh, Beh and Bäh, Bäh, a Literary Investigation.’19 The works of Fechner that are of particular significance for Mahler’s creative disposition and for understanding the vein of conceptual-structural irony evident in the ‘Tierstück’ third movement of Symphony 3 include Vergleichende Anatomie der Engel, ‘Verkehrte Welt’ (‘An Upside-down World’, published in 1824 as part of Stapelia Mixta and included in the later 1875 compilation Kleine Schriften), and ‘Die Welt ist nicht durch ein ursprünglich schaffendes, sondern zerstörendes Princip entstanden’ (‘The 18

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Johannes Kuntze, Gustav Theodor Fechner (Dr. Mises). Ein deutsches Gelehrtenleben (Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1892), 314. In Jokes and Their Relation to the Unconscious, ed. A. Richards, transl. J. Strachey (London: Penguin Books, 1991), Freud makes copious reference to the jokes of Lichtenberg. In Vorschule der Aesthetik, Jean Paul writes: “Lichtenberg […] was […] raised by his humorous faculties higher than he really knew” (“Humorous Totality,” cited in Wheeler, German Aesthetic and Literary Criticism, 176).

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World Arose Not Through a Primal Creative Principle, but Rather Through a Destructive One’, the fourth of Vier Paradoxa from 1846, and also included in Kleine Schriften). The first and last of these were satires targeted at Hegelian conceptual structures and the speculative methods of Naturphilosophie employed by philosophers such as Schelling, in which extravagant but logically irrefutable hypotheses, derived from a priori assumptions and proceeding through inductive leaps, remained unsupported by empirical research. Vergleichende Anatomie in particular exemplified the tendency to strive for humoristische Totalität in philosophical discourse advocated by Jean Paul in his Vorschule der Aesthetik: In their burlesques, dramas, parodies, and the like, the students of the new aesthetic school show a higher comic world spirit […] Humorous totality takes many forms […] It will be expressed in any generalization from something which is strictly true only in a particular case.20

Fechner’s text uses a variety of related rhetorical techniques to argue for a series of increasingly outlandish hypotheses regarding the existence and shape of angels. The elaborate ‘proofs’ usually degenerate into absurd prolixity and successive analogies, deliberately exploiting the aporia of current scientific and philosophical methodologies through the following techniques: •

• •

• • • •

extended analogy linking the observable to the speculative, especially generalizing from minor points of similarity; in its most extreme and conceptually inverted form, reductio ad absurdum (proof of falsity) thus masquerades as necessary truth; periphrastic (circumlocutory) and pleonastic (long-winded) language and provision of examples, as excessive re-workings of the ancient rhetorical devices of exemplificatio and inventio; inverted or circular arguments known in Fechner’s work as his ‘Umkehrschritt’ and more widely as petitio principii (identical premise and conclusion, or premise based on conclusion), and specifically emphasized by Freud and Jean Paul as important ingredients in humor and literary wit;21 manipulation of logical imperative through chains of false deductive conclusions; creation and destruction of illusion; paradox and sharp, antithetical juxtaposition of concepts; conceptual parataxis whereby ideas proceed tangentially, without logical connection, or into irrelevant cul-de-sacs.

An extrapolation from the practice of inverted arguments, paradox and antithesis formed an entire sub-genre of conceptual acrobatics and cognitive contrasts, placing 20 21

“Humorous Totality,” cited in Wheeler, German Aesthetic and Literary Criticism, 175–6. Freud, Jokes, 66; Jean Paul, “Circular Wit” in Vorschule der Aesthetik, cited in Wheeler, German Aesthetic and Literary Criticism, 191.

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Fechner in a specific literary tradition that traded on inverted or at least bizarrely selfreflexive scenarios. Stapelia Mixta contains the quasi-scientific essay ‘Extrema sese tangunt,’ while Vergleichende Anatomie refers to the proverb ‘Extreme berühren sich’ (opposites meet), interestingly the same proverb with which Adorno characterizes Mahler’s music.22 The acknowledgement of multiplicity and yet the (often unfulfilled) desire to find unity within or through it, were significant contrasting preoccupations of much romantic art and its attendant critical apparatus. Fechner’s opposition between complexity of method and comic conclusion offers an example of this and of the theory of wit (much cited by Freud23) that he later employed in the Räthselbüchlein of 1850 and developed in his own Vorschule der Aesthetik,24 a work known by Mahler. The cognitive relativity of simultaneously viewing things in opposing ways not only formed the basis of Fechner’s ‘double perspective’ philosophy alluded to above, but more specifically aligned him with the literary mode verkehrte Welt. Stretching back at least to the 16th-century works of Hans Sachs (1494–1576), by the late-18th and 19th century this genre’s representatives included August Kopisch (1799–1853), Adalbert Chamisso (1781–1838), the journalist Adolf Glaßbrenner (1810–76, author of a satirical epic poem called Die verkehrte Welt, 1855), Christian Dietrich Grabbe (1801–36, whose loosely constructed drama Scherz, Satire, Ironie und tieferer Bedeutung of 1822 ironically lambasts his literary contemporaries and suggests that reality is the comic construct of an angel),25 and Tieck (whose satirical play Die verkehrte Welt (1798) reverses prologue and epilogue, seats cast members among the audience, uses musical labels such as ‘Symphonie,’ ‘Andante aus D Dur’ and ‘Pizzicato mit accompagnement der Violinen’ for the opening sections, and generally exposes the artifice of theatre in an attack on kitsch and Biedermeier sentiment). Fechner’s own essay ‘Verkehrte Welt’ from Stapelia Mixta constructs paradoxes and inversions that act as witty precursors to the serious forms of analogical argumentation much later employed to smooth over unresolvable cracks in his philosophy of nature. He envisages the extraordinary consequences of a world that is both running backwards temporally and whose social and natural hierarchies are inverted. In this world we retire to bed when we are at our liveliest and wake up tired. A blow to the head or a case of 22

23 24 25

Theodor Adorno, Mahler. A Musical Physiognomy, trans. Edmund Jephcott (Chicago: The University of Chicago Press, 1992), 17. Jokes, 106–7 and 173. Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1876, vol. 1, 221–31. The complete works of Grabbe, published in 1902, can be found in the remains of the Mahlers’ library in Philadelphia (see Barham, “Mahler the Thinker,” 75–6). That Mahler was familiar with Grabbe’s works is shown in a letter of 1903 to Alma (see Alma Mahler, Gustav Mahler. Memories and Letters, ed. Donald Mitchell and Knud Martner (London: Cardinal, 1990), 228; and ‘Ein Glück ohne Ruh’, 153.

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poisoning are life-enhancing events after which we feel better than we did previously. The graveyard becomes our birthplace and the grave-digger replaces the midwife. Eating takes place ‘a posteriori,’ and fertilizer in the fields is internally synthesized into meat and vegetables.26 Such reversals thinly and ironically mask the false unity of artistic and, for Fechner, scientific-philosophical processes that continually fail to give adequate expression to, or explanation of, things metaphysical – fail to reach the infinite. Through distortion and inversion of paradigms, aesthetic humor in Fechner aims indirectly at an elusive divine truth in a manner precariously balanced between seriousness and the distancing effect of irony. Indeed Fechner’s philosophical writings are considered by some also to be part of a long tradition in theological-philosophical thought which obscured semantic fixity and the distinction between literal and metaphorical reference through employing analogies and contradictory predication in an effort to bridge the antithetical realms of an empiricism ‘from below’ and an idealism ‘from above.’27 To summarize, the effect of Fechner’s satire rests on cognitive inversions and the ironic and exaggerated manipulation of familiar techniques of analogy, deduction and induction to provide humorous contrast with the absurd or fanciful subject matter. With such methods it is possible to ‘prove’ almost anything, and hence to prove nothing. The pretence of truth required to support the ludicrous demonstrates (in terms that were of topical relevance to Fechner) the inadequacy of a speculative Naturphilosophie compared with empirical science. More recently Adorno has drawn similar conclusions with regard to the essay as literary form: The offensive transitions in rhetoric, in which association, verbal ambiguity, and a relaxation of logical synthesis made it easy for the listener and subjugated him […] are fused in the essay with truth content. Its transitions repudiate conclusive deductions in favour of cross-connections between elements, something for which discursive logic has no place.28

The essay uses equivocations and indirection for persuasive ends, embracing contradiction and establishing scattered connections in a process that for Adorno resembles music: “the essay approaches the logic of music, that stringent and yet aconceptual art of transition, in order to appropriate for verbal language something it forfeited under 26 27

28

See Stapelia Mixta (Leipzig: L. Voss, 1824), 83–4. See Walter Gebhard, ‘Der Zusammenhang der Dinge.’ Weltgleichnis und Naturverklärung im Totalitätsbewußtsein des 19. Jahrhunderts (Tübingen: Max Niemeyer Verlag, 1984), 20–1 and 117; and Berthold Oelze, Gustav Theodor Fechner. Seele und Beseelung (Münster and New York: Waxman, 1988), 3. Theodor Adorno, “The Essay as Form,” in Notes to Literature, vol.1, ed. R. Tiedemann, transl. S.W. Nicholsen (New York: Columbia University Press, 1991), 21–2.

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the domination of discursive logic.”29 A rhetoric of conceptual indirection, diversion and dislocation is the raison d’être of Fechner’s satirical texts. He foregrounds devices such as metaphor, irony, paradox, analogy or poetic tropes to reinforce plausibility at fracture points where rationality is disconnected from inherited belief systems. It is as if the rhetorical dimension is employed to counter rhetoric itself, as if logocentrism is undermined through its own self-distortion, almost allowing the texts’ philosophical nature to collapse in on itself.

Mahler’s ‘Learned Satire’ in Form and Syntax For Adorno, “what is perceived as an ironic character in Mahler springs from a force field located in form,”30 a typically provocative but undeveloped observation which invites us to examine Mahler’s strategies of similar Fechnerian structural dismantling and syntactic dislocation during the course of the ‘Tierstück.’ Just as indirection in philosophical rhetoric, like a visual blind spot, can be the cause of confusion, misunderstandings and even hilarity, and provokes an active interpretative reaction from its recipients, so the incongruities and structural play of Mahler’s movement force a reorientation of the listener’s perspective, and incite an explanatory response which attempts to reconcile the apparently irreconcilable. The nature of this response will be discussed in the final part of this study. Given that Mahler’s Third Symphony bends most of the ‘rules’ of 19th-century symphonic structural etiquette (six movements, two parts, Adagio finale, two vocal movements), it is difficult to assess what kind of movement most of his contemporary listeners would have expected to hear after the completely antithetical juxtaposition of the opening movement’s vast maelstrom and the quasi-salon-music gestures of the following brief minuet. Mahler was under no illusions about the havoc he was wreaking. In a letter written in July 1896 to Bruno Walter, when he had begun to orchestrate the first movement (chronologically the last to be composed), he wrote of it in decidedly Schlegel-like terms: I believe that the gentlemen critics, appointed or self-appointed, will once again get fits of dizziness, but those who enjoy a good joke will find the strolls I have prepared for them very entertaining. The whole thing, unfortunately, is once again tainted with the already notorious spirit of my humor […] Sometimes the musicians also play “without showing the least 29 30

Ibid., 22. Adorno, Mahler, 30.

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consideration for one another […].” That I cannot do without trivialities is known only too well. This time, however, all permissible bounds have been passed.31

From comments made in summer 1895 and 1896, it also appears that he was thoroughly conversant with and sympathetic to the ambiguous and exalted categories of humor that contributed so fundamentally to the mindset of the early 19th-century romantic ironists: “this one [the Third Symphony] is pure humor and mirth, a great laugh at the whole world! […] people at first won’t understand or appreciate its mirth; it soars above that world of struggle and sorrow in the First and Second”;32 “Five of them [the movements] are humorous […] the humor will be least understood […] he [a friend to whom he played the fourth and fifth movements] did not grasp (as indeed only very few can) that the humor here [in the fifth movement] must aim purely for those highest realms that can no longer be conveyed by any other means.”33 Whilst revising the work in 1899 with more objective distance, he was struck anew by the third movement’s disconcerting blend of comic seriousness: In particular the Scherzo, the animal piece, is at the same time the most scurrilous and the most tragic that ever was – in the way that only music can mystically lead us from one to the other in a single about-face. This piece is just as if the whole of Nature were pulling faces and 31

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Blaukopf, Gustav Mahler Briefe, 190–1. “Ich glaube, die Herren Rezensenten engagierter und nicht engagierter Art werden wieder einige Anwandlungen von Drehkrankheit bekommen, dagegen werden Freunde eines gesunden Spaßes die Spaziergänge, die ich ihnen da bereite, sehr amüsant finden. Die Ganze ist leider wieder von dem schon so übel beleum[un]deten Geiste meines Humors angekränkelt […] Manchmal spielen die Musikanten auch, ohne einer auf den andern die geringste Rücksicht zu nehmen […] Daß es bei mir nicht ohne Trivialitäten abgehen kann, ist zur Genüge bekannt. Diesmal übersteigt es allerdings alle erlaubten Grenzen.” Gustav Mahler in den Erinnerungen von Natalie Bauer-Lechner, revised and expanded edition, ed. Herbert Killian, with notes by Knud Martner (Hamburg: Karl Dieter Wagner, 1984), 35: “denn das ist Humor und Heiterkeit, ein ungeheures Lachen über die ganze Welt! […] ihre Heiterkeit werden die Leute erst recht nicht verstehen und gelten lassen; sie schwebt noch über jener Welt des Kampfes und Schmerzes in der Ersten und Zweiten.” Ibid., 57: “Fünf sind Humor […] Wie gerade der Humor am allerwenigsten verstanden werden wird, das konnte ich aus dem Verhalten eines Freundes, dem ich’s vorspielte, entnehmen, auf den die ‘Nacht’ einen ungeheuren Eindruck machte, während er das darauffolgende Stück der ‘Engel’ als zu leicht nach solcher Schwere nicht gelten lassen wollte und dabei nicht begriff (was übrigens die wenigsten begreifen), daß der Humor hier nur für das Höchste einsetzen muß, das anders nicht mehr auszudrücken ist.” Given that Mahler goes on to describe the seventh movement as ‘What Love Tells Me,’ by the time of this comment (28 June 1896) he had evidently discarded the idea of ending the work with the earlier-planned “Das himmlische Leben” (“What the Child Tells Me”). His reference to a seven-movement work here may well indicate that he still thought of the opening movement as being in two parts: ‘Introduction: Pan Awakes’ and ‘First Movement: Summer Marches In’ (see his subsequent letter to Marschalk, 6 August 1896 in Blaukopf, Gustav Mahler Briefe, 196).

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sticking out her tongue. But there is a feeling of such gruesome panic humor in it that one is more likely to be seized by terror than laughter.34

By and large the Symphony seems to have had the desired effect on its early listeners. Critics almost universally drew attention to its musical jokes, abrupt switches of mood and musical style, and illogical formal ruptures. It was simply down to whether, like Batka and Nodnagel, they were supporters of Mahler and took such features to be signs of genius and originality, or whether, like Hirschfeld and Helm, they were detractors and vilified them as indications of paucity of imagination, bad taste or ineptitude. One reviewer of the first Viennese performance in 1904, Max Vancsa of the Neue Musikalische Presse, could not extricate himself from the tangled ambiguity of the work and his response to it, and in the process gives a convincing portrayal of the kind of ‘learned satire’ at work in the third movement as a contemporary revitalizing of earlier ironic traditions: [The Third] is quite a remarkable achievement. The work of an artist of genius that overflows with spirit and humor […] What is lacking to make him a great artist is the force and honesty of artistic conviction. […] For, in essence he is ambiguous. According to the modern style, he is deeply divided and moves in extreme regions. He has many artistic ideals and he honors them in succession, yielding to convulsive raptures as before idols, only to scoff at them and destroy them a moment later. The most fundamental trait of his being is irony, an irony that corrodes and destroys: the listener, who up to that point has given himself of his own free will and allowed himself to be led by the end of his nose, suddenly finds himself completely disillusioned and he loses the thread altogether. The artist does not believe in himself and the listener does not believe in him!35

For more recent commentators, analytical difficulties with regard to the third movement have arisen partly on account of the fact that Mahler described it to BauerLechner both as the ‘Scherzo’ (heading the movement ‘scherzando’) and as a ‘Rondo.’36 The latter designation also appears in a handwritten program note containing a thematic analysis of the second-movement Minuet.37 Henry-Louis de La Grange treats it 34

35

36 37

Ibid., 136. “Besonders das Scherzo, das Tierstück, ist das skurrilste und dazu wieder das Tragischeste, was je da war – wie ja nur die Musik von einem zum andern in einer einzigen Wendung mystisch uns führen kann. Dieses Stück ist wirklich, als ob die ganze Natur Fratzen schnitte und die Zunge herausstreckte. Aber es streckt ein so schauerlicher panischer Humor darin, daß einen mehr das Entsetzen als das Lachen dabei überkommt.” Cited in Henry-Louis de La Grange, Gustav Mahler, vol. 3, Vienna: Triumph and Disillusion (1904–1907) (New York: Oxford University Press, 1999), 73 (translation amended). See above and Erinnerungen, 64. See Donald Mitchell, Gustav Mahler. The Wunderhorn Years (Berkeley: University of California Press, 1980), 137 (facing page) and 319–20.

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as a scherzo (albeit with a complex structure), Constantin Floros as rondo-like, and Friedhelm Krummacher has attempted to address the ambiguity by categorizing the movement as a hybrid sonata-rondo form.38 There are problems with all of these approaches. The strong emphasis on linear, episodic concatenation of ideas and on intense elaboration of material generates stresses that the closed scherzo-and-trio form cannot contain. The expansive Scherzo in Beethoven’s Ninth, with its momentary insertion of trio material into the coda as if the alternating process were unstoppable, and its subsequent abrupt dismissal of this material in the final three measures of octave leaps, no doubt provided something of a model for Mahler’s movement and its dramatic interventions near the close. Indeed Mahler considered his beloved Beethoven to be the true founder of musical humor: “What humor there is in his C major Symphony and the ‘Pastoral’! People misunderstood this; in fact they took it so amiss that it was these very works that found acceptance most difficult.”39 But what is crucially missing from the 9th Symphony model are the strophic implications of song which subtly infiltrate Mahler’s thinking and cause tension in the movement between static repetition and mobile development. On the face of it, the more episodic rondo formal category would seem to chime more closely with notions of satirical contrast and opposition. However, Mahler appears to turn this structural process inside out by rendering the expected return of refrain material ever-more unstable and prone to fragmentation or dissolution: the rondo framework is thus gradually dissolved through an anti-logic of development-as-destruction. Although sonata-rondo forms are historically more open and malleable, Krummacher’s plan also unravels in the face of this anti-logic of increasing destabilization and fraying of identities which begins very early on with the disintegration of the pastoral thematic idea from measure 83, and continues throughout the movement, disregarding rigid formal boundaries by reaching a peak of dissolution and juxtaposition in what Krummacher identifies as the ‘reprise’ (from m. 347). His plan is also compelled simply to include the first posthorn section as part of the development, and to relegate the second posthorn episode (mm. 484–528) to the coda, which seems to belie its structural significance as agent of delay and suspension. The absence of tonal contrast within the ‘exposition’ and between its refrain and couplet also tends to undermine the validity of this formal model.

38

39

De La Grange, Mahler. Volume One (London: Victor Gollancz, 1976), 804–6; Constantin Floros, Gustav Mahler. The Symphonies, transl. V. Wicker (Aldershot: Scolar Press, 1993), 99–203; and Friedhelm Krummacher, Gustav Mahlers III. Symphonie. Welt im Widerbild (Kassel: Bärenreiter, 1991), 105. Erinnerungen, 199: “In seiner C-Dur-Symphonie und der ‘Pastorale’: welcher Humor ist darin! Den haben sie ihm auch schlecht verstanden, ja so übel genommen, daß gerade diese Werke am schwersten Eingang fanden.”

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Indeed the very problem of ‘applying’ formal models to music and adhering to conventional nomenclature is foregrounded with this movement. The three paradigms suggested only have use if thought of as possessing an Adornian ‘negative presence’ with which the actual movement has a dialectic, subversive relation. Even then, this offers no more than a starting point since it fails to capture the music’s fluid disintegrating processes or what Inna Barssowa calls “polyfunctionality” and “multi-dimensional division of form into several structural levels.”40 As Ligeti observed: “Mahler’s forms resemble the refraction of light, reflected so often by itself, that a complete dissolution of form results.”41 If this is so, a different approach is needed in order to do justice to what Mahler is doing here. I suggest that at various points during its course the movement is engaging with differing or overlapping formal impulses, and that it is the prevailing dynamics of syntactical progression that are subjected to, and thus both exhibit and resist, the pressures of this engagement. Such a ‘bottom-up’ or empirical perspective reveals process (here primarily one of indirection) to be the raison d’être of the movement. This process is disintegrative, even seditious, in the face of universalizing bourgeois musical pressures, suggesting a satire not just on closed forms but also on the possibility of successfully combining strophic succession or Reihungsform (here inverted into extreme juxtaposition) with organic development or logische Form /Entwicklungsform (here inverted into directionless elaboration or wanton destruction). An examination of these events of syntactic indirection illuminates the conflicting structural impulses at work in the movement. Functional ambiguity of material is apparent very early on in the movement. Like the dissimulating purveyor of Socratic irony, the opening melody of stylised birdsong begun by the piccolo in m. 5 is faux-naif. The simplicity of its mostly stepwise pitch gestures and oom-pah accompaniment suggests a childlike rhyming-song genre, while its uneven length (11 measures) and lopsided phrase structure suggest artful manipulation. The insertion of repeated measures (6–7 and 12–13), the three-measure extension of the oscillating semiquaver figure (9–11), and the augmented chords of mm. 12–13 are all as-yet modest signs of comic excess, embryonic seeds of subversion that at this point gently extrude into the prevailing pastoral mode. On a more subtle level, the shifting primary and secondary roles assigned to the initial clarinet bird call (from 40

41

Inna Barssowa, “Zum Formproblem bei Gustav Mahler,” in Steffen Lieberwirth, ed., Gustav Mahler. Leben. Werk. Interpretation. Rezeption. Internationales Gewandhaus-Symposium 1985 (Leipzig: Peters, 1990), 53–6; quotation on page 55. György Ligeti and Clytus Gottwald, “Gustav Mahler und die musikalische Utopie. I. Musik und Raum – Ein Gespräch zwischen Györgi Ligeti und Clytus Gottwald,” Neue Zeitschrift für Musik 135/1 (1974): 7–11; quotation on page 11. “Mahlers Formen gleichen einer Lichtbrechung, so oft mit sich selbst reflektiert, daß es zu einer totalen Auflösung der Form kommt.”

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m. 3) and staccato motif (mm. 16–17) are a foretaste of significant subsequent developments in the fluid hierarchical positioning of material and the structural repercussions of this. The first of these ideas starts as secondary chirping accompaniment, then shifts to become a primary thematic consequent of the opening piccolo phrase (mm. 18–19) and then an ambiguously positioned isolated melodic fragment without its former antecedent (mm. 28–29). The staccato motive shifts from being an accompanimental figure to being a prominent cross-phrased closing motive of great future importance (mm. 19–23 and 29–33). The positing of musical ideas marked by uniform style and texture only for them to be dismantled (and at times reassembled) is fundamental to the movement’s process of ‘creativity in destruction.’ This, too, happens early on in the movement. In measure 69 the rustic second thematic idea is presented in bright C major and 6/8. Intrusive trills in high woodwind and strings in measure 83 herald a startling, unsustainable intensification of this material in several directions: •

• •

rapid and disconnected harmonic ‘progressions’ through chromatically inflected chords of C major, Ab major (89), E maj, Db major (90), dim 7th on F# (91), C major, Ab major (92), dom. 7th of D (93), Db major, and Gb major (94), all over a pedal G; increased textural and rhythmic intensity with semiquaver sextuplet groupings in upper strings and isolated repetitions in woodwind (89–96); intense chromaticization from m. 95, which, combined with circling, repeating figuration, forms a musical cul-de-sac along which the inability to proceed further leads to an immediate ‘aboutface’ to previous diatonic stability in m. 101.

This reversal occurs as if the preceding measures had not happened, implying that such sophistry serves no structural end. Thus, having set up an initial musical ‘hypothesis’ of rustic diatonicism that could fit well as either the secondary theme of a scherzo opening section, the first episode of a rondo, or a sonata second subject, Mahler places its identity and structural function in question, leading us to expect but denying us continuity and coherence, and at the same time signalling that an exploratory, integrative notion of development is likely to be inverted into dysfunctional collapse in this music. Indeed a model of the larger process of the movement is presented here in miniature: moments of return are not what they seem, the seemingly insignificant emerges unexpectedly to assume structural agency, and whenever continuity threatens, varied forms of dissipation or dismissal intervene. For example, the ‘return’ of the opening childlike birdsong in measure 121 is internally expanded through an immediate increase in the sophistication of contrapuntal and motivic activity, revealing its inherent Unechtheit. At measure 132 it departs from the path of the original material, digressing into variants, counter-themes, additional

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tail motives (especially to the cross-phrased theme referred to above), elevation of previously innocuous ideas (dotted rhythm in clarinet, m. 140), and harmonic mazes (from m. 148: chromatically compromised Ab major, slide to C major, implications of E minor, slide to Eb major alternating with Eb minor), in a way which does not sit comfortably with formal paradigms. The subtle emergence of a new motive at the very onset of this digression (m. 132 in cello) is significant. An almost identical melody would appear a year later as the principal accompanimental and vocal theme of the Wunderhorn song ‘Lob des hohen Verstands.’ This song (whose original title ‘Lob der Kritik’ gives a clearer indication of Mahler’s satirical target and in turn invites a deeper interpretative exploration of the symphonic movement) is something of a sister piece to both this movement and its Wunderhorn song source ‘Ablösung im Sommer’: where the latter describes the cycle of nature in which the cuckoo falls to his death and the woodland birdsong is taken over by the ‘sweet and lovely nightingale,’ ‘Lob des hohen Verstands’ relates the comic parable of a singing competition between nightingale and cuckoo, judged by the large-eared but small-brained donkey who declares the cuckoo’s simple ‘thirds, fourths and fifths’ and ‘strictest measure’ to be victorious over the nightingale’s bewildering complexities. Indeed the structural dynamics of the Symphonic movement seem to a significant extent to derive from its pivoting between the former’s fairy tale and the latter’s satire, balancing on a precarious knife-edge of the slight and the profound, the outwardly frivolous and inwardly serious nature of ironic discourse embodied by these surrounding vocal pieces. In addition to the melody, ‘Lob des hohen Verstands’ borrows the Symphonic movement’s falling-3rd cuckoo calls (flute mm. 28–9), plummeting donkey bray (1st violin mm. 62–6) – the latter absent from ‘Ablösung’ – and phrase lengths made awkward by the insertion of internal repetitions. Notably the melody reappears later in the movement at points when order mistakenly or all-too fleetingly seems to be being reasserted: at measure 176 after the comic dismissive gesture sweeps away chaos, and measure 370 just before the uninhibited ‘Lustig’ polka takes off.42 Eventually marked by redundantly circling repeated figures just like the previous breakdown, the increasingly unworkable digression (mm. 132–71), then, is this time ostentatiously dismissed by a coarse, brass-dominated downward-sweeping scalic gesture (mm. 172–5) – a great laugh at the idea that we could have taken the digression seriously. Here we have an early foretaste of the highly destructive, comic-serious effect of the movement’s closing section, a musicalization of Fechner’s Stimmungsbrechung 42

The same melodic idea would reappear six years later at the opening of the Fifth Symphony finale, another movement characterized by the contrast between sophisticated counterpoint (in this case ‘learned’ fugal episodes) and ingenuous material.

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and Jean Paul’s ‘annihilating humor’ with its “fondness […] for the emptiest conclusions.”43 Jean Paul is known to have been influenced by the 18th-century ironies of Lawrence Sterne’s Tristram Shandy which, along with his own novels Siebenkäs and Flegeljahre, was a comic favorite of Mahler’s.44 Jean Paul praises Sterne and Tieck for their tendency to destroy illusion (Illusionsstörung): “Sterne several times speaks lengthily and reflectively about certain incidents, until in the end he concludes: ‘All the same, ‘tis not a word of it true.’”45 It is now less clear than ever where in any putative structure we might have reached, and the confusion is perhaps not dispelled until the onset of the posthorn idyll at measure 256. At the point where we might expect to hear the cross-phrased C-major melody from measure 37 (that of ‘Mrs Nightingale’ in ‘Ablösung im Sommer’) after the digression, it does not appear. Instead we have yet more digression involving the melody’s accompaniment, skeletal thematic outlines and additional chromatic lines. In a continuous circling of the music between a half-remembered simplicity and its violation, even the ‘return’ to relative plainness at measure 199 is misleading, since in a syntactical tour de force of rapid promotion the barely noticeable, single-measure descending violin scale from measure 135 now perversely assumes center stage as another structural scene-changing element (mm. 204–210), dismissing any pretence of order in favor of further intense distortion of the C-major rustic material from measures 69–120. This time, as well as chromaticism, the distortion comprises triplet against straight semiquaver antagonism – a conflict that proves to be one of the movement’s central battlegrounds – and yet again we are led into breakdown via directionless repeated figures. Now with typical incongruity, the ‘return that never was’ of opening material in measure 121 itself returns in measure 229 to form a dissipating transition leading to the first posthorn section. Mahler thus inverts structural functions on yet another level: normalizing instability as sense of return. A comparison between these two passages (mm. 121–37 and 229–55) reveals the paradox that recurrence, digression and dissolution are closely interconnected procedures in the composer’s idiolect. In the same way that Fechner employs deceptive leaps of induction and chains of false conclusions (reductio ad absurdum masquerading as necessary truth), Mahler exploits the ambivalence between a forced complexity of musical ‘argument’ and its underlying lack of ‘logical imperative,’ and the result is a spiraling and degenerating absurdity. When we no longer know the difference between stability and instability, when disso43

44 45

§33 of “The Annihilating or Infinite Idea of Humour,” Vorschule der Aesthetik, cited in Wheeler, German Aesthetic and Literary Criticism, 178. See Walter, Gustav Mahler, 119. Cited in Wheeler, German Aesthetic and Literary Criticism, 178.

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lution is reified as solidity, then the composer has succeeded in redefining, in turning upside down, the very fabric of musical continuity and intelligibility. The posthorn section certainly acts as a foil to all that precedes it, encouraging us to view it as some kind of ‘trio’ to the opening scherzo. It could also conceivably be taken as a central episode of a rondo structure, although its role in a sonata construction is far less amenable to explanation. However, its intrusiveness and its incompatibility with the movement’s surrounding material – attributable to the very fact of its inner coherence and stability – mean that, despite itself, it causes structural difficulties that the movement cannot easily accommodate. It is the perfectly formed pearl within a sea of grit: in other words it represents the impossibly inverse, the entirely mythic in Nature. In its nostalgic allusions to a world of symmetrical phrasing, controlled harmonic voice-leading, and unchanging sonority, its paradoxical quality is magnified: if, according to Mahler’s own suggestion,46 this is the world of the human postillion, it appears decidedly facile and naïve in comparison with the surrounding complexity with which, like oil in water, it cannot blend. It is as if the ironist/satirist has soothed us into believing in an implausible and unattainable utopia where no problem, no irregularity need be acknowledged, far less addressed. It could be argued that the scherzo material is, for a mere eight measures (285–92), seduced, calmed and regularized by the spell that has been cast, although nothing further seems to come of this short segment of round dance. Just as we are becoming convinced, the trickery abruptly, though quietly, returns (m. 310) in an underhand attempt to disabuse us of our foolishness: again ‘learned’ elaboration of the cross-phrased motive, in a chromaticized F major-minor and with a filigree of accompanying figures, masquerades as stable return, employing antithesis with the posthorn material on every level – harmony, texture, mode (diatonic-chromatic), instrumentation and tempo. The allure of the dream is such, however, that it takes a second ‘return,’ even more spectral than the last, finally to dispel it at measure 347, labeled ‘reprise’ by Krummacher but neither in the tonic key nor containing an unequivocal thematic statement. After the remote and controlled idyll, the movement’s aesthetic of anti-logic returns with a vengeance, unfolding in a series of increasingly feral excursions (‘Lustig’ from m. 374, ‘Grob!’ from m. 432) that disdain the idyll’s pretence of facile coherence, as they take material and processes from measures 121–255 to even greater levels of chaotic intensity in a parataxis of musical ideas. The contrapuntal interplay and changing hierarchical roles of themes, motives and figures are virtuosic, as polka (m. 374) leads to 46

See Ernst Decsey, “Stunden mit Mahler,” Die Musik 10/18 (1911): 352–6; 10/21: 143–53; reference on page 356; English translation in Norman Lebrecht, ed., Mahler Remembered (London: Faber & Faber, 1987), 257.

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musette (m. 402), both are swept away by a repeat of the descending dismissive gesture in the brass (mm. 430–1), and the climactic metrical showdown between triplets and straight semiquavers matches this dismissal with an even more forceful rebuttal of its own (from m. 432). The triplets, which had always had the subversive edge since the Eb clarinet’s interpolation in measures 12–13 (‘Kukuk ist tot! Kukuk ist tot’ in the source song) win out, but have gathered such momentum that a powerful and ingenious act of logical manipulation will be needed to bring to an end their degeneration into the aporia of persistent directionless repetition from measure 454. This is supplied by a remarkable inversion of the circle of fifths, one of the most logical patterns in tonal music (mm. 460–2), colored by whole-tone suggestions: B – F# (Gb) – Db7 – Ab with raised 5th – Eb7 with raised 5th, linking with the shift to a prolonged dim 7th on Ab. At this stage in the movement a simple reversion to rustic diatonicism of the type that occurred in measure 101 after a similar musical blockage is out of the question, since the very topic of pastoral coherence has been invalidated as if propositionally false. Chromatic katabasis, then, leads to a truncated posthorn section which pays lip-service to rondo symmetry but adds confusion to scherzo and sonata/rondo schemata, and is able to do little to restore order, merely echoing lost and false paradises. If, as Peter Franklin and Hans-Heinrich Eggebrecht suggest,47 the animals momentarily dance to the posthorn’s tune (‘Wie Nachhorchend!’) at measure 498, they do so in the futile sense of the fish ‘listening’ to St Antony of Padua’s sermon in the Wunderhorn song from 1893 (and moreover as a similar allegory of the follies of humankind). For the Dionysian world of brute natural calamity with which Mahler was so keen to associate himself and this Symphony48 crashes in after the protracted closure of the posthorn, whose own ability to reassure diminishes the longer the arrival on the tonic is forlornly stretched out. The innocent background chirping of the clarinet from measure 3 now achieves its cacophonous apotheosis (mm. 529–40) as its directionless repetition is set loose from all quarters, revealing the true power of blind instinct. Taken at face value, the destructive energy of Nature revolting against the possibility of human control is mustered in a massive Adornian breakthrough of Eb minor (m. 541) and in a final transformation of woodwind chirp into brass roar (mm. 545–8). The insignificant has finally been invested with significance and grandeur – the last step in constructing a ‘verkehrte Welt,’ except that this transpires to be something of a double bluff. Before discussing the last 33 measures of the movement, let us look at the revelatory conclusion of Fechner’s Vergleichende Anatomie. After elaborate argumentation in 47

48

Peter Franklin, Mahler. Symphony No. 3 (Cambridge: Cambridge University Press, 1991), 64; Hans-Heinrich Eggebrecht, Die Musik Gustav Mahlers (Munich: Piper, 1982), 194. See Blaukopf, Gustav Mahler Briefe, 202–3.

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‘support’ of six hypotheses (such as angels have no legs, they communicate through light, they are living planets, and are spherical in shape), he writes: My creatures have been angels, eyes, planets and have finally transformed themselves into bubbles of vapor which, as I realize now, have merely been created in the watery moisture of my eyes caused by the strain of gazing into the sun, giving me only the optical illusion of viewing them objectively. And as they have now burst, so I realize the thread of my observations has suddenly been broken.49

This comic dénouement is attached almost casually to the final hypothesis and in a brief crushing moment dismisses all that has gone before as the product of satirical imagination, destroying the carefully constructed illusion, and allowing us at last to halt our suspension of disbelief. The agent of destruction is the relatively insignificant idea linking the consistency of angels with soap bubbles which had been fleetingly mentioned in the second hypothesis.50 The final word of Mahler’s movement fulfils a similar function: a short but disproportionately inflated conclusion a) immediately preceded by slow horn calls reminiscent of posthorn material (mm. 552–6, emerging from the ‘brass roar’); b) beginning with fragments of the same (compare horns, trumpets and trombones, mm. 557–66 with mm. 256–62, 281–4, 306–9, 340–3, 474–86, 494–5) leading to the trumpet’s energetic appropriation of posthorn melody, the 2/4 triplets standing in for the original 6/8 (compare trumpets mm. 563–6, with posthorn mm. 264–5, 266–7, 293–4, 324–5, 326–7, 488–90); and c) arrived at in glib harmonic fashion (the Eb intrusion simply slips down via Db to C in mm. 547–57, descending movement in parallel triads that aggrandizes the somewhat clumsily archaic earlier use of the identical technique in mm. 29–33 at the end of the opening faux-naif section).

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50

Fechner [Dr. Mises], “The Comparative Anatomy of Angels. A Sketch,” transl. H. Corbett and M. Marshall, Journal of the History of the Behavioural Sciences 5 (1969): 135–51; quotation on page 151. “Da nun also meine Geschöpfe, nachdem sie Engel, Augen, Planeten gewesen sind, zuletzt sich in Dunstblasen verwandelt haben, die, wie ich jetzt bemerke, blos durch die Anstrengung meines Auges beim Sehen in die Sonne in der wäßrigen Feuchtigkeit meiner eignen Augenkammer entstanden, und mir nur den optischen Schein erregten, ich sehe sie objectiv, und da dieselben so eben zerplatzt sind, so sehe ich hiemit den Faden meiner Beobachtungen plötzlich abgerissen.” Ibid., 143.

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This conclusion encapsulates the incongruity between process and material, forcing us to question all sense of seriousness. Now the circling repetition of motivic fragments, which hitherto had been combined with harmonic instability and had signaled imminent collapse, is clothed in harmonic stability evidently to celebrate such artifice and recalibrate it as a phantom menace. The movement’s fundamentally unworkable opposition between ‘inappropriate’ elaboration and base material is finally revealed or confirmed to be one huge joke, as the cross-phrased theme is manically reiterated, broken up and tossed between major and minor (the seed of which was innocuously planted all the way back in mm. 52–4). Triumphalism of closure is thus presented as the sibling of, as even dependent on, motivic dissolution in the ultimate expression of an ‘annihilating humor’ that disturbingly lays bare the fiction of thematic wholeness while playfully exposing the very artifice of fragmentation, in a blackly humorous hyperbolic sanctioning of the music’s lack of structural teleology. That posthorn material also seems to be implicated at this point increases the disorientation and the duplicitous sense of Illusionsstörung. The problem of formal coherence and closure identified in Mahler’s music so often by Adorno is therefore ‘resolved’ here by the dictate of ironic necessity.

Possibilities and Limits of Interpretation Mahler takes deceptive folk-like material and toys with it, often distorting it beyond recognition before dismissing it or negating the distortion through absurd reaffirmation of its naïve character as if to discredit the very process of sophistication. These disruptive processes take the form of intense surface accretions on a relatively simple harmonic substructure strongly oriented around C minor and F major/minor. This, together with the proliferation of variants and additional countermelodies, reflects the paradox of ‘unity in multiplicity’ intrinsic to romantic irony and to Fechner’s humorous enfolding of heterogeneity and contradiction. In Mahler’s dialogue with inherited formal paradigms and his listeners’ expectations, the ‘simulated’ naivety of base material ‘engenders’ misguided and ultimately unsuccessful attempts at over-elaboration, propelled all the more strongly by the unreflective insertion of the posthorn’s presumption of serenity into the structural proceedings. Similarly, Fechner employs the destructive effects of intentionally incompatible sophistication in a philosophical argument that subverts the apparently indissoluble conceptual synthesis embodied in language’s enchainment to propositions. For Fechner’s usurping of the power of logic, read Mahler’s inversion of the logic of development and structural identity. But Fechner’s jokes had the ultimately serious purpose of expressing concern about the contemporary

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rise of materialism, the decline in spiritual values and the inability of the methods of Naturphilosophie (to whose increasingly outmoded ideas he nevertheless continued to cling) to counter these. If Mahler’s process is a syntax of romantic-ironic discourse by which he, like Fechner, holds up a Jean-Paul-like distorting mirror to his reality, how can this be semantically recovered? Given the lingering echoes of the posthorn, and its apparent co-option even by the annihilating coda, the question of whether the target of Mahler’s satire is on the one hand the unreflective naivety of folk-like material (for which read rural culture in general) and unbidden quietude (for which read transcendent spirituality) as false or too-glib utopia, or on the other hand the sophisticated methods of his own ‘high-art’ aesthetic turned to destructive ends as technical alienation from this genuinely cherished paradise, is worth exploring. In the face of creeping industrialization, Theodor Adorno diagnoses a similar state of affairs in contemporary poetry: Nature poetry is passé not only because it is losing its subject matter, but also because its truth content is vanishing. This helps explain the anorganic features of the poetry of Beckett and Paul Celan. Their poetry neither harks back nostalgically to nature nor […] sides with industrialization whose integrating tendencies are a constant invitation for false poetic paeans and lyrical peace-making with an agonal world. Art’s ability to incorporate undespoiled nature […] has been lost, and so has the ability to incorporate industry which has despoiled nature.51

Whilst Mahler may not have traveled as far down this path, his stylized and distorted play with genres and conventions reveals the increasing artificiality and irony of the fin-de-siècle’s relationship with the ideals of romanticism. The quandary is deepened by responses to a prima facie reading of Mahler’s program as a dialogue between the human realm of the posthorn and the surrounding humorous nature of the animal world. It is an undeniable paradox that the naïve posthorn music is associated with humankind and the increasingly elaborate treatment of other material with brute animals. Indeed the supreme irony of Mahler’s use of an apparently gentle posthorn with its latent threatening hunting-horn connotations52 becomes evident, particularly in light of the folk pictures ‘Des Jägers Hoch51 52

Theodor Adorno, Aesthetic Theory, transl. C. Lenhardt (London: Routledge & Kegan Paul, 1984), 311–12. As Mary Rasmussen points out with reference to Georg Rollenhagen’s Der Post Reutter (1590), “the late sixteenth-century posthorn was about the same as its contemporary, the small, rather deep, half-circular hunting horn” (review of Albert Hiller, Das grosse Buch vom Posthorn (Wilhemshaven: Heinrichshofen’s Verlag, 1985), Music & Letters, 75/2 (May 1994): 263–64; quotation on page 263). Further iconographical and historical evidence of this is given in Eugen Brixel, “Das Signalwesen der Postillione in Österreich, Ungarn,” Studia Musicologica Academiae Scientiarum Hungaricae 32/1/4 (1990): 347–82, where it is observed that, even when this archaic shape gave way during the 17th century to the coiled form of posthorn, it was listed

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Example 1: Three versions of the folk picture ‘Des Jägers Hochzeitsfest’: a) 1840 wood engraving

zeitsfest’ and ‘Des Jägers Wiedererwachen,’ companion pieces to ‘Des Jägers Begräbnis’ (or ‘Des Jägers Leichenbegängnis/Grab/Leichenzug’) which provided inspiration for the thirdmovement funeral march of Symphony No. 1.53 Versions of ‘Des Jägers Hochzeitsfest,’ showing animals gleefully playing music and dancing awkwardly in human posture during a brief period of respite from the threat continually imposed upon them (a deer’s head adorns the front of the house in the first example), while the huntsman celebrates at his wedding table – “oxen with linked hoofs dancing triumphal rounds” as Adorno puts it54 – are shown in Example 1, while in ‘Des Jägers Wiedererwachen’ the animals flee in shock and consternation as the huntsman rises from his coffin, gun in hand and hunting horn hanging from his belt (Example 2).

53

54

in the works of Marin Mersenne (Traité de l’Harmonie universelle, Paris 1627) and Michael Praetorius (Syntagma musicum II. (Theatrum Instrumentorum), Wittenberg, 1620) under the name “Jägertrummet,” no doubt on account of marked similarities of construction, and altered very little over the next 250 years (see Brixel, 363–4). Related in a letter to Max Marschalk in March 1896, during his creative involvement with the Third Symphony; see Blaukopf, Gustav Mahler Briefe, 170. Adorno, Mahler, 8. Adorno interprets this as a “menacing rhythm” that “prophetically mocks the thin fragility of culture.”

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b) Late 19 th-century lithograph

c) Late 19 th-century print

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Example 2: ‘Des Jägers Wiedererwachen’, mid-19 th-century print

If this line of thought is pursued, the music’s structure suggests the kind of Fechnerian inversion discussed in relation to his ‘Verkehrte Welt.’ Here he imagines the scenario of tailors, cloth makers and wool merchants all working together to turn a new jacket into clothing for sheep which the sheep shearer then attaches on to the animal: “thus it would seem that in all things mankind is the servant of animals; and instead of him just seizing from them everything for himself, they seize for themselves everything from mankind.”55 This satire of the human condition calls to mind the distorting mirror and mock tones of the bestiary and beast-epic traditions, originating in the pre-Socratic works of Aesop (whose fables Socrates versified whilst in prison), in which humans and animals trade places or at least animals are attributed with human characteristics. Mahler himself corroborates such a view in a comment made to Bauer-Lechner in June 1896 in which he associated the work, albeit specifically the first movement, with “satyrs and other such rough creatures of nature”56 – satyrs being half-bestial woodland spirits of an ambiguous mischievous/amorous disposition. In December 1900-January 1901, he suggested more explicitly: 55

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Stapelia Mixta, 85. “[…] so würde es in allen Stücken gehen, daß der Mensch nur als Diener des Thieres erschiene, und, statt daß er jetzt von diesem Alles an sich reißt, dieß alles vom Menschen an sich risse.” Erinnerungen, “Satyrn und derlei derbe Naturgesellen,” 56.

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They [presumably critics] do not understand my works because so much of the animals comes to the fore in them, giving rise to that kind of humor which comes from watching creatures belonging to a lower sphere, while we quite spontaneously apply the standards and pretensions of our level.57

Beyond viewing the goal-frustrated ‘scherzo’ material as a metaphor for the lack of full consciousness and foresight in animals, as suggested by David Greene,58 a more fruitful approach would be to consider the movement’s musical processes, anthropomorphized like their literary equivalents, as a metaphor for the human conflict between instinct and reason, and for the dangerous combination of intellect with lack of ethical self-awareness. Such qualities of the ‘knowing animal’ (wissend Tier) were attributed in poetic form to Kain by Siegfried Lipiner in the final nocturnal scene of his drama Adam. In the wilderness, the conscience-ridden Kain addresses Adam: Softly the wolf creeps up, to fetch its friend. Then it dances silently around you. Do you tremble? Yes, silent in its darkness the night tells what the day may not know. Night-friend of wolves! And do you not wish to commend the wolf that rises up gloriously in your son? […] In truth I think that only those who do not know what is good and evil are good […] How I hate you! You gave me knowledge. What am I now? I am a knowing animal.59

Lipiner made plans during the 1890s for the vast dramatic trilogy entitled Christus to which Adam was to have been the prelude, and discussed his work in great depth with Mahler in summer 1896 only days after the completion of the Third Symphony.60 In letters Mahler praised the work for its Dionysian qualities and closeness to his aesthetic,61 notably describing his view of the animalistic qualities of ancient Dionysian cults and their relation to Lipiner’s work: “It seems to me by the way that for the 57

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Bauer-Lechner, typed transcript of manuscript entitled Mahleriana, housed in the collection of Henry-Louis de La Grange, Mediathèque Gustav Mahler, Paris. “Sie verstehen meine Werke auch darum nicht, weil so viel von den Tieren darin vorkommt, wobei sich jener Humor ergibt, der aus Betrachtung von Wesen, die einer tieferen Sphäre angehören, hervorgeht, indem wir Maßstab und Prätensionen unserer Stufe doch unwillkürlich anlegen.” David Greene, Mahler, Consciousness and Temporality (New York: Gordon & Breach, 1984), 164. Lipiner, Adam, Ein Vorspiel. Hippolytos, Tragödie (Stuttgart: W. Spemann, 1913), 74–5. “Auf weichen Sohlen/Schleicht an der Wolf, den Freund zu holen,/Dann tanzen schweigend sie um dich die Runde. /Zuckst du? Ja, stumm in ihren Finsternissen/Erzählt die Nacht, was nicht der Tag darf wissen./Nachtfreund der Wölfe! und du willst nicht loben/Den Wolf, der herrlich sich ihm Sohn erhoben? […] Fürwahr, mich dünkt, gut sind nur sie,/Sie, die nicht wissen, was Bös und Gut. […] Wie hass’ ich dich! Das Wissen gabst du mir–/Was bin ich nun? ich bin ein wissend Tier.” See Erinnerungen, 68. See Blaukopf, Gustav Mahler Briefe, 263–5 and 272–3; and Knud Martner, ed., Selected Letters of Gustav Mahler, transl. Eithne Wilkins and Ernst Kaiser (London: Faber & Faber, 1979), 239.

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ancients, Dionysus took the form of instinct in the same grandiose-mystical sense in which you understand it! There too, those affected are irresistibly driven towards the animals with whom they become one.”62 In Lipiner’s drama Abel idealistically and blissfully embraces the instinctual innocence and amorality of the animal kingdom, briefly finding the path back to the lost serenity of the garden. Joyless Kain, on the other hand, abhors animals for their uncleanness and moral ignorance, is weighed down with consciousness of man’s sins and alienated from God. Abel embodies the naïve immediacy of a form of existence whose metaphysical preconditions no longer exist due to original sin; fully aware of this situation, Kain cannot achieve redemption and reintegration with a cosmic world order due to overpowering guilt and doubt, and is driven to fratricide. Applied to Mahler’s music, the ‘scherzo’ material and its treatment might be seen to stand for the blissfully innocent, chaotic world of animalistic human impulse, or, in its stylization and dissolution, for the technocratic alienation of human self-consciousness which propels such utopian visions to ultimate doom. The posthorn sections might stand for the desired reconciliation of man and the world, or (in their usurping and overburdened, unreflective nostalgia) for the inherent metaphysical impossibilities of a false utopia involving regression to a prelapsarian state. Abel’s naïve quest for the consoling unity of all beings is violently destroyed by Kain in a jealous frenzy. What Abel innocently embraced ironically turns against him as uncontrolled impulse overcomes his brother and the animals eventually even tear Adam to pieces. Mahler’s movement might be said to share with Lipiner’s mystery play the notion of untamed disruptive forces, always embedded in the instinctual ‘innocence’ of the opening material, that finally grow to overwhelm that material and the posthorn’s attempt to recapture its ‘innocence.’ The search for reconciliation and wholeness fails both through the tendency of unchecked Nature to contain the seeds of its own destruction, and through the artificial self-conscious desire for an unrecoverable past being too weak to resist the onslaught of the same destructive forces. According to such a reading, it would be the task of the remaining movements of the Symphony to attain this level of integration. Adorno interprets the movement’s juxtaposition of contradictory musical idioms as a similar broad allegory of impossible reconciliation with Nature: For him [Mahler], as in Kafka’s fables, the animal realm is the human world as it would appear from the standpoint of redemption, which natural history itself precludes. The fairy62

Blaukopf, Gustav Mahler Briefe, 264. “Mir scheint es übrigens, daß die Gestalt des Dionysos bei den Alten eben der Trieb war, in diesem mystisch-grandiosen Sinn, wie Du ihn erfaßt! Auch dort treibt es die Ergriffenen hinaus zu den Tieren, mit denen sie eins werden.”

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tale tone in Mahler is awakened by the resemblance of animal and man. At once desolate and consoling, nature grown aware of itself casts off the superstition of the absolute difference between them. However, until Mahler autonomous art-music went in the opposite direction […] Its integral oneness abolished multiplicity […] It preserved the image of happiness only by proscribing it. In Mahler, it begins to rebel, seeks to make peace with nature, and yet must forever enforce the old interdiction.63

Such an interpretation ultimately implies the sociological impossibility of finding the solution to the human predicament by retreating into a feigned innocence because of the pretence and calculation involved in attempting to retrieve what is lost. But where is the humor in all this? The earnest Adornian bubble itself needs pricking if the real aesthetic experience of this music’s bizarre rhetoric of indirection is to be adequately recognized alongside its serious dialectical other. The self-conscious and self-critical attitude of romantic irony and ‘learned satire,’ and their comic-serious ambivalence, are reflected in Mahler’s description of the broader context of artistic creation: We probably derive all the original rhythms and themes from Nature which already offers them to us, full of significance, in every animal noise. Indeed man, and the artist in particular, takes all his material and all his forms from the world that surrounds him, in a quite different, broader sense, to be sure. It may be that he finds himself in harmonious and happy accord with Nature, or places himself in painfully suffering or adversely negative opposition to her. It may be that from a superior vantage point in humor and irony he seeks to have done with her: from this, in the strictest sense, the foundations are laid for the beautifully sublime, the sentimental, the tragic and the humorously ironic styles in art.64

This, in essence, is Mahler’s concept of higher humor through which he is connected backwards to the literary generations of Sterne and of Tieck, Jean Paul, Fechner and Heine, and forwards to Nietzsche, Kafka and even Orwell and Ionesco.65 Adorno sug63 64

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Adorno, Mahler, 9 (translation amended). Erinnerungen, 95. “Wahrscheinlich empfangen wir die Urrhythmen und -themen alle aus der Natur, die sie schon in jedem Tierlaut in großer Prägnanz uns bietet. Wie ja der Mensch und der Künstler im besonderen jeden Stoff und jede Form der Welt, die ihn umgibt, entnimmt, freilich in ganz anderem, erweitertem Sinne. Sei es nun, daß er sich in harmonisch-glücklichem Einklange mit der Natur befindet oder sich zu ihr in schmerzvoll-leidenden oder feindlich-verneinenden Gegensatz stellt, sei es, daß er von überlegener Warte aus in Humor oder Ironie mit ihr fertig zu werden sucht: womit die Grundlagen zu dem schön-erhabenen, sentimentalen und tragischen und humoristisch-ironischen Kunststil im engtsen Sinne gegeben sind.” See, for example, Kafka’s Metamorphosis (1912) in which music serves both as reminder of the human-beetle Gregor’s suppressed needs and as the catalyst for disaster and his death; Ionesco’s The Rhinoceros (1959) in which humans are transformed into animals; and perhaps most famously of all, Orwell’s Animal Farm (1945).

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gested that it was not until Mahler’s “folksongs with their harsh alternation of major and minor,” not until “the convulsive gestures of the Mahlerian orchestra” that the irony of Heine’s poetry was fully revealed, that “the music in Heine’s verses was released.”66 Fechner himself recognized Heine’s distinctive voice in comparison with Goethe: “Goethe’s poetry is powerful in creating, Heine’s only in destroying.”67 Mahler’s aesthetic destruction of a sentimental view of Nature is what Martin Zenck sees as having parallels with the undermining of classical forms and of moral, religious and artistic illusions in the work of Heine and Nietzsche.68 This critical disposition of skepticism and ironic negation is surely at the heart of Nietzsche’s intractable Also sprach Zarathustra. Humor for Zarathustra is a means of subverting old values and forging the path for new ones: I should believe only in a God who understood how to dance. And when I beheld my devil, I found him serious, thorough, profound, solemn: it was the Spirit of Gravity – through him all things are ruined. One does not kill by anger but by laughter. Come, let us kill the Spirit of Gravity! 69

In exploiting an auto-destructive logic of dissolution, like the “negative function of unbridled logicality” in Adorno’s account of absurdist literature,70 Mahler’s movement has certainly conquered the ‘spirit of gravity’ by its close. Negation as aesthetic category is not, however, an invention of Adorno. Its absurdist complexion and paradoxical tension is demonstrated in Fechner’s amusing satire of Hegelian dialectics from ‘Die Welt ist nicht durch ein ursprünglich schaffendes, sondern zerstörendes Princip entstanden’: 66 67

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Theodor Adorno, “Heine the Wound,” in Notes to Literature, vol. 1, 83. Fechner, “Heinrich Heine als Lyriker,” Blätter für literarische Unterhaltung 2/182 (1835): 749–50; 183: 753–4; 184: 757–8; 185: 761–2; quotation on page 761. “Göthe’s Poesie ist mächtig im Schaffen, Heine’s ist es nur im Zerstören.” See Martin Zenck, “Die Aktualität Gustav Mahlers als Problem der Rezeptionsästhetik. Perspektiven von Mahlers Naturerfahrung und Formen ihrer Rezeption,” Neue Zeitschrift für Musik 3 (1977): 225–32, esp. 229–30. Nietzsche, Thus Spoke Zarathustra, transl. R.J. Hollingdale (London: Penguin, 1969), 68 (translation amended). “Ich würde nur an einen Gott glauben, der zu tanzen verstünde. Und als ich meinen Teufel sah, da find ich ihn Ernst, gründlich, tief, feierlich: es war der Geist der Schwere, – durch ihn fallen alle Dinge. Nicht durch Zorn, sondern durch Lachen tödtet man. Auf, lasst uns den Geist der Schwere tödten!” Nietzsche identified strongly with the irony of Heine’s poetry and was a great admirer of Jean Paul, Sterne and Lichtenberg in his youth (see Nietzsche, Ecce Homo in W. Kaufmann, ed. and transl., Basic Writings of Nietzsche (New York: The Modern Library, 1968), 657–800 on pages 701 and 795; Human, All Too Human. A Book for Free Spirits (vols. 1 and 2), transl. R. J. Hollingdale (Cambridge: Cambridge University Press, 1996), 238–9; and diary entries from 1859 in Friedrich Schlechta, ed., Friedrich Nietzsche. Werke in drei Bänden (Munich: Carl Hanser, 1973), 3: 53 and 63–4). Adorno, Aesthetic Theory, 199.

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In itself negation is of course nothing creative; it only becomes that by negating itself, thereby neutralizing, destroying its own being. That it does this, however, must lie in its very nature; for why else would it do it? Therefore destruction, self-destruction, not creation, is the urprinciple of the world. As the destructive principle initially found nothing other than itself to which it could express its destructive power, it destroyed its own destructive nature and only thus became a creative principle.71

These endlessly circling antinomial forces permeate Mahler’s movement, which, as enigmatic artwork of unchecked logic, continually and tantalizingly teeters on the edge of disaster or is “poised to overcome the force of gravity” like Nietzsche’s tightrope walker in Zarathustra – a virtuosic tour de force transforming “at the highest level of form” the absurdity of the circus act,72 and therefore demanding modes of reflection that reformulate inherited critical categories. Though reduction of this movement to a final, specific conceptual definition should be resisted, empirical induction in the manner of Fechner from its ‘visible’ formal and syntactical configurations encourages and frames insights into the musically ‘invisible’ semantic dimension. Only thus can we hope to do justice to the romantic-ironic artwork’s aim of transcending the finite and inciting contemplation of the infinite.

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Fechner [Dr. Mises], Kleine Schriften (Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1875), 320. “Natürlich nun ist eine Negierung an sich selbst nichts Schaffendes; sie wird es eben nur dadurch, daß sie sich selbst negiert, hiermit ihr eigenes Wesen aufhebt, zerstört. Daß sie dies aber tut, muß in ihrem Wesen selbst liegen; denn warum täte sie es sonst; also ist Zerstörung, Selbstzerstörung, nicht Schöpfung das Urprinzip der Welt. Indem das zerstörende Prinzip anfangs nichts fand als sich selber, woran es seine zerstörende Macht äußern konnte, zerstörte es sein zerstörendes Wesen selbst und ward so erst zum schöpferischen Prinzip.” Adorno, Aesthetic Theory, 265–6.

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As the final, explosive chord of the orchestra resounded through the hall, Gustav Mahler turned to his wife, Alma, and exclaimed: “And He saw that it was good!”1 Rehearsing the first movement of the Third Symphony moved the composer to biblical superlatives as he anticipated the breakthrough success of his work at its world premiere just days later in June 1902. But Mahler’s audacious comment reflects more than momentary excitement or even a touch of hubris. As we shall see, he truly viewed this work as a depiction of existence itself. Invoking God as Maker of the universe, Mahler offers up his musical composition as a grand tableau of sound meant to somehow embody matter and being. To take Mahler’s ambitions seriously and to make sense of the subtle implications of programs and music, we must hear beyond the notes and allow the work to resonate with the culture of its time. How did humanity view itself and its place in the cosmos? What explanatory models – in philosophy, in art, and particularly in science – were being utilized at the end of the 19th century to grope with this enormous topic? While the following contextual overview of the Third Symphony can only begin to suggest these relationships, Mahler’s symphonic attempt at capturing the totality of being provides a fascinating example of the musical and intellectual means by which answers to these questions could be provided in the 1890s. Beyond its staggering musical richness, Mahler’s project is also a testimony to how he and his contemporaries were coming to terms with this daunting pursuit.

* An early version of this essay was presented at MahlerFest XXIII in Boulder, Colorado in May 2010. “Und er sah, daß es gut war!” Alma Mahler, Erinnerungen an Gustav Mahler. Briefe an Alma Mahler, ed. Donald Mitchell (Frankfurt am Main: Ullstein, 1971), 39; Alma Mahler, Gustav Mahler. Memories and Letters, ed. Donald Mitchell and Knud Martner, trans. Basil Creighton, fourth edition (London: Cardinal, 1990), 65.

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Compositional Background We are fortunate in trying to reconstruct the compositional history of the Third that there is a fair amount of primary evidence regarding Mahler’s own understanding of the work. While composing the various movements, he was very concerned about developing a programmatic description of the whole, sending these off to his friends in numerous letters, marking titles into his manuscripts, and engaging his amanuensis, Natalie Bauer-Lechner, in many a conversation regarding the massive project. All of this commentary put together contains, as with all things Mahlerian, its fair share of contradiction, but the general outlines of how he came to view the composition are rather clear. As he once put it: “And so my work is a musical poem that goes through all the stages of evolution, step by step. It begins with inanimate Nature and progresses to God’s love!”2 Mahler wrote out a programmatic overview of the symphony in the summer of 1896, the year he completed the work.3 Ein Sommermittagstraum.

A Summer Noontime’s Dream

I. Abteilung. Einleitung: Pan erwacht. Nr. I: Der Sommer marschiert ein (Bacchuszug).

Part I. Introduction: Pan Awakens. No. I: Summer Marches In (Bacchus Processional).

II. Abteilung. Nr. II: Was mir die Blumen auf der Wiese erzählen. Nr.III: Was mir die Tiere im Walde erzählen. Nr. IV: Was mir der Mensch erzählt. Nr. V: Was mir die Engel erzählen. Nr. VI: Was mir die Liebe erzählt.

Part II. No. 2: What the Flowers in the Meadow Tell Me. No. 3: What the Animals in the Forest Tell Me. No. 4: What Humanity Tells Me. No. 5: What the Angels Tell Me. No. 6: What Love Tells Me.

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“Und so bildet mein Werk ein[e] alle Stufen der Entwicklung in schrittweiser Steigerung umfassende musikalische Dichtung. – Es beginnt bei der leblosen Natur und steigert sich bis zur Liebe Gottes!” Letter to Anna von Mildenburg, 1 July 1896: Herta Blaukopf, ed., Gustav Mahler Briefe, 2nd rev. ed. (Vienna: Paul Zsolnay, 1996), 189–90; Selected Letters of Gustav Mahler, ed. Knud Martner, trans. Eithne Wilkins, Ernst Kaiser, and Bill Hopkins (New York: Farrar Strauss Giroux, 1979), 188. Letter to Max Marschalk, 6 August 1896: Blaukopf, Gustav Mahler Briefe, 196; Selected Letters, 192–3. Mahler would later renounce this and all programs to his works.

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The plan lays out a cosmology in three segments: Awakening, the emergence of life itself in the first movement; Stages, the manifestations of life in various physical forms in movements 2, 3, and 4; and Transcendence, the overcoming of life through non-material being in movements 5 and 6.

Pan, Dionysus, and the Awakening of Life Mahler’s musical rendering of the emergence of life is strikingly organic. The odyssey begins with what the composer termed “the call to awakening,” the majestic theme of the horns in the first bars of the piece.4 Immediately upon the heels of this, the music drops to near stasis. This is, so to speak, the primordial soup of virtually inert matter that must be stirred as life evolves. At the end of this dark passage the music regresses to the most primitive sound available to the orchestra: the beating of the bass drum in a barely audible, pitchless rumbling. After the decay to nothingness, fragments of sound emerge tentatively, snippets of motives that are themselves not yet quite music (mm. 27 ff.). Slowly these bits coalesce into thematic material but then collapse as the “Herald,” according to Mahler’s annotated score, prematurely announces the arrival of a procession (mm. 148–163). Another attempt is made at piecing together a theme, and finally, a march emerges that slowly gathers momentum (mm. 237 ff.). So powerful is the force driving this process that when the merry procession returns, it expands to nearly demonic proportions, threatening to overwhelm the musical procedure and to explode the bounds of a symphonic movement (mm. 603 ff.; Mahler marked this passage “Der Südsturm!” [“The Southerly Storm!”]). By coalescing into ever higher forms these key moments of the movement demonstrate how Mahler constructs a formal and musical metaphor for life evolving. Despite Mahler’s allusion to the Bible (“And He saw that it was good!”), the story of creation that the composer presents in the musical unfolding is not the sudden rendering of beings by divine decree. The gradual appearance, the struggle for emergence, and the brutal forces lurking in its midst resemble less the Book of Genesis than On the Origin of Species. The natural elements are multifarious, life is unpredictable, and time is deep. Indeed Mahler leaves little doubt that there is something primal lurking here. Returning to the programmatic titles above, the first section of the work calls up two references to Greek mythology: Pan, the mischievous goat-god that represents all of nature, and Bacchus, the wine4

“Der Weckruf ” is written above the first measures of the fair copy of the manuscript, today housed at the Pierpont Morgan Library, New York City; here and in following passages I will refer to the markings in this autograph score.

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loving incarnation of Dionysus, the god of fertility and natural forces. These gods and their various representations share certain essential qualities: instinct, irrationality, indeed, the primal. As such, they embody the fundamental forces that Mahler wants to suggest participate in the awakening of life. He described Pan as “the name of a Greek divinity that subsequently symbolized the essential nature of All Things (Pan: Greek for ‘everything’),”5 Dionysus as “the instinctive, procreative force,”6 and, tellingly, both of them as follows: “I always feel it strange that when most people speak of ‘Nature’ what they mean is flowers, little birds, the scent of the forest, etc. No one knows the god Dionysus, or the great Pan.”7 Mahler was clearly reaching beyond quaint conventions of idyllic reverie in appropriating these figures from Classical mythology for the first movement of his symphony. He was wrong, however, about Example 1: “Andante con espressione”: the supposed ignorance surrounding these Pan as Musician [Jugend (1897)] beings. In the literature, the popular journals, and art works of this period, these characters appear with increasing frequency, reflecting a broader fascination with representations of the forces of life in the 1890s. A few examples of the popular images of the time from the art journal Jugend demonstrate the point (Example 1 and 2). 5

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“[…] eine altgriechische Gottheit, die später zum Inbegriff des ‘Alls’ geworden (Pan – griechisch alles).” Letter from July 1896 sent to Anna von Mildenburg, who first published it in “Gustav Mahler an Anna Mildenburg. Unveröffentlichte Briefe,” in Münchner Neuste Nachrichten, 20 March 1930, no. 77, p. 3. The text quoted is taken from Blaukopf, Gustav Mahler Briefe, 192–3, which diverges slightly from the version published in 1930; English translation: Selected Letters, 189–90 (amended). “[…] die treibende, schaffende Kraft.” Letter to Ludwig Schiedermaier, 1900 or early 1901: Mathias Hansen, Gustav Mahler Briefe (Leipzig: Reclam, 1985), 246. “Mich berührt es ja immer seltsam, daß die meisten, wenn sie von ‘Natur’ sprechen, nur immer an Blumen, Vöglein, Waldesduft etc. denken. Den Gott Dionysos, den großen Pan kennt niemand.” Letter to Richard Batka, 18 November 1896: Blaukopf, Gustav Mahler Briefe, 202–3; Selected Letters, 197–8 (amended).

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Example 2: “Bacchus Procession” [Jugend (1897)]

Example 3: Arnold Böcklin, Play of the Waves (1883) [Neue Pinakothek, Munich]

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The leading painter to embrace this trend was Arnold Böcklin (1827–1901). Böcklin’s fantastical canvases are populated by humans and humanoids frolicking with nymphs and centaurs, satyrs, fauns, and tritons (Example 3). But just what made such paintings so popular at the time was no mere diversion into the picturesque. Richard Dehmel, a leading poet of the time and a Böcklin enthusiast, imbued the painter with a nearly mystical capacity: I am increasingly amazed by the enormous spirit of this colossus. […] He holds all of nature in his soul and – what is more valuable for us others – in his fingers. For this is art: the ability to re-create Everything. Yes, yes we humans are God! We can make the world, the stones, the air, the plants, animals and humans. We can do it through art! Nature reveals itself through art.8

This description comes remarkably close to capturing Mahler’s ambitions in the Third Symphony, allegorizing mythic figures to “recreate Everything” in an evolutionary progression. As he described it in a letter written while composing the symphony, he truly felt himself charged with rendering the universe through his art: “But now imagine such a large work that, in fact, mirrors the entire world – one is, so to speak, only an instrument upon which the universe plays.”9 And as he explained to Natalie Bauer-Lechner during the same period: Real horror seizes me when I see where it is leading, the path the music must follow, and that it fell upon me to be the bearer of this gigantic work. […] For this really distances itself too far from all that is past to call it music anymore; it is, rather, a mystical, immense sound of nature.10

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From Dehmel’s letters; quoted in Jürgen Wissmann, “Arnold Böcklin und das Nachleben seiner Malerei. Studien zur Kunst der Jahrhundertwende” (Ph. D. diss., Westfälische Wilhelms-Universität zu Münster, 1968), 108. “Nun aber denke Dir so ein großes Werk, in welchem sich in der Tat die ganze Welt spiegelt – man ist, sozusagen, selbst nur ein Instrument, auf dem das Universum spielt.” Letter to Anna von Mildenburg, 28 June 1896[?]: Blaukopf, Gustav Mahler Briefe, 187; Selected Letters, 190, dated 18 July 1896 (this translation not used). “Wahres Entsetzen faßt mich an, wenn ich sehe, wohin das führt, welcher Weg der Musik vorbehalten ist, und daß mir das schreckliche Amt geworden, Träger dieses Riesenwerkes zu sein. […] Denn wirklich, zu weit von allem Gewesenen entfernt sich dies, das kaum mehr Musik zu nennen, sondern nur ein mystischer, ungeheurer Naturlaut ist.” Conversation recorded on 4 July 1896: Gustav Mahler in den Erinnerungen von Natalie Bauer-Lechner, revised and expanded edition, ed. Herbert Killian, with notes by Knud Martner (Hamburg: Karl Dieter Wagner, 1984), 59; Recollections of Gustav Mahler by Natalie Bauer-Lechner, trans. Dika Newlin, ed. Peter Franklin (London: Faber and Faber, 1980), 61–2 (slightly amended).

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Reconstructing archaic archetypes as a means of representing these fundamental forces had deep consequences, for it also implicated humanity’s participation in the expression of the primal. As Mahler once wrote to his friend, the writer Siegfried Lipiner: What ever is it that delivers all living creatures into the power of Dionysus? […] It seems to me, by the way, that what Dionysus personified to the ancients was precisely the inner drive, in the grandiose mystical sense in which you have captured it! There, too, those in ecstasy are driven forth to the animals with which they become one.11

Despite bucolic appearances and pastoral settings, there was more at stake in Böcklin’s fantastical landscapes than allegorical representations of the forces of life. Classical mythology served as a powerful visual means of merging nature with sexuality and unmasking humanity in its naked urges.

Example 4: Illustration for Das Trinklied by Richard Dehmel [Pan (1895/96)]

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“Was ist es denn, was alles Lebende in die Gewalt des Dionysos gibt? […] Mir scheint es übrigens, daß die Gestalt des Dionysos bei den Alten eben der Trieb war, in diesem mystisch-grandiosen Sinn, wie Du ihn erfaßt! Auch dort treibt es die Ergriffenen hinaus zu den Tieren, mit denen sie eins werden.” [June 1899]: Blaukopf, Gustav Mahler Briefe, 264. Mahler was responding to reading Lipiner’s Adam, a work that explores morality and the tenuous boundary between human and animal in the figures of Cain and Abel.

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The framing of the poem Das Trinklied (1895) by – again – Richard Dehmel, depicts Bacchic revelers in drunken stupor, sexually suggestive poses, and altered states of mind typical for the worshippers of Dionysus (Example 4). Such illustrations in the 1890s were not recalling the cults of Greek civilization as historical curiosities; they were far more explorations of the animal-like truth residing behind the human condition. Society was locating its origins in a distant past, coming to terms with a primeval genealogy.

Charles Darwin Just how closely we reside to the animal sphere was, of course, a major topic of Mahler’s time and largely instigated by the work of Charles Darwin. With the publication of On the Origin of Species in 1859 and The Descent of Man in 1871, Darwin forever altered humanity’s perception of itself in the grand scheme of existence. These works suggested with compelling and unrelenting logic that the emergence of life forms on Earth was the result of processes that stretched back through unimaginable reaches of time. Species evolved as minute differences in genetic disposition allowed certain individuals to survive more successfully than others in a constant battle for sustenance and procreation. These mechanisms were the determining factors in an environment that was constantly changing, where danger was incessant, and death unexceptional. No creature was spared this grim rule and no living being inherently more privileged than any other. In the scheme of things, humanity occupied but one twig on the mammoth tree of life. One obvious visual expression of this awareness can be found in the countless renderings of apes and humans in the late 19th century. Another cursory survey of some of the art journals of the time reveals clear signs of the debate (Example 5 and 6).12 Though often comical, these examples occupy an uneasy position between, on the one hand, belittling the absurdity of human descent from apes and, on the other, the disturbing possibility that the scenario truly captures our natural history. The comic relief rings hollow as we wonder who looks more ridiculous: the animal in anthropomorphic pose or humanity as brute creature? In “The Magic Mirror” (Example 7) man peers into his past, his absurd gaze and hunched pose hardly more sophisticated than the rapid reversal of forms or the simian clinging to the tree before him. The footlights cast a curious glow onto the proceedings, while a mist, emanating from Minerva’s owl in the foreground, enshrouds the figures as it wafts onto the stage of existence. To the right and left, entwined by serpents, an ape 12

For an overview of Darwin’s impact on 19th century art, see Darwin: Art and the Search for Origins, ed. Pamela Kort and Max Hollein (Cologne: Wienand Verlag, 2009).

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Example 5: Monkeys reading [Jugend (1897)]

Example 6: “The Philosopher” [Jugend (1897)]

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Example 7: “The Magic Mirror” [ Jugend (1897)]

skull and a human skull serve as grim reminders of death and the animal countenance of our mortal remains. Some artists envisioned our past forms more sympathetically, yet here, too, the haunting question persists whether the resemblance does not somehow implicate our current state (Example 8). Are we really that removed? What do we have in common with our distant cousins? Art history demonstrates the Darwinian impact of the time in numerous ways, but the effects were equally noticeable in literature. Some of the more famous examples have survived in popular culture to this day. A case in point is Tarzan of the Apes, the story of a human raised by apes whose life story calls into question just what we mean by civilization. The author, Edgar Rice Burroughs, lived from 1875 to 1950 and published his tale in 1912, the year after Mahler died. Bambi, a novel that humanizes the feelings and fate of a young deer, was published in 1923 by Felix Salten (1869–1945), an Austrian

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Example 8: Gabriel von Max, Pithecanthropus alalus (1894) [Ernst-Haeckel-Haus, Friedrich Schiller Universität Jena]

Example 9: “Mowgli Mourning the Dead Akela” [Rudyard Kipling, The Second Jungle Book (1895)]

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Example 10: Max Klinger, Darwinian Theory [Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett (1875)]

and a very near contemporary of Mahler.13 The earliest of these still popular books – all turned into icons by the film industry – is no doubt The Jungle Book, the story of another human raised in and by the wild by Rudyard Kipling (1865–1936), another contemporary. The Jungle Book was first published as a single volume in 1894, the year before Mahler began composing the Third Symphony in earnest. The Disney rendering of Mowgli differs considerably from the original illustrations to the book, some of them by Kipling’s father, John Kipling. This is Mowgli mourning the death of Akela, the leader of his pack (Example 9). It is not difficult to see the savage lurking here. Staying with Mahler’s generation, let us turn to Max Klinger (1857–1920) and his drawing Darwinian Theory of 1875 (Example 10). We see an old and learned thinker with one hand on a book, the other on a skull. This gesture by itself suggests the haunting representation of mortality and knowledge in Der heilige Hieronymous (1521) by the Nuremburg Renaissance master Albrecht Dürer. But in Klinger’s drawing the con-

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Salten lived in Vienna and experienced Mahler as a musical figure in that city first hand; see Henry-Louis de La Grange, Gustav Mahler, vol. 3, Vienna: Triumph and Disillusion (1904–1907) (New York: Oxford University Press, 1999), 794–5.

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templation is broken by a gruesome spectacle: feeling a hand on his right shoulder, the old man turns his head with fear and suspicion to behold an ape carrying a child in swaddling cloth. In old age the man sees from whence he came: in his life he began as a child, but in the larger sense it is to the ape that he owes his origins. The man’s glance betrays an unwillingness to accept such a conclusion. At the far left, drawing back a curtain that nearly conceals him, a cleric views the setting with a sense of grim helplessness. His back is turned to us as if leaving the scene, but his stare fixes on the child, the symbol not only of humanity but of Christ. Klinger’s drawing questions both church and science and calls to our attention the disturbing conclusions we must draw about our place in the scheme of life. The ape is figuratively and literally the central figure in this work, the dominating presence that pushes man aside and whispers in his ear the terrible truth.14 Mahler, too, suffered from the questions that Darwin forced upon human thought. As Bruno Walter described the composer: When his heart was lifted, he was capable of reaching the heights of belief; a strong, calm faith was not his lot, however. The suffering of the creatures struck him too painfully in the heart; murder in the animal world, the evil men perpetrate upon one another, the susceptibility of the body to illnesses, the constant threats of fate – all of this constantly shook him from the assurance of his beliefs.15 It was not so much an appreciation of beautiful landscapes as a profound intimacy with Nature. Obviously he took pleasure in her marvelous contours, but he placed higher value on gazing into her eyes, into her soul. Love and fear, rapture and horror, existed in that gaze. He saw the bellum omnium contra omnes in Nature and sensed its self-destructive forces fighting within his own inner being.16

The Animals in the Forest Just how Mahler viewed the creatures of the natural world also finds fascinating expression in the Third Symphony, more specifically in the third movement, “What the Animals 14

15 16

For a discussion of this drawing in a slightly different context see Hans-Georg Pfeiffer, Max Klingers (1857–1920) Graphikzyklen. Subjektivität und Kompensation im künstlerischen Symbolismus als Parallelentwicklung zu den Anfängen der Psychoanalyse (Giessen: W. Schmitz Verlag, 1980), 26–7; see also Marsha Morton, “‘Impulses and Desires’: Klinger’s Darwinism in Nature and Society,” in Nineteenth-Century Art Worldwide 2/2 (Spring 2003) [http://www.19thc-artworldwide.org/index.php/spring03/223]. Bruno Walter, Gustav Mahler, trans. L. Walter Lindt (London: Quartet Books, [1958] 1990), 99. Quoted in Norman Lebrecht, ed., Mahler Remembered (London: Faber & Faber, 1987), 83 and 85.

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in the Forest Tell Me.”17 This representation draws on the trappings of Darwin’s struggle for existence, replete with the lessons of survival and a disturbingly nonchalant attitude about death. The cheerful melody that opens the movement (mm. 5–15) constitutes a verbatim quotation of a song from Des Knaben Wunderhorn that Mahler had composed some years earlier, Ablösung im Sommer. The quaint tune carries out the anthropomorphized dialogue of the animals in the forest wondering who is going to entertain them after the cuckoo falls to its death. Kukuk hat sich zu Tode gefallen An einer grünen Weiden, Kukuk ist todt! Wer soll uns denn den Sommer lang Die Zeit und Weil’ vertreiben? Kukuk! Kukuk! Ei, das soll thun Frau Nachtigall, Die sitzt auf grünen Zweige; Die kleine, feine Nachtigall, Die liebe, süsse Nachtigall; Sie singt und springt, ist allzeit froh, Wenn andre Vögel schweigen. Wir warten auf Frau Nachtigall, Die wohnt im grünen Hage, Und wenn der Kukuk zu Ende ist, Dann fängt sie an zu schlagen!

Cuckoo has fallen to his death On a green willow-tree. Cuckoo is dead! Who is going to pass the time for us The whole summer long? Cuckoo! Cuckoo! Ah, that Miss Nightingale can do, Who sits on green branches; The fine little nightingale, The dear, sweet nightingale; She sings and springs and is always happy, When other birds are silent. We wait for Miss Nightingale, Who lives in the green grove, And when the cuckoo is finished, Then she will begin to sing! 18

The mood is merry, befitting the light-hearted attitude of the creatures, though completely counter to the specter of death that lurks explicitly from the very beginning. The apparent mismatch between message and gesture reveals itself as a profoundly unsettling joke, for lurking under the merriment lies a far more serious discrepancy: our concern for questions of mortality and the animals’ total disregard for the matter. In nature, death is banal, unworthy of commentary or sentimentality; for humans, nothing could be further from the truth. Mahler leaves little doubt that the sarcasm of the song and its unsettling message are meant to pervade the symphonic movement for which it is appropriated. After quoting 17

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The topic of the following segment is treated in greater detail in Morten Solvik, “Biography and Musical Meaning in the Posthorn Solo of Mahler’s Third Symphony,” Neue Mahleriana. Essays in Honour of HenryLouis de La Grange on His Seventieth Birthday, ed. Günther Weiß (Berne, Berlin, etc.: Peter Lang, 1997), 339–60. Translation in part based on E. Mary Dargie, Music and Poetry in the Songs of Gustav Mahler (Berne: Peter Lang, 1981), 241–2.

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the opening of the lied, the orchestral discourse veers off in an array of directions, as themes, harmonic areas, and formal units of the movement are tossed about in a confusing mix that just manages to maintain a semblance of the traditional structure of Scherzo and Trio.19 Mahler reflected on the character of this movement: In particular the Scherzo, the animal piece, is at the same time the most scurrilous and the most tragic that ever was – in the way that only music can mystically lead us from one to the other in a single about-face. This piece is just as if the whole of Nature were pulling faces and sticking out her tongue. But there is a feeling of such gruesome panic humor in it that one is more likely to be seized by terror than laughter.20

To highlight the sarcasm, Mahler uses the two Trio sections of the movement as a foil for the frightful frolicking of the forest fauna. As the music comes to a hush, an offstage posthorn intones a strangely familiar tune. Gone is the sarcasm as the music takes on a reflective, nostalgic hue. We have the critic Ernst Decsey to thank for shedding light on this extraordinary moment. In an article on the Third Symphony, Decsey mused about the resemblance of this music to the poem Der Postillion by Nikolaus Lenau. The literary text relates the story of a postillion, the driver of a stagecoach that carried mail, who stops by a cemetery to play the favorite tune of his deceased friend lying in one of the graves. Mahler read Decsey’s commentary and was astounded at the attribution. He even called the critic to his office to ask how he had guessed that this was precisely what he had in mind.21 Indeed, the fair copy of the symphony is marked, in Mahler’s hand, “Der Postillion” at this exact spot in the score. In bringing this episode into the movement, Mahler stages a direct confrontation between animals and humans and does so around what is for many the central question of existence: “What is the meaning of death?” The animals’ disregard for the dead cuckoo is all the more eerie in light of the human’s reverence for his fallen comrade. Whose version of demise represents truth? If nature is all knowing, are we dreadfully wrong about taking life so seriously? How do we not observe this struggle as regrettable and brutal? The quandary that emerges soon finds expression in the music itself. As the animals return to render control of the movement after the second posthorn episode, the musical discourse cannot sustain its previous blithe disregard. Increasing panic sets in until the entire orches19 20

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See Jeremy Barham, “Mahler’s Verkehrte Welt” in this volume. “Besonders das Scherzo, das Tierstück, ist das Skurrilste und dazu wieder das Tragischeste, was je da war – wie ja nur die Musik von einem zum andern in einer einzigen Wendung mystisch uns führen kann. Dieses Stück ist wirklich, als ob die ganze Natur Fratzen schnitte und die Zunge herausstreckte. Aber es steckt ein so schauerlicher panischer Humor darin, daß einen mehr das Entsetzen als das Lachen dabei überkommt.” Summer, 1899: Erinnerungen, 136; Recollections, 129 (amended). Lebrecht, 257.

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tra erupts into a primal scream (mm. 541 ff.). At this crucial moment, Mahler’s symphonic tableau lurches into crisis, as if resisting its own Darwinian implications. A seam in the fabric is torn asunder as Mahler reveals a need to believe in a cosmos that consists of more than mere materiality or the blind mechanics of a godless universe.

Humanity and Beyond The symphony now moves on to a reflection on humanity. In Mahler’s vision of our place on Earth we humans are privileged with the capacity for language, consciousness, and an awareness of the questions posed by life. Mahler avoids implications of the bestial in us, yet renders us helpless in the face of the forces of existence. The opening sequence (mm. 11–17) is constructed from the chords and textures depicting primeval matter at the opening of the first movement (see mm. 11–19). Out of the primal oscillation between two pitches, there emerges the human voice to a text from Friedrich Nietzsche’s Also sprach Zarathustra. O Mensch! Gib Acht! Was spricht die tiefe Mitternacht? “Ich schlief, ich schlief – Aus tiefem Traum bin ich erwacht: – Die Welt ist tief, Und tiefer als der Tag gedacht. Tief ist ihr Weh – Lust – tiefer noch als Herzeleid: Weh spricht: Vergeh! Doch alle Lust will Ewigkeit – – will tiefe, tiefe Ewigkeit!”

O man! Take heed! What says the deep midnight? “I slept, I slept – From deep dream I was awakened: – The world is deep, And deeper than the day had thought. Deep is its woe – Desire – deeper even than heartache: Woe says: be gone! Though all desire wants eternity – Wants deep, deep eternity!”

The setting is a moment of revelation about the depths of existence. The rumblings from the ground of being serve as a background to a meditation on profound insight and the realization that, though we suffer, we are enchained to life’s ambitions by being bound to desire. Life perpetuates itself, and, even knowing better, we cannot escape its grip. If we have moved to a higher form of existence in this movement, then it is only in awareness of this mandate and our ability to articulate it; rational comprehension or overcoming are not our lot (for a visual rendering of this idea at the time, see Example 11). The fourth movement ends as obscurely as it begins, tellingly hovering at the fifth scale degree, avoiding any direct articulation of the home key. In Mahler’s cosmos, we humans are by no means a point of arrival.

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Example 11: Gustav Klimt, Philosophy (1900) [original destroyed]

The stage is set for the overcoming of life. The fifth movement explodes the bounds of Mahler’s heretofore nature-bound discourse. In a burst of sound that follows immediately on the heels of the brooding close of the song of midnight, morning bells and choirs of angels transport us to another sphere. Mahler transforms the drama in an act of transfiguration. The promise of redemption reaches its majestic fulfillment in the sixth and last movement. At this point in the manuscript, Mahler adds a motto taken from a poem in Des Knaben Wunderhorn:

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“Vater, sieh an die Wunden mein, Kein Wesen lass verloren sein!”

“Father, look on my wounds Let no being be lost.”22

As the finale unfolds, it encounters and overcomes three episodes of tension taken from the first movement and finally embraces heavenly arrival. So ends Mahler’s rendering of existence, but the world-view the composer presents in these six movements has taken a decisive turn. After the deep time and gradual emergence of the forces of life in the first movement, the Darwinian lessons of the animals, and the profound awareness of the impenetrable mystery of humanity’s place in the universe, Mahler’s vision steps beyond the physical world, a move of great significance in coming to terms with the composer’s cosmology. Here he embraces a beyond. The deus ex machina in the last two movements rescues transcendence from the logic of materialism and the depths of despair. This leap from matter to mysticism may seem a questionable intellectual exercise to us today, but Mahler’s espousal of both was surprisingly consistent with the views of the time. Unwilling to abandon the spirit yet incapable of denying the insights of Darwin’s reasoning, many of the composer’s contemporaries sought a means to combine the conclusions of both. The most compelling support for this syncretic approach came from an unlikely source: science.

The Science of Matter and Spirit Ernst Haeckel (1834–1919) was arguably the most famous and outspoken supporter of Darwin’s views in Europe during the late 19th century. A trained zoologist, he spent much of his life documenting the complexity and beauty of the natural world. One of his most successful books, Kunstformen der Natur [Art Forms of Nature] (1899–1904), celebrates the myriad forms of life. In page after page of stunning illustrations, Haeckel set out to demonstrate the genius of creation as surpassing anything conceived by the human imagination. But he was also determined to find more. Beyond beauty Haeckel uncovered patterns that he interpreted as evidence of the interrelatedness of all being. His examination of fetuses, for instance, showed an uncanny similarity between the developmental stages of such diverse species as bats, gibbons, and humans (Example 12).

22 Tellingly, the music itself opens with a paraphrase of the ‘faith’ motive from Wagner’s Parsifal. The allusion to both Christ and the wound in the Wunderhorn motto make the Parsifal connection more than likely; there is, however, also an uncanny resemblance of both works to the third movement of Beethoven’s String Quartet, Opus 135.

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Figure 12: Ernst Haeckel, “Embryos of Three Mammals (at Three Similar Stages of Development)” [Ernst Haeckel, Das Menschenproblem und die Herrentiere von Linné (1907)]

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In the development of the self – ontogenesis – could be found the imprint of the evolution of the entire species – phylogenesis: thus, as the famous formulation goes, “ontogeny recapitulates phylogeny.” Haeckel found it hard not to see a higher principle at work here, a type of web that bound all of nature, including humans, into a higher unity.23 For this to be convincing, Haeckel needed to bring humanity into the fold of nature, a Darwinian principle that ranked among his highest priorities. After the publication of The Descent of Man (1871), skeptics were quick to point out that evolution had not left behind evidence of what had to have been the intermediary stages between apes and humans. Haeckel did not doubt its existence for a moment and speculated openly about the appearance, physical features, and behavior of the “missing link.” He even suggested that the fossils of Pithecanthropus alalus (see Example 8), as he had dubbed the then hypothetical creature, were to be found in Indonesia. The audacity of this hypothesis was only trumped by the work of Eugène Dubois (1858–1940), who, in following Haeckel’s advice, actually made the sensational discovery of such remains at precisely this location, announcing the discovery of Java man in 1891.24 For Haeckel there had to be an explanation for the fundamental impulses behind all of the supposedly interconnected phenomena of the world. His vehicle for explaining “the world’s riddles” – the title of one of his books – was science, but a rather peculiar brand of science. His search for a “grand theory” led him to postulate the oneness of matter and spirit in a concept called “monism.” According to this philosophy, while mechanical laws determine the behavior of substances, matter itself is sentient (by means of a substance he called “psychoplasma”).25 This type of thinking was anticipated in his widely read book Der Monismus als Band zwischen Religion und Wissenschaft [Monism as Connection between Religion and Science] of 1892.

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Haeckel’s theory of recapitulation or biogenetic law has been largely refuted in more recent times but was extremely influential in the late 19th century. The Dubois discovery and the problematic nature of some of his conclusions can be found in nearly all historical accounts of paleoanthropology; for a recent example, see Matt Cartmill and Fred H. Smith, The Human Lineage (Hoboken, NJ: John Wiley & Sons, 2009). See Ernst Haeckel, Die Welträthsel. Gemeinverständliche Studien über monistische Philosophie (Bonn: Emil Strauß, 1899), Chapter 7, “Stufenleiter der Seele” (available online at: http://caliban.mpiz-koeln.mpg.de/haeckel/weltraethsel/die_weltraethsel.html). For more on Haeckel and monism in Mahler’s time, see Marsha Morton, “Nature and Soul: Austrian Responses to Ernst Haeckel’s Evolutionary Monism,” in Darwin: Art and the Search for Origins, 126–53; idem, “From Monera to Man: Ernst Haeckel, Darwinismus, and Nineteenth-Century German Art,” in The Art of Evolution: Darwin, Darwinisms, and Visual Culture, ed. Barbara Larson and Fae Brauer (Lebanon, NH: Dartmouth College Press, 2009), Chapter 3, 59–91; and Monismus um 1900. Wissenschaftskultur und Weltanschauung, ed. Paul Ziche (Berlin: Verlag für Wissenschaft und Bildung, 2000).

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Haeckel represented but one branch of a wide range of thinkers in the 19th century who were trying to bridge the gap between matter and spirit. And many of the philosophers who tackled this issue were far less doctrinaire about materiality. At its core, the debate centered on whether science could prove to be sufficient in providing a complete explanation for existence. As powerful as the explanatory models for chemistry, physics, and biology were becoming, formidable questions still loomed. For one, did scientific explanations constitute a true representation of reality in itself? Friedrich Albert Lange (1828–1875), extending some of the fundamental thinking of Hermann von Helmholtz, debunked the exhaustive potential for such explanations in Die Geschichte des Materialismus (1866) on the grounds that observation, the cornerstone of the empirical method, was fraught with epistemological shortcomings. In his Mikrokosmus (1856–1864) Hermann Lotze (1817–1881) also investigated the question of matter and being, coming to the conclusion that, while scientific findings pertained to the natural world, they did not suffice in explaining the totality of existence. Lotze’s teleological idealism drew from a vision of the world whose atomic parts observed mechanical laws while preserving an innermost essence driven by divine will.26 At stake in this debate was nothing less than the human soul. The liminal world between substance and consciousness emerged as the line of demarcation between positivist and idealist perspectives, between predictable matter and the ephemeral mysteries of the mind. It became, as well, the site for intense speculation about how sensations report to the inner self about an outer existence. The reliability of sensory information, the degree to which our interpretation of it necessarily constitutes a distortion, the mysterious transformation of signals into feeling, and the deeper associative world of thoughts, of mind and soul literally constituted the meeting point that thinkers were trying to overcome with competing models of the world. One of the pioneers in this field, Gustav Theodor Fechner (1801–1887), saw the unity of being in a “world-soul” that included seemingly non-sentient beings, such as plants.27 Despite his adherence to panpsychism, Fechner also sought a more conventional scientific approach to his inquiries. In Elemente der Psychophysik (1860) he describes the findings of his groundbreaking work in experimental psychology, tracing the relationship between physical stimuli and the mind’s perception of sensation. His formula, S = K Log I, sensationally demonstrated a quantifiable dimension of the workings of the human brain.28 26 An excellent source on both Lange and Lotze is the Stanford Encyclopedia of Philosophy, which includes extensive bibliographies for both; see, respectively, http://plato.stanford.edu/entries/friedrich-lange/ and http://plato.stanford.edu/entries/hermann-lotze/. 27 See especially Fechner’s Nanna oder Über das Seelenleben der Pflanzen (Leipzig: L. Voss, 1848); see also Catherine Keller, “The Luxuriating Lily” in this volume. 28 In the world of science, Fechner’s influence was especially notable on the prominent physicist Ernst Mach

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Lurking behind the work of all of these thinkers lay the philosophy of Immanuel Kant (1724–1804), whose fundamental conclusions regarding the limits of human knowledge proved a useful point of departure for various schools of thought emerging in the late 19th century. While some interpreted Kant’s dismissal of metaphysics as a solid grounding for a materialist perspective on life, others argued that this limitation applied only to what humans could comprehend, not to the essence of existence itself. As Schopenhauer demonstrated, Kant’s epistemological stance merely opened the door to far-ranging ontological speculation and, paradoxically, could also be employed to strengthen the arguments for idealism. Mahler’s adoption of a worldview that embraced both the science of his day and the philosophical leanings of those who insisted on a spiritual essence thus stood on solid intellectual footing. That his symphony embodied these apparent contradictions aligns well with these perspectives. Not surprisingly, nearly all of the figures mentioned above – Lange, Helmholtz, Fechner, Lotze, Kant, and Schopenhauer – figured prominently among Mahler’s favorite authors.

Die fröhliche Wissenschaft In the narrower sense, there is yet another writer and another type of science lurking behind the immediate foreground of the Third Symphony that deserves mention in this context: Die fröhliche Wissenschaft [The Gay Science] by Friedrich Nietzsche. Mahler was an avid reader of the German philosopher at the time of composing the Third in 1895 and 1896. Natalie Bauer-Lechner tells us this,29 Mahler himself adopts a text from Nietzsche’s Also sprach Zarathustra for the fourth movement of the work, and finally, these two comments from the summer of 1895: And I am going to call the whole thing “My Gay Science,” for that is what it is!30 [What] love [tells] me [the sixth movement] is a collective rendering of my feelings for all beings, whereby this does not come off without deeply painful byways which nevertheless gradually resolve themselves into a sacred conviction: “the gay science.”31

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(1838–1916); see, for instance, Michael Heidelberger, “Functional Relations and Causality in Fechner and Mach,” Philosophical Psychology 23/2 (2010): 163–72. September/October 1896: Erinnerungen, 73; Recollections, 73. “Und das Ganze werde ich ‘Meine fröhliche Wissenschaft’ nennen – die ist es auch!” Erinnerungen, 36. “W[as] m[ir] d[ie] Liebe erzählt, ist eine Zusammenfassung meiner Empfindung allen Wesen gegenüber, wobei es nicht ohne tief schmerzliche Seitenwege abgeht, welche sich aber allmählich in eine selige Zuversicht: ‘die fröhliche Wissenschaft’ – auslösen.” Letter to Friedrich Löhr, 29 August 1895: Blaukopf, Gustav Mahler Briefe, 150; my translation [Selected Letters, 164]. To understand Mahler’s reference to “Seitenwege” [“byways”] one

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At this stage Mahler applied the title “Die fröhliche Wissenschaft” to the entire symphony, and the intellectual implications are noteworthy. Nietzsche’s tome, which was first published in 1882 (second, expanded edition 1887), is a many-faceted work consisting of five “books” divided into a total of 383 loosely organized short texts or aphorisms. It is in this work that the philosopher famously declares the death of God and contemplates how humanity will develop beyond religion, a relic, as he sees it, of a more primitive worldview. On the whole, Nietzsche approaches human knowledge in the manner of an anthropologist dissecting a foreign culture. A central component of the Gay Science is an examination of the concept of truth, not as a finished entity for us to discover but as a sociological construct. Origin of the logical. – How did logic come into existence in man’s head? Certainly out of illogic, whose realm originally must have been immense. Innumerable beings who made inferences in a way different from ours perished; for all that, their ways might have been truer. Those, for example, who did not know how to find often enough what is “equal” as regards both nourishment and hostile animals – those, in other words, who subsumed things too slowly and cautiously – were favored with a lesser probability of survival than those who guessed immediately upon encountering similar instances that they must be equal. The dominant tendency, however, to treat as equal what is merely similar – an illogical tendency, for nothing is really equal – is what first created any basis for logic.32

It is difficult not to hear echoes of Darwin here.33 In fact, much of the intellectual scaffolding behind the work can be said to constitute an archeology of knowledge in which the exigencies of survival emerged as the driving force in the evolution of human thinking. Nietzsche wants to uncover our habits of mind and the woeful errors buried in our assumptions about life. In the first segment of the entire book he writes: Gradually, man has become a fantastic animal that has to fulfill one more condition of existence than any other animal: man has to believe, to know, from time to time why he exists; his race cannot flourish without a periodic trust in life – without faith in reason in life.34

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must recall the metaphor that Mahler used to describe the purpose of his programmatic titles. Writing to Löhr a short time earlier, Mahler explained that he wanted his headings to “[set] the reader on the road along which I want to travel with him.” (“[…] den Leser auf die Straße zu setzen, auf der ich mit ihm reisen will.”) These “byways,” then, represented the arduous parts of “the journey.” See letter to Löhr, 17 August 1895; Blaukopf, Gustav Mahler Briefe, 148; Selected Letters, 163. Friedrich Nietzsche, The Gay Science, trans. and comm. Walter Kaufmann, Vintage Books (New York: Random House, 1974), §111, 171. For more on Nietzsche and Darwin, see John Richardson, Nietzsche’s New Darwinism (Oxford: Oxford University Press, 2004) and Gregory Moore, Nietzsche, Biology and Metaphor (Cambridge: Cambridge University Press, 2002). Nietzsche, The Gay Science, 76, §2.

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This need is fulfilled by the “teachers of the purpose of existence”: In order that what happens necessarily and always, spontaneously and without any purpose, may henceforth appear to be done for some purpose and strike man as rational and an ultimate commandment, the ethical teacher comes on stage, as the teacher of the purpose of existence; and to this end he invents a second, different existence and unhinges by means of his new mechanics the old, ordinary existence.35

Thus, explanations of the world and its purpose necessarily remove themselves from existence itself. Nietzsche stylizes such flawed phases of human development as both necessary and tragic. It is obvious that these tragedians, too, promote the interests of the species, even if they should believe that they promote the interest of God or work as God’s emissaries. They, too, promote the life of the species, by promoting the faith in life. “Life is worth living,” every one of them shouts; “there is something to life, there is something behind life, beneath it; beware!”36

Nietzsche also critiques science: It is no different with the faith with which so many materialistic natural scientists rest content nowadays, the faith in a world that is supposed to have its equivalent and its measure in human thought and human valuations – a “world of truth” that can be mastered completely and forever with the aid of our square little reason.37

The tragic shortcoming of these imperfect systems emerges in the solemnity of the “teacher of the purpose of existence”: Indeed, he wants to make sure that we do not laugh at existence, or at ourselves – or at him […]. His inventions and valuations may be utterly foolish and overenthusiastic; he may badly misjudge the course of nature and deny its conditions […] and yet, whenever “the hero” appeared on the stage, something new was attained: the gruesome counterpart of laughter.38

Nietzsche’s resistance is obvious, and in the end, this wrong-headed project is – according to the philosopher – doomed to failure.

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Ibid., §1, 75. Ibid., §1, 74. Ibid., §373, 335. Ibid., §1, 75.

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COSMOLOGY AND SCIENCE IN GUSTAV MAHLER’S THIRD SYMPHONY

There is no denying that in the long run every one of these great teachers of a purpose was vanquished by laughter, reason, and nature: the short tragedy always gave way again and returned into the eternal comedy of existence; and “the waves of uncountable laughter” – to cite Aeschylus – must in the end overwhelm even the greatest of the tragedians.39

Emerging from these insights, Nietzsche proclaims himself the prophet of a perspective on existence that embraces its contradictions wholly, that has no investment in providing a rationale for being, that approaches truth by contradictory means: through laughter. What is more, he locates his own coming in the inevitable development of human thought: “O, do you understand me, my brothers? Do you understand this new law of ebb and flood? There is a time for us, too!”40 As he writes earlier in the same segment: “Perhaps laughter will then have formed an alliance with wisdom, perhaps only ‘gay science’ will then be left.”41 Mahler’s adoption of this title can be understood on a number of levels. For one, the composer found a kindred spirit in a philosopher whose fundamental perspective valorized humor. In Mahler’s worldview, too, solemnity did not suffice in capturing the totality of being. The enormity of his project and its ambitions for embracing all of existence could only be projected in its totality by including laughter of the most rarified variety.42 Mahler’s comments on the Third make this abundantly clear. […] this one [the Third Symphony] is pure humor and mirth, a great laugh at the whole world! […] people at first won’t understand or appreciate its mirth; it soars above that world of struggle and sorrow in the First and Second.43 Five of them [the movements] are humorous […] the humor will be least understood […] he [a friend to whom he played the fourth and fifth movements] did not grasp (as indeed only very few can) that the humor here must aim purely for those highest realms that cannot be conveyed by any other means.44 39 40 41 42

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Ibid. Ibid., §1, 76. Ibid., §1, 74. For more on Mahler and humor, see Mirjam Schadendorf, Humor als Formkonzept in der Musik Gustav Mahlers (Stuttgart and Weimar: J. B. Metzler, 1995). “[…] das ist Humor und Heiterkeit, ein ungeheueres Lachen über die ganze Welt! […] ihre Heiterkeit werden die Leute erst recht nicht verstehen und gelten lassen; sie schwebt noch über jener Welt des Kampfes und Schmerzes in der Ersten und Zweiten.” Erinnerungen, 35. “Fünf sind Humor […] Wie gerade der Humor am allerwenigsten verstanden werden wird, […] er […] dabei nicht begriff (was übrigens die wenigsten begreifen), daß der Humor hier nur für das Höchste einsetzen muß, das anders nicht mehr auszudrücken ist.” Erinnerungen, 57. The reference to five humorous movements relates to an earlier, seven-movement conception of the symphony; movements four and six (of the final version) were the exceptions.

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But the alignment with Nietzsche runs far deeper than this. Clearly there was a need on the part of Mahler to explain his symphonic treatise of existence as science of a different kind. Not a bio-mechanistic exegesis, but a living embodiment of the essentials of nature beyond explanation, indeed, beyond comprehension. According to Mahler, no better means for navigating this territory existed than music. Actually I cannot understand how it comes that you – with a musician-poet’s soul – do not believe-know [“glauben=wissen”] anything. What is it then that delights you when you hear music? What makes you light, free? Is the world less puzzling if you build it out of matter – is it an explanation if you recognize it as a play of mechanical forces? What is force? Who does the playing? You believe in the “conservation of energy,” in the indestructibility of matter. Is that not immortality too? Shift the problem to any plane you choose – in the end you will always reach the point where “your wisdom” begins to “dream.”45

If we take a step back from the musical substance of the Third Symphony and examine how its composer came to terms with what he had created, if we widen our focus from art to include the intellectual reflections it inspired in its author, and if we take seriously the means by which Mahler gives expression to these thoughts – in the metaphors he uses and the influences he evokes – it becomes possible to learn from a piece of music what it meant to contemplate fundamental questions of the human condition at the time of the work’s composition. The borrowing of figures from Classical mythology, the Darwinian model of the struggle for life, the synthesis of materialist and spiritual perspectives, and the critique of conventional science through profound humor were all active components postulated by Mahler’s contemporaries in pursuit of answers to the same questions that haunted the composer. Intellectually, Mahler’s cosmological compendium was nearly as all-encompassing as the universe he sought to capture in his symphony.

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“Ich kann es nämlich nicht begreifen, daß Sie, eine Musiker-Poetenseele nichts glauben=wissen. Was entzückt Sie denn, wenn Sie Musik empfinden? Was macht Sie leicht, frei? Ist die Welt weniger rätselhaft, wenn Sie sie aus der Materie konstruieren – ist es eine Erklärung, wenn Sie sie als Spiel der mechanischen Kräfte erkennen? Was ist Kraft? Wer spielt? Sie glauben an die ‘Erhaltung der Kraft’, an die Unzerstörbarkeit der Materie. Ist das nicht auch Unsterblichkeit? Versetzen Sie das Problem an welchen Punkt Sie wollen – zum Schluß geraten Sie doch an die Stelle, wo ‘Eure Weisheit’ zu ‘träumen’ anfängt.” Letter to Max Kalbeck, 22 June 1901: Blaukopf, Gustav Mahler Briefe, 283–4; Selected Letters, 251–2 (amended). Note Mahler’s rendering of the first law of thermodynamics.

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DER MUSIKWISSENSCHAFTLER ALS ERZIEHER Guido Adlers Stilkritik und die Symphonik Gustav Mahlers

Es ist vor allem der sprichwörtlichen Verschwiegenheit Guido Adlers zuzuschreiben, dass wir über seine Freundschaft zu Gustav Mahler erstaunlich wenig Bescheid wissen. Seine grundsätzliche Scheu, Persönliches direkt auszusprechen oder gar niederzuschreiben1, machen die Spurensuche nach den Beziehungen zwischen dem „führenden Musikwissenschaftler“ und dem „führenden Komponisten“ um 1900 in Wien zu einem mühsamen Unterfangen.2 Den erhalten gebliebenen Quellen zufolge könnte man nämlich den Eindruck gewinnen, als wäre diese Freundschaft „im wesentlichen eine Geschichte von Empfehlungen, Interventionen und Projekten [gewesen], die der Musikgelehrte zugunsten des Komponisten entwarf und die bestimmt waren, dessen materielles Wohlergehen und künstlerische Position zu sichern“3, wobei Adler seine Beteiligung an diversen Hilfsprojekten verschiedentlich noch im nachhinein verschleierte. Miteinander seit Mahlers Wiener Konservatoriumszeit (also frühestens seit 1875) befreundet, reichen Adlers Unterstützungsversuche mindestens in das Jahr 1880, als er Mahler für eine 1

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Ganz deutlich ist dieser Zug bei seiner Autobiographie zu sehen (Wollen und Wirken. Aus dem Leben eines Musikhistorikers. Wien–Leipzig 1935), für die außerdem eine zunehmende Anonymisierung im Schreibprozess selbst nachgewiesen werden konnte, so dass frühere Fassungen oft eine deutlichere Sprache sprechen als die spätere Druckfassung. Siehe Barbara Boisits, Autobiography and its hidden layers: The case of Guido Adlers „Wollen und Wirken“, in: (Auto)Biography as a Musicological Discourse (Musicological Studies: Collections of Papers 3). Hrsg. Tatjana Marković/ Vesna Mikić. Belgrad 2010, S. 202–213. Einem solchen unterzog sich Edward R. Reilly, der unter Heranziehung verschiedener Quellen, vor allem von Briefen, die Freundschaft, so wie sie dokumentierbar ist, nachzeichnet. Reillys Studie erschien zuerst unter dem Titel Mahler and Guido Adler, in: The Musical Quarterly 58/3 (Juli 1972), S. 436–470. Diese Ausgabe erschien, stark ergänzt und verbessert, in deutscher Übersetzung, die Herta Singer-Blaukopf besorgte, als: Gustav Mahler und Guido Adler. Zur Geschichte einer Freundschaft (Bibliothek der Internationalen Gustav Mahler Gesellschaft). Wien 1978. Dieser vollständigere Text bildete wiederum den Ausgangspunkt für eine neue englische Ausgabe, die um die Übersetzung und Kommentierung der MahlerBiographie von Adler erweitert wurde zu: Gustav Mahler and Guido Adler. Records of a Friendship. New York 1982, unveränd. Nachdruck 2009. Zu der Bezeichnung „der führende Komponist und der führende Musikwissenschaftler“ siehe Reilly, Gustav Mahler und Guido Adler, S. 9. Ebenda S. 10.

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Chormeisterstelle im Wiener Akademischen Wagner-Verein, dem beide angehörten, empfahl, wenn auch vergeblich.4 Weitere (erfolgreiche) Unterstützungen für den Direktorsposten an der Budapester (1888) und Wiener Oper (1897) sowie die Drucklegung der ersten drei Symphonien (ebenfalls 1897) folgten.5 1898 wird Mahler auf Adlers Betreiben als Nachfolger von Brahms Mitglied der Leitenden Kommission der Denkmäler der Tonkunst in Österreich.6 Ende 1904 verfasste Adler im Vorfeld der Diskussionen um eine Verstaatlichung des Konservatoriums der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien ein Memorandum an Minister Wilhelm Ritter von Hartel, in dem er Mahler als obersten Leiter dieser Institution und gewissermaßen Vertrauensperson der Regierung vorschlägt, ein Projekt, das in den folgenden Jahren mehrfach aufgegriffen wird, letztlich aber scheitert.7 Diese Aufzählung von Adlers Hilfeleistungen könnte also irrtümlich den Eindruck erwecken, dass die Freundschaft ein wenig einseitig und primär von sachlich-nüchternen Erwägungen geprägt war. Wie sehr Mahler seinen Freund schätzte, geht aber nicht zuletzt aus der Widmung der autographen Orchesterpartitur des Liedes Ich bin der Welt abhanden gekommen an Adler zu dessen 50. Geburtstag 1905 hervor: „Meinem theuren Freunde / Guido Adler / (der mir nie abhanden kommen möge)“.8 Über Adlers Herzlichkeit im persönlichen Umgang mit Freunden berichtet wiederum u. a. Carl Engel.9 Fünfzehn Jahre nach Mahlers Tod initiierte Adler noch ein Komitee, das Vorarbeiten zur Errichtung eines Mahler-Denkmals leistete, die sich über Jahre hinzo-

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9

Ebenda S. 14 f. Ebenda S. 18 ff. Adler verfasste insgesamt zwei Berichte an die Gesellschaft zur Förderung deutscher Wissenschaft, Kunst und Literatur in Böhmen, mit denen er ein Ansuchen um Subvention für die Drucklegung von Mahlers ersten drei Symphonien unterstützte. Siehe Elisabeth Th. Hilscher, Denkmalpflege und Musikwissenschaft. Einhundert Jahre Gesellschaft zur Herausgabe der Tonkunst in Österreich (1893 –1993) (Wiener Veröffentlichungen zur Musikwissenschaft 33), Tutzing 1995. S. 75 ff. und Theophil Antonicek, Gustav Mahler und die DTÖ, in: http://www.dtoe.at/Infos/Mahler.php . Adler, Anm.1, S. 98; Reilly, Anm. 2, S. 42 ff. Die lange verschollen geglaubte Partitur wurde im Jahre 2000 von dem Wiener Anwalt Richard Heiserer, Sohn des gleichnamigen Rechtsvertreters von Adlers Tochter Melanie, für eine Auktion zu Sotheby’s in Wien gebracht. Sie war Teil jener wertvollen Bibliothek und Autographensammlung Adlers, die 1942 geplündert wurde und nach dem Zweiten Weltkrieg unter mühevollen Umständen durch Adlers Sohn Hubert Joachim (Achim) nur zum Teil in die USA gelangte (University of Georgia, Athans). Adlers Enkel Tom, der Heiserer sen. des Diebstahls bezichtigte, reichte eine Klage ein. Dessen Sohn behauptete dagegen, die Partitur sei das Anwaltshonorar gewesen. Vgl. Tom Adler with Anika Scott, Lost to the World, [Philadelphia, PA] 2002. Schließlich einigten sich beide im Jahre 2004 auf eine Versteigerung. Siehe Murray G. Hall, Christina Köstner, „… allerlei für die Nationalbibliothek zu ergattern …“. Eine österreichische Institution in der NS-Zeit. Wien 2006, S. 547. Carl Engel, Guido Adler in Retrospect, in: The Musical Quarterly 27/3 (Juli 1941), S. 391–400.

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gen, bis den Bemühungen schließlich 1939 durch die Nationalsozialisten ein Ende bereitet wurde.10 Nicht die Umstände dieser Freundschaft sollen aber im Folgenden im Zentrum stehen, sondern Adlers Verständnis und Beurteilung von Mahlers Werk vor dem Hintergrund seiner Auffassung von Musikgeschichte. Adlers Haltung zur Musik seiner Zeit war grundsätzlich von zwei Prämissen geprägt. Erstens war er davon überzeugt, als Musikhistoriker aufgrund seiner Kenntnis der langen musikalischen Entwicklungsgeschichte auch in der Lage zu sein, die gegenwärtige Musik einschätzen und sogar Prognosen für die Zukunft stellen zu können. Dieses Wissen gebe ihm zweitens das Recht, beratend in den aktuellen Verlauf des Musikgeschehens einzugreifen (z. B. vor Fehlentwicklungen zu warnen), den Komponisten also zu zeigen, wo es lang geht, oder in Adlers Worten: „durch die Erkenntnis der Kunst für die Kunst zu wirken“.11 Adlers musikwissenschaftliche Methodik nimmt in für das 19. Jahrhundert typischer Weise starke Anleihen bei der Naturwissenschaft.12 Erkennbar ist diese Neigung an einem Objektivitätsideal, das letztlich aus der Kunstwissenschaft in Analogie zu den Naturwissenschaften eine Gesetzeswissenschaft machen möchte, die sichere Erkenntnisse (im besten Fall eben Gesetze) mittels Induktion gewinnen will, um so von den einzelnen „Kunst“-Tatsachen zu Allgemeinbegriffen (z. B. Stil) zu kommen, deren Erkenntnis höchste Dignität erhält. Die Stilbestimmung wird so zur „Achse kunstwissenschaftlicher Erkenntnis“, und Stilfragen erklärt Adler zum „Sublimat aller theoretischen und historischen Untersuchungen“.13 Allerdings werden aus bloßen Erkennt10 11

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Reilly, Anm. 2, S. 65 f. Guido Adler, Musik und Musikwissenschaft. Akademische Antrittsrede, gehalten am 26. Oktober 1898 an der Universität Wien, in: Jahrbuch der Musikbibliothek Peters 5 (1898), S. 39. Vgl. dazu Barbara Boisits, Kulturwissenschaftliche Ansätze in Adlers Begriff von Musikwissenschaft, in: Musikwissenschaft als Kulturwissenschaft. Damals und heute. Internationales Symposium (1998) zum Jubiläum der Institutsgründung an der Universität vor 100 Jahren (Wiener Veröffentlichungen zur Musikwissenschaft 40). Hrsg. Gernot Gruber, Theophil Antonicek. Tutzing 2005, S. 125–139 sowie dies., Historismus und Musikwissenschaft um 1900. Guido Adlers Begründung der Musikwissenschaft im Zeichen des Historismus, in: Archiv für Kulturgeschichte 82 (2000), S. 377–389. Guido Adler, Der Stil in der Musik. I. Buch: Prinzipien und Arten des musikalischen Stils. Leipzig 1911, S. 1. Folgerichtig war die einzige Dissertation über Mahler, die Adler an der Wiener Universität betreute, eine „stilkritische“ Studie: Fritz Egon Pamer, Gustav Mahlers Lieder. Eine stilkritische Studie. Diss. Wien 1922. Ich möchte mich an dieser Stelle sehr herzlich bei Vlasta Reittererová und Hubert Reitterer bedanken, die mir Einblick in ihre noch ungedruckte Studie Guido Adler als Doktorvater gewährten, die u. a. alle Rigorosenakten über Adlers DissertantInnen enthält. Adler wollte die Studie Pamers, der bereits 1923 verstorben war, bei der UE als Buch herausbringen, aus unbekannten Gründen erfolgte letztlich ein Teildruck in den Studien zur Musikwissenschaft 16 (1929), S. 116–138 und 17 (1930), S. 105–127. Siehe Notiz vom

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nismitteln (Idealtypen im Sinne Max Webers) – nicht nur bei Adler – schnell normative Ideale, und die Feststellung, ein Werk entspreche nicht diesem und jenem Stil oder sei einem Stil nicht eindeutig zuzuordnen, wandelt sich in eine ästhetische (in Adlers Diktion: stilkritische) Verurteilung. Adlers konkretes naturwissenschaftliches Vorbild war die Biologie.14 Seine Schriften sind durchsetzt von biologischen Metaphern (etwa wenn von Aufstieg, Blüte und Verfall von Epochen oder Gattungen die Rede ist oder vom „organische[n] Entwicklungsgang“ von Künstlern und Kunstwerken15). Vor allem seine Auffassung von Musikgeschichte als Entwicklungsgeschichte ist stark von der Evolutionstheorie geprägt – mit gravierenden Folgen für das Verständnis zeitgenössischer Musik. Denn die biologische Forschung im 19. Jahrhundert ging von einer nur schrittweisen, aber steten Veränderung von Lebewesen aus. Carl von Linnés Überzeugung „natura non facit saltus“ (die Natur macht keine Sprünge)16 wurde Grundmaxime des nachfolgenden Gradualismus, der gleichmäßige Veränderungen in der Evolution voraussetzt. Ähnlich sieht auch Adler in der Musikgeschichte „eine Stetigkeit der Entwicklung, die trotz aller Schwankungen besteht“.17 Wie die Natur im harten Überlebenskampf schlecht angepasste Lebewesen zugrunde gehen lässt, so werden vom Musikhistoriker „die entwicklungsgeschichtlich minderwertigen oder gar wertlosen Werke zur Erleichterung des Verfahrens ausgeschaltet […]. In der Tat ist es erstaunlich, wie relativ wenige Werke dann als Glieder in die sich schließende Kette aufzunehmen sind“.18 Die an anderer Stelle als „Wucher- und Aftergewächse“19 bezeichneten ‚Fehlentwicklungen‘ genügen nämlich nicht der organologischen Vorstellung einer einheitlichen Entwicklung eines Werks, etwa aus einem musikalischen Keim (Motiv, Thema). Dieser Einheitsgedanke, der allen Stilebenen (wie Personal-, Gattungs- oder Epochenstil) zugrundeliegt, weiß mit „absichtsvoller Heterogenität, Diskontinuität und Mehrschichtigkeit“20 nichts anzufangen: „Eine Zeit, wie die unsrige, in der der Subjek-

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14. 1. 1928 in der Korrespondenz Adler / Universal-Edition, die in der Musiksammlung der Wienbibliothek aufbewahrt wird. Vgl. dazu Wolfgang Dömling, Musikgeschichte als Stilgeschichte. Bemerkungen zum musikhistorischen Konzept Guido Adlers, in: International Review of the Aesthetics and Sociology of Music 4/1 (Juni 1973), S. 35–50 sowie Barbara Boisits, Das Organische und das Mechanische. Zwei Entwicklungsbegriffe im Spannungsfeld zwischen Musik- und Weltanschauung zur Zeit der Moderne, in: Zerfall und Rekonstruktion. Identitäten und ihre Repräsentation in der Österreichischen Moderne (Studien zur Moderne 5). Hrsg. Hildegard Kernmayer. Wien 1999, S. 207–243. Guido Adler, Methode der Musikgeschichte. Leipzig 1919, S. 14. Carl von Linné, Philosophia Botanica. Stockholm 1751, Nr. 77. Adler, Anm. 15, S. 15. Ebenda S. 143. Ebenda S. 66. Dömling, Anm. 14, S. 48.

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tivismus fast ins Schrankenlose geraten ist, ist der Neubildung stilhafter Formen nicht günstig. Kühne Experimente, überschwengliche Versuche liegen fast immer außerhalb der organischen Entwicklungslinie.“21 Man ahnt bereits, dass diese Sichtweise mit der zweiten Prämisse, der selbst zugeteilten Rolle als Komponistenmentor, leicht in Kollision gerät, einer Rolle, die Adler im Jahre 1885 in folgendes idyllische Bild gekleidet hatte: Kunst und Kunstwissenschaft haben nicht getrennte Gebiete […], und nur die Art der Bearbeitung ist verschieden: der Künstler baut in dem Haine seinen Tempel auf, in dem Haine, dessen Düfte sich aus den frei wachsenden Blüthen immer wieder neu beleben. Der Kunsttheoretiker macht den Boden zugänglich und wegsam, er erzieht den Jüngling zu seiner Lebensaufgabe und begleitet den inspiriert Schaffenden als Lebensgefährte. Sieht der Kunstgelehrte, dass es nicht zum Besten der Kunst ausfällt, so will er ihn auf die richtige Bahn führen. Steht das Gebäude da, so hütet und vertheidigt es der Kunsthistoriker, verbessert die schadhaft gewordenen Theile und wird es gar baufällig, so stützt er es, um es der Nachwelt zu erhalten.22

Der Musikwissenschaftler als Erzieher, der Komponist als Schüler, dem die Bahn, in der er sich bewegen darf, genau vorgezeichnet wird: Anders als Nietzsche, der einen wahren Erzieher als „Befreier“ versteht23, sieht Adler es als seine Aufgabe, Verbote und Einschränkungen aufzuzeigen. Kein Wunder also, dass die so belehrten Komponisten gerne Adlers handfestere Hilfe annahmen24, sich den künstlerischen Ratschlägen gegenüber aber zurückhaltend oder gar ironisch25 zeigten. 21 22

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Adler, Anm. 15, S. 145. Guido Adler, Umfang, Methode und Ziel der Musikwissenschaft, in: Vierteljahrsschrift für Musikwissenschaft 1 (1885), S. 5–20, hier S. 15 und 18. Wie wichtig ihm diese Auffassung war, geht allein daraus hervor, dass er sie selbst mindestens noch zweimal zitierte: in seinem Zeitungsartikel Künstler und Kunstforscher, in: Neue Freie Presse Nr. 18457, 10. Januar 1916, S. 10 sowie in seiner Autobiographie Wollen und Wirken, Anm. 1, S. 40. Friedrich Nietzsche, Unzeitgemäße Betrachtungen III (Schopenhauer als Erzieher), in: Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe in 15 Einzelbänden. Hrsg. Giorgio Colli und Mazzino Montinari. Bd. 1. München 21988, S. 341. Nietzsche bekämpfte nicht zuletzt in dieser Schrift jenen wissenschaftlichen Objektivismus, den Adler unbedingt vertrat. Unter deutschnationalen, noch stärker antiliberalen und wissenschaftsfeindlichen Vorzeichen verfasste dann Julius Langbehn 1890 seine Schrift Rembrandt als Erzieher. Einige von Adlers Unternehmungen, Mahler zu helfen, wurden eingangs erwähnt. Bekannt ist auch seine Unterstützung jener jungen Komponisten (unter ihnen Schönberg, Zemlinsky, Franz Schmidt und Karl Weigl), die sich 1904 zur Vereinigung schaffender Tonkünstler in Wien zusammengeschlossen hatten, die von Adler publizistisch gefördert wurde, allerdings mit der für Adler typischen Einschränkung, sie möge „eine günstige Aufnahme finden, wenn sie es verdient.“ Guido Adler, Eine neue musikalische Vereinigung in Wien, in: Neue Freie Presse Nr. 14225, 1. April 1904, S. 1 ff., hier S. 3. Für Schönberg existentiell wichtig war ferner, dass Adler ihm eine Reihe seiner Studenten für den Kompositionsunterricht vermittelte und 1915 zugunsten einer Befreiung vom Wehrdienst intervenierte. Siehe Gabriele Johanna Eder, Guido Adler. Grenzgänger zwischen Musikwissenschaft und Kulturleben, in: Musikwissenschaft als Kulturwissenschaft, Anm. 12, S. 101–123, hier S. 108–114. Das Einhalten von Gattungsgrenzen war Adler wichtig und von daher eine entsprechende Reserve gegen-

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Adlers kunstpädagogische Absichten kommen auch in seiner Mahler-Biographie stark zum Ausdruck. Diese ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Sie erschien erstmals im Jahre 1914 „über dringendes Ersuchen“26 seines Freundes Anton Bettelheim in dessen Biographische[m] Jahrbuch und deutsche[m] Nekrolog.27 Zwei Jahre später brachte sie, mit einem Vorwort Adlers und einigen Korrekturen versehen, die Universal-Edition28 als selbständige Schrift heraus.29 Als umfassende Darstellung von Mahlers Wirken nimmt sie eine besondere Stellung gegenüber den anderen, kleineren Publikationen30 Adlers über Mahler ein. Adler enttäuscht im Vorwort zur 2. Auflage die Erwartungen all jener Leser, die wohl hoffen durften, von dem mit Mahler seit gemeinsamen Konservatoriumstagen befreundeten Autor weniger bekannte Details aus dem Leben des Komponisten zu erfahren. Ähnlich wie Jahre später in seiner Autobiographie möchte Adler aber das rein Persönliche ganz hintangestellt wissen. Unmissverständlich macht er klar, dass ein „Einblick in das innerste Wesen Mahlers“ weniger „durch persönliche Beziehungen erreicht, als vielmehr durch methodisch-kunstwissenschaftliches Vorgehen geläutert und gefestigt“31 werden kann. Gegen die Mängel üblicher Musikerbiographien emp-

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über dem gesungenen Wort in Symphonien erklärlich. Dies dürfte zwischen ihm und Mahler verschiedentlich thematisiert worden sein. So könnte man jedenfalls folgende Stelle aus einem Brief Mahlers deuten: „Meine Braut heißt Alma Schindler. Falls Du sie kennst, weißt Du alles; falls nicht, so müßte ich wieder die Grenzen der Kunst überschreiten, und mit Worten malen wollen.“ Brief zwischen 22. und 27. Dezember 1901, in: Reilly, Anm. 2, S. 37. Adler, Anm. 1, S. 81. Der Schriftsteller und Journalist Anton Bettelheim (1851–1930) redigierte das Jahrbuch von 1897 bis 1918, war von 1908 bis 1910 Leiter der Allgemeine Deutschen Biographie und Initiator der Neuen Österreichischen Biographie, die er von 1923 bis 1930 leitete. Österreichisches Biographisches Lexikon. Bd. 1. Graz–Köln 1957, S. 78 f. Guido Adler, Mahler, Gustav, in: Biographisches Jahrbuch und deutscher Nekrolog, Bd. 16: Vom 1. Januar bis 31. Dezember 1911. Hrsg. Anton Bettelheim, Berlin 1914, S. 3–41. Die in Anm. 13 erwähnte Korrespondenz Adler / Universal-Edition enthält auch einige Briefe und Karten, die sich auf Adlers Mahler-Buch beziehen. Guido Adler, Gustav Mahler. 2. Aufl. Wien–Leipzig 1916. Anders als Adler im Vorwort (S. 5) angibt, betreffen die Korrekturen keineswegs nur die chronologische Tabelle am Ende des Textes, wenn auch in diesem Teil die größten Veränderungen anzufinden sind. Eine englische Übersetzung dieser zweiten Auflage mit hinzugefügten Notenbeispielen, Anmerkungen, einem Teilabdruck des ungedruckt gebliebenen Nachworts sowie Angaben über einen Teil der Korrekturen gegenüber der ersten Auflage findet sich, wie erwähnt, bei Edward R. Reilly, Anm. 2, S. 13–73, S. 112 und S. 130–138. „Euryanthe“ in neuer Einrichtung, in: Zeitschrift der Internationalen Musikgesellschaft 5 (1903/04), S. 267– 275; Ein Freundeswort, in: Gustav Mahler. Ein Bild seiner Persönlichkeit in Widmungen. [Hrsg. Paul Stefan]. München 1910, S. 3–6 (Vorabdruck unter dem Titel: An Gustav Mahler. Ein Freundeswort zum 50. Geburtstag, 7. Juli 1910, in: Neue Freie Presse, 7. Juli 1910), S. 7 f.); Zum Mahler-Fest in Amsterdam, in: Musikblätter des Anbruch 2 (1920), S. 255 f.; Gustav Mahlers Persönlichkeit, in: Das Mahler-Fest Amsterdam Mai 1920. Vorträge und Berichte. Hrsg. C. Rudolf Mengelberg. Wien–Leipzig 1920; Mahler-Fest in Amsterdam, in: Zeitschrift für Musikwissenschaft 2 (1919/20), S. 607 f. Adler, Anm. 29, S. 4.

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fiehlt er als „sicherste Schutzmittel […] historische Schulung und wissenschaftliche Erfahrung.“32 Persönliche Beziehungen bleiben also weitgehend ausgeschlossen, um das „Bild von höherer Warte aus ins Auge zu fassen.“33 Im Unterschied zu den Ausführungen über die kompositorische Entwicklung und den Werkcharakterisierungen wirkt so die Schilderung des Lebens und des Umfeldes von Mahler merkwürdig blass, mit einer allerdings entscheidenden Ausnahme: Adler lässt keine Gelegenheit aus, die ethisch-moralischen Vorzüge Mahlers immer aufs Neue hervorzuheben.34 Ob in der Sorge um die Geschwister nach dem Tode der Eltern35, in seinem Bildungseifer36, der noch dazu dem harten Arbeitsalltag erst abgerungen werden musste37, in seiner „Güte und Energie“, die sich allerdings „in der göttlichen Mania des Künstlers“ mitunter zum „Fanatismus“38 steigere, in seiner Vornehmheit, die es nicht erlaubt habe, für die Uraufführung einzelner Symphonien in Wien zu kämpfen39: überall zeige sich Mahler als Mensch vorbildlich. Auch die künstlerische Tätigkeit wird ganz wesentlich unter diesem ethischen Aspekt betrachtet, als Kampf „um Durchsetzung der erhabensten, reinsten Ideale der Tonkunst“.40 An der „Echtheit und Vornehmheit“ von Mahlers „Gesinnungen“41, an der „Offenheit seines Wesens“42 könne nicht gezweifelt werden, nichts sei „frivol“, überall walte „der tiefe sittliche Ernst des Künstlers“43, der Bachs Werke studierte, „um von des Tages Gewirr sich zu erholen und zu stärken“44 und sich von der Opernpro32 33

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Ebenda. Ebenda S. 4 f. Auch in seiner Autobiographie hebt er diesen Punkt hervor: „Immer beobachtete ich eine gewisse Distanz […]. Wie betrübend ist die Leichtfertigkeit mancher Schreiber, die [Hermann] Kretzschmar ‚Schnellbiographen‘ nennt. Die privaten Angelegenheiten, die Schwächen bilden manchmal einen Hauptanziehungspunkt für die düpierten Leser, wie Bühnenstücke über Künstler und andere ‚interessante‘ Persönlichkeiten. Mein Wesen widerstrebt diesen Lockungen und findet eine wissenschaftliche Stütze in den strengen Stiluntersuchungen“. Adler, Anm. 1, S. 81 f. Die Rolle, die bürgerliche Moral in den Musikgeschichten des 19. Jahrhunderts spielt, untersuchte Frank Hentschel in seinem Buch Bürgerliche Ideologie und Musik. Politik der Musikgeschichtsschreibung in Deutschland 1776–1871. Frankfurt am Main–New York 2006, vor allem S. 427–485. Adler, Anm. 29, S. 10. Ebenda. Ebenda S. 35. Ebenda S. 41. Ebenda S. 21. Ebenda S. 6 f. Gerade dieser idealistische Aspekt wird auch von anderen frühen Mahler-Biographen wie Paul Stefan (Gustav Mahler. Eine Studie über Persönlichkeit und Werk. München 1910) und Richard Specht (Gustav Mahler. Berlin 1913) hervorgehoben. Siehe Reilly, Anm. 2, S. 4. Ebenda S. 46. Ebenda S. 48. Ebenda S. 46. Ebenda S. 35.

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duktion abwandte, um „ganz ein[zu]tauchen in das Reich der reinen Musik.“45 Bürgerliche Moralvorstellungen, die Extreme zu vermeiden suchen, werden auch dort deutlich, wo Adler empfiehlt, Partituranweisungen wie „mit roher Kraft“ und „wie gepeitscht“ (im Scherzo der Sechsten Symphonie) keineswegs zu wörtlich zu nehmen, damit solche Stellen nicht „aus dem Rahmen des Ganzen gerissen“46 würden. Die an einzelnen Stellen anzutreffende vorsichtige Kritik ist ebenfalls oft unter diesem ethischen Gesichtspunkt zu sehen: Denn nur „auf dem Grunde ernster Lebensauffassung“47 seien die im symphonischen Werk vorkommenden Trivialitäten überhaupt zu dulden. „Das Groteske, Bizarre, Ironische, Parodistische in einzelnen Stellen und Sätzen kann [nämlich] leicht mißverstanden werden.“48 Zum Glück heben das „hohe Pathos, der befreiende Humor, die zarte Heiterkeit [...] über die Schroffheiten hinweg“.49 Ganz kann Adler Mahler aber nicht den Vorwurf einer vereinzelt anzutreffenden „Überreizung“ beim Komponieren und Dirigieren50 ersparen, eines „Hypersubjektivismus“51, der für ihn allgemein als Kennzeichen der „Moderne“ gilt. Überhaupt kann der Nachweis Mahlers als eines Hauptvertreters der musikalischen Moderne neben Richard Strauss und Max Reger als eines der wichtigsten Ziele von Adlers Biographie gesehen werden. Dabei wird Mahlers „Muse“ als „tonpoetisch die verklärteste und ideell dem Höchsten zustrebende“52 besonders hervorgehoben. Insgesamt ist Adlers Haltung der Moderne gegenüber aber überaus ambivalent, wie bereits mit dem Hinweis auf seine evolutionäre Geschichtsauffassung deutlich wurde. In der Einleitung zu dem von einem Autorenkollektiv verfassten, nach nationalen Kriterien unterteilten Moderne-Kapitel53 des von ihm herausgegebenen Handbuches der Musikgeschichte äußert Adler Bedenken gegenüber der musikhistorischen Behand45 46 47 48 49 50 51 52 53

Ebenda S. 78. Ebenda S. 82. Ebenda S. 74. Ebenda S. 92. Ebenda. Ebenda S. 31. Ebenda S. 93. Ebenda S. 94. Handbuch der Musikgeschichte. Zweiter Teil. Hrsg. Guido Adler, Berlin-Wilmersdorf 21930, S. 997–1201. Die Autoren waren Paul A. Pisk (Deutsche), A. E. Cherbuliez (deutsche Schweiz), Edward Dent (Engländer), Henry Prunières (Franzosen), Ernest Closson / Charles van den Borren (Belgier), A. E. Cherbuliez (romanische Schweiz), Rudolf Mengelberg (Holländer), Gaëtano Cesari (Italiener), Adolfo Salazar (Spanier), Alice Cámara-Santos Halffter (Portugiesen), Knud Jeppesen (Dänen), Reidar Mjoën (Norweger), Tobias Norlind (Schweden), Foivo Haapanen (Finnen), Elmar Arro (Esten), Oskar von Riesemann (Russen), Zdzislav Jachimecki (Polen), Elmar Arro (Letten), Elmar Arro (Litauer), Dobroslav Orel (Tschechoslowaken), Josef Mantuani (Südslaven), Aladár von Tóth (Ungarn), Felix Petyrek (Griechen), Emil Riegler-Dinu (Rumänen) und Carl Engel (Amerika).

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lung der Musik seiner Zeit, die er mit einer Reihe seiner Fach- und Zeitgenossen teilte.54 Man müsse für diese Zeit nämlich den „streng historischen Boden“ verlassen und „Kompromisse zwischen Geschichtsschreibung und Tagesschriftstellerei“55 schließen. Der gegenwärtige Stilpluralismus mache es zudem unmöglich, einen entscheidenden Entwicklungsstrang zu erkennen: „Wir gewahren einen Wirrwarr und Konflikt der Stile – die Tonkunst ist in einer Stromschnelle begriffen“.56 Am schwersten wiege aber die Unmöglichkeit eines festen Regelwerkes für die Erkennung von Meisterschaft. „So sind Quinten-, Quarten-, Sekunden-, Septimengänge ein koloristischer Reiz der Moderne geworden und entstellen die Satzführung, sodaß man Stümper von geschulten Tonsetzern, die sich solcher Irregularitäten bedienen, manchmal nicht unterscheiden kann.“57 Überhaupt begünstige die Moderne „mehr das Schillernde, Irisierende, ist besonders erfolgreich im Grotesken und duldet das Häßliche als gleichwertig, ohne es vielleicht als solches zu empfinden“.58 Fraglos war es aber nicht Mahler, dessen Entwicklung ihm vorrangig Unbehagen bereitete, sondern primär Schönberg. 1907 soll er nach Auskunft Alma Mahlers nach der zweiten Aufführung von Schönbergs Kammersymphonie op. 9 gesagt haben: „Ich bin nach Hause gegangen und habe über die Wege der Musik geweint! Ja, ich habe geweint …“59 In einem vermutlich 1922 verfassten Artikel für die Encyclopaedia Britannica, der allerdings nicht publiziert wurde, bezeichnet Adler Schönberg als einen „Großexperimenter und Berufssucher“.60 Vieles von dieser Unsicherheit im Umgang mit der musikalischen Gegenwart klingt bereits im Mahler-Buch an. So wird das Nebeneinander von Erhabenem und Alltäglichem in den Symphonien zwar hermeneutisch61 mit den Höhen und Tiefen des 54

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Siehe dazu Barbara Boisits, Konstruktion einer musikalischen Moderne vor dem Hintergrund der Tradition, in: Antje Senarclens de Grancy. Moderne als Konstruktion. Debatten, Diskurse, Positionen um 1900 (Studien zur Moderne 14). Hrsg. Heidemarie Uhl. Wien 2001, S. 199–214. Dieser Argumentation folgte man noch bei der Neuauflage von Adlers Handbuch im Jahre 1961 und strich daher dieses Kapitel mit der Begründung, die Autoren wären diesem Zeitraum (1880–1930) noch zu nahe gestanden, „als dass sie über ihn historische Aussagen von einiger Gültigkeit und Dauer hätten machen können“ (Bd. 1, S. [I]). Offensichtlich meinte man, die Standort- und Zeitgebundenheit der Autoren hätte bei den übrigen Kapiteln keine Rolle gespielt. Adler, Die Moderne. Allgemeines, in: ders., Anm. 53, S. 997. Ebenda S. 998. Ebenda S. 999. Ebenda S. 1001. Zum Grotesken als Bestimmungsmerkmal der Moderne vgl. Federico Celestini, Die Unordnung der Dinge. Das musikalische Groteske in der Wiener Moderne (1885–1914). (Beihefte zum Archiv für Musikwissenschaft 56). [Stuttgart] 2006. Alma Mahler, Gustav Mahler. Erinnerungen und Briefe. Wien 1949, S. 142. Guido Adler, Oesterreichische Musik im letzten Jahrzehnt (Ms.), zitiert nach: Eder, Anm. 24, S. 113, über den Artikel ebenda, S. 109, Anm. 36. Grundsätzlich war Adler kein Freund musikalischer Hermeutik, wie sie von Hermann Kretzschmar praktiziert wurde, da sie seiner Meinung nicht über die ältere Affektenlehre und Gefühlsästhetik hinausgekommen sei. Vgl. Adler, Anm. 15, S. 125 f.

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Lebens erklärt62, und die Wiedergabe aller seelischen Regungen63 (der „Kakophonien des Seelenlebens“64) mache, gerade weil er darin vielleicht zu weit gegangen sei, Mahler zu einem „echte[n] und rechte[n] Vertreter der ‚Moderne‘ des letzten Jahrzehnts des vorigen und des ersten Jahrzehnts unseres Jahrhunderts“65 – ganz glücklich ist Adler mit dieser Konstatierung jedenfalls nicht. Hatte er doch in seinem Stilbuch die „Verquickung von großen und kleinen Stilmomenten“ als „der Stilvollendung abträglich“ bestimmt.66 Und so fragt sich Adler, ob die „Trivialitäten“ in Mahlers Symphonien, „in einem Jahrhundert auch so veredelt klingen [werden], wie heute die Töne der Dorfschenke bei Beethoven“.67 Viel von Adlers Verunsicherung verrät auch die Kennzeichnung reicher „Nebengedanken“ im Scherzo der Fünften und im Finale der Sechsten als „fast in babylonischer Turmbauart“.68 Als moderne Kennzeichen bei Mahler nennt Adler die gleichzeitige Verwendung von Dur und Moll, das unmittelbare Aufeinanderfolgen verschiedener Tonarten69, weit ausgreifende Themen70 sowie die Häufung von Nebengedanken.71 Wo Mahler sich für den Ausdruck von gewissen Stimmungen ‚Archaismen‘ bedient, lässt Adler sich nicht die Chance entgehen, solchen Stellen historische Tiefe (und damit Legitimation) zu geben, indem er ihr früheres Auftreten in der Musikgeschichte herausstreicht: etwa organale Quinten- und Oktavenparallelen, „Quarten nach Art der alten Niederländer“72, Nachahmung von Glockenstimmen73, Skordatur74 u. a. Geradezu erleichtert vermerkt er später in seinem Handbuch: „[I]n der Tat greift die Moderne in die Vergangenheit“.75 Positiv vermerkt wird ferner die Verwendung österreichischer 62 63

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Adler, Anm. 29, S. 42. In der ersten Auflage bezeichnet er Mahler gar als „Seelenmaler“. Adler, Anm. 27, S. 35. Die Stelle wurde in der zweiten Auflage gestrichen. Adler, Anm. 29, S. 64. Bereits 1897 hatte Adler in dem schon genannten Bericht an die Gesellschaft zur Förderung deutscher Wissenschaft, Kunst und Literatur in Böhmen (Anm. 5) auf die „unerhörten Kakophonien“ im dritten Satz der Dritten Symphonie aufmerksam gemacht. Reilly, Anm. 2, S. 26. Adler, Anm. 29, S. 60. Adler, Anm. 13, S. 224. Adler, Anm. 29, S. 74. Ebenda S. 68. Ebenda S. 62. Ebenda S. 67. An dieser Stelle verweist Adler auf sein Stilbuch. Im Anschluss an die Charakterisierung des Ambitus des Themas aus Richard Strauss’ Heldenleben als „eine in früheren Stilperioden unmögliche Erscheinung“ setzt er dort fort: „Die zeitliche Ausdehnung der Hauptthemen in den ersten Sätzen der IV. und VII. Symphonie von Gustav Mahler mit 50, bzw. 70 Takten überschreitet auch das Normalmaß in der vorangegangenen Literatur.“ Adler, Anm. 13, S. 55. Adler, Anm. 29, S. 68. Ebenda S. 64. Ebenda S. 72. Ebenda S. 70 f. Adler, Anm. 53, S. 997.

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(d. h. vor aller böhmisch-mährischer) Volks- und Militärmusik.76 In der Einbeziehung von Volksliedern sahen Adler und viele seiner Zeitgenossen überhaupt ein probates Mittel, die allzu experimentierfreudige Moderne zu ‚zähmen‘: „Tonsetzer, die sich den Zusammenhang mit der Volksmusik gewahrt haben […] ziehen frische Kräfte aus dem Boden, und ihre Saat ist schmackhafter und nahrhafter.“77 Adler ist bei der kompositionsgeschichtlichen Würdigung Mahlers wohl aus Gründen freundschaftlicher Pietät und echter Wertschätzung von dessen idealistischen künstlerischen Absichten überaus vorsichtig. Nirgends spricht er deutlich aus, dass Mahlers Schaffen und seine eigene Stilauffassung in Wirklichkeit einen unüberbrückbaren Gegensatz darstellen, dass unter dem Postulat stilistischer Einheitlichkeit78 „die Symphonik Mahlers lediglich als Negation erfasst werden [konnte]: als Mangel, Fehlen oder Bruch.“79 Wo er über ‚Defizite‘ der Moderne spricht und mitunter auch harte Urteile fällt80, nennt er Mahler nicht als Beispiel81, wo Mahler genannt wird, geht er behutsam vor, und erinnert daran, dass das historische Urteil noch nicht endgültig sein kann.82 Diese Ansicht hatte er Mahler sogar zu Lebzeiten persönlich als „Freundeswort“ zu dessen 50. Geburtstag mitgeteilt, ja geradezu unter Berufung auf Mahlers Bildung zugemutet: „Wie Du weißt und als literarisch hochgebildeter Mann selbst erkennst, kann ein Historiker eine künstlerische Persönlichkeit nur dann in den Rahmen der Geschichte einreihen, wenn ihr Wirken abgeschlossen vorliegt.“83 Ein Jahr später verstarb Mahler, „bevor sein Geist das vollendete, was er der Welt noch zu sagen gehabt hätte.“84 76

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Adler, Anm. 29, S. 9 und S. 53. Die erste Auflage verwendet allerdings statt der Bezeichnung „Soldatentum“ abschätziger den Begriff „Soldateska“ (1. Aufl., S. 21). Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges fand Adler diesen Ausdruck möglicherweise nicht mehr opportun. In seinem Nachruf auf Karl Goldmark bezeichnet er Mahler gar „als Verherrlicher des österreichischen Soldatentums“. Guido Adler, Karl Goldmark. Worte des Gedenkens, gesprochen am 28. Januar 1915 im Wiener Tonkünstlerverein, in: Neue Freie Presse, Nr. 18116, 29. Januar 1915, S. 14. Adler, Anm. 53, S. 1001. Am meisten fehlte Adler bei der Moderne, was er im klassischen Stil paradigmatisch verwirklicht sah: „Kongruenz der Teile und Teilchen, […] Beherrschung im Gebrauch und […] Ökonomie der Mittel, […] relative Ausdruckskraft bei innerer Zurückhaltung, um eine gewisse Schönheitsgrenze nicht zu überschreiten“. Adler, Anm. 13, S. 225. Celestini, Anm. 58, S. 111. Vgl. etwa folgende Stelle über „Neuerungssüchtige“, die „aus Mangel an Geschick und an Beherrschung der normativen Satzführung die Tonklexereien ‚begehen‘“ und die er als „unfähige Sudler“ bezeichnet, unvermeidbar in „Zeiten der Stilübergänge“. Adler, Anm. 13, S. 257. Im Stilbuch wird Mahler überhaupt nur einmal genannt (siehe die in Anm. 70 nachgewiesene Stelle). Adler, Anm. 29, S. 5. Adler, Ein Freundeswort, Anm. 30, S. 3. Adler, Anm. 29, S. 8.

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Wohl im Reflex auf antisemitische Interpretationen85 ist Adlers Verankerung von Mahlers Werk im Kontext „deutscher“ Musik zu sehen. Er weist den Vorwurf des Eklektizismus schärfstens zurück. Dieser sei vor allem von jenen erhoben worden, die sich auf die „schiefen Grundlagen“86 Houston Stewart Chamberlains beriefen, jenes Schwiegersohns von Richard Wagner und Vertreters eines Rassenantisemitismus, dessen Hauptwerk87 1896/97 in Wien entstanden war.88 Dagegen stellt Adler fest: „Mahler steht auf dem festen Grunde deutscher Bildung.“89 Er zitiert Gerhart Hauptmanns Urteil, wonach Mahler „die Dämonie und Feuermoral deutscher Meister“ habe.90 Als musikalische ‚Beweise‘ führt Adler an, daß Mahlers Melodik auf dem Boden der heimatlichen Volksmusik erwachsen ist, seine Satzweise sich an der Thematik der obgenannten Meister [Beethoven, Schubert, Bruckner, Brahms] herangebildet hat, daß seine Lieder schon in sprachlicher Behandlung die engste Zusammengehörigkeit des Tonsetzers mit dem Wortdichter, bei den von ihm verfaßen und vertonten Gedichten die untrennbare Einheit deutschen Sprach- und Musikgefühls offenbart [sic].91

Adler repliziert mit der Betonung von Mahlers Verankerung in der deutschen Literatur und Sprache auf jenes Standardvorurteil im antijüdischen Diskurs des 19. Jahrhunderts, gemäß welchem die jüdische Bevölkerung unfähig sei, die deutsche Sprache korrekt zu erlernen und daher nur ein „Mauscheln“ zustande bringe.92 85

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Im zeitlichen Umfeld von Adlers Biographie und noch zu Lebzeiten Mahlers war bereits eine Reihe von Literatur erschienen, die sich – meist in eindeutig antisemitischer Absicht – mit dem Jüdischen in Mahlers Musik auseinandersetzte; siehe etwa Richard Batka, Das Jüdische bei Gustav Mahler, in: Der Kunstwart 23 (1910), S.97 f. oder Rudolf Louis, Die deutsche Musik der Gegenwart. 2. Aufl. München 1912, S. 188 f. Vgl. dazu Constantin Floros, Gustav Mahler. Bd. 1: Die geistige Welt Gustav Mahlers in systematischer Darstellung. Wiesbaden 1977, S. 87 ff. Die meisten antisemitischen Angriffe im Zusammenhang mit Mahlers Stellung als Direktor der Wiener Hofoper kamen allerdings von der Tagespresse. Für die spätere Zeit vgl. Gerhart Scheit / Wilhelm Svoboda, Feindbild Mahler. Zur antisemitischen Abwehr der Moderne in Österreich. Wien 2002. Erst nach Adlers Buch erschien Max Brods Versuch, Ähnlichkeiten zwischen Mahlers Musik und chassidischen Volksliedern herauszuarbeiten. Max Brod, Jüdische Volksmelodien, in: Der Jude 1 (1916/17), S. 344 f., wieder veröffentlicht unter dem Titel: Gustav Mahlers jüdische Melodien, in: Musikblätter des Anbruch 2/10 (1920), S. 378 f. Adler, Anm. 29, S. 53. Houston Stewart Chamberlain, Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts. München 1899, zahlr. Auflagen. In seiner Wiener Zeit hatte Chamberlain öfter Adler in dessen Haus besucht. Adler, Anm. 1, S. 79. Adler, Anm. 29, S. 53. Ebenda S. 53. Der Ausspruch Hauptmanns findet sich in Gustav Mahler. Ein Bild seiner Persönlichkeit in Widmungen, Anm. 30, S. 2. Aus diesem Band zitiert Adler öfter, ohne allerdings die Quelle anzugeben. Adler, Anm. 29, S. 55. Vgl. Sander Gilman, Jüdischer Selbsthaß. Antisemitismus und die verborgene Sprache der Juden. Frankfurt am Main 1993.

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Auch im Dirigieren habe sich Mahler durch „stilreine“ Aufführungen von Wagner, Beethoven, Mozart, Lortzing u. a. als „wahrer deutscher Künstler“ erwiesen.93 Gerade bei der Charakterisierung der Entwicklung des Dirigierstils von Mahler unterlaufen Adler aber ungewollt Beschreibungsmuster, die eigentlich typisch für den antijüdischen Diskurs sind, nämlich die Behauptung des stets unruhigen, rastlosen, nervösen Juden: „In allem überlegend und überlegen läßt er sich in seinen Körperbewegungen frei ergehen, manchmal ins Groteske, mit nervösem Zucken und Aufschlagen des Fußes. Doch seine Bewegungen wurden im reiferen Alter immer konzentrierter.“94 Bereits in einem sehr frühen Manuskript betonte Adler Mahlers ‚ausufernde‘ Körperhaltung beim Dirigieren: „Sein Feuereifer entfacht Begeisterung aber zerschlug auch des Oefteren die Dirigentenlampe.“95 Im Übrigen betont Adler Mahlers „rücksichtslose[s] Eintreten für möglichste Vollkommenheit bei der Wiedergabe der Kunstwerke unserer und vergangener Zeit“96 auch gegen große Widerstände. Mahlers Wiener Mozart-Aufführungen hätten eine „Mozart-Renaissance“ mit herbeigeführt, „die in unserer Zeit der Ebbe der Opernproduktion als Not- und Jungbrunnen sich erwies.“97 Adler begrüßt weiters Mahlers Usus, die dritte Leonoren-Ouvertüre zwischen den beiden letzten Szenen in Beethovens Fidelio zu spielen98, übt aber sachte Kritik an der Einrichtung der Neunten Symphonie. Die Absicht, für größere Deutlichkeit zu sorgen und dem „Willen Beethovens“ nachzufühlen, sei zwar „löblich“, könne aber nicht „Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben“.99 Der Historiker werde „für die Reinerhaltung der authentischen Vorlage einzutreten haben“.100 Wie oben erwähnt, sind die zentralen Fragen in Adlers Mahler-Schrift jene nach der künstlerischen Entwicklung und ihrer Einschätzung. Das rein Biographische steht dagegen zurück, wird teils an eine chronologische Tabelle am Ende der Schrift ausgelagert oder erschöpft sich mitunter in lieblosen Aufzählungen von Namen101 (so wie umgekehrt von anderen Biographen oft Werke lieblos angeführt werden). Vor allem Adlers eigene Rolle in Mahlers Leben bleibt merkwürdig unterbelichtet. Wohl rühmt er sich im Vorwort, ein besonders intimer Kenner des Menschen Mahlers zu sein: 93 94 95

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Adler, Anm. 29, S. 55. Ebenda S. 59 f. Guido Adler, Entwurf eines Artikels über das Deutsche Theater in Prag, [1887 oder 1888], in: Reilly, Anm. 2, S. 18. Adler, Anm. 29, S. 7. Ebenda S. 24. Ebenda S. 25. Ebenda S. 32. Ebenda, S. 33. Vgl. etwa die Aufzählung von Freunden, ebenda S. 36.

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Wer dem Künstler und Menschen in jahrzehntelangem, trautem Verkehre folgen konnte, den intimsten Gedankenaustausch mit ihm pflegte, dem gleichen Kulturkreise angehörte, wird wohl billigerweise den Anspruch erheben dürfen, Einblick in das innerste Wesen Mahlers gewonnen zu haben.102

Dass für Adler das „methodisch-kunstwissenschaftliche Vorgehen“103 bei der Abfassung der Schrift Vorrang gegenüber biographischen Details hatte, erklärt aber noch nicht, wieso Adler selbst in Fällen, wo er eine eminente Rolle spielte, diese nicht immer anführt, so etwa bei der bereits erwähnten Unterstützung für den Druck der drei ersten Symphonien durch eine Eingabe bei der Gesellschaft zur Förderung deutscher Wissenschaft, Kunst und Literatur in Böhmen104 oder beim Versuch, Mahler durch eine Führungsfunktion im Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien zu halten.105 Gerade die Schilderung dieses Versuchs ist ein gutes Beispiel dafür, dass er auch bei der Nennung anderer Namen äußerste Vorsicht walten ließ. Mahlers Ablehnung dieser Position begründet Adler damit, dass Mahler durch „die beschämenden Verhältnisse, die seinen Rücktritt [vom Direktorposten an der Wiener Hofoper] zur Folge hatten, angewidert und durch anderweitige Einflüsse verstimmt, […] dem Lockruf […] nach Amerika Folge“ geleistet habe.106 Diese „anderweitigen“ Einflüsse waren in der ersten Auflage noch als „unverständige“107 bezeichnet; dass damit Mahlers Frau Alma gemeint war, wird in beiden Auflagen nicht ausgesprochen. Ohne sie direkt zu nennen, wirft Adler ihr auch vor, bereits im Vorfeld Mahlers zunehmenden „Ekel“ in Bezug auf seine Stelle wegen antisemitischer Angriffe, die Adler ebenfalls nicht deutlich anspricht, nicht ausgeglichen zu haben, im Gegenteil: Dieser „Ekel“ wäre „noch durch private Einflüsse verstärkt“108 worden, obwohl man gerade von dieser „Seite“, wie es nur in der ersten Auflage heißt, „hätte erwarten können, daß sie mildernd und ausgleichend wirkte.“109 Indirekt gibt Adler Alma auch eine Mitschuld am frühen Tod Mahlers: Sie hätte ihm zureden müssen, in Wien zu bleiben und die Konservatoriumsstelle anzunehmen, und selbst nicht den monetären Verlockungen Amerikas erliegen sollen, die für Mahler „keine besondere Anziehung“110 gehabt hätten. So aber wurde „der fast zu Tode Erschöpfte wegen des von ihm verachteten 102 103 104 105

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Ebenda S. 4. Ebenda. Ebenda S. 38. Vgl. dazu Reilly, Anm. 2, S. 18 ff. Ebenda S. 38 ff. Vgl. Reilly, Anm. 2, S. 42 ff. In seiner Autobiographie schreibt er ausführlicher über diesen Versuch, Anm. 1, S. 97 ff. Adler, Anm. 29, S. 40. Ebenda S. 16. Ebenda S. 29 f. Adler, Anm. 27, S. 12. Ebenda S. 37.

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Mammon von Anderen getrieben“, die „seine seelische Absonderung von der ‚alten Welt‘ in Absicht zogen und der üppigen Lebensführung der ‚neuen Welt‘ und neuen, ihm nichts weniger als sympathischen Kreisen zuführen wollten.“111 Die zuletzt angeführte Stelle blieb, für Adler typisch, ebenso ungedruckt wie folgende Einschätzung: „Ich bilde mir ein, daß sein Leben verlängert worden wäre im Dienste der heimischen Kunst“.112 Immer wieder thematisiert Adler, wenn auch wiederum meist nur unterschwellig, jene antisemitischen Angriffe, denen Mahler ausgesetzt war. Er spricht von den „niederen Instinkten, der Gehässigkeit der Widersacher, wie sie auf fast allen Gebieten des öffentlichen Lebens hervortreten“113, und davon, dass die Sache ein „Politicum“114 geworden sei. Nur an einer Stelle wird er etwas deutlicher, wenn er nämlich schreibt, dass die Anhänger Hans Richters, „eine natürliche Verstärkung durch die im Wiener Rathause zur Herrschaft gelangte politische Partei“ gefunden hätten. Für diese war nicht das künstlerische Moment ausschlaggebend, sondern das persönliche, der blinde Fanatismus, der, da Mahler […] zum Katholizismus übergetreten war, sich nicht gegen die Konfession kehren konnte, sondern gegen die Abstammung.115

Auch wenn hier die Christlichsoziale Partei unter Bürgermeister Karl Lueger116 nicht ausdrücklich genannt wird, wird der Rassenantisemitismus doch deutlicher als sonst angesprochen. Am Ende soll nicht unerwähnt bleiben, dass nicht nur der Musikwissenschaftler mit dem Verstehen des modernen Komponisten Probleme hatte, sondern auch umgekehrt: Mahler fehlte wohl das Verständnis für die wissenschaftliche Beschäftigung mit vor allem älterer Musik. Er beklagte die für ihn vergeudete Zeit, die er als Kommissionsmitglied bei Sitzungen der Denkmäler der Tonkunst in Österreich zubringen müsse, 111

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Adler, ungedrucktes Nachwort zur zweiten Auflage seiner Mahler-Biographie, in: Reilly, Anm. 2, S. 61. Reilly bringt Quellen, die nähere Auskunft über das Verhältnis zwischen Adler und Alma Mahler geben, das gerade in den Jahren unmittelbar vor und nach Mahlers Tod einen Tiefpunkt erreicht hatte. Sie steht in einer früheren handschriftlichen Fassung seiner Autobiographie Wollen und Wirken. Adler, Anm. 29, S. 7. Adler, Anm. 29, S. 29. Adler bezieht sich dabei auf ein Urteil Max Burckhards. Ders., Der Fall Mahler als Politicum, in: Gustav Mahler. Ein Bild seiner Persönlichkeit, Anm. 30, S. 44–50. Adler, Anm. 29, S. 20 f. Im Jahre 1909 überreichte Adler Lueger persönlich den Kongressbericht zur Haydn-Zentenarfeier. Dieser soll ihm bei der Gelegenheit versichert haben, dass er in den letzten drei Jahren seinen „ganzen Einfluß aufgeboten habe, um die Bewegung in ein ruhiges Fahrwasser zu bringen. […] Besonders auf deutschnationaler Seite ist eine Unruhe, die uns in der Politik furchtbare Schwierigkeiten bereitet. Dieses Hinauswollen, man weiß nicht wohin. […] Hier im Hause bin ich der erste Beamte der Stadt, aber ich bin nicht der allmächtige Herr …“ Adler, Anm. 1, S. 109.

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und meinte, dass die Reihe nur Werke von mäßiger Qualität enthalte.117 Vielleicht dachte Adler bei folgender Stelle seiner Antrittsvorlesung an der Wiener Universität, die er 1898 knapp nach Mahlers Berufung in die Leitende Kommission der DTÖ hielt, auch an seinen Freund: „In der Beurteilung solcher Männer der Kleinarbeit, der Vorbereitung und Überleitung unterscheiden sich zumeist die Künstler von den Gelehrten. Den Künstlern taugt nur das Vollendetste je einer Stilperiode, je einer Kunstepoche oder Vergangenheit; der Wissenschaftler darf nicht ermüden bei der Erforschung all der vorbereitenden und verbindenden Glieder der Kunstentwicklung.“118 Andererseits bemerkte er in seinem Antragsschreiben über Mahlers Aufnahme als Kommissionsmitglied, dieser habe „seine Studien in musikhistorischer Richtung zu vertiefen gesucht“ und die DTÖ-Bände, die er subskribiert habe119, „mit Eifer“ gelesen.120 Wunschdenken eines Freundes, oder war Mahler tatsächlich an der Musikwissenschaft interessiert? Mahler hatte neben philosophischen, historischen, kunsthistorischen und germanistischen Vorlesungen im Wintersemester 1879/80 – wie im Übrigen auch Adler – eine musikwissenschaftliche Vorlesung (Geschichte der Musik vom Tode Beethovens bis auf unsere Zeit)121 bei Hanslick gehört.122 Davon ein besonderes historisches oder gar wissenschaftliches Interesse abzuleiten, wäre wohl übertrieben, eher schon eine gewisse Skepsis à la Nietzsche123 gegenüber der (Musik)Historie als Wissenschaft zu vermuten, und das spätestens seit seinem Anschluss an den Pernerstorfer-Kreis, der um dieselbe Zeit erfolgte. Die bereits 1877/78 von Mahler belegten Harmonielehre- bzw. Kontrapunkt-Vorlesungen bei Bruckner, die allerdings keine wissenschaftlichen waren, hatte er wieder gestrichen.124 Adlers eigene Vorlesungen, die dieser als junger Dozent ab dem 117

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Reilly, Anm. 2, S. 31. Der Hinweis auf die Zeitvergeudung ist umso merkwürdiger, als Mahler überhaupt nur bei zwei Sitzungen anwesend war. Siehe Antonicek, Anm. 6. Adler, Anm. 1, S. 34. Konzept des Antrags zur Aufnahme von Mahler in die Leitende Kommission der DTÖ vom 23. Oktober 1898, zit. bei: Antonicek, Anm. 6. Adler, Anm. 29, S. 35 f. Zu Hanslicks Vorlesungen siehe Dietmar Strauß, Hanslicks Musikfeuilleton in der „Presse“ und das Studium der Musikgeschichte, in: Eduard Hanslick, Sämtliche Schriften. Historisch-kritische Ausgabe. Bd. I, 3: Aufsätze und Rezensionen 1855–1856. Hrsg. und kommentiert von Dietmar Strauß. Wien–Köln–Weimar 1995, S. 333–369, hier S. 365. Theophil Antonicek, Bruckners Universitätsschüler in den Nationalien der philosophischen Fakultät, in: Bruckner-Studien. Festgabe der Österreichischen Akademie der Wissenschaften zum 150. Geburtstag von Anton Bruckner, Hrsg. Othmar Wessely. Wien 1975, S. 433–487, hier S. 455 und 464. Vgl. etwa dessen Unzeitgemäße Betrachtungen II (Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben), in: Sämtliche Werke, Bd. 1, Anm. 23, S. 243–334. Theophil Antonicek, [Rezension zu:] Reilly, Gustav Mahler und Guido Adler, in: Musicologica Austriaca (1979), S. 159–163, hier S. 159.

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DER MUSIKWISSENSCHAFTLER ALS ERZIEHER

Adlers Konzept für den Antrag zur Aufnahme von Gustav Mahler in die Leitende Kommission der DTÖ „für die Stelle des verewigten Dr. Brahms“, Wien, 23. Oktober 1898 (Archiv DTÖ)

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Sommersemester 1881 hielt, hätte Mahler schon wegen seiner auswärtigen Dirigentenposten nicht besuchen können, beginnend mit seinem Engagement in Laibach, das ihm einer seiner Freunde aus Konservatoriumstagen, Anton Krisper (1859–1914), vermittelt hatte. Dieser promovierte übrigens 1882 mit einer musikwissenschaftlichen Dissertation in Graz.125 Eine gewisse ironische Distanz Mahlers gegenüber der Wissenschaft mag auch aus folgender Briefstelle hervorgehen, die sich auf Adlers WagnerBuch126 von 1904 bezieht: „O wäre ich ein Universitätsprofessor und könnte WagnerVorlesungen halten und herausgeben!“127 Adler ist sich jedenfalls in seinem Mahler-Buch selbst treu geblieben. Erst im Zusammenhang mit seinen übrigen Schriften, vor allem jenen zur Methodik der Musikhistoriographie, werden manche Urteile und Einschätzungen, aber auch seine Zurückhaltung im rein Biographischen verständlich.

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126 127

Gedruckt als: Die Kunstmusik in ihrem Principe, ihrer Entwickelung und ihrer Consequenz. Graz 1882. Zu Mahler und Krisper siehe Primož Kuret, Anton Krisper und Gustav Mahler, in: Nachrichten zur MahlerForschung 34 (1995), S. 5–8. Richard Wagner. Vorlesungen, gehalten an der Universität Wien. Leipzig 1904. Brief Mahlers an seine Frau vom Oktober 1904, zitiert nach: Reilly, Anm. 2, S. 44.

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„FREUD HAT GANZ RECHT“ Mahler und die frühe Psychoanalyse Mahler und Freud: Eine ikonische Begegnung Zu einer eigenen Fallgeschichte oder einer Pathographie (wie die von den frühen Psychoanalytikern so gerne gepflegte Gattung von Künstler-Krankheitsgeschichten genannt wurde1) hat es Gustav Mahler bei Sigmund Freud und seiner ersten Wiener Schule zunächst nicht gebracht. Freud, der Mahler im August 1910 in der niederländischen Stadt Leyden in einer mehrstündigen Gesprächstherapie behandelt hatte, nahm laut eigenem Bekunden aufgrund seiner ärztlichen Schweigepflicht Abstand davon, sogar im Kreis der engsten Kollegen Details seiner Analyse Mahlers zu enthüllen2 und hielt sich bis zu seinem Tod daran. Nur seiner Fördererin Maria Bonaparte und seinem Schüler Theodor Reik gegenüber äußerte sich Freud in entsprechenden Andeutungen.3 Reik und Freuds Biograph Ernest Jones griffen diese vagen Anhaltspunkte auf und bauten sie in ihre Publikationen ein, mit denen sie nach Freuds Tod an die Öffentlichkeit traten: Jones tat dies im zweiten Band seines Sigmund Freud. Life and Work (1955) und Reik in The Haunting Melody (1953). Beide begründeten damit geradezu ein Paradigma der wissenschaftlichen Mahler-Rezeption in den Vereinigten Staaten4 und teilweise auch in Europa5 – ein Paradigma, das erst durch Stuart Feders Buch Gustav Mahler: A Life in Crisis (2004), einer umfassenden historisch-psychoanalytischen Studie über die Begegnung zwischen Freud und Mahler in ein solides, weniger spekulatives Standardwerk überführt wurde.6 1

2

3

4

5

6

Protokolle der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung. Bd. I: 1906–1908. Hrsg. Hermann Nunberg, Ernst Federn, Gießen 22008, S. 160, Fn. 11. Bemerkung Freuds am Vortragsabend des 17. Mai 1911, in: Protokolle der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung. Bd. III: 1910–1911. Hrsg. Hermann Nunberg, Ernst Federn, Gießen 22008, S. 250. Marie Bonapartes Tagebuch (unveröffentlicht, im Besitz von Celia Bertin), zit in: Stuart Feder, Gustav Mahler: A Life in Crisis. Yale 2004, S. 229 f.; Freuds Brief an Reik (4. Januar 1935) ebenda S. 233, deutsch in: Mahler. Sein Leben, sein Werk und seine Welt in zeitgenössischen Bildern und Texten. Hrsg. Kurt Blaukopf. Wien 1976, S. 272. Vgl. David Christopher Paul, Converging Paths to the Canon: Charles Ives, Gustav Mahler, and American Culture. Dissertation, University of California. Berkely 2006. Z. B. Raymond Joly, Gustav Mahler – Psychoanalytische Anmerkungen, in: Musik-Konzepte. Sonderband Gustav Mahler. Hrsg. Heinz-Klaus Metzger, Rainer Riehn. München 1989. Feder, Anm. 3.

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Dennoch liegt im Zusammenhang dieser berühmten „mehrstündige[n] Konsultation“7 (als die Freud das Treffen bezeichnete) vieles im Dunkeln. Das beginnt etwa schon mit der Vermittlung Freuds an Mahler, die Jones folgendermaßen beschreibt: About this time Gustav Mahler, the famous composer, was greatly distressed about his relationship to his wife, and Dr. Nepallek, a Viennese psycho-analyst who was a relative of Mahler’s wife, advised him to consult Freud.8

In der Tat war der Arzt Richard Nepalle(c)k, Almas „Wahlonkel“9, am 11. Mai 1910 auf Vorschlag und Empfehlung von Alfred Adler in die Psychoanalytische Gesellschaft aufgenommen worden und fungierte von 1919 bis 1927 sogar als deren Geschäftsführer.10 Nepalleck gehörte damit aber eben erst seit drei Monaten zum engeren Kreis um Freud. Ob es daher er war, der den Mahlers Kontaktaufnahme zu Freud initiierte, das hat Jens Malte Fischer darum mit Recht bezweifelt:11 Eher – auch hier ist Fischer beizupflichten – könnte es Bruno Walter gewesen sein, der nach einer eigenen, unkonventionellen, dafür jedoch überaus erfolgreichen Konsultation Freuds Mahler die Empfehlung gab.12 Auch der von Ernest Jones kolportierte weitere dreimalige Anlauf Mahlers zur Konsultation ähnelt auffällig Freuds in der Traumdeutung wiedergegebener Schilderung13 dessen eigener Hemmung, die Stadt Rom zu bereisen14 – und ist deswegen mit angebrachter Skepsis zu betrachten: He [Mahler] telegraphed from the Tyrol to Freud asking for an appointment. Freud was always very loth to interrupt his holidays for any professional work, but he could not refuse a man of Mahler’s worth. His telegram, making an appointment, however, was followed by another one from Mahler countermanding it. Soon there came another request with the same result. Mahler suffered from the folie de doute of his obsessional neurosis and repeated this performance three times. Finally Freud had to tell him that his last chance of seeing him was before the end of August, since he was planning to leave then for Sicily. So they met in 7

8 9

10

11 12 13 14

Sigmund Freud an Emil Freund, 23. Mai 1911. Kopie des handschriftlichen Briefes im Archiv des Sigmund Freud Museums Wien, Sign. Freud 21/23. Ernest Jones, Sigmund Freud. Life and Work. Vol. II: Years of Maturity 1901–1919. London 1955, S. 88. Ein Glück ohne Ruh’. Die Briefe Gustav Mahlers an Alma. Hrsg. Henry-Louis de La Grange, Günther Weiß. Berlin 1995, S. 324. The Correspondence of Sigmund Freud and Sándor Ferenczi. Hrsg. Eva Brabant, Ernst Falzeder, Patrizia Giampieri-Deutsch. Vol. 1. 1908–1914. Havard University Press 1993, S. 276, Fn. 5. Jens Malte Fischer, Gustav Mahler. Der fremde Vertraute. Wien 2003, S. 801. Bruno Walter, Theme and Variations. An Autobiography. New York 1946, S. 164 ff. Sigmund Freud, Die Traumdeutung. Frankfurt am Main 1991, S. 206. Peter Gay, Freud. Eine Biographie für unsere Zeit. Frankfurt am Main 52004, S. 154.

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an hotel in Leyden and then spent four hours strolling through the town and conducting a sort of psycho-analysis.15

„Was mir das Kind erzählt“: Der Kult des Infantilen Wie es letztlich auch gewesen sein mag: Im Jahr 1910 publizierte Nepalleck den psychoanalytischen Aufsatz: Analyse einer scheinbar sinnlosen infantilen Obsession. Nepallecks Abhandlung griff einen Aspekt auf, der sowohl Mahler als auch Freud, der ganz allgemein die Öffentlichkeit um 1900 beschäftigte: So stellte die Vorstellung des vermeintlich Kindlichen für die Kulturindustrie des Fin de siècle eine Möglichkeit dar, das omnipräsente Wagnersche Musikdrama und den ebenso bühnenbeherrschenden Verismo durch das Prisma einer imaginären Infantilität neu zu lesen und auf diese Weise eine vom Publikum nur zu gerne angenommene Erlebniswelt zu produzieren – eine Erlebniswelt, die Inhalte kalkuliert ins Latente verschob und Doppeldeutigkeiten dementsprechend lustvoll zelebrierte. Initialwerke wie Josef Bayers Ballett Im Puppenladen/Die Puppenfee (1888) und Engelbert Humperdincks Oper Hänsel und Gretel (1893) ebneten einer ganzen Reihe von Märchen- und Kinderopern und -balletten den Weg: Neben vielen anderen etwa Siegfried Wagners Oper Der Bärenhäuter und Bayers Ballett Tanzmärchen (beide unter Mahlers Direktion 1899 an der Wiener Hofoper aufgeführt16), Alexander Zemlinskys Opern Es war einmal (durch Mahler 1900 uraufgeführt17) und Der Traumgörge (von Mahler zur Uraufführung angenommen, aber im Zuge des Direktionswechsels abgesetzt18), schließlich auch Erich Wolfgang Korngolds Ballettpantomime Der Schneemann (1910 an der Hofoper erstaufgeführt). Auch Gustav Mahler nutzte immer wieder das Prisma des Kindlichen in signifikanter Weise: Besonders im ursprünglich für die Dritte Symphonie vorgesehenen, dann als Finale der Vierten Symphonie ausgearbeiteten Satz „Was mir das Kind erzählt“, erklärt laut Mahler das Kind, welches im Puppenstand doch dieser höheren Welt schon angehört, wie alles gemeint sei.19 Freud interessierten am kindlichen Stadium des Menschen vor allem zwei Momente: das für das Erwachsenenalter prägende und das sexuelle. Erstere Hypothese, dass näm15 16 17 18 19

Jones, Anm. 8, S. 88 f. Franz Wilnauer, Gustav Mahler und die Wiener Oper. Wien 1993, S. 221. Ebenda S. 222. Anthony Beaumont, Zemlinsky. Wien 2005, S. 231 u. 235. Natalie Bauer-Lechner, Erinnerungen an Gustav Mahler. Leipzig – Wien – Zürich 1923, S. 198.

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lich die infantile Erfahrung determinierend für das ganze weitere Leben eines Individuum sei, stellte auch für Mahler – vermutlich ohne mit Freuds Arbeiten näher vertraut gewesen zu sein – eine Ideenkonstante dar. So schreibt er in einem Brief an Natalie Bauer-Lechner: Das Komponieren ist wie ein Spielen mit Bausteinen, wobei aus denselben Steinen immer ein neues Gebäude entsteht. Die Steine aber liegen von der Jugend an, die allein zum Sammeln und Aufnehmen bestimmt sind, alle schon fix und fertig da.20

Die „Verständnisfähigkeit“21, die Mahler laut Freuds Bemerkung während ihrer Analyse an den Tag gelegt hätte22, erstaunt daher ebenso wenig wie seine spontane Kindheitserinnerung, derer er sich in Leyden bewusst wurde und die Jones unter ausdrücklicher Berufung auf Marie Bonaparte folgendermaßen erzählt: In the course of the talk Mahler suddenly said that now he understood why his music had always been prevented from achieving the highest rank though the noblest passages, those inspired by the most profound emotions, being spoilt by the intrusion of some commonplace melody. His father, apparently a brutal person, treated his wife very badly, and when Mahler was a young boy there was a specially painful scene between them. It became quite unbearable to the boy, who rushed away from the house. At that moment, however, a hurdygurdy in the street was grinding out the popular Viennese air Ach, du lieber Augustin’. In Mahler’s opinion the conjunction of high tragedy and light amusement was from then on inextricably fixed in his mind, and the one mood inevitably brought the other with it.23

Dass Mahler nicht erst im Zuge seiner Leydener Behandlung seine frühkindlichen Traumata ernst nahm, das lässt ein Einwurf in der Sitzung der Psychoanalytischen Vereinigung in Mahlers Todesnacht am 17. Mai 1911 erahnen. Max Graf, der erste psychoanalytisch beeinflusste Musikwissenschaftler und zu dieser Zeit enge Vertraute Freuds, bemerkte zu diesem Anlass, daß das eigentlich Geniale bei Gustav Mahler der Ehrgeiz gewesen sei, wozu die Erfahrung sehr gut stimmt, daß er als Kind im Alter von neun Jahren Nacht für Nacht an Enuresis gelitten habe.24 20 21

22

23 24

Ebenda S. 120. „… ich hatte Anlaß, die geniale Verständnisfähigkeit des Mannes zu bewundern.“, Sigmund Freud an Theodor Reik, 4. Januar 1935, zitiert nach Blaukopf , Anm. 3, S. 272. Bei Jones: „ … Freud said he had never met anyone who seemed to understand it so swiftly.”, in: Jones, Anm. 8, S. 89. Ebenda. Vortragsabend des 17. Mai 1911, in: Protokolle, Anm. 2, S. 250.

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Abb.1. Mahlers frühkindliches Trauma als Wiener Denkmal: Der 1908 enthüllte Augustin-Brunnen (Archiv Schmidl)

Graf, der während Mahlers Zeit als Hofoperndirektor näheren Umgang mit diesem pflegte25, musste diese Information entweder von Mahler selbst oder von Freud erhalten haben: Für letzteres – Margareta Saary hat darauf hingewiesen26 – spricht, dass der anwesende Freud Grafs Bemerkung unwidersprochen ließ. Unklar hingegen ist, ob Mahler mit Grafs frühen Schriften (vor allem dem von Freuds Leonardo-Studie angeregten Aufsatz Richard Wagner im Fliegenden Holländer und Die innere Werkstatt des Musikers) vertraut war, in denen er das Thema künstlerischer bzw. kompositorischer Kreativität im Sinne der frühen psychoanalytischen Schule untersuchte.27

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27

Max Graf, Jede Stunde war erfüllt. Ein halbes Jahrhundert Musik- und Theaterleben. Wien–Frankfurt o. J. [1957] S. 24. Margareta Saary, Persönliches Erleben und ästhetische Sublimierung im Schaffen Gustav Mahlers, in: BrucknerSymposion „Bruckner, Liszt, Mahler und die Moderne“ Linz 1986. Bericht. Redaktion: Renate Grasberger u. a. Linz 1989, S. 132. Vgl. die Zusammenfassung von Grafs frühen musikwissenschaftlich-psychoanalytischen Arbeiten in: André Michel, L’ecole freudienne devant la musique. Paris 1965, S. 21–30.

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Besonders interessant wäre es zu wissen, ob Graf Mahler über den bemerkenswerten Fall seines fünfjährigen Sohnes Herbert in Kenntnis gesetzt hat – schließlich handelte es sich bei Herbert um das Patenkind Mahlers.28 Dieses Kind litt seit Januar 1908 an einer frühkindlichen Equinophobia (Pferdeangst), deren Verlauf Graf minutiös protokollierte und unter Freuds Patronanz erfolgreich psychoanalytisch behandelte. Dieser Fall kam Freud als ergänzend-praktische Fallstudie des umstrittenen zweiten Kapitels seiner Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie (1905) gelegen. Ausgehend von Grafs Aufzeichnungen publizierte er ihn 1909 unter dem Titel Analyse der Phobie eines fünfjährigen Knaben.

Die Sexualisierung der Kindheit Hier erzählte ein Kind also tatsächlich. „Wie alles gemeint sei“, das entsprang aber selbstverständlich wiederum der Deutung einer Autorität. Und diese Autorität – Freud – hatte in den Abhandlungen grundsätzliche Thesen zu einer kindlichen Sexualität aufgestellt, die auf erbitterten Widerstand stießen. Wenn man Klaus Pringsheims anlässlich Mahlers 100. Geburtstag veröffentlichten Erinnerungen an Gustav Mahler Glauben schenkt, dann stand Mahler generell der Vorstellung einer sexualbegründeten Kultur ebenso kritisch gegenüber wie die Mehrheit der Wiener Öffentlichkeit: Vor meinem letzten Abend bei Mahlers, Spätsommer 1907 […] ist mir eine Unterhaltung in lebhafter Erinnerung, in deren Verlauf der Name Freud fiel, oder, um genau zu sein, ich war es, der ihn in einem gegebenen Zusammenhang erwähnte. Mahlers Reaktion war ein augenblickliches Schweigen; das Thema Psychoanalyse interessierte ihn nicht, und dann hatte er nur eine abschließende Bemerkung, begleitet von einer ablehnenden Handbewegung: „Freud […] er versucht alles von einem bestimmten Punkt aus zu kurieren.“ Von einem bestimmten Punkt: er benannte ihn nicht, offenbar scheute er sich, mich in Gegenwart seiner Gattin das bezeichnende Wort hören zu lassen. Er sprach nicht aus eigener Erfahrung, drei Jahre vor seiner eigenen Begegnung mit Professor Freud (in Leyden, August 1910).29

Es ist dabei bezeichnend, dass sich Pringsheim im gleichen Artikel bemüßigt fühlte, die Musik Mahlers zu ent-erotisieren, „rein“ zu halten. Er übertrug damit gleichsam die beschriebene Position Mahlers auf dessen Werkexegese. Dieser späte Nachhall zeigt die Intensität der Erschütterung, die Freuds Thesen auch für die Musikbetrachtung bedeuteten: 28

29

Veronica Mächtlinger, Das Skandalon der ersten Kinderanalyse – die Eltern des kleinen Hans, in: Sigmund Freud, Analyse der Phobie eines fünfjährigen Knaben. Frankfurt am Main 22000, S. 22. Klaus Pringsheim, Erinnerungen an Gustav Mahler, in: Neue Zürcher Zeitung. 6. Juli 1960.

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Wo ausnahmsweise in einem der „Wunderhorn“-Gedichte das Thema Liebe anklingt, erscheint es in mittelalterlicher Verkleidung, erklingt es in einem volksliedhaft-naiven Ton, Sozusagen einem unschuldigen Ton, dem nichts von Erotik anhaftet. Und wie unendlich rührend dieses zart-verschämte „Nun fängt auch mein Glück wohl an?“ am Ende des zweiten der „Lieder eines fahrenden Gesellen“. Und wie falsch wird der „Abschied“ im „Lied von der Erde“ gehört, wenn er als „Abschied“ Liebender verstanden, das heißt, mißverstanden, wird.30

Wie sehr der Diskurs über die kindliche Sexualität gerade im Jahr von Mahlers Bemerkung über die Psychoanalyse in der Wiener Öffentlichkeit stattfand, das zeigt Fritz Grünbaums Libretto der im November 1907 am Carl-Theater uraufgeführten Operette Die Dollarprinzessin, zu der Leo Fall die Musik schrieb. Im Duett Nr. 10 heißt es: DAISY Versprichst Du mir, lieb’ Brüderlein, auch sittsam stets zu bleiben? HANS Wir werdens, liebes Schwesterlein, nur wie die Kinder treiben. DAISY Wir tanzen Ringelreih’n einmal hin und her. Dem Hänsel und der Gretel fällt das gar nicht schwer. BEIDE Und streut der Sandmann leis aus seinem Sack den Schlaf, dann singen alle Englein: „Gott, wie sind die brav!“ 31

In diesen Zeilen der Dollarprinzessin knüpft Grünbaum an die vorhin skizzierte musiktheatralische Tradition des kindlichen Prismas an: Das Tanzen des Ringelreihens bezieht sich explizit auf Engelbert Humperdincks Hänsel und Gretel (der Text spielt sogar wortwörtlich darauf an: „einmal hin und einmal her“ bzw. „Sandmann“). Im Kontext von Freuds Thesen wird der infantile Tanz in der Dollarprinzessin – bei Humperdinck noch 30 31

Ebenda. Die Dollarprinzessin. Operette in 3 Akten von A. M. Willner und Fritz Grünbaum. Musik von Leo Fall. Klavierauszug Wien 1907, S. 46 ff.

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Ausdruck geschwisterlicher Verbundenheit und Unschuld – jedoch doppelbödig, gerät die vorpubertäre Zone des Kinderspiels32 (Volker Klotz), die vermeintliche Harmlosigkeit kindlicher Betätigung zum obszönen Witz.

Abb.2. „... wie die Kinder treiben“: Uraufführung der Operette Die Dollarprinzessin, 1907 (Archiv Schmidl)

Musikproduktion und die Anfänge der Psychoanalyse Aber es waren nicht erst die Thesen zur kindlichen Sexualität, die das Musikverständnis, vor allem aber die Musikindustrie stimulierten: Schon seit der Jahrhundertmitte wurden die Erfahrungen psychopathologischer Erkrankungen und die Behandlungsmethoden der sich formierenden psychotherapeutischen Wissenschaften künstlerisch verarbeitet. Darin bot sich zudem Gelegenheit, avantgardistische kompositorische Techniken in Rahmen zu präsentieren, die solche musikalische Grammatik ansonsten kaum akzeptiert hätten. So führte beispielsweise Josef Strauß seinen unleugbar von Wagner beeinflussten Delirien-Walzer am Wiener Medizinerball des 22. Januar 1867 auf.33 32 33

Volker Klotz, Operette. Porträt und Handbuch einer unerhörten Kunst. Kassel 22004, S. 340. Otto Brusatti, Isabella Sommer, Josef Strauss. Delirien und Sphärenklänge. Wien 2003, S. 206.

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Seit den späten 1880er Jahren fanden dann die Forschungen und Experimente der beiden wichtigsten französischen Hypnose-Zentren, jener in Paris und jener in Nancy, in Wien aufsehenerregende Verbreitung. Besonders der Leiter der Wiener Poliklinik Johann Schnitzler bemühte sich, die Verfahren in den klinischen Alltag zu integrieren.34 Auch Schnitzlers Sohn Arthur, damals als Assistenzarzt in der Abteilung seines Vaters beschäftigt, praktizierte die Hypnose in seiner Arbeit und veröffentlichte mehrere Fallgeschichten. Dienten diese noch ausschließlich zu Heilzwecken, so veranstaltete Schnitzler bald darauf klinikintern sogenannte „Vorstellungen“ mit der neuen therapeutischen Methode.35 Schnitzler nannte seine Versuchspersonen „Medien“ und führte an ihnen durch Suggestion „Verwandlungen der Persönlichkeit“36, wie er es bezeichnete, vor, die in Form von Rollen-Spielen abgewickelt wurden.37 Sowohl die Anwendung der Hypnose als Heilverfahren als auch die öffentlichen Demonstrationen derselben provozierten eine teilweise polemisch geführte Kontroverse in der Österreich-Ungarischen Medizin.38 Hauptkritiker war der Psychiater und Gehirnanatom Theodor Meynert.39 Dessen Nachfolger an der Zweiten Psychiatrischen Universitätsklinik Richard von Krafft-Ebing forcierte den Gebrauch der Hypnose, publizierte neben zahlreichen Artikeln zu diesem Thema den 1893 in zweiter Auflage erschienenen Band Hypnotische Experimente und trat mit Demonstrationen an die Öffentlichkeit. Über eine solche Vorführung in einer Wiener Privatgesellschaft berichtet Berta Zuckerkandl: Krafft-Ebing flüsterte dem Medium etwas zu; die Frau wurde draufhin sichtlich unruhig und begann, nachdem sie erwacht war, scheu und ängstlich im Zimmer hin und herzugehen. Da näherte sich Girardi. Keiner von uns, auch er nicht, merkte das Geringste. Und doch hatte das Medium Girardi auf Krafft-Ebings Gebot mit der Fingerfertigkeit eines internationalen Taschendiebs die Uhr gezogen. Wie ein Hündchen, das apportiert, brachte sie sie Krafft-Ebing. Da sprang Billroth, der bereits Zeichen des Missmuts gegeben hatte, wütend auf. „Diesen Schwindel mache ich nicht länger mit“, rief er aus, „das ist ja ein Skandal, eine Farce.“ Und Krafft-Ebing, der erstarrt dastand, apostrophierend sagte er leise: „Schwindler“.40

34

35 36 37 38 39 40

Andreas Mayer, Mikroskopie der Psyche. Die Anfänge der Psychoanalyse im Hypnose-Labor. Göttingen 2002, S. 144. Ebenda S. 144 ff. Ebenda S. 145. Ebenda. Ebenda S. 150. Ebenda S. 146. Berta Szeps-Zuckerkandl, Ich erlebte fünfzig Jahre Weltgeschichte. Stockholm 1939, S. 165 ff. Zitiert nach Mayer, Anm. 34, S. 162.

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Es war Alexander Girardi – in der oben geschilderten Sitzung das Opfer der Demonstrationen Krafft-Ebings –, der noch im selben Jahr die männliche Hauptrolle der ersten der vier Altersoperetten von Johann Strauß Sohn kreierte: Fürstin Ninetta (1893), einer Operette, die die neue Behandlungsmethode ganz explizit ansprach, etwa im „Hypnotisierduett“ (Nr. 9): KASSIM Schlaf ein, mein liebes Medium, schlaf ein, schlaf ein! NINETTA Schon rieselt mir das Fluidum durch Mark und Bein.41

Hatte Johann Schnitzler für seine Therapien vornehmlich Bürger der „unteren“ Bevölkerungsschichten herangezogen, um Simulationsvorwürfen vorzubeugen42, so wurde genau dieser Umstand in Fürstin Ninetta Zielscheibe des Spottes: BEIDE Ah! Es ist wirklich int’ressant, sich im Schlafe zu verwandeln! fehlt Dir Geist, Genie, Verstand, laß hypnotisch Dich behandeln! Drückt Dich dieses Lebens Pein, ärgert Dich Dein Los auf Erden, schlafe ein, ja schlaf nur ein, und Du wirst ein Andrer werden – Schlaf nur ein – schlaf nur ein, Und Du wirst was Bess res sein! Jedem wird das Mittel frommen, jedem wird im Schlafe kommen Geist und Witz, Genie, Verstand – Es ist wirklich int’ressant!43

41

42 43

Abb. 3. „Laß hypnotisch Dich behandeln“: Alexander Girardi in Fürstin Ninetta (Der Floh, 15. Januar 1893)

Fürstin Ninetta. Operette in 3 Acten von Hugo Wittmann und Julius Bauer. Musik von Johann Strauß. Hamburg o. J. [1893], S. 26 f. Mayer, Anm. 34, S. 144. Fürstin Ninetta. Anm. 41, S. 28.

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Die Ungewissheiten einer mythischen Begegnung Zurück zu Mahlers konkreter Analyse, über die keine letzten Gewissheiten existieren, über die sich nichtsdestotrotz in der Literatur eine mutmaßliche Konstante herausgebildet hat: Es ist dies – nicht überraschend – die Mutterfixierung Mahlers. Freud schrieb diesbezüglich relativ nüchtern an Reik: Wir haben in höchst interessanten Streifzügen durch sein Leben seine Liebesbedingungen, insbesondere seinen Marienkomplex (Mutterbindung) aufgedeckt; [...]44

Die Version, die er Marie Bonaparte zehn Jahre zuvor (1925) mitteilte, war expliziter und entwarf ein Bild komplementärer Elternteilfixierungen des Ehepaares Mahler: What impressed him greatly was when I [d.i. Freud; St. Sch.] said to him, “Your mother’s name was Marie?” “But how do you know!” he exclaimed. Of course, I could see it from what he was telling me – he had an enormous fixation on his mother. “But how was it,” I asked him, “that you could marry a woman whose name was not Marie!” “But,” he exclaimed, “she is called Alma-Marie!” As it happened, names were significant for his wife as well. Her father was the Emil Schindler, the famous Viennese painter whose statue is in the public gardens. So that she fell in love with a man called Mahler.45

Abb. 4. Almas steingewordene Vaterfigur: Edmund Hellmers Schindler-Denkmal im Wiener Stadtpark (Archiv Schmidl)

44 45

Sigmund Freud an Theodor Reik, 4. Januar 1935, zitiert nach Blaukopf, Anm. 3, S. 272. Marie Bonapartes Tagebuch, zitiert nach Feder, Anm. 3, S. 229.

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Auch Alma Mahler erzählt in ihren auflagestarken Memoiren von der elterndeterminierten Attraktion der Partner und versäumt es nicht, Mahlers angeblichen Widerstand gegen Freuds Diagnose einer Mutterfixierung einzuflechten: “I know your wife,” he told him in conclusion. “She loved her father and can seek and only love his type. Your age, which you are afraid of, is just what attracts your wife. Don’t worry about it. And you yourself loved your mother and are looking for her type in every woman. Your mother was careworn and ailing – and that, unconsciously, is how you want your wife.” How right he was! I really was always searching for the short, stocky, wise, superior man I had known and loved in my father. And Freud’s analysis reassured Mahler, too, though he did not want to hear of his mother fixation. He shunned such concepts.46

Vom „authentischen“ Nimbus besonders letzterer Passagen darf man sich jedoch nicht täuschen lassen: Von Mahlers Hand existieren lediglich zwei gesicherte schriftliche Zeugnisse des Treffens mit Freud: Ein Telegramm vom 27. August 1910: Bin froehlich unterredung interessant aus strohhalm balken geworden47,

und eine ausführlichere Nachricht vom 5. September desselben Jahres: Übrigens mache ich eine seltsame Entdeckung! Siehst, gerade so und beinahe mit derselben Sehnsucht sass ich stets gleich beim Schreibtisch, wenn ich von Dir fort war und dachte nur an Dich. Es war immer latent in mir, dieser Hang zu Dir – Freud hat ganz recht – du warst mir immer das Licht und der Centralpunkt!48

Dass sich aus dieser Äußerung Mahlers schließen lässt, dass er – ganz gemäß Almas Darstellung – Freuds Mutterkomplex-Diagnose übergangen hätte, wie es Alphons Silbermann feststellte49, das ist eine freie Interpretation. Wenngleich Freuds Kommentare über die Analyse Mahlers etwas mehr preisgeben, erlauben auch sie kaum mehr als lapidare Grundsätzlichkeiten. Eine allgemeines Fazit sei dennoch daran geknüpft: Wahrscheinlich war Freud keineswegs so unmusikalisch wie er es gegenüber Mahlers Freund Josef Reitler50 behauptete51 bzw. konnte er sich 46 47

48 49 50 51

Alma Mahler-Werfel, And the Bridge is Love. New York 1958, S. 53. Gustav Mahler an Alma Mahler, 27. August 1910, in: Ein Glück ohne Ruh’. Die Briefe Gustav Mahlers an Alma. Hrsg. Henry-Louis de La Grange, Günther Weiß. Berlin 1995, S. 451. Gustav Mahler an Alma Mahler, 5. September 1910, ebenda S. 457. Alphons Silbermann, Lübbes Mahler Lexikon. Bergisch Gladbach 1993, S. 90. Uwe Harten, Josef Reitler, in: Österreichisches Musiklexikon. Bd. 4. Hrsg. Rudolf Flotzinger, Wien 2005, S. 1904. „[…] daß mir die gütige Natur fast jedes Verständnis für die hohe Kunst der Musik versagt hat.“ Sigmund Freud an Josef Reitler, 19. März 1911. ÖNB Musiksammlung MF 795.

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„FREUD HAT GANZ RECHT“

vermutlich auf entsprechende Problematiken gut einlassen – die Namen der Musiker, Musiktheoretiker und Komponisten, die bei ihm und seiner frühen Schule entweder therapeutische Hilfe suchten, die neue Methodik auf die Musikwissenschaft fruchtbar machen wollten oder mit ihm auch nur persönlich bekannt waren (aber dadurch zwangsläufig mit psychoanalytischen Theorien in Berührung kamen), ist dafür beredt genug: u. a. Bruno Walter, Max Graf, Fritz Kreisler52, Anton Webern53, Eduard Schütt54 und eben Gustav Mahler, ganz zu schweigen von Komponisten, auf die er ohne persönlichen Kontakt Einfluss ausübte: etwa Franz Schreker und Arnold Schönberg. *** Rainer Maria Rilke sprach ein Jahr nach Mahlers Tod in der ersten seiner Duineser Elegien von einer „gedeuteten Welt“: Um seine psychische Welt gedeutet zu sehen, hatte sich Mahler 1910 an Sigmund Freud gewandt. Vermutlich mithilfe der freien Assoziation, einem der Mahlerschen Symphonik nicht unähnlichen psychoanalytischen Verfahren, fand eine Konsultation statt, die seither mythenumrankt ist, aber abseits von legitimen Assoziationen keine exakte Rekonstruktion erlaubt.

52 Kreislers Vater Salomon war Hausarzt der Freuds, über Kreisler hatte sich Freud bereits im November 1885 geäußert: Sigmund Freud. Sein Leben in Bildern und Texten. Hrsg. Ernst Freud, Lucie Freud, Ilse GrubrichSimitis. Frankfurt am Main 2006, S. 122. 53 Webern unterzog sich 1913 einer Therapie bei Alfred Adler: Christoph Khittl, „Nervencontrapunkt“. Einflüsse psychologischer Theorien auf kompositorisches Gestalten. Wien–Köln–Weimar 1991, S. 178 f. 54 Der Komponist und Pianist Eduard Schütt (1856–1933) war öfters bei gemeinsamen Abendessen im Hause Max Grafs anwesend, zu denen auch Sigmund Freud eingeladen war: Graf, Anm. 25, S. 163.

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GUSTAV MAHLER UND DIE BILDENDE KUNST – GESCHICHTE EINER BEZIEHUNG? In dankbarer Erinnerung an Dr. Herta Blaukopf

Die Mahlerforschung hat wiederholt das Desinteresse Gustav Mahlers an der bildenden Kunst und Architektur hervorgehoben. Als Kronzeugen hierfür gelten dessen Jugendfreund Friedrich Löhr ebenso wie Mahlers Frau Alma: Ersterer betonte im Hinblick auf eine Italienreise Mahlers, „ein Hauptelement bei Italienfahrten, der Enthusiasmus für die unvergleichlichen Schätze der bildenden Kunst“ habe bei diesem gefehlt, ja Mahler hätte – ganz und gar auf die ihm eigene „Sprache der Kunst, die Musik“, konzentriert – Sammlungen gemieden, „auch die berühmtesten, in Florenz ebenso wie nachmals in Paris“;1 sprich: die Uffizien und den Louvre. Und Alma erinnerte sich noch 1940 an ihre Enttäuschung, die sie achtunddreißig Jahre vorher empfunden hatte, als sie erstmals Mahlers Villa am Wörthersee (Abb. 1) sah; die von, „Herrn X.Y., dem Nachbarn am Wörthersee“, also einem No-name, geplante Architektur fand sie „ziemlich philiströs“, die Einrichtung „scheußlich“. Almas Versuch, das – späthistoristisch zu imaginierende – Mobiliar zu purifizieren, fand bei ihrem Gatten sichtlich keinen Anklang, wie aus ihrer Bemerkung hervorgeht: „Mahler erwischte mich einmal, als ich gerade auf einem Stuhl stand und von allen Kastenborden die Säulchengalerie abriß …“.2 Die im Jahr 1902 gerade erst dreiundzwanzigjährige Alma, Tochter des Landschaftsmalers Emil Jakob Schindler3 und Stieftochter des Kunsthändlers und Malers Carl Moll4, war anderes gewöhnt: Der seit 1895 mit Almas Mutter verheiratete Moll hatte 1897 als eines der Gründungsmitglieder der Wiener Secession fungiert, die Familie Schindler-Moll 1901, im Jahr, in dem der Hofoperndirektor Alma im Salon der Bertha 1

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Gustav Mahler, Briefe 1879–1911. Hrsg. Alma Maria Mahler, Wien 1924, S. 482; Kurt Blaukopf, Mahler und die Secession, in: „Beiträge ’79–81. Gustav Mahler Kolloquium 1979. Ein Bericht“. Österreichische Gesellschaft für Musik. Red.: Rudolf Klein. Kassel–Basel–London 1981, S. 7–15, bes. S. 7. Alma Mahler, Gustav Mahler. Erinnerungen und Briefe. Amsterdam 1940, S. 196; Blaukopf, ebenda, S. 8. – Mit „Kastenborden“ sind wohl Wandablagen oder Regalbretter gemeint. Geschichte der bildenden Kunst in Österreich. 19. Jahrhundert. Hrsg. Gerbert Frodl, München 2002, Nr. 111 (mit Lit.), Tf. S. 78. Ebenda, Kat. Nr. 117 (mit Lit.).

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Abb. 1: Mahlers Villa am Wörthersee, alte Ansichtskarte (Wien, Archiv IGMG)

Zuckerkandl kennen lernte und sich in sie verliebte, gerade ihre brandneue, von Josef Hoffmann geplante Villa auf der Hohen Warte (Wien 19; Abb. 2) bezogen.5 Kolo Moser wohnte in der anderen Hälfte des Doppelhauses.6 Moser, Hoffmann, Gustav Klimt, Alfred Roller und andere treibende Kräfte des Wiener Jugendstils gingen in der Moll-Villa (der so genannten „Villa Moll I“) ein und aus; Klimt hatte Alma, als sie siebzehn war, sogar den Hof gemacht.

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Bauzeit: 1900/1901; Eduard F. Sekler, Josef Hoffmann. Das architektonische Werk. Wien–Salzburg 1982, WV 53 (mit Lit.). Ebenda, WV 52 (mit Lit.). – Ausstellungskatalog Koloman Moser. 1868–1918 (Leopoldmuseum Wien 2007). München–Berlin–London–New York 2007.

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Abb. 2: Villa „Moll I“ auf der Hohen Warte (Interieur IV, 1903)

Mahlers kulturelle Sozialisierung war eine gänzlich andere gewesen:7 Als der aus einer jüdischen Familie stammende Gustav 1875 mit fünfzehn Jahren seine – von häuslicher Gewalt und hoher Kindersterblichkeit geprägte – Familie im mährischen Iglau8 verließ, um am Konservatorium der k.u.k. Reichs- und Residenzstadt Klavier und Komposition zu studieren, begann das Wien der Gründerzeit gerade aus den Baugruben zu wachsen. Von den historistischen Prachtbauten entlang der Ringstraße9, dieses um die Wiener 7

8 9

Vgl. dazu und zu einer Reihe der im vorliegenden Text angesprochenen Fragen den informativen Katalog zur Ausstellung „ ‚leider bleibe ich ein eingefleischter Wiener’. Gustav Mahler und Wien“. Hrsg. Reinhold Kubik, Thomas Trabitsch. Wien 2010. Jihlava (CR). Renate Wagner-Rieger, Wiens Architektur im 19. Jahrhundert. Wien 1970; Geschichte der bildenden Kunst, Anm. 3, Nr. 26 (mit Lit.).

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Innenstadt gelegten „Diadems“10, war der erste und bis heute zentrale „Edelstein“ eben platziert worden: die zwischen 1861 und 1869 in einem spätromantischen Mischstil errichtete Hofoper, die heutige Staatsoper.11 Das Konservatorium, in dem der fünfzehnjährige Mahler seinen Klavier- und Kompositionsunterricht erhielt, war im Musikvereinsgebäude, schräg vis à vis der Karlskirche, untergebracht – der von Theophil von Hansen geplante Bau war fünf Jahre vor Mahlers Ankunft in Wien fertiggestellt worden.12 Drei andere, vom selben Dänen geplante, allesamt auf die Ringstraße ausgerichtete Prachtbauten – jene für die Akademie der Bildenden Künste13, die Wiener Wertpapierbörse14 und den Reichsrat (heute: Parlament)15 – befanden sich noch im Bau. Zum Charakter der Stadt sollte aber ganz besonders das „Kaiserforum“ beitragen: eine mehrfach gestufte, am Schloss von Versailles orientierte Ehrenhofanlage, die sich von den Hofstallungen16 bis zum Zeremoniensaal der Hofburg hätte erstrecken sollen. Der Spatenstich für seine Flügelbauten, für das Kunsthistorische und das Naturhistorische Museum, war drei Jahre vor Mahlers Ankunft erfolgt.17 Anders als die anderen Prachtbauten sind diese imposanten Denkmäler Habsburgischen Sammelns dank des städtebaulichen Kontextes nicht der Ringstraße, sondern einander zugewandt. An der monumentalen Bauaufgabe „Kaiserforum“ wurde über Mahlers Tod hinaus gearbeitet; nach dem Ersten Weltkrieg, der Kapitulation Österreich-Ungarns und der Vertreibung der Habsburger aus Österreich war seine Vollendung hinfällig. Aber schon am Beginn des Projekts, dessen Realisierung Mahlers Erwachsenenleben wie eine Folie hinterlegt, war ein Problem gestanden: der Konflikt der beiden Architekten, dessen Tragweite weit über den Bereich der Architektur und bildenden Kunst hinausgeht. Ursprung des Streits war das Faktum, dass der dem üppigen Späthistorismus zugetane Wiener Carl Freiherr von Hasenauer, anders als der aus Zürich nach Wien berufene, puristisch denkende Deutsche Gottfried Semper, die Architektur mit Malerei, Skulptur und Kunstgewerbe verschmelzen wollte, wobei der stilistische Orientierungspunkt des jüngeren Hasenauer nicht, wie für Semper, die Renaissance sondern der Barock war, mithin jene Epoche, die 10 11

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Karlheinz Roschitz, Ringstraßen-Wien, in: Parnass Sonderheft 12 (1996), S. 5–12. Architekten: August Sicard von Sicardsburg und Eduard van der Nüll; Geschichte der bildenden Kunst, Anm. 3, Nr. 27 (mit Lit.). Bauzeit: 1867–1870. – Renate Wagner-Rieger und Mara Reissberger, Theophil von Hansen, in: Die Wiener Ringstraße VIII/4. Wiesbaden 1980. Bauzeit: 1871–1876. Bauzeit: 1874–1877. Der Reichsrat war von 1867 bis 1918 das Parlament der österreichischen Reichshälfte (Cisleithanien) der Donaumonarchie Österreich-Ungarn. – Bauzeit: 1874–1883. Geschichte der bildenden Kunst, Anm. 3, Nr. 39 (mit Lit.). Heute das Museumsquartier („MQ“). Ebenda Nr. 45 (mit Lit.), Tf. S. 33.

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den Habsburgern als ihre glorreichste galt. Der Konflikt eskalierte 1876, worauf Semper Wien verließ. Typus und Stil wurden in der Architektur nach dieser Wende nicht mehr so sehr im Hinblick auf die Funktion gewählt, sondern zur Schaffung politischer Wirklichkeit eingesetzt. Wo der Hof als Auftraggeber auftrat, dienten Monumentalität, Vergegenwärtigung der eigenen, als glorreich empfundenen Vergangenheit und Sich messen mit dem Sonnenkönig diesem Ziel. Dabei sollte die Architektur mit den übrigen Medien – der Skulptur18, Wandmalerei19 etc., die zur Schaffung großer Erzählungen besser geeignet sind, – in einem Gesamtkunstwerk aufgehen. Den Ton gab der Hof an. Jede niedrigere Gesellschaftsschicht suchte am Symbolkapital der nächst höheren zu partizipieren und sich so in diese hinein zu optieren. Fast punktgenau im Jahr vor der Entzweiung der beiden Architekten Semper und Hasenauer (im Jahr von Mahlers Ankunft 1875) war Richard Wagner in Wien als Ehrengast auf einem Atelierfest aufgetreten, das jener 1869 von Rom nach Wien an die Akademie berufene Maler gab, der – die italienische Renaissance „im kleinen Finger“, Rubens vor Augen und bald auch den Orient im Herzen – nicht bloß Hasenauers kongeniales Pendant wurde20, sondern einer ganzen Epoche ihren Namen verlieh: der Salzburger Hans Makart. Dieser hatte mit seinem Entwurf für die „Modernen Amoretten“21 1868 eine Wende in der Malerei herbeigeführt: Hier ist die Form nicht mehr Dienerin des Inhalts, sondern auf dem Weg zur Autonomie. Die freie Komposition, die an der venezianischen Spätrenaissancemalerei und Rubens orientierte Farbigkeit und der offene, souveräne Duktus des Meisters bilden die konstituierenden Elemente, und die Malerei sucht nach Verschmelzung mit den anderen Medien. Makarts Atelierfeste22 waren Gesamtkunstwerke sui generis. Möbel, Teppiche, Vorhänge, Antiquitäten, Waffen etc. bildeten die Bühne23, auf dem seine in- und ausländischen Gäste ihren pompösen Auftritt hatten. Der „Malerfürst“ gab Motti aus, man erschien kostümiert. Gast auf dem Fest von 1875 war neben Richard Wagner auch der Schweizer Maler Arnold Böcklin. Franz Liszt spielte Klavier. Mit Hilfe der Feste erklomm der Salzburger Aufsteiger die Wiener Gesellschaftsleiter. Die Feste und Makarts 18

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Walter Krause, Die Plastik der Wiener Ringstraße von der Spätromantik bis zur Wende um 1900. Wiesbaden 1980. Maria Pötzl-Maikova, Die Plastik der Wiener Ringstraße 1890–1918. Wiesbaden 1976. Bezeichnend dafür ist, dass Hasenauer zu seinen Lebzeiten der „bauende Makart“ genannt wurde. Entwurf zur Dekoration einer Wand; Österreichische Galerie Belvedere; Geschichte der bildenden Kunst, Anm. 3, Kat Nr. 102, Tf. S. 72. Das Atelier Makarts befand sich in Wien IV., Gußhausstraße 25. Festgehalten in einem Aquarell durch Rudolf von Alt, 1885 (Wien, Historisches Museum der Stadt Wien); Geschichte der bildenden Kunst, Anm. 3, Nr. 136, Abb. S. 94.

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Gäste lieferten Gesprächsstoff. Sein Atelier war zu gewissen Zeiten öffentlich zugänglich und es prägte den Wohnstil der „Gründerzeit“. Ungeachtet der Tatsache, dass sich der junge Gustav Mahler für all das nicht besonders interessiert haben wird – die von Makart bestimmte Atmosphäre war in Wien allgegenwärtig und dehnte sich innerhalb der gesamten österreichisch-ungarischen Monarchie aus. Eines sah der junge Mahler sicher nicht: Den von Makart konzipierten Festzug, den „Makart-Festzug“, der sich am 24. April 1879 anlässlich der Silbernen Hochzeit von Kaiser Franz Joseph I. und Kaiserin Elisabeth an den mehrheitlich noch im Bau befindlichen Prachtbauten der Ringstraße vorbeibewegte.24 An jenem Tag, an dem sich das performative Gesamtkunstwerk, das mehrere hundert, in Renaissancekostümen auftretende respektive in Wagen fahrende Mitwirkende umfasste, im öffentlichen Raum Wiens entfaltete, gab Mahler einen Klavierabend im Theater von Iglau.25 Zwei Jahre davor hatte er dort das Gymnasium abgeschlossen und an der Wiener Universität (in der alten Universität, noch nicht im Ferstlbau am Ring)26 ein Studium an der Philosophischen Fakultät begonnen. Er belegte hier im Studienjahr 1877/78 – neben seinem Klavier und Kompositionsunterricht am Konservatorium – Philosophie27, Germanistik28 sowie Archäologie29 und Kunstgeschichte30, was zeigt, dass er von dem 24

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Das Kaiserpaar wohnte ihm auf einer Tribüne vor dem Burgtor sitzend bei; vgl. Geschichte der bildenden Kunst, Anm. 3, Tf. auf S. 174 f. – Makart hatte die Wagen, die Kostüme der Protagonisten sowie die Choreographie entworfen; vgl. ebenda Tf. auf S. 176. Makart selbst ritt auf einem Schimmel an der Spitze; Renate Kassal-Mikula, Der Festzug der Stadt Wien, in: Ausstellungskatalog Kaiser Franz Joseph oder der Verfall des Prinzips (Historisches Museum der Stadt Wien), Wien 1981, S. 181ff.; Werner Telesko, Die Wiener historischen Festzüge von 1879 und 1908. Zum Problem der dynamischen Identitätsfindung des Hauses Österreich, in: Wiener Geschichtsblätter 51 (1996), H. 3, S. 133–146; ders., Die Wiener historischen Festzüge von 1879 und 1908, in: Geschichte der bildenden Kunst, Anm. 3, S. 610–614. Programm: Werke von Liszt, Schubert und Schumann. Bauzeit des Hauptgebäudes der Universität Wien: 1873–1884 nach den Plänen von Heinrich von Ferstel. SS 1878: Franz von Brentano, „Geschichte der Philosophie“ (2 Std). WS 1877/78: Richard Heinzel, „Altdeutsche Literaturgeschichte“ (4 Std.); ders., „Mittelhochdeutsche Übungen: Wolfram von Eschenbach’s Parzival“ (2 Std.); SS 1878: Richard Heinzel, „Altdeutsche Literaturgeschichte, Fortsetzung“ (4 Std.); ders., „Mittelhochdeutsche Übungen: Hartmanns Iwein“ (2 Std.). WS 1877/78: Friedrich Otto August Benndorf, „Griechische Kunstgeschichte“ (4 Std.); inskribiert, aber auf dem „Nationale“ (Inskriptionsblatt) gestrichen ist Friedrich Otto August Benndorf, „Erklärung der Gipsabgüsse nach Antiken“ im SS 1878 (2 Std.). WS 1877/78: Rudolf Eitelberger, „Übungen im Erklären und Bestimmen und Kunstwerken“ (2 Std.); SS 1878: Moritz Thausing, „Geschichte der deutsch-niederländischen Malerei, vom XIV. bis in das XVII. Jahrhundert mit besonderer Berücksichtigung der Wiener Galerien“ (2 Std.) – weiter inskribiert, aber aus dem „Nationale“ gestrichen sind: Max Büdinger, Allgemeine Geschichte (5 Std.; WS 1877/78) sowie Anton Bruckner (Lektor für Harmonielehre und Kontrapunkt in dem von Eduard Hanslick vertretenen Fach „Geschichte und Ästhetik der Tonkunst“) Harmonielehre (1 Std.; WS 1877/78) sowie ders., Harmonielehre (1. Std.; SS 1878). Das Institut für Musikwissenschaft wurde erst 1898 durch den damals von Prag nach Wien berufenen Guido Adler (1855–1941) als „Musikwissenschaftliche Lehrmittelsammlung“ begründet.

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allgemeinen Interesse an den visuellen Medien nicht unberührt blieb. Seine musikalische Begabung, die er bereits mitbrachte, und die Bildung, die er zu erwerben suchte, waren ja die beiden Eintrittskarten in die Gesellschaft, will heißen: in die Wiener, ja europäische Bourgeoisie. Den Aufstieg dorthin musste der junge Pianist und Komponist aus eigener Kraft bewerkstelligen. Seine Herkunft aus einer jüdischen Familie war hierbei ebenso ein Hemmschuh wie das Faktum, dass er von seinen Eltern weder einen finanziellen noch gesellschaftlichen Rückhalt erwarten konnte. Unabdingbar für den sozialen Aufstieg war – ungeachtet der Frage nach dem persönlichen Interesse Mahlers an Architektur und bildender Kunst – die geschmackliche Anpassung: die Übernahme der ästhetischen Standards der christlichen Mehrheitsgesellschaft, mithin einer Gesellschaft, die vom Historismus Makartscher Spielart penetriert war.31 Daher später Mahlers „philiströse“ Villa am Wörthersee. Innerhalb des Historismus dominierte der Neobarock in Wien bis zum Ersten Weltkrieg; gegen Ende des Jahrhunderts wurde der Barock gar zum österreichischen Nationalstil erklärt.32 Der „Maria-Theresien-Stil“ und das Gesamtkunstwerk, das von Richard Wagner im Bereich des Musiktheaters propagiert und von Hans Makart sowie dem „bauenden Makart“, Carl von Hasenauer33, in den visuellen Medien angestrebt wurde, gingen dabei mit größter Selbstverständlichkeit Hand in Hand, hatte doch schon das 17. und 18. Jahrhundert hierorts ein Miteinander der Medien (Architektur, Stuck, Skulptur, Wand- und Tafelmalerei, Musik etc.), quasi ein Gesamtkunstwerk ante litteram, hervorgebracht. Etwas von dieser Atmosphäre wird Mahler sicher begleitet haben, als er 1880 Wien verließ, um bis 1891 in verschiedensten Städten Europas als Kapellmeister und in Budapest 1880 bis 1891 sogar als Direktor der Oper zu wirken. Dass er, obwohl er überwiegend Opern dirigierte, als Komponist dieser Gattung aus dem Weg ging, lässt sich – jenseits der musikgeschichtlichen Bedingungen – mit Makarts Befreiung der Malerei aus dem Dienst des Inhalts zusammen sehen. Zugleich entspricht das Einbeziehen von Dichtung in Mahlers Symphonien der Medienfusion nicht nur bei Wagner, sondern auch bei den beiden „Makarts“. Die Erhöhung der Satzzahl der Symphonien von vier bis auf sechs wiederum hat im Hang zum Monumentalen oder zumindest zum Großen, der die späthistorische Architektur, Malerei etc. – nicht nur in Wien – prägte, ihre

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Gustav Mahler zählte in der Folge zu jenen, die durch Geldspenden, Noten- und Büchergeschenke zur Entwicklung des Instituts wesentlich beitrugen (http://134.76.163.162/fabian?Musikwissenschaft_Wien). Ausstellungskatalog Der Traum vom Glück. Die Kunst des Historismus in Europa 1997. – Ein kurzer Überblick in: Martina Pippal, Kleine Kunstgeschichte Wiens. München 2000, S. 133 ff. Alfred Ilg, Leben und Werke Johann Bernhard Fischer’s von Erlach des Vaters. Wien 1895. Fischer von Erlach und die Wiener Barocktradition. Hrsg. Friedrich Polleroß. Wien–Köln–Weimar 1995. Vgl. Anm. 20.

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Parallele. Der Rückgriff auf die Alltagskultur, beispielsweise der akustische Auftritt einer Militärkapelle und das Anklingen von Klezmer in Mahlers Erster Symphonie (Uraufführung Budapest 1889), ist aus dem auf Urbanität bedachten Kulturgefüge der Reichsund Residenzstadt indes nicht deduzierbar. Eine gewisse Parallele dazu sollte etwas später, um 1900, im ungarischen, aber auch im skandinavischen Jugendstil entstehen, wo aus dem für die Zeit typischen nationalistischen Empfinden heraus versucht wurde, auf der Basis der Flächenkunst einen mit lokalen Motiven der Volkskunst angereicherten eigenen Formenkanon zu schaffen. Dieser bestimmte dort die Architektur und die Einrichtung, aber auch die bildende Kunst. Mahler war also seiner Zeit voraus, wenn er die genannten Elemente aus seinem Kindheits- und Jugendambiente bereits in den ausgehenden 1880er Jahren in seine – in der Spätromantik ankernden – Symphonien integrierte. An der kurz skizzierten Entwicklung des Historismus hatte auch Almas Familie Anteil, und dies sogar in doppelter Weise. Denn einerseits kämpfte auch die anfangs in beengten Verhältnissen lebende Familie Schindler um den sozialen und finanziellen Aufstieg, andererseits wirkte der Familienvater, der Landschaftsmaler Emil Jakob Schindler, an der Konstruktion der historistischen Wirklichkeit mit. Als Vertreter des Österreichischen Stimmungsrealismus34 gehörte er allerdings nicht zu jenen, die Narrativa schufen; weder half er der k. u. k. Monarchie durch Historienbilder ihre Vergangenheit zu glorifizieren und politische Ansprüche zu erheben (wie beispielsweise Makart), noch unterstützte er die zu Geld und Ansehen gelangten Schichten dabei, ihre soziale Etablierung zu affirmieren (wie z. B. Anton Romako).35 Schindler näherte sich vielmehr der Wahrnehmung der Welt des Sichtbaren mittels der plein-air-Malerei an, auch wenn der Blick auf diese Wirklichkeit durch die niederländische Landschaftsmalerei des 17. Jahrhunderts geleiteter war. Als Schindlers Anerkennung als Maler Mitte der 1880er Jahre wuchs, besserten sich auch die finanzielle Lage und der gesellschaftliche Status der Familie, und 1887 wurde Schindler sogar Ehrenmitglied der Wiener Akademie der bildenden Künste. Auch Mahlers Anstrengungen waren in diesen Jahren von weiteren Erfolgen gekrönt: 1891 trat er seine Stelle als erster Kapellmeister am Stadttheater Hamburg an, wo er bis 1897 blieb. Von Hamburg aus bereiste er – mittlerweile als gefeierter Gastdirigent – die großen Städte Europas. In die Hansestadt Hamburg war ihm der „Malerfürst“ Makart mit einem gemalten Festzug quasi „vorangeeilt“: 1881 hatte die Hamburger Kunsthalle Makarts 1878 entstandenes Monumentalgemälde Der Einzug Karls V. in Antwerpen 34

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Die landläufige Bezeichnung „Stimmungsimpressionismus“ ist, wie Otmar Rychlik immer wieder zu Recht betont, aufgrund der formalen Ingredienzien unzutreffend. Geschichte der bildenden Kunst, Anm. 3, Nr. 104 (mit Lit.).

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erworben.36 Dessen ungeachtet gelang es Mahler dort, aus dem Makart’schen Dunstkreis zu treten: In seinen überwiegend in Hamburg entstandenen Orchesterliedern nach Texten aus Des Knaben Wunderhorn37 forcierte er – am sonor-bombastischen Charakter des Makart’schen Historiengemäldes tangential vorbei – das im Text schon angelegte skurrile Moment. Dies gilt insbesondere für Des Antonius von Padua Fischpredigt. Text und Musik führen hier an den heiligen Franziskaner und die von ihm adressierten Fische dicht heran. Dadurch springt das Verhalten der Zuhörer, das jenem indolenter, nur am momentanen Unterhaltungswert des Dargebotenen interessierter Menschen gleicht, in die Ohren. Hält Mahler hier dem Bildungsbürgertum, das primär aus Gründen der sozialen Verankerung in Nachmittagskonzerten und Matineen sitzt und dort bar jeden wirklichens Verständnisses Symphonien etc. konsumiert, den Spiegel vors Gesicht? In jedem Fall hat das unmittelbare, nahsichtige Konfrontieren des Publikums mit einem Jahrhunderte lang als heilig geltenden und damit nur aus großem Ab- und mit gehörigem Anstand betrachteten Geschehen eine Parallele in der zeitgleichen Malerei der Symbolisten. Der Leipziger Max Klinger und der schon genannte Baseler Arnold Böcklin taten Ähnliches. Ersterer zum Beispiel 1883/84 in seinen Bildern für die Wanddekoration der Villa Albers in Berlin-Steglitz38, Böcklin in Spiel der Wellen von 1883.39 Nach der Distanzverletzung und der realistischen Wiedergabe entpuppen sich die Götter und Göttersprosse des griechisch-römischen Olymps dort als Wesen mit menschlichen Leibern, menschlichen Gefühlen und animalischen Begierden. Realismus ist von Klinger und Böcklin ganz bewusst als zur Wiedergabe des Erhabenen ungeeignetes Mittel vorgeführt. In ihrer Hand wird das Metaphysische physisch – oder lächerlich. Oder beides.40 Mit diesem Effekt spielte der Münchener Symbolist Franz von Stuck in seinen kauzig-grotesken Bildern, etwa in Dissonanz von 191041, das zeigt, wie sich der alte Pan die Ohren zuhält, weil der junge Pan beim Üben auf der Flöte falsche Töne spielt. Den Schweizer Arnold Böcklin führte Mahler ein paar Jahre nach der Entstehung seines Zyklus Des Knaben Wunderhorn explizit als Gewährsmann an, um deutlich zu 36 37 38

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Gerbert Frodl, Hans Makart. Monographie und Werkverzeichnis. Salzburg–Wien 1974. Entstehungszeit: 1892–1898. Seit 1902 in der Kunsthalle Hamburg; Stella Wega Mathieu, Max Klinger, Leben und Werk in Daten und Bildern. Frankfurt a. M. 1976; Gerhard Winkler, Max Klinger. Gütersloh 1984. Neue Pinakothek, München. – Ausstellungskatalog Arnold Böcklin – eine Retrospektive (Basel, Paris und München 2001–2002). Hrsg. Öffentliche Kunstsammlung Basel/Kunstmuseum und Bayerische Staatsgemäldesammlungen/Neue Pinakothek München. Heidelberg 2001. Böcklin und Klinger freundeten sich 1887 an; Klinger und Mahler hielten sich Anfang 1888 beide in Leipzig auf. München, Villa Stuck; Eva Mendgen, Franz von Stuck 1868–1928. „Ein Fürst im Reiche der Kunst“. Köln 1994, Abb. auf S. 59.

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machen, dass sein, Mahlers, Zugriff auf die Natur ein ähnlicher sei wie der des Symbolisten; er habe, so Mahler in einem Gespräch zu Natalie Bauer-Lechner im Jahr 1900, gelesen, dass Böcklin nie ein Bild sklavisch nach der Natur oder nach Modellen gemalt habe, sondern, nachdem er in und an der Natur sich Auge und Phantasie ganz erfüllt hatte, frei aus dem Geiste seine künstlerischen Gestalten schuf, die an Wahrheit nur gewannen, was ihnen an platter Wirklichkeit fehlte. ‚Das kann ich‘, sagte Mahler, ‚so gut verstehen, weil auch ich nie imstande wäre, eine so große Rolle auch die Natur in allen meinen Sachen spielt, sie in irgend welchen Lauten oder Tönen abzuklatschen. Mag es eine Vogelstimme oder welcher Naturklang immer sein, der mir zur Anregung gedient hat: ich werde ihn nicht im wirklichen, naturgetreuen Ton und Intervall, sondern stets in einer übertragenen, stilisierten Form bringen, die das Typische des Naturlautes getreuer wiedergibt, als sein buchstäblicher Nachhall.‘42

Als Mahler 1897 nach Wien zurückkehrte (er war im Jahr davor zum Katholizismus konvertiert), um seinen Posten als erster Kapellmeister der Hofoper anzutreten und kurz darauf die Direktion des Hauses, dieses ersten und zentralen „Edelsteins“ im „Diadem“ der Wiener Ringstraße, zu übernehmen43, war der Symbolismus auch in der bildenden Kunst der Reichs- und Residenzstadt bereits angekommen. Allerdings in einer anderen Spielart: Gustav Klimt, der vom Historismus ausgegangen war, hatte bei seinen 1886 bis 1888 in den Stiegenhäusern des Wiener Burgtheaters ausgeführten Deckenfresken die Narration zurückgedrängt44, der aus dem Hessischen stammende Karl Wilhelm Diefenbach im Frühling 1895 sein monumentales, von dunkel-mystischer Ausstrahlung bestimmtes, theatralisch inszeniertes Bild Erlösung im Philipphof 45 unter enormem Öffentlichkeitsinteresse ausgestellt46, und Klimt im selben Jahr 1895 in seinem Bild Liebe 47 seinen naturalistisch-narrativen Frühstil überwunden, indem er das dargestellte 42

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Gustav Mahler in den Erinnerungen von Natalie Bauer-Lechner. Hrsg. Herbert Killian. Hamburg 1984, S. 182. – Auf Böcklin nahm Gustav Mahler in einem Brief an die junge Budapesterin Gisela Tolnay-Witt aus Hamburg vom 7. Februar 1893 Bezug, wo er ihn mit Raffael in einem Atemzug nennt; Gustav Mahler, Briefe. Hrsg. Herta Blaukopf. Wien 1996, S. 454. Ausstellungskatalog Die Ära Gustav Mahler. Wiener Hofoperndirektion 1897–1907 (Theatermuseum Wien 1997). Hrsg. Erich Wolfgang Partsch und Oskar Pausch. Wien 1997. Geschichte der bildenden Kunst, Anm. 3, Nr. 40b (mit Lit.); Otmar Rychlik, Gustav Klimt, Franz Matsch und Ernst Klimt im Burgtheater. Wien 1909. Geschichte der bildenden Kunst, Anm. 3, Nr. 48 (mit Lit.); der Philipphof wurde während des Zweiten Weltkriegs zerstört. An seiner Stelle befindet sich heute der Albertinaplatz mit Alfred Hrdlickas Mahnmal gegen Krieg und Faschismus (1988–91). Foto: Archiv der Spaun-Stiftung, Seewalchen; Ausstellungskatalog Karl Wilhelm Diefenbach (1851–1913) Lieber sterben, als meine Ideale verleugnen! (Villa Stuck, München 2009). München 2009, S. 39 ff., Abb. 30. WienMuseum, Wien.

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Paar in Nebelschwaden hüllte und durch wie durch einen Schacht hereinbrechendes Licht beleuchtete, während es im Übrigen von einer – möglicherweise durch Diefenbach inspirierten – Dunkelheit von nachgerade greifbarer Konsistenz umfangen wird. Im Jahr darauf warb Klimt um Alma. Im selben Jahr wurde Klinger, dem deutschen Leitstern der symbolistischen Bewegung, eine Professur an der Wiener Akademie der bildenden Künste angeboten, die er aber ablehnte; das groteske Moment, das durch ihn nach Wien hätte kommen können, sucht man in der Malerei und Skulptur der Stadt vergebens. Nur in der Musik ist es durch Mahler präsent. Dass im Jahr 1897, in dem Mahler in Wien den Gipfel seiner Karriere erklomm, der erwähnte Auszug der Künstler um Gustav Klimt aus dem konservativen, dem Historismus verpflichteten „Künstlerhaus“ (der Gemeinschaft bildender Künstler mit Sitz im Künstlerhaus neben dem Musikvereinsgebäude) und die Gründung der neuen Künstlervereinigung „Wiener Secession“ stattfand, wirft die Frage nach der Relation Mahlers zu den Secessionisten auf. Bei der Suche nach einer Antwort ist im Auge zu behalten, dass die neunzehn Mitglieder der Secessionsgruppe weder einen einheitlichen inhaltlichen noch einen gemeinsamen stilistischen Ansatz hatten, und dass der Motor und erste Präsident der neuen Künstlervereinigung, Gustav Klimt, damals noch keineswegs der Vertreter jener ornamental-dekorativen „Flächenkunst“ war, für die er bis heute weltberühmt ist. Was die aus dem Künstlerhaus ausziehenden Künstler und Architekten vereinte, war die Ablehnung des historistischen Konzepts, insofern dieses die Wiedergabe narrativer Inhalte respektive überkommener Allegorien im Kleide von Stilen, die zu diesem Behufe von den Toten auferweckt worden waren, vorsah. Klimt arbeitete 1897 unter anderem an dem polarisierenden Entwurf für drei der vier Fakultätsbilder, die an der Decke des großen Festsaales des neuen Hauptgebäudes der Wiener Universität am Ring48 hätten angebracht werden sollen. Die konservativen Professorenkreise hatten sich Personifikationen in einer Glorie vorgestellt, Klimt wollte indes die Medizin49 durch inhaltlich nicht völlig determinierte Figuren symbolisieren, die sich im innerbildlichen incantesimo des Unbestimmten auflösen. Das wurde als Hinterfragung des Wahrheitsanspruchs der Wissenschaft verstanden. Die Debatte weitete sich zu einem der bekanntesten Skandale des Wiener Kunstlebens aus, im Zuge dessen der Unterrichtsminister zurück trat und Klimts Entwurf unter dem Vorwand einer Nuditätsproblematik abgelehnt wurde. Am 14. April 1902, rund ein Monat nach der Heirat Mahlers und Alma Schindlers, kam es zu einer unmittelbaren Zusammenarbeit des Hofoperndirektors mit den Secessionskünstlern: Mahler steuerte – laut Alma über Vermittlung ihres Stiefvaters und 48 49

Aktuelle Adresse: Wien I., Dr. Karl Lueger-Ring 1. Entstehungszeitraum des Entwurfs: 1897/98.

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Mahlers nunmehrigen Stief-Schwiegervaters, Carl Moll50 – die Musik für eine private Voreröffnung der Max Klinger gewidmeten XIV. Secessionsausstellung bei; dafür hatte er einige Motive aus dem Finale von Beethovens Neunter Symphonie für Bläser bearbeitet.51 Klingers Beethovenskulptur52 war zentral im Mittelraum des nach Plänen von Joseph Maria Olbrich errichteten, 1898 vollendeten Ausstellungsgebäudes der Künstlervereinigung positioniert (Abb. 3). Klimt hatte in einem der Nebenräume den „Beethovenfries“ gemalt, damit seine stilistische Wende endgültig vollzogen.53 Inhaltlich hielt Klimt den symbolistischen Kurs bei, in formaler Hinsicht setzte er nun aber alle Mittel ein, um die Missdeutung des Dargestellten – des Wegs des Menschen, vor allem des Künstlers, vom Leid zur Erfüllung der Sehnsucht nach Glück (Inhaltsdeutungen von Beethovens Neunter durch Richard Wagner)54 – als Wiedergabe eines Geschehens zu verhindern: der Bildraum ist eliminiert, die Körperlichkeit der Figuren reduziert, die Geste nicht mehr Ausdruck des Empfindens, sondern darauf verweisendes Zeichen – synchronisierbar mit anderen Gesten wie es die Bewegungen der Tänzer Abb. 3: Max Klingers Beethoven-Skulptur und Tänzerinnen im Ballett sind. Die Palette ist – das (Wien, Archiv IGMG) Mystische nun weit von sich weisend – aufgehellt und der Freiraum zwischen dem Dargestellten substantiell. Den Primat haben die Schönheitlichkeit (die Schönheit der Linie) und das dekorative Moment (Form- und Farbverteilung etc.). Letzteres bringt die Malerei in die Nähe zur angewandten Kunst, was für die folgenden Jahre entscheidend werden sollte. Bei der Voreröffnung war „Mahler mit seinen Blechleuten“, Mitgliedern des Hofopernorchesters, laut Ludwig Hevesi „auf der Empore des linken Seitenschiffes platziert“.55 Sie und der Chor gaben das Mahlersche Arrangement über den Schlusschor der 50 51

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Jens Malte Fischer, Gustav Mahler. Der fremde Vertraute. Wien 2003, S. 432. Die effektive Eröffnung fand am folgenden Tag, dem 15. April, statt; zur Frage des Datums und der Aufführungsumstände vgl. ebenda S. 429–436. Heute im Gewandhaus, Leipzig. Marian Bisanz-Prakken, Gustav Klimt. Der Beethovenfries. Geschichte, Funktion und Bedeutung, Salzburg– Wien 1977; Sekler, Anm. 5, WV 64 (mit Lit.); Dieter Bogner, Musik und bildende Kunst in Wien. Konsonanz – Dissonanz – Nomos, in: Ausstellungskatalog Vom Klang der Bilder (Stuttgart 1985). München 1985, S. 346 ff.; Geschichte der bildenden Kunst, Anm. 3, Nr. 119 (mit Lit.), Tf. S. 86; Fischer, Anm. 50, S. 432 f. Aus den Jahren 1846 und 1870 – Zur These, der den Künstler symbolisierende junge Ritter im Beethovenfries trage die Züge Mahlers vgl. Fischer, Anm. 50, S. 433 sowie S. 437. Ludwig Hevesi, Max Klinger in Wien, in: Acht Jahre Sezession (März 1897–Juni 1905). Kritik – Polemik –

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Neunten Beethoven, Alma Mahler zufolge die kurze Sequenz von „Ihr stürzt nieder Millionen“ bis „Überm Sternenzelt muß ein guter Vater wohnen“, wobei der Chor, so Alma Mahler, „granitstark klang“.56 Klinger seien, als er den Saal betrat, die Tränen heruntergeronnen.57 Vergleicht man – von Alma Beschreibung unbeeindruckt – Gustav Mahlers Kompositionen jener Zeit und der folgenden Jahre mit den Arbeiten Gustav Klimts aus demselben Zeitraum, treten primär die Unterschiede hervor. Dazu zählen das Enigmatische der von Mahler gewählten Texte und die mystische Grundstimmung seiner Musik, die zwar ebenfalls auf den Symbolismus in der Malerei, aber eher auf Gustave Moreau als auf die in Wien tätigen Künstler oder auch den von diesen verehrten Max Klinger, eventuell auf Diefenbach, verweisen. Mahler arbeitete weiter mit einem großen „Apparat“, stockte die Zahl der Orchestermusiker sogar noch auf, erreichte ungewöhnliche klangliche Effekte durch die Positionierung einzelner Instrumentalisten abseits vom Podium und weitete so das ganze Haus zum Klangraum aus. Darin sprach Mahler die großen Themen Trennung, Einsamkeit, Todesnähe, Todes- und Erlösungssehnsucht an, etwa 1909 im Lied von der Erde. Der große Klangkörper ist hier Natur, Welt, Kosmos, die einzelne menschliche Stimme nicht Heros oder Heroine wie im 19. Jahrhundert, sondern der verletzte, einsame, archetypische Mensch. Die Zuhörenden sind ihm nahe, bleiben aber doch passive Zeugen, wenn sich dieses Alter-Ego in der Natur, statt mit ihr im romantischen Sinne eins zu werden, verliert. Trost verspricht jetzt nur noch der ewige Zyklus der Natur. Julius Korngold, der Vater des Wunderkindes Erich Wolfgang Korngold, zog bereits 1907 anlässlich der Aufführung von Mahlers Sechster Symphonie im Wiener Konzerthaus unter dem Dirigat des Komponisten einen Vergleich, der bei ihm aber zu Klimts Ungunsten ausfiel: Es gibt einen Maler in Wien, dem Mahler mit seinem kontrapunktischen und instrumentalen Liniengewirr, mit seinen Herausforderungen an den Philister zu vergleichen wäre: Klimt. Aber Klimt hat nicht das Pathos, nicht die treibende Energie, nicht das schmerzhaft die Nerven Aufwühlende … .58

Tatsächlich trennt Mahler und Klimt insbesondere deren diametral anderes Verhältnis zur Natur. War sie für Mahler in ihrer zyklischen Wiederkehr Trost und wurde sie durch

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Chronik (Aufsätze aus dem Wiener Fremden-Blatt), Wien 1906, S. 383; vgl. Fischer, Anm. 50, S. 435 f.; zur Frage, ob das Stück tatsächlich so kurz war (ca. eine Minute) vgl. die Überlegungen ebenda. Alma Mahler, Gustav Mahler. Erinnerungen und Briefe. Amsterdam 1994, S. 50. Ebenda. Die Musik 6 (1907), S. 327; Ute Jung-Kaiser, Gustav Klimts verschlüsseltes Mahler-Bildnis, in: Archiv für Musikwissenschaft IV/Heft 3 (1998), S. 252–262, bes. S. 253.

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Klangzitate wie den erwähnten Kuckucksruf Teil seiner symphonischen Dichtung, sollte sie für Klimt, etwa in seinen Atterseebildern59, bald nur mehr als Widerlager fungieren, von dem er sich Richtung autonomer, den flachen Bildträger bejahender Malerei abstieß. Und was das Individuum betrifft, so hat Klimt dieses, die von ihm porträtierte Frau60, zwar nicht gänzlich ent-individualisiert, aber mit einer idealisierten Physiognomie und einem Körper, der keine Leiblichkeit kennt, an die Bildfläche gebunden, die nach seinen ästhetischen Prinzipien gestaltet ist. Klimtporträts verlangen von daher in einem entsprechenden, also secessionistischen Kriterien folgendem Ambiente platziert zu werden.61 Es ist also dieses nach secessionistischen Kriterien gestaltete, mithin schöne häusliche Ambiente, das den Porträtierten und damit den Auftraggebern und Auftraggeberinnen der Secessionskünstler und -architekten Halt in der Welt und damit Erlösung aus Orientierungslosigkeit und Einsamkeit, diesen aus dem 19. Jahrhundert ererbten Gefühlen, versprach. Klimts Versprechen lautete kurz gesagt: Erlösung durch Schönheit. Diesem Angebot, Halt in der Schönheit zu finden, öffnete sich bereitwillig eine dem emanzipierten Judentum angehörende Klientel. Denn ein von den Künstlern der Secession gestaltetes Ambiente, in dem – weiterhin im Sinne des Gesamtkunstwerkes – alle Medien zusammenwirkten, war, wie Elena Shapira betont 62, gleich vieles zugleich: Raum für einen modernen, von Zwängen befreiten Lebensstil und eine Alternative zum späthistoristischen Wohnstil, der bislang von dem des etablierten Bürgertums übernommen worden war; diese Übernahme war insofern eine problematische, als sich der späthistoristische Wohnstil an Epochen orientierte, in denen die Juden unterdrückt worden waren. Folglich gab die neue Ästhetik den Auftraggebern und Auftraggeberinnen einer jüngeren Generation die Gelegenheit, sich von ihren Eltern und Großeltern abzusetzen, die ihre gesellschaftliche Zugehörigkeit zur christlichen Mehrheitsgesellschaft durch die genannte Übernahme erkauft hatten. Dank der Secessionskünstler ersetzte nun Zukunftsorientiertheit Retrospektivität, helle, luft- und lichtdurchflutete Räume traten an die Stelle der dunklen, vollgeräumten, nach außen oft durch bunte Glasfenster abgeschotteten und mittels dicker Vorhänge abgedichteten. Das lockere Reformkleid löste Korsett und – von Paris diktierte – Stoffmassen ab. Ambiente und Mode wurden als der Entwicklung einer eigenen, modernen Identität dienende Instrumente be- und ergriffen.63 59 60

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Gustav Klimt – Landschaften. Hrsg. Stephan Koja. München 2002. Ausstellungskatalog Klimt und die Frauen. Hrsg. Tobias G. Natter und Gerbert Frodl, Wien, Belvedere 2000. Köln 2000. Hierin geht Klimt – wenn auch eine gänzlich andere Sprache verwendend – durchaus in den Spuren Makarts weiter. Elana Shapira, Modernism and Jewish Identity in Early Twentieth-Century Vienna: Fritz Waerndorfer and His House for an Art Lover, in: Decorative Arts XIII/2, 2006, S. 52–92. Ebenda.

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Einer jener Auftraggeber, der diese Chance erkannte und erfasste, war der Unternehmer Fritz Waerndorfer, der in dem entscheidenden Jahr 1902 seine Villa im Währinger „Cottage“, diesem Villengebiet in XVIII. Bezirk, nicht weit von der Hohen Warte im XIX. Bezirk, umgestalten ließ: Josef Hoffmann64 und der Schotte Charles Rennie Mackintosh entwarfen die Architektur und das Mobiliar, Klimt malte für Waerndorfer Die Hoffnung 65, und über dem Kamin befand sich ein Kniender Knabe von Georges Minne.66 Der Auftraggeber und die Künstler trafen im Waerndorferhaus zusammen, und rasch wurde der Hausherr zum Kunstmäzen, als er den Secessionskünstlern 1903 bei der Gründung der „Wiener Werkstätte“ finanziell unter die Arme griff. Ziel dieser Neugründung war die Synergie der Medien (Architektur, Skulptur, Malerei, Kunstgewerbe) sowie die leichtere Kooperation der entwerfenden Künstler wie der Ausführenden (worunter sich zunehmend auch Frauen befinden sollten). Vor allem ging es den Künstlern aber um die Reform des Kunstgewerbes. Anders als im 19. Jahrhundert, in dem dieses fast ausschließlich die Entwicklungen in den „großen“ Gattungen, Architektur, Skulptur und Malerei, rezipiert hatte 67, sollte es sich emanzipieren und den genannten Gattungen gleichwertig gegenübertreten. Deshalb brachten sich Josef Hoffmann und Kolo Moser und andere als Entwerfer für Produkte der Wiener Werkstätte ein.68 Der Mentor der Produktionsgemeinschaft, Fritz Waerndorfer, war nicht bloß acht Jahre jünger als Gustav Mahler, er spielte durch seine Herkunft aus einer jüdischen Industriellenfamilie, die einen der größten baumwollverarbeitenden Betriebe der österreichischen Monarchie besaß, auch in einer anderen gesellschaftlichen Liga. So verwundert es nicht, dass Mahler die Möglichkeit, durch die Freunde seines Schwiegervaters und seiner Frau ein ähnlich modernes Ambiente für sich und seine junge Gattin gestalten zu lassen wie das von Waerndorfer bestellte, nicht ergriff, obgleich Alma dies angesichts der „philiströsen“ Villa am Wörthersee mit ihrer „scheußlichen“ Einrichtung sicher willkommen geheißen hätte; so blieb ihr nur das Abbrechen der „Säulchengalerie“ von den „Kastenborden“. 1903 kam es aber auf der beruflichen Ebene zu einer weiteren und nachhaltigen Kooperation zwischen Mahler und der Secessionsgruppe, als der Hofoperndirektor den zu den Gründungsmitgliedern der Secession gehörenden und ab 1902 als ihr Präsident 64 65 66 67

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Sekler, Anm. 5, WV 70 (mit Lit.). 1903; Ottawa, National Gallery of Canada; Shapira, Anm. 62, S. 78, Fig. 11. Ebenda S. 63, Fig. 5. Eva B. Ottilinger, Das österreichische Kunstgewerbe – Entwicklungstendenzen und Rahmenbedingungen, in: Geschichte der bildenden Kunst, Anm. 3, S. 542–609. Ausstellungskatalog Der Preis der Schönheit – Zum 100. Geburtstag der Wiener Werkstätte. Museum für angewandte Kunst, Wien 2003/04. Ostfildern–Ruit 2003.

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fungierenden Alfred Roller als Bühnenbildner der Hofoper engagierte.69 Mahler lernte Roller wohl im Zuge der Vorbereitung der genannten um Klingers Beethovenfigur kreisenden und von Roller inszenierten XIV. Secessionsausstellung oder spätestens bei deren privater Voreröffnung am 14. April kennen.70 Mit Rollers Anstellung (ab 1. Juni 1903) konnte Mahler die – wie sich zeigen sollte: berechtigte – Erwartung verbinden, dass dieser ihn bei der Umsetzung seiner Vorstellung von einem neuen Stil auf dem Musiktheater kongenial in die Hände arbeiten würde. Mahler war schon in Hamburg um einen neuen Stil bemüht gewesen und hatte im Hinblick darauf nach seiner Rückkehr nach Wien den Maler und Graphiker Heinrich Lefler ans Haus am Ring berufen.71 Nun tauschte Mahler Lefler gegen Roller aus, worauf Lefler im folgenden Jahr auf Druck des Ministers mit einer Professur an der Akademie der bildenden Künste abgefunden wurde. Klimt, der sich um dieselbe Stelle beworben und vom Kollegium primo et unico loco gereiht worden war, ging leer aus.72 Roller reformierte das Bühnenbild durch die Einführung der so genannten „Türme“ (vier hohe, auch von innen bespielbare Prismen, die leicht verschoben werden konnten) und durch Farben und – elektrischem – Licht, die den Charakter der Musik verstärkte. Dazu kam, dass er die Sänger und Sängerinnen in Kostümen auftreten ließ, die ein natürliches Agieren erlaubten. Da Mahlers und Rollers Intentionen konvergierten, entstand dank ihrer Zusammenarbeit das bis heute legendäre Gesamtkunstwerk aus architektonischer Gestaltung, Farb- und Lichteinsatz, Musik, Wort und gestischem Ausdruck.73 Für die Gruppe um Klimt wurde das Jahr 1905 ein in vielfacher Hinsicht entscheidendes: Da sie von anderen Secessionsmitgliedern, denen die 1903 gegründete Wiener Werkstätte zu kommerziell ausgerichtet war, attackiert wurde, verließen Klimt, Kolo Moser, Josef Hoffmann und andere die Künstlergemeinschaft. Im selben Jahr legte Klimt den Auftrag für die Deckenbilder für den Festssaal der Universität zurück. Basis dieser Entscheidungen waren sicher nicht nur künstlerische Erwägungen, sondern auch 69 70

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Blaukopf, Anm. 1, S. 12 f.; Die Ära Gustav Mahler, Anm 43, S. 40 ff.; Fischer, Anm. 50, S. 513 ff. Dass das erste Zusammentreffen in der Moll-Villa im Herbst 1902 stattfand, wie von Alma Mahler erwogen, kann daher nicht zutreffen; Manfred Wagner, Alfred Roller in seiner Zeit. Salzburg–Wien 1996, S. 71 ff.; Fischer, Anm. 50, S. 430, 436. Leflers Tätigkeit an der Hofoper: 1. August 1900 bis 31. Mai 1903; Wagner, ebenda S. 71. Lefler wurde am 28. Juli 1903 ordentlicher Professor für Landschaftsmalerei. Dass es sich dabei um eine Kompensation der Stellung an der Hofoper handelte, ist bloß eine Vermutung, die aber auf der Hand liegt, da der Druck des Ministers auf das Professorenkollegium massiv gewesen sein muss; Wagner, ebenda Anm. 70, S. 72. Zu einem am 24. April 1899 an den Ersten Obersthofmeister gerichteten Memorandum Mahlers, in dem er die Notwendigkeit, im Musiktheater alle Elemente zu verflechten, betont, vgl. Blaukopf, Anm. 1, S. 12 f.; Wagner, Anm. 70, S. 71.

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die realistische Erwartung, dank privater Auftraggeber autonom weiterarbeiten zu können; der Bau der Ringstraße ging ja in die Endphase, Aufträge seitens des Hofes wie jene für die Deckenbilder im Burgtheater und in der Universität etc. waren nicht mehr zu erwarten, schon gar nicht nach dem Skandal um die Medizin. Bei Klimt kam fraglos noch hinzu, dass ihm Lefler auf Druck des Ministeriums als Akademieprofessor vorgezogen worden war. Mahler stand indes weiter im Sold des Hofes. Er wollte und musste als Operndirektor, Stardirigent und Komponist großer Symphonien in der Tradition Beethovens und Bruckners ein anderes Publikum erreichen: den Hof, die Aristokratie, die Bourgeoisie. Im geschützten Raum privater Auftraggeber zu agieren, war ihm nicht möglich. 1907 lernte er anlässlich eines Gastdirigats in Helsingfors (heute: Helsinki) den finnischen Künstler Akseli Gallén-Kallela, einen Vertreter des mit lokalen Elementen angereicherten finnischen Jugendstils, kennen. Mag sein, dass Mahler hier – angesichts seines Versuchs, autochthone Momente in seine Symphonien zu integrieren – eine Seelenverwandtschaft empfand. Jedenfalls luden Gallén-Kallela und einige Architekten Mahler in ihre Künstlerkolonie nach Hvitträsk, etwas außerhalb der Hauptstadt, ein, wo Ersterer am Abend, bei Kaminfeuer, ein Porträt Mahlers in einer Mischung aus spätimpressionistischem Duktus und Rembrandtschem Beleuchtungs- und Farbkonzept schuf.74 Gerade dies gefiel Mahler: „Ganz à la Rembrandt nur vom Kamin beleuchtet. […] Als Bild herrlich und dabei sehr ähnlich“75, schrieb er begeistert an seine Frau. Zumindest der letzten Einschätzung ist zu widersprechen. Von daher wird man dem Urteil Alma Mahler-Werfels über die Interessen und Fähigkeiten ihres frühverstorbenen Gatten zustimmen, die 1940 rückblickend schrieb: Mahler hatte nicht eigentlich Sinn für die bildende Kunst, er kam zu deutlich von der Literatur her. Aber allmählich durch vieles Sehen und ungeheuren Lerneifer für alles, was es gab, bekam er Freude an rein malerischen Werken, ja sogar ein Urteil; Moll, Klimt, Roller, Kolo Moser wetteiferten miteinander, seine Lehrmeister zu sein, bei allem höchsten Respekt, den sie hatten.76

Freilich ist dieses Kompliment ein doppeltes Danaergeschenk, stellte Alma hier doch Familie und Freunde aufs Podest statt ihren Gatten, um jene postwendend wiederum diesem zu subordinieren. – Das „Wetteifern“ der Secessionisten war jedenfalls nicht 74

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Gösta Serlachius Museum of Fine Arts, Mänttä, Finnland; Die Ära Gustav Mahler, Anm. 43, Nr. 11.1 mit Farbabb. Alma Mahler, Gustav Mahler. Erinnerungen und Briefe. Amsterdam 1940, S. 394; Blaukopf, Anm. 1, S. 14. Alma Mahler-Werfel, Erinnerungen an Gustav Mahler. Amsterdam 1940, Hrsg. Donald Mitchell, 2. Aufl., Frankfurt a. M.–Berlin 1971, S. 189; Fischer, Anm. 50, S. 437.

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gänzlich fruchtlos: Das zeigt ein gewisser Einfluss der Jugendstilornamentik auf Kritzeleien, eine Art ècriture autiomatique, die Mahler während seiner Telefonate machte.77 Für diesen wurde das Jahr 1907 zum annus horribilis: Die Presse begann, ihn als Hofoperndirektor zu attackieren, seine und Almas gemeinsame Tochter Maria Anna starb an Diphtherie, bei ihm selbst wurde ein schweres Herzleiden diagnostiziert. Mahler suchte daraufhin um die Demission von seinem Posten als Hofoperndirektor an und streckte seine Fühler erfolgreich nach Amerika aus. Wenn er in den folgenden Jahren in Wien weilte, wohnte er in der zweiten von Josef Hoffmann für die Familie Moll geplanten Villa, ebenfalls auf der Hohen Warte („Villa Moll II“)78: einem reinen Jugendstilbau, bei dem Hofmann darauf verzichtet hatte, Elemente des so genannten „Heimatstils“ (Fachwerk etc.) zu verwenden, die er bei der „Villa Moll I“ im Hinblick auf die topographische Situation der Villenkolonie auf der Hohen Warte, an der Grenze zwischen Stadt und den angrenzenden Weinbergen, noch hatte anbringen lassen.79 Mahlers Schwiegervater ist auch zu verdanken, dass neben dem de facto wenig ähnlichen Porträt von Akseli Gallén-Kallela eine Porträtbüste auf uns gekommen ist, die höchsten Ansprüchen gerecht wird: 1909 beauftragte Carl Moll im Hinblick auf Mahlers 50. Geburtstag Auguste Rodin mit der Ausführung einer solchen. Mahler saß dem berühmten Bildhauer in Paris tatsächlich Modell.80 Im Jahr seines 50. Geburtstages, 1910, feierte Mahler seinen größten musikalischen Triumph: Im Herbst fand in München unter seiner eigenen Leitung die Uraufführung seiner Achten Symphonie statt. Mehr als tausend Mitwirkende – ein riesiges Orchester, Orgel, acht Vokalsolisten, zwei große gemischte Chöre und ein Knabenchor – waren beteiligt. Mit einem Blick nach Wien, auf gleichzeitige Werke Klimts oder des jungen Egon Schiele81 und auf das Schaffen von Oskar Kokoschka82 respektive Richard Gerstl (der sich 1908 aufgrund seines aussichtslosen Liebesverhältnisses mit Mathilde Schönberg, der Gattin Arnold Schönbergs, das Leben genommen hatte)83 wirkt Mahlers „Sinfonie der Tausend“ 84 anachronistisch. Doch der Eindruck täuscht. De facto bäumte 77

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Autograph im Österreichischen Theatermuseum, Wien; Die Ära Gustav Mahler, Anm. 43, Nr. 4.1.3, Abb. auf S. 39. Bauzeit: 1906/07; Sekler, Anm. 5, WV 112. De facto hat Fachwerk in Wien und Umgebung keinerlei Tradition; im heutigen österreichischen Bundesgebiet existieren lediglich einzelne Bauten in Vorarlberg. Güsse finden sich beispielsweise in der National Gallery, Washington DC, und in der Wiener Staatsoper; Auguste Rodin. Plastik, Zeichnungen, Graphik. Red.: Claude Keisch. Berlin 1979. Jane Kallir, Egon Schiele. The complete works. New York 1998. Kokoschka – Leben und Werk in Daten und Bildern. Hrsg. Norbert Werner. Frankfurt/M. 1991. Ausstellungskatalog Richard Gerstl 1883 – 1908. Kunstforum der Bank Austria, Wien, 1993/94. Hrsg. Klaus Albrecht Schröder, Ingried Brugger. Wien 1993. Die Bezeichnung stammt nicht von Mahler selbst.

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sich gerade um das Jahr 1910 der Späthistorismus in der Architektur und der bildenden Kunst nochmals auf. Am deutlichsten in Form des k. u. k. Kriegsministeriums auf dem Wiener Stubenring.85 Der Planungswettbewerb war 1907 – die Krise mit Serbien war damals gerade dabei, sich zur realen Kriegsgefahr auszuweiten – ausgelobt worden, worauf Entwürfe in verschiedensten Stilen einlangten, darunter zukunftsweisende Lösungen wie ein von Robert Orley und Franz Safonith konzipierter Wolkenkratzer oder ein von Adolf Loos projektierter Bau, der auf architektonische Instrumentierung weitgehend und auf Aufschriften, Embleme etc. gänzlich verzichtet hätte.86 Derlei war chancenlos. Auftraggeber war der Hof, und dessen universalistischer Anspruch hatte in der Architektur zum Ausdruck zu kommen. So ging der Auftrag schließlich – auf Drängen von Erzherzog Franz Ferdinand – an den Burgbauarchitekten87 Ludwig Baumann.88 Der Thronfolger liebte den „Maria-Theresien-Stil“. Baumanns neubarockes, 1909 bis 1913 ausgeführtes, riesenhaftes Konglomerat aus Schloss, Kaserne und Amtsgebäude kam diesem am nächsten. Mahlers Symphonie ist nicht annähernd so retrospektiv und sie ist unvergleichbar komplexer in ihrer Struktur. Mahler hat als Komponist Weltgeltung, Baumann bestenfalls lokale Relevanz. Gemeinsam ist ihnen dennoch der Hang zur Größe und zur überbordenden Instrumentalisierung. Das Kriegsministerium war kein Einzelfall. Zu einer ähnlich ausholenden Geste setzte der Hasenauer-Schüler Leopold Bauer an, als er 1913 die k. u. k. ÖsterreichischUngarische Bank89 entwarf. Bauer hatte einen gigantischen Komplex vor seinem geistigen Auge: Einen „Sockel“ aus fünf Stockwerken mit einer Richtung Alser Straße konvex gewölbten Fassade, deren Kolossalordnung die fünf Geschosse zusammenfassen sollte; aus dem dergestalt instrumentierten Sockel wäre teleskopartig ein zwölfgeschossiges Hochhaus mit tempelartigem Aufsatz und einem steil hochgezogenen Dach (mit drei Dachgeschossen) aufgewachsen, das noch dazu eine glorietteartige Bekrönung hätte tragen sollen.90 Der Kriegsausbruch kam der Realisierung zuvor.

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Ausstellungskatalog Das Ungebaute Wien, Projekte für die Metropole 1800–2000. Museum der Stadt Wien, Wien 1999. Wien 1999. Allein die Oberflächenfarbigkeit (Gelb und Schwarz) hätte symbolisch auf die heraldischen Farben der Donaumonarchie verwiesen; Burkhardt Rukschcio/Roland Schachl, Adolf Loos, Leben und Werk, Wien– Salzburg 1982, S. 454 f., Nr. 60, Abb. 480–483. Dieser war mit dem Ausbau und beabsichtigten, auf Grund des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges aber nicht mehr realisierten Fertigbau der Hofburg zum „Kaiserforum“ beauftragt (siehe oben im Text), der bis zum Ersten Weltkrieg in einem am Barock orientierten Stil und nach einem hinsichtlich Repräsentationsanspruch und Raumaufteilung vom barocken Schlossbau inspirierten Konzept stattfand. Rudolf Kolowrath/Ludwig Baumann, Architektur zwischen Barock und Jugendstil. Wien 1985. Jetzt die Österreichische Nationalbank. Für das Areal der geschleiften Alser Kaserne am Anfang der Alser Straße (IX. Bez.).

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Aber selbst den puristischen Adolf Loos zogen monumentale Bauaufgaben immer wieder magisch an. So arbeitete er seit 1898 aus eigenem Antrieb an einem Projekt für ein „Theater der Viertausend“ – möglicherweise ursprünglich ein Alternativvorschlag zu der am Währinger Gürtel erbauten Volksoper.91 Um 1905 dachte er an die Situierung dieses Megatheaters neben dem Westbahnhof 92, 1912 und 1921 an eine Errichtung im Märzpark.93 Ein solches Theater für viertausend Zuseher respektive -hörer wäre ein probater Aufführungsort für Mahlers „Symphonie der Tausend“ gewesen. In anderer Weise hatte der Hofoperndirektor ein zweites Haus für sommerliche Festaufführungen im Sinne, wie sich Bernard Scharlitt 1920 in den Musikblättern des Anbruch an ein Gespräch mit Mahler zurückerinnerte: „Etwas anderes wäre eine moderne Musikbühne in Wien – Wagner- und Mozart-Theater nebeneinander – etwa auf dem Kahlenberg erbaut, mit kurzer Spielzeit während der Sommermonate, mithin also kein ‚Konkurrenzunternehmen’ der Hofoper gegenüber. Doch das ist für Wien auf lange Zeit hinaus noch ‚Zukunftsmusik‘.“ Freilich: Das Gebäude des Kriegsministeriums war eine zu Stein gewordene Drohgebärde gegenüber äußeren und inneren Feinden der Monarchie, jenes für die Österreichisch-Ungarische Bank als sicht- und greifbares Zeichen der scheinbar vorhandenen Stabilität der österreichisch-ungarischen Geldwirtschaft gedacht. Sie waren Festungen. Loos träumte indes von einem großräumigen, funktionalen Theaterraum, der möglichst viele aufnehmen und ihnen allen gute Sicht gewähren sollte. Und um Aufnahme, um Einschließen ging es auch Mahler. Er, der von seiner Statur her zarte, seiner Krankheit ausgelieferte, aus seiner Funktion als Hofoperndirektor gemobbte, der, um diese Funktion zu erhalten, den Glauben seiner Väter gegen den der Mehrheitsgesellschaft eingetauscht und der 1907 eines seiner beiden Kinder begraben hatte, umarmte mit seiner „Symphonie der Tausend“ noch einmal das ganze 19. Jahrhundert – dieses Saeculum, das wie ein durch die Aufklärung entstandenen Vakuum die ganze abendländische Geschichte samt ihren visuellen Emanationen, ja die ganze Welt angesogen hatte, freilich ohne dass dadurch das Gefühl der Einsamkeit aus diesem Jahrhundert gewichen wäre. Mahler umarmte dieses 19. Jahrhundert „in seinem nun wirklich pfingstlichen Schaffensrausch“ (Jens Malte Fischer)94, umschloss alle Versuche jener, die ihrer Sehnsucht nach Erlösung von ihrem Leiden an dieser Welt durch ihre Musik zum Ausdruck gebracht und ihre Musik als Mittel der Erlösung gesehen und angeboten hatten. 91 92

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„Projekt I“; Rukschcio/Schachl, Anm. 86, S. 417, 425, 501. „Projekt II“ im Bereich (äußere) Mariahilferstraße/Gürtel/Palmgasse), damit südlich des Westbahnhofs; ebenda S. 440, Abb. 448. „Projekt III“; der Märzpark befindet sich heute östlich der Wiener Stadthalle; ebenda S. 499 f., Abb. S. 566 ff. – „Projekt IV“; ebenda, S. 543, Abb. 637. Fischer, Anm. 50, S. 642.

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Damit löste er nochmals und mit aller Vehemenz seine eigene Forderung ein, die er 1907 in einem Gespräch mit Jean Sibelius während seines genannten Helsingforsaufenthaltes erhoben hatte: Die Symphonie müsse „wie die Welt sein“, sie müsse „alles umfassen“.95 In diesem Sinne machte er seine Achte zum alle Grenzen sprengenden Hymnus auf jene zwei Kräfte, die für ihn die Welt im Innersten zusammenhielten: auf das schöpferische Genie und den Eros.96 Und er streckte zugleich seine Arme aus, um seine Frau nochmals an sich zu ziehen: Ihr widmete er diese Symphonie, seine Achte, rang sich gar dazu durch, fünf Lieder, die die junge Alma 1900/01 komponiert hatte, herauszugeben97 und sie in Wien und New York auch uraufführen zu lassen.98 Aber die Hoffnung, Almas Zuneigung durch all das wieder zu gewinnen, wurde enttäuscht. Die Ehe war im Frühjahr 1910 in die Krise gestürzt, als Alma während eines Kuraufenthaltes im steirischen Tobelbad Walter Gropius begegnete: Mahlers junge Gattin verliebte sich in den jungen deutschen Architekten und begann im Sommer mit diesem eine Affäre. Als Gropius einen Liebesbrief an Alma – angeblich irrtümlich – an Gustav Mahler adressierte, war dieser im Bilde. Obgleich Gropius zu jenem Zeitpunkt noch nicht der weltberühmte Vertreter der internationalen Moderne und Gründer des Bauhauses war, hatte Alma sichtlich ein Gespür für die Kapazität dieses Mannes.99 Jedenfalls hielt sie dessen Liebe, während sie ihren Gatten nach New York begleitete, durch Briefe erfolgreich am Leben. Im Februar 1911 erkrankte Mahler in New York schwer. Eine entsprechende medizinische Behandlung war weder dort noch in Paris möglich, so brachte Alma ihren Mann nach Wien zurück, wo dieser am 18. Mai verstarb. Alma Mahler und Walter Gropius heirateten 1915. Gropius wurde der global wohl einflussreichste Architekt des 20. Jahrhunderts, vor allem dank der Verbreitung des „Neuen Bauens“ in den USA, Australien, Neuseeland 95

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Sibelius, der eben seine Dritte Symphonie vollendet hatte, betonte Mahler gegenüber, dass für ihn „Stil- und Formstrenge“ und eine profunde Logik, nach der der symphonische Themenaufbau gestaltet sein sollte, wesentlich wären, worauf Mahler antwortete: „Nein, die Symphonie muss sein wie die Welt. Sie muss alles umfassen.“; Karl Ekman, Jean Sibelius: His Life and Personality. (Übers.: Edward Birse). Reading 1945, S. 141; zitiert nach: Alex Ross, The Rest is Noise. Das 20. Jahrhundert hören. München 2007, S. 189. Ebenda. Verlegt bei der Universal-Edition. Die stille Stadt (Text: Richard Dehmel); In meines Vaters Garten (Text: Otto Erich Hartleben); Laue Sommernacht (Text: Otto Julius Bierbaum); Bei dir ist es traut (Text: Rainer Maria Rilke); Ich wandle unter Blumen (Text: Heinrich Heine). Nach einem an der Technischen Hochschule München begonnenen und an der Technischen Hochschule Charlottenburg fortgesetzten Architekturstudium, das er 1907 ohne Diplom abbrach, trat Gropius im selben Jahr in das Büro von Peter Behrens ein. Nach drei Jahren machte er sich 1910 als Industriedesigner und Architekt selbständig. Alfred Weidinger, Kokoschka und Alma Mahler – Dokumente einer leidenschaftlichen Begegnung. München –New York 1996.

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etc. durch deutsche und österreichische Emigranten, die aus Hitler-Deutschland flüchten mussten. Sie machten den am Bauhaus gelehrten, soziale, konstruktive und stilistische Ökonomie erstrebenden Stil zur Internationalen Moderne. Alma Mahler hatte zu diesem Zeitpunkt ihr legendäres Liebesverhältnis mit Oskar Kokoschka100 (zu dem das Verhältnis von Gerstl und Mathilde Schönberg wie ein Auftakt anmutet) und ihre Ehe mit Gropius längst hinter sich gebracht. 1940 war sie, mit ihrem damaligen Gatten Franz Werfel sowie mit Heinrich, Nelly und Golo Mann auf der Flucht in die USA. Als sie zu Fuß die Pyrenäen nach Spanien überquerten, hatte Alma Mahler-Werfel einige Partituren Mahlers und Bruckners Dritte im Gepäck. Von den USA aus nahm bekanntlich in den 1960er Jahren der Triumphzug von Mahlers Musik seinen Ausgang. Bald darauf erreichte er Europa. Zeitgleich erwachte hier das neue Interesse für die Kunst und Architektur des Jugendstils. Insbesondere letztere hatte man in der Zeit zwischen dem Ersten Weltkrieg und den 1960er Jahren landläufig geradeso scheußlich gefunden wie die Architektur des Historismus. Gustav Klimt und Egon Schiele waren zwar immer ein Begriff geblieben, aber auch ihnen wurde ab den 1960er Jahren neue Wertschätzung zuteil. Versuche der Forschung, aufgrund des parallel erwachten neuen Interesses am Jugendstil und die Kompositionen Gustav Mahlers zusammenzusehen, ja Mahlers Werke als „Jugendstilmusik“ respektive Mahler als Musiker des Secesssionsstils zu bezeichnen, müssen als gescheitert angesehen werden.101 Zu Recht, denn beides sind nicht Emanationen eines gemeinsamen „Zeitgeistes“.102 Wenn man von einem solchen überhaupt sprechen kann, entsteht dieser erst durch die entwicklungsgeschichtlich relevanten Werke der Künstler und Künstlerinnen, Dichter und Dichterinnen, Komponisten etc. und beginnt dann im Sinne des trickle down103 in den Werken der weniger innovativen Autoren durch deren rezeptives Vorgehen zu wehen. Folglich ist der „Zeitgeist“ so komplex wie alle Werke zusammen, die sich mit dem Vorgefundenen kritisch auseinandersetzenden, die innovativen ebenso wie die das Rezente bloß oberflächlich rezipierenden. Hätte Mahler seiner jungen Gattin das Komponieren nicht verboten, hätte dieser „Zeitgeist“ noch eine zarte Strömung mehr beinhaltet, sei es, dass die aus dem secessionistischen Ambiente Kommende und mit den Secessionskünstlern Verkehrende weiterhin spätromantische Musik, Huldigungen an Richard Wagner, geschaffen oder sich mit der Zweiten Wiener Schule auseinandergesetzt hätte. 101 102 103

Zu Recht betont von Blaukopf, Anm. 1, S. 9–14; vgl. auch Jung-Kaiser, Anm. 58, S. 252 ff. Vgl. Blaukopf, Anm. 1, S. 11. Der Begriff Trickle-down-Theorie (engl. trickle = sickern) bezeichnet die These, dass Wirtschaftswachstum und allgemeiner Wohlstand der Reichen nach und nach in die unteren Schichten der Gesellschaft durchsickern (Trickle-down-Effekt). Sie gehört zu den Annahmen einer angebotsorientierten Wirtschaftspolitik. Als Begründer der Trickle-down-Theorie gilt vielen Adam Smith (laut Wikipedia „Trickle down“).

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In jedem Menschen bündeln sich, in dessen privatem und beruflichem Tun und Denken, Fragen, die in den verschiedensten Disziplinen gestellt werden, und die in diesen gegebenen Antworten. Das schöpferische Individuum kann gegenüber den anderen Wissengebieten und künstlerischen Medien sowie der Philosophie, der Politik etc. offener sein als der Durchschnittsmensch, aber – auf Grund seiner Konzentration auf sein eigenes Tun – auch verschlossener. Was die Offenheit Gustav Mahlers gegenüber der Architektur und der bildenden Kunst seiner Zeit, insbesondere des Jugendstils, betrifft, ist der Mahlerforschung also grundsätzlich Recht zu geben, wenn sie eine eher geringe Permeabilität konstatiert hat. Erstens hat die Leistung im eigenen Bereich ihren Preis: Entwicklungsgeschichtlich Relevantes entsteht dort, wo KünstlerInnen, WissenschaftlerInnen usf. selbstständige Antworten auf die offenen Fragen geben oder gegebene Antworten, weil nicht (mehr) tragfähig, dekonstruieren, um damit den Bauplatz für Neues zu schaffen. In den Artes (egal, ob Architektur, Malerei, Musik, Dichtung etc.) ist das nicht anders. Von daher erfolgen der Zugriff auf Fragen und das Geben von Antworten in der Regel nur im eigenen Metier, im eigenen Fach, im eigenen Medium mit Gewinn (die Zeit, in der Dichter anatomische Entdeckungen machten104, ist vorbei; aber auch der Herr Geheimrat war, wie wir wissen, auf einigen seiner Argusaugen blind, sonst hätte er, als ihm Vertonungen seiner Gedichte durch Franz Schubert zugesandt wurden, wenigstens ein Mal reagiert). Mahler antwortete auf die große Frage des 19. Jahrhunderts, jene nach dem emotionalen Halt des Menschen in einer Zeit, die Gott als tot erklärt und die Vernunft inthronisiert hatte, mit dem Hinweis auf das notwendige Zusammenwirken von Gefühlsintensität und struktureller Komplexität mit seinen Mitteln, den Mitteln der Musik; beides, maximale Gefühlsintensität und Komplexität, war von den großen Komponisten des 19. Jahrhunderts in der Musik zu Höhepunkten geführt worden, die unübertreffbar schienen. Mahler beschrieb als schöpferischer Mensch nicht bloß einen dadurch schon ausgespannten Denk- und Lebensraum (wie das WissenschaftlerInnen tun), sondern baute an ihm mit. Ihm ging es darum, „mit der Symphonie das anzustellen, was Wagner mit der Oper getan hatte: alles zu überbieten, was vorher dagewesen war“ (Alex Ross).105 Er bemaß den Raum dabei so groß, dass darin auch noch Platz entstand für das Tagtägliche, Kleinstädtische, die Alltagskultur, auch jene außerhalb der Mehrheits104

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Johann Wolfgang von Goethe meinte 1784 im Anatomieturm in Jena beim menschlichen Embryo das Zwischenkieferbein entdeckt zu haben (gemeinsam mit Justus Christian Loder), tatsächlich war der Knochen zuvor schon mehrfach beschrieben worden, zuletzt 1780 durch den französischen Arzt Félix Vicq d’Azyr. Die Existenz des Zwischenkieferbeins in der Ontogenese (Individualentwicklung) des Menschen ist ein Hinweis auf die gemeinsame Phylogenese (Stammesgeschichte) von Tier und Mensch und somit für die Evolution (laut Wikipedia „Zwischenkieferbein“). Ross, Anm. 95, S. 36.

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gesellschaft, und immer wieder für die Natur. Durch die Integration von „found footage“106 wie der Militärmusik und Klezmer, aber auch von Tönen aus der empirischen Welt, dem Ruf des Kuckucks, dem Läuten der Kuhglocken oder dem Klang des Hammerschlags, machte er klar, dass dieser Raum, den er zusammenbaute, den er komponierte, kein Raum für eine metaphysische Gegenwelt zur mess- und wägbaren Welt der sichtbaren Dinge, sondern mit ihr eins ist. Er, der dreifach Heimatlose – heimatlos „als Böhme unter Österreichern, als Österreicher unter den Deutschen und als Jude in der ganzen Welt“107 – schuf sich die Heimat in Form des großen und doch mit vertrauten Momenten angereicherten Raumes seiner Musik. Aber das Vertraute wurde eben nicht abgebildet wie von einem Stimmungsrealisten à la Schindler, sondern klingt, wie von Mahler im zitierten Gespräch mit Natalie Bauer-Lechner betont, „stilisiert“ an. Die bildende Kunst, etwa eines Alfred Roller, nützte Mahler, wo immer sie ihm bei der Realisierung seines Konzeptes half. Nicht mehr und nicht weniger. Dabei blieb er, und das ist wesentlich, ein im überkommenen sozialen Gefüge Agierender. Dieses Gesellschaftsgefüge war mit der Welt des Historismus untrennbar verbunden. Den effektiven Schritt heraus aus der Kultur des Fin de siècle konnte und wollte er aus den genannten Gründen nicht tun; er brauchte den Hof, die Aristokratie und das etablierte Bürgertum als Publikum und ergo als Financiers der musikalischen Aufführungen. Das lässt sich, von außen besehen, als Falle deuten. Aus dieser Perspektive manövrierte er sich in diese „Falle“ bis hin zur „Symphonie der Tausend“ immer weiter hinein. Mit dem beschriebenen Gegenkonzept, dem Arbeiten für einen Kreis handverlesener privater Auftraggeber, wie das die Secessionskünstler taten, die ihrer Klientel dabei halfen, sich aus dem formalen Assimilationszwang zu befreien, hätte Mahler nichts anfangen können. Aber, bei Lichte besehen, ist der Wiener Jugendstil nicht wirklich das moderne Gegenkonzept zum Historismus, als das er sich selbst gerne sah. Der Jugendstil war nicht bloß ein Phänomen, das mit dem Späthistorismus zeitgleich auftrat. Er war vielmehr Teil des Historismus, auch wenn sich die Secessionskünstler anderer, neuer formaler Mittel bedienten. Er war Teil davon, weil er an der sozialen Verankerung einer hierarchisch gegliederten Gesellschaft mitwirkte und für seine Auftraggeber eine formal homogene und von daher hermetische Welt schuf. Das hat der scharfzüngige Adolf Loos bereits im Jahr 1900 erkannt, wenn er spottete, ein reicher Mann in einem secessionistischen Ambiente sei ein armer Gefangener dieses von den Künstlern für ihn errichteten Käfigs.108 In dieser Hinsicht war Mahler wirklich progressiv, wenn er in seiner Musik 106 107 108

Begriff aus der Filmproduktion: Verwendung von vorgefundenem Material. Alma zufolge tat Gustav Mahler diesen Ausspruch oft; Die Ära Gustav Mahler, Anm. 43, S. 22. Adolf Loos, Von einem armen reichen Manne, in: Neues Wiener Tagblatt, 26. April 1900; Wiederabdruck in: ders., Ins Leere gesprochen 1897–1900. Zürich 1921, S. 198–203; unveränderter Neudruck: Wien 1981.

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die Hermetik – Stichworte: „Militärkapelle“, „Klezmer“, „Kuckucksruf“, „Kuhglocken“, „Hammer“ – aufbrach.109 Aber auch die Forschung sitzt in der Falle, wenn sie sich, pointiert formuliert, von der Selbstdefinition der Secessionsbewegung als Avantgarde bis heute blenden lässt und von Alma Mahler eine authentische Beurteilung ihres ersten Gatten erwartet. Was Erstere betrifft, ist es kein Zufall, dass nach dem Ersten Weltkrieg bei ihren Hervorbringungen ebenso wenig angeknüpft werden konnte wie bei jenen im „Maria-TheresienStil“ formulierten; der seit den 1960er Jahren anhaltende Jugendstil-Hype verstellt den Blick zusätzlich. Und was Letztere betrifft, so ist nochmals zu unterstreichen, dass Alma die Deutungskompetenz pro domo – d. h. für ihren persönlichen Gewinn – usurpierte. Die Beurteilungskriterien der im Haus Moll ein- und ausgehenden Secessionskünstler fixfertig übernehmen zu können, kam ihr sicher zu pass, ungeachtet ihres bekannt problematischen Verhältnisses zu ihrem Stiefvater. Durch abschätzige Bemerkungen wie die zitierten über das Talent und das kritische Urteilsvermögen Mahlers in visuellen Dingen versuchte sie jenen klein zu reden, der ihr die Wertschätzung ihrer Kompositionen – sieht man von den letzten verzweifelten Bewegungen des emotional und gesundheitlich Ertrinkenden nach dem fatalen Sommer 1910 ab – verweigert hatte. Sie, deren Talent aus ihrer eigenen Perspektive durch Gustav Mahler erstickt worden war, rächte sich bitterlich, als sie im amerikanischen Exil, in das sie sich mit ihrem dritten Gatten, Franz Werfel, begeben hatte, eine Chance sah, durch die nochmalige Anwendung der secessionistischen Beurteilungskriterien sich als player erneut ins Spiel zu bringen. Der aus heutiger Perspektive seit mehr als zwanzig Jahren schon andauernde Alma-Hype trug und trägt das seine dazu bei, dass ihre Strategien bis heute wirksam sind. Diese bergen aber die Gefahr in sich, wieder den Blick auf jene ihres frühverstorbenen Gatten zu verstellen, die, wie aufgezeigt, mit jenen der zeitgleichen Künstler im Bereich der visuellen Medien in vielfacher Hinsicht interagiert haben.

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Prof. Dr. Hans Aurenhammer, Mechthild Bartolomey, Prof. Dr. Immanuel Bomze, emer. Prof. Dr. Wolfgang Greisenegger, Mag. Hannelore und Mag. Robert Karl, Prof. Dr. Rainer Keuschnig, Direktor HR Doz. Dr. Kurt Mühlberger, Dr. Erich Wolfgang Partsch sowie Mag. Christl und Mag. Leo Popp danke ich herzlich für wertvolle Literaturhinweise und anregende Gespräche.

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Neben der Musik und dem Wandern war das Bücherlesen die dritte große Leidenschaft Gustav Mahlers; Freund Friedrich Löhr gegenüber bezeichnete er Bücher sogar als seine „einzigen Freunde“.1 Betrachtet man sein Leseverhalten – soweit dessen Umfang heute aufgrund seiner verlorengegangenen Bibliothek überhaupt ansatzweise rekonstruierbar ist – eine Aufgabe, der sich dankenswerterweise Herta Blaukopf in ihrem Artikel „Bücher fresse ich immer mehr und mehr“. Gustav Mahler als Leser 20022 angenommen hat und auf der diese kleine Betrachtung fußt, so zeigt sich, dass er eindeutig zu seiner Zeit bereits kanonisierte beziehungsweise arrivierte Literatur bevorzugte. Sein literarischer Geschmack war ganz offensichtlich vergangenheitsorientiert, also rückwärtsgerichtet, was aber nicht bedeutet, dass er sich damit im wesentlichen von der geistigen Haltung seiner Zeit entfernte, sondern im Gegenteil: er teilte vielmehr die antirationalistische, antimaterialistische und antinaturalistische Einstellung vieler seiner Zeitgenossen, stand also, was sein Leseverhalten betraf, bis zu einem gewissen Grad auf der Höhe seiner Zeit, was aber nicht ausschließt, dass er sowohl als Künstler als auch als Leser dennoch einer ganz eigenen, individuellen Richtung folgte. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts hatte aufgrund des wachsenden Drucks, den Industrialisierung, Kolonialismus, Nationalismus und soziale Entfremdung auf die sogenannte „Innerlichkeit“ ausübten, eine Gegenbewegung eingesetzt, die im Grunde genommen eine Flucht vor der eigenen, unbewältigbar erscheinenden Gegenwart in eine scheinbar noch ganzheitliche Vorzeit, ins Mythische, Mystische, Irrationale, Volksverbunden-Ungebrochene oder Reaktionäre bedeutete und sich in einer Renaissance idealistischer Kunstanschauungen niederschlug, die sich literarisch in verschiedenen Formen wie Neuklassik, Neuromantik, Neurokoko, Symbolismus, Jugendstil, Heimatkunstbewegung etc. artikulierte3, die allerdings Mahler in seiner Eigenschaft als Leser 1

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Gustav Mahler, Briefe. Neuausgabe. Hrsg. Herta Blaukopf. Wien 1996, S. 140 ff., Nr. 135: An Friedrich Löhr. [Hamburg, Ende 1894 oder Januar 1895], hier S. 141 f. Vgl. Herta Blaukopf, Bücher fresse ich immer mehr und mehr. Gustav Mahler als Leser, in: Mahler-Gespräche. Rezeptionsfragen – literarischer Horizont – musikalische Darstellung. Hrsg. Friedbert Aspetsberger u. Erich Wolfgang Partsch. Innsbruck–Wien–München–Bozen 2002, S. 96–116. Hugo Schmidt, Impressionismus, Stilkunst, in: Geschichte der deutschen Literatur. Kontinuität und Veränderung.

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wiederum nur sehr bedingt gelten lassen wollte, da sie ihm offenbar als zu unnatürlich, gekünstelt oder dekadent erschienen. Gustav Mahler war also sowohl als Künstler als auch als Leser durchaus vom Zeitgeist erfüllt, stand aber den Hervorbringungen ebenso wie er inspirierter Autoren, die gleich ihm nach einem neuen Weg in die Moderne suchten, eher kritisch gegenüber, was möglicherweise auch damit zusammenhing, dass Mahler „während jenes dumpfen Gärungsprozesses des typischen jungen Künstlers, der nach Gestaltung seines Ich ringt und zweifelnd nach der rechten Form tastet, durch lange Zeit den Gedanken an musikalisches Schaffen aufgegeben hatte und daran dachte, Dichter zu werden“4, also mit seinen dichtenden Zeitgenossen in Konkurrenz zu treten. Bei der Frage nach Mahlers Verhältnis zur damals zeitgenössischen Literatur und ihren Literaten muss man zwischen Zeitgenossen der älteren Generation und seinen Altersgenossen unterscheiden, zunächst aber muss generell geklärt werden, wer oder was überhaupt ein Zeitgenosse ist. Joachim Heinrich Campe lieferte in seinem Wörterbuch der Deutschen Sprache zur damals noch gebräuchlichen Form „Der Zeitgenoß“ die Definition, es handle sich dabei um „eine Person, welche mit einer anderen zu einer und derselben Zeit lebt.“5 Auch die Erklärung im Deutschen Wörterbuch der Gebrüder Grimm lautet ähnlich: „wer mit einem anderen oder anderen gleichzeitig lebt“6; und ebenso verfährt Dudens Großes Wörterbuch der deutschen Sprache, demzufolge ein Zeitgenosse ein „mit jemandem in der gleichen Zeit lebender Mensch“7 sei. Etwas detaillierter ist dagegen die Erklärung, die Wikipedia bietet, da sie auch die dem Begriff innewohnende Historizität erfasst, ihn abzugrenzen versucht und ihn über den rein zwischenmenschlich-persönlichen Kontakt hin zur ideell-geistigen Kommunikation führt, die als eine wissenschaftliche und künstlerische gesehen wird: Ein Zeitgenosse ist eine Person, die zur gleichen Zeit wie eine andere Person lebt bzw. lebte. […] Eine Person hat bzw. hatte die Möglichkeit, seine Zeitgenossen persönlich kennenzulernen, was nicht unbedingt der Fall gewesen sein muss. In jedem Fall überschneiden sich die Lebensdaten der Betroffenen. […] Manchmal beeinflussen Zeitgenossen ihren Lebensweg und das Lebenswerk wechselseitig […]. In anderen Fällen haben Zeitgenossen intensive

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Vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Hrsg. Ehrhard Bahr, Bd. 3: Vom Realismus bis zur Gegenwartsliteratur. 2.vollst. überarb. u. erw. Aufl. Tübingen, Basel 1998 (UTB für Wissenschaft: Uni-Taschenbücher 1465), S. 157–231, hier S. 161–173. Richard Specht, Gustav Mahler. Berlin o. J. [1905], S. 17. Joachim Heinrich Campe, Wörterbuch der Deutschen Sprache. Bd. 5. Nachdr. der Ausg. Braunschweig 1811. Hildesheim–New York 1970, S. 833b. Jacob und Wilhelm Grimm, Das Deutsche Wörterbuch. Bd. 15, bearb. v. Moriz Heyne, Henry Seedorf, Hermann Teuchert. Nachdr. d. Erstausg. Leipzig 1956. München 1984 (dtv 5945), Sp. 559. Duden. Das große Wörterbuch der deutschen Sprache in 10 Bänden. Bd. 10. 3. völlig neu bearb. u. erw. Aufl. Mannheim–Leipzig–Wien–Zürich 1999, S. 4602b.

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Korrespondenzen oft über lange Zeiträume geführt und sich gegenseitig mit ihrem literarischen oder wissenschaftlichen Denken angeregt. In anderen Fällen dagegen haben sich berühmte Personen, die Zeitgenossen waren, oftmals nie persönlich kennengelernt, obgleich sie ähnliche Interessen hegten, was allerdings auch oft auf die begrenzten Reise- und Kommunikationsmöglichkeiten früherer Zeiten zurückzuführen sein mag.8

Auch der Stuttgarter Kulturjournalist Jürgen Hartmann befasste sich in Hoher Ton und schlichtes Volkslied im weblog Der Kulturchronist mit dem Begriff der künstlerischen Zeitgenossenschaft und kam zu folgendem kritischen Ergebnis: Wenn die Rede ist von Zeitgenossen und Generationen, verkennt man häufig, dass eine genaue Zuordnung nur selten möglich ist: Menschen leben nun nicht vollkommen gleichzeitig, und der Übergang von einer zur nächsten Generation ist nur innerhalb einer Familie und selbst dort nur mittels der Lebensdaten zu fixieren, nicht aber im Hinblick auf die weit komplexeren gegenseitigen Einflüsse. So muss die Vorstellung, in der Dichtung oder der Musik würden Prinzipien oder Werte einer Generation der nächsten gleichsam regelmäßig übergeben oder automatisch von dieser in Frage gestellt, ein Hilfsmittel bleiben. In bestimmten Situationen mag dieses Hilfsmittel durchaus tauglich sein […]. Der solcherart vom Familiären abstrahierte Generationenbegriff dient zur Kennzeichnung von in etwa gleichaltrigen Menschen, die innerhalb einer halbwegs zu bestimmenden Zeitphase gemeinsame Ziele verfolgt haben. Mit der ‚Zeitgenossenschaft’ ist es folglich ebenso schwierig – wie weit müssen sich Lebenszeiten überhaupt überlappen, um von bewusster Zeitgenossenschaft sprechen zu können? Welche Rolle spielt es dabei, ob sich ‚Zeitgenossen’ gekannt haben, sich begegnet sind, aufeinander Einfluss ausgeübt haben?9

Im Folgenden soll derlei Fragen nachgegangen und ihre Tauglichkeit untersucht werden.

Zeitgenossen der älteren Generation Als beispielsweise Jacob Grimm im Jahre 1863 starb – sein Bruder Wilhelm hatte bereits 1859 das Zeitliche gesegnet –, war Mahler drei Jahre alt und die Kinder- und Hausmärchen der Gebrüder Grimm, die ihm zusammen mit Bechsteins Märchen – in ihrer Erstfassung von 184510 – als Grundlage für die Abfassung des Klagenden Liedes (1902) gedient hatten, waren von 1812 bis zur Ausgabe letzter Hand von 1857 bereits 8 9

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http://de.wikipedia.org/wiki/zeitgenosse [Zugriff: 29. 9. 2009]. www.kulturchronist.de: Der Kulturchronist – weblog oper konzert kultur medien, 25. Februar 2008 [Zugriff: 20. 7. 2009]. Ludwig Bechstein verstarb im Geburtsjahr Mahlers. Vgl. Werner Bellmann, Bechstein, Ludwig, in: Enzyklopädie des Märchens. Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung. Hrsg. Rolf Wilhelm Brednich. Bd. 2. Berlin–New York 1979, Sp. 15–20.

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in sieben Auflagen erschienen11, hatten sich also – nach anfänglicher Stagnation im Absatz12 – bereits längst erfolgreich als Kinder- und Jugendliteratur durchgesetzt, ja, waren auch schon in mündlicher Form dem kleinen, dreijährigen Gustav in einer für das ganze Leben prägenden Phase zugänglich gewesen – wie sein Jugendfreund und Studiengenosse Theodor Fischer zu berichten wusste13, und nicht nur dem erwachsenen Komponisten. Es ist auch anzunehmen, dass den schon im Volksschulalter wie manisch lesenden Knaben noch immer die Lektüre von Märchen und Sagen fesselte – die Intensität der Empfindungen, die Mahler beim Lesen entwickeln konnte und die Herta Blaukopf als „persönliches Ergriffensein“14 bezeichnete, konnte sich bei ihm in weiterer Folge bis zu einem „Zueigen-Machen“ und „Individuell-zurecht-Formen“ eines Textes steigern. Das war offensichtlich auch bei seinem 1880 fertiggestellten Frühwerk Das klagende Lied der Fall, das er selbst ein „Märchenspiel“ und „ein wahres Schmerzenskind“15 nannte, zumal er dazu nicht nur die Musik, sondern auch den Text geschaffen hatte. Aufgrund der sich nur leicht überlappenden Lebensdaten mit Jacob Grimm kann aber kaum von einer „bewussten“ Zeitgenossenschaft gesprochen werden, wiewohl der lebensbegleitende Einfluss des Grimmschen und Bechsteinschen Märchenguts auf den Menschen Mahler sicherlich nicht hoch genug veranschlagt werden kann. Mahlers Einstellung dem sogenannten „deutschen“ Märchenschatz gegenüber16 dürfte dieselbe gewesen sein, wie er sie etwa den Wunderhornliedern gegenüber hegte: er schätzte an derlei Volksdichtung das scheinbar Ungekünstelte und Unfertige, das ihn zur individuellen Weiterbearbeitung reizte17, fühlte aber wohl in erster Linie durch derlei Texte sein Innerstes dermaßen persönlich angesprochen und zum Ausdruck gebracht, dass sie in ihm so lange „weitersangen“, bis er sie zu neuen Formen „umgesungen“ hatte. Ida, die Gattin des Dichters Richard Dehmel, berichtet in ihren Frau Alma „zur Benutzung“18 überlassenen Tagebuchnotizen eine darauf abzielende Äußerung Mahlers, die bisweilen auch missverständlich gedeutet wurde und deren Quintessenz lautet: er „habe sich nur einiges aus dem Wunderhorn zu eigen gemacht; zu diesem Buch stehe er seit frühester Kindheit in einem besonderen Verhältnis. Das 11

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Meinhard Prill, Brüder Grimm: Kinder- und Hausmärchen, in: Kindlers Neues Literatur Lexikon. Studienausgabe. Hrsg. Walter Jens. Bd. 16. München 1988, S. 914a–917b, hier 915a u. 916b. Ludwig Deneke, Grimm, Jacob Ludwig Carl, in: Enzyklopädie des Märchens. Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung. Hrsg. Rolf Wilhelm Brednich. Bd. 6. Berlin–New York 1990, Sp. 171– 186, hier Sp. 180. Vgl. Jens Malte Fischer, Gustav Mahler. Der fremde Vertraute. Biographie. Wien 2003, S. 127. Blaukopf, Anm. 2, S. 98 f. Mahler, Anm. 1, S. 39 f., Nr. 11: An Emil Freund, Wien, 1. November 1880, hier S. 40. Die Grimmschen Märchen enthielten nicht nur deutsche Märchen. Albert Berger, Zum historischen Ort von Mahlers Textverständnis, in: Mahler-Gespräche, Anm. 2, S. 87. Alma Mahler, Gustav Mahler. Erinnerungen und Briefe. Amsterdam 1949, S. 115–122, hier S. 115.

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seien keine vollendeten Gedichte, sondern Felsblöcke, aus denen jeder das Seine formen dürfe.“19 Ähnlich – aber dennoch nicht vergleichbar – verhält sich auf den ersten Blick auch die Lage mit Friedrich Rückert (1788–1866), der damals für viele seiner biedermeierlichen Zeitgenossen als bedeutendster Lyriker der deutschen Sprache gegolten hatte. Auch noch zu Ende des 19. Jahrhunderts zählte Rückert zu den in bildungsbürgerlichen Kreisen beliebten und gerne rezipierten Autoren, wie die hohen Auflagenzahlen etlicher seiner Gedichtsammlungen beweisen20, auch wenn er in den Augen vieler Jahrhundertwende-Dichter bereits als trockener und lehrhafter Orientalist galt.21 Bei Rückerts Tod zählte Mahler erst ganze sechs Jahre. Die Sammlung Liebesfrühling war ein Jugendwerk Rückerts aus der Zeit von 1820/21, das, obwohl es hauptsächlich Glück und Freude verströmende Liebeslieder an Anna Luise Magdalena Wiethaus, Rückerts spätere Ehefrau enthält22, gerade wegen seiner positiven, lebensbejahenden Stimmung zu einem der Lieblingsbücher des deutschen Salonbürgertums wurde. Als Mahler 1801/02 – mit einem Zeitunterschied von rund achtzig Jahren – daraus seine fünf Rückert-Lieder zum Vertonen wählte, konnte natürlich in keiner Weise von Zeitgenossenschaft die Rede sein, sondern mehr von einem Gleichklang der Gefühle, denn Mahler hatte Anfang November 1901 erstmals Alma Schindler getroffen und fühlte sich zu ihr augenblicklich derart unwiderstehlich hingezogen, dass er sich sehr bald darauf entschloss, sie zu ehelichen.23 Es erhebt sich die Frage, ob Mahler als Komponist tatsächlich absichtlich keine ästhetisch hochstehenden Werke als Grundlage seiner Kompositionen wählte, um sie desto ungehemmter bearbeiten, umgestalten beziehungsweise mit Musik einkleiden und überdecken zu können, wie von manchen behauptet wird. Vor vollendeten Produkten der Kunstlyrik, die von damals bereits anerkannten Künstlern stammten, empfand er nämlich so große Hochachtung, dass es ihm – wie er Ida Dehmel gegenüber formulierte – „auch immer wie Barbarei vor[kam], wenn Musiker es unternähmen, vollendet schöne Gedichte in Musik zu setzen. Das sei so, als wenn ein Meister eine Marmorstatue gemeißelt habe und irgend ein Maler 19 20

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Ebenda S. 120. Meinhard Prill, Friedrich Rückert: Das lyrische Werk, in: Kindlers Neues Literatur Lexikon. Studienausgabe. Bd. 14. München 1988, S. 437a–439a, hier 439a. Fischer, Anm. 13, S. 171. Christa Schmitt, Liebesfrühling, in: 200 Jahre Friedrich Rückert, 1788–1866. Dichter und Gelehrter. Katalog der Ausstellung. Hrsg. Jürgen Erdmann, Coburg 1988, S. 215a–219a. – Vgl. auch Philipp Stein, Einleitung, in: Friedrich Rückerts ausgewählte Werke in 6 Bänden. Hg. u. eingel. von dems., Bd. 1, Leipzig [ca. 1897], S. III–XXXII, hier XVII f. Am 9. März 1902. – Vgl. Kurt Blaukopf, Mahler. Sein Leben, sein Werk und seine Welt in zeitgenössischen Bildern und Texten, mit Beiträgen von Zoltan Roman. Wien 1976, S. 233 b.

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wollte Farbe darauf setzen.“24 Wie auch immer Ida Dehmels Aussage zu verstehen ist, fest steht, dass Mahler einen sehr individuell ausgeprägten Literaturgeschmack hatte, der wenig von der allgemeinen Meinung und von Modeneuheiten beeinflusst war und dass er Literaturwerke als Textgrundlage für seine Kompositionen nach d e m Kriterium auswählte, ob sie imstande waren, ihn im Innersten so zu berühren, dass er sie sich zueigen machen und „weiterdichten“ konnte. Nach Mahlers Literaturverständnis dürfte somit Rückerts Liebeslyrik offensichtlich in hohem Maße seine eigene damalige Gefühlsverfasstheit angesprochen haben, was ihn in weiterer Folge dazu inspirierte, sie ganz nach eigenem Belieben auszuwählen und zu etwas Neuem zusammenzufügen. Mit Rückerts Kindertotenliedern verhielt sich die Sachlage allerdings anders: Sie wurden erst posthum, 1872, von dessen Sohn Heinrich Rückert herausgegeben25, zu einer Zeit, in der Mahler mit seinen zwölf Jahren zwar erst an der Schwelle zur Pubertät stand, sein Leben aber bereits tief vom Tod überschattet war: Fünf seiner dreizehn Geschwister verstarben früh, besonders der Verlust seines dreizehnjährigen Bruders Ernst, den er sehr geliebt hatte, traf ihn mit seinen fünfzehn Jahren schon sehr bewusst.26 Der Tod beider Eltern machte ihn mit neunundzwanzig Jahren mit einem Schlag zum Ernährer und Verantwortlichen seiner jüngeren Geschwister und verhinderte für Jahre die Gründung einer eigenen Familie.27 Dem österreichischen Musikwissenschaftler und Freund Guido Adler vertraute Mahler an, dass er sich beim Komponieren der Kindertotenlieder in die Lage versetzt habe, es wäre ihm selbst ein Kind gestorben. Möglicherweise fühlte er sich aber auch besonders stark in die Vaterrolle für seine verwaisten und unversorgten Geschwister versetzt, vielleicht war es aber auch die Namensgleichheit seines verstorbenen Bruders Ernst mit Rückerts totem Söhnchen gewesen, die ihn zu den Kindertotenliedern als Textvorlage greifen ließ.28 Es ist zwar nicht bekannt, wann Mahler zur Lektüre der Kindertotenlieder gelangte, man kann sie aber aufgrund ihrer posthumen Veröffentlichung in ihrer Wirkkraft auf Mahler als Leser durchaus als zeitgenössisch und prägend bezeichnen, auch wenn Mahler selbst sie erst rund zwanzig Jahre nach ihrem Erscheinen, zwischen 1901 und 1904 vertonte. Rückerts Kindertotenlieder mögen auf Mahler zwar – möglicherweise wegen ihrer überaus großen Anzahl von bis jetzt 428 bekannten Texten29 – durchaus den Eindruck des 24

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Alma Mahler, Anm. 18, S. 120. – Vgl. auch Peter Revers, Mahlers Lieder. Ein musikalischer Werkführer. München 2000 (Beck’sche Reihe 2206. C. H. Beck Wissen: Musik), S. 15. Christa Schmitt, Kindertotenlieder, Anm. 22, S. 232b–236a, hier 232b. Alma Mahler, Anm. 18, S. 14. Ebenda, S. 19–23. – Vgl. auch Christian Glanz, Gustav Mahler. Sein Werk – sein Leben. (Musikportraits). Wien 2001, S. 32, 69, 123. Christa Schmitt, Gustav Mahler (1860–1911), in: 200 Jahre Friedrich Rückert, Anm. 22, S. 366a–368a, hier 386a. Ebenda.

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Ausuferns-Unfertigen erweckt haben, sie berührten aber auch aufgrund seiner frühen Todeserfahrungen eine Saite in seinem Inneren, die sie ihm ebenso vertraut machten wie ihm der Volkston in den Grimmschen oder Bechsteinschen Märchen oder in den Liedern aus Des Knaben Wunderhorn vertraut war, aber noch bedeutsamer war der sich ihm eröffnende innere Bezug zwischen der geistigen Welt Rückerts und der Philosophie des Leipzigers Gustav Theodor Fechner, die beide unter dem Einfluss der Gedankenwelt des Orients standen und auch Mahlers innere Haltung maßgeblich mitbestimmten. 1903 resümierte er Alma gegenüber: „Merkwürdig, wie Fechner Rückertisch empfindet und schaut: es sind 2 sehr verwandte Menschen und – eine Seite meines Wesens ist der 3. im Bunde.“30 Seine 1905 an Anton von Webern gerichtete, bisweilen missverstandene Äußerung: „Nach ‚Des Knaben Wunderhorn‘ konnte ich nur mehr Rückert machen – das ist Lyrik aus erster Hand, alles andere ist Lyrik aus zweiter Hand“31, bezog sich somit hauptsächlich auf den weltanschaulichen Aspekt in Rückerts Lyrik. Rückerts Lieder kamen offensichtlich sowohl weltanschaulich als auch gefühlsmäßig seiner persönlichen Einstellung so sehr entgegen, dass er sie sich aneignen und in sein Inneres integrieren konnte und allmählich – unter dem Einfluss seiner persönlichen Erfahrungen – zu etwas Neuem formte. Neben Rückerts Weltanschauung sprach ihn aber wohl auch der angeschlagene „volksliedhafte, kindlich-naive Ton“ an. Rückerts „gesuchte[] Vers-, Reim- und Strophentechnik“ und manische Produktionswut, die sich bis zum „Wortgeklingel“32 steigern konnte, mögen Mahler zusätzlich angesprochen haben, denn der Schmerz um den Verlust eines geliebten Menschen kennt kein Maß und fragt nicht nach Schicklichkeit und Ästhetik, er kreist monomanisch um das Unfassbare und stürzt beständig von zärtlicher Erinnerung und tröstlichen Vorstellungen erneut in die tiefste Klage der Verzweiflung. Dieses formelhafte, gebetmühlenhafte beständige Wiederholen und Variieren ein und desselben Themas bedeutet aber nichts anderes als ein verzweifeltes Festhalten- und Beschwörens-Wollen des Verlorenen, damit es eben nicht dem schrittweisen Verblassen und Vergessen anheimfällt, weil erst dies für den Hinterbliebenen den eigentlichen Tod bedeutet. Rückerts Liebes- und Trauerlieder sprachen Mahler offensichtlich auch deshalb so sehr an, weil Rückert darin völlig in seinem Sujet, der Liebe zur geliebten Frau und der Trauer um die geliebten Kinder aufging und dabei im momentanen Schaffensfuror (zunächst zumindest) mit keinem Auge nach Ruhm und Ehre schielte, eine Haltung 30

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Ein Glück ohne Ruh’. Die Briefe Gustav Mahlers an Alma. Erste Gesamtausgabe. Hrsg. Henry-Louis de La Grange, Günther Weiß, Berlin 1995, S. 148 f., Nr. 31: Brief an Alma, [Lemberg, 2. April 1903], hier S. 148. Friedrich Wildgans, Gustav Mahler und Anton Webern, in: Österreichische Musikzeitschrift 15/6 (1960), S. 302–306, hier 304: Tagebuchnotiz Weberns, Freitag, 3. Februar 1905. Berger, Anm. 17, S. 91 f.

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der Hingabe und Selbstvergessenheit, die Mahler zutiefst schätzte, während er „mit jenen, die ihr Ich über ihre Kunst stellten, […] keine Geduld“ hatte, wie der Klavierspieler und Dirigent Ossip Gabrilowitsch anmerkte.33 Als Victor von Scheffel (1826–1886) starb, war Mahler bereits sechsundzwanzig Jahre alt, Scheffel gehörte also tatsächlich jener Elterngeneration an, deren reife Mannesjahre – Scheffel starb mit Sechzig – Mahlers Jugendzeit begleiteten, aber sein Trompeter von Säkingen war bereits 1854 entstanden, war also zu Mahlers Zeiten keineswegs mehr als neu zu bezeichnen, hatte aber erst Anfang der siebziger Jahre größere Popularität erfahren, die auch im Wilhelminischen Deutschland und in deutschnationalen Kreisen Österreichs ungebrochen anhielt, wiewohl diese allgemeine Begeisterung im Grunde auf einem Mißverständnis beruhte, da man Scheffels scherzhaftes romantisierendes, von Heine inspiriertes und sehr persönliche Erlebnisse aufarbeitendes Versepos zusammen mit seinem etwa zur selben Zeit entstandenen historischen Roman Ekkehard. Eine Geschichte aus dem 10. Jahrhundert (1855) über Gebühr aufwertete. Scheffel selbst erwies sich übrigens in der Folge dieser ihm zufallenden ungebührlichen Berühmtheit künstlerisch nicht gewachsen und verstummte.34 1884, also etwa nur dreizehn Jahre nach Einsetzen eines reißenden buchhändlerischen Absatzes, erhielt Mahler als junger zweiter Kapellmeister in Kassel den Auftrag, eine Theatermusik für eine Aufführung lebender Bilder zum Trompeter von Säkingen zu schreiben35, eine Aufgabe, die ihm „große Freude“ bereitete, wie er an Fritz Löhr am 22. Juni des Jahres schrieb, aber nicht, weil er dergleichen Töne nationaler Begeisterung des deutschen Bildungsbürgertums besonders schätzte, sondern wegen des raschen Fortgangs der Arbeit, die „nicht viel mit Schefflerscher Affektiertheit gemein [habe], sondern […] eben weit über den Dichter hinaus[gehe]“.36 Die Musik dazu hat sich aber nicht erhalten.37 Im Grunde genommen kann also zwar nicht Scheffel als Person, aber zumindest der Trompeter von Säkkingen von seiner Rezeptionsgeschichte her gesehen durchaus als zeitgenössisch angesehen werden. Die unter dem Pseudonym Richard Leander verfassten Gedichte des bedeutenden Chirurgen Richard von Volkmann (1830–1889) entstanden vermutlich in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre des 19. Jahrhunderts, ehe seine „reiche dichterische Thätigkeit aus seiner Studenten- und Verlobungszeit durch eine anstrengende fachwissen-

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Blaukopf, Anm. 23, S. 248a. Holger Fließbach, Joseph Viktor von Scheffel: Der Trompeter von Säkkingen. Ein Sang vom Oberrhein, in: Kindlers Neues Literatur Lexikon. Studienausgabe, Hrsg. Walter Jens, Bd. 14. München 1988, S. 876b–877b. Fischer, Anm. 13, S. 156. Mahler, Anm. 1, S. 53, Nr. 27: Brief an Friedrich Löhr, Kassel, 22. Juni 1884. Glanz, Anm. 27, S. 60.

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schaftliche Beschäftigung eine lange Unterbrechung erf[uhr]“38, so behauptet zumindest Ernst Julius Gurlt in der Allgemeinen Deutschen Biographie. Fritz Gundlach dagegen vertrat in seiner Vorrede zur Volkmann-Leander-Ausgabe von 1920 die Ansicht, dass Volkmann erst nach 1871, also erst als Vierzigjähriger, bei der Belagerung von Paris zur Dichtkunst gefunden habe.39 Wie dem auch gewesen sein mag, seine Gedichte wurden erstmals 1877 publiziert und ungefähr fünf Jahre nach ihrem Erscheinen (1882) und vermutlich rund dreißig Jahre nach ihrer Entstehung von dem erst zweiundzwanzigjährigen Mahler als Tenorlieder vertont40, indem er der Sammlung Kleine Lieder unter der Numerierung IX und XIX die beiden Gedichte Frühlingsmorgen und Erinnerung entnahm.41 Wiewohl also Volkmann und Mahler aufgrund ihres dreißigjährigen Altersunterschiedes keineswegs derselben Generation angehörten, waren – wie man doch annehmen darf – Volkmanns Jugendgedichte für Mahler trotzdem moderne, zeitgenössische Erzeugnisse. Ob Mahler wirklich von der überragenden Qualität der Volkmannschen Dichtkunst restlos überzeugt war, lässt sich nur schwer beurteilen, aber offenbar dürfte sie ihn ob ihrer scheinbar schlichten Verspieltheit gemüthaft angesprochen haben, denn Mahler war nicht lange davor in Josephine Poisl aus Iglau verliebt gewesen, der er gemeinsam mit ihrer Schwester Klavierunterricht gegeben hatte und für die er fünf Tenorlieder zu komponieren plante. Doch die Liebe zerschlug sich, denn der junge, brotlose Künstler konnte Josephine keine gesicherte Zukunft bieten.42 Ein ganz großes musikalisches Vorbild war Richard Wagner (1813 –1883), der mit siebzig Jahren das Zeitliche segnete, als Mahler gerade erst dreiundzwanzig Jahre alt war. Natürlich kannte er ihn nicht nur als Komponisten, sondern auch als Librettisten und Schöpfer seines Gesamtkunstwerk-Konzepts, in welchem Dichtung, Musik, Schauspiel und Bildkunst zu einer alle Sinne ansprechenden einheitlichen Wirkung zusammengeführt wurden, um letztlich in der Art eines national-religiösen Weihespiels ein völkisches Gemeinschaftserlebnis zu erzielen. Innerhalb dieser Spannbreite war Wagner nicht nur Dramatiker, sondern auch Lyriker und Erzähler43 sowie auch hochproduk38

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E[rnst Julius] Gurlt, Volkmann, Richard von, in: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 40. Leipzig 1896, S. 238ff., hier 239. Fritz Gundlach, Einleitung, in: Richard von Volkmann-Leander: Kleine Geschichten und Gedichte. Leipzig: Philipp Reclam jun. 1920 (RUB 6123), S. 4. Revers, Anm. 24, S. 49. Richard Leanders Sämtliche Werke. Leipzig: Breitkopf u. Härtel 1899, S. 223 u. 228. Fischer, Anm. 13, S. 113. Lexikon der Weltliteratur. Biographisch-bibliographisches Handwörterbuch nach Autoren und anonymen Werken. Deutsche Autoren A–Z. Hrsg. Gero von Wilpert, u. Mitarb. zahlr. Fachgelehrter. 4. völlig neubearb. Aufl. Stuttgart 2004, S. 643a–644a.

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tiver und vielseitiger theoretischer Essayist, den Mahler offenbar sehr gut kannte44, aber wovon er Ida Dehmel gegenüber vorgab, eine weniger hohe Meinung zu haben, denn er bekannte über sich selbst – vielleicht nicht ganz ohne Selbstironie –, dass er als Organ der Äußerung die Musik [habe] und nicht die Feder, die er schauderhaft ungeschickt und ungern handhabe. „Vielleicht, wenn ich’s besser könnte, würde ich mehr schreiben. Aber ich glaube nicht: denn da hat Wagner als abschreckendes Beispiel gewirkt. Zu was sind seine ganzen geschriebenen Bände da? Man muss sie geradezu erst vergessen, um das Genie Wagner gebührend zu lieben.“45

Wagner als schreibender Privatmann dagegen vermochte durchaus auch Mahlers biographisches Interesse zu erregen, denn er fühlte sich vom ganztägigen Schmökern in Wagners Briefwechsel mit Mathilde Wesendonck „wahrhaft erbaut“, weil es ihm einen „Einblick in ein wichtiges, vielleicht das wichtigste Stück Leben dieses einzigen und theuren großen Mannes“46 gab, der ihm sogar die Genugtuung verschaffte, Analogien zu seinem eigenen Künstlerleben zu sehen, ja, sich mit diesem „schicksalsverwandten Leidensgenossen“47 sogar zu identifizieren. Ein weiteres Vorbild war in seiner Jugend – offenbar dank des damals überaus bestimmenden Einflusses seines Jugendfreundes Siegfried Lipiner48 – Friedrich Nietzsche (1844–1900), der ihm nur sechzehn Jahre voraushatte, dessen Lebenskurve aber die letzten elf Jahre seines Lebens vom Wahnsinn überschattet war. Seit 1879 gehörte Mahler dem studentischen Pernerstorfer-Kreis an, der zugleich mit der Verehrung der frühen und noch kaum bekannten Schriften Nietzsches auch dessen Liberalismus-Kritik übernommen hatte und für eine Art national ausgerichteten Sozialismus eintrat, der aber auch akkulturierte und assimilierte Juden nicht ausschloss.49 Alfred Rosé, Mahlers Neffe, berichtet beispielsweise, dass Mahler während seiner Sommeraufenthalte in Steinbach am Attersee zwischen 1893 und 1896 seinen Schwestern unter anderem auch aus Nietzsches Zarathustra vorgelesen habe.50 Als Mahler mit rund fünfunddreißig Jahren Nietzsches „herrliches Gedicht“51, das 44

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Constantin Floros, Gustav Mahler, Bd. 1: Die geistige Welt Gustav Mahlers in systematischer Darstellung. Wiesbaden 1977, S. 59–64. Alma Mahler, Anm. 18, S. 118 f. Ebenda S. 304: Brief an Alma, Maiernigg, 25. Juni 1904. Ebenda S. 310: Brief an Alma, Maiernigg, Samstag nachts, Mitte Juli 1904. Fischer, Anm. 13, S. 106. Ebenda S. 111. Gustav Mahler in den Erinnerungen von Natalie Bauer-Lechner. Hrsg. Herbert Killian. Hamburg 1984, S. 215. Ebenda S. 35.

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Trunkene Lied, aus dessen Opus magnum Also sprach Zarathustra, womit er sich sehr genau auseinandergesetzt hatte52 und das ihn als Sprachkunstwerk begeisterte53, als Vokalsatz in seine Dritte Symphonie einarbeitete, war Nietzsches Geist bereits seit zwei Jahren umnachtet, er war damit der Welt seiner Zeitgenossen gewissermaßen bereits „abhanden gekommen“. Ursprünglich sollte ja Mahlers Dritte Symphonie – völlig unter Nietzsches Einfluss stehend – nach dessen zwischen 1882 und 1887 entstandenem Werk Meine fröhliche Wissenschaft heißen54, doch tilgte Mahler kurz vor Drucklegung sämtliche Anspielungen bis auf das Altsolo des 4. Satzes, das berühmte Mitternachtslied.55 Mahler meinte in Anbetracht der Tatsache, dass sich sowohl Richard Strauss in seiner symphonischen Dichtung Also sprach Zarathustra als auch er in seiner Dritten beinahe zeitgleich so intensiv mit Nietzsche befasst hatten, dass sie beide „als Musiker die sozusagen latente Musik in dem gewaltigen Werke Nietzsches herausgefühlt“56 hätten und damit gewissermaßen beide dem Zauber in Nietzsches affektrhythmischer Sprache erlegen wären. Sicherlich war Mahler in der bewussten Eigenständigkeit seines Denkens lebenslang von Nietzsche beeinflusst57, fühlte sich aber vom Freigeistigen seiner Philosophie und seiner späteren harschen Kritik an Richard Wagner schon sehr bald derart abgestoßen, dass er etwa in seiner Verlobungszeit Alma am liebsten die Nietzsche-Lektüre aufgrund der ihr innewohnenden „freche[n] Herrenunmoral“58 verboten hätte und ihr empfahl, ihre Nietzsche-Gesamtausgabe ins Feuer zu werfen.59 Einige Jahre später jedoch mäßigte sich seine Einstellung und er konnte erneut die Musikalität in Nietzsches Sprache und sein kompositorisches Talent anerkennen.60 Am Trunkenem Lied sprach ihn nicht nur die berauschende Wirkung der inneren Musikalität, die große Leidenschaft und der große deklamatorische Gestus in Nietzsches freien Versen an, die – von einem konservativen Standpunkt aus betrachtet – aufgrund ihrer Reimlosigkeit und fehlenden festen Rhythmik tatsächlich etwas 52

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Bruno Walter, Gustav Mahler. Ein Porträt. Mit einem Nachwort u. einer Diskographie neu hrsg. v. Ekkehart Kroher. 2. Aufl. Wilhelmshaven 1983 (Taschenbücher zur Musikwissenschaft 72), S. 102. Fischer, Anm. 13, S. 343. Blaukopf, Anm. 23, S. 203ab; Gustav Mahler in den Erinnerungen von Natalie Bauer-Lechner, Anm. 50, S. 36. Fischer, Anm. 13, S. 343. Bernhard Scharlitt, Gespräch mit Mahler, in: Musikblätter des Anbruch 2/7–8 (1920), S. 310, zitiert nach Gustav Mahler, Richard Strauss: Briefwechsel 1888–1911. Hrsg. und mit einem musikalischem Essay versehen von Herta Blaukopf. Erweit. Neuausg. München–Zürich 1988 (Serie Piper 767), S. 159. Fischer, Anm. 13, S. 323. Ein Glück ohne Ruh’, Anm. 30, S. 104–111, Nr. 14: Brief an Alma, [Dresden, 19. Dezember 1901], hier S. 107. Ebenda S. 62. Fischer, Anm. 13, S. 343; Floros, Anm. 44, S. 69.

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Offenes und Unfertiges an sich hatten, es war auch der dionysische Gehalt dieses Liedes, der hymnisch-feierlich die Tiefe des Weltschmerzes und der Weltlust zelebrierte, jene beiden gegensätzlichen Pole, zwischen denen auch Mahlers Gefühlswelt eingespannt war und die er in seinem Schaffen oft unvermittelt aufeinanderprallen ließ. Das Rauschhaft-Dionysische war es etwa auch, das ihn am Versdrama Adam seines Jugendfreundes Siegfried Lipiner zutiefst imponierte: Das ist ein wahrhaft dionysisches Werk! Glaub’ mir, das versteht außer mir kein Lebender. […] Was ist es denn, was alles Lebende in die Gewalt des Dionysos gibt? Der Wein berauscht und erhöht den Zustand des Trinkenden! Was aber ist der Wein? – Der Darstellung ist bis jetzt noch nie gelungen, was sich in der Musik in jeder Note von selbst ergibt. In deiner Dichtung weht diese Musik! Sie ist wirklich einzig auf der Welt. – Sie erzählt nicht von Wein und schildert seine Wirkungen – sondern sie ist der Wein, sie ist Dionysos! 61

Über seine Vorstellung einer engen Verbundenheit zwischen Naturlaut und Dionysischem äußerte er sich dagegen Richard Batka gegenüber: Mich berührt es ja immer seltsam, daß die meisten, wenn sie von „Natur“ sprechen, nur immer an Blumen, Vöglein, Waldesluft etc. denken. Den Gott Dionysos, den großen Pan kennt niemand. So: da haben Sie schon eine Art Programm – d. h. eine Probe, wie ich Musik mache. Sie ist immer und überall nur Naturlaut! 62

Diese Liebe zum „Naturlaut“, zum unverstellt Authentischen, glaubte Mahler aber auch mit zwei österreichischen Heimatdichtern gemeinsam zu haben, die er wohl auch deswegen so sehr schätzte. So war er etwa besonders von dem siebzehn Jahre älteren Peter Rosegger (1843–1918) überaus angetan, der zunächst als Mundartdichter debütiert hatte und schon bald darauf als Erzähler von Dorfgeschichten und ethnographischen Skizzen so große Popularität errang, dass er später sogar für den Literaturnobelpreis von 1913 im Gespräch war. Die von Adalbert Svoboda – Redakteur der Grazer Tagespost und Förderer des zunächst noch äußerst unbedarften, sich gleichsam noch im Rohzustand befindlichen Bergbauernbuben – in Umlauf gesetzte Bezeichnung „Naturdichter“ wurde allerdings von Rosegger selbst immer vehement bekämpft. Dem Kritiker Ernst Decsey gegenüber bezeichnete Mahler Rosegger beispielsweise als den bedeutendsten Dichter der Gegenwart: „Das ist der größte! Bei allen anderen gibt’s nur mehr oder weniger Geburtskrämpfe… cum grano salis natürlich, cum grano salis …“63, 61 62 63

Mahler, Anm. 1, S. 263 f., Nr. 269: Undatierter Brief an Siegfried Lipiner, [Juni 1999], hier S. 264. Ebenda 202 f., Nr. 195: Brief an Richard Batka, 18. Februar 1896. Ernst Decsey, Stunden mit Mahler, in: Die Musik 10/18 (1911), S. 355, zitiert nach Blaukopf, Anm. 2, S. 114 u. 116, Anm. 8 u. 70.

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und meinte damit zum einen, dass seine Äußerung nicht unbedingt wortwörtlich genommen werden sollte, zum anderen aber auch Roseggers ungebremste Produktionskraft, mit der er ein Werk nach dem anderen schuf, zum dritten aber auch seine scheinbar von keinerlei intellektuellen Bedenken und Programmen eingeschränkte Fabulierlust. Sicherlich imponierten ihm aber auch Roseggers selbstlose Hingabe, mit der er sich für soziale und volksbildnerische Belange einsetzte und versuchte, Leben und Dichtung in Einklang zu bringen, Roseggers große Naturverbundenheit sowie seine beständige Bereitschaft und Nähe zum Dialekt, wie sie auch Mahler in seiner Musik immer wieder hören lässt64, so dass ihn Roseggers bisweilen etwas engbrüstige Heimatverbundenheit, gepaart mit antisemitischen Anklängen offensichtlich weniger störte. Vielleicht erinnerte Roseggers schlichter Ton in seinen Erzählungen vom Waldbauernbuben den außerordentlich naturverbundenen Komponisten aber auch an seine eigenen ländlichen Kindheits- und Jugendeindrücke in Mähren.65 1905 lernten er und Alma Rosegger persönlich auf der Heimreise von Graz nach Wien im Zug kennen und sprachen über den Erfolg und darüber, ob das Volk über oder in der Zeit stehe.66 Dieses Gespräch dürfte auch Rosegger selbst sehr beeindruckt haben, denn er erinnerte sich dessen noch fünf Jahre später in einem an Mahler gerichteten Brief 67, und kurz danach, anlässlich seines fünfzigsten Geburtstages, schrieb Mahler in einem Brief an Alma aus Toblach, wie sehr ihn seine Schwiegermutter mit „ein[em] göttliche[n] Regen von Rosegger-Bänden“ erfreut habe, noch ehe er seine Absicht verwirklichen konnte, sie seinerseits mit Rosegger-Bänden zu beschenken.68 Rosegger zu lesen bereitete ihm offensichtlich zu jeder Zeit großen Genuss. Gleichfalls hingezogen fühlte er sich auch zum einundzwanzig Jahre älteren Ludwig Anzengruber (1839–1889), der mit Rosegger befreundet war und der zunächst als Volksstückeschreiber im gesamten deutschsprachigen Raum ungemein geschätzt wurde, sich aber schließlich mehr der Erzählung zuwandte, als seine Stücke gegen Ende der siebziger Jahre in Wien aufgrund verschärfter Zensur auf Aufführungsschwierigkeiten stießen.69 Es war demnach also im Schauspielhaus in Hamburg, wo Mahler 1905 die schon 1876 uraufgeführte Bauernposse Doppelselbstmord zu sehen bekam.70 Sie enthielt als typisches Wiener Volksstück Musikeinlagen, transportierte aber zugleich – neben 64 65 66 67 68 69

70

Walter, Anm. 52, S. 79. Fischer, Anm. 13, S. 174. Ein Glück ohne Ruh’, Anm. 30, S. 438, Anm. zu Nr. 318. Alma Mahler, Anm. 18, S. 473: Peter Rosegger an Mahler, Krieglach, 1. Juli 1910. Ein Glück ohne Ruh’, Anm. 30, S. 437 f., Nr. 318: Brief an Alma, [Toblach, 7. Juli 1910], hier S. 438. Stefan Frevel, Anzengruber, Ludwig, in: Literatur Lexikon. Autoren und Werke deutscher Sprache. Hrsg. Walther Killy, Bd. 1. Gütersloh, München 1988, S. 192a–193b. Ein Glück ohne Ruh’, Anm. 30, S. 241 ff., Nr. 131: Brief an Alma, [Hamburg, 10. März 1905], hier S. 241.

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der realistischen Aufbereitung bäuerlichen Lebens – auch Anzengrubers volksaufklärerischen und antikatholischen Liberalismus71, der sich gegen Scheinheiligkeit und religiöse Intoleranz wandte, was Mahler offenbar nicht störte, weil Anzengrubers Kritik immer mit dem Glauben an das Gute im Menschen verbunden war. Was Mahler mit Anzengruber verband, war wohl ein ähnliches Moralempfinden sowie das Wissen um ihre gemeinsame Herkunft aus einfachsten Verhältnissen und um die Hürden, die einem aufstrebenden Menschen bei deren Überwindung in den Weg gelegt werden. Mahler kannte auch den bei aller Naivität und Gottergebenheit ungemein tröstlichen Ausspruch des Steinklopferhans „Es kann dir nichts g’schehn!“72, der ihn vielleicht gerade wegen seiner volkstümlichen Schlichtheit und des ihm innewohnenden Gottvertrauens so tief berührte. Diese Figur des Steinklopferhans aus der sich gegen das Dogma der Unfehlbarkeit des Papstes richtenden und 1872 uraufgeführten Bauernkomödie Die Kreuzelschreiber 73 entwickelte Anzengruber dann in Die Märchen des Steinklopferhanns (1880) weiter, ob aber Mahler dieser Ausspruch nun vom Lesen oder vom Sehen her bekannt war und wie sehr er generell in Anzengrubers Werke eingelesen war, lässt sich heute aufgrund seiner verlorenen Bibliothek nicht mehr nachvollziehen.74 Als Vielleser las Mahler natürlich auch ausländische Literaturwerke, etwa den Roman Max Havelaar oder Die Kaffeeversteigerungen der Niederländischen Handelsgesellschaft (1860) des Niederländers Eduard Douwes Dekkers (1820–1887), der seine die niederländische Kolonialpolitik kritisch beleuchtenden Arbeiten aus Furcht vor Repressalien unter dem vom Lateinischen abgeleiteten Pseudonym Multatuli [ich habe viel getragen] publiziert hatte. Die letzten zwanzig Jahre seines Lebens verlebte Dekker in Deutschland, wo seine Werke um die Jahrhundertwende herum sehr verbreitet waren, während sie in den Niederlanden eher abgelehnt wurden, während es sich heute geradezu umgekehrt verhält: seine Werke sind in Deutschland nahezu vergessen, gelten dafür aber nicht nur in den Niederlanden als formal, sprachlich und inhaltlich wegweisend, sondern beeinflussten auch maßgeblich die indonesische Literatur. Von Max Havelaar gab es bis 1903 drei deutsche Ausgaben, wobei besonders die Ausgabe Spohrs von 1900 viel gelesen wurde.75 Möglicherweise griffen Mahler und Alma bei ihrer 71

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Rudolf Radler, Ludwig Anzengruber: Doppelselbstmord, in: Kindlers Neues Literatur Lexikon. Studienausgabe. Hrsg. Walter Jens, Bd. 1. München 1988, S. 555ab. Bruno Walter, Thema und Variationen. Erinnerungen und Gedanken. Stockholm 1947, S. 133. Ludwig Anzengruber: Die Kreuzelschreiber, in: Kindlers Neues Literatur Lexikon. Studienausgabe. Hrsg. Walter Jens, Bd. 1. München 1988, S. 556b–557b. Walter, Anm. 52, S. 115 f. Wilfried Schäfer, Multatuli: Max Havelaar of de Koffijveilingen der Nederlansche Handelmaatschappij, in: Kindlers Neues Literatur Lexikon. Studienausgabe, Hrsg. Walter Jens, Bd. 12. München 1988, S. 601b–62b,

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gemeinsamen Lektüre darauf oder auf die Ausgabe von 1903 zurück, wobei ihnen besonders der Name des beschränkten und spießigen Gegenspielers des Romanhelden – Batavus Droogstoppel – wegen seiner komischen Lautlichkeit ins Auge stach und für sie zum Synonym für spießbürgerliches Banausentum wurde. Als Mahler im Herbst 1903 erstmals Holland besuchte, vermeinte er immer wieder auf typische „Droogstoppels“ zu stoßen, etwa auch in Gestalt seiner Gastgeberin, der Gattin des Dirigenten Willem Mengelberg.76 Als er aber im Jahr darauf erneut bei Mengelbergs auf Besuch weilte, bezeichnete er das Paar Alma gegenüber schon sehr gemäßigt, nur als „[s]ehr liebe anspruchslose Menschen“77, ereiferte sich aber in einer größeren Gesellschaft, in der Multatuli in seiner Gegenwart als ein schlechter Gouvernementsbeamter kritisiert wurde, dass gerade er als Fremder, Multatuli hier verteidigen müsse: Er würde es sich selbst zur größten Ehre anrechnen, wenn er, im Fall, daß Multatuli an diesem Tisch säße, ihn anreden und – dabei stand er auf und machte eine Verbeugung vor dem imaginären Gast – ihm sagen dürfte: „Herr Multatuli, ich hege eine tiefempfundene Bewunderung für Sie und hasse alle Droogstoppels“.78

– so berichtet es zumindest der ehemalige Marineoffizier H. de Booys, den Mahler als „sympathische[n] Seeheld[en]“79 bezeichnete, in seinen Memoiren. Sympathien und Mitleid Mahlers galten in diesem Roman eindeutig dem javanischen Liebespaar Sidjah und Adinda, das letztlich an der Grausamkeit der holländischen kolonialen Versklavung zugrunde geht. Auch die Figuren dieses Romans hatte sich Mahler so sehr zu eigen gemacht, dass sie sich mit seinen eigenen Eindrücken, die er in den Niederlanden empfangen hatte, vermischten, so dass er 1903 an Alma schrieb: „Du, mit Holland ist es doch nichts, wenn wir einmal in Pension gehen. – Ich suchte immer nach Havelaars und fand nur Droogstopls [!].“80 Der zweiunddreißig Jahre ältere Norweger Henrik Ibsen (1828–1906) kann durchaus als Zeitgenosse der älteren Generation bezeichnet werden, dennoch galt er in den

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hier 62a; Vgl. auch Jelle Stegeman, Übersetzung und Leser: Untersuchungen zur Übersetzungsäquivalenz, dargestellt an der Rezeption von Multatulis „Max Havelaar“ und seinen deutschen Übersetzungen. Berlin etc. (Studia linguistica Germanica 30). 1991. Fischer, Anm. 13, S. 603 f. Ebenda S. 605. Eduard Reeser, Gustav Mahler und Holland. Briefe. Wien 1980 (Bibliothek der Internationalen Mahler Gesellschaft), S. 19. Ebenda S. 71 f., Nr. 32: Mahler an Willem Mengelberg, Wien, ohne Datum [22. September 1906], hier S. 72. Ein Glück ohne Ruh’, Anm. 30, S. 169 f., Nr. 49: Brief an Alma, [Amsterdam, 21. Oktober 1903], hier S. 169.

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Augen Mahlers als Modernist. 1905 schrieb er mit Anspielung auf Almas Lebensweise und Lektüre, dass das Alleinsein in der Natur imstande sei, im positivem Sinne zu sammeln, zu sich selbst und zu Gott finden zu lassen und produktiv zu machen, während das platte Alltags- und Gesellschaftsleben mit Negation und Kritik erfülle, und warnte sie in diesem Zusammenhang besonders vor der Lektüre von Ibsen Werken, da sie „bloß die Analytik, die Negation, das Unfruchtbare“81 vertreten würden. Aber immerhin kannte er Ibsens dramatisches Gedicht Peer Gynt (1867) so gut und hatte dessen Wortlaut und symbolische Aussagen derart verinnerlicht, dass er daraus zitieren82 konnte oder etwa 1904, in einem Brief an Alma, gezielt auf die Figur des Knopfgießers als Schöpfungsgehilfen aus der 1. Szene des 5. Aktes anspielen konnte, indem er in einem Vergleich von Brahms und Bruckner meinte, dass der eine zu lang im Schmelzlöffel gewesen sei, der andere aber erst umgeschmolzen werden müsse.83 Laut Anmerkungen von Freund Löhr zählte Peer Gynt sogar zu Mahlers Lieblingsbüchern84 und außerdem kannte er – zumindest vom Hörensagen – Ibsens Erstlingsdrama Catilina, über das Freund Löhr einen Artikel geschrieben hatte, der seine Zustimmung fand.85 Während er sich aber mit Ibsen immerhin kritisch auseinander setzte und Freund Lipiner gegenüber sogar zugab, in bezug auf Dramentechnik bis zu einem gewissen Grad „durch Ibsen und die anderen moderneren Herren demoralisiert“86, also beeinflusst zu sein, so waren für ihn die Werke des nur elf Jahre älteren und somit zeitgenössischen August Strindberg (1849–1912) offensichtlich nicht einmal einer näheren Befassung wert. Strindbergs problematische, grenzgängerische, von einem Extrem ins andere fallende Entwicklung führte ihn vom utopischen Sozialismus über die Misogynie bis hin zum Atheismus. Seine absolut pessimistische und intelligenz-aristokratische Grundhaltung, sein unentwegtes Kreisen um den Kampf der Geschlechter und die von ihm konstatierte Lebensschwäche der moralisch Guten, ja sogar letztlich auch seine Hinwendung zu einer intensiven, sich dem Okkulten und Mystischen öffnenden Religiosität87 widersprachen Mahlers gesamter inneren Verfasstheit. Als Mahler 1909, nach seinem zweiten Amerikabesuch, den um Schönberg und Zemlinsky 81 82 83

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Ebenda S. 249 f., Nr. 135: Brief an Alma, [Wien, 6. Juni 1905], hier S. 249. Mahler, Anm.1, S. 48, Nr. 21: Brief an Fritz Löhr, Kassel 19. September 1883. Ein Glück ohne Ruh’, Anm. 30, S. 208 f., Nr. 91: Brief an Alma, [Maiernigg, 3. Juli 1904] und Anm., hier S. 209. Mahler, Anm. 1, S. 432; Anm. 7. – Vgl. auch Floros, Anm. 44, S. 68 u. 444, Anm. 85. Friedrich Löhr, Ibsens’s Catilina, in: Deutsche Worte. Monatshefte, Hrsg. Engelbert Pernerstorfer. Wien 16 (1896), S. 543–555; vgl. Floros, Anm. 44, S. 68, Anm. 92. Mahler, Anm. 1, S. 271 ff., Nr. 278: Brief an Siegfried Lipiner, [Wien,] 19. August 1900, hier S. 272. Lexikon der Weltliteratur. Biographisch-bibliographisches Handwörterbuch nach Autoren und anonymen Werken. Fremdsprachige Autoren L–Z, Hrsg. Gero von Wilpert u. Mitarb. zahlr. Fachgelehrter. 4. völlig neubearb. Aufl. Stuttgart 2004, S. 1735a–1737a.

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gescharten Wiener Kreis junger Mahler-Verehrer traf und diesem dringend die Lektüre Dostojewskis ans Herz legte, wurde er durch Schönberg bescheidentlich – „Bitt’, wir haben den Strindberg“ – über dessen bereits ganz anderen Lesegeschmack informiert.88 Vor den großen russischen Erzählern und Romanciers, Lew Nikolajewitsch Graf Tolstoj (1828–1910) und Fjodor Michailowitsch Dostojewski (1821–1881) hegte Mahler den allergrößten Respekt. Tolstoj war zweiunddreißig Jahre älter als er und überlebte ihn sogar um ein Jahr: beider Lebensdaten überlagern also einander, und dennoch waren beide nichts weniger als Zeitgenossen. Und ähnlich verhielt es sich auch mit Dostojewski, der gar neununddreißig Jahre älter war und bei dessen Tod Mahler ein junger Mann von einundzwanzig Jahren war, der sich aber – laut Bruno Walter – zutiefst mit dem Dichter verwandt fühlte89 – ja, neuere Mahler-Interpreten gehen sogar so weit, tiefere Beziehungen zwischen den Romanen Dostojewskis und der Musik Mahlers herstellen zu wollen, etwa besonders was Mahlers Vorstellungen von der „ewigen Liebe“ in seiner Dritten Symphonie betrifft, die im engen Zusammenhang mit der Liebespredigt des Starezen Sossima in Dostojewskis Lebenswerk, Die Brüder Karamasow, zu sehen ist.90 Dieser Roman, der 1884 erstmals ins Deutsche übersetzt worden war, hatte es Mahler zeit Lebens angetan.91 Ob er diesen seinen Lieblingsroman aber bereits als Vierundzwanzigjähriger tatsächlich gelesen hat, ist nicht bekannt. Man nimmt an, dass seine Freundin und Dostojewski-Expertin Nina Hoffmann-Matscheko, die 1899 ein Buch über ihn veröffentlichte92, ihn mit dem großen russischen Dichter bekannt gemacht habe.93 Mahler lebte förmlich in der fiktiven Welt dieses Romans und grübelte intensiv der hier aufgeworfenen Lebensfrage nach. Besonders seine Hamburger Jahre zwischen Dreißig und Vierzig waren davon maßgebend geprägt94, wie Bruno Walter zu berichten weiß. Anlässlich seines Besuchs bei Mahler in Hamburg, stellte ihm nämlich dessen jüngere Schwester Emma die überraschende Frage: „Wer hat recht, Aljoscha oder Ivan?“ und erklärte im unmittelbaren Anschluss daran, dass es sich dabei um die im Roman Die Brüder Karamasow gestellte Frage: „Ist Gott tot?“ handle, die durch den Atheisten Ivan bejaht und durch den gläubigen Aljoscha verneint wird. Und Bruno Walter erkannte, dass Mahler sich ungemein leidenschaftlich mit diesem Theodizee-Problem befasste: 88 89 90 91

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Alma Mahler, Anm. 18, S. 159. Walter, Anm. 72, S. 220 Floros, Anm. 44, S. 65 f. Swetlana Geier, Fëdor Michajlovi Dostoevskij: Bra ja Karamazovy, in: Kindlers Neues Literatur Lexikon. Studienausgabe, Hrsg. Walter Jens, Bd. 4. München 1988, S. 806b–808a, hier 8o8a. Nina Hoffmann-Matscheko, Th. M. Dostojewsky. Biographische Studie. Berlin: Hofmann 1899. Fischer, Anm. 13, S. 178; Vgl. auch Floros, Anm. 44, S. 66. Ebenda S. 179.

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In diesem Gespräch zwischen Ivan und Aljoscha kommt in der Tat ein ähnlicher Zustand wie die Seelennot Mahlers, sein Leid über das Leid der Welt und sein Suchen nach Trost und Erhebung zu beredtem Ausdruck und im Grunde kreiste alles, was Mahler dachte und sprach, las und komponierte um die Frage des ‚Woher? Wozu? Wohin?’95

Anlässlich ihres Aufenthalts in St. Petersburg im Jahre 1907 musste das Ehepaar Mahler allerdings erstaunt feststellen, dass hier kaum jemand den großen Dichter kannte und die ihn kannten, über ihn die Nase rümpften96, denn schon 1905 hatte Maxim Gorki Dostojewski und Tolstoj in der linken Publizistik einer kleinbürgerlichen Geisteshaltung bezichtigt97 und damit stark die Intelligenzija von St. Petersburg mit ihrer „linksgerichtete[n] Tradition“98 beeinflusst. Und als Mahler im Jahr danach, nach seinem zweiten Amerikaaufenthalt, nach Wien zurückkehrte, musste er auch hier, in dem um Schönberg und Zemlinsky gescharten Kreis seiner jungen Verehrer, Vergleichbares feststellen: Er musste erkennen, dass die junge Generation Dostojewski nur noch dem Namen nach kannte. „Aber Schönberg, was ist das? Lassen Sie die jungen Leute, die bei Ihnen lernen, doch Dostojewski lesen – das ist wichtiger als der Kontrapunkt“99, soll er sich daraufhin mahnend Schönberg gegenüber geäußert haben. Laut Almas Aufzeichnungen hätten ihm die jungen Leute auf die Frage nach Dostojewski entgegnet: „Den brauchen wir nicht mehr, wir haben Strindberg“, eine Antwort, die Mahler sehr nachdenklich gestimmt habe.100 Ähnliches wusste übrigens auch der Dirigent Klaus Pringsheim, der Schwager Thomas Manns, in seinen Erinnerungen zu berichten: Mahler habe ihm äußerst nachdrücklich die Lektüre Dostojewskis anempfohlen.101 Alma wiederum bezeugt in ihrer mit Vorsicht zu genießenden Biographie, dass Mahler oftmals den Dostojewski-Satz „Wie kann man glücklich sein, wenn ein Geschöpf auf Erden noch leidet!“ auf den Lippen trug sowie auch gerne den Dostojewskischen Romantitel Die Erniedrigten und die Beleidigten, ein Werk, das 1885 erstmals auf Deutsch erschienen war102, schlagwortartig gebrauchte.103 95 96 97

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Walter, Anm. 72, S. 133. Alma Mahler, Anm. 18, S. 48. http://www.der-unbekannte-gorki.de/index.php?e=24 Armin Knigge, Gorki gegen Dostojewski: Kampf um das Selbstbild der Russen, in: Der unbekannte Gorki. Blog vom Montag, 21. April 2008 [Zugriff: 8. 1. 2010]. Armin Knigge, Maksim Gor’kij. Das literarische Werk. München 1994 (Quellen und Studien zur russischen Geistesgeschichte 13). S. 66 f. Fischer, Anm. 13, S. 178. Alma Mahler, Anm. 18, S. 159. Henry Louis de La Grange, Gustav Mahler, Vol. 3: Vienna: Triumph and Illusion (1904–1907). Oxford 1999, S. 465. Horst-Jürgen Gerigk, Fëdor Michajlovi Dostoevskij: Unižennye i oskorblënnye, in: Kindlers Neues Literatur Lexikon. Studienausgabe, Hrsg. Walter Jens, Bd. 4. München 1988, S. 822a–823a, hier 823a. Alma Mahler, Anm. 18, S. 32.

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Von Tolstojs Beichte (1882) hingegen, die er 1904 in der Übersetzung unter dem Titel Meine Beichte von 1901104 las105, war Mahler förmlich abgestoßen, denn Tolstoj hatte seine rigorose Suche nach moralischen Werten – wie seine bedingungslose Menschenliebe und radikale Gewaltlosigkeit – in eine tiefe Lebenskrise geführt. Er entwarf eine sozialreformerische und theologisch höchst polemische Lehre, die dann – ohne seine Zustimmung – von seinen radikalen Anhängern weiterentwickelt und zum Mitauslöser wurde für den Ausbruch der Revolution von 1905. Frau Alma gegenüber beschrieb Mahler seine Eindrücke etwa folgendermaßen: „furchtbar, trist und barbarisch selbstzerfleischend, schiefe Fragestellung und in folge dessen grenzenlose Verwüstung aller errungenen Herzens- und Geistesgüte“106, wobei er allerdings etwas später einschränkte: „Tolstoi lasse ich eine Weile; von dem muss man sich ausruhen; ich rede nur vom Schriftsteller und Propheten. Seine Novellen und Romane, das ist was anderes“107, denn Tolstojs Werke v o r seiner Sinnkrise hatten Mahler noch aus tiefster Seele gesprochen: Sie folgten dem Postulat nach einer moralischen Kunst und stellten in vielen verschlungenen Handlungssträngen dar, wie die Suche nach dem Sinn des Lebens letztlich von starkem Drang nach Wahrheit gelenkt wird.108 Besonders vom Roman Auferstehung (1899)109, in dem sich alles um ein Umdenken und gelebtes Verantwortungnehmen der Menschen für einander dreht, war Mahler „furchtbar erschüttert und tagelang aufs tiefste verstimmt“, berichtet Natalie Bauer-Lechner in ihren Erinnerungen: „Er konnte den Inhalt seines Lebens gar nicht mehr in Einklang bringen mit der Wahrheit dieses Buches, ‚das einem die Scheuklappen von den Augen reißt’ und das in ihm verwandte Saiten erklingen ließ“.110

Altersgenossen Seinen Altersgenossen unter den Literaten stand Gustav Mahler eher reserviert gegenüber. Beispielsweise sprachen ihn – wie bereits erwähnt – weder August Strindbergs Lebensführung noch seine sehr eng damit verbundenen Werke an. Strindbergs Leben 104

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Erwin Wedel, Lev Nikolaevi Graf Tolstoj: Ispove , in: Kindlers Neues Literatur Lexikon. Studienausgabe, Hrsg. Walter Jens, Bd. 16. München 1988, S. 661a–662a, hier 661b. Blaukopf, Anm. 2, S. 110. Ein Glück ohne Ruh’, Anm. 30, S. 199 ff., Nr. 82: Brief an Alma, [Krumpendorf, 24. Juni 1904], hier S. 201. Ebenda S. 205 f., Nr. 87: Brief an Alma, [Maiernigg, 28. Juni 1904], hier S. 206. Wilpert, Anm. 87, S. 1813a–1814b. Ludolf Müller, Lev Nikolaevi Graf Tolstoj: Voskresenie, in: Kindlers Neues Literatur Lexikon. Studienausgabe, Hrsg. Walter Jens, Bd. 16. München 1988, S. 683a–684b. Anm. 50, S. 153.

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war von Pessimismus, Ängsten, Exzessen und psychischen Zusammenbrüchen geprägt, vor allem aber sorgte seine Haßliebe zu Frauen immer wieder für Skandale, denen Mahler – sofern er davon überhaupt unterrichtet war – sicherlich mit Unverständnis und Ablehnung begegnet wäre. Strindbergs große Lebensthemen, wie der Kampf der Geschlechter beziehungsweise die Sexualangst des Mannes, berührten Mahler erst sehr spät, im Sommer 1910 persönlich, als er von Almas Untreue erfuhr und in seiner Not Sigmund Freud konsultierte, wiewohl er ursprünglich der Psychoanalyse gegenüber eher skeptisch eingestellt war111 – ein Beispiel, das gut Mahlers Flexibilität, seine Fähigkeit zum Umdenken und Fallenlassen vorgefasster Meinungen zeigt. Mahler lehnte die literarischen Hervorbringungen seiner unmittelbaren Zeitgenossen keineswegs prinzipiell ab, sondern machte aus den verschiedensten Gründen Ausnahmen. Ambivalent stand er etwa dem sechs Jahre älteren Oscar Wilde (1854 –1900) gegenüber. Seinen Roman The picture of Dorian Gray (1890), dessen deutsche Übersetzung von 1902 er im Juni 1904 in Maiernigg mit gespannter Erwartung zu lesen begonnen hatte112, fand er „sehr aufregend und dabei eine ziemlich hohle Nuß. Eine nicht üble Idee durch Willkürlichkeit und etwas Dilettantismus verpfuscht. Du darfst es nicht lesen.“113 Mahler fand also den „plot“ des Romans zwar gut, seine Machart aber nicht. Möglicherweise erschien er ihm als Lektüre seiner noch sehr jungen Frau als zu dekadent, wiewohl der Roman selbst letztlich den in seinem Vorwort zunächst noch gepriesenen bedingungslosen Ästhetizismus ad absurdum führt. Vielleicht hob Mahler bei der Schilderung seines Eindrucks absichtlich die Machart des Romans hervor, um desto besser dessen „Helden“ in Gestalt eines geistreich-zynischen, lasterhaften Dandys114 verschweigen zu können, um in Alma keinerlei Begierde zu entfachen, gleichfalls diesen Roman lesen zu wollen, weil er befürchtete, dass sie in ihrer unkritischen und emotionalen Art von dieser Art geschilderter Männlichkeit fasziniert sein würde. Dagegen fand er 1906 die Münchner Aufführung der spritzig-charmanten und luftig konzipierten Komödie115 von Bunbury or The Importance of Being Earnest (1895) in ihrer deutschen Übersetzung von 1903 „riesig lustig[]“116, ja, er ärgerte sich sogar, 111 112 113 114

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Fischer, Anm. 13, S. 799–808. Ein Glück ohne Ruh’, Anm. 30, S. 206, Nr. 87 (vgl. Anm. 107) und S. 505, Nr. 87. Ebenda S. 209, Nr. 91 (vgl. Anm. 83). Jörg Drews, Oscar Wilde: The Picture of Dorian Gray, in: Kindlers Neues Literatur Lexikon. Studienausgabe, Hrsg. Walter Jens, Bd. 17. München 1988, S. 667a–668b, hier 667a. Jörg Drews, Oscar Wilde: The Importance of Being Earnest: a Trivial Comedy for Serious People, in: Kindlers Neues Literatur Lexikon. Studienausgabe, Hrsg. Walter Jens, Bd. 17. München 1988, S. 663b–665a, hier 664a. Ein Glück ohne Ruh’, Anm. 30, S. 298 f., Nr. 190: Brief an Alma, [München, 7. November 1906], hier S. 298 und Anm. S. 299 sowie S. 517 f., Anm. 190.

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dass Alma nicht dabei sein konnte, allerdings dreht sich – rein vordergründig betrachtet – in diesem Stück letztlich alles nur um „Liebesgeschichten und Heiratssachen“, also um nichts moralisch Anstößiges, das seine junge Frau hätte negativ beeinflussen können. Die Oper Salome (1891) stellte ihm Richard Strauss als einem der Ersten 1905 in Straßburg vor117, wobei Alma in ihren Memoiren berichtet, dass Mahler – aufgrund des Theaterskandals um das Stück im Jahre 1903 – zunächst noch starke Vorbehalte etwa ethischer Natur, aber auch bezüglich der Aufführbarkeit in katholischen Ländern hatte118, aber dann seine Ansicht änderte und sich von dem Werk förmlich bezwungen sah und bescheinigte, dass hier unter einer Menge Schutt ein Vulkan, ein unterirdisches Feuer lebe.119 Es war sicherlich die Vertonung durch Richard Strauss, die bei Mahler eine derart grundlegende Meinungsumkehr auslöste. Ob er auch erkannte, dass Wildes einzige Tragödie – trotz aller abzulehnender ästhetisch geschilderter Triebhaftigkeit und exotischer Grausamkeit – einen Zwiespalt verdeutlichte, der ihm selbst nicht ganz fremd geblieben war? Strauss gegenüber gestand er zumindest ein, dass er ihm durch seine Musik „das ‚Wilde’sche Werk erst verständlich gemacht“120 habe. In der antithetischen Gegenüberstellung der dem Untergang geweihten heidnischen Sinnenlust gegen eine Erneuerungsbewegung durch christliche Askese121 spiegelt sich seine eigene rauschhafte Hingabe an seine Musik einerseits und seine asketische Lebenseinstellung andererseits wider. Als Direktor der Wiener Hofoper geriet er schließlich über die Uraufführung der Salome in Wien in den bekannten Konflikt mit der Zensurbehörde. Mahlers unbedingte Anerkennung war seinem nur vier Jahre älteren Jugendfreund Siegfried Lipiner (1856 –1911) gezollt, mit dessen Arbeiten er sich – wohl auch aufgrund der großen menschlichen Nähe – intensiv auseinander setzte. Was sie verband war ihre jüdische Herkunft aus dem Osten der Monarchie, zudem hatten beide etwa zur selben Zeit an der Wiener Universität zu studieren begonnen. Bereits mit achtzehn Jahren verfasste Lipiner das Versdrama Der entfesselte Prometheus, das zwei Jahre danach, 1876 erschien und in weiterer Folge Friedrich Nietzsche zunächst ungemein begeisterte. Als Lipiner aber versuchte, sich in Nietzsches Leben bestimmend einzudrängen, brach der Kontakt jählings ab. Und ähnlich verhielt es sich auch mit seiner Beziehung zu Richard Wagner, dem er den im Selbstverlag gedruckten, 1878 gehaltenen Vortrag 117 118

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Ebenda S. 283, Anm. zu Nr. 173. Clemens Höslinger, „Salome“ und ihr österreichisches Schicksal 1905 bis 1918, in: Österreichische Musikzeitschrift 32/7/8 (1977), S. 300–309, hier S. 300. Alma Mahler, Anm. 18, S. 114. Mahler, Strauss, Briefwechsel 1888–1911, S. 105 f., M. 51: Mahler an Strauss, Wien, 11. Oktober 1905, hier S. 106, vgl. auch S. 99–120. Manfred Pfister, Oscar Wilde: Salomé, in: Kindlers Neues Literatur Lexikon. Studienausgabe, Hrsg. Walter Jens, Bd. 17. München 1988, S. 668b–670a, hier 669a.

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Über die Elemente der Erneuerung religiöser Ideen in der Gegenwart zusandte, ein Thema, mit dem sich Wagner damals gerade sehr intensiv befasste. Doch bei den persönlichen Begegnungen zwischen Lipiner, Cosima und Richard Wagner kam es schließlich zur Auseinandersetzung über Lipiners zu „israelitische“ Religionsauffassung und seine sozialreformerischen Ideen. Lipiner schickte Wagner zwar auch später noch vereinzelt Publikationen zu, aber da hatte Wagner bereits jegliches Interesse an ihm verloren. 1876 war Lipiner zum Studium nach Leipzig gegangen, um die Vorlesungen von Gustav Theodor Fechner zu hören, dessen Denken auch auf Mahler großen Einfluss hatte, und brach schließlich – zurück nach Wien – sein Studium ab. Erst später holte er die Promotion nach und wurde 1881 Bibliothekar des Reichsrats und später Bibliotheksdirektor, doch er veröffentlichte kaum mehr etwas. Sein Hauptwerk sollte seine ChristusTrilogie werden, die er angeblich mehrmals zerstörte. Letztlich blieb nur ein Vorspiel seines Adam erhalten. Ferner übersetzte er zwei Werke von Mickiewicz und schrieb für den Wiener Komponisten Carl Goldmark das Libretto für die Oper Merlin.122 Mahler lockerte nach seiner Verheiratung und auf Betreiben Almas seine enge Verbindung zu Lipiner wie auch zu anderen Freunden. Nach der späteren Versöhnung verfasste Lipiner ein Gedicht zu Mahlers 50. Geburtstag: Der Musiker spricht.123 Inwieweit Mahler Literatur von Frauen kannte oder sich dafür auch nur ansatzweise interessierte, lässt sich nicht beantworten, doch kannte er zumindest ein Werk Rosa Mayreders (1858–1938), und zwar in Form des Librettos zu Hugo Wolfs Corregidor, den er 1904 in stark gekürzter Fassung aufführen ließ. Sie hatte den Text 1895/96 verfasst und kurz darauf erschienen auch ihre ersten Erzählbände. Bereits 1893 hatte sie den Allgemeinen Österreichischen Frauenverein gegründet, aber inwieweit sich Mahler überhaupt mit ihren Intentionen befasste und inwieweit er die Frauenemanzipation mit dem Namen Mayreder verband, liegt im Grunde im Unklaren, doch steht fest, dass er der Frauenemanzipation selbst äußerst skeptisch gegenüberstand, das hatte er zumindest Alma in seinem berühmten Brief unmissverständlich klar gemacht: er wollte sie nicht nur zum Zeitvertreib oder als Hausfrau, aber auch nicht als komponierenden „College[n]“ um sich haben, und daher erschien es ihm angebracht, dass sie „so werden mußt[e], ‚wie [er] es brauchte’“, sie sollte ihre Musik zugunsten der seinen aufgeben, um sein „Eheweib“124 zu sein. Die Bekanntschaft mit dem nur zwei Jahre jüngeren Gerhart Hauptmann (1862– 1946) war dagegen besonders Frau Alma ein großes Anliegen und auch Hauptmann selbst fasste sofort ein zärtliches Tendre für Mahler, das aber – laut Alma – nicht ganz 122 123 124

Anm. 50, S. 68. Fischer, Anm. 13, S. 105–108. – Vgl. auch Floros, Anm. 44, S. 72–83. Ein Glück ohne Ruh’, Anm. 30, S. 108, Nr. 14 (vgl. Anm. 58).

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gegenseitig war, denn ihn machte „dessen langsames Denken und das gehemmte Sprechen leicht ungeduldig“.125 Mahler selbst lehnte Hauptmanns naturalistische Frühwerke aufgrund ihres streng durchgezogenen materialistischen und pessimistischen Konzepts ab, wusste aber auch mit den Werken seiner späteren, vom Symbolismus inspirierten Phase nicht immer allzu viel anzufangen, und ähnlich dürfte es sich sicherlich auch mit Hauptmanns Erzählungen verhalten haben, doch ist darüber nichts Näheres bekannt. Das alles hinderte aber Mahler nicht, Hauptmanns „weltumarmende Art“126 auf freundschaftlicher Basis ungemein hoch zu schätzen. Beide hatten sich am 5. Februar 1904127 persönlich kennengelernt: Hauptmann war kurz zuvor gesundheitlich stark angeschlagen nach Wien gekommen128, um einer Aufführung seines 1896 uraufgeführten, ersten mythisch-allegorischen symbolistischen Märchendramas Die versunkene Glocke129, das Hauptmanns Durchbruch zur Neuromantik bedeutete, beizuwohnen.130 Es ist anzunehmen, dass Mahler mit der Grundaussage des Stückes, dass vollkommene Kunst nur unter Aufgabe der Wirklichkeit möglich sei und dass ein unvollkommenes Kunstwerk gleichsam das gesamte Leben eines Künstlers zu einem lebensunwerten degradiere, nicht übereinstimmte. Almas Tagebuchnotizen über die erste Zusammenkunft mit Hauptmann sind chronologisch verwirrend, werfen aber interessante Schlaglichter auf ihre Beziehung. Alma zufolge soll Mahler zunächst nur unwillig der Einladung Max Burckhardts gefolgt sein, um Josef Kainz, Gerhart Hauptmann und dessen damalige Freundin und bald darauf zweite Frau Margarete Marschalk kennenzulernen, die Alma in ihrer ganzen elfenhaften Erscheinung als ein wahres „Rautendelein“ erschien. Und dabei soll es gerade über die Rolle des Rautendelein am Schluss von Hauptmanns Versunkener Glocke zu einer lebhaften Kontroverse zwischen Hauptmann und Kainz gekommen sein. Alma fand diesen Abend wie auch die vielen weiteren Gespräche zwischen Mahler und Hauptmann „unvergessen“131, während Hauptmann in sein Tagebuch notierte: „Gestern Gustav Mahler kennengelernt. Hervorragender Kopf. Dämonische Naturkraft. Stempel des großen Genies unverkennbar.“132 Noch auf dem Nachhauseweg blieben „Mahler und Hauptmann 125 126 127

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Alma Mahler, Anm.18, S. 107. Fischer, Anm. 13, S. 625. Gerhart Hauptmann, Tagebücher 1897 bis 1905, Hrsg. Martin Machatzke. Frankfurt a. M.–Berlin 1987, S. 386. Hauptmann, Anm. 127, S. 385 u. 729. Henry-Louis de La Grange, Gustav Mahler, Vol. 2: Vienna: The Years of Challenge (1894–1904). Oxford 1995, S. 700. Ulrike Backofen, Gerhart Hauptmann: Die versunkene Glocke. Ein deutsches Märchendrama, in: Kindlers Neues Literatur Lexikon. Studienausgabe. Hrsg. Walter Jens, Bd. 7. München 1988, S. 408a–409a. Alma Mahler, Anm. 18, S. 85 f. Hauptmann, Anm. 127, S. 386.

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unter jeder Laterne stehen […] und [verweilten,] sich gegenseitig am Mantelknopf haltend und heftig gestikulierend, viertelstundenlang“133 und ließen die beiden Frauen warten. Tags darauf besuchten – so Almas Erinnerungen – die Mahlers die Hauptmanns im Hotel Sacher, und während Mahler bei Hauptmann blieb, sollten die beiden Damen ausgehen, wobei Alma dafür zu sorgen hatte, dass Margarete nicht in ihren gewohnten Kaufrausch verfiel.134 Mahler war übrigens von Margarete Marschalks Nixenhaftigkeit in keiner Weise beeindruckt, sondern hielt sie für eine kalte Egoistin und bedauerte Ida Dehmel gegenüber vehement Hauptmanns schwächliche Verfallenheit.135 In den folgenden zwei Wochen entwickelte sich ein fast täglicher Verkehr zwischen den beiden Künstlern: In einem seiner Briefe erinnert sich beispielweise Mahler, dass er Hauptmann nachmittags im Hotel Sacher aufgesucht habe, um mit ihm gemeinsam, unter regem Gespräch, durch die Gassen der Innenstadt zu schlendern136, am 8. Februar kamen beide Mahlers zu Besuch und Hauptmann notierte dazu: „Verwandtes und Gleiches überall. Kraft“137, und am 11. Februar erfolgte die Wiener Erstaufführung des Sozialdramas Rose Bernd, der Mahler in Hauptmanns Loge beiwohnte.138 Von dem gemeinsamen Erleben begeistert, öffnete ihm Hauptmann daraufhin in einem sehr gefühlvoll und respektvoll gehaltenen Brief sein Herz.139 Wie aber auf Mahler die Rose Bernd gewirkt haben mochte, lässt sich nur vermuten, doch erkannte er sicherlich die Parallelen zur Kindermörderin Gretchen in Goethes Faust sowie Hauptmanns Umformung des bürgerlichen Trauerspiels zu einem im kleinbürgerlichen Milieu angesiedelten, das in Auseinandersetzung mit den Auswirkungen des modernen Kapitalismus steht.140 Es muss allerdings offen bleiben, inwieweit Mahler die darin enthaltene Sozialkritik und psychologische Durchdringung schätzte, wiewohl er ebenso wie Hauptmann von starkem sozialem Mitgefühl für den einfachen Menschen erfüllt war – er hatte immerhin als Hofoperndirektor 1901, bei den österreichischen Reichsratswahlen, für Viktor Adler, den sozialistischen Kandidaten, den er noch vom Pernerstorfer-Kreis her kannte, gestimmt.141 Aber Hauptmann und Mahler waren nicht nur politisch gleich gesinnt, beide hatten in ihrer Jugend Siegfried Lipiner geschätzt, beide fühlten sich tief der Bildungstradition verhaftet, liebten die Natur und das 133 134 135 136 137 138 139 140

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Alma Mahler, Anm. 18, S. 86. Ebenda S. 87; Vgl. auch La Grange, Anm. 129, S. 701. Alma Mahler, Anm. 18, S. 121; Vgl. auch La Grange, Anm.136, S. 144. La Grange, Anm. 129, S. 98: Brief Mahlers an Hauptmann, Wien, nach dem 28. Februar 1904. Hauptmann, Anm. 127, S. 387. La Grange, Anm. 129, Vol. 2, S. 701. Alma Mahler, Anm.18, S. 332: Hauptmann an Mahler, [Wien, im Februar 1904]. Gunter Reiss, Gerhart Hauptmann: Rose Bernd, in: Kindlers Neues Literatur Lexikon. Studienausgabe. Hrsg. Walter Jens, Bd. 7. München 1988, S. 403b–405a. Fischer, Anm. 13, S. 422 f.

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Volkslied, waren von Mitgefühl getragen und streben nach Transzendenz.142 Hauptmann verbrachte auch den 13. Februar zusammen mit den Mahlers und besuchte tags darauf eine von Mahler eigens für ihn auf den Spielplan gesetzte und von ihm dirigierte Aufführung von Tristan und Isolde in der berühmten Rollerschen Ausstattung, die ihm einen „[m]achtvolle[n] Eindruck“143 vermittelte. Anschließend reiste er nach Italien weiter, wo er zu seiner Enttäuschung erfahren musste, dass seine Rose Bernd in Wien abgesetzt worden war.144 Der schon seit Beginn des Jahres von anhaltendem hohen Fieber geschwächte Hauptmann begab sich schließlich nach Opedaletti auf Kur, um seine Typhuserkrankung auszuheilen, und bot von hier aus, in einem Brief vom 28. Februar 1904, Mahler das Duwort an145, dem Mahler mit einem zutiefst gerührten Antwortschreiben begegnete.146 Einen Tag vor der Geburt ihrer zweiten Tochter besuchten Alma und Gustav eine Aufführung von Hauptmanns Armen Heinrich, die zumindest Alma – wohl aufgrund des hier aufgestellten erotischen Postulats – zutiefst erschütterte147, während von Mahlers Reaktion nichts bekannt ist, doch ist anzunehmen, dass er das Stück aus eben demselben Grund, der Alma so sehr aufwühlte, wohl weniger goutiert haben mag, auch wenn ihn die Distanz zwischen dem teilnahmslos lachenden Gott und dem leidenden Menschen an das biblische Buch Hiob erinnert haben mochte.148 Am 9. September benachrichtigte Hauptmann schließlich den Freund von seiner erfolgten Verehelichung mit Margarete Marschalk und seiner großen Erwartung auf Mahlers für Berlin angekündigte Symphonie149, bei der es sich um die für Februar und März 1905 anberaumten Aufführungen der Fünften Symphonie unter Arthur Nikisch gehandelt haben muss.150 Als Hauptmann im Oktober in Weimar auf Ida Dehmel traf, schwärmte er noch immer von Mahlers Tristan-Aufführung und zeigte sich im Ganzen „von der Persönlichkeit Mahlers so begeistert, dass man an Hypnose glauben konnte“.151 Etwa im Februar 1905 verfasste Mahler ein weiteres Antwortschreiben an Hauptmann, in welchem auch er ihn nun duzte, ihn seiner uneingeschränkten freund-

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Hauptmann, Anm. 127, S. 729–733. Ebenda S. 388 u. S. 728. Ebenda S. 388 f. Alma Mahler, Anm. 18, S. 332 ff.: Hauptmann an Mahler, Ospedaletti, 28. Februar 1904, hier S. 333. La Grange, Anm. 129, S. 98: Brief Mahlers an Hauptmann, Wien, nach dem 28. Februar 1904. Alma Mahler, Anm. 18, S. 89. Martina Mehring, Gerhart Hauptmann: Der arme Heinrich. Eine deutsche Sage, in: Kindlers Neues Literatur Lexikon. Studienausgabe, Hrsg. Walter Jens, Bd. 7. München 1988, S. 379a–380b. Alma Mahler, Anm. 18, S. 334: Hauptmann an Mahler, Agnetendorf, 28. September 1904. Fischer, Anm. 13, S. 596. Alma Mahler, Anm. 18, S. 117.

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schaftlichen Gefühle versicherte und bekannte, dass ihm von allen Stücken Hauptmanns das Historiendrama Florian Geyer am meisten zugesagt habe, weil es ihm ein Versuch zu sein schien, Leben durch Kunst zu reproduzieren.152 Möglicherweise war es das sich breit entfaltende historische Gemälde, das den Bauernstand, also die Vertreter des einfachen Lebens, in den Mittelpunkt rückte, was ihn so ansprach, möglicherweise aber auch, weil ihn von je her – auch im musikalischen Bereich – das Heldisch-Militärische ungemein reizte, vielleicht aber auch, weil er darin ein Lehrstück über die „deutsche Zwietracht“ erkennen konnte. Dieses Stück stammte noch aus Hauptmanns naturalistischer Zeit und hatte ursprünglich, bei seiner Uraufführung im Jahre 1896, dem Publikum sehr missfallen, erst 1904 wurde ihm erstmals öffentliche Anerkennung zuteil153, die Mahler offenbar teilte. Ende März 1905 kam Hauptmann erneut nach Wien und Mahler nahm sogar teil, als Hauptmann zum dritten Mal den Grillparzer-Preis in der Akademie der Wissenschaften erhielt154, Hauptmann wiederum besuchte zwei von Mahler dirigierte Aufführungen, die ihn beide sehr stark beeindruckten, nämlich am 25. März den Fidelio und drei Tage darauf das Rheingold, dazwischen aber dinierte er mit Mahler und Pfitzner155, während Alma fälschlich unter dem 22. März, an dem Hauptmann nachweislich noch in Berlin weilte, in ihr Tagebuch notierte: „Schöne Tage mit Hauptmann. Der und Gustav zusammen – es ist herrlich, ihnen zuzuhören!“156 Einziger Störfaktor – so Alma – sei am Abend zuvor, nach der Fidelio-Aufführung, Pfitzner gewesen, der beim gemeinsamen Treffen im Kellerrestaurant „Meissl und Schadn“ das Deutschtum als das Wesentlichste an Wagner hervorhob, während Hauptmann und Mahler einer Meinung waren, „dass je größer ein Künstler sei, er desto höher ü b e r den Nationen stehen müsse.“157 Ursprünglich hatten die Mahlers geplant, ihrerseits den ins schlesische Agnetendorf heimgekehrten Hauptmann besuchen zu wollen, verreisten aber dann doch über die Osterfeiertage nach Abazzia.158 Bald nach Ostern dankte Hauptmann brieflich für die starken Eindrücke, die er in Wien erfahren durfte159 und kehrte im Juni zu zwei weiteren Aufführungen seiner Rose Bernd nach Wien zurück, die diesmal aber nicht im Burgtheater, 152 153

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La Grange, Anm. 129, S. 99 f.: Brief Mahlers an Hauptmann, Wien, ca. Februar 1905. Arthur Scherle, Redaktion Kindlers Literatur Lexikon, Gerhart Hauptmann: Florian Geyer. Die Tragödie des Bauernkrieges in fünf Akten mit einem Vorspiel, in: Kindlers Neues Literatur Lexikon. Studienausgabe, Hrsg. Walter Jens, Bd. 7. München 1988, S. 389b–391a. Hauptmann, Anm. 127, S. 416 u. 727 f. La Grange, Anm. 129, S. 100; Vgl. auch Hauptmann, Anm. 127, S. 416 f. Alma Mahler, Anm. 18, S. 105. Ebenda. La Grange, Anm. 129, S. 101 f. Ebenda S. 102; Anm. 77.

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sondern von einer Berliner Schauspieltruppe im Deutschen Volkstheater gegeben wurde.160 Auch Mahler nahm wiederum daran teil und konnte nur mit knapper Not verhindern, dass eine negative Äußerung Rollers an die Ohren des ahnungslosen Hauptmann drang.161 Alma erkannte, dass Mahler die Freundschaft mit Gerhart Hauptmann ungemein gut tat und lud daher den Dichter wiederholt in die Auenbruggergasse ein. Als Hauptmann an seinem 1910 veröffentlichten Roman Der Narr in Christo Emanuel Quint 162 schrieb, gerieten – so Alma – Dichter und Komponist im Hotel „Erzherzog Karl“ in einen lebhaften Diskurs über Christus, bei dem Mahler „in herrlicher Erregung“ sprach und Hauptmann nur still zuhörte und anschließend Alma gestand: „Ihr Mann spricht alles klar aus, was ich chaotisch empfinde. Ich habe noch von keinem Menschen so viel gehabt wie von ihm!“163 Anfang November 1905 reiste Mahler nach Berlin164 und besuchte hier neben vielen anderen auch Hauptmann165, im November 1906 trafen beide erneut, diesmal aber in München aufeinander und Hauptmann besuchte sowohl die Probe als auch die Erstaufführung seiner Sechsten Symphonie.166 Auch im Jänner 1907 verbrachte Mahler eine turbulente Woche in Berlin und wurde gesellschaftlich herumgereicht. Fast täglich tauschte er sich in dieser Zeit gedanklich mit Max Reinhardt und Gerhart Hauptmann aus167, der seine Dritte Symphonie besuchte168 und dessen „liebe[s] Gesicht [ihm sogar] ein wenig die entsetzliche Ödigkeit [erhellte]“, in die ihn sein Zusammentreffen mit Richard Strauss versetzt hatte.169 Zweimal gestattete ihm sein voller Stundenplan sogar den Besuch eines Theaters und er sah Wedekinds Frühlingserwachen und Hauptmanns Friedensfest. Eine Familienkatastrophe in drei Akten, ein Stück, das typisch naturalistische Themen wie Erbanlagen und Milieu in einer zerfallenden Familie in den Mittelpunkt stellt, was dem Familienmenschen Mahler in der Negativität seiner Aussage nicht gefallen konnte:170 160 161 162

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Ebenda S. 102; Anm. 78. Ebenda S. 102. Valentin Herzog, Gerhart Hauptmann: Der Narr in Christo Emanuel Quint, in: Kindlers Neues Literatur Lexikon. Studienausgabe, Hrsg. Walter Jens, Bd. 7. München 1988, S. 401b–402b. Alma Mahler, Anm. 18, S. 107 f.; vgl. auch Ein Glück ohne Ruh’, Anm. 30, S. 267 f., Anm. zu Nr. 155. Alma Mahler, Anm. 18, S. 348 f.; Brief an Alma, Berlin, 7. November 1905. Ebenda S. 349 f.: Brief an Alma, Berlin, 10. November 1905, hier S. 349; Vgl. auch La Grange, Anm. 136, Vol. 3, S. 259. Gerhart Hauptmann, Tagebücher 1906 bis 1913. Mit dem Reisetagebuch Griechenland – Türkei 1907, nach Vorarbeiten von Martin Machatzke, Hrsg. Peter Sprengel, Frankfurt a. M. 1994, S. 135 u. 521, Anm. 135, S. 27. La Grange, Anm. 129, S. 553. Hauptmann, Anm. 166, S. 147 u. 528; Anm. 147, S. 27. Alma Mahler, Anm. 18, S. 376 ff.: Brief an Alma, Berlin, 13. Jänner 1907, hier S. 377. Hiltgunt Monecke, Gerhart Hauptmann: Das Friedensfest. Eine Familienkatastrophe in drei Akten, in: Kindlers Neues Literatur Lexikon. Studienausgabe. Hrsg. Walter Jens, Bd. 7. München 1988, S. 391a–392a.

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(Hauptmann war so viel daran gelegen, dass ich es sah, sonst wäre ich lieber zu Hause geblieben.) Ein schreckliches realistisches Ding. Wenn man sich für diese Art von Kunst erwärmen kann, so kommt man ja auf seine Rechnung.171

Davon hatte Hauptmann natürlich keine Ahnung, daher blieb er Mahler auch weiterhin zutiefst verbunden: als Mahler im Dezember 1907 mit dem Dampfer nach Amerika reiste, sandte er ihm liebevoll ein Grußtelegramm hinterher172, nahm aber an der triumphalen Münchner Uraufführung der Achten Symphonie nicht teil, denn das Ehepaar Hauptmann hatte im Mai seinen gemeinsamen Sohn kurz nach der Geburt verloren und auch der September des Jahres war für beide gleichfalls tief vom Sterben des großen Schauspielers Josef Kainz überschattet.173 Auch die Bekanntschaft mit dem drei Jahre jüngeren Richard Dehmel (1863 – 1920) entsprach mehr den Wünschen Almas, zumal sie selbst drei seiner Lieder, die sich vor allem durch theatralisch zelebrierte Gefühlsäußerungen auszeichneten, vertont hatte. Um die Jahrhundertwende galt Dehmel aufgrund der hohen Stillage, des grüblerischen Ernstes und der Schönheitstrunkenheit seiner Gedichte als einer der bedeutendsten lebenden Lyriker im deutschen Sprachraum, der es zudem verstand, sich selbst zum literarischen Gewissen der Zeit emporzustilisieren.174 Mahler und Dehmel hatten durchaus einiges gemeinsam: etwa ihre Naturverbundenheit oder ihre – für den Zeitgestus typische – generelle Hinwendung zum Mitmenschen, die bei Mahler aber – so man Frau Alma trauen darf – eher auf die Theorie beschränkt blieb, während sie sich bei Dehmel in sozialer Dichtung niederschlug, oder beider Ablehnung der Forderungen des Naturalismus – wobei sich aber Mahler in erster Linie gegen dessen platten Materialismus und Nihilismus wandte, während sich Dehmel mehr an der naturalistischen Kunstdoktrin einer bloßen Nachahmung der Natur stieß und die Autonomie der Kunst forderte. Es ist anzunehmen, dass Mahler Dehmels Gedicht Venus consolatrix aus der Sammlung Weib und Welt (1896), das die religiösen und sittlichen Gefühle vieler Zeitgenossen massiv verletzt hatte, wohl kaum schätzte und dass er auch Dehmels Heilsversprechungen einer schöneren Welt durch Ästhetisierung des Lebens in der Nachfolge Nietzsches nicht goutierte. Auf diese Heilsbotschaft spielte Mahler übrigens konkret in einem Brief an Alma an, in dem er betonte, dass er „nach Art der alten Philosophen (zum Unterschied von den modernen) oder beinahe wie die allerneuesten 171

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Alma Mahler, Anm. 18, S. 378 f.: Brief an Alma, Berlin, 14. Jänner 1907 u. S. 379 f., bes. 279 f.: Brief an Alma, Berlin, 15. Jänner 1907, hier S. 379. Ebenda S. 402: Telegramm Hauptmanns an Mahler, Hermsdorf, 12. Dezember 1907. Hauptmann, Anm. 166, S. 259 u. 265. Wiltrud Häntzschel, Dehmel, Richard (Fedor Leopold), in: Literatur Lexikon. Autoren und Werke der deutschen Sprache. Hrsg. Walther Killy, Bd. 3. München 1989, S. 16a–17b.

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(vom Schnitte Dehmel und Consorten) nur das Beste aus allen Dingen“175 machen werde. Andererseits verehrten sowohl Mahler wie auch Dehmel den großen trunkenen chinesischen Dichter Li-tai-pe aus der T’ang-Dynastie, denn Dehmels für die damalige Zeit maßstabsetzende Lyriksammlung Aber die Liebe (1893) enthielt unter anderem auch Umdichtungen einiger Li-tai-pe-Gedichte, die wiederum den Prosaübersetzungen von Hans Heilmann entnommen waren und die später dann, 1907, Hans Bethge, und ab 1908 auch Mahler zu ihren Umdichtungen und Umformungen inspirierten. Während aber Mahlers Trinklied vom Jammer der Erde aus dem Lied von der Erde im Refrain „Dunkel ist das Leben, ist der Tod“ mehr das Rätselhafte des Daseins betont, spricht aus der wuchtigen Dehmelschen Bearbeitung seines Chinesischen Trinklieds eindeutiger Pessimismus, wenn es heißt: „Die Stunde der Verzweiflung naht!“ Dehmel selbst dichtete – von Li-tai-pes Chinesischem Trinklied inspiriert – 1895 dann die Eigenkreation Mein Trinklied, in die er die immer wiederkehrende Zeile „Singt mir das Lied vom Tode und vom Leben“ einfügte176, die doch sehr an den Refrain „Dunkel ist das Leben, ist der Tod“ bei Hans Bethge177 und Mahler erinnert. 1895 gründete Dehmel zusammen mit Otto Bierbaum die exklusive Kunstzeitschrift Pan, die zum wichtigsten Organ des Jugendstils wurde und deren Programm darin bestand, dass die Kunst letztlich das ganze Leben gestalten sollte, was so recht eigentlich dem Dehmelschen Vitalismus entsprach, und für Sinnenfreude und die Elementarnatur stehen sollte.178 Mahler dagegen war ein Anhänger der Askese, denn jene Textstelle in seinem 1896 an Richard Batka gerichteten Brief 179, in der er „de[n] große[n] Pan“ beschwört, zeigt, dass er darunter nicht den vitalen Hirten-, Zeugungs- und Fruchtbarkeitsgott oder den Auslöser panischen Schreckens verstand, sondern den Allgott, den Gott der kosmischen Harmonie und des Universalismus.180 Später dann las ihm Alma das 1903 erschienene Werk Zwei Menschen. Ein Roman in Romanzen vor, worin Dehmel mit großem Pathos, hochdramatisch und -emotional seine Begegnung mit Ida Coblenz verarbeitete hatte, die er 1901, also kurz vor Gustavs und Almas eigener Hochzeit, nach seiner skandalumwitterten Scheidung geheiratet hatte. Es handelte sich dabei um eine Art dreigliedrigen Balladenzyklus, in dem Dehmel symbolisch verhüllt seine Weltanschauung präsentierte. Diese architektonisch konsequent gebaute 175 176 177 178

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Ein Glück ohne Ruh’, Anm. 30, S. 206, Nr. 87 (vgl. Anm. 107). Julius Bab, Richard Dehmel. Die Geschichte eines Lebens-Werkes. Leipzig 1926, S. 127 ff. Hans Bethge, Die chinesische Flöte. Leipzig: Insel Verlag 1907. Martina Adami, Der große Pan ist tot? Studien zur Pan-Rezeption in der Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts. Innsbruck 2000 (Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft: Germanistische Reihe 61). S. 38–41. Vgl. dazu den Text zu Anm. 62; Mahler, Anm. 1, 202 f., Nr. 195: Brief an Richard Batka, 18. Februar 1896. Adami, Anm. 178, S. 9–28. – Floros, Anm. 44, S. 71.

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lyrische Komposition beruht auf Zahlentektonik: sie besteht aus drei „Umkreisen“ – „Die Erkenntnis“, „Die Seligkeit“ und „Die Klarheit“ –, die in 36 Romanzen mit je 36 Versen strophisch streng gegliedert sind.181 Anlässlich einer Vortragsreise im Jahre 1904182 kam der für seine theatralische Vortragskunst bereits berühmt gewordene Dehmel mitsamt seiner zweiten Frau auch nach Wien, zu einer Dichterlesung im 1903 gegründeten Ansorge-Verein, dessen Schwerpunkt auf den Beziehungen zwischen Musik und neuerer Berliner Literatur, hauptsächlich aus dem Pan-Kreis lag, wobei Dehmels Vortrag von Vertonungen seiner Lyrik eingerahmt war.183 Mahler, dem an derlei Lyrik nicht sehr gelegen war, aber Alma eine Freude bereiten wollte, besuchte mit ihr diese Veranstaltung.184 Dehmel kannte Mahler allerdings schon von einer früheren, vermutlich in Hamburg erfolgten Begegnung im Jahre 1887 oder 1898. Er hatte ihm damals einen Band seiner Gedichte zugesandt, deren Empfang Mahler sehr höflich quittierte, nicht aber vergaß, auf seine lektürefeindliche Arbeitsüberlastung als Hindernisgrund für etwaige Vertonungen hinzuweisen.185 Und auch „Frau Isi“ war bereits seit längerem eine überzeugte Mahler-Bewunderin. Während dieses Wienaufenthaltes im Frühjahr 1904 kam ein persönlicher Kontakt zwischen beiden Paaren zustande: man traf sich in der Auenbruggergasse zum Essen und nach einem Berlioz-Konzert waren die Dehmels mit den Molls und einigen eng befreundeten Künstlern bei Mahlers zum Abendessen geladen, wobei es auch zu einer grundlegenden Meinungsverschiedenheit der beiden Männer über Wagner kam.186 Ida Dehmel hielt diese Begegnung in ihrem Tagebuch fest und überließ diesen Teil später der verwitweten Alma „zur Benutzung“.187 Aus diesen Aufzeichnungen geht neben anderem hervor, dass Mahler, der im März 1905 in Hamburg dirigiert hatte, dort erneut das Ehepaar Dehmel traf und schließlich gemeinsam mit Ida – während ihr Gatte sich in Halle aufhielt188 – nach Berlin reiste, und dass Mahler und Dehmel über die von dem Kunsthistoriker und Schriftsteller Julius Meier-Graefe aufgestellte „Rundfrage ad ‚natio181

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Harry Slochower, Richard Dehmel. Der Mensch und der Denker. Eine Biographie eines Geistes im Spiegelbild der Zeit. Dresden 1928, S. 190. Ebenda S. 215. Horst Weber, Zemlinsky in Wien, 1871–1911, in: Archiv für Musikwissenschaft 28/2 (1971), S. 77–96, hier S. 87 f. La Grange, Anm. 129, S. 96 f.; Anm. 57. Ebenda, vol. 2, S. 97 u. Anm. 60. Ebenda, vol. 2, S. 96 f., Anm. 57. Alma Mahler, Anm. 18, S. 115–122, hier S. 115. Nach dem Tod Dehmels engagierte sich Ida als Mäzenin und Organisatorin der 1926 gegründeten GEDOK, der Gemeinschaft Deutscher und Österreichischer Künstlerinnenvereine, und fand dabei in Wien auch Unterstützung von Alma Mahler; Vgl. Matthias Wegner, „Aber die Liebe.“ Der Lebenstraum der Ida Dehmel. München 2000, S. 356 f. Ein Glück ohne Ruh’, Anm. 30, S. 242, Anm. zu Nr. 131.

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nale Phrase’“189 einer Meinung waren.190 Meier-Graefe hatte nämlich zum „Kampf gegen das ‚Teutschtum’“191 in der Kunst und Kunstkritik aufgerufen und damit eine große Kontroverse in Laien- und Kritikerkreisen ausgelöst. Mahler beispielsweise lehnte – wie übrigens auch andere jüdische Künstler – ab, öffentlich zu dieser Frage Stellung zu beziehen, weil er als Jude nicht in eigener Sache sprechen konnte192, Gerhart Hauptmann dagegen „drückte“ sich davor, Farbe zu bekennen und gegen einen rassistisch begründeten Nationalismus in der Kunst aufzutreten.193 Doch die Freundschaft zwischen den Dehmels und Mahlers währte nicht sehr lange: Dehmel hatte für Oktober 1905 einen neuerlichen Wienbesuch geplant und Mahler zuvor brieflich die von ihm verfasste Pantomime Fitzebutze mit eingelegten Liedern, vertont von Hermann Zilcher (1881–1948) zur Aufführung ans Herz gelegt, doch Mahler lehnte ab und das geplante Essen in der Auerbruggergasse, zu dem Dehmel und Frau Isi eingeladen waren, kam nicht zustande, so dass schließlich die Dehmels Wien wieder verließen, ohne die Mahlers wiedergesehen zu haben.194 Das große Vorbild des Symbolismus war damals für viele Zeitgenossen Graf Maurice Polydore Marie Bernard Maeterlinck (1862–1949), der spätere LiteraturNobelpreisträger von 1911. Es steht zu vermuten, dass Mahler das Märchendrama Pelleás et Melisande (1892) über die Opernvertonung von Claude Debussy, den er persönlich kannte und von dem er einige Orchesterstücke dirigiert hatte195, aus dem Jahre 1902 bekannt war, er dürfte es aber – trotz des nicht nur hier verwendeten märchenhaft-romantischen Sujets – aufgrund seines pessimistisch-fatalistischen Inhalts abgelehnt haben. Maeterlinck verfasste aber nicht nur symbolistische Bühnentexte voll stimmungsvoller Atmosphäre rund um marionettenhafte, bedeutungsschwer schweigende Figuren, sondern dichtete auch traumhaft zarte symbolistische Lyrik, während er sich als philosophischer Essayist in äußerst dichterischer Sprache über das von dunklen Mächten bedrohte Dasein erging.196 Angeregt durch Hermann Bahr wurde er besonders im Kreis von Jung-Wien ungemein geschätzt und viel gelesen. Natürlich hatte auch Alma als junges Mädchen um die Jahrhundertwende voll Enthusiasmus all jene 189 190 191

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Alma Mahler, Anm. 18, S. 117 f. Ebenda S. 115–119. Julius Meier-Graefe, Kunst ist nicht für Kunstgeschichte da. Briefe und Dokumente, hrsg. u. komm. von Catherine Krahmer u. Mitw. von Ingrid Grüninger. Göttingen 22002, S. 48 f., Nr. 29: Brief an Harry Graf Kessler, Berlin 15. Juli 1905. Ebenda, S. 119 f., Nr. 81: Richard Dehmel an Gerhart Hauptmann, Pankow 21. März 1905, hier S. 119. Ebenda S. 120, Nr. 82: Richard Dehmel an Meier-Graefe, Blankenese, 25. Mai 1905, hier S. 120. La Grange, Anm. 129, S. 136 f. u. Anm. 173; Vgl. auch Julius Bab, Anm. 176, S. 282 f. Fischer, Anm. 13, S. 765 ff. Wilpert, Anm. 87, S. 1120ab.

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Autoren gelesen, die damals als modern galten, so etwa auch Maeterlinck, aber natürlich auch Nietzsche, Dehmel, Bierbaum, Rilke, Stendhal und Gorki.197 Nach jenem gemeinsamen Spaziergang, an dem Mahler ihr seinen Heiratsantrag gemacht hatte, forderte sie ihn brieflich auf, Maeterlincks Essay Das Schweigen zu lesen, weil sie sich bei ihrem „ersten gemeinsamen Gang heftig daran erinnert“198 habe, und zwar wahrscheinlich an jene Stelle, die von der Liebe handelt: Bestimmt nicht das Schweigen den Duft der Liebe und hält ihn gebannt? Wenn die Liebe des Schweigens beraubt wäre, hätte sie keinen ewigen Geschmack und Duft. Wer von uns kennt nicht jene stummen Augenblicke, wo die Lippen sich trennen und die Seelen sich vereinen? Sie sollte man immer und immer wieder aufsuchen. Es gibt kein beredteres Schweigen als das Schweigen der Liebe: es ist wirklich das einzige, das uns allein gehört.199

In seinem berühmten langen Brief, in dem Mahler sich darüber verbreitete, wie er sich sein zukünftiges Zusammenleben mit Alma vorstellte, warf er ihr allerdings unter anderem diese ihre Lektüre vor, indem er deren – in seinen Augen – negative Seiten hervorhob, wie etwa das „Kapitel über die Weiber von Schopenhauer – die ganz verlogene und schlimm-freche Herrenunmoral Nietzsches – de[n] fuselhaft trübe[n] Gedankendusel Maeterlincks, die Wirtshauslaune Bierbaums und Genossen etc. etc.“200 Doch Alma ließ sich von ihren „thönernen Hausgötzen“201 Nietzsche und Maeterlinck – wie Mahler sie apostrophierte – offenbar nicht abbringen, und so schickte er ihr 1903 einen Ausschnitt aus dem Berliner Tagblatt, einen Artikel des von ihm hochgeschätzten Physikers und Physiologen Hermann von Helmholtz enthaltend, mit folgendem eindeutig abwertendem Kommentar: Man kann mit wenigen Worten nicht mehr und Treffenderes über den ganzen Quark und alles, was damit zusammenhängt, (Maeterlingk [sic] etc.) sagen, als hier geschieht. – dieses dumme Volk – alle miteinander – sucht nach den Dingen („deren es zwischen Himmel und Erde mehr giebt als“ etc.) als ob sie Läuse suchen würden. – Ein schönes Wort ist auch „Occultismus“, das sie dafür gefunden haben. […] Plattköpfe, ganz verdrehte! Ich bin sicher, dass sie Alle Nietzsche zum Frühstück und Materlink [sic] zum Nachtmahl herunterfressen, und nicht ein vernünftiges Wort sonst – von wem immer, gelesen haben.202 197 198 199

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Ein Glück ohne Ruh’, Anm. 30, S. 44. Ebenda S. 64–70, Nr. 3: Brief Almas an Gustav, Wien, 29. N[ovember 1901], hier S. 66. Maurice Maeterlinck, Das Schweigen, in: ders., Der Schatz der Armen. Autorisierte Ausgabe in das Deutsche übertragen von Friedrich v. Oppeln-Bronikowski, mit Schmuckleisten und Initialen von Wilh[elm] MüllerSchoenfeld. 2. verb. Aufl. Leipzig: Eugen Diederichs 1902, S. [1]–[11], hier S. [11]. Ein Glück ohne Ruh’, Anm. 30, S. 106, Nr. 14 (vgl. Anm. 58). Ebenda S. 70 f., Nr. 4: Brief an Alma [Wien, 3. Dezember 1901], hier S. 70; „thönerne Götzen“: S. 71, Nr. 5: Brief an Alma [Wien, 5. Dezember 1901], hier S. 72. Ebenda S. 146 f., Nr. 30: Brief an Alma, [Lemberg, 1. April 1903], hier S. 146 u. Anm. auf S. 147.

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Auch Otto Julius Bierbaum (1865–1910) zählte zu den am häufigsten gelesenen Lyrikern der Jahrhundertwende; seine Lyriksammlung Irrgarten der Liebe erreichte eine Auflage von 100.000 Exemplaren und wurde von etlichen bedeutenden Komponisten der Zeit als Textvorlage benutzt, wie etwa von Max Reger, Richard Strauss, aber auch Alma und ihrem Kompositionslehrer Alexander Zemlinsky. Bierbaums leichte, heiterverspielte, schönheitstrunkene, teils etwas süßliche impressionistische Lyrik war mit vergangenen Stilformen des Minnesangs, der Anakreontik, des Rokokos und des Volksliedes anreichert, was ihn aber als äußerst vielseitigen Dichter durchaus nicht hinderte, auch Derb-Komisches und Humorvoll-Sentimentales zu schreiben, während er als Literaturkritiker an zahlreichen Literaturzeitschriften beteiligt war, wie etwa auch am Pan. Mahler allerdings reduzierte Alma gegenüber Bierbaums Art des Dichtens auf den Begriff „Wirtshauslaune“203, nicht nur Bierbaums Name, auch seine Herkunft – sein Vater hatte zeitweise eine Studentenkneipe geführt –, das Lieblingslokal des Berliner Kreises und der Entstehungsort des Pan, die Türckesche Weinhandlung, genannt Zum schwarzen Ferkel 204, sein Leben als Bohemien und sein Alkoholismus mögen ihn dazu inspiriert haben, es ist aber auch möglich, dass Mahler seinen damals berüchtigten humorig-schnoddrigen Bohemienroman Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive (1897) kannte, der als eine Art Schlüssel- und negativer Bildungsroman sowohl alkoholische wie auch erotische Exzesse, das Literatenleben und das Kabarett zum Thema hatte205, alles von Bierbaum vollmundig beschriebene Facetten aus seinem eigenen Leben, die Mahler von ihrer ganzen Aussage her grundsätzlich nicht gefallen konnten. Unter Bierbaums „Genossen“ dürfte Mahler somit wohl den Berliner Kreis, der sich in der Kneipe Zum Schwarzen Ferkel traf, verstanden haben, also Dehmel, Detlev von Liliencron, Frank Wedekind, August Strindberg, Stanislaus Przybyzewski mit Dagny Juel und viele andere mehr. Frank Wedekind (1864–1918) etwa trieb sich gleichfalls im Schwarzen Ferkel herum und zeugte mit Strindbergs Frau Frida sogar einen Sohn.206 Sein erstes bedeutendes Bühnenwerk, Frühlingserwachen. Eine Kindertragödie (1891), konnte aufgrund der Zensurbehörde erst fünfzehn Jahre später, 1906, in den Kammerspielen in Berlin uraufgeführt werden und verblüffte in seiner Neuartigkeit sogar Mahler, der von der Vorstellung tief beeindruckt an Alma berichtete: 203 204

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Vgl. Anm. 200. Karin Bruns, Das Schwarze Ferkel [Berlin], in: Handbuch literarisch-kultureller Vereine, Gruppen und Bünde 1825–1933. Hrsg. Wulf Wülfing, Karin Bruns u. Wolf Parr. Stuttgart–Weimar 1998 (Repertorien zur deutschen Literaturgeschichte 18). S. 406b–416a. Michael Schmidt, Otto Julius Bierbaum: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive, in: Kindlers Neues Literatur Lexikon. Studienausgabe. Hrsg. Walter Jens, Bd. 2. München 1988, S. 669ab. Hartmut Vinçon, Frank Wedekind. Stuttgart 1987 (SM 230), S. 47 u. 52.

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Das Stück ist sein Opus I und schon 15 Jahre alt! Du, ich war paff! Riesig stark und begabt und voller Poesie! Welch ein Schaden! Was hätte aus dem werden müssen?! In welche Gesellschaft ist der gerathen – und was ist mit ihm passiert?207

Als er zwei Tage danach Frank Wedekind durch Vermittlung Max Reinhardts persönlich kennenlernte, war er in „sehr aufgezogen[er]“208 Stimmung und durchaus von seinem Gegenüber angetan, doch das änderte nichts daran, dass Wedekinds spätere, stark grotesk überzeichnete und aufgrund ihres leiblichen Schönheitskults und Begierdenpostulats dekadentere Werke, wie etwa Die Büchse der Pandora (1904), die den zweiten Teil seines Lulu-Zyklus darstellt, gänzlich Mahlers strengen moralischen Vorstellungen hinsichtlich der Unberührbarkeit der Frau widersprachen. Hermann Bahr (1863–1934) zeichnete sich als führender Vertreter von Jung-Wien durch eine fast seismographische Empfänglichkeit für alles Moderne und Mondäne aus und nahm damit oft zukünftige Entwicklungen vorweg. Selbst ein ungemein wandlungsfähiger Künstler, propagierte er nach und nach die unterschiedlichsten literarischen Richtungen und experimentierte in allen Stilarten – vom Naturalismus über die Dekadenzdichtung, die Neuromantik und den Impressionismus bis hin zum Expressionismus – um zuletzt im katholischen und monarchistischen österreichischen Lager seine kulturelle Heimat zu finden.209 Zunächst jedoch feierte er noch – unter dem Einfluss der Pariser Bohème stehend – die Überwindung des Naturalismus. Ab der Jahrhundertwende definierte er als Literatur- und Kunstkritiker nach und nach alle neuen Stilrichtungen und verbreitete so etwa auch die Kenntnis von Maeterlincks Ideen im deutschen Sprachraum.210 Er erkannte aber auch das Neue an Mahlers Musik, von der er meinte, sie trage „unsere ganze Welt in sich“, denn an der Fünften erschütterte ihn das „in der Heiterkeit fortwährende, ja sie noch steigernde Wissen um dieses ‚Trotzdem’“.211 Als Journalist verfügte er über eine überaus feine Wahrnehmung für allerlei unterschwellige Ressentiments. 1906 hielt er etwa fest: „Und es wird wieder gegen Mahler gehetzt, gehetzt, gehetzt! Warum hassen sie ihn so?“212 In seinem Anfang 1907 erschienenen Buch Wien kritisierte er schonungslos die Wiener Kulturszene und nannte dabei auch Mahler als prominentes Opfer, dessen Position als Hofoperndirektor 207 208 209 210 211 212

Alma Mahler, Anm. 18, S. 377 (vgl. Anm. 171). Ebenda S. 379 (vgl. Anm. 171). Wilpert, Anm. 43, S. 32ab. Reinhard Farkas, Hermann Bahr. Dynamik und Dilemma der Moderne. Wien–Köln 1989, S. 42 u. 80. Hermann Bahr, Tagebuch. Berlin 1909, S. 59: Notiz zum 4. September 1905. Gustav Mahler. Leben und Werk in Zeugnissen der Zeit, ges. v. Herta Blaukopf u. Kurt Blaukopf. Mit Beiträgen von Zoltan Roman. Überarb. u. erw. Fassung. Stuttgart 1994, S. 184; Bahr, Anm. 211, S. 99: Notiz zum 14. Jänner 1906.

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damals bereits heftig durch Intrigen erschüttert war.213 Noch im Mai 1907 unterzeichnete er zusammen mit vielen anderen Wiener Künstlern eine Adresse an Mahler, doch die darin enthaltene Bitte zu bleiben konnte Mahlers Demission nicht aufhalten.214 In der Art, wie Gustav Mahler Richard Wagners Werk an der Wiener Hofoper präsentierte, glaubte er so recht eigentlich die gesellschaftliche Umgestaltung seiner Zeit erkennen zu können. Für ihn war Mahlers Tätigkeit „die größte Zeit der Wiener Oper […], ein ganz einziger Versuch, einmal ein Theater rein künstlerisch zu leiten.“215 Während Bahr als großer Musikliebhaber Proben und Aufführungen von und mit Mahler begeistert besuchte216 und öffentlich immer wieder für ihn eintrat217, war Mahler seinerseits keineswegs sonderlich von der Bekanntschaft mit Bahr erbaut: Er fühlte sich in seiner Gegenwart nicht wohl und verbreitete aus diesem Grund – so Alma – „eine Atmosphäre um sich, ‚als läge eine Leiche unter dem Tisch’“.218 Dabei hatte sich Bahr unter den geladenen Gästen bei der ersten Begegnung Mahlers mit Alma befunden und war somit Augenzeuge des Beginns ihrer Liebe gewesen.219 Bahr war – wie später auch Arthur Schnitzler – ein begeisterter Mahlerianer: Im Jahre 1904 hatte er in Bayreuth die bekannte Wagnersängerin Anna Mildenburg kennengelernt und über sie Zutritt zu Mahlers Privatloge erhalten, von wo aus er bequem etliche der legendären Mahlerschen Wagneraufführungen mit den Rollerschen Bühnenbildern verfolgen konnte. Völlig hingerissen war der dazumal noch mit Rosa Jakl verheiratete Bahr von den ungemein ausdrucksstarken Auftritten Anna Mildenburgs in ihren Glanzrollen;220 das derart sich entspinnendes Verhältnis mündete schließlich 1909 in ihrer Verehelichung. Damit hatte Bahr nun allerdings etwas erreicht, das ihn noch enger mit seinem Idol Mahler verband, denn dieser war in seiner Hamburger Stadttheater-Zeit von 1895 bis 1897 mit Anna, die er 1898 nach Wien holte, durch ein Liebesverhältnis verbunden gewesen.221 Wohl auch aus diesem Grund war Mahler jegliche Begegnung mit den Bahrs äußerst unangenehm und er versuchte sie nach Möglichkeit zu vermeiden: Einmal musste er mit den beiden bis Wiener Neustadt im selben Zugsabteil rei-

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Hermann Bahr, Wien. (Städte und Landschaften 6). Stuttgart 1906, S. 78; Vgl. auch Fischer, Anm. 13, S. 417 ff. Fischer, Anm. 13, S. 659. Bahr, Anm. 211, S. 247: Notiz zum 20. Oktober 1908. Hermann Bahr, Prophet der Moderne. Tagebücher 1888–1904, ausgew. u. komment. von Reinhard Farkas. Wien–Graz–Köln 1987, S. 205 f. u. 208. Fischer, Anm. 13, S. 628. Alma Mahler, Anm. 18, S. 85. Fischer, Anm. 13, S. 440. Bahr, Anm. 216, S. 207 u. 209. Fischer, Anm. 13, S. 262.

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sen, was er als „nicht erfreulich“222 bezeichnete, und kurz vor Bahrs Eheschließung schrieb er an Alma, dass er sie nur dann von Toblach abzuholen gedenke, „wenn nicht Bahr u. die Mildenburg dort sind, an denen ich nicht leicht vorbeigehen könnte.“223 1909 besuchte der Grazer Musikkritiker Ernst Decsey Mahler in Toblach und entdeckte unter den vielen Büchern, die in Mahlers Arbeitszimmer in Stapeln herumlagen, auch Bahrs Tagebuch. Decsey las Mahler daraus vor „und er freute sich, dass Bahr seiner sympathisch gedachte, obwohl er ihn nur flüchtig kenne.“ Als aber Decsey ihm erzählte, dass Bahr vorhabe, Mahler in einem Werk als Romanfigur zu verwenden, wurde er ängstlich.224 Auch seine 1910 an Alma gerichtete Bemerkung über Bahr zeugt von seiner ungebrochenen Geringschätzung: „Aber dass Bahr mir etwas erklären kann, finde ich drollig. Das erinnert schon wirklich an die Pythia – ein dummes Weib, welches von Dämpfen betäubt, Unsinn schwatzt, den die Weisen zu goldenen Lehren umdeuten.“225 Trotzdem war der unbeirrt getreue Bahr mit seiner Gattin bei der Uraufführung von Mahlers Achter Symphonie in München anwesend226 und gab dem verehrten Meister schließlich auch bei seinem Begräbnis die letzte Ehre.227 Hugo von Hofmannsthals (1874–1929) erlesenes Frühwerk besteht aus Lyrik und Kurzdramen voll verfeinerter formaler und melodischer Wortkunst, dekadentem Todeswissen, Zivilisationsmüdigkeit und verklärter Schwermut. Er war zunächst vom Symbolismus beeinflusst, erlebte aber um 1900 eine Krise, aus der er zu einem ethisch engagiertem Neuansatz fand.228 Mahler machte um diese Zeit noch einen ungemein positiven Eindruck auf ihn, denn er äußerte etwa der Sängerin Selma Kurz gegenüber, dass „eine Stunde mit einem Menschen wie Mahler […] mehr Gewalt über [s]ie zum Guten [habe], als die vielen andern Stunden mit schlechten Leuten an [ihr] verderben können“.229 Wiewohl aber Hofmannsthal und Mahler beide in Wien lebten, sprachen sie einander dennoch nur ein einziges Mal, wie Hofmannsthal anlässlich von Mahlers Begräbnis, dem er beiwohnte, brieflich festhielt.230 Tatsächlich war es aber auch noch ein zweites Mal, am 10. Februar 1904, gemeinsam mit Gerhart Hauptmann zu einer weiteren Begegnung gekommen, bei der die beiden aber offensichtlich nicht miteinan222 223 224 225 226 227 228 229

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Ein Glück ohne Ruh’, Anm. 30, S. 322 f., Nr. 208: Brief an Alma, [Schneeberg, 29. Juni 1907], hier S. 322. Ebenda, S. 384 f., Nr. 273: Brief an Alma, [Toblach, 18.(?) Juni 1909], hier S. 385. Decsey, Anm. 63, S. 355 u. 353, zitiert nach: Blaukopf, Anm. 2, S. 113 u. Anm. 70 f. Ein Glück ohne Ruh’, Anm. 30, S. 454, Nr. 341: Brief an Alma, München, 3. September 1910. Fischer, Anm. 13, S. 812. Ebenda S. 850. Wilpert, Anm. 43, S. 286b–287b. Hugo von Hofmannsthal, Brief-Chronik. Regest-Ausgabe, Bd. 1: 1874 –1911. Hrsg. Martin. E. Schmid. Heidelberg 2003, Sp. 617: Brief an Selma Kurz vom 7. April 1900. Ebenda Sp. 1375: Brief an Ottonie Degenfeld vom 26. Mai 1911.

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der sprachen.231 Alma berichtet in ihrem Tagebuch, dass bei ihrem ersten Gespräch mit Mahler vom „Übergreifen der Kunstgattungen in der Decadence-Zeit“ und von der „Existenzberechtigung der Ballettform“ die Rede war und dass sie ihn in diesem Zusammenhang fragte, warum er das von Alexander Zemlinsky vertonte Ballett Das gläserne Herz, dessen Libretto von Hugo von Hofmannsthal stammte, nicht aufführe, worauf Mahler antwortete, weil er es nicht verstehe. Alma erklärte sich bereit, ihm Inhalt und Sinn des Balletts erklären zu wollen, wenn er ihr im Gegenzug den Sinn von Die Braut von Korea, einem damals sehr beliebten, aber überaus verworrenen Ballett von Josef Hassreiter, dessen Libretto von dem schlesischen Bühnenschriftsteller Hermann Heinrich Regel232 stammte, erläutern wolle – eine Antwort, die Mahler sehr amüsierte.233 Hofmannsthal hatte das Libretto für das Ballett Das gläserne Herz, das ursprünglich Der Triumph der Zeit hieß, im Frühjahr 1900 in Angriff genommen. Es war dreiteilig und voll Symbolik des Jugendstils, bezog sich hauptsächlich auf Petrarcas allegorische Dichtung Trionfi und war von Maeterlinck und Goethe inspiriert, aber auch von Werken aus anderen Kunstsparten, wie etwa der bildenden Kunst. 1901 kam es zu einem Treffen zwischen Hofmannsthal und Mahler, der sich aber von der Notwendigkeit einer Aufführung nicht überzeugen ließ, wiewohl sich Hofmannsthal sehr darum bemühte und schließlich sogar versuchte, Alfred Roller einzuspannen, indem er ihn bat, Mahler sein Ballett, das unterdessen 1901 in der Zeitschrift Insel erschienen war, zu empfehlen.234 Hofmannsthal hatte in seinem Ballett ganz bewusst auf „die alte Form des Triumphzuges“ zurückgegriffen, weil – wie er an Alfred Roller schrieb – die Form des Balletts „so herabgekommen“235 sei und zudem „der große Übelstand im Weg [stehe], dass Direktor Mahler sich für die ganze Sache ‚Ballett‘ ausgesprochen n i c h t interessier[e], […] ihm der ganze Begriff eher zuwider [sei], und […] die Routiniers des Hauses (Hassreiter und dgl.) natürlich lieber immer ihre eigenen scheußlichen Ballette […] empfehlen werden“.236 Aber vergebens – Mahler warf Hofmannsthal vor, dass er „nicht gestaltet, sondern [s]ich mit Allgemeinheiten begnügt“, also „nicht individualisiert“237 habe: „Es hat ihm an dem Ganzen offenbar 231 232

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Ebenda Sp. 833. Ingrid Bigler, Regel, (Heinrich) Hermann, in: Deutsches Literatur Lexikon. Biographisch-bibliographisches Handbuch, Hrsg. Heinz Rupp und Carl Ludwig Lang, Bd. 12. 3. völlig neu hrsg. Aufl. Stuttgart 1990, Sp.725. Ein Glück ohne Ruh’, Anm. 30, S. 51 f. Hugo von Hofmannthal, Sämtliche Werke. Kritische Ausgabe, Bd. 27: Ballette, Pantomimen, Filmszenarien, Hrsg. Gisela Bärbel Schmid und Klaus-Dieter Krabiel, Frankfurt a. M. 2006, S. 266 f. Ebenda S. 309, Zeile 8 u. 5 ff.: Brief an Alfred Roller vom 14. März 1904. Ebenda Zeile 11–16. Ebenda S. 302, Zeile 16 u. 19: Brief an Alexander Zemlinsky vom 18. September 1901.

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nichts gefallen, weder die pantomimischen noch die mehr dekorativen Teile“, so dass Hofmannsthal befürchtete, dass Mahler „gerade das fehl[e], worauf es hier ankommt: Nämlich die Phantasie des Auges. Er denkt von der ganzen Kunstgattung schlecht und sagte […] rundweg: wie etwas aussähe, was man mit Beleuchtungen etc. anfinge, ‚das wäre alles nichts’“.238 Schließlich resignierte er gekränkt. Mahlers Vorbehalte gegenüber Hofmannsthals Dichtungen hielten offensichtlich an, denn 1906 stellte Mahler Richard Strauss’ Vertonung der Hofmannsthalschen Elektra mit einem ironisch travestiertem Zitat aus Lortzings Zar und Zimmermann: „O selig, o selig, modern zu sein!“ sein eigenes „antiquiertes Dasein“ und seine eigene Beschäftigung mit „veraltetem Kram“239 gegenüber, und bei der Premiere der Elektra im Manhattan Opera House missfiel ihm – laut Alma – die Aufführung so sehr, „dass er mittendrin weggehen wollte.“240 Hofmannsthal dagegen, der zunächst durch Mahlers Tod sehr traurig und nachdenklich gestimmt war241, nahm später dann eine ungemein kritische Haltung ein, wie aus einem Brief an Rudolf von Pannwitz aus dem Jahre 1919 hervorgeht, wo er meinte, dass für ihn Strauss und Mahler „unlöslich zusammen[gehörten]“ und dass sie einander darin „furchtbar ähnlich“ wären, dass sie „zwei brüchige prekäre Talente“ seien. Mahlers Dritte und Achte Symphonie empfand er als „gequälte Tuerei“, um zuletzt zusammenzufassen: „Mahler steht überhaupt unter der Stufe, wo man ein Handwerk hat, er steht im Ernst gesprochen, eigentlich nirgends!“242 Richard Strauss gegenüber bezeichnete er später allerdings nur Mahlers Künstlertum als brüchig: „irgendwie weiß ich auf barbarische Weise doch, was los ist, bin offen für das Kreative und war immer verschlossen, auch mitten unter Eiferern und Lobrednern, für das Brüchige, Hybride, mehr Ersehnte als Erschaffene der G. Mahlerschen Musik, beispielsweise.“243 Ab 1923 trat Hofmannsthal übrigens mit Alma und Franz Werfel in näheren Kontakt und war von deren angenehmer Gesellschaft überaus angetan.244 Einen Autor, den Mahler dagegen sehr schätzte, war der um fünf Jahre jüngere russische Mitbegründer und bedeutende Vertreter des russischen Symbolismus, der Lyriker, Romancier und Novellist Dimitri Sergejewitsch Mereschkowski (1865– 238 239 240 241 242

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Ebenda Zeile 7–12; vgl. auch Hofmannsthal, Anm. 229, Sp. 690. Ein Glück ohne Ruh’, Anm. 30, S. 282 f., Nr. 173: Brief an Alma, Salzburg, [16. August] 1906, hier S. 282. Alma Mahler, Anm. 18, S. 211. Vgl. auch Hofmannsthal, Anm. 229, Sp. 1375: Brief an Ottonie Degenfeld vom 26. Mai 1911. Hugo von Hofmannsthal, Rudolf Pannwitz, Briefwechsel 1907–1926, Hrsg. Gerhard Schuster, m. einem Essay von Erwin Jaeckle. Frankfurt a. M. 1993, S. 457: Brief an Rudolf Pannwitz, Rodaun, 6. Dezember 1919; vgl. auch Hugo von Hofmannsthal, Anm. 229, Bd. 2: 1912–1929. Hrsg. Martin. E. Schmid, Heidelberg 2003, Sp. 2128. Richard Strauss, Hugo von Hofmannsthal, Briefwechsel. Hrsg. Willi Schuh. 5. erg. Aufl. Zürich–Freiburg i. Br. 1978, S. 650: Brief an Richard Strauss, Rodaun, 26. Juli 1928. Vgl. Hofmannsthal, Anm. 229, Sp. 2427, 2432, 2397, 2712, 2796.

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1940).245 Sein biographischer Roman über Leonardo da Vinci. Die Wiedergeburt der Götter (1901) war neben Julian Apostata (1896) und Peter und Aleksej (1905) der mittlere Teil der geschichtsphilosophischen Trilogie Christ und Antichrist und wurde schon bald nach seinem Erscheinen in viele Sprachen und 1903 auch ins Deutsche übersetzt, wo er gleichfalls hohe Auflagen erzielte.246 Mahler sprachen bei Mereschkowski wohl hauptsächlich seine Beschäftigung mit religiösen und philosophischen Themen einerseits, seine antithetische Darstellungsweise von hellenistischem Heidentum und asketischem Christentum andererseits sowie generell seine Auseinandersetzung mit dem Christentum und der Askese an, alles Momente, die sich wie rote Fäden auch durch sein Werk und Leben hindurchzogen. Mereschkowski lehnte in seiner christlich fundierten Kulturkritik den von der Verstandeskultur der Aufklärung geprägten Westen ab und schwärmte vom Osten, indem er sich auf mystische Traditionen der ägyptischen Antike sowie auf das Alte Testament bezog, eine Tradition, die auch Mahler zutiefst vertraut war. Aus diesem Grund vertrat Mereschkowski in seinem Essay Dostojewski und Tolstoi als Menschen und Künstler (1903) auch die Ansicht, dass Dostojewski ein Vertreter des seelenvollen Ostens und Tolstoj ein Vertreter des aufgeklärten intellektuellen Westens sei, eine Meinung, der sich auch Mahler anschloss.247 Ob Mahler 1907 allerdings ein Buch aus der Trilogie Christ und Antichrist oder den Essay Tolstoi und Dostojewski gelesen hatte, als er Alma begeistert schrieb: „Das Buch von Mereschofsky [sic] ist herrlich – sehr originell“ und Alma empfahl: „Den Mereschowski mußt du gleich lesen. Das gehört zum Allerbesten, was ich kenne, und ist eines von jenen Büchern, die ich noch einmal lesen werde“248, lässt sich nicht mehr feststellen. Hans Bethge (1876–1946) war sechzehn Jahre jünger als Mahler, gehörte also bereits fast der nächsten Generation an, was Mahler aber nicht hinderte, von seinen Nachdichtungen chinesischer Lyrik aus der T’ang-Zeit überaus angetan zu sein. Er hatte – so die zeitlich etwas ungenauen Erinnerungen Almas249 – das 1907 erschienene Bändchen Die chinesische Flöte 250 von Theobald Pollak als Geschenk erhalten und sich für eine spätere Vertonung angemerkt. Als ihn der Schicksalsschlag in Gestalt des Todes seiner Tochter Maria und seiner konstatierten Herzkrankheit traf, griff er erneut danach, aber nicht, weil dessen Inhalt ihn so traurig gestimmt hätte, sondern weil er darin

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Wilpert, Anm. 87, S. 1190ab. Wilfried Schäfer, Dmitrij Sergeevi Meresžkovskij,: Leonardo da Vinci. Voskresšie bogi, in: Kindlers Neues Literatur Lexikon. Studienausgabe. Hrsg. Walter Jens. Bd. 11. München 1988, S. 586b–569a. Fischer, Anm. 13, S. 167. Ein Glück ohne Ruh’, Anm. 30, S. 322, Nr. 208 (vgl. Anm. 222) und Anm. S. 323. Alma Mahler, Anm. 18, S. 156. Bethge, Anm. 177.

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seine innersten Gefühle angesprochen fühlte.251 Die chinesische Flöte wurde für Mahler zum Ausgangspunkt zunächst für eine Gruppe von symphonischen Liedern, die er dann später unter dem Titel Das Lied von der Erde zusammenfasste.252 Mahler stand aber mit seiner Vorliebe für Bethges beinahe schon als „Chinoiserien“ zu bezeichnenden Nachdichtungen durchaus nicht alleine: sie sprachen ein zahlreiches Publikum an und vermittelten diesem – ähnlich wie Goethe, Rückert oder Hermann Hesse – die Weisheit und Schönheit der orientalischen Dichtkunst, vor allem aber regten sie neben Mahler über hundertsechzig weitere Komponisten zu Vertonungen an.253 Der spätere Nobelpreisträger und um fünfzehn Jahre jüngere Schriftsteller Thomas Mann (1875–1955) ist eher kein Beispiel für eine literarische Einflussnahme auf Mahler, sondern war vielmehr selbst zutiefst von Mahler beeinflusst. Von früh an hatte sich an ihm eine gewisse musikalische Begabung, gepaart mit großem musikalischem Interesse gezeigt, das sich zunächst an den Opern Richard Wagners entzündet hatte.254 In seinem schriftstellerischen Schaffen thematisierte er immer wieder die Musik, was sich einerseits an zahlreichen Bezügen zu inhaltlichen Elementen aus Wagners Opern, aber auch an seiner Verwendung des musikalischen Konstruktionsprinzips des Leitmotivs nach Vorbild Wagners sowie an den mannigfaltigen Musikbeschreibungen in seinen Werken ablesen lässt.255 Gustav Mahler war ihm aufgrund seines legendären Rufs sowohl als Komponist als auch als Dirigent, vor allem wegen seiner bahnbrechenden Wagner-Aufführungen schon von langer Hand her bekannt. Bereits am 23. Februar 1904 verfolgte er – anlässlich seiner vielen Konzert- und Opernbesuche in München – eine Aufführung von Mahlers Dritter Symphonie im Kaim-Saal256, wo er des öfteren Katia Pringsheim, seine spätere „Prinzessin“, von der Ferne bewundern konnte257, und Ende Oktober desselben Jahres berichtete er Julius Bab von einem weiteren Probenbesuch einer Mahler-Aufführung.258 Etwa um dieselbe Zeit fand er Zutritt 251 252 253 254

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Fischer, Anm. 13, S. 681 f. und S. 690. Ein Glück ohne Ruh’, Anm. 30, S. 360, Anm. zu Nr. 250. Eberhard Gilbert Bethge, Hans Bethge. Leben und Werk. Eine Biographie. Kelkheim 2002. Donald A. Prater, Thomas Mann. Deutscher und Weltbürger. Eine Biographie. Aus dem Engl. von Fred Wagner. München–Wien 1995, S. 20. Johannes Odendahl, Literarisches Musizieren. Wege des Transfers von Musik in der Literatur bei Thomas Mann. Bielefeld 2008. Gert Heine, Paul Schommer,: Thomas Mann Chronik. Frankfurt a. M. 2004, S. 33; Die Briefe Thomas Manns. Regesten und Register. Bearb. u. hrsg. von Hans Bürgin u. Hans-Otto Mayer. Bd. 1: Die Briefe von 1889–1933, bearb. u. hg. von dens. u. Mitarb. von Yvonne Schmidlin, mit einem Vorwort von Hans Wysling. Frankfurt a. M. 1976, S. 59ab, Nr. 04/10: Th. Mann an Carl Ehrenberg, München 24. Februar 1904. Peter de Mendelssohn, Der Zauberer. Das Leben des deutschen Schriftstellers Thomas Mann. 3 Bde, Bd. 1: 1875 –1905, überarb. u. erw. Ausg. Frankfurt a. M. 1996, S. 776. Die Briefe Thomas Manns. Regesten und Register. Bd. 1, S. 68a, Nr. 04/79: Th. Mann an Julius Bab, München, 30. Oktober 1904.

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in das Haus des Mathematikers Alfred Pringsheim, einer Hochburg der Mahlerverehrung259, denn Klaus Pringsheim, Manns späterer Schwager und Zwillingsbruder der von ihm umworbenen Katia, der sich schon als dreizehnjähriger Knabe für Mahler begeistert hatte, hatte 1901, als ganz junger Kapellmeister, bereits Zutritt zum engeren Mahler-Kreis gefunden und arbeitete sogar 1906 für kurze Zeit als Mahlers Korrepetitor in Wien.260 Was Michael Maar nur vermutet, bestätigt das Tagebuch Gerhart Hauptmanns: Er sah Mann zumindest bei der Probe261 von Mahlers am 8. November 1906 in München aufgeführten Tragischen, also seiner Sechsten Symphonie 262, bei der nachweislich sein Schwager Klaus aktiv zugegen war, da er dabei ausgiebig „eine große einzelne Kuhglocke“ bediente und der ganzen Aufführung damit „ein eigenartiges Gepräge“ gab, wie aus einem Brief Mahlers an Alma zu entnehmen ist, und in dem er weiters berichtet, dass ihn Klaus Pringsheim nach der Probe zum Tee in das Haus seiner Eltern geführt habe.263 Angeblich erstmals persönlich264 lernte Mann Mahler erst 1910 kennen, und zwar am 11. September, nach der Generalprobe der Uraufführung seiner Achten Symphonie in München.265 Peter de Mendelssohn vertritt dagegen die Auffassung, dass – da Manns Schwiegereltern mit Mahler bekannt waren – beide einander möglicherweise „schon vorher, bei Pringsheims in der Arcisstraße getroffen“266 hätten. Wann immer die beiden das erste Mal zusammentrafen: noch über zehn Jahre danach formulierte Mann in einem Brief an Wolfgang Born, dass Mahlers „verzehrend intensive Persönlichkeit auf [ihn] den stärksten Eindruck gemacht ha[b]e.“267 Katia berichtet in ihren Erinnerungen, dass Mahler bei dieser Generalprobe ein etwas ungebräuchlicheres Instrument – sie vermutet ein Glockenspiel – benötigte, das von der Oper aber nicht ausgeborgt werden konnte, weil es deren Generalmusikdirektor Mottl selbst für eine Aufführung brauchte. Sie sei aber zusammen mit ihrem 259

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Katia Mann, Meine ungeschriebenen Memoiren. Hrsg. Elisabeth Plessen u. Michael Mann. Frankfurt a. M. 1984 ([Fischer Taschenbuch] 1750), S. 43. Fischer, Anm. 13, S. 596; La Grange, Anm. 129, S. 395 u. Bd. 3, S. 405; Mendelssohn, Anm. 257, Bd. 2: 1905–1918, S. 1398; K. Mann, Anm. 259, S. 74. Hauptmann, Anm. 127, S. 135. Michael Maar, Der Teufel in Palestrina. Neues zum „Doktor Faustus“ und zur Position Gustav Mahlers im Werk Thomas Manns, in: Literaturwissenschaftliches Jahrbuch im Auftrage der Görres-Gesellschaft N. F. 30 (1989), S. 211–248, hier 219 f. Ein Glück ohne Ruh’, Anm. 30, S. 298, Nr. 190 (vgl. Anm. 116). Fischer, Anm. 13, S. 813. Ebenda S. 812; K. Mann, Anm. 259, S. 74; Thomas Mann: Briefe 1889–1936. Hrsg. Erika Mann. Frankfurt a. M. 1979 ([Fischer Taschenbuch] 2136), S. 87: Th. Mann an Paul Ehrenberg, Bad Tölz, 3. September 1910; vgl. dazu auch Die Briefe Thomas Manns, Anm. 258, Bd. 1, S. 126a, Nr. 10/76. Mendelssohn, Anm. 257, Bd. 2, S. 1398. Th. Mann: Briefe 1889–1936, S. 184 ff., hier 184: Th. Mann an Wolfgang Born, München, 25. [irrtümlich 18.] März 1921; vgl. dazu auch Die Briefe Thomas Manns, Anm. 258, Bd. 1, S. 309a, Nr. 21/32.

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Mann auch in der nicht nur für ihn „sehr großartigen“268 Uraufführung der „Symphonie der Tausend“ gewesen und anschließend, auf dem Heimweg, habe Mann in Bezug auf Mahler geäußert, dass er in ihm einem „wirklich großen Manne“ begegnet sei.269 Erika Mann wiederum rückte die Erinnerungen ihrer Mutter zurecht, indem sie meinte, ihre Eltern hätten nach der Uraufführung zusammen mit Mahler und Alma den Tee eingenommen, und erst auf dem Heimweg von dieser Tee-Einladung habe Mann die Worte von dem „wirklich großen Manne“ gesagt.270 Katia dagegen erinnerte sich, wie Mahler nach einem Konzert in München zum Tee in ihre Wohnung in der Mauerkirchenstraße am Herzogpark kam, in die sie erst im Oktober 1910 übersiedelt waren: Er war so komisch steif. Ich sagte ihm: Ich solle Ihnen auch herzliche Grüße von meinen Eltern ausrichten. Worauf er sagte: Bitte, erwidern sie dieselben. Das ist mir unvergeßlich.271

Aus all diesen Nachrichten schließt Peter de Mendelssohn, dass es im Spätherbst und Winter des Jahres 1910 zu mehr als einem Treffen zwischen beiden Künstlern gekommen sei.272 Bei Jens Malte Fischer dagegen liest man, dass Mann als damals bereits anerkannter Schriftsteller offenbar zur „Prominenz“ zählte und somit eine Einladung zum – an die Uraufführung anschließenden – Empfang in Mahlers Hotel erhielt, wobei er Gelegenheit fand, Mahler persönlich zu beglückwünschen.273 Wenige Tage darauf reagierte Mann in einem Dankesbrief auf die Einladung: Verehrter Herr! Wie tief ich Ihnen für die Eindrücke vom 12. September verschuldet bin, war ich am Abend im Hotel nicht fähig Ihnen zu sagen. Es Ihnen wenigstens anzudeuten, ist mir ein starkes Bedürfnis […]!274

und legte seinen kurz zuvor – 1909 – erschienen Roman Königliche Hoheit 275 als „Gegengabe“ bei, indem er ihn voll künstlerischer Bescheidenheit als einen „epische[n] 268

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Thomas Mann, Heinrich Mann: Briefwechsel 1900–1949. Hrsg. Hans Wysling. Erw. Neuausgabe, Frankfurt a. M. 1984, S. 112 f., hier S. 113: Th. Mann an H. Mann, Bad Tölz, 18. September 1910. – Vgl. dazu auch Die Briefe Thomas Manns, Anm. 258, Bd. 1, S. 126b, Nr. 10/78. Katia Mann, Anm. 259, S. 73 f. Erika Mann, Mein Vater, der Zauberer. Hrsg. Irmela von der Lühe und Uwe Naumann. Reinbek b. H. 1996, S. 325. Katia Mann, Anm. 259, S. 74. Mendelssohn, Anm. 257, S 1398. Fischer, Anm. 13, S. 811 ff. Alma Mahler, Anm. 18, S. 473 f.: Thomas Mann an Mahler, Bad Tölz, [14.] September 1910, hier S. 473. Gunter Reiss, Redaktion Kindlers Literatur Lexikon: Thomas Mann: Königliche Hoheit, in: Kindlers Neues Literatur Lexikon. Studienausgabe. Hrsg. Walter Jens. Bd. 11. München 1988, S. 79b–80b.

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Scherz“ bezeichnete, der freilich „in der Hand des Mannes, in dem sich, wie ich zu erkennen glaube, der ernsteste und heiligste künstlerische Wille unserer Zeit verkörpert“, „federleicht wiegen“ müsse. Es ist anzunehmen, dass der von Mann als bloße Unterhaltung für „ein paar müßige Stunden“276 angekündigte Roman kaum von dem vielbeschäftigten und nur auf ernsthafte Literatur erpichten Mahler gelesen wurde. Als Mann schrittweise „in der Wiener Presse die in fürstlichem Stile gehaltenen Bulletins“277 über Mahlers langen Sterbenskampf miterlebte, hielt er sich eben auf der Insel Brioni auf. Seine Trauer über den Verlust Mahlers, dessen Persönlichkeit ihm Bewunderung abgenötigt hatte, begleitete ihn auf Schritt und Tritt durch Venedig und vermengte sich in seinem Inneren allmählich mit seiner Furcht vor der Cholera, Erinnerungen an Nietzsche, Graf Platen von Hallermündes Sonett Tristan, Richard Wagners in Venedig entstandenem zweiten Akt von Tristan und Isolde sowie dessen Tod in Venedig278, so dass er schließlich in seiner Novelle Der Tod in Venedig279 der Figur des Schriftstellers Aschenbach Mahlers Vornamen Gustav sowie dessen „leidenschaftlich strenge[] Züge“ verpasste, damit aber in „eine[r] sonderbare[n] moralische[n] Selbstzüchtigung“280 letztlich sich selbst meinte. Es darf angenommen werden, dass Mahler weder für das „Pathologische“281, wofür Mann ein großes Faible hegte, großes Verständnis aufgebracht, noch über sich selbst als literarische Figur – zudem in solch prekärem sexuellem Kontext – große Freude empfunden hätte, hatte ihn doch schon Hermann Bahrs Ansinnen, seine Person literarisch verwerten zu wollen, höchst bedenklich gestimmt. Thomas Mann dagegen spielte – so Michael Maar – noch in weiteren Werken auf Mahler selbst oder seine Kompositionen an, besonders aber in seinem Opus maximum, im Doktor Faustus282, in dem er seine Décadence- und Künstlerthematik noch einmal auf den Punkt brachte. Maar konstatiert auch hier, in Adrian Leverkühns Musikstücken, zahlreiche Parallelen zu Mahlers Werken, aber auch eine 276 277 278

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Alma Mahler, Anm. 18, S. 743 f. (vgl. Anm. 274). Th. Mann, Briefe 1889–1936, Anm. 265, S. 185: Th. Mann an Wolfgang Born, München, 25. März 1921. Thomas Mann, Große kommentierte Frankfurter Ausgabe. Werke – Briefe – Tagebücher. Hrsg. Heinrich Detering u. a. Bd. 2,2: Frühe Erzählungen 1893–1912. Kommentar von Terence J. Reed, unter Mitarb. v. Malte Herwig. Frankfurt a. M. 2004, S. 417 u. 457. Fischer, Anm. 13, S. 848; Herbert Wiesner, Thomas Mann: Der Tod in Venedig, in: Kindlers Neues Literatur Lexikon. Studienausgabe. Hrsg. Walter Jens. Bd. 11. München 1988, S. 83a–84b. Thomas Mann, [On myself], in: ders., Gesammelte Werke in dreizehn Bänden. Bd. 8. Nachträge. Frankfurt a. M. 1974, S. 127–169, hier S. 149; Vgl. auch Thomas Mann: On Myself and Other Princeton Lectures. An Annonated Edition by James N. Bade, based on Mann’s lecture typoscripts. 2nd rev. ed. (Historisch-kritische Arbeiten zur deutschen Literatur 18). Frankfurt a. M.–Berlin–Bern–New York–Paris–Wien 1997, S. 23–54. Th. Mann: Briefe 1889–1936, Anm. 265, S. 184; Th. Mann an Wolfgang Born, München, 25. März 1921. Hans-Horst Henschen, Thomas Mann: Doktor Faustus, in: Kindlers Neues Literatur Lexikon. Studienausgabe, Bd. 11. Hrsg. Walter Jens. München 1988, S. 66b–69b.

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rein äußerliche Ähnlichkeit zu Mahler selbst, und zwar bei der Schilderung der Teufelserscheinung in der Mitte des Romans, als ihr Äußeres das erste Mal eine Transformation erfährt. Der plötzlich verwandelt erscheinende Versucher weist nämlich große Analogien zu jener Photographie auf, die sich im Besitz Thomas Manns befand und die aus dem Zeitungsausschnitt mit der Meldung von Mahlers Tod stammte:283 er […] hatte einen weißen Kragen um und einen Schleifenschlips, auf der gebogenen Nase eine Brille mit Hornrahmen, hinter der feucht-dunkle, etwas gerötete Augen schimmern, – eine Mischung von Schärfe und Weichheit das Gesicht: die Nase scharf, die Lippen scharf, aber weich das Kinn, mit einem Grübchen darin, ein Grübchen in der Wange noch obendrein, – bleich und gewölbt die Stirn, aus der das Haar wohl erhöhend zurückgeschwunden, aber von der zu den Seiten dicht, schwarz und wollig dahinstand […].284

Kurz darauf ist von seinem „breiten, an den Winkeln verkniffenen Mund“ die Rede und davon, dass beim Lächeln „seine geschlossenen Mundwinkel sich fester strafften, wobei er ein wenig die Augen schloß.“285 Aber auch im schrecklichen Sterben des von Adrian Leverkühn so geliebten holden Knaben Nepomuk Schneidewein, den Mann nach dem Vorbild seines geliebten Enkelsohns Frido geschaffen hatte, hatte er in Mahler ein Vorbild: Dieser hatte, wiewohl Vater zweier geliebter und damals noch gesunder Kinder, zu Almas großer Empörung und Unverständnis das Schicksal herausgefordert und Rückerts Kindertotenlieder vertont.286 Der nur zwei Jahre jüngere Arthur Schnitzler (1862–1931) nahm, als Mahler 1897 nach Wien kam, in seinen Tagebuchaufzeichnungen zunächst keinerlei Notiz von seiner Tätigkeit, wiewohl er ihn nachweislich als Dirigenten und Komponisten erlebt haben muss. Herta Blaukopf vermutet, dass sein „Interesse für Mahler […] zwischen 1903 und 1908 entstanden sein“ muss, in der Zeit, als im Jahre 1905 die einzige persönliche Begegnung zwischen beiden stattfand, an die sich Schnitzler anlässlich von Mahlers Tod erinnerte. 1909 entdeckte er Mahlers Symphonien für sich und spielte sie mit seiner Mutter und anderen Partnern vierhändig auf dem Klavier. Im Sommer 1910 sah er ihn auf der Kärntnerstraße und folgte ihm einige Schritte, weil ihn sein seltsamer Gang fesselte. Ab 1917 begleitete ihn immer öfter sein Sohn Heinrich am Klavier, 283 284

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Maar, Anm. 262, S. 214 f. u. Anm. 17 . Thomas Mann, Große kommentierte Frankfurter Ausgabe, Bd. 10,1: Doktor Faustus. Das Leben des deutschen Tonsetzers Adrian Leverkühn, erzählt von einem Freunde. Hg. und textkrit. durchges. v. Ruprecht Wimmer unter Mitarbeit von Stephan Stachorski. Frankfurt a. M. 2007, S. 347. Ebenda S. 348. Maar, Anm. 262, S. 240 ff.

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wobei bevorzugt Werke aus Konzertaufführungen gespielt wurden. Die gesamte Schnitzler-Familie besuchte begeistert Aufführungen von Bruno Walter und Oskar Fried. Schnitzler pflegte aber auch engen Kontakt mit Freunden und der Familie Mahlers.287 Auch der einundzwanzig Jahre jüngere Stefan Zweig (1881–1942) war von Mahlers Künstlertum zutiefst beeindruckt: 1906 legte er etwa Max Brod nahe, unbedingt zu einer der berühmten Mahlerschen Tristan-Aufführungen nach Wien zu kommen288, und kurz nach der Münchner Uraufführung der Achten, bei der er zugegen war, schrieb er im klaren Bewusstsein, in einer kulturellen Endzeit zu leben, an Herbert Steiner: „Der Beste ist im Sterben, Kainz; der andere Große, Mahler, für Wien verloren.“289 Auf seiner Rückreise aus den Vereinigten Staaten befand sich Zweig übrigens an Bord jenes Schiffes, das den todkranken Gustav Mahler in die Heimat zurückbrachte.290 Rückblickend schrieb er über die Bedeutung Mahlers: „Denn uns, einer ganzen Generation, war er mehr als ein Musiker, ein Meister, ein Dirigent, mehr als Künstler bloß, er war das Unvergeßliche unserer Jugend“291, und in seinem 1910 verfassten Gedicht Der Dirigent versuchte er, die Ausdrucksstärke, die von Mahler als Dirigenten ausging, zu erfassen: […] Aber dort, Hoch über diesem Meer, schwebt einer noch, wie eine schwarze Möwe mit den Schwingen Hinreisend über das erregte Stürmen Des namenlos beseelten Elements. Er ringt damit, taucht bald hinab, als griff’ Er Perlen von dem Grund, bald schnellt er hoch Wie ein Delphin sich aus dem wildgepeitschten Gewirr der brennend lodernden Musik, Ein Einziger, da wir schon hingerissen Und schwank verströmt sind, selber Wind und Welle, Kämpft er noch mit den losen Elementen, Gebändigt halb und halb der Töne Meister. – […]292 287

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Herta Blaukopf, Arthur Schnitzlers Mahler-Rezeption. Ein Befund aufgrund der Tagebücher des Schriftstellers, in: Nachrichten zur Mahler-Forschung 24 (Herbst 1990), S. 4 ff. Stefan Zweig, Briefe 1897–1914. Hrsg. Knut Beck, Jeffrey B. Berlin und Natascha Weschenbach-Feggeler. Frankfurt a. M. 1995, S. 132: Zweig an Max Brod, Wien, 21. Dezember 1906. Ebenda S. 216: Zweig an Herbert Steiner, Wien [13. Oktober 1910]. Donald A. Prater, Stefan Zweig. Das Leben eines Ungeduldigen. Aus dem Englischen von Annelie Hohenemser. München–Wien 2 1982, S. 78 f. Zweig, Anm. 288, S. 460. Stefan Zweig, Durch Zeiten und Welten. Eingel. und ausgew. von Erich Fritzbauer. Graz–Wien 1961 (Stiasny-Bücherei 79). S. 54–57, hier S. 55.

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Der folgende Abriss ist die neu bearbeitete und erweiterte Fassung des Vortrags Les premiers scénographes après Wagner, den ich im März 2006 im Rahmen eines Richard Wagner-Symposiums im Pariser Louvre gehalten habe.1 Dabei stellte sich sofort heraus, dass das französische Publikum ebenso interessiert und vertraut wie sein Wiener Pendant an und mit Gustav Mahlers Intentionen auf dem Gebiet des Musiktheaters ist. In Wien jedenfalls brachten die beiden Ausstellungen Alfred Roller und seine Zeit (1991) und Die Ära Gustav Mahler (1997) dem damals selbständigen Österreichischen Theatermuseum sonst kaum erreichbare Besucherzahlen. Dies ist ein ausreichender Grund, mich auch bei der vorliegenden Zusammenschau auf ein zwar lückenhaftes al fresco, allerdings mit passenden, in manchen Fällen noch kaum bekannten Quellenzitaten zu beschränken und eine Mahler-Hagiographie zu vermeiden. Dazu mögen noch einige persönliche Bemerkungen in Kauf genommen werden. Will man über Gustav Mahlers Stellung im umfassendsten Bereich der darstellenden Kunst referieren, so müssen erst die wichtigsten Entwicklungen seines Repertoires skizziert werden. Spätestens das Prager Intermezzo in der Spielsaison 1885–1886 bei Angelo Neumann hatte seine künftige Operntätigkeit verfestigt. Seit diesem kurzem Engagement am Prager Landestheater standen Wolfgang Amadeus Mozart und Richard Wagner sichtbar im Zentrum seines Interesses. Es ist übrigens wenig bekannt, dass er schon damals und nicht erst in Wien in einem Fidelio die Dritte Leonoren-Ouverture an die Schnittstelle des zweiten Aktes gesetzt hat.2 Mahlers Auswahlprinzip, mit Richard Wagner und Wolfgang Amadeus Mozart an der Spitze, hat aus für wache Musikstrategen des ausgehenden 19. Jahrhunderts nahe liegenden Gründen in der Wiener Hofoper schon ab 1870 unter Johann Herbeck Platz gefunden.3 Denn in der Tat: Mozart und Wagner, dazu aus heutiger Sicht noch Richard

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Wagner, Wagnériens, Wagnérisme. Colloque. Jitka Ludvová, Betty Frank, Gustav Mahlers Prager Freundin, in: Gustav Mahler und Prag. Zur 110. Wiederkehr seines Wirkens in Prag. Prag 1996, S. 55. Franz Willnauer, Gustav Mahler und die Wiener Oper. Wien 1993, S. 26.

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Strauss und in steigendem Maß der rein „italienische“ Opernkomponist Georg Friedrich Händel können als wirkungsmächtigste deutschsprachige Beiträger zum musikalischen Welttheater bezeichnet werden. Mozart war überhaupt der erste Meister, dessen dramatische Hauptwerke fast von Beginn an und zunächst vor allem in Wien und in Mitteleuropa stets einen festen Platz in den Spielplänen fanden. Ferdinand Raimund parodierte 1819 in Karl Meisls Parodie Die travestierte Zauberflöte den Papageno und Johann Nestroy begann seine Laufbahn bekanntlich als Sarastro. Ein grotesker Bericht Adolf Müllers von 1836 zeigt, wie sehr sich damals der Don Juan bereits im Repertoire verfestigt hatte.4 Die hundertste Wiederkehr von Mozarts Geburt wurde 1856 in Wien und Salzburg feierlich begangen, und zum hundertsten Todestag wurden an zahlreichen Orten zyklische Aufführungen seiner Werke gegeben.5 Die Neue Wiener Hofoper wurde 1869 mit Don Juan eröffnet. Gustav Mahler selbst wirkte bei der Vorbereitung eines Mozart-Zyklus mit, der am Prager Landestheater rund um die hundertste Wiederkehr der Uraufführung des Don Giovanni vorbereitet wurde. Er eröffnete 1886 mit einer Entführung und Così fan tutte 6 und hat sicher schon hier Erfahrungen für seinen Bahn brechenden Wiener Zyklus von 1906 sammeln können. Diese Anmerkungen scheinen nötig, weil das Wort von einer „Mozart-Renaissance“ darauf schließen lassen könnte, Mahler habe den großen Salzburger Komponisten auch für das Repertoire erst entdeckt. Es schmälert seine Verdienst in keiner Weise, wenn man dieses Schlagwort – trotz Mahlers Budapester Erfahrungen – auf Bruno Walters Angaben reduziert, Gustav Mahler habe dem Salzburger Meister dramatischen Ernst, seine Wahrhaftigkeit und Lebendigkeit zurückgegeben und den bisher leblosen Respekt vor seinen Opern in Begeisterung umgewandelt, so zwar, dass auch der Theaterkassier jubeln konnte.7 Nicht vergessen sei hier übrigens, dass eine Budapester Aufführung des Don Juan von Dezember 1896 unter der Leitung Mahlers biographisch von größter Bedeutung werden sollte. Johannes Brahms, ein wahrhaft kenntnisreicher Verehrer Mozarts, war vom Dirigat so hingerissen, dass er wenig später zum wichtigen Befürworter für die Bestellung des jüngeren Kollegen an die Wiener Hofoper wurde. Mit 17. Dezember 1890 schreibt Mahler an seine Schwester Justine, dass Brahms von seiner Leistung „ganz entzückt“ gewesen sei: „Manches, sagte er, habe er zum erstenmale kennengelernt, und noch nie

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Oskar Pausch, Adolf Müller (sen.) über eine schwierige Produktion von Mozarts Don Juan im Jahre 1836, in: Nestroyana. Blätter der Internationalen Nestroy-Gesellschaft 29 (2009), S. 33–47. Vgl. schon die Hinweise bei Franz Hadamowsky / Leopold Nowak, Mozart. Werk und Zeit. Ausstellung […] der Österreichischen Nationalbibliothek. Wien 1956, S. 82–85. Ludvová, Anm. 2, S. 51. Bruno Walter, Thema und Variationen. Erinnerungen und Gedanken. Stockholm 1947, S. 214 f.

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Mozart so stylvoll vortragen hören. – Von Brahms will das was heißen, der der ganz alten Richtung angehört“.8 Der zuletzt zitierte und etwas abwertende Satz weist Gustav Mahler als Wagnerianer aus, und sein lebenslanger Einsatz für den Bayreuther Meister und dessen Ideologie vom „Gesamtkunstwerk“, ging in seinen Wurzeln wohl weit über künstlerische Überzeugung oder die für seine Generation so typische und – man vergleiche Hugo Wolf – oft fanatische Bewunderung für Richard Wagner hinaus. Dahinter steht mit Sicherheit und wohl unbewusst auch die Faszination, die der Antisemit Wagner, nicht zum Schaden seines Werkes, von der ersten Stunde an auf ein kulturell offenes, assimiliertes und nicht selten deutschnationales Judentum ausübte. Hermann Levi dirigierte den ersten Parsifal, der bereits genannte Impresario Angelo Neumann hatte vor seiner Prager Tätigkeit das berühmte „Wandernde Richard-Wagner-Theater“ geleitet, ein Ensemble, das den Bayreuther Meister in ganz Europa bekannt machte, und Gustav Mahler trat 1877 dem Wiener Akademischen Wagner-Verein bei, dessen Mitbegründer sein Freund aus Prager Zeiten Guido Adler war, der nachmals Schule bildende Musikwissenschaftler. Die Bayreuther Festspiele sind bis 1933 weitgehend von jüdischem Geld abhängig gewesen, und Brigitte Hamann schildert genau die Peinlichkeiten, welche Winifred und Siegfried Wagners Betteltour zur Rettung des Grünen Hügels im Jahr 1924 an der amerikanischen Ostküste mit sich brachte.9 Schon 1912 aber hatte Alfred Roller in einem Brief an seine Frau Mileva geschrieben: Und alle diese „Freunde des Hauses Wahnfried“ die permanente Ergriffenheit zur Schau tragen. Aber auch viele hübsche Köpfe, besonders von Frauen und Mädchen. Viele von den gewissen großen Blonden, die dir so imponieren. Die zahlenden Besucher sind nämlich noch nicht da. So ergiebt sich eine ganz arische und germanische Gesellschaft mit ihren Licht- und Schattenseiten.10

Gustav Mahler wurde schon in seiner frühen Jugend ein glühender Verehrer des Bayreuther Meisters, worüber auch Alma Mahler berichtet hat.11 Besonders aufschlussreich scheinen in diesem Konnex seine Universitätsstudien in Wien zu sein, bei denen er ab 1877 das ältere germanistische Fach belegte. Er besuchte Kollegs über Minnesang und mittelhochdeutsche Übungen, die sich vornehmlich mit Wolframs von Eschenbach 8

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Stephen McClatchie,“Liebste Justi!“. The Family Letters of Gustav Mahler, in: Mahler Studies. Ed. Stephen E. Hefling. Cambridge–New York–Melbourne, S. 63 f. Brigitte Hamann, Winifred Wagner oder Hitlers Bayreuth. München–Zürich 2002, besonders S. 112 f. Oskar Pausch, Ein unbekannter Text von Richard Strauss aus dem Jahr 1942 und dessen Umfeld, in: De litteris, manuscriptis, inscriptionibus. Festschrift zum 65. Geburtstag von Walter Koch. Wien–Köln–Weimar 2007, S. 738. Alma Mahler, Mein Leben. Frankfurt am Main 1960, S. 35.

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Parzival beschäftigten. Mahler wollte mit Sicherheit die mittelalterlichen Quellen zu Wagners Musikdramen kennen lernen, besonders wohl zu Parsifal, dessen Textbuch eben zu Ende 1877 herausgekommen war. Und Mahler war vermutlich enttäuscht, weil sein Professor Richard Heinzel sich der Texte ohne das bei anderen Germanisten übliche nationalistische Pathos mit den damals gängigen Einbettungen in Heils- und Untergangsphilosophien annahm.12 Wie sehr Gustav Mahler sich mit der Welt Richard Wagners identifizierte, erhellt aus dem Umstand, dass er, sonst stets bereit zu musikalisch-szenischen Retuschen, bei diesem Meister keinerlei kompositorische Änderungen vornahm, sieht man von der Ouverture zu den Meistersingern ab. Fast nur für Wagner sah er die Originalgestalt als verbindlich an. Dies hängt, wie das Beispiel von Anton Rubinsteins Dämon (1899), von Webers Freischütz (1900) und Hugo Wolfs Corregidor (1904) zeigt13, keineswegs mit der zeitlichen Nähe, sondern nur mit dem Streben nach dramaturgischer Wahrhaftigkeit und – selten benannt – mit der pragmatischen Einschätzung des jeweiligen Publikums und der Presse zusammen. Mahlers Direktionsnachfolger Felix Weingartner hatte 1908 wieder die vor Mahler üblichen Striche in Walküre eingeführt und damit einen Skandal ausgelöst. Er suchte sich damit zu verteidigen, dass auch Mahler in New York zu den üblichen Kürzungen in Wagnerproduktionen zurückgekehrt sei. Darauf rechtfertigte sich Mahler im Sommer 1908 Leo Slezak gegenüber. Er wies zunächst darauf hin, dass derzeit die deutsche Oper neben dem italienischen Fach in New York nur geduldet sei und setzte folgendermaßen fort: Ich kann nun, ohne nach berühmtem Muster als Don Quichote aufzutreten, unmöglich in diesen wenigen Wochen Personal, Publikum etc. reformiren wollen und muss mich daher zunächst dem dort üblichen Streichwesen fügen. Besonders da es vor allem darauf ankommt, das Publikum, welches durch verwahrloste disgutirt denselben fernbleibt, wieder durch überzeugende Leistungen heranzuziehen und bis zum Schluß der Vorstellungen zu überreden.– So that ich es auch, als ich in Wien eintrat; ich hob vor allem das Niveau der Gesamtleistung gehoben [sic] und erst allmählig, ohne viel darüber zu reden, beseitigte ich die Striche. Es geht daher nicht an, dass sich W. oder seine Partisanen auf mich berufen, um für sein ganz unqualifizirbares Vorgehen einen Kronzeugen zu gewinnen. Sollte ich längere Zeit in New York zu wirken berufen sein, so zweifle ich gar nicht, daß ich mit der fortschreitenden Sanirung der künstlerischen Verhältniße auch die gänzlich unberechtigten, und an einem deutschen Operntheater gerade unverzeihlichen Verstümmelungen der Wagnerschen Werke verhindern werde.14 12

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Herta Blaukopf, The young Mahler, 1875–1880: Essay in situational Analysis after Karl R. Popper, in: Mahler Studies. Ed. Stephen E. Hefling. Cambridge–New York–Melbourne 1997, S. 18. Dazu ausführlich Robert Werba, Marginalien zum Theaterpraktiker Gustav Mahler. Aspekte seiner regielichen und dramaturgischen Tätigkeit an der Wiener Oper im Spiegel der Kritik, in: Gustav Mahler und die Oper. (Studia musicologica Academiae Scientiarum Hungaricae 31). Budapest 1989, S. 377–380. Gustav Mahler, Unbekannte Briefe. Hrsg. Herta Blaukopf. Wien–Hamburg 1983, S. 195 f.

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Dieses Credo lässt nebenbei darauf schließen, wie Mahler das amerikanische Publikum einschätzte, welches bereits seinen Versuch, den Rezitativen im Don Giovanni mit Hilfe eines Papiers über den Klaviersaiten einen cembaloähnlichen Klang zu verleihen, mit einem Vorwurf von Pedanterie und „archeological researches“ quittiert hatte.15 Nur so wird letztlich auch verständlich, dass er für sein „historisches“ philharmonisches Programm in New York am 10. November 1909 eine „Suite“ aus Teilen von Johann Sebastian Bachs zweiter und dritter Orchestersuite zusammengestellt hat16, was ihn unversehens zu einem Vorläufer Leopold Stokowskis werden ließ. Das Werk Mozarts, fast immer auf Deutsch gesungen und dem deutschen Repertoire zugerechnet, war der zweite Eckpfeiler. In der Praxis hat Mahler dabei schon anlässlich der Prager Entführung mit einer Orchestereinlage nach der Klaviersonate in A-Dur17 eingegriffen, vermutlich, um eine Umbaupause zu überbrücken. Er hat in Budapest die vorher gesprochenen Rezitative des Don Giovanni textlich (ungarisch!) und musikalisch neu eingerichtet, für den Wiener Figaro von 1906 u. a. eine rezitativische Gerichtsszene nach der Vorlage Pierre Augustin Beaumarchais eingefügt und ist nicht nur bei Transpositionen großzügig vorgegangen.18 Selbst ein Mahler-Apologet vom Range Franz Willnauers muss einräumen: Manche der Maßnahmen, mit denen Mahler die dramatische Substanz der Mozart-Opern auf der Bühne zu verdeutlichen suchte, scheinen uns heute anfechtbar und nur aus der durch die Aufführungstradition des 19. Jahrhunderts geprägten „romantischen“ Kunstanschauung erklärlich.19

Der Kuriosität halber sei noch erwähnt, dass der früher so unerbittliche Mahler es in New York zuließ, dass der verspätet zu Don Giovanni-Proben erschienene Fedor Schaljapin mit auf russisch gesungenen Rezitativen seine Partner erheitern konnte.20 Besonders nahm sich Gustav Mahler seit seiner Leipziger Zeit auch des Schaffens von Carl Maria von Weber an, in welchem er den wichtigsten Vorläufer Richard Wagners 15

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Henry-Louis de La Grange, Mahler and the Metropolitan Opera, in: Gustav Mahler und die Oper, Anm. 13, S. 262. Zoltan Roman, Gustav Mahlers American Years 1907–1911. A documentary History. New York 1989, S. 256. Ludvová, Anm. 2, S. 51. Hartmut Krones, „[…] doch behielt er jene Appoggiaturen bei […].“ Zu Gustav Mahlers Ausführung Mozartscher Rezitative, in: Musikinstrumente und Musizierpraxis zur Zeit Gustav Mahlers. (Wiener Schriften zur Stilkunde und Aufführungspraxis 4). Hrsg. Reinhold Kubik. Wien–Köln–Weimar 2007, besonders S. 287. Zu den Transpositionen vgl. Werba, Anm. 13, S. 373. Willnauer, Anm. 3, S. 72. Zu Mahlers Mozart-Bearbeitungen vgl. Richard Bletschacher, Apollons Vermächtnis. Vier Jahrhunderte Oper. Wien 1994, S. 383–385. De La Grange, Anm. 15, S. 258.

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erkannte, was sich auch in seinen Bearbeitungen niedergeschlagen hat.21 Gustav Mahlers „einzige Oper“, die seinerzeit so erfolgreiche Vollendung des Torsos Die drei Pintos, ist übrigens vor einigen Jahren ohne größere Resonanz in der Wiener Volksoper wieder aufgeführt worden. Auch die Spielopern Albert Lortzings standen bis zum Ende der Hofoperndirektion immer wieder auf dem Programm. Wie sehr sich Gustav Mahler insgesamt als Vertreter des „deutschen Faches“ fühlte, zeigen die schweren Irritationen des Jahres 1909, als Arturo Toscanini mit Tristan und Isolde an der New Yorker Metropolitan Opera herauskommen wollte.22 Natürlich kannte Mahler seit dem Beginn seiner Karriere auch das italienische Repertoire. Seine einzige Großtat in diesem Fach aber war die Wiener Erstaufführung von Verdis Falstaff 1904, erstmals in deutscher Sprache. Andererseits hat er nicht einmal den Othello selbst dirigiert, den er übrigens erst im Mai 1907, also zu Ende seiner Wiener Amtszeit neu herausbrachte und Alexander Zemlinsky überließ. Den von Italien ausgehenden Verismo, eine Reaktion auf das Bayreuther Musikdrama, die man zunächst sogar als ernsthafte Bedrohung von Werk und Person Richard Wagners einschätzte23, hat er sicher nicht allzu sehr gemocht, und in einem seiner Briefe steht das Wort vom „Realismus-Rummel“. Tatsächlich hat er die unverwüstlichen Einakter Bajazzo bzw. Cavalleria rusticana von Ruggiero Leoncavallo und Pietro Mascagni in Wien nie selbst dirigiert. Gleiches gilt für Puccinis Bohème, und die erste Wiener Tosca kam nicht in der Hofoper, sondern 1907 unter Alexander Zemlinsky an der heutigen Volksoper heraus. Einen späten französischen Beitrag zum Verismo, Gustave Charpentiers Louise allerdings betreute er 1903 doch selbst, wohl auch in der berechtigten Hoffnung, den Pariser Sensationserfolg von 1900 wiederholen zu können.24 Damit sind wir unversehens bei der zwischen 1897 und 1907 bekanntlich noch recht lebendigen zeitgenössischen Opernproduktion angelangt, der Gustav Mahler vor allem während der frühen Wiener Direktionszeit einen aus heutiger Sicht ziemlich unergiebigen Teil seiner Arbeitskraft opferte, die ja seinem kompositorischen Schaffen verloren gehen musste. Vierundzwanzig von insgesamt zweiundsechzig Premieren galten Novitäten, was in Wien ohne Beispiel ist. Hierbei war er großzügig und völlig frei von Systematisierungen. Seine vier Wiener Uraufführungen von Opern, alle bezeichnenderweise vor dem Bahn brechenden Tristan von 1903, waren: Karl Goldmarks Das 21

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Erich W. Partsch, Mahlers Weber-Bearbeitungen. Zur Neufassung des Oberon, in: Gustav Mahler und die Oper, Anm. 13, S. 331–342. De La Grange, Anm. 15, S. 266. Josef-Horst Lederer, Wagner contra Verismo. Ein Beitrag zum Problem des Nationalismus in der Musik des 19.Jahrhunderts, in: Richard Wagner 1883 –1983. Die Rezeption im 19. und 20. Jahrhundert. Gesammelte Beiträge des Salzburger Symposiums. (Stuttgarter Arbeiten zur Germanistik 129). Stuttgart 1984, S. 93. Vgl. dazu den Katalog Gustav Mahler. Un Homme, une Oeuvre, une Époque. Paris 1985, Nrn. 89–92.

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Heimchen am Herd 1898 und Der Kriegsgefangene 1899, Alexander Zemlinskys Es war einmal 1900 und Josef Forsters Der dot mon 1902. Schon daran ist erkennbar, dass er mit den Neuheiten wenig Glück hatte. Die Salome von Richard Strauss durfte er aus Zensurgründen nicht aufführen, und keines der von ihm angenommenen neuen Stücke hat sich im Opernrepertoire etablieren können. Unverständlich bleibt allerdings schon, warum die beiden damals bedeutendsten lebenden Opernkomponisten Österreich-Ungarns, Antonín Dvořák und Leoš Janáček überhaupt nicht berücksichtigt werden konnten. Beide waren Tschechen und Mahlers Abstinenz ist umso weniger verständlich, als er – schaffend und nachschaffend – starke Affinitäten zu Böhmen und zum slawischen Kulturraum besaß. Er war seit seiner Hamburger Zeit mit dem tschechischen Komponisten Josef Bohuslav Foerster befreundet, hat schon von Hamburg aus den Opernkomponisten Peter Iljitsch Tschaikowsky in Deutschland bekannt gemacht und Zeit seiner Dirigententätigkeit gepflegt. Bedřich Smetana, dessen Kuss, Dalibor und Verkaufte Braut er immer im Repertoire hatte, könnte sogar sein Kompositionsschaffen beeinflusst haben.25 Antonín Dvořák brachte er in New Yorker und Wiener Konzerten heraus, die symphonische Dichtung Heldenlied am 3. Dezember 1899 mit den Wiener Philharmonikern, ungeachtet seiner Aversion gegen Programmmusik, sogar noch aus dem Manuskript. Trotzdem hat er nie ein Bühnenwerk des zuletzt genannten Meisters, dessen vorletzte Oper Rusalka 1901 in Prag uraufgeführt worden war, auf seinen Spielplan gesetzt. Für diese Oper, die dann erst im Jahr 1935 ihre Wiener Premiere hatte, war von ihm am 30. April 1902 sogar schon ein Aufführungsvertrag mit Antonín Dvo rˇák vorunterzeichnet worden!26 Leoš Janáček hat Gustav Mahler am 7. Dezember 1904 persönlich und auch über Vermittlung des tschechischen „Landmannministers“ im österreichischen Regierungskabinett Otakar von Pražák, vergeblich ersucht, der Brünner Premiere von Jen˚ufa beizuwohnen. Mahler lehnte aus Zeitgründen ab und erbat sich einen deutschen Klavierauszug, wozu der mährische Komponist damals natürlich noch nicht in der Lage war. Gustav Mahler argumentierte damit, dass er „der böhmischen Sprache nicht mächtig“ sei. Nun hat Mahler doch den größten Teil seiner Jugend in Kalischt, Iglau und Prag verbracht, und Clemens Höslinger vermutet wohl zu Recht, dass hinter Mahlers Bitte auch deutschböhmisches Überlegenheitsgefühl gegenüber der tschechischen „Dienstboten25

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Zu Foerster vgl. dessen interessante Lebenserinnerungen Der Pilger. Erinnerungen eines Musikers. Prag 1955, besonders S. 350–358. Zu Smetana siehe Donald Mitchell, Mahler and Smetana: significant Influences or accidental Parallels?, in: Mahler Studies, Anm. 8, S. 110–121. Katalog 100 Jahre Wiener Oper am Ring. Wien 1969, S. 90. Das Projekt scheiterte an sicher nicht unüberwindlichen finanziellen Forderungen Dvořáks, vgl. Henry Louis de La Grange, Gustav Mahler 2: Vienna: The Years of Challenge (1897–1904). Oxford–New York 1995, S. 190.

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sprache“ stecken könnte. Somit trat dieses Meisterwerk seinen internationalen Siegeszug erst 1918 an – von Wien und noch von der Hofoper unter Hans Gregor aus, der deswegen von deutschnationaler und „patriotischer“ Seite massiv angefeindet wurde.27 Jedenfalls ist insgesamt nicht klar, wodurch Gustav Mahlers Desinteresse an der tschechischen Opernproduktion seiner Zeit wirklich verursacht wurde. Sein hohes Kunstethos macht es schwer zu vermuten, dass hiefür – immerhin in Zeiten eines überbordenden Nationalismus – handfeste politische Rücksichten verantwortlich gemacht werden könnten. Immerhin hat er zum sechzigjährigen Regierungsjubiläum Kaiser Franz Josefs 1908 ja auch zwei Konzerte mit der Tschechischen Philharmonie – allerdings in Prag – geleitet. Mahlers „modernes“ künstlerisches Glaubensbekenntnis war, wie bereits erörtert, die Idee von Wagners Gesamtkunstwerk, die selbstlose Bündelung von Musik, Text, Regie und Ausstattung im alleinigen Dienst künstlerischer Wahrhaftigkeit. Über Richard Wagners stilbildende Regiearbeit liegen genug Quellen vor, vor allem spielte er den Akteuren ihre Rollen mit größter Suggestionskraft selbst vor. Besonders aufschlussreich sind dazu die Wiener Berichte Angelo Neumanns, der ja in Prag Mahlers Opernchef war.28 Nach diesem Vorbild wurde Mahler zum Kapellmeister-Regisseur, der vom Pult aus die ganze Szene beherrschte. Schon nach seiner Prager Walküre war bemerkt worden, wie sehr dieses Werk auch einen neuen Stil der Darstellung gebracht habe 29, und bereits am Beginn seiner Wiener Tätigkeit 1897 konnte man lesen: Die acht Walküren hörten wir gestern zum ersten Mal rein zusammenstimmen und sahen sie zum ersten Mal in freier, lebhafter Bewegung schöne szenische Gruppen bilden. Zum ersten Male auch konnten wir den Zweikampf zwischen Hunding und Siegmund wahrnehmen.30

Welchen Wert Gustav Mahler auf Bewegungsregie und Ausdrucksdetails legte, erhellt aus seinen Anweisungen in seiner „Hamburger Pygmalionrolle“ für die Karriere Anna Mildenburgs. Er kümmerte sich nicht nur um ihr Theater-Makeup, ihre Deklamation und Gesangstechnik.31 Zu seiner Seelenfreundin Natalie Bauer-Lechner äußerte er etwa Ende Dezember 1900: 27

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Clemens Höslinger, Die erste Aufführung von Janáčeks Jen˚ufa an der Wiener Hofoper (1918) und ihre Vorgeschichte. Dokumente aus dem Österreichischen Staatsarchiv, in: Von Martha (1847) bis Daphne (1940). Hrsg. Michael Jahn. (Schriften zur Wiener Operngeschichte 1 = Veröffentlichungen des RISM Österreich Reihe B/2). Wien 2005, besonders S. 215–218. Angelo Neumann, Erinnerungen an Richard Wagner. Wien 1907. Zu Wagners Regiearbeit vgl. Marcel Prawy, „Nun sei bedankt …“. Mein Richard-Wagner-Buch. München 1982, S. 212–217. Ludvová, Anm. 2, S. 49. Illustrirtes Wiener Extrablatt vom 27. August 1897. Vgl. auch Werba, Anm. 13, S. 380. Vgl. Stuart Feder, Before Alma … Gustav Mahler and „Das Ewig-Weibliche“, in: Mahler Studies, Anm. 8, S. 91 f.

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Glaubt ihr zum Beispiel die Mildenburg, die ihr jetzt als die größte, wahrhaft klassische Darstellerin bewundert, hätte es immer so gekonnt. Ihr hättet sie als Anfängerin sehen sollen: wie ungelenk und unbeholfen sie da war! Beinahe so, wie ich sie musikalisch drillte, hieß ich sie Mimik und Aktion vor dem Spiegel in jeder Miene und Bewegung studieren. Ich veranlasste sie, um sich einen ruhigen, gehaltenen Gang anzueignen, auf der Straße stets ohne Schirm und Muff, nichts in den Händen, regelmäßig und aufrecht spazieren zu gehen und daheim abends und morgens zu turnen. Hatte sie ihre Rolle memoriert, dann ließ ich mir den Flügel auf die Bühne tragen, und da zeigte ich ihr jeden Schritt, jede Stellung und Bewegung und übte sie aufs genaueste in Zusammenhang mit dem Gesang ihr ein. So studierte ich die Wagner-Partien von A bis Z mit ihr.32

Interessanterweise waren weder Richard Wagner noch Gustav Mahler optische Typen. So bekannte Wagner Mathilde Wesendonck gegenüber, das Auge genüge ihm nicht als Sinn der Wahrnehmung der Welt, Raffael und die Malerei berührten ihn nicht und er sei in Paris nie im Louvre gewesen.33 Wohl aufgrund dieser Disposition suchte er – wie später Max Reinhardt – szenische Hilfestellung bei renommierten Malern, die keine oder wenig Theaterpraxis besaßen: Arnold Böcklin, Franz von Lenbach, bezeichnenderweise auch Hans Makart. Der Versuch scheiterte und Wagner überließ die Theaterdekorationen seiner Musikdramen erprobten Theaterateliers. So sind die Bayreuther Festspiele zur Lebenszeit ihres Begründers trotz allen technischen Aufwands nicht wirklich über das zweidimensionale Kulissentheater jener Studios hinausgekommen, welche die Opernszene bis in das 20. Jahrhundert bestimmten. Die Ausstattung blieb eine aufwendige Achillesferse im Gesamtkunstwerk, was schon Wagner wohl bemerkte. Von ihm sind, mit Bezug auf die Bayreuther Uraufführung des Parsifal im Jahr 1882 die Worte überliefert: Ah, mir graut vor diesen Kostümen und Schminken. Wenn ich denke, dass Gestalten wie Kundry herausstaffiert werden wie für den Karneval. […] Ich habe das unsichtbare Orchester geschaffen, könnte ich doch jetzt das unsichtbare Theater schaffen!34

In den eben genannten arbeitsteiligen Theaterateliers konnte man Szenarien und Kostüme als industrielle Reproduktionsware bestellen, was im Zeitalter der Eisenbahn auch kleineren Provinzbühnen prunkvolle Ausstattungen á la Aïda ermöglichte, die weitgehend den teuren Vorbildern in den Metropolen glichen. Man konnte aber nicht nur ganze Stücke, sondern modulmäßig auch Hecken, Parks, Paläste, Höhlen usw. bestellen 32 33 34

Gustav Mahler in den Erinnerungen von Natalie Bauer-Lechner. Hrsg. Herbert Killian. Hamburg 1984, S. 180 f. Prawy, Anm. 28, S. 214 f. Cosima Wagner, Tagebücher. Ediert und kommentiert von Martin Gregor-Dellin und Dietrich Mack, Bd. 2 (1878–1883). München–Zürich 1977, S. 181.

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und daraus passende Kulissenbilder zusammensetzen, was besonders ökonomisch, weil vielfach verwendbar war. Das Österreichische Theatermuseum besitzt als einmaliges Zeugnis dazu zwölf Musteralben der für die Wiener Hofoper arbeitenden Wiener Bühnenbildnerdynastie Brioschi. Sie sind nach einem bis in die Barockzeit zurückweisenden Typenkanon angeordnet: „Feerien Grotten & Zelte, Gärten Strassen & Plätze, Kerker & Hallen, Landschaften, Landschaft mit Baulichkeiten, Zimmer & Sääle.“ Daraus konnte man sowohl ganze Stückszenarien als auch rein realienbezogene Bühnenbilder zusammenstellen. Noch im Jahr 1890 war der Kostümfundus im Neuen Burgtheater nach den Stilen „classisch, biblisch-orientalisch, phantastisch, altgermanisch“ geordnet.35 Derartige Praktiken schonten zwar allerorten die Theaterbudgets, brachten aber industrielle Konfektionsware und eine Nivellierung auf die Szene. Um solcher Beliebigkeit gegenzusteuern, setzte Richard Wagner spätestens seit der Münchner Uraufführung der Meistersinger im Jahr 1868 auf Musteraufführungen. Diesem Ziel, das den Bühnenalltag vergessen machen sollte, diente schließlich Bayreuth mit seinem Festspielhaus. Das Haus auf dem grünen Hügel erhielt zwar einen völlig neuartigen „demokratischen“ Zuschauerraum, hatte aber eine herkömmliche Guckkastenbühne mit wie üblich gestaffelten und überladenen Dekorationen. Die zeitgebundenen Musterszenarien wurden dann prompt in aller Welt Vorbild und für die Coburger Ausstattungsfirma Gebrüder Brückner ein gutes Geschäft. In unserem Zusammenhang ist dabei zu erwähnen, dass Angelo Neumann für die von Gustav Mahler geleitete Prager Walküre eine schon etwas ramponierte aber „authentische“ Ausstattung direkt in Bayreuth angekauft hatte36, und dass natürlich auch die Wiener Hofoper weitgehend den Bayreuther Vorgaben folgte. Kaiser Wilhelm II., der mit seinen Wiesbadener Maifestspielen Bayreuth übertrumpfen wollte, ließ vom Wiener Ateliermalers Franz Angelo Rottonara analoge Szenarien mit noch mehr Detailtreue und Prunk versehen, was sich am Beispiel der Sängerhalle aus Tannhäuser gut ablesen lässt.37 Dazu eine persönliche Anmerkung: Ich habe vor über zwanzig Jahren im alten Liceu zu Barcelona die Meistersinger noch als traditionelles Kulissentheater gesehen und muss gestehen, ich war durchaus beeindruckt. Übrigens konnte vor kurzem zumindest ein Bühnenbild Rottonaras identifiziert werden, das mit größter Wahrscheinlichkeit in Leipzig für eine von Gustav Mahler 1888 geplante Undine von Lortzing gedacht war, die dann wegen des Budapester Engage35

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Vana Greisenegger-Georgila, Theater von der Stange. Wiener Ausstattungskunst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. (Cortina. Materialien aus dem Österreichischen TheaterMuseum 16). Wien–Köln–Weimar 1994 und zuletzt Oskar Pausch, Franz Angelo Rottonara. Ein Maler aus Corvara. San Martin de Tor 2008, S. 27–31 und S. 65 f. Ludvová, Anm. 2, S. 48 f.

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ments nicht mehr verwirklicht wurde. Rottonara dürfte auch Entwürfe zu Rheingold und Götterdämmerung anlässlich des Londoner Gastspiels von 1892 hergestellt haben.38 Gleich nach dem Tod Richard Wagners begann unter der Aufsicht Cosimas eine Musealisierung des Werkes des „Meisters“, was von Gustav Mahler sehr früh erkannt wurde. Ein Brief an seine Schwester vom Jänner 1894, in dem er sich übrigens auch vom traditionsbewussten „Pfaffen“ Richard Strauss absetzt, enthält folgende Zeilen: Kaum ist Richard Wagner anerkannt, und verstanden, so kommen schon wieder die allein seligmachenden Pfaffen und fahren auf dem ganzen Terrain die Schutzwälle gegen das wahre Leben auf, dass doch immer darin besteht, dass man das Alte, selbst wenn auch (!) größer und bedeutender ist, als das Neue, immer wieder umgestaltet und aus den Bedürfnissen des Moments neu erschafft.39

Diese künstlerische Verkrustung hat moderne szenische Entwicklungen auf dem „Heiligen Hügel“ über Jahrzehnte verzögert. Der sakralisierte Parsifal etwa musste vor 1934 in der aufwändig illusionistischen Bühnenausstattung der Uraufführung gegeben werden. Erst damals realisierte Alfred Roller ein neues Szenarium – übrigens im indirekten Auftrag Adolf Hitlers. Der streng kalvinistisch erzogene Genfer Musiker und Zeichner Adolphe Appia (1862–1928), ein glühender Wagnerianer, erkannte schon bei seinem ersten Theaterbesuch mit siebzehn Jahren die im Konnex mit der Einführung der elektrischen Beleuchtung dann immer spürbarere Diskrepanz zwischen dem flächigen Illusionismus der Bühnen und der Dreidimensionalität der Akteure. Er wohnte 1882 der Bayreuther Uraufführung des Parsifal bei, sah dort 1886 den Tristan und beschloss darauf 1888 und noch unter dem Eindruck der inadäquaten szenischen Realisierungen, die Inszenierung von Grund auf zu reformieren. Er ging von Richard Wagner aus: Der Meister hat sein Werk in den traditionellen Rahmen seiner Zeit gestellt, und wenn im Zuschauerraum von Bayreuth alles sein Genie ausdrückt, so wird ihm jenseits der Rampe von allem widersprochen.40

Appia forderte eine architektonisch bestimmte Gestaltung des Bühnenraums mit Hilfe von Farbsymbolik und einer dynamischen Lichtregie. Er hielt daher die von Wagner vorgegebenen Regieanweisungen für wenig qualitätsvoll und bindend, da sie für ein kon37 38 39 40

Pausch, Anm. 35, S. 212–215. Ebenda S. 61. McClatchie, Anm. 8, S. 65 f. Adolphe Appia 1862–1928. Darsteller – Raum – Licht. Eine Ausstellung der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia. Konzeption Denis Bablet und Marie-Louise Bablet. Zürich 1982, S. 69.

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ventionelles Kulissentheater konzipiert worden waren. Schon 1895 hatte er in La Mise en scéne du drame wagnérien die Dreidimensionalität als Prinzip gefordert: Die derzeitige Inszenierung stellt alle ihr verfügbaren Mittel in den Dienst des Zeichens, dessen wichtigster Helfer die Malerei ist. Aber da die Malerei das störendste und am wenigsten ausdrucksfähige Element ist, müssen wir sie von Anfang an ihrem Widerpart unterordnen, der Beleuchtung. […] Das dem Darsteller von der Musik aufgezwungene Leben unterscheidet sich von jenem, das er im Wortdrama anstreben muss, da seine Dauer unabänderlich festgelegt ist, um das Schauspiel der dramatischen Absicht entsprechend zu transponieren. Daraus ergibt sich, dass eine bestimmte Rolle bereits nicht nur zeitliche Proportionen enthält, sondern auch räumliche, die sich aus den ersteren herleiten.41

Adolphe Appias Ideen waren zu radikal für die Zeit und blieben zunächst weitgehend Theorie. Er bot Bayreuth seine Dienste an, wurde von Cosima als Regisseur entschieden abgelehnt und hatte nur zweimal die Chance, seine Ideen zu Wagners Musikdramen praktisch und mit zwiespältigem Ergebnis zu verwerten. 1923 wurde er von Arturo Toscanini zu einem Tristan an die Mailänder Scala eingeladen, der vom Publikum nicht angenommen, nur fünf Wiederholungen hatte. Für Oskar Wälterlin sollte Appia 1924 in Basel einen Ring machen. Es konnten nur Rheingold und Walküre realisiert werden, weil bezeichnenderweise der dortige Wagnerverein einen Skandal auslöste. Fotos von dieser Produktion zeigen schlecht proportionierte Requisiten, was sicher mit den damals nicht adäquaten Materialien – es gab etwa noch kein Styropor – zusammenhängt. Somit blieb Appia, der übrigens 1890 an der Wiener Hofoper praktiziert hatte, ein tragischer Pionier. Sein in asketisch monochromen Bleistiftzeichnungen vorliegendes Vermächtnis wurde erst von Wieland Wagner im frühen Neu-Bayreuth teilweise praktisch umgesetzt.42 Ähnliche Ideen wie Appia hatte wenig später der von Shakespeare und dem barocken Musiktheater angeregte Engländer Edward Gordon Craig (1872–1966). Er ging in seiner artifiziellen Stilisierung sogar so weit, dass er – zumindest auf dem Papier – den lebenden Schauspieler, als störendes Element der dramatischen Synthese, durch eine „Über-Marionette“ ersetzen wollte. In unserem Zusammenhang ist von Interesse, dass Gustav Mahler Adolphe Appias 1899 in deutscher Sprache erschienenes Hauptwerk Die Musik und die Inscenierung, in welchem die bewegliche Lichtregie eine entscheidende Rolle spielt, gekannt haben dürfte.43 41 42

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Ebenda, Übersetzung auf S. 35. Die beste Würdigung Appias von Martin Dreier, Adolphe Appia – Pionier der Inszenierung findet sich im Katalog Theaterwelt – Welttheater. Tradition und Moderne um 1900 der Niederösterreichischen Landesausstellung von 2003, S. 38–41. Werba, Anm. 13, S. 382.

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Mahler hatte 1897 seine Wiener Opernkarriere bekanntlich mit einem Ring-Zyklus begonnen, der vor allem deshalb nicht befriedigte, weil er mit der herkömmlichen Bühnentechnik und Bühnengestaltung an optische Grenzen stieß.44 Alles Andere dürfte von ungewohnter Dichte gewesen sein. Die Kritik hob nicht nur die musikalische Leitung, sondern sofort auch die neuartige Bewegungsregie hervor. Nach der Götterdämmerung schrieb Alfred Polgar in der Wiener Allgemeinen Zeitung vom 28. August 1897 u. a.: Die Mannen stehen jetzt nicht mehr in starren Reihen vor dem Kapellmeister, wie ein sich produzierender Gesangsverein, sie haben ihre steifen Statistenposen glücklich verlernt. Das scheint Herrn Mahlers besonderes Bestreben zu sein, seine Sänger zu guten Schauspielern zu erziehen.

Und in diesem Sinn begründete Mahler sofort ein homogenes und verjüngtes Ensemble von Singschauspielern ohne Rampenposen und Mätzchen. Viele Namen haben noch heute Klang: Selma Kurz, Anna (Bahr)-Mildenburg, Maria (Gutheil)-Schoder, Lucie Weidt, Leopold Demuth, Richard Mayr, Erik Schmedes, Leo Slezak usw. Der neue Operndirektor straffte die Verwaltung, vergrößerte das Orchester, versenkte es nach Bayreuther Vorbild, versetzte das Dirigentenpult auf seinen heutigen Platz und installierte eine neue Beleuchtung. Ferner ließ er die eben in München erfundene Drehbühne einbauen und wertete sofort die Dekoration auf.45 Ganz offensichtlich war er aber mit den Leistungen seiner hauseigenen Dekorateure unzufrieden, die zwar in ihrer handwerklichen Perfektion weltweite Reputation genossen, aber vielleicht gerade deshalb nicht in der Lage waren, neue Wege zu gehen. Als nun Franz Gaul, Chef des gesamten Ausstattungswesens starb, machte der neue Direktor nicht, wie zu erwarten war, den Leiter der Dekorationswerkstätten Anton Brioschi zu dessen Nachfolger, sondern berief 1900 Heinrich Lefler, den Mitbegründer des Wiener Hagenbundes, einen gemäßigt modernen Maler. Mit dieser Entscheidung konnte wohl ein verstaubter Tapetenhistorismus überwunden werden, nicht aber die alte Illusionsbühne. Lefler, der besonders mit seinen poetischen Kostümen reussieren konnte, begann immerhin damit, das herkömmliche Fundussystem aufzulösen, wodurch sich übrigens sofort die Produktionskosten erhöhten. Ohne Zweifel war Mahler indes auch mit Heinrich Leflers Konzepten nicht einverstanden, der Maler wurde 1903 mit großer Diplomatie an die Akademie der bildenden Künste „weggelobt“, Alfred Roller konnte berufen werden. Roller hatte so gut wie keine Theatererfahrung, wenn man davon absieht, dass er ab 1893 einige Zeit im Wiener 44 45

Zum Folgenden mit Zitaten siehe Werba, Anm. 13, S. 380–384. Jens Malte Fischer, Gustav Mahler. Der fremde Vertraute. Frankfurt am Main 2005, S. 515.

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Atelier Johann Kautsky & Söhne gearbeitet haben dürfte.46 Die in der Literatur noch immer herumgeisternde Mitwirkung an einer Wiener Rienzi-Produktion von 1901 ist auf einen Katalogisierungsfehler in der seinerzeitigen Theatersammlung der Österreichischen Nationalbibliothek zurückzuführen. Über die Rotation von Lefler zu Roller kam in den letzten Jahren Vieles ans Licht47, hier soll nur ganz kurz zusammengefasst werden. 1902 fand, unter dem damaligen Präsidenten Alfred Roller, in der Wiener Secession die berühmte Beethovenausstellung statt, bei deren internem Eröffnungsfest Mahler eine Bläserfassung aus der Neunten Symphonie Beethovens brachte. Mahler dürfte vom Qualitätsanspruch und der strengen Konzeption der Schau mit Farbe und Licht im Raum fasziniert gewesen sein, die Roller als vollkommen durchstilisiertes „Gesamtkunstwerk“ geplant hatte, ganz im Sinn seiner progressiven Kunstvereinigung und des von ihm geleiteten „Ver Sacrum“48. Man könnte in diesen Zusammenhängen sofort an Kolo Mosers Theaterausstattungen, an Josef Olbrichs und Peter Behrens Versuch mit „Darmstädter Spielen“ 1901, die Wiener Werkstätte mit dem „Cabaret Fledermaus“ oder an den zu wenig bekannten Umstand denken, dass der Universalkünstler Stanisław Wyspiañski, ein Gründungsmitglied der Secession, mit dem 1903 in Krakau uraufgeführten Sprechstück Boleslaw der Kühne eine polnische Antwort auf das „Gesamtkunstwerk“ geschaffen hat.49 Jedenfalls ging Gustav Mahler, nach Vermittlung von Alma und deren Stiefvater Carl Moll, das Risiko ein und begann mit Roller eine Neuinszenierung des Tristan zu planen. Mit dem Ergebnis wurde ein neues Kapitel in der Theatergeschichte aufgeschlagen, was wache Zeitzeugen wie Hermann Bahr, Max Graf oder Ludwig Hevesi sofort erkannten. Erstmals war es gelungen, dem Wagnerischen Gesamtkunstwerk auch eine das Auge befriedigende Abrundung zu geben, erstmals wurde damit auch an der Monopolstellung Bayreuths gerüttelt.50 Das Wiener „Fremdenblatt“ etwa schickte fortan zum Musikauch den Kunstkritiker in die Oper. Rollers szenographischer Beitrag war die radikale Neudeutung eines konsequent ausgeräumten Bühnenraumes, der mit sensibelster Farbsymbolik und einer „narrativen“ Lichtführung Bedeutung statt Realität anbot. Er schuf vordem auf dem Theater noch nie gesehene riesige Farbflächen, und Ludwig Hevesi berichtet, die in dieser Inszenierung verwendete Lichtelektrizität hätte ausge46 47

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Pausch, Anm. 35, S. 49 f. Vgl. Wolfgang Greisenegger, Alfred Roller, Neubedeutung des szenischen Raumes, in: Gustav Mahler und die Oper, Anm. 13, S. 275 –277; Oskar Pausch, Alfred Roller und Ladinien. Mit einem Exkurs: Alfred Roller und Gustav Mahler in Südtirol. San Martin de Tor 2005, S. 71 ff. Dazu Oskar Pausch, Gründung und Baugeschichte der Wiener Secession. Mit Erstedition des Protokollbuchs von Alfred Roller. Wien 2007, S. 59 ff. Jerzy Got, Polnische Avantgarde, in: Theaterwelt – Welttheater, Anm. 42, S. 43. Brigitte Heldt, Richard Wagner Tristan und Isolde. Das Werk und seine Inszenierungen. Laaber 1994, S. 119.

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reicht, die Straßenbeleuchtung von ganz Innsbruck zu speisen51, was alles natürlich auch auf die Mahler später so angekreideten Produktionskosten schließen lässt. Auch Roller hat zu diesem Zeitpunkt Appias Theorien von Raum und Licht gekannt, wenngleich sich erst für den Juni 1907 Korrespondenzen belegen lassen, bei denen es um eine szenische Neugestaltung des Parsifal geht.52 Hermann Bahr, der es schließlich wissen musste, berichtet: Seit der Gründung der Sezession saßen, am Ende des vorigen Jahrhunderts, im Rössl auf der Wien zuweilen Klimt, Olbrich, Roller, Koloman Moser und Hoffmann beisammen, von Plänen erregt. Auch das Buch Appias53 hat stark auf sie gewirkt. Olbrich der ja die Neigung hatte, für den bildenden Künstler die Herrschaft über die Welt zu fordern, wollte schon damals das Theater erobern.54

Jedenfalls löste Roller sich nicht so rigoros von realistischer Darstellung wie der Schweizer Theoretiker. Der Purist und „Tristanomane“ Alfred Loos hat diesen „Pragmatismus“ intuitiv sofort erkannt und wies mit brillantem Spott auf die Gefahr hin, dass eine gesuchte kunstgewerbliche Originalität der Inszenierung musikalische Erlebnisse in den Hintergrund drängen könnte: Tristan wurde neu ausgestattet. Professor Roller wurde mit den Arbeiten betraut. Der Vorhang ging auf. Aber ich hörte nicht die Stimme des jungen Seemannes. Meine Augen waren zu sehr beschäftigt. Was ist denn das für ein Schiff?! Schief durchschnitten. Längsschnitt oder Querschnitt? […] Tristan segelt und steuert zugleich. Das hat Roller sicher am Attersee gesehen. […] Brangäne zieht den Vorhang wieder zu. Sie hat ein hübsches Kostüm an. Das würde meiner Frau sicher gut stehen. Bei einem Künstlerfest oder so was. […] Jetzt kommt bald der Liebestrank. Wo er wohl steht? Zu viele Kassetten stehen hier herum. Gut arrangiert. Der Teppich ist von der Prag-Rudniker. Habe ich auch schon verwendet. Für Vorzimmer. Die vielen Polster machen sich auch gut. […]55

Als Ausstattungschef an der Hofoper bestand Alfred Roller darauf, auch die Bühnentechnik zu übernehmen, um seine Konzepte und Inventionen, etwa gleichzeitige Drehscheiben auf der Bühne oder die berühmten „Rollertürme“, möglichst ungebremst verwirklichen zu können. Fortan gab es nur mehr werksimmanente Ausstattungen, 51 52

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Ludwig Hevesi, Altkunst-Neukunst. Wien 1909, S. 271. Evan Baker, Oskar Pausch, Das Archiv Alfred Roller. (Mimundus. Wissenschaftliche Reihe des Österreichischen TheaterMuseums 4). Wien–Köln–Weimar 1994, S. 15. Bezug auf das einzige auf Deutsch erschienene Buch Die Musik und die Inscenierung. München 1899. Hermann Bahr, Das Burgtheater. (Theater und Kultur 1). Zürich–Leipzig–Wien 1920, S. 84. Das Andere. Ein Blatt zur Einführung abendländischer Kultur in Österreich (Wien), H. 2 vom Oktober 1903. Vgl. dazu O. J. Hartmann, Die geistigen Hintergründe der Musikdramen Richard Wagners. Schaffhausen 1976, S. 11.

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immer als Ausdruck einer musikalisch determinierten Dramaturgie. Mozart wurde fern aller Rokokoschnörkeln umgesetzt, und die Lösungen reichten von der Einbeziehung einer ganz bestimmten Dolomitenlandschaft in der Walküre56 bis zur Abstraktion der Gluck’schen Iphigenie in Aulis. Erst jetzt hatte der alte Fundus weitestgehend ausgedient, die neuen Kostüme waren weniger schwer57, was eine moderne Bewegungsregie sicher erleichtern half. Jedenfalls war die Autonomie reiner Repräsentation auf der Bühne gebrochen. Dies lässt sich z. B. durch einen signifikanten Vergleich aus der Zauberflöte verdeutlichen: Der vorhin genannte Atelierkünstler Franz Angelo Rottonara schuf für die Wiesbadener Maifestspiele Wilhelms II. im Jahr 1895 ein prächtiges, antikisierendes Auftrittsbild der Königin der Nacht, durchaus noch in der Tradition Friedrich Schinkels. Im Gegensatz dazu hatte er elf Jahre später im Auftrag der Hofoper die gleiche Szene nach Alfred Rollers Entwurf zu kopieren: lapidar und schmucklos.58 Über alle gemeinsamen Inszenierungen Mahlers mit Roller ist schon so viel geschrieben worden59, dass ich es hier bei einer unkommentierten Aufzählung belassen möchte: 1903 Tristan und Isolde, 1904 Der Corregidor (Hugo Wolf), Falstaff, Fidelio, 1905 Das Rheingold, Die Rose vom Liebesgarten (Hans Pfitzner), Die neugierigen Frauen (Ermanno Wolf-Ferrari), Così fan tutte, Don Giovanni, Lohengrin (1. Akt), 1906 Die Entführung aus dem Serail, Lohengrin (2. und 3. Akt), Die Hochzeit des Figaro, Die Zauberflöte, Der Widerspenstigen Zähmung (Hermann Goetz), 1907 Walküre, Iphigenie in Aulis. Es gibt übrigens deutliche Hinweise darauf, wie sehr die gemeinsame Arbeit die Perfektionisten Mahler und Roller auch zu Freunden werden ließ. Hier muss zu allererst die gemeinsame Abfassung von Gustav Mahlers berühmtem Abschiedsschreiben an die Mitglieder der Hofoper genannt werden, das über Wochen strengste Diskretion erforderte, und das in der Wiener Kunstszene! 60 Weitere Beweise gegenseitiger Sympathie lassen sich für gemeinsame Aufenthalte in Torbole bzw. Toblach, bis hin zu Tod und Begräbnis Gustav Mahlers belegen.61 Das schönste Unterpfand geistiger Verbundenheit 56 57

58 59

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61

Pausch, Anm. 47, S. 60 ff. Dazu gibt es eine genaue Liste im Nachlass Roller. Vgl. auch Manfred Wagner, Alfred Roller in seiner Zeit. Salzburg–Wien 1996, S. 99. Pausch, Anm. 35, S. 219 und 257. Vgl. zuletzt Fischer, Anm. 45, passim; Katalog Die Ära Gustav Mahler. Wiener Hofoperndirektion 1897–1907. Hrsg. Erich Wolfgang Partsch / Oskar Pausch. (Cortina. Materialien aus dem Österreichischen Theatermuseum 22). Wien–Köln–Weimar 1997. Die Monographie von Manfred Wagner (Anm. 57) ist durch ihre Illustrationen wertvoll. Oskar Pausch, Gustav Mahlers Abschiedsschreiben an die Mitglieder der Hofoper. Mit einer Edition aller Fassungen, in: Gustav Mahler, Werk und Wirken. Neue Mahler-Forschung aus Anlaß des vierzigjährigen Bestehens der Internationalen Gustav Mahler Gesellschaft. Hrsg. Erich W. Partsch. Wien 1996, S. 95 –108. Pausch, Anm. 47, S. 76 – 81.

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Abb. 1a. Franz Angelo Rottonara, Entwurf „Zauberflöte“, Wiesbaden 1895. (Theatermuseum Köln, Inv. Nr. 3979)

Abb. 1b. Franz Angelo Rottonara nach Alfred Roller, „Zauberflöte“, Wien 1906. (Österreichisches Theatermuseum Sign. HS XI/15)

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aber ist wohl das Gedenkbuch, welches Roller ihm widmete, ein in Bezug auf Authentizität und liebevolle Sachlichkeit einzigartiges biographisches Dokument.62 Aber auch die Briefe Alfred Rollers an die Gattin Mileva sprechen für sich, weil sie gegenseitige Rücksicht und Intensität der Arbeit spiegeln, bei der Roller bisweilen die Führung übernahm. Am 13. Juli 1911 schreibt er: Wenn ich jetzt daran denke, dass ich es in Wien mit diesem ganz elenden techn[ischen] Personal unternahm, den Ring zu inscenieren, noch dazu mit plastischen Dekorationen, so geht mir so [sic] wie dem Reiter über den Bodensee. Jetzt verstehe ich wie Recht Mahler auch in diesem Fall hatte meiner Ungeduld an diese Sache zu gehen so lange Widerstand entgegen zu setzen.

Und er besorgt sich am 4. Januar 1906 um die Gesundheit Mahlers. Dieser habe sich „eine Rippe gebogen und die Leber gedrückt“, hätte aber trotzdem noch die Premiere von Don Giovanni und Tristan dirigiert. „Ich drohte ihm, ihn ‚alsa Ganza’ in Gyps einzugießen, damit er ruhig sei.“63 Umgekehrt schickt der Hofoperndirektor am 20. Februar 1907 ein Billet an Mileva, in welchem erhofft wird, dass „Roller öfter ausspannt und frische Luft einsaugt.“ Ein Einladungsbillet wohl von 1907 zeigt Mahler von der eher seltenen humorvollen Seite: Euere Liebden werden heute (Sonntag) um ½ 2 Uhr pünktlich zum Imbiß erwartet. Ihr Erscheinen wird bei Todesstrafe gewärtigt, das Mahl wird in der Mahlerischen Küche bearbeitet (mit starken Kürzungen etc. wie gewöhnlich.) Dero wol affectirter M.64

Möglicherweise hat das Vorbild Gustav Mahlers auch eine wichtige Lebensentscheidung Alfred Rollers mitbestimmt. Im Zuge meiner langjährigen Bemühungen um den Nachlass dieses Künstlers habe ich immer wieder versucht, seinen Sohn Dietrich „auszuhorchen“, und dieser bestätigte mehrmals die Vermutung, Roller habe 1906 Mileva Stojsavlević nach dem Vorbild der Verbindung Mahlers mit Alma Schindler geheiratet, die nebst anderen betont herzlichen Korrespondenzen der frisch gekürten Braut am 4.April 1906, nach einem Burgtheaterbesuch, ein „Ledigramm“ in typischer Jugendstil-Unziale mit den Unterschriften Mahlers und Rollers nach Graz schickte.65 Der Altersunterschied des

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Alfred Roller, Die Bildnisse von Gustav Mahler. München 1922. Oskar Pausch, Alfred Roller an Mileva. Ergänzungen zum Bild von Gustav Mahler, in: Nachrichten zur MahlerForschung 52 (2005), S. 54–60. Oskar Pausch, „Mahlerisches“ in den Rollerbeständen der Wiener Theatersammlung, in: Gustav Mahler und die Oper, Anm. 13, S. 349 f. Baker / Pausch, Anm. 52, S. 97 und 105.

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Abb. 2. Einladung Gustav Mahlers an Alfred Roller zu einem Mittagsessen, Wien 1907? (Österreichisches Theatermuseum, Archiv Roller)

„Professors“ zur „schönsten Schülerin der Kunstgewerbeschule“ war mit 22 Jahren noch größer, und auch er hat die künstlerische Entwicklung seiner Gattin abgewürgt. Ein interessantes Detail der oralen Familientradition im Haus Roller könnte schließlich zum Verständnis für manche der ständigen Friktionen mit dem Opernpersonal beitragen. Weder Gustav Mahler noch Alfred Roller sollen bei der Arbeit je gelacht haben. Rollers zumindest offizielle Humorlosigkeit lässt sich auch aus einem Schülerbericht von Lillian Gaertner, der späteren Leiterin des Studios von Joseph Urban in New York über ihre Zeit an der Wiener Kunstgewerbeschule mehrfach ablesen: „He was morose, endlessly long and narrow. […] black-frock-coated, bespectacled and horrifying.“66

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Sie hat später ihren Namen geändert. Vgl. Lillian Langseth-Christensen, A Design for living. New York etc. 1987, S. 117 und 173 f.

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Natürlich versuchte Gustav Mahler nach seinem Abgang am 5. Oktober 1907, Alfred Roller „als Oberregisseur und Chef des gesamten Bühnen- und Theaterwesens“67 zu sich an die Metropolitan Opera zu holen, und der größte Erfolg seiner ersten New Yorker Saison war ein Fidelio in der berühmten Wiener Ausstattung.68 1908 sollte Alfred Roller einen Figaro und Tristan übernehmen, was aber an seinen finanziellen Forderungen scheiterte. Seine Absage an den Co-Direktor der Met Andreas Dippel vom 12. Juli 1908 aus Schluderbach enthält ein klares künstlerisches Bekenntnis und war sicher mit Mahler diskutiert worden, der damals ebenfalls in Schluderbach weilte: Zur Vermeidung von Missverständnissen bemerke ich, dass ich „fabriksmäßig hergestellte Inscenierungen“ solche nenne, bei denen die verschiedenen Elemente der Inscenierung: also Regie, Decoration, Beleuchtung, Costüme in verschiedenen Händen liegen, so dass ein – je nach Größe der angewendeten Mittel – mehr oder weniger prunkhaftes aber ganz äußerliches Schaustück resultiert. Dass bei Inscenierungen dieser Art, wenn die „Metropolitan“ sie bestellt, die einzelnen „Ateliers“, wie Sie schreiben, einander unterbieten, liegt ja im Geschäftsinteresse derselben. Ich aber bin kein „Atelier“ sondern bin ein Künstler und kann mich nur für künstlerische Inscenierungen interessieren. Wie aber solche, nicht bloß in Amerika, sondern auch anderswo gezahlt werden, weiß ich sehr genau.69

Der Auftrag ging dann an Heinrich Lefler, den Vorgänger und bald wieder Nachfolger Rollers an der Wiener Hofoper. Damals könnten Kontakte geknüpft worden sein, die es Leflers Schwager und Atelierteilhaber, dem Architekten, Maler und Designer Joseph Urban später erleichtert haben, in den Vereinigten Staaten Fuß zu fassen. Ab 1911 wurde Urban Chefbühnenbildner an der Oper in Boston, von 1918 bis 1933 arbeitete er dann u. a. als Ausstattungschef an der Metropolitan Opera. Er gilt als deren bedeutendster Szenograph und hat mit seinem „new stagecraft“ auch in den Vereinigten Staaten das Kulissentheater endgültig aufgebrochen. Urban, der sich bereits früh von Wien absetzte, bezeichnete sich selbst als „amerikanischer Roller“.70 Bezeichnenderweise wurde aber seine Bedeutung in der allgemeinen Fin-de-siècle-Euphorie keineswegs nach Gebühr berücksichtigt, obwohl er der weltweit aktivste und vielseitigste Vertreter der damaligen Wiener Künstlergeneration war und seine Kontakte zur alten Heimat immer tätig herausstrich. Die letzte Arbeit Rollers für Mahler hängt mit der Uraufführung der Achten Symphonie am 12. September 1910 in der riesigen Münchner Musik-Festhalle zusam67 68 69 70

Baker / Pausch, Anm. 52, Nr. 484. Zu den folgenden Ausführungen vgl. de La Grange, Anm. 15, besonders S. 263 und 266. Pausch, Anm. 35, S. 70. Ebenda S. 69.

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men, an der auch Max Reinhardt teilnahm. Roller schuf nicht nur, wie schon bei der Siebenten Symphonie das Plakat, sondern organisierte nach Auskunft Dietrich Rollers eine „Choreographie der Tausend“, also wohl vor allem den Aufstellungsplan für die 850 Chorsänger, die aus Leipzig, München und Wien kamen. Dietrich Rollers Angaben sind durchaus glaubhaft, betreute sein Vater doch gleichzeitig die am 25. September dieses Jahres ebenfalls in der Musik-Festhalle stattfindende erste Masseninszenierung Max Reinhardts mit Hugo von Hofmannsthals König Ödipus. Die Bedeutung Mahlers als nachschaffender Künstler lässt rückschauend zunächst an das berühmte Wort Friedrich Nietzsches in seinem Der Fall Wagner von 1888 denken, man müsse durch Richard Wagners Musik hindurchgegangen sein, um die moderne Seele zu begreifen. Mahler hat mit seinem unerbittlichen Qualitätsanspruch und dem Ziel einer dramaturgischen Zusammenschau die romantischen Forderungen Wagners erstmals befriedigend eingelöst, alle Formen eines Starkults bekämpft und eine Homogenität auch in der Ensembleführung verwirklicht, die ein heute unerreichbares Vorbild geblieben ist. Mahlers Einfluss auf das Theater des zwanzigsten Jahrhunderts kann schwer überschätzt werden. Er war der erste moderne Opernregisseur, und unter seiner Direktion verwirklichte das wichtigste österreichische Hoftheater das einzige Mal in seiner Geschichte avantgardistische Ziele. Durch seine Wiener Tätigkeit ist Mahler überdies zum eigentlichen Begründer einer modernen Repertoiregestaltung geworden. Nur das Ballett wurde von ihm vernachlässigt, vielleicht auch deshalb, weil er eben kein optischer Typ war. Er hat Max Reinhardts Regietheater mit seinen weit reichenden Folgen und durch Roller als Kontaktmann entscheidend mitgeprägt, was Hermann Bahr etwas überspitzt so formuliert hat: „1903 aber ließ Mahler Roller in die Oper ein. Der begann mit dem Tristan. Das war der Anfang Reinhardts.“71 Dazu passen immerhin die Versuche Reinhardts, Roller schon in der Ära Mahler an sich zu ziehen und ähnliche Interventionen Gerhart Hauptmanns vom 21. November (1906) 72 beim Direktor der Wiener Hofoper für die Uraufführung von Kaiser Karls Geisel 1908. Die damaligen Wiener Musteraufführungen haben, gemeinsam mit Appias Theorien, bis nach Neu-Bayreuth ausgestrahlt. Dabei könnte der in Russland gefallene Sohn Alfred Rollers Ulrich (1912–1942), ebenfalls Bühnenbildner und Berater des jungen Wieland Wagner, eine Rolle gespielt haben.73 71 72 73

Bahr, Anm. 54, S. 84. Baker / Pausch, Anm. 52, S. 54 f. und 99, mit falscher Datierung 1907. Oskar Pausch, Von Hanswurst zu Wieland Wagner: Autographen und Manuskripte im Theaterbereich, in: Sichtungen. Archiv, Bibliothek, Literaturwissenschaft. Internationales Jahrbuch des Österreichischen Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek 2 (1999), S. 145 ff.

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Abb. 3. Telegramm Gerhart Hauptmanns an Gustav Mahler vom 21. November 1906. (Österreichisches Theatermuseum, Archiv Roller)

Das Zusammenwirken Gustav Mahlers mit seinem „Auge“ Alfred Roller wurde in seiner harmonischen Intensität dann zu einem selten erreichten Gipfel angewandter Theaterarbeit. Henry-Louis de La Grange und nach ihm Jens Malte Fischer meint sogar, in diesen wenigen Jahren hätte sich die Inszenierungskunst für die Oper mehr entwickelt als in den vorangegangenen drei Jahrhunderten.74 „Gustav Mahler und Alfred Roller füllen traditionelle Vorgaben mit neuen Inhalten, indem sie der suggestiven Schwerkraft innermusikalischer Symbolik im Dreiklang von Musik, Farbe und Licht szenisch entsprechen.“75 Dabei hat auch eine von Alfred Loos gescholtene und bereits zitierte „secessionistische Sinnlichkeit“ ihren Platz gefunden. Nur so und sicher nicht nur in „homöopathischen Dosen“76 konnten Theorien und Dogmen Adolphe Appias oder Gordon Craigs zu praktischer Wirkung gebracht werden. Übrigens fand 1905 in 74 75 76

Katalog, Gustav Mahler, Anm. 24, S. 7. Heldt, Anm. 50, S. 293. Fischer, Anm. 45, S. 509.

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der Wiener Galerie Miethke eine Gordon Craig-Ausstellung statt, die Roller nachweislich besucht hat. Wohl deshalb sah sich Hermann Bahr zu seiner Feststellung veranlasst, man merke bei der neuen und sensationellen Inszenierung des Don Giovanni vom Dezember dieses Jahres den Einfluss Craigs.77 Die Zusammenarbeit mit Roller hat Mahler endgültig von der Unmöglichkeit überzeugt, mit dem Routinebetrieb einer „ständigen Opernbühne“ das Auslangen zu finden, in der „heute die Götterdämmerung, morgen die Fledermaus gegeben wird.“78 Der berühmte Schauspieler Alexander Moissi hat 1917 auf Grund ähnlicher Erfahrungen und mit Hinweis auf seine Pariser Begegnung mit Mahler das Dilemma der Hof- und Staatstheater auf den Punkt zugespitzt: „Nach einer Stunde Probe sehen die Herren auf die Uhr: Ooh, die Grießnockerln werden kalt! Da kann nichts werden.“79 Deshalb spielte Mahler zumindest mit der Utopie von Osterfestspielen. In einem Gespräch von 1906 mit dem Musikpublizisten Bernard Scharlitt spricht er von „Musteraufführungen“ und einer weiteren Idee zur Realisierung: Etwas anderes wäre eine moderne Musikbühne in Wien – Wagner- und Mozarttheater nebeneinander – etwa auf dem Kahlenberg erbaut, mit kurzer Spielzeit während der Sommermonate, mithin also kein „Konkurrenzunternehmen“ der Hofoper gegenüber.80

Alfred Roller sekundiert: Aber die ständigen Theater! Dreihundert Mal im Jahre das Außerordentliche bieten wollen! Und jede Aufführung eines Kunstwerkes soll doch als etwas Außerordentliches wirken.81

Wie ernst Mahler seinen Plan genommen haben dürfte, zeigt ein Roller nach 1908 diskret von Alma aus Südtirol zugespieltes Ersuchen, nach ihrer Idee mitzuhelfen, „am Cobenzl einen Grund zu kaufen.“82 Es bleibt also zu vermuten, dass Mahler, gemeinsam mit Roller, sich auf der Grundlage seines absoluten Qualitätsanspruchs und vielleicht seiner Erfahrungen mit Novitäten auch in der Programmierung auf die beiden „Hausgötter“ Mozart und Wagner – durchaus auch gegen Bayreuth – zurückziehen wollte. Unwillkürlich muss man dabei auch an die resignierenden Worte denken, die er angeblich über seinen Verehrer Arnold 77 78 79

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Ebenda S. 513. Hevesi, Anm. 51, S. 266. Oskar Pausch, Alexander Moissi und seine selbstlose Verehrerin. Unbekannte Moissiana im Österreichischen Theatermuseum, in: Österreich in Geschichte und Literatur 52/1 (2008), S. 14. Willnauer, Anm. 3, S. 213 f. Vgl. dazu generell Rollers Aufsatz Bühnenreform, in: Der Merker 1/5 (Wien) 1909, S. 193–197. Pausch, Anm. 64, S. 98.

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Schönberg gesagt hat: „Wenn ich ihn auch nicht verstehe: Ich bin alt – er ist jung – also hat er recht!“83 Möglicherweise zeigt Mahlers elitäre Festspielkonzeption also ein zumindest teilweise schon vor 1914 aus endzeitlichem Kulturverständnis erwachsenes Bedürfnis für exemplarische Zusammenfassungen. Nach dem Ersten Weltkrieg ist dieses Gefühl für Salzburg, mit der Rückbesinnung auf Barocktraditionen, verlorene Größe Österreichs und europäischen Geist, konstitutiv geworden. Übrigens hatte Mahler auf kaiserliche Anordnung schon 1906 zweimal Figaros Hochzeit anlässlich eines Gastspiels der Hofoper beim Salzburger Musikfest, dem Vorgänger der Festspiele, dirigiert. In diesem Konnex berichtet Bernhard Paumgartner: Bei seinem Abschied sagte Mahler zu mir, es wäre eine große Aufgabe, gerade hier in Salzburg der unnachahmlichen Eigenart Mozart’scher Musikdramatik „auf den Grund zu kommen“, hier, mit allen Möglichkeiten, ungestört vom Repertoirebetrieb, den er hasse, gründlich zu studieren.84

Man kann also getrost annehmen, dass Anregungen aus Mahlers Überlegungen später in die Salzburger Festspiele einflossen, zu deren Gründungsvätern bekanntlich Alfred Roller gehört hat. Dazu gibt es noch eine überraschende Facette: Anlässlich des Rücktritts von Richard Strauss von der Wiener Staatsoper schrieb ihm Alfred Roller am 31. Jänner 1925 einen ausführlichen Brief, in dem er, unter Hinweis auf Mahler jede gleichzeitige Tätigkeit als Komponist und Operndirektor für unmöglich und die museal erstarrende Oper für tot erklärte. Genau diesen Gedanken hat Strauss ebenfalls schon in den Zwanzigerjahren und 1945 in seinem „künstlerischen Vermächtnis“ für Karl Böhm, das einem „Opernmuseum“ mit entsprechenden Spielplänen, also vor allem Mozart, Wagner und Strauss Raum gibt, dann weiter ausgeführt.85 Es scheint hier abschließend noch erwähnenswert, dass der Kahlenberg – aufgrund seiner exponierten Lage über Wien – nach der Jahrhundertwende eine besondere Anziehungskraft für Bühnenprojekte gehabt zu haben scheint: 1904 entwarf der OttoWagner-Schüler Karl Dorfmeister dort eine riesige Volksoper86, 1922/23 plante der Bühnenbildner des Burgtheaters, Remigius Geyling, eine große Freilichtbühne für festliche Sprechstücke, deren Modell sich im Österreichischen Theatermuseum befindet.87 83 84 85 86

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Alma Mahler, Anm. 11, S. 46. Bernhard Paumgartner, Erinnerungen. Salzburg 1969, S. 65 ff. Pausch, Anm. 10, S. 736 f. Franco Borsi / Ezio Godoli, Wiener Bauten der Jahrhundertwende. Die Architektur der habsburgischen Metropole zwischen Historismus und Moderne. Stuttgart 1985, S 195 und Abb. XXIX. Siehe den Katalog Remigius Geyling. Bühnenbildner zwischen Jugendstil und Expressionismus. (Biblos-Schriften 59). Wien 1971 S. 14, 57 f.

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Leider haben sich, anders als bei seinem zeitweiligen Konkurrenten Arturo Toscanini, keine gültigen Tondokumente Gustav Mahlers erhalten, sodass wir auf die schon sehr früh einsetzenden und oft enthusiastischen Beschreibungen seiner Dirigate angewiesen sind. Hans von Bülow hatte seiner Tochter schon am 24. April 1891 berichtet: Hamburg hat jetzt einen ganz vortrefflichen Operndirigenten in Herrn Gustav Mahler (ernster energischer – Jude aus Budapest) gewonnen. […] aufrichtige Bewunderung hat mich für ihn erfüllt, da er – ohne Orchesterprobe! – das Musikantengesindel – ja – gezwungen hat, nach seinem Tanze zu pfeifen.88

Nur die einschlägigen Bühnenbilder seit 1897, die zumeist im Österreichischen Theatermuseum verwahrt werden, können als künstlerisch authentische Belege der exemplarischen Opernaufführungen bezeichnet werden, allerdings mit einigem Vorbehalt. Aus gutem Grund hat Roller zu Lebzeiten eine Ausstellung seiner prächtigen Entwürfe mit dem Bemerken verweigert, sie könnten niemals den Eindruck lebendigen Theaters vermitteln. Hier spiegelt sich die bekannte Tatsache, dass dramatische Prozesse nicht evoziert werden können, mit ihren Testimonien verhält es sich „als ob man dem Weinkenner die Etiketten zeigen würde.“89 Abschließend noch einmal ein Wort zum Kapitel der Bearbeitungen, die man sicher nicht auf eine Formel „Reinigung der Partituren von Verfälschungen durch die Tradition“ verkürzen kann.90 Sicher: Gustav Mahler hat, speziell bei Mozart, vor allem die da PonteOpern von gesprochener Prosa befreit, eingebürgerte Sängerkadenzen oder andere Interpreteneitelkeiten abgeschafft, und Wagner ungekürzt aufgeführt, doch blieb seine „Authentizität“ durchaus ein Kompromiss mit der zeitgenössischen Aufführungspraxis.91 Die vielen musikalischen und/oder dramaturgischen Eingriffe in die von ihm herausgebrachten Orchester- und Theaterstücke erregten schon zu ihrer Zeit Widerspruch, und sie scheinen mehr denn je in Frage zu stehen, weil in Zeiten des „Originalklangs“, nicht länger gegen eine praxisfremde Musikwissenschaft argumentiert werden kann. Andererseits darf man die „Betrachtung der tönenden Realität“92 angesichts neuer elektronischer Möglichkeiten im optisch-akustischen Bereich weniger denn je außer Acht lassen, und man wird auch bedenken dürfen, wie viele Regisseure und Dirigenten 88 89

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Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Kassel etc. 1960, S. 1495. Winrich Meiszies, „Dem Weinkenner die Etiketten zeigen?“ Ausstellungstätigkeit und museumspädagogische Arbeit im Theatermuseum, in: Theatersammlungen und Öffentlichkeit. Mannheim 1990, S. III. Wolfgang Greisenegger, Jede Gesellschaft hat das Theater, dessen sie wert ist, in: Theaterwelt – Welttheater, Anm. 42, S. 8. Krones, Anm. 18, S. 261–295. Kurt Blaukopf, Gustav Mahler oder der Zeitgenosse der Zukunft. Kassel–Basel 1989, S. 164 f.

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sich nach wie vor durch hochbarocke Da Capo-Opern schwindeln müssen. Mahler war auch in dieser Beziehung „ein Phänomen mit Widerhaken“.93 Mahler war der erste musikalische Exponent eines modernen Regietheaters, allerdings mit aller Demut vor dem „Gesamtkunstwerk“: Alles Persönliche soll in den Hintergrund treten, zuerst muß das Werk zur Geltung gelangen. Effectopern, in denen der Eine oder der Andere in einer Paraderolle brilliren könnte, will ich in Folge dessen nach Möglichkeit vermeiden. Die Wiener Hofoper verfügt über ein vortreffliches Künstlerpersonal, aber dieses soll nicht für seine persönlichen Erfolge, sondern für das Werk, für das Ganze, für die Kunst schaffen. […] Um eine Einheitlichkeit im Opernbetriebe und in den Aufführungen zu ermöglichen, halte ich es für nothwendig, dass der Director eines großen Operninstitutes zugleich der erste und maßgebende Kapellmeister ist, dessen Stimme und Anschauungen auch in der Inscenirung den Ausschlag geben.94

Gerade hier ist indes ein „Zauberlehrlingseffekt“ eingetreten: Der Machtzuwachs gab und gibt Regisseuren immer wieder Möglichkeiten, sich selbst – bisweilen gegen das Stück – in Szene zu setzen. Nun sollte man glauben, wenigstens das Musiktheater sei aufgrund der Wort-Ton-Verzahnung resistent gegen allzu „interessante Neudeutungen“. Gerade da aber lädt ein bereits in Zusammenhang mit Richard Strauss erwähnter Umstand zu kühnen Experimenten ein: Die klassische Opernproduktion ist nämlich nach Arabella und Wozzek weitgehend ausgetrocknet. Einschlägige Spielpläne zeigen eine dementsprechende Gleichförmigkeit, „Ausgrabungen“ oder zeitgenössische Werke sind nur als Nischenproduktionen möglich. Dadurch hat sich die ganze Aufmerksamkeit vom Stück auf die Wiedergabe gerichtet und Bestrebungen gefördert, durch inszenatorische Sensationen, die das angebliche „Museum“ und insbesondere das Pathos Wagners sprengen sollen, aufzufallen. Solches hat uns im Lauf der Zeit eine verdoppelte Leonore in Fidelio, einen Don Giovanni in der Badewanne oder einen Fliegenden Holländer ohne Wasser beschert und vor kurzem die Meistersinger von Nürnberg einfach nach Graz versetzt. Es fiele nach alldem nicht schwer, das folgende, „aktualisierte“ Szenarium für bare Münze zu nehmen: Man stelle sich etwa den dritten Aufzug des „Tristan“ in einem Büro mit Tristan als verwundetem Filialleiter und Kurwenal als seinen Sekretär vor. Isolde erscheint in nabelfreien Jeans und Sonnenbrillen und wirft sich über den am Schreibtisch zusammengebrochenen Tristan. Da legt die Yacht Markes, des Konzernchefs, mit Melot als Betriebsratsboß an und Marke masturbiert, während er das Los der Liebenden beklagt […] Übrigens, warum sollte Isolde nicht ein junger Mann (Hosenrolle), transsexuell oder „queer“ sein? 95 93 94 95

Fischer, Anm. 45, S. 870. Illustrirtes Wiener Extrablatt vom 19. März 1904. Helmut Birkhan, Nachantike Keltenrezeption. Projektionen keltischer Kultur. Wien 2009, S. 307.

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Das Thema „Bearbeitungen“ wird also im klassischen Opernbereich von einiger Brisanz bleiben. Dazu noch eine abschließende Bemerkung: Bei der Podiumsdiskussion des eingangs genannten Pariser Symposiums warf Nike Wagner die Möglichkeit auf, in Zukunft auch Partituren ihres Urgroßvaters „einzurichten“. Dieser Gedanke ließ mich sinngemäß argumentieren, dass damit gleichzeitig zum fröhlichen Halali der Tantiemenjäger auf Richard Wagner geblasen würde.

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Timothy David Freeze

“FIT FOR AN OPERETTA” Mahler and the Popular Music of His Day*

[Mahler’s Seventh Symphony is a] musical reflection of impressions from the outside world. It hardly bears witness to the inner life of its creator. What arouses Mahler’s fantasy the most are events from folklife: parades, dances, marches. Daily life attracts Mahler, and he does not flinch at its triviality. He wants to discover the poetry of the workaday, and he makes music en plein air a specialty of his symphonies. It is a matter of taste whether a melody like the one played by the cello in the trio of the second movement is even appropriate for the concert hall, or if it should not rather be played by a band at an outdoor pavilion.1

The Czech music critic Richard Batka, a staunch advocate of Mahler, did not shrink from articulating the challenges posed by Mahler’s music. He could hardly have expressed himself more strongly in this essay from 1909. In a period firmly under the sway of expressive aesthetics, a symphony was to transcend mundane concerns and provide a window onto the deepest emotional experiences of its composer.2 Yet Batka’s overwhelming sense was that Mahler’s expressive intensity did not lead to inner truths, but projected outward, the salient references to folk and popular music acting as so many reminders of quotidian existence beyond the insulating walls of the temple of high art. A century hence, Mahler’s receptivity to these sounds has become firmly anchored * Portions of this essay first appeared in a paper at the annual conference of the American Musicological Society in Québec City (2007). I would like to thank William Quillen, Hans-Dieter Roser, James Zychowicz, and David C. Paul for their helpful comments on earlier drafts. 1 B. [Richard Batka], “Gustav Mahlers ‘Siebente,’” Kunstwart 23, no. 6 (second December issue, 1909): 427: “[ist] musikalischer Reflex auf Eindrücke von außen und [kündet] nur wenig von dem Innenleben seines Schöpfers. Was Mahlers Phantasie am meisten entzündet, sind Vorgänge des Volkslebens, Aufzüge, Tänze, Märsche. Der Alltag zieht ihn an, seine Trivialität hat keine Schrecken für ihn. Er will die Poesie des Wochentags entdecken, und die Pleinairmusik bildet geradezu eine Spezialität seiner Symphonien. Es ist Geschmacksache, ob eine Melodie wie das vom Cello geführte Trio des zweiten Satzes überhaupt noch als konzertfähig gelten soll und nicht lieber von der Banda als Gartenmusik zu spielen wäre.” An abbreviated translation of Batka’s nearly identical review of the Seventh Symphony’s première in 1908 can be found in Karen Painter, ed., Mahler and His World (Princeton: Princeton University Press, 2002), 322–24. All translations are my own unless otherwise indicated. 2 Stephen McClatchie, Analyzing Wagner’s Operas: Alfred Lorenz and German Nationalist Ideology (Rochester: University of Rochester Press, 1998), 27–41; Karen Painter, Symphonic Aspirations (Cambridge: Harvard University Press, 2007), 21–43.

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among the defining traits of his compositional style. Lists of musical types woven into his eclectic symphonic fabric, and memorable anecdotes of his encounters with folk and popular music in the everyday, pepper the secondary literature.3 The collective research undergirding Mahler’s stylistic heterogeneity, however, is far from complete. Most studies that aim to identify links between his works and repertoires normally heard outside of the concert hall focus on folk music.4 Many other genres – military music and other forms of urban popular music among them – have yet to receive comparative studies of similar scope. As a result, published claims about Mahler’s musical assimilation of these genres often rest on little more than the intuitions of scholars writing decades later.5 The purpose of this essay is to locate in Mahler’s works musical and expressive topoi from one popular genre entirely appropriate to a band at an outdoor pavilion: operetta.

3

4

5

Representative lists can be found in Robert P. Morgan, “Ives and Mahler: Mutual Responses at the End of an Era,” 19th-Century Music 2, no. 1 (July 1978): 75; and Henry-Louis de La Grange, “Music about Music in Mahler: Reminiscences, Allusions, or Quotations?” in Mahler Studies, ed. Stephen Hefling (Cambridge: Cambridge University Press, 1997), 138. Donald Mitchell has argued that Mahler’s stylistic discontinuity and use of mundane materials can be traced to an anecdote about a boyhood trauma; see Gustav Mahler, vol. 2, The Wunderhorn Years: Chronicles and Commentaries, rev. and ed. Paul Banks and David Matthews (Berkeley and Los Angeles: University of California Press, 1995), 70–77. Natalie Bauer-Lechner’s diary is a treasure trove of anecdotes that have been widely cited in the literature, including Mahler’s likening polyphony to the simultaneous sounding of a military band and men’s chorus from different directions; see Gustav Mahler in den Erinnerungen von Natalie Bauer-Lechner, ed. Herbert Killian (Hamburg: Karl Dieter Wagner, 1984), 165; Recollections of Gustav Mahler by Natalie Bauer-Lechner, ed. Peter Franklin, trans. Dika Newlin (Cambridge: Cambridge University Press, 1980), 155–56. Fritz Egon Pamer, “Gustav Mahlers Lieder: eine stilkritische Studie” (Ph.D. diss., University of Vienna, 1922) [abridged in Studien zur Musikwissenschaft 18 (1929): 116–38; 19 (1930): 105–27]; Ernst Klusen, “Gustav Mahler und das Volkslied seiner Heimat,” Journal of the International Folk Music Council 15 (1963): 29–37; Vladimir Karbusicky, Gustav Mahler und seine Umwelt (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1978). John Charles Arnold’s master’s thesis “Military Music and Mahler: A Study of the Influence of 19th-Century Military Music on Symphonies One, Two, and Three by Gustav Mahler” (University of Arkansas, 1980) provides a few useful details rooted in comparative evidence. The only published article that deals significantly with the claim that Mahler drew on operetta is Alexander L. Ringer, “Johann Strauß und Gustav Mahler,” in Johann Strauß: Zwischen Kunstanspruch und Volksvergnügen, ed. Ludwig Finscher and Albrecht Riethmüller (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1995), 147–57. Except for Ringer’s article and for occasional claims of melodic allusion – almost always to Franz Lehár’s Die lustige Witwe (1905) and often chronologically untenable – nearly all scholarly references to operetta-like passages in Mahler’s works are assertions unsupported by examples. Instances include Peter Ruzicka, “Befragung des Materials: Gustav Mahler aus der Sicht aktueller Kompositionsästhetik,” in Erfundene und Gefundene Musik: Analysen, Portraits und Reflexionen, ed. Thomas Schäfer (Hofheim: Wolke Verlag, 1998), 33; and Bernd Sponheuer, “‘O Alter Duft aus Märchenzeit’: Prozeduren der Erinnerung in der ersten Nachtmusik der Siebten Symphonie Gustav Mahlers,” in Das Gustav-Mahler-Fest Hamburg 1989: Bericht über den Internationalen Gustav-MahlerKongress, ed. Matthias Theodor Vogt (Kassel: Bärenreiter, 1991), 477.

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Partly facilitating the foregoing lacuna in the literature are unavoidable problems of nomenclature and categorization. Concepts like popular and folk do not specify musical features so much as indicate how those features are being viewed; they are products of a complex calculus involving musical, sociological, and historiographical variables. Hence the use of these terms varies widely, hampering the synthesis of disparate claims and obscuring the state of the research. A full discussion of these issues would easily outstrip the limited space of this essay and distract from its primary focus, the music. For the present purposes, then, it suffices to acknowledge the problems inherent in all such categories and to agree that operetta, by virtue of its accessible style and very large audiences, can reasonably qualify as popular music, and that it is a genre largely overlooked in the literature on Mahler. Also helping to conceal the unevenness in the collective research are the very discourses used to champion Mahler’s eclectic style. His works have always been accompanied by claims that they contain “trivial” or “banal” musical elements. Since at least the time of Adorno, though, many commentators have inverted the appraisal of these materials. No longer grounds for dismissal, they are seen as the wellspring of Mahler’s special tone and as an invitation to theorize about the social and philosophical implications of his works.6 Treating popular topoi only as conduits for broad aesthetic and social concepts, however, disregards their diversity and neglects the importance of historical context in shaping their expression. Approaches to Mahler’s music that emphasize modern aesthetic intuitions in this way have their rightful place in the scholarship, but, in the end, they reveal little historically about the relationship between Mahler and the popular music of his day. This essay contains four sections. The first surveys Mahler’s professional dealings with operetta and argues that he enjoyed the genre in private. Returning to the ambiguity of “folk” and “popular” as separate musical categories, the second identifies multiple topoi of operetta in Mahler’s song “Aus! Aus!” Next, the song “Revelge” is used to illustrate how Mahler’s repertoire of march types also included marches associated with operetta. The final section looks at the third movement of Mahler’s First Symphony and contends that operetta provided influential precedents for its musical and expressive vocabulary.

6

For example, Theodor W. Adorno, Mahler: A Musical Physiognomy, trans. Edmund Jephcott (Chicago and London: University of Chicago Press, 1993), ch. 2, “Tone.”

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I. The secondary literature paints Mahler’s attitude toward operetta in shades of aloofness, ambivalence, and hostility.7 His only substantive connection to the genre is generally thought to be as a conductor, either assigned to perform them by his superiors or, later in his career, compelled to by the sure financial returns. In surviving letters and anecdotes, Mahler said little about popular music. Judicious interpretation of these few remarks, though, casts his opinion of operetta in a sympathetic light. One indication comes from an incident at Vienna’s Court Opera in 1899. The tenor Fritz Schrödter refused to sing the part of Eisenstein in Die Fledermaus unless he were paid a bonus. Mahler reprimanded the singer in writing: An operetta is simply a small and lighthearted opera and many classical works are given this title. The fact that recently compositions without musical value have been called operettas makes no difference. Johann Strauss’s work surpasses them in every way, notably in its excellent musical diction, and that is why the administration has not hesitated to include it in the Opera repertoire. You yourself, dear Herr Schrödter, have often sung works that are far below the level of Die Fledermaus – Am Wörther See, for example.8

Mahler did not judge works by their genre; rather, he considered their merits case by case. The word “recently” is important in this connection. At the time of the reprimand, Viennese operetta was widely perceived to be in crisis. The genre’s demise was routinely invoked in newspaper reviews and journal articles until Lehár’s resounding success with Die lustige Witwe (1905) proved, albeit temporarily, how misguided such sentiments were.9 The operettas that Mahler conducted all stemmed from earlier generations, the socalled Golden Age of Viennese operetta, represented foremost by Franz von Suppé, Johann Strauss, Jr., and Carl Millöcker, and French operettas of an even earlier vintage (Table 1). Like many of his contemporaries, Mahler probably held these earlier works in higher esteem than the latest additions to the genre. 7

8

9

De La Grange and Kurt Blaukopf cast Alma Mahler’s anecdote about attending Die lustige Witwe with her husband so as to emphasize Mahler’s ambivalence; see Henry-Louis de La Grange, Gustav Mahler, vol. 3, Vienna: Triumph and Disillusion, 1904–1907 (New York: Oxford University Press, 1999), 473; and Kurt Blaukopf, Gustav Mahler oder der Zeitgenosse der Zukunft (Vienna: Fritz Molden, 1969), 233. For Mahler’s aloofness to popular music, see de La Grange, Gustav Mahler, 3:477. A more hostile posture toward operetta is suggested by an anecdote recounted by Hans Bruckmüller in 1932, quoted in Henry-Louis de La Grange, Gustav Mahler, vol. 1 (Garden City, N.Y.: Doubleday, 1973), 107. Quoted in Henry-Louis de La Grange, Gustav Mahler, vol. 2, Vienna: The Years of Challenge, 1897–1904 (New York: Oxford University Press, 1995), 182. Am Wörther See was a Liederspiel by the Austrian composer Thomas Koschat, who was famous for his works imitating the folk styles of Kärnten. See A. N., “‘Der Fremdenführer,’” Die Wage 5, no. 43 (19 October 1902): 693; and “Der Niedergang der Operette. Aus einer Unterredung mit Charles Lecocq,” Neues Wiener Journal, 13 July 1904. The latter arti-

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Table 1: Operettas conducted by Mahler 10 I.

III.

Brandl, Johann Genée, Richard Lecocq, Charles Lecocq, Charles Millöcker, Carl Offenbach, Jacques Offenbach, Jacques Offenbach, Jacques

Des Löwen Erwachen (1872) Der Seekadett (1876) La Fille de Madame Angot (1873) Giroflé-Girofla (1874) Der Bettelstudent (1882) Barbe-bleue (1866) La Belle Hélène (1864) Le Mariage aux lanternes (1857)

Offenbach, Jacques Planquette, Robert Strauss, Jr., Johann Strauss, Jr., Johann

La Vie parisienne (1866) Les Cloches de Corneville (1877) Cagliostro in Wien (1875) Die Fledermaus (1874)

Strauss, Jr., Johann Suppé, Franz von

Der lustige Krieg (1881) Boccaccio (1879)

Suppé, Franz von Suppé, Franz von Suppé, Franz von

Donna Juanita (1880) Fatinitza (1876) Flotte Bursche (1863)

I. II. III. IV.

10

II.

Bad Hall (1) Ljubljana (2) Ljubljana (1) Ljubljana (2) Hamburg (11) Ljubljana (1) Ljubljana (1) Bad Hall (2) Kassel (2) Ljubljana (2) Ljubljana (3) Ljubljana (2) Ljubljana (2) Hamburg (21) Vienna (1) Ljubljana (11) Ljubljana (5) Jihlava (1) Ljubljana (7) Ljubljana (2) Ljubljana (1)

IV. 130 191 263 411 4,940 148 1,474 524

(#66) (#55) (#47) (#34) (#4) (#64) (#15) (#28)

252 1,025 [no data] 11,962

(#49) (#20)

563 2,133

(#27) (#9)

156 1,215 522

(#61) (#18) (#29)

(#1)

Composer Title (in original language) and year of première Location and number of performances Mahler conducted Number of performances on German-language stages in 1896–1921 and ranking compared to other operettas with premières between 1855 and 1900.

cle opens with the line: “For many years it has been said that the operetta is in decline.” As Lehár’s operettas became more sentimental and opera-like in their pretensions, the demise of the genre was again much discussed. See Georg Pauly, “Operettendämmerung,” Signale für die Musikalische Welt 70, no. 49 (4 December 1912): 1635–38; no. 50 (11 December 1912): 1675–77. Excluded from the table is one operetta, Karl Kuntze’s Das Kaffeekränzchen or Der Kaffeeklatsch, which Mahler rehearsed in Iglau (de La Grange, Mahler, 1:107). Kuntze’s “operetta” was written for small vocal ensemble and piano accompaniment and was intended for performance at Liedertafel. Hence, it does not fit into the tradition of staged works with orchestral accompaniment represented by the operettas listed above. Since no comprehensive account of the repertoire at Bad Hall survives, the only pieces that Mahler is known to have conducted are those for which advertising posters survive, see Katharina Ulbrich, Mathilde Kubizek, and Erich Wolfgang Partsch, “Mahler in Bad Hall: Eine Dokumentation,” Nachrichten zur MahlerForschung 50 (spring 2004): 48–49. Four operettas by Offenbach fell under Mahler’s responsibility in Kassel, but no newspapers confirm that he actually conducted them; see Hans Joachim Schaefer, Kassel trifft sich – Kassel erinnert sich: Gustav Mahler (Kassel: Stadtsparkasse Kassel, 1990), 38–39, 112–13. The remaining sources for columns 1–3 are: Primrož Kuret, Mahler in Laibach: Ljubljana, 1881–1882 (Vienna: Böhlau Verlag, 2001), 96–99; de La Grange, Mahler, 1:87; Bernd Schabbing, Gustav Mahler als Konzert- und Operndirigent in Hamburg (Berlin: Verlag Ernst Kuhn, 2002), 309; de La Grange, Gustav Mahler, 3:942.

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There are hints that Mahler personally enjoyed operetta and even got to know some that he never conducted. In a letter to his wife in 1904, he dismissed Hans Pfitzner’s Die Rose vom Liebesgarten by quoting a line from an Offenbachiade: the opera “evolves only as far as the invertebrates; vertebrates cannot follow. Like Kalchas in La Belle Hélène, one would like to call out, ‘Flowers, nothing but flowers.’”11 Mahler had not conducted La Belle Hélène (1864) in nearly a quarter century. Had he retained the line in his memory all these years, or had he heard the operetta since? Circumstantial evidence in support of the latter can be found in the unlikeliest of places – a review of Mahler’s Eighth Symphony (1910). The Berlin critic Oskar Bie whimsically interwove his impressions of Mahler’s symphony with his experiences visiting the Mahlers at their summer home just weeks before the concert. We are in the realm of cheerfulness, the eternal feminine; the most constant yearning, for they must be unrealizable. This echoes constantly in Mahler’s head. Visions of angels in white dresses with instruments from Fiesole. A small mouth, a sweet voice, and everything bathed in golden light, the sounds of a mandolin, and carefree music-making, just as he arranges it in many songs and symphonies. What is that, is it not La Belle Hélène? We are approaching his farmer’s villa there on the edge of the green meadow of Toblach and hear Offenbach from the piano in the lonely white house. A third hand plays the melodious upper voice with such certain strength and precision – Mahler is playing with his wife, whose Venetian delicacy Palma Vecchio could hardly have painted.12

11

12

The data for column 4 is drawn from Otto Keller, Die Operette in ihrer geschichtlichen Entwicklung: Musik, Libretto, Darstellung (Leipzig: Stein Verlag, 1926), 294, 420–22. The absolute number of performances was actually significantly higher; only relatively few theaters reported their repertoire to the Deutsche BühnenSpielplan, Keller’s source for the figures. The relative ranking of the operettas, however, should be accurate. Keller’s omission of Cagliostro in Wien seems to have been an oversight. Henry-Louis de La Grange and Günther Weiss, eds., Gustav Mahler: Letters to his Wife, trans. and rev. Antony Beaumont (Ithaca, N.Y.: Cornell University Press, 2004), 146–47. In Offenbach’s operetta, Calchas, chief auger to Jupiter, is complaining about the miserable collection of alms, which consist mostly of flowers – not the kinds of things from which priests can become rich. See also Alma Mahler, Gustav Mahler: Memories and Letters, rev. ed., trans. Basil Creighton, ed. Donald Mitchell (Seattle and London: University of Washington Press, 1971), 232. Oskar Bie, “Mahlers Achte,” Die neue Rundschau [Berlin] 21, no. 4 (1910); transcribed in the Vondenhoff Collection at the Musiksammlung of the Österreichische Nationalbibliothek: “Das Heitere, das Ewigweibliche schwebt uns vor, die beständigste Sehnsucht, denn sie muss unerfüllbar sein. Mahler klingt sie dauernd im Kopfe. Engelsbilder, in weißen Kleidern, mit Instrumenten von Fiesole, ein kleiner Mund, eine süße Stimme, und alles Lichtvergoldete, Mandolinenklingende, unbesorgt Musizierende, wie er es in vielen Liedern und Symphonien gestaltet. Was ist das, ist das nicht die ‘Schöne Helena’? Wir nahen uns seiner Bauernvilla, da oben am Rande der grünen Wiese von Toblach, und hören aus dem einsamen weißen Hause Offenbach auf dem Klavier, und eine dritte Hand spielt die melodiöse Oberstimme mit so bestimmter Kraft und Präzision – Mahler spielt mit seiner Frau, deren venezianische Delikatesse Palma Vecchio kaum hätte malen können.”

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Another hint of Mahler’s private encounters with operetta comes from an exchange with Alexander Girardi, one of Vienna’s greatest comic actors, during a rehearsal of Die Fledermaus at the Court Opera. The cast included the tenor Andreas Dippel, who recounted the following in an interview: Johann Strauss sat on the conductor’s podium. Girardi, who only had to take the stage in the last act, sat for a while next to Mahler in the dark parquet. Mahler was silent and Girardi was eager to “chit-chat.” Girardi looked now and then at his neighbor’s twinkling glasses and serious mien. Finally Mahler said: “I would rather have had Der Zigeunerbaron for the benefit.” Relieved that he could finally speak, Girardi sputtered [in Viennese dialect]: “O c’mon! Der Zigeunerbaron!? If you’da just let me sing Lohengrin! Then you really woulda heard somethin’!”13

Since Mahler never conducted Der Zigeunerbaron (1885), his knowledge of it likely came from private study or attending a performance.14 In the end, however, the artistic merits of operetta would have been largely irrelevant to Mahler the composer. In a conversation about Johann Strauss, Jr., he told Natalie Bauer-Lechner: I do not hold a low opinion of waltzes; I accept them for what they are in all their uniqueness and delightful inventiveness. But you cannot call them art. They have as little to do with art as has, say, the folksong “Ach, wie ist’s möglich denn,” no matter how moving it is. These short-breathed melodies of successive eight-bar phrases, from which nothing develops – in which, indeed, there is not the slightest trace of any development – cannot be considered “compositions” at all.15

13

14

15

Martin Hürlimann, ed., Die Walzer-Dynastie Strauss in Zeugnissen ihrer selbst und ihrer Zeitgenossen (Zürich: Manesse Verlag, 1976), 264–67: “Am Dirigentenpult sass Johann Strauss. Girardi, der erst im letzten Akt zu tun hatte, sass einstweilen neben Mahler im dunkeln Parkett. Mahler war schweigsam, und Girardi wollte gern ‘plauschen’. Er sah hin und wieder nach den funkelnden Augengläsern und in das ernste Gesicht seines Nachbars. Endlich sagte Mahler: ‘Mir wäre “Der Zigeunerbaron” als Festvorstellung lieber gewesen.’ Froh, endlich reden zu können, sprudelte Girardi hervor: ‘Aber ich bitt’ Sie! “Der Zigeunerbaron”! Hätten S’ mi amal den Lohengrin singen lassen! Da hätt’n S’ erst was derlebt!’” He could have heard the operetta in Prague, where the original cast from the Theater an der Wien performed the work every day of a 9-day residence in May 1886. He may also have heard it in Leipzig in the 1886–87 season. Alexander Ringer has posited that Mahler developed some compositional techniques by intensifying textural traits from this operetta (“Johann Strauß und Gustav Mahler,” 153–54). Franklin, ed., Recollections of Gustav Mahler, 128 (translation amended). In the introduction to the book’s first edition in 1923, Paul Stefan cites the less charitable continuation of the above quotation as an example of how certain details recounted by Bauer-Lechner are unreliable: “the negative comment on Johann Strauss are inconsistent with Mahler’s often-expressed admiration for this composer” (ibid., 19). See also Killian, ed., Erinnerungen von Natalie Bauer-Lechner, 134.

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Mahler’s insistence that waltzes do not constitute art is remarkable for what he pairs them with: folksongs. In contrast to the prevailing discourse among musicians and critics, Mahler did not divide vernacular styles into an aesthetic hierarchy in which folksong was superior to urban popular music. He located aesthetic distinction in the organic development of musical ideas. There was nothing intrinsic to folksong or waltzes that precluded or guaranteed their admissibility to a symphony. All that mattered was how the composer treated such materials. Mahler asserted this view in an interview from near the end of his life: I have often heard composers who claim to seek individuality above all things state that they purposely avoid hearing too much music of other composers, fearing that their own originality will be affected. They also avoid hearing the songs of the street or folk-songs for a similar reason. What arrant nonsense! If a man eats a beef-steak it is no sign that he will become a cow. He takes the nourishment from the food and that transforms itself by means of wonderful physiological processes into flesh, strength and bodily force, but he may eat beef-steaks for a lifetime and never be anything but a man.16

Operetta was thus fit for Mahler’s symphonic universe, as much as folksong or aspects from the music of fellow composers. Such anecdotes offer some counterevidence to the notion that Mahler never condescended to operetta of his own volition. Rather, it seems that he, like many other cultural elites of his time, found enjoyment in the genre.17 Just as Mahler’s notions of art have not deterred scholars from studying his allusions to folk music, they should not deter a consideration of operetta in this manner, either. In fact, operetta offers distinct methodological advantages. Whereas it is exceedingly difficult to document more than a few specific pieces of military or folk music that Mahler knew, he certainly knew intimately the operettas that he conducted. Furthermore, the performance figures in Table 1, despite being an underestimate, suggest the considerable longevity of successful operettas, which was only magnified by arrangements for military bands, salon orchestras, and domestic consumption. As Mahler composed symphonies from the late 1880s to the early 1900s, then, he could reasonably anticipate that his audiences were familiar not only with operettas from those years, but also with many written decades earlier. Before proceeding to specific examples, a few comments on stylistic references are necessary. Identifying likenesses to operetta in Mahler’s works differs from comparisons 16

17

Gustav Mahler, “The Influence of the Folk-Song on German Musical Art [An Interview],” Etude (1911): 301. See Moritz Csáky, “Relevanz der Operette im Fin de siècle,” in Ideologie der Operette und Wiener Moderne: ein kulturhistorischer Essay zur österreichischen Identität (Vienna: Böhlau Verlag, 1996), 157–61.

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to folksong anthologies, where melodic similarity is primary. Operetta scores consist largely of musical types suitable to the comic stage, adapted to constraints of performance, and deployed in the service of characteristic dispositions like merriment, irony, and sensuality. In Mahler’s musical environment, these compositional types also existed in many other genres and repertories. For this reason, much of what can be identified as operetta-like in his scores can be, and in the literature has traditionally been, attributed to other possible sources. This essay deals with passages frequently attributed to folk music, military bands, Bohemian street musicians, or klezmer music. Melody or compositional type do not alone suffice for them to be considered topoi from operetta; the musical texture should also have something of the lightness and agility of an operetta ensemble, and the general expression should be related to the genre’s typical dispositions.

II. Mahler’s “Aus! Aus!” (1887–90) is a dialogue between a young soldier boy, ready to march out of town with his regiment, and a dark-haired girl, afraid of losing her lover forever. A pervading, parodic tone raises the suspicion that the lovers doth protest too much.18 The simple musical idiom and its text, drawn from Arnim and Brentano’s Des Knaben Wunderhorn collection of folk poetry, exemplify Mahler’s emulation and assimilation of folk materials and styles. In a largely negative review of the song’s première in Hamburg on 29 April 1892, Josef Sittard criticized the similarity of its main theme to Franz von Suppé’s Boccaccio March, the hit number of the eponymous operetta from 1879.19 Indeed, both melodies share identical head motives: Example 1: Franz von Suppé, Boccaccio March (incipit)

Of course, too much should not be read into such brief melodic similarities, even if they do share analogous formal positions. Sittard’s observation, however, is related to a greater

18

19

Performance instructions establish the parodic tone at the outset – “Cheeky March Tempo” [Keckes Marschtempo] – and in each of the girl’s laments – “Plaintively (with parody)” [Kläglich (Mit parodie)]. The song ends with an ironic play on the word “Aus,” which could refer either to the boy’s march “out” of the city, or to his relationship, which is “over.” Josef Sittard, Correspondent [Hamburg], 30 April 1892, quoted in Bernd Schabbing, Gustav Mahler als Konzertund Operndirigent in Hamburg, Musicologica berlinensia 9 (Berlin: Verlag Ernst Kuhn, 2002), 117.

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Example 2: Gustav Mahler, “Aus! Aus!” (mm. 19–36)

point: much of what channels folk traditions in Mahler’s works can also serve as links to urban entertainment music like operetta.20 Soldiers separated from their beloveds can be found in many operettas, including Offenbach’s La Grande-Duchesse de Gerolstein (1867) and Suppé’s Fatinitza (1876), which share with “Aus! Aus!” the half-serious tone, and Strauss’s Der Zigeunerbaron. Moreover, in the third stanza of Mahler’s song, the soldier suggests that the girl drink a toast to their health before his departure. Drinking songs were a staple of operetta, in both its French and Viennese incarnations. The soldiers and peasant girls in La GrandeDuchesse, for example, turn to wine on the eve of the army’s departure.21 And Alfred’s 20

Soldier songs were also common among urban Flugblätter – songs distributed on small, folded pieces of paper with a melody, multiple stanzas of text, and often an illustration. Some Flugblätter in Vienna were based on poems from Des Knaben Wunderhorn, including “Der Deserteur” – the text that Mahler used for his song “Zu Strassburg auf der Schanz’.”

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Trinklied from Die Fledermaus, perhaps the genre’s most famous drinking song, parallels the ironic message of “Aus! Aus!” by mocking steadfast love and long-term faithfulness. In addition to these topical similarities, Mahler’s song also takes a page out of the sound-world of operetta, as further comparison with the Trinklied illustrates. Alfred’s song begins in a lively 3/4 with staccato articulations and homorhythm between voice and accompaniment. For the second quatrain, the music turns suddenly more sentimental. A tonic pedal and broken-chord accompaniment underpin a lyrical melody that features rising melodic sixths and a cadential phrase descending through a melodic seventh. Mahler’s song shares with the opening of the Trinklied such general features as bouncy articulation, largely homorhythmic accompaniment, and cheeky expression.22 The musical similarities pick up at the mention of alcohol in the third stanza, where Mahler, like Strauss, shifts into a sentimental style (see Ex. 2). A tonal lurch to the submediant accompanies a drop in dynamics and shift to a broken-chord accompaniment. The melody becomes suddenly lyrical. At the word Wein, it is punctuated by one of Strauss’s calling cards – the rising melodic sixth – and also descends through a seventh, not once, but three times.23

Example 3: Johann Strauss, Jr., Die Fledermaus, No. 5, Finale 21

22

23

Mahler never conducted La Grand-Duchesse, but he was likely familiar with it. Along with La Belle Hélène, it was the most frequently performed musical stage work in Iglau during Mahler’s childhood. See Timothy Freeze, “The Public Concert Life of Mahler’s Youth in Iglau, 1866–75,” Naturlaut, 7, no.2 (2010): 2–7. This is especially true of the song’s opening. Example 2 begins at a restatement of the main theme accompanied by stylized drum rolls. There are even modest textual parallels: the third line of Mahler’s stanza begins with “Siehst du” as did three lines in Alfred’s Trinklied (the phrase is, however, indicative in Strauss and interrogative in Mahler).

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It is unlikely that Mahler intended a specific allusion to Die Fledermaus, though one is left to wonder if the sound-world of the operetta may not have been suggested to Mahler by the presence of the great operetta composer’s name – “Strauss” – in the Wunderhorn text. What the similarities definitely show is that Mahler’s folk-like song also partakes of a number of musical and textual conventions familiar from operetta. The likenesses to one genre do not negate or contradict those to the other; they coexist and even derive in part from the same features. This is the natural condition of Mahler’s scores, where references to music from outside the concert hall are seldom univocal, but more typically invite comparison to multiple genres.

III. Mahler’s marches are often likened to military music, but they also bear close resemblance to other kinds of marches in his musical environment. Operetta, for instance, had such a close and symbiotic relationship with military band music that it is difficult to know offhand which of Mahler’s marches might resemble one without also conjuring the other. Transcriptions and potpourris from operetta figured prominently in the repertoire of Austria’s military bands, and the sounds of the military were key ingredients of operetta scores since the genre’s beginnings.24 The pioneer of Viennese operetta, Franz von Suppé, adopted many features from Offenbach’s works but supplemented the French model with a greater emphasis on marches. Suppé’s Boccaccio, which stands alongside Die Fledermaus and Der Bettelstudent (1882) at the pinnacle of Golden Era operettas, includes more measures in march idiom than any other single compositional type, and this despite a setting in seventeenth-century Venice and a plot turning on the amorous intrigues of the famous Italian writer. In fact, one of the operetta’s most famous numbers was its aforementioned march. This was also the case with Suppé’s previous evening-long success, Fatinitza (1876). Its march sold over 350,000 copies of sheet 24

Jacques Offenbach, for example, wrote both satirical (La Grande Duchesse de Gerolstein; Madame l’Archiduc, 1874) and patriotic (La Fille du Tambour-Major, 1879) representations of the military. For more on the presence of operetta in military band repertoires, see Eva Slavíčková, “Militärkapelle und ihre Stellung in dem Musikleben des 19. Jahrhunderts: Einfluss der Militärkapelle auf die Olomoucer Musikkultur bis zum Jahre 1918,” Musicologica Olomucensia 5 (2000): 144; Bernhard Habla, “Opern-Bearbeitungen für Harmoniemusiken und größere Bläserbesetzungen: Gedrucktes Notenmaterial aus dem zweiten Viertel des 19. Jh.,” Studia Musicologica Academiae Scientiarum Hungaricae 38 (1997): 64; Habla, “Das Repertoire von MilitärBlasorchestern vor dem Ersten Weltkrieg: Gezeigt am Notenbestand des ‘bosnisch-herzegowinischen’ Infanterie-Regiments Nr. 4,” in Festschrift zum 60. Geburtstag von Wolfgang Suppan (Tutzing: Hans Schneider, 1993), 349–76.

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Table 2: Typical Instruments of Military Bands and Operetta Orchestras 25 Austrian Military Wind Band, ca. 1890s

Operetta Orchestra, ca. 1870–80s

Flute in D-flat (1–2) Piccolo in D-flat (1–2)

Flutes (2) Oboes (2)

Clarinet in A-flat Clarinet in E-flat (1–2) Clarinets in B-flat (2–4) Bassoons (2)

Clarinets in B-flat (2) Bassoons (2)

French horns (4) Cornet in E-flat

French horns in F (4) Trumpets in F (2)

Trumpet in B-flat Trumpets in E-flat (4– 6) Bass trumpet Flügelhorns in B-flat (2) Bass flügelhorn Euphonium Trombones (3) Bass tubas (2) Helicon

Trombones (3)

Violins (2) Viola Cello Bass Triangle Timpani Snare drum Bass drum + Cymbals

Snare drum Bass drum + Cymbals

The number of parts for each instrument, when greater than one, is given in parentheses. Italics indicate instruments occasionally found in military bands.

25

Emil Kaiser, Historische Märsche und sonstige Kompositionen für das kaiserliche und königliche Heer (1895; repr. Vienna: Musikverlag Johann Kliment, 2002), viii; see also Bernhard Habla, Besetzung und Instrumentation des Blasorchesters weit der Erfindung der Ventile für Blechblasinstrumente bis zum zweiten Weltkrieg in Österreich und Deutschland, 2 vols. (Tutzing: Hans Schneider, 1990), 1:32–34. I extrapolated the instrumentation for operetta orchestrasfrom the operettas that Mahler conducted. The instrumentation of these pieces can be found in Volker Klotz, Operette. Porträt und Handbuch einer unerhörten Kunst (Munich: Piper, 1991).

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music in just one and a half years and was broadly disseminated by military bands, on Flugblätter, and as a Gassenhauer with various regional texts.26 Although Suppé had little direct contact with the military band culture of Vienna, a fact that sets him apart from a great many other operetta composers, he nonetheless achieved a reputation as the “Regiments-Kapellmeister der Wiener Operette.”27 The distinction underscores how fully military idioms had been assimilated into entertainment music more broadly. Given their symbiotic relationship, military marches and operetta marches are virtually indistinguishable in melody, harmony, rhythm, and texture. It is possible, however, to make robust distinctions based on timbre. The instruments and scoring of Austrian military marches at the end of the nineteenth century were calibrated to project in outdoor settings and to convey a uniform and easily recognizable sonic profile.28 Table 2 compares the instruments of an Austrian military band with those typical of an operetta orchestra. The core of the band consisted of the family of conical [weitmensuriert] brass instruments, most of which were absent from the orchestra: cornet, flügelhorn, bass flügelhorn, euphonium, and bass tuba.29 The only woodwind instruments common to both ensembles were the clarinet in B-flat and the bassoon, which was only occasionally used by military bands. The configuration of percussion in military marches – snare drum, bass drum, and cymbals – was the most potent signifier of military music, in part because these instruments were readily available to non-military ensembles.30 In addition, 26

27

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29

30

Hans-Dieter Roser, Franz von Suppé: Werk und Leben, Neue Musikportraits 3 (Vienna: Edition Steinbauer, 2007), 152–53, 174. Not surprisingly given the success of Suppés marches, Eduard Strauss ended each Quadrille arranged from Suppé’s operettas with a march. Anonymous, “Theater und Kunst,” Wiener Abendpost, 27 January 1898. Many operetta and entertainment music composers were either military band directors or the sons of directors: Franz Lehár, Carl Michael Ziehrer, Karl Komzák, Béla Kéler, Emil Nikolaus von Rezniček, and Julius Fučik (Csáky, Ideologie der Operette, 267–68). Austrian military bands performed in a variety of ensembles. The following discussion is restricted to the wind band, which was the most stereotypical of the military’s musical formations. See also Jason Stephen Heilman, “O du mein Österreich: Patriotic Music and Multinational Identity in the Austro-Hungarian Empire” (Ph.D. diss., Duke University, 2009), 142–84. Weitmensuriert brass instruments are characterized by a modest flare at the bell and a mostly conical bore. See Habla, Besetzung und Instrumentation, 1:333–63; Achim Hofer, Blasmusikforschung: Eine kritische Einführung (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1992), 175–76; Heilman, “O du mein Österreich,” 169–72. Because this essay deals with the music from military bands, operettas, and Mahler’s works, I use snare instead of side drum as a translation for kleine Trommel. Other percussion instruments were indeed used by military bands, but they did not generally appear in support of functional music, which had more distinctive instrumentation and texture. Many indices suggest that the combination of snare drum, bass drum, and cymbals was as stable a convention in Mahler’s lifetime as was bass drum, cymbals, and triangle for Classical composers invoking the Janissary style a century earlier: the lack of regional variation in the percussion in the monarchy’s military bands; and the widespread use of the convention in references to the military in operetta and dance music. See Habla, Besetzung und Instrumentation, 1:27, 37–45; Timothy David Freeze, “Gustav Mahler’s Third

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Example 4: Franz Grimm, Monte Croce March, arr. Emil Kaiser (mm. 13–20)

military marches were distinguished by their heavy scoring as exemplified by a few measures from the first strain of Franz Grimm’s Monte Croce March (1866), arranged in the 1890s by the military band director Emil Kaiser (Ex. 4).31 Such thickly doubled textures even pervaded trio sections, whose contrast with the march was achieved primarily

31

Symphony: Program, Reception, and Evocations of the Popular” (Ph.D. diss., University of Michigan, 2010), 157–61. The most pronounced reduction of texture in military marches generally occurs in the brief introductions. These features can be readily gleaned from the collection of historical Austrian marches newly arranged in the 1890s by Emil Kaiser. See fn. 25.

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through reduced dynamics and lyrical phrasing. As a result, Austrian military marches possessed a strikingly homogenous sound profile. Operetta, in contrast, lacked trademark instruments. Composers often imitated the percussion and heavy scoring of military marches, especially for representations of soldiers or for texts containing martial metaphors.32 But many marches would have been atypical for military bands. Operetta tended toward transparent textures, generally reserving tutti ensembles for climaxes in choral scenes. Marches are frequently scored for strings, woodwinds, and perhaps triangle (or other single percussion instrument) as opposed to the heavy brass and percussion that were de rigueur in military marches.33 These characteristics can be clearly seen in the light march from the act 3 finale of Boccaccio, which Suppé also used as the trio for the Boccaccio March (Ex. 5). Transparent orchestration had more than practical and financial justifications. Vocal roles in operetta were sung by actors whose voices were not trained to project over a massive orchestral apparatus in large opera halls. Thinner textures, softer dynamics, and delicate percussion ensured that the actors and their nuanced declamation could be readily heard. The textural lightness was only exaggerated by the modest size of the orchestra. Whereas a full-sized military band in the 1890s consisted of forty-six winds and percussion, only an extravagantly large operetta orchestra would have had so many players, most of whom were playing string instruments.34 Light marches were not the exclusive domain of operetta, but they were a musical topic as common to it as they were anathema to military bands. Marches resembling both profiles can be found in the first movement of Mahler’s Third Symphony. Many scholars have remarked on the realistic touch of its military-like marches.35 Likenesses to operetta were also cited by many of they symphony’s early reviewers; at least three critics – Richard Hirschfeld, Hans Liebstoeckl, and August Spanuth – appear to identify the same march as operetta-like (m. 279f.).36 The move32

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35 36

Examples from the operettas that Mahler conducted include: Millöcker, Der Bettelstudent, Act I Finale; Strauss, Jr., Der lustige Krieg, Act I Finale. Examples from the operettas that Mahler conducted include: Charles Lecocq, La Fille de Madame Angot, no. 18c; Suppé, Boccaccio, no. 7; Strauss Jr., Der lustige Krieg, no. 10. Habla, Besetzung und Instrumentation des Blasorchesters, 1:43; Roser, Franz von Suppé, 29, 93. It is difficult to know the precise size of pit orchestras, which varied from theater to theater. One point of reference is the Theater an der Wien, whose operetta productions were among the most lavish in Vienna. In 1913 its pit orchestra consisted of about forty-three players; see Stefan Frey, “Was sagt ihr zu diesem Erfolg”: Franz Lehár und die Unterhaltungsmusik im 20. Jahrhundert (Frankfurt am Main: Insel Verlag, 1999), 114. For example, see Mitchell, Wunderhorn Years, 326; de La Grange, “Music about Music,” 126. Contemporary reviewers who likened specific passages to operetta include: Robert Hirschfeld, “Feuilleton. Konzerte,” Wiener Abendpost, no. 296, 28 December 1904, 1–2; Hans Liebstoeckl, “Gustav Mahler’s ‘Dritte,’” Illustrirtes Wiener Extrablatt, no. 347, 15 December 1904, 6–7; and August Spanuth, “Gustav Mahler: The Composer Whom Boston First Hears This Week,” Boston Evening Transcript, 31 January 1906,

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Example 5: Franz von Suppé, Boccaccio, No. 20, Finale III (mm. 144–51) quoted in Painter, Mahler and His World, 246. General comparisons to operetta were made in the following reviews: Hirschfeld, “Mahler und Strauß in Wien,” Österreichische Rundschau 1 (November 1904 – January 1905): 535–40; Theodor Kroyer, Signale für die musikalische Welt 62, no. 25 (30 March 1904): 409; Maximillian Muntz, “Musik. IV. (Gustav Mahler’s dritte Symphonie.),” Deutsche Zeitung, 16 December 1904; review by Arthur Smolian, quoted in de La Grange, Gustav Mahler, 3:63; Hans Teßler, “Der Fall Mahler,” Rheinisch-Westfälische Zeitung, 16 June 1921. Julius Korngold did not cite operetta directly, but did mention the Prater in Vienna, where operettas and other entertainment music were performed (“Mahlers III. Symphonie. Feuilleton,” Neue Freie Presse, 17 December 1904).

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Example 6: Gustav Mahler, “Revelge” (mm. 29–40)

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ment’s size and complexity, though, do not lend it to succinct summary. Mahler’s “Revelge” (1898) is a more manageable example that pits the sound profiles of military and light marches side by side. The critic David Josef Bach even linked one of its themes directly to the Third Symphony’s operetta-like march.37 “Revelge” incorporates more stereotypical elements of military bands than are found in Mahler’s other orchestral soldier songs. It makes widespread use of thickly doubled woodwinds and snare drum, bass drum, and cymbals, with the latter two attached and played by a single player as was done in military bands. Such clear allusions befit the song’s text, which deals with marching soldiers and military music. It is the operetta-like marches in “Revelge,” however, that effect the most harrowing moments, as when a fleeing soldier declines to help his fallen comrade (Ex. 6). Though the situation could hardly be more violent or the circumstances more dire, the strophe is set to a light march fit for an operetta. The key shifts to the major mode for the first time. The texture is radically reduced and the dynamic falls to piano and pianissimo. The vocal line is marked mit Ausdruck, while the accompanying first violins are instructed to play singend. The melody is periodic, frequently enriched by parallel thirds, and even closes with an authentic cadence. As David Josef Bach wrote, most likely of this passage: it is “almost a Gassenhauer, but one that allows the dead to enjoy themselves.”38 The immense disparity between the text and musical setting exposes the disingenuousness of the fleeing soldier. As if to stress the point, a bass line alternating tonic and dominant enters just at the words “May God help you.” Intensifying the mordant sarcasm is the way that the passage is introduced. Nowhere in the song is the evocation of a military band more pronounced than here (mm. 30–31). This feature actually complements the operetta-like quality of the subsequent measures, for many light marches begin with such imitations. Heavy orchestration, loud dynamics, and military percussion grab the listener’s attention and then dissipate into a light march for the entrance of the voice. The Nechledil-March from Lehár’s Wiener Frauen (1902), nearly contemporaneous with “Revelge,” begins with a statement of the main theme in the heavy style of a military band. At the end of the introduction, a brass fanfare and bombastic cadential phrase prepare the entrance of the voice and a light march. The song also contains recurring non-sense syllables akin to the “Trallali” of Mahler’s cantilena-like refrain. Although this piece could not have served as a model for Mahler, it

37 38

David Josef Bach, Arbeiterzeitung, 5 February 1905. See fn. 38. Bach, Arbeiterzeitung, 5 February 1905. The full sentence reads: “In einem der Soldatenlieder kehrt ein Thema, wie es ähnlich die Oboe im ersten Satz seiner dritten Symphonie bringt immer wieder: beinahe ein Gassenhauer aber einer, bei dem die Toten sich vergnügen.” Bach must have had “Revelge” in mind, because the only other soldier song on the concert, “Lied des Verfolgten im Turm,” does not portray the dead.

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exemplifies the topicality of the gesture in operettas contemporary with the composition and early performances of the song.39 Mahler also contorted light marches to fit their grotesque setting. As the fallen soldier surveys the carnage of the battlefield, the music returns to the most potent timbral signifiers of military bands: snare drum, bass drum with cymbals, and prominent trumpets and woodwinds (mm. 72f.). A fierce orchestral convulsion ushers in a supernatural

Example 7: Franz Lehár, Wiener Frauen, No. 13, Nechledil March (mm. 25–37)

turn of events, as the soldier rouses his fellow casualties from the dead with the beating of his drum. Mahler sets the gruesome scene with a thin texture that retains its connection to military music only in the repeated taps of the snare drum, imitated by the first violins, and the ghostly echo of the woodwind trills. Then, with the entrance of the “Trallali” refrain, the overt references to military bands cease. The musical idiom suddenly shifts to a light march. The texture thins to pianissimo strings and soft woodwinds draping the vocal line in parallel thirds. This time, however, the light march is also

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Other examples of heavy military style introducing light marches include the march duet from Carl Michael Ziehrer’s Die Landstreicher (1898) and “Die beiden Kameraden” from Lehár’s Der Rastelbinder (1902).

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imbued with grotesque musical touches: the voice continues sehr laut in utter disregard of the shift in demeanor of the accompanying voices, and the melody is compressed at the repeated word Feind into a chromatic sneer reinforced by the oboes. This grotesque turn of the light march leads back to the battlefield and the timbral allusions to the military music (mm. 106f.). The snare drum returns, winds again dominate the texture, and the strings resume their percussive imitations. “Revelge” is Mahler’s only soldier song to contain light marches, and his use of the topic here suggests that he did not view it as a means to represent soldiers or military bands. In fact, the expressive function of light marches depends on their very opposition to the military and on their capacity to transport the listener mentally away from the battlefield. Such an effect does not ultimately depend on light marches emanating from operetta to the exclusion of other popular genres. But sensing in them the spirit of the operettas that populated Mahler’s musical environment is compelling. It is in operetta, after all, that marches are always merry, battles bloodless, and endings happy.40 Heard in this context, the light marches of “Revelge” are all the more monstrous, for a greater antithesis to its grim reality could hardly be imagined.

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Strauss, Jr.’s military parody Der lustige Krieg, a work Mahler conducted eleven times, is paradigmatic in this regard. Genoa and Massa declare war over a ballerina booked to perform simultaneously in both principalities. Even though the officers of the Massa army are replaced by a group of war-hungry women, neither side is willing to escalate the hostilities; they prefer the song and drink at their camps. The outcome of the merry war is not bloodshed, but the marriage of the female commander of the Massa army with the leader of the Genoese troops. The military is often a vehicle for eroticism in operetta, with soldiers and even entire armies made up of pants roles. See also Suppé’s Fatinitza and Richard Genée’s Der Seekadett (1876).

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IV. The stylistic heterogeneity of Mahler’s music is perhaps nowhere more exaggerated than in the third movement of his First Symphony. Following the infamous ironic funeral march comes a written-out binary often heard as harboring stylistic references. One common attribution, which originated in Mahler’s program for a performance in Hamburg in 1893, is to the sound of Bohemian street musicians.41 Many other commentators also take these same passages as references to klezmer music, seeing in them an important document of Mahler’s Jewish identity.42 To focus only on these potential sources, however, is to overlook palpable connections to its contemporary popular musical context. The first, led by two oboes in parallel thirds, is laden with pathos (Ex. 8). Their melody contains augmented melodic seconds and is inflected with modal mixture and chromatic alterations. The regular eighth-note pizzicatos in the string accompaniment conjure a plucked instrument. The second expressive character begins at the performance instruction mit Parodie with a sudden drop to the dominant major. It is boisterous and dance-like, driven by an eighth-note alternation of the bass drum and attached Turkish cymbals. The E-flat clarinets, largely in thirds, assume the melody, which features many leaps of a fourth, and the string accompaniment is mostly col legno. In both passages, two trumpets interject prominent countermelodic motives in thirds. Taken together, these musical traits read like a laundry list of the style hongrois, the quintessential exotic idiom of the nineteenth century. The pizzicato string accompaniment, chromatic inflections of the harmonic minor scale, augmented melodic seconds, emphasis on middle-range winds, pervasive dotted rhythms, parallel thirds, and Kurucfourth figure were all stock features of stylized Hungarian-Gypsy music.43 Similarly to his sparing use of the most potent signifiers of military bands, Mahler avoids the most strongly identifiable traits of the style hongrois: virtuosic violin improvisations, cimbalom, and characteristic rhythms (spondee, choriambus, Lombard rhythm, alla zoppa). His binary alludes to the style hongrois without being reducible to it. 41

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43

The program is reprinted in de La Grange, Gustav Mahler, vol. 1, plates 46, 47. Note that Mahler invoked Bohemian musicians to describe not his music but the children’s picture “Des Jägers Leichenbegängniss [sic].” For two recent examples, see Francesca Draughon and Raymond Knapp, “Gustav Mahler and the Crisis of Jewish Identity,” Echo 3, no. 2 (fall 2001); and Vladimir Karbusicky, “Gustav Mahler’s Musical Jewishness,” in Perspectives on Gustav Mahler, ed. Jeremy Barham (Aldershot, England: Ashgate, 2005), 195–216. Jonathan Bellman calls the Kuruc-fourth the “Hungarian equivalent of horn fifths”: a fanfare-like figure alternating between the fifth and first scale degree above. The figure is a stylization of an instrument associated with seventeenth-century Hungarian Kuruc [Crusader] warriors; see Jonathan Bellman, The Style Hongrois in the Music of Western Europe (Boston: Northeastern University Press, 1993), 48. See also Jonathan Bellman, “Toward a Lexicon for the Style hongrois,” Journal of Musicology 9, no. 2 (spring 1991): 220–36.

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Example 8: Gustav Mahler, Symphony no. 1, mvt. 3 (mm. 38–49)

By the 1880s, the style hongrois had lost its appeal to many composers and become a staple of popular entertainment music.44 Operetta is therefore an apt context for studying how these musical traits appeared in Mahler’s contemporary musical environment. The texts of operettas enable precise identification of the Other implied by the exotic musical elements. And given its unusually broad audience base, operetta could efficiently disseminate – or undermine – such conventions.45 44

45

Bellman, The Style Hongrois, ch. 10, “Decline and Disappearance.” Set in Hungary, Suppé’s Leichte Kavallerie (1866) was the first major Viennese operetta suffused with the style hongrois. Christian Glanz, “Aspekte des Exotischen in der Wiener Operette,” Musicologica Austriaca, vol. 9, ed. JosefHorst Lederer (Vienna: Österreichische Gesellschaft für Musikwissenschaft, 1998), 75.

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Example 9a: Johann Strauss, Jr., Der Zigeunerbaron, Overture (mm. 54–79)

Example 9b; Johann Strauss, Jr., Der Zigeunerbaron, Overture (mm. 98–106)

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Example 10: Johann Strauss, Jr., Der Zigeunerbaron, No. 4, Mirabella’s Couplets (mm. 13–25)

Of the operettas that Mahler conducted, Strauss’s Cagliostro in Wien (1875) and Suppé’s Fatinitza have a similar mélange of exoticisms as Mahler’s written-out binary, but nowhere are the resemblances more striking than in Strauss’s Der Zigeunerbaron.46 Being set in Hungary and having Gypsy characters, the operetta is shot through with the style hongrois. A passage in the overture corresponds closely to the pathos of Mahler’s oboes (Ex. 9a). Overtop plodding, pizzicato strings, a solo oboe sings an increasingly plaintive melody. Sobbing figures usher in the minor mode and prominent augmented seconds. After an intensified repetition of the solo, an abrupt shift to a cheerful dance effects a juxtaposition not unlike that between Mahler’s two characters (Ex. 9b). Later in act 1, Mirabella’s Couplets display many of the distinctive features of Mahler’s mit Parodie passage, including its abrupt beginning (Ex. 10). Mirabella’s verse begins in the minor mode, with a melody above pizzicato strings. The start of its second half is articulated by a sudden drop to the dominant major and the entrance of a rigid 46

See Strauss, Jr., Cagliostro, no. 5 and Suppé, Fatinitza, nos. 11 and 14 (see ex. 11). Mahler never conducted Der Zigunerbaron. The anecdote recounted above, however, shows that he had a favorable opinion of the operetta some ten years after writing the First Symphony (see fn. 13).

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eighth-note alternation in the percussion. The chromatically inflected melody is accompanied by two trumpets in thirds (among other, less penetrating instruments). And the ends of their phrases are decorated with Kuruc-fourth figures in the clarinets, much like those played by Mahler’s E-flat clarinets. The majority of these traits are justified by Mirabella’s being a Hungarian governess, but some do not belong to the style hongrois. The driving “boom-chick” of the percussion and prominent trumpets are reminiscent of the Turkish style.47 Indeed, in these couplets, Mirabella is recounting the defeat of the Turks at the Battle of Belgrade. The mixture of style hongrois and the Turkish style is entirely appropriate to the story that she tells. These examples from operetta suggest that the constellation of musical traits in Mahler’s movement were used in the popular musical culture of his time as codes for Gypsies, Hungarians, and Turks. The situation was actually more complicated. The specificity of the style hongrois and Turkish styles was becoming ever more diluted in the later nineteenth century, as composers used them to portray other ethnic or national groups. As early as 1876, Suppé drew on the style hongrois for music portraying Turks in Fatinitza, an operetta that Mahler conducted. The Act 2 Melodrama features an oboe solo in the minor mode, prominent Kuruc-fourths, and a spondee (two longs) at the ends of phrases (Ex. 11). The setting for this music is the Pasha’s palace, yet the only musical connection to the Turkish style is the triangle accompaniment. Christian Glanz’s study gives other examples of how exoticisms originally developed to portray Gypsies were often used in Viennese operetta for Slavic and Balkan musical cultures, too.48 Mahler’s First Symphony appeared at the cusp of this process of dilution. The referential integrity of the style hongrois was beginning to weaken but remained sufficiently intact that the symphony’s reviewers in the 1890s and early 1900s heard stylistic references to Hungarian or Gypsy music more than any other repertoire.49 This was even true in Prague in 1898. Mahler had by this time jettisoned the program from Hamburg. Tellingly, the critics of this Bohemian city, proud of the success of their landsman, hardly remarked on the Bohemian character of his music. The critic for Bohemia did not men47 48

49

Bellman, The Style Hongrois, 25–45. Glanz, “Aspekte des Exotischen,” 86–88. It bears mentioning that Hungarian stereotypes were often conflated with Jewish ones in Viennese popular culture. In the original production of Der Zigeunerbaron, for instance, Girardi’s creation of the role for the Gypsy Zsupán included many anti-Semitic clichés. See Camille Crittenden, Johann Strauss: Operetta and the Politics of Popular Culture (Cambridge: Cambridge University Press, 2000), 182–86. See August Beer, Pester Lloyd, 21 November 1889; anon., Prager Abendblatt, 3 March 1898; H. Geisler, “Gustav Mahler’s erste Symphonie,” Neue musikalische Presse 8, no. 1 (1 January 1899): 2–3; Max Kalbeck, “Feuilleton. Gustav Mahler’s Sinfonia ironica,” Neues Wiener Tagblatt, 20 November 1900; Hans Münch, “Ein Vorwort zum 3. Abonnementskonzert: Gedenkfeier für Mahler. 1. Symphonie und ‘Kindertotenlieder,’” Badische Volkszeitung, 16 December 1911.

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Example 11: Franz von Suppé, Fatinitza, No. 14, Melodrama

tion it at all, and the reviewer for the Prager Abendblatt found the movement suffused with “the fieriest Hungarian weeping” and interpreted it as Mahler’s reminiscence on his time in Budapest; only as an afterthought did he cite “Slavic” influences.50 No one would contend that reviewers are infallible interpreters. But it is reasonable to assume that their opinions were shaped by the conventions of their musical environment, an environment that they largely shared with Mahler. The frequency with which they heard echoes of Hungarian and Gypsy music – and the rarity with which they mentioned either klezmer or, in the absence of Mahler’s programmatic guide, Bohemian street musicians – betrays the alignment of his movement with musical codes widely disseminated in the popular music of his day.51 This is not to say that Mahler intended for these passages to be clearly evocative of Hungarian and Gypsy music. Rather, he left them referentially open-ended. He eschewed the most readily identifiable markers of the style hongrois and Turkish style, latching instead onto secondary traits that, on their own, were commonly but not exclusively associated with any one style. The dilution of exotic codes in popular music only further obscured their referential specificity. Mahler, it seems, was drawn to materials like these: at once highly evocative yet capable of suggesting multiple antecedents. In com50

51

K., Bohemia, no. 64 (5 March 1898): 3; anon., Prager Abendblatt, 3 March 1898. The Prager Abendblatt’s reviewer may have been in part misled by faulty assumptions of Mahler’s biography. Although the First Symphony premièred in Budapest, Mahler had completed it before moving to the city. I have not come across a review during Mahler’s lifetime that mentions a similarity to klezmer music. Not even anti-Semitic papers like the Deutsche Zeitung, which had every incentive to identify Jewish musical materials as a way to dismiss Mahler’s music, mentioned klezmer music in connection with the Viennese première of Mahler’s First Symphony. Just a couple months later, though, the same reviewer did claim to hear Jewish synagogue music in the “Spielmann” movement of Das klagende Lied. See Theodor Helm, “Zweites philharmonisches Concert,” Deutsche Zeitung, 20 November 1900; and Helm, “Außerordentliches Concert der Wiener Singakademie,” Deutsche Zeitung, 19 February 1901.

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parison to the vivid and precise recreation of a particular musical type, such materials possessed a richness of associations that could speak directly to listeners with diverse experiences and horizons of expectations. General exoticisms are not the only features that Mahler’s movement has in common with operetta. Irony and stylistic discontinuity, however atypical of symphonic style in Vienna in the 1880s, were modes of expression found elsewhere in fin-de-siècle culture. Operettas routinely exploited pathos for ironic effect. A classic example is the “Legend of Bluebeard” from Offenbach’s Barbe-bleue (1866). Bluebeard recounts the deaths – attempted murders, actually – of his many wives and, in the next moment, rejoices in the prospect of choosing yet another. Offenbach’s music emphasizes the black comedy. The vehicle for Bluebeard’s disingenuous mourning is an expressive recitative with exaggerated tragic clichés: descending melodic lines, wailing and sobbing figures, low wind

Example 12: Jacques Offenbach, Barbe-bleue, No. 8, Legend of Bluebeard (mm. 6 –19)

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Example 13: Johann Strauss, Jr., Die Fledermaus, No. 4, Trio (mm. 17–37)

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accompaniment, muffled hits on the bass drum. Then, after a brief pause, the music suddenly flips to the parallel major and a jolly cancan. Paul Bekker, author of a landmark study of Mahler’s symphonies in 1921, was enamored of this number, writing: “The way that the impossibly melancholic mood veers suddenly here into laughing frivolity, and the tragic seriousness forfeits its dignified gravity and does merry somersaults, that is reminiscent of examples from Heine’s poetry.”52 Another famous example occurs in Johann Strauss Jr.’s operetta Die Fledermaus as Rosalinda publicly mourns Eisenstein’s impending imprisonment (Ex. 13). The procedures by which Mahler achieves such intensely ironic effects are analogous to those used by Strauss. The text of the Trio is comically banal – Rosalinde laments how coffee and dinner will be ruined in the absence of her husband – and set to a collage of musical clichés drawn from tragic opera. The ironic effect is heightened by the direct juxtaposition of an amusing polka as characters giddily look forward to their amorous pursuits once Eisenstein is out of the house. Similarly, Mahler creates a purely musical equivalent to Strauss’s banal text: a quotation of “Bruder Martin.” Because the children’s song would have been recognizable to nearly every European, Mahler ensured the disconnection between the comically banal substrate and its inappropriately mournful role as the theme of a funeral march. Furthermore, Mahler sharpens the irony with stylistic discontinuity. After the pathos of the oboes, as in Strauss’s Trio, a contrasting and boisterous dance suddenly emerges. Mahler even hinted at the humorous effect of the movement in terms reminiscent of Rosalinda’s own: “Now my hero has found a hair in his soup and his entire meal is ruined.”53 And at least one review suggests that such correspondences were indeed heard by some of Mahler’s contemporaries. Max Kalbeck – prominent Viennese critic, biographer of Brahms, and librettist of Johann Strauss Jr.’s operetta Jakuba (1894) – typically used interpretive poetic ideas and literary allusions to convey a work’s expressive content. On the effect of the shift from ironic pathos to the section mit Parodie, Kalbeck wrote that [a]s in Bruckner’s symphonies, so too here: the middle movements are the most understandable, delightful, and pleasing. . . . The gypsy trio of the funeral march is explicitly marked “with parody”; Turkish cymbals, bass drum, and the strings with the wood of their bows accompany the charming melody with which the flutes, clarinets, and bassoons sing their 52

53

Paul Bekker, Jacques Offenbach (Berlin: von Marquardt, 1909), 87: “Wie hier mit plötzlichem Ruck die unwahrscheinlich schwermutsvolle Stimmung in lachende Frivolität umschlägt, wie der tragische Ernst unvermittelt seine würdevolle Gravität aufgibt und lustige Purzelbäume schlägt, das erinnert an Beispiele aus Heines Poesien.” The quotation appeared in Bauer-Lechner’s letter to Ludwig Karpath, in which she conveyed to the critic Mahler’s views of his First Symphony (de La Grange, Gustav Mahler, 1:749).

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plaint in parallel thirds. Harlequin mourns his Columbina – “oh dear, oh dear, how that moves me!” [“o je, o je, wie rührt mich das!”] And yet, on account of the captivating appeal of the sound of this original piece, one forgets that it is not meant seriously.54

Kalbeck thus characterized the comic effect of the ironic pathos and discontinuity using two references to popular entertainment: to commedia dell’arte and, via a direct quotation of the refrain from the Act 1 Trio of Die Fledermaus, to operetta. That Kalbeck felt no need to cite his source underscores the topicality of operetta among those who attended concerts and read reviews of Mahler’s symphonies. It also shows that juxtaposing ironic pathos with amusement was an expressive device familiar from popular genres like operetta. * * * One can easily imagine that a composer whose first work was supposedly a polka with introductory funeral march would have been receptive to the musical and expressive topoi of the operettas that he conducted early in his career and enjoyed throughout his life. Operetta embodied in popular form many of the defining features of Mahler’s own compositional project: heterogeneity of musical styles, kinship with folk music and the sounds of the military, stylistic discontinuity, and a predilection for high-spirited and ironic expression. Moreover, operetta was attractive to Mahler for its persistent and widespread popularity, which created a kind of lingua franca among much of his concertgoing audience. These expressive and musical devices were made all the more ripe for development in his own works by their immediate appeal and their capacity to speak compellingly to his listeners. August Spanuth, a native German who reviewed the American première of Mahler’s Third Symphony in 1906, remarked: If Mahler does not please you at least he stirs you. Sometimes, as in the first movement of the third symphony, when after a tremendously imposing and mysterious passage, a simple and

54

Max Kalbeck, Neues Wiener Tagblatt, 20 November 1900: “Wie in Bruckner’s Symphonien, sind die mittleren Sätze auch hier die verständlichsten, liebenswürdigsten und gefälligsten. . . . Bei dem zigeunerischen Trio des Todtenmarsches ist ‘Mit Parodie’ ausdrücklich vorgeschrieben, türkische Becken und große Trommel, dazu die Streicher mit dem Holz ihrer Geigenbogen, begleiten die reizende, in Terzen klagende Melodie der Flöten, Clarinetten und Fagotte. Bajazzo betrauert seine Colombine – ‘o je, o je, wie rührt mich das!’ Und doch vergißt man über dem bestrickenden Klangreiz des originellen Stückes vollkommen, daß es nicht ernst gemeint ist.” Kalbeck slightly misquotes the line from Die Fledermaus, which uses the demonstrative pronoun “dies” in place of the definite article “das.”

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gay march-melody, fit for an operetta, strikes the ear, one feels at the moment like striking the composer in return. But we must not forget that we needed many decades to get used to certain idiosyncrasies of Beethoven that originally produced a like effect.55

If modern audiences and academic discourses are any measure, then it would seem that Spanuth was only partly right. Listeners have indeed learned to embrace Mahler’s music, but not by adapting to this idiosyncrasy. They have forgotten it altogether.

55

August Spanuth, “Gustav Mahler: The Composer Whom Boston First Hears This Week,” Boston Evening Transcript, 31 January 1906, quoted in Painter, Mahler and His World, 246.

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„Jetzt halte ich bei Beethoven. Es gibt nur den und Richard – und sonst Nichts“ – so schrieb Mahler am 3. Juli 1904 an Alma1, und hatte ihr, um genau zu sein, im selben Brief zuvor mitgeteilt: „Nachdem ich den ganzen Brahms durchhabe, bin ich wieder zu Bruckner übergegangen. Sonderbare Mittelmaß-Menschen. – Der eine war zu lang , der andere muß erst hinein“. Zu Brahms, mit dem Mahler sich in jenen Wochen intensiv beschäftigte, hatte es wenige Tage zuvor geheißen: „Mit seinen oft schönen Themen weiß er in den seltensten Fällen etwas anzufangen. Das haben überhaupt nur Beethoven und Wagner gekonnt“.2 Harte Urteile! – Und, wenngleich spontan hingeworfen und einer erklärten Liebhaberin unfreundlicher Nachrede zugedacht, von einer Warte aus gefällt, die offenbar zu derlei Klassifizierung befugt. Die Frage liegt nahe, inwieweit da einer supponiert sei, der eines Tages neben Beethoven und Wagner treten könnte. Knapp zwei Jahre später allerdings korrigiert Mahler den Journalisten William Ritter, der ihn fälschlich mit der Äußerung zitiert, seine eigenen Symphonien seien ihm selbst allesamt „Neunte“3, und lässt keinen Zweifel, wenn er beteuert, „daß mein inneres Verhältnis zu B. mir einen solchen anmaßlichen Unsinn selbst in betrunkenem Zustande nicht gestatten würde und“ – nun freilich vorsichtig – „mein Stolz vollkommen befriedigt sein wird, wenn man mich einst als einen legitimen Ansiedler im Neulande, das uns B. entdeckt, ansehen wird“. Wie lange kann ein Mann vom Schlage Mahlers die Meßlatte so hoch legen, ohne die Erfüllung damit gesetzter Ansprüche für möglich zu halten? Beethoven und Wagner – das erinnert an Bruckner – erscheinen ihm im Traum und geben kompositorische Ratschläge4, in einem Konzert mit Brahms’ Dritter Symphonie und Dvoráks ˇ Waldtaube hat er sich erst bei der Beethoven-Ouvertüre „wieder ganz in 1

2 3

4

Ein Glück ohne Ruh’. Die Briefe Gustav Mahlers an Alma. Erste Gesamtausgabe. Hrsg. Henry-Louis de La Grange und Günther Weiß. Berlin 1995, S. 209. Ebenda S. 203. Gustav Mahler. Briefe. Hrsg. Mathias Hansen. Leipzig 1985, S. 336 [„Beethoven n’a fait qu’une Neuvième, mes symphonies à moi sont toutes des Neuvièmes“]. Gustav Mahler in den Erinnerungen von Natalie Bauer-Lechner. Hrsg. Herbert Killian. Hamburg 1984, S. 63.

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seinem Element gefühlt“5, beim Pizzikato am Beginn des Eroica-Finales ist er sicher, dass es „immer verfehlt gemacht wird“, nämlich unelastisch: „Beethoven versucht nachdenklich – scherzhaft – lernt gehen – kommt allmählich hinein“6 – er denkt offensichtlich an ein Accelerando. Überhaupt lassen sich von den Beethovenschen Sinfonien […] noch die erste, zweite und vierte durch die heutigen Orchester und Dirigenten allenfalls ausführen, alle anderen aber sind bei ihnen unmöglich und unter ihren Händen verloren. Die brachte nur Richard Wagner heraus (der übrigens der Entdecker aller Beethoven-Sinfonien genannt werden kann) und heute ich. Und auch mir gelingt es nur durch den Terrorismus, durch den ich jeden einzelnen zwinge, aus seinem kleinen Ich herauszufahren und über sich hinauszuwachsen.7

Das klingt in der Nachschrift der anbetend-übertreuen Natalie gewiss apodiktischer und unbescheidener, als er es gesagt und gemeint hat – Wagners Beethoven kannte er nur aus den einschlägigen Schriften –, weitab von Inhalt und Art des Gesagten aber wird es nicht sein. Ohne die Sicherheit eines Großsiegelbewahrers, der es genauer weiß und erfühlt als die anderen, wäre manche Handhabung Beethovenscher Werke nicht vorstellbar gewesen, schon nicht die Streichorchesterfassung von Beethovens Quartetto serioso op. 958, besonders aber seine – voneinander abweichenden – Einrichtungen der Neunten Symphonie. Er hatte sie als Einspringer schon einmal in Leipzig dirigiert. Knapp zehn Jahre später verursachte seine Version in Hamburg – u. a. mit einem Fernorchester beim 6/8-Alla zingarese vor dem Tenorsolo „Froh, wie deine Sonnen…“ – nahezu einen Aufstand. „Gegenvorstellungen war er nicht zugänglich, wenn er sich einmal in etwas verrannt hatte“, berichtet Felix Weingartner.9 Nicht anders war es bei Wiener Aufführungen im Februar 1900, bei denen die Retuschen kaum noch über die von Wagner praktizierten hinausgingen10; selbst ein Parteigänger wie Richard Heuberger rief „in diesem Falle ein vernehmliches Halt“11, bei anderer Gelegenheit hat auch der verständniswillige Romain Rolland von „Freveltat“ gesprochen.12

5 6 7 8

9 10 11

12

Ebenda S. 151. Ebenda S. 112. Ebenda S. 148. Bauer-Lechners Bericht über das Konzert am 15. Januar 1899 ist in Bezug auf das Quartett fehlerhaft, ebenda S. 128. Felix Weingartner, Lebenserinnerungen. Bd 2. Zürich 1929, S. 841. Hierüber u. a. Franz Willnauer, Gustav Mahler und die Wiener Oper. Wien 1993, S. 135. Seine Rezension zit. u. a. bei Karl-Josef Müller, Mahler. Leben – Werke – Dokumente. Mainz–München 1988, S. 193. Herta Blaukopf, Rivalität und Freundschaft. Die persönlichen Beziehungen zwischen Gustav Mahler und

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Nach der skandalisierten ersten Aufführung am 18. Februar wurde aufgrund des großen Interesses eine zweite für den 22. angesetzt, in der Mahler eine schriftliche Stellungnahme verteilen ließ. Neben der Begründung, Beethoven sei durch die Taubheit außerstande gewesen, die „neuen Ausdrucksmittel“ aufzufinden, die der „gewaltigsten Steigerung seiner Conceptionen“ und der damit verlangten, „bis dahin ungeahnten Drastik in der Behandlung des Orchesters“ hätten gerecht werden können, spielen zwei Argumente eine Rolle – zum Einen, dass inzwischen instrumententechnische Entwicklungen stattgefunden hätten, deren Ergebnisse nicht zu nutzen „geradezu als Frevel erschiene“; zum Anderen, „daß es dem Dirigenten überall nur darum zu thun war, […] den Willen Beethoven’s bis in’s scheinbar Geringfügigste nachzufühlen und in der Ausführung auch nicht das Kleinste von dem, was der Meister gewollt hat, zu opfern“.13 Gegenüber Anna von Mildenburg hatte er die Sonderrechte des produktiven Künstlers – seine – vor den geringeren des lediglich reproduzierenden – ihren – einmal unverblümt herausgestrichen, später ähnlich gegenüber Alma. Hier nun, intime Bruderschaft mit dem Komponisten Beethoven reklamierend, will er sie nicht unterscheiden, multipliziert sie vielmehr miteinander und begreift sich als der, der den schöpferischen Akt treuhänderisch zu Ende bringt; er verfährt mit Beethovens Partituren nicht anders als mit eigenen – auch darin übrigens, dass er sie nie als definitiv festgelegt ansieht. „Bei Mahler hatte man stets das Gefühl, daß er selbst noch ein Suchender und Entdeckender sei, daß es für ihn nie und nirgends ein Aufhören gebe“.14 Am ehesten noch unterscheiden die Revisionen sich darin, dass bei fremden Stücken Unterstreichungen, Vereindeutigungen auf der Linie Richard Wagners überwiegen, bei eigenen hingegen Ausdünnungen. Spätestens seit der Umarbeitung der Todtenfeier zum ersten Satz der Zweiten Symphonie praktizierte er die Verflechtung schöpferischer und nachschöpferischer Komponenten auch komponierend.15 Naheliegende Vorwürfe subjektiver Eigenmächtigkeit musste der als ungerecht empfinden, der es – siehe oben – als heilige Pflicht ansah, „den Willen Beethoven’s bis in’s scheinbar Geringfügigste nachzufühlen und in der Ausführung auch nicht das Kleinste von dem, was der Meister gewollt hat, zu opfern.“

13 14 15

Richard Strauss, in: Gustav Mahler – Richard Strauss. Briefwechsel 1888–1911. Hrsg. Herta Blaukopf. München–Mainz 1980, S. 129–225, Zitat S. 183. Gustav Mahler, Anm. 4, S. 217; Willnauer, Anm. 10, S. 135 ff. Anna von Mildenburg in ihren Erinnerungen; Willnauer, Anm. 10, S. 94. Peter Gülke, Von der Arbeit eines Totalmusikers. Mahler auf dem Weg von der „Totenfeier“ zum ersten Satz der Zweiten Sinfonie, in: Musik & Ästhetik 7, 2003, S. 42–49; auch in: ders., Auftakte – Nachspiele. Studien zur musikalischen Interpretation. Stuttgart–Weimar–Kassel etc. 2006, S. 107–113.

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Er fühlte sich also mit Beethoven gegen Beethoven im Recht, da er in seinen FidelioAufführungen Roccos „Gold-Arie“ strich und vor das Finale die „Leonore III“ stellte, obwohl die rettende Trompete schon – und szenisch konkret – erklungen war; da siegte ein unbefragbarer Glaube an das evokative Vermögen von Musik über allen Bühnenrealismus – in der Ouvertüre bläst die Trompete also zum „ersten“ Mal; eben jener Bühnenrealismus veranlasste ihn andererseits – damals ungewöhnlich –, den Gefangenenchor nicht als oratorische Männerchor-Pièce zu geben, sondern im Vorspiel die Elendsgestalten aus dem Kerkerdunkel hervorwanken zu lassen.16 Mahler hat Fidelio in Hamburg zwölfmal, in Wien neunzehnmal dirigiert17, und beide Male markierte die Oper bekenntnishaft das Ende der Tätigkeiten. „Genien wie Beethoven, solcher sublimsten und universellsten Art, gibt es unter Millionen Menschen nur zwei, drei“18 – sublim und universell nicht nur, weil über alle vordergründige Materialität erhaben, sondern vor Allem in der Identität von Schönheit und Wahrheit. Eindrucksvoll noch in der hilflos superlativischen Wortwahl reflektiert das u. a. die von Friedrich Löhr gegebene Schilderung des klavierspielenden Mahler. Ich habe ähnliches von Entmaterialisierung eines menschlich-technischen Vorganges nie erlebt, Mahler wußte überhaupt nichts vom Werk seiner Hände, hätte nie Rechenschaft geben können, wie er seine Wiedergabe zustandebrachte, jeder Gedanke an technische Schwierigkeiten war restlos ausgeschaltet, entrückt, entkörpert, leidenschaftlich seelisch hingegeben dem, was aus den Notenköpfen ohne bewußte materielle Berührung in ihn überging, wie er es konnte, es erfassend und begabt mit der bis in jede Nuance, jeden Grad des Ausmaßes zwingender Energie der Vollziehung ließ er es erklingen mit allen Gewalten, wie es aus der Seele des Schaffenden quoll. So brach in der Beethovensonate op. 111 das Ungewitter des Anfangs maestoso furchtbar und jäh gesteigert mit einer wilden Heftigkeit herein, wie ich’s nie wieder gehört, und ebenso aufs äußerste verklärt verklang der Schluß in holdester Schönheit leise und leiser aus aller Erdennähe hin in die Ewigkeit. Doch was läßt mit Worten über die Wirkung dieses Spiels sich sagen – es schauert mich nur vor der Höhe des Glücks, das mir zuteil ward, denk ich daran zurück.19

Gäbe es nicht die moralisch-religiöse Komponente in Mahlers Schönheitsbegriff, müsste es angesichts seiner unvergleichlich ausgedehnten und tieflotenden, um nicht zu sagen: existentiellen Kenntnis der Musikliteratur befremdlich erscheinen, wie sehr 16 17

18 19

Zum Wiener Fidelio vgl. u. a. Jens Malte Fischer, Gustav Mahler. Der fremde Vertraute. Wien 2003, S. 523 ff. Übersichten bei Willnauer, Anm. 10, S. 231, und in: Gustav Mahler: „Mein lieber Trotzkopf, meine süße Mohnblume“. Briefe an Anna von Mildenburg. Hrsg. Franz Willnauer. Wien 2006, S. 479 ff. bzw. 485 ff. Gustav Mahler, Anm. 4, S. 26. Anmerkungen von Friedrich Löhr, in: Gustav Mahler, Briefe. Neuausgabe. Zweite, nochmals rev. Auflage. Hrsg. Herta Blaukopf. Wien 1996, S. 433 ff.

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ihm Beethoven und Wagner (dessen unappetitlichen Antisemitismus er ebenso souverän ignorierte wie bei Hans von Bülow) den anderen Großen der Musik voranstanden – welches Verständnis Mozarts z. B. verrät sein Eintreten für die seinerzeit noch nahezu verrufene „Così“! Wagner war für ihn mehr als 20 Jahre noch ein Mitlebender gewesen, und Beethoven war, paradox gesprochen, nicht so tot wie die anderen großen Toten. Bach und Haydn z. B. waren eindeutig historisch, Mozart ein aus den Kontinuitäten der Musikgeschichte, aus aller Vergleichbarkeit herausgefallener Paradiesvogel; Mendelssohn, Schumann, Brahms, Bruckner etc. zu nah, um schon zu legendärer Größe aufgewachsen zu sein – Wagner die Ausnahme. Außer dem in alle Bereiche des Musiklebens ausstrahlenden Vermächtnis hatte Beethovens Gegenwärtigkeit wesentlich damit zu tun, dass er, zumal in seinen späten Werken, schwer zu beerben war – in der Symphonie begann die Auseinandersetzung kaum vor den siebziger Jahren –, mithin die bohrende Aktualität des Nichtabgearbeiteten aufrechterhalten blieb, und zudem, dass etliche Momente der Überschreitung in seiner Musik dank jüngster technischer Entwicklungen neuerdings einlösbar erschienen. Das gab Wagner, Mahler, Weingartner und anderen – es beginnt schon bei Habeneck, Mendelssohn und Bülow – die Gewissheit, mindestens in „materieller“ Hinsicht einen für Beethoven nicht vollstreckbaren Willen in seinem Sinne vollstrecken zu können. Wie tot ist ein Musiker, dessen Werk man dergestalt noch glaubte zu Ende komponieren zu müssen? – Die Frage mischt sich bei Beethovens Nachleben in einmaliger Weise mit Momenten einer Legende, die er schon zu Lebzeiten zu werden begann. Der „Riese“, den Brahms während der Arbeit an der Ersten Symphonie „hinter sich tappen“ hörte, muss kaum metaphorisch verstanden werden; dies bestätigt u. a. Mahlers durch den Trauergottesdienst für Bülow vermittelte Inspiration zum Finale der Zweiten Symphonie 20: …ich wohnte seiner Totenfeier hier bei. – Die Stimmung, in der ich dasaß und des Heimgegangenen gedachte, war so recht im Geiste des Werkes, das ich damals mit mir herumtrug. – Da intonierte der Chor von der Orgel den Klopstock-Choral „Auferstehn“! – Wie ein Blitz traf mich dies und alles stand ganz klar und deutlich vor meiner Seele! Auf diesen Blitz wartet der Schaffende, dies ist die ‚heilige Empfängnis‘!

Gerade, weil als Apologie einer als Gefäß, wo nicht als begnadet begriffene Kreativität formuliert, kann die Passage ebenso bis in die letzte Silbe glaubhaft und zugleich eine Inspirationsmythe sein, die Mahler über die Einschüchterung durch Beethovens als Vergleichsfall naheliegende Neunte hinweghalf. Selten hat ein solches Bekenntnis so 20

Brief an Arthur Seidl vom 17. Februar 1897, ebenda S. 223.

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deutlich gemacht, wie eine in eine bestimmte Richtung vortastende Erwartung die Erleuchtung herbeizog. Die Erwählung, als die solche Momente von den Betroffenen erlebt werden – „man komponiert nicht, man wird komponiert“21 –, bedingt Abstand zu dem von Mahler oft geschmähten „Philistertum“ ebenso wie den Zwang, sich wichtig nehmen, Ereignisse des eigenen Lebens jenseits aller Zufälligkeit symbolisch begreifen, sich exponieren zu müssen. Der Mahler, der sich in der Dritten Symphonie nach Schönbergs Worten „nackt, spitternackt“ zeigt22, der in die Fünfte unverstellt hochprivate Musik wie das Adagietto einführt, der Begegnung mit Alma also an einer höchst öffentlichen Musik wie der Symphonie mitzukomponieren erlaubt und das Sakrileg halb eingesteht, indem er es im Finale einzuholen versucht, stand allerdings nicht allein. Er konnte sich auf Schumanns Clara-Bekenntnisse ebenso berufen wie auf nichtmusikalische, von Beethoven in die Musik hineingedrängte Protokolle wie „Muß es sein? Es muß sein!“ als widerwillig gegebene Antwort auf eine Verleger-Nachfrage nach einem noch fehlenden vierten Satz, obendrein im Finale von op. 135 themenführend komponiert, oder den „Heiligen Dankgesang eines Genesenen an die Gottheit“, später „Neue Kraft fühlend“ im Streichquartett op. 132.23 Indem sie symbolisch begriffen werden, gehören die Erlebnisse dem solcherart Erwählten nicht mehr allein, gehören diese nicht mehr ausschließlich sich selbst. Demgemäß treffen Diagnosen wie „romantische Subjektivität“ oder „öffentliche Intimität“ bei Mahler ebenso daneben wie eine Denunziation als purer sacro egoismo: Im Blick auf die Instanz Beethoven sieht sich die Person Beethoven zu Pokereien mit Widmungen, Verlagszusagen und -honoraren, Ehrenrenten etc. berechtigt, im Blick auf die Instanz Mahler vollbringt die Person Mahler bei der Erlangung der Wiener Position nicht auf durchweg geraden Wegen eine taktische Meisterleistung.24 Nicht zufällig hatte Mahler in den für sich obenan gestellten Beethoven und Wagner zwei Potentaten vor sich, die in der Musik des 19. Jahrhunderts am ehesten, auf wie verschiedene Weise auch immer, Imperien gegründet haben, ähnlich auch in der dreisten Antizipation ihrer selbst.

21 22 23

24

Gustav Mahler, Anm. 4, S. 161. Zitiert nach Willy Reich, Arnold Schönberg oder Der konservative Revolutionär. München 1970, S. 53. Die Ähnlichkeit des Seitenthemas im ersten Satz des Streichquartetts op. 132 mit dem entsprechenden im ersten Satz von Mahlers Sechster Symphonie ist auffällig, ohne im Hinblick auf bewußte Bezugnahme beweiskräftig zu sein; immerhin handelt es sich in beiden Fällen um a-Moll-Stücke. Willnauer, Anm. 10, S. 31 ff.; Fischer, Anm. 16, S. 346–357.

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Kein Vorstoß ins ‚Höhere‘, auch der wirklich produktive nicht, geht ohne Selbstbehauptungen ab, die nicht oder noch nicht wahr sind. Auch der junge Musikant Beethoven, der plötzlich wußte oder behauptete, ein Genie zu sein, wie es noch kein größeres gab, trieb Hochstapelei skurrilsten Stils, als er sich Ludwig van Beethoven gleich fühlte, der er doch noch nicht war. Er gebrauchte diese durch nichts gedeckte Anmaßung, um Beethoven zu werden, wie denn ohne die Kühnheit, Frechheit solcher Vorwegnahmen nie etwas Großes zustande gekommen wäre.25

So auch Mahler; der nach eigener Definition dreifach Heimatlose, sah, von aller Musik abgesehen, auch in dem Beethoven ein Vorbild, der als Eleve nach Wien hereingeschneit war und, von Haydn scherzhaft „Großmogul“ genannt, in der ihm fremden Welt sich alsbald Gehör verschafft hatte. Man sieht sich so ungeniert vornan nicht ohne überschießende Intentionen – wenn Musiker, nicht ohne mehr zu wollen als Musik. „[…] es gibt, von Beethoven angefangen keine moderne Musik, die nicht ihr inneres Programm hat“26: Damit muss Mahler von vornherein mehr gemeint haben, als was im engeren Sinne „programmatisch“ hieß, die Diskussion mit Strauss belegt es ebenso wie das Konzept der Symphonie als eine „mit allen Mitteln der vorhandenen Technik“ aufgebaute „Welt“, sie müsse „etwas Kosmisches an sich haben“, so „unerschöpflich wie die Welt und das Leben sein, wenn sie ihres Namens nicht spotten soll“.27 Notwendig redet er, „metaphysisch wie kein Komponist seit Beethoven“28, in Bezug auf solche Prätentionen ungenau, die gedankliche Bewegung, die Intention sind wichtiger als die Kategorien. Könnte er der privilegierten Beziehung, des durch die obersten Richtpunkte Beethoven und Wagner angemeldeten Alleinstellungsmerkmals nicht auch bedurft haben als der, der ausführlicher und intensiver mit fremder Musik zu tun hatte als jeder andere seines Ranges und im Arbeitspensum sie alle übertrifft? Die eingangs zitierte Bemerkung über einen Brahms, der anders als die beiden mit den Themen nichts anfangen könne, mag weiterhelfen – gerade, weil sie gängigen Vorurteilen zuwiderläuft, die ihn eher in der Primärerfindung schwach und in deren Nutzung besser finden. Offenbar können klassische, innermusikalische Formen der Verarbeitung, Durchführung etc. für Mahler nicht oben anstehen – was auch bedeutet, dass ihre legitimierenden Kompetenzen gemindert sind. Ausschließlich Innermusikalisches gibt es für Mahler nicht, also kann und will er nicht ausschließlich nach dessen 25 26 27 28

Ernst Bloch, Spuren. Neue erweiterte Ausgabe. Frankfurt am Main 1969, S. 43 ff. Am November 1900 (?) an Max Kalbeck, in: Gustav Mahler, Briefe, Anm. 19, S. 277. Gustav Mahler, Anm. 4, S. 35 bzw. S. 198. Theodor W. Adorno, Mahler. Wiener Festrede, in: Quasi una fantasia. Musikalische Schriften II. Frankfurt am Main 1963, S. 115–137, Zitat S. 131.

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Maßgaben verfahren. Brahms könnte ihm verdächtig gewesen sein als einer, der unter dem Diktat tektonischer Zwänge gegebenenfalls daran vorbeisehen kann, dass thematische Prägungen immer auch Charaktere sind und als solche nicht unbegrenzt disponibel. So muss zur Bewunderung Beethovens auch der Blick auf eine Konstellation von Begabungsstruktur, Stilistik, Zeitgeist gehört haben, die das Beieinander von Charakter und Baustein noch garantierte. „Alle musikalischen Charaktere sind eigentlich Zitate“, notierte Theodor W. Adorno in den Entwürfen zu Beethoven.29 Zitatqualitäten treten um so mehr zurück, desto stärker der Charakter ins Werk integriert erscheint, und außerdem: je mehr Zeit vergeht. Auch darauf mag der für Banalitäten, Anklänge, Entlehnungen gescholtene Mahler – angesichts des Niveaus der Anwürfe konnte er kaum replizieren, es sei ästhetisch gewollt – bei Beethoven geblickt haben. Abgesehen davon, dass dieser eine Gesinnungsgemeinschaft voraussetzen konnte, die es danach nicht mehr gab – Mahlers Musik lässt sich auch als angestrengter Versuch verstehen, sie zurückzurufen: Waren manche Stellen etwa in Beethovens Fünfter Symphonie im Verhältnis zu dem damals in Kunstmusik Üblichen nicht genau so banal wie Mahlers schrille Verfremdungen im Verhältnis zu den Normalitäten des Konzertsaals, in dem er dirigierte? – Und hatte sich bei Beethoven nicht auch das Vermögen großer Musik bewährt, die Relevanz der mit Zitaten verbundenen Außenbezüge zugunsten des Zusammenhangs mehr und mehr zu mindern? Beseitigt durfte Mahler sie so wenig wünschen wie Beethoven die seinigen – als Momente einer weniger autonomen als in ein Mitteilungsgeflecht gestellten Musik, die sich aussetzt und den Risiken des Missbrauchs, der Verkitschung etc. so wenig aus dem Weg geht wie Für Elise, Träumerei, Sehnsuchtswalzer etc. Adorno hat sie u. a. als Antwort auf „die Frage nach dem“ gesehen, „was der Idealismus an der Siegesbahn des Fortschritts hat liegenlassen“.30 Weil Mahlers Komponieren stets ein Erkunden war, ein Experiment mit offenem Ausgang, darüber hinaus oft ein Zugleich von Hervorbringen und Reflektieren über Musik31, liegt es nahe, insbesondere die Sechste Symphonie als Versuch zu verstehen, Nähe zu Beethoven und klassischen Maßgaben herzustellen, ihm im eigensten Feld zu begegnen – für den dreifach Heimatlosen eine Nagelprobe besonderer Art: „He saw himself, after all, first and foremost as a German composer whose explicit duty was to carry forth, even while challenging, the legacy of Beethoven, Brahms, and Bruckner“.32 29

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Theodor W. Adorno, Beethoven. Philosophie der Musik. Fragmente und Texte. Hrsg. Rolf Tiedemann. Frankfurt am Main 1993, S. 25. Ebenda S. 171. Georg Mohr, Das Gehör als Tor zur Welt. Mahlers Dritte Symphonie als Musik über Musik, in: Nachrichten zur Mahler-Forschung 48, Wien 2003, S. 3–22. Morten Solvik, Mahler and Germany, in: The Mahler Companion. Hrsg. Donald Mitchell u. Andrew Nicholson. Oxford University Press 1999, S. 126–137, Zitat S. 136.

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Dass die Sechste seine einzige Symphonie in der traditionell geordneten Viersätzigkeit ist, gibt ebenso ein Indiz wie, dass der geschworene Feind aller Wiederholung – „jede Wiederholung ist schon eine Lüge. Es muß sich ein Kunstwerk wie das Leben immer weiter entwickeln“33 – zum einzigen Mal nach der Ersten Symphonie eine Expositionswiederholung vorschreibt. Dergestalt erscheint sie wie eine auf höchstes Risiko disponierte Versuchsanordnung; gegensätzlicher können zwei Themen kaum sein als die beiden auf knappem Raum, durch einen Quasi-Choral getrennt nebeneinander stehenden – hier der brutal niedertretende, jede Zählzeit fixierende Marsch, dort die blühende, emphatisch abhebende Melodie. Weil diese wohl Alma meint – „ich habe versucht, Dich in einem Thema festzuhalten“34 –, liegt es nahe, das Marschthema, wie vermittelt auch immer, mit ihm identifiziert zu denken, auch als Vertreter eines bei ihm allenthalben durchschlagenden Traumas. Wenn es sich so verhielt – die Lieschen-MüllerMaßgabe von „männlichem“ ersten und „weiblichem“ zweiten Thema liegt nicht fern –, war der Test mit einer schweren Hypothek belastet: Der abgründig existentielle Musiker Mahler mag erlauben, von „Ehefähigkeit“ der Themen zu sprechen und damit verbundene Banalisierungen zu riskieren (es mochte gut sein, wenn Alma über die Abbildlichkeit des lyrischen Themas nicht weit hinausdachte): Die Themen kommen nicht zusammen; kaum je klingen sie ineinander; um Frieden zu haben, bedarf es des entlegenen, „stillen Gebiets“ der Herdenglocken-Takte 199 ff. – Herdenglocken, hier von Mahler erstmals eingesetzt, sind in einer Sonatenform landfremd –, und der wunderbare Abschied, den Mahler dem Alma-Thema gönnt (Takte 365 ff., angedeutet schon am Ende der Exposition), lässt die Unbarmherzigkeit doppelt wehtun, mit der er es am Ende ins lärmige Stretto zwingt. Die Sonate leistet es nicht mehr – dies die eine Seite des halsbrecherischen Experiments. „Kein Werk ist ihm so unmittelbar aus dem Herzen geflossen wie dieses. Wir weinten damals beide.“35 Mahler beginnt traditionsfromm, wie er nicht mehr ist, so, als sei das alte Gehäuse noch bewohnbar, und er sieht sich am Ende zu einem Finale geführt, das zu den klassikfernsten, den längsten je von ihm komponierten Sätzen gehört und ihn zwingt, noch einmal wie von vorn anzufangen – Letzteres auch daraus zu ersehen, dass er sich der Prägungen vom Beginn erinnert. Eine ungeheure Ausfahrt, ein Finale als Aufbruch in neues Gelände: „Meine VI. wird Rätsel aufgeben, an die sich nur eine Generation heranwagen darf, die meine ersten fünf in sich aufgenommen und verdaut hat“.36 33 34

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Gustav Mahler, Anm. 4, S. 158. Alma Mahler-Werfel, Erinnerungen an Gustav Mahler; Gustav Mahler, Briefe an Alma Mahler. Hrsg. Donald Mitchell. Berlin 1978, S. 97; hier kann man der „grande veuve“ wohl glauben. Ebenda. Im Herbst 1904 an Richard Specht, in: Gustav Mahler, Briefe, Anm. 19, S. 318.

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Nicht zufällig spricht er damit auch ein Moment von Historizität an; über das ohnehin beträchtliche Maß, in dem jede Komposition für ihn Selbstverständigung bedeutete, konkretisiert diese die Distanz bzw. Nähe zu Beethoven als der für ihn wichtigsten Instanz; konsequenterweise macht er es schwer oder gar unmöglich, den Ort der Ankunft, gar das Ergebnis zu benennen. Der stürzende, dann verlöschende Schlussakkord, letztmalig vom Leitrhythmus der Symphonie umhallt, und die Erläuterung der Hammerschläge gegenüber Alma – „Der Held, der drei Schicksalsschläge bekommt, von denen ihn der dritte fällt, wie einen Baum“37 – geben wohl eine Richtung vor. Mahler wird ihr gegenüber plausiblere Vergleiche bevorzugt haben und dabei an deren Übereindeutigkeit nicht vorbeigekommen sein. Sein stolzes „Meine VI. ist fertig. Ich glaube, ich habe gekonnt“ – ebenfalls an Specht gerichtet – spricht eine andere Sprache, wie immer es verfänglich erscheint, Zufriedenheit ob des Gelingens direkt auf dessen Gegenstand zu beziehen. Vielleicht aber sind wir mit katastrophenbezogenen Deutungen zu schnell bei der Hand38; eine komponierte Katastrophe ist immer auch eine kompositorisch bewältigte Katastrophe. Welche Auslegungen hätte die Sechste Symphonie zu gewärtigen gehabt, wäre sie seine letzte gewesen! Dem ließe sich entgegenstellen, dass diese Selbstverständigung, der schwierige Rekurs auf Beethoven, die auskomponierte Rechenschaft über dessen Unerreichbarkeit die unterschiedlichen Lösungen der Folgezeit und deren kaum glaubliche Schaffenskonzentrationen erst ermöglicht hat – auch, dass Mahler sich bei der Achten Symphonie dem unvermeidlichen Vergleich mit Beethovens Neunter aussetzte. Vielleicht, wenn wir Mahlers Sechste, wie immer partiell, als auskomponiertes Maßnehmen an Beethoven verstehen, hilft sie in der ihr eigenen „Schutzlosigkeit“ gegenüber dem Idol zu erkennen, wie sehr wir, wenn wir zu erklären, deuten, auszulegen versuchen, den Gegenstand unserem je eigenen Horizont anpassen, weil wir mit uns geläufigen Kategorien hantieren, die Kanten seiner „realen Gegenwart“ abschleifen. „Es ist unmöglich, ein Stück wie Mahlers Sechste zu lieben. Man darf das auch als Dirigent nicht kaschieren. Das ist ein Albtraum“ – verdankt sich diese herausfordernde Auskunft eines großen Mahler-Interpreten39 möglicherweise größerer Nähe zu dieser Musik, jedenfalls einem direkteren Anprall? Nicht zuletzt antwortet sie einer in solcher Schärfe nur Beethoven, Mahler und Schönberg gemeinsamen Überzeugung: Das Glück der Kunst sei so groß, streng und verpflichtend, dass die muffelig-träge bête humaine notfalls dazu gezwungen werden müsse. 37 38

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Mahler-Werfel, Anm. 34. Siegfried Oechsle, Strukturen der Katastrophe. Das Finale der VI. Symphonie Mahlers und die Endzeit der Gattung, in: Die Musikforschung 50, 1997, S. 162–182; Martin Geck, Zur Final-Idee in Mahlers Sechster Symphonie, in: Gustav Mahler und die Symphonik des 19. Jahrhunderts. Referate des Symposions 2000. Hrsg. Bernd Sponheuer und Wolfram Steinbeck. Frankfurt am Main 2001, S. 157–167. Bernard Haitink 1996 in einem Interview in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Throughout his life, Gustav Mahler identified strongly with Richard Wagner and his works. From his early student years in Vienna, when he joined the Wiener Akademischer Wagner-Verein and embraced vegetarianism in imitation of Der Meister to his tenure as the Director of the Hofoper – and beyond – Wagner loomed large in Mahler’s pantheon of personal icons. Indeed, Mahler’s affinity with Wagner and his aesthetic throughout his life is often overlooked by modern scholars preferring to focus on his incipient modernism. Since few musicologists have equal expertise in both Wagner and Mahler scholarship, the many Wagnerian threads weaving through Mahler’s life and career are often missed or minimized. With few exceptions, scholars have focused on the creative Mahler at the expense of the re-creative one: Mahler the composer instead of Mahler the conductor and dramaturge. As a result, much of the literature is inclined to stress the proto-modernism of his symphonies, particularly the later ones. Yet, as the Neue Freie Presse critic wrote in 1897, “He is a born theater conductor. Mahler understands how to make dramatic music.”1 I would argue that the idea of “drama” is central to Mahler and in fact can serve to unite the composer and the conductor. Instead of reading Mahler’s symphonies forward in teleological fashion towards modernism, it may be more accurate to read them backwards, through a Wagnerian lens. In what follows, I offer two discrete, but related examples of Mahler’s Wagner: first, an account of the way that Mahler’s creative practice reflects a fundamentally Wagnerian aesthetic; and second, an illustration of this aesthetic at work through a survey of Mahler’s performances of Wagner’s Der Ring des Nibelungen during his decade at the Vienna Hofoper. In Mahler’s Wagner and its context we see a clash of aesthetic, philosophical, and political forces. As a Jew, Mahler was never invited to conduct at Bayreuth and anti-Semitism is often an implicit – and at times explicit – component of the critical reception of his Wagner performances.

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“Der Wagner-Cyklus im Hofoperntheater,” Neue Freie Presse, 30. August 1897, 3.

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Mahler and Wagner Mahler first rehearsed and conducted Wagner in Prague in 1885. He chose Lohengrin for his debut in Leipzig in 1886 and, more ambitiously, the Ring for his first performances as Director of the Royal Budapest Opera (sung in Hungarian) a few years later. After he moved to Hamburg in 1891 and conducted Tristan for the first time, Mahler had performed all of Wagner’s works (except of course for Parsifal, although he did conduct excerpts in concert) and had developed an international fame as a Wagner conductor and coach.2 While in Hamburg, Mahler discovered a young soprano named Anna von Mildenburg, who quickly became his protégé (and lover). Mahler coached her in Wagnerian roles, including, at Cosima Wagner’s request, Kundry (in which role she made her spectacular Bayreuth debut in 1897).3 Although, as mentioned, Mahler never conducted at Bayreuth, he did develop a friendly relationship with Cosima and was always received at Wahnfried during the Festival and often sat in the family box during performances.4 Mahler was a Wagnerian until his death, even writing to his sister that he felt that Wagner “belong[ed] a little bit to my family.”5 There is ample evidence that, despite his support, he really did not understand the new, post-Wagnerian aesthetic of Schoenberg and others. Instead, Mahler’s early immersion in Wagner’s prose writings, the early writings of Nietzsche, as well as his participation in the Wiener Akademischer Wagner-Verein and the Pernerstorfer Circle (a mystical-literary club fascinated by Wagner’s late writings and the idea of the Poet-Priest), resulted in the formation of a durable view of music that can only be termed Wagnerian.6 Indeed, Mahler’s view of music gibes fully with that which I have elsewhere termed the Schopenhauerian-Wagnerian aesthetic position.7 2

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Information about Mahler’s performances is found in Zoltan Roman, Gustav Mahler and Hungary (Budapest: Académiai Kiadó, 1991) and Bernd Schabbing, Gustav Mahler als Konzert- und Operndirigent in Hamburg (Berlin: Ernst Kuhn, 2002); the database of Hofoper rehearsals and performances is found on the Internationale Gustav Mahler Gesellschaft web site, www.gustav-mahler.org; and see also Knud Martner, Mahler’s Concerts (New York: Kaplan Foundation and Overlook, 2010). See Gustav Mahler, “Mein lieber Trotzkopf, meine süße Mohnblume”: Briefe an Anna von Mildenburg, ed. and comm. Franz Willnauer (Vienna: Zsolnay, 2006) and Eduard Reeser, “Gustav Mahler und Cosima Wagner,” in Gustav Mahler, Unbekannte Briefe, ed. Herta Blaukopf (Vienna: Zsolnay, 1983), 211–240. The Mahler Family Letters, edited, translated, and annotated by Stephen McClatchie (New York: Oxford University Press, 2006), 282 and 283; for the German, see Gustav Mahler, “Liebste Justi”: Briefe an die Familie, ed. Stephen McClatchie, redaction by Helmut Brenner (Bonn: Weidle, 2006), 392 and 393. Letter written to Justine on 4 March 1894; see Family Letters, 268 and Briefe an die Familie, 373. The classic account of this milieu remains William J. McGrath, Dionysian Art and Populist Politics in Austria (New Haven and London: Yale University Press, 1974). Stephen McClatchie, Analyzing Wagner’s Operas: Alfred Lorenz and German Nationalist Ideology (Rochester: University of Rochester Press, 1998), 28-42 and passim.

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Although Mahler later distanced himself from the nationalist and conservative political ambitions of the Pernerstorfer Circle, he retained their pan-German cultural focus throughout his life. For Mahler, this meant an ongoing engagement with and commitment to the works and ideals of Richard Wagner. Beginning with his student years when he likely read Wagner’s late works immediately upon their publication in the Bayreuther Blätter, Mahler was familiar with Wagner’s prose works and returned to them often. “When Wagner has spoken, let others hold their tongues,” he once stated.8 Early in their relationship, Mahler bought a copy of Wagner’s Gesammelte Schriften for Anna von Mildenburg – an odd sort of gift to a lover – remarking that “an artist must own this work and read it again and again and absorb it.”9 Earlier he had given a copy of Wagner’s Beethoven – a central work to which we will return – to his friend Arnold Berliner; in a note to this letter when it was published in 1924, Alma Mahler commented that “Mahler often said that apart from Wagner’s ‘Beethoven’ only Schopenhauer in the ‘World as Will and Representation’ had anything worthwhile to say about the essence of music.”10 A letter to Alma in June 1904 notes that he was reading Wagner’s correspondence with Liszt.11 In addition to the prose works, the evidence suggests that Mahler was also influenced by Wagner’s conducting, both directly and indirectly. He heard Tannhäuser under the Master’s baton in Vienna in 1875 and may well have been familiar with Wagner’s essay “On Conducting,” with its emphasis on tempo modification. Contemporary reviews, particularly of his performances of Wagner, often comment upon this influence. For example, Natalie Bauer-Lechner’s Erinnerungen includes an anonymous letter sent the day after Mahler’s Hofoper debut that praises his “Wagnerian” tempi, nuances, accents, and conducting, particularly its tempo modification, “ganz im Sinne des Meisters.”12 In terms of direct musical influence, however, Donald Mitchell has noted that “it is relatively infrequently that one is obliged to identify Wagner as the prime source of a specific idea” in Mahler.13 Although Mahler’s orchestral palate and some specific passages are undeniably Wagnerian (e.g., the six harps in the original version of Das kla8 9 10

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Max Steinitzer in Norman Lebrecht, ed., Mahler Remembered (London: Faber & Faber 1987), 41. Letter from early September 1895 in Mein lieber Trotzkopf, 19. Letter to Arnold Berliner, [14 July 1892]; see Herta Blaukopf, ed., Gustav Mahler Briefe, 2nd rev. ed. (Vienna: Zsolnay, 1996), 123–124. “Ein Glück ohne Ruh’”: Die Briefe Gustav Mahlers an Alma, ed. Henry-Louis de La Grange and Günther Weiß (Berlin: Siedler, 1995), 199, 201 (letter number 82). Gustav Mahler in den Erinnerungen von Natalie Bauer-Lechner, revised and expanded edition, ed. Herbert Killian, with notes by Knud Martner (Hamburg: Karl Dieter Wagner, 1984), 88–89. Donald Mitchell, Gustav Mahler: Songs and Symphonies of Life and Death (Woodbridge: Boydell, 2002), 610.

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gende Lied ), sometimes Wagner’s influence comes second hand through Bruckner. In other places, while the sound world may harken back to Wagner’s early Romantic operas, the direct influence is likely that which influenced Wagner himself: Weber, Marschner, and the other early Romantics, including Schumann. Be that as it may, while Wagner may rarely be a musical source for Mahler, his aesthetic shadow is everywhere. Before turning to aesthetics, it is worth pointing out that there are myriad other ways that Mahler or his works could be seen as Wagnerian. For example, both composers’ works generally have some autobiographical impulse behind them and both men continually wrote and re-wrote their artistic autobiographies (Wagner directly in his prose writings; Mahler more indirectly in letters and interviews).14 Wagnerian too is Mahler’s whole existence as a kind of Gesamtkünstler par excellence: a composer, a conductor, and an artistic manager; he even wrote many of his own texts, particularly early in his career. Finally, his discomfort with the commercial aspects musical life is well known. For example, in letters written around the Munich premiere of the Eighth Symphony in 1910, he referred disparagingly to Emil Gutmann’s “Barnum and Bailey methods,” which made him feel “prostituted,” “caught in Herr Gutmann’s nets.”15 This, of course, also reflects a Wagnerian, idealistic attitude – one actually more “Wagnerian” than Wagner himself. A new book by Nicholas Vazsonyi, Richard Wagner: Self-Promotion and the Making of a Brand, clearly reveals the chasm between what Wagner said he did and believed (the ideology) and how he very consciously and deliberated shaped his public persona and built the brand of Bayreuth.16

Mahler and Wagnerian Aesthetics One difficulty in assessing Wagner’s influence on others, particularly other artists, is that his own aesthetic position evolved throughout his life. In particular, it is a mistake to read the Zurich writings – Art and Revolution (1849), The Artwork of the Future (1850), and Opera and Drama (1851) – as representing Wagner’s last word, aesthetically speaking. In fact, Wagner’s thought changed significantly after reading Schopenhauer’s The World as Will and Representation in 1854, but – typically – he tried 14

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For Wagner, see John Deathridge, “Wagner Lives: Issues in Autobiography,” in Wagner: Beyond Good and Evil (Berkeley and Los Angeles: University of California Press, 2008), 3–17. See Blaukopf, Gustav Mahler Briefe, 405–6 (letter to Bruno Walter); and Blaukopf, Unbekannte Briefe Gutmann, 74–75. Nicholas Vazsonyi, Richard Wagner: Self-Promotion and the Making of a Brand (Cambridge: Cambridge University Press, 2010).

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to elide the differences in his later writings. Wagner’s essay for the centenary of Beethoven’s birth, entitled simply “Beethoven,” is the key text in this aesthetic re-evaluation, whereby music, as the highest of the arts, replaces drama as the central term in Wagner’s aesthetic thought.17 Subsequently amplified by Nietzsche in The Birth of Tragedy, this Schopenhauerian-Wagnerian understanding of music forms the basis of what I have termed the “expressive aesthetic position.” Mahler held to this view of music and its power to the end of his life. The expressive aesthetic position held that music was the highest of all the arts because it allowed the properly attuned listener to glimpse the essence of things, ultimate truth, the Absolute. It was derived from Schopenhauer’s discussion of music in The World and Will and Representation as refracted by Wagner’s own prose writings. It would take us too far astray to trace the development of Wagner’s thought fully, but his encounter with Schopenhauer’s work in 1854 lead him to realign his earlier insistence on the dialectical fusion of all the arts into the Gesamtkunstwerk, the total work of art. While Wagner never explicitly backed away from this, in his “Beethoven” essay of 1870 he argued that music, as the highest of all the arts, enclosed all of the other arts in itself, with drama being prime among them. In Wagner’s writings, therefore, “drama” and “music” are synonyms for this metaphysics of presence. Wagner is generally credited with having invented the term “absolute music.”18 However, subsequent commentators have often missed the double valence of the term as used by Wagner: commonly used to refer to un-texted music, for Wagner it is also used as a metaphor for the Ding an sich, the capital-A Absolute.19 This confusion has led to a mischaracterization of the music aesthetic debates in the last half of the nineteenth century. The true antipode to Eduard Hanslick valorization of small-A “absolute music” is Friedrich von Hausegger’s Die Musik als Ausdruck, which argues that “the essence of music is expression – expression refined and raised to the highest power of effectiveness.”20 Mahler frequently invoked the centrality of expression as his aesthetic goal and the influence of the expressive aesthetic position on him can be seen most clearly in his discomfort with programs. Here, Mahler’s views clearly reflect this SchopenhauerianWagnerian perspective. 17 18

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Richard Wagner, Gesammelte Schriften, vol. 9 (Leipzig: Tiemann, 1907), 61–126. For an archaeology of the concept, see Sanna Pederson, “Defining the Term ‘Absolute Music’ Historically,” Music & Letters 90 (2009): 240–62; also McClatchie, Analyzing Wagner’s Operas, 39–40. Carl Dahlhaus, The Idea of Absolute Music, trans. Roger Lustig (Chicago: University of Chicago Press, 1987), 40, and chapter 2, passim. Friedrich von Hausegger, Die Musik als Ausdruck, 2nd ed. (Vienna: Konegen, 1887), 209; this work was first published serially in Bayreuther Blätter 7 (1884) and as a book in 1885.

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In the first instance, Mahler’s view of music itself can only be described as Schopenhauerian, as being more powerful than and revealing that which is beyond words. In 1896, he wrote to Max Marschalk that if he is able to express an experience in words, he certainly could not turn it into music: “the need to express myself musically, symphonically begins on the place of obscure feelings, at the gate that opens into the “other world.”21 He goes on to use the word “drama” to encapsulate this Wagnerian aesthetic: I am sure we now stand at a great parting of the ways, where the divergent paths of symphonic and dramatic music will soon become obvious to anyone with a clear notion of the nature of music. – Even now, if you compare a Beethoven symphony with Wagner’s tone poems [Tongebilde], you will have no trouble in recognizing the essential difference between them. – True, Wagner has taken over symphonic music’s means of expression, just as the symphonic composer, for his part, is completely justified in making whatever use he wishes of the means of expression with which Wagner has enriched music. In this sense, all the arts, indeed art and Nature itself, are interconnected.22

Similarly Wagnerian is his view that words about music inadequately capture its essence, despite their undeniably heuristic quality. For Mahler, programs are useful as “signposts” on a journey or as “star maps” to understand the night sky; they are aids that, ideally, should lead to their own overcoming. Such a view resonates with aspects of Nietzsche’s argument in The Birth of Tragedy that words afford Apollonian protection from the Dionysian truths of music.23 Here we find the root of Mahler’s well-known antipathy toward Richard Strauss’s music. In 1897, Mahler wrote to the critic Arthur Seidl that: “You have quite accurately characterized my goals in contrast to those of Strauss; you are right that my ‘music finally arrives at a program as the last, ideal clarification, whereas with Strauss the program stands as a given task.’”24 Indeed, Mahler’s fidelity to the Wagnerian aesthetic and his desire to distance himself from Strauss and the New German school may have been behind his renunciation of all programs in 1900.25 21

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Letter of 26 March 1896, Blaukopf, Gustav Mahler Briefe, 171; translation from Selected Letters of Gustav Mahler, ed. Knud Martner, trans. Eithne Wilkins, Ernst Kaiser, and Bill Hopkins (New York: Farrar Strauss Giroux, 1979), 179. Blaukopf, Gustav Mahler Briefe, 172; Selected Letters, 179. Friedrich Nietzsche, The Birth of Tragedy, in Basic Writings of Nietzsche, ed. and trans. Walter Kaufmann (New York: Modern Library, 1968), 128–29. Blaukopf, Gustav Mahler Briefe, 222. For a survey of the Mahler-Strauss relationship, see Herta Blaukopf, “Rivalry and Friendship: an Essay on the Mahler-Strauss Relationship,” in Gustav Mahler-Richard Strauss Correspondence 1888–1911, ed. Herta Blaukopf, trans. Edmund Jephcott (Chicago: University of Chicago Press, 1984), 103–158.

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A second example of Mahler’s espousal of the expressive aesthetic position is his Schopenhauerian understanding of genius as one who can transcend the world as Will and access the Absolute. In Schopenhauer’s words, [T]he most perfect knowledge, the purely objective apprehension of the world, that is, the apprehension of the genius, is conditioned by a silencing of the will so profound that, so long as it lasts, even the individuality disappears from consciousness, and the man remains pure subject of knowing, which is the correlative of the Idea.26

Elsewhere, Schopenhauer connects genius and artistic creation: The invention of melody, the disclosure in it of all the deepest secrets of willing and feeling, is the work of genius, whose effect is more apparent here than anywhere else, is far removed from all reflection and conscious intention, and might be called an inspiration.27

In his 1897 letter to Seidl, Mahler writes that The way in which I was inspired to do this [i.e., complete the Second Symphony] is deeply significant of the nature of artistic creation. […] It struck me like lightning, and everything stood plain and clear in my mind! It was the flash that all creative artists wait for – “the Immaculate Conception”!28

He famously made similar comments about the Eighth Symphony, often referring to the role of something beyond him, the “spiritus creator,” in its genesis.29 For Mahler inspiration cannot be forced but it might come even when it is not wanted, as he wrote to Alma in 1910: Four years ago, on the first morning of our summer at Maiernigg, I went up to my shack, resolved to take it easy (for I was in dire need of rest at the time) and to gather new strength. – As I entered that all-too-familiar room, the creator spiritus took possession of me, held me in its clutches and chastised me for eight weeks, until the work was all but finished.30

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Arthur Schopenhauer, The World as Will and Representation, 2 vols., trans. E. F. J. Payne (Indian Hills, CO: Falcon’s Wing Press, 1958), 2:219. Ibid., 1:260. See Kevin C. Karnes, “Wagner, Klimt, and the Metaphysics of Creativity in fin-de-siècle Vienna,” in Journal of the American Musicological Society 62 (2009): 647–97. Blaukopf, Gustav Mahler Briefe, 223. See Blaukopf, Gustav Mahler Briefe, 332–4. Letter of 8 June 1910, “Ein Glück ohne Ruh’”, 424; translation from Henry-Louis de La Grange and Günther Weiss, eds., Gustav Mahler: Letters to his Wife, trans. and rev. Antony Beaumont (Ithaca, N.Y.: Cornell University Press, 2004), 356–57.

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The instantaneous nature of inspiration is highlighted in Richard Specht’s account of a conversation he had with Mahler that same summer: Think, in the last three weeks I have completed the sketches of an entirely new symphony, something in comparison with which all the rest of my works are no more than introductions. … I have [n]ever worked under such a feeling of compulsion; it was like a lightning vision – I saw the whole piece immediately before my eyes and only needed to write it down, as though it were being dictated to me. …[A]n old book fell into my hands and I chanced on the hymn “Veni creator spiritus” – and at a single stroke I saw the whole thing – not only the opening theme, but the whole first movement.31

For a Wagnerian, such accounts cannot help but recall Wagner’s putative La Spezia vision, when, while lying in a half-sleep, he claimed to have conceived Das Rheingold.32 But they have a long pedigree, extending back at least to Rochlitz’s forged Mozart letter and forward to Hans Pfitzner’s Palestrina.33 A third manifestation of the expressive aesthetic in Mahler relates to the nature of his musical materials and compositions. Recall his comment to Marschalk about the legitimacy of using the expressive means of the music drama in the symphony: Mahler’s symphonic ambitions are Wagnerian. One need only think of his well-known view that a symphony should encompass a world. In this aspiration, we can discern a Wagnerian privileging of drama, expression, over “music,” narrowly defined: But, to me “symphony” means constructing a world with all the technical means at one’s disposal. The eternally new and changing content determines its own form. In this sense, I must forever learn anew how to forge new means of expression for myself – however completely I may have mastered technical problems, as I think I may now claim to have done.34

The musical means is dictated by the expressive intent, all in the service of revealing the Absolute. This is the ideology of the Gesamtkunstwerk. But Mahler’s choice of vehicle is striking: he returns to the symphony, which Wagner had already declared to be superseded in Das Kunstwerk der Zukunft (1850):

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Richard Specht, [Vienna] Tagespost (14 June 1914), cited in Mitchell, Songs and Symphonies, 519. Richard Wagner, My Life, trans. Andrew Gray, ed. Mary Whittall (Cambridge: Cambridge University Press, 1983), 499. On this point, see McClatchie, Analyzing Wagner’s Operas, 69–70 and Stephen McClatchie, “Hans Pfitzner’s Palestrina and the Impotence of Early Lateness,” University of Toronto Quarterly 67 (Fall 1998): 812–27. Erinnerungen von Natalie Bauer-Lechner, 35; translation in Recollections of Gustav Mahler by Natalie BauerLechner, trans. Dika Newlin, ed. Peter Franklin (London: Faber and Faber, 1980), 40. (The second, German, edition includes passages not found in the English translation.)

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“the last symphony has already been written.”35 A likely reason for this return is Mahler’s consciousness of his place in history, which he elaborated on in a section of Natalie’s Erinnerungen entitled “Wagner’s Greatness.” Wagner was born at the right time and the world was ready for what he had to say and what he stood for; however Those who are born after such great spirits as Beethoven and Wagner, the epigones, have no easy task. For the harvest is already gathered in, and there remain only a few solitary ears of corn to glean. But for the right laborer it is always granted to collect an imposing little heap!36

Mahler’s focus on the symphony for his “little heap” should not distract us from its essentially Wagnerian essence. His understanding of the symphony and its possibilities is not the same as Wagner’s: he saw a symphony as dramatic in the idealistic, Wagnerian sense, and its highest goal as expression. This is the key to his comments to Natalie that “the eternally new and changing content determines its own form” and that his expressive means [Ausdrucksmittel] must be recreated anew with each work. For Mahler, as for Wagner, unconventional or even bizarre musical gestures are justified by the expressive intention; anything is permissible if it is related to the drama (Wagner) or the “world” being created (Mahler). Here too we can uncover the covert influence of Wagner, for this argument is at the heart of his late essay “On the Application of Music to Drama,” first published in the Bayreuther Blätter.37 For the reasons already mentioned, it is a virtual certainty that Mahler read it when it appeared in 1879, although to my knowledge he never refers to it. But there is an even more specific manifestation of “music as expression” in Mahler’s music that has been infrequently discussed: its motivic construction. Many of Mahler’s themes or fragments overflow the boundary of a single work: the so-called Ewigkeitmotiv traced by James Zychowicz and others, for example, or the shared melodies of Das klagende Lied, the Lieder eines fahrenden Gesellen, and the First Symphony.38 There 35

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Wagner, Gesammelte Schriften, 3:97. Late in his life, Wagner himself wanted to write symphonies and even sketched some themes; see John Deathridge, “Unfinished Symphonies,” in Wagner: Beyond Good and Evil, 189–205. Recollections of Gustav Mahler, 38 (the last sentence is not in the English version; see Erinnerungen von Natalie-Bauer Lechner, 33). Wagner, Gesammelte Schriften, 10:176–193. For further discussion of this essay and its importance to Wagnerian analysis, see McClatchie, Analyzing Wagner’s Operas, 64, 90–91. See, for example, James L. Zychowicz, “Gustav Mahler’s Motives and Motivation in His ‘Resurrection’ Symphony: the Apotheosis of Hans Rott,” in For the Love of Music: Festschrift in Honor of Theodor Front on His 90 th Birthday, ed. Darwin F. Scott (Lucca: Lim antiqua, 2002), 137–63; Henry-Louis de La Grange, „Music about Music in Mahler: Reminiscences, Allusions, or Quotations?“ in Mahler Studies, ed. Stephen E. Hefling (Cambridge: Cambridge University Press, 1997), 122–68.

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are also the motives that link the Fourth and Fifth Symphonies and the Kindertotenlieder. For a Wagnerian, this is fascinating. The non-specific, or non-referential, nature of these gestures recalls the late Wagnerian leitmotiv, particularly those in Tristan und Isolde and Parsifal (as opposed to those in the Ring, which tend to be more concrete) and gives new meaning to Adorno’s words, “Mahler’s themes each bear their own names in themselves, without nomenclature.”39 In addition, the deployment of many of Mahler’s motives in multiple works suggests a strong musical affinity with Wagner and immediately brings to mind Hans von Wolzogen’s lesser-known study Musikalische-dramatische Parallelen: if musical gestures – which Wolzogen terms “parallels” – originate from the drama (expressive intent), then it makes sense that similar situations are depicted similarly musically. Wolzogen argues that a parallel occurs when “the expressive themes of a work appear to be expressive gestures of music in general” and the subtitle of his work is revealing: “contributions to the recognition of music as expression”40 Throughout his life, Mahler adhered to the ideal of the Gesamtkunstwerk and the Wagnerian expressive aesthetic, the absorption of which was pivotal to his youth and formed the basis of his entire aesthetic of musical and operatic production: a striving for wholeness, for the Absolute. This goal influenced his own productions (and particularly those done in collaboration with Roller), his compositions, and his performances of his own works.

Mahler and Wagner’s Der Ring des Nibelungen A full account of Mahler’s staging and performance practices of Wagner’s works before he became the Director of the Vienna Hofoper in 1897 would be a valuable contribution to the literature, particularly if it then drew connections between the re-creative and creative Mahler. As a first step in this direction, this section will focus on the ten years that Mahler spent in this position and concentrate on his performances of Der Ring des Nibelungen. In addition to published sources and newspaper criticism,41 this 39

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Theodor Adorno, Mahler: A Musical Physiognomy, trans. Edmund Jephcott (Chicago: University of Chicago Press, 1992), 58. Hans von Wolzogen, Musikalische-dramatische Parallelen: Beiträge zur Erkenntnis von der Musik als Ausdruck (Leipzig: Breitkopf und Härtel, 1906), 7 (first published serially in the Bayreuther Blätter between 1894 and 1903). The Vondenhoff collection in the Musiksammlung of the Österreichische Nationalbibliothek (F 102) is an invaluable resource for Mahler scholarship; see Gustav Mahler Dokumentation, Sammlung Eleonore Vondenhoff: Materialien zu Leben und Werk, ed. Bruno Vondenhoff and Eleonore Vondenhoff (Tutzing:

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discussion is based on archival documents from the Hofopernarchiv in Vienna as well as instrumental parts in the Wiener Staatsoper music library that were used under Mahler’s baton. Mahler made his debut at the Hofoper on 11 May 1897 with Lohengrin. In August of that year, following the reopening of the theatre after the summer, he conducted his first full Ring cycle in Vienna. (See Table 9) Until Hans Richter left the Hofoper in May 1900, Mahler often shared performances of the Ring operas with him. At first, these tended to be individual performances, not full cycles, but after September 1898 the Ring was almost always given in full cycles. There are only a few exceptions: a cycle in 1898 and one in 1904 had to be aborted owing to singers’ illnesses (but the rest of the cycles were performed as planned);42 and the new Roller productions of Das Rheingold and Die Walküre were performed on their own for some months after their premieres.43 With surprising frequency, these cycles were often shared between two or even three conductors. Of the forty full cycles of the Ring presented in Vienna during Mahler’s decade at the helm, he conducted just seven full and five partial cycles.44 Somewhat surprisingly, after a full cycle in December 1900, Mahler never again conducted Siegfried or Götterdämmerung. His last Ring performance in Vienna was a Walküre on 15 September 1907 as part of a cycle shared with Bruno Walter and Franz Schalk. How did Mahler rehearse his first Vienna Ring? As a repertory theater, the Hofoper had a somewhat abbreviated rehearsal schedule.45 Before Mahler’s August cycle, Rheingold had been given in February and the other three works in April, so they were

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Schneider, 1978); Ergänzungsband zur Gustav Mahler Dokumentation, Sammlung Eleonore Vondenhoff: Materialien zu Leben und Werk, ed. Bruno Vondenhoff and Eleonore Vondenhoff (Tutzing: Schneider, 1983); and Zweiter Ergänzungsband zur Gustav Mahler Dokumentation, Sammlung Eleonore Vondenhoff: Materialien zu Leben und Werk, ed. Veronika Freitag (Tutzing: Schneider, 1997). Other reviews are taken from the collection in the Internationale Gustav Mahler Gesellschaft and the invaluable ANNO (Austrian Newspapers Online) project of the ÖNB: anno.onb.ac.at/. The newspaper criticism cited below should be seen as representative and does not reflect a complete review of the Viennese press. Vienna, Haus-, Hof-, und Staatsarchiv (hereafter HHStA) Oper Z. 30/1904. Regie-Protokoll. During the individual Rheingold performances between January and June 1905, there were performances of the other three operas but never as part of a coherent cycle. There were also two single Walküres in 1905 and one in 1906. The number of performances was derived in the first instance from Franz Hadamowsky, Die Wiener Hoftheater (Staatstheater) 1776–1966: Verzeichnis der aufgeführten Stücke mit Bestandnachweis und täglichen Spielplan (Vienna: Prachner, 1966) and checked against the Regie-Protokoll volumes in the HHStA, which include handwritten changes to the weekly printed performance schedule. This figure (40) includes the aborted 1904 cycle described above as well as one in February 1898 in which Götterdämmerung was cancelled owing to the indisposition of Hermann Winkelmann. Information about rehearsals at the Hofoper can be found in the Regie-Protokoll, a list of performances and some rehearsals that lists the principal personnel and the conductor, as well as in the Probe Buch (rehearsal book), which includes solo and ensemble rehearsals and indicates who is in charge of a rehearsal.

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relatively fresh. As well, Mahler had held three Walküre rehearsals in May, although the scheduled performance had to be cancelled in the end. In August, Mahler held solo rehearsals with many of the singers as well as ensemble rehearsals with the Rhinemaidens and the Valkyries. This appears to have been somewhat unusual, as most other conductors tended to leave these to their more junior colleagues (as did Mahler himself later in his tenure). According to Natalie Bauer-Lechner, Mahler’s friend and confidant, he was at the opera daily from 9–2 and 6–10. She is wrong, however, when she says that he did not have any orchestral rehearsals for the Ring, apart from opening a number of cuts: the Regie-Protokoll lists at least five (although it appears that there was no rehearsal for Siegfried). The cycle was given over only five days, with performances beginning at 7:00 (7:30 for Rheingold). Although these performances did include a number of the traditional cuts, Mahler did open a number of them, most notably one in the Brünnhilde-Siegfried duet in Siegfried. He told Natalie that he did so because the cut was scandalous because it makes Brünnhilde appear as a whore who resists Siegfried’s wooing for a moment at most before flinging her arms about his neck the next instant. The entire transition in which she makes him understand what she is giving up, and all the intermediate stages leading up to the final climax, have simply been left out until now.46

Astonishingly, this cycle was the first time in Vienna that Das Rheingold was performed without an intermission between the second and third scenes. More information about this performance practice is found in the Hofoper records for the following year. That October, Wagner’s publisher, Ludwig Strecker, wrote to Mahler and asked him if it was true that Rheingold was performed in Vienna in two parts “with an entr’acte between the 2nd and 3rd scene.” Mahler replied that “Court Kapellmeister Hans Richter himself inserted 8 measures in order to allow an ending after the 2nd transition. Under my direction, however, this was stopped immediately.”47 This insert is preserved in many of the orchestral parts in the Musikarchiv; one violinist wrote “O schmähliche Schmach!” (“O ignominious shame!,” a misquotation of Wotan in Die Walküre) across the top of the insert in pencil.48 (See Examples 1 and 2.)

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Erinnerungen von Natalie Bauer-Lechner, 97–100, here 99 (my translation). HHStA, Oper Z. 590/1898. “Hofkapellmeister Richter hat um nach der 2. Verwandlung einen Schluß zu ermöglichen daselbst 8 Takte hinzugefügt. Unter meiner Leitung wurde dies jedoch sofort aufgegeben und das Werk gelangt jetzt ohne Unterbrechungen im Zusammenhang zur Aufführung, wie dies vom Meister vorgeschrieben ist, das meiner Ansicht nach irgend welche Anhang oder Hinzufügung ganz unzulässig erscheint.” Wotan’s words at the beginning of II.ii: “O heilige Schmach! O schmählicher Harm!” Or possibly Alberich in Rheingold iii: “O schändliche Schmach!”

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Example 1: Das Rheingold, Violin I, 9th desk, end of scene 2 (Musikarchiv, Vienna State Opera)

While Mahler himself told Natalie that he was dissatisfied by many of the performances, especially the second-rate Valkyries and the “dust of negligence and mistakes” of much of the orchestral playing, with its “eternal portamentos,” with the exception of the anti-Semitic Deutsche Zeitung, the critics were largely favorable towards Mahler.49 Robert Hirschfeld, writing in the Wiener Abendpost, noted that “the applause […] seemed to attest that the artwork of the future became the artwork of the present,” while Theodor Helm wrote in the Musikalisches Wochenblatt that “it cannot be denied that since Mahler’s employment a fresh draught has entered into the stifling everyday air of the alarming stagnating conditions of our Opera.”50 Many did find things to criticize about the staging, with the critic in the Neue Freie Presse in particular drawing attention to what he saw as repeated and disturbing contradictions between the text 49

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Erinnerungen von Natalie Bauer-Lechner, 97 (“ewigen Portamenti”), 99 (“Staub von Schlamperei und Unkorrektheit”). One exception was Albert Leitich, the drama critic of the anti-Semitic Deutsche Zeitung who wrote after Walküre that “Mahler has really taught us to treasure what we have in Hans Richter” (27 August 1897). Vondenhoff 2259 (26 August 1897): “der Beifall, der am Schlusse den Mitwirkenden entgegenscholl, schien Zeugniß zu geben, daß das Kunstwerk der Zukunft das Kunstwerk der Gegenwart geworden ist.”

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Example 2: Das Rheingold, Violin I, 9th desk, insert for end of act I (Musikarchiv, Vienna State Opera)

and the staging. Despite Natalie’s comment that “to see and experience the resurrection of the Ring under you in our Vienna, as if its creator himself sat on the podium, is really the fulfillment of my deepest wish,” Mahler knew that much more needed to be done.51 Mahler had not yet built an ensemble capable of meeting his musical and dramatic ideals, ideals that he had worked hard to instill in Hamburg, where the resources were much less than in the imperial capital. After isolated performances of the Ring operas in the fall of 1897 and winter of 1898 (and an aborted cycle in February), Mahler resolved to mount an entirely uncut cycle in September. In fact, Mahler had a philosophical objection to cutting Wagner and opened all of the traditional cuts as soon as it was possible for him to do so. It is actually quite difficult to determine exactly which passages were usually cut in Vienna before Mahler. Although the parts in the Musikarchiv do have cuts marked through-

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Vondenhoff 2073 (28 October 1897): “Es kann nicht geleugnet werden, dass durch die Anstellung Mahler’s ein frischer Zug in die dumpfe Alltagsluft unserer bedenklich stagnirenden Opernverhältnisse gekommen ist.” Unpublished letter from Natalie Bauer-Lechner to Gustav Mahler, 4 September 1897 (Médiathèque Musicale Mahler, Paris): “Den Nibelungenring so unter Dir und in unserm Wien auferstanden zu sehen und vernehmen, als säße sein Schöpfer selber am Pult, das ist ja die Erfüllung eines heißesten Wunsches!”

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out, these parts were used from the first performances until well into the 1970s and so it is virtually impossible to determine what was cut when. (For example, Karajan cut the score in 1957.) Some information can be gleaned from the newspaper critics, however. As already mentioned, Rheingold was given uncut, but in two parts, before Mahler. The first and third acts of Die Walküre were uncut, but cuts were always found in Wotan’s monologue and the “Annunciation of Death” scene. Mahler’s first 1897 performance opened the latter and shortened the former and the first entirely uncut performance of Die Walküre took place on 22 September 1898.52 In Siegfried, the full act 3 duet was restored in 1897 and act 2 was first performed complete in February 1898, but the complete work was not given until 23 September 1898. Mahler’s first performance of Götterdämmerung in 1897 restored the Waltraute scene, which had previously always been cut. The work was given without cuts for the first time on 4 September 1898 – with one exception: the Norns’ scene. This had never been staged in Vienna before its debut as part of Mahler’s uncut cycle on 25 September.53 Mahler began rehearsals for the uncut cycle when the theater opened again in August 1898. Staging rehearsals, in particular, were extensive, so much so that Mahler requested and received permission from the General-Intendanz to make an extra payment (Mittaggeld) to the technical personnel who were kept at a rehearsal of Götterdämmerung until 2:30 without lunch. To give a single example to illustrate both the number of rehearsals and his attention to detail, Mahler rehearsed the Norns on stage with piano on 14, 16, and 22 September and with full dress and lighting on 23 September, in addition to the full rehearsals with orchestra. They rehearsed with a rope but then simply mimed the gestures during the performance, since in Mahler’s view the scene had never even worked in Bayreuth properly (with the Norns often dropping the rope in performance).54 In the middle of the cycle, Mahler wrote the General-Intendanz requesting an extraordinary payment of 2 fl. per man for the “extra performance of duties” by the technical personnel during the Ring rehearsals.55 When this request was denied, Mahler paid the 94 fl. out of his own pocket. After the Empress Elizabeth was 52

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But see letter of 9 October 1897, Mein lieber Trotzkopf, 254–5. It is possible that Mahler may be referring just to Brünnhilde’s part, since, according to the critics, Wotan’s monologue was still shortened. Wagner himself had conducted the scene in a concert at the Musikverein on 1 March 1875. Mahler’s success in educating the Viennese critics and public about uncut Wagner may be discerned from one of the first Skandale after Mahler’s departure in 1907: the so-called Walküre-Rummel that erupted in the press in June 1908 when Felix Weingartner, his successor, reinserted three of the traditional cuts (in the Wotan/Fricka scene, part of the Todesverkündigung scene, and in the Wotan/Brünnhilde scene in a performance of 17 June 1908). See Henry-Louis de La Grange, Gustav Mahler, vol. 4, A New Life Cut Short (1907–1911) (New York: Oxford University Press, 2008), 197–98. See Erinnerungen von Natalie Bauer-Lechner, 125–6. HHStA Oper Z. 547/1898 (22 September). “Die gegenwärtige Neueinstudierung der ‘Tetralogie’ hat gewiß

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assassinated on 10 September, the Hoftheater were closed for ten days. Mahler used the opportunity to schedule a number of additional rehearsals for the Ring in the evenings. Das Rheingold on 20 September was the first performance after the closure.56 Die Walküre followed on the 22nd, with Siegfried the next day and Götterdämmerung on the 25th. According to Natalie, “The inadequate and absurd things in the décor in all three acts were transformed by Mahler with few means and in next to no time into the most atmospheric scenery. […] Above all, this year Mahler succeeded tirelessly and completely with everything that last year he could only force inadequately with endless struggles.”57 Anna von Mildenburg was an impressive Brünnhilde and Karl Ritter excelled as Alberich. Theodor Reichmann was less successful as Wotan; “languid and feeble,” according to Mahler. He disliked Eric Schmedes as young Siegfried but approved of his Götterdämmerung.58 One singer, however, found opprobrium with both Mahler and the public: tenor Julius Spielmann, who was making his debut as Mime. According to Hirschfeld, The otherwise excellent performance was severely disturbed by the Mime of Herr Spielmann. Herr Spielmann certainly did not derive from the Edda his idea of portraying the Nibelung with the speech-song and gestures of a Polish Jew. The unbearably broad intonation overreached Wagner’s declamation and became jargon [Jargon]. A small range of gestures, restricted to continually pulling and stroking the beard, remained of [Mime’s] craving for status. […] The obtrusiveness of the characterization is not worthy of a court stage, which suffers the usual lack of talent more easily than this sort of talent.59

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so große Mühe und Arbeit verursacht, wie dies noch bei keinem Werke der Fall war. Das technische Personale war ganz außergewöhnlich beschäftigt und hat seinen Dienst willig und zur vollen Zufriedenheit versehen. / Die für die Neueinstudierung bewilligten Beträge werden gewiß durch die demnächst stattfindenden Wiederholungen der Werke reichlichst hereingebracht werden.” [“The present new production of the Tetralogy has indeed caused such trouble and work as was never the case with any other work. The technical personnel were quite extraordinarily busy and performed their work willingly and to perfect satisfaction.”] Pace Henry-Louis de La Grange, Gustav Mahler, vol. 2, Vienna: The Years of Challenge (1897–1904) (New York: Oxford University Press, 1995), 111, it is not clear from the Regie-Protokoll that opening night was delayed by this event. Erinnerungen von Natalie Bauer-Lechner, 123. Ibid., 122 (“matt und kraftlos”). Wiener Abendpost, 24 September 1898. “Die sonst vorzügliche Aufführung war durch den Mime des Herrn Spielmann empfindlich gestört. Aus der Edda leitet Herr Spielmann die Auffassung, den Nibelungen mit dem Sprechgesang und den Gesten eines polnischen Juden zu begaben, sicherlich nicht ab. Die breiten Töne, unerträglich, sprangen von Wagners Declamation zum Jargon über. Bei aller Großmannssucht ein geringes Maß von Bewegung, die auf beständiges Zupfen und Streifen des Bartes beschränkt blieb. Von dem meisterlichen Mime unseres Schmitt hat Herr Spielmann nichts angenommen. […] Die Aufdringlichkeit der Darstellung ist einer Hofbühne, welche die übliche Talentlosigkeit leichter als diese Art von Talent duldet, nicht würdig.”

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Albert Kauders in the Neues Wiener Tagblatt called it “the caricature of a caricature.”60 Mahler himself told Natalie that The worst thing about it is the Jewish jargon [Mauscheln]. Although I am convinced that this figure is the personification of a Jew, a satire Wagner intended (with all the traits that he bestowed on them – excessive humility and greed – the jargon is textually and musically so cleverly suggested), for God’s sake it shouldn’t be played here as exaggeratedly and thickly as Spielmann does it. – And in Vienna at that, at the “k.k. Hofoper”! This is sheer folly and a welcome scandal for the Viennese! I know only one Mime … and that is me! You would all be amazed what there is in the role and how I would want to bring it to light!61

Spielmann was so upset by Mahler’s criticism that he asked to be released from his contract; Mahler refused but the relationship was destroyed and ultimately he did fire Spielmann in early 1899.62 Almost without exception, the newspaper critics were favorable. A sense of this first emerged from a single performance of Götterdämmerung (uncut, but lacking the Norns’ scene) on 5 September. The critic of the Neue Freie Presse, probably Richard Heuberger, enthused that “on such days our Opera is a Festspielhaus.”63 He drew attention to a new “Sprechgesangton” (speech-song tone) that had replaced the usual shrieking and barking of the singers and commented on the unmistakably good effect of the extra rehearsals. The one criticism, expressed by both Albert Kauders in the Neues Wiener Journal and Ludwig Speidel in the Fremden-Blatt, was of Mahler’s (over)use of ritardandi and pauses. Hirschfeld, however sensed that the performance was the beginning of a new era for the Hofoper: “Director Mahler directs the public too. Until Mahler, the Hofoper had directors who obeyed the people. He however is obeyed and listened to by a public that in a short time he has educated into an aesthetic community.”64

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De La Grange, Vienna: The Years of Challenge, 114, n. 72. Erinnerungen von Natalie Bauer-Lechner, 122, my translation. “Das Ärgste an ihm ist das Mauscheln. Obwohl ich überzeugt bin, daß diese Gestalt die leibhaftige, von Wagner gewollte Persiflage eines Juden ist (in allen Zügen, mit denen er sie ausstattete: der kleinlichen Gescheitheit, Habsucht und dem ganzen musikalisch wie textlich vortrefflichen Jargon), so darf das hier um Gottes willen nicht übertrieben, und so dick aufgetragen werden, wie Spielmann es tat – noch dazu in Wien, an der ‘k.k. Hofoper’, ist es ja die helle Lächerlichkeit und den Wienern ein willkommener Skandal! Ich weiß nur einen Mimen … und der bin ich! Da solltet ihr staunen, was alles in der Rolle liegt und wie ich es zutage fördern wollte!” De La Grange, Vienna: The Years of Challenge, 114, n. 72. Vondenhoff 254 (5 September 1898): “An solchen Tagen ist unsere Oper ein Festspielhaus.” Wiener Abendpost (5 September 1898): “Director Mahler dirigirt eben auch das Publicum. Die Hofoper hat bis auf Mahler immer Directoren gehabt, welche den Leuten gehorchten. Ihm aber gehorcht und horcht ein Publicum, das er in kurzer Zeit zu einer ästhetischen Gemeinschaft erzogen hat.”

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When it came to the full cycle, Hirschfeld retrospectively opined in a feuilleton that its success had been less in the new casting and more in the careful “working out and reshaping of the old material,” resulting in the Hofoper becoming what he termed an “über-Bayreuth.” Despite a fair number of criticisms of the staging and the noise of the stagehands, he again praised Mahler’s Wagner: From the day that he [Mahler] grasped the baton at the Hofoper for the first time, he was concerned about restoring the Wagner rights of the Viennese. […] Gustav Mahler […] reformed straight from the stage and renewed the real dramatic elements of the “Nibelung” performances. He opened the large dramatic perspective once again and saw to it with strength and goal-directed energy that the lines of the performances were united with the dramatic vanishing points. He conceived of the trilogy from the point of view of the total work of art once again and clearly attained the Bayreuth goal whereby individual merits and individual shortcomings vanish before the great combinatory intentions [of the whole]. […] For the first time in many years, Director Mahler completely brought to light the dramatic and poetic elements of the works, as well as the musical ones.”65

Other critics echoed his praise, although the critic of the Neue Freie Presse complained about the length of the uncut performances and the fact that public transportation had stopped by the time they were over. Mahler’s uncut cycle also attracted praise from a perhaps-unsuspected source: the anti-Semitic Wiener Akademischer Wagner-Verein (to which Mahler had belonged as a student from 1877 to 1879). The Directorate of the Society wrote to Mahler the day after Götterdämmerung to thank him for “performing the most sublime, German work of art in a complete way, in the spirit of the Master, as we had hardly dared to dream in Vienna for too long a time.” His “orthodox friends” (gesinnungstreuen Freunde) thanked him that they were no longer obliged to go abroad “in order to feel the godly aura of the Master and be filled by it” and the letter concludes with this hope:

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Wiener Abendpost (1 October 1898): “Vom Tage, da er [Mahler] zum ersten Male den Taktstock in der Hofoper ergriffen hatte, war er auf Restituirung der Wagner-Rechte bei den Wienern bedacht. […] Gustav Mahler reformirt aber gerade von der Scene aus und erneuert die eigentlich dramatischen Elemente der ‘Nibelungen’Aufführungen. Er eröffnete wieder einmal die große dramatische Perspective und sorgte mit Kraft und ziel sicherer Energie, daß die Linien der Aufführungen in den dramatischen Fluchtpunkten sich vereinigten. Er faßte die Trilogie durchaus wieder vom Gesichtspunkte des Gesammtkunstwerkes und erreichte so mit Bestimmtheit das Bayreuther Ziel, wo einzelne Vorzüge und einzelne Mängel von den großen zusammenfassenden Absichten verschwinden. […] Director Mahler hat zum ersten Male seit vielen Jahren die dramatischen und poetischen Elemente des Werkes neben den musikalischen vollkommen ins Licht gestellt.”

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MAHLER’S WAGNER

May the consciousness of being a true apostle, indeed possibly a martyr to our most blessed faith, which announces with good deeds its message of salvation to many and gives the true light to so many without sight, keep you faithful and strong in your noble and difficult calling, and always inspire you “to new deeds!” [“zu neuen Thaten!”]66

* Mahler’s precarious balance between the Wagnerian traditionalists and the emerging modernist camp can be seen clearly in the history of his aborted new production of the Ring, with sets, lighting, and costumes by the Secessionist Alfred Roller (1864 –1935).67 Mahler’s famous collaboration with Roller began with a Tristan und Isolde in February 1903, after which Mahler appointed him the Director of Production (Chef des Ausstattungswesen) of the Hofoper. In this role, he was entrusted with sets, costumes, and lighting, formerly the responsibility of three different people.68

66

67 68

HHStA Oper Z. 590/1898. “das erhabenste deutsche Kunstwerk im Geiste des Meisters in einer vollendeten Weise vorzuführen, wie wir sie nach vor nicht allzulanger Zeit in Wien kaum zu träumen wagten.” “um den göttlichen Hauch des Meisters zu spüren und davon beseelt zu werden.” “Möge das Bewußtsein, ein treuer Apostel, ja vielleicht ein Märtyrer unseres seligsten Glaubens zu sein, der vielen mit guten Thaten die Heilsbotschaft verkündet und so manchem Blinden das wahre Licht gegeben, Sie in Ihrem edlen und schweren Berufe treu und stark erhalten und stets ‘zu neuen Thaten’ begeistern!” The last words, of course, allude to Brünnhilde’s lines in the prologue to Götterdämmerung. The letter was signed by the President, Franz Schaumann, and his deputy, jeweller Theodor Köchert (1859–1937), the brother-in-law of Hugo Wolf ’s muse, Melanie. James Deaville persuasively argues that for the Wiener Akademischer Wagner-Verein “Mahler stood under a type of erasure […] a gap to be filled by Wagner, his identity nullified by that gap, [and] his value measured by his ability to disappear.” See Deaville, “‘Die Wacht an der Donau’?!? The Wiener Akademischer Wagner-Verein, Wiener Moderne and Pan-Germanism,” in Wien 1897: Kulturgeschichtliches Profil eines Epochenjahres, ed. Christian Glanz (Frankfurt am Main: Peter Lang, 1999), 70. On Roller, see Manfred Wagner, Alfred Roller in seiner Zeit (Salzburg and Vienna: Residenz-Verlag, 1996). Alfred Roller, “Mahler und die Inszenierung,” Moderne Welt 3 (Gustav-Mahler Heft, 1921–22), cited in Wolfgang Greisenegger, “Alfred Roller: die prolongierte Reform,” in Oper in Wien 1900–1925: Symposion 1989, ed. Carmen Ottner, Studien zu Franz Schmidt 9 (Vienna: Doblinger, 1991), 131–2. “Da Mahler Musikwerke auf die Bühne zu stellen hatte, inszenierte er natürlich nicht die Textbücher, sondern die Musik. Aber nicht, indem er Takt für Takt in Bild, Gebärde und Bewegung übersetzte, sondern dadurch, daß er dem besonderen musikalischen Wesen des behandelten Werkes auch durch die Gesamtheit der sichtbaren Darbietung Ausdruck zu verleihen suchte und so durch reibungslose Zielstrebigkeit aller in Wirksamkeit gesetzten Elemente die erstaunliche Wucht des Gesamteindruckes erzielte.”

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Stephen McClatchie

On 18 June 1904, Mahler submitted a budget request to the General-Intendanz for a new production of Der Ring des Nibelungen: he estimated that each part would cost 30,000 kronen, to be funded over two years from the annual allocation of 50,000 kronen (yes, the math is off, as someone noted in pencil on the draft). His initial plan was to complete the new production over a year, “since once Das Rheingold has been restaged, complete performances of the cycle would no longer be possible until the other Ring dramas have also been restaged.”69 The Obersthofmeister approved the request on 6 July and Mahler was informed on the 22nd. In the end, only Das Rheingold and Die Walküre were completed during Mahler’s tenure at the Hofoper; Roller’s Siegfried and Götterdämmerung would have to wait until September 1908 and November 1910 respectively.70 There is extensive information in the Hofoper archives about the costs of the Rheingold and Walküre productions. It includes invoices for sets, costumes, and equipment, as well as requests to engage contract workers; one challenge that Mahler grappled with annually was the fact that the budget covered the calendar year while the opera season went from August to July. The total costs for Das Rheingold were almost 57,000 kronen, considerably over budget, although they did include a number of mechanical upgrades required for the cycle as a whole (e.g., two revolving stages, flying machinery, five new spotlights). As costs continued to rise, the opera directorate was often rebuked by the General-Intendanz and the set painter was even threatened with dismissal.71 The new production of Die Walküre, originally scheduled to follow three months after the premiere of Rheingold in January 1905, was postponed until September. That summer, however, the General-Intendanz initially refused to allow the Hofoper to spend 44,500 kronen on Die Walküre since this plus the costs for Rheingold and the mechanical upgrades had already exceeded the 70,000 kronen budgeted for both works.72 After some to-ing and fro-ing, the Director of the General-Intendanz relented and approved a budget of just under 44,000.73 In September, Mahler requested approval to postpone Die Walküre, owing to “technical difficulties” and re69

70

71 72 73

HHStA Oper Z. 690/1904. Mahler proposed the following dates for the premieres: Rheingold, January 1905; Walküre, April 1905; Siegfried, Fall 1905; and Götterdämmerung, early 1906. A recently published letter from Roller to his wife indicates that the impetus for the new Ring may have come from Roller and not Mahler, as the former refers to Mahler’s “opposition” to Roller’s impatience, owing to the insufficient technical facilities of the Hofoper. See Österreichisches Theatermuseum, Wien, Sign. Ro 2/5/1; cited in Oskar Pausch, “Alfred Roller an Mileva: Ergänzungen zum Bild von Gustav Mahler,” Nachrichten zur Mahler-Forschung 52 (2005): 54. HHStA GI Z. 2772, with Oper Z. XVI 3/1905. HHStA GI Z. 2773 [14 July 1905)], with Oper Z. 822/1905. 43,649 K. HHStA GI 3083 [10 August 1905], with Oper Z. 822/1905.

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MAHLER’S WAGNER

allocate its budget to new productions of Don Giovanni and Die Entführung aus dem Serail.74 It was finally mounted on 4 February 1907 and came in 2,230 kronen and 12 heller under budget. Roller’s set and costume designs for Das Rheingold show the clear influence of impressionistic painting; as Max Graf, the critic of the Neues Wiener Journal put it, Roller’s predecessor came from the heroic-landscape school, while Roller himself was influenced by the “paysage intime of the moderns, the newer French [painters], the analysts of the effects of light.”75 His aim was to suggest nature before the fall. The first scene was dominated by sea greens and the Rhinemaidens were suspended in baskets from cables (as opposed to the usual Bayreuth wagons). The rocky second and fourth scenes were inspired by the Dolomites, with a flowery meadow framed by pine trees and steep cliffs. Nibelheim had black velvet rocks and was very dark (critics compared its “orgies of darkness” with Roller’s famous dungeon scene in Fidelio). This time, the critics were divided. While Julius Korngold raved in a feuilleton in the Neue Freie Presse, other critics complained about the darkness and argued that the lowered orchestra pit (which Mahler had had done in imitation of Bayreuth) was a mistake. In a feuilleton in the Wiener Abendpost, Hirschfeld provided more description than evaluation, but in the end came down against Mahler: When Mahler came to Vienna he enraptured people with his temperament, which also revealed itself externally in orgiastic movements on the podium. His first Wagner performances were fiery protests against dullness. He went through the orchestra as if with a torch. Today, he preaches a resignation of the tone, a holding back, an asceticism of the sound, dampening, dissolution. I admit that wonderful charms and effects of the rarest kind lie in this art of night magic [Kunst des Nachtzaubers], but one must remain conscious that they are the art and artistic changes of Gustav Mahler and not the essence of […] Rheingold.76

74

75

76

This information is taken from Blaukopf, Gustav Mahler Briefe, 315 (footnote to letter 331); I did not find any reference to it in the Hofopernarchiv. (This letter was incorrectly dated by Roller as “Sommer 1904,” with a note referring to the refusal of the Walküre costs. It probably dates from July 1905.) Neues Wiener Journal, 24 January 1905: “Roller kommt von der paysage intime der Modernen, von den neueren Franzosen, den Analytikern der Lichtwirkungen.” Roller’s designs were shown in 1908 at the first Kunstschau exhibition. Wiener Abendpost, 25 January 1905: “Als Gustav Mahler nach Wien kam, hat er mit seinem Temperament, das auch äußerlich in orgiastischen Bewegungen am Pulte sich kundtat, die Gemüter hingerissen. Seine ersten Wagner-Aufführungen waren flammende Proteste gegen Stumpfheit. Er fuhr wie mit Fackeln durchs Orchester. Heute wird Resignation des Tones, Zurückhaltung, Askese des Klanges, Verdämmerung, Zerfließen gepredigt. Ich gebe zu, daß in dieser Kunst des Nachtzaubers wundervolle Reize und Wirkungen seltener Art liegen. Nur muß man sich dessen bewußt bleiben, daß dieses die Kunst und der Kunstwechsel Gustav Mahlers und nicht das Wesen des ‘Fidelio’ oder des ‘Rheingold’ ist.”

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Hirschfeld’s description of Mahler’s musical interpretation is confirmed by Edwin Stein, who wrote of his “chamber-music like,” lyrical interpretation of the score – a description that resonates interestingly with descriptions of Mahler’s own style of orchestration in his later works.77 Hirschfeld also accused Mahler of betraying his principles by giving Rheingold separately from the rest of the cycle. Roller’s emphasis on nature continued with his 1907 Walküre. The first act was dominated by a huge ash tree with two branches; its only illumination came from a fire in the fireplace and a torch placed on the opposite wall. Again, the Dolomites provided inspiration for act two: a gorge with grey rock walls on both sides and lots of rocks. The final duel took place at the top of the pass, with the figures as silhouettes against the sky. Roller made a number of controversial changes to the traditional staging. For example, Fricka had no rams and no cart; the Valkyries were simply portrayed as scuttling clouds during the prelude to act three; and the magic fire was portrayed through lighting in the distance, encircling the entire mountain instead of just Brünnhilde. Roller’s decision to portray Hunding as a burgher and to dispense with Wotan’s traditional blue cloak also occasioned critical comment. Again, the darkness of Hunding’s hut and Brünnhilde’s rock proved to be controversial, even amongst the singers. Anna von Mildenburg, again the Brünnhilde, wrote to both Mahler and Roller begging for more light and ending her plea with Brünnhilde’s words “Auf dein Gebot entbrenne ein Feuer.”78 The premiere on 4 February 1907 was a mixed success. Most critics reported that Mahler’s arrival on the podium was met with applause, although the anti-Semitic Deutsche Zeitung said that the applause was interspersed with hisses. Hirschfeld praised Mahler’s musical interpretation and the nuance and shading in the orchestra, but protested “the fundamentals of Roller’s scenic art.” He argued that even a great artist’s work should awaken opposition if it threatened a greater work of art (i.e., Wagner’s) and concluded that “Roller’s actions are anti-musical or at least foreign to music” since they are based on the text and not on the music – although this pleased “unmusical amateurs.”79 This divided reception is in some ways difficult to understand. Mahler admired Roller tremendously and even tried to bring him to the Metropolitan Opera during his 77

78

79

See, for example, Donald Mitchell, “Mahler’s ‘Kammermusikton,’” in The Mahler Companion, ed. Donald Mitchell and Andrew Nicholson (Oxford and New York: Oxford University Press, 1999), 217–35. A partial facsimile of the letter to Roller (held in the Theatermuseum, AM 47044 Ro) may be found in Aus Burg und Oper: Die Häuser am Ring von ihrer Eröffnung bis 1955, ed. Ulrike Dembski, Vana GreiseneggerGeorgila, Barbara Lesák and Christiane Mühlegger-Henhapel (Vienna: Christian Brandstätter, Österreichisches Theatermuseum, [2005]), 20. Vondenhoff 2368 (Feuilleton, Wiener Abendpost, 6 February 1907): “Die Taten Rollers sind musikfeindlich oder doch musikfremd”; “unmusikalische Kunstkenner.”

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MAHLER’S WAGNER

years in New York. Like Mahler, Roller strove to create a total work of art, a Gesamtkunstwerk, that coincided exactly with Mahler’s own striving to remove the merely decorative and superfluous – a striving that stemmed from Wagner himself. Hermann Bahr’s encomium for Roller’s work, “production as expression” (Ausstattung als Ausdruck) gibes nicely with the Wagnerian expressive aesthetic position that lay at the foundation of Mahler’s own aesthetic.80 For a time, Mahler was able to reconcile these seemingly irreconcilable forces. Although the anti-Semitic Deutsche Zeitung opined that, like Wagner’s Walther von Stolzing, Mahler had been “versungen und verthan” in his first Vienna Ring cycle of August 1897, succeeding only in reminding the Viennese of what they have in Hans Richter, by the following year it too was praising Mahler’s Wagner. During his decade in Vienna, the tension inherent in the Jew Mahler’s model performances of the German Wagner became more pronounced. Over time, critical reception of Mahler’s conducting is colored by comparison to his compositions, which were becoming better known. This tension comes to a head in the mixed success of the Mahler/Roller Die Walküre of February 1907, shortly before Mahler’s resignation from the Hofoper. In the end, Mahler could not withstand the political and anti-Semitic forces of early twentieth-century Vienna; Mahler’s Wagner, however, could. On 1 January 1908, Mahler conducted his first performance at the Metropolitan Opera in New York City: Richard Wagner’s Tristan und Isolde.

80

De La Grange, Vienna: The Years of Challenge, 570.

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Stephen McClatchie

Appendix: Hofoper Performances of Der Ring des Nibelungen, August 1897– October 1907 81 Performances as part of full Ring cycles are shaded (the darker shading are those performances conducted by Mahler). Date

Opera

25 August 1897

Rheingold

Mahler

26 August 1897

Walküre

Mahler

28 August 1897

Siegfried

Mahler

29 August 1897

Götterdämmerung

Mahler

22 September 1897

Walküre

Mahler

18 October 1897

Siegfried

Mahler

27 November 1897

Walküre

Richter

8 December 1897

Walküre

Richter

22 December 1897

Götterdämmerung

Richter

21 January 1898

Rheingold

Richter

8 February 1898

Rheingold

Mahler

10 February 1898

Walküre

Richter

11 February 1898

Siegfried

Mahler 82

Götterdämmerung

Richter

13 March 1898

Walküre

Mahler

26 March 1898

Siegfried

Mahler

2 March 1898

6 May 1898

Walküre

Mahler

12 May 1898

Walküre

Mahler

17 May 1898

81

82

Conductor

Götterdämmerung

Richter

1 June 1898

Siegfried

Mahler

5 August 1898

Walküre

Richter

4 September 1898

Götterdämmerung

Mahler

20 September 1898

Rheingold

Mahler

22 September 1898

Walküre

Mahler

23 September 1898

Siegfried

Mahler

Source: Franz Hadamowsky, Die Wiener Hoftheater (Staatstheater) 1776–1966 : Verzeichnis der aufgeführten Stücke mit Bestandsnachweis und täglichen Spielplan, 2 vols. (Vienna: Prachner, 1966), crosschecked against the printed and handwritten lists of performances (Regie-Protokoll) in the Haus-, Hof-, und Staatsarchiv, Vienna. The scheduled performance of Götterdämmerung on 13 February 1898 was cancelled, owing to the indisposition of tenor Hermann Winkelmann (Regie-Protokoll 1898).

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MAHLER’S WAGNER

Date

Opera

Conductor

25 September 1898

Götterdämmerung

Mahler

5 October 1898

Rheingold

Mahler

7 October 1898

Walküre

Mahler

10 October 1898

Siegfried

Mahler

12 October 1898

Götterdämmerung

Mahler

27 December 1898

Rheingold

Mahler

28 December 1898

Walküre

Richter

30 December 1898

Siegfried

Richter

Götterdämmerung

Mahler

1 January 1899 14 February 1899

Rheingold

Schalk

15 February 1899

Walküre

Richter

17 February 1899

Siegfried

Richter

20 February 1899

Götterdämmerung

Richter

2 September 1899

Rheingold

Schalk

4 September 1899

Walküre

Richter

7 September 1899

Siegfried

Richter

9 September 1899

Götterdämmerung

Richter

17 September 1899

Rheingold

Schalk

19 September 1899

Walküre

Richter

22 September 1899

Siegfried

Richter

24 September 1899

Götterdämmerung

Richter

3 December 1899

Rheingold

Schalk

5 December 1899

Walküre

Richter

6 December 1899

Siegfried

Richter

8 December 1899

Götterdämmerung

Richter

20 March 1900

Rheingold

Mahler

21 March 1900

Walküre

Mahler

23 March 1900

Siegfried

Mahler

26 March 1900

Götterdämmerung

Mahler

5 May 1900

Rheingold

Mahler

6 May 1900

Walküre

Mahler

Siegfried

Mahler

Götterdämmerung

Mahler

8 May 1900 11 May 1900 5 September 1900

Rheingold

Mahler

6 September 1900

Walküre

Schalk

8 September 1900

Siegfried

Mahler

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Stephen McClatchie

Date

Opera

Conductor

11 September 1900

Götterdämmerung

Mahler

8 October 1900

Rheingold

Mahler

9 October 1900

Walküre

Mahler

11 October 1900

Siegfried

Mahler

14 October 1900

Götterdämmerung

Mahler

17 December 1900

Rheingold

Mahler

18 December 1900

Walküre

Mahler

20 December 1900

Siegfried

Mahler

23 December 1900

Götterdämmerung

Mahler

6 February 1901

Rheingold

Mahler

7 February 1901

Walküre

Schalk

Siegfried

Schalk

12 February 1901

9 February 1901

Götterdämmerung

Schalk

25 March 1901

Rheingold

Schalk

26 March 1901

Walküre

Schalk

28 March 1901

Siegfried

Schalk

31 March 1901

Götterdämmerung

Schalk

20 May 1901

Rheingold

Schalk

21 May 1901

Walküre

Schalk

24 May 1901

Siegfried

Schalk

26 May 1901

Götterdämmerung

Schalk

10 September 1901

Rheingold

Schalk

11 September 1901

Walküre

Schalk

13 September 1901

Siegfried

Schalk

15 September 1901

Götterdämmerung

Schalk

15 December 1901

Rheingold

Schalk

18 December 1901

Walküre

Schalk

20 December 1901

Siegfried

Schalk

22 December 1901

Götterdämmerung

Schalk

15 March 1902

Rheingold

Schalk

17 March 1902

Walküre

Schalk

20 March 1902

Siegfried

Schalk

23 March 1902

Götterdämmerung

Schalk

10 May 1902

Rheingold

Schalk

12 May 1902

Walküre

Schalk

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MAHLER’S WAGNER

Date

Opera

Conductor

15 May 1902

Siegfried

Schalk

18 May 1902

Götterdämmerung

Schalk

8 September 1902

Rheingold

Schalk

10 September 1902

Walküre

Schalk

12 September 1902

Siegfried

Schalk

14 September 1902

Götterdämmerung

Schalk

18 December 1902

Rheingold

Schalk

19 December 1902

Walküre

Schalk

21 December 1902

Siegfried

Schalk

23 December 1902

83

Götterdämmerung

Schalk

3 June 1903

Rheingold

Schalk

5 June 1903

Walküre

Schalk

8 June 1903

Siegfried

Schalk

10 June 1903

Götterdämmerung

Schalk

19 September 1903

Rheingold

Schalk

21 September 1903

Walküre

Schalk

24 September 1903

Siegfried

Schalk

27 September 1903

Götterdämmerung

Schalk

14 December 1903

Rheingold

Walter

16 December 1903

Walküre

Schalk

19 December 1903

Siegfried

Schalk

23 December 1903

Götterdämmerung

Schalk

14 March 1904

Rheingold

Schalk

17 March 1904

Walküre

Walter

20 March 1904

Siegfried

Walter

23 March 1904

Götterdämmerung

Walter

13 June 1904

Rheingold

Schalk

16 June 1904

Walküre

Schalk

19 June 1904

Siegfried

Schalk

22 June 1904

Götterdämmerung

Schalk

16 September 1904

Walküre

Schalk 83

19 September 1904

Siegfried

Schalk

21 September 1904

Götterdämmerung

Schalk

The scheduled performance of Das Rheingold on 14 September 1904 was cancelled, owing to the indisposition of baritones Friedrich Weidemann and Leopold Demuth (Regie-Protokoll 1904).

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Stephen McClatchie

Date

Opera

Conductor

11 October 1904

Rheingold

Schalk

13 October 1904

Walküre

Schalk

16 October 1904

Siegfried

Schalk

18 October 1904

Götterdämmerung

Schalk

10 December 1904

Rheingold

Schalk

13 December 1904

Walküre

Schalk

16 December 1904

Siegfried

Schalk

19 December 1904

Götterdämmerung

Schalk

23 January 1905

Rheingold

Mahler

25 January 1905

Rheingold

Mahler

28 January 1905

Rheingold

Mahler

4 February 1905

Rheingold

Mahler

6 February 1905

Walküre

Schalk

11 February 1905

Rheingold

Mahler

15 February 1905

Siegfried

Schalk

17 February 1905

Rheingold

Mahler

22 February 1905

Götterdämmerung

Schalk

26 February 1905

Rheingold

Mahler

12 March 1905

Rheingold

Schalk

19 March 1905

Walküre

Schalk

26 March 1905

Rheingold

Mahler

10 April 1905

Rheingold

Mahler

23 April 1905

Walküre

Schalk

28 April 1905

Siegfried

Schalk

15 May 1905

Rheingold

Schalk

23 May 1905

Götterdämmerung

Schalk

28 May 1905

Rheingold

Schalk

14 June 1905

Siegfried

Schalk

Rheingold

Schalk

7 September 1905 8 September 1905

Walküre

Schalk

11 September 1905

Siegfried

Schalk

14 September 1905

Götterdämmerung

Schalk

21 October 1905

Walküre

Schalk

26 November 1905

Walküre

Schalk

15 December 1905

Rheingold

Schalk

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MAHLER’S WAGNER

Date

Opera

Conductor

17 December 1905

Walküre

Schalk

20 December 1905

Siegfried

Schalk

23 December 1905

Götterdämmerung

Schalk

12 January 1906

Walküre

Schalk

16 February 1906

Rheingold

Schalk

17 February 1906

Walküre

Schalk

19 February 1906

Siegfried

Schalk

22 February 1906

Götterdämmerung

Schalk

12 June 1906

Rheingold

Schalk

15 June 1906

Walküre

Schalk

18 June 1906

Siegfried

Schalk

21 June 1906

Götterdämmerung

Schalk

8 September 1906

Rheingold

Schalk

10 September 1906

Walküre

Schalk

12 September 1906

Siegfried

Schalk

15 September 1906

Götterdämmerung

Schalk

Walküre

Schalk

3 October 1906 7 November 1906

Walküre

Walter

15 December 1906

Rheingold

Walter

18 December 1906

Walküre

Walter

20 December 1906

Siegfried

Schalk

23 December 1906

Götterdämmerung

Schalk

Rheingold

Walter

7 January 1907 9 January 1907

Walküre

Walter

12 January 1907

Siegfried

Schalk

14 January 1907

Götterdämmerung

Schalk

4 February 1907

Walküre

Mahler

11 February 1907

Walküre

Mahler

18 February 1907

Walküre

Mahler

10 March 1907

Walküre

Mahler

20 March 1907

Walküre

Walter

2 April 1907

Rheingold

Walter

3 April 1907

Walküre

Walter

5 April 1907

Siegfried

Schalk

8 April 1907

Götterdämmerung

Schalk

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Stephen McClatchie

Date

Opera

Conductor

Walküre

Walter

26 May 1907

Walküre

Walter

15 June 1907

Rheingold

Walter

16 June 1907

Walküre

Schalk

18 June 1907

Siegfried

Schalk

1 May 1907

21 June 1907

Götterdämmerung

Schalk

25 August 1907

Walküre

Schalk

14 September 1907

Rheingold

Walter

15 September 1907

Walküre

Mahler

17 September 1907

Siegfried

Schalk

20 September 1907

Götterdämmerung

Schalk

30 October 1907

Walküre

Walter

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Die Autorinnen und Autoren

Jeremy Barham is Senior Lecturer in Music at the University of Surrey. His publications include The Cambridge Companion to Mahler (Cambridge, 2007), Perspectives on Gustav Mahler (Ashgate, 2005), Alfred Mathis-Rosenzweig. Gustav Mahler. New Insights into His Life, Times and Work (Ashgate/GSMD, 2007), as well as studies of Mahler on screen for Music and the Moving Image (Chicago, 2010) and Nachrichten zur Mahler-Forschung (2008), and of Mahler and melodrama in Melodramatic Voices (Ashgate, forthcoming, 2010). He is series editor of Oxford Studies in Recorded Jazz (Oxford, forthcoming 2010), and is currently working on two monographs: Mahler, Music, Culture: Discourses of Meaning (Indiana University Press) and Music, Time and the Moving Image (Cambridge). Rainer Bischof Geb. 1947 in Wien. Studium der Rechtswissenschaften, Philosophie, Pädagogik, Kunstgeschichte an der Universität Wien, Promotion mit einer fundamentalphilosophischen Arbeit zum Dr. phil. 1973. Kompositionsstudium an der Akademie für Musik und darstellende Kunst, Privatstudium bei Hans Erich Apostel. 1984–88 Theater- und Musikreferent der Stadt Wien, Intendant des Wiener Musiksommers, 1988–2005 Generalsekretär der Wiener Symphoniker. Als Komponist schrieb er über 80 Werke (Orchester- und Instrumentalwerke, Kammermusik, Lieder und eine Oper). Gilt heute als einer der letzten direkten Vertreter der Zweiten Wiener Schule. Veröffentlichungen zahlreicher Abhandlungen zur Philosophie und Kulturgeschichte. Buchveröffentlichungen: Vom Europäischen Geist, Heilige Hochzeit – Kulturgeschichte der Fiesta de toros u. a. 1984–86 Präsident des ÖKB, Gründungsmitglied des Gustav Mahler Jugendorchesters, seit 1991 Präsident der Internationalen Gustav Mahler Gesellschaft sowie Vizepräsident der Alban Berg Stiftung. Internationale Tätigkeit als Gastdozent (Louisiana University, Universidad Valencia, an den Universitäten Jena, Sarajevo, Sofia, Kolumbien u. a.). Zahlreiche Auszeichnungen, 2008 Doctor honoris causa der New Bulgarian University, Sofia. Lebt heute in Wien und lehrt Philosophie und Komposition am Konservatorium Wien / Privatuniversität. Barbara Boisits Geb. 1961, Mag. Dr. phil. Nach dem Studium der Musikwissenschaft und Kunstgeschichte und der Promotion im Fach Musikwissenschaft 1991 Vertragsassistentin und in der Folge Lehrbeauftragte am Institut für Aufführungspraxis der Hochschule für Musik und darstellende Kunst Graz, 1994–1999 Mitarbeiterin am interdisziplinären Spezialforschungsbereich „Moderne – Wien und Zentraleuropa um 1900“ der Karl-Franzens-Universität Graz. Seit 1999 Mitarbeiterin an der Kommission für Musikforschung an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien. Lehraufträge und 2003/04 Gastprofessorin am Institut für Analyse, Theorie und Geschichte der Musik der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. 2010 Habilitation an der Wiener Musikuniversität.

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Die Autorinnen und Autoren

Wissenschaftliche Schwerpunkte: Geschichte der Musikwissenschaft, Ästhetik, österreichische Musikgeschichte, kulturwissenschaftliche Aspekte musikhistorischer Forschung. Timothy David Freeze earned a Ph.D. in historical musicology from the University of Michigan in 2010. He has presented research on Gershwin and on Mahler at national and international meetings, and recently published articles on Mahler in Naturlaut and Nachrichten zur Mahler-Forschung. He teaches music history at IES Abroad (Vienna) and currently resides in Boulder, Colorado. Christian Glanz Geb. 1960, Studium (Musikwissenschaft / Geschichte) in Graz. Seit 1985 an der jetzigen Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien (Institut für Analyse, Theorie und Geschichte der Musik). Promotion 1985, Habilitation 2007, dzt. ao. Univ.-Prof. Schwerpunkte der wissenschaftlichen Arbeit: Musik und Politik in Österreich, Geschichte der österreichischen Popularmusik. Bücher: Gustav Mahler (Monographie 2000), Hanns Eisler (Monographie 2008). Peter Gülke Geb. 1934 in Weimar. Studium Violoncello, Musikwissenschaft, Germanistik und Romanistik in Weimar, Jena und Leipzig. Dr. phil 1958; seit 1959 als Kapellmeister tätig. Chefdirigent in Stendal, Potsdam, Stralsund; 1976 Kapellmeister an der Staatsoper Dresden, daselbst an der Hochschule für Musik. Dozent für Dirigieren, Leiter des Hochschul-Sinfonieorchesters; 1981 GMD des Nationaltheaters und der Staatskapelle Weimar, 1986 in gleicher Funktion in Wuppertal, 1996–2000 Professor für Dirigieren an der Musikhochschule Freiburg. Gastdirigent in den meisten europäischen Ländern, in den USA, Japan und China; zahlreiche Schallplatteneinspielungen. 1995–2007 Vorsitzender im Beirat des Dirigentenforums, Dirigentenkurse in Deutschland, Frankreich, Großbritannien und den USA; Mitglied der Akademien in Darmstadt, Dresden und München. Dr. h.c. der Universität Bern und der Musikhochschulen in Weimar und Dresden. Jüngste Buchpublikationen: Guillaume Du Fay. Musik des 15. Jahrhunderts (Kassel – Stuttgart –Weimar 2003); Auftakte – Nachspiele. Studien zur musikalischen Interpretation (Stuttgart –Weimar – Kassel 2006); Robert Schumann – Glück und Elend der Romantik (Wien 2010). Stephen E. Hefling is Professor of Music at Case Western Reserve University, and has also taught at Stanford and Yale Universities as well as Oberlin College Conservatory. He currently serves on the editorial board of the Neue Kritische Gesamtausgabe of Mahler’s works, and is completing The Reilly Source Catalogue of Mahler’s Musical Manuscripts. He is also writing a two-volume study entitled The Symphonic Worlds of Gustav Mahler for Yale University Press.

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Die Autorinnen und Autoren

Catherine Keller is Professor of Constructive Theology in the Graduate Division of Religion of Drew University. She explores the intersections between postmodern, feminist and ecological theologies, with an emphasis on the ties between aesthetics, philosophy and spirituality. She is the author of several books, including On the Mystery; God and Power; Face of the Deep: a Theology of Becoming; and From a Broken Web: Separation, Sexism and Self. She has co-edited multiple volumes, including those of the Transdisciplinary Theological Colloquium series. Stephen McClatchie is the editor of The Family Letters of Gustav Mahler (Oxford University Press; German edition, Weidle Verlag) and Analyzing Wagner’s Operas: Alfred Lorenz and German Nationalist Ideology (University of Rochester Press), as well as numerous articles and book chapters on Wagner, Mahler, Pfitzner, and Britten. He is Professor of Music at Mount Allison University where he also serves as Provost and Vice-President, Academic and Research. Georg Mohr Geb. 1956. Professor für Philosophie an der Universität Bremen. 1982 Magister Artium Universität Bonn; 1989 Docteur dès lettres, Université de Neuchâtel (Schweiz); 1994 Habilitation, Universität Münster/Wf.; Gastprofessuren: 1995–1997 Humboldt-Universität Berlin, 2004 Université Paris 1, 2005 Université Catholique de Kinshasa (RD Congo). Forschungsschwerpunkte: Musikphilosophie, Immanuel Kant, Rechtsphilosophie, Moralphilosophie, Philosophie des Geistes. Buchveröffentlichungen (Auswahl): Das sinnliche Ich. Innerer Sinn und Bewusstsein bei Kant (Würzburg 1991); Kants Grundlegung der kritischen Philosophie (Frankfurt/M. 2004); Subjektivität und Anerkennung (hrsg. mit B. Merker und M. Quante. Paderborn 2004); German Idealism. An Anthology and Guide (hrsg. mit Brian O’Connor. Chicago und Edinburgh 2006), Die Realität der Zeit (hrsg. mit J. Kreutzer. München 2007), Vom Sinn des Hörens. Zur Philosophie der Musik (hrsg. mit J. Kreutzer. Würzburg 2010). Erich Wolfgang Partsch Geb. 1959 in Wien. Studium der Musikwissenschaft und Pädagogik an der Universität Wien, 1983 Dr. phil. Lehrtätigkeit am Wiener Franz Schubert-Konservatorium. Mitarbeiter des Anton Bruckner Instituts Linz, seit 2007 Koordinator der „Arbeitsstelle Anton Bruckner“ der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Vizepräsident der Internationalen Gustav Mahler Gesellschaft, Redakteur der „Nachrichten zur Mahler-Forschung“. Vorträge und Seminare im In- und Ausland; Konzeption von Ausstellungen. Lehraufträge an den Instituten für Musikwissenschaft und Germanistik der Universität Wien. Derzeit rund 140 Publikationen; Forschungsschwerpunkte: Gustav Mahler, Anton Bruckner, Musikkultur des Biedermeier; Musik und Natur; Rezeption.

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Die Autorinnen und Autoren

Oskar Pausch Univ.Prof. Dr. Pausch, geb. 1937 in St.Pölten, wuchs in der Steiermark auf und studierte in Wien Germanistik und Psychologie. Daneben erhielt er eine handwerkliche Ausbildung im Siebdruck. 1974 habilitierte er sich an der Wiener Universität (Altgermanistik). 1969 bis 1979 leitete er die Bibliothek im Institut für Österreichische Geschichtsforschung, danach bis 1997 das Österreichische Theatermuseum. 1988–1992 war er Präsident der SIBMAS (Societé internationale des Bibliothèques et des Musées des Arts du Spectacle). Im Zentrum seiner wissenschaftlichen Publikationstätigkeit stehen Kulturgeschichte und Quellenforschung – mit einem lexikographischen und theaterhistorischen Schwerpunkt. Martina Pippal Geb. in Wien, lebt und arbeitet dort als Kunsthistorikerin und Künstlerin. Sie ist als a.o. Professorin am Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien tätig, wo sie in der Lehre sowohl beim „ersten Jahrtausend“ (vom Beginn der christlichen Kunst bis zum Ende des Hochmittelalters) als auch bei der modernen und zeitgenössischen Kunst einen Schwerpunkt setzt. Transdisziplinäres Vorgehen verbindet sie hier mit dem spezifischen Ansatz der Wiener Schule der Kunstgeschichte, die das Einzelwerk ins Zentrum stellt. Pippal ist u. a. Mitglied der Kommission für Kunstgeschichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Gastprofessuren und Vorträge führten sie ins europäische Ausland, Israel, die USA und China. In ihren künstlerischen Arbeiten schlägt sie den jetzt hoch im Kurs stehenden Bogen zwischen Kunst und wissenschaftlichem Diskurs. Stefan Schmidl Geb. 1974. Studium von Musikwissenschaft und Kunstgeschichte in Wien, Promotion 2004. Seit damals wissenschaftlicher Mitarbeiter der Kommission für Musikforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Lehrbeauftragter für Musikgeschichte und Angewandte Musiktheorie am Konservatorium Wien/Privatuniversität. Disziplinäre und interdisziplinäre Forschungen zu Popularkulturen (Film und Musik, Wiener Operette), zu Aspekten des Fin de siècle und zur Musik der Nachkriegszeit. Internationale Publikations- und Vortragstätigkeit. Morten Solvik Geboren 1962 in Furnes (Norwegen). In den USA aufgewachsen, wo er sein Studium absolvierte. Seit 1990 Musikwissenschaftler in Wien. Forschungsschwerpunkt: der Zusammenhang zwischen Musik und kulturellem Kontext im 19. Jahrhundert. Direktor von IES Abroad Vienna, wo er auch Musikgeschichte unterrichtet. Margarete Wagner Geb. in Mürzzuschlag, Studium der Germanistik, Geschichte und Kunstgeschichte in Wien. 1992 Promotion Dr. phil. Seit 1992 Univ.-Assistentin und seit 2001 Ass.-Professorin am Institut für Germanistik an der Universität Wien.

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Die Autorinnen und Autoren

Zahlreiche literaturwissenschaftliche und landeskundliche Vorträge und Workshops für DeutschlehrerInnenfortbildung im In- und Ausland (Estland, Komi, New York, Rumänien, Russland, Schweiz, Slowenien, Ukraine). Verleihung des Theodor-Körner-Preises. Forschungsschwerpunkte: Quellenkunde, Editionswissenschaft, Reformationsliteratur, österreichische Literatur des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (speziell Biedermeierzeit und Ferdinand von Saar) sowie interdisziplinäre und interkulturelle Fragestellungen und Didaktik.

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Personenregister

Beckett, Samuel 198 Beethoven, Ludwig van 9, 12, 41, 43 f., 54, 56 f., 60, 62, 68, 80, 94, 98, 172, 189, 242, 244 f., 248, 276 f., 280 f., 316, 350, 352, 356, 362, 397–406, 409, 411 f., 415, 427 Behn, Hermann 76 Behrens, Peter 350 Bekker, Paul 394 Beneke, Friedrich Eduard 86 Berg, Alban 49, 59 Bergson, Henri 77 f. Berliner, Arnold 79, 154, 409 Berlioz, Hector 9, 68 Berque, Augustin 170 Bethge, Hans 319, 329 f. Bettelheim, Anton 238 Bie, Oskar 370 Bielohlawek, Herrmann 27 Bierbaum, Otto Julius 319, 322 f. Billroth, Theodor 29, 259 Blaukopf, Herta 46, 51, 265, 291, 294, 334 Böcklin, Arnold 211 ff., 269, 273 f., 345 Böhm, Karl 360 Bonaparte, Maria 251, 254, 261 Booys, H. de 305 Born, Wolfgang 331 Brahms, Johannes 11, 46, 166, 234, 244, 249, 306, 338 f., 394, 397, 401, 403 f. Brandl, Johann 369 Braun, Brüder 21 Brentano, Clemens 373 Breuer, Josef 180 Brioschi, Anton 349 Brioschi, Familie 346 Broch, Hermann 95 Brod, Max 335 Bruckner, Anton 66, 244, 248, 281, 306, 394, 397, 401, 404, 410

Adler, Alfred 252 Adler, Emma 24, 28 Adler, Guido 39, 43, 46, 91, 94, 233 f., 296, 339 Adler, Victor 19 ff., 24 f., 28, 70, 93 f., 314 Adorno, Theodor W. 47, 49, 55, 70, 184 ff., 190, 195, 197 ff., 203 ff., 367, 404, 416 Aeschylus 98 Aesop 201 Albers, Julius 273 Alexander II., Zar 16 Améry, Jean 60 Antonius von Padua, Hl. 195, 273 Anzengruber, Ludwig 303 f. Apostel, Hans Erich 49 Appia, Adolphe 347 f., 351, 357 f. Aristoteles 35 f., 41 f., 61 ff., 66 f., 82 f., 85, 180 Arnim, Achim von 373 Augustinus 54 Bab, Julius 330 Bach, David Josef 20, 23 f., 383 Bach, Johann Sebastian 54, 68, 239, 340 f., 401 Bahr, Hermann 21 f., 321, 324 ff., 333, 350 f., 357, 359, 429 Barham, Jeremy 73 f. Barssowa, Inna 190 Batka, Richard 188, 302, 319, 365 Bauer, Leopold 283 Bauer-Lechner, Natalie 9 f., 12, 24, 69, 78 f., 83, 178, 180, 188, 201, 208, 212, 228, 254, 274, 288, 309, 344, 371, 398, 409, 415, 419f., 422 ff. Baumann, Ludwig 283 Bayer, Josef 253 Beaumarchais, Pierre Augustin 341 Bechstein, Ludwig 293 f., 297

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Personenregister

Eckermann, Johann Peter 42 Eckstein, Friedrich 21, 178, 180 Eggebrecht, Hans-Heinrich 195 Einstein, Albert 154 Elisabeth II., englische Königin 428 Elisabeth, Kaiserin von Österreich 16, 270 Emerson 109 Engel, Johann Jacob 172, 234 Eschenbach, Wolfram von 67, 339 Eugen von Savoyen, Prinz 35

Brückner, Gebrüder 346 Bruno, Giordano 67, 157 Büchner, Ludwig 11, 86 Bülow, Hans von 361, 401 Burckhardt, Max 313 Burroughs, Edgar Rice 216 Campe, Joachim Heinrich 292 Celan, Paul 198 Chamberlain, Houston-Stewart 244 Chamisso, Adalbert 184 Charpentier, Gustave 342 Choolson, Oreste Danilovich 81 Clemenceau, Sophie 30 Coblenz, Ida 319 Coleridge, Samuel Taylor 160 Conway, Anne 157 Craig, Edward Gordon 348, 358 f.

Fall, Leo 257 f. Fechner, Theodor 10 f., 74, 76 f., 79 f., 82, 84 ff., 95 f., 114, 142 f., 153 ff., 158 ff., 177 ff., 182 ff., 192, 195, 197 f., 201, 204 f., 227 f., 297, 312 Feder, Stuart 251 Ferdinand I., Kaiser 34 Ferstel, Heinrich Freiherr von 270 Fichte, Johann Gottlieb 42 Fischer, Jens Malte 252, 284, 332, 358 Fischer, Theodor 294 Floros, Constantin 46, 70 f., 189 Forster, Josef 343 Franklin, Peter 195 Franz Ferdinand, Erzherzog von Österreich 283 Franz Joseph I., Kaiser von Österreich 26, 94, 270, 344 Franz Stephan von Lothringen 34 Freud, Sigmund 183 f., 251, 310 Freund, Emil 51 Fried, Oskar 335 Friedjung, Heinrich 20, 22, 93 Fügner, F. 180 Fulda, Adam von 54

D’Holbach, Paul Thiry 86 Da Ponte, Lorenzo 361 Dahlhaus, Carl 59 Darwin, Charles 209, 214, 216, 220, 222, 224, 226, 229, 232 Debussy, Claude 321 Decsey, Ernst 81, 221, 326 Dehmel, Ida („Isi“) 294 ff., 300, 314 f., 320 Dehmel, Richard 67, 212 ff., 294, 318 ff., 323 Dekkers, Eduard Douwes 304 f. Deleuze, Gilles 160 Demokrit 86 Demuth, Leopold 349 Descartes, René 157 Diefenbach, Karl Wilhelm 274 f., 277 Dilthey, Wilhelm 70 Dippel, Andreas 356, 371 Dorfmeister, Karl 360 Dostojewski, Fjodor Michailowitsch 12, 43, 45 f., 76 ff., 307 f., 329 Dubois, Eugène 226 Dürer, Albrecht 218 Dvořák, Antonín 343, 397

Gabrilowitsch, Ossip 298 Gadamer, Hans-Georg 59 Gaertner, Lillian 355 Galilei, Galileo 67 Gallén-Kallela, Akseli 281 f. Gaul, Franz 349

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Hartshorne, Charles 154, 159 ff. Hasenauer, Carl Freiherr von 268 f., 271 Hassreiter, Joseph 327 Hauptmann, Ehepaar 318 Hauptmann, Gerhart 25, 244, 312 ff., 318, 321, 326, 331, 357 f. Hausegger, Friedrich von 411 Haydn, Joseph 64, 401, 403 Hefling, Stephen 161 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 41 ff., 48, 50, 58, 81, 86, 183, 205 Heilmann, Hans 319 Heine, Heinrich 168, 177, 182, 204 f., 298, 394 Heinzel, Richard 340 Hellmer, Edmund 261 Helm, Theodor 188, 425 Helmholtz, Hermann 76, 78, 85, 227 f., 322 Helmont, Jan Baptist van 157 Herbart, Johann Friedrich 41, 86, 146 f. Herbeck, Johann 337 Herzl, Theodor 28 Hesse, Hermann 330 Heuberger, Richard 398, 398, 423 Hevesi, Ludwig 276, 350 Hippokrates 126 f. Hirschfeld, Robert 188, 381, 419, 422, 424 f., 427 ff. Hitler, Adolf 286, 347 Hoffmann, E. T. A. 43, 45, 76 f., 79, 83 f. Hoffmann, Josef 266, 279 f., 282, 351 Hoffmann-Matscheko, Nina 307 Hofmannsthal, Hugo von 326 ff., 357 Hölderlin, Friedrich 36, 62, 76 f. Holländer, Hans 38 Hollingdale, R. J. 109 Höslinger, Clemens 343 Humboldt, Wilhelm von 50 Hume, David 142 f. Humperdinck, Engelbert 253, 257 f.

Genée, Richard 369 Georg I., König von Griechenland 16 Gerstl, Richard 282, 286 Geyling, Remigius 360 Girardi, Alexander 259 f., 371 Glanz, Christian 390 Glassbrenner, Adolf 184 Gluck, Christoph Willibald Ritter von 352 Goethe, Johann Wolfgang von 10 f., 42, 46, 61 f., 68, 74 ff., 79 f., 82, 86, 101, 110, 120 f., 157, 205, 287, 314, 327, 330 Goetz, Hermann 352 Goldmark, Carl 20, 312, 342 f. Gorki, Maxim 308, 322 Goya, Francisco José de 62 Grabbe, Christian Dietrich 184 Graf, Herbert 256 Graf, Max 254 ff., 263, 350, 427 Greene, David 202 Gregor, Hans 344 Grillparzer, Franz 316 Grimm, Franz 379 f. Grimm, Jacob 76, 292 ff., 297 Grimm, Wilhelm 76, 292 f., 297 Gropius, Walter 285 f. Grünbaum, Fritz 257 Gundlach, Fritz 299 Gurlt, Ernst Julius 299 Gutheil-Schoder, Maria 349 Gutmann, Emil 410 Habeneck, François 401 Haeckel, Ernst 11, 81, 224 ff. Haitink, Bernard 406 Hallermünde, Graf Platen von 333 Hamann, Brigitte 339 Händel, Georg Friedrich 338 Hansen, Theophil von 268 Hanslick, Eduard 42, 50, 58, 248, 411 Harnoncourt, Nikolaus 50 Hartel, Wilhelm Ritter von 234 Hartmann, Eduard von 9, 70, 75, 78 f., 82, 87 Hartmann, Jürgen 293

Ibsen, Henrik 45, 305 f. Ionesco, Eugène 204

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Personenregister

Lange, Friedrich Albert 11, 67, 75, 78, 81, 87, 114, 142 ff., 154, 227 f. Lanz, Adolf 27 Latour, Bruno 160 Leander, Richard 298 Lecocq, Charles 369 Lefler, Heinrich 280 f., 349 f., 356 Lehár, Franz 368, 384 Leibniz, Gottfried Wilhelm F. 35 f., 42, 46 f., 61 ff., 157, 160 Lenau, Nikolaus 221 Lenbach, Franz von 345 Leoncavallo, Ruggiero 342 Levi, Hermann 339 Lichtenberg, Georg 182 Liebstoeckl, Hans 381 Liechtenstein, Rudolf Prinz von und zu 432 Ligeti, György 190 Liliencron, Detlev von 323 Linné, Carl von 236 Lipiner, Siegfried 9 f., 21, 70, 79, 91, 153, 161, 180, 202 f., 213, 300, 302, 306, 311 f., 314 Liszt, Franz 9, 57, 269, 409 Li-tai-pe 319 Livius 166 Löhr, Friedrich 40, 93, 265, 291, 298, 306, 400 Loos, Adolf 283 f., 288, 351 Lorrain, Claude 170 Lortzing, Albert 245, 328, 342, 346 Lotze, Hermann 74, 76 ff., 82, 87, 154, 227 f. Lovelock, James 158 Lueger, Karl 19, 26 ff., 247 Lukas, Evangelist 130 f.

Jakl, Rosa 325 James, William 77 f., 154, 160 Janáček, Leoš 343 f. Jesus Christus 65, 317 Johnson, Julian 174 Jones, Ernest 251 f. Juel, Dagny 323 Kafka, Franz 203 f. Kainz, Josef 313, 318, 335 Kaiser, Emil 379 f. Kalbeck, Max 11, 394 f. Kant, Immanuel 36, 42, 44, 49, 55, 60 ff., 67 f., 77, 114, 142 ff., 228 Karajan, Herbert von 421, 427 Karl VI., Kaiser 34 Kauders, Albert 423 Kautsky & Söhne 350 Kautsky, Karl 29 Kipling, John 218 Kipling, Rudyard 217 f. Kleist, Heinrich von 114, 144 f. Klimt, Gustav 223, 266, 274 f., 277 ff., 282, 286, 351 Klinger, Max 218 f., 273, 275 ff., 280 Klopstock, Friedrich Gottlieb 401 Klotz, Volker 258 Kokoschka, Oskar 282, 286 Kopernikus, Nikolaus 61 Kopisch, August 184 Korngold, Erich Wolfgang 253, 427 Korngold, Julius 277, 433 Kossuth, Lajos 81 Krafft-Ebing, Richard von 259 f. Kralik, Richard von 21 f., 93, 180 Kreisler, Fritz 263 Krisper, Anton 250 Krummacher, Friedhelm 189 Kuntze, Johannes 182 Kurz, Selma 326, 349

Maar, Michael 331, 333 Mach, Ernst 25 Mackintosh, Charles Rennie 279 Maderthaner, Wolfgang 22 Maeterlinck, Maurice Polydore Marie Bernard 321 f., 324, 327 Mahler, Alma (geb. Schindler) 9, 12, 28 f.,

La Grange, Henry-Louis de 39, 188, 358 La Mettrie, Julien Offray de 86

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Personenregister

Mendelssohn, Peter de 331 f., 401 Mengelberg, Willem 305 Mereschkowski, Dimitri Sergejewitsch 328 f. Metzmacher, Ingo 61 Meyerbeer, Giacomo 46 Meynert, Theodor 259 Meysenbug, Malwida von 109 Michelangelo 120 f. Mickiewicz, Adam 312 Mildenburg (Bahr-), Anna 325 f., 344 f., 349, 399, 408 f., 422, 428 Millöcker, Carl 368 f., 376 Minne, Georges 279 Mitchell, Donald 409 Moissi, Alexander 359 Moleschott, Jacob 11, 86 Moll, Anna 265, 303 Moll, Carl 265, 275 f., 279, 281 f., 289, 350 Moll, Familie 29, 267, 282, 289, 320 Moreau, Gustav 277 Moser, Kolo 266, 279 ff., 350 f. Mottl, Felix 331 Mozart, Wolfgang Amadeus 41, 83, 245, 337 ff., 341, 352, 354, 359 ff., 362, 401, 414, 427 Müller, Adolf 338 Müller, Karl-Josef 69 Multatuli (Pseud.), siehe Dekkers Musil, Robert 25

38 f., 44, 70 f., 73, 79 ff., 91, 179, 207, 241, 246, 252, 261 f., 265 f., 275, 277, 281 f., 285 f., 289, 294 f., 297, 301, 303 ff., 306, 308 ff., 312 ff., 317 ff., 323, 325 ff., 331, 339, 350, 354, 359, 370, 399, 402, 405 f., 409, 413 Mahler, Anna Justine 315 Mahler, Bernhard 19, 38 Mahler, Eltern 39, 296, 334 Mahler, Emma 307 Mahler, Ernst 296 Mahler, Familie 10, 39, 267, 271, 335 Mahler, Justine 338, 347 Mahler, Maria Anna 282, 284, 329 Mahler, Otto 10 Makart, Hans 269 ff., 345 Malin, Shimon 160 Malraux, André 171 Mann, Erika 332 Mann, Frido 334 Mann, Golo 286 Mann, Heinrich 286 Mann, Katia 332 Mann, Nelly 286 Mann, Schwiegereltern 331 Mann, Thomas 308, 330, 332 ff. Margulis, Lynn 158 Maria Theresia, Kaiserin von Österreich 271, 283, 289 Markus, Evangelist 130 f. Marschalk, Margarete 313, 315 Marschalk, Max 65, 82, 412, 414 Marschner, Heinrich 410 Mascagni, Pietro 46, 342 Matthäus, Evangelist 130 f. Max, Gabriel von 217 Maximilian, Erzherzog 15 Mayr, Richard 349 Mayreder, Rosa 312 McFague, Sallie 159 McKinley, William 16 Meier-Graefe, Julius 320 f. Meisl, Karl 338

Nejedlý, Zdenek 76 Nepalle(c)k, Richard 252 f. Nestroy, Johann 338 Neumann, Angelo 337, 339, 344, 346 Nicolaus Cusanus 157 Nietzsche, Friedrich 10, 20, 22, 35 f., 41 ff., 48 ff., 60, 74 ff., 78, 88, 92, 95 ff., 107 ff., 204 ff., 222, 228 ff., 248, 300 ff., 311, 322, 333, 357, 408, 411 f. Nikisch, Arthur 315 Nodnagel, Otto 188 Nordau, Max 28

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Richter, Hans 247, 417, 424, 429 ff. Rilke, Rainer Maria 263, 322 Ritter, Joachim 170 Ritter, Karl 422 Ritter, William 397 Rochlitz, Johann Friedrich 414 Rodin, Auguste 282 Rohde, Erwin 96 Rolland, Romain 398 Roller, Alfred 39, 266, 280 f., 288, 315, 317, 325, 327, 337, 339, 347, 349 ff., 357 f., 360f., 416 f., 425 – 429 Roller, Dietrich 354, 357 Roller, Mileva 339, 354 f. Roller, Ulrich 357 Romako, Anton 272 Rosé, Alfred 300 Rosegger, Peter 302 f. Ross, Alex 287 Rottonara, Angelo 346 f., 352 f. Rousseau, Jean-Jacques 168 Rubens, Peter Paul 269 Rubinstein, Anton 340 Rückert, Friedrich 84, 177, 295 ff., 330 Rückert, Heinrich 296

Ofenheim von Ponteuxin, Victor Ritter von 95 Offenbach, Jacques 369 f., 374 Olbrich, Joseph Maria 276, 350 f. Orley, Robert 283 Orwell, George 204 Pannwitz, Rudolf von 328 Paul, Jean 36, 43 f., 45 f., 60, 62 f., 67, 77, 177, 181 ff., 193, 198, 204 Paumgartner, Bernhard 360 Pernerstorfer, Engelbert 20 ff., 25, 29, 70, 92 ff., 96, 99, 103, 107, 109, 248, 300, 314, 408 f. Petrarca, Francesco 168, 327 Pfitzner, Hans 25, 316, 352, 370, 414 Pfohl, Ferdinand 24, 75, 81, 178, 180 Picquart, Georges 30 Planquette, Robert 369 Plato(n) 82, 85, 161 Plappert von Leenheer, August Freiherr 432 Plotin 75, 77 Poisl, Josephine 299 Polgar, Alfred 349 Pollak, Theobald 329 Prag-Rudniker 351 Pražák, Otakar von 343 Pringsheim, Alfred 331 Pringsheim, Katja 330 f. Pringsheim, Klaus 256, 308, 331 Prochazka 24 Przybyzewski, Stanislaus 323 Puccini, Giacomo 342

Saary, Margareta 255 Sachs, Hans 184 Safonith, Franz 283 Salten, Felix 216 Santi, Raffaelo (Raffael) 345 Schaljapin, Fedor 341 Schalk, Franz 417, 431–436 Scharlitt, Bernard 284, 359 Scheffel, Victor von 298 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von 42, 86, 183 Scherchen, Hermann 68 Scheuchzer, Johann Jakob 166 Schiele, Egon 282, 286 Schiller, Friedrich 44 ff., 77 Schindler, Alma (siehe Mahler, Alma) Schindler, Emil Jakob 261, 265, 272, 288

Raimund, Ferdinand 338 Regel, Heinrich 327 Reger, Max 240, 323 Reichmann, Theodor 422 Reik, Theodor 251 Reinhard, Christian Tobias Ephraim 182 Reinhardt, Max 317, 324, 345, 357 Reinke, Johannes 11, 78 Reitler, Josef 262 Rembrandt van Rijn 281

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Spinoza, Baruch de 61, 75, 77, 86 Spohr, Wilhelm 304 Stefan, Paul 76, 180 Stein, Edwin 434 Steiner, Herbert 335 Stendhal 322 Stengers, Isabelle 160 Sterne, Lawrence 193, 204 Stifter, Adalbert 36, 63 Stokowski, Leopold 341 Straßburg, Gottfried von 67 Strauß, Johann (Sohn) 54 f., 94, 260, 359, 368 f., 371, 374 ff., 388 f., 393 ff. Strauß, Josef 258 Strauss, Richard 12, 57, 78, 166, 240, 300, 311, 317, 323, 328, 338, 343, 347, 360, 362, 403, 412 Strecker, Ludwig 424 Strindberg, August 45, 306 ff., 309 f., 323 Strindberg, Frida 323 Stuck, Franz von 273 Suppé, Franz von 368 f., 373 f., 376, 378, 380 f., 389 f. Svoboda, Adalbert 302 Szeps, Moritz 30

Schindler, Familie 272 Schinkel, Friedrich 352 Schlegel, August Wilhelm 165, 180 f., 186 Schmedes, Erik 349, 422 Schnitzler, Arthur 259, 325, 334 f. Schnitzler, Heinrich 334 Schnitzler, Johann 259 f. Schönberg, Arnold 9, 12, 55, 64, 241, 263, 282, 306 ff., 360, 402, 406, 408 Schönberg, Mathilde 282, 286 Schönerer, Georg von 21, 27, 29 Schopenhauer, Arthur 10, 20, 35 f., 41 ff., 47, 49 f., 74, 77, 79 f., 84, 86, 93 f., 96 f., 99 ff., 107, 109, 126 ff., 228, 322, 408–413 Schreker, Franz 263 Schrödter, Fritz 368 Schubart, Christian Friedrich Daniel 57 Schubert, Franz 41, 54, 244, 287 Schuhmeier, Franz 29 Schulz, Reinhard 69 Schulze, Martin Gottlieb 177 Schumann, Clara 402 Schumann, Robert 9, 50, 54, 68, 401 f., 410 Schütt, Eduard 263 Schwind, Moritz 83 Seidl, Arthur 412 f. Semper, Gottfried 268 f. Shakespeare, William 45 f., 348 Shapira, Elena 278 Sibelius, Jean 285 Siegel, Professor 67 Silbermann, Alphons 262 Simony, Friedrich 165 Sittard, Josef 373 f. Slezak, Leo 340, 349 Smetana, Bedřich 46, 343 Sokrates 82, 180, 190, 201 Solvik, Morten 154 f., 159 Spanuth, August 381, 395 Specht, Richard 80, 414 Speidel, Ludwig 423 Spiegler, Albert 93 Spielmann, Julius 423 f.

Theuer, Alfred 265 Tieck, Johann Ludwig 42, 181, 184, 193, 204 Tolstoi, Leo Nikolajewitsch Graf 43, 45, 307 ff., 329 Toscanini, Arturo 342, 348, 361 Tschaikowsky, Peter Iljitsch 46, 343 Umberto I., König von Italien 16 Unger, J. J. 39 Urban, Joseph 355 f. Vancsa, Max 188 Vazsonyi, Nicholas 410 Vecchio, Palma 370 Verdi, Giuseppe 342, 345, 352 Vinci, Leonardo da 255, 329 Volkelt, Johannes 95, 102

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Weingartner, Felix 340, 398, 401 Werfel, Franz 286, 289, 328 Wesendonck, Mathilde 300, 345 Whitehead, Alfred North 154, 160 Wiethaus, Anna Luise Magdalena 295 Wilde, Oscar 310 Wilhelm II., Kaiser von Deutschland 298, 346, 352 Willnauer, Franz 341 Winckelmann, Johann Joachim 167 Wolf, Hugo 21, 93, 166, 312, 339 f., 352 Wolf-Ferrari, Ermanno 352 Wolzogen, Hans von 416 Wordsworth, William 160, 172 Wydenbruck, Misa Gräfin 41 Wyspianski, Stanislaw 350

Volkmann, Richard von 298 Wackenroder, Wilhelm Heinrich 42 Waerndorfer, Fritz 279 Wagner, Cosima 109, 312, 347 f., 408 Wagner, Nike 363 Wagner, Richard 9, 20 f., 23, 28, 30, 41 f., 45 f., 52, 59, 68, 75, 79 f., 83, 94 f., 102, 108 ff., 138 f., 244 f., 250, 253, 255, 269, 271, 276, 286, 299 ff., 311 f., 315 f., 320, 325, 330, 333, 335, 337, 339 ff., 344 f., 346 ff., 350 f., 354, 356 f., 360 ff., 371, 397 ff., 402 f., 407– 436 Wagner, Siegfried 339 Wagner, Wieland 348, 357 Wagner, Winifred 339 Walter, Bruno 9 f., 12, 74 ff., 81, 178, 180, 186, 219, 263, 307, 335, 338, 417, 433, 435 f. Wälterlin, Oskar 348 Weber, Carl Maria von 340 ff., 410 Weber, Ernst Heinrich 86 Weber, Max 236 Webern, Anton von 55, 263, 297 Wedekind, Frank 317, 323, 324 Weidt, Lucie 349

Zemlinsky, Alexander 253, 306, 308, 323, 327, 342 f. Zenck, Martin 205 Zilcher, Hermann 321 Zimmermann, Robert 41 f. Zöllner, J. K. F. 114, 142, 179 Zuckerkandl, Berta 30, 259, 266 Zweig, Stefan 335 Zychowicz, James 415

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ISBN: 978-88-8266-655-2 16,5 x 24 cm, ca. 320 Seiten gebunden, erscheint im Juni 2011 im Athesiaverlag, Bozen

»DIE DOLOMITEN TANZEN ES MITEINANDER« Endstation Toblach: Gustav Mahlers letzte Jahre

Das Buch ist den letzten Sommern Mahlers in Toblach gewidmet, es untersucht Mahlers Sommerstimmung in seinen letzten Jahren, seine Niedergeschlagenheit infolge des Abgangs von der Wiener Hofoper, des Todes der älteren Tochter, der Konstatierung eines Herzfehlers sowie der wachsenden Entfremdung zu Alma. Im Endstadium seiner künstlerischen Entwicklung geriet Mahlers Weltschmerz zur Depression, er sublimierte sie durch Rückzug ins kreative Ich und durch intensive Arbeit an den symphonischen Werken, die als Toblacher »Trilogie« in die Musikgeschichte eingegangen sind. Darüber hinaus verfolgt das Buch Mahlers langen Weg über die Sommer des Salzkammergutes und Kärntens in die Dolomiten, seine Suche nach regenarmen Sommern an der Südseite der Alpen, seine Liebe zu den Bergen und seine Flucht in die Einsamkeit der Natur.

Autor: Hubert Stuppner, Studium in Padua, Professor und Direktor des Bozner Konservatoriums (1981—1997), Komponist, mehrmals ausgezeichnet, Buchautor, lebt in Bozen und Truden (Südtirol)

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Österreichische Akademie der Wissenschaften Kommission für Musikforschung / Arbeitsstelle „Anton Bruckner“ Neue Publikationsreihe zur Bruckner-Forschung

WIENER BRUCKNER-STUDIEN Die neugegründete Reihe „Wiener Bruckner-Studien“ bietet ein breit gefächertes thematisches Forum für Forscher, Studenten, Bruckner-Liebhaber und Musikfreunde. Autoren sind international anerkannte Bruckner-Experten ebenso wie Vertreter anderer Disziplinen. Neben dem lokal-biographischen Schwerpunkt „Wien“ werden Nachschlagewerke, Studien zu Werk und Rezeption sowie Monographien in die neue Reihe Aufnahme nden. Bereits erschienen:

ANTON BRUCKNERS WIENER JAHRE Analysen – Fakten – Perspektiven (Wiener Bruckner-Studien 1) herausgegeben von Renate Grasberger – Elisabeth Maier – Erich Wolfgang Partsch (Wien 2009) In 16 Einzelbeiträgen stellt der erste Band dieser Reihe den örtlichen Bezug in den Mittelpunkt: Die mosaikhafte Beleuchtung unterschiedlicher Aspekte aus Bruckners Wiener Zeit soll zu einem vertieften Verständnis der Lebens- und Schaffensbedingungen beitragen und Impulse für weitere Forschungen geben. 348 Seiten im Format 17 x 24, broschiert MV 501, ISBN 978-3-900270-91-9 Folgende Bände sind in Vorbereitung: • David Chapman: Bruckner and the Generalbass Tradition • Elisabeth Maier: « Années de Pèlerinage ». Unbekannte Dokumente zu August Göllerichs Studienzeit bei Anton Bruckner und Franz Liszt • Benjamin-Gunnar Cohrs: Das Finale der Neunten Symphonie Anton Bruckners • Bruckner-Lexikon Die Reihe wird fortgesetzt. Erscheinungsweise: jährlich

Musikwissenschaftlicher Verlag Wien www.mwv.at Auslieferung: Edizioni Musicali Europee

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DANIEL BR ANDENBURG, FRIEDER REININGHAUS (HER AUSGEBER) DANIEL ENDER, DORIS WEBERBERGER (REDAK TION)

ÖSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT (ÖMZ) JAHRGANG 66, 2011

Seit 1946 bietet die Österreichische Musikzeitschrift dem musikwissenschaftlichen Diskurs und der kritischen Begleitung des Musiklebens eine einzigartige Plattform. Mit dem 66. Jahrgang 2011 ist das traditionsreiche Blatt, das nun von der Europäischen Musikforschungsvereinigung Wien getragen wird, zum Böhlau Verlag übersiedelt. Seinem neuen Herausgeber- und Redaktionsteam geht es gleichermaßen um Kontinuität wie um Wandel: Der hohe Anspruch an eine niveauvolle und verständliche Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse und musikkritischer Bewertungen soll erhalten bleiben. Gleichzeitig sollen die thematischen Schwerpunkte von Alter Musik bis zur Gegenwart einem zeitgemäßen Musikbegriff Rechnung tragen. Rubriken wie „Neue Musik im Diskurs“, „Lehren und Lernen“ und „Das andere Lexikon“ setzen darüber hinaus Akzente in neue Richtungen. Heft 1: Transformationen  Heft 2: Musik im Donauraum  Heft 3: Umkämpft, verdrängt, geliebt: Gustav Mahler  Heft 4: Musikfestivals – neue Ufer(losigkeit)  Heft 5: Franz Liszt, Wien und die Moderne  Heft 6: Musikkritik – ein Anachronismus? JEW. CA. 120 S. BR. MIT ZAHLR. S/W-ABB. 160 X 235 MM.

böhlau verlag, wiesingerstrasse 1, 1010 wien. t : + 43 (0) 1 330 24 27-0 [email protected], www.boehlau-verlag.com | wien köln weimar

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