Macht und Markt: Vom Ausbau unserer Wirtschaftsordnung [1 ed.] 9783428540556, 9783428140558

Immer wieder lässt sich beobachten, wie unvollkommen die heutige Wirtschaft den Grundsätzen unserer Gesellschafts- und W

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Macht und Markt: Vom Ausbau unserer Wirtschaftsordnung [1 ed.]
 9783428540556, 9783428140558

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Macht und Markt Vom Ausbau unserer Wirtschaftsordnung

Von

Joachim Kahl

Duncker & Humblot · Berlin

JOACHIM KAHL

Macht und Markt

Macht und Markt Vom Ausbau unserer Wirtschaftsordnung

Von Joachim Kahl Unveränderter Nachdruck der 1. Auflage

Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

1. Auflage 1956 Alle Rechte vorbehalten

© 2013 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Druck: KN Digital Printforce GmbH, Stuttgart Printed in Germany ISBN 978-3-428-14055-8 (Print) ISBN 978-3-428-54055-6 (E-Book) ISBN 978-3-428-84055-7 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Während meiner praktischen Tätigkeit i n der Wirtschaft habe ich immer wieder beobachtet, wie unvollkommen die heutige Wirtschaft den Grundsätzen unserer Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung entspricht. Der wesentliche Widerspruch zwischen Praxis und Prinzipien Hegt darin, daß der Wirtschaftsapparat m i t all seinen Institutionen und Organisationen allzuviel Macht und Selbständigkeit gewonnen hat und daß er daher den wirtschaftenden Bürger, den „Zivilisten" der W i r t schaft, weithin beherrscht, statt i h m bescheiden und sachgerecht zu dienen. Symbole dieser Macht des Apparates sind die repräsentativen Bauten der Wirtschaft, die Verwaltungsgebäude der Großunternehmen, aber auch der Gewerkschaften, Sozialversicherungsanstalten und A r beitsämter, denen gegenüber die Wohnungen der Bürger, so wie sie i m sozialen u n d sonstigen Wohnungsbau überwiegen, kümmerlich wirken. Dieses Mißverhältnis zwischen Wirtschaftsapparat und Zivilist ist nicht nur ein wirtschaftliches, sondern ein allgemeines gesellschaftliches und kulturelles Problem. Es geht dabei um die Grundlagen unserer Lebensordnung. I m Gegensatz zu einer bei Soziologen und Kulturphilosophen verbreiteten Auffassung sehe ich hierin keine zwangsläufige und unvermeidbare Entwicklung. Es ist vielmehr möglich, die Weichen der Entwicklung w e i t h i n umzustellen — wenn w i r es wollen. Aufgabe dieses Buches ist, von einem überwirtschaftlichen Standort aus, die widerspruchsvollen Konstruktionen der heutigen Wirtschaft und die Ideologien, welche die Mächtigen der Wirtschaft über ihnen ausgebreitet haben, darzustellen. W i r sind uns bewußt, daß w i r damit bei manchen Repräsentanten der Wirtschaft Anstoß erregen werden, sind doch die Manager und Funktionäre der Unternehmungen, W i r t schaftsorganisationen, Gewerkschaften, Sozialversicherungsanstalten usw., so groß ihre Gegensätze i m einzelnen sein mögen, letzthin durch starke gemeinsame Interessen gegenüber dem Zivilisten der Wirtschaft verbunden. Die Probleme, die hiermit aufgegriffen werden, sind so vielschichtig und vielgestaltig, daß dieses Buch nur ein bescheidener Beitrag zur Lösung sein kann. Düsseldorf, i m Februar 1956 Joachim Kahl

Inhalt Erstes Kapitel D e r Weg zu e i n e r n e u e n b ü r g e r l i c h e n G e s e l l s c h a f t — Manager

und Funktionäre

unter

Kontrolle

11

1. Uberprüfung der Standorte Restauration oder neue Konzeption? Auflockerung der Fronten E i n gemeinsamer zivüer Standort? Gegen Manager u n d Funktionäre

11 11 13 16 18

2. Höheren Lebensaufgaben untergeordnet Entmythisierung der Wirtschaft Der private Lebensraum Die dreistöckige Familie Politische Vorentscheidungen

20 20 22 24 26

3. Der M a r k t als Instrument der zivilen Willensbildung — der gesellschaftspolitische Gesichtspunkt Demokratie u n d Wirtschaft Formale u n d reale Freiheit M a r k t w i d r i g e Machtpositionen Der Staat ohne wirtschaftliches Ordnungsbild

27 27 30 32 34

4. M a r k t w i l l e u n d betriebliche Zweckmäßigkeit — der wirtschaftspolitische Gesichtspunkt Die Schwäche des bisherigen Systems Zwischen M a r k t u n d Betrieb Ursachen der Fehlentscheidungen Unzulängliche K o n j u n k t u r p o l i t i k

37 37 39 41 44

5. Selbstverantwortung v o r k o l l e k t i v e r W o h l f a h r t politische Gesichtspunkt Subsidiarität der Sozialpolitik Leistungsprinzip u n d soziale Gerechtigkeit Die soziale Bedeutung der Eigentumsreform Sozialer Ausgleich auf neuer Basis

46 46 50 52 55

— der

Zweites K a p i t e l O r i e n t i e r u n g u n d R e c h e n s c h a f t — R e f o r m des nehmerischen Wertsystems

sozial-

unter-

1. Das Wertsystem als Basis der wirtschaftlichen Entscheidungen . . Die gesellschaftliche Aufgabe der Wirtschaftsrechnung Rechte u n d Grenzen der persönlichen Wertung Das Geld, der objektive Maßstab 2. M a r k t w i d r i g e s Bewertungsrecht Bewertungsregeln u n d Jahresabschluß Unter dem Einfluß der Interessenten Die Ideologie der stillen Rücklagen 3. Der Jahresabschluß M a r k t u r t e i l über den Betrieb Welchen Wert hat die Bilanz? Die undurchsichtige G e w i n n - u n d Verlustrechnung

58 58 58 59 61 63 63 66 68 71 71 74 77

8

Inhalt 4. Mangelhafte Kenntnis der W i r k l i c h k e i t Publizität u n d Geschäftsgeheimnis Das Interesse des Marktes Selbsttäuschung der Unternehmer 5. Unternehmer u n d Fiskus i m K a m p f u m die Steuerbilanz Einheitliche Bewertungsregeln Der Fiskus als Interessent Steuerhinterziehung u n d Staatsmoral 6. Neutralisierung der Jahresabschlüsse Unternehmer i n Konfliktsituationen E i n Vorschlag als Diskussionsbeitrag Aufgaben einer neutralen Anstalt . .

Drittes K a p i t e l Der B ü r g e r als V e r b r a u c h e r — S t e u e r u n g der triebe durch Wettbewerbspreise 1. U m das Recht des Verbrauchers Wer bestimmt die Produktion? Die Planwirtschaft noch nicht überwunden K o n j u n k t u r p o l i t i k als Antreiber Unternehmer- oder Verbraucherinteressen? 2. A u f dem K a m p f f e l d der Wettbewerbsordnung Erwachen des Verbraucherbewußtseins Die „Kartellschlacht" Nützliche Diskussion 3. Der ruinöse Wettbewerb Anpassung an die Nachfrage Die Folgen falscher Selbstkostenrechnung F i x e Kosten u n d elastische Geschäftspolitik Selbstkostenrechnung als öffentliche Pflicht 4. Fehlinvestitionen u n d Überkapazitäten E i n Konstruktionsfehler der Marktwirtschaft? Unzulängliche Basis marktgerechter Entscheidungen Die Träume der Unternehmer 5. Konzentration v o n Betrieben u n d Marktausschaltung Z w e i verschiedene Tatbestände Das Ungenauigkeitsfeld für marktgemäße Entscheidungen M a r k t - E x t e r r i t o r i a l i t ä t staatlich begünstigt Ideologie u n d Mythos der Konzentration 6. Marktbeherrschende Unternehmungen Mißbrauch der Machtstellungen Schwierigkeiten der Mißbrauchs-Kontrolle Marktbeherrschung uninteressant machen

78 78 81 83 85 85 86 88 90 90 92 94 Be-

Viertes K a p i t e l Der B ü r g e r als E i g e n t ü m e r — a l l g e m e i n e Chancen der E i g e n t u m s b i l d u n g durch Reform der U n t e r n e h mungen und der S o z i a l v e r s i c h e r u n g 1. Stellung u n d Ideologie der Manager Emanzipation v o m Eigentum I m Aktiengesetz verankert Selbstnütziges Vermögenssubjekt? Der Manager als Interessent 2. K o l l e k t i v i e r u n g des Eigentums an den Unternehmungen V o m K a p i t a l m a r k t zur Selbstfinanzierung Die finanzielle Konzentration Vermögen i m öffentlichen Besitz

97 97 97 98 99 101 104 104 106 108 110 110 112 115 119 120 120 122 124 127 127 128 131 132 135 135 136 138

143 143 143 145 147 150 151 151 155 158

Inhalt

9

3. Neue Eigentumspolitik

161

I m Dienste der Gesellschaft

161

Umstellung des Steuersystems Streuung des Eigentums

162 165

4. Eigentum statt Sozialversicherung Notbehelf oder sozialpolitische N o r m Zweifelhafte soziale H i l f e Schwierige U m k e h r Schrittweise vorgehen

169 169 172 175 178

5. Die Reform der Aktiengesellschaft Werbung a m K a p i t a l m a r k t Neues Verhältnis zum A k t i o n ä r Die Grundrechte des Aktionärs

180 180 182 185

Fünftes K a p i t e l Der Bürger Vollbürger 1. A u f Ein Die Ein

als

Mitarbeiter

— vom

Proletarier

zum

dem Wege zur Integration Prozeß der Besinnung Einheitsgewerkschaft auf dem Höhepunkt der Macht historischer Umbruch?

190 190 190 191 194

2. Überholte Wirtschaftsideologie Das Denken i n Machtpositionen Das Programm der gewerkschaftlichen M i t b e s t i m m u n g Mitbestimmungs- u n d Betriebsverfassungsgesetz I m Widerspruch gegen die neue Wirtschaftsordnung A b b a u des planwirtschaftlichen Denkens

196 196 196 200 201 203

3. Subsidiäre, n i c h t selbstnützige Gewerkschaften Eine allgemeine Versuchung Probleme der Gewerkschaftsdemokratie Dezentralisierung notwendig

205 205 208 210

4. M a r k t p r i n z i p u n d Kollektivvereinbarungen Fehlendes Gleichgewicht am Arbeitsmarkt Echter Arbeitsmarkt soweit möglich Entgiftung des Tarifkampfes Objektive Maßstäbe des marktgerechten Lohnes Arbeitsverdienst nach der Leistung Leistungsprinzip u n d soziale Leistungen

213 213 215 217 218 221 223

5. Die gesellschaftliche S t r u k t u r des Betriebes Betriebliche Zwangsläufigkeiten Eine große Aufgabe Der neue T y p des Unternehmers Der hierarchische Betriebsaufbau Der Betriebsrat

225 225 227 228 229 231

6. V o m Arbeitnehmer zum Mitarbeiter M i t b e s t i m m u n g des Einzelnen V o n der Spezialisierung zur Integration der betrieblichen A r b e i t Die gesellschaftliche Stellung des Mitarbeiters i m Betrieb Der Unternehmer abhängig von der öffentlichen M e i n u n g

233 233 235 237 239

Erstes

Kapitel

D e r W e g zu einer neuen bürgerlichen Gesellschaft — Manager u n d Funktionäre unter Kontrolle 1. Überprüfung der Standorte Restauration

oder

neue

Konzeption?

Es ist wohl nicht übertrieben zu sagen, daß der größte T e i l des deutschen Volkes samt den großen Parteien und Organisationen auf die wirtschaftliche Entwicklung, die w i r i n den Jahren seit der Währungsreform von 1948 erlebt haben, wenig vorbereitet war. Der Weg i n die Marktwirtschaft ging so schnell, daß w i r zunächst geistig nicht m i t gekommen sind. Als die ersten planwirtschaftlichen Vorschriften aufgehoben wurden, w a r dies ein kühnes Experiment. Die Sozialisten warnten vor der Gefahr eines wirtschaftlichen und sozialen Chaos. Aber auch die meisten liberalen und christlich-sozialen 1 Politiker bis in die Regierung hinein empfanden die neue Wirtschaftspolitik wie einen Sprung ins Dunkle. Schließlich w a r man allgemein überrascht, wie diese unvollständige Marktwirtschaft Schwierigkeiten überwand, die vorher unüberwindbar schienen. Nunmehr sprach man, erstaunt und befriedigt über die schnellen Fortschritte, vom „deutschen Wirtschaftswunder". Bald aber trat eine K r i t i k an der falschen Selbstzufriedenheit hervor, die w i r — trotz mancher Einseitigkeit und Ungerechtigkeit — als gesund betrachten, w e i l sie dazu beiträgt, die wirtschaftliche und soziale Entwicklung geistig zu bewältigen und weiterzutreiben. Die K r i t i k e r weisen darauf hin, daß die Wirtschaftspolitik der ersten Jahre nach der Währungsreform i m wesentlichen darin bestand, planwirtschaftliche Hemmungen abzubauen und frühere Verhältnisse wiederherzustellen. Die Wirtschaftsverfassimg des Jahres 1955 ähnele daher derjenigen der Weimarer Republik, etwa des Jahres 1928. Viele sprechen daher von einem Prozeß bloßer Restauration oder Reaktion. M i t Recht erklären sie, daß es gefährlich sei, ein System zu erneuern, das vor einem Viertel1 Wenn w i r hier u n d i m folgenden Christen, Christlich-Soziale oder ähnliche Bezeichnungen benutzen, so meinen w i r diejenigen Gruppen unserer Mitbürger, die sich i m politischen u n d gesellschaftlichen Leben so nennenD a m i t ist n a t ü r l i c h nichts darüber gesagt, w i e w e i t es berechtigt ist, das Christentum m i t bestimmten politischen Gruppen zu identifizieren.

12

Weg zu einer neuen bürgerlichen Gesellschaft

Jahrhundert nicht grundlos und zufällig zusammengebrochen ist, mag es auch immer noch besser gewesen sein als die darauf folgende Zwangswirtschaft. Enthält die neue Marktwirtschaft nicht bisher noch die gleichen Strukturmängel w i e jenes spätkapitalistische Mischsystem der Marktwirtschaft? Denken w i r an die Sorgen u m die K o n j u n k t u r oder den Geldwert, den Kampf der Interessentengruppen u m staatliche Interventionen und Subventionen, an die Zusammenballung des Eigentums i n öffentlicher und privater Hand. Dagegen lebt die große Mehrzahl unserer Mitbürger weiterhin i n übermäßiger wirtschaftlicher Abhängigkeit. Zufrieden sollte man deshalb m i t dem Erreichten n u r als Zwischenziel sein, i n dem man es als „restaurative Phase" auf dem Wege zu einer neuen Wirtschaftsordnung auffaßt. Das w i r d erfreulicherweise auch von den Männern häufig betont, die diese Entwicklung geistig vorbereitet und politisch durchgesetzt haben. M i t ihnen meinen w i r , daß unsere Aufgabe, eine „soziale Marktwirtschaft" zu begründen, keineswegs bewältigt ist. Lassen w i r uns dabei nicht von den Gruppen ablenken, die aus irgendwelchen Gründen die weitere Entwicklung nicht wünschen. Sie behaupten etwa, unser Marktsystem sei schon sozial, da es nicht nur einzelnen Gruppen, sondern dem ganzen Volke eine überraschende Erhöhung des Lebensstandards gebracht habe. Es wende bereits einen ungewöhnlich hohen Teil des Volkseinkommens durch sozialpolitische Maßnahmen den wirtschaftlich schwächeren Schichten zu. Mögen diese Leistungen hoch zu bewerten sein, so können w i r uns mit ihnen nicht von den eigentlichen Strukturproblemen loskaufen. Diese liegen tiefer. Aus der Erfahrung der Weimarer Republik wissen wir, daß es nicht genügt, die traditionellen Gegensätze unseres Volkes i n den Grundfragen der Wirtschaftsordnung durch Kompromisse rein politischer A r t zu überbrücken und zu verdecken. Damals waren die drei großen politischen Gruppen, die sozialistischen, christlich-sozialen und liberalen Demokraten bereits genötigt, als Koalitionsparteien zusammenzuarbeiten. Dabei entstand ein Mischsystem der Wirtschaft, das weder liberal, noch sozialistisch noch christlich-sozial war. Es war i n sich nicht leistungs- und lebensfähig genug, da marktwirtschaftliche und marktwidrige Elemente sich widersprachen. Nunmehr sollte jeder der drei Gruppen bereit sein, gemeinsam mit den anderen nach einer neuen einheitlichen Konzeption zu suchen. Zweifellos haben sie alle 'drei Wesentliches dafür beizusteuern. Mag innerhalb einer solchen Zusammenarbeit jede Gruppe ihrer herkömmlichen Haltung entsprechend auch das Gewicht auf besondere Aufgaben legen, so wäre es doch über die Wirtschaft hinaus für unser Volk von entscheidender Bedeutung, eine gemeinsame Basis der Wirtschafts-

Überprüfung der Standorte

13

Ordnung zu gewinnen. Berechtigterweise hat Hans Hau die Frage aufgeworfen, „ob eine politische Demokratie auf die Dauer lebensfähig ist, wenn zwischen den u m die Regierungsmacht rivalisierenden großen politischen Gruppen nicht ein gewisses Mindestmaß an Übereinstimmung i n den grundlegenden Fragen der Wirtschafts- und Sozialordnung besteht". Deshalb sei es eine Lebensfrage für Deutschland, ob es gelinge, zu einer Annäherung i n den grundsätzlichen Fragen der w i r t schaftlichen und sozialen Ordnung zu kommen. M i t i h r würde nicht nur der soziale Frieden, sondern auch der Bestand der Demokratie gesichert 2 . Auflockerung

der

Fronten

Ist eine solche Gemeinsamkeit i n der heutigen Einstellung unseres Volkes begründet? Vieles spricht dafür. A l t e Gegensätze, vor allem zwischen Bürgertum und Proletariat sind weithin ausgeglichen. Die gemeinsamen Erfahrungen des Jahrhunderts zwischen 1850 und 1950 haben Einseitigkeiten des Liberalismus und Marxismus bloßgestellt. Die weltanschauliche und ideologische Betrachtimgsweise t r i t t gegenüber einer nüchternen, realistischen Haltung zurück. Die „Neoliberalen' 1 , die den stärksten Anstoß zur Wiedereinführung der Marktwirtschaft gegeben haben, kritisieren die Irrtümer und Mißstände des früheren wirtschaftlichen Liberalismus ebenso scharf wie dessen traditionelle Gegner. Sie fordern nunmehr einen „dritten Weg", der zwischen Kapitalismus und Kollektivismus zu gehen sei. Sie haben zwar grundlegende Prinzipien erarbeitet, auf denen die neue marktwirtschaftliche Ordnung beruhen soll, geben gleichzeitig aber zu, daß sich diese noch i m Stadium des Entwurfs befindet. Nicht wenige der Probleme seien noch ungelöst, die meisten der Einzelheiten noch ausarbeitungsbedürftig 3 . Während diese liberale Richtung durchaus sieht, wie unzulänglich das gegenwärtige System noch ist, anerkennen andererseits viele Sozialisten, was es trotzdem i n den letzten Jahren geleistet hat, vor allem aber was man daraus machen kann. Von einem überparteilichen Standort aus ist die sozialistische Neuorientierung zur Marktwirtschaft noch wichtiger als die liberale. Die Auseinandersetzung der Sozialisten mit ihrer traditionellen Ideologie, die w i r innerhalb der Sozialdemokratischen Partei und der sozialistischen Kreise der Gewerkschaften gegenwärtig beobachten, erfordert besonderen intellektuellen M u t und eine starke gefühlsmäßige Umstellung. Sie hat seit 1953 an Ernst und Kon2

Der Weg zum sozialen Frieden, F A Z v o m 4. 4. 1953, Seite 5. So z u m Beispiel Alexander Rüstow: „Zwischen Kapitalismus u n d K o m munismus" — ORDO, Jahrbuch f ü r die Ordnung v o n Wirtschaft u n d Gesellschaft, Godesberg 1949, Seite 130. Vgl. ferner Franz Böhms „ M a r k t w i r t s c h a f t von links u n d von rechts", F A Z v o m 24. 10. 1953, Seite 5 und W i l h e l m Röpke, „ D i e Gesellschaftskrisis der Gegenwart", 5. Auflage, Zürich. 3

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Weg zu einer neuen bürgerlichen Gesellschaft

sequenz wesentlich zugenommen. I m Frühjahr 1953, also schon ein halbes Jahr vor den Bundestagswahlen, erregte eine Grundsatzerklärung Aufsehen, die Professor Schiller auf einer wirtschaftspolitischen Tagung der Sozialdemokratischen Partei zur Marktwirtschaft abgab. Die Koordination über den M a r k t sei immer noch das wirksamste und billigste Mittel, die Betriebe zur Höchstleistung zu bringen. Schiller forderte folgerichtig eine staatliche Wettbewerbspolitik, Gewerbefreiheit und Vorgehen gegen Kartelle und Monopole. Die revisionistische Gruppe innerhalb der SPD erhielt durch das Ergebnis der Bundestagswahl weiteren Auftrieb, zeigte sich doch, daß die Haltung der Wähler, einschließlich großer Teile der Arbeiterschaft, sich vom Marxismus entfernt hat. Die Partei steht unausweichlich vor der Aufgabe, sich der neuen gesellschaftlichen Lage anzupassen. I n dieser Hinsicht enthält das Aktionsprogramm, das i m J u l i 1954 vom Berliner Parteitag angenommen wurde, wesentliche Fortschritte. Die SPD übernimmt darin fast wörtlich Formulierungen, die bis dahin als typisch neoliberal galten. Sie fordert eine aktive Wettbewerbspolitik aus einem Guß und zählt dazu u. a. Gewerbefreiheit, gleichen Schutz für alle wettbewerbsfördernden Unternehmenstypen, die Kontrolle marktbeherrschender Unternehmen, Genehmigungspflicht und öffentliche Aufsicht für alle wettbewerbsbeschränkenden Zusammenschlüsse, Schutz der Verbraucher. I m übrigen soll die Eigentumsbildung der Vermögenslosen gefördert werden. Allerdings zeigen andere Forderungen, daß der Durchbruch zu der neuen Denkweise noch unvollständig und ungesichert ist. Zweifellos gibt es innerhalb der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften noch starke Gegenkräfte, vor allem bei den Funktionären, die sich noch nicht entschließen können, die überkommenen Vorstellungen und Methoden aufzugeben. Man w i r d Verständnis dafür haben müssen, daß eine Tradition von hundert Jahren sich nicht von heute auf morgen umstellen läßt. Die Begegnimg der Neoliberalen und der fortschrittlichen Sozialisten ist von den Christlich-Sozialen zu begrüßen, da beide Richtungen sich damit zugleich der christlichen Soziallehre nähern. Die Christlich-Sozialen haben Anlaß, sich an der neuen gemeinsamen Grundkonzeption zu beteiligen, da es ihnen bisher trotz aller berechtigten K r i t i k an den wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen nicht gelungen war, eine geschlossene Wirtschaftsordnung zu entwerfen und durchzusetzen. Wahrscheinlich haben die christlichen Wirtschafts- und Sozialpolitiker die besten Aussichten, ihre alten Anliegen, vor allem auch die der sozialen Enzykliken der Päpste, zu fördern, wenn sie i m Rahmen einer neuen Marktwirtschaft m i t den anderen Gruppen zusammenarbeiten. I n diesem Sinne ist es bemerkenswert, daß führende Neoliberale wie Wirtschaftsminister Erhard und Franz Böhm Mitglieder der Christlich-

Überprüfung der Standorte

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Demokratischen Union sind. I m übrigen stammt die Bezeichnimg „Soziale Marktwirtschaft" von dem christlichen Sozialökonomen Professor Müller-Armack, der damit das Marktprinzip bejaht, aber von dem früheren System abrückt. Die Annäherung w i r d von einigen führenden Männern der verschiedenen Gruppen bewußt gefördert. I m Oktober 1953 veröffentlichte der christlich-soziale Neoliberale Franz Böhm einen vielbeachteten Aufsatz, i n dem er zwischen dem Menschheitsanliegen und den Rezepten der Sozialisten unterscheidet. Der Anhänger der Marktwirtschaft könne nur Freude darüber empfinden, „wenn eine große sozialistische Partei die Parole ihrer Frühzeit ,Tod der Marktwirtschaft!' und die Parole der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts ,Höchster Argwohn gegen die M a r k t wirtschaft!' heute durch die Parole zu ersetzen anfange: „ M a r k t w i r t schaft von links!" Die erreichbare Vervollkommnung der M a r k t w i r t schaft könne nicht gelingen, solange ein so großer und wichtiger Teil der Schaffenden dieser Ordnung ablehnend und feindselig gegenüberstehe. Es sei nicht möglich, eine leistungsfähige marktwirtschaftliche Ordnung politisch zu verwirklichen, wenn man sich n u r auf diejenigen Bevölkerungsschichten stütze, die sich von dieser Ordnung besondere Vorteile versprächen; denn sie seien i m Interesse ihres Besitzes, der Risikoabwälzung und des Machterwerbs stets i n der Versuchung, diese Ordnung von innen her auszuhöhlen und zu entstellen 4 . I m Sinne Böhmes kam i m Mai 1954 erstmalig eine liberalsozialistische Koalition zustande, die man i m Hinblick auf die früheren Fronten sensationell nennen kann. Die christlich-sozialen Neoliberalen Erhard und Böhm waren i n der „Kartellschlacht" gegenüber dem Bundesvorstand der deutschen Industrie allmählich i n eine ungünstige Lage geraten. Der industrielle Interessenverband versuchte m i t Argumenten, die zum Teil nicht unberechtigt waren 5 , nachzuweisen, daß Kartelle vielfach i m allgemeinen Interesse liegen und die Kartellfeindschaft einer lebensfremden und dogmatischen Auffassung entspringe. Die Kartellgegner dagegen hielten daran fest, daß preis- und absatzregelnde Vereinbarungen die ethische Basis und zugleich die Funktionsfähigkeit der Marktwirtschaft verletzten. Es wurde deutlich, daß die marktwirtschaftliche Ordnung gegen die Interessen der Industrie nicht zu wahren ist, ohne daß sich die anderen Volksschichten für sie einsetzen. Nunmehr erklärte sich der Wirtschaftspolitische Ausschuß beim Parteivorstand der Sozialdemokratischen Partei gegen wettbewerbsbeschränkende Maßnahmen. Die sozialdemokratisch geführten Länder stimmten für das von Erhard geforderte Grundsatzverbot der Kartelle und ermöglichten damit eine entsprechende Entscheidung des Bundesrates. Auch i m Wissen4 5

Siehe unter A n m e r k u n g 3. Siehe dazu unsere Betrachtungen i m D r i t t e n Kapitel.

16

Weg zu einer neuen bürgerlichen Gesellschaft

schaftlichen Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium forderten sozialistische gemeinsam m i t christlich-sozialen und neoliberalen Professoren das grundsätzliche Kartellverbot 6 . Die Sozialdemokraten haben somit ihre kartellfreundliche Tradition aufgegeben, während sie bis dahin Kartelle als Instrumente planwirtschaftlicher Politik geschätzt hatten. Sie bekannten sich damit zum Wettbewerb als einem wesentlichen Ordnungsprinzip unserer Wirtschaft. Ein

gemeinsamer

ziviler

Standort?

Die gemeinsame Anerkennung des Wettbewerbs bedeutet mehr als die Einigung über eine Methode. Es geht hier u m eine Grundentscheidung, die über die Wirtschaft hinaus die gesellschaftliche Verfassung unseres Volkes betrifft. Die bisherigen Pläne der Sozialisten — so verschieden und einander widersprechend sie i m einzelnen waren — hatten das eine gemeinsam, daß sie die wirtschaftliche und gesellschaftliche Macht aus den Händen einer verhältnismäßig kleinen Gruppe von Kapitalisten u n d Managern auf kollektive Organisationen oder Institutionen übertragen wollten. Unter diesem Gesichtspunkt war es zweitrangig, ob neuer Träger der Macht der Staat, eigens geschaffene öffentliche Einrichtungen oder die Gewerkschaften sein sollten, ebenso ob die Machtübernahme durch Vergesellschaftung der Produktionsmittel oder durch staatliche Wirtschaftslenkung gedacht war. Werden diese Konzepte nunmehr von der Sozialdemokratischen Partei aufgegeben, so folgt sie damit der gewandelten Einstellung der besitzlosen und beruflich abhängigen Mitbürger. Diese haben inzwischen erfahren, daß kollektive Machtpositionen ihre persönliche Stellung i n gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Hinsicht nicht durchgreifend bessern. Sie haben erlebt, daß sie von Gemeineigentum, Planwirtschaft und Mitbestimmung letzthin zuwenig haben, während die Vorteile der Marktwirtschaft, soviel gegen diese noch einzuwenden ist, sichtbar und spürbar sind. Der Arbeitnehmer fragt heute zudem weniger nach der ideologischen Bedeutung einer Maßnahme als danach, was er konkret davon hat. Die Grundentscheidung, vor der die Sozialdemokratische Partei steht, ist, ob sie bereit ist, auf die Konzentration und Sozialisierung der w i r t schaftlichen Macht zu verzichten. Sie könnte dann ihren traditionellen Anhängern aus den wirtschaftlichen schwachen Schichten besser helfen, indem sie deren persönliche, sagen w i r einmal bürgerliche Stellung auch als Verbraucher und als Eigentümer fördert. Das Bekenntnis zum Wettbewerb bedeutet, wenn es konsequent gemeint ist, daß der A r beiter direkt und nicht als Mitglied kollektiver Machtgruppen gestärkt 6 Vgl. den d r i t t e n Band der Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats, Göttingen 1955, Seite 88 ff.

Überprüfung der Standorte

17

werden muß. Dies kann nur geschehen, wenn er als Eigentümer und Verbraucher und nicht zu einseitig als Arbeitnehmer an der W i r t schaft interessiert wird. Damit w i r d sich seine allgemeine gesellschaftliche Stellung wesentlich wandeln. Das Ziel konzentriert sich nunmehr auf die gesellschaftliche Integration des Arbeiters zum Vollbürger. Eine solche bürgerliche Haltung kommt der christlichen Haltung sehr entgegen, die stets die gesamte wirtschaftliche und überwirtschaftliche Lage des Arbeiters und seiner Familie und nicht nur die Arbeitnehmerstellung i m Auge hatte. Aber auch die neoliberale Auffassung läßt sich als eine neue bürgerliche Haltung charakterisieren. Wenn sich die Neoliberalen für den Wettbewerb und gegen Kartelle erklären, so geht es ihnen darum, daß der Bürger, der wirtschaftliche Zivilist, gegenüber dem Produzenten den Vorrang hat. Das K a r t e l l ist für sie das Symbol der wirtschaftlichen Macht, die von der Industrie — sie fühlt sich oft als „die" Wirtschaft — organisiert wird, u m sich dem Diktat der Verbraucher zu entziehen und diese von ihrem W i l l e n abhängig zu machen. Es ist daher recht sinnvoll, daß die neue Koalition von Sozialisten, Neoliberalen und Christlich-Sozialen i n der Öffentlichkeit erstmalig i m A p r i l 1954 auf einer Tagung der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände, denen unter anderem der deutsche Hausfrauenbund und der Zentralverband Deutscher Konsumgenossenschaften angehören, auftrat. Dort betonten Böhm und Schiller übereinstimmend, daß die „Freiheit des Verbrauchers" sowohl von der staatlichen Planung wie auch von der Wirtschaft und ihren Kartellen bedroht werde. Für die weitere Entwicklung ist entscheidend, ob die drei Gruppen einen übergeordneten staatsbürgerlichen Standort finden werden, von dem aus sie die Wirtschaftsordnung nach gemeinsamen leitenden Gesichtspunkten ausbauen können. Sind die gemeinsamen Interessen, die w i r von unserer gesamten zivilen Existenz gegenüber der Wirtschaft haben, trotz aller Unterschiede der weltanschaulichen, politischen und wirtschaftlichen Herkunft dafür umfassend genug? Ein solcher Standort muß liberal genug sein, u m jedem Mitbürger ein hohes Maß freier — nicht nur wirtschaftlicher — Entscheidimg über seine Lebensgestaltung zu gewähren. Er muß i n dem Sinne sozialistisch sein, daß er den besitzlosen Mitbürgern eine echte Chance zum wirtschaftlichen Aufstieg und denjenigen, die dafür zu schwach sind, eine angemessene Hilfe sichert. Eine derartige Wirtschaft ist zugleich christlicher Auffassung gemäß, vorausgesetzt, daß sie für die überwirtschaftlichen höheren Lebensziele genug Raum läßt. Warum sollte es nicht möglich sein, diese Haltungen, die i n vielem übereinstimmen, i n anderem sich ergänzen, nie aber sich vollständig widersprechen, zu vereinbaren? 2 Kahl, Macht und M a r k t

18

Weg zu einer neuen bürgerlichen Gesellschaft

Gegen Manager und Funktionäre Diese Gemeinsamkeit des Standortes rechtfertigt sich aber auch aus einem gemeinsamen Gegensatz, der, obwohl er heute den meisten noch nicht bewußt ist, wichtiger geworden ist als die noch bestehenden Differenzen innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft oder, genauer gesagt, der wirtschaftlichen Zivilisten. Es gibt zahlreiche einflußreiche Personen, die durch ein antibürgerliches Interesse verbunden sind, so gegensätzlich ihre Mitglieder auch sonst sein mögen. Es sind jene Vertreter der wirtschaftlichen Institutionen und Organisationen, deren Lebensrichtung mehr von ihrer Stellung als Manager und Funktionäre als von zivilen Interessen bestimmt wird. Sie streben danach, ihrem Wirkungsbereich i n den Unternehmen der Wirtschaft oder auch i n K a r tellen, Gewerkschaften, Unternehmer- und Arbeitgeberverbänden, Sozialversicherungsanstalten usw. gegenüber den Bürgern, f ü r die sie tätig zu sein haben, eine gewisse Selbständigkeit zu verschaffen. Damit verlieren diese Apparate ihre dienende Stellung gegenüber der Gesellschaft, sie werden zum Selbstzweck. Diese Entwicklung wird, wie w i r i m einzelnen noch zeigen werden, vielfach ideologisch begründet. So behauptet man zum Beispiel, die Gewerkschaften oder die Großunternehmen besäßen heute eine „institutionelle Autonomie", die sie i m allgemeinen Interesse gegenüber den einseitigen und egoistischen Interessen der Mitglieder, Verbraucher, Gesellschafter usw. zu wahren haben. Die Folge dieser Autonomie ist jedoch, daß der Wirtschaftsapparat — w i r benutzen dieses Wort als Inbegriff all jener Institutionen und Organisationen — der Herrschaft der wirtschaftenden Bürger weitgehend entglitten ist und ihnen und ihren überwirtschaftlichen Interessen nicht mehr zweckmäßig genug dient. Wesentliche Entscheidungen werden vielmehr nach den Interessen der Generaldirektoren, Syndici, Vorstände, Funktionäre u. ä. getroffen, wobei weniger an materielle Vorteile, sondern an Gestaltungsdrang, Prestige, Einfluß und persönliche Machtstellungen zu denken ist. Damit hat sich der gesellschaftliche und wirtschaftliche Schwerpunkt weitgehend von den Zivilisten zum Apparat verlagert. Dies verraten auch die repräsentativen Gebäude unserer Zeit, die überwiegend solche des Wirtschaftsapparates sind; denn stets w a r das repräsentative Bauwerk einer Zeit Symbol ihrer gesellschaftlichen Lage, mag es sich u m die Pyramiden der Pharaonen, u m die Dome der mittelalterlichen Städte, u m die Schlösser der absoluten Fürsten oder u m die Bauwerke der totalitären Staaten handeln. Die Entwicklung zu einem Regime der Manager und Funktionäre ist vielfach als unvermeidlich und zwangsläufig geschildert worden. Das t r i f f t i m wesentlichen nicht zu, jedenfalls soweit es über das hinausgeht, was die Bürger aus Zweckmäßigkeitsgründen gern bejahen. Sie

Überprüfung der Standorte

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ist vielmehr Folge klar nennbarer gesellschaftlicher Fehlkonstruktionen, die durchaus abgestellt werden können — wenn w i r es wirklich wollen. Allerdings werden sich viele Repräsentanten des Wirtschaftsapparates dagegen stärkstens wehren. Das ist menschlich verständlich. W i r haben es hier und i m folgenden vielfach m i t Tatbeständen zu tun, die m i t den üblichen sozialökonomischen Begriffen allein nicht zu fassen sind. Man w i r d der wirtschaftlichen Wirklichkeit nicht gerecht, wenn man nur i n sachlichen Begriffen und Gesetzmäßigkeiten denkt, ohne zu berücksichtigen, daß es sich bei den leitenden Personen der Wirtschaft u m eine Auswahl von Menschen handelt, die nicht n u r als Fachleute und Spezialisten durch Intelligenz und Fleiß, sondern auch durch Vitalität und Ehrgeiz den meisten M i t bürgern überlegen sind. Es ist fast naiv anzunehmen, daß sie, wenn man ihnen Vertrauen und Entscheidungsfreiheit genug gibt, ihre A u f gabe rein objektiv und uneigennützig lösen werden. I n Wirklichkeit haben sie, wie alle Menschen, spezielle Interessen und Versuchungen, die sie vom objektiv richtigen Pfade ablenken können, zumeist — auch das ist allgemein menschlich — ohne daß sie es selbst merken. Die besondere Versuchung dieser Gruppe von Menschen ist, ihre Fähigkeiten und Kräfte u m der eigenen Macht und Ehre w i l l e n zum Ausbau der jeweiligen Position zu verwenden und sich von ihren Auftraggebern unabhängiger zu machen. Je stärker 'die Persönlichkeit ist, u m so größer ist die Gefahr, daß die Aufgabe überbetont und verabsolutiert wird. Dieser allgemeine Hinweis ist später konkret zu belegen. W i r möchten dabei nicht mißverstanden werden, als ob w i r die gesellschaftlich notwendige und wertvolle Gruppe von Unternehmern, Syndici, Organisationssekretären usw. persönlich treffen oder gar abwerten wollen. Es geht nur darum, spezielle Gefährdungen zu zeigen, die aus bestimmten gesellschaftlichen Situationen erwachsen. Ihnen sind w i r als Menschen alle unterworfen — auch der Verfasser hat dies i n einer typischen Managersituation erlebt. Wenn deswegen auf breiter Basis gesellschaftliche Fehlentwicklungen eintreten, so hilft es wenig, moralische Werturteile gegen jene Personen zu fällen, richtiger ist es, die gesellschaftlichen Konstruktionen entsprechend zu ändern. Die christliche Morallehre legt aus der Erkenntnis der menschlichen Schwäche, gestützt auf mehrtausendjährige Erfahrung, Wert darauf, daß die Versuchung möglichst vermieden wird. I n anderen Worten sagt uns der Dichter: „ I m ersten bist D u frei, i m zweiten bist D u Knecht", während K a r l Marx, allerdings i n unzulässiger Vergröberung, erklärt, daß der Mensch das Produkt seiner gesellschaftlichen Verhältnisse ist. Die Aufgabe ist, der Entwicklung zum Kollektiven und Apparativen zu widerstehen und den Bürger als selbstverantwortliche und freie 2*

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Weg zu einer neuen bürgerlichen Gesellschaft

Person zu fördern, indem w i r die Weichen der Wirtschaftsordnung, wo sie bisher falsch gestellt waren, umstellen. Hierzu sind w i r fähig, wenn w i r vom gemeinsamen überwirtschaftlichen Standort her die heutigen Verhältnisse kritisch betrachten und bereit sind, die erforderlichen Konsequenzen zu ziehen. W i r wagen zu prophezeien, daß die gesellschaftliche Lage zukünftig nicht mehr vom Kampf der bürgerlichen Klasse und des Proletariats, sondern vom Gegensatz einer neuen bürgerlichen Gesellschaft zu den Repräsentanten der Apparate bestimmt sein wird. 2. Höheren Lebensaufgaben untergeordnet Entmy thisierung

der

Wirtschaft

Eine „zivile" Auseinandersetzung m i t dem Wirtschaftsapparat und seinen Repräsentanten w i r d auch die Leitbilder erfassen, die w i r vom Verhältnis des Menschen zur Wirtschaft haben. W i r haben hier zwar nicht die weltanschaulichen Grundlagen eines solchen Leitbildes darzustellen, doch ist esi unvermeidlich, ja notwendig, immer wieder auf die vor- und überwirtschaftliche Haltung hinzuweisen, welche die W i r t schaftsordnung zu bestimmen hat und über die — wie w i r hoffen — sich die große Mehrzahl der Christen, Sozialisten und Liberalen verständigen kann. Wichtig ist dabei, die Mythen zu enthüllen, die heute das wirtschaftliche Denken statt eines konstruktiven Leitbildes weith i n beherrschen und uns damit hindern, die Wirklichkeit nüchtern und zweckbewußt genug zu sehen. Dies vor allem, w e i l die Manager und Funktionäre aller A r t als Fachleute und Spezialisten dazu neigen, ein wahrhaft gesamtmenschliches, bürgerliches Leitbild als romantisch, lebensfremd und unrealisierbar abzutun. Einer der gefährlichsten ist der Fortschrittsmythos, der i n anderen Lebensbereichen schon stark erschüttert ist, i n der Wirtschaft aber noch ziemlich unkritisch lebt. Er ist w o h l zu unterscheiden vom echten Fortschrittsdenken, das die wirtschaftliche Entwicklung an den menschlichen Werten mißt. Mythos aber herrscht, wo die Erhöhung von Erzeugung und Verbrauch, wo immer größere Anlagen, Unternehmen und Organisationen zum Selbstwert werden. Die Aufgabe der Enthüllung und Bloßstellung richtet sich auch auf die verzerrten Menschenbilder, die wie eine apokryphe Anthropologie die Wirtschaft beherrschen. Denken w i r zum Beispiel an den Typ des „Schaffers", der an führender Stelle i m Wirtschaftsappar at steht und keinen anderen Lebensinhalt als seine Arbeit kennt, zu dessen Lebensgefühl es gehört, unersetzlich zu sein und nie Zeit zu haben. Angemessen wäre es, i h n wegen seiner seelischen Verarmung oder auch Erkrankung zu bemitleiden, i h m i m übrigen aber zu mißtrauen, damit er

Höheren Lebensaufgaben untergeordnet

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aus seiner anomalen Lebenshaltung heraus anderen nicht zuviel schaden kann. Die Gesellschaft sollte sich gegen Leute wehren, die in ihrem persönlichen Lebensbereich nicht die gesunden Grenzen zwischen Arbeit und Muße einhalten können. A l l z u oft aber bewundert man ihren Fleiß, stellt sie als Vorbild h i n u n d gestattet ihnen, ihren neurotischen Schaffensdrang den Mitbürgern, vor allem den abhängigen, aufzuzwingen. Können w i r , wenn w i r ihnen als Manager und Funktionäre Macht geben, erwarten, daß sie K r a f t und Einsicht haben, ihre Aufgabe i m Blick auf höhere außerwirtschaftliche Daseinsziele der Mitbürger zu erfüllen? Oder denken w i r an die Konstruktion des „Arbeitnehmers", für dessen angebliche Interessen sich die Funktionäre auf allen Schauplätzen des wirtschaftlichen und politischen Kampfes einsetzen. Daß das Leitbild der Gewerkschaften vom Arbeiter weithin lebensfremd ist, erklärt manchen unnötigen Mißerfolg der Gewerkschaftsarbeit. Sie berücksichtigen noch zu wenig, daß man dem beruflich unselbständigen Mitbürger nicht helfen kann, wenn man seine Arbeitnehmersituation verabsolutiert, gewissermaßen den ganzen Menschen zum Arbeitnehmer macht, sondern nur, wenn man seine gesamte menschliche Existenz beachtet. Daraus ergibt sich, daß man die übrigen Seiten seines Daseins — i n der Wirtschaft seine Verbraucher- und Eigentümerposition, daneben seine staatsbürgerliche »und seine private Sphäre — stark genug machen muß, u m 'das zwangsläufige Negative aller abhängigen Tätigkeit erträglich zu machen. I m Rahmen des Betriebes aber kommt es nicht nur darauf an, eine Mitbestimmung auf kollektive Organe zu delegieren, sondern mehr noch, die persönliche Stellung des einzelnen auszubauen. Ebenso ist das herrschende Leitbild, von dem die Sozialpolitik ausgeht, zu überprüfen. Die Ideologie des Versorgungsstaates, der w i r weitgehend verfallen sind, sieht den Menschen wie ein Haustier, dem man die Sorge f ü r Stall und Futter abnimmt, wobei man folgerichtig für ihn entscheiden muß, wie lange er arbeitsfähig ist, was er leisten kann, was er benötigt und was i h m zukommt. Statt einer Schicht von w i r t schaftlich schwachen Mitbürgern so zu helfen, daß sie freier und stärker werden, befestigt man ihre Abhängigkeit und drückt auch die übrigen Volksschichten auf das gleiche Niveau herab. So werden von den A n stalten immer größere Kreise unseres Volkes entmündigt und unter Zwang gestellt, wobei die materiellen Leistungen der Sozialversicherungen d ü r f t i g sind, die seelische Situation der Betroffenen aber fast ganz außer acht bleibt, überprüfen w i r das System von einem unbefangenen zivilen Standort, so sehen w i r , daß es die gesellschaftliche Struktur zersetzt, wirtschaftlich gesehen unrentabel arbeitet und für die betroffenen Mitbürger nur ein unzulänglicher Ersatz wahrer Sozialpolitik ist.

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Weg zu einer neuen bürgerlichen Gesellschaft

Gemeinsam ist dieser Anthropologie, daß die Repräsentanten des Apparates an i h r interessiert sind, w e i l sie sich damit ideologisch rechtfertigen. Demgegenüber soll uns die „Entmythisierung der Wirtschaft" den Blick für ein B i l d des Menschen frei machen, dessen wichtigste Lebensaufgaben über der Wirtschaft und außerhalb der Märkte liegen. Der

private

Lebensraum

Worauf es dabei ankommt, w i r d deutlich, wenn w i r den privaten Lebensraum betrachten, i n dem sich unser persönliches u n d familiäres Dasein entfaltet und von dem aus w i r unsere freundschaftlichen, nachbarlichen und sonstigen gesellschaftlichen Beziehungen pflegen. W i r beteiligen uns an der Marktwirtschaft vor allem, w e i l w i r die Güter und Dienste beschaffen wollen, die w i r für die Heimsphäre benötigen. Vom Heim aus wenden w i r uns an die durch den Markt organisierte Wirtschaft, z u i h m kehren w i r täglich zurück. Der Weg zum Arbeitsplatz und zum Wochenmarkt sind Beispiele dieses Verhältnisses zwischen Heim und Markt. Obwohl w i r i n der Heimsphäre die größeren gesellschaftlichen und kulturellen Werte verwirklichen, geht i h r berechtigter Vorrang gegenüber der Wirtschaft immer mehr verloren. Die größere Fruchtbarkeit der modernen Wirtschaft dient einseitig dazu, die marktwirtschaftlichen Bereiche auszubauen, die Heimsphäre aber kommt zu kurz und verkümmert sogar. Wenn heute jemand behauptet, der durchschnittliche Mitbürger werde sich i n einigen Jahrzehnten ein eigenes Flugzeug und Weltreisen leisten können, ganz abgesehen vom Fernsehapparat, Kühlschrank und Auto, die zum zukünftigen Existenzm i n i m u m gehören, so werden das w o h l die meisten für möglich halten. Erklärt man jedoch, die Familie solle üblicherweise ein Eigenheim haben, so erscheint ihnen das als utopisch. Wäre es nicht möglich, die freien Kräfte weniger i n den allgemeinen Wirtschaftsapparat zu stecken, zumal dies — wie w i r i m einzelnen sehen werden — vielfach sogar unwirtschaftlich ist? Die Skeptiker werden dies verneinen und von der zwangsläufigen Entwicklung sprechen, welche die Soziologen Vermassung und die K u l turphilosophen Nivellierung nennen. Tatsächlich wäre es unrealistisch, zu erwarten, daß die Mehrzahl der Mitbürger beim gegenwärtigen Wirtschaftssystem die K r a f t aufbringt, sich durch Sparsamkeit und Fleiß selbst einen angemessenen Lebensraum zu schaffen. Die i n den Verhältnissen liegenden Versuchungen sind zu stark, als daß man sie m i t Aufrufen u n d Ermahnungen zur geistigen Umkehr erfolgreich bekämpfen könnte. Es w i r d immer n u r eine Minderheit sein, die es fertigbringt, gegen den Strom zu schwimmen. Aber die Frage ist, ob es nicht möglich ist, die Weichen der gesellschaftlichen Entwicklung so umzustellen, daß es auch dem durchschnittlichen Mitbürger erleichtert wird, sich i n Freiheit für eine gesündere Lebensgestaltung zu entscheiden.

Höheren Lebensaufgaben untergeordnet

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Unseres Erachtens sollte der normale familiäre Lebensraum ein Eigenheim m i t Garten u n d kleiner Werkstatt umfassen. Ohne es ist nicht n u r die wirtschaftliche Ausgangsposition des Durchschnittsbürgers zu schwach, sondern w i r d auch der allgemeine kulturelle und gesellschaftliche Zerfall kaum zu hemmen sein. W i r dürfen über unseren Alltagssorgen und -hoffnungen nicht vergessen, daß K u l t u r e n und Völker nicht dauern können, wenn sie gewisse natürliche Lebensverhältnisse auf breiter Basis und für lange Zeit mißachten. Dabei sollten die Intellektuellen — dies Wort hier i m positiven Sinne verstanden — nicht übersehen, daß der natürliche Lebensraum des Eigenheims f ü r ihre weniger geistigen Mitbürger viel wichtiger und dringender ist als für sie, w e i l sie selbst es leichter haben, inner- u n d außerhalb des Berufs höhere Lebenswerte zu pflegen. So kommt es, daß gerade auch geistige Menschen das Problem, u m das es f ü r die Allgemeinheit geht, unterschätzen. W i r erwähnen hier nur stichwortartig einige Gesichtspunkte, die für die weiteren Betrachtungen über die Wirtschaftsordnung wesentlich sind 7 . Für die meisten Berufstätigen, besonders soweit sie i n abhängiger Stellung sind, bietet die Beschäftigung i m Haus, i m Garten und i n der Werkstatt einen Ausgleich f ü r die unselbständige und sinnarme berufliche Arbeit. Sie können hier selbständig und vielseitig die Kräfte entfalten, die i m Betrieb zu kurz kommen. Das ist wesentlich für die Gesundheit und Verbundenheit m i t der Natur. Die eigene Ernte und das eigene Werkstück geben Befriedigimg u n d Selbstgefühl, welche die angeordnete und beaufsichtigte Teilverrichtung i m Betrieb nicht verschaffen. Außerdem werden frei gewählte Aufgaben und Liebhabereien u m so wichtiger, je mehr die berufliche Arbeitszeit zurückgeht. Man kann verantwortlicherweise die Verkürzung der Arbeitszeit nur begrüßen, wenn man den Mitbürgern Gelegenheit gibt, m i t der Freizeit etwas Vernünftiges anzufangen. I n der üblichen Mietwohnimg ist das kaum der Fall. Hier setzt man diejenigen, die aus eigener Initiative nicht dazu neigen, höhere kulturelle Werte zu pflegen, der einseitigen Orientierung zum Verbrauch aus. Wenn man jedoch zuwenig selbst gestaltet, sondern zuviel passiv aufnimmt, w i r d man unzufrieden und verkümmern die kulturellen und gesellschaftlichen Kräfte. M a n sucht dann „Zerstreuung" statt der inneren Sammlung, äußeren Betrieb statt Feierabend und Muße, die n u r nach erfüllter Arbeit möglich sind. Statt einer größeren Seßhaftigkeit i m familiären Lebensraum w i r d die Flucht per A u t o u n d Motorrad gefördert. 7 A u f sie hat v o r allem Alexander Rüstow, der eine entsprechende „ V i t a l p o l i t i k " fordert, hingewiesen. Vergleiche z u m Beispiel Deutsche Zeitung v o m 20. 3. 1954, Seite 4.

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Wie wichtig der innere Halt an sinnvoller Arbeit i m privaten Lebensraum ist, erlebt man, wenn aus irgendwelchen Gründen die betriebliche Arbeit entfällt, also bei Arbeitslosigkeit 8 , bei vorzeitiger I n validität und i m Alter. Wie leicht empfindet man dann das Leben als sinnlos und kann m i t der Freiheit — w i r sehen hier von finanziellen Gesichtspunkten ab — nichts anfangen. Wer jedoch sein Schaffen nicht einseitig auf den Beruf gestellt, sondern andere Aufgaben und Liebhabereien gepflegt hat, verfällt nicht dem Stumpfsinn, sondern mag sich freuen, daß er nunmehr Zeit für Beschäftigungen hat, die i h m mehr als die Berufsarbeit am Herzen liegen. I n solchem Falle ist die Gartenund Werkstattarbeit sicher nicht die einzige Möglichkeit, sie bietet aber der Mehrzahl der Menschen mehr Vielfalt und Erfüllung als anderes. Wesentlich ist sodann, daß der größere Lebensraum des Heims auch die wirtschaftliche Stellung stärkt und die Abhängigkeit vom Arbeitseinkommen verringert. Die Mietersparnis w i r d allerdings erst ins Gewicht fallen, wenn die Wohnungsmieten den heutigen Kosten entsprechen. Ersparnisse durch Gartenerzeugnisse u n d Kleintierhaltung sowie durch Werkstattarbeit sind vor allem wichtig, w e n n man infolge ausfallender Berufsarbeit mehr Zeit und weniger sonstiges Einkommen hat. Übersehen werden meist die Ersparnisse, die man erzielt, weil man wegen des Eigenheims weniger auf auswärtige Vergnügungen und Erholung angewiesen ist. Schließlich ist das Eigenheim ein Vermögensobjekt, das i n Notzeiten als Rückhalt dienen kann. Die

dreistöckige

Familie

Hierzu kommen familiäre Gesichtspunkte. Die berufstätigen Mütter werden, soweit der Mann noch i m Berufsleben steht, ihre Betriebsarbeit eher aufgeben, wenn sie ein Eigenheim besitzen. Sie haben dort ein abgerundetes und ein gesünderes Betätigungsfeld als i n der kleinen Mietwohnung. Sie können sich den Verzicht auf den Beruf eher leisten, wenn die Familie durch Mietersparnis, Nutzung des Gartens und Fortfall von Ersatzvergnügung und -erholung weniger Geld benötigt. Sie sind so besser imstande, die Aufgabe der M u t t e r f ü r die ganze Familie zu erfüllen. Wie problematisch ist demgegenüber eine wirtschaftliche Entwicklung, die trotz steigender Fruchtbarkeit mehr Mütter i n den Beruf zieht. Die Bedeutung eines wahren Heims für die Kinder brauchen w i r nicht auszuführen. Es geht ja dabei nicht nur u m die physische Gesundheit und u m die Erziehung, die von der berufstätigen M u t t e r zwangsläufig vernachlässigt wird, sondern darum, daß Menschen aufwachsen, 8 Auch i n der besten Wirtschaftsordnung w i r d es infolge wirtschaftlicher Umstellungen vorübergehende Arbeitslosigkeit geben. Die Gesellschaft muß daher Vorsorgen, daß die Betroffenen nicht hilflos wirtschaftlicher u n d geistiger Not ausgesetzt sind.

Höheren Lebensaufgaben untergeordnet

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die ein gesundes B i l d vom natürlichen Dasein mitnehmen: vom Verhältnis zur Natur, zum Heim, zur Familie, zur Nachbarschaft, zur verantwortlichen Verwaltung eigenen Vermögens. Vergleichen w i r damit die Umwelt, i n der ein großer T e i l der Kinder bisher lebt: tagsüber die Straße, abends müde und nervöse Eltern, die sich zu Hause nicht wohlfühlen u n d ausgehen oder ungestört vor dem Radio sitzen wollen. Können w i r uns dann über Vermassung, Vergnügungssucht, mangelnde Verantwortung gegen Familie und Gesellschaft und ähnlich beklagenswerte Erscheinungen wundern? E i n Wort noch über die Großeltern als Mitglieder der „dreistöckigen Familie". Enge Mietwohnungen, so wie sie leider auch i m Rahmen des „sozialen Wohnungsbaues" überwiegen, erschweren das Zusammenleben der drei Generationen oder machen es unmöglich. Räumliche Enge bringt übergroße Nervenbelastungen und Spannungen für die Beteiligten. So müssen die A l t e n ihren Ruhestand ohne die natürlichen Beziehungen zu Kindern und Enkeln verbringen, abgesehen davon, daß die Beschäftigung i n Haus, Werkstatt und Garten fehlt. Meist würden die Großeltern noch gern einen Lebenssinn darin finden, auf die Enkel zu achteni u n d den Eltern zu helfen, wo immer sie noch Hand anlegen können. F ü r das Lebensbild der Enkel aber ist es bedeutsam, ob sie durch ihre Großeltern das Erlebnis des reifen Alters, des körperlichen Verfalls und des Todes mitbekommen. Die Eltern aber haben — sehen w i r es nüchtern — größeres Interesse, die Großeltern aufzunehmen und notfalls zu pflegen, wenn sie eine Erbschaft erwarten, vielleicht sogar das Eigenheim übernehmen wollen. Der Ruhestand i n der dreistöckigen Familie ist trotz solcher materiellen Interessen normalerweise persönlicher und liebevoller, daneben aber auch billiger. Es wäre angebracht, einmal festzustellen, wie sich das gegenwärtig vorherrschende System, rein ökonomisch betrachtet, ausw i r k t . Heute sorgen die Berufstätigen — wenn a u d i unzulänglich — für ihr A l t e r durch die Rentenversicherung vor. Die Rente verzehren sie meist i m eigenen Kleinhaushalt oder i m Altersheim. Wie wäre es, wenn sie selbst sparten, von ihren erwachsenen Kindern aufgenommen w ü r den und diesen das, was sie nicht selbst verbrauchten, vererbten 9 ? W i r verkennen dabei nicht, daß auch diese Lebensform der dreistöckigen Familie, die trotz allem ja heute noch häufig ist, mancherlei schwierige Probleme bringt; denn alles menschliche Zusammenleben leidet an der menschlichen Unvollkommenheit. Selbstverständlich muß auch den Beteiligten überlassen bleiben, ob sie miteinander leben wollen. I m ganzen genommen aber darf eine befriedigende Lebensgestaltung der Generationen nicht mehr daran scheitern, daß die w i r t 9

Ob u n d w i e dies zu v e r w i r k l i c h e n wäre, ist später zu untersuchen.

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Weg zu einer neuen bürgerlichen Gesellschaft

schaftlichen Voraussetzungen fehlen, die zu schaffen uns durchaus möglich ist. Es ist merkwürdig, daß die Lebensrechte des Alters bisher so wenig beachtet werden 1 0 , zumal m i t der Erhöhung der Lebenserwartung die berufslose Lebenszeit wichtiger w i r d und der A n t e i l der A l t e n i n der Gesellschaft zunimmt. Von einem einseitigen Marktdenken her mögen die Alten als Mitarbeiter und Konsumenten weniger wichtig sein, vom zivilen Standpunkt aus müssen w i r das A l t e r aber als eine Lebensstufe m i t besonderen Werten und eigener Würde anerkennen. Es ist eine wichtige Aufgabe der gesellschaftlichen Ordnung, auch den alten Menschen den Lebensinhalt, der normalerweise in der Familie erfüllt wird, zu sichern. Politische

Vorentscheidungen

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Nach Walter Euchen w i r d nur der die Ordnung der Wirtschaft bejahen, der über ein Mindestmaß an häuslicher Geborgenheit und über die „äußeren Voraussetzungen für ein gesundes Familienleben verfügt". I n diesem Sinne glauben wir, daß unser L e i t b i l d des privaten Lebensraumes von allen politischen Grundrichtungen angenommen werden kann, vorausgesetzt, so werden vor allem die Liberalen einwerfen, daß dabei kein Zwang ausgeübt wird. Man kann die öffentliche Meinung für eine bestimmte Auffassung gewinnen, die äußeren Voraussetzungen für ihre Verwirklichimg schaffen und doch dem einzelnen Mitbürger überlassen, wie er sich entscheidet. Wesentlich ist, daß die Wirtschaftsordnung die Ausgangsbasis des Bürgers gegenüber dem Wirtschaftsapparat stärkt und daß die zahlreichen Maßnahmen, die bisher entgegengesetzt wirken, überprüft werden. Auch i n der Wirtschaftstheorie und -politik muß die private Sphäre als maßgebend, die Marktsphäre als sekundär gelten, mag die erste i m Vergleich zur zweiten noch so gering sein, wie etwa bei einem Junggesellen, der ein möbliertes Zimmer bewohnt, seine Mahlzeiten i m Gasthaus einnimmt und seine Freizeit überwiegend an Orten verbringt, w o er „zahlen" muß. Die Konzeption der Wirtschaftsordnung ist demgemäß vom Standpunkt des Zivilisten her zu entwickeln, nicht aber von einer i n sich funktionierenden Wirtschaft aus. Dabei sind alle drei Treffpunkte zwischen i h m und der gesellschaftlich organisierten W i r t schaft zu beachten: die drei Märkte, auf denen w i r der Wirtschaft als Verbraucher, als Berufstätige und als Eigentümer begegnen. Die Aufgabe, eine Wirtschaftsordnung zu verwirklichen, die den Menschen und nicht die Wirtschaft selbst i n den Mittelpunkt stellt, ist 10 I m M a i 1954 ist allerdings ein Arbeitskreis aus Vertretern staatlicher u n d kirchlicher Behörden, den Verbänden der Wohlfahrtspflege u n d anderen an den Altersproblemen interessierten Kreisen gegründet worden. 11 Grundsätze der Wirtschaftspolitik, Bern u n d Tübingen, 1952, Seite 319.

Der M a r k t als Instrument der zivilen Willensbildung

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daher sachgerecht von den drei Märkten her anzugreifen. Bevor w i r dies i n den Hauptkapiteln dieses Buches versuchen, sind noch einige leitende Gesichtspunkte herauszustellen, die über das Wirtschaftliche hinausgehen und unsere gesamte gesellschaftliche Existenz betreffen. Sie sind politischer A r t und müssen auch politisch entschieden werden. 1. Der erste Gesichtspunkt ist der gesellschaftspolitische: I n welcher Weise soll der wirtschaftliche Wille bestimmt werden, der die W i r t schaft lenkt? Oder anders ausgedrückt: Wer bestimmt, was i n der W i r t schaft geschieht? Es geht dabei u m das Prinzip der Willensbildung i n der Wirtschaft. 2. Der zweite Gesichtspunkt ist der wirtschaftspolitische: Wie w i r d erreicht, daß der Wirtschaftsapparat zweckmäßig nach dem maßgeblichen gesellschaftlichen Willen arbeitet? Es geht dabei u m die Ausrichtung der Betriebe nach dem Marktwillen. 3. Der dritte Gesichtspunkt ist der sozialpolitische 12 : Wie werden die einzelnen Schichten des Volkes am Sozialprodukt und Sozialvermögen beteiligt? Es geht hier vor allem u m die Lage der wirtschaftlich schwächeren Mitbürger. A l l e drei Gesichtspunkte zusammen, der gesellschafts-, der w i r t schafts- und der sozialpolitische, erfassen das Ganze der wirtschaftlichen Ordnung. Sie werden uns leiten, wenn w i r versuchen, i n der W i r t schaft eine Konzeption zu verwirklichen, die unserem B i l d einer neuen Gesellschaft entspricht. 3. Der Markt als Instrument der zivilen Willensbildung — der gesellschaftspolitische Gesichtspunkt Demokratie

und

Wirtschaft

Die große Mehrzahl unserer Mitbürger bekennt sich zur Demokratie. Sie w i l l i h r staatliches Schicksal nicht v o n dem Willen eines absoluten Monarchen, eines Diktators oder einer herrschenden Klasse abhängig madien, sondern selbst mitbestimmen, sei es auch nur indirekt über gewählte Abgeordnete. Dieses demokratische Bekenntnis kommt nicht aus einer Überschätzung der Staatsform, denn w i r wissen aus der Erfahrung, daß die Mehrheit der Wähler nicht die beste Regierung garantiert. W i r sind auch nicht der Meinung, daß das, was die Mehrheit beschließt, immer Recht ist; vielmehr ist auch sie an gewisse oberste Prinzipien gebunden, mögen w i r diese Naturrecht, Menschenrechte oder anders nennen. Daß diese Prinzipien auch i n der Demokratie verletzt werden können, ist das allgemeine Risiko, das zum Wesen der Freiheit 12 W i r gebrauchen die Worte sozial und Sozialpolitik hier u n d i m folgenden nicht i m weiteren Sinne als Synonyma f ü r gesellschaftlich u n d Gesellschaftspolitik, sondern i m engeren Sinne, das heißt bezogen auf den A u s gleich der gesellschaftlichen Gegensätze durch Förderung der wirtschaftlich schwächeren Schichten.

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Weg zu einer neuen bürgerlichen Gesellschaft

gehört. Dieses Risiko erscheint uns erträglicher als dasjenige, das mit der Diktatur verbunden ist. Welche Wirtschaftsordnung entspricht unserer gemeinsamen demokratischen Haltung? Viele haben früher geglaubt, eine Planwirtschaft unter einer demokratischen Regierung werde das demokratische Prinzip i n der Wirtschaft am besten verwirklichen. Wissenschaft und Erfahrung haben jedoch gezeigt, daß keine zentral geleitete Wirtschaft imstande ist, die persönlichen Wünsche der Staatsbürger genug zu berücksichtigen, damit i h r kulturelles und gesellschaftliches Leben i n Freiheit gedeihen kann. Es ist nicht möglich, den wirtschaftlichen Willen der Bürger durch eine politische Körperschaft w i e das Parlament oder die Regierung zu erfassen u n d zu verwirklichen. Die Wünsche, die die Staatsbürger hinsichtlich des Berufs- und Vermögenseinsatzes wie auch der Einkommensverwendung haben, sind so vielgestaltig und wechselhaft, der Wirtschaftsapparat, der diesen Wünschen angepaßt werden muß, ist so kompliziert, daß keine zentrale Stelle fähig ist, eine solche Koordinationsaufgabe zu bewältigen. A u f Grund der gemeinsamen Erfahrungen sind heute alle großen politischen Gruppen darin einig, daß die Freiheit, über Verbrauch, Beruf und Vermögenseinsatz persönlich mitzubestimmen, ein elementares Recht des Staatsbürgers ist. Es ist übrigens auch, obwohl nicht eindeutig genug, i m Grundgesetz verankert. A r t i k e l 2 legt das Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit fest, das nur i n einer Wirtschaftsordnung verwirklicht wird, die ein Mindestmaß freier wirtschaftlicher Entscheidimg der Staatsbürger zuläßt. A r t i k e l 12 enthält das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen, A r t i k e l 14 die Gewährleistung des Eigentums und des Erbrechts. Wenn diese persönlichen Rechte auch durch das allgemeine Wohl begrenzt sind, so ist doch die Grundhaltung wesentlich. Sie ist seit Erlaß des Grundgesetzes, also seit 1949, i m Volke stärker geworden, so daß man Ende 1953 sicher schon klarere Formulierungen gewählt hätte. Wie erreichen w i r jedoch, daß aus den zahlreichen freien Entscheidungen von Millionen wirtschaftender Menschen eine sinnvolle und zweckmäßige Gesamtwirtschaft entsteht? Wenn w i r als geeignetes I n strument den M a r k t empfehlen, so stellen w i r zunächst alle die Einwände und Bedenken zurück, die aus der bisherigen Erfahrung m i t der herkömmlichen Marktwirtschaft erhoben werden. Uber die früheren Mängel werden w i r i m großen u n d ganzen einig sein. Sie sind jedoch, wie w i r i m einzelnen sehen werden, keine Strukturmängel des M a r k t prinzips selbst, sondern entstehen aus seiner unkonsequenten oder sinnwidrigen Durchführung. Hier liegt der Gegensatz zu den Mängeln der Planwirtschaft, welche u m so unerträglicher wird, je konsequenter man sie durchführt.

Der M a r k t als Instrument der zivilen Willensbildung

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Der M a r k t ist — das ist hier entscheidend — ein Instrument der gesellschaftlichen Willensbildung, so wie die gleiche, geheime und direkte Wahl i m politischen Bereich. Noch besser vergleichen w i r i h n m i t einer Volksversammlung, zu der jeder Staatsbürger — i n einer freien internationalen Wirtschaft sogar auch jeder Ausländer — freien Zugang hat. Der Vorgang ist auch heute noch am besten vom lebendigen B i l d des Wochen- oder Jahrmarktes her zu verstehen, an dem die Interessenten — zum Beispiel Verkäufer von Lebensmitteln und Hausfrauen — zusammenkommen, u m Güter anzubieten oder nachzufragen. Wie die Erfahrung zeigt und die sozialökonomische Theorie scharfsinnig erklärt, hat der M a r k t die Tendenz, die verschiedenen Meinungen und Wünsche auszugleichen. Der dabei entstehende gesellschaftliche W i l l e f ü r jedes Gut w i r d als sein Marktpreis ausgedrückt. Wer sich diesem W i l l e n als Verkäufer oder Käufer nicht anpaßt, kommt nicht zum Zuge. Nun gibt es, wie w i r wissen, heute keinen gemeinsamen Ort mehr, an dem sich alle Anbieter und Nachfrager treffen. Vielmehr besteht eine Unzahl von Einzelmärkten, örtlich, zeitlich und sachlich spezialisiert. Außerdem vollziehen sich viele wirtschaftliche Entscheidungen i n Einzelbegegnungen i m Geschäft oder Büro oder sogar örtlich überbrückt durch Telefon, Telegraph, Fernschreiber und Korrespondenz. Trotzdem ist es berechtigt, von einem Gesamtmarkt zu sprechen, soweit die Beteiligten bei ihren Entscheidungen die Meinungen und Wünsche der übrigen Anbieter und Nachfrager, ähnlich wie am Wochenmarkt oder der Börse, kennen und berücksichtigen. Hierfür ist die Publizität des Wirtschaftsverkehrs wichtig, die u.a. durch örtliche Teilmärkte, Marktberichte der Presse und des Rundfunks, Marktstatistiken und Bilanz Veröffentlichungen verwirklicht wird. Die modernen M i t t e l der Publizität unterrichten die Marktinteressenten über die Marktlage und ersetzen so den unmittelbaren Überblick, den ein örtlicher Markt den Anwesenden gestattet. Je übersichtlicher und durchsichtiger das M a r k t geschehen für die Interessenten ist, u m so besser kann sich der einheitliche gesellschaftliche Wille aller Wirtschaftspartner bilden. A n dererseits ist die gesamte Marktwirtschaft schon dann gefährdet, wenn die Marktpartner nicht die erforderliche Kenntnis der Marktgegebenheiten besitzen. Das Mitbestimmungsrecht der Wirtschaftsbürger richtet sich über den Markt auf die Erstellung und Verteilung aller Sachgüter und Dienstleistungen, und zwar indirekt auch derjenigen, die nicht von ihnen selbst gebraucht oder verbraucht werden, sondern als Produktionsmittel den Wirtschaftsbetrieben dienen. Die Wirtschaft sollte dabei nicht nur von den Verbrauchermärkten, sondern auch von den anderen beiden Märkten her gefaßt werden, an denen die Bürger interessiert sind. Über

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die Kapitalmärkte, an denen die Bürger ihr Vermögen der Wirtschaft überlassen, haben sie auch zu entscheiden, wo und wie es eingesetzt wird. Selbst die berufliche Mitarbeit sollte grundsätzlich marktgerecht bestimmt werden, denn die wirtschaftliche Freiheit der Bürger und ihre gemeinsame Herrschaft über den Apparat erfordern, daß i h r Wille auf allen Marktgebieten richtig zur Geltung kommt. Die Wirtschaft kann, wie w i r i m einzelnen noch sehen werden, dem Menschen nur dann zweckmäßig dienen, wenn er sie von diesen drei Seiten her i m Griff hat. U m unserer gesamten Existenz w i l l e n dürfen w i r keinen Teil unserer wirtschaftsdemokratischen Grundrechte vernachlässigen. W i r haben allerdings noch auf einen wesentlichen Unterschied hinzuweisen, der zwischen der demokratischen Willensbildung i n der W i r t schaft und i m Staat besteht. Bei der politischen Wahl hat jeder Wähler das gleiche Stimmrecht, ob arm oder reich, tüchtig oder untüchtig, verantwortungsbewußt oder nicht. I n der Wirtschaft geht die Mitbestimmung nur so weit, wie der Einzelne jeweils bereit und fähig ist, für die beanspruchten Rechte — zum Beispiel beim K a u f einer Ware — auch Verpflichtungen — zum Beispiel den Kaufpreis — zu übernehmen. Dies ergibt sich aus dem i n der Marktwirschaft geltenden Leistimgsprinzip, wonach jeder soviel vom Sozialprodukt erhält, wie seiner Gegenleistung entspricht. Das Leistungsprinzip hat unbestritten den Vorzug, das Sozialprodukt zu erhöhen, befriedigt aber unter überwirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht restlos, so daß es — worauf w i r später eingehen — gewisser Korrekturen bedarf. Dies vorausgesetzt, dürfte es aber als konstituierendes Prinzip für die große Mehrheit unserer Mitbürger annehmbar sein, zumal die Erfahrung i n planwirtschaftlichen Staaten gezeigt hat, daß man ohne einen starken Leistungsanreiz nicht auskommt. Allerdings sollte jedermann überzeugt sein können, daß der Marktanteil jedes einzelnen am Sozialprodukt besser als i n der herkömmlichen Marktwirtschaft tatsächlich von der gesellschaftlichen Leistung bestimmt wird. Formale

und

reale

Freiheit

Was w i r beschrieben haben, ist die i d e a l e Konzeption: Alle Bürger entscheiden frei, wie sie sich an der gesellschaftlich organisierten W i r t schaft beteiligen, u m ihren persönlichen und gesellschaftlichen Bedarf zu decken und ihre Heim Wirtschaft zu ergänzen. Sie stellen einen Teil ihrer Arbeitskraft und ihres Vermögens der Gesellschaft zur Verfügung, u m sich die gewünschten Sachgüter und Dienstleistungen zu verschaffen. Der gesellschaftliche Wirtschaftsapparat w i r d andererseits von den Beteiligten gleichberechtigt, wenn auch gestuft nach dem Wert ihrer gesellschaftlichen 1 Leistung, beherrscht und auf ihre Bedürfnisse abgestellt. So w i r d die Wirtschaft gezwungen, zweckmäßig dem Willen der

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Gesellschaft zu dienen u n d den Bürgern die materiellen Voraussetzungen ihres Daseins z u liefern. Die W i r k l i c h k e i t sieht bekanntlich anders aus. Das erklärt sich aus mancherlei Gründen. Zunächst ist zu beachten, daß es nicht genügt, den Bürgern bestimmte Freiheiten gesetzlich zu geben, u m sie wahrhaft frei zu machen. Es ist eine Eigenart des früheren Liberalismus, daß er diese Tatsache zu wenig gewürdigt hat. Das führte schon i n der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts dazu, daß die formal »befreiten« Bauern und Handwerker zum großen Teil verproletarisierten und i n größere A b hängigkeit gerieten als zuvor. Heute wissen wir, daß die Verwirklichung der Freiheit nicht nur von juristischen, sondern mehr noch von den tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnissen abhängig ist. Es ist ein Verdienst von K a r l Marx, nachdrücklich darauf hingewiesen zu haben, wie stark das gesellschaftliche Sein von den materiellen Bedingungen bestimmt wird. Der gleiche Realismus gehört zur Tradition christlicher Ethik. Dieser Zusammenhang erklärt übrigens auch weitgehend die staatspolitische Situation, die w i r als Formaldemokratie bezeichnen. Man schafft noch keine Demokratie, wenn man den Staatsbürgern das Stimmrecht gibt. Der Mensch w i r d durch sein wirtschaftliches Dasein mehr geprägt als durch die Staatsform. W i r dürfen nicht am wirtschaftlichen A l l t a g vorübergehen und uns m i t idealen, aber unwirklichen Konstruktionen begnügen. Wer täglich erlebt, wie sehr er überlegenen wirtschaftlichen Mächten ausgeliefert ist, wer u m der wirtschaftlichen Existenz w i l l e n seine Ehre, seine Überzeugung und vielleicht sogar sein Gewissen täglich unterdrückt, w i r d sich schwerlich i m staatsbürgerlichen Leben für das Recht, die Freiheit und seine Überzeugung einsetzen — oder er w i r d gleich zum Revolutionär gegen den bestehenden Zustand. Der „Männerstolz vor Königsthronen" erforderte kaum mehr M u t als der Männerstolz vor den Sesseln mancher Manager und Funktionäre heute. So dürfen w i r uns nicht wundern, wenn diese wirtschaftlich schwachen und abhängigen Mitbürger kein rechtes Verhältnis zu einer freiheitlichen Gesellschaft und Staatsform haben, daß sie an den öffentlichen Angelegenheiten zuwenig A n t e i l nehmen und sich allzu leicht dem Mißbrauch der Macht unterwerfen. Ebensowenig dürfen w i r uns darüber wundern, wenn sie von der wirtschaftlichen Freiheit wenig halten, solange die Märkte nicht einigermaßen nach dem idealen Schema funktionieren. Was ist zu tun, damit die formale zur wirklichen Freiheit wird? Es empfiehlt sich, diese Aufgabe von zwei Seiten her anzugreifen: Die erste erfordert, die wirtschaftlich schwachen Mitbürger selbständiger und unabhängiger zu machen. Frei entscheiden können w i r nur, wenn w i r nicht i n einer Zwangslage sind. Wer zum Beispiel um

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seiner und seiner Familie Existenz w i l l e n auf den morgigen Arbeitsverdienst angewiesen ist, kann praktisch genötigt sein, eine Berufsstellung anzunehmen oder zu behalten, obwohl sie m i t seinen keineswegs übertriebenen Ansprüchen oder seinen persönlichen Überzeugungen unvereinbar ist. So ist die persönliche Freiheit übermäßig bedroht, solange man nicht neben dem laufenden Arbeitseinkommen ein M i n destvermögen besitzt, das ein Mindestmaß beruflicher Unabhängigkeit gestattet. Carlo Schmid erklärte dazu: „Man müßte Gesetze schaffen können, die jedem eine echte Chance geben, Privateigentum zu erwerben; denn w i r Sozialdemokraten sind der Überzeugung, daß ein Mensch volle sittliche Verantwortung für das Ganze seiner Existenz n u r tragen kann, wenn er über so viel Privateigentum verfügt, daß er imstande ist, auch jemandem gegenüber nein zu sagen, von dem er w i r t schaftlich abhängig ist." Man sollte sich nicht darauf berufen, daß die geforderte Unabhängigkeit durch die Sozialversicherung, zum Beispiel die Arbeitslosenversicherung, gewährleistet ist. Auch die Sozialversicherungsanstalten machen abhängig, sie fordern, daß w i r unsere Handlungen und Entscheidungen ihnen gegenüber verantworten, bevor der Unterstützungsfall anerkannt wird. Aus diesem Grunde betrachten w i r Privateigent u m und daraus fließendes „arbeitsloses Einkommen" als unabdingbare Voraussetzung der wirtschaftlichen und damit der allgemeinen persönlichen Freiheit. Die Einwände, die von sozialistischer Seite gegen diese Begriffe bisher gebracht wurden, sind, wie w i r anerkennen, leider weitgehend berechtigt durch die A r t , wie vielfach Privateigentum und Kapitalertrag zustande gekommen sind. W i r haben uns daher zu überlegen, wie w i r solche -ungesunden Verhältnisse vermeiden. Wichtiger aber ist, i m Interesse der bisher Vermögenslosen und der ganzen Gesellschaft dafür zu sorgen, daß tüchtige und sparsame Mitbürger eine reale und nicht nur die formale Chance erhalten, zu einem Vermögen zu kommen, das nun einmal notwendig ist, damit sich ihre wirtschaftliche Freiheit entfalten kann. Marktwidrige

Machtpositionen

Der zweite Weg, von dem aus die reale wirtschaftliche Freiheit der Staatsbürger zu fördern ist, richtet sich gegen die wettbewerbsfeindlichen Machtstellungen in der Wirtschaft. Die Wirtschaftsdemokratie ist gefährdet, wo die Konzentration wirtschaftlicher Macht benutzt wird, u m die richtige Willensbildung am Markte zu verhindern und Sondervorteile zu schaffen. M a r k t i m eigentlichen Sinne ist nicht schon vorhanden, wenn beide Marktseiten das formale Recht haben, einen Vertrag abzuschließen, sondern n u r wenn der Marktwert für ein Gut oder eine Leistung i m Wettbewerb gebildet wird. Es gehört zwar unvermeidlich zur gesellschaftlichen Zusammenarbeit, daß man vonein-

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ander abhängig ist; i n Ordnung ist dies jedoch nur, wenn diese A b hängigkeit gegenseitig und allgemein ist, so daß man nicht nur auf einen speziellen Marktpartner angewiesen ist, sondern gegebenenfalls auf dessen Konkurrenz zurückgreifen kann. Die Sozialökonomie hat dargestellt, welche Folgen es hat, wenn auf einer Marktseite ein einheitlicher Wille vorhanden ist und die Partner der anderen Seite gezwungen sind, darauf einzugehen oder auf den Abschluß zu verzichten. Es führt dazu, daß die Position beider Seiten nicht gleichwertig ist und daß daher die schwächere Seite Preise bewilligen muß, die höher liegen, als den allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnissen entspricht. Diese Preise können u m so stärker überhöht werden, je mehr die Marktpartner jene Güter oder Dienste benötigen. Statt der Marktpreise haben w i r dann monopolistische Preise, so daß w i r eigentlich nicht von einer Wirtschaftsdemokratie sprechen sollten. Monopol-Positionen bestehen, indem ein einzelnes Unternehmen oder ein Konzern den M a r k t beherrscht oder indem mehrere selbständige Unternehmen sich i n einem K a r t e l l zur Marktherrschaft zusammenschließen. Machtpositionen solcher A r t gibt es nicht nur auf den A b satzmärkten, den Märkten der Güter und Dienstleistungen, sondern auch auf den Kapital- und Arbeitsmärkten. Bei den Tarifverträgen stehen sich meist sogar zwei Kartelle, die Arbeitgeber- und die Arbeitnehmerorganisation, gegenüber. I m Unterschied zum Monopol ist ein anderer Gegensatz zum Wettbewerb bisher weniger betrachtet worden: Der Zusammenschluß von Betrieben i n einem Unternehmen oder Konzern, und zwar derart, daß man f ü r bestimmte zwischenbetriebliche Lieferungen und Leistungen nicht auf den M a r k t angewiesen ist. Das t r i f f t vor allem zu, wenn die Betriebe — wie zum Beispiel eine Spinnerei, eine Zwirnerei u n d eine Weberei — der Pr odukt ions rich tung nach vertikal zueinander liegen. I m Unterschied von der Marktbeherrschung können w i r hier von Marktausschaltung sprechen. Gemeinsam ist beiden Formen, daß der demokratisch gebildete, auf dem Wettbewerb beruhende M a r k t w i l l e nicht oder nur eingeschränkt gilt. Daß also einseitige, wenn auch nicht unbegrenzte wirtschaftliche Macht an Stelle des Marktes tritt. Durch solche wirtschaftliche Macht, auf die w i r i m einzelnen später eingehen, w i r d das Verhältnis der Wirtschaftszivilisten zum Wirtschaftsapparat beeinflußt. Die Unternehmen und Interessenorganisationen des Apparates sind es ja, die diese Machtpositionen errichtet haben, um dadurch den Einfluß des Wettbewerbs und somit der Bürger zu schwächen. Mögen diese i m Einzelfalle, zum Beispiel als Mitglieder der Gewerkschaft oder als kleine Unternehmer, dabei gelegentlich einen Vorteil haben, so erkaufen sie diesen, wie w i r sehen werden, i m ganzen genommen teuer. 3 Kahl, Macht und Markt

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Weg zu einer neuen bürgerlichen Gesellschaft

Der Staat ohne w i r t s c h a f t l i c h e s

Ordnungsbild

W i r wissen heute, daß die Vertragsfreiheit allein nicht ausreicht, die Demokratie i n der Wirtschaft und die Harmonie des wirtschaftlichen Geschehens zu gewährleisten. Der Samen «der Freiheit hat uns nicht, wie die alten Liberalen unter dem Einfluß der Aufklärung noch glaubten, das Paradies gebracht, sondern einen Urwald, i n dem der Kampf ums Dasein vielfach als eine A r t Dschungelkrieg geführt wurde. Die Starken und Rücksichtslosen gediehen dabei, während die anderen unterdrückt wurden. Der I r r t u m der Liberalen, so werden die Christen bemerken, ist, daß sie die Erbschuld nicht berücksichtigt haben, durch die w i r ein für allemal das Paradies verloren haben. Seitdem ist die Ordnung unseres Daseins ständig gefährdet. Aufgabe des Staates kann daher nicht nur sein, eine bestimmte gesellschaftliche Ordnung einmal herbeizuführen, er muß sie vielmehr laufend gegen alle Störungen schützen und sichern. Die wirtschaftliche Freiheit i m besonderen ist eine zarte Pflanze, die seiner sachverständigen Pflege als Gärtner bedarf, weil sie stets von überwucherndem Unkraut bedroht ist. Welche Aufgabe kommt nunmehr dem Staate i m Rahmen einer neuen Konzeption der Wirtschaftsordnung zu? U m unbefangener an diese Frage heranzukommen, sehen w i r uns zunächst eine andere gesellschaftliche Situation, nämlich den Straßen- statt des Wirtschaftsverkehrs an. Es steht dem Staatsbürger frei, sich auf den öffentlichen Straßen zu bewegen. Der Staat sorgt aber mit Hilfe seiner Polizei dafür, daß nicht einzelne Staatsbürger ihre Freiheit mißbrauchen, u m sich zusammenzurotten, andere zu überfallen und auszuplündern. Er achtet außerdem darauf, daß bei einem entwickelten Autoverkehr eine Verkehrsordnung besteht, die zwar die Freiheit der Autofahrer einschränkt, aber i m Interesse der Verkehrssicherheit erforderlich ist. Das Ziel der Verkehrssicherheit ist heute das gleiche wie etwa i m Jahre 1910, aber die Verkehrsordnung mußte der Verkehrsentwicklung laufend angepaßt werden, weil die Verhältnisse seitdem ständig komplizierter geworden sind. Trotz der Verkehrsgefahren ist der Staat allerdings nicht, w i e w i r unseren sozialistischen Mitbürgern gegenüber bemerken, auf den Gedanken gekommen, den privaten Verkehr abzuschaffen und i h n zu verstaatlichen. Er hat ebenso wenig daran gedacht, jedem Autofahrer ständig die Richtung, die Schnelligkeit und alle sonstigen Einzelheiten des Fahrzeugs und der Fahrweise vorzuschreiben, obwohl dies noch immer einfacher wäre, als die Wirtschaft zentral zu planen und zu lenken. Das Kernproblem der Wirtschaft ist, daß es bisher an einem klaren Ordnungsbild fehlte, an dem der Staat sein Handeln orientieren konnte. Als Demokraten sollten w i r uns bewußt sein, daß dies an der Gesell-

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schaft liegt, die den Staat trägt, so .daß w i r uns hüten müssen, i h m wie einer Person eine Schuld zuzuschieben. Versagt hat also die Gesellschaft, die Gesamtheit der Bürger, insofern sie keine Gesamtkonzeption der Wirtschaftsordnung hatte, die bei aller Verschiedenheit der Interessen und Spezialauf gaben, die staatliche Tätigkeit bestimmen konnte. Dies ist sicher nicht n u r eine Folge mangelnder Erkenntnis, sondern auch moralische Schuld. Wenn man die Wirtschaftspolitik der letzten hundert Jahre durchgeht, so gewinnt man leicht den Eindruck, daß der Blick für die Wirtschaftsordnung mehr und mehr zugunsten der Gruppeninteressen getrübt worden ist. W i r geben den Sozialisten zu, daß sogar das Prinzip der Vertragsfreiheit dem Gruppen- oder Klasseninteresse der wirtschaftlichen Oberschicht dienstbar gemacht wurde. Da diese Freiheit einseitig formal ausgelegt wurde, zogen diejenigen aus i h r besondere Vorteile, die am Markte eine Machtstellung zu entfalten vermochten, während die w i r t schaftlich schwachen Schichten ihre formalen Rechte nicht realisieren konnten. Indem der liberale Staat des 19. Jahrhunderts zu einseitig die äußere formale Ordnung sicherte, entgingen i h m die eigentlichen Probleme der Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung, so daß er sich den Beinamen „Nachtwächterstaat" verdiente. Allerdings setzte bereits i m letzten Viertel des vergangenen Jahrhunderts ein Wandel ein. Bis dahin herrschte die Tendenz, die Wirtschaft politisch zu neutralisieren. Sie erhielt durch das Bürgerliche Recht und das Handelsrecht, durch Gewerbeordnung, Patentrecht usw. einen allgemeinen Rahmen, i n dem die einzelnen Wirtschaftspartner sich frei bewegen konnten. Die wirtschaftlich herrschenden Schichten glaubten, daß die staatliche Nichteinmischung nicht nur ihrem Interesse, sondern dem natürlichen Gesetz der Wirtschaft entsprach, bis nach der sogenannten Gründerzeit der siebziger Jahre eine schwere Krise einsetzte, die ihrer Überzeugung von der Harmonie des wirtschaftlichen Ablaufs einen schweren Schock versetzte. Es war offensichtlich, daß in dem bisherigen Prinzip des Laissez faire ein Fehler war und daß der Staat gegenüber der Wirtschaft eine aktivere Rolle übernehmen mußte. Die bürgerliche Gesellschaft war offenbar aber noch nicht reif, die eigentlichen Ordnungsaufgaben des Staates zu erkennen. Es begann das w i r t schaftspolitische Zeitalter des Interventionismus, dessen Kennzeichen uns darin zu liegen scheint, daß die Repräsentanten der wirtschaftlichen Einrichtungen und Vereinigungen einen immer größeren Einfluß erlangten. Sie wurden als die Fachleute und Spezialisten herangezogen oder sorgten selbst dafür, daß sie gehört wurden, aber ihre Interessen und Gesichtspunkte waren allzu oft nicht die der Allgemeinheit. Das erste Ergebnis dieses Einflusses war die Zollpolitik, die die Industrie und die Landwirtschaft vor der ausländischen Konkurrenz schützen 3*

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sollte und den begünstigten Wirtschaftszweigen die wichtigste Basis schuf, sich weitere Positionen gegen den Wettbewerb und die Bürger zu errichten. I m einzelnen w i r k t e n sich danach die Interessenten-Einflüsse auf recht verschiedenen Gebieten aus. Der Allgemeinheit aber ist bis heute nicht bewußt, wie sehr die angeblichen nationalen und sozialen Erfordernisse der Wirtschaft, die durchgesetzt wurden, die Funktionsfähigkeit des Marktes und die wirtschaftsdemokratische Willensbildung der Bürger untergraben haben. Die wirtschaftlich schwächeren Schichten erlebten die kapitalistische Marktwirtschaft u n d die Wirtschaftspolitik jener Zeit als einen Machtkampf um das Sozialprodukt. Die Sozialisten suchten diesem m i t ähnlichen Methoden des Kampfes zu begegnen. Den unternehmerischen Monopolen setzten sie die Monopole der Gewerkschaften entgegen, dem politischen Einfluß der Unternehmerverbände denjenigen der Arbeiterpartei. Dabei entgingen auch ihre Organisationen nicht der Gefahr der Institutionalisierung. Die Wirtschafts- und Sozialpolitik der Linken verminderte ebenso wie die von der Unternehmerseite durchgesetzte Interessenpolitik die W i r k i m g des Marktprinzips, m i t dessen Hilfe freie Bürger selbst die Wirtschaft beherrschen sollten. Sie w a r also i m ganzen genommen nicht geeignet, die Arbeiter zu wirtschaftlichen Vollbürgern zu machen. Zieht man eine Gesamtbilanz der sozialistischen und gewerkschaftlichen Arbeit der letzten 80 Jahre, so ist sie keineswegs so positiv, wie manchmal behauptet wird. Die außerordentliche Vermehrung des Volksvermögens, die m i t der Industrialisierung verbunden war, ist nur einer äußerst kleinen Schicht zugute gekommen, ja der A n t e i l der M i t bürger, die den Schutz eines Privatvermögens besitzen, ist seither erheblich zurückgegangen. Daß die Kaufkraft der Masse erheblich gestiegen ist, bedeutet demgegenüber fast eine Selbstverständlichkeit, denn die zusätzliche Produktion muß schon i m Interesse der Unternehmer abgesetzt werden. W i r werden an Hand der einzelnen Sachgebiete zeigen, wie der Staat aus Mangel an einer zivilen Konzeption der Wirtschaft den Repräsentanten der Institutionen und Organisationen ausgeliefert war und wie nicht die Bürger, sondern der Wirtschaftsapparat und seine Manager und Funktionäre dabei immer selbständiger wurden. W i l h e l m Röpke spricht i n diesem Sinne von der „zunehmenden Ausnutzimg des Staates zur Befriedigung von Gruppen wünschen, die sich schließlich zur Beherrschung des Staates durch die organisierte Gruppenmacht steigert" 1 3 . Auch für die Jahre nach der Währungsreform stellt die „Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft" i n ihrem „Programm der Freiheit" noch fest: „Es hat sich gezeigt, daß einzelne Sachgebiete, w i e zum 13

Civitas Humana, Erlenbach-Zürich 1949, Seite 184.

M a r k t w i l l e u n d betriebliche Zweckmäßigkeit

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Beispiel das Notenbankgesetz, die Landwirtschafts- und Ernährungspolitik, das Kartellgesetz, die Steuerreform, die Wohnungswirtschaft und unzählige Einzelgesetze für wirtschaftliche Teilfragen mehr und mehr unter die wechselnde Konstellation des Tages gerieten und zum Tummelplatz der Interessentengruppen wurden." Erfreulicherweise gibt es jedoch auch starke Kräfte, die f ü r eine zivile, über den Sonderinteressen stehende Wirtschafts- u n d Sozialpolitik eintreten. Dazu gehören vor allem Teile der Presse und der Wirtschaftswissenschaftler. 4. Marktwille und betriebliche Zweckmäßigkeit — der wirtschaftspolitische Gesichtspunkt Die

Schwäche

des

bisherigen

Systems

I n der bisherigen Marktwirtschaft ist es den Repräsentanten des Wirtschaftsapparates gelungen, das gesellschaftliche Prinzip, m i t dessen Hilfe freie Bürger die Wirtschaft beherrschen sollten, i n vielfältiger Weise außer K r a f t zu setzen. Daraus erklärt sich gleichzeitig das größte wirtschaftspolitische Problem, m i t dem die Marktwirtschaft nicht fertig geworden ist, nämlich den Wirtschaftsapparat so auf die Märkte abzustellen, daß er zweckmäßig und reibungslos genug arbeitet. Es ist das Problem der Wirtschaftskonjunktur. Die Marktwirtschaft hat bewiesen, daß sie imstande ist, die Betriebe zu hoher Produktivität anzuregen. I h r verdanken w i r — ein Erfolg, auf den mit Recht immer wieder hingewiesen w i r d — daß der Lebensstandard der westlichen Welt, obwohl die Bevölkerung i m Laufe von 150 Jahren um ein Mehrfaches zugenommen hat, außerordentlich gestiegen ist. Ebenso ist anzuerkennen, daß die schweren wirtschaftlichen Schäden der beiden Weltkriege i n unwahrscheinlich kurzer Zeit überwunden werden konnten. Z u r Eigenart der bisherigen Marktwirtschaft gehört somit, daß sie i n Zeiten des Mangels und des Aufbaues äußerst leistungsfähig ist. Sie funktioniert offenbar am besten, wenn die Unternehmungen wegen der starken Nachfrage hohe Preise und Gewinne erzielen und wenn sie deshalb dazu neigen, ihre Betriebe zu erweitern. Diese Situation w i r d von der Konjunkturtheorie als Phase des Aufschwungs bezeichnet. Bedrohlich wurde es dagegen für die Marktwirtschaft zumeist, wenn sich aus dem Verkäufermarkt, an dem die Unternehmen stärker als die Verbraucher sind, der Käufermarkt entwickelt. Dieser Zustand sollte vom Sinne der Wirtschaft her der normale und gesunde sein. Die bisherige Erfahrung zeigte jedoch, daß nunmehr häufig Unternehmungen zusammenbrechen, zahlreiche Arbeiter entlassen werden müssen und Vermögensverluste eintreten. N i m m t dies größeren Umfang an, so gerät die gesamte Wirtschaft i n d i e Krise, der eine Zeit der Depression zu folgen pflegt. Für diese Situation ist typisch, daß der Wirtschaftsapparat

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Weg zu einer neuen bürgerlichen Gesellschaft

seine Aufgaben nicht erfüllt, obwohl alle materiellen Voraussetzungen vorliegen. Die Wirtschaftspartner bieten ihre Mitarbeit und i h r Vermögen an, die Unternehmen aber können sie nicht gebrauchen, weil sie die erstellten Güter und Dienste nicht absetzen können. Die Bevölkerung benötigt zwar diese Güter und Dienste, kann sie jedoch nicht erwerben, w e i l sie wegen der Absatzstockung ihr Einkommen an Arbeit und Vermögen verloren hat. Das Problem ist gegeben, wenn Erzeugung und Marktverkehr weithin lahmgelegt sind, also bei Massenarbeitslosigkeit und Massenelend, wenn Konsumgüter verderben, Dienste nicht benutzt werden, obwohl ein großer Teil des Volkes Not leidet. Die Wirtschaftswissenschaften sind seit mehr als einem Jahrhundert u m Konjunktur-Theorien bemüht, welche die Phänomene der Krise und der Depression erklären und Auswege zeigen sollen. So verschieden die Ergebnisse i m einzelnen auch sind, stimmen sie i m allgemeinen doch darin überein, daß Krisen aus „Disproportionalitäten" entstehen, die sich vorher i n der Wirtschaft entwickelt haben. Derartige Mißverhältnisse betreffen die Erzeugungs- und die Absatzmöglichkeiten, das Eigenkapital und die Schulden, die Kosten und die Erlöse. Meist bestehen durchgängige Spannungen, die — ähnlich wie nach einer I n fektion beim Menschen — eines Tages ausbrechen, den ganzen W i r t schaftskörper ergreifen und die Krise hervorrufen. I h r Wesen ist, daß i n den Beziehungen zwischen den Unternehmungen und ihren Märkten kein Gleichgewicht herrscht, so daß nunmehr ein neues Gleichgewicht unter Erschütterungen und Opfern geschaffen werden muß. M a n hat den Ablauf der Wirtschaftskonjunktur m i t Krisen und Depressionen vielfach als einen naturgesetzlichen Vorgang betrachtet. Das bedeutet, man findet sich ab, daß die Marktwirtschaft nicht i m stande ist, ein dauerhaftes Gleichgewicht zwischen Wirtschaftsapparat und Märkten zu sichern. Die Folgen solcher Resignation gehen weit, denn die meisten Mitbürger verlangen von der Wirtschaftsordnimg, daß sie ein Mindestmaß von Stabilität gewährleistet. Kann diese nicht durch den Markt, das heißt letzthin durch den Willen der Wirtschaftspartner erzielt werden, so sind sie notfalls bereit, dieses System aufzugeben oder zu durchbrechen, u m das unerträgliche Übel von Krisen und Depressionen auf andere Weise zu vermeiden oder zu überwinden. Können w i r uns wundern, wenn etwa die Arbeiter, die sich noch lebhaft an die Massenarbeitslosigkeit der Weltwirtschaftskrise erinnern, die wirtschaftliche Sicherheit der formalen wirtschaftlichen Freiheit vorziehen? Wenn sie gegebenenfalls ein weniger produktives Wirtschaftssystem dem marktwirtschaftlichen Überfluß vorziehen? Ebenso verständlich ist es, wenn die Unternehmer aus dem berechtigten Argwohn gegen die bisherige Wirtschaft das Recht auf „Selbsthilfe" und auf eigene „Marktordnung" fordern. So sehr solche For-

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derungen aus wirtschaftsethischen und -politischen Gründen abzulehnen sind, man w i r d ihnen auf die Dauer nur begegnen können, wenn man den Unternehmern die Sorge vor einer „ruinösen Konkurrenz" nimmt, die nicht n u r die leistungsunfähigen, sondern auch die leistungsfähigen Betriebe zum Erliegen bringt. Zwischen denjenigen, welche die M a r k t wirtschaft als System überhaupt aufgeben, und anderen, die sich auf Kosten der übrigen Wirtschaft und Volksschichten vor ihren Gefahren retten wollen, stehen die Konjunkturpolitiker. Z u m Teil behaupten sie, Wirtschaftskrisen und -depressionen seien heute nur noch eine historische, bereits überwundene Gefahr. Ihnen ist entgegenzuhalten, daß auch i m Wirtschaftsaufschwung der Jahre nach der Währungsreform neue Disproportionalitäten entstanden sind, die uns eines Tages ebenso aus unserem Träumen aufwecken können, wie die Weltwirtschaftskrise von 1929 den Traum der ewigen Prosperität gestört h a t 1 4 . W i r betrachten daher die Gefahr des Konjunkturrückschlages weiterhin als eine nicht n u r wirtschaftliche, sondern auch politische Realität ersten Ranges. Die Tageszeitungen wie die Fachzeitschriften aller A r t offenbaren dies deutlich, wenn sie uns berichten, wie Unternehmer und Gewerkschaften, Wirtschaftspolitiker und Wirtschaftsinstitute mißtrauisch den Fortgang der K o n j u n k t u r beobachten. Zwischen

Markt

und

Betrieb

Das Problem der Krise ist nur richtig zu verstehen, wenn die vorherrschende Betrachtungsweise der Sozialökonomie unter anderen Gesichtspunkten ergänzt wird. Es genügt nicht, i n allgemeinen M a r k t zusammenhängen und ökonomischen Gesetzen zu denken, vielmehr muß man sich so konkret wie möglich ansehen, wo und wie die w i r t schaftlichen Entscheidungen zustande kommen, die die K o n j u n k t u r schwierigkeiten immer wieder verursachen. I n diesem Sinne betrachten w i r die? berüchtigten Disproportionalitäten, die sich i m Wirtschaftsaufschwung herausbilden, als objektive Fehler vor allem der Unternehmer, die, indem sie die Marktentwicklung falsch einschätzen, ihre Betriebe zu sehr erweitern, zuviel erzeugen, sich zu stark verschulden, zu hohe Kosten für Anlagen, Rohstoffe, Kredite oder Löhne auf sich nehmen usw. Soweit solche Irrtümer durch einmalige Ursachen, zum Beispiel politischer A r t verursacht sind, können w i r sie hier vernachlässigen. Hinsichtlich der eigentlich wirtschaftlichen, der sogenannten endogenen Krisenursachen aber ist zu bedenken, daß die Unternehmer eine Auswahl von tüchtigen Fachleuten sind, so daß es merkwürdig ist, wenn sie i n breiter Front und immer wieder derart falsch disponieren. Es 14 Die Bank Deutscher Länder spricht i n i h r e m Monatsbericht v o m August 1955 von Disproportionalitäten, die bei dem stürmischen Aufschwung der letzten zwei Jahre entstanden sind und die, w e n n sie nicht rechtzeitig k o r r i giert werden, zu einer Gefahr f ü r die gesamte Wirtschaft werden können.

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liegt nahe anzunehmen, daß ungesunde Verhältnisse vorhanden sind, die zu d e n Fehlhandlungen führen; daß irgendwo die Weichen des Wirtschaftssystems falsch gestellt sind. Tatsächlich weist die bisherige Marktwirtschaft wesentliche Fehlkonstruktionen auf, die zugleich soziologisch und ökonomisch verstanden werden müssen. W i r werden versuchen, sie i n unseren späteren Betrachtungen konkreter nachzuweisen, während hier n u r der gemeinsame Gesichtspunkt zu zeigen ist, der von unserem zivilen Standpunkt aus maßgebend ist. I n der Marktwirtschaft ist es Aufgabe der Unternehmen, die Betriebe 1 5 auf die Wünsche der Bürger, die diese am Markte kundtun, abzustellen. Die Unternehmen stehen i n unserem Wirtschaftssystem zwischen den Bürgern und den Betrieben. Die W i r t schaft i m ganzen, wie 'die Unternehmen i m einzelnen erfüllen ihren Sinn, indem sie den M a r k t w i l l e n der Bürger zuverlässig und zweckmäßig i n den Betrieben durchführen. Die Wirtschaftskrisen aber zeigen, daß die Koordinationsaufgabe von den dafür vorgesehenen Unternehmungen höchst mangelhaft erfüllt werden. Aufgabe der Wirtschaftsordnung ist demgegenüber, dafür zu sorgen, daß die Unternehmungen stärker an die maßgebenden Tatsachen betrieblicher und marktmäßiger A r t gebunden werden. Die Gesellschaft ist daran interessiert, daß die Unternehmen die Betriebstechnik zweckbewußt anwenden, u m ein möglichst günstiges Sozialprodukt zu erzielen. Sie erstrebt vernünftigerweise, daß sie möglichst wenig an Mitarbeit und Vermögen in der Wirtschaft einsetzen muß und möglichst viel an Gütern und Diensten dafür erhält. Die moderne Gesellschaft verdankt die erwähnte Besserung ihrer materiellen Existenz vor allem dem betriebstechnischen Fortschritt, mag dieser auch durch das Marktsystem entscheidend angeregt worden sein. Dieser Fortschritt stellt sowohl die Erkenntnisse der Naturwissenschaften wie auch der Arbeitsorganisation i n den Dienst der Wirtschaft. Was betrieblich zweckmäßig ist, sollte maßgebend sein, es sei denn, daß dabei Schäden an höheren Gütern, vor allem an der körperlichen und geistigen Gesundheit entstehen. Ist zum Beispiel der Großbetrieb für die Erzeugung bestimmter Güter überlegen, so dürfte er nicht gehemmt 15 U n t e r Betrieb verstehen w i r , w i e üblich, die technischen Einheiten des Wirtschaftsapparates. Also die Werke, i n denen die sachlichen Produktionsm i t t e l w i e Gebäude, Maschinen, Rohstoffe sowie die M i t a r b e i t e r zusammengefaßt werden. I n ihnen werden jeweils bestimmte Güter u n d Dienste erstellt, an denen die Bürger direkt oder i n d i r e k t interessiert sind. Betriebe i n diesem Sinne sind nicht n u r Fabriken, sondern auch Bergwerke, Einzelhandelsgeschäfte, Banken, Versicherungen, Gaststätten, Bahnen usw. Z u m Betrieb rechnen w i r auch seine Verwaltungsabteilungen, zum Beispiel die Einkaufs- u n d Verkaufs-, die Buchhaltungs- und die Personalabteilung, w e i l auch sie erforderlich sind, d a m i t der Betrieb seine Erstellungsfunktion f ü r die Gesellschaft erfüllen kann.

M a r k t w i l l e u n d betriebliche Zweckmäßigkeit

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werden. Arbeitet eine Maschine billiger als die menschliche Hand, so wollen w i r uns nicht sträuben, sie einzusetzen. Ändern sich die technischen Gegebenheiten, so haben sich die Betriebe anzupassen. A l l e r dings darf man das wirtschaftlich Zweckmäßige nicht m i t dem technisch Vollkommenen verwechseln. Es ist auch ein Vorurteil, daß die technische Entwicklung zwangsläufig zu immer größeren Betrieben führt. Angebracht ist gerade i n technischer Hinsicht eine vorurteilslose, rein sachliche Grundhaltung. Dies vor allem, weil, w i e w i r sehen werden, die Unternehmer oft das Argument der betriebstechnischen Zweckmäßigkeit benutzen, u m ganz andere, weniger berechtigte Motive dahinter zu verbergen. Ursachen

der

Fehlentscheidungen

Wenn die Unternehmer jeweils den durch den M a r k t gebildeten Willen der Bürger genau erfaßten und ihre Betriebe darauf abstellten, so gäbe es keine Krisen. Der wirtschaftliche Fortschritt würde sich i n dem Tempo vollziehen, das die wirtschaftenden Bürger durch ihre Ersparnisse, durch ihre Leistungsbereitschaft und durch ihren wachsenden Bedarf bestimmen. Die Unternehmer würden ihre Betriebe nur soweit ausbauen, wie die Erzeugimg abgesetzt und die Anlagekosten i n den Verkaufspreisen hereingeholt werden können. Sie würden die laufende Erzeugung nicht höher stellen, als dem Absatz unter Berücksichtigung der erforderlichen Lagerhaltung entspricht. Sie würden Investitionen und laufende Produktion nach den am Kapitalmarkt verfügbaren M i t teln richten usw. I n diesem theoretischen Grenzfall gäbe es keine Disproportionaliäten, vielmehr wäre die Harmonie zwischen den Märkten und den Unternehmungen optimal; die Bürger wären, so gut es die sachlichen Daten nur zulassen, versorgt; die Unternehmungen würden ohne Verluste arbeiten. Selbstverständlich lassen sich i n keinem Wirtschaftssystem Fehler gänzlich ausschalten. Das Risiko, daß unsere Entscheidungen und Handlungen fehlerhaft sind, gehört zum Wesen unserer menschlichen Existenz. Es beginnt bereits i n unserer Heimsphäre. Wenn etwa der Samen i m Garten nicht aufgeht oder eine Speise anbrennt, ist der Einsatz der Arbeit und Güter verloren. I m Betrieb gibt es das technische Risiko der Fehlfertigung, des Ausschusses, der zweiten Wahl. Darüberhinaus entsteht durch die Marktorganisation weiteres, unvermeidbares Risiko, denn die Marktschätzungen, die der Unternehmer anstellt, können trotz der größten Sorgfalt und Tüchtigkeit falsch sein, schon weil die wirtschaftlichen Entscheidungen i n die Zukunft gerichtet sind und sich inzwischen die Verhältnisse oft anders entwickeln, als es nach den früheren Verhältnissen vorausgesehen werden konnte. Der Unternehmer, der seine Anlagen vergrößert, kann erleben, daß sich der Geschmack der Verbraucher geändert hat oder daß Kon-

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kurrenten inzwischen technisch bessere Anlagen errichtet haben. Auch i n der Zeit zwischen dem Einkauf der Rohstoffe, ihrer Verarbeitung und der Veräußerung können sich die Verhältnisse so ändern, daß die hergestellten Güter nicht oder nur unter Verlust verkäuflich sind. Es gehört zum Wesen der Marktwirtschaft, daß dieses Risiko grundsätzlich von den Beteiligten selbst, vor allem den Unternehmen, getragen wird, ähnlich wie die sonstigen persönlichen Risiken unseres Daseins. Es ist auch zumutbar, vorausgesetzt, daß die Wirtschaftsordnung i m ganzen genommen Einkommen- u n d Gewinnchancen läßt, die dem Risiko entsprechen. I n diesem Sinne ist das Risiko, w i e Rüstow hervorhebt, eine Folge unserer Gesellschaftsordnimg. „Absolute Sicherheit, absolute Geborgenheit, ist nicht wohlfeiler als u m den Preis der Freiheit zu haben. Absolut geborgen und sicher sind: das Kind, das Haustier, der Sklave — w e i l Andere sorgen, weil Andere verantwortlich sind. Selbständigkeit ohne Verantwortung, Freiheit ohne Risiko, gibt es nicht, das wäre ein Widerspruch i n sich selbst 1 6 ." Bei den Fehlern, welche die Krisen herbeiführen, handelt es sich jedoch nicht mehr um I r r t u m oder Schuld einzelner, sondern u m allgemeine Tendenzen. Wenn die Abweichungen zwischen den Betrieben und Märkten so allgemeinen Charakter gewinnen, daß der Gesamtapparat der Wirtschaft desorganisiert wird, so müssen die Ursachen genereller A r t sein. Unsere späteren Betrachtungen, deren Ergebnis w i r hiermit vorwegnehmen, werden zeigen, daß sie nicht i n ökonomischen Gesetzen liegen, die zwangsläufig krisenhafte Störungen herbeiführen. So wenig die ökonomischen Gesetze eine wirtschaftliche Harmonie garantieren, wie ursprünglich die Liberalen meinten, ebensowenig erzwingen sie die konjunkturelle Disharmonie, wie viele Konjunkturtheoretiker heute annehmen. I n Wirklichkeit geht es i n der Wirtschaft u m Menschen, deren Handeln sich nicht nur nach allgemeinen wirtschaftlichen Gesichtspunkten, sondern auch nach ihren speziellen Interessen richtet. Widerspricht sich beides, so kann es z. B. sein, daß die Unternehmer von der Marktsituation aus unvernünftig, von ihrer persönlichen Lage her durchaus vernünftig handeln. Solche Widersprüche kommen tatsächlich auf breiter Basis vor. Die Interessenlage nicht n u r der Unternehmer, sondern auch der anderen Repräsentanten des Wirtschaftsapparates stimmt keineswegs immer mit den Gesetzen überein, nach denen die Marktwirtschaft i m allgemeinen Interesse arbeiten sollte. Diese Repräsentanten streben häufig danach, ihre persönliche Stellung i n den Institutionen und Organisationen der Wirtschaft zu stärken und sich gegenüber den Märkten, 16 Alexander Rüstow, „Zwischen Kapitalismus u n d Kommunismus", ORDO Band I I , Seite 121.

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auf denen die Bürger ihren Willen formulieren und durchsetzen sollten, eine gewisse Unabhängigkeit zu verschaffen. Das hat dazu geführt, daß schon die soziologische Verfassung der Marktwirtschaft die Grundrechte der Bürger i n vieler Hinsicht beeinträchtigt. Manager und Funktionäre als die Fachleute und Spezialisten der Wirtschaft haben es seit etwa 80 Jahren verstanden, sich i n der Rechtsordnung und der Praxis selbständige Positionen auszubauen, die ihnen gegenüber den Bürgern einen weitgehenden Spielraum marktwidriger Entscheidungen gestatten. Sie haben dies jeweils m i t passenden Ideologien verdeckt, denen gegenüber Staat und Bürger aus Mangel an einer Konzeption der Wirtschaftsordnung und an Sachkenntnis zu weit nachgegeben haben. I m übrigen ist diese Entwicklung n u r dadurch zu erklären, daß ein gemeinsames gesellschaftliches Bewußtsein der Bürger fehlte. Die Krisen und Depressionen der letzten hundert Jahre waren den Managern und Funktionären nicht Anlaß, u m nunmehr eine bessere Ordnung der Marktwirtschaft zu fördern, sondern u m die autonome Stellung des Wirtschaftsapparates auf Kosten der Bürger zu stärken. Richtigerweise hätten sie sorgen müssen, daß die Unternehmen zukünftig straffer auf gut arbeitende Märkte ausgerichtet werden. Statt dessen forderten sie Maßnahmen, u m gegen die Marktrisiken geschützt zu sein, und erhielten so tatsächlich weitere Gelegenheiten, marktwidrig zu handeln. Die heutige Wirtschaftsverfassung ist wesentlich aus den Folgen der beiden großen Krisen, welche die deutsche Wirtschaft i n den letzten hundert Jahren erschüttert haben, zu verstehen. Nach der Gründerkrise von 1873 bis 1879 gelang es den Unternehmern, den Wettbewerb durch Zölle und Kartelle einzuschränken. Außerdem konnten sie ihre persönliche Stellung ausbauen, indem sie die Pflicht zu einer objektiven Rechnungslegung mehr und mehr durch das Recht auf willkürliche und undurchsichtige Bilanzierung ersetzten. W i r werden i m einzelnen noch zeigen, was dies für die Zersetzung unserer Wirtschaftsordnung bedeutete. Auch die Weltwirtschaftskrise hat die Autonomie des Apparats gefördert, die zivile Position aber geschwächt, mag man dabei mehr an manche konjunkturpolitische Methoden denken, die allein schon eine gewisse Leichtfertigkeit unternehmerischer Dispositionen begünstigten, oder an die Planwirtschaft, die weiterhin das vernünftige Verhältnis zwischen Privatsphäre und Wirtschaft verkehrte. So wurde das Investieren wichtiger als der Verbrauch, die Selbstfinanzierung der Unternehmen wichtiger als die Ausschüttung der Gewinne an die Aktionäre. Die kollektive Kapitalbildung wurde gegenüber dem persönlichen Eigentum begünstigt, die kollektive Mitbestimmung der Arbeitnehmer gegenüber der persönlichen Stellung der M i t arbeiter. Die Arbeit stand vor der Muße, die Zusammenfassung der

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Arbeiter zu kämpferischen Fronten vor ihrer gesellschaftlichen Einordnung zu Vollbürgern. Zwischen Zivilist und Betrieb ist i m Bereich der Unternehmungen ein breiter Spielraum des systemwidrigen Verhaltens entstanden. Dieses Ungenauigkeitsfeld erschwert die zuverlässige Steuerung des gesamten Wirtschaftsapparates außerordentlich. W i r verkennen nicht, daß Konjunkturtheorie und -politik i n der Erkenntnis und Bekämpfung gefährlicher Fehlentwicklungen erheblich fortgeschritten sind. Solange aber die Unternehmer ihren Methoden noch so weit wie bisher ausweichen können, w i r k e n sie recht unzulänglich. Die Folge ist, daß das Fahrzeug der Wirtschaft mit großer K r a f t ohne angemessene Steuerung dahinbraust und daher ständig i n der Gefahr ist, aus der Bahn zu geraten. Ein satirischer K r i t i k e r hat die heutige Konjunkturtheorie als ein System der Bordsteinsteuerung bezeichnet. Unzulängliche

Konjunkturpolitik

Viele Sozialökonomen verkleinern die Gefahr der Krise, indem sie auf die moderne Heilmethode der Konjunkturpolitik verweisen. Sie vernachlässigen das eigentlich Notwendige, das m i t dem Satz „Vorbeugen ist besser als Heilen" zu umschreiben ist, und warten ab — u m bei dem medizinischen Vergleich zu bleiben —, bis die eingetretene Infektion durch Spritzen bekämpft wird. Die dabei benutzten M i t t e l sind jedoch schädlich und gefährlich, wenn w i r auch einräumen, daß der Staat bei drohender oder eingetretener Krise den Patienten nicht der Krankheit überlassen darf, sondern unter Umständen helfend eingreifen muß. W i r haben i n diesem Sinne auch Bedenken gegen die K o n j u n k t u r politik, die darauf gerichtet ist, zusätzliche Nachfrage zu schaffen, falls der wirtschaftliche Aufschwung durch Absatzschwierigkeiten bedroht wird. Man meint etwa, der öffentliche Bedarf von Staat, Gemeinden und öffentlichen Körperschaften solle i n Zeiten des Aufschwungs als Konjunkturreserve „aufgespart" werden. Dabei denkt man vor allem an öffentliche Investionen, wie Straßen-, Bahn- und Kanalbauten und Bodenverbesserungen. W i r d solcher öffentliche Bedarf jedoch zurückgehalten statt laufend geltend gemacht, so können i n der Depression wohl die Bürger, die sonst arbeitslos wären, sinnvoll beschäftigt werden. Dadurch w i r d zugleich verhindert, daß die Nachfrage nach Konsumgütern sehr absinkt. Die Substanzverluste der Wirtschaft aber werden dadurch nicht vermieden. Es ist kaum möglich, daß die öffentliche Nachfrage genau auf die vorhandenen Wirtschaftskapazitäten abgestellt wird. Der öffentlicheBedarf kann die entstandenen Disproportionalitäten nicht beseitigen. Er w i r d vielmehr u m so weniger m i t der bisherigen W i r t schaftsstruktur übereinstimmen, je mehr er vorher gedrosselt war. Das heißt, ein Teil der Wirtschaft — meist die Verbrauchsgüterindustrie

M a r k t w i l l e u n d betriebliche Zweckmäßigkeit

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und der zugehörige Handel — w i r d nicht voll beschäftigt, während andere Wirtschaftszweige begünstigt werden. Dort entstehen besondere Gewinne u n d w i r d die Kapazität ausgeweitet. Die Wirtschaftsstruktur w i r d also umgebildet, was den späteren Abbau der staatlichen Nachfrage und die Rückkehr zu normalen Verhältnissen erschwert. Bedenklich ist sodann die finanzielle Seite. Die sich aus den vorangegangenen Fehldispositionen ergebenden Verluste schwächen die Steuerkraft. Der Staat muß sich also verschulden, die Bürger aber müssen irgendwie und -wann die Kosten für das Defizit aufbringen, das heißt Verbrauch oder Vermögensbildung einschränken. Allerdings kann man die Mittel, die vom Staat für seine Nachfrage und von den begünstigten Unternehmen für ihre Geschäftsausweitung benötigt werden, durch eine inflationäre Kreditpolitik beschaffen. Diese hat außerdem die Folge, daß die übrigen Unternehmen ihre Verluste überdecken können. Damit ist zugleich f ü r ein günstiges Steueraufkommen gesorgt. So ist die Versuchung, i m Zuge der Konjunkturpolitik den Geldwert zu mißachten, fast unwiderstehlich. Die Kosten dafür tragen die Gehalts- "und Lohnempfänger, deren Geldersparnisse entwertet werden u n d deren Einkommen zwangsläufig hinter der Geldwertentwicklung herhinken. Dabei geht es also nicht nur u m eine Methode der Konjunkturtechnik, es w i r d tief in die Gesellschafts-, Wirtschafts- und Sozialstruktur eingegriffen. Vor allem w i r d dabei auch die ethische Grundlage verletzt, auf der unsere Wirtschaftsordnung beruht. Die staatliche K o n j u n k t u r politik benachteiligt durch eine Geldentwertung die Sparer und Arbeitnehmer und erschwert ihnen die Bildung von Eigentum. Sie begünstigt die Unternehmer, denen sie die Folgen von Fehldispositionen weitgehend abnimmt und die Rückzahlung von Schulden erleichtert. Sie korrumpiert also das solide wirtschaftliche Denken, das auf vorsichtiger und solider Planung sowie auf Sparsamkeit beruht. Sie verführt die Unternehmer und die Bürger zu Leichtsinn und Verantwortungslosigkeit. Der Staat schließlich kann sich der moralischen Verantwortung nicht entziehen, für die Staatsbürger zu sorgen, die auf Grund der unzulänglichen Wirtschaftspolitik nicht selbst für Krankheit und A l t e r vorzusorgen vermögen. I m übrigen besteht erfahrungsgemäß die Gefahr, daß die staatliche Nachfrage mißbraucht wird, sei es zu Rüstungen, zu anderen Methoden der Machtpolitik oder zur Verschwendung. Die strenge Überwachung der Staatsausgaben ist nicht n u r u m der Lebenshaltung der Bürger willen, sondern auch als Kontrolle des staatlichen Wirkens wichtig. Von unserem Gesichtspunkt her sind w i r gegen alle K o n j u n k t u r rezepte mißtrauisch, die das richtige Verhältnis zwischen Bürgern und Wirtschaftsapparat weiter verfälschen. Die Aufgabe, Krisen und De-

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pressionen zu vermeiden, kann w i r k l i c h befriedigend nur gelöst werden, indem die Wirtschaftsordnung dafür sorgt, daß die betrieblichen Vorgänge genau genug auf den W i l l e n der eigentlichen Auftraggeber, der wirtschaftenden Bürger, abgestellt werden. Die berüchtigten Disproportionalitäten i n der Wirtschaft dürfen sich nicht entwickeln, jedenfalls nicht als allgemeine gesellschaftliche Erscheinung, sondern höchstens i m Fehlerbereich einzelner Unternehmungen. 5. Selbstverantwortung vor kollektiver Wohlfahrt — der sozialpolitische Gesichtspunkt Subsidiarität

der

Sozialpolitik

Die bisherigen Tendenzen und Methoden der Sozialpolitik sind vielen Kennern — soweit sie nicht durch eine Berufsstellung i m Apparat der Sozialversicherung betriebsblind oder voreingenommen sind — fragwürdig geworden 1 7 . Die zweite Regierung Adenauer bezeichnete die Sozialreform als eine ihrer wichtigsten Aufgaben. Die Grundsatzdiskussion über die „Neuordnimg der sozialen Leistungen" erhielt vor allem durch eine Denkschrift Auftrieb, welche die vier Professoren Achinger, Höffner, Muthesius und Neundörfer i m Auftrag Adenauers i m M a i 1955 vorlegten 1 8 . Die Sozialpolitik stand bisher — erklärlich durch die Notstände der ersten Periode der industriellen Revolution sowie der beiden Weltkriege und ihrer Folgen — weithin i m Zeichen von Zwangsläufigkeiten und Improvisationen. Jetzt könnten w i r i n eine neue freiere Entwicklungsperiode kommen. Die heutige Wirtschaft ist so fruchtbar, daß es in verschiedener Weise möglich ist, die Massen vor Not zu schützen und ihnen soziale Sicherheit zu gewähren. Welchen Weg w i r wählen, hängt von unserem Leitbild des Menschen und der menschlichen Gesellschaft ab. Dabei ist es angebracht, das B i l d einer neuen bürgerlichen Gesellschaft dem des Versorgungsstaates gegenüberzustellen. Der Ver17 Vergleiche hierzu besonders die Arbeiten von Hans Achinger, „Soziale Sicherheit", 1953, u n d „ Z u r Neuordnung der sozialen H i l f e " , Stuttgart 1954, sowie die sozialpolitischen Studien von Achinger i n der Deutschen Zeitung u n d von Heddy Neumeister i n der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. 18 Greven Verlag, K ö l n , 1955. Das Verdienst der Denkschrift besteht vor allem i n zwei Leistungen: 1. Es wiurden die tatsächlichen sozialen Lebensverhältnisse, die i n wesentlichen P u n k t e n von der herrschenden Auffassung der bisherigen Sozialpolitik abweichen, herausgestellt, 2. Es w u r d e n die Tendenzen der bisherigen Sozialpolitik nach den Prinzipien unserer abendländischen Gesellschaftslehre beurteilt, wobei v o r allem ein Ausgleich der Solidarität u n d der Subsidiarität erstrebt w i r d . Die Erstverantwortlichkeit des Menschen f ü r seinen u n d seiner Familie Unterhalt u n d das Eigentum als bergender Schutz u n d zur Stärkung der Eigeninitiative werden hervorgehoben. Dagegen werden die Konsequenzen aus diesen Erkenntnissen noch allzu vorsichtig formuliert, was z u m T e i l aus psychologischen Rücksichten zu erklären sein mag.

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Selbstverantwortung vor k o l l e k t i v e r Wohlfahrt

sorgungsstaat tendiert dahin, das ganze V o l k ohne Rücksicht auf Einkommen und Vermögen zu betreuen, und i h m die Sorge vor aller materiellen Not abzunehmen. E r übernimmt i n diesem Sinne etwa die Kosten der Gesundheitspflege und der Krankheit, der Kindererziehung und des Alters, sowie des Lebensunterhalts bei Arbeitslosigkeit und Invalidität. Diese Kosten sind andererseits von den Staatsbürgern nach ihrer Leistungsfähigkeit so aufzubringen, daß sie nicht n u r als Empfänger staatlicher Leistungen, sondern auch i n dem verbleibenden Einkommen einander stark angeglichen sind. Die unvermeidbaren Folgen des Systems sind der starke behördliche Zwang -und die gesellschaftliche Nivellierung. Von unserem Standort aus erstreben w i r dagegen, daß freie Bürger ihr Leben selbständig und selbst verantwortlich gestalten. „Der Staat dient", w i e die Denkschrift der vier Professoren treffend sagt, „der sozialen Sicherung dadurch am meisten, daß er die persönliche Verantwortung seiner Bürger, das Sorgen u n d Vorsorgen der Familie und der anderen kleinen Lebenskreise sowie die genossenschaftliche Selbsthilfe anerkennt und sich entfalten läßt". Die Sozialpolitik hat danach die Aufgabe, nur zu helfen, wo die eigenen Kräfte der Betroffenen und ihrer engeren Lebenskreise nicht ausreichen. Sie muß darauf gerichtet sein, wo irgend möglich, die Schwachen so zu stärken, daß sie sich zukünftig selbst helfen können; es geht also u m die Hilfe zur Selbsthilfe. Das Ziel dieser Sozialpolitik ist, sich so weit wie möglich überflüssig zu machen. Erkennen w i r dies an, so müssen w i r die Weichen der bisherigen Sozialpolitik umstellen. Zur Zeit werden noch m i t entgegengesetztem Kurs immer größere Volksschichten i n die sozialpolitische Betreuung einbezogen, und zwar ohne viel Rücksicht auf ihren Willen. Rund 80 °/o der westdeutschen Bevölkerung sind zwangsweise sozialversichert. Die Zahl der Renten liegt höher als die der Arbeitnehmer. Das Ziel vieler Sozialpolitiker, nicht n u r in Deutschland ist offenbar, die Sozialpolitik immer mehr auszuweiten, wobei sie dies als fortschrittlich betrachten. Sie messen den sozialen Standard an der Zahl der Unterstützten und der Höhe der Sozialausgaben. Wie Hans Achinger m i t Recht bemerkt 1 9 , sollte dies jedoch umgekehrt als ein Zeichen für den niedrigen sozialen Standard eines Landes angesehen werden, w e i l nämlich ein großer Teil des Volkes sich dann nicht mehr selbst zu helfen vermag. Auch die Sozialpolitik hat eine A r t Selbstnützigkeit gewonnen, eine Autonomie, die vor allem von den sogenannten Sozialtechnikern, das heißt den Leitern der Sozialversicherungsanstalten, vertreten wird. Realistischerweise müssen w i r daher damit rechnen, daß sie sich gegen jede Sozialreform, die die Selbständigkeit der Bürger vergrößert, aber i9 Vergleiche 12. 6. 1954.

„Wohlfahrtsstaat,

kein

sozialer

Fortschritt",

FAZ

vom

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den Apparat und ihren persönlichen Einfluß schwächt, wehren werden. U m so wichtiger ist es, daß die Sozialtechniker, wie Hans Achinger fordert, von wahren Sozialpolitikern „an der Leine" gehalten werden. Leider überwiegen bisher noch die Repräsentanten der Sozialversicherungsanstalten, die naturgemäß an der Selbständigkeit und dem Ausbau des Apparates interessiert sind. „Die zur Durchführung der sozialen Sicherung i n den letzten 70 Jahren geschaffenen Organisationen haben sich vielfach — kraft der Beharrungstendenz des Institutionellen — zu gesellschaftlichen Machtgebilden verfestigt und damit das Umsichgreifen des breite Schichten der westlichen Welt erfüllenden Strebens nach sozialer Sicherheit begünstigt." 2 0 So ist ein System entstanden, das sowohl i n sich wie von unserem Menschenbild aus sinnwidrig ist. W i r geben dafür nur folgende Stichworte: 1. Die Lasten unserer Sozialpolitik werden nicht mehr von den w i r t schaftlich Starken, sondern zum großen Teil von den begünstigten Schichten selbst aufgebracht. I m Haushaltsjahr 1954/55 stellten sich die sozialen Lasten des Bundes (Soziale Kriegsfolgelasten und sonstige Soziallasten) auf rund 8,8 Mrd. RM. Die Umsatzsteuer und die Verbrauchssteuern und Zölle, welche vor allem von den breiten Massen aufgebracht werden, brachten demgegenüber über 16 Mrd. D M ; das sind mehr als 50 % der Bundes- und Ländersteuern. Ein großer Teil der sozialpolitisch Betreuten, vor allem der Sozialversicherten, gibt an Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen 21 mehr, als sie erhalten. Dagegen sind die Bezieher höherer Einkommen von den Beiträgen, die heute den Charakter eines Sozialversicherungssteuer gewonnen haben, befreit 2 2 . 2. Große Schichten der Bevölkerung sind nur deshalb nicht imstande, selbst gegen die Notlagen des Daseins vorzusorgen, weil ihre w i r t schaftliche K r a f t durch Steuern und Beiträge, die von ihnen für die Sozialpolitik erhoben werden, zu sehr geschwächt ist. 3. Die bisherige Sozialpolitik bekämpft viele Notlagen nicht m i t den zweckmäßigsten und billigsten Mitteln, w e i l sie den Willen der Betroffenen zur Selbsthilfe und das persönliche Interesse an der Sparsamkeit verringert. Dadurch werden die Kosten der Sozialpolitik, die irgendwie von der Allgemeinheit aufzubringen sind, wesentlich erhöht 2 3 . 20

Seite 29 der Professoren-Denkschrift. Hierzu sind, w i e s p ä t e r zu erläutern ist, auch die sogenannten A r b e i t geberanteile zu rechnen. 22 A u f diese sozialpolitische Inkonsequenz hat auch die Sozialdemokratische Partei hingewiesen, allerdings m i t Folgerungen, die w i r n i c h t f ü r richtig halten. 23 Vergleiche dazu die Professoren-Denkschrift Seite 33. 21

Selbstverantwortung vor k o l l e k t i v e r Wohlfahrt

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4. Es fehlt an der Klarheit, wie weit die sozialen Leistungen durch Versicherungsansprüche, durch Entschädigungsansprüche oder durch die Bedürftigkeit begründet sind. Das führt dazu, daß die Sozialversicherungsleistungen auf den Bedarf abgestellt werden, der Bedarf aber wegen des Versicherungsprinzips nicht w i r k l i c h geprüft werden darf. 5. Die kollektive, schematische und unübersichtliche Sozialpolitik hat zur Folge, daß die Hilfe nicht richtig angesetzt wird. Allzuwenig w i r d berücksichtigt, daß der Bedarf auf dem Lande anders als i n der Großstadt, für Bedürftige, die i n der Familie leben, anders als f ü r Einzelstehende ist. So w i r d manchen geholfen, die es i n diesem Maße nicht benötigen, andere aber erhalten zu wenig, u m ihrer dringenden Not abzuhelfen. 6. Da die Bevölkerung einerseits übermäßig belastet wird, u m die Kosten der Sozialpolitik aufzubringen, andererseits aber sich auf die Hilfe des Versorgungsstaates verläßt, werden auch der Wille zur w i r t schaftlichen Leistung und damit das Sozialprodukt beeinträchtigt. I m ganzen genommen w i r d unserer Sozialpolitik m i t Recht vorgeworfen, daß es sich nicht u m ein logisch zusammenhängendes System, sondern u m ein w i l d gewachsenes Nebeneinander handelt, u m ein unübersichtliches Dschungel, so daß es kaum noch ein Dutzend Sachverständige gebe, die imstande seien, das Ganze zu übersehen. Die Betroffenen stünden dem System hilflos gegenüber und seien seiner Bürokratie ausgeliefert. Andererseits könnten geschickte und gewissenlose Klienten das System zur Ausbeutung benützen 2 4 . Das finanzielle Gewicht dieser Sozialpolitik ergibt sich daraus, daß 30 bis 40 Vo der Arbeitseinkommen sozialpolitisch erfaßt und umverteilt werden. Aber die Zahlen täuschen über die Wirkung, w e i l sie stark aufgebläht sind und der größte Teil dieser Beträge aus den gleichen Taschen kommt, i n die sie wieder hineingehen, nur daß inzwischen ein Teil am Apparat hängenbleibt, der Bedarf aber — w e i l man nunmehr aus einem allgemeinen Topf schöpft — gestiegen ist. Die Kernfrage ist, wie w i r unsere Sozialpolitik auf eine Grundlage stellen, die unserem B i l d der neuen Gesellschaft entspricht. A l l e nur scheinbare Sozialpolitik wäre abzubauen. A l l e Mitbürger, die dazu fähig und willens sind, sollten von einem entsprechenden Teil der Sozialbesteuerung befreit werden, u m diese M i t t e l zur eigenen Hilfe und Vorsorge benutzen zu können. Die soziale Hilfe, welche die Gesellschaft den w i r k l i c h Bedürftigen gewähren w i l l , könnte dann klarer hervortreten und zweckmäßiger geplant werden. I n diesem Sinne wäre die vornehmste Aufgabe der zukünftigen Sozialpolitik, die große Mehrzahl der bisher besitzlosen und abhängigen Arbeitnehmer aus dem Bereich der Sozialpolitik herauszunehmen, i n 24

Hans Achinger,

„ Z u r Neuordnung der sozialen Hüfe", Seite 9.

4 Kahl, Macht und Markt

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dem man sie wirtschaftlich selbständig macht. Es ist politisch wie wirtschaftlich ungesund, wenn der größte Teil des Volkes vom Staat betreut und als Preis dafür entmündigt wird. Eine Demokratie kann auf die Dauer nicht bestehen, wenn die Mehrheit der Wähler zu Kostgängern des Staates wird, wenn die Sozialpolitik zum M i t t e l wird, Wählerstimmen zu gewinnen und die Politiker aus Sorge, sich unpopulär zu machen, sachliche Gesichtspunkte kaum noch zu äußern wagen. Entscheidend ist, daß — wie w i r später zeigen werden — heute ein anderer Weg wirtschaftlich und sozial möglich ist. Viele Arbeiter sind i m Zuge der wirtschaftlichen Entwicklung zu einer A r t Mittelschicht geworden; sie haben, wenn man die Sozialversicherungsbeiträge einschließt, mehr Einkommen, als sie für den laufenden Unterhalt benötigen. Aber auch andere, denen der Staat aus allgemeinen gesellschaftlichen Gründen helfen w i l l , vor allem den Kinderreichen und den Kriegsopfern, sollte die Hilfe in einer Weise gegeben werden, die ihnen i n der Verwendung mehr Freiheit und Verantwortung läßt. Wenn die Arbeiter heute als Gesellschaftsschicht mündig sind, — so muß man ihnen — o h n e sie dazu zu zwingen — das Recht und die Chance geben, auch wirtschaftlich ihr Schicksal selbst i n die Hand zu nehmen. Erst damit w i r d ihre gesellschaftlidie Integration zu Vollbürgern vollendet. Dies könnte und sollte als Frucht einer Wirtschaftsordnung anfallen, die den hier entwickelten Gesichtspunkten entspricht. Der Erfolg hängt nur davon ab, ob w i r eine solche Sozialreform w i r k l i c h wollen 2 5 . Leistungsprinzip

und

soziale

Gerechtigkeit

Das Prinzip, daß die wirtschaftliche Selbständigkeit und Selbstverantwortung der Bürger die Regel, die soziale Hilfe aber der Sonderfall sein soll, setzt mancherlei voraus, was i n der bisherigen Wirtschaft nicht gegeben war und zum Teil auch heute noch nicht gegeben ist. Dazu gehört, daß die Wirtschaft fruchtbar und einigermaßen krisenfest arbeitet. Insofern ist der bekannte Satz, daß eine gute Wirtschaftspolitik die beste Sozialpolitik ist, richtig. Es ist außerdem aber wichtig, daß das Sozialprodukt gerecht auf die wirtschaftenden Bürger verteilt wird. Der Anteil, den der Einzelne vom Sozialprodukt erhält, muß seiner gesellschaftlichen Leistimg entsprechen; denn nur dann kann man i h m sagen, daß jeder seines Glückes Schmied ist. Dabei ist es politisch äußerst bedeutsam, daß die Bürger sich verständigen, was i n diesem Sinne soziale Gerechtigkeit ist und wie man sie sichert. Sehen w i r uns zunächst das Prinzip an, nach; dem i n der M a r k t w i r t schaft das Sozialprodukt verteilt werden sollte, bevor w i r zu der W i r k lichkeit Stellung nehmen. Danach bestimmt der durch den M a r k t ge25 Daß der v o n W i l f r i e d Schreiber vorgetragene Plan der „dynamischen Altersrente" dieser Sozialreform entgegengesetzt ist, w i r d i m 4. Kapitel, 4. Abschnitt, begründet.

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bildete gesamte W i l l e der wirtschaftenden Bürger, was jeder als Einkommen für seine wirtschaftliche Leistung erhält. Dies geschieht, indem für seine Arbeitsleistung und sein gesellschaftlich genutztes Vermögen Marktwerte i n Form von Preisen, Löhnen, Zinsen, Mieten usw. festgesetzt werden. Die Gerechtigkeit des Marktes ergibt sich folgerichtig aus dem gesellschaftlichen Prinzip, die Bürger selbst und gemeinsam über den Wert jeder Marktleistung entscheiden zu lassen. Sie hat überdies wirtschaftspolitisch den großen Vorteil, daß jeder veranlaßt wird, seine wirtschaftliche Mitarbeit nach den Wertschätzungen der übrigen zu richten. Die Folge ist, daß das erzeugt wird, was die W i r t schaftspartner w i r k l i c h zu haben wünschen, und daß dabei das Sozialprodukt m i t einem Mindestmaß von staatlichem Zwang auf einen hohen Stand gebracht wird. Wesentlich ist andererseits, sich darüber klar zu werden, worauf es nach diesem Prinzip nicht ankommt: Nicht auf den subjektiven Wert, den das Gut oder die Leistung für eine bestimmte Person besitzt. Nicht auf die persönliche Anstrengung, die m i t einer Leistung verbunden ist. Der Marktwert ist auch kein objektives kulturelles Urteil, etwa über den Wert eines Kunstwerkes oder einer wissenschaftlichen Arbeit. Er berücksichtigt nicht, was die Beteiligten für sich und die ihren benötigen, u m ihre Bedürfnisse zu befriedigen, sondern nur, was sie nach der gesellschaftlichen Wertschätzung ihrer Leistungen verdienen. Nur i n diesem Sinne ist das Wort berechtigt, wonach jeder das seine, nicht aber das gleiche erhält. Unterstellen w i r , die Arbeits- und Vermögenseinkommen würden wirklich durch marktwirtschaftlich richtige Bewertungsakte zustande kommen, so heißt dies, daß die Wirtschaftspartner die Leistung jedes Beteiligten i m Vergleich zu den übrigen so und nicht anders ansetzen. Gesellschaftspolitisch gesehen ist das ebenso gerecht, wie wenn derjenige Kandidat Abgeordneter wird, der nach dem Wahlrecht als gewählt gilt. Es gibt allerdings eine Gerechtigkeit, die über der formalen Gerechtigkeit des Marktes steht, ebenso wie es ein Recht gibt, das über den positiven Rechtsvorschriften gilt, die die gesetzgebenden Organe des Staates beschlossen haben. Die berechtigten Einwände gegen bestimmte Ergebnisse des Marktes begründen aber ebensowenig seine Abschaffung, wie schlechte Gesetze die Abschaffung der Demokratie erfordern. Die Korrektur mangelhafter Marktergebnisse geschieht viel zweckmäßiger durch ergänzende politische Maßnahmen. Die Gesellschaft sollte also durch die berufenen Organe M i t t e l für sozialpolitische, kulturpolitische und andere Aufgaben, die i m Marktgeschehen zu kurz kommen, beschaffen. Darauf kommen w i r i m einzelnen später zurück. Viele Vorwürfe, die gegen die Einkommensverteilung durch den Markt erhoben werden, beruhen auf Neidgefühlen, die immer vorhan-

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den sind, wo Menschen zusammenleben. Andererseits aber ist die Marktgerechtigkeit tatsächlich noch sehr unvollkommen. Ungerecht sind alle Einkommen, die gegen die Maßstäbe des Wettbewerbs verstoßen, wenn also eine Marktpartei sich über den von ihr diktierten Preis einen A n t e i l am Sozialprodukt verschafft, der dem sonst üblichen Leistungsentgelt nicht entspricht. Von Ausbeutung und Mehrwert zu sprechen, ist i n solchen Fällen durchaus angebracht. N u r ist dabei zu beachten, daß es sich nicht u m einen Wesenszug der Marktwirtschaft handelt, sondern u m einen Widerspruch gegen das Marktprinzip. Die Forderung der wirtschaftlich schwächeren Mitbürger nach einer besseren sozialen Gerechtigkeit ist heute noch vielfach begründet. „Auch die Entstehimg der berühmten großen Vermögen i n den letzten hundert Jahren" meint Euchen 26, „ist nicht so sehr auf die Tatsache der Einkommen aus Besitz als vielmehr auf die starken Marktstellungen zurückzuführen." Rüstow erklärt sogar: „daß die Verteilung von Vermögen und Einkommen i n unserer plutokratischen Wirtschaftsordnung irgend etwas m i t sozialer Gerechtigkeit zu t u n hätte, w i r d w o h l heute niemand mehr i m Ernst behaupten wollen. Sicherlich gibt es Leute, die ihren selbstverworbenen Reichtum ausschließlich eigener Tüchtigkeit, und andere, die ihr Elend ausschließlich eigener Untüchtigkeit zu verdanken haben. Diese Fälle sind aber denkbar weit davon entfernt, die Regel zu bilden 2 7 ." Es w i r d jedoch kaum besser werden, bevor nicht diejenigen Schichten und Gruppen des Volkes, die dem kapitalistischen System Ausbeutung und Ungerechtigkeit vorwerfen, sich auf den Boden der sozialen M a r k t wirtschaft stellen. Erst wenn sie gemeinsam darauf achten, daß das Wirtschaftssystem nicht von einzelnen Interessentengruppen mißbraucht w i r d und wenn sie sich konstruktiv für die erforderlichen Reformen einsetzen, w i r d die Marktwirtschaft der Gesamtheit gerecht dienen. Dafür ist es wichtig, das Leistungs- und Einkommenssystem der M a r k t wirtschaft durchsichtiger zu machen als bisher. Die

soziale

Bedeutung

der

Eigentumsreform

I n unserem Gespräch über den gemeinsamen Standort der W i r t schaftsordnung dürfte das Eigentum eines der wichtigsten Probleme bilden. W i r d es möglich sein, daß sich die Sozialisten hierbei m i t ihren christlichen u n d liberalen Mitbürgern wenigstens i n den Grundzügen einigen? I m allgemeinen werden alle — abgesehen von einseitig festgelegten Interessenten — übereinstimmen, daß die bisherige Eigentumsvertei26

a.a.O., Seite 316. Alexander Rüstow, „Zwischen Kapitalismus u n d Kommunismus", ORDO Band I I , Seite 122. 27

in

Selbstverantwortung vor k o l l e k t i v e r Wohlfahrt

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lung erhebliche Schönheitsfehler aufweist. Nach marxistischer A u f fassung ist das Eigentum an den Produktionsmitteln das Instrument, mit dem die herrschenden Klassen die Proletarier ausbeuten und sie um den Mehrwert ihrer Arbeit bringen. Das Leistungsprinzip w i r d hierbei als Argument benutzt, u m gegen das Einkommen aus Vermögen als arbeitsloses Einkommen zu polemisieren. Neoliberale wie Euchen und Rüstow stimmen zu, daß i n der herkömmlichen Marktwirtschaft tatsächlich zwischen Leistung und Eigentumsbildung ein Mißverständnis bestand; sie weisen dabei jedoch als Ursache nicht das Eigentum, sondern die marktwidrigen Machtstellungen nach. I n einer geordneten Wettbewerbswirtschaft bringt das Kapital nur soweit Einkommen, wie es nach der Bewertung der Marktpartner f ü r die Gesellschaft nützlich ist, also etwas leistet. Die christliche Auffassung dazu gründet weniger auf der wirtschaftlichen Fruchtbarkeit als auf menschlichen Gesichtspunkten. Ähnlich wie Sozialisten und Neoliberale sieht Papst Pius X I . i n der Enzyklika Quadragesimo anno von 1931 i n der „überwältigenden Massenerscheinung des Proletariats gegenüber einem kleinen Kreis von Überreichen einen unwidersprechlichen Beweis, daß die Erdengüter . . . nicht richtig verteilt und den verschiedenen gesellschaftlichen Klassen nicht entsprechend zugute gekommen sind". Die christliche Soziallehre zieht — i m Gegensatz zum Marxismus — daraus jedoch nicht den Schluß, daß das Privateigentum beseitigt werden müsse. Seine Abschaffung würde, wie der Papst i n der Enzyklika weiterhin betont, auch der Arbeiterschaft nicht nützen, sondern i h r größtes Unglück sein. Vielmehr müsse die Verteilung der Erdengüter, die heute aufs schwerste gestört ist, wieder m i t der Forderung des Gemeinwohls bzw. der Gemeinwohlgerechtigkeit i n Übereinstimmimg gebracht werden. Damit kommen w i r zu der positiven Seite einer Eigentumsreform. Unsere Stellungnahme dazu w i r d mehr noch von unserem allgemeinen B i l d des Menschen und der menschlichen Gesellschaft als von rein wirtschaftlicher Zweckmäßigkeit bestimmt. Insofern sind die sozialistischen und gewerkschaftlichen Stimmen zu begrüßen, die das Eigent u m als Basis persönlicher Selbständigkeit und sittlicher Verantwortung anerkennen. Die Führer der Sozialdemokratischen Partei und der Gewerkschaften werden dabei nicht an der Tatsache vorbeigehen können, daß ein großer Teil ihrer Mitglieder an der Bildung von Eigentum interessiert ist, sei es zunächst auch mehr an solchem der Heimsphäre (Eigenheim) und des Sparkontos. Erfreulich ist ferner, daß auch die Unternehmer sich mehr und mehr zu dem Ziel bekennen, die Bildung von Eigentum für die bisher Eigentumslosen zu unterstützen. Die Bundesvereinigung der deutschen A r beitgeberverbände hat i n ihren „Gedanken zur sozialen Ordnung" vom

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März 1953 ein Bekenntnis abgelegt, wonach „der Unternehmer willens ist, . . . den Erwerb persönlichen Eigentums für immer breitere Volksschichten zu unterstützen". Ebenso hat der Bundesvorstand der Deutschen Industrie es als ein Hauptziel der Wirtschaftspolitik bezeichnet, persönliches Eigentum für möglichst viel Arbeitende zu schaffen 28 . A m stärksten w i r d die sozialpolitische Aufgabe des Eigentums wohl von christlicher Seite betont. Die Enzyklika erklärt, es sei das Ziel für den Lohnarbeiter, daß er „durch Sparsamkeit seine Habe mehre, durch ihre sorgsame Verwaltung m i t größerer Leichtigkeit und Sicherheit die Familienlasten bestreite und der Daseinsunsicherheit, die so recht eigentlich Proletarierschicksal ist, überhoben, nicht bloß den Wechselfällen des Lebens gerüstet gegenüberstehe, sondern noch über dieses Leben hinaus die beruhigende Gewißheit habe, daß seine Hinterbliebenen nicht ganz unversorgt dastehen". W i r haben oben zu zeigen versucht, daß es die wichtigste Aufgabe der Wirtschaftsordnung ist, allen Bürgern eine Heimsphäre zu ermöglichen, i n der sich persönliche Selbstverantwortung und Freiheit sowie ein gesundes Familienleben entfalten können. Es ist die Grundlage f ü r das gesamte kulturelle und gesellschaftliche Dasein, entscheidend also über die wirtschaftlichen Gesichtspunkte hinaus. Das christliche Interesse am Eigentum beruht schließlich darauf, daß so Verhältnisse geschaffen werden, i n denen ein christliches Leben erleichtert wird. Außerdem ist es für eine gesunde Gesellschaft wie für die W i r t schaftsordnung erforderlich, daß auch das Eigentum am gesellschaftlich genutzten Vermögen breit gestreut ist. Das Fernziel sollte sein, die großen Vermögenszusammenballungen aufzulockern und i n die tatsächliche Verfügungsmacht der Zivilisten zu überführen. W i r werden später zeigen, daß der größte Teil des gesellschaftlich genutzten Vermögens heute wahrlich anonymes und kollektives Kapital ist, wobei es weniger wichtig ist, ob man die formalen Eigentümer kennt, sondern, daß Manager oder Funktionäre statt privater Eigentümer die eigentliche Herrschaft ausüben. Die Enzyklika sagt dazu: „ A m auffallendsten ist heute die geradezu ungeheure Zusammenballung nicht nur an Kapital, sondern an Macht und wirtschaftlicher Herrschergewalt i n den Händen einzelner, die sehr oft gar nicht Eigentümer, sondern Treuhänder oder Verwalter anvertrauten Gutes sind, über das sie m i t geradezu unumschränkter Machtvollkommenheit verfügen." Unser Bekenntnis zum Eigentum entspringt also nicht dem Motiv, den gegenwärtigen Besitzstand einiger Großeigentümer sowie die Machtpositionen der Manager und Funktionäre gegen die Stürme der 28

Jahresbericht f ü r 1952.

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Zeit zu sichern und zu erweitern, sondern umgekehrt, eine möglichst große Zahl von Menschen zu echten Eigentümern der bisher kollektiven Vermögenskonzentration zu machen. Sozialpolitisch gilt es, die Arbeitnehmer von der „Lohnsklaverei" zu befreien, die nicht durch die Lohnarbeit an sich, sondern durch die übergroße Abhängigkeit v o m laufenden Arbeitsverdienst entsteht. Aber auch aus einer Vielzahl anderer Gründe sollten w i r die Verfügung über die Produktionsmittel, vor allem über die wirtschaftlichen Unternehmen, nicht nur einer kleinen Schicht des Volkes überlassen. Es ist somit zu begrüßen, wenn die christliche Arbeiterschaft den Gedanken des Miteigentums an den Produktionsmitteln fördert. Es gibt kein besseres Mittel, die „Wirtschaftsdemokratie" zu verwirklichen, als die Wirtschaftsmacht zu dezentralisieren. Allerdings wissen w i r , daß der richtige Weg zu diesem Ziel noch gründlich erforscht werden muß. Die meisten bisherigen Vorschläge sind wenig brauchbar, w e i l sie der S t r u k t u r unserer Wirtschaftsordnung widersprechen und mehr Schäden als Vorteile bringen würden 2 9 . Vor allem wäre es falsch, Eigentum einfach umzuverteilen, so wie Einkommen heute durch steuerliche Maßnahmen sozial umverteilt wird. Es wäre unrecht und unpädagogisch. Eigentum muß verdient werden, soweit es nicht von den bisherigen Eigentümern freiwillig, vor allem i m Erbgang, weitergegeben wird. Es ist ferner zu berücksichtigen, daß die Eigentumsbildung den qualifizierten Willen zum Eigentum erfordert, der Sparsamkeit, Konsumverzicht und Verantwortungsgefühl einschließt. Die wirtschaftlichen Verhältnisse der letzten 100 Jahre, die einseitig konsumorientierte und eigentumsfeindliche Haltung der Sozialisten und ihrer Gewerkschaften sowie schließlich das System der Sozialversicherung, das die Verantwortung für die Not zu sehr auf den Staat verlagerte, haben zweifellos jenen Eigentumswillen entscheidend geschwächt. W i r sind trotz dieser ungünstigen Umstände nicht pessimistisch. Entscheidend ist, daß die bisherige Wirtschaftspolitik umgestellt wird, welche die kollektive Vermögensbildung sowie das autonome Vermögen des Wirtschaftsapparates begünstigt hat. Sozialer

Ausgleich

auf

neuer

Basis

Auch wenn es gelingt, die große Zahl der Staatsbürger durch ein echtes und ausreichendes Leistungseinkommen sowie durch eine konstruktive Eigentumspolitik wirtschaftlich selbständiger und unabhängiger zu machen, w i r d die Sozialpolitik stets Aufgaben behalten, die 29 E i n erfreuliches Beispiel, w i e m a n m i t Verständnis f ü r die wirtschaftlichen u n d gesellschaftlichen Realitäten praktische Anregung bringen kann, bietet die Schrift von E r w i n Haussier, „Der Arbeitnehmer von Morgen", Stuttgart 1955. Das gleiche g i l t von Johannes Even, „Unser Weg", K ö l n 1952.

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Weg zu einer neuen bürgerlichen Gesellschaft

nicht n u r den Sozialisten u n d Christen ein wesentlich menschliches Anliegen sind, sondern auch von der besten liberalen Tradition v o l l bejaht werden. Die Einkommensverteilung nach dem Leistungswettbewerb ist zwar formal gerecht und sehr wirkungsvoll, sie enthält zweifellos aber Härten, die nach allgemeinen gesellschaftlichen Maßstäben, wenn nicht ausgeglichen, so doch gemildert werden müssen 30 . Diese Korrektur ist unseres Erachtens aber keine Aufgabe der W i r t schaftsordnung; sie muß vielmehr auf einer anderen gesellschaftspolitischen Ebene gelöst werden. Wenn die Motive der Sozialpolitik auch i m allgemein Menschlichen liegen, so soll sie doch wirtschaftlich zweckmäßig durchgeführt werden. Was bisher w o h l am meisten fehlt, ist eine sozialpolitische Selbstkostenrechnung, welche den Bedarf übersichtlicher erfaßt und auf diejenigen Kostenträger umlegt, die dafür zunächst zuständig sind. Der größte Widerspruch aber zu diesem Prinzip, wenn auch keineswegs der einzige, ist die allzu enge Verbindung der Sozialpolitik mit der Sozialversicherung, die für viele den Charakter einer unauflöslichen Ehe angenommen hat. So w i r d die Trennung oder wenigstens Lockerung dieser Verbindung von Gefühlsmomenten belastet, die weder sachlich noch gesellschaftspolitisch berechtigt sind. Ihnen liegt mehr oder weniger klar die Vorstellung zugrunde, daß die Sozialversicherung als solche zweckmäßiger und erstrebenswerter ist als die auf dem Eigentum beruhende Selbständigkeit und Sicherheit. I n Wirklichkeit aber ist sie von unserem Menschenbild her recht problematisch und — wie w i r später zeigen sollen — auch nicht ohne weiteres zweckmäßig. Selbst viele Sozialdemokraten erkennen allmählich, daß der Gesichtspunkt der Solidarität i n der Sozialversicherung nicht mehr angebracht ist, nachdem 80 °/o des Volkes zwangsweise i n einer Solidarhaftung zusammengeschlossen sind, die übrigen 20 % der Bessergestellten aber draußen gelassen w u r d e 3 1 . Indem die allgemeine Solidarität überlastet wird, schwächt man sie i n den engeren Lebenskreisen, dort also w o sie zunächst hingehört. Soweit der Staat sozialpolitisch tätig w i r d , sollte dies nicht, wie bisher so oft, i n versteckter Form geschehen, so daß viele, die sich für begünstigt halten, per Saldo belastet werden. Die Leistungsfähigen sollten durch klare parlamentarische Entscheidung offen herangezogen werden. Die Abgeordneten haben sich dadurch zu einer überwirtschaftlichen, gesellschaftspolitischen Haltung zu bekennen. Die Wähler aber sollen klar erkennen, daß und wofür sie Opfer bringen. 30 Es wäre allerdings unberechtigt, aus diesen Gründen die Planwirtschaft vorzuziehen, w e i l diese, w i e die Erfahrung lehrt, noch härter vorgehen muß, u m eine ausreichende Leistung der Untertanen zu erreichen. 31 Vergleiche Heddy Neumeister, „Überlebte Solidarität", F A Z v o m 25. 5. 1954.

Selbstverantwortung vor k o l l e k t i v e r Wohlfahrt

57

Anlaß zur sozialen Hilfe ist, wenn Mitbürger unverschuldet ihre Existenzgrundlagen verloren haben, sei es durch politische Ereignisse wie die Kriegsinvaliden und -hinterbliebenen, die Heimatvertriebenen, die Fiegergeschädigten oder durch Naturkatastrophen wie die Opfer von Überschwemmungen und Lawinenunglücken oder auch wirtschaftliche Ereignisse wie Wirtschaftskrisen. Abgesehen von solchen Fällen hat die Gesellschaft ein Interesse, bestimmte Gruppen von Mitbürgern zu fördern, etwa kinderreiche Familien oder besonders fähige Studenten. Man w i r d ihnen dabei je nach der Ursache und der herrschenden gesellschaftlichen Auffassung generelle Entschädigungen zuerkennen oder speziell die Bedürftigkeit prüfen. Angestrebt sollte stets werden, sie auf eigene Beine zu stellen, sie nicht mehr als nötig zu bevormunden sowie die Hilfe nicht unnötig zu institutionalisieren. Es gibt aber auch soziale Aufgaben, die w i r grundlegend von den bisher genannten zu unterscheiden haben. I n jeder Gesellschaft besteht eine unterste Schicht von Schwachen, so wie es auch vor der Zeit der Marktwirtschaft war. Dazu gehören alle, die von Jugend auf wegen körperlicher oder geistiger Gebrechen gegenüber den Gesunden nicht wettbewerbsfähig sind, diejenigen, die sich aus eigener K r a f t i n die Gesellschaft nicht eingliedern können. Sodann die Witwen und Waisen, Kranken und Alten, die weder Arbeitseinkommen noch Vermögen haben. I n allen diesen Fällen sollte es das Ziel der Sozialpolitik sein, i n erster Linie den engeren gesellschaftlichen Umkreis heranzuziehen. Hier besteht auch eine durchaus andere Situation als bei der staatlichen Sozialpolitik, deren Anlässe allgemeiner A r t sind. So berechtigt es etwa ist, den Staat für die Folgen heranzuziehen, die den breiten Schichten der besitzlosen und ungesicherten Arbeiter aus der früheren Wirtschaftspolitik entstanden sind, so unzulänglich ist jede bürokratische Hilfe, wo es i m echten Sinn u m Fürsorge geht. Die Betroffenen benötigen hier meist nicht nur materielle, sondern auch persönliche Hilfe: Pflege, Zuspruch, moralische Unterstützung usw. Dadurch können vielfach auch die eigene Leistung aktiviert und die finanziellen Kosten gesenkt werden. Daher sollte zunächst die Hilfe der engeren gesellschaftlichen Kreise herangezogen werden, der Familien, der Nachbarn und Freunde als erste. Danach kommen die Kirchen, Betriebe, Wohlfahrtsverbände und die Fürsorge der politischen Gemeinden als zweites. N u r soweit diese Hilfe nicht reicht, sollte der Staat finanziell einspringen.

Zweites

Kapitel

Orientierung und Rechenschaft — Reform des unternehmerischen Wertsystems 1. Das Wertsystem als Basis der wirtschaftlichen Entscheidungen Die

gesellschaftliche Aufgabe rechnung

der

Wirtschafts-

Es ist nunmehr nach den gewonnenen leitenden Gesichtspunkten zu überprüfen, wie der Wirtschaftsapparat arbeitet. Besonders ist dabei zu beachten, wie die Entscheidungen zustande kommen. Bevor w i r i n diesem Sinne an die drei Märkte des Verbrauchs, des Kapitals u n d der Mitarbeit herantreten, sehen w i r uns das Wertsystem an, das die Unternehmer für ihre Entscheidungen benutzen. W i r stoßen dabei bereits auf einen tiefgehenden Widerspruch zwischen den Prinzipien der Marktwirtschaft und der Wirklichkeit. Das ist einerseits Ausdruck der charakterisierten gesellschaftlichen Situation, es erklärt andererseits aber schon zum wesentlichen Teil das unzulängliche Funktionieren des Wirtschaftsapparates. W i r sehen uns zunächst das Prinzip an, auf dem das Wertsystem der Marktwirtschaft nach der Lehre der Sozialökonomie beruht. A u f den Märkten werden für alle wirtschaftlichen Güter und Leistungen M a r k t werte gebildet: Preise, Honorare, Gebühren usw. für Sachgüter und für Dienste, die w i r von den Unternehmen erhalten; Löhne und Gehälter für die gesellschaftlich genutzte Mitarbeit; Mieten, Pachten, Zinsen usw. für gesellschaftlich genutztes Vermögen. A l l e diese Marktwerte sind voneinander abhängig; sie bilden zusammen ein einheitliches System, das die Wertschätzungen der Wirtschaftspartner wiedergibt. Es drückt jeweils den gesellschaftlichen Willen aus, der für die gesamte Wirtschaft maßgebend ist, und ist daher berufen, die betrieblichen Vorgänge zu regieren. Dies geschieht, indem die Unternehmer ihre Entscheidungen nach den Marktwerten richten. Wenn zum Beispiel ein Möbelfabrikant feststellt, daß seine Kosten für die Herstellung eines Schrankes D M 450,— betragen, er den Schrank aber für D M 550,— verkaufen kann, so entnimmt er daraus, daß die Gesellschaft diese Herstellung für richtig und zweckmäßig hält; denn die Marktpartner sind insgesamt bereit, dem Unternehmer mehr für die Schränke zu zahlen, als er auf dem Arbeits- und Kapitalmarkt an Einkommen in Form von Löhnen,

Das Wertsystem als Basis der wirtschaftlichen Entscheidungen

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Zinsen usw. aufzuwenden hat. Sie bewilligen dem Unternehmer auf Grund der allgemeinen Marktlage für seine Leistung über seine Kosten hinaus den Gewinn von D M 100,— je Schrank. Die Marktwerte — w i r sind immer noch beim Schema der M a r k t wirtschaft, nicht bei der Praxis — zeigen den Unternehmern, wie sie betrieblich handeln müssen, u m ihre Aufgabe für die Bürger zu erfüllen. Sie sorgen gleichzeitig dafür, daß jeder Unternehmer ein Interesse hat, sich dem M a r k t w i l l e n anzupassen, indem sie i h n veranlassen, seine betriebliche Tätigkeit einerseits auf die Absatzpreise, andererseits auf die Kosten seiner Erzeugnisse abzustellen. Ergibt sich bei der Gegenüberstellung der Kosten und Erlöse ein Gewinn, so bedeutet dies nicht nur einen persönlichen Erfolg für ihn, sondern auch die gesellschaftliche Rechtfertigung seiner betrieblichen Leistung. Der M a r k t w e r t erfüllt damit die Funktion, die zahlreichen selbständigen Unternehmen und ihre Betriebe so zu lenken, daß ein geordneter Produktionsprozeß möglich ist. Es ist leicht einzusehen, welche Bedeutimg es für den einzelnen Unternehmer w i e auch f ü r die gesamte Wirtschaft hat, daß er für seine gesamten Pläne und Entscheidungen Unterlagen hat, die i h m zeigen, wie die Gesellschaft, für die er tätig ist, urteilt. Ohne eine solche übersichtliche Wirtschaftsrechnung ist er steuerlos und gibt es keine w i r k liche Gesamtordnung. Er muß aus ihr ersehen können, wie er seinen Betrieb zweckmäßig für den M a r k t gestaltet, ob er zum Beispiel seinen Betrieb erweitern, neue Erzeugnisse aufnehmen oder andere fallen lassen soll, was er an Löhnen für seine Mitarbeiter und an Preisen für die Rohstoffe aufwenden kann, wie hoch seine Kosten und die erzielbaren Verkaufspreise sind. Diese Wirtschaftsrechnimg zu geben, ist die Aufgabe des sogenannten Rechnungswesens. Trotz ihrer Bedeutung hat sich die sozialökonomische Wissenschaft bisher verhältnismäßig wenig für sie interessiert. Sie hat sie bisher i m wesentlichen der Betriebswirtschaftslehre und der Rechtswissenschaft überlassen. Auch die wirtschaftlichen Laien meinen meist, daß das Rechnungswesen mit der Buchhaltung, dem Jahresabschluß und der Kalkulation weniger wichtige, rein technische Dinge sind. Und dennoch fallen hier bereits Entscheidungen, die für die Funktionsfähigkeit der Wirtschaftsordnung u n d die Interessen der Bürger ausschlaggebend sind und die w i r daher nicht den einseitig interessierten Fachleuten überlassen dürfen. Rechte

und

Grenzen

der

persönlichen

Wertung

Allerdings haben w i r das Bewertungssystem der Wirtschaft von den Entschlüssen zu unterscheiden, die w i r daraus ziehen. Es ist etwas anderes, ob w i r unsere wirtschaftlichen Enscheidungen an den gesellschaftlichen Werten orientieren oder ob w i r diesen sklavisch folgen.

60

Orientierung u n d Rechenschaft

Bei diesem Unterschiede geht es darum, unseren überwirtschaftlichen Standort, unsere persönliche und gesellschaftliche Freiheit gegenüber der Marktwirtschaft zu wahren. I m Interesse der größeren Produktivität sind w i r zwar bereit, einen erheblichen Teil unseres wirtschaftlichen Lebens zu vergesellschaften und uns insoweit der Allgemeinheit anzupassen. Aber w i r brauchen keineswegs unsere wichtigsten persönlichen Daseinsbereiche der wirtschaftenden Gesellschaft zu opfern. Der Bürger soll kein homo oeconomicus, kein Wirtschaftsmensch i n dem Sinne sein, daß er sein Wollen u n d Werten schematisch m i t den gesellschaftlichen Werten identifiziert. Er würde damit seine Persönlichkeit preisgeben und wahrhaft nur ein Durchschnitts- und Massenmensch werden. W i r haben daher darauf zu achten, daß w i r nicht zu Knechten des Marktes werden, sondern auch innerlich die Herren der Wirtschaft sind, die sich ihrer bedienen, u m dadurch das persönliche Dasein freier und reicher zu machen. Wirtschaft und M a r k t sind n u r M i t t e l zum Zweck, nicht Selbstzweck. Daher ist es wichtig, daß jeder zwei Wertungen unterscheidet, die persönlichen und die marktmäßigen. Die Marktwerte sollen w i r kennen und als einen Pol unserer Entscheidungen berücksichtigen; aus unserer persönlichen Situation werden w i r oft aber auch gegen sie handeln. Nehmen w i r an, Herr Kunst soll sich zwischen zwei Berufsstellungen entscheiden, von denen i h m die eine als Angestellter einer Fabrik ein Gehalt von D M 600,— einbringt, während die andere, i n einem A n t i quariat, seinen persönlichen Neigungen mehr entspricht, aber nur mit D M 450,— dotiert wird. Es kann sein, daß Kunst durchaus richtig und nach seiner persönlichen Wertung wirtschaftlich handelt, wenn er sich für das Antiquariat entschließt. Voraussetzung ist, daß er m i t D M 450,— auskommt, was bei einer kinderreichen Familie schwer ist. Oder der Familienrat K l e i n beschließt, ein Eigenheim zu bauen, obwohl dies marktwirtschaftlich nicht zweckmäßig ist, w e i l die Althausmieten i m Vergleich zu den Kosten von Neubauten sehr niedrig liegen. Kleins aber sind bereit, auf anderen Gebieten zu sparen, w e i l ihnen das Eigenheim und der Garten dies wert sind. Oder Herr T ü d i t i g entschließt sich, das Gehalt seines Buchhalters Trocken i m Hinblick auf dessen große Familie trotz dessen schwacher beruflicher Leistung zu erhöhen. Voraussetzung für Tüchtig ist dabei, daß die Ertragslage seiner Firma die Gehaltserhöhung zuläßt. Die Entscheidungen, die w i r bewußt abweichend von den M a r k t werten treffen, bedeuten, daß nach dem Marktwert unser wirtschaftlicher Erfolg geringer ist, als er sein könnte. W i r dürfen daher nicht behaupten, das Marktprinzip sorge dafür, daß die Wirtschaftspartner einzeln und insgesamt das höchste Sozialprodukt erzielen. I m Gegenteil, es gibt uns die Freiheit, in einem gewissen Umfange nach M a r k t -

Das Wertsystem als Basis der wirtschaftlichen Entscheidungen

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maßstäben unwirtschaftlich zu handeln. V i e l wichtiger aber ist, daß es uns ermöglicht, ein Höchstmaß persönlicher Lebenswerte i n der Gesellschaft zu verwirklichen. Die subjektiven Abweichungen von den Marktwerten sind allerdings dadurch begrenzt, daß es nicht gestattet sein kann, berechtigte Interessen anderer zu verletzen. W i r haben daher einerseits unsere Einkommens- u n d Vermögenslage, andererseits unsere gesellschaftlichen Verpflichtungen zu berücksichtigen, sonst erleiden w i r m i t unseren Motiven Schiffbruch und t u n anderen Unrecht. Mildtätigkeit zum Beispiel ist als Ausgleich des Marktdenkens w e r t v o l l und notwendig — aber nicht auf Kosten anderer. Das gilt grundsätzlich auch für die Unternehmer, von denen w i r erwarten, daß sie nicht nur marktmäßig, sondern zivil werten und handeln. Das allgemeine Interesse der wirtschaftenden Gesellschaft, die Betriebe sollen sich nach dem M a r k t w i l l e n richten, bedeutet selbstverständlich auch für die Unternehmer nicht, daß sie i n ihrem Wirkungsbereich nur den Marktwerten folgen müßten. Wesentlich ist jedoch, daß jeder dabei i m Rahmen der Rechte und Pflichten bleibt, die i h m nach der Wirtschaftsordnimg zufallen und die w i r später zu besprechen haben, wenn w i r das Verhältnis der Unternehmen zu den drei M a r k t bereichen betrachten. Seit etwa einem halben Jahrtausend gilt das ordnungsmäßige Rechnungswesen der Unternehmer als eine Angelegenheit des öffentlichen Interesses, obwohl es den Unternehmern allgemein frei stand, wie sie m i t diesen Werten disponieren. Das beruht auf der Erfahrung, daß m i t den Unternehmen häufig die Rechte anderer, zum Beispiel der Gesellschafter u n d der Gläubiger, eng verbunden sind. Inzwischen ist die gesellschaftliche Verflechtung der Wirtschaft immer stärker geworden, so daß es selbst für die Unternehmer immer schwieriger wird, diese Verhältnisse zu durchschauen. U m so mehr muß dafür gesorgt sein, daß die persönliche Freiheit der Unternehmer nicht die Rechte der Wirtschaftspartner beeinträchtigt und ein marktwidriges Verhalten nicht die allgemein wirtschaftliche Ordnung stört. Das

Geld,

der

objektive

Maßstab

Obwohl w i r uns die Aufgabe gestellt haben, vor allem das Verhältnis der Bürger zum Apparat der Unternehmungen und Betriebe zu betrachten, ist es hier angebracht, daß1 w i r einen Blick auf das Geld als Grundlage unseres Wertsystems werfen. Es w i r d m i t einem treffenden — wenn auch nicht erschöpfenden — Vergleich als der Maßstab, auf den alle Marktwerte bezogen sind, bezeichnet. Erst durch diesen Maßstab ist es möglich, die verschiedenartigsten Güter und Dienste wertmäßig z u vergleichen und ein übersichtliches Wertsystem zu schaffen.

62

Orientierung u n d Rechenschaft

Wie sollten die komplizierten Bewertungsvorgänge, die sich täglich i n einem Industriebetrieb abspielen, ohne die abstrakte Geldrechnung bewältigt werden? Das Geld kann seine Aufgabe für die Wirtschaftsordnung nur erfüllen, wenn sein Wert, anders ausgedrückt seine Kaufkraft, objektiv und stabil gilt. Das ist unter zwei Gesichtspunkten erforderlich. Erstens, w e i l die wirtschaftlichen Planungen aller Partner auf den Geldwerten beruhen; sie würden falsch werden, wenn sich das Geld inzwischen ändert, ähnlich wie wenn das Metermaß, das man beim E n t w u r f eines Baues benutzt hat, während des Baues geändert wird. Dabei muß ein gefährliches Durcheinander entstehen. Z u m zweiten aber bedeutet eine Änderung des Geldwertes, daß alle i n Geld festgelegten Einkommen und Vermögensansprüche verschoben werden. Daraus entsteht zwangsläufig ein gesellschaftliches Unrecht; ein Teil der Wirtschaftspartner w i r d begünstigt, der andere Teil geschädigt. Die Bedeutung des Geldwertes für die Wirtschaftsordnung ist so eindeutig, daß man es schon seit langem als Aufgabe des Staates erkannt hat, es der W i l l k ü r einzelner Staatsbürger zu entziehen und staatlicher Ordnung zu unterwerfen. Diese Aufgabe ist i n den letzten Jahrzehnten sehr schlecht erfüllt worden. Dies lag teilweise an Verhältnissen, die stärker waren als selbst die staatliche Macht. Vielfach fehlte es aber auch an der Einsicht i n die rechte Wirtschaftsordnung und an Achtung vor den Rechten der Staatsbürger. W i r können heute die verderblichen Folgen übersehen und sollten daher dafür sorgen, daß das Geldwesen i m Rahmen der Wirtschaftsordnung neu geregelt wird. Hierfür gibt es zwei wichtige Ansatzpunkte. Es ist einmal abzulehnen, daß der Staat die Änderung des Geldwertes als K o n j u n k t u r m i t t e l benutzt und auf diese Weise Schäden, die er selbst und ein T e i l der Bürger verursacht hat, anderen, Unschuldigen, auflastet. Gefährlich sind i n diesem Sinne vor allem die Lehren, die eine ständige leichte Inflation empfehlen, um die Nachfrage-Schwäche, die sie als Wesen der Marktwirtschaft betrachten, auszugleichen und Absatzkrisen zu vermeiden. Wie erwähnt, ist solche Vollbeschäftigungspolitik teuer erkauft. Vor allem werden die breiten Bevölkerungsschichten weiterhin verführt, nur an die Gegenwart zu denken, das gesamte Einkommen zu verbrauchen und sich für die Zukunft auf den Staat zu verlassen. Der Weg aber zur gesellschaftspolitischen Gesundung durch Sparen und Eigentumsbildung w i r d erschwert. Zudem w i r d der heilsame Druck des Kapital- und des Absatzmarktes auf die Unternehmungen abgeschwächt und damit die Herrschaft der Bürger über den Wirtschaftsapparat vermindert. W i r sind damit keineswegs gegen eine aktive Kreditpolitik, aber sie muß am Geldwert ausgerichtet sein. Andernfalls widerspricht sie den grundlegenden Gesichtspunkten, die

M a r k t w i d r i g e s Bewertungsrecht

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w i r i n geselischafts-, wirtschafts- u n d sozialpolitischer Hinsicht an die Wirtschaftsordnung stellen. Aus solchen Erwägungen ist es — abgesehen von letzten Notfällen — auch abzulehnen, daß der Staat sich durch eine inflatorische Kreditausweitung die M i t t e l für seinen Finanzbedarf beschafft oder sich von der vollwertigen Bezahlung seiner Schulden drückt. U m diese Gefahr zu verringern, empfiehlt es sich, die Notenbank gegenüber dem Staat, besonders aber dem Finanzministerium, verhältnismäßig selbständig zu machen und i h r sogar ein Vetorecht gegen währungsgefährdende Finanzpolitik zu geben, das n u r durch verfassungsändernde Mehrheit des Parlaments zu überwinden wäre. Grundsätzlich dürfte es sich empfehlen, den Grundsatz der Stabilität des Geldwertes i n der Verfassung zu verankern, wenn man nicht der Auffassung ist, daß er sich mittelbar aus dem verfassungsmäßigen Schutz des Privateigentums ergibt. Bekennt sich der Staat zu solchen Grundsätzen, so w i r d dasi für die Wirtschaftsordnung äußerst wichtige Vertrauen der Staatsbürger i n den Geldwert sehr gefördert werden. W i r haben hier nicht die Aufgabe, i m einzelnen auszuführen, m i t welchen Methoden das Ziel der Geldwertstabilität zu erreichen ist. Sie erfordern, daß eine einsichtige Staatsautorität vorhanden ist, die ihre Wirtschaftspolitik durchsetzt, ohne den leichteren, i m Grunde aber betrügerischen Weg der Geldwertmanipulationen zu wählen. Es ist außerdem wichtig, daß das Volk selbst über diese Frage aufgeklärt wird, damit es den richtigen Respekt vor dem Geldwert bekommt. Es ist vor allem aber notwendig, daß die Wirtschaftsordnung gut genug arbeitet, u m Störungen krisenhafter A r t rechtzeitig zu verhindern oder aufzufangen. Es bedeutet, daß Verzerrungen des Wertsystems bereits dort, wo sie entstehen, gesehen und bekämpft werden müssen, das heißt v o r allem i m Bereich der Unternehmungen 1 . 2. Marktwidriges Bewertungsrecht Bewertungsregeln

und

Jahresabschluß

Schauen w i r uns nunmehr an, wie das Bewertungssystem i n den Unternehmungen aussieht und auf welcher Rechtsgrundlage es steht. W i r gehen dabei von der jährlichen Rechnungslegung aus, die die Jahresbilanz und die Gewinn- und Verlustrechnung umfaßt, denn sie ist der 1 H i e r f ü r an dieser Stelle n u r ein Hinweis: Geldentwertung u n d übermäßige Kreditausweitung erfordern, daß es M a r k t p a r t n e r gibt, die bereit sind, nicht n u r i m Einzelfall, sondern i m ganzen höhere Preise, Löhne, Zinsen usw. als bisher anzulegen. Dies ist unsinnig, w e n n der Geldwert stabil bleibt u n d von daher k e i n Anlaß besteht, die Kosten u n d die Preise der Erzeugnisse anders zu k a l k u l i e r e n als bisher. Können die Unternehmer jedoch m i t einer K o n j u n k t u r p o l i t i k rechnen, die den Geldwert mißachtet, so werden sie zur Leichtfertigkeit geradezu verführt.

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Orientierung u n d Rechenschaft

zentrale A k t der unternehmerischen Bewertung. Wenn der Unternehmer nach Ablauf des Geschäftsjahres die Bücher abschließt, soll er sich und allen, die es angeht, Rechenschaft über den Erfolg dieses Zeitraumes u n d über die Lage des Unternehmens geben. A u f diesem A b schluß bauen wichtige Entscheidungen auf. Sie beziehen sich, wie w i r i m einzelnen später sehen werden, auf alle drei Marktbereiche, die nicht nur für die Unternehmen und ihre Betriebe, sondern für die ganze wirtschaftende Gesellschaft wesentlich sind. Hier sei nur angedeutet, daß das Zahlenwerk sich auf die Erzeugungs- und Absatzpolitik ausw i r k t , insofern es die Kalkulation der Selbstkosten u n d dadurch die Verkaufspreise beeinflußt. Es soll die Rentabilität der Betriebe zeigen und damit als Unterlage dienen, ob es zweckmäßig ist, die Anlagen zu erneuern oder gar z u erweitern. Gegenüber den Eigentümern der Unternehmungen, ob es sich u m Einzelpersonen, Gesellschafter oder Aktionäre handelt, ist der Abschluß wichtig für die Gewinnermittlung und -Verteilung, aber auch für den Unternehmungswert i m ganzen. Dem Gläubiger soll er nachweisen, daß die Unternehmung kreditwürdig ist. Schließlich beeinflußt er auch die Arbeitsverdienste der Mitarbeiter, sowohl die innerbetrieblichen Entscheidungen über Tantiemen, Gratifikationen u n d freiwillige soziale Leistungen, wie die Tarifpolitik der Arbeitgeber- und -nehmerorganisationen. Für alle diese Entscheidungen ist zwar der Unternehmer zuständig, vielfach gehen sie aber auch i n die Kompetenzen u n d Interessen anderer Personen und Institutionen bis zum Fiskus, der sich i n dieser Hinsicht besonders stark bemerkbar macht. I m ganzen genommen kann man feststellen, daß der Abschluß eine wesentliche Stellung i n der gesellschaftlichen Organisation der Wirtschaft, vor allem auch i n den Beziehungen zwischen Bürgern und Wirtschaftsapparat, einnimmt. Es ist daher verständlich, daß die Rechtsordnung sich schon seit Jahrhunderten des Jahresabschlusses und der zugrundeliegenden Buchhaltung angenommen hat. Die wichtigste Teilfrage dabei ist die Bewertung. Wenn der Unternehmer die Bilanz aufstellt, so kommt es darauf an, welche Werte er für die einzelnen Vermögensgegenstände ansetzt. Dabei kommen vor allem zwei Methoden i n Betracht. Er kann von den sogenannten Einstandskosten ausgehen, die entstanden sind, als die Gegenstände angeschafft oder hergestellt wurden. Das sind zwar historische Werte, die manchmal Jahrzehnte zurückliegen, zum Beispiel bei Fabrik- oder Verwaltungsgebäuden, bei Kessel- oder Gleisanlagen. Aber diese A n schaffungs- oder Herstellungskosten haben den Vorteil, daß sie bereits i n seinen Geschäftsbüchern stehen, daß sie eindeutig sind und keine zusätzliche Arbeit verursachen. Andererseits kann man gegen sie einwenden, daß sie für den Zeitpunkt der Bilanz wenig besagen. Vom Standpunkt des Bilanzstichtages ist es ein Zufall, w a n n sie angeschafft

M a r k t w i d r i g e s Bewertungsrecht

65

sind und welche Preise seinerzeit galten, so daß es falsch ist, die unternehmerischen Entscheidungen noch auf solche Werte abzustellen. Daher ist es richtiger, die Bilanz nach den Zeitwerten, das heißt den M a r k t werten des Bilanzstichtages, zu richten. Die Problematik beider Bewertungsprinzipien, der Einstandskosten einerseits u n d der Zeitwerte des Bilanzstichtages andererseits, sind der Wissenschaft und der Praxis seit Jahrhunderten bekannt. Es ist verständlich, daß man ursprünglich das erste vorgezogen hat, allein schon wegen der Bequemlichkeit und Eindeutigkeit. Bedenklich erschien es dem vorsichtigen und verantwortungsbewußten Kaufmann allerdings, wenn die Einstandskosten offensichtlich über den Zeitwerten lagen. Ist es nicht Selbstbetrug, einen Jahresgewinn auszuweisen, wenn i n der Bilanz große Vorratsbestände m i t Werten enthalten sind, die wegen der inzwischen gesunkenen Preise nicht mehr zu erzielen sind? So kam man dazu, die Buchwerte auf die Zeitwerte herabzusetzen, falls diese niedriger lagen. Es entstand das sogenannte Niederstwertprinzip, demzufolge von den beiden grundlegenden Werten jeweils der niedrigere genommen wird. I n der M i t t e des vorigen Jahrhunderts setzte sich unter dem Einfluß der Wirtschaftswissenschaften das systematische Denken i n M a r k t werten durch. Man erkannte, daß der Kaufmann sich grundsätzlich nicht nach den Kosten zu richten hat, die i h m selbst einmal entstanden sind, sondern nach den Marktverhältnissen, die nunmehr gelten. Sein Marktpartner, m i t dem er gerade verhandelt, interessiert sich kaum für die entstandenen Selbstkosten, sondern ob die Preise i m Vergleich zur Konkurrenz günstig liegen. Soweit der Unternehmer seinerzeit teurer eingekauft oder produziert hat, ist ihm, richtig gesehen, der Verlust bereits durch den Rückgang der Marktpreise entstanden. Andererseits hat er bei Preiserhöhungen einen Gewinn, auch wenn die Waren noch i m Lager sind, und — wie man sagt — der Gewinn noch nicht realisiert wurde. Es wäre falsch, die Erzeugnisse auf der Basis der früheren niedrigen Selbstkosten zu verkaufen, da man m i t dem Erlös nicht mehr die erhöhten Einstandskosten der Güter decken kann, die für die zukünftige Produktion wiederbeschafft werden müssen. Demgemäß ist das Niederstwertprinzip unkonsequent, wonach man die Bestände nur bei Preisrückgängen umbewertet, vielmehr muß man sie auch i m entgegengesetzten Falle den Zeitwerten anpassen. Diese Überlegung ist marktwirtschaftlich gesehen sicher richtig. Trotzdem ist es i n der Praxis zu schweren Mißständen gekommen, die recht lehrreich sind. Das Aktiengesetz von 1870 hatte die Aktiengesellschaften von dem bis dahin gültigen Genehmigungssystem befreit. Innerhalb weniger Jahre vervielfachte sich nunmehr deren Zahl. Das Gründungsfieber jener Zeit begünstigte Schwindelunternehmen, die 5 Kahl, Macht und Markt

66

Orientierung u n d Rechenschaft

sich u m das Geld neuer Aktionäre bemühten. Unsolide Unternehmen täuschten durch günstig frisierte Bilanzen und leichtfertige Dividenden die Öffentlichkeit. Stiegen die Werte der Anlagen und Vorräte über die Anschaffungs- oder Herstellungskosten hinaus, was i n den Jahren der Gründerkonjunktur häufig war, so wurden die Vermögensgegenstände nicht nur m i t den höheren Tageswerten ausgewiesen, sondern die so errechneten Gewinne vielfach auch als Dividende ausgeschüttet. Da es beim Anlagevermögen 2 schwer ist, die Tageswerte eindeutig zu beziffern, bestand viel Spielraum für willkürliche, ja betrügerische Wertansätze. Als nach einigen Jahren die sogenannte Gründerkrise einsetzte und die Marktwerte fielen, fehlten den Gesellschaften die Reserven, u m die Verluste zu überstehen und die Schuldverpflichtungen zu erfüllen. I n der Bewertung nach den Marktwerten wurde nunmehr die Ursache f ü r den Zusammenbruch zahlreicher Aktiengesellschaften, durch den der Ruf dieser Gesellschaftsform stark gelitten hatte, erblickt. Es wurde eine gesetzliche Neuregelung notwendig, u m die Mißstände abzustellen. Unter

dem

Einfluß

der

Interessenten

Die Aktienrechtsnovelle des Jahres 1884 brachte für das Denken i n Marktwerten einen Rückschlag, der für jene Zeit aufschlußreich und typisch ist. Es ist die Zeit des Interventionismus, i n der man inzwischen festgestellte Mängel des kapitalistischen Wirtschaftssystems nicht i m Sinne der wirtschaftenden Gesellschaft und nach einem echten Ordnungsbild der Marktwirtschaft, sondern nach dem Interesse der Fachleute und Spezialisten zu beseitigen suchte. Das Interesse der Unternehmer aber ging verständlicherweise dahin, i n ihrer Bewertung so frei und unkontrolliert wie möglich zu sein. Die Bewertungsreform von 1884 gilt direkt nur für die Aktiengesellschaften; denn man meinte, i h r Zweck sei, nur zu verhindern, daß das statutenmäßige Grundkapital vermindert und ein tatsächlich noch nicht realisierter Gewinn verteilt werde. Daher seien ihre Bestimmungen anderswo zwecklos und ohne praktische Bedeutung 3 . Die Reform ist also n u r auf den Schutz der Aktionäre und der Gläubiger gerichtet. Daß die Bewertung darüber hinaus Bedeutung für das Funktionieren des Wirtschaftssystem hat, wurde nicht berücksichtigt. U m den erstrebten Zweck zu erreichen, wurde für das Anlagevermögen die Bewertung zu Einstandskosten vorgeschrieben, von denen der Wertverlust, den die Anlagegüter durch den Gebrauch oder sonstige Umstände erleiden, anteilig abgeschrieben oder wertberichtigt werden muß. Für das 2 Dazu gehören v o r allem unbebaute Grundstücke, Betriebsgebäude, Maschinen und maschinelle Anlagen, Inventar, Werkzeuge, Fahrzeuge. 3 Vergleiche die Denkschrift zum E n t w u r f des Handelsgesetzbuches von 1897.

Marktwidriges Bewertungsrecht

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Umlaufvermögen 4 galt wieder das Niederstwertprinzip. Diese Bewertungsregeln setzten sich allmählich auch für die übrigen Unternehmungsformen durch. Dafür war wesentlich, daß. der Fiskus als weiterer Interessent der Bewertung, die ja die Grundlage der Einkommenssteuer bildet, hervortrat und dabei die Bewertungsregeln des Aktienrechts als allgemeine Leitsätze der ordnungsgemäßen Buchführung i m wesentlichen übernahm. Die Aktienrechtsnovelle von 1884 hat sich unserer Meinung nach insofern verhängnisvoll ausgewirkt, als m i t i h r die Bindung der Unternehmen an die wahren und allgemein gültigen Werte aufgegeben wurde, auf denen das System der Marktwirtschaft beruht. Waren nicht mehr die Marktwerte, sondern nur noch bestimmte schutzbedürftige Interessen für die Bewertung maßgebend, so lagen weitere Konsequenzen nahe. Es trat die Tendenz auf, die gesetzlichen Werte nur als Höchstwerte zu betrachten und den Unternehmern freie Hand zu lassen, soweit sie das Anlagevermögen noch unter den Einstandskosten abzüglich der erforderlichen Abschreibungen und das Umlaufvermögen unter den Niederstwerten ansetzen wollten 5 . Diese Auffassung wurde durch das Reichsgerichtsurteil vom 12. J u l i 1897 anerkannt 6 . Es stellt fest, der Gesetzgeber habe ein wesentliches Interesse nur daran, daß die Bilanz nicht durch Einsetzung höherer Werte zur Täuschung Dritter diene. Der Aktionär sei regelmäßig gegen die Einsetzung geringerer als der wahren Werte dadurch geschützt, daß jeder Aktionär ein gleiches Interesse an der Festsetzung einer dem wahren Vermögensstand entsprechenden, nicht zu niedrigen Dividende habe. Was bedeutet das praktisch? Wenn der Vorstand einer Aktiengesellschaft die am Bilanzstichtag vorhandenen Bestände von Baumwollgarnen einschließlich Nebenkosten noch m i t D M 5,80 je K i l o eingekauft hat, der Preis jedoch auf D M 5,40 gesunken ist, so ist er nach dem Niederstwertprinzip verpflichtet, diese Vorräte auf D M 5,40 je K i l o abzuwerten. Er darf sie jedoch gemäß dem genannten U r t e i l nach seinem Ermessen mit D M 5,— oder D M 3,— oder noch niedriger bewerten. Handelt es sich zum Beispiel u m 50 000 Kilo, so müssen die Einstands4 Das Umlaufvermögen umfaßt v o r allem die Vorräte a n Roh-, H i l f s - u n d Betriebsstoffen, an H a l b - u n d Fertigerzeugnissen, ferner die Forderungen aus Lieferungen u n d Leistungen sowie die flüssigen M i t t e l (Bargeld, B a n k und Postscheckguthaben). 5 Vergleiche dazu K u n o Barth, „Die E n t w i c k l u n g des deutschen Bilanzrechts", Band I, Stuttgart 1953, Seite 174 ff. 6 Es ist bemerkenswert, daß das Reichsgericht i m gleichen Jahre das g r u n d legende U r t e i l sprach, demzufolge die B i l d u n g von K a r t e l l e n nicht der W e t t bewerbsordnung widerspreche. Beide ordnungsblinde Urteile haben die E n t w i c k l u n g der Wirtschaft f ü r Jahrzehnte wesentlich bestimmt. F ü r die K a r telle vergleiche F. Böhm, „Das Reichsgericht u n d die Kartelle", ORDO 1948, Seite 197, Godesberg.

5*

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Orientierung u n d Rechenschaft

kosten von D M 290 000 auf D M 270 000 herabgesetzt werden — marktmäßig richtig ist. Geht man aber darunter, zum Beispiel D M 150 000, so ist dieser Bilanzwert marktmäßig gesehen falsch. Außenstehende w i r d über den Wert der Vorräte getäuscht, ebenso über den Jahresgewinn, der m i t der willkürlichen Abwertung D M 120 000 zu niedrig ausgewiesen wird.

was auf Der auch um

Wenn das Urteil damit begründet wird, daß die Aktionäre das gleiche Interesse an den wahren Werten hätten, so hat die Entwicklung seitdem gezeigt, wie wirklichkeitsfremd dieses Denken ist. Es folgt den interessengebundenen Gedankengängen der Unternehmer und Mehrheitsaktionäre und ermangelt der Einsicht in die soziologischen Verhältnisse, von denen die Wirtschaft tatsächlich bestimmt wird. Die

Ideologie

der

stillen

Rücklagen

Der Gegensatz zwischen dem heutigen Bewertungssystem und dem wirtschaftlich richtigen Denken ist Gesetzgeber, Rechtsprechung, W i r t schaftswissenschaft und -praxis mehr oder weniger klar. Welches sind nun die entscheidenden Motive, w a r u m man i h n weiterhin i n Kauf nimmt? Es ist zwischen der ideologischen Betrachtungsweise, die die Interessenten durchgesetzt haben, und den wahren Motiven zu unterscheiden. Die Ideologie sagt, die Vorsicht des Kaufmannes erfordere, daß er die Werte seiner Vermögensgegenstände nicht zu hoch ansetze. Es sei notwendig, die Risiken, die i n den einzelnen Gegenständen wie auch i m Unternehmen als ganzem liegen, zu berücksichtigen. Bei der Inventuraufnahme der Güter könnten Schäden und sonstige Minderwerte übersehen werden. Bei der E r m i t t l u n g der Kostenwerte und Preise könne man sich irren. Darüber hinaus bestünden spezielle Risiken i n der Verwertbarkeit der Güter, die nur von der Unternehmungsleitung richtig beurteilt werden könnten. Dazu komme das allgemeine Risiko, daß sich die Marktlage ändere und die Güter nicht mehr oder wenigstens nicht zu früheren Werten realisiert werden könnten. Gegen alle diese Risiken müsse man Vorsorgen, indem das Unternehmen Rücklagen bildet. A n dieser Begründung ist richtig, daß jede Unternehmung die Gefahr von Irrtümern, Fehldispositionen und ungünstigen Entwicklungen beachten und sich dagegen wappnen muß. Wenn alle K o n j u n k t u r gewinne gleich von den Inhabern oder Gesellschaftern — vor allem aber auch vom Fiskus — entnommen werden, ist man bei einem Rückschlag den Verpflichtungen nicht gewachsen. Daher sind Rücklagen ein notwendiger Bestandteil vorsorglicher Geschäftspolitik. So hat das Aktiengesetz, unabhängig von den sonstigen Bewertungsregeln, auch vorgeschrieben, daß jede Aktiengesellschaft sogenannte gesetzliche Rücklagen als Mindestrücklagen schaffen muß.

M a r k t w i d r i g e s Bewertungsrecht

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Bemerkenswert ist jedoch, daß diese Argumentation, die heute fast kritiklos anerkannt wird, das Problem gar nicht trifft. Sie bezieht sich nämlich nicht auf die Ermittlung, sondern nur auf die Verwendung des Gewinnes. Die Aktienrechtsreform von 1884 war notwendig geworden, um leichtfertige Gewinnausschüttungen zu verhindern 7 . Bei Unterbewertungen, die der Unternehmer zusätzlich vornimmt, kommt es darauf an, die Differenzen zwischen den Marktwerten und den abweichenden Bilanzwerten als Reserven i m Unternehmen zu behalten. Dies läßt sich aber auch erreichen, indem man diese Beträge nicht als stille Rücklage von den Werten bestimmter Vermögensgegenstände absetzt, sondern offen i n der Bilanz ausweist. I n dem oben benutzten Beispiel könnte man also die Garnbestände richtig mit dem Zeitwert von D M 270 000 ansetzen und unabhängig davon eine offen sichtbare Rücklage von D M 120 000 schaffen 8 . Soweit ein öffentliches Interesse daran besteht, daß die Gewinne aus Preisschwankungen nicht ausgeschüttet werden, was vor allem bei Aktiengesellschaften der Fall sein wird, könnte der Gesetzgeber eine solche Rücklage sogar zwingend vorschreiben. Meinen die Beteiligten, daß damit den Risiken der zukünftigen Entwicklung nicht ausreichend Rechnung getragen ist oder wollen sie weitere Teile des Gewinnes i m Unternehmen lassen, u m die Betriebe auszubauer, so steht es ihnen offen, zusätzlich „freie" Rücklagen zu bilden. W i r haben also, wenn w i r wirtschaftlich richtig denken, zwei Vorgänge zu unterscheiden, die wesentlich verschieden sind: Die Bewertung, die objektiv an die Marktverhältnisse des Stichtages gebunden sein sollte, und den geschäftspolitischen A k t , wie die dabei ermittelten Gewinne zu verwenden sind. Somit lautet das Problem nicht, ob, sondern wie Rücklagen gebildet werden 9 . 7

Daß die Bewertungsregeln nicht gegen betrügerische Bilanzansätze sichern, w i r d i n A n m e r k u n g 16 dargelegt. 8 Steuerlich brauchte sich an der bisherigen Lage nichts zu ändern. Der Fiskus könnte die Gewinne, die sich aus A u f w e r t u n g e n auf höhere Zeitwerte ergeben u n d einer besonderen Rücklage zugeführt werden, w e i t e r h i n steuerfrei lassen bzw. erst nach Auflösung solcher Rücklagen heranziehen. 9 Die berechtigten Anliegen, die m i t dem bisherigen Bewertungsrecht erstrebt werden, lassen sich durch das System marktgerechter Zeitwerte u n d offener Rücklagen sogar besser erreichen. Unberechtigt ist allerdings die häufige Argumentation, die Gewinne aus Preissteigerungen seien keine echten, sondern n u r Buch- oder Scheingewinne, die den Unternehmen erhalten werden müssen, u m ihre „Substanz" zu sichern. H i e r k o m m t ein Sachwertdenken zum Ausdruck, das auf den dauernden Geldentwertungen der letzten Jahrzehnte beruht. Wenn es, w i e zu hoffen ist, i n der zukünftigen Wirtschaftsordnung gelingt, den Geldwert einigermaßen stabil zu erhalten, w i r d dieser Gesichtspunkt w e i t h i n hinfällig. Dann werden u n d müssen zwar i m m e r wieder Verschiebungen i n den Preisverhältnissen der Güter u n d Dienste eintreten, aber der W e r t des Eigenkapitals bleibt gleich. F ü r die Eigentümer des Unternehmens, auf die es i n einer Wirtschaftsordnung, die v o m Standpunkt der Bürger u n d nicht der Unternehmungen denkt, ankommen muß, sind die Buchgewinne durchaus echte Gewinne.

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Orientierung u n d Rechenschaft

D a m i t k o m m e n w i r a u f die e i g e n t l i c h e n M o t i v e d e r h e u t i g e n B e w e r t u n g s p r a x i s . S i e bestehen f ü r d i e U n t e r n e h m e r i n d e m Wunsche, anderen den Einblick i n die w a h r e Vermögens- u n d G e w i n n s i t u a t i o n z u v e r w e h r e n . D i e s t i l l e n R ü c k l a g e n , d i e d e r U n t e r n e h m e r t e i l s nach z w i n g e n d e m Recht, t e i l s v o n sich aus b i l d e t , s i n d w i e e i n e M a u e r , h i n t e r d e r er u n g e s t ö r t v o n a n d e r e n nach seinen besonderen Gesichtspunkten, u n d Interessen h a n d e l n kann. D a ß diese B e h a u p t u n g z u t r i f f t , g e h t u n t e r a n d e r e m aus der P r a x i s derjenigen Unternehmen hervor, die ihren Abschluß keinem Dritten, d e n sie i m U n k l a r e n lassen w o l l e n , zeigen müssen, d e r F i r m e n , die i h r e n A b s c h l u ß n i c h t v e r ö f f e n t l i c h e n müssen, noch Gesellschafter haben, d i e n i c h t i n d e r G e s c h ä f t s f ü h r u n g t ä t i g sind, noch K r e d i t g e b e r , d e n e n sie 'die B i l a n z v o r z u l e g e n haben. Sie b r a u c h e n i h r e n A b s c h l u ß also n u r d e m F i s k u s z u zeigen u n d schaffen d e m e n t s p r e c h e n d ü b l i c h e r w e i s e n u r s o w e i t s t i l l e R ü c k l a g e n i m W e r t a n s a t z i h r e r Vermögensgegenstände, als sie h o f f e n , diese auch g e g e n ü b e r d e m F i s k u s durchsetzen z u k ö n n e n . I m ü b r i g e n w e r d e n d i e R ü c k l a g e n o f f e n ausgewiesen. Noch zu 9 Andererseits muß der Liquiditätsgesichtspunkt f ü r die Unternehmen beachtet werden. Er ist d u r c h die offenen Rücklagen zu sichern. Solange das Unternehmen seine Vorräte nach d e m Niederstwertprinzip bewertet u n d besteuert, ist dies n u r u n v o l l k o m m e n der Fall. Veräußert n ä m l i c h das U n t e r nehmen seine billiger eingekauften Lagervorräte nach dem Bilanzstichtag, so w i r d nach bisheriger Praxis ein G e w i n n realisiert, von dem üblicherweise ein großer T e i l von der Steuer erfaßt w i r d u n d der Rest an die A k t i o näre ausgeschüttet werden darf. Das Unternehmen w i r d insoweit v o n den Geldmitteln entblößt, die es braucht, u m sich m i t neuen Rohstoffen zu den höheren Preisen einzudecken. Bekanntlich ist dies eine ständige Sorge der Unternehmer, die aus diesem Grunde i m m e r wieder fordern, daß die sogenannten Scheingewinne n i c h t weggesteuert werden. Allerdings können w i r i h r e m Vorschlag nicht folgen, daß die normalen Vorratsbestände als „eiserner Bestand" unabhängig v o n Preisschwankungen m i t gleichbleibenden Werten angesetzt werden. Die Abweichungen, die dadurch v o n den M a r k t w e r t e n entstehen, w ä r e n schlimmer als bisher, die allgemeinen Folgen ebenfalls. Es wäre zu überlegen, ob die offene u n d unversteuerte Rücklage aus Preisangleichungen n i c h t n u r aus den Preisgewinnen zu bilden ist, die gegenüber den Einstandskosten der Bilanzbestände errechnet sind, sondern daß v o n den Werten des Vorjahres auszugehen wäre. A u f diese Weise w ü r d e n den U n ternehmen auch diejenigen Gewinne erhalten bleiben, die aus der V o r Jahresbilanz während des abgelaufenen Geschäftsjahres bereits realisiert w o r den sind. Beispiel: I n der Bilanz des Vorjahres sind 100 000 K i l o Baumwollgarn einer bestimmten Qualität zu den damaligen Marktpreisen von D M 5,30 je K i l o bewertet. Die Anschaffungskosten der 90 000 K i l o der nunmehrigen Bilanzbestände liegen durchschnittlich bei D M 5,60 je K i l o , die Tageswerte bei D M 5,80 je K i l o . Die A u f w e r t u n g der Bestände ergibt eine aus dem, G e w i n n gebildete Rücklage v o n D M 18 000,—. Die Preisgewinne aus der V o r Jahresbilanz machen dagegen bei 100 000 K i l o zu D M 0,50 D M 50 000,— aus. Der G e w i n n aus d e m Lagerabbau von 10 000 K i l o sollte m i t berücksichtigt w e r den, w e i l dadurch der Jahresgewinn besser abgegrenzt w i r d (vergleiche A n m e r k u n g 14).

Der Jahresabschluß

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3. Der Jahresabschluß M a r k t u r t e i l über den Betrieb D e r Jahresabschluß s o l l t e d e n j e n i g e n , die e i n berechtigtes Interesse a m Unternehmen haben10, die wesentlichen Einsichten vermitteln, die f ü r i h r e w i r t s c h a f t l i c h e n E n t s c h e i d u n g e n e r f o r d e r l i c h sind. E r s o l l t e i h n e n zeigen, w i e d i e b e t r i e b l i c h e S i t u a t i o n nach m a r k t m ä ß i g e n W e r t m a ß s t ä b e n z u b e u r t e i l e n ist. D a f ü r s i n d d r e i T e i l u r t e i l e entscheidend, die z u s a m m e n g e f a ß t das G e s a m t u r t e i l g e s t a t t e n : D i e R e n t a b i l i t ä t , d i e B o n i t ä t u n d die L i q u i d i t ä t . A u f diese B e g r i f f e , die i n d e r B e t r i e b s w i r t s c h a f t s l e h r e g e l ä u f i g sind, gehen w i r h i e r k u r z ein, w e i l sie v o n d e r Wirtschaftsordnung her eine höhere Bedeutung gewinnen. 1. D i e R e n t a b i l i t ä t des U n t e r n e h m e n s b e z i e h t sich a u f das V e r h ä l t n i s z w i s c h e n s e i n e m G e w i n n u n d d e m E i g e n k a p i t a l . Sie ist d e r w i c h t i g s t e Maßstab, ob das U n t e r n e h m e n w i r t s c h a f t l i c h g u t a r b e i t e t . W e n n w i r d i e w i r t s c h a f t l i c h e L e i s t u n g eines U n t e r n e h m e n s b e u r t e i l e n w o l l e n , gen ü g t es n i c h t z u wissen, daß es e i n e n b e s t i m m t e n G e w i n n h a t . W e r m a r k t w i r t s c h a f t l i c h d e n k t , f r a g t , w i e groß d e r G e w i n n , bezogen a u f das eingesetzte E i g e n k a p i t a l , ist u n d v e r g l e i c h t dies m i t d e r m a r k t Noch zu 9 Die vorgeschlagene Sonderrücklage aus Preisangleichungen müßte sinngemäß herangezogen werden, u m Verluste aus rüddäufigen Preisen, die i n der gleichen Bilanz bei anderen Gütern oder i n den nächsten Bilanzen entstehen, auszugleichen. Reicht die Sonderrücklage nicht aus, u m Abschreibungen auf den Tageswert zu decken, so w i r d insoweit, w i e bisher, das ausgewiesene Jahresergebnis beeinträchtigt. Werden bestimmte Rücklagen i m Laufe mehrerer Jahre n i c h t aufgebraucht, so geht daraus hervor, daß es sich nicht u m eine kurzfristige Preisschwankung, sondern u m eine dauerhafte Ä n d e r u n g handelt. Ob m a n n u n mehr den G e w i n n ausschüttet, ist eine Frage der K a p i t a l s t r u k t u r . Sind die Verantwortlichen der Meinung, daß diese gesund genug ist, so sollte mart ihnen gestatten, die Rücklagen — allerdings auch m i t steuerlichen W i r k u n gen — aufzulösen u n d als G e w i n n auszuschütten. U n t e r Umständen könnte man dies von der Hauptversamimlungsmehrheit abhängig machen, die f ü r Kapitalherabsetzungen vorgesehen ist. M i t solcher Regelung sind allerdings noch nicht die allgemeinen Risiken erfaßt. W i r sind der Meinung, daß i n dieser Hinsicht gesetzlich mehr v o r gesorgt werden sollte, als es bisher durch die vorgeschriebene Rücklage von normalerweise 10 °/o des Aktienkapitals geschieht. Es ist ohnehin n i c h t sehr sinnvoll, das Risiko auf das A k t i e n k a p i t a l zu beziehen, während es doch i n der S t r u k t u r des Unternehmungsvermögens begründet ist. Sollte m a n nicht die gesetzliche Rücklage nach der Höhe des Anlage- u n d des U m l a u f v e r mögens bemessen, wobei hier n i c h t zu erörtern ist, w i e w e i t es zweckmäßig wäre, verschiedene Risikosätze nach den A r t e n der Betriebe u n d Gegenstände festzulegen? Zusammenfassend meinen w i r , daß beide Teilaufgaben des Jahresabschlusses i n dieser Weise richtiger gelöst würden: Die Wertansätze entsprechen den M a r k t w e r t e n u n d sind damit als Basis marktgerechter Entscheidungen brauchbar. Die Gewinnausschüttung u n d d a m i t die L i q u i d i t ä t werden vorsichtig auf die Preise u n d sonstigen Risiken abgestellt. io w e r d a z u gehört, ist von der gesellschaftsrechtlichen Situation abhängig. Vergleiche dazu 4. Kapitel.

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Orientierung u n d Rechenschaft

üblichen Rentabilität. Ein Unternehmen zum Beispiel, das zwar einen J ahresgewinn von D M 1 Million, aber ein Eigenkapital von D M 100 M i l lionen hat, kann demnach schlecht rentieren. Liegt die Rentabilität des Unternehmens nennenswert und nachhaltig unter der marktüblichen, so haben die Beteiligten die Ursachen sorgfältig zu erforschen und die erforderlichen Konsequenzen zu ziehen. Man sollte die Rentabilität besonders sorgfältig prüfen, bevor man Kapital für neue Anlagen des Unternehmens einsetzt. 2. Unter Bonität verstehen w i r die Sicherheit des i n der Unternehmung eingesetzten Kapitals. Sie ist vor allem von dem Risiko, das i m Unternehmungsvermögen liegt, abhängig. Es ist zu prüfen, m i t welcher Wahrscheinlichkeit die einzelnen Vermögensgegenstände tatsächlich i n die Geldwerte umgewandelt werden können, m i t denen sie bilanziert sind. Hierbei ist die A r t der Güter wichtig. Die sogenannten liquiden Mittel, nämlich Bargeld, Postscheck und Bankguthaben, sind praktisch ohne Risiko. Die Güter des Vorratsvermögens enthalten manchmal erhebliche Risiken der Verderblichkeit (zum Beispiel bei Lebensmitteln), des Modewechsels (zum Beispiel bei Textilien) und der Preisschwankungen. Immerhin werden die Vorräte üblicherweise i n weniger als einem Jahr zu Geld gemacht, so daß das spezielle Risiko übersichtlicher und kürzer ist. Demgegenüber werden die Anlagegüter meist langsam, bei Gebäuden oft erst i n Jahrzehnten, über die kalkulierten Abschreibungen i n Geld hereingeholt, vorausgesetzt, daß die Anlagen überhaupt ausgenutzt werden können. Wer ein Unternehmen i m ganzen beurteilt, soll nicht nur auf seine Rentabilität, sondern auch auf das Risiko achten, das i n seiner Vermögensstruktur liegt und somit auch auf dem Kapital lastet, m i t dem die Unternehmimg finanziert wird. Er kann erwarten, daß bei überdurchschnittlichem Risiko auch die Rentabilität höher ist, da sie dann eine „Risikoprämie" enthalten sollte. Der Gläubiger, der dem Unternehmen Kredit gibt, w i r d normalerweise besonderen Wert darauf legen, daß die stark risikobehafteten Gegenstände, vor allem die A n lagen, durch das Eigenkapital der Besitzer oder Gesellschafter gedeckt sind und er selbst sich notfalls aus den leichter verwertbaren Gegenständen des Umlaufvermögens schadlos halten kann. Andernfalls w i r d er für das erhöhte Risiko einen höheren als den marktüblichen Zinssatz fordern. 3. Liquidität bedeutet Zahlungsbereitschaft, das heißt die Fähigkeit des Unternehmens, die jeweils erforderlichen Geldmittel bereitzustellen, vor allem für die Arbeitsverdienste der Mitarbeiter, den Erwerb von Rohstoffen und Anlagegütern, den Kapitaldienst an Zinsen und Gewinnen sowie für die Steuerzahlungen. Ein Unternehmen, dessen Rentabilität und Bonität günstig liegen, w i r d seine Liquidität normaler-

Der Jahresabschluß

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weise 'durch Kredit verbessern können. Wie erwähnt, w i r d dabei jedodi vorausgesetzt, daß das Eigenkapital dem i m Unternehmen liegenden Risiko entspricht. Somit besteht eine Abhängigkeit zwischen dem Geschäftsumfang, den Risiken des Geschäftsvermögens und dem haftenden Eigenkapital. Daher ist es berechtigt, wenn die Unternehmer darauf achten, daß das Eigenkapital einer Vergrößerung des Unternehmens angepaßt wird. Andererseits bedeutet dies — was w i r für unsere weiteren Betrachtungen festzuhalten haben —, daß der Unternehmer, der die Betriebe ausbaut, seine Gesellschafter hinsichtlich der Eigenkapitalpolitik i n eine Zwangslage bringt. W i r sehen, daß alle diese Urteile sich auf betriebliche Verhältnisse beziehen. Die Rentabilität erwächst aus der Ertragskraft des Betriebes, aus der rationellen Betriebstechnik, verglichen m i t dem Kapital, das zur Finanzierung des Betriebsvermögens erforderlich ist. Die Bonität hängt von der A r t des Betriebsvermögens ab, die Liquidität besonders vom Umfang der Betriebstätigkeit 1 1 . Nun liegt ein besonderes Problem unserer Jahresabschlüsse darin, daß sie die betriebliche Situation nicht klar sichtbar machen. Umfaßt die Unternehmung, was sehr häufig ist, mehrere Betriebe, die i n selbständiger technischer Organisation verschiedene Marktleistungen bringen, so w i r d deren Zahlenwerk zusammengefaßt. Ebenso werden betriebsfremde Tatsachen nicht deutlich genug von den betrieblichen getrennt. Das hat zur Folge, daß die Zahlen nicht genug besagen, wenn f ü r einen bestimmten Betrieb Entscheidungen zu treffen sind. Geht es also darum, ob eine Weberei eines mehrstufigen großen Textilunternehmens baulich erweitert werden oder neue Webstühle erhalten soll, so zeigt das Zahlenwerk weder deren bisherige Rentabilität, noch die speziellen Risiken, noch den besonderen Finanzbedarf. Es kann durchaus sein, daß die Verhältnisse dieses Betriebes sehr von dem B i l d abweichen, das die Gesamtzahlen der Unternehmung bieten 1 2 . 11 Es sei daran erinnert, daß m i t Betrieb nicht n u r der unmittelbare Produktionsbetrieb gemeint ist, sondern auch alle übrigen Einrichtungen, die erforderlich sind, damit das Unternehmen seine besonderen Leistungen f ü r die Marktwirtschaft erbringen kann. Dazu gehören z u m Beispiel auch der zweckmäßige Einkaufs- u n d Verkaufsapparat u n d die betriebsbedingte Lagerhaltung, üblicherweise jedoch nicht der Besitz u n d die V e r w a l t u n g v o n Werkwohnhäusern oder von Beteiligungen. 12 W i r verkennen nicht, daß die Abgrenzung zwischen den Betrieben schwierig sein kann. Andererseits hat die Betriebswirtschaftslehre i m V e r lauf der letzten Jahrzehnte, v o r allem i m Zusammenhang m i t der Kostenrechnung, die notwendigen theoretischen Grundlagen geschaffen. Auch w ä h rend der nationalsozialistischen Planwirtschaft sind Vorarbeiten geleistet worden, die z u m großen T e i l übernommen werden können. Der Wirtschaftsminister hatte i n den Jahren 1936 u n d 1937 die Wirtschaftskammern u n d Wirtschaftsgruppen beauftragt, Richtlinien zur Organisation der Buchhaltung u n d einheitliche Kontenpläne auszuarbeiten. Leider sind diese Arbeiten bisher nicht so weitergeführt worden, w i e es auch i n der neuen Wirtschaftsordnung angebracht wäre.

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Orientierung u n d Rechenschaft

Der Mangel einer betrieblichen Aufgliederung bedeutet, daß der Unternehmer auch insofern vom Außenstehenden her gesehen hinter einer Mauer arbeitet. Der Betrieb steht nicht m i t der erforderlichen Klarheit unter den allgemeinen Maßstäben des Marktes. Welchen

Wert

hat

die

Bilanz?

Die herrschende Lehre der Betriebswirtschaft neigt dazu, die Forderungen, die w i r an den Jahresabschluß gestellt haben, als unerfüllbar zu betrachten. Sie schätzt vor allem den Erkenntniswert der Bilanz gering ein. Da es hierbei u m Fragen geht, die für die praktische Funktionsfähigkeit der Marktwirtschaft wichtig sind, haben w i r einiges dazu zu sagen. W i r gehen zunächst von der Bilanz aus, die auf der Aktivseite die Vermögensgegenstände des Unternehmens, gegliedert i n Anlage- und Umlaufvermögen, aufführt. Ihnen stehen auf der Passivseite die Quellen gegenüber, aus denen sie finanziert sind, und zwar das Eigenkapital und die Schulden. Nach den gesetzlichen Bilanzvorschriften w i r d das Eigenkapital bei Aktiengesellschaften i n Grundkapital und Rücklagen unterteilt und der Reingewinn als Überschuß der Aktivposten über die Passivposten ausgewiesen. Überwiegen die Passivposten, so liegt ein Reinverlust vor. Die sogenannte dynamische Bilanztheorie erklärt, die Bilanz sei i m wesentlichen nur eine Hilfsrechnung der Gewinn- und Verlustrechnung. Für diese habe sie diejenigen Ausgaben und Einnahmen festzuhalten und abzugrenzen, die nicht das abgelaufene Geschäftsjahr betreffen, und dadurch die Ermittlung des richtigen Jahresgewinnes zu ermöglichen. Die Vermögenswerte, die i n der Bilanz stehen, sind Einstandskosten, die bis zum Bilanzstichtag entstanden sind, aber erst i n den zukünftigen Erlösen der Fertigerzeugnisse wieder hereingeholt werden. Für die A n lagegüter insbesondere werden die Einstandskosten ausgewiesen, die weder i m abgelaufenen noch i n früheren Jahren als Abschreibung verrechnet worden sind. Es sind demgemäß Restwerte, die erst i n den kommenden Jahren als Abschreibungen kalkuliert und zu Geld gemacht werden. Nehmen w i r an, eine Maschine mit einer geschätzten Lebensdauer von 10 Jahren sei i m Jahre 1950 für D M 10 000 angeschafft und i n der Bilanz 1954 m i t D M 6000 bewertet, so heißt dies also nicht, daß diese Maschine einen Vermögenswert von D M 6000 habe. Bei dieser Bilanzierung komme es nur darauf an, daß für das Geschäftsjahr die anteilige Nutzung erfaßt und die Ertragsrechnung als Aufwand belastet wird. Dieser Auffassung ist i n wesentlichen Punkten zuzustimmen. Es ist unbestritten, daß für die Stichtagwerte der Anlagegüter nicht die Preise maßgebend sind, zu denen man sie am Bilanzstichtag veräußern könnte. Sie sind normalerweise nicht für eine Einzelveräußerung bestimmt,

Der Jahresabschluß

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vielmehr liegt i h r Wert i n der Gebrauchsfähigkeit i m Rahmen des Betriebes. Ein 15 Jahre altes ^Kesselhaus zum Beispiel, das i m Fabrikhof steht, kann noch lange Jahre Verwendung finden, obwohl es praktisch unverkäuflich ist. Trotzdem ist es falsch, die Anlagewerte nur nach den historischen Einstandskosten abzüglich der Abschreibungen zu bemessen, ohne die Entwicklung des Marktes zu berücksichtigen. Allerdings soll man nicht den Veräußerungswert, sondern die Wiederbeschaffungskosten oder die Wiederherstellungskosten heranziehen, zu denen sich ein Konkurrenzunternehmen entsprechende Anlagegüter beschaffen kann und m i t denen es i n Form der Abschreibungen zu kalkulieren hat. Liegen die nach den Wiederbeschaffungs- oder Wiederherstellungskosten errechneten Abschreibungen niedriger, so muß sich unser Unternehmen diesen Sätzen anpassen. Anderenfalls kalkuliert es seine Erzeugnisse i m Vergleich zu jenem Konkurrenzbetrieb zu hoch, so daß es m i t seinen Preisen nicht wettbewerbsfähig ist. Das Unternehmen kann daher nicht damit rechnen, daß i h m der historisch begründete höhere Buchwert seiner Anlagen i m Preis der damit hergestellten Erzeugnisse vergütet wird. Jede Rechnimg m i t vom M a r k t überholten Anlagewerten ist daher ebenso falsch und irreführend, als ob man m i t überholten Rohstoffpreisen kalkuliert. Das entsprechende gilt, wenn die Wiederbeschaffungs- bzw. Wiederherstellungskosten steigen. Berechnet das Unternehmen nunmehr keine höheren Abschreibungen, so kalkuliert es falsch, w e i l es nicht über seine Verkaufspreise die M i t t e l sammelt, die es benötigt, u m die Anlagen nach deren Nutzungsdauer durch neue zu den höheren Kosten zu ersetzen. Auch hier ist der Vergleich m i t Rohstoffvorräten angebracht, die man bei Preiserhöhungen m i t den neuen Marktpreisen kalkulieren muß, w e i l der Erlös sonst nicht reicht, u m neue Rohstoffe zu den höheren Preisen einzukaufen 13 . 13 W i e sollen diese Forderungen praktisch e r f ü l l t werden? Wie ist zum Beispiel der W e r t des erwähnten Kesselhauses festzustellen? Oder jener Maschine, w e n n sich i m Jahre 1959 herausstellt, daß sie voraussichtlich noch weitere drei Jahre eingesetzt werden kann? W i r fassen die Gesichtspunkte, die sich dazu ergeben, k u r z zusammen. 1. M a n w i r d die Anlagewerte normalerweise nicht jedes J a h r nach M a r k t wertänderungen zu überprüfen brauchen. Außerdem sollten die Buchwerte n u r bei größeren Verschiebungen an die Stichtagwerte angeglichen werden. Dies ist insofern begründet, als bei den Selbstkosten der meisten Erzeugnisse die Abschreibungen f ü r Anlagen wesentlich geringer sind als die Rohstoff- u n d Lohnkosten. So betragen die Abschreibungen f ü r Webstühle meist weniger als 1 °/o des Gewebepreises, so daß eine 20 Voige Preisänderung der Stühle w e n i g ausmacht. 2. U m sicherzustellen, daß die Anlagen n i c h t w i l l k ü r l i c h , sondern sachgerecht u n d v o r a l l e m auch f ü r vergleichbare Fälle gleichartig bewertet werden, benötigt m a n Spezialisten, die f ü r ganze Gruppen ähnlicher Betriebe tätig werden u n d nach einheitlichen Richtlinien arbeiten.

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Orientierung u n d Rechenschaft

D i e d y n a m i s c h e B i l a n z l e h r e ist also e i n s e i t i g u n d u n v o l l s t ä n d i g . Selbst i h r begrenztes Z i e l , d e n G e w i n n oder V e r l u s t des Geschäftsjahres r i c h t i g abzugrenzen, k a n n n u r e r r e i c h t w e r d e n , w e n n d i e B i l a n z w e r t e Z e i t w e r t e s i n d . V o n i h r e m S t a n d p u n k t aus ist schon d i e A n p a s s u n g des U m l a u f v e r m ö g e n s a n d i e M a r k t w e r t e des B i l a n z s t i c h t a g e s gemäß d e m N i e d e r s t w e r t p r i n z i p u n k o n s e q u e n t . Es besteht k e i n h i n r e i c h e n d e r G r u n d , dies n u r b e i m U m l a u f v e r m ö g e n u n d auch d o r t n u r b e i n i e d r i g e r e n Z e i t w e r t e n z u t u n , i m ü b r i g e n aber a n d e n B u c h w e r t e n h ä n g e n z u b l e i b e n . A u c h d i e G e w i n n - u n d V e r l u s t r e c h n u n g ist u n b r a u c h b a r , soweit d e r dort erfaßte A u f w a n d auf historischen u n d nicht zeitgemäßen W e r t e n b e r u h t . Das g i l t n a t ü r l i c h noch m e h r , s o w e i t d i e Z a h l e n zusätzlich durch die B i l d u n g oder A u f l ö s u n g stiller Rücklagen v e r fälscht sind. Noch zu 1 3 3. E i n Unternehmen, das Anlagegüter u n t e r den Marktpreisen angeschafft hat, erzielt d a m i t grundsätzlich ebenso einen Einkaufsgewinn, als w e n n es sich u m einen günstigen Rohstoffeinkauf handelt. So k a n n die Angleichung der Anschaffungs- a n die üblichen Wiederbeschaffungskosten auch zu einer Werterhöhung führen, w e n n die Marktpreise nicht gestiegen sind. 4. Analog w i e beim Umlaufvermögen sind Gewinne aus M a r k t w e r t e r h ö h u n gen Sonderrücklagen zuzuführen. Sie dürfen nicht ohne weiteres als Gew i n n e versteuert und verteilt werden. Dabei ist an das besondere Risiko, das im. Anlagevermögen liegt, zu denken, es ist selbst dann groß, w e n n die Wiederbeschaffungskosten sich nicht ändern. Die Anlagen können i m a l l gemeinen n u r i n i h r e Geldwerte umgesetzt werden, w e n n die auf längere Zeiträume veranschlagte N u t z u n g tatsächlich möglich ist. 5. Es w ä r e jedoch falsch anzunehmen, daß somit die Wertangleichung von Anlagen praktisch überhaupt bedeutungslos ist. I n einer Zeit, deren technische E n t w i c k l u n g überaus schwer vorauszusehen ist, liegt allein i n der Schätzung der voraussichtlichen Nutzungsdauer stets eine große Unsicherheit. Die Fehlschätzungen werden üblicherweise erhebliche Differenzen z w i schen den Bilanzwerten der Anlagen u n d den w i r k l i c h e n Werten v e r u r sachen. Diese Abweichungen werden sowohl i m H i n b l i c k auf die Buchwerte w i e auf das zahlenmäßige Eigenkapital beachtlich sein. Z w i n g t m a n den U n ternehmer, sich, sagen w i r , alle v i e r Jahre darüber Rechenschaft zu geben u n d z u k ü n f t i g sein Denken auf die berichtigten Werte abzustellen, so w i r d das f ü r viele Entscheidungen, v o r a l l e m f ü r die Preis- u n d Investitionspolitik, aber auch f ü r den K a p i t a l m a r k t bedeutungsvoll sein. F ü r die Gesamtwirtschaft ist es wichtig, daß der große A n t e i l des Sozialvermögens, der i n den Anlagen liegt, richtig, d. h. marktgerecht verwaltet w i r d . Einen gewissen Einblick, welchen U m f a n g allein die stillen Rücklagen des Anlagevermögens hatten, gestattete die Umstellung der Bilanzen zum Stichtag der Währungsreform. O b w o h l die A u f w e r t u n g des Anlagevermögens durch das Gesetz stark beschränkt war, w u r d e n die Sachanlagen von 180 statistisch erfaßten Aktiengesellschaften der T e x t i l - u n d Bekleidungsindustrie von 314 M i l l i o n e n R M auf 672 M i l l i o n e n D M erhöht, das heißt mehr als verdoppelt. Bezogen auf das frühere Eigenkapital dieser Gesellschaften ( A k tienkapital u n d offene Rücklagen) beträgt die A u f w e r t u n g r u n d 35 °/o. Allerdings sind i n den vergangenen Jahrzehnten die Differenzen zwischen Buch- u n d Zeitwert wesenlich durch die Geldentwertung beeinflußt worden; durch Umstände also, die bei einer gesünderen Wirtschaftsordnung e n t fallen.

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Der Jahresabschluß

W i r d jedoch nach Marktwerten bilanziert, so gibt uns die Bilanz diejenigen Werte an, die nach der Marktlage des Bilanzstichtages voraussichtlich i m kommenden oder i n späteren Geschäftsjahren kalkuliert und als Erlöse vereinnahmt werden können. Das Eigenkapital ist dabei nicht als Überschuß der Veräußerungs-, sondern der kalkulierbaren Werte der Vermögensgüter über die Schulden zu verstehen. Es ist selbstverständlich nicht identisch mit dem Betrag, den ein Erwerber des Gesamtunternehmens den Eigentümern zahlen würde. Vielmehr w i r d der Erwerber alle Gesichtspunkte berücksichtigen, die w i r als maßgebend für das Gesamturteil über die Unternehmung herausgestellt haben, nämlich seine Rentabilität, Bonität und Liquidität. Es w a r verdienstlich, daß die Betriebswirtschaftslehre frühere naivere Auffassungen über den Charakter der Bilanzwerte beseitigt hat. Aber auch wenn w i r den Kostencharakter der Bilanzwerte anerkennen — wobei w i r allerdings nicht die historisch entstandenen, sondern die am Stichtag kalkulierbaren Kosten nehmen —, so bietet die Bilanz uns die Erkenntnisse, auf die die Praxis nicht verzichten kann. Während man heute diese Aufgabe der Bilanz abstreitet, sucht man sich auf Umwegen durch notdürftige Korrekturen und Hilfsrechnungen die Zahlen zu verschaffen, die v i e l leichter und zuverlässiger aus der wahren Bilanz zu entnehmen wären. Durch Hintertüren läßt man die Wirklichkeit herein, die man vorn als vermeintlichen I r r t u m herausgeworfen hat. Die

undurchsichtige GewinnVerlustrechnung

und

Aufgabe der Gewinn- und Verlustrechnung ist zu zeigen, wie der Jahresgewinn oder -verlust zustande kommt. Zu diesem Zweck werden die Aufwendungen des Geschäftsjahres den Erträgen gegenübergestellt, wobei der Überschuß der größeren Seite den gleichen Reingewinn oder -verlust wie i n der Bilanz zeigt. Das Aktiengesetz gibt ein Gliederungsschema, das darauf gerichtet ist, das Betriebsergebnis von Sondereinflüssen abzugrenzen, indem unter anderem bei den Erträgen „außerordentliche Erträge" und „Erträge aus Beteiligungen", bei den Aufwendungen „außerordentliche Aufwendungen" in besonderen Positionen angegeben werden müssen. I m ganzen genommen erscheinen die Vorschriften jedoch zwiespältig, da man einerseits die Entwicklung des Geschäftsgewinnes zeigen, andererseits aber Dritten keinen Einblick geben w i l l , durch den das Geschäftsgeheimnis verletzt werden könnte. I n der heute gültigen Form ist demzufolge gegen ihren Erkenntniswert folgendes einzuwenden: 1. Der Reingewinn bzw. -verlust ist ohnehin durch die oben besprochene falsche Bewertung so weit verzerrt, daß der Außenstehende aus dem ausgewiesenen Betrag kaum etwas entnehmen kann.

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Orientierung u n d Rechenschaft

2. Die beiden wichtigsten Größen werden nicht einzeln ausgewiesen, sondern miteinander saldiert. Es sind der Jahresumsatz des Unternehmens und der Rohst off auf wand. W i l l man sich ein B i l d der Leistimg des Unternehmens machen, so kommt man vor allem nicht ohne die Umsatzzahlen aus. M a n muß; sie ins Verhältnis zum Gewinn, zum A n lagevermögen, zum Umlaufvermögen, zum A u f w a n d an Rohstoffen, Löhnen, Abschreibungen usw. setzen, um die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens beurteilen zu können. 3. Es wäre wichtig zu erkennen, was vom Betriebsergebnis aus der Ausnutzung der Marktlage durch geschickten Einkauf und Verkauf herrührt u n d was aus der zweckmäßigen Gestaltung des eigentlichen Betriebes, also aus der betriebstechnischen Leistung. Diese Aufteilung wäre wichtig, weil 'der Gewinn des eigentlichen Betriebes i m allgemeinen nachhaltiger ist, als etwa ein Einkaufsgewinn; denn vielleicht hat man nächstes Jahr das Unglück, i m falschen Zeitpunkt einzukaufen. Geht man dazu über, Gewinne, die aus Preisangleichungen der Bilanzwerte herrühren, besonders zu erfassen und rückzulegen, so kann man das Jahresergebnis wenigstens von den Einkaufsgewinnen bereinigen, die aus Dispositionen früherer Jahre stammen 1 4 . Es ist jedoch schwerer, diese Aufteilung auch für die kaufmännischen Gewinne des Geschäftsjahres selbst durchzuführen, so daß man sie zwar anstreben, aber nicht gesetzlich fordern sollte. 4. Mangelhafte Kenntnis der Wirklichkeit Publizität und Geschäftsgeheimnis Wer von den üblichen Bilanzen ausgeht, die von Aktiengesellschaften vorgelegt werden, kann als Fachmann wohl einiges daraus ersehen, ein ausreichendes U r t e i l über die Lage der Unternehmung kann er jedoch nicht daraus gewinnen. Das Aktiengesetz fordert zwar ausdrücklich: „Der Jahresabschluß ist so k l a r und übersichtlich aufzustellen, daß er einen möglichst sicheren Einblick i n die Lage der Gesellschaft gewährt", doch nimmt kaum jemand diesen Satz ernst. Gewinn und Eigenkapital 14 Diese A u f t e i l u n g ist noch n i c h t gegeben, w e n n z u m Bilanztermin die Vermögensgegenstände m i t dem n u n m e h r gültigen Marktpreis bewertet werden; denn die i m Geschäftsjahr bereits realisierten M a r k t g e w i n n e oder -Verluste werden dadurch nicht isoliert. Wenn m a n nach unserem oben gewählten Beispiel (vergleiche A n m e r k u n g 9) w ä h r e n d des Geschäftsjahres insgesamt 500 000 K i l o Baumwollgarn m i t D M 5,60 j e K i l o gekauft hat, von denen a m Bilanzstichtig n u r noch 90 000 K i l o auf Lager sind, w e n n ferner der Marktpreis n u n m e h r D M 5,80 j e K i l o beträgt, so werden n u r noch 90 000 K i l o m i t D M 0,20 = D M 18 000,— aufgewertet, während der sonstige M a r k t g e w i n n schon durch den V e r k a u f der erzeugten Gewebe realisiert ist. W i r d die Rücklage nach den Beständen u n d Werten der Vorjahresbilanz ermittelt, so werden wenigstens die Preisgewinne isoliert, die aus den E i n kauf sdispos it ionen des Vorjahres stammen.

Mangelhafte Kenntnis der W i r k l i c h k e i t

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sind so undurchsichtig, daß niemand mehr die Rentabilität m i t ausreichender Sicherheit schätzen kann. Man vermutet zwar üblicherweise, daß die Bonität u n d Liquidität wegen der „vorsichtigen Bewertung" günstiger sind, als die Bilanz ausweist. Dabei handelt es sich aber um unbekannte Größen, bei denen man sich gefährlich verrechnen kann. M a n weiß nicht, ob auch dann, wenn es darauf ankommt, besonders i n schlechten Zeiten, noch stille Rücklagen da sind oder ob sie ebenso still, wie sie geschaffen, bereits aufgelöst wurden. So stehen w i r heute vor der seltsamen Tatsache, daß die Aktiengesellschaften Jahresabschlüsse erstellen, von denen jeder Eingeweihte weiß, daß das Zahlenwerk wenig besagt, jedenfalls zuwenig für diejenigen, die daraufhin, etwa als Aktionäre oder Gläubiger, wichtige Entscheidungen treffen sollen. Das Ergebnis ist, daß die Steuerbilanz, die seit jeher von den Unternehmern als wirtschaftlich falsch bekämpft wird, nach allgemeiner Auffassung zuverlässiger als die von den Unternehmern aufgestellte Handelsbilanz ist. Bezeichnend für diese Verhältnisse ist es, wenn die von den Schutzvereinigungen für Wertpapierbesitz i m Jahre 1952 herausgegebene Denkschrift zur Reform des Aktienrechts erklärt, der Aktionär sei ja befugt, die Vorlage einer Steuerbilanz zu verlangen, wenn i h m nur dadurch die nötige A u f klärung verschafft werden kann. Diese Scheu, anderen Einblicke i n die Geschäftslage zu geben, zeigt sich auch i n der Publizität, zu der die Aktiengesellschaften verpflichtet sind. Die Geschäftsberichte w i e auch die Bilanzen und Gewinn- und Verlustrechnungen, die veröffentlicht werden, gehen üblicherweise über die aktienrechtlichen Mindestangaben kaum hinaus. Z u den Hauptversammlungen werden zum großen Teil Presse und Öffentlichkeit nicht zugelassen. I m ganzen genommen werden die an sich schon unzulänglichen Vorschriften n u r als lästiges Übel empfunden, dem man nach Möglichkeit ausweicht 15 . Noch seltener kommt es vor, daß Unternehmen, die keiner Publizitätspflicht unterliegen, trotzdem ihren Jahresabschluß i n der Presse veröffentlichen und besprechen lassen. So kommt es, daß auch große Unternehmungen m i t einem Vermögen von zig Millionen und mehrtausendköpfiger Belegschaft der Öffentlichkeit über ihre Tätigkeit keine Rechenschaft ablegen. Worauf beruht diese Publizitätsfeindlichkeit? Üblicherweise antworten die Unternehmer darauf, man wolle der Konkurrenz keinen Einblick i n 'die Zahlen gewähren. Diese Begründung überzeugt nicht. Was kann eigentlich die Konkurrenz aus den Zahlen des Abschlusses an Betriebsgeheimnissen zum Schaden des Unternehmens entnehmen? Die Unternehmerleistung liegt i n geschickten Einkaufs- und Verkaufsmethoden 15

Es gibt auch vorbildliche Ausnahmen.

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Orientierung u n d Rechenschaft

und i n der zweckmäßigen Betriebsgestaltung. Davon zeigen die A b schlußzahlen i m einzelnen nichts, sie zeigen eigentlich n u r die Ergebnisse und gestatten einen Vergleich der Ergebnisse. Das unangebrachte Betriebsgeheimnis aber bedeutet, daß sich die Unternehmen einem solchen Vergleich durch andere nicht stellen. Die amerikanischen Unternehmen, die i m allgemeinen einem noch stärkeren Konkurrenzkampf ausgesetzt sind und die i n dieser Hinsicht sicher recht gut wissen, was sie tun, zeigen eine andere Praxis. Dort gelten zum Beispiel stille Rücklagen i m Vorratsvermögen als Betrug an den Aktionären, und die Umsatzzahlen werden offen ausgewiesen. Darüber hinaus betrachten sie die Veröffentlichung eines guten Geschäftsergebnisses als gute Werbung. Gerade wegen des starken Wettbewerbs legen sie Wert darauf, daß die Öffentlichkeit immer wieder von ihnen hört. Die eigentlichen Gründe für die Publizitätsfeindlichkeit der deutschen Unternehmer liegen auf anderem Gebiet. Allgemein kann man wohl sagen, daß die Unternehmer die Mühe scheuen, das Geschäftsergebnis vor ihren Marktpartnern und der Öffentlichkeit zu vertreten. Manche verzichten auf den Ausweis besonders guter Geschäftsergebnisse, weil sie i n anderen Jahren möglicherweise schlechtere veröffentlichen müssen, die dem Ruf ihrer Tüchtigkeit und der Firma weniger günstig sind. Dazu kommt vielf ach der Wunsch, die erzielten Gewinne i m Unternehmen zu behalten und nicht an die Aktionäre auszuschütten; so zeigt man sie möglichst nicht, um Diskussionen zu vermeiden. Ferner fürchten viele, daß gute Geschäftsergebnisse die Arbeitnehmer zu Forderungen nach höheren Gehältern und Löhnen anreizen. Wieder andere Unternehmen halten den Ausweis hoher Gewinne politisch für bedenklich. Hier w i r k t sich vielfach ein schlechtes Gewissen aus jener Zeit aus, i n der hohe Gewinne ohne entsprechende unternehmerische Leistung entstanden sind. Damals konnten tatsächlich solche Ergebnisse als anstößig und aufreizend gelten. Schließlich gerät der deutsche Unternehmer nicht gern i n den Brennpunkt der Öffentlichkeit, u m gewissermaßen vor einem politischen Forum für sein Unternehmen und für das Wirtschaftssystem einstehen zu müssen. Die Frage ist jedoch, ob diese Motive wirklich vom zivilen Standort aus anerkannt werden können oder ob w i r nicht umgekehrt i n unserer Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung die Unternehmerschaft zwingen sollten, für i h r Tun stärker als bisher auch i n der Öffentlichkeit einzustehen. Denken w i r daran, daß w o h l i n jeder früheren Gesellschaftsordnung die jeweiligen Oberschichten veranlaßt waren, auch nach außen h i n i n Erscheinung zu treten und das gesellschaftspolitische Rückgrat der Ordnung zu bilden. Wenn w i r den Wirtschaftsapparat dem Zivilisten be-

Mangelhafte Kenntnis der W i r k l i c h k e i t

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wüßt dienstbar machen wollen, müssen auch die Unternehmer ziviler werden. Dazu gehört, daß sie sich und ihre Arbeit der Kontrolle der Öffentlichkeit stellen. I n diesem Sinne kann die Publizität der Unternehmungen dazu beitragen, die Unternehmer i n einer neuen bürgerlichen Gesellschaft zu integrieren, was, wenn auch aus anderen Gründen, ähnlich dringend ist wie die Integration der Arbeiter. Das

Interesse

des

Marktes

I m übrigen ist eine bessere Publizität der Jahresabschlüsse auch aus unseren wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten notwendig, weil anderenfalls die Marktwirtschaft nicht reibungslos und zweckmäßig arbeiten kann. Die Jahresabschlüsse sind für viele Wirtschaftspartner das, was die Kenntnis der Fleischpreise für die Hausfrauen darstellen: die Orientierung, w i e sie ihre Marktentscheidungen am besten treffen. Es ist recht zweifelhaft, ob selbst die Zwecke, die den Gesetzgeber beim gültigen Bilanzrecht bestimmt haben, gesichert sind. Man wollte Aktionäre und Gläubiger vor unangenehmen Überraschungen schützen und dafür sorgen, daß das Vermögen der Unternehmungen nicht zu hoch ausgewiesen wird. M i t Recht hat uns die Betriebswirtschaftslehre aber darauf hingewiesen, daß sich wichtige Vermögenswerte, vor allem des Anlagevermögens, n u r realisieren lassen, wenn die Betriebe rentabel sind und fortgeführt werden können. Daher müßten Aktionäre und Gläubiger i n erster Linie erkennen können, ob das der Fall ist. Die heutige Bewertungsmethode gestattet dem Unternehmen jedoch, den Außenstehenden über die Rentabilität zu täuschen, indem sie Gewinne aus der Auflösung stiller Rücklagen ausweisen, während sie in Wirklichkeit m i t Verlust arbeiten. So kann die vorsichtige Bewertung auch diejenigen irreführen, zu deren Schutz sie geschaffen wurde 1 6 . 16 I m übrigen ist zu bedenken, daß sich die Bewertungsregeln des A k t i e n gesetzes i n Krisenzeiten, besonders i n der Weltwirtschaftskrise, als unzulängl i c h erwiesen haben. A u f G r u n d dieser Erfahrungen w u r d e n durch die A k tienrechtsnovelle von 1931, die i m wesentlichen i n das Aktiengesetz von 1937 einging, unabhängige Pflichtprüfer vorgeschrieben, die dafür sorgen sollen, daß der Jahresabschluß m i t den gesetzlichen Bestimmungen übereinstimmt. Das Bewertungsrecht selbst läßt jedoch die irreführenden Ergebnisse entstehen, außerdem aber schützen die Bilanzprüfer nach der üblichen Praxis nicht v o r rechtswidrigen Täuschungen; denn die Prüfer sind meist nicht bei der I n v e n t u r der Bestände anwesend. Die Unternehmer sind gewöhnt, daß die Bilanz nicht i m H i n b l i c k auf die Wahrheit, sondern auf ihre speziellen Zwecke gemacht w i r d . W i e werden sie handeln, w e n n die Rücklagen durch Verluste aufgezehrt sind u n d ein Jahresverlust ausgewiesen werden müßte, vor allem w e n n sie sorgen müssen, daß der Aufsichtsrat, die Kreditgeber, die Börse, die Lieferanten negativ auf den schlechten Jahresabschluß reagieren? Liegt es nicht nahe, daß zumindest Minderwerte i n den Beständen nicht m i t der erforderlichen Sorgfalt erfaßt werden? W i r d nicht die Versuchung w a c h werden, daß m a n darüber hinaus „optische" K o r r e k t u r e n nach oben v o r n i m m t , so w i e man es sonst nach unten

6 Kahl, Macht und Markt

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Orientierung u n d Rechenschaft

Es ist jedoch zu eng, wenn w i r als Interessenten an richtigen A b schlußzahlen nur die jeweiligen Gesellschafter oder Gläubiger der Unternehmungen betrachten. Vor allem geht es nicht nur u m rein private Interessen der Kapitalisten, die ihr Geld i n A k t i e n oder Krediten anlegen, sondern auch, wie w i r später weiterhin zeigen werden, u m die Funktionsfähigkeit der Marktwirtschaft überhaupt. Greifen w i r den oben gebrauchten Vergleich noch einmal auf: Auch die Publizität der Fleischpreise ist nicht nur i m Sinne der Hausfrau, die als K u n d i n bereits i m Metzgerladen steht, sie ist erforderlich, damit auch andere Hausfrauen und Metzger, aber auch deren Lieferanten, sich daran orientieren können, ferner die Wirtschafts- und Sozialpolitiker wegen der Lebenshaltungskosten und manch andere. Wichtig ist ebenso, daß die Bürger wie die Unternehmen der W i r t schaft einen allgemeinen Marktüberblick über die Lage der Unternehmungen besitzen, an dem sie ihre Entscheidungen ausrichten. Dafür ist es oft nicht ausreichend zu wissen, wie es gerade bei einem bestimmten Unternehmen aussieht, es kommt mehr auf die Kenntnis etwa der Branche oder eines regionalen Arbeitsmarktes oder der Zinsverhältnisse an. Viele Fehldispositionen auf den verschiedenen Marktgebieten erklären sich daraus, daß dieser Überblick fehlt, daß vor allem auch die Unternehmer „schwimmen" 1 7 . Notwendig ist daher eine allgemeine Statistik der Jahresabschlüsse, die nicht n u r die Aktiengesellschaften, sondern auch die marktwichtigen Unternehmen anderer Rechtsform umfaßt. Dazu sollten auch die Unternehmungen herangezogen werden, die ihre Abschlüsse nicht veröffentlichen müssen. Diese Statistik sollte Markturteile ermöglichen, die auf Marktwerten basieren und, soweit die Unternehmen mehrere Betriebe verschiedener A r t besitzen, betrieblich aufgegliedert sind. Soweit Bedenken vorhanden sind, die Abschlußzahlen würden nicht vertraulich behandelt werden, ist auf die guten Erfahrungen hinzuNoch zu 1 6 getan hat? Vielleicht beruhigt m a n das Gewissen, daß man j a i m nächsten Jahr, w e n n die Geschäftslage besser ist, vorsichtiger bewerten kann. W i r glauben nicht, daß w i r m i t solchem Zweifel der Unternehmerschaft i m ganzen unrecht tun, u n d können durchaus unterstellen, daß der weitaus größte T e i l der Unternehmer solcher Versuchung widerstehen w i r d . Sinn der gesetzlichen Vorschriften ist aber auch der Schutz gegen bewußte Täuschungen, die heute zwar etwas schwerer als v o r 1931, keineswegs aber allzu schwer sind. W i l l m a n f ü r diejenigen, die i n der Versuchung schwach werden k ö n n ten, v o r allem aber i m Interesse der übrigen Betroffenen Vorsorgen, so k a n n man dem Unternehmer nicht die I n v e n t u r überlassen u n d sich vorstellen, daß der Bilanzprüfer u n d eine zweckmäßige Gliederung der Bilanz gegen die bekannten Gefahren genügen. Die Erfahrungen der letzten beiden Jahrzehnte beweisen n i c h t v i e l ; noch haben diese Bestimmungen keine schwere Bewährungsprobe bestehen müssen. 17 Die A u s w i r k u n g e n dieser unzulänglichen M a r k t k e n n t n i s ist konkreter i n den folgenden K a p i t e l n zu zeigen.

Mangelhafte Kenntnis der W i r k l i c h k e i t

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weisen, die w i r m i t der steuerlichen Geheimhaltung haben. Noch wichtiger aber ist, daß bereits eine Statistik betrieblicher Vorgänge besteht, die auf viel heikleren Zahlen beruht. So haben die Industriebetriebe monatlich „Industrieberichte" u n d „Fachberichte" zu geben, die zum Beispiel die Zahlen der Beschäftigten, die geleisteten Arbeitsstunden, die Löhne und Gehälter, die w e i t h i n untergliederten Umsätze, A u f tragseingänge, Rohstoffeingänge, Rohstoffverbrauch, Vorräte und Maschinenbestände enthalten. Diese Fachberichte werden meist nicht nur an die statistischen Landesämter, sondern auch f r e i w i l l i g an die Fachverbände sowie die Industrie- und Handelskammern gesandt. Solche Statistiken weisen aber zwei erhebliche Nachteile auf. Einmal, daßi die Zahlen i n den Unternehmungen selbst zusammengestellt werden und die statistischen Ämter nicht wissen, wie zuverlässig diese Angaben sind. Sicher sind die Angaben genauer, seitdem die Unternehmer nicht fürchten müssen, daß. sie bei der Wirtschaftsplanung, zum Beispiel bei der Zuteilung von Rohstoffen, verwertet werden. Immerh i n kann es sein, daß aus Nachlässigkeit oder auch aus wirtschaftspolitischen Zweckmäßigkeitserwägungen falsche Angaben gemacht werden. Der andere Nachteil liegt darin, daß die erfaßten Tatsachen nicht nach den entscheidenden Gesichtspunkten der Rentabilität, Bonität und Liquidität der Unternehmen zusammengefaßt werden. Auch der Unternehmer kann seine Geschäftspolitik nicht nur auf statistischen Zahlen aufbauen, da das Gesamturteil seiner Tätigkeit i n den typischen Zahlen des Jahresabschlusses liegt. Daher können die bisherigen Statistiken weder für die Marktinteressenten noch für die Wirtschaftspolitik i n der Marktwirtschaft Entscheidendes besagen. Sie verraten ein Denken, das noch stark i n der Planwirtschaft wurzelt. Noch fehlt der Wirtschaftspolitik das statistische Instrument, das unserer heutigen Wirtschaft entspricht, ein Zahlenwerk, das die Fehlentwicklungen rechtzeitig anzeigt, welche die typischen Gefahren der bisherigen Marktwirtschaft verursachen. Es ist n u r aus der Statistik objektiv richtiger, betrieblich untergliederter Jahresabschlüsse der Unternehmungen zu gewinnen. S e l b s t t ä u s c h u n g der Unternehmer Die Unternehmer frisieren ihre Jahresabschlüsse weitgehend so, wie es ihnen i m Hinblick auf ihre Marktpartner und die Öffentlichkeit zweckmäßig erscheint. Man könnte meinen, daß dadurch höchstens Außenstehende getäuscht werden, während ihnen i h r internes Rechnungswesen alle Einsichten vermittelt, die für eine zweckbewußte, planmäßige Geschäftsführung erforderlich sind. Darin könnten alle stillen Rücklagen, die aus „bilanzpolitischen" Gründen gelegt werden, ausgegliedert werden. Es könnte auch eine klare Erfolgsrechnung, gegliedert nach den einzelnen Betrieben und für diese wiederum nach den Ertragsquellen und Aufwandsarten, umfassen, während n u r i n der offi6*

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Orientierung u n d Rechenschaft

ziellen Rechnungslegung die Zahlen soweit zusammengezogen werden, daß der Außenstehende nicht mehr viel erkennen kann. Die Wirklichkeit ist anders. Allzuoft w i r d das „Geschäftsgeheimnis" so wirksam praktiziert, daß es für die Unternehmungsleitung selbst undurchsichtig wird. So werden die Unternehmer das Opfer teils der gesetzlichen Bewertungsregeln, teils der eigenen W i l l k ü r , durch die sie eigentlich nur anderen den Einblick i n die Verhältnisse verschleiern wollen. Hier bestätigt sich die Lebenserfahrung, daß äußere Unwahrheit auch innere Schäden verursacht. Hierüber gibt es naturgemäß keine Statistik. Wer jedoch die Praxis der Wirtschaft kennt, w i r d zugeben müssen, daß die folgenden Angaben zutreffen. Ein erheblicher Teil der stillen Rücklagen w i r d nicht nur für die Handelsbilanz, sondern auch — oder sogar vor allem — für die Steuerbilanz geschaffen. Diese stillen Rücklagen der Steuerbilanz werden aus verständlichen Gründen selten genau erfaßt und für die laufende Geschäftspolitik wieder berichtigt. Wenn man etwa beim Steuerprüfer durchgekämpft hat, daß für eine Maschinengruppe 20 % jährlich abgeschrieben werden dürfen, obwohl 10 % objektiv angemessen wären, so führt dies dazu, daß 5 Jahre lang zuviel und danach nichts mehr abgeschrieben werden kann. Würde das Unternehmen seine Selbstkostenrechnung abweichend von der Jahresrechnung aber auf die richtigen 10 o/o Abschreibung abstellen, so wäre das gefährlich. Man würde riskieren, wegen Steuerhinterziehimg belangt zu werden. Also geht die falsche Abschreibung auch i n das laufende Rechnungswesen ein. Ähnlich ist es, wenn die Unternehmung Großreparaturen oder Bauten hatte, die richtigerweise i m Verlaufe mehrerer Jahre abgeschrieben werde müßten, während man aus steuerlichen Gründen versucht, die dafür entstandenen Kosten über laufende Aufwendungen zu verbuchen und dadurch den steuerpflichtigen Gewinn zu drücken. Noch mehr w i r k t es sich meist beim Umlaufvermögen aus. Hier ist der Blick, vor allem i n guten Geschäftsjahren, schon bei der Aufnahme und bei der Bewertung der Vorräte so stark auf die steuerlichen Gesichtspunkte gerichtet, daß kaum versucht wird, den objektiven Wert neben den Bilanzwerten sorgfältig zu erfassen und festzuhalten. Sobald man sich darüber k l a r wäre, daß die Inventurwerte unter den objektiven Werten liegen, würde man sich strafbar machen. Daher ist auch hier Klarheit gefährlich — besonders wenn man Angestellte ins Vertrauen ziehen muß. Aber auch i n anderen Fällen, i n denen es ungefährlich wäre, stille Rücklagen für die laufende Rechnung zu berichtigen, geschieht es nur selten. Das gilt vor allem für die zwangsläufigen Rücklagen, die aus dem Unterschied zwischen den Einstandskosten und höheren M a r k t werten des Stichtages entstehen. Es gilt ebenso für steuerliche Sonder-

Unternehmer u n d Fiskus i m K a m p f u m die Steuerbilanz

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abschreibungen, die aus wirtschafts- oder sozialpolitischen Gründen gestattet werden. Schließlich werden selbst die Wirtschaftsgüter, die nur i n der Handelsbilanz, nicht aber in, der Steuerbilanz, abgewertet werden, i n vielen Fällen nicht für die laufende Geschäftspolitik berichtigt. Zusammenfassend kann man feststellen, daß die Summe dieser Differenzen zwischen Buchwerten und Tageswerten üblicherweise recht erheblich ist. A u f die Folgen, die dadurch f ü r die Unternehmung selbst wie f ü r die gesamte Wirtschaftsordnung entstehen, gehen w i r später ein. 5. Unternehmer und Fiskus im Kampf um die Steuerbilanz Einheitliche

Bewertungsregeln

Es ist verständlich, daß die Steuerbehörden die von den Unternehmungen vorgelegten Jahresabschlüsse nicht ohne weiteres anerkennen, da sie die Steuer nicht von Gewinnzahlen abhängig machen können, welche die Unternehmungen mehr oder weniger w i l l k ü r l i c h selbst festgesetzt haben. Die Steuern sollen von allen Steuerpflichtigen nach gleichen Maßstäben erhoben werden, was eine objektive Gewinnermittlung voraussetzt. Da das System der unternehmerischen Rechnungslegung diese Forderung nicht erfüllt, hat sich der Fiskus sein eigenes System geschaffen. Es umfaßt gesetzliche Vorschriften über die Grundsätze der ordnungsmäßigen Buchführung, eigene Bewertungsnormen sowie eine durchgebildete u n d umfangreiche Organisation der Abschlußprüfimg, die mit weitgehenden zentralen Richtlinien für ihre Arbeit ausgestattet ist. Schließlich befassen sich die Finanzgerichte, zum Teil durch spezielle Senate, m i t den strittigen Fragen des Buchführungs- und Bilanzwesens. Sieht man sich die Prinzipien — auf die Praxis kommen w i r später noch —, nach denen die steuerlichen Gewinne ermittelt werden, an, so ist nicht zu verkennen, daß der Fiskus weitgehend bemüht ist, die Erkenntnisse der Betriebs Wissenschaft sinnvoll anzuwenden und den berechtigten Bedürfnissen der Praxis zu entsprechen. Das zeigt sich zum Beispiel, wenn man die i m Aktiengesetz niedergelegten Vorschriften über die Rechnungslegung als die heute gültigen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung bezeichnet, die somit auch für Einzelkaufleute, Personalgesellschaften und G'en mbH. zu gelten haben. Die steuerlichen Bewertungsgrundsätze sind bewußt denjenigen des Aktiengesetzes angepaßt worden. Die Übereinstimmung zwischen Steuerrecht und Handelsrecht geht sogar soweit, daß die gleichen Verstöße des Wertsystems gegen die Wirtschaftsordnung legalisiert werden. Die Wege trennen sich erst, w o das Handelsrecht den Unternehmern gestattet, unter seine Bewertungsregeln herunterzugehen und nach ihrem Ermessen zusätzliche stille Rücklagen zu schaffen. Die Bewertungsprinzipien binden also i m Steuerrecht nach oben und unten, beim Handelsrecht dagegen nur nach oben. Immerhin ist insoweit durchaus eine Grundlage für eine

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Orientierung u n d Rechenschaft

gemeinsame und einheitliche Feststellung der Bilanz und des Gewinnes vorhanden 1 8 . j Es gibt keinen inneren Grund, den steuerlichen Gewinn nach anderen als objektiven betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten festzustellen. Ist der Fiskus — wie zugleich bitter und ironisch bemerkt w i r d — der Hauptteilhaber der Unternehmungen, so muß er auch an ihrem dauerhaften Wohlergehen interessiert sein. Vorübergehende höhere Steuererträge, die nicht auf echtem Gewinn begründet sind und daher die Unternehmungen auf die Dauer schwächen, sind ebenso abzulehnen wie zu hohe Gewinnausschüttungen an die Gesellschafter. Bindet man aber die Steuerbilanz ebenso an den objektiven Gewinn, wie w i r es für die« Handelsbilanz oben vorgeschlagen haben, so sehen w i r grundsätzlich nicht ein, warum überhaupt getrennte Handels- und Steuerbilanzen notwendig sind. Ebenso w i r d die besondere Vermögensteuerbilanz, die der Fiskus von den Unternehmungen noch aufstellen läßt, unnötig, denn die Bilanz, die das Unternehmungsvermögen nach Marktwerten erfaßt, ist zugleich die beste Basis der Vermögensteuer. Der

Fiskus

als

Interessent

Allerdings könnte der Fiskus selbst bei gleichen Bewertungsprinzipien es nicht den Unternehmungen überlassen, wie sie diese konkret anwenden. Die Unternehmungen sind schon jetzt verpflichtet, zunächst ihre Steuerbilanz selbst aufzustellen, wobei es doch regelmäßig Streit über die richtige Anwendimg der Steuergesetze gibt. Dieser Streit erscheint der menschlichen Natur entsprechend unvermeidbar, solange sich zwei Interessenten gegenüberstehen. Es ist verständlich, daß die Unternehmer bemüht sind, die Gesetze i m Zweifelsfall so anzuwenden, daß sie Steuern sparen, zumal es tatsächlich oft schwierig ist, den richtigen Marktpreis eines Rohstoffes am Bilanzstichtag, die voraussichtliche Nutzungsdauer einer Maschine und andere Werte objektiv festzustellen. Es ist andererseits begreiflich, daß die Finanzbeamten, wenn sie ihre Pflicht überhaupt ernst nehmen — was glücklicherweise meist der F a l l ist —, i n eine Gegensatz-Situation geraten, i n der sie die A n gaben des Unternehmers kritisch aufnehmen und bemüht sind, „mehr herauszuholen", als dieser von sich aus zugibt. Es ist selbstverständlich, daß dabei auch sie nicht immer das objektiv Richtige treffen. 18 M a n könnte daher daran denken, daß die Unternehmungen ihre A b schlüsse zunächst nach gemeinsamen handels- u n d steuerrechtlichen Bewertungsprinzipien aufstellen u n d dann erst, gewissermaßen als besondere A b schlußbuchungen, ihre stillen Rücklagen bilden. D a n n w ü r d e wenigstens intern eine objektive Rechnung gelegt u n d die Zweigleisigkeit der Handelsu n d Steuerbilanz erspart. W i r w ü r d e n allerdings auch gegen eine solche Praxis Bedenken haben, w e i l die berechtigten Interessen Außenstehender u n d die Wirtschaftsordnung durch die nachträgliche Bilanzfrisur w e i t e r h i n mißachtet würden.

Unternehmer u n d Fiskus i m K a m p f u m die Steuerbilanz

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Diese Situation ist unerfreulich, ja sie zersetzt die gesellschaftliche Ordnung. Das hat zwei Seiten: einmal, daß der Fiskus seine Interessen einseitig u n d starr verfolgt und dadurch den Blick f ü r den objektiven Gewinn verliert, zum anderen, daß sich die Unternehmungen m i t M i t teln zur Wehr setzen, die die Staatsmoral untergraben. Es ist zwar richtig, daß Mindestvorschriften für die Buchführung erlassen und vor allem auch erzwungen werden, die sicherstellen, daß das Rechnungswesen zuverlässig und objektiv die Verhältnisse erfaßt, doch ist es bedenklich, daß dies einseitig vom Fiskus geschieht. Wäre es nicht angebracht, 'diese Aufgabe einer neutralen Institution zu übertragen, welche die Erkenntnisse der Betriebswirtschaftslehre verwendet und alle berechtigten Interessen, zum Beispiel auch diejenigen der A k t i o näre und der staatlichen Statistik, i n neutraler Weise berücksichtigt? Es ist ferner richtig, daß für die praktische Anwendung der Bewertungsregeln Richtlinien erlassen werden, die aus einer breiten Erfahrung gewonnen sind und eine einheitliche und gleichmäßige Handhabung gewährleisten, zugleich aber auch Spielraum für Sonderverhältnisse lassen. Solche Richtlinien können etwa festlegen, welches die übliche Nutzungsdauer einer bestimmten Webstuhlart i m Ein- und i m Zweischichtbetrieb ist oder was als Marktpreis eines Standarderzeugnisses am 31. 12. 1955 anzusetzen ist. Jedoch sollten es nicht die Steuerbehörden sein, die einseitig Kataloge von Abschreibungssätzen für Maschinen herausgeben und durchsetzen. Es ist weiterhin richtig, wenn objektive und allgemeine Richtlinien den Privatverbrauch des Unternehmers von den Betriebsaufwendungen abgrenzen. Aber auch das darf nicht dem Fiskus allein überlassen werden. Praktisch ist es so, daß der Fiskus durch solche Gesetze und Richtlinien tief und einseitig i n die Ordnung der Unternehmen eingreift. Ebenso w i r d das Verhalten der Unternehmer von den örtlich zuständigen Finanzbeamten, die sich dabei teils an interne Verwaltungsvorschriften halten, zum Teil aber auch einen großen Ermessensspielraum haben, mitbestimmt. Sie entscheiden, welches der Marktpreis oder der Teilwert eines Gutes ist, was abgeschrieben werden darf und welche Kosten die private Lebenshaltung und nicht den Betrieb betreffen. So übt der Fiskus durch seine Machtstellung auch i n Fragen Einfluß aus, i n denen er wesensmäßig nicht zuständig ist. Die Mitbestimmung des Fiskus kann i m übrigen selbst dann bedenklich sein, wenn er es f ü r den Steuerpflichtigen gut meint. Es ist i m Laufe der letzten Jahrzehnte üblich geworden, Investitionen, die aus wirtschafts- oder sozialpolitischen Motiven erwünscht erscheinen, steuerlich zu fördern. Man gestattet den Unternehmungen, etwa für Neubauten Sonderabschreibungen von 10 % der Baukosten, wodurch die steuerlichen Gewinne gesenkt und zunächst Steuern gespart werden.

Orientierung u n d Rechenschaft

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Soweit diese Abschreibungen jedoch über die echten Wertminderungen der Gebäude hinausgehen, schaffen sie falsche Bilanzwerte und einen falschen Ausweis der Jahresgewinne. Sie stören das marktgemäße Bewertungsprinzip mit all den Folgen, die w i r noch darstellen werden. Man könnte den erwünschten steuerlichen Erfolg auch erreichen, ohne diese Nachteile, und zwar dadurch, daß man steuerfreie Rücklagen gestattet, die unter Umständen i n späteren Jahren wieder aufgelöst werden müssen 19 . Die heutige Praxis zeigt also, daß auch der Steuergesetzgeber noch nicht den Sinn des Bewertungssystems für die Wirtschaftsordnung achtet. Steuerhinterziehung

und

Staatsmoral

Die Unternehmer antworten auf den interessengebundenen Einsatz der fiskalischen l&acht mit einer A r t Buschkrieg. Selbstverständlich ist es, daß sie i m Rahmen des Unsicherheitsspielraumes ihre Werte so ansetzen, wie es ihnen steuerlich am günstigsten erscheint. Zum Beispiel kann man auch bei sachlicher Betrachtungsweise die Nutzungsdauer einer Maschine auf 8 oder auf 10 Jahre einschätzen oder den Marktpreis eines nicht an der Börse notierten Rohstoffes auf D M 8,20 oder D M 8,50 je Kilo. Man kann einen durch Lagerung entstandenen Minderwert um 10 % höher oder niedriger schätzen. Besteht jedoch ein starkes Interesse an dem Ergebnis, so verschwimmen die Grenzen zu einer Bewertung, die objektiv noch vertretbar ist. Wo die schuldhafte Steuerhinterziehung beginnt, ist schwer zu sagen. Darüber hinaus besteht die Versuchung, das Glück des steuerlichen Gewinnes noch, mehr zu korrigieren; sie w i r d sicher noch größer, wenn Dritte, denen man das wahre Ergebnis nicht zeigen w i l l , die Steuerbilanz einsehen können. Es ist kein Zweifel, daß nicht wenige Unternehmer sogar die klare Grenze der Strafbarkeit überschreiten, indem sie einen Teil der Bestände, vor allem der Vorräte aller A r t , der Steuer überhaupt unterschlagen, mag es sein, daß sie am Bilanzstichtag vorsätzlich nicht mit aufgenommen werden oder die Inventurlisten nachträglich verschwinden. Andere ziehen bei den Beständen Wertminderungen für Schäden ab, die i n Wirklichkeit gar nicht vorliegen. So etwas w i r d vielfach nicht als unmoralisch, sondern als eine A r t Kavaliersdelikt empfunden. Man hat sich m i t diesen Verhältnissen abgefunden, obwohl alle Beteiligten, einschließlich des Fiskus, wissen, daß es so ist und daß es nicht gesund ist. Schmalenbach, der Kenner der Verhältnisse, sagt dazu: „ I n allen Gesetzen gibt es Lücken, auch i n den Steuergesetzen; und wenn man durch ein kleines Löchlein genügend oft den Finger durchsteckt, w i r d aus dem Löchlein ein Loch; genauso wie aus einem zuerst geringen und 19

Aus anderen Erwägungen, die w i r später wiedergeben, halten w i r allerdings jegliche Sondervergünstigung der Steuer f ü r bedenklich. Vergleiche 3. Kapitel.

Unternehmer u n d Fiskus i m K a m p f u m die Steuerbilanz

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harmlosen Betrüglein nach längerem Gebrauch ein ausgewachsener Betrug wird. U n d dabei hat der Steuerbetrüger nicht einmal ein besonders schlechtes Gewissen, denn er empfindet die überhohe Besteuerung ebenfalls als Betrug, der dadurch, daß er gesetzlich sanktioniert ist, nicht moralisch wird. Und so entsteht ein System, das man als überhohe Besteuerung, gemildert durch Steuerbetrug, bezeichnen kann 2 0 ." Es ist u m der staatlichen Ordnung w i l l e n notwendig, diese Tatsachen offen auszusprechen u n d ihnen ins Auge zu schauen. Durch diese Praxis w i r d das Ziel des Fiskus, die Steuern gleichmäßig und gerecht zu erheben, weitgehend vereitelt. Hier bestehen Probleme der Staatsmoral von größter Bedeutung. Rücksichtslose und gewissenlose Unternehmer entziehen dem Staate erhebliche Beträge, die ihnen i m KonkurrenzKampf zugleich einen Vorteil verleihen 2 1 . Wieviel dies ausmachen kann, zeigt ein Beispiel, das vor einiger Zeit i n der Presse stand. Ein bekanntes Unternehmen mußte wegen Steuerhinterziehung einen Betrag zahlen, der höher war als das Eigenkapital fast aller seiner Konkurrenzfirmen. Der Unternehmer, der es auf Grund seines Gewissens oder seiner schwächeren Nerven genau nimmt, w i r d für seine Steuerehrlichkeit bestraft, und sei es nur dadurch, daß die Steuersätze wegen der verbreiteten Steuerhinterziehung entsprechend höher liegen. Der Steuerunehrliche erkauft seinen Vorteil wenn nicht m i t dem Zwiespalt des Gewissens, so doch mit der Furcht, daß sein Verhalten entdeckt wird. Oft macht er sich von den mitwissenden Angestellten abhängig. Offenbar ist es eine moralische Überforderung des Staatsbürgers, es seinen Angaben zu überlassen, ob er seinen Gewinn vollständig einem Steuersatz unterwirft, der bis vor kurzem bis zu 95 % und heute noch bis über 60 % geht, wobei Gewerbesteuer, Notopfer und Kirchensteuer noch nicht einmal berücksichtigt sind Es ist eine ungesunde Situation zu erwarten, daß die Unternehmer solcher Versuchung widerstehen. Hier liegt eine falsche gesellschaftliche Konstruktion vor, die i m Interesse der Wirtschaftsordnung geändert werden muß. Wo derartige massive Interessen auf dem Spiel stehen, ist es zwar notwendig, keineswegs aber ausreichend, objektive Grundsätze der Bewertimg festzulegen. Man muß den Interessenten, und zwar beiden Seiten, dem Fiskus wie dem Unternehmer, die Möglichkeit nehmen, einseitig zu entscheiden, und statt dessen eine neutrale Instanz damit betrauen. 20

„Der freien Wirtschaft z u m Gedächtnis", Seite 40, Köln/Opladen, 1949. M a n ist heute oft der Meinung, daß es sich bei Ungenauigkeiten der I n ventur n u r u m eine Gewinnverschiebung handelt, die sich i m ganzen genommen nicht sehr auswirkt. Das ist irrig. Einige der Konsequenzen werden w i r i m 3. K a p i t e l zeigen. Im. übrigen brauchte m a n nach solcher Auffassung auch den Abschreibungen u n d der A k t i v i e r u n g v o n Anlagen keine Bedeutung zuzumessen, w e i l es sich auch dort n u r u m Gewinnverschiebung handelte. Dann w ä r e es n u r wichtig, die Entnahmen und Spesen der Inhaber u n d M i t arbeiter zu prüfen. 21

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Orientierung u n d Rechenschaft

6. Neutralisierung der Jahresabschlüsse Unternehmer

in

Konfliktsituationen

Die Wirtschaftswissenschaften weisen m i t Recht darauf hin, daß das schwierigste Problem der Planwirtschaft die Wirtschaftsrechnung sei, die dafür zu sorgen hat, daß alle gesellschaftlichen Wertungen des W i r t schaftslebens nach den Zielen der Zentralverwaltung erfolgen. Sehen w i r uns jedoch die Wirtschaftsrechnung der bisherigen Marktwirtschaft kritisch an, so stellen w i r fest, daß auch sie sehr unzulänglich ist. Die i n i h r maßgebenden Wertvorstellungen der wirtschaftenden Bürger kommen auch hier nicht so zum Zuge, wie es für das Funktionieren des Systems erforderlich ist. W i r haben zu zeigen versucht, wie die Widersprüche entstehen. Wenn w i r m i t unserer Wirtschaftsordnung ernst machen wollen, werden w i r demgemäß auch auf dem Gebiet des Rechnungswesens, das i m allgemeinen als weniger interessant und bedeutungsvoll gilt, ansetzen müssen. Es müssen die Marktwerte auch für das Wertsystem der Unternehmungen zur Geltung gebracht werden. Das Rechnungswesen der Unternehmen müßte außerdem betrieblich gegliedert werden. Und schließlich müßte das auf den Markt u n d die Betriebe abgestellte Zahlenwerk auch die erforderliche Publizität erhalten, damit sich die darauf angewiesenen Märkte richtig entfalten können. Dazu müssen die Abschlüsse denen bekannt werden, die nach der speziellen gesellschaftlichen Situation der Unternehmen ein berechtigtes Interesse daran haben; darüber hinaus ist es wichtig, daß sie statistisch aufgearbeitet werden und dadurch den allgemeinen Interessenten des Marktes, einschließlich der Wirtschaftspolitik, als Material der Entscheidungen dienen. Allerdings bezweifeln w i r , daß eine solche rechtliche Regelung genügen würde; es ist außerdem, die persönliche Situation zu beachten, i n der die Handelnden stehen. Der Kampf, den Unternehmer und Fiskus üblicherweise u m den Jahresabschluß austragen, ist dafür beispielhaft. Er zeigt, daß die Interessenlage weitgehend darüber entscheidet, w i e die objektiven Normen angewandt werden. Dies vor allem, wenn die Marktwerte nicht eindeutig festgestellt sind und der Unternehmer somit einen gewissen Spielraum seines Ermessens hat. Es liegt i n der menschlichen Natur, daß i n solchen Fällen die Grenzen unsicher werden. Dazu kommt, daß die Gewissen, die bei persönlichen Verhandlungen mit bestimmten Partnern einen Betrug scheuen, oft weniger empfindlich sind, wenn es anonym oder kollektiv zugeht, also gegenüber der Allgemeinheit, dem Fiskus, den Gläubigern, Aktionären usw. Soweit die Unternehmer es genau nehmen, ist dennoch zu befürchten, daß die anderen Interessenten gegenüber den vorgelegten

Neutralisierung der Jahresabschlüsse

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Zahlen so mißtrauisch sind, wie w i r es vom Fiskus gegenüber den Steuerpflichtigen kennen. Von unserer Sicht der Wirtschaft drängt sich die Frage auf, ob es nicht erforderlich ist, die Aufstellung des Jahresabschlusses aus dem Interessenkonflikt herauszunehmen und zu neutralisieren. Es wäre ein Vorgang, der m i t der Neutralisierung des Geldes zu vergleichen ist, das ebenso ein Teil des gesellschaftlichen Wertsystems ist und daher einseitigen Interessen entzogen werden muß. I n beiden Fällen gilt, daß das Wirtschaftsleben nur gerecht und zweckmäßig verlaufen kann, wenn das Maßsystem, selbst, das die Vorgänge festhält und, die Gesellschaft orientiert, objektiv und neutral ist. Ist dies nicht gesichert, so geht es an die Grundlagen der gesellschaftlichen Moral. Es wäre ein Mißverständnis, dagegen einzuwenden, daß w i r das Wesen des Unternehmers treffen, wenn w i r seine Kompetenz i n der Rechnungslegung einschränken. Der Unternehmer hat die Aufgabe, optimale betriebliche Leistungen nach den Maßstäben des Marktes zu erbringen. Dazu gehören der günstige Ein- und Verkauf, die Anstellung und Leitung der Mitarbeiter, die Beschaffimg des erforderlichen Kapitals, die rationelle Gestaltung des Betriebes. Das Wesen des Jahresabschlusses aber ist, objektiv zu erfassen und festzuhalten, welche Ergebnisse diese Unternehmertätigkeit zeitigt. Er soll orientieren, wie die Lage u n d die Entwicklung des Betriebs nach Marktverhältnissen und -maßstäben aussieht, aber nicht zwingen, danach zu verfahren. Er läßt den Unternehmern die Freiheit, i n ihren Dispositionen von den M a r k t werten abzuweichen, u n d die Möglichkeit, falsch zu handeln. Er sollte ihnen und den anderen, die es angeht, jedoch nicht gestatten, sich über diese Abweichungen zu täuschen. W i r können somit den Abschluß m i t einer Fotografie vergleichen. Der Fotografierte mag den Wunsch haben, die ungünstigen Züge wegzuretuschieren. Damit w i r d das B i l d aber verfälscht und für manche Zwecke unbrauchbar. Man kann den Jahresabschluß aber auch m i t einem Gericht vergleichen, das über die Leistung der Unternehmer unter allgemein gesellschaftlichen Gesichtspunkten urteilt. Ist es angebracht, die Unternehmer zu Richtern über sich selbst zu bestellen? Man mag fragen, ob die erforderliche Neutralität der Jahresabschlüsse nicht ausreichend durch die öffentliche Einrichtung der W i r t schaftsprüfimg gesichert ist, falls ein objektives markt- und betriebsgemäßes Bilanzrecht erlassen wird. Aber auch i n dieser Hinsicht haben w i r aus der gesellschaftlichen Situation heraus Bedenken. Der Stand der Wirtschaftsprüfer hat seit der Einrichtung der aktienrechtlichen Pflichtprüfung i m Jahre 1931 ein erhebliches Ansehen gewonnen, sowohl i n fachlicher w i e i n moralischer Hinsicht. Dennoch ist nicht zu verkennen, daß auch die Wirtschaftsprüfer überfordert wer-

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Orientierung u n d Rechenschaft

den. Sie stehen i n einem meist zwar vornehmen, immerhin aber doch fühlbaren Konkurrenzkampf u m ihre Aufträge. Nach dem Aktiengesetz w i r d der Wirtschaftsprüfer von der Hauptversammlung bestellt, in Wirklichkeit entscheidet i n den weitaus meisten Fällen jedoch der Vorstand, w e r genommen wird. Selten w i r d ein Wirtschaftsprüfer gegen den Willen des Vorstandes gewählt. Die laufende Arbeit des Prüfers geschieht i n engster Zusammenarbeit m i t dem Vorstand und dessen Beauftragten. Das Ergebnis ist, daß der Wirtschaftsprüfer leicht i n einen Gewissenskonflikt gerät, wieweit er den Wünschen der Geschäftsleitung nachgeben darf. Es mag verhältnismäßig selten vorkommen, daß Wirtschaftsprüfer sich dabei zu Handlungen entschließen, die direkt rechts- oder standesw i d r i g sind. Häufiger jedoch dürfte es sein, daß sie ein Auge zudrücken, indem sie zum Beispiel bei der Aufnahme der Vorräte i n der Jahresinventur nicht anwesend sind oder i n fachlichen Fragen, etwa bei der Feststellung von Minderwerten oder bei der Einschätzung der Lebensdauer von Anlagegegenständen, die Auffassung der Geschäftsleitung übernehmen. Mögen sie, wie es ihren Pflichten entspricht, i m Prüfungsbericht darauf hinweisen, daß sie die Inventurzahlen oder die fraglichen Urteile übernommen haben, so bleibt doch die Tatsache, daß der daraus entwickelte Jahresabschluß nicht neutral ist, sondern den subjektiven Auffassungen der Unternehmer folgt. Die Wirtschaftsprüfer resignieren, womit der Erfolg ihrer öffentlich-rechtlichen A u f gabe zweifelhaft wird. Aus diesem Grunde würde es sicher auch der Fiskus ablehnen, die Wirtschaftsprüfer, so w i e die Dinge heute liegen, als ausreichende Sicherheit für eine objektive und neutrale Rechnungslegung anzuerkennen. Und er könnte dafür wahrscheinlich überzeugendes Material vorlegen. Ein

Vorschlag

als

Diskussionsbeitrag

I n dieser Situation ist zu überlegen, ob es nicht richtig oder sogar notwendig ist, die Aufstellung der Jahresabschlüsse einer neutralen Instanz zu übertragen, die das Zahlenwerk für alle beteiligten Interessenten objektiv und neutral festzustellen hat. Diese A u f gabe könnte einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft, einer Anstalt, übertragen werden, welche die Anerkennung der Marktwerte ähnlich zu sichern hat wie die Notenbank die Stabilität des Geldwertes. Beide Institutionen haben nicht die privatwirtschaftliche Aufgabe der Gewinnerzielung noch die Aufgabe, selbständige Wirtschaftspolitik zu treiben. So wenig die Notenbank direkt Konjunkturpolitik treiben sollte 2 2 , hätte jene Anstalt die Entscheidungen der Unternehmer und 22 Allerdings ist eine a m Geldwert orientierte K r e d i t p o l i t i k auf die Dauer die beste K o n j u n k t u r p o l i t i k .

Neutralisierun

der Jahresabschlüsse

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sonstigen Berechtigten unmittelbar zu beeinflussen. Es geht vielmehr um eine begrenzte Aufgabe nach einem von der Wirtschaftsordnung gesteckten Ziele, u m die Ordnung des gesellschaftlichen Wertsystems. Mancher Anhänger der freien Wirtschaft w i r d gegen eine solche I n stitution einwenden, daß dadurch der Umfang der staatlichen oder der öffentlichen Tätigkeit i n der Wirtschaft erweitert wird. Doch darf uns das Ressentiment, das w i r gegen die Ausweitung solcher staatlichen Tätigkeit besitzen, nicht dazu verführen, etwas Notwendiges zu unterlassen. Zumal wenn gerade dadurch eine größere Sicherheit dafür gegeben wird, daß die Gesetze der Marktwirtschaft tatsächlich zur Herrschaft gelangen. W i r können nicht zu einem wirtschaftlichen Liberalismus zurückkehren, der ernsthafte Notstände der Wirtschaftsordnung zuließ, w e i l ihre Beseitigung einer speziellen Schicht der Gesellschaft unangenehm war. W i r können die Freiheit der Wirtschaft nur gelten lassen, solange sie sich i m Rahmen der politisch gewollten, soziologisch und wirtschaftlich begründeten Ordnung entwickelt. Der wirkliche A n griff aller Freunde der Marktwirtschaft muß dort ansetzen, wo noch weite Felder staatlicher Wirtschaftstätigkeit i m Widerspruch zur W i r t schaftsordnung bestehen. Bei dieser Bemühung könnten die von der Anstalt ermittelten Unterlagen nützlich sein. Gegenüber der Forderung nach einer wahren Bilanz w i r d manchmal eingewandt, es sei überhaupt wegen der Unübersichtlichkeit der Verhältnisse u n d der zukünftigen wirtschaftlichen Entwicklung nicht möglich, objektive Werte des Betriebsvermögens festzulegen. Eine solche Auffassung widerspricht sowohl dem bisherigen Handelsrecht wie auch dem Steuerrecht. Wenn von beiden Seiten beispielsweise das Niederstwertprinzip für die Gegenstände des Umlaufvermögens festgelegt ist, so w i r d doch vorausgesetzt, daß es überhaupt möglich ist, neben den Anschaffungswerten auch die Tageswerte objektiv zu erfassen. I n ähnlicher Weise geht man auch beim Anlagevermögen davon aus, daß die Anschaffungskosten und die Abschreibungen, unter Umständen auch der sogenannte Teilwert, objektiv feststellbar sind. Der Fiskus begründet seine gesonderte- Gesetzgebung, seine Betriebsprüfimg und seine Rechtsprechung damit, daß es darauf ankomme, alle Steuerpflichtigen in gerechter Weise nach dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit zu erfassen. Wie könnte eine solche Anstalt aussehen? Das Folgende kann nur eine Diskussionsbasis sein. Die Anstalt würde Aufgaben zu übernehmen haben, die heute zum Teil bei den Wirtschaftsprüfern, zum Teil bei den Steuerprüfern liegen. Der Wirtschaftsprüferberuf würde aber n u r insofern getroffen werden, als es sich u m das Gebiet der bisherigen Pflichtprüfung handelt. Beratungs- und Organisations aufgaben, die heute die Wirtschaftsprüfer

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Orientierung u n d Rechenschaft

daneben ausüben, hätten grundsätzlich m i t der Anstalt nichts zu tun. Die Wirtschaftsprüfer würden auch als A n w ä l t e und Berater der Interessenten gegenüber der Anstalt herangezogen werden können 2 3 . Der Kreis der betroffenen Unternehmen dürfte nicht nur die Aktiengesellschaften umfassen, sondern etwa alle Unternehmen, die heute von der Finanzverwaltung geprüft werden. Umfang und Technik der Prüfung hängen selbstverständlich von der Größe und Bedeutung des Unternehmens ab. Die Unternehmen selbst, wie auch die übrigen Interessenten, dürfen grundsätzlich keinen Einfluß auf die Auswahl der jeweiligen Prüfer haben. Das heißt also, daß die Auswahl nach objektiven, schematischen Gesichtspunkten erfolgen muß, so daß jegliche Einseitigkeit und W i l l k ü r vermieden wird. Selbstverständlich muß es möglich sein, einen Prüfer wegen Befangenheit abzulehnen. Es würde angebracht sein, der Anstalt einen Beirat zuzuordnen, der die Gesichtspunkte der Wissenschaft u n d der Praxis zu vertreten und gegebenenfalls das Recht hat, Gesetzgebungsvorschläge dem Parlament zu unterbreiten. I h m hätten Vertreter der Wirtschafts- und Rechtswissenschaft, der Unternehmer, Wertpapierbesitzer, der Arbeitnehmer, Finanzverwaltung, der Wirtschaftstreuhänder, Börsen und Banken, anzugehören. Allerdings würde es sich kaum empfehlen, dem weithin interessengebundenen Beirat Entscheidungsbefugnisse zu geben. Die Beamten und Angestellten der Anstalt müßten so gestellt sein, daß ihre Unabhängigkeit ausreichend gesichert ist. Der größte Teil von ihnen w i r d nach Ausbildung und Verantwortung den oberen oder m i t t leren Beamten gleichzustellen sein. Wenn die bisherigen Apparate der Bilanzprüfung entfallen, werden die erforderlichen M i t t e l an diesen Stellen eingespart. Die Bedeutung der Anstalt erfordert, daß ihre Maßnahmen einer richterlichen Überprüfung -unterliegen. Aufgaben

einer

neutralen

Anstalt

Die Tätigkeit der Anstalt muß selbstverständlich weitgehend auf Rechtsnormen aufbauen, die als Rahmengesetze oder Rechtsverordnungen erlassen werden können. Dies ist vor allem i n dreifacher Hinsicht wichtig. 1. A n das Rechnungswesen der Unternehmen müssen Mindestanforderungen gestellt werden, wobei nach der Größe und A r t der Unternehmungen zu unterscheiden ist. 2. Die Jahresabschlüsse sind auf die Betriebe abzustellen und aufzugliedern. Hier geht es einmal u m eine Einteilung nach Betriebsarten, 23 Es spricht manches dafür, daß den bisherigen Wirtschaftsprüfern zuk ü n f t i g weitere Aufgaben, z u m Beispiel als Treuhänder der Kleinaktionäre, zuwachsen. Vergleiche dazu 4. Kapitel, 5. Abschnitt.

Neutralisierung der Jahresabschlüsse

95

andererseits, soweit ein Unternehmen mehrere Betriebe gleicher A r t besitzt, um die Abgrenzung, wann ein Betrieb i m Rechnungswesen als selbständig gilt. 3. Es sind jeweils Richtlinien, nach denen die Bewertimg erfolgen soll, herauszugeben. Soweit es Marktpreise gibt, sind diese für jeden Bilanzstichtag und alle einschlägigen Betriebe einheitlich festzusetzen. Die Abschreibung der häufiger gebrauchten Maschinen kann nach einheitlichen Richtsätzen, gegliedert nach der Betriebsausnutzung, vorgesehen werden. Es ist abzugrenzen, welche Kosten aktivierungspflichtig sind und welche i m Jahr des Entstehens v o l l als Aufwand verbucht werden. Die Grundsätze, wann auf Grund besonderer Betriebsverhältnisse von den allgemeinen Marktwerten abgewichen werden soll, sind b ekanntzugeb en. Selbstverständlich werden auch die zentralen Angaben Irrtümern unterliegen. Aber sie werden wahrscheinlich richtiger sein als die Werte, die bisher einseitig von den Unternehmern und den Buchprüfern des Fiskus benutzt wurden. Und sie haben den Vorteil der Einheitlichkeit, so daß die Ergebnisse verschiedener Betriebe auch vergleichbar sind. Die Mitarbeiter der Anstalt, die die Jahresabschlüsse der Unternehmungen aufzustellen hätten, würden also durch allgemeine Normen weitgehend gebunden und i n ihrem Ermessen eingeschränkt sein. Ihre Tätigkeit umfaßte vor allem folgende Teilaufgaben: 1. Sie haben die allgemeine Ordnungsmäßigkeit des Rechnungswesens zu prüfen. 2. Unumgänglich ist es, daß' ihnen die Inventur auf nähme des Vorratsvermögens untersteht, w e i l alle allgemeinen Bewertungsnormen und alle sonstigen Kontrollen unzulänglich sind, solange nicht die mengenmäßig und qualitativ richtige Erfassung der Vorräte gewährleistet ist 2 4 . 3. Das Anlagevermögen ist nur i n festgelegten Sonderfällen an den Zeitwert anzupassen. Ist zum Beispiel eine Maschinenkategorie durch die technische Entwicklung überholt, so w i r d dies nach zentraler A n 24 Schwierig wäre die neutrale Inventuraufnahme allerdings, w e n n zum B e i spiel am 31. Dezember die Bilanztermine stark zusammenfallen, da die M i t arbeiter der Anstalt n i c h t bei allen I n v e n t u r e n anwesend sein könnten. Daher wäre es erforderlich, Angestellte der Unternehmungen heranzuziehen u n d sie als Beauftragte der Anstalt öffentlich zu verpflichten, so w i e es heute seitens des Zolls oder der Devisenaufsicht m i t ausreichendem Erfolg geschieht. Die Sicherheit ließe sich durch mancherlei Maßnahmen erhöhen, z u m Beispiel indem m a n numerierte Formulare f ü r Inventurlisten ausgäbe, v o n j e einem Lagerverwalter bzw. Betriebsleiter u n d einem Angestellten der Buchhaltung unterzeichnen ließe, die Formulare am I n v e n t u r t a g noch i n Empfang nähme usw. Allgemein müßten sich die beauftragten Angestellten über ihre persönliche V e r a n t w o r t u n g und die Strafbarkeit von vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Fehlern k l a r sein.

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Orientierung u n d Rechenschaft

Weisung zu berücksichtigen sein. Sind Anlagegegenstände i m Hinblick auf die Abnutzung offensichtlich zu stark oder zu wenig abgeschrieben, so werden die Korrekturen ebenfalls nach einheitlichen Richtlinien zu erfolgen haben. Eine wichtige Aufgabe der Anstalt wäre die Sammlung und A u f bereitung der Abschlüsse für statistische Zwecke, u m so der Öffentlichkeit und dem Wirtschaftsminister die Unterlagen und Einsichten zu liefern, die w i r i n unserer komplizierten Wirtschaft für zuverlässige Entscheidungen benötigen. Es kommt uns von unserem überwirtschaftlichen Standort aus darauf an, den betrieblichen Wirtschaftsapparat unter die Herrschaft der Märkte zu bekommen. Die Erfahrung zeigt jedoch, daß dafür zunächst die Kenntnis der wirtschaftlichen Verhältnisse erforderlich ist und daß w i r die Unternehmungen nur durch ein markt- und betriebsgemäßes Rechnungswesen kontrollieren können. Wenn uns die vorgeschlagene Reform des Wertsystems wesentlich helfen kann, eine zivile Ordnung der Wirtschaft zu sichern, ist der geforderte Preis der Reform nicht zu hoch.

Drittes

Kapitel

Der Bürger als Verbraucher — Steuerung der Betriebe durch Wettbewerbspreise 1. Um das Recht des Verbrauchers Wer

bestimmt

die

Produktion?

W i r beteiligen uns an der Wirtschaft, u m dadurch zweckmäßiger die Güter und Dienste zu gewinnen, die w i r f ü r unser außerwirtschaftliches Dasein benötigen. Daher muß unsere Sorge sein, das, was w i r von der Wirtschaft wünschen, wirklich gut und b i l l i g zu erhalten. Wie sichern wir, daß die Betriebe sich dementsprechend nach uns richten? Gehen w i r wieder vom Schema aus. I n der Marktwirtschaft erhalten w i r als Entgelt f ü r Mitarbeit und Vermögen, die w i r der Wirtschaft zur Verfügimg stellen, ein Einkommen. I m Rahmen dieses Einkommens, das durch Vermögensveräußerungen erhöht und Geldsparen verringert wird, können w i r a m Markte wählen, was die Wirtschaft uns an Gütern liefert und Diensten leistet. Die Unternehmen sind daran interessiert, einen möglichst großen Teil unseres Einkommens zu erhalten, und richten sich daher nach uns. Qualität und Menge, Ort und Zeit ihres Angebots an Gütern und Diensten, sowie die Preise werden von unserer Nachfrage bestimmt. Die Unternehmen können jedoch n u r bestehen, wenn ihre Betriebe imstande sind, aus den Erlösen die Selbstkosten aller A r t zu decken. Die Eigenart des Marktsystems ist, daß die wirtschaftenden Bürger den Betrieben ihre Wünsche so unmittelbar diktieren, wie es i n der komplizierten Organisation der Wirtschaft überhaupt möglich ist, direkter und wirkungsvoller vor allem, als wenn w i r zunädist unseren Willen auf politischem Wege geltend machten und er den Betrieben sodann durch eine politische Körperschaft mitgeteilt würde. Diesem Marktsystem paßt sich, soweit möglich, sogar der Staat an. Er nimmt uns zwar durch hoheitlichen A k t einen T e i l unseres Einkommens ab, das er teils für direkte Staatsausgaben selbst verwendet, teils auf sozial schwächere Mitbürger überträgt. I n beiden Fällen aber w i r d schließlich das übertragene Einkommen am Markt ähnlich wie das uns verbliebene eingesetzt, u m Güter und Dienste zu bezahlen. Der Staat t r i t t am M a r k t insoweit als Nachfragender gleichberechtigt u n d nicht autoritativ auf. 7 Kahl, Macht und M a r k t

98

Der Bürger als Verbraucher

Die Wirklichkeit widerspricht allerdings noch weithin diesem Schema. Obwohl seit 1948 viel davon gesprochen wird, daß der Verbraucher zu entscheiden hat, ist seine Herrschaft bisher sehr unvollkommen. Dieser Zustand w i r d wirtschaftspolitisch von drei Gruppen vertreten, die sich i n der Praxis allerdings vermischen: 1. Die Planwirtschaftler bestreiten unser gesellschaftspolitisches Prinzip der Marktwirtschaft. 2. Bestimmte Konjunkturpolitiker bejahen das Marktprinzip zwar grundsätzlich, sie neigen jedoch dazu, den W i l l e n der Marktpartner durch ständige konjunkturpolitische Eingriffe zu beschränken, vor allem, w e i l sie dem Verbraucher nicht trauen und fürchten, der Wirtschaftsapparat könne sich festlaufen. 3. Viele Unternehmer bejahen ebenfalls das M a r k t prinzip grundsätzlidi, doch wollen auch sie sich der Nachfrage des Verbrauchers nicht uneingeschränkt fügen, sondern sich durch irgendwelche Machtstellungen gegen unangenehme Verbraucherentscheidungen sichern. Die

Planwirtschaft

noch

nicht

überwunden

Es mag offen bleiben, ob und wie weit die zentrale Planung i n Grenzsituationen berechtigt ist, i n denen der Staat einen so großen Teil des Verbrauchs beanspruchen muß, daß ein Gleichgewicht der freien Märkte nicht möglich ist. Für andere Zeiten aber sind w i r uns überwiegend heute einig, daß w i r die Planwirtschaft nicht mehr wollen. Dennoch wirken Restbestände und planwirtschaftliche Vorstellungen noch stark. Besonders i n der Wohnungs-, i n der Ernährungs-, i n der nationalen und i n der internationalen Kreditwirtschaft w i r d zum Teil noch nach planwirtschaftlichen Methoden gearbeitet; hier geht es insoweit nicht nach dem Willen, den die wirtschaftenden Bürger auf dem Markt bekunden. Auch wenn w i r anerkennen, daß manchen Kreisen, die durch solche Planwirtschaft 'begünstigt werden, aus außerwirtschaftlichen Gründen geholfen werden soll, können w i r die Methoden nicht billigen. Das Ziel kann erreicht werden, ohne die gesellschafts-, wirtschafts- und sozialpolitischen Nachteile der Planwirtschaft. Entscheidend ist, daß w i r weiterhin die Gefahr der Planwirtschaft i m Auge behalten, w e i l w i r ständig von Rückfällen bedroht sind. Es w i r d immer irgendwelche Interessenten geben, denen die wirtschaftlichen Entscheidungen der Zivilisten nicht gefallen und die sie daher durch planwirtschaftliche Eingriffe des Staates korrigieren wollen. Ein Beispiel dafür ist, daß noch i m Jahre 1954 versucht wurde, die Obstund Gemüsemärkte sowie die Weinmärkte plan wirtschaftlich zu „ordnen". Die Landwirtschaft fordert, daß ihr über die bisherige Unterstützung hinaus eine allgemeine „Parität" zur übrigen Wirtschaft garantiert wird. Bemerkenswerterweise sitzen die Anhänger solcher Gesetzentwürfe in allen drei großen Parteien. Das erklärt sich aus der Versuchung, Wählerstimmen zu gewinnen, indem man bestimmten

U m das Hecht des Verbrauchers

99

Interessengruppen Vorteile verschafft, ohne daß die übrigen Volksschichten das so genau merken. Demgegenüber sollten w i r darauf bestehen, daß alle „ K o r r e k t u r " des Marktwillens ausschließlich m i t politischen Methoden erfolgen, das heißt, wenn etwa den sozial schwachen Mietern oder den Landwirten geholfen werden soll, dann muß es m i t offenen Zuschüssen durch das Parlament geschehen, und dann sollen die Staatsbürger klar sehen, was sie das kostet. Denn nur dann läßt sich erkennen, ob w i r sozialpolitisch zweckmäßig handeln. Durch pauschale Begünstigungen werden jedoch auch Kreise unterstützt, die es nicht nötig haben, oftmals sogar zu Lasten viel schwächerer Mitbürger wie z. B. beim Mietstop. Die Hauptgefahr ist, daß das Interesse des Verbrauchers als zweitrangig betrachtet wird, sobald einmal das Marktprinzip durchlöchert ist. W i r wollen nicht von totalitären Staaten sprechen, bei denen dies offensichtlich ist. Es gibt Tendenzen, denen sich auch demokratische Staaten nicht entziehen können, sobald die Staatsbürger ihre Grundrechte aufgegeben haben. Denken w i r zum Beispiel an das sozialistische Experiment i n England, das eine gewisse Zwangsläufigkeit hatte, die übrigens von anderen Erfahrungen bestätigt wird. Dabei zeigen sich folgende typischen Züge: Die Einfuhr von Verbrauchsgütern w i r d zugunsten der Produktionsmittel kontingentiert oder verhindert. Während die Verbrauchsgüter das Ziel der Wirtschaft sein sollten, werden sie als non-essentials, als unwesentlich, diskriminiert. Ebenso w i r d der inländische Verbrauch gedrosselt, u m den Export zu fördern. Rohstoffe, Arbeitskräfte, Kredite werden einseitig der Investitionsgüterindustrie und dem Export zur Verfügung gestellt. Durch die staatlichen Eingriffe w i r d die Kaufkraft des Geldes, also der Wert des Einkommens, verringert, und sei es dadurch, daß nicht genügend Verbrauchsgüter vorhanden sind und diese demgemäß zugeteilt werden. I n diesem Zusammenhang ist auch an das typisch planwirtschaftliche Ziel der Autarkie zu erinnern. Rohstoffgebiete (Südamerika, Australien) vernachlässigen ihre bisherige Erzeugimg, u m sich beschleunigt zu industrialisieren. Industriestaaten bauen krampfhaft die Rohstofferzeugung aus. Darunter leiden die internationale Arbeitsteilung, dementsprechend die Produktivität der Wirtschaft und schließlich das weltwirtschaftliche Gleichgewicht. Dies prägt sich i n der Devisenzwangswirtschaft aus. Die Lebenshaltung der Bürger aber bleibt zurück. Konjunkturpolitik

als

Antreiber

Die zweite Richtung, die das Vorrecht des Verbrauchers beeinträchtigt, ist i n mancher Hinsicht m i t der ersten verwandt. Es sind die W i r t schaftspolitiker aller A r t , die dazu neigen, den Wirtschaftsapparat künstlich anzutreiben, u m einerseits den wirtschaftlichen Fortschritt zu 7*

100

Der Bürger als Verbraucher

forcieren, andererseits die Vollbeschäftigung des Apparates zu sichern. I h r Denken kreist u m die jährliche Erhöhimg des Sozialprodukts, hohe Investitionsraten, immer größeren Ausstoß von Gütern und Diensten, ohne daß sie dabei prüfen, wie weit dieser Fortschritt k u l t u r e l l sinnvoll ist und oib die wirtschaftenden Menschen i h n überhaupt wünschen. Sie haben kein Verständnis für den bewußten Verzicht auf das Maximum von Marktwerten zugunsten eines Maximums an persönlichen Lebenswerten. Ihre Eingriffe i n die Märkte haben zur Folge, daß der W i r t schaftsapparat nicht straff genug auf die Verbraucher abgestellt ist und daher Fehlentwicklungen, jene krisenbegünstigenden „Disproportionalitäten", gefördert werden. E i n Grundübel ist, daß die Investition, das heißt die Vergrößerung und Erneuerung des Wirtschaftsapparates einseitig i n den Vordergrund gestellt w i r d . Nicht der Verbrauch ist für sie das Ziel, sondern die Investition. Ginge man richtigerweise nach dem Verbraucherwillen vor, so würde normalerweise nur soweit investiert, als i n den vom Verbraucher bewilligten Preisen ein Anreiz besteht, die Anlagen zu erneuern oder gar zu vergrößern. Die Unternehmer sollten dabei ausschließlich nach den Marktverhältnissen entscheiden. Die zahlreichen Maßnahmen aber, die getroffen werden, u m die Investition darüber hinaus anzuregen, verführen dazu, den Willen der Märkte zu mißachten, die Stellung der ausbaufreudigen Manager zu stärken 1 und schließlich leichtsinnig zu investieren. Die Folge ist, daß das Gleichgewicht der Märkte verloren geht und eines Tages die Güter und Dienste der Betriebe vom Verbraucher nicht abgenommen werden. N u n klagen diejenigen, die den M a r k t w i l l e n der Bürger nicht beachtet haben, über die „Nachfrageschwäche" als einen strukturellen Mangel der Marktwirtschaft. Sie bezeichnen dann als A u f gabe der Wirtschaftspolitik, den Verbrauch anzutreiben. War er vorher zweitrangig oder gar verdächtig, so w i r d nunmehr das Sparen, die freiwillige Konsumeinschränkung, diskreditiert. Wenn alle anderen M i t t e l nicht helfen, so bleibt die „Patentlösung" der Kreditausweitung bis zur Geldentwertung. Das Problem ist, w i e gesagt, daß es an der Achtung vor dem Willen der wirtschaftenden Bürger und an der Einsicht i n die dienenden A u f gaben des Wirtschaftsapparates fehlt. Der Wirtschaftsapparat w i r d zum Selbstzweck. Es ist bemerkenswert, wie diese Haltung sich i n der Sprache verrät, m i t der etwa die Konjunkturanalysen formuliert wer1 Erhard erklärte i m F r ü h j a h r 1954: I n dem Umfange, i n dem die Steuertarife auf ein erträgliches Maß gebracht werden, könne u n d solle m a n auf investitionsfördernde Maßnahmen steuerlicher A r t verzichten. „ A u f längere Sicht trügen sie die Gefahr i n sich, die Fehlleitungen i m K a p i t a l zu begünstigen". „Der V o l k s w i r t " , Beilage zu Nr. 18 v o m 1. M a i 1954, Seite 11.

U m das Hecht des Verbrauchers

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den. Denken w i r an die Furcht, die Nachfrage könnte nachlassen und die K o n j u n k t u r gefährden. Demgegenüber ist zu fragen: Wer dient wem? Soll sich' die Nachfrage der Erzeugung anpassen oder ist es nicht richtigerweise umgekehrt? Wer hat Unrecht, wenn jene Disproportionalitäten auftreten: die Wirtschaft, w e i l sie sich nicht richtig auf die Bürger eingestellt hat, oder diese, w e i l sie nicht den Absatzwünschen der Wirtschaft entsprechen? Ist es gesund, wenn die Wirtschaftspolitik so einseitig auf die Ausweitung der Erzeugung ausgerichtet wird? Es geht hier u m Entscheidungen, die zugleich weltanschaulicher und ethischer A r t sind. Lassen w i r den wirtschaftlich-technischen Fortschritt sich mehr oder weniger selbständig entwickeln, zwingen w i r den Verbraucher, gewissermaßen m i t hängender Zunge hinter der Produktion herzulaufen, machen w i r den Konsum zur staatsbürgerlichen Pflicht, so werden w i r zu Knechten einer selbstnützigen Wirtschaft. W i r ordnen unsere höheren Lebensziele und unsere Freiheit der Wirtschaft unter. Lassen w i r jedoch die Bürger als Verbraucher selbst entscheiden, so müssen w i r damit rechnen, ja es ist sogar zu hoffen, daß sie i h r Lebensziel nicht n u r darin sehen, die Wirtschaft u n d den Verbrauch zu steigern, sondern ihre marktfreie Sphäre auszuweiten. Unterstellen w i r einmal, daß die Nachfrage nicht immer mit der Produktionsausweitung der Konsumgüter Schritt halten wird. Unterstellen w i r weiterhin, daß es nicht genügend Unternehmen gibt, die das Ersparte als Kredit nehmen u n d damit Investitionsgüter nachfragen. Und nehmen w i r schließlich an, daß die Staatsbürger nicht gewillt sind, die Staats ausgaben als Ausgleich der mangelnden privaten Nachfrage zu erhöhen. Dann sollte man vernünftigerweise das Marktgleichgewicht dadurch herstellen, daß die allgemeine Arbeitszeit heruntergesetzt wird, die geringere Ausnutzung des Wirtschaftsapparates aber i n Kauf nehmen. Geschieht dies ohne vorherige krasse Übersteigerungen der Konjunktur, sondern allmählich, so braucht dieser Prozeß keine Krisen zu verursachen. Selbstverständlich bedeutet die geringere Erstellung auch den Verzicht auf zusätzliche Arbeits- und Vermögenseinkommen. Wäre es nicht anzustreben, daß die berufliche Arbeit, die für die Mehrzahl der Mitbürger stark sinnentleert ist, abgekürzt wird? Allerdings ist es u m so wichtiger, daß die Privatsphäre abgerundet w i r d und so ein gesunder Lebensraum entsteht, i n dem die größere Freizeit sinnvoll genützt werden kann. Unternehmer-

oder

Verbraucherinteressen?

Es ist menschlich durchaus naheliegend, daß es den Unternehmern nicht immer gefällt, wenn sie i n Erzeugung und Absatz vom Verbraucher abhängig sind, denn die Verbraucher treffen oft Entscheidungen, die nicht angenehm sind. Die Frage ist nur, welche Interessen i n

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Der Bürger als Verbraucher

solchem Falle den Vorrang verdienen. I n einer zivilen Wirtschaftsordnung sollte sich der Unternehmer nach dem Verbraucher richten und, wenn er dessen W i l l e n nicht trifft, den Verlust tragen. Der Unternehmer hingegen w i r d bemüht sein, das eigene Interesse durchzusetzen und sich vor einem Markte zu schützen, der i h m nicht paßt. Er hat dabei starke Verbündete i n den Konjunkturpolitikern, die i h m helfen, marktwidrig zu handeln und dabei die Kosten anderen aufzubürden, nämlich den Zivilisten als Verbrauchern oder als Eigentümern, als M i t arbeitern oder als Staatsbürgern. Es ist menschlich, daß jeder Unternehmer ständig versucht ist, sich der Last des Wettbewerbs zu entziehen. Das gilt vor allem für die weniger leistungsfähigen Unternehmen und die weniger kämpferisch veranlagten Unternehmer, denn der Wettbewerb bedeutet für sie eine ständige Gefährdung ihrer Position am Markt, ihres Vermögens und ihres Gewinns. „Konkurrenten" meinte der amerikanische Unternehmer, H. W. Prentis, auf einer internationalen Produzententagung, „können einem sehr auf die Nerven gehen; sie sind hartnäckig und lassen nicht locker, und sie stören unsere schönsten Träume. Aber sie dienen einem Zweck, sie treiben uns auf dem Wege des Fortschritts weiter, manchmal gegen unseren Willen. Der Wettbewerb befreit die potentiellen Kräfte des Individuums zu schaffen und zu produzieren. Er gibt* den Menschen den größten Anreiz, u m neue, revolutionäre Ideen i n die Tat umzusetzen. Er ist ein Ansporn zur Produktivität, und Produktivität ist Selbsterneuerung wie die Drachensaat, die von Cadmus ausgesät wurde. U n d schließlich schöpft der Wettbewerb das Fett von den Preisen ab, zwingt zur ständigen Verbesserung der Erzeugnisse und schärft ganz allgemein das Geschäft an dem rauhen Wetzstein einer freien Wirtschaft." Prentis behauptet weiter — und diese A u f fassung ist i n Amerika weit verbreitet —, daß die größere Produktivität der amerikanischen Wirtschaft nicht n u r dem Reichtum an natürlichen Rohstoffen oder dem großen Binnenmarkt zuzuschreiben sei, sondern der Tatsache, daß man i n Amerika den Wettbewerb konsequenter durchgeführt hat. Noch vor 50 Jahren wäre der Industrieausstoß pro Mann und Stunde i n Europa und Amerika etwa der gleiche gewesen, gegenwärtig sei er i n Amerika u m das Zweieinhalbfache größer 2 . A u f Grund dieser Belastung der Unternehmer durch den Wettbewerb dürfen sich die Bürger keine Illusionen machen: Wo immer Unternehmer zusammenkommen, besteht die Gefahr, daß sie überlegen, wie sie 2 „Wettbewerb m i t den Augen eines Amerikaners", F r a n k f u r t e r Allgemeine Zeitung v o m 12. 6. 1954, Seite 5. Z u ähnlichen Ergebnissen k a m der B r i t i s h Productivity Council auf G r u n d der Studien, die eine aus Unternehmern, Gewerkschaftern, Ingenieuren, Gelehrten u n d Wirtschaftprüfern gemischte Kommission i n den U S A durchführte. E r empfahl daraufhin, die A n t i k a r t e l l gesetzgebung i n England erheblich zu verschärfen.

U m das

echt des Verbrauchers

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den Wettbewerb vermeiden und dadurch die Abhängigkeit vom Käufer verringern können. Die Unternehmer haben sich dabei i n der deutschen Öffentlichkeit offenbar stärker durchgesetzt als i n den USA. Gilbert Busch charakterisierte 1954 i n der amerikanischen Wirtschaftszeitschrift Fortune die deutsche Wirtschaft dahingehend, daß der vorherrschende Drang darauf gerichtet sei, Sicherheit durch Organisation zu gewährleisten. Deutschlands technische Potenz und seine Fähigkeit zu harter Arbeit würden noch immer durch die Starrheit und den geringen Leistungsgrad i n der Produktion und Verteilung paralysiert. Nichts könne die Dinge so ins Gleichgewicht bringen wie der Anreiz des Wettbewerbs. N u n kann man, wie m i t Recht von Unternehmerseite bemerkt worden ist, niemanden direkt zum Wettbewerb zwingen. M a n kann aber für Verhältnisse sorgen, die den Wettbewerb begünstigen, und man kann die Wettbewerbshemmungen beseitigen, welche der Wirtschaftsordnung widersprechen. Wichtig ist dabei, daß w i r uns gegen die Ideologien wehren, die von Unternehmerseite benutzt werden, u m den Wettbewerb zu diskreditieren, während es i n Wirklichkeit nicht u m das allgemeine, sondern ihr spezielles Interesse geht. F ü r die Allgemeinheit ist wichtig, daß die Märkte offen bleiben, das heißt, daß jeweils neue Konkurrenten auftreten können. Dazu gehört, daß die Einfuhr von Konkurrenzgütern nicht verhindert wird, gegen die die interessierten Unternehmer gern vorgehen, angeblich u m die nationale Wirtschaftskraft oder die Arbeitsplätze zu erhalten. Allzuoft wurde die Wirtschaftspolitik mißbraucht, um durch Prohibitivzölle, Lizenzsysteme, Außenhandelsmonopole, mangelnde Devisenzuteilung oder ähnliche Methoden die lästige ausländische Konkurrenz auszuschalten. F ü r das Inland sind die Methoden noch mannigfaltiger. Dazu gehören Zulassungsverbote der verschiedensten A r t , zum Beispiel durch Bedürftigkeitsnachweise für Handwerk, Einzelhandel und freie Berufe, ferner Anbau- oder Investitionsbeschränkungen, Konzessionssysteme für Apotheken. Auch das Patentrecht und der Markenschutz w i r k e n wettbewerbshemmend. Schließlich darf auch das Steuersystem nicht das Aufkommen neuer Unternehmer so erschweren, wie es bisher der F a l l w a r 3 . A n zweiter Stelle kommt es darauf an, daß die Betriebe, die konkurrierende Güter oder Leistungen erstellen, den gegenseitigen Wettbewerb nicht durch ihren Zusammenschluß ausschalten. Es ist das Problem der Konzentration, die recht verschieden sein kann, von der Fusion zu einer Unternehmung, welche die bisher selbständigen Betriebe nimmehr gemeinsam betreibt, über den Konzern, i n dem die Betriebe nach außen hin rechtlich selbständige Unternehmen bleiben, 3

Vergleiche dazu das 4. Kapitel.

104

Der Bürger als Verbraucher

aber eigentumsmäßig miteinander verbunden sind u n d einem einheitlich unternehmerischen W i l l e n unterliegen, bis zum Kartell, das i n loserer Form selbständige Unternehmen zum Zwecke einer gemeinsamen Absatzpolitik zusammenschließt. Grundsätzlich ist jeder Zusammenschluß von Betrieben unter den Gesichtspunkten unserer Wirtschaftsordnung bedenklich. Das Ideal, welches praktisch jedoch n u r annäherungsweise verwirklicht werden könnte, ist, daß jeder technisch selbständige Betrieb unmittelbar dem Druck der Märkte unterliegt, nicht nur der Güter-, sondern auch der Kapital- u n d Arbeitsmärkte, w e i l dadurch am besten gesichert ist, daß er der wirtschaftenden Gesellschaft gehorcht. W i r werden sehen, welche Möglichkeiten marktwidrigen Verhaltens andernfalls entstehen und welche Auswirkungen dies hat. Daraus ergibt sich, daß die Wirtschaftspolitik darauf gerichtet sein sollte, nicht die Konzentration zu begünstigen, sondern eher die Dekonzentration. Das zweite ist zweifellos eine langwierige Aufgabe, die behutsam angefaßt werden muß, wenn dabei nicht großer Schaden entstehen soll. Soweit und solange sie nicht durchgeführt ist, werden w i r andere Methoden anwenden müssen, um ein einigermaßen marktgemäßes Verhalten zu erreichen. 2. Auf dem Kampffeld der Wettbewerbsordnung Erwachen

des

Verbraucherbewußtseins

I m ganzen genommen ist die Stellung des Verbrauchers gegenüber den Kräften, die den Wettbewerb ablehnen oder schwächen, noch sehr ungesichert. Die Geschichte der Marktwirtschaft zeigt, daß die Verbraucher von den Repräsentanten des Wirtschaftsapparates immer wieder überfahren worden sind, w e i l sie deren konzentrierter wirtschaftlicher Macht und wirtschaftspolitischem Einfluß nichts Gleichwertiges entgegenzustellen hatten. Es begann vor einem Dreivierteljahrhundert, m i t der Gründerkrise, als es „der" Wirtschaft gelang, den Wettbewerb durch die Zollpolitik einzuschränken. Ein wichtiger Markstein dieser Entwicklung war sodann das sogenannte Kartellurteil von 1897, i n dem das Reichsgericht Kartelle für zulässig erklärte. Wenn i n einem Gewerbezweig die Preise zu stark absinken, könne, so erklärte es, der Zusammenschluß der konkurrierenden Unternehmen i m allgemeinen Interesse liegen. Damit wurde den Unternehmen die rechtliche Freiheit gegeben, sich gemeinsam marktbeherrschende Positionen zu schaffen, den Wettbewerb mehr oder weniger außer K r a f t zu setzen und sich auf Kosten der Verbraucher zu einigen. Davon haben sie dann auch reichlich Gebrauch gemacht. Lehrreich sind die Erfahrungen aus dem Gesetz gegen den Mißbrauch wirtschaftlicher Machtstellungen vom Jahre 1923. U m das allgemeine Interesse gegenüber den Kartellen zu wahren, wurden diese unter

A u f dem K a m p f f e l d der Wettbewerbsordnung

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staatliche Aufsicht gestellt. Anfangs wehrten sich die Unternehmer heftig dagegen. Allmählich zogen sie die staatliche Aufsicht jedoch dem Wettbewerb vor, so daß die Kartelle unter dem Schutze des Gesetzes mehr als je aufblühten. Die Kartellaufsicht aber blieb aus Mangel an geeigneten Maßstäben und Methoden ziemlich wirkungslos. Selbstverständlich wäre diese Entwicklung nicht möglich gewesen, wenn es den kartellinteressierten Unternehmern nicht gelungen wäre, breitere Bevölkerungsschichten für sich einzuspannen. Da sie zur Rechtfertigung der Kartelle nicht n u r i h r spezielles Interesse anführen konnten, versuchten sie nachzuweisen, daß der Wettbewerb für die Allgemeinheit schädlich sein könne und daher einer Ordnung durch die Wirtschaft bedürfe. Hierbei k a m den Unternehmern die Haltung der Sozialdemokraten und der Gewerkschaften entgegen. Der Marxismus sah ohnehin i m Wettbewerb ein Übel, während Kartelle — wie alle großen Gebilde der Wirtschaft — besonders geeignet erschienen, eines Tages i n öffentliches Eigentum überführt und planwirtschaftlich gelenkt zu werden. Diese leichtere Politisierung reizte auch die Gewerkschaften, die bereits seit 1919 i n der zwangskartellierten Kohlen- und Kaliwirtschaft M i t bestimmungs-Funktionen übernommen hatten. Außerdem boten kartellierte Unternehmen bessere Ansatzpunkte f ü r die gewerkschaftliche Lohnpolitik. „Ein System", meint Hayck, „unter dem große bevorrechtigte Gruppen an den Monopolgewinnen beteiligt werden, kann i n politischer Hinsicht viel gefährlicher sein, und unter solch einem System haben die Monopole sicherlich eine weit mächtigere Stellung inne als dann, wenn die Gewinne sich auf wenige Personen beschränken. Es sollte zwar k l a r sein, daß zum Beispiel die höheren Löhne, die der Monopolist zahlen kann, genau so aus der Ausbeutung stammen wie sein eigener Gewinn und daß sie m i t gleicher Bestimmtheit nicht nur alle Konsumenten, sondern noch weit mehr alle anderen Lohnempfänger schädigen; aber nicht nur die Nutznießer dieser Löhne, sondern die breiten Massen i m allgemeinen erkennen es heute als eine Rechtfertigung des Monopols an, wenn es höhere Löhne zahlen kann 4 ." Diese Koalition, die auf den gemeinsamen Produzenteninteressen der Unternehmer und Arbeitnehmer beruhte, beherrschte die öffentliche Meinung und damit auch die politischen Instanzen. „Der Kampf gegen „wirtschaftliche Machtstellungen", stellt Frederick Haussmann, einer der besten Kenner jener Entwicklung, fest, „und eine Kontrolle der Monopole i m allgemeinen wurde zwar angekündigt, blieb aber aus. Die Verordnung blieb nicht n u r angesichts der starken Widerstände aus den Kreisen der Wirtschaft und ihrer Berater, sondern auch wegen 4 F. A . Hayek , „ D e r Weg zur Knechtschaft", Erlenbach-Zürich, 3. Auflage, 1952, Seite 244/45.

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Der Bürger als Verbraucher

des inneren Zwiespaltes innerhalb der Sozialdemokratie i n diesen Fragen i m wesentlichen wirkungslos. Vor allem erwies sich gegenüber dem Druck mächtiger Interessentenverbände und angesichts vorsichtiger Ängstlichkeit der Ministerialbürokratie der § 4 der Kartellverordnung, dem eine echte Kontrolle — ausgerichtet nach öffentlichen Interessen — vorschwebte, leider als flügellahm 5." U m so wichtiger ist die oben erwähnte neue Entwicklung zu beurteilen, daß nämlich die Verbraucher erstmalig zum Bewußtsein ihrer wahren Interessen kommen. Besonders hoffnungsvoll aber stimmt die neue Haltung der Sozialdemokratischen Partei zugunsten der Verbraucher. Demgegenüber haben die Gewerkschaften ihre kartellfreundliche Tradition noch nicht aufgegeben; sie zeigen damit, daß auch sie zu einseitig produktionsorientiert sind, u m die zivilen Interessen ihrer Mitglieder zu berücksichtigen. E i n großes Verdienst für die Bildung einer neuen öffentlichen Meinung kommt der kleinen Gruppe von Professoren und Publizisten zu, die sich i n der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft eine bürgerliche, daß heißt von einseitigem Interesse freie Organisation geschaffen haben. Sie haben i m Streit u m die Kartelle i n ähnlicher Weise als öffentliches Gewissen gewirkt, wie vor gut einem halben Jahrhundert die sogenannten Kathedersozialisten i m Verein für Sozialpolitik, allerdings m i t dem Unterschied, daß die Einsicht i n die marktwirtschaftliche Ordnung inzwischen vertieft worden ist 6 . Schließlich hat auch der Wissenschaftliche Beirat beim Wirtschaftsministerium — ein über den Interessentengruppen und Parteien stehendes Gremium von hoher wissenschaftlicher Qualität — i n mehreren Gutachten eindeutig gegen Kartelle Stellung genommen 7 . Die

„ K a r t e 11 s c h 1 a c h t "

Die entscheidende politische Initiative lag jedoch bei Wirtschaftsminister Erhard, der m i t dem Entwurf des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen den Kampf gegen die Kartellfreunde aufnahm. Das sogenannte Kartellgesetz löst die Entkartellierungsgesetzgebung ab, die die Alliierten nach der Besetzung, vor allem aus amerikanischer Initiative, erlassen hatten; es ist damit leider von dem politischen Ressentiment belastet, das vielfach gegen die einseitige Besatzungsmaßnahme bestand. 5

„Betriebs-Berater", Heft 12, 9. Jahrgang, Seite 353. Übrigens ist auch i n anderen europäischen Ländern, v o r a l l e m i n den nordischen Staaten, i n Frankreich, Belgien u n d Holland, die Grundsatzdiskussion über die wirtschaftlichen Machtstellungen lebhafter geworden. 7 Vergleiche das Gutachten des wissenschaftlichen Beirats beim W i r t schaf tsministerium v o m 2. Oktober 1954. 6

A u f dem K a m p f f e l d der Wettbewerbsordnung

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Der Gedanke des Erhardscherl Entwurfs ist, wettbewerbsbeschränkende Abreden der Unternehmer grundsätzlich zu verbieten und nur i n Ausnahmefällen zu gestatten. Es richtet sich vor allem gegen Preis-, Gebiets- und Quotenkartelle, also Vereinbarungen, durch die die Konkurrenten sich auf bestimmte Preise einigen oder den Absatz untereinander gebiets- und quotenmäßig aufteilen. Das wichtigste M i t t e l des Gesetzes ist, Kartellen den Schutz der Rechtsordnung zu versagen, so daß also die Beteiligten, wenn ein Kartellmitglied sich an die A b sprache nicht hält, es nicht auf Einhaltung verklagen oder wegen Verletzung „bestrafen" können. Die Versagung des Rechtsschutzes ist ein zweckmäßiger Ansatzpunkt, weil erfahrungsgemäß der Interessengegensatz der Konkurrenten i m mer wieder dazu führt, daß Kartellmitglieder, u m sich zusätzliche Geschäfte zu sichern, die Vereinbarungen nicht einhalten. U m das zu verhindern, hatten die Kartelle die Mitglieder meist stark gebunden, zum Beispiel durch hohe Konventionalstrafen oder durch eigene Verkaufsgesellschaften, über die der gesamte Absatz der Mitglieder geleitet wurde. Die Kartellgegner machten nunmehr geltend, daß die Rechtsordnung nicht rechtliche Bindungen anerkennen kann, die dem Wettbewerb als der Basis der Wirtschaftsordnung widersprechen. Sie stellen sich gerade hiermit i n Gegensatz zu der erwähnten Reichsgerichtsentscheidung von 1897. Gegen den Entwurf des Kartellgesetzes wandte sich vor allem der Bundesverband der Deutschen Industrie. Er warf der „neoliberalen" Wettbewerbs- u n d Antikartellkonzeption vor, daß sie n u r am „Schreibtisch von einigen Theoretikern erdacht" wäre. Sie müsse zum „Zerfleischen der Unternehmer" und zum „Catch-as-catch-can-Wettbewerb" führen. Die Argumente, die von der Industrie vorgetragen wurden, sind zweifellos weithin interessenbestimmend; sie enthalten aber sehr beachtenswerte Gesichtspunkte, auf die w i r noch eingehen werden. Vor allem liegen sie i n zwei Richtungen: Einmal, daß der ungehemmte Wettbewerb erfahrungsgemäß bei sinkender Preistendenz i n Preisschleuderei ausarte und i n der Krise zum Kampf bis aufs äußerste führe. Zum zweiten, daß beim Wettbewerb nicht immer der Leistungsfähigere, sondern sehr oft der Kapitalkräftige und Rücksichtslose siege. So werde der Konzentrationsprozeß verstärkt, der die mittelständische Industriestruktur zerstöre. Kartelle werden dementsprechend als Selbsthilfeorganisationen der Unternehmer empfohlen, u m den ruinösen Wettbewerb zu lindern und den kleinen und mittleren Betrieben Gelegenheit zu geben, durch ihren Zusammenschluß ein Gegengewicht gegen die Großen zu schaffen. Professor Isay, der i m Auftrage des Bundesverbandes der Industrie ein

108

Der Bürger als Verbraucher

Gutachten erstellt hat, erklärt weiterhin, die Selbsthilfe sei notwendig, da „bei aller Fortentwicklung konjunkturpolitischer Techniken der Staat m i t seinen marktkonformen M i t t e l n nicht nachhaltig, schnell und i n dividuell genug reagieren könne. Die Kartelle würden außerdem gegenüber den marktbeherrschenden Unternehmen diskriminiert; an die Stelle des den Mittelstand schützenden schwachen Kartellmonopols trete das unkontrollierbare und unangreifbare Monopol der Großunternehmen. I m übrigen aber werde das Rechtsgefühl der Unternehmer verletzt, wenn sie neben dem Verbot ihres Zusammenschlusses die Kartelle der Arbeitnehmer ungestört w i r k e n sähen. Gegenüber dem Verbotsprinzip des Gesetzentwurfs forderte der Bundesverband ein Mißbrauchsprinzip, wonach n u r bei Mißbrauch gegen Kartelle vorgegangen werden solle. Die Preisbindung unter Konkurrenten führe keineswegs stets zu Investitionsfehlleistungen und Entwicklungshemmungen. I m übrigen solle der Preiswettbewerb nicht ganz beseitigt, sondern nur i n seinen hektischen Ausschlägen gemildert werden. Der Wettbewerb i n der Qualität, i m Kundendienst und i n der technischen Entwicklung sorge dafür, daß der echte Leistimgswettbewerb ständig intensiver wird. Nützliche

Diskussion

Die vielfach recht heftigen Auseinandersetzungen u m das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen haben die Einsicht i n die noch ungelösten Probleme des Wettbewerbs erheblich gefördert. Einerseits sind weitere Kreise unserer Mitbürger, wenn auch immer noch zu geringe, aufmerksam geworden, daß es hier u m Grundfragen der Wirtschaftsordnung geht, die sich auf die Allgemeinheit wesentlich auswirken. Andererseits aber haben die Gegner des Gesetzes nachgewiesen, daß m i t dem Kartellverbot allein keineswegs eine gesunde Wettbewerbsordnung garantiert ist, ja, daß sogar Folgen auftreten können, die ebenso unerwünscht sind wie diejenigen der Kartelle selbst. Die Frage ist allerdings, ob man deshalb — wie der Bundesverband vorschlägt — das Kartellverbot fallen lassen oder den entgegengesetzten Schluß ziehen soll. Das zweite bedeutet, den Weg vorwärts konsequent beizubehalten und die Wettbewerbsordnung weiter auszubauen. Von unserem Standorte aus stimmen w i r den Repräsentanten der Wirtschaft zu, daß der Wettbewerb i m heutigen Wirtschaftssystem unzulänglich funktioniert, können uns ihnen aber nicht anschließen, wenn sie als Hilfe gegen vorhandene Mißstände das Recht i n Anspruch nehmen, den Wettbewerb nach ihrem Ermessen einzuengen und durch marktbeherrschende Einrichtungen zu ersetzen. Es geht hierbei nicht u m lebensfremde Theorien u n d den Eigensinn einiger Professoren, sondern u m unsere leitenden Prinzipien der Wirtschaftsordnung, aus denen w i r folgende kurze Stellungnahme ableiten:

A u f dem K a m p f f e l d der Wettbewerbsordnung

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1. Wirtschaftspolitisch ist gegen Kartelle einzuwenden, daß einseitig festgesetzte Preise nicht den allgemeinen gesellschaftlichen W i l l e n ausdrücken und daher ungeeignet sind, als Basis marktmäßig richtiger Entscheidungen zu dienen. Sie hemmen die Anpassung der Geschäftspolitik an den Verbraucherwillen, und zwar nicht n u r i n preislicher, sondern auch i n mengenmäßiger Hinsicht. Weniger leistungsfähige Betriebe erzeugen weiter, statt ihre Produktion einzuschränken, andere werden zu übermäßigen Investitionen verführt. Die kartellierten Betriebe stehen nicht unter dem üblichen Marktdruck, ihre Selbstkosten laufend zu überprüfen und zu senken, so daß der betriebliche Fortschritt gehemmt wird. Die oben wiedergegebenen amerikanischen Äußerungen über die Produktivität der deutschen Wirtschaft bestätigen dies. 2. Sozialpolitisch gesehen erzielen die kartellierten Unternehmer Gewinne, die nach dem Leistimgsprinzip, das die ethische Basis der M a r k t wirtschaft bildet, unberechtigt sind. Das Sozialprodukt w i r d zu Lasten der übrigen Wirtschaftspartner ungerecht verteilt. Während die kartellierten Unternehmer Sinekuren besitzen, w i r d der Lebensstandard breiter Bevölkerungsschichten herabgesetzt. A u f diese Folge der K a r telle, die sogenannte „Kartellrente", hat besonders Hau immer wieder hingewiesen 8 . 3. Gesellschaftspolitisch gesehen ist die Stellung der marktbeherrschenden Unternehmen eine Gefahr für die Demokratie. Die wirtschaftliche Macht bedroht die Unabhängigkeit und Neutralität des Staates 9 und fordert andere wirtschaftliche Machtpositionen — wie die der Gewerkschaften — heraus. Die Gewerkschaften haben bereits gefordert, daß sie an Kartellen angemessen beteiligt werden. Diese Konsequenz liegt nahe, sobald die Unternehmer den Wettbewerb aufgeben und ihre Position durch eine gesellschaftliche Machtstellung sichern. Es ist nicht einzusehen, w a r u m man ihnen die Kartelle dann allein überlassen soll. Richtiger ist es jedoch, nicht erst Machtpositionen zuzulassen, i n denen sich die „beiden Sozialpartner" instutionell auf Kosten der Zivilisten festsetzen. ' Zusammengefaßt ergibt sich, daß w i r die Kartellierung nicht freigeben können, ohne die Grundlagen unserer Wirtschaftsordnung aufzugeben. Es ist nicht angebracht, das Kartellgesetz auf den Mißbrauch von Kartellen zu beschränken; denn Kartelle selbst sind ein Mißbrauch, 8 Vergleiche z u m Beispiel F A Z v o m 24. 2. 1954, Seite 9 u n d v o m 15. 5. 1954, Seite 7. 9 Es mußte schon Bedenken erregen, als M i t t e 1954 bekannt wurde, daß der Bundesverband der Deutschen Industrie einen Kampffonds gegen den Regierungsentwurf zum Kartellgesetz schaffen w i l l . Der Kampffonds sollte eine nach außen h i n v ö l l i g neutral gehaltene, aber i n Übereinstimmung m i t dem B D I nach den jeweiligen Bedürfnissen gesteuerte Aufklärungsarbeit f i n a n zieren.

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Der Bürger als Verbraucher

insofern die ungehemmte Freiheit von einem Teil der Unternehmer benutzt wird, u m die Freiheitsrechte anderer, schwächerer Wirtschaftspartner zu beeinträchtigen. Dabei ist zu bedenken, was Hau ebenfalls immer wieder betont, daß Kartelle nicht überall i n der Wirtschaft, ja nicht m a l überall i n der Industrie durchführbar sind und daher die nicht kartellierbare Industrie eine erhöhte Last des schlecht funktionierenden Wettbewerbs zu tragen hat. Es gilt daher, i n der Kartellfrage fest zu bleiben, aber auch die übrigen Strukturmängel des bisherigen Wettbewerbs zu beseitigen. Das Kartellgesetz k a n n n u r Teilstück einer umfassenden Wettbewerbsordnung sein. Wie die Erfahrung gelehrt hat, sind starke wirtschaftliche Interessen nicht m i t einzelnen Verboten i n die allgemeine Ordnung einzuspannen; die gesamte gesellschaftliche und wirtschaftliche Konstellation muß auf positive Ziele abgestellt werden. I n diesem Sinne1 ist es zu begrüßen, daß der Bundesrat i m M a i 1954 seine grundsätzliche Zustimmung zum Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen m i t dem Ersuchen an die Bundesregierung verband, Vorschriften zum Schutze des Leistungswettbewerbs auszuarbeiten. Außerdem finden sich i m Gesetz selbst Ansätze gegen den Mißbrauch der Machtstellung von marktbeherrschenden Unternehmungen. Diese Vorschriften standen während der Kartellschlacht zwar i m Hintergrund, sie müssen zweifellos auch weiter ausgearbeitet werden, sei es durch den Gesetzgeber oder die Rechtsprechung, aber sie werden zwangsläufig an Bedeutung gewinnen. Wie weit hierfür die während der Kartellschlacht diskutierten Vorschläge herangezogen werden können, wollen w i r später untersuchen. 3. Der ruinöse Wettbewerb Anpassung

an

die

Nachfrage

Ein Haupteinwand, den die Unternehmer gegen das „neoliberale Wettbewerbsschema" und gegen das Kartellverbot vortragen, bezieht sich auf die Gefahr des ruinösen Wettbewerbs. Ihre Organisationen erklären, die Wirtschaft könne auf Kartelle nicht verzichten; denn i n Zeiten schlechter K o n j u n k t u r müßten diese verhindern, daß der Wettbewerb hemmungslos geführt werde, die Preise ins Bodenlose absänken und die Wirtschaft sich damit selbst ruiniere. Erfahrungsgemäß komme es i m Absatzkampf dazu, daß selbst gesunde und leistungsfähige Unternehmen zugrunde gehen. Der Schaden treffe nicht nur die Unternehmer, sondern auch die Arbeitnehmer und die gesamte übrige Volkswirtschaft. Stellen w i r zunächst Theorie und Praxis einander gegenüber. Die Theorie der Marktwirtschaft lehrt, daß für die Marktpreise die Selbstkosten des Grenzbetriebes maßgebend sind, dessen Erstellung noch be-

Der ruinöse Wettbewerb

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nötigt wird, u m Angebot und Nachfrage mengenmäßig auszugleichen. Demnach geben jeweils die Betriebe ihre Produktion auf, deren Selbstkosten darüber liegen "und die daher zu den Marktpreisen nur unter Verlust verkaufen könnten. Sinkt bei sonst gleichbleibenden Verhältnissen die Nachfrage, so müssen weitere Unternehmen ausscheiden, während der Marktpreis zu den Selbstkosten des nunmehrigen Grenzbetriebes tendiert. Steigt die Nachfrage, so müssen zusätzlich Betriebe herangezogen werden, wobei die Marktpreise sich nach deren Selbstkosten richten, also steigen. I n der Praxis geht es jedoch, w i e die Unternehmer behaupten, nicht so. Tatsächlich gibt es bei anhaltenden Absatzschwierigkeiten immer wieder am M a r k t Verkaufspreise, von denen jeder Kenner weiß, daß sie auch für den leistungsfähigsten Betrieb unter den Selbstkosten liegen. Solche Preise werden nicht etwa nur von Unternehmen genannt, die so stark in Liquiditätsschwierigkeiten stecken, daß sie u m jeden Preis verkaufen u n d Geld beschaffen müssen. Sobald nun solche niedrigen Preise bekannt werden, kommt es bei anderen Unternehmungen, deren Warenbestände wegen mangelnden Absatzes anschwellen, leicht zu Panikerscheinungen. M a n schließt sich, da man i m Markte bleiben w i l l , der Methode, u m jeden Preis zu verkaufen, an. Die Erfahrimg lehrt also, daß die Unternehmungen n u r schwerfällig die Konsequenzen aus einer ungünstigen Absatzlage ziehen, nämlich ihre Produktion einzuschränken und dem Bedarf anzupassen. Sie erzeugen u n d verkaufen weiter, obwohl sie nicht auf ihre Selbstkosten kommen. Die Preise fallen soweit, daß selbst die leistungsfähigsten Betriebe, deren Erstellung zur Deckung der Nachfrage reichen würde, nicht auf ihre Kosten kommen. Wie erklärt sich das? Die Unternehmer selbst meinen, daß es ihnen darauf ankomme, trotz Verlust ihren Marktanteil zu halten und nicht aus dem Markte geworfen zu werden. Sie geben insoweit zu, daß sie nicht nach Selbstkosten entscheiden, obwohl der einzelne weiß, daß auf diese Weise das Gleichgewicht am M a r k t nicht wiederhergestellt werden kann, ja daß alle Beteiligten dadurch verlieren. Allerdings muß man sich bei solchen Vorgängen vor einem Denkfehler hüten, der häufig begangen wird. Man darf nicht auf die historischen Selbstkosten schauen. Verkäufe unter Selbstkosten entsprechen durchaus der Marktwirtschaft, soweit sie erforderlich sind, u m die Verluste aus vorangegangenen Fehldispositionen zu realisieren. Nehmen w i r an, eine Kleiderfabrik hat eine große Zahl von Damenmänteln hergestellt, die nunmehr schwer verkäuflich sind, weil die Mode inzwischen längere Mäntel, andere Stoffdessins oder einen anderen Schnitt vorschreibt. Dann ist es durchaus richtig, diese Mäntel m i t einem Preisabschlag unter Selbstkosten zu verkaufen, denn damit folgt man nur

112

Der Bürger als Verbraucher

dem Willen der Verbraucher. Das gleiche gilt, wenn der Unternehmer die Rohstoffe i m ungünstigen Zeitpunkt eingekauft hat und nunmehr seine Fertigwarenpreise nur noch nach den inzwischen gesunkenen Rohstoffpreisen kalkulieren kann. Schließlich gehört es auch hierher, wenn i n einem Industriezweig übermäßig investiert wurde u n d nimmehr ein erheblicher T e i l der Anlagen nicht ausgenutzt werden kann. Dann kann es sein, daß man Abschreibungen und Kapitalverzinsung n u r noch nach geringeren Zeitwerten der Anlagen kalkulieren kann. Bekommen die Unternehmer i n solchen Fällen i m Verkaufspreis nicht mehr die ihnen früher entstandenen Selbstkosten herein, so ist dies durchaus i n Ordnung. Es liegt i m Wesen unseres Wirtschaftssystems, daß die betroffenen Unternehmen die Folgen von Fehldispositionen selbst tragen. Wenn sie dabei von ruinösem Wettbewerb sprechen und sich zusammenschließen, u m dem Verbraucher die Verluste aufzuladen, so haben w i r allen Grund, uns dagegen energisch zu wehren. Das eigentliche Problem liegt anders: es besteht nicht, wo die erzielten Preise die vorher schon entstandenen Verluste sichtbar machen, sondern w o durch Verkaufsabschlüsse bzw. eine Vorratsproduktion erst Verluste verursacht werden. Das ist beispielsweise gegeben, wenn dar Bekleidungsbetrieb, u m i m M a r k t zu bleiben oder seine Beschäftigung aufrechtzuerhalten, Verkaufsabschlüsse zu D M 100 je Mantel tätigt, obw o h l er bei der Neuproduktion m i t Kosten für Stoffe und Zutaten, Löhne u n d Gehälter, Strom, Dampf, Vertriebskosten u. a. von D M 105 je Mantel rechnen muß. Die Folgen dieser marktwidrigen Entscheidung treffen nicht nur ihn, sondern auch die anderen. M a n mag geneigt sein, den Unternehmern zu antworten, daß, wer den guten Tropfen der K o n j u n k t u r genießt, auch den schlechten der Krise ertragen muß. Das wäre jedoch auch vom Verbraucher aus gesehen unangebracht; denn irgendwie und -wann w i r d er die Kosten an Sozialprodukt und -vermögen doch mittragen. Jeder Verbraucher ist auch an der Produktion einkommensmäßig interessiert, sei es als Berufstätiger, als Eigentümer oder als Empfänger „umverteilten" Einkommens. W i r müssen uns daher dem Problem stellen, daß solche ruinösen Preiskämpfe wirklich gegen die Ordnung unseres Wirtschaftssystems gehen. Es ist für dessen Wirkungsfähigkeit wesentlich, daß der Wettbewerb zum Siege der betrieblich leistungsfähigsten Unternehmen führt und daß die Unternehmen überleben, welche die niedrigsten Selbstkosten haben, nicht aber andere, die aus irgend welchen Quellen am meisten zusetzen können. Die

Folgen

falscher

Selbstkostenrechnung

Wollen w i r die Ursachen dieses Gegensatzes zwischen m a r k t w i r t schaftlicher Theorie und bisheriger Praxis ergründen und Abhilfe schaffen, so genügt es nicht, bei den Marktvorgängen anzusetzen. W i r

Der ruinöse Wettbewerb

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haben vielmehr i n die Unternehmungen hineinzuschauen und festzustellen, wie die Entscheidungen Zustandekommen, die den maßgebenden Verhältnissen zwischen M a r k t und Betrieb widersprechen. Ausgangspunkt ist dabei das innere Wertsystem der Unternehmungen, das gegenwärtige Rechnungswesen. Es führt dazu, daß die Unternehmen bei ihrer Geschäftspolitik keine Selbstkostenrechnung besitzen, die sie richtig leitet. Dieses Problem w i r d auch von der Betriebs Wissenschaft gesehen, die sich weitgehend m i t der gegenwärtigen Praxis der Rechnungslegung abgefunden hat oder sie sogar unterstützt. So w i r d betont, daß man i n der Selbstkostenrechnung abweichend vom Jahresabschluß die Tageswerte der betreffenden Kosten einsetzen müsse. Man weiß aber auch, daß die Anerkennung dieser Regel der Praxis nicht leicht fällt, weil sie gewohnt ist, bei der Ermittlung des Jahresgewinnes von den Buchwerten auszugehen 10 . W i r haben oben ausgeführt, daß die Unternehmer über den wahren Marktwert ihrer Anlagen und Vorräte keinen ausreichenden Überblick haben und i h r Rechnungswesen nicht auf die betrieblichen Vorgänge abgestellt ist. I n der Praxis gibt man sich auch für Zwecke der Selbstkostenrechnung meist keine große Mühe, die richtigen Zahlen festzustellen und zu berücksichtigen. Das gilt vor allem dann, wenn es wichtig ist, das heißt, wenn Absatzschwierigkeiten m i t Preiskämpfen bestehen. Dann ist die Tendenz, m i t Tageswerten statt m i t niedrigeren Buchwerten der Vorräte zu kalkulieren, bei vielen Unternehmern schwach. Entsprechendes gilt für die Anlagen. Es dürfte verhältnismäßig wenig Unternehmer geben, die etwa sagen: W i r müssen, u m uns nicht selbst zu betrügen, zeitgemäße, verbrauchsbedingte Abschreibungen ansetzen und dürfen uns nicht nach den niedrigen Bilanzwerten richten. Schließlich werden die Kosten der einzelnen Betriebe oft willkürlich abgegrenzt. Die Praxis hat i m allgemeinen nur dann die Rechnung nach echten Selbstkosten gefördert, wenn es i n Zeiten des Verkäufermarktes darauf ankam, hohe Gewinne zu verteidigen. Ein Beispiel dafür bot die staatliche Preisüberwachung, i n der man etwa geltend machte, man müsse bei der Ermittlung des echten, des betriebswirtschaftlichen Gewinnes statt der Buchabschreibungen betriebsnotwendige Abschreibungen berechnen. Das Ziel w a r damals, die Abschöpfung von „Übergewinnen" zu vermeiden. Ähnlich wurde nach der Währungsreform, besonders i n der Koreahausse gesagt, man müsse aus betriebswirtschaftlichen Gründen die Wiederbeschaffungskosten der Rohstoffe kalkulieren. Hierbei ging es darum, sich gegen moralische Angriffe der Gewerk10 Vergleiche zum Beispiel Prion, „Die Lehre v o m Zweites Buch, Seite 116, B e r l i n 1935. 8 Kahl, Macht und Markt

Wirtschaftsbetrieb",

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Der Bürger als Verbraucher

Schäften und der politischen Linken zu wehren. Schließlich können w i r als sicher annehmen, daß die Monopolunternehmen ähnlich argumentieren würden, wenn ein Monopolaufsichtsamt zu untersuchen hätte, ob die Preise angemessen sind. Es wäre jedoch angebracht, diese Prinzipien auch zu verwirklichen, wenn 'die Marktlage umgekehrt ist, es also schwer ist zu verkaufen. Bei Unternehmen, die i m Wettbewerb stehen, ist die genaue Selbstkostenrechnung i n Zeiten, i n denen die Marktpreise eindeutig über den Selbstkosten liegen, ohnehin nicht so dringend, denn dann nimmt man i m allgemeinen die Preise, die man nach der Marktlage bekommen kann. Die unzulängliche Praxis ist für Wirtschaftswissenschaftler und - P o l i tiker, die nur i n rationellen ökonomischen Begriffen denken, unverständlich und unglaubhaft. Sie erklärt sich jedoch wesentlich aus psychologischen Gesichtspunkten. Die Unternehmer kommen i n eine K o n f l i k t situation, wenn eine Absatzkrise eintritt und die Preise nicht mehr die Selbstkosten decken. Sie müßten die Produktion einschränken, eine Entscheidung, die vor allem schwerfällt, wenn die Konkurrenz nicht vorher oder gleichzeitig dasselbe tut. Die Einschränkung w i r d leicht als Mißerfolg oder Schwäche empfunden, und niemand gibt eine Niederlage i m Kampf gern zu. Kunden und Lieferanten, Gewerkschaften und Mitarbeiter, Banken und sonstige Gläubiger, Konkurrenzunternehmen und schließlich die Öffentlichkeit könnten zu dem Ergebnis kommen, der Unternehmer sei nicht so tüchtig, das Unternehmen nicht so lei^ stungsfähig wie andere. Es geht hier also u m Entscheidungen, die das Prestige u n d das Selbstgefühl des Unternehmers zutiefst betreffen. Sie werden noch schwieriger, wenn der Unternehmer n u r Angestellter und nicht Eigentümer ist, einerseits w e i l seine Stellung -dann mehr vom äußeren Erfolg abhängig ist, andererseits w e i l er nicht sein eigenes Vermögen riskiert. Was liegt näher, als daß man dieser Konfliktsituation solange wie möglich auszuweichen sucht? Entsprechend den Tendenzen des Seelenlebens täuscht man allzuoft nicht nur andere, sondern auch sich selbst. Wer kann erwarten, daß der Unternehmer, der doch kein homo> oeconomicus, sondern mehr als andere ein Mensch der Phantasie, des Prestiges, des äußeren Erfolgs ist, rein objektiv und neutral denkt und rechnet? Nun bietet i h m das heutige Rechnungswesen ein ausgezeichnetes I n strument für solche Flucht vor der Wirklichkeit. Stellt er seine Selbstkostenrechnung nicht nach den objektiven Marktwerten an, sondern geht von den niedrigen, „vorsichtigen" Buchwerten aus, so kann er sich immer noch rechtfertigen, wenn die erzielbaren Preise die wahren Selbstkosten nicht mehr decken. Dann heißt es i n der Praxis etwa: W i r haben ja noch einen Posten Rohstoffe, die w i r billiger eingekauft

Der ruinöse Wettbewerb

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haben oder auf den w i r i n der Bilanz eine — objektiv nicht berechtigte •— Sonderabschreibung wegen Minderwerten vorgenommen hatten. I n ähnlicher Seelenlage befindet sich der Verkaufsleiter, der die Fertigwarenvorräte anschwellen sieht und auf den die Vorgesetzten u n d K o l legen einen Druck ausüben. Es ist erstaunlich, mit welcher Geschicklichkeit dann Kalkulationen aufgezogen werden, u m sich selbst und anderen zu beweisen, daß man noch jenen Auftrag annehmen kann, u m den man kämpft, während es tatsächlich ein glattes Verlustgeschäft ist. Das Gefährliche ist, daß die Konkurrenz es genauso macht und man sich dabei immer weiter treibt. Wer richtig oder wenigstens nicht ganz so falsch rechnet, sieht sich gezwungen, sich den Preisen desjenigen Konkurrenten anzupassen, der am schlechtesten rechnet, oder er muß als erster die Produktion einschränken. Die Verlustverkäufe können natürlich nicht unbegrenzt weitergehen. Sie finden ihre Grenze, wenn man die stillen Rücklagen ganz oder wesentlich aufgezehrt hat und nunmehr den Konsequenzen nicht mehr ausweichen kann. Hierin liegt eine der verderblichen Folgen der Rücklagen, die man gelegt hat, um schlechte Zeiten besser zu überstehen, die aber tatsächlich die schlechten Zeiten dadurch fördern, daß sie den zerstörerischen Wettbewerb begünstigen. Besonders gefährlich aber wirken sich nun die stillen Rücklagen aus, die i m Wege der Steuerhinterziehung entstanden sind. Sie können dem gewissenlosen Unternehmer einen wesentlichen Vorteil i m Wettbewerb gegenüber den anständigeren Unternehmern geben, deren finanzielle Kraft durch die Steuerzahlung vergleichsweise stärker geschwächt ist. Nehmen w i r an, ein Unternehmer hat bei der Aufnahme seiner Warenbestände unversteuerte stille Rücklagen i n Höhe einer M i l l i o n D M geschaffen, während sein genauerer Konkurrent eine M i l l i o n D M mehr als Gewinn angibt und darauf D M 600 000 ans Finanzamt abführt. I m Absatzkampf kann der erste nunmehr diesen Betrag mehr zusetzen als sein Wettbewerber. Dadurch w i r d die Wettbewerbslage erheblich verschoben. So w i r d der Fiskus unwissend und unfreiwillig zum Finanzier der ruinösen Konkurrenzkämpfe. Fixe

Kosten

und

elastische

Geschäftspolitik

Wirtschaftswissenschaft und Praxis nennen uns als besondere Ursache, warum die Unternehmen so schwerfällig den Marktverhältnissen folgen, die „fixen Kosten", die den Unternehmen auch dann entstehen, wenn der Betrieb nicht erzeugt und verkauft, sondern stilliegt. Dazu werden vor allem gezählt: 1. Die Verzinsung des Kapitals, das i m Betriebsvermögen investiert ist, 2. die Abschreibungen auf das Anlagevermögen und 3. der allgemeine Verwaltungsapparat. Sind Beschäftigung und Absatz bedroht, so sind die Unternehmer bei ihrer Preisstellung meist bereit, auf einen Teil dieser Kosten zu verzichten, damit 8*

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Der Bürger als Verbraucher

sie überhaupt verkaufen und wenigstens den übrigen Teil i n den Erlösen der Erzeugnisse hereinholen können. Obwohl sie also insoweit unter Selbstkosten verkaufen, erscheint ihnen dies Verhalten zweckmäßig und berechtigt. Nun besteht, wie die Wirtschaftswissenschaft lehrt, m i t der Zunahme der betrieblichen Mechanisierung und des Verwaltungsapparates die Tendenz, daß der A n t e i l der fixen Kosten an den gesamten Selbstkosten wächst. Damit wächst gleichzeitig die Bedeutimg einer laufenden Ausnutzung der Anlage, damit diese fixen Kosten wenigstens teilweise hereinkommen. Und daraus ergibt sich schließlich auch eine wachsende Starrheit der Produktion und des Absatzes. Viele Wirtschaftswissenschaftler, vor allem auch Schmalenbach, sind der Meinung, daß M a r k t wirtschaft u n d Wettbewerb schon wegen dieser Entwicklung der fixen Kosten nicht mehr systemgerecht funktionieren können. Tatsächlich sind die daraus erwachsenden Gefahren so groß, daß w i r ihnen alle Aufmerksamkeit zuwenden müssen. Jedoch lassen sich gegen die Annahme, es handle sich hier u m eine unvermeidbare Entwicklung, wichtige Argumente einwenden. W i r können hier nur stichwortartig dazu Stellung nehmen. Hierbei ist wiederum zu beachten, daß entstandene Kosten richtigerweise nur kalkuliert werden, wenn sie noch den Marktverhältnissen entsprechen. 1. Das w i r k t sich auch bei den Kapitalkosten aus. Sind die Wiederbeschaffungswerte des Anlage- oder Umlaufvermögens niedriger als die Einstandswerte, so kann man nicht eine Kapitalverzinsung auf die bisherigen Buchwerte erwarten. Hier liegt also kein marktwidriger Verzicht vor, wenn man die Zinsen insoweit nicht k a l k u l i e r t 1 1 . Beim Umlaufvermögen besteht außerdem die Chance, Zinsen zu sparen, wenn man die Erzeugung der schlechteren Absatzlage anpaßt; dann w i r d man oft m i t geringeren Vorräten und Debitoren auskommen. Dazu gehört notfalls der Mut, Marktverluste der Vorräte zu realisieren und dabei dem Grundsatz zu folgen, daß der erste Verlust der billigste ist. Liegt eine allgemeine Absatzschwäche i n einer sonst gesunden W i r t schaft vor, so werden üblicherweise auch die Zinssätze zurückgehen, denn es bedeutet ja, daß mehr Kapital angeboten als nachgefragt wird. Die Unternehmen werden also entsprechend der geringeren Betriebsausnutzung nicht nur Arbeits-, sondern auch Kapitalkosten sparen. 11 Hinsichtlich der Anlagen w i r d dies deutlich, w e n n ein Unternehmen, das fehlinvestiert hat, v e r k a u f t werden muß. Der Erwerber zahlt normalerweise f ü r die Anlagen entsprechend weniger. E r setzt n i c h t n u r die Bilanzwerte, sondern auch die kalkulatorischen Zinsen u n d Abschreibungen dementsprechend herab. Liegt eine Überkapazität des gesamten Industriezweiges vor, so müssen sich die K o n k u r r e n t e n i n i h r e r K a l k u l a t i o n den herabgesetzten Werten der Anlagen anpassen.

Der ruinöse Wettbewerb

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Aus diesen Überlegungen ergibt sich, daß die Belastung m i t Kapitalkosten bei einer markt- und betriebsgerechten Betrachtungsweise keineswegs so fix zu kalkulieren ist, wie man meist annimmt. Es zeigt sich daraus aber auch, w i e wichtig es ist, für ein angemessenes Eigenkapital zu sorgen. Es muß dem Vermögensrisiko entsprechen sowie das Anlagevermögen so decken, daß bei vorübergehender Nichtausnutzung keine schwere Belastung durch Kreditzinsen entsteht. 2. Auch die Abschreibungen auf Anlagen sind variabler, als i n der üblichen Kalkulation gerechnet wird. Das gilt vor allem für die A b schreibungen auf das bewegliche Anlagevermögen, die heute zu einseitig auf die Zeit statt auf die Benutzung abgestellt sind. Nehmen w i r an, ein neuer Webstuhl w i r d m i t einer Lebensdauer von 10 Jahren angesetzt, so ergibt sich eine jährliche Abschreibung von 10 % . Dieser Webstuhl laufe i m ersten Jahr mehrschichtig, und zwar i m Tagesdurchschnitt 20 Stunden, i m zweiten Jahr infolge schlechter Beschäftigungslage nur 4 Stunden. W i r d der verschiedene Einsatz nicht berücksichtigt, sondern f ü r beide Jahre die gleiche Abschreibung angesetzt, so bedeutet es, daß i n dem schlechten zweiten Jahr je Meter erzeugten Gewebes und je Benutzungsstunde fünfmal so hohe Abschreibungen belastet sind wie i m ersten Jahr. Das ist objektiv zweifellos unberecht i g t 1 2 . I m Jahresabschluß erscheint daher das Ergebnis des ersten Jahres u m die zu niedrige Abschreibimg zu günstig, i m zweiten Jahr dagegen entsprechend zu ungünstig. Würde man dagegen die Abschreibung i n der Selbstkostenrechnung w i e i m Jahresabschluß auf die Laufzeit der Maschinen abstellen, so w i r d sie richtigerweise zu einer variablen Kostenposition. Man w i r d dagegen einwenden, daß die Abschreibungen sinngemäß eine doppelte Aufgabe haben: Sie sollen nicht nur die Wertverluste durch Abnutzung, sondern auch durch technische Überalterung decken. Würde i m Grenzfall der Webstuhl 10 Jahre unbenutzt stehen, so wäre er nach dieser Zeit doch nicht mehr vollwertig, weil inzwischen leistungsfähigere Webstühle entwickelt worden sind. Demgegenüber empfehlen w i r die Abnutzung von der technischen Überalterung als einem allgemeinen Vermögensrisiko zu trennen. Werden Anlagegegenstände wesentlich niedriger genutzt, als man bei ihrer Anschaffung angenommen hat, oder t r i t t unvorhergesehen eine technische Neuentwicklung auf, so könnte man sie i n besonderer Weise bilanzmäßig abwerten. 12

Die bisherige Praxis erklärt sich w e i t h i n durch steuerlichen Einfluß. I n Jahren schlechter Beschäftigung schreibt m a n trotzdem die steuerlich zuerkannten Sätze ab; bei überdurchschnittlicher Beschäftigung aber erkennt die Steuer meist n u r eine zu geringe Erhöhung der Normalabschreibung an.

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Der Bürger als Verbraucher

Diese Verfahren hätten wichtige Folgen für die Selbstkostenkalkulation und die darauf beruhende Preisstellung. Dabei dürfen w i r die psychologische Seite nicht gering einschätzen. Die Unternehmer würden sich stärker daran gewöhnen, die Abschreibungen als variable Kosten zu betrachten. I h r Jahresergebnis würde bei schlechter Beschäftigungslage weniger belastet sein. Andererseits würden sie deutlich erkennen, daß i h r Ergebnis verschlechtert wird, wenn sie auf Preise eingehen, welche die abnutzungsbedingten Abschreibungen nicht decken. Die Beträge, die bisher i n guten Jahren unberechtigterweise als Gew i n n erscheinen, w e i l die Mehrabnutzung der Anlagen nicht ausreichend berücksichtigt wird, werden von der Steuer erfaßt, der Rest w i r d möglicherweise als Gewinn ausgeschüttet. Statt dessen sollten die Unternehmen i n Jahren guter Beschäftigung mehr abschreiben und diese M i t t e l sammeln, um m i t ihnen ihre Liquidität zu verbessern und das Risiko späterer Nichtausnutzung der Anlagen herabzusetzen. Allerdings ist daran zu denken, daß diese Beträge nicht leichtfertig für neue I n vestitionen verwandt werden. Darüber ist i m nächsten Abschnitt einiges zu sagen. 3. Manche Kosten, die heute mehr oder weniger fix sind, könnten variabel gestaltet werden. Das gilt vor allem für die persönlichen Kosten des Verwaltungsapparates, die bei rückgehender Beschäftigung längere Zeit weiterlaufen. Dies ist vor allem die Folge des vielgestaltigen Kündigungsschutzes, den w i r zu unkritisch als soziale Errungenschaft betrachten. Soweit diese Sozialkosten jedoch i n den Preisen der abgesetzten Erzeugnisse nicht vergütet werden, sei es, w e i l man billiger verkauft oder auf das Geschäft verzichtet, ist dies nicht n u r privat-, sondern auch gesamtwirtschaftlich ein Verlust. Dabei ist es noch besser, die Mitarbeiter stehen i m Betrieb herum, als daß der Unternehmer verleitet wird, Rohstoffe und Anlagen für eine vom M a r k t nicht erwünschte Erzeugung einzusetzen. Richtiger wäre es, die Arbeitszeit zu kürzen oder zu kündigen, damit die Mitarbeiter zu Hause privatisieren oder i n anderen Betrieben nutzbringende Arbeit leisten können. Besonders wichtig erscheint uns, daß auch die Arbeitszeit der Angestellten, einschließlich der leitenden, elastischer w i r d als bisher. Dagegen w i r d man sozialpolitische Bedenken geltend machen. Der heutige Kündigungsschutz soll gerade die wirtschaftlich Schwachen davor schützen, daß sie bei schlechter Absatzlage die ersten Opfer werden, während der stärkere Unternehmer sich der Last hemmungslos entledigt. Daraus sollte sich aber nur die Überlegung ergeben, wie w i r die wirtschaftlich Abhängigen und Schwachen ebensogut oder besser schützen als bisher, ohne daß w i r die Unternehmen zu wirtschaftlichen Fehldispositionen verleiten, die doch irgendwie die Allgemeinheit tragen muß. I n Wirklichkeit ist die bisherige Methode nur eine Not-

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lösung, da sie nicht an die eigentlichen Probleme geht, sondern sie verdeckt oder nur oberflächlich löst. Sie bedeutet eine Verschwendung, auch der Zeit der Mitarbeiter. Wäre es nicht möglich, den Kündigungsschutz von den Unternehmern gewissermaßen ablösen zu lassen? Indem sie etwa Gehälter und Löhne entsprechend erhöhen und diesen damit mehr M i t t e l geben, u m gegen Arbeitslosigkeit oder Arbeitszeitverkürzung selbst vorzusorgen. Dies wäre allerdings nur i m Rahmen einer neuen Sozial- und Eigentumspolitik durchführbar, über die w i r an anderer Stelle mehr zu sagen haben. Selbstkostenrechnung

als

öffentliche

Pflicht

Würdigt man die Hintergründe eines der schwersten Einwände gegen die Funktion der Wirtschaftsordnung, nämlich des ruinösen Wettbewerbs, so ergibt sich als erste Aufgabe, dafür zu sorgen, daß die richtige Selbstkostenrechnung zur Herrschaft kommt. N u n ist gelegentlich vorgeschlagen worden, man sollte den Verkauf unter Selbstkosten grundsätzlich verbieten, da er gegen den gesunden Wettbewerb verstoße. Ein Preiskampf, bei dem die Selbstkosten unterschritten werden, sei i n der Regel m a r k t w i d r i g 1 3 . Der „Ausschuß für Wettbewerbsfragen" weist i n seinen Gutachten darauf hin, daß dem Recht des Kaufmannes, die Preise für seine Waren und Leistungen selbst zu bestimmen, Grenzen gesetzt seien. Der Kaufmann habe bei der Preisfestsetzung auch seine sittlichen und rechtlichen Pflichten gegenüber der Allgemeinheit, gegenüber den Abnehmern und auch gegenüber den Mitbewerbern zu beachten. Andererseits könne es i m Einzelfalle ausnahmsweise erforderlich sein, Waren unter den Einstandspreisen und ohne Berücksichtigung der Selbstkosten (Unterpreisverkäufe) zu veräußern, ohne daß dies den Regeln einer ordnungsmäßigen Wirtschaft widerspreche. Mancherlei Umstände könnten i h n zu einer schnellen Änderung seiner Dispositionen zwingen. Wenn er dann nach dem Grundsatz „Der erste Verlust ist der geringste" handelt, so liege dies i m Rahmen üblicher kaufmännischer Überlegung. W i r halten es aus grundsätzlichen und praktischen Gründen für bedenklich, i n die Freiheit der Unternehmen, ihre Preise festzusetzen, durch ein allgemeines Verbot von Unterselbstkosten-Preisen einzugreifen 14 . M a n sollte jedenfalls erst das äußerste versuchen, u m die Mißstände des ruinösen Wettbewerbs durch M i t t e l zu beseitigen, die unserem Wirtschaftssystem mehr entsprechen. Dazu gehört die Erziehung zur richtigen Selbstkostenrechnung, die auch Leonhard Miksch fordert. „Sie darf allerdings nur den Zweck haben, den Unternehmer 13 Vergleiche Hans Becher, „Preisschleudern unter Selbstkosten als W e t t bewerbsverstoß", Der Betriebs-Berater, 8. Jahrgang, Heft 11. 14 Anders n u r i n Ausnahmefällen, z u m Beispiel beim sogenannten Behinderungswettbewerb, vergleiche 3. Kapitel, 6. Abschnitt.

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Der Bürger als Verbraucher

über seine Kostenlage aufzuklären. Die Konsequenzen, die er aus seiner Lage zieht, müssen i h m selbst überlassen bleiben 1 5 ." Das heißt also, daß man es dem Unternehmer überläßt, auch ungünstige Geschäfte zu tätigen, aber i h n zwingt, sich klar zu machen, was er tut und darüber auch seinen Gesellschaftern und allen, die den Jahresabschluß einsehen können, Rechenschaft abzulegen. K a n n er i n der Selbstkostenrechnung und i m Jahresabschluß der Wirklichkeit nicht mehr ausweichen, so werden viele Fehlentscheidungen der Preispolitik vermieden. Wer aus Schwäche oder Prestigegründen bisher nicht den M u t hat, die Produktion rechtzeitig einzuschränken, w i r d sich eher veranlaßt sehen, die objektiv notwendigen Entschlüsse zu fassen. I m gleichen Sinne dürfte sich auch die allgemeine Statistik der Jahresabschlüsse, die w i r oben vorgeschlagen haben, auswirken. M i t ihr w i r d die Tendenz unter den Unternehmen zunehmen, die betrieblichen Kostenverhältnisse einander anzugleichen und unwirtschaftliche A n lagen stillzulegen 1 6 . Nur wenn dieser Zwang zur wahren Kalkulation nicht ausreichen sollte, u m die marktgerechte Entscheidung i n der Geschäftspolitik herbeizuführen, wäre zu überlegen, welche weiteren Maßnahmen i m I n teresse des gesunden Wettbewerbs erforderlich sind. Aber diese werden, wenn sie nicht — w i e zum Beispiel die Kartellbildung — den LeistungsWettbewerb untergraben sollen, stets auf einer richtigen Selibstkostenrechnung aufbauen müssen. 4. Fehlinvestitionen und Uberkapazitäten Ein

Konstruktionsfehler

der

Marktwirtschaft?

Überangebot kann trotz gleichbleibender Produktion entstehen, wenn Güter aus irgendwelchen Gründen weniger nachgefragt werden. Oft erklärt es sich jedoch aus einem stärkeren Angebot, das aus neuen A n lagen der Industrie hervorgeht. Hier liegt sogar die wichtigste strukturelle Ursache des ruinösen Wettbewerbs, i n sogenannten Überinvestitionen, die gegeben sind, wenn die Produktionskapazitäten über die Absatzmöglichkeiten des Wirtschaftszweiges hinaus erweitert werden. A u f die damit verbundenen Gefahren hat niemand eindrucksvoller als Schmalenbach hingewiesen. I n seiner 1949 erschienenen Altersschrift „Der freien Wirtschaft zum Gedächtnis" kommt er zu dem Schluß, daß die freie Wirtschaft — gemeint ist w o h l i m Sinne des alten Liberalis15

Wettbewerb als Aufgabe, Godesberg, 1947, Seite 57 u n d ähnlich Seite 23. I m übrigen w i r d sich zeigen, daß die Selbstkosten der Wettbewerbsfirmen üblicherweise gar nicht so w e i t auseinanderliegen. Jeder, der einmal einen Selbstkostenvergleich durchschnittlicher F i r m e n gesehen hat, weiß, daß bisher erstaunliche Differenzen auftreten, die zum erheblichen T e i l n u r i n der Rechnungsweise u n d nicht i n den Verhältnissen liegen. 16

Fehlinvestitionen u n d Überkapazitäten

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mus — zugrunde gegangen ist und zugrunde gehen mußte; denn sie besitze neben ihren großen Vorzügen einen besonders schweren Mangel: „Wenn i n der freien Wirtschaft ein Unternehmer eine Fehlspekulation begeht, ist die Regel, daß die Folgen er zu tragen hat, auch wenn die Fehlspekulation keine Schuld, sondern ein Malheur war. Wenn aber die Fehlspekulation darin besteht, daß ein Unternehmer seine Betriebsbereitschaft erweitert und damit zugleich die Kapazität der ganzen Branche vermehrt, ohne daß ein gesamtwirtschaftliches Bedürfnis dafür besteht, dann trägt er nicht allein den Schaden, sondern seine Konkurrenten tragen i h n mit." Das gehe gegen die Grundregeln der freien Wirtschaft, und darum müsse man diesen Mangel als einen Konstruktionsfehler dieser Wirtschaft bezeichnen. „Aber wenn man sich m i t der Konjunkturgeschichte beschäftigt und sie i n einzelnen Wirtschaftszweigen verfolgt hat, w i r d einem doch immer wieder deutlich zum Bewußtsein gebracht, wie i n der deutschen Wirtschaftsgeschichte der letzten hundertfünfzig Jahre und insbesondere i n der Geschichte der deutschen Kartelle die übergroße Kapazität eine Rolle gespielt hat." „Auch wenn w i r von Krieg, Kriegsfolgen und ähnlichen Ereignissen absehen, läßt sich auf ganz breiter Front beobachten, daß eine Neigimg zu Kapitalvernichtung und Kostensteigerung besteht, und daß diese Neigung sich herschreibt aus Einflüssen, die besonders i n der freien Wirtschaft wirksam sind." Die Neigung zur Überkapazität sei nicht eine gewöhnliche leichte Indisposition, sondern eine ziemlich schwere K r a n k heit, die, wenn man nichts dagegen tue, diese ganze Wirtschaftsverfassung i n Gefahr bringe 1 7 . Die Bedenken Schmalenbachs kommen aus der von i h m seit langem herausgestellten Erfahrung, daß der A n t e i l der fixen Kosten an den Selbstkosten zwangsläufig immer mehr zunimmt und damit die W i r t schaft immer unelastischer wird. So führten die Überkapazitäten zum „ruinösen Wettbewerb". Auch von Unternehmerseite ist i m Rahmen der Kartelldebatte auf das Problem hingewiesen worden. Man hat allerdings nicht, was doch naheliegt, daraus geschlossen, daß man m i t besonderer Sorgfalt die Ursachen von Fehlinvestitionen studieren und i m Sinne der Wettbewerbsordnung abstellen müsse. Vielmehr wurde behauptet, daß nur eine „kartellförmige Wettbewerbsordnung" i n solchen Fällen Erzeugungs- und Absatzmöglichkeiten ins Gleichgewicht bringen könne; denn Kartelle könnten bei strukturellen Überkapazitäten deren Abbau fördern und erleichtern, a m besten m i t Hilfe des Systems verkäuflicher Kartellquoten. Außerdem könnten Kartelle der Entstehung von Überkapazitäten besser vorbeugen 18 . 17

Vergleiche a.a.O., Seite 76 ff. Z u m Beispiel in der Denkschrift „Die Ordnung des Wettbewerbs, eine Stellungnahme der Bayerischen Wirtschaft zur Kartellgesetzgebung", h e r ausgegeben v o m Landesverband der Bayerischen Industrie, 1954. 18

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I n Wirklichkeit sind Kartelle als allgemeines M i t t e l gegen Überkapazitäten ungeeignet, worüber sich die führenden Vertreter der W i r t schaftswissenschaft überwiegend einig sind. I m übrigen haben w i r gegen sie auch ethische Bedenken. Denn sie führen dazu, die Kosten der Überinvestitionen den Konsumenten aufzuerlegen, die Unternehmer jedoch davon zu befreien, obwohl diese die Fehler gemacht haben und i n unserer Wirtschaftsordnung die Verantwortung und das Risiko dafür zu tragen haben. U n z u l ä n g l i c h e Basis m a r k t g er ech t e r Entscheidungen Wenn viele Kenner der Wirtschaft einig sind, daß die Unternehmer nicht nur i m Rahmen üblichen menschlichen Irrens ab und zu fehlinvestieren, sondern immer wieder i n breiter Front das Maß des Zweckmäßigen überschreiten, so liegt es nahe zu vermuten, daß irgendwie die allgemeinen Verhältnisse nicht i n Ordnung sind. Wo liegen die Ursachen solcher fehlerhaften Entscheidungen? Sehen w i r uns zunächst die Unterlagen an, die den Unternehmern üblicherweise f ü r ihre Entscheidungen zur Verfügung stehen. Dabei ist z u beachten, daß man bedeutende Neuinvestitionen nur beurteilen kann, wenn man vielgestaltige und komplexe Tatsachen kennt und daß die Folgen falscher Urteile besonders schwer wiegen. W i r können unterstellen, daß die Mehrzahl der Unternehmer verantwortungsbewußt feststellt, was die geplanten Investitionen kosten werden und inwieweit durch sie die Produktion erhöht werden kann. Dagegen übersieht man wegen der dargestellten Mängel der Selbstkostenrechnung i m allgemeinen nicht zuverlässig, wie weit die Stückkosten durch die Neuanlagen beeinflußt werden. Selbst wo diese betrieblichen Zahlen aber einigermaßen genau sind, genügt dies nicht. Wer verantwortlich nach den Marktverhältnissen entscheidet, muß vielmehr prüfen, ob der aufzuwendende Betrag eine Rendite verspricht, die wenigstens den, Durchschnitt der Marktrendite erreicht. Ergibt die angestellte Rechnung, daß bei einem bisher m i t Verlust arbeitenden Betrieb die Stückkosten erheblich gesenkt werden, so ist noch keineswegs damit gesagt, daß die Investition i m Marktsinn rentabel ist. Ist dies nicht der Fall, so spricht es normalerweise dafür, daß ein ausreichendes Bedürfnis des Marktes für die Investitionen nicht vorliegt. Das w i r d für die Betroffenen dann auch privatwirtschaftlich zum Mißerfolg führen. Voraussetzung eines marktgemäßen Urteils ist jedoch, daß die Rentabilität des eigenen Betriebes und der Branche sowie die durchschnittliche Rendite der gesamten Unternehmungswirtschaft annähernd bekannt sind. Daß dies beim heutigen Rechnungswesen nicht der F a l l zu sein pflegt, w i r k t sich auf die Investitionspolitik schädlich aus. So kommt es häufig vor, daß auf einem Markt, auf dem ohnehin

Fehlinvestitionen u n d Überkapazitäten

123

eine Überkapazität besteht und dessen Betriebe kaum rentabel erzeugen, weiterinvestiert wird. Das Ergebnis ist, daß die rationellen neuen Anlagen zwar geringere Kosten haben — vorausgesetzt, daß sie überhaupt beschäftigt werden können —, aber immer noch keine normalen Gewinne abwerfen. Der ruinöse Wettbewerb w i r d dabei verstärkt. Der allgemeine Marktüberblick, den die Unternehmen m i t der vorgeschlagenen Reform des Rechnungswesens gewinnen, würde zweckmäßige Investitionsentscheidungen erleichtern. Allerdings können auch dann noch Pannen vorkommen, wenn nämlich gleichzeitig die Konkurrenzunternehmen ihre Anlagen nennenswert erweitern und verbessern. Diese Gefahr kann verringert werden, wenn eine entsprechende Branchenstatistik der Investitionen geschaffen wird, die über die Entwicklung der Neuanlagen unterrichtet. Die Zahlen der einzelnen Unternehmen brauchten dabei nicht veröffentlicht zu werden, soweit diese nicht ohnehin publizitätspflichtig sind. Schließlich ist noch auf einen weiteren bisherigen Mangel hinzuweisen. Die gegenwärtige Methode der Anlagen-Bilanzierung verführt erfahrungsgemäß zu Irrtümern. Unterstellt, ein Unternehmen habe eine Gruppe neuer Maschinen mit einer M i l l i o n D - M a r k aktiviert. I m Laufe von zum Beispiel drei Jahren sei durch Abschreibungen der Buchwert auf D M 600 000,— gesunken und dementsprechend die L i q u i dität u m D M 400 000,— gestiegen. Die Maschinen leisten jedoch trotz des geringen Buchwertes noch das gleiche wie i m Jahre der Anschaffung. Verwendet der Unternehmer die 400 000,— D - M a r k für neue Investitionen, so erweitert er, obwohl der Buchwert nimmehr wieder eine M i l l i o n D - M a r k beträgt, seinen Betrieb über die ursprüngliche Größe hinaus. Er hat insoweit also keine Ersatz-, sondern eine Erweiterungsinvestition vorgenommen. Dies w i r d Dritten, wie zum Beispiel den Aktionären oder der Konkurrenz, nicht sichtbar, obwohl diese ein berechtigtes Interesse daran haben. Es wäre daher zu überlegen, ob man nicht grundsätzlich zur Methode der „passiven Abschreibung", richtiger Wertberichtigung der Anlagen, übergehen sollte. Diese ist in einigen Wirtschaftszweigen, zum Beispiel der Elektrizitätserzeugung, bereits üblich. I n der Bilanz erkennt man dabei den Neuwert der betriebsfähigen Anlagen; auf der Passivseite stehen die bereits verrechneten Abschreibungen als Wertberichtigung. Die Buchwerte der Anlagen und die Wertberichtigung werden erst ausgebucht, wenn die betreffenden Anlagegüter aus der vorgesehenen Nutzung ausscheiden. Der Unternehmer und alle, die ein berechtigtes Interesse haben, können die Entwicklung der Kapazitäten und das durchschnittliche A l t e r der Anlagen besser überschauen. Sie sehen dann, welche M i t t e l für Ersatzinvestitionen notwendig sein wer-

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Der Bürger als Verbraucher

den, u m die Substanz zu erhalten. Sie können weiterhin m i t den Neuwerten der Anlagen auch die Entwicklung der Kapazität verfolgen. Dies vor allem, wenn bei mehreren Betrieben des gleichen Unternehmens das Zahlenwerk betriebsweise unterteilt wird. Die

Träume

der

Unternehmer

Diese objektive Seite der unternehmerischen Entscheidungen erhält jedoch erst die richtige Bedeutung, wenn man sie von der psychologischen Seite her ergänzt. Schmalenbach bemerkt dazu treffend: „Eine der Quellen der Überkapazität ist das freie Unternehmertum selbst. Von den vielen erfolgreichen Unternehmern, die m i r i n meinem Leben begegnet sind und m i t denen ich mich über ihre Betriebe, ihre A b sichten und ihre Träume unterhalten habe, habe ich kaum einen gekannt, dem nicht als Ideal der größere Betrieb vor Augen schwebte 19 ." Tatsächlich ist die Tendenz zu übermäßigen Investitionen n u r verständlich, wenn man den Unternehmer als Menschentyp begreift, der sich durch Vitalität, Phantasie, Wagemut und Gestaltungsdrang, häufig aber auch durch Eitelkeit und Prestigesucht auszeichnet. Den Erfolg seiner Tätigkeit erlebt er am stärksten durch Vergrößerung seiner Wirkungsstätten, den Mißerfolg, wenn er gegenüber der Konkurrenz zurückbleibt. Diese Gesichtspunkte werden für die meisten Unternehmer — i m Gegensatz zu Buchhaltern — wichtiger sein als die absoluten Gewinnzahlen. So ist die Versuchung groß, auch dann zu investieren, wenn die voraussichtliche Rentabilität nicht marktgerecht ist. U m so notwendiger ist es, die Wirtschaftsordnung so einzurichten, daß die unternehmerischen Entscheidungen mit einem m a r k t - und betriebsgerechten Rechnungswesen konfrontiert werden, das es erschwert, sich Illusionen zu machen und andere i m Unklaren zu lassen. I n dieser Hinsicht ist besonders auch an die Praxis der stillen Rücklagen zu denken, welche Rechtsordnung und Praxis bisher m i t so viel Wohlwollen betrachten. Tatsächlich begünstigen sie nicht n u r die ruinöse Konkurrenz, sie sind auch die wichtigste Finanzquelle für Fehlinvestitionen und werden dadurch zu einem Sprengstoff des gesamten Marktsystems. Es gehört zum psychologischen Tatbestand, daß die von den Unternehmern aus Vorsicht still rückgelegten Gewinne oft ebenso still wie unvorsichtig verwendet werden. A u f diese Gefahr der Selbstfinanzierung aus rückgelegten Gewinnen hat Prion i n eindrucksvoller Weise aufmerksam gemacht. Die Selbstfinanzierung sei natürlich nicht die einzige Ursache für unzweckmäßige Investitionen und daraus entstehende Überkapazitäten. Auch bei größter Sorgfalt und Vorsicht könne man sich über die Absatzentwicklung täuschen. Neue Betriebstechniken wie auch Änderungen von der Ver19

a.a.O., Seite 76.

Fehlinvestitionen u n d Überkapazitäten

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brauchsseite her gehören zum Wesen unserer Wirtschaft; sie seien vielfach nicht vorherzusehen. „Wesentlich ist jedoch, daß die aus der Selbstfinanzierung stammenden M i t t e l u m einen Grad (oder viele Grade?) eher einer Kapitalfehlleitung zum Opfer fallen können. Vornehmlich aus zwei Gründen: Erstens sind die M i t t e l — w e i l sie aus Gewinnen genommen werden — da; sie warten geradezu auf eine Verwendimg. Da kann es leicht vorkommen, daß erweitert oder vergrößert wird, ohne daß ein übermäßig dringendes Bedürfnis vorhanden ist, und daß zur Herstellung neuer Güter übergegangen wird, für die der Absatz erhofft und noch nicht i n sicherer Aussicht steht; schließlich w i r d vergrößert, weil der Mitbewerber es auch tut und man nicht zurückbleiben möchte. Die Möglichkeit liegt nahe, daß man — da man sonst nicht weiß, wohin m i t den flüssigen M i t t e l n — anfängt, das oder jenes zu versuchen oder gar zu spekulieren (und wenn diese Spekulation i n dem Aufkauf ganzer Unternehmungen liegt)." „Der andere Grund ist: Die Vorgänge können überdies m i t Hilfe der stillen Reserven verschleiert werden, indem die Teile der Gewinne, die zur Selbstfinanzierung dienen sollen, eben nicht bekannt, d. h. i n der Bilanz veröffentlicht werden. Der Aktionär braucht dann weder z u wissen, daß höhere Gewinne da sind, noch zu erfahren, daß dies oder jenes aus der Selbstfinanzierung bestritten worden ist. Vor allem kann i h m die Kenntnis von den Mißerfolgen vorenthalten werden 2 0 ." Bei nüchterner Betrachtungsweise dürfen w i r uns nicht wundern, wenn i n einer solchen soziologischen Konstellation die Marktgesetze nicht funktionieren. Soweit dies das Verhältnis des Unternehmers zum Eigentümer angeht, vor allem die gesellschaftliche Kompetenzverteilung zwischen dem Vorstand der Aktiengesellschaft und den Aktionären, gehen w i r später noch darauf ein. Hier ist jedoch noch einmal an die Gefahr zu erinnern, daß die Folgen von Fehlinvestitionen den Verbrauchern aufgeladen werden. Das kann geschehen, indem die Unternehmen mittels kartellmäßig hochgehaltener Preise auch bei schlechter Betriebsausnutzung rentabel gemacht werden oder indem ein Teil der Betriebe aufgekauft und stillgelegt wird, wobei der Kaufpreis dann durch die Kartellpreise amortisiert wird. Zu berücksichtigen ist, daß die Aussicht, die Folge eigener Fehler Unschuldigen auflasten zu können, die unternehmerische Vorsicht nicht gerade stärken wird. Ger echt er weise ist aber auch zu bedenken, daß die bisherige W i r t schaftspolitik die Unternehmer nicht zur Vorsicht angehalten, sondern zur Leichtfertigkeit verführt hat. Dies geschah i n den letzten beiden Jahrzehnten bereits von der Geldseite her. Die inflationäre Tendenz verleitet dazu, die Risiken der Investition leicht zu nehmen. Wer damit rechnet, daß die Preise seiner Anlagegüter wie auch der damit herge20

Prion,

a.a.O., Seite 69 f.

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Der Bürger als Verbraucher

stellten Erzeugnisse auf längere Sicht steigen werden, w i r d dadurch investitionsfreudiger. Solche allgemeine Einschätzung der Zukunft beeinflußt den Geldwert selbst. Denn das Geld w i r d nicht, wie viele meinen, schon dadurch entwertet, daß man Kredite erleichtert. Erforderlich ist außerdem, daß es Leute gibt, die bereit sind, die Kredite i n Anspruch zu nehmen und m i t ihrer Hilfe steigende Preise zu zahlen. Diese werden jedoch vorsichtiger sein, wenn sie damit rechnen müssen, daß das übrige Preisniveau stabil bleibt. Die zweite wirtschaftspolitische Ursache leichtfertiger Investitionen sind Steuererleichterungen für Neubauten und Anschaffungen von A n lagegütern. Sie haben zur Folge, daß deren Rentabilität nicht nach allgemeinen Maßstäben bewertet zu werden braucht, da ja die Allgemeinheit einen Teil der Kosten trägt. Eine solche Methode kann nur in einem Wirtschaftssystem als kleineres Übel berechtigt sein, i n dem der normale M a r k t aus irgendwelchen Gründen desorganisiert ist und nicht auf besserem Wege rechtzeitig i n Ordnung gebracht werden kann. Insgesamt können w i r der Ansicht, Fehlinvestitionen und Überkapazitäten seien unvermeidliche Übel der Marktwirtschaft, nicht zustimmen. Vielmehr handelt es sich u m eine Tendenz, die, wie andere Widersprüche zur Marktwirtschaft, aus einer Situation zu erklären ist, die den Unternehmer überfordert. Überinvestitionen als allgemeine Gefahr wären zu beseitigen, wenn die Unternehmer einen m a r k t - und betriebsgemäßen Überblick über die Investitionsvoraussetzungen hätten, einer ausreichenden Kontrolle durch die zuständigen Gesellschafter unterlägen und wirtschaftspolitisch nicht irregeleitet würden 2 1 . 21

Schmalenbach schlägt vor, das Übel der Fehlinvestitionen zu bekämpfen, indem m a n den Unternehmungen die Gewinne der K o n j u n k t u r nicht zur freien Verwendung überlasse, „ w e i l die begründete Befürchtung besteht, daß sie, namentlich die von Managern geführten Betriebe, sie investieren werden. M a n muß diese Gewinne so i n V e r w a h r nehmen, daß die Betriebe nicht an sie heran können u n d daß sie bei der nächsten Depression zur Verfügung stehen. Obwohl w i r überzeugt sind, daß seine Diagnose insoweit r i c h t i g ist, können w i r uns dieser Therapie nicht anschließen. Sie w ü r d e den Tod n i c h t n u r der liberalen, sondern jeder echten F o r m der M a r k t w i r t s c h a f t herbeiführen. Wenn der Staat entscheidet, w i e die Gewinne der Unternehmen zu verwenden sind u n d w i e zu investieren ist, dann w i r d das Herz oder besser das Gehirn der M a r k t w i r t s c h a f t getroffen. Wie soll sich der Staat dann der Konsequenz entziehen, daß er auch die Risiken der von ihm. getroffenen Investitionsentscheidungen tragen muß? W i r haben dann die zentrale Planung, die nicht bei einem Ausschnitt der Wirtschaft stehen bleibt, sondern sich m i t u n w i d e r stehlicher Tendenz weiter ausbreitet. I m übrigen besteht k e i n Anlaß anzunehmen, daß die öffentlich geplanten Investitionen vorsichtiger erfolgen würden. Die vorliegenden Erfahrungen m i t der zentralen Planung sprechen dagegen, zumal diese noch m e h r zu Großobjekten m i t dem Anspruch technischer Vollkommenheit ohne genügende Rücksicht auf Kosten u n d Risiko neigt.

Konzentration von Betrieben u n d Marktausschaltung

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5. Konzentration von Betrieben und Marktausschaltung Zwei

verschiedene

Tatbestände

Die Unternehmen richten, wie w i r gesehen haben, ihre Absatz- und ihre Investitionsentscheidungen nicht straff genug nach dem Willen der nachfragenden Zivilisten. Das heutige Wirtschaftssystem läßt ihnen einen bedeutenden Spielraum für marktwidriges Verhalten. Dieser erhält gewissermaßen eine zusätzliche Dimension, wo eine Mehrzahl oder gar Vielzahl von Betrieben unter einheitlicher unternehmerischer Leitung steht. Es ist ein Problem der Konzentration, dessen Folgen für den Wettbewerb ebenfalls noch nicht genügend erkannt werden. Es sind zwei verschiedene Tatbestände zu unterscheiden, die vielfach miteinander verwechselt werden. Die meisten Mitbürger erklären sich die Großunternehmen und ^konzerne der Wirtschaft zu einseitig aus technischen Ursachen. Sie wissen, daß der Großbetrieb bei vielen Erstellungen dem M i t t e l - und Kleinbetrieb überlegen ist, nämlich überall, wo man, u m rationell zu arbeiten, umfangreiche Anlagen und zahlreiche Mitarbeiter einsetzen muß. Sie denken dabei etwa an den Kohlenbergbau, an die Eisen- und Stahlerzeugung, die Elektrizitätsgewinnimg, die Kraftwagenherstellung, den Eisenbahnverkehr. I n solchen Fällen ist der Zug zur industriellen Konzentration zwangsläufig. Wenn w i r die gesellschaftlich betriebene Wirtschaft wirklich zweckmäßig gestalten wollen, dann sollen w i r uns der Technik so bedienen, wie sie für uns am fruchtbarsten ist. Das bedeutet vom Abnehmer aus gesehen, daß er von den Unternehmen kauft, die auf Grund niedrigster Selbstkosten die billigsten Preise stellen. Es liegt i m allgemeinen Interesse, daß die betriebliche Leistungsfähigkeit am Markte richtig zum Ausdruck kommt. Dies ist jedoch durch die andere A r t der Konzentration gefährdet, die w i r hier vornehmlich zu betrachten haben. Es geht hierbei u m die Konzentration einer Mehrzahl von Betrieben i m Gegensatz zur Konzentration zu einem Großbetrieb. Es gibt nämlich auch heute n u r verhältnismäßig wenige Betriebe, die mehr als einige Tausend Menschen beschäftigen. Die großen Unternehmen und Konzerne bestehen vielmehr meist aus mehreren oder vielen Betrieben, die oft auf einem gemeinsamen Werksgelände vereinigt, oft aber auch räumlich getrennt sind. Jedes Werk hat eigene Erstellungsaufgaben, die es m i t seinen Anlagen und Mitarbeitern zu erfüllen hat. Technisch gesehen ist der Produktionsprozeß jedes Werkes eine selbständige Leistung, die auch i n einem selbständigen Unternehmen erfolgen könnte. Häufig haben die Betriebe, die i n einem Unternehmen zusammengeschlossen sind, ursprünglich in selbständigen Unternehmen gearbeitet. I n anderen Fällen hat ein Unternehmen i n seiner einzigen Betriebsstätte so gute Gewinne erzielt, daß man daraus weitere Betriebe errichten konnte. Es gibt andererseits auch viele Betriebe, die früher i n einem größeren Unternehmen ver-

128

Der Bürger als Verbraucher

einigt waren, inzwischen aber i n rechtlich selbständige kleinere Unternehmen eingebracht wurden; denken w i r an die „entflochtenen" Ruhrkonzerne, an die aufgeteilte I. G. Faribenindustrie und die Großbanken. I n vielen Fällen, wo Betriebe zusammengefaßt sind, werden diese daraus technische Vorteile haben. Man kann betriebliche Erfahrungen austauschen und die Produktion aufeinander abstimmen. Beides ist aber auch zwischen Betrieben möglich und üblich, die i n selbständigen Unternehmen arbeiten. Zwischen konkurrierenden Unternehmen besteht oft ein branchenmäßiger Erfahrungsaustausch, mag er auch indirekt sein, zum Beispiel durch den Wechsel von Mitarbeitern, durch Betriebsorganisationen, die verschiedene Betriebe beraten, durch fachliche Forschungsinstitute, Fachschulen, gemeinsame Maschinenlieferanten. I m Verhältnis zwischen Lief er- und Bezieherbetrieb ist die technische Zusammenarbeit, soweit ein Bedürfnis dafür besteht, selbstverständlich, wobei der Lieferant auf die technischen Bedürfnisse der Kunden manchmal mehr eingeht als bei einem i m gleichen Besitz befindlichen Betrieb, der ohnehin von i h m beziehen muß. Meist werden die Betriebe jedoch weniger aus technischen als aus marktmäßigen Motiven zusammengefaßt. Man hofft zum Beispiel auf eine stärkere Stellung i m Absatz, oder man möchte die verschiedenen Absatzrisiken der Betriebe ausgleichen, oder man verspricht sich eine leichtere Kapitalbeschaffung. I m ganzen genommen w i l l man vom Markte unabhängiger werden. M i t solchen sachlichen Motiven mischen sich persönliche, etwa der Gestaltungsdrang von Unternehmern, die ihr Betätigungsfeld vergrößern und abrunden wollen. Die Frage ist für uns jedoch, ob diese Motive vom Standort der Allgemeinheit aus erwünscht sind. Ob dadurch der maßgebende wirtschaftspolitische Gesichtspunkt nicht verletzt wird, wonach die Betriebe durch die Märkte veranlaßt werden sollen, den Bürgern zu gehorchen, auch wenn das den Unternehmern nicht angenehm ist. Das

Ungenauigkeitsfeld

für

marktgemäße

Entscheidungen Sehen w i r uns die Praxis an, wie sich der Zusammenschluß auswirkt, und beginnen w i r wiederum beim Rechnungswesen. W i r haben bereits früher bemerkt, daß der Jahresabschluß üblicherweise nicht betrieblich aufgegliedert ist, sondern nur die Gesamtzahlen des Unternehmens wiedergibt. Der Außenstehende, so auch ein Gesellschafter oder A k t i o när, der nicht i m Unternehmen tätig ist, kann also, abgesehen von den sonstigen Mängeln des Zahlenwerkes, nicht beurteilen, wie Entwicklung und Lage der einzelnen Betriebe aussehen. Aber auch die Geschäftsführung kennt die Betriebsverhältnisse meist nur sehr unzulänglich. Erforderlich wäre für jeden Betrieb nicht nur eine Gewinn-

Konzentration von Betrieben u n d Marktausschaltung

129

und Verlustrechnung — das ist häufiger der Fall — sondern auch eine Bilanz. Außerdem müßten alle Werte nach den Marktwerten angesetzt sein. W i r glauben, sagen zu können, daß nur eine Minderheit der Unternehmungen i n diesem Sinne einen ausreichenden Überblick besitzt. So kommt es, daß viele Unternehmer selbst nicht wissen, i n welchen Betrieben sie verdienen, und wo sie verlieren. Schmalenbach sagt einmal, es sei i n einem Konzern, das heißt trotz der formell selbständigen Buchhaltungen und Jahresabschlüsse der zugehörigen Unternehmen, vorgekommen, daß das rentabelste Werk wegen Unrentabilität stillgelegt wurde 2 2 . Die mangelhafte betriebliche Orientierung macht sich natürlich bemerkbar, wenn der ruinöse Konkurrenzkampf entbrennt. Unternehmungen m i t mehreren Betrieben haben dabei größeren Spielraum, marktwidrig zu handeln als andere. Je weniger klar die Grundlagen der objektiven Selbstkosten sind, u m so leichter kann man sich täuschen — vor allem, wenn man es unterbewußt w i l l . Dies t r i f f t besonders auf die Gemeinkosten der allgemeinen Verwaltung und der Hilfsbetriebe, auf Zinsaufwendungen usw. zu, die man so auf die Betriebe verrechnet, wie man das Ergebnis wünscht. Stille Rücklagen, die andere Betriebe verdient haben, sowie laufende Gewinne von Betrieben, die noch rentabel arbeiten, erleichtern die Fehldispositionen. Berücksichtigt man, wie verbreitet die Betriebskonzentration vor allem i n der Industrie ist, so w i r d man sich nicht wundern, daß der Wettbewerb der echten betrieblichen Leistung tatsächlich noch so unvollkommen funktioniert. Das entsprechende gilt für die langfristigen Dispositionen. Alle Mängel der Planungsunterlagen werden gewissermaßen potenziert. Rentabilität, Bonität und Finanzbedarf der Betriebe, die man ausbauen oder von denen man weitere Betriebseinheiten errichten w i l l , sind unklar. Die Branchenrentabilität zu überschauen, ist besonders schwer, wenn auch bei der Konkurrenz Ergebnisse verschiedener Betriebe so zusammengefaßt sind, daß man von außen nichts über die Lage des einzelnen Betriebes sagen kann. Z u diesen allgemeinen kommen noch besondere Folgen i n marktstrategischer Hinsicht. Insofern ist wesentlich, was die zusammengefaßten Betriebe erzeugen. Stellt ein Betrieb zum Beispiel Glas, der andere Textilien her, so w i r d durch die Zusammenfassung die M a r k t stellung i m Absatz wenig beeinflußt. Anders ist es, wenn es sich u m eine horizontale oder vertikale Konzentration handelt. Von horizontalen Betrieben spricht man, wenn sie gleichartige Güter oder Dienste er22

Schmalenbach,

Finanzierungen, Leipzig 1937, Seite 143.

9 Kahl, Macht und Markt

130

Der Bürger als Verbraucher

stellen. Werden zum Beispiel mehrere große Werke der Flachglasherstellung i n einem Unternehmen oder Konzern vereinigt, so können sie möglicherweise eine marktbeherrschende Stellung gegenüber den A b nehmern erlangen; über die sich daraus ergebenden Probleme ist i m nächsten Abschnitt einiges zu sagen. Vertikale Betriebe sind solche, bei denen ein Betrieb Güter oder Dienste an einen anderen Betrieb liefert oder leistet. Das bedeutet, daß der erste beim Absatz, der zweite beim Bezug nicht auf den M a r k t angewiesen ist, der M a r k t also ausgeschaltet wird. Es wäre buchhalterisch zwar möglich, diese zwischenbetrieblichen Lieferungen und Leistungen m i t Marktpreisen zu verrechnen, doch geschieht dies i m allgemeinen nicht oder nicht genau genug. Außerdem müßten auch die sonstigen Lieferbedingungen, zum Beispiel die Qualitätsansprüche und die Liefertermine, nach Marktverhältnissen geregelt werden, um ein marktgerechtes B i l d zu erhalten. Soweit man i m zwischenbetrieblichen Verkehr davon abweicht, w i r d die Herrschaft des Marktwillens i m Betrieb beeinträchtigt 2 3 . M a n kann dagegen einwenden, daß solche Fehler immer dadurch begrenzt werden, daß selbst das vertikal mehrstufige Unternehmen am M a r k t einkaufen und verkaufen muß. Nach wie vor bleibe das Unternehmen i n den M a r k t eingespannt, mag auch die zwischenbetriebliche Aufteilung der Aufwendungen und Erträge ungenau sein. Dieses Ungenauigkeitsfeld aber genügt, so erwidern w i r , u m die laufenden und die langfristigen Entscheidungen so zu beeinflussen, daß der M a r k t mechanismus nicht genau genug funktionieren kann. Die marktwidrigen Dispositionen werden durch die marktmäßig falsche Abrechnungsweise zwischen den Betrieben verdeckt. Die Wirtschaftsrechnung, die den Unternehmungen anzeigen sollte, wie sie zu handeln haben und welches die Erfolge sind, sagt ihnen nicht genug oder täuscht sie sogar. Wie viele Betriebe müßten geschlossen oder rationalisiert werden, die gegenwärtig i m Rahmen einer mehrstufigen Unternehmung mitgeschleppt werden, ohne daß sich die Unternehmer oder gar die Aktionäre über die Unrentabilität i m klaren sind! Wieviel schneller und richtiger könnte die Produktion an den Absatzmarkt angepaßt werden, wenn die vertikal organisierten Betriebe v o l l i m Markte stünden! Die Interessenten behaupten zwar, man könne die Produktion der zusammengeschlossenen Betriebe genau aufeinander abstellen, doch w i r d die Gesamtproduktion der Unternehmimg dadurch schwerfällig. I m Bereich 23 Soweit gewisse, sonst übliche Kosten, v o r allem die sogenannten Sondervertriebskosten, w i e Umsatzsteuer, Provision u n d Frachten, bei Lieferungen u n d Leistungen innerhalb des Unternehmens nicht anfallen, müßte man sie, u m ein vergleichbares B i l d zu erhalten, dem beziehenden Betrieb trotzdem belasten, aber n i c h t dem liefernden Betrieb, sondern einem n e u tralen K o n t o gutschreiben.

Konzentration von Betrieben u n d Marktausschaltung

131

der langfristigen Geschäftsdispositionen würden -unnötige Investitionen vermieden, andere wichtige aber durchgeführt werden, wenn man einen klaren Einblick i n die Rentabilität der einzelnen Betriebe hätte. Markt -Exterritorialität

staatlich

begünstigt

W i r sehen also, daß die Konzentration von Betrieben i m Rahmen einer marktwirtschaftlichen Ordnung zumindest bedenklich, wenn nicht gar systemwidrig ist. U m so eigentümlicher ist, daß die staatliche W i r t schafts- u n d Finanzpolitik sie bisher nicht nur zugelassen, sondern sogar gefördert hat. Es zeigt sich dabei wiederum ein formalrechtliches Denken, das an den äußeren rechtlichen Vorgängen haftet, die eigentlich maßgebenden Tatbestände aber nicht erfaßt. So ist die staatliche Politik einseitig auf die Rechtsform der Unternehmen abgestellt, n i m m t aber die Betriebe als die Werkeinheiten, i n denen die eigentlichen w i r t schaftlichen Leistungen vollbracht werden, i m allgenfeinen nicht zur Kenntnis 2 4 . Das gilt vor allem auch für das herrschende Steuersystem, das, soweit es die Erträge oder Vorgänge der Wirtschaft besteuert, üblicherweise nur die Unternehmungen erfaßt. Die Umsatzsteuer trifft, abgesehen von einigen wenigen Sonderfällen, nicht die Lieferungen und Leistungen zwischen den Betrieben der gleichen Unternehmung. Der Zusammenschluß von vertikalen Betrieben hat also zur Folge, daß Umsatzsteuer gespart w i r d und somit ein erheblicher Kostenvorteil gegenüber Konkurrenzbetrieben entsteht. Was das praktisch bedeutet, ist aus einem Beispiel zu ersehen, i n dem ein Betrieb von einem anderen Betrieb des gleichen Unternehmens Rohstoffe bezieht, die wertmäßig die Hälfte des Fertigerzeugnisses kosten. Die ersparte Umsatzsteuer macht 4 % des Rohstoffpreises oder 2 % des Fertigerzeugnisses aus, was ein beachtlicher Wettbewerbsvorteil i m Preiskampf ist. Der so erzielte Gewinn reicht i m vorliegenden Falle aus, u m auf das Aktienkapital nach Absetzung der Ertragsteuern eine Dividende von 6 % zu zahlen. W i r haben also die absurde Situation, daß das Ausweichen der Betriebe vor dem Markte durch vertikale Konzentration vom Staate, der angeblich die Marktwirtschaft w i l l , prämiert wird. Sinnvoll wäre eher das Gegenteil, das heißt eine erhöhte steuerliche Belastung derjenigen Lieferungen und Leistungen, die nicht über den Markt gehen, sondern intern verrechnet werden. Man mag einwenden, die Umsätze innerhalb der Unternehmen lassen sich schwer zuverlässig erfassen. Dies spricht zugunsten derjenigen Reformvorschläge unseres Umsatzsteuersystems, bei denen die Bevorzugung der Konzentration entfällt. Entweder sollte 24 A u f die Ausnahmen i n der Gewerbeordnung, i m Arbeitsrecht, bei der Gewerbesteuer usw. brauchen w i r nicht einzugehen, w e i l sie sich auf unser Problem k a u m auswirken.

9*

132

Der Bürger als Verbraucher

daher n u r der Wertzuwachs der i n den Unternehmungen hergestellten Erzeugnisse besteuert werden, das heißt der Umsatz abzüglich des Rohstoffaufwandes, oder die Umsatzsteuer w i r d kumulativ erhoben, das heißt, daß die Umsatzsteuer für alle Erzeugungs- und Verteilungsstufen bei der letzten Veräußerung vor dem Verbrauch gemeinsam anfällt. Auch die Kapitalverkehrsteuer begünstigt die Konzentration, da die Betriebsgewinne, die i m Unternehmen behalten werden, u m andere Betriebe zu finanzieren, steuerlich nicht erfaßt werden. W i r d dagegen der Gewinn ausgeschüttet und über den Kapitalmarkt anderen Unternehmen zugeführt, so w i r d eine Gesellschaftssteuer von 3 % fällig. Der Grundstücksverkehr zwischen verschiedenen Unternehmungen w i r d m i t einer Grunderwerbssteuer belastet, die nicht anfällt, wenn innerhalb des Unternehmens ein Betriebsgrundstück einem anderen Betrieb zur Verfügung gestellt wird. Schließlich begünstigt unser System der Ertragsbesteuerung durch Gewerbe-, Einkommen- und Körperschaftsteuer ebenfalls die Konzentration. Es reizt dazu, die Gewinne i m Unternehmen zu belassen und zu verwenden, statt sie, wie es der Marktwirtschaft entsprechen würde, über den Kapitalmarkt der W i r t schaft dort zur Verfügung zu stellen, wo sie am meisten gebraucht werden. Es gestattet außerdem innerhalb der Unternehmungen einen Ausgleich zwischen Betrieben m i t Gewinn und solchen m i t Verlust und unterstützt so den Risikoausgleich, der richtigerweise nicht beim Unternehmen, sondern beim Bürger zu erfolgen hätte. A u f diese Fragen, die eng m i t den Eigentums- und Kapitalfragen zusammenhängen, gehen w i r später ein 2 5 . I m ganzen genommen sind die steuerlichen Vorteile, die bisher mit der Konzentration verbunden waren, so groß, daß sie allein einen entscheidenden Anreiz dazu bieten. Dazu kommen die anderen marktwidrigen Regelungen unserer Rechtsordnung, die w i r zum T e i l bereits erwähnten, zum Teil noch zu behandeln haben. A l l diese Ursachen haben m i t wirtschaftlicher Zwangsläufigkeit nichts zu tun. Sie sind von den Fachleuten der Wirtschaft und ihren Organisationen durchgesetzt worden, u m ihre autonome Stellung gegenüber Bürgern und M a r k t zu festigen. Ideologie

und

Mythos

der

Konzentration

Die staatliche Begünstigung der Konzentration ist f ü r die gesellschaftliche Situation der vergangenen 50 Jahre bezeichnend. Sie ist das Ergebnis der gesellschaftlichen Kräfte, die damit Sonderinteressen verfolgten und sich dabei bestimmter Ideologien und Mythen bedienten. W i r weisen auf die psychologischen Tatbestände hin, w e i l man die Ver25 vergleiche 4. Kapitel, 2. und 3. Abschnitt.

Konzentration von Betrieben u n d Marktausschaltung

133

hältnisse nur ändern kann, wenn man sich auch m i t ihnen auseinandersetzt. Merkwürdig ist die mythische Verehrung, die eine große Zahl von Mitbürgern unseren Großunternehmen und -konzernen stets erwiesen hat. Wer als kleiner Mitarbeiter etwa einem weltbekannten Mammutunternehmen wie der I. G. Farbenindustrie oder den Vereinigten Stahlwerken angehörte, empfand darüber einen besonderen Stolz, den sein Nachbar als Arbeiter eines gesunden, aber unbekannten Mittelbetriebes nicht kannte. Aber auch die übrigen Mitbürger teilten ähnliche Gefühle, i n denen sich nationaler Stolz auf die deutsche Technik und die deutsche „Tüchtigkeit", ein inbrünstiger Fortschrittsglaube und ähnliches mischten. Dazu kam der allgemeine K u l t des Großen und Kolossalen, für den der heutige Mensch so anfällig ist. Es liegt nahe, hier verdrängte und fehlgeleitete Macht- und Geltungskomplexe zu vermuten. Aus gleichen Wurzeln kommen ähnliche Erscheinungen, denken w i r an das Selbstgefühl der Soldaten, Parteiangehörigen oder Beamten, die sich als Zivilisten und „Schlipsträger" unsicher, i n der Uniform, mit dem Abzeichen oder hinter dem Dienstschalter aber mächtig vorkommen. Denken w i r an den Hang zu Massenaufmärschen, zur Marschmusik oder zum starken Mann i n der Politik. Wer in seiner persönlichen Lebensentfaltung nicht auf gesunde Weise bestätigt und befriedigt ist, sucht leicht solchen Ersatz durch Teilnahme an kollektiver Größe und Macht. Ob diese Mitbürger nicht anders empfinden würden, wenn ihre Kräfte i m Rahmen einer neuen Wirtschaftsordnung auf die eigene Selbständigkeit gelenkt und i h r Selbstgefühl durch eigene Leistungen bestätigt würden? Wenn der Nachbar ihnen etwa am Gartenzaun oder vor der Haustüre ihres Eigenheimes die Anerkennung über ihr eigenes Werk und ihre Familie aussprechen würde? I n jenem Hang zur Konzentration lebt fernerhin die marxistische Lehre, derzufolge diese Entwicklung quasi naturgesetzlich und zwangsläufig verlaufe, u m schließlich die neue sozialistische Wirtschaftsordnung herbeizuführen. Die SPD und die sozialistischen Gewerkschaften widerstrebten der Konzentration daher keineswegs. Sie sahen sich insofern gerechtfertigt, als manche Großunternehmen tatsächlich i n öffentlichen Besitz überführt werden konnten. Die großen Komplexe erfreuten sich zudem der besonderen Sympathie der Planwirtschaft. Und schließlich waren sie f ü r die Gewerkschaft der beste Ansatzpunkt, um größeren Einfluß zu gewinnen, wie vor allem bei der Mitbestimmung i n den Großunternehmen der Montanwirtschaft 2 6 . M i t all diesen Vorstellungen verbinden sich die Ideologien, die von den Managern als Interessenten vertreten werden. Die internationale 26 vergleiche 5. Kapitel, 3. Abschnitt.

134

Der Bürger als Verbraucher

Wettbewerbsfähigkeit, der technische Fortschritt, die Sicherheit der A r beitsplätze, die hohen Sozialleistungen der Großunternehmen, die „Ordnimg der Märkte", all dies und manches andere w i r d ins Feld geführt, u m das wirtschaftliche Denken der Bürger von der eigentlichen Problematik abzulenken. I n Wirklichkeit aber geht es, wie w i r gezeigt haben, nicht u m die Betriebe und deren Produktivität selbst, nicht u m die Interessen der Bürger, die diese am M a r k t geltend zu machen haben, sondern u m einen selbständigen Spielraum der Unternehmen zwischen Markt und Betrieb, u m eine A r t Exterritorialität, u m die Autonomie der Unternehmen, f ü r die die Bürger die Kosten zu zahlen haben. Was ist demgegenüber zu tun? Nur i n seltenen Grenzfällen sollte man an ein staatliches Verbot der Konzentration oder ein Gebot zur Dekonzentration denken. Vor allem kommt es darauf an, die systemwidrigen Vorteile der Konzentration zu beseitigen, die sie bisher begünstigt haben. I m übrigen aber haben die Bürger selbst am Markte zu entscheiden, wobei man allerdings den Mythos und die Ideologien geistig bekämpfen sollte. Man w i r d zeigen müssen, daß die Mammutunternehmen keineswegs so rentabel und fortschrittlich sind, wie sich die meisten vorstellen. I m Gegenteil, m i t der Größe entstehen fast unüberwindliche Verwaltungsschwierigkeiten, die vielfach die besten Kräfte i n unfruchtbarer Weise binden. Eines der größten Probleme ist die Verteilung der Kompetenzen derart, daß die oberste Spitze das ganze in der Hand behält und doch die mittleren u n d unteren Instanzen mit Verantwortung und i m Sinne des Gesamtplanes entscheiden. A n dieser Aufgabe sind i n Deutschland die beiden größten Privatunternehmen, die Vereinigten Stahlwerke und die I. G. Farbenindustrie offensichtlich gescheitert, so daß die verantwortlichen Männer den Rückzug zur Dezentralisation f ü r notwendig hielten. „Unsere berühmten Großkonzerne", so bemerkt Rüstow. „waren sämtlich schon weit über dieses Optimum hinausgewachsen, und soweit sie nicht tatsächlich verkrachten, wie etwa der StinnesKonzern oder die Riesenfirma Citroen, hatten sie das meist n u r ihrem Einfluß auf Großbanken, Staat u n d Öffentlichkeit zu verdanken, die krankhafterweise alle davon überzeugt waren, daß man „eine solche Firma" doch schon aus nationalen Prestigegründen immöglich zusammenbrechen lassen könne, sondern lieber eine versteckte Sanierung mit öffentlichen Zubußen der verschiedenen A r t — von Steuererlassen angefangen — durchführen müsse. „Unsterblichkeit durch Größe" war ein patentes Rezept i n unserer dem K u l t des Kolossalen ergebenen Zeit27." 27

Zwischen Kapitalismus u n d Kommunismus, Ordo, Godesberg 1949, S. 124.

Marktbeherrschende

Unternehmungen

135

6. Marktbeherrschende Unternehmungen Mißbrauch

der

Machtstellungen

I n der Diskussion u m das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen ist von Seiten der Industrie immer wieder betont worden, daß nicht nur Kartelle marktbeherrschende Stellungen besitzen können, sondern auch einzelne Unternehmen oder Konzerne. Es bestehe die Gefahr, daß das Verbot von Kartellen die bestehenden Großunternehmen und Konzerne stärke und die Entwicklung neuer fördere. Während man also die schwach organisierten Monopole der Kartelle verhindere, züchte man starke Monopole. Allerdings sah schon der E n t w u r f des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen Maßnahmen gegen marktbeherrschende Unternehmen vor. Die Kartellbehörde sollte diesen untersagen können, den M a r k t partnern Preise oder Geschäftsbedingungen aufzuerlegen, die unter Mißbrauch ihrer Stellung festgelegt sind. Außerdem wurde der Zusammenschluß von Firmen, sofern sie dadurch eine marktbeherrschende Stellung erlangen würden, von einer Erlaubnis der Kartellbehörde abhängig gemacht. Schließlich sollte die Kartellbehörde wettbewerbsbeschränkendes und diskriminierendes Verhalten verbieten können. Selbst wenn man unterstellt, was durchaus zweifelhaft ist, daß die Kartellbehörde diese gesetzlich vorgesehenen Ziele erreichen kann, so genügt es nicht, u m den Wettbewerb gegen weitere Konzentrationstendenzen zu sichern. Wie von verschiedenen Seiten geltend gemacht wurde, müssen auch die Konkurrenten marktbeherrschender Unternehmen gegen mißbräuchliche Wettbewerbsmethoden geschützt werden. Marktbeherrschende Unternehmen können ihre Stellung nicht nur mißbrauchen, indem sie der anderen Marktpartei, den Lieferanten oder Abnehmern, ungünstige Preise und Bedingungen aufzwingen. Sie können auch ihre Konkurrenten durch einen Behinderungs- oder Schädungswettbewerb, der den Grundsätzen des echten Leistungswettbewerbs widerspricht, beseitigen oder unterwerfen. Gelingt ihnen dies, so treffen die Folgen auch die andere Marktseite, w e i l sie nunmehr vom obsiegenden Unternehmen stärker abhängig ist. Es gibt erfahrungsgemäß sehr verschiedene Methoden des Behinderungswettbewerbs. Man kann die Beziehungen zwischen der Konkurrenzfirma u n d ihren Lieferanten stören, indem man diese veranlaßt, ihre Lieferungen unter irgendwelchen Vorwänden zu sperren oder besonders ungünstige Preise und Lieferbedingungen zu fordern. Man kann vorübergehend oder i n bestimmten Absatzgebieten sogenannte Kampfpreise benutzen, u m die Konkurrenzfirma aus ihren Märkten zu drängen. Das stärkere Unternehmen nimmt dabei bewußt zeitweise Verluste i n Kauf, i n der Absicht, sie nach Niederzwingung der Konkurrenz durch Ausnutzung der nunmehr unbestrittenen Machtstellung

136

Der Bürger als Verbraucher

wieder auszugleichen. Daneben gibt es Ausschließlichkeitsverträge oder Treueprämien, wenn die Kunden n u r bei dem marktbeherrschenden Unternehmen kaufen. Besonders schwierig ist die Situation, wenn das marktbeherrschende Unternehmen mehrere Produktionsstufen umfaßt und die Konkurrenzfirma auf die Vorprodukte angewiesen ist. Schließlich können konkurrierende Betriebe auch durch Patente blockiert werden. Die Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft schlug vor, der Kartellbehörde zusätzlich gesetzliche Möglichkeiten gegen solchen Mißbrauch zu geben. Empfohlen wurde vor allem, den marktbeherrschenden Unternehmen gegebenenfalls einen Kontrahierungszwang und Patentbenutzungsrechte aufzuerlegen und gewisse Werbemethoden zu verbieten. Außerdem sollten den geschädigten Unternehmen privatrechtliche Schadensersatzansprüche zustehen 28 . Schwierigkeiten

der

Mißbrauchs-Kontrolle

Uns scheint, daß die Mißbrauchskontrolle gegenüber marktbeherrschenden Unternehmen ebenso schwer und aussichtslos wie gegenüber Kartellen ist. Wie soll man Vorgänge, die zum laufenden Geschäft gehören, jeweils darauf untersuchen oder beurteilen, ob sie i m Einzelfalle das Übliche und Normale überschreiten? Wo ist die Grenze zwischen gerechtfertigten Preisen oder Geschäftsbedingungen und solchen, die „unter mißbräuchlicher Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung" festgelegt werden? Wo ist die Grenze zwischen Leistungs- und Schädigungswettbewerb? Es gibt zwar Fälle, i n denen ein eindeutiges Urteil möglich ist, i m allgemeinen aber fehlt es an klar erfaßbaren und abgrenzbaren Tatbeständen. Es w i r d selbst bei bestem Willen den leitenden Männern der Monopolunternehmen nicht leicht möglich sein zu sagen, bei welchem Verkaufspreis der Mißbrauch beginnt. I m übrigen überfordert man sie, wenn man ihnen das Urteil darüber überläßt, jedenfalls solange ihr Denken pflichtgemäß auf ein günstiges Geschäftsergebnis gerichtet sein muß. Noch schwieriger aber ist die Kontrolle von außen her. Gering sind vor allem die Aussichten, den Schädigungswettbewerb vom Leistungs Wettbewerb zu unterscheiden. Wenn ein Unternehmen beim Lieferanten günstigere Preise oder Liefertermine als das kleinere Konkurrenzunternehmen erlangt, werden berechtigtes Einkaufs- und 28 Vergleiche hierzu: Dr. W o l f gang Keller „Eigentum und Abhängigkeit", F A Z v o m 28. 10. 1952, H a r o l d Rasch „Marktbeherrschende Unternehmen", F A Z v o m 23. 3. 1953 sowie „Markteinfluß u n d seine Kontrolle", F A Z v o m 24. 4. 1954, Hans Ilau „Das marktbeherrschende Unternehmen", F A Z v o m 24. 4. 1954, ferner den Vorschlag der Aktionsgemeinschaft Soziale M a r k t wirtschaft zur Erweiterung des § 17 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkung.

137

Marktbeherrschende Unternehmungen

unberechtigtes Schädigungsinteresse ineinanderlaufen. Wenn es dem Kunden bessere Preise und Lieferbedingungen bietet, ist es entsprechend. Dauerlieferungs- und Abnahmeverträge können m a r k t w i r t schaftlich berechtigt sein, indem sie betriebliche Kontinuität und damit Kostensenkung zur Folge haben, oder unberechtigt, w e i l die ausschließliche Bindung einseitig überwiegt. Wer aber w i l l das jeweils beurteilen? Zumal wenn darüber keine aufklärenden A k t e n bestehen und der Kontrahent das marktbeherrschende Unternehmen deckt oder die eigentlichen Motive überhaupt nicht ausgesprochen werden. Allerdings gibt es auch Fälle, i n denen ein eindeutiges U r t e i l möglich ist. So hat das Reichsgericht 1931, während der Weltwirtschaftskrise, i n dem bekannten Prozeß zwischen dem Benzinverband und einem Außenseiter einen F a l l des Behinderungswettbewerbs erfaßt. Es führte i m U r t e i l aus, daß er i m Gegensatz zum erlaubten Leistungswettbewerb stehe. Dieser fördere den Absatz mit den M i t t e l n der eigenen Leistung. Bei i h m folge eine Schadenzufügung gegenüber den Konkurrenten nur dem Streben mehrerer nach dem gleichen Ziel. Der Behinderungswettbewerb bezwecke dagegen überwiegend, den Mitbewerber, ohne daß die eigene gewerbliche Leistung gesteigert wird, zu beeinträchtigen, um sich dadurch freie Bahn f ü r den künftigen Absatz zu schaffen. Auch ein Wettbewerb, i n dem das P u b l i k u m nicht durch Preiswürdigkeit der eigenen Leistung, sondern durch Kampfpreise gewonnen werden sollte, sei ein unzulässiger Behinderungswettbewerb. Ein wichtiger Anhalt, ob es sich u m wirkliche Leistungspreise handele, seien die Selbstkosten. Allerdings meint das Reichsgericht, daß Preisunterbietungen selbst dann i m Wettbewerb nicht verboten seien, wenn die Preise unter Selbstkosten lägen. Sie werden erst sittenwidrig, wenn besondere Umstände der Kampfmittel oder des erstrebten Zweckes hinzutreten. Ähnlich ist auch die amerikanische Rechtsprechung gegen solche Fälle vorgegangen 29 . Hier wie dort sind seit langem ähnliche Klagen nicht mehr durchgedrungen. Nachdem einmal ein solcher Grundsatz rechtlich verankert ist, werden plumpe Verstöße dagegen kaum noch vorkommen. Die Grenzmoral ist empfindlicher, die Methoden sind vorsichtiger geworden, was zweifellos einen Fortschritt, aber keine Lösung des eigentlichen Problems bedeutet. I m ganzen genommen befindet sich das marktbeherrschende Unternehmen i n der Lage eines Ringkämpfers, der seinem Gegner körperlich weit überlegen ist. Fordert man von ihm, damit es doch einen echten Kampf gibt, daß er seine Kräfte nur begrenzt einsetzt, so w i r d er dennoch immer wieder Wege finden, sie zu benutzen. I m wirtschaft29 Vergleiche Dr. B u r k h a r d t zen", F A Z v o m 9. 1. 1954.

Röper,

„Preisunterbietungen

haben

Gren-

138

Der Bürger als Verbraucher

liehen A l l t a g sind die Möglichkeiten, überlegene wirtschaftliche Macht einzusetzen, so vielfältig, die geschäftlichen Kontakte so differenziert, daß keine Behörde die Aufgabe der Aufsicht bewältigen kann. Man sollte sich begnügen, krasse Grenzf älle wettbewerbswidrigen Verhaltens durch die Rechtsprechung zu erfassen. Eine laufende Geschäftspolitik der marktbeherrschenden Unternehmen, „als ob" sie keine Marktmacht hätten, ist jedoch m i t keiner Aufsicht zu erzielen. Dabei ist noch der politische Einfluß zu berücksichtigen, der m i t der Marktbeherrschung üblicherweise verbunden ist. Er ist vor allem gefährlich, wenn eine Behörde weitgehend nach Ermessen über w i r t schaftlich schwierige, nicht klar abgrenzbare Tatbestände zu entscheiden hat. Das bestätigt die Erfahrung, die w i r nach 1923 m i t einer Kartellaufsicht nach dem Mißbrauchsprinzip gemacht haben. Auch Euchen weist darauf hin, daß die Erfahrungen, die man i n den Industriestaaten m i t der Monopolaufsicht gemacht hat, durchaus negativ sind. Es gehe über die Kräfte eines modernen Staates hinaus, i n einer Wirtschaftsordnung, i n der große Teile der Industrie monopolisiert sind, eine w i r k same Monopolaufsicht durchzuführen. Hier sei der politische Einfluß der Interessentengruppen zu stark, und die Monopolprobleme seien zu mannigfaltig. Mögen einzelne Beamte der Ministerien Gutes leisten; die Stütze, die sie i m Staatsaufbau haben, sei zu schwach. Man mache sich über die Effizienz der Monopolkontrolle keine Illusionen, wenn sie i n Wirtschaftsordnungen erfolgt, i n denen die Monopole der Industrie oder der Landwirtschaft oder der Arbeiterschaft wuchern. Auch die Vereinigten Staaten und ihre Monopolpolitik böten hierfür ein Beispiel 3 0 . W i r wissen heute auch, daß das Problem nicht gelöst wird, indem man die Monopolunternehmen in öffentlichen Besitz überführt. Erfahrungsgemäß nützen deren Manager ihre Macht oft noch rücksichtsloser aus, da sie nicht den V o r w u r f privater Bereicherung zu fürchten haben. Der Staat jedoch, der die Aufsicht ausüben sollte, w i r d leicht selbst zur Partei. Nach dem ersten Weltkrieg hat man i n Deutschland versucht, die Gefahr des Monopolmißbrauchs zu bannen, indem die Arbeitnehmer an der Monopolaufsicht beteiligt wurden. Aber die Erfahrung hat gezeigt, daß man sie dadurch nur am Monopolgewinn interessiert und das Gewicht des Monopols verstärkt. Marktbeherrschung

uninteressant

machen

W i r müssen andere Wege suchen, u m den von den marktbeherrschenden Unternehmen kommenden Gefahren zu begegnen. Der Schwerpunkt w i r d nicht so sehr beim äußeren Verhalten liegen dürfen, das nach Mißbräuchen überprüft wird, sondern wiederum bei den Voraus30

„Grundsätze der Wirtschaftspolitik", Seite 292 ff.

Marktbeherrschende Unternehmungen

139

Setzungen. Vor allem müssen die allgemeinen Umstände, die bisher gegen den Sinn unserer Wirtschaftsordnung die Konzentration von Betrieben begünstigt haben, geändert werden. Darüber w i r d an anderer Stelle das wichtigste gesagt. Außerdem aber sind die besonderen Vorteile, 'die sich die Unternehmen aus einer marktbeherrschenden Stellung erhoffen, zu beseitigen, um dadurch die Marktbeherrschimg uninteressant zu machen. Diese Vorteile hängen immer m i t dem Gewinn zusammen, mögen auch andere, oft irrationale Motive damit verbunden sein. I n der Hoffnung auf Gewinn nehmen sie auch die Kosten auf sich, die beim Erwerb oder der Verteidigung ihrer Machtstellung anfallen, zum Beispiel für Kampfpreise, Treuerabatte und Blockierungspatente. Von der Wirtschaftsordnung her besteht jedoch kein Grund, warum marktbeherrschende Unternehmungen Gewinne erzielen sollten, die über die marktüblichen Maßstäbe hinausgehen. M i t Leonhard Miksch sind w i r vielmehr der Meinung, daß ein die Kosten übersteigender Gewinn nach Beseitigung des Wettbewerbsrisikos normalerweise unberechtigt ist 3 1 . Wenn dieser Grundsatz i n der Wettbewerbsordnung verankert würde, hätte dies wahrscheinlich weitgehende Folgen. Dabei erkennen w i r durchaus an, daß es Monopolstellungen am Markte gibt, die i m allgemeinen Interesse berechtigt u n d zweckmäßig sind. W i r denken vor allem an Monopole, die betrieblich begründet sind, soweit nämlich ein bestimmtes Gut oder eine Dienstleistung am zweckmäßigsten und billigsten von einem Betrieb erstellt wird, der leistungsfähig genug ist, den ganzen Markt zu versorgen. Beispiele für solche betrieblich gerechtfertigte Monopolstellung sind die Bundesbahn und die Versorgungswerke der Gemeinden (Wasserwerk, Gaswerk, Elektrizitätswerk), da die Konkurrenz jeweils mehrerer Unternehmen deren Leistung erheblich verteuern würde. I n solchen Fällen muß das Ziel sein, die marktbeherrschenden Unternehmen so i n die M a r k t w i r t schaft einzugliedern, daß sie keinen störenden Fremdkörper darstellen. Dies geschieht am zweckmäßigsten, indem die Monopolaufsichtsbehörde solchen Unternehmen n u r einen beschränkten Gewinn unter Berücksichtigung angemessener Kosten läßt. Soweit der Gewinn darüber hinausgeht, sind Gewinne abzuführen und Preise zu senken. Die Erm i t t l u n g und Abführung von Übergewinnen ist zwar systemwidrig und unberechtigt für Unternehmen, die i m Wettbewerb stehen. Da für Monopolunternehmen jedoch nicht die entscheidenden Voraussetzungen unseres Wirtschaftssystems gelten, können diese sich auch nicht auf die ethische Basis echter Marktgewinne berufen. Z u ähnlichen Ergebnissen kommt Eucken. Er fordert, die Preiskontrolle der Monopole so durchzuführen, daß ein langfristiger, wettbewerbsanaloger Druck entstehe, 31

„Wettbewerb als Aufgabe", 2. Auflage, Godesberg 1947, Seite 105.

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Der Bürger als Verbraucher

der die Monopolunternehmen zur laufenden Rationalisierung des Produktionsapparates bringe 3 2 . Nach Leonhard Misch müsse das Wettbewerbsrecht eine allgemeine Ermächtigung enthalten, Monopole zu beaufsichtigen u n d zu lenken. „Erstes Ziel der staatlichen Lenkung muß es sein, die Preisbildung des Monopols dem Zustande der vollständigen Konkurrenz möglichst anzunähern, u m die Einheitlichkeit der gesamten Wettbewerbsordnung zu erhalten oder wieder herzustellen und den gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtstendenzen zum Durchbruch zu verhelfen 3 3 ." Auch ein öffentliches Monopol müsse genauso zu einem verfassungsgemäßen Verhalten auf dem Markte genötigt werden wie ein privates 3 4 . Wie schwer allerdings diese Aufgabe des Monopolamtes ist, dafür geben die Erfahrungen einen Anhalt, die i n den Kriegs jähren von den Preisbildungs- und -Überwachungsbehörden gemacht wurden. Deren Aufgabe w a r es, übermäßige Gewinne zugunsten der Staatsfinanzen abzuschöpfen, noch mehr aber eine Senkung überhöhter Preise zu erzwingen. Daraus entwickelte sich ein laufender Kampf m i t den Unternehmungen, der vor allem u m die Feststellung der Gewinne und der betriebsnotwendigen Kosten ging. Die Unternehmer, die dabei gewissermaßen auf der inneren Linie der internen Betriebskenntnis fochten, waren bei einigem Geschick i m allgemeinen in der Lage, das Zahlenwerk zu ihren Gunsten zu gestalten. Selbst Preisprüfer, die i n die Unternehmungen zur Prüfung des Zahlenwerkes entsandt wurden, waren nur unzulänglich imstande, die Schwächen des „Gegners" zu erkennen und seine Argumente zu widerlegen. Beiderseits wurde anerkannt, daß das Zahlenwerk der Handels- und der Steuerbilanz nicht ohne weiteres herangezogen werden könne. So kam neben beiden Bilanzen noch eine Preisbilanz zustande. Der Erfolg aber für die Preisbildung w a r dürftig. Hinsichtlich der Kosten ergab sich eine klare Tendenz zur Steigerung statt zur Senkung. W i r halten es für unmöglich, die Geschäftsgebarung von Monopolunternehmen sinn- und wirkungsvoll zu kontrollieren, ohne daß zunächst das Rechnungswesen auf eine andere Grundlage gestellt wird. Alle Argumente, die w i r für ein objektives Rechnungswesen und für eine neutrale Feststellung des Jahresabschlusses bereits vorgetragen haben, gelten hier i m besonderen Maße. Man kann der Geschäftsleitung der Monopolunternehmungen nicht den Jahresabschluß überlassen, ohne sie auch unter dem Gesichtspunkt der Monopolkontrolle moralisch zu überfordern. Man würde sie zum Richter i n eigener Sache einsetzen; wenn der Jahresabschluß praktisch genommen das Urteil enthält, wie 32 83 34

a.a.O., Seite 297. a.a.O., Seite 99. a.a.O., Seite 105.

Marktbeherrschende Unternehmungen

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weit man der Monopolkontrolle gefolgt ist. Allerdings darf man auch das Aufsichtsamt wegen seiner festgelegten Blickrichtimg nicht als neutrale Instanz anerkennen. Es wäre ebenso wie der Fiskus gegenüber den Unternehmen Partei. Der objektive, neutral festgestellte Abschluß aber erspart der Monopolaufsichtsbehörde Auseinandersetzungen über Aufwendungen und Gewinne, Kosten und Preise. Man kann auf unbestreitbaren Zahlen aufbauen und braucht keine Korrektur nach betriebsnotwendigen, preisbilanzmäßigen oder sonstigen Gesichtspunkten. Die Allgemeinheit aber spart einen weiteren Stab von Preisprüfern, die neben Wirtschaftsprüfern und Steuerprüfern die laufende Arbeit i n den Unternehmungen erschweren würden. Die Monopolaufsicht w i r d bei dem Gewinn, der Monopolunternehmen zuzuerkennen ist, berücksichtigen müssen, daß diese ein wesentlich geringeres Risiko als andere Unternehmungen haben, die i m Wettbewerb stehen. Ein Gewinn, der über die marktübliche Verzinsung des investierten Kapitals hinausgeht, kann nur insoweit berechtigt sein, als besondere betriebsorganisatorische Leistungen i m Vergleich zu anderen Betrieben vorliegen. Ist die Betriebsgestaltung vergleichsweise jedoch unrationell, so dürfte nicht einmal die durchschnittliche Kapitalverzinsung anerkennt werden. Eine derartige Gewinnkontrolle ist besonders wichtig i m Hinblick darauf, daß Monopolgewinne m i t die wichtigste Basis der Konzentration von Betrieben gewesen sind. Die M i t t e l also, die unter dem Gesichtspunkt der Marktordnung den Kunden zu Unrecht abgenommen wurden, sind oft benutzt worden, u m weitere marktwidrige Positionen aufzubauen. Wie soll man die Kosten allerdings beurteilen? Auch diese Aufgabe kann unseres Erachtens nur einer neutralen Institution, die auf betriebsorganisatorische Gutachten spezialisiert ist, übertragen werden. Sie hätte nicht nur das objektive und neutrale Zahlenwerk des zu prüfenden Monopolunternehmens selbst, sondern auch das anderer vergleichbarer Unternehmungen heranzuziehen. I n gewissem Umfange kann man zum Beispiel die Verhältnisse der kommunalen Wasser-, Gasund Elektrizitätsverteilungswerke vergleichen. I m übrigen sind durch das Refasystem u n d andere arbeitsorganisatorische Methoden Maßstäbe eines objektiven Vergleichs gegeben. Trotzdem müssen i n dieser H i n sicht noch Erfahrungen gesammelt werden, so daß die Monopolaufsicht entsprechend behutsam vorgehen sollte. Die Beweislast, daß die Kostengestaltung nicht normal ist, w i r d bei dem liegen müssen, der dies behauptet. Die Monopolkontrolle muß i n ihrer äußerst schweren Aufgabe durch eine aufgeklärte öffentliche Meinung gestützt werden. Dafür erscheint es unerläßlich, daß alle Monopolunternehmen, gleichgültig i n welcher Rechtsform sie betrieben werden, verpflichtet sind, ihre Jahresabschlüsse

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Der Bürger als Verbraucher

zu veröffentlichen, wobei ein ausführlicher Geschäftsbericht gerade auch über die Preisgestaltung Auskunft geben sollte. Die Gesichtspunkte des Geschäftsgeheimnisses, die ohnehin weit überwertet werden, können bei Monopolunternehmen nicht gelten, weil sie von einer Konkurrenz nicht bedroht sind. Die Presse aber hätte hier besondere Aufgaben für das öffentliche Interesse zu erfüllen. Die Kunden, seien es Letztverbraucher oder auch Wirtschaftsunternehmen, sollten über ihre Verbraucher- oder Fachorganisationen erforderlichenfalls K r i t i k üben können, u m auf diese Weise den Einfluß geltend zu machen, den sie über den Markt gegenüber dem Monopol bedauerlicherweise nicht besitzen.

Viertes

Kapitel

D e r Bürger als Eigentümer — Allgemeine Chancen der Eigentumsbildung durch Reform der Unternehmungen und der Sozialversicherung 1. Stellung und Ideologie der Manager Emanzipation

vom

Eigentum

Die Unternehmer haben es i n der bisherigen Marktwirtschaft vielfach verstanden, sich vom M a r k t unabhängiger zu machen, als es dem Sinne des Wirtschaftssystems entspricht. Sie haben sich einen Spielraum wettbewerbsfreier Entscheidungen geschaffen, der die Funktionsfähigkeit der Marktwirtschaft beeinträchtigt und zu Lasten der Allgemeinheit geht. Das gilt besonders i m Verhältnis zu den Kapitalmärkten, auf denen die Gesellschaft der Wirtschaft einen Teil ihres Vermögens zur Verfügung stellt. I m Vergleich dazu haben sich die Zivilisten als Verbraucher und als Arbeitnehmer erheblich besser durchgesetzt. Ist es nicht merkwürdig, daß w i r , wenn w i r vom Menschen i n der W i r t schaft sprechen, meist n u r an seine Stellung als Verbraucher und M i t arbeiter, vielleicht noch als Unternehmer und Funktionär, kaum aber als Eigentümer denken? Unser inneres Verhältnis zum Eigentum i n der Wirtschaft ist in mannigfacher Weise vorbelastet. Viele Eigentumslose sind von berechtigten Ressentiments gegen die Methoden beeinflußt, m i t denen das Eigentum an den Unternehmen i n der kapitalistischen Wirtschaft allzu häufig erworben und eingesetzt wurde. Dazu kommt die 100jährige sozialistische Propaganda, die lange nicht nur gegen den Mißbrauch, sondern gegen die Institution des Privateigentums selbst gerichtet war. A u f der Seite der Besitzenden aber herrscht eine Unsicherheit, die teils durch die politische Schwäche der Minderheit, oft auch durch eine A r t schlechtes Gewissen begründet ist und darauf ausgeht, die Probleme zu bagatellisieren oder von ihnen abzulenken, zum Beispiel durch die Herausstellung der Unternehmerleistung, die etwas anderes ist als die Eigentumsfrage, u m die es hier geht. So erklärt sich, daß das Gespräch über das Eigentum bisher von den verschiedenen Interessentengruppen nicht so offen "und sachlich geführt wurde, daß es befreiend und reformierend wirken konnte. Sehen w i r uns demgegenüber die Mißstände

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Der Bürger als

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schonungslos, aber m i t dem positiven Ziele an, die großen Werte, die das private Eigentum an den Betrieben für die Bürger i m einzelnen und die Gesellschaft i m ganzen entfalten könnte, nutzbar zu machen. Von unserem allgemeinen Standort richtet sich die K r i t i k der gegenwärtigen Verhältnisse zunächst gegen die gesellschaftliche Stellung, die die Manager gegenüber dem Eigentum gewonnen haben. Das wesentliche Kennzeichen des Managers ist, daß er bedeutende Vermögenswerte verwaltet, ohne daß er sich dabei i n erster Linie der zivilen Stellung des Eigentümers verpflichtet fühlt. Er repräsentiert das Unternehmen, das ein eigenes Leben führt, i n gewissem Sinne Selbstzweck ist, statt nur dem Bürger i n seiner dreifachen Stellung als Verbraucher, Eigentümer und Berufstätigen zu dienen. Der Manager treibt insoweit eine eigene Unternehmungspolitik, die nicht nur an den Marktwerten und betrieblichen Selbstkosten orientiert ist, sondern an persönlichem Prestige und Machtpositionen. Selbstverständlich ist dies nur möglich, weil die Rechtsordnung i h m den dafür erforderlichen Spielraum läßt. Die relative Unabhängigkeit des Managers ist nicht nur bedeutsam, wo der Unternehmer nicht selbst Eigentümer des Unternehmens ist. Es gibt auch viele Eigentümer-Unternehmer, die weniger darauf schauen, ob ihr Vermögen vergleichsweise rentabel, sicher und liquide angelegt wird, sondern von anderen Motiven beherrscht sind. Ein vielfacher Millionär, der sein Unternehmen oder seinen Konzern leitet, w i r d häufig zuerst darauf bedacht sein, daß seine Marktstellung und sein unternehmerisches Prestige wachsen. Widersprechen sich Eigentumsund Geltungsgesichtspunkte, so w i r d er manchmal ebenso reagieren wie der Manager, das heißt, sich selbst und der Öffentlichkeit solange wie möglich etwas vormachen. Er würde sich wahrscheinlich oft anders verhalten, wenn seine wirtschaftlich falsche Handlungsweise durch eine objektive und neutrale Rechnungslegung schonungslos klargelegt würde. Solange das Wirtschaftssystem jedoch begünstigt, daß Prestige und Macht durch marktwidrige Entscheidungen gefördert werden, w i r d der Manager i m Eigentümer unterstützt. Immerhin überwiegen die Fälle erheblich, i n denen ein Manager ein oder mehrere Unternehmen leitet, ohne selbst Eigentümer zu sein oder wenigstens i n klarer Abhängigkeit und Verantwortimg gegenüber den Eigentümern zu stehen. Das kommt weniger bei Einzelunternehmen oder Personengesellschaften als bei Kapitalgesellschaften, besonders bei Aktiengesellschaften, vor. I n einer großen Zahl von Gesellschaften sind die Verwaltungen gegenüber den Aktionären verhältnismäßig selbständig. Das gilt vor allem bei großen Unternehmen, deren Kapital zersplittert ist, so daß eine geschlossene Stimmenmehrheit der Gesellschafter nicht besteht. Bei Aktiengesellschaften üben vielfach die Banken die Stimmrechte der Aktionäre aus, doch sind ihre Vertreter

Stellung u n d Ideologie der Manager

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ideologisch u n d interessenmäßig oft den Vorständen mehr verbunden als den Minderheitsaktionären. Typisch ist daher für solche Gesellschaften, daß der Aufsichtsrat, der die Tätigkeit des Vorstandes f ü r die Aktionäre überwachen sollte, weniger von diesen als vom Vorstand abhängig ist. Oft sind überhaupt keine oder nur wenige Aktionäre i m Aufsichtsrat vertreten, w o h l aber Banken, Lieferanten u n d Kunden, von denen man erwartet, daß sie ihre Geschäftsbeziehungen der Gesellschaft zur Verfügung stellen, die andererseits aber meist auch Interessen vertreten, die nicht m i t denen der Aktionäre übereinstimmen 1 . Volkmar Muthesius stellt fest, daß bei sehr vielen Gesellschaften offenbar der Einfluß des Aufsichtsrats überaus gering ist. Es gebe sehr große Gesellschaften, bei denen fast sämtliche Aufsichtsratsmitglieder ohne innere u n d äußere Bindung zu den Aktionären stehen. Sie werden dazu neigen, dem Vorstand (und sich selbst untereinander) nicht wehe zu tun 2 . Ein angesehener deutscher Unternehmer, der einen Großkonzern leitet, bestätigte dies: „Gerade bei Gesellschaften m i t einem breit gestreuten Aktienbesitz sind häufig die Vorstände allein f ü r die Auswahl der Aufsichtsratsmitglieder zuständig, diese wiederum aber fühlen sich manchmal mehr den Vorständen verantwortlich als den Aktionären gegenüber." U m nicht mißverstanden zu werden, sei ausdrücklich gesagt, daß es i n der modernen arbeitsteiligen und komplizierten Wirtschaft selbstverständlich angestellte Unternehmer geben muß. Soweit die Eigentümer oder Gesellschafter aus irgendwelchen Gründen ihre Unternehmen nicht selbst leiten können oder wollen, soll man f ü r diese Aufgabe andere, tüchtige Personen heranziehen. Aber es kommt, wie w i r zeigen werden, darauf an, daß die rechtliche u n d wirtschaftliche Situation dieser angestellten Unternehmer unserer Gesellschaftsordnung entspricht. Es geht also weder u m die alleinigen Interessen der heutigen Kleinaktionäre, die eine verhältnismäßig geringe, einflußlose und geduldige Gruppe unserer Mitbürger darstellen, noch u m persönliche Vorwürfe gegen die einzelnen Manager, die ihre Aufgabe nach bestem Wissen und Gewissen erfüllen. Unsere K r i t i k richtet sich gegen die in unserem Wirtschaftssystem herrschenden Verhältnisse, i n die die einzelnen Manager ebenso wie w i r alle verstrickt sind. Im

Aktiengesetz

verankert

Die Rechtsordnimg hat die starke Stellung der Manager i m Aktiengesetz von 1937 anerkannt u n d befestigt. I n der offiziellen Begründung 1 Die Süddeutsche B a n k teilte i m A p r i l 1954 i h r e r Hauptversammlung m i t , daß sie 20 000 bis 25 000 A k t i o n ä r e habe; k e i n A k t i o n ä r besitze ein M i l l i o n e n paket, u n d v o n den wenigen, die über mehr als 100 000 M a r k A k t i e n verfügen, sei keiner i m Aufsichtsrat. (Vgl. Deutsche Zeitung v o m 17. 4. 1954, S. 8) 2 „ K r i s e des Aufsichtsrats", F A Z v o m 5. 5. 1954.

10 Kahl, Macht und Markt

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zum Erlaß des Aktiengesetzes heißt es, daß die grundsätzliche Entscheidung über die Geschicke der Gesellschaft nicht bei der persönlich nicht verantwortlichen Mehrheit der Geldgeber liegen dürfe, denen meist der genaue und fachkundige Einblick i n die Geschäfte und i n den Stand der Gesellschaft fehle und die i m wesentlichen darauf bedacht seien, die Belange des Kapitals i n den Vordergrund zu stellen. Die Entwicklung des Aktienwesens habe aus diesen Gründen zu Machtkämpfen zwischen Verwaltung und Hauptversammlung geführt, die sich zum Nachteil der Gesellschaft und des Wirtschaftslebens ausgewirkt hätten. W i r sehen, daß die Gesellschaft ein Eigenleben gewonnen hat, das nach Auffassung des Gesetzgebers von den „Belangen des Kapitals" bedroht ist, während unterstellt wird, daß der Vorstand dem Gesellschaftsinteresse besser dient. I n diesem Sinne erklärt § 70: „Der Vorstand hat unter eigener Verantwortung die Gesellschaft so zu leiten, wie das Wohl des Betriebes und seiner Gefolgschaft und der gemeine Nutzen von Volk und Reich es fordern." Z u den Grundpflichten des Vorstandes gehört also, wie eine Denkschrift zur Reform des Aktiengesetzes, die von der Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz 1952 herausgegeben wurde, hervorhebt, „nicht die Wahrung der Belange der Aktionäre als der Eigentümer des Unternehmens. I m Vordergrund stehen ausschließlich staatspolitische, wirtschaftspolitische und sozialpolitische Zielsetzungen." Das Unternehmen als solches habe den Vorrang. Unter der Devise „Beseitigung der anonymen Macht des Kapitals" habe das Aktiengesetz die Machtbefugnisse der Verwaltung bedeutend verstärkt. Das Aktiengesetz entspricht insoweit der politischen und wirtschaftlichen Ideologie des Nationalsozialismus. Es wurde einerseits das „Führerprinzip" verwirklicht, andererseits aber konnte der Vorstand leicht zum Befehlsempfänger der Planwirtschaft gemacht werden, zumal seine öffentliche Verpflichtung bereits i m Gesetz verankert ist. Es wäre aber falsch, die Bestimmungen des Aktiengesetzes nur als Ausfluß des Nationalsozialismus aufzufassen. Die wichtigsten Vorschriften stammen vielmehr schon aus den Vorarbeiten für das neue Aktiengesetz, die vor 1933 zu einem offiziellen Entwurf geführt hatten. Bereits damals hatte die Aktiengesellschaft i m allgemeinen Bewußtsein ein Eigenrecht gegenüber den Aktionären gewonnen. Es ist kein Zufall, daß sich dies am stärksten auf den Jahresabschluß auswirkte. Hier zeigt sich wiederum, welche zentrale Stellung das Wertsystem i n der Wirtschaft einnimmt. Wesentlich ist daher, daß der Jahresabschluß grundsätzlich vom Vorstand m i t Bewilligung des Aufsichtsrats festgestellt w i r d und die Hauptversammlung daran gebunden ist. Der Jahresabschluß w i r d damit zu einem A k t der Geschäftsführung, wobei, wie w i r gezeigt haben, die Verwaltung weitgehende Freiheit

Stellung u n d Ideologie der Manager

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hat, wie sie ihn gestalten w i l l . Dies steht i m unvereinbaren Widerspruch mit der richtigen Auffassung, wonach der Abschluß die wahren Verhältnisse der Gesellschaft festhalten und den Aktionären mitteilen sollte. Auch die Vorschriften über die Erläuterung des Jahresabschlusses durch den Geschäftsbericht wie über die Auskunftsrechte der Aktionäre sind so gefaßt, daß die Verwaltung nicht daran gebunden ist, wenn „überwiegende Belange der Gesellschaft oder eines beteiligten Unternehmens oder der gemeine Nutzen von Volk und Reich" es nach ihrem Ermessen verbieten. Die Aktionäre erhalten somit nur geringen Einblick i n die Lage ihrer Gesellschaft. Sie haben ferner nur sehr geringen Einfluß auf den Gewinn, da die Hauptversammlung nur als Gewinn verteilen kann, was ihr die Verwaltung vom wahren Gewinn zur Verfügung überläßt. Soweit die Verwaltung die Gewinne für Zwecke der Selbstfinanzierung i m Unternehmen behalten w i l l , kann sie bei der Aufstellung des A b schlusses stille oder offene Rücklagen bilden, die nicht den Beschlüssen der Hauptversammlung unterliegen. Schließlich geht die Kompetenz der Verwaltung auch bei der allgemeinen Geschäftstätigkeit allzuweit. Die Satzungen fassen üblicherweise den Gesellschaftszweck, i n dessen Rahmen der Vorstand tätig werden kann, sehr allgemein. So steht es i h m frei, wie weit er Strukturinvestitionen durchführt, durch die die Eigenart der Unternehmung grundlegend verändert werden kann. W i r denken zum Beispiel an weitgehende Ausbauten der Betriebe, aber auch an den Erwerb oder die Errichtung weiterer Betriebe oder von Tochtergesellschaften. Solche I n vestitionen können ohne Wissen und ohne Zustimmung der Aktionäre aus zurückgehaltenen Gewinnen finanziert werden. Es kann aber auch die Hauptversammlung i n die Zwangslage kommen, die M i t t e l für I n vestitionen, bei denen die Hauptversammlung nicht gefragt wurde, nachträglich durch Kapitalerhöhungen aufbringen zu müssen. Se1bstnütziges

Vermögenssubjekt?

Die selbständige Stellung, die der Vorstand vor allem bei großen Aktiengesellschaften besitzt, ist i n einer Zeit entstanden, i n der die Gesetze der Marktwirtschaft nicht galten oder nicht funktionierten. Es ist menschlich verständlich, daß die Verwaltungen diese Stellung auch heute verteidigen; denn sie läßt viel Freiheit und Selbständigkeit. Die enge politische und wirtschaftliche Bindung an den Staat ist weggefallen, als nach der Währungsreform die Planwirtschaft abgebaut wurde. Dafür treten andere, ideologische Begründungen i n den Vordergrund, die i n ähnlicher A r t auch i m Ausland geltend gemacht werden. I n den USA entstand eine besonders wirkungsvoll formulierte Manager-Ideologie, die Herbert Groß i n seiner Schrift „Manager von J O *

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morgen" darstellt. Sie ist zum Teil auch i n Deutschland aufgegriffen worden. Es w i r d die Auffassung vertreten, daß der Manager berufen sein könnte, den bisherigen Gegensatz zwischen K a p i t a l und Arbeit auf betrieblicher Basis zu überwinden. „Die Schicht der Unternehmungs-Manager erhebt den Anspruch, die Verantwortung für den gesamten Unternehmungs- u n d Wirtschaftsverlauf zu übernehmen und als übergeordnetes Organ der Marktwirtschaft allen am Produktionsprozeß beteiligten Kräften die angemessene Entlohnimg zukommen zu lassen. Sie beginnt überdies den Anspruch zu erheben, daß sie eine neue Lebensordnung vertritt, welche den Beteiligten menschliche Würde und innere Befriedigung an der Arbeit verspricht 3 ." „Die moderne Entwicklung des Großunternehmens zeigt i n allen Ländern, daß der Eigentümer, also der Aktionär, auf eine etwas zweitrangige Einflußposition herabgesunken ist 4 ." „Die überkommene, von M a r x geschaffene Frontstellung von Arbeit und K a p i t a l beginnt, i n der modernen Wirtschaftsordnimg ihren Sinn zu verlieren. . . . Kapital und Arbeit erscheinen i n der modernen Unternehmungsordnung als auf gleicher Stufe stehende, aber gleichwertige Faktoren des Unternehmungsprozesses, u m deren Einschaltung sich das moderne Management bemüht. Der Aktionär w i r d über den modernen Manager, der i h m die Gewinne vorenthält, oft mehr zu klagen haben als der Arbeiter, dessen Forderung das Management meistens nachgibt 5 ." Groß stellt als Grundlage dieses Managements den institutionellen Charakter heraus, den das Großunternehmen allmählich gewonnen hat. „Das moderne Großunternehmen verschwindet selten i n Konkursen, es übersteht die Krisen und w i r d zu einer dauernden Einrichtung, zu einer Institution; nicht mehr der M a r k t ist — wie i m 19. Jahrhundert — die Institution, sondern die Unternehmen werden zu Institutionen, auf denen der M a r k t aufbaut." Hauptgedanke der Manager sei, das sie betreffende Unternehmen i m Interesse der Kontinuität zu verwalten. Er handele, ohne zuvor den Eigentümer zu fragen. „Damit ist eine Position geschaffen, die unparteiisch über dem Interesse der beteiligten Faktoren des Unternehmens steht: die übergeordneten Interessen des Unternehmens verbieten einseitige Aktionärspolitik, ähnlich wie einseitige Arbeitspolitik: sie erzwingen die Pflege der Lieferanten wie die Pflege der Arbeitnehmer. Das Management ist dem Unternehmen und nicht einseitig einer seiner Komponenten versdirieben; dies erfordert die Kontinuität des Unternehmens selbst." 3 4 5

Seite 27 f. a.a.O., Seite 26. a.a.O., Seite 27.

Stellung u n d Ideologie der Manager

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W i r sehen, w i e hier die Tendenz besteht, die Märkte den Managern und den Unternehmen unterzuordnen. Vom Gesichtspunkt des Eigentums w i r d die Entwicklung des letzten halben Jahrhunderts deutlich, wenn man an das Reichsgerichtsurteil erinnert, durch das der Zweck der Aktiengesellschaft i m Jahre 1904 noch folgendermaßen definiert wurde: „Die Aktiengesellschaft ist kein selbstnütziges Vermögenssubjekt; ihre Bestimmung ist es, f ü r die Aktionäre zu arbeiten und diesen während des Bestehens i n Form von Gewinnen, nach der A u f lösung durch Verteilung das Vermögen wieder zufließen zu lassen 6 ." Als sich Rechtsanwalt Gustav Stein Anfang 1953 i m Rahmen der Debatte über die Aktienrechtsreform auf diese Definition bezog, wurde ihm von einem führenden deutschen Unternehmer i m Sinne der amerikanischen Manager-Ideologie widersprochen. Das Unternehmen sei heute ein „selbstnütziges Vermögenssubjekt", hineingestellt i n die A u f gabe der Volkswirtschaft. Es habe ein erhebliches Eigengewicht und sei keineswegs etwa n u r dazu da, für die Unternehmer zu arbeiten und für diese Gewinne zu erzielen. Die Faktoren Kapital und Arbeit stellten beide zusammen das Fundament des Unternehmens dar, und der Leiter des Unternehmens müsse eine Synthese dieser Faktoren suchen. A l l e r dings, so w i r d eingeräumt, hätten die Verwaltungen oft den Faktor Kapital vergessen. Der Verfasser habe manchesmal erlebt, „daß Vorstände m i t Rücksicht auf den verständlichen Drang, Investierungen i m Wege der Selbstfinanzierung vorzunehmen, von Dividendenvorschlägen abgesehen haben, obwohl eine Dividende bei wirklichem Verantwortungsbewußtsein gegenüber den Aktionären hätte gezahlt werden können." So sieht man, wie sich die Verhältnisse und Anschauungen geändert haben. M a n kann in gewissem Sinne Herbert Groß zustimmen, wenn er feststellt, „die Marx'sche These der Expropriation der Expropriateure 4 habe, wie man m i t einiger Übertreibimg sagen könne, schon stattgefunden, und zwar ,durch das moderne Unternehmungs-Management, das sich u m den Aktionär über die Zahlung einer gewissen DividendenRente hinaus nicht kümmert'." Die Formulierungen, die zur Begründung des Aktiengesetzes von 1937 gebracht wurden, bestätigen es. So wenn von „Machtkämpfen zwischen der Verwaltung und der Hauptversammlung" gesprochen wird, die sich zum „Nachteil der Gesellschaft" ausgewirkt hätten. Schon vor 1933 fühlten sich die Verwaltungen häufig nicht mehr als Beauftragte der Eigentümer, sondern als gleichberechtigte Partei, die seitdem allerdings den Machtkampf gegen die A k t i o näre eindeutig gewonnen hat, wenigstens soweit diese nur zersplittert auftreten. 6

RGZ Band 59, Seite 425.

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Der Bürger als

Der

Manager

als

i e t e r

Interessent

Diese Ideologie mag geeignet sein, manchen Managern ein neues soziales Ethos z u geben, das ihnen die Kraft verleiht, die Schwierigkeiten des Alltags auf sich zu nehmen und manchen besonderen Versuchungen ihrer Stellung zu widerstehen. I m ganzen genommen aber kann sie nicht helfen, w e i l sie unwahr ist und w e i l sie den Manager überfordert. Der Manager w i r d i n unberechtigter Weise idealisiert, um damit die Macht zu rechtfertigen, die er besitzt. Bleiben w i r auf dem Boden der Wirklichkeit, so müssen w i r davon ausgehen, daß der Manager immer auch selbst Partei ist. Zunächst insofern er an sein Einkommen und die Sicherheit seiner Position denkt. Noch wichtiger aber ist — und das gilt gerade für ehrgeizige und tüchtige Unternehmer —, das Interesse, den eigenen Wirkungs- und Machtbereich zu stärken und zu vergrößern, das i h n oft nicht nur i n einen Interessenkonflikt m i t den Aktionären, sondern auch mit dem allgemeinen wirtschaftlichen Nutzen bringt. Wenn das Unternehmen, nehmen w i r an durch die Tüchtigkeit seines Managers, hohe Gewinne erzielt, so ist sorgfältig abzuwägen, ob diese M i t t e l besser i m Unternehmen behalten oder i m Interesse der gesamten Wirtschaft ausgeschüttet u n d anderweitig verwendet werden. Liegt die Entscheidung praktisch genommen i n der Hand des Managers, so ist, wie i n obenstehendem Zitat treffend zum Ausdruck kommt, die Versuchimg zweifellos groß, den Aktionären bestenfalls soviel zu geben, daß sie mundtot gemacht werden. Der übrige Gewinn w i r d gern benutzt, u m die vorhandenen Betriebe auszubauen, neue Betriebe zu errichten oder fremde Betriebe direkt oder als Beteiligung zu erwerben. Wer die Verhältnisse kennt, wer das natürliche menschliche Streben, das Arbeitsfeld auszubauen, richtig einschätzt, der w i r d einsehen, wie schwer eine solche objektive und neutrale Entscheidung ist. Es ist eine moralische Überforderung zu erwarten, daß die Manager die nicht unbedingt benötigten M i t t e l von sich aus herausgeben, zumal, wenn sie sehen, daß andere Unternehmen ausbauen. Fehlt bei solcher Interessenlage eine geeignete Kontrolle, so liegt ein gesellschaftlicher Konstruktionsfehler vor. Wenn man Macht verleiht, ohne sich entsprechend zu sichern oder dem Machthaber erhebliches eigenes Risiko aufzulasten, so geht dies m i t größter Wahrscheinlichkeit schief. Ausnahmen sind i n der Geschichte der Menschheit selten. Natürlich behaupten alle Machthaber, daß sie nur das allgemeine Interesse i m Auge haben und nicht an sich denken. Selbst wenn sie tatsächlich keine eigenen materiellen Interessen verfolgen, darf man sich nicht täuschen lassen. Auch die politischen Eroberer u n d Diktatoren rüsten angeblich n u r i m Interesse der Sicherheit ihrer Untertanen. Sobald man stark genug ist, geht es u m die Verbreitung irgend welcher Ideale bei

Stellung u n d Ideologie der Manager

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den „rückständigen" Gegnern oder u m den „Lebensraum" oder andere Ideologien. Später stellt sich immer wieder heraus, daß entscheidend doch die Ehre und das Machtstreben des Machthabers waren und nicht die Wohlfahrt der Völker. I m kleinen ist es ähnlich; denn es geht hier u m menschliche Grundtriebe starker Persönlichkeiten, mögen diese selbst m i t ihrem Verhalten oft auch andere, edle Motive verbinden. Der Manager rüstet, indem er Rücklagen — möglichst still — bildet, u m für schlechte Zeiten vorzusorgen. Dann geht er zur Eroberung über, indem er die angesammelten finanziellen M i t t e l für Investitionen ausgibt. Schmalenbach bestätigt, daß die rationalen Überlegungen gegenüber der expansiven Phantasie leicht zurückstehen. Die Bürger aber als Verbraucher, A k t i o näre und Mitarbeiter tragen die Folgen. Treten dann Notzeiten ein und stellt sich heraus, daß die expansive Politik falsch war, so kann man, wie w i r oben dargelegt haben, die Verluste verschleiern. Jetzt werden die stillen Rücklagen eingesetzt, u m das schlechte Ergebnis i m Abschluß zu vertuschen. Die Versuchung ist groß, die Position auf dem Markte, gegenüber Konkurrenten, Mitarbeitern sowie i n der Öffentlichkeit äußerlich aufrechtzuerhalten, während es i m Interesse der Unternehmung und i m allgemeinen Interesse richtiger wäre, die Produktion einzuschränken. Es w i r d die Tatsache vernachlässigt, daß man fremdes Vermögen verschleudert und darüber hinaus die allgemeine Ordnung der Wirtschaft stört, denn man braucht ja darüber keine Rechenschaft abzulegen. I m übrigen gestattet es das System der Rechnungslegung, auch sich selbst so zu täuschen, daß man kein schlechtes Gewissen hat. Diese Darstellung tut den Managern kein Unrecht. Sie entspringt nur der Skepsis, die den Demokraten veranlaßt, die Gewalt der Regierung mißtrauisch zu kontrollieren und einzuschränken, obwohl er weiß, daß ein tüchtiger Regierungschef dadurch i n seinen Leistungen gehemmt werden kann. Angewandt auf das Feld der Aktiengesellschaften bedeutet es, daß über die Geschäftsführung der Manager wahre und ausreichende Rechenschaft gelegt werden muß. Diejenigen, die ein berechtigtes Interesse haben, die Wahrheit über die Geschäftsführung und ihre Erfolge zu erfahren, dürfen nicht durch eine subjektive und parteiische Berichterstattung — vergleichbar der politischen Pressezensur — getäuscht oder i m unklaren gelassen werden. Vor allem aber müssen die Kompetenzen des Vorstandes so festgelegt werden, wie es der gesellschaftlichen Struktur der Wirtschaft entspricht. 2. Kollektivierung des Eigentums an den Unternehmungen Vom Kapitalmarkt zur Selbstfinanzierung Es spricht allerdings manches dafür, die selbständige Stellung des Managers und die Einflußlosigkeit der Aktionäre als berechtigt oder sogar

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zwangsläufig zu betrachten. Recht und Macht der Aktionäre, so könnte man sagen, beruhten darauf, daß sie den Gesellschaften das erforderliche Vermögen zur Verfügung stellten und diese auf die Aktionäre angewiesen waren. Nun ist i m Laufe einer längeren Entwicklung die Aktie als Finanzierungsmittel immer mehr zurückgetreten. Die Gesellschaften mußten und konnten sich die erforderlichen M i t t e l verschaffen, ohne die Aktionäre i n Anspruch zu nehmen. Das mußte sich nicht nur formal, sondern auch moralisch auf das Verhältnis des Vorstandes, der selbst für die Kapitalbeschaffung und -bildung sorgen mußte, und die A k t i o näre, die gewissermaßen nur noch eine traditionelle Position ohne entsprechende Leistung und Bedeutung einnahmen, auswirken. Sehen w i r uns diese Entwicklung jedoch genauer an, so zeigt sich, daß der zwangsläufige Kurs wiederum nur das Ergebnis falscher Weichenstellungen ist. Sie ist ein lehrreiches Beispiel, wie aus frei gesetzten Bedingungen gesellschaftlich zwingende Tendenzen entstehen. Eine wichtige Weiche dieser Entwicklung — rund 50 Jahre vor dem Aktiengesetz — ist die Aktienrechtsnovelle von 1884. M i t dieser w i r d die Rechnungslegung nach den Marktwerten wieder gelockert. Das von uns zitierte U r t e i l von 18977 hat den Vorständen weiteren Spielraum zu einer selbständigen Geschäftspolitik gegeben. Die Entwicklung hat gezeigt, wie lebensfremd das Reichsgericht die gesellschaftlichen Verhältnisse beurteilte, als es meinte, das Interesse der Aktionäre sei dadurch geschützt, daß sie regelmäßig gegenüber der Gesellschaft ein gleiches Interesse an der wahren Bewertung und einer nicht zu niedrigen Dividende hätten. Vor dem ersten Weltkrieg haben die Verwaltungen i n ihrer Bilanzund Gewinnpolitik noch, verhältnismäßig viel Rücksicht auf die A k t i o näre genommen. Sie haben zwar ihre Abschlüsse als „vorsichtige Kaufleute" durch stille Rücklagen manipuliert, überwiegend dabei aber auf den Kapitalmarkt geachtet. Sie fühlten sich von den Aktionären und der Börse abhängig, wenn sie das Unternehmen vergrößern und dazu weiteres Kapital beschaffen wollten. Also mußte der Aktionär „gepflegt" werden, indem man Reserven legte, u m auch i n schlechten Zeiten eine Dividende ausschütten und die Börsenkurse stabil halten zu können. Immerhin wurde auch dabei der Einblick der Aktionäre i n die Tätigkeit des Vorstandes und die Lage der Gesellschaft verringert. Auch kam es schon damals i n den Generalversammlungen zu Auseinandersetzungen über die Rücklagenpolitik. Die Machtverhältnisse änderten sich grundlegend aber erst durch den ersten Weltkrieg. Während der Inflations jähre brauchte man das Geld des Aktionärs nicht. Andererseits war i n dieser Zeit auch die Rechnungslegung ziemlich sinnlos. Nach der Reichsmark-Umstellung fehlte 7

Vergleiche Seite 67.

K o l l e k t i v i e r u n g des Eigentums an den Unternehmungen

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es an eindeutigen Unterlagen, wie man das Anlagevermögen nach objektiven Gesichtspunkten bewerten sollte, so daß die Vermögensbewertung u n d das neue Eigenkapital stark von der Meinung des Vorstandes abhängig waren. I n den folgenden Jahren hatten die Unternehmungen a m Kapitalmarkt wenig Aussicht, die erforderlichen M i t t e l zu erhalten. So war die Versuchimg groß, die Gewinne der Unternehmung s t i l l oder offen rückzulegen und sich selbst zu finanzieren. Da tatsächlich ein großer und dringender Finanzbedarf zur Rationalisierung der Betriebe vorlag, hatten Öffentlichkeit u n d Aktionäre für diese Selbstfinanzierung Verständnis. Die Aktionäre sahen also von den Gewinnen verhältnismäßig wenig — selbst als die Ertragskraft i n den A u f schwungjahren 1927—29 erheblich w a r 8 . Mag es den Beteiligten vielfach nicht bewußt gewesen sein, so war diese Praxis recht bedenklich. Die Gewinne, die der Wirtschaft nicht über einen funktionierenden Kapitalmarkt zuflössen, sondern i n den Unternehmen blieben, haben Fehlinvestitionen und somit die spätere Krise begünstigt. Außerdem t r i t t eine Antinomie hervor, die von da an typisch bleibt: Die Unternehmen sind auf die Selbstfinanzierung angewiesen, w e i l der Kapitalmarkt nicht leistungsfähig genug ist. Der Kapitalmarkt aber ist schwach, w e i l die Gewinne i n den Unternehmen bleiben u n d nicht ausgeschüttet werden. Vom Zivilisten aus gesehen ist es bedenklich, daß dadurch die Position des Managers entscheidend gestärkt, die eigene aber geschwächt wird. Unter der nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik wurde diese Tendenz bewußt gefördert. Die Rüstungskonjunktur brachte den Unternehmen Gewinne, die zweifellos oft größer waren, als nach dem Leistungsprinzip der Marktwirtschaft angemessen gewesen wäre. Es ist verständlich, daß m a n diese Gewinne nicht den Aktionären zum persönlichen Verbrauch oder zur Bereicherimg überlassen wollte. Man sorgte vielmehr dafür, daß sie zur Finanzierung politischer Vorhaben dienten. Da aber die privatrechtlichen Formen der Unternehmen und des Eigentums beibehalten wurden, mußte man die effektiven Rechte der Eigentümer gegenüber ihren Unternehmungen einschränken. Das Eigentum wurde nicht n u r sozial gebunden, sondern ausgehöhlt. I n diesem Sinne begrenzte bereits das Anleihestockgesetz von 1934 die Dividenden auf grundsätzlich 6 % . Die Dividendenabgabe-Verordnung von 1941, die bis nach der Währungsreform i n K r a f t blieb, setzte diese Politik fort. Einen wesentlichen A n t e i l an dieser Entwicklung zur Entrechtung der Eigentümer u n d zur finanziellen Unabhängigkeit der Unternehmungen hat das Steuersystem, das insofern die bisher herrschenden 8

Vergleiche Schmalenbach, „Finanzierungen", Seite 8 f . ; Prion, finanzierung der Unternehmungen", B e r l i n 1931.

„Selbst-

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Der Bürger als

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wirtschaftspolitischen Tendenzen widerspiegelt. Eine Eigenart der sogenannten Doppelbesteuerung ist, daß Einkommensteuer für die A k t i o näre n u r insoweit anfällt, als Gewinne ausgeschüttet werden. Da die Einkommensteuer i m Zuge der Kriegs- und Nachkriegswirtschaft mehrfach heraufgesetzt wurde und schließlich bis zu 95 % des Einkommens wegnahm, waren die Gesellschafter an der Ausschüttung meist nicht interessiert. Sie neigten dazu, auf bessere Verhältnisse und günstigere Steuersätze zu warten. So erhielten die Kapitalgesellschaften, obwohl auch die Körperschaftsteuer stark erhöht wurde, einen Vorsprung der Selbstfinanzierung vor Personengesellschaften, deren Gewinne unmittelbar von der Einkommensteuer erfaßt wird. Zugleich schreckte die hohe Körperschaftsteuer die Gesellschaften wie den Kapitalmarkt ab, neue A k t i e n zu schaffen. Das Ergebnis war, daß die A k t i e ihre A u f gabe als Finanzierungsmittel der Unternehmungen praktisch ganz eingebüßt und bis 1954 noch nicht wieder erlangt hatte 9 . Erst i m Jahre 1955 zeigte sich ein gewisser Umschwung, wofür die Senkung der Körperschaftsteuer auf 45 € /o, für ausgeschüttete Beträge sogar auf 30 % , die Voraussetzung schuf. Obwohl i m Jahr 1955 den Aktiengesellschaften über den Kapitalmarkt etwa soviel M i t t e l zuflössen wie vorher i n 6V2 Jahren, sind diese Beträge i n der Größenordnung von 1 bis IV2 Milliarden D M i m Verhältnis zur Selbstfinanzierung der Unternehmen noch unbedeutend. Nach der Berechnung der Bank Deutscher Länder stellten sich die nicht ausgeschütteten bzw. die nicht entnommenen Gewinne der Unternehmen von 1950 bis 1954 auf 46 Milliarden DM. Das war mehr als das Doppelte der Ersparnisbildung der Haushalte. So blieb i m Wandel der letzten Jahrzehnte, i n Rüstungskonjunktur, Kriegswirtschaft und Wiederaufbau, eines gleich: die Politik der Gewinnspeicherung i n den Unternehmen und der weitgehende Ausschluß der Aktionäre von der Gewinnverwendung. Die Verwaltungen aber, die i m ganzen genommen das Unternehmungsschiff gut durch die Stürme der Zeit gesteuert hatten, bekamen mehr und mehr das Gefühl, daß sie nicht mehr i n einem Auftragsverhältnis zu den Aktionären 9 Vergleiche hierzu auch Günter Schmölders, „Organische Steuerreform", B e r l i n u n d Frankfurt/Main, 1953, Seite 46. Der Bankier K u r t Forberg hat 1953 ausgerechnet, daß durch die Doppelbesteuerung bei einem A k t i o n ä r , der 10 000,— D M Einkommen zu versteuern hat, 82 Vo bezogen auf den Gew i n n der Aktiengesellschaft weggesteuert wurden. Das System der Doppelbesteuerung einerseits, der steuerlichen Kapitalmarktvergünstigungen andererseits, hatte nach Forberg zur Folge, daß die Nettorendite bei der A n lage i n A k t i e n , Industrieobligationen u n d öffentlichen Anleihen sich bei einem Betriebseinkommen v o n 18 000 D M w i e 1 : 3 : 8 verhielt; also f ü r das Risiko der A k t i e n ein Handicap von 1 : 8, f ü r die Fremdfinanzierung der Industrie 1 : 3. (Vergleiche „ W i r fordern . . . M a r k t w i r t s c h a f t " , Bad Nauheim 1953, Seite 72 ff.)

K o l l e k t i v i e r u n g des Eigentums an den Unternehmungen

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stehen, sondern ein autonomes Vermögensobjekt kraft eines gewissermaßen öffentlichen Amtes i n eigener Verantwortung zu leiten haben. Die

finanzielle

Konzentration

Die Manager haben bei Großunternehmen und -konzernen üblicherweise eine besonders starke Stellung. Die Konzentration von Betrieben macht sie i m Verhältnis zum Kapitalmarkt ebenso u m eine Dimension selbständiger, wie w i r es i m Verhältnis zu den Absatzmärkten gezeigt haben. U m so wichtiger ist es, festzuhalten, wie einerseits die Konzentration bisher durch die Wirtschaftspolitik gefördert, andererseits dadurch der Gegensatz zu einer bürgerlichen und sozialen M a r k t w i r t schaft erhöht wurde. Es liegt i n der natürlichen Entwicklung des Wirtschaftslebens, daß immer wieder Betriebe eingehen oder ihre Besitzer wechseln und neue Betriebe entstehen. Normalerweise sollten die Erwerber oder Gründer von Betrieben Bürger sein, die durch Tüchtigkeit, Sparsamkeit und Fleiß, wielleicht auch durch Erbschaft, das erforderliche Vermögen erworben haben und bereit sind, das Risiko der Unternehmen — sei es auch nur als Gesellschafter mit einem angestellten Geschäftsführer— auf sich zu nehmen. I m wachsenden Umfange aber treten als Eigentümer erworbener oder neu errichteter Unternehmen andere Unternehmen hervor, wobei vielfach deren Manager darüber allein entscheiden, ohne daß die Aktionäre gefragt werden. Dies aber ist nur möglich, weil die Unternehmen die erforderlichen M i t t e l durch Selbstfinanzierung besitzen und aus dem gleichen Grunde nicht genug kapitalkräftige Bürger vorhanden sind. Typisch war dies i n den dreißiger Jahren, als infolge der Aufrüstung viele neue Betriebe errichtet wurden und gleichzeitig, i m Zuge der sogenannten Arisierung, zahlreiche Unternehmen ihre Besitzer wechseln mußten. Die Gewinne, die i n der Rüstungskonjunktur entstanden waren und bewußt i n den Unternehmen festgehalten wurden, reizten nunmehr zur Konzentration von Betrieben. Diese Tendenz wurde i n den W i r t schaftszweigen noch verstärkt, die — wie manche Verbrauchsgüter-Industrien — durch Investitionsverböte gehindert waren, ihre bisherigen Betriebe zu erneuern oder auszubauen. Zum Teil wurden vorhandene Unternehmen manchmal sogar gezwungen, sich an Betrieben des „Vierjahresplanes" zu beteiligen. Das Ergebnis dieser Wirtschaftspolitik war, daß das „anonyme" Kapital, das die Nationalsozialisten ursprünglich zugunsten des vollhaftenden privaten Unternehmertums bekämpfen wollten, sich außerordentlich ausbreitete. Das gegenwärtige Steuersystem ist, wie w i r gesehen haben, geeignet, die Konzentration weiterhin zu fördern 1 0 . Die sogenannte Doppel10 Vergleiche 3. Kapitel, 5. Abschnitt.

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besteuerung der Aktiengesellschaft und Gesellschaft m i t beschränkter Haftung schreckt davon ab, die Gewinne der Unternehmungen auszuschütten. Legt man sie an, u m weitere Betriebe zu erwerben oder zu errichten, so entsteht eine steuerlich reizvolle Chance, die Gewinne und Verluste verschiedener Betriebe auszugleichen. Unterstellt, der Betrieb A hat einen Jahresgewinn von 500 000 DM, der Betrieb B einen Verlust von 300 000 DM. Gehören beide der gleichen Aktiengesellschaft, so braucht diese nur 200 000 D M Gewinn zu versteuern. Andernfalls w i r d der Gewinn von A voll erfaßt, während bei B der Verlust erst verrechnet werden kann, sobald die Aktiengesellschaft B wieder selbst Gewinne erzielt. T r i t t dies nicht innerhalb von fünf Jahren ein, so geht die Verrechnungsmöglichkeit des Verlust Vortrages verloren. Weitere Vorteile der Konzentration bestehen bei Konzernen durch das sogenannte Schachtelprivileg. Es befreit Dividendeneinnahmen, die eine Gesellschaft aus der Beteiligung an einer Körperschaft hat, von den Ertragssteuern, sofern die Beteiligung wenigstens 25 % des Kapitals der Tochtergesellschaft beträgt. Während also ein freier Aktionär zeitweise bis zu 95 % seiner Dividenden an die Steuer abführen mußte, konnte die herrschende Konzerngesellschaft den gesamten Betrag f ü r die Finanzierung weiterer Investitionen verwenden 1 1 . Schließlich ist es bei Konzernen möglich und häufig der Fall, daß der gesamte Gewinn einer rechtlich selbständigen Gesellschaft von einer anderen übernommen wird. 11 Wirtschaftspolitisch ist das Schachtelprivileg damit begründet worden, daß andernfalls die betreffenden Unternehmen zu einem Unternehmen f u sionieren würden. Unseres Erachtens w ü r d e die Mehrheitsgruppe der h e r r schenden Unternehmen i m allgemeinen auf die Fusion verzichten, w e n n sie dadurch ihre ausschlaggebende Stellung i n der Hauptversammlung verliert. Beispiel l a u t Skizze: V o r der Fusion besitzt die Majoritätsgruppe m i t 5 1 % A k t i e n k a p i t a l die Herrschaft über das Unternehmen A u n d i n d i r e k t auch über das Unternehmen B. V o m K a p i t a l der fusionierten Gesellschaft i n Höhe von 180 M i l l i o n e n D M hätte sie jedoch n u r 28 °/o. 1. V o r d e r F u s i o n : Freie A k t i o n ä r e Mehrheitsgruppe 49 M i l l . D M 51 M i l l . D M

A-Gesellschaft K a p i t a l 100 M i l l i o n e n D M Freie A k t i o n ä r e 80 M i l l . D M

Schachtelbeteiligung von 100 M i l l . D M B-Gesellschaft K a p i t a l 180 M i l l i o n e n D M

K o l l e k t i v i e r u n g des Eigentums an den Unternehmungen

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Je größer die Finanzierungsmöglichkeiten der i m Unternehmen oder i m Konzern zusammengefaßten Betriebe sind, u m so unabhängiger w i r d deren Verwaltung vom Kapitalmarkt. Dementsprechend werden die Manager auf's äußerste bemüht sein, diese Chancen der Konzentration zu verteidigen. Vor Erlaß des Aktiengesetzes gelang es ihnen, den Aktienrechtsausschuß davon zu überzeugen, daß gerade der Konzerngedanke, richtig durchgeführt, der nationalsozialistischen Wirtschaftsauffassung entspreche: „Es handelt sich hier u m eine Anwendung des Grundsatzes ,Gemeinnutz geht vor Eigennutz' . . , 1 2 . " Heute betont man mehr den Gesichtspunkt des Risikoausgleiches, der die Zusammenfassung von Unternehmen rechtfertige 1 3 . Nun ist es zweifellos richtig, daß es der Vorsicht entspricht, wenn man sein Vermögen möglichst nicht nur i n einem riskanten Betrieb anlegt. Ist es vom Standort der W i r t schaftsordnung aber nicht richtiger, den Risikoausgleich beim Bürger statt beim Unternehmen zu verankern? Das wäre der Fall, wenn die Betriebe als wirtschaftlich selbständige Unternehmen organisiert und die Bürger statt nur am Großunternehmen, direkt an den Teilunternehmen beteiligt wären. Sie hätten dadurch zugleich einen Risikoausgleich gegen unzweckmäßige Entscheidungen der Manager. Sie wären auch besser gesichert, daß die gesamte Geschäftspolitik für jeden BeNoch zu

11

2. N a c h d e r F u s i o n :

frühere freie A k t i o n ä r e der A-Gesellschaft 49 M i l l . D M

frühere freie A k t i o n ä r e der B-Gesellschaft 80 M i l l . D M

\

frühere Mehrheitsgruppe 51 M i l l . D M

i

Vereinigte A-B-Gesellschaft K a p i t a l 130 M i l l i o n e n D M Tatsächlich haben geschickte Konzernfinanciers das System der Schachtelbeteiligungen ausgenutzt, u m sich eine Konzernmacht zu schaffen, die w e i t über i h r eingesetztes K a p i t a l hinausgeht. M a n k a n n den Effekt dieser M e thode noch verstärken, indem m a n die Unterbeteiligung m i t K r e d i t e n finanziert. Es w ü r d e über den Rahmen dieser A r b e i t hinausgehen zu zeigen, welche Folgen diese Konzernmethoden f ü r die S t r u k t u r der deutschen I n dustrie hatten u n d w i e sie sich i n der Weltwirtschaftskrise zu Lasten der Allgemeinheit ausgewirkt haben. W i r sind der Auffassung, daß m a n das Schachtelprivüeg als Widerspruch gegen die Wirtschaftsordnung beseitigen u n d die Möglichkeit der Fusionier u n g von Konzerngesellschaften i n K a u f nehmen sollte. Allerdings w i r d es dadurch noch notwendiger, die Rechnungslegung der Unternehmung betrieblich aufzugliedern u n d die Rechte der Hauptversammlung hinsichtlich der Strukturentscheidungen der Geschäftsführung zu erhöhen. Darüber siehe unten. 12 Bericht des Aktienausschusses f ü r Deutsches Recht, M a i 1935. 13 Vergleiche i m übrigen hierzu 3. Kapitel, 5.

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trieb nicht n u r nach illegitimen Managermotiven, sondern nach den einzig berechtigten, den betrieblichen und marktmäßigen, Gesichtspunkten ausgerichtet wird. Denken w i r i m übrigen auch an den gesellschaftspolitischen Grundsatz, die wirtschaftliche Macht, soweit es nicht der betrieblichen Zweckmäßigkeit widerspricht, zu dezentralisieren und statt dessen möglichst viele selbständige und selbstverantwortliche Existenzen zu schaffen. Das bisherige System begünstigt jedoch eine „Inzucht" des Kapitals, durch die die Besitzverhältnisse erstarren und junge tüchtige Unternehmer schwer emporkommen 1 4 . Vermögen

im

öffentlichen

Besitz

Die Vermögenswerte der Wirtschaft wurden durch diese Entwicklung immer mehr kollektiviert, die Chance für den einzelnen Bürger, zu Eigentum zu kommen, jedoch verringert. I n dieser Hinsicht ist auch zu beachten, daß die öffentliche Hand — Bund, Länder, Kommunen, Sozialversicherungsanstalten und andere öffentliche Institutionen — immer größere Teile des gesellschaftlich genutzten Vermögens erworben haben. Pauschal kann man sagen, daß sich die öffentliche Hand an dem Enteignungs- und Entrechtungsprozeß, den die Bürger während der vergangenen Jahrzehnte über sich ergehen lassen mußten, kräftig beteiligt hat. Das entspricht der marxistischen Ideologie, die gegen das Privateigentum und für die „Vergesellschaftung" oder „Vergemeinschaftung" der Produktionsmittel wirkte. Es kam — wie man heute wohl feststellen kann — aber kaum den Staatsbürgern zugute, die i m allgemeinen weder als Verbraucher, noch als Arbeitnehmer und schon gar n i d i t als Eigentümer etwas davon hatten. Aber auch als Steuerzahler geht für sie die Rechnung negativ auf; denn sie mußten die M i t t e l zum Erwerb u n d Ausbau der Betriebe aufbringen, während die an den Fiskus fließenden Überschüsse der i n öffentlichem Besitz befindlichen Unternehmen i m ganzen unbedeutend waren. Die wirklichen Nutznießer waren höchstens die Manager, die i n diesen Vermögenskomplexen ein reizvolles Betätigungsfeld hatten, wobei nicht bestritten werden soll, daß sie die fachliche Aufgabe oft gut erfüllt haben. Es ist unter diesen Gesichtspunkten nicht uninteressant, die Entwicklung der öffentlichen Unternehmen zu studieren. Die dem Reich gehörenden Unternehmen privatwirtschaftlicher A r t wurden nach dem ersten Weltkrieg überwiegend i n eine Holdinggesellschaft, die 1923 gegründete Vereinigte Industrie-Unternehmungen Aktiengesellschaft, Berlin (genannt Viag), eingebracht, die sie i n handelsrechtlicher Form und nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu verwalten hatte. Dazu 14 Vergleiche Bericht über die Jahrestagung der Wirtschaftsprüfer F A Z v o m 24. 11. 1953.

1953,

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gehörten recht verschiedenartige Betriebe, die noch i m Kaiserreich zu Kriegszwecken gegründet worden waren und i n der Republik nunmehr friedenstüchtig gemacht wurden. Es handelte sich dabei nicht nur u m ehemalige Rüstungswerke, sondern zum Beispiel auch die Reichs-KreditGesellschaft, die sich zum viertgrößten Privatbankgeschäft entwickelte, und die Deutsche Revisions- und Treuhand-Aktiengesellschaft, die größte deutsche Gesellschaft ihrer A r t überhaupt. Außerdem besaß die Viag unter anderem die Elektrowerke, die als das Haupt eines eigenen Konzerns die zweitgrößte Gruppe innerhalb der deutschen Energiewirtschaft darstellten, und bedeutende Unternehmen der A l u m i n i u m industrie. Die Geschäftspolitik all dieser Unternehmen unterschied sich kaum von denen i m Privatbesitz. Die erste Reichsmarkbilanz der Viag von 1924 zeigte ein Eigenkapital von 132 Millionen RM, das sich bis 1939 auf 310 Millionen R M erhöhte, wobei man annehmen darf, daß einschließlich der stillen Rücklagen der Wert noch wesentlich höher war. Von 1923 bis 1939 hat die Viag insgesamt Dividenden an das Reich i n Höhe von 148 Millionen R M ausgeschüttet, andererseits aber i m Wege der Kapitalerhöhung 156 Millionen R M erhalten. Das heißt also, daß die Gewinne vollständig zum Ausbau des reichseigenen Vermögenskomplexes verwandt wurden. Auch das Land Preußen hatte sich i n der 1929 gegründeten Vereinigten Elektrizitäts- und Bergwerks-Aktiengesellschaft (genannt Veba) eine Dachgesellschaft geschaffen, die seine bedeutenden Beteiligungen i n der Elektrizitätswirtschaft (Preußenelektra und Preußag) sowie i m Bergbau (Bergwerksgesellschaft Hibernia und Bergwerks-A.G. Recklinghausen) konzernmäßig zusammenfaßte, u m sie bei der Finanzierung zu unterstützen. Schließlich brachte die Rüstungswirtschaft i n den dreißiger Jahren einen ähnlichen Anstoß zur öffentlichen Betätigung i n der W i r t schaft, wofür vor allem der Konzern der Reichswerke „Hermann Goring" und die Volkswagenwerke bezeichnend waren. Nach dem zweiten Weltkrieg erlebten w i r , daß die wehrwirtschaftlichen Unternehmen des Dritten Reiches von der zweiten Republik nicht abgestoßen, sondern umgestellt und behalten wurden. Neben den drei großen Konzernen der Viag, der Veba und der A.G. für Berg- und Hüttenbetriebe (früher Reichswerke) entstand vielmehr ein vierter, der der Industrieverwertungsgesellschaft m.b.H. (IVG), i n dem vor allem Vermögenswerte aus der Rüstungswirtschaft zusammengefaßt sind. Die vom Reich und vom früheren Lande Preußen auf den Bund übergegangenen Unternehmen umfaßten, soweit sie als Aktiengesellschaft betrieben wurden, 1953 etwa ein Sechstel des Grundkapitals aller deutschen Aktiengesellschaften. Sie produzierten unter anderem Steinkohle, Aluminium, Eisen-, Kupfer-, Zink- und Bleierze, Erdöl, Strom,

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Der Bürger als

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Schiffe, Kraftwagen» Dampfkessel, Dieselmotore, Gewebe und chemische Erzeugnisse; sie betrieben außerdem — abgesehen von der Bundesbahn — Eisenbahnen, Binnenschiffe, Banken, Wohnungs- und Siedlungsunternehmen. Dazu kamen die umfangreichen sonstigen öffentlichen Unternehmen, durch die der Anteil der öffentlichen Hand am Grundkapital der deutschen Aktiengesellschaften auf rund ein Drittel stieg. Insgesamt betrug der A n t e i l der öffentlichen Unternehmen an der Erzeugung von Steinkohlen 20 °/o, von Braunkohlen 75 % , von Elektrizität 60 °/o, von A l u m i n i u m 70 % . Nach Muthesius entfiel 60 % der Bilanzsumme aller Banken auf öffentlich rechtliche Banken 1 6 . Auch wenn man anerkennt, daß die öffentliche Betätigung manchmal i m allgemeinen Interesse und i m staatlichen Aufgabenbereich lag, ist die geschilderte Entwicklung vom Standort einer dem Bürger dienenden Wirtschaft falsch. Sie w a r ein wesentlicher Bestandteil der Grundtendenz, nach der 'die wirtschaftliche Stellung der Zivilisten laufend geschwächt, der Apparat und die Manager aber gestärkt wurden. Vermögenswerte, die die öffentliche Hand ansammelt, werden den Bürgern entzogen, zum großen Teil durch überhohe Steuern, die die private Kapitalkraft mindern. Insofern klingt das Argument, die Veräußerung der öffentlichen Vermögen scheitere daran, daß der Kapitalmarkt sie nicht aufnehmen könne, w i e Hohn. I m übrigen traf es zumindest seit 1954 nicht mehr zu, da der Kapitalmarkt einen Mangel an Aktien aufwies. I n diesem Zusammenhange sei daran erinnert, daß die öffentliche Hand auch i n den Jahren nach 1948 durch Steuereingänge i n den Stand gesetzt wurde, i h r Vermögen zu Lasten der Privatpersonen i m verhältnismäßig zu erhöhen. Sieht man von den vielfach sehr dringenden Sachinvestitionen ab, so bleibt für die Jahre 1950 bis 1954 eine Erhöhung des Geldvermögens (abzüglich Kreditaufnahmen) von netto 25 Milliarden D M ; demgegenüber betrug i n der gleichen Zeit die gesamte Ersparnisbildung der privaten Haushalte 23 Milliarden D M und der Unternehmen 46 Milliarden D M 1 7 . Dieser Vermögenszuwachs setzt sich zusammen aus Darlehen zur Finanzierung des Wohnungsbaues, Krediten an private, nicht n u r Flüchtlingsbetriebe u n d Kassenüberschüssen, die bei den Banken oder i n Wertpapieren angelegt werden. I n ihnen sind auch neue Rücklagen der Sozialversicherungen enthalten. W i l l man das B i l d dieser Entwicklung noch vervollständigen, so ist an die Kapitalbildung der Gewerkschaften und ihrer Banken und mancher anderer Institutionen zu denken, die unter dem Gesichtspunkt der privaten Eigentumsbildung als kollektivistisch bezeichnet werden muß. 16 17

Siehe F A Z v o m 22. 6. 1953, Seite 7. Monatsbericht der B a n k Deutscher Länder, September 1955, Seite 41.

Neue Eigentumspolitik

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Mag auch die Entwicklung i n den Jahren nach der Währungsreform vielfach noch zwangsläufig aus den Kriegsfolgen entstanden sein, so ist doch festzustellen, daß sie unserem B i l d einer zukünftigen gesunden Gesellschaft kaum entspricht. Die Mittel, die der Staat zur Finanzierung wichtiger Vorhaben einsetzt, müssen ja vorher den Staatsbürgern abgenommen werden. Wenn die private Finanzkraft deshalb nicht ausreicht, u m die jeweiligen Aufgaben zu leisten, so ist dies wesentlich Folge der staatlichen Politik. Erfreulicherweise ist seit 1953 i n der Öffentlichkeit und i m Parlament eine stärkere Gegentendenz gegen die Beteiligung der öffentlichen Hand an privatwirtschaftlichen Unternehmen sichtbar geworden. Der Bundeskanzler setzte sich 1954 dafür ein, daßi die dem Bunde gehörenden Unternehmungen möglichst abgebaut u n d privatisiert werden. Auch die sozialdemokratische hessische Regierung hat die Sozialisierungspolitik, die die Sozialdemokratische Partei kurz nach dem Kriege m i t Unterstützung weiter Kreise der Christlich-Demokratischen Union gefordert hatte, eingestellt. Andererseits zeigen sich selbstverständlich starke Gegenkräfte bei den Behörden, die bisher die A u f sicht über die öffentlichen Unternehmen ausüben konnten. Hoffentlich w i r d die Privatisierung nicht so betrieben, daß dadurch Konzerne i n den Besitz der bisher öffentlichen Unternehmungen kommen, statt daß man über den Kapitalmarkt f ü r eine breitere Streuung der A k t i e n sorgt. 3. Neue Eigentumspolitik Im

Dienste

der

Gesellschaft

Für den Aufbau einer neuen bürgerlichen Gesellschaft ist es eine der dringendsten Aufgaben, ein neues Verhältnis zum Eigentum zu finden. Uns scheint, daß i n der gegenwärtigen Wirtschaft das Eigent u m der Betriebe zu sehr i n der Verfügungsmacht der Repräsentanten des Apparates liegt. I m Gegensatz zu den geschilderten, heute herrschenden Ideologien halten w i r es für bedenklich, die Manager zu Schiedsrichtern über die verschiedenen Interessen einzusetzen, die die Bürger als Verbraucher, Arbeitnehmer u n d Eigentümer gegenüber den Betrieben haben. I n Wirklichkeit bedeutet es, daß die Zivilisten einen wesentlichen Teil ihrer Herrschaft über die Wirtschaft an Personen abgeben, die zum großen T e i l i n einer einseitigen, ganz unbürgerlichen Interessenlage sind. Wenn w i r auch der Meinung sind, daß die bisherige Eigentumsverteilung ungesund ist, so glauben w i r den Managern doch nicht, daß sie die Betriebe sozial verwalten, nur w e i l sie nicht deren Eigentümer sind. Demgegenüber sollten w i r dafür sorgen, daß die Zivilisten i m ganzen und i m einzelnen selbst die Eigentumsrechte über dass Vermögen der Betriebe ausüben. Sie sollten dieses Vermögen nicht nur irgendwie formal besitzen, sondern die letzte Entscheidung über 11 Kahl, Macht und Markt

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seine Verwendung und den Nutzen daraus haben. Hier ist eine der drei Seiten, von denen aus sie die Wirtschaft i n die Hand nehmen müssen. Ebenso wie sie als Mitarbeiter ihre „Mitbestimmung" über die Betriebe nicht nur auf Funktionäre delegieren, sondern soweit irgend möglich selbst ausüben sollten — w i r gehen später darauf ein —, muß bei ihnen der Schwerpunkt der Mitbestimmung über das Eigentum liegen. Ist dies durch eine soziologisch zweckmäßigere Gestaltung gesichert, dann erst werden Manager und Funktionäre ihre weiterhin wichtige, ja unersetzliche Tätigkeit zuverlässig genug i m allgemeinen Interesse ausüben. Da w i r den Schwerpunkt unseres Daseins nicht i n der Wirtschaft, sondern i n der Privatsphäre haben, ist für die meisten von uns das Eigenheim wichtiger als ein Aktienbesitz. Aber es sollte normalerweise nicht beim Eigentum der Privatsphäre bleiben. Ebenso wie es normal ist, daß der Bürger einen großen Teil seiner Arbeit dem M a r k t zur Verfügung stellt, u m dadurch die wirtschaftliche Basis seines Daseins zu verbreitern, müßte es m i t seinem Eigentum sein. Die Wirtschaft sollte wenigstens ebenso viele „Miteigentümer" wie Mitarbeiter haben, ja eigentlich erheblich mehr, da es anzustreben ist, daß die nicht arbeitsfähigen Alten, Invaliden, Witwen und Waisen von den Erträgnissen oder notfalls der Substanz ihres Eigentums leben können 1 8 . Aus dieser Sicht des Eigentums ergeben sich i m Sinne einer Reform der heutigen Verhältnisse zwei Teilaufgaben, die allerdings vielfach zusammenhängen, 1. die Wiederherstellung der Eigentumsrechte und 2. die breite Streuimg des Eigentums auf die Bürger. W i r geben hierzu zunächst einen Überblick, der i n den nächsten beiden Abschnitten unter einigen besonders wichtigen Gesichtspunkten ergänzt wird. U m s t e l l u n g des Steuersystems W i r haben bereits darauf hingewiesen, daß es bei der Eigentumsreform nicht nur, nicht einmal i n erster Linie u m die gegenwärtigen Eigentümer geht, sondern u m die gesamte Verfassung unserer Gesellschaft und Wirtschaft. Der Wirtschaftsapparat kann nur zweckmäßig i n unserem Sinne arbeiten, wenn die Betriebe ebenso vom Kapitalmarkt wie vom Absatz- und vom Arbeitsmarkt abhängig sind. N u r dadurch sichern w i r , daß der Apparat der Wirtschaft nicht autonom arbeitet und daher immer wieder i n Krisen fällt, sondern den Wünschen und Interessen der Bürger folgt. Dadurch soll andererseits aber auch erreicht werden, daß das Eigentum den Bürgern eine Rendite bringt, die sie reizt, zu sparen und ihre Ersparnisse der Wirtschaft zur Ver18 Dabei stellen w i r zunächst die Frage zurück, welche rechtliche u n d w i r t schaftliche F o r m das M i t e i g e n t u m hat, ob Guthaben bei Banken u n d Sparkassen, Versicherungsansprüche, Darlehen an Private oder Unternehmen, Gesellschaftsrechte als A k t i o n ä r oder i n anderer Form, Miethäuser usw.

Neue Eigentumspolitik

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fügung zu stellen. Das Kapital würde eine höhere Wirtschaftlichkeit gewinnen, wenn es unter der wirksamen Kontrolle des Kapitalmarktes stünde, statt — wie bisher — i m Dunkel der willkürlichen Rechnungslegung und Selbstfinanzierung eingesetzt zu werden. Es ist daher zu vermuten, daß dementsprechend die Rendite gegenüber heute erheblich gesteigert werden könnte. Die Aufgabe ist zunächst, die großen Vermögenswerte der W i r t schaftsbetriebe in die Kontrolle privater Eigentümer zu bringen. Das gilt nicht n u r f ü r die großen Werte, die gegenwärtig i m öffentlichen Eigentum stehen, sondern auch für diejenigen, die nur dem Namen nach Privateigentum sind, während sie i n Wirklichkeit weder der Herrschaft der Eigentümer unterliegen noch ihre Funktion für diese erfüllen. Hierfür genügt es nicht, das Gesellschaftsrecht umzustellen — darauf gehen w i r später ein —, es muß vor allem auch die fiskalische Begünstigung der Managerherrschaft beseitigt werden. Unser Steuersystem muß so gestaltet werden, daß es auf den Bürger als Herrn der Wirtschaft und dementsprechend auf den M a r k t als Instrument seiner Herrschaft abgestellt ist, statt daß es die Macht der Manager und dementsprechend die institutionelle und funktionelle Autonomie der Unternehmen fördert. Diese Umstellung hat direkt nichts m i t der Höhe der Steuerlast zu tun. Die Motive unserer Vorschläge dürfen daher nicht mit dem verständlichen und oft berechtigten Streben der Steuerzahler, Steuern zu sparen, verwechselt werden. Eine wesentliche Aufgabe einer solchen Steuerreform ist, die Hürde der Doppelbesteuerung zu beseitigen, die immer noch zwischen den Gesellschaftern und den sogenannten Kapitalgesellschaften steht. Die Doppelbesteuerung hemmt die freie Entscheidung des Aktionärs, so daß auf Grund steuerlicher Motive und nicht nach persönlichen Bedürfnissen und nach der Marktlage entschieden wird. Sie begünstigt die Ausschaltung des Kapitalmarktes und die Konzentration und prämiert so — wenn auch nicht als einzige Steuer — den Verstoß gegen die Wirtschaftsordnung. Sie hat i n der Vergangenheit wesentlich dazu beigetragen, das System der Marktwirtschaft zu zersetzen. Zukünftig wäre dafür zu sorgen, daß die Besteuerung der Unternehmungsgewinne keinen Anreiz bietet, die Gewinne i m Unternehmen selbst zu lassen 19 . 19 Möglicherweise w i r d m a n einwenden, dadurch entstehe die Gefahr, daß die A k t i o n ä r e die ausgeschütteten Gewinne zu weitgehend verbrauchen u n d die Finanzierung der Investitionen leidet. Darauf ist zunächst zu erwidern, daß die schematische Begünstigung von Investitionen zu Fehlinvestitionen u n d Konjunkturgefahren führt. Besonders gefährlich aber ist es, w e n n die Unternehmungsgewinne i m Unternehmen selbst festgehalten werden u n d nicht über den K a p i t a l m a r k t der rentabelsten Verwendung zugeführt w e r den. Gerade i n Zeiten der Kapitalknappheit u n d hohen Investitionsbedarfs dürften w i r uns keine Fehlleitungen v o n K a p i t a l gestatten. I m übrigen aber können w i r aus den früher dargestellten Gründen den Investitionen keinen grundsätzlichen Vorrang vor d e m Verbrauch zuerkennen.

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Außerdem dürfte es sich empfehlen, die Steuer für Einzelunternehmen, Personengesellschaften u n d Körperschaften so zu gestalten, daß sie nicht die Rechtsformen der Unternehmen beeinflußt. Es gibt mehrere Wege, dieses Ziel zu erreichen. Nahe liegt vor allem, die Gewinne der Unternehmen, gleich welcher Rechtsform, durch eine einheitliche Betriebssteuer zu erfassen und zu belasten 20 . Soweit diese Steuer prozentual über dem Einkommensteuergesetz der Gesellschafter liegt, könnte diesen ein Anspruch auf Rückvergütung eingeräumt werden. M i t einer solchen Regelung würde zugleich, der Sondervorteil entf allen, den bisher die Konzerne durch das Schachtelprivileg hatten. Es wäre aber i m Hinblick darauf, daß die Konzernverschachtelung unerwünscht ist, zu überlegen, ob man die Gewinne aus wesentlichen Beteiligungen nicht sogar stärker steuerlich erfaßt, indem sie bei der Konzerngesellschaft noch einmal als Gewinn besteuert werden. Dabei haben w i r keine Bedenken gegen die Konsequenz, daß sich möglicherweise ein Teil der Konzerngesellschaften fusioniert. A u f jeden Fall bestimmen dann die Aktionäre der fusionierten Gesellschaft direkt über die Gesellschaft, während bisher Manager der herrschenden Gesellschaft, ohne selbst Aktionär zu sein, das Stimmrecht wahrnehmen. Aus der gleichen Auffassung heraus liegt es nahe, die Gesellschaftssteuer, die bei Kapitalerhöhungen von Körperschaften erhoben wird, auch auf Gewinne anzuwenden, die von den Gesellschaftern nicht entnommen werden, sondern zur Selbstfinanzierung i n den Unternehmen verbleiben. Die vorgeschlagene Umstellung des Steuerrechts enthält allerdings auch moralische Probleme, denen w i r nicht ausweichen wollen. Gibt man den Aktionären die Gewinne steuerlich frei, die i m Laufe der letzten Jahrzehnte angefallen sind und angesammelt wurden, so erhalten sie einen beträchtlichen Vermögenszuwachs, der sich auch i n den Börsenkursen der A k t i e n auswirken würde. Das ist, wie w i r dargelegt haben, insofern nicht befriedigend, als tatsächlich oft Gewinne entstanden sind, die über das berechtigte Leistungsentgelt für das Kapital hinausgingen. Sie sind n u r dadurch zu erklären, daß das Marktprinzip nicht oder sehr unzulänglich funktionierte. Man w i r d daher prüfen 20 Wenn die Doppelbesteuerung beseitigt w i r d , so k a n n der Fiskus leichter die Einkommensteuer auf die ausgeschütteten Gewinne als die Ertragssteuer auf die gesamten Betriebsgewinne verschmerzen. Dementsprechend w i r d es leichter sein, die Körperschaftsteuer i n eine Betriebssteuer, die T e i l der Einkommensteuer ist, umzuwandeln als ganz auf die Besteuerung nicht ausgeschütteter Betriebsgewinne zu verzichten, eine Lösung, die unser Problem. ohnehin n i c h t beseitigen würde. Vergleiche zu d e m Problem der Betriebssteuer auch Günter Schmölders „Organische Steuerreform", B e r l i n u n d F r a n k f u r t / M a i n 1953, Seite 121 ff.; ferner zur Doppelbesteuerung K a r l Merck, „ D e r V o l k s w i r t " , Beilage zu N r . 18 v o m 1. 5. 1954, Seite 17 ff.

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müssen, ob man auf diese Umstellungsgewinne nicht eine einmalige Abgeltung legt, ähnlich wie es für Kapitalberichtigungen nach der D i v i d endenabgab ever Ordnung von 1941 schon einmal war. I m Zusammenhang der Eigentumsreform wäre auch die Erbschaftssteuer für Großvermögen zu überprüf en. Wer den Sinn des Eigentums, gerade auch für die Familie, würdigt, w i r d grundsätzlich das Erbrecht als wesentlichen Bestandteil unserer Rechtsordnimg bejahen. Er w i r d besorgt sein, daß die Bildung und Erhaltung von Eigentum nicht durch Erbschaftssteuern übermäßig erschwert wird. Dieser Gesichtspunkt t r i f f t jedoch kaum f ü r Groß vermögen zu, die nicht n u r über den persönlichen Bedarf, die Sicherung der Familie und die persönliche Gestaltungskraft der Erben hinausgehen, sondern auch die gesunde Eigentumsverteilung hemmen. Es ist zwar bedenklich, Großvermögen schematisch zu enteignen. Wenn jedoch der dringende fiskalische Bedarf so hoch w i e zur Zeit ist, dürfte es richtiger sein, die Großvermögen i m Wege der Erbschaftssteuer stärker heranzuziehen, als die laufenden Einkommen m i t über 50 °/o wegzusteuern. F ü r Kinder ist der Höchstsatz der Erbschaftssteuer für Erwerbe ab 10 Millionen D M seit 1955 nur noch 14 % . Unseres Erachtens w i r d damit die Erhaltung von Großvermögen i m Verhältnis zur Schwierigkeit, neues Vermögen zu bilden, allzusehr begünstigt. N u n w i r d oft gesagt, es bestehe ein allgemeines Interesse, gewisse Vermögen i m Familienbesitz zu erhalten. Soweit man dabei an Kunstund K u l t u r w e r t e denkt, die nicht ertragreich genug sind, u m daraus hohe Erbschaftssteuern zu zahlen, mag es gerechtfertigt sein, Ausnahmen zu machen. Dagegen halten w i r es für sehr zweifelhaft, ob die Erhaltung von Großunternehmen i m Familienbesitz so schutzwürdig ist wie die Neubildung von Vermögen. Vor allem, wenn man berücksichtigt, daß i n solchen Fällen eine fehlende Unternehmerqualität der Erben auch f ü r die Allgemeinheit Schaden verursachen kann. Streuung

des

Eigentums

Das Anliegen, das uns i m Rahmen der Eigentumsreform am meisten am Herzen liegt, ist, eine möglichst große Zahl von Mitbürgern zu Miteigentümern am Vermögen der Wirtschaft zu machen. Es ist eine dringende gesellschaftspolitische Aufgabe, den traditionellen Gegensatz zwischen Arbeit und K a p i t a l zu überwinden, indem die Arbeiter gleichzeitig „Kapitalisten" sind. Es ist nicht n u r wichtig, u m bei ihnen das Verständnis für den Sinn des Eigentums i m Wirtschaftsprozeß zu fördern, sondern auch u m die Macht, die m i t dem Eigentum verbunden ist, aufzulockern. Dann werden die Arbeiterbürger nicht n u r als Verbraucher u n d als Mitarbeiter, sondern auch als Eigentümer über die Unternehmen mitbestimmen. Ohne das Miteigentum am Sozialvermö-

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gen ist ihre Stellung i n der Gesellschaft nicht fundiert genug. Damit hängen zahlreiche Probleme der Entmassung, der Überwindung des Versorgungsstaates, der persönlichen Lebensverantwortung, der w i r t schaftlichen Gesundung der Familie untrennbar zusammen. Die Ziele, die w i r m i t unserer Teilnahme am wirtschaftlichen Leben verfolgen, u m uns die persönliche Freiheit und die sachlichen M i t t e l für ein vollwertiges kulturelles und gesellschaftliches Dasein zu verschaffen, lassen sich i m ganzen genommen n u r erreichen, wenn w i r neben unserer Arbeitsleistung auch Vermögen einsetzen und daraus Einkommen beziehen. Die Aufgabe, das Eigentum an den Unternehmen einer breiten Schicht von Mitbürgern zuzuführen, darf jedoch nicht m i t Methoden angestrebt werden, die der Achtung vor fremdem Eigentum und der Verpflichtung gegenüber dem eigenen schaden würden. Die Eigentumsverhältnisse sind vor allem nicht dadurch zu reformieren, daß man das Eigentum umverteilt, ähnlich wie hohe Einkommen durch die Steuer erfaßt und anderen Volksschichten zugeteilt werden. Aus gutem Grund zieht die Sozialenzyklika Papst Pius X I . aus ihrer scharfen K r i t i k der sozialen Verhältnisse den Schluß, daß wenigstens i n Zukunft die neugeschaffene Güterfülle nur i n einem billigen Verhältnis bei den Besitzenden sich anhäufen, dagegen i n einem breiten Strom der Lohnarbeiterschaft zufließen solle. Sie sagt dagegen nichts von einer Enteignung der Besitzenden. Es ist ein wesentlicher Unterschied, ob man sozial Hilfsbedürftige unterstützt, damit sie daraus ihren laufenden Existenzbedarf bestreiten, oder ob man darüber hinaus Vermögen verschenkt. Eigentum muß verdient werden, soweit es nicht rein privat und freiwillig durch Schenkung oder Erbschaft weitergegeben wird. Das gilt besonders für eine neue Wirtschaftsordnimg, i n der gesichert ist, daß zukünftig das Einkommen aus Arbeit und Vermögen der marktgerecht bewerteten w i r t schaftlichen Leistung entspficht. Aus der gleichen Grundeinstellung halten w i r es für bedenklich, den Arbeitern durch gesetzlichen Zwang ein Miteigentum an den Unternehmen, i n denen sie tätig sind, zu verschaffen. Dieser Weg paßt nicht i n unser Wirtschaftssystem, so daß er n u r ausnahmsweise nach den speziellen Verhältnissen gerechtfertigt sein kann, w i r aber nicht darauf die Wirtschaftsordnung aufbauen können. Soweit nämlich 'die M i t arbeiter Anteile am Unternehmen als Entgelt für ihre Arbeitsleistung erhalten sollen, hätten diese Anteile Lohncharakter. Dann erscheint es jedoch unangebracht, dieses Einkommen den Märkten, auch den Kapitalmärkten, zu entziehen, da möglicherweise die M i t t e l richtiger an anderer Stelle angelegt würden. Es ist außerdem f ü r den M i t arbeiter gefährlich; denn bei schlechter Geschäftslage des Unterneh-

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mens sind zugleich der Arbeitsplatz und das Eigentum gefährdet. Ist die Beteiligung des Mitarbeiters jedoch nicht Lohn, so erscheint es ungerecht, den Eigentümern einen Teil ihres Kapitaleinkommens zu entziehen. Dies vor allem, wenn man dafür sorgt, daß infolge marktgerechter Preise zukünftig keine unberechtigten Gewinne entstehen und daß eine große Zahl von Mitbürgern durch eine andere, konstruktivere Eigentumspolitik Gesellschafter der Unternehmen wird. A u f keinen Fall darf man für marktwidrige Gewinne dadurch eine moralische Entlastung zu schaffen suchen, daß die Mitarbeiter daran beteiligt werden. Von den Sozialausschüssen der CDU und anderen Vertretern der christlichen Sozialpolitik ist vorgeschlagen worden, man solle es den Unternehmern durch entsprechende gesetzliche Bestimmungen erleichtern, ihre Mitarbeiter freiwillig am Vermögenszuwachs zu beteiligen. W i r halten auch dies für bedenklich, w e i l 1. dadurch der Kapitalmarkt weiterhin mißachtet wird, 2. bestimmte Unternehmungsformen einseitig begünstigt werden, 3. gerade die kleineren Unternehmungen i m Ergebnis benachteiligt sind und 4. Spannungen zwischen den Arbeitnehmern verschieden begünstigter Betriebe entstehen würden. W i r halten es durchaus für angemessen, daß die Allgemeinheit, z. B. auch durch Steuerbegünstigungen, die Vermögensbildung der bisher Eigentumslosen fördert, doch muß dies i m Einklang m i t unserer gesamten Wirtschaftsordnung geschehen. W i r haben manchmal den Eindruck, daß die Freunde und Vertreter der Arbeitnehmer solche Wege aus einer A r t Skepsis vorschlagen. Aus der Skepsis nämlich, wie weit die Arbeitnehmer den Willen und die Kraft haben werden, durch freiwilliges Sparen zu Eigentum zu kommen. Es ist erforderlich, dieses Problem offen zu behandeln und nicht auf falschen Voraussetzungen aufzubauen. Die Skeptiker stellen also fest, daß ein großer Teil der Arbeitnehmer einseitig konsumorientiert ist. Auch soweit ihr Arbeitsverdienst das Existenzminimum — w i r meinen hier ein vernünftiges kulturelles Existenzminimum — übersteigt, zeigen sie wenig Neigimg zum Sparen, sondern ziehen das Motorrad, den Fernsehapparat oder andere nicht notwendige Anschaffungen vor. Selbstverständlich wissen w i r , daß viele Arbeitnehmer, vor allem Familienväter, auch heute nicht genug verdienen, u m für Luxus oder Sparen etwas zu erübrigen. Aber es ist kein Zweifel, daß es zahlreiche andere gibt, die durchaus nennenswerte Beträge sparen könnten. Man darf unseres Erachtens aber nicht den Schluß aus solchen Beobachtungen ziehen, daß die Arbeitnehmer f ü r die Eigentumsbildung nicht zu gewinnen sind. Vielmehr liegt die Ursache weitgehend an den bisherigen gesellschaftlichen Verhältnissen. I n dieser Hinsicht ist die Auffassung verderblich, daß der Staat für die Notlagen des Daseins

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eintreten muß, so daß eine vollverantwortliche persönliche Vorsorge nicht nötig ist. Es ist eine Folge unseres .Sozialversicherungssystems, das den einzelnen von der Sorge vor Krankheit, Arbeitslosigkeit, I n validität und A l t e r entlastet. Selbst wo die Versicherungsleistungen kaum das Existenzminimum gestatten, verführen sie den Arbeitnehmer leicht, wenn die Versuchung zum Geldausgeben an i h n herantritt, der inneren Verantwortung gegenüber der Zukunft auszuweichen. Dazu kommt als zweite Entschuldigung, daß die Ersparnisse i m Laufe unserer Generation zweimal verlorengegangen sind, während die Sozialversicherungsansprüche blieben. Hier liegen Fehlentwicklungen der sozialen Sicherheit vor, über die w i r noch einiges zu sagen haben. So hat man die Arbeiter jahrzehntelang daran gewöhnt, daß andere für sie sorgen, ja daß sie ein politisches Recht darauf haben. Ideologisch wurde dies von den Sozialisten unterstützt, die leider dem Eigentumsgedanken bisher wenig Verständnis entgegenbrachten und einseitig den Konsum und die staatliche Vorsorge hervorhoben. Nüchternerweise ist zu bedenken, daß man bisher ziemlich einseitig der entwickelten und wirkungsvollen Absatzwerbung der Unternehmen ausgesetzt ist. Die Versuchung, das Einkommen mehr als vernünftig für Verbrauchsgüter auszugeben, ist groß. Die Wirkung dieser Werbung w i r d verstärkt durch gesellschaftliche Motive der Nachahmung und Geltung. Sie veranlassen etwa die Frau, nicht notwendige Kleidung aus modischen Gründen oder den jungen M a n n ein Motorrad i m Hinblick auf die Kollegen anzuschaffen. Für die Vermögenswerbung fehlt es bisher an einem einigermaßen gleichwertigen Gegengewicht. Ausnahmen gibt es bei den Bausparkassen und Lebensversicherungen. Beide können vom Gegenstand her starke Motive wecken, die es erleichtern, der Versuchung zum Konsum zu widerstehen. Die Bausparkassen zeigen zum Beispiel das B i l d der glücklichen Familie i m Eigenheim; sie regen die Phantasie des Betrachters an und erwecken den Wunsch, selbst für ein Eigenheim zu sparen. Die Lebensversicherungen appellieren an das Verantwortungsgefühl der Familienväter. Beide Sparformen werden auch durch steuerliche Vergünstigungen unterstützt. I m ganzen genommen aber fehlt doch eine A r t Gleichgewicht der Verbrauchs- und der Sparwerbung, das dem Durchschnittsbürger helfen würde, beide Gesichtspunkte seiner Einkommensverwendung i n Einklang zu bringen. Der Grund f ü r diesen Mangel ist, daß die Unternehmen bisher zu einseitig auf den Absatz ihrer Erzeugnisse angewiesen waren, es aber nicht nötig hatten, so wie es dem Sinne der Marktwirtschaft entspricht, bei den Bürgern auch f ü r das erforderliche Kapital zu werben 2 1 . W i r d jedoch zukünftig der 21 Das entsprechende gilt f ü r die Werbung von Mitarbeitern. Vergleiche dazu die späteren Betrachtungen.

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Schwerpunkt der Betriebsfinanzierung auf den Kapitalmarkt verlegt, so ergibt sich für Unternehmer wie Zivilisten eine neue Konstellation, wobei den Unternehmern gar nichts übrig bleiben würde, als f ü r und u m private Ersparnisse zu werben. Gelingt es i m Zuge einer solchen Umstellung, das Eigentum für Arbeiterbürger standesgemäß zu machen, so daß also ein gewisses Eigentum zum sozialen Ansehen gehört, so w i r d es dem einzelnen leichter sein, sich dem einseitigen Konsumdenken zu entziehen, als es heute bei entgegengesetzter Denkart der Fall ist. I m ganzen genommen, darf man daher die mangelnde Eigentumsorientierung nicht dem einzelnen vorwerfen, sondern muß die gesellschaftlichen Verhältnisse beobachten u n d zu ändern suchen. Erstaunlich und erfreulich ist, daß trotzdem das Sparen i n Westdeutschland seit 1948 einen solchen Aufschwung genommen hat. Die Sparguthaben betrugen Ende 1955 wieder über 20 Milliarden DM. A l l e i n i n 1955 stiegen die Spareinlagen um rund 5 Milliarden. Dieses Ergebnis liegt, selbst unter Ausschaltung des veränderten Geldwertes, über dem der Jahre 1926—1928, der besten Sparjahre v o r dem zweiten Weltkrieg. Die Lebensversicherungen berichten, daß die Versicherungssumme Ende 1954 auf 27,5 Milliarden D M gestiegen war, an Prämien wurden i m gleichen Jahre 1,4 Milliarden D M vereinnahmt. Damit ist auch hier der Stand, sowohl der Zahl der Verträge wie der durchschnittlichen Vertragshöhe nach, günstiger als vor dem zweiten Weltkriege. Schließlich haben auch die Balisparkassen m i t Spareinlagen von 2,5 Milliarden D M f ü r M i t t e 1955 alle Vorkriegszahlen bei weitem übertroffen. A l l e i n i m Jahre 1954 wurden 341 000 Verträge m i t einer Bausparsumme von r u n d 4,5 M i l liarden D M abgeschlossen. Insgesamt ist also mancher Grund zum Optimismus vorhanden. W i r sollten daher nicht die Hände i n den Schoß legen oder i n das übliche Lamentieren über 'die zwangsläufige Vermassung einstimmen, sondern mutig bei den Ursachen der Verhältnisse ansetzen. Das bedeutet unter anderem, daß selbst so unantastbare Institutionen wie bisher die Sozialversicherung auf ihren Sinn zu überprüfen wären. 4. Eigentum statt Sozialversicherung Notbehelf

oder

sozialpolitische

Norm

F ü r die Eigentumsreform, die den breiten Schichten des Volkes zugute kommen soll, gibt es einen Angelpunkt, der als solcher noch zuwenig beachtet wurde: die Sozialversicherung. Sie mußte bisher das fehlende Eigentum ersetzen, andererseits aber erschwerte sie den Weg zum Eigentum. Eine wesentliche Aufgabe des Eigentums ist, den Menschen unabhängiger vom Ertrag der laufenden Arbeit zu machen u n d i h n dadurch

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gegen das Risiko der Arbeitsunfähigkeit und des Arbeitsmißerfolges zu schützen. Dies gilt i n gewissem Sinn bereits für die nicht gesellschaftlich betriebene Wirtschaft eines Robinsons, der sich durch Vorräte gegen Krankheit und Mißernten sichert. Das wirtschaftliche Kernproblem des Proletariats des 19. Jahrhunderts war, daß es eine solche Eigentumssicherheit nicht besaß. Da dies nicht von den Arbeitern selbst verschuldet, sondern Folge allgemeiner gesellschaftlicher Verhältnisse war, mußte die Gesellschaft i m ganzen dafür sorgen, daß die besitzlosen M i t bürger nicht hilflos der Not überlassen waren, wenn sie eines Tages ihr Arbeitseinkommen infolge Krankheit, Unfall, vorzeitiger Invalidität, Alters oder unverschuldeter Arbeitslosigkeit verloren oder wenn der Ernährer der Familie starb. Die „Arbeiterversicherung", die m i t der Kaiserlichen Botschaft vom Jahre 1881 angekündigt wurde, ist von den Zeitgenossen vielfach nur als ein Notbehelf für die wirtschaftlich schwächsten Arbeitnehmer gedacht gewesen. Es kam darauf an, schnell und zweckmäßig denjenigen zu helfen, deren Einkommen nicht ausreichte, u m aus eigener K r a f t gegen die Notfälle des Lebens vorzusorgen. I m Jahre 1890 fielen demgemäß nur etwa 20 % der Arbeitsfähigen unter die Sozialversicherungspflicht. Inzwischen ist jedoch der Notbehelf nicht durch eine bessere Lösung ersetzt worden. Von unserer sozialpolitischen A u f f assung aus hätten die Anstrengungen der Gesellschaft darauf gerichtet werden müssen, der Arbeiterklasse zu Eigentum zu verhelfen und dadurch den Notstand der Lohnabhängigkeit vom K e r n her zu überwinden. Die rasche und starke Zunahme des Volksvermögens bot hierfür die objektive Voraussetzung. Die Entwicklung aber hat auch hier dazu geführt, daß die Institutionen der Sozialversicherung immer mehr ausgebaut wurden, während das private Eigentum dagegen nicht gefördert, sondern zurückgedrängt wurde. Das Provisorium ist zum Dauerzustand, die Ausnahme zur Norm geworden. Die interessierten Repräsentanten wurden i n ihrem Werk durch eine Ideologie gestützt, die in der Sozialversicherung den absoluten sozialen Fortschritt und den Mittelpunkt der Sozialpolitik sah. Hans Achinger spricht von einer „geradezu weltanschaulichen Autonomie" nicht n u r der gesamten Sozialversicherung, sondern sogar ihrer verschiedenen Leistungsträger 2 2 . Heute ist der weitaus größte Teil aller Berufstätigen zwangsweise sozialversichert. Die Krankenversicherung, der relativ kleinste Kreis, erfaßt bereits vier Fünftel aller Arbeitnehmer. Es geht also nicht mehr u m eine hilfsbedürftige Minderheit, sondern u m den berufstätigen M i t bürger überhaupt. Die Beiträge, die an die Sozialversicherung zu leisten 22 vergleiche „ Z u r Neuordnung der sozialen H i l f e " , Seite 29.

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sind, machen rund zwanzig Prozent der Arbeitsverdienste aus, von denen elf an die Renten-, drei an die Arbeitslosen- und sechs oder gar mehr Prozent an die Krankenversicherung zu zahlen sind. Zwar übernimmt der Arbeitgeber die Hälfte der Beiträge; doch sind diese lohnabhängigen Kosten w i e die Löhne selbst zu betrachten. F ü r die Beteiligten ist es praktisch ebenso, als ob die Arbeitsverdienste um zehn Prozent höher wären und die Arbeitnehmer die Beiträge allein zu zahlen hätten. I m Laufe eines halben Jahrhunderts ist die Zwangsversicherung auf immer weitere Risiken und immer größere Bevölkerungsschichten ausgedehnt worden. Die Arbeiter unterliegen der Pflichtversicherung zur Kranken-, Invaliden- und Arbeitslosenversicherung ohne Rücksicht auf die Höhe ihres Einkommens. Die Angestellten, die 1912 i n die Sozialversicherung einbezogen wurden, sind zwangsweise bis 500,— D M Monatseinkommen i n der Kranken- und bis 750,— D M Monatseinkommen i n der Arbeitslosen- und Angestelltenversicherung. Der Beirat beim Bundesarbeitsministerium forderte M i t t e 1955 bereits, daß auch alle Angestellten, unabhängig von der Höhe ihres Gehalts, zur Rentenversicherung herangezogen werden. Seit 1939 sind auch die selbständigen Handwerker ohne Einkommensgrenze angestelltenversicherungspflichtig, soweit sie nicht ersatzweise eine andere Lebens- oder Rentenversicherung abschließen. Die Beamten werden i m Ruhestande vom Staat versorgt, was wirtschaftlich und sozialpolitisch immerhin eine ähnliche Situation bedeutet. Es besteht darüberhinaus der Wunsch, den Versichertenkreis noch weiter auszudehnen. Auch für die Angehörigen der freien Berufe, ja sogar für die Hausfrauen, w i r d die Pflicht-Rentenversicherung gefordert. Ziel w i r d mehr und mehr, die Betroffenen durch die Pflichtversicherung nicht nur vor Not zu bewahren, sondern ihnen für das A l t e r einen gleichbleibenden Lebensstandard zu sichern, indem man ihnen zwei D r i t t e l oder gar drei Viertel der zuletzt erzielten Arbeitsverdienste garantiert. Setzt sich diese Tendenz weiter durch, so ist dies keineswegs mehr m i t wirtschaftlichen Zwangsläufigkeiten und mit einer hohen Sozialethik zu erklären, sondern nur m i t der Blindheit und Gleichgültigkeit, m i t der w i r die Grundlagen unserer westlichen K u l t u r und Gesellschaftsordnung aufgeben 23 . 23 Die Bedenken, die w i r hier u n d i m folgenden gegen diese E n t w i c k l u n g vortragen, gelten verstärkt gegen den Plan der dynamischen Altersrente, der v o n W i l f r i e d Schreiber 1955 entwickelt wurde. Nach Schreiber soll die Altersversicherung auf einem Solidarakt der jeweils Arbeits tätigen, auch der beruflich Selbständigen, m i t den jeweiligen Rentnern beruhen. Nicht die Beiträge, die der einzelne Versicherte i m Laufe seines Arbeitslebens aufgebracht hat, sondern die Beiträge der noch Arbeitstätigen sollen f ü r die Rentenhöhe maßgebend sein. A u f diese Weise sollen die Renten Schritt halten m i t der Erhöhung des allgemeinen Lebensstandards. So bestrickend dieser Plan auf den ersten Blick scheinen mag, so verderblich w ü r d e n seine Folgen f ü r unsere Gesellschaftsordnung sein. Der Anreiz

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Zweifelhafte

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soziale

Hilfe

Die Sozialversicherungspflicht bedeutet, daß der Staat den weitaus meisten Berufstätigen vorschreibt, wie sie einen entscheidenden Teil ihres Einkommens verwenden, und zwar den Teil, der über die Kosten des laufenden Unterhalts hinausgeht. Bemerkenswert ist, daß die gleichen Mitbürger, welche die politische Mitbestimmung i m Staat und die wirtschaftliche i m Betrieb errungen haben, sich i n ihren persönlichen Angelegenheiten so weitgehend entmündigen lassen. Allerdings haben ihre politischen und wirtschaftlichen Führer aus Gründen der Ideologie und oft w o h l auch der eigenen Einflußposition ihnen nicht erklärt, wo i h r wahres Interesse liegt und wie problematisch, sozialpolitisch gesehen, -die Sozialversicherung ist. Ganz allgemein ist die Chance, zu nennenswertem Eigentum zu kommen, f ü r die Mehrzahl der Besitzlosen gering, solange ein so großer Teil des Sozialproduktes zwangsweise von der Sozialversicherung erfaßt wird. Das Vermögen, das dabei kollektiv gebildet und verwaltet wird, erschwert die persönliche Eigentumsbildung und hält die M i t bürger i m Status des besitzlosen Lohnempfängers fest. Dabei ist zu beachten, daß der Sozialversicherungsanspruch, so unzulänglich er oft auch ist, das Verantwortungsgefühl für «die eigene Vorsorge, das Sparen für schlechte Zeiten, vermindert. I m übrigen w i r d die wohl wichtigste Voraussetzung für die Eigentumsbildung breiter Schichten, nämlich die Stabilität des Geldwertes, besonders leicht mißachtet, wenn die Mehrzahl der Arbeitnehmer sich für die Alterssicherung nicht auf die Ersparnisse, sondern auf die staatliche Hilfe verläßt. I n der heutigen Wirtschaft ist der Geldwert stets von zwei Seiten bedroht. Die Unternehmer fordern bei Absatzschwierigkeiten eine Kreditausweitung; die Noch zu 2 3 z u m individuellen Sparen u n d zur Eigentumsbildung w ü r d e w e i t e r h i n geschwächt werden, zumal die Pflichtbeiträge zur Versicherung noch heraufgesetzt werden müßten. Werden die Renten jeweils an die L o h n e n t w i c k l u n g angepaßt, so entfällt gegenüber überhöhten, inflationären Lohnforderungen der Gewerkschaften das Argument, daß die sozial Schwächsten, die A l t e r s rentner, benachteiligt würden. Die Unternehmer sind erfahrungsgemäß zu leicht geneigt, auch unverantwortlichen Lohnforderungen nachzugeben, wenn sie annehmen, daß sie ihre Preise entsprechend erhöhen können. Politisch gesehen w ü r d e es an einer ausreichenden Gegenkraft zur Sicherung des Geldwertes fehlen. W o jedoch das Preisniveau steigt, bleiben, w i e die Erfahrung bestätigt, die Löhne w i e die Renten i m Realwert stets hinter dem zurück, was bei stabilem Geldwert erreichbar ist. Die Unternehmer dagegen haben bei der Geldentwertung a m wenigsten zu besorgen. I m übrigen halten w i r es f ü r eine Illusion anzunehmen, daß der Solidarvertrag ohne finanzielle M i t h i l f e des Staates durchzuführen ist. Die Regier u n g könnte k a u m dem politischen Druck widerstehen, der bei einer E n t w i c k l u n g der Arbeitseinkommen u n d Renten auf sie ausgeübt würde, die weniger günstig ist, als sich die Massen vorgestellt haben. Die Begehrlichkeit nach dem steigenden Lebensstandard k a n n gefährlich werden, w e n n dieser zum Rechtsanspruch gewlorden ist.

Eigentum statt Sozialversicherung

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Gewerkschaften übersehen, wenn sie ihren Mitgliedern Lohnverbesserungen vorweisen wollen, leicht die für die Preisstabilität erforderlichen Grenzen. Liegt somit die Versuchung der Manager und Funktionäre i n der gleichen Richtung, so ist ein starkes politisches Gegengewicht der Zivilisten notwendig. Es ist am sichersten gegeben, wenn die Arbeitnehmer nicht nur am laufenden Lohn, sondern auch am Wert ersparter früherer Löhne interessiert sind. E i n wesentlicher Einwand gegen die heutige Sozialversicherung ist, daß sie verhältnismäßig teuer und unwirtschaftlich, verglichen m i t der privaten Vorsorge gegen die gleiche Notlage, ist. W i r denken hierbei weniger an die Kosten des Apparates, der f ü r die Beschaffung, Verwaltung -und Verteilung der M i t t e l erforderlich ist. Schlimmer ist, daß die Pflichtversicherten die M i t t e l nicht so sparsam und zweckmäßig i n Anspruch nehmen, wie es bei eigenem Vermögen selbstverständlich wäre. Es liegt nun einmal i n der menschlichen Natur, daß man aus einer allgemeinen Kasse mehr zu erhalten und zu verbrauchen trachtet, als man hineingegeben hat. M a n ist also weniger bestrebt, Krankenhaus-, Arznei- und Arztkosten zu sparen u n d die Reserven, die f ü r schlechte Zeiten gebildet werden, zu schonen. Wie würde es sich demgegenüber auswirken, wenn die Betroffenen ohne Sozialversicherung, aber auf der Basis privaten Eigentums die gleichen Notfälle z u bestehen hätten? Wenn sie dabei einen angemessenen familiären Lebensraum m i t ausreichend großem Heim, Garten usw. hätten? Dann wäre es vielfach möglich, die Kranken zu Hause, statt i m Krankenhaus oder Sanatorium unterzubringen und den Alten, Invaliden u n d Arbeitslosen noch sinnvolle Aufgaben zu geben. Wer i n solchen Lebenslagen sein Sparguthaben angreifen, eine Hypothek auf sein Grundstück aufnehmen, Wertpapiere oder vielleicht eine K u h verkaufen muß, w i r d v i e l mehr bemüht sein, wieder leistungsfähig zu werden oder eine neue, wenn auch weniger erwünschte Tätigkeit zu finden oder trotz Teilinvalidität noch irgendwelche produktive Arbeit zu leisten. Erfahrene Ärzte meinen, daß, grob geschätzt, die Hälfte der Patienten keine eigentlich organischen Leiden haben und daß ein unverhältnismäßig großer Teil der K r a f t und der Kosten eingesetzt wird, um ihnen dies klar zu machen. Das starke Interesse aber an der Gesundheit und Leistungsfähigkeit hilft, w i e die Psychologen bestätigen, wesentlich dazu, wieder gesund z u werden, während derjenige, der u m eine Rente kämpft und ein gegenteiliges Interesse an der nachgewiesenen Arbeitsunfähigkeit hat, dadurch immer kränker werden kann. •Das Streben nach einer Rente ist für viele Versicherte heute wesentlicher Lebensinhalt. Immer mehr Arbeitnehmer werden vor Erreichung des 65. Lebensjahres zu Rentenempfängern, so daß 1955 schon ein Drittel

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der Rentner i m erwerbstätigen A l t e r stand. E i n großer Teil von ihnen übt weiterhin eine versicherungspflichtige Beschäftigung aus, ohne dabei durch den Gesundheitszustand erheblich behindert zu sein. Die Versicherungsanstalten müssen sich gegen die ständige Gefahr des Mißbrauchs wehren, indem sie die Ansprüche mißtrauisch prüfen, was von selbstbewußten und verantwortlichen Menschen als entwürdigend empfunden wird. Sie können trotzdem nicht immer zuverlässig beurteilen, ob die Anforderungen berechtigt sind. Ihre Angestellten neigen verständlicherweise dazu, bei hartnäckigen Querulanten mehr nachzugeben als angemessen. Trotzdem fühlen sich diese Betroffenen unzufrieden und ungerecht behandelt. I m Herbst 1954 waren allein vor den Sozialgerichten des Landes Nordrhein-Westfalen 93 000- Rechtssachen anhängig, ohne die Rechtssachen der oberen Instanzen. Der Neuzugang war außerdem erheblich höher als die erledigten Rechtsfälle. Zeigt sich nicht darin, daß die Sozialpolitik allmählich i n eine Situation gerät, die rechtsstaatlich überhaupt nicht mehr zu bewältigen ist? Das bisherige kollektive System unserer Sozialpolitik zersetzt das gesellschaftliche Gefüge. Es verletzt die gesunden Grundsätze der Subsidiarität, das heißt, es vernachlässigt die Regel, daß der Staat n u r soweit eingreifen soll, wie andere gesellschaftliche Gebilde nicht aus eigener Kraft fähig sind, die erforderliche Hilfe zu leisten. Es unterstellt viel zu sehr den isolierten Arbeitnehmer und geht damit von einem, w i r k lichkeitsfremden Individualismus aus. Die Familie gilt nur als A n hängsel an einzelne Rentenberechtigte, denen man wohl oder übel Familienzuschläge gewähren muß. W i r d der Mensch von der Verantwortung für sich und die Seinen zu sehr entlastet, so fördert man die „Vermassung". Untüchtige verlassen sich auf die Allgemeinheit. Tüchtige verlieren den Anreiz, ihre Kräfte voll einzusetzen, wenn sie gegenüber jenen zuwenig Vorteil davon haben. Die engeren persönlichen Beziehungen familiärer, nachbarlicher, freundschaftlicher, kollegialer A r t werden von der moralischen Verpflichtung zur gegenseitigen Hilfe entleert, da man diese auf den Staat abschieben kann. Ebenso werden den Betrieben sowie den kirchlichen und politischen Gemeinden ihre sozialen Aufgaben mehr als erforderlich abgenommen. Das hat nicht n u r eine finanzielle Seite, sondern verändert auch die Struktur der gesellschaftlichen Beziehungen und I n stitutionen. Es läßt das gesellschaftliche Dasein u m wichtige menschliche Werte verarmen. Daß bei staatlicher Versorgung die seelische Seite der Hilfe zu kurz kommt, ist unvermeidlich. Ist aber die materielle Not nicht meist auch eine seelische? Brauchen die Kranken, I n validen und A l t e n nicht auch die persönliche Fürsorge und Liebe ihrer Nächsten, u m die sie i m Krankenhaus, Sanatorium, Altersheim zu kurz kommen?

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Es ist zweifelhaft, ob man für die Sozialversicherung noch die hohen Werte der Gemeinschaft und der Solidarität anführen darf. Die Pflichten wahrer Solidarität sind i n der Masse der Versicherten, wie die oben angeführten Tatsachen bestätigen, nicht mehr lebendig. Es kann kaum anders sein, wenn vier Fünftel der Staatsbürger zwangsweise zusammengeschlossen werden und dabei für die Beteiligten die Übersicht über die gemeinsame Einrichtung und die innere Bindung an die Partner verlorengehen. Statt der erstrebten Solidarität entwickelt sich der Egoismus. Die Folge ist, daß sich jedermann auf Kosten von jedermann zu bereichern sucht. Die Vorsorge für die Wechselfälle des Lebens, auch für die von der Rentenversicherung umfaßten, sei i n erster Linie eine sittliche Pflicht der Einzelpersönlichkeit, stellt auch die Gesellschaft für Versicherungswissenschaft und Gestaltung i n einem Gutachten fest. Ein allgemeines Versorgungsversprechen des Staates müsse die Selbstverantwortung lähmen, zur Verschwendung von Steuermitteln führen und das Streben nach ungerechtfertigten Vorteilen auf Kosten der Allgemeinheit begünstigen. Das Wesen der Sozialversicherung bestehe i m Zwange zur Versicherung. Der Zwang des Staates solle aber nur eingreifen, wenn er unentbehrlich sei. Von unserem Gesichtspunkt aus ist die Aufgabe der Sozialpolitik, die Abhängigen unabhängig, die Schwachen stark und die Kranken gesund zu machen. Sie soll von der gesellschaftlichen Norm freier, selbständiger und selbstverantwortlicher Bürger ausgehen, die jedoch auch denen zur Selbständigkeit verhelfen wollen, die es aus eigenen Kräften nicht vermögen. Statt dessen herrscht heute noch die umgekehrte Tendenz,, auch die selbständigen auf den Status der sozial schwachen M i t bürger her abzudrücken. Schwierige Umkehr Daß der bisherige Weg der Sozialpolitik problematisch ist, w i r d von vielen eingesehen. Die Frage ist jedoch, ob es möglich ist, i h n zu ändern, oder ob w i r nicht i n einer Sackgasse sind, aus der . w i r nicht mehr herauskönnen. Hier sind zwei Schwierigkeiten zu bedenken: Erstens, daß die Mittel, die von den Sozialversicherungspflichtigen aufgebracht werden, zum großen Teil nicht ihnen selbst, sondern noch schwächeren Mitgliedern der Sozialversicherung dienen. Zweitens, daß die Versicherungspflichtigen nicht dem Risiko plötzlicher Notlagen ausgeliefert werden dürfen, solange sie nicht eigenes Vermögen oder anderen Schutz haben. Aus beiden Gründen müßte eine sozialpolitische Kehrtwendung sorgfältig bedacht und vorsichtig durchgeführt werden, doch glauben wir, daß sie durchaus möglich ist, wenn w i r sie aus übergeordneten Gesichtspunkten wollen. Die folgenden Betrachtungen können hierbei n u r als ein Versuch gelten, Auswege zu zeigen.

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Die erste Schwierigkeit beruht darauf, daß die Sozialversicherungsbeiträge weithin den Charakter einer Sozialsteuer gewonnen haben. Wie sollen, falls diese Steuer entfällt, die M i t t e l aufgebracht werden, welche die bessergestellten Beitragszahler heute für andere, schwächere aufbringen? W i r haben hierbei vor allem an die Rentenversicherungen zu denken, die m i t 11 % der Arbeitsverdienste etwa die Hälfte der Sozialversicherungsbeiträge erhalten. Die Beiträge werden bekanntlich nicht dazu benutzt, u m f ü r die Beitragszahler nach versicherungsmathematischen Gesichtspunkten ein Deckungskapital zu bilden, aus dem ihre Ansprüche dereinst befriedigt werden können. Vielmehr dienen sie gegenwärtig zum großen Teil dazu, die Verpflichtungen zu erfüllen, welche der Staat aus berechtigten sozialpolitischen Gründen denjenigen Altersrentnern gegenüber übernommen hat, die ihre Beiträge seinerzeit noch i n Reichsmark gezahlt haben. Der damals gebildete Deckungsstock von 14 M i l liarden R - M a r k ist durch Krieg und Währungsreform verlorengegangen. Die Rentenansprüche aber sind nicht n u r i n D - M a r k anerkannt, sondern seit 1948 mehrmals erhöht worden. Es ist wesentlich, daß diese Tatsache nicht, wie es oft geschieht, so ausgelegt wird, daß sich die Sozialversicherung wirtschaftlich besser gehalten habe als private Vermögenswerte — das Gegenteil ist der Fall —, sondern daß es sich hier u m eine sozialpolitische Maßnahme handelt. Der Rentenanspruch ist nicht wirtschaftlich i n den früheren Leistungen begründet, sondern politisch i n besonderen Beschlüssen des Parlaments. Dieses sozialpolitische Ergebnis ist zu bejahen, die Methoden aber sind recht bedenklich. I m Widerspruch zu den gesunden sozialpolitischen Grundsätzen zahlen hier die Armen für die Armen. Nach der Währungsreform ist daher der Beitragssatz von 5,6 auf 11 € /o der Arbeitsverdienste heraufgesetzt worden, während die Ansprüche bei weitem nicht i m gleichen Maße erhöht werden konnten. Abgesehen von dieser Last aus alten Rentenverhältnissen enthält die Sozialversicherung noch einen verschleierten doppelten Sozialausgleich, nämlich nach der Höhe des Einkommens u n d nach dem Familienstand. Der erste w i r d erzielt, indem die Versicherungen unabhängig von der Beitragshöhe Grund- oder Mindestleistungen gewähren, auf denen Zusatzleistungen (vor allem als Steigerimgsbeträge) nach dem geleisteten Beitrag aufbauen. Das heißt also, daß die niedrigeren Beitragszahler verhältnismäßig besser wegkommen als die höheren 2 4 . Der familiäre Ausgleich aber kommt dadurch zustande, daß bei Alleinstehenden und Familienvätern der gleiche Beitragssatz v o m Verdienst einbehalten wird, die Versicherungsleistungen aber auf den Familienstand abge24 Daß der B u n d die Grundbeiträge zahlt, ist i n diesem Zusammenhang nicht wesentlich.

Eigentum statt Sozialversicherung

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stellt sind. Wiederum ist zwischen dem sozialpolitischen Ziel des Ausgleichs und der Methode zu unterscheiden. Man kann den Ausgleich bejahen, aber der Meinung sein, daß er nicht verschleiert, sondern offen zu erfolgen hat, indem die M i t t e l dafür durch Steuern aufgebracht und als klar sichtbare Unterstützungen, zum Beispiel über Familienausgleichskassen, zugewandt werden. Anzustreben wäre wiederum, daß die sozialpolitische Leistung nicht mehr an die Sozialversicherung gebunden ist, so daß die entsprechenden M i t t e l nunmehr frei nach sachgerechten Erwägungen für die beabsichtigten Zwecke verwendet werden können. Anfang 1955 sind, bezogen auf den 1. J u l i 1954, versicherungstechnische Bilanzen f ü r die Rentenversicherungen veröffentlicht worden, die versicherungstechnische Fehlbeträge von rund 16 Milliarden D M zeigten. Bei diesem Defizit ist bereits vorausgesetzt, daß der Bund, entsprechend den von i h m übernommenen Verpflichtungen, für die I n validenversicherung 53,8 Milliarden D M und für die Angestellten Versicherung 14,3 Milliarden D M aufbringt. So ist der Staat aus den Folgen des Krieges und aus Zusagen gegenüber den gegenwärtigen Anspruchsberechtigten m i t einer hohen Verpflichtung belastet. Sie muß; bei einer Umstellung des gegenwärtigen Systems i n Rechnimg gestellt werden. , Andererseits ist die öffentliche Hand durch die Währungsreform i m wesentlichen von ihren Schulden befreit worden. Zwischen 1950 und 1954 hat die öffentliche Hand sogar ein Geldvermögen von netto 25 M i l liarden D M erspart. Der Bund wies M i t t e 1955 nur eine verhältnismäßig geringe Verschuldung von 8,7 Milliarden D M aus. Es erscheint somit möglich, daß der Staat die Soziallast offen als Schuld übernimmt* daß er danach die sozialpolitischen Leistungen von der Sozialversicherung trennt und letztere nach Versicherungsgrundsätzen weiterf ührt.Die Tilgung dieser Schuld würde sich auf viele Jahre verteilen, der laufende Haushalt aber würde u m die Beträge entlastet werden, die er nach der bisherigen Regelung zu tragen hätte. Soweit die nächsten Jahre besonders hoch m i t Renten belastet sind, könnte ein Teil der erforderlichen Beträge durch Kredite finanziert werden. Es wäre dabei unbedenklich, die Rentenanstalten aus ihrem neu gebildeten Deckungsstock als Kreditgeber heranzuziehen, abgesehen davon, daß sie nach w i e vor für die Auszahlung der alten Renten technisch zuständig wären. Wichtig ist, daß w i r eine solide Finanzgebarung und eine offene Sozialpolitik gewinnen. Die Öffentlichkeit soll beurteilen können, was sozialpolitisch wirklich geschieht. Der Bundestag aber sollte vor eine klare sozialpolitische Verantwortung gestellt werden, wenn er aus Bundesmitteln zeitlich unbegrenzt und ohne spezielle Bedürftigkeitsprüfung Rentenzuschüsse gewähren w i l l . Wesentlich ist sodann, daß m i t einer Bereinigung alter sozialpolitischer Verpflichtungen die Handlungsfreiheit für eine neue Sozialpolitik gewonnen werden kann. I n ihr hätte die 12 Kahl, Macht und M a r k t

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Der Bürger als

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Mehrheit der Staatsbürger nur noch die sozialpolitischen Lasten aufzubringen, die eine Minderheit nach überwirtschaftlichen, gesellschaftlichen Gesichtspunkten erhalten soll. Vermutlich würde eine solche Neuorientierung stärker den kinderreichen, wirtschaftlich schwachen Familien zugute kommen. Sie vor allem sind heute eine der sozial schwächsten Gruppen, während man die Arbeitnehmer als ganzes nicht mehr dazurechnen kann. Der Mehrheit der Staatsbürger aber würde es erleichtert werden, für sich durch die Bildung individuellen Eigentums selbst vorzusorgen. Schrittweise

vorgehen

Der Sinn der Trennung von Sozialpolitik und -Versicherung ist nicht, diese abzuschaffen. Sie wäre vielmehr ohne wesentliche öffentliche Zuschüsse nach wirklichen Versicherungsprinzipien weiterzuführen, und zwar auf der Basis der Freiwilligkeit. N i m kann man zweifeln, ob es angebracht ist, den Mitbürgern, die allzu lange an gesetzlichen Zwang und an Aufsicht gewöhnt waren, über Nacht die volle Entscheidungsfreiheit zu gewähren. Vielleicht könnte man für die Übergangszeit eine Kontrolle einschalten, ob diejenigen, die sich nicht mehr gegen die bisher gedeckten Risiken versichern wollen, i n anderer Weise gesichert sind. Sie hätten zum Beispiel ein gewisses Mindestvermögen nachzuweisen, dessen Höhe vom Familienstand abhängig sein kann. I n anderen Fällen kommen Bürgschaften i n Betracht, zum Beispiel von Arbeitgebern, die f ü r ihre Mitarbeiter eine betriebliche Altersvorsorge einrichten. Ist ein solcher Nachweis nicht möglich — und das w i r d i n der Mehrzahl zutreffen—, so könnten eine Mindestversicherung gegen einige spezielle Risiken und eine Aufsicht vorgesehen werden, daß die ersparten Versicherungsbeiträge zur Vermögensbildung benutzt werden. Arbeitnehmer, die keine Familie haben, könnten zum Beispiel verpflichtet sein, eine reine Invaliditätsversicherung abzuschließen, die n u r i m Falle vorzeitiger Invalidität eintritt. Die Beitragsprämie dafür wäre verhältnismäßig gering, wenn Betriebsunfälle wie bisher von der Unfallversicherung gedeckt sind. Die Prämie gegen das restliche Invaliditätsrisiko w i r d m i t fortschreitendem Alter und dementsprechend fortschreitender Vermögensbildung geringer. Bei Arbeitnehmern m i t Familie wäre zusätzlich deren Mindestversorgung für den Fall, daß der Ernährer stirbt, mitzudecken. Auch die Arbeitslosenversicherung kann freiwillig sein, wenn gesichert wird, daß die bisher dafür aufgewandten Beträge gespart werden und der Arbeitnehmer sich somit i m Falle der Arbeitslosigkeit selbst helfen kann. Die Arbeitslosenversicherung hat i n den Jahren nach der Währungsreform Überschüsse gebracht. Die Beiträge sind höher als notwendig ist — vorausgesetzt, daß Massen- und Dauerarbeitslosigkeit durch eine gesunde Wirtschaftsordnung und -politik vermieden

Eigentum statt Sozialversicherung

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werden. U m so stärker würde die Vermögensbildung der Arbeitnehmer durch bleibende Ersparnisse voranschreiten. I m übrigen ist die Auffassung, ob eine Arbeitslosenversicherung überhaupt die geeignete Hilfsmaßnahme ist, i m Ausland sehr geteilt. Soweit i n anderen Ländern eine Arbeitslosenversicherung besteht, erstreckt sie sich auf durchschnittlich 26 Wochen 25 . Bezüglich des Krankheitsrisikos sollte mehr als bisher der Eindruck vermieden werden, als wenn die Vorsorge dagegen zuerst eine öffentliche Angelegenheit ist. Die Krankheit gehört zunächst dem persönlichen Lebensbereich an und muß von den Betroffenen selbst getragen werden. Daher sind w i r der Meinung, daß auch die Pflicht zur Krankenversicherung überprüft werden sollte. Die Schweiz hat bis heute keine Pflichtversicherung gegen Krankheit, ohne daß die Volksgesundheit deshalb schlechter ist als anderswo. Das Professorengutachten „ Z u r Neuordnung der sozialen Leistungen" schlägt vor, die gesetzliche Krankenversicherung von den Bagatellfällen zu entlasten. I m übrigen sollten die Versicherten i m Rahmen verschiedener Tarife frei entscheiden, wie weit sie den Versicherungsschutz i n Anspruch nehmen wollen. Es könnte außerdem den bisher Pflichtigen freigestellt werden, zu einer privaten Krankenkasse zu gehen oder sogar die vollen Krankheitskosten aus dem Vermögen zu tragen. Ein besonderes Problem ergibt sich jedoch aus der Tatsache, daß die Krankenkassen, und zwar sowohl die Pflicht- w i e die freiwilligen Versicherungen, gegenüber Ärzten, Krankenhäusern usw. als Nachfrage-Kartelle auftreten und dadurch erheblich günstigere Honorare bzw. Preise erreichen. Es gibt aber keinen berechtigten Grund, Personen i n bisher beitragspflichtigen Einkommensstufen, die zukünftig keiner Kasse angehören wollen, grundsätzlich schlechter zu stellen. Andernfalls würde man allein durch die „Kartellpreise" der Krankenkassen einen indirekten Zwang zur Versicherung ausüben. Ebenso besteht kein zwingender Grund, Beiträge für Krankenversicherungen steuerlich günstiger zu stellen als die direkt gezahlten Krankheitskosten. Die kontrollierte Vermögensbildung kann sich auf verschiedene Formen des Sparens erstrecken: zum Beispiel auf Sparguthaben, Lebensversicherung, bestimmte Arten von Wertpapieren. Ist ein Mindestbetrag in verhältnismäßig liquiden Werten angelegt, so kommen weiterhin Bausparkassen, Hypotheken, unbebaute Grundstücke, Eigenheime i n Betracht. Ein solcher Weg der Sozialpolitik erfordert eine große geistige U m stellung. Viele werden zunächst meinen, daß die Rentenversicherung gegenüber privaten Ersparnissen und sonstigen Vermögenswerten zwei Kriege und Inflationen vergleichsweise gut überstanden habe. Aus 25 vergleiche Hans Achinger, 12*

„ Z u r Neuordnung der sozialen H i l f e " , S. 42 f.

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diesem Grunde sehen sie bisher i n ihren Beiträgen eine verhältnismäßig sichere Kapitalanlage, während diese Sicherheit i n Wirklichkeit nicht i n der Sozialversicherung als solcher begründet ist — diese ist vielmehr wirtschaftlich betrachtet eine höchst unsichere Institution —< sondern i n der bisher herrschenden sozialpolitischen Haltung. Sollten w i r uns zu der sozialpolitischen Kehrtwendung entschließen, so besteht kein politischer oder wirtschaftlicher Grund, i n einem vergleichbaren Falle allgemeiner Vermögensentwertung nicht das Privateigentum ebenso zu schützen bzw. wiederaufzuwerten wie bisher die Sozialversicherungsansprüche, jedenfalls soweit es die gleiche Funktion der Versorgung zu erfüllen hat. Es geht hier u m eine grundsätzliche Entscheidung, die, falls dies politisch notwendig erscheint, vom Bundestag i n ausdrücklicher Form kundgetan werden könnte. Unterstellen w i r einmal, es hätte bisher keine zwangsweise Rentenversicherung gegeben und die Mehrzahl der Arbeitnehmer hätte f r e i w i l l i g für das Alter gespart, so wäre der Staat nach der Währungsreform zweifellos veranlaßt gewesen, die privaten Vermögen entsprechend aufzuwerten, Ansätze dazu gab es übrigens i m Lastenausgleichsgesetz und i n der A u f wertung privater Rentenansprüche gegen Lebensversicherungsgesellschaften. Eine eindeutige öffentliche Haltung ist jedenfalls Voraussetzung, wenn man den bisher Versicherungspflichtigen nicht nur die Chance; sondern auch den M u t geben w i l l , statt der bisherigen Sozialversicherung selbst verantwortlich f ü r sich zu sorgen. Es ist so gut w i e sicher, daß über die objektiven Schwierigkeiten einer solchen Umstellung hinaus große Widerstände dagegen auftreten werden. M a n denke an die politische Schwerkraft solcher Institutionen, wie sie die Sozialversicherungsanstalten nun einmal darstellen. Übersehen w i r nicht den Einfluß der zahl- und einflußreichen Beamten und Angestellten, deren Wirkungsbereich schon bei einer freiwilligen Mitgliedschaft i n der Sozialversicherung beeinträchtigt würde. Entscheidend muß bei all dem sein, daß die Reform der Sozialversicherung der Weg ist, der für die Mehrzahl der Mitbürger die größte Aussicht zur Bildung von Privateigentum bietet. Dies wiederum ist ein wesentlicher Schritt, u m die nach einer neuen bürgerlichen Gesellschaft orientierte Wirtschaftsordnung zu verwirklichen. 5. Die Reform der Aktiengesellschaft Werbung

am

Kapitalmarkt

Betrachten w i r nunmehr die Folgen, die eine neue Eigentumspolitik für die Geschäftsführung der Aktiengesellschaften haben würde. Grundlegend wäre, daß die Aktionäre mehr als die Manager über die B i l dung und Verwendung des Kapitals zu entscheiden hätten. A n die

Die Reform der Aktiengesellschaft

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Stelle der vom Manager bestimmten Selbstfinanzierung muß der vom Zivilisten bestimmte Kapitalmarkt treten. Eine solche Entwicklung kündigt sich seit etwa 1952 schon i m Bundesgebiet an. Die Aktionäre fordern, daß sie angemessen am Gewinn durch Ausschüttung von Dividenden beteiligt werden. Das Bewußtsein der Öffentlichkeit wächst wieder, daß der Kapitalmarkt i n der Marktwirtschaft gepflegt werden muß. N u n hat sich gegenüber der Zeit vor dem ersten Weltkrieg, als die Finanzierung über den Kapitalmarkt noch große Bedeutung besaß, der strukturelle Aufbau der wirtschaftenden Gesellschaft gewandelt. Damals wurde das Kapital der Aktiengesellschaft weitgehend von einer Mittelschicht aufgebracht, die aus den Angehörigen der freien Berufe, aus Kleingewerbetreibenden des Handels und Handwerks, aus gehobenen Beamten und Angestellten bestand. Den Arbeitsverdiensten nach ist heute ein Teil der Arbeiterschaft zum Mittelstand aufgerückt, während die genannten Gruppen verhältnismäßig abgesunken sind. Man kann daher annehmen, daß der zukünftige Kapitalbedarf der Unternehmen nicht gedeckt werden kann, wenn es nicht gelingt, diese Arbeiter mit zum Sparen und damit zur Finanzierung der Wirtschaft heranzuziehen. Der Deutsche Industrie- und Handelstag erklärte 1954 dazu i n seiner Denkschrift „ Z u r Reform des Aktienrechts' 4 , die Investitionen, die zum Wiederaufbau und zum Ausbau der deutschen Wirtschaft erforderlich seien, sollten weder durch den Staat erfolgen, noch über den Preis finanziert werden. Der einzige gesunde Weg führe über die Belebung des Kapitalmarktes. Dafür genüge es allerdings nicht, nur die bisher schon interessierten Kreise zur Wertpapieranlage aufzufordern. „Es müssen vielmehr weitere Schichten für den Aktienmarkt erschlossen werden." Es besteht also vom Kapitalbedarf der Unternehmen her die Tendenz, das, was w i r aus gesellschafts- und sozialpolitischen Gründen für wichtig hielten, zu fördern: nämlich, daß die Arbeiterschaft mithilft, das Vermögen aufzubringen, welches für die Errichtung und Erhaltung ihrer Arbeitsplätze gebraucht wird. Sie w i r d dazu u m so mehr i m stande sein, als sie am wirtschaftlichen Fortschritt durch Verbilligung der Preise und Erhöhung ihrer Löhne teilnimmt. Die entscheidende Frage ist jedoch, ob es möglich sein wird, die Arbeiterschaft nicht nur für das Sparen, sondern sogar für die teilweise Anlage der Ersparnisse i n A k t i e n zu gewinnen. Zweifellos ist die A k t i e heute für diese Mitbürger unpopulär. Das ist nach den bisherigen Verhältnissen nicht n u r verständlich, sondern auch berechtigt. Es wäre also eine erhebliche Umstellung erforderlich, bei der sowohl die psychologische wie die sachliche Seite wichtig sind.

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Der Bürger als

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Nüchternerweise müssen w i r annehmen, daß die meisten Unternehmer diese Umstellung nicht aus eigener Initiative durchführen werden. Solange sie es nicht nötig haben, breite neue Bevölkerungsschichten für die Aktienmärkte zu gewinnen, werden sie nicht die Unbequemlichkeit und die Abhängigkeit, die damit verbunden sind, auf sich nehmen, zumal sie bisher schon m i t den Verbrauchern und den Mitarbeitern genügend Mühe haben. Andererseits aber können w i r überzeugt sein, daß die Unternehmer diese Aufgabe ungemein fördern könnten, wenn sie ihre materiellen Mittel, ihre Werbungsmethoden, ihre unternehmerische Phantasie und Energie darauf konzentrieren müßten. Die Unternehmer müssen, wenn sie als Kapital-Nachfrager die Konkurrenz der Verbrauchswerbung bestehen wollen, allerdings m i t neuen M i t t e l n der Werbimg arbeiten. Hier ergibt sich eine Aufgabe, die i n Deutschland bisher kaum angefaßt ist, während man manche Anregungen aus den USA benützen könnte. Wichtig w i r d dabei sein, daß die Unternehmen nicht nur für die Qualität und Preiswürdigkeit ihrer Erzeugnisse, sondern für die Vorzüge der ganzen Unternehmung werben Erst i n diesem Zusammenhange werden die „public relations", die bisher mehr aus allgemein politischen und gesellschaftlichen Gründen von den Unternehmungen gefordert werden, z u einer privatwirtschaftlich wichtigen Angelegenheit. Die Aktiengesellschaften werden dann bemüht sein, der Öffentlichkeit möglichst günstige Zahlen über die allgemeine Geschäftsentwicklung, die Vermögenslage und die Gewinne geben zu können. Sie werden durch Nachrichten u n d Neuigkeiten verschiedenster A r t die Aufmerksamkeit immer wieder auf sich lenken wollen. Durch Betriebsbesichtigungen, Ausstellungen, Bilder hätten sie ihre besondere Eigenart und Leistung den in Betracht kommenden Schichten näherzubringen. Andererseits müßten sie dabei m i t einer kritischen Öffentlichkeit rechnen, die mehr als bisher noch durch die Presse sprechen würde. Die erste Aufgabe w i r d daher sein, eine Vertrauensgrundlage zu schaffen; sie w i r d wesentlich von der ethischen Haltung der Unternehmer, ihrer Offenheit und Ehrlichkeit bestimmt werden. Neues

Verhältnis

zum

Aktionär

Selbstverständlich kann die Werbung auf die Dauer n u r erfolgreich sein, wenn man objektiv etwas zu bieten hat. Was man bisher aber dem Aktionär geboten hat, w a r durchaus unzulänglich. Wie Herbert Groß m i t Recht betont hat, wurde auf! die Rechte der Aktionäre wenig Rücksicht genommen. Zwar hat die Ideologie des selbstnützigen Unternehmens und der selbständigen Stellung des Managers nicht verhindern können, daß der Verbraucher viel von seiner gebührenden Stellung zurückgewonnen hat. Außerdem haben die Mitarbeiter und

Die Reform der Aktiengesellschaft

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ihre Gewerkschafts Organisationen neue, wichtige Stellungen der M i t bestimmung bezogen. Der Manager selbst hat die Freiheit, seine Tätigkeit zu wechseln, wenn i h m zum Beispiel ein größeres Wirkungsfeld geboten wird. Und. was die Finanzierung durch Gläubiger angeht, so haben diese, vor allem die Banken, manchmal eine recht starke Stellung. Der Aktionär ist derjenige, der noch am wenigsten mitzubestimmen hat, es sei denn, es handele sich u m eine geschlossene Mehrheitsgruppe. W i l l man zukünftig erreichen, daß sogar Mitbürger, die bisher noch kein Verhältnis zur A k t i e haben, einen T e i l ihres Vermögens den Aktiengesellschaften zur Verfügung stellen, so muß man ihnen die entsprechenden Rechte zuerkennen. Behalten w i r jedoch den bisherigen Zustand bei und begründen dies durch die historische Entwicklung, die den Manager i n der kapitalistischen Marktwirtschaft und der nationalsozialistischen Zwangswirtschaft einseitig begünstigt hat, so schaden w i r der Allgemeinheit. Denn w i r werden nicht genügend Bürger finden, die das Risiko auf sich nehmen, sich als Aktionär an der Wirtschaft zu beteiligen. Bestenfalls werden sie als Gläubiger i h r Kapital indirekt über Banken zur Verfügung stellen; denn dann können sie i m Gegensatz zum Aktionär eine marktgerechte Verzinsimg verlangen und ihr Geld zurückfordern, wenn es ihnen paßt. Andererseits ist es jedoch aus mannigfachen Gründen dringend, daß ein angemessener Teil des Kapitals, welches die Betriebe zur Finanzierung benötigen, den Charakter des Eigenkapitals hat. Die gegenwärtigen Verhältnisse sind i n dieser Hinsicht bedrohlich ungesund. I n den Jahren nach 1948 haben die Unternehmen einen übergroßen Teil der neuen Anlagen u n d des erweiterten Geschäfts m i t Bankkrediten finanziert, w e i l sie anderes Kapital nicht schnell genug ausreichend beschaffen konnten u n d hofften, die Schulden aus späteren Gewinnen, also durch Selbstfinanzierung, zurückzahlen zu können. Gelingt es jedoch, i m Zuge der wirtschaftlichen Normalisierung die Selbstfinanzierung auf ein angemessenes Niveau zurückzuführen, so ist es u m so wichtiger, die Schulden der Investitionen mit neuem Gesellschaftskapital zurückzuzahlen. Die Voraussetzung dafür ist insofern günstiger geworden, als sich langfristige M i t t e l bei den Banken und Sparkassen sammeln, die zweckmäßigerweise direkt der Wirtschaft anvertraut werden sollten. So drängt vieles dazu, das Verhältnis zwischen Unternehmung und Aktionär auf eine andere Basis zu stellen. Das oben erwähnte Gutachten der Wertpapiervereinigung erklärt dazu: „Das Aktionärrecht darf dabei nicht n u r institutionell anerkannt sein; i h m muß auch funktionell wieder die gebührende Rolle eingeräumt werden." Das Eigentum dürfe nicht seiner Wirkungsfunktion beraubt u n d auf das bloße „Haben" beschränkt werden.

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Der Bürger als

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Für die Manager bedeutet dies, daß sie zukünftig abhängiger sein würden als bisher. Sie werden voraussichtlich einwenden, daß es für die Gesamtwirtschaft gefährlich sei, den Aktionären die geforderten Rechte z u überlassen. W i r kennen die Argumente bereits: Es fehle den Aktionären an den sachlichen Kenntnissen und dem Verständnis. Sie dächten nur einseitig an die Gewinnausschüttung. Es sei überdies zu befürchten, daß die ausgeschütteten Gewinne konsumiert und nicht i n ausreichendem Umfange wieder dem Kapitalmarkt zugeführt werden. Dadurch werde die Wachstumsrate der Wirtschaft heralbgedrückt und der Fortschritt der wirtschaftlichen Versorgung zu Lasten der A l l gemeinheit gehemmt. Diese Argumente sind durchaus zu beachten, wenn vieles auch als ideologischer Überbau für die Managerinteressen betrachtet werden kann. Soweit zu befürchten ist, daß die Aktionäre infolge der bisherigen Verhältnisse noch nicht reif sind, ihre Rechte und ihre Freiheit richtig zu gebrauchen, mag man zunächst Sicherheiten vorsehen. Entscheidend ist jedoch, daß w i r als Wirtschafts-Demokraten grundsätzlich bestrebt sein müssen, auch die Aktionäre ernst zu nehmen. Zumindest sollte man die Aktionäre genau so als mündig betrachten wie die Arbeitnehmer und die Verbraucher, zumal es schließlich immer wieder die gleichen Personen sind. Wenn w i r i n der politischen Demokratie erwarten, daß die Wähler sachgerecht und vernünftig das politische Programm der Kandidaten und Parteien beurteilen, so kann dies in der Wirtschaft unseres Erachtens viel unbesorgter geschehen, w e i l hier die sachliche Entscheidung m i t dem persönlichen Interesse viel enger verknüpft ist. Allerdings w i r d die Verwaltung der Unternehmungen ihre Einstellung und ihre Methoden gegenüber den Aktionären von Grund auf ändern müssen. Die Zeit, i n der man die Aktionäre spöttisch als dumm — w e i l sie den Gesellschaften i h r Geld geben — und frech — w e i l sie dafür noch Dividende haben wollen — bezeichnete, sollten endgültig vorbei sein. Groß bemerkt einmal sehr richtig: „Heute aber kommt es darauf an, ähnliche Kontakte zwischen Verwaltung und Kapitalgebern herzustellen, wie man sich u m den Arbeiter i m Betrieb zu bemühen beginnt." Er fordert die „Wiederentdeckung des Menschen i m Aktionär" und empfiehlt dafür als ein Instrument die Namensaktie, die i n anderen Ländern, wie i n Amerika, vorherrsche oder sogar allein zulässig sei. „Durch die Namensaktie ist jeder Aktionär dem Vorstand bekannt und i m Aktienbuch der Firma geführt. Jeder Aktionär kann also persönlich durch den Geschäftsbericht, die gedruckte Tagesordnung der Hauptversammlung, rechtzeitig unterrichtet werden . . . Die Namens-

Die Reform der Aktiengesellschaft

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aktie entspricht dem wachsenden Bedürfnis nach stärkerer geistiger Verbindung von Vorstand und A k t i o n ä r 2 6 . " Noch wichtiger dürfte es sein, daß sich die Aktionäre eine Organisation schaffen, die geeignet ist, sie i n wahrhaft neutraler und zugleich fachkundiger Weise zu beraten und ihre Interessen zu vertreten. Uns scheint, daß die Banken, die heute vielfach die Stimmrechte ihrer Depotkunden ausüben, dafür nicht die besten Voraussetzungen erfüllen, da sie durch ihre anderweitigen Geschäftsbeziehungen zu den Unternehmungen Interessen haben, die unter Umständen kollidieren können. Die Wertpapier Vereinigungen könnten sich vielleicht dazu entwickeln, bisher sind allerdings auch sie zu sehr von den Banken beeinflußt, so daß sie i n den Hauptversammlungen nicht kritisch genug auftreten. A u f ihrer Jahrestagung 1953 haben sich für diese Aufgabe auch die Wirtschaftsprüfer angeboten. Aber auch sie sind nicht neutral, soweit sie an aktienrechtlichen Pflichtprüfungen oder anderen A u f trägen der Aktiengesellschaften interessiert sind. Anders wäre es, wenn eine neutrale Institution die Abschlußprüfungen übernähme 2 7 . Die

Grundrechte

des

Aktionärs

Welches sind n u n die Grundrechte, die dem Aktionär aus dem Wesen seines Eigentums so zustehen, wie die übrigen Beteiligten, also M i t arbeiter und Manager, Fiskus und Gläubiger, Kunden und Lieferanten, wegen ihrer spezifischen Stellung zum Unternehmen entsprechende Rechte innehaben? W i r unterscheiden, abgesehen vom Recht, die A k tien zu veräußern, fünf Rechte: 1. Die Verwaltung zu bestimmen, die i h r Unternehmen leitet, 2. objektiv, neutral und ausführlich über die Geschäftsentwicklung und -läge unterrichtet zu werden, 3. über strukturelle Änderungen des Unternehmens zu entscheiden, 4. den Gewinn frei zu verwenden, 5. die Liquidation der Gesellschaft herbeizuführen. Das erste Recht üben die Aktionäre aus, indem sie i n der Hauptversammlung den Aufsichtsrat wählen, der seinerseits den Vorstand bestellt. Wichtig ist allerdings, daß die Kleinaktionäre sich entweder selbst beteiligten oder durch eine neutrale Vertretimg ihrer Interessen wahrnehmen ließen. Dann würde es weniger vorkommen, daß Manager praktisch den Aufsichtsrat selbst bestimmen, der m i t ihnen wiederum den Vorstandsvertrag schließt. I n Konzernen, bei denen die Vorstände der herrschenden Gesellschaften i n der Hauptversammlung große Aktienpakete vertreten, besteht besonders die Gefahr, daß die K l e i n 26

1953.

„Chancen der Namensaktie" von Herbert Groß, F A Z Nr. 195 v o m 7. 7.

27 W i r sind uns bewußt, daß bei einer solchen Interessenorganisation der Aktionäre die Gefahr von A k t i o n ä r - F u n k t i o n ä r e n bestünde. Also w i r d m a n auch hier achten müssen, daß das Auftragsverhältnis nicht zur Autonomie entartet.

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aktionäre gegenüber dem Managereinfluß zu kurz kommen. Ebenso w i r d es den Vorständen manchmal möglich sein, die von der Belegschaft gewählten Aufsichtsratmitglieder durch ihre sachliche Überlegenheit und durch guten persönlichen Kontakt so zu beeinflussen, daß sie zu unkritischen Parteigängern werden. W i r werden daher der Frage nachgehen müssen, wie weit diese Form der Belegschafts-Mitbestimmung m i t unserer Wirtschaftsordnung zu vereinbaren ist. I m übrigen wäre es angebracht, i m Aktiengesetz die Rechte der Minderheit zu schützen, indem man eine A r t Verhältniswahlrecht schafft. U m sachgemäß über die Verwaltung der Gesellschaft zu entscheiden, muß man deren Tätigkeit und Leistungen beurteilen können. Damit kommen w i r auf das zweite Grundrecht der Aktionäre: es muß ihnen i n objektiver und neutraler Weise über ihre Unternehmimg Rechenschaft gelegt werden. Daß dies bisher nicht geschieht, haben w i r erläutert. Die Vorschläge, die das erwähnte Gutachten der Wertpapiervereinigung zur Rechnungslegung und Publizität macht, sind nicht ausreichend. Sie laufen praktisch n u r auf eine Verbesserung der Auskunftspflicht der Verwaltung hinaus. Zukünftig solle die Hauptversammlung und nicht mehr die Verwaltung entscheiden, ob eine Ausk u n f t verweigert werden kann. Der Vorstand solle jedoch ein Einspruchsrecht behalten, durch das die Entscheidung vertagt und einer neu einzuberufenden Hauptversammlung vorbehalten wird. Eine Änderung der Vorschriften des Aktiengesetzes über die Bilanz und die Gewinn- und Verlustrechnung hält das Gutachten f ü r überflüssig. Die Bildung stiller Rücklagen soll weiterhin zugelassen sein. Die Grenze zwischen vorsichtiger Bewertung und bewußten Rücklagenbildung sei so flüssig, daß die Tragweite eines Verbotes der B i l d u n g stiller Rücklagen ohnehin fraglich wäre. Der Denkschrift stimmen w i r insoweit zu, als tatsächlich m i t einem Verbot stiller Rücklagen nicht viel geholfen wäre. Es sind vielmehr klare gesetzliche Bewertungsvorschriften erforderlich, die auf die Tages werte abgestellt sind. Darüber hinaus kann man den Unternehmern nicht die Rechnungslegung allein überlassen, w e i l man sie damit i n einen übermäßigen Interessenkonflikt bringt. Zieht man diese Konsequenz nicht, so werden die Reformvorschläge jedoch illusorisch. Die Deutsche Zeitung und Wirtschafts-Zeitung 2 8 weist i n diesem Zusammenhang m i t Recht darauf hin, daß ohne klare Rechnungslegung und einwandfreie Bewertung Abschlüsse überhaupt nicht beurteilt werden können. „Solange die A k t i v e n und Passiven nicht m i t ihren echten Werten zu Buch stehen u n d die Ertragslage durch Angabe der einzelnen Posten nicht durchleuchtet wird, bleibt das Feststellungsrecht der 28

Nr. 7 v o m 24. 1. 1953.

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Hauptversammlung und die Auskunftspflicht ohne Wert. Bei unzureichenden Bilanzen u n d Gewinn- und Verlustrechnungen kann der Aufsichtsrat selbst den Überblick über die wirkliche Ertragslage verlieren. Die Schutzvereinigungen haben sich bei ihrer Stellungnahme zur Publizitätspflicht wahrscheinlich von den Erwägungen leiten lassen, die eine genauere Feststellung des Status aus Steuergründen unratsam erscheinen lassen." Das dritte Grundrecht der Aktionäre bezieht sich auf die Geschäftsführung. Es ist zweifellos richtig, daß hierbei die Verwaltung i n der Lage sein muß, ihre Aufgabe nach den Forderungen des Tages zu erfüllen. Das kann sich sinngemäß aber n u r auf die laufende Geschäftsführung beziehen. Dementsprechend sind bisher schon gewisse außerordentliche Entscheidungen der Hauptversammlung vorbehalten 2 9 . Diese Vorbehalte sind jedoch ungenügend, w e i l Vorstand und A u f sichtsrat trotzdem Gelegenheit haben, den wirtschaftlichen Charakter des Unternehmens durchgreifend zu verändern, ohne daß die Aktionäre gefragt werden müssen. Zum Teil erfahren sie es auch nachträglich kaum. Derartige strukturelle Fragen sind unseres Erachtens der Erwerb von Beteiligungen oder von Betrieben, sowie die Neuerrichtimg selbständiger Betriebe. Auch Neuinvestitionen für die vorhandenen Betriebe, die über gewisse Größenordnungen i m Vergleich zum bisherigen Betriebsumfang hinausgehen, können die Grundlage der Betriebe verschieben. Überläßt man der Verwaltung solche Entscheidungen allein, so gibt man i h r mehr Rechte, als zu einer wirkungsvollen Verwaltung notwendig sind. Rentabilität, Bonität und Liquidität des der Verwaltung anvertrauten Vermögens können vollständig verändert werden. Überdies bringt man die Hauptversammlung der Aktionäre auch hinsichtlich der Finanzierung dieser Investitionen i n eine Zwangslage; es w i r d i h r häufig nichts übrig bleiben, als die Gewinne der Unternehmung zur Selbstfinanzierung zu benutzen oder das Kapital zu erhöhen. Der Kauf einer Aktie, so meint der Industrie- und Handelstag i n seiner erwähnten Denkschrift m i t Recht, dürfte schließlich nicht dazu führen, daß die Verwaltung den Aktionär zur Investition seiner an sich verdienten Dividende zwinge. Man sollte von dem Grundsatz ausgehen, daß zur laufenden Geschäftsführung des Vorstandes nur die Verwaltung der vorhandenen Betriebe m i t dem am Anfang des Geschäftsjahres vorhandenen Eigenkapital gehört. Strukturinvestitionen müßten also i n die Kompetenz der Hauptversammlung fallen, die gleichzeitig auch über die Finan29 Über Satzungsänderungen, Erhöhung u n d Herabsetzung des Kapitals, über Auflösung, Verschmelzung, Umwandlung, Vermögensübertragung u n d Gewinngemeinschaft.

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zierung beschließen sollte. Wichtig wäre es dafür, daß die Satzungen hinsichtlich des Gesellschaftszweckes enger gefaßt werden müßten. Es darf dem Management nicht überlassen bleiben, ob es sich über sein Tätigkeitsfeld hinaus weiter ausbreitet. Eine solche Regel würde unseres Erachtens auch i m Interesse der Gesamtwirtschaft liegen, insofern die Tendenz zur Akkumulation und Konzentration i n der Wirtschaft gebremst würde. Die Denkschrift der Wertpapiervereinigung zur Reform des Aktiengesetzes bezeichnet das Dividendenrecht als das wichtigste Individualrecht des Aktionärs. Sie fordert, daß zukünftig die Kapitaleigner über Gewinnfeststellung und Gewinnverwendung entscheiden, indem die Hauptversammlung wiederum das Recht erhält, die Bilanz festzustellen. Auch der Industrie- und Handelstag w i l l , daß dieses Recht wieder der Hauptversammlung zuerkannt wird. I m Sinne der Wirtschaftsordnung wäre allerdings einzuschränken, daß die Aktionäre zwar über die Verwendimg der Gewinne entscheiden sollen, daß aber deren Feststellung zweckmäßigerweise ganz aus dem Bereich der Interessenten herausgenommen wird. N u r auf diese Weise entgeht man der von der Wertpapiervereinigung selbst erkannten Schwierigkeit, daß die Grenzen der Bewertung allzu flüssig sind. Schließlich hat die Gewinnfeststellung i n der Zeit vor dem jetzigen Aktiengesetz tatsächlidi zu vielen unfruchtbaren und kaum lösbaren Zwistigkeiten zwischen Hauptversammlung und Verwaltung geführt. Geht man von einer objektiven Bilanz aus, so bedeutet dies, daß sie keine stillen Rücklagen enthält. I m Interesse der Existenz der Unternehmung muß jedoch gesichert sein, daß nicht der gesamte Gew i n n der Unternehmung verteilt wird, sondern gewisse Mindestrücklagen — wenn auch offen — erfolgen. Als Sicherheit gegen das allgemeine Unternehmungsrisiko dienen bisher schon die sogenannten „gesetzlichen Rücklagen". Während sie durch das Aktiengesetz schematisch auf 10 % festgesetzt sind, sollte man erwägen, ob es nicht richtiger wäre, diesen Satz bei Unternehmungen m i t hohem Anlagevermögen, also m i t erhöhtem Risiko, höher zu bemessen. Die Risiken des Umlaufvermögens, die vor allem i n Preisschwankungen liegen, wären zweckmäßigerweise durch besondere gesetzliche Rücklagen aufzufangen, indem man — w i e oben vorgeschlagen — Gewinne aus der Aufwertung von Bilanzbeständen von der Gewinnverteilung f ü r einige Jahre ausschließt. Der danach verbleibende Reingewinn aber sollte tatsächlich der Hauptversammlung zur vollen und freien Entscheidung überlassen sein — unbegrenzt vom Aktiengesetz w i e von den bisherigen steuerlichen Hemmungen. N i m weist die Denkschrift m i t Recht auf die Gefahr hin, daß die Mehrheit der Hauptversammlung die Ansprüche der einzelnen

Die Reform der Aktiengesellschaft

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Aktionäre auf eine angemessene Dividende vereitelt und die Gewinne der Verwaltung zur Selbstfinanzierung überläßt. Sie fordert daher, die Selbstfinanzierung zwar nicht auszuschließen, aber doch einzuschränken, und schlägt vor, den Aktionären aus dem freien Gewinn zunächst die übliche Verzinsung des der Gesellschaft anvertrauten Kapitals zu sichern. N u r den restlichen Gewinn könne die Hauptversammlung ganz oder teilweise von der Verteilung ausschließen. Ergänzend empfehlen wir, die Mindestverzinsung nicht n u r auf das Aktienkapital, sondern auf das gesamte Eigenkapital, das heißt einschließlich, der Rücklagen, zu beziehen, sowie die NichtVerteilung restlicher 1 Gewinne wie eine Kapitalerhöhung zu behandeln, das heißt von der gleichen Stimmenmehrheit i n der Hauptversammlung abhängig zu machen. Hinsichtlich des Grundrechts der Aktionäre auf den Gewinn ist zu bedenken, daß es zum Sinn des Eigentums gehört, dem Eigentümer Früchte zu bringen, sei es durch eine direkte Nutzung (Haus, Möbel, Kleidung), oder über den M a r k t durch zusätzliches Einkommen. Das Eigentum an Produktionsmitteln i m besonderen soll die Abhängigkeit vom laufenden Arbeitseinkommen verringern, was gerade f ü r den kleinen Mann wichtig ist. Ist das Gewinnrecht nicht gesichert, so w i r d es -unmöglich sein, jene Mitbürger für diese Form der Eigentumsbildung zu gewinnen, auf die die Wirtschaft zukünftig besonders angewiesen sein wird. Das Recht der Aktionäre, ihre Gesellschaft zu liquidieren, hatte bisher kaum Bedeutung, w e i l die Manager daran nicht interessiert waren und sie durch das Steuerrecht noch unterstützt wurden. Die Gesellschaften waren meist sehr langlebig. Daß sie starben, geschah dann fast n u r durch Fusion m i t anderen Unternehmen oder durch Konkurs. Möglicherweise w i r d sich dies i m Zuge einer allgemeinen Aktienrechts- und Kapitalmarktreform ändern. Warum sollen es die Aktionäre nicht vorziehen, ein Unternehmen, das durch die Marktentwicklung nicht begünstigt ist, aufzulösen, bevor die noch vorhandene Substanz verzehrt ist? Warum sollen sie sich nicht entschließen, den Liquidationserlös selbst wiederanzulegen statt dem Manager zu gestatten, daß er eine neue Betriebsaufgabe sucht und sie damit finanziert? Unseres Erachtens ist auch die Tatsache der seltenen freiwilligen Unternehmungsliquidation ein Zeichen dafür, daß die Bürger bisher von den Managern überspielt wurden.

Fünftes

Kapitel

D e r Bürger als Mitarbeiter — vom Proletarier z u m Vollbürger 1. Auf dem Wege zur Integration Ein

Prozeß

der

Besinnung

Vieles spricht dafür, daß die gegenwärtige „zweite industrielle Revolution" auf gesellschaftlichem Gebiete durchaus anders verläuft als die erste. Die erste Phase der industriellen Entwicklung spaltete die Menschen nach ihrer Stellung i m Wirtschaftsprozeß i n große Klassen. I n Zukunft w i r d die berufliche Tätigkeit für die gesellschaftliche Stellung und das gesellschaftliche Bewußtsein vermutlich sehr zurücktreten. Wenn die Arbeitszeit schrittweise herabgesetzt w i r d und daher der Bereich der freien Lebensgestaltung an Bedeutung gewinnt, wenn die Produktion weiter ansteigt und daher genügend Existenzgüter für alle geschaffen werden, wenn die Massenarbeitslosigkeit nicht wiederkehrt und daher Verdienstmöglichkeit für alle gesichert ist und wenn schließlich auch die soziale Achtimg der Arbeiter innerhalb und außerhalb des Betriebes gewährleistet ist, dann werden sich die Arbeiter i n erster Linie nicht mehr als Arbeiter, sondern als gleichberechtigte Bürger eines neuen Typs fühlen. Daß dies keine Utopie ist, zeigt uns der Wandel, der bereits i m gesellschaftlichen Bewußtsein der Arbeiter, besonders der jungen Generation, eingetreten ist, ihre vielbesprochene Verbürgerlichung. So kritisch man gegen den gegenwärtigen Prozeß der Verbürgerlichung auch unter mancherlei Gesichtspunkten sein muß, i m ganzen genommen begrüßen w i r ihn, w e i l damit der Klassenhaß überwunden und die Arbeiterschaft i n die neue ausgeglichenere Gesellschaft eingeschmolzen wird. Leistungsfähigkeit und Berechtigung einer neuen Wirtschaftsordnung haben sich a n der Aufgabe zu bewähren, diese gesellschaftliche Integration der Arbeiter zu ermöglichen. I h r gegenüber sind viele andere Erfolge, die sich i n Produktions- und Umsatzzahlen, Investitionen und Kapitalbildung, i n der Außenhandelsbilanz und der Währungspolitik zeigen, so wichtig sie auch sein mögen, sekundär. Das gleiche gilt selbst von den betont sozialen Zielen w i e Vollbeschäftigung, leistungsfähiger Sozialversicherung und Mitbestimmung. W i r messen ihren Wert daran,

A u f d e m Wege zur Integration

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ob und wie weit sie den wirtschaftenden Menschen freier und reicher machen. Einzelerfolge, welche die Arbeiter und ihre Organisationen i m sozialpolitischen Kampf erringen, sind n u r wahrer Fortschritt, wenn durch sie das Gesamtschicksal der Arbeiter, ihre neue bürgerliche Situation, gefördert wird. Der gegenwärtige Bewußtseinswandel erklärt sich aus geänderten wirtschaftlichen Verhältnissen. Wer deren Bedeutung i n Übereinstimmung m i t Marxschem Realismus auch anerkennt, sollte deshalb nicht übersehen, daß die bewußte Bejahung der neuen Entwicklung durch die Arbeiter wesentlich ist. M i t größtem Interesse verfolgen w i r daher die Gespräche, die heute unter den Arbeitern, ihren Organisationen und den ihnen nahestehenden Parteien stattfinden. Beachtenswert sind hierbei vor allem die Gewerkschaften. Ihre Haltung w i r d die Zukunft unserer Wirtschaftsordnung stark mitbestimmen. W i r d es gelingen, die Gewerkschaften für eine neue Wirtschaftsordnung zu gewinnen, auch wenn diese zum Teil andere als die bisher geforderten Wege vorsieht, u m die wesentlichen Anliegen der heutigen Arbeiterbürger zu erfüllen? Die

Einheitsgewerkschaft der

auf

dem

Höhepunkt

Macht

W i r können dem Prozeß der gewerkschaftlichen Besinnimg nur gerecht werden, wenn w i r uns bewußt sind, was er von den Verantwortlichen fordert. Für die sozialistischen Gewerkschaftsführer ist die bisherige Haltung i n einer Tradition von mehr als hundert Jahren begründet und letzthin weltanschaulich bestimmt. Die Werte, die nunmehr fragwürdig werden, sind gefühlsmäßig tief verwurzelt. Dazu kommt, daß die Methoden und Parolen des gewerkschaftlichen Kampfes zu großen historischen Erfolgen geführt haben. Und schließlich beruhen auf ihnen Lebensaufgabe und Stellung der Gewerkschaftsführer. Es geht daher nicht nur u m intellektuelle Einsicht, sondern u m eine persönliche Gesamtentscheidung. Wer heute geneigt ist, Fehlhandlungen einzelner Gewerkschaftsführer oder bestimmter gewerkschaftlicher Gruppen zu kritisieren, sollte sich diese Schwierigkeiten des Wandlungsprozesses vor Augen halten. Er w i r d dann eher verstehen, welche ethischen Leistungen von den Gewerkschaftsführern gefordert sind. Die bisherigen Ideologien und Methoden der Gewerkschaften sind nur aus dem Gegensatz zur kapitalistischen Phase der Marktwirtschaft zu erklären. Wenn die Gewerkschaften nicht nur am Arbeitsmarkt, sondern i n der gesamten Wirtschaft nach Machtpositionen strebten, so ist dies i m wesentlichen Reaktion auf die Machtpositionen der besitzenden Schichten. Sie haben also nicht gesunde Marktverhältnisse vorgefunden und beseitigen wollen, sondern die Übermacht einer „herrschenden Klasse", deren Interessen vielfach noch vom Staat i n marktwidriger

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Der Bürger als Mitarbeiter

Weise gefördert wurden. Sie blieben damit allerdings auf der Ebene, auf der die Unternehmer — unwissend oder schuldhaft — arbeiteten. I h r historisches Verdienst war, daß sie auf diese Weise ihre Mitglieder durch Selbsthilfe gegen Ausbeutung und W i l l k ü r der stärkeren Seite schützten. Mögen w i r von heute aus gesehen auch bedauern, daß die Arbeiterbewegung bisher die Marktwirtschaft grundsätzlich abgelehnt hat, statt eine bessere Marktwirtschaft zu fordern, so liegt doch die Schuld nicht bei ihr, sondern bei der ganzen Gesellschaft. Der Gegensatz zwischen der Arbeiterschaft und der übrigen Gesellschaft erhielt erst durch K a r l Marx weltanschaulichen Charakter. I n der weitaus größten deutschen Gewerkschaftsorganisation, den Freien Gewerkschaften, wurde i n enger Zusammenarbeit m i t den Sozialdemokraten der Interessen- u n d Aufgabenbereich über die Selbsthilfe dec Arbeiter am Arbeitsmarkt hinaus auf alle Gebiete der Wirtschafts- und Sozialpolitik, ja sogar auf die allgemeine Gesellschafts-, K u l t u r - und Staatspolitik ausgedehnt. Es entstand die Tendenz, alle diese Gebiete von der Stellung des Arbeitnehmers und der Gewerkschaft als seiner Interessenorganisation aus zu betrachten, umzubilden und zu beherrschen. I m praktischen Kampf hat man zwar — i m Gegensatz zu Marx' A u f fassung — immer wieder Kompromisse geschlossen, u m Teilerfolge zu sichern. Man hat sich jedoch nicht m i t dem kapitalistisch-sozialistischen Mischsystem zufrieden gegeben, das sich daraus i n der Weimarer Repub l i k entwickelte. Die Tendenz zu weiteren sozialistischen Formen und zu neuen Machtpositionen blieb. Die Einheitsgewerkschaften, die nach der nationalsozialistischen Ä r a und dem zweiten Weltkriege gebildet wurden, stellen einen Zusammenschluß der sozialistischen, christlichen und liberalen Gewerkschafter dar. Die ideologische Haltung wurde bisher jedoch i m wesentlichen durch die Tradition der größten Gruppe, der sozialistischen, bestimmt. Die grundsätzlichen Entscheidungen, die i m Protokoll Gründungskongreß des Deutschen Gewerkschaftsbundes 1949 niedergelegt sind, zeigen dies recht deutlich. Dort heißt es: „Als Selbsthilfeorganisation gebildet, sind die Gewerkschaften durch die Erweiterung ihres Aufgabenkreises über diesen ihren ursprünglichen Charakter hinausgewachsen. . . . Die Freiheit der Gewerkschaftsbewegung erfordert allseitige und uneingeschränkte Anerkennung des Koalitionsrechtes." Koalitionsrecht sei nicht nur die Freiheit und das Recht der Arbeitnehmer, sich zur Erlangung günstiger Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen miteinander zu vereinigen. Es schließe auch das Recht zur Selbstbestimmung des Aufgaben- und Zuständigkeitsbereiches sowie das Recht des Arbeitskampfes zur Erreichung der Ziele ein.

A u f dem Wege zur Integration

193

M i t solchen Formulierungen zeigten die Gewerkschaften die Tendenz, sich der allgemeinen staatlichen Kontrolle zu entziehen, die eigene A u f gabe autonom zu bestimmen, universell zu erweitern und die gewerkschaftlichen Kampfmittel, vor allem den Streik, nicht n u r gegenüber den Unternehmern als anderer Marktpartei, sondern gegebenenfalls auch gegen Staat und Parlament einzusetzen. Hierbei ist zu bedenken, daß das gewerkschaftliche Kampfmittel des Streiks i n der heutigen Wirtschaft geeignet ist, nicht nur die Unternehmer als Tarifpartner unter Druck zu setzen; vielmehr kann ein Streik, der versorgungswichtige Betriebe umfaßt, das gesamte öffentliche Leben lähmen und die Existenzmittelversorgung des ganzen Volkes verhindern. Ein w i r k licher Generalstreik kann jede Regierung zwingen, nachzugeben oder zurückzutreten Die Gewerkschaften haben i n den Jahren 1949 bis 1951 den Höhepunkt ihrer Macht und ihres Einflusses erreicht. I m öffentlichen Leben gewannen sie eine Stellung wie keine andere wirtschaftliche Organisation. Als geschlossene Gruppe waren sie wesentlich stärker geworden als die Unternehmerorganisationen. Dies wurde deutlich, als sie i n den Jahren 1950 u n d 1951 das Mitbestimmungsgesetz für die Montanindustrie gegenüber Regierimg und Parlament durchsetzten. Seit diesem Siege, auf den w i r zurückkommen, traten jedoch Gegentendenzen hervor. I n manchen Kreisen der Arbeiterschaft und der aus der Gewerkschaft hervorgegangenen Politiker erkannte man, daß diese Kampfmethoden gegenüber den Organen des demokratischen Staates nicht unbedenklich sind. Vor allem erlitt die Gewerkschaft i n der öffentlichen Meinung, die bis dahin recht gewerkschaftsfreundlich war, einen Rückschlag. Und schließlich wurde fraglich, wie weit die Gewerkschaftsmitglieder bereit waren, ihren weitgehenden Forderungen zu folgen. Das vor allem seit den Bundestagswahlen von 1953, i n denen auch viele Arbeitnehmer und Gewerkschafter der Regierung das Vertrauen aussprachen, obwohl die Gewerkschaften die Opposition begünstigt hatten. Es ist ein gutes Zeichen für die reale Einstellung des größten Teils der Gewerkschaftsführer, daß sie bereit zu sein scheinen, aus solchen Erfahrungen ihre Konsequenzen zu ziehen. So erklärte zum Beispiel Ludwig Rosenberg vom Vorstand des DGB i m November 1953: „ W i r brauchen uns keinen Unterricht von Saisondemokraten i n Demokratie geben lassen, aber w i r dürfen auch nicht für uns beanspruchen, die Demokratie auslegen zu wollen." Die politische Verantwortung liege beim Wähler. Die Gewerkschaften dürften i h n und die politischen Parteien nicht aus dieser Verantwortung herauslassen, w e i l sie damit die parlamentarische Demokratie aufgeben würden. „ W i r haben weder das Recht noch die Pflidit, politische Entscheidungen des Volkes durch Maßnahmen zu revidieren, die dem Wählerwillen entgegenstehen." Ebenso 13 Kahl, Macht und M a r k t

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Der Bürger als Mitarbeiter

meinte der Landesvorsitzende von Nordrhein-Westfalen, Werner Hansen, i m März 1955, daß der politische Streik n u r möglich sei, wenn das Grundgesetz angegriffen würde. Seit dem Herbst 1954 traten mehr und mehr auch innergewerkschaftliche Spannungen hervor. Dr. Viktor Agartz, damals Leiter des W i r t schaftswissenschaftlichen Instituts der Gewerkschaften, trat auf dem 3. Bundeskongreß des DGB i n Frankfurt für einen radikalen syndikalistischen Kurs ein. Dadurch rief er die freiheitlich sozialistischen und die christlich-sozialen Gegenkräfte hervor. Einige Gruppen der ehemals christlichen Gewerkschafter, die dem DGB seit Jahren Verletzung der weltanschaulichen und politischen Neutralität vorgeworfen hatten, entschlossen sich nunmehr, wieder eine eigene christliche Gewerkschaft (CGD) auszurufen. Die gemäßigten sozialistischen und christlich-sozialen Gewerkschafter wurden dadurch veranlaßt, enger i m DGB i m Interesse der Einheit und eines fortschrittlichen Wegs zusammenzuarbeiten. Ob die neuen christlichen Gewerkschaften Erfolg haben werden, hängt auf Sicht vor allem von der weiteren Entwicklung i m DGB ab. Die große Mehrheit der Gewerkschafter, auch der christlich-sozialen, neigt offensichtlich nicht mehr zu Weltanschauungsgewerkschaften. Sie wertet die Gewerkschaften nicht mehr ideologisch, sondern recht nüchtern nach dem, was sie praktisch für die Mitglieder leisten. Wenn die Führung des DGB das berücksichtigt und wenn sie die verschiedene weltanschauliche Haltung ihrer Mitglieder achtet, werden die meisten ihr w o h l treu bleiben. Ein

historischer

Umbruch?

Die Gewerkschaften haben den gesellschaftlichen Umbruch, i n dem w i r vor allem seit der Währungsreform stehen, verhältnismäßig spät erkannt. Er ist ihnen, ebenso wie der Sozialdemokratie, offenbar erst durch die Bundestagswahlen von 1953 bewußt geworden. Das erklärt sich w o h l daraus, daß sie bisher zu sicher waren, den gesellschaftlichen Fortschritt selbst zu verkörpern. Was ihrer Tradition und Weltanschauung widersprach, empfand man daher als „reaktionär" und „restaurativ". Nunmehr zeigt sich die Gefahr, daß den Gewerkschaften die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung davonläuft. Es ist kaum zu übersehen, daß die Arbeiter, vor allem der jüngeren Generation, nicht mehr klassenkämpferisch, ja nicht einmal klassenbewußt denken. Das w i r k t sich auch i m Verhältnis der Gewerkschaftsorganisationen zu den Mitgliedern aus. Die Gewerkschaftsführer beobachten m i t Sorge, daß ihre Mitglieder nicht mehr das Interesse und die Solidarität zeigen, die für die früheren Kampfzeiten üblich waren. Obwohl es zunächst

A u f dem Wege zur Integration

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u m die materielle Besserstellung der Arbeiterklasse ging, waren damals auch die ideellen Kräfte lebendig, die Bereitschaft, Opfer zu bringen, Risiken zu übernehmen, das eigene Interesse zugunsten des allgemeinen zurückzustellen. N u r dadurch sind viele Erfolge möglich gewesen. Wie sieht es heute aus? Die Arbeiter sind gegenüber der Gewerkschaftspolitik verhältnismäßig gleichgültig geworden. W o h l zählt die Einheitsgewerkschaft fünf bis sechs Millionen Mitglieder, aber die Mehrzahl ist weder opferbereit noch begeistert. Die Gewerkschaftsversammlungen sind i m allgemeinen schlecht besucht, es sei denn, daß sie i m Rahmen von Betriebsversammlungen stattfinden. Dieses mangelnde Interesse ist sogar festzustellen, wo es u m Tarifstreitigkeiten geht, deren Ergebnis die Mitglieder stark betrifft. Ein weiteres Zeichen dafür ist der schlechte Beitragseingang. Die Gewerkschaften haben i n dieser Schwierigkeit nicht den Ausweg verschmäht, die Beiträge durch die Lohnbüros der Unternehmer einziehen zu lassen, die das heute allerdings meist ablehnen. U m die Mitglieder zur Beitragszahlung zu veranlassen, werden die Unterstützungen nach den geleisteten Beiträgen bemessen, so daß also die soziale Hilfsbedürftigkeit gegenüber der eigenen Leistung zurücktritt. Schließlich hat sich gezeigt, daß die Mitglieder den Parolen nur unzuverlässig folgen, zum Beispiel bei den Sozialversicherungs- und den Bundestagswahlen i m Jahre 1953. Es wäre jedoch falsch, aus diesen Erscheinungen zu schließen, daß die Arbeitnehmer gewerkschaftsfeindlich seien. Sie halten weiterhin die Gewerkschaften f ü r notwendig und bejahen zumeist die Einheitsgewerkschaft. Sie bekennen sich aber nur noch m i t einer A r t müder Solidarität zu i h r und übernehmen ungern Verpflichtungen. Die Gewerkschaftsführer neigen manchmal dazu, die Schuld für diese Verhältnisse einseitig bei den Mitgliedern zu suchen. Sie werfen ihnen etwa Egoismus, Vermassung, Materialismus, Betriebsabhängigkeit vor. Es ist jedoch unfruchtbar darüber zu klagen, weil man damit nicht die Realitäten ändert, auf denen der Bewußtseinswandel beruht. Es ist, wenn es so pauschal w i e häufig geschieht, außerdem ungerecht, w e i l die Arbeiter auch private und betriebliche Ziele verfolgen, die die Gewerkschaften bisher vernachlässigt haben oder ihrer Natur nach, gar nicht vermitteln können. Und es ist schließlich aussichtslos, ohne Rücksicht auf neue Tatsachen die alte Politik weitertreiben zu wollen, weil man damit Schiffbruch erleiden muß. So besteht nur die Chance, sich an die geänderten gesellschaftlichen Verhältnisse anzupassen. Die gesamte Gesellschaft ist dringend daran interessiert. Die breiten Schichten der Arbeiter brauchen eine Gewerkschaftsführung, die sich fördernd i n die neue Entwicklung hineinstellt und nicht i n unfruchtbarer K r i t i k abseits steht. Es ist notwendig, damit die neue Gesellschaft zu einem besseren Gleichgewicht kommt, als die vergangene durch den Klassen13*

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Der Bürger als Mitarbeiter

kämpf und seine Waffenstillstände erreichen konnte. Die Gefahr der Restauration, von der vor allem bei den Sozialisten so oft gesprochen wird, besteht nicht n u r darin, daß sich die Vertreter des Kapitals, das heißt die Manager, gegen die gesellschaftliche Reform sträuben. Ebenso gefährlich ist, wenn die Vertreter der Arbeiter, die Funktionäre, einen Zustand restaurieren wollen, der durch die Vennachtung des W i r t schaftslebens gekennzeichnet ist. 2. Uberholte Wirtschaftsideologie Das

Denken

in

Machtpositionen

Die Programme, die die Gewerkschaften i n den Nachkriegs jähren zur Wirtschaftsordnung und zur Wirtschaftspolitik veröffentlicht haben, beruhen noch auf der traditionellen Denkweise, so daß sie i m Zuge der neuen Entwicklung grundsätzlich überprüft werden sollten. So heißt es i m „Protokoll Gründungskongreß des Deutschen Gewerkschaftsbundes 1949" unter anderem, die Wirtschaftspolitik sei ein „Kampfplatz, auf dem sich entscheidet, wieviel die einzelnen Interessengruppen an Arbeit und Leistung für die Gesamtheit aufzubringen haben und i n welchem Umfange sie am volkswirtschaftlichen Ertrag beteiligt werden". Folgerichtig wünschte der Deutsche Gewerkschaftsbund, daß die auf dem Eigentum beruhenden Machtpositionen geändert werden und daß er selbst Einfluß auf die planwirtschaftlich vorgestellte Wirtschaftspolitik erlangt. I n diesem Sinne forderte man das Gemeineigentum an den Schlüsselindustrien, den Verkehrseinrichtungen und den Kreditinstituten sowie die Mitbestimmung der organisierten (!) A r beitnehmer. Die Konzeption der Mitbestimmung wurde i m A p r i l 1950 i n den Vorschlägen zur „Neuordnung der deutschen Wirtschaft" erläutert. Was sich die Gewerkschaften zur laufenden Wirtschaftspolitik vorstellten, ergab sich aus den Forderungen, die sie i m März 1951 an die Bundesregierung stellten. Von unserem heutigen Standort aus ist die gewerkschaftliche Konzeption keineswegs so fortschrittlich, wie i n der gewerkschaftlichen Diskussion üblicherweise behauptet wird. Allerdings ist es ebenso einseitig, die gewerkschaftlichen Vorschläge nur aus dem Machtwilleri der Gewerkschaftsführer und -funktionäre zu erklären, wenn diese auch mittels der Mitbestimmung ihren Einfluß zweifellos erheblich steigern könnten "und zum Teil schon gesteigert haben. Solche Motive mögen zwar mitwirken, auch wenn man sich dies nicht einmal selbst eingesteht, wie es umgekehrt Leute gibt, gerade auch unter den Arbeitnehmern, die n u r deshalb gegen die gewerkschaftliche Mitbestimmung sind, w e i l sie den Funktionären nicht die Aufsichtsratsmandate und Arbeitsdirektorenposten gönnen. Wesentlich ist gegenüber solchen Mo-

Überholte Wirtschaftsideologie

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tiven, den berechtigten K e r n der gewerkschaftlichen Forderungen nicht zu übersehen. Die Programme der Gewerkschaften setzen noch die allgemeine Vermachtung der Wirtschaft voraus. Ihre A n t w o r t lautet, es müsse der Macht der herrschenden Klasse diejenige der bisher beherrschten Klasse gegenübergestellt werden, wobei die Organisation der ausgebeuteten und unterdrückten Arbeiter f ü r diese selbst die Macht zu übernehmen habe. M a n sollte der Gewerkschaft einräumen: Wenn die Wirtschaft durch politische und wirtschaftliche Macht bestimmt wird, dann ist es durchaus berechtigt, daß sich die Gewerkschaften daran beteiligen. Wenn die Unternehmer Gewinne machen, die nicht durch marktgerechte Leistungen, sondern zum Beispiel durch planwirtschaftliche Desorganisation oder durch Monopole ermöglicht werden, so fehlt diesen die ethische Basis, und es ist nicht einzusehen, w a r u m die Gewerkschaften sich an dem ungerechten Mammon nicht beteiligen sollen 1 . Wenn die Unternehmer infolge nicht funktionier ender Märkte kein adäquates Risiko für schlechte Leistungen haben, dann können auch Beamte oder Funktionäre ohne Sachkennnis und ohne persönliche Verantwortung mitregieren. Kurzum: W i r d die Wirtschaftsdemokratie nicht durch die Märkte verwirklicht, dann ist es logisch, daß die Arbeitnehmer als eine besonders große Gruppe der Bürger wenigstens durch das Surrogat der gewerkschaftlichen Mitbestimmung an der Macht und an den Übergewinnen beteiligt werden. Anders ist es jedoch, wenn die Alternative n i d i t mehr: Wirtschaftliche Macht nur der Unternehmer oder Mitbestimmung der Gewerkschaften heißt, sondern: Beibehaltung der vermachteten Wirtschaft oder unmittelbare Mitbestimmimg aller Bürger. Die Voraussetzungen ändern sich also, wenn es darum geht, die Wirtschaftsdemokratie auf andere Weise zu verwirklichen, wenn i m Rahmen einer neuen Wirtschaftsordnung jede marktwidrige Macht, sowohl der Manager wie der Funktionäre, vermieden werden soll. Das

Programm

der

gewerkschaftlichen

Mitbestimmung Betrachten w i r zunächst unter diesem Gesichtspunkt die Konzeption der Mitbestimmung. Sie hat eine Vorgeschichte, die i n die Zeit vor dem Dritten Reich zurückgeht. Der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund hat bereits i m Jahre 1928 das Mitbestimmungsrecht der Arbeitnehmer auf den Gebieten der Wirtschaftsgesetzgebung, Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsverwaltung gefordert. Das Programm wurde i n 1 Insofern ist es durchaus verständlich, w e n n die Gewerkschaften an der L e i t u n g der Kartelle „ i n angemessenem Verhältnis" beteiligt werden wollen.

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Der Bürger als Mitarbeiter

einem Gemeinschaftswerk sozialistischer Theoretiker und Praktiker, das Fritz Naphtali i m A u f t r a g des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes herausgab, entwickelt. Danach sollte die Wirtschaftsdemokratie die „wirtschaftliche Autokratie" der Unternehmer und ihrer Organisationen brechen und so die politische Demokratie erfüllen. Der Weg sollte über die Demokratisierung der Wirtschaft zum Sozialismus führen 2 . Allerdings sollte die Mitbestimmung sich n u r auf die überbetrieblichen K o l l e k t i v Vertretungen der Arbeiterschaft erstrecken, während die Betriebsräte sie auf der betrieblichen Ebene n u r durchführen und überwachen sollten. „Erst die organisierte und von den Gewerkschaften kontrollierte Wirtschaft, die auch den einzelnen Unternehmer zum beauftragten u n d gebundenen Führer eines Betriebes macht, w i r d die wirksame Kontrolle dieser Betriebsführung durch den gesetzlich eingesetzten Betriebsrat möglich machen." Die Vorschläge zur „Neuordnung der deutschen Wirtschaft" vom A p r i l 1950 bauten auf dem alten Gedanken der Wirtschaftsdemokratie auf, erweiterten i h n aber, indem nimmehr neben der „Mitbestimmung der Arbeitnehmer auf der überbetrieblichen Ebene" auch die „ M i t bestimmung der Arbeitnehmer i m Betrieb" gefordert wurde. Ja, diese wurde zunächst zum Hauptfeld des gewerkschaftlichen Kampfes. I h r Schwerpunkt liegt beim Aufsichtsrat, der grundsätzlich auch i n großen Unternehmungen, die nicht Aktiengesellschaften sind, gebildet werden sollte. Die Hälfte der Aufsichtsratsmitglieder sollte „auf Vorschlag der Spitzenorganisation der Gewerkschaft" aus Vertretern des Betriebsrates und der Gewerkschaft berufen werden. Vorstandsmitglieder, die für die arbeits-, sozial- und personalpolitischen Maßnahmen verantwortlich sind, sollten nicht gegen die Stimmen der Arbeitnehmer Vertreter i m Aufsichtsrat bestellt werden dürfen. I n den Betrieben sollte außerdem ein Wirtschaftsausschuß, dem je zur Hälfte Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter angehören, gebildet werden. Die Arbeitnehmer-Mitglieder sollten vom Betriebsrat „ i m Zusammenwirken" m i t der zuständigen Gewerkschaft benannt werden. Der Ausschuß sollte „Produktions- und sonstige wirtschaftliche Fragen" behandeln. Bei Meinungsverschiedenheiten sollte der Aufsichtsrat entscheiden. Solche Mitbestimmung ist, wie man sieht, weniger eine solche der Arbeitnehmer als eine der Gewerkschaften, und zwar nicht einmal i n erster L i n i e der zuständigen Gewerkschaft, sondern der Spitzenorganisation. Bei i h r liegt infolge des Vorschlagsrechts f ü r die Aufsichtsrats2 Siehe dazu Franz Böhm, „Das wirtschaftliche Mitbestimmungsrecht der Arbeiter i m Betrieb", ORDO, 4. Band, 1951, Düsseldorf, Seite 42 ff.

Überholte Wirtschaftsideologie

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mitglieder, das tatsächlich ein Bestimmungsrecht wäre, der eindeutige Einfluß. Wer das Mißtrauen kennt, m i t welchem die Gewerkschaftsfunktionäre vielfach den „Betriebsegoismus" und die „Unternehmerhörigkeit" der Betriebsräte und Belegschaften betrachten, w i r d sich darüber nicht wundern 3 . I n den „Grundsätzen zur Neuordnung der Wirtschaft", die vom Bundesvorstand als „unteilbares Ganzes" bezeichnet wurden, sah die Gewerkschaft folgende Organe der überbetrieblichen Mitbestimmung vor: den Bundeswirtschaftsrat auf Bundesebene, die Landeswirtschaftsräte auf Landesebene und die Wirtschaftskammern an Stelle der bisherigen Industrie- und Handelskammern. Der Vollständigkeit halber sollten auch die Handwerks- und Landwirtschaftskammern nach gleichen Gesichtspunkten wie die Wirtschaftskammern neu geordnet werden. Die Hälfte der Mitglieder aller Kammern sollte von der Spitzenorganisation der Gewerkschaft benannt werden. Bemerkenswert ist wiederum, daß der Einfluß der Gewerkschaftsmitglieder auf diese zentralistische Benennimg sehr gering sein würde — zumal die Funktionäre der Spitzenorganisation i m wesentlichen von den Funktionären der Fachgewerkschaften bestimmt werden — und daß die Gewerkschaftsspitze den „Faktor Arbeit" allein repräsentieren möchte, obwohl ihre M i t glieder nicht einmal 40 % aller Arbeitnehmer und keine 30 °/o aller Erwerbspersonen ausmachen. Die Gewerkschaften forderten für den Bundeswirtschaftsrat, daß sie 50 Vo der Vertreter auch jener Gruppen benennen, bei denen die Arbeitnehmer wesensgemäß weniger bedeuten. Sie wollten die Hälfte der Vertreter f ü r die Landwirtschaft — wo die Arbeitnehmer weniger als 50 °/o der gesamten Arbeitskräfte stellen — ebenso für das Handwerk, den Einzelhandel, die freien Berufe und die Wissenschaft benennen 4 . Welche Bedeutung würden die Wirtschaftsräte haben? Der Bundeswirtschaftsrat sollte insbesondere die Regierung, den Bundestag und den Bundesrat i n wirtschafts-, sozial- und finanzpolitischen Fragen beraten und Vorschläge unterbreiten. Er sollte die wirtschaftliche und 3 Auch w i r haben Bedenken dagegen, w e n n die Arbeitnehmer über ihren Einfluß auf den Aufsichtsrat zugleich Vorgesetzte ihrer Vorgesetzten w e r den. A b e r das liegt auf anderer Ebene u n d soll später noch erläutert werden. 4 Die andere H ä l f t e der Vertreter soll von den wirtschaftlichen Verbänden der Unternehmungen u n d — soweit es sich u m öffentliche Unternehmungen handelt — von den zuständigen Zentralbehörden ernannt werden. W e n n die Willensbildung der Unternehmungen aber bereits paritätisch durch die betriebliche M i t b e s t i m m u n g erfolgt, oder dort der Einfluß der Gewerkschaft gar überwiegt, w ü r d e n auch die Wirtschaftsräte von den Gewerkschaften beherrscht sein. Dies besonders, soweit die Zentralbehörden, die f ü r öffentliche Unternehmungen die Vertreter benennen sollen, v o n politischen Gesinnungsfreunden der Gewerkschaft besetzt sind. So könnte v o n einer gleichberechtigten Vertretung von A r b e i t u n d K a p i t a l keine Rede sein.

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Der Bürger als Mitarbeiter

soziale Entwicklung fördern und einen Ausgleich der Interessen innerhalb der Wirtschaft herbeiführen. Entsprechende Aufgaben oblägen den Landeswirtschaftsräten i n den Ländern, während die Wirtschafts-, Handwerks- und Landeswirtschaftskammern die bisherigen fachlichen Aufgaben der Institution übernähmen, an deren Stelle sie träten. Der Deutsche Gewerkschaftsbund hatte sicher nicht die Absicht, m i t tels seiner Mitbestimmung marktwirtschaftliche Grundsätze zu fördern. Vermutlich wollte man durch die Wirtschaftsräte das Parlament i m Sinne planwirtschaftlicher, sozialistischer Vorstellungen beeinflussen. Tatsächlich könnte das Parlament keiner Machtkonzentration widerstehen, die beansprucht, für „die" Sozialpartner zu sprechen. Es wäre einer Institution kaum gewachsen, die öffentlichen Charakter hat und zugleich erklärt, daß die eigentlich Beteiligten der Wirtschaft schon einig seien oder wenigstens überwiegend zugestimmt hätten. Welche Abgeordneten, welche Parteien würden sich dann dem V o r w u r f sozialer oder wirtschaftlicher Rückständigkeit aussetzen? Zumal wenn man bedenkt, daß die gleichen Machtgruppen ja auch auf die Nominierung der Abgeordneten durch die Parteien großen Einfluß haben. Mitbestimmungs-

und Betriebsverfassungsgesetz

Das Mitbestimmungsprogramm konnte bisher nur zum geringen Teil verwirklicht werden. Den größten Erfolg hatte die Gewerkschaft bei der innerbetrieblichen Mitbestimung für den Bereich des Bergbaues und der eisen- und stahlerzeugenden Industrie, wo auch die Voraussetzungen für sie am günstigsten lagen. Die Montankorizerne waren nach Kriegsende von der britischen Besatzungsmacht, die unter dem Einfluß der Labourregierung stand, beschlagnahmt und unter Kontrolle gestellt worden. Die Treuhandverwaltung hatte sich i m Zuge der Entflechtung der Konzerne m i t den Gewerkschaften geeinigt, so daß die Belegschaften und Gewerkschaften bereits seit 1947 i m Aufsichtsr at vertreten waren und ein von den Gewerkschaften vorgeschlagener Arbeitsdirektor i m Vorstand als gleichberechtigtes Mitglied tätig war. Bemerkenswert ist, daß diese Mitbestimmung von einem „Manager" inspiriert worden ist; nämlich dem Leiter der Treuhand-Verwaltung, einem früheren Vorstandsmitglied der Vereinigten Stahlwerke. Es ist außerdem zu beobachten, daß diese Regelung unter Verhältnissen stattfand, unter denen die Eigentumsrechte besonders problematisch waren 5 . 5 Götz Briefs ist der Auffassung, daß m i t dieser Anregung die G e w e r k schaften überhaupt erst Geschmack an der betrieblichen M i t b e s t i m m u n g gewonnen haben. „Zwischen Kapitalismus u n d Syndikalismus. Die G e w e r k schaften am Scheideweg", M ü n c h e n 1952; Seite 108.

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berholte Wirtschaftsideologie

I m Sommer 1950, also wenige Monate, nachdem die Gewerkschaft der Öffentlichkeit und dem Parlament ihre „Vorschläge" zur Mitbestimmung übergeben hatte, wurden für die Montanindustrie die paritätische Mitbestimmung i m Aufsichtsrat und die Bestellung von Arbeitsdirektoren als „unabdingbare und unteilbare Forderung" bezeichnet, hinter der alle „gewerkschaftlichen M i t t e l " stehen würden. Anfang 1951 erließ der Bundestag ein Gesetz, das i m wesentlichen, wenn auch nicht vollständig, den Gewerkschaftswünschen entspricht. Jedenfalls werden die Arbeitnehmervertreter i m Aufsichtsrat und der Arbeitsdirektor vornehmlich von der Spitzenorganisation der Gewerkschaften benannt. Weniger erfolgreich waren die Gewerkschaften bei der Mitbestimmung für die übrige Wirtschaft, denn das Betriebsverfassungsgesetz vom 11. Oktober 1952 steht auf einer durchaus anderen geistigen Basis. Die Arbeitnehmervertreter erhielten zwar ein D r i t t e l der Aufsichtsratssitze, doch ist diese Form der Mitbestimmung eindeutig bei der Belegschaft verankert, da diese die Aufsichtsratsvertreter direkt wählt und betriebsfremde Vertreter nur gewählt werden dürfen — keineswegs müssen —, soweit dem Aufsichtsrat mehr als zwei Arbeitnehmervertreter angehören. I m übrigen gibt es Arbeitnehmervertreter i m A u f sichtsrat nur bei juristischen Personen, und auch dort nicht, wenn es sich u m Familiengesellschaften unter 500 Arbeitnehmer handelt. Ein Arbeitsdirektor i m Sinne der gewerkschaftlichen Forderungen wurde nicht vorgesehen. Abgesehen hiervon ist durch das B V G die Mitbestimmung der Arbeitnehmer i n sozialen, personellen und wirtschaftlichen Angelegenheiten so geregelt, daß die letzte Verantwortung der Inhaber oder Organe der Unternehmungen i n der Geschäftsführung nicht beseitigt wird. Das Gesetz hat die Tendenz, Unternehmer und Arbeitnehmer zum innerbetrieblichen Ausgleich von Gegensätzen und zur gegenseitigen Rücksichtnahme zu veranlassen. Ziel des Gesetzes ist die vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat zum Wohle des Betriebes und seiner Arbeitnehmer, ohne daß dabei die Basis der Marktwirtschaft zerstört wird. Im Widerspruch

gegen die neue ordnung

Wirtschafts-

Die Gewerkschaften haben sich gegen das Betriebsverfassungsgesetz leidenschaftlich gewehrt und behauptet, es stelle gegenüber den gewerkschaftlichen Forderungen und dem Mitbestimmungsgesetz für die Montanwirtschaft einen sozialen Rückschritt dar. Diese Behauptung ist verständlich, wenn man die Wirtschaft noch als Machtkampf der beiden Sozialpartner Arbeit und Kapital, repräsentiert durch Gewerkschaften und Unternehmer, betrachtet. Für uns liegt die Entscheidung über die

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Der Bürger als Mitarbeiter

Neuordnung der deutschen Wirtschaft jedoch nicht nur auf der Ebene des Wirtschaftsapparates, seiner Manager und Funktionäre, sondern i n der Aufgabe, dem Bürger, auch dem Arbeiterbürger, die rechte Stellung gegenüber der Wirtschaft zu verschaffen. M i t Böhm meinen w i r , daß nicht die Unternehmer, sagen w i r die Manager, die geborenen und eigentlichen Gegner des Mitbestimmungsrechtes sind. „Die eigentlichen Gegner des Mitbestimmungsrechtes sind vielmehr Leute, die i n volkswirtschaftlichen Zusammenhängen denken, sind die Gesamtheit derjenigen Mitglieder der Gesellschaft, die sich i n ihrer Eigenschaft als Verbraucher, Privatrechtssubjekte und Staatsbürger eine D i k t a t u r der Sozialpartner' ganz entschieden verbitten und davon überzeugt sind, daß es sich hier u m eine dilettantische Fehlkonstruktion der Gesellschaft handelt 6 ." Für uns ist also nicht das Hauptbedenken, daß die Mitbestimmung i n der von den Gewerkschaften geforderten A r t zu sehr die Stellung der Manager beeinträchtigt, sondern daß sie m i t der Konzeption der neuen Marktwirtschaft unvereinbar ist. Manager und Funktionäre w ü r den sich, wie gerade die Montanwirtschaft gezeigt hat, notfalls noch einigen, aber auf Kosten der Zivilisten der Wirtschaft, die als Verbraucher und als Eigentümer geschädigt würden und als Mitarbeiter von i h r kaum etwas hätten. Berechtigterweise weist Böhm auch darauf hin, daß den von den Gewerkschaften beanspruchten Hechten keine entsprechenden Pflichten gegenüberstehen. Die mitbestimmungsberechtigten Arbeitervertreter nähmen weder an der zivilrechtlichen Haftung teil, noch trügen sie eine politische Verantwortimg nach den Grundsätzen der Demokratie. Sie seien überhaupt niemandem Rechenschaft schuldig, weder den Gläubigern des Unternehmens, noch dem deutschen Volk, sei es dem Bundestag, sei es einem parlamentarisch verantwortlichen Minister. Sie seien sowohl zivilrechtlich als auch staatsrechtlich exterritorial. Soweit w i r an die Arbeitnehmer-Situation i m engeren Sinne denken, dürfen w i r nicht übersehen, daß m i t ihr zwangsläufig eine Abhängigkeit verbunden ist, die auf der betrieblichen Zweckmäßigkeit beruht. Auch wenn die Berufsarbeit, soweit überhaupt möglich, sachlich befriedigend und menschlich w ü r d i g gestaltet wird, bleibt ein Rest, der i n keinem Wirtschaftssystem abgeschafft werden kann. W i r können die Tatsache nicht wegdiskutieren, daß der Betriebszweck für die große Zahl der Betriebsangehörigen Unterordnung unter eine Betriebsleitung erfordert. Diese Mitarbeiter müssen daher interessiert sein, daß i h r Dasein nicht mehr als unbedingt notwendig an diesen Zustand der A b hängigkeit gebunden w i r d und daß sie noch andere Lebenspositionen 6

a.a.O. Seite 21 ff.

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Überholte Wirtschaftsideologie

bekommen, welche sie entschädigen. Innerhalb des Betriebes aber kann das Los der Abhängigkeit nicht genug gemildert werden, indem i h r ein kollektives Mitbestimmungsrecht gegenübergestellt wird. Das eigentliche Anliegen der Mitbestimmung ist, wie w i r später zeigen wollen, nicht ein kollektives, sondern ein persönliches. Die betriebliche Mitbestimmung i n der von der Gewerkschaft vorgeschlagenen Form verträgt sich nicht m i t der Marktwirtschaft. Sie würde vor allem die Chance einer Eigentumsreform vernichten, durch die die breiten Schichten der Mitbürger i m wahren Sinne persönliches Eigentum am Unternehmungsvermögen und damit eine sinnvolle M i t bestimmimg i n der Wirtschaft erhalten. Das heißt, die Mitbestimmung der Gewerkschaft müßte m i t um so größerer Abhängigkeit der Arbeitnehmer erkauft werden. Abbau

des

p l a n w i r t s c h a f 11 i c h e n

Denkens

Neben der Mitbestimmung haben die Gewerkschaften noch einen zweiten Komplex überholter Ideologie zu überwinden, den der Planwirtschaft. I n ihrem Gründungsprotokoll fordern sie noch grundsätzlich eine Wirtschaftspolitik der Vollbeschäftigung, des zweckmäßigsten Einsatzes aller volkswirtschaftlichen Produktionskräfte und die Dekkung des volkswirtschaftlich wichtigen Bedarfs, abgesehen von allen denjenigen sozialpolitischen Maßnahmen, die zum Repertoire des sogenannten Versorgungsstaates gehören. Kurzum, es ist ein klares Programm jener Planwirtschaft, die ihre Ungeeignetheit hinreichend bewiesen hat. Keinesfalls läßt es sich i n der Praxis m i t der weiteren gewerkschaftlichen Forderung, die Würde freier Menschen zu wahren, vereinbaren. Die gleiche Konzeption herrscht noch i n der Denkschrift des Deutschen Gewerkschaftsbundes vom März 1951, i n welcher er der Bundesregierung seine Forderungen zur Wirtschaftspolitik übermittelte. Hier sieht man zwei verschiedene Vorstellungsweiten zusammenprallen: einerseits die Zentralverwaltungswirtschaft m i t behördlicher Anordnung, m i t der Zurückstellung der persönlichen Freiheit, aber auch der privaten Bedürfnisse, andererseits die zwar noch äußerst unvollkommene, sozial unbefriedigende Welt der Marktwirtschaft, die inzwischen aber bewiesen hat, daß ihre Methoden überlegen sind. Der Deutsche Gewerkschaftsbund kritisiert i m März 1951: „Das sind die Folgen einer freien Marktwirtschaft und insbesondere einer überstürzten Liberalisierungspolitik i m Außenhandel, vor der die Gewerkschaften von A n beginn gewarnt haben. A l l e früheren Gegenmaßnahmen (Kreditrestriktionen, Bardepotzwang für Importe, Diskonterhöhung für die gesamte Wirtschaft usw.) haben die Abwärtsentwicklung nicht aufhalten können. Das sind die „Erfolge" einer Wirtschaftspolitik, die glaubte, m i t un-

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Der Bürger als Mitarbeiter

zulänglichen M i t t e l n eine freie Marktwirtschaft i n einem Lande durchführen zu können, das nach dem völligen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Zusammenbruch i n der Kriegs- und Nachkriegszeit ohne zielbewußte Lenkung und Planung überhaupt nicht zu einer wirtschaftlichen Gesundung kommen kann. Es w i r d immer klarer, daß man vom Beginn der ersten Marshallplan-Zahlung an immer verantwortungsloser i n den Tag hineinlebte und nunmehr vor einer Katastrophe steht, deren Ausmaß noch nicht zu übersehen ist." Und dann weiter: „Wie immer i n solchen Fällen, w i l l man heute nicht zugeben, daß die bisher verfolgte Politik und ihre Prinzipien falsch waren . . . Es ist daher kein Wunder, wenn sie versucht, m i t unzureichenden wirtschaftlichen und gefährlichen sozialen Maßnahmen, die man ,marktkonform' nennt, die Schwierigkeiten zu beseitigen und nach außen h i n die Fiktion der freien Marktwirtschaft aufrechtzuerhalten." Die Gewerkschaften verlangen, daß die Bundesregierung eine Wirtschaftspolitik beginnt, die unter anderem umfaßt: umfassende Investitionslenkung; ein straffes Investitionsverbot für „individuelle" Investierungen; Finanzierung der erwünschten Investitionen, indem alle Unternehmen ihre Abschreibungsbeträge und Gewinne abführen; Überwachung der Investitionen und ihre Finanzierung durch Gremien, die paritätisch von Unternehmung und Gewerkschaft besetzt werden. Ferner auf dem Gebiet des Außenhandels: Einfuhrbeschränkung für nicht lebenswichtige Güter und Exportförderung. Sodann Rohstofflenkung, höhere Löhne, niedrigere Preise, billige Wohnungen usw. usw. Man mag es als unfreundlich empfinden, daß w i r an diese Denkschrift von 1951, die keineswegs ein Ruhmesblatt i n der Gewerkschaftsgeschichte ist, erinnern. Indem man sie m i t der Wirklichkeit der folgenden Jahre vergleicht, ist sie jedoch besonders zur Besinnung geeignet. Wenn die Gewerkschaften weiterhin nach dem Erfolg der W i r t schaftspolitik urteilen, dann müssen sie ihre bisherige Konzeption aufgeben. W i r haben früher erlebt, was die Planwirtschaft bedeutet: Geldentwertung, Hemmung der Produktion, Stabilisierung des Mangels, aber viel Bürokratie und Verteilungsorganisation. Die Leidtragenden sind stets die Lohn- und Gehaltsempfänger, w e i l sie keine Sachgüter haben, mit deren Hilfe sie die lebenswichtigen Güter und Dienste ertauschen oder einen Teil ihres Arbeitsverdienstes wertbeständig anlegen können. Die Unternehmer aber können ohne Risiko — außer dem, bei einem Verstoß gegen die Bewirtschaftungsbestimmungen erwischt zu werden — und ohne echte Unternehmerleistung hohe Gewinne machen. Selbst wenn diese i m Zeichen gewerkschaftlicher Mitbestimmung von den Eigentümern auch nur beschränkt verwertet werden könnten, so verdecken sie doch die eigentlichen Mißerfolge der W i r t schaft.

Subsidiäre, n i c h t selbstnützige Gewerkschaften

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War es nicht auch i m Interesse der Arbeiter, daß die Bundesregierung den Forderungen der Gewerkschaften nicht nachgekommen ist? Viele ehemalige Freunde planwirtschaftlichen Denkens haben aus den neuen Erfahrungen m u t i g die Konsequenz gezogen, auch innerhalb der SPD, die es strukturell allerdings leichter hat, von einer Arbeiterpartei zur Partei der Arbeiter- und Kleinbürger zu werden. Aber auch die Gewerkschaft w i r d nicht u m h i n können, die gesamte Interessenlage ihrer Mitglieder zu respektieren. Das kann unter Umständen noch einmal bei der überbetrieblichen Mitbestimmung bedeutsam werden, die auf keinen Fall zum trojanischen Pferd werden darf, durch das die Planwirtschaft wieder i n die Wirtschaftspolitik eingeführt wird. Sollte w i r k lich ein Bundeswirtschaftsrat geschaffen werden, dann w i r d genug Gelegenheit sein, m i t besseren Methoden dafür einzutreten, daß die persönliche Unabhängigkeit und wirtschaftliche Selbständigkeit der w i r t schaftlich schwachen Schichten gefördert wird. 3. Subsidiäre, nicht selbstnützige Gewerkschaften Eine

allgemeine

Versuchung

Die Mitgliederzahlen der Gewerkschaften hatten i n den Jahren nach 1950 leicht fallende Tendenz, obwohl die Zahl der beschäftigten A r beitnehmer i n der Bundesrepublik während der gleichen Zeit u m M i l lionen zunahm. 1955 w a r nur ein D r i t t e l der Arbeitnehmer (Arbeiter, Angestellte und Beamte) Mitglied einer Gewerkschaft. Das mußte die Gewerkschaftsführimg m i t Sorge erfüllen. Ein Teil der Gewerkschaftsführer wollte die gewerkschaftliche Lethargie durch Radikalismus und gesteigerte A k t i v i t ä t überwinden. V i k t o r Agartz stellte sogar die demokratischen Grundlagen der Bundesrepublik i n Frage und drohte dem Staate m i t Gehorsamsverweigerung. Die meisten verantwortlichen Gewerkschaftsführer lehnen offenbar solche Auswege ab. Allerdings ist die innergewerkschaftliche Auseinandersetzung noch i m Gange. Dabei sind sich viele Beteiligte der grundsätzlichen Bedeutung ihrer konkreten Entscheidungen oft nicht bewußt. Der Mangel einer zeitgemäßen allgemeinen Konzeption führt zu einer widerspruchsvollen und uneinheitlichen Gewerkschaftspolitik. Es w i r d immer dringender, nicht nur die i m vorigen Abschnitt behandelten Fragen der Wirtschaftsordnung, sondern auch die innergewerkschaftlichen Konsequenzen der neuen gesellschaftlichen Lage vom Grundsätzlichen her zu überprüfen. Vielleicht sollten die Gewerkschaften einige unabhängige, jedoch den Gewerkschaftsgedanken bejahende Philosophen, Soziologen, Sozialökonomen und Juristen m i t Gutachten betrauen, die dann als Grundlage der weiteren gewerkschaftlichen Klärung und Entscheidung dienen könnten.

206

Der Bürger als Mitarbeiter

Es wäre zu untersuchen, wie weit sich der Aufgabenbereich der Gewerkschaften i m Rahmen der neuen Wirtschaftsordnung ändert. Wenn auch die Gewerkschaften als Interessentenorganisationen der Arbeitnehmer i m Arbeitsleben zuständig bleiben, so müssen sie doch damit rechnen, daß die sonstigen Interessen der neuen Arbeiterbürger zum Teil durch andere Organisationen nach anderen Gesichtspunkten vertreten werden können. Die Gewerkschaften sollten anerkennen, daß der Arbeitnehmer nicht selbstsüchtig, sondern i m Recht ist, wenn er den Gewerkschaften nur einen begrenzten, keinen umfassenden Anspruch auf Führung und Vertretung zuerkennt; denn keine Organisation, keine Institution kann alle Interessen einer Menschengruppe vertreten, selbst der Staat nicht. Jede ist immer einseitig. Daher ist es eine Vergewaltigung des gesellschaftlichen Daseins, wenn der Mensch seine Rechte allzu weitgehend auf eine Institution delegiert. Auch die Gewerkschaften haben nur Teilzwecke zu erfüllen, sie sind nicht Selbstzweck. Sie haben den Arbeiterbürgern n u r als M i t t e l für die Gestaltung eines nach überwirtschaftlichen Gesichtspunkten bestimmten Lebens zu dienen. Eine solche Bescheidimg anzuerkennen, ist f ü r die Repräsentanten der Gewerkschaften allerdings nicht leicht. Hier besteht die gleiche Gefahr, die w i r für andere Stellen der Wirtschaft schon mehrfach behandelt haben, die Gefahr nämlich, daß die Inhaber gesellschaftlicher Machtpositionen das Auftrags- und Dienstverhältnis mißachten, wobei sie sich selbst durch eine passende Ideologie entschuldigen. Es wäre wirklichkeitsfremd u n d ungerecht, diese Versuchimg der Macht, die w i r beim Manager herausgestellt haben, hier zu übersehen. Dabei liegt es uns — w i e w i r nochmals betonen — durchaus fern, die Gewerkschaftsführer und die Unternehmer als Gruppe oder persönlich herabzusetzen. Es geht n u r darum, eine allgemeine menschliche Gefährdung nüchtern zu sehen und daraus die gesellschaftspolitischen Konsequenzen zu ziehen. Denn die Erfahrung lehrt, daß es Verhältnisse gibt, die uns fast übermächtige Versuchungen auferlegen. Sie fördern den Manager oder Funktionär i n uns so stark, daß n u r wenige die Einsicht und die K r a f t aufbringen, zu widerstehen. I n dieser Hinsicht ähneln sich Manager- und Funktionärsituation, so wie ihnen gegenüber Kleinaktionäre und Arbeitnehmer, so merkwürdig dies auf den ersten Blick scheinen mag, i n einer vergleichbaren soziologischen Lage sind. Manager und Funktionäre sind die Repräsentanten des Wirtschaftsapparates, die den Aktionären wie den Arbeitnehmern, den Zivilisten, gegenüberstehen. Sie sind von diesen beauftragt, spezielle Aufgaben zu erfüllen und spezielle Interessen zu vertreten. Sie sind nötig, w e i l w i r bei der komplizierten gesellschaftlichen Struktur unserer

Subsidiäre, n i c h t selbstnützige Gewerkschaften

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Wirtschaft fähige Spezialisten brauchen u n d w e i l bei der gesellschaftlichen Zusammenarbeit nicht immer alle mitspielen können, sondern gewählte Vertreter für viele handeln müssen. Für diese aber besteht die Versuchung, sich von der Abhängigkeit zu befreien und die Stellung als autonom zu betrachten. Das w i r d ideologisch begründet, indem man die Auftraggeber, hier Aktionäre, dort Arbeitnehmer, als Egoisten verdächtigt und behauptet, man habe ihnen gegenüber allgemeine gesellschaftliche Interessen zu vertreten. Man beansprucht dann — w i r kommen immer wieder auf diese Formulierung zurück — für den eigenen Wirkungskreis, sei es die Unternehmung, oder die Gewerkschaft, eine funktionelle und institutionelle Autonomie. Der harmlose Zivilist jedoch durchschaut n u r selten die Situation und kann sich allein noch seltener wehren. Er ist den fähigen Fachleuten und ihrem Apparat nicht gewachsen u n d w i l l außerdem nicht das Odium der Eigennützigkeit auf sich nehmen. Das Ergebnis ist, daß Repräsentanten und Apparate immer wieder gegen den Bürger siegen. Vergessen wird, daß die Wirtschaft i m ganzen und i m einzelnen zweckmäßig dem Bürger zu dienen hat. W i r d jedoch das gesellschaftspolitische System der Leistungsgerechtigkeit nicht verletzt, so ist es durchaus angebracht, wenn die auftraggebenden Bürger an ihren eigenen Erfolg denken, an die wirtschaflichen Mittel, die sie brauchen, u m die vielgestaltigen, keineswegs immer egoistischen Ziele ihres Daseins zu verwirklichen. Die besonderen Gefahren, die aus der Situation der Funktionäre für den sozialen Frieden bestehen, hat Götz Briefs 7 temperamentvoll beschrieben. Der Kampf u m den A n t e i l am Sozialprodukt sei häufig deshalb so bitter, w e i l von Erfolg oder Mißerfolg die Machtstellung der Verbände und die Interessen der Funktionäre abhänge. Er bezeichnet diese Funktionäre — was immer sie auch f ü r eine Amtsbezeichnung tragen mögen — als die führende Schicht i n der zweiten Phase des w i r t schaftlichen Liberalismus. Der Funktionär sei der bestellte A n w a l t gegen ein anderes Interesse. „Wenn eine dauernde Formel für den Interessenausgleich zwischen den Sozialgruppen gefunden würde, verlöre er seine Existenz." Die Gefahr w i r d besonders groß, wenn die beauftragten Manager und Funktionäre bereit sind, sich über ihre gegenseitigen Positionen auf Kosten der Auftraggeber zu einigen. Dann haben w i r die Koalition der selbstnützigen Institutionen und selbstherrlichen Manager und Funktionäre gegen den Zivilisten, den sie beherrschen wollen, statt i h m zu dienen. Sind w i r nicht bereits so weit, wenn sich Unternehmer- und Arbeitnehmerorganisationen zusammensetzen, u m als „die beiden Sozialpartner" über die betriebliche und überbetriebliche Mitbestimmung 7

a.a.O., S. 56.

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Der Bürger als Mitarbeiter

zu verhandeln, wenn w i r bei solchen Verhandlungen nur von den Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital, nicht aber vom Menschen hören? Böhm meint dazu m i t Recht, die Unternehmer und die Arbeiter — w i r würden von den Managern und Funktionären sprechen — hätten sich so sehr i n die Vorstellung eingelebt, als bildeten sie beide zusammen „die" Wirtschaft, daß man gar nicht lärmend genug die Feuerglocke rühren könne, „ u m vor der Gefahr zu warnen, daß sich diese beiden, bislang feindlichen Brüder der gleichen Interessenfront, nämlich der Interessenfront der Produzenten, auf der Basis des Mitbestimmungsrechtes zu einem Konsortium zusammenfinden, das beansprucht, darüber zu bestimmen, was i n der Wirtschaft geschehen soll" 8 . Probleme

der

Gewerkschaftsdemokratie

W i r meinen, daß es nicht ausreicht, gegen diese Versuchung m i t ethischen Ermahnungen anzugehen. Vielmehr müßte man die gesellschaftlichen Verhältnisse so gestalten, daß die Beteiligten nicht überfordert werden. W i r wissen heute, daß bestimmte gesellschaftspolitische Konstruktionen m i t hoher Wahrscheinlichkeit bestimmte unerwünschte Folgen hervorrufen. Wollen w i r diese nicht, so müssen w i r bereits die U r sachen vermeiden. Andernfalls ist die Konstruktion falsch, so daß w i r nicht über die Unzulänglichkeit der Menschen klagen, sondern uns allen, der Gesellschaft i m ganzen, die Schuld zumessen sollten. Das Wichtigste ist, daß jede Macht begrenzt und kontrolliert wird, mögen deren Inhaber auch noch so tüchtig und so ideell eingestellt sein, mögen sie sich noch so sehr gegen die Einengung ihrer Tätigkeit und das ihnen gezeigte Mißtrauen wehren. Mißtrauen und Wachsamkeit gegenüber der Macht gehören zum Wesen der Demokratie. Umgekehrt aber können w i r sagen, daß die Demokratie nicht mehr i n Ordnung ist, wenn die Inhaber der Macht nicht mehr einer wirksamen Kontrolle unterliegen, sondern ohne die gebotene Rücksicht auf die Mitglieder t u n können, was sie wollen. W i r haben unter diesem Gesichtspunkt bereits einiges über die Demokratie der Aktiengesellschaft und über das Machtverhältnis zwischen Aktionären und Vorstand gesagt. Die Satzung des Deutschen Gewerkschaftsbundes und die Statuten der einzelnen Gewerkschaften betonen, daß die Gewerkschaften demokratisch aufgebaut seien. Wie sieht es tatsächlich i m Verhältnis zwischen Gewerkschaftsmitgliedern und -führern aus? Die oberste Instanz der einzelnen Gewerkschaften wie auch des Bundes ist der Gewerkschaftskongreß, zu dem die Delegierten alle zwei Jahre zusammentreten, u m den Hauptvorstand bzw. den Bundesvorstand zu wählen, die künftige Gewerkschaftspolitik f estzulegen und gegebenen8

a.a.O., S. 154.

Subsidiäre, n i c h t selbstnützige Gewerkschaften

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falls das Statut zu ändern. Die Delegierten selbst werden „nach demokratischen Grundsätzen" gewählt. Bei oberflächlicher Betrachtung könnte man also den Kongreß der Delegierten als das Parlament der Gewerkschaftsdemokratie betrachten, das den Hauptvorstand als Regierung wählt und die Satzungen als Gesetze beschließt. I n Wirklichkeit gibt es aber wesentliche Unterschiede. Diese bestehen zunächst bei der Wahl der Delegierten selbst, die bisher nur i n Ausnahmefällen für die Wähler ein bestimmtes Programm verkörpern, wobei ihnen andere Kandidaten anderer Richtungen gegenüberstehen. Es gibt weder einen vergleichbaren Wahlkampf noch eine solche Wahlbeteiligung. Der Delegierte hat naturgemäß auch nicht das gleiche Interesse an der Wahl wie der Parlamentsabgeordnete, der damit ein bedeutsames, ehrenvolles und gut dotiertes A m t behält. Da die Amtsdauer auf den Kongreß beschränkt ist, hat der Delegierte nicht die Zeit, sich m i t den sachlichen und persönlichen Fragen vertraut zu machen, zumal er üblicherweise keine Fraktion hat, die i h n berät und i n der sich jedes Mitglied spezialisieren kann. So sind i m ganzen genommen die Delegierten aus der einfachen Mitgliedschaft den Funktionären an Routine, Kenntnis der Probleme und Beziehungen so unterlegen, daß sie kaum eine eigene Linie verfolgen können. G i l t ohnehin schon der Erfahrungssatz, daß eine geschickte Tagungsleitung es leicht hat, ihre Ziele u n d Männer durchzusetzen, so t r i f f t dies hier besonders zu. Es ist nur bei dem Kongreß des Gewerkschaftsbundes anders, soweit die Funktionäre der verschiedenen Gewerkschaften, also Spezialisten, u m den Einfluß einzelner Gruppen und Richtungen ringen. Außerdem finden sich gelegentlich Ausnahmen, soweit die kommunistischen oder christlichen Organisationen nach Einfluß streben. Der Frankfurter Kongreß des DGB i m Jahre 1954 hat gezeigt, wie leicht man Beschlüsse von grundsätzlicher Bedeutung durchsetzen kann, ohne daß die Stimmberechtigten überhaupt merken, worum es geht: Das Referat von Agartz wurde als Grundlage der Gewerkschaftslinie anerkannt, obwohl es i n wesentlichen Punkten der bisherigen Linie der Gewerkschaften und den Grundlagen unserer gesellschaftlichen und staatlichen Ordnung widersprach. Solche Pannen wieder zu bereinigen, w i r d nicht immer möglich sein. Die Verfassung der Gewerkschaft enthält überdies weitere Probleme, die sich aus der straffen zentralistischen Organisation erklären. Diese ist zwar weniger bedeutsam, solange die oberste Führung von weise und demokratisch denkenden Männern wie Böckler, Fette oder Freitag besetzt ist, sie kann aber unter einer radikalen und aktivistischen Leitung gefährlich werden. Die hauptamtlichen Sekretäre aller Stufen — mit Ausnahme der vom Kongreß gewählten Vorstände — werden entweder von der Spitze selbst eingesetzt oder müssen doch von i h r be14 Kahl, Macht und Markt

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Der Bürger als Mitarbeiter

stätigt werden. Sie sind also so abhängig, daß sie i m Ernstfall den Wünschen des Vorstandes entsprechen müssen. Die Mitglieder selbst sind formal sehr eng an die allgemeine Linie gebunden. Wie w i r beispielsweise einem der Statute entnehmen, ist Voraussetzung für die Aufnahme als Mitglied, daß das Statut sowie die Beschlüsse der Gewerkschaftsorgane anerkannt werden. Jedes Mitglied ist verpflichtet, für die Erreichung der Gewerkschaftsziele zu wirken. Auszuschließen ist, wer den Interessen des Verbandes oder den Beschlüssen der Organe zuwiderhandelt. Der Ausschluß aber kann m i t wesentlichen Nachteilen verbunden sein. Man denke nur an den direkten oder indirekten Einfluß bei Entlassungen und Neueinstellungen i m Betrieb und bei Arbeitsgerichtsstreitigkeiten sowie an den Verlust von Unterstützungsrechten. Das Statut legt ferner Ziele u n d Aufgaben, an die die Mitglieder gebunden sind, umfassend fest 9 . Die weitaus größte Zahl der Mitglieder weiß zwar nicht, welche Pflichten sie so übernommen hat und wofür sich ihre Organisation gegebenenfalls m i t „allen" gewerkschaftlichen M i t t e l n einzusetzen hat. Immerhin gibt das Statut i m Streitfalle der Gewerkschaftsbürokratie eine starke formale Waffe, die vor allem die beamteten Mitglieder stark hemmen kann. Dezentralisierung

notwendig

Es ist w o h l nicht übertrieben, wenn w i r die heutigen Gewerkschaften als eine zentralistische Demokratie bezeichnen wobei w i r alle die Gefahren und Probleme beobachten können, die für dieses Verfassungssystem typisch sind. Dazu gehört, daß der W i l l e der Mitglieder leicht zu kurz kommt, daß überhaupt die Zentrale den Apparat so lenken kann, wie sie es wünscht. Eine funktionierende Demokratie ist nicht schon gesichert, wenn ab und zu geheim abgestimmt wird. Die gesamte gesellschaftliche Verfassung muß so sein, daß demokratisches Denken und Handeln begünstigt wird. Dazu gehören unter anderem weitgehende Publizität der Regierungstätigkeit, freie Meinungsbildung, Raum für die Entfaltung einer konstruktiven Opposition, echter Wahlkampf der vorhandenen Richtungen. Fehlt dies, so besagt die Abstimmung nicht viel. Die Erfahrung zeigt, daß i n totalitären Staaten die herrschende Richtung fast immer bestätigt wird, selbst wenn die Wahl 9 So f ü h r t z u m Beispiel das Statut einer der großen Industriegewerkschaften unter anderem an: E r r i n g u n g eines weitgehenden M i t b e stimmungsrechts i n der Wirtschaft, Demokratisierung der Wirtschaft und der V e r w a l t u n g sowie deren Bereinigung von nationalistischen, m i l i t a r i s t i schen u n d reaktionären Elementen, Pflege u n d Förderung der k u l t u r e l l e n u n d beruflichen F o r t b i l d u n g der Mitglieder, insbesondere der Erziehung zur Demokratie. Das gleiche Statut erklärt, zur E r f ü l l u n g dieser Aufgaben k ö n n ten alle gewerkschaftlichen M i t t e l einschließlich der Arbeitsniederlegung angewandt werden.

Subsidiäre, n i c h t selbstnützige Gewerkschaften

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geheim ist und nicht gefälscht wird. I n Sowjetrußland zum Beispiel finden die Gewerkschaftswahlen geheim statt, aber niemand w i r d meinen, daß dies Demokratie i n unserem Sinne sei. Der Unterschied zwischen solcher plebiszitären D i k t a t u r und der zentralistischen Demokratie ist nicht immer sehr groß. Immerhin, man kann vieles dafür anführen, daß i n Zeiten schwerer gesellschaftlicher Kämpfe eine solche Verfassung zweckmäßig und berechtigt ist, u m eine verschworene Gemeinschaft zu größter Stoßkraft zusammenzufassen. Möglicherweise ist dies noch die Haltung der verantwortlichen Gewerkschaftsführer gewesen, als diese Satzungen vorbereitet und beschlossen wurden. I n politischer Hinsicht erschien die Demokratie noch keineswegs gesichert, und es ist verständlich, wenn die Gewerkschaft entschlossen war, darauf zu achten, daß ihre traditionellen politischen Feinde nicht noch einmal an die Macht kommen. A u f wirtschaftlichem Gebiet herrschte noch die Absicht vor, wichtige strategische Positionen zu erobern und auf diese Weise eine neue wirtschaftliche und gesellschaftliche Ordnung herbeizuführen, die nicht auf dec unmittelbaren Entscheidung der Mitglieder selbst, sondern auf der zusammengeballten Macht ihrer Gewerkschaftsorganisation gegründet ist. Beide Voraussetzungen haben sich grundlegend gewandelt: Die politische Demokratie erscheint gefestigt, die wirtschaftliche Demokratie w i r d durch den M a r k t besser als durch die Macht geschaffen. Daher werden die Gewerkschaften zu prüfen haben, ob sie nicht auch auf organisatorischem Gebiet gewisse Konsequenzen ziehen sollen. Dafür spricht auch die oben geschilderte innere Situation, nämlich das Mißverhältnis zwischen dem straffen organisatorischen Aufbau und der Haltung der Mitglieder. Während die Gewerkschaftsführung nach außen so auftritt, als wenn sie eine kämpferische Gefolgschaft hinter sich hat, w i r d es nach innen immer schwerer, die Mitglieder zum M i t machen zu bewegen. Das Solidaritätsgefühl besteht zwar i m allgemeinen noch, aber es darf nicht überbeansprucht werden, sonst könnte es passieren, daß die Mitglieder nicht mehr folgen. Was nützt es schließlich, wenn man die Organisation auf dem Papier beherrscht, wenn alle Beschlüsse statutengemäß zustande kommen, selbst wenn die Urabstimmung funktioniert, aber die Mitglieder, bildlich gesprochen, nicht, mehr auf die Barrikaden steigen? Vielleicht besteht die Hauptaufgabe der Gewerkschaftsführung heute darin, die innere Übereinstimmung zwischen Organisation und Arbeitnehmern zu festigen und zu verhindern, daß der Gegensatz zwischen der Vorstellungswelt vieler Funktionäre und der der Arbeitnehmer weiterh i n zunimmt. Liegt nicht das Problem auch darin, daß der persönliche Kontakt durch die Zentralisierung und Bürokratisierung der Gewerk14*

212

Der Bürger als Mitarbeiter

schaft zu stark geschwunden ist? Dies erfordert allerdings, daß die Gewerkschaftsführer sich stärker der K r i t i k der Mitglieder stellen und auf ihre Wünsche und Bedürfnisse eingehen. Das Wesen solcher Reorganisation wäre unseres Erachtens, daß der Zentralismus aufgelockert w i r d und daß man nach dem Prinzip der Subsidiarität soviel Macht an die unteren Organisationskreise abgibt, wie sich m i t dem Gewerkschaftszweck vereinbaren läßt. Bemerkenswert ist, daß dieses Prinzip i m Verhältnis des Gewerkschaftsbundes zu den einzelnen Fachgewerkschaften viel weiter verwirklicht ist, ja daß diese eifersüchtig auf ihre Rechte und Kompetenzen bedacht sind. Sollten nicht auch innerhalb jeder Gewerkschaft die zentralen Organe sachlich und organisatorisch nur das an sich ziehen, was nicht von den unteren Instanzen erledigt werden kann? Die K r a f t und Zeit, die sie dadurch gewönnen, könnten sie verwenden, u m den Kontakt m i t den Mitgliedern stärker zu pflegen. Entscheidend ist, daß die Mitglieder wieder zu den eigentlichen Trägern der Bewegung werden. Sie müssen wieder das Bewußtsein bekommen, daß sie gebraucht werden, daß es auf sie ankommt, daß sie wirklich mitbestimmen. Dies ist naturgemäß nur möglich, wenn die Schwerpunkte der Arbeit dezentralisiert sind. Die Gewerkschaften sollten sich dabei den konkreten Sorgen und Beschwerden ihrer M i t glieder i n den einzelnen Betrieben widmen u n d ihnen m i t Rat und Tat helfen. Nicht die Macht der Institution, sondern der Dienst am Arbeitnehmer hat i m Vordergrund zu stehen, wenn sie das Interesse und das Vertrauen behalten oder wiedergewinnen wollen. Diese unterstützende Aufgabe i m A l l t a g erfordert viel Uneigennützigkeit und Bescheidenheit, muß aber die Gewerkschaften selbst elastisch und lebensnahe halten. Eine Folge wäre, daß die Sekretäre stärker von den Mitgliedern abhängig sind, daß sie daher von ihnen gewählt werden und ihnen verantwortlich sind. Selbstverständlich müssen sie an die Grundsätze des Statuts gebunden sein. Aber dieses Statut sollte wirklich nur die Aufgaben und Ziele verbindlich machen, die weiterhin zum K e r n der gewerkschaftlichen Tätigkeit gehören. Wesentliche und grundsätzliche Entscheidungen, die auf dem Gewerkschaftskongreß getroffen werden, müßten schon Monate vorher bekanntgegeben und i n der Gewerkschaftspresse sowie i n den Versammlungen für die Delegiertenwahl diskutiert werden, wobei die verschiedenen Richtungen zu Wort kommen können. A u f diese Weise ist dafür zu sorgen, daß eine M i t gliedermeinung gebildet w i r d und beim Kongreß zum Ausdruck kommt. Auch das Mißtrauen der Mitglieder gegenüber der Finanzgebarung wäre dementsprechend zu überprüfen. Nachdem die Gewerkschaften

M a r k t p r i n z i p u n d Kollektivvereinbarungen

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wieder einen beachtlichen Vermögensstock gesammelt haben, auf den sie bei starker Beanspruchung zurückgreifen können, ist der Beitragssatz von einer Arbeitsstunde je Woche, also 2 % des Brutto Verdienstes, zu hoch. Wenn die Gewerkschaften sich, wie zu hoffen ist, allmählich zum Eigentumserwerb ihrer Mitglieder und zum Marktprinzip positiv stellen, geht es nicht mehr an, daß sie auf Kosten der Mitglieder große Kapitalien sammeln und damit selbst wirtschaftliche Macht konzentrieren. 4. Marktprinzip und Kollektivvereinbarungen Fehlendes

Gleichgewicht

am

Arbeitsmarkt

Die Lage der Arbeiter hat sich zwar während des letzten Jahrhunderts erheblich gebessert, doch ist das weniger durch den Wettbewerb a m Arbeitsmarkt als durch die Macht der Gewerkschaften, also mit einer marktwidrigen Methode, erreicht worden. Selbstverständlich wäre es nicht möglich gewesen, wenn nicht die Entwicklung der Betriebstechnik die Voraussetzungen dafür geschaffen hätte. Die Verhältnisse am Arbeitsmarkt stehen noch heute überwiegend i m Widerspruch zu marktwirtschaftlichen Prinzipien. Allerdings haben nicht, wie manchmal von Unternehmerseite gesagt wird, die Kartelle der Gewerkschaften die Ordnung der Arbeitsmärkte zerstört, vielmehr funktionierte der Wettbewerb bereits vor ihnen nicht. M a r k t i m rechten Sinne erfordert ja, daß beide Marktparteien i n einem gewissen Gleichgewicht stehen. Die Marktpreise sollen aus einem Zustande entstehen, i n dem jeder Marktpartner sich u m die Leistung der Gegenseite bemüht und dabei m i t den Partnern der eigenen Marktseite konkurriert. A m A r beitsmarkt aber waren und sind die Unternehmer meist i n der stärkeren Position, so daß sie ohne Zusammenschluß der Arbeitnehmer die Arbeitsbedingungen weitgehend nach ihrem Ermessen bestimmen könnten. Das latente Übergewicht der Unternehmer ist also das Kernproblem des Arbeitsmarktes. Wie erklärt es sich? K a n n man es beseitigen? Davon hängt die Entscheidung ab, wie weit der Arbeitsmarkt auf die Dauer den Prinzipien einer neuen Marktwirtschaft angepaßt werden kann. W i r nennen hier zusammengefaßt die Hauptursachen f ü r die Schwäche der Arbeitnehmer, u m dadurch auf die etwaigen Ansatzpunkte für eine Änderung zu kommen. 1. Der vermögenslose Arbeitnehmer ist u m sein und seiner Familie Existenz w i l l e n allzu dringend auf den Arbeitsverdienst angewiesen. Er muß, falls die Arbeitsgelegenheiten knapp sind, auch auf ungünstige Bedingungen eingehen. Dies ist wesentlich eine Folge der Eigentumslosigkeit, die auch durch die Arbeitslosenversicherung nicht ausgeglichen wird, da, abgesehen von der Höhe der Unterstützung, die Arbeitsämter

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Der Bürger als Mitarbeiter

einen gewissen Druck auf den Arbeitnehmer ausüben, Arbeitsverhältnisse einzugehen, selbst wenn sie ihn ungünstig dünken. I m übrigen ist auch zu bedenken, daß der besitzlose Arbeitslose keine sinnvolle und fruchtbare Beschäftigung i m Heim hat, so daß die unfreiwillige Freizeit f ü r die meisten nahezu unerträglich ist. 2. Die Abhängigkeit vom Arbeitsverdienst t r i t t besonders kraß bei Konjunkturrückschlägen i n Erscheinung. Beim Unternehmer geht es dann um Vermögensverluste, beim Arbeitnehmer aber gleich u m die Existenz. Verliert er seinen Arbeitsplatz i n solcher Zeit, so hat er kaum Aussicht, bald eine neue Stellung zu erhalten. K a n n i h m die W i r t schaftsordnung jedoch die Sorge vor langwährender Massenarbeitslosigkeit nehmen, so w i r d seine allgemeine Position am Arbeitsmarkt stärker 1 0 . 3. Zahlreiche Arbeitnehmer stehen einer geringeren Zahl von Unternehmern gegenüber. Oft, nicht immer, haben die Arbeitnehmer nur wenige Kontrahenten, diese jedoch viele zur Auswahl. Es entstehen dadurch am Arbeitsmarkt — wenn nicht Nachfrage-Monopole — so doch Oligopole, deren Beteiligte sich auch inoffiziell leicht über die von ihnen zu gewährenden Arbeitsbedingungen einigen können. Beispielsweise kann man sich verständigen, daß Arbeitnehmer, die sich nach Meinung der Arbeitgeber nicht gut aufgeführt haben, i n anderen Unternehmen nicht eingestellt werden. Es w i r d dagegen sdiwer sein, eine umgekehrte Vereinbarung unter den Arbeitnehmern, die ebenfalls oft berechtigt wäre, zustandezubringen. Beim Oligopol fehlt jedenfalls eine wichtige Voraussetzung des Wettbewerbs. Oligopole entstehen m i t der Konzentration der Betriebe, so daß z. B. n u r wenige große Unternehmen einer bestimmten Branche an einem Ort sind. Die Stellung der Arbeitnehmer am Arbeitsmarkt ist dagegen stärker, wenn technisch selbständige Betriebe als selbständige Unternehmen arbeiten und daher selbständig Mitarbeiter einstellen. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist eine starke Konzentration von Betrieben bedenklich. 4. Die Stellung der Unternehmen w i r d durch die räumliche Enge des Arbeitsmarktes verstärkt. Die Arbeitnehmer sind vielfach an ihren Wohnort gebunden, so daß sie auf die dort befindlichen Unternehmen angewiesen sind. Demgegenüber käme es darauf an, sie beweglicher zu machen. Dazu gehört einerseits die Verbesserung der Verkehrsverhältnisse. I n dieser Hinsicht ist der größere Anmarschradius zu bedenken, der durch Motorrad und Auto geschaffen wird. Andererseits ist es wichtig, daß es dem Arbeitnehmer erleichtert wird, seinen Wohnsitz zu 10 N a t ü r l i c h gibt es i n einer konjunktursicheren Wirtschaft auch nicht die Knappheit an Arbeitskräften, die i n der Aufschwungsphase besondere Chancen f ü r Lohnerhöhungen — allerdings bei zweifelhaftem Dauererfolg — bietet.

M a r k t p r i n z i p u n d Kollektivvereinbarungen

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wechseln. Hierfür ist ein funktionsfähiger Häuser- u n d Wohnungsmarkt wesentlich. Auch aus diesem Grunde erweist sich eine Wohnungspolitik als unsozial, die den Wohnungsmangel durch Stopmieten und Unrentabilität des Grundbesitzes verstärkt sowie die Veräußerung von Eigenheimen zu angemessenen Preisen erschwert. 5. Sodann sind die Arbeitnehmer in ihrer beruflichen Tätigkeit vielfach zu sehr spezialisiert, so daß sie auf andere Marktsituationen nicht elastisch genug reagieren und keine andersartige Berufsarbeit übernehmen können oder wollen. Das ist zum großen T e i l eine Folge der herrschenden gesellschaftlichen Einstellung, die es zum Beispiel arbeitslosen Angestellten erschwert, eine Stellung als Arbeiter anzunehmen, selbst dann, wenn diese verhältnismäßig gut bezahlt wird. Es ist anzustreben, daß die falsche gesellschaftliche Betrachtungsweise, die w i r noch als Ballast m i t uns schleppen, überwunden wird. 6. Die Unternehmer haben den besseren allgemeinen Überblick über die Arbeitsmärkte i m allgemeinen und die Arbeitsbedingungen i m besonderen. Ihre Personalbearbeiter oder -abteilungen verfügen über rechtliche und wirtschaftliche Spezialkenntnisse und -erfahrungen, durch die sie dem „kleinen Arbeiter" überlegen sind. I n dieser Hinsicht benötigt der Arbeitnehmer die fachliche Beratung seiner Interessenorganisation. Echter

Arbeitsmarkt

soweit

möglich

W i r dürfen heute w o h l feststellen, daß ein erheblicher Teil der U r sachen, die bisher den Arbeitsmarkt funktionsunfähig machten, abgestellt werden könnte. Die Dringlichkeit der Arbeitstätigkeit ließe sich durch persönliches Eigentum der Arbeitnehmer herabsetzen, die Übermacht der Großunternehmen durch Auflockerung der Konzentration verringern, der M a r k t des einzelnen Arbeitnehmers durch größere örtliche Beweglichkeit ausweiten, Änderungen der Marktstruktur könnte man durch größere berufliche Elastizität begegnen, die Massenarbeitslosigkeit durch eine bessere Wirtschaftsordnung vermeiden. Wie ist es aber m i t einem strukturellen Überangebot von Arbeitskräften, das zum Beispiel eintreten kann, wenn die Produktivität durch weitere betriebstechnische Verbesserung stärker zunimmt als die Nachfrage? Dann sollte die Wirtschaftspolitik eine krampfhafte Konsumausweitung, die m i t großen Nachteilen erkauft werden muß, vermeiden. Man sollte vielmehr i n diesem Falle die allgemeine Arbeitszeit entsprechend herabsetzen; denn die relativ zu geringe Nachfrage bedeutet ja bei sonst funktionierender Wirtschaft, daß die Verbraucher — trotz aller Absatzwerbung! — keine so dringenden Bedarfswünsche haben. Wem von vornherein ein wirklicher Arbeitsmarkt als Illusion erscheint, dem sollte man zeigen, daß es auch jetzt neben der kollektiven

216

Der Bürger als Mitarbeiter

Vereinbarung der Arbeitsbedingungen einen bedeutenden freien A r beitsmarkt gibt. Schlagen w i r den Anzeigenteil einer Zeitung auf, so sehen w i r , wie Spitzenkräfte aller A r t gesucht werden, vor allem Spezialisten wie Organisatoren, Exportsachbearbeiter, Sekretärinnen, Vertreter. Sie alle ziehen es sicher vor, ihre Arbeitsbedingungen persönlich zu vereinbaren, w e i l sie hoffen, daß ihre besonderen Fähigkeiten dabei am besten anerkannt werden und daß sie besondere Wünsche verschiedenster A r t dabei durchsetzen können. Auch soweit Tarife bestehen, w i r d i n den meisten Unternehmen vielfach davon abgewichen, wobei die Effektivverdienste i m allgemeinen marktgerechter als die Tarifvereinbarungen sind. Marktmäßige Verhältnisse gibt es nicht nur für gesellschaftlich besonders angesehene, qualifizierte und gut bezahlte Berufe, sondern auch für einfache, wenn nur die Wirtschaftslage ihnen entgegenkommt. W i r denken zum Beispiel an einen der größten Berufszweige, der i m Laufe der letzten Jahrzehnte i m Inland wie i m Ausland große Fortschritte gemacht hat, obwohl er keineswegs machtvoll organisiert ist. Für ihn gibt es kaum Gewerkschaften noch Betriebsräte, kaum Tarifverträge noch gesetzliche Mitbestimmung. Es sind die weiblichen Hausangestellten, die auf Grund der Wettbewerbslage ihre Arbeitgeber, noch mehr ihre Arbeitgeberinnen, veranlassen konnten, hinsichtlich des Gehaltes, der Freizeit, des Zimmers und der sonstigen Behandlung andere Maßstäbe als früher anzuwenden. W i r sollten uns davor hüten, die kollektive Vereinbarung durch die Tarifpartner als zwangsläufig oder gar als ideal zu betrachten. Sie ist i m Grunde ein Notbehelf, der nur soweit benutzt werden soll, wie andernfalls die schwächeren Arbeitnehmer der Übermacht der stärkeren Arbeitgeber ausgeliefert wären. Es ist durchaus unangebracht, Tarifverträge zur Weltanschauung zu machen; denn sie setzen nur Macht gegen Macht. Das heißt, daß überall, wo ein wirklicher Arbeitsmarkt besteht oder möglich ist, dieser vorzuziehen ist. Er hat die gleichen grundlegenden Vorteile wie alle anderen Märkte: gesellschaftspolitisch, daß er dem W i l l e n aller Beteiligten den größten Raum gibt, wirtschaftspolitisch, daß er die Arbeitsleistung des Berufstätigen am zweckmäßigsten nutzbar macht, und sozialpolitisch, daß die Arbeitsverdienste nach der Leistung festgesetzt werden. So wäre mit Arbeitsmärkten den immittelbar Beteiligten wie auch der Allgemeinheit am besten gedient. Es ist zu hoffen, daß diese Erkenntnis eines Tages auch von den Gewerkschaften angenommen wird. Sie bedeutete allerdings, daß die Gewerkschaften auch als Tarifpartner subsidiär tätig werden.

M a r k t p r i n z i p u n d Kollektivvereinbarungen

Entgiftung

des

217

Tarifkampfes

Das ist weithin noch Zukunftsmusik. Auch i m besten Falle müssen w i r damit rechnen, daß Tarif Vereinbarungen notwendig bleiben, u m wenigstens gewisse untere Grenzen der Arbeitsbedingungen festzulegen. W i r müssen uns daher der Frage zuwenden, wie diese K o l l e k t i v vereinbarungen, die zweifellos ein Fremdkörper i n der M a r k t w i r t schaft sind, wenigstens so eingebaut werden, daß sie die allgemeine Ordnung nicht allzu sehr stören. Diese Aufgabe ist bisher vernachlässigt worden. Die Arbeitsgemeinschaft deutscher wirtschaftswissenschaftlicher Forschungsinstitute stellte noch Mitte 1954 fest, daß i m einzelnen keine Kriterien über das optimale Maß der Lohnsteigerung i m Sinne des volkswirtschaftlichen Wachstumsprozesses zur Verfügung ständen. Fr. A. Lutz, einer der wissenschaftlichen Förderer der neuen M a r k t wirtschaft, erklärte 1 1 das Problem der Lohnbildung als eine der schwierigsten Fragen der Neoliberalen. Die bisherige Praxis geht dahin, daß sich Arbeitgeber und -nehmer als zwei Kartelle gegenüberstehen, die die Tarife autonom vereinbaren. I m einzelnen entscheidet die Machtlage, wo man sich einigt. Aber die Arbeitsbedingungen sind keineswegs nur eine Angelegenheit der jeweiligen Tarifpartner; sie gehen die ganze wirtschaftende Gesellschaft an. Diese sollte es nicht unbeschränkt der jeweiligen Machtlage überlassen, was bei den Tarifverhandlungen herauskommt. Es besteht die Gefahr, besonders bei Monopolbetrieben wie i m Bergbau und i n der Verkehrs- und Versorgungswirtschaft, daß die Tarifpartner sich deshalb auf verhältnismäßig zu hohe Löhne einigen, w e i l sie sich sagen, die Verbraucher müssen die Mehrlöhne doch tragen. So kann das Ergebnis von Lohnerhöhungen sozial durchaus unbefriedigend sein. Oder eine allgemeine Lohnbewegung gefährdet das allgemeine Preisniveau und verursacht so für alle wirtschaftenden Bürger verderbliche Folgen. Die Spitzenorganisationen der Tarif partner haben zwar oft aus ihrer allgemeinen Verantwortung auf ihre Unterorganisationen eingewirkt. Es hat aber auch schon Situationen gegeben, wo sie sich nicht durchsetzen konnten oder andere Gesichtspunkte überwogen. Es ist allerdings nicht zu empfehlen, daß sich der Staat m i t der A u f gabe belastet, die Tariflöhne selbst festzusetzen oder den ständigen Schiedsrichter der Tarifpartner zu spielen. Dabei w i r d seine Autorität überbeansprucht, w i r d er der Pression der Interessenten ausgesetzt und entlastet er die Tarifpartner zu sehr von der eigenen Verantwortung. Die Erfahrungen, die man i n anderen Staaten m i t staatlichen Zwangsschiedsgerichten gemacht hat, sind überwiegend negativ 1 2 . 11

ORDO, V. Band, Seite 259. Siehe Herbert Gross, „Gewerkschaften als Opfer der Planwirtschaft. Beispiele aus Neuseeland u n d Australien", F A Z v o m 15. 3. 1952. 12

218

Der Bürger als Mitarbeiter

Richtig wäre es, die Lohnverhandlungen aus der W i l l k ü r der Tarifpartner und des Staates soweit möglich herauszunehmen, indem man sie objektiviert. Sinngemäße Grundsätze der Lohnbildung sollten die Verhandlungen der Tarifpartner entpolitisieren, neutralisieren und entgiften. Wie ist es bisher? Die Gewerkschaften betonen bei den Lohnverhandlungen üblicherweise, daß die Preise gestiegen sind, die bisherigen Löhne für den A r beiter „nicht mehr ausreichen" und sein „Existenzminimum" nicht gedeckt ist, während die Arbeitgeber auf die tatsächliche Steigerung des Verbrauchs an Butter, Fleisch oder die Anschaffung von Motorrädern, Fernsehapparaten und ähnliches verweisen. Eine solche Gesprächsbasis ist von beiden Seiten her falsch und unwürdig. Einerseits ist das sogenannte Existenzminimum ein sehr relativer Begriff. A u f der anderen Seite aber wäre es ungerecht, die Arbeiterschaft nicht an dem Wachst u m des Sozialvermögens und -produktes zu beteiligen. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände hat 1954 vorgeschlagen, eine Studienkommission zu schaffen, i n der beide Seiten gemeinsam unumstrittene Grundlagen für eine Beurteilung der Lohnpolitik schaffen. Eine solche Versachlichimg der Lohnpolitik wäre zu begrüßen. Allerdings hat der Staat die letzte Verantwortung, daß die Prinzipien der Tarifvereinbarungen richtig festgelegt werden. Er hat auch die Einhaltung der Prinzipien zu überwachen und i n Sonderfällen einzugreifen. Indessen ist nicht zu verkennen, daß es nicht leicht sein wird, eindeutige, objektive Maßstäbe zu entwickeln, nach denen die Tarifsätze so festgesetzt werden können, daß sie marktgerecht sind. Objektive

Maßstäbe

des

marktgerechten

Lohnes

W i r können hier nur einige Gesichtspunkte erwägen, die bei der Objektivierung der Arbeitsverdienste zu beachten wären. 1. Der Arbeitsmarkt darf kein Schlachtfeld sein, auf dem allein die Macht über den A n t e i l der Arbeitsverdienste am Sozialprodukt zu entscheiden hat. Das Ziel ist vielmehr, die Löhne und Gehälter möglichst so festzusetzen, wie sie bei einem echten Wettbewerb zustande kämen. Es sind also alle die Umstände maßgebend, die beim gesunden Wettbewerb auf die Bedingungen des Arbeitsmarktes einwirken. 2. I n der allgemeinen Lohnpolitik muß vor allem der Geldwert beachtet werden. Die meisten Arbeitnehmer wissen heute, daß sie Nominal- und Reallöhne unterscheiden müssen. Sie wissen, daß die Kaufkraft bei steigenden Löhnen sinken und bei sinkenden Löhnen steigen kann. Geht man davon aus, daß die Stabilität des Geldwertes i m Interesse der gesamten Wirtschaft, auch der Arbeitnehmer, die mehr und

M a r k t p r i n z i p u n d Kollektivvereinbarungen

219

mehr zugleich Vermögensinteressen haben werden, liegt, so w i r d man die Entwicklung der Nominallöhne auf die Stabilität des Geldwertes abstellen. Welcher Geldwert ist dafür maßgebend? Der Außenwert oder der Binnenwert der Währung, und i m zweiten Falle, wie w i r d dieser gemessen? Unseres Erachtens ist der innere Wert, bezogen auf die Lebenshaltungskosten entscheidend, denn dieser ist für den Menschen als Ziel der Wirtschaft am wichtigsten. Erkennen w i r dementsprechend den Lebenshaltungsindex als Maßstab des Geldwertes an, so sollte man darauf achten, wie sich die Verbrauchsstruktur wandelt und dementsprechend den Index ab und zu anpassen. 3. Der Reallohn ist bekanntlich von der Größe des Sozialproduktes abhängig. Es gibt Umstände, durch die das Sozialprodukt, bezogen auf den einzelnen Lohn- und Gehaltsempfänger, unvermeidlich zurückgeht. Z u m Beispiel wenn Millionen von Flüchtlingen i n ein Land wie Westdeutschland einströmen. Oder wenn am Weltmarkt die Rohstoffpreise i m Vergleich zu den Fertigwarenpreisen steigen: F ü r Industriestaaten wie Westdeutschland entsteht dann eine A r t Preisschere, wobei je Kopf der Berufstätigen das Realeinkommen -zunächst sinken wird. Darüber kann keine Lohnpolitik hinwegtäuschen. Möglicherweise kann man einen solchen Rückgang aber durch Erhöhung der Arbeitszeiten oder betriebstechnische Fortschritte ausgleichen. 4. Die größte Schwäche der bisherigen Tarifpolitik ist unseres Erachtens die mangelnde Elastizität. Marktgerechte Löhne müßten sich den laufenden Änderungen der wirtschaftlichen Verhältnisse elastisch anpassen. Die Löhne und Gehälter, die i n bestimmten Branchen oder für bestimmte Berufe oder i n den einzelnen Wirtschaftsgebieten gezahlt werden, müßten jeweils das M a r k t u r t e i l der Verbraucher über den gesellschaftlichen Wert dieser Arbeit ausdrücken. Unterstellt, das Interesse der Verbraucher wendet sich, nachdem andere Bedürfnisse inzwischen mehr berücksichtigt worden sind, verhältnismäßig stärker dem Bau von Eigenheimen zu, dann besteht ein Marktinteresse, daß nicht n u r das erforderliche Kapital und die Rohstoffe, sondern auch die Arbeitskräfte den einschlägigen Unternehmen des Baugewerbes zuströmen. Dies würde am zweckmäßigsten erreicht, wenn die Löhne in diesen Unternehmen anziehen, dagegen die Löhne i n anderen, nunmehr weniger begünstigten und m i t zuviel Mitarbeitern versorgten anderen Unternehmen wenigstens relativ zurückgehen. Die heutigen Tarifsysteme berücksichtigten solche Marktentwicklung zu wenig. Das liegt w o h l daran, daß die Gewerkschaften die Bedeutung dieser M a r k t anpassung noch nicht genügend anerkannt und — was vor allem wichtig ist — ihre Mitglieder noch nicht zum Marktverständnis erzogen haben. Hier w i r k t sich schließlich auch aus, daß die einzelnen Industriegewerk-

220

Der Bürger als Mitarbeiter

Schäften i n der Lohnpolitik gegenüber dem Gewerkschaftsbund autonom sind, so daß dieser eine Lohnpolitik nach übergeordneten Gesichtspunkten k a u m durchsetzen kann. 5. Die Tariflöhne sollten Mindestsätze sein, die für den Leistungsgesichtspunkt i n der betrieblichen Lohnpolitik Raum lassen. Die Prinzipien für Leistungslöhne könnten von Betriebsvereinbarungen weitgehend abhängig gemacht werden, überbetriebliche Grundsätze könnten weiterhin m i t den Gewerkschaften vereinbart werden. 6. Für die Anpassung der Löhne an die Marktverhältnisse werden zuverlässige zahlenmäßige Unterlagen gebraucht. Hierfür sind unseres Erachtens nicht so sehr Mengenstatistiken geeignet, auch nicht solche der Produktivitätsentwicklung, sondern Wertstatistiken, ebenso wie die allgemeine Betriebspolitik nicht so sehr an den Produktions-, Lagerund Umsatzmengen wie an den Werten orientiert sein sollte. Der Grund dafür ist, daß die Marktwerte bereits die gesellschaftliche Reaktion auf die Mengenentwicklung wiedergeben. Die entscheidenden Zahlen können nur Unternehmungsstatistiken liefern, wobei davon auszugehen ist, daß das Unternehmen selbst i m Markte steht und die von i h m gezahlten Löhne u n d Gehälter sich i m Rahmen der Marktgegebenheiten halten müssen. Die Verbraucher sind es, die letzthin in den Preisen der Güter die Gehälter und Löhne zu zahlen haben. Es widerspräche dem Marktwillen, würde man Arbeitsplätze und -Verdienste gegen die Verbrauchsentwicklung aufrecht erhalten. Es wäre eine falsche Sozialpolitik, eine volkswirtschaftliche Verschwendung. Andererseits muß den Mitarbeitern aber auch die für sie positiven Marktentwicklung zugute kommen. Die Tatsachen, die für markt- und leistungsgerechte Arbeitsverdienste wichtig sind, wären aus den Jahresabschlüssen der Unternehmungen zu entnehmen, w e i l diese das Ergebnis aller Einzelumstände zusammenfassen. Die Statistik der Jahresabschlüsse müßte für die spezielle und differenzierte Lohnpolitik die gleiche Bedeutung haben wie die Statistik der Lebenshaltungskosten für die allgemeine Lohnpolitik. Erforderlich ist dafür allerdings die Aufgliederung des Rechnungswesens nach selbständigen Betrieben, soweit die Unternehmen mehrere Betriebe besitzen. Es wäre also auch i m Hinblick auf die Tarifpolitik eine Reform des Rechnungswesens erforderlich, wie w i r sie schon aus anderen Gründen für notwendig hielten. Dabei ist zu beachten, daß die Gewerkschaften mit Recht ein Zahlenwerk ablehnen würden, das mehr oder weniger willkürlich nach den Interessen der Verhandlungsgegner aufgezogen ist. Sie werden objektiv und neutral zusammengestellte Zahlen fordern. Dabei wäre es nicht erforderlich, ihnen die Abschlüsse der einzelnen Unternehmen zu geben. Es dürften Statistiken genügen, die

M a r k t p r i n z i p u n d Kollektivvereinbarungen

221

neben den Durchschnittszahlen der einzelnen Betriebszweige auch die Streuung wiedergeben, zumal man bei der Tarifgestaltung auch die weniger rentablen Unternehmen beachten muß. A r b e i ts v e r d i e n s t

nach

der

Leistung

Tarifvereinbarungen haben ihren guten Sinn, indem sie hindern, daß die Arbeitnehmer auf Bedingungen eingehen müssen, die unter dem M i n i m u m liegen, das nach den allgemeinen Verhältnissen des Arbeitsmarktes und den besonderen der Branche angemessen ist. Selbst wenn die Tarife marktgerecht ermittelt sind, werden sie allerdings der speziellen Leistung des Arbeiters und des Betriebes nur unzulänglich gerecht. Es liegt i m Interesse aller Beteiligten, einschließlich der Verbraucher und der Eigentümer, die Tarife leistungsmäßig zu differenzieren und zu ergänzen. Der Leistimgslohn entspricht unserer W i r t schaftsordnung, w e i l er die Gesamtleistung der Wirtschaft erhöht und dem Tüchtigen gerechterweise auch einen höheren A n t e i l am Sozialprodukt gewährt. Indem die Unternehmer ihre Mitarbeiter am Ergebnis ihrer Leistung beteiligen, werden diese mehr oder weniger selbst zu Partnern der Unternehmer und w i r d i h r Interesse und ihre Initiative geweckt. Es ist erfreulich, daß auch die Arbeitgeberverbände grundsätzlich diejenigen Formen einer Partnerschaft befürworten, „die den Arbeiter zur Entfaltung seiner Leistungskräfte u n d seiner Persönlichkeit führt und die i h n nach Maßgabe seiner Leistung auch teilhaben läßt am Leistungserfolg" 13 « Die Gewerkschaft ist bisher leider noch zurückhaltender, soweit die Leistungsbeteiligung über die traditionellen Lohnsysteme hinausgeht. Die einfachsten und gebräuchlichsten Systeme des Leistungslohnes, insbesondere Akkord- und Prämienlohn, gehen von der quantitativen Arbeitsleistung aus. Soweit diese über der Normalleistung liegt, w i r d der Tariflohn erhöht. Der Mitarbeiter w i r d i m Prinzip nur an den ersparten Lohnkosten der Mehrproduktion beteiligt. Je höher aber die übrigen Kosten sind, u m so wichtiger ist es, seine Mitarbeit bei deren Senkung zu aktivieren. Das kann sich i m sparsamen Verbrauch von Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen und bei verringerter Fehlfertigung auswirken. Es w i r d vor allem immer bedeutsamer bei der Senkung der Gemeinkosten. Wenn aus den vorhandenen Anlagen an Gebäuden, Maschinen und Inventar durch pflegliche Behandlung und intensive Ausnutzung eine erheblich höhere Erzeugung herausgeholt werden kann und wenn dabei der A u f w a n d an Gehältern und indirekten Löhnen etwa gleich bleibt, so kann die Kostensenkimg je Stück ein Mehrfaches der ersparten Direktlöhne ausmachen. 13

Jahresbericht 1951/52 v o m Dezember 1952, Seiten 11 u n d 114.

222

Der Bürger als Mitarbeiter

Diese Erkenntnis w i r d v o n neueren Methoden genutzt (zum Beispiel dem Plan des Amerikaners A l l e n W. Rucker), welche die Mitarbeiter über den A k k o r d - und Prämienlohn hinaus an der Kostensenkimg der Produktion beteiligen. Die Mitarbeiter werden dadurch i n stärkerem Sinne zu Mitunternehmern gemacht. Sie erhalten ein allgemeines Interesse, an der höheren Produktivität ihrer Abteilung mitzuarbeiten. Die Mitarbeiter der Abteilung werden angeregt, nicht n u r an ihren Arbeitsplatz zu denken, sondern auch allgemeine Verbesserungsvorschläge zu machen und auf ihre Kollegen einzuwirken, kurzum sich für das ganze mitverantwortlich zu fühlen. Wesentlich ist dabei, daß betriebliche Vorgesetzte und Mitarbeiter eine andere Einstellung zueinander und zum ganzen erhalten. Man kann ein solches System nur fruchtbar machen, wenn die erforderlichen Voraussetzungen des Vertrauens und des Verständnisses geschaffen werden. Dazu gehört, daß man den Mitarbeitern Einblick i n die Entwicklung der Erzeugung und ihrer Kosten gibt und sie zum Kostendenken erzieht. Z u r Verwirklichung dieses Prinzips gibt es allerdings kein allgemein brauchbares und einfaches Schema. Die speziellen betrieblichen Verhältnisse sind zu beachten. Außerdem ist es bei strukturellen Veränderungen i m Betrieb angebracht, das jeweilige Berechnungssystem anzupassen. Das gilt zum Beispiel bei der Aufnahme neuer A r t i k e l und anderer Fertigungsverfahren oder geänderten Relationen zwischen dem Einsatz von Arbeit und Kapital. Gerade für solche Veränderungen ist es wichtig, daß die Vertrauensbasis durch objektiv und neutral ermittelte Zahlen gestützt wird. Demgegenüber erscheinen alle Gewinnbeteiligungssysteme als Fremdkörper der Wirtschaftsordnung, die die Mitarbeiter am Gesamtgewinn der Unternehmungen beteiligen. Beanspruchen kann man gerechterweise nur, was man durch seine Leistungen verdient. Soweit der Gew i n n durch allgemeine Marktumstände oder geschickte Marktausnutzung i m Einkauf und Verkauf erwächst, steht er wesensmäßig den betrieblichen Mitarbeitern nicht zu. E i n solcher Gewinn kann allzuleicht auch von Verlusten abgelöst werden, an denen man ebensowenig die Mitarbeiter beteiligen soll. Vor allem ist es abzulehnen, wenn man das ethische Problem der Monopolgewinne dadurch lösen w i l l , daß man die Mitarbeiter daran beteiligt. Entstehen i n einer Unternehmung hohe Erträge, die über die wirkliche Leistung hinausgehen, so ist es ein Zeichen, daß der Markt aus irgendeinem Grunde nicht i n Ordnung oder i m Gleichgewicht ist. Dann kommt es darauf an, den Wettbewerb herzustellen und dadurch die Preise i m allgemeinen Interesse zu drücken. Entsteht der Gewinn jedoch w i r k l i c h durch die übergewöhnliche Lei-

M a r k t p r i n z i p u n d Kollektivvereinbarungen

223

stung der Mitarbeiter, dann soll er ihnen nicht schematisch zufließen. Vielmehr soll man die Mehrleistung einzelner Mitarbeiter oder ganzer Abteilungen so genau wie möglich erfassen und sie entsprechend beteiligen. Daneben steht es dem Unternehmer natürlich frei, einen Teil seines Gewinnes aus außerwirtschaftlichen Motiven den Mitarbeitern zuzuwenden. N u r kann man darauf kein Wirtschaftssystem aufbauen. Leistungsprinzip

und

soziale

Leistungen

W i r halten es für richtig — und zwar i m Interesse der Wirtschaftlichkeit und der Mitarbeiter —, daß die bisher herrschende Praxis der freiwilligen sozialen Leistung kritisch überprüft wird. Es ist nicht unbedenklich, wenn ein so hoher Teil der Unternehmungserträge für Lohnnebenkosten aufgewandt wird, wie sich aus Erhebungen ergeben hat, die die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände i n den Jahren 1950 und 1952 durchgeführt hat. Danach betrug der Sozialaufwand i m Betrieb, das heißt ohne die Arbeitgeberbeiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung, i m Jahre 1949 22,3 °/o, i m Jahre 1951 sogar 26,5 % der Bruttolöhne und -gehäiter, und zwar i m Durchschnitt aller Betriebe. Je Arbeitnehmer machte das i m Jahre 1949 durchschnittlich D M 606,—, i m Jahre 1951 sogar D M 857,— aus. Von dem Sozialaufwand des Jahres 1951 entfallen 10,7 % der Bruttolohn- und Gehaltssumme auf gesetzliche oder tariflich vorgeschriebene Zahlungen, vor allem für bezahlten Urlaub, bezahlte Feiertage, tarifliche Sozialzulagen, Aufwendungen nach dem Mutterschutz-, Schwerbeschädigten- und Betriebsrätegesetz. 1,1 % sind überwiegend betriebsbedingt (Berufsausbildung für Betriebsangehörige, Unfallschutz, Betriebshygiene). Mehr als die Hälfte des sogenannten betrieblichen Sozialaufwandes m i t 14,7 % hat i m eigentlichen Sinne freiwilligen Charakter. Sie setzt sich zusammen aus 5,9 °/o für zusätzliche soziale Sicherung (darunter ein hoher A n t e i l betrieblicher Altersversicherung!), 2 , 1 % zusätzliche Fürsorge und Gesundheitspflege, 1 , 9 % Wohnungshilfe, 0,7 % zusätzliche Haushalts- und Familienhilfe und 4,1 % Gratifikationen und sonstige Ausschüttungen. W i r sind überzeugt, daß diese freiwilligen Zahlungen i n den sechs Jahren nach dem Kriegsende eine hohe positive Bedeutung hatten. Sie haben bei der Unterbringung von Flüchtlingen i m Rahmen des sozialen Wohnungsbaues, bei der Wiedereinrichtung von Wohnungen, der Alterssicherung von Mitarbeitern, deren private Altersversorgung entwertet war, der Wiederherstellung der geschwächten Gesundheit und unter manch anderem Gesichtspunkt die private Sphäre der Mitarbeiter normalisieren helfen. Sie führten einen Teil der relativ hohen, leistungsmäßig nicht gerechtfertigten Gewinne den Mitarbeitern zu. Und sie haben dazu beigetragen, soziale Spannungen zu verringern. A l l das soll

224

Der Bürger als Mitarbeiter

anerkannt werden. Aber es gibt doch sehr gewichtige Bedenken gegen diese Entwicklung, die für die Zukunft beachtet werden sollten und auf die auch die Gewerkschaften m i t Recht hinweisen. Soweit möglich, sollten die freiwilligen Sozialaufwendungen den M i t arbeitern nach dem Leistungsprinzip zugewandt werden. Der soziale Ausgleich sollte, wie w i r dargelegt haben, nach anderen Prinzipien und Methoden erfolgen, er ist nicht i n erster Linie Angelegenheit der Unternehmer, so daß es nicht unbedenklich ist, wenn so hohe Teile des Aufwandes dazu verwandt und i n den Preisen kalkuliert werden. Leistungsbezogene freiwillige Aufwendungen sollten dagegen so gegeben werden, daß sie die persönliche Unabhängigkeit der Tüchtigen stärken und auf diese Weise die soziale Reform unterstützen. Wenn dagegen große Beträge für Pensionskassen ohne Rechtsanspruch oder für Werkswohnungen verwendet werden, macht man sie betriebsabhängiger, also unfreier. Aus ähnlichen Gründen ist es bedenklich, wenn die Unternehmer ein erhebliches betriebliches Sozialvermögen für Unterstützungskassen, Werkswohnungen, Sportplätze, Klubräume usw. ansammeln. Sie unterstützen dadurch ebenso wie durch eine übertriebene Repräsentation den Selbstzweck des Betriebes. M a n sollte nicht durch gesellschaftliche Veranstaltungen das außerbetriebliche gesellschaftliche Dasein der M i t arbeiter schwächen oder gar die Betriebsgemeinschaft zur örtlichen Cliquenbildung ausarten lassen. Der Freiheit und Selbständigkeit der Mitarbeiter und dem gesunden gesellschaftlichen Leben dient man mehr, wenn man Raum für das außerbetriebliche Dasein läßt. Daher sehen w i r auch i n Massenausflügen der Belegschaften, die von der Firma oft hohe M i t t e l erfordern, keineswegs einen guten Weg, mögen sie auch als Reklame für soziale Betriebsgesinnung brauchbar sein. Anders ist es, w o spontan aus dem Betrieb heraus und ohne nennenswerte finanzielle Unterstützung solche Bedürfnisse auftreten. Werksküche, Kantine und ähnliche Einrichtungen, die zur Konsumsphäre der Mitarbeiter gehören, sollten nur insoweit vom Unternehmen gefördert werden, als sie unmittelbar m i t der Arbeit zusammenhängen. Sie sollten sich unseres Erachtens finanziell selbst tragen. Es besteht eine gewisse Versuchung, daß sich manche Unternehmer vor sich selbst, vor ihren Mitarbeitern und der Öffentlichkeit durch hohe freiwillige Sozialleistungen von anderen Verpflichtungen loszukaufen trachten. Die wichtigste Aufgabe, die die Unternehmer heute i m Sinne einer neuen Gesellschaftsordnung haben, läßt sich aber nicht materiell verstehen, sie ist eine Aufgabe der menschlichen Haltung. So erklärt es sich auch, daß i n Betrieben m i t hohen Sozialleistungen das „Betriebsklima" und die gesellschaftspolitische Einstellung der M i t -

Die gesellschaftliche S t r u k t u r des Betriebes

225

arbeiter durchaus negativ sein können. Die Mitarbeiter nehmen die materiellen Leistungen entgegen, indem sie sich sagen: Der Chef w i l l nur sein Gewissen beruhigen. 5. Die gesellschaftliche Struktur des Betriebes Betriebliche

Zwangsläufigkeiten

Weder durch die Mitbestimmung noch durch irgendein sonstiges System der Neuordnung können die Arbeitnehmer ganz vom Zwang ihres Arbeitsdaseins erlöst werden. Trotz aller notwendigen und möglichen Hilfe w i r d es nicht gelingen, das Arbeitsleid aus dieser Welt zu nehmen und sie wieder zum Paradies zu machen. Die Wirtschaft besitzt Zwangsläufigkeiten, denen sich kein Wirtschaftssystem entziehen kann. Diese beziehen sich sowohl auf die A r t der Arbeitstätigkeit wie auf die Unterordnung unter die Betriebsleitung. Bei aller Menschlichkeit, bei allem Bestreben, den Wünschen der Mitarbeiter zu entsprechen, sind Autorität und Disziplin unumgänglich. Dieses Gesetz gilt auch i n der Zentralverwaltungswirtschaft, nur daß es dort rücksichtsloser angewandt werden muß. Es gibt schmutzige, anstrengende und unangenehme Arbeit, die getan werden muß. Es ist notwendig, daß jeder seine Kräfte anspannt, damit ein gutes und billiges Erzeugnis möglich ist. Es müssen Anlagen -und Rohstoffe pfleglich und sparsam behandelt werden. Tüchtige müssen i n ihrer Stellung und ihrem L o h n gefördert, Untüchtige entlassen werden, beides i m Interesse des Ganzen. Schließlich kann es notwendig sein, daß sogar Leistungsfähige entlassen oder umgestellt werden, w e i l die technische Entwicklung oder der geänderte Bedarf des Marktes bzw. der Zentralverwaltung es erfordern. Wesentlich ist, daß auch die Leiter der Betriebe i n dieser Hinsicht gebunden sind. Auch sie dürfen und können sich nicht w i l l k ü r l i c h über die arbeitstechnischen Verhältnisse ihrer Umwelt hinwegsetzen. Sie sind gezwungen, dafür zu sorgen, daß ihre Mitarbeiter sich dem Betriebszweck einfügen und fruchtbar zusammenarbeiten. „Es ist", wie Böhm sagt, „eben grundfalsch, und der Fundamentalirrtum der meisten Befürworter des Mitbestimmungsrechts, daß sie das Unternehmen als ein autarkes Gebilde betrachten, das den Herren des Kapitals und den Herren der Arbeit gemeinsam zu souveräner Beherrschung ,gehört'. Sondern das Unternehmen ,.gehört 4 der gesamten Wirtschaftsgesellschaft und untersteht deren letztendig entscheidender Kontrollgewalt, die i m marktwirtschaftlichen System in der Form unmittelbaren, dauernden, marktmäßigen Plebiszites aller Mitglieder der Wirtsvhaftsgesellschaft und i n Lenkungssystemen durch Regierungsakte ausgeübt wird. Ein Unternehmen ist nicht zum Lenken, Beschlußfassen und Regieren da, sondern zum 15 Kahl, Macht und Markt

226

Der Bürger als Mitarbeiter

Parieren, und unternehmerische Geschäftsführung ist gleichbedeutend m i t intelligentem, die Wünsche des Herrn der Wirtschaft zutreffend vorausberechnendem Parieren 1 4 ." Die Unterordnung der Mitarbeiter unter die Weisungen des Unternehmers ist weder unwürdig noch undemokratisch. Sie entspricht einem allgemeinen soziologischen Gesetz. Wo sich Menschen zusammenfinden, u m eine Aufgabe gemeinsam durchzuführen, muß jeder einen Teil seiner Unabhängigkeit aufgeben. Geht jemand eine Ehe ein, so bindet er sich gegenüber dem Ehegatten und den Kindern. T r i t t er einem Verein bei, so unterwirft er sich dessen Statuten. Das gleiche gilt schließlich für den demokratischen Staat, in dem der Staatsbürger zwar die Staatsform und die Organe mitbestimmt, sich aber diesen dann unterordnen muß. Wichtig ist allerdings, daß man i n einem möglichst weiten Bereich des Daseins frei bestimmen kann, wie und wo man sich verpflichtet. Unter diesem Gesichtspunkt ist der Arbeitnehmer i n der M a r k t w i r t schaft besser dran als derjenige i n der Planwirtschaft, w e i l er den Beruf und den Arbeitsplatz frei wählen kann. Wichtig ist sodann, daß jeder, der die Macht und das Recht hat, von anderen Unterordnung zu verlangen, dabei vom Rechtsstaat und der Gesellschaft kontrolliert wird, damit er seine Stellung nicht gegenüber den Untergebenen mißbrauchen kann. Und i n dieser Hinsicht ist wiederum der Arbeitnehmer besser dran, der sich der Macht entziehen kann, indem er seine M i t arbeit versagt — sei es, daß er den Arbeitsplatz wechselt, sei es, daß er gemeinsam m i t seinen Kollegen die Arbeit einstellt. Dazu braucht er jedoch eine gewerkschaftliche Organisation, die nicht selbst die Unternehmen mitleitet, sondern unabhängig und unbelastet als Korrektor wirken kann. Wenn w i r Autorität und Disziplin i m Betrieb als erforderlich betrachten, erkennen w i r dennoch nicht jene patriarchalische Einstellung der Unternehmer an, die dem gesellschaftlichen Bewußtsein des Arbeitnehmers heute nicht mehr entspricht. W i r wissen, daß i n der BetriebsPatriarchie viele echte Menschlichkeit herrschen kann und geherrscht hat. Unternehmer, die nicht nur durch i h r Vermögen, sondern auch durch ihre Lebenserfahrung und Bildung den Arbeitnehmern überlegen waren, haben ihnen oft selbstlos m i t Rat und Tat i n ihren Nöten geholfen. Dem kommt auf der anderen Seite, bei innerlich unsicheren Menschen, das Streben nach autoritativer Führung, nach Anlehnung und vielfach auch die Bereitschaft zur Verehrung entgegen. Trotzdem können w i r darauf nicht das gesellschaftliche System aufbauen. I m ganzen genommen sind die Mitarbeiter mündig geworden, daß heißt, daß man an ihre Einsicht, geistige Selbständigkeit und Reife appellieren 14

a.a.O. Seite 134.

Die gesellschaftliche S t r u k t u r des Betriebes

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muß, soweit dies n u r irgend sinnvoll und möglich ist. Dabei kann und soll durchaus k l a r sein, daß dem Unternehmer innerhalb des Betriebes das Hausrecht zusteht, ähnlich wie sich auch die erwachsenen Kinder i m Vaterhaus an die elterlichen Weisungen halten müssen, falls sie es nicht vorziehen zu gehen. I m Bereich des Betriebes ist also das Prinzip der demokratischen, das heißt gleichberechtigten Mitbestimmimg aller Mitarbeiter unsinnig. Das wissen, wie w i r gesehen haben, auch die Gewerkschaften. Damit ist jedoch keineswegs gesagt, daß i n der Humanisierung des Betriebes nicht viel zu geschehen hat. Eine

große

Aufgabe

I m Gegenteil, die Neugestaltung der zwischen-menschlichen Beziehungen ist wohl die fruchtbarste und zugleich schönste Aufgabe, die unserer Zeit für die Betriebe gestellt ist. Sie ist i m Laufe der letzten Jahrzehnte, erst langsam und jetzt stärker, i n den Vordergrund getreten, nachdem vorher die sachlichen Gesichtspunkte zu einseitig herrschten. Die deutsche Betriebswirtschaftslehre hat beispielsweise die Finanzierung und das Rechnungswesen, einschließlich der Kostenlehre — wenn auch zu wenig auf die Marktordnung ausgerichtet — entwickelt, aber das Menschliche dabei vernachlässigt. I n den USA hatte man sich, besonders durch Taylor und Ford angeregt, auf die zweckmäßige Technik des Arbeitsvollzugs konzentriert; dabei kam jedoch die Person des Arbeiters zugunsten seiner Spezialfunktion zu kurz. Die Erkenntnisse der Vergangenheit erfordern nunmehr Ergänzungen und Korrekturen. I m Rahmen dieser Arbeit können w i r nicht auf die zahlreichen Gesichtspunkte, die hier zu bedenken sind, eingehen. Grundlegend sind dabei folgende zwei: 1. Wenn w i r unsere Aufmerksamkeit darauf richten, die außerberufliche Situation des Arbeitnehmers zu stärken, dürfen w i r doch nicht übersehen, daß der Beruf einen äußerst wichtigen Bereich des Daseins ausmacht. Der Tätigkeitsbereich i m Beruf ist also für das Lebensglück wichtig, auch abgesehen vom Arbeitsverdienst. Die berufliche Befriedigung selbst ist einerseits davon abhängig, daß w i r die uns gegebenen Fähigkeiten möglichst vielseitig einsetzen können und einen entsprechenden Erfolg dabei sehen. Sie ist andererseits aber auch von der gesellschaftlichen Stellung und Wertung bedingt. Die meisten Menschen sind nur m i t ihrem Berufsschicksal zufrieden, wenn ihre Arbeit trotz der geschilderten Zwangsläufigkeit sinnvoll und geachtet ist. Können sie jedoch vor sich selbst und vor ihren Mitbürgern nicht einigermaßen so bestehen, wie es ihrer Selbstachtung entspricht, so werden sie sich leicht auch gegen eine Gesellschaftsordnung richten, welche die elementaren Forderungen ihres Daseins nicht erfüllt. 15*

228

Der Bürger als Mitarbeiter

2. Indem man den Forderungen der Mitarbeiter i n richtiger Weise nachkommt, handelt man zugleich betrieblich zweckmäßig. Wer dagegen die Mitarbeiter nur i n einer sehr beschränkten Spezialfunktion sieht und auf die Gesamtpersönlichkeit keine Rücksicht nimmt, mißachtet die menschliche Natur. Er vernachlässigt Kräfte, die er positiv für die Bet riebsauf gäbe fruchtbar machen könnte. Er fordert aber audi seelische Widerstände heraus, m i t denen sich die Mitarbeiter gegen die Mißachtung ihrer Menschenwürde und gegen ihre Herabwürdigung zum bloßen Werkzeug wehren. Daher ist alle Einseitigkeit, alle bloße Sachlichkeit i m Verhältnis zum Mitarbeiter nicht nur unmoralisch, sondern auch wirklichkeitsfremd und unrationell. Achtet man jedoch die Mitarbeiter i n ihrem Status als Person, als Mitbürger und als Nächste, so handelt man k l u g i m Sinne j ener alten ethischen A u f fassung, daß das wirklichkeitsgemäße Tun zugleich zweckmäßig und gut ist. Der

neue

Typ

des

Unternehmers

Welche Konsequenzen ergeben sich für die Praxis aus jener Anerkennung des ganzen Menschen i m Arbeitnehmer? Es ist eine Umstellung erforderlich, die vor allem für die Unternehmer schwer sein mag. Sie w i r d vielleicht, w i e i n den USA behauptet wird, auch einen neuen Typ des Unternehmers fördern. Während bisher die Typen des Kaufmanns, des Finanzmanns, des Technikers, des Organisators i m Vordergrund standen, werden nunmehr Unternehmer hervortreten, deren Fähigkeiten auf politischem Gebiete liegen, wobei w i r als Wesen des Politischen die Fähigkeit verstehen, andere i n Freiheit zu einem bestimmten Verhalten zu bewegen. Diese politische Fähigkeit des Unternehmers ist auch gegenüber Mitarbeitern erforderlich, die grundsätzlich die letzte Autorität des Unternehmers i m Betrieb anerkennen. Sie w i r d u m so wichtiger, je schwieriger und komplizierter die unternehmerische Aufgabe als solche wird. Auch wenn es gelänge, die übermäßige Konzentration der Unternehmen allmählich abzubauen, würde i n mittleren und größeren Betrieben der Unternehmer nicht mehr i m Stande sein, so viel an sachlichen Aufgaben zu bearbeiten und zu entscheiden, wie es bisher i n Deutschland üblich ist. Jeder Kenner weiß, daß die meisten Unternehmer bereits heute i n der Arbeit zu sehr aufgehen, daß sie kaum noch die erforderliche Zeit aufbringen, u m ihre körperliche und geistige Gesundheit zu pflegen, sich ihrer Familie zu widmen und ihre allgemeinen gesellschaftlichen Pflichten zu erfüllen. Diese übermäßige Anstrengung führt andererseits dazu, daß sie vielfach nicht mehr den nötigen inneren Abstand von ihrer Arbeit haben, was den Dauererfolg der Arbeit zwangsläufig beeinträchtigt. Es leidet die Fähigkeit, die sachlichen Probleme i n ihren richtigen Proportionen zu sehen sowie sich von Einzelarbeiten zu entäußern und diese den

Die gesellschaftliche S t r u k t u r des Betriebes

229

Mitarbeitern zu übertragen. So entstehen Unternehmerneurosen, die leider zur Zeit i n Deutschland stark verbreitet sind. Eine Folge ist schließlich die heute so viel diskutierte „Managerkrankheit". Nunmehr soll ein Aufgabenkreis stärker gepflegt werden, der besonders starken inneren Einsatz erfordert. Es genügt ja für die menschliche Seite der Unternehmungsführung nicht, daß man durch Spezialisten ein System von Beeinflussungsmethoden schafft und durchführen läßt, eine Seelentechnik, die man zweckmäßig einsetzt, u m Komplexe der Mitarbeiter zu überwinden, psychische Störungen auszuschalten und Mehrleistungen ohne entsprechende Mehrlöhne zu erzielen. Vielmehr muß der Unternehmer selbst den Mitarbeitern gegenüber sachlich und persönlich für seine unternehmerische Linie einstehen. Diese aber spüren sehr bald, ob es sich dabei nur u m Zweckmäßigkeit und Routine handelt — das soll es natürlich auch — oder u m eine Herzensangelegenheit. Solchen Anforderungen kann der Unternehmer n u r gerecht werden, wenn er den Führungscharakter seiner Aufgabe erkennt. Dabei w i r d er sich neben dem Gesamtüberblick auf die letzten Entscheidungen beschränken, sich im. übrigen aber auf die zweckmäßige Aufgabenverteilung und die teamgemäße Zusammenarbeit der Mitarbeiter konzentrieren müssen. Die amerikanische Wirtschaftszeitung „Fortune" k r i t i sierte i m Jahre 1954: „Die deutsche Auffassung von geschäftlicher Organisation ist immer noch außerordentlich autoritär bei gleichzeitig starkem Einschlag von Paternalismus . . . Das eigentlich charakteristische Merkmal des deutschen Betriebsleiters ist, daß er alles, was zur Leitung und Verwaltung gehört, auf eine typisch gründliche A r t selbst erledigt. Er belastet sich m i t sämtlichen Einzelheiten und Kleinigkeiten. Der deutsche Durchschnitts-„Manager" muß noch lernen, Autorität und Verantwortung zu delegieren." Hier gibt es noch wichtige Aufgaben der Betriebswissenschaft und der Unternehmerausbildung. Vielleicht sollte man nach dem amerikanischen Beispiel besondere Institute und Lehrgänge für Unternehmer schaffen, i n denen weniger sachliche Kenntnisse vermittelt als solche Fähigkeiten entwickelt werden. Jedenfalls können w i r uns nicht vorstellen, wie die Unternehmer der Aufgabe i n sachlicher und gesellschaftlicher Hinsicht nachkommen können, die sie i n Zukunft nicht nur für ihre Unternehmung, sondern f ü r die ganze Gesellschafts- und W i r t schaftsordnung zu erfüllen haben, ohne daß sie ihre Ausbildung und Tätigkeit darauf einstellen. Der

hierarchische

Betriebsaufbau

Eine besonders wichtige Teilaufgabe hierbei ist, daß i n den Betrieben eine sach- und naturgegebene gesellschaftliche Gliederung der M i t -

230

Der Bürger als Mitarbeiter

arbeiter gepflegt wird. Hierfür ist die Zeit, i n der n u r an die Fronten Kapital und Arbeit gedacht wurde, ziemlich blind gewesen. Man sah bisher i m Betrieb nur zwei gegensätzliche Partner: hier Arbeitgeber, dort die Summe der Arbeitnehmer, wobei das Verhältnis der Arbeitnehmer zueinander, das für eine gesunde Betriebssoziologie so wesentlich ist, vernachlässigt wurde. Wer nicht eine arbeitgeberähnliche Stellung hatte, galt eben nur als Arbeitnehmer. Damit tat man sogar der bisherigen Wirklichkeit Gewalt an. Vor allem aber verzichtete man darauf, die Chancen zur Entmassung und Entklassung der Arbeitnehmer zu nützen, die i n der Herausstellung der Zwischenschichten liegen. Welche Aufgaben solche Zwischenschichten wahrzunehmen haben, hängt naturgemäß von der Größe und A r t des Betriebes ab. Hierfür n u r einige Gesichtspunkte: 1. Die wichtigste Gruppe ist i m allgemeinen die Meisterschaft. Sie sollte neben ihrer direkten sachlichen Aufgabe, die vor allem die unmittelbare Arbeitsanleitung und die Aufsicht über die Mitarbeiter umfaßt, auch i n ihrer betriebssoziologischen Funktion herausgestellt werden. Je weniger der Unternehmer selbst den unmittelbaren Kontakt mit dem einfachen Mitarbeiter pflegen kann, u m so mehr braucht er eine Meisterschaft, die als wirkliche Führerschicht seine Haltung nach unten vertritt. Das setzt voraus, daß die Meister wenigstens i m wesentlichen i n die Betriebspolitik eingeweiht und von i h r überzeugt sind; denn sie müssen imstande sein, ihre Mitarbeiter wiederum vom Sinn der betrieblichen Maßnahmen zu überzeugen. Es gehört dazu, daß die Meisterschaft für die Wirtschaftsordnung gewonnen und so belehrt wird, daß sie an Hand der konkreten Vorgänge des Betriebs für sie eintreten kann. I n diesem Sinne sollte der Unternehmer i n regelmäßigen offenen Aussprachen die Betriebsfragen m i t seinen Meistern besprechen und sich auch ihrer K r i t i k stellen. Wichtig ist dabei, daß er auf sie audi hört, soweit sie aus ihrer täglichen Zusammenarbeit m i t den übrigen Mitarbeitern deren Sorgen und Fragen vertreten. Die Meisterschaft soll nicht n u r ein Unteroffizierkorps sein, das Befehle entgegennimmt, sondern eine eigenständige soziale Schicht m i t einer speziellen gesellschaftlichen Verantwortung. Dies erfordert weiterhin, daß die Meister eine besondere Ausbildung i m Umgang m i t ihren Mitarbeitern erhalten, so wie sie bereits verschiedene Institute, besonders die Arbeitsgemeinschaft für soziale Betriebsgestaltung i n Heidelberg, vermitteln. Dementsprechend sollten die Unternehmer zukünftig n u r Meister berufen oder i m A m t belassen, die wahre Führungsqualitäten besitzen. Wer nicht mit seinen unter-

Die gesellschaftliche S t r u k t u r des Betriebes

231

gebenen Mitarbeitern auskommt, ist als Meister -ungeeignet, mag er noch so große fachliche Fähigkeiten haben. 2. Auch die obere Führungsschicht der Betriebsleiter und Prokuristen w i r d vielfach noch nicht i n ihrer vollen Aufgabe anerkannt. Das beste Zeichen, daß dies richtig geschieht, ist, wenn der Unternehmer Urlaubs- oder krankheitshalber einige Zeit abwesend sein kann, ohne befürchten zu müssen, daß sich i m Betrieb katastrophale Situationen ergeben. Kann sich der Unternehmer darauf nicht verlassen, so weiß man i m allgemeinen, daß er seine Unternehmung nicht richtig führt. Er hat nicht die richtigen Mitarbeiter angestellt oder — was noch öfter der Fall ist — er hat sie nicht richtig zur Verantwortung und Zusammenarbeit erzogen. I n solchem Falle kann es kaum anders sein, als daß das Übermaß eigener Verantwortlichkeit den Unternehmer überbeansprucht, während wertvolle Fähigkeiten der nächsten Führungsschicht verkümmern. Meist liegen die Ursachen auch i m Charakterlichen. Die erforderliche Selbstbescheidung fällt vielen Unternehmern nicht leicht, besonders jenen, die ihre eigene Tüchtigkeit und die Unfähigkeit aller anderen immer wieder bestätigt sehen wollen. 3. Es gibt i n jeder Unternehmimg quer zur Schichtung nach den Ämtern Eliteschichten, die man u m des Ganzen und u m der Zugehörigen w i l l e n pflegen sollte. Dazu rechnen etwa die Betriebsjubilare, die 25 und mehr Jahre i m Betrieb tätig sind und üblicherweise eine stärkere Betriebsverbundenheit haben. Ferner Mitarbeiter, die freiwillige Sonderaufgaben (zum Beispiel i n der Werkfeuerwehr, i n der Werkkapelle oder als Sanitäter) übernehmen und dadurch zeigen, daß sie über ihre Arbeitsaufgabe hinaus Interesse am ganzen haben. Man sollte sie bei geeigneter Gelegenheit herausstellen und ihnen zeigen, daß man besonderes Vertrauen zu ihnen hat und auf sie Wert legt. Solche Querschichten bilden für den Betrieb i n schwierigen Zeiten das Rückgrat. Sie sind zugleich f ü r die übrigen ein Ansporn, der, gerade w e i l hier nicht das höhere A m t oder die bessere Bezahlung entscheidet, die ideellen Kräfte des Menschen trifft. Der

Betriebsrat

Wenn man derart die i m Betrieb vorhandene soziale Schichtung herausstellt, w i r d keineswegs der Betriebsrat unnötig oder auch nur i n seiner wesentlichen Funktion geschwächt. Der Betriebsrat bleibt vor allem das soziale Gewissen des Betriebes, wobei er ja nicht wünschen kann, daß soziale Mißstände herrschen, nur damit er viel tätig werden muß. Allerdings meinen wir, daß manche Rechte, die bisher schematisch dem Betriebsrat übertragen sind, i n Wirklichkeit unverzichtbar den Mitarbeitern selbst zustehen. Und daß es Aufgabe des Unternehmers ist, auch selbst das Verhältnis zu den Mitarbeitern zu pflegen.

232

Der Bürger als Mitarbeiter

Keineswegs wäre es sinnvoll, dem Betriebsrat ein Kontaktmonopol zur Belegschaft zu geben. Vielmehr gilt es, den Betriebsrat von mancher Überlastung seiner Funktionen zu befreien, von Aufgaben, denen er bisher tatsächlich nicht gewachsen war. Wer die Lage, besonders i n Großbetrieben, kennt, weiß, daß das Vertrauensverhältnis zwischen Mitarbeitern und Betriebsräten i n weitem Umfange unbefriedigend ist. Die Mitarbeiter erwarten oft vom Betriebsrat Unmögliches und sind unzufrieden und mißtrauisch, wenn der Betriebsrat aus der Besprechung m i t dem Unternehmer zurückkehrt und nicht genügend erreicht hat. Das erklärt sich daraus, daß die Mitarbeiter zu wenig die Gesichtspunkte und Möglichkeiten „oben" kennen. Der Kontakt m i t dem Unternehmer und seiner unterrichteten Führerschaft läßt sich eben nicht ersetzen. Dazu kommt ein Dilemma, das bei der soziologischen Konstitution der Betriebsvertretimg i n Rechnung gestellt werden muß: Soll der Betriebsrat eine w i r k l i c h wichtige Funktion i m Betrieb und gegenüber der Geschäftsleitung haben, soll er vor allem bei wirtschaftlichen Dingen mitbestimmen oder wenigstens mitraten, so muß er entweder begabte und kraftvolle Persönlichkeiten enthalten, oder er w i r d n u r zum Statisten. Statist kann er entweder für die Gewerkschaft oder für den Unternehmer sein. Ist er nur ein Sprecher der Gewerkschaft und nicht ein fähiger, selbständiger Vertreter der Belegschaft, dann besteht die Gefahr, daß die innerbetrieblichen, vor allem auch die menschlichen Probleme gegenüber der wirtschaftspolitischen Linie der Gewerkschaften zu kurz kommen. Ist der Betriebsrat jedoch n u r Statist der Geschäftsleitung, dann w i r d der Sinn seiner Mitbestimmung oder M i t w i r k u n g ohnehin hinfällig. E i n solcher Betriebsrat w i r d nie das volle Vertrauen der Belegschaft und der Gewerkschaft verdienen, so daß er also seine menschliche und soziale Aufgabe nicht erfüllen kann. Wenn man die Aufgabe des Betriebsrats als eigenständige ernst nimmt, muß er so aufgebaut sein, daß er die geeigneten Persönlichkeiten enthält. Dann muß die häufige Auffassung überwunden werden, wonach i m wesentlichen n u r einfache oder qualifizierte Arbeiter den Betriebsrat repräsentieren, während die sogenannten Angestelltenvertreter eine kleine Minderheit sind u n d als suspekt gelten. Es muß also möglich sein, daß zum Beispiel ein einfacher Arbeiter, der auf Grund seiner fachlichen und menschlichen Qualitäten aufsteigt, weiterhin i m Betriebsrat bleibt oder sogar dort führend wird. Oder anders ausgedrückt, es muß dahin kommen, daß auch gehobene Angestellte, die das Vertrauen der Belegschaft haben — darauf allein sollte es ankommen —, i m Betriebsrat führende Stellen haben. Die bisher überwiegende Praxis widerspricht der Tatsache, daß auf Grund der Begabtenförderung mehr

V o m Arbeitnehmer zum Mitarbeiter

233

und mehr die w i r k l i c h Begabten nach oben gelangen. Auch i n den Gewerkschaften rücken Akademiker heute mehr als früher an führende Stellen. 6. Vom Arbeitnehmer zum Mitarbeiter Mitbestimmung

des

Einzelnen

Die Aufgabe, das Verhältnis zwischen Unternehmer und Arbeitnehmer neu zu gestalten, ist i n Deutschland zu sehr politisiert worden. W i r denken i n Fronten und Machtpositionen und stellen dabei das „Kapital" der „Arbeit" noch so gegenüber, als ob es sich wesensgemäß u m Klassenfeinde handelte. Auch das Betriebsverfassungsgesetz, so wertvoll es als politisches Kompromiß war, geht noch zu stark von den alten Vorstellungen aus. Es ist aus einer Kampfsituation entstanden und w i r d von den beiden Parteien zum Teil noch nicht als Friedensschluß, sondern als Waffenstillstand verstanden. Die Unternehmer vor allem fürchten, daß es von den Arbeitnehmerorganisationen nur als Zwischenziel betrachtet wird. Sie fühlen sich gehemmt, aus eigener Initiative darüber hinaus Weiteres zu tun, neigen eher dazu zu bremsen, ihre alten Positionen zu verteidigen und die Mitbestimmung ad absurdum zu führen. Es ist daher zu befürchten, daß sich die wertvollen Ansätze des Betriebsverfassungsgesetzes nicht so wie erhofft auswirken werden. Es sei daran erinnert, daß das Betriebsrätegesetz von 1919 auch keine große Bedeutung erlangt hat. So besteht die Gefahr, daß man an dem eigentlichen Problem vorbeigeht und die gesellschaftliche Neuordnung, statt zu fördern, auf falsche Bahnen bringt. W i r meinen, daß zunächst das allgemeine Problem: „Hier Arbeit — Dort Kapital" ausgeklammert werden sollte. I n der zukünftigen Gesellschaft dürfen keine verschiedenen Kapitalisten- und Arbeiterklassen existieren. I m Normalfall, nicht i m Ausnahmefall, soll auch der Arbeiterbürger einen Teil seines Vermögens neben seiner A r beitskraft gesellschaftlich einsetzen können. Seine Rechte i m gesellschaftlichen Wirtschaftsprozeß aber ergeben sich aus dessen Natur. Gehört zum Wesen des Betriebes eine einheitliche Willensbildung durch die Unternehmungsleitung, die wiederum durch die Märkte gesteuert und überwacht wird, so ist es unsinnig, wenn sich die Beteiligten u m einer überholten Ideologie w i l l e n selbst bekämpfen, indem sie durch Repräsentanten ihrer Arbeitnehmerposition ihre eigene Eigentümer-, Verbraucher- und Staatsbürgerposition schwächen. Von ihrem neuen zivilen Standort aus sollten sie vielmehr verhindern, daß widerspruchsvolle Konzeptionen der Gesellschaftsordnung aufeinander losgelassen werden.

234

Der Bürger als Mitarbeiter

Das» eigentliche Problem des Bürgers als Arbeitnehmer liegt woanders. Es ist persönlicher, individueller Natur. Es ist zwar für viele das gleiche, dennoch aber kein kollektives. Es ist das persönliche Anliegen des Webers Fritz Hartmann, der Jahr für Jahr abwechselnd i n Frühund Spätschicht an 30 Stühlen Nessel webt, des Fräulein Maria Meyer, die am 15. Arbeitsplatz des Nähereibandes Mäntel säumt und des Drehers Jupp Vieth, der jeden Tag acht Stunden lang gleiche Werkstücke bearbeitet. W i r wissen, daß ihre Arbeit i m Vergleich zu früheren Zeiten sinnentleerter ist und daß dies als Folge der technisch-wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit zum großen Teil unvermeidbar so ist, ja daß dies unabhängig vom Wirtschaftssystem der Marktwirtschaft und vom Eigent u m am Betrieb gilt. U n d trotzdem dürfen diese Mitbürger nicht nur i n einer speziellen Arbeitsfunktion eingesetzt, sondern müssen sie als Person behandelt werden. Dafür gibt es viele Möglichkeiten. Gemeinsam aber gilt, daß ihnen i n diesem ganz persönlichen Anliegen nicht viel geholfen ist, wenn sie das gesetzlich fundierte Recht erhalten, ihre Rechte an Repräsentanten zu delegieren* Entscheidend ist, daß ihre persönliche Arbeit wieder sinnvoll wird, und daß ihre persönliche Stellung i m Betrieb eine würdige ist. Es w i r d zwar immer erforderlich sein, daß sie durch einen Betriebsrat Wünsche und Beschwerden zur Geltung bringen können. Es ist auch wichtig, daß für den Ernstfall die Grundrechte des Betriebsrats gesetzlich fundiert sind. M a n sollte aber die Betriebsratsaufgaben nur als subsidiäre betrachten und die Betriebssoziologie primär auf den Mitarbeiter selbst ausrichten. Dann muß die neue Konzeption der Betriebssoziologie so elastisch sein, daß die persönliche Eigenart der Mitarbeiter berücksichtigt wird. Das innere Verhältnis einer 20-jährigen Bauerntochter, die täglich m i t dem Arbeiterzug i n den Betrieb fährt, u m sich Geld für die Aussteuer zu verdienen und dann wieder auszuscheiden, ist anders, als das eines 45-jährigen Familienvaters, der bereits über 25 Jahre i m gleichen Betrieb tätig ist und hofft, eines Tages Meister zu werden und m i t 65 Jahren als Altersjubilar abzugehen. Jenes Mädchen hat nur das Ziel, einen möglichst günstigen Akkordsatz zu erreichen, ohne sich dabei allzusehr anzustrengen; sobald sie den Betrieb verlassen hat, denkt sie kaum noch an ihn. Der Arbeiter aber spricht am Stammtisch noch stolz von seinem Betrieb, seinem Chef und seiner Arbeit. Oder er ärgert sich, weil ihn ein Nachbar wegen irgendwelcher Gerüchte über seinen Betrieb anspricht und er von seinem Meister wieder einmal nicht unterrichtet wurde. Es ist ihm peinlich, daß er seinem Gesprächspartner nicht A n t w o r t stehen kann.

V o m Arbeitnehmer zum Mitarbeiter

Von der

Spezialisierung der b e t r i e b l i c h e n

zur

235

Integration

Arbeit

Einer der Gründe, w a r u m den denkenden Arbeiter die moderne Betriebsarbeit nicht befriedigt, ist, daß er i m Produktionsprozeß nur eine immer wiederkehrende Teilarbeit leistet und auf diese Weise kein inneres Verhältnis zum ganzen Werkstück, zum Gesamtbetrieb und zum M a r k t gewinnen kann. Der Handwerker hat dagegen auch heute noch eine i n sich sinnvolle Arbeitsaufgabe. Selbst wenn er als Geselle unter einem Meister spezialisiert ist, besitzt er noch den Gesamtüberblick über die Werkstatt. Er erlebt mehr oder weniger auch die M a r k t verbundenheit, etwa bei Verhandlungen m i t den Kunden und Lieferanten, und hat einen unmittelbaren Kontakt m i t dem letztverantwortlichen Chef. W i l l man den Unterschied verstehen, i n dem sich der Handwerker, dessen Lage w i r i m übrigen keineswegs romantisieren und als ideal hinstellen wollen, zum Arbeiter befindet, so muß man zwei Gesichtspunkte beachten: Der denkende und selbstbewußte Arbeiter leidet nicht nur darunter, daß er den Sinnzusammenhang seiner Arbeit nicht mehr erlebt, sondern daß es der Unternehmer auch nicht für erforderlich hält, i h n darüber zu unterrichten. Die Arbeitsspezialisierung ist zwar unvermeidbar, doch ließe sich ein gewisser Ausgleich erzielen, indem man die Mitarbeiter an der Zusammenfassung der Teilarbeiten zum betrieblichen und darüber hinaus unternehmerischen Ganzen soweit möglich beteiligt. Jede Spezialisierung setzt ja voraus, daß ein Gesamtplan vorhanden ist, von dem die Teile erst ihren Sinn bekommen. Betrachtet der Unternehmer ihn nur als seine eigene Angelegenheit und weiht er seine Mitarbeiter nur soweit ein, wie sie jeweils Bescheid wissen müssen, u m ihre spezielle Aufgabe zu erfüllen, so bleiben gerade die wertvolleren und interessierten Mitarbeiter unbefriedigt, was vielerlei Folgen haben muß. Spricht er jedoch i h r Interesse am Ganzen an, so leistet er nicht nur ihnen, sondern sich selbst einen Dienst. Wie soll dies geschehen? Man sollte jedem Mitarbeiter die Gelegenheit geben, seine Teilarbeit i m Rahmen des ganzen zu verstehen und somit das Gesamtgeschehen des Betriebes geistig zu bewältigen; er soll seine Meinung bilden und äußern und dadurch Einfluß gewinnen können, ohne daß die letzte Entscheidung und Verantwortung des Unternehmers aufgehoben werden darf. Diese „Mitbestimmung" soll nicht schematisch sein. Jeder soll sich soweit daran beteiligen, wie sein Interesse und seine Fähigkeiten reichen. Allerdings sollte der Unternehmer danach streben, die allgemeine Anteilnahme seiner Mitarbeiter zu fördern u n d nicht etwa zurückzudrängen.

236

Der Bürger als Mitarbeiter

Die Basis der persönlichen Mitbestimmung des Mitarbeiters ist naturgemäß das Mitwissen. Der Unternehmer, der das anerkennt, w i r d seinen Mitarbeitern nicht möglichst wenig über die „wirtschaftlichen Angelegenheiten des Unternehmens" sagen, dies vor allem nicht auf einen Wirtschaftsausschuß beschränken, er w i r d soviel wie möglich laufend mitteilen. Was das bedeutet, mag verständlich werden, wenn man daran denkt, daß die gleichen Arbeitnehmer i n ihren Tageszeitungen laufend über die Politik des Staates, über die Verwaltung ihrer Heimatgemeinde, über die statistische Entwicklung der Wirtschaft und über Jahresabschlüsse fremder Aktiengesellschaften informiert werden, obw o h l diese Angelegenheiten ihnen ferner stehen als das, was i m Betrieo geschieht. Jedermann hält es für selbstverständlich, daß der Mitbürger über viele Dinge unterrichtet wird, nicht w e i l er unmittelbar i n Entscheidungen politischer A r t eingreifen kann oder dazu fähig wäre, sondern weil es i h n interessiert und w e i l er als Staatsbürger wissen soll, was vor sich geht. I m Betrieb jedoch begnügt man sich heute noch weitgehend damit, i h m durch Anschläge das Wenige bekanntzumachen, was für seine Arbeitsleistung direkt wichtig und notwendig ist. Neben vielem Sonstigem, was interessiert, soll der denkende M i t arbeiter erfahren, wie die wirtschaftliche Lage des Unternehmens ist. Er sollte jeweils anläßlich des Jahresabschlusses einen Bericht über die Geschäftslage erhalten, der auf seinen Gesichtskreis abgestellt ist. Hierbei hat der Unternehmer auch die Aufgabe, seinen Mitarbeitern die weiteren Zusammenhänge des Wirtschaftssystems verständlich zu machen. Wo sollte i h m die wahre Bedeutung des Kapitals und des Gewinnes erklärt werden, wenn es nicht i n dem Lebenskreis geschieht, den er a m besten überschauen kann? Sollte die Unternehmerschaft nicht den M u t haben, diese Aufgabe i m konkreten auf sich zu nehmen, so darf sie sich nicht wundern, wenn i n der großen Politik Ressentiments und Massen-Psychosen gegen das Privateigentum an den Produktionsm i t t e l n herrschen. Allerdings müssen die Arbeiter überzeugt sein, daß die Zahlen, die man ihnen vorlegt, richtig sind. Wenn heute ein Unternehmer seinem Betriebsrat an Hand von Verlustziffern erklären w i l l , daß es notwendig ist, den Betrieb einzuschränken, so muß er damit rechnen, daß die Belegschaft gegenüber seinen Angaben recht mißtrauisch ist. Das ist beim gegenwärtigen Recht und der Praxis der Rechnungslegung durchaus verständlich, ja berechtigt. Vertrauen kann nur auf einer objektiven Basis entstehen 15 . W i r haben i n den letzten Jahrzehnten erfahren, daß für jeden Unternehmer Situationen kommen, i n denen die allgemeine Einstellung seiner Mitarbeiter zum Betrieb entscheidend wichtig wird. Denken w i r 15

Siehe unsere Ausführungen im 2. Kapitel.

V o m Arbeitnehmer zum Mitarbeiter

237

zum Beispiel an den Einsatz der Mitarbeiter zum Schutze des Betriebes i n Zeiten des Krieges (Bombenangriffe) oder politischer Unruhen sowie bei Naturkatastrophen (Überschwemmungen, Großfeuer). Aber auch i m A l l t a g haben sie immer wieder Gelegenheit, außerhalb des Arbeitsplatzes und neben der meßbaren Arbeitsleistung demBetrieb zu nützen, indem sie kleine Schäden oder Verschwendungen verhindern. Sie können ihnen andererseits auch viel schaden, indem sie bewußt nachlässig und i m kleinen sabotieren. Die

gesellschaftliche im

Stellung

des

Mitarbeiters

Betrieb

Das betriebliche Dasein der abhängigen Mitarbeiter weist einen zweiten Punkt auf, der ebenso wichtig wie die Arbeit selbst ist: Es ist die soziale Geltung. Wenn w i r überall i m Wirtschaftsleben beobachten, wie wenig rein rationale Erwägungen entscheiden, so gilt besonders, daß der Mitarbeiter kein homo oeconomicus, kein abstrakt wirtschaftender Mensch, sondern ein gesellschaftliches Wesen ist. Wie oft muß man feststellen, daß der Prokurist, der Meister oder der Arbeiter trotz guter Arbeitsverdienste u n d fruchtbarer Tätigkeit sich unbefriedigt fühlt, w e i l seine gesellschaftliche Stellung i m Betrieb nicht den eigenen Wünschen entspricht! Wie oft geht es dabei n u r u m kleine Anlässe, die der Vorgesetzte abstellen und vermeiden könnte, wenn er dieses Menschliche allzu Menschliche bei anderen so beachten würde, wie er wünscht, daß man es bei i h m beachtet. Dabei ist keineswegs zu übersehen, daß die Empfindlichkeit vielfach übergroß ist. Das hat seinen realen Grund i n der Tatsache, daß die notwendige, betriebliche A b hängigkeit ohnehin von Menschen, die sich ihrer gesellschaftlichen Mündigkeit bewußt sind, Last empfunden werden kann. Die M i t arbeiter finden aber auch i n ihrer außerbetrieblichen Sphäre keinen Ausgleich des Selbstbewußtseins, etwa durch das Gefühl der Unabhängigkeit und Selbständigkeit, welches privates Eigentum geben kann. N i m m t der Unternehmer auf diese seelische Vorbelastung seiner M i t arbeiter keine Rücksicht, so fühlt sich der Mitarbeiter leichter i n seinem Prestige getroffen als ein Mitbürger, der sich seiner selbständigen Stellung bewußt ist. N u n kommt dazu, daß i n Deutschland i n einem gewissen Gegensatz zu den alten Demokratien ohnehin die Einstellung der Unternehmer und betrieblichen Vorgesetzten vielfach noch zu einseitig auf Befehl und Zwang ausgerichtet ist. Darunter leiden w o h l die Angestellten am meisten. Allzuoft w i r d das Vorgesetztenverhältnis i n einer Form herausgestellt, die sachlich nicht notwendig ist. So kommt der Mitarbeiter nicht zur Freude an einer freien Mitarbeit und an der Verantwortung. Allzuoft geht man davon aus, daß die Untergebenen durch K r i t i k , Be-

238

Der Bürger als Mitarbeiter

fehl und Drohungen zur Arbeit angehalten werden müssen, während diese i n Wirklichkeit lähmend w i r k e n und innere Widerstände wachrufen. Daß die meisten Mitarbeiter durch richtig dosiertes Lob und A n erkennung viel stärker angespornt werden, w i r d übersehen. Götz Briefs meint, „offenbar liegt es so, daß der deutsche Industrialismus i n der Umklammerung einer halbfeudalen, politischen und sozialen Struktur auftrat, und daß diese Struktur sich niederschlug auch i n den menschlichen Beziehungen und den Abhängigkeitsverhältnissen, die das Betriebsleben m i t sich bringt und verlangt. Jeder Kenner der Dinge weiß, welche Rolle der Reserve-Offizier, der frühere KorpsStudent, der Berg-Assessor, der gediente Unteroffizier („Zwölfender") i n der deutschen Schwerindustrie spielte; bedeutsam war andererseits die Tatsache, daß der Arbeiter der Belegschaft durch den Militärdienst an Befehl und Disziplin gewöhnt war. I m alten Preußen-Deutschland ragte — und nicht ohne gewaltige wirtschaftliche W i r k u n g — Disziplin und Autorität, militärisch vorgeformt, tief in das Betriebsleben hinein. Halbfeudale gesellschaftliche und militärische Rangstufen und A n sprüche hatten sich i n der Formation der Betriebsbeziehungen niedergeschlagen 16 ." Die Unternehmer werden auch i n Deutschland einen anderen S t i l ihres Umgangs m i t den Mitarbeitern aller Stufen entwickeln müssen, einen Stil, der sich für vollwertige Bürger geziemt, mögen sie auch i m Berufsleben abhängig sein. Er soll sich auf das Überzeugen und Gewinnen richten, auch wenn der Zwang als letztes M i t t e l normalerweise unmerklich dahinter steht. Er sollte von der stillschweigenden Voraussetzung ausgehen, daß der Untergebene, auch wenn er i m Betrieb sich unterordnen muß, ein gleichberechtigter Bürger m i t Selbstgefühl und Verantwortung ist. Dieser Respekt vor dem andern, der i n glücklichen Fällen noch durch eine, keineswegs sentimentale, Nächstenliebe ergänzt werden wird, geht schließlich auf die letzten Grundlagen, aus denen der Mensch lebt. Aber ist es nicht richtig, diese Gesichtspunkte stärker ins Bewußtsein zu rufen, als es i m allgemeinen geschieht? Zumal sie auch sehr reale Folgen für das Unternehmen haben, vorausgesetzt, daß dahinter eine kraftvolle und fähige Unternehmerpersönlichkeit steht. Besteht jene Grundeinstellung der Achtung und Liebe gegenüber den Mitarbeitern, so können uns die amerikanischen Erkenntnisse und Erfahrungen anregen. Sie bauen vor allem auf den Arbeiten des Soziologen Elton Mayo auf, der zuerst die „spontane Kooperation" i m Betrieb betont hat. Mayo erkannte, daß die sachliche und rationale Betriebspolitik nicht immer die optimalen Betriebsergebnisse garan16

a.a.O., Seite 70.

V o m Arbeitnehmer zum Mitarbeiter

239

tiert. Neben der guten Entlohnung und der zweckmäßigen Betriebsorganisation müßten die „irrationalen", die gefühlsmäßigen Bedingungen beachtet werden. Es komme darauf an, die Mitarbeiter i n allen ihren menschlichen Kräften anzusprechen, vor allem auch ihr Bedürfnis nach sozialer Anerkennung und Geltung zu befriedigen. Mayo und andere haben gezeigt, wie andernfalls seelische Gegenkräfte aufgestachelt werden, durch die alle Erfolge einer logisch richtigen Rationalisierung zunichte werden. Selbst wenn der Mitarbeiter triebhaft und emotional reagiert, ist er doch vielfach i m Hecht, insofern er seine persönlichen Werte verteidigt. Der

Unternehmer

abhängig

von

der

öffentlichen

Meinung I m ganzen genommen hat sich das innerbetriebliche Verhältnis nach dem zweiten Weltkrieg günstig entwickelt. Die gemeinsame Sorge um den Betrieb hat eine Betriebssolidarität geschaffen, die ähnlich w i r k t wie die Solidarität der Klasse. Aber dieses verbindende Erlebnis aus der Zeit des Wiederaufbaus verblaßt allmählich. Der gesellschaftliche Stil für normale Zeiten ist noch zu wenig geformt. Es muß ein demokratischer und ziviler S t i l sein, der ebenso durch die außerbetriebliche Position der Mitarbeiter geprägt werden wird, wie ehemals die von Götz Briefs gekennzeichnete preußisch-militärische Haltung das Betriebsleben beeinflußt hat. Was ist jedoch, wenn Unternehmer für die Wandlung der innerbetrieblichen Beziehungen kein Verständnis haben? Wenn sie ihre entscheidende Stellung, die sie nach unserer Wirtschaftsordnung i m Betrieb haben, benutzen, u m ihre Mitarbeiter unwürdig zu behandeln? Dies Problem muß man realistischerweise sehen, vor allem soweit die M i t arbeiter nach der Lage des Arbeitsmarktes keine Gelegenheit haben, auf bessere Arbeitsplätze auszuweichen. W i r sind der Meinung, daß die Abwehr solchen Machtmißbrauchs, soweit er nicht zum Verstoß gegen Gesetze wird, nicht Aufgabe des Staates, sondern der Gesellschaft selbst ist. Die Gesellschaft muß sich gegen alle Mitbürger wehren, die schwer gegen die herrschenden Maßstäbe des öffentlichen Zusammenlebens verstoßen, und sie hat die Macht dazu, auch Unternehmer zu zwingen, daß sie sich i n das Ganze einfügen. Notwendig ist allerdings, daß das gesellschaftliche Gewissen in dieser Richtung entwickelt wird. Es ist zu hoffen, daß die öffentliche Meinung dazu m i t w i r k t und sich allmählich ein neuer Standard der innerbetrieblichen Beziehungen bildet, der auch diejenigen beeinflußt, die von sich aus wenig Verständnis dafür haben. Es ist wichtig, daß die Organe der öffentlichen Meinung, besonders die Presse, abseits aller ideologischen Fronten diese Aufgabe erkennt.

240

Der Bürger als Mitarbeiter

Bisher w a r dies leider wenig der Fall. Die „bürgerliche" Presse neigte dazu, unerfreuliche Verhältnisse i n Unternehmen zu übergehen, weil sie den sozialistischen Gegnern der Privatwirtschaft kein Material geben und die betroffenen Unternehmer oder ihre Kollegen nicht verärgern wollte. Die Gewerkschaftspresse hingegen neigte dazu, die Mißstände als Schäden des Systems zu bezeichnen, statt zu sagen, daß es sich u m charakterliche Mängel einzelner handelt, die i m Rahmen einer Zentralverwaltungswirtschaft bei behördlich eingesetzten Managern genauso vorkommen würden. Eine objektive Berichterstattung der Presse sollte sich i m Lokalteil nicht nur auf Unfälle oder Verbrechen, auf Einweihung von Gebäuden und Sportveranstaltungen und ähnliches beschränken, sondern bei geeigneten Anlässen auch positiv oder negativ die innerbetrieblichen Vorgänge behandeln. Sie hat dabei besonders die Aufgabe, die Schwachen zu stützen. Die Unternehmer erwiesen ihrer Sache einen Dienst, indem sie unsoziale Außenseiter nicht deckten und verteidigten, sondern auf sie einwirkten. I m extremen Falle sollten sie sich auch nach außen von ihnen distanzieren. Vor allem aber ist an die Selbsthilfe der Mitarbeiter und ihrer Organisationen zu denken. Hier gibt es Aufgaben, welche die Gewerkschaften bisher zu wenig beachtet haben. Sie fordern zum Streik auf, wenn sie ihre politische und wirtschaftliche Macht ausdehnen oder höhere Löhne erzwingen wollen. Wenn aber ein Unternehmer seine Mitarbeiter unwürdig behandelt, ohne gegen Gesetze und Tarifverträge zu verstoßen, wenn es also um die elementaren Personenrechte geht, so besteht ebenfalls die Möglichkeit, die Zusammenarbeit zu verweigern. Wenn die Unternehmer wüßten, daß der Mißbrauch ihrer Stellung ein Streikgrund sein kann, würde der Ernstfall kaum eintreten, vielmehr würde sie dieses Risiko schon zur gesellschaftlichen Anpassung zwingen.