Ludwig Andreas Jordan und das Pfälzer Weinbürgertum: Bürgerliche Lebenswelt und liberale Politik im 19. Jahrhundert [1 ed.] 9783666368516, 9783525368510

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Ludwig Andreas Jordan und das Pfälzer Weinbürgertum: Bürgerliche Lebenswelt und liberale Politik im 19. Jahrhundert [1 ed.]
 9783666368516, 9783525368510

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Bürgertum Neue Folge Studien zur Zivilgesellschaft Herausgegeben von Manfred Hettling und Paul Nolte Band 12

Vandenhoeck & Ruprecht

Henning Türk

Ludwig Andreas Jordan und das Pfälzer Weinbürgertum Bürgerliche Lebenswelt und liberale Politik im 19. Jahrhundert

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISSN 2197-0890 ISBN 978-3-666-36851-6 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de Umschlagabbildung: Ludwig Andreas Jordan, Landesarchiv Speyer Das Werk wurde für die Veröffentlichung überarbeitet./ This habilitation treatise has been revised for publication. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen / Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U. S. A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Satz: textformart, Göttingen | www.text-form-art.de

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1. Ausgangsbedingungen: Die Pfalz und das liberale Erbe der Revolution 31 2. Jordan in der Pfalz: Aufstieg durch Heirat und die Einführung des Qualitätsweinbaus durch Andreas Jordan . . . . . . . . . . . . . . 43 3. Ludwig Andreas Jordans Weg ins Bürgertum . . . . . . . . . . . . . . 59 3.1 Bürgerliche Wertvorstellungen und Handlungsroutinen: Bildung und Ausbildung in Deidesheim und Mannheim . . . . . . 60 3.2 Rite de passage: Die Reise mit Franz Peter Buhl nach England im Sommer 1833 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 3.3 Gefühle, Freundschaft und Familie: Die Cousin- und Cousinenheirat der Jordan- und Buhl-Kinder . . . . . . . . . . . . 93 3.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 4. Modernisierung, Industrialisierung und institutionelles Engagement: Vom Weingutsbesitzer zum Großinvestor . . . . . . . . . . . . . . . . 109 4.1 Ludwig Andreas Jordan als Gutsbesitzer: Die Jordan’sche Teilung 1848 und die Modernisierung des Weinguts . . . . . . . . 109 4.2 Industrialisierung als Heilmittel gegen Pauperismus und Wegbereiter für bürgerliche Partizipation . . . . . . . . . . . . . . . 124 4.3 Anteilseigner und wirtschaftlicher Netzwerker: Infrastruktur-, Handels- und Industrieprojekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 4.3.1 Eisenbahnanschluss für Deidesheim: Die Pfälzischen Eisenbahnen und die Gründung der »Actien-Gesellschaft der Neustadt-Dürkheimer Eisenbahn« . . . . . . . . . . . . . 128 4.3.2 Staat und Wirtschaft: Die Bayerisch-Pfälzische Dampfschleppschifffahrtsgesellschaft . . . . . . . . . . . . . 144 4.3.3 Industrielle Beteiligungen: Die Baumwollspinnerei und Weberei AG Lampertsmühle . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160

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Inhalt

4.4 Im Schnittfeld von Wirtschaft und Politik: Neustädter Handelsrat, Pfälzische Handelskammer und Deutscher Handelstag . . . . . . . 170 4.4.1 Die Organisation der pfälzischen Interessenvertretung in Wirtschaftsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 4.4.2 Liberale Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsnationalismus: Jordan als Vorsitzender pfälzischer Wirtschaftsgremien . . 173 4.4.3 Der kleindeutsche Vermittler: Im Ausschuss des Deutschen Handelstages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 4.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 5. Zwischen lokaler und regionaler Ebene, Landesebene und Reich: Liberale Politik im Mehrebenensystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 5.1 Politische Prägungen: Bayerischer Reformlandtag 1831, Polenbegeisterung und Hambacher Fest . . . . . . . . . . . . . . . . 204 5.2 Erste eigene Schritte in der Regionalpolitik . . . . . . . . . . . . . . 223 5.2.1 Für konfessionellen Frieden im Pfalzkreis: Der Kampf gegen die katholische Restaurationspolitik Ludwigs I. . . . . 223 5.2.2 Für eine starke liberale Bewegung: Die Wahlen zur bayerischen Kammer der Abgeordneten 1845 und das Dürkheimer Festessen 1846 . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 5.3 1848/49: In zwei Revolutionen zwischen Opposition und Opportunismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 5.3.1 Liberalismus und Juste milieu: Die Märzrevolution 1848 . . 249 5.3.2 Bürgermeister in der Reichsverfassungskampagne 1849: Zwischen Radikalismus und Opportunismus . . . . . . . . . 265 5.4 Der Kampf um politische Handlungsspielräume in der Reaktionszeit (1849–1859) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 5.4.1 Stiftungen zur Absicherung des sozialen Friedens in Deidesheim: Andreasbrunnen und Kleinkinderbewahranstalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 5.4.2 Kampf gegen das Reaktionssystem: Deidesheimer Fahnenstreit und Reform der Pfälzer Gemeindeverfassung . 290 5.4.3 Gescheiterte Propaganda: Das Wochenblatt für die Pfalz 1856 309 5.5 Der kleindeutsche Standpunkt in der Pfalz: Von der Gründung der Fortschrittspartei in Bayern bis zum deutsch-deutschen Krieg 1866 . . . . . . . . . . . . . . . . 322 5.6 Zum Zuschauen verurteilt: Ludwig Andreas Jordan und der Weg zur deutschen Einheit vom Zollparlament bis zur Reichsgründung 338 5.7 Politischer Höhepunkt und Abschied: Reichstagsmandat zwischen 1871 und 1881 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 5.8 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368

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Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 Unveröffentlichte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 Zeitgenössische Quellen der Sammlung Bavarica der Bayerischen Staatsbibliothek . . . . . 388 Quelleneditionen und zeitgenössische Veröffentlichungen . . . . . . . 390 Forschungsliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419

Vorwort

Dieses Buch basiert auf meiner von der Fakultät für Geisteswissenschaften an der Universität Duisburg-Essen im Sommersemester 2015 angenommenen­ Habilitationsschrift, die für den Druck überarbeitet wurde. Ausgangspunkt der Arbeit war die Entdeckung der Quellen aus dem Familienarchiv BassermannJordan im Landesarchiv in Speyer. Nach einer ersten Sichtung der Quellen hatte ich das euphorische Gefühl, einen Schatz gefunden zu haben. Die Frage war nur, wie ich diesen Schatz heben konnte. Bei der Beantwortung dieser Frage haben mir im Laufe der Jahre viele Kollegen und Freunde geholfen, denen ich für ihre Unterstützung danken möchte. Wertvoll waren insbesondere die Gespräche mit meinem langjährigen Chef Wilfried Loth, der mir in seiner unaufgeregten und vertrauensvollen Art immer das Gefühl gegeben hat, an meine Ideen und Ansätze zu glauben. Ute Schneider hat freundlicherweise das Zweitgut­achten übernommen und das Projekt mit wichtigen Hinweisen und Kontakten unterstützt. Hans-Werner Hahn hat das externe Gutachten verfasst und erste Ergebnisse der Arbeit in seinem Jenaer Kolloquium kommentiert. Daneben habe ich in weiteren Kolloquien, in Archiven und Gesprächen mit Kolleginnen und Kol­legen oder in der konkreten Diskussion einzelner Kapitel viele Hinweise und Hilfen erhalten, für die ich mich bei Stefan Müller, Korinna Schönhärl, Ewald Frie, Daniel Menning, Sabine Mangold-Will, Stefan Brakensiek, Hanna ­Sonkajärvi, Frank Konersmann, Sonja Hillerich, Rabea Limbach und Carsten Heth bedanken möchte. Gewinnbringend war auch der wissenschaftliche Austausch mit der »Pfälzer Fraktion« in Gesprächen und Vorträgen vor Ort. Dafür geht mein Dank an Berthold Schnabel, Paul Warmbrunn, Hartmut Harthausen, Hans Fenske,­ Karsten Ruppert, Wilhelm Kreutz, Wolfgang Müller, Roland Paul, Pia Nordblom und Ludger Tekampe. Margit und Gabriele von Bassermann-Jordan haben die Einsicht in das Depositum der Familie schnell und unkompliziert genehmigt und die Entwicklung der Arbeit wohlwollend begleitet. Gunther Hauck, vom Weingut Bassermann-Jordan, danke ich für seine Großzügigkeit, mir seine Sammlung der Briefe von Ludwig Andreas Jordan für einige Monate anzuvertrauen. Für die akkurate Transkription des Tagebuchs der Londonreise von Ludwig ­Andreas Jordan danke ich Katharina Görtz. Der Fritz Thyssen Stiftung möchte ich für ein Reisestipendium danken, das einen Großteil der Reisekosten abdeckte. Für die Aufnahme des Buches in die Reihe »Bürgertum Neue Folge. Studien zur Zivilgesellschaft« danke ich den Herausgebern Paul Nolte und Manfred Hett-

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Vorwort

ling, die zudem mit ihren konstruktiven Kommentaren und Kürzungsvorschlägen die Prägnanz der Arbeit gefördert haben. Daniel Sander, vom Verlag Vanden­ hoeck & Ruprecht, danke ich für die umsichtige Betreuung der Drucklegung. Bedanken möchte ich mich auch bei meiner Frau, meinen Kindern sowie meinen Eltern, die mir durch ihr Vertrauen in meine Arbeit immer wieder neue Kraft gegeben haben. Mein Onkel Hans-Ludwig Kranz hat meine wissenschaftliche Arbeit über lange Jahre gefördert und damit einen großen Anteil am Zustandekommen des Buches. Leider konnte er die Veröffentlichung der Habilitationsschrift nicht mehr erleben. Besonders gefreut hat mich die Auszeichnung der Arbeit mit dem »WolfErich-Kellner-Gedächtnispreis« der »Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit«. Für die Auswahl möchte ich mich bei dem Kuratorium der Stiftung um den Vorsitzenden Prof. Dr. Joachim Scholtyseck bedanken. Der Preis war nach den langen Jahren des Forschens und Schreibens eine wohltuende Bestätigung für die Wahl des Themas und die Einordnung in die Liberalismusforschung. Essen, im Juni 2016

Henning Türk

Einleitung

Als der Pfälzer Dichter und Volkskundler August Becker in den 1850er Jahren seine Heimat durchwanderte, durchquerte er auch die fruchtbare Gegend der Vorderpfalz. Dort, wo von Westen das Haardtgebirge als Ausläufer des Pfälzer Waldes die Weinberge und Felder gegen die kühlen Winde schützt und von­ Osten der Rhein das milde Klima mitbestimmt, lokalisierte er eine bestimmte soziale Schicht, der er eine bedeutende Rolle für die Pfalz zuschrieb: »Nun gibt es schon lange keinen Adel der Geburt mehr in der Pfalz. Aber in der Rheinebene und den Rheinstädten, in Mannheim, wird von dem reichen sogenannten Gebirgsadel gesprochen, der heute seinen Sitz an der Haardt, vorzüglich aber in seinem[sic] reichsten Mitgliedern hier in Deidesheim, dann in Forst, Wachenheim und Dürkheim hat. Hier wohnt dieser ›Gebirgsadel‹, aus den reichsten, weinbauenden Bürgern bestehend, in stolzer Unabhängigkeit und schöner, als irgendwo die hohe Aristokratie der Geburt. Ihn adelt im Bewußtsein des Volkes der durch eigenes Verdienst erworbene, vernünftig erhaltene und gut angewandte Reichthum, und man muß es ihm lassen, daß er durch Humanität, edle Liberalität und freudige Opferwilligkeit, wo es das Wohl des Vaterlandes und Volkes erfordert, vor der Mehrzahl der alten Aristokratie sich auszeichnet.«1

In dieser idealisierten Schilderung platziert Becker die wohlhabenden Winzer der Vorderpfalz zwischen Bürgertum und Adel. Sie entstammten Kleinstädten und Landgemeinden und hatten dort, aufgrund der Abschaffung der Feudalrechte und der Flucht des Adels während der Zugehörigkeit des späteren Pfalzkreises zu Frankreich, adelsähnliche Funktionen übernommen. Becker stilisiert hier das unabhängige Bürgertum, dessen Besitz ihm nicht durch Geburt zu­ gefallen sei, sondern das sich diesen durch eigene Tätigkeit verdient habe. Den Topos des unnützen Adels aufgreifend, der sich nicht für das Volk und die Nation einsetze, betont Becker das Engagement dieser Winzer für das Vaterland, das durch ihre liberale Einstellung geprägt sei.2 Becker verweist auch auf den Lebensstil dieser Schicht, die am Rand des Haardtgebirges in schönen Häusern wohne. Somit erscheint diese Gruppierung als wohlhabende und wohlwollende Führungsschicht in der Vorderpfalz. Vielleicht hatte Becker dabei die Sicht seines konservativen pfälzischen Schriftstellerkollegen Friedrich Blaul vor Augen, der als Korrespondent aus der Pfalz für die Cotta’schen Blätter Morgenblatt für gebildete Leser und die Augsburger 1 Becker, Pfalz, S. 275. 2 Siehe dazu auch Langewiesche, Adel, S. 26 f.

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Allgemeine Zeitung berichtete. Dieser hatte in zwei Artikeln aus dem Jahr 1851 die Gegend und die Schicht folgendermaßen charakterisiert: »Es ist ein fruchtbarer, gesegneter, deshalb natürlich reicher Landstrich längs dem Fuße des Haardtgebirges. […] Nicht nur große, städtische Häuser, sondern wahrhaft glänzende Villen, gleich neuen Edelsitzen, zieren die Orte […]. Man nennt die Bewohner derselben scherzweise den Bergadel. In einem Lande, in dem kein Adel mehr besteht und keine Spur feudalistischer Vorrechte mehr zu finden sind, sind die Männer des Grund- und Geldbesitzes allerdings an die Stelle des Adels getreten.3

Blaul greift den Begriff »Bergadel« hier im Unterschied zu Becker als Begriff des Volksmunds auf, der sich damit über den demonstrativ zur Schau getragenen Reichtum mokiert. Gleichwohl zieht auch er Parallelen zum Adel. Nach der Abschaffung des Adels seien die reichen Gutsbesitzer in dessen Position aufgerückt. Im folgenden Abschnitt geht er auf die sozialen Beziehungen in den Weinorten ein, die von starken wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnissen geprägt waren. »Doch von schönen An- und Aussichten lebt man nicht, und selbst die stolzen Häuser, die an der Straße prunken, geben nur die Folie ab, auf der die Noth des kleineren Winzers sich um so greller abschattet. […] Ein Proletariat, wie in Fabrikorten und großen Städten, ist freilich nicht da, aber der Leute, die den größern Geld- und Gutsbesitzern tributpflichtig sind, gibt es eine bedeutende Zahl […]. Hat doch der kleinere Winzer nicht selten schon zur Blüthezeit der Reben eine Schuld contrahirt, die der ganze Ertrag seiner Ernte kaum zu decken vermag. Wenn der Herbst kommt, liest und keltert er die Trauben, aber der Most ist nicht mehr sein.«4

Nur wenige Jahre zuvor, in den Auseinandersetzungen der Märzrevolution von 1848/49, zeichnete ein anonymer Autor des demokratischen »Pfälzischen Volksvereins-Blattes« dieses Abhängigkeitsverhältnis noch ungeschminkter nach: »Der Ackersmann, der einige Morgen hat, die ihn reichlich ernähren könnten, wenn sie schuldenfrei wären, ist noch viel schlimmer daran. Pflanzt er Früchte und sie kommen zu ordentlichen Preisen, so ist er nicht imstande, den günstigen Zeitpunkt abzuwarten, da die Not ihn zwingt, seine Ernte alsbald einem Handelsmanne oder einem Reicheren zu verkaufen, der dann, nachdem er lange genug (bei steigenden Preisen) zurückgehalten, den ganzen Profit einsteckt, der dem ursprünglichen Bebauer hätte erwachsen können und sollen. Noch schreiender ist dieses Mißverhältnis bei den Weinbauern und gerade in den besten, in den sogenannten reichen Weinorten; dort kann man die Mehrzahl der Weinbauern geradezu die Tagelöhner einzelner Weinhändler und großer Besitzer nennen. In den Fehljahren sind sie genötigt, Schulden zu machen […]; tritt nun ein 3 Blaul, Mittelrhein, in: Morgenblatt für gebildete Leser Nr. 9 vom 10.1.1851, S. 36 und Nr. 10. vom 11.1.1851, S. 39 f. Für die Identifikation Blauls als Autor siehe Schneider, Stimmungsberichte, S. 406. 4 Blaul, Mittelrhein, in: Morgenblatt für gebildete Leser Nr. 10 vom 11.1.1851, S. 39 f.

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mal ein lohnender Herbst ein, […] so ist er [der Bauer, H. T.] entweder genötigt, seinen kaum gelesenen Herbst den Gläubigern gutwillig abzutreten um einen ›mäßigen Preis‹, oder der Gerichtsbote streckt schon seine Hände über den Weinstock […].«5

An diesen drei zeitgenössischen Sichtweisen auf die Schicht der wohlhabenden vorderpfälzischen Winzer wird deutlich, dass sie für die Region eine hohe Bedeutung hatte. Diese Bedeutung wird unterschiedlich bewertet, denn die Schicht polarisierte. Je nachdem aus welchem Blickwinkel die Autoren auf die Weingutsbesitzer schauten, hoben sie positive oder negative Aspekte ihrer Stellung im sozialen Gefüge in der Vorderpfalz hervor. Der offensichtliche Einfluss der Weingutsbesitzer und der im Laufe des 19. Jahrhunderts immer stärker zur Schau getragene Reichtum provozierten zur Stellungnahme.6 Man musste sich ihnen gegenüber positionieren. Die Zitate weisen auch auf soziale Spannungen hin. Abhängigkeiten und Machtgefälle kennzeichneten das von den reichen Gutsbesitzern dominierte Dorf- und Kleinstadtleben. Doch wie ist diese Schicht, deren zeitgenössische Beurteilung zwischen Idealisierung des Weinbürgertums und Verdammung der Großkapitalisten changiert, aus heutiger Perspektive einzuordnen? Darauf hat bisher vor allem die pfälzische Geschichtsschreibung Antworten gesucht. Insbesondere Richard Utz grenzt in einem anregenden Aufsatz unter kultursoziologischen Fragestellungen das Weinbürgertum genauer ein.7 Unter Rückgriff auf Max Webers soziologische Kategorien beschreibt er das Pfälzer Weinbürgertum als eine Klasse, die sich durch den Besitz der besten Weinlagen in der Vorderpfalz, den Erwerb spezifischen Fachwissens im Weinbau und eine klare Heiratsstrategie ausgezeichnet habe. Gleichzeitig habe man auch eine bestimmte Lebensweise, die »Weinbürgerlichkeit« entwickelt, in der Bildungswissen und önologisches Wissen zusammengeflossen seien. Die darin zum Ausdruck kommende wirtschaftliche Spitzenstellung in der Region wird in der Literatur ergänzt durch eine Betonung der politischen Bedeutung des Weinbürgertums für die Pfalz.8 Auf diese Weise entsteht das Bild einer regionalen wirtschaftlichen und politischen Elite. 5 O. V., Die reiche Pfalz, S. 73 f. Siehe dazu auch: Haasis, Morgenröte, S. 194 f. 6 Eindrucksvoll wird die veränderte Repräsentation des Weinbürgertums bei den Gräbern der Familie Jordan auf dem Deidesheimer Friedhof unterstrichen. Das 1834 er­richtete Grab von Josepha Jordan und der 1848 aufgestellte Grabstein von Andreas Jordan muten in ihrem spätklassizistischen Stil sehr bescheiden an. Dagegen ist die Familiengrabstätte­ Bassermann-Jordan der Kinder und Enkelkinder von Andreas und Josepha Jordan die aufwendigste Grabstätte des Friedhofs und demonstrativ großzügig angelegt. Die aus dem letzten Viertel des 19.  Jahrhunderts stammende Grabanlage verbindet barocke Elemente mit »Formen der italienischen Früh- und Hochrenaissance«. Siehe Landesamt für Denkmalpflege (Hg.), Kreis Bad Dürkheim, S. 186 f. 7 Utz, Weinbürgertum. 8 Kermann, Tendenzen, hier v. a. S. 230–258; Osmond, Peasants; Bräunche, Politik und Wein.

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Der Horizont des Weinbürgertums reichte im 19.  Jahrhundert jedoch weit über die Region hinaus. In Landgemeinden und Kleinstädten aufgewachsen, orientierte sich das Weinbürgertum an einer bürgerlich-großstädtischen Kultur und Lebensweise. Wirtschaftlich war es frühzeitig in der Industrialisierung der Region engagiert und richtete sich gleichzeitig als exportorientierte Agrarunternehmer auf überregionale Märkte aus. Seine politische Machtstellung basierte zwar auf der lokalen und regionalen Elitenfunktion, umfasste aber auch die bayerische und die nationale Ebene. Dort setzte sich das Weinbürgertum vor allem für liberale wirtschaftliche und politische Reformen ein. Trotz dieser tiefen Verankerung im Bürgertum und in der liberalen Bewegung steht eine Analyse dieses Weinbürgertums im Kontext der Bürgertumsund Liberalismusforschung noch aus. Diese hat sich seit einigen Jahren vor allem dem 20.  Jahrhundert zugewandt, obwohl es zur Analyse zentraler Problemkomplexe des 19.  Jahrhunderts noch weiterer Forschung bedarf.9 Insbesondere ist das starke bürgerliche Engagement in der liberalen Bewegung weiterhin erklärungsbedürftig.10 Welche Verbindungen gibt es zwischen bürgerlichen Wertvorstellungen und Liberalismus? Welchen Einfluss hat die bürgerliche Lebenswelt auf die politischen Einstellungen? Welche Rolle spielen die konkreten Erfahrungen in den jeweiligen lokalen und regionalen Räumen für das bürgerlich-liberale Engagement? Wie waren die verschiedenen Handlungsund Erfahrungsräume auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene miteinander verbunden? Inwieweit veränderten sich Einstellungen und Weltbilder durch einschneidende Ereignisse wie die Revolution von 1848/49 oder die Reichsgründung 1870/71? Die Bürgertums- und Liberalismusforschung hat sich diesen zentralen Fragen über Teilaspekte angenähert. Ein wichtiger Bereich war bereits frühzeitig die Erforschung bürgerlicher Werte und Ideale, die vor allem in den Arbeiten zur Herausbildung einer spezifischen »Bürgerlichkeit« untersucht wurden. »Bürgerlichkeit« wurde dabei als kulturelle Klammer der verschiedenen bürgerlichen Berufsgruppen konzeptualisiert und äußerte sich in »Praktiken, habituellen Dispositionen und wertgestützten Selbst- und Fremdkonzeptionen«11. In den entsprechenden Studien wurden die Erziehung, die Rolle der Familie bei 9 Die beiden zentralen Synthesen zum deutschen Liberalismus stammen bezeichnenderweise aus den 1970er bzw. 1980er Jahren. Siehe Sheehan, Der deutsche Liberalismus;­ Langewiesche, Liberalismus in Deutschland. Die aktuellsten Überblicke zur Bürgertumsforschung bieten Schäfer, Geschichte des Bürgertums; Schulz, Lebenswelt. 10 Erste Überlegungen finden sich bei Sheehan, Wie bürgerlich war der deutsche Liberalismus?; Kaschuba, Nation. Einen Überblick über die Forschung bieten die Aufsätze in Gall (Hg.), Bürgertum und bürgerlich-liberale Bewegung. Darin weist vor allem Langewiesche, Frühliberalismus und Bürgertum, S. 69–78, auf bestehende Forschungsdefizite zum Zusammenhang von »Bürgerlichkeit« und Liberalismus hin. 11 Budde, Blütezeit, S. 3.

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der Vermittlung von Werten, die Etablierung und Tradierung der Geschlechterrollen oder die Abgrenzung von anderen Gesellschaftsformationen analysiert.12 Eine Verbindung zur Liberalismusforschung wurde nicht gesucht.13 Auch in den »Bürgerlichkeit« und bürgerliche Lebenswelt verbindenden individual- und familienbiographischen Arbeiten stand in der Regel das bürgerliche Wertesystem und seine Tradierung und Veränderung im Laufe mehrerer Generationen im Zentrum.14 Breiter angelegt war der Ansatz von Lothar Galls Maßstäbe setzender Studie über die Mannheimer Kaufmannsfamilie Bassermann. In seiner vom 17. bis ins 20. Jahrhundert reichenden Analyse hat er vor allem die Selbständigkeit als bürgerliches Leitmotiv herauspräpariert. Von dieser Selbständigkeit aus, als höchstes Gut der bürgerlichen Lebensführung, ergaben sich Anknüpfungspunkte an das liberale Engagement der Familie, das auf die Befähigung des Individuums zu einem selbstbestimmten L ­ eben abzielte.15 Eine andere Verbindungslinie hat Constantin Goschler gezogen, der einen engen Zusammenhang zwischen dem bürgerlich-wissenschaftlichen Fortschrittsglauben und dem liberalen Engagement seines Protagonisten, des Berliner Arztes und Politikers Rudolf Virchow, konstatierte.16 Eine geringe Rolle spielten in diesen Studien Fragen nach den Einflüssen des Raumes, denen die Bürgertums- und Liberalismusforschung verstärkt seit den 1980er Jahren nachging.17 Diesem Ansatz lag die Prämisse zugrunde, dass der Liberalismus im Vormärz in regionalen Kontexten entstanden und daher auch sehr stark auf die Region ausgerichtet gewesen sei.18 Man müsse ihn also ausgehend von der Region analysieren. In der Folgezeit wurden in Sammelbänden und Einzelstudien die unterschiedlichen regionalen Ausprägungen des Liberalismus erforscht. Insbesondere organisatorische und sozialgeschichtliche Aspekte rückten dabei in den Vordergrund. Wie entwickelte sich das liberale Vereins- und Parteiwesen? Auf welcher sozialen Basis beruhte der Liberalismus?19 Das Bürgertum rückte in diesen Untersuchungen vor allem als Träger des Liberalismus in den Blick. Dem in der Regel städtischen Bürgertum konnte

12 Siehe u. a. Budde, Bürgerleben; Habermas, Frauen und Männer. 13 Eine Ausnahme bildet Hettling, Politische Bürgerlichkeit. Hettling sieht in der Fokussierung auf das Individuum eine Gemeinsamkeit von Bürgerlichkeit und Liberalismus. 14 Mit starker wirtschaftsbürgerlicher Ausrichtung u. a. Wörner, Frankfurter Bankiers; Lesczenski, August Thyssen. Aus der bildungsbürgerlichen Richtung kommend Morgenstern, Bürgergeist. Beide Hauptrichtungen des Bürgertums verbindend Bauer, Bürgerwege. 15 Gall, Bürgertum in Deutschland, S. 95, 149–151. 16 Goschler, Virchow. 17 Für erste Ansätze in dieser Richtung siehe Schieder (Hg.), Liberalismus in der Ge­ sellschaft. 18 Kaschuba, Nation. 19 Siehe zum Beispiel den Sammelband von Gall/Langewiesche (Hg.), Liberalismus und Region, der verschiedene Fallbeispiele vereint.

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man über Untersuchungen der Vereinsstruktur, der Wahlberechtigten oder der Gemeindevertreter auf die Spur kommen. Den regionalen Ansatz hat auch Paul Nolte aufgegriffen, der in einer großan­ gelegten Studie in badischen Städten und Gemeinden einen radikalen vormärzlichen »Gemeindeliberalismus« identifizierte, der von lokalen Erfahrungen geprägt war. Der »Gemeindeliberalismus« sei im Prinzip defensiv ausgerichtet gewesen, da er, anknüpfend an vormoderne Traditionen, eine Autonomie der Gemeinde gegen die von staatlich-bürokratischer Seite vorangetriebene Modernisierung zu verteidigen suchte.20 Diese modernisierungsskeptische Sicht des badischen »Gemeindeliberalismus« weist Parallelen zu der von Lothar Gall in einem viel beachteten Aufsatz bereits 1975 skizzierten Verbindung von »Liberalismus und bürgerliche[r] Gesellschaft« auf.21 Darin postuliert Gall für den südwestdeutschen Liberalismus der Vormärzzeit eine Orientierung am Ideal der »klassenlosen Bürgergesellschaft mittlerer Existenzen«. Eine genaue Analyse seiner Quellenbasis zeigt, dass er sich in seiner Argumentation vor allem auf bildungsbürgerliche theoretische Diskussionen stützt. Den einflussreichen, von rheinpreußischen Wirtschaftsbürgern getragenen Liberalismus wertet er dagegen als »großbürgerlichen«22 Liberalismus ab, der von den wirtschaftlichen Interessen des Besitzbürgertums dominiert worden sei. Damit blieb auch die grundsätzliche Frage ausgeblendet, welche Rolle die Verschränkung von bürgerlicher Lebenswelt und wirtschaftlicher Existenzgrundlage für die politische Ausrichtung des Liberalismus spielte.23 Dass unter Einbeziehung des von Gall ausgeklammerten rheinpreußischen Wirtschaftsbürgertums eine andere Zielutopie des Liberalismus entsteht, verdeutlichen die Forschungen von Rudolf Boch. Die preußische Rheinprovinz gehörte genau wie die Pfalz zeitweilig zu Frankreich und entwickelte sich im Anschluss daran zu einer industriell weit fortgeschrittenen preußischen Provinz. Dort fungierte das Wirtschaftsbürgertum im Anschluss an die Zugehörigkeit der Region zu Frankreich als »regionale Herrschaftsschicht«24 und entwickelte seit den 1830er Jahren eine spezifische Sicht auf die Industrialisierung, bei der die englische Entwicklung in weiten Teilen als Vergleichsfolie diente. Es erwartete von der Bereitstellung neuer Arbeitsplätze im Prozess der Industrialisierung eine Lösung der sozialen Frage und ordnete die wirtschaftlichen Fragen zunehmend in nationale Kategorien ein. Der politische Liberalismus des­ 20 Nolte, Gemeindebürgertum, v. a. S. 16. 21 Gall, Liberalismus und bürgerliche Gesellschaft. 22 Ebd., S. 119 f. 23 In seiner Kritik an Galls Thesen forderte bereits Wolfgang J. Mommsen eine stärkere sozioökonomische Fundierung der Forschung. Siehe Mommsen, Liberalismus. Die­ Forschungsdiskussion resümierend Brandt, Liberalismusdeutungen. 24 Boch, Grenzenloses Wachstum, S. 288.

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rheinischen Wirtschaftsbürgertums diente somit vor allem der Bekämpfung des Pauperismus und der Sicherung der eigenen herausgehobenen Stellung.25 Wie diese knappe Skizze verdeutlicht, wurden die Forschungen über die mentalen, räumlichen und wirtschaftlichen Grundlagen bürgerlich-liberalen Engagements bisher überwiegend getrennt durchgeführt. Diese Stränge sollen im Folgenden zusammengeführt werden, um auf dieser Basis den soziokulturellen Zusammenhang von Bürgertum und Liberalismus genauer auszuleuchten. Für diesen integrierenden Ansatz ist das Pfälzer Weinbürgertum prädestiniert, denn es orientierte sich an der bürgerlichen Leitkultur des 19. Jahrhunderts und war liberal eingestellt. Gleichzeitig bietet es eine ungewöhnliche Perspektive auf das Bürgertum, denn man nähert sich dem Bürgertum mit dieser Schicht von der Peripherie. Die Lebenswelt des Weinbürgertums lag nicht in den großen Städten, sondern in den Landgemeinden und Kleinstädten der Vorderpfalz.26 Diese ländlichen Regionen wurden in der Bürgertumsforschung nur am Rande wahrgenommen, die vor allem das Bürgertum in den großen Städten in den Blick genommen hat. So haben die aus der »Frankfurter Schule« Lothar Galls kommenden Arbeiten mit ihrem Schwerpunkt auf dem Stadtbürgertum an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert deutlich gemacht, wie sich die kommunale Situation wandelte. Traditionelle bürgerlich-städtische Funktionsträger wie Handwerksmeister, Gastwirte oder Bierbrauer wurden abgelöst oder transformierten sich in eine neue Schicht selbstbewusster Bürger, die sich vor allem im Handel betätigten. Dabei richtete sich der Blick dieser Forschungsrichtung auf größere Städte wie Frankfurt oder Mannheim, wo man die Zusammensetzung der städtischen Gremien und das bürgerliche Vereinswesen analysierte.27 Dagegen setzte der Bielefelder Sonderforschungsbereich »Sozialgeschichte des neuzeitlichen Bürgertums: Deutschland im internationalen Vergleich« verstärkt auf die neu entstehende Schicht des Bildungsbürgertums, das von den Rändern des Bürgertums her dieses beeinflusst und verändert habe. Hier stand zunächst der Zugriff über die verschiedenen Berufsgruppen im Vordergrund, bevor mit dem Konzept der »Bürgerlichkeit« ein verbindendes Element gesucht wurde.28 Auf Grund ihres Ansatzes ignorierte die Bürgertumsforschung lange Zeit, dass die größere Stadt eher die Ausnahme im 19.  Jahrhundert darstellte. Die meisten Menschen lebten auf dem Land oder in Kleinstädten.29 Axel Flügel, 25 Ebd., S.  18 f. Vgl. Langewiesche, Frühliberalismus, S.  123 f.; Ders., Liberalismus in Deutschland, S. 27–33. 26 Zur städtischen Lebenswelt des Bürgertums siehe vor allem Schulz, Lebenswelt. 27 Als paradigmatischen Sammelband siehe Gall (Hg.), Stadt. 28 Einen Überblick über die Ansätze und Ergebnisse des Bielefelder Sonderforschungsbereichs bieten die Sammelbände von Puhle (Hg.), Bürger in der Gesellschaft; Lundgreen (Hg.), Sozial und Kulturgeschichte; Tenfelde/Wehler (Hg.), Wege. 29 Auf dieses Defizit der Bürgertumsforschung verweist bereits Hettling, Kleinstadt.

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der sich im Kontext des Bielefelder Sonderforschungsbereichs mit dem ländlichen Bürgertum auseinandergesetzt hat, sieht die bisherige Bürgertumsforschung folgerichtig von einer »scharfe[n] Trennung von Stadt und Land«30 gekennzeichnet und fordert, diese Trennung durchlässiger zu machen. Die bisherigen Forschungsprojekte konzentrierten sich jedoch vorwiegend auf das Verhältnis von Bürgertum und Adel auf dem Land.31 Diese Perspektive ist für das pfälzische Bürgertum nicht relevant, da es in der Pfalz fast keinen Adel mehr gab. Zudem wurde die Rolle städtisch sozialisierter Bürger auf dem Land untersucht, wie etwa der Patrimonialrichter, der bürgerlichen Rittergutsbesitzer, der evangelischen Pfarrer oder der Advokaten.32 Der Blick der Landbevölkerung auf das städtische Bürgertum blieb außen vor.33 Auch Diffusionsprozesse der Bürgerlichkeit auf das Land und die Rolle der bürgerlich geprägten ländlichen Eliten in den politischen, wirtschaftlichen und sozialen Umgestaltungsprozessen des 19.  Jahrhunderts wurden in den Forschungsprojekten ausgeblendet. Wie wichtig diese Aspekte sind, verdeutlicht Oded Heilbronner, der in einem Aufsatz das ländliche Bürgertum des Allgäus und Schwabens untersucht.34 Er kommt aufgrund von Berufszuordnungen, Auswertung von Zeitungen und Analyse der Vereinsstrukturen zu dem Schluss, dass es in diesen Regionen ein starkes ländliches Bürgertum gegeben habe, das an der Modernisierung der Regionen großes Interesse gehabt habe. Wie dieses Bürgertum sich selbst und seine eigene Rolle in der Region wahrnahm wird allerdings nicht deutlich. Insofern bietet die Untersuchung des Verbürgerlichungsprozesses bei den Vorderpfälzer Weingutsbesitzern die Möglichkeit, den Blick auf das ländliche Bürgertum zu schärfen. Auf welche Weise orientierten sich die Weingutsbesitzer am städtischen Bürgertum und der bürgerlichen Lebensweise? Wo lernten sie diese kennen, und wie integrierten sie sich als Landbewohner in das Bürgertum? Welche Aspekte der städtisch-bürgerlichen Lebensweise und des bürgerlichen Selbstverständnisses übernahm das ländliche Bürgertum? Die Vorderpfälzer Großwinzer passen auch beruflich nicht in das bisherige Schema der Bürgertumsforschung, denn sie waren in der landwirtschaftlichen Produktion eines Handelsguts tätig. Sie entsprachen eher dem von Wilhelm Heinrich Riehl identifizierten Typus des »Pfälzers«, den Riehl als »halb Bauer, halb Händler«35 charakterisierte. Es ist daher besonders aufschlussreich, an die 30 Flügel, Bürgertum, S. 195. 31 Flügel, Bürgertum; Bratvogel, Landadel. 32 Flügel, Bürgertum; Wienfort, Patrimonialrichter; Kuhlemann, Bürgerlichkeit und Religion; Siegrist, Advokaten. 33 Siehe hierzu u.a.die teilweise volkskundlich inspirierten Aufsätze in Jacobeit u. a. (Hg.), Idylle; Mahlerwein, Herren, S. 149–152. 34 Heilbronner, Catholic Bourgeoisie. 35 Riehl, Die Pfälzer, S. 33.

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sem Fallbeispiel des landwirtschaftlich geprägten ländlichen Milieus zu studieren, wie sich dort »Bürgerlichkeit« durchgesetzt hat. Bürgertum und Liberalismus gingen im 19.  Jahrhundert auch im Weinbürgertum eine enge Verbindung ein. Die pfälzischen Gutsbesitzer debattierten ihre liberalen Positionen allerdings nicht in politischen Publikationen oder­ Lexika, in denen die Forschung häufig dem Liberalismus nachspürt. Es geht in diesem Buch somit weniger um den Liberalismus als politische Idee in ihren Veränderungen und Ausdifferenzierungen oder als Begriffs- beziehungsweise Parteiengeschichte.36 Stattdessen lässt sich mit Hilfe der Pfälzer Großwinzer die Liberalismusforschung vom Kopf auf die Füße stellen. Basis der politischen Bewegung waren die engagierten Bürger vor Ort, deren Protagonisten versuchten, in den lokalen, regionalen und überregionalen politischen Arenen ihre Sichtweisen und Interessen durchzusetzen. Von ihnen ausgehend ist der Liberalismus zu denken. Was bedeutete es für diese Personen, liberal zu sein und welche konkreten Erfahrungen flossen in ihr Verständnis von Liberalismus ein? Was wollten sie auf dieser Basis mit ihrem liberalen Engagement erreichen? ­Dabei ist auch zu fragen, wie sich diese Bewegung ihrer eigenen Identität und ihres Zusammenhalts versicherte. Es geht also hier weniger um die Ideen des Liberalismus als um seine Praxis, um einen »Liberalismus der Tat«37. Damit greift diese Arbeit einen Ansatz auf, der auch bei Paul Noltes Studien zur Herausbildung eines badischen Gemeindeliberalismus in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts forschungsleitend war.38 Karl Heinrich Pohl hat wenig später gefordert, auch den Liberalismus des Kaiserreichs an seiner »Wurzel«39, im Lokalen zu suchen. Hier identifiziert Pohl einen einigen, machtbewussten und die Probleme der Zeit anpackenden Liberalismus, der sich deutlich von dem Liberalismus der Reichsebene unterscheidet. Beispielhaft greift Pohl Entwicklungen in größeren Städten wie Berlin, Frankfurt oder Breslau auf. Doch wie sieht es im Falle der Kleinstädte und Dörfer in der Vorderpfalz aus? Was wollten die liberalen Weingutsbesitzer dort durchsetzen, und welche Rolle spielten die lokalen Erfahrungen für die Politik auf den anderen Ebenen? Mit diesem Frageraster soll ein Blick »von unten« auf den Liberalismus generiert werden, der neue Erkenntnisse verspricht. Dabei fallen die Vorderpfälzer Großwinzer, ähnlich wie in der Bürgertumsforschung, etwas aus dem Rahmen. Die Liberalismusforschung hat sich stark auf den protestantisch geprägten Liberalismus konzentriert, ja liberales En­ gagement geradezu mit Protestantismus identifiziert. Doch zentrale Familien 36 Zur Begriffsgeschichte siehe die beeindruckende vergleichende Studie von Leonhard, Liberalismus. Zur Parteiengeschichte siehe z. B. Cioli, Pragmatismus. 37 Langewiesche, Liberalismus und Region, S. 2. 38 Nolte, Gemeindeliberalismus. Siehe auch Nolte, Gemeindebürgertum, S. 14 f. 39 Pohl, Überlegungen, S. 70.

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des Weinbürgertums waren katholisch, insbesondere in den ehemaligen Orten des Fürstbistums Speyer. Sie entsprechen damit nicht dem von der Forschung gezeichneten Bild des ländlichen, gering qualifizierten und rückständigen katholischen Milieus, das insbesondere in Hans-Ulrich Wehlers Arbeiten als konservativer Verlierer der Modernisierung erscheint.40 Thomas Mergel hat bereits am Beispiel des rheinischen katholischen Bürgertums herausgearbeitet, wie schwer diesem der Spagat zwischen liberaler Politik und Solidarität mit dem katholischen Milieu fiel.41 Es erscheint daher besonders interessant, wie die zum Teil katholischen Gutsbesitzer der Vorderpfalz mit den Spannungen zwischen liberalen Ansichten, die selbstverständlich von einer strikten Trennung von Staat und Kirche ausgingen und der zunehmenden Konfessionalisierung bis hin zum »Kulturkampf« der 1870er Jahre umgingen. Die regionale Forschung zum Weinbürgertum hat deutlich gemacht, dass es bestimmte Familien gab, welche das Weinbürgertum politisch und wirtschaftlich repräsentierten. Insbesondere die Deidesheimer Familie Jordan gilt als Zentrum des Weinbürgertums.42 Gemeinsam mit den Familien Buhl und D ­ einhard, die eng mit der Familie Jordan verwandt waren, nahm sie eine zentrale politische und wirtschaftliche Rolle in der Vorderpfalz ein. Dieser Status wird in der Regel mit der imposanten Aufzählung der zahlreichen Ämter der drei Familien begründet. So begann das politische Engagement der Familien mit Andreas Jordan, der von 1831 bis 1845 in der bayerischen Kammer der Abgeordneten saß. Sein Sohn Ludwig Andreas Jordan war 1848 kurzzeitig bayerischer Abgeordneter und nahm in dieser Funktion auch am Vorparlament in Frankfurt teil. Von 1849–1855 wurde er erneut in die bayerische Kammer der Abgeordneten gewählt, wo ihn sein Schwager und Cousin Franz Peter Buhl 1855 ablöste. Als dieser 1862 starb, wurde Ludwig Andreas Jordan sein Nachfolger in München. Dieser nahm ab 1868 auch am Zollparlament teil und war zwischen 1871 und 1881 Reichstagsabgeordneter für die Nationalliberale Partei. Im Reichstag saß er gemeinsam mit seinem Neffen Franz Armand Buhl, der seinen Pfälzer Wahlkreis bis 1893 vertrat. Dessen Bruder Eugen Buhl war von 1875 bis 1896 Abgeordneter in der bayerischen Kammer der Abgeordneten, bevor er als Reichsrat der bayerischen Krone in die Kammer der Reichsräte wechselte. In der Kammer der Abgeordneten in München saß zwischen 1881 und 1904 mit Andreas Deinhard ein weiterer Neffe von Ludwig Andreas Jordan, der 1898 auch in den Reichstag einzog. Insbesondere in diesen kontinuierlichen Landtags- und Reichstagsmandaten 40 Siehe zum Beispiel die Darstellung der katholischen Bevölkerungsgruppe in: Wehler, Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, S. 393–396. 41 Mergel, Klasse. Siehe dazu auch den Literaturbericht von Karl-Egon Lönne, Katholizismus-Forschung, S. 134–136. 42 Kermann, Tendenzen; Utz, Weinbürgertum.

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seit 1831 bzw. 1871 sieht die Forschung einen Beleg für die herausragende Stellung der Familien Jordan, Buhl und Deinhard in der Vorderpfalz.43 Da der Einfluss der Familien über den unmittelbaren Pfalzkreis hinausreichte, sind sie auch in das Blickfeld der überregionalen Forschung gerückt. Insbesondere das kleindeutsche Engagement Ludwig Andreas Jordans und Franz Peter Buhls in den 1850er und 1860er Jahren stieß auf Interesse.44 Wie Theodor Schieder in seiner Münchener Dissertation ausführt, waren beide unmittelbar an der Gründung der liberalen, an Preußen orientierten Fortschrittspartei in Bayern beteiligt. Nach dem Tod Franz Peter Buhls 1862 habe Ludwig Andreas Jordan als Verbindungsmann zwischen den noch weiter links stehenden Pfälzer Liberalen und Demokraten, die stärker föderalistisch ausgerichtet gewesen seien, und der kleindeutsch orientierten Fortschrittspartei fungiert. Auf diese Weise hätten Jordan und Buhl auch geholfen, die in der Pfalz vorherrschende Orientierung auf Österreich in den 1860er Jahren zu überwinden. Aufgrund ihrer zahlreichen politischen und wirtschaftspolitischen Ämter, in denen sie für eine kleindeutsche Reichsgründung warben, gelten Jordan und Buhl auch als Teil der bürgerlichen »nationalen Funktionselite«45 der 1850er und 1860er Jahre, die Andreas Biefang untersucht hat. Etwas weiter geht die US-amerikanische Historikerin Celia Applegate. Sie sieht in dem »Deidesheimer Kreis«46, der ab 1871 den Kern der Pfälzer bismarcktreuen Nationalliberalen ausgemacht habe, sogar eine »Achse Deidesheim – Berlin«47. Gleichzeitig bietet sie eine originelle Perspektive auf den Einfluss der sogenannten »Flaschenbarone« in der Pfalz. Die Pfälzer Nationalliberalen hätten die pfälzische Identität ihres politischen Gehalts entleert. Nachdem das Pfälzer Selbstverständnis über Jahrzehnte daran geknüpft gewesen sei, eine oppositionelle linksliberal-demokratisch orientierte politische Position einzunehmen, hätten die nationalliberalen Gutsbesitzer den Begriff »Pfälzer« entpolitisiert. Mit dem zunehmenden Rückgriff auf den nicht politisch, sondern kulturell konnotierten Gedanken der »Heimat« hätten diese stattdessen eine regionale Identität auf der Basis von Kultur, Brauchtum und Geschichte propagiert und durchgesetzt.48 43 Das unterstreicht auch Bräunche, Politik und Wein. Der Autor führt über die drei Familien hinaus noch weitere politische engagierte Weingutsbesitzer an. Allerdings bietet der Aufsatz nicht viel mehr als eine Auflistung der verschiedenen Personen, ihrer Ämter und einiger wichtiger politischer Entscheidungen. Eine systematische Analyse der Politik der Weingutsbesitzer findet nicht statt. 44 Hierzu und zu dem Folgenden: Schieder, Partei. 45 Biefang, Politisches Bürgertum, S. 436. Die biographischen Angaben zu Buhl (S. 438) und Jordan (S. 441) sind allerdings nicht exakt. Buhl war katholisch und Jordan wird fälschlicherweise unter Ludwig August Jordan genannt. 46 Applegate, Heimat, S. 43. Zu dem Begriff siehe auch Lenk, Parlament, S. 12. 47 Applegate, Heimat, S.  70. Zur Dominanz der Nationalliberalen in der Pfalz ab 1871 siehe Bräunche, Parteien, S. 53–68. 48 Applegate, Heimat, S. 43 f.

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Allen regionalen und überregionalen Annäherungen an das Weinbürgertum ist damit gemeinsam, dass die Zuschreibungen und Wertungen durch einen Blick von außen auf das Weinbürgertum vorgenommen werden. In der Regel werden dazu die einschlägigen Angaben der biographischen Nachschlagewerke genutzt oder amtliche Quellen, z. B. der Regierung der Pfalz, herangezogen. Von den Familien selbst stammende Quellen werden kaum berücksichtigt. Dieser Außensicht auf das Weinbürgertum, die sich von den zeitgenössischen Einschätzungen bis zu den Forschungsurteilen zieht, möchte diese Arbeit dezidiert eine Binnensicht entgegensetzen. Im Fokus steht dabei der Gutsbesitzer Ludwig Andreas Jordan, der im Kometenweinjahr 1811 geboren wurde und das Pfälzer »Weinbürgertum« bis kurz vor seinem Tod 1883 prägte. Die Untersuchung bestimmter Aspekte des Lebens von Ludwig Andreas­ Jordan fungiert damit als eine Art Sonde, mit welcher der Historiker in das­ Leben dieser Schicht eindringt.49 Auf diese Weise möchte ich am Einzelfall studieren, welche sozialen, wirtschaftlichen und politischen Einstellungen das Weinbürgertum entwickelte.50 Welche Rolle spielte das Weinbürgertum auf der Basis dieser Einstellungen und Sichtweisen für den deutschen Liberalismus? Damit lässt sich die bisher auf das reine Handeln konzentrierte Forschung über die Pfälzer Großwinzer erweitern, denn man kann durch die Sonde nicht nur präziser erkennen, wie diese Schicht handelte, sondern auch warum diese Schicht auf eine bestimmte Weise handelte. Um diese Aspekte zu analysieren, soll danach gefragt werden, welche Bedeutung der räumlichen Verortung in der Region »Pfalz«, der agrarischen Wirtschaftsweise des Weinbaus und dem Bezug zum Bürgertum für das politische Agieren des Weinbürgertums zukommt. Die bekannten biographischen Daten zu Ludwig Andreas Jordan, die außer einer Ämterhäufung zunächst wenig aussagen, können durch diesen Ansatz unterfüttert und interpretiert werden, sodass deutlich wird, warum die männlichen Vertreter der Familie so viele Ämter übernahmen, wie und wofür sie diese nutzten und warum sie eine herausragende Stellung in der Region einnehmen konnten, die ihnen eine Ausweitung des Aktionsradius nach Bayern und in das Deutsche Reich ermöglichte.51 Der Rückgriff auf den biographischen Ansatz bietet sich für die Beantwortung dieser Fragen an. Diese geschichtswissenschaftliche Methode war vor allem in 49 Zur Funktion der Biographie als Sonde siehe vor allem Herbert, Best, S. 25. 50 Zum problematischen Verhältnis zwischen Einzelfall und allgemeinen Erkenntnissen siehe Pohlig, Vom Besonderen zum Allgemeinen? 51 Mit Ludwig Andreas Jordan steht ein männliches Mitglied der Familie deutlich im Vordergrund der Studie. Die Arbeit liefert damit auch erste Hinweise auf das männliche Selbstverständnis des Weinbürgertums. Die weiblichen Perspektiven fließen an zentralen Stellen der Arbeit mit ein, und zeigen dort ein teilweise anderes Selbstbild des Weinbürgertums. Dafür habe ich auf Briefe und Tagebücher von Ludwig Andreas Jordans Frau Seraphine und seiner Schwester Josephine zurückgegriffen.

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den 1970er Jahren aufgrund der heftigen Kritik durch die Sozial- und Strukturgeschichte in Verruf geraten.52 Ihr wurde vorgeworfen, als historistisches Überbleibsel weiter die bedeutende Rolle »großer Männer« in der Geschichte zu tradieren, wohingegen die entscheidenden Antriebskräfte historischen Wandels strukturelle Veränderungen seien. Dem folgte in den 1980er Jahren der Backlash der Alltagsgeschichte, die wieder verstärkt das Individuum in den Mittelpunkt der Forschung rückte und untersuchte, wie der Einzelne mit großen strukturellen Veränderungen umging.53 Neue Methoden wie die »Oral History« versprachen aus dieser Perspektive einen großen Gewinn an Einsichten. Durch diese verstärkte Suche nach der Rolle des Individuums in der Geschichte hat sich auch die Biographieforschung wieder rehabilitiert. Originelle Beiträge konnten das Potential einer wissenschaftlich fundierten Biographie offenlegen. Dabei stand nicht mehr das Nachzeichnen eines Lebenslaufes »von der Wiege bis zur Bahre«54 im Vordergrund, sondern es ging darum, den Einzelnen in seinen verschiedenen Rollen und Funktionszusammenhängen darzustellen.55 Besondere Beachtung fand dabei auch die Erinnerungsarbeit des biographierten Individuums. Autobiographien und arrangierte Quellennachlässe rückten in den Blickpunkt und wurden da­ rauf­hin befragt, welche Sicht das biographierte Individuum uns auf diese Weise vermitteln wollte.56 Besonders reflektiert wurden auch die eigene Methode und die eigenen Konstruktionsleistungen des Biographen.57 Die Offenlegung des Konstruktionscharakters der Biographie erschien als Möglichkeit, um den zahlreichen Fallstricken der Biographieschreibung zu entgehen.58 Dabei lässt sich jedoch die der Biographieschreibung inhärente Chronologie nicht auflösen, es sei denn, man gibt den Anspruch der Lesbarkeit auf. Vor allem, wenn es um Entwicklungen und Veränderungen geht, lassen sich diese nur erkennen, wenn man ein Vorher und Nachher deutlich macht. Selbst bei Biographien, die das Leben des biographierten Subjekts aus verschiedenen Perspektiven oder über einen Rollenzugriff beleuchten, sind die Unterkapitel daher wieder chronologisch aufgebaut. Auch in der Auseinandersetzung mit dem Leben 52 Zu der Sichtweise der Sozial- und Strukturgeschichte der 1970er Jahre siehe paradigmatisch Kocka, Struktur; Wehler, Verhältnis. Einen guten Überblick über die Entwicklung der Biographieschreibung in der Geschichtswissenschaft bietet Pyta, Geschichtswissenschaft. 53 Zur Auswirkung der Alltagsgeschichte auf die Biographieforschung siehe Gestrich, Biographieforschung. 54 Das war der fast schon kanonisch zitierte Vorwurf Pierre Bourdieus, der den Bio­ graphen vorhielt, sich durch diesen Ansatz zum Komplizen der Selbstkonstruktion des Individuums zu machen. Dagegen sei eine Person nur in einzelnen hochkomplexen sozialen­ Feldern zu analysieren. Siehe Bourdieu, Illusion. 55 Das wird unter anderem deutlich in Frie, Marwitz; Goschler, Virchow. 56 Siehe hierzu u. a. Pohl, Stresemann, S. 59 f. 57 Siehe hierzu z. B. die Aufsätze in Berghahn/Lässig (Hg.), Biography. 58 Etzemüller, Biographien, S. 175.

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Ludwig Andreas Jordans erfolgt ein Zugriff über verschiedene Lebensbereiche, sodass Jordan aus drei Perspektiven in den Blick genommen wird: als Bürger, Gutsbesitzer/Investor und liberaler Politiker. In diesen Bereichen spielte sich ein Großteil seines Lebens ab. Wie sich Jordans Einstellungen und sein Handeln in diesen Bereichen im Laufe der Zeit entwickelten und veränderten steht im Mittelpunkt der Biographie. Zu Beginn der Arbeit möchte ich zunächst eine strukturelle Dimension offenlegen, denn den Hintergrund für den sozialen Aufstieg und die Lebensweise des Weinbürgertums bildete die geographisch-politisch-wirtschaftliche Konstituierung des Raums »Pfalz«. Der »spatial turn« in den Geschichtswissenschaften hat zwar deutlich gemacht, welche große Bedeutung Räume und ihre Konstruktionen für das menschliche Handeln einnehmen, doch hat sich diese Kategorie in der biographischen Arbeit nur in ersten Ansätzen niedergeschlagen.59 Hier bietet das Setting der Biographie Ludwig Andreas Jordans großes Potential, denn der bayerische Rheinkreis, 1838 in Pfalzkreis umbenannt, war ein »moderner«60 Raum. Durch seine rechtliche Zugehörigkeit zu Frankreich, formal seit dem Frieden von Lunéville 1801 bis zum Sieg über Napoleon 1814, wurde dieses Gebiet gemeinsam mit weiteren linksrheinischen Gebietsteilen in ein Land integriert, in dem zentrale Errungenschaften der Französischen Revolution noch in Kraft waren. Durch die Zugehörigkeit zu Frankreich wurde in den linksrheinischen Gebieten in radikaler Weise mit dem Vorherigen ge­ brochen. Von heute auf morgen wurde die Basis des sozialen, wirtschaftlichen und politischen Zusammenlebens in der Pfalz umgestülpt. Gewerbefreiheit wurde eingeführt, die Zünfte aufgelöst, die Vorrechte der Kirche beseitigt und der meiste Kirchenbesitz säkularisiert. Die Feudalrechte wurden abgeschafft und die Güter der Landesherrn und geflohenen Adeligen versteigert. Durch diese Maßnahmen verflüssigte sich die bisherige ständische Ordnung der Gesellschaft. An ihre Stelle trat eine neue Ordnung, die von der franzö­ sischen Verwaltung »von oben« vorgegeben, aber auch »von unten« mitgestaltet und beeinflusst wurde. So war das Justiz- und Notariatswesen auf juristisch gebildete Personen angewiesen, die man für den Staatsdienst rekrutierte. Zudem brauchte die französische Regierung loyale lokale Eliten, die das neue System als Bürgermeister oder in den Beratungsgremien der Regierung wie zum Beispiel dem Departementalrat unterstützten. Auf diese Weise entstand ein ideales Tätigkeitsfeld für die aufstrebende neue Schicht der pfälzischen Gutsbesitzer. Sie wurden zum wirtschaftlichen und zum Teil auch politischen Leistungsträ 59 Dröge, Einleitung; Frie, Schauplätze. Einen hervorragenden Überblick über den Stand der Erforschung von Räumen, die insbesondere auf den Konstruktionscharakter von Räumen verweist, bietet Rau, Räume. 60 Zum Begriff der »Moderne« und seiner historischen Entwicklung siehe Gumbrecht, Modern; Dipper, Moderne.

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ger. Die neue politisch-wirtschaftliche Ordnung in diesem Raum ermöglichte es ihnen, sich wirtschaftlich und politisch zu entfalten. Diese Entfaltungsprozesse, der Umgang mit den neuen Möglichkeiten der Einflussnahme auf politische und wirtschaftliche Prozesse und die Verteidigung der als »fortschrittlich« empfundenen Institutionen der französischen Zeit unter der ab 1816 einsetzenden bayerischen Herrschaft lassen sich nur vor diesem speziellen räumlichen Hintergrund verstehen. Auf der Basis dieses Kapitels soll in der Arbeit auch immer wieder danach gefragt werden, wie sich Ludwig Andreas Jordan mit dem Raum »Pfalz« identifizierte, mit seinem Engagement den Raum veränderte oder die Grenzen des Raumes überschritt. Im folgenden Kapitel geht es um die Entwicklung der Familie Jordan als Protagonist des Weinbürgertums. Ludwig Andreas Jordan war Teil dieser Schicht, die sich bereits vor ihm herausgebildet hatte. Aus diesem Grund möchte ich beleuchten, wie die Familie Jordan in die Pfalz kam, wie der wirtschaftliche Aufstieg funktionierte, und welche konkrete Bedeutung die Veränderungen der französischen Zeit für die Familie hatten. Wie nutzte die Familie die neuen Möglichkeiten, die sich ihr boten? Hier liegt der Schwerpunkt auf den Fami­lien­ strukturen und dem Weinbau, denn Ludwig Andreas Jordans Vater stellte in dieser Zeit den Betrieb konsequent auf »Qualitätsweinbau« um und schuf damit die Voraussetzungen für den langanhaltenden Wohlstand der Familie. Nachdem auf diese Weise die Entstehung des Weinbürgertums im Pfalzkreis am Beispiel der Familie Jordan deutlich geworden ist, geht es anschließend um Ludwig Andreas Jordans Sozialisation.61 Er wurde nicht in einen Stand geboren, der ihm bestimmte Rechte durch die Geburt zusicherte, sondern er musste bestimmte Verhaltensweisen und Werte internalisieren, die es ihm erst ermöglichten, sich in sozialen Gruppen zu bewegen und von seinen »peers« akzeptiert zu werden. Zentral für diese Lernprozesse sind seine Erziehung und seine Ausbildung. Im Zentrum des Kapitels stehen daher die Fragen, wie er auf seine zukünftigen Aufgaben im Weinbau und in der Gesellschaft vorbereitet wurde, zu welcher sozialen Gruppe er sich zugehörig fühlte und durch welche Praktiken er sich in diese Gruppe integrierte. Dabei wird deutlich, dass sein Bezugspunkt das Bürgertum darstellte. Diese Schicht, überaus heterogen in ihrer beruflichen Zusammensetzung, lässt sich am sinnvollsten über den kulturellen Zugriff der »Bürgerlichkeit« verstehen. Wolfgang Kaschuba hat bereits 1988 diese »Bürgerlichkeit« in einem stimulierenden Aufsatz als kulturelle Konstruktion beschrieben.62 Er hat dabei deutlich gemacht, dass »Bürgerlichkeit« eine soziale Funktion hat. Über die geteilte Internalisierung bestimmter Werte, Sichtweisen, Haltungen, Konsummuster usw. entsteht eine Gruppenidentität, die es 61 Als Einführung in diesen Bereich der historischen Forschung siehe Gestrich, Vergesellschaftungen. 62 Kaschuba, Bürgerlichkeit. Siehe auch Budde, Blütezeit.

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dem Einzelnen ermöglicht, mit den anderen zu kommunizieren, sich mit ihnen zu identifizieren, sich schnell zu integrieren und von seiner »peer group« an­ erkannt zu werden.63 Gleichzeitig dient »Bürgerlichkeit« auch als Distinktionsmittel, denn mit ihrer Hilfe kann man sich von anderen sozialen Gruppen, welche nicht über die kulturellen Muster verfügen, abgrenzen.64 Durch diese kulturalistische Sichtweise auf das Bürgertum lässt sich auch die Perspektive der Praktiken einbeziehen. Ein geteilter kultureller Code reicht für eine Integration in das Bürgertum nicht aus. Er muss auch nach außen in bestimmten Handlungen deutlich werden, die sich somit im Hinblick auf das in ihnen vorhandene implizite Wissen der »Bürgerlichkeit« analysieren lassen. Hier ist zu fragen, welche Praktiken und Routinen Ludwig Andreas Jordan erlernte, um in der sozialen Gruppe des Bürgertums zu reüssieren.65 Auf diese Weise lässt sich auch der von Stefan-Ludwig Hoffmann und Manfred ­Hettling etwas ab­ strakt beschriebene »bürgerliche Wertehimmel«66 am Beispiel konkretisieren. Im folgenden Kapitel soll das wirtschaftliche Engagement Ludwig Andreas Jordans untersucht werden. Dabei steht zunächst das Weingut im Zentrum der Analyse. Was bedeutete der Tod von Andreas Jordan für das Weingut? Wie führte Ludwig Andreas Jordan das von seinem Vater übernommene Weingut weiter? Anschließend wird sein über das Weingut hinausgehendes wirtschaftliches Engagement im Bereich der Infrastruktur und der aufkommenden Industrialisierung der Pfalz untersucht. Wie nahm er die Industrialisierung wahr? Warum investierte er in neue Branchen? Wie konnte er die neuen Möglichkeiten der Industrialisierung nutzen? War er erfolgreich, oder gab es auch schwierige Investments? Wie wirkte er auf den Raum »Pfalz« mit seinem wirtschaftlichen Engagement ein, und wo ging er über diesen Raum hinaus? Mit wem arbeitete er in diesem Bereich zusammen? Gab es ein Netzwerk von Investoren? Darauf aufbauend sollen auch seine wirtschaftspolitischen Ämter in den Blick genommen werden. Was bedeutete der Vorsitz der Pfälzischen Handels- und Gewerbekammer für ihn? Wozu nutzte er diesen Posten? Die hier deutlich werdende Verquickung von wirtschaftlichen und politischen Interessen führt bereits zum nächsten Kapitel hin. In diesem zentralen Kapitel der Studie steht das politische Engagement im Mittelpunkt. Wie fand der Übergang von den politischen Ämtern seines Vaters zu den politischen Ämtern Ludwig Andreas Jordans statt? Inwieweit ließen sich 63 Kaschuba, Bürgerlichkeit, S. 17 f. 64 Ebd. 65 Andreas Reckwitz hat in einem einflussreichen Aufsatz versucht, die verschiedenen praxeologischen Ansätze zu synthetisieren und mögliche Felder für ihren Einsatz aufzuzeigen. Siehe Reckwitz, Grundelemente. In der Bürgertumsforschung analysiert am stärksten Habermas, Frauen und Männer, die Praktiken der »Bürgerlichkeit«. 66 Hoffmann/Hettling, Wertehimmel. Konkretisierungen finden sich auch in dem von den beiden Autoren herausgegebenen Sammelband: Hoffmann/Hettling (Hg.), Innenansichten.

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die verschiedenen Ämter verbinden? Welche Positionen und Interessen vertrat er auf der lokalen, bayerischen und der Reichsebene? Durch die Beantwortung dieser Fragen erfolgt nicht nur eine genauere Charakterisierung des Weinbürgertums, sondern auch eine detaillierte Analyse eines Honoratiorenpolitikers. Dieser Typus des Politikers dominierte die deutsche politische Geschichte im 19.  Jahrhundert bis ins Kaiserreich. In seiner klassischen Definition hat Max Weber Honoratiorenpolitiker als Personen bezeichnet, die »für […] die Politik leben können, ohne von ihr leben zu müssen«67. Das zielt vor allem auf ihre­ finanzielle Unabhängigkeit als Voraussetzung für das politische Engagement ab, die laut Weber noch ergänzt werden müsse um eine »soziale Schätzung«68. Man bringe dem Honoratiorenpolitiker Vertrauen entgegen, wähle ihn auf dieser Basis zunächst freiwillig und dann traditional. Celia Applegate hebt dagegen andere Aspekte hervor, die sehr präzise die­ kognitive Verortung der Pfälzer Honoratiorenpolitiker beschreiben. Diese hätten einerseits »auf die Nation [als] Quelle ihres Stolzes« geblickt und »andererseits auf die Lokalität [als] Quelle ihres Ansehens«69. Diese lokale und regionale Verankerung lässt sich am Beispiel von Ludwig Andreas Jordan herausarbeiten. Doch welche Rolle spielte die lokale und regionale Lebenswelt für seine politischen Ämter auf der überregionalen Ebene? Wie wirkte sein überregionales Engagement auf sein regionales Ansehen zurück? Zur Beantwortung dieser Fragenkomplexe liegt eine Fülle an Material vor. Insbesondere der im Staatsarchiv in Speyer lagernde Familiennachlass bietet eine Vielzahl von Quellen, um sich der Familie aus verschiedenen Perspektiven zu nähern. Eine zentrale Quelle für diese Arbeit bilden die von mir vorgenommenen Transkriptionen der Tagebücher von Ludwig Andreas Jordan. Dieser hat sich der im 19. Jahrhundert geläufigen bürgerlichen Praxis des Tagebuchschreibens ausführlich gewidmet. Sein Tagebuch beginnt 1829 und liegt bis zu seinem Tod 1883 vor. Eine große Lücke besteht zwischen 1836 und 1848. Regelmäßige Einträge beginnen erst wieder im September 1849. Der Charakter des Tagebuchs ändert sich im Laufe seines Lebens und damit ändert sich auch seine Funktion.70 Zunächst ist das Tagebuch für Ludwig ­Andreas Jordan bis 1836 ein Medium der Selbstreflexion. In ausführlichen Einträgen reflektiert er sein persönliches Verhalten und überprüft seine persönliche Entwicklung auf dem Weg zu einem tugendhaften Menschen. Außerdem geht es in zahlreichen Einträgen um Freundschaften und Gefühle. Insbesondere entwickelt sich das Tagebuch zu einer überquellenden Liebeserklärung für seine 67 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 170. 68 Ebd. 69 Applegate, Heimat, S. 28. In eine ähnliche Richtung geht auch der Aufsatz von Wolfgang Kaschuba, Nation. 70 Weiterführende Überlegungen zum Tagebuch als Quelle liefert auch Habermas, Frauen und Männer, S. 269–278.

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spätere Frau Seraphine Buhl, um die er ab 1833 wirbt. Jordan inszeniert sich hier als bedingungslos Liebenden, womöglich auch im Hinblick auf eine spätere Lektüre durch seine Frau.71 Das Tagebuch endet dann kurz nach der Verlobung der beiden 1836. Nach 1849 ist von alledem nichts mehr zu finden. Jetzt ist das Tagebuch eher eine Übersicht über den Tagesablauf. Jordan notiert meist nur noch, wo er war und wen er getroffen hat. Eine Selbstreflexion findet nur noch ganz vereinzelt statt. Auch die Form des Tagebuchs ändert sich. Es ist kein liniertes Buch ohne Vorgaben, sondern ist jetzt eher ein Taschenkalender mit den vorgegebenen Daten, unter denen Jordan jetzt nur noch seine kurzen Einträge zu notieren braucht. In den 1860er Jahren werden die Einträge wieder etwas länger und zwangloser, aber auch hier findet keine Selbstreflexion mehr statt. Was lässt sich aus der Wandlung des Tagebuchs zwischen 1836 und 1849 schließen? Entweder ließ es die Zeit nicht mehr zu, in Ruhe über die Ereignisse des Tages und ihre Bedeutung für die persönliche Entwicklung nachzudenken oder die Suche nach der eigenen Identität, nach dem eigenen Platz in der Gesellschaft war aus Jordans Sicht abgeschlossen. Es ist womöglich eine Mischung aus beidem. Der Zeittakt des Tages war, wie man anhand der Eintragungen nachvollziehen kann, ab den 1850er Jahren sehr schnell. Sitzungen der Verwaltungsräte der diversen Unternehmen, an denen Jordan beteiligt war, wechselten mit Sitzungen der Gemeindegremien, Landtags- oder Reichstagssessionen. Hinzu kamen permanente Besuche von Weinhändlern, privaten Kunden und Freunden auf dem Weingut, die bewirtet werden wollten und für welche die Familie Jordan meistens auch noch die Freizeitgestaltung übernahm. Auch das Weingut, das zwar von einem Verwalter geführt wurde, erforderte seine Aufmerksamkeit. Die Entwicklung der Trauben oder die Fortschritte der Weinreifung im Keller wurden von Jordan regelmäßig überprüft. 1848/49 war für Jordan allerdings auch ein Lebensabschnitt abgeschlossen. Seine Freundschaft zu den Buhls war zementiert, er war verheiratet und besaß mittlerweile durch das 1848 erfolgte Erbe seines Vaters Andreas Jordan sein eigenes großes Weingut. Er saß privat und beruflich fest im Sattel. Seine Position in der Gesellschaft war damit aus seiner Sicht gefestigt, eine Notwendigkeit der Selbstüberprüfung damit nicht mehr gegeben. Für diese Sichtweise spricht auch ein ähnlicher Befund Constantin Goschlers zu den Tagebüchern Rudolf Virchows. Auch bei diesem endet mit dem Erreichen der ersten Professur und der Eheschließung die Selbstreflexion im Tagebuch.72 Das Tagebuch wurde also zunächst vorrangig in der Jugend- und jungen Erwachsenenphase genutzt, um seinen eigenen Weg in die Gesellschaft zu begleiten, Unsicherheiten und Selbstfindungsprozesse zu verarbeiten. Hier findet sich womöglich ein bürgerliches Muster des Hineinwachsens in die Welt, das darauf 71 Zur Öffentlichkeit des Tagebuchs siehe ebd., S. 276. 72 Goschler, Virchow, S. 17.

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basierte, mit der Familiengründung und der beruflichen Etablierung sich als ausgereiftes Individuum zu begreifen. Interessanterweise werden die Tagebücher zu Beginn der 1870er Jahre wieder sehr ausführlich. Das hängt offensichtlich mit den privaten Schicksalsschlägen zusammen. Nacheinander starben Jordans Frau, seine Schwester und seine Tochter Josephine. Diese Ereignisse fallen zusammen mit dem Prozess der Reichsgründung. Jetzt nutzt Jordan das Tagebuch wieder intensiv. Er reflektiert über sein Leben, lässt vergangene Ereignisse Revue passieren und denkt darüber nach, was die familiären Sterbefälle für seine Position in der Familie und sein politisches Engagement bedeuten. Das Tagebuch ist somit auch ein Medium, um bestimmte Ereignisse zu verarbeiten und einzuordnen. Es wird vor allem in privaten Übergangsphasen intensiv genutzt. Das Familienarchiv wurde nicht nur für die Analyse des Tagebuchs genutzt, sondern auch für die Auswertung der wirtschaftlichen Quellen über die Entwicklung des Weinguts und die industriellen Beteiligungen. Zudem habe ich zahlreiche Familienbriefe Ludwig Andreas Jordans an seine Frau, seinen Schwager Franz Peter Buhl, seinen Vater und seine Verwandten herangezogen, die im Familienarchiv der Jordans, im Nachlass Buhl und in einer privaten Briefsammlung vorliegen. Diese werden ergänzt durch Briefe an seine politischen Kollegen und Freunde, wie den Paulskirchenpräsidenten Heinrich von ­Gagern, die Historiker und Politiker Heinrich von Sybel und Ludwig Häusser, den Chemiker Justus von Liebig, oder den Juristen und nationalliberalen Politiker ­Heinrich von Marquardsen. Den selbstproduzierten Quellen werden Quellen aus dem Bestand der Regierung der Pfalz und der bayerischen Regierung an die Seite gestellt, um die »Ego-Dokumente«73 besser einschätzen zu können und mit einer Sicht von außen zu konfrontieren. Ausführlich wurde auch das Stadtarchiv ­Deidesheim ausgewertet, das unter anderem Quellen über die Sozialstruktur des Ortes und den wirtschaftlichen Aufstieg der Jordans bereithält. Um das wirtschaftspolitische Engagement analysieren zu können, habe ich vor allem auf das Archiv der Industrie- und Handelskammer der Pfalz in Ludwigshafen und die jährlichen Berichte der Handels- und Gewerbekammer der Pfalz zurückgegriffen. Dieses institutionelle Material wurde um die Briefe Jordans an die Vorsitzenden des Ausschusses des Deutschen Handelstages Hermann von Beckerath und­ Hermann Henrich Meier ergänzt.

73 Winfried Schulzes klassische Definition von »Ego-Dokumenten« lautet: »Gemeinsames Kriterium aller Texte, die als Ego-Dokumente bezeichnet werden können, sollte es sein, daß Aussagen oder Aussagepartikel vorliegen, die – wenn auch in rudimentärer und verdeckter Form  – über die freiwillige oder erzwungene Selbstwahrnehmung eines Menschen in seiner Familie, seiner Gemeinde, seinem Land oder seiner sozialen Schicht Auskunft geben oder sein Verhältnis zu diesen Systemen und deren Veränderungen reflektieren.« Siehe Schulze, Ego-Dokumente, S. 28.

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Einleitung

Über die Auswertung der konservativen Pfälzer Zeitung, der bis 1853 erscheinenden linksliberalen Neuen Speyerer Zeitung und des ab 1859 erscheinenden nationalliberalen Pfälzischen Kuriers konnte noch eine zusätzliche Außenperspektive entwickelt werden, die deutlich macht, wie unterschiedlich die Jordans und das Weinbürgertum aus den verschiedenen politischen Lagern heraus wahrgenommen wurden. Ludwig Andreas Jordan hat 1856 gemeinsam mit Franz Peter Buhl ein eigenes liberales Zeitungsprojekt lanciert – das Wochenblatt für die Pfalz. Diese nur in der Universitätsbibliothek Heidelberg vorhandene Zeitung wurde auch komplett einbezogen und liefert ein anschauliches Bild von dem Versuch der Pfälzer, in der Reaktionsperiode ihren Handlungsspielraum wieder zu erweitern. Auf diese Weise ergibt sich ein umfassendes Bild von Ludwig Andreas Jordan und seiner Familie, das es uns erlaubt, die Prägungen, die Selbst- und Fremdwahrnehmung und das Handeln der wohlhabenden Gutsbesitzerschicht in der Vorderpfalz detailliert zu entschlüsseln und in die Geschichte des Bürgertums und des Liberalismus im 19. Jahrhundert einzuordnen. Durch die in dieser Arbeit vorgenommene Analyse von Lebensweise, Einstellungen, Wirtschaftsform und politischem Engagement ergibt sich eine einzigartige Möglichkeit, die großen Veränderungen, die umwälzenden Prozesse des 19. Jahrhunderts in einer Art »Mikrostudie«74 aufzuarbeiten. Damit soll eine Antwort auf die Frage gefunden werden, wie das Pfälzer Weinbürgertum als Teil der bürgerlich-liberalen Bewegung die Durchsetzung erweiterter politischer Partizipationsrechte, einer Marktwirtschaft mit kapitalistischer Wirtschaftsweise, der Industrialisierung und des Nationalstaatsgedankens wahrnahm. Welche Chancen und Risiken sah man darin? Wie konnte man diese Prozesse gestalten? Denn diese strukturellen Veränderungen liefen nicht automatisch ab, sie waren nicht überindividuell angelegt, sondern das Ergebnis von menschlichen Wahrnehmungen und dem daraus abgeleiteten Handeln.75

74 Zu der Mikroperspektive der Biographieschreibung siehe Lässig, Biographie; Frie, Marwitz, S. 28. 75 Gestrich, Biographieforschung, S. 18, 20.

1. Ausgangsbedingungen: Die Pfalz und das liberale Erbe der Revolution

Der Aufstieg der Jordans und ihr wirtschaftliches und politisches Agieren spielte sich in einem regionalen Raum ab, der später als »Pfalz« bezeichnet werden sollte. Hier, im Regionalen und Lokalen, lag zunächst der Möglichkeitsraum für das Handeln des Weinbürgertums. Es entwickelte sich in diesem Raum und konstruierte den Raum »Pfalz« mit. Um dieses Wechselverhältnis zwischen strukturellen Bedingungen und »Agency« genauer analysieren zu können, soll zunächst deutlich gemacht werden, wie der Raum »Pfalz« geographisch entstand, wie er anschließend mental aufgeladen wurde und wie sich in diesem Kontext das Weinbürgertum entfaltete. Vor 1789 war die spätere Pfalz eine typische Region des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation.1 Sie glich einem Flickenteppich unterschiedlicher Herrschaften; über 40 unabhängige politische Einheiten existierten dort.2 Die größten Besitzungen hatten die Kurpfalz, das Herzogtum Pfalz-Zweibrücken, Kurtrier, Kurmainz sowie die Fürstbistümer Speyer und Worms. Diese beiden Städte waren zudem freie Reichsstädte. In den unterschiedlichen Herrschaften regierten die Fürsten meist nach absolutistischer Manier mit einer aufwendigen Hofhaltung. Kulturelles Zentrum der Region war Mannheim, das zwischen 1720 und 1778 als kurpfälzische Residenzstadt fungierte. Als Kurfürst KarlTheodor die wittelsbachischen Gebiete erbte und als bayerischer Kurfürst nach München ging, sank die Bedeutung Mannheims. Mit seinem Tod 1799 gingen die Besitzungen an den Zweibrücker Herzog, der dann als Kurfürst ­Maximilian IV. Joseph von Pfalz-Bayern regierte. 1806 wurde das Kurfürstentum durch­ Napoleon zum Königreich Bayern erhoben. Die Französische Revolution, die 1789 ausbrach, brachte für die Fürstentümer in der Grenzregion einschneidende Veränderungen. Zunächst setzten vor allem Bauernunruhen der staatlichen Verwaltung stark zu. Als die französische Nationalversammlung am 20. April 1792 dem österreichischen König Franz II., dem potentiellen Nachfolger des am 1. März 1792 verstorbenen Kaisers ­Leopold II., den Krieg erklärte, gerieten die späteren pfälzischen Gebiete mitten in die Konflikte. Die Pfälzer Fürsten verhielten sich neutral, doch zogen zahlreiche Truppen durch ihr Gebiet. Zunächst schien die preußisch-österreichische Koalition erfolgreich zu sein, doch mit ihrer Niederlage bei Valmy in der Champagne am 1 Hierzu und zu dem Folgenden siehe Ziegler, Pfälzer Geschichte, S. 81–91. 2 Kreutz, Freiheitsbaum, S. 12 f.

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20. September 1792 ging die Offensive an die Franzosen über. Diese drangen, mittlerweile für ihre Republik kämpfend, bis nach Mainz vor. General Custine sorgte sofort für Verwaltungsreformen in den eroberten Gebieten, doch die preußisch-österreichische Allianz konnte noch einmal zurückschlagen. Am 23. Juli 1793 eroberten ihre Truppen Mainz, und im Dezember kam es dann zur Entscheidungsschlacht in Landau. Dort siegten die französischen Revolutionstruppen unter General Hoche, sodass nun die Franzosen die späteren Pfälzer Gebiete wieder zurückeroberten. Ihre Truppen konnten in der Folgezeit das linksrheinische Gebiet bis Köln unter ihre Kontrolle bringen. 1797 schlossen Napoleon, im Namen der französischen Republik, und Kaiser Franz II. den Frieden von Campo Formio, in dem Österreich auf linksrheinische Gebietsansprüche verzichtete. Damit begann de facto die Eingliederung der linksrheinischen Gebiete in den französischen Staatsverband. Offiziell bestätigt und völkerrechtlich sanktioniert wurde diese Praxis mit dem Frieden von Lunéville im Februar 1801, in dem auch die Entschädigung des Adels für seine Verluste auf linksrheinischem Gebiet durch das Heilige Römische Reich deutscher Nation festgelegt wurde.3 1798 hatte Frankreich bereits eine Verwaltungsreform durch den Regierungs­ kommissar Franz-Joseph Rudler begonnen, der die neu erworbenen Gebiete in vier Departements einteilte. So entstanden das »Departement de la Roer« (Hauptstadt Aachen), das »Departement Rhin-et-Moselle« (Hauptstadt Koblenz), das »Departement de la Sarre« (Hauptstadt Trier) und das »Departement du Mont Tonnerre« (Hauptstadt Mainz). Einige Gebietsteile wurden außerdem dem be­ reits bestehenden »Departement du Bas-Rhin« (Hauptstadt Straßburg) zuge­ schlagen. Diese Departements wurden in zahlreiche Kantone unterteilt. Nach der Machtübernahme Napoleons wurde dieses System dahingehend abgeändert, dass die Kantone durch Arrondissements ersetzt und kleinere Gemeinden zu sogenannten Mairien zusammengefasst wurden. Die Departements wurden von einem Präfekten regiert, der von Napoleon persönlich ernannt wurde. Die Verwaltung war hierarchisch gegliedert. Aus dem Personenkreis der Höchstbesteuerten wurden für jede Verwaltungsebene loyale Personen ernannt, welche die Verwaltung bei der Verwendung der Steuereinnahmen berieten. Auf diese Weise entstanden die Departemental-, Arrondissemental- und Munizipalräte.4 Die neuen Gebiete erhielten nicht nur eine klare Verwaltungsgliederung, sondern auch mit Französisch eine neue Amtssprache. Sie mussten die französische Währung sowie die Maße und Gewichte übernehmen. Zudem wurde nachgeholt, was in Frankreich bereits durchgeführt worden war: Der Kirchenbesitz wurde bis auf die Pfarrkirchen, Domkapitel, Priesterseminare und Priesterwohnungen säkularisiert und ging damit in den Besitz des Staates über. Die geistlichen Orden wurden aufgelöst. Hinzu kam der Grundbesitz der geflohe 3 Ziegler, Pfälzer Geschichte, S. 93–99; Kreutz, Freiheitsbaum, S. 49. 4 Ziegler, Pfälzer Geschichte, S. 99; Kreutz, Freiheitsbaum, S. 50.

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nen Adeligen und ehemaligen Territorialherren, der 1804 endgültig eingezogen wurde. Der weltliche und kirchliche Grundbesitz wurde dann als sogenannte »Nationalgüter« versteigert.5 Gleichzeitig entfielen die auf dem Grund lastenden Feudalrechte. Die Abschaffung des Zunftwesens und die Einführung der Gewerbefreiheit trugen mit dazu bei, dass aus dem Flickenteppich der vorrevolutionären Zeit nicht nur ein einheitlicher Verwaltungsraum, sondern auch ein einheitlicher Wirtschaftsraum entstand.6 Von diesen politisch-wirtschaftlichen Veränderungen profitierte vor allem das Besitzbürgertum, das seinen Grundbesitz durch die Nationalgüterversteigerung vermehren konnte. Hinzu trat eine neue Gruppierung von juristisch geschulten, den Ideen der französischen Revolution nahestehenden Personen, die von der französischen Regierung gezielt für die neuen Posten in der Rechtsprechung herangezogen wurden und als Advokaten, Richter und Notare fungierten. Diese Gruppe aus wirtschaftlichen potenten Bürgern und Juristen bildete den Kern der neuen pfälzischen Führungsschicht, die mit tatkräftiger Förderung der französischen Verwaltung in das von Adel und Geistlichkeit hinterlassene Machtvakuum stieß. Im Prinzip wurden also bereits mit der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert in der späteren Pfalz die »Männer von Bildung und Besitz«7 tonangebend, eine Tendenz, die in den anderen deutschen Gebieten erst wesentlich später einsetzte. Diese Verbindung aus grundbesitzenden Bürgern und Juristen ist in der Literatur bisher nicht adäquat erfasst worden. So verweist Kurt Baumann zwar anschaulich auf die »neue besitzende Klasse«8, geht allerdings auf die juristische Elite nicht ein. Dagegen stellt Elisabeth Fehrenbach vor allem die Juristen als neue Elite heraus.9 Auch Winfried Dotzauer kann aufgrund seines verengten Blickes auf die Mitglieder der aufgeklärten Gesellschaften wie z. B. Freimaurer, diese Gruppe nicht richtig fassen.10 Die neue pfälzische Elite aus Juristen und grundbesitzenden Bürgern hatte ihren Aufstieg vor allem der neuen aus Frankreich importierten Ideologie zu verdanken und blieb daher auch nach der Franzosenzeit den liberalen französischen Ideen eng verbunden. Das zeigte sich zum Beispiel in der bayerischen Kammer der Abgeordneten oder in der Paulskirchenversammlung, wo die Pfälzer Abgeordneten bis auf vereinzelte Ausnahmen alle bei den Linken zu finden sind.11 5 Siehe u. a. die Edition Schieder (Hg.), Säkularisation und Mediatisierung. Eine ausführliche Diskussion der Thematik findet sich in Kapitel 2. 6 Kreutz, Freiheitsbaum, S. 50–53. 7 Zu der späteren Bedeutung der Männer von Besitz und Bildung siehe Best, Männer. 8 Baumann, Adel, S. 208. 9 Fehrenbach, Einführung, S. 66. 10 Dotzauer, Kontinuität, S. 30. 11 Kreutz, Frühliberalismus; aus dezidiert linker Perspektive und dadurch etwas ein­seitig urteilend: Haasis, Morgenröte. In der »vom Westen übernommene[n] liberale[n] und demokratische[n] Mentalität« sieht Heinz Gollwitzer das Grundmerkmal des pfälzischen Regionalismus. Siehe Gollwitzer, Landschaft, S. 536.

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In der französischen Zeit fanden auch zentrale Veränderungen im Rechtswesen statt. Vor allem führte die französische Verwaltung die Rechtsgleichheit vor dem Gesetz ein. Die bisherige häufig verwirrende Rechtsstruktur wurde jetzt nach klaren Kriterien geordnet. Das Gerichtswesen trennten die Franzosen in Zivilgerichte, Kriminalgerichte und Zuchtpolizeigerichte. Auf der untersten Ebene amtierte ein Friedensrichter, auf der obersten Ebene gab es Appella­tionsund Schwurgerichte. Der Kauf eines Richteramtes wurde abgeschafft, und die Justiz von der Verwaltung getrennt. Zudem führte die französische Verwaltung das Notariatswesen ein. Das heißt, ein juristisch ausgebildeter Notar beurkundete jetzt die Rechtsgeschäfte und Verträge, was die Verbindlichkeit solcher Geschäfte erhöhte. Diese juristischen Veränderungen hatten zum Teil in vornapoleonischer Zeit begonnen und wurden dann durch die fünf großen napoleonischen Gesetzbücher zusammengefasst: den Code Civil/Code Napoleon (1804), den Code de procédure civil (1806), den Code de Commerce (1807), den Code d’instruction criminelle (1808) und den Code pénal (1810).12 Auch auf religiösem Gebiet brachte die Zugehörigkeit große Veränderungen. So fand neben der Säkularisation eine strikte Trennung von Kirche und Staat statt. Insbesondere führten die neuen Landesherren die Zivilehe ein. Gesetzlich anerkannt war nur die Ehe vor dem Zivilbeamten, in der Regel dem Bürgermeister. Diese unterlag auch keinen Beschränkungen, jeder konnte sich verehelichen.13 Nach der Niederlage Napoleons wurden die linksrheinischen Gebiete vom alliierten Zentralverwaltungsdepartement kontrolliert, unterteilt in ein Generalgouvernement Niederrhein und ein Generalgouvernement Mittelrhein. Im Juni 1814 erfolgte eine Trennung des Generalgouvernements Mittelrhein in ein preußisch verwaltetes Gebiet nördlich der Mosel und ein bayerisch-österreichisch verwaltetes Gebiet südlich der Mosel. Bayern und Österreich konnten sich erst 1816 über die Gebietszuteilungen einigen. Ein Großteil des ehemaligen Departements Donnersberg, ein Teil des Saardepartements und ein Teil des Departements Niederrhein/Unterelsass gingen an das Königreich Bayern, das zudem noch einige kleinere Gebiete Unterfrankens und Böhmens erhielt. Dafür gab Bayern das Inn- und Hausruckviertel sowie Salzburg an Österreich zurück.14 Niemand wäre zu diesem Zeitpunkt auf die Idee gekommen, dieses »willkürlich abgetrennte Verwaltungsgebiet«15 als »Pfalz« zu bezeichnen. Stattdessen firmierte das neue Gebiet zunächst als »königlich-bayerisches Gebiet auf dem linken Rheinufer« und erhielt 1817 die amtliche Bezeichnung »Rheinkreis«, analog zu der nach Flüssen vorgenommen Bezeichnung der Kreise Altbayerns. Dieses 12 Fehrenbach, Einführung, S. 61 und 66; Kreutz, Freiheitsbaum, S. 54 f. 13 Kolb, Baiern (Rheinbaiern), S. 164. 14 Schaupp, Freiheitsbäume, S. 15 f.; Fenske, Monarchie, S. 2. 15 Haan, Vom Nebenstaat zur Provinz, S. 73.

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Gebiet war sehr stark ländlich geprägt, es gab keine größeren Städte und kein natürliches Zentrum. Es umfasste eine Fläche von 5928 km² mit rund 430.000 Einwohnern, was einem Zwölftel des bayerischen Staatsgebietes und, aufgrund der hohen Bevölkerungsdichte, einem Achtel der bayerischen Bevölkerung entsprach. Der Rheinkreis erlebte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein enormes Bevölkerungswachstum. 1833 lebten bereits über 540.000 Menschen dort, was einer Bevölkerungsdichte von 90 Personen pro km² entsprach. Damit war die Bevölkerungsdichte doppelt so hoch wie im übrigen Gebiet des Deutschen Bundes. 1849 zählte man dann 616.000 Einwohner.16 Wie stark die Bevölkerung in der Pfalz zulegte, wird deutlich, wenn man die Zahlen mit der Entwicklung im restlichen Bayern vergleicht. Zwischen 1818 und 1849 wuchs die Einwohnerzahl im Pfalzkreis um ungefähr 38 %, wohingegen die Bevölkerung im restlichen Bayern nur um ca. 20 % wuchs.17 Mit dem Übergang an Bayern zog auch die Regierung um, denn der bisherige Regierungssitz Worms fiel an das Großherzogtum Hessen-Darmstadt. Neuer Regierungssitz wurde die knapp 6000 Einwohner zählende ehemalige Reichsstadt Speyer. Generalkommissar Freiherr Franz Xaver von Zwackh zu H ­ olzhausen­ leitete zunächst die Regierung. Ihre Amtsgeschäfte erledigten eine Kammer für Inneres und eine Kammer der Finanzen. Der Rheinkreis wurde verwaltungstechnisch in zwölf Landkommissariate eingeteilt, die selbst wiederum in mehrere Kantone unterteilt waren. Zwackh, ein aufgeklärter Illuminat und enger Vertrauter des bayerischen Reformers Maximilian von Montgelas, setzte sich stark für den Erhalt der französischen Gesetze, der sogenannten »Institutionen«, im Rheinkreis ein – ein Ansin­ nen, das der bayerische König Maximilian I. Joseph 1816 und in einem Dekret zur neuen bayerischen Verfassung von 1818 bestätigte.18 Im Gegensatz zu Altbayern blieben damit im Rheinkreis unter anderem die Feudalrechte des Adels und die grundherrlichen Rechte der Kirche abgeschafft. Aber auch sozioökonomische Elemente der »Institutionen«, wie die Gewerbefreiheit sowie die Eheund Niederlassungsfreiheit, beließ man dem neuen Kreis. Der Rheinkreis wurde also nicht vollständig in den bayerischen Staat integriert, sondern bildete eine Art »Nebenstaat«, wie Heiner Haan in seiner instruktiven Quellensammlung zu dieser Problematik deutlich gemacht hat.19 Hinzu kam die räumliche Trennung, denn der »Rheinkreis« war nicht mit dem bayerischen Staatsgebiet verbunden. Das waren Gründe dafür, dass die Bewohner des Rheinkreises in den nächsten Jahrzehnten ein distanziertes Verhältnis zu Bayern behielten. Insbesondere 16 Die Zahlen stammen aus Schaupp, Freiheitsbäume, S. 23 f. 17 Errechnet aus den Angaben bei Köllmann (Hg.), Quellen zur Bevölkerungsstatistik, Bd. 1, S. 70–80. 18 Fenske, Monarchie, S. 2–5; Scherer, Pfalz-Bayern, S. 13–17; Schaupp, Freiheitsbäume, S. 16 f. 19 Haan (Hg.), Hauptstaat.

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nahm man sich als fortschrittlicher und aufgeklärter wahr als die Altbayern.20 Umso demütigender empfand man politische oder wirtschaftliche Maßnahmen, mit denen die bayerische Regierung den Rheinkreis belastete. In gewisser Weise sahen die Rheinbayern ihr Gebiet als eine Art Kolonie Bayerns, und die Auseinandersetzungen mit der bayerischen Zentrale in München dauerten mit Höhen und Tiefen bis zur Reichsgründung 1871, als durch die Integration in den Nationalstaat das bayerisch-pfälzische Verhältnis an Schärfe verlor. Celia Applegate hat die Folgen des Spannungsverhältnisses zwischen liberalfortschrittlicher Region und dem als rückständig empfundenen bayerischen Gesamtstaat für die Identität des Rheinkreises auf den Punkt gebracht: »Die französischen Reformen hatten die Möglichkeit einer spezifisch pfälzischen Identität geschaffen; die politische Hegemonie Bayerns ließ sie Wirklichkeit werden.«21 Zentrale Ereignisse wie das Hambacher Fest von 1832 sind auch in diesem Kontext zu sehen. Wie stark sich die politisch engagierten »Männer von Besitz und Bildung« mit den Institutionen des Rheinkreises identifizierten, veranschaulicht ein Artikel des liberalen Speyerer Publizisten Georg Friedrich Kolb, der im zweiten Band des Rotteck-Welckerschen »Staatslexikons« im Jahr 1835 eine zwölfseitige Charakterisierung des Rheinkreises und seiner Bewohner vornahm. Allein schon die Tatsache, dass dieser bayerische Kreis einen eigenen Eintrag in dieser »Bibel des vormärzlichen Liberalismus«22 bekam, verdeutlicht, dass man diesen Raum als eine Besonderheit interpretierte, dem man in weiten Teilen auch Vorbildcharakter für politisch-wirtschaftliche Reformen in anderen deutschen Ländern zusprach. Kolb schildert den Rheinkreis als liberales Musterland, in dem zentrale Errungenschaften bereits durch die Franzosen eingeführt worden seien. Trotz der vielen Probleme, welche vor allem in der Regierungszeit Napoleons um sich gegriffen hätten, seien die »vortrefflichen Wirkungen der französischen Gesetzgebung«23 unverkennbar. Diese sieht er vor allem in der Freiheit und Sicherheit der Person und des Eigentums, der Gleichheit vor dem Gesetz, der Gewerbefreiheit, der Trennung von Justiz und Verwaltung und der Trennung von Geistlichem und Weltlichem.24 Neben dieser Umsetzung liberaler Grundprinzipien betont Kolb insbesondere die religiöse Homogenität der christlichen Konfessionen des Rheinkreises. Diese basiere auf Aufklärung und Toleranz. Es gäbe zahlreiche Mischehen, was zur Annäherung der Konfessionen beitrage. Religiöse Eiferer seien daher im Rheinkreis machtlos.25 20 Diese Sichtweise wurde auch in anderen relativ neuen Landesteilen geteilt, zum Beispiel in den fränkischen Gebieten. Siehe Blessing, Franken im Bayern des 19. Jahrhunderts. 21 Applegate, Heimat, S. 36. 22 Taubert, Staatslexikon. 23 Kolb, Baiern (Rheinbaiern), S. 163. 24 Ebd., S. 164 f. 25 Ebd., S. 162.

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Damit beschrieb Kolb das Selbstverständnis der Liberalen. Der Rheinkreis war auf der Basis der »Institutionen« aus der französischen Zeit ein Hort des Liberalismus und der religiösen Aufklärung. Diese Grundannahme bildete die Basis für die Identität des Pfälzer Liberalismus. Sein Lexikoneintrag war allerdings auch ein Mittel des Kampfes gegen die Mitte der 1830er Jahre im »Rheinkreis« vorherrschende politische und religiöse Reaktion nach dem »Ham­bacher Fest« und den Versuch des bayerischen Staates, den Pfälzer Liberalismus auf die­sen Gebieten zurückzudrängen. Der Begriff »Pfalz« oder »Pfälzer« taucht allerdings in seinem gesamten Artikel nur ein einziges Mal auf, als er zu Beginn den Besitz der Kurpfalz erwähnt. Ansonsten spricht er nur von »Rheinbaiern« und seinen Bewohnern. Dieser Begriff wirkt allerdings etwas künstlich, ein Neologismus, wenig griffig und mit Anknüpfungspunkten an weitere ehemalige französische Gebiete, wie zum Beispiel »Rheinpreußen« oder »Rheinhessen«. Dort nahmen die Auseinandersetzungen mit dem preußischen Staat bzw. dem Großherzogtum Hessen um die »Rheinischen Institutionen« ebenfalls einen breiten Raum ein, wobei der bayerische Staat im Gegensatz zum preu­ ßischen immerhin über eine Verfassung verfügte und damit andere Kanäle der politischen Mitwirkung und Einflussnahme bot als Preußen.26 Der Begriff »Pfalz« und die Bezeichnung seiner Bewohner als »Pfälzer« etablierten sich erst wenige Jahre nach Kolbs Lexikoneintrag durch eine Maßnahme, die ursprünglich die Verbundenheit der alt- und neubayerischen Gebiete stärken sollte, sich dann allerdings in ihr Gegenteil verkehrte: 1838 wurden die bayerischen Kreise nach vermeintlich historischen Regionen neu benannt. So erhielt der Rheinkreis den Namen »Pfalzkreis«. Die Selbstbezeichnung als »Pfälzer« wurde dankbar aufgegriffen und trug zur Identitätsfindung der Bevölkerung des Kreises und damit auch zum Pfälzer Regionalismus bei.27 Wie der konservative ehemalige Leiter des Staatsarchivs Speyer, Rudolf Schreiber, hervorhob, war »[n]un erst die Möglichkeit gegeben, von sich zu reden.«28 Verstärkt wur 26 Karl-Georg Faber hat versucht, diesen breiten Raum des Rheinlands und die Durchsetzung der »rheinischen Institutionen« in Rheinpreußen (Preußen), dem Rheinkreis (Bayern) und Rheinhessen (Großherzogtum Hessen) zu analysieren. Dafür hat er vor allem publizistisches Material ausgewertet und nimmt letztendlich doch überwiegend die Diskussionen in Rheinpreußen in den Blick. Siehe Faber, Rheinlande. Zu Rheinpreußen siehe auch Fehrenbach, Rheinischer Liberalismus. Für die Auseinandersetzungen in der überwiegend zu Rheinpreußen gehörenden Saarregion siehe Burg, Unter neuen Herren, S. 113–119. Eine vergleichende Perspektive zwischen dem preußischen Rheinland und der bayerischen Pfalz mit den diversen Integrationsproblemen bietet auch Kißener, Hasslieben. 27 Schaupp, Freiheitsbäume, S. 20; Kreutz, Identitätsbildung; Fenske, Rheinkreis. Heiner Haan hat pointiert auf diesen Pfälzer Regionalismus hingewiesen. Siehe Haan, Vom Nebenstaat zur Provinz. Celia Applegate hat diesen Regionalismus vor allem kulturgeschichtlich über das Vereinswesen analysiert und mit dem Heimatgedanken in Verbindung gebracht. Siehe Applegate, Heimat. 28 Schreiber, Grundlagen, S. 40.

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den solche Identitätsfindungsprozesse noch durch Volkskundler wie ­Wilhelm ­Heinrich Riehl oder den Schriftsteller August Becker, die in den 1850er Jahren den Typus des »Pfälzers« genauer zu beschreiben suchten und ihn auf diese Weise auch mitkreierten.29 Ein politisches Sprachrohr erhielt dieser Pfälzer Regionalismus durch den Landrat, der dem von Frankreich eingeführten Departementalrat entsprach. Seit 1820 wurde der Landrat in indirekter Wahl über Wahlmänner gewählt. Aktives und passives Wahlrecht waren an ein bestimmtes Steueraufkommen gebunden.30 Der Landrat sollte die Regierung der Pfalz bei der Verwendung der Steuereinnahmen beraten. Da er jedoch seine »Bemerkungen, Wünsche und Anträge direkt an den König und die Staatsregierung herantragen durfte«31, konnte er die Anliegen weiter Bevölkerungskreise aufgreifen und weiterleiten. Parallel zu diesem politisch-liberalen Fortschrittsraum entstand teilweise kongruent, teilweise darüber hinausgehend, ein Wirtschaftsraum, den die Geographen in ihren landeskundlichen Beschreibungen in der Regel in zwei von Norden nach Süden reichende Gebiete unterteilen: in die Vorderpfalz und die Westpfalz (Westrich). Die Vorderpfalz besteht aus der Rheinebene, dem Haardtgebirge am Rand des Pfälzer Waldes und dem Pfälzer Wald. Die Westpfalz umfasst die südwestpfälzische Hochfläche, die westpfälzischen Moor­ niederung und das Nordpfälzer Bergland. Dabei fungiert der Pfälzer Wald als eine Art Trennlinie zwischen Vorderpfalz und Westrich. Die Vorderpfalz mit der Rheinebene ist aufgrund ihrer wärmeren klimatischen Verhältnisse fruchtbarer und daher deutlich dichter besiedelt als der Westrich.32 Wirtschaftlich war die Pfalz zunächst sehr stark agrarisch geprägt. Mehr als 80 % der Bevölkerung waren 1833 in der Landwirtschaft tätig. Dieser Anteil ging dann aufgrund der Industrialisierung kontinuierlich zurück. So arbeiteten 1854 noch 67 % im Bereich der Landwirtschaft und 1882 nur noch 54 %. Die beiden zentralen Produkte im Ackerbau waren Getreide und Kartoffeln. Daneben wurden auch zahlreiche Gemüsesorten angebaut, aber auch Sonderkulturen wie Tabak und Wein. Damit war die Landwirtschaft in der Pfalz sehr stark auf den Handel ausgerichtet. Der regionale Markt war zu klein, um die Produkte abzusetzen. Das bekam der Rheinkreis vor allem in der Zeit zwischen dem Übergang an Bayern und dem Beitritt zum Deutschen Zollverein 1834 zu spüren. Der anschließende wirtschaftliche Aufschwung wurde vor allem dem Zollverein mit seiner preußischen Führungsmacht zugeschrieben, die daher auch in den 29 Becker, Pfalz; Riehl, Die Pfälzer. Zur Rolle Beckers und Riehls bei der Herausbildung einer regionalen Pfälzer Identität siehe Applegate, Heimat, S. 47–57 und 72 f. 30 Dereser, Landrat, S. 115–131. 31 Scherer, Pfalz-Bayern, S. 14. 32 Schaupp, Freiheitsbäume, S. 21 f. Eine detaillierte Einteilung bei Weidmann, Landwirtschaft, S. 17–23.

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nächsten Jahrzehnten insbesondere von der auf Handel angewiesenen Bevölkerung positiv konnotiert wurde. Die Rebflächen wurden in der Zeit der Zugehörigkeit zu Frankreich von 3317 auf 5787 ha deutlich ausgeweitet, da sich der Weinabsatz offensichtlich gut entwickelte, nicht zuletzt aufgrund des Jahrhundertjahrgangs 1811. Diese Tendenz hielt an, sodass vor allem durch Umwandlung der etwas flacheren Gebiete in der Ebene die Rebfläche bis zum Jahr 1824 auf 10.308 ha vergrößert wurde. Aufgrund der Absatzkrise durch die schwierigen Zollverhältnisse ging die Fläche bis 1833 wieder auf 9227 ha zurück. Dieser Rückgang setzte sich bis in die 1840er Jahre fort. Die Pfalz war überwiegend Weißweingebiet. Die Hauptrebsorten waren Riesling, Traminer, Silvaner, Gutedel, Altig, Ruländer und Muskateller.33 Die soziale Lage der Winzer war häufig schwierig, da aufgrund der Realteilung der Besitz in der Regel sehr klein war, sodass man auf zusätzliche Arbeit, meistens als Tagelöhner auf den Gütern der Großgrundbesitzer, angewiesen war. Diese Situation änderte sich erst mit der zunehmenden Industrialisierung und der infrastrukturellen Erschließung der Pfalz, als sich die Arbeitsmöglichkeiten ausweiteten und damit auch der Arbeitslohn für die Tagelöhner deutlich anstieg.34 Die Forschung hat seit den 1970er Jahren herausgearbeitet, dass sich die Industrialisierung in Deutschland nicht gleichzeitig vollzog, sondern regional unterschiedlich.35 Die Pfalz ist hier eher ein Nachzügler und hat lange nicht einen solchen Industrialisierungsgrad erreicht wie das Rheinland oder Sachsen. Insbesondere der Rohstoffmangel wirkte lange Zeit hinderlich.36 Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts konnte sie jedoch deutlich aufholen und bis zur Reichsgründung zur Pioniergruppe aufschließen.37 Im Vergleich zu den anderen Regionen Bayerns steht sie noch besser da. Diese waren in ihrer Umwandlung der wirtschaftlichen Grundlagen von der Agrarwirtschaft zur Industrieproduktion wesentlich langsamer.38 Die industrielle Produktion hat sich in der Pfalz vor allem seit den 1850er Jahren durchgesetzt. Ein Pionier war das Eisenhüttenunternehmen Gienanth, das an mehreren Standorten in der Pfalz Bergwerke und Eisenhütten unterhielt.39 In 33 Die Angaben aus Schaupp, Freiheitsbäume, S. 36–42 und Weidmann, Landwirtschaft, S. 32. Kermann, Wirtschaft und Verkehr, S. 129 nennt andere Angaben. Danach waren 1830 69 % der Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig. Dabei ist jedoch der landwirtschaftliche Nebenerwerb nicht eingerechnet. Allgemein zur wirtschaftlichen Situation der Pfalz in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts siehe Gruber, Entwicklung. 34 Darauf verweist insbesondere Konersmann, Entstehung, S. 230 f., 252 f. 35 Fremdling/Tilly (Hg.), Industrialisierung; Hahn, Revolution, S. 98–107; Pollard (Hg.), Region. 36 Hahn, Revolution, S. 102. 37 Ebd.; Kiesewetter, Industrialisierung, S. 55 f. 38 Kiesewetter, Industrialisierung, S. 46 f. 39 Warmbrunn, Beziehungen; ders., Gienanth.

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der Pfalz entstanden aber auch zahlreiche Maschinenfabriken, wie zum Beispiel die Firma Dingler in Zweibrücken oder der Nähmaschinenhersteller Pfaff in Kaiserslautern, der ab 1862 produzierte. Auch die Stadt Frankenthal war für ihre Produktion von Maschinen, Armaturen und Kesseln bekannt. Die Textilindustrie spielte ebenfalls eine wichtige Rolle und wurde zunehmend in größeren Einheiten organisiert. So entstand zum Beispiel aus einer Initiative des umtriebigen Kaiserslauterer Gefängnisdirektors Franz Flamin Meuth 1857 dort eine Kammgarnspinnerei auf Aktienbasis. Seit 1848 entwickelte sich in der Gegend um Pirmasens eine bedeutende Schuhindustrie, welche die Gegend bis heute noch prägt. Daneben gab es zahlreiche Papierfabriken, in denen auf der Basis von Dampfmaschinen Papier industriell gefertigt wurde. Zum industriellen Zentrum der Vorderpfalz entwickelte sich Ludwigshafen, das zunächst seinen Aufschwung als Handelsplatz erlebte. 1851 gründeten die Gebrüder Giulini dort eine chemische Fabrik, der wenige Jahre später die Pforzheimer Firma Benckiser folgte. Mit der Ansiedlung der Badischen Anilin- und Sodafabrik (BASF) 1865, die in ihrem zunächst geplanten Standort Mannheim kein passendes Gelände erwerben konnte, gelang dann der endgültige Aufstieg Ludwigshafens zu einem der wichtigsten Standorte der chemischen Industrie in Deutschland.40 Die Industrialisierung der Pfalz wurde durch den Ausbau der Infrastruktur gestützt. Insbesondere der in den 1840er Jahren durch Aktienunternehmen einsetzende Eisenbahnbau erleichterte sowohl den Transport der Rohstoffe, den die industriellen Unternehmen für ihre Arbeit benötigten, als auch den Transport der Produkte in überregionale Märkte. Die »Pfälzische Ludwigsbahn« wurde 1849 als erste Bahnlinie vollendet und führte von der Rheinschanze (Ludwigshafen) nach Westen über Kaiserslautern bis nach Bexbach, in das saarpfälzische Kohlerevier. Dort erfolgte der Anschluss an das preußische Eisenbahnnetz. 1852 wurde die Strecke über Saarbrücken nach Forbach verlängert und damit der französische Raum erschlossen. 1853 erweiterte die Ludwigsbahn ihr Streckennetz von Ludwigshafen aus nach Norden, wo die Bahn mit der hessischen Linie von Mainz über Worms zusammentraf. Eine weitere Aktiengesellschaft führte 1855 den Bau der »Maximiliansbahn« von Neustadt in das elsässische Weissenburg aus. Damit wurden der (Süd-) Westen und der Norden zügig erschlossen. Richtung Mannheim und in südöstlicher Richtung wurde das Streckennetz erst seit Ende der 1860er Jahre ausgebaut.41 Der Eisenbahnbau führte in der Pfalz zu den in der Wirtschaftsgeschichte sogenannten »Vorwärtskopplungseffekten«, denn bestimmte, für die Pfälzer Wirtschaft benötigte Produkte, wie zum Beispiel Kohle oder Dünger, konnten günstiger als vorher importiert werden. Aber auch »Rückwärtskopplungs 40 Einen guten, wenn auch rein deskriptiven Überblick bietet Kermann, Wirtschaft und Verkehr. Siehe auch Schaupp, Freiheitsbäume, S. 48–51. 41 Kermann, Wirtschaft und Verkehr.

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effekte«42 sind feststellbar, denn einige Fabriken in der Pfalz produzierten direkt für den Eisenbahnbau. Ergänzt wurde der Ausbau des Transportwesens auch durch die in den 1830er Jahren beginnende Schleppschifffahrt auf dem Rhein, die mit der Gründung der Bayerisch-Pfälzischen Dampfschleppschifffahrtsgesellschaft eine eigene Pfälzer Firma erhielt.43 Eisenbahn und Schleppschifffahrt erleichterten also gemeinsam mit dem Abbau der Binnenzölle im Rahmen des Deutschen Zollvereins die Marktintegration, förderten damit die wirtschaftliche Dynamik und brachen die von Bayern zunächst aufgezwungene wirtschaftliche Abschließung des Kreises rasch auf. Trotz dieser aus wirtschaftlicher Sicht positiven Entwicklung blieb die Wirtschaft des Pfalzkreises noch bis in die 1850er Jahre stark vom Agrarsektor abhängig. Daher konnte die moderate Industrialisierung die große Armut in weiten Teilen des Pfalzkreises lange Zeit nicht auffangen. Die Ursachen der Armut lagen vor allem im hohen Bevölkerungswachstum, der Realteilung und der immer wieder von Krisen beeinflussten Konjunktur des Agrarmarktes. Miss­ernten wie 1816/17, 1830/31 oder 1846/47 führten daher sofort zu dramatischen Zuständen im Rheinkreis.44 Um der wirtschaftlichen Notlage zu entkommen, wanderten viele Pfälzer aus. Das Hauptziel der Auswanderung lag in Nordamerika. Die Auswanderungszahlen erreichten in den wirtschaftlich prekären 1850er Jahren solche Höhen, dass trotz einer hohen Geburtenrate die Einwohnerzahl des Pfalzkreises in der ersten Hälfte der 1850er Jahre sank.45 Hinzu trat noch die deutlich bescheidenere, aber in der Öffentlichkeit aufmerksamer wahrgenommene politisch motivierte Auswanderung.46 Die Auswanderungszahlen gingen dann ab 1857 deutlich zurück und erreichten in den Jahren 1861–1863 einen Tiefstand. Sie sind somit auch Indikator für eine gute Agrarkonjunktur in diesem Zeitraum und die zunehmende Bedeutung des Industriesektors für die Wirtschaft des Pfalzkreises.47 Insgesamt gesehen bestand im Pfalzkreis also im Vergleich zu den anderen bayerischen Gebieten eine politische und wirtschaftliche Ordnung, die stark von den französischen Reformen geprägt war. Sie kam vor allem den »Männern von Besitz und Bildung« zugute und bot ihnen ein ideales Betätigungsfeld, um 42 Zu den Begriffen der Vorwärtskopplungs- bzw. Rückwärtskopplungseffekte siehe­ Pfister, Industrialisierung, Sp. 903. 43 Kermann, Wirtschaft und Verkehr, S. 142–148; Sturm, Eisenbahnen. Zur Geschichte der BASF liegt ein Sammelband vor, der zentrale Aspekte der Firmengeschichte aus wirtschafts- und technikgeschichtlicher Perspektive erschließt. Siehe Abelshauser (Hg.), BASF. 44 Hierzu und zu dem Folgenden: Heinz, Auswanderung, S. 172–195. 45 Die Zahlen finden sich ebd., S. 350 und 356 f. Siehe auch Köllmann (Hg.), Quellen zur Bevölkerungsstatistik, Bd. 1, S. 70 f. 46 Joachim Heinz kommt in seiner Analyse der Auswanderungsmotive zu einer recht­ gering zu veranschlagenden politischen Emigration. Siehe Heinz, Auswanderung, S. 196–200 und 202 f. 47 Ebd., S. 179.

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ihre Vorstellungen von »Fortschritt« und gesellschaftlicher Dynamik umzusetzen. Sie identifizierten sich auf diese Weise sehr stark mit dem eigenen Raum »Pfalz«, den sie als liberales Musterland wahrnahmen. Aus diesem Grund sahen sie ihren Kreis auch als Vorbild für die restlichen Kreise Bayerns und andere Länder des Deutschen Bundes an. Das Weinbürgertum konnte als dynamisch aufstrebende Schicht die strukturellen Bedingungen nutzen und fand genug Einflussmöglichkeiten, um diese in ihrem Sinne umzugestalten. Wie die Vorderpfälzer Gutsbesitzer die sich vielfältig bietenden wirtschaftlichen und politischen Chancen zum eigenen sozialen Aufstieg nutzen konnten, soll am Beispiel der Jordans im nächsten Kapitel konkretisiert werden.

2. Jordan in der Pfalz: Aufstieg durch Heirat und die Einführung des Qualitätsweinbaus durch Andreas Jordan

Wenn man in dem im vorherigen Kapitel geschilderten politischen und wirtschaftlichen Kontext den sozialen Aufstieg der Familie Jordan verstehen will, muss man drei Faktoren in den Blick nehmen, die diesen Aufstieg ermöglichten: Boden, Kapital und Know-How. Grundbesitz in für den Weinbau günstigen Lagen ist unabdingbar für eine erfolgreiche Weinwirtschaft. Gleichzeitig benötigt man ausreichendes Kapital, denn die (Anfangs-) Investitionen sind hoch, der Ertrag schwankend, sodass man auch in der Lage sein muss, einen schlechten Jahrgang finanziell durchzustehen. Für den Weinbau ist zudem ein großes Wissen über die Bearbeitung im Weinberg, den sogenannten Bau, aber auch über die Behandlung des Weines im Keller, also in der Kellerwirtschaft, nötig. Für die ersten beiden Faktoren sind die Ursprünge der Familie Jordan in der Pfalz1 aussagekräftig. Sie lassen sich zuverlässig rekonstruieren, da die Familie in großbürgerlich-adeliger Manier ab ca. 1900 intensive Familienforschung betrieben hat. Ihre Nachforschungen haben allerdings einen »blinden Fleck«, denn die mit den Recherchen beschäftigten Männer interessierten sich vor allem für die Männer der Familie. Insofern ist das Material eingeschränkt – der Biograph vollzieht somit auf der Basis der Quellen den Ausschluss ein zweites Mal nach. An einigen Stellen lässt sich jedoch der Einfluss der Frauen ergänzen, sodass sich ein etwas anderes Bild ergibt, als es die eigene Familienforschung tradiert hat. Die Familienüberlieferung ist vor allem geprägt durch Aufzeichnungen aus der Feder einiger Familienmitglieder, die ihre »Erinnerungen aus der alten Zeit« aufgeschrieben haben. Darin schildern sie den wirtschaftlichen Aufstieg der Familie vor allem als Ergebnis des Fleißes, der Sparsamkeit und der rast­losen Energie der männlichen Familienmitglieder. Somit dienten diese Aufzeichnungen nicht nur der Information über die eigene Geschichte, sondern sie sollten gleichzeitig zentrale bürgerliche Wertvorstellungen und Rollenerwartungen an die Nachkommen weitervermitteln.2 Die Familie stammte ursprünglich aus dem Herzogtum Savoyen. Pierre Jordan war 1708 aus Cluses am Fluss Arve in das Fürstbistum Speyer ausgewandert. 1 Hier und im Folgenden verwende ich, um Irritationen zu vermeiden, den Begriff »Pfalz« auch für das Gebiet, das vor 1816 anderen Herrschaften angehörte. 2 Zu den bürgerlichen Tugenden siehe Münch (Hg.), Ordnung.

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Das war nicht ungewöhnlich, denn es gab zahlreiche Auswanderer aus dieser kargen alpinen Region. Die dortigen Erwerbsmöglichkeiten waren gering, sodass saisonale oder dauerhafte Migration eine Möglichkeit darstellte, ein Einkommen zu erzielen und auf der gesellschaftlichen Leiter emporzuklettern.3 Die Pfalz bot für Auswanderer ein willkommenes Ziel, denn Schätzungen gehen davon aus, dass nur 10–20 % der dortigen Bevölkerung den Dreißigjährigen Krieg zwischen 1618 und 1648 überlebten.4 Der pfälzische Kurfürst Karl Ludwig versuchte daher durch gezielte Peuplierungspolitik diesen Bevölkerungsverlust wieder auszugleichen. Später wurde die Pfalz in den Kriegen des französischen Königs Ludwigs XIV. hart getroffen, da sie im »Kraftfeld der französischen Rheinpolitik«5 lag. Dadurch bestand weiterhin ein großer Bedarf an Einwanderern. Die savoyardischen Emigranten hielten zusammen und unterstützten sich gegenseitig. So gewährten die bereits etablierten Savoyarden Neuankömmlingen Kredit oder statteten sie mit Waren aus, damit sie sich ein kleines Geschäft aufbauen konnten. Pierre Jordan bildet dafür ein typisches Beispiel.6 Die Savoyarden in der Pfalz stellten ihm Waren zur Verfügung, wodurch er zunächst als Hausierer sein Glück versuchen konnte. Dabei war er wohl recht erfolgreich, denn er ließ sich nach einiger Zeit in Bellheim in der Südpfalz nieder, von wo aus er einen Handel mit landwirtschaftlichen Produkten betrieb. Das Geschäft war ihm jedoch zu unsicher, sodass er in den Hanfhandel einstieg. Wenig später, am 7. Januar 1738, heiratete er die reiche Witwe Apollonia Wild aus dem 20 km entfernt liegenden Weinbauort Roschbach.7 Ihr Wohlstand ist gut dokumentiert, denn sie stiftete im Jahre 1737 der Pfarrkirche in Roschbach 3 Die Auswanderung aus Savoyen ist gut erforscht. Einen ersten Überblick bietet Zürn, Wanderhändler. Speziell mit der Auswanderung aus der Region Faucigny, in der auch ­Cluses liegt, beschäftigt sich Bruchet, L’Émigration, zu finden auch in LaS, V153 (Bassermann-­ Jordan), Bd.  404. Die ältere Literatur fasst Raynaud, Savoyische Einwanderungen, zusammen. Die Forschung der letzten Jahre hat sich vor allem mit den sozialen Aspekten und Netzwerken der Auswanderer beschäftigt, die ihren Heimatgemeinden zum Teil eng verbunden blieben. Zu nennen sind hier vor allem die Monographien und Aufsätze von Laurence Fontaine. Ihr Standardwerk zum Hausierhandel, der häufig von Savoyarden betrieben wurde, ist Fontaine, Pedlars. David J. Siddle, Migration, betont vor allem die zunehmende Bedeutung der finanziellen Rückflüsse für die Wirtschaft der Region im 18. Jahrhundert. Die deutsche Forschung wurde von Martin Zürn und Mark Häberlein vorangetrieben, welche die savoyardische Auswanderung unter dem Aspekt einer sich entwickelnden modernen Konsumgesellschaft betrachten. Zu nennen wäre hier Häberlein, Kaufleute, und Zürn, Einwanderung aus Savoyen. 4 Baumann, Pfalz, S. 22. 5 Ebd. 6 Das Folgende beruht zum Großteil auf den schriftlich festgehaltenen Erinnerungen Andreas Jordans, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 230. 7 Zu den Angaben über die Heiraten und Geburten siehe die diversen Unterlagen zur Ahnenforschung der Familie aus dem katholischen Pfarramt Roschbach, in: LaS, V153­ (Bassermann-Jordan), Bd. 14.

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eine 14 Zentner schwere Glocke im Wert von 1000 Gulden.8 Wenn man bedenkt, dass der damalige Lehrer in Roschbach neben seinem Lohn in Naturalien ein Jahresgehalt von 20 Gulden bezog9, war das eine sehr hohe Summe. Apollonia Wild starb am 21. Februar 1744. Aus erbrechtlichen Gründen wurde ein Inventar über den Besitz der Eheleute erstellt. Daraus geht hervor, dass Pierre Jordan nur einen Besitz von anderthalb Viertel Morgen Wingert (ca. 1200m²) im Bereich Hambühl in die Ehe eingebracht hatte, während seine Frau zahlreiche Wingerte besaß.10 Pierre Jordan hat die entsprechenden Unterlagen zudem nur mit einem x unterschrieben, er konnte also offensichtlich nicht schreiben.11 In einem späteren Gerichtsverfahren um die Reparaturkosten der gespendeten Glocke betonte Pierre Jordan jedoch, dass das von seiner Frau ererbte Vermögen durch einen Rechtsstreit mit ihren Verwandten weitgehend aufgebraucht worden sei.12 Ein Jahr nach dem Tod seiner ersten Frau heiratete Pierre Jordan erneut eine begüterte Frau, die bereits zweimal verwitwet war. Er vermählte sich im vorgerückten Alter von 65 Jahren am 27.  Juli 1745 mit der wesentlich jüngeren Clara Scheurich (1719–1779).13 Zwischen 1748 und 1756 kamen insgesamt sechs Kinder zur Welt, von denen nur die vier Söhne Nikolaus (1748), Georg (1750), Johann Peter (1753) und Christian (1756) überlebten. Nachdem sie kurz die Schule im nahegelegenen Edesheim besucht hatten, arbeiteten sie auf dem elterlichen Gut mit, sodass man keine Arbeiter oder Tagelöhner beschäftigen musste. Nikolaus lernte den Beruf des Küfers und übernahm die Arbeiten im Weinkeller und den Weinverkauf. Dabei wurde er von Georg und Johann Peter unterstützt. Für den Ackerbau und die Viehwirtschaft war Johann Peter verantwortlich, der die Produkte unter anderem auf den Märkten in Landau und Edenkoben verkaufte. Über das Schicksal des vierten Sohnes Christian gibt es keine Hinweise in den Familienunterlagen. Diese Familienwirtschaft zerfiel mit der Heirat des Sohnes Nikolaus, der 1769 die deutlich ältere reiche Witwe Eva Habermehl im benachbarten ­Hainfeld heiratete, wo er auch dörfliche Verwaltungsaufgaben übernahm. In einer Urkunde von 1776 wurde Nikolaus Jordan als hochfürstlicher Schultheiß in H ­ ainfeld genannt.14 Sein Bruder Johann Peter sah in der Gegend um Roschbach keine­ 8 Kiefer, »Der Kirch«. 9 Kiefer, Roschbach. 10 Notiz von Ludwig von Bassermann-Jordan über seinen Besuch im Staatsarchiv Speyer am 2.4.1965, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 195. 11 Schreiben des Staatsarchivs Speyer an Ludwig von Bassermann-Jordan, 17.3.1965, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 195. 12 Kiefer, »Der Kirch«, S. 76. 13 Zur Heirat und zur Familiengeschichte von Clara Scheurich siehe die diversen Aufzeichnungen in: LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 14. 14 Notiz Friedrich von Bassermann-Jordans von 1944 und Urkunde von 1776, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 195.

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Zukunft. Gegenüber seinem Sohn äußerte er später, dass er »so tief er auch die Pflugschare in den herrlichen Boden eingraben ließ, doch niehmals Gold zu Tage fördern konnte«15. 1773 zog er daher nach Deidesheim, um bei einem Küfermeister zu arbeiten. Dort lernte er Apollonia Reichardt kennen, die aus einer wohlhabenden Familie aus der Nachbargemeinde Forst stammte. Johann Peter Jordan und Apollonia Reichardt vermählten sich 1774. Auch Nikolaus zog nach, nachdem seine Frau kinderlos gestorben war und heiratete 1793 Eva Reichardt, die Schwester seiner Schwägerin. Johann Peter und seine Frau Apollonia hatten insgesamt 8 Kinder, von denen 4 Kinder überlebten: Andreas (1775–1848), Barbara (1783–1842), Margarethe (1785–1842) und Peter Heinrich (1793–1830). Als 1789 die Französische Revolution ausbrach und wenig später eine aggressiv-expansionistische Wende erfuhr, rückten französische Revolutionstruppen auch in die benachbarte Pfalz ein, was unmittelbare Auswirkungen für die Familie Jordan hatte. In der Folgezeit lagerten je nach Kriegsverlauf preußische oder französische Truppen in der Pfalz. Beide Seiten waren nicht zimperlich, zerstörten Weinberge oder requirierten, was sich ihnen bot. Johann Peter Jordan schilderte in seinem Tagebuch von Ende Dezember 1793 sehr anschaulich das Schicksal seiner Familie, als französische Truppen die Orte der Mittelhaardt besetzten.16 Er blieb trotz der Kriegswirren in seiner Heimatstadt, während zahlreiche Einwohner vor den heranrückenden Franzosen die Flucht ergriffen. Die französischen Soldaten nahmen ihm sein Erspartes ab, aßen und tranken reichlich und bedrohten sein Leben, um weiteres Geld zu erpressen. Verschiedene Keller in Deidesheim und Umgebung wurden aufgebrochen und geplündert. Als am 10. Januar 1794 ein französischer Kommissar eintraf, um die Weine offiziell zu beschlagnahmen, notierte Johann Peter Jordan deprimiert: »Dießer Nacht weiß ich keinen Namen zu geben; doch laßet sichs denken, wen man sein gantzes Vermögen, dass in so vielen Jahren mit so viel Mühe erworben ist, womit man seinen Kindern fort zu leben helfen könte, auf einmahl zum Raub werden soll, wie es einem zu Muthe sein kann.«17

15 Erinnerungen Andreas Jordans, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 230. 16 Hierzu und zu dem Folgenden: Bassermann-Jordan, Geschichte des Weinbaus, Bd. 1, S.  504–508. Die Tagebucheinträge sind auch abgedruckt in der während des Ersten Weltkriegs entstandenen Schrift: Bassermann-Jordan, Verwüstungen. Als Ziel der Veröffentlichung nennt der Autor im Vorwort: »[S]ie will dem Winzer und anderen Bürgern zeigen, wie es im gegenwärtigen Kriege ohne die Tapferkeit und die geniale Führung unserer Truppen im Inlande aussehen würde« (S. 2). Die Schrift war auch eine Reaktion Friedrich von­ Bassermann-Jordans auf den Tod seines Bruders Ludwig, der bereits kurz nach Kriegsausbruch als Rittmeister der Reserve im 1.  Badischen Leibdragoner-Regiment umkam. Siehe Türk, Ludwig von Bassermann-Jordan (1869–1914). 17 Zitiert nach Bassermann-Jordan, Geschichte des Weinbaus, Bd. 1, S. 508.

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Johann Peter Jordan errechnete 1794 einen Gesamtschaden von 135.570 Gulden, der ihm von den verschiedenen Kriegsparteien zugefügt worden war.18 Wenig später, am 6. Mai 1795, starb Johann Peter Jordan an Typhus, zwei Jahre später seine Frau. Andreas Jordan musste daher mit 20 Jahren in die Fußstapfen seines Vaters treten und mit 22 Jahren sowohl den Gutsbetrieb als auch die Verantwortung für seine deutlich jüngeren Geschwister übernehmen. Er herrschte streng über seine Geschwister, finanziell abgesichert durch ein Erbe von 205.000 Gulden, das sich auf die vier Kinder verteilte und das er zunächst für seine unmündigen Geschwister mitverwaltete.19 Die Kriegswirren brachten jedoch nicht nur Zerstörungen und menschliches Leid. Als die linksrheinischen Gebiete seit 1797 de facto Frankreich eingegliedert wurden, kehrte erst einmal Ruhe ein – Ruhe, die man dringend brauchte, um die Wirtschaft wieder aufzubauen. Verwaltungstechnisch wurde der größte Teil der späteren Pfalz dem Departement Donnersberg (Hauptstadt Mainz) zugeschlagen.20 Unterteilt wurden die Departements in Arrondissements, wobei das für die Jordans zentrale Gebiet der Mittelhaardt dem Arrondissement Speyer zugeschlagen wurde. Die unterste Verwaltungsebene bildeten die Kantone. Deidesheim wurde dem Kanton Dürkheim zugeordnet. Aus dem Flickenteppich an Herrschaften war auf diese Weise ein einheitlicher politischer und wirtschaftlicher Raum mit einer zentralen Verwaltung entstanden, man hatte eine »territoriale Flurbereinigung«21 vollzogen. Damit einher ging eine starke Veränderung der Sozialverfassung der linksrheinischen Gebiete. Insbesondere die Versteigerung der eingezogenen Emigran­ tengüter, des Besitzes der Landesherrn und des enteigneten geistlichen Besitzes als sogenannte »Nationalgüter« war hier folgenreich. Damit folgte man in den rheinischen Departements der bereits zuvor im französischen Mutterland ausgeübten Praxis, deren primäres Ziel es zunächst gewesen war, durch Besitzumschichtung das soziale Gefüge zu verändern. Unter dem Druck der kostspieligen Kriege diente die Nationalgüterversteigerung jedoch mehr und mehr zum Auffüllen der klammen Staatskasse. Wolfgang Schieder hat in einer vorbildlichen Edition die veräußerten Güter und Grundstücke mit vorherigem Besitzer, Pächter und neuem Besitzer aufgeführt. Die Forschung hat dieses Datenmaterial für das Departement Donnersberg noch nicht ausgewertet.22 Die Auflistungen für die Kantone Neustadt 18 Aufzeichnung von Johann Peter Jordan über seine Verluste durch die Plünderungen und Einquartierungen von 1794, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 230. 19 Siehe die Übersicht über die Entwicklung des Jordan’schen Vermögens in LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 10. 20 Schieder (Hg.), Säkularisation und Mediatisierung, Bd. 1, S. 1–16. 21 Ebd., S. 8. 22 Zum Departement Donnersberg liegt nur die Dissertation von Rudolf Werner, Na­ tionalgüter, vor. Diese geht jedoch in ihrer Darstellung nicht über die allgemeine Einfüh-

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und Dürkheim im Arrondissement Speyer, also aus den Gebieten, die für die Entstehung des Weinbürgertums entscheidend sind, machen deutlich, dass in der Regel nicht die bisherigen Pächter die Grundstücke und Gebäude erwarben, sondern ein bestimmter Kreis von Personen immer wieder auftaucht, die später als wohlhabende Weingutsbesitzer in der Vorderpfalz bekannt werden. Insbesondere Ludwig Wolf aus Wachenheim war an zahlreichen Transaktionen beteiligt.23 Aber auch einige Winzer Deidesheims, die im 19. und teilweise noch 20. Jahrhundert bedeutende Weingüter besaßen, wie Siben, Goerg, Dietz oder Eckel, traten als Käufer auf.24 Auch Andreas Jordan erwarb einige Gebäude und Grundstücke. So ersteigerte er am 12. Dezember 1803 gemeinsam mit Heinrich Eckel und Emanuel Weisbrodt das sogenannte Morasgut des Fürstbischofs von Speyer, bestehend aus Äckern und Wiesen in Deidesheim, Niederkirchen und Forst zum Preis von 3050 Gulden.25 Am selben Tag kaufte er zusammen mit ­Chrysosthomus­ Siben und Heinrich Goerg das ebenfalls dem Fürstbischof von Speyer gehörende Schlossgut in Deidesheim mit einer Hausruine, Gemüsegarten, Wiesen und Acker für 9200 Gulden.26 In Nachbarort Ruppertsberg ersteigerte Andreas ­Jordan gemeinsam mit Karl Ritter aus Frankenstein ein Hofgut mit Haus, Scheune, Stall, Acker und Wiese für 7000 Gulden sowie die Ruine des sogenannten »Zehntkelterhauses« mit Keller für 440 Gulden.27 Den Kauf von Acker und Wiese aus dem Malthesergut in Mußbach vermittelte Andreas Jordan an Georg Reiffel aus Neustadt.28 Interessant ist, dass Andreas Jordan in den Versteigerungsprotokollen von 1803 und 1804 als Maire, also Bürgermeister geführt wird. Das deutet bereits darauf hin, dass sich in der Zeit der französischen Besetzung der Pfalz nicht nur eine wirtschaftliche Leistungselite herausbildete, sondern diese auch als Funktionselite herangezogen wurde. Dazu trug auch bei, dass die Franzosen das kommunale Führungspersonal nach Steueraufkommen rekrutierten. So wurde Andreas Jordan auch auf einer Liste der französischen Departement-Regierung von 1812 genannt, auf der mögliche Kandidaten für das Bürgermeisteramt und

rung in der Edition von Wolfgang Schieder hinaus und trieft zudem vor antifranzösischer Ideologie. 23 Zu den Erwerbungen von Ludwig Wolf aus Wachenheim siehe den Eintrag in: Schieder (Hg.), Säkularisation und Mediatisierung, Bd. 1, S. 349 und die genaueren Angaben zu den Versteigerungsvorgängen in: Schieder (Hg.), Säkularisation und Mediatisierung, Bd. 4. Einen aufschlussreichen Überblick über das Weingut und seine Geschichte erhält man in folgendem Aufsatz: O. V., Der Bürklin-Wolffsche Grundbesitz. 24 Schieder (Hg.), Säkularisation und Mediatisierung, Bd. 4, S. 19, 271 f., 278. 25 Ebd., S. 272. 26 Ebd. 27 Ebd., S. 371. 28 Ebd., S. 358.

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den Adjunktenposten im Arrondissement Speyer aufgeführt werden. Andreas Jordan wird dort als Weinhändler mit einem Einkommen von 20.000 Francs bezeichnet. Er gilt als sehr empfehlenswert.29 Um das Datenmaterial der Nationalgüterversteigerung aus den Unterlagen der französischen Verwaltung richtig einordnen zu können, muss man sich vergegenwärtigen, dass es nur einen Teil  des Vorgangs abbildet und insofern auch nur zum Teil  aussagekräftig ist. Aus den Unterlagen im Familienarchiv des Deidesheimer Zentrumspolitikers und Heimatforschers Dr. Arnold Siben wird deutlich, dass sämtliche zum Verkauf angebotenen Deidesheimer Güter von einer aus 23 Personen bestehenden Gesellschaft gemeinsam ersteigert wurden.30 Andreas Jordans Ersteigerungen in Deidesheim waren somit nur ein Teil dieses Vorgangs. Die für insgesamt 24.750 Francs erworbenen Grundstücke und Güter wurden anschließend innerhalb dieser Gesellschaft weiterversteigert. Das hat Dagmar Krieg am Beispiel des von Jordan, Goerg und Siben erworbenen Schlossguts deutlich gemacht.31 Das Schlossgut mit den dazugehörenden Grundstücken wurde in kleine Partien aufgeteilt und an insgesamt zehn Personen weiterversteigert. Aus der Gesamtabrechnung der Gesellschaft wird ersichtlich, dass Andreas Jordan letztendlich drei Parzellen Äcker und Wingerte »hinterm Schloß« sowie eine Wiese in der Appengasse für 3210,75 Francs erwarb.32 Da die Unterversteigerung der Deidesheimer Nationalgüter mehr Geld einbrachte als der Erwerb gekostet hatte, bekam anschließend jedes Mitglied der Gesellschaft noch einen Gewinnanteil von 705,17 Francs ausbezahlt. ­Friedrich Ignatz Eckel führte über die erworbenen Grundstücke und Güter und ihre­ Weiterverteilung bis zur endgültigen Abrechnung 1808 Buch. Man kann davon ausgehen, dass dieser Vorgang nicht einmalig war, sondern dass diese Praxis der Versteigerung vor Ort eher die Regel war, denn sie machte Sinn. Viele Einwohner der Pfalz hatten sicherlich nicht die Möglichkeit, sich nach Mainz zur Versteigerung zu begeben, sodass es praktischer war, zunächst den Besitz von einigen Wenigen ersteigern zu lassen und anschließend lokal unterzuversteigern. Zudem umging man so die Gefahr, bei der Versteigerung in Mainz gegenseitig den Preis hochzutreiben. Im Familienarchiv der Jordans finden sich noch weitere Hinweise, die deutlich machen, dass das Datenmaterial der Edition nur die Ausgangsbasis für eine

29 Abschrift aus Original-Urkunden aus dem Staatsarchiv Darmstadt, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 195. 30 Abschrift aus Papieren im Besitz von Emil Seyler jr. Forst 1911, LaS, V157 (Siben), Bd. Z4650. 31 Krieg, Säkularisation. Für den Hinweis auf die Facharbeit und eine Kopie derselben danke ich Berthold Schnabel, Deidesheim. 32 Abschrift aus Papieren im Besitz von Emil Seyler jr. Forst 1911, LaS, V157 (Siben), Bd. Z4650. Daraus auch das Folgende.

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genaue Analyse der Besitzumschichtung bilden kann.33 Dort gibt es eine Notiz über den Erwerb eines Teils der heute berühmten Weinlage »Forster Kirchenstück«. Danach habe das Pariser Bankhaus Bouché einen Teil  der geistlichen Güter im Departement Donnersberg als Gegenleistung für ein Darlehen an die französische Republik erhalten. Ab 1804 habe man die Güter versteigert. Dem Verwalter des Besitzes sei das Gebot für das »Forster Kirchenstück« zu gering vorgekommen, sodass er die Rebflächen erst später direkt verkauft habe. Der 30 Morgen große Wingert sei für 30.000 Francs an Jordan in Deidesheim, Schellhorn und Steinmetz in Forst sowie Wolf in Wachenheim verkauft worden.34 Andreas Jordan, der genauestens über seine Erwerbungen Buch geführt hat, listete diesen Vorgang nicht auf. Allerdings vermerkte er 1806 durchaus den Kauf einiger anderer Wiesen und Wingerte von dem Unternehmer P. A.­ Bouchet. Den Aufzeichnungen kann man entnehmen, dass Andreas Jordan in der Zeit der Zugehörigkeit zu Frankreich gezielt Wiesen, Wingerte und Äcker hinzugekauft hat. So sind zwischen 1806 und 1813 15 Erwerbsvorgänge vermerkt. Die Wingerte liegen zum Großteil in heute noch bekannten erstklassigen Lagen Deidesheims wie Grein, Kalkofen oder Mäushöhl.35 Dabei gab es kleinere Erwerbungen, aber zum Beispiel auch den Kauf von Wiesen und W ­ ingerten im Umfang von ca. 2,5 ha mit einem Wert von 11.059 Gulden aus dem ursprünglichen Besitz des Grafen Lehrbach in Deidesheim. Dieser Besitz gehörte mittlerweile dem Unternehmer Rausch in Straßburg, der ihn sukzessive verkaufte. Aus dieser Masse stammte auch der Ketschauer Hof in Deidesheim, den Andreas Jordan gemeinsam mit seinem Bruder Peter 1816 von Rausch in Straßburg erwarb und zum häuslichen Mittelpunkt der Familie umfunktionierte.36 Dieser Erwerb von Gebäuden adeliger Familien durch reiche Winzer oder Kaufleute war keine Seltenheit und dokumentiert anschaulich den Machtwechsel im Rheinkreis und das Selbstbewusstsein der neuen Elite. 33 Auch Gabriele B. Clemens und Michael Müller haben in ihren Forschungen zur Nationalgüterversteigerung deutlich gemacht, dass die Verkaufsprotokolle nur den Ausgangspunkt der Forschungen bilden können, da die dort versteigerten Grundstücke und Gebäude häufig, z. T. zerstückelt, weiterverkauft wurden. Gabriele Clemens hat dabei die Immobilienhändler im Blick, die diese Praxis professionell betrieben, lässt dabei aber das Departement Donnersberg außen vor. Michael Müller rekonstruiert die Praxis der Versteigerung und des Weiterverkaufs anhand ausgewählter Regionen des Saar-Mosel-Gebiets. Siehe Clemens, Immobilienhändler; Müller, Säkularisation und Grundbesitz. 34 Notiz von Frey für Friedrich von Bassermann-Jordan, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 3. 35 Notiz von Friedrich von Bassermann-Jordan, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 3. 36 Brief Friedrich von Bassermann-Jordans an Bürgermeister Siben, Deidesheim, 26.9.1943, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd.  195. Der Unternehmer Johann Leberecht Rausch aus Straßburg wird auch in der Edition Wolfgang Schieders als Käufer einiger Nationalgüter in der Vorderpfalz genannt. Siehe Schieder (Hg.), Säkularisation und Mediatisierung, Bd. 1, S. 305 f.

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Bei diesen Verkaufsvorgängen wird deutlich, dass die Nationalgüterveräußerung die Besitzumschichtung anstieß und vorantrieb, aber nur einen Teil des ganzen Vorgangs ausmachte. Bereits an den wenigen Transaktionen, die rund um die Jordans zu erkennen sind, lässt sich ablesen, dass auf lokaler Ebene die ersteigerten Grundstücke zum Teil  erneut die Besitzer wechselten oder Güter und Grundstücke aus anderen Quellen als aus der Nationalgüterversteigerung auf den Markt kamen. Das entscheidende Faktum, das mit der Zugehörigkeit zu Frankreich für die zukünftige Wirtschaft in der Pfalz geschaffen wurde, ist damit der freie Bodenmarkt. Die Grundstücke und Gebäude waren jetzt nicht mehr an adeligen oder kirchlichen Besitz gebunden. Sie waren frei käuflich, und sie waren unbelastet von Hypotheken und Grundlasten. Davon profitierten in erster Linie diejenigen, die, wie Andreas Jordan, über ein gewisses Kapital verfügten. Die Zugehörigkeit der Pfalz zu Frankreich war somit zentral für »die Entstehung einer reichen, grundbesitzenden Oberschicht von bürgerlich-städtischer Lebenshaltung, vor allem in der fruchtbaren Vorderpfalz«37. Sie verdankte ihre Stellung in erster Linie der Ideologie der Französischen Revolution und den in diesem Sinne durchgeführten Maßnahmen der französischen Regierung im Departement Donnersberg. Diese Schicht musste befürchten, bei einer allgemeinen Restauration ihre neue privilegierte Stellung zu verlieren. Der Pfälzer Historiker Kurt Baumann sieht darin einen Ursprung des Pfälzer Liberalismus. Die Verteidigung der liberalen französischen Errungenschaften nach der Übergabe der Pfalz an Bayern 1815 habe auch der Sicherung der materiellen Ergebnisse der Zugehörigkeit zu Frankreich gedient. »Ideologie und Interesse«38 gingen Hand in Hand. Andreas Jordan profitierte nicht nur von den veränderten politischen Rahmenbedingungen, sondern er stellte gleichzeitig seinen Betrieb auf einen Qualitätsweinbau mit veränderten Anbaumethoden um. Dass Andreas Jordans Weine eine außergewöhnliche Güte erreichten, zeigt der sprunghafte Anstieg des Preises für ein Fuder Wein (1000 Liter) ab 1798. Während vorher für ein Fuder je nach Ernte zwischen 100 und 400 Gulden erlöst wurde, lieferte Andreas Jordan 1798 an das Frankfurter Handelshaus Mohr und Jäger sieben Fuder Wein, die mit einem Betrag zwischen 800 und 1300 Gulden taxiert waren.39 Auch danach pendelte der Preis zwischen 400 und 1300 Gulden. Der berühmte 1811er Wein schaffte einen neuen Rekord mit einem Höchstpreis von 1800 Gulden. Um Andreas Jordans Stellung in der Pfalz einzuordnen, kann man auf den nächst höheren Preis verweisen, der für 1811er in der Pfalz erzielt wurde. Für ein Fuder Forster Wein wurden 611 Gulden bezahlt. 37 Baumann, Adel, S. 208. 38 Ebd., S. 211. 39 Zu den Weinpreisen siehe Bassermann-Jordan, Geschichte des Weinbaus, Bd.  2, S. 1086–1088.

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Andreas Jordans Geschäfte liefen in dieser Zeit so gut, dass er 1813 erstmals in einer Liste der Höchstbesteuerten des Kantons Dürkheim auftaucht.40 Diese Listen wurden von der französischen Verwaltung erstellt, um aus dieser Gruppe die entsprechenden Beratungsorgane der Regierung zu bestücken. 1818, in bayerischer Zeit, firmierte Andreas Jordan als »Weinhändler und Ackersmann« auf einer Höchstbesteuertenliste der Gemeinde Deidesheim als am zweithöchsten besteuert.41 Er bezahlte 1818 362,54 Gulden an Steuern. Nur der »Weinhändler und Ackersmann« Heinrich Goerg bezahlte mit 465,07 Gulden mehr Steuern. Auf Goerg und Jordan folgen die ebenfalls als »Weinhändler und Ackers­ männer« bezeichneten Johann Spindler und Johannes Kimich. An dieser Liste wird nicht nur deutlich, dass die Geschäfte Andreas Jordans einträglich waren, sondern auch wie tonangebend die Schicht der Winzer und Weinhändler in Deidesheim war. Dagegen stehen die Bauunternehmer, Bierbrauer und einfachen Ackersleute eher am Ende der Liste. Wie gelang es Andreas Jordan, so hohe Preise für seinen Wein zu erzielen, und was bedeutete die Erzeugung von Qualitätswein um 1800? Heutzutage ist »Qualitätswein« zuallererst ein rechtlicher Begriff.42 Seit dem Weingesetz von 1971 ist die Bezeichnung »Qualitätswein« in Deutschland zum einen an die Herkunft aus einem der heute 13 bestimmten Anbaugebiete gebunden und zum anderen eng mit dem Zuckergehalt im Most verknüpft. Ab einem bestimmten Mostgewicht, das in Öchslegraden gemessen wird, dürfen Weine als »Qualitätsweine besonderer Anbaugebiete« vermarktet werden. Diese dürfen vor der Gärung mit ungegorenem Traubenmost gesüßt werden, was unter anderem auch zu einem höheren Alkoholgehalt führt. Weist der Most einen hohen Reifegrad auf, wird der Wein als »Qualitätswein mit Prädikat« eingestuft. Dabei wird­ zwischen Kabinett, Spätlese, Auslese, Beerenauslese und Trockenbeerenauslese differenziert. Hier spiegelt sich als langfristiger Prozess die Verrechtlichung im Lebensmittelbereich, die für die Weinproduktion mit dem ersten deutschen Weingesetz von 1892 begann und sich dann immer mehr ausdifferenzierte, um heute als Teilbereich der europäischen Integration zu firmieren. Gleichzeitig ist diese Engführung des Qualitätsweinbegriffs am Zuckergehalt des Mostes ein Zugeständnis an den überwiegenden Teil der Winzer und des Handels, dem es auf diese Weise möglich ist, dem Verbraucher vermeintliche Qualität zu ver­kaufen, ohne Rücksicht auf Lagen oder Traubensorten. Deutschland ist hier im Vergleich zur französischen oder italienischen Praxis einen eigenen Weg 40 Arrondissement Communal de Spire, Extrait de l’État des contribuables les plus im­ poses aux rôles des Communes rurales de l’Exercice 1813, 21.4.1813, LaS, G6, Bd. 53. 41 Regierung des Rheinkreises, Kammer des Innern: Verzeichnis der Grund-Eigenthümer der Stadt Deidesheim und Niederkirchen in dem Landcommissariats-Bezirke Neustadt, deren jährlicher Steuerbetrag 53 Gulden übersteigt, 28.11.1818, LaS, U315, Bd. 436. 42 Hierzu und zu dem Folgenden: Koch, Wein und Recht, S. 108–111.

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ge­gangen, wo die Lage bei der Qualitätseinteilung viel stärker berücksichtigt wird.43 Um 1800 lagen diese Prozesse noch in weiter Ferne. Einen ersten Hinweis auf den damaligen Qualitätsbegriff bietet Zedlers Universallexikon, das zwischen 1731 und 1754 erschien. Der anonyme Autor des Eintrags »Wein« im 1747 erschienenen Band 54 hebt zunächst auf die große Bedeutung des Klimas und der Weinbergslage für die Weingewinnung ab.44 Zudem wird in dem Eintrag darauf hingewiesen, dass man die Trauben vor dem Pressen sortieren solle und so Weine unterschiedlicher Güte erhalte. Als Muster für die Herstellung von Weinen nennt das Lexikon die Tokajer-Weine in U ­ ngarn, wo aus den lange reifenden verschrumpelten Beeren sogar ein ­»Truckenbeeren-­ Wein«45 oder »Ausbruch« entstehe. Neben dem Tokajer, den der Autor noch an mehreren Stellen als den edelsten Wein empfiehlt, führt er auch gute Weine aus Deutschland an. Die besten Weine werden dabei nach Orten klassifiziert. Aus der Pfalz werden Forst, Edinghofen (Edenkoben) und Ambach (Hambach) genannt.46 Interessanterweise wird auch bereits eine Art »Lagenname« erwähnt, die Wormser »Liebe Frauen-Milch«47. Dieser Name bezeichnete ursprünglich einen Wein, der aus den Weinbergen um die Wormser Liebfrauenkirche gewonnen wurde, entwickelte sich ob seines Erfolges dann jedoch im 19. Jahrhundert zu einer Phantasiebezeichnung zur Vermarktung lieblicher Rheinweine.48 Im Zusammenhang mit Weinen aus Brandenburg und Meißen, die als überwiegend sauer abgetan werden, erwähnt der Autor auch, dass man dort bereits aus »besonders reiffen, ausgelesenen Beeren« einen guten Weine erhalten habe, der an die Güte von Rhein-Wein herangekommen sei. Der Autor dieses Eintrags nennt auch wichtige Kriterien, an denen man einen guten Wein erkennt. Hier führt er unter anderem ein klares Aussehen, eine nicht zu dicke oder zu dünne Konsistenz, einen mäßigen Alkoholgehalt, angenehmen Geruch und Geschmack sowie positive Einflüsse auf die Gesundheit an. Gleichzeitig schränkt er ein, dass nur wenige Weine diese »Eigenschaften und Qualitäten«49 besäßen. Insbesondere für den Rheingau listet der Autor auch die Trauben auf, die sich dort zum Anbau besonders eignen. Als erste Güte bezeichnet er die Sorten Gutedel und Elbling. Zur zweiten Kategorie zählt er den Heunisch und zur schlechtesten den Riesling. Diese Geringschätzung des Rieslings mag damit zu tun haben, dass man in der Regel die Reben im gemischten Satz anbaute und die Trauben zeitgleich­ 43 Zur Kritik am deutschen System siehe Dippel, 100 Jahre. 44 O. V., »Wein«, in: Zedler, Universal-Lexicon, Bd. 54, Sp. 373–376. 45 Ebd. 46 Ebd., Sp. 418. 47 Ebd. 48 Müller, Liebfrauenmilch, in: Müller (Hg.), Weinbau-Lexikon, S. 474. 49 O. V., »Wein«, in: Zedler, Universal-Lexicon., Bd. 54, Sp. 411 f.

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erntete. Da der Riesling aber eine relativ spät reifende Traube ist, konnte er in dieser Konstellation seine Geschmackseigenschaften nicht richtig entfalten.50 Wie man sich eine Weinlese in dieser Zeit vorzustellen hat, schildert der spätere Arzt und Botaniker Steven Jan van Geuns in seinem Tagebuch einer Reise mit seinem Kommilitonen Alexander von Humboldt im Herbst 1789. Die beiden besuchten unter anderem die Weinorte Peterspay, Mittelspay und Niederspay am Mittelrhein. Van Geuns notierte am 19. Oktober: »Die Weintrauben werden nicht abgepflückt, sondern abgeschnitten, weil sonst durch das Schütteln viele Trauben verloren gehen, sie werden dann in hölzerne, nach unten spitz zulaufende Behälter getan und dort mit einem Holzstampfer ein wenig klein gestampft oder gemostet, wie man das hier nennt. Man sondert keine Stiele oder faulige schlechte Trauben aus; alles wird zusammen in hölzernen Körben (Bütten) ­getragen und von dort zur Weinpresse (Kelter) gebracht und dort dann ausgepresst (gekeltert); an manchen Orten hat es sich erhalten, dass man durch sanftes Pressen einen besonders guten Wein macht; hier wird aber alles nur zusammengetan, der auslaufende Most wird dann weiter durch Kanäle zu den Fässern im Keller geleitet und dort zur Gärung angesetzt.«51

Dass edlere Trauben bei einer solchen Vorgehensweise nicht zur Geltung kommen, ist offensichtlich. Der Rieslinganbau setzte sich erst allmählich durch, als vor allem die Landesherren ihren Untertanen die Kultivierung dieser Traubensorte vorschrieben. Berühmt ist die Verordnung des Trierer Kurfürsten C ­ lemens Wenzeslaus, der 1787 anordnete, in seinem Herrschaftsgebiet an der Mosel nur Rieslingreben zu pflanzen und die anderen Reben innerhalb von sieben Jahren auszuhacken.52 Auch der Fürstbischof von Speyer empfahl den Anbau von Riesling.53 Gewisse Kenntnisse und Techniken, die für die Entfaltung des Qualitätsweinbaus im 19. Jahrhundert charakteristisch sind, scheinen also bereits im 18. Jahrhundert bekannt gewesen zu sein: die Unterscheidung zwischen edlen und minderwertigen Traubensorten, die Erkenntnis, dass bestimmte Regionen für den Weinbau besonders geeignet sind und die differenzierte Lese besonders reifer Trauben. Offensichtlich hat man sie jedoch in Deutschland nicht systematisch angewandt. Friedrich von Bassermann-Jordan, dessen profunde Studie über die Geschichte des Weinbaus aus dem Jahr 1923 bis heute Maßstäbe setzt, hat denn auch festgestellt, dass sich eine flächendeckende Qualitätskultur trotz »mancher guten landesherrlichen Verordnung und trotz vortrefflichen Vorschriften in der damaligen landwirtschaftlichen Literatur«54 nicht entwickeln konnte. Als Grund 50 Bassermann-Jordan, Geschichte des Weinbaus, Bd. 1, S. 414. 51 Geuns, Tagebuch, S. 179. 52 Laufner, Qualitätsweinbau. 53 Bassermann-Jordan, Geschichte des Weinbaus, Bd. 1, S. 414; Schumann, Weinbau, S. 9. 54 Bassermann-Jordan, Geschichte des Weinbaus, Bd. 1, S. 166 f.

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nennt er die Belastung des Bodens durch Abgaben an den Grundherrn, denn man betrieb Weinbau in der Regel auf adligem oder kirchlichem Grundbesitz und musste zum Beispiel Zehnten, Gülten, Beten, Bodenzinsen etc. entrichten.55 Da kam der zeitaufwendige und teure Anbau hochwertiger Sorten kaum in Frage, denn man wollte vor allem viel Wein produzieren. Der Schritt hin zur systematischen Produktion qualitativ hochwertiger Weine vollzog sich nicht umsonst zuerst im Rheingau im Verlauf des 18. Jahrhunderts, wo Adel und Klerus über große Güter verfügten, bei denen sich eine Umstellung auf Qualitätsweinbau lohnte. Hier waren vor allem die Zisterzienserabtei Kloster Eberbach, das den Reichsfreiherrn von Greiffenclau zu Vollrads gehörende Weingut Schloss Vollrads und das seit 1716 dem Fürstabt von Fulda gehörende Weingut »Johannisberg« führend.56 Die Qualitätsoffensive ist für Johannisberg in der Literatur gut aufgearbeitet.57 Der Fürstabt baute Johannisberg nicht nur zu einem prächtigen Schloss um, sondern widmete sich auch intensiv der Verbesserung des dort erzeugten Weins. Er kaufte umfangreiche Rebflächen hinzu und ließ einen Großteil der Fläche neu bepflanzen. Für 1720/21 ist zum Beispiel die Neuanpflanzung von 293.950 Reben dokumentiert. Diese wurden allerdings nicht wie bisher im gemischten Satz gepflanzt, sondern im reinen Satz und dabei überwiegend Riesling. Zudem machte man 1775 eine interessante Entdeckung. Jedes Jahr musste ein Bote aus Johannisberg dem Fürstabt von Fulda zur Zeit der Traubenernte eine Probe der Trauben bringen, damit dieser die Trauben prüfen und die Lese genehmigen konnte. 1775 kehrte der Bote verspätet nach Johannisberg zurück. Daher wurde die Lese später durchgeführt als üblich. Der daraus entstandene Wein begeisterte. Der Verwalter Johannisbergs Johann Michael Engert notierte am 10. April 1776: »Diese 1775er Weine finden in dem hiesigen höchst Herrschaftl. Keller so außer­ ordentlich beyfall von allerley gattung ächten Kennern, daß man von solchen fast kein anderes wort bey den versuchen höret alß: solche Wein habe ich noch nicht in den Mund gebracht«58.

Entscheidend an diesem Vorgang war nicht die Entdeckung des außergewöhnlichen Geschmacks bei einer späteren Lese der Trauben, denn das hatte man auch vorher schon vereinzelt festgestellt, wie der oben genannte Eintrag in­ Zedlers Universallexikon verdeutlicht. Entscheidend war vielmehr, dass man daraus den Schluss zog, zukünftig immer etwas später zu lesen und damit die Weinqualität dauerhaft zu erhöhen. 55 Siehe dazu das Kapitel »Weinabgaben«, in: ebd., S. 571–610. 56 Ebd., S.  167 f. Zum Weingut »Schloss Vollrads« siehe Busch, Rheingauer Weinbau. Zum Kloster Eberbach siehe Busch, Eberbacher »Cabinettkeller«. 57 Hierzu und zu dem Folgenden: Staab/Seeliger/Schleicher, Johannisberg. S. 23–35. 58 Zitiert nach ebd., S. 32 f. Unterstreichung im Original.

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Da sich der Absatz der übrigen Rheingauer Weine in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts verschlechterte, machte man sich auch am Hof des Mainzer Kurfürsten, zu dessen Herrschaftsgebiet weite Teile des Rheingaus gehörten, Gedanken über die Verbesserung des Weinbaus und des Weinhandels.59 1787 verwies der Hofkammersekretär Heinrich Degenhard in einem Gutachten für den Kurfürsten auf das Vorbild von Johannisberg: »Bis hieher hinge alle Jahre die Weinleße meistens vom Geschrei des gemeinen Volkes ab, und noch herrscht das alte Vorurtheil, daß wenn der Gallustag [16. Oktober, H. T.] einfällt, die Leße müsse vorgenommen werden, dagegen die Leße in dem Fürstlich Fuldischen Weinberge auf dem Johannisberg alle Jahre so lang hinausgeschoben wird, bis alle Trauben im ganzen Lande in die Keller schon eingekältert sind. Ein Ohngefähr [Zufall, H. T.] wie bekannt hat denen Fulder Johannisberger diesen Vortheil entdeckt, wodurch sie einen wahren Auszug von Wein erhalten, und nun haben sie vor allzeit das spatläßen zum Gesetz gemacht.«60

Andreas Jordan hat diese Anbaumethoden des Rheingaus sicherlich genauestens studiert. Friedrich von Bassermann-Jordan erwähnt, dass sein Urgroßvater während seines Studiums in Mainz den Rheingauer Weinbau kennenlernte.61 Das erscheint sehr plausibel, denn Andreas Jordan war 1792/93 in der Philosophischen Fakultät der Universität Mainz eingeschrieben. Da er jedoch nicht zu den Prüfungen erschien, wurde er nicht ins nächste Studienjahr versetzt.62 In Anbetracht der Französischen Revolution und der anschließenden Kriege wurde Andreas Jordan anscheinend in Deidesheim gebraucht. Seine Verbindung zum Rheingau lässt sich auch an einem Dankbrief an den Mainzer Weihbischof Valentin Heimes ablesen, den er am 29.  Juli 1802 nach Hattenheim im Rheingau sandte und in dem er sich für die zahlreichen Freundschaftsbeweise des Weihbischofs bedankte.63 Dieser war nicht nur ein geschickter Berater des Mainzer Kurfürsten und Erzbischofs Friedrich Karl Joseph von Erthal, sondern seine Familie besaß ein Weingut in Hattenheim. Sein Vater soll unter anderem auch Weinberge des Klosters Eberbach, das in unmittelbarer Nähe zu Hattenheim liegt, bearbeitet haben.64

59 Zu den wirtschaftlichen Problemen und den verschiedenen Verbesserungsvorschlägen siehe Struck, Sozialgeschichte, S. 113–121. 60 Zitiert nach Staab/Seeliger/Schleicher, Johannisberg, S. 29. Zu der Denkschrift Degenhards siehe auch Struck, Sozialgeschichte, S. 119. 61 Bassermann-Jordan, Geschichte des Weinbaus, Bd. 1, S. 171 f. 62 Verzeichnis der Studierenden der alten Universität Mainz, S. 497. 63 Andreas Jordan an Weihbischof Valentin Heimes, Deidesheim, 29.7.1802, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 276. 64 Werner, Dom, S.  248. Zu Heimes selbst, der durch eine Erwähnung in Goethes »St. Rochusfest« zu Bingen überregionale Bekanntheit erlangte, siehe Bach, Weihbischof.

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Andreas Jordan ging jetzt daran, seine im Rheingau erworbenen Kenntnisse in Deidesheim umsetzen. So produzierte Andreas Jordan 1802 einen ersten Wein mit einer genauen Bezeichnung der Lage. Zudem pflanzte er hochwertige Rebsorten an, insbesondere Riesling und Traminer. Andreas Jordan scheute auch nicht davor zurück, ungünstig liegende Weinberge aufzuschütten oder neu auszurichten, um eine intensivere Sonneneinstrahlung zu erreichen. Die Wingerte wurden zum Teil  mit Mauern umgeben, die den Wind abhalten sollten und als Wärmespeicher dienten. Diese Praxis ist vor allem von dem zum Kloster Eberbach gehörenden Weinberg »Steinberg« bekannt, der 1767 von einer Mauer umfasst wurde. Andreas Jordans Musterweinbau strahlte aus, sodass Winzer, deren Betriebsgröße einen solchen Aufwand rechtfertigte, nachzogen.65 Eine Beschreibung des Weinbaus an der Mittelhaardt liefert der Wieslocher Apotheker und Winzer Johann Philipp Bronner, der in den 1830er Jahren die bedeutendsten Weinbaugebiete im Deutschen Bund bereiste. Durch Vergleich wollte er die besten Anbaumethoden für den Wein herausfinden. Für die Umgebung von Deidesheim hatte er nur lobende Worte übrig: »[M]an staunt, welcher Aufwand hier gemacht wird, um den Weinbergen eine günstige Lage zu geben, und welche kostspieligen Bodenbearbeitungen hier vorgenommen werden, um das Mögliche zu erreichen: Es herrscht hier ein hoher Grad an Intelligenz, und alle Mittel und alle Regeln werden hier angewandt, um nach richtigen Prinzipien hier den Weinbau zu betreiben. […] Wohl könnte man denken, zu was solchen Aufwand? Der Boden und das Clima muß den guten Wein machen, allein es ist dem nicht so. Durch das Planieren und Hervorheben des guten Bodens wird der Wein oft um 25–50 Przt. verbessert, wodurch die Kosten sich allmählich wieder ausgleichen. Natürlich der Unbemittelte muß davon abstehen, und der lieben Natur alles überlassen; er kann auch sein Produkt weder auf dem Felde noch im Fasse veredeln, und muß dies den Reichern überlassen, die eine zeitgemäße Benutzung abwarten können.«66

Diese Praxis übte auch Andreas Jordan aus. Zur Herstellung seines Weines verwendete er nicht nur seine eigenen Trauben, sondern er kaufte nach der Lese sehr viel Most dazu. Die meisten Winzer in der Pfalz hatten häufig durch die Realteilung nur einen kleinen Weinbergsbesitz und konnten sich dementsprechend auch die Kellertechnik nicht leisten. Hiervon profitierten die großen Weingüter, welche den Most der kleinen Winzer aufkauften und weiterverarbeiteten. Der Absatz der Jordan’schen Weine ging vor allem in die hessische Gegend, Hauptabsatzort war Frankfurt, wo die Familie Jordan bereits frühzeitig Keller anmietete, was ihr in den Revolutionskriegen zugute kam, da der dortige Wein nicht von den Franzosen requiriert wurde. Andreas Jordan weitete seinen­ 65 Bassermann-Jordan, Geschichte des Weinbaus, Bd. 1, S. 172. 66 Bronner, Haardtgebirge, S. 110 f. Zu Bronner siehe Schumann, Weinbaufachmann.

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Kundenstamm in den folgenden Jahren immer weiter aus. So lieferte er nicht nur nach Frankfurt, Darmstadt oder Gießen, sondern auch nach Augsburg, München, Nürnberg und Regensburg sowie nach Hamburg und Berlin. Er verkaufte in der Regel nur Fasswein an Händler, die den Wein in kleinere Einheiten abfüllten. Zum Teil belieferte er auch direkt Gastwirte oder Privatpersonen wie den Münchener Stararchitekten Leo von Klenze oder die Witwe des bayerischen Königs. Die finanzielle Seite des Geschäfts wickelte Andreas Jordan vor allem über die Bank von Mayer Amschel Rothschild in Frankfurt ab, die ihm auch eine Art Dispositionskredit einräumte. Als weitere Bank nutzte Andreas Jordan das Bankhaus Ladenburg in Mannheim.67 Insgesamt gesehen wird hier deutlich, dass sich Andreas Jordan einem kapitalintensiven, rationellen Weinbau verschrieben hatte. Er fungierte für die Pfalz als Agrarinnovator, der die Qualität des Weines mit neuen Methoden verbesserte. Als wichtige Voraussetzung brachte er Kapital mit, das die Familie bereits akkumuliert hatte, er erbte den Boden in guten Lagen und erweiterte den Bodenbesitz in der französischen Zeit gezielt. Zudem verfügte er über ein gewisses Know-How, das er durch seine Erkenntnisse aus dem Rheingau weiterentwickelte. Die durch die Zugehörigkeit zu Frankreich veränderten Rahmenbedingungen, die auch in bayerischer Zeit fortbestanden, boten ihm und seiner Familie jetzt die Möglichkeiten zum weiteren wirtschaftlichen und sozialen Aufstieg.

67 Dem Hauptbuch von Andreas Jordan kann man alle Weinverkäufe ab 1805 geordnet nach Käufern entnehmen. Siehe LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 4.

3. Ludwig Andreas Jordans Weg ins Bürgertum

In den vorangehenden Kapiteln ist deutlich geworden, wie die politischen Rahmenbedingungen im Pfalzkreis Familien, die über Kapital und Know-How verfügten, den sozialen und ökonomischen Aufstieg erleichterten. Der Aufstieg der Jordans vom savoyardischen Migranten zu einer bedeutenden Gutsbesitzerfamilie hing zudem eng mit der familiären Heiratspolitik zusammen. Die männlichen Familienmitglieder heirateten sozial höherstehende und begüterte Frauen, so dass sie auf diese Weise gesellschaftlich emporkletterten. Daher soll in diesem Kapitel zunächst kurz dargestellt werden, wie Andreas Jordan und seine Geschwister diese Heiratspolitik fortführten. Damit wird auch deutlich, in welchem verwandtschaftlichen Umfeld Ludwig Andreas Jordans Sozialisation erfolgte, die im Mittelpunkt des Kapitels steht. Anhand seiner Tagebucheintragungen und Briefe geht das Kapitel der Frage nach, welche Werte und Ansichten er durch seinen Unterricht und über seine Lektüre internalisierte. Welche Vorstellungen entwickelte er von einem gelungenen bürgerlichen Leben? Dabei wird deutlich, wie stark seine Ausbildung­ darauf ausgerichtet war, den Blick zu weiten. Die Deidesheimer Erfahrungen sollten ergänzt werden durch eine Fortsetzung der Ausbildung in Mannheim. Zudem wurde er auf eine Reise nach England geschickt, um seine Bildung und seinen Geschmack zu verfeinern, seine moralischen Einstellungen zu prüfen und die neuen Möglichkeiten der Technik und Industrieproduktion kennenzulernen. Welche Erfahrungen machte er auf der Reise, und wie prägten diese seine Wahrnehmung der Welt? Kehrte er mit einer veränderten Sicht auf die Pfalz zurück? Anschließend geht es um seine Freundschaften und seine Heirat. Wie entwickelten sich die Beziehungen? Wie verlief das Werben um seine Cousine Seraphine Buhl? Dominierten romantische Ideale oder materielle Interessen bei seiner Partnerwahl? Durch die Analyse der verschiedenen Fragen zur Sozialisation, zu bürgerlichen Werten, zu der Rolle der Familie und die­ Prägungen durch seine Reiseerfahrungen sollen in diesem Kapitel Jordans Weg ins Bürgertum und sein Blick auf die Welt entschlüsselt werden.

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Ludwig Andreas Jordans Weg ins Bürgertum Ludwig Andreas Jordans Weg ins Bürgertum 

3.1 Bürgerliche Wertvorstellungen und Handlungsroutinen: Bildung und Ausbildung in Deidesheim und Mannheim Die Heiraten der Jordans in der Pfalz waren insgesamt sehr erfolgreich gewesen. Mit jeder Heirat hatten sie weitere Sprossen auf der sozialen Leiter erklommen. Das war bei Andreas Jordan nicht anders, der am 23. März 1806 die 14 Jahre jüngere und vermögende Josepha Stengel heiratete. Seine Braut war die Tochter von Franz Stengel und seiner Frau Anna Maria (geb. Tillmann) aus Freinsheim. Diese brachte eine Mitgift von 65.000 Gulden in die Ehe ein.1 Franz Stengel war Stiftsschaffner der geistlichen Administration in Frankenthal gewesen und bereits 1794 verstorben. Seine Frau heiratete daraufhin den österreichisch-­ ungarischen Offizier Johann von Szent-Ivanyi. Das Ehepaar bekam eine Tochter, Anna von Szent-Ivanyi, die Stiefschwester von Josepha Stengel. Anna von Szent-Ivanyi zog 1824 unverheiratet zu ihren Verwandten nach Deidesheim, wo ihr Schwager Andreas Jordan einige Weinberge in den besten Deidesheimer Weinlagen für sie erwarb. Sie gehörte somit zum Familienclan der Jordans und starb erst 1889 mit 92 Jahren in Deidesheim.2 Auch Barbara Jordan heiratete 1806. Ihr Ehemann war der aus Ettlingen stammende Franz Anton Buhl. Da diese Verbindung eine wichtige Rolle für die Zukunft der Familie Jordan spielen wird, möchte ich auf die Buhl’sche Familie im Folgenden etwas genauer eingehen.3 Der Vater von Franz Anton Buhl, Franz Albert Buhl, war zunächst als Kaufmann tätig gewesen; unter anderem handelte er mit Wein, wodurch wahrscheinlich auch die Verbindung zu den Jordans zu Stande gekommen ist. Parallel dazu betrieb Franz Albert auch noch sehr erfolgreich zwei Papierfabriken in Ettlingen. Seinen Sohn Franz Anton hatte er zunächst auf die Klosterschule Allerheiligen im Schwarzwald geschickt. Anschließend wurde er in den väterlichen Papierfabriken ausgebildet und absolvierte eine Banklehre, bevor er nach England ging und dort in mehreren Industrieunternehmen die industriellen Entwicklungen auf der Insel kennenlernte. 1807 gründeten Franz Albert Buhl und sein Sohn Franz Anton gemeinsam eine Spinnerei, 1812 erweitert um eine Weberei. Diese Gründung war Teil  der zahlreichen »Start-up-Unternehmen«, die nach der Verhängung der Kontinentalsperre durch Napoleon 1806 wie Pilze aus dem Boden schossen. Dafür war sicherlich die Mitgift von Barbara Jordan in Höhe von 80.000 Gulden 1 O. V., Weingüter Jordan, S. 106. Zur Mitgift siehe die Übersicht über das Vermögen in LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 10. 2 O. V., Weingüter Jordan, S. 106, Anm. 2. 3 Hierzu und zu dem Folgenden: Stemmermann, Familie Buhl, S. 295–297.

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sehr willkommen.4 In der Textilfabrik beschäftigten die Buhls ungefähr 150 Arbeiter. Nach der Niederlage Napoleons und der Aufhebung der Kontinentalsperre strömten jedoch wieder englische Textilwaren ungehindert auf den Kontinent. Das traf die Fabrik hart. 1817 beschäftigte man nur noch 90 Arbeiter und konnte kaum noch Gewinn erwirtschaften. Mittlerweile führten Franz Anton und sein Bruder Florian die Papier- und Textilfabriken, nachdem ihr Vater 1815 gestorben war. 1819 wurde Franz Anton Buhl in den ersten badischen Landtag gewählt, wo er sich der liberalen Opposition anschloss.5 Die Buhls besaßen einige Weinberge aus dem Erbanteil von Barbara Jordan in Forst, sodass sie sich regelmäßig dort aufhielten, um sich einen Eindruck von den laufenden Geschäften zu machen. Daher war der Kontakt zu dem ebenfalls in Forst wohnenden Bruder Peter Heinrich Jordan besonders eng. Dieser blieb als einziger unverheiratet. Er baute sich auch ein recht ansehnliches Weingut auf. Zunächst erhielt er einen Anteil an den Weinbergen seiner Eltern. Hinzu kam dann das Erbe von seinem Onkel Nikolaus Jordan und dessen Frau Eva Reichardt, die ihn als Alleinerben eingesetzt hatten. Daher bewohnte er in Forst das Haus der Familie Reichardt.6 Margarethe Jordans Hochzeit sorgte hingegen für Ärger. Sie heiratete den Leibarzt der badischen Großherzogin Stephanie, Dr. August Georg Kramer, bei dem sie in ärztlicher Behandlung war. Dieser war deutlich älter und geschieden, sodass die Heirat nur unter schwierigen Umständen von der katholischen Kirche genehmigt wurde. Augusta Bassermann-Jordan hielt im Nachhinein fest, dass angeblich Napoleon, dessen Adoptivtochter die Großherzogin Stephanie war, eingeschaltet werden musste, um die Hochzeit durchzusetzen. Das Ehepaar Kramer wohnte in Baden-Baden. Kein Kind der Kramers erreichte das Erwachsenenalter.7 Andreas und Josepha Jordan bekamen insgesamt drei Kinder. 1811 kam­ Ludwig Andreas zur Welt, 1813 Josephine und 1818 Auguste. Über die Kindheit und frühe Ausbildung Ludwig Andreas Jordans lässt sich wenig herausfinden. In den Familienunterlagen ist so gut wie nichts dazu zu finden und die Einträge in den biographischen Nachschlagewerken geben dazu auch nichts her. Dem Tagebuch Ludwig Andreas Jordans, das immerhin ab 1829 vorliegt, kann man einige Hinweise darauf entnehmen, dass er Privatunterricht von diversen Personen erhielt. So notierte der 18-jährige Ende Dezember 1829, dass er seit 1822 von Herrn Schandein Klavier-, Schreib- und Rechenunterricht ­erhalten 4 Erinnerungsdiktat von Augusta Bassermann-Jordan 1899, LaS, V153 (BassermannJordan), Bd. 230. 5 Zu Franz Anton Buhls Rolle im badischen Landtag siehe: Becht, Badischer Parlamentarismus, S. 78 und passim; Stemmermann, Familie Buhl, S. 297–300. 6 O. V., Weingüter Jordan, S. 107. 7 Ebd., S.  106; Erinnerungsdiktat von Augusta Bassermann-Jordan 1899, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 230.

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Ludwig Andreas Jordans Weg ins Bürgertum Ludwig Andreas Jordans Weg ins Bürgertum 

habe.8 Dabei handelt es sich sicherlich um den Deidesheimer Schullehrer Joseph­ Wilhelm Schandein.9 Schreib- und Rechenunterricht leuchten unmittelbar ein, aber warum lernte er Klavier zu spielen? Gunilla-Friederike Budde beschreibt das Klavier in ihrer zeitlich etwas später ansetzenden Studie über das Bürgertum vor allem als Statusobjekt, das demonstrativ der Absetzung von den unbemittelten Schichten gedient habe.10 Das verkennt, dass über das Erlernen eines Instruments auch wichtige bürgerliche Tugenden vermittelt wurden. Man muss konzentriert, diszipliniert und kontinuierlich üben. Fleiß zahlt sich aus. Man erntet Anerkennung bei den kleinen Auftritten zu familiären Anlässen und lernt, sich öffentlich zu präsentieren. Das Klavier vermittelte also nicht nur einen bestimmten gesellschaftlichen Status nach außen, sondern das Klavierspiel war auch eine Erziehungsmaßnahme. Es war eine »bürgerliche« Praktik der Arbeit an sich selbst, der Integration und der Repräsentation. Neben der Grundausbildung in Rechnen und Schreiben lernte Ludwig Andreas Jordan seit 1825 bei dem Privatlehrer Gillot Französisch und Latein.11 An einem Eintrag aus dem Jahr 1831 kann man erkennen, dass er auch Unterricht bei dem späteren Pfarrer Maikammers, Johann Nepomuk Weckesser, hatte, der ihn wahrscheinlich vor den beiden Privatlehrern unterrichtet hatte.12 Interessante Hinweise auf seine Bildung liefert auch die Lektüre, die er seit 1829 monatlich festhielt. Laut diesen Übersichten las er vor allem historische Werke, unter anderem über die Kriege Napoleons, den Bauernkrieg, den niederländischen Aufstand gegen die Spanier, aber auch Thukydides’ Geschichte des peloponnesischen Krieges und Cornelius Nepos’ Leben großer Feldherrn. Außerdem las er Bücher französischer Schriftsteller, unter anderem Jean-François­ Marmontels »Moralische Erzählungen« und François Fénelons »Télémaque«.13 8 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans von Ende Dezember 1829, LaS, V153 (Basser­ mann-Jordan), Bd. 28. 9 Zu Joseph Wilhelm Schandein siehe u. a. seinen Aufsatz: Schandein, Beschreibung, und Ankündigung einer Zwangsversteigerung auf Betreiben des Deidesheimer Lehrers Joseph Wilhelm Schandein, Wachenheim, 10.3.1829, in: Intelligenzblatt des Rheinkreises 1829, S. 216. 10 Budde, Bürgerleben, S. 136–141. 11 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans von Ende Dezember 1829, LaS, V153 (Basser­ mann-Jordan), Bd. 28. 12 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 15.10.1831, LAS, V153 (BassermannJordan), Bd. 29. Weckesser war von 1820 bis Dezember 1822 Kaplan der Pfarrei Deidesheim. Siehe Remling, Hospital, S. 62, Fn. 52; o.V., Pfarreyen und Beneficien-Verleihungen und Bestätigungen, in: Regierungs- und Intelligenzblatt für das Königreich Baiern 1822, Sp. 1305 f. 13 Michael Bacherler hebt in seiner Dissertation hervor, dass es in der ersten Hälfte des 19.  Jahrhunderts im Bürgertum eher unüblich war, französische Autoren zu lesen. Wenn französische Werke gelesen wurden, gehörte Fénelons Télémaque zu den Favoriten. Siehe­ Bacherler, Familienerziehung, S. 183. In der Pfalz spielte sicherlich die besondere Nähe und Beziehung zu Frankreich bei der Entscheidung für die französische Sprache und französische Autoren eine wichtige Rolle.

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Vor allem die beiden letztgenannten Bücher zeigen die didaktische Absicht sei­ner Lektüre. Das Hauptwerk des Theologen und Pädagogen Fénelon »Télémaque« ist ein Bildungsroman, den er 1695/96 ursprünglich für seinen Schüler, den französischen Thronfolger, verfasst hatte. Die Abenteuer des antiken Helden Telemachos, des Sohnes von Odysseus, bilden dabei den Hintergrund, um bestimmte Verhaltensgrundsätze zu verdeutlichen. Auf diese Weise werden dem Thronfolger Beispiele für ein gerechtes monarchisches Regieren vorgeführt. Dagegen werden »Tyrannei, Krieg, Despotismus und Verschwendung«14 als verachtenswert gebrandmarkt. Ludwig XIV. verstand Passagen des Werkes als Kritik an seinem Regierungsstil und verbannte Fénelon daraufhin. Diese Tatsache veränderte die Sicht auf den Roman, der zunehmend als progressives »vorrevolutionäres Manifest«15 wahrgenommen wurde. Dagegen sind Marmontels »Moralische Erzählungen« Aufklärungsliteratur par excellence. Ursprünglich erschienen in den 1750er Jahren, veröffentlichte Marmontel 1792 eine stark erweiterte Fassung. Dabei verwendete Marmontel verschiedene Charaktere als exemplarische Typen, die bestimmte positive oder negative Verhaltensweisen verkörperten. Auf leichte Art und Weise wollte er mit Hilfe der verschiedenen Erzählungen dem Leser moralische Grundsätze vor Augen führen und damit eine »moralische Besserung«16 seiner Leser erreichen. Das Buch war äußerst populär und wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt. Gewisse Verhaltensgrundsätze wurden Ludwig Andreas Jordan also nicht nur über die Familie oder seine Lehrer vermittelt, sondern auch durch die Literatur, die pädagogisch genutzt wurde. Geschichtswerke sollten, getreu des bereits von Cicero propagierten Konzepts der »historia magistra vitae«17, Lehren aus der Vergangenheit ermöglichen oder historisch berühmte Persönlichkeiten als Vorbilder vor Augen führen. Aber auch Romane und Erzählungen mit moralischer Grundierung dienten als Erziehungslektüre. Neben einer gründlichen Ausbildung, Rechnen und Schreiben, gepaart mit künstlerischer, historisch-literarischer und sprachlicher Bildung, war Ludwig Andreas Jordan bereits als Jugendlicher in den elterlichen Betrieb eingespannt. In seinem Tagebuch notierte er sorgfältig die einzelnen Schritte der Weinbereitung, vermerkte regelmäßig das Klima und seine Auswirkungen auf die Reben, hielt die Entwicklung des Lohns für die Tagelöhner fest und verzeichnete die Verkäufe an die verschiedenen Weinhändler. 14 O. V., »Fénelon«, in: Harenberg Lexikon der Weltliteratur. Autoren-Werke-Begriffe, Bd. 2, vollständig überarb. und erw. Studienausgabe, Dortmund 1994, S. 933. 15 Kurt Reichenberger, Suite du quatrième livre de l’Odyssée d’ Homère ou les avantures de Télémaque, fils d’Ulysee, in: Heinz Ludwig Arnold (Hg.), Kindlers Literatur-Lexikon, 3. völlig neu bearb. Aufl., Bd. 5, Stuttgart/Weimar 2009, S. 434 f., hier S. 435. 16 Gerhard Wild: Contes moraux, in: Arnold (Hg.), Kindlers Literatur-Lexikon, Bd. 10, S. 767 f., hier S. 768. 17 Zu dem Konzept und seinem Bedeutungswandel siehe Koselleck, Historia.

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Ludwig Andreas Jordans Weg ins Bürgertum Ludwig Andreas Jordans Weg ins Bürgertum 

Am 14. Juni 1830 zog Ludwig Andreas Jordan von Deidesheim in das mit rund 20.000 Einwohnern deutlich größere Mannheim, um seine Ausbildung weiterzuführen und ein selbständiges Leben einzuüben.18 Dort erhielt er Privatunterricht in Englisch, Französisch, Italienisch, kaufmännischer Buchhaltung, Geometrie und Architekturzeichnung, Reiten und Klavier.19 Dazu merkte er in seinem Tagebuch an, dass er nun zum ersten Mal unabhängig und alleine sei. Diese Stellung biete viele Vergnügungsmöglichkeiten. Da er sich aber bereits feste Grundsätze erworben habe, werde er nicht »vom Pfade der Tugend«20 abwei­chen. Besonders betonte er, dass er seine Eltern nicht enttäuschen werde, deren Vertrauen ihm seine neue Stellung erst ermögliche. Hier, wie in zahlreichen weiteren Reflexionen in seinem Tagebuch, zeigen sich immer wieder die bürgerlichen Moralvorstellungen, die seine eigenen Ansichten prägten. Besonders detailliert notierte er seine Vorstellungen von einem guten (männlichen) Leben an seinem 21. Geburtstag, also am Tag seiner Volljährigkeit: »Heute habe ich also jenen Tag erreicht, welcher die gesetzliche Scheidewand zwischen dem Kinder- und Mannesalter bildet, jene Tage, an welchen sich manche Rechte knüpfen, die dem Kinde versagt waren. Aber wie sehr erweitern diese erworbenen Rechte, die dadurch auferlegten Pflichten! Wie sehr muß es das Bemühen des jungen Mannes sein, sich dieser Rechte werth zu werden und wie sehr muß er sich bestreben durch sein Benehmen den Rang auszufüllen, der ihm nun angewiesen ist. Die Grundsätze, die er schon früher gefasst, muß er sich immer tiefer ins Gedächtnis zwingen. Sein Charakter sei fest und unerschütterlich; er sei consequent in seiner Meinung bis er von seinem Unrecht überzeugt ist; er sei mäßig und besonnen, gleich fern von ­Leidenschaft, wie von zu großer Empfindsamkeit, gleichmüthig im Glück, so wie im Unglück; er fälle niemals ein Vorurtheil über Jemanden bis ihn Thatsachen in Stand setzen mit Ueberzeugung zu sprechen […]. Derselbe hüte sich vor Egoismus, welcher die Menschen entfernt und sie kalt macht […]. Er sei ferner wahr, auch im Scherze ziemt dem Manne die Unwahrheit nicht. Und wenn der Mann alle diese Tugenden ausübt, wird er dann nicht von seinen Mitbürgern geachtet sein und wer, frag ich, kann ihm dann die innere Zufriedenheit, das wahre Glück, das durch die Ueberzeugung stets recht gehandelt zu haben, gegründet ist […] rauben? Niemand!«21

In diesem Eintrag präsentiert sich Ludwig Andreas Jordan als ein junger Mann auf der Suche nach seinem Platz in der bürgerlichen Gesellschaft, der sich an 18 Lothar Gall hat in seiner detaillierten Studie über die Mannheimer Kaufmannsfamilie Bassermann anhand ihres Familienmottos »Sei dein eigner Herr und Knecht« eindrucksvoll die Apotheose einer selbständigen Lebensführung im Wirtschaftsbürgertum unterstrichen. Siehe Gall, Bürgertum in Deutschland, S. 96, 105 passim. 19 Tagebucheinträge Ludwig Andreas Jordans vom 15. und 16.6.1830, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 28. 20 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 28.6.1830, LaS, V153 (Bassermann-­ Jordan), Bd. 28. 21 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 24.2.1832, LaS, V153 (BassermannJordan), Bd. 29.

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den bürgerlichen Moralvorstellungen orientiert und sich an ihnen abarbeitet. Als Schlüsselbegriff erscheint die »Tugend«, die sich vor allem auf das Verhalten bezieht, auf Ehrlichkeit, Uneigennützigkeit, Zufriedenheit und das Maßhalten im Bereich der Gefühle, aber auch im Urteil über andere. Immer wieder taucht in Briefen und Tagebuchaufzeichnungen der Gedanke auf, dass man von seinen Mitbürgern geachtet wird, wenn man diesen Tugendkatalog einhält. Das war offensichtlich ein wichtiges Ziel für Ludwig Andreas Jordan; auf dieser Tugendhaftigkeit sollte die Anerkennung seiner Mitmenschen ruhen. »Tugend« bezeichnet hier nicht die klassischen bürgerlichen Tugenden wie Fleiß oder Sparsamkeit22, die in der Forschung aus der ökonomischen Haushaltsführung abgeleitet werden, sondern »Tugend« bezieht sich auf bestimmte Verhaltensweisen, die es dem Einzelnen ermöglichen sollen, ein gutes, zufriedenes Leben zu führen. Michael Maurer hat aus zahlreichen bürgerlichen (Auto-) Biographien aus der Zeit zwischen 1680 und 1815 für diese Verhaltensweise den Schlüsselbegriff der »Rechtschaffenheit«23 herauspräpariert. Ein rechtschaffener Mann wird für ihn zeitgenössisch definiert, als jemand, der niemals etwas Unrechtes getan hat. Etwas abgewandelt taucht diese Definition in Ludwig Andreas Jordans oben angeführter Selbstreflexion auch auf. Das Glück basiert aus seiner Sicht auf der Überzeugung, »stets recht gehandelt zu haben.« Maurer stellt weiter fest: »Rechtschaffenheit wird zu einem Kennwort für bürgerliche Verhaltensprägung, das Ehrlichkeit und Redlichkeit […] voraussetzt.«24 Dieser bürgerliche Schlüsselbegriff lässt sich auch bei den Jordans immer wieder finden. So ermahnte Josepha Jordan ihren Sohn Ludwig Andreas in einem Gratulationsbrief zum Namenstag im Mai 1830: »[I]ch hoffe zu Deinem Besten daß Du so fleißig wie bisher fordfahren[sic] wirst, Dir recht viele nützliche Kenntnisse zu erwerben, und immer auf dem Pfad der Tugend zu wandlen, um einst zu unserer Freude, und Deinem Glück, ein rechtschaffener und ­geachteter Mann zu werden; Du hast darin ein würdiges Vorbild an Deinem Vater, welchen Du nachzuahmen suchen wirst.«25

Einige Jahre später schrieb sie ihm: »Dein lieber Brief freude[sic] mich herzlich, indem sich Dein liebevolles Gemüth so ganz aussprach, Deinem Versichern vorsichtig zu sein glaube ich, indem ich immer alles Vertrauen auf meinen guten Sohn setzte, der weiß wie innig ich ihn liebe, und daß ich mein Glück nur in dem seinigen finde; mein Seegen[sic] wird Dich ü ­ berall hin 22 Zu diesen ökonomischen Tugenden siehe Münch (Hg.), Ordnung; Döcker, Ordnung der bürgerlichen Welt; Frey, Der reinliche Bürger. 23 Maurer, Biographie, S. 254. 24 Ebd., S. 254 f. 25 Josepha Jordan an ihren Sohn Ludwig Andreas Jordan, Deidesheim, 23.5.1830, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 568.

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Ludwig Andreas Jordans Weg ins Bürgertum Ludwig Andreas Jordans Weg ins Bürgertum 

begleiden[sic], und täglich werde ich Gott um die Erhaldung[sic] Deiner Ge­sundheit und daß Du jetzt auf dem Pfad der Rechtschaffenheit und Tugend vor­schreiten ­möchtest, anflehen, und er wird das Gebeth[sic] einer Mutter erhören.«26

Man sieht an diesem Zitat, wie eng Tugend und Rechtschaffenheit miteinander verknüpft sind. Die Entscheidung, den Sohn nach Mannheim zu schicken, erscheint aus Sicht der Eltern somit auch als eine Art »Test«, ob er den zahlreichen Versuchungen des Lebens widerstehen kann. Seine Eltern wollten prüfen, ob seine Tugendhaftigkeit schon gefestigt war. Ludwig Andreas Jordan bemühte sich, besonders diesen Aspekt in den Briefen an seine Eltern immer wieder zu unterstreichen. Als sich sein Aufenthalt in Mannheim dem Ende entgegenneigte und fraglich war, welche Station als nächstes folgen sollte, schrieb er zum Beispiel an seinen Vater: »Hieraus kannst Du schließen wie weit ich ungefähr bin und hiernach wirst Du Deinen Entschluß fassen. Daß mir ein jeder recht sein wird, brauche ich Dich nicht zu versichern; ich mache täglich mehr die Erfahrung, wie weise Dein Erziehungsplan war und wie sehr ich es meinen guten Eltern zu danken habe, daß ich den Pfad der Rechtschaffenheit, glaube ich mir sagen zu dürfen, nicht verlassen habe.«27

In Mannheim führte er nicht nur seine Ausbildung weiter, sondern erwarb sich auch eine umfassende kulturelle Bildung. So besuchte er mehrmals in der Woche das Mannheimer Nationaltheater, das Kurfürst Karl Theodor 1777 gegründet hatte. Es stand zwar mittlerweile finanziell auf wackeligen Füßen und hatte auch künstlerisch etwas gelitten. Das Theater hatte aber weiterhin einen über die Stadt hinausreichenden guten Ruf. In Mannheim selbst wurde es verehrt, wo man vor allem die hohe Qualität der Opernaufführungen schätzte. Das zeigt sich auch an den Besucherzahlen. Das Theater bot 1450 Plätze und war fast immer ausverkauft.28 Ludwig Andreas Jordan goutierte dort vor allem das Musiktheater, also die Opernaufführungen.29 Er sah zum Beispiel Wolfgang Amadeus Mozarts Opern »Zauberflöte«, »Don Giovanni«, »Titus« und »Die Hochzeit des Figaro« oder Gioachino Rossinis »Tancred«, »Wilhelm Tell« und den »Barbier von Sevilla«. Besonders häufig sah er die Opern des französischen Komponisten Daniel 26 Josepha Jordan an ihren Sohn Ludwig Andreas Jordan, o. O. o. D. [vermutlich 1833], LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 568. 27 Ludwig Andreas Jordan an Andreas Jordan, Mannheim, 6.5.1831, Briefsammlung Hauck, Briefe 1829–1837. 28 Zur Entwicklung des Mannheimer Nationaltheaters in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts siehe Hirsch, In »kargen Zeiten«?, S.  87–90, und Hein, Bürgerlicher Aufbruch, S. 207–212. 29 Hierzu und zu dem Folgenden siehe Ludwig Andreas Jordans Tagebucheinträge aus den Jahren 1830 bis 1831, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bde. 29 und 30.

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François-Esprit Auber, wie »Maurer und Schlosser« oder »Fra Diavolo«.30 Allein vier Mal sah er dessen eher politische Oper »Die Stumme von Portici«31, die zu besonderer Berühmtheit gelangt war, weil ihre Aufführung am 25. August 1830 in Brüssel einen großen Tumult im Publikum ausgelöst hatte. Ihre patriotischen Appelle waren auf eine starke Resonanz in den damals südlichen Niederlanden gestoßen, wo große Unzufriedenheit mit der niederländischen Regierung herrschte. Die Unruhen breiteten sich zu einer großen Aufstandsbewegung aus, sodass die Oper am Beginn der belgischen Revolution und der Unabhängigkeit Belgiens von den Niederlanden steht, die bereits wenige Wochen später, am 4.  Oktober 1830, ausgerufen wurde.32 Ludwig Andreas Jordans Schwester­ Josephine konnte sogar einige Stücke aus dieser sehr populären Oper auf dem Klavier spielen.33 Der Winzersohn sah aber auch dezidiert als »deutsche Opern« wahrgenommene Werke wie Carl Maria von Webers »Freischütz«.34 Im Sprechtheater wohnte er unter anderem den Aufführungen von Gotthold Ephraim Lessings »Emilia Galotti«, William Shakespeares »Hamlet«, Friedrich Schillers »Maria Stuart«, aber auch seichter Kost zum Beispiel von August von Kotzebue35 bei. Daneben besuchte er Konzerte, unter anderem des berühmten Geigers Niccòlo Paganini.36 Der Aufenthalt in Mannheim diente somit nicht nur der praktischen Aus­ bildung, wie sie zur Führung des Weinguts notwendig war, sondern Ludwig Andreas Jordan nutzte die Zeit auch, um sich kulturell zu bilden und seinen Geschmack zu verfeinern. So erwarb er sich bestimmte Kulturtechniken, wie das stundenlange konzentrierte Schauen von Theater und Oper sowie ein kulturelles Wissen, das es ihm erlaubte, an der bürgerlichen Konversation teilzunehmen, sich somit in diese Schicht zu integrieren. Er erwarb, um mit Pierre

30 Zu Auber siehe Herbert Schneider, François-Daniel-Esprit Auber, in: Ludwig Finscher (Hg.): Die Musik in Geschichte und Gegenwart, 2.  neubearbeitete Ausgabe, Personenteil, Bd. 1, Kassel u. a. 1999, Sp. 1130–1142. 31 Zum Inhalt und der zeitgenössischen Rezeption dieser pompösen Oper, einer tragischen Liebesgeschichte angesiedelt im Unabhängigkeitskampf Neapels gegen die Spanier, siehe Wagner, Theater, S. 378 f. und den Eintrag: »La Muette de Portici«, in: Elisabeth Schmierer (Hg.), Lexikon der Oper, Bd. 1, S. 216–219. Damit schuf Auber den Typus der französischen Grand Opéra. Diese zeichnete sich in ihrer Frühphase durch die Verknüpfung eines individuellen Schicksals »mit einer sozialen und politischen Handlungsebene« aus. Siehe Ther, Mitte der Gesellschaft, S. 57 f. 32 Brandt, Europa 1815–1850, S. 153. 33 Ludwig Andreas Jordan an Josephine Jordan, Deidesheim, 1.10.1832, BaK, N1754 (Buhl), Bd. 177. 34 Zu der Einführung sogenannter Nationalopern siehe Ther, Oper; zu Carl Maria von Weber und dessen »Freischütz« siehe ebd., S. 91–93. 35 Zur Popularität Kotzebues im Vormärz siehe Möller, Kunst, S. 28. 36 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 28.11.1830, LaS, V153 (BassermannJordan), Bd. 29.

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Ludwig Andreas Jordans Weg ins Bürgertum Ludwig Andreas Jordans Weg ins Bürgertum 

Bourdieu zu sprechen, »kulturelles Kapital«37. Das zeigt sich auch an seinen Eintragungen im Tagebuch. Er versuchte, sich zu den Stücken, die er sah, eine eigene Meinung zu bilden, seinen eigenen Geschmack zu finden, charakterisierte die Hauptdarsteller, verwarf einzelne Stücke als unbefriedigend oder hob beeindruckende Aufführungen hervor. Interessant sind seine moralischen Beurteilungen der Stücke. So tat er Mozarts »Hochzeit des Figaro«, in der es um diverse Liebschaften und Tändeleien am Hof eines spanischen Grafen geht, als »widerwärtiges Sujet« ab, die Musik sei herrlich.38 Zu Aubers »Fra Diavolo« notierte er, dass es wegen seines zweideuti­gen Themas nur mäßigen Beifall gefunden habe, und auch hier geht es um Liebe, Eifersüchteleien und Verwechslungen, die dieses Mal nicht von einem wolllüstigen Grafen, sondern von dem italienischen Räuberhauptmann Fra Diavolo ausgelöst werden, der zum Beispiel in einer berühmten Szene aus einem Versteck heraus die Gastwirtstochter Zerline beim Entkleiden in ihrem Schlafzimmer beobachtet.39 Offensichtlich verstießen diese zum Teil etwas burlesken Stücke gegen Ludwig Andreas Jordans moralische Vorstellungen. Die Oper sollte also nicht nur der Unterhaltung und der Geschmacksbildung dienen, sondern auch den Charakter der Zuschauer verbessern.40 Ludwig Andreas Jordan zeigt mit seinem vielfältigen Kunstkonsum auch exemplarisch, wie stark Mannheim als kultureller Bezugspunkt für die Vorderpfalz fungierte. Die gesamte Familie reiste immer wieder an, um gemeinsam mit ihm die kulturellen Angebote Mannheims zu genießen. Manchmal fuhr man auch mit Bekannten oder traf sich mit ihnen in Mannheim, wie zum Beispiel mit den Angehörigen der Deidesheimer Weingutsbesitzerfamilien Giessen oder Siben, dem Deidesheimer Lehrer Schandein, dem Arzt Dr. Poth41 oder den Verwandten aus der Forster Winzerfamilie Reichardt. Die größte Attraktion für die nach Mannheim orientierten Vorderpfälzer war dabei das Mannheimer National-Theater. Nach dem Theaterbesuch speisten die Jordans mit ihren 37 Unter »Kapital« versteht Bourdieu alle sozialen »Handlungsressourcen«, die notwendig sind, um in einem sozialen Feld erfolgreich zu sein. Er unterscheidet dabei zwischen ökonomischem, sozialem, kulturellem und symbolischem Kapital. Kulturelles Kapital wird in diesem Kontext verstanden als »Informationskapital«, z. B. als Wissen über Kunstgegenstände, Musik, Bücher etc. Siehe Rehbein, Soziologie Pierre Bourdieus, S. 110–113. 38 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 15.5.1831, LaS, V153 (Bassermann-­ Jordan), Bd. 29. Die Oper basierte auf einem Skandalstück aus dem 18. Jahrhundert, dessen Aufführung in diversen Theatern bereits verboten worden war. Zu dieser Oper siehe den Eintrag »Le Nozze di Figaro«, in: Schmierer (Hg.), Lexikon der Oper, Bd. 2, S. 257–261. 39 Siehe den Eintrag »Fra Diavolo ou l’Hôtellerie de Terracine«, in: Schmierer (Hg.), Lexikon der Oper, Bd. 1, S. 216–219. 40 Zu dieser Übertragung der Erwartungen, die die Aufklärungsliteratur an das Theater geknüpft hatte, auf die Oper siehe Ther, Mitte der Gesellschaft, S. 44 f. 41 Zu Poth siehe unter anderem seine staatliche Erlaubnis, in Deidesheim zu praktizieren: Intelligenz-Blatt des Rheinkreises Nr. 273 vom 15.11.1825, S. 1210.

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Bekannten regelmäßig gemeinsam im »Pfälzer Hof«, einem der besten Restaurants und Hotels am Platze. Man ging jedoch nicht nur ins Theater, sondern vergnügte sich auch gemeinsam bei Tanzveranstaltungen im exklusiven »Mühlauschlösschen« oder reiste zu Mannheimer Feierlichkeiten mit Konzerten, Paraden und Feuerwerk an. Dabei nahm man das großherzoglich-badische Mannheim kulturell immer noch als zur Pfalz gehörig war. Die Grenze des Pfalzkreises schnitt diesen in kultureller Hinsicht nicht von Baden ab. Mannheim war und blieb vor und nach 1815 ganz selbstverständlich der kulturelle Mittelpunkt der Vorderpfalz. Diesen Aspekt hat die Pfalzforschung verdrängt, die sich immer nur auf die politisch-geographischen Grenzen des Rhein- bzw. Pfalzkreises bezieht und dabei übersieht, dass je nach Themenfeld völlig unterschiedliche Wahrnehmungen der »Pfalz« existierten. Die kulturelle »mental map« der »Pfalz« reichte für die Vorderpfälzer bis nach Baden, in die ehemals kurpfälzischen Städte Mannheim oder Heidelberg hinein.42 Auf diese Weise wird auch deutlich, dass man sich das ländliche Bürgertum nicht abgeschlossen zu denken hat. Es blieb nicht auf die Kleinstädte und Dörfer beschränkt, sondern erweiterte seine Sicht und das nicht nur durch Lektüre oder Kommunikation in einem regionalen und überregionalen Netzwerk, sondern indem es sich auf größere Städte hin orientierte und vor allem durch kulturellen Konsum am geselligen Leben der Stadt teilhatte. Das ländliche Bürgertum versuchte sich so auch in einen größeren gesellschaftlichen Zusammenhang zu integrieren, denn es blieb nicht unter sich. Man knüpfte Kontakte zum Mannheimer Bildungs- und Wirtschaftsbürgertum, das natürlich im Theater, im »Pfälzer Hof« oder auf den Bällen anzutreffen war. Ludwig Andreas Jordan hatte sich dabei durch seinen längeren Aufenthalt in Mannheim eine besondere Position erworben. Über seinen Vermieter Schüßler43 wurde er in Mannheimer Familien eingeführt wie zum Beispiel in die Künstler- und Kunsthändlerfamilie Artaria.44 Die Erfahrungen in Mannheim prägten auch Ludwig Andreas Jordans Selbstwahrnehmung. In Deidesheim gehörte er selbstverständlich zur Oberschicht, zur »Noblesse«45 oder »vornehme[n] Welt«46, wie er in sein Tagebuch schrieb. 42 Zum Konzept der »mental map« siehe unter anderem Rau, Räume, S. 180–182; Dipper/ Raphael, »Raum« in der Europäischen Geschichte, S. 36–39; Schenk/Winkler, Einleitung. 43 Hierbei könnte es sich um den Oberhofgerichtsexpeditor Johann Adam Schüßler handeln. Zu Schüßler siehe Rings, 1860–1870, S. 401. 44 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 10.4.1831, LaS, V153 (Bassermann-­ Jordan), Bd. 29. 45 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 22.5.1831, LaS, V153 (Bassermann-­ Jordan), Bd. 29. 46 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 10.6.1831, LaS, V153 (Bassermann-­ Jordan), Bd. 29.

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Ludwig Andreas Jordans Weg ins Bürgertum Ludwig Andreas Jordans Weg ins Bürgertum 

Diese unternahm gemeinsam Waldpartien, veranstaltete Bälle und traf sich zu Diners.47 In Mannheim wurde diese Selbstverständlichkeit in Frage gestellt. Als er Ende April 1831 einen Ball in Mannheim besuchte, empfand er sich als fremd.48 Er beschrieb sich als »schlichte[n] Landjunker«, der in eine »schöne Gesellschaft versetzt« sei. Er wagte es sogar, ein Fräulein von Beilwitz zum Tanz aufzufordern. Wie er seiner Schwester schrieb, sei es ihm aber nicht gelungen, mit seinen Plaudereien über Konzerte und Theateraufführungen ein Gespräch in Gang zu bringen. Am 14. November 1831 besuchte er mit Georg Siben, dessen Familie in Deidesheim auch ein ansehnliches Weingut besaß, einen Ball in Mannheim. Der Ballsaal war so üppig ausgestaltet und dekoriert, dass er großen Eindruck auf Ludwig Andreas Jordan machte. In seinem Tagebucheintrag charakterisierte er sich als »an bäuerliche Einfachheit gewohnte[n] […] Landbewohner«, der »aus seiner Stellung gerückt«49 sei. Er war erleichtert, als er den Ball verlassen konnte und wieder unter freiem Himmel stand. Mannheim wirkte somit für die wohlhabenden Winzer der Vorderpfalz auch herausfordernd. Das gewohnte Kleinstadtleben geriet durch den Besuch im geistig-kulturellen Zentrum Mannheim ins Wanken. Die eigenen Koordinaten verschoben sich. Gehörte man in Deidesheim selbstverständlich zur Oberschicht, wurde diese Sicht in Mannheim allein schon durch die Anwesenheit des Adels herausgefordert. Bei Ludwig Andreas Jordan kam noch seine Unerfahrenheit hinzu. Es reichte eben nicht aus, kulturelles Kapital durch Bildung zu erwerben, sondern ihm fehlte noch die Selbstverständlichkeit der Umgangsformen, das selbstbewusste Auftreten durch regelmäßigen Umgang mit dem Großbürgertum und dem Adel der größeren Städte. So stieß er in Mannheim immer wieder an seine Grenzen. In dieser Zeit reifte auch Ludwig Andreas Jordans Freundschaft mit seinem Cousin Franz Peter Buhl. Bei den Aufenthalten der Buhls in Forst war Franz Peter Buhl immer mit dabei und verband seinen Besuch in der Pfalz auch regelmäßig mit einem Besuch Ludwig Andreas Jordans in Mannheim. Dort gingen beide gemeinsam in Opernaufführungen und Konzerte. Die Buhls wurden noch enger an die Pfalz gebunden, als Peter Heinrich Jordan am 31.  Dezember 1830 starb. Er setzte seinen Neffen Franz Peter und seine Nichte Seraphine Buhl als Alleinerben ein, sodass Franz Peter Buhl jetzt häufig in Forst weilte, um die Geschäfte des Weinguts zu führen, das nicht ganz so umfangreich wie das seines Onkels Andreas Jordan war. Dieser war erbost über die durch diese 47 Tagebucheinträge Ludwig Andreas Jordans vom 17.6.1829 und vom 1.11.1829 LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 28; Tagebucheintrag vom 22.5.1831, LaS, V153 (BassermannJordan), Bd. 29. 48 Ludwig Andreas Jordan an Josephine Jordan, Mannheim, 28.4.1831, BaK, N1754 (Buhl), Bd. 177. Daraus auch die folgenden Zitate. 49 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 14.11.1831, LaS, V153 (BassermannJordan), Bd. 29.

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Erbschaft erlittene »Zurücksetzung und Rücksichtslosigkeit«50 gegenüber seiner eigenen Familie. Die beiden Cousins Franz Peter Buhl und Ludwig Andreas Jordan trafen sich jetzt entweder in Deidesheim bzw. Forst oder waren in Mannheim unterwegs. Als Ludwig Andreas Jordan am 2. Mai 1831 bei Franz Peter Buhl in Forst übernachtete, unterhielten sich die beiden bis 4 Uhr morgens im Bett: »Luftschlösser wurden vielleicht gebaut, heiße Freundschaftsversicherungen gegeben. […] [M]ögen letztere wenigstens immer wahr bleiben,« schrieb Ludwig Andreas­ Jordan hoffnungsvoll in sein Tagebuch.51 Die Briefe, die sich beide schrieben, zeigen eine Freundschaft, die ganz von Romantik und Empfindsamkeit geprägt war. Sie schilderten sich ihre nächtlichen Träume, ihre Gefühle und Wünsche und beschworen eine ewige Freundschaft, die durch nichts gefährdet werden sollte. Liest man die Briefe der beiden mit unseren Augen, stellt man fest, dass sich der kulturelle Umgang mit Gefühlen seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts deutlich geändert hat. In dieser Zeit galt ein anderes »emotionales Regime«52: Gefühle wurden anders empfunden und ausgedrückt als heute. Aus unserer Sicht wirken die Briefe der beiden Cousins wie Überreste einer homoerotischen Beziehung. In den 1830er Jahren stellen sie jedoch einen Ausläufer einer überhöhten Form der Freundschaft dar, die sich ab etwa der Mitte des 18. Jahrhunderts herausgebildet hatte.53 Waren die Beziehungen zuvor vor allem über die sozialen Verhältnisse geprägt, versuchte man nun, die vorgegeben Beziehungen durch selbstgewählte Freundschaften zu ersetzen. Diese Freundschaften galten als äußerst kostbar, man musste sie sein Leben lang erhalten und pflegen, und man versicherte sich immer wieder einer ewigen Freundschaft. Sie waren auch nicht auf gleichgeschlechtliche Freundschaften beschränkt, sondern konnten auch Freundschaften zwischen Männern und Frauen umfassen.54 Das zeigt sich auch bei Ludwig Andreas Jordan, der nicht nur eine enge freundschaftliche Beziehung zu Franz Peter Buhl pflegte, sondern auch zu seiner Schwester Josephine.

50 Andreas Jordan an seine Frau Josepha Jordan, München, 1.5.1831, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd.  276. Peter Heinrich Jordan hatte seinem Bruder nur seinen Anteil am Ketschauer Hof vermacht. Siehe den Tagebucheintrag Josephine Jordans vom 3.1.1831, BaK, N1754 (Buhl), Bd. 274. 51 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 2.5.1831, LaS, V153 (Bassermann-­ Jordan), Bd. 29. 52 William Reddy definiert das »emotionale Regime« als »set of normative emotions and the official rituals, practices, and emotives that express and incalculate them«. Siehe Reddy, Navigation, S. 129. 53 Maurer, Biographie, S.  306. Zur stark emotionalisierten männlichen Freundschaft siehe auch Hoffmann, Freundschaft, insbesondere S. 83 f. 54 Auf diese Tatsache hat völlig zurecht Anne-Charlott Trepp hingewiesen. Siehe dies., Männlichkeit, S. 221.

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Ludwig Andreas Jordans Weg ins Bürgertum Ludwig Andreas Jordans Weg ins Bürgertum 

Der Zusammenhang von Empfindsamkeit und Freundschaft wird in Jordans Briefen sehr deutlich. So schrieb er am 4. Dezember 1833 an seinen Freund Franz Peter Buhl: »Wie war dein Traum in der jüngst vergangenen Nacht? Haben liebliche Gestalten, unter denen Dich hauptsächlich eine Lichtgestalt in weißem Gewande anzog, die gleiches Gefühl für Dich beseelte und mit der Du im höchsten Entzücken die Geistes-­Hochzeit feiertest, Deine Phantasie umgaukelt? Hat sich Dir die Zukunft gleich einem irdischen Elysium aufgeschlossen, in dem die Liebe, das erhabenste Etwas, das ich mir denken kann, das Zepter führt, Alles durch ihren beseeligenden Hauch, mit Wonne, mit dem reinsten Glücke erfüllend? Oder war Dein Traum düster und schwarz, hat er einen dichten Schleier über die Zukunft, der jedoch nur Unglück ahnen lässt, gezogen? Oder war er farblos, was das Schlimmste ist? Denn wenn selbst das Düstre uns nicht mehr reizt, wenn wir jeder Empfindung abgestorben sind, dann sind wir am unglücklichsten. Wir sind für die Welt verloren, das selbstthätige Wirken erstarrt in dem Eise der innern Gefühllosigkeit, wir sterben lebend!– Ich möchte wissen, ob es nicht gut wäre, wenn wir manchmal den Gefühlen folgten, die sich öfters in Träumen kund geben. Die Seelenthätigkeit ist dann doch am wenigsten durch äußere Eindrücke gestört, und deshalb, mein’ ich, müßten sich auch die Gefühle am reinsten und wahrsten aussprechen.«55

Zwei Tage später schließt er einen weiteren Brief an seinen Freund mit den folgenden Worten: »Ich umarme Dich mit herzinniger Wonne, schließe Dich warm an mein Herz, sage Dir, daß ich Dich besuchen werde, wie mich das Herz drängt und bleibe, so Gott will, ewig Dein treuer Freund.«56 Hier zeigt sich, dass es in diesen Briefen nicht um konkrete Ereignisse geht, sondern um das Äußern von Gefühlen. Gefühllosigkeit gilt als Tod. Das Herz ist das Organ, mit dem die Gefühle verbunden sind und taucht deshalb als Metapher immer wieder auf.57 Träume sind in diesem Kontext zentral, denn aus der Sicht der Zeit äußern sich die Gefühle in ihnen ungefiltert. Man erkennt hier eine enge Verbindung zur Romantik, in der Traumsequenzen eine große Rolle spielen. Stark aufgeladene Begriffe wie »Elysium«, das irdische Paradies aus der griechischen Mythologie, werden häufig aufgegriffen und erinnern an Schillers Ode an die Freude oder an den Sprachgebrauch Her­ders.58 Schiller selbst 55 Ludwig Andreas Jordan an Franz Peter Buhl, Deidesheim, 4.12.1833, BaK, N1754 (Buhl), Bd. 2. 56 Ludwig Andreas Jordan an Franz Peter Buhl, Deidesheim, 6.12.1833, BaK, N1754 (Buhl), Bd. 2. 57 Der US-amerikanische Historiker Peter Gay hat die Bedeutung des Herzens, der Gefühle und der Innerlichkeit in seiner Psychoanalyse des europäischen Bürgertums im 19.  Jahrhundert an Tagebucheinträgen und Briefwechseln eindrucksvoll herausgearbeitet. Siehe Gay, Macht des Herzens, insbesondere S. 110–128. 58 Caroline Flachsland an Johann Gottfried Herder, 16.  September 1771, in: Herder, Briefwechsel, Bd. 1, S. 203, zitiert nach Pikulik, Leistungsethik, S. 248. Zur weiteren Mode des

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hat diesen für die damalige Poetik zentralen Begriff erläutert. Das »Elysium« steht für die Hoffnung auf zukünftiges Glück, im Gegensatz zu Arkadien, das auf ein früheres Glück verweist.59 So auch der Gebrauch bei Jordan: Die Hoffnung auf das Elysium der Liebe! Eine ähnliche Wortwahl wie in den Briefen an seinen Freund findet sich auch in den Briefen an seine Schwester. So beginnt er einen Brief vom 2. Juli 1834: »Ein Brief von Dir, liebe Josephine, bereitet mir immer ein Fest, das ich wohl das schönste nennen kann, dessen ich mich in meiner Einsamkeit zu erfreuen habe. Da entdecke ich in jeder Zeile den Ausdruck Deiner innigen Zuneigung zu mir, jedes Wort macht mir die Gewißheit Deiner Liebe noch gewisser und ganz empfinde ich die Wonne, welche mir die schönste und beseligendste Ueberzeugung gewährt, von einer so zärtlich geliebten Schwester wieder geliebt zu werden.«60

Dadurch ergibt sich ein auffälliger Kontrast: In seiner Ausbildung in Deides­heim und in Mannheim lernte Ludwig Andreas Jordan vor allem naturwissenschaftliche und praktische Fächer und wuchs in den einer rationellen Landwirtschaft verpflichteten Weinbetrieb seiner Eltern hinein. In seinen poetisch-privaten Briefen gibt er jedoch den Gefühlen, Träumen und Sehnsüchten nach. Hier ist der Einfluss seiner Lektüre, seiner Opern- und Theaterbesuche zu spüren. Dramen wie Lessings »Emilia Galotti« oder Goethes Briefroman »Die Leiden des jungen Werther«, die Jordan konsumierte, blieben nicht ohne Wirkung auf den jungen Mann. Anne-Charlott Trepp hat für das Hamburger Bürgertum um 1800 eine »Gemengelage von aufklärerisch-rationalen und empfindsam-romantischen Elementen«61 ausgemacht – eine Charakterisierung, die man ohne weiteres auf Ludwig Andreas Jordan und seinen Freundeskreis übertragen kann. Sie lässt sich aber ausdifferenzieren, denn die empfindsam-romantischen Elemente sind stärker im Umgang mit den Freunden und gleichaltrigen Familienmitgliedern zu finden, während die rationalen, nüchternen Aspekte dem Bereich der Wirtschaft, aber zum Beispiel auch der Kommunikation mit seinem Vater zugeordnet werden können. Diese Trennung von rationaler Ausbildung und Empfindsamkeit im Privat­ leben, im Verhältnis zu seinem Cousin oder seiner Schwester zeigt, dass die Empfindsamkeit, die bei ihrem Aufkommen Ende des 18. Jahrhunderts noch eine existentielle Herausforderung gewesen war, welche die gesamte Lebensweise be-

Wortes in der Empfindsamkeit und Romantik siehe den Eintrag »Elysium«, in: Hans Schulz/ Otto Basler (Hg.), Deutsches Fremdwörterbuch, Bd. 5, 2. völlig neu bearbeitete Aufl., Berlin 2004, S. 93 f. 59 Meyer-Sickendieck, Affektpoetik, S. 338 f. 60 Ludwig Andreas Jordan an Josephine Jordan, Deidesheim, 2.7.1834, BaK, N1754 (Buhl), Bd. 177. 61 Trepp, Männlichkeit, S. 104.

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traf, jetzt eher zu einer Art »Stil«, einer »Mode«62 geworden war. Das lässt sich auch daran ablesen, dass Ludwig Andreas Jordan aus einem katholischen Hause stammte. Der empfindsame Stil war, beeinflusst durch den nach innen gerichteten Blick des Pietismus, eher protestantisch geprägt, war aber auch, wie das Beispiel der Jordans zeigt, in katholische Kreise durchgesickert. Es war jetzt in bürgerlichen Kreisen üblich und der Zeit gemäß, sich auf diese Weise zu äußern. Der Gefühlskult wurde aber nicht mehr radikalisiert, wie in der Romantik; er führte nicht zu einem »Rückzug aus der Außen- und Arbeitswelt«63, sondern er wurde in die bürgerliche Lebensweise integriert.64 Das geschah eben dadurch, dass man die Gefühle dem privaten Bereich, vor allem dem Bereich der Freundschaften zuschrieb. In diesem Bereich durfte man Gefühle ungehemmt äußern, ist regelrecht dazu angehalten, sein Innerstes dem Freund zu offenbaren. Das tangiert allerdings nicht mehr den bürgerlichen Lebensplan, denn Ludwig Andreas J­ ordan plante zu keiner Zeit auf der Basis von Gefühlen oder dem, was das Herz ihm sagt, einen Ausbruch aus der vorgezeichneten Bahn als Gutsbesitzer und Winzer. Das wird auch deutlich in seinen Äußerungen über den »jungen Giessen«. Dieser ungefähr gleichaltrige Deidesheimer Kamerad von Ludwig Andreas­ Jordan hielt sich zur selben Zeit wie er in Mannheim auf, war dort jedoch nicht fleißig, sondern frönte dem Müßiggang, erlag also aus bürgerlicher Sicht den Versuchungen der Stadt. Als der Vater den jungen Mann aufforderte, nach Deidesheim zurückzukehren, drohte er damit, nach Polen oder Paris weiterzuziehen. Ludwig Andreas Jordan schrieb daraufhin an seinen Vater, dass er ihn verloren gebe. Daran sei seine falsche Erziehung schuld. Er werde sicher kein »nützliches Mitglied der Gesellschaft«65 mehr werden. Hier offenbart sich das Ziel der bürgerlichen Ausbildung und des Strebens von Ludwig Andreas J­ ordan: Er wollte sich als nützlich für die Gesellschaft erweisen. Auch damit reiht sich Ludwig Andreas Jordan quasi prototypisch in die bürgerlichen Moralvorstellungen ein. Pikulik sieht die Nützlichkeit »als Dreh- und Angelpunkt des gesamten bürgerlichen Wertesystems«66. Den Bürger interessiere nicht das Ding oder die Person an sich, sondern nur wozu es beziehungsweise sie da sei. Der Blick richte sich daher immer auf ein »übergeordnetes Ganzes, Allgemeines. Die Funktionen jedes einzelnen sind Familienfunktionen, häusliche Funktionen, im weiteren Sinne gesellschaftliche Funktionen. 62 Pikulik, Leistungsethik, S. 306. Pikulik schildert in seinem Werk sehr überzeugend aus literaturwissenschaftlich-sozialgeschichtlicher Sicht die ursprüngliche Widersprüchlichkeit zwischen den Zeitströmungen der »Empfindsamkeit« bzw. der »Romantik« und den bürgerlichen Wertvorstellungen. 63 Ebd., S. 242. 64 Ebd., S. 308. 65 Ludwig Andreas Jordan an Andreas Jordan, Mannheim, 6.5.1831, Briefsammlung Hauck, Briefe 1829–1837. 66 Pikulik, Leistungsethik, S. 155.

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Sein Wert liegt also in seiner Gemeinnützigkeit, und er realisiert diesen Wert, wenn er sich gemeinnützig verhält. Das ist der Hauptzweck, zu dem sich alle Einzelzwecke vereinigen sollen, die Haupttugend, die alle Einzeltugenden überwölbt.«67

3.2 Rite de passage: Die Reise mit Franz Peter Buhl nach England im Sommer 1833 Ludwig Andreas Jordans Ausbildung in Deidesheim und Mannheim war aus der Sicht Andreas Jordans im Herbst 1831 beendet.68 Der Sohn kehrte darauf­hin nach Deidesheim zurück, um vor allem seine Mutter bei der Weinlese und dem Weinverkauf zu unterstützen, da Andreas Jordan als Abgeordneter zur bayerischen Kammer der Abgeordneten für mehrere Monate in München weilte. Als dann Franz Peter Buhl, der über seine Familie sowohl in der Weinwirtschaft als auch in der sich entwickelnden Industrie sozialisiert war, 1833 eine etwas längere Englandreise plante, bat Ludwig Andreas Jordan seinen Vater, mitreisen zu dürfen.69 Dieser akzeptierte den Wunsch seines Sohnes, sodass die beiden, nachdem die Reise mehrmals verschoben werden musste, im Sommer 1833 für zwei Monate nach England gingen. London sollte das Hauptziel der Reise sein. Die Reise diente einem doppelten Zweck: Sie war einerseits eine klassische Bildungsreise. Die beiden jungen Männer sollten die verschiedenen Städte auf ihrer Reise kennenlernen und die dortigen Kulturstätten, wie Opern, Theater und Museen besuchen. Auf diese Weise sollten sie ihre bürgerliche Bildung vertiefen und ihren Geschmack weiter verfeinern. Durch ihre vielfältigen Erfahrungen würden sie auch die Eigenarten der Menschen besser einschätzen können und dadurch ihr menschliches Urteilsvermögen schärfen. Andererseits war diese Reise auch eine Geschäftsreise. Jordan und Buhl sollten unterwegs Geschäftskontakte knüpfen und insbesondere ausloten, ob sich ein Export der Weine nach London lohnen würde. Hier findet sich auch, ähnlich wie bei Ludwig Andreas Jordans Ausbildung in Mannheim, eine Mischung aus Bürgerlichkeit, verstanden als kulturelle und charakterliche Bildung, und praktischen geschäftlichen Aufgaben. Auffällig ist, dass die beiden sich nicht im Bereich des Weinbaus weiterbilden sollten, sondern im Bereich der Industrie und des Handels, denn England war das klassische Reiseziel, wenn man sich 67 Ebd., S. 156. 68 Ludwig Andreas Jordan an Andreas Jordan in München, Mannheim, 22.8.1831; Ludwig Andreas Jordan an Andreas Jordan, Mannheim, 20.9.1831; beide in Briefsammlung Hauck, Briefe 1829–1837. 69 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans Anfang Mai 1833, LaS, V153 (BassermannJordan), Bd. 30.

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vor ­a llem über die neuesten ökonomischen und technischen Entwicklungen informieren wollte.70 Der Sinn dieser Reise war nicht untypisch für die Zeit. Das Bürgertum hatte sich im Laufe des 18. Jahrhunderts die adelige Kavalierstour zu eigen gemacht und sie zu bürgerlichen Zwecken umfunktioniert.71 Im Kern ging es den bürgerlichen Reisenden darum, sich zu bilden, die Sitten und den Charakter der anderen Völker kennenzulernen, die Engstirnigkeit der bisherigen Erfahrungswelt abzulegen, aber auch durch den Kontakt mit verschiedenen sozialen Schichten, die eigene Identität zu stärken. Das Ziel der adeligen Reise, den Nachweis einer Integration in die höfische Gesellschaft zu erbringen, taucht im Bürgertum in gewandelter Form wieder auf. Dabei konnte es nicht darum gehen, die Hof­ gesellschaft aufzusuchen, sondern jetzt war es entscheidend, sich in das Bürgertum zu integrieren. Man konnte mit einer solchen Reise, wenn sie in der Übergangsphase vom Jugendlichen zum Erwachsenen stand, zeigen, dass man reif war für ein selbständiges Agieren unter Seinesgleichen, den Kaufleuten, Industriellen oder Bildungsbürgern. Man konnte das Gelernte jetzt in der Praxis anwenden. Diese Bildungs- und Integrationsreisen konnten durchaus gepaart sein mit praktischen, geschäftlichen Zwecken. Durch den Einfluss von Pietismus und Empfindsamkeit wurde die Tendenz verstärkt, die Reisen zur Stärkung der »emotiven und moralischen Empfindungskompetenz«72 zu nutzen. Reisen diente somit »zur Bildung seines Herzens, seines Verstandes und seines Geschmacks«73. Der Reisende wurde daher angehalten, in seinem Reisetagebuch und seinen Briefen nicht nur die Gegenstände zu protokollieren, die er gesehen hatte, sondern vor allem die »Empfindungen und Gedanken, die sie in seiner Seele veranlaßt«74 haben, aufzuschreiben. Das Reisetagebuch wurde auf diese Weise zum »individuelle[n] Reflexionsmedium«75. Das zeigt sich auch deutlich bei Ludwig Andreas Jordan, der in seinem Reise­ journal versuchte, nicht nur die Gegenstände, die er sah, zu beschreiben, sondern den Eindruck dieser Gegenstände auf ihn zu schildern. Das Tagebuch der Reise war zudem dafür vorgesehen, den anderen Mitgliedern der Familie die Erlebnisse seiner Reise vor Augen zu führen. Es diente somit auch als Nachweis, 70 Grosser, Reisen, S.  165. Wolfgang Kaschuba kategorisiert verschiedene Modelle der bürgerlichen Reise: die Schweiz-Reise als Natur-Reise, die Italien-Reise als »Reise in die Kunstgeschichte« und die England- bzw. Paris-Reise als Reise nach vorn, »in die Zukunft der eigenen Gegenwart«. Siehe Kaschuba, Erkundung, S. 36 und 44. 71 Zum Zusammenhang und den Unterschieden zwischen adeligem und bürgerlichem Reisen siehe Grosser, Reisen, S. 135–176. 72 Ebd., S. 170. 73 Franz Posselt: Apodemik oder die Kunst zu reisen. Ein systematischer Versuch zum Gebrauch junger Reisenden aus den gebildeten Ständen überhaupt und angehender Gelehrten und Künstler insbesondere, Bd. 1, Leipzig 1795, S. 270, zitiert nach Grosser, Reisen, S. 170. 74 Posselt, Apodemik, Bd. 2, S. 387, zitiert nach Grosser, Reisen, S. 173. 75 Grosser, Reisen, S. 173.

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insbesondere für seine Eltern, dass er die bürgerliche Lebensweise verinnerlicht hatte, dass er sich in bürgerlichen Kreisen sicher bewegen konnte. Aus diesem Grund ist das Tagebuch eine spannende Quelle, die wenig darüber aussagt, was er realiter sah, aber viel darüber, wie er es sah und wie er die Erwartungen an ihn erfüllen wollte. Wir können hier auch nachvollziehen, mit welcher Brille er auf die Gegenstände, Landschaften etc. schaute und daran erkennen, welche Werte und politischen Ansichten er internalisiert hatte. Auf diesen Aspekt des Reiseberichts hat insbesondere Wolfgang Kaschuba unter Verweis auf ethnohistorische und kulturanthropologische Ansätze hingewiesen: »[D]ie kulturelle Wahrnehmung und Beschreibung fremder Kultur [dient, H. T.] als Möglichkeit zur Dechiffrierung der eigenen.«76 Typisch für die bürgerliche Bildungsreise war auch der Zeitpunkt der Reise von Jordan und Buhl, denn sie fand an der Schwelle von der jugendlichen Ausbildungsphase ins Erwachsenenleben statt. Unter Rückgriff auf die ethnologische Theorie der »rites de passage« hat Philipp Prein herausgearbeitet, dass in bürgerlichen Familien eine solche Reise häufig an biographischen Wendepunkten stand: am Ende der Ausbildung oder etwa als Hochzeitsreise.77 Sie diente damit dem Übergang in eine neue Phase des Lebens. Das war auch Ludwig Andreas Jordan bewusst, als er am Beginn der Reise in seinem Tagebuch notierte: »Ich erkenne, ich fühle die Wichtigkeit des Schrittes, sowie auch die große Verantwortung, die ich auf mich genommen habe. […] [M]an wird an den Vielgereißten[sic] Ansprüche machen, die an den bisher in ländlicher Zurückgezogenheit Lebenden nicht gemacht werden.«78

Einen Kontrast zu dieser Reflexion bietet die Tagebuchaufzeichnung seiner Schwester Josephine, welche die Abreise des »lebensfrohe[n], schaulustige[n], überselige[n] Ludwig«79 auf ihre Weise beschrieb. Sie trauerte ihrem Bruder, dem wenige Tage später noch ihr Freund Franz folgen sollte, nach und beschrieb ihre Rolle als entbehrungsreich. Sie werde sich jedoch damit aufrichten, dass es ihrem Bruder gut gehe und er sich seine Sehnsucht mit dieser Reise erfüllen könne. In einer langen aufschlussreichen Passage sprach sie sich selbst Mut zu und versuchte, genauso wie ihr Bruder, die Reise einzuordnen: »Die Zeit rückt unwiderruflich vorwärts und bringt uns endlich alle Ereignisse nah, die der Mensch so lange als möglich fern von sich hielt. Vorwärts ist das Losungswort unseres Lebens, ertrage, erfülle, was dieser strenge Ruf dir gebietet. Unser moralisches, geistiges und materielles Trachten strebt nach diesem Ziele, wir wollen besser, kenntnißvoller u. gewöhnlich auch reicher werden. 76 Kaschuba, Erkundung, S. 38. 77 Prein, Bürgerliches Reisen, S. 87. Dazu auch schon Kaschuba, Erkundung, S. 40. 78 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 13.7.1833, LaS, V153 (Bassermann-­ Jordan), Bd. 31. 79 Tagebucheintrag Josephine Jordans vom Juli 1833, BaK, N1754 (Buhl), Bd. 274.

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Ludwig Andreas Jordans Weg ins Bürgertum Ludwig Andreas Jordans Weg ins Bürgertum 

Alles in der Natur folgt dieser Stimme bis es verstirbt. Vorwärts sei mein Schritt zur guten That, vorwärts das Streben des Geistes u. Herzens, mutig vorwärts, wenn eine schwere Pflicht ruft, und das feige Herz rückwärts will, vorwärts zum Kampfe, zum Siege, zum Tode. Aufwärts das Auge, wenn Erdenjammer es zu Thränen erweicht, von Oben kommt der Segen und der Muth.«80

Wolfgang Kaschuba sieht die bürgerlichen Reisen des 19. Jahrhunderts auch als Schule des Sehens, denn die neuen Dinge und Bilder, die man sah, mussten beurteilt und eingeordnet werden. Dabei unterscheidet er vier Blicke, mit denen die in der Regel männlichen bürgerlichen Reisenden auf das Neue geschaut hätten: »[D]er historische Blick, der ökonomisch-bilanzierende Blick, der zivilisatorisch-technische Blick, der ethnographische Blick.«81 Im Folgenden soll daher auch geprüft werden, aus welchem Blickwinkel Jordan auf die Orte und Ereignisse der Reise schaute. Welche Sichtweisen auf die Welt hatte er internalisiert? Zunächst musste die Reise finanziell abgesichert werden.82 Dazu begaben sich Vater und Sohn Jordan am 7. Juli 1833 nach Mannheim, wo Andreas Jordan für seinen Sohn über das Bankhaus Ladenburg83 einen Kredit von 600 Pfund Sterling in London einrichtete. Von Mannheim aus reisten die beiden weiter mit dem Dampfschiff nach Mainz und von dort mit der Chaise über Wies­baden nach Frankfurt. In der ehemaligen freien Reichsstadt besuchten sie eine weitere Geschäftsbank Andreas Jordans, das Bankhaus Rothschild.84 Andreas J­ ordan gab Nassauer Obligationen zurück und erhielt einen zweiten Kreditbrief für London, dieses Mal über 500 Pfund Sterling. Später trafen die beiden den Frankfurter ­Senator Franz Dominicus Brentano, der ihnen ein Empfehlungsschreiben für das Handelshaus Mylius & Lemme in London aushändigte. In Frankfurt stieß auch Franz Peter Buhl dazu. Nach dem obligatorischen Besuch der Oper, diverser Kirchen, des Frankfurter Römer und der Vergnügungsstätten der Frankfurter Oberschicht, wie der neu eröffneten »Mainlust«, ging es am 13. Juli mit der Reise los. Ihre Fahrt führte sie zunächst wieder nach Mainz, wo sie am 14. Juli ein Dampfschiff nach Koblenz bestiegen. Auf dem Dampf 80 Ebd. Dieser Eintrag erinnert an Ernst Moritz Arndts 1818 verfasstes Gedicht »Vorwärts und Rückwärts«, in dem er das mutige Vorwärtsstreben der Soldaten im »Befreiungskrieg« dem feigen Rückwärtsstreben gegenüberstellt. Siehe Arndt, Gedichte, S. 57 f. 81 Kaschuba, Erkundung, S. 36. 82 Die Angaben zur Reise entstammen, soweit sie in den Fußnoten nicht besonders gekennzeichnet sind, dem Reisetagebuch von Ludwig Andreas Jordan, LaS, V153 (BassermannJordan), Bd. 31. 83 Die Geschichte des einflussreichen jüdischen Bankhauses Ladenburg ist bisher in der Forschung noch nicht untersucht worden, was sicherlich auch damit zu tun hat, dass es keine Archivalien über das Bankhaus oder die Familie Ladenburg gibt. Einige Hinweise zur Rolle der Ladenburgs in Mannheim finden sich in Hein, Bürgerlicher Aufbruch, S. 196, 201, 203, 215; Watzinger, Geschichte der Juden, S.  109–115 und Jacob, Ladenburg. Zur gesellschaftlichen Position der Juden in Mannheim siehe auch Bayer, Minderheit. 84 Zu den Rothschilds siehe Ferguson, Geschichte der Rothschilds, Bd. 1: 1798–1848.

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schiff trafen sie eine sehr angenehme Gesellschaft. Da dort Bürgertum und Adel ungeniert miteinander verkehrten, wurde das Dampfschiff für Ludwig Andreas Jordan zu einem idealisierten Staat: »[D]er Zufall führt hier eine Menge Menschen aus allen Weltgegenden zusammen, die sich nicht kennen, aber wie wenn die Natur in Alle das gleiche Bedürfnis der Annäherung gelegt hätte, nähern sie sich gerne einander, bieten selbst die Hand dazu und so verschwindet jeder Rang, jede Schranke der steifen Etiquette. Die Gesellschaft bildet einen demokratischen Freistaat, in dem alle einzelnen Glieder gleiche Rechte genießen und in dem Alles in schönster Harmonie lebt.«85

Auf dem Dampfschiff verkehrten keine Tagelöhner oder Angehörige der in Ludwig Andreas Jordans Terminologie so genannten »untern Classen«. Insofern sagt diese Charakterisierung einiges über sein Selbstverständnis aus, denn in seiner demokratischen Gesellschaft verkehrten eben nur Adelige und Bürger auf einer Ebene miteinander. In Koblenz besuchten Jordan und Buhl verschiedene Sehenswürdigkeiten. Vor allem die Festung Ehrenbreitstein hatte es ihnen angetan, von der sie die Aussicht auf die Mündung der Mosel in den Rhein genossen. Ludwig Andreas Jordan suchte in Koblenz auch die Geschäftspartner seines Vaters vom Weinhandelshaus Deinhard & Tesche auf.86 Am 15. Juli ging es mit dem Dampfschiff weiter nach Köln. Hier besuchten die beiden zahlreiche Bildungsstätten, wie zum Beispiel den Dom und diverse Museen. In seinem Tagebuch übte Ludwig Andreas Jordan sich in Kunstkritik, beschrieb die Gemälde, die er gesehen hatte und versuchte, ihre Qualität zu beurteilen. Der 17. und 18. Juli waren ganz den Weinhändlern gewidmet. Obwohl die beiden Freunde über zwanzig Weinhändler abklapperten, war der Erfolg bescheiden. Lediglich Franz Peter Buhl verkaufte drei Stückfass Wein. Ludwig Andreas Jordan, dessen Aufgabe auf der Reise ja auch geschäftlich war, rechtfertigte sich in einem Brief an seine Tante Nanette von Szent-Ivanyi, deren Deidesheimer Weine er auch verkaufen sollte, für seinen Misserfolg.87 Er schrieb die Zurückhaltung der Kölner Weinhändler dem Sommer, der Aussicht auf eine gute Weinernte und den Verhandlungen über den Anschluss der süddeutschen Länder an das norddeutsche Zollgebiet zu. Für die Zukunft war er optimistischer. Wenn der Zollanschluss und die geplanten Eisenbahnverbindungen zu Stande kämen, werde Köln ein bedeutender Handelsplatz für die Pfälzer Weine werden. Dann würden sich auch die von ihm geknüpften Geschäftskontakte bezahlt machen. 85 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 14.7.1833, LaS, V153 (Bassermann-­ Jordan), Bd. 31. 86 Zur Weinhandelsfirma Deinhard & Tesche siehe Prößler/Prößler, Wein und Sekt. 87 Brief Ludwig Andreas Jordans an seine Tante Nanette von Szent-Ivanyi in Deidesheim, Coeln, 18.7.1833, Briefsammlung Hauck, Briefe 1829–1837.

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Von Köln aus mussten die beiden bereits ihre Reiseroute ändern. Aufgrund der in Rotterdam wütenden Cholera zogen es Jordan und Buhl vor, nicht wie geplant über die niederländische Hafenstadt nach England zu reisen. Stattdessen entschieden sie sich für den Weg über Brüssel nach Ostende oder Calais, der sie am 19. Juli zunächst nach Aachen führte. Dort gingen sie ins Spiel­casino und ins Theater, wo sie einen Auftritt des berühmten Klaviervirtuosen Johann Peter ­Pixis und seiner Schwester Franzilla sahen.88 In den nächsten Tagen besuchten sie das Rathaus, die Oper und den Dom, wobei Jordan sich dezidiert von dem stark ritualisierten und demonstrativen Katholizismus der Rheinländer abgrenzte.89 Am 23. Juli verließen sie Aachen und fuhren mit dem Eilwagen nach Lüttich. Die Landschaft zwischen Aachen und Lüttich nahm Ludwig Andreas Jordan als großen Park wahr. Er beschrieb die zahlreichen Wiesen, Alleen und Weiden. Dieses Bild war für ihn ungewohnt, denn in der Vorderpfalz war fast jeder­ Flecken Erde landwirtschaftlich genutzt. In dem Teil  Belgiens, den er durchfuhr, war dies nicht der Fall. Das störte ihn, sodass er in sein Tagebuch notierte, dass »Fruchtfelder wohl mehr eintragen würden, als diese ungeheuren mit wilden Bäumen besetzten Grasplätze«90. Bei aller Romantik und Schönheit sah er die Landschaft als ein an rationelle Landwirtschaft gewöhnter Winzer. Hier zeigt sich deutlich, wie die fremde Welt durch den Reisenden in den Bezugsrahmen der Ausgangskultur eingeordnet wird.91 Insofern ist die Schilderung der Städte, Landschaften und Sehenswürdigkeiten in Jordans Tagebuch und seinen Briefen auch ein Spiegel der Ansichten und Prägungen Ludwig Andreas­ Jordans. Nach Kaschubas Kategorisierungen finden wir hier den »ökonomischbilanzierenden Blick«, der das Gesehene im Hinblick auf den wirtschaftlichen Nutzen vor der Folie der eigenen Erfahrungswelt überprüft. In Lüttich hatten Jordan und Buhl erstmals Gelegenheit, die Leistungen der Industrialisierung kennenzulernen. Der berühmte britische Industrielle John Cockerill hatte in Lüttich und Seraing »das größte integrierte Maschinenbauund Eisenwerk der Welt«92 aufgebaut. Der Besuch in dieser Fabrik gehörte für Reisende nach Belgien zum Pflichtprogramm, sodass Cockerill mit seinen Fabrikanlagen ein wichtiger Wissensvermittler insbesondere für die benachbarte rheinisch-westfälische Industrie wurde.93 Zur Überraschung der beiden Pfäl 88 Zu Johann Peter Pixis siehe auch die spöttischen Bemerkungen Heinrich Heines in seiner Kurzkritik »Die größte Nase in der musikalischen Welt«, in: Heine, Musik, S. 86 f. 89 Siehe dazu ausführlicher Kapitel 5.2.1. 90 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 23.7.1833, LaS, V153 (Bassermann-­ Jordan), Bd. 31. 91 Bödeker/Bauerkämper/Struck, Einleitung, S. 14. 92 Fremdling, Cockerill, S. 180. Eine Beschreibung der Anlagen aus zeitgenössischer Sicht liefert Weber, John Cockerill. 93 Schumacher, Auslandsreisen, S. 127–132. Heinrich Weber hielt dazu fest: »Kein gebildeter Reisender, der nach Lüttich kommt, und dem es die Zeit erlaubt, unterläßt es leicht, die in ihrer Art einzige Anstalt in Seraing zu besuchen.« Siehe Weber, John Cockerill, S. 131.

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zer erklärte er sich bereit, die beiden von einem Angestellten durch seine Fabrik führen zu lassen. Begeistert notierte Ludwig Andreas Jordan in sein Tagebuch: »Etwas Großartigeres sah ich noch nie. Mein Verstand stand stille, es war mir unmöglich zu fassen, zu begreifen, was hier der menschliche Geist so erfinderisch geschaffen hat. Man findet hier Alles im größten Maasstabe[sic] vereinigt, Schmelzöfen, Schmieden, Steinkohlen-Gruben, und die manichfaltigsten[sic] Maschinen, die sämmtlich[sic] durch Dampf in Bewegung gesetzt werden. Es ist eine kolossale Anlage, die die vollkommenste in Europa sein und einen Werth[sic] von 30 Millionen Franken haben soll! Die Hälfte der Anlage gehört dem Staate.«94

Bei diesem Eintrag klingt ein Grundmotiv an, das in seinem Reisetagebuch in Varianten immer wiederkehrt. Er war beeindruckt von allem, was er sah. Von Neugier getrieben fuhren Jordan und Buhl die Stationen ihrer Reise ab, und versuchten ihre Erlebnisse im Tagebuch oder in ihren Briefen zu verarbeiten. Dabei flanierten sie nicht, wie später Charles Baudelaire oder Walter Benjamin, durch die modernen Städte, auf der Suche nach dem Signum ihrer Zeit, sondern sie suchten gezielt die bürgerlichen Bildungsorte, wie Opern, Museen und Bibliotheken auf. Diese Bildungsorte wurden ergänzt durch den Besuch verschiedener Fabriken, in denen die beiden die neuesten Errungenschaften der Industrialisierung studierten. Von den Städten war Ludwig Andreas Jordan beeindruckt; von den technisch-industriellen Möglichkeiten, die der Mensch erfunden hatte, war er jedoch fasziniert. Hier steigerte er sich immer wieder in Betrachtungen über die Größe des menschlichen Geistes, der solche Erfindungen zu Stande bringe. Über Brüssel fuhren Jordan und Buhl dann nach Antwerpen, wo Franz Peter Buhl, der sich bisher schon öfter krank gefühlt hatte, Fieber bekam. Beide steigerten sich in eine Cholerapanik hinein, da sie die Symptome Franz Peter Buhls (Unterleibsschmerzen, Schwindel, Zittern, Erbrechen) für erste Anzeichen dieser heimtückischen Krankheit hielten. Diese Choleraangst war nicht aus der Luft gegriffen, denn Jordan und Buhl reisten im Ausläufer der großen Cholerapandemie von 1830–1832, die sich von Asien aus nach Europa verbreitet hatte und die zum Beispiel zwischen März und Oktober 1832 in Paris tausende Todesopfer ­ rüssel­ gefordert hatte.95 Der hinzugezogene Arzt empfahl den beiden nach B

94 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 24.7.1833, LaS, V153 (Bassermann-­ Jordan), Bd. 31. 95 Zur Verbreitung der Cholera und den Umgang mit ihr im 19. Jahrhundert siehe Briese, Angst. Briese beleuchtet insbesondere die Wahrnehmung der Cholera-Epidemie von 1831/32 aus politischer, kultureller und wissenschaftlicher Perspektive. Dazu sind auch drei Quellenbände erschienen, von denen insbesondere der dritte Band die zeitgenössische Angst vor der Cholera deutlich macht. Siehe Briese, Briefwelt. Eine knappe Zusammenfassung aus transnationaler Perspektive liefert Osterhammel, Verwandlung, S. 283–289.

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Ludwig Andreas Jordans Weg ins Bürgertum Ludwig Andreas Jordans Weg ins Bürgertum 

zurückzukehren, da die dortige Luft gesünder sei und in Antwerpen bereits tatsächlich 14 Cholerafälle vorgekommen seien.96 Dort angekommen, bekam Franz Peter Buhl einen erneuten Fieberschub. Zudem kursierten Gerüchte über einen Ausbruch der Cholera in London. Die beiden überlegten, was zu tun sei. Franz Peter Buhl sprach sich für einen Abbruch der Reise aus, während Ludwig Andreas Jordan als Alternative die Weiterreise nach Paris vorschlug. Beide verließen sich dann auf den Rat eines alten, erfahrenen Arztes, den sie wegen der Beschwerden Franz Peter Buhls konsultierten und auch wegen ihrer Weiterreise um Rat fragten. Dieser gab Franz Peter Buhl ein Fiebermittel und empfahl, sich auf ihrer Reise nicht von kleinen Hindernissen abhalten zu lassen. Diesen Rat beherzigten die beiden.97 Kurz vor ihrer Weiterreise entschlossen sich die beiden, noch einen kurzen Blick auf die politischen Institutionen Belgiens zu werfen, denn seit der Unabhängigkeit Belgiens von den Niederlanden im Oktober 1830 galt das politische System Belgiens als das modernste in Europa. Daher besuchten Jordan und Buhl am 31. Juli die belgische Deputiertenkammer. Das Gesehene enttäuschte Ludwig Andreas Jordan zutiefst. Die Reden wurden langweilig vom Blatt abgelesen, und die anderen Deputierten hörten nicht zu, sondern lasen, unterhielten sich oder schrieben. Dieses Verhalten empfand Jordan als unwürdig und als Kontrast zu seinem Idealbild: Die Wahl als Abgeordnete bringe diese in eine erhabene Stellung, denn sie hätten sich für das Wohl das Volkes einzusetzen. Dem müssten sie sich auch als würdig erweisen und sich mit Ernst und Aufmerksamkeit ihrer Aufgabe widmen.98 Am 1. August ging die Reise über Gent und Lille weiter nach Calais. Von dort aus fuhren sie mit dem Dampfschiff nach Ramsgate. Da Ludwig Andreas Jordan zum ersten Mal über das Meer fuhr, hielt er einige Notizen dazu in seinem Tagebuch fest. Auch hier zeigt sich wieder die wirtschaftliche Brille, mit der er die Umgebung wahrnahm: Er beschrieb das Meer als Medium, das die Kommunikation zwischen den Erdteilen erleichtere und den Handel antreibe.99 Von Ramsgate aus trafen die beiden am 4.  August mit dem Dampfschiff in London, dem Hauptziel ihrer Reise, ein. Beeindruckt war Ludwig Andreas­ Jordan von dem riesigen Hafen Londons, den zahlreichen Schiffen und den großen Docks. Auch hier findet sich seine große Bewunderung für die Leis­ tungen des Menschen: »Man staunt vor dem menschlichen Geiste, der dieses­

96 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 29.7.1833, LaS, V153 (Bassermann-­ Jordan), Bd. 31. 97 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 31.7.1833, LaS, V153 (Bassermann-­ Jordan), Bd. 31. 98 Ebd. 99 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 3.8.1833, LaS, V153 (Bassermann-­ Jordan), Bd. 31.

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Leben geschaffen, man staunt die Menschen an, die so großartige Unternehmun­ gen wagen.«100 In London stiegen die beiden in der Taverne von George & Vulture, einem beliebten Treffpunkt deutscher Londonbesucher, ab. Von dem städtischen Treiben war Ludwig Andreas Jordan zunächst wie erschlagen: »So begrüßte ich nun den ersten Morgen in London. Großer Gedanke, um so größer für mich, der noch wenig Großes gesehen hat! Ein ruhiger Bewohner des Landes, der bisher nur wenig den heimatlichen Kreis verlassen hatte, im Ganzen unerfahren und unbekannt mit fremden Sitten, hat sich nun in eine Welt geworfen, deren Größe er zu kennen glaubte, die aber seine Erwartungen bei weitem übertraff[sic]. Wie soll sich aber hier der fremde Mensch herausfinden aus diesem Gewühle, wie soll er manche Pläne den Nutzen und das Vergnügen betreffend, ausführen. Ich verzweifle fast an der Möglichkeit.«101

Er wurde jedoch nicht in die großstädtische Unsicherheit hineingeworfen, wie er es schildert, sondern er hatte einen Anker, einen Führer durch die Unwägbarkeiten des Großstadtlebens. Denn hier erwies es sich als nützlich, dass J­ordan und Buhl durch das Empfehlungsschreiben Brentanos einen Anlaufpunkt in London hatten: das Handelshaus Mylius & Lemme.102 Die beiden Kaufleute kümmerten sich intensiv um ihre Gäste aus Deutschland und empfahlen ihnen die Orte, die sie aufsuchen sollten. So besuchten die beiden nach einem Rat von Herrn Lemme an ihrem ersten Bildungstag in London den Regent-Park und das King’s Theatre, wo sie auf ihren Stehplätzen über mehrere Stunden zwei Opern, ein Konzert und ein Ballett sahen. In den nächsten Tagen widmeten sie sich weiteren Kulturstätten Londons, wie dem Haymarket Theatre, dem British Museum, dem Zoo im Regent Park oder dem Royal Theatre. Dadurch konnten sie nicht nur ihre Bildung vervollkommnen, sondern zum Teil boten diese Orte auch Rückzugsmöglichkeiten aus der Geschäftigkeit der Großstadt, sie waren Orte von anderer »temporaler Qualität«103. Vom Großstadtleben sah sich Ludwig Andreas Jordan auch moralisch herausgefordert. So besuchte er gemeinsam mit seinem Freund das Astley-Amphi­ theater, das in so genannten »Mimodramen«104 Theater gepaart mit Reitkunst 100 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 4.8.1833, LaS, V153 (Bassermann-­ Jordan), Bd. 31. 101 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 5.8.1833, LaS, V153 (Bassermann-­ Jordan), Bd. 31. 102 Die Frankfurter Kaufmannsfamilie Mylius hatte über verwandtschaftliche und geschäftliche Verbindungen in der Zeit der Kontinentalsperre mit ihr verbundene Unternehmen in London und Manchester aufgebaut. Siehe Roth, Familiengeschichte, S. 67–72. 103 Schulz-Forberg, Zeitreise, S. 134. 104 Siehe hierzu den Eintrag »Mimodramen«, in: Pierer’s Universal-Lexikon, Bd.  11, Alten­burg 1860, S. 277, online abrufbar unter: http://www.zeno.org/nid/20010445064 [letzter Aufruf: 17.2.2016].

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darbot und als Vorläufer des heutigen Zirkus gilt. Das Theaterstück hielt Jordan für schlecht, die Schauspielkunst für erbärmlich. Vor allem kritisierte er den Geschmack des Publikums, das nur auf Katastrophen, Schlachten und Morde aus sei. Auch der Konsum im Theater gefiel ihm nicht. In den Pausen werde das Theater zum »Eßmarkt«105 und zahlreiche Menschen zögen, ihre Waren anpreisend, durch die Zuschauerreihen. So konnte er sich in seinem Tagebuch, in seiner Geschmacksbildung vom gemeinen Volk absetzen, entwickelte die »feinen Unterschiede«, indem er das Astley-Amphitheater als schlecht getarntes Konsumvergnügen abtat, das, so impliziert es diese Wertung, nicht mit der Oper oder dem klassischen Theater konkurrieren konnte, das der moralischen Hebung des Zuschauers dienen solle.106 An dieser Stelle kommt auch die bürgerliche Furcht vor der Verführung zum Müßiggang durch die kulturellen Angebote zum Vorschein. Diese Furcht konnte überwunden werden, indem man eben nicht den Kulturkonsum als reinen Genuss propagierte, sondern indem der Besuch von Oper, Theater und Konzerten einem höheren Zweck dienen sollte: der Bildung des guten Geschmacks und des guten Charakters.107 Zudem hatte sich vor allem durch den bürgerlichen Einfluss gerade erst »[d]ie Kunst des Zuhörens«108 in der Oper oder im Theater durchgesetzt. Musik oder Theater dienten jetzt nicht mehr als Hintergrund für Gespräche und andere Vergnügen, sondern man sollte aufmerksam die Stücke verfolgen und seinen eigenen Gefühlen nachspüren. Insofern musste das »Astley-Amphitheater« von bürgerlichen Zuhörern, die diszipliniertes Zuhören gewöhnt waren, als Rückfall in »alte Sitten« empfunden werden. Auch die vielen Prostituierten in London waren Jordan ein Dorn im Auge. Sie würden die Fremden belästigen, sich an diese anhängen und nicht von ihnen ablassen. Wenn man sie loswerden wolle, müsse man aufpassen, dass man nicht verklagt würde. Die Prostituierten waren in seinen Augen ein Symptom für den Verfall der Sitten. Einerseits beklagte er das Verhalten der Prostituierten selbst, prangerte aber auch die Menschen an, die sich der Prostituierten bedienten.109 In London konnten Jordan und Buhl nicht nur auf den Kontakt zum Handelshaus Mylius & Lemme zurückgreifen, sondern auch auf ihre Geschäftsbezie 105 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 8.8.1833, LaS, V153 (Bassermann-­ Jordan), Bd. 31. 106 Als Ludwig Andreas Jordan ein aus seiner Sicht geschmackloses Theaterstück in Brüssel gesehen hatte, hatte er in sein Tagebuch notiert, dass es die Aufgabe des Theaters sei, »durch Darstellung herrlicher Charaktere den Menschen aus dem Getreibe des persönlichen Lebens emporzuheben und dessen Geist zu bilden und zur Nachahmung jener schönen Charaktere zu entflammen«. Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 30.7.1833, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 31. 107 Pikulik, Leistungsethik, S. 171. 108 Siehe dazu das entsprechende Kapitel Gay, Macht des Herzens, S. 19–48. 109 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 8.8.1833, LaS, V153 (Bassermann-­ Jordan), Bd. 31.

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hungen zum Koblenzer Weinhandelshaus Deinhard & Tesche, denn sie trafen am 8. August den Londonvertreter des Handelshauses, August Jordan110, der jedoch mit den Deidesheimer Jordans nicht verwandt war. Dieser zeigte den beiden die Londoner Börse, die Jordan und Buhl sehr beeindruckte. Die geschäftlichen Perspektiven besprach Ludwig Andreas Jordan auch mit dem Kaufmann Heinrich Mylius, der ihm aber nur schlechte Nachrichten über das Weingeschäft geben konnte. Das bestätigte sich bei einem von Lemme vermittelten Gespräch mit weiteren Weinhändlern, mit denen Jordan und Buhl die riesigen Weinlager in den Docks besuchten. Enttäuscht erfuhren sie dort, dass diese vor allem der Lagerung von Sherry- und Portweinen dienten, die Einfuhr von Rheinwein war dagegen gering und zudem rückläufig. Über die ernüchternden Ergebnisse seiner geschäftlichen Erkundigungen berichtete Jordan seinem Vater nach Deidesheim.111 Er sah wenige Aussichten, den Londoner Markt für die Jordan-Weine zu erschließen. Die Engländer würden vor allem spanische und portugiesische Weine trinken, mit dem Argument, diese würden ihrem Klima besser entsprechen. Die Weinhändler könnten den Rheinwein daher kaum absetzen. Um einen Fuß in die Türe zu bekommen, müsse man stattdessen einen jungen gewandten Mann für acht bis zehn Monate nach London schicken. Dieser müsse mit den englischen Gebräuchen vertraut sein und zahlreiche Empfehlungen mitbringen. Dann könne er in der englischen Oberschicht verkehren und den Wein bei entsprechenden Gelegenheiten in die Gesellschaft einführen. Dass diese Marketing-Strategie für die­ Jordans zu aufwendig und kostspielig war, ist offensichtlich. Es zeigt aber auch, wie stark der Weinkonsum von Moden abhängig ist, und die Mode in London waren offenbar mediterrane Weine. Zudem wird auch der Luxuscharakter des Jordan’schen Produkts unterstrichen. Als Konsumenten kamen nur die Begüterten in Frage. Neben den Bildungsstätten und den wirtschaftlichen Möglichkeiten interessierte Jordan und Buhl auch das politische London. Ein interessanter Vergleich ergab sich, als Jordan einem Empfang für den Abgeordneten Kemble112 beiwohnte. Dieser feierte seine Wahl ins britische Parlament gemeinsam mit einigen Freunden, denen er bei dieser Gelegenheit seine politischen Grundsätze darlegte. Ludwig Andreas Jordan kommentierte diese Feierlichkeit mit Blick auf Deutschland, wo eine solche Feier als Verbrechen angesehen würde. Damit spielte er auf die Abgeordnetenfeste in der Pfalz an, die vor allem im Vorfeld des 110 Zu Jordan als Londoner Handelsvertreter von Deinhard & Tesche siehe Prößler/­ Prößler, Wein und Sekt, S. 44–54. 111 Ludwig Andreas Jordan an seinen Vater Andreas Jordan nach Deidesheim, London, 20.8.1833, Briefsammlung Hauck, Briefe 1829–1837. 112 Damit ist wahrscheinlich der Whig-Abgeordnete John Campbell gemeint. Siehe den Eintrag in: Hansard (House of Commons Daily Debates), http://hansard.millbanksystems. com/people/sir-john-campbell [letzter Aufruf: 10.3.2016].

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Hambacher Fests stattgefunden hatten und von den staatlichen Behörden kritisch beäugt worden waren. Jordan besuchte auch das englische Oberhaus und wohnte dort einer Debatte über die Verlängerung der Privilegien der Bank of England bei. Er freute sich, einige berühmte britische Politiker bei ihren Reden beobachten zu können. Einige bewunderte er für ihr Redetalent, doch kritisierte er besonders scharf Lord Wellington, der zwar ein guter Militär sei, dessen politische Ansichten jedoch völlig veraltet seien und von der Mehrheit der Engländer abgelehnt würden. Jordan bezog sich bei dieser Einschätzung auf Wellingtons vehementen Widerstand gegen den »reform act« von 1832, mit dem das aktive Wahlrecht auf die breitere Mittelklasse ausgedehnt worden war.113 Dieses Ringen um größere politische Partizipationsmöglichkeiten des Bürgertums war auf dem Kontinent stark beachtet und kommentiert worden. Auch mit Jordans und Buhls neuen Londoner Bekannten wurde eifrig poli­ ti­siert. Am 24.  August diskutierten sie in einer Gesellschaft in ihrer Unterkunft die neuesten Entwicklungen in den deutschen Ländern. Dort versammelten sich unter anderem der Kaufmannssohn Friedrich Daniel Bassermann aus Mannheim, der Londonkorrespondent der Augsburger Allgemeinen Zeitung, Adolph Bach114, sowie August Jordan. Nachdem das Gespräch hin und her gegangen war, wurde in Anlehnung an politische Versammlungen erst einmal Ordnung geschaffen. Man wählte Jordan aus Koblenz zum Präsidenten der Versammlung, der streng über die Wortmeldungen wachte. Daraufhin wurden ganz förmliche Reden gehalten, deren Hauptthemen waren, »ob Deutschlands Völker zur Abschüttelung des drückenden Joches von 34 Fürsten und zur Erringung seiner Selbständigkeit und aller jener Rechte, welche einem großen freien Volke zukommen, reif seien und ob das südliche Deutschland eher ge­ eignet sei diese Emancipation zu bewirken oder nicht«115.

Auch bei einem Besuch der Westminster Abbey dachte Jordan über sein politisches Engagement nach. Er betrachtete die zahlreichen Monumente für berühmte britische Persönlichkeiten, die sich mit ihren Taten unsterblich gemacht hätten: »Als ich diese edlen Gestalten sah, wurde ich von Ehrgeitz[sic] erfüllt. Ich fand es unaussprechlich schön zu leben und zu sterben, wie es diese Männer thaten[sic] und nach ihrem Tode geehrt zu werden wie sie.«116 113 Zu den Auseinandersetzungen um den »reform act« siehe Niedhart, Geschichte Englands, S. 81–86. 114 Zu Adolph Bach, ursprünglich ein Buchhändler und Jurist, siehe: Die Augsburger »Allgemeine Zeitung« 1798–1866, bearb. von Bernhard Fischer, S. 54 und 400. 115 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 24.8.1833, LaS, V153 (BassermannJordan), Bd. 31. 116 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 22.8.1833, LaS, V153 (BassermannJordan), Bd. 31.

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Beim Besuch der »National Gallery of Practical Science« staunte er über eine neue Erfindung: die Dampfkanone von Jacob Perkins.117 Eine Verbesserung von Mordinstrumenten sah Ludwig Andreas Jordan als eine traurige Erfindung an. Als Erfinder könne man die Verantwortung für die Entwicklung einer Waffe, die in wenigen Minuten tausende Menschen töte, kaum auf sich nehmen. Anschließend sinnierte er über die langfristige Wirkung der Waffe. Aus Angst vor der Wirksamkeit dieses Mordwerkzeuges werde sich niemand mehr finden, der sich dieser Waffe aussetzen wolle. Dann wäre diese Waffe »vielleicht das wirksamste Mittel den ewigen Frieden, der bis jetzt eine Chimäre schien, einzuführen«118. Er konnte sich aber auch noch eine andere Entwicklung vorstellen. Wenn nur die Fürsten im Besitz dieser Waffe wären und die Bevölkerung sich gegen ihre despotische Herrschaft auflehnen würde, bräuchten diese nur auf ihre mit der Dampfkanone ausgerüsteten Söldner zurückgreifen und die Staatsbürger würden in diesem ungleichen Kampfe immer unterliegen. Der Aufenthalt in London regte auch dazu an, über die Entwicklung des­ eigenen Charakters und der eigenen Werte nachzudenken. Dazu boten sich insbesondere Ludwig Andreas Jordans Namenstag und der Geburtstag seines Vaters am 25. August an. Dieses doppelte Ereignis nutzte Jordan zur Reflexion über das vergangene Jahr und die Zukunft. Dabei zeigen sich die bürgerlichen Wertvorstellungen in Reinkultur, insbesondere das ständige Streben nach einer Verbesserung des Charakters, nach persönlichem moralischem Fortschritt. Je älter man werde, umso mehr müsse man »an Erfahrung und Einsicht und folglich auch an Tugend« gewinnen. Aber auch säkularisierte Moralvorstellungen werden deutlich. So sieht er in diesem Tag eine Chance, »Gericht zu halten über das Vollbrachte«. Das göttliche Gericht, über Gut und Schlecht zu urteilen, wird hier in die Person selbst verlagert. So muss man sich selbst überprüfen, sich einer Gewissensprüfung unterziehen, ob das Verhalten den moralischen Grundsätzen und Idealen entsprochen hat. Obwohl Ludwig Andreas Jordan katholisch ist, klingt diese Praxis eher pietistisch.119 Gleichzeitig zeigt sich bei seinen Reflexionen auch die Apotheose der Familie. Ein Geburtstag sei eine Gelegenheit, alle Familienmitglieder zusammenzuführen, denn eine lange Trennung sei nicht gut, da dann die Gefühle erkalten. Dagegen könne man ein solches Fest nutzen, um »den Gefühlen Vorrang zu geben und sich ganz in Liebe 117 Zu der Dampfkanone des Amerikaners Perkins siehe u. a. den Artikel »Erfindung der Dampfkanonen, in: Unterhaltungsblätter für Welt- und Menschenkunde Nr.  14 vom 6.4.1825, S. 1. 118 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 23.8.1833, LaS, V153 (BassermannJordan), Bd. 31. 119 »Introspektion und Selbstanalyse« gehören zu den Grundzügen des Pietismus. Im Pietis­mus steht dieser Blick nach Innen noch ganz im Zeichen der Suche nach Gott, im späteren Stil der Empfindsamkeit fällt dieser religiöse Bezug weg und die Suche nach dem eigenen Ich, nach dem Individuum steht im Vordergrund. Siehe Pikulik, Leistungsethik, S. 191.

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aufzulösen«120, an solchen Tagen »erhaltet das Herz Nahrung«. Die Familie ist also ganz eindeutig der Gefühlssphäre zugeordnet, dort kann man seine Gefühle ausleben, was offensichtlich, so der Umkehrschluss, außerhalb der Familie, im Beruf, nicht möglich ist. Die bürgerliche Idealfamilie steht auch im Mittelpunkt seiner Aufzeichnungen zu der Familie Mylius, welche die beiden Reisenden in ihr Landhaus in­ Clapham einlud. Diese Familie erschien Ludwig Andreas Jordan als mustergültig. Die Rolle des Vaters Heinrich Mylius entsprach der eines »Leiter[s] und Ordner[s] des Ganzen«121. Dabei sei er gleichzeitig gerecht und zart zu seinen Kindern. Das könne man zwar nicht seinen Worten entnehmen, aber man sehe es ihm an: »[E]r ist einer von Jenen, die viel fühlen und nur wenig sagen.« Jordan beschloss, diesen Mann mit seiner Ordnungsliebe und Gerechtigkeit zu seinem Vorbild zu nehmen. Das mahne ihn immer wieder, selbst Ordnung zu halten, denn »die Ordnung [ist] die Seele einer jeden Unternehmung und die Ersparerin von kostbarer Zeit.«122 Die Mutter beschrieb er als schöne und gute Frau, die sich vor allem durch Mutterstolz und Zärtlichkeit gegen ihre Kinder auszeichne. Die Töchter seien anmutig und liebenswürdig, von der »Reinheit des Herzens« geprägt. Aufschlussreich sind seine Charakterisierungen der ältesten Tochter der Familie, die vor kurzem einen deutlich älteren Onkel in Mailand geheiratet hatte: »Dem ungeachtet schien sie ihm [ihrem Ehemann; H. T.] mit außerordentlicher Liebe anzuhängen, und trug ganz das Gepräge eines schwärmerischen innern Gefühls und einer zarten Ergebung, die ich mir immer als das rächte Ergebniß jenes glücklichen Zustandes denke, wenn derselbe durch wahre Zuneigung und durch das Erkennen des gegenseitigen Werthes herbeigeführt wird. An der Seite ihres Gatten schien sie sich eine glückliche Zukunft zu träumen […].«123

Guenther Roth hat in seiner detailreichen Studie über Max Webers Familiengeschichte diese Heirat aufgegriffen. Aufgrund der internen Quellen der Familie Mylius erscheint sie dort in einem völlig anderen Licht. Sophie Mylius war zum Zeitpunkt der Heirat erst 16 Jahre alt, ihr Onkel Georg Melchior Mylius war 22 Jahre älter. Die Heiratsverbindung war nicht aus Liebe zu Stande gekommen, sondern Sophie Mylius wurde »geopfert«124, um die Geschäftsverbindungen zu verstärken. Sie starb bereits mit 31 Jahren, nachdem sie sechs Kinder zur Welt gebracht hatte. Die Verbindung hat sich offenbar gelohnt, denn 1837 wechselte 120 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 25.8.1833, LaS, V153 (BassermannJordan), Bd. 31. Daraus auch das folgende Zitat. 121 Ebd. Daraus auch die folgenden Zitate. 122 Zur Ordnung als Teil des bürgerlichen Wertekanons siehe Döcker, Ordnung der bürgerlichen Welt. 123 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 25.8.1833, LaS, V153 (BassermannJordan), Bd. 31. 124 Roth, Familiengeschichte, S. 147.

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Heinrich Mylius in das Mailänder Myliusgeschäft.125 Hier wird wieder deutlich, das Jordans Reisetagebuch als Reflexionsmedium eine aussagekräftige Quelle ist und zwar als Quelle über ihn selbst. Wir erkennen hier sein Ideal einer bürgerlichen Ehe basierend auf Liebe und gegenseitiger Wertschätzung. Mit der harten Realität, in der auch in vielen Bürgerfamilien die ehelichen Verbindungen zum Teil noch von materiellen Interessen diktiert wurden, hat diese Sicht wenig zu tun. Bei den Söhnen hob er die Liebe zu ihrem Vater hervor und dass sie seine Wünsche ohne Furcht erfüllten. Dass er diesen Aspekt betonte, ist bezeichnend, denn das Verhältnis zu seinem Vater entsprach nicht diesem Idealbild. So sehr er ihn auch in mancher Hinsicht als Vorbild ansah, so schwierig empfand er doch einige Züge seines Charakters: seine übertriebene Strenge, seine unwirsche, oft menschenverachtende Art. Er begegnete seinem Vater eben nicht freimütig, sondern mit Furcht.126 Am 29. August brachen Jordan und Buhl zu einer Rundreise über die Insel auf, die sie über Liverpool, Manchester, Wales und Oxford am 11.  September zurück nach London führte. Auf der Rundreise wollten sie sich einen Eindruck von der industriellen Entwicklung Englands und den technischen Möglichkeiten der Zeit verschaffen. So suchten sie in Manchester Kontakt zu dem Partnerhaus von Mylius’ Londoner Handelshaus, dem Textilunternehmen Schunk, Mylius & Co.127 Diese extrem erfolgreiche Firma spielte eine große Rolle in der Textilindustrie Manchesters.128 Ein Teilhaber des Unternehmens, Johann Souchay129, führte sie dort in verschiedene Fabriken. Sie besuchten unter anderem eine Baumwollspinnerei, eine Gasfabrik, eine Papiermühle und eine Maschinenfabrik. In der Baumwollspinnerei Ditchfield bestaunte Ludwig Andreas Jordan einen Saal mit 16.000 Spindeln, die Wasserwerke und die Dampfmaschinen. Sein Urteil betonte wieder die menschliche Genialität, die solche Produktionsmöglichkeiten hervorbringt. Gleichzeitig hob er auch die sozialen Aspekte hervor. Der Fabrikbesitzer sorge nicht nur für das tägliche Brot seiner Arbeiter, sondern verarbeite auch den Rohstoff, »dessen Erlöß viele Tausende ernährt«130. Der Fabrikant erscheint hier nicht als Ausbeuter, der sich ein angenehmes Leben auf dem Rücken seiner Arbeiter gönnt, sondern er erfüllt eine­ 125 Ebd., S. 82. 126 Das wird z. T. indirekt in den Briefen immer wieder deutlich. Siehe z. B. Ludwig A ­ ndreas Jordan an Andreas Jordan, Mannheim, 22.8.1831, Briefsammlung Hauck, Briefe 1829–1837; Ludwig Andreas Jordan an Andreas Jordan, Ettlingen, 4.6.1836, LaS, V153 (Bassermann-­ Jordan), Bd. 429. 127 Zum Handelshaus Schunk, Mylius und Co. siehe Roth, Familiengeschichte, S. 70–72. 128 Ebd., S. 80 f. 129 Die Souchays waren auch eine Frankfurter Handelsfamilie und waren eng mit den­ Familien Mylius und Schunck verbunden. Siehe ebd., S. 57–64 und 67–72. 130 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 2.9.1833, LaS, V153 (Bassermann-­ Jordan), Bd. 31. Siehe dazu auch Ludwig Andreas Jordan an seine Schwester Josephine, Liverpool, 4.9.1833, BaK, N1754 (Buhl), Bd. 177.

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soziale Aufgabe, indem er den Menschen Arbeit gibt. Jordan idealisierte den Unternehmer als Wohltäter für die Menschheit. Ditchfield lud die beiden noch zu sich nach Hause ein. Dort nahm Jordan eine große Bescheidenheit des Unternehmers wahr und lobte dessen glückliche Familie. Für die Weiterfahrt von Manchester nach Liverpool nutzten Jordan und Buhl die Eisenbahn. Die beiden jungen Männer erlebten auf der berühmten Bahnstrecke, die am 15. September 1830 eröffnet worden war, ihre erste Reise mit dem revolutionären Fortbewegungsmittel. In seinem Tagebuch hielt Ludwig Andreas Jordan fest, dass ihm beim Start der Lokomotive etwas bange zumute gewesen sei: »Die Kraft erscheint von Beginn an zu mächtig, das Geklirr der angezogenen Ketten, die schmalen eisernen Räder, die in einer schmalen eisernen Bahn laufen, wo soll es hinauf, wenn die Maschine in Sturmeseile die Lüfte durchschneidet und dem Auge nicht die Muse[sic] gönnt auch nur das Land zu betrachten? […] [D]ie Erfindung der Flügel ist nicht mehr nothwendig, denn der Dampfwagen wird fast mit dem Vogel um die Wette fliegen.«131

Damit reihte sich Jordan ein in die Eisenbahnreisenden, welche die Eisenbahnfahrt mit dem Fliegen verglichen. Gleichzeitig wies er darauf hin, dass sich die Landschaftswahrnehmung durch die Eisenbahn veränderte, denn die gemächliche Betrachtung der Landschaft und ihrer Details, wie man es aus der Kutsche gewöhnt war, war nicht mehr möglich. An diesen Wandel der Landschaftswahrnehmung mussten sich die Menschen erst gewöhnen. Es entwickelte sich ein Sehen, das nicht mehr auf Details der Landschaft, sondern auf das vorbeiziehende weiter entfernt liegende Gelände ausgerichtet war und das auf diese Weise ein Panorama der Landschaft lieferte. Wolfgang Schivelbusch hat in seiner originellen Studie über die kulturellen Wahrnehmungen und Auswirkungen der Eisenbahnreise daher die neue Form der Landschaftswahrnehmung als »panoramatischen Blick«132 charakterisiert. Jordan versuchte nicht nur die konkreten Reiseeindrücke aufzuschreiben, sondern reflektierte auch ausführlich über die wirtschaftlichen Möglichkeiten, welche die neue Erfindung bot. In einer Nachbetrachtung zu seiner Englandreise schrieb er die Erfindung der Eisenbahn in seine fortschrittliche Sicht auf die Entwicklung der Menschheit ein. Die Römer und Griechen würden sich wundern, wenn man ihnen die von einer Maschine wie unsichtbar gezogenen Waggons vorsetzen würde. Es gebe wohl keine Erfindung, die dem Menschen mehr Nutzen bringen werde als die Eisenbahn. Durch sie werde die Welt zusammenschrumpfen und die Entfernungen würden schwinden.133 Pragmatisch prog 131 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 3.9.1833, LaS, V153 (Bassermann-­ Jordan), Bd. 31. 132 Schivelbusch, Eisenbahnreise, S. 60–62. 133 Das erinnert an Heinrich Heines berühmtes Diktum zur Eisenbahn, die den »Tod des Raumes« bringe. Als 1843 zwei neue Eisenbahnlinien nach Paris eröffnet wurden, wagte er

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nostizierte er, dass durch die Eisenbahn die Transportkosten nur noch einen Bruchteil der bisherigen Kosten ausmachen würden. Dadurch werde der Handel bedeutend zunehmen und weite Räume erschließen. Skeptisch beurteilte er die Aussichten des Eisenbahnbaus in Deutschland, da er seine Landsleute für risikoscheu hielt. Die potentiellen Finanziers würden ihr Geld lieber horten oder in Staatsanleihen investieren, anstatt es in risikoreiche Unternehmungen zu stecken, ohne darüber nachzudenken, dass eine Investition in industrielle Großunternehmen auch vorteilhaft für die Entwicklung ihres Vaterlandes sei und Staatsanleihen häufig nur den Fürsten zugute kämen. Ähnlich wie bei den Charaktereigenschaften versuchte er also auch hier, das wirtschaftliche Handeln in größere Sinnzusammenhänge einzuordnen. Es diente zwar auch dem Profit, war jedoch entscheidend für den Fortschritt der Zivilisation und die wirtschaftliche Entwicklung des eigenen Landes. Gewinnstreben, Fortschrittsoptimismus und Patriotismus bildeten auf diese Weise eine charakteristische Mischung. Dass die Engländer auf diese Weise bereits Großes geleistet hatten, imponierte ihm.134 Liverpool empfand Ludwig Andreas Jordan als weit angenehmer als Manchester, das er als dunkel, dreckig und hässlich wahrgenommen hatte.135 Gemeinsam mit einem alten Deidesheimer Bekannten, dem Kaufmann Hyazinth Vandamme, besuchten sie die Liverpooler Docks, die sie genauso faszinierten wie die Londons. Sie bewunderten die großen Schiffe, »die die Erzeugnisse der Industrie und des Bodens in alle Welttheile überführen«. Hier zog Ludwig Andreas Jordan ein Zwischenfazit seiner Reise: »In jedem Fall steigert eine Reise wie die meinige, wo sich des Wunderbaren so unermeßlich viel zeigt, die Begriffe von dem menschlichen Geiste und dessen Scharfsinn ins Unendliche, man staunt den mächtigen Verstand, der so sinnreich die entgegenstehenden Hindernisse zu besiegen weiß, mit Ehrerbietung an, wenn sich auch anderseits die hohe Meinung von dem sittlichen Werthe des Menschen bedeutend gemindert hat.«136 einen Blick in die Zukunft: »Was wird das erst geben, wenn die Linien nach Belgien und Deutschland ausgeführt und mit den dortigen Bahnen verbunden sein werden! Mir ist, als kämen die Berge und Wälder aller Länder auf Paris angerückt. Ich rieche schon den Duft der deutschen Linden; vor meiner Tür brandet die Nordsee.« Zitiert nach Schivelbusch, Eisenbahnreise, S. 38. Gegenüber seiner Schwester äußerte sich Ludwig Andreas Jordan über den Plan, eine Verbindung von London nach Paris zu bauen. Dann könne man, wenn man den Kanal mit dem Dampfschiff überquere, in London frühstücken und in Paris zu Mittag essen. Siehe Ludwig Andreas Jordan an seine Schwester Josephine, Liverpool, 4.9.1833, BaK, N1754 (Buhl), Bd. 177. 134 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom November 1833, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 31. 135 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 5.9.1833, LaS, V153 (Bassermann-­ Jordan), Bd.  31. Das korrespondiert mit der allgemeinen Wahrnehmung Manchesters als »shock city«, in der man die »Umwandlung der Zivilisation in Barbarei« zu beobachten glaubte. Siehe Osterhammel, Verwandlung, S. 398–400. 136 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 5.9.1833, LaS, V153 (Bassermann-­ Jordan), Bd. 31.

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Ludwig Andreas Jordans Weg ins Bürgertum Ludwig Andreas Jordans Weg ins Bürgertum 

In Kontrast zu den Industriestädten standen in Wales das Naturerlebnis und in Oxford der Besuch der Universität im Vordergrund. Im Senatssaal der Universität wunderte sich Ludwig Andreas Jordan über die Bilder von Zar Alexander und dem preußischen König Friedrich Wilhelm III., welche die beiden Herrscher anlässlich eines Besuchs 1814 der Universität übergeben hatten. Diese Bilder schienen ihm unpassend, denn sie könnten für die jungen Studenten kaum als Vorbild dienen, da die Fürsten der Wissenschaft selten zugeneigt seien. Stattdessen solle man die größten Gelehrten dort ausstellen. Insgesamt zeigte er sich überrascht, wie stark die Adeligen in Oxford hofiert würden. Die Universität werde ihrem Ruf gerecht, »die Pflegemutter der englischen Aristocratie zu sein«137. Die vielfältigen Eindrücke der Reise versuchte Jordan auch in Gedichtform zu verarbeiten. Insbesondere die industriellen Entwicklungsmöglichkeiten und die Ausweitung des Handels hatten es ihm angetan. So reimte er etwas unbeholfen: »[…] Die Industrie hebt er mit Macht, Erstaunliches hat er vollbracht, Ja selbst die Welt er kleiner macht Und allberühmt ist seine Kraft. […]«138

Die letzten Tage in London dienten dann der Vorbereitung der Rückreise. Die beiden machten noch einige Abschiedsbesuche, bevor sie am 17. September mit dem Dampfschiff direkt bis nach Mannheim und in die Pfalz zurückkehrten. Die Zwecke der Reise waren erfüllt. Jordan und Buhl hatten ihren Horizont erweitert. Sie hatten andere Länder und Menschen kennengelernt und waren mit England als Ziel gleichsam »in die Moderne« gereist. Ihre Reise diente nicht dazu, den Weinbau in anderen Gegenden zu studieren, sondern sie sollten sich vor allem dem Handel und der Industrie widmen. An der Reise wird deutlich, dass man sich nicht als Weinbauern sah, sondern sehr stark als Händler. Auch die soziale Schicht, in der die beiden bei ihrer Reise verkehrten, bestand fast nur aus Kaufleuten. Dadurch lernten die beiden natürlich auch, sich in diesen Kreisen unbefangener zu bewegen, sich zu integrieren. Bei Empfängen und Familienessen betrieb man gepflegte Konversation, sprach Toaste auf die neuen Bekannten aus und konnte zum Teil auch seine Fremdsprachenkenntnisse vertiefen. Vor allem diese Integrationsaspekte betonte Ludwig Andreas Jordan in den Briefen an seinen Vater, denn so konnte er ihm beweisen, dass die Entscheidungen des Vaters, seinen Sohn nach Mannheim und auf die Englandreise zu 137 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 10.9.1833, LaS, V153 (BassermannJordan), Bd. 31. 138 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 7.9.1833, LaS, V153 (Bassermann-­ Jordan), Bd. 31.

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schicken, sinnvoll gewesen waren. Die hohen Investitionen in die Ausbildung des Sohnes hatten sich gelohnt. Gleichzeitig hatten Jordan und Buhl die Stätten bürgerlicher Kultur besucht, hatten Opernaufführungen und Theater, Museen und Bibliotheken gesehen. Sie hatten auf ihrer Reise Kontakt zum Adel und zur Unterschicht, hatten Gelegenheit zur sozialen Differenzierung und zur Festigung einer bürgerlichen Identität. Die Reise erbrachte auch viele »Blicke«, wie Wolfgang Kaschuba sie systematisiert hat. Insbesondere den »ökonomisch-bilanzierenden« und den »zivilisatorisch-technischen Blick« konnten die beiden einüben. Mit diesem »rite de passage« waren aus dem Ettlinger Industriellensohn mit Ambitionen im Weinbau und dem Deidesheimer Winzersohn zwei Männer mit einem offenen Blick für die Möglichkeiten der Industrialisierung und für die aus ihrer Sicht aussichtsreiche Zukunft des Handels geworden. In diesem Bereich sahen sie durch die Handels- und Kommunikationsmittel wie Eisenbahn und Dampfschiff enorme Wachstumsraten. Vor allem in Bezug auf Industrie und Handel nimmt die Reise eine Schlüsselstellung für die Entwicklung einer bestimmten Sicht auf die Welt ein, die sich in einem rasanten Wandel hin zu einer industrialisierten Welt befand. Das Reiseziel war bewusst gewählt, um einen Blick in eine mögliche wirtschaftliche Zukunft der deutschen Länder zu werfen. Mit diesem Blick kehrten sie zurück. Belgien, Frankreich, aber vor allem England, Länder, die sie jetzt aus der eigenen Anschauung kannten, dienten fortan als Vergleichsfolie für die Zustände in der Pfalz, in Bayern und im Deutschen Bund. Daran konnte man die eigene Entwicklung messen.

3.3 Gefühle, Freundschaft und Familie: Die Cousin- und Cousinenheirat der Jordan- und Buhl-Kinder Parallel zu diesem Aufbau und der Einübung von Wahrnehmungsmustern festigten Jordan und Buhl mit Hilfe ihrer Heiratsverbindungen ihre eigene Freundschaft. Ihr enger Kontakt spielte bei der Auswahl der jeweiligen Ehepartner eine wichtige Rolle. Franz Peter Buhl warb bereits frühzeitig im Jahre 1831 um seine Cousine Josephine Jordan und schilderte zunächst ihrer Mutter sein Interesse. Er deutete an, dass er auf eine Zusage von Andreas Jordan setzte. Wenn er diese Zusage erhalten habe, werde er sich noch einige Jahre der praktischen Ausbildung widmen und dann nach Forst zurückkehren, um das Weingut zu führen und Josephine Jordan zu heirateten. Dieses Ansinnen schilderte Josephines Mutter ihrem in München weilenden Mann.139 Andreas Jordan reagierte erbost und fühlte sich durch die Anfrage 139 Josepha Jordan an ihren Mann Andreas Jordan, Deidesheim, 27.4.1831, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 278.

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erniedrigt. In seiner Antwort an seine Frau zeichnete er ein bestimmtes Bild seiner Familie, das er von den Heiratsplänen seines Neffen bedroht sah. Hinter der Brautwerbung sah er einen langfristig angelegten Plan seines verstorbenen »treulosen Bruders«140 Peter Heinrich. Dieser habe mit seiner Erbschaft an die Buhl-Kinder gezielt die Cousins und Cousinen zusammenführen wollen. Diesem »Magnet« werde man widerstehen. Andreas Jordan machte deutlich, dass er einen durch die Verbindung der Jordans und Buhls zustande gekommenen Besitz ablehne. Diesen habe seine Familie nicht nötig, da »man den Eifer, sein Vermögen zu erhalten und den Wohlstand der Seinigen zu erhöhen, […] zu zügeln versteht«. Trotz dieser Nachrichten blieb Franz Peter Buhl hartnäckig und versuchte in den folgenden Monaten zunächst seine Cousine Josephine und ihre Mutter von einer Heirat zu überzeugen.141 Da Josephine Jordan ihrem Bruder genauso eng verbunden war wie dieser Franz Peter Buhl, lag es nahe, dieses Trio durch die Heirat mit Seraphine Buhl zu einem Quartett zu machen. Ludwig Andreas Jordans Werbung um die Hand seiner Cousine zog sich lange hin. Seit 1833 schwärmte er in seinen Briefen an seinen Freund und an seine Schwester von seiner Cousine, traute sich jedoch nicht, ihr seine Zuneigung zu gestehen. Zu allem Überfluss starb am 8. April 1834 die Mutter von Ludwig Andreas und seinen Schwestern, die sich bereits für die Heiratspläne der Kinder ausgesprochen hatte, ohne den Vater darüber zu informieren.142 Völlig verstört schrieb Ludwig Andreas Jordan daraufhin an seine Tante Margarethe Kramer nach Baden-Baden, zu der er ein enges Vertrauensverhältnis aufgebaut hatte und die gemeinsam mit ihrem Mann schon frühzeitig in die Heiratspläne des Neffen eingeweiht war und dessen Absichten einer engeren Verbindung mit­ Seraphine Buhl stark unterstützte. Er teilte seiner Tante deprimiert mit, sein Vater sei jetzt noch melancholischer als ohnehin schon und werde sich sicher nicht von seinen einmal gefassten Beschlüssen abbringen lassen. Alle seine Zukunftspläne seien dahin.143 So mussten Josephine Jordan und ihr Bruder in einer ohnehin schwierigen Familiensituation ihren Vater von den Heiratsplänen überzeugen. Das war nicht ein 140 Andreas Jordan an seine Frau Josepha Jordan, München, 1.5.1831, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 276. Daraus auch die folgenden Zitate. 141 Ludwig Andreas Jordan an seine Schwester Josephine Jordan, Mannheim, 11.8.1831, BaK, N1754 (Buhl), Bd. 177. 142 Ludwig Andreas Jordan an Franz Peter Buhl, Deidesheim, 23.11.1834, BaK, N1754 (Buhl), Bd. 7. 143 Ludwig Andreas Jordan an seine Tante Margarethe Kramer, Deidesheim, 27.6.1834, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 284. Zu der jahrelangen Unterstützung der Kramers siehe den Brief von Ludwig Andreas Jordan an seine Tante Margarethe Kramer, Deidesheim, 28.12.1835, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 284. Dass Heiratsverbindungen keine Privatangelegenheiten der beiden potentiellen Ehepartner waren, sondern intensiv im Verwandtschafts- und Freundeskreis diskutiert wurden, unterstreicht Habermas, Frauen und Männer, S. 294.

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fach, denn dieser hatte andere Vorstellungen. Wie Ludwig Andreas Jordan seinem Freund Franz Peter Buhl schrieb, strebe sein Vater danach, seine Kinder »auf die höchste Stufe des Glanzes zu stellen«144. So erwähnte Andreas J­ordan seinem Sohn gegenüber eine Tochter des vermögenden Großindustriellen J­ ohann Ludwig von Gienanth, der 1818 vom bayerischen König Maximilian I. Joseph als erster Bürger des bayerischen Rheinkreises in den Adelsstand erhoben worden war.145­ Ludwig Andreas Jordan hatte jedoch kein Interesse an einer solchen Verbindung. Nachdem Andreas Jordan die Privatsphäre seiner Tochter aus ihrer Sicht verletzt hatte, indem er ihr Tagebuch gelesen hatte, kam es zu heftigen Auseinandersetzungen. Andreas Jordan warf seinen Kindern Undank und Verblendung vor. Das traf die Kinder hart, die erzogen waren »stets dem Willen geliebter Eltern nachzukommen«146. Widerwillig stimmte Andreas Jordan dann der Heirat seiner Tochter mit Franz Peter Buhl zu, an den er sich durch dessen häufige Anwesenheit in Forst und Deidesheim langsam gewöhnt hatte.147 Daraufhin schöpfte auch Ludwig Andreas Jordan für seine Heiratspläne wieder Hoffnung. Auf diese Weise wollte er die jüngeren Familienmitglieder noch enger zusammenführen. Seiner Tante Kramer schrieb er über die Verbindung der Jordanund Buhl-Kinder: »Wir wollen und werden fest zusammenhalten, denn das Band der innigsten und wärmsten Liebe und Zuneigung umschlingt uns.«148 Es dauerte jedoch noch bis zum 29. November 1835, bis auch Ludwig Andreas Jordan endlich eine vorsichtige Zustimmung seines Vaters zu einer Verbindung mit Seraphine Buhl erhielt. In einem ernsten Gespräch diskutierten beide die verschiedenen Heiratsoptionen.149 Geschickt wies Ludwig Andreas Jordan zunächst darauf hin, dass es schwierig sei, reiche Mädchen zu finden, die bereit wären, auf dem Land zu leben. So seien vor allem die Frankfurter Mädchen ohne »praktische[n] Sinn fürs Häusliche«. Deshalb habe er schon in Erwägung gezogen, Reichtum als Kriterium zu verwerfen. Andreas Jordan stimmte ihm prinzipiell zu, verwahrte sich allerdings gegen die Schlussfolgerung. Nachdem man verschiedene Beispiele für eine schwierige Partnersuche durchgegangen war, kamen die beiden auf Seraphine Buhl zu sprechen. Ludwig Andreas Jordan schilderte ihre positiven Eigenschaften und versuchte seinen Vater davon zu überzeugen, dass diese Verbindung sehr vorteilhaft wäre. Andreas ­Jordan stimmte mit 144 Ludwig Andreas Jordan an Franz Peter Buhl, Deidesheim, 23.11.1834, BaK, N1754 (Buhl), Bd. 7. 145 Ludwig Andreas Jordan an Franz Peter Buhl, Deidesheim, 7.1.1835, BaK, N1754 (Buhl), Bd. 7. Zu Gienanth siehe Wedemeyer, Gienanth. 146 Ludwig Andreas Jordan an Franz Peter Buhl, Deidesheim, 26.12.1834, BaK, N1754 (Buhl), Bd. 7. 147 Ludwig Andreas Jordan an seine Tante Margarethe Kramer, Deidesheim, 7.10.1835, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 284. 148 Ebd. 149 Ludwig Andreas Jordan an Franz Peter Buhl, Deidesheim, 29.11.1835, Briefsammlung Hauck, Briefe 1829–1837. Daraus auch alle folgenden Zitate.

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der Begründung zu, dass auf diese Weise am besten »Geschäftsneid« und ­»Hader im Familienkreise« ausgeschlossen werden könnten. Hatte sich seine Sicht auf die Verbindung der Familien Jordan und Buhl mit der Zeit doch gewandelt? Die Bitte seines Sohnes, die Brautwerbung durch ein gutes Wort bei seinem angehenden Schwiegervater zu unterstützen, lehnte Andreas Jordan jedoch ab. Das sei Sache des Sohnes. Als Ludwig Andreas Jordan seine Schüchternheit schilderte, empfahl sein Vater, er solle gegenüber Seraphine Buhl »artig« sein und sie so für sich einnehmen. Euphorisch schilderte Ludwig Andreas Jordan seinem Freund Franz Peter Buhl in einem Brief dieses Gespräch.150 Seine Gefühle umschrieb er mit einem Zitat aus Schillers Ode an die Freude: »Wem der hohe Wurf gelungen, eines Freundes Freund zu sein, und wer ein holdes Weib errungen, mische seinen Jubel ein.« Zunächst pries er mit einem Gedicht Ludwig Bechsteins die Freundschaft zu seinem Cousin: »Ein lautres Gold ist Freundschaft, ein seltner Edelstein, Zwei Muschelschalen schließen die Wunderperle ein, Die Schalen sind zwei Herzen, die fest zusammenhalten; Wer ihren Hort will rauben, muß erst die Herzen spalten. Freundschaft ist allen Reinen ein heilig reiner Geist; Und der ist zu beweinen, der Freundschaft von sich weist.«151

Zu dieser Freundschaft werde sich bald noch die Verbindung zu seiner Cousine gesellen. Dann werde er etwas haben, was ihn »gut und edel« machen werde, »[e]ine Gefährtin durch’s Leben, wie wenig Sterblichen eine beschieden ist«. Sein größtes Streben sei es, seine zukünftige Braut glücklich zu machen. Etwas unsicher war er allerdings, ob Seraphine Buhl seine Gefühle erwidern werde. Hoffnung gab ihm die Unterstützung seines Freundes, bei dem er sich für sein Engagement in dieser Sache bedankte. In den Briefen zeigt sich anschaulich, wie stark Ludwig Andreas Jordans Ansichten von der Romantik geprägt waren. Er inszenierte sich gegenüber seinem Freund und seiner Schwester als bedingungslos Liebenden. Kein einziges Mal erwähnt er darin einen materialistischen Zweck bei dieser Heirat, sondern er sah die Heirat als Liebesheirat an. Die Ehe war für ihn, wie für viele andere Bürger, die »höchste Verkörperung«152 der Liebe, wo »zwei Herzen nur eines bil 150 Ebd. 151 Dieser Auszug stammt aus dem Gedicht »Faustus« von Ludwig Bechstein (1801–1860). Es findet sich unter anderem in der sehr aufschlussreichen Gedichtsammlung von Berlepsch, Concordanz, S. 210. Berlepsch hat in diesem Band Auszüge aus deutschen Gedichten zu bestimmten Themen, wie Freundschaft, Ehe, Liebe etc. zusammengestellt. Die umfangreiche Sammlung zum Stichwort »Freundschaft« veranschaulicht die Verherrlichung der Freundesbeziehung als höchstes Gut. 152 Gay, Macht des Herzens, S.121.

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den«153. In Übereinstimmung mit den romantischen Schriftstellern und Philo­ sophen sah er in der Liebe das Mittel, um ein »ganzer Mensch«154 zu werden, um seinen Charakter zu vervollkommnen. Dazu gehörte auch seine freie Entscheidung bei der Partnerwahl, mit der er sich bei seinem Vater durchsetzte. Das ist zumindest die Sicht, die sich einem bietet, wenn man die Briefe an seinen Freund Franz Peter Buhl und seine Schwester Josephine liest. Gegenüber seinem Vater stellte Ludwig Andreas Jordan die Entscheidung für ­Seraphine anders dar. Danach habe er ursprünglich eine Liebe ohne materielle Interessen, aus Uneigennützigkeit und Großzügigkeit angestrebt, sich aber durch den Einfluss seines Vaters eines Besseren besonnen. Durch die Verbindung mit­ Seraphine Buhl könne er jetzt sogar Gefühl und materiellen Wohlstand zusammenbringen: »Es lässt sich Alles vereinigen.«155 Hier zeigt sich ein kritischer Punkt der biographischen Methode. Das Individuum ist nur in seiner Kommunikation mit seiner Umwelt als soziales Wesen wahrnehmbar. Daher ändert sich auch sein Rollenverhalten mit dem sozialen Feld, in dem es sich bewegt. Es ist daher kaum möglich, die »wahre Identität« des biographierten Subjekts herauszupräparieren. Deutlich wird hier aber auch, dass die Liebesheirat nicht die Heirat aus ökonomischen Gründen verdrängt, sondern dass es das Ziel war, Liebe und materielle Wohlfahrt miteinander zu verbinden. Dieser Befund korrespondiert mit anderen Beispielen aus der Forschung, die sich mit Heiratsverbindungen im Bürgertum auseinandergesetzt hat. Anne-Charlott Trepp hat am Beispiel des Hamburger Bürgertums veranschaulicht, wie sich das romantische Liebesideal mit den materiellen Anforderungen verband.156 Für die zweite Hälfte des 19.  Jahrhunderts hat Gunilla-Friederike Budde festgestellt, dass »die bürgerliche Ehe als Konstrukt des Übergangs auf der Schwelle zwischen der traditionellen, ökonomisch begründeten Sachehe und der modernen Liebesehe«157 steht. Dieses Urteil trifft sicher auch bereits auf die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts zu.

153 Ludwig Andreas Jordan an seine Tante Margarethe Kramer, Deidesheim, 18.2.1836, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 284. 154 Gay, Macht des Herzens, S. 122. 155 Ludwig Andreas Jordan an Andreas Jordan, Deidesheim, 2.3.1836, Briefsammlung Hauck, Briefe 1829–1837. 156 Trepp, Männlichkeit, S. 45, 103–124. In eher programmatischer Absicht siehe den Aufsatz von Medick/Sabean, Emotionen. Siehe dazu auch die Studie von Sabean, Neckars­ hausen. 157 Budde, Bürgerleben, S. 26. Peter Borscheids Urteil erscheint etwas einseitig, wenn er die Liebe nur als die Oberfläche abtut, unter der die nackten ökonomischen Interessen zum Vorschein kommen. Siehe Borscheid, Romantic Love, S.  165. Eine Heirat ohne materiellen Nutzen war sicherlich sehr unwahrscheinlich, aber im Idealfall konnte man Liebe und wirtschaftliche Vorteile verbinden.

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Der psychoanalytisch vorgehende Historiker Peter Gay hat auf einen weite­ren Aspekt der bürgerlichen Reflexionen über die Liebe aufmerksam gemacht. Diese Reflexionen brachten nämlich ein weiteres Nachdenken mit sich: das Nachdenken über sich selbst.158 So sinnierte auch Ludwig Andreas Jordan in seinen Briefen und Tagebucheinträgen, die sich mit seiner Liebe zu Seraphine befassen, über seinen Charakter, sein Verhalten und seine Wirkung auf S­ eraphine. Diese wurde in den Briefen überhöht, zu einer Heiligen stilisiert. Die sakralen Metaphern springen sofort ins Auge: »[E]s ist mir zu einem heiligen Lebenszweck geworden meine theure Seraphine zu beglücken, mein Leben und mein Streben ist ihr geweiht.«159 Dieses romantische Ideal brachte auch seine Tücken mit sich. Denn wie sollte man sich einer Heiligen nähern? Wie sollte man ihre Liebe erwerben, die ja für das romantische Ideal einer von beiden Partnern aus freier Entscheidung eingegangenen Ehe unabdingbar war? Aus dieser Perspektive erscheint es auch nicht verwunderlich, dass Ludwig Andreas Jordan in ihrer Nähe von Ehrfurcht überwältigt wurde. Daher stammte auch Ludwig Andreas Jordans große Schüchternheit, Seraphine Buhl seine Liebe zu gestehen. Offensichtlich erschien es ihm leichter, sich zunächst an ihre Mutter zu wenden und dieser seine Gefühle zu schildern.160 Ihr räumte Ludwig Andreas Jordan eine Schlüsselstellung bei der Entscheidung Seraphine Buhls ein. Der Vater spielte keine Rolle. Auch hier, wie zuvor bei Franz Peter Buhls Brautwerbung, findet sich ein typisches Muster der Anbahnung von Heiraten: Die Mutter fungiert als »gatekeeper«161. Sie ist der Zugang zur Braut. Hat man die Mutter überzeugt, war bereits das größte Hindernis beseitigt. Auch Franz Peter Buhl setzte sich für Ludwig Andreas Jordan bei seiner Schwester ein, die jedoch zurückhaltend reagierte. Das betrübte den Freier, denn er hatte gehofft, seine Liebe würde sofort erwidert. Er sah die Schuld für Seraphines Reaktion jedoch bei sich: »Erhebend ist es für mich nicht, daß es des Zuredens, des Überführens bedarf; das namenlose Glück, entkeimend dem gegenseitigen süßten Geständnis der Liebe ist mir nicht zugedacht und ich habe mir fast Vorwürfe zu machen über meine zu große Befangenheit, die mir nie erlaubte ein zarteres Wort an jenes Mädchen zu richten, die schon so lange her allein den Schöpfungen meiner Einbildungskraft Leben und Reiz verlieh.«162

158 Gay, Macht des Herzens, S. 126. 159 Ludwig Andreas Jordan an Josephine Jordan, Ettlingen, 3.4.1836, BaK, N1754 (Buhl), Bd. 177. 160 Ludwig Andreas Jordan an seine Tante Barbara Buhl, Deidesheim, 2.12.1835, Briefsammlung Hauck, Briefe 1829–1837. 161 Sabean, Kinship and Class Dynamics, S. 302 f. 162 Ludwig Andreas Jordan an Franz Peter Buhl, Deidesheim, 10.12.1835, BaK, N1754 (Buhl), Bd. 7.

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Selbst als er am 31. Januar 1836 nach Ettlingen reiste, um seine Liebe zu erklären, traute er sich nicht. Positiv stimmte ihn, dass seine Tante und Schwiegermutter in spe sein Ansinnen akzeptierte. Ein Brief seines Vaters, den er seiner Tante bei dieser Gelegenheit gab, und in dem sich Andreas Jordan sehr wohlwollend über die Familie Buhl äußerte, unterstützte sein Anliegen. Seine Tante willigte sogar ein, dass ihre Tochter nach Deidesheim ziehen könne, obwohl sie gehofft hatte, in ihr eine Stütze bei Krankheit und im Alter zu haben.163 Da die Buhls ihrer Tochter die letzte Entscheidung überließen, hatte Ludwig Andreas Jordan noch eine harte Nuss zu knacken, denn Seraphine Buhl war nicht von ihrer Liebe überzeugt. Hinzu kam, dass Andreas Jordans Unterstützung schwankte. Er befürchtete, entgegen allen Versicherungen seiner Kinder, von ihnen verlassen zu werden und warf ihnen erneut Undankbarkeit vor. Er habe sich in seinem Leben so sehr für sie eingesetzt und so vieles für sie geopfert, ohne dass diese es ihm zurückgeben würden.164 Er zögerte daher die Heirat seiner beiden Kinder mit den Buhls immer weiter hinaus. Die Buhls zweifelten daher, ob ihre Entscheidung für eine Verbindung mit ihren Verwandten sinnvoll sei. Die Auseinandersetzungen kulminierten, als Ludwig Andreas Jordan am 4. Juni 1836 nach Ettlingen fuhr. Die Buhls erwarteten Nachrichten über konkrete Hochzeitstermine und den Ausbau des Hauses in Deidesheim, doch­ Ludwig Andreas Jordan kam mit leeren Händen, da sein Vater nicht bereit war, sich festzulegen. Umgehend schrieb er einen verzweifelten und offenen Brief an seinen Vater.165 Darin hielt er ihm Kälte gegenüber seinen Kindern vor, die in Furcht vor ihm leben würden. Anstatt sich zu freuen, dass der Deidesheimer Kreis der Familie größer werde, werfe er seinen Kindern ungerechtfertigterweise vor, dass sie ihn abschieben und allein lassen wollten. Mit seiner menschenverachtenden Einstellung werde er kein Glück finden. Das Rezept für ein harmonisches Zusammenleben mit seinen Kindern lieferte Ludwig Andreas Jordan gleich mit: »Vertrauen entspringend aus gegenseitiger Liebe, Herzlichkeit und höchste Natürlichkeit, die Nothwendigkeit Alles was das Herz drückt und erfreut mitzutheilen, hohe Achtung dem Vater, Erkennen des redlichen Strebens der Kinder und der heilige Glaube, daß es noch tugendhafte Menschen giebt, dies sind die Grundpfeiler auf welche das Glück […] gebaut wird. Schenke uns Dein Herz, sei uns gut und vertraue

163 Ludwig Andreas Jordan an Andreas Jordan, Ettlingen, 31.1.1836, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 429. 164 Ludwig Andreas Jordan an Josephine Jordan, Deidesheim, 11.7.1835, BaK, N1754 (Buhl), Bd. 177; Ludwig Andreas Jordan an Josephine Jordan, Deidesheim, 16.7.1835, BaK, N1754 (Buhl), Bd. 177. 165 Ludwig Andreas Jordan an Andreas Jordan, Ettlingen, 4.6.1836, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 429. Daraus auch die folgenden Zitate.

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uns, beweise uns nicht Deine Generosität, sondern Deine liebevolle Güte, Deine Kinder werden Dir liebend entgegen eilen, sie werden vergessen, daß einst die Furcht sie ferne hielt von Ihrem Vater, Du und sie werden glücklich werden und Du wirst vergessen, daß Du weit von Deinen Kindern weg gehen mußt, Du wirst es vergessen, weil Dir Dein Herz sagen wird, daß es nicht natürlich wäre, daß sie es nicht um Dich verdient haben von Dir geflohen zu werden[sic!].«

Anschließend schilderte er seine Befangenheit gegenüber Seraphine und seinen angehenden Schwiegereltern. Er erwarte von seiner Braut, dass sie sich von ihren Eltern trenne und eine angenehme, ihr wohlgesonnene Umgebung verlasse und könne ihr dafür nichts bieten. Er verhalte sich daher noch unsicherer als sonst, sei gehemmt, steif und beschämt. Kurz, er sei »ein Bräutigam von sehr trauriger Gestalt«. Um wenigstens eine positive Nachricht mitteilen zu können, bat er ihn, den Hochzeitstermin für seine Schwester und Franz Peter Buhl festzulegen, da er schon von vielen Seiten gefragt werde, warum sich die Hochzeit immer weiter verzögere. Er versicherte dem Vater, dass er den Brief in redlicher Absicht geschrieben habe und bat ihn, den Kindern seine Liebe zu geben. Am gleichen Tag schrieb er auch einen Brief an seine Schwester, in dem er andere Akzente setzte.166 Hier schilderte er vor allem seine Beziehung zu Seraphine, die sich nicht so positiv entwickelte, wie er gehofft hatte. Seraphine habe ihm gestanden, dass sie ihn nicht liebe. Sie habe sich nur aus Liebe zu ihrem Bruder für ihn entschieden. Aus dem Verhalten ihres angehenden Schwiegervaters schloss sie, dass ihr Bruder nicht sehr angesehen sei und fürchtete jetzt, dass auch Andreas Jordans »Liebe zu ihr von keiner langen Dauer sein möchte«. Hier wird deutlich, warum Ludwig Andreas Jordan diesen verzweifelten Brief an seinen Vater geschrieben hatte. Wenn er die angehende Ehe noch retten wollte, musste er das Verhalten Andreas Jordans ändern und dafür sorgen, dass dieser wenigstens so schnell wie möglich einen Termin für die Hochzeit seiner Tochter ­Josephine mit Franz Peter Buhl ansetzte. Andreas Jordan scheint sich daraufhin wohl besonnen zu haben, denn seine Tochter heiratete Franz Peter Buhl noch im Juli 1836. Beide begaben sich Ende Juli 1836 auf eine sechswöchige Hochzeitsreise nach Frankreich und in die Schweiz, über die sie ihren Verwandten in zahlreichen Briefen ausführlich berichteten.167 Die Hochzeit der beiden sorgte auch für eine engere Verbindung Ludwig Andreas Jordans mit seiner angehenden Braut. Trotzdem dauerte es noch bis zum 19. Februar 1838, ehe die beiden heirateten. Durch die schwierige Braut 166 Ludwig Andreas Jordan an Josephine Jordan, Ettlingen, 4.6.1836, BaK, N1754 (Buhl), Bd. 177. 167 Ludwig Andreas Jordan an Franz Peter Buhl in Genf, Deidesheim, 17.8.1836, BaK, N1754 (Buhl), Bd. 2.

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werbung war die Ehe von Anfang an belastet.168 Das Gefühl, dass Seraphine Buhl ihren Ehemann nicht so innig liebte, wie dieser es sich erhofft hatte, ließ ihn nicht mehr los. Es brach sich in seinen Briefen immer wieder Bahn.169 Ihre länger als drei Monate dauernde Hochzeitsreise führte sie ab März 1838 über das Elsass, Besançon, Lyon und Marseille in das noch aus mehreren Ländern bestehende Italien. Dort besuchten sie Genua und blieben einige Wochen in Rom, Neapel, Florenz, Venedig und Mailand. Über die Schweiz kehrten sie nach Deidesheim zurück.170 Die Briefe der beiden zeigen, dass diese Reiseziele nicht wie bei der England-Reise als Reise in die Moderne ausgewählt waren, sondern als Reise in die (Kunst)Geschichte und in die Natur.171 Damit waren die Cousins und Cousinen verheiratet. Wie die Schilderung der Verbindungen gezeigt hat, war es nicht nur eine strategische Heirat, um den Besitz der Familie zusammenzuhalten.172 Es ging um mehr, um Liebe, Freundschaft, Verwandtschaft, um Mütter als »gatekeeper«, einen widerspenstigen Vater, eine zögerliche Braut. War das typisch für das Bürgertum im 19. Jahrhundert? Folgt man dem Heiratsmuster, das David Sabean aufgestellt hat, war die Ehe fast eine klassisch bürgerliche Ehe.173 Danach fanden nämlich seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert im Bürgertum immer mehr Ehen unter Verwandten statt. Was vorher mit dem Tabu des Inzests belegt war, die Cousin-/Cousinenheirat, wurde jetzt zu einem gängigen Muster.174 Die Suche nach einem geeigneten Ehepartner verlagerte sich von der Integration »Außenstehender« zu einer Suche im engen Verwandtenkreis. Sabean führt diese europaweite Veränderung auf eine neue Wirtschaftsform zurück. Danach sei die ökonomische Expansion im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts verbunden gewesen mit einer strategischen Wahl der Heiratspartner. Die Pflege der Verwandtschaft und der Heiratsoptionen sei in der Phase der Verflüssigung der Gesellschaft noch wichtiger geworden: »The old system was occupied in maintaining a patrimony, while the new acceded to a much more open and flexible way of managing and creating opportunities.«175 168 Die Unsicherheit Ludwig Andreas Jordans zeigt sich auch in einem Brief an seine Tante Kramer. Darin vermutete er noch vor der Hochzeit, dass Seraphine ihren Entschluss, ihn zu heiraten, oft bereue. Siehe Ludwig Andreas Jordan an seine Tante Margarethe Kramer, o. D. [Winter 1837/38], o. O., LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 512. 169 Siehe zum Beispiel die Briefe von Ludwig Andreas Jordan an seine Frau Seraphine, Köln, 19.1.1848, Briefsammlung Hauck, Briefe 1840–1848 und München, 30.1.1855, Briefsammlung Hauck, Briefe 1849–1858. 170 Zur Hochzeitsreise siehe die zahlreichen Briefe Ludwig Andreas Jordans an seine­ Familie, Briefsammlung Hauck, Briefe 1838–1839. 171 Damit entsprach die Hochzeitsreise genau dem von Kaschuba herauspräparierten Typ der Italien- bzw. Schweizreise. Siehe Kaschuba, Erkundung, S. 44 f. 172 Das Urteil von Utz, Weinbürgertum, S. 50 scheint somit voreilig. 173 Sabean, Kinship and Class Dynamics, S. 301 f. 174 Ebd., S. 311. 175 Ebd., S. 309.

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Durch die enge Pflege des Verwandtennetzwerks waren die Verwandten häufig erste Spielpartner der Kinder, man sah sich regelmäßig bei Festen, Bällen und Familienfeiern. Verwandte waren Teil  der Sozialisation der Kinder. Verwandte boten daher auch den Vorteil des Vertrauten. Man wusste bei einer Heirat worauf man sich einließ.176 So machte auch die angehende Schwiegermutter Buhl gegenüber Ludwig Andreas Jordan deutlich, dass es ihr leichter sei, ihre Tochter einem engen Verwandten anzuvertrauen, denn sie kenne ihn ja schon sehr genau.177 Bei einem Ehepartner, der außerhalb des Verwandtenkreises stand, konnte man eben nicht so genau abschätzen, wen man sich ins Haus holte. Man musste erst über vertraute Personen Informationen über den potentiellen Ehepartner einholen. Insofern lag eine Verbindung im Verwandtenkreis durchaus nahe. Durch den vertrauten Umgang in der Verwandtschaft entwickelten sich auch Liebe und Zuneigung. In ihnen sieht Sabean die notwendige »software« für all die anderen »hard-wired connectors«178. Auch bei den Jordans und Buhls war die Heirat ein entscheidender Einschnitt. Sie bestimmte über das weitere Schicksal der Familie. Allerdings gibt es hier eine interessante Abweichung von dem von Sabean geschilderten Muster. Die Kinder setzen sich gegen den alleinerziehenden Vater durch und auch die Verwandtschaft triumphierte über den Vater. Andreas Jordans Schwester­ Kramer setzte sich für die Heiraten ein und wies Ludwig Andreas Jordan auf diese Option hin. Sein Bruder Peter trug mit seiner Erbschaft zu einer engeren Verbindung bei. Hätte Andreas Jordan die Heirat verhindern wollen, hätte er bereits viel früher dafür sorgen müssen, dass sich kein enger Kontakt zwischen den Familien herausbildet. So war die Verwandtschaft häufig zusammen, man sah sich regelmäßig, freundete sich an und entwickelte eine enge Zuneigung füreinander. Da Andreas Jordan zu spät erkannte, in welche Richtung der Zug fuhr, musste er letztendlich nachgeben, zumal die Heirat aus materieller Sicht durchaus Sinn machte. Nancy Anderson hat die extreme Zunahme der Cousin-/Cousinenheirat im Viktorianischen England untersucht und dabei vor allem die Psychoanalyse bemüht. Demnach sei die viktorianische Bürgerfamilie so eng abgeschlossen gewesen, dass sie inzestuöse Verbindungen gefördert habe. Da man jedoch den Bruder/die Schwester aus rechtlichen Gründen nicht habe heiraten können, sei man auf den nächstmöglichen Verwandtschaftsgrad, den Cousin/die Cousine, ausgewichen.179 Diese Deutung ist zwar sehr einseitig, weist für den Fall der­ 176 Ebd., S.  302 f. Ähnlich argumentiert auch Budde, Bürgerleben, S.  263, welche die­ Cousin-/Cousinenheirat auch wahrnimmt, ihr jedoch keine so große Bedeutung zumisst wie Sabean. 177 Ludwig Andreas Jordan an Andreas Jordan, Ettlingen, 31.1.1836, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 429. 178 Sabean, Kinship and Class Dynamics, S. 310. 179 Anderson, Cousin Marriage.

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Jordans und Buhls aber auf einen interessanten Aspekt hin. Denn offensichtlich ging es nicht nur darum, Ludwig Andreas Jordan und Seraphine Buhl zu vermählen, sondern für Ludwig Andreas Jordan war es auch wichtig, seine engen Verbindungen zu seiner Schwester Josephine und seinem Freund Franz Peter aufrecht zu erhalten. Auch für Seraphine war es mit ausschlaggebend, dass sie in der Nähe ihres Bruders bleiben konnte. Die Cousin-/Cousinenheirat war somit eine Art Festschreibung der jugendlichen Freundschafts- und Geschwisterbeziehungen fürs Leben. In den folgenden Jahren kamen dann 5 Töchter von Ludwig Andreas und­ Seraphine Jordan zur Welt. Am 8. April 1839 wurde Marie geboren, am 18. Mai 1841 Augusta, am 22. Juni 1843 Josephine, am 19. Dezember 1845 Clothilde und am 30. Juni 1848 Seraphine.180 Insbesondere Andreas Jordan war sehr darüber enttäuscht, dass kein männlicher Nachfolger für das Familienunternehmen zur Welt kam.181 Dieser war mittlerweile nach Mannheim gezogen. Dort lebte er mürrisch und verbittert über den aus seiner Sicht schlechten Charakter der Menschen, was ihm regelmäßige Vorwürfe seines Sohnes einbrachte. Das zeigt sich besonders, als Andreas Jordan endlich der Ehe seines dritten Kindes, Auguste, mit Friedrich Prosper Deinhard182, aus dem gleichnamigen Koblenzer Weinhandelshaus zustimmte. Da Auguste als Frühchen zur Welt gekommen und geistig etwas zurückgeblieben war, sah Andreas Jordan in dem Handelsreisenden Friedrich Deinhard einen Erbschleicher, der seine Tochter nicht aus Liebe heiraten wolle, sondern der es nur auf seinen Anteil am Jordan’schen Weingut abgesehen habe.183 Daher wehrte er sich vehement gegen diese Verbindung.184 Als er letztendlich nachgab, gratulierte ihm Ludwig Andreas Jordan am 27. November 1843 zu diesem Entschluss. Ermahnend fügte er hinzu: 180 Gemmingen-Hornberg, Ludwig Andreas Jordan, S. 182. 181 Siehe dazu u. a. Andreas Jordan an Ludwig Andreas Jordan, Mannheim, 9.4.1839, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 285; Ludwig Andreas Jordan an seine Tante M ­ argarethe­ Kramer, Deidesheim, 18.5.1841, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd.  512. Das wird auch deutlich als Ludwig Andreas Jordan seinem Vater die Geburt seines Neffen Armand Buhl mitteilt und ihn auffordert, nicht unglücklich darüber zu sein, dass seinem Sohn kein männlicher Nachfolger beschieden sei. Ludwig Andreas Jordan an Andreas Jordan, Deidesheim, 20.8.1847, Briefsammlung Hauck, Briefe 1840–1848. 182 Zur Geschichte des Koblenzer Sekt- und Weinhandelshaus Deinhard siehe Prößler/ Prößler, Wein und Sekt. 183 Beschreibung der Familiengeschichte durch Friedrich von Bassermann-Jordan, o. D., LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 414. 184 Notiz Andreas Jordans, o. O., o. D. [ca. 1843], LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 19; Brief Andreas Jordans an seine Schwester Barbara Buhl, München, o. D. [ca. 1843], LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 19. Auch hier irrt sich Utz also, wenn er die Heirat Auguste­ Jordans mit Friedrich Prosper Deinhard als strategische Heirat einstuft, mit der man den »sozialen Einfluss« erweitert habe. Siehe Utz, Weinbürgertum, S. 50 f.

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Ludwig Andreas Jordans Weg ins Bürgertum Ludwig Andreas Jordans Weg ins Bürgertum 

»Wenn nur Du, mein theurer Vater, den Freuden des Lebens zugänglicher wärst, könntest Du doch dem Comfort Geschmack abgewinnen & wenn auch einsam, doch bequem leben. Aber so kann ich nie, ohne die tiefste Wehmuth an Dich denken! Komm doch einmal hierher, und erfreue Dich Deiner Enkel, wenn sie auch meistens Mädchen sind. Bei etwas weniger strengen Ansichten, könntest Du Dich so mancher traulichen Stunden im Kreise Deiner Kinder erfreuen!«185

Zwei Tage später gratulierte Ludwig Andreas Jordan seinem Vater zum Namenstag und bedankte sich für die vorbildhafte Erziehung durch seinen Vater, der ihm den Pfad der Tugend aufgezeigt habe. Er habe seine Kinder nicht nur mit materiellen Gütern versorgt, sondern sie »erben von Dir einen Namen, der von keinem Flecken getrübt ist; sie erben von Dir ein Beispiel, ein Vorbild, was Ihnen leuchten wird für alle Zukunft.«186 Anschließend hob er jedoch hervor, w ­ orin sein Vater kein gutes Vorbild sei: »Du hast in Dir das Bedürfniß Alles im schwärzesten Lichte anzusehen […]. In dieser Stimmung beurtheilst Du die Menschen auf das Strengste; manche Erfahrungen, die keinem Sterblichen ausbleiben, bestärken Dich in Deiner einmal gefaßten Meinung. In Deiner hypochondrischen Weltanschauung verlierst Du die Ueberwindung auf ­gegentheilige Ansichten anderer Menschen einzugehen; Du legst keinen Werth darauf, weil Du ja die Absichten der Menschen entweder egoistisch oder gar schlecht haltest, und dieses führt Dich, consequenter Weise, in Deinem redlichen Selbst­ bewußtseyn, in dem Gefühle, daß Du es mit Allen gut meinst, zu dem Glauben, daß Du mit Deinem guten Willen einsam in der Welt stehst. Daher – Dein strenges Ur­ theil, – daher – Deine Vorliebe zur Einsamkeit. O […] möchtest Du Freude finden an dem heimathlichen Herde; an den Enkeln, die fast stets das Glück der Großeltern ausmachen. Doch wenn auch das keinen Eingang bei Dir findet, möchtest Du wenigstens Deinem jetzigen Leben angenehmere Seiten abgewinnen; in Deinem Hause ließe sich so Vieles anders machen; Dir fehlt ja Alles und richtig genug bezeichnest Du selbst Dich als einen Verbannten – ich sage aber Du verbannst dich freiwillig.– Ja, lieber Vater, lebe! Lebe aber froh und freudig.«

Andreas Jordan ließ sich jedoch nicht erweichen. Vielleicht erschien dem strengen Mann, der in den Kriegswirren im Anschluss an die Französische Revolution seine Familie durchbringen musste, der eine sparsame Lebenshaltung und spartanische Lebensweise gewöhnt war, das Leben seiner Kinder in Deidesheim zu luxuriös, zu verschwenderisch.187 185 Ludwig Andreas Jordan an Andreas Jordan in Mannheim, Deidesheim, 27.11.1843, Briefsammlung Hauck, Briefe 1840–1848. 186 Ludwig Andreas Jordan an Andreas Jordan in Mannheim, Deidesheim, 29.11.1843, Briefsammlung Hauck, Briefe 1840–1848. Daraus auch das folgende Zitat. 187 In diese Richtung einer eher bescheidenen Lebensführung Andreas Jordans deutet neben dem obigen Zitat Ludwig Andreas Jordans auch ein Befund von Heidede Biegler-Sander. Die Textilhistorikerin hat die im Historischen Museum der Pfalz ausgestellte Kostümsammlung der Familie Bassermann-Jordan analysiert. Dabei kommt sie für die Mode von Andreas

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Vor allem in diesen innerfamiliären Differenzen zeigt sich, dass das Ideal und die Wirklichkeit häufig nicht übereinstimmten. Das Familienidyll, nach dem die Familie als Rückzugsraum und zum Ausleben der Gefühle diente, konnte kaum erreicht werden. Die von Ludwig Andreas Jordan ersehnte Liebesheirat beider Partner hatte sich nicht erfüllt. Seraphine musste zu der Verbindung überredet werden und schien sich mehr in ihr Schicksal ergeben zu haben, als dass sie es aktiv beförderte. Die Kinder waren häufig krank und belasteten mit ihren langwierigen Kinderkrankheiten wie Masern oder Keuchhusten das Familienleben, die Ehefrau war unzufrieden, der Vater Andreas Jordan schrieb vor allem Geschäftliches aus Mannheim und suchte ansonsten kaum Kontakt zur Familie. Auch als Ludwig Andreas Jordan mit seinem Onkel Kramer gerichtlich um die Erbschaft seiner Tante stritt, zeigte sich einmal mehr, dass Familie nicht nur ein konfliktfreier Raum der Liebe ist, sondern dass die Familie eine durchaus umkämpfte soziale und wirtschaftliche Ressource darstellt.188

3.4 Zusammenfassung Betrachtet man die Ausbildungs- und Familiengründungsphase Ludwig Andreas Jordans aus der Vogelperspektive, fallen mehrere Muster ins Auge. Zum einen ging es darum, in dem von Privatlehrern vorgenommenen Unterricht wichtige Grundkenntnisse für eine spätere berufliche Tätigkeit zu erlernen. Hier ging es zum Beispiel um Rechnen und Schreiben, aber auch um Fremdsprachen und Buchhaltung. Daneben erlernte Ludwig Andreas Jordan in seiner Kindheits- und Jugendphase bestimmte kulturelle Techniken, die es ihm ermöglichten, sich in das Bürgertum zu integrieren. Dazu gehörten für uns heute auf den ersten Blick banal erscheinende Dinge wie Lesen oder Schreiben, die aber zum Beispiel für die zentrale Kommunikationsform des 19. Jahrhunderts, das Briefeschreiben, unabdingbar waren. Hinzu kommt das Einüben stundenlangen konzentrierten Zuhörens in der Oper oder die Fähigkeit, selbst zu musizieren. Als Grundmuster für die Erziehung lässt sich zudem erkennen, dass sie sehr stark an Idealen ausgerichtet war. So ging es in der Lektüre zum Beispiel um idealtypische Vorbilder aus der Geschichte oder der Philosophie, an denen J­ ordan seine Handlungen ausrichten konnte. Diese Orientierung an Idealen ist in vielen Bereichen offensichtlich. So schwebte Jordan das Ideal eines rechtschaffenen, Jordan zu dem Schluss, dass diese eher konservativ und regional orientiert gewesen sei. Im Gegensatz dazu sieht sie die Kleidungsstücke der Frauen als »hochmodische Kleidung in dezenter Ausstattung«. Siehe Biegler-Sander, Kostümsammlung, S. 179–181. 188 Auf diese Funktion der Familie zur Bereitstellung von sozialem und ökonomischem Kapital verweist auch Habermas, Frauen und Männer, S. 265 und S. 303. Zu den Auseinandersetzungen um die Erbschaft siehe Ludwig Andreas Jordan an Franz Peter Buhl, Baden, 23.12.1842, BaK, N1754 (Buhl), Bd. 7.

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tugendhaften Mannes vor, der aufgrund seiner Charaktereigenschaften von seinen Mitmenschen geachtet wird. Die Ausrichtung auf dieses Ideal führte zu einer permanenten Arbeit an sich selbst, denn Jordan versuchte, sich diesem Ideal anzunähern. Als wichtiges Instrument in diesem Prozess diente das Tage­ buch, in dem er über seine Erlebnisse und sein Verhalten reflektierte und sich damit auch immer wieder selbst prüfte. Das Tagebuchschreiben lässt sich damit als bürgerliche Technik der Selbstoptimierung auffassen. Neben dieser zunächst von externen Bezugspersonen initiierten Ausrichtung an bestimmten Idealen, die sich zunehmend internalisierte und zu einer regelmäßigen Selbstprüfung überging, stand eine starke Betonung der Selbständigkeit. Ludwig Andreas Jordan wurde daher zunächst nach Mannheim geschickt. Dort sollte er seine Bildung vertiefen und erweitern. Zudem wurde er von seinen Eltern auf die Probe gestellt. In Mannheim musste sich erweisen, ob seine moralischen Grundsätze, seine Tugendhaftigkeit schon so weit gefestigt waren, dass er den Verlockungen des Stadtlebens wiederstehen konnte. Er war in seiner Haushalts- und Lebensführung zwar auf sich allein gestellt, aber immer noch eng mit der Familie verbunden, die ihn regelmäßig zu kulturellen Veranstaltungen besuchte. In diesen Besuchen der Opern- und Theateraufführungen, der Konzerte und Bälle zeigt sich auch die starke Ausrichtung der Vorderpfälzer Familien von Besitz und Bildung auf den kulturellen Magneten Mannheim, der für Deidesheim und die umliegenden Orte den zentralen Bezugspunkt darstellte. Ludwig Andreas Jordan lernte auf diese Weise in seiner Mannheimer Zeit, seinen kulturellen Geschmack zu verfeinern und sich sicherer in der ungewohnten Umgebung des Adels und des wohlhabenden Handels- und Bildungsbürgertums zu bewegen. Noch stärker auf die Selbständigkeit zielte die Reise nach England, die Jordan gemeinsam mit seinem Freund Franz Peter Buhl unternahm. Hier gab es keinen heimatlichen Rückzugsraum mehr. Die beiden waren ganz auf sich allein gestellt. Mit der Reise konnten die beiden demonstrieren, dass sie den Versuchungen der Großstadt nicht erlagen und sich in ihrer Bezugsgruppe, dem Wirtschaftsbürgertum, sicher bewegen konnten. Zudem konnten sie sich durch ihre Erfahrungen vom Adel und der Unterschicht abgrenzen und damit ihre bürgerliche Identität festigen. Gleichzeitig diente diese Reise in die »Moderne« zur Verstärkung bestimmter Wahrnehmungsmuster. Jordan, der ohnehin aus einer innovationsfreudigen Winzerfamilie stammte, sah hier die enormen Möglichkeiten der Industrialisierung und erlebte damit auch die industrielle Rückständigkeit der eigenen Region. So kehrte er mit einem Gefühl für die technischen Möglichkeiten der Zeit und einer Bewunderung für die vermeintliche britische Risikobereitschaft in der Entwicklung neuer Industriezweige in den Pfalzkreis zurück. Die zunehmende Förderung der Selbständigkeit durch Ausbildung und Reise kontrastiert stark mit der Ausbildung seiner Schwester Josephine, die ganz an Deidesheim gebunden war und unter dieser Enge litt.

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Parallel zu der fachlichen Ausbildung, der Integration in das Bürgertum und der Einübung bestimmter Wahrnehmungsmuster war Jordan in die familiäre Weinwirtschaft eingebunden, die er auf diese Weise frühzeitig kennenlernte. Hier gab es keine fachlich vorgegebene Ausbildung, sondern er erwarb sich das önologische Wissen als »learning by doing«. Insbesondere durch die Abwesenheit des Vaters als Landtagsabgeordneter musste er frühzeitig gemeinsam mit seiner Mutter wirtschaftliche Verantwortung übernehmen. Als einziger Sohn der Familie gab es für ihn somit keine Berufswahl. Es war von Anfang an klar, dass er in die Fußstapfen seines Vaters treten und das Weingut seiner Familie weiterführen sollte. Die Freundschaft von Jordan und Buhl wurde auch durch die Heiraten befestigt. Franz Peter Buhl heiratete seine Cousine Josephine Jordan und Ludwig Andreas Jordan seine Cousine Seraphine Buhl. So ließ sich auch die enge Verbindung zu seiner Schwester Josephine aufrecht erhalten. Was auf den ersten Blick wie eine innerfamiliäre Absicherung der Weinwirtschaft aussieht, entpuppt sich auf den zweiten Blick als Kampf der Kinder gegen den Vater Andreas Jordan. Dieser hatte, nachdem sein Bruder Peter 1830 in seiner Erbschaft nur die BuhlKinder bedacht hatte, den Kontakt zu der Familie seiner Schwester sehr kritisch gesehen. Er wollte daher die Heiratspläne seiner Kinder verhindern. Als zu allem Überfluss 1834 noch seine Frau Josepha starb, die sich für die Heiraten eingesetzt hatte, sah es für die Kinder düster aus. Diese konnten den Vater zwar überreden, der Hochzeit zuzustimmen, verursachten damit aber seinen Rückzug aus Deidesheim nach Mannheim, wo er verbittert und mit seinem Schicksal hadernd seine letzten Lebensjahre verbrachte. Diese innerfamiliären Auseinandersetzungen kollidierten mit Ludwig Andreas Jordans Familienideal eines harmonischen, gefühlsbetonten auf Liebe basierenden Zusammenlebens. Auf dieses Ideal arbeitete Jordan zwar auch in diesem Bereich hin, scheiterte damit aber immer wieder an dem störrischen Verhalten seines Vaters. Trotz dieser innerfamiliären Differenzen boten die Heiratsverbindungen vor allem zwei Möglichkeiten. Die Jordan- und Buhl-­Kinder konnten eng zusammenbleiben und damit ihre Freundschaften auch formal miteinander verbinden, und die von den Buhl-Kindern ererbten Weinberge eröffneten die Chance, erste eigenständige Erfahrungen in der Weinwirtschaft zu sammeln.

4. Modernisierung, Industrialisierung und institutionelles Engagement: Vom Weingutsbesitzer zum Großinvestor

Bereits Ludwig Andreas Jordans Sozialisation, seine Freundschaft zu den Buhls und seine Erfahrungen in den wirtschaftlich fortschrittlichsten Regionen Europas, in Belgien und England, hatten Jordans Blick für die wirtschaftlichen Möglichkeiten der Zeit geschärft. Mit der beginnenden Industrialisierung in den Ländern des Deutschen Bundes boten sich auch in seinem Umfeld vielfältige Investitionsmöglichkeiten. Der Eisenbahnbau und die zunehmend industriell fertigenden Branchen, wie etwa die Textilproduktion, benötigten viel Kapital für die Anschaffung von Maschinen und Rohstoffen oder den Bau der Fabriken. Aufgeschlossene, kapitalkräftige Persönlichkeiten fanden hier ein weites Betätigungsfeld. Vor diesem Hintergrund soll im Folgenden aufgezeigt werden, wie Ludwig Andreas Jordan seine Prägungen in wirtschaftliches Handeln umsetzte und die Industrialisierung in der Pfalz und darüberhinaus mitgestaltete. Die Analyse des vielfältigen wirtschaftlichen und wirtschaftspolitischen Engagements Ludwig Andreas Jordans erfolgt mit Hilfe mehrerer Leitfragen. Zunächst geht es um die Frage, wie er als Weingutsbesitzer agierte. Wie modernisierte er das Weingut? Darüberhinaus soll analysiert werden, in welche Bereiche er über den Weinbau hinaus investierte. Wie kamen seine Investments zustande? Gab es ein Netzwerk von Investoren? Wie erfolgreich waren seine Investments? Wie wirkte er mit seinem wirtschaftlichen Engagement auf den Raum »Pfalz« ein? Wie sah er seine eigene Rolle in der Wirtschaft und Wirtschaftspolitik? Für welche Projekte setzte er sich in den handelspolitischen Gremien wie der Handels- und Gewerbekammer ein? Auf diese Weise ergibt sich ein umfassendes Bild seiner wirtschaftlichen Tätigkeiten und der dahinterstehenden Motive.

4.1 Ludwig Andreas Jordan als Gutsbesitzer: Die Jordan’sche Teilung 1848 und die Modernisierung des Weinguts Die Heirat mit seiner Cousine Seraphine Buhl 1838 ermöglichte Ludwig Andreas Jordan seine ersten eigenen Schritte als Winzer. Die von Peter Heinrich Jordan ererbten Wingerte der Buhl-Kinder verwalteten jetzt Ludwig Andreas Jordan und Franz Peter Buhl gemeinsam unter dem Namen P. H. Jordans Erben. Das

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stärkte die ohnehin schon innige Freundschaft der beiden, und das hatte ­Ludwig Andreas Jordan auch bereits 1836 gegenüber seinem Vater für eine Verbindung mit Seraphine Buhl in die Waagschale geworfen: »Ich sehe nun einer schönen und frohen Zukunft entgegen, ein weites Feld zur größthen Thätigkeit steht mir im Verein mit meinem Freunde, der erprobt ist, offen.«1 Das gemeinsame Unternehmen florierte in den folgenden Jahren. Ludwig­ Andreas Jordan hat darüber genauestens Buch geführt. So kann man seinem Versandbuch von 1838–1842 entnehmen, dass sein Wein unter anderem nach Frankfurt, Köln, Marktheidenfeld, München, Bamberg, Leipzig, Koblenz, Schweinfurt, Aachen, Erfurt, Fulda und Straßburg gesandt wurde. Man produzierte also für einen überregionalen eher süddeutsch orientierten Markt. An den Geschäftszahlen des bis 1848 bestehenden Gemeinschaftsunternehmens kann man sehr gut erkennen, wie schwankend das Weingeschäft war.2 So produzierte man 1841 etwas mehr als 25 Fuder Wein à 1000 Liter.3 Im ertragreichsten Jahr 1846 ergab die Ernte etwas mehr als 61 Fuder und 1847 ca. 59 Fuder. Diese Schwankungen schlugen sich auch im Gewinn nieder. In den quantitativ schwächeren Jahren 1843 und 1844 machte man einen Verlust von 8444 Gulden bzw. 10.673 Gulden. Im Jahr 1846 erwirtschaftete man dagegen einen Gewinn von 43.940 Gulden durch den Verkauf von 57 Fuder Wein. Diese Zahlen verdeutlichen die Risiken des Weingeschäfts. Ein gutes finanzielles Polster war unabdingbar, um schlechte Jahre gut zu überstehen. Zudem hatte man bei den Qualitätsweingütern den Vorteil, in guten Jahren Wein zurückhalten zu können, um ihn später, bei schlechten Ernten, zu verkaufen. So konnte man die Schwankungen etwas abfedern. Die beiden Cousins bauten das Geschäft von P. H. Jordans Erben vorsichtig aus. So erwarb man einige weitere Weinberge. Zudem erbte man 1842 nach dem Tod der Tante Kramer deren Wingerte.4 In den ersten Geschäftsjahren als Winzer mussten Jordan und Buhl jedoch auch Lehrgeld bezahlen. Als ein Weinhändler, der ihnen noch 9000 Gulden schuldete, Bankrott ging, erlitten sie einen großen Verlust. Andreas Jordan übernahm den Schaden für seinen Sohn und seinen Schwiegersohn, knüpfte daran jedoch mahnende Worte: »Ich […] hoffe, daß die erlittene Angst über einen so bedeutenden und schwer wieder zu ersetzenden Verlust Euch beide im Laufe Eures ferneren Geschäftsganges vorsichtiger machen wird. Ich tadelte schon öfters Eure Übereilung in zu hohen Preißen beim Einkaufe der Weine, welche wahrhaft mit euren Verkäufen in so lange hinaus­ 1 Ludwig Andreas Jordan an Andreas Jordan, Deidesheim, 2.3.1836, Briefsammlung Hauck, Briefe 1829–1837. 2 Die Geschäftszahlen von PH Jordans Erben befinden sich in LaS, V153 (BassermannJordan), Bd. 1. 3 Zu den Hohlmaßen siehe Bassermann-Jordan, Geschichte des Weinbaus, Bd. 2, S. 1302. 4 Ludwig Andreas Jordan an Franz Peter Buhl, Baden, 23.12.1842, BaK, N1754 (Buhl), Bd. 7.

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gestellten Ziehlen an öfters morsche unsichere Abnehmer in zu grellem Widerspruche stehen. Ich rathe daher eine weise Mäßigung in euren Geschäften an; Ihr müßt da­rauf achten, das zu erhalten, was ihr schon besitzt, sonst fällt auch jenes in unzuverlässige Hände, was aus Bessern in die Eurigen gelangt.«5

Anschließend beschrieb er die Aufgabe der beiden aus seiner Sicht und verwies dabei auf seine Meistererzählung des wirtschaftlichen Aufstiegs durch Fleiß und Verzicht. Im Gegensatz zu ihm, der ein »Familienglück mit wenigen Mitteln durch drückende Entbehrungen«6 aufgerichtet habe, sei es ihre Aufgabe, den bestehenden Besitz klug zu verwalten und aus diesem Besitz entsprechende Vorteile zu ziehen. Dass sein Start ins Berufsleben selbst mit einer ansehnlichen Erbschaft gepolstert war, unterschlug er. Um die bestehenden Kundenbindungen auszubauen und neue Kunden zu werben, war Ludwig Andreas Jordan auch als Handelsreisender unterwegs. Mit zahlreichen Weinproben versehen klapperte er Weinhändler und Gastwirte in Köln, Mainz oder in Frankfurt ab, um sie von seinen Weinen zu überzeugen. So besuchte er bei einer Handelsreise im Januar 1848 unter anderem erstmals den Großunternehmer, Kaufmann und Führer der rheinischen Liberalen Gustav Mevissen in Köln. Seiner Frau teilte er nach einem Souper bei Mevissen stolz die neue geschäftliche Verbindung mit.7 Parallel dazu übernahm er immer mehr die Geschäftsführung des Weinguts seines Vaters Andreas Jordan. Als dieser nach Mannheim zog, ließ er sich regelmäßig von seinem Sohn über die laufenden Geschäfte informieren.8 Ab März 1841 war Ludwig Andreas Jordan auch für seinen Vater zeichnungsberechtigt, der seine Geschäftspartner über diese Maßnahme informierte.9 Ein entscheidender Einschnitt für die Familie und das Weingut erfolgte im November 1848 mit dem Tod Andreas Jordans. Da kein Testament vorlag, wurde sein Besitz zwischen seinen drei Kindern geteilt. Das Inventarium über diesen Teilungsakt gibt einen aufschlussreichen Einblick in das mobile und immobile Vermögen Andreas Jordans und seine Geschäftspraktiken.10 Zunächst erhielt jedes Paar ein Anrecht an einem Drittel von Andreas Jordans umfang­ reichen Kreditgeschäften in Höhe von jeweils ca. 250.000 Gulden. 5 Andreas Jordan an Ludwig Andreas Jordan, Deidesheim, 18.10.1842, LaS, V153 (Basser­ mann-Jordan), Bd. 279. 6 Ebd. 7 Ludwig Andreas Jordan an Seraphine Jordan, Köln, 19.1.1848, Briefsammlung Hauck, Briefe 1840–1848. 8 Siehe dazu die zahlreichen Briefe von Ludwig Andreas Jordan an seinen Vater in Mannheim in Briefsammlung Hauck, Briefe 1840–1848. 9 Ludwig Andreas Jordan an Andreas Jordan, Deidesheim, 3.3.1841, Briefsammlung Hauck, Briefe 1840–1848. 10 Hierzu und zu dem Folgenden siehe: Inventarium für den Teilungsakt 1848, in LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 18.

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Diese Kreditgeschäfte hingen zum einen mit der Praxis des Weinhandels zusammen. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts fanden in der Regel kein Flaschenverkauf und kein Direktverkauf an Kunden statt. Stattdessen wurde der Wein in Fässern an Weinhändler geliefert, die den Wein zunächst unter dem Sammelbegriff Rheinwein, zunehmend dann auch mit Orts- und Lagenbezeichnung in kleinen Quantitäten weiterverkauften. Die Geschäftsabschlüsse zwischen den Gutsbesitzern und den Weinhändlern beliefen sich daher meistens auf mehrere tausend Gulden. Der Betrag wurde den Weinhändlern zum Teil gestundet, sodass diese den Betrag abzahlen konnten, wenn sie den Wein weiterverkauft hatten. Aus diesen Kreditbeziehungen, die auch ein Vertrauensverhältnis begründeten, entwickelten sich umfassendere Kreditgeschäfte zwischen den Jordans und ihren Weinhändlern. So bat zum Beispiel der Frankfurter Weinhändler Fay, mit dem die Jordans eng zusammenarbeiteten, Andreas Jordan 1842 um ein Darlehen von mindestens 10.000 Gulden für einen Hauskauf. Ludwig Andreas Jordan, der natürlich genau wie sein Vater, durch die bisherige Geschäftsverbindung wusste, dass man sich auf Fay verlassen konnte, befürwortete den Kredit.11 Zum anderen sind in den Kreditlisten viele Schuldner mit relativ kleinen Beträgen aufgeführt. Hier handelt es sich wahrscheinlich um kleinere Winzer oder Handwerker, die zum Beispiel nach einer schlechten Ernte oder einem schlechten Geschäftsjahr einen Kredit zur Überbrückung für das nächste Jahr benötigten. Aufgrund des komplizierten Hypothekengesetzes aus der französischen Zeit mit hohen Registrierungsgebühren und der geringen Bankendichte im Rheinkreis war es nicht einfach, hypothekarisch gesicherte Kredite im Pfalzkreis zu erhalten.12 Das führte dazu, dass private Kreditgeber in die Lücke sprangen. Der übliche Zinssatz lag bei 5 %. Diese Kreditpraxis zementierte die wirtschaftliche und politische Vormachtstellung der reichen Gutsbesitzer in der Vorderpfalz.13 Noch 1880 hielt ein Bericht des »Vereins für Socialpolitik« über die Situation der Landwirtschaft in der Pfalz fest, dass im Bereich der Kleinkredite häufig wohlhabende Bauern ihr Geld verleihen würden.14 Auch Ludwig­ Andreas Jordan hatte bereits in den 1840er Jahren sehr zum Unwillen seines Vaters mit Kreditgeschäften begonnen, wozu jetzt die geerbten Kreditgeschäfte 11 Die ältere Forschung zur Kreditpraxis hat den Fokus sehr stark auf die finanzielle und institutionelle Seite der Kreditvergabe gelegt. Dagegen hat die neuere Forschung zu Recht das Kreditwesen ausgehend von der Frühen Neuzeit als »soziale Praxis« in den Blick genommen, da mit der Kreditvergabe auch vielfältige Beziehungen zwischen Schuldner und Gläubiger entstanden, die über den finanziellen Aspekt hinausgingen. Eine Schlüsselkategorie in diesem Verhältnis ist »Vertrauen«. Siehe als knapper Überblick über die aktuelle Forschung Suter, Jenseits des »cash nexus«. Die neuen Forschungserkenntnisse lassen sich hervorragend über zwei Sammelbände erschließen: Clemens (Hg.), Schuldenlast; Schlumbohm (Hg.), Soziale Praxis, 12 Kermann, Kreditverhältnisse, S. 170–176; Fehrenbach, Problematik, S. 104–106. 13 Zu ähnlichen Beobachtungen in Bezug auf französische Forschungen siehe Lipp, Aspekte, S. 27. 14 Petersen, Verhältnisse, S. 259.

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seines Vaters kamen.15 Diese Vererbung von Kreditbeziehungen über die Generationen ist bisher vor allem aus der Frühneuzeitforschung bekannt, war aber offensichtlich auch im 19. Jahrhundert noch üblich.16 Im Rahmen der Erbschaft garantierten sich die Erben die entsprechende verliehene Summe. Sollte also ein Kredit ausfallen, würden alle drei Familien dafür aufkommen. Auch die Aktien und Staatspapiere von Andreas Jordan im Wert von 62.270 Gulden wurden entsprechend aufgeteilt. Darunter fielen sogenannte »Metalliques«, also Staatspapiere, deren Zinsen in Münze und nicht in Papier ausgezahlt wurden. Außerdem besaß Andreas Jordan Anteile an der B ­ exbacher Eisenbahngesellschaft, der ersten Pfälzer Eisenbahn, die Ludwigshafen mit dem saarpfälzischen Bexbach verband und seit 1847 als »Pfälzische Ludwigsbahn« firmierte.17 Hinzu kamen Anteile an der Gesellschaft des Ludwig-­Donau-­Main-­ Kanals zwischen Kehlheim und Bamberg sowie an der Aktiengesellschaft der Taunus-Eisenbahn zur Verbindung von Frankfurt nach Wiesbaden. Da sowohl beim Kanal- als auch beim Taunusbahnbau die Bank von Mayer ­Amschel­ Rothschild in Frankfurt die Finanzierung mit sicherte, liegt es nahe, dass­ Andreas Jordan über diese Bank, seine Hausbank, die Anteile erworben hatte.18 Sein dortiges Konto, ebenso wie das bei der Mannheimer Bank ­»W. H. Ladenburg und Söhne« von Seligmann Ladenburg, wurden aufgelöst und die Summe von 55.610 Gulden verteilt. Aufgeteilt wurden auch die Weinberge, die alle in Deidesheim, Forst und Ruppertsberg lagen. Darunter waren Filetstücke im Ruppertsberger Hofstück, Forster Kirchenstück, Forster Ungeheuer, Deidesheimer Grein, Deidesheimer Kieselberg und Deidesheimer Kalkofen. Jeder Erbe erhielt Weinberge mit einem Wert zwischen 44.000 und 45.000 Gulden.19 Hinzu kamen Äcker, Wiesen, Gärten sowie umfangreiche Gerätschaften wie Fässer, Keltern, Bütten und Zuber. Außerdem wurden 2 Pferde, 8 Kühe, Kutschen, Leiterwagen, Weißzeug, Bettzeug und Porzellan aufgeteilt. Von den drei Häusern Andreas Jordans in­ Deidesheim erhielt Ludwig Andreas Jordan den Ketschauer Hof, und die beiden anderen Häuser wurden Buhl und Deinhard per Los zugeteilt. Andreas J­ ordans Haus in Mannheim wurde für 16.000 Gulden verkauft und sein Weinlager für 81.371,50 Gulden versteigert. Das Gesamtvermögen, das unter den drei Familien aufgeteilt wurde, betrug somit 1.565.400 Gulden. Jede Familie erbte also Güter und Vermögen im Wert von 521.800 Gulden. 15 Siehe Andreas Jordan an Ludwig Andreas Jordan, Mannheim, 3.8.1842, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 279. 16 Lipp, Aspekte, S. 24. 17 Zum Eisenbahnbau in der Pfalz siehe das Kapitel 4.3.1. 18 Zum Engagement der Rothschilds bei der Taunusbahn siehe Ferguson, Geschichte der Rothschilds, Bd. 1, S. 497–499; Gall, Eisenbahn, S. 18. Zur Beteiligung der Rothschilds beim Donau-Main-Kanal siehe Liebl, Erde, S. 19. 19 Teilungsakt vom 6.2.1849, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 18.

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Daraufhin wurde auch die Firma P. H. Jordans Erben aufgelöst und der Firmenbesitz unter den Familien Jordan und Buhl aufgeteilt. Ludwig Andreas­ Jordan bildete aus seinem Erbe und seinem Anteil an P. H. Jordans Erben das Weingut Jordan mit einem Besitz von ca. 15,5 ha.20 Franz Peter Buhl gründete das Weingut Buhl und als drittes Weingut entstand das Weingut Deinhard von ­Ludwig Andreas Jordans Schwester Auguste und ihrem Mann ­Friedrich Deinhard.21 In den folgenden Jahren konnten die Jordans durch den Erwerb zahlreicher Wingerte in den besten Lagen von Deidesheim, Forst, Ungstein und D ­ ürkheim den Grundbesitz auf ca. 27 ha im Jahre 1867 erweitern.22 Damit gehörte das­ Jordan’­sche Weingut in der Pfalz zu den größten Weingütern. Im Vergleich zu überregionalen Konkurrenten, wie der nassauischen, ab 1866 preußischen Weinbaudomäne Kloster Eberbach im Rheingau mit ihren 77 ha Weinbergen, nahm sich der Besitz jedoch eher bescheiden aus.23 Bei der Ausdehnung seines Weinbergsbesitzes profitierte Ludwig Andreas Jordan auch von der wirtschaftlichen Not und der Realteilung in der Pfalz. Häufig waren die Wingerte durch die zahlreichen Teilungen zu klein, um sie lohnend zu bewirtschaften. Zudem war die Kapitaldecke vieler Winzer sehr dünn, sodass manchmal eine schlechte Ernte ausreichte, um einen Bankrott herbeizuführen. Viele Kleinwinzer mussten daher ihren Besitz versteigern lassen und wanderten aus. Gerade in den 1850er und 1860er Jahren erreichte die Auswanderungswelle aus der Pfalz ihren Höhepunkt, was einerseits mit der bayerischen Reaktionspolitik nach 1848/49 zusammenhing, andererseits aber auch starke wirtschaftliche Ur­sachen hatte.24 Wie der Betrieb organisiert war, lässt sich über die Bewerbungsunterlagen des Weinguts Jordan für die Pariser Kunst- und Industrieausstellung von 1867 rekonstruieren.25 Danach beschäftigte Ludwig Andreas Jordan auf seinem 20 O. V., Die Weingüter Jordan, S. 109 f. 21 Zu den Weingütern Buhl und Deinhard, deren Entwicklung im Folgenden nur noch am Rande berücksichtigt wird siehe: O. V., Die Weingüter Jordan, S. 119–126 und den Beitrag: O. V., Das von Winning’sche Weingut. Das Weingut Buhl existiert heute noch unter dem­ Namen »Reichsrat von Buhl« und das Weingut Deinhard unter dem Namen »Weingut von Winning«. Da der Neustädter Werbeunternehmer Achim Niederberger seit 2002 sowohl das Weingut »Geheimer Rat Dr. von Bassermann-Jordan« als auch die Weingüter »Reichsrat von Buhl« und »von Winning« erworben hat, könnte man fast davon sprechen, dass die Jordan’sche Teilung von 1848 wieder rückgängig gemacht wurde. Siehe dazu Ankenbrand, Niederberger. Achim Niederberger verstarb 2013, so dass seine Frau mittlerweile die drei Weingüter führt. 22 Über Ludwig Andreas Jordans Güterbuch lassen sich die Zukäufe, ihre Bestockung, die Düngung etc. hervorragend nachvollziehen. Güterbuch von Ludwig Andreas Jordan von 1847 bis 1883, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 20. 23 Daunke, Weinbaudomäne, S. 34. 24 Heinz, Auswanderung, S. 172–203. 25 Hierzu und zu dem Folgenden siehe Entwurf für Bewerbungsschreiben für die Pariser Kunst- und Industrieausstellung im Jahre 1867, o. D., LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 377.

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Weingut 30 Familien. Diese produzierten neben ihrer Arbeit für das Jordan’sche Weingut drei bis sechs Fuder eigenen Wein, den sie an Ludwig Andreas Jordan verkauften. Wenn sie keine eigene Wohnung besaßen, stellte ihnen die Familie J­ ordan eine Unterkunft. Neben dem Grundbesitz gehörten zu dem Weingut auch 25 Rinder, hauptsächlich zur Düngerproduktion. Weil diese Düngermenge nicht reichte, kaufte Ludwig Andreas Jordan noch große Mengen Kompost, Wollabfälle und Kunstdünger hinzu.26 Da sowohl Ludwig Andreas Jordan als auch Franz Peter Buhl aufgrund ihrer politischen und wirtschaftlichen Aktivitäten häufig abwesend waren, musste die Führung des Weinguts auf mehrere Schultern verteilt werden. Zunächst funktionierte die Verwaltung sowohl des Jordan’schen als auch des Buhl’schen Weinguts als Familienwirtschaft. Josephine Buhl beaufsichtigte zum Beispiel bei Abwesenheit ihres Mannes die Arbeiten der Tagelöhner und erstellte teilweise den Rechnungsabschluss.27 Über diese ausufernden Tätigkeiten war sie zusehends genervt. So schrieb sie ihrem in der Münchner Kammer der Abgeordneten weilenden Mann am 5.  Juni 1861: »Gott! was ist dies für ein Leben, wenn der Mann seine halbe Lebenszeit in den Kammern sitzet!«28 Auch ­Seraphine Jordan erledigte die Weinverkäufe und Wechselgeschäfte in Abwesenheit ihres Mannes.29 Zeitweise betreuten die Buhls das Jordan’sche Weingut mit, genauso wie­ Ludwig Andreas und Seraphine das Buhl’sche Weingut mitbeaufsichtigten, wenn diese abwesend waren.30 Ludwig Andreas Jordan und Franz Peter Buhl ersteigerten auch füreinander Weinberge.31 Mit zunehmender Dauer war diese familiäre Arbeitsteilung aber nicht mehr möglich. Franz Peter Buhl starb 1862 und Josephine Buhl sowie ihre Schwägerin Seraphine Jordan waren häufig aufgrund nervlicher Leiden abwesend. So übertrug Ludwig Andreas Jordan die Führung des Weingutes mehr und mehr einem Verwalter, der die organisatorischen Aufgaben für ihn erledigte und die Arbeit der Tagelöhner beaufsichtigte. Als dieser im Januar 1872 erkrankte, war Ludwig Andreas Jordan mit der 26 Siehe hierzu auch das »Dungbuch« von Ludwig Andreas Jordan, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 101. 27 Josephine Buhl an Franz Peter Buhl, Deidesheim, 15.3.1849; Josephine Buhl an Franz Peter Buhl, Deidesheim, 29.4.1856; Josephine Buhl an Franz Peter Buhl, Deidesheim, 11.1.1861; Josephine Buhl an Franz Peter Buhl, Deidesheim, 15.1.1861, alle in BaK, N1754 (Buhl), Bd. 3. 28 Josephine Buhl an Franz Peter Buhl, Deidesheim, 5.6.1861. BaK,, N1754 (Buhl), Bd. 3. 29 Ludwig Andreas Jordan an Seraphine Jordan in Deidesheim, München, 22.3.1848; Ludwig Andreas Jordan an Seraphine Jordan in Deidesheim, München, 21.4.1848, Briefsammlung Hauck, Briefe 1840–1848. 30 Ludwig Andreas Jordan an Franz Peter Buhl, München, 6.12.1849; Ludwig Andreas Jordan an Franz Peter Buhl, München, 13.12.1851; Ludwig Andreas Jordan an Franz Peter Buhl, Deidesheim, 24.1.1856, alle drei in BaK, N1754 (Buhl), Bd. 2. 31 Ludwig Andreas Jordan an Seraphine Jordan, München, 16.3.1852, BaK, N1754 (Buhl), Bd. 289.

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­plötzlichen ­Ü bernahme dieser Tätigkeiten überfordert. Seinem Abgeordnetenkollegen Heinrich Marquardsen schrieb er, dass ihm diese Aufgaben auf dem Weingut »fast fremd geworden«32 seien. Ludwig Andreas Jordan war, wie sein Schwager Franz Peter Buhl, sehr daran interessiert, den Weinbau unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten zu verbessern.33 So hielten die beiden engen Kontakt zum Chemiker und Düngerexperten Justus von Liebig in München, mit dem sie auch ihre politischen Ansichten teilten.34 Die Bekanntschaft Jordans und Buhls mit Justus von Liebig kam über dessen Hausarzt Karl von Pfeufer zu Stande, den Jordan und Buhl schon aus seiner Heidelberger Zeit (1844–1852) kannten.35 Liebig berichtete Jordan und Buhl unter anderem über seine Düngerversuche, bat um finanzielle Unterstützung für Unternehmungen seiner Schüler und hoffte darauf, dass seine Erkenntnisse durch Anwendung im Deidesheimer Musterweinanbau weitere Verbreitung bei den Winzern finden könnten.36 Ludwig Andreas Jordan machte er auf die neuesten Erkenntnisse Louis Pasteurs aufmerksam, die man auch für den Weinbau verwenden könne. Dabei ging es um die kurzfristige Erhitzung des Weines, der dadurch die Süße länger halten würde.37 Pasteur hatte damit am Wein das Prinzip der später nach ihm benannten »Pasteurisierung« erprobt, denn durch die kurzfristige Erhitzung wurden Keime abgetötet, die anderenfalls ungewollte Reaktionen im Wein bewirkten.38 Ludwig Andreas Jordans Neffen Eugen und Armand Buhl, die nach dem Tod des Vaters 1862 gemeinsam das Buhl’sche Weingut übernommen hatten, probierten dieses Verfahren in den nächsten Jahren eifrig aus.39 Nach dem Tod Armand Buhls 1896 wurde es dort jedoch nicht mehr weiter praktiziert.40 Das Pasteurisierungsverfahren wird allerdings bis heute vor allem bei der Vergärung des Weines durch Reinzuchthefen verwendet.41 32 Ludwig Andreas Jordan an Heinrich Marquardsen, Deidesheim, 23.1.1872, BaB, N2183 (Marquardsen), Bd. 12. 33 Zu dieser Offenheit gegenüber dem wissenschaftlichen Fortschritt bei den Vorder­ pfälzer Winzern siehe auch Müller, Landwirthschaft, S. 455. 34 Siehe zum Beispiel den Brief Ludwig Andreas Jordans an sein Frau Seraphine, München, 30.1.1855, Briefsammlung Hauck, Briefe 1849–1858; Ludwig Andreas Jordans an Justus von Liebig, Deidesheim, 10.8.1866, Bayerische Staatsbibliothek München, Liebigiana, Bd.  II.B; Ludwig Andreas Jordans an Justus von Liebig, Deidesheim, 16.3.1867, ebd.; Ludwig Andreas Jordans an Justus von Liebig, Deidesheim, 23.4.1867, ebd. 35 Klötzer, Kunstdünger, S. 519 f.; zu Pfeufer siehe Steiner, Karl von Pfeufer. 36 Siehe zum Beispiel den Brief Justus von Liebigs an Franz Peter Buhl, München, 6.12.1857, in: Klötzer, Kunstdünger, S. 523–527. 37 Ludwig Andreas Jordan an seinen Neffen Eugen Buhl, München, 6.6.1865, BaK, N1754 (Buhl), Bd. 290. 38 Zur zeitgenössischen Diskussion siehe: O. V., Pasteur. 39 O. V., Conservirung. 40 Bassermann-Jordan, Geschichte des Weinbaus, Bd. 1, S. 435. 41 Eintrag »Pasteurisierung«, in: Ambrosi, Lexikon vom Wein, S. 272; W. Biermann, Pasteurisieren, in: Müller (Hg.), Weinbau-Lexikon, S. 580 f.

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Ludwig Andreas Jordan engagierte sich auch im landwirtschaftlichen Vereinswesen. So trat er bereits 1842 dem Landwirtschaftlichen Verein in Bayern bei. Dieser war 1810 gegründet worden und besaß seit 1816 auch einen Zweigverein im Rheinkreis.42 Der Landwirtschaftliche Verein wollte unter anderem durch Versammlungen und eine vereinseigene Zeitschrift landwirtschaftliches Wissen vermitteln. Zudem nahm er regelmäßig Prämierungen vor, um so auf landwirtschaftliche Musterbetriebe aufmerksam zu machen.43 In den 1860er Jahren vertrat Ludwig Andreas Jordan die Pfalz bei den Generalversammlungen des Vereins.44 1867 wurde dann mit dem Pfälzer Musterlandwirt Adam Müller ein enger Weggefährte Ludwig Andreas Jordans Generalsekretär des Vereins in München.45 Beide hatten sich wenige Jahre zuvor erfolgreich dafür eingesetzt, dass die Kreisgewerbeschule in Kaiserslautern eine landwirtschaftliche Abteilung erhalten sollte, deren erster Leiter Adam Müller geworden war.46 Adam Müller hatte 1858/59 auch gemeinsam mit Ludwig Andreas Jordan und weiteren Teilhabern als erster Landwirt in der Pfalz eine englisch-amerikanische Erntemaschine angeschafft. Diese erwies sich jedoch als wenig tauglich und musste wieder zurückgeschickt werden.47 Neben der Mitgliedschaft im Landwirtschaftlichen Verein war Jordan in der Wanderversammlung bayerischer Landwirte engagiert. Dieser Verein war 1856 vor allem von adeligen Großgrundbesitzern gegründet worden. Baron von Gaisberg als treibende Kraft bei dieser Gründung, ging es vor allem darum, die politischen Anliegen der Landwirte unabhängiger von der Staatsregierung als es der Landwirtschaftliche Verein tat, zu artikulieren. Zudem sollte über den Verein eine Vernetzung der Landwirte erfolgen, ein Austausch über die landwirtschaftliche Praxis stattfinden und die Landwirtschaft insgesamt gefördert werden.48 Die Mitgliedschaft wurde nicht formell geregelt, sondern man erwarb durch den Kauf einer Eintrittskarte zu der jährlichen Versammlung eine Mitgliedschaft 42 Bassermann-Jordan, Geschichte des Weinbaus, Bd. 1, S. 179 f. 43 Die Rolle des landwirtschaftlichen Vereins in der Pfalz ist noch unerforscht. Zu seinem Gesamtwirken in Bayern siehe Harrecker, Der Landwirtschaftliche Verein. 44 Ebd., S. 337. 45 Ebd. Zu Adam Müller siehe auch Dändliker, Müller; Müller, Erinnerungen. 46 Siehe hierzu die diversen Eingaben und Berichte Ludwig Andreas Jordans im Pfälzer Landrat zwischen 1858 und 1862, der dort ein Konzept Adam Müllers vorstellte und unterstützte, in: Protokollband der Landratsverhandlungen 1857–60; Protokollband der Landratsverhandlungen 1859–60; Protokollband der Landratsverhandlungen 1860–63; alle in Institut für Pfälzische Geschichte und Volkskunde in Kaiserslautern, Bestand Landratsprotokolle. Zur Tätigkeit Müllers an der Kreisgewerbeschule siehe auch Müller, Erinnerungen, S. 57–59. 47 Adam Müller an Ludwig Andreas Jordan, 1859, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 595; Müller, Erinnerungen, S. 56. 48 Schnee, Wanderversammlung, S. 840 f. Daraus auch die folgenden allgemeinen Angaben zu diesem Verein. Der Aufsatz basiert fast komplett auf Schnee, Wanderversammlung, masch. Diss.

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für diese Veranstaltung. Diese war in der Regel zwei- bis dreitägig. An den Vormittagen wurden fachliche Fragen beraten und nachmittags ausgewählte Musterbetriebe der jeweiligen Region besucht. Häufig reisten Delegationen aus anderen Regionen an, und in der Regel waren auch die zuständigen Beamten der jeweiligen Kreisregierung bei den Versammlungen anwesend. Die durchschnittliche Besucherzahl der Versammlungen lag bei ungefähr 380 Teilnehmern, die jedoch nur zu rund einem Drittel einen landwirtschaftlichen Betrieb besaßen. Die anderen Teilnehmer kamen aus den Bereichen der Wissenschaft, Verwaltung und Politik. Der jeweilige Präsident wurde am Schluss der Wanderversammlung gewählt und amtierte für ein Jahr. In dieser Zeit musste er die als nächstes anstehende Versammlung organisieren. So wurde Ludwig Andreas Jordan am Ende der Versammlung von 1861 zum neuen Präsidenten gewählt, um die Wanderversammlung 1862 in Neustadt an der Haardt auszurichten. Diese fand vom 2. bis 4. Juni 1862 statt und war ein voller Erfolg für die Pfälzer Organisatoren. Ludwig Andreas Jordan begrüßte am 2.  Juni morgens die rund 200 Teilnehmer im Neustädter Schießhaus und stellte das Programm vor. Dabei ließ er es sich nicht nehmen, auf das Verhältnis der Pfalz zu Bayern anzuspielen. Die Versammlung biete die Gelegenheit, die Einwohner eines Landes einander näher zu bringen, aber auch »das gemeinsame Band für unser schönes deutsches Vaterland enger zu knüpfen«49. Er sei sich sicher, dass, wenn der Pfalz Gefahren von außen drohen würden, die »jenseitigen Bayern« diese Region mit »Gut und Blut« verteidigen würden. In der fachlichen Diskussion ging es zunächst um Fragen der Düngung. Es wurde diskutiert, wie man am besten mit dem Stalldünger verfahre und wie man die Düngerproduktion der Städte, also die Exkremente, für die Landwirtschaft nutzbar machen könne.50 Im Weiteren ging es dann um die Erfahrungen, die man beim Düngen mit dem Einsatz von Guano, Knochenmehl und phosphorsaurem Kalk gesammelt hatte.51 Dabei wies der Pfälzer Anwalt und Gutsbesitzer Carl Ludwig Golsen52 auf seine Erfahrungen im Weinbau hin. Guano und Jauche seien dabei empfehlenswerter als Stallmist. Nach der anschließenden Diskussion über die Impfung der Rinder gegen die Lungenseuche, wurde gemeinsam zu Mittag gegessen. Jordan brachte dabei einen Toast auf den »Protektor der bayerischen Landwirthschaft« und »vielgeliebten König Maximilian II.« aus und Buhl auf »die geehrten Gäste aus dem jenseitigen Bayern«53. Anschließend besuchte man vorbildliche Güter in Landau und Edenkoben. 49 Walz, Bericht, S. 3. Daraus auch die folgenden Zitate. 50 Ebd., S. 4–16. 51 Ebd., S. 17–21. 52 Carl Ludwig Golsen führte ein Musterweingut und hatte als Anwalt unter anderem den Mitorganisator des Hambacher Fests Phillip Jakob Siebenpfeiffer vor dem Assisengericht in Landau 1833 verteidigt. Zu Golsen und seiner Familie siehe Paul, Pfarrer. 53 Walz, Bericht, S. 28.

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Auf der 2. Sitzung am 3. Juni stand der Weinbau im Vordergrund. Der Gutsbesitzer Golsen hielt ein ausführliches Referat über die Frage, welchen Einfluss der Bau der Weinberge, der Dünger, die Zeit der Lese und die Behandlung im Keller auf die Weinqualität habe.54 Diskutiert wurde vor allem das Anbinden der sogenannten Fruchtruten der Rebe an Draht. Diese Methode wurde gerade erst in den Weinbergen eingeführt. Dadurch konnte man Holz, das in der Pfalz sehr teuer war, einsparen.55 Franz Peter Buhl empfahl in der Diskussion die Drahtverwendung, da man auf diese Weise den Sauerwurm, einen häufigen Rebenschädling, leichter bekämpfen könne. Golsen plädierte in seinem Referat zudem für eine mehrmalige Lese der Trauben, da diese nicht alle gleichzeitig reif würden. Anschließend wurden unter anderem die Meliorationsversuche von Buhl und Jordan angesprochen, und von wissenschaftlicher Seite vorgeschlagen, die bei der Weinproduktion ablaufenden Prozesse stärker chemisch zu untersuchen. Wenn man diese verstanden habe, könne man sie anschließend besser steuern. Im zweiten Fachreferat wurde die Bedeutung der aus den Alpen und aus Holland eingeführten Rinderrassen beleuchtet. Nachmittags fuhren die Teilnehmer dann am Haardtgebirge entlang bis Dürkheim. Unterwegs machten sie im Buhl’schen Hause in Deidesheim Rast, wo die Frauen der Familien Buhl und Jordan die Gäste bewirteten. Zu Erdbeeren und Kirschen mit Konfekt wurden natürlich Buhl’sche und Jordan’sche Weine gereicht.56 Der Protokollant der Wanderversammlung, Franz Walz, hielt dazu fest, »daß wohl in ganz Deutschland kaum edlere Getränke erzeugt werden.«57 So konnte die Veranstaltung auch zur Werbung und zur Kundenakquise genutzt werden.58 Anschließend besuchte man das Wolf’sche Weingut in Wachenheim und reiste weiter nach Dürkheim. Am nächsten Tag folgte noch die Viehprämierung in Zweibrücken. Nach dem Ende der Veranstaltung war Ludwig Andreas Jordan erschöpft, aber glücklich, wie er im Tagebuch vermerkte: »Das Fest war 54 Hierzu und zu dem Folgenden: Walz, Bericht, S. 31–49. 55 Zum Holzbedarf im Weinbau siehe Grewe, Wald, S. 153–156. Durch die strenge bayerische Forstbewirtschaftung war der Holzpreis sehr hoch und der Straftatbestand des »Forstfrevels« in der Pfalz sehr zahlreich. Dabei wurde der »Forstfrevel« teilweise begangen, um die Nachfrage der Winzer nach Holz und Streu für das in der Regel wegen der Düngerproduktion gehaltene Vieh zu befriedigen. Zu solchen Fällen, in denen auch die Jordans genannt werden, siehe: Sperber, Normenkonflikte, S.  694. Zur Durchsetzung der Drahtanlagen im Pfälzer Weinbau siehe Bassermann-Jordan, Geschichte des Weinbaus, Bd.  1, S. 226–229. 56 Siehe dazu auch die Notizen in Ludwig Andreas Jordans Tagebuch, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 42. 57 Walz, Bericht, S. 59. 58 Siehe dazu zum Beispiel den Bericht der fränkischen Delegation über die sechste Wanderversammlung bayerischer Landwirthe in Neustadt a./H., in: Landwirthschaftliche Mittheilungen aus Mittelfranken 1862, S.  52–64, hier S.  60. Zum Besuch auf dem Buhl’schen Weingut hielt der Autor fest, dass man dort Weine getrunken habe, »von deren Existenz die Mehrzahl von uns vielleicht keine Ahnung hatte«.

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nach allen ­R ichtungen höchst gelungen & die Gäste sehr zufrieden. Es wird mir eine schöne Erinnerung bleiben.«59 Ein regelmäßiges Forum, auf dem sich die Winzer treffen und austauschen konnten, bildeten auch die überregionalen Versammlungen der deutschen Obstund Weinproduzenten, die seit dem Ende der 1830er Jahre in regelmäßigen Abständen stattfanden. Eine scharfe Auseinandersetzung fand dort in den 1850er und 1860er Jahren über die sogenannte Gallisierung der Weine statt. Dieses Verfahren ging auf den Chemiker Ludwig Gall zurück, der sich vor allem mit der Krise der Moselwinzer in den 1840er Jahren auseinandergesetzt hatte.60 Diese war durch zahlreiche Faktoren ausgelöst worden. Hauptursache war die preußische Zollpolitik, die zunächst den Moselweinbau präferierte und ihn dann fast ungeschützt der Konkurrenz im Deutschen Zollverein aussetzte. Daneben spielten aber auch strukturelle Veränderungen, wie zum Beispiel das starke Bevölkerungswachstum eine wichtige Rolle. Ludwig Gall führte die Krise vor allem auf die minderwertige Qualität des Moselweins zurück und empfahl den Zusatz von Zucker und Wasser zum Traubenmost, um sauren, dünnen Wein genießbarer zu machen. Durch den höheren Zuckergehalt im Ausgangsprodukt entstand als Endprodukt ein alkohol­ reicherer Wein, dessen Säure zudem durch den Zusatz des Wassers abgemildert wurde. Dieses Verfahren, das Gall bereits 1828 entwickelt hatte, empfahl er 1851 in einer Kampfschrift.61 Damit beschwor Gall eine Grundsatzdiskussion herauf, die bis in die heutige Zeit nachwirkt. Von dem Verfahren Galls profitierten natürlich vor allem diejenigen Winzer, die aufgrund unterschiedlichster Faktoren wie zu geringer Betriebsgröße oder Weinbergsbesitz in geringen Lagen nicht in der Lage waren, einen hochwertigen Wein zu produzieren. Diese wollten Galls Empfehlungen auch anwenden. Dagegen wandten sich vor allem die Winzer, wie die Jordans oder Buhls, die ein hochwertiges Produkt ohne Zusätze produzieren konnten und ihren Wein zunehmend als »Naturwein« proklamierten. Sie fürchteten um ihren Marktvorteil und gingen zum Teil auch gerichtlich gegen das »Gallisieren« vor.62 Das provozierte wiederum Gall und seine Mitstreiter, die den gro 59 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 4.7.1862, LaS, V153 (Bassermann-­ Jordan), Bd. 42. 60 Zur Krise im Weinbau an der Mosel siehe die Dissertation von Winter-Tarvainen, Weinbaukrise. Auch Karl Marx hat bereits frühzeitig in der Rheinischen Zeitung auf die desolate soziale Lage der Moselwinzer aufmerksam gemacht. Siehe dazu seine Artikelserie Marx, Rechtfertigung. Zur Einordnung der Artikelserie siehe Pelger, Marx. 61 Gall, Mittelweine. Danach folgten noch mehrere Auflagen und weitere Veröffentlichungen Galls. Zu Gall siehe Monz, Ludwig Gall. 62 Siehe z. B. Urteil des Königlichen Ober-Appellationsgerichts in München betr. das­ Gallisiren der Weine, in: Königlich-bayerisches Kreis-Amtsblatt der Pfalz Nr.  38 vom 23.6.1856, Sp. 561–568; Frings, Weinfälschungsprozeß; oder aus der Sicht der Verteidiger des Gallisierens: O. V., Gallisirungsfrage.

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ßen Gutsbesitzern vorwarfen, durch ihre Ablehnung des Verfahrens nur ihre ökonomische Vormachtstellung sichern zu wollen. Das Thema hatte somit auch starke wirtschaftlich-soziale Implikationen.63 Als das »Gallisieren« auf der Versammlung der deutschen Obst- und Weinproduzenten 1853 in Karlsruhe zur Sprache kam, sprach Jordan von Galls »Weinschmiererei«64. Gemeinsam mit anderen Vorderpfälzer Weingutsbesitzern übte er über den Handels- und Fabrikrat Neustadt-Dürkheim Druck auf die bayerische Regierung aus. Die Großwinzer wandten sich dezidiert gegen die Herstellung sogenannter »Façon-Weine« durch das Gallisieren oder den Zusatz anderer Stoffe. Ludwig Andreas Jordan entwarf dazu mehrere Denkschriften, die man an die Regierung der Pfalz in Speyer sandte, um über diese den Gesetzgebungs­ prozess in München zu beeinflussen.65 Der Einspruch der größeren Winzer war erfolgreich, denn im neuen bayerischen Strafgesetzbuch von 1861 wurde das Gallisieren als Weinfälschung eingeordnet und entsprechend bestraft.66 Das Verfahren Galls blieb allerdings auch in den nächsten Jahrzehnten umstritten. Was von den einen als Weinfälschung betrachtet wurde, sahen die anderen als »Weinverbesserung« durch Zusatz von Stoffen, die ohnehin im Wein vorhanden waren. Auf lange Sicht war der Kampf der Pfälzer Großwinzer wie Jordan, Buhl, Deinhard, Bürklin etc. gegen die »Weinverbesserung« umsonst. Das erste deutsche Weingesetz von 1892 und die folgenden Weingesetze erlaubten das »Gallisieren« unter bestimmten Bedingungen.67 Unter anderem durfte die Weinmenge durch das »Gallisieren« nicht bedeutend vermehrt werden. Diese bedingte Zulassung der »Gallisierung« war auch ein Grund dafür, dass sich in den deutschen Weinregionen die sogenannten »Naturweinproduzenten« zusammenschlossen und sich damit auch im Marketing von den anderen Winzern absetzten. Ludwig Bassermann-Jordan, der Enkel von Ludwig Andreas­ Jordan, gehörte hier zu den Vorantreibern bei der Gründung des Verbands der Naturweinversteigerer der Rheinpfalz.68 63 Diese werden vor allem herausgearbeitet von Goldberg, Acidity. 64 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 29.9.1853, LaS, V153 (Bassermann-­ Jordan), Bd. 37. 65 Gutachten an die Regierung der Pfalz über die Fabrikation sogenannter Façon-Weine, Deidesheim, 19.9.1858, AIHK, Bd.  Protocolle des Fabrik- und Handelsrathes Neustadt-­ Dürkheim, fol. 57–61; Gutachten an die Regierung der Pfalz die Fabrikation sogenannter­ Façon-Weine betreffend, ebd., fol. 76 f.; Antrag Ludwig Andreas Jordans an die pfälzische Gewerbe- und Handelskammer den Schutz des Weinhandels betreffend, in: Jahresbericht der Pfälzischen Gewerbe- und Handelskammer für 1856, Ludwigshafen 1857, S. 52. 66 Staudinger, Strafgesetzbuch, S. 170 f.; Staudinger, Ueberschau, S. 63. 67 Kittel, Eintrag »Ludwig Gall«, in: Müller (Hg.), Weinbau-Lexikon, S. 262. Siehe dazu auch Wichmann, Kampf. 68 Aus dem Verband der Naturweinversteigerer (VdN) entstand der heutige Verband deutscher Prädikatsweingüter (VDP). Zum 100-jährigen Jubiläum des VDP Pfalz siehe Tekampe, 100 Jahre. Zur Gründung des VdN Pfalz siehe auch die diversen Unterlagen in LaS, V153­ (Bassermann-Jordan), Bd. 264. Zum 100. Geburtstag des Gesamtverbands entstand eine his-

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Insgesamt spielte der Weinbau sowohl im Landwirtschaftlichen Verein als auch in der Wanderversammlung bayerischer Landwirte eher eine Nebenrolle. Die Vereine deckten das gesamte Spektrum der Landwirtschaft ab und bei der Wanderversammlung sogar das ganze Königreich Bayern, sodass der Weinbau nur bei den Versammlungen in der Pfalz oder in Franken, den beiden bayerischen Hauptanbaugebieten, zur Sprache kam. Ausführlicher wurde der Weinbau zwar bei der Versammlung der Obst- und Weinproduzenten thematisiert, aber auch hier nur beschränkt auf die rein fachliche Ebene. Regionale Weinbau-Vereine oder Winzer-­Zusammenschlüsse gab es in der Pfalz nicht, im Gegensatz etwa zu Württemberg oder Sachsen. Um sich noch gezielter austauschen zu können und auch die eigenen Interessen politisch besser vertreten zu können, erfolgte 1874 die überregionale Gründung des Deutschen Weinbauvereins, in dem sich vor a­ llem die beiden Neffen von Ludwig Andreas Jordan, Franz Armand Buhl und Andreas Deinhard engagierten.69 In den 1850er und 1860er Jahren erprobte Ludwig Andreas Jordan auch neue Marketingmethoden. Er nutzte vor allem die neu aufkommenden Industrieund Gewerbeausstellungen von der regionalen bis zur internationalen Ebene. So konnte er einerseits bei diesen Ausstellungen neue Kunden gewinnen, aber auch im Marketing auf die Preise bei diesen Ausstellungen hinweisen, die sein Wein einheimste. Beispielsweise wurde der Jordan’sche Wein 1853 mit dem ersten Preis des landwirtschaftlichen Vereins in Bayern prämiert. Bei der allgemeinen deutschen Industrie-Ausstellung in München 1854 erhielt Jordan die Große Denkmünze mit der Begründung, dass seine Weine alle anderen Weine aus der Pfalz an Qualität überträfen.70 Auch bei der Pariser Weltausstellung 1867 wurde das Weingut prämiert, diesmal mit einer Goldmedaille.71 Dort saß J­ ordans Bekannter Justus von Liebig in der Jury.72 Vertreten wurden die Weingüter Jordan und Buhl in Paris von dem Frankfurter Weinhändler Carl Fay. Eine Goldmedaille erhielt das Weingut auch bei der Pfälzer Gewerbeausstellung in Kaiserslautern 1872.73 torische Bestandsaufnahme der Verbandsgeschichte durch den FAZ-Journalisten Daniel­ Deckers. Diese ist vollmundig als »Geschichte des deutschen Weins« betitelt, beleuchtet die Entwicklung des Weinbaus in Deutschland jedoch nur aus der Sicht der Prädikatsweingüter. Siehe Deckers, Zeichen. 69 Prößler, Weinbauverein; Nickenig, Weinbaukongresse; Bassermann-Jordan, Geschichte des Weinbaus, Bd. 1, S. 179 f. 70 Auszeichnungen bei der allgemeinen deutschen Industrie-Ausstellung zu München von der Beurtheilungs-Commission zuerkannt, München 1854, S. 33. 71 Auch das Buhl’sche Weingut errang eine Goldmedaille. Ansonsten sind aus dem­ Gebiet des Deutschen Bundes fast nur Rheingauer Weine prämiert worden. Siehe Ducuing (Hg.), L’Esposizione, S. 408. 72 Ludwig Andreas Jordan an Justus von Liebig, Deidesheim, 16.3.1867; Ludwig Andreas Jordan an Justus von Liebig, 23.4.1867, beide in: Bayerische Staatsbibliothek München, Liebigiana, Bd. II. B. 73 Bericht über die III. Pfälzische Industrie-Ausstellung zu Kaiserslautern im Sommer 1872, Kaiserslautern 1873, LaS, H1, Bd. 580II–III. Zu den Weingütern Jordan und Buhl hielt

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Bei der Weltausstellung in Wien 1873 errang das Weingut eine Erste Medaille, in Philadelphia 1876 die große Medaille und 1880 in Melbourne zwei goldene Medaillen.74 Darüber wurde dann in den regionalen und überregionalen Zeitungen berichtet, was zur Bekanntheit des Namens beitrug.75 Zudem veranstaltete Ludwig Andreas Jordan aufwendige Weinproben, wie zum Beispiel am 9. Oktober 1860 im Bayerischen Hof in München, bei der mit zahlreichen Ministern, dem Bürgermeister und hohen Militärs die Münchner Prominenz gut vertreten war. Auch Jordans Kollegen aus der Wanderversammlung bayerischer Landwirte Graf Hegnenberg-Dux sowie die Freiherrn von Thüngen und von Wolfanger waren anwesend.76 Bei solchen Veranstaltungen und Feiern, die oft Privates, Geschäftliches und Politisches vermischten, wurde nicht gekleckert, sondern geklotzt. Als die Jordans am 15. Februar 1862 einen großen Ball für 90 geladene Gäste aus verschiedenen Regionen Deutschlands veranstalteten, errechnete Ludwig Andreas Jordan Kosten von mindestens 500 Gulden. Fast erschrocken und entschuldigend notierte er dazu in sein Tagebuch: »Sehr viel Geld für einen Bürger & gewiß gegen die Ansichten meines seligen Vaters. Doch die Zeiten ändern [sich; H. T.].«77 Insgesamt zeigt sich, dass Ludwig Andreas Jordan den von seinem Vater eingeführten Qualitätsweinbau mit hochwertigen Traubensorten, sorgfältiger Bearbeitung des Bodens und getrennter Lese weiterführte. Insbesondere bei den Kellerarbeiten und im Marketing war Ludwig Andreas Jordan bereit, neue Wege zu gehen. Er hielt sich in diesem Bereich über Innovationen auf dem Laufenden und stand im Austausch mit entsprechenden Experten wie Justus von der Bericht auf S. 52 fest: »An der Spitze der Halbfabricate dieser Gruppe stehen, unser Stolz, die köstlichen Weine der Haardt von Dürkheim, Deidesheim, Wachenheim usw. Nicht nur besitzt dieses edle Getränk von Natur aus ein unvergleichliches Feuer und liebliches Bouquet, sondern es ist auch seit Jahren durch die Familien Buhl, Jordan und Wolf J. L. ein rationeller Betrieb mit Basaltgrusdüngung, Auslese der Beeren u. dgl. eingeführt und hiedurch der Werth des Weines unglaublich hinaufgeschraubt worden. […] Unter den vom Reichstagsabgeordneten Dr. Buhl ausgestellten Weinen war auch ein 69er Wein, der nach der Pasteur’schen (Erhitzungs-)Methode behandelt worden und von dem Preisgerichte vorzüglich befunden wurde.« 74 Eine Auflistung mit weiteren Angaben in: O. V., Weingüter Jordan, S. 114 f. 75 Siehe die zahlreichen Berichte über die Aussteller und Preisträger bei der Pariser Weltausstellung 1867 in den bayerischen Zeitungen, z. B.: O. V., Verzeichnis der bayerischen Aussteller bei der internationalen Ausstellung in Paris, Fränkischer Kurier Nr. 74 vom 15.3.1867, S. 1; o.V., Pariser Weltausstellung, in: Münchener Annoncen-Blatt Nr. 150 vom 3.7.1867, S. 1 f.; Auflistung der bayerischen Preisträger bei der Ausstellung in Paris, in: Augsburger Neueste Nachrichten Nr. 180 vom 3.7.1867, S. 3. Diese hatten ihre Informationen aus Berichten in der Kölnischen Zeitung. Eine ausführlichere Darstellung findet sich in: Wagner, Industrie, Sp. 526. Wagner bezeichnete die Weine Jordans und Buhls als »Perlen des vaterländischen Weinbaus«. 76 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 9.10.1860, LaS, V153 (Bassermann-­ Jordan), Bd. 44. Vgl. Bassermann-Jordan, Geschichte des Weinbaus, Bd. 1, S. 184, Anm. 5. 77 Tagebucheintrag von Ludwig Andreas Jordan, 15.2.1862, LaS, V153 (Bassermann-­ Jordan), Bd. 42.

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Liebig oder experimentierfreudigen Landwirten wie Adam Müller, mit denen er vor allem im landwirtschaftlichen Vereinswesen zusammentraf. Dort diskutierte man die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse und tauschte sich über die Erfahrungen mit neuen Methoden aus. Im Marketing griff Jordan auf die populären Landwirtschafts- und Industrieausstellungen zurück, die er von der regionalen bis zur internationalen Ebene bespielte. Dass er dort sehr erfolgreich agierte und viele Preise einheimste, trug zur Bekanntheit seines Namens bei. Auch durch große Weinproben und Bälle machten die Jordans auf ihr Produkt aufmerksam. Ludwig Andreas Jordan hatte es daher ab den 1850er Jahren nicht mehr nötig, wie noch zuletzt 1848 als Handelsreisender mit Weinproben die Weinhändler aufzusuchen und sein Produkt anzupreisen. Das Weingut war mittlerweile im Weingeschäft fest etabliert und entwickelte sich zu einer Marke. Das Geld, das die Jordans im Weinbau verdienten, investierten sie jedoch nicht nur in die Modernisierung ihres Betriebes oder ins Marketing, sondern sie nutzten die in der Industrialisierungsphase sich bietenden zahlreichen Gelegenheiten zu einer Diversifizierung des Geschäfts.

4.2 Industrialisierung als Heilmittel gegen Pauperismus und Wegbereiter für bürgerliche Partizipation Das Zentrum der Jordan’schen Geschäftstätigkeit lag zunächst im Weinbau. Die dort praktizierte Offenheit gegenüber Innovationen, die Bereitschaft zu Experimenten, zu einem gewissen Risiko prädestinierte die Familie aber auch für ein Engagement im Bereich der Industrialisierung. Diese setzte im Pfalzkreis in den 1840er Jahren vor allem mit Infrastrukturprojekten wie dem Eisenbahnbau und der Dampfschleppschifffahrt ein und nahm dann seit den 1850er Jahren mit zahlreichen Unternehmensgründungen Fahrt auf. Diese waren in traditionellen Gewerben wie der Textilwirtschaft angesiedelt, wo sie die bisherige kleingewerbliche Wirtschaftsweise ablösten, oder in Bereichen, in denen neueste wissenschaftliche Erkenntnisse wirtschaftlich umgesetzt wurden, wie zum Beispiel in der Gummi- oder Düngemittelfabrikation. Die Jordans avancierten durch ihre industriellen Engagements zu Großinvestoren mit zahlreichen Standbeinen. Durch die Breite der Jordan’schen Investments fand auch eine Risikostreuung statt, da man dank des diversifizierten Portfolios nicht mehr so stark von der Konjunktur des Weinbaus abhängig war. Dass die Jordans, aber auch die Buhls die Industrialisierung grundsätzlich begrüßten und vor allem ihre großen Möglichkeiten sahen, hatte sich bereits bei der Englandreise von Franz Peter Buhl und Ludwig Andreas Jordan 1833 gezeigt.78 Dort hatten sie den menschlichen Erfindungsreichtum bestaunt, ein 78 Siehe Kapitel 3.2.

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schneidende Veränderungen für die Wirtschaft prognostiziert und Unternehmer kennengelernt, die sie als Wohltäter für die Menschheit idealisiert hatten. Sie hatten bei ihrer Beurteilung der Industrialisierung nicht nur die ökonomischen Aspekte im Blick, sondern erwarteten auch politische und soziale Veränderungen. Sie ordneten die wirtschaftlichen Investitionen auf diese Weise in höhere Zwecke ein und griffen damit auf ein Muster zurück, das sie in ihrer Kindheits- und Jugendphase auch in Bezug auf ihre Rolle für die Gesellschaft gelernt hatten. Im Bereich der Industrialisierung lagen diese Perspektiven in der Stärkung der Nation und der Gestaltung des gesellschaftlichen Fortschritts. Sie nahmen die Industrialisierung auf diese Weise als Chance zur Durchsetzung einer bürgerlichen Gesellschaft wahr und sahen in der industriellen Produktionsweise ein Heilmittel gegen den Pauperismus. Diese Zukunftserwartungen verdeutlichte Franz Peter Buhl in einem Kommissionsbericht und mehreren Reden zum Thema Schutzzoll, die er als Abgeordneter in der badischen zweiten Kammer 1845/46 hielt. Da Jordan sich zu diesem Thema öffentlich nicht geäußert hat, meines Erachtens aber eine große Kongruenz der beiden in ihren Ansichten festzustellen ist, sollen die Reden Buhls auch stellvertretend für­ Jordans Sicht im Folgenden genauer analysiert werden. Buhl führte in seinem Kommissionsbericht zum Zollvereinstarif am 23. Oktober 1845 für die badische zweite Kammer folgendes über die Industrialisierung aus: »Die Handwerkerindustrie geht zum großen Teil unter; an deren Stelle tritt die Fabrikindustrie; die kleinern Gewerbsleute verschwinden nicht, nein, sie werden einfach nur brodlos, wenn ihnen nicht auf andere Weise die Möglichkeit geschaffen wird, Erwerb zu finden. Nun, auf welche Weise und wo sind sie zu ernähren? Soll etwa eine Nationalcollecte eröffnet werden, um diese in die Adelscolonie nach Texas79 zu senden? […] Nein, geben wir Arbeit hier im Lande, behalten wir soviel, als wir zu ernähren vermögen, bei uns. […] Wer wird verkennen, dass eine Entwickelungsperiode sich eröffnet durch den eminenten Fortschritt der Maschinenanwendung auf fast alle gewerblichen Productionsgegenstände. Hierüber mögen Klagen erhoben, Bedauern gefühlt werden von Denen, die nicht einsehen, daß beim Fortschreiten der Civilisation einen der kräftigsten Hebel die Benützung der Materie zum geeigneten Zweck bietet. Wir freuen uns darob, daß sie sich ausdehnt, die colossale Macht der höhern Technik, Kraft und Macht gewährend, wo sie besteht, wo sie bestehen kann.«80 79 Buhl bezieht sich hier auf den von einigen Standesherren gegründeten Texasverein, der versuchte, deutsche Auswanderer in einem vorher erworbenen Gebiet in Texas anzusiedeln. Das Projekt endete als völliges Desaster. Siehe Türk, Kolonialpläne, S. 23–33. 80 Commissionsbericht über die der hohen 2. Kammer zur Zustimmung vorgelegten provisorischen Gesetze vom 23. October 1845, den Vereinszolltarif für die Jahre 1846/48, und vom 21. März 1846, die Durchgangsabgabe auf einigen Straßen der linken Rheinseite betreffend, erstattet von dem Abgeordneten Buhl, in: Verhandlungen der Stände-Versammlung des Großherzogthums Baden in den Jahren 1845 und 1846, Siebtes Beilagenheft, S. 51–72, hier S. 53 f.

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Diese Entwicklung werde auch den Aufstieg des Bürgertums begünstigen und die­sem damit eine zentrale Rolle im Staat verschaffen. So appellierte er pathetisch an die Regierung: »Möchte man doch, solange es noch Zeit ist, erkennen, daß bei unsern socialen Zuständen ein wohlhabendes und aufgeklärtes Bürgerthum, was manche communistische Schriftsteller mit dem Worte Bourgeoisie bennenen, berufen ist, den Schwerpunkt in den Staaten zu bilden und dadurch die Erhaltung des Gleichgewichts zu sichern; daher es humanen und freisinnigen Regierungen zur kräftigen Stütze dient.«81

Hier manifestiert sich ein bürgerliches Selbstbewusstsein, das mit der von Lothar Gall hervorgehobenen südwestdeutsch-bürgerlichen Mittelstandsideologie der »klassenlosen Bürgergesellschaft ›mittlerer‹ Existenzen«82 nur noch in Teilen übereinstimmt. Insbesondere die von Gall betonte vorindustrielle Orientierung ist hier nicht zu erkennen.83 Stattdessen sieht Buhl in der Förderung der Industrialisierung und ihrem Vorantreiben eine zentrale Aufgabe des Staates und der Unternehmer. Auch die Bevorzugung der Schweiz gegenüber England als Vorbild für den deutschen Fall, die Gall postuliert, trifft auf Buhl nicht zu.84 Dieser hob in einer Rede am 27. Juni 1846 im Gegenteil hervor: »Es ist eine krankhafte Idee, die andernwärts existirt, es sei die Aufgabe, mit vielen Kräften wenig zu produziren, um möglichst viele Menschen beschäftigen zu können. Aber im Interesse der Vermehrung der Nationalkräfte mit möglichst wenig Arbeit viel zu produzieren, das ist es, worin uns England vorangeschritten ist.«85

Buhl sieht das Bürgertum zwar, ähnlich wie Gall es herausgearbeitet hat, als gesellschaftliche Avantgarde, aber nicht nur aufgrund einer bürgerlichen Kultur oder Lebensweise, sondern weil es die Dynamik der wirtschaftlichen Veränderungen aufnimmt und vorantreibt, die Zeitströmung des Fortschritts auf dem Weg zu höherer Zivilisation erkennt und als Wirtschaftsbürger zur Anwendung bringt. Damit steht diese Argumentation dem sogenannten »Rheinischen Liberalismus« der Kaufleute, Bankiers und Industriellen um David Hansemann, Gustav Mevissen oder Hermann von Beckerath näher als der von Gall skizzierten südwestdeutschen liberal-bürgerlichen Ideologie.86 Hier wäre es durchaus 81 Ebd., S. 54. 82 Gall, Liberalismus und bürgerliche Gesellschaft, S. 122. 83 Ebd. 84 Ebd., S. 117 f. 85 Rede Franz Peter Buhls zum Thema Schutzzoll in der badischen Zweiten Kammer am 27. Juni 1846, in: Verhandlungen der Stände-Versammlung des Großherzogthums Baden in den Jahren 1845 und 1846, Protokolle der zweiten Kammer, Viertes Protokollheft, S. 287. 86 Siehe hierzu Boch, Grenzenloses Wachstum; Hettinger, Beckerath, S. 129–138. Bezeichnenderweise klammert Gall (Liberalismus und bürgerliche Gesellschaft, S. 119 f., Anm. 42) das rheinische Großbürgertum als eher »untypisch« für den vormärzlichen Liberalismus aus.

Industrialisierung als Heilmittel gegen Pauperismus  

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lohnenswert die Landtagsverhandlungen in den süddeutschen Staaten noch einmal genauer im Hinblick darauf zu analysieren, welche Sichtweisen auf die Industrialisierung dort im Vormärz vertreten wurden. Damit könnten auch Galls Thesen präzisiert werden, der sich in seiner Argumentation stark auf das Bildungsbürgertum stützt. Die Sichtweise dieser Gruppe erschließt er vor allem über die Lexika der Zeit. Insofern könnte man genauer überprüfen, ob es sich hierbei nicht eher um eine Differenz zwischen der Sichtweise des Bildungs- und des Wirtschaftsbürgertums handelt als zwischen einem süddeutschen und rheinischen Liberalismus, den Gall so sehr betont. Neben diese Propagierung einer Vorherrschaft des Bürgertums tritt die soziale Argumentation Buhls. Durch die Bereitstellung von Arbeitsplätzen ermöglicht es die Industrialisierung den Verlierern dieses Prozesses, neue Arbeit zu finden. Auf diese Weise sind sie nicht darauf angewiesen, auf Kosten Dritter zu leben, denn diese Abhängigkeitsverhältnisse sieht Buhl kritisch. Sie verhindern, dass die Menschen sich mit aller Energie für ihr wirtschaftliches Auskommen einsetzen und stehen damit einer ökonomisch induzierten Dynamisierung der Gesellschaft entgegen. Staatliche Unterstützung setzt, mit unserer heutigen ökonomisierten Sprache gesprochen, Fehlanreize. Daneben fällt noch ein dritter Argumentationsstrang ins Auge – die Nationalisierung der Ökonomie. Buhl spricht davon, dass die Anwendung der Technik »Kraft und Macht« gewähre. Die Industrialisierung stärke die »Nationalkräfte«. Der Einfluss der Theorien Friedrich Lists über das »nationale System der politischen Ökonomie«87 wird hier deutlich. Dieser hatte in seinem 1841 publizierten Hauptwerk die wirtschaftliche Entwicklung eines Staates konsequent mit seiner Macht in Verbindung gebracht und damit wirtschaftliche Entwicklung und Nationalismus gekoppelt.88 Auch Buhl bezieht den wirtschaftlichen Fortschritt direkt auf die staatliche Macht. Die Stärke eines Staates hängt von seiner wirtschaftlichen Entwicklung ab. Aus dieser Sicht erscheint es geradezu fahrlässig, an alten wirtschaftlichen Gewohnheiten festzuhalten. Diese stehen nicht nur gegen den »Geist der Zeit«, sondern sie schwächen auch die Handlungsmöglichkeiten des Staates nach außen. Insbesondere ein deutscher Nationalstaat, der gegen Widerstände von außen erst noch gegründet werden muss, kann es sich nicht erlauben, auf die wirtschaftliche Potenz zu verzichten. Auch der kritische Blick auf die Auswanderung speist sich aus dieser Argumentation, denn dann erscheint die Auswanderung als Verlust ökonomischen Potentials, das durch die Auswanderung anderen Staaten zugute kommt. Mit ihrer Einordnung der Industrialisierung in höhere soziale und politische Zwecke rationalisierten die Weingutsbesitzer ihr wirtschaftliches Handeln. Nicht die nackten Profitinteressen standen in dieser Argumentation im 87 List, System. 88 Etges, Wirtschaftsnationalismus, S. 78–87.

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Vordergrund, sondern die Bekämpfung des Pauperismus, die Verbürgerlichung der Gesellschaft und der Machtzuwachs des potentiellen deutschen Nationalstaats. Hier wird wieder deutlich, dass die Schicht dieses Anstreben bestimmter Ideale, die Ausrichtung auf höhere Ziele internalisiert hatte und in den verschiedenen Bereichen ihres Handelns anwendete. Es kann daher nicht als gezielte Verschleierung bourgeoiser Profitinteressen abgewertet werden, sondern es entsprach ihrem Bewusstsein, darin war man trainiert, und man glaubte an seine Mission. Wie sich diese geistige Grundhaltung in der praktischen wirtschaftlichen Tätigkeit niederschlug, steht im Mittelpunkt der folgenden Kapitel, in denen anhand ausgewählter Beispiele aufgezeigt wird, welche Rolle familiäre, ökonomische und politische Netzwerke bei den verschiedenen wirtschaftlichen Engagements der Jordans spielten und welche Funktionen Ludwig Andreas Jordan in den verschiedenen Unternehmen übernahm.89 Zudem soll herausgearbeitet werden, in welchem geographischen Raum die Jordans agierten und wie sie diesen mit ihrem Handeln mitgestalteten.

4.3 Anteilseigner und wirtschaftlicher Netzwerker: Infrastruktur-, Handels- und Industrieprojekte 4.3.1 Eisenbahnanschluss für Deidesheim: Die Pfälzischen Eisenbahnen und die Gründung der »Actien-Gesellschaft der Neustadt-Dürkheimer Eisenbahn« Ludwig Andreas Jordan hatte gemeinsam mit Franz Peter Buhl die zukünftige Bedeutung der Eisenbahn bei ihrer Englandreise erkannt.90 In dem Ausbau der verkehrstechnischen Infrastruktur sah er vor allem eine Möglichkeit, den Handel stark auszudehnen. Das erwartete er nicht nur als Folge der Erschließung weiter Räume, sondern auch als Ergebnis der sinkenden Transportkosten. Dieser Blick für die zunehmende Bedeutung des Handels ist zunächst nicht verwunderlich, denn wir haben schon in den vorangehenden Kapiteln gesehen, wie stark sich die Jordans auch über den Handel definierten. Weinbau bestand eben nicht nur darin, ein bestimmtes Produkt herzustellen, sondern man musste auch dafür sorgen, dass das Produkt einen Abnehmer fand. Bei den Engländern hatte Ludwig Andreas Jordan zudem die vermeintlich große Risikobereitschaft fasziniert, mit der sie Investitionen in technische Großprojekte tätigten. 89 Eine Einführung in die Bedeutung von Netzwerken für das wirtschaftliche Handeln liefert Marx, Wirtschaftliche Netzwerke. Adelheid von Saldern macht den Begriff der Netzwerkökonomie vor allem für familiäre Netzwerke stark. Siehe Saldern, Netzwerkökonomie. 90 Siehe hierzu Kapitel 3.2.

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Mit dieser Sicht auf das neu aufkommende Verkehrsmittel standen die beiden Winzer nicht allein.91 Insbesondere Kaufleute und Händler, aber auch die Besitzer der ersten Fabriken und größeren Manufakturen im Gebiet des Deutschen Bundes sahen das zukünftige wirtschaftliche Potential der Eisenbahn. Sie setzten sich für den Bau von Eisenbahnlinien ein, von denen sie direkt zu profitieren hofften. Auf ihre Initiative hin gründeten sich Mitte der 1830er Jahre die ersten deutschen Eisenbahngesellschaften. Diese waren auf Aktienbasis organisiert und versuchten auf diese Weise, das für den Eisenbahnbau notwendige K ­ apital zu beschaffen.92 Die Rechtsform der Aktiengesellschaft erwies sich in diesem Zusammenhang als entscheidend. Kapital war in der beginnenden Industrialisierung im Deutschen Bund genügend vorhanden. Im Prinzip war es daher nur notwendig, das Kapital zu mobilisieren und zu bündeln. Die Aktiengesellschaft war in dieser Hinsicht sehr attraktiv. Man ging durch Zeichnung einer gewissen Summe nur ein geringes Risiko ein, denn man musste im schlimmsten Fall nur mit seinem Anteil haften. Zudem waren die Anteile handelbar. Man konnte also im Notfall auch seine Aktien wieder verkaufen. Auf diese Weise sammelten die Aktiengesellschaften kleine und große Kapitalien ein, bis die erforderliche Summe für das entsprechende Großprojekt gezeichnet war.93 Auch der Eisenbahnbau in Bayern ging zunächst von interessierten Privatpersonen aus. Das war ganz im Sinne der bayerischen Regierung und des bayerischen Königs Ludwig I., denn die Finanzmittel Bayerns sollten geschont werden und die Finanzierung der Eisenbahnen durch Privatpersonen erfolgen.94 So kam auch der Bau der ersten bayerischen und deutschen Eisenbahn zwischen Nürnberg und Fürth 1834/35 aus Privatinitiative zu Stande.95 Die Gründung der Eisenbahngesellschaft und der Bau dieser Strecke machten deutlich, dass gesetzliche Rahmenbedingungen für den Eisenbahnbau geschaffen werden mussten, denn die Politik der Eisenbahngesellschaften tangierte nicht nur die Interessen der Grundeigentümer, sondern auch diejenigen der Gemeinden, Gebietskörperschaften und des Gesamtstaates.96 Die bayerische Regierung lud daraufhin die Vertreter der bereits gegründeten Eisenbahngesellschaften zu einer dreitägigen Konferenz nach München ein, die ab dem 21. August 1836 stattfand.97 Die Ergebnisse dieses Treffens flossen in die Beratungen über die ­»Fundamentalbestimmungen 91 Für die allgemeine Diskussion der Vor- und Nachteile der Eisenbahn in ihrer Frühzeit siehe u. a. Roth, Eisenbahn, S. 1–7. 92 Gall, Eisenbahn, S. 13 f. 93 Zur Bedeutung der AG als Kapitalbeschaffer siehe Wehler, Gesellschaftsgeschichte, Bd. 2, S. 95–107. 94 Liebl, Erde, S. 15. Zur Wirtschaftspolitik der bayerischen Könige in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts siehe Möckl, König und Industrie. 95 Siehe hierzu Liebl, Erde, S. 23–44. 96 Gall, Eisenbahn, S. 14. 97 Liebl, Erde, S. 62 f.

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für ­sämtliche Eisenbahnstatuten in Bayern« ein, die am 28. September 1836 verabschiedet wurden.98 In diesen Bestimmungen wurde ganz allgemein festgelegt, dass die Eisenbahngesellschaften als gemeinnützige Gesellschaften anerkannt und vom Staat geschützt wurden. Die weiteren Bestimmungen beschäftigten sich mit dem Aktiennennwert, der Stückelung der Aktien und dem Ablauf der Geldeinzahlung durch die Aktionäre. Die Statuten der Gesellschaften sollten erst­ genehmigt werden, wenn die erforderliche Summe durch Aktiensubskription gedeckt war. Der bayerischen Regierung kam es hier offensichtlich darauf an, eine solide finanzielle Basis der Gesellschaften sicherzustellen. Außerdem regelte das Gesetz das Verhältnis des Staates zu den Gesellschaften. So sollte ein königlicher Kommissär die Arbeiten der Gesellschaften überwachen. Die Festlegung der Tarife unterlag der staatlichen Genehmigung. Es gab aber auch technische Bestimmungen, wie zum Beispiel die genaue Festlegung der Spurweite, die vom englischen Vorbild übernommen wurde. Das war nötig, da man zunächst auch einen Großteil der Technik aus England übernahm.99 1837 folgte dann das Expropriationsgesetz, das den Landankauf durch die Eisenbahngesellschaften regelte.100 Gleichzeitig mussten auch die entsprechenden Verfassungsartikel geändert werden. Hier taten sich die bayerische Regierung und die beiden parlamentarischen Kammern besonders schwer, denn es ging auch um die zwangsweise Enteignung von Grundbesitz, der aus konservativer Sicht die Basis des Staates bildete. Der Eisenbahnhistoriker Toni Liebl misst daher dem Expropriationsgesetz eine hohe symbolische Bedeutung zu: »Die vom Bürgertum propagierte und unter privatkapitalistischen Vorzeichen sich entwickelnde Industrialisierung mußte zwangsläufig die Reste der noch erhaltenen feudalen Strukturen überwinden. An die Stelle des Grundbesitzes, der jahrhunderte­ lang als Fundament des Staates Garant für Herrschaft und Macht war, trat nun als strategischer Faktor das Kapital.«101

Die Kammern stimmten dem Gesetz mit deutlicher Mehrheit zu, wobei der Gesetzentwurf ursprünglich vorgesehen hatte, dass das Gesetz nicht für den Rheinkreis gelten sollte. Die pfälzischen Abgeordneten, zu denen auch Andreas Jordan gehörte, hatten in den Kammerverhandlungen durchgesetzt, dass diese Beschränkung aufgehoben wurde und das Expropriationsgesetz damit auch im Rheinkreis angewendet werden konnte.102 98 Die Fundamentalbestimmungen sind u. a. abgedruckt in: Satzungen der Königlich Bayerischen Actien-Gesellschaft der Pfälzischen Ludwigsbahn, Ludwigshafen 1869, S. 33–36. Vgl. Liebl, Erde, S. 63–65. 99 Plöse, Umsturz, S. 158 f. 100 Hierzu und zu dem Folgenden: Liebl, Erde, S. 65–70. 101 Ebd., S. 67. 102 Siehe hierzu die Rede des Abgeordneten Johann Ludwig Sand am 25.9.1837, in: Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten der Ständeversammlung des Königreichs Bayern 1837, Bd. 18, München 1837, S. 315 f.

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Das Gesetz legte fest, dass Enteignungen auch durch Gemeinden oder Privatgesellschaften beantragt werden konnten, sofern die zu verwirklichenden Projekte als gemeinnützig anerkannt waren. Explizit verwies das Gesetz in diesem Kontext auch auf die Errichtung von Eisenbahnlinien. Über die Anträge sollte zunächst die jeweilige Kreisregierung entscheiden. Wenn dort keine Einigung zu Stande kommen sollte, fungierte der Staatsrat als zweite Instanz.103 Im Januar 1836, nur wenige Wochen nach der Eröffnung der Strecke Nürnberg – Fürth, kamen auch die ersten Überlegungen zum Bau einer Eisenbahnstrecke durch den bayerischen Rheinkreis auf. Attraktiv erschien eine West-OstVerbindung von Saarbrücken zur Rheinschanze, einem kleinen Hafen gegenüber von Mannheim, der später als Ludwigshafen noch zu Bedeutung gelangen sollte.104 Ziel dieser Verbindung war es vor allem, Absatzmärkte für die saarländische Steinkohle zu erschließen.105 Die Initiative dazu ging von einer Gruppe Industrieller und Kaufleute aus dem Grenzraum zwischen dem Rheinkreis und dem Saargebiet aus, die in Saarbrücken, im preußischen Regierungsbezirk Trier, am 26. Januar 1836 ein provisorisches Komitee zur Projektierung der Bahn bildeten. Obwohl der politische Entscheidungsprozess in Preußen und Bayern erst angelaufen war, begann die Aktienzeichnung umgehend. Am 18. März 1836 war ein Kapital von 2,5 Mio. Gulden gezeichnet, davon stammten 200.000 Gulden aus dem Rheinkreis.106 103 Gesetz, die Zwangsabtretung von Grund-Eigenthum für öffentliche Zwecke betr., in: Gesetzblatt für das Königreich Bayern Nr. 4 vom 27.11.1837, Sp. 109–128. Vgl. Liebl, Erde, S. 66 f. Gall (Eisenbahn, S. 14) misst den beiden bayerischen Gesetzen Vorbildcharakter für die Eisenbahngesetze der anderen deutschen Länder zu. Liebl (Erde, S. 64) hebt in diesem Kontext die wesentlich engeren Bestimmungen des preußischen Eisenbahngesetzes von 1838 hervor. Dage­ gen geht Volker Then, der sich in seiner Studie über die Rolle der Eisenbahnen und Eisenbahnunternehmer in der Industriellen Revolution vor allem dem preußischen Eisenbahnbau zuwendet, auf die bayerischen Regelungen überhaupt nicht ein. Der L ­ inie Nürnberg-Fürth spricht er nur die Bedeutung eines »technischen Experiments« zu. Siehe Then, Eisenbahnen und Eisenbahnunternehmer, S. 89–117. Das Zitat zur Linie Nürnberg – Fürth findet sich auf S. 34. 104 Zum Eisenbahnbau in der Pfalz siehe Sturm, Eisenbahnen; Schreiner, Denis. Aufschlussreich ist auch die zeitgenössische Sicht des konservativen Schriftstellers und Theologen Friedrich Blaul auf den Eisenbahnbau in der Pfalz. Dieser kommentierte die Projekte in der Cotta’schen Augsburger Allgemeinen Zeitung und dem Morgenblatt für gebildete Leser und hob vor allem die Bedeutung der Eisenbahn für den Tourismus, die Entwicklung der Industrie und die Freizeitgestaltung in der Pfalz hervor. Siehe dazu Schneider, Friedrich Blaul und die Anfänge der pfälzischen Eisenbahnen. Wenig ergiebig für die Anfangsjahre der pfälzischen Eisenbahn ist dagegen Mattern, Verkehr, der vor allem die verschiedenen Teil­strecken in der Pfalz beschreibt und technische Details liefert. Überwiegend technische­ Aspekte schildert auch Mühl, Pfalzbahn. 105 Sturm, Eisenbahnen, S. 21. Entgegen der Annahme Dieter Zieglers wurde also doch schon bei den ersten Eisenbahnprojekten über den Steinkohletransport nachgedacht. Siehe Ziegler, Eisenbahnen und Staat, S. 16. 106 Zum Saarbrücker Komitee und der Aktienzeichnung siehe Sturm, Eisenbahnen, S. 23–31.

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Auch Ludwig Andreas Jordan war frühzeitig an dem Projekt interessiert. Als das Mannheimer Bankhaus Ladenburg den Jordans den Erwerb eines Aktienpaketes empfahl, legte Ludwig Andreas Jordan seinem Vater am 21. März 1836 eine Beteiligung an der Saarbrücker Eisenbahn nahe. Er benannte dabei ein aus seiner Sicht bestehendes Grundproblem des Rheinkreises. Dieser sei zwar wohlhabend, jedoch fehle »es sehr an Capitalisten, die im Stande sind, ein derartiges Unternehmen zu unterstützen«107. Daher würden trotz des großen Engage­ ments des Gutsbesitzers Wolf aus Wachenheim noch zahlreiche Aktien zum Kauf angeboten. Jordan hinkte mit seinen Informationen dem tatsächlichen Stand der Aktienzeichnung offensichtlich hinterher. Neben dieses Projekt einer Ost-West-Verbindung trat ein Vorhaben, das vor allem von Pfälzer Industriellen wie den Eisenhüttenwerksbesitzern Ludwig von Gienanth und den Gebrüdern Krämer getragen wurde. Auch die bekannten Speyerer Kaufleute Johann Heinrich Scharpf und Philipp Lichtenberger waren engagiert. Diese Interessenten setzten sich für eine Strecke Rheinschanze-­Straßburg ein, die für den Handel wichtig war und der badischen rechtsrheinischen Bahn Konkurrenz machen sollte. Die Strecken von der Rheinschanze bzw. Mannheim aus nach Süden waren vor allem auch deswegen attraktiv, weil der Rhein ab Mannheim bzw. der Rheinschanze nicht mehr mit großen Schiffen befahren werden konnte, sodass die Eisenbahn eine vielversprechende Alternative für den Warentransport darstellte.108 Die Beratungen der bayerischen Regierung über die beiden potentiellen Strecken zogen sich hin.109 Es galt nicht nur wirtschaftliche Gesichtspunkte abzuwägen, sondern auch außenpolitische und militärische. Unter anderem fürchteten die bayerischen Militärs bei einer Verbindung nach Straßburg, dass die französische Armee im Kriegsfall rasch ins linksrheinische Gebiet vordringen könne. Zudem wollte die bayerische Regierung den Bau der ersten Eisenbahn durch die Pfalz nicht einer preußischen Gesellschaft überlassen. Daher zog man in Betracht, den Teil der Ost-West-Verbindung, der zwischen B ­ exbach und der Rheinschanze auf bayerischem Gebiet durch die Pfalz ging, durch eine eigene pfälzische Aktiengesellschaft bauen zu lassen. Ein Anschluss an das preußische Gebiet von Bexbach nach Saarbrücken könnte später noch erfolgen. In den Verhandlungen wies insbesondere der Generalkommissär des Rheinkreises, Karl von Stengel, die Regierung in München auf die politischen Folgen 107 Ludwig Andreas Jordan an Andreas Jordan, Deidesheim, 21.3.1836, LaS, V153 (Basser­ mann-Jordan), Bd. 429. 108 Sturm, Eisenbahnen, S. 29–31. Zu den badischen Eisenbahnen, die als Staatsbahn organisiert waren, siehe Enzweiler, Staat und Eisenbahn, S. 53–132. Der Oberrhein wurde erst seit den 1870er Jahren nach Abschluss der Rheinrektifikation, die auf den Plänen des In­ genieurs Johann Gottlieb Tulla beruhte, für große Schiffe befahrbar. Zu diesem Mammutprojekt siehe Blackbourn, Eroberung, S. 97–146. 109 Hierzu und zu dem Folgenden: Sturm, Eisenbahnen, S. 21–53.

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der Bahnbauten hin. Stengel begrüßte die Pläne im Frühjahr 1836 unter anderem mit folgendem Argument: »Solche großen commerziellen Unternehmungen lenken den öffentlichen Geist von politischen Schwindeleien ab, erzeugen vaterländischen Sinn und Beteiligung einer Masse von reichen Leuten mit ihrem Anhange, für Erhaltung der Ruhe und öffent­ lichen Ordnung, bei welchen Handelsetablissements allein gedeihen können.«110

Als der bayerische König Ludwig I. und sein Innenminister Ludwig von Oettin­ gen-­Wallerstein die Entscheidung immer weiter hinauszögerten, setzte sich auch der bayerische Außenminister von Gise mit dem Argument für die Eisenbahnlinie ein, dass man den Rheinkreis durch die Förderung der dortigen Wirtschaft an sich binde. Im Falle der Ablehnung einer Eisenbahn für die Pfalz fürchtete Gise, dass Bayern »den neuen großenteils erloschenen Oppositionsgeist plötzlich neu, ja sogar mit Ausdehnung auf den bisher braven und ruhigen Bauernstand«111 wieder hervorrufen könne. An diesen Zitaten wird deutlich, dass die bayerische Wirtschafts- und Infrastrukturpolitik in der Pfalz auch einen defensiven Grundzug hatte. Die Auswirkungen der Julirevolution, der hart umkämpfte Landtag von 1831, auf dem die ganz links positionierten pfälzischen Abgeordneten eine wichtige Rolle spielten, und das von der bayerischen Regierung als Aufruhr wahrgenommene Ham­ bacher Fest, hatten der bayerischen Regierung anschaulich vor Augen geführt, wie brüchig das Fundament ihrer Herrschaft insbesondere im Rheinkreis geworden war.112 Daher bedurfte es dringend langfristig angelegter Maßnahmen, die über die militärischen Einquartierungen und ähnliche Druckmittel hinausgingen, um die bayerische Herrschaft im Rheinkreis wieder auf ein solides Fundament zu stellen. Das Motiv, die politische Lage im Rheinkreis durch Förderung der wirtschaftlichen Prosperität zu entschärfen, hatte für die bayerische Regierung bereits beim Abschluss des Deutschen Zollvereins 1833/34 eine wichtige Rolle gespielt, denn die bayerische Zollpolitik war einer der Hauptkritikpunkte der pfälzischen Opposition gewesen, da sie sowohl den Im- als auch den Export des bayerischen Rheinkreises stark belastet hatte. Als 1835 auch noch Baden dem Zollverein beitrat, erhofften sich die Pfälzer von dem zollfreien Handel mit den Nachbarstaaten einen großen wirtschaftlichen Aufschwung, sodass sich die Oppositionshaltung der Pfälzer in den folgenden Jahren etwas abschwächte.113 110 Zitiert nach ebd., S. 24 f. 111 Zitiert nach ebd., S. 41. 112 Zu dieser Phase, in der Ludwig Andreas Jordans politische Sozialisation erfolgte, siehe Kapitel 5.1. 113 Zur bayerischen Politik in der Gründungsphase des Zollvereins siehe Schuster-Fox, Bayern, S. 52–56; Fox, Integration, S. 31–44. Zur zollpolitischen Situation der Pfalz und der großen

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In diesen Kontext wurde jetzt auch der Eisenbahnbau eingeordnet. Er erschien als Mittel, nicht nur um wirtschaftlichen Aufschwung zu bringen, sondern auch um die oppositionellen Kräfte in der Pfalz näher an die bayerische Regierung heranzuführen. Eisenbahnbau und Zollpolitik, die Friedrich List als »siamesische Zwillinge«114 der Industrialisierung in Deutschland bezeichnet hatte, hatten in der Pfalz also auch eine politische Dimension zur Verteidigung des politischen status quo. Diese Rolle steht quer zu den Einschätzungen der Zeitgenossen, »daß die Lokomotive der Leichenwagen ist, auf welchem Absolutismus und Feudalismus zum Kirchhof gefahren werden.«115 Der bayerische König Ludwig I. befand sich damit in einem Dilemma. Einerseits fürchtete er die gesellschaftspolitisch destabilisierende Wirkung der Eisenbahn, andererseits wollte er den Rheinkreis enger an den bayerischen Staat binden. Im Dezember 1837 genehmigte er die Gründung zweier Aktiengesellschaften zum Bau von Eisenbahnverbindungen durch die Pfalz. Die erste sollte von der Rheinschanze an die bayerisch-preußische Grenze nach Bexbach führen, wo sie später mit der Linie von Saarbrücken aus vereinigt werden sollte und die zweite von der Rheinschanze nach Lauterburg an die französische Grenze, wo sie mit der geplanten französischen Linie aus Straßburg zusammentreffen sollte. In der staatlichen Genehmigung wurde auch festgelegt, dass die Aktiengesellschaften ihren Sitz im Rheinkreis nehmen müssen.116 In der Folgezeit konzentrierte sich die Kreisregierung zunächst auf das Projekt Bexbach-Rheinschanze, da die Fortführung der anderen Linie nach Frankreich von französischer Seite aus nicht gesichert war. Sie trieb das Eisenbahnprojekt jetzt gemeinsam mit den interessierten Industriellen und Kaufleuten voran.117 Als das nötige Kapital für die erste Linie, mit Hilfe einer Zinsgarantie des bayerischen Staates für die Aktionäre, zusammengekommen war und man sich in schwierigen Diskussionen auf eine Streckenführung geeinigt hatte, konnten am 11. März 1845 die Ausschreibungen für die ersten Teilstrecken der Bahn Ludwigshafen-Bexbach veröffentlicht werden.118 Die Streckenführung verlief politischen Unruhe, welche die bayerische Zollpolitik hervorrief siehe Gruber, Entwicklung, S. 116–161; Wysocki, Süddeutsche Aspekte, S. 177 f. Zur zollpolitischen Agitation der führenden Pfälzer Zeitung, der Neuen Speyerer Zeitung, siehe Krautkrämer, Kolb, S. 72–77. 114 Zum Zitat Lists siehe Hahn, Revolution, S. 22. 115 So der Unternehmer Friedrich Harkort, zitiert nach Wehler, Gesellschaftsgeschichte, Bd. 2, S. 207. 116 Genehmigung abgedruckt in: Schreiner, Denis, S. 72 f. Vgl. Sturm, Eisenbahnen, S. 53 f. 117 Zu der Finanzierung und weiteren Planung des Projekts siehe Sturm, Eisenbahnen, S. 53–60. In der ersten Gesellschaftsversammlung engagierten sich u. a. die Eisenwerksbesitzer Krämer aus St. Ingbert, der Kaufmann Lichtenberger aus Speyer, der Bankier Dacqué aus Neustadt und der Gutsbesitzer Johann Ludwig Wolf aus Wachenheim. 118 Der Staat fungierte also hier als aktiver Förderer des Eisenbahnbaus, der bei Kapitalmangel entweder potentielle Investoren durch eine Zinsgarantie lockte, oder die Bahnen direkt als Staatsbahnen baute. Zu dieser Rolle des Staates siehe Ziegler, Eisenbahnen und Staat,

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von der seit 1843 in Ludwigshafen umbenannten Rheinschanze aus in westlicher Richtung über Schifferstadt, Neustadt, Kaiserslautern, Homburg bis Bexbach. Das für Verwaltung und Handel wichtige Speyer sollte über eine Verbindung aus Schifferstadt an das Netz angeschlossen werden. Der Bau der Eisenbahnlinie stand unter der Leitung des erfahrenen Kreisbaurats Paul Camille Denis, der bereits für den Bau der Strecke Nürnberg-Fürth verantwortlich gewesen war.119 Nachdem die Bahn den ersten Abschnitt zwischen Ludwigshafen und Neustadt 1847 in Betrieb genommen hatte, wurde die Fertigstellung der Gesamtstrecke durch die Märzrevolution bis 1849 verzögert. Diese sogenannte »Pfälzische Ludwigsbahn« wurde 1853 noch durch die Strecke von Ludwigshafen nach Norden ergänzt, die mit der hessischen Linie von Mainz über Worms zusammentraf und auch von der Ludwigsbahngesellschaft mitbetrieben wurde.120 1855 kam noch die »Pfälzische Maximiliansbahn« mit der Strecke NeustadtLandau-Weissenburg (Elsass) hinzu.121 Diese wurde von der Ludwigsbahn­ gesellschaft mitverwaltet, allerdings auf getrennte Rechnung. Damit gab es in der Pfalz eine Ost-West-Verbindung, eine Verbindung am Rhein entlang nach Norden sowie von Neustadt aus eine Verbindung in den Süden. Noch nicht erschlossen war jedoch der nördliche Bereich der Pfalz, der nicht direkt den Rhein tangierte. Insbesondere fehlte eine Verbindung von Neustadt am unteren Haardtgebirge entlang über Dürkheim nach Frankenthal, die für die dortigen Winzer und Fabrikanten als günstiger Transportweg eine hohe Bedeutung hatte. Diese ergriffen daher zu Beginn des Jahres 1856 die Initiative.122 Unter der Leitung des Dürkheimer Bürgermeisters Christian Haffner traf man zunächst in Dürkheim zusammen und beschloss, ein provisorisches Komitee zu wählen. Dieses Komitee, dem auch Ludwig Andreas Jordan angehörte123, arbeitete in sei­nen Sitzungen die Formalitäten und ersten Überlegungen zum Bau der Strecke aus. Im März 1856 überbrachte man dann eine von den Bürgermeistern der betroffenen Städte und Dörfer unterzeichnete Eingabe an den Regierungspräsidenten des Pfalzkreises, Gustav von Hohe, in der man um die Genehmigung der Projektierungs-Konzession bat. S. 12, 42. Im rechtsrheinischen Bayern ging der Staat seit Beginn der 1840er Jahre aufgrund zurückhaltender privater Investitionsbereitschaft zum Staatsbahnsystem über, gab diese Politik jedoch Mitte der 1850er Jahre wieder auf. Siehe ebd., S. 32 f.; Liebl, Erde, S. 164–169. 119 Schreiner, Denis, S. 53–61. 120 Sturm, Eisenbahnen, S. 134–141. 121 Siehe hierzu Sturm, Eisenbahnen, S. 124–134, 143–146. 122 Hierzu und zu dem Folgenden siehe o.V., Auch zur Pfälzischen Eisenbahnfrage, S. 2; Brief (ohne Absender) an Franz Peter Buhl, Dürkheim, 13.5.1856. BaK, N1754 (Buhl), Bd. 128. Zum ähnlichen Verlauf der Gründung von Eisenbahngesellschaften und der Durchsetzung bestimmter Linien siehe Then, Eisenbahnen und Eisenbahnunternehmer, S. 93–112. 123 Christian Haffner an Ludwig Andreas Jordan, Dürkheim, 27.10.1856, LaS, V153 (Basser­mann-Jordan), Bd. 392.

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Gleichzeitig veröffentlichte man eine Druckschrift, mit der man das Projekt in den höchsten Tönen bewarb.124 Um die politisch und wirtschaftlich interessierte Öffentlichkeit zu erreichen, wurde die Druckschrift allen Abonnenten der Pfälzer Zeitung mit ihrer Zeitung zugestellt.125 Diese Marketingmethode der Prospektbeilage wirkt äußerst modern. Außerdem wurde eine große Anzahl Druckschriften an die pfälzischen Landtagsabgeordneten Buhl, Karl ­Heinrich Wolf und Friedrich Wilhelm Rebenack in München versandt, mit der Bitte, diese in beiden parlamentarischen Kammern und an die Minister zu verteilen. Mit Hilfe der Broschüre und im Gespräch sollten diese die Regierung davon überzeugen, die Konzession zu einer ersten Projektierung der Bahnstrecke zu erteilen. In der Broschüre verwies man nicht nur auf die schöne Gegend, die durch diese Bahn weiter für den Tourismus erschlossen werde, sondern machte vor allem deutlich, wie rentabel die Bahnlinie sein werde.126 Die Strecke führe durch eine der bevölkerungsreichsten Gegenden Deutschlands und daher sei mit starkem Personenverkehr zu rechnen. Zudem sei der Gütertransport hoch zu veranschlagen, da die Bevölkerung und die vor allem in Dürkheim ansässigen Handwerks­ betriebe und Unternehmen auf Kohle als Brennmaterial angewiesen seien und diese über die Bahn beziehen würden. Man prognostizierte außerdem, dass die Steine aus den angrenzenden Steinbrüchen auf dem Schienenweg transportiert werden würden. Schließlich sei auch der Weintransport nicht zu vernachlässigen. Dafür sei insbesondere der Wegfall des Rheinzolls bei einer Verschiffung über den Frankenthaler Kanal nach Mainz ausschlaggebend, wohingegen bei der Verschiffung von Ludwigshafen nach Mainz ein hoher Zoll zu entrichten sei. Das Bahnkomitee rechnete hier mit einem Transport von 10.000 Stückfässern127 Wein pro Jahr durch die neue Bahn. Insgesamt errechnete man durch den Personen- und Warentransport Einnahmen von 285.250 Gulden. Demgegenüber seien Betriebskosten von 95.083 Gulden zu erwarten. Daraus ergebe sich ein Reinertrag von 190.167 Gulden pro Jahr. Die projektierte Bahn hatte allerdings mit zwei Problemen zu kämpfen, die das provisorische Komitee in der Werbebroschüre auch nicht verschwieg, sondern offensiv anging. Das erste Problem waren die hohen Kosten für den Bau der Bahn. Da die Strecke häufig durch erstklassiges Rebgelände führen würde, war mit großen Ausgaben für den Ankauf der nötigen Flächen zu rechnen. Man veranschlagte daher für den Bau der ca. 27 Kilometer langen Bahn Kosten in Höhe von 2,7 Millionen Gulden. 124 O. V., Auch zur Pfälzischen Eisenbahnfrage. 125 Hierzu und zu dem Folgenden: Wilhelm Sauerbeck an Franz Peter Buhl, Dürkheim, 30.4.1856, BaK, N1754 (Buhl), Bd.  128. Zur einflussreichen konservativen Pfälzer Zeitung siehe Joeckle, Pfälzer Zeitung. 126 Hierzu und zu dem Folgenden o.V., Auch zur Pfälzischen Eisenbahnfrage. 127 Ein Stückfass enthielt 1200 Liter.

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Das zweite Problem bestand in der Konkurrenz zur Pfälzer Ludwigsbahn. Bisher wurde der Warentransport von der Saar und der Westpfalz nach Osten und Norden über Ludwigshafen und damit die Pfälzer Ludwigsbahn abgewickelt. Von Ludwigshafen konnte man die Waren auf der Bahnlinie Ludwighafen-Mainz, die ja auf dem Gebiet der Pfalz auch von der Ludwigsbahn betrieben wurde, weitertransportieren. Durch die neue Strecke würde man diese Verbindung über Neustadt-Frankenthal abkürzen. In der Broschüre wies man auf diesen Effekt explizit hin und verhehlte nicht, dass die Ludwigsbahngesellschaft daher versuche, die Haardt-Rheinbahn zu verhindern. Um die Ludwigsbahngesellschaft in die Defensive zu drängen, berief man sich auf das Gemeinwohl, ein in den Eisenbahnprojekten hart umkämpfter Begriff. Der Bau der Eisenbahnlinien, der zahlreiche wirtschaftliche, rechtliche und naturräumliche Eingriffe bis hin zur Enteignung nötig machte, konnte kaum mit einzelnen Privatinteressen begründet werden. Stattdessen ging es immer darum, Privatinteressen und Gemeinwohl zusammenzubringen und auf diese Weise den Bau zu rechtfertigen. Was als »Gemeinwohl« zu gelten hatte, war natürlich Definitionssache, sodass man hierüber die Deutungshoheit gewinnen musste. Hier lag wohl auch, neben der Werbung für die ersten Aktionäre, der Hauptgrund für die Publikation der Broschüre. Darin spielte man das Gemeinwohl gegen rein wirtschaftliche Erwägungen aus. Zahlreiche wirtschaftliche und außerwirtschaftliche Gründe sprächen für die Haardt-Rheinbahn, die der Pfälzer Bevölkerung ein großes Anliegen sei. Demgegenüber vertrete die Ludwigsbahn nur die Geschäftsinteressen einzelner. Es sei nicht zu rechtfertigen, dass, um die ohnehin hohe Rendite der Ludwigsbahn aufrecht zu erhalten, ein so dringendes Bedürfnis wie die Haardt-Rheinbahn verhindert werde. Die fleißige Bevölkerung des unteren Haardtgebirges habe ein Recht darauf, »vom Verkehre nicht länger abgeschnitten zu bleiben«128. Außerdem wies man darauf hin, dass man auch die Personen und Waren gegenrechnen müsse, welche die neue Bahn der Ludwigsbahn zusätzlich zuführen werde. Dann erscheine die Bahn nicht mehr als Konkurrentin der Ludwigsbahn, sondern als »treue Gehilfin«129. Daher empfahl man der Ludwigsbahn-Gesellschaft auch, in Erwägung zu ziehen, ob es nicht lohnenswert sei, wenn diese die neue Strecke, die »Herzpulsader«130 des pfälzischen Eisenbahnverkehrs, selbst baue und betreibe. Am 3. August 1856 wurde dann dem Komitee vom bayerischen Staatsministerium des Handels die Projektierungs-Konzession gewährt.131 Die Befürworter der Bahn ruhten sich auf diesem Teilerfolg jedoch nicht aus, sondern versuchten 128 O. V., Auch zur Pfälzischen Eisenbahnfrage, S. 6. 129 Ebd. 130 Ebd., S. 7. 131 Siehe dazu die Nachrichtenrubrik »Neueste Posten«, in: Neue Münchener Zeitung (Morgenblatt), Nr. 199 vom 20.8.1856, S. 3.

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jetzt auch über den neu gegründeten Handels- und Fabrikrat Neustadt-Dürkheim, der die Fabrikanten und Kaufleute der Region vertrat, unter seinem Vorsitzenden Ludwig Andreas Jordan auf die Regierung in München einzuwirken.132 Am 9. Oktober sandte man daher eine Petition gemeinsam mit der Broschüre an König Maximilian II.133 In der Bittschrift ging der Handels- und Fabrikrat noch ausführlicher als in der Broschüre auf die wirtschaftlichen Interessen der Bevölkerung ein. Die Fabrikanten und Winzer in dem Gebiet hätten darunter zu leiden, dass für ihre Produkte hohe Transportkosten anfallen würden. Dadurch sei man insbesondere mit dem Ausland nicht mehr konkurrenzfähig. Diese verkehrstechnische »Isolation« sei nicht mehr länger tragbar. Abschließend wies der Handels- und Fabrikrat noch auf die Feindseligkeit der Ludwigsbahn-Gesellschaft gegenüber der neuen Bahnlinie hin. In Erweiterung der Argumentation aus der Druckschrift spielte man hier jedoch die Pfälzer Karte. Es könne nicht sein, dass die Einzelinteressen meist ausländischer Aktionäre der Ludwigsbahn höher zu veranschlagen seien als die gerechten Interessen der Pfälzer Bevölkerung. Da der Staat Mitglieder des Verwaltungsrates der ­Ludwigsbahn und als Aufseher einen Regierungskommissär stellte, hoffte man offensichtlich über diesen Hebel Einfluss auf die Ludwigsbahn-Gesellschaft ausüben zu können. Zwei Monate später wandte man sich erneut an den König, um die starke­ Stellung der Ludwigsbahngesellschaft in der Pfalz zu untergraben.134 Man befürchtete, dass die bayerische Regierung der Ludwigsbahn den Bau einer Zweigbahn von Homburg nach St. Ingbert genehmigen werde. Wie der Handels- und Fabrikrat erfahren hatte, wolle die Landesregierung dafür die Konzessionsbedingungen der Ludwigsbahngesellschaft verändern. Darin war festgelegt, dass der Staat als Gegenleistung für seine 4-prozentige Zinsgarantie nach 25 Jahren Betrieb die Bahn aufkaufen konnte. Jetzt spielte man in der bayerischen Regierung mit dem Gedanken, diese Frist zu verlängern. Diese Entwicklung hielt man an der unteren Haardt für verhängnisvoll, da der Staat auf diese Weise ein Druckmittel gegenüber der Ludwigsbahn aus der Hand gebe. Man wies daher in der Bittschrift darauf hin, dass es Linien von allgemeinerem Interesse für die Pfalz gebe als die Strecke Homburg-St. Ingbert, darunter natürlich die Strecke Neustadt-Dürkheim-Frankenthal. Die Landesregierung müsse auch ein finan 132 Zum Aufbau der Handels- und Fabrikräte sowie der Handels- und Gewerbekammern, ihrer Funktionsweise und ihrer Bedeutung unter dem Vorsitz Ludwig Andreas Jordans siehe Kapitel 4.4. 133 Hierzu und zu dem Folgenden: Eingabe des Handels- und Fabrikrates NeustadtDürkheim an den bayerischen König Maximilian II., 9.10.1856, AIHK, Band »Protocolle des Fabrik- und Handels-Rathes Neustadt-Dürkheim«. 134 Hierzu und zu dem Folgenden siehe: Eingabe des Handels- und Fabrikrates Neustadt-­ Dürkheim an den bayerischen König Maximilian II., o. D. [Dezember 1856, H. T.], AIHK, Band »Protocolle des Fabrik- und Handels-Rathes Neustadt-Dürkheim«. Siehe hierzu auch das Protokoll der Sitzung des Handels- und Fabrikrates Neustadt-Dürkheim, Neustadt, 17.12.1856, ebd.

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zielles Interesse an dieser Verbindung haben. Diese Strecke sei die Verlängerung der Maximiliansbahn zwischen Landau und Neustadt und da der Staat dieser Gesellschaft eine Zinsgarantie gewähre, profitiere er davon, wenn die Strecke zügig profitabel sei. Zudem verliere der Staat durch die Verlängerung der Aufkauffrist einen wichtigen Trumpf. Früher oder später werde es nämlich notwendig sein, alle Pfälzer Bahnen unter eine Leitung zu stellen, damit sie wirtschaftlicher operieren könnten.135 Das sei jedoch nicht möglich, solange der Staat kein Druckmittel in der Hand habe. Daher werde die Regierung, wenn sie auf die Vorschläge der Ludwigsbahngesellschaft eingehe, nur den Dank der Aktionäre empfangen, nicht jedoch den Dank der Pfälzer Bevölkerung. Auch die Pfälzische Handels- und Gewerbekammer in Ludwigshafen, der Ludwig Andreas Jordan vorsaß, beantragte in ihren Jahresberichten 1856 und 1857 die Vervollständigung des pfälzischen Eisenbahnnetzes und begründete dies mit den Interessen des Handels, der Fabriken und der Agrarproduzenten.136 Die Ausarbeitung des Antrags übernahm der Winzer und Weinhändler Wilhelm Sauerbeck aus Dürkheim, der auch hier nicht versäumte, die bayerische Regierung darauf hinzuweisen, dass »die allgemein volkswirthschaftlichen Interessen der Pfalz gegenüber finanziellen Einzel-Interessen gebührend berücksichtigt werden«137 müssten. Mittlerweile schritt das Projekt voran. Am 20. Dezember 1856 hatte der König dem königlich-bayerischen Bauschaffner Ludwig Fries genehmigt, eine Bahnverbindung mit einer Streckenführung von Neustadt über Dürkheim und Freinsheim nach Frankenthal auszuarbeiten.138 Das Konzept von Fries geriet jedoch bald ins Abseits, da die Ludwigsbahngesellschaft weiter gegen die neue Gesellschaft opponierte und mit Unterstützung der Regierung der Pfalz das Projekt hintertrieb.139 Die Regierung war vor allem daran interessiert, den von ihr ­geförderten Aufstieg Ludwigshafens nicht zu behindern. An einer Konkurrenz 135 Mit diesem Argument hatte Ludwig Andreas Jordan bereits die verwaltungstechnische Fusion der Ludwigsbahn mit der Maximiliansbahn 1856 unterstützt. Um in diesen Fragen unabhängiger agieren zu können, verkaufte er zudem den größten Teil seiner Ludwigsbahn-­ Aktien und stellte daraufhin gegenüber seinem Schwager fest, er sei es von jeher gewohnt, seine Interessen dem Allgemeinwohl unterzuordnen. Siehe Ludwig Andreas Jordan an Franz Peter Buhl, Deidesheim, 24.1.1856, BaK, N1754 (Buhl). Bd. 7. 136 Siehe hierzu Jahresbericht der Pfälzischen Gewerbe- und Handelskammer für 1856, Ludwigshafen 1857, S. 25 und 53 f.; Jahresbericht der Pfälzischen Gewerbe- und Handelskammer für 1857, Ludwigshafen 1858, S. 27 und 42 f. 137 Antrag von Wilhelm Sauerbeck an die verehrliche pfälzische Gewerbe- und Handelskammer, die Vervollständigung des Eisenbahnnetzes in der Pfalz betreffend, in: Jahresbericht der Pfälzischen Gewerbe- und Handelskammer für 1856, Ludwigshafen 1857, S. 53. 138 Schreiner, Denis, S. 109. Siehe hierzu auch Bahninspektor Fries an Ludwig Andreas Jordan, Speyer, 25.1.1857, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 581. 139 Schreiner, Denis, S. 109. Siehe hierzu auch die Klagen der Pfälzischen Gewerbe- und Handelskammer: Jahresbericht der Kreis-Gewerbe- und Handelskammer der Pfalz für 1859, Ludwigshafen 1860, S. 82 f.

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bahn zur Ludwigsbahn und damit einer Ablenkung der Warenströme war ihr daher nicht gelegen. Als Wilhelm Sauerbeck in der Pfälzischen Handels- und Gewerbekammer zu Beginn des Jahres 1859 erneut einen Antrag zur Unterstützung der Linie Neustadt-Frankenthal einbringen wollte, signalisierte der Regierungskommissär Max Joseph von Lamotte der Handelskammer, dass eine Verbindung bis Frankenthal nicht konzessioniert werden würde, da man die Interessen der Ludwigsbahn berücksichtigen müsse. Daher forderte die Handelskammer ab 1859 nur noch eine Strecke von Neustadt nach Dürkheim.140 Als das Projekt von der Regierung immer weiter hinausgezögert wurde, schickte das provisorische Komitee im Mai 1861 Haffner und Wolf nach München, um sich dort für die Eisenbahnlinie einzusetzen.141 Parallel dazu verhandelte Ludwig Andreas Jordan mit dem Direktor der Pfälzischen Bahnen, Albert Jäger, um eine für beide Gesellschaften befriedigende Lösung zu finden.142 Anfang Juni gelang endlich der Durchbruch durch eine provisorische Vereinbarung mit der Verwaltung der Pfälzischen Bahnen für die Strecke von Neustadt nach Dürkheim.143 Daraufhin sollte von der bayerischen Regierung ein Gesetz eingebracht und vom Landtag verabschiedet werden, das die rechtlichen Rahmenbedingungen für mehrere neugeplante Bahnen in der Pfalz festlegen sollte. Als sich dieses Gesetz verzögerte, schaltete Ludwig Andreas Jordan den Landrat ein, dessen Mitglied er zu dieser Zeit war.144 Der Landrat wurde aus dem Kreis der Höchstbesteuerten gewählt und beriet die Kreisregierung in der Verteilung der Steuereinnahmen. Er traf sich einmal jährlich zu den entsprechenden Beratungen, verfügte jedoch zwischen den Sitzungsperioden über einen ständigen Ausschuss, in den auch Ludwig Andreas Jordan gewählt worden war. Als dieser am 12. August 1861 in Speyer zusammenkam, beschloss man, den Präsidenten, den St. Ingberter Eisenwerksbesitzer Philipp Heinrich von Krämer, sowie den Lan­ dauer Anwalt und Landratssekretär Ferdinand Böcking zum König zu schicken, um ihm den Wunsch der Pfälzer nach einer zügigen Vorlage des Gesetzentwurfs 140 Ludwig Andreas Jordan an Franz Peter Buhl, Deidesheim, 1.3.1859, BaK, N1754 (Buhl), Bd.  7; Jahresbericht der Kreis-Gewerbe- und Handelskammer der Pfalz für 1858, Ludwigshafen 1859, S. 25 f. und 35 f.; Jahresbericht der Kreis-Gewerbe- und Handelskammer der Pfalz für 1859, Ludwigshafen 1860, S. 69 f. und 83. 141 Ludwig Andreas Jordan an Franz Peter Buhl, Heidelberg, 6.5.1861, BaK, N1754 (Buhl), Bd. 7. 142 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 23.5.1861, LaS, V153 (BassermannJordan), Bd. 45. 143 Zu den Verhandlungen mit dem Direktor der Ludwigsbahn Albert Jäger siehe Ludwig Andreas Jordan an Franz Peter Buhl, Speyer, 8.6.1861, BaK, N1754 (Buhl), Bd.  7. Zu Jäger siehe die hagiographische Schrift von Knauber, Jäger. 144 Hierzu und zu dem Folgenden: Protokolle des Landrats-Ausschusses von 1861, in: Institut für pfälzische Geschichte und Volkskunde, Kaiserslautern, Bd. Landratsprotokolle 1860–63. Abgedruckt auch in: Königlich-Bayerisches Kreis-Amtsblatt der Pfalz, Speyer, 21.6.1862, Sp. 681–683.

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vorzutragen. Die beiden Landratsmitglieder reisten daraufhin gemeinsam mit einer Deputation der Pfälzischen Ludwigs- und Maximiliansbahn in das niederländische Seebad Scheveningen, wo König Maximilian weilte. Dieser versprach eine zügige Erledigung und beruhigte die Pfälzer. Das Gesetz über die Ausdehnung des Eisenbahnnetzes der Pfalz wurde wenige Monate später vorgelegt. Darin bestimmte die bayerische Regierung, dass der Staat für den Bau der Neustadt-Dürkheimer-Eisenbahnlinie durch eine Aktiengesellschaft eine 4-prozentige Zinsgarantie für 25 Jahre übernehme. Nach 99 Jahren falle dafür die Bahn unentgeltlich an den Staat.145 Am 25. Januar 1862 wurden die genauen Vereinbarungen zwischen dem provisorischen Komitee zum Bau der Bahn und der Pfälzischen Ludwigsbahn schriftlich festgehalten.146 Dem Komitee gehörten neben Ludwig Andreas Jordan und seinen Kollegen aus dem Neustädter Fabrik- und Handelsrat Wilhelm Sauerbeck und Georg Zumstein fünf weitere Mitglieder an, vor allem Winzer und Weinhändler. In der Vereinbarung sicherte das Komitee zu, durch die Gründung einer Aktiengesellschaft und die Ausgabe von Aktien die veranschlagten Kosten von 1,45 Mio. Gulden zu finanzieren. Diese Summe sollte in 2900 Aktien zu je 500 Gulden gestückelt werden. Das Bankenkonsortium für die Emission der Aktien bestand u. a. aus der Rothschild-Bank in Frankfurt und dem Mannheimer Bankhaus Ladenburg. Den Bau der Strecke und den Betrieb der Bahn übernahm die Pfälzische Ludwigsbahn. Die Bahnen wurden damit einheitlich verwaltet, aber mit getrennter Rechnung geführt. Zudem wurde der Anschluss an die Ludwigshafen-Bexbacher Strecke in Neustadt durch die Ludwigsbahn zugesagt. Dagegen versicherte das provisorische Komitee, die Bahn nur mit Genehmigung der Ludwigsbahngesellschaft über Dürkheim hinaus weiterzuführen. Auf dieser Basis sollten die bisherigen Planungen durch den Oberingenieur der Pfälzischen Bahnen, Casimir Basler, überarbeitet werden, der vor allem die im ersten Entwurf veranschlagten Baukosten senken sollte. Mit der königlichen Genehmigung vom 28.  August 1862 wurde dann die »Actien-Gesellschaft der Neustadt-Dürkheimer Eisenbahn« mit Sitz in Ludwigs­ hafen vorläufig konzessioniert.147 Am 22. September begann die Aktienzeichnung. Diese waren so stark nachgefragt, dass die ursprünglich von den Jor 145 Auszug aus dem Gesetzblatt für das Königreich Bayern Nr. 19, München, 27.12.1861, in: Satzungen der Königlich Bayerischen Actien-Gesellschaft der Pfälzischen Ludwigsbahn, Ludwigshafen 1869, S. 81 f. 146 Hierzu und zu dem Folgenden: Übereinkunft, den Bau und Betrieb einer Eisenbahn von Neustadt nach Dürkheim an der Haardt betreffend, in: Satzungen der Königlich Baye­ rischen Actien-Gesellschaft der Pfälzischen Ludwigsbahn, Ludwigshafen 1869, S. 86–91. Vgl. Schreiner, Denis, S. 109 f. 147 Allerhöchste Concessions-Urkunde zur Bildung einer Actien-Gesellschaft für den Bau und Betrieb einer Eisenbahn von Neustadt a.d. Haardt nach Dürkheim, in: Satzungen der Königlich Bayerischen Actien-Gesellschaft der Pfälzischen Ludwigsbahn, Ludwigshafen 1869, S. 82–86.

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dans gezeichnete Summe von 16.000 Gulden auf 8000 Gulden reduziert werden musste.148 Die Gesellschaft konstituierte sich endgültig auf ihrer Generalversammlung am 22. Oktober 1862.149 Der Bau der Bahnstrecke zog sich allerdings über drei Jahre hin, da die Streckenführung und die Frage des Landerwerbs sich als kompliziert erwiesen.150 Am 6. Mai 1865 konnte die neue Bahnstrecke endlich feierlich eröffnet werden. Durch den Anschluss des Gebietes zwischen Neustadt und Dürkheim an das Bahnnetz war ein wichtiges Anliegen der dortigen Einwohner erreicht. Die Eisenbahn war das zentrale Mittel zur Marktintegration, denn man konnte jetzt die eigenen Agrar- und Industrieprodukte kostengünstiger und schneller vertreiben. Zudem konnte man für die Landwirtschaft zentrale Produkte wie zum Beispiel Kuhdung oder das für den Weinbau benötigte Holz günstig über die Eisenbahn beziehen.151 Allerdings hatte man den gewünschten Anschluss nach Frankenthal nicht erreicht. Dieser kam erst über die Verbindung FreinsheimFrankenthal im Jahre 1877 zu Stande.152 So profitabel, wie man es in der Broschüre ausgemalt hatte, war die Bahnstrecke Neustadt-Dürkheim durch ihre Verkürzung allerdings nicht mehr. Dort hatte man Einnahmen von 285.250 Gulden prognostiziert. Tatsächlich nahm man im ersten Betriebsjahr nur 29.387 Gulden ein. Im erfolgreichsten Betriebsjahr 1865/66 lagen die Einnahmen bei 83.022 Gulden, was in der Gesamtabrechnung ein Minus von 55.276,33 Gulden ergab.153 Der bayerische Staat musste daher mit seiner Zinsgarantie in die Bresche springen.154 Der Personen- und Warentransport fiel einfach deutlich geringer aus als veranschlagt. Zum 1. Januar 1870 wurde die Neustadt-Dürkheimer Linie dann der Gesellschaft der Pfälzer Nordbahnen zugeschlagen, die gleichzeitig mit der Ludwigsund der Maximiliansbahn zur Betriebs- und Ertragsgemeinschaft der Pfälzischen Eisenbahnen fusionierte.155 Die Gesellschaften wurden also gemeinsam verwaltet, aber es fand eine getrennte Abrechnung statt. Der bayerische Staat 148 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 22.9.1862, LaS, V153 (BassermannJordan), Bd. 46. 149 Generalversammlung der Aktionäre der Neustadt-Dürkheimer Eisenbahn am 22. Oktober 1862 in Ludwigshafen, in: Satzungen der Königlich Bayerischen Actien-Gesellschaft der Pfälzischen Ludwigsbahn, Ludwigshafen 1869, S. 91–93. Siehe hierzu auch Jahresbericht der Kreis-Gewerbe- und Handelskammer der Pfalz für 1862, Ludwigshafen 1863, S. 26 f. 150 O. V., Kurze Entwicklungsgeschichte, S. 9; Sturm, Eisenbahnen, S. 170; Schreiner, Denis, S. 110. 151 So war die Bahnstation Deidesheim 1890 der größte Empfänger von Stalldünger in der Pfalz. Siehe Kermann, Tendenzen, S. 228 f. 152 O. V., Kurze Entwicklungsgeschichte, S. 31 f. 153 Ebd., Beilage XII. 154 Aufzeichnung zur Rechnungsperiode 1.10.1865–31.12.1866 (München, 8.5.1867), LaS, H3, Bd. 2232. 155 Sturm, Eisenbahnen, S. 191 f.; o.V., Kurze Entwicklungsgeschichte, S. 16 f.

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verlängerte im Zuge der Fusion die staatliche Zinsgarantie für die drei Bahnen bis 1904. Als Gegenleistung verpflichteten sich die Pfälzischen Bahnen weitere Teilstrecken in der Pfalz zu bauen. Da die Bahnen mit einer unterschiedlichen Ertragsstärke zusammengingen, wurde der Ludwigsbahn ein Anteil von 5 % am jährlichen Gewinn zugesichert und der Maximiliansbahn ein Anteil von 1 %. Die Pfälzischen Eisenbahnen wurden dann als letzte große private Eisenbahngesellschaft 1909 verstaatlicht.156 Der Anschluss der unteren Haardt an das Eisenbahnnetz, für den sich Ludwig Andreas Jordan und die Winzer der Region so stark gemacht hatten, hatte auch nicht intendierte Wirkungen. Er sorgte unter anderem für eine höhere Mobilität der Arbeitskräfte. Da gleichzeitig die Chemiestadt Ludwigshafen mit der BASF aufblühte, zogen es viele landwirtschaftliche Arbeiter vor, die besser bezahlten Arbeitsplätze in Ludwigshafen anzunehmen.157 Durch die zunehmende Dichte des Eisenbahnnetzes wurde auch das tägliche Pendeln aus der Vorderpfalz zur Arbeit bei der BASF möglich.158 In der Folge zogen die Arbeitskosten im Weinbau an der Haardt deutlich an.159 Insgesamt zeigt sich beim Eisenbahnbau, wie wichtig es war, dass Ludwig­ Andreas Jordan auf verschiedenen Tasten der Klaviatur spielte. Er stand nicht in vorderster Front beim Bau der Linien, wie der Neustadt-Dürkheimer-Strecke, sondern war gut vernetzt und saß an zentralen wirtschaftlich-politischen Knotenpunkten, über die er den nötigen Druck auf die Regierung aufbauen konnte. Solche Knotenpunkte waren die lokalen Handels- und Fabrikräte, die Handelskammer der Pfalz, der Pfälzer Landrat, aber auch die Verbindung zu seinem Freund und Schwager Franz Peter Buhl, der den Wahlkreis Neustadt-Landau im bayerischen Landtag vertrat. Über diese Institutionen beeinflussten Ludwig Andreas Jordan, sein Schwager Buhl und die anderen Winzer am Haardtgebirge den Entscheidungsprozess der bayerischen Regierung. Diese Vernetzungen waren überaus wichtig, um erfolgreich zu sein. Für Westfalen hat Susanne Brockfeld 70 provisorische Komitees ermittelt, die zwischen 1830 und 1870 den Bau einer Eisenbahnstrecke bei der preußischen Regierung beantragten. Davon wurden nur 20 konzessioniert.160 Man musste also nicht nur die Öffentlichkeit als potentiellen Investor von dem eigenen Projekt überzeugen, sondern vor allem die Regierung. 156 Ziegler, Eisenbahnen und Staat, S. 33. 157 Zur Konkurrenz zwischen Agrar- und Industrielöhnen in der Pfalz siehe Konersmann, Entstehung, S. 252 f. Die Bevölkerungsentwicklung Ludwigshafens beleuchtet sehr detailliert Hippel, Reichsgründung, S. 452–474. Von Hippel macht deutlich, dass der größte Anteil des Zuzugs aus den dicht bevölkerten vorderpfälzischen Gebieten erfolgte (S. 458 f.). 158 Hippel, Reichsgründung, S. 461 f. 159 O. V., Der Bürklin-Wolffsche Grundbesitz, S. 149. Langfristig verstärkte die Entwicklung der Löhne die Maschinisierung der Arbeiten. 160 Brockfeld, »… wird überall die Eisenbahn zu einer Frage des Seins oder Nichtseins«, S. 116 f.

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Ludwig Andreas Jordan erhöhte durch seine zentrale Positionierung an den Schnittstellen von Politik und Wirtschaft auch seine wirtschaftliche Attraktivität. Unternehmen bemühten sich darum, ihn im Verwaltungsrat zu platzieren, da er über entscheidende Kontakte verfügte. So wurde er unter anderem im Dezember 1861 in den Verwaltungsrat der Pfälzischen Bahnen gewählt und konnte aus dieser Position die zukünftige Entwicklung der Eisenbahnen in der Pfalz mitbestimmen.161 Mit ihrem Engagement wirkten die Weingutsbesitzer zudem auf den Raum ein. Sie sorgten dafür, dass bestimmte Orte an das Eisenbahnnetz angeschlossen wurden und damit intensiver in einen überregionalen Markt integriert wurden. Gleichzeitig stärkten sie mit ihrem Engagement die Pfälzer Hauptlinie BexbachLudwigshafen und führten dieser durch die neue Bahn Güter und Personen zu. Insbesondere Ludwigshafen profitierte als Verbindung zwischen Eisenbahn und Rheinschifffahrt von dem hohen Transportvolumen der Bahn. Daneben entwickelte sich vor allem Neustadt zu einem Verkehrsknotenpunkt. Mit dem Bau der Dürkheimer-Neustadter Bahn trafen dort drei Bahnlinien zusammen, was die Bedeutung Neustadts als Handels- und Industrieplatz verstärkte.162 In dem Aushandlungsprozess über die Gründung der Eisenbahngesellschaften hatte sich deutlich gezeigt, welche wichtige Rolle der Staat in der beginnenden Industrialisierung spielte. Er legte in Zusammenarbeit mit den politischen Institutionen und Interessengruppen die rechtlichen Rahmenbedingungen für die neu entstehenden Infrastrukturen und industriellen Unternehmungen fest und sorgte zum Beispiel über Zinsgarantien für eine gewisse Investitionssicherheit. Das sich auf diese Weise herausbildende Zusammenspiel zwischen Staat und Wirtschaftsbürgertum, in das Ludwig Andreas Jordan eng eingebunden war, wird auch bei einem weiteren Infrastrukturprojekt, der Pfälzischen Dampfschleppschifffahrt, deutlich.

4.3.2 Staat und Wirtschaft: Die Bayerisch-Pfälzische Dampfschleppschifffahrtsgesellschaft Bei dem Aufbau einer pfälzischen Dampfschleppschifffahrt ging die Initiative im Gegensatz zum Eisenbahnbau von staatlicher Seite aus. Während bei der Eisenbahn der Staat auf die Privatinitiativen reagierte und vor allem durch die Zinsgarantien private Investitionen erleichterte, war die pfälzische Kreisregierung bei der Schleppschifffahrt der Initiator. Dieses Projekt ist damit ein Beispiel dafür, wie die industrielle und infrastrukturelle Entwicklung der Pfalz 161 O. V., Kurze Entwicklungsgeschichte, Beilage IV; Direction der Pfälzischen Eisen­ bahnen an Ludwig Andreas Jordan, 19.12.1861, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 335. 162 Schreiner, Neustadt.

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vom Engagement des Regierungspräsidenten Eugen Fürst von Wrede profitierte, der in der Pfalz von 1841 bis 1845 regierte.163 Dieser richtete sein Augenmerk besonders stark auf die Rheinschanze, ein ursprünglich militärischer Stützpunkt, der gegenüber von Mannheim am Rhein lag. Dort hatten sich aufgrund der verkehrstechnisch günstigen Lage die beiden Handelshäuser Scharpff und Lichtenberger aus Speyer mit einer gemeinsamen Handelsfiliale niedergelassen.164 Diesem Handelshaus Scharpff-Lichtenberger gelang es in den 1820er und 1830er Jahren mit ihrem Rheinhafen den Handel an der Rheinschanze deutlich zu erhöhen, was zu einem starken Konkurrenzverhältnis zum badischen Mannheim führte, das 1828 seinen Rheinhafen eröffnete. Mit der Errichtung eines Zollamtes, das 1834 in ein Hauptzollamt umgewandelt wurde, unterstrich der bayerische Staat die zunehmende wirtschaftliche Bedeutung der Rheinschanze. 1833 war der Hafen bereits zu einem freien Landungsplatz erklärt worden – ein Reglement, das allerdings erst 1837 in Kraft trat. De facto fungierte die Rheinschanze damit als Freihafen, was de jure auch 1842 zugestanden wurde.165 Als das Handelshaus Lichtenberger, das den Handel in der Rheinschanze­ monopolisiert hatte, 1843 in wirtschaftliche Schwierigkeiten geriet, sah man da­ rin in der bayerischen Regierung eine Bedrohung für das wirtschaftliche Potential der Rheinschanze.166 Fürst von Wrede schlug daher dem bayerischen König den Ankauf der Rheinschanze durch den bayerischen Staat vor. Ludwig I. setzte daraufhin eine Kommission unter Vorsitz von Wredes ein, die über Möglichkeiten zur Steigerung des Handels von der Rheinschanze aus beraten sollte. Diese sprach sich unter anderem für den Ankauf des Lichtenbergerschen Besitzes aus. Daraufhin kaufte der bayerische Staat am 16. März 1843 für 190.000 Gulden die Gebäude und Grundstücke der Firma Lichtenberger. Diese verpflichtete sich im Gegenzug noch mindestens zwei Jahre ihr Handelsgeschäft von der Rheinschanze aus weiter zu betreiben. 163 Die Amtszeit von Wredes ist bisher weder in ihrer wirtschaftlichen noch in ihrer politischen Bedeutung untersucht worden. Rudimentäre Informationen liefert Schineller, Regierungspräsidenten, S. 41. Die älteren Angaben bei Schärl, Zusammensetzung, S. 217 f., stimmen nicht. Dieser hat die Amtszeit von Carl Theodor Fürst von Wrede (1837–1841) und von dessen Bruder Eugen Fürst von Wrede (1841–1845) zu einer langen achtjährigen Amtszeit des letzteren zusammengezogen. Den gleichen Fehler macht auch Haan, Personalpolitik, S. 375. 164 Zu der wirtschaftlichen Entwicklung der Rheinschanze in der ersten Hälfte des 19.  Jahrhunderts siehe Limbach, Entwicklung des Handelsplatzes. Diese nimmt vor allem die Aktivitäten von Scharpff und Lichtenberger in den Blick, wobei deutlich wird wie stark die unternehmerischen Aktivitäten der Kaufleute mit der Schaffung entsprechender Rahmenbedingungen durch den Staat verbunden sind. Siehe dazu auch: Limbach, Scharpff und Lichtenberger. 165 Furtwängler, Trikolore, S.  249–258; Esselborn, Geschichte der Stadt Ludwigshafen, S. 52 f.; Limbach, Entwicklung des Handelsplatzes, S. 57–112. 166 Hierzu und zu dem Folgenden siehe die »Denkschrift des Bezirksamts-Assessors Dr. Heinrich Mathäus in Kusel über die Stadt Ludwigshafen«, in: Poller (Hg.), Ludwigshafen 1853 und 1873, S. 24 f.

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Am 25. Mai 1843 wurde die Rheinschanze dann offiziell zu Ehren des baye­ rischen Königs in Ludwigshafen umbenannt. In der Folgezeit versuchte der bayerische Staat recht erfolgreich durch günstigen Verkauf beziehungsweise Vermietung der Grundstücke und Gebäude den Handel in Ludwigshafen in Schwung zu bringen. Durch Gewährung einer 10-jährigen Grundsteuerfreiheit lockte man zudem Zuzügler an.167 Dem Ziel, Ludwigshafen als wichtigen bayerischen Rheinhafen und Wirtschaftsstandort zu etablieren und damit auch die Wirtschaft der Pfalz zu stärken, diente auch das Projekt einer Dampfschleppschifffahrtsgesellschaft, das Regierungspräsident von Wrede vorschlug. Auf diese Weise konnte man den Handel beleben, die badische Konkurrenz in Mannheim schwächen und finanzielle Gewinne für den Pfalzkreis generieren, denn bisher wurden die Pfälzer Produkte von niederländischen, preußischen und badischen Dampfschleppschiffen transportiert. Diese Motive machte die Regierung der Pfalz in einer Denkschrift an die bayerische Regierung in München geltend. Darin betonte man, dass zur Förderung der Industrie und des Gewerbes zunächst die nötigen Verkehrsmittel bereitgestellt werden müssten. Davon hingen der Preis des Produkts und damit auch die Gewinnmöglichkeiten für den Produzenten ab. Als Verkehrsmittel sei die Dampfschleppschifffahrt besonders geeignet, denn sie beschleunige und verbillige den Transport zu Wasser. Die Denkschrift wies auch auf das Konkurrenzverhältnis zu den Nachbarländern hin, womit insbesondere Baden gemeint war. Wenn der Pfalzkreis in der industriellen Entwicklung mithalten wolle, benötige er eine eigene Schleppschifffahrtsgesellschaft.168 Zudem versprach die Dampfschleppschifffahrt auch für das Speditionsgeschäft gute Gewinnmöglichkeiten.169 Der Rhein war nämlich mit großen Schiffen nur von seiner Mündung bis zur Höhe von Mannheim beziehungsweise Ludwigshafen befahrbar. Dort mussten die Schiffe entladen und die Waren auf kleinere Schiffe oder Transportmöglichkeiten an Land umgeladen werden. Hier winkte den Spediteuren ein gutes Geschäft. Zumal mit dem geplanten Projekt einer Eisenbahn aus dem pfälzisch-preußischen Kohlerevier von Bexbach bzw. Saarbrücken, noch zusätzliche Rohstoffe und Waren zum Umschlag nach Ludwigshafen gelangen würden. Die Dampfschleppschifffahrt selbst war noch ein sehr junges Gewerbe.170 Das erste Dampfschiff im Rhein war 1816 von England gekommen. In der Folgezeit kam es zur Gründung einiger Dampfschiffgesellschaften am Rhein, die 167 Breunig, Vom Handelsplatz zum Industriestandort, S. 288. 168 Entwurf einer Aufzeichnung der Regierung der Pfalz »Die Bayerisch-Pfälzische Dampfschleppschiffahrts-Gesellschaft«, o. D. [Januar 1844], LaS, H3, Bd. 202a. 169 Hierzu und zum Folgenden: Breunig, Vom Handelsplatz zum Industriestandort, S. 269. 170 Hierzu und zu dem Folgenden: Weber-Brosamer, Dampfschifffahrt.

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vor allem Personen transportierten. Die Kapazitäten für den Warentransport waren relativ gering, da die Maschinen bereits viel Platz einnahmen. Einen Schub bekam dieses Transportmittel in den 1830er Jahren, als man begann, die Dampfschiffe als Schlepper zu nutzen, die in der Regel zwei Eisenkähne zogen, auf denen jetzt umfangreiche Waren transportiert werden konnten. Der Dampfschifffahrt kommt im deutschen Industrialisierungsprozess ein großes Gewicht zu.171 Sie revolutionierte das Transportwesen bereits vor dem Durchbruch der Eisenbahn. Ihre hohe Bedeutung lag zunächst im Bereich des Personentransports, mit Einführung der Schleppschifffahrt dann zunehmend im Transport der Rohstoffe und Waren. So transportierten die Dampfschleppschiffe vor allem Kohlen, aber auch Produkte für den Eisenbahnbau, wie z. B. Schienen. Damit verdrängte die Dampfschifffahrt das traditionelle Schiffsgewerbe an den zentralen deutschen Flüssen, das vor allem als Treidelgewerbe mit Pferdekraft arbeitete.172 Die wichtige Rolle, welche die Dampfschleppschifffahrt für die Industrialisierung spielte, ist in der Forschung kaum beachtet worden. Diese konzentrierte und konzentriert sich auch aktuell immer noch sehr stark auf den Leitsektor Eisenbahn. Dabei konnte die Eisenbahn erst ab den 1860er Jahren ernsthaft mit der Schleppschifffahrt konkurrieren, als das Eisenbahnnetz zunehmend dichter geworden war und durchgängige Strecken befahren werden konnten.173 Insofern lag die Gründung einer solchen Gesellschaft in der Pfalz im Trend der Zeit. Nach dem Pionier der deutschen Dampfschifffahrt auf dem Rhein, der 1827 gegründeten Preußisch-Rheinischen Dampfschifffahrtsgesellschaft in Köln, wurden die weiteren rheinischen Dampfschifffahrtsgesellschaften im Gebiet des Deutschen Bundes alle zwischen 1838 und 1846 gegründet.174 Damit das notwendige Kapital für die Anschaffungs- und Instandhaltungskosten zusammenkam, wurden diese Gesellschaften zum größten Teil auf Aktienbasis organisiert. Der Schifffahrtshistoriker Andreas Kurz sieht daher den Aufstieg der Aktiengesellschaft als Unternehmensform eng mit der Gründung der Dampfschifffahrtsgesellschaften verbunden, von denen 1850 im Gebiet des späteren Deutschen Reiches ohne Elsass-Lothringen mindestens 57 existierten.175 Auch die pfälzische Gesellschaft sollte als Aktiengesellschaft gegründet werden. Diese sollte vor allem aus pfälzischen Investoren bestehen, sodass Regierungspräsident von Wrede verschiedene »Notabeln des pfälzischen Handelsstandes« und einige »Capitalisten«176 anschrieb und zu einer Versammlung in 171 Hierzu und zu dem Folgenden: Kurz, Steamship Companies, S. 174, 189 f. 172 Ebd., S. 184 f. 173 Ebd., S. 190, 197. 174 Ebd., S. 176 f. 175 Ebd., S. 182. 176 Entwurf eines Schreibens der Regierung der Pfalz an das bayerische Innenministerium, 9.4.1843, LaS, H3, Bd. 202a.

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Modernisierung, Industrialisierung und institutionelles Engagement Modernisierung, Industrialisierung und institutionelles Engagement 

Speyer einlud. Dabei appellierte er an den »Gemeinsinn«177 der potentiellen Investoren und wies damit auf die patriotische Komponente des geplanten Unter­ nehmens hin. Die Kapitalgeber sollten durch die Schleppschifffahrtsgesellschaft eben auch die wirtschaftliche Entwicklung der Pfalz insgesamt fördern. In der Versammlung in Speyer sollte das Projekt beraten und erste Schritte zur Gründung der Gesellschaft eingeleitet werden. Dieser Aufruf ging auch an Ludwig Andreas Jordan.178 Die Gründungsversammlung der Aktiengesellschaft fand am 8. April 1843 in Speyer statt.179 Wie sich herausstellte, war eine große Mehrheit vom Nutzen dieses Projekts überzeugt, sodass man bereits am 29. April auf einer weiteren Versammlung in Kaiserslautern die Gründungsstatuten der Gesellschaft diskutieren konnte. Dort wurde auch ein Leitungsgremium gewählt, dem der königliche Zollinspektor Carl Schneider als Vorsitzender, der Eisenhüttenwerksbesitzer Carl von Gienanth, der Speyerer Kaufmann Casimir Lichtenberger und der Schiffer Valentin Ueberle angehörten.180 Bereits am 7. Juni erfolgte die Genehmigung der Gesellschaft durch den bayerischen König. Die Regierung versprach zudem, der Gesellschaft ein Grundstück in Ludwigshafen kostengünstig zur Verfügung zu stellen und erlaubte die freie Überwinterung der Boote und Fahrzeuge in Gebäuden der Regierung im Winterhafen von Ludwigshafen.181 Neun Monate später wurde das erste Dampfschleppschiff »Der Pfalzgraf« mit einer Maschinenkraft von 150 PS geliefert.182 Trotz dieses zügigen Beginns geriet das Projekt ins Stocken. Zunächst reichte das gezeichnete Kapital von 232.000 Gulden (232 Aktien zu je 1000 Gulden) 177 Fürst Wrede an Ludwig Andreas Jordan, Speyer, 3.4.1843, LaS, V153 (BassermannJordan), Bd. 192. Zum Begriff des »Gemeinsinns« als Motivationsquelle für das Engagement der Staatsbürger siehe Hettling, »Gemeinsinn«. 178 Fürst Wrede an Ludwig Andreas Jordan, Speyer, 3.4.1843, LaS, V153 (BassermannJordan), Bd. 192 179 Hierzu und zu dem Folgenden: Entwurf einer Aufzeichnung der Regierung der Pfalz »Die Bayerisch-Pfälzische Dampfschleppschiffahrts-Gesellschaft«, o. D. [Januar 1844], LaS, H3, Bd. 202a. 180 Zu der staatlichen Genehmigung der Vorstandstätigkeit von Oberzollinspektor Schneider siehe »Ansuchen des Oberzollinspektors Schneider in Rheinschanze bei der daselbst eben gebildeten Dampfschleppschiffahrtsgesellschaft die Stelle eines Vorstehers übernehmen zu dürfen«, April 1843, in: Wenisch, Dampfschleppschiffahrtsgesellschaft, S. 1 f. Wenisch hat in diesem Manuskript die Archivalien aus dem Verkehrsarchiv in Nürnberg (mittlerweile im Hauptstaatsarchiv München) zusammengestellt und teils wörtlich, teils paraphrasiert wiedergegeben. Eine knappe Zusammenfassung der Archivalien liefert Wenisch, Ludwigshafen als Verkehrsmittelpunkt, S. 181–193. Zur Rolle des Pfälzer Eisenhüttenwerksbesitzers Carl von Gienanth bei der Schleppschifffahrtsgesellschaft siehe Warmbrunn, Beziehungen, S. 389–392. 181 Gemeinsame Stellungnahme dreier Ministerien bzw. des Königs zu den Satzungen der Pfälzischen Schiffahrtsgesellschaft sowie Zustimmung zur Vorstandschaft Schneiders, zur Überlassung eines Bauplatzes und zur Überwinterung der Gesellschaftsfahrzeuge im Winterhafen zu Ludwigshafen, 7.6.1843, in: Wenisch, Dampfschleppschiffahrtsgesellschaft, S. 2 f. 182 Schreiben an Rheinoctroiamt wegen Ankunft des ersten Schiffes der Gesellschaft »Der Pfalzgraf«, LaS, H3, Bd. 202a.

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nicht aus, da mittlerweile der Eisenpreis gestiegen war, und damit auch die Anschaffungskosten für das Schleppschiff und die Eisenkähne. Daher wollte man das Kapital auf 400.000 Gulden erhöhen.183 Die Kapitalerhöhung wurde zwar vom König genehmigt, kam in der Folgezeit aber nicht zustande, da die Geschäfte nur langsam anliefen.184 Daraufhin bat die Gesellschaft den bayerischen König wiederholt um Unterstützung.185 Dabei war entweder an die Übernahme eines Aktienpaketes durch den Staat, ein Darlehen an die Gesellschaft oder eine Zinsgarantie gedacht. Im Dezember 1845 wurde die Gesellschaft sogar direkt beim König vorstellig.186 Parallel dazu versuchten die Aktionäre und der Vorstand, die Gesellschaft umzustrukturieren. Vor allem der bisherige Vorstand Schneider scheint die Geschäfte nur sehr unzureichend geführt zu haben. Das Führungsgremium der Gesellschaft, der sogenannte Verwaltungsrat, wurde daher auf der Sitzung der Generalversammlung am 25. November 1845 neu besetzt, zumal Zollinspektor Schneider aufgrund seiner Versetzung nach Hof ausscheiden musste. Jetzt bildeten Ludwig Andreas Jordan, der Neustädter Kaufmann und Bankier L ­ udwig Dacqué187, der Dürkheimer Winzer und Weinhändler Wilhelm Sauerbeck neben dem weiteramtierenden Carl von Gienanth die Führungsriege, wobei ­Ludwig Andreas Jordan als Stellvertreter des Vorsitzenden von Gienanth fungierte.188 Zudem professionalisierte man die Leitung des Unternehmens, indem man jetzt einem mit technischem und geschäftlichem Sachverstand ausgestatteten Direktor die Führung des Unternehmens anvertrauen wollte.189 183 Entwurf eines Schreibens der königlichen Regierung der Pfalz an das bayerische Innenministerium, 30.12.1843; Bericht über die Generalversammlung der Bayerisch-Pfälzischen Dampfschleppschifffahrts-Gesellschaft an die Kammer des Innern der Regierung der Pfalz, 2.4.1844; beide in LaS, H3, Bd. 202a. 184 Genehmigung der Kapitalerhöhung durch den bayerischen König, 30.6.1844, LaS, H3, Bd. 202a. 185 Siehe hierzu die diversen Eingaben und Stellungnahmen in LaS, H3, Bd. 202a. Der Nachfolger Wredes als Regierungspräsident, Karl Freiherr von Schrenk von Notzing besuchte Ludwigshafen im Juli 1846 im Rahmen seiner regelmäßigen Inspektionsreisen durch den Pfalzkreis und notierte, dass alle dortigen »Beamten und Handelsleute« um eine staatliche Unterstützung der Gesellschaft gebeten hätten. Das Gedeihen des Handelsplatzes hänge davon ab. Siehe Imhoff (Hg.), Inspektionsreisen, S. 405. 186 Abordnung der Bayerisch-Pfälzischen Dampfschleppschiffahrts-Gesellschaft zum König, 19.12.1845, LaS, H3, Bd. 202a. 187 Zu dem einflussreichen Neustadter Bankhaus Dacqué siehe Longueville, Bankwesen, S. 565–570. 188 Protokoll der Generalversammlung der Bayerisch-Pfälzischen Dampfschleppschiffahrts-Gesellschaft in Dürkheim, 25.11.1845, LaS, H3, Bd. 202a. 189 Bericht des königlichen Regierungsassessors v. Buchner die am 28. April 1845 zu Kaiserslautern statt gehabte Generalversammlung der Aktionäre der pfälz. Dampfschleppschiffahrt betr., 3.5.1845; Protokoll der Generalversammlung der Bayerisch-Pfälzischen Dampfschleppschiffahrts-Gesellschaft in Dürkheim, 25.11.1845, beides LaS, H3, Bd. 202a.

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Aufgrund des Unterstützungsgesuchs erstellte die Königliche General-Zolladministration im Februar 1846 ein ausführliches Gutachten über die Schleppschiffgesellschaft, das einen guten Überblick über die bis dahin laufenden Geschäfte und Probleme der Gesellschaft liefert.190 Die Zukunftsaussichten beurteilte die Zollverwaltung positiv. Insbesondere in der Kooperationsvereinbarung mit den Ludwigshafener Händlern sah die Behörde einen wichtigen Schritt zur Gesundung der Gesellschaft. Den Händlern werde ein Rabatt eingeräumt, wodurch der bisherige Warentransport durch die Mannheimer Schleppschiffgesellschaft zukünftig über Ludwigshafen abgewickelt werde. Zudem werde sich der Bau zahlreicher Eisenbahnverbindungen positiv auswirken, denn die Eisenbahn werde nicht in Konkurrenz zur Schleppschifffahrt treten, sondern den Schleppschiffen noch Waren zuführen. Ludwigshafen werde sich dann zu einem wichtigen Schnittpunkt zwischen Eisenbahnnetz und Rheinschifffahrt entwickeln. Wenn zukünftig auch noch die Geschäfte der Gesellschaft ordentlich geführt würden, könne die Dampfschleppschifffahrt deutlich zulegen. Die Zoll-Administration riet daher von einer direkten Unterstützung des Staates ab. Man könne lediglich darüber nachdenken, ob man nicht der Gesellschaft den an die Ludwigshafener Händler eingeräumten Rabatt zurückerstatte. Die ablehnende Sichtweise setzte sich in der bayerischen Regierung durch, obwohl die Regierung der Pfalz, die Pfälzische Handelskammer und das bayerische Außen- und Innenministerium eine staatliche Unterstützung befürworteten, um auf diese Weise die weitere Entwicklung des Handelsplatzes Ludwigshafen zu fördern und die Konkurrenz mit dem Mannheimer Rheinhandel zu bestehen. Das Finanzministerium setzte dem jedoch in seiner Stellungnahme vom 22. April 1846 eine rein fiskalische Betrachtungsweise entgegen. Es seien keine verfügbaren Fonds zur Unterstützung vorhanden. Als dann im Januar 1847 erneut in der Regierung über diese Frage verhandelt wurde, konnte man dort bereits auf die positive Geschäftsentwicklung des Jahres 1846 verweisen und damit eine Unterstützung ablehnen.191 190 Hierzu und zu dem Folgenden: Bericht der Königlichen General-Zolladministration über das Gesuch der Gesellschaft um staatliche Unterstützung, 4.2.1846, LaS, H3, Bd. 202a. 191 Auf Anforderung des Finanzministeriums erstatteter Bericht der Generalzolladminis­ tration zum Gesuch der Pfälzischen Dampfschleppschiffahrt um Sicherung und Unterstützung ihres Unternehmens und über den Umfang des Rheinverkehrs mit Hinweis auf ein beabsichtigtes Ludwigshafener Konkurrenzunternehmen (22.1.–11.2.1846); Ablehnung einer staatlichen Unterstützung der Pfälzischen Dampfschiffahrtsgesellschaft (20.2.–7.7.1846); Ansuchen des Handelsstandes von Ludwigshafen um einen Vorschuß aus Staatsfonds an die dortige Schiffahrtsgesellschaft zwecks Anschaffung weiterer Fahrzeuge und Ablehnung seitens des Königs; Neuerliches Eintreten des Innenministeriums für einen Vorschuß an die­ Pfälzische Schiffahrtsgesellschaft zur Anschaffung eines 2.  Remorqueurs und abermalige­ ablehnende Stellungnahme des Finanzministeriums (12.–22.9.1846); Neuerliche Ablehnung des Ansuchens der Pfälzischen Schiffahrtsgesellschaft in Ludwigshafen um einen staatlichen Vorschuß zur Anschaffung eines zweiten Schleppapparates (24.1.1847); alle in Wenisch,

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Damit hatten sich die Prognosen der Königlichen General-Zolladministra­ tion vom Februar 1846 als durchaus hellsichtig erwiesen. Unter der Führung des neuen Direktors Philipp Eckenroth192, der zuvor für die Düsseldorfer Dampfschleppschifffahrtsgesellschaft gearbeitet hatte, nahm die Geschäftstätigkeit der Gesellschaft stark zu, sodass 1847 bereits ein Einnahmeüberschuss von 49.000 Gulden erzielt werden konnte.193 Daher zog Ludwig Andreas Jordan in einer Aufzeichnung von 1848 ein überaus positives Fazit für das abgelaufene Geschäftsjahr. Dabei betonte er, dass die Aktionäre nur eine vierprozentige Verzinsung des Kapitals in Anspruch nehmen würden und auf eine Dividende verzichteten. Dadurch sei es möglich, weitere Schiffe anzuschaffen. Stolz wies er darauf hin, dass die Gesellschaft den Aufschwung aus eigenen Mitteln geschafft habe, ohne staatliche Unterstützung in Anspruch genommen zu haben. Interessant ist sein Hinweis auf die Diskrepanz zwischen Ein- und Ausfuhr. Da die von der Gesellschaft getätigte Einfuhr die Ausfuhr um ein Vielfaches überstieg, befürchtete er eine Verarmung Deutschlands und forderte, Abhilfe zu schaffen: »Genügende Schutzzölle und kräftige Beförderung der Industrie können daher nicht genug empfohlen werden.«194 Mit dieser Forderung bewegte sich Ludwig Andreas Jordan im Mainstream der damaligen Zeit. Vor allem in den 1840er Jahren waren, häufig unter Berufung auf die Theorien des Nationalökonomen Friedrich List, die Schutzzollbefürworter tonangebend. Dagegen hatten die Anhänger des Freihandels einen schweren Stand.195 Seine Erfahrungen mit dem schleppenden Start der Gesellschaft schilderte Ludwig Andreas Jordan auch als Abgeordneter in der bayerischen Kammer der Abgeordneten. Als dort in einer Debatte am 4. März 1850 das schwache Betriebsergebnis der 1846 vom bayerischen Staat aufgekauften Donau-Dampfschifffahrtsgesellschaft diskutiert wurde, verwies der Pfälzer auf die Ludwigshafener Gesellschaft als Vorbild. Dieser habe zunächst ein Beamter mit »bureaukratischer Haltung«196 vorgestanden. Die Geschäfte seien so schlecht gelaufen, dass man Dampfschleppschiffahrtsgesellschaft, S.  7–17. Badendieck (Handelsvertretungen, S.  9), irrt sich, denn er schreibt den Aufschwung der Gesellschaft der finanziellen Unterstützung der bayerischen Regierung zu, die es nicht gegeben hat. 192 Zu Eckenroth siehe Esselborn, Geschichte der Stadt Ludwigshafen, S. 125 und »Denkschrift des Bezirksamts-Assessors Dr. Heinrich Mathäus«, in: Poller (Hg.), Ludwigshafen 1853 und 1873, S. 32. 193 Protokoll über die Generalversammlung der Bayerisch-Pfälzischen Dampfschleppschiffahrts-Gesellschaft am 23.9.1847 in Dürkheim, LaS, H3, Bd. 202a. 194 Aufzeichnung Ludwig Andreas Jordans über die Bayerisch-Pfälzische Dampfschleppschiffahrtsgesellschaft, o. D. [1848], LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 569. 195 Zu der Auseinandersetzung zwischen Schutzzöllnern und Freihändlern in den 1840er Jahren siehe vor allem Best, Interessenpolitik. Zusammenfassend auch in Best, Baumwollritter. 196 Rede von Ludwig Andreas Jordan in der bayerischen Kammer der Abgeordneten am 4.3.1850, in: Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten des Bayerischen Landtags, Bd. 1849/50, Stenographische Berichte Bd. 3–4, Sitzung LXXVII, S. 91.

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sich kurz vor der Auflösung befunden habe. Erst als der Beamte durch einen Kaufmann ersetzt worden sei, habe sich die Gesellschaft profitabel entwickelt. Er plädiere daher dafür, auch bei der Donau-Dampfschifffahrtsgesellschaft »kaufmännisch gebildete Männer«197 anzustellen. Seine Erfahrungen verallgemeinernd verwies er auf den allgemeinen »Schlendrian« der Beamten. Ganz anders sah er den Kaufmann: Dieser »spekulirt und findet überall Anknüpfungspunkte für neue Geschäfte; er kennt keine Bureaustunden.« Daraus entwickelte er sein wirtschaftsliberales Credo: »Die Regie des Staates taugt in den seltensten Fällen. Wenn indessen die großartigen Anstalten des Staates kaufmännisch betrieben würden, so würden ganz andere Resultate im Budget erscheinen, als jetzt.« Wenige Tage zuvor hatte der Landtag über eine für die Ludwigshafener Gesellschaft wichtige Frage debattiert. Ludwigshafen war im Juni 1849 von Badischen Freischärlern beschossen worden. Dabei hatte man die Warenlager mit den darin lagernden Waren stark beschädigt. Die Ludwigshafener Geschäftsleute wandten sich daraufhin mit der Bitte um Entschädigung an die bayerische Regierung, die für das Anliegen ein offenes Ohr hatte und der Kammer der Abgeordneten ein entsprechendes Gesetz vorlegte.198 Bei der Erläuterung des Gesetzesvorschlags verwies der Referent des Handelsministeriums, Karl von Kleinschrod, auf die große Bedeutung Ludwigshafens als Handelsplatz für den süddeutschen Raum und als »kommerzielle Pulsader«199 für die Pfalz. Insbesondere sei der Ort ein zentraler Umschlagplatz für die Kohlen aus dem pfälzisch-saarländischen Raum. Sein großer Vorteil sei seine geographische Lage am Rhein, sodass die Waren nicht nur über Land, sondern auch über das Wasser weitertransportiert werden könnten. In diesem Zusammenhang verwies er auf die Erfolge der Bayerisch-Pfälzischen Dampfschleppschifffahrtsgesellschaft, die vor allem den Verkehr mit den Niederlanden abwickle. Das Gedeihen dieses Unternehmens hänge aufs engste mit der Entwicklung Ludwigshafens zusammen. Daher hob er hervor, dass »der Verfall des letztern […] auch den ihrigen zur Folge haben«200 würde. Zudem werde der Handelsplatz noch durch die projektierten Eisenbahnverbindungen gewinnen. Aus volkswirtschaftlichen Gründen sei man daher gewillt, die L ­ udwigshafener und auswärtigen Kaufleute zu entschädigen, auch wenn man dazu aus gesetzlichen Gründen nicht verpflichtet sei. Die sich daran anschließende Debatte drehte sich vor allem um die Frage, ob die Pfälzer durch ihr aufrührerisches Verhalten in der Reichsverfassungskam 197 Ebd., S. 92. Dort auch die folgenden Zitate. 198 Zu dem Vorgang und der Haltung der bayerischen Regierung siehe: Breunig, Vom Handelsplatz zum Industriestandort, S. 282–285 und Marx, Die pfälzischen Abgeordneten, S. 228–232. 199 Rede Karl von Kleinschrods in der bayerischen Kammer der Abgeordneten am 27.2.1850, in: Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten des Bayerischen Landtags, Bd. 1849/50, Stenographische Berichte Bd. 3–4, Sitzung LXXIII, S. 1. 200 Ebd., S. 2.

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pagne nicht indirekt selbst Schuld an der Zerstörung Ludwigshafens seien und daher eine Entschädigung insbesondere durch die anderen bayerischen Landesteile hinfällig sei. Daraufhin griff auch Ludwig Andreas Jordan in die Debatte ein. Polemisch entgegnete er seinen Vorrednern, man habe den Eindruck, als wollten diese lieber das »Ländchen am Rhein verkaufen«201, anstatt die Entschädigung zu gewähren. Diese sei allerdings aufgrund der großen Bedeutung Ludwigshafens für den süddeutschen Handel notwendig. Interessanterweise verwies er darauf, dass diese noch höher sein könnte, wenn das Elsass und ­Lothringen wieder deutsch wären.202 Die Gelegenheit zu diesem Schritt habe man jedoch mehrmals verpasst. Pathetisch schlussfolgerte er: »Das Elsaß ist vorläufig für Deutschland verloren! Diese Wunde, welche jedem deutschen patriotischen Herzen geschlagen worden ist, wird sobald nicht heilen.« Anschließend kam er auf die Eisenbahn und die sehr erfolgreiche Schleppschifffahrt zu sprechen, welche mit der Konkurrenz auf dem Rhein mithalten könne. Beide seien von großer Wichtigkeit für den Handelsplatz Ludwigshafen. Entscheidend für ein Wiederaufleben des Handels sei allerdings das Vertrauen, denn »[w]o das Vertrauen fehlt, wie wir seit zwei Jahren schmerzlich bemerkt haben, können Gewerbe, Handel und Industrie unmöglich blühen.« Er sah daher die Entschädigung durch den bayerischen Staat als Akt, um das Vertrauen in den Handelsplatz Ludwigshafen wiederherzustellen. Die wirtschaftliche Argumentation der Regierung und der Pfälzer Abgeord­ neten setzte sich in der Debatte durch, sodass das Gesetz mit überwältigender Mehrheit angenommen wurde.203 Insgesamt wurde eine Entschädigungssumme von 282.200 Gulden gewährt, von der ein Teil auch den Kunden der Schleppschifffahrt zugute kam. In den folgenden Jahren machte die Bayerisch-Pfälzische Schleppschifffahrtsgesellschaft sehr gute Geschäfte, von denen auch Jordan profitierte. Als der Verwaltungsrat der Gesellschaft zum Beispiel 1853 den Gewinn von 55.365 Gulden debattierte, entschied man sich für eine Dividende von 8 %, die auch von der 201 Rede von Ludwig Andreas Jordan in der bayerischen Kammer der Abgeordneten am 27.2.1850, in: Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten des Bayerischen Landtags, Bd. 1849/50, Stenographische Berichte Bd. 3–4, Sitzung LXXIII, S. 8. Daraus auch die folgenden Zitate. 202 Zur Einordnung dieser Forderung siehe Fenske, Elsaß, der deutlich macht, dass die Forderung insbesondere im Vormärz populär war. Dabei warf man den deutschen Mächten vor, diese Gelegenheit 1814/15 verpasst zu haben. Insgesamt habe sich eher eine Sehnsucht nach einem deutschen Elsaß artikuliert als eine konkrete Forderung. Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt auch Ulrike Ruttmann in Bezug auf die Revolution 1848/49. Siehe­ Ruttmann, Wunschbild, S. 73–76. 203 Abstimmung über den Gesetzentwurf die Vorkehrungen zur Hülfe für den Handelsplatz Ludwigshafen am Rhein betr., in: Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten des Bayerischen Landtags, Bd. 1849/50, Stenographische Berichte Bd. 3–4, Sitzung LXXIII, S. 22.

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Modernisierung, Industrialisierung und institutionelles Engagement Modernisierung, Industrialisierung und institutionelles Engagement 

Generalversammlung unter Jordans Vorsitz abgesegnet wurde.204 Jordan besaß mittlerweile 17 Aktien und Buhl 10, der auch als einer von drei Kassenprüfern bestimmt wurde.205 Dabei trat die ursprünglich starke lokalpatriotische Intention des Unternehmens immer mehr in den Hintergrund. Je nach Auftrag schleppte sie die Waren auch nach Mannheim, wohingegen die Mannheimer Schleppschifffahrtsgesellschaft Ludwigshafen weiterhin boykottierte. Das war vor allem den aufstrebenden Spediteuren und Kaufleuten in Ludwigshafen ein Dorn im Auge. Seit Anfang des Jahres 1850 opponierten sie regelmäßig gegen die Bayerisch-Pfälzische Schleppschifffahrtsgesellschaft und forderten die Regierung in München auf, für eine stärkere Beteiligung der Ludwigshafener Kaufleute und Spediteure an der Gesellschaft zu sorgen, da dort vor allem auswärtige Aktionäre beteiligt seien. In ähnlicher Argumentation wie in der Eisenbahndebatte (siehe Kapitel 4.3.1) wiesen die Petenten darauf hin, dass die Gesellschaft nur die Gewinninteressen der Aktionäre berücksichtige und nicht die nationalökonomischen Interessen der Pfalz und Bayerns. Eine höhere Beteiligung von Ludwigshafener Vertretern an der Gesellschaft sei daher nötig. Diese würden auch für eine stärkere Berücksichtigung der Interessen des Handelsplatzes sorgen.206 Die Regierung nahm daraufhin die Geschäftspraktiken der Gesellschaft genauer unter die Lupe und durchleuchtete die Aktionärsstruktur.207 Aus den damals gültigen Statuten der Gesellschaft von 1848 wurde jedoch deutlich, dass die lokalpatriotische Aufgabe, die bei der Gründung tatsächlich eine große Rolle gespielt hatte, schriftlich nicht verankert war. Laut den Statuten war es der offizielle Zweck der Gesellschaft, »den Güter-Transport mehr zu beschleunigen und zu regeln, sowie überhaupt den Handel zu befördern«208. Der lokalpatrio 204 Tagebucheinträge Ludwig Andreas Jordans vom 11./12.3.1853, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 37. 205 Protocoll der General-Versammlung der pfälzischen bayerischen Dampfschleppschifffahrtsgesellschaft am 12.3.1853, LaS, H3, Bd. 202b. 206 Zwei gleichzeitige Eingaben des Handelsstandes zu Ludwigshafen: eine Denkschrift über die Bedeutung und wünschenswerte weitere Ausgestaltung des Handelsplatzes Ludwigs­ hafen durch den Wasser- und Schienenweg und eine Kritik an der Pfälzischen Schiffahrtsgesellschaft, wie an der unlauteren Konkurrenz der Stadt Mannheim mit der Bitte um gleiche Förderung Ludwigshafens durch Bayern wie Mannheims durch Baden (20.1.1850), in: Wenisch, Dampfschleppschiffahrtsgesellschaft, S.  17–26; Eingaben des Handelsstandes zu Ludwigshafen hinsichtlich des Ankaufs der Aktien der dortigen Schiffahrtsgesellschaft (Juli 1850), in: Wenisch, Dampfschleppschiffahrtsgesellschaft, S. 40–50. 207 Bericht des Regierungspräsidenten der Pfalz über die Person des Direktors Eckenroth wie über die Besitzer der Aktien der Pfälzischen Schiffahrtsgesellschaft und deren Frachtsätze zum Auftrag des Handelsministeriums (9.6.–10.7.1850), in: Wenisch, Dampfschleppschiffahrtsgesellschaft, S. 31–35; Stellungnahme des Regierungspräsidiums der Pfalz zu den gegen die Dampfschleppschifffahrtsgesellschaft erhobenen Vorwürfen des Ludwigshafener Handelsstandes o. D. [Juli 1850], in: Wenisch, Dampfschleppschiffahrtsgesellschaft, S. 50–54. 208 Satzungen der Bayerisch-Pfälzischen Dampfschleppschifffahrts-Gesellschaft, Mannheim 1848, S. 3.

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tische Hintergrund zeigte sich lediglich in Artikel 7, der bestimmte, dass bei Veräußerung der Aktien an Ausländer, also Nicht-Bayern, dem Verwaltungsrat das Vorkaufsrecht auf Rechnung der Gesellschaft zustehe.209 Außerdem stand die Gesellschaft wie die Eisenbahngesellschaften als »gemeinnützige Anstalt unter dem besonderen Schutze der königl. bayer. Regierung«210. Das hatte zur Folge, dass die bayerische Regierung »zur Wahrung der öffentlichen Interessen«211 einen Kommissär ernennen durfte, der die Einhaltung der Satzungen überwachen sollte und an den Generalversammlungen sowie den Sitzungen des Verwaltungsrats teilnehmen durfte. Die Überprüfung der Gesellschaft auf der Grundlage der Statuten konnte somit keinen Beweis für ein Fehlverhalten der Gesellschaft liefern. Auch die Aktionärsstruktur ergab keine Auffälligkeiten. Von den 232 sich im Umlauf befindlichen Aktien gehörten 218 Stück bayerischen Staatsangehörigen, wovon die Pfälzer bereits 189 Aktien besaßen. Neben Jordan und Buhl waren auch andere bereits aus dem Eisenbahnprojekt bekannte Vorderpfälzer Weinhändler und Winzer, wie Wilhelm Sauerbeck aus Dürkheim sowie Karl­ Heinrich Wolf aus Wachenheim beteiligt.212 Trotzdem war die Regierung der Pfalz jetzt hellhörig und schaute bei der Gesellschaft genauer hin. 1852 schritt die Regierung dann energisch ein. Die Kreisregierung der Pfalz hatte im Oktober 1852 die Rückvergütung des Mannheimer Brückenzolls an die Ludwigshafener Spediteure und Kaufleute aufgehoben.213 Als die Schifffahrtsgesellschaft Waren Ludwigshafener Kaufleute in einer plötzlichen Aktion Ende Oktober nur noch nach Mannheim brachte, fühlte sich die Kreisregierung erpresst.214 Sie forderte die Dampfschleppschifffahrtsgesellschaft 209 Ebd., S. 5. 210 Ebd., S. 3. 211 Ebd., S. 8 f. 212 Stellungnahme des Regierungspräsidiums der Pfalz zu den gegen die Dampfschleppschifffahrtsgesellschaft erhobenen Vorwürfen, o. D. [Juli 1850], in: Wenisch, Dampfschleppschiffahrtsgesellschaft, S. 50–54, hier S. 53; Protocoll über die am 25ten November 1845 zu Dürkheim abgehaltene General-Versammlung der Bayerischen-Pfälzischen Dampfschleppschifffahrts-Gesellschaft, LaS, H3, Bd.  202a; Verzeichnis der Aktionäre der BayerischPfälzischen Dampfschleppschifffahrtsgesellschaft vom August 1847, LaS, T89 (Gienanth), Bd.  340; Verzeichnis der Aktionäre der Bayerisch-Pfälzischen Dampfschleppschifffahrtsgesellschaft aus dem Jahr 1850, LaS, T89 (Gienanth), Bd. 710. 213 »Denkschrift des Bezirksamts-Assessors Dr. Heinrich Mathäus«, in: Poller (Hg.), Ludwigshafen 1853 und 1873, S. 30 f. und 33. 214 Hierzu und zu dem Folgenden: Stellungnahme des Regierungskommissärs zur Aufhebung der Zollrückvergütung und zur Notwendigkeit einer selbständigen Gemeinde Ludwigshafen, sein Einschreiten gegen die gemeinsame Demonstration des Handelsstandes und der Schiffahrtsgesellschaft zu Ludwigshafen sowie sein Vorschlag zur Erhöhung des Einflusses der Staatsregierung auf diese Gesellschaft (24.11.1852), in: Wenisch, Dampfschleppschiffahrtsgesellschaft, S. 60–66. Die Regierungsakten zu diesem Vorgang finden sich LaS, H3, Bd. 202b.

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Modernisierung, Industrialisierung und institutionelles Engagement Modernisierung, Industrialisierung und institutionelles Engagement 

auf, ihr Verhalten zu erläutern. Direktor Eckenroth verwies auf die ihm zuge­ gan­genen Aufträge, bei denen einige Ludwigshafener Kaufleute darauf bestanden hätten, ihre Waren nach Mannheim bringen zu lassen. Er könne daher nicht entgegen seinen Aufträgen die Waren nach Ludwigshafen schleppen lassen. Eckenroth verwahrte sich dagegen, dass es sich bei dieser Aktion um eine »Demonstration«215 gegen die Regierungspolitik gehandelt habe. Dem fügte der Verwaltungsrat noch hinzu, dass man bisher loyal mit der Regierung zusammengearbeitet und sich um die Pfalz und Ludwigshafen große Verdienste erworben habe. Damit war der zuständige Regierungskommissär Joseph von Lamotte nicht zufrieden. Er vermutete, dass es nicht nur um die Wiedereinführung der Rückvergütung des Brückenzolls gehe, sondern die Regierung zu umfassenderen Zugeständnissen sowohl für die Ludwigshafener Kaufleute als auch für die Schleppschifffahrt gebracht werden solle. Er wies daher die Gesellschaft an, die betreffenden Waren der Spediteure umgehend nach Ludwigshafen zu verbringen.216 Diese lenkte die bereits ausgelaufenen Schiffe nach Ludwigshafen um. Hieraus zog der Regierungskommissär eine scharfe Schlussfolgerung: »Wenn es der Gesellschaft mit ganzer oder halber Zustimmung des Handelsstandes möglich war, plötzlich den ganzen Verkehr von unserem Handelsplatz abzulenken, und wenn sie im Stande war, das nach den Vorgängen viel schwierigere Experiment umgekehrt und noch rascher durchzuführen, so sei es klar, daß der Regierung, wenn sie die heimischen Interessen wahren wolle, eine größere Einwirkung als bisher auf die Rheinschiffahrt gesichert werden müsse.«217

Dazu machte er auch gleich mehrere Vorschläge.218 So sei es möglich, dass der Staat eine eigene Dampfschleppschifffahrtsgesellschaft gründe. Dies sei zwar der sicherste Weg, um die bayerischen und pfälzischen Interessen zur Geltung zu bringen, aber der Staat könne ein solches Projekt zum jetzigen Zeitpunkt ­f inan­ 215 Aufklärung der Schiffahrtsgesellschaft in Ludwigshafen an die Kreisregierung wegen der angeblichen gemeinsamen Demonstration dieser Gesellschaft und des Handelsstandes zu Ludwigshafen wegen der Einstellung der Rückvergütung des Mannheimer Brückenzolls (25.11.1852), in: Wenisch, Dampfschleppschiffahrtsgesellschaft, S. 58–60, hier S. 59. 216 Stellungnahme des Regierungskommissärs zur Aufhebung der Zollrückvergütung und zur Notwendigkeit einer selbständigen Gemeinde Ludwigshafen, sein Einschreiten gegen die gemeinsame Demonstration des Handelsstandes und der Schiffahrtsgesellschaft zu Ludwigshafen sowie sein Vorschlag zur Erhöhung des Einflusses der Staatsregierung auf diese Gesellschaft (24.11.1852), in: Wenisch, Dampfschleppschiffahrtsgesellschaft, S.  61 f.; Bericht der Regierung in Speyer an das Handelsministerium in München über die Vorfälle in Ludwigshafen (4.12.1852), in: Wenisch, Dampfschleppschiffahrtsgesellschaft, S. 66 f. 217 Stellungnahme des Regierungskommissärs zur Aufhebung der Zollrückvergütung und zur Notwendigkeit einer selbständigen Gemeinde Ludwigshafen, sein Einschreiten gegen die gemeinsame Demonstration des Handelsstandes und der Schiffahrtsgesellschaft zu Ludwigshafen sowie sein Vorschlag zur Erhöhung des Einflusses der Staatsregierung auf diese Gesellschaft (24.11.1852), in: Wenisch, Dampfschleppschiffahrtsgesellschaft, S. 62. 218 Hierzu und zu dem Folgenden: Ebd., S. 63–66.

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ziell nicht stemmen. Ein anderer Weg sei es, dass der Staat sich an einer anderen Gesellschaft beteilige und diese für seine Zwecke instrumentalisiere. Das sei allerdings kostspielig und unsicher. Am einfachsten scheine es, wenn der Staat versuche, bei der bestehenden Schifffahrtsgesellschaft seinen Einfluss zu erhöhen. Dazu solle die Gesellschaft ein Übereinkommen mit der Regierung treffen, dass sie von der Regierung festgelegten Ludwigshafener Spediteuren einen Nachlass gewähre. Dafür solle sie eine Entschädigung aus der Hafenkasse erhalten, wofür sie als Gegenleistung der Regierung freie Einsicht in die Bücher zugestehe. Lamotte griff vor allem den Verwaltungsrat an, dessen Personen zum Großteil nicht aus Ludwigshafen kämen und auch dort nicht ihre Sitzungen abhalten würden. Der Direktor habe daher einen viel zu großen Spielraum und werde nicht genügend vom Verwaltungsrat kontrolliert. Auf der Basis der Berichte der Kreisregierung nahm sich auch das Handelsministerium in München des Falles an und empfahl, durch einen staatlichen Erwerb von Aktien direkten Einfluss auf das Unternehmen zu erhalten. Dazu bat man das Finanzministerium um Stellungnahme.219 Dieses stimmte zu und erteilte dem königlichen Bankkommissär Freiherrn von Lobkowitz den Auftrag, über die königliche Filialbank in Ludwigshafen Aktien der Dampfschleppschifffahrtsgesellschaft zu erwerben.220 Diese Maßnahme teilte das Handelsministerium der Regierung in Speyer mit und wies diese wenig später zudem an, das in den Satzungen festgelegte Aufsichtsrecht durch einen Regierungskommissär strenger zu handhaben.221 In der Folgezeit gelang es der Regierung jedoch nicht, einen entscheidenden Einfluss auf die Gesellschaft aufzubauen. Das lag unter anderem daran, dass das Geschäft der Gesellschaft hervorragend lief. So erreichte die Dampfschleppschifffahrt 1854 eine Rentabilität von 33 %, 1855 und 1856 von 19 %.222 Daher wurden kaum Aktien zum Verkauf angeboten. Eine Möglichkeit, auf die Geschäftspolitik der Gesellschaft einzuwirken, bot sich erst wieder, als die Verlängerung der 1858 auslaufenden Konzession anstand. Die Gesellschaft beantragte eine Verlängerung um 50 Jahre und wollte die Statuten wie bisher beibehalten. Dazu erstellte die Kreisregierung am 7. Mai 1857 eine Denkschrift.223 Darin hob sie die glänzenden Ergebnisse der Gesellschaft 219 Bayerisches Handelsministerium an Finanzministerium (7.1.1853), in: Wenisch, Dampfschleppschiffahrtsgesellschaft, S. 68 f. 220 Bayerisches Finanzministerium an königlichen Bankkommissär (13.1.1853), in: Wenisch, Dampfschleppschiffahrtsgesellschaft, S. 70. Dabei handelt es sich um die als Staatsbank agierende Königlich bayerische Bank in Nürnberg. Siehe Poschinger, Bankgeschichte, S. 4. 221 Bayerisches Finanzministerium an Kreisregierung der Pfalz (22.3.1852), in: Wenisch, Dampfschleppschiffahrtsgesellschaft, S. 70–72. 222 Denkschrift der Kreisregierung zur Verlängerung der Konzession für die pfälzische Schiffahrtsgesellschaft auf 50 Jahre (7.5.1857), in: Wenisch, Dampfschleppschiffahrtsgesellschaft, S. 75–83, hier S. 75. 223 Hierzu und zu dem Folgenden: Ebd., S. 75–83.

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hervor. Dies hänge unter anderem damit zusammen, dass die Aktionäre ihre Dividende auf 10 % beschränkt hätten und damit der Überschuss in die regelmäßige Modernisierung des Inventars fließe. Aufgrund der Entwicklung Ludwigshafens sei es aber dringender denn je, die Gesellschaft stärker auf die Berücksichtigung der handelspolitischen Interessen Bayerns und Ludwigshafens zu verpflichten. Alle bisherigen Versuche, an der Satzung eine entsprechende Änderung zu erreichen, seien jedoch gescheitert, weil die Aktionäre nur ihre Gewinninteressen im Auge hätten und nicht bereit seien, für »patriotische Zwecke«224 zu wirken. Gleichzeitig sah sich die Regierung nicht in der Lage, an der einmal genehmig­ ten Satzung etwas zu ändern. Ein solcher Eingriff des Staates sei bisher ohne Beispiel. Gegen einen solchen Schritt sprachen aber auch zukünftige Erwartungen. So könne man überall beobachten, dass das Speditionsgeschäft zunehmend von den Transportgesellschaften (Eisenbahn, Schifffahrt) in Eigenregie durchgeführt werde und daher die Spedition kein Potential mehr besitze. Ludwigshafen könne also nicht von einer Stärkung der Spediteure profitieren, sondern müsse den eigenen Warenhandel erhöhen und sich um die Ansiedlung »industrieller Etablissements«225 bemühen. Zudem werde die Schifffahrt auf dem Rhein zunehmend der Konkurrenz durch die Eisenbahnen ausgesetzt, sodass es nicht ratsam erscheine, in diesem Moment die Geschäftstätigkeit der Gesellschaft zu beschränken. Die Regierung empfahl daher die Verlängerung der bisherigen Gesellschaftskonzession. Allerdings solle der König in der Konzessionsurkunde deutlich machen, dass die Geschäftsführung der Gesellschaft die bayerischen Interessen ausreichend berücksichtigen müsse, der mit der Aufsicht betraute Regierungskommissär auch Einsicht in die Geschäftsbücher erhalten müsse und der König berechtigt sei, die Konzessionsurkunde zurückzunehmen, wenn die Gesellschaft beharrlich die Interessen des bayerischen Staates verletze.226 Auf dieser Basis genehmigte der König am 4. Juli 1857 die Verlängerung der Konzession.227 In den 1860er Jahren fielen dann strategische Entscheidungen für die Zukunft der Gesellschaft. So beschloss der Verwaltungsrat 1863 eine engere Verbindung zu den beiden wichtigsten Pfälzer Eisenbahngesellschaften herzustellen. Daraufhin erwarb der neue Direktor Philipp Frey, der 1858 Eckenroth abgelöst hatte, im Namen der Gesellschaft für jeweils 25.000 Gulden über das Mannheimer Bankhaus Ladenburg Aktien der Maximiliansbahn und der Ludwigsbahn. Dafür konnte die Gesellschaft auf die hohen Rückstellungen auf ihrem »Reservekonto« zurückgreifen. Ihr wirtschaftliches Schicksal war damit auch mit dem zukunftsträchtigeren Transportmittel, der Eisenbahn, verbunden. 224 Ebd., S. 79. 225 Ebd., S. 80. 226 Ebd., S. 83 f. 227 Genehmigung des Königs (4.7.1857), in: Wenisch, Dampfschleppschiffahrtsgesellschaft, S. 84.

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Das war ein geschickter Schachzug, denn die Konkurrenz der Eisenbahn setzte die Dampfschifffahrt immer stärker unter Druck.228 1867 begann man die Flotte durch Güterdampfboote zu ergänzen, mit denen die Waren nicht mehr geschleppt, sondern direkt transportiert werden konnten. Dadurch war die Beförderung wesentlich schneller. Ludwig Andreas Jordan sprach sich sehr stark für diese Maßnahme aus, da andere Gesellschaften diesen Schritt bereits vollzogen hätten und man nachziehen müsse, um konkurrenzfähig zu bleiben. Er empfahl allerdings, zunächst nur mit einem Boot zu experimentieren.229 Ab dem 1. Februar 1868 verkehrte dann das erste Güterdampfboot der Gesellschaft als Schnelldienst zwischen Rotterdam und Ludwigs­hafen bzw. Mannheim.230 Bereits 1870 wurde das zweite »Gütereilboot« angeschafft.231 Mittlerweile war auch ein staatlicher Einfluss auf die Gesellschaft nicht mehr möglich. Mit der Revision der Rheinschifffahrtsakte vom 17. Oktober 1868 war die staatliche Konzessionierung entfallen. Zudem hob wenig später das Reichsgesetz über die Kommandit- und Aktiengesellschaften vom 11.  Juli 1870 die Rechte der Regierungen bei der Überwachung der Statuten der Aktiengesellschaften auf.232 Somit gab es keine gesetzlichen Grundlagen mehr für eine staatliche Einwirkung auf das Geschäftsverhalten der Gesellschaft. Diese machte weiterhin gute Geschäfte (z. B. 1869 gut 5 %, 1870 8 % Gewinn233) und konnte mit ihrer permanenten Modernisierung noch lange mit der Konkurrenz der Eisenbahnen mithalten.234 Erst 1895 wurde die Gesellschaft liquidiert.235 228 Bericht der Direction der Bayerisch-Pfälzischen Dampfschleppschifffahrtsgesellschaft an die Generalversammlung am 31.3.1864, LaS, H3, Bd. 202c. 229 Ludwig Andreas Jordan an Carl von Gienanth, Deidesheim, 10.1.1867, LaS, T89 (Gienanth), Bd. 339. 230 Bekanntmachung der Bayerisch-Pfälzischen Dampfschleppschifffahrtsgesellschaft über die Inbetriebnahme eines Güterdampfbootes, 1.2.1868, LaS, T89 (Gienanth), Bd. 339. 231 Zirkular Carl von Gienanths an die Verwaltungsratsmitglieder der Bayerisch-Pfälzischen Dampfschleppschifffahrtsgesellschaft, Ludwigshafen, 7.1.1870; Antwort Ludwig­ Andreas Jordans auf das Zirkular Carl von Gienanths, Deidesheim, 9.1.1870; beides in LaS, T89 (Gienanth), Bd.  340. Gienanth hatte vorgeschlagen, das neue Güterdampfschiff nach einem der drei dienstältesten Verwaltungsratsmitglieder zu benennen, also entweder nach ihm oder Ludwig Andreas Jordan oder dem Neustädter Bankier Dacqué. Ludwig Andreas Jordan lehnte diese Ehrung noch lebender Personen ab, da man mit einem solchen Schritt­ sicherlich die Kritik auf sich ziehen würde. 232 Darauf verweist die »Denkschrift des Bezirksamts-Assessors Dr. Heinrich Mathäus«, in: Poller (Hg.), Ludwigshafen 1853 und 1873, S. 35. Siehe Reichsgesetz vom 11. Juni 1870 betreffend die Kommandit-Gesellschaften auf Aktien und die Aktien-Gesellschaften, in: Allgemeines deutsches Handelsgesetzbuch, S. 4–6. 233 Gewinnübersichten der Bayerisch-Pfälzischen Dampfschleppschifffahrtsgesellschaft von 1869 und 1870, LaS, T89 (Gienanth), Bd. 339. 234 »Denkschrift des Bezirksamts-Assessors Dr. Heinrich Mathäus«, in: Poller (Hg.), Ludwigshafen 1853 und 1873, S. 35. 235 Kermann, Wirtschaft und Verkehr, S. 146.

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Ludwig Andreas Jordans Engagement bei der Schleppschifffahrt wirft ein interessantes Licht auf seine Investitionstätigkeit. Flüsse und Meere hatte er bereits bei der Englandreise als Handelsverbindungen wahrgenommen. Hier sah er großes Potential. Der Aufruf Wredes zur Gründung der Gesellschaft stieß daher nicht nur aus lokalpatriotischen und finanziellen Gründen auf Jordans Interesse, sondern auch, weil er den Handel ausbauen und die neuen Möglichkeiten der Industrialisierung vorantreiben konnte. Jordan beschränkte seine Investitionstätigkeit nicht auf eine finanzielle Beteiligung. Er war auch bereit, sich im Verwaltungsrat zu engagieren. Dabei nahm er sich in diesem Gremium, gemeinsam mit seinen Kollegen, als Wirtschaftsexperte wahr, der aus diesem Grund für eine solche Aufgabe prädestiniert war. Den Umbau der Gesellschaft von einem eng mit dem bayerischen Staat verbundenen Unternehmen zu einem unabhängigen auf rein wirtschaftliche Belange ausgerichteten Unternehmen, trieb er mit voran. Den wirtschaftlichen Aufschwung des Unternehmens führte er vor allem auf diese Entscheidung zurück. Den Staat sah er in diesem Kontext vor allem als Initiator und Rahmengeber. Die unternehmerischen Entscheidungen sollten jedoch die Kaufleute, Industriellen usw. selbst fällen. Insgesamt blieb die Gesellschaft lange mit der Bahn konkurrenzfähig, da sie frühzeitig neue technische Entwicklungen integrierte. Die Familie Jordan beteiligte sich somit zunächst vor allem an Infrastrukturprojekten, die die Industrialisierung in Gang setzten. Zunehmend folgten auch Investments in industrielle Unternehmen.

4.3.3 Industrielle Beteiligungen: Die Baumwollspinnerei und Weberei AG Lampertsmühle Im Zeitraum zwischen den 1850er und den 1880er Jahren ergaben sich für die Familie Jordan, aber auch für die Familie Buhl viele Möglichkeiten, sich direkt an Industrieunternehmen zu beteiligen. Mit den Infrastruktur- und Verkehrsprojekten wurden der Handel und die Versorgung mit Rohstoffen und Gütern erleichtert, dagegen ging es bei den industriellen Engagements darum, Produkte fabrikmäßig herzustellen. Auch für den Aufbau der Fabriken war viel Kapital nötig, sodass diese in der Regel als Aktiengesellschaften an den Start gingen. Ludwig Andreas Jordan galt als vermögend und aufgeschlossen gegenüber der neuen industriellen Produktionsweise. So wurde er permanent von Banken und Privatleuten auf neue Projekte hingewiesen und um Beteiligungen gebeten. Seine Beteiligung war auch aufgrund seiner engen Verflechtung mit der Politik und den wirtschaftspolitischen Institutionen wie der Handelskammer der Pfalz für Unternehmensgründer sehr attraktiv. Besonders eng war seine wirtschaftliche Verbindung in den Mannheimer Raum. Hier hatten wir bereits bei der kulturellen Analyse der Familie Jordan und des Vorderpfälzer Weinbürgertums

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gesehen, dass man sich sehr stark auf diese Stadt hin orientierte. Das sieht im wirtschaftlichen Bereich nicht anders aus. Dort saßen mit Friedrich und Carl Reiß, mit David Oppenheim und dem Bankhaus W. H. Ladenburg & Söhne zentrale Kaufleute und Banken, die versuchten, potente Personen für industrielle Projekte zusammenzubringen.236 Insbesondere in den 1860er und 1870er Jahren boomten die Unternehmensgründungen. Ludwig Andreas Jordan wurde in dieser Zeit Teilhaber zahlreicher Unternehmen. Im Mannheim-Ludwigshafener Raum war er unter anderem als Aktionär an der in Ludwigshafen 1867 gegründeten Waggon-Fabrik237 und den in Mannheim angesiedelten Aktiengesellschaften der Badischen KartoffelMehl-Fabrik, der Badischen Zinkgesellschaft, der Portland-Cement-­Fabrik und der amerikanischen Gummi-Waren-Fabrik beteiligt.238 Die Aktionäre dieser Fabriken entstammten zum Großteil dem Mannheimer Wirtschaftsbürgertum. Meistens gingen den Gründungen der Aktiengesellschaften kleinere Projekte privater Unternehmer voraus, die den Kapitalaufwand nicht mehr decken konnten und sich durch die Umwandlung in eine AG Geldgeber mit an Bord holten. So wurde die bereits bestehende Gummi-WarenFabrik 1864 von einem Konsortium für 223.739 Gulden übernommen, an dem neben den Jordans und Buhls auch der Schwiegersohn Ludwig Andreas Jordans, der Kaufmann Emil Bassermann, der Kaufmann und Mitbegründer der BASF Friedrich Engelhorn und der Kaufmann Carl Reiß beteiligt waren.239 Die Fabrik wurde in eine AG mit 250.000 Gulden Grundkapital umgewandelt. Ludwig Andreas Jordan gehörte auch dem Verwaltungsrat der Firma an. 1873 wurde das Kapital auf ein Grundkapital von 2,28 Millionen Gulden erhöht, das weiterhin von nur zwölf Aktionären aufgebracht wurde. Verwaltungsratsvorsitzender war Julius Espenschied, der auch maßgeblich für die Gründung der PortlandCement-Fabrik verantwortlich war. 1877 fand erneut eine Veränderung statt. Die Firma ging jetzt in die Amerikanische Gummi- und Celluloidwarenfabrik über und war mit der Zelluloidherstellung in einem in Deutschland ganz neuen Marktbereich vertreten. 236 Siehe hierzu die diversen Briefe, Depotauszüge und Auftragsbestätigungen von Reiß, Oppenheim und Ladenburg bei der Sammlung der Geschäftsbriefe an Ludwig Andreas­ Jordan in LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bde. 589–596. Zur Rolle des Bankhauses Ladenburg in der Industriefinanzierung siehe Jacob, Ladenburg, S. 28–35. 237 Zur Ludwigshafener Waggon-Fabrik siehe den Gesellschaftsvertrag inklusive der Aktionäre und die Statuten, in: Königlich-bayerisches Kreis-Amtsblatt der Pfalz 1869, Ab­ theilung 2, Sp. 1884–1902. 238 Zu den Beteiligungen finden sich entsprechende Briefe, Jahresergebnisse etc. in LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bde. 589–596. Auch in den Tagebüchern Jordans aus den 1850er und 1860er Jahren finden sich zahlreiche Notizen zu den Generalversammlungen und Betriebsergebnissen der Unternehmen. 239 Hierzu und zu dem Folgenden: Schröter, Engelhorn, S. 150 f., 197 f. Zu Carl Reiß siehe Teutsch, Carl Reiß.

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Auch bei der Portland-Cement-Fabrik war das Muster ähnlich. Diese war von dem Kaufmann Carl Dietzsch gegründet worden, der mit der Herstellung des für den Bau wichtigen Zements experimentierte, den man bisher überwiegend aus England bezogen hatte. Nachdem er sein gesamtes Vermögen bei seinen Experimenten verloren hatte, verkaufte er seine kleine Fabrik 1863 an den Unternehmer Julius Espenschied. Dieser wandelte die Firma 1876 in die Mannheimer Portland-Cement-Fabrik AG mit einem Grundkapital von 1.000.000 Reichsmark um.240 Beteiligt waren auch hier wieder neben Ludwig Andreas Jordan und seinem Neffen Eugen Buhl, Friedrich Engelhorn, Carl Reiß und weiterhin Julius Espenschied.241 Neben diesen Beteiligungen im heute so genannten Rhein-Neckar-Raum, bildeten Investments in Kaiserslauterer Unternehmen das zweite Standbein der Jordan’schen Wirtschaft. Die Stadt in der Westpfalz entwickelte sich im Zuge der Industrialisierung neben dem Mannheim-Ludwigshafener Raum rasch zu einem Zentrum der pfälzischen Industrie, was auch durch die frühe Anbindung an die Pfälzische Ludwigsbahn gefördert wurde.242 Hier war Ludwig Andreas Jordan unter anderem an der Ultramarin-Fabrik, der Actienbrauerei Kaiserslautern und der Düngerfabrik Kaiserslautern beteiligt, bei der sein Neffe Franz Armand Buhl dem Vorstand angehörte.243 Bei all diesen Unternehmungen ergab sich kein unmittelbarer Zusammenhang mit dem Weinbau. Lediglich die Düngerfabrik wies eine enge Verbindung dazu auf. Die Beteiligungen waren somit wie in Mannheim-Ludwigshafen nicht ausgehend von der Weinwirtschaft ausgewählt, sondern ergaben sich über Kontakte. Bei den Verwaltungsräten und Aktionären tauchten auch immer wieder dieselben Namen auf, wie Carl von Gienath, die Wachenheimer Weingutsbesitzer Ludwig Heinrich Wolf und sein Schwager Karl Heinrich Wolf, die Eisenwerksbesitzer Krämer aus St. Ingbert, die Familie Benzino aus Landstuhl, die Kaufmannsfamilie Karcher aus Kaiserslautern, der dortige sehr umtriebige Gefängnisdirektor Franz Flamin Meuth, die Bankiersfamilie Dacqué oder eben die Familien Jordan und Buhl. So entstand ein Geflecht von Industriellen, Bankiers, Gutsbesitzern und engagierten Beamten, die bei zahlreichen Projekten im pfälzisch-badischen Raum beteiligt waren und damit die Industrialisierung in diesem Raum in Gang setzten und vorantrieben.244 Die enge Verflechtung von Unternehmern ist in der Industrialisierung nicht untypisch, auffällig ist hier allerdings die durchgehende Beteiligung der Guts 240 O. V., Portland-Cementwerke Heidelberg. 241 Schröter, Engelhorn, S. 199 f. 242 Freitag, Kaiserslauterer Textilindustrie, S. 48; Sturm, Eisenbahnen, S. 142. 243 Zur Ultramarinfabrik und der Düngerfabrik siehe Vollständiges Handels-, Adreßund Firmenbuch für die Pfalz, Königreich Bayern. Auf officiellen Mittheilungen beruhend, Kaiserslautern 1864, S. 3–5. 244 Diese Beobachtung findet sich auch schon bei Longueville, Bankwesen, S. 558.

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besitzer.245 Hans-Ulrich Wehler stellt in seiner beruflichen Aufschlüsselung der Gründer oder Mitbegründer von Unternehmen im 18.  und 19.  Jahrhundert überrascht fest, dass 10 % dieser Personen aus dem Kreis von Landwirten und Gutsbesitzern stammen.246 Aus der Pfälzer Perspektive erscheint diese Zahl weniger überraschend, denn bei den Jordans und Buhls zeigt sich deutlich, dass entsprechendes Kapital vorhanden war, dass man der Industrialisierung aufgeschlossen gegenüberstand, dass man eng mit Kaufleuten, Bankiers usw. verbunden war und sich damit zahlreiche Investitionsmöglichkeiten boten. Da der bayerische Staat diesem wirtschaftsbürgerlichen Personenkreis über den Landrat und die Handels- und Fabrikräte sowie die Handels- und Gewerbekammer der Pfalz Einwirkungsmöglichkeiten auf die staatliche Wirtschaftspolitik schuf, stärkte er diese Elite des Besitzes auch politisch. Diese Verflechtungen werden auch deutlich bei einer Unternehmung, die im Folgenden etwas genauer beleuchtet werden soll: der Baumwollspinnerei AG Lampertsmühle in einem Vorort von Kaiserslautern. Diese wurde von Adrian Pletsch gegründet, der ausgehend von seinem Mühlenbetrieb einen umfangreichen Brot-, Mehl- und Fruchthandel aufgezogen hatte.247 Als seine Mühle 1852 abbrannte, baute er auf dem Gelände der ehemaligen Mühle die Baumwollspinnerei. Pletsch ließ sich später in Ludwigshafen nieder und war unter anderem Anteilseigner der im vorherigen Kapitel thematisierten Bayerisch-Pfälzischen Dampfschleppschifffahrtsgesellschaft.248 Die Textilindustrie war insbesondere durch ihre technischen Innovationen einer der Hauptantreiber der Industrialisierung. In Bayern war sie zu Beginn der Industrialisierung der größte Gewerbezweig und fungierte dann als einer der Leitsektoren im Industrialisierungsprozess. Das wird zum Beispiel beim Anstieg der mechanischen Spindeln in Bayern deutlich, die in der Baumwollindustrie von 40.000 im Jahr 1840 auf 835.196 im Jahr 1875 zunahmen.249 1875­ gehörten 18,7 % der bayerischen Betriebe mit mehr als 50 Mitarbeitern der Textilindustrie an. Bei einer Beschäftigtenzahl zwischen 501 und 1000 waren es sogar 54 %.250 In diesem Industriezweig war die Pfalz nach Schwaben und Oberfranken eine der wichtigsten Regionen in Bayern.251 245 Allgemein zu diesem Phänomen siehe den auf der Netzwerkforschung basierenden Aufsatz von Marx, Wirtschaftliche Netzwerke. 246 Wehler, Gesellschaftsgeschichte, Bd. 2, S. 187 f. 247 Haan, Gründungsgeschichte, S. 204. Zu Pletsch siehe die knappen Angaben bei Friedel, Pletsch. 248 Aktionärsverzeichnis der Bayerisch-Pfälzischen Dampfschleppschifffahrtsgesellschaft vom August 1847, LaS, T89 (Gienanth), Bd. 340. 249 Preißer, Entwicklung Bayerns, S. 11. 250 Götschmann, Wirtschaftsgeschichte Bayerns, S. 184. 251 Preißer, Entwicklung Bayerns, S. 20 f. Einen statistischen Überblick über die Rolle der Textilindustrie in der Pfalz liefert auf der Basis der amtlichen Gewerbestatistik Schirges, Gewerbliche Betriebsamkeit, S. 463–467.

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Die Rahmenbedingungen für Fabrikgründungen in Kaiserslautern und Umgebung waren günstig. Kaiserslautern war an die Pfälzer Ludwigsbahn angebunden, sodass der Rohstoff- und Warentransport sowohl Richtung Saar als auch Richtung Rhein gegeben war. Billige Arbeitskräfte waren durch die eher schwache Wirtschaft der ländlichen Westpfalz ausreichend vorhanden und Steine bzw. Holz zum Bau der Fabrikgebäude leicht verfügbar. Aufgrund der noch aus der französischen Zeit bestehenden Gewerbefreiheit standen den Fabrikgründungen auch keine rechtlichen Vorschriften entgegen.252 In einem Programm der Baumwollspinnerei, das Pletsch zur Anwerbung von Investoren 1852 drucken ließ, entwickelte er detailliert den Plan für seine Unternehmensgründung. Pletsch sah die Chance der Spinnerei in der Verdrängung der ausländischen Garnlieferanten. Die in der Pfalz bereits vorhandenen zahlreichen Färbereien könnten die Stoffe von seinem Unternehmen beziehen. Da es mit den neuesten Maschinen ausgestattet sei, werde es eine hervorragende Qualität zu einem guten Preis liefern, denn die hohen Transportkosten der ausländischen Waren würden wegfallen. Das Unternehmen sollte ein Grundkapital von 520.000 Gulden aufweisen, aufgeteilt in 520 Aktien zu je 1000 Gulden. Dass Pletsch von diesem Projekt überzeugt war, zeigt sich daran, dass er 220 Aktien selbst übernehmen wollte. In einer Modellrechnung stellte er eine Dividende von gut 12 % in Aussicht.253 Als genug Investoren gefunden waren und der bayerische König die Genehmigung erteilt hatte, wurde das Unternehmen am 23. Juli 1853 offiziell gegründet.254 Das Grundkapital entsprach mit 520.000 Gulden dem Entwurf Pletschs. Mit dem Kapital wurde zunächst wie geplant eine mechanische Spinnerei und Weberei errichtet, 1859 noch ergänzt um eine Färberei und Bleicherei. Als erster Direktor wurde Philipp Eckenrodt eingestellt, der jedoch nach kurzer Zeit durch Wilhelm Sulser aus der Schweiz ersetzt wurde.255 Dieser brachte einige Schweizer sowie Südbadener Facharbeiter mit. 1857 wurde dann mit dem Düsseldorfer Peter Robert Schmitz ein zweiter Direktor angestellt. Die Geschäfte der Firma wurden von einem Verwaltungsrat beaufsichtigt. Vorstand des Verwaltungsrats war zunächst Franz Georg Aufschneider, ein Gutsbesitzer aus Otterberg. Als Mitglied des Verwaltungsrats fungierte auch 252 Freitag, Textilindustrie, S. 47 f.; siehe auch den groben Überblick zur Geschichte des Unternehmens in Christmann/Friedel, Kaiserslautern, S. 186–190. 253 Programm für die Errichtung einer Baumwoll-Spinnerei-Gesellschaft in Kaisers­ lautern, Stadtarchiv Kaiserslautern, A02, Bd. 619.1. 254 Hierzu und zu dem Folgenden: Mahler, Erfenbach, S. 210–213. 255 Zu den teilweise widersprüchlichen Angaben in der älteren Forschungsliteratur siehe Mahler, Erfenbach, S. 211 und Freitag, Textilindustrie, S. 50. Die Angaben lassen sich nicht verifizieren, da ein Werksarchiv der immer noch produzierenden Firma für diesen Zeitraum nicht mehr vorhanden ist und auch im Stadtarchiv Kaiserslautern keine Unterlagen der Firma abgelegt sind.

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Ludwig Andreas Jordan, der seit der Gründung an dem Projekt beteiligt war. Die weiteren Mitglieder des Verwaltungsrats waren Franz Flamin Meuth, der Inspektor des Zentralgefängnisses in Kaiserslautern, Johann Leonhard Seybold, Oberbeamter der königlichen Staatsbank in Ludwigshafen und Carl Leonhard Wiedtmann, ein Rentier aus Mannheim. Als Ersatzleute standen der Eisenhüttenwerksbesitzer Carl Freiherr von Gienanth und der königliche Bezirksrichter Adolph Reuthner, ein Verwandter Pletschs, zur Verfügung.256 Als Sprecher der Aktionäre profilierte sich Friedrich Reiß.257 Da das durch die Aktienausgabe erzielte Betriebskapital fast komplett in Grundstücke, Gebäude und Maschinen investiert wurde, stand nur ein geringes Umlaufvermögen zur Verfügung. Aus diesem Grund nahm man bereits kurz nach der Gründung einen Kredit bei der Königlichen Filialbank in Ludwigshafen und dem Bankhaus Grohé-Henrich in Neustadt auf.258 Ludwig Andreas Jordan hatte den Direktor der königlichen Filialbank in Ludwigshafen, August Manz, entsprechend bearbeitet, der dem Unternehmen aufgeschlossen gegenüberstand.259 1855 kam noch ein weiteres Darlehen des Neustadter Bankhauses Grohé-Henrich über 250.000 Gulden hinzu, das hypothekarisch ab­ gesichert wurde. Der Kredit sollte in zwölf gleichen Jahresraten zurückgezahlt werden. Eine Dividendenausschüttung war erst nach Rückzahlung der jewei­ ligen Rate möglich.260 Die Geschäfte der Firma liefen zunächst gut. Zu Beginn des Jahres 1857 arbeiteten 600 Arbeitskräfte in der Spinnerei und Weberei, die mit 12.500 Spindeln und 420 Webstühlen betrieben wurde.261 Ab 1861 machte sich allerdings der amerikanische Bürgerkrieg sehr stark bemerkbar. Die Spinnerei hatte einen Großteil der Rohbaumwolle über verschiedene europäische Häfen aus Nordamerika bezogen. Durch die dortigen Kriegsereignisse trat eine Verknappung der Rohbaumwolle ein. Die Preise stiegen deutlich und belasteten die Textilunternehmen, die den Preisanstieg nur zum Teil auf die Kunden abwälzen konnten. Ab den letzten Monaten des Jahres 1862 musste der Betrieb aufgrund der Ereignisse in den USA und dem langsamen Umstellungsprozess auf andere Bezugsquellen eingeschränkt werden. Daher produzierte das Unternehmen 1863

256 Mahler, Erfenbach, S. 211; Vollständiges Handels-, Adreß- und Firmenbuch für die Pfalz, S. 3. Zu Reuthner siehe Friedel, Pletsch, S. 154 f. 257 Siehe hierzu den Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans zur Aktionärsversammlung am 24.3.1860, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 44. 258 Freitag, Textilindustrie, S. 50 f. Siehe auch Longueville, Bankwesen, S. 556–559. 259 Ludwig Andreas Jordan an Carl von Gienanth, Deidesheim, 9.10.1854, LaS, T89 (Gienanth), Bd. 340. 260 Freitag, Textilindustrie, S. 50 f. 261 Jahresbericht der Pfälzischen Gewerbe- und Handelskammer 1856, Ludwigshafen 1857, S. 16.

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und 1864 nur noch die Hälfte der vorher üblichen Leistung. Der Verlust der Firma betrug zwischen 1862 und 1864 338.000 Gulden.262 Die Firma reagierte auf diese Entwicklungen, indem sie den Nennwert der alten Aktien reduzierte und 980 neue Aktien zum Wert von 300 Gulden ausgab.263 Mit dem frischen Geld wurden neue Maschinen angeschafft, um die Produktionskosten zu senken.264 Gleichzeitig kam es 1862 und 1864 zu Umbesetzungen in der Leitung der Firma. Als neuer Direktor wurde zunächst der Leipziger Christian Walter Clauss eingestellt, dem 1864 der aus Forst stammende Pfälzer Georg Rudolph Rösch an die Seite gestellt wurde.265 Dafür hatte Ludwig Andreas Jordan gesorgt, denn Franz Peter Buhl hatte den Jungen aus dem Nachbardorf in den 1850er Jahren unter seine Fittiche genommen und ihm die Ausbildung im Bereich der Textilfabrikation finanziert.266 Parallel zur »Zivilisierungsmission« der Dienstmädchen durch die bürgerlichen Hausfrauen, die vor allem durch ein moralisch einwandfreies Verhalten der Hausfrau an die bürgerliche Gesellschaft herangeführt werden sollten, gab es offensichtlich bei den Männern den Versuch, durch die Finanzierung und Steuerung der Ausbildung, junge Männer aus unteren Schichten in die bürgerliche Gesellschaft zu integrieren.267 Auch Ludwig Andreas Jordan hatte einen »Stipendiaten«. So berichtete ein gewisser Johann Martin regelmäßig an ihn über seine Fortschritte, die er im Kaufmanns- und Speditionsgeschäft bei Carl Exter in Ludwigshafen machte.268 Dass Franz Peter Buhl den jungen Rösch gerade in der Textilfabrikation ausbilden ließ, überrascht nicht, denn in diesem Bereich kannte er sich aus. Seine Familie hatte in Ettlingen selbst eine Spinnerei besessen.269 Sein Vater war 1836 262 Freitag, Textilindustrie, S. 58 f.; Jahresbericht der Kreis-Gewerbe- und Handelskammer der Pfalz für 1861, Ludwigshafen 1862, S. 28–30; Jahresbericht der Kreis-Gewerbe- und Handelskammer der Pfalz für 1862, Ludwigshafen 1863, S.  76 f.; Jahresbericht der Kreis-­ Gewerbe- und Handelskammer der Pfalz für 1863, Ludwigshafen 1864, S.  83 f.; Jahresbericht der Kreis-Gewerbe- und Handelskammer der Pfalz für 1864, Ludwigshafen 1865, S. 82. 263 Freitag, Textilindustrie, S. 60; Außerordentliche Beilage zur Nr. 78 des Kreis-Amtsblattes der Pfalz vom Jahre 1865 die Actiengesellschaft für Baumwollspinnerei in Kaiserslautern betr., hier Abänderung der Gesellschaftsstatuten. Ludwig Andreas Jordan erwarb zehn neue Aktien. Siehe Rösch an Ludwig Andreas Jordan, Kaiserslautern, 3.9.1867, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 591. 264 Freitag, Textilindustrie, S. 59. 265 Mahler, Erfenbach, S. 212. 266 Ludwig Andreas Jordan an Heinrich Marquardsen, Deidesheim, 24.6.1868, BaB, N2183 (Marquardsen), Bd. 12. 267 Zur Verbürgerlichung der Dienstmädchen im bürgerlichen Haushalt siehe Budde, Blütezeit, S. 39; Habermas, Frauen und Männer, S. 81–86. 268 Siehe Martins Briefe an Ludwig Andreas Jordan in LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 591. 269 Stemmermann, Familie Buhl, S. 295–297.

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auch maßgeblicher Antreiber bei der Gründung der »Gesellschaft für Spinnerei und Weberei Ettlingen« gewesen, eines »Textilgroßunternehmens«270, das konkurrenzfähig mit der englischen Produktion sein sollte. Offensichtlich hielt Buhl diesen Wirtschaftszweig für zukunftsträchtig, sodass er den aus einfachen Verhältnissen stammenden Rösch zunächst nach Esslingen zur Kammgarnspinnerei Merkel & Wolf schickte. Anschließend zog Rösch 1858 in die Schweiz zur Firma Rieter in Töss, die Maschinen für die Textilproduktion herstellte und auch heute noch produziert.271 Dort lernte er »die hohe Schule«272 der Textilproduktion kennen. Zuerst widmete er sich den Maschinen, die er der Reihe nach kennenlernte. Anschließend arbeitete er in der firmeneigenen Spinnerei. Parallel dazu durfte er die Bibliothek des Chefs nutzen, um sich auch die theoretischen Kenntnisse anzueignen. Von dieser Firma wurde er in das nur wenige Kilometer entfernte Rämismühle geschickt, wo er eine neue Fabrikhalle für die Spinnerei Stahel einrichtete.273 Im Herbst 1860 ging Rösch nach England. Dabei machte er einen Zwischenstopp in Köln, um, ausgestattet mit Empfehlungsbriefen Buhls, die Kölner Bankiers und Kaufleute Damian Leiden, Philipp Engels, den Textilfabrikanten Franz Wilhelm Koenigs und Gustav Mevissen kennenzulernen. Diese boten ihm auch gleich diverse Tätigkeiten an, und gaben ihm, als dieser ablehnte, weitere Empfehlungsschreiben für England mit.274 Über London ging Rösch dann nach Manchester und suchte dort die aus Frankfurt stammende Kaufmannsfamilie Souchay auf, die Franz Peter Buhl und Ludwig Andreas Jordan bereits 1833 bei ihrer Englandreise kennengelernt hatten. Auf diese Kontakte konnte man jetzt zurückgreifen.275 Souchay schickte Rösch in die Textilmaschinenfabrik von Parr, Curtis & Madeley, eine der größten Textilmaschinenfabriken Englands.276 Auch dort arbeitete Rösch mit und wurde an verschiedenen Maschinen geschult. Als Rösch 1861 plante zu heiraten, schrieb er den Buhls einen Brief, in dem er seinen Dank für ihre Unterstützung aussprach, aber gleichzeitig auch alle Erwartungen bediente, die seine großbürgerlichen Gönner hegen konnten. So führte er aus, dass er durch die Unterstützung der Familien Deinhard277 und 270 Ebd., S. 300. 271 Georg Rudolph Rösch an Franz Peter Buhl, Töss, 4.6.1858, BaK, N1754 (Buhl), Bd. 120. 272 Ebd. 273 Georg Rudolph Rösch an Franz Peter Buhl, Rämismühle, 27.3.1860, BaK, N1754 (Buhl), Bd. 120. 274 Georg Rudolph Rösch an Franz Peter Buhl, Antwerpen, 22.10.1860, BaK, N1754 (Buhl), Bd. 120. 275 Siehe hierzu Kapitel 4.2. 276 Georg Rudolph Rösch an Franz Peter Buhl, Manchester, 13.11.1860, BaK, N1754 (Buhl), Bd. 120. Zu dieser Firma siehe Musson/Robinson, Science, S. 62, Anm. 6. 277 Zu Buhls Schwager Friedrich Prosper Deinhard siehe Kapitel 3.3.

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Buhl einen »edleren Lebenszweck«278 als die reine körperliche Arbeit kennengelernt habe. Er habe durch den Umgang mit diesen Familien »unbemerkt Ur­ theile und Ansichten« vermittelt bekommen, die ihm auf seinen vielen Stationen sehr hilfreich gewesen seien. Dabei habe er erkannt, dass das Fabrikleben nicht alles sei, denn es sei auf die Dauer unbefriedigend, wenn der Fleiß des Tages nur dazu diene »am Abend den Magen zu versorgen«. Stattdessen, so machte er deutlich, müsse man es in seinem Fache immer weiter vorwärts bringen. Den Schlüssel dazu sah er in der Wissenschaft, denn nur durch Lektüre und Studien könne man sich über das Arbeitsleben emporheben. Im Grunde führte er also die Dinge an, die auch den Weinbau und die Wirtschaftsweise der Familien Buhl, Jordan und Deinhard charakterisieren. Im Weinberg arbeitete keiner der Gutsbesitzer mehr. Stattdessen kümmerte man sich neben den Leitungsfunktionen im Betrieb darum, den Weinbau qualitativ voranzutreiben, indem man z. B. mit Düngermethoden experimentierte oder versuchte, wissenschaftliche Erkenntnisse wie die Pasteurisierung im Weinbau umzusetzen. Es war also kein Wunder, dass Ludwig Andreas Jordan diesen gut ausgebildeten ehrgeizigen jungen Mann in die Fabrik auf der Lampertsmühle holte, um diese wieder in erfolgreicheres Fahrwasser zu bringen. Vielleicht fühlte er sich auch nach dem Tod seines Freundes Franz Peter Buhl im August 1862 für das Fortkommen Röschs verantwortlich. Unter den Direktoren Clauss und Rösch zogen die Geschäfte wieder an. Man schien, auch aufgrund der verbesserten weltkonjunkturellen Lage, den Turnaround geschafft zu haben, sodass ab 1865 sogar die Nachtarbeit eingeführt werden musste.279 1866 wurden zahlreiche neue Arbeitskräfte eingestellt. Die Belegschaft wuchs damit auf 1050 Personen an. Trotzdem wurde weiter mit Hilfe der Nachtarbeit produziert.280 Das Geschäftsjahr 1866, in dem man unter anderem auch für die preußische Armee produzierte, war so erfolgreich, dass Rösch an Ludwig Andreas Jordan einen anstehenden Reingewinn von 100.000 Gulden meldete. Der Betriebsdirektor warnte jedoch vor einer hohen Gewinnausschüttung. In Kaiserslautern rede man bereits von einer 20 %igen Dividende. Da ein Schuldenberg das Unternehmen belaste, solle man das Geld aus Sicht Röschs lieber im Unternehmen lassen.281 1868 folgte dann ein Paukenschlag. Rösch, dem Ludwig Andreas Jordan vertraut und für den er sich eingesetzt hatte, setzte sich über Nacht in die USA ab 278 Georg Rudolph Rösch an Josephine Buhl, Grevenbroich, 14.7.1861, BaK, N1754 (Buhl), Bd. 261. Daraus auch die folgenden Zitate. 279 Jahresbericht der Kreis-Gewerbe- und Handelskammer der Pfalz für 1865, Ludwigshafen 1866, S. 100. 280 Jahresbericht der Kreis-Gewerbe- und Handelskammer der Pfalz für 1866, Ludwigshafen 1867, S. 81 f. 281 Georg Rudolph Rösch an Ludwig Andreas Jordan, Kaiserslautern, 29.1.1867, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 591.

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und veruntreute Gelder in Höhe von 330.000 Gulden.282 Das war für Ludwig Andreas Jordan auch eine persönliche Enttäuschung, denn damit hatte Rösch die langjährige Förderung durch Buhl, Deinhard und Jordan entwertet. All die Mühen, die man sich gemacht hatte, um ihn zu einem Fachmann in der Textil­ industrie auszubilden und zu einem geachteten Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft zu machen, waren somit umsonst gewesen. Diese überraschende Flucht sorgte für große Aufregung in Kaiserslautern. Da Ludwig Andreas ­Jordan Rösch als Direktor vorgeschlagen und sich für ihn stark gemacht hatte, wurde er von einigen Aktionären für dessen Geschäftsgebaren mitverantwortlich gemacht. Bei der nach der Unterschlagung anberaumten Versammlung der Gläubiger und der Aktionäre kam er sich vor, als ob er »auf einer Verbrecherbank säße«283. In einem Brief an seinen politischen Kollegen und Freund H ­ einrich Marquardsen sah Ludwig Andreas Jordan auch einen Teil  des Problems in seinem politischen Engagement. Dadurch habe er die eigenen Geschäftsinteressen vernachlässigt. Neben dem unangenehmen Ansehensverlust, den er dabei erlitt, hatte er auch einen großen finanziellen Verlust zu verkraften, denn er war, gemeinsam mit den Buhls, einer der größten Aktionäre gewesen. Der Schaden war so groß, dass die Firma in Konkurs ging und an den größten Gläubiger fiel.284 Sie wurde daher 1869 als »Baumwollspinnerei und Weberei Kaiserslautern G. F. Grohé-Henrich« neu gegründet. Größter Teilhaber war der badische Oberschulrat Albert Bürklin, der wenig später durch Einheirat in die Wachenheimer Weindynastie Wolf Mitinhaber des Bankhauses GrohéHenrich wurde.285 Einige Aktionäre starteten sogar einen Prozess gegen den Verwaltungsrat nach der Pleite. Die Klage wurde jedoch abgewiesen, da dieser Schritt nur der Gesamtheit der Aktionäre zustehe.286 Ludwig Andreas Jordan schied nach diesem Debakel aus der Firma aus. Interessanterweise saß jedoch sein Neffe Eugen Buhl 1890 wieder im Aufsichtsrat.287 Jordans Engagement bei diesem Unternehmen zeigt noch einmal deutlich, dass es keine Verbindungen zwischen den Investments und dem Weinbau gab. Es ging stattdessen auch in der Textilindustrie darum, neue Entwicklungen im großen Maßstab umzusetzen und damit die Maschinisierung dieses Gewerbes voranzutreiben. Dafür waren große Kapitalien nötig, die nur auf der Basis von 282 Ludwig Andreas Jordan an Heinrich Marquardsen, Deidesheim, 24.6.1868, BaB, N2183 (Marquardsen), Bd. 12; Mahler, Erfenbach, S. 212. 283 Ludwig Andreas Jordan an Heinrich Marquardsen, Deidesheim, 24.6.1868, BaB, N2183 (Marquardsen), Bd. 12. Daraus auch das Folgende. 284 Freitag (Textilindustrie, S. 61) kennt die Veruntreuung nicht und führt den Konkurs der Firma daher fälschlicherweise auf die hohen Verluste der Jahre 1861–1864 zurück. 285 Longueville, Bankwesen, S. 559 f. 286 Telegramm von Schön an Ludwig Andreas Jordan, Kaiserslautern, 2.4.1869; Telegramm von Emil Bassermann an Ludwig Andreas Jordan, Deidesheim, 2.4.1869; beide in LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 575. 287 Mahler, Erfenbach, S. 213; Freitag, Textilindustrie, S. 60 f.

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Aktiengesellschaften beschafft werden konnten. Dadurch boten sich für Jordan viele Möglichkeiten für finanzielle Beteiligungen, die er somit breit streute und dabei immer wieder mit denselben Leuten kooperierte. Auch bei der Baumwollspinnerei beschränkte er sich nicht auf seine Rolle als Geldgeber, sondern war auch im Verwaltungsrat tätig. Er vermittelte Kredite und beteiligte sich an der Suche nach einem passenden Direktor. Mit dem Buhl’schen Protegé Rösch, dem er großes Vertrauen entgegen brachte, installierte er jedoch einen Betrüger an der Spitze des Unternehmens. Er war zutiefst von dessen Unterschlagungen getroffen und enttäuscht. Sein Engagement für Rösch und die Baumwollspinnerei zeigten ihm damit auch seine Grenzen auf. Aufgrund der zahlreichen Investments und der Mitarbeit in vielen politischen und wirtschaftspolitischen Gremien konnte er seine Engagements kaum noch persönlich kontrollieren. Diese wirtschaftspolitischen Institutionen sollen im Folgenden genauer unter die Lupe genommen werden.

4.4 Im Schnittfeld von Wirtschaft und Politik: Neustädter Handelsrat, Pfälzische Handelskammer und Deutscher Handelstag Bei Ludwig Andreas Jordans wirtschaftlichen Engagements ließ sich bereits erkennen, wie wichtig es war, an den Schnittstellen von Wirtschaft und Politik zu sitzen und damit auch über gute Kontakte zu verfügen. Auf diese Weise konnte man die von Seiten des Staates festgelegten Rahmenbedingungen für die von Eisenbahn und Schleppschifffahrt verursachte Verkehrsrevolution und die Industrialisierung beeinflussen. Eine solche Schnittstelle bildeten damals wie heute die Handelskammern. Für Staat und Gewerbetreibende bedeutete diese Einrichtung eine win-win-Situation.288 Die Fabrikanten und Kaufleute konnten über die Kammern ihre Interessen der Regierung nahe bringen und darauf hoffen, dass diese ihre Anliegen berücksichtigte. Die Regierung hingegen konnte durch die Einbeziehung der wirtschaftlichen Expertise ihre Gesetzgebung besser fundieren und durch die zu erwartende verbesserte wirtschaftliche Entwicklung die Staatseinnahmen steigern. Zudem versuchte man auf diese Weise, die Interessen des Wirtschaftsbürgertums mit den Interessen des Staates zu verbinden und so eine potentielle Oppositionsgruppe vermeintlich auszuschalten. Im Folgenden soll Ludwig Andreas Jordans Rolle bei einer solchen Schnittstelle für die Pfalz untersucht werden. Es geht um sein Engagement im Handelsund Fabrikrat Neustadt-Dürkheim und in der Pfälzischen Handels- und Gewerbekammer. Darüber hinaus soll seine Position im Ausschuss des Deutschen 288 Zur allgemeinen Konstellation von Staat und Handelskammern siehe Gehlen, Selbstregulierung, S. 255 f.

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Handelstags untersucht werden. Zunächst soll sein Einsatz in den Pfälzer Gremien im Vordergrund stehen. Diese unterschieden sich vom Deutschen Handelstag in ihrer Stoßrichtung, die primär auf die Gesetzgebung der bayerischen Regierung ausgerichtet war. Dagegen ging es im Deutschen Handelstag darum, die wirtschaftlichen Interessen länderübergreifend zu organisieren und wenn möglich, die Beschlüsse auch länderübergreifend durchzusetzen. Das heißt, der Deutsche Handelstag zielte auf die Beeinflussung des deutschen Raumes, wie auch immer man ihn fassen wollte – ein Punkt, der dort überaus umstritten war.

4.4.1 Die Organisation der pfälzischen Interessenvertretung in Wirtschaftsfragen Die regionale Interessenvertretung des pfälzischen Gewerbes und der Kaufleute war 1843 zunächst als »Handelskammer für die Pfalz« gegründet worden.289 Dabei knüpfte man an die Tradition der französischen »Chambre de Commerce« an, die in der Zeit der Napoleonischen Herrschaft in den französischen Departements eingerichtet worden war, um die Regierung zu informieren und zu beraten und die einer strikten staatlichen Aufsicht unterstellt gewesen war. Die Pfälzer Gewerbetreibenden, die bis 1843 vergeblich versucht hatten, eine Neugründung zustande zu bringen, wollten mit der Gründung einer Handelskammer jedoch nicht nur den Informationsstand der Regierung erhöhen, sondern vor allem ihre eigenen wirtschaftspolitischen Interessen deutlicher zu Gehör bringen. Die bayerische Regierung lehnte diese Einrichtung bis 1842 ab, da man sie als potentielles Oppositionsinstrument beurteilte.290 Erst am 19. September 1842 erließ die bayerische Regierung eine Verordnung über die Einrichtung von Handelskammern.291 Im Gegensatz zu dem bereits bestehenden bunten Gemisch an Handelskammern in Preußen legte die Regierung in München Wert auf einen gleichförmigen Aufbau der Handelskammern unter strenger staatlicher Aufsicht. Hier zeigte sich der Rückgriff auf das französische System am deutlichsten. Offensichtlich wollte man so das Informationspotential der Handelskammern abschöpfen, ohne Oppositionsarbeit zu ermöglichen. So erfolgte die erste Zusammensetzung der Kammern durch königliche Ernennung. Bei der alle zwei Jahre zu erfolgenden teilweisen Neuwahl der Kammermitglieder musste die Kammer dem König für jedes neu zu wählende Mitglied eine Liste mit drei Kandidaten 289 Zur Neukonstituierung der Handelskammer für die Pfalz siehe Haan, Gründungsgeschichte. 290 Zu dieser Beurteilung in der bayerischen Regierung siehe Brandt, Organ, S. 12. 291 Hierzu und zu dem Folgenden: Haan, Gründungsgeschichte, S. 201 f.; Königlich Allerhöchste Verordnung die Einführung von Handelskammern betr., in: Regierungsblatt für das Königreich Bayern 1842, Sp. 973–981. Die Verordnung vom 19. September 1842 ist auch abgedruckt in: Badendieck, Handelsvertretungen, S. 3–7.

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vorlegen, aus der dieser auswählen konnte. Auch der Vorsitzende musste nach seiner Wahl durch den König bestätigt werden. Die Arbeit der Kammern wurde von der jeweiligen Kreisregierung überwacht. Harm-Hinrich Brandt sieht darin auch den Versuch »im Zusammenspiel von oligarchischer Kooptation und obrigkeitlicher Ernennung bei der Mitgliederbestellung«292 das Wirtschaftsbürgertum enger an den Staat zu binden. Auf diese Weise habe man »eine Handlungsebene moderner und dynamischer Wirtschaftspolitik von dem Komplex traditionellen Kleingewerbeschutzes«293 abheben wollen. Diese Interpretation trifft sicherlich ein Kernanliegen der bayerischen Regierung, vernachlässigt aber die Grundspannung, von der die Frühphase der Kammern in Bayern gekennzeichnet war. Einerseits benötigte die bayerische Regierung bei der Erstellung von wirtschaftspolitischen Gesetzen und Verordnungen die Expertise der lokalen Wirtschaft.294 Andererseits misstraute man den Kammern noch und überwachte ihre Arbeiten genau. Auf der Basis der bayerischen Verordnung konstituierte sich die Pfälzische Handelskammer am 30. April 1843 in Kaiserslautern.295 Die Westpfalz erhielt acht und die Vorderpfalz sieben Sitze in diesem Gremium, das, wie die anderen bayerischen Handelskammern, die Aufgabe hatte, »die Regierung in der Förderung des Handels und Gewerbefleißes und in der Beseitigung der ihrem Aufblühen entgegenstehenden Hindernisse durch ihren Rath und ihre Mitwirkung zu unterstützen«296. Ihre Vorschläge und Anregungen durfte sie der Kreisregierung, dem entsprechenden Ministerium oder dem König direkt vorlegen. Dabei beriet die Handelskammer der Pfalz in ihren Anfangsjahren vor allem Zoll­ fragen und erwies sich als starker Befürworter von Schutzzöllen, da man die pfälzische Wirtschaft als zu schwach ansah, um in direkter Konkurrenz mit Großbritannien oder Belgien bestehen zu können.297 Im Zuge der Revolution von 1848/49 wandelte sich dann das System der Handelskammern, das jetzt auf eine breitere Grundlage gestellt werden sollte. Um sozialrevolutionäre Tendenzen aufzufangen, strebte die bayerische Regierung eine Umgestaltung der Handelskammern von einer »Hilfsbehörde« zu einer »Interessenvertretung«298 mit einer stärkeren Beteiligung des Kleingewerbes, also vor allem des Handwerks, an. Ziel der neuen Verordnung vom 27. Januar 1850 war 292 Brandt, Organ, S. 44. 293 Ebd. 294 Zu dem Interesse der Regierung an wirtschaftspolitischer Expertise siehe Gehlen, Selbstregulierung, S. 255 f. 295 Haan, Gründungsgeschichte, S. 204–207. 296 Art. 14 der Verordnung vom 19. September 1842, in: Badendieck, Handelsvertretungen, S. 6. 297 Badendieck, Handelsvertretungen, S. 8–10. 298 Zur Wirkung der 1848er Revolution auf das System der Handelskammern siehe Brandt, Organ, S. 46.

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daher die »Sicherung des sozialen Friedens«299. Die Verordnung erlaubte neben den bereits bestehenden Handelskammern die freiwillige Einrichtung von lokalen Handels- und Gewerbekammern, die aus Handels-, Fabrik- und Gewerberäten zusammengesetzt sein konnten. Diese sollten ihre Angelegenheiten getrennt beraten und bei Fragen, die alle drei Räte betrafen, gemeinsam zusammentreten. Die Folge dieser Verordnung war ein Organisationschaos, da zahlreiche Organisationen mit ähnlichen Aufgaben nebeneinander bestanden und keine klare Kompetenzabgrenzung erkennbar war. Daher organisierte die bayerische Regierung mit der Gewerbevollzugsinstruktion vom 17.  Dezember 1853 die Kammern neu. An die Stelle der bisherigen Einrichtungen trat jetzt eine klare Struktur. So wurden als ständige Organisationen auf lokaler Ebene Handels-, Fabrik- und Gewerberäte eingeführt. Der Vorsitzende und sein Stellvertreter waren Mitglied der auf Kreisebene eingerichteten »Gewerbe- und Handelskammer«. Diese Kammer trat einmal jährlich zusammen, um ihren Jahresbericht für die bayerische Regierung zu verfassen und Beschlüsse zu verabschieden.300 Allerdings blieb die linksrheinische Pfalz von den 1853 erfolgten Veränderungen zunächst ausgenommen. Dort wurden die Neuerungen erst mit einer königlichen Verordnung vom 16.  April 1855 eingeführt.301 Interessanterweise wurde das allgemeine Wahlrecht für die Handels-, Fabrik- und Gewerberäte in der Pfalz durch ein Zensuswahlrecht eingeschränkt. Für die Wahl zum Gewerberat war eine Mindestgewerbesteuer von fünf Gulden vorgeschrieben und für die Wahl zum Handelsrat zehn Gulden. Der Fabrikrat wurde ohne Zensus gewählt, da man davon ausging, dass die Fabriken an sich schon etwas größer zu veranschlagen waren. Mit dieser Regelung wollte die bayerische Regierung jetzt eine Dominanz des Kleingewerbes im politisch unzuverlässigen Pfalzkreis verhindern. Mit der Gewerbeinstruktion von 1862 wurde dann die pfälzische Regelung für ganz Bayern übernommen.

4.4.2 Liberale Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsnationalismus: Jordan als Vorsitzender pfälzischer Wirtschaftsgremien 1856 wurde Ludwig Andreas Jordan in seiner Eigenschaft als Weinhändler zum Vorsitzenden des Handels- und Fabrikrates Neustadt-Dürkheim gewählt. Der Handels- und Fabrikrat hatte gegenüber der Pfälzischen Handels- und Gewerbekammer den Vorteil, kontinuierlich zu tagen. Das heißt er konnte schneller 299 Ebd., S. 47. 300 Fischer, Unternehmerschaft, S. 53 f.; Brandt, Organ, S. 54. 301 Hierzu und zu dem Folgenden: Stürmer, Handelskammern in Bayern, S. 54; Königlich Allerhöchste Verordnung die Errichtung von Gewerb-, Fabrik- und Handelsräthen, dann die Einführung einer Gewerbs- und Handelskammer in der Pfalz betr., in: Regierungs-Blatt für das Königreich Bayern 1855, Sp. 501–516.

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auf Anfragen der Kreisregierung oder der Regierung in München reagieren. Dementsprechend wurden im Handels- und Fabrikrat einerseits Verbesserungsmöglichkeiten für die Rahmenbedingungen der Vorderpfälzer Wirtschaft diskutiert. Andererseits nahm man zu konkreten Gesuchen der Kreisregierung in Speyer oder der Regierung in München Stellung. Im Mittelpunkt der Diskussionen standen Kommunikations- und Verkehrsprojekte, wie zum Beispiel die Einrichtung von Telegraphenstationen oder der Bau der Rhein-Haardt-Bahn. Daneben ging es zum Beispiel auch um die Abschaffung des Rhein-Oktrois oder die Bedingungen für die Vergabe von Fabrikkonzessionen.302 Der Vorsitzende und sein Stellvertreter wurden in die Handels- und Gewerbe­ kammer der Pfalz entsandt, die 1856 auf der Basis der Verordnung von 1855 neu eingerichtet worden war. Diese tagte jetzt nicht mehr in Kaiserslautern, sondern in der aufstrebenden Gemeinde Ludwigshafen am Rhein. Im Januar 1857 wurde Ludwig Andreas Jordan erstmals zum Vorsitzenden der Pfälzischen Handelsund Gewerbekammer gewählt, die jährlich zu Beginn des Jahres für maximal zehn Tage zusammentrat. Ihre Hauptaufgabe lag in der Erstellung eines Jahresberichts, mit dem sie einen Überblick über die wirtschaftliche Entwicklung im Kreis ablieferte und den sie an das Ministerium für Handel und öffentliche Arbeiten in München senden musste. Das galt für alle bayerischen Kammern, die auf diese Weise die Regierung in München dabei unterstützten, einen Gesamteindruck von der wirtschaftlichen Entwicklung Bayerns zu bekommen. Diese Aufgabe wurde durch ein Reskript vom November 1862 noch deutlicher, mit dem die Handelsund Gewerbekammern aufgefordert wurden, umfangreiches statistisches Material in ihren Jahresbericht einfließen zu lassen und die industrielle Entwicklung anhand eines vorgegebenen Gliederungsschemas darzustellen.303 Um diesen Ansprüchen genügen zu können, bat die Pfälzische Handels- und Gewerbekammer darum, einen bleibenden Ausschuss einrichten zu können. Ein einzelnes Treffen pro Jahr genüge für die Abfassung eines so umfangreichen Berichtes nicht.304 Diesem bereits vorher und auch in den folgenden Jahren vorgebrachten Anliegen entsprach die bayerische Regierung erst mit einer Verordnung vom 20. Dezember 1868.305 Hier zeigt sich exemplarisch, wie die Kaufleute und Fabrikanten das zunehmende Informationsbedürfnis des Staates nutzen konnten, um sich von der staatlichen Gängelung zu emanzipieren. 302 Siehe hierzu die diversen Protokolle der Sitzungen im AIHK, Bd.  Protocolle des­ Fabrik- und Handels-Rathes Neustadt-Dürkheim. 303 Jahresbericht der Kreis-Gewerbe- und Handelskammer der Pfalz 1862, Ludwigshafen 1863, S. 1–3. 304 Ebd. Zu einer ähnlichen Klage siehe Jahresbericht der Handels- und Gewerbekammer für Niederbayern 1862, Passau 1863, S. 3 f. Die niederbayerische Handelskammer forderte jedoch eine stärkere Unterstützung durch die Behörden bei der Abfassung des Berichts. 305 Badendieck, Handelsvertretungen, S. 22 f.

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Neben dem statistischen Überblick über die wirtschaftliche Entwicklung im Kreis formulierte die Handels- und Gewerbekammer in ihrem Bericht auch Anträge an die Regierung, mit denen sie diese auf Problemfelder aufmerksam machte oder konkrete Verbesserungsvorschläge für die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen vorlegte. Anliegen, denen man mehr Nachdruck und Aufmerksamkeit verschaffen wollte, konnten also von den lokalen Räten auf die Kreisebene gehoben werden. Hier tauchten dann zum Beispiel wieder Verkehrsprojekte oder Forderungen nach vereinheitlichten Maßen und Gewichten auf. Auch die Reduzierung von Abgaben, Posttaxen und Frachttarifen war ein häufiges Thema. Um ihren Beschlüssen und Wünschen die nötige Aufmerksamkeit zu sichern, wurden die Jahresberichte der Handels- und Gewerbekammern publiziert. Ludwig Andreas Jordan versandte zum Beispiel 38 Exemplare des Jahresberichts von 1859 an Franz Peter Buhl nach München mit der Bitte, diesen Bericht »an die einflussreichsten Mitglieder der Kammer [der Abgeordneten, H. T.] und des Reichsrathes zu verteilen«306. Die bayerische Regierung antwortete auf die Berichte der Handelskammern zunächst noch direkt, ging aber dann auch dazu über, eine gedruckte Antwort auf alle Gewerbe- und Handelskammerberichte in Bayern zu veröffentlichen. So konnte die bayerische Regierung nachweisen, dass sie die Anliegen der Handelskammern geprüft und gegebenenfalls in den Gesetzgebungsprozess eingespeist hatte. Ein zentrales wirtschaftspolitisches Ereignis, das in Ludwig Andreas Jordans Amtszeit fiel, war der Abschluss des Handelsvertrags zwischen Preußen und Frankreich, der für den gesamten Zollverein gültig sein sollte.307 Mit diesem Vertrag sollte der Zollverein an die westeuropäische Freihandelszone, wie sie im Cobden-Vertrag zwischen England und Frankreich im November 1860 vereinbart worden war, angeschlossen werden.308 Gleichzeitig diente der Vertrag der preußischen Regierung auch dazu, Österreich weiter aus dem kleindeutschen Wirtschaftsraum herauszudrängen. Da die österreichische Wirtschaft nicht in dem Maße konkurrenzfähig war wie die Zollvereinswirtschaft, war klar, dass Österreich diesen Schritt nicht mitgehen konnte.309 Das missfiel den süddeutschen Regierungen, die trotz des bald 30-jährigen Bestehens des Zollvereins immer noch an Österreich orientiert waren und jetzt befürchteten, wirtschaftlich und politisch stärker von Preußen abhängig zu werden. Es war daher lange 306 Ludwig Andreas Jordan an Franz Peter Buhl, Deidesheim, 18.1.1861, BaK, N1754 (Buhl), Bd. 7. 307 Zum Handelsvertrag und seinen wirtschaftlichen und politischen Implikationen siehe Hahn, Geschichte des deutschen Zollvereins, S. 165–180. 308 Zum Cobden-Vertrag siehe Wendt, Freihandel. 309 Wehler, Gesellschaftsgeschichte, Bd.  3, S.  227 f. und 286–289. Eine positivere Sichtweise auf die seit den 1850er Jahren bestehenden Bemühungen Österreichs, Anschluss an die Zollvereinswirtschaft zu finden bzw. einen großen mitteleuropäischen Wirtschaftsraum zu schaffen vermittelt Hagen, Wirtschaftspolitische Bestrebungen.

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­umstritten, ob die süddeutschen Länder dem Vertrag zustimmen würden.310 Um Druck auf die süddeutschen Staaten auszuüben, machte das preußische Abgeordnetenhaus in einer Resolution am 2. September 1862 deutlich, dass bei einer Ablehnung des Handelsvertrags durch die süddeutschen Staaten die Zukunft des Zollvereins auf dem Spiel stehe.311 Nachdem die preußische und die französische Regierung zur Überraschung der noch zögerlichen Zollvereinsmitglieder bereits am 29. März 1862 den Vertragsentwurf paraphiert hatten, bat die bayerische Regierung die Handels-, Gewerbe- und Fabrikräte des Landes um ihre Stellungnahmen. Daraufhin trat der Handels- und Fabrikrat Neustadt-Dürkheim am 6. Mai 1862 zusammen. Aufgrund der großen Bedeutung dieser Stellungnahme zog man noch weitere Personen hinzu, u. a. Franz Peter Buhl, die Weingutsbesitzer Wolf aus Wachenheim und Vertreter der Tuchfabrik in Lambrecht.312 In Bezug auf die Regelungen für Wein entstand eine Diskussion über die Übergangssteuer, die beim Export süddeutscher Weine in die norddeutschen Vereinsstaaten zu entrichten war. Diese Steuer war bei der Gründung des Zollvereins eingeführt worden, um Wettbewerbsverzerrungen durch die unterschiedliche Weinbesteuerung in den Zollvereinsländern auszugleichen, diente aber gleichzeitig auch dem Schutz der preußischen Weinproduktion insbesondere an der Mosel. Die Übergangsabgabe war seit ihrer Einführung vor allem zwischen Bayern, dem Hauptweinproduzenten im Zollverein, und Preußen umstritten.313 Der Winzer Rudolph Christmann aus Dürkheim forderte jetzt, dem Handelsvertrag nur zuzustimmen, wenn die Übergangssteuer abgeschafft werde. Dagegen verwahrte sich Franz Peter Buhl, der eine Abschaffung zwar generell begrüßte, diese aber nicht zur Grundbedingung für die Annahme des Handelsvertrags machen wollte. Ludwig Andreas Jordan schlug daraufhin einen Kompromiss vor, in dem die einzelnen Bedenken zwar wiedergegeben werden sollten, aber der Grundtenor überaus positiv formuliert werden sollte. Eine von ihm ausgearbeitete Stellungnahme wurde vom Handels- und Fabrikrat angenommen und der Regierung der Pfalz in Speyer zugeleitet.314 Darin legte der Handels- und Fabrikrat zunächst dar, dass der Zollverein das »bedeutendste staatswirtschaftliche Ereignis des 19. Jahrhunderts in Deutsch 310 Hahn, Mittelstaaten; Böhme, Deutschlands Weg, S. 100–183. Zur Haltung der Mittelstaaten liegt auch eine Quellenedition vor. Siehe Böhme (Hg.), Vor 1866. 311 Wehler, Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, S. 228. 312 Protocoll der XX. Sitzung des Handels- und Fabrikraths Neustadt-Dürkheim am 6.5.1862, in: AIHK, Bd. Protocolle des Fabrik- und Handels-Rathes Neustadt-Dürkheim, fol. 98–102. 313 Preißer, Steuerharmonisierung, S. 203–224. 314 Protocoll der XX. Sitzung des Handels- und Fabrikraths Neustadt-Dürkheim am 6.5.1862, in: AIHK, Bd. Protocolle des Fabrik- und Handels-Rathes Neustadt-Dürkheim, fol. 100.

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land«315 sei. Im Innern habe er bereits den Handel und die industrielle Entwick­ lung gefördert. Jetzt sei es wichtig, den Zollverein durch eine liberale Handelspolitik nach außen weiterzuentwickeln. Dies sei notwendig, damit der Zollverein in den westeuropäischen Märkten, die sich dem Freihandel geöffnet hätten, keine Marktanteile verliere. Erstaunlich selbstbewusst beurteilte der Handels- und Fabrikrat die Konkurrenz mit Frankreich. Diese werde Industrie und Gewerbe in Deutschland weiter beleben und zur stetigen Verbesserung der Produktion anregen. Die deutsche Leistungsfähigkeit im Bereich der Wirtschaft sah man als sehr hoch an, denn »deutscher Fleiß & deutsche Geschicklichkeit stehen nirgends zurück u[nd] können es in den meisten Zweigen mit dem Auslande aufnehmen«316. Anschließend benannte man die konkreten Wünsche der Winzer. Hier stand die Abschaffung der Übergangssteuer in das norddeutsche Zollgebiet im Zentrum. Man sah in dieser Steuer eine Wettbewerbsverzerrung, da für franzö­ sische Weine keine solche Steuer gelte. Auch das Angebot Preußens, die Übergangssteuern zu halbieren, befriedigte den Handels- und Fabrikrat nicht. Da ihr Ertrag dann die Kosten für die Erhebung und Kontrolle nicht mehr decken würde, solle man sie ganz abschaffen. Auch auf die außerwirtschaftlichen Wirkungen des Zollvereins ging man in diesem Zusammenhang ein, denn »Zwischenzölle im Herzen von Deutschland stören das Gefühl der Zusammengehörigkeit«317. Die Wünsche der Sekt- und Tuchfabrikanten folgten. Die Diskussion im Handels- und Fabrikrat hatte Ludwig Andreas Jordan in seinem Tagebuch dahingehend bewertet, dass die grundsätzliche positive Sicht auf das Vertragswerk »mit zu vielen Wünschen gespickt«318 werde. In das Gutachten schloss er daher den Hinweis ein, dass man nicht den Eindruck zu vieler Sonderwünsche aufkommen lassen wolle. Schließlich liege es bei einem so bedeutenden Vertragswerk in der Natur der Sache, dass einzelne Wirtschaftszweige Nachteile erleiden würden. Der Handels- und Fabrikrat Neustadt-Dürkheim hoffe aber, »daß bei dem nunmehr voraussichtlich entstehenden Wettkampfe in den reichsten Staaten Europas diese Schäden nicht nur ausgeglichen, sondern daß es der deutschen Industrie gelingen werde künftig eine hervorragende Stellung einzunehmen.«319 315 Abschrift des Gutachtens des Handels- und Fabrik-Rathes des Bezirkes NeustadtDürkheim über den Handelsvertrag zwischen den Zollvereins-Staaten und Frankreich, in: AIHK, Bd.  Protocolle des Fabrik- und Handels-Rathes Neustadt-Dürkheim, fol. 103–113, hier fol. 104. 316 Ebd., fol. 107. 317 Ebd., fol. 109. 318 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 7.5.1862, LaS, V153 (Bassermann-­ Jordan), Bd. 46. 319 Abschrift des Gutachtens des Handels- und Fabrik-Rathes des Bezirkes NeustadtDürkheim über den Handelsvertrag zwischen den Zollvereins-Staaten und Frankreich, in: AIHK, Bd. Protocolle des Fabrik- und Handels-Rathes Neustadt-Dürkheim, fol. 113.

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Entsprechend der Bedeutung dieses Vertragswerks war es auch Thema in der Pfälzischen Handels- und Gewerbekammer, wo es gemeinsam mit der Zukunft des Zollvereins und der Erneuerung des handelspolitischen Verhältnisses zwischen dem Zollverein und Österreich zu Beginn des Jahres 1863 diskutiert wurde.320 Die darauf basierende Darstellung und Beurteilung im Jahresbericht der Handels- und Gewerbekammer beginnt mit einer Apotheose des Zollvereins, der in seiner Wirkung als segensreich für die Pfalz geschildert wird. Der vorherige Zustand der handelspolitischen Isolierung habe der Pfälzer Wirtschaft enormen Schaden beigefügt und in diese betrübliche Phase wolle man nicht mehr zurück. Anschließend schildert der Kammerbericht die bereits aus dem Gutachten des Handels- und Fabrikrates Neustadt-Dürkheim bekannten Argumente für den Handelsvertrag. Dabei ist die Argumentation hier noch stärker von der Freihandelstheorie durchzogen, wie sie unter anderem von Adam Smith postuliert und von David Ricardo weiterentwickelt wurde. So erwartete die Handelskammer auf der Basis eines am Freihandel orientierten Vertrags eine intensivere Teilung der Arbeit unter den Nationen. Von dieser internationalen Arbeitsteilung könne sich der Zollverein nicht ungestraft isolieren. Begründet wird diese Argumentation mit Ricardos Theorie der komparativen Kostenvorteile. Dazu führt der Bericht aus: »Nachdem aber die übrigen Industrie-Völker ihre Grenzen geöffnet, concurrirt die deutsche Arbeit nicht mehr unter gleichen Verhältnissen. Denn die unter jenen Völkern durch die Befreiung des Verkehrs vermehrte Teilung der Arbeit und erhöhte Concurrenz auf dem eigenen Markte macht dieselben in allen Industriezweigen concurrenzfähiger, indem jedes Volk die durch den Wettkampf gestachelten wirthschaftlichen Kräfte auf die Productionszweige conzentriert, in welchen es am meisten zu leisten befähigt ist, und indem jedes sich die Mittel der Production und des Unterhalts reichlicher, wohlfeiler und in voller Auswahl des Besten zu Gebote stellt.«321

Die durch den Handelsvertrag bewirkten »freiere[n] Verkehrsverhältnisse«322 würden so zum weiteren Aufschwung in Deutschland beitragen. Dagegen mache der Schutzzoll die geschützten Industriezweige müde und träge, wie man am Beispiel Frankreichs vor dem Cobden-Vertrag sehen könne. Dem Wunsch Österreichs, in den Zollverein aufgenommen zu werden, erteilte die Pfälzische Handelskammer zum jetzigen Zeitpunkt eine klare Absage. Die wirtschaftlichen Bedingungen in Österreich selbst, aber auch die Forderungen, die Österreich für den Falle eines Beitritts stelle, hätten katastrophale Auswirkungen für die Zollvereinswirtschaft. Österreich verlange, »daß die Stagnation in unserer Zollgesetzgebung noch weitere 30 Jahre in Kraft bleibe, daß der 320 Hierzu und zu dem Folgenden: Jahresbericht der Kreis-Gewerbe- und Handelskammer der Pfalz für 1862, Ludwigshafen 1863, S. 11–25. 321 Ebd., S. 16. 322 Ebd., S. 20.

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Zollverein von der dem Weltverkehr sich öffnenden westlichen Völkergruppe Europas sich ausschließen lasse, mit einem Worte, sich selbst zum Siechthum verdamme.«323 Eine Lösung könne nur darin liegen, dass sich Österreich selbst stark mache und empor arbeite, um sich dann dem Zollverein anzuschließen. Da mittlerweile auch die preußische Regierung signalisiert hatte, dass man die Übergangssteuer für Wein abschaffen wolle, meldeten die pfälzischen Weinproduzenten jetzt keinen Reformbedarf für die Bestimmungen des Handelsvertrags mehr an.324 Im Gegenteil drängte die Pfälzische Handels- und Gewerbekammer jetzt die bayerische Regierung zur Unterschrift. So wies man die bayerische Regierung darauf hin, dass die bisherige bayerische Weigerung, den Vertrag zu unterschreiben, unter anderem mit der starken Absenkung des Eingangszolls auf französische Weine begründet worden sei. Das sei aber durch die Abschaffung der Übergangssteuer für die pfälzischen Weinproduzenten unerheblich geworden. Stattdessen solle man sich jetzt zügig dem Handelsvertrag anschließen, denn auf diese Weise werde auch der Zollverein gerettet, »dessen Auflösung wir für das größte Unglück halten würden, das die Pfalz betreffen könne«325. ­Hierin sind auch die entscheidenden wirtschaftlichen Motive für die Unterstützung des Handelsvertrags durch die Pfälzer Winzer zu sehen. Ihnen ging es nicht um einen Export pfälzischer Weine nach Frankreich, sondern vorwiegend um die Sicherung des Zollvereins und die Abschaffung der Übergangssteuer. So hoffte man den Export auf den norddeutschen Markt, der bisher bereits 60 % der pfälzischen Weinernte aufgenommen hatte, zu erhalten bzw. zu steigern.326 Mit ihrer liberalen und freihändlerischen Argumentation stach die Pfälzische Handels- und Gewerbekammer aus der Sichtweise der anderen bayerischen Kammern hervor.327 Die meisten Kammern waren zwar für den Handelsvertrag, hatten aber zahlreiche Änderungsvorschläge und Anregungen und wünschten insbesondere eine stärkere Rücksichtnahme auf Österreich. Dabei wollte man natürlich auf keinen Fall den Fortbestand des Zollvereins gefährden. Klar negativ eingestellt war vor allem die Handels- und Gewerbekammer in Regensburg, die zahlreiche Nachteile für die eigene Industrie fürchtete und eine engere handelspolitische Verbindung mit Österreich einem Handelsvertrag mit Frankreich vorzog.328 323 Ebd., S. 22. 324 Zur Abschaffung der Übergangsabgaben und der Weinsteuer in Preußen siehe Preißer, Steuerharmonisierung, S. 224. 325 Jahresbericht der Kreis-Gewerbe- und Handelskammer der Pfalz für 1862, Ludwigshafen 1863, S. 24. 326 Hahn, Mittelstaaten, S. 115 f. Hahn verweist dort zudem darauf, dass mit diesen Motiven auch die Winzer Rheinhessens und des Rheingaus zu den stärksten Befürwortern des Handelsvertrags zählten. 327 Leonhardy, Gliederung, S. 149 f. 328 Kammerer, Interessenvertretungspolitik, S. 117–119.

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In der Debatte der bayerischen Kammer der Abgeordneten zum Handelsvertrag und zur Zukunft des Zollvereins am 2. Juli 1863 setzte Ludwig Andreas Jordan als Redner der liberalen Fortschrittspartei noch einmal andere Akzente. Zunächst legitimierte er seinen Beitrag in der Debatte mit seiner Position als Vorsitzender der Pfälzischen Handels- und Gewerbekammer. Hier wird deutlich, wie er seine zahlreichen Ämter und Funktionen auch in die Waagschale werfen konnte, um eine wirtschaftspolitische Autorität und Expertise herauszustreichen. Zudem erschien er auf diese Weise nicht mehr als Verkünder individueller Interessen, sondern als Sprecher der pfälzischen Wirtschaft. In seinen anschließenden Ausführungen stellte er den Zusammenhang von Wirtschaft und Politik deutlich heraus. So warnte er vor einer Auflösung des Zollvereins, die einer »Sprengung zwischen Süd- und Norddeutschland«329 gleichkäme. Wirtschaftlichen Wohlstand und nationale Sichtweisen verquickend, fuhr er mit rhetorischen Fragen fort: »Wenn es also zu dieser Sprengung des Zollvereins käme, wenn dann die kalte, nackte Frage vor Sie hinträte, ob Handelsvertrag oder Zollverein? Könnten Sie sich ent­ schließen, das einzige nationale Band, welches wahrhaft die deutschen Stämme umfaßt, zu sprengen? Könnten Sie sich entschließen, die einzige Errungenschaft, die seit fünfzig Jahren in Deutschland gemacht wurde, aufzugeben? Könnten Sie sich entschließen, auf einen Verein Verzicht zu leisten, dem Sie Wohlstand und Reichthum verdanken, und der fast allein deutsche Gesinnung in jeder Beziehung erzeugte und förderte? Meine Herren, ich hoffe, daß diese deutsche Gesinnung stark genug sein wird, die Sprengung des Zollvereins auf alle Fälle zu verhüten.«330

Dass die deutsche Nation damit als kleindeutsch gedacht wird, schwingt impli­ zit mit, was in der damaligen bayerischen Abgeordnetenkammer eine klare Minderheitenposition darstellt. Ludwig Andreas Jordan erweist sich hier, wie auch in den Diskussionen in der Handelskammer, als Vertreter eines »Wirtschaftsnationalismus«, den Andreas Etges als »das sich auf die Idee der Nation als wirtschaftliche Einheit beziehende Handeln«331 definiert. Das ist auch keine Ummäntelung wirtschaftlicher Interessen durch den Nationalismus, sondern ist bei Ludwig Andreas Jordan oder Franz Peter Buhl immer zusammengedacht. Wirtschaftliche Einheit erscheint als ein Weg zur politischen Einheit, und politische Einheit stützt wiederum die Wirtschaft. 329 Rede Ludwig Andreas Jordans in der bayerischen Kammer der Abgeordneten am 2.7.1863, in: Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten des Bayerischen Landtags 1863/65, Stenographische Berichte, Bd. 1, München 1863, S. 36–38, hier S. 38. Zu dieser Kammerdebatte und der Rede Jordans siehe auch Schieder, Partei, S. 32 f. 330 Rede Ludwig Andreas Jordans in der bayerischen Kammer der Abgeordneten am 2.7.1863, in: Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten des Bayerischen Landtags 1863/65, Stenographische Berichte, Bd. 1, S. 38. 331 Etges, Wirtschaftsnationalismus, S. 25.

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Mit der Kündigung der Zollvereinsverträge am 15. Dezember 1863 machte Preußen jetzt offiziell die Verlängerung des Zollvereins von der Annahme des preußisch-französischen Handelsvertrags abhängig. Unter dem Druck der potentiellen Zollvereinsauflösung stimmten die noch zögernden Regierungen dem Vertragswerk und damit der Erneuerung des Zollvereins im Laufe des Jahres 1864 zu. Die Fügung in die wirtschaftliche Notwendigkeit siegte also über die politischen Bedenken, welche die Regierungen in München, Stuttgart, Darmstadt oder Wiesbaden immer noch hegten.332 Der wirtschaftsliberalen Grundausrichtung der Pfälzischen Handels- und Gewerbekammer, die sich in den Diskussionen um den Handelsvertrag und den Zollverein deutlich zeigte, entsprachen auch die Forderungen auf anderen Gebieten. Der Staat sollte die Rahmenbedingungen für die wirtschaftliche Entwicklung schaffen, vor allem im Bereich des Verkehrs und der Kommunikation, ansonsten setzte man jedoch auf Deregulierung und das freie Spiel der Marktkräfte. Deutlich wird das zum Beispiel bei der Stellungnahme der Kammer zur Gewerbegesetzgebung im Januar 1863. Da in der Pfalz bereits seit der französischen Zeit die Gewerbefreiheit eingeführt war, sah man sich hier als Vorreiter und begrüßte die allgemeine Tendenz im Deutschen Bund, die Beschränkungen aufzuheben. Die positive wirtschaftliche Entwicklung des Pfalzkreises führte man unter anderem auf das Recht seiner Bevölkerung zurück »über ihr Eigenthum, ihr Talent, ihr Capital, ihre Arbeit, ihren Grund und Boden ganz nach persönlichem Ermessen und zum eigenen Vortheil, unbehindert durch zünftige oder erschwerende communalgesetzliche Bestimmungen verfügen zu dürfen«333. So, wie sich die Gewerbefreiheit in den deutschen Ländern überall durchsetze, sei es auch nötig, die »allgemeine deutsche Freizügigkeit«334 einzuführen. Die Folgen von Gewerbefreiheit und Freizügigkeit werden anschließend in die Konkurrenz der Nationen eingeordnet, denn sie werden dem »nationalen Gewerbfleiß das Selbstvertrauen in die eigene Kraft, das volle Bewußtsein seiner Stärke geben, das ihm noch vielfach abgeht und dessen er doch vor Allem bedarf, um seinen Beruf zur erfolgreichen Mitbewerbung auf den großen Weltmärkten und zur Hebung des Nationalreichthums freudig zu erfüllen.«335

Hier, wie auch in den anderen Stellungnahmen der Kammer ab 1860, ist nichts mehr zu spüren von den zaghaften Anfängen der Pfälzischen Handelskammer in den 1840er Jahren, als man die pfälzische Wirtschaft mit Schutzzöllen vor starker Konkurrenz bewahren wollte – eine Forderung, die auch Jordan in dieser Zeit 332 Hahn, Geschichte des deutschen Zollverein, S. 177–179. 333 Jahresbericht der Kreis-Gewerbe- und Handelskammer der Pfalz für 1862, Ludwigshafen 1863, S. 10. Zur pfälzischen Gewerbeordnung siehe Höfle, Gewerbe­ordnung. 334 Jahresbericht der Kreis-Gewerbe- und Handelskammer der Pfalz für 1862, Ludwigshafen 1863, S. 10. 335 Ebd.

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vertrat und die auch noch in zahlreichen Pfälzer Petitionen an die Paulskirche 1848/49 erhoben wurde. Zuletzt wurde sie noch im Jahresbericht der Handelskammer von 1859 vertreten.336 Die pfälzische Wirtschaft agierte jetzt, in den 1860er Jahren, selbstbewusst, immer den Blick auf die deutschen Entwicklungen gerichtet. Man fürchtete keine Konkurrenz mehr zu den anderen Ländern. Stattdessen suchte man geradezu den wirtschaftlichen Wettbewerb, um zu beweisen, dass man zu den mächtigsten und fortschrittlichsten Nationen der Welt gehörte. Daran zeigt sich auch, wie stark man über die Pfalz und Bayern hinausdachte. Man blickte selbstsicher auf den nationalen und internationalen Markt. Zu dieser Positionierung hatten unterschiedliche Faktoren beigetragen. Zum einen spielte die wirtschaftliche Dynamik im kleindeutschen Wirtschaftsraum der 1850er und vor allem 1860er Jahre eine große Rolle. Dort fand, eingebettet in eine weltweite Hochkonjunkturperiode zwischen 1850 und 1873, ein großes industrielles Wachstum statt.337 Zum anderen schlugen sich hier politische Entwicklungen nieder. Das wird deutlich, wenn man sich die Jahresberichte Jahr für Jahr vornimmt. Dort findet eine zunehmende Amalgamierung eines wirtschaftlichen Selbstvertrauens mit nationalistischen Sichtweisen statt. Auch hier stößt man also wieder auf den bereits oben beschriebenen Wirtschaftsnationalismus. Diese Position findet sich erstmals im Jahresbericht für das Jahr 1859, der Anfang 1860 verfasst wurde. Offensichtlich hatte die »Neue Ära« mit der Ablösung des preußischen Königs Friedrich Wilhelms IV. durch Prinzregent Wilhelm, aber auch dem Regierungswechsel in Bayern im März 1859 zu einem selbstbewussteren Auftreten des Wirtschaftsbürgertums geführt, das seine wirtschaftlichen und nationalen Ambitionen wieder deutlicher zu Gehör brachte. Hierzu trugen auch die Auseinandersetzungen um die italienische Einigung bei, die der deutschen Bevölkerung vor Augen führten, wie erfolgreich eine Nationalbewegung agieren konnte. Gleichzeitig politisierten und pola­ri­ sierten die Diskussionen um eine potentielle Unterstützung des Kaiserreichs Österreich im italienischen Krieg die deutsche Öffentlichkeit. Umstritten war, ob der Deutsche Bund an der Seite Österreichs in den Krieg eingreifen müsse.338 Damit hielt ein Gefühl der Bewegung in der nationalen Frage Einzug, unterstützt durch die jetzt erkennbaren Erfolge der deutschen Wirtschaft.339 In diesem Kontext sind die Jahresberichte der Kammer ab dem Jahre 1859 zu interpretieren. So hielt der Jahresbericht 1859 fest, dass man an eine entschei 336 Hahn, Der Deutsche Zollverein und die Revolution von 1848/49, S. 64–66. 337 Wehler, Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, S. 66–99. 338 Ebd., S. 228–233. 339 Auf den Einfluss der »Neuen Ära« auf den Wirtschaftsnationalismus verweist auch Etges, Wirtschaftsnationalismus, S. 123. Er macht allerdings nicht deutlich, dass sich diese Sichtweise auch auf eine mittlerweile stärkere kleindeutsche Wirtschaftsleistung stützen konnte, so dass die deutsche Wirtschaft jetzt konkurrenzfähiger erscheint als noch vor der Märzrevolution.

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dende Weichenstellung für die deutsche Wirtschaft gelangt sei. Unter Verweis auf die frühere Weltgeltung der deutschen Wirtschaft, wie sie zum Beispiel die Hanse verkörpert habe, gelte es jetzt, die Zukunft für die deutsche Wirtschaft so zu gestalten, dass sie wieder eine große Rolle spielen könne. Auch in den folgenden Jahresberichten wird die Dynamik der deutschen Wirtschaft in den Rahmen der internationalen Wirtschaftsbeziehungen und damit auch der internationalen Politik gestellt. Hier erscheint die deutsche Wirtschaft als Mittel, um eine machtvolle deutsche Position in der Welt herbeizuführen. So hielt der Jahresbericht für 1862 apodiktisch fest, dass die »Weltstellung« der Staaten »hauptsächlich von dem Grade der Entwicklung ihrer volkswirthschaftlichen Zustände abhängig ist«340. Aus dieser Sicht ist es nur folgerichtig, dass auch Ereignisse wie die von 1860 bis 1862 durchgeführte preußische Ostasienexpedition besonders hervorgehoben werden, mit der sich die Hoffnung verbinde, dass sie »den Erzeugnissen deutschen Fleißes auch in jenen fernen Ländern Geltung und Zugang«341 verschaffe. In diesem Zusammenhang forderte die Pfälzische Handels- und Gewerbekammer auch die Einrichtung einer deutschen Flotte, um die »deutschen Interessen« und die »deutsche Weltstellung« durchzusetzen. Diese Forderung findet sich dann im Jahresbericht 1864 wieder, als die preußisch-österreichische Koalition den Krieg gegen Dänemark um Schleswig und Holstein »mit deutschem Blut für Deutschland«342 entscheiden konnte. Die Ideen von 1848, durch die Reaktionsperiode der 1850er Jahre unter den Teppich gekehrt, tauchten hier wieder auf, denn die Einrichtung einer deutschen Flotte war am 14. Juni 1848 einer der ersten Beschlüsse der Paulskirchenversammlung gewesen.343 Mit jedem Jahr wurden die allgemeinen politischen Erörterungen der Handelskammer breiter, sodass man sich im Jahresbericht von 1863 dazu bemüßigt fühlte, diese ausführlichen politischen Einlassungen zu begründen. Diese seien 340 Jahresbericht der Kreis-Gewerbe- und Handelskammer der Pfalz 1862, Ludwigshafen 1863, S. 4. Auf die Verbindung von wirtschaftlicher und politischer Macht hatte ­Friedrich List bereits 1842 in seinem Hauptwerk über »Das nationale System der politischen Ökonomie« hingewiesen: »Die Zivilisation, die politische Ausbildung und die Macht der Nationen werden hauptsächlich durch ihre ökonomischen Zustände bedingt, und umgekehrt. Je mehr ihre Ökonomie entwickelt und vervollkommnet ist, desto zivilisierter und mächtiger ist die Nation; je mehr ihre Zivilisation und Macht steigt, desto höher wird ihre ökonomische Ausbildung steigen können.« Siehe List, System, S. 63. 341 Jahresbericht der Kreis-Gewerbe- und Handelskammer der Pfalz 1861, Ludwigshafen 1862, S. 10. Dort auch die folgenden Zitate. Die preußische Regierung hatte die Vollmacht der Zollvereinsstaaten erhalten, in ihrem Namen Handelsverträge mit den asiatischen Staaten abzuschließen. Diese wurden mit Japan, China und Siam abgeschlossen. Siehe Martin,­ Prussian Expedition; Fenske, Zuschauer, S. 117–119; Türk, Kolonialpläne. 342 Jahresbericht der Kreis-Gewerbe- und Handelskammer der Pfalz 1864, Ludwigshafen 1865, S. 4. 343 Moltmann, Flotte. Zum Aufbau der deutschen Flotte gingen 1848/49 zahlreiche Spenden deutscher Patrioten in Frankfurt ein. Auch Ludwig Andreas Jordan gehörte zu den eifrigen Spendern. Siehe Becker, Pfalz, S. 276.

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notwendig, da das Gedeihen von Gewerbe und Handel von den politischen Umständen abhänge. In Bezug auf die Auseinandersetzungen um Schleswig-Holstein betonte die Handelskammer anschließend: »Wo es sich um nationales Mein und Dein handelt, wird auch über die Privatinteressen des bürgerlichen Lebens entschieden.«344 Auch über den zukünftigen Weg zu einem deutschen Nationalstaat machte sich die Handelskammer Gedanken. Hier wählte man den Deutschen Zollverein als Ansatzpunkt. Damit griff man auch in diesem Punkt auf die Ideen der 1840er Jahre zurück, wie sie insbesondere von dem rheinpreußischen Industriellen, Bankier und politisch engagierten Liberalen David Hansemann vertreten wurden. Als bekannte Liberale 1847 auf der Heppenheimer Versammlung über einen zukünftigen deutschen Nationalstaat diskutierten, setzte sich Hansemann mit seiner Option für den Ausbau des Zollvereins durch.345 Diese Option erschien jetzt wieder attraktiv. So bat die Handelskammer in ihrem Bericht von 1861 den bayerischen König, sich für eine Erweiterung des Zollvereins um die Hansestädte und eine Reform des Zollvereins stark zu machen. Die bisherige Zollvereinsversammlung durch Regierungsvertreter sei nicht ausreichend. Hinzukommen müsse noch eine Vertretung der Bevölkerung. Dann könne man auch die bisherige Einstimmigkeitsregel bei Abstimmungen durch Mehrheitsentscheidungen ersetzen.346 Diese häufig vorgetragene liberale Forderung wurde von Bismarck 1867/68 mit der Einrichtung des Zollparlaments aufgegriffen.347 Wie zu erwarten, begrüßten der Handelsrat Neustadt-Dürkheim und die pfälzische Handels- und Gewerbekammer aus dieser wirtschaftsnationalen Sicht den Vorschlag des badischen Handelstages vom 6. Juni 1860, einen deutschen Handelstag einzurichten. Diese Vertretung der »deutsch-nationalen Handels- und Gewerbsinteressen«348 hielt man für sehr wichtig, unter anderem, um den deutschen Anliegen in den Handelsbeziehungen mit den überseeischen Ländern mehr Gehör zu verschaffen.349 344 Jahresbericht der Kreis-Gewerbe- und Handelskammer der Pfalz 1863, Ludwigshafen 1864, S. 9. 345 Düwell, Hansemann; Etges, Keim, S. 108. Zu Hansemanns Sicht auf den Zollverein in dieser Zeit siehe auch Boch, Zollverein, S. 148 f. Die ausführlichste Darstellung der Heppenheimer Versammlung bietet Hoede, Heppenheimer Versammlung. 346 Jahresbericht der Kreis-Gewerbe- und Handelskammer der Pfalz 1861, Ludwigshafen 1862, S. 12. Zu ähnlichen Forderungen in dieser Zeit siehe Etges, Wirtschaftsnationalismus, S. 125, 129. 347 Zu den Reformvorschlägen der Liberalen in den 1860er Jahren siehe Etges, Keim, S. 116; Hahn, Der Deutsche Zollverein und die nationale Verfassungsfrage, S. 168–171. Zu Bismarcks Sicht auf den Zollverein siehe Meyer, Der Zollverein und die deutsche Politik Bismarcks. 348 Jahresbericht der Kreis-Gewerbe- und Handelskammer der Pfalz 1860, Ludwigshafen 1861, S. 7. 349 Protocoll der XII. Sitzung des Handels- und Fabrikraths Neustadt-Dürkheim am 30.6.1860, in: AIHK, Bd. Protocolle des Fabrik- und Handels-Rathes Neustadt-Dürkheim, fol.

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4.4.3 Der kleindeutsche Vermittler: Im Ausschuss des Deutschen Handelstages Der erste Deutsche Handelstag trat am 13. Mai 1861 in Heidelberg zusammen. Die Idee zur nationalen Organisierung der handelspolitischen Interessen war aber schon seit Beginn des Jahres 1860 im Gespräch und wurde von kleindeutsch orientierten Liberalen lanciert. Das Strippenziehen hinter den Kulissen und die Versuche, Foren zur kleindeutschen Agitation aufzubauen, beschreibt Andreas Biefang im Hinblick auf den Kongress deutscher Volkswirte, den Nationalverein und den Deutschen Handelstag ausführlich.350 Zunächst versuchte man, den zu Beginn des Jahres 1860 erstmals tagenden preußischen Handelstag für eine Initiative zu gewinnen. Dessen Präsident, der eher großdeutsch orientierte Bankier David Hansemann, stemmte sich jedoch gegen den Versuch, den preußischen Handelstag für »nationalpolitische Ziele […] einspannen zu lassen«351. Jetzt übernahm der badische Handelstag die entscheidende Rolle, der am 14. Mai 1860 erstmals seit 1848 wieder zusammentrat. Der Aufruf zum ­badischen Handelstag wurde am 6. Mai 1860 im Heidelberger Tageblatt ver­öffentlicht, einen Tag nachdem dort der Vorstand des seit 1859 bestehenden Deutschen Nationalvereins zu einer Sitzung zusammengekommen war.352 In die Verhandlungen des badischen Handelstags brachte Theodor Frey, ein Kaufmann aus Eberbach am Neckar, den Antrag ein, eine Versammlung einzuberufen, an der Vertreter aus allen Zollvereinsstaaten teilnehmen sollten. Ihre Hauptaufgabe solle darin bestehen, sich für einheitliche Maße, Gewichte, eine einheitliche Währung und ein allgemeines deutsches Handelsgesetzbuch einzusetzen. Außerdem solle man für eine Vertretung der deutschen Handelsinteressen im Ausland sorgen.353 In der Begründung des Antrags führte Frey die Motive ausführlich aus und ordnete sie in einen politischen Rahmen ein. Hierbei bedauerte er den »Mangel an Einheit«, der sowohl die politische Macht als auch die wirtschaftliche Macht Deutschlands schwäche. Das werde im Welthandel besonders deutlich, wo die Kaufleute nicht denselben Schutz genießen würden wie diejenigen aus den anderen europäischen Ländern. In politischer Hin78 f.; Protocoll der XV. Sitzung des Handels- und Fabrikraths Neustadt-Dürkheim am 18.4.1861, in: AIHK, Bd. Protocolle des Fabrik- und Handels-Rathes Neustadt-Dürkheim, fol. 84. 350 Hierzu und zu dem Folgenden: Biefang, Politisches Bürgertum, S. 207–220. 351 Ebd., S. 210. 352 Der Deutsche Nationalverein war ein länderübergreifender Verein von Demokraten und Liberalen, mit dem Ziel, einen deutschen Nationalstaat unter preußischer Führung zu schaffen. Die ausführlichste Darstellung des Nationalvereins ist Na’aman, Nationalverein. Die Vorstandsprotokolle sind ediert von Biefang (Hg.), Der Deutsche Nationalverein 1859–1867. 353 Antrag Theodor Freys an den Badischen Handelstag am 14.5.1860 in Heidelberg, in: Deutscher Industrie- und Handelstag (Hg.), Der Deutsche Industrie- und Handelstag in seinen ersten hundert Jahren, S. 54.

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sicht sah er kaum Veränderungsmöglichkeiten. Im handelspolitischen Bereich liege eine Einheit jedoch im Bereich des Möglichen. Wenn ein einheitlicher Wirtschaftsraum geschaffen sei, würden die deutsche Industrie und der Handel aufblühen. Bisher hätten sich Handel und Gewerbe mit unterschiedlichen zum Teil sich widersprechenden Forderungen an ihre jeweilige Staatsregierung gewandt. Das habe eine einheitliche Organisation des deutschen Wirtschaftsraumes erschwert. Deswegen sei es an der Zeit, gemeinsame Beschlüsse zu fassen und mit einheitlichen Forderungen an die Regierungen heranzutreten.354 In der älteren Literatur zur Entstehung des Handelstages wurde die Position vertreten, dass der eher unbekannte Theodor Frey diesen Antrag isoliert eingebracht habe. Andreas Biefangs Forschungen legen jedoch nahe, dass Theodor Frey als Sprachrohr kleindeutscher Agitatoren fungierte.355 Dabei laufen die Fäden bei Buhl zusammen. Die Familie Frey stammte aus Neustadt in der Pfalz. Der Vater von Theodor Frey hatte als Verwalter des Bankhauses Bouchet an Andreas Jordan bereits in der Franzosenzeit einen Wingert verkauft.356 Theodor und sein Bruder Ludwig waren Teilnehmer des Hambacher Fests 1832 gewesen, woraufhin Theodor Frey 1833 nach Frankreich emigrierte und später nach Baden übersiedelte. Freys Bruder Ludwig war seit 1859 Herausgeber der in ­Ludwigshafen erscheinenden Tageszeitung Pfälzischer Kurier, die vor allem die Position des Nationalvereins vertrat und eine Plattform für die politischen Botschaften der liberalen Pfälzer darstellte.357 Im April 1860 traf sich Ludwig Frey mit dem Vorsitzenden des Nationalvereins, Rudolf von Bennigsen, und Franz Peter Buhl auf dessen Weingut.358 Auch der zweite Bruder Theodor Freys taucht im Dunstkreis von Jordan und Buhl auf. Philipp Frey wurde 1858 zum Direktor der BayerischPfälzischen Dampfschleppschifffahrtsgesellschaft in Ludwigshafen bestellt, bei der Ludwig Andreas Jordan als stellvertretender Vorsitzender des Verwaltungsrates amtierte.359 Insofern erscheint es durchaus naheliegend, dass Theodor Frey bei seinem Antrag an den badischen Handelstag nicht isoliert agierte, sondern die ganze Aktion umfassender geplant war. Freys Antrag wurde vom Badischen Handelstag einstimmig angenommen, der die Heidelberger Handelskammer mit der Vorbereitung eines deutschen Handelstags beauftragte. Diese stellte am 6. Juni 1860 in einem Schreiben an 354 Begründung der Beschlüsse des Badischen Handelstages durch Theodor Frey, in: Ebd., S. 55–57, hier S. 57. 355 Hierzu und zu dem Folgenden: Biefang, Politisches Bürgertum, S. 210 f. 356 Siehe Kapitel 2. 357 Joeckle, Pfälzer Zeitung, S. 226. Zum Lebenslauf Freys siehe Süss, Pfälzer im »Schwarzen Buch«, S. 58 f. Ludwig Frey nahm auch an der ersten Generalversammlung des Nationalvereins vom 3.–5.9.1860 in Coburg teil. Siehe Scherer, Kirchengeschichte, S. 152, Anm. 27. 358 Biefang, Politisches Bürgertum, S. 211. 359 Zu dieser Personalie und der Verwandtschaft mit Ludwig und Theodor Frey siehe Ludwig Andreas Jordan an Seraphine Jordan, Deidesheim, 28.7.1858; Briefsammlung Hauck, Briefe 1849–1858. Zu der Gesellschaft siehe Kapitel 4.3.2.

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91 Handelsvorstände den Vorschlag vor und bat die Handelsvorstände um ihre Einschätzung, ob man einen Deutschen Handelstag für sinnvoll halte und bereit sei, daran teilzunehmen.360 Der Handels- und Fabrikrat Neustadt-Dürkheim begrüßte in seiner Sitzung am 30. Juni die Initiative und beschloss, Ludwig Andreas Jordan als Vertreter zum Deutschen Handelstag zu schicken.361 Die Antworten an die Heidelberger Kammer fielen insgesamt durchwachsen aus, wobei eine Mehrheit den Aufruf begrüßte.362 Die gemischten Reaktio­ nen hingen unter anderem damit zusammen, dass das bayerische Ministerium des Handels den Handels- und Fabrikräten in Bayern nahegelegt hatte, nicht an einer solchen Veranstaltung teilzunehmen. Diese Haltung begründete das Ministerium damit, dass der Handelstag eine Privatversammlung darstelle und nicht von der bayerischen Regierung eingeleitet worden sei. Daher sei eine Teilnahme öffentlicher Institutionen nicht angebracht. Einige bayerische Kammern hielten sich an diese Empfehlung. Andere Handelsgremien hielten den Zeitpunkt für die Einberufung eines deutschen Handelstags nicht für geeignet. Unterschiedliche Meinungen bestanden auch in der Frage, wie der Teilnehmerkreis aussehen sollte. Frey hatte in seinem Antrag von den Zollvereinsstaaten gesprochen und auch die badische Handelskammer hielt eine Beschränkung auf die Zollvereinsstaaten und die Hansestädte, die nicht Mitglied im Zollverein waren, für sinnvoll. Auch Ludwig Andreas Jordan hatte in seinem Schreiben an die Heidelberger Handelskammer gefordert, den Teilnehmerkreis auf die Zollvereinsstaaten zu beschränken. Als Begründung führte er an, dass die »Interessen Oesterreichs […] derzeit von jenen des übrigen Deutschlands noch allzu verschieden [sind], um nicht befürchten zu müssen, daß eine Versammlung aus diesen Gebieten zu keiner gedeihlichen Einigung führen wird.«363 Manchen Handelsgremien erschien es allerdings besonders wichtig, auch Österreich hinzuzuziehen.364 Daraufhin richtete die Heidelberger Handelskammer am 15. August 1860 ein erneutes Schreiben an die Handelsvorstände, um sich ein Meinungsbild zu verschaffen.365 Auf der Basis der Rückmeldungen entschloss man sich, einen allgemeinen deutschen Handelstag unter Einbezug Österreichs 360 Deutscher Handelstag (Hg.), Der Deutsche Handelstag, Bd. 1, S. 3. Das Schreiben ist abgedruckt in: Schupp/Wettstein, Entstehungsgeschichte, S. 9 f. 361 Protocoll der XII. Sitzung des Handels- und Fabrikraths Neustadt-Dürkheim am 30.6.1860, in: AIHK, Bd.  Protocolle des Fabrik- und Handels-Rathes Neustadt-Dürkheim, fol. 78 f. 362 Auszüge aus zahlreichen Antworten liefern Schupp/Wettstein, Entstehungsgeschichte, S. 10–33. 363 Auszug aus dem Schreiben des Vorsitzenden der Pfälzischen Handels- und Gewerbekammer an die Heidelberger Handelskammer, in: Schupp/Wettstein, Entstehungsgeschichte, S. 28. 364 Hierzu und zu dem Folgenden: Deutscher Handelstag (Hg.), Der Deutsche Handelstag, Bd. 1, S. 4–6. 365 Das Schreiben ist abgedruckt in: Schupp/Wettstein, Entstehungsgeschichte, S. 23 f.

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in Heidelberg zu organisieren. Die offiziellen Einladungen gingen dann an die Handelsvorstände in den deutschen Ländern und den deutschsprachigen Landesteilen Österreichs. Darin wurde betont, dass diese bei Fragen, die den Zollverein betrafen, kein Stimmrecht hätten. Mittlerweile hatte auch die bayerische Regierung ihre Opposition gegen das Projekt aufgegeben, sodass einer Teilnahme der bayerischen Gremien nichts mehr im Wege stand. Zur Vorbereitung des Handelstages setzte die Heidelberger Handelskammer eine Vorkommission ein. Diese sollte die eingegangenen Anträge für die Verhandlungen sichten und eine Tagesordnung erstellen. Die aus 29 Mitgliedern bestehende Vorkommission tagte vom 3.–11. Mai 1861. Daran beteiligt waren auch Ludwig Andreas Jordan und im wissenschaftlichen Beirat sein enger Freund, der Heidelberger Geschichtsprofessor und Führer der Liberalen im badischen Landtag Ludwig Häusser.366 Die Tagesordnung sah unter anderem vor, dass über die Einführung einheitlicher Maße, Gewichte und Münzen gesprochen werden solle. Weitere Themen waren der Entwurf des allgemeinen deutschen Handelsgesetzes, die zukünftige Entwicklung des Zollvereins und die Beseitigung der unterschiedlichen Behandlung deutscher Kaufleute im Ausland.367 In der Schlusssitzung der Vorkommission am 11. Mai erfuhr Jordan, dass er als ein Kandidat für den Vorsitz des Handelstages auserkoren sei. Diese Vorstellung behagte ihm nicht, und er hoffte, dass der Kelch an ihm vorüberziehen würde.368 Bei einer Besichtigung des Heidelberger Schlosses mit mehreren Kollegen am nächsten Tag, bei der auch die Kandidatenfrage besprochen wurde, machte Ludwig Andreas Jordan deutlich, dass er nicht gewählt werden wolle, da ihm die »nothwendige Geschäftsgewandheit«369 fehle. Daraufhin wurden David Hansemann aus Berlin und der Danziger Getreide- und Holzhändler Heinrich Behrend als mögliche Kandidaten vorgeschlagen. Nach der gründlichen Vorbereitung durch die Vorkommission versammelte sich der erste deutsche Handelstag am 13. Mai 1861 in der Aula der Universität, die festlich in schwarz-rot-gold geschmückt war – auch symbolisch machte man also deutlich, dass es sowohl um Wirtschaft, als auch um Politik ging. In der Eröffnungsrede des badischen Handelsministers Gideon Weizel, betonte dieser nicht nur die Vorteile einer einheitlichen Willensbildung der Wirtschaftsvertreter für die Regierungen, sondern verwies auch auf die nationalen Im­ plikationen. Er hoffte, dass die Einigung im Bereich der Wirtschaft auch zu einer

366 Fuchs, Häusser. 367 Die Tagesordnung ist abgedruckt in: Deutscher Handelstag (Hg.), Der Deutsche Handelstag, Bd. 1, S. 8. 368 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 11.5.1861, LaS, V153 (BassermannJordan), Bd. 45. 369 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 12.5.1861, LaS, V153 (BassermannJordan), Bd. 45.

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politischen Einigung Deutschlands mit entsprechenden Institutionen führen werde.370 Diese Passage erntete lebhaften Beifall und wurde auch von Ludwig Andreas Jordan in seinem Tagebuch begeistert aufgegriffen.371 Der umstrittenste Punkt auf dem ersten deutschen Handelstag war dann die Satzung.372 Die von der Vorkommission vorgesehene Einrichtung eines »bleibenden Ausschusses« zur Leitung der laufenden Geschäfte und eines Zentralbüros wurde zum Teil als unnütz kritisiert. Zudem lehnten vor allem die süddeutschen Vertreter den Antrag ab, beide Institutionen in Berlin einzurichten. Ihr Vorschlag, das Zentralbüro und die Sitzungen des Ausschusses rotieren zu lassen, wurde jedoch als wenig praktikabel angesehen. In der Abstimmung setzte sich der Vorschlag der Vorkommission über die Einrichtung von Ausschuss und Zentralbüro durch. In der Sitzfrage erhielt Berlin die Mehrheit. Bei der Wahl des 15-köpfigen Ausschusses wurde auch Ludwig Andreas Jordan mit 33 Stimmen als letztes Mitglied gewählt. Nach der hitzigen Debatte über die Institutionalisierung und den Sitz drohte die Stimmung auf dem Handelstag zu kippen. Als Ludwig Andreas Jordan abends den großen Saal des Hotels Schrieder betrat, in dem er logierte, traf er auf eine Versammlung von ca. 100 Kollegen, die heftig über die Entscheidungen des Tages diskutierten. Diese wurden als »Terrorismus des Nordens«373 bezeichnet und mit dem Austritt aus dem Handelstag gedroht. Jordan verwendete alle Mühe darauf, die Gemüter zu beruhigen. Er ging allerdings mit dem Gefühl ins Bett, dass es nur einer unglücklichen Entscheidung zur Sprengung des Handelstages bedürfe. Ein solches Ereignis würde dann »in traurigster Weise […] constatiren, daß eine Einigung der deutschen Stämme noch in weiter Ferne steht«374. Dieses Ereignis trat in den folgenden Tagen nicht ein. Da man bereits am ersten Tag gesehen hatte, wie rasch politische Kontroversen aufbrechen konnten, bemühte sich vor allem Hansemann darum, jegliche Klippe zu umschiffen. Bei den Sachthemen herrschte weitgehende Einigkeit. So legte man in der Debatte über einheitliches Maß, Münze und Gewicht Details für die Forderungen an die Re 370 Die Rede Weizels ist abgedruckt in: Deutscher Handelstag (Hg.), Der Deutsche Handelstag, Bd. 1, S. 9 f. Zur politischen Haltung der badischen Regierung in dieser Zeit, die eine kleindeutsche Reichgründung unter preußischer Führung anstrebte, siehe Biefang, Politisches Bürgertum, S. 213. 371 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 13.5.1861, LaS, V153 (BassermannJordan), Bd. 45. 372 Zur Diskussion über die Satzung siehe Biefang, Politisches Bürgertum, S.  215–217; Deutscher Handelstag (Hg.), Der Deutsche Handelstag, Bd. 1, S. 12–20. 373 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 13.5.1861, LaS, V153 (BassermannJordan), Bd. 45. Zu den süddeutschen und österreichischen Empfindungen und dem mäßigenden Einfluss der Pfälzer, Badener und Frankfurter Vertreter siehe auch o.V.: Der deutsche Handelstag und seine drei Generalversammlungen, S. 557. 374 Ebd.

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gierungen fest.375 Wenig kontrovers waren auch die Wünsche nach einer einheitlichen Behandlung der deutschen Staaten durch das Ausland bei Handels- und Schifffahrtsverträgen und nach Abschaffung der noch bestehenden Flusszölle. Diskutiert wurde auch der Entwurf des deutschen Handelsgesetzbuchs.376 Hier plädierten einige Vertreter für eine bedingungslose Annahme, da man so endlich eine einheitliche Regelung für den Deutschen Bund erreiche, wohingegen andere Nachbesserungen in bestimmten Punkten forderten. Da man sich nicht einigen konnte, wurde das Thema an den Ständigen Ausschuss verwiesen. Selbst in der Debatte über die Entwicklung des Zollvereins gelang es, Einigkeit herzustellen. Hierfür war Hansemann mit seiner eher großdeutschen Orientierung prädestiniert.377 Da die Zollvereinsverträge Ende 1865 ausliefen und erneuert werden mussten, bot sich die Gelegenheit, Reformvorschläge zu besprechen. Hier einigte man sich auf die Forderung, die Verträge durch eine Verfassung zu ersetzen. Bei der Gesetzgebung sollte zu der Vertretung der Regierungen auch noch eine Vertretung der Zollvereinsbevölkerung hinzukommen. Diese beiden Organe sollten nach Mehrheit abstimmen und nicht mehr wie bisher mit Einstimmigkeit. Zudem wünschte man eine gemeinsame Vertretung des Zollvereins im Ausland durch Konsular-Agenten und eine gemeinsame Flagge der Zollvereinsstaaten. Auch eine zukünftige Beteiligung Österreichs am Zollverein wurde befürwortet – eine Entscheidung, die bei vielen süddeutschen Vertretern für Genugtuung sorgte. Nach den Plenarsitzungen traf sich der bleibende Ausschuss zu seiner konstituierenden Sitzung. Dieser wählte Hansemann zum Präsidenten und beschloss innerhalb der nächsten sechs Wochen in Berlin zusammenzukommen. Die Ergebnisse des ersten deutschen Handelstages bewertete Ludwig Andreas ­Jordan verhalten positiv. Seine Bedeutung sah er vor allem im Symbolischen, denn »[s]ein Zustandekommen beweise den Drang des deutschen Volkes zusammen zu gehören«378. Diese politische Sicht auf den deutschen Handelstag hatte er be 375 Zu den einzelnen Verhandlungsgegenständen siehe Gensel, Der Deutsche Handelstag in seiner Entwicklung, S. 7–11. 376 Zum Projekt eines Deutschen Handelsgesetzbuches siehe Müller, Deutscher Bund und deutsche Nation, S. 412–418; Rumpler, Das »Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch«. Das »Deutsche Handelsgesetzbuch« wurde am 31. Mai 1861 von der Bundesversammlung des Deutschen Bundes beschlossen und in der Folgezeit in den einzelnen Ländern des Deutschen Bundes eingeführt. 377 Hansemann sah in einer kleindeutschen Reichsgründung unter preußischer Führung keine realistische Option, da sie den Widerstand des Auslands, Österreichs und der Mittelstaaten hervorrufen würde. Er hielt daher eine zunehmend engere Verbindung zwischen Preußen, Österreich und den Mittelstaaten für die einzig mögliche Alternative. Dazu sollte unter anderem auch der Zollverein entsprechend erweitert werden. Siehe Bergengrün, Hansemann, S. 712, 746. Bergengrün versucht allerdings immer wieder Hansemanns letztendlich gescheiterte Option aus den Umständen heraus zu rechtfertigen und Hansemann auf diese Weise als den einzig wahren liberalen »Realpolitiker« (S. 746) zu porträtieren. 378 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 18.5.1861, LaS, V153 (BassermannJordan), Bd. 45.

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reits in einem Brief an Franz Peter Buhl unterstrichen, den er während der Sitzungen der Vorkommission aus Heidelberg abgesandt hatte: »Es ist dieses auch ein Parlament in seiner Art, das gewiß in wirksamer Weise Propaganda macht. Politische Beschlüsse werden wohl nicht gefaßt werden. Allein Alles was die Zusammengehörigkeit fester knüpft, stärkt ueber der materiellen Wohlfahrt auch das Bedürfniß politisch einig zu werden.«379

Mit seinem neuen Amt im bleibenden Ausschuss des deutschen Handelstages rückte Jordan in eine Organisation ein, durch die er seinen Horizont weit über Bayern hinaus öffnete und neue Kontakte zu wirtschaftlichen und politischen Eliten knüpfen konnte. Insbesondere entwickelte der Ausschuss enge Beziehungen zur preußischen Regierung. In Audienzen bei Handelsminister August von der Heydt, Gesprächen mit dem einflussreichen Ministerialdirektor ­Rudolph von Delbrück oder später auch Bismarck legte der Ausschuss des Handelstages seine Position dar und versuchte, die Regierungspolitik zu beeinflussen.380 ­Biefang unterschätzt diese direkten Kontakte, die er nur im Umfeld der Gene­ralversammlungen vermutet, die aber auch, wie Jordans Tagebucheinträge zeigen, während der Ausschusssitzungen und darüber hinaus stattfanden.381 Auf diese Weise erhielt Jordan auch einen Zugang zur politischen Führungsriege Preußens. Damit stieg auch sein ohnehin hohes Ansehen in der Pfalz weiter an. So schickte zum Beispiel der Vertreter des Handelsrates Landau, Simon Levi, nach dem Heidelberger Handelstag einen Dankesbrief an Jordan und lobte seinen Einsatz für die Pfalz durch sein Engagement in der Vorkommission, dem Handelstag und dem bleibenden Ausschuss, das er »ohne Rücksicht auf Opfer an Geld und Zeit«382 auf sich genommen habe. Bereits am 24. Juni traf sich der Ausschuss des Handelstages in Berlin, um die weiteren organisatorischen Details zu klären. Dabei unterlag Ludwig Andreas Jordan mit seinem Vorschlag, den Syndikus der Breslauer Handelskammer und Ausschussmitglied Dr. Hermann Weigel zum Generalsekretär zu ernennen.383 Damit wäre ein Mitglied des Kongresses deutscher Volkswirte und des Nationalvereins in eine Schlüsselstellung befördert worden, was Hansemann als 379 Ludwig Andreas Jordan an Franz Peter Buhl, Heidelberg, 6.5.1861, BaK, N1754 (Buhl), Bd. 7. 380 Zu diversen Audienzen bei Regierungsmitgliedern und entsprechenden Kontakten Jordans siehe die Tagebucheintragungen vom 23.–30.6.1861, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 45; 6.–11.3.1862, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 46; 2.–5.10.1862, ebd.; 7.–10.11.1864, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 49; David Hansemann an Ludwig Andreas Jordan, Berlin, 18.8.1862, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 185. 381 Biefang, Politisches Bürgertum, S. 219 f. 382 Simon Levi an Ludwig Andreas Jordan, Landau, 18.7.1861, LaS, V153 (BassermannJordan), Bd. 591. 383 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 24.6.1861, LaS, V153 (BassermannJordan), Bd. 45.

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strikter Gegner des Nationalvereins verhinderte.384 Stattdessen setzte sich Hansemanns Plan durch, seinen Vertrauten, den ehemaligen Eisenbahninspektor und Kaufmann Gustav Arndt als Generalsekretär anzustellen. Diese Entscheidung wurde allerdings nur für drei Monate gebilligt. Dann sollte sie überprüft werden. Zudem behielt sich der Ausschuss vor, Kommissionen aus Ausschussmitgliedern zu bestimmten Fragen einzurichten, um die Beschlüsse gemeinsam mit dem Präsidium durchzuführen – ein »klares Misstrauensvotum gegen Hansemann«385. Ansonsten war das bis zum 28.  Juni dauernde Treffen hauptsächlich mit Feier­lichkeiten ausgefüllt. Einem Empfang bei Handelsminister von der Heydt folgte ein von den Ältesten der Kaufmannschaft Berlins organisiertes Festessen, und am 27. Juni fand eine Fahrt nach Stettin statt, wohin die dortigen Vorsteher der Kaufmannschaft eingeladen hatten. Während des Aufenthalts in Berlin verkehrte Ludwig Andreas Jordan vor allem mit den Hansemanns. Insbesondere David Hansemanns Schwiegersohn, Jacob Marx-Hansemann, war den J­ ordans freundschaftlich und geschäftlich verbunden, denn er handelte mit den Weinen von Jordan und Buhl. Regelmäßig kam er nach Deidesheim, um die dortigen Weine zu probieren und für sein Geschäft zu erwerben. Ansonsten nutzte ­Jordan seine Zeit, um Berliner Bekannte aufzusuchen, wie den Bankier B ­ enjamin­ Liebermann oder die Brüder Max und Franz Duncker, die sich als Verleger, Publizisten und liberale Politiker einen Namen gemacht hatten. Die Ausschusssitzungen des Jahres 1862 waren vor allem der Vorbereitung des zweiten Deutschen Handelstages gewidmet. Ursprünglich war vorgesehen gewesen, den Handelstag alle zwei Jahre durchzuführen, doch aufgrund der Verhandlungen um den preußisch-französischen Handelsvertrag beschloss man in der Ausschusssitzung am 8.  März 1862, den Handelstag bereits im Herbst 1862 durchzuführen. Hansemann versuchte gemeinsam mit mehreren Kollegen im Juni 1862 durch den Hinweis, es sei zu wenig Material für Verhandlungen eingetroffen, diesen Beschluss wieder zu kippen. Gegen dieses Ansinnen verwahrte sich Ludwig Andreas Jordan. Er schrieb in einem Brief an ­Hansemann, »es würde eine Ironie des Schicksals sein, wenn in einem Augenblick, wo der Zollverein gefährdet sei, der Deutsche Handelstag erkläre, es liege kein Material für Verhandlungen vor«386. In der folgenden Ausschusssitzung am 15. und 16. August setzten sich die Befürworter durch, und man setzte den 14. Oktober als Termin für den Handelstag fest. Als Themen wurden festgelegt: die Weiterentwicklung des Zollvereins, eine Zolleinigung mit Österreich und der preu 384 Hansemann sah die kleindeutschen Ziele des Nationalvereins als Phantastereien, die nicht durchsetzbar seien. Stattdessen würden sie zu preußischen Niederlagen führen und die deutschen Staaten damit weiter entzweien. Siehe Bergengrün, Hansemann, S. 697 f. 385 Biefang, Politisches Bürgertum, S.  218. Zur Ausschusssitzung siehe auch Deutscher Handelstag (Hg.), Der Deutsche Handelstag, Bd. 1, S. 22. 386 Deutscher Handelstag (Hg.), Der Deutsche Handelstag, Bd. 2, S. 348.

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ßisch-französische Handelsvertrag. Die Reihenfolge der Themen sollte bei der vorbereitenden Ausschusssitzung Anfang Oktober festgelegt werden, wobei für jedes Thema zwei Berichterstatter benannt wurden.387 Wie kontrovers diese Themen beurteilt wurden, zeigte die Sitzung des bleibenden Ausschusses vom 6. bis 10. Oktober in München. Insbesondere die beiden Berichterstatter über die Zolleinigung des Zollvereins mit Österreich wiedersprachen sich diametral. Der Vertreter der Wiener Handelskammer, Franz von Wertheim, setzte sich für eine Zolleinigung der beiden Parteien ein. Dabei verwies er auf die Zusicherungen, die Österreich bereits im 1853 abgeschlossenen Handelsvertrag zwischen dem Kaiserreich und dem Zollverein erhalten hatte. Dagegen verwahrte sich Weigel, der in den österreichischen Vorschlägen nur eine Verzögerungstaktik gegenüber dem preußisch-französischen Handelsvertrag erblickte. Ein Eingehen auf die österreichischen Vorstellungen würde eine Schwächung des Zollvereins herbeiführen.388 In der Diskussion versuchte man zunächst, eine gemeinsame Position zum preußisch-französischen Handelsvertrag zu formulieren, um auf dieser Basis die Frage einer Zolleinigung mit Österreich zu erörtern. Dabei stellte sich der § 31 des preußisch-französischen Handelsvertrags als besonders umstritten heraus. Dieser sicherte beiden Parteien die Meistbegünstigung zu und legte fest, dass später in den Zollverein beitretende deutsche Staaten die Bestimmungen des Vertrages übernehmen müssten. Das hieß, wenn Österreich später dem Zollverein beitreten würde, müsste es Frankreich die im preußisch-französischen Handelsvertrag festgesetzten niedrigen Zölle einräumen. Andererseits müsste der Zollverein, wenn er sich zollpolitisch enger mit Österreich verbinden würde, die Österreich zugestandenen Vergünstigungen auch Frankreich gewähren. Eine Mehrheit sprach sich daraufhin dafür aus, eine Änderung des § 31 zu fordern, um eine Annäherung des Zollvereins an Österreich zu ermöglichen. Dieser Antrag wurde von einer süddeutsch-österreichischen Fraktion um Wertheim, den Olmützer Vertreter Carl Oberleithner, den Münchner Leo Hänle, den Vertreter Nürnbergs Wilhelm Puscher, den Mannheimer Eduard Moll und den Reutlinger Abgesandten Carl Finck unterstützt, der sich die preußischen Vertreter Hansemann und Carl Wesenfeld sowie der Hannoveraner Fritz Hurtzig anschlossen. Dagegen votierte eine nord-ostdeutsche Minorität mit dem Danziger Behrend, dem Bremer Hermann Henrich Meier, dem Hamburger ­Edgar Roß, dem Stettiner Vertreter Paul Stahlberg, dem Düsseldorfer Alexander von­ Sybel und dem Breslauer Vertreter Weigel, der sich als einziger Süddeutscher auch Ludwig Andreas Jordan anschloss. Diese Gruppierung formulierte anschließend bei Behrend im Hotel Vierjahreszeiten eine eigene Erklärung, die zwar einige Verbesserungsvorschläge für den Handelsvertrag benannte, jedoch­ 387 Ebd. 388 Ebd., S. 348 f.

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deutlich herausstellte, dass die Forderungen nicht den Abschluss des Handelsvertrages verzögern oder verhindern dürften.389 Nachdem man also in diesem Punkt keine Einigung erzielen konnte, gelang es in den nächsten Tagen wenigstens noch einen Antrag Molls anzunehmen, der in Bezug auf Österreich forderte, dass ein zollfreier Verkehr für die meisten Produkte mit dem Zollverein hergestellt werden sollte. Allerdings sollten die beiden Zollgebiete nicht vereinigt werden. Zur Reform des Zollvereins wiederholte man lediglich die Heidelberger Forderungen. Mit ihren scharfen Auseinandersetzungen lieferten die Ausschusssitzungen nur einen Vorgeschmack auf das, was auf dem Münchner Handelstag folgen sollte. Dieser fand allerdings ohne Ludwig Andreas Jordan statt, der in Deidesheim die Weinlese beaufsichtigte. In München prallten die Meinungen auf­ einander. Das wirtschaftliche Thema Handelsvertrag und Zolleinigung war zu einem politisch imprägnierten Thema geworden, bei dem es um die Rolle Preußens und Österreichs in einem zukünftigen deutschen Staat ging. Bereits im Vorfeld waren zahlreiche österreichische und süddeutsche Handelskammern dem Deutschen Handelstag beigetreten, um die Entscheidungen des Handelstags in ihrem Sinne zu beeinflussen. Den Höhepunkt der Debatten bildete ein bis ins Persönliche reichendes Wortgefecht zwischen dem ehemaligen liberalen Finanzminister des 1848 eingesetzten preußischen Märzministeriums David Hansemann und dem Reichsfinanzminister der von der Paulskirche eingesetzten Provisorischen Zentralgewalt, dem Krefelder Vertreter Hermann von Beckerath, bei dem sich Beckerath vehement für den preußisch-französischen Handelsvertrag einsetzte und Hansemann die Freundschaft aufkündigte.390 Bei der Abstimmung siegte dann die von Jordan und der Minorität des Ausschusses erstellte Erklärung, für die sich auch Beckerath stark gemacht hatte, die mit folgendem Satz endete: »Das schleunige Zustandekommen des Handelsvertrages darf nicht in Frage gestellt werden.«391 Die weiteren beiden Anträge des Ausschusses wurden ohne weitere Debatten angenommen. Damit hatte in der Frage des Handelsvertrags und des zukünftigen Verhältnisses zu Österreich die vor allem aus Mittel-, Nord- und Ostdeutschen bestehende kleindeutsch orientierte Fraktion gesiegt, zu der auch die Pfalz und einige 389 Zu den Auseinandersetzungen im Ausschuss siehe ebd., S. 348–350 sowie die Tage­ bucheinträge Ludwig Andreas Jordans vom 6.–12.10.1862, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 46. Der Minoritätsantrag ist abgedruckt in: Deutscher Handelstag (Hg.), Der Deutsche Handelstag, Bd. 2, S. 371. 390 Zu dem Duell der beiden liberalen Protagonisten aus Hansemanns Sicht siehe Bergengrün, Hansemann, S. 730 f. Zu Hermann von Beckerath liegt mittlerweile eine ausführliche Biographie vor, die jedoch vor allem sein Wirken in der Zeit bis 1848/49 untersucht und für die Zeit danach nur noch einen Ausblick bietet, in dem auch der Handelstagsvorsitz knapp erwähnt wird. Siehe Hettinger, Beckerath, S. 279 f. 391 Deutscher Handelstag (Hg.), Der Deutsche Handelstag, Bd. 2, S. 370.

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Vertreter Badens gehörten. Gegen den Vertrag hatten vor allem die Vertreter des rechtsrheinischen Bayerns, Württembergs und Österreichs gestimmt.392 Das hatte weitreichende Konsequenzen für den Handelstag. Bei den am letzten Tag stattfindenden Wahlen zum bleibenden Ausschuss lehnten einige österreichische und süddeutsche Vertreter ihre Wahl in den Ausschuss ab, mit der Begründung, dass sie der politischen Richtung des Handelstages nicht mehr zustimmen könnten. Auch Hansemann hängte sein Amt an den Nagel. Darauf­ hin wählte der Ausschuss von Beckerath zum neuen Präsidenten. Als Folge der Münchner Entscheidungen kündigten auch zahlreiche österreichische und süddeutsche Korporationen enttäuscht über ihre Niederlage die Mitgliedschaft. Nachdem so das Tischtuch zwischen kleindeutsch und großdeutsch Orientierten zerschnitten schien, bemühte man sich, die Wogen in den nächsten Monaten wieder etwas zu glätten. Einige süddeutsche Ausschussmitglieder, wie Leo Hänle aus München, kehrten auch wieder in das Leitungsgremium zurück. Hermann von Beckerath konnte den Vorsitz des Deutschen Handelstages allerdings nicht lange ausüben.393 Er musste aus gesundheitlichen Gründen bereits im September 1863 zurücktreten. Daraufhin übernahm sein Stellvertreter Benjamin Liebermann interimistisch den Vorsitz.394 Jordan konnte dann den Ausschuss davon überzeugen, am 9.  November 1864 den Bremer Kaufmann und Reeder Hermann Henrich Meier als Vorsitzenden zu wählen.395 Da sich die Auseinandersetzungen zwischen den Zollvereinsländern über den Handelsvertrag mit Frankreich lange hinzogen, beschloss man im Ausschuss entgegen der festgelegten zweijährigen Tagungsperiode den nächsten Handelstag nicht 1864 abzuhalten, sondern erst 1865, um die Konflikte in dieser Frage nicht zu zementieren. Der nächste Handelstag sollte in Braunschweig stattfinden, musste allerdings kurzfristig nach Frankfurt verlegt werden. Für diesen Handelstag hatten Ludwig Andreas Jordan und der Mannheimer Fabrikant Eduard Moll eine Denkschrift über einen potentiellen Handelsvertrag des Zollvereins mit Italien ausgearbeitet, zu der sie vom Ausschuss beauftragt worden waren.396 Der Hintergrund dieser Schrift war, dass dem preußisch-französischen Handelsvertrag, der ja mittlerweile auch für den Zollverein 392 Eine nach Ländern sortierte Analyse des Abstimmungsverhaltens findet sich ebd., S. 372–375. 393 Zu den häufigen Wechseln im Vorsitz siehe Deutscher Handelstag (Hg.), Der Deutsche Handelstag, Bd. 1, S. 24 f. Zum Kontakt Jordans mit Beckerath siehe Jordans Brief vom 12.3.1863, Stadtarchiv Krefeld, Nachlass Hermann von Beckerath, Bd. 56. 394 Beckerath hielt jedoch bis 1866 engen Kontakt zu Liebermann. Siehe die Korrespondenz im Stadtarchiv Krefeld, Nachlass Hermann von Beckerath, Bd. 56. 395 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 9.11.1864, LaS, V153 (BassermannJordan), Bd.  49. Bei Meier hatte auch Jordans Schwiegersohn Emil Bassermann das Kaufmannsgeschäft gelernt. Siehe Ludwig Andreas Jordan an Hermann Henrich Meier, Deidesheim, 27.2.1865, Staatsarchiv Bremen, Bestand 7,16 (Hermann Henrich Meier). 396 Bleibender Ausschuss des deutschen Handelstages (Hg.), Denkschrift.

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galt, Verträge mit anderen europäischen Ländern folgen sollten, um den Ausbau des Freihandelssystems voranzutreiben. Das war bereits mit Belgien und Großbritannien gelungen. In Bezug auf das Königreich Italien stellten sich jedoch einige Regierungen quer, da sie aus Legitimitätsgründen einen Vertrag mit dem neuen Königreich ablehnten.397 Hier galt es also bei den zögernden Regierungen Überzeugungsarbeit zu leisten. Jordan und Moll hatten in fast schon wissenschaftlicher Akribie eine große Anzahl an Abhandlungen und Statistiken studiert und ausgewertet. Die beiden forderten auf dieser Basis in ihrer Denkschrift die Regierungen der Zollvereinsländer auf, möglichst schnell einen Handelsvertrag mit dem Königreich Italien abzuschließen, damit die Zollvereinswirtschaft dort nicht ins Hintertreffen gerate.398 In diesem Sinne motivierte vor allem Moll, ergänzt von Stahlberg und ­Jordan, auf der Generalversammlung am 25. September 1865 den Antrag des Ausschusses, in dem die Zollvereinsregierungen aufgefordert wurden, zügig einen Handelsvertrag mit Italien zu vereinbaren. Dass Moll den Antrag vorstellte und begründete, hatte den Vorteil, dass sich damit ein früherer Gegner des preußisch-französischen Handelsvertrags für den Vertrag mit Italien aussprach und damit die Argumentation noch glaubhafter wurde.399 Dementsprechend ging der Antrag ohne Probleme durch. Die Denkschrift und die Position des Handelstages wurden den entsprechenden Regierungen zugeleitet. Unter preußischer Führung gelang dann der Abschluss eines Handelsvertrags mit Italien zum 31. Dezember 1865.400 Auf dem Frankfurter Handelstag wurde zudem noch über einen Handelsvertrag mit der Schweiz, die Disparitäten bei den Eisenbahntarifen, ein einheitliches Münzwesen, das Konsulatswesen sowie als Dauerbrenner die Reform des Zollvereins gesprochen.401 Bei diesen Themen war man sich weitgehend einig, sodass der Frankfurter Handelstag einen eher »geschäftsmäßigen Charakter«402 hatte. 397 Zum Hintergrund der Diskussion um den Handelsvertrag zwischen dem Zollverein und Italien siehe: Deutscher Handelstag (Hg.), Der Deutsche Handelstag, Bd. 2, S. 391 f. 398 Bleibender Ausschuss des deutschen Handelstages (Hg.), Denkschrift, S. 53 f. Zu den Arbeiten an der Denkschrift siehe Ludwig Andreas Jordan an Hermann Henrich Meier, Deidesheim 27.2.1865; Ludwig Andreas Jordan an Hermann Henrich Meier, Deidesheim, 16.3.1865; Ludwig Andreas Jordan an Hermann Henrich Meier, Deidesheim, 17.3.1865;­ Ludwig Andreas Jordan an Hermann Henrich Meier, 28.8.1865, alle in Staatsarchiv Bremen, Bestand 7,16 (Hermann Henrich Meier). 399 Ludwig Andreas Jordan an Hermann Henrich Meier, Deidesheim, 28.8.1865, Staatsarchiv Bremen, Bestand 7,16 (Hermann Henrich Meier). 400 Deutscher Handelstag (Hg.), Der Deutsche Handelstag, Bd. 2, S. 392 f. 401 Zu den Diskussionen im Handelstag über die Eisenbahntarife, die eng mit der Frage nach dem staatlichen Eingreifen in das Eisenbahnwesen zusammenhingen, siehe Gehlen, Wettbewerbsideal. Zur Einordnung der Debatten über ein einheitliches Münzsystem siehe Otto, Diskurs, S. 207 f. 402 O. V., Der deutsche Handelstag und seine drei Generalversammlungen, S. 560.

Im Schnittfeld von Wirtschaft und Politik  

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Sehr zum Leidwesen Jordans gab allerdings Hermann Henrich Meier seinen Vorsitz auf und zog sich vom Handelstag zurück. Er führte dafür persönliche Gründe an. Ludwig Andreas Jordan hatte in seinem Tagebuch wiederholt Konflikte zwischen Meier und dem Stettiner Vertreter Paul Stahlberg festgehalten, die auf dem Frankfurter Handelstag kulminierten und Meier dazu bewogen, nicht mehr zu kandidieren.403 Als sein Nachfolger wurde der Berliner Spediteur Gustav Dietrich gewählt. Aufgrund der preußisch-österreichischen Konflikte, die in den Krieg von 1866 mündeten, kam es auch im Ausschuss des Handelstags zu Spannungen. Anlass war eine von Dietrich nach dem Sieg Preußens und seiner Verbündeten für den 2.–4. August 1866 anberaumte Sitzung des Ausschusses in Braunschweig. Termin und Ort hingen damit zusammen, dass in einer koordinierten Aktion dort parallel auch die Ausschüsse des Nationalvereins und des Volkswirtekongresses tagten.404 An den Sitzungen des Handelstagsausschusses nahmen nur norddeutsche Vertreter teil, ergänzt durch Gäste aus den Reihen des Nationalvereins und des Volkswirtekongresses.405 Der Ausschuss nahm insbesondere zur Zukunft des Zollvereins und zur geplanten Gründung eines norddeutschen Bundes unter preußischer Führung Stellung und entwarf dazu eine Resolution an alle Handelstagsmitglieder. Laut offizieller Handelstagsdarstellung hätten die Ausschussmitglieder dabei um ausgewogene Formulierungen gerungen.406 Wenn man sich die dort veröffentlichten Auszüge aus der Resolution näher betrachtet, ist es allerdings erstaunlich, wie dominant die norddeutschen Vertreter gegenüber Süddeutschland auftraten. Daraufhin protestierten Moll, Jordan und der Augsburger Vertreter Albert von Hertel in einem gemeinsamen Brief an den Ausschuss gegen den Inhalt und das Zustandekommen der Resolution. Sie stelle Nord- und Süddeutschland zu scharf gegeneinander. Auch der Frankfurter Vertreter Gustav Scherbius und der Stuttgarter Gustav Müller wandten sich gegen die Resolution. Aufgrund dieser Konflikte beschloss der Ausschuss, zunächst keine Vollversammlung des Handelstags mehr abzuhalten. Zu groß erschien die Gefahr, dass dort nur die unterschiedlichen Positionen der Nord- und Süddeutschen deutlich würden und der Handelstag damit nur die Uneinigkeit dokumentierte. 403 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 9.11.1864; Tagebucheinträge Ludwig Andreas Jordans vom 27. und 28.10.1865, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 49. 404 Zu diesem sogenannten »Braunschweiger Vereinstag« siehe Biefang, Politisches Bürgertum, S. 408–415. Aus der Memoirenliteratur stellt der Teilnehmer des Volkswirtekongresses und des Nationalvereins Karl Braun den Braunschweiger Vereinstag am ausführlichsten dar. Siehe Braun, Bilder, Bd. 2, S. 1–44. 405 In der offiziellen Jubiläumsschrift des Handelstags wird angeführt, die Einladungen hätten die süddeutschen Mitglieder nicht rechtzeitig erreicht. Siehe Deutscher Handelstag (Hg.), Der Deutsche Handelstag, Bd. 2, S. 386. 406 Hierzu und zu dem Folgenden: Deutscher Handelstag (Hg.), Der Deutsche Handelstag, Bd. 2, S. 386 f.

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Modernisierung, Industrialisierung und institutionelles Engagement Modernisierung, Industrialisierung und institutionelles Engagement 

Als Dietrich 1867 einen Versuch startete, einen neuerlichen Handelstag zu Stande zu bringen, wandten sich vor allem Jordan und Scherbius gegen diesen Vorschlag. Sie rieten abzuwarten, bis die anstehende politische und wirtschaftliche Neuausrichtung Deutschlands abgeschlossen sei. Im Moment sei noch so viel »Zündstoff«407 vorhanden, dass bei einem »in Kürze zusammentretenden und unter preußischer Spitze tagenden Handelsparlament resp. Handelstag kein practischer national-ökonomischer Erfolg möglich erscheint«. Der Handelstag trat dann erst wieder im Oktober 1868 in Berlin zusammen. Zu diesem Zeitpunkt war Ludwig Andreas Jordan jedoch nicht mehr Mitglied im Ausschuss des Deutschen Handelstags. Er hatte sein Amt im Februar 1868 mit der Begründung niedergelegt, dass er es nicht mehr mit seinen parlamentarischen und privaten Pflichten vereinbaren könne.408 Hinzu kam jedoch ein weiterer Faktor, den er in seinem Tagebuch festhielt. Durch den Vertrag vom 8. Juli 1867 zwischen dem Norddeutschen Bund und den süddeutschen Staaten war der Zollverein auf eine neue Grundlage gestellt worden. Unter anderem wurde jetzt das lang ersehnte Zollparlament aus den Abgeordneten des Norddeutschen Bundes und noch zu wählenden süddeutschen Abgeordneten geschaffen. Ludwig­ Andreas Jordan sah jetzt in diesem Organ die größere Wirksamkeit um eine wirtschaftliche Einheit als Basis für die politische Einheit herbeizuführen. Der Handelstag verlor daher in seinen Augen an Bedeutung.409

4.5 Zusammenfassung Ludwig Andreas Jordan boten sich seit den 1840er Jahren zahlreiche Möglichkeiten, die wirtschaftliche Entwicklung der Pfalz und der angrenzenden deutschen Länder mitzugestalten. Die Grundlage hierfür bildete die erfolgreiche Weiterführung des Weinguts, das er 1848 nach dem Tod Andreas Jordans erbte. Aus der Erbmasse entstanden zudem die Weingüter seiner Geschwister Buhl und Deinhard. In der Folgezeit erweiterte Ludwig Andreas Jordan das Weingut gezielt. Er war offen für Innovationen im Bereich des Weinbaus und knüpfte dazu Verbindungen zu Wissenschaftlern wie Justus von Liebig. Die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse und die Ergebnisse der eigenen agrarwirtschaftlichen Experimente diskutierten Jordan und die anderen Winzer gemeinsam im landwirtschaftlichen Vereinswesen oder im persönlichen Kontakt mit Wissenschaft 407 Gustav Scherbius an Ludwig Andreas Jordan, Frankfurt, 17.6.1867, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 591. Daraus auch das folgende Zitat. Siehe auch die Kopie des Briefes von Scherbius an den Ausschussvorsitzenden Dietrich, Frankfurt, 18.6.1867, ebd. 408 Gustav Dietrich an Ludwig Andreas Jordan, Berlin, 24.2.1868, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 427. 409 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 25.11.1867, LaS, V153 (BassermannJordan), Bd. 51.

Zusammenfassung  

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lern oder Agrarexperten. Im Bereich des Marketings nutzte Jordan vor allem die Landwirtschafts-, Industrie- und Weltausstellungen, über die in den Zeitungen ausführlich berichtet wurde, um seinen Wein bekannt zu machen. Sein Wein avancierte auf diese Weise langsam vom »Rheinwein« zu einer bekannten Marke. Auch die Funktion der Jordans als großer Kreditgeber in Deidesheim und der Region sicherte über die fünfprozentige Verzinsung die Einnahmen der Familie. Gleichzeitig zementierten die Kreditbeziehungen die lokale ökonomische und politische Vormachtstellung der Familie. Das Geld, das die Jordans im Weinbau und im Kreditwesen verdienten, reinvestierten sie nicht nur in das Weingut, sondern sie beteiligten sich intensiv an der Verkehrserschließung und Industrialisierung des Pfalzkreises und des Mannheim-Ludwigshafener Raumes. Häufig investierten Jordan und Buhl gemeinsam. Ihr Engagement ordneten sie in größere soziale, wirtschaftliche und politische Zusammenhänge ein. Die Industrialisierung war für sie nicht die Ursache der sozialen Probleme, sondern ihre Lösung. Nur ein starker Ausbau der Industrie konnte aus ihrer Sicht genügend Arbeitsplätze für die wachsende Bevölkerung schaffen und die wirtschaftliche Basis für eine machtvolle politische Rolle Deutschlands herbeiführen. Der Staat sei daher auf das Wirtschaftsbürgertum angewiesen, dem er mehr politische Mitspracherechte einräumen müsse. Mit dieser Sichtweise standen die beiden dem rheinischen Wirtschaftsbürgertum um David Hansemann näher als den südwestdeutschen Verfechtern einer »klassenlosen Bürgergesellschaft mittlerer Existenzen«. Jordan und Buhl rationalisierten ihre Investments auf diese Weise als Beitrag zum gesellschaftlichen und politischen Fortschritt und hatten gleichzeitig ganz konkrete Vorteile im Blick. Die Verkehrsprojekte senkten zum Beispiel die Transportkosten für den Weinexport und wichtige Hilfsmittel, wie zum Beispiel Holz oder Dünger. Insbesondere die Eisenbahn trug zur Marktintegration und Konkurrenzfähigkeit der Pfälzer Produkte bei. Der Eisenbahnbau brachte auch direkte Aufträge für die Pfälzer Industrie. Gleichzeitig erhöhte er die Mobilität der Arbeitskräfte, die zunehmend in der Industrie ihr Auskommen fanden. Das trug langfristig zum Anstieg der Lohnkosten im Weinbau bei. Bei dem Projekt einer Rhein-Haardt-Bahn von Neustadt nach Frankenthal zeigte sich, wie wichtig es für die Winzer an der Haardt war, an verschiedenen Stellen Druck auf die politischen Entscheidungsträger auszuüben. Hierzu war Ludwig Andreas Jordan prädestiniert, der sowohl dem Komitee zur Gründung der Bahn angehörte als auch dem Handels- und Fabrikrat Neustadt-Dürkheim, der Handelskammer der Pfalz und dem Landrat. Zudem hielt er über Franz Peter Buhl engen Kontakt zu den Abgeordneten in der bayerischen zweiten Kammer. Alle diese Institutionen wurden aktiviert, um einen politischen Beschluss zum Bau der Strecke zu erreichen. Dabei konnten die Bahnbefürworter nur einen Teilerfolg verbuchen, da die in der Pfalz mächtige und vom Staat gestützte Ludwigsbahn eine starke Konkurrenz in der neuen Bahn sah. Die Ludwigs-

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Modernisierung, Industrialisierung und institutionelles Engagement Modernisierung, Industrialisierung und institutionelles Engagement 

bahngesellschaft erklärte sich daher nur mit einer Streckenführung bis Dürkheim einverstanden, organisierte dafür aber den Bau der Bahn und übernahm bei getrennter Rechnungsführung auch die Verwaltung. Der Beginn des Eisenbahnbaus fußte stark auf Privatinitiative, wohingegen bei der Gründung der Bayerisch-Pfälzischen Schleppschifffahrt vor allem der Regierungspräsident der Pfalz, Eugen Fürst von Wrede, als Initiator und Antreiber agierte. Der Aufbau einer bayerischen Schleppschifffahrtsgesellschaft zielte vor allem darauf ab, die Profite in diesem Bereich nicht mehr anderen Ländern wie Baden zukommen zu lassen, sondern für Bayern bzw. den Pfalzkreis zu generieren. Die Gesellschaft erwies sich erst als profitabel als die Geschäftsführung und der Verwaltungsrat unter anderem durch die Hinzuziehung Ludwig Andreas Jordans professionalisiert wurden und der bayerische Zollinspektor als Leiter ersetzt wurde. Das bestätigte Ludwig Andreas J­ ordan in seiner marktliberalen Sicht, der dem Staat als Wirtschaftsakteur misstraute. Der lokalpatriotische Gründungsauftrag der Gesellschaft trat mit der Zeit immer mehr in den Hintergrund. Das Unternehmen machte gute Geschäfte, schleppte dabei aber auch in andere Häfen als Ludwigshafen. Das missfiel der bayerischen Regierung, die jedoch vor dem weitreichenden Schritt zurückschreckte, in das Marktgeschehen zu intervenieren. Neue Erfindungen und Konstruktionen im Bereich der Dampfschleppschifffahrt wurden von der Firma frühzeitig aufgegriffen und eingesetzt, sodass sie lange mit der Eisenbahn als Transportunternehmen konkurrieren konnte, mit der sie gleichzeitig eng kooperierte. Bei den Investitionen in die Industrieprojekte zeigte sich, dass Ludwig Andreas Jordan als vermögend und offen für die neuesten industriellen Entwicklungen galt. Zudem wurde sein Engagement auch aufgrund seiner guten Vernetzung in den politischen Bereich gesucht. Daher wurde er häufig von Personen angeschrieben oder angesprochen, die ihm neue Geschäftsmodelle vorschlugen. Seine Investitionsentscheidungen folgten somit keinem strategischen Plan, sondern entstanden aus diesen Projektvorschlägen. Auf diese Weise bildete sich eine Gruppe von Investoren, die bei vielen Industrieprojekten im pfälzisch-badischen Raum engagiert waren, wie z. B. Friedrich Reiß, Franz Flamin Meuth, Carl von Gienanth sowie die Jordans und Buhls. Sie begnügten sich nicht damit, ihr Geld für die neuen Unternehmungen zur Verfügung zu stellen, sondern trafen und überwachten die strategischen Entscheidungen der Unternehmen durch ihren Sitz im Verwaltungsrat. Vor allem über diese Verwaltungsratsmitglieder lässt sich die finanzielle und personelle Verflechtung im Rhein-Neckar-Raum und der Westpfalz nachvollziehen. Diese formten mit ihren Investitionen auch den Raum der Pfalz neu. So entstanden in Ludwigshafen, Kaiserslautern oder Neustadt neue Wirtschaftszentren der Region. Der Anschluss an das Eisenbahnnetz sorgte für Marktintegration oder verwies nicht angeschlossene Orte an die wirtschaftliche Peripherie. Gleichzei-

Zusammenfassung  

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tig ging man über die Grenze des Pfalzkreises hinaus. Vor allem die industrielle Entwicklung in Baden hatten die Investoren im Blick. Hier ergaben sich auch durch den Ausbau der Infrastruktur Konkurrenzen und Kooperationen. Insgesamt bot die Industrialisierung den findigen Unternehmern und Inves­ toren vielfältige Chancen und Gewinnmöglichkeiten. Sie barg aber auch Risiken, wie sich bei dem Projekt der Baumwollspinnerei AG Lampertsmühle zeigte. Hier verloren die Jordans und Buhls viel Geld, als der von Ludwig Andreas­ Jordan protegierte Geschäftsführer Rudolph Rösch 330.000 Gulden unterschlug und über Nacht verschwand. Rösch hatte das Vertrauen von Jordan und Buhl, der seine Ausbildung finanziert hatte, missbraucht. An der Schnittstelle von Wirtschaft und Politik stand Ludwig Andreas Jordans Vorsitz im Handels- und Fabrikrat Neustadt-Dürkheim und in der Pfälzischen Handels- und Gewerbekammer. Hier hatte man die Möglichkeit, die bayerische Regierung auf bestimmte Projekte hinzuweisen, die aus Sicht der wirtschaftlichen Kreise für das Wachstum der pfälzischen Wirtschaft notwendig waren, und einen entsprechenden Handlungsdruck auf die bayerische Regierung auszuüben. Insgesamt agierte die Pfälzer Handels- und Gewerbekammer unter Ludwig Andreas Jordans Vorsitz sehr wirtschaftsliberal. Man forderte die Ausdehnung einer freien Wirtschaftsordnung durch die Einführung der Gewerbefreiheit in den bayerischen Gebieten rechts des Rheins oder die allgemeine Freizügigkeit. Zudem fand unter Jordan eine immer stärkere Politisierung dieses Gremiums statt. Jordan nutzte die Handels- und Gewerbekammer und ihre Publikationen somit auch für seine Agitation für einen kleindeutschen Nationalstaat. Von besonderer Bedeutung für die Pfalz war der preußisch-französische Handelsvertrag, mit dessen Schicksal die preußische Regierung auch das Fortbestehen des Zollvereins verband. Die Pfälzer Winzer forderten im Zuge der Verhandlungen eine Abschaffung der Übergangssteuer für Wein vom süddeutschen in das norddeutsche Zollgebiet. Jordan setzte sich allerdings erfolgreich dafür ein, diese Forderung nicht zur Grundbedingung für die Zustimmung zum Vertrag zu machen. Nachdem Preußen die Abschaffung der Übergangssteuer beschlossen hatte, stand die Pfälzer Handelskammer bedingungslos hinter dem Handelsvertrag, die jetzt versuchte, die skeptische bayerische Regierung zur Zustimmung zu bewegen. Diese akzeptierte letztendlich unter dem Damokles­schwert der Zollvereinsauflösung widerstrebend den Vertrag und stellte damit das wirtschaftliche Motiv über das politische. Bereits bei seinem Engagement in der Handels- und Gewerbekammer hatte sich gezeigt, wie stark für Jordan die wirtschaftliche und politische Einheit Deutschlands zusammenhingen. Seine Wahl als pfälzischer Vertreter zum Deutschen Handelstag war daher nur folgerichtig. Sein Interesse an diesem Gremium richtete sich vor allem auf die gemeinsame Arbeit an einem einheitlichen deutschen Wirtschaftsraum. Gleichzeitig brachte seine Mitgliedschaft im Vorstand noch einmal eine starke Ausweitung seines Aktionsraums Richtung Preußen.

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Modernisierung, Industrialisierung und institutionelles Engagement Modernisierung, Industrialisierung und institutionelles Engagement 

Den Ausgangspunkt für den Aufbau eines einheitlichen deutschen Wirtschaftsraums sah der Pfälzer Gutsbesitzer vor allem im Zollverein. Hier erblickte er in einer zu engen Verknüpfung des Zollvereins mit dem protektionistisch orientierten Österreich eine Gefahr für den Nukleus einer kleindeutschen Reichsgründung. Diese Verbindung hätte aus seiner Sicht ein allmähliches Zurückstehen des Zollvereins gegenüber dem zunehmend am Freihandel ausge­ richteten westeuropäischen Wirtschaftsraum bedeutet. Er forderte daher auch im Ausschuss des Deutschen Handelstags einen raschen Abschluss des preußisch-französischen Handelsvertrags. Da sich diese Richtung auf dem Münchner Handelstag 1862 durchsetzte, verlor der Handelstag zahlreiche großdeutsch eingestellte Mitglieder und wurde somit auch politisch zu einem kleindeutsch ausgerichteten Gremium. Das wurde durch die kriegerischen Entscheidungen der Jahre 1864 und 1866 noch forciert, als die norddeutsch-preußischen Mitglieder die Diskussionen im Handelstag so stark dominierten, dass selbst L ­ udwig Andreas Jordan protestierte. Mit der Reform des Zollvereins 1867 und dem von zahlreichen Liberalen lange gewünschten Zollparlament verlor dann der Deutsche Handelstag aus Sicht des Pfälzers an Bedeutung. Die Möglichkeiten, einen einheitlichen deutschen Wirtschaftsraum als Ausgangsbasis für die nationale Einheit herbeizuführen, sah er jetzt eher im Zollparlament gegeben als im Handelstag. Als absehbar war, dass Ludwig Andreas Jordan als Abgeordneter für das Zollparlament kandidieren würde, gab er seinen Posten im Ausschuss des Handelstages auf. An den Diskussionen im Handelsrat, in der Pfälzer Handelskammer und im Deutschen Handelstag zeigte sich somit deutlich, dass für den Pfälzer Winzer wirtschaftliche Fragen immer auch eine starke politische Dimension besaßen. Dieser Aspekt soll im folgenden Kapitel weiter vertieft werden.

5. Zwischen lokaler und regionaler Ebene, Landesebene und Reich: Liberale Politik im Mehrebenensystem

Für Ludwig Andreas Jordans Ausrichtung auf das Bürgertum und seine Entwicklung zum Gutsbesitzer und Investor waren seine Erfahrungen als Jugendlicher und junger Erwachsener prägend. Über seine Erziehung hatte er internalisiert, nicht nur die Entwicklung des Weinguts im Blick zu haben, sondern seine eigene Tätigkeit in größere Zusammenhänge einzuordnen und auf ihre Nützlichkeit für die Gesellschaft zu befragen. Historische Darstellungen gehörten zu seiner bevorzugten Lektüre und weckten das Interesse für politische Zusammenhänge. Doch wie gestaltete sich sein Weg von der gedanklichen Auseinandersetzung mit politischen Fragen zur praktischen Politik? Diese Frage steht zunächst im Vordergrund des Kapitels. Wie beeinflusste ihn der politische Einsatz seines Vaters als Bürgermeister und Landtagsabgeordneter? Speiste sich Jordans Motivation für die politische Arbeit auch aus den miterlebten wirtschaftlichen und politischen Krisen der 1820er und 1830er Jahre? Wie sahen seine ersten Gehversuche auf der politischen Bühne aus? Für welche Anliegen setzte er sich ein? Anschließend sollen nicht nur seine Standpunkte und sein Verhalten bei zentralen politischen Ereignissen für die Pfalz, wie dem Hambacher Fest von 1832 oder der Reichsverfassungskampagne von 1849, analysiert werden, sondern vor allem auch die in der Forschung häufig etwas unterrepräsentierten Zwischenräume. Wie reagierte Jordan als katholischer Liberaler auf die Rekonfessionalisierungstendenzen in der Pfalz nach 1832? Welche Position nahm Jordan in der liberalen Bewegung der Pfalz in den 1840er Jahren ein? Wie veränderten die Erfahrungen aus Vormärz und Revolution seine politische Einstellung? Mutierten die liberalen Pfälzer Weingutsbesitzer nach der gescheiterten Revolution von 1848/49 zu Mitläufern der Reaktionsregierung1 oder versuchten sie, ihre Spielräume gezielt zu nutzen und auszuweiten? Wie nahmen Jordan und die Pfälzer Liberalen die politischen Weichenstellungen hin zur Reichsgründung wahr? Und welche Rolle spielte Jordan in den neuen länderübergreifenden Gremien, wie dem ab 1868 tagenden Zollparlament und dem 1871 erstmals gewählten Reichstag? Das Kapitel entwickelt anhand dieser Leitfragen das Profil eines ­Honoratiorenpolitikers, dessen Macht im Lokalen wurzelte, aber bis auf die Reichsebene reichte.

1 So die These bei Osmond, Peasants, S. 135, 139.

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5.1 Politische Prägungen: Bayerischer Reformlandtag 1831, Polenbegeisterung und Hambacher Fest Ludwig Andreas Jordan war liberal geprägt, und Liberalismus im Vormärz war, auch wenn er eng mit der Forderung nach deutscher Einheit verbunden war, zunächst eine Sache der Region. Wolfgang Kaschuba hat diesen Zusammenhang pointiert herausgestellt: »[D]ie spätabsolutistische Territorialstruktur, ihr vielgestaltiges wirtschafts-, sozial und konfessionsgeschichtliches Profil und ihre lokalbürgerliche Tradition […] bilden […] den angemessenen, ja den eigentlich konstitutiven Rahmen für einen langen bürger­ lichen Abschied von der ständegesellschaftlichen Vergangenheit. Denn in diesem Rahmen und vor diesen lokal-regionalen Horizonten entsteht und formiert sich die liberale Bewegung.«2

Auch wenn man langfristig auf einen gesamtdeutschen Staat auf der Basis einer liberalen Verfassung abzielte, standen für die liberale Bewegung die Ausein­ andersetzungen in den einzelnen Staaten des Deutschen Bundes im Vordergrund. Hier wollte man Verfassungen durchsetzen, wie etwa in Preußen, oder die bestehenden Verfassungen so umformen, dass liberale Kernforderungen, wie Pressefreiheit oder Ministerverantwortlichkeit, zur Geltung kommen konnten. Diese Option bestand vor allem in den süddeutschen Verfassungsstaaten, in denen es auch darum ging, die politischen Mitspracherechte der Landtage auszubauen. Diese Ausrichtung auf die Region zeigen auch Ludwig Andreas Jordans erste politische Erfahrungen im Kontext des bayerisch-pfälzischen Verhältnisses der 1820er Jahre. Hier nahm der Rheinkreis aufgrund der von der bayerischen Verfassung garantierten aus der französischen Zeit stammenden Sonderrechte eine spezielle Rolle ein. Im Gegensatz zu Kaschubas Beschreibung, war der Abschied von der ständegesellschaftlichen Vergangenheit für den Rheinkreis durch die Zugehörigkeit zu Frankreich sehr schnell vollzogen worden. Daraus ergab sich ein Spannungsverhältnis zum rechtsrheinischen Bayern, das aus Sicht der Pfälzer noch viele Relikte der ständischen Gesellschaft weiterführte. Der Pfälzer »Nebenstaat« hatte jedoch nicht nur rechtlich eine Sonderstellung inne, sondern war auch wirtschaftlich nicht in den bayerischen Gesamtstaat integriert. Dadurch brachte die Zugehörigkeit des Rheinkreises zu Bayern zunächst wirtschaftliche Nachteile für die Pfälzer mit sich. In der französischen Zeit hatten ihnen der französische Markt und die Rheinbundstaaten offengestanden. Das änderte sich, als das Gebiet an Bayern fiel. Jetzt mussten die Pfälzer beim Ex 2 Kaschuba, Nation, S. 84. Siehe auch den Sammelband von Gall/Langewiesche (Hg.), Liberalismus und Region, der verschiedene Fallbeispiele vereint.

Politische Prägungen  

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port ihrer Agrargüter nach Frankreich oder zum Beispiel auf den wichtigen Absatzmarkt Baden Zölle bezahlen. Sogar wenn die Produkte nach Bayern gingen, fielen Zölle an. Die Zölle für Weißwein und Tabak waren zwar im bayerischen Zollgesetz von 1819 etwas ermäßigt worden.3 Trotzdem setzten sich der Landrat und die pfälzischen Abgeordneten in der Kammer der Abgeordneten immer wieder für die zollfreie Einfuhr der pfälzischen Waren nach Altbayern ein. 1824 erfolgte eine weitere Senkung der Zölle für Weißwein, Tabak und weitere Waren, die in der Pfalz jedoch nur als kleiner Fortschritt wahrgenommen wurde. Hinzu kam, dass das bayerische Zollgesetz von 1819 die Einfuhr der badischen Weine erschwert hatte und Baden als Gegenmaßnahme die Zölle auf Weine aus dem Rheinkreis erhöhte. Damit wurde der Export der Weine nach Baden weiter belastet. Die verzweifelten Versuche des Landrats und des Regierungspräsidenten des Rheinkreises, Joseph von Stichaner, die bayerische Regierung zur Senkung der Zölle auf badische Weine zu bewegen, scheiterten. ­Stichaner sah in dieser Frage auch eine soziale und politische Dimension: »Ein Land, dem alle Nahrungsquellen abgeschnitten werden, kann man mit Vorstellungen und Hoffnungen nicht mehr auf lange Zeit beruhigen. Das Übel wirkt durch alle Adern und kann nur die unangenehmsten Wirkungen zur Folge haben.«4 Als dann am 18. Januar 1828 ein umfassendes Zoll- und Handelsabkommen zwischen dem Königreich Bayern und dem Königreich Württemberg abgeschlossen wurde, blieb der Rheinkreis außerhalb dieses Zollverbands. Die Ausfuhr seiner Produkte in diesen »süddeutschen Zollverein«, der geographisch nicht an die Pfalz grenzte, wurde jedoch deutlich erleichtert.5 Zwei Jahre später, am 27. Mai 1829, wurde ein Handelsvertrag zwischen dem »süddeutschen Zollverein« und dem nördlichen Zollverband von Hessen-Darmstadt und Preußen vereinbart.6 Darin wurde für die Pfalz festgelegt, dass die Zolllinie des »süddeutschen Zollvereins« auf die Pfalz übertragen würde. Entscheidend war, dass unter den Produkten, die nicht zollfrei nach Preußen und Hessen-Darmstadt eingeführt werden durften, die zentralen agrarischen Exportprodukte der Pfalz aufgeführt waren: Wein und Tabak. Zusätzlich wurden durch die neue Zolllinie die Preise beim Import insbesondere von Kolonialwaren wie Kaffee und Z ­ ucker deutlich erhöht. Als Folge davon stieg der Schmuggel in die Pfalz drastisch an. Diese Konstellation war auch für die bayerische Regierung sehr kostspielig, denn die Zolleinnahmen konnten den Verwaltungsaufwand und den Grenzschutz bei weitem nicht decken. Für den Zeitraum von 1830 bis 1833 ergab sich so ein Fehlbetrag von 80.000 bis 100.000 Gulden. Zahlreiche Flugblätter, die­ 3 Zur Entwicklung der Zölle in der Pfalz siehe Gruber, Entwicklung, S.  116–161. Zur Rolle des Landtags in dieser Frage siehe Götschmann, Landtag, S. 62 f. 4 Zitiert nach Gruber, Entwicklung, S. 124. 5 Gruber, Entwicklung, S. 134 f.; Hahn, Geschichte des deutschen Zollvereins, S. 41. 6 Hierzu und zu dem Folgenden: Gruber, Entwicklung, S. 142–153; Hahn, Geschichte des deutschen Zollvereins, S. 53–55.

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liberale Neue Speyerer Zeitung und die politische Öffentlichkeit der Rheinpfalz diskutierten diese Missstände und forderten die bayerische Regierung auf, die Zolllasten für die Pfalz abzuschaffen. Nicht nur diese verfehlte bayerische Wirtschaftspolitik sorgte für große Unruhe in der Pfalz. Hinzu traten immer wieder Hungersnöte, verursacht zum Beispiel durch den kalten Winter 1829/30, oder Missernten, welche die Lage weiter Bevölkerungskreise verschlechterten.7 Die Eintragungen in Ludwig Andreas Jordans Tagebuch belegen eindrücklich die schwierige wirtschaftliche Situation der Pfälzer. So vernichtete ein Hagelschauer am 22.  Mai 1829 einen Großteil der Ernte in der Vorderpfalz.8 Anschließend beschreibt Jordan den extrem kalten Winter, in dem vor allem der ärmeren Bevölkerung die Kartoffeln erfroren und das Feuerholz ausging.9 Verschärft wurde die sogenannte »Holznot« der unteren Bevölkerungsschichten noch durch die rigorose bayerische Forstpolitik, denn ein Großteil des Waldes war mittlerweile bayerischer Staatswald und die älteren Holzrechte der Gemeinden nicht mehr gültig. Der fast zwangsläufige »Holz­frevel« wurde unter hohe Strafe gestellt.10 Zudem konnten durch die Kälte und den Schnee keine Feldarbeiten ausgeführt werden, sodass die Tagelöhner keine Arbeit hatten. Jordan stellte »ein großes Elend«11 bei den armen Einwohnern Deidesheims fest. Diese Probleme versuchte man vor allem lokal zu lösen. In Deidesheim wurde eine Sammlung veranstaltet, die 180 Gulden erbrachte. Das war auch nur ein Tropfen auf den heißen Stein, denn davon konnte man vier Fleischmahlzeiten für notleidende Deidesheimer Familien anschaffen.12 Durch die Kälte war außerdem ein Teil der Reben erfroren. Als am 15. Juni 1830 erneut ein Hagelsturm auf Deidesheim und die Vorderpfalz niederging, war die ohnehin schon kleine Menge an Früchten vollständig vernichtet. Auch das Getreide und das Obst waren dahin.13 In diesem Jahr ernteten die Jordans nur ein Fuder Wein.14 Die Familie konnte diese extremen Witterungsschäden auffangen, denn man konnte Wein aus älteren Jahrgängen verkaufen und hatte finanzielle Rücklagen. Aber die Tagelöhner und die zahlreichen Besitzer kleiner 7 Ziegler, Pfälzer Geschichte, S. 106. 8 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 22.5.1829, LaS, V153 (Bassermann-­ Jordan), Bd. 29. 9 Kartoffeln waren das Hauptnahrungsmittel der ärmeren Bevölkerung in der Pfalz. Siehe Schaupp, Freiheitsbäume, S. 36 f. 10 Zur Holznot und den damit verbundenen Konflikten in der Pfalz siehe Grewe, Wald. Für eine kritische Sicht auf die vermeintlich alten Holzrechte siehe Sperber, Normenkonflikte. 11 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 8.2.1830, LaS, V153 (Bassermann-­ Jordan), Bd. 29. 12 Ebd. 13 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 15.5.1830, LaS, V153 (Bassermann-­ Jordan), Bd. 29. 14 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 4.10.1830, LaS, V153 (Bassermann-­ Jordan), Bd. 29.

Politische Prägungen  

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Weinparzellen, mussten sich entweder weiter verschulden oder ihre Wingerte verkaufen. Eine Alternative, die in dieser Zeit häufig praktiziert wurde, war auch die Auswanderung.15 Angesichts dieser wirtschaftlichen Notlage ist es nicht verwunderlich, dass es in der Pfalz gärte. Armut und Elend waren in den Unterschichten groß, und die Unzufriedenheit mit der bayerischen Wirtschaftspolitik wuchs. Die Julirevolution im Nachbarland Frankreich 1830 traf auf eine Pfälzer Bevölkerung, die nicht nur durch ihre politische Prägung offen für die liberalen Ideen der politischen Partizipation weiter Bevölkerungskreise, der Presse- und Versammlungsfreiheit war, sondern in der sich auch große Teile der Bevölkerung von politischen Veränderungen eine wirtschaftliche Verbesserung ihrer Lage erhofften. Aus Angst vor einem Überschwappen der Revolution auf Deutschland rief der Deutsche Bund im Oktober 1830 die Regierungen seiner Mitgliedsländer zu erhöhter Wachsamkeit auf. Der bayerische König Ludwig I., der 1825 seine Regierungszeit mit relativ liberalen Maßnahmen begonnen hatte, befand sich in dieser Zeit auf einem Weg zur autokratischen Herrschaft und befürchtete eine sich ausweitende Opposition, die seine monarchische Stellung untergraben wollte. Er sah vor allem die Presse als Agitator gegen die Monarchie an. Im November 1830 ordnete er daher an, gegen die Pfälzer Zeitschrift Rhein­ baiern des Juristen und Journalisten Philipp Jakob Siebenpfeiffer vorzugehen. Am 28. Januar 1831 erließ er dann gegen den Rat seiner Regierung ein Presse­ edikt, das die Berichterstattung in Bayern über innenpolitische Ereignisse der Zensur unterwarf. Das sorgte in den liberalen Kreisen der Pfalz für große Empörung, wo es vor allem die Neue Speyerer Zeitung des liberalen Publizisten Georg Friedrich Kolb betraf.16 Als daher die Kammer der Abgeordneten, die zweite Kammer der bayerischen Ständeversammlung, am 8. März 1831 zusammentrat, war die Stimmung bei den Pfälzern generell oppositionell, aber auch bei den rechtsrheinischen Bayern überwog die negative Einstellung gegenüber Ludwig I. und seiner Regierung. Die Kammer war noch kein nach allgemeinem und gleichem (Männer-) Wahlrecht gewählter Landtag, sondern setzte sich aus Vertretern verschiedener Stände zusammen, deren Anteil an den Kammersitzen in der bayerischen Verfassung von 1818 festgelegt war. Danach wurde ein Achtel der Abgeordneten von adeligen Gutsbesitzern mit eigener Gerichtsbarkeit gewählt, ein weiteres Achtel von den katholischen und protestantischen Geistlichen, ein Viertel von den Städten und Märkten und die restliche Hälfte von den Landeigentümern ohne gutsherrliche Gerichtsbarkeit. Hinzu trat noch jeweils ein Abgeordneter der drei bayerischen Universitäten.17 15 Siehe Heinz, Auswanderung, S. 202 f. 16 Ziegler, Pfälzer Geschichte, S. 107; Gollwitzer, Ludwig I., S. 445–447. 17 Kirsch, Zeit, S. 66; Götschmann, Landtag, S. 45; Leeb, Wahlrecht, 1. Teilbd., S. 63.

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In den Kammerdebatten des Landtags von 1831/32 gab es heftige Auseinander­ setzungen um die Regierungspolitik. Dabei setzten sich vor allem die oppositionellen Pfälzer Abgeordneten gegen die Presseverordnung und den konservativen Innenminister Eduard von Schenk ein.18 Insbesondere die beiden Advokaten Christian Culmann und Friedrich Schüler taten sich dabei hervor.19 Ludwig Andreas Jordan verfolgte die Kammerdebatten sehr genau mit. Sein Vater war zu dieser Ständeversammlung das erste Mal gewählt worden, als Ab­ geordneter der Landeigentümer ohne gutsherrliche Gerichtsbarkeit (Klasse V). In einer Auflistung des konservativen Kammerpräsidenten Sebastian von Schrenk wurde er gemeinsam mit seinen Pfälzer Kollegen Culmann, Schüler, dem Advokaten Friedrich Justus Willich, dem Weingutsbesitzer Jakob S­ choppmann und dem Abgeordneten Ritter als Teil »der unbedingten und beharrlichen Opposition«20 bezeichnet. Auch er agitierte in der Kammerdebatte vehement gegen Innenminister von Schenk und das Presseedikt. Er warnte davor, dem Innenminister Unkenntnis der Gesetze beim Erlass des Presseedikts zugute zu halten. Bei einem Juristen in einer solch hohen Position müsse man davon ausgehen, dass er die Gesetzeslage sehr genau kenne. Die wichtigste Aufgabe des Ministers sei es, die Verfassung zu schützen. Stattdessen habe er durch sein Verhalten für Misstrauen in der Kammer gesorgt. Er lähme mit seinem Verhalten die Verhandlungen, wodurch unnötige »aus dem Marke des armen Volkes erpreßte Summe verschwendet werden«21. Am Ende seiner Rede stellte er fest: »Wo kein Vertrauen obwaltet, ist auch kein Gedeihen möglich.«22 Die Angriffe der Abgeordnetenkammer und der liberalen Presse gegen Innen­ minister von Schenk, den man für die Verabschiedung des Presseedikts verantwortlich machte, waren letztendlich erfolgreich und führten am 24. Mai 1831 zur Entlassung des engen Vertrauten Ludwigs I. Trotz dieses Erfolges differenzierte sich die Pfälzer Fraktion in der Folgezeit etwas aus. Insbesondere die Frage der Ernennung der Friedensrichter im Rheinkreis spaltete die Opposition. Theoretisch sollten diese vom Volk gewählt werden. Jetzt stand ein Vorschlag auf der Tagesordnung, der die Ernennung durch die Regierung vorsah. Culmann und einer der Hauptvertreter des fränkischen Liberalismus Johann Adam Seuffert waren bereit, mit der Regierung einen Kompromiss einzugehen und konnten sich mit dieser Position in der Kammer auch durchsetzen. Dagegen sprach sich­ Schüler aus, der einen Teil der Abgeordneten hinter sich versammeln konnte. Die 18 Von Schenk war ein enger Vertrauter von Ludwig I. Siehe Spindler (Hg.), Briefwechsel. 19 Kirsch, Zeit, S. 68–75. 20 Zitiert nach ebd., S. 69. 21 Rede Andreas Jordans in der Zweiten Kammer der Ständeversammlung des Königreichs Bayern am 9.5.1831, in: Verhandlungen der Zweyten Kammer der Ständeversammlung des Königreichs Bayern 1831, Bd. 5, München 1831, S. 54. 22 Ebd., S. 55.

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gemäßigte Opposition Culmanns zeigte sich auch, als dieser versuchte, Kompromissmöglichkeiten mit dem neuen Innenminister Johann Baptist von Stürmer auszuloten, um auf diese Weise eine Rücknahme der Pressezensur zu bewirken. Man warf ihm daher Unzuverlässigkeit vor. Die linksliberale Deutsche Tribüne des Juristen und Journalisten Johann Georg August Wirth bezeichnete ihn als »Überläufer von der Sache des Volkes zur Regierung«23. Andreas Jordan ist in diesen Auseinandersetzungen interessanterweise bei der radikaleren Position Schülers zu finden, die auch von den Pfälzer Abgeordneten Jakob Brogino, Schoppmann und Ritter gestützt wurde. Dass Jordan, der zwar als oppositionell, aber nicht links außen eingeschätzt war, jetzt zum radikalen Führer Schüler hielt, fiel auch der Regierung auf. Dort notierte man, dass Schülers Einfluss sehr groß sein müsse, wenn es ihm sogar gelänge, Männer wie Andreas Jordan auf seine Seite zu ziehen, die seine politischen Anschauungen sonst nicht teilten.24 Als Andreas Jordan im Juli einen dreiwöchigen Urlaub von den Kammerverhandlungen erhielt und zu Hause in Deidesheim weilte, diskutierte er die politischen Ereignisse mit seinen Abgeordnetenkollegen, anderen Gutsbesitzern und Bildungsbürgern der Haardtgegend ausführlich. Bei mehreren Essen und zum Teil auch zufälligen Treffen kamen die Abgeordneten Schoppmann und Brogino, der Weingutsbesitzer Ludwig Wolf aus Wachenheim, die Deidesheimer Gutsbesitzer Andreas Giessen und Eckel, der Neustadter Kantonsarzt Dr. Nikolaus Lederle, der Deidesheimer Arzt Dr. Peter Poth, der Frankenthaler Kaufmann Heinrich Mattil, der Deidesheimer Notar Nikolaus Kößler und der Neustädter Kaufmann und Bankier Ludwig Dacqué zusammen, um die weiteren politischen Schritte zu planen. Dabei ging es, wie Ludwig Andreas Jordan in seinem Tagebuch notierte, manchmal durchaus feuchtfröhlich zu.25 Insgesamt konnte die Ständekammer einige Erfolge erzielen, wenn auch nicht in dem Umfang, den man sich erhofft hatte. So hatte man die eher symbolische Opferung Schenks erreicht, und das Presseedikt war zurückgenommen worden. Man hatte aber keine verfassungsrechtliche Absicherung der Pressefreiheit durchsetzen können, sodass hier immer noch eine große Unsicherheit herrschte. Außerdem war es gelungen, im Haushalt einige Posten bei der Zivilliste und den Kunstausgaben Ludwigs I. zu streichen.26 Auch die mittlerweile 23 Deutsche Tribüne vom 4.7.1831. Zitiert nach Kirsch, Zeit, S. 74. Zu den Verhandlungen der bayerischen Regierung mit Culmann und Seuffert sowie der Polemik dazu siehe auch Götschmann, Parlamentarismus, S. 556–559. 24 BHstaM, MInn, Bd. 44345. Zitiert nach Marx, Die pfälzischen Abgeordneten, S. 17. 25 Tagebucheinträge Ludwig Andreas Jordans vom 12., 15., 17., 23., 31.7.1831, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 29. 26 Die Streichungen in der Zivilliste des Königs hatte auch Andreas Jordan unterstützt. Die Deutsche Tribüne führte die Unterstützer in einer »Ehrenliste« namentlich auf. Siehe »Tageschronik, München, 29. September«, in: Deutsche Tribüne Nr. 90 vom 30.9.1831. Die Liste ist abgedruckt in der hervorragenden Quellenedition: Deutsche Tribüne. Zur Wiedergeburt des Vaterlandes, Bd. 1,1 (1.7.1831–31.10.1831), Sp. 728.

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von München in die Pfalz umgezogene oppositionelle Tageszeitung Deutsche Tribüne des Journalisten Johann Georg August Wirth kam in ihrer bereits im November 1831 vorgenommenen Gesamtbewertung zu einem gemischten Fazit. Man sähe bei einer Mehrzahl der Abgeordneten »Opposition in den Worten und Unterwürfigkeit im Handeln«27. Dagegen habe es auch eine Minderheit an Abgeordneten gegeben, »die während des ganzen Laufes der Session Consequenz behauptete und bei allen Hauptfragen im Sinne der Freiheit, Aufklärung und der Volksinteressen«28 gehandelt habe. In der anschließenden Aufzählung dieser Minderheit tauchen dann auch die pfälzischen Abgeordneten Schüler, Schoppmann, Brogino und Jordan auf.29 Der eher vermittelnde Culmann wird nicht erwähnt. Die Auseinandersetzungen mit der Regierung wurden also mit der Spaltung der Pfälzer Gruppierung erkauft, die länger nachwirken sollte.30 Wie diese Ereignisse auf Ludwig Andreas Jordan wirkten, lässt sich anhand seines Briefwechsels gut nachvollziehen, da er in der Zeit der Landtagssitzungen zwischen März und Dezember 1831 mit seinem Vater in regem Briefkontakt stand. Deutlich wird auch bei ihm bereits, dass er die Pfälzer für aufgeklärter und liberaler als die Altbayern hielt. Diese Position nahmen auch die Landtagsabgeordneten ein, die teilweise missionarisch ihre liberalen Institutionen verteidigten und auf das rechtsrheinische Bayern ausdehnen wollten. So schrieb Ludwig Andreas Jordan am 25. März 1831 an seinen Vater nach München, dass er sich über die gute Zusammenarbeit der Pfälzer und Franken freue. Über die Altbayern urteilte er, dass »diese wahrscheinlich der Aufklärung [bedürfen] und dann werden auch liberale Ideen bei ihnen Eingang finden, besonders wenn der von Anfang sie verblendende Nymbus königlichen Glanzes verschwunden sein wird.«31 Hier wird das Bild von unaufgeklärten, rückständigen Bayern sehr anschaulich. 27 O. V., Die baierische Deputirtenkammer im Jahre 1831, Deutsche Tribüne Nr. 152 vom 2.11.1831, in: Deutsche Tribüne. Zur Wiedergeburt des Vaterlandes, Bd. 1,1 (1.7.1831–31.10.1831), Sp. 1029–1032, hier Sp. 1031. 28 Ebd., Sp. 1032. 29 Da die ursprünglich in München erscheinende Deutsche Tribüne zunehmend staatlicher Gängelung und Zensur ausgesetzt gewesen war, war Wirth mit seinem Blatt im Oktober 1831 in die vermeintlich liberalere Pfalz umgezogen. Zudem wurde der Druck der Zeitung jetzt mit Hilfe von Aktienausgaben finanziert. Die Aktienverkäufe wurden zwar in der Zeitung immer wieder genannt, in der Regel jedoch anonym. Eine Ausnahme bilden die Aktienkäufe der Abgeordneten Freiherrn von Closen, Andreas Jordan und Jakob ­Brogino. Siehe Elisabeth Hüls, Die »Deutsche Tribüne«. Ein Oppositionsblatt im Vormärz, in: Deutsche Tribüne, Bd. 2, S. 32 f. Andreas Jordans Aktienkauf ist erwähnt in: Deutsche Tribüne Nr.  152 vom 2.12.1831, in: Deutsche Tribüne. Zur Wiedergeburt des Vaterlandes, Bd.  1,1 (1.7.1831–31.10.1831), Sp. 1242. 30 Eine positive Beurteilung der Landtagsergebnisse bei Scherer, Pfalz-Bayern, S. 9–40. Eine eher negative Einschätzung bieten Kirsch, Zeit, S. 75; Götschmann, Parlamentarismus, S. 581–586. 31 Ludwig Andreas Jordan an Andreas Jordan in München, Mannheim, 25.3.1831, Briefsammlung Hauck, Briefe 1829–1837.

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Mit Freude registrierte Ludwig Andreas Jordan die Rücknahme des Presse­ edikts und warf der Regierung einen taktischen Fehler vor, das Presseedikt so kurz vor dem Landtagsbeginn erlassen zu haben. Offensichtlich habe man nicht mit einer so starken Opposition gerechnet.32 Von dem Einsatz seines Vaters für die Pressefreiheit, der »Menschheit edelstes Gut«33, zeigte sich Ludwig Andreas Jordan sehr beeindruckt. Er schrieb daraufhin stolz an seinen Vater, dass er mit seinem positiven Wirken sicher als Beispiel für die anderen Kollegen diene. Bei den Debatten über das Budget unterstützte Ludwig Andreas Jordan die Forderung seines Vaters, Kürzungen im Bauetat des Königs vorzunehmen. Vor allem kritisierte er das neue Pressegesetz, das die Regierung nach der Rücknahme des Presseedikts der Kammer der Abgeordneten vorlegte. Dies sei seiner Meinung nach zu ungenau formuliert, sodass es viele Deutungen zulasse. Besonders ärgerlich empfand er die darin vorgesehene Einschränkung von Kritik an der Person des Königs: »Ein guter Regent hat selbst Verläumdungen nicht zu fürchten.«34 Der Gesetzesvorschlag der Regierung fand bei der Abstimmung in der Kammer auch keine Mehrheit, denn er sicherte aus Sicht der Abgeordneten die Pressefreiheit nicht hinreichend.35 Auch die Position seines Vaters in Bezug auf die Forststrafen unterstützte er, denn es ging darum, diese deutlich herabzusetzen – ein Thema, das für die Unterschichten in der Pfalz von großer Bedeutung war.36 Es betraf aber genauso die Winzer, denn für den Rebanbau benötigten sie Holz für die Pfähle, die sogenannten »Wingertsstiefel« und Weiden für die Verbindungen zwischen diesen. Zudem brauchten sie Streu für das Vieh, das die meisten Winzer zur Düngerproduktion zusätzlich hielten. Die Ställe wurden dabei nicht mit Stroh ausgelegt, sondern mit einem vom Waldboden abgesammelten Gemisch aus Blättern, kleinen Ästen etc. Damit wurde der Dung aufgefangen und konnte dann in die Weinberge gebracht werden. Die Einschränkung der Holzrechte durch den bayerischen Staat führte somit dazu, dass die Winzer ihr Material immer stärker auf dem freien Markt erwerben mussten, was den Rebanbau verteuerte und zu der starken Zunahme von »Holzfrevel« beitrug.37 32 Ludwig Andreas Jordan an Andreas Jordan in München, Mannheim, 6.5.1831, Briefsammlung Hauck, Briefe 1829–1837. 33 Ludwig Andreas Jordan an Andreas Jordan in München, Mannheim, 25.5.1831, Briefsammlung Hauck, Briefe 1829–1837. 34 Ludwig Andreas Jordan an Andreas Jordan in München, Mannheim, 13.6.1831, Briefsammlung Hauck, Briefe 1829–1837. 35 Größer, Liberalismus, S. 52–54. 36 Ludwig Andreas Jordan an Andreas Jordan in München, Mannheim, 22.8.1831, Briefsammlung Hauck, Briefe 1829–1837; Ludwig Andreas Jordan an Andreas Jordan in München, Mannheim, 20.9.1831, Briefsammlung Hauck, Briefe 1829–1837. Zum Gesamtkontext siehe auch Keiper, Pfälzische Forst- und Jagdgeschichte. 37 Zum Holzbedarf im Weinbau siehe Grewe, Wald, S.  153–156, 387 f.; Bassermann-­ Jordan, Geschichte des Weinbaus, Bd. 1, S. 225–228.

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Insgesamt war Ludwig Andreas Jordan sehr stolz auf seinen Vater, der aus seiner Sicht nicht nur mutig wichtige Pfälzer Anliegen vertreten, sondern sich als Gutsbesitzer im juristisch geprägten Umfeld der Abgeordnetenkammer gut behauptet hatte, sodass »die Zöglinge der Themis Achtung vor den schlichten Landleuten bekommen«38 würden. Bei aller Kritik an der bayerischen Regierung und dem bayerischen König, hielt er die Regierungsform der konstitutionellen Monarchie doch prinzipiell für gut. Als er seinem Vater im April 1831 nach München schrieb, dass ein Krieg mit Frankreich drohe, sah er sich in einer Zwickmühle. Er konnte sich vorstellen, sowohl den Franzosen die Daumen zu drücken, da sie die »Verfechter der Freiheit und aller dem Menschen gebührenden Rechte«39 seien, als auch den Deutschen, Österreichern und Russen. Diese setzten sich zwar nur für »Legitimität und die Heilige Allianz« ein, seien aber »unsere Landsleute und die Vertheidiger unseres Heerdes«. Er schwankte hier also noch deutlich zwischen den beiden Prinzipen der Einheit und der Freiheit oder, um es in Form der Ideologien auszudrücken, zwischen Nationalismus und Liberalismus. Die beste Lösung lag für ihn darin, wenn alles beim alten bliebe, denn die bayerische Regierung »ist ja gut und für die Bewahrung unserer Verfassung sorgt ja eine wackere Ständeversammlung«. Als die Pfälzer Abgeordneten Ende Dezember 1831 in ihre Heimat zurückkehrten, wurden ihnen von der Bevölkerung zahlreiche Empfänge bereitet, denn man wollte ihren Einsatz für die liberalen Rechte und ihren Kampf gegen die reaktionäre Regierung würdigen.40 Andreas Jordan wurde von seinen Deidesheimer Mitbürgern umjubelt, als er am 25.  Dezember 1831 von München nach Hause zurückkehrte. Diesen Empfang und die Feierlichkeiten hat sein Sohn ausführlich und sichtlich beeindruckt in seinem Tagebuch beschrieben.41 Die Stadt war mit Fackeln erleuchtet, und alle Einwohner waren versammelt, als sein Vater dort eintraf. Begleitet von einer türkischen Musik präsentierte man seinem Vater eine 20 Fuß hohe Pyramide, die vom Deidesheimer Lehrer Joseph Wilhelm Schandein bemalt worden war. In den emphatischen und pathetischen Versen, die auf den Pyramidenseiten angebracht waren, wurde Andreas Jordans Einsatz für die Rechte seiner Mitbürger in der bayerischen Abgeordnetenkammer gewürdigt. Ludwig Andreas Jordan hat die Inschriften notiert. Sie geben 38 Ludwig Andreas Jordan an Andreas Jordan in München, Deidesheim, 12.11.1831, Briefsammlung Hauck, Briefe 1829–1837. 39 Ludwig Andreas Jordan an Andreas Jordan in München, Mannheim, 15.4.1831, Briefsammlung Hauck, Briefe 1829–1837. Daraus auch die folgenden Zitate. 40 Foerster, Abgeordnetenfeste, S. 134. 41 In der Forschungsliteratur wird das Fest auch mit einem Satz erwähnt, allerdings fälschlicherweise Ludwig Andreas Jordan zugeschrieben. Siehe Foerster, Abgeordnetenfeste, S. 134; Foerster, Preß- und Vaterlandsverein, S. 102; Nestler, Bewegung, S. 191. Zum Gesamtzusammenhang siehe auch Götschmann, Landtag, S. 41–65; Götschmann, Parlamentarismus, S. 521–586.

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einen Eindruck von dem Ansehen, das Andreas Jordan in Deidesheim genoss. Auf der Vorderseite der Pyramide stand: »›Dem hochverehrten und wackern Deputirten Herrn A. Jordan.‹ Im Grunde stand: ›Die Freunde des allgemeinen Wohls.‹ Auf der Rückseite: ›Zur dankbaren Erinnerung an die Sessionstage der bayerischen Deputirten Kammer.‹ Am Fuße derselben: ›Nie verlöschen wird das heil’ge Feuer Das dieser Commitenten Herz durchglüht! Wie das Leben ist dein Ruhm uns theuer der in diesen Tagen neu erblüht.‹ Diese beiden Seiten waren mit Eichen-Guirlanden umschlungen. Auf der eine Nebenseite befand sich der Genius der Geschichte, der mit seinem Griffel in sein Buch die denkwürdigen Tage: Der 16te Mai, 5te Juli, 5te August & c aufzeichnet. Im Grunde stand: ›Tiefer noch in unsern Herzen sind eingegraben deine edlen Bemühungen zum Wohle des Vaterlandes.‹ Auf der vierten Seite sah man zwei umschlungene Hände, das Symbol der Treue. Im Grunde las man: ›Du hast mit der Treue hohen Thaten in dir selbst Altäre dir gebaut. Und wenn Versuchungen sich nahten Auf die eingeborne Kraft vertraut.‹«42

Anschließend wurde ein Feuerwerk veranstaltet und gefeiert. Ludwig Andreas Jordan notierte in sein Tagebuch, dass dies ein »ewig denkwürdige[r] Tag« gewesen sei. Die Anhänglichkeit und Liebe der Deidesheimer zu seinem Vater sei für ihn ein erhabenes Erlebnis gewesen, dass ihn dazu ansporne, dem Vorbild seines Vaters nachzueifern.43 Dieser Wunsch, dem Vorbild des Vaters durch sein politisches Engagement zu folgen, findet sich bereits in einem Brief an seinen Vater vom 25. Mai 1831. Er schrieb unter den ersten Eindrücken der Verhandlungen in der Ständekammer, es gebe »keine edlere Bestimmung als für die Rechte seiner Mitbürger zu wirken«44. Dazu würden ihm jedoch noch wichtige Eigenschaften fehlen, wie zum Beispiel »Beredsamkeit, gründliche Kenntniß der Gesetze und vor allem ein schnell auffassender Verstand«. Dieses Thema zog sich seitdem auch durch den Briefwechsel mit seinem Freund Franz Peter Buhl, dessen Vater ebenfalls als Abgeordneter, allerdings in der zweiten badischen Kammer, aktiv war. So schrieb er seinem Freund am 4.  Juni 1831, dass sie beide dem Muster ihrer Väter folgen sollten. Um dieses 42 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 25.12.1831, LaS, V153 (BassermannJordan), Bd. 29. 43 Ebd. 44 Ludwig Andreas Jordan an Andreas Jordan in München, Mannheim, 25.5.1831, Briefsammlung Hauck, Briefe 1829–1837. Daraus auch das folgende Zitat.

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Ziel zu erreichen, müssten sie jedoch auf dem Pfad der Tugend weiter vorankommen.45 In einigen auf Englisch verfassten Briefen vertieften die beiden das Thema. Sie entwarfen sich, und hier wird wieder deutlich, wie Bürgerlichkeit funktionierte, ein Idealbild des Abgeordneten, auf das sie hinarbeiten wollten.46 Ludwig Andreas Jordan sah die Hauptaufgabe des Abgeordneten darin, sich für das Wohlergehen seiner Mitbürger einzusetzen. Dann werde man auch von seinen Mitbürgern geschätzt. Als Abgeordneter müsse man jedoch seine Gefühle und Leidenschaften im Zaum halten, sonst werde man zu Maßnahmen und Entscheidungen verführt, die sich bei ruhiger Betrachtung als falsch erweisen würden. Um als Abgeordneter zu bestehen, müsse man zudem viele theoretische und praktische Kenntnisse besitzen. Daher sei es ihre Aufgabe, diese Kenntnisse zu erwerben. Wenn sie diese Aufgabe gelöst hätten, würden ihre Namen einst auch mit Hochachtung genannt, genauso wie die ihrer Väter. Dann habe man das höchste Ziel erreicht, man habe seinen Namen der Vergessenheit entrissen. Um bereits mit dem Erwerb der praktischen Fähigkeiten zu beginnen, schlug L ­ udwig Andreas Jordan seinem Freund vor, in den ereignisarmen Wintermonaten, Reden zu bestimmten Themen zu entwerfen und einzuüben. In der Einschätzung des Verhältnisses des Abgeordneten zu seinen Mitbürgern trat zwischen den beiden eine Differenz zu Tage.47 Franz Peter Buhl forderte, dass sich der Abgeordnete für Ehre, Tugend und Freiheit einsetzen müsse, als Werte an sich, und es dabei nicht darum gehe, sich die Gunst der Mitmenschen zu erwerben. Dagegen bezog sein Freund die Abgeordnetentätigkeit direkt auf seine Mitbürger und auf seine Wähler. Diesen gegenüber sei man verpflichtet, sich für ihre Anliegen einzusetzen. Die Dankbarkeit der Mitbürger sei das Schönste, das ein Abgeordneter erwerben könne. In den Briefen Ludwig Andreas Jordans an seinen Vater und an seinen Freund zeigt sich, dass die Abgeordnetentätigkeit nicht als Klassenvertretung wahrgenommen wurde. In der Selbstwahrnehmung ging es nicht darum, die eigenen ökonomischen Interessen zu verteidigen, sondern man sah seine Aufgabe darin, vor allem die Pfälzer Anliegen und die Wünsche seiner Mitbürger wahrzunehmen und aufzugreifen. Da sich die Pfälzer und auch Ludwig Andreas Jordan aufgrund der Franzosenzeit als fortschrittlich ansahen, wollte man die eigenen Rechte auf den Rest Bayerns übertragen. Aus dieser eigenen Erfahrung schöpften die Pfälzer Liberalen ihr Selbstbewusstsein. Als Grundpfeiler des Systems sahen sie die Pressefreiheit, denn über die Presse meinte man alle Menschen über ihre Ziele und Ideale aufklären zu können. Deswegen gab es 45 Ludwig Andreas Jordan an Franz Peter Buhl, Mannheim, 4.6.1831, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 386. 46 Hierzu und zu dem Folgenden: Ludwig Andreas Jordan an Franz Peter Buhl, Deidesheim, 25.11.1831, BaK, N1754 (Buhl), Bd. 7; Ludwig Andreas Jordan an Franz Peter Buhl, Deidesheim, 16.12.1831, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 386. 47 Ebd.

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auch die heftige Agitation gegen die Pressezensur in Bayern. Primär war es also das Ziel, mit Hilfe der veröffentlichten Meinung den Einfluss der Pfälzer auf die bayerische Politik zu verstärken, um den politischen Zustand Gesamtbayerns auf pfälzischer Grundlage zu reformieren. Die Politisierung weiter Bevölkerungskreise in der Pfalz durch die Wirtschaftsprobleme und die politische Krise wurde noch verschärft durch die revolutionären Ereignisse in Polen. Dort versuchten polnische Nationalisten und Offiziere, angestachelt durch die Pariser Julirevolution, die russische Herrschaft militärisch abzuschütteln und einen eigenständigen polnischen Staat zu gründen. Die Kämpfe dauerten von November 1830 bis September 1831, als die aufständischen Polen von den russischen Truppen besiegt wurden.48 Dieser »polnische Freiheitskampf« wurde, wie wenige Jahre zuvor der »griechische Freiheitskampf«, von einer breiten Öffentlichkeit in den Staaten des Deutschen Bundes verfolgt. Zur Unterstützung der Polen bildeten sich zahlreiche Vereine, die durch Wohltätigkeitsveranstaltungen und Verkäufe Spenden für die polnischen Kämpfer sammelten und nach Polen sandten. Das eng verbundene Netz dieser Vereine erlaubte auch einen Austausch über die politische Entwicklung im Deutschen Bund und diente der Organisation und Verbindung der Opposition im Vormärz. Anhand des polnischen Vorbilds wurden die Optionen der politischen Entwicklung in Deutschland diskutiert und die Möglichkeiten für die Gründung eines Nationalstaats durchgespielt.49 Von dieser Begeisterung, dem Mitfiebern mit den polnischen Kämpfern, wurde auch Ludwig Andreas Jordan erfasst. Seinem Vater, seinem Freund Franz Peter Buhl und seiner Schwester teilte er in seinen Briefen die neuesten Gerüchte über die Entwicklungen in Polen mit. Dabei stellte er die beiden Kriegsparteien dichotomisch gegeneinander. Die Russen waren die Bösen, die sich »schänd­ liche[r] Mittel«50 bedienten und sogar die Cholera als Waffe einsetzen würden. Dagegen galten die Polen als brav, tapfer, als »heldenmüthige Nation«51 und als Kämpfer für »Selbständigkeit und Freiheit«52. Das, was als höchster Wert für das bürgerliche Individuum angesehen wurde, wurde so auch auf den Kampf der 48 Alexander, Kleine Geschichte Polens, S. 199–204. 49 Die Bedeutung der Polenbegeisterung für den deutschen Frühliberalismus ist mittlerweile breit erforscht. Siehe Ehlen (Hg.), Der polnische Freiheitskampf 1830/31; Langewiesche, Humanitäre Massenbewegung; Brendel, Zukunft Europa?, S.  213–314; Brudzyńska-Němec, Polenvereine; Gehrke, Solidarität. Mit einer etwas längeren Zeitspanne auch Kolb, Polenbild; Hofmann, Wandel. Einen knappen Überblick liefert Brudzyńska-Němec, Polenbegeisterung. Die Polenbegeisterung in der Pfalz beschreiben Kermann, Pfälzisch-polnische Beziehungen, und Volkmann, Der polnische Aufstand 1830/31. 50 Ludwig Andreas Jordan an Franz Peter Buhl, Mannheim, 8.7.1831, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 386. 51 Ebd. 52 Ludwig Andreas Jordan an Andreas Jordan in München, Mannheim, 15.4.1831, Briefsammlung Hauck, Briefe 1829–1837.

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Nationen übertragen. Die Polen sollten dabei als Damm gegen den russischen »Koloß«53 fungieren. Ludwig Andreas Jordan erstand auch eine der zahlreichen Devotionalien, die im Zuge des polnischen Kampfes hergestellt wurden und sich großer Beliebtheit erfreuten. Er kaufte in Mannheim eine »polnische Karte« und sandte sie an seine Schwester Josephine, mit der Bitte, sie an seinen Freund Franz Peter Buhl weiterzureichen.54 Diese Karten waren Lithographien von Polen oder den Kriegsschauplätzen und wurden in dieser Zeit massenhaft vertrieben.55 Einen Höhepunkt erreichte die Polenbegeisterung in der Pfalz, als nach der Niederlage gegen Russland zahlreiche polnische Kämpfer in andere europäische Länder flüchteten. Ein Hauptziel dieser Flüchtlinge war Frankreich. Da die Pfalz auf der Reiseroute lag, zogen mehrere tausend Polen im Januar 1832 durch die Pfalz, wo sie begeistert empfangen wurden.56 Ludwig Andreas Jordan besuchte am 22. Januar 1832 einen solchen Empfang in Dürkheim.57 In seiner Beschreibung der Polen vermischte sich seine liberale politische Einstellung mit einer romantisierend verklärten Sicht auf die Kämpfer. Er charakterisierte die Polen schon von ihrem Äußeren als Helden, auf die zahlreiche Trinksprüche ausgerufen worden seien. Sein Vater habe die Polen mit Champagner bewirtet. Dabei sah er in der Niederlage der Polen eine vertane Chance für Europa, denn ein Sieg der Polen hätte aus seiner Sicht Signalwirkung für Europa gehabt und es den anderen Nationen erleichtert, auch ihre Freiheitsrechte durchzusetzen. Bei diesem Anlass wurden anscheinend auch Adressen getauscht, denn Ludwig Andreas Jordans spätere Ehefrau Seraphine Buhl hatte einige Adressen von polnischen Kämpfern gesammelt und schrieb ihnen anschließend französische Briefe.58 Die Pfälzer politische Opposition begann sich jetzt auch regional stärker zu organisieren. Ein wichtiges Signal in dieser Richtung stellte das sogenannte »Schülerfest« dar, das zu Ehren des Abgeordneten Friedrich Schüler am 29. Januar 1832 in seinem Heimatort Bubenhausen bei Zweibrücken stattfand und nun nicht mehr lokal begrenzt war, wie die bisherigen Empfänge der Abgeordneten bei ihrer Rückkehr vom Landtag, sondern zumindest regionalen Umfang erreichte. Daher nahm auch Andreas Jordan an diesem Fest aller »Gutgesinnten«59 53 Ebd. 54 Ludwig Andreas Jordan an Josephine Jordan, Mannheim, 28.4.1831, BaK, N1754 (Buhl), Bd. 177. 55 Kermann, Pfälzisch-polnische Beziehungen, S. 207 f. 56 Zu diesen Polenzügen durch die Pfalz siehe ebd., S. 209–213. 57 Hierzu und zu dem Folgenden: Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 22.1.1832, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 29. 58 Siehe dazu die Notizen und Briefe in LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 380. 59 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 28.1.1832, LaS, V153 (Bassermann-­ Jordan), Bd. 29.

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teil. Das Fest war nicht nur in dieser regionalen Ausrichtung bemerkenswert, sondern dort wurden auch erstmals radikalere Töne angeschlagen, die über den Bezug zur Rolle der Deputierten in der Abgeordnetenkammer hinausgingen.60 Schüler verwies darauf, dass die Oppositionsrolle in der Kammer nicht ausreiche, um die eigenen Anliegen durchzusetzen. Dazu seien Aktivitäten aller Bürger notwendig. Im Kern stand dabei die Forderung, die Macht der öffentlichen Meinung und damit der Presse auszubauen und für den Kampf gegen den Ab­ solutismus zu nutzen. Daher verabredete man auf dem Fest, einen Press- und Vaterlandsverein ins Leben zu rufen, mit dessen Hilfe die oppositionelle Presse gestärkt und auch finanziell abgesichert werden sollte.61 Noch aufwendiger wurde ein zweites Fest zu Ehren Schülers vorbereitet, das am 6. Mai in der Ausflugsgaststätte Tivoli in Zweibrücken veranstaltet wurde.62 Dort sollte Schüler ein Ehrenbecher überreicht werden, für den man Geldspenden sammelte. Die Mindestbeteiligung war bewusst niedrig gehalten, denn man konnte sich bereits ab einem Betrag von 6 Kreuzern als Spender beteiligen, sodass es auch den weniger begüterten Schichten möglich war, Schüler zu ehren. Das Fest selbst war dann weniger ein Abgeordnetenfest als eine »politische Kundgebung«63. Auch Ludwig Andreas Jordan nahm mit seinem Vater daran teil, der gemeinsam mit dem Abgeordneten Schoppmann einen Ehrenplatz neben Schüler erhielt.64 Das Fest wurde mit Kanonendonner eröffnet. Daran schloss sich ein Essen an, an dem über 500 Personen teilnahmen, die für das Gedeck gezahlt hatten. Nach dem Essen wurde Schüler der Ehren­becher überreicht, woran sich zahlreiche Reden anschlossen. Bereits am Vorabend hatte es eine Lebensmittelverteilung für die Armen gegeben, wozu man im Vorfeld 225 Gulden an Spenden gesammelt hatte.65 Das Fest sprach mit seiner ganzen Aufmachung somit breitere soziale Gruppen als das erste Schülerfest an und wies damit schon in Richtung des Hambacher Fests, das nur wenige Wochen später gefeiert wurde. Ludwig Andreas Jordan nahm das »Becherfest« zum Anlass, in seinem Tage­ buch über seine politischen Ansichten zu reflektieren, denn er war von der Poli­ tisierung der letzten Monate voll erfasst worden. Das zeigt sich unter anderem 60 Hierzu und zu dem Folgenden Foerster, Abgeordnetenfeste, S. 135 f. 61 Zur Gründung des Vereins siehe Foerster, Preß- und Vaterlandsverein, S. 20–22. 62 Zu diesem sogenannten »Becherfest« siehe Foerster, Abgeordnetenfeste, S. 139 f.; Foerster, Preß- und Vaterlandsverein, S.  105–110. Eine ausführliche zeitgenössische Schilderung des­ Festes findet sich in Miller, Geschichte, S. 117–122. Die von der Forschung vorgenommene Identifizierung des Leiters der Neuen Speyerer Zeitung, Georg Friedrich Kolb, als Autor der Schrift diskutiert kritisch Kermann: Einleitung, in: Miller, Geschichte, S. XXI–XXX. 63 Foerster, Abgeordnetenfeste, S. 139. 64 Hierzu und zu dem Folgenden: Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 5./6.5.1832, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd.  29. Vor dem Fest hatten Vater und Sohn Friedrich Schüler noch privat besucht sowie die Zweibrücker Liberalen Christian Culmann, Joseph Savoye und den Ingenieur Paul Denis. 65 Miller, Geschichte, S. 118.

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daran, dass in seinem Tagebuch die Einträge zur Familie und zum Weinbau deutlich zurücktreten und stattdessen die Schilderung und Einordnung poli­ tischer Ereignisse einen breiteren Raum einnimmt. Auch seine Lektüre veränderte sich in dieser Zeit.66 Er beschäftigte sich mit politisch-historischen Büchern, wie z. B. Charles Louis de Montesquieus 1734 veröffentlichtem Werk »Considérations sur les causes de la grandeur des Romains et de leur décadence« sowie zeitgenössischen politisch-liberalen Schriften. So las er unter anderem die von dem Freiburger Historiker und Staatswissenschaftlicher Karl von Rotteck veröffentliche »Allgemeine Geschichte vom Anfang der historischen Kenntniß bis auf unsere Zeiten« sowie die Zeitschrift Rheinbaiern des im Rheinkreis tätigen Juristen, Journalisten und Freund Rottecks, Philipp Jakob Siebenpfeiffer. Dieser versuchte mit seiner »Zeitschrift für Verfassung, Gesetzgebung, Justizpflege, gesammte Verwaltung und Volksleben« die Regierung auf politische und wirtschaftliche Missstände aufmerksam zu machen und geriet dadurch ins Visier der bayerischen Behörden.67 Daneben las Ludwig Andreas Jordan auch die »Briefe aus Paris« des demokratisch orientierten Journalisten, Schriftstellers und »Sprecher[s] des deutschen revolutionären Liberalismus«68 Ludwig Börne. Für Ludwig Andreas Jordan symbolisierte das »Becherfest« mit seinem geordneten Ablauf die »konstitutionelle Freiheit«, die er sich in seinem etwas naiv anmutenden Liberalismusbild ausmalte: »Eine strenge Ordnung zeichnete diese Festlichkeit aus, kein Mißton störte die all­ gemeine Heiterkeit und so muß sich auch wohl die wahre Freiheit äußern, denn Zügellosigkeit ist der wahren Freiheit wohl ebenso fremd als der ärgste Despotismus; beide kennen keine Gesetzlichkeit und treten stets die edelsten Menschenrechte mit Füßen. Es war übrigens ein erhebendes Gefühl so viele Menschen für konstitutionelle Freiheit begeistert zu sehen; wie bald wäre Deutschlands Gestaltung anderst, wie bald wäre Einheit in unserm zerstückelten, armen unglücklichen Vaterlande her­ gestellt, […] wenn alle so dächten, wie diese hier dachten.«69

Bei seiner Einschätzung der politischen Entwicklung hob Ludwig Andreas­ Jordan auf den Zeitgeist ab, der in eine liberale Richtung dränge. Hier zeigt sich ein tiefer Fortschrittsoptimismus, der die liberale Bewegung insgesamt auszeichnete. Man wähnte sich auf der Höhe der Zeit, wohingegen die Fürsten als Relikte der Vergangenheit erschienen. Welche Folgen eine restaurative Politik der Fürsten haben werde, war für Jordan absehbar: 66 Siehe hierzu die Lektüreeintragungen in Jordans Tagebuch am Ende des jeweiligen Monats, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 29. 67 Zu Siebenpfeiffer und seinem journalistischen Engagement siehe Hüls, Streiter, S. 97–102. 68 Martini, Börne. 69 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 5./6.5.1832, LaS, V153 (BassermannJordan), Bd. 29. Daraus auch die folgenden Zitate.

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»[D]enn während die Völker im raschen Fluge einer ausgebildeten Civilisation zueilen, sitzen diese Fürsten statt mit dem Zeitgeist fortzuschreiten und die Reformation Deutschlands ihm zu überlassen, gleich Mumien einer alten Zeit auf den Thronen und wähnen noch über ihre getreuen Unterthanen aus dem 17ten Jahrhundert zu herrschen bis sie – vielleicht bald – aus ihrem Todesschlummer durch den Einsturz ihrer auf Thonfüßen ruhenden Thronen erweckt werden.«

Diese Entwicklung hin zu einer Revolution hielt er für den Fall, dass die Fürsten zu keiner Reform bereit seien, für zwangsläufig und auch »zum Heile der Menschheit« für notwendig. Wenn man die Wahl hätte zwischen »ewige[r] Knechtschaft« und der »Aussicht auf kurzes Unglück, auf ein freies, einiges und starkes Deutschland, auf ein durch Civilisation veredeltes und durch das Gefühl seiner Kraft stolzes Volk«, dann sei die Entscheidung einfach. Als Folge werde »Deutschland nicht länger der Spielball übermüthiger Nachbarn sein, es würde die Rolle wieder übernehmen, die es im Mittelalter verlor und ohne seine Beistimmung würde kein Schwert mehr aus der Scheide fahren«. Noch hielt er jedoch eine Revolution für vermeidbar und hoffte, dass die Fürsten die Wünsche und Anliegen des Volkes aufgreifen würden. »Die Deutschen würden ihnen dann die Beweise liefern, wie fest sie in ihrer Anhänglichkeit und wie unwandelbar sie in ihrer Treue sein können.« Einen kurzen Vorgeschmack auf eine solche Entwicklung lieferte das Hambacher Fest vom 27. Mai 1832. Das Fest, das von den radikaleren Kräften der pfälzi­ schen Opposition wie zum Beispiel Philipp Jakob Siebenpfeiffer oder dem erst seit kurzem im Rheinkreis ansässigen Journalisten Johann Georg August Wirth vorbereitet wurde, zog 20.000 bis 30.000 Menschen an. Viele von ihnen kamen sicherlich weniger wegen der Reden als um ein trubeliges Volksfest zu erleben. Den Reden konnte allein schon aus organisatorischen Gründen nur eine kleine Zahl der Anwesenden zuhören. In diesen sehr heterogenen Äußerungen gab es gemäßigte aber auch radikale Töne, in denen zum Sturz der Monarchen aufgerufen wurde.70 In vielen Pfälzer Gemeinden gab es im Anschluss Tumulte und soziale Unruhen, denn der Aufruf für Freiheit wurde von Teilen der Bevölkerung umfassender ausgelegt als es zum Beispiel Jordan mit seinem Begriff der »konstitutionellen Freiheit« tat.71 Auch in Deidesheim gab es einen Auflauf.72 Am 10. Juni 1832 70 Ein Großteil der Reden liefert die Festbeschreibung Wirths, die dieser im Anschluss zügig veröffentlichte, um dem Fest auch publizistisch zu einer Breitenwirkung zu verhelfen. Siehe Wirth (Hg.), Nationalfest. Die Forschung zum Hambacher Fest ist mittlerweile ausufernd. Die aktuellste Übersicht liefern Kermann/Nestler/Schiffmann (Hg.), Freiheit. 71 Schiffmann, Freiheit und Gleichheit. Siehe dazu auch den von volkskundlichen Ansätzen beeinflussten, anregenden, aber auch etwas überambitionierten Aufsatz von Wegert, Ideologie. Zu den zahlreichen Unruhen im Rheinkreis im Umfeld des Hambacher Fests siehe auch die Aktensammlung des bayerischen Innenministeriums, BHstaM, MInn, Bde. 46019–46030. 72 Hierzu und zu dem Folgenden: Regierung des Rheinkreises, Kammer des Innern, an das Königliche Staats-Ministerium des Innern, Speyer, 27.6.1832; Bürgermeisteramt Deidesheim

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versammelte sich eine Gruppe von ungefähr 150 meist jungen Leuten vor dem Haus des jüdischen Kaufmanns Benjamin Hirsch und bewarf das Tor des Hauses mit Steinen. Anschließend zog die Menge lärmend durch die Straßen und versammelte sich auf dem Marktplatz. Der Bürgermeister Andreas Jordan und sein Adjunkt Eckel versuchten, die aufgebrachte Menge zu beruhigen, wurden aber nicht ernst genommen. Erst die zusammengerufene Sicherheitsgarde des Ortes konnte die Menge auseinandertreiben. Unter den zwölf verhafteten Personen waren immerhin drei Dienstknechte – ein rudimentärer Hinweis auf die soziale Zusammensetzung der Gruppe. Hier zeigt sich deutlich, dass das Hambacher Fest im Rheinkreis wie ein Katalysator wirkte. Die Unterschicht fühlte sich jetzt berechtigt, ihrer Unzufriedenheit mit der wirtschaftlichen und sozialen Situation auch öffentlich Ausdruck zu verleihen. Ludwig Andreas Jordan, der das Hambacher Fest gemeinsam mit seinem Vater, dem Abgeordneten Friedrich Justus Willich und dem Deidesheimer Gutsbesitzer Andreas Giessen besucht hatte, beurteilte das Fest anschließend in seinem Tagebuch mit gemischten Gefühlen. Sein Eintrag ist gegenüber der Beurteilung des Schüler-Festes deutlich zahmer. Er zensierte sich gewissermaßen selbst, indem er sich auferlegte, »kein Wort nieder[zu]schreiben, das ich später zurückzunehmen wünschen könnte«73. Der Zweck des Festes, darüber zu beraten, wie man zu einer politischen Einigung Deutschlands kommen und die wirtschaftliche Not lindern könne, sei sinnvoll, aber die Art und Weise, wie man den Zweck erreichen wollte, seien fehl am Platze. In den Reden habe man den »offenen Aufruhr« gepredigt und habe alle »Aufreitzungsmittel« eingesetzt, um das ohnehin schon »aufgeregte Volk aufzuhetzen«. Daraus hätte schnell ein Aufruhr und dann ein allgemeiner Krieg werden können, bei dem der Rheinkreis nur verlieren könnte. Entweder wäre er wieder französisch geworden oder Preußen und Russland hätten gesiegt. Damit wäre die »Verhöhnung alles Menschenrechtes, verschärfter Geistesdruck, die Last einer furchtbaren Einquartierung usw.« einhergegangen. Das Ziel einer »Reformation Deutschlands« müsse man laut Jordan auf anderem Wege zu Stande bringen, wie er anschließend in seinem etwas schwülstigen Sprachstil festhielt: »Ich kann mir wahre Freiheit nur dann denken, wenn die Glieder, die derselben theil­ haftig sein wollen, nur von dem warmen Gefühl für Recht und Tugend beseelt sind; denn ohne dies gibt es keine Freiheit, sondern nur eine traurige Anarchie […]. Es mußte daher das Bestreben aller Redner sein, das Gefühl für Recht und Freiheit in an das Königliche Land-Kommissariat, Deidesheim, 11.6.1832; beide in: BHstaM, MInn, Bd. 46025; Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 10.6.1832, LaS, V153 (BassermannJordan), Bd. 29. 73 Der Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans zum Hambacher Fests ist von seinem Enkel Friedrich von Bassermann-Jordan veröffentlicht worden. Siehe Bassermann-Jordan, Tagebuch. Daraus auch die folgenden Zitate.

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a­ llen Anwesenden zu erwecken, sie mußten das Volk über seine Interessen aufklären, sie mußten vor allem den Volksgeist zu wecken suchen. Um denselben immer lebhafter zu verbreiten besteht schon der Presseverein […]. Er wird, indem er das Volk belehrt und über seine wahren Interessen aufklärt, lebhaften und kräftigen Volksgeist hervorrufen, der, wenn er einmal die langersehnte Pressefreiheit errungen hat, bald siegreich alle Gebrechen des deutschen Vaterlandes erkennen und bezeichnen wird, und ich hoffe, daß dann seine Fürsten nicht länger zögern werden, den gerechten National-Wünschen des deutschen Volkes nachzukommen. Die so drückenden Mauthsysteme werden dann verschwinden, der so engherzig zusammengesetzte Bundestag wird eine General-Reform erhalten, gleiches Maaß und Gewicht, ein gleiches Münzsystem und Wechselrecht usw. werden eingeführt werden.«

Doch befürchtete er, dass die Fürsten nicht so einsichtig sein werden, wie erhofft. Dann werde es zu einer »gewaltigen Erschütterung« kommen. »Nur dadurch können die bisher heterogenen Theile in ein großartiges Ganzes verschmolzen werden.« Im Gegensatz zu seinem vorherigen Eintrag, musste sich Jordan, durch die Ereignisse des Hambacher Fests herausgefordert, auch zu der zeitlichen Dimension seiner Ideen äußern. Den Zeitpunkt für große politische Veränderungen hielt er noch nicht für gekommen. Das Volk sei dafür noch nicht reif. Zuerst müsse dem Volk klar sein, was Freiheit heißt. Diese bedeute eben nicht »Gesetzlosigkeit«, sondern »Gedankenfreiheit« und »gleiche politische Rechte«. Die Bewegung dazu müsse zudem aus dem inneren Deutschlands kommen, nicht von seinen Rändern, damit man sie »von jedem fremden Einfluss frei« halten könne. Russland, England und Frankreich seien nur an Deutschlands Schwäche interessiert, von ihnen habe man nichts Gutes zu erwarten. Daraus folgerte er abschließend: »Deutschland muß sein Heil in seiner eigenen Kraft und Stärke suchen.« In dieser Schlussfolgerung ähnelt sein Eintrag einigen Passagen der Hambacher Rede von Johann Georg August Wirth, der auch, im Gegensatz zu vielen anderen Rednern, davor warnte, sich auf Frankreich zu verlassen. Dafür werde man durch Gebietsabtretungen einen hohen Preis zahlen.74 Mit seinen Notizen zum Schülerfest und zum Hambacher Fest formulierte Jordan also auch ein politisches Programm. Liberalismus verstand er zunächst als ein rechtliches System, das allen die gleichen politischen Rechte garantierte und damit ein auf Ruhe und Ordnung basierendes gesellschaftliches Miteinander ermöglichen sollte. Für die Umgestaltung Deutschlands wünschte er eine politische und eine wirtschaftliche Einheit, mit einem Wegfall der Binnenzölle, einem einheitlichem Münzsystem, einheitlichem Maß und Gewicht. Dazu musste kein neues politisches System erschaffen werden, sondern J­ ordan knüpfte an dem Bestehenden an. Eine Reformierung des Deutschen Bundes und seiner Mitgliedsländer erschien ihm als Schlüssel dazu. Der Druck auf die­ 74 Rede von Johann Georg August Wirth auf dem Hambacher Fest, in: Wirth (Hg.), Nationalfest, S. 41–43.

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Fürsten zu diesen Veränderungen sollte durch die Öffentlichkeit entstehen. Deswegen war eine freie Presse entscheidend, denn sie konnte die Öffentlichkeit informieren und belehren und sie damit erziehen. Gleichzeitig sollte die Presse den Regierenden aufzeigen, wo Probleme bestanden. In dieser enorm hohen Einschätzung der Presse war sich Jordan mit vielen Liberalen einig, und so wird auch die Gründung des Press- und Vaterlandsvereins noch besser verständlich.75 Die politische und wirtschaftliche Einheit sollten dann die Machtbasis bilden, damit Deutschland in Europa wieder eine einflussreiche Rolle spielen könne. Sollten sich die Fürsten auf diesen Weg nicht einlassen, zog Jordan eine Revolution dem status quo vor. Worauf Jordan bezeichnenderweise in seinen Reflexionen nicht eingeht, ist die soziale Situation in der Pfalz. Jordan sah offensichtlich den Liberalismus primär als politische und wirtschaftliche Ideologie, die auf eine breitere politische Partizipation und eine freiere Wirtschaft abzielte, und nicht als soziale Utopie. Der Liberalismus hatte für ihn zunächst keine soziale Zielrichtung. Die Linderung der Armut sah er als Aufgabe der Gemeinde und die krasse Not der Bevölkerung als Folge der verfehlten bayerischen Wirtschaftspolitik an. Implizit bedeutete das, dass eine Korrektur der Wirtschaftspolitik, z. B. durch die Abschaffung der Binnenzölle im Deutschen Bund, der Wirtschaft zugute kommen würde und damit auch den Armen. Die südwestdeutsche bürgerlich-liberale Utopie einer »klassenlosen Bürgergesellschaft mittlerer Existenzen«76, die Lothar Gall vor allem anhand bildungsbürgerlicher Schriften für den Vormärz herausgearbeitet hat, ist hier nicht erkennbar.77 Sein politisches Programm konnte Jordan aber zunächst wieder ad acta legen. Nach dem Hambacher Fest schlug die Reaktion Bayerns und des Deutschen Bundes zu.78 König Ludwig I. schickte General Karl Philipp von Wrede in die Rheinpfalz, um militärisch für Ruhe zu sorgen. Die Rädelsführer des Hambacher Fests wurden gerichtlich verfolgt und eingesperrt oder gingen ins politische Exil. Zudem wurden vor allem zuverlässige konservative bayerische Beamte in die pfälzische Provinz geschickt.79 Jede politische Regung wurde genau beobachtet und zügig gesetzlich oder durch Einschüchterung unterbunden.80 Der Deutsche Bund 75 Zu diesem Komplex siehe Schunk, Pressefreiheit. 76 Gall, Liberalismus und bürgerliche Gesellschaft, S. 99–125. 77 Zur Diskussion dieser These siehe auch das Kapitel 4.2. 78 Martin, Vollziehung. 79 Haan, Personalpolitik, S. 370–394. 80 Siehe hierzu unter anderem den geplanten Empfang für die pfälzischen Abgeordneten 1837. Dieser wurde zum einen durch Druck von Seiten der Regierung des Rheinkreises verhindert und zum anderen hielten die Abgeordneten selbst nichts davon. Sie fürchteten anschließende Repressalien und warnten ihre Mitbürger vor einer solchen Aktion. Siehe die auf staatlichen Akten beruhende Darstellung bei Foerster, Abgeordnetenfeste, S.  140–142. Der Abgeordnete Willich bat den Herausgeber der Neuen Speyer Zeitung, Georg Friedrich Kolb, sich gegen das Fest zu wenden. Dieses sei nicht nötig, denn »wir brauchen keine Festivitäten,

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erließ am 28. Juni und am 5. Juli 1832 wichtige Beschlüsse, mit denen zum einen die Landtagsarbeit eingeschränkt wurde und zum anderen die direkte Arbeit der politischen Opposition verhindert werden sollte.81 Dementsprechend wurden unter anderem die Zensur verschärft sowie politische Vereine und Versammlungen verboten. An eine öffentliche Agitation der Opposition im Rheinkreis war daher zunächst nicht mehr zu denken.

5.2 Erste eigene Schritte in der Regionalpolitik 5.2.1 Für konfessionellen Frieden im Pfalzkreis: Der Kampf gegen die katholische Restaurationspolitik Ludwigs I. Ludwig Andreas Jordans erste politische Erfahrungen waren regional geprägt und auch sein eigenes politisches Engagement begann in der Regionalpolitik. Es fällt in eine Phase, in der nach der starren Reaktionspolitik im Gefolge des Hambacher Fests die Repressionspolitik etwas gelockert wurde. Wie diese neuen Möglichkeiten durch die Pfälzer Liberalen in den 1840er Jahren wieder vorsichtig genutzt und erweitert wurden, ist bisher nur rudimentär untersucht worden. Die Forschung hat sich vor allem auf die Zeiten um das Hambacher Fest und um die Märzrevolution konzentriert. Über die Zeitspanne zwischen 1832 und 1848 liegen jedoch kaum Erkenntnisse vor.82 Die Analyse von Jordans politischen Aktionen bietet somit auch die Möglichkeit, den Pfälzer Liberalismus der 1840er Jahre genauer zu fassen. Ludwig Andreas Jordans politische Gehversuche waren eng verbunden mit dem Kampf gegen das von König Ludwig I. eingeleitete »katholisch-konserva­ tive Erneuerungswerk«83. Ludwig sah sich als dezidiert katholischer König mit wir kennen uns und erkennen uns doch gegenseitig«. Siehe Friedrich Justus Willich an Georg Friedrich Kolb, München, 7.10.1837, BaK, N1758 (Kolb), Bd. 5. Zu den Vorbereitungen siehe auch Ludwig Andreas Jordan an Josephine Buhl, Deidesheim 4.9.1837, BaK, N1754 (Buhl), Bd. 177. Andreas Jordan warnte seinen Sohn in einem eindringlichen Brief aus München davor, an solchen Veranstaltungen teilzunehmen, »weil sie durch überspannte Menschen gewöhnlich auch die Bessern compromittiren«. Der Brief enthielt auch ein offenes Schreiben »Die in München versammelten Abgeordneten des Rheinkreises an die verehrten Mitbürger im Rheinkreise«, in dem die Abgeordneten baten, auf jedes Willkommensfest zu verzichten, da es kontraproduktiv sei. Siehe Andreas Jordan an Ludwig Andreas Jordan, München, 9.10.1837, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 277. 81 Müller, Der Deutsche Bund 1815–1866, S. 18 f. 82 Das verdeutlicht auch Kreutz, Frühliberalismus, S.  97–114. Der Aufsatz von Kreutz ist die einzige ausführlichere Auseinandersetzung mit dieser Zeitspanne. Auch der Sammelband zum Verhältnis Pfalz–Bayern seit 1816 liefert über diesen Zeitraum nur wenige Erkenntnisse, da er für diese Zeit nur die Auseinandersetzungen um die unierte Kirche der Pfalz thematisiert. Siehe Scherer, Pfalz-Bayern, S. 28–37. 83 Gollwitzer, Staatsmann des Vormärz, S. 436.

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einer geschichtlichen Aufgabe. Er nahm die Entwicklung der katholischen Kirche seit der Reformation als Niedergang wahr und erblickte seine Mission darin, diesen Prozess aufzuhalten und die Stellung der katholischen Kirche in der Gesellschaft wieder zu verstärken.84 In dem 1837 berufenen Innenminister Karl von Abel fand er eine starke Stütze in diesem Anliegen. Als Mittel, um dieses Ziel zu erreichen, dienten Ludwig eine »Wiederverchristlichung des Unterrichts- und Bildungswesens«85, der Neubau bzw. der Wiederaufbau von Kirchen und die Begünstigung einer strengen die Konfessionsunterschiede betonenden theologischen Richtung. Ein zentraler Bestandteil der Strategie lag für Ludwig und Abel zudem in der Installierung von Klöstern und Orden, die sie nicht nur als Helfer bei der Krankenpflege oder bei der Erziehung ansahen, sondern vor allem als konservative Stütze des Staates.86 Der König machte damit die in der Ära Montgelas vorgenommene Säkularisation zahlreicher Klöster wieder rückgängig. Davon war auch die Pfalz betroffen, in der während der Zugehörigkeit zu Frankreich alle Klöster säkularisiert worden waren. Die katholische Restaurationspolitik verlief in der Pfalz parallel zur staatlichen Einflussnahme auf die 1818 gegründete Vereinigte Protestantisch-Evangelisch-Christliche Kirche der Pfalz, zu der sich die lutherischen und reformierten Gemeinden der Pfalz zusammengeschlossen hatten. Diese unterstand dem vom König abhängigen Oberkonsistorium in München. Zunächst hatte in der Pfalz die aufgeklärt-rationalistische Glaubensauffassung dominiert, doch geriet diese nach dem Hambacher Fest, auf dem auch einige protestantische Pfarrer aufgetreten waren, unter Generalverdacht durch die Regierung in München. Dort beobachtete man mit Argwohn den vermeintlichen Schulterschluss der rationalistisch geprägten Pfarrer mit der liberalen Bewegung. Die Regierung stärkte daraufhin vor allem durch die Personalpolitik die von Pietismus und Erweckungsbewegung beeinflusste orthodoxe Richtung des Protestantismus und versuchte, auf diese Weise auch die liberale Bewegung in der Pfalz zu schwächen. Damit verlagerten sich in den 1830er Jahren die Auseinandersetzungen, die von den Liberalen auf politischer Ebene aufgrund der bayerischen Reak­ tionspolitik nicht mehr geführt werden konnten, zunehmend auf die religiöse Ebene.87 Der Kampf liberaler Protestanten in der Pfalz gegen die orthodoxe von der Regierung gestützte Linie ist mittlerweile sehr gut erforscht.88 Die parallele Bewegung gegen die Restauration katholischer Klöster und Orden in der Pfalz 84 Ebd., S. 215 f. 85 Ebd., S. 217. 86 Spindler, Regierungszeit Ludwigs I., S. 129 f.; Gollwitzer, Ludwig I., S. 523–528. 87 Ziegler, Pfälzer Geschichte, S. 113 f. Zur Politik Ludwigs I. und seines Innenministers Abel gegenüber den bayerischen Protestanten im Allgemeinen siehe Gollwitzer, Staatsmann des Vormärz, S. 236–244. 88 Bonkhoff, Kirche, S. 59–109; Scherer, Kirchengeschichte; ders., Geschichte kirchlicher Parteien.

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hat hingegen in der Forschung kaum Beachtung gefunden.89 Das führt auch dazu, dass Katholiken in der liberalen Bewegung wie etwa Jordan, Buhl oder Pfarrer Franz Tafel kaum wahrgenommen werden und die ganze liberale Bewegung der Pfalz als rein protestantisch geprägt verzeichnet wird.90 Das Engagement Ludwig Andreas Jordans bietet somit die Gelegenheit, diese Entwicklung aus seiner Perspektive erstmals ausführlicher zu beleuchten. Ludwig Andreas Jordan war gläubiger Katholik, und er hielt auch an seinem Glauben fest. Seine Glaubenseinstellung war jedoch stark von der Aufklärung geprägt. Es ging ihm um eine persönliche Auseinandersetzung des Individuums mit seinem Glauben, den er vor allem als moralische Grundlage und Stütze wahrnahm. Darin sollte die Kirche den Gläubigen bestärken. Von dieser primär in sich selbst zu führenden Suche und Auseinandersetzung mit dem Glauben lenkten die kirchlichen Rituale, die Prozessionen, die Heiligen- und Reliquienverehrung nur ab. Diese Äußerlichkeiten, die er vor allem in der Volksfrömmigkeit verortete, waren ihm zuwider. Bereits bei seinem Besuch im preußischen Rheinland 1833 hatte er sich beim Anblick einer Prozession in Aachen in eine andere Zeit zurückversetzt gefühlt. Anschaulich schilderte er seine Sicht auf diese Prozession in seinem Tagebuch: »Unsre[sic] Prozessionen in Deidesheim finde ich lächerlich, diese hier war aber eine wahre Karikatur. Diese Abgötterei mit Bildern, dieses Fahnen- und Bänder-Tragen von Kindern, die keinen Begriff von dem haben, was sie thun[sic], dieses Kerze­tragen, dieses auf die Knie-Fallenlassen und auf die Brust Schlagen, überhaupt dieses richtige Gepränge kann Gott nicht gefallen. Die wahre Andacht ruht tief in des Menschen Brust und sie wird meist dann rege, wenn er sich in schöner Einsamkeit mit dem Schöpfer allein weiß. Dann läßt er sie fließen die schönen Gefühle des Herzens. Dann werden seine Empfindungen laut, er theilt [sic] sich seinem Gotte mit und hier gewinnt er neue Kraft, seine Vorsätze, die er gefaßt und die ihn zum Wege der Tugend leiten, aus­ zuführen. Wie kann aber bei jenem Gepränge, bei jenen Kindereien wahre Andacht entflammen, bestrebt man sich dann nicht, durch jedweden Kitzel die äußern[sic] Sinne aufzuregen und so von der Andacht abzuziehen. Der Gottesdienst sei einfach, das Gotteshaus großartig! Gott ist groß, die Menschen sind klein, und durch solche Ceremonien werden sie erbärmlich.«91 89 Das zeigt sich auch bei der Skizze von Kreutz, Frühliberalismus, S. 103. Hier werden die Auseinandersetzungen um die Ausrichtung der Vereinigten Protestantisch-EvangelischChristlichen Kirche erneut ins Zentrum gestellt und die Kämpfe um die Rolle der katholischen Kirche überhaupt nicht erwähnt. Völlig verzeichnet ist diese Auseinandersetzung in der aus dezidiert katholischer Sicht geschriebenen Darstellung von Stamer, Kirchengeschichte. Stamer stellt insbesondere den protestantischen Liberalismus, dem die wirtschaftliche Führungsschicht der Pfalz angehört habe, starr dem Katholizismus der Unterschichten gegenüber und ebnet damit Überschneidungen ein (S. 147–151). 90 Kreutz, Frühliberalismus, S. 100 und 103. 91 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 21.7.1833, LaS, V153 (Bassermann-­ Jordan), Bd. 31.

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Für diese »Bigotterie«92 machte er auch den Klerus verantwortlich, auf den er eine kritische Sicht hatte. Diese Wahrnehmung bestätigte auch ein Urlaubsaufenthalt in Tirol 1844. In einem Brief an seinen Vater bemängelte er den großen Einfluss der Klöster und insbesondere der Jesuiten. Zudem missfiel ihm die dortige Heiligen- und Marienverehrung.93 Aus dieser Position heraus misstraute er auch den Nonnen und Mönchen und verdächtigte sie, die Zeit zurückdrehen zu wollen und den Einfluss der katholischen Kirche auf die Bevölkerung wieder zu verstärken. Mit dieser antiklerikalen Einstellung befand er sich im Einklang mit der Mehrheit der liberalen Führungsschicht der Pfalz, die sich gegen die Restaurationspolitik Ludwigs I. stemmte. Besonders umstritten war dabei die Gründung eines Klosters in Oggersheim.94 Diesen Wunsch hatten einige Katholiken Oggersheims 1843 dem bayerischen König vorgetragen. Der Regierungspräsident der Pfalz, Eugen Fürst zu Wrede, wandte sich gegen diesen Antrag, da die Mehrheit der Pfälzer diese Klosterneugründung ablehnen würde und es das Verhältnis der Regierung zur Bevölkerung belasten würde, wenn die Regierung diesem Gesuch stattgebe. Auch der pfälzische Landrat sprach sich gegen das Projekt aus. Trotzdem stimmte der König der Klostergründung zu und installierte dort den Orden der Franziskaner-Minoriten. Das Stiftungskapital von 80.000 Gulden trug Ludwig I. persönlich, um langwierige Diskussionen über die Finanzierung zu vermeiden. Das beunruhigte die liberalen Kreise der Pfalz. Dort fürchtete man eine Durchdringung der Pfalz mit katholischen Orden, die aus Sicht der Liberalen mittelalterliches Gedankengut propagierten und auch weltliche Bereiche durchdrangen. Damit bedrohten diese auch die aus der Aufklärung über die Französische Revolution vermittelten Sonderrechte der Pfalz. Die Klöster erschienen als Mittel eines antiaufklärerischen »roll-back«. Zudem fürchtete man um den Kirchenfrieden in der gemischt-konfessionellen Bevölkerung der Pfalz. Diese hatte unter anderem durch den Einfluss der Aufklärung ein relativ harmonisches Miteinander entwickelt, teilweise wurden die Kirchengebäude sogar als Simultankirchen von Protestanten und Katholiken genutzt. Darin lag auch eine Stärke des pfälzischen Liberalismus, denn seine Protagonisten und Unterstützer waren nicht durch religiöse Konflikte entzweit. Man konnte sich also ganz auf die politischen Anliegen konzentrieren. Diese Basis des Pfälzer Liberalismus wurde jetzt durch die von der Regierung geförderte stärkere Konfessionalisierung beider christlicher Glaubensrichtun 92 Ebd. 93 Ludwig Andreas Jordan an Andreas Jordan, Innsbruck, 1.8.1844, Briefsammlung Hauck, Briefe 1840–1848. 94 Hierzu und zu dem Folgenden: Stamer, Kirchengeschichte, S. 177 f. Als Zeitzeuge hat der konservative Speyerer Domkapitular und offizielle Historiker des Bistums Speyer Franz Xaver Remling die Ereignisse rund um die Klostergründung in Oggersheim detailliert geschildert. Siehe Remling, Nikolaus von Weis, Bd. 2, S. 144–168. Zu Remling siehe Ammerich, Remling.

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gen untergraben. Religiöse Konfliktlinien drohten aufzureißen und die starke Verankerung des Liberalismus in der Bevölkerung aufzulösen. Um den politischen Einfluss der Liberalen zu sichern, war es notwendig, den religiösen Frieden zu wahren. Interessanterweise führte die staatliche Förderung der orthodoxen protestantischen Theologie und der strengeren katholischen Ausrichtung in der Pfalz jedoch weniger zu einem Konflikt zwischen Katholiken und Protestanten, sondern zunächst zu innerkirchlichen Auseinandersetzungen. Als im Februar 1845 bekannt wurde, dass der Regierungspräsident von Wrede den Pfalzkreis verlassen sollte, erkannten viele pfälzische Liberale darin einen Versuch des bayerischen Königs und seines Innenministers von Abel, einen unbequemen Regierungspräsidenten loszuwerden, um in der Pfalz bei der Etablierung katholischer Orden freie Hand zu haben.95 So sah zum Beispiel der Zweibrücker Anwalt Carl Ludwig Golsen, der 1833 den Mitorganisator des Hambacher Fests Philipp Jakob Siebenpfeiffer im anschließenden spektakulären Assisenprozess verteidigt hatte, in der Abberufung des Regierungspräsidenten ein Mittel, »die Congregationen in der Pfalz à tout prix einzuführen und durchzusetzen«96. Mit dieser Sichtweise lagen die Pfälzer richtig, denn Karl von Abel, einstmals ein enger Freund der Familie von Wrede, war die Opposition des Pfälzer Regierungspräsidenten gegen die Klostergründungen in der Pfalz ein Dorn im Auge, sodass er unter anderem aus diesem Grund seine Abberufung betrieb.97 Die Beamtenopposition schätzte Abel als noch gefährlicher ein als die ständische Opposition und wies gegenüber Ludwig I. auf die dringend benötigte Einheitlichkeit der Verwaltung hin.98 Wredes Ernennung zum Präsidenten des Appellationsgerichts in Bamberg diente somit der Abschiebung Wredes auf einen weniger einflussreichen Posten. Als Nachfolger Wredes wurde Abels »Musterschüler«99 Karl Freiherr von Schrenck von Notzing ernannt. In dieser Situation exponierte sich Ludwig Andreas Jordan erstmals sehr deutlich, der eine »Veränderung des Systems«100 befürchtete und mit der Ab­ beru­f ung Wredes die Front gegen die Rekatholisierungspolitik Ludwigs I. in der Pfalz bröckeln sah. Er hatte zudem stark von der wirtschaftlichen Förderung des Pfalzkreises durch den Regierungspräsidenten von Wrede profitiert, denn durch Unternehmungen wie die von Wrede initiierte Bayerisch-Pfälzische Dampfschleppschifffahrtsgesellschaft hatten sich erste größere Investitionsmöglich­ 95 Zu dieser Sicht siehe u. a. Friedrich Justus Willich an Georg Friedrich Kolb, Frankenthal, 20.2.1845, BaK, N1758 (Kolb), Bd. 5. 96 Carl Ludwig Golsen an Ludwig Andreas Jordan, Zweibrücken, 14.2.1845, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 503. 97 Gollwitzer, Staatsmann des Vormärz, S. 433. 98 Ebd., S. 202 und 213 f. 99 Ebd., S. 214. 100 Ludwig Andreas Jordan an Andreas Jordan, Deidesheim, 20.2.1845, Briefsammlung Hauck, Briefe 1840–1848.

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keiten für den Gutsbesitzer geboten. Außerdem kam die verbesserte Verkehrsanbindung des Pfalzkreises dem Export der Jordan’schen Weine zugute.101 Unter Jordans Führung plante man zunächst, diverse Petitionen an den König zu schicken, um ihn zu bitten, Fürst von Wrede weiter als Regierungspräsidenten in der Pfalz zu belassen. Auf diese Weise wollte man die Verbundenheit des Pfalzkreises zu Wrede demonstrieren. Jordan sah darin auch eine Gelegenheit, gegenüber der bayerischen Regierung geschlossen »die kirchlichen Interessen des Kreises«102 darzulegen. Dem noch amtierenden Regierungspräsidenten selbst passte dieses Ansinnen überhaupt nicht.103 Gegenüber dem Regierungscommissär in Zweibrücken führte er aus, dass Petitionen unzulässig seien, da man als Untertan den höchsten Willen des Königs zu akzeptieren habe. Zudem sei ein solcher Schritt nur nachteilig für den Pfalzkreis. Er sei aussichtslos, werde jedoch als oppositioneller Akt aufgenommen und werde daher zu politischen Konsequenzen für den Kreis führen. Auch für ihn selbst sei der Einsatz der Pfälzer unpraktisch. Er könne es nicht mit seiner Ehre vereinbaren, den Posten zu behalten, denn dann scheine es, als habe er selbst den politischen Druck entfacht. Außerdem, und hier scheint eine Differenz mit dem König durch, könne er nur mit ungeschmälertem Vertrauen des Königs auf diesem Posten verharren, was, so der Subtext, offensichtlich nicht mehr vorhanden war.104 Wrede forderte daher seine Regierungsbeamten auf, die Petitionen zu unterbinden. Für Ludwig Andreas Jordan war die Reaktion des Regierungspräsidenten nicht so entscheidend, denn dass der König die Versetzung Wredes revidieren würde, war sowieso völlig illusorisch. Wrede war hier nur Mittel zum Zweck, um die politisch-religiösen Anliegen des Pfalzkreises zu demonstrieren. Innerhalb weniger Tage verfasste Jordan daher eine Deidesheimer Petition an den König, die gegen den Widerstand des Bürgermeisters und Gutsbesitzers Johann Baptist Goerg von 150 Petenten unterschrieben wurde.105 Darin legte Jordan zunächst die Verdienste des Fürsten von Wrede um die Pfalz dar, der sich mit großer Tatkraft vor allem für die wirtschaftliche Entwicklung der Pfalz eingesetzt habe. Seine größte Leistung habe jedoch darin bestanden, den »confessionellen Frieden«106 in der 101 Siehe hierzu Kapitel 4.3.2. 102 Ludwig Andreas Jordan an Seraphine Jordan, Deidesheim, 13.2.1845, Briefsammlung Hauck, Briefe 1840–1848. 103 Regierungspräsident Eugen von Wrede an Landcommissär in Zweibrücken, Speyer, 9.2.1845, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 503. 104 Dass Wrede und die Beamten der Kreisregierung in der Abberufung »einen Beweis der allerhöchsten Ungnade« sahen, betont der damalige Mitarbeiter der Kreisregierung August Heintz, Nachkommen, S. 11. 105 Ludwig Andreas Jordan an Seraphine Jordan, Deidesheim, 19.2.1845, Briefsammlung Hauck, Briefe 1840–1848. 106 Petition von Bewohnern Deidesheims an König Ludwig I., Deidesheim, Februar 1845, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 503.

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Pfalz bewahrt zu haben. Leicht drohend fügte er die Bitte an, der König möge keine Maßnahme treffen, welche diesen Frieden störe. Abschließend bat er den König, Wrede nicht abzuberufen. Weitere Petitionen aus anderen Pfälzer Städten und Dörfern folgten.107 Zudem hatte Jordan gemeinsam mit den Liberalen Golsen, Franz Tafel und Culmann verabredet, den Fürsten zu einem Essen nach Dürkheim einzuladen und ihm dort den Dank der Bewohner des Pfalzkreises für seine Politik auszusprechen.108 Um dem Fürsten die Teilnahme zu erleichtern, sollte das Essen als Privatveranstaltung gegeben werden. Dürkheim hatte man ausgewählt, da es einer der Lieblingsorte Wredes in der Pfalz war. Daraufhin begab sich Jordan am 17. Februar 1845 zusammen mit dem Neustädter Bankier Dacqué und Baader109 nach Speyer, um den Fürsten zu dem Ehrendinner einzuladen.110 Dieser lehnte die Einladung ab, war aber bereit, Deputationen zu seinen Ehren zu empfangen. Nur zwei Tage später traf sich Ludwig Andreas Jordan mit weiteren Unterstützern der Aktion in Neustadt, wo man den Ablauf der Feierlichkeiten besprach. Dort legte man fest, dass Deputationen aus allen Teilen des Kreises am 27. Februar nach Speyer kommen sollten, um ihre Unterstützung für den Fürsten von Wrede zu demonstrieren. In Speyer sollte beraten werden, welches Abschiedsgeschenk man für den Fürsten auswählen könne.111 Auch die Landratsmitglieder und pfälzischen Abgeordneten der zweiten Kammer der Ständeversammlung sollten dort anwesend sein. Der Vorsitzende des Landrats, Bürgermeister Abreck aus Wachenheim, war für eine Rede an den Fürsten vorgesehen. In einer veröffentlichten Einladung forderten die Vorderpfälzer Liberalen vor allem die »Gemeinderäthe und Notabeln«112 des Rheinkreises auf, nach Speyer zu kommen. Die Einladung wurde an alle Bürgermeister, die Landcommissäre, die pfälzischen Mitglieder der Abgeordnetenkammer und Landratsmitglieder, den Verwaltungsrat der Eisenbahn, die Mitglieder der Handelskammer usw. versandt.113 107 Ludwig Andreas Jordan an Seraphine Jordan, Deidesheim, 19.2.1845, Briefsammlung Hauck, Briefe 1840–1848. 108 Carl Ludwig Golsen an Ludwig Andreas Jordan, Zweibrücken, 14.2.1845, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 503. 109 Wahrscheinlich handelt es sich um den Hambacher Bürgermeister Simon Baader. 110 Ludwig Andreas Jordan an Seraphine Jordan, Deidesheim, 19.2.1845, Briefsammlung Hauck, Briefe 1840–1848. Daraus auch das Folgende. 111 Ludwig Andreas Jordan an Andreas Jordan, Deidesheim, 20.2.1845, Briefsammlung Hauck, Briefe 1840–1848. 112 Öffentliche Bekanntmachung, Neustadt an der Haardt, 19.2.1845, BaK, N1758 (Kolb), Bd. 5. Auch in LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 503. Zu den Unterzeichnern gehörten diverse Vorderpfälzer Bürgermeister sowie die Dürkheimer Wilhelm Sauerbeck und Rudolph Christmann, die Deidesheimer Johann Spindler, Ludwig Andreas Jordan und Johann Häußling, der Wachenheimer Ludwig Heinrich Wolf und die Neustädter Ludwig und Friedrich Dacqué. 113 Notiz von Ferdinand Maucher auf dem an Ludwig Andreas Jordan gesandten Exemplar. Siehe Öffentliche Bekanntmachung, Neustadt an der Haardt, 19.2.1845, LaS, V153 (Basser­ mann-Jordan), Bd. 503.

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Ludwig Andreas Jordan bat auch seinen Vater, dorthin zu kommen. Zudem ersuchte er ihn, einen Brief an seine Bekannten aus der Kammer der Abgeordneten Heinrich Ferdinand von der Tann und Karl Graf von Seinsheim zu richten. Die beiden konservativen Abgeordneten waren enge Berater des Königs, sodass­ Ludwig Andreas Jordan hoffte, sein Vater könne mit den beiden Briefen »gewiß mehr ausrichten, als wir Alle mit unsern Petitionen«114. Er forderte seinen Vater auf, darin die Aufregung im Rheinkreis zu schildern und seine Verwunderung darüber auszudrücken, dass man den Fürsten zu einem Zeitpunkt abberufe, zu dem der frühere Oppositionsgeist der Pfalz erloschen sei. In seinem Anliegen wähnte er sich mit seinem Vater einig, denn dieser wolle »ja auch […] nicht den Geist der Finsterniß, den man aus dem Mittelalter wieder heraufbeschwören will.«115 Auch eine der zentralen Figuren der pfälzischen Liberalen, der Frankenthaler Advokat Friedrich Justus Willich, wurde in die Agitation mit einbezogen. Er sandte einen Artikel zur Abberufung Wredes und zu den geplanten Feierlichkeiten an den Leiter der liberalen Neuen Speyerer Zeitung, Georg Friedrich Kolb.116 Dieser sollte den Artikel anonym abdrucken. Hier zeigten sich jedoch Risse in der Front der Pfälzer Liberalen. Willich, der in seinem Brief an Kolb noch betont hatte, in Anbetracht des Kampfes Wredes gegen die Klöster vergesse man »gerne manches frühere«, konnte mit seiner nachsichtigen Position bei Kolb nicht durchdringen. Dieser listete in seiner Antwort an Willich detailliert die Fehler Wredes auf.117 Insbesondere warf er ihm vor, jegliche Opposition zu unterdrücken. Den Pfälzer Landrat habe er mundtot gemacht, und in der Kreisregierung werde nur noch nach seinem Diktat entschieden. Kolb kam zu dem Urteil, dass die Pfälzer noch nie einen Präsidenten gehabt hätten, der »paschamäßiger und despotischer« regiert habe. Er freue sich daher über Wredes Versetzung, denn es könne nur besser werden. In einem dramatisch formulierten Postskriptum beschwor er Willich, sich nicht weiter an der Agitation für Wrede zu beteiligen. Willichs Artikel schickte er wieder zurück. Aufgrund der vor allem unter Wrede ausgebauten Zensur sei es nicht mehr möglich, Artikel zu drucken, die »auch nur entfernt als Mißbilligung eines königl[ichen] Dictats gedeutet werden könnte[n]«. 114 Ludwig Andreas Jordan an Andreas Jordan, Deidesheim, 20.2.1845, Briefsammlung Hauck, Briefe 1840–1848. 115 Ebd. 116 Friedrich Justus Willich an Georg Friedrich Kolb, Frankenthal, 20.2.1845, BaK, N1758 (Kolb), Bd. 5. 117 Entwurf der Antwort Georg Friedrich Kolbs an Friedrich Justus Willich, Speyer, 22.2.1845, BaK, N1758 (Kolb), Bd. 5. Daraus auch die folgenden Zitate. Eine Einschätzung der Leistungen und Verfehlungen Wredes aus Kolbs Sicht findet sich auch in dem Artikel Kolb, Der Baierische Landtag, S. 159–162. Dass man vor allem in Speyer von Wrede nicht nachtrauerte, lag wohl auch daran, dass dieser sich bei der Entscheidung über die Streckenführung der Bexbach-Ludwigshafener Bahn dafür eingesetzt hatte, Speyer nur über eine Zweigbahn anzubinden. Siehe Heintz, Nachkommen, S. 11.

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Auch in Deidesheim zeigten sich jetzt Konfliktlinien, die allerdings anders verliefen als die zwischen Willich und Kolb. In Deidesheim stand Ludwig Andreas Jordan Bürgermeister Johann Baptist Goerg gegenüber. Wie Ludwig Andreas Jordan seinem Vater nach Mannheim berichtete, sei die Antwort des Königs auf die Deidesheimer Petition während seiner Abwesenheit eingetroffen. Diese Gelegenheit habe der Bürgermeister in einer öffentlichen Versammlung benutzt, um ihn anzugreifen. Goerg habe in der Versammlung ausgeführt, dass Ludwig Andreas Jordan die Leute zur Unterschrift verleitet habe. Die Petition schade nur und sei ein Mittel der Revolution. Als einige Tage später ein Bericht des Innenministers Abel über die Versetzung Wredes durch Goerg verlesen wurde, holte Jordan zum Gegenschlag aus. Als Goerg die Sitzung nach dem Verlesen des Briefes schloss und die Versammlung verlies, bat Ludwig Andreas Jordan die Versammlungsteilnehmer zu bleiben. Er beschwerte sich über das feige Verhalten des Bürgermeisters und erntete dafür bei zahlreichen Versammlungsteilnehmern Zustimmung. Aus dem Schwanken seiner Mitbürger zog Jordan gegenüber seinem Vater einen interessanten Schluss: »Die Menschen sind hier von einer Charakterschwäche, die beklagenswerth ist. Mir ist es eine Lehre; wer ihnen imponirt, hat Einfluß über sie. Du hast es so gemacht & Du sollst mir als Beispiel dienen, so wenig ich auch sonst Deine Energie besitze.«118

Nichts klingt hier mehr nach dem idealistischen Bild, das sich Ludwig Andreas Jordan gegenüber seinem Freund Franz Peter Buhl noch 1832 von einer zukünftigen politischen Tätigkeit ausgemalt hatte, nach dem er sich für seine Mitbürger einsetze und dafür ihre Anerkennung erhalten werde. Hier ging es stattdessen um Macht, ganz im Sinne Max Webers, als Fähigkeit, seinen Willen auch gegen Widerstand durchzusetzen.119 Die Differenzen mit dem Bürgermeister hatten noch tiefere Wurzeln. ­Goerg versuchte nämlich, im Deidesheimer Spital den Orden der Barmherzigen Schwestern vom Heiligen Vinzenz von Paul zu installieren. Das Spital bestand bereits seit dem Mittelalter und hatte durch eine großzügige Stiftung des in Deidesheim wohnenden Ritters Nikolaus von Böhl 1494 einen neuen Aufschwung genommen.120 Es hatte vor allem die Aufgabe, alte und arme kranke Menschen zu versorgen. 1778 wurde das Spital unter dem Speyerer Fürstbischof Damian August von Limburg-Stirum umgestaltet. Es wurde zu einer Art Krankenhaus mit Apotheke, beides betreut vom Orden der Barmherzigen Brüder. Während der­ 118 Ludwig Andreas Jordan an Andreas Jordan, Deidesheim, 3.3.1845, Briefsammlung Hauck, Briefe 1840–1848. 119 Max Webers klassische Definition lautet: »Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht.« Siehe Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 28 f. 120 Einen Überblick über die Geschichte des Spitals von seiner Gründung bis ins 20. Jahrhundert bietet Schnabel, Geschichte des Deidesheimer Spitals.

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Zugehörigkeit zu Frankreich wurde die Aufsicht über Zivilspitäler dann den Gemeindeverwaltungen übertragen. Diese wurde von einer Kommission aus dem Bürgermeister und je zwei Vertretern aus den beiden Orten der Doppelgemeinde Deidesheim-Niederkirchen ausgeübt. Da fast alle Barmherzigen Brüder geflohen waren und das Hospital arg gelitten hatte, sah man von einer Wiedereröffnung als Krankenhaus ab. Stattdessen verwendete man jetzt die Einkünfte des Hospitals direkt für die Unterstützung armer und kranker Gemeindemitglieder sowie für arme Schulkinder. Zudem wurde ein Arzt eingestellt, der die eingetragenen Armen der Doppelgemeinde kostenlos behandeln musste. Auch die Apotheke wurde weiter betrieben. Einige Räume wurden als Schulsäle genutzt und zwei Wohnungen für die Lehrer verpachtet. 1840 forderte die Regierung des Pfalzkreises die Deidesheimer auf, das Spital wieder nach seinem ursprünglichen Stiftungszwecke als Alten- und Krankenpflegeheim zu betreiben. Die Hospitalskommission, die seit 1836 aus je fünf Vertretern der mittlerweile getrennten Gemeinden Niederkirchen und Deidesheim bestand, beschloss daraufhin, den alten Zweck wieder aufzunehmen und zusätzlich noch eine »Kleinkinderbewahr-, Suppen- und Beschäftigungsanstalt«121 dort einzurichten. Insbesondere die Kleinkinderbewahranstalt war ein dringendes Bedürfnis, denn häufig mussten beide Elternteile als Tagelöhner im Weinbau arbeiten, sodass die Kinder keine Aufsicht hatten und schwere Unfälle passierten.122 Die Schule zog nach dem Beschluss zügig aus und auch die Lehrer erhielten eine neue Unterkunft. Unklar blieb, wie die Umstrukturierung des Hospitals weiter organisatorisch bewältigt werden sollte. Die Hospitalskommission, zu der auch Ludwig Andreas Jordan gehörte, beauftragte daher am 9. Februar 1844 Bürgermeister Goerg, sich über die Bedingungen für eine potentielle Übernahme der Hospitalsaufgaben durch den Orden der Barmherzigen Schwestern zu erkundigen.123 Als sich abzeichnete, dass Goerg seinen Auftrag weit auslegte und den Barmherzigen Schwestern zügig die Armen- und Krankenpflege übertragen wollte, erhob sich eine starke Opposition in Deidesheim gegen diesen Schritt. Der zur damaligen Zeit als Pfarrer in Hambach tätige Franz Xaver Remling sah in einer polemischen Schrift den Hospitals- und Stadtarzt Dr. Karl Heinrich Schultz als Antreiber in dem Kampf gegen die Barmherzigen Schwestern, der mit seiner Fa 121 Ebd., S. 149. 122 Siehe die Schilderung in o.V., Die barmherzigen Schwestern zu Deidesheim. 123 Schnabel, Geschichte des Deidesheimer Spitals, S. 149; Remling, Hospital, S. 71 f. Die Schrift des Pfarrers Remling ist selbst als Parteinahme in den Auseinandersetzungen anzusehen, denn es ging ihm darum, historisch nachzuweisen, dass der Zweck des Hospitals die Armen- und Krankenpflege sei und eine Gruppe von Deidesheimer Bürgern das Hospital für eigene Zwecke missbraucht habe. Er forderte daher mit seiner Schrift, das Hospital nach seinem alten Zweck zu gebrauchen und die Barmherzigen Schwestern dort einzuführen.

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milie die kostenlose Wohnung im Hospital nicht habe aufgeben wollen.124 Diese oberflächliche Betrachtungsweise unterschlägt, dass es in der Pfalz an vielen Orten und auf vielen Ebenen Widerstand gegen ein Ausgreifen der Kirche auf vermeintlich weltliche Angelegenheiten gab. Das zeigt sich unter anderem auch bei den Stellungnahmen des Landrats.125 Das Deidesheimer Beispiel steht somit nicht allein, sondern muss in dem zu Beginn des Kapitels geschilderten weiten Zusammenhang betrachtet werden. Es ist Teil  einer Auseinandersetzung um die Rolle des Glaubens und der Kirche im öffentlichen Leben. Zahlreiche liberale Pfälzer verdächtigten die Orden, in die weltliche Sphäre einzugreifen und setzten sich gegen die vermeintliche Infiltrierung zur Wehr. Der Deidesheimer Konflikt erscheint somit wie eine Vorwegnahme der späteren Kulturkämpfe. Die giftige Polemik der Befürworter und der Gegner der Barmherzigen Schwestern schlug hohe Wellen. In mehreren Artikeln griff die ultramontan orientierte und in Mainz gedruckte Zeitschrift »Der Katholik« die Auseinandersetzung auf und verwahrte sich vor allem gegen den Vorwurf, die Barmherzigen Schwestern seien eng mit den Jesuiten verbunden.126 Am 9. Mai 1845 erschien dort ein Artikel, der die Auseinandersetzungen jetzt zu einer sozialen Frage machte. Der anonyme Autor warf den wohlhabenden Deidesheimer Bürgern vor, das Spital zur Entlastung der Gemeindekasse und ihres eigenen Vermögens verwendet zu haben. So seien Schulangelegenheiten und die Unterstützung der Armen Sache der Gemeinde und von Privaten. Das Spital habe nur die Aufgabe, Arme und Kranke, vor allem in ihren letzten Lebenstagen, zu pflegen. Arm und Reich scharf kontrastierend fuhr der Autor fort: »Aber man will Euch [den Armen, H. T.] nicht einmal diese Ruhe gönnen, nachdem Euere[sic] Schweißtropfen die Weinberge der Reichen befeuchtet und befruchtet und sich in Gold für sie verwandelt haben.«127 Dagegen sei der frühere Stifter Nikolaus von Böhl noch nicht gewöhnt gewesen »die Armen und Nothleidenden […] blos als Lastthiere zu seinen Arbeiten anzusehen und zu gebrauchen«128. Diesen Artikel konnten die Deidesheimer Gutsbesitzer nicht unkommentiert lassen. Er fachte ihren Eifer weiter an. Jordan und Buhl steckten jetzt »bis über die Ohren in kirchlich-politischen Wirren und Demonstrationen«129, wie Josephine 124 Remling, Hospital, S. 73. Diese Sicht übernimmt auch Schnabel, Geschichte des Deidesheimer Spitals, S. 149. 125 Magel, Die Majorität des Landraths; Dauberschmidt, Kirchenpolitische Kämpfe, S. 146. 126 O. V., Das Concilium in Speyer. 127 O. V., Deidesheim 1. Mai, S. 260. 128 Ebd. 129 Josephine Buhl an Heinrich von Gagern, Deidesheim, 11.6.1845, HSD, O11 (Gagern), Bd. L20. Heinrich von Gagerns zweite Ehefrau Babette Tillmann war mit den Jordans und Buhls verwandt, so dass die Gagerns bald auch zum Deidesheimer Familienkreis gehörten. Siehe dazu die ausführlichen Briefwechsel, die zwischen Seraphine Jordan, Josephine Buhl, Heinrich von Gagern und seinen Brüdern sowie Babette Tillmann bestanden. Diese finden

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Buhl an den engen Freund der Familie, Heinrich von Gagern, schrieb. Ihr Mann, der noch badischer Staatsbürger war, spiele »etwas den Mephisto, da er als Fremder nicht handeln, nur denken und reden kann.« Dagegen kämpfe ihr Bruder auch »mit der Feder«. Das war allerdings nicht so einfach, denn der Versuch einer Gegendarstellung zum Artikel des »Katholiken« im Neustadter Wochenblatt scheiterte an der Zensur der Kreisregierung.130 Es gelang jedoch, Anfang Juni 1845 einen Artikel in einer Extra-Beilage der in Baden erscheinenden linksliberalen Mannheimer Abendzeitung131 zu veröffentlichen. Für den Druck und 100 Exemplare der Beilage bezahlte Ludwig Andreas Jordan immerhin 25 Gulden.132 In dem Artikel griffen die unterzeichnenden Deidesheimer Stadt- und Hospitalratsmitglieder die Polemik des »Katholiken« auf und verwahrten sich gegen die Anschuldigungen. Den »Katholiken« charakterisierten sie als Zeitschrift, die ihre Macht vor allem auf die Beeinflussung der armen Bevölkerung stütze. Die Verfasser schlussfolgerten: »[D]eshalb die stete Aufreitzung gegen alle Wohlhabenden und die Anfeindung gegen alle aufgeklärteren und selbständigeren Männer, die sich nicht unbedingt ihren mittelalterlichen Bestrebungen anschließen wollen.«133 Mit seinem Artikel rufe der »Katholik« die Armen geradezu dazu auf, den Reichen das wegzunehmen, was sie zu viel hätten. Daher predige das Blatt »den Communismus in seiner krassesten Form«. Anschließend hoben die Verfasser die in den letzten Jahren erfolgten Wohltaten des Hospitals hervor und betonten auch, wie üppig die Unterstützung der Armen durch den Armenpflegschaftsrat der Gemeinde und die privaten Spenden sich im HSD, O11 (Gagern), Bde. E28, E38, E141, E161, D8, D9, H14. Auszüge daraus finden sich in Klötzer/Wentzcke (Hg.), Deutscher Liberalismus. Zu Gagerns Rolle in der liberalen Bewegung siehe die Habilitationsschrift von Frank Möller, Gagern. Dort weist Möller auch auf die gezielten Kontakte Gagerns in die Rheinpfalz hin, der versuchte, sich dort auch mit Hilfe der Buhls und Jordans eine über seinen Wohnsitz in Rheinhessen hinausreichende »politische Basis aufzubauen« (S. 150). Zu Jordan und Buhl siehe S. 156. 130 Landcommissariat Neustadt an Ludwig Andreas Jordan, Neustadt, 11.6.1845, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 503. 131 Die Entwicklung der Mannheimer Abendzeitung von einem bürgerlich-liberalen zu einem sozialradikalen Blatt, welche vor allem durch die Übernahme zahlreicher Mitarbeiter der Rheinischen Zeitung 1843 forciert wurde, beschreibt Deuchert, Vom Hambacher Fest zur badischen Revolution, S. 160–174. Zur politischen Einstellung der Mannheimer Abendzeitung siehe auch die in der DDR erschienene Dissertation Matthias Tullners, Mannheimer Abendzeitung. 132 Siehe hierzu die Notiz Ludwig Andreas Jordans in LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 503. 133 Extra-Beilage zu Nr.  172 der Mannheimer Abendzeitung [Anfang Juni 1845], LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 349. Daraus auch die folgenden Zitate. Der Artikel ist unterschrieben von W. Goerg, P. Eichelmann, L. A. Jordan, H. Giessen, J. Häußling, J. B. Kimich, J. Cörver, H. Schmitt, M. Dietz, J. A. Kuhn, W. Cörver, M. Eichberger, J. Rödersheimer, J. Glaser, J. Brandner, W. Hoch, J. Brestel, M. Rau, M. Wittmann, N. Hagene.

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gewesen sei. Die Anschuldigungen würden also jeglicher Grundlage entbehren. Dem Verfasser im »Katholiken« sei offensichtlich sehr daran gelegen, die Barmherzigen Schwestern in Deidesheim zu installieren. Eine überwältigende Mehrheit der Deidesheimer Bürger wünsche dies aber nicht. Abschließend deuteten die Verfasser an, dass die Barmherzigen Schwestern nur Mittel zu einem dahinterstehenden Zweck seien. Anders könne man den Aufwand, der dabei getrieben werde und bei dem sogar vor der »Verdächtigung rechtlicher Männer« nicht zurückgeschreckt werde, nicht erklären. Parallel zu der öffentlichen Polemik versuchten die Gegner der Barmherzigen Schwestern die ganze Angelegenheit in den Stadtrat zu ziehen. Das lehnte der Bürgermeister ab, da der Stadtrat für die innere Verwaltung des Hospitals nicht zuständig sei.134 Daraufhin wandten sich einige Stadtratsmitglieder an das Landkommissariat Neustadt mit der Bitte, den Sachverhalt zu prüfen. Dieses entschied am 19. April 1845, dass den Gemeindeorganen die Oberaufsicht zustehe. Daher sei der Beschluss des Hospitalrates von 1844 dem Stadtrat vorzulegen. Als Bürgermeister Goerg daraufhin am 30. April 1845 den Stadtrat darüber abstimmen ließ, stimmte die Mehrheit gegen die Einführung der Barmherzigen Schwestern. Goerg machte unter Verweis auf mehrere Gesetze aus der Zeit der Zugehörigkeit zu Frankreich noch einmal deutlich, dass er sich an den Beschluss nicht gebunden fühle, da ein solcher Beschluss allein der Hospitalskommission zustehe. Das ganze Verfahren wurde jetzt der Regierung der Pfalz in Speyer vorgelegt. Ludwig Andreas Jordan versuchte in dieser festgefahrenen Situation, seinen Vater einzuschalten.135 Er bat ihn, im Rahmen eines anstehenden Besuchs des Königs Ludwig I. in Ludwigshafen am 4. Juni mit diesem über die Angelegenheit zu sprechen. Er könne ihm deutlich machen, dass eine große Mehrheit der Deidesheimer Bürger gegen die Einführung der Barmherzigen Schwestern sei. Nur auf diesem Wege könne man die von dem Bürgermeister, der Kreisregierung und der Geistlichkeit gewollte Installierung der Barmherzigen Schwestern noch verhindern. Seinem Vater berichtete er auch von dem gestreuten Gerücht über seine angebliche Unterstützung der Deutschkatholiken. Diese Gerüchte seien bereits bis nach München gedrungen. Als Quelle vermutete er den Bürgermeister und den Pfarrer. Dieses Gerücht wurde auch von Remling aufgegriffen, der, ohne Namen zu nennen, auf zwei Hauptgegner der Barmherzigen Schwestern verwies, die sich auf dem Marktplatze in Deidesheim gebrüstet hätten, im Hause des Mannheimer Verlegers Friedrich Daniel Bassermann mit Johannes Ronge zusammengetroffen zu sein und diesen nach Deidesheim eingeladen zu haben.136 134 Hierzu und zu dem Folgenden: Remling, Hospital, S. 75 f.; Ludwig Andreas Jordan an Andreas Jordan, Deidesheim, 1.6.1845, Briefsammlung Hauck, Briefe 1840–1848. 135 Hierzu und zu dem Folgenden: Ludwig Andreas Jordan an Andreas Jordan, Deidesheim, 1.6.1845, Briefsammlung Hauck, Briefe 1840–1848. 136 Remling, Hospital, S. 77.

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Damit können nur Jordan und Buhl gemeint sein, die über engen Kontakt zu Bassermann verfügten. Was hatte es mit diesen Vorwürfen auf sich? Der Deutschkatholizismus war unter anderem in der Auseinandersetzung mit der 1844 erfolgten großen Wallfahrt zum heiligen Rock nach Trier entstanden. Der Initiator der Bewegung, der katholische Pfarrer Johannes Ronge, wandte sich gegen einen solchen Kult und lehnte unter anderem auch den Zölibat, den Primat des Papstes und die Heiligenverehrung ab. Grundlage des Glaubens sollte stattdessen vor allem wieder die Bibel sein. Mit seinem Glaubensideal sprach Ronge auch zahlreiche bekannte Liberale des Vormärz an, sodass die ursprünglich religiöse Bewegung schnell mit einer politischen Mission aufgeladen wurde. Viele Liberale sahen im Deutschkatholizismus vor allem eine Chance, ihre politischen Anliegen zu vertreten.137 Insbesondere der Heidelberger Historiker und Germanist Georg Gottfried Gervinus, einer der »Göttinger Sieben« und seit den 1850er Jahren ein Großkunde des Jordan’schen Weinguts138, beschrieb Johannes Ronge und den Deutschkatholizismus als Vorhut einer großen religiös-nationalen Bewegung. Hans Rosenberg hat die zentrale Botschaft aus Gervinus’ 1845 erschienenen Kampfschrift »Die Mission der Deutschkatholiken« auf den Punkt gebracht. Danach seien die Deutschkatholiken und die von den Protestanten ausgehende Bewegung der »Lichtfreunde« dazu berufen, »eine sittlich-nationale Reformation größten Stils, die Vereinigung der beiden Konfessionen und die Begründung einer deutschen Nationalkirche in die Wege zu leiten und damit der politischen Wiedergeburt die Bahn zu brechen«139. Durch diese Verbindung des Deutschkatholizismus mit der bürgerlich-liberalen auf einen Nationalstaat hinarbeitenden Bewegung war die öffentliche Aufmerksamkeit für den Deutschkatholizismus im deutschen Südwesten enorm, seine organisatorische Verankerung und tatsächliche Mitgliederzahl blieb jedoch weit dahinter zurück.140 Wie Ludwig Andreas Jordan zu dieser Bewegung stand, lässt sich aus den Quellen nicht rekonstruieren. Es erscheint nicht unwahrscheinlich, dass er bei dem Besuch Ronges im Bassermann’schen Hause am 28. September 1845 anwesend war.141 Dass er anfänglich mit dem Deutschkatholizismus sympathi 137 Holzem, Kirchenreform, S. 89, 92, 159–168. 138 Siehe die Briefwechsel zwischen Jordan und Gervinus in: UBH, Hs. 2526; LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bde. 184, 409. 139 Rosenberg, Theologischer Rationalismus, S.  45. Zu Gervinus’ Schrift siehe auch­ Holzem, Kirchenreform, S. 163–165. Dagegen stufte Heinrich von Gagern den Einsatz vieler Liberaler für den Deutschkatholizismus als Gefahr für die liberale Sache ein, da sich auf diese Weise viele Katholiken dem Liberalismus entfremden würden. Siehe Möller, Gagern, S. 155. 140 Holzem, Kirchenreform, S. 168. 141 Zu der Veranstaltung im Garten des Hauses von Friedrich Daniel Bassermann siehe Gall, Bürgertum in Deutschland, S. 277 f. (dort auch eine Lithographie zu der Versammlung) sowie Werner, Friedrich Daniel Bassermann, S. 123–129.

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sierte, ist aufgrund seiner antiklerikalen Glaubensvorstellungen nicht abwegig, zumal auch andere liberale Pfälzer wie zum Beispiel Georg Friedrich Kolb den Deutschkatholizismus unterstützten. Kolb versuchte sogar, den in der liberalen Bewegung engagierten katholischen Pfarrer Franz Tafel auf einer deutschkatholischen Pfarrstelle zu installieren.142 Andreas Jordan war mit der Vehemenz, mit der sich sein Sohn in die religiösen Auseinandersetzungen in Deidesheim stürzte, nicht einverstanden und lehnte eine Einmischung von seiner Seite ab.143 Stattdessen forderte er seinen Sohn auf, ein besseres Verhältnis zum Pfarrer zu pflegen. Zudem äußerte er auch keine Vorbehalte gegen eine Übernahme des Spitals durch die Barmherzigen Schwestern. Das überraschte Ludwig Andreas Jordan, der seinem Vater deutlich machte, dass ein Teil der Vorwürfe, die insbesondere im »Katholiken« geäußert wurden, auf seinen Vater zielen würde. Dieser habe als früherer Bürgermeister und Hospitalratsvorsitzender schließlich einen Großteil der Entscheidungen über das Spital zu verantworten. Noch während die Prüfung durch die Kreisregierung lief, unterzeichneten Goerg, der Ordens-Superior Joseph Riedl sowie die General-Oberin der Barmherzigen Schwestern am 30. September 1845 einen Vertrag, der die Führung des Spitals den Barmherzigen Schwestern übertrug.144 Dieser wurde von der bayerischen Regierung genehmigt. Erbost über den Vorgang wandten sich die Deidesheimer Gegner dieses Schrittes jetzt direkt an den König. Ludwig Andreas Jordan entwarf eine Petition, in er den Vorgang aus seiner Sicht darstellte. Darin legte er vor allem dar, dass der finanzielle Aufwand und der Ertrag bei einer Übernahme des Spitals durch die Barmherzigen Schwestern in keinem Verhältnis stünden. Die Einkünfte des Spitals würden nur für den Unterhalt der Schwestern und die Pflege weniger Kranker verwendet. Rhetorisch fragte er: »Was bleibt dann für die übrigen Armen, deren wir nach drei ­schlechten Weinjahren so viele 142 Krautkrämer, Kolb, S.  67–69, 112 f. Der Briefwechsel Kolbs zu diesem Thema mit­ Johann Adam von Itzstein, Robert Blum, Karl Mathy und Karl Theodor Welcker ist abgedruckt ebd. S. 178–180. Zur Rolle des Deutschkatholizismus in der Pfalz siehe Kantzenbach, Geschichte des Deutschkatholizismus; Friedel, Deutschkatholizismus; Bahn, Deutschkatholiken und Freireligiöse; ders., Deutschkatholizismus und Revolutionsbewegung. 143 Hierzu und zu dem Folgenden: Ludwig Andreas Jordan an Andreas Jordan, Deidesheim, 9.6.1845, Briefsammlung Hauck, Briefe 1840–1848. Der Antwortbrief Andreas Jordans ist im Nachlass nicht vorhanden. Seine Position lässt sich aber aus dem folgenden Brief seines Sohnes rekonstruieren. Auch politisch scheint sich Andreas Jordan von einer strikt oppositionellen Haltung 1831 zu einer eher gemäßigten Haltung entwickelt zu haben. So urteilte die bayerische Regierung 1836 über ihn, dass er früher zur heftigsten Opposition gehört habe, jetzt aber »klüger und gebrechlicher« geworden sei. 1839 befand Innenminister von Abel, Andreas Jordan »[w]erde sich der Opposition nicht anschließen, doch sei nicht in allen Fragen auf ihn zu zählen, da er eine eigene Richtung verfolge.« Siehe Leeb, Wahlrecht, 2. Teilbd., S. 762 und 792. 144 Remling, Hospital, S. 77–79. Der Vertrag ist abgedruckt ebd., S. 129–132 und o.V., Die barmherzigen Schwestern in Deidesheim, S. 669 f.

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haben, noch zu vertheilen?«145 Die bisherige Praxis sei wesentlich effektiver und komme direkt den Armen und Kranken zugute. Zudem werde eine klösterliche Einrichtung den religiösen Frieden in Deidesheim stören. Darum bat er den König, den vom Bürgermeister geschlossenen und von der Regierung genehmigten Vertrag mit den Barmherzigen Schwestern rückgängig zu machen. Dieser Entwurf bildete die Grundlage für die Petition an den König, für die 302 Unterschriften gesammelt wurden.146 Die Regierung prüfte daraufhin den Sachverhalt ausführlich, was die eigentlich für Juli 1846 vorgesehene Einführung der Barmherzigen Schwestern immer weiter verzögerte.147 Erst am 24.  September 1847 fiel eine Entscheidung. Die bayerische Regierung nahm ihre Vertragsgenehmigung wieder zurück, sodass die Verwaltung des Spitals jetzt von weltlichem Personal übernommen wurde.148 Eine Suppenküche für die immer zahlreicheren Armen in Deidesheim war bereits im Januar 1847 von einem Deidesheimer Frauenverein gegründet worden, der täglich Suppe und Brot an die Armen verteilte und dafür eine Räumlichkeit im Spital nutzen konnte. Dafür erhielten die Frauen auch einen Zuschuss aus dem Spitalfonds.149 Die Entscheidung der Regierung stand in engem Zusammenhang mit den zunehmenden politischen Unmutsbekundungen im Pfalzkreis. Das hatte die bayerische Regierung unter anderem veranlasst, im Mai 1846 mit Franz Alwens erstmals einen Pfälzer zum Regierungspräsidenten in Speyer zu ernennen. Damit »sollten die Pfälzer beruhigt werden«150. Diesen Beschwichtigungskurs setzte man mit der Entscheidung über das Deidesheimer Spital fort. Der Kampf Ludwig Andreas Jordans und seiner Mitstreiter gegen die Einführung der Barmherzigen Schwestern war somit erfolgreich; sie hatten den innerkonfessionellen »Kulturkampf« gewonnen und sich gegen die ursprüngliche Entscheidung der Regierung durchgesetzt. Jordan hatte sich damit weit aus dem Fenster gelehnt und auf diese Weise nicht nur in Deidesheim an weiterem Einfluss gewonnen. Gleichzeitig hatte er sich durch sein Engagement in der liberalen Bewegung der Pfalz etabliert.

145 Entwurf für eine Petition an den König, Dezember 1845, LaS, V153 (Bassermann-­ Jordan), Bd. 503. 146 Die Petition ist abgedruckt in Remling, Hospital, S. 132–138, der sie noch mit Anmerkungen aus seiner Sicht versieht. Zu der Zahl der Unterschriften siehe ebd., S. 83. 147 Hierzu und zu dem Folgenden: Remling, Hospital, S.  84 f. Die Beschwerde einiger Hospitalratsmitglieder gegen das Vorgehen des Bürgermeisters an den Landtag blieb dort unerledigt. Siehe Dauberschmidt, Kirchenpolitische Kämpfe, S. 147; Alphabetisches Repertorium, S. 140. 148 Schnabel, Geschichte des Spitals, S. 149 f. 149 Ebd., S. 150. 150 Imhoff (Hg.), Inspektionsreisen, S. XXI.

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5.2.2 Für eine starke liberale Bewegung: Die Wahlen zur bayerischen Kammer der Abgeordneten 1845 und das Dürkheimer Festessen 1846 Aufgrund seines Engagements in der liberalen Bewegung in der Pfalz rechnete sich Ludwig Andreas Jordan erstmals Chancen aus, in die bayerische Kammer der Abgeordneten gewählt zu werden. Diese wurde immer noch getrennt nach Ständen gewählt, die in verschiedene Wahlklassen eingeteilt wurden. J­ordan kandidierte in der Klasse der Städte, also der IV. Klasse. Als erste Stufe für die Wahl nach München galten die Wahlen zum Stadt- bzw. Gemeinderat in den Kommunen.151 Das aktive Wahlrecht knüpfte sich dort an das bayerische Staatsbürgerrecht und an das jeweilige Gemeindebürgerrecht. Dieses besaßen im Prinzip alle »ansässigen männlichen Gewerbetreibenden und Hausbesitzer«152. Ausgeschlossen von den Wahlen waren also neben den Frauen alle Unselbständigen, wie z. B. Gesellen oder Dienstboten. Das passive Wahlrecht zum Gemeinderat erhielten mit dem Wahlgesetz vom 17. November 1837 in Gemeinden unter 2500 Einwohnern, zu denen Deidesheim zählte, nur die höchstbesteuerten Zweidrittel der Ortsbürger.153 Diese Vorauswahl ist auch für die weiteren Wahlen wichtig, denn das aktive Wahlrecht für die Deputierten der bayerischen Kammer der Abgeordneten besaßen in der Pfalz nur die Gemeinderäte, der Bürgermeister und der Adjunkt, eine Art Beigeordneter.154 Dieser kleine Kreis wählte pro 500 Familien einen Wahlmann aus den eigenen Reihen aus.155 Hierfür galt erneut ein Zensus, der im Rheinkreis bei einer Jahresteuer von 53 Gulden lag und aus der gezahlten Häuser-, Grund-, Fenster-, Gewerbe-, und Bergwerksteuer berechnet wurde.156 Die Wahlmänner kamen zu einem festgesetzten Termin in Speyer zusammen und wählten aus ihrem Kreis eine bestimmte Anzahl von Abgeordneten für die Kammer der Abgeordneten in München. Die Wahlen unterlagen also einem mehrfachen Zensus, der das Besitzbürgertum deutlich bevorzugte. Ludwig Andreas Jordan war 1845 als Gemeinderatsmitglied in Deidesheim zu einem der 36 Wahlmänner der IV. Klasse des Rheinkreises gewählt worden.157 Aus diesem Kreis mussten vier Abgeordnete für die Münchener Kammer gewählt werden. Der Deidesheimer Gutsbesitzer hoffte bei der Wahl zum Zuge 151 Hierzu und zu dem Folgenden: Leeb, Wahlrecht, 1. Teilbd., S 96 f. 152 Ebd., S. 97. 153 Gesetz den Bestand und die Wahl der Gemeinderäthe im Rheinkreise betr., in: Amts- und Intelligenzblatt des Königlich Bayerischen Rhein-Kreises, Nr. 72 vom 10.12.1837, S. 581–583. 154 Leeb, Wahlrecht, 1. Teilbd., S. 335. 155 Ebd., S. 92. 156 Ebd., S. 89. 157 Zu den Zahlen siehe ebd., S. 371, 378–406.

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zu kommen und hatte sich vorher bei seinem Vater versichert, dass dieser mit einer eventuellen Abgeordnetentätigkeit seines Sohnes einverstanden sei.158 Im Vordergrund stand für ihn jedoch die Wahl seiner liberalen Gesinnungsgenossen Friedrich Justus Willich und Georg Friedrich Kolb. Ludwig Andreas Jordan hoffte, mit diesen beiden gewählt zu werden, sodass diese auch als Mentoren für den in parlamentarischen Angelegenheiten unerfahrenen Gutsbesitzer hätten fungieren können.159 Insbesondere die Wahl Willichs, der im Rheinkreis einen guten Ruf genoss und als Vertreter der liberalen Interessen des Pfalzkreises besonders geeignet erschien, wurde von Jordan und Buhl intensiv vorbereitet. Dabei spielte die Verbindung zu dem badischen Oppositionsführer Johann Adam von Itzstein eine zentrale Rolle. Dieser hatte seit den 1830er Jahren auf seinem Weingut in Hallgarten im Rheingau regelmäßig wichtige in den Landesparlamenten engagierte Liberale aus den Ländern des Deutschen Bundes versammelt, um mit Hilfe dieses Netzwerks die Politik der Opposition zu koordinieren.160 Dabei waren nicht nur eher gemäßigte Liberale vertreten wie Karl Mathy, Friedrich Daniel Bassermann oder Karl Theodor Welcker, sondern durchaus auch radikalere Stimmen wie der demokratisch orientierte sächsische Oppositionelle Robert Blum oder Friedrich Hecker.161 Auch Franz Peter Buhl gehörte zum Hallgarten-Kreis. Der aus Ettlingen stammende Schwager, Cousin und engste Freund Ludwig Andreas Jordans hatte seinen Wohnsitz noch in Baden und war dort seit 1843/44 als Vertreter des Wahlkreises Waldshut-Tiengen Abgeordneter der zweiten Kammer. Damit war er seinem Vater Franz Buhl gefolgt, der bis 1837 in der Kammer gesessen hatte.162 Vater und Sohn Buhl waren in der badischen Opposition, die in Mannheim ihre Hochburg hatte, gut vernetzt, wovon auch Ludwig Andreas Jordan profitierte. 158 Ludwig Andreas Jordan an Seraphine Jordan, Mannheim, 30.9.1845, Ludwig Andreas Jordan an Andreas Jordan, Deidesheim, 20.10.1845, beide in Briefsammlung Hauck, Briefe 1840–1848. 159 Seraphine Jordan an Heinrich von Gagern, Deidesheim, 24.11.1845, HSD, O11 (Gagern), Bd. L20. 160 Itzsteins Hallgarten-Kreis ist wenig erforscht, was vor allem damit zu tun hat, dass es keinen Nachlass Itzsteins gibt. So beruhten die ersten Darstellungen, die den Hallgarten-Kreis mit einbezogen, vorwiegend auf Memoirenliteratur, die zum Teil das Gesellige überbetonte. Dadurch wurde der Hallgarten-Kreis wenig beachtet. Erst Wolfgang Klötzer konnte auf der Basis der Briefe Itzsteins an Franz Peter Buhl die Wirkung des Hallgarten-Kreises genauer abschätzen und sieht in ihm eine wichtige Koordinierungsstelle für die Opposition im Vormärz. Aufgrund der zunehmenden Dominanz linker Kräfte habe dieser aber kurz vor der Revolution an Einfluss verloren. Siehe Klötzer, Hallgartener Versammlungen; ders., Itzsteinbriefe. Zu Itzsteins politischer Einschätzung siehe die überwiegend auf seinen Reden basierende Dissertation von Roßkopf, Itzstein, zum Hallgarten-Kreis insbesondere die Seiten 134–145. Die aktuellste Darstellung Itzsteins stammt von Bublies-Godau, Johann Adam von Itzstein (1756–1855). 161 Zu Blums Verbindungen zum Hallgarten-Kreis siehe Zerback, Blum, S. 108–113. 162 Zu Franz Buhl siehe die Kurzbiographie von Ludwig Andreas Jordan, der seinen Schwiegervater ehrfurchtsvoll porträtiert: Jordan, Franz Buhl.

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So fuhr er das erste Mal 1837 mit seinem Schwiegervater zu einem Diner bei Itzstein in Mannheim, wo er noch weitere badische Abgeordnete kennenlernte.163 Das gemeinsame Programm der Teilnehmer des Hallgarten-Kreises teilte Itzstein Franz Peter Buhl in einem Brief vom 26. April 1845 mit. Danach gehe es um »eine, soweit möglich, gleiche Haltung der Kammern, besonders in Betreff der Hauptanträge, z. B. freie Presse, Öffentlichkeit und Mündlichkeit des Verfahrens, Geschworenengerichte, Verantwortlichkeit der Minister, Militärbeschränkung usw. […] Wir waren alle einverstanden, daß eine solche Annäherung der entschiedenen Männer in Deutschland von großem Nutzen sei und in seiner wachsenden Erweiterung nach und nach eine wahre öffentliche Meinung in Deutschland erzeugen, aber auch durch übereinstimmende Anträge in den verschiedenen Kammern Eindruck auf die Bundesversammlung und auf das Volk machen würde.«164

Da der Hallgarten-Kreis in Baden, im Königreich Württemberg, im Großherzogtum Hessen und im Herzogtum Nassau bereits über gute Kontakte verfügte und zunehmend auch Verbindungen nach Nord- und Ostdeutschland geknüpft hatte, fehlte noch ein Stützpunkt in Bayern. Diesen wollte man sich vor allem mit Willich schaffen. Itzstein empfahl daher Buhl, dass eine Deputation angesehener Rheinpfälzer zu Willich gehen solle, um ihm die Wahl anzubieten und ihn zu bitten, weitere Vorschläge zu machen, wer noch als Abgeordneter in Frage käme. Das werde einen so großen Eindruck auf Willich machen, dass er sich bestimmt zur Wahl bereit erklären werde. Er zweifle dabei nicht an der Zusage Buhls und Jordans, dass die Pfälzer Willich gerne wählen würden. Buhl gab er noch mit auf den Weg, worum es bei diesem Einsatz ging: »Also, frisch gearbeitet, damit auch Bayerns Kammer von gutem Stoffe erhalte.«165 Auch bei einer Wahl Ludwig Andreas Jordans hätte der Hallgarten-Kreis eine weitere Verbindung nach Bayern gehabt. Die Abstimmung verlief allerdings nicht nach Plan. Nachdem eine erste Probeabstimmung gute Ergebnisse für Willich, Kolb und Jordan erbracht hatte, schaffte es in der endgültigen Abstimmung von diesen dreien nur Willich, gewählt zu werden.166 Außerdem wurden der Dürkheimer Gutsbesitzer Eduard Eppelsheimer, der Kaiserslauterer Gutsbesitzer Philipp Hack und der Dürkheimer Gutsbesitzer Rudolph C ­ hristmann gewählt. Über diese Abstimmung war Ludwig Andreas Jordan zum Teil ent 163 Ludwig Andreas Jordan an Andreas Jordan, o. O., o. D. [Mai 1837, H. T.], LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 429. Zur Verbindung der Familie Jordan in die badische Opposition siehe auch die diversen Briefe von Seraphine Jordan an Heinrich von Gagern, in denen sie von Treffen mit Itzstein, Johann Baptist Bekk oder Welcker berichtet. Siehe HLD, O11 (Gagern), Bd. L20. 164 Johann Adam von Itzstein an Franz Peter Buhl, Mannheim, 26.4.1845, in: Klötzer,­ Itzstein-Briefe, S. 144 f. 165 Johann Adam Itzstein an Franz Peter Buhl, Mannheim, 24.8.1845, BaK, N1754 (Buhl), Bd. 307. 166 Ludwig Andreas Jordan an Andreas Jordan, Deidesheim, 31.10.1845, Briefsammlung Hauck, Briefe 1840–1848.

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täuscht. Nicht nur er selbst war nicht gewählt worden, sondern vor allem die Nichtberücksichtigung Kolbs sah er als »unverzeihlich«167 an. Er vermutete hinter dieser Aktion die Westricher Wahlmänner, die versucht hätten, zwei Abgeordnete durchzusetzen.168 Jordan wurde allerdings zum ersten Ersatzmann gewählt und hatte damit eine unangenehme Position inne, denn er stand damit noch vor dem bekannten Liberalen Kolb, dem er lieber den Vortritt gelassen hätte. Die Position als Ersatzmann war nicht unwichtig, denn die Regierung verweigerte, wie zu erwarten, dem Advokaten Willich den Urlaub, den er für die Sitzungen der Abgeordnetenkammer benötigte. Das war ein beliebtes Mittel der bayerischen Regierung im Vormärz, um Oppositionelle auszuschalten, wobei durchaus umstritten war, ob die Advokaten zu den »für den öffentlichen Dienst verpflichteten Individuen«169 zu zählen seien. Daraufhin sollte Ludwig Andreas Jordan als sein Ersatzmann nachrücken.170 Das passte weder der Regierung noch den Jordans. Der neue Regierungspräsident der Pfalz, Karl Freiherr von Schrenck von Notzing, warnte den bayerischen Innenminister von Abel vor Willichs Ersatzmann. Jordan sei noch radikaler als dieser. Er stehe unter dem Einfluss seines Schwagers Buhl, der in der badischen Opposition eine wichtige Rolle spiele. Wenn Jordan in die Kammer nachrücke, ergäben sich damit automatisch Kontakte zwischen badischen und bayerischen Oppositionellen. Zudem habe Jordan die Agitation gegen die Einführung der Barmherzigen Schwestern ins Deidesheimer Hospital initiiert.171 Jordans Ehefrau Seraphine legte gegenüber Heinrich von Gagern die negativen Ansichten über das Nachrücken dar. Ihr Mann werde seine politische Karriere unter den »widerwärtigsten Auspizien«172 beginnen. Er werde schon ange 167 Ebd. 168 Der in der Klasse der Landbesitzer ohne Gerichtsbarkeit gewählte Jurist Carl Friedrich Heintz sah in dem Wahlergebnis eine gezielte Verhinderung der Wahl Kolbs. Siehe Carl Friedrich Heintz an Georg Friedrich Kolb, München, 18.2.1846, BaK, N1758 (Kolb), Bd. 2. Zu Heintz, 1848 in der Märzregierung Justizminister, siehe die rechtshistorische Biographie von Heiß, Ritter von Heintz. 169 Leeb, Wahlrecht, 2.  Teilbd., S.  596. Zur Anwendung dieser Maßnahme durch den bayerischen König im Vormärz siehe S. 587–603. 170 Zu dem Vorgang siehe Götschmann, Parlamentarismus, S. 740 f. und 755 f.; Gesandtschaftsberichte aus München 1814–1848, S. 151–154; Marx, Die pfälzischen Abgeordneten, S. 36 f.; Leeb, Wahlrecht, 2. Teilbd., S. 594–597; Gollwitzer, Staatsmann des Vormärz, S. 516; Weitzel, Krone, S. 121 f. 171 Die Einschätzung von Schrencks ist ausführlich wiedergegeben bei Marx, Die pfälzischen Abgeordneten, S. 38. Siehe auch Gollwitzer, Staatsmann des Vormärz, S. 516; Leeb, Wahlrecht, 2. Teilbd, S. 594. 172 Seraphine Jordan an Heinrich von Gagern, Deidesheim, 24.11.1845, HSD, O11 (Gagern), Bd. L20. Klötzer und Wentzcke haben in ihrer Edition der Gagern-Briefe den Brief Seraphine Jordans als nicht erhalten angezeigt. Das stimmt nicht, sondern hängt damit zusammen, dass sie ihn bei der Transkription fälschlicherweise auf den 24. Mai datierten. Siehe Klötzer/ Wentzcke (Hg.), Deutscher Liberalismus, S. 311, Fn. 183.

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feindet, denn einen so fähigen Mann wie Willich könne er nicht ersetzen. Den resignierenden Brief beendete Seraphine Jordan mit einem Hoffnungsschimmer: »[I]ch hoffe und wünsche zum deutschen Besten, daß die Stunde für Männer wie Sie bald schlagen möge.« Heinrich von Gagern war allerdings nicht so skeptisch wie Seraphine Jordan. Er versuchte sie in seiner Antwort wieder aufzurichten und legte in einer umfassenden idealisierten Charakterisierung Jordans dar, warum ihr Mann durchaus fähig sei, als Nachrücker im liberalen Sinne zu wirken: »Ich […] gebe ihm hiermit meinen besten Segen, meinen freundschaftlichen herzlichen Handschlag der Weihe für seinen neuen, schönen Wirkungskreis. Auch ich hätte ihm für die erste Zeit einen erfahrenen Führer zur Seite gewünscht, aber er wird dessen bald nicht mehr bedürfen. Bei seiner Bildung, bei seinem gesunden Urteil, bei seiner unabhängigen Lage könnte er nur von Seiten des Herzens zugänglich sein, und das schlägt ja für Sie, liebe Serafine, für alles Schöne, Gute und Rechte. Es ist ein weiches Herz, aber gerade diese Weichheit macht seine Stärke. Nur wo noch Zweifel waltet, auf welcher Seite Recht und Wahrheit zu finden, da sind weiche Herzen gefährlich; aber wo diese Zweifel gar nicht möglich sind – in unserer Zeit klar gezeichneter Situationen und Bestrebungen, das große Ziel der Freiheit und Einheit vor Augen –, da habe ich das beste Vertrauen in das weichste Herz, das um all den Jammer blutet, in dem wir uns gegenwärtig noch bewegen.«173

Ein Teil der pfälzischen Deputierten war allerdings tatsächlich nicht begeistert, den unerfahrenen Jordan nachrücken zu sehen. Der Jurist und als Abgeordneter der Landeigentümer gewählte Karl Friedrich Heintz setzte sich sogar für Neuwahlen ein, damit Kolb doch noch anstelle von Willich gewählt werden könne.174 Willich setzte unterdessen alle Hebel in Bewegung, um noch einrücken zu können.175 Als selbst seine Beschwerde bei der Kammer der Abgeordneten von dieser mit knapper Mehrheit abgelehnt wurde, plante Willich seine Anwaltstätigkeit aufzugeben, um so ohne Probleme in die Kammer der Abgeordneten einrücken zu können. Überraschenderweise entschied jetzt Ludwig I. doch noch, dass Willich den Urlaub genehmigt bekomme und an den Kammerverhandlungen teilnehmen könne. Das war der einzige Fall einer Rücknahme einer solchen Entscheidung. Damit war Ludwig Andreas Jordans Abgeordnetentätigkeit zunächst verschoben. Auf einer Versammlung der Wahlmänner der IV. Klasse in Neustadt wurde Jordan beauftragt, eine Dankadresse an Willich für dessen Einsatz um sein Abgeordnetenmandat zu formulieren.176 Darin wies er einleitend darauf hin, wie 173 Heinrich von Gagern an Seraphine Jordan, Darmstadt, 28.11.1845, in: Klötzer/Wentzcke (Hg.), Deutscher Liberalismus, S. 311–314, hier S. 312. 174 Karl Friedrich Heintz an Georg Friedrich Kolb, München, 18.2.1846, BaK, N1758 (Kolb), Bd. 2. 175 Hierzu und zu dem Folgenden: Leeb, Wahlrecht, 2. Teilbd., S. 596. 176 Entwurf eines Briefes von Ludwig Andreas Jordan an Friedrich Justus Willich, o. O., o. D. [Ende Januar 1846], LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 550; Neustadter Wochenblatt Nr. 8 vom 27.1.1846, S. 32.

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stark Willich für seine »edle Handlungsweise«177 bewundert werde. Die »Verehrung« und »Liebe« gehe aber nicht nur von den Wahlmännern aus, sondern werde von allen Mitbürgern geteilt. Willich verherrlichend fuhr Jordan fort: »In allen Gauen unserer schönen Pfalz wird Ihr Name mit Stolz genannt; Sie sind unsere Freude, unsere Hoffnung, Sie sind der Mann des Volkes!« Sein Name sei jetzt nicht mehr nur in der Pfalz bekannt, sondern auch in ganz Deutschland. Anschließend machte Jordan deutlich, was man sich von ihm in der Kammer erwarte. Gemeinsam mit den anderen Pfälzer Deputierten werde es ihm sicherlich in München gelingen »im Geiste des Fortschrittes, im Geiste der Aufklärung segensreich zu wirken«. Während des folgenden Landtags hielt Ludwig Andreas Jordan engen Kontakt zu Willich.178 Der Verlauf der Verhandlungen war jedoch wenig spektakulär und die Opposition zerstritt sich im Laufe des Landtags immer mehr.179 Trotzdem nutzten Jordan und seine liberalen Mitstreiter das Ende der ersten Sitzungsperiode, um den Machtanspruch der Liberalen auch öffentlich deutlich zu machen. Dazu organisierten sie ein Festessen für Willich und die anderen Pfälzer Abgeordneten in Dürkheim. Willich eignete sich durch die spektakuläre Auseinandersetzung um seinen Eintritt in die Kammer hervorragend zum Helden in dieser Inszenierung. Mit dem Festessen griffen die Pfälzer Liberalen auf eine Form der »symbolische[n] Politik«180 zurück, die man bereits im Vorfeld des Hambacher Fests eifrig praktiziert hatte.181 In der Pfalz war diese Form der politischen Feiern in der Reaktionszeit nach dem Hambacher Fest nicht mehr möglich gewesen. Als mehrere Pfälzer Liberale, unter anderem auch Ludwig Andreas Jordan, 1837 versuchten, diese Art der Feiern zu reaktivieren, sprachen sich die Pfälzer Abgeordneten gegen eine solche Aktion aus, da sie befürchteten, dass sie mehr schaden als nutzen könne.182 Jetzt hielt man offensichtlich die Zeit reif für einen neuen Anlauf. Dabei konnte man auch an die Tradition des benachbarten Baden anknüpfen, wo sich diese Form der Abgeordnetenhuldigung in den 1840er Jahren zu einem häufigen Instrument der politischen Kommunikation entwickelt hatte.183 177 Entwurf eines Briefes von Ludwig Andreas Jordan an Friedrich Justus Willich, o. O., o. D. [Ende Januar 1846], LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 550. Daraus auch die folgenden Zitate. Zu Willichs Antwort siehe Ludwig Andreas Jordan an Josephine Buhl, Deidesheim, 18.2.1846, BaK, N1754 (Buhl), Bd. 177. 178 Siehe dazu die diversen Briefe von Willich an Ludwig Andreas Jordan von Ende 1845 und 1846, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 550. 179 Götschmann, Parlamentarismus, S. 737–768. 180 Hettling/Nolte, Bürgerliche Feste als symbolische Politik, S. 7. 181 Siehe Kapitel 5.1. 182 Siehe hierzu auch S. 225, Anm. 80. 183 Nolte, Verfassungsfeste. Eine ausführliche Analyse der zahlreichen politischen Feste in Baden liefert Wien, Politische Feste.

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Da das Festessen mit seinen Reden, seinen Abgrenzungen und seiner Inszenierung einiges über das Selbstverständnis Jordans und der Pfälzer Liberalen offenlegt, soll es im Folgenden etwas ausführlicher analysiert werden. Das Festessen fand am 21. Juni 1846 in Dürkheim statt. Veranstalter waren die Pfälzer Wahlmänner aus der Klasse der Städte (Klasse IV) und der Landeigentümer (Klasse V). Diese hatten ja bereits in der von Jordan formulierten Dankadresse an Willich deutlich gemacht, dass sie sich aufgrund ihrer Wahl dazu legitimiert sahen, als Sprachrohr des Volkes aufzutreten. Als die Wahlmänner jetzt erneut in Speyer zusammentrafen, um aus ihren Reihen auch die Landratsmitglieder zu wählen, verabredeten sie eine Huldigungsfeier für ihre Abgeordneten. Eingeladen waren die Pfälzer Abgeordneten zur Ständekammer, von denen unter anderem Willich, Eppelsheimer, Hack, Christmann, der Anwalt Georg­ Jakob Stockinger, der Wachenheimer Gutsbesitzer Wolf, und der Freinsheimer Gutsbesitzer Philipp Tillmann erschienen. Es fehlten der eher gemäßigt liberal orientierte Appellationsgerichtsrat Heintz, der ihm nahestehende Gutsbesitzer Adolph Lilier und der protestantische Abgeordnete der Geistlichkeit. Insgesamt nahmen ungefähr 200 Gäste teil, um die Abgeordneten zu feiern.184 Selbstverständlich waren auch Jordan und Buhl anwesend. Das Fest war auf einen Kreis der Wohlhabenden beschränkt, denn ein Gedeck kostete ohne Wein einen Gulden und 36 Kreutzer. Hinzu kamen noch 24 Kreutzer für Musik und sonstige Auslagen sowie die individuelle Getränkerechnung.185 Mit diesem Betrag blieben die Gutsbesitzer, Kaufleute, Fabrikanten, Advokaten, Notare, Journalisten und Gerichtsboten, also das Besitz- und Bildungsbürgertum, unter sich.186 Das unterscheidet dieses Festessen von den Abgeordnetenfeiern im Vorfeld des Hambacher Fests, die zwar im Kern sozial exklusiv waren, aber z. B. durch Brotverteilung auch die ärmeren Schichten ansprachen.187 Der Ablauf des Festessens im Gartensaal des Dürkheimer Gasthauses »Zu den vier Jahreszeiten« war von einem Festkomitee genauestens geplant worden, zu dem unter anderem Jordan, Kolb und der Dürkheimer Bürgermeister Sauerbeck gehörten. Dieser Festausschuss hatte festgelegt, dass nur drei offizielle Toaste vorgebracht werden durften, nämlich auf den bayerischen König durch Sauerbeck, die Deputierten der Pfalz durch Jordan und einen Dank von Willich.188 184 Wochenblatt für die Amtsbezirke Zweibrücken, Homburg und Cusel, Nr.  77 vom 28.6.1846, S. 2. 185 Flugblatt »An die sämmtlichen pfälzischen Landrathscandidaten aus den beiden Classen der Städter und Landeigenthümer«, Dürkheim, 14.6.1846, LaS, H1, Bd. 1090. 186 Siehe das Verzeichnis von 80 Teilnehmern des Festessens, die von der Polizei ermittelt werden konnten, in: LaS, H1, Bd. 1090. 187 Siehe dazu das Kapitel 5.1. 188 Bericht des Neustadter Landcommissärs Hausmann an die Regierung der Pfalz in Speyer, Neustadt, 23.6.1846, LaS, H1, Bd. 1090.

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Die Regierung der Pfalz beobachtete die verdächtigen Vorbereitungen genau, konnte jedoch keinen Verstoß gegen die Gesetze feststellen und entschied sich daher, das Fest zu tolerieren.189 Zudem wollte man vermeiden, das Festessen durch Gegenmaßnahmen gerade erst populär zu machen. Allerdings hielt man den Festablauf genau fest und versuchte, die Teilnehmer zu eruieren. Die Gendarmerie wurde in Alarmbereitschaft versetzt, um bei eventuellen Vorkommnissen einzugreifen. Nervös wurde die Regierung in Speyer erst, als durchsickerte, dass auch­ badische Abgeordnete erwartet würden. Hektisch befragte man Kolb und das Festausschussmitglied Ferdinand Maucher, was es damit auf sich habe. Diese­ verneinten einen solchen Plan und wiesen nur darauf hin, dass Jordan im­ Komitee angefragt habe, ob er seinen Schwager und badischen Deputierten Buhl mitbringen dürfe. Damit gab sich die Regierung zufrieden. Was man nicht wusste war, dass Jordan und Buhl tatsächlich planten, dem Festessen durch Hinzuziehung badischer Abgeordneter eine etwas andere Ausrichtung zu geben, denn ein gemeinsames Essen bayerischer und badischer Abgeordneter hätte die länderübergreifende Solidarität der Opposition demonstriert und nicht mehr nur dem Einsatz der Pfälzer in der Abgeordnetenkammer gegolten. Als prominenter Gast sollte insbesondere Itzstein auftreten. Dieser war nicht nur im badischen Nachbarland überaus populär, wo man ihn bereits 1844 mit einem von 500 Personen besuchten Fest geehrt und ihm eine goldene Medaille für 25 Jahre oppositionelle Parlamentsarbeit überreicht hatte, sondern auch in anderen Ländern des Deutschen Bundes.190 Hoffmann von Fallersleben hatte sogar ein Itzstein-Lied verfasst, das in der Apotheose endete: »Itzstein, unser Stern, leuchtet nah und fern.«191 Itzstein musste die Einladung zu dem Dürkheimer Festessen jedoch absagen, da er mit parlamentarischen Arbeiten überlastet war.192 Immerhin kamen Buhls Abgeordnetenkollegen Karl Theodor Welcker und der Mannheimer Advokat Alexander von Soiron.193 Das Festessen selbst verlief planmäßig.194 Die drei Toaste wurden entsprechend ausgesprochen. Ludwig Andreas Jordans kurze Ansprache ist im Familiennachlass überliefert. Zunächst dankte er im Namen der Wahlmänner, die das Volk repräsentieren würden, den Abgeordneten für ihren Einsatz in der Kam 189 Hierzu und zu dem Folgenden: Regierung der Pfalz an Kammer des Innern, Speyer, 22.6.1846, LaS, H1, Bd. 1090. 190 Zum Itzstein-Fest siehe Wien, Politische Feste, S. 182–186. 191 Schweigard, Itzstein, unser Stern; Bublies-Godau, Johann Adam von Itzstein (1756–1855), S. 303. 192 Johann Adam Itzstein an Franz Peter Buhl, Karlsruhe, 19.6.1846, in: Klötzer, ItzsteinBriefe, S. 149. 193 Bericht des Landcommissariats Neustadt an die Regierung der Pfalz über das Festessen, Neustadt, 22.6.1846, LaS, H1, Bd. 1090. 194 Zum Ablauf siehe auch den Tagebucheintrag Josephine Buhls vom 21.6.1846, in: Klötzer (Hg.), Koch-Gontard, S. 43.

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mer. Dass nicht alles erreicht worden sei, was man sich erhofft habe, sei nicht ihre Schuld, denn sie hätten beharrlich für den Fortschritt gekämpft. Sie hätten sich dabei für eine »gesetzliche Entwicklung der constitutionellen Freiheiten«195 eingesetzt. Wenn dieser Weg beschritten werde, sei die Ruhe im Volke gesichert, wohingegen das Verhalten der Reaktion Revolutionen schüre. Jordan zeigte sich überzeugt, dass die Abgeordneten die Anliegen, die sie jetzt noch nicht erreicht hätten, in den nächsten Jahren durchsetzen würden, denn es »bildet sich in Deutschland eine Macht, die unwiderstehlich sein wird«. Drohend fügte er an, wenn diese Macht von den Regierungen nicht gehört werde, so werde die Macht aufbrausen, »wie ein fürchterlicher Orkan, alles zerstörend, was ihm in den Weg tritt.« Die Pfälzer Abgeordneten würden bei ihrem Einsatz für die gute Sache unterstützt von der öffentlichen Meinung, deren zunehmende Stärke auch von den Regierungen beachtet werden müsse. Auch die anderen Toaste, denen sich noch einige Worte der badischen Gäste anschlossen, blieben politisch gemäßigt.196 Anschließend wurde eine Dankadresse von 90 Neustädter Bürgern verlesen, die ihren Abgeordneten für den Kampf mit den »Gegnern des Fortschritts«197 dankten und aus Sicht des erst seit kurzem amtierenden Regierungspräsidenten Franz Alwens nur »abgedroschene Phrasen«198 enthielt. Während des Festessens wurde noch ein für diesen Anlass verfasstes Lied gesungen, das vorher die Zensur passiert hatte. Darin wurden die Pfälzer Abgeordneten als »Volksvertreter« gefeiert, die dem Volk und dem Fürsten verpflichtet seien. Auch hier wurde die evolutionäre Entwicklung der Verfassung als Ziel ausgegeben. So hieß es in der abschließenden Strophe: »Freunde, lebt mit uns des Glaubens: Unser Ziel, es ist kein Traum! Immer schöner wird gedeihen Der Verfassung starker Baum.«199

Die Zeitungen hoben in ihren Berichten vor allem die Eintracht der Festteilnehmer hervor, kein Zwischenfall habe die Veranstaltung gestört.200 Auch Ludwig Andreas Jordan war zufrieden. Seinem Vater, der ihn vor dieser Aktion gewarnt 195 Toast von Ludwig Andreas Jordan ausgebracht in Dürkheim, 21.6.1846, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 550. Daraus auch die folgenden Zitate. 196 Bericht des Landcommissariats Neustadt an Regierung der Pfalz über das Festessen, Neustadt 23.6.1846, LaS, H1, Bd. 1090. 197 Flugblatt »An die verehrlichen Herren Abgeordneten der Pfalz bei dem Festmahle in Dürkheim«, Neustadt, 21.6.1846, LaS, H1, Bd. 1090. 198 Regierung der Pfalz an Kammer des Innern, Speyer, 22.6.1846, LaS, H1, Bd. 1090. 199 Flugblatt »Lied gesungen bei dem Festmahle am 21. Juni 1846 zu Ehren unserer Pfälzischen Deputierten«, LaS, H1, Bd. 1090. 200 Wochenblatt für die Amtsbezirke Zweibrücken, Homburg und Cusel, Nr.  77 vom 28.6.1846, S. 2.

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hatte, schrieb er kurz nach dem Fest, dass er zu Beginn seiner Rede ins Stocken gekommen sei, auch aufgrund seiner bereits schweren Zunge, dann habe sich aber die Befangenheit gelegt und alle Anwesenden hätten ihm nach seiner Rede zugejubelt.201 Insgesamt wird deutlich, dass das Festessen zwei Funktionen erfüllte. Es war einmal nach innen gerichtet, an die eigene Bewegung. Die Liberalen der Pfalz kamen zusammen und versicherten sich in Liedern und Reden ihrer gemeinsamen Sache. Dabei ging es um die Verankerung liberaler Rechte auf dem gesetzlichen Weg, die jedoch in den Reden und Liedern nicht genauer präzisiert wurden. Hier kamen keine Radikalen zusammen. Man hielt an der Monarchie fest, wollte diese und die Regierung jedoch durch das Parlament stärker kontrollieren. Auch wenn man in Rechnung stellen muss, dass allein schon aufgrund der staatlichen Überwachung keine radikalen Reden gehalten werden konnten, erscheint dieses doch als Programm des gemäßigten Liberalismus in der Pfalz. Dabei zeigte sich auch deutlich der Zukunftsoptimismus der Teilnehmer. Man wähnte die Zeit auf seiner Seite, die zwangsläufig dazu führen werde, dass die eigenen Ziele umgesetzt werden könnten. Die Anwesenheit der badischen Teilnehmer zeigte den Pfälzern, dass man nicht allein war, sondern dass es eine länderübergreifende Bewegung für die »gute Sache« gab. Daneben gab es auch eine äußere Komponente des Treffens. Man demonstrierte nach außen Stärke und Einigkeit, wie es auch die Presse anschließend hervorhob. So zeigte man den Regierenden, dass es eine starke Bewegung gab, mit der diese rechnen mussten. Den Machthabern malte man zudem das Schreckbild vor Augen, dass ihre Reaktionspolitik zu einer Revolution der Bevölkerung führen werde. Als Alternative bot sich die Zusammenarbeit der Regierung mit den Liberalen an, um auf gesetzlichem evolutionärem Weg die Wünsche des Volkes umzusetzen. Interessanterweise spielte der Wunsch nach einem Nationalstaat auf dem Fest überhaupt keine Rolle. Weder in der Rede Jordans, noch in dem Festlied gibt es Bezüge zum Nationalstaat. Auch in den Berichten der Regierung der Pfalz über das Essen gibt es keinen Hinweis auf Äußerungen in dieser Richtung. Das Deutsche taucht lediglich im Festlied als historisches Argument zur Rechtfertigung angestammter Rechte auf. Hier wird die Nation also als Kulturnation begriffen. Auch in diesem Fall kann es natürlich sein, dass man sich solcher Hinweise enthalten hat, um die Regierung nicht zu provozieren und zu Gegenmaßnahmen zu verleiten. Insgesamt ist das Fest jedoch von einer sehr starken Ausrichtung auf die Pfälzer Abgeordneten und ihre Rolle in der bayerischen Kammer charakterisiert. Hier zeigt sich also die von Kaschuba diagnostizierte primär regionale Ausrichtung des deutschen Liberalismus sehr deutlich. 201 Ludwig Andreas Jordan an Andreas Jordan, Deidesheim, 2.7.1846, Briefsammlung Hauck, Briefe 1840–1848.

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Die Veranstaltung zeigt aber auch, dass die Diagnose, wonach Jordan und Buhl aufgrund ihrer gemäßigten Haltung nicht zum Kreis des pfälzischen Vormärzliberalimus gezählt werden können, nicht haltbar ist.202 Vor allem Jordan stand mitten in dieser Bewegung. Er hielt engen Kontakt zu den beiden Protagonisten des vormärzlichen Pfälzer Liberalismus, Willich und Kolb, und verabredete gemeinsame Aktionen, um für die eigenen Anliegen zu werben.203 Buhl spielte als Badener eher die vermittelnde Rolle und stellte die Kontakte zur badischen Opposition her. Hier scheint also bei der Beurteilung Jordans und Buhls der Blick der Forschung von der Märzrevolution und der Radikalisierung in der Reichsverfassungskampagne auf die Vormärzzeit das Urteil etwas getrübt zu haben. Erst 1848/49, als man gezwungen war, sich stärker zu positionieren, und Farbe zu bekennen, differenzierte sich der pfälzische Liberalismus aus.

5.3 1848/49: In zwei Revolutionen zwischen Opposition und Opportunismus 5.3.1 Liberalismus und Juste milieu: Die Märzrevolution 1848 In der Pfälzer Märzrevolution kulminierten die wirtschaftlich-politischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte. Sie bot ein Ventil für die Pfälzer, die Unzufriedenheit mit der bayerischen Regierung in München zu artikulieren und auf Veränderungen zu drängen. Hier hatte sich viel Frust aufgestaut. Vor allem fühlten sich die Pfälzer in der bayerischen Ständekammer unterrepräsentiert, und dementsprechend sahen sie ihre Anliegen dort zu wenig berücksichtigt. Das Problem war, dass der nach Ständen gegliederte Wahlmodus für die Kammer der Abgeordneten auch Abgeordnete aus der Klasse der Grundbesitzer mit gutsherrlicher Gerichtsbarkeit vorsah und es diese in der Pfalz nicht gab. Bei den Wahlen von 1818 und 1824 war der Pfalz unter Berufung auf ein königliches Dekret vom 5.  Oktober 1818 noch ein gewisser Ausgleich zugestanden worden, danach nicht mehr. Um diesen Missstand abzuschaffen, forderten die Pfälzer Abgeordneten 1845 in der Kammer drei zusätzliche Abgeordnete. Dieses Anliegen wurde kontrovers diskutiert. Die von den Pfälzern angeführte Argumentation, dass alle Kreise angemessen repräsentiert sein müssten, wurde zwar von der Mehrheit der Abgeordneten mit Verweis auf die ständische Organisation der Kammer verworfen. Gleichzeitig machte man aber deutlich, dass 202 Kreutz, Frühliberalismus, S. 106. 203 Auch privat kamen sich die Familien näher. So unternahmen die Jordans gemeinsam mit den Familien Buhl, Willich, Christmann, Heinrich von Gagern und Clotilde Koch-­ Gontard am 5. Juli 1846 einen romantischen Ausflug auf die »Heidenmauer« bei Dürkheim, wo sie picknickten und »frohe Lieder in die stille Nacht« sangen. Siehe den Tagebucheintrag von Josephine Buhl vom 5.7.1846, in: Klötzer (Hg.), Koch-Gontard, S. 44.

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das ­königliche Dekret von 1818 berücksichtigt werden müsse. Die Kammer bat daher den König, ein auf diesem Dekret beruhendes Gesetz für die Pfalz vorzulegen. Dieser Antrag wurde von der bayerischen Regierung abgelehnt.204 Neben diesen Auseinandersetzungen um den Einfluss der Pfalz auf die bayerische Politik gab es ein weiteres zentrales Feld, auf dem die Pfälzer eine größere Unabhängigkeit von der Münchner Zentrale einforderten: die christliche Religion. Die bereits im vorangehenden Kapitel geschilderten Auseinandersetzungen um die Einführung der katholischen Orden in der Pfalz verbanden sich mit den Richtungskämpfen im Pfälzer Protestantismus zu einem großen Konfliktfeld. Vor allem der Speyerer Konsistorialrat Isaak Rust war zahlreichen Pfälzer Protestanten ein Dorn im Auge. Als dieser 1846 den liberalen Pfarrer Friedrich Theodor Frantz aus Ingenheim suspendierte, brach ein Sturm der Entrüstung los. Rust wurde daraufhin aus Speyer abgezogen, erhielt aber im Münchner Oberkonsistorium die Zuständigkeit für pfälzische Kirchenangelegenheiten. Unter Führung der Neuen Speyerer Zeitung stritt man daraufhin vehement für eine Loslösung des Speyerer Konsistoriums vom Münchner Oberkonsistorium und eine eigene Pfälzer Kirchenorganisation. Die Bewegung war im Kern politisch, denn zahlreiche Unterstützer dieser Forderungen agierten auch als liberale Politiker in der Pfalz und in der Kammer der Abgeordneten in München. So entstand aus der Bewegung für den Pfarrer Frantz auch eine erste Form der Partei in der Pfalz: die »Pfarrer Frantzische Parthey«205. Der Pfälzer Historiker Karl Scherer charakterisiert die Haltung der Pfälzer Protestanten in dieser Zeit prägnant: »Um die Jahreswende 1847/48 war die Stimmung im zu 4/5 ›frantzisch‹ und liberal gesinnten Kirchenvolk der Pfalz explosiv, antibayerisch und entschieden gegen Pietisten, Mystiker und Mucker.«206 Im Gegensatz zum bayerischen Kernland lag die Pfalz auch geographisch in einem sensiblen Bereich. Nachrichten aus dem französischen Nachbarland verbreiteten sich schnell. Auch das im Vergleich zum Königreich Bayern wesentlich liberaler ausgerichtete Nachbarland Baden mit Mannheim als einem politischen Zentrum beeinflusste die Ereignisse in der Pfalz. Verschärft wurde die Situation durch die Hungerkrise der Jahre 1846/47, deren schlimmste Auswüchse zwar Anfang des Jahres 1848 überwunden waren, die aber immer noch nachwirkte.207 204 Leeb, Wahlrecht, 1. Teilbd., S. 149–152. In der Ersten Kammer war die Pfalz nur zwischen 1819 und 1827 durch Ludwig Freiherrn von Gienanth repräsentiert, der 1819 geadelt worden war. 205 Scherer, Geschichte kirchlicher Parteien. 206 Scherer, Unierte Kirche der Pfalz, S. 107. Kursivdruck im Original. 207 Kermann, Die wirtschaftlichen Verhältnisse in der Pfalz, S. 294–301. Unter anderem hatte sich ein Aktienverein zum Ankauf von Saatkartoffeln für dürftige Gemeinden gebildet, der notleidenden Gemeinden ein unverzinsliches Darlehen zu diesem Zweck zur Verfügung stellte. Ludwig Andreas Jordan übernahm mit einem Beitrag von 410 Gulden, nach dem Eisenhüttenwerksbesitzer Carl Freiherr von Gienanth, den zweithöchsten Aktienanteil. Insgesamt wurden Anteile im Wert von 30.200 Gulden gezeichnet. Siehe ebd., S. 298–300.

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Als sich dann die ersten Nachrichten von der erneuten französischen Revolution in der Pfalz verbreiteten, kam es zu zahlreichen Volksversammlungen, auf denen die Bevölkerung ihre Märzforderungen artikulierte. Adressat dieser Forderungen war der bayerische König Ludwig I. und seine Regierung in München. Auch Ludwig Andreas Jordan wurde von den Ereignissen erfasst, denen er jedoch mit gemischten Gefühlen gegenüberstand. Seiner politischen Grundhaltung, deutsche Einheit und liberale Reformen, aber gemeinsam mit den bestehenden Gewalten, blieb er zunächst treu. Damit vertrat er eine gemäßigtere Haltung als viele Pfälzer Linksliberale wie Georg Friedrich Kolb oder als der Advokatenrepublikanismus Friedrich Schülers. Das zeigt sich bereits Ende Februar 1848, als Ludwig Andreas Jordan seine persönlichen »Märzforderungen« als »Wünsche für Baiern und Deutschland«208 festhielt. In seinen Wünschen für Deutschland stand die deutsche Einheit an der Spitze. Diese sollte bundesstaatlich organisiert werden. Die Kompetenzen des Bundesstaates sollten sich in erster Linie auf die Vertretung Deutschlands nach außen und die Gründung einer deutschen Marine erstrecken. Auch die Gesetzgebung wollte er dem Bund übertragen, jedoch unter Berücksichtigung der politischen Entwicklung der einzelnen Länder. Zudem sollte der bestehende Bundestag zu einer Repräsentanz der einzelnen Länder auf der Basis der B ­ assermann’schen Motion ausgebaut werden. Mit diesem Antrag hatte der aus Mannheim stammende badische Landtagsabgeordnete Friedrich Daniel B ­ assermann den badischen Großherzog aufgefordert, sich für einen Ausbau des Bundestages in Frankfurt zu einer Art deutschem Parlament einzusetzen.209 In einer seiner bekanntesten Reden rechtfertigte Bassermann diesen Antrag am 12.  Februar 1848 im badischen Landtag. Darüber hinaus forderte Ludwig ­Andreas Jordan in seinen Wünschen, dass die zu wählenden Minister dem Parlament verantwortlich sein sollten. Ein zentraler Aspekt der Nationalstaatsgründung war für Ludwig Andreas Jordan die materielle Einheit Deutschlands. Als Stichworte nannte er eine Vereinheitlichung der Zölle, Währungen, des Wechselrechts, der Maße und Gewichte, eine Abschaffung der Binnenzölle und die Freiheit der Ströme. Zudem wünschte er einen Ausbau der Landwehr und eine Verminderung der stehenden Heere. Mit Blick auf die kommenden Konflikte mit Dänemark wünschte er, dass Schleswig und Holstein erhalten werden sollten. Zudem 208 Aufzeichnung Ludwig Andreas Jordans: Wünsche für Baiern und Wünsche für Deutschland, Deidesheim, 27.2.1848, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 349. 209 Diese Eingabe war auf der »Heppenheimer Versammlung« der Liberalen am 10. Oktober 1847 verabredet worden, an der auch Franz Peter Buhl teilgenommen hatte. Allerdings hatte man dort einen Ausbau des Deutschen Zollvereins gefordert. Bassermann legte dagegen in seiner Eingabe den Schwerpunkt auf eine Weiterentwicklung des Deutschen Bundes. Siehe Werner, Friedrich Daniel Bassermann, S. 151–161. Friedrich Daniel Bassermann war ein guter Bekannter von Ludwig Andreas Jordan, die sich bereits 1833 bei der Londonreise von­ Ludwig Andreas Jordan und Franz Peter Buhl kennengelernt hatten. Siehe Kapitel 3.2.

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forderte er Presse- und Versammlungsfreiheit und die Abschaffung aller Bundesbeschlüsse seit 1819. Hier sollten also die repressiven Karlsbader Beschlüsse von 1819 und die Bundesbeschlüsse nach dem Hambacher Fest von 1832 kassiert werden, mit denen der Deutsche Bund die Opposition unterdrückte. Unterzieht man diese Forderungen einer Gesamtbewertung fällt auf, dass Jordan einerseits liberale Grundrechte einforderte, andererseits aber vor allem die wirtschaftliche Einheit betonte. Aus verfassungsrechtlicher Perspektive agierte er vorsichtig. Er dachte an einen evolutionären Ausbau des Bestehenden, indem der föderale deutsche Bundesstaat an den Deutschen Bund anknüpfen sollte. Allerdings war dieser Bundesstaat als stark und mächtig nach außen konzipiert, was unter anderem durch eine Marine erreicht werden sollte. Jordan forderte also keinen radikalen Bruch mit der bisherigen politischen Entwicklung in den deutschen Ländern, sondern skizziert hier eher das, was man in einem zeitgenössischen Terminus als »organische Fortentwicklung« bezeichnete. Jordans Wünsche für Bayern sind etwas anders gelagert. Hier zeigt sich deutlich seine antiklerikale Einstellung. Er forderte, das Zölibat zu streichen und die Klöster aufzulösen, sprach sich gegen die Anmaßungen des katholischen wie des protestantischen Klerus aus und wünschte Religionsfreiheit. Als weiteres liberales Grundrecht verlangte er Pressefreiheit und Schwurgerichte bei Verhandlungen in Presseangelegenheiten. In Bezug auf die bayerische Regierung forderte er zunächst die Pensionierung sämtlicher Beamten, die aus seiner Sicht in der Zeit des Innenministers Abel und des Einflusses der Tänzerin Lola Montez am bayerischen Hofe nur willfährige Instrumente der Herrschenden gewesen seien. Auch die parlamentarische Praxis sollte geändert werden. Zum einen sollte die Pfalz gemäß ihrem Bevölkerungsanteil vertreten sein, zum anderen sollte ein besseres Wahlgesetz verabschiedet werden. Außerdem sollte kein Urlaub mehr von den Beamten verlangt werden, die in die Kammer der Abgeordneten gewählt werden. Ludwig Andreas Jordan machte sich auch Gedanken, wie man der Proletarisierung entgegen wirken könne. Als Mittel hierzu sah er eine gerechte Einkommensteuer an und appellierte an die Wohltätigkeit Einzelner, der Gemeinden und des Staates. Zudem forderte er einen Schutz der Arbeit und gute Schulen. Auch hier zeigt sich also eine Mischung aus liberalen Grund­ rechten und relativ moderater Weiterentwicklung des bestehenden politischen Systems. Eine Abschaffung der bayerischen Monarchie hielt Ludwig Andreas Jordan nicht für nötig. Hinzu kamen genuin pfälzische Forderungen, die sich aus der langjährigen Auseinandersetzung zwischen dem Pfalzkreis und der bayerischen Zentrale ergeben hatten. Diese Forderungen überschnitten sich zum Teil mit den Forderungen, die in der Pfälzer Öffentlichkeit diskutiert wurden. Die Neue Speyerer Zeitung plädierte zum Beispiel für die Einführung der Pressefreiheit, von Schwurgerichten, von freien Gemeindeverfassungen sowie für die Repräsentation aller deutschen Länder beim Deutschen Bund. Zudem sollte es eine Amnestie für politisch

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Verurteilte geben – für die Pfalz, in der viele unter den politischen Urteilen im Anschluss an das Hambacher Fest zu leiden hatten, eine wichtige Forderung. Außerdem sollte eine allgemeine Volksbewaffnung durchgeführt werden und die bestehenden Verfassungen revidiert werden.210 Eine Volksversammlung in Neustadt, auf der die zügige Umsetzung der badischen Märzforderungen durch die badische Regierung diskutiert wurde, forderte am 2. März die Pfälzer Abgeordneten der bayerischen zweiten Kammer auf, eine Delegation nach München zu entsenden, um dort die zentralen Forderungen der Pfalz zu überbringen. Von der bayerischen Regierung wünschte man zunächst die Einrichtung einer Bürgerwehr und die Einberufung der Ständeversammlung. Diese solle ein deutsches Parlament fordern und die Pressefreiheit, Religionsfreiheit, ein neues Wahlgesetz und die Ministerverantwortlichkeit beschließen.211 Währenddessen überschlugen sich in München die Ereignisse, was auch der besonderen Situation in Bayern geschuldet war, wo große Teile der Bevölkerung die öffentliche Affäre von König Ludwig I. mit Lola Montez nicht mehr länger duldeten. Der König geriet in dieser Situation unter so starken Druck, dass er am 6. März den »Märzforderungen« in Teilen nachgab. Er sicherte die Ministerverantwortlichkeit zu, versprach Pressefreiheit und die Einführung der Geschworenengerichte, ein verbessertes Wahlrecht und ein neues Polizeigesetz.212 Da in diesen Zusicherungen die spezifisch pfälzischen Forderungen nicht auftauchten, wurden die pfälzischen Abgeordneten zur bayerischen Ständekammer beauftragt, gemeinsam mit einer gewählten Deputation Pfälzer Bürger in München dem König bei einer Audienz die Wünsche der Pfalz zu präsentieren. Um die Forderungen der Pfalz zu formulieren, wurde für den 12.  März eine Versammlung nach Neustadt einberufen. Dort einigte man sich auf folgende Forderungen: Die Verfassung sollte revidiert werden, unter anderem mit einem Wahlgesetz, nach dem der Landtag allgemein und nicht mehr nach Ständen gewählt wird. Weitere Wünsche waren eine Erweiterung der Kompetenzen und eine öffentliche Wahl des Landrats. Auch die Gemeinden sollten durch eine Revision des Gemeindegesetzes mehr Kompetenzen erhalten. Außerdem wurde auch hier wieder die Volksbewaffnung gefordert. Man verlangte die Amnestie für politische Verbrechen, die Abberufung unbeliebter Beamter, Versammlungsfreiheit sowie zusätzliche Abgeordnete für die Pfalz in der bayerischen Ständeversammlung. Zudem wurde auch hier wieder die Aufhebung der Klöster gefordert. In Bezug auf die Stellung der protestantischen Kirche forderte man die Loslösung des Speyerer Konsistoriums vom Münchner ­Oberkonsistorium. Sollte sich ­dieses Anliegen nicht durchsetzen lassen, sollten zumindest O ­ berkonsistoriumspräsident 210 Renner, Die pfälzische Bewegung, S. 72 f. 211 Flugblatt »An die Versammlung der pfälzischen Deputirten«, Neustadt, 3.3.1848, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 550. 212 Götschmann, Parlamentarismus, S. 787. Die Königliche Proklamation vom 6.3.1848 ist abgedruckt in: Hummel, München, S. 528.

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Friedrich von Roth und Konsistorialrat Rust abgesetzt werden. Außerdem sollte Pfarrer Frantz wieder eingesetzt werden.213 Mit diesen weitreichenden Wünschen im Gepäck begab sich die Delegation von 76 Pfälzern nach München.214 Auch Ludwig Andreas Jordan gehörte zu den Pfälzer Deputierten, die am 17. März in München eintrafen. Seiner Frau berichtete er anschaulich von dem Chaos und der Stimmung in München: »Wir leben hier auf einem Vulcan.«215 Die bewegenden Eindrücke ließen ihn auf eine deutsche Einheit hoffen, beängstigten ihn aber auch. Die »untern Klassen« gerieten durch die Revolution in Wien und Berlin »auf falsche Bahnen«, teilte er seiner Frau mit. Gleichzeitig versprach er, sich mutvoll für seine Ziele einzusetzen: »Die Zukunft Deutschlands wird eine große sein & bei diesem Gedanken lacht mir das Herz und die irdischen Sorgen schwinden.« An seine oftmals kränkelnde und zu diesem Zeitpunkt schwangere Frau appellierte er: »Sei auch Du muthig & stark, sei eine deutsche Frau!« Eine erste Gelegenheit zum öffentlichen Auftritt bot sich, als Ludwig Andreas Jordan am 18.  März die pfälzischen Forderungen dem Münchner Magistrat vortrug. Er verband die Übergabe der pfälzischen Wünsche mit anerkennenden Worten für die Münchner Bürger und einem anti-französischen Unterton: »Die Zukunft unseres theueren Vaterlandes erscheint uns großartig. Mit Stolz werden wir uns künftig Deutsche nennen. Die Bürger Münchens haben, ehe fremdes Beispiel gegeben war, zu dieser Größe den ersten Grundstein gelegt; Ihnen gebührt das große Verdienst des Beginnens. Darum bringen wir Ihnen unseren herzlichen Dank.«216

Abschließend sprach er ein Hoch auf den Magistrat und die »freisinnigen Bürger«217 Münchens aus. Dem folgte eine Audienz beim König Ludwig und seinem Kronprinzen Maximilian.218 Am 20. März dankte Ludwig I. ab, da er die vom neu berufenen gemäßigt liberalen Innenminister und Ministerratsvorsitzenden Gottlieb von Thon-Dittmer219 verfügte Ausbürgerung von Lola Montez nicht akzeptierte. Zudem hätte er am 22. März den außerordentlichen Landtag eröff 213 Renner, Die pfälzische Bewegung, S. 76 f. Der Oberkonsistoriumspräsident Friedrich von Roth und dessen Familie sind in ihrer Mentalität in beeindruckender Weise analysiert worden von Habermas, Frauen und Männer, insbesondere S. 118–136. 214 Renner, Die pfälzische Bewegung, S. 77 f. 215 Ludwig Andreas Jordan an Seraphine Jordan, München, 18.3.1848, Briefsammlung Hauck, Briefe 1840–1848. Daraus auch die folgenden Zitate. 216 Die im März 1848 an die Bürger und Einwohner Münchens gerichteten Adressen, München 1848, S. 35–37, hier S. 36. 217 Ebd., S. 37. 218 Ludwig Andreas Jordan an Seraphine Jordan, München, 24.3.1848, Briefsammlung Hauck, Briefe 1840–1848. 219 Zum Märzministerium Thon-Dittmers siehe Finken, Thon-Dittmer, S.  265–343; Götsch­mann, Innenministerium, S. 248–254. Die schwierige Stellung der Märzministerien zwischen den Ansprüchen der Fürsten und des Volkes hat Eva Maria Werner an ausgewählten Beispielen demonstriert. Siehe Werner, Märzministerien.

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nen müssen und damit die dominierende Macht des Parlaments öffentlich anerkennen müssen. Dazu war er nicht bereit und übergab die Amtsgeschäfte an seinen Nachfolger Maximilian II.220 Dieser erklärte öffentlich, die Forderungen der Pfälzer zu prüfen. Einige Punkte wurden kurz darauf auch umgesetzt. So wurden unbeliebte Beamte aus der Pfalz abgezogen. Oberkonsistoriumspräsident Roth und Konsistorialrat Rust wurden abgesetzt, wie Ludwig Andreas Jordan seiner Frau triumphierend berichtete.221 Zeitgleich mit dem Eintreffen der Deputation in München wurde der Pfalz auch die Aufstellung von Bürgerwehren gestattet. Ludwig Andreas Jordan erhielt kurz darauf die Nachricht aus der bayerischen Regierung, dass er zum Oberkommandierenden der Pfälzer Landwehr berufen werden sollte. J­ ordan war von diesem Ansinnen überhaupt nicht begeistert. Seiner Frau schrieb er, dass er sich nicht zum Oberbefehlshaber eigne. Zudem könne er aus der Hand eines Ministers kein Ehrenamt annehmen, denn das würde seine Stellung in der Pfalz gefährden.222 Nachdem er die offizielle Berufung erhalten hatte, lehnte er am 21. April 1848 in einem Gespräch mit Innenminister Thon-Dittmer dieses Amt ab. Stattdessen schlug er ihm vor, dass die Offiziere ihren General selbst wählen sollten.223 Wichtige Anliegen der Pfälzer wurden auch von der bayerischen Kammer der Abgeordneten aufgegriffen. Am 3. März hatte der König zunächst versprochen, einen neuen Landtag wählen zu lassen und diesen zum 31. Mai 1848 einzuberufen. Da sich die Wogen durch diese Zusicherung nicht glätteten, versprach der König, die Einberufung der Ständekammer auf den 16. März vorzuziehen. Dadurch entfielen die versprochenen Neuwahlen. Der sogenannte Reformlandtag setzte sich daher noch nach den Wahlen von 1845 zusammen.224 Am 17.  März 1848 fanden die Wahlen der Kammerpräsidenten statt, bei der die Pfälzer erstaunlich gut abschnitten. So erhielt der Pfälzer Abgeordnete Karl Friedrich von Heintz die meisten Stimmen und wurde vom König zum Parlamentspräsidenten ernannt. Er amtierte jedoch nur wenige Tage und wurde dann zum bayerischen Justizminister berufen.225 Sein Nachfolger wurde der Würzburger Karl Kirchgeßner. Mit dem Frankenthaler Anwalt Georg Jakob Stockinger ­stellten die Pfälzer auch den Ersten Sekretär. Zudem ernannte der König ­Friedrich Justus Willich, einen der Wortführer der liberalen Kammeropposition, zum Bundestagsgesandten. 220 Götschmann, Parlamentarismus, S. 788 f. 221 Ludwig Andreas Jordan an Seraphine Jordan, München, 9.4.1848; Ludwig Andreas Jordan an Seraphine Jordan, München, 11.4.1848, beide in: Briefsammlung Hauck, Briefe 1840–1848. Zu den Vorgängen im Münchener Oberkonsistorium aus Sicht eines Zeitzeugen und unmittelbar Beteiligten siehe auch Heintz, Nachkommen, S. 19 f., 31 f., 35–37. 222 Ludwig Andreas Jordan an Seraphine Jordan, München, 19.4.1848, Briefsammlung Hauck, Briefe 1840–1848. 223 Ludwig Andreas Jordan an Seraphine Jordan, München, 21.4.1848, Briefsammlung Hauck, Briefe 1840–1848. 224 Götschmann, Parlamentarismus, S. 787. 225 Heiß, Ritter von Heintz, S. 161–174.

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Als Willich daraufhin nach Frankfurt an den Bundestag ging, rückte Ludwig Andreas Jordan als sein Ersatzmann nach. Er wurde am 27.  März vereidigt und ließ sich sofort beurlauben, um als Landtagsabgeordneter nach Frankfurt zum Vorparlament zu gehen. Dort wohnte er gemeinsam mit seinem Freund Franz Peter Buhl und dessen badischen Parlamentskollegen Carl Mittermaier und Karl Mathy bei der befreundeten Familie Koch-Gontard. Der Kaufmann und britische Konsul Robert Koch handelte schon seit Jahren mit Jordan’schen Weinen. Seine Gattin Clotilde stammte aus der bekannten Frankfurter Bankiersfamilie Gontard und war eng befreundet mit Seraphine Jordan. Die beiden besuchten sich regelmäßig und schrieben sich häufig. Nach ihr ist auch eine Tochter von Ludwig Andreas und Seraphine Jordan benannt. In ihrem Salon ging später, während der Paulskirchenversammlung, vor allem die CasinoFraktion um Heinrich von Gagern ein und aus.226 Das Vorparlament war auf eine Initiative liberaler Abgeordneter zurückzuführen, die sich am 5. März in Heidelberg getroffen hatten. Dort hatte man beschlossen, eine Versammlung nach Frankfurt einzuberufen, an der alle Landtagsabgeordneten der deutschen Länder und zusätzlich eingeladene Persönlichkeiten teilnehmen sollten, um Beschlüsse im Hinblick auf ein deutsches Parlament zu treffen. Ludwig Andreas Jordan hielt das Vorparlament, wie er seiner Frau aus Frankfurt mitteilte, für einen entscheidenden Schritt für Deutschlands Zukunft. Man werde zwar nur beschließen, Wahlen zu einem deutschen Parlament durchzuführen, das in vier Wochen in Frankfurt versammelt sein solle. Bedeutungsvoll sei jedoch, dass die Versammlung der Abgeordneten damit die noch bestehende Frankfurter Bundesversammlung zu bestimmten Beschlüssen nötige. Zudem sah er es als notwendig an, die radikalen Vorschläge ­Friedrich Heckers und Gustav Struves zur Gründung einer Republik abzuwehren. Ihr Ansinnen, das Vorparlament sofort für permanent zu erklären, lehnte er ab.227 Wie von Ludwig Andreas Jordan erwartet, setzten sich in den Sitzungen vom 31. März bis zum 3. April 1848 die gemäßigten Liberalen mit ihren Wünschen gegen die radikale Minderheit um Struve und Hecker durch. Die wichtigste Entscheidung des Vorparlaments war ein Entwurf für ein Wahlgesetz zur Nationalversammlung. Dieses sah einen Abgeordneten auf 50.000 Einwohner vor. Die Wahl sollte direkt sein. Bei der Abstimmung darüber, ob die direkte Wahl den Ländern vorgeschrieben werden sollte, stimmte Ludwig Andreas Jordan mit Nein.228 Diese von 317 Mitgliedern vertretene Position erhielt die Mehrheit ge 226 Siehe die Eintragungen Clotilde Koch-Gontards in ihr Parlamentstagebuch, in: Klötzer (Hg.), Koch-Gontard, S. 305–309; Karl Mathy an seine Frau, Frankfurt, 31.3.1848, in: ­Mathy (Hg.), Aus dem Nachlass von Karl Mathy, S.  159 f.; Ludwig Andreas Jordan an Seraphine­ Jordan, Frankfurt, 31.3.1848, Briefsammlung Hauck, Briefe 1840–1848. 227 Ludwig Andreas Jordan an Seraphine Jordan, Frankfurt, 31.3.1848, Briefsammlung Hauck, Briefe 1840–1848. 228 Verhandlungen des Deutschen Parlaments, S. 163–165. Vgl. Hummel, München, S. 113.

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genüber 194 Ja-Stimmen. Auch bei der zweiten namentlichen Abstimmung im Vorparlament stimmte Jordan gegen den weitreichenderen Beschluss. Er sprach sich dagegen aus, dass sich die Versammlung für permanent erklärt, um bereits wichtige Beschlüsse der Nationalversammlung vorzubereiten. Gemeinsam mit Willich war er der einzige Pfälzer, der diese Position vertrat. Alle anderen, wie z. B. Kolb, Christmann, Wolf und der Neustädter Arzt Philipp Hepp, forderten eine permanente Tagung des Vorparlaments. Insgesamt sprach sich jedoch eine deutliche Mehrheit gegen die Permanenz aus.229 Das Vorparlament setzte dann einen sogenannten Fünfzigerausschuss ein, der darauf achtete, dass die Bundesversammlung die Beschlüsse des Vorparlaments umsetzte. Mit Franz Peter Buhl war auch ein Vertreter der Familien Jordan/Buhl dort Mitglied. Auf der Basis der Beschlüsse des Vorparlaments verabschiedete die Bundesversammlung ein Wahlgesetz, kippte jedoch, wie zu erwarten, die Bestimmung der direkten Wahl. Jetzt ging es darum, die Wahlvorgaben in den einzelnen Ländern umzusetzen. An dieser Aufgabe wirkten die Ständeversammlungen in den einzelnen deutschen Ländern mit. Ludwig Andreas Jordan ging darauf­ hin von Frankfurt nach München zurück, um dort seinen parlamentarischen Pflichten nachzukommen. In der Ständekammer schloss er sich seinen linken Pfälzer Kollegen unter der Führung Georg Jakob Stockingers an. Am 11. April legte die bayerische Regierung der Ständekammer ihren Entwurf für das Wahlgesetz vor.230 Bayern sollte in Wahlbezirke zu je 50.000 Einwohnern eingeteilt werden, in denen jeweils ein Abgeordneter und zwei Ersatzmänner gewählt werden sollten. Die Wahl sollte indirekt über Wahlmänner erfolgen, die in einer Urwahl von jeweils 500 Einwohnern gewählt werden sollten. Das aktive Wahlrecht sollte für jeden männlichen bayerischen Staatsbürger ab 25 Jahren gelten, der eine direkte Steuer zahlte. Die Kandidaten für ein Abgeordnetenmandat konnten aus ganz Deutschland gewonnen werden. Die Ständeversammlung modifizierte die Vorlage dahingehend, dass jeder bayerische Staatsangehörige, also nicht nur die Staatsbürger, ab 21 Jahren das aktive Wahlrecht erhalten sollte. Gebunden blieb das Wahlrecht allerdings weiterhin an eine direkte Steuer. Stockingers wesentlich weitergehender Antrag, eine direkte Wahl ohne Zensus durchzuführen, scheiterte. Darüber war man in der Pfalz sehr verärgert. Vor allem die in der Pfalz gegründeten zahlreichen Volksvereine lehnten den Zensus bei der Wahl ab.231 Ludwig Andreas Jordan hielt die Kritik für ungerechtfertigt, da er das Wahlgesetz als sehr fortschrittlich und den­ Zensus als gering ansah.232 Seinem Vater schrieb er nach Mannheim, dass man 229 Die Abstimmung endete mit 143:368 Stimmen. Verhandlungen des Deutschen Parlaments, S. 166–169. 230 Hierzu und zu dem Folgenden: Götschmann, Parlamentarismus, S. 826–831. 231 Renner, Die pfälzische Bewegung, S. 85 f. 232 Ludwig Andreas Jordan an Seraphine Jordan, München, 21.4.1848, Briefsammlung Hauck, Briefe 1840–1848.

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vor kurzem noch für wahnsinnig erklärt worden wäre, wenn man ein solches Wahlgesetz vorgeschlagen hätte.233 Die Wahlen selbst verliefen in der Pfalz recht unspektakulär. Die Märzbewegung wurde mittlerweile von dem neugegründeten Pfälzer Volksverein organisiert, der Wahlempfehlungen ausgesprochen hatte. Gewählt wurden vor allem die vom Volksverein vorgeschlagenen Kandidaten wie Georg Friedrich Kolb, Franz Glaß, Carl Alexander Spatz, Nikolaus Schmitt, Joseph Martin Reichard und Franz Tafel.234 Warum wurde Ludwig Andreas Jordan nicht gewählt? In den biographischen Nachschlagewerken, in denen die biographischen Skizzen zum Teil wohl von Familienmitgliedern verfasst wurden, wird suggeriert, die Entscheidung, nicht zu kandidieren, sei von ihm selbst ausgegangen, da er die Verwirklichung seiner Einheitshoffnungen auf dem eingeschlagenen Weg nicht erwartet habe.235 ­Wolfgang Klötzer spekuliert dagegen in der »Neuen Deutschen Biographie«, Jordan habe sein Bürgermeisteramt in Deidesheim dem Engagement in der Paulskirche vorgezogen.236 Beides lässt sich aufgrund der Quellen kaum halten. Stattdessen scheinen andere Aspekte maßgeblich gewesen zu sein. Ein Faktor ist sicherlich darin zu sehen, dass er politisch nicht profiliert genug war. Er hatte bisher noch kein Abgeordnetenmandat inne gehabt, sodass seine Positionen nicht so offen lagen, wie bei den schon seit längerem politisch Aktiven. Einen weiteren Faktor nennt Ludwig Andreas Jordan in seinen Briefen selbst. Er spricht davon, dass sein »juste-milieu« nicht hilfreich sei.237 Mit diesem Kampfbegriff wurde das gemäßigte Bürgertum bezeichnet, das sich aus Sicht der Demokraten nur halbherzig für Reformen engagierte. Anscheinend galt er also als zu sehr gemäßigt in seinen politischen Positionen. Dazu trug wahrscheinlich auch sein Abstimmungsverhalten bei der Wahlrechtsdiskussion und der Frage nach der Permanenz im Vorparlament bei. Wie er seiner Frau schrieb, sei durch sein Verhalten in Frankfurt das Vertrauen in ihn untergraben.238 Das zeigt sich auch in einer Bekanntmachung des Kreisausschusses des pfälzischen Volksvereins vom 18. April 1848. Darin gehörte L ­ udwig Andreas Jordan zwar zu den 78 Kandidaten, die der Volksverein zur Wahl emp 233 Ludwig Andreas Jordan an Andreas Jordan, München, 13.4.1848, Briefsammlung Hauck, Briefe 1840–1848. 234 Zu den Wahlen und Biographien der pfälzischen Abgeordneten sowie zu ihrer Rolle in der Paulskirchenversammlung siehe Kermann, Die pfälzischen Abgeordneten. 235 Siehe den Eintrag »Ludwig Andreas Jordan«, ADB, Bd.  55, Leipzig 1910, S.  509 f. Der Autor ist mit B. abgekürzt. Es könnte sich also um den Enkel Ludwig Andreas Jordans­ Friedrich von Bassermann-Jordan handeln. 236 Klötzer, Jordan. 237 Ludwig Andreas Jordan an Seraphine Jordan, München, o. D. [wahrscheinlich 20.4.1848; H. T.], Briefsammlung Hauck, Briefe 1840–1848. 238 Ludwig Andreas Jordan an Seraphine Jordan, München, 19.4.1848, Briefsammlung Hauck, Briefe 1840–1848.

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fahl. Er wurde aber nicht bei den zehn Kandidaten genannt, deren Wahl der Volksverein den Wählern besonders ans Herz legte und die fast alle gewählt wurden.239 Ludwig Andreas Jordan betonte gegenüber seiner Schwester, dass ihm die zehn empfohlenen Kandidaten gefallen würden. Er kritisierte jedoch, dass darunter sechs Advokaten seien und kein Gutsbesitzer genannt werde.240 Seine Schwester Josephine antwortete ihm aus Deidesheim, dass er für den Landtag vorgesehen und deswegen nicht in die engere Wahl gekommen sei.241 Zudem war Jordan auf politischem Gebiet nicht so ehrgeizig wie sein Schwager Franz Peter Buhl, der auf diversen Wegen versuchte, in die Nationalversammlung einzuziehen. Zunächst unterlag Buhl im badischen Wahlkreis Waldshut-Tiengen dem Radikaldemokraten Friedrich Hecker mit 56 zu 77 Stimmen.242 Anschließend wurde er bei einer Nachwahl in Heidelberg nominiert, wo er von dem ganz links angesiedelten Karl Hagen geschlagen wurde.243 Auch in Böhmen, wo er von politischen Freunden vorgeschlagen wurde, kandidierte er als Nachrücker und unterlag.244 So blieb ihm nichts anderes möglich, als im Hintergrund zu wirken, denn er war oft in Frankfurt anwesend, wo er im Salon von Clotilde Koch-Gontard hauptsächlich mit den Mitgliedern der gemäßigt-liberalen Casino-Fraktion um Heinrich von Gagern verkehrte.245 Als am 11. August 1848 in der Paulskirchenversammlung die Aberkennung des Mandats Friedrich Heckers diskutiert wurde, dessen bewaffneter Aufstand niedergeschlagen worden und der mittlerweile in die Schweiz geflüchtet war, wurde auch Buhls Rolle in der Paulskirche diskutiert. Der Abgeordnete Carl Vogt aus Gießen brachte das Gerücht in die Debatte ein, Buhl sei in Frankfurt anwesend und habe ein offizielles Schreiben der badischen Regierung ­dabei, 239 Wahlaufruf des Kreisausschusses des Pfälzer Volksvereins, Kaiserslautern, 18.4.1848, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 569. 240 Ludwig Andreas Jordan an Seraphine Jordan, München, 21.4.1848, Briefsammlung Hauck, Briefe 1840–1848. 241 Josephine Buhl an Ludwig Andreas Jordan, Deidesheim, 29.4.1848, LaS, V153 (Basser­ mann-Jordan), Bd. 350. 242 Schieder, Buhl, S. 155. 243 Hildebrandt, Parlamentsopposition auf Linkskurs, S. 44. Siehe auch Clotilde Koch an Franz Peter Buhl, Frankfurt, 1.7.1848, in: Klötzer (Hg.), Koch-Gontard, S. 66 f. Klötzer nennt in der Fußnote fälschlicherweise Karl Damm als Sieger der Nachwahl in Heidelberg. Dieser wurde jedoch erst im September im Wahlkreis Tauberbischofsheim gewählt. Siehe die Einträge in Best/Weege (Hg.), Biographisches Handbuch, S. 120, 166. 244 Flugblatt »An unsere Landsleute in Böhmen«, Frankfurt, 11.7.1848, LaS, V153 (Basser­ mann-Jordan), Bd.  354. Darin machen sich die böhmischen Abgeordneten Emil Franz­ Rößler, Franz Makowiczka und Gustav Groß für Franz Peter Buhl als Kandidaten stark. Als Kronzeugen für Buhls außerordentliches Engagement führen sie Heinrich von Gagern,­ Friedrich Daniel Bassermann, Franz Raveaux, Karl Biedermann, Robert Mohl, Alexander von Soiron u. a. an. 245 Schieder, Buhl, S. 156. Siehe dazu auch die zahlreichen Eintragungen zur Anwesenheit Buhls im Tagebuch von Clotilde Koch-Gontard, in: Klötzer (Hg.), Koch-Gontard, passim.

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dass er für Friedrich Hecker nachrücken könne.246 Daraufhin ergriff Heinrich von Gagern für seinen Freund das Wort und stellte klar, dass Buhl nicht in Frankfurt sei und auch ein solches Schreiben nicht vorliege. Zudem habe Buhl ihm persönlich versichert, eine solche Minderheitenwahl nicht anzunehmen. Der Abgeordnete Wilhelm Sachs aus Mannheim bezweifelte Gagerns Aussage. Buhl habe ihm die offizielle Erklärung der badischen Regierung gezeigt. Heinrich von Gagern verwahrte sich gegen die Behauptungen und erklärte noch einmal vehement, Buhl habe deutlich erklärt, bei einer Aberkennung des­ Hecker’schen Mandats nicht nachrücken zu wollen. Dem Abgeordneten Vogt warf er vor, Buhl ungerechtfertigterweise angreifen zu wollen. Vogt verbat sich diesen Vorwurf, da er Buhl überhaupt nicht persönlich kenne. In der Abstimmung entschied die Mehrheit, Friedrich Heckers Mandat abzuerkennen. Buhl rückte, wie angekündigt, nicht nach. Unterdessen gingen in Bayern die für das Königreich weitreichenden Verhandlungen in der Kammer der Abgeordneten weiter. Mit dem Wahlgesetz für die Paulskirche waren in gewisser Weise bereits die Weichen für ein neues Wahlgesetz für die Abgeordnetenkammer in Bayern gestellt. Dort galt ja immer noch das nicht mehr zeitgemäße Wahlrecht, das eine Wahl der Abgeordneten nach Ständen vorsah.247 Von daher war es eine zentrale Forderung der März­ bewegung, ein neues Wahlrecht ohne Unterscheidung nach Ständen einzuführen. Zunächst erfüllte die bayerische Regierung in diesem Kontext eine zentrale Forderung der Pfälzer und gestand dem Pfalzkreis drei zusätzliche Abgeordnete zu. In Bezug auf das Wahlrecht diskutierte man in der bayerischen Regierung, einen Zensus von mindestens 5 Gulden Steuerleistung einzuführen.248 Dagegen sprachen sich die Pfälzer Abgeordneten aus, was Ludwig Andreas Jordan Minister Thon-Dittmer in einem Gespräch am 20. April klar machte.249 Als die Regierung den Gesetzentwurf immer weiter hinauszögerte, erhöhten die Pfälzer Abgeordneten den Druck. Im Hotelzimmer von Jordan und Christmann, in dem sich die Pfälzer Abgeordneten regelmäßig besprachen, vereinbarte man, gegen ein Anleihegesuch der bayerischen Regierung zu stimmen, wenn das Wahlgesetz und weitere wichtige Gesetze nicht endlich vorgelegt würden.250 Dieses Junktim präsentierte Stockinger am 26.  April im Parlament, was laut Jordan »Bestürzung« und »verbissene Wuth«251 hervorrief. 246 Hierzu und zu dem Folgenden: Reden für die deutsche Nation 1848/49, Bd.  2, S. 1491–1496. 247 Götschmann, Parlamentarismus, S. 835–843; Mayer, Reformlandtag, S. 76–101. 248 Mayer, Reformlandtag, S. 82. 249 Ludwig Andreas Jordan an Seraphine Jordan, München, 21.4.1848, Briefsammlung Hauck, Briefe 1840–1848. 250 Ludwig Andreas Jordan an Seraphine Jordan, München, 27.4.1848, Briefsammlung Hauck, Briefe 1840–1848. 251 Ebd.; Götschmann, Parlamentarismus, S. 835.

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Daraufhin brachte die Regierung noch am selben Tag den Entwurf für ein Wahlgesetz ein.252 Darin war die Wahl nach Ständen aufgehoben. Die Wahl der Abgeordneten sollte allerdings weiterhin indirekt und öffentlich erfolgen. Wählen sollten alle volljährigen männlichen Staatsangehörigen, die eine direkte Steuer zahlten. Die Wahlmänner sollten mindestens 25 Jahre alt sein und das Bürgerrecht besitzen. Für das passive Wahlrecht zum Abgeordneten war ein Mindestalter von 30 Jahren vorgesehen. Die Ersatzmänner sollten in eigener Wahl gewählt werden. Das bisherige Verfahren, dass bei Ausscheiden eines Abgeordneten einfach der Kandidat mit den meisten Stimmen nachrückte, war immer wieder beanstandet worden, denn häufig kamen dadurch Kandidaten zum Zuge, die von den Wählern nie gewählt worden wären. Außerdem wurde die Bestimmung gestrichen, die es bisher der Regierung erlaubt hatte, gewählten Angehörigen des öffentlichen Dienstes den für die Kammerverhandlungen erforderlichen Urlaub zu verweigern. Jordan fand den Entwurf hinreichend und betonte am 2.  Mai gegenüber seiner Frau in Bezug auf die Kritik aus der Pfalz, dass er nicht wisse, warum man die Regierung als reaktionär bezeichne.253 In diesem Zusammenhang entwickelte er ausführlich seine politische Position, die er als zu gemäßigt für diese revolutionären Zeiten beschrieb. Vor allem das »Wühlen und Schreien der Republicaner«254 lehnte er ab. Er bringe es kaum noch über sich, deren Zeitungen wie die Konstanzer Seeblätter255 zu lesen. Auf diesem republikanischen Weg werde Deutschlands Einheit und Größe nicht entstehen. Dadurch, dass man alles Bestehende aus den Fugen reiße, werde man nichts Dauerhaftes schaffen. Wenige Tage später drückte er gegenüber seiner Frau die Hoffnung aus, dass sich »die Leidenschaften […] am Ende, nach vielleicht langem Sturm wieder legen, und dann kommen die wahren und ächten Vaterlandsfreunde wieder zur Geltung.«256 In der Kammerdebatte über den Wahlrechtsentwurf riefen Jordans Kollegen Christmann und Stockinger dazu auf, das allgemeine Wahlrecht einzuführen. Die bisherigen Privilegien müssten abgeschafft werden und gleiches Recht für alle gelten. Im Gegensatz dazu äußerte sich die Mehrheit der Kammerabgeordneten eher skeptisch gegenüber dem neuen Wahlgesetz, das vielen zu weit 252 Götschmann, Parlamentarismus, S. 835. Zu den vorangegangenen langwierigen Diskussionen über das Wahlgesetz innerhalb der bayerischen Regierung siehe Mayer, Reformlandtag, S. 81–89. 253 Ludwig Andreas Jordan an Seraphine Jordan, München, 2.5.1848, Briefsammlung Hauck, Briefe 1840–1848. 254 Ebd. 255 Zu den radikal-demokratischen Konstanzer Seeblättern mit ihrem Redakteur Joseph Fickler siehe Hermann, Untersuchungen, S.  11; Koszyk, Geschichte der deutschen Presse, S. 115. 256 Ludwig Andreas Jordan an Seraphine Jordan, München, 6.5.1848, Briefsammlung Hauck, Briefe 1840–1848.

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ging. In der Abstimmung am 16. Mai entsprach man jedoch den Erwartungen­ weiter Bevölkerungskreise und stimmte mit einigen kleineren Veränderungen dem von der Regierung vorgelegten Gesetzentwurf zu.257 Nachdem auch der Reichsrat zugestimmt hatte, wurde das Wahlgesetz am 4. Juni verkündet.258 Damit wurde die Ständekammer ab den nächsten Wahlen auf eine wesentlich breitere Grundlage gestellt. Zu einer echten »Volksvertretung«259, wie Götschmann meint, wurde die Kammer der Abgeordneten noch nicht, denn es gab immer noch kein allgemeines Wahlrecht – immerhin konnten jetzt etwa 10 % der Gesamtbevölkerung an den Wahlen teilnehmen.260 Neben diesen wichtigen Wahlgesetzen nahm der Reformlandtag weitere Weichenstellungen vor, mit denen das Königreich Bayern konstitutionell weiterentwickelt und die feudalistische Gesellschaftsverfassung modernisiert wurde. So beschloss die Kammer auf dem Weg zur »Vollendung des Konstitutionalismus«261 ein Gesetz über die Initiative des Landtags. Man verabschiedete zudem ein Amnestiegesetz für Verbrechen »gegen den Staat, das Staatsoberhaupt oder die öffentlichen Gewalten«262 und eine Revision des Strafgesetzbuches. Die Ministerverantwortlichkeit und Ministeranklage wurde in moderater Form festgeschrieben. Außerdem erließ man ein Pressegesetz, mit dem die Einschränkung der Pressefreiheit aufgehoben wurde. Gesellschaftspolitisch relevant waren vor allem die Ablösungsgesetze, mit denen die adelige Gerichtsbarkeit aufgehoben und die Grundherrschaft mit ihren Verpflichtungen und Abgaben abgeschafft wurde. Um die Staatseinnahmen auf eine sichere Grundlage zu stellen, wurde zudem die Einführung einer Kapital- und einer Einkommensteuer beschlossen. Insgesamt gesehen wurden somit zahlreiche Märzforderungen in Bayern, wenn auch einige nur teilweise, erfüllt. Welchen Anteil hatte Ludwig Andreas Jordan an dieser umfassenden Modernisierung des bayerischen Staates? In der Regel stimmte er mit seinen links­ liberalen und teilweise radikalen Pfälzer Kollegen. Immer wieder betonte er gegenüber seiner Frau den engen Zusammenhalt der Pfälzer Abgeordneten, die in der Kammer gefürchtet, aber auch geachtet seien. Mit seinem Wirken in der Kammer war er allerdings sehr unzufrieden, da er sehr stark vom Lampenfieber geplagt wurde.263 257 Götschmann, Parlamentarismus, S. 840–842. 258 Gesetz vom 4.6.1848 die Wahl der Landtags-Abgeordneten betr., in: Königlich-Bayerisches Amts- und Intelligenzblatt der Pfalz 1848, S. 273–276. 259 Götschmann, Parlamentarismus, S. 877. 260 Volkert, Die politische Entwicklung von 1848 bis zur Reichsgründung 1871, S. 287. 261 Götschmann, Parlamentarismus, S. 785. 262 Ebd., S. 814. 263 Ludwig Andreas Jordan an Seraphine Jordan, München, 11.4.1848 und Ludwig Andreas Jordan an Seraphine Jordan, München, o. D. [wahrscheinlich 20.4.1848], Briefsammlung Hauck, Briefe 1840–1848.

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In den gesamten Kammerverhandlungen hielt Jordan nur eine einzige Rede, am 19. Mai 1848 im Zusammenhang mit den Steuergesetzen.264 Hier plädierte er dafür, die Einführung der Einkommensteuer auf den nächsten Landtag zu verschieben, da der jetzige Landtag dazu nicht legitimiert sei. Dieser sei berufen, um die Märzforderungen zu erfüllen und nicht, um neue Steuern zu bewilligen. Er nahm damit eine Forderung aus der Pfalz auf, in der man wünschte, den Landtag so schnell wie möglich zu schließen und einen Landtag nach dem neuen Wahlgesetz zu wählen.265 Jordan war sich jedoch nicht sicher, wie er gegenüber seiner Schwester betonte, ob man mit dieser Forderung nicht auch große Chancen aus der Hand gab. Die Zeit für umfassende Reformen hielt er für günstig und gab zu bedenken, ob diese Möglichkeit nicht vertan werde, wenn man die Reform dem nachfolgenden Landtag übertrage. Dann könne zum Beispiel Krieg mit Frankreich herrschen, was große Reformen verhindere, weil die Verteidigung des Vaterlandes drängender sei.266 Er sprach sich aber auch mit anderen Gründen gegen die Einführung der Einkommensteuer zum jetzigen Zeitpunkt aus. So könne der Staat zunächst mit der Kapitalsteuer Erfahrungen sammeln und diese dann bei der Konstruktion der Einkommensteuer berücksichtigen. Die Steuerreform müsse zudem über die Einführung der Einkommensteuer hinausgehen und eine »Umgestaltung aller Steuerverhältnisse«267 beinhalten. Anschließend ordnete er die gesamte Steuerpolitik in den Bereich der sozialen Frage ein. Er sah hier einen Hebel, um die allgemeine Not zu bekämpfen.268 Dazu müssten die Armen durch die Steuerpolitik entlastet und die Reichen höher belastet werden. Er schlug daher vor, die Verbrauchssteuern auf Lebensmittel und die Gebühren für Rechts- und

264 Rede Ludwig Andreas Jordans am 19.5.1848, in: Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten der Ständeversammlung des Königreichs Bayern, Bd.  1848, Protokollband V, München 1848, S. 424. 265 Bei der Gründungsversammlung des Pfälzischen Volksvereins in Kaiserslautern wurde eine Resolution verabschiedet, in der die Selbstauflösung der Kammer der Abgeordneten gefordert wurde, da diese nicht das Vertrauen des Landes besäße. Siehe Ruppert, Vereine, S. 72. 266 Ludwig Andreas Jordan an Seraphine Jordan, München, 11.4.1848 und Ludwig Andreas Jordan an Seraphine Jordan, München, 16.4.1848, Briefsammlung Hauck, Briefe 1840–1848. 267 Rede Ludwig Andreas Jordans am 19.5.1848, in: Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten der Ständeversammlung des Königreichs Bayern, Bd.  1848, Protokollband V, München 1848, S. 424. 268 Mit dieser Einordnung der Steuerpolitik als ein Hauptelement der Sozialpolitik steht Jordan der Einschätzung des Rheinischen Wirtschaftsbürgertums nahe. Siehe Boch, Grenzenloses Wachstum, S. 236. Dagegen nahm der liberale Kreis um die Deutsche Zeitung, an der auch Buhl finanziell beteiligt war, die Einkommensteuerpolitik zwar als eine Möglichkeit wahr, die Unterschicht zu entlasten, sah aber in anderen Politikbereichen wie der Agrarund Gewerbepolitik ein größeres Potential für die Lösung der »sozialen Frage«. Siehe Hirsch­ hausen, Deutsche Zeitung, S. 221 f.

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Verwaltungsangelegenheiten bei staatlichen Behörden herabzusetzen. Die direkten Steuern seien dagegen zu erhöhen.269 In diesem Zusammenhang müsse auch der Staat das Sparpotential bei sich selbst nutzen. So könnte die Zahl der Beamten reduziert und ihre Gehälter und Pensionen gekürzt werden. Außerdem dürfe die Regierung dem Landtag nicht wie bisher alle sechs Jahre das Budget vorlegen, das zwangsläufig unrealistisch sei. Stattdessen müsse der Landtag alle zwei Jahre über das Budget entscheiden. Mit dieser Meinung drang Ludwig Andreas Jordan jedoch nicht durch. Stattdessen beschloss der Landtag die Einführung der Einkommensteuer, auch wenn in den Debatten klar wurde, dass man diese zunächst nur als Provisorium begriff, das so schnell wie möglich auf der Basis der gemachten Erfahrungen überarbeitet werden müsse.270 Ludwig Andreas Jordan setzte sich auch für ein zentrales Anliegen der liberalen Pfälzer ein: die Abschaffung der Klöster in der Pfalz. In einem Gespräch mit Innenminister Thon-Dittmer am 20. April 1848 trug Jordan die Pfälzer Forderung nach Abschaffung der Klöster vor.271 Dort biss er allerdings auf Granit. Thon-Dittmer betonte, dass nach dem Konkordat Bayerns mit dem Heiligen Stuhl Klosteraufhebungen nur mit Zustimmung des Papstes erfolgen könnten und dazu bestehe wenig Aussicht. Jordan ließ jedoch nicht locker. Gemeinsam mit seinem Pfälzer Kollegen, dem katholischen Gutsbesitzer Friedrich Karl Brunck, wurde er beim zuständigen Minister für Kirchen- und Schulangelegenheiten Hermann von Beisler vorstellig.272 Dieser versicherte den beiden Abgeordneten am 27. April, dass große Hoffnung bestünde, die Klöster abzuschaffen. Diese Aussicht könnten sie den Pfälzern bereits mitteilen. Damit hatte sich Beisler jedoch etwas weit vorgewagt. Das Innenministerium erarbeitete zwar einen Entwurf für die Abschaffung des Oggersheimer Klosters, was mittlerweile auch vom pfälzischen Landrat gefordert worden war.273 Da 269 Diese Forderung war weit verbreitet. Sie taucht bereits im Offenburger Programm auf und wird in etwas allgemeinerer Form auch in Heppenheim von den dort versammelten Liberalen diskutiert. Siehe Feltes/Gehm, Einkommensbesteuerung, S. 479 f. 270 Götschmann, Parlamentarismus, S. 863–867. Zur historischen Einordnung des Gesetzes siehe Gehm, Einkommensteuergesetz. 271 Ludwig Andreas Jordan an Seraphine Jordan, München, 21.4.1848, Briefsammlung Hauck, Briefe 1840–1848. 272 Ludwig Andreas Jordan an Seraphine Jordan, München, 27.4.1848, Briefsammlung Hauck, Briefe 1840–1848. 273 Remling, Nikolaus von Weis, Bd. 2, S. 162. In dieser »Kampfschrift« des katholischen Pfarrers Remling wird die Agitation der Liberalen gegen die katholische Kirche sehr ein­ seitig geschildert. Diese Verteidigungshaltung zieht sich durch das Schrifttum über die Katholische Kirche in der Pfalz bis hin zu Ludwig Stamers Kirchengeschichte der Pfalz aus dem Jahr 1964! Remling greift in seiner Darstellung auch Ludwig Andreas Jordan an, dem er vorwirft, »seine Rednergabe zum behufe der Aufhebung der Klöster in der Pfalz zu München in Thätigkeit« (S. 161 f.) gesetzt zu haben.

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gegen formierte sich jedoch Widerstand. Der Speyerer Bischof Nikolaus von Weis setzte sich persönlich beim bayerischen König Maximilian II. für das Oggersheimer Kloster ein.274 Zudem sandten die Befürworter des Klosters mehrere von insgesamt 7886 Pfälzer Katholiken unterzeichnete Petitionen für dessen Erhalt an die bayerische Regierung.275 Insbesondere König Maximilian II. widersetzte sich daraufhin der Auflösung. Damit blieb das Kloster der Pfalz erhalten.276 Insgesamt gesehen, waren jedoch wichtige Pfälzer Forderungen von Anfang März 1848 mittlerweile erfüllt worden, sodass die Bewegung in der Pfalz in ruhigere Bahnen geriet. Das weitere Schicksal der Pfalz und Bayerns hing jetzt von der Entwicklung der Paulskirchenversammlung und deren Verfassungsentwurf ab.

5.3.2 Bürgermeister in der Reichsverfassungskampagne 1849: Zwischen Radikalismus und Opportunismus Am 23. Juli 1848 wurde Ludwig Andreas Jordan von der Kreisregierung zum Deidesheimer Bürgermeister ernannt.277 Er trat damit ein Amt an, das bereits sein Vater zwischen 1819 und 1834 bekleidet hatte. Aufgrund der noch auf französischen Gesetzen beruhenden Gemeindeordnung des Pfalzkreises, nach welcher der Bürgermeister als staatliches Vollzugsorgan angesehen wurde, stand das Recht der Ernennung dem Regierungspräsidenten zu – im Gegensatz zum rechtsrheinischen Bayern, wo der Bürgermeister als Spitze der Gemeinde vom Gemeinde- bzw. Stadtrat gewählt wurde.278 In Widerspruch zu dieser allgemein in der Forschungsliteratur wiedergegebenen Praxis erscheint allerdings eine Proklamation Jordans, welche dieser unmittelbar nach seiner Ernennung in Deidesheim verbreitete.279 Darin bedankte er sich bei seinen Mitbürgern für das Vertrauen, das diese durch seine Wahl in ihn gesetzt hätten. Offensichtlich hat die Regierung 1848 die Wünsche der Gemeinde bei der Ernennung der Bürgermeister berücksichtigt. Analog zu den Märzministern, die aufgrund ihrer liberalen Position in den Märztagen von den Fürsten und Königen in die­ 274 Remling, Nikolaus von Weis, Bd. 2, S. 163. 275 Furtwängler, Katholische Kirche, S. 161 und 166; Remling, Nikolaus von Weis, Bd. 2, S. 164 spricht von 7978 Unterschriften. 276 Remling, Nikolaus von Weis, Bd. 2, S. 166 f. 277 Im Landesarchiv Speyer finden sich laut Auskunft des Archivs keine Unterlagen zum Wahlvorgang und der Ernennung Jordans. Lediglich die Ernennungsurkunde durch den Regierungspräsidenten des Pfalzkreises Franz Alwens vom 23.7.1848 findet sich in LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 180. 278 Zur Gemeindeordnung des Pfalzkreises siehe die Überblicksdarstellungen von Heß, Kommunalverfassung, und Croon, Gemeindeordnung, S. 258–263. 279 Ludwig Andreas Jordan an seine Mitbürger, Deidesheim, 4.7.1848, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 230. Daraus auch die folgenden Zitate

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Regierungen berufen wurden, um die Bevölkerung zu besänftigen, könnte man daher von Ludwig Andreas Jordan als »Märzbürgermeister« sprechen. In seiner Proklamation skizzierte Jordan auch ein Programm für seine Amtszeit. Er machte deutlich, dass er Amtsmissbrauch und Begünstigung nicht dulden werde und bei der Besetzung städtischer Ämter die Meinung der Bürger berücksichtigen wolle. Zwei Punkte waren Ludwig Andreas Jordan besonders wichtig. Zum einen wollte er die Finanzen der Stadt auf eine solide Grundlage stellen. Insbesondere befürchtete er einen Rückgang der Einnahmen, da eine Mehrheit der Bürger es ablehne, weiterhin Holz aus den Gemeindewäldern zu Gunsten der Stadt zu verkaufen. Eine Erhöhung der Umlagen sei der einzige Ausweg, den Jordan als besonders gerecht empfand, da dann der Vermögende viel zahle und der Arme nichts. Zum anderen wollte er sich der Schule widmen. Die Jugend solle dort einen guten und ununterbrochenen Unterricht erhalten. An die Eltern appellierte er durch vorbildliches Verhalten zu Hause, die Erziehung der Jugend zu unterstützen. Resümierend hielt er fest: »Ich werde daher auf fleißigen Schulbesuch und auf gute Ordnung in der Stadt wie im Wald sehen. Wahre Freiheit gründet sich nur auf das Gesetz, Willkühr dagegen führt zur Anarchie, zur Auflösung aller gedeihlichen Zustände.« Abschließend nahm Jordan auf die Grundrechtsdebatte in der Paulskirche Bezug. Darin würden der Gemeinde umfangreiche Rechte zugestanden, sodass die Bevormundung durch die Behörden nicht mehr möglich sein werde. Dann werde die Freiheit der Gemeinde garantiert. Wenn es soweit komme, werde er zurücktreten und eine Neuwahl ermöglichen. Hier zeigt sich im Kleinen, was Jordan als Liberaler immer wieder gefordert hatte – die sogenannte konstitutionelle Freiheit. Notwendige Reformen und Veränderungen sollten sich immer auf der Basis des Rechts vollziehen. Die Gemeinde erscheint dabei als kleinste Einheit der politischen Selbstverwaltung mündiger Bürger und soll daher auch vor Eingriffen des Staates geschützt sein.280 Ludwig Andreas Jordans Geschick als Bürgermeister wurde dann vor allem benötigt, als der Pfalzkreis im Zuge des Kampfs um die Reichsverfassung im April 1849 ins Zentrum der Auseinandersetzungen zwischen der bayerischen Regierung und der radikal-demokratischen Bewegung geriet. Das Paulskirchenparlament hatte die Reichsverfassung nach langwierigen Debatten über den Zuschnitt des Reiches sowie die Fragen des Oberhaupts und des Wahlrechts am 27. März 1849 angenommen. In den Verhandlungen hatte sich eine Pattsituation in der Oberhauptsfrage abgezeichnet. Es gab keine klare Mehrheit für ein Erbkaisertum. Eine Lösung konnte erst durch den sogenannten Simon-Gagern-Pakt vom 26. März 1849 gefunden werden, bei dem Heinrich von Gagern als Vertreter der Erbkaiseranhänger und der Demokrat Heinrich­ 280 Paul Nolte hat dieses liberale Denken von der Gemeinde aus detailliert analysiert. Siehe Nolte, Gemeindebürgertum.

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Simon eine Vereinbarung schlossen.281 Simon versprach mit 15 Kollegen aus der Braunfels-­Fraktion für das Erbkaisertum zu stimmen. Im Gegenzug verpflichteten sich 114 Abgeordnete um Gagern, für das allgemeine Wahlrecht zu stimmen und das eigentlich vorgesehene absolute Vetorecht des Oberhaupts in ein suspensives Vetorecht umzuwandeln. Auf dieser Basis gelang ein knapper Abstimmungserfolg. Die Anhänger eines Erbkaisertums setzten sich am 27. März 1849 mit 267 gegen 263 Stimmen durch. Auch die anderen Vereinbarungen des SimonGagern-Pakts wurden angenommen. Einen Tag später stimmte eine Mehrheit dafür, König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen die Kaiserwürde anzutragen. Der preußische König machte jedoch am 3. April gegenüber der Kaiserdeputation des Paulskirchenparlaments deutlich, dass er nicht gewillt war, die Krone aus den Händen des Parlaments anzunehmen. Trotz der Haltung Friedrich­ Wilhelms IV. akzeptierten immerhin 28 Regierungen in einer Kollektivnote am 14. April die Reichsverfassung. Zu dieser Mehrheit stieß am 25. April auch noch das Königreich Württemberg. Allerdings fehlten mit dem Kaiserreich Österreich und den Königreichen Preußen, Sachsen, Hannover und Bayern die entscheidenden Länder. Als der preußische König am 28. April mit einer Depesche an die Zentral­ gewalt in Frankfurt die Kaiserkrone offiziell ablehnte, nahm die Kampagne zur Anerkennung der Reichsverfassung Fahrt auf. Damit schwappte eine zweite Welle der Revolution über das Land, die sich im Laufe der Zeit immer mehr radikalisierte.282 Die Paulskirche fasste zwar noch am 4. Mai einen wichtigen Entschluss, indem sie »die Regierungen, die gesetzgebenden Körper, die Gemeinden der Einzelstaaten, das gesammte deutsche Volk«283 aufforderte, sich für die Anerkennung der Verfassung einzusetzen. Im Anschluss daran agierten das Parlament und die provisorische Zentralgewalt in Frankfurt aber sehr zögerlich, schwankend zwischen der Mobilisierung der Massen und der Furcht vor einer Revolutionsdynamik, die sich nicht mehr kontrollieren ließ. Dann bröckelte das Parlament durch zahlreiche Austritte der Abgeordneten parallel zur Radikalisierung der Reichsverfassungskampagne immer mehr ab. Daher verlief die zweite Revolutionswelle weitgehend unkoordiniert durch die Paulskirche und Zentralgewalt in Frankfurt. Dementsprechend ist sie, beeinflusst vom jeweils vorherrschenden regionalen Konfliktpotential, unterschiedlich verlaufen. Hochburgen der Reichsverfassungskampagne waren das Königreich Sachsen, das preußische Rheinland, Bayern, Hannover und, trotz Anerkennung der Reichsverfassung, auch das Großherzogtum Baden. 281 Möller, Gagern, S. 327–329. 282 Mommsen, Zweite Revolution. Je nachdem, wie man die Septemberunruhen von 1848 bewertet, kann man auch von einer dritten Revolutionswelle sprechen. Das tut Siemann, Revolution, S. 205. 283 Aufruf der Nationalversammlung zur Durchsetzung der Reichsverfassung, in: Huber (Hg.), Dokumente, Bd. 1, Dok. 114, S. 340 f.

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In den letzten Jahren hat die Reichsverfassungskampagne in der Historiographie vor allem unter dieser einzelstaatlichen oder regionalen Perspektive etwas stärkere Beachtung gefunden.284 Übergreifende Synthesen sind rar geblieben285 und in Gesamtdarstellungen zur Revolution wirkt sie immer noch wie ein Nachspiel nach der vermeintlich entscheidenden Ablehnung der Kaiserkrone durch Friedrich Wilhelm IV. Die Dichte, mit der Veit Valentin bereits 1931 die Reichsverfassungskampagne analysierte, ist daher bis heute unerreicht.286 Dabei liefert die Reichsverfassungskampagne wichtiges Material, einerseits für die Analyse der Auseinandersetzungen zwischen der demokratisch-liberalen Bewegung und den konservativ-reaktionären Kräften, andererseits für die Probleme innerhalb der demokratisch-liberalen Bewegung selbst. Der Pfalzkreis war in der Reichsverfassungskampagne ein Zentrum des Kampfes. Die Anerkennung der Reichsverfassung durch Bayern hätte auch auf die preußische Entscheidung Auswirkungen haben können. Der bayerische König Maximilian. II war dazu jedoch nicht bereit, denn durch ein Scheitern der Reichsverfassung konnte er ein deutsches Reich unter preußischer Vorherrschaft verhindern.287 Zunächst verkündete die bayerische Regierung am 23.  April 1849, dass die von der Paulskirche verabschiedete Reichsverfassung nicht automatisch gelte, sondern nur nach Zustimmung der Regierungen in Kraft treten könne. An diese war in Bayern nicht zu denken, denn aus Sicht der Regierung war die Paulskirchenverfassung viel zu zentralistisch und schließe Österreich ungerechtfertigterweise aus.288 Die Empörung im Pfalzkreis über diesen Schritt der bayerischen Regierung und des bayerischen Königs war enorm. Man versuchte daher auf legalem Weg mit einem »Adressensturm« den bayerischen König doch noch zur Anerkennung der Reichsverfassung zu bewegen.289 In den Familienunterlagen der­ Jordans findet sich ein Entwurf einer solchen Petition an den bayerischen König, verfasst von Bürgermeister Jordan, dem Stadtrat und weiteren Bürgern Deidesheims. Sie zeigt deutlich, wie verbittert die Deidesheimer über die Entscheidung 284 Siehe z. B. Schattkowsky (Hg.), Dresdner Maiaufstand; Sperber, Rhineland Radicals; Möller, Reichsverfassungskampagne in Thüringen. 285 Bisher liegt nur der eher zusammenfassende Überblick von Mommsen, Zweite Revolution, und die Studie von Christoph Kleßmann über die Trägerschichten der Reichsverfassungskampagne vor. Siehe Kleßmann, Sozialgeschichte der Reichsverfassungskampagne. 286 Valentin, Geschichte der deutschen Revolution von 1848/1849, Bd. 2, S. 448–544. Valentin schreibt das Kapitel treffenderweise unter der Überschrift »Der Bürgerkrieg um die Reichsverfassung« und macht damit deutlich, dass es eben nicht nur eine öffentliche Kampagne, sondern eine mit Waffen geführte gewaltsame Auseinandersetzung um die Durchsetzung der Reichsverfassung gegen die Fürsten war. 287 Zur Einschätzung der Reichsverfassung durch Maximilian II. siehe Gruner, Deutschland, S. 180–185. 288 Ruppert, Vereine, S. 174 f.; Gruner, Deutschland, S. 185. 289 Keddigkeit, Landesverteidigungsausschuss, S. 8.

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der bayerischen Regierung waren. So warfen die Petenten der Regierung vor, mit ihrem Verhalten »die Brandfackel des Bürgerkriegs in blühende Provinzen zu schleudern«290. Viele Bürger und Familien hätten das Elend der letzten Monate nur wegen der Aussicht auf ein einiges Deutschland ausgehalten. Jetzt würde ihnen diese Perspektive genommen. Die Hoffnungen, die man in die Einsicht der Fürsten gesetzt habe, seien damit zerstört. In scharfer Form betonten die Deidesheimer, dass die Reichsverfassung mit ihrer Verkündigung in Deutschland Gesetz geworden sei und die Nichtanerkennung daher als eine »Auflehnung gegen die neugeschaffene gesetzliche Ordnung« anzusehen sei. Die Deidesheimer Bürger verkündeten, sich entschieden für die Reichsverfassung einzusetzen und jeden Angriff auf diese abzuwehren. Als Vorbild nannten sie die Württemberger, die es gegen den ursprünglichen Willen des Königs erreicht hatten, dass dieser die Reichsverfassung anerkannte. Man stellte sich also auf den Boden des Rechts und warf der Gegenpartei vor, diesen verlassen zu haben. Eine ähnliche Argumentation findet sich auch in der Einladung der pfälzischen Volksvereine zu zwei Versammlungen in Kaiserslautern am 1.  und 2. Mai. Dort sollten zunächst die Notabeln des Pfalzkreises, also die politischen und wirtschaftlichen Eliten, zusammenkommen, um über die Durchsetzung der Reichsverfassung zu beraten. Einen Tag später sollte eine allgemeine Volksversammlung stattfinden.291 Das Verhalten der Regierung brandmarkte man in der Einladung als Rechtsbruch und sah sich selbst auf der Seite von Ordnung und Frieden. In dieser Argumentation stimmten offensichtlich weite Kreise der Pfalz überein, und sie ist aus verfassungsrechtlicher Sicht auch durchaus plausibel. Bei der Verabschiedung der Reichsverfassung war an eine Vereinbarung mit den Fürsten nicht gedacht worden.292 Dementsprechend sah auch Ludwig Andreas Jordan den »Landesauschuss für Verteidigung und Durchführung der Reichsverfassung«, der sich am 1./2. Mai im Anschluss an die Versammlungen in Kaiserslautern konstituierte, anfänglich positiv. Auf der Notabelnversammlung konnte man dem weitergehenden Antrag, sofort eine provisorische Regierung einzusetzen, auf diese Weise den Wind aus den Segeln nehmen. Dieser Beschluss wurde auf der folgenden Volksversammlung knapp bestätigt. Im zehnköpfigen Landesverteidigungsausschuss, der nur von Personen mit politischen Ämtern oder Funktionen in den Volksvereinen gewählt werden durfte, stellten die pfälzischen Paulskirchenbzw. Landtagsabgeordneten mit Martin Reichhard, Nikolaus Schmitt, ­Theodor 290 Entwurf für eine Petition an den König, o. D. [wahrscheinlich Ende April 1849, H. T.], LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 550. Daraus auch die folgenden Zitate. 291 Keddigkeit, Landesverteidigungsausschuss, S. 11. 292 Keddigkeit (Landesverteidigungsausschuss, S. 12) sieht in dieser Argumentation bereits einen Beweis für die dahinterstehenden revolutionären Absichten der Veranstalter. Das ist meines Erachtens hier aber noch nicht erkennbar. Zu der Frage, ab wann die Reichsverfassung Gültigkeit habe, siehe auch Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 2, S. 842 f., 868 f.

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Greiner, Philipp Hepp, August Hannitz, August Culmann und Friedrich Schüler die Mehrheit. Hinzu kamen noch Karl Wilhelm Schmidt und Heinrich Didier als Vertreter des pfälzischen Volksvereins sowie Peter Fries. Einen Tag später fand in Kaiserslautern auch noch ein Treffen von Vertretern pfälzischer Bürgerwehren statt, die beschlossen, aus den Bürgerwehren eine Volkswehr als »gesamtpfälzische Militärorganisation«293 zu bilden, über die der Landesverteidigungsausschuss verfügen konnte. In Deidesheim selbst wurde eine Art städtischer »Verteidigungsausschuss«294 gebildet, dem unter anderem die Deidesheimer Bürger und Weingutsbesitzer Eduard Giessen und Franz Siben angehörten. Dieser beaufsichtigte die Volksbewaffnung und sorgte für das Gießen von Kugeln und das Schärfen von Sensen. Wie Ludwig Andreas Jordan seiner Frau nach Mannheim schrieb, habe man 300 Mann Soldaten, die überwiegend mit Gewehren bewaffnet seien. Sein Schwager Deinhard lasse zwei Mal am Tag exerzieren. In Deidesheim sammelte Jordan als Bürgermeister 1200 Gulden für den Landesverteidigungsausschuss, von denen er 500 Gulden umgehend nach Kaiserslautern bringen ließ.295 Das Verhalten der Fürsten hatte den sonst eher gemäßigt agierenden Gutsbesitzer offensichtlich aufgebracht. Seiner Frau teilte er mit, dass sich auch bei ihm ein »Fürstenhass«296 bemerkbar mache. Die Erhebung in der Pfalz nannte er noch am 13.  Mai »eine Großartige & im Ganzen eine reine«297. Es gebe zwar eine rührige Partei, welche die »rothe Republik«298 durchsetzen wolle. Der Mehrheit gehe es jedoch um die Durchsetzung der Reichsverfassung. Seraphine Jordan und ihrer Schwägerin Josephine Buhl war das Verhalten ihrer Männer zu nachgiebig. Die Bewegung werde zunehmend von »Schreiern«299 und »Wühlern« dominiert. Das schüchtere die Gemäßigten ein. Da man es sich mit den Radikalen in der momentanen Situation nicht verscherzen wolle, mache man notgedrungen mit. Als Josephine Buhl ihren Bruder bedrängte, stärker Flagge zu zeigen, beschied dieser sie: »[M]an müsse mit dem Strom schwimmen, wenn man nicht alles aus der Hand geben wolle.«300 293 Keddigkeit, Landesverteidigungsausschuss, S. 19. 294 Ludwig Andreas Jordan an Seraphine Jordan, Deidesheim, 10.5.1849, Briefsammlung Hauck, Briefe 1849–1858. Daraus auch das Folgende. 295 Ludwig Andreas Jordan an seine Frau Seraphine Jordan, Deidesheim, 13.5.1849, Briefsammlung Hauck, Briefe 1849–1858; Josephine Buhl an Seraphine Jordan, Deidesheim, 15.5.1849, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 417. 296 Ludwig Andreas Jordan an seine Frau Seraphine Jordan, Deidesheim, 13.5.1849, Briefsammlung Hauck, Briefe 1849–1858. 297 Ebd. 298 Ebd. 299 Josephine Buhl an Seraphine Jordan, Deidesheim, 9.5.1849, LaS, V153 (BassermannJordan), Bd. 417. Daraus auch die folgenden Zitate. 300 Josephine Buhl an Seraphine Jordan, Deidesheim, 7.5.1849, LaS, V153 (BassermannJordan), Bd. 417.

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Joephine Buhl schätzte die Radikalen als blind für die Gefahren der Situation ein. Diese überschätzten ihre Kraft. Nur eine Hilfe von Reichsseite könne die Pfälzer noch retten. Um diese zu erlangen hatte sie bereits am 6. Mai einen Brief an ihre Frankfurter Freundin Clotilde Koch-Gontard geschrieben, in dem sie diese gebeten hatte, ihren Einfluss bei Heinrich von Gagern geltend zu machen. Dieser müsse sich stärker für die Pfälzer einsetzen.301 Gleichzeitig schrieb sie an Frau von Hartmann, die Ehefrau des aus der Pfalz stammenden Flügeladjutanten des bayerischen Königs Jakob von Hartmann, sie solle ihren Mann über die Zustände in der Pfalz und die Verfehlungen der »wortbrüchigen Regierung« informieren.302 Auch ihr Mann setzte am 10. Mai noch auf eine Hilfe von Reichsseite.303 Die Frankfurter Zentralgewalt war bereits seit dem 5.  Mai mit den Vorgängen in der Pfalz beschäftigt.304 Einige pfälzische Abgeordnete hatten ein Eingreifen der provisorischen Zentralgewalt gefordert, da sich der Verteidigungsausschuss radikalisiere. Daraufhin entsandte diese den linken Abgeordneten Bernhard Eisenstuck als »Reichskommissär« in die Pfalz. Eisenstuck agierte zunächst mäßigend, doch schwenkte dann auf den Kurs des Landesverteidigungsausschusses ein, den er im Namen der Zentralgewalt legitimierte.305 Daraufhin wurde er von Frankfurt aus abgesetzt und zurückgerufen. Am 8. Mai legte die Reichsregierung unter Heinrich von Gagern ein neues Programm vor.306 Darin setzten sich Gagern und seine Mitstreiter für eine friedliche und moralische Unterstützung der Bewegung für die Reichsverfassung ein und verurteilten das Eingreifen der Regierungen. Vor allem wandte sich das Programm gegen eine Intervention eines Staates in andere Staaten  – ein klar gegen Preußen gerichtetes Bekenntnis. Der Reichsverweser Erzherzog­ Johann lehnte das Programm ab, sodass Gagern am 10.  Mai zurücktrat. Der liberale Adelige spielte in dieser Phase durchaus mit dem Gedanken, die Führung in der Auseinandersetzung um die Reichsverfassung an sich zu ziehen. Vor dieser revolutionären Aktion schreckte er jedoch zurück und resignierte. Am 20. Mai trat er mit einem Großteil der gemäßigten Liberalen aus der Nationalversammlung aus. Nach diesen Entwicklungen bestand auch für die Pfälzer keine realistische Aussicht auf Unterstützung aus Frankfurt mehr. 301 Josephine Buhl an Seraphine Jordan, Deidesheim, 9.5.1849, LaS, V153 (BassermannJordan), Bd.  417. Clotilde Koch-Gontard leitete den Brief an Gagern weiter. Siehe Clotilde Koch-Gontard an Josephine Buhl, 7.5.1849, in: Klötzer (Hg.), Koch-Gontard, S. 90–92. 302 Josephine Buhl an Seraphine Jordan, Deidesheim, 9.5.1849, LaS, V153 (BassermannJordan), Bd. 417. 303 Ludwig Andreas Jordan an seine Frau Seraphine Jordan, Deidesheim, 10.5.1849, Briefsammlung Hauck, Briefe 1849–1858. 304 Hierzu und zu dem Folgenden: Keddigkeit, Landesverteidigungsausschuss, S. 28 f. 305 Bekanntmachung des Bevollmächtigten der Centralgewalt in der Pfalz, Eisenstuck, 7.5.1849, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 569. 306 Hierzu und zu dem Folgenden: Möller, Gagern, S. 341–350.

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In dieser Phase machte sich ein tiefer Pessimismus bei Ludwig Andreas Jordan breit. Mit Blick auf das trostlose Schicksal der Frankfurter Nationalversammlung hielt er fest: »Ich fürchte & das fast mit Gewissheit, die Reaction wird siegen & der kurze Freiheits- und Einheitsschwindel, in welchen sich Deutschland wiegte, ist für Jahre vorbei.«307 Dem von ihm verehrten Heinrich von Gagern hielt er vor, zu sehr auf eine Verhandlungslösung gesetzt zu haben. Stattdessen hätte er sich selbst an die Spitze der Bewegung, die sich in der Reichsverfassungskampagne herausgebildet habe, stellen sollen. Der Landesverteidigungsausschuss stellte in diesen Tagen die Weichen immer mehr in Richtung einer revolutionären pfälzischen Regierung und damit auch in Richtung einer Loslösung von Bayern. Dabei war vor allem der Mangel an finanziellen Ressourcen eklatant. Daher tagte am 16. Mai nach Aufforderung durch den Landesverteidigungsausschuss eine Versammlung von »300  Geld­ säcke[n]«308, um die weitere Finanzierung des Landesverteidigungsausschusses zu beschließen. Dort fragte Jordan die anwesenden Vertreter des Ausschusses öffentlich, ob dieser plane, eine provisorische Regierung auszurufen. Der Jurist Theodor Greiner antwortete ihm, dass ein solcher Schritt notwendig sein könne. Das könne aber nur die für den nächsten Tag einberufene Volksversammlung beschließen.309 Die Antwort war ein deutliches Zeichen, und bei der anschließenden Zeichnung von Beträgen hielt sich Jordan zurück. Sein Name taucht auf der durchaus illustren Liste der Spender nicht auf, bei der z. B. der St. Ingberter Eisenhüttenwerksbesitzer Krämer 1000 Gulden spendete und der Industrielle Carl von Gienanth 500 Gulden. Am nächsten Tag stand die entscheidende Volksversammlung an. Dazu hatte der Landesverteidigungsausschuss die in den einzelnen Kantonen gebildeten Kantonalverteidigungsausschüsse aufgefordert, jeweils einen Vertreter zu wählen und diesen am 17. Mai nach Kaiserslautern zu schicken.310 Der Kantonal­ verteidigungsausschuss Dürkheim wählte daraufhin den Lehrer Simon S­ ahner als Abgesandten, der die Wahl mit deutlicher Mehrheit vor Ludwig Andreas­ Jordan gewann.311 Da man nur wählbar war und wählen konnte, wenn man den Eid auf die Reichsverfassung abgelegt hatte312, lässt sich aus dieser Wahl fol 307 Ludwig Andreas Jordan an seine Frau Seraphine Jordan, Deidesheim, 13.5.1849, Briefsammlung Hauck, Briefe 1849–1858. 308 Ludwig Andreas Jordan an Seraphine Jordan, o. O., 17.5.1849, Briefsammlung Hauck, Briefe 1849–1858. 309 Zu diesem Vorgang siehe das Protokoll der Versammlung in: LaS, J1, Bd.  2305. Auch fast wörtlich wiedergegeben in Fleischmann, Geschichte des pfälzischen Aufstandes, S. 183. 310 Keddigkeit, Landesverteidigungsausschuss, S. 31. 311 Der Kantonal-Vertheidigungs-Ausschuß an den Landes-Ausschuß in Kaiserslautern, Dürkheim, 16.5.1849, LaS, H8, Bd. 25. Darin enthalten ist auch das Wahlprotokoll. 312 Keddigkeit, Landesverteidigungsausschuss, S. 31.

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gern, dass auch Ludwig Andreas Jordan als Bürgermeister diesen Eid geschworen hatte und damit einer Anordnung des Landesverteidigungsausschusses Folge geleistet hatte. Bei der Abstimmung in Kaiserslautern stimmten 15 Kantonalvertreter zum Teil unter Druck der Radikalen für die Einrichtung einer provisorischen Regierung. 14 Stimmen wurden dagegen gezählt. Dass die Stimmung nicht durchgängig radikal war, zeigte sich auch bei den Wahlen zur Regierung. Mit August Cullmann und Georg Friedrich Kolb wurden Persönlichkeiten gewählt, die nicht im radikalen Lager standen. Da beide genauso wie Friedrich Schüler nicht anwesend waren, war allerdings nicht klar, ob diese die Wahl annehmen würden. Daraufhin wurden mit Fries, Greiner und Schmitt drei radikale Ersatzmänner gewählt, die in die Regierung einrückten und dort auch in den nächsten Wochen verblieben.313 In dieser Phase der zweiten Revolutionswelle verhielt sich Jordan zunächst eher abwartend und taktierend. Halbherzig sorgte er dafür, dass sich ein kleines Kontingent Freiwilliger nach Dürkheim begab, um der militärischen Zwangsrekrutierung der Provisorischen Regierung Genüge zu tun.314 Seiner Frau schilderte er die Auseinandersetzungen in Deidesheim mit der radikalen Partei Georg Decks, die versuche, die Bevölkerung einzuschüchtern und mit Denunziationen drohe.315 Am 1. Juni besuchte er eine Versammlung von Bürgermeistern und Gemeinderäten in Neustadt unter Führung des Speyerer Bürgermeisters Georg Friedrich Kolb, auf der man sich gegen die Zwangsmaßnahmen der Provisorischen Regierung verwahrte.316 Man forderte dort unter anderem, der Provisorischen Regierung eine Volksvertretung an die Seite zu stellen. Ohne Zustimmung dieser Volksvertretung dürften keine bestehenden Gesetze mehr aufgehoben oder neue eingeführt werden. Die bereits erlassenen Gesetze seien bis zur Einberufung dieser Volksvertretung auszusetzen.317 Der Speyerer Stadtrat setzte diese Forderung sofort um und hob alle von der Provisorischen Regierung erlassenen Gesetze auf. Der Neustädter Bürgermeister Franz Kölsch schrieb daraufhin an Ludwig Andreas Jordan, dass Kolb die Sache in die Hand genommen habe. 313 Ebd., S. 35. 314 Ludwig Andreas Jordan an seine Frau Seraphine Jordan, Deidesheim, 26.5.1849, Briefsammlung Hauck, Briefe 1849–1858. 315 Ebd. Georg Deck leitete den Deidesheimer Zweigverein des Pfälzischen Volksvereins. Siehe Ruppert, Vereine, S. 203. 316 Ludwig Andreas Jordan an seine Frau Seraphine Jordan, Deidesheim, 31.5.1849, Briefsammlung Hauck, Briefe 1849–1858; Einladung an das Bürgermeisteramt Deidesheim zu einem Treffen der Bürgermeister in Neustadt, Neustadt, 31.5.1849, LaS, V153 (BassermannJordan), Bd. 569. Darin wird bereits erwähnt, dass es bei der Besprechung um das Eingreifen der Provisorischen Regierung in die Amtsgeschäfte gehe. 317 Renner, Die pfälzische Bewegung, S. 181.

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Neustadt werde die Beschlüsse des Speyerer Stadtrats als Vorlage nehmen, und er hoffe diese auch in seiner Stadt durchsetzen zu können.318 Die Provisorische Regierung reagierte auf diese Vorgänge empört, denn sie stellten ihre Machtbefugnisse ernsthaft in Frage. Der Speyerer Stadtrat wurde umgehend von der Provisorischen Regierung abgesetzt, die das Vorgehen als »Landesverrat« bezeichnete.319 Hier zeigt sich deutlich, wie die Provisorische Regierung die Bevölkerung spaltete. Das Verhalten der Provisorischen Regierung ging vielen Liberalen zu weit, sodass diese Gruppierung versuchte, wieder an Einfluss zu gewinnen. Da die Provisorische Regierung der Pfalz an akutem Geldmangel litt, beschloss diese bei wohlhabenden Bürgern Zwangsanleihen durchzuführen. Jordans Vermögen wurde dabei auf 400.000 Gulden geschätzt, woraufhin er zu einer Zwangsanleihe von 8300 Gulden verpflichtet wurde, wovon er aber nur einen Abschlag von 600 Gulden bezahlte.320 Trotz der Zwangseintreibung von Geldern und dem Zuzug von Revolutionären, die aus den anderen Aufstandsregionen nach deren »Befriedung« durch preußische Truppen in die Pfalz weiterzogen, hatte die provisorische Regierung und ihre improvisierte Armee den ab dem 14. Juni einrückenden preußischen Truppen nichts entgegen zu setzen. Ob diese mit oder ohne offizielle Aufforderung der bayerischen Regierung in die Pfalz einmarschierten, war damals und ist auch heute noch umstritten.321 Nachdem die preußischen Soldaten im Pfalzkreis die Ruhe wiederhergestellt hatten, zogen sie weiter nach Baden, wo sie die letzte Aufstandsbewegung der »Reichsverfassungskampagne« niederschlugen. Insgesamt war es Ludwig Andreas Jordan gelungen, seine Familie und Deidesheim ohne großen Schaden durch die Wirren des pfälzischen Aufstands zu steuern. Durch sein eher unauffälliges Verhalten blieb er nach der Niederschlagung des Aufstands von der bayerischen Reaktion zunächst unbehelligt und konnte weiter als Bürgermeister Deidesheims amtieren. Im Verlauf dieses Aufstands hatte sich gezeigt, dass Ludwig Andreas Jordan und die eher gemäßig 318 Franz Kölsch an Ludwig Andreas Jordan, Neustadt, 2.6.1849, LaS, V153 (BassermannJordan), Bd.  550. Siehe dazu auch den Brief des Dürkheimer Weinhändlers und Bürgermeisters Wilhelm Sauerbeck an seine Kollegen. Dieser hatte den Neustadter Beschluss dem Kantonalausschuss vorgelegt, wo man mit dem Vorgehen nicht einverstanden war und den ganzen Vorgang der Provisorischen Regierung in Kaiserslautern meldete. Sauerbeck warnte daher seine Bürgermeisterkollegen vor einer voreiligen Umsetzung der Beschlüsse und ermahnte sie, zunächst die Reaktion der Provisorischen Regierung abzuwarten. Sauerbeck an Bürgermeisterkollegen, Dürkheim, 1.6.1849, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd.  550. Zu Sauerbeck siehe die knappe biographische Skizze in: Schaupp, Im Kreis der Aufständischen. 319 Renner, Die pfälzische Bewegung, S.  183; Fleischmann, Geschichte des pfälzischen Aufstandes, S. 212 f. 320 Vermögensschätzung und Quittung vom 7.6.1849 finden sich im LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 550. 321 Busley, Verhältnis, S. 91–95.

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ten Liberalen die Bewegung zunächst noch unterstützt hatten. Hierbei ging es darum, die Reichsverfassung in Bayern und davon ausgehend auch im Reich durchzusetzen. In diesem Ziel waren sich Demokraten und Liberale einig, denn man sah sich dabei auf der Seite des Rechts. Auch den Landesverteidigungsausschuss trug man, als Versuch, den Druck auf die bayerische Regierung zu erhöhen, mit. Jordan, der beim Hambacher Fest noch darüber spekuliert hatte, was passieren würde, wenn die Fürsten nicht auf die liberalen Wünsche eingehen würden, musste sich in dieser Phase entscheiden, ob er an der Vereinbarungsstrategie festhalten und damit vor dem Willen der Fürsten resignieren solle oder ob er den revolutionären Druck auf die Fürsten unterstützen solle. Dabei verließ er kurzfristig die Vereinbarungsstrategie, denn er sah das mögliche Scheitern der Reichsverfassung als Schuld der Fürsten an. Daraus zog er den Schluss, die Reichsverfassung auch gegen den Willen der Fürsten durchsetzen zu können. Als durch die mangelnde Unterstützung der Frankfurter Zentrale, der bayerischen Intransigenz und der Radikalisierung der Bewegung in der Pfalz statt einer reichsweiten Durchsetzung der Verfassung ein separater Pfalzstaat das Ergebnis der »Reichsverfassungskampagne« war, konnte das Ludwig Andreas­ Jordan, aber auch die anderen Vorderpfälzer Winzer nicht zufriedenstellen. Es war das genaue Gegenteil der eigenen Ziele. Anstatt eines großen machtvollen deutschen Reiches mit einem einheitlichen Wirtschaftsraum hatte man mit dem Pfalzstaat, eventuell verbunden mit Baden, einen machtlosen noch kleineren Wirtschaftsraum als bisher erhalten. Dass Ludwig Andreas Jordan diese Entwicklung nicht mehr mittrug, erscheint daher nur konsequent. Er reihte sich damit in die Vorderpfälzer Oppositionsbewegung gegen die neue provisorische Regierung in Kaiserslautern ein, agierte dabei aber eher als Mitläufer. Insgesamt ist seine Rolle in der Reichsverfassungskampagne auch von Opportunismus gekennzeichnet. Auch das trug dazu bei, dass er nach der Niederschlagung der Pfälzer Revolution keine Konsequenzen zu befürchten hatte. In der Kammer der Abgeordneten rechnete er dann im Dezember 1849 mit der bayerischen Regierung und ihrer Ablehnung der Reichsverfassung in einer ausführlichen Rede, die ihm schlaflose Nächte bereitet hatte, scharf ab.322 Als die Kammer wichtige Kredite für den Staat bewilligen sollte, machte er deutlich, dass er den Krediten zwar aus finanzpolitischen Gründen zustimme, die Politik der bayerischen Regierung in der deutschen Frage aber nicht billige. Er hielt der bayerischen Regierung vor, dass sie es zweimal versäumt habe, die Einheit herbeizuführen. Dazu hätte Bayern im April 1849 die Reichsverfassung anerkennen müssen. Dann wäre Preußen unter Zugzwang gewesen und hätte sich keine Ablehnung der Verfassung bzw. der deutschen Krone leisten können. Nach der Zurückweisung des Verfassungswerks durch die preußische Regierung hätte­ 322 Hierzu und zu dem Folgenden: Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten des Bayerischen Landtages 1849/50, Stenographischer Bericht, Bd. II, S. 395 f.

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Bayern noch die Möglichkeit gehabt, dem Dreikönigsbündnis zwischen Preußen, Sachsen und Hannover beizutreten. Mit diesem Dreikönigsbündnis hatte Preußen im Mai 1849 die Gründung einer sogenannten Deutschen Union mit einer revidierten Paulskirchenverfassung initiiert. Die Union sollte aus einem engeren Reich unter Führung Preußens bestehen, das durch einen Bundesvertrag mit Österreich zusammengeführt werden sollte.323 Auch hier habe Bayern versagt und sich stattdessen an Österreich orientiert. Dieser Ausrichtung an Österreich hielt Jordan entgegen, dass Preußen der »natürliche Alliierte Bayerns«324 sei, eine bemerkenswerte Aussage wenige Monate nach der Niederschlagung des pfälzischen Aufstands durch preußische Truppen! In einem abschließenden utopischen Appell forderte er die deutschen Regierungen dazu auf, doch noch das Verfassungswerk zu vollenden. Das werde Deutschland Größe und Ruhm nach außen sowie Freiheit, Sicherheit und Ordnung im Innern bringen. Jordan hoffte also, dass sich Bayern doch noch am preußischen Projekt einer »Deutschen Union«, also an einer kleindeutschen Reichsgründung »von oben« beteiligen würde. Die von Preußen dafür vorgelegte Verfassung sah ein Wahlrecht auf Basis des preußischen Dreiklassenwahlrechts vor und der König erhielt statt des suspensiven Vetorechts der Paulskirchenverfassung jetzt das absolute Vetorecht.325 Obwohl Bayern das Projekt aufgrund der preußischen Führungsrolle ablehnte, zog die bayerische Regierung Erkundigungen darüber ein, wie die Stimmung in der Bevölkerung gegenüber der preußischen Unionspolitik einzuschätzen sei. Daraufhin berichtete das Landkommissariat Neustadt an die Regierung der Pfalz, dass insbesondere die Weinbauern der Vorderpfalz große Sympathien »für Preußen und dessen scheinbar deutsche Bestrebungen«326 hegten. Landkommissär Franz Hausmann führte diese positive Sicht auf den von Preußen initiierten Zollverein zurück. Seit der Gründung des Zollvereins habe der Handel der Pfalz insbesondere mit Wein einen großen Aufschwung genommen. Dabei werde vor allem in das nördliche Vereinsgebiet geliefert. Die Weinbauern seien daher mit Preußen »innigst verwebt«, während eine engere Verbindung mit Österreich durch die damit verbundene Auflösung des Zollvereins nicht attraktiv erscheine. Auch hier liegt also ein Schlüssel für das Verständnis der positiven Äußerungen Jordans über Preußen im bayerischen Landtag. Jordan stand mit seiner positiven Sicht auf das preußische Unionsprojekt nicht allein. Bei einem Treffen der gemäßigten Liberalen in Gotha vom 26.–28. Juni 323 Zur preußischen Unionspolitik siehe Barclay, Preußen und die Unionspolitik 1849/50. 324 Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten des Bayerischen Landtages 1849/50, Stenographischer Bericht, Bd. II, S. 396. 325 Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 2, S. 888. Der Verfassungsentwurf findet sich in Huber (Hg.), Dokumente, Bd. 1, S. 435–443. 326 Landcommissariat Neustadt an die Königliche Regierung der Pfalz, Neustadt, 26.11.1849, LaS, H1, Bd. 1976. Daraus auch das folgende Zitat.

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1849 hatten sich diese bereits darauf geeinigt, die preußische Unionspolitik trotz der Abstriche an der Verfassung zu unterstützen, um auf diese Weise wenigstens eine Einheit auf verfassungsrechtlicher Grundlage zu Stande zu bringen.327 Am 19. Oktober schrieb der Verwaltungsrat der Union die Wahlen zum vorgegebenen Volkshaus aus. Bei diesen Wahlen traten viele gemäßigte Liberale als Kandidaten an und wurden in das Unionsparlament nach Erfurt gewählt.328 In den am 20. März 1850 beginnenden Verhandlungen wurde die Verfassung marginal revidiert und anschließend angenommen. Jetzt übte allerdings das Kaiserreich Österreich auf Preußen und seine Verbündeten starken Druck aus. Insbesondere ging es Österreich darum, den alten Deutschen Bund unter seinem Präsidium wieder zu restaurieren. In dieser verworrenen Situation legte Bayern einen eigenen Verfassungsentwurf auf den Tisch. Die bayerische Regierung unter Ministerpräsident Ludwig von der Pfordten hatte seit Januar 1850 mit einem Vier-Königs-Bündnis zwischen Bayern, Sachsen, Hannover und Württemberg versucht, einen dritten Weg zwischen einer zu starken Ausrichtung an Preußen oder Österreich durchzusetzen. Die Gespräche mündeten in die Münchner Punktation vom 27. Februar 1850.329 Als die dazugehörenden Akten der Kammer der Abgeordneten im Juni(!) vorgelegt wurden, brachte Jordan gemeinsam mit den Pfälzern Ludwig Römmich, Franz Flamin Meuth, Friedrich Wilhelm Rebenack, Eduard Lang und weiteren Kammermitgliedern einen Antrag ein, die Regierung solle sich bei den Verhandlungen zur deutschen Frage dagegen verwahren, dass »die Wiederherstellung des alten Bundestages, unter irgend welcher Form«330 durchgesetzt werde. Auch sei eine »definitive Gestaltung Deutschlands ohne Einvernehmung der Volksvertretung« nicht möglich. In seiner Erläuterung des Antrags ging Jordan auf die »trostlose«331 Lage in Deutschland ein. Anstatt ein nach außen starkes Deutschland zu erhalten, 327 Botzenhart, Deutscher Parlamentarismus, S.  407–412; Möller, Gagern, S.  354 f. Zur Einordnung des Gothaer Treffens in den nachrevolutionären Liberalismus siehe Jansen, Real­politik. Das Gothaer Programm der liberalen Partei findet sich in: Huber (Hg.), Dokumente, Bd. 1, S. 431 f. 328 Zur organisatorischen Abwicklung des Erfurter Unionsparlaments und den Abgeordneten siehe Lengemann, Erfurter Unionsparlament. 329 Gruner, Deutschland, S. 194; Übereinkunft zwischen Bayern, Sachsen und Württemberg über die Hauptgrundsätze für eine Revision der Bundesverfassung, in: Huber (Hg.), Dokumente, Bd. 1, S. 444–446. Hannover stimmte mit den Grundsätzen zwar überein, traute sich aus Rücksicht auf Preußen aber nicht zu unterschreiben. 330 Antrag Lang, Römmich, Wagner, Meuth, Kirchgeßner, Arnheim, Rebenack und­ Jordan, in: Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten des Bayerischen Landtages 1849/50, Stenographischer Bericht, Bd. V, S. 483 f. Daraus auch das folgende Zitat. 331 Rede Jordans in der bayerischen Kammer der Abgeordneten am 10.6.1850, in: Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten des Bayerischen Landtages 1849/50, Stenographischer Bericht, Bd. V, S. 484. Daraus auch die folgenden Zitate.

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sei man innerlich zerrissen und ein Bruderkrieg stehe bevor. Das sei aus Sicht der Pfalz katastrophal, denn diese Region sei von außen stark bedroht. »[K]ein Land in Deutschland bedarf mehr des Schutzes als gerade die Pfalz und diesen Schutz können wir nur finden in einem einigen Deutschland«, führte er aus. Gerade deswegen sei die Reichsverfassung in der Pfalz auch so beliebt gewesen. Die größte Gefahr in der momentanen Situation bestehe darin, dass Österreich seine Bestrebungen zur Restauration des Deutschen Bundes durchsetze, mit dem er »30jähriges Elend und Schmach« verband. An die Abgeordneten appellierte er: »Wir müssen […] feierlich protestiren, daß ein solcher Bund jemals wieder ins Leben zurückgerufen werde!« Mit dem Verfassungsentwurf vom 27. Februar komme man einem einigen Deutschland allerdings auch nicht näher, denn er sei zu stark an österreichischen Wünschen orientiert und führe zu einer »Vereinigung mit uns ganz fremden Völkern«. Das werde nicht zur Stärke Deutschlands beitragen, denn diese »besteht nicht in dem Zusammenwerfen fremdartiger Elemente, sondern in einem einigen Anschlusse der deutschen Stämme und in einem mehrheitlichen Bundesstaate«. Eine Möglichkeit sah er in einer Vermittlerrolle Bayerns zwischen Preußen und Österreich. Man könne die preußischen Reformwünsche in den Verfassungsentwurf integrieren und auf dieser Basis die Zustimmung der deutschen Fürsten zu der Verfassung herbeiführen. Anschließend müsse die Verfassung einem »Parlament, hervorgegangen aus der Wahl des Volkes« vorlegt werden. Wenn die Verfassung auf diesem Wege durch die Vermittlerrolle Bayerns zu Stande gekommen sei, dann »hat die bayerische Regierung einen Theil der Schuld abgetragen, die sie nach meiner Ansicht an der Reichverfassung allerdings begangen hat«. Der bayerische Verfassungsentwurf konnte in der Folgezeit allerdings keine Wirkung entfalten. Stattdessen wurde der Druck Österreichs auf Preußen in den folgenden Monaten so stark, dass für Preußen ohne eine kriegerische Auseinandersetzung der Machtkampf mit Österreich nicht zu gewinnen war. Davor schreckte Friedrich Wilhelm IV. zurück, sodass Preußen mit der Olmützer Punktation vom 29. November 1850 seine Unionspolitik aufgab und Österreich zusicherte, an der bereits begonnenen Restauration des Deutschen Bundes mitzuwirken.332 Erst jetzt war auch für Jordan der 1848 begonnene Kampf um die deutsche Einheit beendet. In sein Tagebuch notierte er am 1. Januar 1851 deprimiert: »Ich beginne das Jahr 1851 mit trüben Aussichten auf die Zukunft Deutschlands. All die schönen Hoffnungen des Jahres 1848 sind vernichtet!«333

332 Übereinkunft zwischen Österreich und Preußen vom 29.11.1850, in: Huber (Hg.), Dokumente, Bd. 1, S. 449 f. Vgl. Barclay, Preußen und die Unionspolitik, S. 77 f. 333 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 1.1.1851, LaS, V153 (Bassermann-­ Jordan), Bd. 35.

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5.4 Der Kampf um politische Handlungsspielräume in der Reaktionszeit (1849–1859) Die Revolution von 1848/49 mit ihren Ausbrüchen von Gewalt, von Unsicherheit und ihrer Radikalisierung in der Endphase der Reichsverfassungskampagne hatte bei Ludwig Andreas Jordan einen zwiespältigen Eindruck hinterlassen. Einerseits hatte er die Ziele der deutschen Einheit unter Umsetzung liberaler Kernforderungen stark unterstützt. Andererseits hatte er die Radikalisierung der Bevölkerung und die Gefahr einer sozialen Revolution vor Augen gehabt, nicht zuletzt vor Ort in Deidesheim. Zu diesen lokalen Spannungsverhältnissen trug auch die soziale Schichtung in Deidesheim bei, die von immer größeren Vermögens- und Einkommensunterschieden geprägt war. An der Spitze der lokalen Wirtschaft standen mit großem Abstand die Gutsbesitzer. Das wird deutlich, wenn man sich die Wählerlisten Deidesheims anschaut, die für die Gemeinderatswahlen erstellt wurden. Wählen durften nur diejenigen, die ein Haus in Deidesheim besaßen oder eine Steuer zahlten. Passiv wahlfähig waren nur die Höchstbesteuerten 2/3 der aktiv wahlberechtigten Bevölkerung. Daher erstellte die Gemeinde zu den Wahlen regelmäßig Listen über die Wahlfähigen und ihre Steuerleistung. Diese Listen unterstreichen eindrucksvoll die ökonomische Dominanz der Gutsbesitzer, wobei die Schere bei der Steuerleistung immer weiter auseinanderging. Während 1848 die Steuerleistung noch zwischen einem Gulden und 114 Gulden lag, reichte die Spanne 1855 von einem zu 591 Gulden. Diese wurden von Franz­ Peter Buhl bezahlt, dicht gefolgt von Ludwig Andreas Jordan mit 549 Gulden und Friedrich Deinhard mit 283 Gulden. Der Gutsbesitzer Jacob Häusling erreichte immerhin noch 143 Gulden Steuerleistung. Alle anderen Steuerzahler Deidesheims lagen unter 100 Gulden.334 Die Wirtschaftsweise der Weingüter basierte vor allem auf dem Einsatz von Tagelöhnern. So lebten von den 2666 Einwohnern Deidesheims und zugehöriger Ortschaften im Jahre 1852 insgesamt 106 Personen von Gutsbesitz und Landwirtschaft.335 Diesen standen 1715 Personen gegenüber, die vom Taglohn oder von Gesindediensten lebten, die meisten Tagelöhner allerdings mit einem kleinen Haus- oder Grundbesitz.336 Weitere 353 Personen bezogen ihr Einkommen aus dem gewerblich-industriellen-kaufmännischen Bereich, der auch auf 334 Siehe die Listen in LaS, U315 (Stadtarchiv Deidesheim), Bd. 595. 335 Hierzu und zu dem Folgenden: Kataster der Ortschaften, der Bevölkerung und der Gebäude in dem Landcommissariatsbezirke Neustadt nach dem Stande des Monats December 1852, LaS, H3, Bd. 220j. Auch ausführlich wiedergegeben bei Kermann, Tendenzen, S. 206–210. 336 Die Angaben bei Kermann zu den Tagelöhnern mit Haus- und Grundbesitz stimmen nicht. Hier sind anstatt 1270 bei Kermann, 1373 in der Statistik des Landkommissariats aufgeführt.

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den Weinbau ausgerichtet war, z. B. durch die hohe Anzahl der Küfer. Auffällig ist die große Zahl der konskribierten Armen, die 1852 bei insgesamt 406 Personen oder 15,2 % der Deidesheimer Einwohnerschaft lag. Die Armut war gerade in dieser Phase nach der Revolution sehr hoch, sodass die Bevölkerungszahl, die zwischen 1815 und 1849 von 1760 Einwohnern auf 2729 Einwohner angestiegen war, bis 1855 auf 2561 Einwohner zurückging. Auswanderung war hier anscheinend eine Möglichkeit, der schwierigen wirtschaftlichen Lage zu entkommen. Dass in diesen sozialen Spannungen ein großes Unruhepotential lag, hatte sich 1848/49 immer wieder bei Krawallen und Konflikten in der Gemeinde gezeigt.337 Damit stand Ludwig Andreas Jordan nach den beiden Revolutionsjahren unter doppeltem Druck. Von unten ging die Gefahr von einer großen unzufriedenen am Rande des Existenzminimums oder in Armut lebenden Bevölkerung aus, die auch seine gesellschaftliche und wirtschaftliche Stellung bedrohte. Von oben drückte die Regierung, die insbesondere im Pfalzkreis unter dem seit dem 2.  April 1850 amtierenden neuen Regierungspräsidenten Georg Gustav von Hohe mit Argusaugen die politischen Regungen überwachte und bei Verdachtsmomenten rigoros einschritt.338 In dieser Situation musste er also versuchen, das Gefahrenpotential von unten in Schach zu halten und seinen Handlungsspielraum nach oben zu bewahren. Einen Hebel, den er ansetzen konnte, stellte das Stiftungswesen dar.

5.4.1 Stiftungen zur Absicherung des sozialen Friedens in Deidesheim: Andreasbrunnen und Kleinkinderbewahranstalt Stiftung und Mäzenatentum, verstanden als »Bereitstellung privater Mittel für öffentliche Zwecke«339, sind keine Praktiken, die erst im 19.  Jahrhundert aufkamen. Bereits im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit gehörten das adlige und bürgerliche Stiften und Schenken zu einem häufigen Phänomen, das sich mit der Zeit aus seinem religiösen Zusammenhang der Memoria löste und zunehmend weltlichen Zwecken diente. Im frühen 19. Jahrhundert war die Wohltätigkeit und Spendenpraxis bereits fest in den bürgerlichen Lebensentwurf integriert.340 Mit Stiftungen demonstrierten die Bürger ihre Tatkraft und zeigten, dass sie Probleme selbständig ohne 337 Siehe zum Beispiel den Bericht Ludwig Andreas Jordans über »krasse Scenen« bei der traditionellen Geißbockversteigerung in Deidesheim im Mai 1849. Ludwig Andreas Jordan an Seraphine Jordan, Deidesheim 31.5.1849, Briefsammlung Hauck, Briefe 1849–1858. 338 Zu dieser Phase der bayerischen Politik in der Pfalz siehe die profunde Studie von Ziegler, Jahre der Reaktion, sowie dessen Aufsatz: Gebremste Reaktion. Zu Hohe siehe­ Schineller, Regierungspräsidenten, S. 51 f. 339 Kocka/Frey, Einleitung, S. 7. 340 Schulz, Lebenswelt, S. 75 f.; Hein, Stiftungswesen, S. 84 f.; Schulz, Mäzenatentum.

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Rückgriff auf Beamte und Behörden lösen wollten. Gleichzeitig unterstrich man so den Anspruch, für das Gemeinwesen zu wirken, man handelte also aus »Gemeinsinn«341. Dabei ging es nicht nur um große Stiftungen und Schenkungen reicher Wirtschaftsbürger. Auch die Bürger mit geringerem Vermögen beteiligten sich mit kleineren Beträgen an dieser Praxis, sodass man vom Stiften als »gemeinbürgerliche[m] Phänomen«342 sprechen kann. Auch die Familie Jordan hatte schon vor 1848/49 regelmäßig Geld gespendet, so zum Beispiel in der großen Hungerkrise des Jahres 1830 oder 1847 als großer Spender für den Verein zum Ankauf von Saatkartoffeln, mit dem der bayerische Staat den Pauperismus in der Pfalz lindern wollte.343 Im November 1848, als Andreas Jordan starb, spendete die Familie 300 Gulden für die Deidesheimer Armen, die vom Armenpflegschaftsrat der Gemeinde an immerhin 183 bedürftige Familien verteilt wurden.344 Die Praxis nach 1848 unterschied sich jedoch von diesen kurzfristigen Linderungsversuchen, denn die bisherigen Spenden waren versickert. Sie waren nicht mehr als der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein gewesen und hatten nicht nachhaltig gewirkt. Zudem lag aus bürgerlichem Blickwinkel in dieser Form der Armenunterstützung kein Anreiz für die Armen, eine geregelte Tätigkeit aufzunehmen. Die Almosengaben waren ein unproduktives Mittel der Armutslinderung.345 Aus diesem Grund suchte die Familie Jordan nach Möglichkeiten einer nachhaltigen, langfristig wirkenden und auch öffentlichkeitswirksameren Aktion, mit der man den Namen Jordan auch zukünftig noch verbinden konnte. Hier verfiel man auf zwei Spendenbereiche, die sehr erfolgversprechend waren. So wollte man eine Wasserleitung vom Haardtgebirge aus nach Deidesheim legen lassen, die mitten im Ort an einem großen repräsentativen Brunnen enden sollte. Außerdem entschied man sich, eine Kleinkinderbewahranstalt ins Leben zu rufen.346 341 Frey, Vom Gemeinwohl zum Gemeinsinn, S. 276 f.; Hein, Stiftungswesen, S. 76. 342 Hein, Stiftungswesen, S. 76. 343 Zu 1830 siehe den Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 8.2.1830, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 28. Zur Rolle der Jordans im »Aktienverein zum Ankauf von Saatkartoffeln für dürftige Gemeinden« siehe Kermann, Die wirtschaftlichen Verhältnisse in der Pfalz, S. 298–301. 344 Adjunkt Cörver an Bürgermeister Ludwig Andreas Jordan, Deidesheim, 24.11.1848, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 550. Zur Organisierung der Armenunterstützung auf der Gemeindeebene im Pfalzkreis siehe Fürstenberg, Armenpflege, S. 77–113. 345 Diese Sicht des Bürgertums auf die »unproduktive Verschleuderung« von Mitteln durch Almosengabe, verdeutlicht aus einer sehr anregenden lokalen Perspektive des Gebiets um Konstanz Zang, Stiftungsverwaltung, S. 337–339. 346 Gert Zang hat mit dem Blick auf die 1860er Jahre auch in der Region um Konstanz ausgemacht, dass das liberale Bürgertum das Stiftungswesen vor allem für Investitionen in Bildung und Infrastruktur nutzte. Dabei spielten häufig auch Brunnenleitungen eine wichtige Rolle. Siehe Zang, Stiftungsverwaltung, S. 345.

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Mit dieser frühen und individuellen Wohltätigkeit im Bereich der kleinstädtischen Infrastruktur- und Sozialpolitik fällt die Spendenpraxis der Familie ­Jordan in mehrfacher Hinsicht aus den bisherigen Forschungen zum bürgerlichen Stiftungswesen im 19. Jahrhundert heraus. So richtete sich der Blick in den bisherigen Untersuchungen auf die Bedeutung der Stiftungen für die großstädtischen Entwicklungen.347 Der Historiker Thomas Adam hat daher vor kurzem festgestellt, Stiften sei ein »großstädtisches Phänomen«348, das man in kleinen und mittleren Städten kaum vorfinde. Zudem sind die bisherigen Forschungen sehr stark auf den Kunstbereich ausgerichtet und thematisieren den Bereich des Sozialen häufig nur am Rande.349 Außerdem steht in der Literatur das »assoziative Mäzenatentum« der Vereine im Vordergrund. Individuelle Stiftungen wurden erst für das Kaiserreich hervorgehoben.350 Das hängt auch damit zusammen, dass der Zeitbereich zwischen der Märzrevolution und Reichsgründung in der Forschung bisher kaum behandelt wurde.351 Insgesamt erscheint es also dringend geboten, den Blick auf das soziale Engagement und das individuelle Stiften in diesem Zeitbereich zu erweitern. Am Beispiel der Jordans zeigt sich nämlich, dass hier auch Potential liegt, um den bürgerlichen Umgang mit städtischer Armut zu rekonstruieren. Das Stiften erscheint in diesem Kontext als sozialpolitisches Korrektiv auf der kommunalen Ebene, um so der Unzufriedenheit und dem Unmut der Armen entgegenzuwirken und eine zukünftige soziale Revolution zu verhindern. Vor allem dieser Aspekt spricht dafür, dass das sozialpolitische Mäzenatentum nach 1848/49 zunahm.352 Die auf lokaler Ebene besonders deutlich zu Tage tretenden unterschiedlichen Vermögensverhältnisse konnten so auch etwas aufgefangen werden. Der Reiche machte auf diese Weise deutlich, dass er sein Vermögen mit den Unbemittelten teilte. Philipp Sarasin weist in seinen allgemeinen Überlegungen zur Bedeutung des Mäzenatentums auf grundlegende Beobachtungen hin, die in Teilen auch für die Analyse des Mäzenatentums der Jordans gewinnbringend verwendet werden können. So hebt er vor allem den Aspekt der Macht hervor und betont, dass »der Mäzen und der Wohltäter immer politisch handeln«353. Zudem ist es 347 Siehe zum Beispiel Werner, Stiftungsstadt; Adam, Stiften in deutschen Bürgerstädten; Pielhoff, Stifter und Anstifter. 348 Adam, Stiften für das Diesseits, S. 11. 349 Siehe vor allem die Sammelbände von Kocka/Frey (Hg.), Bürgerkultur und Mäzenatentum; Hein/Schulz (Hg.), Bürgerkultur; Kirchgässner/Becht (Hg.), Stadt und Mäzenatentum; Gaethgens/Schieder (Hg.), Mäzenatisches Handeln. 350 Hein, Bürgerliches Mäzenatentum, S. 88. 351 Völlig ausgeblendet wird die Phase zwischen 1849 und 1871 bei Frey, Macht und Moral. 352 Für einen engen Zusammenhang zwischen der Märzrevolution und dem bürgerlichen Engagement für die Unterschichten siehe die an der Universität Jena entstehende Dissertation von David Schmidt: Revolution und protestantische Armenfürsorge. Die Rettungshäuser für »sittlich verwahrloste« Kinder im Regierungsbezirk Potsdam (1847–1878). 353 Sarasin, Stiften und Schenken, S. 206.

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dem Mäzen möglich, sich mit Hilfe seiner Spende selbst zu inszenieren und an seiner Wahrnehmung durch die Öffentlichkeit zu arbeiten. Zu fragen ist natürlich auch, zu welchem Zweck die Stiftung unternommen wurde. Auf diese Weise lässt sich der Gestus des »edlen Spenders« dekonstruieren. Dabei ist unbestritten, dass es für die Jordans zu einem guten und verantwortungsvollen bürgerlichen Leben dazugehörte, von ihrem Reichtum etwas abzugeben und so für die Allgemeinheit zu wirken. Erklärungsbedürftig ist allerdings der Wandel von den Geldspenden hin zu nachhaltigen und inszenierten »Sachspenden«. Nehmen wir uns zur Analyse zunächst die Wasserleitung und den Brunnen vor. Die Wasserleitung wurde mit Holzrohren in der Deichelbauweise von der sogenannten Michaelsquelle am Haardtrand nach Deidesheim geführt. Dort endete sie an prominenter Stelle auf dem Marktplatz im Zentrum Deidesheims mit dem zu Ehren von Andreas Jordan so benannten Andreasbrunnen, der dort auch heute noch vor dem bekannten »Deidesheimer Hof« steht.354 Mit der Herstellung des gusseisernen Brunnens beauftragten die Jordans das Eisenhüttenwerk Gienanth und damit eine Familie, mit der die Jordans auf wirtschaftlicher Ebene häufig verkehrten. Die Planungen oblagen dem bekannten Architekten und Koblenzer Stadtbaumeister Hermann Nebel, einem Cousin Friedrich Deinhards. Dieser hatte bereits den Umbau des Ketschauer Hofes 1849/50 geleitet und die Villa von Friedrich und Auguste Deinhard gebaut.355 Die Brunnenanlage besteht aus einem achteckigen Becken, dessen Außenseiten mit Kassetten verziert sind.356 Aus dem Becken ragt der eigentliche Brunnen mit zwei übereinander angeordneten großen Schalen heraus. Die untere Schale wird von Delphinen getragen, die wiederum auf einem Sockel mit Löwenköpfen stehen. Die obere, kleinere Schale steht auf einer kannelierten Säule. Insgesamt ist der Brunnen »nach Vorbildern der italienischen Hochrenaissance«357 gestaltet. Bereits die Brunnengestaltung unterstrich also den Geschmack der Stifter, ihren Wohlstand und ihre Wohltätigkeit; sie verband das Schöne mit dem Nützlichen. Selbst der bekannte Kölner Gemäldesammler und Kunsthistoriker­ Sulpiz Boisserée war beeindruckt, als er am 20. Oktober 1852 Deidesheim besuchte. Er lobte in seinen Aufzeichnungen den geschmackvollen öffentlichen 354 Eintrag des Stadtschreibers Müller vom 25.9.1851, LaS, U315 (Stadtarchiv Deidesheim), Bd. 4171, Stadtratsprotokolle 1844–1860, fol. 531–535, hier fol. 531; Effler, Wasserversorgung, 1. Teil, S. 1. 355 Tagebucheinträge Ludwig Andreas Jordans vom 5. und 12.9.1851, LaS, V153 (Basser­ mann-Jordan), Bd. 35. Zu Hermann Nebel und seinem Werk siehe Benthien, Nebel. Zu den Deidesheimer Bauten siehe ebd., S.  286–291, 319. Dieses enge Zusammenspiel von Wirtschafts- und Bildungsbürgern sieht Jürgen Kocka als konstitutiv für das mäzenatische Handeln an. Siehe Kocka, Bürger als Mäzene, S. 36 f. 356 Die Beschreibung folgt: Landesamt für Denkmalpflege (Hg.), Kreis Bad Dürkheim, S. 159 f. 357 Ebd., S. 160.

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Brunnen, der von der Familie Jordan für 10.000 Gulden errichtet worden sei und den man der Stadt geschenkt habe.358 Ludwig Andreas Jordan stellte das Projekt am 13. September 1850 dem von ihm als Bürgermeister einberufenen Stadtrat vor. Er erläuterte, dass die Familie mit diesem Geschenk des verstorbenen Vaters gedenken wolle. Die Memoria taucht hier also in ihrer säkularisierten Variante wieder auf. Der Stadtrat schloss sich dem Plan sofort an und sicherte die nötige Unterstützung von Seiten der Gemeinde zu. Stadtschreiber Müller hob in seinen Notizen am Rande der Ratsprotokolle hervor, dass die Familie Jordan anschließend alles weitere »selbsthandelnd«359 durchgeführt habe. Die Einweihung des Brunnens wurde am 25.  September 1851 mit großem Aufwand zelebriert. Ein Festausschuss hatte die Feierlichkeiten intensiv vorbereitet.360 Diese begannen um 12 Uhr mittags mit Böllerschüssen. Anschließend zog eine Deputation des Stadtrates zum Haus der Jordans, um dort eine Dankadresse an die Familie Jordan zu verlesen. Die Familien Jordan, Buhl und Deinhard gingen dann, begleitet von der Stadtratsdeputation und zahlreichen Freunden, zum Brunnen. Dort wurden sie nicht nur vom Stadtrat empfangen, sondern auch von den Schülern Deidesheims, welche sich mit Blumenkränzen um die Familie versammelten. Hier verlas Ludwig Andreas Jordan die Stiftungsurkunde, die auf den großen Einsatz Andreas Jordans für die Belange Deidesheim verwies. Zum Schluss der Urkunde wurde auch auf die aktuellen Stifter Bezug genommen: »Möge diese Brunnenleitung unsern Mitbürgern zugleich Zeugniß geben von unserem eignen Wunsche soviel in unserer Kraft steht, zum Wohle unseres geliebten Deidesheim jetzt und künftig zu wirken.«361 Anschließend wurde eine Dankadresse des Stadtrates verlesen. Gemeinsam sang man ein auf den Brunnen und die Wohltaten der Stifterfamilie zugeschnittenes Lied. Dazu hatte man das bekannte Lied »Brüder reicht die Hand zum Bunde« etwas umgetextet.362 Der Brunnen erschien auf diese Weise als Teil eines Programms, das darauf abzielte, »Licht und Recht und Tugend [zu] schaffen.« Franz Peter Buhl taufte unter Zustimmung der Anwesenden den Brunnen 358 Boisserée, Tagebücher, Bd. IV, S. 943. 359 Eintrag des Stadtschreibers Müller vom 25.9.1851, LaS, U315 (Stadtarchiv Deidesheim), Bd. 4171, Stadtratsprotokolle 1844–1860, fol. 531–535, hier fol. 531. Der Eintrag Müllers ist auch zum Großteil wörtlich wiedergegeben in: Schnabel, Springen des Brunnens, S. 144–146. 360 Hierzu und zu dem Folgenden: Fest-Programm bei Gelegenheit der Übergabe des der Stadt Deidesheim durch die Familie des seligen Herrn Andreas Jordan zu dessen Andenken geschenkten Brunnens, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd.  392; Eintrag des Stadtschreibers Müller vom 25.9.1851, LaS, U315 (Stadtarchiv Deidesheim), Bd. 4171, Stadtratsprotokolle 1844–1860, fol. 531–535. 361 Eintrag des Stadtschreibers Müller vom 25.9.1851, LaS, U315 (Stadtarchiv Deidesheim), Bd. 4171, Stadtratsprotokolle 1844–1860, fol. 533. 362 Festlied zur Brunneneinweihung am 25.9.1851, LaS, V153, Bd. 392. Daraus auch das folgende Zitat.

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auf den Namen »Andreasbrunnen«. Im Anschluss daran wurden Backwaren an die Kinder ausgeteilt. Um 14 Uhr fand ein Festessen für ungefähr 100 geladene Gäste statt, bei dem zahlreiche Toaste und Reden, auch mit politischem Bezug, gehalten wurden. Abends wurde der Brunnen mit bengalischem Feuer illuminiert. Zudem fand ein großer Ball im Saal des Gasthauses zum bayerischen Hof statt. Auch den anderen Wirten in Deidesheim war es gestattet, eine Tanzveranstaltung durchzuführen. Stadtschreiber Müller hob in seiner Charakterisierung des Fests vor allem die Wohltätigkeit der Familie Jordan hervor. Er betonte aber auch die Harmonie des Festes und beschrieb die Feierlichkeiten als ein »wahres Verbrüderungsfest«363 der Gemeinde. Wirtschaftliche, soziale und politische Gegensätze erscheinen in seiner Darstellung aufgehoben in dem »Tag der Freude und des Friedens«364. In dieser Beschreibung zeigt sich deutlich die Wirkung der Stiftung als »Versuch einer sozialen Harmonisierung ›von oben‹«365. Dass hier durchaus soziale Unterschiede bestanden, zum Beispiel durch das exklusive Festessen, spielte für den Stadtschreiber keine Rolle. An der Beschreibung wird deutlich, wie stark die Wohltätigkeit inszeniert wurde. Die Familie als Spender wurde überhöht, geehrt und herausgehoben. Die Jordans waren keine gewöhnlichen Gemeindemitglieder, da sie für die Gemeinde Außerordentliches geleistet hatten. Dafür gelang es ihnen, das Andenken an Andreas Jordan hochzuhalten und sich selbst in ihrer Großzügigkeit darzustellen. Die Gemeinde war ihnen zu großem Dank verpflichtet, denn sie hätte ein solches Projekt sicher nicht stemmen können. Damit ist der Spende, dem Bau der Leitung und des Brunnens auch ein Subtext über das Verhältnis des Bürgers zum Staat eingeschrieben: Der Bürger packt die notwendigen Sachen selbständig an, mit denen der Staat allein überfordert ist. Parallel zu diesem Brunnengeschenk stifteten die Familien Jordan, Buhl und Deinhard 10.000 Gulden als Andenken an Andreas Jordan und seine Schwester Margarethe Kramer an das Deidesheimer Hospital. Hier wird auch deutlich, dass Spenden Macht bedeutet, denn »[w]er schenkt, befiehlt«366. So legten die Familien fest, dass dieses Geld zur Errichtung einer Kleinkinderbewahranstalt unter dem Dach des Hospitals verwendet werden sollte. Zudem sollte die Stiftung den Namen »Jordan’sche Stiftung für arme Kinder« erhalten. Die Stiftung sollte vom Verwalter des Hospitals unter Aufsicht der ­Hospitalskommission betreut 363 Eintrag des Stadtschreibers Müller vom 25.9.1851, LaS, U315 (Stadtarchiv Deidesheim), Bd. 4171, Stadtratsprotokolle 1844–1860, fol. 534. 364 Ebd. 365 So beschreibt Manuel Frey eine Intention der Stifter. Siehe Frey, Vom Gemeinwohl zum Gemeinsinn, S. 278. 366 Sarasin, Stiften und Schenken, S. 201.

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werden.367 In der Stiftungsurkunde wurde die sozialpolitische Stoßrichtung dieser Stiftung besonders deutlich, denn es sollten nur Kinder armer Eltern im Alter von 2 bis 7 Jahren aufgenommen werden. Die Kleinkinderbewahranstalt sollte sie des »Bettels […] entwöhnen« und hatte die Aufgabe bei den Kindern »eine freie Entwicklung ihrer physischen Kräfte zu befördern, ihrem Gemüthe eine sittliche, religiöse Richtung zu geben, sie zur Ordnung und Reinlichkeit, zum Gehorsam und Fleiße zu erziehen und durch Beibringung der ihrem Alter angemessenen Kenntnisse zur Volksschule vorzubereiten«368.

Im Grunde ist das ein Verbürgerlichungsprogramm im Kleinen. Vor Ort, im Lokalen, wollte die Familie Jordan dieses Erziehungsprogramm bürgerlicher Tugenden verwirklichen. Der Blick der Jordans auf die Kleinkinderbewahranstalten ist durchaus zeittypisch. Bereits seit ihrer Durchsetzung in Bayern in den 1830er Jahren verbanden Pädagogen und Sozialreformer mit den Anstalten die Hoffnung, die Kinder auf diese Weise zu einer bürgerlichen Lebensweise erziehen zu können.369 Zu ihrem großen Durchbruch gelangten die Kleinkinderbewahranstalten allerdings erst nach 1848, als sich auch der staatliche Blick auf die Kleinkinderbewahranstalten änderte.370 Insbesondere dem bayerischen König Maximilian II. war die Lösung der »sozialen Frage« ein besonderes Anliegen. Der Staat förderte daher nach 1848 die Einrichtung von Kleinkinderbewahranstalten deutlich stärker als vorher, da er in ihnen eine Möglichkeit sah, die Kinder zu einem geregelten Tagesablauf zu erziehen. Zudem sollten die Mütter auf diese Weise auch einer Erwerbstätigkeit nachgehen können und so das Familieneinkommen stabilisieren. Vor allem der ländliche Raum in Bayern hatte in dieser Hinsicht noch einen großen Nachhol­ bedarf. Dort fehlten häufig die Ressourcen, um die nach wie vor in privater Trägerschaft organisierten Kleinkinderbewahranstalten zu finanzieren.371 So gab es im gesamten Pfalzkreis 1851/52 insgesamt nur sechs Kleinkinderbewahranstalten.372 Die Jordans schlossen also mit ihrer Großspende eine finanzielle Lücke, die der Staat oder die Gemeinde ansonsten kaum hätten schließen können. 367 Antrag des bayerischen Innenministeriums an König Maximilian II. zur Genehmigung der Stiftung, München, 29.8.1851, BHstaM, MInn, Bd. 39677. 368 Schenkungs-Urkunde der Jordanschen Kinderschule, Deidesheim, 17.11.1851, LaS, U315 (Stadtarchiv Deidesheim), Bd.  2523. Die Stiftungsurkunde ist auch teilweise wieder­ gegeben in: Schnabel, Geschichte des Spitals, S. 151. 369 Lange, Kleinkindererziehung, S. 53 f., 99 f. Lange untersucht das Thema unter einer rechts-, institutionen- und sozialgeschichtlichen Perspektive. Aus der Geschichte der Pädagogik kommend siehe u. a. Franke-Meyer, Kleinkinderziehung und Kindergarten; Erning/ Neumann/Reyer (Hg.), Geschichte des Kindergartens, 2 Bde. Zur Rolle des Bürgertums bei der Institutionalisierung der Kleinkinderziehung siehe auch Reyer, Mütter. 370 Lange, Kleinkindererziehung, S. 175–225. 371 Ebd., S. 204. 372 Ebd., S. 308 f.

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Gleichzeitig entzogen die Jordans diese Domäne damit auch dem Bereich der Kirche. Sie griffen auf diese Weise erneut in die Auseinandersetzungen um die Ausrichtung des Hospitals ein, die bereits in den 1840er Jahren die Gemüter in Deidesheim erhitzt hatten.373 1847 hatten die liberalen Bürger Deidesheims die Übergabe der Hospitalsbetreuung an die Barmherzigen Schwestern endgültig verhindert. 1850 wurde das Hospital dann reorganisiert und die Hospitalskommission veröffentlichte die neuen Statuten des jetzt sogenannten »Bürger-Hospitals«, da dort nur Deidesheimer und Niederkirchener Bürger aufgenommen werden durften.374 In den Statuten war festgelegt, dass nur ganz arme, kranke oder alte Menschen als Pfründner in Frage kamen, die nicht in der Lage waren, ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen und keine Verwandten mehr hatten, die für sie aufkommen konnten. Zudem waren der Tagesablauf und die Aufgaben der aufgenommenen Armen und Kranken bis ins kleinste Detail geregelt. Selbst die Bestandteile der Mahlzeiten waren genau aufgeführt. Die Statuten zeigen damit sehr anschaulich, dass die Bewohner des Hospitals keinen »Müßig­ gang« pflegen sollten, sondern, ihrer körperlichen Verfassung entsprechend, mit Arbeit zum Wohle des Hospitals beitragen mussten. Der sozialmoralische Anspruch der Einrichtung führte somit auch zu einer in den Statuten ausformulierten strikten Kontrolle und Überwachung durch das Personal. Die gesellschaftspolitischen Ambitionen, welche das Bürgertum mit den Wohlfahrtsstiftungen verband, hatten somit auch ihre Kehrseite. Die propagierte Selbständigkeit des Individuums als Grundlage des liberalen Weltbildes galt offenbar nur für die Wohlhabenden, die Armen sahen sich hingegen einer strengen Überwachung ausgesetzt, unter der sie den Weg in die bürgerliche Gesellschaft finden sollten oder zumindest nur kontrolliert aus dieser herausfallen durften.375 Mit der Jordan’schen Stiftung oblag jetzt auch die Verwaltung der Kleinkinderbewahranstalt dem Bürger-Hospital und wurde nicht von geistlichen Brüdern oder Schwestern durchgeführt, wie es kirchliche Vertreter noch in den 1840er Jahren gefordert hatten.376 An der religiösen Komponente des Erziehungsprogramms wird aber auch deutlich, dass es nicht um eine antireligiöse Erziehung ging, sondern dass die Position der katholischen Familie Jordan antiklerikal war. Man wollte der Kirche und ihren Predigern einer vermeintlich rückwärtsgewandten Ideologie das Feld der Sozialfürsorge und damit auch die Beeinflussung der Deidesheimer Armen nicht überlassen. 373 Siehe Kapitel 5.2.1. 374 Statuten des Bürger-Hospitals zu Deidesheim, Neustadt an der Haardt 1850. Zu diesem Aspekt des bürgerlichen Stiftungswesens siehe Schulz, Mäzenatentum, S. 251. 375 Michel Foucault hätte an diesem Beispiel der totalen Kontrolle in der liberalen bürgerlichen Gesellschaft seine Freude gehabt. Siehe Foucault, Überwachen. 376 Zu der Betreuung von Kleinkinderbewahranstalten in Bayern durch katholische Schwesterngemeinschaften siehe Lange, Kleinkindererziehung, S. 224 f.

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Die Hospitalskommission, der Ludwig Andreas Jordan als Bürgermeister vorsaß, nahm die Stiftung selbstverständlich an und bestimmte, dass der Festtag des hl. Andreas, der 30. November, zukünftig immer ein Feiertag für die Kinder und das Personal der Kleinkinderbewahranstalt sein sollte. An diesem Tag sollte für die Familie Jordan auch ein Hochamt in der Hospitalskapelle stattfinden.377 Aus dieser Bestimmung und der Kinderverköstigung beim Brunnenfest entwickelte sich in Deidesheim der Brauch, dass die Kinder am 30. November zum Andreasbrunnen ziehen und dort eine Brezel erhalten. Dieser Brauch wird auch heute noch durchgeführt.378 Es ist der Familie offensichtlich nachhaltig gelungen, das Gedächtnis an Andreas Jordan als Wohltäter der Gemeinde hochzuhalten. Die Stiftung musste aufgrund der Gesetzeslage von der Regierung geprüft und vom bayerischen König genehmigt werden. Um die wohltätige Absicht der Stifter zu unterstreichen, verwies die Regierung der Pfalz in ihrem Antrag an den König auch auf die Wasserleitungs- bzw. Brunnenstiftung der Familien.379 Maximilian II. genehmigte die Stiftung am 31.  Dezember 1851. Die Stiftung wurde daraufhin auch im Regierungsblatt für das Königreich Bayern und im Königlich Bayerischen Amts- und Intelligenzblatt für die Pfalz veröffentlicht.380 Dafür, dass die Stiftung der Kleinkinderbewahranstalt und des Brunnens nicht nur in Deidesheim wahrgenommen wurde, sorgten auch zwei Artikel in der Pfälzer Zeitung und in der Neuen Speyerer Zeitung. Die Pfälzer Zeitung war ein konservatives Blatt, sodass die Ausführlichkeit, mit der sie die Wohltätigkeit der Jordans darstellte, zunächst überrascht. Sie hob hervor, dass die Familie Jordan »in ihrem Wohlthun bei jeder Gelegenheit mit schönem Beispiel«381 vorangehe. Bei der Wasserleitung und dem Brunnen pries sie nicht nur den Geschmack der Stifter, sondern auch die Nützlichkeit der Spende. In Bezug auf die Kleinkinderbewahranstalt stellte sie heraus, dass der Familie Jordan »die geistige Hebung und sittliche Veredelung der ärmeren Volksklassen« am Herzen liege. Die Pfälzer Zeitung empfahl die Wohltätigkeit der Familie als leuchtendes Beispiel, an dem sich die ganze Pfalz orientieren solle. Offensichtlich gab es hier zwischen dem Liberalismus der Jordans und dem Konservatismus der­ Pfälzer Zeitung Schnittfelder.382 377 Schnabel, Geschichte des Spitals, S. 151. 378 Siehe z. B. den Artikel »Kinder feiern den Andreastag«, in: Die Rheinpfalz Nr.  278 vom 30.11.2010. 379 Schreiben der Königlichen Regierung der Pfalz, Kammer des Innern, an den König von Bayern, Speyer, 18.12.1851, betreff »Die Schenkung der Erben des verlebten Gutsbesitzers Andreas Jordan zu Deidesheim, an das dortige Hospital«, BHstaM, MInn, Bd. 39677. 380 Regierungsblatt für das Königreich Bayern Nr. 2 vom 7.1.1852, Sp. 48; Königlich Bayerisches Amts- und Intelligenzblatt für die Pfalz Nr. 12 vom 21.2.1852, S. 91. 381 O. V., Deidesheim, 25. September, in: Pfälzer Zeitung Nr. 231 vom 30.9.1851, S. 1. Daraus auch die folgenden Zitate. 382 Siehe dazu auch das Kapitel 5.4.3.

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Die Neue Speyerer Zeitung setzte in schärferer Sprache andere Akzente, denn sie ordnete die Wohltätigkeit der Familie in die politischen Zeitläufte ein. Zunächst hob auch sie die Rolle der Familie Jordan als Beispiel für wohlverwendeten Reichtum hervor. Dazu führte sie aus: »Hier hat die richtige Ansicht über den wahren Wert des Reichthums und der daraus hergeleitete edle Gebrauch desselben durch die Begründung schöner und nützlicher öffentlicher Anstalten den großen Gutsbesitzern die allgemeine Hochachtung zugewendet, die sich aufs wesentliche von der stupiden Kriecherei des Pöbels vor dem Reichthum überhaupt unterscheidet.«383

Nach dieser Einleitung berichtete die Neue Speyerer Zeitung vor allem über das Festessen. Die Trinksprüche Jordans und Buhls »Auf die deutsche Ehre« beziehungsweise »Auf die deutsche Treue« seien sehr passend gewesen und hätten darauf verwiesen, dass die »Nation an ihrer großen künftigen Bestimmung zur Einheit und wahren Freiheit« festhalte. Zudem stellte die Zeitung als Ehrengäste zwei schleswig-holsteinische Militärs heraus, darunter der damals berühmte General Ludwig von Wissel. Daher fehlten auch nicht die Trinksprüche auf die Kämpfe um Schleswig-Holstein und »seine künftige Wiedervereinigung mit dem gemeinsamen, um es trauernden Vaterlande«. Das Fest wurde für die Neue Speyerer Zeitung somit nicht zu einem Verbrüderungsfest der Gemeinde, wie für den Stadtschreiber, sondern zu einem Symbol für die Verbrüderung der Nord- und Süddeutschen im Hinblick auf die Zukunft in einem geeinten Deutschland. Anspielend auf die gescheiterte Revolution von 1848 urteilte die Zeitung über die »hervorragenden Männer Deidesheims, […] daß nach dem, was zu Tage liegt, diese Männer ihren Trost nur darin suchten, Gutes zu wirken in jeglichem Lebenskreise, das Beste aber in wahrer, treuer Vaterlandsliebe anzustreben für die Zukunft«. Mit ihren Stiftungen hatte die Familie Jordan somit viel erreicht. Sie hatte sich für den sozialen Frieden in Deidesheim eingesetzt und ihr Ansehen vor Ort und in der Pfalz deutlich erhöht. Ihre Wohltätigkeit erschöpfte sich nicht mehr in wenig wirksamen Geldspenden, sondern war jetzt langfristiger angelegt. Es ging um die »fortschrittliche« Entwicklung Deidesheims. Hier zeigt sich ein Sozialliberalismus, der mit hygienischen Maßnahmen und dem Aufbau von Bildungsinstitutionen vor allem das Leben der Unterschichten verändern und ihnen einen Weg in eine materiell gesicherte Zukunft ermöglichen will.384 Gleichzeitig führten Brunnen und Kleinkinderbewahranstalt den Deidesheimern tagtäglich vor Augen, welchen Einsatz die Familie für die Stadt gezeigt 383 O. V., Aus der Pfalz, Neue Speyerer Zeitung Nr. 240 vom 7.10.1851, S. 1. Daraus auch die folgenden Zitate. 384 Zum aktuellen Stand der Forschungen zum »Sozialliberalismus« siehe Lehnert (Hg.), Sozialliberalismus.

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hatte. Zudem wurde das Engagement durch Zeitungen und Gesetzesblätter regional und überregional publik gemacht. Die in der Einleitung zitierte Passage aus der 1856 verfassten Charakterisierung der Pfälzer durch den Schriftsteller August Becker, in der er die Wohltätigkeit der Familie Jordan als Beispiel für »wohlverwendeten Reichtum« des Weinbürgertums hervorhebt, hat auch hier ihre Wurzeln. Anders als der vor allem für das Kaiserreich pointiert herausgearbeitete »Kommunalliberalismus«385 war diese Form der Sozialpolitik jedoch keine staatlich-bürokratisch dominierte Angelegenheit. Sie wurde von den Familien Jordan, Buhl und Deinhard in die Wege geleitet, finanziert und zum Teil auch organisiert. Auf diese Weise demonstrierten sie mit ihren Stiftungen die lokale Handlungsfähigkeit des Bürgertums gegen die Bürokratie und die Amtskirche. Im sozialen Bereich war das kein Problem. Dass dieser bürgerliche Machtanspruch im Bereich des Politischen in der Reaktionszeit deutlich schwieriger durchzusetzen war, zeigt sich am Beispiel des Deidesheimer Fahnenstreits.

5.4.2 Kampf gegen das Reaktionssystem: Deidesheimer Fahnenstreit und Reform der Pfälzer Gemeindeverfassung Nach der Revolution von 1848/49 mit dem Pfälzer Separatismus in der Endphase war die Kreisregierung bestrebt, in den Landgemeinden und Städten regierungstreue Amtsträger durchzusetzen. Gemeinde-, Stadträte, Bürgermeister und Adjunkten, die in der Reichsverfassungskampagne die revolutionäre Regierung unterstützt hatten, wurden aus ihren Ämtern entfernt. Die Möglichkeit dazu bot die Kommunalverfassung der Pfalz, die zum Großteil noch auf den Gesetzen aus der Zeit der Zugehörigkeit zu Frankreich basierte.386 Insbesondere griff man auf das Gesetz vom 28. Pluviôse VIII (17. Februar 1800) aus der Zeit der Napoleonischen Konsulatsregierung zurück. In Artikel 20 des Gesetzes war festgelegt, dass der Gemeinderat sowie der Bürgermeister und die Adjunkten vom Präfekten bestimmt wurden. Der Präfekt hatte daher auch das Recht, die Gemeinderatsmitglieder, den Bürgermeister oder die Adjunkten zu suspendieren.387 Diese Bestimmungen galten im Prinzip auch in der bayerischen Zeit weiter, mit dem Unterschied, dass der Präfekt jetzt durch den Regierungspräsidenten ersetzt wurde. Mit der Veröffentlichung der neuen bayerischen Verfassung 1818 wurden die Bestimmungen in Bezug auf den Gemeinderat etwas 385 Siehe u. a. Langewiesche, Kommunaler Liberalismus. 386 Heß, Kommunalverfassung; Croon, Gemeindeordnung. 387 Loi concernant la division du territoire de la République et l’administration du 28 Pluviôse, an VIII de la République une et indivisible, in: Bulletin des lois de la République, série 3, tome 1, No. 17, S. 1–8, hier S. 7.

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modifiziert. Da dieser die Ausgangsbasis für die Wahlen zur Kammer der Abgeordneten bildete, wurde festgelegt, dass der Gemeinderat von der Gemeinde zu wählen und nicht vom Regierungspräsidenten zu ernennen sei. 1837 wurden die Gemeinderatswahlen im Hinblick auf das aktive und passive Wahlrecht noch einmal genauer spezifiziert. Der Bürgermeister und die Adjunkten wurden jedoch weiterhin vom Regierungspräsidenten ernannt. Vor diesem Hintergrund spielte sich eine heftige Auseinandersetzung mit der Regierung der Pfalz ab, die Ludwig Andreas Jordan seine staatlich begrenzte Rolle als Bürgermeister in der Reaktionszeit deutlich vor Augen führte. Dabei ging es um den sogenannten Deidesheimer »Fahnenstreit«. Den Rahmen dieser Demonstration staatlicher Macht bildete ein mehrwöchiger Besuch des ehemaligen bayerischen Königs Ludwig in der Pfalz. Dieser reiste am 6. Juli 1852 gemeinsam mit seiner Frau zur Einweihung seines neuen Schlosses »Villa L ­ udwigshöhe« oberhalb von Edenkoben, das seit 1846 im Stil toskanischer Adelsvillen gebaut und endlich fertig gestellt worden war. Der ehemalige König wollte seinen Aufenthalt im Pfalzkreis auch nutzen, um ein politisches Signal an die Pfälzer zu senden. Er wollte nach den Kämpfen um die Reichsverfassung 1849 und dem anschließenden militärisch-juristischen Vorgehen gegen die Pfälzer das Verhältnis wieder normalisieren. »Die Majestät […] wollte mit diesem Besuch ein Zeichen der Versöhnung geben: Das Königspaar verzeiht mit dieser Geste gnädig dem aufständischen pfälzischen Volk.«388 Der Besuch wurde von Regierungspräsident Hohe intensiv vorbereitet, da kein Zwischenfall die Reise des ehemaligen Königs stören sollte. Er erließ Anweisungen an die Landkommissariate, wie man Ludwig und seine Gemahlin bei ihren Ausflügen zu empfangen habe. Die Landkommissäre instruierten entsprechend auch die Bürgermeister der in ihrem Bezirk liegenden Gemeinden. In den Anweisungen war unter anderem festgelegt, dass Ludwig mit gebührendem Respekt zu empfangen sei. Zudem sei »das zur Schaustellen oder zur Schau­ tragen anderer als die Bayerischen Landesfarben (weiß und blau) […] als eine böswillige Demonstration anzusehen und zu behandeln«389. Alle Ortschaften hielten sich an diese Anweisungen bis auf eine  – Deidesheim! Dort kam es zu einem kuriosen Vorfall. Als Ludwig am 23. Juli 1852 auf dem Weg nach Dürkheim auch durch Deidesheim kam, hatten einige Bewohner ihre Häuser nicht nur mit der bayerischen Fahne geflaggt, sondern daneben auch die schwarz-rot-goldene Fahne aufgesteckt, die natürlich an die 1848er Revolution und die Reichsverfassungskampagne 1849 erinnerte. Neben Buhl und Deinhard provozierten die Gutsbesitzer Kimich, Friedrich Seyler, Theodor­ Goerg, Eduard Giessen und die Witwe Eckel damit den ehemaligen König und

388 Ziegler, Jahre der Reaktion, S. 123. 389 Zitiert nach Kermann, Tendenzen, S. 225.

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den Regierungspräsidenten.390 Ludwig Andreas Jordan hatte als Bürgermeister ordnungsgemäß die staatlichen Verfügungen verlesen und anschlagen lassen, doch fuhr er selbst am 23. Juli zu den Distriktratswahlen nach Dürkheim und war daher nicht anwesend, als der frühere König durch Deidesheim kam. Seine Vertreter, die Adjunkten Johann Wendel Cörver und Johann Adam Häusling versäumten es, Ludwig, der in Deidesheim die Pferde wechselte, zu empfangen. Stattdessen begrüßte der Küfer Nobis den ehemaligen König per Handschlag und behielt dabei auch noch den Hut auf. Ludwig fühlte sich von den Fahnen und dem Gebaren der Deidesheimer zutiefst beleidigt. Als Jordan und Buhl von der Reaktion des früheren Königs erfuhren, suchten sie diesen um eine Audienz nach, die ihnen am 27. Juli gewährt wurde. Da­ raufhin fuhren sie zur Villa Ludwigshöhe und versuchten, Ludwig deutlich zu machen, dass die Deidesheimer mit den Fahnen nur ihren deutschen Gesinnungen Ausdruck verleihen wollten. Auch Ludwig hege ja deutsche Gefühle. Der ehemalige König war jedoch sehr ungnädig. Er hielt einen Monolog über seine deutschen Empfindungen und Ludwig Andreas Jordans politische Position auf der Linken. Daher ließen die beiden Gutsbesitzer den ursprünglichen Plan fallen, Ludwig zu einem Essen nach Deidesheim einzuladen. Das hatte Ludwig Andreas Jordan im Grunde sowieso nicht gepasst, denn ihm war »eine solche Demonstration […] unangenehm«391 und er hätte nur »wieder eine Rolle […] spielen müssen«392, zumal seine Frau wie häufig in dieser Zeitspanne zur Kur in Schwalbach weilte und den Empfang des ehemaligen Königs nicht hätte organisieren können. Regierungspräsident Hohe nutzte die Gelegenheit dann, um an den Deidesheimern ein Exempel zu statuieren. Er erließ am 27. Juli 1852 eine Verfügung, die es in sich hatte. Unter Berufung auf das Pluviôse-Gesetz ordnete er die Entlassung von Kimich und Seyler aus dem Deidesheimer Stadtrat an. Es sei »an der Zeit, eine Purification des Stadtrathes eintreten zu lassen, und Männer aus demselben zu entfernen, die die Ehre ihrer Stadt nicht zu wahren wissen.«393 Gleichzeitig wurden auch die beiden Adjunkten Cörver und Häusling abgesetzt, denn »[w]er so wenig Takt und so viel Mangel an Bildung bekundet, daß er trotz der ertheil­ ten Belehrung die ersten Pflichten eines öffentlichen Bediensteten versäumt, zu dem kann nicht vertraut werden, daß er den Bürgermeister in Handhabung der Lokal­ polizey unterstützen werde«. 390 O. V., Deidesheim, in: Neue Speyerer Zeitung Nr. 190 vom 8.8.1852, S. 1. 391 Ludwig Andreas Jordan an Seraphine Jordan, Deidesheim, 24.7.1852, Briefsammlung Hauck, Briefe 1849–1858. 392 Ludwig Andreas Jordan an Seraphine Jordan, Deidesheim, 27.7.1852, Briefsammlung Hauck, Briefe 1849–1858. 393 Verfügung des Präsidiums der königlich-bayerischen Regierung der Pfalz, Speyer, 27.7.1852, LaS, U315 (Stadtarchiv Deidesheim), Bd. 1110. Daraus auch die folgenden Zitate. Die Verfügung wird zum Teil wörtlich wiedergegeben bei Kermann, Tendenzen, S. 225–227.

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Doch damit nicht genug, drohte der Regierungspräsident den anderen Gutsbesitzern, welche die deutsche Fahne geflaggt hatten, auch noch mit dem Militär: »Wenn solche Bürger und Bürgerinnen in Mißachtung obrigkeitlicher Anordnungen mit schlechtem Beispiel vorausgehen und das Panier aufstecken, das im Jahre 1849 von Hochverräthern zur Erregung von Aufruhr und allgemeiner Unordnung mißbraucht worden ist, dann müssen sie sich auch nicht wundern, wenn der unterzeichnete k[öni]gl[iche] Regierungs-Präsident bey der ersten Unordnung die Waffengewalt gegen sie wendet und ihre Verantwortlichkeit und ihren Geldbeutel für die Kosten in Anspruch nimmt […].«

Anschließend wies der Regierungspräsident die Stadt Deidesheim noch darauf hin, dass »[w]enn die Bürger der Stadt Deidesheim nicht wissen, was sich ziemt, […] sie in dem Beispiele der Landgemeinden Belehrung suchen« sollen. Diese Verordnung wurde an alle pfälzischen Landkommissäre mit dem Hinweis geschickt, sich daran zu orientieren.394 Nachträglich wurde auch noch Eduard Giessen aus dem Stadtrat entlassen.395 Die drei abgesetzten Stadtratsmitglieder legten zwar bei der Regierung Protest dagegen ein. Dieser wurde jedoch abgewiesen.396 Über das Vorgehen der Regierung war Ludwig Andreas Jordan sehr aufgebracht. Die Verfügung Hohes sei »voll Zorn und Rache«397. Seiner Frau offenbarte er: »Ich bin im tiefsten Innern indignirt.«398 Er rechnete auch fest mit seiner Absetzung, denn eine Folge des Streits sei die »Todfeindschaft mit der Regierung«399. Wie er seiner Frau schrieb, wünsche »Buhl […] nichts lebhafter als einen solchen Streich und ich werde mich in mein Schicksal ergeben, sehne ich mich ja ohnehin schon lange aus dieser Poli­zeiwirthschaft.« Er durfte jedoch zu seiner Überraschung weiteramtieren, da er an dem Tag der Durchreise nicht anwesend gewesen war. Aufgrund der Art und Weise des Regierungsvorgehens und seiner Position als Bürgermeister von Regierungsgnaden beschloss er, seinen Rücktritt als Bürgermeister einzureichen. Darum verfasste er ein Schreiben an die Regierung, mit dem er seine Entlassung verlangte und »gegen die brutale Art der Absetzungen«400 protestierte. 394 Kermann, Tendenzen, S. 227. 395 Landcommisariat Neustadt an Bürgermeisteramt Deidesheim, 3.8.1852, LaS, U315 (Stadtarchiv Deidesheim), Bd. 1110. 396 Das Königlich-Bayerische Land-Commissariat an das Bürgermeisteramt Deidesheim, Neustadt, 6.8.1852, LaS, U315 (Stadtarchiv Deidesheim), Bd. 1110; Regierung der Pfalz an Königliches Staatsministerium des Innern, Speyer, 3.9.1852, BHstaM, MInn, Bd. 59965. 397 Ludwig Andreas Jordan an Seraphine Jordan, Deidesheim, 1.8.1852, Briefsammlung Hauck, Briefe 1849–1858. 398 Ebd. 399 Ludwig Andreas Jordan an Seraphine Jordan, Deidesheim, 27.7.1852, Briefsammlung Hauck, Briefe 1849–1858. 400 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 2.8.1852, LaS, V153 (Bassermann-­ Jordan), Bd. 36.

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Damit war Ludwig Andreas Jordans Amtszeit als Bürgermeister spektakulär zu Ende gegangen. Der Neustädter Landkommissär Kurz, selbst so erbost über die Deidesheimer Insubordination, dass er aus dem Landwirthschaftlichen Verein der Pfalz austrat, um nicht weiter mit den aufmüpfigen Deidesheimer Gutsbesitzern verkehren zu müssen, bedauerte den Rücktritt, wie er Jordan mitteilte. Die ganze Affäre sei leicht zu vermeiden gewesen, wenn sich alle an seine Anweisungen gehalten hätten. Wie wolle man den einfachen Stadtbewohnern die Achtung vor der Autorität beibringen, »wenn gerade die Mitglieder der Gemeindeverwaltung es sind, welche den Erlassen von Oben Hohn sprechen«401? Es sei sehr schade, schrieb er Jordan, dass »Ihre Auffassungsweise ganz von der meinigen abweicht«. Die Auseinandersetzung über das Anbringen der deutschen Fahnen schlug nicht nur in Deidesheim hohe Wellen. Alle pfälzischen Zeitungen berichteten über den Vorfall. Die Neue Speyerer Zeitung, die nach der Märzrevolution von der Kreisregierung immer stärker drangsaliert wurde, rückte den Fahnenstreit in die deutschen Zusammenhänge ein. Der Beschluss, schwarz-rot-gold zu den deutschen Farben zu erklären, sei bereits im März 1848 von der Bundesversammlung des Deutschen Bundes getroffen worden und von dieser bis heute nicht zurückgenommen worden. Man könne daher nichts Aufrührerisches in der Verwendung der Fahnen erkennen. Im Gegenteil sei es verwunderlich, dass die Bundesfarben »von Provincialbeamten verpönt[sic]«402 würden. Dann dürfe man sich mittlerweile wohl auch nicht mehr »nach einem deutschen Vaterlande« sehnen. Auch in den folgenden Ausgaben griff das Blatt die Vorfälle in Deidesheim immer wieder auf. Hier wurden die Deidesheimer Bürger als mutige Kämpfer für die deutsche Sache stilisiert. Die abgesetzten Stadtratsmitglieder könnten auf ihre Tat und die Folgen stolz sein.403 Im letzten Artikel der Neuen Speyerer Zeitung zu diesem Thema wurde die »Deidesheimer Fahniade«404 ironisch, aber mit einem bitteren Unterton kommentiert. Der Verfasser stellte zunächst fest, dass die schwarz-rot-goldene Fahne, die bis jetzt noch vor dem Gebäude der Bundesversammlung in Frankfurt geweht habe, seit dem 13. August eingeholt sei. Er fragte sich, ob hier wohl ein Zusammenhang zu den »bösen sieben Deidesheimer schwarz-rot-goldenen« bestehe, eine Anspielung auf die berühmten Proteste der liberalen »Göttinger Sieben« gegen die konservativ-autoritäre Politik des Hannover’schen Königs Ernst August I. im Jahr 1837. Letztendlich seien die Deides 401 Landkommissar Kurz an Ludwig Andreas Jordan, Neustadt, 16.8.1852, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 392. Daraus auch das folgende Zitat. 402 O. V., Deidesheim, in: Neue Speyerer Zeitung Nr. 193 vom 12.8.1852, S. 1. Daraus auch das folgende Zitat. 403 O. V., Vom Gebirge, in: Neue Speyerer Zeitung Nr. 198 vom 18.8.1852, S. 2. 404 O. V., Aus der Pfalz, in: Neue Speyerer Zeitung Nr. 201 vom 21.8.1852, S. 2. Daraus auch die folgenden Zitate.

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heimer Gutsbesitzer wohl nicht dafür verantwortlich zu machen, es sei ohnehin nur eine Frage der Zeit gewesen, bis die Fahne eingeholt werde. »Die Schnitter« hätten bereit gestanden, um diese Saat zu ernten. Anspielend auf die politische Lage in Deutschland stellte der Verfasser fest, dass jetzt Herbst sei und dann Winter komme. Aber danach, und hier machte er deutlich, dass er für Deutschland doch noch Hoffnung sah, »kommt das Frühjahr mit seinen Blumen«. Die konservative Pfälzer Zeitung, die mit Hilfe ihrer zunehmend monopol­ artigen Stellung bei regierungsamtlichen Veröffentlichungen in der Reaktions­ zeit zur führenden Pfälzer Tageszeitung aufstieg, nahm in der Auseinandersetzung eine vermittelnde Position ein. Sie wies darauf hin, dass Jordan und Buhl zwar »Gothaer« seien, aber keine »Antimonarchisten« oder »Dynastienvertilger«.405 Die Fahnen seien daher keine antimonarchische Demonstration gewesen, sondern Ausdruck einer deutschen Gesinnung. Die schwarz-rot-goldenen Fahnen könnten auch nicht einfach als Symbol für die Rolle der Pfalz in der Reichsverfassungskampagne interpretiert werden, denn diese Farben seien noch danach von der bayerischen Armee und den Truppen der Bundesfestungen weiterverwendet worden.406 Bei der Absetzung der Adjunkten und Stadträte schlug sich die Zeitung allerdings auf die Seite der Regierung. Diese sei erfolgt, weil sie eine Anordnung der Kreisregierung nicht befolgt und damit der Autorität nicht den nötigen Respekt bezeugt hätten.407 Die Zeitung nahm dabei Bürgermeister Jordan ausdrücklich in Schutz. Er habe die Deidesheimer über die A ­ nordnungen der Kreisregierung ordnungsgemäß informiert. Die Pfälzer Zeitung forderte die Bewohner der Kleinstadt auf, jetzt nicht »den Weg der Mäßigung« zu verlassen. Auch in anderen bayerischen Regionalblättern und überregional wurde über das Ereignis berichtet. Hier wurde die Berichterstattung über den »Deidesheimer Fahnenstreit«, je nach politischem Lager, von einer der beiden bekanntesten Pfälzer Zeitungen übernommen und damit in die eigene Weltsicht eingeordnet.408 Der Deidesheimer Fahnenstreit hatte den liberalen Pfälzern deutlich vor Augen geführt, mit welchem autoritären System der Pfalzkreis regiert wurde. Damit hob sich dieser von den anderen bayerischen Kreisen ab, deren Kommunalverfassung ein solch striktes Aufsichtsrecht des Staates nicht kannte. Das hatten die Pfälzer Liberalen im Vormärz noch zähneknirschend hingenommen. 405 Alle Zitate aus O. V., Kommentar zum Artikel der Frankfurter Postzeitung vom 27.7.1852, in: Pfälzer Zeitung Nr. 181, 1.8.1852, S. 1 f., hier S. 2. 406 O. V., Deidesheim, in: Pfälzer Zeitung Nr. 183 vom 4.8.1852, S. 1. 407 O. V., Vom Haardtgebirge, in: Pfälzer Zeitung Nr. 192 vom 14.8.1852, S. 1. Daraus auch das folgende Zitat. 408 Siehe zum Beispiel O. V., Deidesheim, in: Fränkischer Kurier Nr. 222 vom 9.8.1852, S.  1; o.V., Deidesheim, in: Fränkischer Kurier Nr.  226 vom 7.8.1852, S.  2; o.V., Vermischte Nachrichten, in: Fürther Tageblatt Nr.  192 vom 11.8.1852, S.  1; o.V., Bayern, in: Münchener Herold Nr. 183 vom 3.8.1852, S. 2; o.V., Deidesheim, in: Münchener Herold Nr. 199 vom 21.8.1852, S. 2; o.V., Bayern, in: Die Volksbötin Nr. 191 vom 8.8.1852, S. 1.

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Mit der extensiven Auslegung des Gesetzes nach 1848/49 verletzte die Kreisre­ gie­rung jetzt allerdings einen Kernbereich des liberalen Selbstverständnisses – die Autonomie der Gemeinde.409 Die Gemeinde galt den Liberalen als Keimzelle des Staatsaufbaus. Hier sollten die Bürger selbständig, ohne staatliche Gängelung, die Gemeindepolitik bestimmen dürfen, auf diese Weise die Weiterentwicklung der Gemeinde fördern und gleichzeitig grundlegende politische Erfahrungen sammeln, die man auch auf der überlokalen politischen Ebene einbringen konnte. Gustav Struves Sicht, der im »Gemeindeleben eine Vorbereitungsschule des Staatslebens«410 sah, ist hier durchaus repräsentativ. Bereits im Juli 1848 hatte Ludwig Andreas Jordan bei seiner Bürgermeisterwahl in seinem öffentlich verkündeten Arbeitsprogramm die Hoffnung ausgedrückt, dass die Rechte der Gemeinde durch die von der Paulskirche ausgearbeiteten Grundrechte gestärkt würden. In der Tat hatte die Paulskirchenversammlung das Thema in der Debatte über die Grundrechte aufgegriffen und die Bestimmungen als § 184 in die am 28. März 1849 verabschiedete Verfassung integriert. Dort wurde »die Wahl ihrer Vorsteher und Vertreter«411 als Grundrecht jeder Gemeinde festgelegt. Mit dem folgenden Scheitern der Reichsverfassung konnte diese Bestimmung nicht umgesetzt werden. 1852 brachte dann der Pfälzer Abgeordnete Friedrich Wilhelm Rebenack ein Gesetz in die Kammer der Abgeordneten ein, wonach der Absatz 20 des Pluviôse-Gesetzes im Pfalzkreis abgeschafft werden sollte. Der Antrag wurde allerdings am 10. Mai 1852 mit der knappen Stimmenmehrheit von 55 zu 48 abgelehnt.412 Die Vorgänge in Deidesheim unterstrichen jetzt noch einmal die Dringlichkeit für die Liberalen, gegen das Gesetz vorzugehen. Dabei bildete die Posse um die Deidesheimer Beflaggung nur den Auftakt zu einer groß angelegten Säuberungsaktion der Kreisregierung in den Gemeinderäten. Den Anlass dazu boten die für März bis April 1853 anstehenden Wahlen der Gemeindevertretung und die anschließende Ernennung der Bürgermeister.413 409 Die große Bedeutung der Gemeinde für den Liberalismus hat insbesondere Paul Nolte am Beispiel Badens herausgearbeitet. Zu seinem Konzept des »Gemeindeliberalismus« siehe Nolte, Gemeindebürgertum; ders., Gemeindeliberalismus; Fehrenbach, Entstehung des »Gemeindeliberalismus«. Eine Vergleichsstudie zum Gemeindeliberalismus in BrandenburgPreußen bietet Meier, Stadtbürgertum. 410 Gustav von Struve, Grundzüge der Staatswissenschaft für das deutsche Volk dargestellt, 3 Bde., Mannheim 1847–1848, hier Bd. 1, S. 327, zitiert nach Nolte, Gemeindeliberalismus, S. 69. 411 Verfassung des Deutschen Reichs vom 28.3.1849, in: Huber (Hg.), Dokumente, Bd. 1, S. 322. 412 Die Debatte und die Abstimmung vom 10.5.1852 finden sich in: Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten des Bayerischen Landtages 1851/52, Stenographische Berichte, Bd. 5, S. 201–217. 413 Hierzu und zu dem Folgenden: Ziegler, Jahre der Reaktion, S. 131–137.

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Bereits im Vorfeld der Wahlen hatte Regierungspräsident Hohe öffentlich ankündigen lassen, dass man von Seiten der Kreisregierung nur zuverlässige Stützen der Regierungspolitik als Gemeinderatsmitglieder akzeptieren werde. Die Landkommissäre wurden angewiesen, über jeden einzelnen Gewählten Erkundigungen über seine politische Zuverlässigkeit einzuziehen. Da viele Gemeinden sich nicht an die Vorgabe der Kreisregierung hielten und demokratische oder liberale Gemeindevertreter wählten, begann die Kreisregierung, unliebsame Personen aus den Gemeinderäten zu entfernen. Man wollte die Gemeinderäte, wie von Hohe es ausdrückte, »purifizieren«. Das Pluviôse-Gesetz wurde jetzt umfassend angewendet, hunderte Gemeindevertreter wurden abgesetzt, unter anderem auch Ludwig Andreas Jordan und neun weitere Stadträte in Deidesheim.414 In der Pfalz sprach man von einer »Pluviôsierung« der Gemeinderäte.415 Jordan griff diesen Missstand daher in der Kammer der Abgeordneten auf und brachte das Thema damit nur eineinhalb Jahre nach dem Antrag Rebe­ nacks im Dezember 1853 erneut in die Kammerverhandlungen ein. Er richtete eine Interpellation an die Regierung, deren Wortlaut er sich von Rebenack vorher hatte absegnen lassen.416 Darin fragte er den zuständigen Innenminister, ob ihm bekannt sei, wie die Kreisregierung der Pfalz mit den Gemeinderäten umgehe.417 Wenn ja, ob er das Verfahren unterstütze und ob die königliche Regierung, falls sie das Gesetz nicht gutheiße, plane, dagegen vorzugehen. Er begründete seine Interpellation mit dem Verweis auf die Praxis der Kreisregierung, die nach den letzten Kommunalwahlen mindestens 600 Gemeindevertreter ohne Begründung abgesetzt habe. Damit zerstöre die Regierung das Recht der Gemeinden, den Gemeinderat zu wählen. 1852 habe die Regierung bei der Debatte über den Antrag Rebenacks darauf hingewiesen, dass das Pluviôse-Gesetz nur in Ausnahmefällen zur Anwendung komme. Diese beruhigenden Worte könnten jetzt nach den Vorgängen im Pfalzkreis nicht mehr gelten. Der konservativ-autoritäre Innenminister August Lothar von Reigersberg beantwortete Jordans Fragen am 19. Dezember 1853 kurz und bündig.418 Ihm sei 414 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 12.3.1853, LaS, V153 (BassermannJordan), Bd. 37. 415 Zu ähnlichen Säuberungsaktionen in Baden siehe Nolte, Gemeindeliberalismus, S. 86–89. 416 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 30.11.1853, LaS, V153 (BassermannJordan), Bd. 37. Zu Rebenacks wichtiger Rolle bei dieser Interpellation siehe die Würdigung Rebenacks in dem Tagebucheintrag Jordans vom 16.4.1866, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 50. 417 Rede des Abgeordneten Jordan zur Begründung seiner Interpellation am 12.12.1853, in: Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten des Bayerischen Landtags 1853/55, Stenographische Berichte, Bd. 1, München 1853, S. 12. Die Rede ist auch wiedergegeben in der Pfälzer Zeitung Nr. 298 vom 15.12.1853, S. 2. Vgl. auch Joeckle, Pfälzer Zeitung, S. 198 f. 418 Antwort des Ministers von Reigersberg auf die Interpellation Jordans am 19.12.1853, in: Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten des Bayerischen Landtags 1853/55, Steno-

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das Verfahren bekannt, und der Kreisregierung stehe das Recht der Absetzung von Gemeinderäten und Bürgermeistern im Pfalzkreis zu. Die Kreisregierung habe ihn über ihr Vorgehen im Hinblick auf die Wahlen der Gemeindevertretung informiert, und er billige diese Praxis. Die Regierung denke daher »auch nicht im Entferntesten daran […], eine gesetzliche Vorschrift, welche ihre Kraft und ihren Einfluß zu erhöhen bestimmt ist, aufzuheben und zwar am allerwenigsten in der Pfalz, die nur durch eine kräftige Leitung vor einer Wiederholung der kläg­ lichen Verirrungen der letzten Jahre bewahrt werden kann.«419

Ludwig Andreas Jordan war erbost über die »impertinente Antwort Reigersbergs«420. Mit seinen deutlichen Worten hatte der Innenminister klar gemacht, dass die Pfälzer Liberalen von seiner Seite keine Unterstützung in ihrem Kampf gegen die »Pluviôsierungen« erwarten konnten. Jordan brachte daraufhin am 3. Februar 1854 einen Antrag in die Kammer der Abgeordneten ein, mit dem er versuchte, über einen Appell an den König das Verhalten der Kreisregierung auszuhebeln. Er forderte die Kammer der Abgeordneten auf, an den bayerischen König die Bitte auszusprechen, das Verhalten der pfälzischen Kreisregierung gegenüber den Gemeinderechten zu überprüfen und diesen Gemeinderechten »Schutz und Schirm gegen Eingriffe und Schmälerung dieser Rechte angedeihen zu lassen«421. Wenn der König eine Abänderung der bisherigen Rechtslage für nötig halte, möge er dem Landtag einen entsprechenden Gesetzesvorschlag zuleiten. Am 9. Januar 1855 warb Jordan in einer Rede in der Kammer der Abgeordneten für seinen Antrag.422 Er stützte seine Argumentation auf die aktuellsten Zahlen. Danach seien nicht 600 Gemeinderäte durch die Kreisregierung abgesetzt worden, sondern über 1000. Dieses Vorgehen sei in Deutschland ohne Beispiel. Den jetzt ernannten Gemeinderäten fehle daher häufig die Legitimation und damit auch die entsprechende Autorität. Das setze sich auf den höheren Ebenen fort, da die Gemeinderäte einen Teil der Distriktsräte und damit mittelbar auch einen Teil der Landräte wählen würden. Die gewählten Personen begraphische Berichte, Bd. 1, München 1853, S. 47 f. Zu Reigersberg siehe Götschmann, Innenministerium, S. 271–276. 419 Antwort des Ministers von Reigersberg auf die Interpellation Jordans am 19.12.1853, in: Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten des Bayerischen Landtags 1853/55, Stenographische Berichte, Bd. 1, München 1853, S. 48. 420 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 19.12.1853, LaS, V153 (BassermannJordan), Bd. 36. 421 Der Antrag ist abgedruckt in dem Vortrag des Fürsten von Oettingen-Wallerstein vor dem dritten Ausschuss der Kammer der Abgeordneten, in: Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten des Bayerischen Landtages 1855/56, Beilagen-Band 2, München 1856, S. 526. 422 Hierzu und zu dem Folgenden: Rede des Abgeordneten Jordan in der Kammersitzung am 9.1.1855, in: Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten des bayerischen Landtags 1853/55, Stenographische Berichte, Bd. 1, München 1855, S. 443 f.

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säßen aufgrund des Vorgehens der Kreisregierung häufig nicht das Vertrauen ihrer Mitbürger, das eine Voraussetzung für ihre politische Arbeit sei. Die Absetzung der Gemeinderäte sei nicht nachvollziehbar, da es sich bei den Abgesetzten um rechtschaffene Männer handele, die sich als Gemeinderäte und Bürgermeister 1849 häufig gegen die Anordnungen der revolutionären Regierung gestellt hätten und auch danach das Vertrauen ihrer Mitbürger weiter genossen hätten. Wenn der Landtag diesem Antrag zustimme, sei es an der Regierung dafür zu sorgen, dass das Pluviôse-Gesetz nicht dieselbe traurige Berühmtheit erlange wie der § 44 der X. Verfassungsbeilage, mit dem die Regierung im Vormärz den oppositionellen Abgeordneten aus dem Staatsdienst den Urlaub zum Eintritt in die Kammer der Abgeordneten verweigert hatte. Jordans Antrag wurde von der Kammer an den III. Ausschuss für Gegenstände der inneren Verwaltung überwiesen, der den gemäßigt liberalen Ludwig Fürst von Oettingen-Wallerstein zum Ausschussreferenten einsetzte.423 In sei­ nem Gutachten urteilte Oettingen-Wallerstein, dass der Antrag Jordans nicht zielführend sei. Er schlug stattdessen vor, eine Bitte an den König zu richten, die Artikel 20 und 21 des Pluviôse-Gesetzes aufzuheben und stattdessen die Artikel  78 und 86, Absatz 2–4 der im rechtsrheinischen Bayern bestehenden Gemeinde­ordnung im Pfalzkreis einzuführen, in denen genau festgelegt war, wer nicht als Gemeinderat amtieren konnte.424 Der Landtag wurde allerdings wenig später vom König vorzeitig geschlossen, denn Maximilian II. war mit der Kammer der Abgeordneten unzufrieden. Diese hatte unter anderem eine von ihm geforderte Verfassungsänderung abgelehnt, mit der er wieder ein nach Ständen geordnetes Wahlrecht einführen wollte.425 Die Sitzungsperiode hatte damit zur Behandlung des Jordan’schen Antrags nicht mehr gereicht. Der Versuch Jordans und seiner liberalen Pfälzer Kollegen, die Pluviôse-Bestimmungen zu kippen, war erneut gescheitert. In der folgenden Landtagsperiode, für die Ludwig Andreas Jordan nicht mehr kandidiert hatte, und stattdessen sein Schwager Franz Peter Buhl als Abgeordneter im Wahlkreis Landau-Neustadt gewählt worden war, griffen die liberalen Pfälzer Abgeordneten das Thema wieder auf. Unter der Führung des demokratischen Pfarrers Franz Tafel, schlugen Buhl, Rebenack, die Gutsbesitzer Adam 423 Bekanntmachung des Präsidenten der Kammer der Abgeordneten Graf Hegnenberg-­ Dux am 16.1.1855, in: Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten des bayerischen Landtags 1853/55, Stenographische Berichte, Bd. 1, München 1855, S. 555. Zum Verhältnis Oettingen-­Wallersteins zu Jordan siehe u. a. den Brief Oettingen-Wallersteins an Ludwig Andreas Jordan, 3.11.1855, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 189, in dem er Jordan inständig bat, doch erneut wieder für die Kammer der Abgeordneten zu kandidieren. 424 Der Bericht ist abgedruckt in: Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten des Bayerischen Landtages 1855/56, Beilagen-Band 2, S. 527–531. Zur rechtsrheinischen bayerischen Gemeindeordnung siehe die Bayerische Gemeindeordnung von 1818, in: Engeli/Haus (Hg.), Quellen zum modernen Gemeindeverfassungsrecht, S. 135–160. 425 Zu diesem Plan Maximilians siehe Heydenreuter, Maximilian II., S. 108–110.

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Müller und Karl Heinrich Wolf sowie vier weitere Pfälzer Abgeordnete vor, den von Oettingen-Wallerstein gezeichneten Weg weiterzuverfolgen.426 Die Kammer der Abgeordneten stimmte mehrheitlich dafür, den Antrag erneut an den III. Ausschuss zu überweisen. Dort wurde Fürst von Oettingen-Wallerstein wieder zum Referenten bestimmt.427 Der Ausschuss schlug der Kammer daraufhin wie zu erwarten vor, den König zu bitten, im Landtagsabschied mit Gesetzeskraft zu verkünden, dass die umstrittenen Pluviôse-Artikel für den Pfalzkreis aufgehoben seien und stattdessen die entsprechenden Artikel des rechtsrheinischen Gemeindeedikts gelten würden. Nach diesen Bestimmungen konnten gewählte Gemeinderatsmitglieder nur noch von diesem Amt ausgeschlossen werden, wenn sie sich bestimmter Vergehen schuldig gemacht hatten.428 Über diesen Vorschlag kam es zu einer langen, intensiven Debatte.429 Auf der einen Seite standen der Ausschussreferent Fürst von Oettingen-Wallerstein, der seine gesamte Autorität als ehemaliger Innenminister für den Antrag in die Waagschale warf, die Pfälzer Abgeordneten Tafel, Müller und Buhl sowie der in Würzburg lehrende Professor für französisches Recht Ludwig von Weis. Tafel holte in seiner Begründung für den Antrag am weitesten aus und stachelte durch seine scharfzüngige Abrechnung mit dem Reaktionssystem der bayerischen Regierung in der Pfalz die Gegenseite auf. In diesem Lager standen Innenminister Graf von Reigersberg und die beiden Abgeordneten und königlichen Landkommissäre in der Pfalz Christian Chelius und Karl Friedrich Ottmann. Diese verwiesen darauf, dass die Pfälzer Gemeindeordnung nicht mit der Gemeindeordnung im rechtsrheinischen Bayern zu vergleichen sei. Eine »fragmentarische Gesetzgebung«430 sei daher ein schwerwiegender Fehler. Man reiße damit ein Stück aus einem Kleid aus und klebe ein 426 Antrag vom 7.1.1856 die Gemeinderäthe der Pfalz betr., in: Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten des Bayerischen Landtages 1855/56, Beilagen-Band 2, S.  532. Siehe hierzu auch die Rede des Abgeordneten Franz Tafel am 26.1.1856, in: Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten des Bayerischen Landtags 1855/56, Stenographische Berichte, Bd. 1, München 1856, S. 480. 427 Bekanntmachung des 2.  Präsidenten der Kammer der Abgeordneten Adolph Paur am 30.1.1856, in: Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten des Bayerischen Landtags 1855/56, Stenographische Berichte, Bd. 1, München 1856, S. 483. 428 Der Ausschussantrag findet sich in der Einleitung zur Debatte durch den 1. Präsidenten der Kammer der Abgeordneten, Graf Hegnenberg-Dux, am 28.2.1856, in: Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten des bayerischen Landtags 1855/56, Stenographische Berichte, Bd. 2, München 1856, S. 215 f. Zur Abstimmung im Ausschuss siehe Protokoll über die Sitzung des III. Ausschusses am 17.3.1856, in: Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten des Bayerischen Landtages 1855/56, Beilagen-Band 2, München 1856, S. 532 f. 429 Hierzu und zu dem Folgenden: Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten des bayerischen Landtags 1855/56, Stenographische Berichte, Bd. 2, München 1856, S. 215–239. 430 Rede von Karl Friedrich Ottmann in der Kammer der Abgeordneten am 28.2.1856, in: Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten des bayerischen Landtags 1855/56, Stenographische Berichte, Bd. 2, München 1856, S. 228 f.

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völlig unpassendes Stück darüber. Aus diesem Grund plädierte diese Gruppierung dafür, zukünftig eine komplett neue Gemeindeordnung für die Pfalz zu erarbeiten und bis dahin alles beim Alten zu belassen. Oettingen-Wallerstein griff die Metapher seiner Gegner auf und betonte, dass die Pfalz bereits durch die bayerische Verfassung von 1818 und die Modifikation des Wahlgesetzes von 1837 »einen deutschen Rock«431 bekommen habe. Jetzt gehe es nur darum, »den kaiserlich französischen Fleck« auf dem Rock wegzunehmen, denn die Pluviôse-Artikel seien nur noch ein Überbleibsel, das man vergessen habe wegzuräumen. Diese nationale und antifranzösische Karte spielte Oettingen-Wallerstein weiter aus. Bisher habe die Pfalz immer auf ihren Institutionen aus der französischen Zeit beharrt. Jetzt sei der Pfalzkreis bereit »die Bahn der Germanisirung seiner Institutionen«432 zu betreten. In dieser Situation könne man dem Pfalzkreis nicht antworten: »[B]ehaltet die Erzeugnisse romanisch despotischer Richtung, behaltet die Ausflüsse des imperialistischen Systems […].«433 Das liege weder im bayerischen noch im deutschen Interesse. In seinem pathetischen Schlussplädoyer griff Oettingen-Wallerstein die Worte des Pfälzer Abgeordneten Adam Müller auf, der unter Anspielung auf die 1848er Revolution und die anschließende Reaktionszeit die Pfalz mit einem Kind verglichen hatte, das bestraft worden sei, und jetzt offen für väterliche Ratschläge sei. Die Pfalz, so Oettingen-Wallerstein, »verlangt Trost, sie verlangt einen Akt der Versöhnung. […] [E]s muß dem väterlichen Herzen auf dem Throne wohlthun, solch inniges, zuversichtliches Entgegenkommen aus der entferntesten unserer Provinzen wahrzunehmen. Und die Zuversicht der Provinz, sie wird erfüllt werden.«

Die Kammer der Abgeordneten schloss sich dem Ausschussantrag an, und leitete ihn an die Kammer der Reichsräte weiter. Diese diskutierte den Antrag am 3. Mai 1856 in ihrem dritten Ausschuss.434 Der Ausschussreferent Clemens August Graf von Waldkirch schloss sich der Argumentation der konservativen Gruppierung in der Kammer der Abgeordneten um Innenminister von R ­ eigersberg an. Er hielt die Gemeindeordnung der Pfalz insgesamt für nicht kompatibel mit derjenigen im rechtsrheinischen Bayern. Man müsse daher die gesamte G ­ emeindeordnung 431 Rede des Fürsten von Oettingen-Wallerstein in der Kammer der Abgeordneten am 28.2.1856, in: Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten des bayerischen Landtags 1855/56, Stenographische Berichte, Bd.  2, München 1856, S.  235. Dort auch das folgende Zitat. 432 Ebd., S. 236. 433 Ebd., S. 237. Dort auch das folgende Zitat. 434 Hierzu und zu dem Folgenden: Vortrag des Grafen von Waldkirch im III. Ausschusse der Kammer der Reichsräthe über den Antrag mehrerer Herren Abgeordneten die Gemeinderäthe in der Pfalz betr., in: Verhandlungen der Kammer der Reichsräte des Bayerischen Landtags 1855/56, Beilagen-Band IV, München 1856, S. 434–451.

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der Pfalz überprüfen und dabei auch die anderen aus der französischen Zeit stammenden rechtlichen Unterschiede zwischen der Pfalz und dem rechtsrheinischen Bayern einbeziehen. Der Antrag der Kammer der Abgeordneten, der nur auf einzelne Veränderungen ziele, sei daher abzulehnen. Dieser Ausschussantrag wurde allerdings aus Zeitgründen nicht mehr in der Kammer der Reichsräte diskutiert, sodass der Antrag insgesamt unerledigt blieb. Buhl und Jordan starteten 1860 eine neue Initiative. Jetzt gingen sie doppelgleisig vor, um den nötigen Druck auf die Staatsregierung zu entfalten. Buhl war Ende 1858 wieder in die Kammer der Abgeordneten gewählt worden. Gleichzeitig war Jordan seit 1858 als Vertreter der Grundbesitzer erstmals Mitglied des pfälzischen Landrats.435 Dieses Gremium hatte nach dem neuen Landratsgesetz von 1852 fast nur noch Verwaltungsaufgaben in Bezug auf die Finanzen des Pfalzkreises auszuführen.436 Ein Absatz des Gesetzes bot jedoch bei extensiver Auslegung auch Möglichkeiten einer stärkeren Politisierung der Landratsverhandlungen, denn es war dem Landrat erlaubt, sich »über den Zustand des Regierungsbezirkes«437 zu äußern. Jordan sah den Landrat auch von Anfang an als politisches Instrument. Aufgrund der Zusammensetzung hielt er allerdings während der ersten Sitzung im Juni 1858 »ein besonders oppositionelles Auftreten«438 nicht für möglich. Trotz seiner »gemäßigten Gesinnung« stehe er »auf der äußersten Linken«439. Die Verhandlungen charakterisierte er als »flau & ein Antrag von principieller Bedeutung hat keine Aussicht durchzugehen«440. Da er sich persönlich mit den meisten Landratskollegen gut verstand, ging er fest davon aus, dass sein Einfluss im Landrat in den folgenden Jahren wachsen werde. 1860 brachte Jordan einen Antrag in Bezug auf die Gemeindeordnung der Pfalz ein. Dieser wurde »nach hartem Kampfe«441, wie Jordan in sein Tagebuch notierte, angenommen. In allgemeiner Weise wurde darin festgestellt, dass es der Pfalz an einer Gemeindeverfassung fehle, »welche eine größere Autonomie der 435 Veröffentlichung der Landratswahlergebnisse für die Periode 1857/58 bis 1862/63, in: Königlich-Bayerisches Kreis-Amtsblatt der Pfalz vom 22.4.1858, Sp. 593–598. 436 Die Wahlen und der Aufgabenbereich wurden im neuen Landratsgesetz vom 28.5.1852 neu definiert. Siehe Gesetz die Landräthe betr., in: Königlich Bayerisches Amts- und Intel­ ligenzblatt für die Pfalz 1852, S. 375–381. 437 Ebd., S. 378. 438 Ludwig Andreas Jordan an Seraphine Jordan, Speyer, 7./8.6.1858, Briefsammlung Hauck, Briefe 1849–1858. 439 Ludwig Andreas Jordan an Seraphine Jordan, Deidesheim, 21.6.1858, Briefsammlung Hauck, Briefe 1849–1858. 440 Ludwig Andreas Jordan an Seraphine Jordan, Deidesheim, 13.6.1858, Briefsammlung Hauck, Briefe 1849–1858. 441 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 18.5.1860, LaS, V153 (BassermannJordan), Bd. 44. Zu den Diskussionen im Landrat siehe die ausführliche Wiedergabe in der Pfälzer Zeitung Nr. 118 vom 21.5.1860, S. 2.

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Gemeindeverwaltungen, eine freiere Wahl der Gemeindevorsteher und eine festere Stellung der Vertreter der Gemeinden sichert.«442 Der Landrat formulierte die Bitte an den König, dem nächsten Landtag ein Gesetz über die GemeindeVerfassung der Pfalz vorzulegen, das diese Wünsche berücksichtige. Dort brachte Franz Peter Buhl im Februar 1861 einen Antrag ein, der die Thematik aufgriff. Er forderte, den König um einen Gesetzentwurf zu bitten, mit dem den Pfälzer Gemeinden eine größere Autonomie gewährt werde. Insbesondere sollten die Gemeinden ihre Bürgermeister und Adjunkten selbst wählen können. Zudem sollten die Bürgermeister, Adjunkten und Gemeinderäte nur noch aus »gesetzlichen Unfähigkeitsgründen«443 von der Kreisregierung abgesetzt werden können. Buhl erweiterte also die Anträge aus den 1850er Jahren, indem er jetzt explizit auch die Ernennung der Bürgermeister und Adjunkten mit einbezog und nicht mehr nur die Absetzung der Gemeinderäte thematisierte. Seinen Antrag begründete Buhl unter anderem mit dem dringenden Wunsch der Pfälzer nach einer Reform der Gemeindeverfassung, wie er im Beschluss des letzten Landrats zum Ausdruck gekommen sei.444 Hier zeigt sich eindrucksvoll das Zusammenspiel der Institutionen, das durch die Wahl­ Jordans in den Landrat und Buhls in den Landtag möglich wurde, wobei Buhl den vorsichtig formulierten Landratsantrag mit seinem eigenen Antrag verschärfte. In dem sich Landrat und Landtag gegenseitig die Bälle zuspielten, konnten sie größeren Druck auf die Staatsregierung entfalten. Buhl übernahm auch den antifranzösischen Ton der Debatten aus den 1850er Jahren. Eine selbständige Gemeindeverwaltung entspreche dem »deutschen Wesen«445. Dagegen sei die »romanische Art« der Gemeindeverwaltung mit ihrer »Abhängigkeit von der Regierung und ihren Organen« der deutschen Gemeindeverwaltung fremd. Durch eine Reform der Gemeindeverwaltung würden daher »die deutschen Länder auf dem linken Rheinufer dauernd an das Vaterland gefesselt werden.« In der Argumentation Buhls zeigt sich eine Veränderung im Umgang mit den sogenannten »Institutionen«, welche die Pfalz noch aus der Zeit der Zugehörigkeit zu Frankreich besaß. Im Vormärz wurden diese noch vehement als »fortschrittlich« angesehen und verteidigt. Jetzt wurden sie nur noch taktisch eingeschätzt. Wo sie modern und fortschrittlich erschienen, versuchte man sie weiterhin gegen bayerische Veränderungswünsche abzuschirmen. Wo sie allerdings als Hemmschuh für den Ausbau der eigenen Machtstellung gegenüber der Regierung und Verwaltung empfunden wurden, wollte man 442 Königlich-Bayerisches Kreis-Amtsblatt der Pfalz 1860, Sp. 586. 443 Antrag des Abgeordneten Buhl: Gemeindeverfassung der Pfalz betr., in: Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten des Bayerischen Landtags 1859/61, Beilagen-Band 4, München 1861, S. 220 f. 444 Ebd., S. 220. 445 Ebd., S. 221. Dort auch die folgenden Zitate.

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sie beseitigen. Die Pfälzer Liberalen scheuten sich auch nicht, diese Debatte zu­ nationalisieren. Damit konnten sie den Vorwurf einer zu starken Orientierung an Frankreich entkräften, der von den Vertretern der anderen bayerischen Landesteile gegenüber den Pfälzern immer wieder erhoben wurde. Diese Argumentationsfigur war allerdings gefährlich, denn bei ihrer konsequenten Anwendung hätte das bedeutet, die gesamten Pfälzer Institutionen auf den Prüfstand zu stellen und ein vermeintlich »deutsches System« einzuführen. Das Umfeld für Buhls Antrag bot bessere Voraussetzungen für einen Erfolg der Initiative als es bei den Anträgen in den 1850er Jahren der Fall gewesen war. Die Reaktionszeit war im Ausgang der 1850er Jahre zu Ende gegangen.446 Dazu hatte nicht nur die zeitgenössisch überschätzte Ablösung des kranken preußischen Königs Friedrich Wilhelms IV. durch seinen Bruder Wilhelm im Oktober 1858 beigetragen, der umgehend eine etwas liberalere neue Regierung in Preußen berief. Auch in anderen Ländern des Deutschen Bundes kamen liberalere Regierungen an die Macht, was nach der Reaktionsperiode der 1850er Jahre zu der allgemeinen Einschätzung beitrug, in einer »Neuen Ära« zu leben. Der bayerische König Maximilian II. hielt in dieser Phase eine Ablösung der konservativen Regierung des Ministerpräsidenten Ludwig von der Pfordten für nötig, dessen Regierungsweise in einen immer schärferen Kontrast zur Landtagshaltung geraten war.447 Mit ihm musste am 1. Mai 1859 auch Innenminister Reigersberg seinen Hut nehmen, der von dem als liberaler geltenden Max von Neumayr abgelöst wurde.448 Neumayr nahm auch sofort die Auflösung des Reformstaus in Angriff und legte dem Landtag unter anderem ein neues Gerichtsverfassungsgesetz, sowie ein neues Strafgesetzbuch und Polizeistrafgesetzbuch vor. Buhl konnte jetzt auch eine Verbindung zu den von der bayerischen Regierung vorgelegten Gesetzen ziehen, denn aus seiner Sicht erforderte die Einführung des Straf- und Polizeistrafgesetzbuchs in Gesamtbayern auch eine Gleichstellung der Gemeinden.449 Der III. Ausschuss der Abgeordnetenkammer unterstützte den Antrag Buhls.450 Auch Innenminister Neumayr stimmte in der Ausschusssitzung am 4.  März 1861 zu. Nach mehrwöchigen internen Beratungen machte er allerdings einen 446 Hierzu und zu dem Folgenden: Lenger, Industrielle Revolution und Nationalstaatsgründung, S. 280–285. 447 Rall, Die politische Entwicklung von 1848 bis zur Reichsgründung 1871, S. 244 f. 448 Zur Ministertätigkeit Neumayrs siehe Götschmann, Innenministerium, S. 276–279. 449 Antrag des Abgeordneten Buhl: Gemeindeverfassung der Pfalz betr., in: Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten des bayerischen Landtag 1859/61, Beilagen-Band 4, München 1861, S. 220. 450 Vortrag des Abgeordneten von Steinsdorf, Namens des III. Ausschusses, über den Antrag des Herrn Abgeordneten Buhl, die Gemeindeverfassung der Pfalz betreffend, in: Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten des bayerischen Landtag 1859/61, BeilagenBand 4, München 1861, S. 214–220; Protokoll aufgenommen im III. Ausschusse der Kammer der Abgeordneten, 4.3.1861, ebd., S. 221.

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Rückzieher. Neumayr veranlasste eine außerordentliche Ausschusssitzung am 30. April 1861, in der er erklärte, dass aus Sicht des Innenministeriums die Behandlung der jetzigen Vorlage schwierig sei.451 Er signalisierte Bereitschaft zum Entgegenkommen, wenn der Ausschuss und damit die Abgeordnetenkammer den Antrag abschwäche und sich eher an dem früheren Antrag Jordans orientiere. Daraufhin beschloss der Ausschuss, den Bezug zu den Bürgermeistern und Adjunkten aus dem Antrag zu entfernen. In dem neuen Ausschuss-Antrag ging es daher nur noch darum, den entsprechenden Pluviôse-Artikel über die Absetzbarkeit der Gemeinderäte für ungültig zu erklären und gesetzliche Kriterien für eine Absetzung von Gemeinderäten festzulegen. Dieser Ausschuss-Antrag wurde gemeinsam mit dem Antrag Buhls in der Kammer der Abgeordneten am 13. Mai 1861 diskutiert.452 Gleich zu Beginn ergriff der liberale Würzburger Rechtsprofessor Karl Friedrich Wilhelm Edel das Wort. Er griff den Ausschuss-Antrag leidenschaftlich an. Man solle nicht vorzeitig vor den Regierungswünschen einknicken. Er formulierte dann einen eigenen Antrag, den er vor allem mit dem Verweis auf das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinde begründete. Dazu konstruierte er eine Tradition der freien Gemeinde bis zu den Germanen. In einer freien Gemeindeverwaltung sah er »die Vorschule des politischen Lebens des Volkes«453. Daher formulierte er im ersten Teil  seines Antrags eine Bitte an den König, dem Landtag so schnell wie möglich einen Gesetzentwurf über eine Gemeindeverfassung für die Pfalz vorzulegen, der »auf dem Grundsatze der Selbstverwaltung«454 beruhe. Der zweite Teil nahm den Buhl’schen Entwurf wieder auf, in dem er für die Zwischenzeit bis zur Verabschiedung eines solchen Gesetzes forderte, dass noch eine weitere Gesetzesvorlage in den aktuellen Landtag eingebracht werden sollte. Darin solle festgelegt sein, dass die Wahl der Bürgermeister und Adjunkten den Gemeinden im Pfalzkreis überlassen werden sollte und »die Disciplin in Ansehung der Bürgermeister, Adjuncten und Mitglieder des Gemeinderathes unter ausdrücklicher Aufhebung des Art. 20 des Gesetzes vom 28. Pluviôse VIII. geordnet werde«455. Die Debatte darüber verlief nicht mehr so kontrovers, wie noch in 451 Hierzu und zu dem Folgenden: Nachtrag zum Protokoll des III. Ausschusses der Kammer der Abgeordneten bezüglich des Vortrags des Abg. von Steinsdorf, »den Antrag des Abg. Buhl wegen der Gemeindeverfassung der Pfalz betr.«, 30.4.1861, in: Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten des bayerischen Landtag 1859/61, Beilagen-Band 4, München 1861, S. 520 f. 452 Debatte über den Antrag des Herren Abgeordneten Buhl, »die Gemeindeverfassung in der Pfalz betr.«, 13.5.1861, in: Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten des bayerischen Landtags 1859/61, Stenographische Berichte, Bd. 1, München 1861, S. 387–410. 453 Rede des Abgeordneten Edel, in: Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten des bayerischen Landtags 1859/61, Stenographische Berichte, Bd. 1, München 1861, S. 388–392, hier S. 389. 454 Ebd., S. 388. 455 Ebd., S. 389.

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den 1850er Jahren. Der erste Teil des Edel’schen Antrags wurde einstimmig angenommen und der zweite Teil mit einer deutlichen Mehrheit.456 Bevor der Antrag an die Kammer der Reichsräte ging, hatte auch der Pfälzer Landrat wieder Gelegenheit, das Thema aufzugreifen. Dieser sprach sich erneut für die Einführung einer Gemeindeordnung für die Pfalz aus, in der das Plu­v iôse-­ Gesetz keine Rolle mehr spielen solle. Jordan konnte sich in den Verhandlungen nicht mit seinem Vorschlag durchsetzen, eine freie Wahl der Bürgermeister und Adjunkten durch die Gemeinde zu fordern. Den anderen Landratsmitgliedern ging das zu weit. Sie überstimmten Jordan mit ihrem Antrag, dass der Gemeinderat drei Kandidaten für das Bürgermeisteramt vorschlagen könne, von denen die Regierung einen auswähle.457 Jordan sah in dieser Entscheidung »ein wahres Armuthszeugnis«458 für den Landrat und sorgte dafür, dass sein Gegenvotum öffentlich bekannt gemacht wurde.459 Die Kammer der Reichsräte veränderte dann den Entwurf der Abgeordne­ tenkammer deutlich. Die von Edel vorgesehene rasche Zwischenlösung fiel weg. Stattdessen wurden die zwei Teile des Antrags jetzt zu einem Abschnitt zusammengezogen. Es wurde nur noch gefordert, dass der König dem Landtag einen Gesetzentwurf über die Gemeindeverfassung der Pfalz vorlegen solle. Etwas allgemeiner als in dem Edel’schen Antrag formulierten die Reichsräte, dass diese »auf dem Grundsatze der Selbstverwaltung« beruhen und »unter Aufhebung des Art. 20 des Gesetzes vom 28. Pluviôse VIII. eine freiere Wahl der Vorstände und eine festere Stellung der Gemeinden«460 sichern sollte. Dem Antrag der Reichsräte schloss sich die Kammer der Abgeordneten notgedrungen an.461 In seinem Landtagsabschied ging der König nur knapp auf den Wunsch der beiden Kammern ein. Er werde dem Antrag »reifliche Erwägung und die entsprechende Berücksichtigung zukommen lassen«462. 456 Ebd., S. 392. 457 Landratsprotokoll vom 15.6.1861, in: Königlich-Bayerisches Kreis-Amtsblatt der Pfalz 1861, Sp. 659–672, hier Sp. 669 f. Siehe auch die Zusammenfassung der Abschlussverhandlungen in: Beilage zu Nr. 138 der Pfälzer Zeitung vom 15.6.1861, S. 1; Ludwig Andreas Jordan an Franz Peter Buhl, Speyer, 8.6.1861, BaK, N1754 (Buhl), Bd. 7. 458 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 14.6.1861, LaS, V153 (BassermannJordan), Bd. 45. 459 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 15.6.1861, LaS, V153 (BassermannJordan), Bd. 45. 460 Der veränderte Antrag findet sich in: Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten des Bayerischen Landtages 1859/61, Stenographische Berichte, Bd. 2, München 1861, S. 452. 461 Siehe die kurze Debatte und Abstimmung über die Antwort der Kammer der Reichsräte, in: Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten des Bayerischen Landtages 1859/61, Stenographische Berichte, Bd. 2, München 1861, S. 431–433. 462 Gesetzblatt für das Königreich Bayern 1861/62, München 1862, Sp.  49–82, hier Sp. 72.

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Mit einem Ministerialreskript vom Mai 1862 zeigte die Regierung erstes Entgegenkommen, denn sie wies die Bezirksämter an, den entsprechenden Gemein­ derat zu seinen Vorstellungen zu befragen, bevor die Bezirksämter der Kreisregierung ihre Vorschläge für die Bürgermeister und Adjunkten unterbreiteten. Pluviôsierungen sollten nur noch in Ausnahmefällen durchgeführt werden.463 Ein Jahr später forderte die Regierung von der Kreisregierung eine genaue Auflistung, wie oft bei den Wahlen von Anfang 1863 die Gemeinderäte pluviosiert worden seien und inwiefern man sich bei der Ernennung der Bürgermeister und Adjunkten an den Vorschlag des Gemeinderats gehalten habe.464 Eine Auflistung der Bezirksämter ergab, dass diese nur noch in wenigen Fällen Gemeinde­ räte abgesetzt oder gegen den Wunsch des Gemeinderates den Bürgermeister und die Adjunkten ernannt hatten.465 De facto hatte die Regierung der Pfalz damit die extensive Auslegung ihrer Befugnisse aufgegeben. Allerdings war das Verhalten de jure noch nicht abgesichert. Dieser Prozess zog sich noch einige Jahre hin, denn der Wunsch nach einer einheitlichen auf neuer Grundlage stehenden Gemeindeverfassung geriet jetzt in das Konglomerat von neuen Gesetzen, mit denen die bayerische Regierung versuchte, den Staat zu modernisieren.466 Dazu gehörten zum Beispiel die Reform der Ansässigmachungs-, Heimat-, Eheschließungs- und Gewerbegesetze. Diese bezogen sich in der Hauptsache auf das rechtsrheinische Bayern. Da die Regierung und der Landtag verständlicherweise versuchten, eine einheitliche Gesetzgebung zustande zu bringen, berührten die Debatten um diese sogenannte »Socialgesetzgebung« allerdings auch die linksrheinischen Regelungen.467 Mittlerweile saß Jordan wieder selbst in der Kammer der Abgeordneten, da er nach dem plötzlichen Tod Buhls im August 1862, für den 1863 neu gewählten Landtag wieder kandidiert und sich im Wahlkreis Landau-Neustadt durchgesetzt hatte. Damit musste er aus dem sicherlich weniger einflussreichen Landrat ausscheiden. Als in einer Ausschusssitzung der Kammer der Abgeordneten am 17.  Juni 1867 alle rechtsrheinischen Ausschussmitglieder den Antrag von Georg Friedrich Kolb ablehnten, die in der Pfalz bestehende Freizügigkeit auf ganz Bayern auszudehnen, war klar, dass eine einheitliche Regelung für die beiden Landesteile nicht möglich sei. Daraufhin arbeitete man zwei Gesetzesentwürfe über eine links- und rechtsrheinische Gemeindeordnung aus, wobei der 463 Innenminister Neumayr an Regierung der Pfalz, München, 19.5.1862, LaS, H3, Bd. 214. Vgl. Medicus, Gemeindeordnung, S. 4 f. 464 Innenministerium an Königliche Regierung der Pfalz, München, 4.5.1863, LaS, H3, Bd. 214. 465 Regierungspräsident der Pfalz, Hohe, an das bayerische Innenministerium, Speyer, 5.6.1863, LaS, H3, Bd. 214. 466 Hierzu und zu dem Folgenden Medicus, Gemeindeordnung, S. 5–10; Joeckle, Pfälzer Zeitung, S. 310–312. 467 Schwarz, Fortschrittspartei; Hesse, Sozialgesetzgebung.

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für die Pfalz geltende Entwurf von Kolb und dem Ludwigshafener Oberzollinspektor Ferdinand von Soyer formuliert wurde. Dabei versuchten Kolb und Soyer die Ausarbeitung in möglichst engem Kontakt mit den politischen Mandatsträgern im Pfalzkreis zu gestalten.468 Die Gemeindeordnung für die Pfalz trat dann am 29. April 1869 in Kraft. Die Liberalen konnten mit dem Ergebnis überaus zufrieden sein. An die Stelle der Gemeinden als Vollzugsorgane der Regierung traten jetzt die Gemeinden als »öffentliche Körperschaften mit dem Rechte der Selbstverwaltung«469. Das Pluviôse-Gesetz fiel damit weg. Stattdessen wählte nach dem neuen Gesetz der Gemeinderat die Bürgermeister und Adjunkten selbst. Diese mussten von der Kreisregierung noch bestätigt werden. Eine Ablehnung konnte allerdings nur unter der genauen Angabe der Gründe erfolgen. Gegen diese Entscheidung war zudem eine Revision möglich.470 Die gewählten Gemeinderatsmitglieder mussten von der Regierung nicht bestätigt werden und konnten von der Regierung nicht mehr abgesetzt werden. Auch das Wahlrecht wurde auf eine wesentlich breitere Grundlage gestellt, sodass zum Beispiel Beamte, Künstler und Tagelöhner wahlberechtigt waren.471 Zudem war die Wahl jetzt geheim, und der Zensus, mit dem bisher das passive Wahlrecht belegt war, fiel weg. Nach den neuen Wahlbestimmungen reichte es aus, älter als 25 Jahre zu sein und in der Gemeinde seinen Wohnsitz zu haben, um in den Gemeinderat bzw. als Bürgermeister oder Adjunkt gewählt zu werden.472 Damit waren nach zähen, fast zwanzig Jahre dauernden Auseinandersetzungen die von den Pfälzer Liberalen verhassten Pluviôse-Bestimmungen endlich gefallen, und die bisher aus französischen und bayerischen Bestandteilen zusammengesetzte Gemeindeordnung der Pfalz war einheitlich und übersichtlich geregelt. Die Liberalen hatten dabei einen überaus langen Atem bewiesen und immer wieder versucht, über die ihnen zur Verfügung stehenden Kanäle, Landrat und Landtag, die Regierung zu beeinflussen. Jordan und Buhl saßen dabei an entscheidender Stelle, sodass sie ihre Strategie aufeinander abstimmen konn 468 Siehe hierzu zum Beispiel die Versammlung von ca. 200 Personen in Neustadt, auf der Kolb und Soyer ihre Vorstellungen mit den Anwesenden debattierten. Dazu Joeckle, Pfälzer Zeitung, S. 310. Die ausführlichste Darstellung dieser Versammlung findet sich in einer Artikelserie des liberalen Pfälzischen Kuriers unter dem Titel »Neustadter Versammlung von Gemeindevertretern«, in: Pfälzischer Kurier Nr. 225 vom 24.9.1868, S. 2; Pfälzischer Kurier Nr. 226 vom 25.9.1868, S. 2; Pfälzischer Kurier Nr. 227 vom 26.9.1868, S. 2. 469 Art. 1 des Gesetzes die Gemeindeordnung für die Pfalz betr., in: Medicus, Gemeindeordnung, S. 11. 470 Art. 57 des Gesetzes die Gemeindeordnung für die Pfalz betr., in: Medicus, Gemeinde­ ordnung, S. 150 f. 471 Art. 100 des Gesetzes die Gemeindeordnung für die Pfalz betr., in: Medicus, Gemeinde­ ordnung, S. 262 f. 472 Art. 102 des Gesetzes die Gemeindeordnung für die Pfalz betr., in: Medicus, Gemeinde­ ordnung, S. 264 f.

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ten. Insbesondere bei Jordan, aber auch bei anderen Liberalen der Pfalz spielte die eigene Erfahrung mit dem Pluviôse-System bei ihrem Engagement eine große Rolle. Sie gab ihnen die nötige Kraft, um sich immer wieder gegen die Vorgehensweise der pfälzischen Kreisregierung zu wenden. Ihr Einsatz wurde allerdings erst von Erfolg gekrönt, nachdem die Reaktionszeit geendet hatte und die bayerische Regierung auf einen Kurs der vorsichtigen Modernisierung der Sozial- und Wirtschaftsverfassung des bayerischen Königreichs eingeschwenkt war. Die Auseinandersetzung mit dem Reaktionssystem Hohes spielte sich jedoch nicht nur auf der lokalen Ebene und im Bereich der Gemeindeverfassung ab, sondern betraf auch den Bereich der Presse.

5.4.3 Gescheiterte Propaganda: Das Wochenblatt für die Pfalz 1856 Liberalismus bedeutete immer auch das Recht auf freie Meinungsäußerung und als Teilprojekt davon die Pressefreiheit.473 In idealistischer Weise nahmen die­ Liberalen im Vormärz an, dass sich im freien Austausch der Meinungen das beste Argument durchsetzen werde und die freie Meinungsäußerung somit zur Weiterentwicklung der Gesellschaft und der politischen Entscheidungsfindung beitragen werde. Insbesondere in die Presse setzte man große Hoffnungen. Diese sollte die Bevölkerung darüber aufklären, was ihre besten Ansichten und Interessen seien und den Fürsten die Wünsche der Liberalen vor Augen führen. Dieses idealistische Bild hatte sich bei den Ereignissen um das Hambacher Fest deutlich manifestiert und war auch ein Grundmotiv bei der Gründung des Press- und Vaterlandsvereins gewesen.474 Auch Ludwig Andreas Jordan hatte in diesem Kontext in der Presse das entscheidende Mittel gesehen, um die eigenen Ziele voranzutreiben und in der Bevölkerung zu verbreiten. Dieses idealistische Bild zerbrach in der Märzrevolution. Als die staatliche Pressepolitik aufgehoben und die Zensur abgeschafft wurde, entstanden zahlreiche Zeitungen, die zum Teil  mit Vehemenz ihre Ansichten unter das Volk brachten.475 Hier zeigte sich, dass die eher gemäßigte Position der Liberalen zahlreiche Angriffsflächen bot, wie zum Beispiel die Wahlrechtsfrage. Viele Redakteure suchten nicht mehr nach einem übergreifenden Standpunkt, sondern vertraten ihre politischen Positionen deutlich und polemisch. Diese Polemik und Agitation missfiel vielen Liberalen. Auch Ludwig Andreas Jordan e­ reiferte 473 Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800–1866, S. 291. 474 Siehe Kapitel 5.1. 475 Das bayerische Gesetz über die Pressefreiheit vom 13. Juni 1848 findet sich in: Gesetzblatt für das Königreich Bayern, Nr. 12 vom 13.6.1848, Sp. 89–96. Danach war eine Bestrafung von Presseäußerungen nur noch möglich, wenn bestehende Gesetze, zum Beispiel durch Verbrechen, übertreten wurden.

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sich über die »Wühlereien« mancher Zeitungen, welche die Bevölkerung aus seiner Sicht radikalisierten und zu revolutionärem Verhalten antrieben.476 Welche Lösungsmöglichkeiten boten sich im Hinblick auf die aus liberaler Sicht bedenkliche Entwicklung der Presse an? Man konnte sich zum einen in den Markt der Meinungen stürzen und mit einer eigenen Publikation versuchen, seinen Standpunkt durchzusetzen, und zum anderen auf politischem Weg gegen die radikalen Auswüchse der Presse vorgehen. Eine politische Antwort auf die Entwicklung im Bereich der Presse wurde in Bayern bereits vom liberalen Märzministerium Thon-Dittmer/Lerchenfeld und der folgenden Regierung unter Beisler und Heintz in Angriff genommen, blieb jedoch stecken.477 Diese Diskussion wurde nach der Revolution von der neuen Regierung unter Ministerpräsident von der Pfordten wieder aufgegriffen. Zunächst wurde eine Rechtsangleichung vorgenommen, die weder für die Liberalen noch für die Konservativen Probleme bereitete. Der Landtag verabschiedete im November 1849 ein Gesetz über das Verfahren bei »Preßvergehen« in der Pfalz.478 Darin war festgelegt, dass für Prozesse in diesem Zusammenhang in der Pfalz die Schwurgerichte zuständig sein sollten. Das war für das rechtsrheinische Bayern bereits 1848 festgelegt worden. In der Pfalz bestand allerdings Unklarheit darüber, da formal noch der Code pénal galt und dort Schwurgerichte für Verfahren im Zusammenhang mit der Presse nicht vorgesehen waren.479 Die Gleichstellung der Pfalz konnte daher als Fortschritt gesehen werden, denn jetzt waren auch Laien an der Rechtsprechung in Pressefragen beteiligt. Allerdings sollte der Prozess, wenn der Beschuldigte nicht erschien, ohne Hinzuziehung von Geschworenen stattfinden. Im Februar 1850 diskutierte dann die Kammer der Abgeordneten ausführlich einen von der bayerischen Regierung vorgelegten Entwurf für ein Pressegesetz.480 In den Debatten machten die Liberalen deutlich, dass die Pressefreiheit für sie einen hohen Stellenwert genoss. Gleichzeitig gelte es aber auch, den Missbrauch der Presse zu unterbinden. Den liberalen Kammermitgliedern gelang es zwar, den Entwurf in einigen Punkten, zum Beispiel bei der Höhe der vorgesehenen Strafen, abzumildern. Trotzdem bot das Gesetz bei rigoroser Auslegung der Regierung zahlreiche Möglichkeiten, gegen die oppositionelle Presse 476 Ludwig Andreas Jordan an Seraphine Jordan, München, 2.5.1848, Briefsammlung Hauck, Briefe 1840–1848. 477 Kreutz, Revolution, S. 320. 478 Gesetz das Verfahren bei Preßvergehen in der Pfalz betr., in: Königlich Bayerisches Amts- und Intelligenzblatt für die Pfalz 1849, S. 530–534. 479 Kreutz, Revolution, S.  322. Ziegler, Gebremste Reaktion, S.  253, irrt sich, denn er schreibt, dass durch das neue Gesetz Pressevergehen in der Pfalz durch ein ordentliches Gericht mit Berufsrichtern abgeurteilt würden. Darin ist ihm Spiegel, Pressepolitik und Presspolizei, S. 91, offensichtlich gefolgt. 480 Hierzu und zu dem Folgenden: Kreutz, Revolution, S. 328–333; Spiegel, Pressepolitik und Presspolizei, S. 87–99.

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vorzugehen. Insbesondere die Verleumdung des Königs, der Mitglieder des königlichen Hauses, der Staatsbeamten, der Landtagsmitglieder und des Militärs wurde mit Gefängnis- und Geldstrafe belegt. Auch ganz allgemein formulierte Tatbestände, die dem Missbrauch Tür und Tor öffneten, wurden in das Gesetz aufgenommen. So durfte beispielsweise die bestehende Regierungsform »nicht mit Spott oder Verachtung behandelt«481 werden. Ebenso war die Verfolgung der in anderen Ländern erscheinenden Presseerzeugnisse erlaubt, wenn diese gegen das bayerische Gesetz verstießen. Die Kammer der Abgeordneten stimmte diesem Gesetz der »Kautschukparagraphen«482 am 12. März mit einer Mehrheit von 83 zu 51 Stimmen zu. Auch Ludwig Andreas Jordan unterstützte als Kammermitglied das Gesetz, welches am 17. März 1850 in Kraft trat.483 In der Folgezeit benutzte die bayerische Regierung dieses Instrument dosiert und gezielt. Erst nach der Übernahme des Innenministeriums durch den Grafen von Reigersberg im Dezember 1852 wandelte sich diese Praxis. Jetzt wurde die oppositionelle Presse schärfer überwacht und gegängelt. Polizei und Gerichte wurden angewiesen »den Spielraum der Presseedikte […] bis an den Rand der Legalität auszudehnen«484. Auch die Regierung der Pfalz unter Regierungspräsident von Hohe beobachtete auf dieser Basis die Presselandschaft der Pfalz sehr genau, um bei entsprechenden Vergehen sofort einzuschreiten.485 Trotz dieser Beschränkungen versuchte insbesondere Franz Peter Buhl ein Presseorgan in der Pfalz auf die Beine zu stellen, in das die eigenen Anliegen einfließen konnten. Es sollte sicherlich kein radikales Blatt sein. Dass auch die gemäßigten Gutsbesitzer nach der Märzrevolution von aufhetzenden Kampfschriften genug hatten, hatte sich bei der Unterstützung des Pressegesetzes in der Kammer durch Ludwig Andreas Jordan deutlich gezeigt. Andererseits sollte die neue Zeitung aber auch nicht der Regierung nach dem Mund schreiben. Buhl hatte bereits die 1847 in Heidelberg aufgebaute Deutsche Zeitung um die badischen Liberalen Friedrich Daniel Bassermann, Karl Mathy, Ludwig Häusser und Georg Gottfried Gervinus finanziell unterstützt.486 Er hielt aber auch während der Märzrevolution nach einer Zeitung Ausschau, die stärker als die Deutsche Zeitung auf den Pfalzkreis abzielte und etwas gemäßigter ausfiel als die 481 Gesetz zum Schutz gegen den Mißbrauch der Presse vom 17. März 1850, in: Die neuen Gesetze für das Königreich Bayern erlassen in Folge d. Landtags v. 1849/50, sammt den­ darauf bezüglichen Vollzugs-Instructionen, München 1850, S. 43. 482 Kuppelmayr, Tageszeitungen, S. 1147. 483 Gesetz zum Schutz gegen den Mißbrauch der Presse vom 17.  März 1850, in: Die neuen Gesetze für das Königreich Bayern erlassen in Folge d. Landtags v. 1849/50, sammt den darauf bezüglichen Vollzugs-Instructionen, München 1850. Vgl. Ziegler, Jahre der Reaktion, S.  83–87; Joeckle, Pfälzer Zeitung, S.  23–26; Marx, Die pfälzischen Abgeordneten, S. 203–216. 484 Kreutz, Revolution, S. 334. 485 Sie hierzu die entsprechenden Akten zur Presseaufsicht in LaS, H1, Bde. 1977–1979. 486 Hirschhausen, Deutsche Zeitung, S. 70.

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Neue Speyerer Zeitung Georg Friedrich Kolbs. Im Herbst 1849 suchte er daher den Arzt Dr. Lukas Jäger auf, der in Annweiler im März 1849 den B ­ oten aus den Vogesen gegründet hatte. Dieser hatte hinter der Reichs­ver­fassung gestanden, die Radikalisierung in der Reichsverfassungskampagne jedoch entschieden abgelehnt.487 Zudem ruhten Jägers Hoffnungen Ende 1849 genau wie bei Buhl und Jordan noch auf Preußen als Führungsmacht bei der Gründung eines deutschen Nationalstaats.488 Buhl wünschte von Jäger, dass er sein Zeitungsengagement ausbauen sollte und sicherte ihm die volle finanzielle Unterstützung dafür zu.489 Jäger ließ sich darauf ein, doch die Zusammenarbeit dauerte nur bis ins Jahr 1850, da sich Jägers Blatt, das mittlerweile als Pfälzer Zeitung firmierte, in eine zunehmend konservative und ultramontane Richtung entwickelte.490 Insbesondere wurde die Pfälzer Zeitung jetzt zu einem von der Regierung geförderten Blatt, die offizielle Bekanntmachungen nur noch über die Pfälzer Zeitung verbreiten ließ und auf diese Weise die Neue Speyerer Zeitung »austrocknete«.491 Für die ursprüngliche Förderung der Pfälzer Zeitung durch Buhl hatte der liberale Heidelberger Geschichtsprofessor Ludwig Häusser 1852 nur noch Spott übrig, als er seinen Deidesheimer Freund, den »conservative[n] Mann«492 und »weiland Protector von Dr. Jäger und seiner Pfälzer Zeitung«, zu einem Diner in die »schlechte Gesellschaft« Heidelbergs einlud. Bei diesen Treffen, bei denen der lukullische Genuss unter tatkräftiger Mithilfe von Jordan und Buhl auch eine wichtige Rolle spielte, kamen die Deidesheimer Gutsbesitzer mit den Heidelberger Liberalen um Häusser zusammen. Häusser war auch einer der größten Privatkunden von Jordan und Buhl und ließ den Wein fässerweise nach Heidelberg liefern. Neben Häusser und Gervinus waren bei den Treffen häufig Heinrich von Gagern oder die Rechtsprofessoren Adolph von Vangerow und Robert von Mohl mit dabei. Auch der Arzt und liberale Politiker Heinrich Carl Alexander Pagenstecher war oft zugegen. Meistens stießen noch diverse Alt-48er dazu, die gerade in der Stadt waren, z. B. der Schleswiger Georg Beseler. Bei diesen Diners, die entweder bei Häusser in Heidelberg, Jordan oder Buhl in Deidesheim stattfanden, wurden natürlich auch politische Themen besprochen. Dadurch agierten Jordan und Buhl als Schnittstelle zwischen den Vorderpfälzer und den Heidelberger Liberalen. 487 Scherer, Pfälzer Zeitung. 488 Kreutz, Revolution, S. 310. 489 Joeckle, Pfälzer Zeitung, S. 34. 490 Zur Zusammenarbeit siehe die Briefe Jägers an Buhl aus den Jahren 1849/50 in: BaK, N1754 (Buhl), Bd.  76; Ludwig Andreas Jordan an Franz Peter Buhl, München, 6.12.1849, BaK, N1754 (Buhl), Bd. 7. Zur ultramontanen Ausrichtung siehe Ludwig Andreas Jordan an­ Josephine Buhl, München, 18.3.1852, BaK, N1754 (Buhl), Bd. 177. 491 Krautkrämer, Kolb, S. 161–163. 492 Ludwig Häusser an Franz Peter Buhl, Heidelberg, 20.[Monat nicht lesbar, H. T.]1852, BaK, N1754 (Buhl), Bd. 67. Daraus auch die folgenden Zitate.

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Das zeigte sich unter anderem bei einem großen Zeitungsprojekt, das Jordan und Buhl 1855 lancierten. Ausgangspunkt war ein großes Diner bei Jordan am 22. Juli 1855, bei dem fast die gesamte liberale Prominenz der Vorderpfalz zusammenkam. Neben Jordan und Buhl waren unter anderen die Frankenthaler Juristen Adolph Boyé und Georg Jakob Stockinger, die Gutsbesitzer Rudolph Christmann, Wilhelm Sauerbeck, Ludwig Heinrich Wolf und Karl Heinrich Wolf, der Neustädter Gerber Exter, der Neustädter Bankier Dacqué und der Deidesheimer Arzt Dr. Carl Heinrich Schultz anwesend. Die lange, mit ihren Reden »parlamentär«493 gehaltene Versammlung führte zu dem Beschluss, eine Zeitung zu begründen und mit Broschüren für die eigenen Anliegen zu werben. Nach der erfolgreichen Durchsetzung liberaler Kandidaten bei den Nachwahlen zum Landtag im November 1855, u. a. wurden Buhl und Karl ­Heinrich Wolf gewählt, wurde der Plan einer Zeitungsgründung konkret, denn jetzt ging es darum, die Rolle der linken Pfälzer Abgeordneten in den Kammerverhandlungen entsprechend zu verbreiten.494 Jordan und Buhl ergriffen die Initia­tive und besprachen das Projekt mit den in Zeitungsangelegenheiten erfahrenen Heidelberger Freunden. Die beiden einigten sich mit Ludwig Häusser darauf, dass es sich bei der Zeitungsgründung zunächst um eine Wochenzeitung handeln sollte, der man je nach aktueller Entwicklung noch eine Beilage hinzufügen könnte. Häusser schlug vor, als Redakteur seinen Freund und früheren Schulkameraden Carl­ Pfeiffer zu engagieren – »[e]in Mensch von Geist, Bildung u[nd] Charakter«495. Gedruckt werden sollte die Zeitung bei dem Drucker Heinrich Hogrefe in Mannheim. Die Redaktion saß damit in Heidelberg und die Druckerei in Mannheim. In dieser Trennung sah Häusser kein Problem. Wenn das Blatt gut laufe und in eine Tageszeitung umgewandelt werden solle, könne man weitersehen, schrieb er Buhl. Nachdem Jordan und Buhl die vorgeschriebene Kaution von 2000 Gulden für die Konzessionierung bezahlt hatten, startete das Wochenblatt für die Pfalz auf der mit Häusser, Pfeiffer und Hogrefe vereinbarten Basis mit der ersten Ausgabe am 5. Januar 1856.496 Diese enthielt einen programmatischen Aufsatz über 493 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 22.7.1855, LaS, V153 (BassermannJordan), Bd. 39. 494 Zu den Wahlen und den anschließenden Festessen zu Ehren der liberalen Kandidaten siehe die Tagebucheinträge Ludwig Andreas Jordans vom 20.11.1855, 21.11.1855, 5.12.1855, 9.12.1855, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 39. Das Festessen in Edenkoben am 5.12.1855 wurde sogar von der Polizei überwacht. 495 Ludwig Häusser an Franz Peter Buhl, Heidelberg, 7.12.1855, LaS, V153 (BassermannJordan), Bd. 352. Zu der Verbindung Häussers zu Pfeiffer siehe Kaltenbach, Häusser, S. 446. 496 Zu den Gesprächen mit Pfeiffer und Häusser sowie der Kaution siehe Tagebucheinträge Ludwig Andreas Jordans am 30./31.12.1855, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 39. Einen aufschlussreichen Einblick in die Handlungsspielräume liberaler Zeitungen in der­ Reaktionsperiode liefert Frölich, Volks-Zeitung. Fricke, Neuenburger Konflikt, bietet interessante allgemeine Überblicke zum gesetzlichen Rahmen der Pressearbeit während der Reaktionszeit und walzt dann sein Hauptthema viel zu breit aus.

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die Ausrichtung der Wochenzeitung.497 Darin machte der Autor zunächst deutlich, dass die unruhige Weltlage aufgrund des Krimkrieges und die Entwicklung der innenpolitischen Verhältnisse einen »größeren Kreise unabhängiger Männer der Pfalz« dazu gedrängt hätten, ihre Ansichten stärker zu vertreten. Diesem Zweck diene die neue Zeitung. Anschließend betonte der Verfasser, dass man sich in Bezug auf Bayern und die Pfalz gegen die Bevormundung durch die Bürokratie wende, die das »sich selbständig gestaltende Gemeindeleben« ersticke – eine klare Anspielung auf die Pluviôsierungen und die Reaktionsregierung Gustav von Hohes im Pfalzkreis. Zudem forderte das Blatt, am Frieden der Konfessionen festzuhalten, wie er mustergültig im Pfalzkreis bestehe. Beide Konfessionen hätten sich dort in ihrer »religiösen Denkungsart vielfach schon geeinigt«. Man werde daher auf »die neuen Eiferer« und »ihr verderbliches Treiben […] ein wachsames Auge haben.« Außerdem forderte die Zeitung, dass Deutschland eine »seiner Bildung und inneren Kraft« gebührende »Stellung […] nach Außen« einnehmen müsse. Der Verweis der Regierungen auf die ungünstige Weltlage, die einen solchen Schritt als zu riskant erscheinen lasse, sei nicht plausibel, denn die Weltgeschichte werde nie stillstehen, um die deutsche Einheit zu ermöglichen. Es sei im Gegenteil notwendig, diese so schnell wie möglich durchzuführen, damit die Weltgeschichte »nicht vernichtend über uns wegschreiten soll«. Damit zeigte diese programmatische Abhandlung sehr anschaulich, welche Ziele Buhl, Jordan und Häusser verfolgten. Es ging primär um nationale Einheit, eine größere Bewegungsfreiheit gegenüber der Bürokratie und den Religionsfrieden. Der folgende Artikel stellte eine Art Kommentar zu einer bestimmten konservativen Richtung dar, die sich die Abschaffung der noch bestehenden liberalen Errungenschaften, wie der Verfassung oder der Unabhängigkeit der Gerichte, auf die Fahnen geschrieben habe. Das sei jedoch nicht konservativ, sondern »destructiv«498. Ihr sei die »Einschüchterung […] das bequemste Mittel des Regierens.« Diese Richtung werde man bekämpfen. Dem folgte noch eine bittere Polemik gegen die Pfälzer Zeitung, die jedem Ministerium nach dem Mund reden werde, das »ihr die Zwangs-Inserate nicht entzieht«499. Sie habe daher keine festen Grundsätze, sondern könne nur »servil« genannt werden. Am Schluss der ersten Ausgabe stand noch eine Abhandlung über eine Rede des Generalstaatsprokurators des Pfalzkreises, Ludwig Schmitt, in Zweibrücken. Schmitt war ein wichtiges Rad im Getriebe des bayerischen Reaktionssystems im Pfalzkreis, da er zunächst als Staatsprokurator und seit 1852 als Generalstaats 497 O. V., An die Leser!, in: Wochenblatt für die Pfalz, Nr. 1 vom 5.1.1856, S. 1, LaS, H1, Bd. 1982. Daraus auch die folgenden Zitate. 498 O. V., Zur Orientirung, in: Wochenblatt für die Pfalz, Nr. 1 vom 5.1.1856, S. 2, LaS, H1, Bd. 1982. Daraus auch das folgende Zitat. 499 O. V., Aus der Pfalz, in: Wochenblatt für die Pfalz, Nr. 1 vom 5.1.1856, S. 2, LaS, H1, Bd. 1982. Daraus auch das folgende Zitat.

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prokurator rigoros gehen jegliche Oppositionsäußerung juristisch vorging.500 Der Generalstaatsprokurator hatte als höchster Jurist des bayerischen Rheinkreises jedes Jahr in einer großen Rede Rechenschaft über die juristischen Entwicklungen des verflossenen Jahres abzulegen. Das Wochenblatt für die Pfalz zerpflückte jetzt die in diesem Zusammenhang am 5. November 1855 gehaltene Rede. Die schlichte Botschaft der Rede habe gelautet: Das Bestehende sei gut, und wo Veränderungen notwendig seien, würde dies von der Regierung erkannt und umgesetzt. Insbesondere geißelte die Zeitung das vom Generalstaatsprokurator als höchstes Gut dargestellte »monarchische Prinzip«501, dem alle ­huldigen müssten. Der oberste Justizbeamte habe die Anhänglichkeit an den König und die Regierung eingefordert. Die Rede sei somit indirekt auch eine Aufforderung gewesen, bei den anstehenden Nachwahlen zur Kammer der Abgeordneten die Vertreter der Regierungspartei zu wählen. Die Pfälzer Wähler hätten jedoch bewiesen wie sie zu dieser Aufforderung stünden. Der anonyme Autor, wahrscheinlich Pfeiffer, der die meisten Artikel verfasste, zog ein vernichtendes Fazit: »Wir haben nie an so hoher Stelle und bei so feierlicher Gelegenheit so viele unpassende und so wenig würdige Worte machen hören.« Auf diese direkte Attacke auf den Generalstaatsprokurator Schmitt reagierte das Reaktionssystem sofort. Zwei Beamte aus dem Pfalzkreis suchten Hogrefe in Mannheim auf und fragten ihn nach dem Verfasser des Artikels aus. Diesen nannte Hogrefe nicht, doch übernahm er die Verantwortung für den Artikel.502 Daraufhin wurde ein Verfahren gegen ihn eingeleitet. Zunächst ermittelten die Bezirksgerichte Kaiserslautern, Frankenthal und Landau wegen »Preß­vergehens« gegen den Mannheimer Drucker, gegen den sie einen Haft­ befehl erließen. Dann übernahm das königliche Appellationsgericht in Zweibrücken den Fall und führte die bisherigen Ermittlungen zusammen. Dieses beschloss am 27. Februar 1856, den Prozess gegen Hogrefe zu eröffnen und dem Schwurgericht zu übertragen. In seiner Begründung hob das Appellationsgericht hervor, dass in der von Hogrefe gedruckten Nr. 1 des Wochenblattes für die Pfalz der Generalstaatsprokurator sowohl persönlich als auch in seinen Amtstätigkeiten verspottet und beleidigt werde. Damit werde ein öffentlicher Beamter geschmäht. Die Veröffentlichung dieses Artikels sei daher nach dem Gesetz zum Schutz gegen den Missbrauch der Presse strafbar.503 500 Ziegler, Gebremste Reaktion, S. 238. Eine Abrechnung mit dem System des Generalstaatsprokurators, einer Art Generalstaatsanwalt mit weitergehenden Befugnissen, findet sich aus liberaler Sicht in: L. L., Das Institut der Staatsanwaltschaft. 501 O. V., Rede eines General-Procurators, in: Wochenblatt für die Pfalz, Nr.  1 vom 5.1.1856, S. 3 f., LaS, H1, Bd. 1982. Daraus auch das folgende Zitat. 502 Carl Pfeiffer an Franz Peter Buhl, Heidelberg, 9.1.1856, BaK, N1754 (Buhl), Bd. 109. 503 Sitzung der Rathskammer des königlichen Appellationsgerichts der Pfalz, Zweibrücken, 27.2.1856, LaS, J2, Bd.  50. Dort auch die Zusammenfassungen der Ermittlungen der Bezirksgerichte.

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Hogrefe war über diese Entwicklung geschockt und fürchtete um seine Druckerlizenz. Insbesondere beunruhigte ihn, dass parallel dazu in Karlsruhe über die Einführung des Bundespressegesetzes im Großherzogtum Baden verhandelt wurde.504 Damit stand nicht nur das Verbot des Blattes für die Pfalz im Raum, sondern auch die Vernichtung seiner beruflichen Existenz. Nach einer Unter­redung mit Hogrefe schilderte Josephine Buhl ihrem Mann, wie aufgewühlt H ­ ogrefe sei. Er habe ihr mit Vehemenz erklärt: »Man könne mir nicht zumuthen, daß ich meinen Rücken dazu hergebe um allein all die gute oder üble Laune, die einige Heidelberger Hr. Professoren öffentlich auslassen wollen, auf demselben ausklopfen zu lassen.«505 Jordan riet ihm nach Rücksprache mit dem Frankenthaler Anwalt Georg Jakob Stockinger, sich nicht mehr im Pfalzkreis sehen zu lassen.506 Unterdessen erschien das Wochenblatt weiter. Die Zahl der Abonnenten erhöhte sich langsam. Im März meldete Pfeiffer ca. 420 Abnehmer des Blattes.507 Diese saßen nicht nur in der Pfalz, denn Buhl sorgte auch für eine Verbreitung der Zeitung in München.508 Im Zentrum des Blattes standen die Berichte über die Kammerverhandlungen in München. Zudem druckte die Zeitung auch Beiträge von Gervinus oder dem demokratischen katholischen Pfarrer und pfälzischen Abgeordneten Franz Tafel.509 Insgesamt vertrat die Zeitung in ihrer Ausrichtung eine gemäßigt liberale Position. In ihren Artikeln propagierte sie unter Verweis auf die historische Entwicklung in Deutschland eine konstitutionelle Monarchie und sprach sich gegen ein gleiches Wahlrecht aus. Bei der Repräsentation des Volkes müssten die 504 Josephine Buhl an Franz Peter Buhl, Mannheim, 23.1.1856, BaK, N1754 (Buhl), Bd. 3. Zu dem Bundespressegesetz vom 6.  Juli 1854 siehe Müller, Der Deutsche Bund 1815–1866, S.  39 f. und Kohnen, Pressepolitik, S.  32–62. Dem Deutschen Bund gelang es nicht, ein so­ rigoroses Kontrollsystem über die Presse wie in den 1840er Jahren aufzubauen. Das lag daran, dass der Staatenbund das Bundespressegesetz nur unter der Bedingung verabschieden konnte, dass es lediglich als Richtschnur für die einzelstaatlichen Gesetzgebungsmaßnahmen dienen sollte. Die Umsetzung wurde dann ganz unterschiedlich gehandhabt. In Baden erfolgte die tatsächliche Einführung erst im Februar 1857. Siehe Becht, Badischer Parlamentarismus, S. 676 f. 505 Josephine Buhl an Franz Peter Buhl, Mannheim, 23.1.1856, BaK, N1754 (Buhl), Bd. 3. 506 Ludwig Andreas Jordan an Franz Peter Buhl, Deidesheim, 11.2.1856, BaK, N1754 (Buhl), Bd. 7. Jordan hatte Stockinger bei einem Diner Carl von Gienanths in Ludwigshafen getroffen. Siehe Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 8.2.1856, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 40. 507 Carl Pfeiffer an Franz Peter Buhl, Heidelberg. 8.3.1856, BaK, N1754 (Buhl), Bd. 109. 508 Carl Pfeiffer an Franz Peter Buhl, Heidelberg, 9.1.1856, BaK, N1754 (Buhl), Bd. 109. Zu Reaktionen in München siehe Franz Peter Buhl an Josephine Buhl, München, 10.1.1856, in: Jansen (Hg.), Nach der Revolution, Dok. 188, S. 362. Der Brief ist von Jansen fälschlicherweise in das Jahr 1855 datiert und bezieht sich nicht, wie Jansen annimmt, auf die Bayrische Wochenschrift, sondern auf das Wochenblatt für die Pfalz. 509 Carl Pfeiffer an Franz Peter Buhl, Heidelberg, 23.1.1856, BaK, N1754 (Buhl), Bd. 109; Ludwig Andreas Jordan an Franz Peter Buhl, Deidesheim, 24.1.1856, BaK, N1754 (Buhl), Bd. 7; Carl Pfeiffer an Franz Peter Buhl, Heidelberg, 17.2.1856, BaK, N1754 (Buhl), Bd. 109.

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Lebensstellung und der Besitz der einzelnen Stände oder Klassen berücksichtigt werden.510 Diese Argumentationsfigur, bestimmte Entwicklungen aus der Geschichte abzuleiten und ihnen dadurch eine Berechtigung zuzusprechen, findet sich in den Artikeln immer wieder. Sie war bereits ein typisches Kennzeichen für den Liberalismus im Vormärz und gewann in der Nachmärzzeit nochmals an Bedeutung.511 Thomas Nipperdey hat diese Entwicklung auf den Punkt gebracht: Geschichte wurde »Führungswissenschaft zur Legitimation von Zielen und Zuständen.«512 Damit wurden die Historiker und historisch gebildeten Juristen zu entscheidenden Instanzen. Sie konnten mit Hilfe der Geschichte »wissenschaftlich« begründen, wohin der Zug der Zeit geht, wurden zu Exegeten der Zeitläufte. Auf die Historiker und ihr Wissen war man angewiesen, um zu verstehen und zu begründen, warum bestimmte Dinge weiterexistieren sollten und andere nicht. Diese nahmen ihre Rolle dankbar an. Sie beschränkten sich nicht auf ihre geschichtswissenschaftlichen Veröffentlichungen, sondern mischten sich eifrig in die publizistische Kommentierung des politischen Tagesgeschehens ein. Der so begründete Liberalismus wurde noch stärker evolutionär als vor der Revolution. Man wollte an das Bestehende, historisch Gewordene anknüpfen und es allmählich verändern, vorsichtig reformieren. In diese Tendenz fügte sich das Wochenblatt nahtlos ein. Neben den eher historisch-politisch-philosophischen Abhandlungen über Begriffe wie »Repräsentativ-Verfassung«, »Constitutionelle Monarchie« oder »Conservatismus« standen in der Wochenzeitung auch zahlreiche Berichte über die Weiterentwicklung des Krimkriegs und die Friedensverhandlungen in Paris. Dabei begrüßte man insbesondere die Eindämmung des reaktionären Russlands. In diesem Kontext beklagte die Zeitung immer wieder die Machtlosigkeit Deutschlands und die schwache Rolle Österreichs und Preußens in der internationalen Politik. Eine durch den Krimkrieg hervorgerufene nationale Aufbruchstimmung der Linken, wie es bei Jansen durchscheint, war das aber noch nicht.513 Dazu waren die Perspektiven noch viel zu verschwommen. Insofern kann man eher von einer vorsichtigen Wiederaufnahme der Debatten um die nationale Einheit sprechen. Am schärfsten polemisierte das Wochenblatt gegen die »Kriecherei« der Pfälzer Zeitung vor der Regierung. Zudem kritisierte es den Ausbau der Bürokratie und die Haltung vieler Beamter, politische Regungen im Rheinkreis zu unterdrücken. Für die »Reaction«514 hatte das Blatt eine Warnung parat. Wenn man 510 O. V., Die Repräsentativ-Verfassung, in: Wochenblatt für die Pfalz Nr. 7 vom 16.2.1856, S. 37–39, hier S. 38. 511 Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800–1866, S. 720. 512 Ebd. 513 Jansen, Einheit, Macht und Freiheit, S. 270–281. 514 O. V., Ein Wort der Warnung an die Reaction, in: Wochenblatt für die Pfalz Nr. 18 vom 3.5.1856, S. 113 f., hier S. 113. Daraus auch das folgende Zitat.

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die Wünsche nach politischer Freiheit unterdrücke, werde sich der »Gärprocess« auf den Bereich der Nation verlagern. Dann werde die Bewegung in diesem Bereich umso stärker auf Veränderung drängen. Auch wenn in diesem Kontext die Zeitung relativ zurückhaltend agierte, wurde doch an einigen Stellen deutlich, dass ihre Autoren mehrheitlich an eine »deutsche Mission«515 Preußens glaubten. Ludwig Andreas Jordan war mit dem Wochenblatt von Anfang an nicht besonders zufrieden. Von Seiten der Pfälzer gebe es einige Kritik, schrieb er Franz Peter Buhl am 24. Januar 1856.516 Es enthalte zu wenige Neuigkeiten und sei zu intellektuell. Dieser Kritik müsse er sich teilweise anschließen. Pfeiffers Stil sei schwierig, die Anordnung der Artikel unsinnig. Laut Jordan beklage sich auch Hogrefe über Pfeiffer, der die Sache nicht ernst genug nehme und häufig abwesend sei. Man konnte Hogrefe dann insofern etwas entlasten, als Pfeiffer ab April als verantwortlicher Redakteur des Blattes offiziell genannt wurde.517 Der Prozess gegen Hogrefe warf jetzt allerdings einige grundsätzliche Fragen auf. Sollte Hogrefe vor dem Schwurgericht erscheinen, verteidigt von einem Spitzenanwalt, sodass man den Prozess als großen Kampf gegen das Reaktionssystem im Pfalzkreis aufziehen konnte? Oder sollte Hogrefe, das Risiko einer Gefängnisstrafe vor Augen, nicht in Zweibrücken erscheinen, damit aber vor dem Reaktionssystem einknicken, da bei einem solchen Kontumazialverfahren keine Geschworenen zugelassen waren und die Richter allesamt regierungstreu waren?518 Die Einschätzung des Prozesses als Chance oder großes Risiko war zwischen den Beteiligten umstritten. Häusser sprach sich gegenüber Ludwig Andreas ­Jordan für das Erscheinen Hogrefes aus.519 Er sah in dem Verfahren einen Wendepunkt für das System von Hohe und Schmitt. Selbst eine Verurteilung könne, wenn man den Prozess richtig aufziehe, zu einem Triumph werden. Als Beispiel hob er den 1853 stattgefundenen Prozess gegen Gervinus wegen dessen demokratisch angehauchtem Buch »Einleitung in die Geschichte des 19. Jahrhunderts« hervor. Bei diesem Prozess hatte das Mannheimer Hofgericht in erster Instanz Gervinus zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, während das Oberhof­ gericht anschließend die Verurteilung wegen Verfahrensfehler wieder aufhob. Das Verfahren hatte für deutschlandweites Aufsehen gesorgt und Gervinus den 515 O. V., Gustav Diezel’s Schrift (Teil  V), in: Wochenblatt für die Pfalz Nr.  26 vom 28.6.1856, S. 162–164, hier S. 163. 516 Hierzu und zu dem Folgenden: Ludwig Andreas Jordan an Franz Peter Buhl, Deidesheim, 24.1.1856, BaK, N1754 (Buhl), Bd. 7. 517 Ebd. 518 Zur bayerischen Einstellungspraxis im Justizwesen der Pfalz nach der Märzrevolution siehe Baumann, Appellationsgericht, S. 51; Ziegler, Gebremste Reaktion, S. 236–238. 519 Ludwig Häusser an Ludwig Andreas Jordan, Heidelberg, 22.4.1856, LaS, V153 (Basser­ mann-Jordan), Bd. 352.

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Entzug seiner Lehrbefugnis eingebracht.520 Häusser wünschte zusätzlich zu einem Pfälzer Anwalt den Münchener Verteidiger Dr. Herrmann für Hogrefe zu engagieren. Wie Häusser hervorhob, dürften »etwas Mühe u[nd] Geld […] hier nicht gescheut werden«521. Aus Häussers Sicht mache ein solcher Einsatz aber nur Sinn, wenn man auch weiterhin überzeugt von dem Wochenblatt sei. Auch Pfeiffer war für eine solche Taktik. Man müsse die Pfälzer Abgeordneten und ihre Wähler dazu bringen, für das Blatt einzustehen und damit den Prozess »zur Angelegenheit der Pfalz«522 machen. Hier lag jedoch ein Problem, denn diese Möglichkeit schätzte Jordan sehr gering ein. Man sei wie »Officiere ohne Soldaten«523, schrieb er Häusser, denn es stünden nicht viele Pfälzer hinter dem Wochenblatt. In der Öffentlichkeit würden er und Buhl als Initiatoren gelten. Man empfinde das Blatt in der Pfalz daher als »octroyirt«. Er könne also niemanden auffordern, sich an den Prozesskosten zu beteiligen. Er sei sich daher nicht sicher, ob es nicht sogar besser wäre, wenn das Blatt durch das Kontumazialurteil verboten werde. Dann könnte man die Zeitung in Ehren einstellen. Das würde gleichzeitig die Chance für eine Neugründung auf breiterer Grundlage eröffnen. Im anderen Fall, bei Freispruch oder geringer Verurteilung Hogrefes, »vegetirt das Wochenblatt fort und geht nach großen Verlusten an Abonnenten-Mangel zu Grunde, wenn nicht sehr radicale Aenderungen vorgenommen werden. Unser Wochenblatt ist für die Mehrzahl der Pfälzer zu gut; die Zahl der Guten aber ist zu klein; deßhalb wird ein größeres Terrain, ein dankbarerer Boden gesucht werden müssen.«

Trotz dieser Bedenken betonte Jordan, dass er für den Fall, dass Hogrefe sich dem Prozess stelle, bereit sei, gemeinsam mit Buhl Dr. Herrmann zu engagieren. Ganz dezidiert lehnte Josephine Buhl ein groß aufgezogenes Gerichtsverfahren ab. Insbesondere regte sie sich über die Heidelberger Bildungsbürger auf, die über das Geld der Deidesheimer Gutsbesitzer wie selbstverständlich verfügen würden. Häusser gebe gut gemeinte Ratschläge, die jedoch auf ihre Kosten gingen. Den Heidelberger Intellektuellen warf sie Hochnäsigkeit vor, denn »[d]ie großen Geister stellen sich so unendlich höher als den schlichtern unstudirten Mann, daß sie diesem schon eine Ehre anthun, wenn sie ihren Geistesproducten durch dessen Geld die Wege bahnen.«524 Weitere Investitionen in 520 Zu dem Prozess siehe die Dokumentation von Boelich (Hg.), Hochverratsprozess. Zur Einschätzung von Gervinus’ Buch und des Verfahrens siehe auch Hübinger, Gelehrte, S. 40–43. 521 Ludwig Häusser an Ludwig Andreas Jordan, Heidelberg, 22.4.1856, LaS, V153 (Basser­ mann-Jordan), Bd. 352. 522 Carl Pfeiffer an Ludwig Andreas Jordan, Heidelberg, 26.4.1856, BaK, N1754 (Buhl), Bd. 7. 523 Ludwig Andreas Jordan an Ludwig Häusser, Deidesheim, 25.4.1856, BaK, N1754 (Buhl), Bd. 109. Daraus auch die folgenden Zitate. 524 Josephine Buhl an Franz Peter Buhl, Deidesheim, 29.4.1856, BaK, N1754 (Buhl), Bd. 3. Daraus auch das folgende Zitat.

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das Wochenblatt-Projekt würden sich nicht lohnen, denn in seiner jetzigen Aufmachung werde das Wochenblatt »in der Pfalz nie populair«. Letztendlich hing alles von der Entscheidung Heinrich Hogrefes ab. Dieser war verständlicherweise zu ängstlich, um persönlich vor Gericht zu erscheinen. Pfeiffer hatte zwar angemahnt, Druck auf Hogrefe auszuüben, doch dazu waren weder Buhl noch Jordan bereit.525 Auch als Jordan am 13.  Mai Hogrefe noch einmal aufsuchte, blieb dieser bei seinem Entschluss, sich nicht zu stellen.526 Daher kam es, wie von Häusser befürchtet, nur zu einem Kontumazialprozess in Zweibrücken. In diesem wurde Hogrefe am 21. Mai 1856 auf der Basis des bayerischen Pressegesetzes zu viermonatiger Haft, 100 Gulden Geldstrafe und Übernahme der Prozesskosten verurteilt. Zudem wurde das Wochenblatt für die Pfalz im Pfalzkreis verboten.527 Hogrefe legte gegen das Urteil Berufung ein, die am 29. August 1856 abgelehnt wurde.528 Über das Verbot des Blattes war Jordan nicht unglücklich, denn es hatte in den Wochen vor dem Gerichtsurteil deutlich an Abonnenten verloren. Jordan sah daher keine Zukunft für die Zeitung. Aus dieser Perspektive erschien das Verbot des Wochenblattes als »günstiges Ereigniß«529. So könne man die Zeitung mit Ehren einstellen und sei nicht gezwungen, in einigen Wochen wegen mangelnden Absatzes aufzugeben. Jordan kam zu dem ernüchternden Fazit: »Ein gewaltsamer Tod eines Blattes ist für uns ehrenvoll, ein Absterben ist schmachvoll.« Dieser Ansicht schloss sich auch Buhl an, sodass das Blatt seine Tätigkeit mit der Ausgabe vom 28. Juni 1856 einstellte. Mit einem Schlusswort an die Leser verabschiedete sich die Zeitung. Darin betonte man, dass das Verbot des Wochenblatts für die Pfalz noch einmal gezeigt habe, dass das Verwaltungssystem des Pfalzkreises »eine unabhängige Presse nicht ertragen«530 könne. Sarkastisch vermerkte man, dass das Monopol der regierungsnahen Pfälzer Zeitung damit gesichert sei. In den weiteren Ausführungen rechnete man noch einmal scharf mit dem Reaktionssystem im Pfalzkreis ab. Das System könne nur bestehen, »wenn es eine entmuthigte Presse, entmuthigte Richter und eine entmuthigte Bevölkerung unter sich hat«. Darauf ziele es ab. Der Abschlussartikel appellierte daher auch an den Mut der Pfälzer, sich nicht tatenlos in ihr Schicksal zu ergeben. 525 Carl Pfeiffer an Franz Peter Buhl, Heidelberg, 26.4.1856, BaK, N1754 (Buhl), Bd. 109. 526 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 13.5.1856, LaS, V153 (BassermannJordan), Bd. 40. 527 Untersuchung gegen Heinrich Hogrefe von Mannheim wegen Preßvergehen betr., in: Königlich Bayerisches Kreis-Amtsblatt der Pfalz 1856, Sp. 539 f. 528 Bekanntmachung, in: Königlich Bayerisches Kreis-Amtsblatt der Pfalz 1856, Sp. 1086. 529 Ludwig Andreas Jordan an Franz Peter Buhl, Deidesheim, 24.5.1856, BaK, N1754 (Buhl), Bd. 7. Daraus auch das folgende Zitat. 530 Schlußwort an die Leser, in: Wochenblatt für die Pfalz Nr. 26 vom 28.6.1856, S. 161. Daraus auch das folgende Zitat.

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Damit war der Versuch von Jordan, Buhl und Häusser, eine Zeitung im Pfalzkreis und der näheren Umgebung einzuführen, gescheitert. Jordan notierte als Fazit dieses Experiments in sein Tagebuch lapidar: »Viel Geld zugesetzt & wenig Anerkennung!«531 Das Zeitungsprojekt hatte damit offenbart, dass das Reak­ tionssystem 1856 noch reibungslos funktionierte. Die Pfälzer Bürokratie hatte schnell reagiert und hatte mit dem Pressegesetz ein entsprechend weit gefasstes Instrumentarium an der Hand, um eine kritische Presse auszuschalten. Damit wurden Jordan und das Wochenblatt ironischerweise ein Opfer des Gesetzes gegen den Missbrauch der Presse, dem Jordan in der Kammer der Abgeordneten 1850 zugestimmt hatte. Die Analyse des Verhaltens von Jordan und Buhl in der Reaktionsphase zeigt aber auch eines sehr deutlich – die wieder fest im Sattel sitzenden konservativen Regierungen verpassten im unmittelbaren Nachmärz die Chance, mit den eher gemäßigt orientierten Liberalen, die überhaupt nicht an die Abschaffung der Monarchie oder ein gleiches Wahlrecht dachten, zusammenzuarbeiten. Diese Gruppe hätte man problemlos in das Regierungssystem einbinden können. Dazu waren diese Liberalen nach den Erfahrungen der Märzrevolution mit ihren Radikalisierungsschüben durchaus bereit. Indem man aber selbst die gemäßigten Personen der Opposition zuordnete und den Versuch ihrer Einflussnahme bekämpfte, trieb man diese erneut in eine schärfere Gegenposition zur Regierung. Sie suchten sich fast zwangsläufig eine stärkere Basis, um auf diese Weise wieder den Druck auf die Fürsten und die Regierungen zu erhöhen. Aus dieser Erfahrung heraus erscheinen die mit dem Ende der Reaktionszeit und dem Beginn der »Neuen Ära« aufgebauten Vereinsgründungen und nationalen Netzwerke, wie sie zum Beispiel der 1859 gegründete Nationalverein repräsentierte, als ein Versuch, die Oppositionskräfte zu bündeln und stärker in der breiten Bevölkerung zu verankern. Diese Lehre aus der gescheiterten Revolution und der anschließenden Reaktionszeit hatte auch das Wochenblatt für die Pfalz verinnerlicht: »[J]eder Versuch zur Erweiterung der öffentlichen Freiheit« kann nur auf der Basis »hinlängliche[r] Kräfte und Fähigkeiten«532 unternommen werden. Diese Kräfte galt es zu schaffen und zu bündeln.

531 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 8.6.1856, in: LaS, V153 (BassermannJordan), Bd. 40. 532 O. V., Ein Wort an die Reaction, in: Wochenblatt für die Pfalz Nr. 18 vom 3.5.1856, S. 1.

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5.5 Der kleindeutsche Standpunkt in der Pfalz: Von der Gründung der Fortschrittspartei in Bayern bis zum deutsch-deutschen Krieg 1866 Für den Aufbau einer starken durchsetzungsfähigen Opposition war es nicht nur entscheidend, den Graben zwischen den Demokraten und Liberalen zuzuschütten, sondern man musste auch den Konflikt zwischen großdeutscher und kleindeutscher Ausrichtung eines zukünftigen deutschen Einheitsstaates überwinden. Diese Zielsetzung war für die Pfalz zentral, denn außer dem Vorderpfälzer Wirtschaftsbürgertum, war man dort, wie im restlichen Bayern, vor allem an Österreich orientiert. Man präferierte also eine großdeutsche Staatsgründung. Diese Spaltung der pfälzischen demokratisch-liberalen Bewegung hatten Jordan und Buhl bei ihrem Zeitungsprojekt zu spüren bekommen. Insbesondere Ludwig Andreas Jordan war daher in der Folgezeit darauf bedacht, sich mit seiner kleindeutschen Ausrichtung nicht zu exponieren. Nach dem gescheiterten Wochenblatt für die Pfalz konzentrierten sich Jordan und Buhl zunächst wieder auf ihre politischen Ämter und Funktionen. Jordan fiel dabei eher das Bespielen der regionalen Bühne im Landrat oder in der Handels- und Gewerbekammer der Pfalz zu. Buhl agierte auf der Landtagsebene in München. Mit dem Aufbruch der »Neuen Ära« und dem Ausbruch des italienischen Einigungskrieges, der mit dem Kaiserreich Österreich auch ein Mitglied des Deutschen Bundes direkt betraf, rückte das Thema einer deutschen Nationalstaatsgründung dann mit Vehemenz wieder auf die liberale Agenda.533 Der Streit um eine mögliche Unterstützung Österreichs durch Preußen oder den Deutschen Bund bzw. eine abwartende neutrale Position polarisierte die Meinungen. Auch der Heidelberg-Deidesheimer Kreis erfuhr einen Riss. Heinrich von ­Gagern konnte sich eine deutsche Einheit unter Ausschluss Österreichs nicht vorstellen und entwickelte ein Programm, nach dem ein deutscher Staat unter Einschluss Österreichs und Preußens mit einem Gesamtparlament und einem dem Parlament verantwortlichen Ministerium geschaffen werden sollte.534 Dagegen präferierten Buhl und Jordan mehr denn je eine deutsche Einheit unter preußischer Führung. Jordan, der versöhnlicher und harmonisierender agierte als Buhl, und Heinrich von Gagern immerhin noch die Berechtigung einiger seiner Ansichten konzedierte, sah vor allem in der Rolle Frankreichs das entscheidende Moment 533 Jansen, Einheit, Macht und Freiheit, S. 288–322. 534 Marquard Barth an Franz Peter Buhl (Abschrift Heinrich von Gagerns), 20.10.1859; Heinrich von Gagern an Max von Gagern, o. D.[vermutlich Oktober 1859]; Heinrich von­ Gagern an Adolf von Zerzog, Heidelberg, 28.12.1859, alle in HSD, O11 (Gagern), Bd. L67. Vgl. dazu auch Möller, Gagern, S. 403 f.

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der Auseinandersetzung. Napoleon III. habe Europa den »Fehdehandschuh«535 hingeworfen. Gegenüber Gagern prognostizierte er, dass eine Auseinandersetzung mit Frankreich daher in den nächsten Jahren auf jeden Fall auf der Agenda stehen werde. Dann würden sich die jetzt geteilten Meinungen wieder einigen, und man werde gemeinsam für ein geeintes Deutschland eintreten. Diese Positionen wurden in der aufgeheizten Atmosphäre nicht mehr nur privat ausgetauscht, sondern es kam auch zu einer intensiven öffentlichen Debatte. Die Publizistik lebte wieder auf, begünstigt auch durch die liberalere Presse­ politik in der »Neuen Ära«. Damit ergaben sich in dieser Phase auch wieder Möglichkeiten, überregionale Zeitungen zu Stande zu bringen, welche liberale Ziele und die Idee der deutschen Einheit weiter verbreiten konnten. Daran beteiligten sich auch wieder Jordan und Buhl. Buhl traf in München auf einige Abgeordnete, die ähnlich wie er auf Preußen als Förderer der deutschen Einheit setzten, und damit in Bayern, das insgesamt stark an Österreich orientiert war, eine deutliche Minderheit darstellten.536 Zu diesem Kreis gehörte der Fränkische Jurist und Journalist Karl Brater, der gemeinsam mit dem aus der Schweiz stammenden Staatsrechtler Johann ­Caspar Bluntschli in München seit 1856 das Deutsche Staatswörterbuch herausgab und seit dem Frühjahr 1859 dort auch die Bayerische Wochenschrift leitete.537 Hinzu kamen der aus Augsburg stammende Jurist Marquard Barth538 und J­oseph Völk539, ebenfalls ein Jurist, der in Augsburg als Rechtsanwalt tätig war. Dieser Kreis versuchte jetzt, gemeinsam mit den von König Maximilian II. an die Münchner Universität berufenen meist aus dem Norden stammenden Professoren wie dem Historiker Heinrich von Sybel, durch die Gründung der Süddeutschen Zeitung in München eine Nationalstaatsgründung unter preußischer Führung in Bayern und Süddeutschland vorsichtig populärer zu machen.540 So wollte man auch dem enormen Einfluss der großdeutsch orientierten 535 Ludwig Andreas Jordan an Heinrich von Gagern, Deidesheim, 10.3.1860, HSD, O11 (Gagern), Bd. E38. 536 Die Darstellung dieser Gruppierung und ihrer weiteren Entwicklung stützt sich vor allem auf die Qualifikationsarbeiten und Darstellungen, die in den 1920er und frühen 1930er Jahren im Umfeld des Münchener Landeshistorikers Michael Doeberl und seines nationalkonservativen Lehrstuhlnachfolgers Karl Alexander von Müller entstanden sind. An Dichte unübertroffen, bei zum Teil schiefen Urteilen über Personen oder bestimmte »Volkscharaktere«, ist die Dissertation Theodor Schieders, Partei. Seitdem hat das Thema in der Forschung keine vertiefende Behandlung mehr erfahren. 537 Schieder, Brater. Zur Gründung der Bayerischen Wochenschrift siehe u. a. Raumer, Das Jahr 1859. 538 Steinsdorfer, Barth. 539 Vogt, Völk. 540 Zu dem Projekt insgesamt siehe Biefang, Politisches Bürgertum, S. 229; Schultze, Zeitungsgründung. Daneben gibt es eine umfangreiche Memoirenliteratur, in der das Thema meistens nur knapp gestreift wird.

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Augsburger Allgemeinen Zeitung etwas entgegensetzen.541 Als Chefredakteur fungierte Karl Brater, der von seinem Assistenten Adolf Wilbrandt unterstützt wurde.542 Neben den privaten Unterstützungen wurde die Zeitung vor allem aus Mitteln des preußischen Staates über das »Literarische Büro« Max Dunckers finanziert. Buhl war zunächst als Mittelsmann für diese Gelder vorgesehen.543 Die Subventionierung wurde letztendlich jedoch über Karl Mathy, der mittlerweile als Direktor der Gothaer Privatbank arbeitete, abgewickelt. Buhl saß allerdings im Leitungskomitee der Zeitung und unterstützte diese nach Kräften.544 Das tat auch Jordan, doch engagierte er sich zudem noch für ein weiteres Zeitungsprojekt, das erneut von Ludwig Häusser mitinitiiert wurde. Dabei ging es um eine Art Neuauflage der Deutschen Zeitung, die in Frankfurt gegründet werden sollte. Die neue Zeitung erschien ab 1861 unter dem Namen Die Zeit, geleitet von dem bisherigen Redakteur der Weser-Zeitung August L ­ ammers545 und war wie die Deutsche Zeitung auf Aktienbasis organisiert. Das Programm war gemäßigt-liberal. Die Zeit zielte vor allem auf die Einheit der liberalen Bewegung und beurteilte daher zum Beispiel die Gründung der preußischen Fortschrittspartei 1861 als kritisch, da sie zu einer Spaltung des Liberalismus führe. Jordan erklärte sich gegenüber Häusser mit dem Programm der Zeitung einverstanden und unterstützte das Blatt mit 500 Gulden.546 Dem Frankfurter Arzt und Mitherausgeber der Zeitung, Georg Varrentrapp, sandte er eine Adressliste mit Pfälzer Buchhandlungen, über welche die Zeitung verbreitet werden sollte.547 Buhl sah in der neuen Zeitung zu Recht eine Konkurrenz für die Süddeutsche Zeitung. Immerhin waren beide Zeitungen liberal ausgerichtet und hatten einen nationalen Leserkreis im Blick.548 Beide Zeitungen erreichten auch nur eine relativ kleine Auflage.549 Als dann die preußische Unterstützung für die Süddeutsche Zeitung aufgrund des wieder stärker konservativen Kurses in Berlin wegfiel und Karl Brater zunehmend unter gesundheitlichen Problemen litt, dachte man über eine Fusion der beiden liberalen Zeitungen nach. Dazu trafen sich die 541 Hermann Baumgarten an Max Duncker, München, 15.7.1859, in: Schultze (Hg.), Max Duncker, Dok. 158, S. 158; Bluntschli, Denkwürdigkeiten, Bd. 2, S. 256 f. 542 Zur Redaktionsarbeit von Brater und Wilbrandt, denen es gelang, ein qualitativ hochwertiges Blatt auf die Beine zu stellen, siehe Wilbrandt, Werdezeit, S. 107–111; Sapper, Pauline Brater, S. 118–126. 543 Heinrich von Sybel an Max Duncker, Rottach, 6.8.1859; Max Duncker an Hermann Baumgarten, Berlin, 9.8.1859, in: Schultze (Hg.), Max Duncker, Dok. 230 und 231, S. 168. 544 Heinrich von Gagern an Max von Gagern, o. D.[vermutlich Oktober 1859], HSD, O11 (Gagern), Bd. L67; Biefang, Politisches Bürgertum, S. 229. 545 Böhmert, Lammers. 546 Ludwig Andreas Jordan an Ludwig Häusser, Deidesheim, 13.3.1861, UBH, Nachlass Häusser, Bd. Hs. 3741. 547 Ebd. 548 Biefang, Politisches Bürgertum, S. 229. 549 Ebd., S. 230.

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liberalen Unterstützer beider Zeitungen in Deidesheim, wo Brater durch einen mehrwöchigen Aufenthalt bei Buhl seine angeschlagene Gesundheit wieder herstellen wollte.550 Wie Häusser gegenüber Jordan hervorhob, gehe es darum, eine starke Zeitung aus beiden zu schaffen, indem man die finanzielle Ausstattung, die Arbeitskräfte und die Abonnements auf eine Zeitung konzentriere.551 Dazu sollten die Redaktionen der Süddeutschen Zeitung und der Zeit in Frankfurt zusammengelegt werden und die fusionierte Zeitung unter dem Namen der Süddeutschen Zeitung weiter erscheinen.552 Die Fusion wurde sorgfältig vorbereitet und bei einer Besprechung der Orga­ nisatoren beider Zeitungen im Juni 1862 in Frankfurt abgesegnet.553 Die jetzt aus Frankfurt agierende Süddeutsche Zeitung wurde in der Folgezeit zum »wich­ tigsten überregionalen Blatt des liberalen Flügels der Fortschritts­politik«554 und berichtete ausführlich über die politische Entwicklung in den einzelnen deutschen Ländern und die dortige Rolle der Fortschrittsparteien. Insgesamt verhielt sich Jordan in dieser Phase etwas zurückhaltender als der forsche, ehrgeizige Buhl, der auf vielen Hochzeiten tanzte. Fürst OettingenWallerstein, der die Pfälzer Anliegen bei der Revision der Gemeindeordnung unterstützt hatte und Jordan 1856 noch gebeten hatte, in die Kammer der Abgeordneten zurückzukehren, charakterisierte am 17. Juni 1862 gegenüber dem Herausgeber der Augsburger Allgemeinen Zeitung, Georg von Cotta, den Kreis um Buhl und Jordan in kritisch-polemischer Weise. Von diesen hatte er sich durch die unterschiedliche Ausrichtung in der deutschen Frage stark entfremdet: »Dieser Mann [Buhl, H. T.] verbindet mit einer eminenten Gabe politischer Intrige und mit einem unwiderstehlichen Bedürfnisse darnach die seltene Eigenschaft, durch stetes Voranstellen Dritter zugleich Eitelkeitsproseliten zu machen und sich die weit bequemere, weit wirksamere Rolle unsichtbarer Direktion zu sichern. […] [D]urch ihn faßte in den jüngsten Jahren die kleindeutsche Idee mächtigen Fuß in der Rheinpfalz, gewann dieselbe sogar ein kleines, jedoch ungeheuer rühriges Häuflein in der bayerischen Abgeordnetenkammer. – Immens begüterter Weinproduzent und Kapitalist zu Deidesheim, bildet er mit seinem Schwager, dem ebendort wohnenden gleich gestellten Jordan und dem 5/4 Stunden von dort entfernten beinah noch reicheren Wolf von Wachenheim ein Kleeblatt, dessen pekuniäre Klientel Massen kleiner Besitzer umfaßt und dessen autoritatives Gewicht über weite Klassen sich erstreckt.«555

550 Biefang, Politisches Bürgertum, S.  228–230; Bluntschli, Denkwürdigkeiten, Bd.  3, S. 37–39. 551 Ludwig Häusser an Ludwig Andreas Jordan, Heidelberg, 8.5.1862, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 352. 552 Ebd. 553 Biefang, Politisches Bürgertum, S. 230 f. 554 Ebd., S. 230. 555 Fürst Wallerstein an Georg von Cotta, München, 17.6.1862, in: Schiller (Hg.), Briefe an Cotta, S. 293 f.

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Dabei verschwieg Fürst Oettingen-Wallerstein geflissentlich, dass er selbst bei Ludwig Andreas Jordan verschuldet war. Nach seinem Ausscheiden aus der Kammer der Abgeordneten 1858 kämpfte er in seinen letzten Lebensjahren gegen seine hohe Verschuldung an und flüchtete schließlich vor seinen Gläubigern in die Schweiz. Jordan beauftragte zwar einen Münchner Anwalt damit, die Schulden einzutreiben, doch machte dieser Jordan wenig Hoffnung.556 Mitten in dieser Phase der stärkeren Verankerung der kleindeutschen Position im Pfalzkreis und in Bayern, starb Buhl überraschend am 11. August 1862 in Coburg. Über den plötzlichen Tod Buhls berichteten auch die regionalen und überregionalen Blätter. Selbst die konservative Pfälzer Zeitung kommentierte ausführlich den Tod ihres »politische[n] Gegners[s]«557. Der anonyme Verfasser des Artikels hob insbesondere die Trauerrede des Pfarrers bei der Beerdigung in Deidesheim hervor. Dieser habe Buhl »als sittenreinen Charakter, musterhaften Gatten, Erzieher tüchtiger Söhne, braven, opferbereiten Bürger und guten Patrioten«558 geschildert. Seine Predigt habe in dem Ausruf gegipfelt: »Vaterland, hast Du Thränen für gute Söhne, weine sie hier; hast Du Bürgerkronen für Verdienste, so lege sie auf dieses Grab!« Auf diese Weise erschien Buhl in der Pfälzer Zeitung vor allem als tugendhafter Bürger, dessen moralisches Verhalten als Vorbild dienen konnte. Wesentlich politischer kommentierte die Süddeutsche Zeitung den Tod Buhls, den sie als Kämpfer für die »liberale und nationale Sache«559 porträtierte. Die Nähe der Pfalz zu Frankreich aufgreifend, betonte der Verfasser, dass Buhl als »deutscher Mann […] im Westen [als] ein wackerer Grenzhüter« gewirkt habe. Buhl sei das seltene Beispiel eines politischen Mannes aus dem Bürgertum, das sich viel zu wenig für die Politik engagiere. Der Tod Buhls diente dem Verfasser auch dazu, darüber zu räsonieren, wie zersplittert in verschiedene Parteilager die Bewegung mittlerweile sei. Buhl sei damit wie so viele vor ihm verstorben, ehe das große Ziel erreicht sei. Darauf folgte ein kraftloser Schluss­appell an die eigenen Anhänger, »auszuharren und nicht abzulassen. Verloren wird eine Sache nicht sein, für welche Männer wie der Todte, den wir jetzt beklagen, ihre Kraft so hingebend eingesetzt haben.« Den ausführlichsten Nachruf veröffentlichte die Wochenschrift des National­ vereins, obwohl Buhl und auch Jordan nie Mitglied des Nationalvereins waren, da sie ihre Stellung in der Pfalz durch die Zugehörigkeit zu diesem kleindeutsch orientierten Zusammenschluss der Demokraten und Liberalen nicht weiter un 556 Königlicher Advocat Noel an Ludwig Andreas Jordan, 9.6.1862, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 392. 557 O. V., Speyer, in: Pfälzer Zeitung Nr. 187 vom 13.8.1862, S. 2. 558 O. V., Deidesheim, in: Pfälzer Zeitung Nr. 190 vom 16.8.1862, S. 2. 559 O. V., Franz Buhl, in: Süddeutsche Zeitung Nr. 84 vom 14.8.1862, S. 1; zu finden in LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 354. Der Verfasser ist mit H. angegeben. Vielleicht handelt es sich um Ludwig Häusser. Daraus auch die folgenden Zitate.

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tergraben wollten.560 Der Verfasser des Nachrufs zeichnete Buhl als Netzwerker, der Verbindungen zu zahlreichen Protagonisten des Liberalismus gehabt und diese häufig zusammengeführt habe. Der Nachruf zielte damit auch in die Richtung, die bereits Oettingen-Wallerstein eingeschlagen hatte, selbstverständlich mit einer differierenden Beurteilung. Auch im Nachruf der Wochenschrift des Nationalvereins wurde Buhl wieder als Muster des politisch engagierten Bürgers vorgestellt, der seine persönliche Kraft und sein Vermögen für die gute­ Sache eingesetzt habe.561 Konkreter als für diese Autoren, die Buhls Tod auch nutzten, um ihre eigenen politischen Ansichten zu propagieren, traf der Tod Buhls Ludwig Andreas­ Jordan und seine näheren Verwandten. Für Jordan war es der Verlust seines engsten Freundes und Vertrauten. Jordan und Buhl hatten mit ihren Heiraten ihre enge Verbindung noch gefördert und anschließend gemeinsam wirtschaftlich und politisch agiert. Gegenüber dem kleindeutschen Historiker, preußischen Politiker und Weinkunden Jordans, Heinrich von Sybel, betonte Jordan, dass Buhl ihm in politischer Hinsicht unersetzlich sei. Er vermisse seinen Rat, den er häufig in Anspruch genommen habe.562 Beide hatten auch ihre Einflussbereiche mit der Zeit immer stärker aufgeteilt. Hier musste Jordan jetzt nach Möglichkeiten suchen, die politische Macht der Familien Jordan/Buhl aufrechtzuerhalten. Da der bayerische Landtag, der 1862 nicht zusammengetreten war, zu Beginn des Jahres 1863 vom bayerischen König vorzeitig aufgelöst wurde, bot sich die Möglichkeit für Jordan, an Stelle von Buhl wieder in den Landtag einzuziehen. Dass es dabei auch um die Sicherung der Einflussmöglichkeiten ging, sprach Jordan nicht aus. Gewöhnt, alle Entscheidungen in einen höheren moralischen Zweck einzuordnen, betonte er, dass es die Pietät gegenüber Buhl gebiete, dessen Wirken fortzuführen.563 Seine Kandidatur war jedoch unter den Pfälzer Liberalen und Demokraten umstritten. Insbesondere seine an Preußen orientierte Ausrichtung war den Großdeutschen und Partikularisten in der Pfalz ein Dorn im Auge. Diese Orientierung auf Preußen hatte durch den Wandel des preußischen Heeres- in den Verfassungskonflikt erheblich an Plausibilität eingebüßt. Aus der Auseinandersetzung um die Inhalte der Heeresreform und ihre Finanzierung hatte sich im Laufe der Jahre 1861 und 1862 ein Grundsatzkonflikt über die politische 560 Zur Gründung des Nationalvereins und den Vorbehalten der kleindeutsch orientierten Liberalen Süddeutschlands siehe Schieder, Partei, S. 12–14. Franz Peter Buhls Sohn Armand war allerdings Mitglied des Nationalvereins. Siehe Klötzer (Hg.), Koch-Gontard, S. 285, Fn. 4. 561 O. V., F. P. Buhl, in: Wochenschrift des Nationalvereins Nr. 121 vom 22.8.1862, S. 1005 f.; zu finden in LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 354 562 Ludwig Andreas Jordan an Heinrich von Sybel, Deidesheim, 26.11.1862, GStA PK, Nachlass Heinrich von Sybel, B1 Nr. XXI. 563 Ludwig Andreas Jordan an Johann Caspar Bluntschli, Deidesheim, 30.3.1863, ZBZ, Familienarchiv Bluntschli, Bd. 7.430.

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Machtverteilung zwischen Krone bzw. Regierung und preußischem Abgeordnetenhaus entwickelt. Insbesondere die neugegründete preußische Fortschrittspartei drängte auf die Durchsetzung liberaler Prinzipien in Preußen. Wilhelm I. war unter diesen Umständen kurz davor abzudanken und dem liberaler eingestellten Kronprinzen Friedrich das Feld zu überlassen. Mit der Ernennung Otto von Bismarcks zum preußischen Ministerpräsidenten im September 1862 wagte er noch einen letzten verzweifelten Versuch, den Machtanspruch des preußischen Königs und seiner Regierung gegen das Parlament aufrechtzuerhalten. Das Verhalten des Königs und die Ernennung des aus Sicht der Liberalen ultrakonservativen Junkers Bismarck zum Ministerpräsidenten ließen alle Hoffnungen auf ein durch liberale Reformen attraktives Preußen in der kleindeutschen liberalen Bewegung schwinden. Das erschwerte vor allem die Position dieser Gruppe in Süddeutschland, die ohnehin einen wackeligen Stand hatte und der jetzt auch die Argumente ausgingen, um für eine preußische Spitze eines zukünftigen deutschen Staates zu werben. Jordan machte diese Lage gegenüber Heinrich von Sybel am 1. Dezember 1862 sehr deutlich: »Für uns wenige in Süddeutschland, die auf Preußen hofften, sind die dortigen Verhältnisse fast noch drückender, wie für die Preußen selbst. Wir verlieren allen Einfluß & müssen schweigen, so unveränderlich auch meine Ansicht stehen bleibt, daß nur Preußen an der Spitze von Deutschland stehen kann.«564

Die Auseinandersetzung um eine großdeutsche oder kleindeutsche Orientierung dominierte auch den Wahlkampf nach der offiziellen Auflösung des bayerischen Landtags am 3. März 1863. Diesen Zeitpunkt hatten König und Regierung bewusst gewählt, um in der Schwächephase Preußens die kleindeutschen Liberalen in der Kammer zu dezimieren. Damit bewirkte die Regierung jedoch das Gegenteil, denn diese Gruppierung begann sich jetzt fester zu organisieren.565 Insbesondere Brater versuchte, aus dem linken Club der Abgeordnetenkammer einen bayerischen Ableger der »Fortschrittspartei« mit einem eigenen Wahlprogramm zu schmieden.566 Die Gründung war Teil einer vom Nationalverein »koordinierte[n] Politik«567, mit der die liberal-demokratische Bewegung in wichtigen deutschen Ländern »Fortschrittsparteien« auf die Beine stellen wollte.568 Grundlage des Programms war die Forderung nach einer Zentralgewalt und einem nationalen Parlament. Der erste Programmentwurf, der Ludwig Andreas Jordan zuging, enthielt noch einen Bezug auf die Verfassung der Paulskirche und damit auf die kleindeutsche Lösung der deutschen Einheit. 564 Ludwig Andreas Jordan an Heinrich von Sybel, Deidesheim, 1.12.1862, GStA PK, Nachlass Heinrich von Sybel, B1 Nr. XXI. 565 Schieder, Partei, S. 26. 566 Ebd., S. 19. 567 Biefang, Politisches Bürgertum, S. 248. 568 Ebd., S. 272–279.

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Mit diesem Entwurf ging Jordan in eine von den großdeutsch-demokratisch gesinnten Pfälzern initiierte Wahlkampfversammlung in Neustadt Ende März 1863. Dort hatte er keine Chance, diesen Entwurf durchzusetzen. Immerhin gelang es ihm, das von der großdeutschen Gruppierung vorbereitete Wahlpapier der linken Pfälzer Kandidaten so zu entschärfen, dass jeglicher Bezug zum geographischen Zuschnitt und zur Oberhauptsfrage entfernt wurde. Auf dieser Basis erklärte er sich bereit, das Programm der linken Pfälzer zu unterschreiben.569 Wenige Tage später sandte Brater Jordan das definitive bayerische Wahlprogramm der Fortschrittspartei zu, in dem aus Rücksicht auf die starke pro-österreichische Stimmung in Bayern der Bezug auf die Reichsverfassung von 1849 gestrichen war.570 Zudem erhielt er einen Brief des mittlerweile in Heidelberg lehrenden Staatsrechtlers Johann Caspar Bluntschli, der ihn bat, dem von ­Brater ausgearbeiteten Wahlprogramm beizutreten. Jordan, der kaum noch einen Unterschied zwischen dem in Neustadt verabredeten Programm und dem Programm der Fortschrittspartei feststellen konnte, entschied sich gemeinsam mit seinem Neffen Franz Armand Buhl und seinem Schwager Friedrich Prosper Deinhard für einen Beitritt. Gegenüber Bluntschli betonte er, dass er sich damit seine Stellung in der Pfalz erschwere und »harte Anschuldigungen erdulden«571 müsse. Was er in der Pfalz verliere, werde er aber in München durch die Verbindung mit Buhls Freunden gewinnen.572 Gegenüber Sybel führte er wenige Tage später aus, dass bei den Wahlveranstaltungen in der Pfalz fast nur großdeutsche Stimmen zu hören seien. Selbst Männer, die früher für eine preußische Spitze eingetreten seien, sprächen sich jetzt für eine Orientierung an Österreich aus. Er sei daher mit seinem Standpunkt in der Pfalz isoliert. Diese Entwicklung sei die Folge der preußischen Regierungspolitik.573 Wie stark Jordan mit seiner Position unter Beschuss stand, verdeutlicht ein Artikel der Pfälzer Zeitung. Diese forderte in einer starken Polemik die Anhänger der Fortschrittspartei auf, in der deutschen Frage endlich »Farbe zu bekennen«574. 569 Ludwig Andreas Jordan an Johann Caspar Bluntschli, Deidesheim, 30.3.1863, ZBZ, Familienarchiv Bluntschli, Bd. 7.430. 570 Ebd. Zudem forderte die Fortschrittspartei für Bayern u. a. die Einführung der Gewerbefreiheit, ein Schulgesetz, Gleichheit der Religionen, eine stärkere Verankerung der Ministerverantwortlichkeit, eine Revision der Gemeindeordnung und die Bewilligung neuer Eisenbahnlinien. Siehe o.V., Aus Bayern, in: Pfälzer Zeitung Nr. 74 vom 27.3.1863, S. 1. 571 Ludwig Andreas Jordan an Johann Caspar Bluntschli, Deidesheim, 30.3.1863, ZBZ, Familienarchiv Bluntschli, Bd. 7.430. 572 Seine Verbindung zur bayerischen Fortschrittspartei ist damit wesentlich enger als es Bräunche darstellt. Siehe Bräunche, Politik und Wein, S. 233. 573 Ludwig Andreas Jordan an Heinrich von Sybel, Deidesheim, 6.4.1863, GStA PK, Nachlass Heinrich von Sybel, B1 Nr. XXI. 574 O. V., Aus dem Wahlbezirk Landau-Neustadt, in: Pfälzer Zeitung Nr. 85 vom 11.4.1863, S. 1. Daraus auch die folgenden Zitate.

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Gerüchte besagten, dass insbesondere Jordan Anhänger eines Erbkaisertums mit allen Konsequenzen sei. Die Zeitung warnte vor dem mit dieser Idee verbundenen Ausschluss Österreichs, denn dies werde zu einer »Schwächung Deutschlands« führen. Bei einer kleindeutschen Einigung unter preußischer Führung werde man die französische Zustimmung erkaufen müssen. Der Preis dafür werde die Pfalz sein! Daher hielt der Verfasser abschließend fest: »Herr Jordan hat viele Eigenschaften, die der Beruf des Abgeordneten verlangt; aber die Erbkaiser-Idee muss er fallen und ruhen lassen.« Jordan gelang es allerdings trotz dieser Auseinandersetzungen einen der vier Abgeordnetenmandate des Wahlkreises Landau-Neustadt zu erringen. Seine wirtschaftlich dominierende Stellung und sein Ansehen im Wahlkreis waren so groß, dass seine kleindeutsche Ausrichtung diese Position nicht gefährden konnte. Sein erfolgreiches Weingut, seine langjährigen Erfahrungen in den verschiedenen politischen und wirtschaftlichen Gremien und das mit den Stiftungen und Spenden der Familie Jordan erworbene hohe Ansehen bildeten das Fundament für seine politische Karriere. In dieser Hinsicht war er ein typischer Honoratiorenpolitiker, dessen lokaler und regionaler Einfluss die Basis für seine überregionalen politischen Ämter lieferte. Im Landtag schloss er sich umgehend der 16 Mann starken Fraktion um Brater, Völk und Barth an.575 Er hatte gehofft die großdeutsch-demokratischen Pfälzer mit in diese Vereinigung einzubinden und damit »eine große liberale Fraction«576 herbeizuführen. Bei diesen standen jetzt mit dem ehemaligen Friedensrichter und Staatsprokurator-Substitut Philipp Friedrich Umbscheiden, dem Dürkheimer Gutsbesitzer Rudolph Christmann, dem mittlerweile als Redakteur der Frankfurter Zeitung arbeitenden Georg Friedrich Kolb und dem früheren Pfarrer Franz Tafel wieder vier ehemalige linke Paulskirchenabgeordnete an der Spitze.577 Diese lehnten sein Ansinnen eines großen linken Clubs ab, da sie hinter der eng mit der bayerischen Fortschrittspartei verbundenen Fraktion eine kleindeutsche Ausrichtung witterten. Damit trennte sich Jordan durch seine Entscheidung für die »Fortschrittler« von den anderen linken Pfälzer Abgeordneten. Seiner Schwester teilte er aus München mit, dass er diesen Entschluss nicht bereue: »Ich fühle mich in dem kleinen Kreise wohl, bin darin angesehen und glaube, daß trotz unserer geringen Zahl, unser Einfluß ein ansehnlicher werden wird.«578 575 Schieder, Partei, S. 26 f. 576 Ludwig Andreas Jordan an Josephine Buhl, München, 24.6.1863, BaK, N1754 (Buhl), Bd. 177. 577 Zu diesen vier Abgeordneten und ihrer politischen Ausrichtung in der Paulskirche siehe Kermann, Die pfälzischen Abgeordneten, S.  245, 266, 267 f., 269 f. Zu Umbscheiden siehe auch Volz, Umbscheiden. 578 Ludwig Andreas Jordan an Josephine Buhl, München, 24.6.1863, BaK, N1754 (Buhl), Bd. 177.

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Jordan bemühte sich in der Folgezeit weiterhin um die großdeutsch-demokratischen Pfälzer. Bei den innenpolitischen Fragen standen sich beide Gruppierungen nah. Lediglich die Frage, wie ein deutscher Nationalstaat zukünftig organisiert sein sollte, trennte die beiden Lager. Die kleindeutsche Ausrichtung bedeutete zwangsläufig eine starke Zentralgewalt mit preußischem Einfluss, wohingegen die großdeutsche Ausrichtung auf eine stärker föderale Struktur hinauslief, da man sowohl Preußen als auch Österreich einbinden musste.579 Diese unterschiedliche Sichtweise auf die deutsche Einigung trat seit Ende 1863 in der Krise um Schleswig und Holstein zurück.580 Der Konflikt zwischen deutschen und dänischen Ansprüchen war 1852 durch das von den Großmächten vereinbarte Londoner Protokoll vorläufig entschärft worden.581 Mit dem Tod des dänischen Königs Friedrichs VII. am 15. November 1863 traten die Auseinandersetzungen wieder scharf hervor. Laut des Londoner Protokolls stand die Herrschaft in Schleswig und Holstein dem Herzog Christian von Sonderburg-Glücksburg zu, der als Christian IX. neuer König von Dänemark wurde. Demgegenüber machte auf der Basis des Erbrechts Herzog Friedrich Christian August von Sonderburg-Augustenburg Ansprüche auf die Krone in den beiden Herzogtümern geltend. Die nationaldänische Bewegung versuchte, den Moment zu nutzen und das Herzogtum Schleswig in den dänischen Gesamtstaat zu integrieren. Dagegen erhob sich eine breite nationaldeutsche Bewegung, die in den Erbansprüchen des Augustenburgers eine Möglichkeit sah, einen weiteren deutschen Staat zu schaffen und Schleswig neben Holstein, das bereits Bundesmitglied war, in den Deutschen Bund aufzunehmen. Auch in der Pfalz gab es Versammlungen, auf denen in scharfen Worten die deutsche Lösung der Auseinandersetzung um Schleswig und Holstein gefordert wurde. Im Dezember 1863 erreichte diese Bewegung ihren Höhepunkt. Am 1. Dezember 1863 versammelte sich ein Großteil der pfälzischen Abgeordneten in Kaiserslautern und forderte gemeinsam die deutschen Bundesregierungen auf, »die Usurpation des dänischen Königs in den Herzogthümern Holstein und Schleswig zurückzuweisen und zu dem Ende die Herzogthümer sofort mit Waffengewalt zu besetzen und so lange besetzt zu halten, bis jede Gefahr fernerer Beeinträchtigung deutschen Rechts und deutscher Ehre beseitigt ist.«582

579 Schieder, Partei, S. 28 f. 580 Ebd., S. 70–73. 581 Hierzu und zu dem Folgenden: Schulze, Preußen, S. 335–338. 582 O. V., Kundgebung in Kaiserslautern, in: Zweibrücker Wochenblatt Nr.  147 vom 8.12.1863, S. 1. Jordan selbst war bei der Veranstaltung nicht anwesend, da er mit dem Ausschuss des Deutschen Handelstags in Berlin weilte. Er war allerdings vollkommen damit einverstanden, dass sein Neffe Eugen Buhl seinen Namen auf die Resolution gesetzt hatte. Siehe Ludwig Andreas Jordan an Eugen Buhl, Berlin, 5.12.1863, BaK, N1754 (Buhl), Bd. 290.

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Unterschrieben war dieser Aufruf von Christmann, Kolb, Umbscheiden, Tafel sowie Jordan und weiteren Abgeordneten. Das legalistische Vorgehen Preußens und Österreichs in dieser Frage, die sich unter Berufung auf das Londoner Protokoll nur gegen die Einverleibung Schleswigs in den dänischen Staat wandten und das grundsätzliche Herrschaftsrecht des neuen dänischen Königs Christian anerkannten, empörte die nationale Bewegung noch zusätzlich. Als Preußen und Österreich im Alleingang ohne die Rückendeckung des Deutschen Bundes auf dieser Basis in Schleswig und Holstein einrückten, paralysierte dieses Vorgehen die linken Gruppierungen, die sich in diesem Geflecht unterschiedlicher Interessen zu keiner klaren Meinung mehr durchringen konnten. Immerhin gelang es durch die Annäherung der linken Pfälzer an die Fortschrittspartei im Kontext der Schleswig-Holstein-Frage, die beiden Gruppierungen zusammenzuführen. Die Annäherung wurde noch verstärkt durch die gemeinsame Frontstellung gegen den am 4. Dezember 1864 erneut zum bayerischen Ministerpräsidenten berufenen konservativen Ludwig Freiherr von der Pfordten. Aus dem Zusammenschluss entstand die neue Fraktion der »Vereinigten Linken«, die seit Anfang April 1865 im bayerischen Landtag gemeinsam agierte.583 Jordan hatte bei der Fusion intensiv vermittelt und sprach sich große Verdienste bei dieser »Zangengeburt«584 zu. Basis der Zusammenarbeit war eine gemeinsame Erklärung der immerhin 40 Fraktionsmitglieder, dass in innenpolitischen Fragen keine Meinungsverschiedenheiten bestünden und daher eine Zusammenarbeit angebracht erscheine.585 In Bezug auf einen zukünftigen deutschen Nationalstaat hob man zunächst als gemeinsamen Feind den »Particularismus« hervor, den es zu bekämpfen gelte. Im zukünftigen Staate müsse es zudem ein Parlament auf der Basis des allgemeinen Wahlrechts geben. Die Frage der »deutschen Centralgewalt« hielt man bewusst offen, denn es sei eine »nur durch die Macht geschichtlicher Thatsachen zu lösende« Frage. Fast alle Abgeordneten der Pfalz, bis auf die gewählten Beamten, waren jetzt in der »Vereinigten Linken« organisiert. Befriedigt schrieb Jordan seinem Neffen Eugen Buhl, man sei »wirklich einig & lebt in bester Harmonie«586. Einig war sich diese Vereinigung auch in der Verachtung Bismarcks, der sich nicht um liberale Wünsche zu scheren schien. Die mit der »Neuen Ära« 1858 aufgekeimte Hoffnung der liberalen Kleindeutschen, Preußen könnte durch eine liberale Orientierung »moralische Eroberungen« in Deutschland machen, war mit 583 Schieder, Partei, S. 73. Siehe dazu auch den bissigen Kommentar der Pfälzer Zeitung: O. V., Aus der Pfalz, in: Pfälzer Zeitung Nr. 76 vom 30.3.1865, S. 1 f. 584 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 1.4.1865, LaS, V153 (Bassermann-­ Jordan), Bd. 49. 585 Die Erklärung ist abgedruckt in: O. V., München, in: Pfälzer Zeitung Nr.  83 vom 7.4.1865, S. 2. 586 Ludwig Andreas Jordan an Eugen Buhl, München, 6.6.1865, BaK, N1754 (Buhl), Bd. 290.

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dem Heeres- und Verfassungskonflikt und der Berufung Bismarcks zum Ministerpräsidenten endgültig zerbrochen. So war er nicht nur bei den Großdeutschen verhasst, sondern auch bei den Kleindeutschen, da er ihre Taktik vereitelte. Die einzige Hoffnung, die man hatte, war ein Sturz Bismarcks. Auch Jordan verhehlte seine Abneigung gegen den preußischen Ministerpräsidenten nicht. Als der Ausschuss des Deutschen Handelstages Anfang November 1864 in Berlin tagte und eine Audienz bei Bismarck im Raum stand, sprach sich Jordan gegen ein Treffen aus. Er wurde überstimmt und lehnte anschließend seine Teilnahme an der Audienz ab.587 Nach dem erfolgreichen Krieg Preußens und Österreichs gegen Dänemark, schrieb er Heinrich von Sybel, dass für Bismarck die Gelegenheit zur Versöhnung mit den Liberalen im Heeres- und Verfassungskonflikt günstig sei. Hellsichtig prophezeite er für diesen Fall »eine große Spaltung in der Fortschrittspartei«588. Wenn Bismarck die inneren Konflikte in Preußen beseitige, könne er »eine wahrhaft starke Stellung einnehmen«589. Dass Bismarck diese Gelegenheit ungenutzt verstreichen ließ, bestätigte Jordans Urteil, der Bismarcks »staatsmännische Kapazitäten«590 für nur schwach ausgeprägt hielt. Die negative Stimmung gegen Bismarck und Preußen in der Pfalz wurde noch gesteigert durch die von Preußen herbeigeführte Eskalation des preußisch-österreichischen Dualismus. Der Konflikt um die Verwaltung der eroberten Elbherzogtümer durch Preußen und Österreich hatte zunächst durch die Gasteiner Konvention vom 14. August 1865 ein vorläufiges Ende gefunden. In diesem Vertrag hatten die beiden Großmächte nach dem Sieg über Dänemark die Verwaltung Schleswigs und Holsteins aufgeteilt. Schleswig wurde Preußen zugeordnet und Holstein Österreich. Dieses Provisorium hatte nicht lange Bestand, und die Auseinandersetzung lief immer stärker auf einen großen deutschen Krieg hinaus. In der Pfalz befürchtete ein Großteil der Bevölkerung, bei einem solchen Krieg ein taktisches Opfer zu werden. So sah man die Pfalz als mögliche »Beute« für Frankreich. Dabei lag der Vergleich zu Savoyen und Nizza nah. Beide Regionen hatten unter Napoleon I. zu Frankreich gehört und waren anschließend unter die Herrschaft des Königs von Sardinien-Piemont gefallen. Dieser hatte die beiden Gebiete als Dank für die 1859 erfolgte französische Unterstützung im italienischen Einigungskrieg 1860 an Frankreich abgetreten. Das erwartete Geschacher um den Pfalzkreis brachte die kleindeutschen Pfälzer in eine immer schwierigere Situation. Wie sollte man eine Orientierung 587 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 8.11.1864, LaS, V153 (BassermannJordan), Bd. 49. 588 Ludwig Andreas Jordan an Heinrich von Sybel, Deidesheim, 14.12.1864, GStA PK, Nachlass Heinrich von Sybel, B1 Nr. XXI. 589 Ludwig Andreas Jordan an Heinrich von Sybel, Deidesheim, 16.9.1865, GStA PK, Nachlass Heinrich von Sybel, B1 Nr. XXI. 590 Ebd.

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an Preußen empfehlen, wenn Preußens Politik auf eine Abtretung des Pfalzkreises an Frankreich hinauslief? An einen positiven politischen Ansatz war in diesem Moment nicht mehr zu denken. Es konnte nur noch darum gehen, die Verbindung zu Preußen nicht zu kappen. Hinzu trat auch noch Bismarcks Antrag beim Deutschen Bund im März 1866, ein Parlament auf Basis des allgemeinen Wahlrechts einzurichten. Damit konnte er vor allem Österreich desavouieren, das an einer solchen Einrichtung kein Interesse haben konnte. Gleichzeitig irritierte er damit nachhaltig die Liberalen, die nicht wussten, wie sie mit ihrem eigenen Vorschlag, eingebracht von dem aus ihrer Sicht erzkonservativen preußischen Junker, umgehen sollten. Das zeigte sich im Pfalzkreis sehr deutlich. Ursprünglich hatten die Pfälzer Liberalen geplant, im April 1866 eine Volksversammlung über die aktuelle poli­ tische Lage abzuhalten. Wenige Wochen später sollte eine Veranstaltung aus Anlass des Jubiläums der 50-jährigen Zugehörigkeit des Pfalzkreises zum Königreich Bayern stattfinden. Da Bismarck mit seinem Parlamentsvorschlag die Fronten durcheinanderwirbelte, sagte man die Volksversammlung wieder ab und konzentrierte sich zunächst auf die Jubiläumsfeier.591 Zur Vorbereitung trafen sich die liberalen Pfälzer Abgeordneten am 10. April in Neustadt und entschieden, die Feier in Kaiserslautern abzuhalten. Im Zentrum sollte eine große Rede stehen. Tafel schlug als Festredner Georg Friedrich Kolb vor und bekniete diesen, die Aufgabe zu übernehmen. Tafel fragte Kolb auch, ob es nicht sinnvoll sei, die ursprünglich geplanten Resolutionen der Volksversammlung in die 50-Jahr-Feier einzubringen und damit die Feier in ihrer Ausrichtung zu erweitern. Der demokratische katholische Pfarrer legte Kolb einen entsprechenden Resolutionsentwurf vor. Die antipreußische Ausrichtung Tafels wird darin sehr deutlich: »1) Die vaterlandsverrätherische Annexions-Politik der preußischen Regierung bedroht uns mit einem Bürgerkriege, welcher die Einmischung des Auslands, den Untergang der Freiheit und des Wohlstands für die deutsche Nation zur Folge haben würde. Wir erheben uns mit dem deutschen Volke gegen diese Politik und rufen ihr unser ›Halt‹ entgegen. 2) Wir erklären es als unsere, als des deutschen Volkes heiligste Pflicht, alle Kraft daran zu setzen, daß der drohende Bürgerkrieg mit seinen entsetzlichen Folgen verhindert und die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts der Elbherzogthümer bewirkt werde. 3) Wir fordern von der Regierung, daß sie, auf das Volk sich stützend und im Verein mit den bundestreuen Ländern alle Mittel aufbietet, ja dem Gewaltengriff, von welcher Seite er drohe, vorzubeugen und, wenn die Berufung auf die Forderungen des Volkes sich fruchtlos erweisen sollte, den bundesbrüchigen Angreifer niederzuschlagen. 591 Hierzu und zu dem Folgenden: Franz Tafel an Georg Friedrich Kolb, Zweibrücken, 18.4.1866, BaK, N1758 (Kolb), Bd. 4.

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4) Diese Forderung an die Regierung müßten wir mit um so größerem Nachdruck stellen, als die Pfalz in der gewaltsamen Annektierung der Herzogthümer nur den Anfang eines fluchwürdigen Eroberungs- und Unterdrückungssystems erkennt, dessen Umgriffen sie zunächst preisgegeben wäre und als in dem unseligen deutschen Bruderkriege sie zunächst die Beute des Auslands sein würde. 5) Gewähr für eine würdige Zukunft Deutschlands gibt uns ein deutsches Parlament, ausgestattet mit den Befugnissen, wie sie der Vertretung einer freien Nation geziemen, – zur Seite einer auf gleichen Prinzipien beruhenden Centralgewalt.«592

Eine solche antipreußische Resolution konnte Jordan nicht akzeptieren. Er versuchte daher das Fest ohne die antipreußischen Töne, die Tafel und Kolb einbrachten, über die Bühne zu bringen. Da Jordan in die Vorbereitung eingebunden war und der Veranstaltung präsidierte, hatte er einige Einflussmöglichkeiten. Zudem hatte Kolb, dem Jordan immer kritischer gegenüberstand, als Festredner abgesagt, sodass der gemäßigtere Anwalt und Gutsbesitzer Carl Ludwig Golsen als Hauptredner auftrat.593 Dieser lobte in seiner Festrede die bayerische Verfassung und betonte das Bedürfnis der Pfalz, deutsch zu bleiben. Jordan schlug anschließend der Versammlung vor, ein vorformuliertes Telegramm an den bayerischen König Ludwig II. zu senden. Darin wurde der König gebeten, den Pfalzkreis zu besuchen. Gleichzeitig wies man auf die »treue Liebe« der Pfälzer »zum großen deutschen Vaterlande«594 hin. In der nachmittags verabschiedeten Resolution waren die Bezüge zum Entwurf Tafels noch erkennbar. Allerdings war der klar gegen Preußen gerichtete erste Punkt herausgefallen. Alle anderen Punkte hatte man neutraler und weniger aggressiv formuliert, sodass man jetzt allgemein »jede Politik, welche das linke Rheinufer einer fremden Macht preisgibt, als Verrath am deutschen Vaterlande«595 verurteilte. Begründet wurde die Resolution in kurzen Reden von den Landtagsabgeordneten Tafel und Ferdinand von Soyer sowie dem Kaiserslauterer Kaufmann Carl Hohle.596 Jordan schloss dann den offiziellen Teil der Veranstaltung mit einem Zitat aus Ernst Moritz Arndts Gedicht »Der Gott, der Eisen wachsen ließ«: »O Deutschland, heiliges Vaterland! O deutsche Lieb’ und Treue! Du hohes Land! Du schönes Land! Wir schwören Dir aufs Neue!«597 592 Ebd. 593 Hierzu und zu dem Folgenden: O. V., Kaiserslautern, in: Pfälzischer Kurier Nr. 106 vom 8.5.1866, S. 1 f.; o.V.: Kaiserslautern, in: Pfälzer Zeitung Nr. 107 vom 8.5.1866, S. 2. 594 O. V., Kaiserslautern, in: Pfälzischer Kurier Nr. 106 vom 8.5.1866, S. 1. 595 Ebd., S. 2. 596 O. V., Kaiserslautern, in: Pfälzischer Kurier Nr. 107 vom 9.5.1866, S. 1 f. 597 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 6.5.1866, LaS, V153 (Bassermann-­ Jordan), Bd. 50.

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Jordan war mit dem Ergebnis und dem Verlauf dieses Tages, der ihm »schwer auf der Seele«598 gelegen hatte, zufrieden, da es gelungen sei, Beleidigungen gegen Preußen zu vermeiden.599 Wie Jordan gegenüber Sybel hervorhob, beginne man in der Pfalz zu differenzieren. Bismarck sei nach wie vor verhasst, aber man mache das preußische Volk für diese Politik nicht mehr mitverantwortlich. Insgesamt beurteilte Jordan die Lage sehr pessimistisch. Er rechnete fest mit einem Krieg, der aber nicht zu einer deutschen Einheit führen werde – im Gegenteil: »Man wird tiefe Wunden schlagen, sich verbluten & von der Gnade der Nachbarn abhängen!«600 Bismarck erscheine ihm »nur als Junker, der bei all seiner Thatkraft nichts weiter fertig kriegen wird, als eine unheilvolle Zerrüttung Deutschlands«. Im Verlauf des Juni 1866 erfolgten dann weitere Schritte in Richtung eines deutschen Krieges, wie der Austritt Preußens aus dem Deutschen Bund, die­ Mobilmachung der Armeen und die Ausweisung des preußischen Botschafters aus Bayern. Diese Ereignisse beunruhigten Jordan sehr, der mit einem Sieg Österreichs rechnete und fest davon ausging, dass die Pfalz nach dem Krieg wieder zu Frankreich gehören werde.601 Fast jeden Tag notierte er seine besorgte Stimmung im Tagebuch. Da er diese Periode wegen der Sitzungen der Abgeordnetenkammer in München verbrachte, stürmten jeden Tag neue, falsche Gerüchte aus der Pfalz auf ihn ein, die unter anderem besagten, dass bereits französische Truppen dort einmarschiert seien.602 Als die Pfälzer Abgeordneten am Ende der Landtagssession am 21. Juni 1866 das Abgeordnetenhaus verließen, hatten sie das Gefühl, zum letzten Mal in der Kammer gewesen zu sein.603 Gespannt verfolgte Jordan den Verlauf des Krieges. Die Siege Preußens registrierte er erleichtert, bedauerte allerdings das teilweise harte Vorgehen der Preußen und die Verluste in der Pfälzer Bevölkerung bei den empfindlichen Niederlagen der bayerischen Armee.604 Durch den Krieg und die ungewisse Lage der Pfalz entstand eine große Unruhe in der Bevölkerung, von der sich Jordan und die reicheren Bewohner der Vorderpfalz bedroht sahen. Mit Freude vernahmen diese daher die Kunde vom Waffenstillstand zwischen Preußen und Österreich, der ab dem 22. Juli 1866 galt. Preußens Militärmacht hatte sich deutlich 598 Ebd. 599 Ludwig Andreas Jordan an Heinrich von Sybel, Deidesheim, 7.5.1866, GStA PK, Nachlass Heinrich von Sybel, B1 Nr. XXI. 600 Ebd. Daraus auch das folgende Zitat. 601 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 14.6.1866, LaS, V153 (BassermannJordan), Bd. 50. 602 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 20.6.1866, LaS, V153 (BassermannJordan), Bd. 50. 603 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 21.6.1866, LaS, V153 (BassermannJordan), Bd. 50. 604 Hierzu und zu dem Folgenden siehe die Tagebucheinträge Ludwig Andreas Jordans vom 30.6.1866 bis 24.7.1866, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 50.

Der kleindeutsche Standpunkt in der Pfalz  

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gegen Österreich durchgesetzt, symbolisiert mit dem Höhepunkt der Schlacht bei Königgrätz am 3.  Juli 1866. Damit war aber das Schicksal der Pfalz noch nicht besiegelt, denn es war immer noch unklar, ob die Pfalz in den Friedensverhandlungen an Frankreich abgetreten würde. Jordan wandte sich in seinem Tagebuch vehement gegen die französischen Forderungen, die »abscheulich« seien und einen neuen Krieg hervorrufen könnten.605 Erst der Abschluss des Friedensvertrags zwischen Preußen und Bayern brachte die Gewissheit, dass die Pfalz ohne Schaden davongekommen war.606 Zudem zeichnete sich die Bildung eines Norddeutschen Bundes von Preußen und den nördlich des Mains liegenden Ländern ab. Jetzt sah Jordan die Zukunft eines geeinten Deutschlands wesentlich optimistischer als vor und während des Krieges. Justus von Liebig schrieb er am 10. August 1866, man habe in wenigen Wochen in dieser Hinsicht mehr erreicht als in den vorangegangenen 50 Jahren.607 Diese Sommermonate des Jahres 1866 erwiesen sich für die politische Aus­ richtung der Pfälzer Liberalen als entscheidend. Die als prekär empfundene Randlage an der Grenze zu Frankreich hatte entgegen den Erwartungen nicht dazu geführt, dass der Pfalzkreis abgetreten wurde. Im Gegenteil stiegen mit dem Sieg Preußens auch die Chancen für eine deutsche Einigung, die Sicherheit vor dem Nachbarn bieten würde. Damit wandelte sich die Stimmung in der Pfalz. Das zeigte sich, als die »Vereinigte Linke« im August 1866 zu Beginn der nächsten Landtagssession in München zusammenkam.608 Zunächst benannte man die Fraktion um. Aus der »Vereinigten Linken« wurde jetzt die »Linke«. Der Name machte bereits deutlich, dass man jetzt nicht mehr aus verschiedenen Gruppierungen zusammengesetzt war, sondern sich als Einheit verstand. Zudem veränderte man die Passagen des bisherigen Programms, die sich auf die deutsche Einigung bezogen hatten. Jetzt sprach man sich ganz klar für einen Beitritt Bayerns gemeinsam mit den anderen süddeutschen Staaten zum Norddeutschen Bund als Weg zur Einheit aus. So lange das noch nicht möglich sein sollte, müsse die bayerische Regierung ein enges Bündnis mit Preußen suchen. In diesem Kontext forderte man auch eine Erhaltung und Umgestaltung des Zollvereins. Der Sicherheitsaspekt wurde im Schlusspunkt aufgegriffen. Im Fall einer Bedrohung durch das Ausland müsse Bayern den sofortigen Anschluss »an die norddeutsche Kriegsmacht« suchen »behufs gemeinschaftlicher V ­ ertheidigung 605 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 12.8.1866, LaS, V153 (BassermannJordan), Bd. 50. 606 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 22.8.1866, LaS, V153 (BassermannJordan), Bd.  50. Der Friedensvertrag ist abgedruckt in: Huber (Hg.), Dokumente, Bd.  2, S. 256–258. 607 Ludwig Andreas Jordan an Justus von Liebig, Deidesheim, 10.8.1866, BSB München, Liebigiana II. B. 608 Hierzu und zu dem Folgenden: Schieder, Partei, S.  129 f.; Tagebucheintrag Jordans vom 27.8.1866, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 50.

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unter preußischer Führung«609. Alle linken Pfälzer bis auf Kolb unterstützten dieses Programm. Jordan jubilierte: »Die Eintracht ist größer als jemals!«610 Seine zuvor vertretene Minderheitenmeinung, die er nur noch vorsichtig eingebracht hatte und die unter Bismarck keine politische Zukunftsoption mehr zu bieten schien, war plötzlich zur deutlichen Mehrheitsmeinung geworden. Jetzt erschien den meisten Pfälzer Liberalen eine deutsche Einheit unter preußischer Führung als möglich und nötig. Kolb repräsentierte dagegen nur noch eine kleine Minderheit demokratisch-föderalistisch ausgerichteter Linker. Auch der Pfälzer Regierungspräsident Sigmund von Pfeufer sah in einer Ausarbeitung über die Entstehung der politischen Parteien in der Pfalz den Krieg von 1866 als zentral für die Positionierung der Parteien in der Pfalz an. Der preußisch geführte Zollverein und die Suche nach Sicherheit »vor den Rheingelüsten des französischen Nachbarn«611 hätten große Teile der Pfälzer Bevölkerung in Richtung Preußen gedrängt. Diese Schutzfunktion erscheine vielen Pfälzern umso wahrscheinlicher, je enger man sich mit Preußen verbinde. Einen Ansatzpunkt für diese engere Verbindung bot die Reorganisation des Zollvereins.

5.6 Zum Zuschauen verurteilt: Ludwig Andreas Jordan und der Weg zur deutschen Einheit vom Zollparlament bis zur Reichsgründung Bismarck griff in der Folgezeit eine wichtige Forderung der Liberalen auf, die er für seine eigenen Intentionen nutzen konnte – die Einrichtung eines Zollparlaments als Teil der Legislative des Zollvereins. Nach dem Sieg über Österreich und der Gründung des Norddeutschen Bundes war es nötig, den Zollverein zu reorganisieren. Dessen Basis hatte sich aufgrund der Kriegsergebnisse verändert, denn Preußen hatte seine geographische Größe durch die Annexionen Schleswigs und Holsteins, des Königreichs Hannover, des Kurfürstentums Hessen, des Herzogtums Nassau und der freien Stadt Frankfurt deutlich erweitert und bildete mit dem Norddeutschen Bund ein gemeinsames Zollgebiet. Bismarck konnte die nötige Reorganisation des Zollvereins jetzt nutzen, um endlich diejenigen strukturellen Reformen durchzuführen, die er bereits in seiner berühmten Weihnachtsdenkschrift an Wilhelm I. im Dezember 1862 ge 609 O. V., München, in: Pfälzer Zeitung Nr. 203 vom 31.8.1866, S. 2. Vgl. Schieder, Partei, S. 129 f. 610 Ludwig Andreas Jordan an Josephine Buhl, München, 1.9.1866, BaK, N1754 (Buhl), Bd. 177. 611 Regierungspräsident Pfeufer an das bayerische Innenministerium betr. Rückblick über die Entstehung der politischen Parteien der Pfalz und ihren dermaligen Einfluß auf die Bevölkerung, Speyer, 5.5.1869, BHstaM, MInn, Bd. 45628.

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fordert hatte.612 Diese zielten darauf ab, Preußens Gewicht im Zollverein stärker zur Geltung zu bringen. Bismarck schlug daher vor, die bisherige Legislative des Zollvereins, die einstimmig entscheidende Generalversammlung, durch einen Zollbundesrat und ein Zollparlament zu ersetzen. Im Zollbundesrat sollten die Stimmen jetzt gewichtet werden, und nur Preußen erhielt ein Vetorecht. Das Zollparlament sollte aus den 297 Abgeordneten des Reichstags des Norddeutschen Bundes und nach dem allgemeinen, gleichen und direkten Männerwahlrecht gewählten 85 süddeutschen Parlamentariern aus Bayern, Württemberg, Baden und Hessen-Darmstadt bestehen. Hinzu kamen noch sechs Abgeordnete aus Luxemburg. Damit bot die Reorganisation für Bismarck nicht nur die Möglichkeit, den Zollverein im preußischen Sinne umzugestalten, sondern auch eine noch engere Verklammerung der nord- und süddeutschen Staaten herbeizuführen. Vielleicht, so sein Hintergedanke, ergab sich über die enge wirtschaftliche Verklammerung eine Möglichkeit, die Einheit unter preußischer Führung zu erreichen.613 Die Mitgliedsländer des Zollvereins stimmten den preußischen Reformplänen zu, ohne wirkliche Wahlmöglichkeiten zu haben. Nach dem Krieg waren sie noch weniger als zuvor im Stande, dem preußischen Druck Widerstand entgegenzusetzen, zumal sie wirtschaftlich auf den Zollverein angewiesen waren. Auch die bayerische Kammer der Abgeordneten stimmte mit deutlicher Mehrheit den neuen Zollvereinsstatuten zu.614 Probleme bereitete die Kammer der Reichsräte. Diese lehnte in einer ersten Abstimmung die Reorganisation des Zollvereins ab und forderte ein Vetorecht Bayerns für den von den Landesregierungen beschickten Zollbundesrat. Jordan war darüber sehr ungehalten. Er hielt diesen Beschluss aus preußischer Sicht für nicht annehmbar und sah in den Reichsräten die »Feinde der Einigung«615. Hier zeigt sich deutlich, wie wenig Jordan mit Bayern verband. Es gab kein emotionales Band an Bayern oder das Haus Wittelsbach, auch keine süddeutsche Solidarität. Stattdessen versetzte er sich in die preußische Position und beurteilte die bayerische Forderung aus dieser Perspektive. Als Preußen sich nicht darauf einließ, akzeptierten die Reichsräte schließlich doch noch den neuen Vertrag. Nachdem alle Länder zugestimmt hatten, trat die Reorganisation des Zollvereins am 1. Januar 1868 in Kraft. 612 Anlage, Konzept von Kanzleihand, Berlin, 25.12.1862, in: Bismarck, Die gesammelten Werke, Bd. 4, S. 29–33. 613 Gall, Bismarck, S. 460; Horn, Zollparlament, S. 395. Zu den organisatorischen Veränderungen siehe Hahn, Geschichte des deutschen Zollvereins, S. 182–184. 614 Zur Diskussion und Abstimmung über den neuen Zollvereinsvertrag in der bayerischen Kammer der Abgeordneten und der Kammer der Reichsräte siehe Schieder, Partei, S. 158–168; Schuster-Fox, Bayern, S. 73; Stalmann, Fürst Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst, S. 93–98; Fox, Integration, S. 150–173. 615 Ludwig Andreas Jordan an Heinrich von Sybel, Deidesheim, 28.10.1867, GStA PK, Nachlass Heinrich von Sybel, B1 Nr. XXI.

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Damit bot die Neuordnung des Zollvereins, der sich auf diese Weise von einem »Zoll-Staatenbund« zu einem »Zoll-Bundesstaat«616 entwickelt hatte, aus Sicht der kleindeutschen Liberalen die Möglichkeit, enger mit Preußen zu kooperieren und über das Zollparlament auf eine deutsche Einheit hinzuarbeiten. Dafür war es allerdings nötig, kleindeutsch orientierte Liberale in den Zollparlamentswahlen durchzusetzen. Die Wahlen erhielten dadurch eine hohe Bedeutung. Aufgrund des allgemeinen Wahlrechts waren sie ein guter Indikator, um die Stimmung in der Bevölkerung anzuzeigen. Die politischen Bewegungen nahmen sie als »Plebiszit«617 darüber wahr, inwiefern die Stimmung in Süddeutschland für oder gegen einen Anschluss an Preußen beziehungsweise den Norddeutschen Bund ausschlug. Der Wahlkampf war daher sehr heftig und kontrovers. Den­ Liberalen standen vor allem konservative Partikularisten, weite Teile des politischen Katholizismus und Teile der Demokraten, die sich vor einer »Verpreußung« fürchteten, entgegen.618 Die bayerische Fortschrittspartei verabschiedete für den Wahlkampf kein zentrales Programm, sondern überließ es den Wahlkomitees in den einzelnen Landesteilen, die bisherigen programmatischen Aussagen je nach politischer Stimmung in den einzelnen Regionen anzupassen. Die Liberalen in der Pfalz begannen Anfang Januar 1868 mit dem Wahlkampf. Franz Armand Buhl wies seinen Onkel Ludwig Andreas Jordan darauf hin, dass man aufgrund der ersten direkten Wahlen mehr Engagement zeigen müsse als bei den bisherigen Wahlen.619 Zunächst stand die Kandidatenauswahl im Vordergrund. Wirtschaftlicher Sachverstand war zwar wichtig, aber zentral war die politische Einstellung, denn das Hauptthema im Wahlkampf war die Rolle des Zollparlaments im Hinblick auf eine zukünftige deutsche Einheit.620 In der Pfalz lief die Entscheidungsfindung vor allem über die Handels- und Fabrikräte sowie die Bürgermeister.621 Im Wahlkreis Landau-Neustadt bereitete die Kandidatenaufstellung mit Ludwig Andreas Jordan keine Probleme. Die vier Wahlkomitees des Wahlkreises in Neustadt, Edenkoben, Dürkheim und Landau entschieden sich klar für den Deidesheimer Gutsbesitzer.622 Gleichzeitig benannten die verschiedenen Wahlkomitees des Pfalzkreises Delegierte für 616 Hahn, Geschichte des deutschen Zollvereins, S. 184. Diese staatsrechtliche Einschätzung findet sich auch bei Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 3, S. 632. 617 Horn, Zollparlament, S. 395 und 397. 618 Ebd. 619 Franz Armand Buhl an Ludwig Andreas Jordan, Deidesheim, 7.1.1868, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 567. 620 Das königliche Regierungs-Präsidium der Pfalz an das königliche Staats-Ministerium des Innern, Speyer, 21.3.1868, BHstaM, MInn, Bd. 46042. 621 Allmann, Wahlbewegung, S. 4–14. 622 Ebd., S. 10–13. Zu der Versammlung in Neustadt am 6.1.1868 siehe Franz Armand Buhl an Ludwig Andreas Jordan, Deidesheim, 7.1.1868, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd.  567; o.V., Neustadt, in: Pfälzer Zeitung Nr.  5 vom 7.1.1868, S.  1; o.V., Vom Gebirg, in:­ Pfälzer Zeitung Nr. 6 vom 8.1.1868, S. 1.

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das zentrale Treffen der Linken am 17. Januar 1868 in Kaiserslautern, um dort ein Wahlprogramm zu verabschieden. Dort trafen die kleindeutsch-orientierten Liberalen aus der Vorderpfälzer Weinregion auf eine Nord-Westpfälzer demokratische Fraktion, die in Kolb ihren Führer erblickte.623 Der Antrag des Neustädter Vertreters Dr. Kempf, das Programm der bayerischen »Linken« von 1866 als Grundlage für die endgültige Kandidatenkür zu nehmen, wurde von den demokratischen Vertretern abgelehnt, da ihnen der Wunsch, dem Norddeutschen Bund beizutreten, zu weit ging. Schließlich einigte man sich auf die Forderung nach einem »unter Parlament und einheitlicher Zentralgewalt geeinte[n] Vaterland mit Autonomie seiner Glieder in ihren besonderen Angelegenheiten und mit gesicherten Freiheiten des Volkes«624. Um dieses Ziel zu erreichen, wollte man »unter möglichster Wahrung der Freiheit durch die Erweiterung der Kompetenz des Zollparlamentes ein Parlament erstreben, welches auch die jetzt noch nicht zum Norddeutschen Bunde gehörigen süddeutschen Staaten umfaßt«. Das war so allgemein formuliert, dass es von allen akzeptiert werden konnte. Nominiert wurden in Kaiserslautern für die sechs pfälzischen Wahlkreise neben Jordan noch die beiden Landtagsabgeordneten von Soyer (BergzabernGermersheim) und Joseph Benzino (Kusel-Homburg). Hinzu kamen der Fabrikant Georg Adolf Schwinn (Zweibrücken-Pirmasens), der Kaufmann Ernst Röchling für den Wahlkreis Speyer-Frankenthal und Georg Friedrich Kolb, den man von kleindeutsch-liberaler Seite eher notgedrungen aufgrund seines hohen Bekanntheitsgrades in der Pfalz für den Wahlkreis Kaiserslautern-­Kirchheim­ bolanden aufstellte, den Kolb auch in der bayerischen Kammer der Abgeordneten vertrat.625 Um die Kandidatur Kolbs entwickelte sich in der Folgezeit in der pfälzischen Presse eine scharfe Auseinandersetzung, in der vor allem Ludwig Andreas Jordans Neffe Franz Armand Buhl als »Scharfmacher« agierte.626 Buhl war schnell mit tatkräftiger Hilfe seines Onkels in die Fußstapfen seines Vaters getreten und hatte parallel zur Übernahme des väterlichen Weinguts sein politisches Engagement in der Pfalz ausgebaut. Anfang Januar hatte er noch mit dem Gedanken gespielt, in einem anderen Wahlkreis als sein Onkel für das Zollparlament zu kandidieren.627 Auf Anraten seiner Mutter hatte er den Gedanken verworfen.628 Im Wahlkampf warf er sich für die kleindeutsche Parteirichtung ins Zeug und 623 Hierzu und zu dem Folgenden: Allmann, Wahlbewegung, S. 26–37. 624 Ebd., S. 31; o.V., Kaiserslautern, in: Pfälzischer Kurier Nr. 16 vom 19.1.1868, S. 1. 625 Zu den Vorbehalten gegenüber Kolb siehe Allmann, Wahlbewegung, S. 8 f. 626 Hierzu und zu dem Folgenden: Ebd., S. 34–37. 627 Josephine Buhl an Ludwig Andreas Jordan, Deidesheim, 30.1.1868; Ferdinand ­Scipio an Ludwig Andreas Jordan, Mannheim, 7.1.1868, beide Briefe in LaS, V153 (Bassermann-­ Jordan), Bd. 567. 628 Josephine Buhl an Ludwig Andreas Jordan, Deidesheim, 30.1.1868, LaS, V153 (Basser­ mann-Jordan), Bd. 567.

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agitierte gegen Kolb, der sich seiner Meinung nach nicht genug für die deutsche Einheit einsetzte. Auch Jordan hielt nichts von der Kandidatur Kolbs, überließ allerdings die öffentlichen Äußerungen seinem Neffen.629 Als Sprachrohr nutzten die Kleindeutschen den Pfälzischen Kurier, wohingegen die Demokraten auf die Pfälzische Volkszeitung setzten. Die Auseinandersetzungen endeten erst, als sich Kolb öffentlich zum Kaiserslauterer Programm bekannte. Damit zogen die Liberalen und Demokraten mühsam geeint in den Wahlkampf.630 Diese Gruppierung besaß die Meinungsführerschaft in der Bevölkerung und war den Konservativen auch strukturell überlegen. Diesen war es nicht gelungen, eine Gegenpartei aufzubauen, sodass die Pfälzer Zeitung allein auf weiter Front kämpfte und die Schwäche der Konservativen regelmäßig beklagte.631 Das zeigte sich auch in Jordans Wahlkreis. Dort hatten es konservative Pfälzer erst kurz vor der Wahl geschafft, mit dem Frankenthaler Anwalt Hubert Horn einen Gegenkandidaten zu Jordan aufzustellen. Die Pfälzer Zeitung ergriff sofort die Gelegenheit und unterstützte vehement Horns Kandidatur. Wie die Zeitung ausführte, laute in Jordans Wahlversammlungen das Motto: »[S]ofortiger Eintritt Bayerns in den norddeutschen Bund.«632 Das »politische Glaubensbekenntnis des Hrn. Jordan« sei »auf den engsten Anschluß an Preußen gerichtet, während sich doch gewiß unser Land bei Erhaltung seiner autonomen Freiheiten viel besser befinden wird als im Nordbund.« Der Artikel schloss mit der Feststellung, dass nur ein Bruchteil der Wähler im Wahlkreis Landau-Neustadt das Programm Jordans unterstütze. Alle anderen müssten den konservativen Kandidaten Horn wählen. Mit ihrem Einsatz für die konservativen Kandidaten konnte die Pfälzer Zeitung nicht viel ausrichten. Die liberal-demokratische Bewegung brachte alle Kandidaten bis auf einen durch. Jordan, Benzino, von Soyer, Schwinn und Kolb gewannen ihren Wahlkreis, nur Röchling scheiterte in Speyer, wo der konser 629 Ludwig Andreas Jordan an Heinrich Marquardsen, Deidesheim, 3.11.1867, BaB, N2183 (Marquardsen), Bd. 12. 630 Zum Wahlkampf zwischen »Fortschritt« und »Konservativen« bzw. »Ultramontanen« siehe auch die Materialsammlung der Regierung der Pfalz, welche die Auseinandersetzungen auf Anweisung aus München hin genau beobachtete, in: LaS, H1, Bd. 1203. Dort finden sich auch diverse Broschüren, welche die Argumentation der Liberalen verdeutlichen. Diese setzten sich für liberale wirtschaftliche Reformen und eine deutsche Einheit ein. Wer diese Ziele erreichen wolle, müsse den liberalen Kandidaten seine Stimme geben. Die Berichte der Bezirksämter und eine Einschätzung der Wahl durch den Regierungspräsidenten von Pfeufer an die Regierung in München finden sich in BHstaM, MInn, Bd. 46042. 631 Allmann, Wahlbewegung, S. 37–51. Siehe zum Beispiel den Artikel o.V., Vom Gebirg, in: Pfälzer Zeitung Nr.  30 vom 5.2.1868, in dem sich der Verfasser bitter darüber beklagt, dass es im Wahlkreis Landau-Neustadt so schwierig sei, einen Gegenkandidaten für Jordan zu finden. 632 O. V., Vom Gebirg, in: Pfälzer Zeitung Nr. 32 vom 7.2.1868, S. 1. Daraus auch die folgenden Zitate.

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vative Bezirksamtmann Ludwig Römmich die Wahl für sich entscheiden konnte. In Jordans Wahlkreis Neustadt-Landau hatten gut 50 % der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben. Von den 11.227 Stimmen hatte Jordan 9701 Stimmen erhalten und damit den konservativen Kandidaten Horn weit hinter sich gelassen.633 Nur Kolb gewann seinen Wahlkreis noch deutlicher.634 Mit dieser Wahl liberaler Vertreter, die bis auf Kolb für einen engeren Anschluss an Preußen plädierten, stach der Pfalzkreis aus der allgemeinen Tendenz in Bayern hervor. Außer Ober- und Mittelfranken hatten alle Kreise überwiegend konservativ bzw. großdeutsch gewählt.635 Die Appelle an den bayerischen Patriotismus und die Agitation der katholischen Kirche hatten offensichtlich in den Gebieten, die nicht zu Altbayern gehörten, sondern erst durch den Reichsdeputationshauptschluss, das anschließende Bündnis mit Napoleon und den Wiener Kongress zu Bayern gekommen waren, am wenigsten gezogen. Aus Sicht der Liberalen war der Wahlausgang enttäuschend. Von den 48 bayerischen Abgeordneten standen nur 18 den Liberalen nahe. Die Mehrheit von 30 Abgeordneten und damit 62,5 % war konservativ bzw. ultramontan und auf jeden Fall partikularistisch orientiert.636 Eine ähnliche Größenordnung lieferte das Ergebnis für den gesamten süddeutschen Raum. Von den 85 Abgeordneten Bayerns, Badens, Württembergs und Hessen-Darmstadts fielen 50 Mandate (59 %) an Gegner eines engeren Anschlusses an Preußen und den Norddeutschen Bund.637 Die Hoffnung der meisten süddeutschen Liberalen, über das Zollparlament eine enge Verbindung mit dem Norden herzustellen und dadurch auf eine rasche Einheit hinzuarbeiten, erschien auf jeden Fall verfrüht. Die Widerstände in der Bevölkerung gegen eine »Verpreußung« des Südens waren noch zu groß. Damit hatte der Pfalzkreis zwar deutlich für eine enge Ausrichtung am Norddeutschen Bund und an Preußen votiert, die Möglichkeiten der Pfälzer Abgeordneten, in diese Richtung zu wirken, waren jedoch von vorneherein begrenzt. Die Rolle der Pfälzer Liberalen war zudem durch die Abgeordnetentätigkeit des bayerischen Ministerpräsidenten Chlodwig von Hohenlohe-Schillingsfürst erschwert, der eine gemäßigt kleindeutsche Richtung vertrat und den man daher in Berlin nicht bloßstellen wollte. Die schwierige Position der Pfälzer zeigte sich bereits in der ersten Session des Parlaments, die am 27.  April 1868 begann. Die Mehrzahl der süddeutschen Abgeordneten schloss sich in

633 Zur Einschätzung der Wahlen im Wahlkreis Landau-Neustadt aus der Sicht der bayerischen Beamten siehe Bezirksamt Landau an die Regierung der Pfalz betr. die Agitation­ wegen der Zollparlamentswahlen, 27.2.1868, LaS, H1, Bd. 1203. 634 Zu den Zahlen siehe Allmann, Wahlbewegung, S. 70–73. 635 Fox, Integration, S. 177; Schmidt, Bayern und das Zollparlament, S. 140–156. 636 Schmidt, Bayern und das Zollparlament, S. 379. 637 Fox, Integration, S. 177. Horn, Zollparlament, S. 399 nennt 49 Mandate für die antipreußische Opposition.

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der ­»Süddeutschen Fraction« zusammen.638 Sie umfasste Konservative und Demokraten, die in ihrem Partikularismus eine gemeinsame Grundlage hatten. Die »Süddeutsche Fraction« wachte mit Argusaugen darüber, dass das Zollparlament sich auf seine wirtschaftlichen Aufgaben konzentrierte und keine Kompetenzerweiterung erfuhr. Die badischen und hessischen liberalen Vertreter schlossen sich dagegen der nationalliberalen Fraktion an, die sich bereits in den Sitzungen des Reichstags des Norddeutschen Bundes gebildet hatte und jetzt auch im Zollparlament gemeinsam auftrat. Den bayerischen Fortschrittsabgeordneten fiel damit als eigene Gruppe die undankbare Aufgabe zu, zwischen den Parteien zu vermitteln. Die nationalliberale Fraktion im Zollparlament versuchte auch sofort in der ersten Session deutlich zu machen, dass das Parlament den Weg für die Einheit suchen müsse. Die Fraktion formulierte einen Antwortentwurf auf die Thronrede Wilhelms I., in dem sie vor allem die nationalen Aspekte der Zollparlamentsarbeit betonte. Sie wies darauf hin, dass im Zollparlament die gesamte deutsche Nation vertreten und diese Gesamtvertretung auch für alle anderen politischen Bereiche notwendig sei. Das Ausland warnte man vor einer Einmischung in die innerdeutschen Angelegenheiten. Die Zielvorstellung wurde im Schlussparagraphen formuliert: »Wir vertrauen, daß es Ew. Majestät vergönnt sein werde, getragen durch die vereinte Kraft der Deutschen Nation und im Einverständnis mit Ew. Majestät hohen Verbündeten den Ausbau des gemeinsamen Werkes zu vollenden, dessen Abschluß Sicherheit, Macht und Frieden nach Außen wie materielle Wohlfahrt und gesetzliche Freiheit nach Innen verbürgt.«639

Dieser Adressentwurf brachte vor allem die »Süddeutsche Fraction« auf. Man sah in der Antwortadresse eine Kompetenzüberschreitung des Zollparlaments und in der Ausrichtung der Arbeit auf die Aspekte der deutschen Einheit eine Anmaßung. Die »Süddeutsche Fraction« lehnte den Entwurf daher klar ab. Hinzu traten noch einige vermittelnde Vorschläge, die vorsahen, keine formale Antwortadresse zu verabschieden, sondern mit einer kurzen Erklärung zur Tagesordnung überzugehen. Einen solchen Kompromissvorschlag zur sogenannten motivierten Tagesordnung hatten auch Jordan und seine liberalen Pfälzer Kollegen Benzino, von Soyer und Schwinn unterstützt.640 Jordan fühlte sich mit seiner Entscheidung, die aus Rücksicht auf seine Kollegen gefallen war, überhaupt nicht wohl. Im Tagebuch notierte er, dass er eigentlich die Adresse und die 638 Zur Fraktionsbildung im Zollparlament siehe Schmidt, Bayern und das Zollparlament, S. 185–187; Schieder, Partei, S. 180 f.; Horn, Zollparlament, S. 404–410. 639 Adressantrag, 30.4.1868, in: Verhandlungen des Zollparlaments 1868, Anlagen, Aktenstück Nr. 7, S. 96 f., hier S. 97. 640 Antrag für die Schlußberathung über den Antrag der Abgeordneten Metz und Genossen, in: Verhandlungen des Zollparlaments 1868, Anlagen, Aktenstück Nr. 14, S. 109.

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Position der Nationalliberalen Partei präferiere.641 In der Adressdebatte setzte sich dann die »Süddeutsche Fraction« durch. Mit einer geschickten Rede ihres Vorsitzenden, Wilhelm von Thüngen, gelang es der Fraktion, noch Unentschlossene auf ihre Seite zu ziehen. Ihr Antrag, ohne Diskussion einer Antwortadresse zur Tagesordnung überzugehen, setzte sich mit 186 zu 150 Stimmen durch.642 Über diesen Beginn der Zollparlamentsverhandlungen war Jordan maßlos enttäuscht. Seine großen Hoffnungen, die er auf das Zollparlament gesetzt hatte, hatten sich als Fehlkalkulation erwiesen. Die Zersplitterung der Abgeordneten in zahlreiche verschiedene Fraktionen hielt er für besonders problematisch. Durch die Konstruktion des Zollparlaments als erweiterter Reichstag des Norddeutschen Bundes, hatte es die Aufspaltung der preußischen Liberalen in ihren ideellen Kern der Fortschrittspartei und die, nationale Einheit und Kooperation mit der Regierung betonende, Nationalliberale Partei geerbt. Vermittlungsversuche der süddeutschen Liberalen zwischen diesen beiden Parteien erwiesen sich als schwierig. Das hatte sich auch bei der Debatte um eine Antwort des Parlaments auf die Thronrede des Königs gezeigt.643 Mit dem Scheitern des nationalliberalen Adressantrags war klar geworden, dass es einen direkten Weg vom Zollparlament zu einem deutschen Vollparlament nicht geben wird. In der Folgezeit blieben auch weitere großangelegte Versuche, einen solchen Weg zu beschreiten, aus. Stattdessen konzentrierte sich das Zollparlament auf seine Kernaufgabe, die wirtschaftliche Annäherung zwischen Nord- und Süddeutschland.644 Und hier war es recht erfolgreich. So entschied das Zollparlament über einen neuen Handelsvertrag mit Österreich sowie einen Handelsvertrag mit Spanien und dem Kirchenstaat. Außerdem beschloss es ein einheitliches Tabaksteuergesetz, wodurch die im Zollverein bisher noch bestehenden Ausgleichsabgaben in diesem Bereich hinfällig wurden. Auch die Zuckerbesteuerung wurde reformiert und die Zölle für wichtige Produkte im freihändlerischen Sinne weiter reduziert. Zusammen mit den Wirtschaftsreformen im Norddeutschen Bund, die durch eine enge Zusammenarbeit der Nationalliberalen mit dem Chef des Bundeskanzleramtes, Rudolph von ­Delbrück, zustande kamen, bildeten sie die wirtschaftliche Basis, auf der das Deutsche Reich nach 1870/71 aufbauen konnte. Die wirtschaftliche Einigung trug damit bereits vor 1871 wesentlich zu einer starken Ausrichtung auf Preußen bei. Die politische Einheit konnte über diesen Weg zwar nicht direkt erreicht werden, aber er begünstigte die politischen Entwicklungen. 641 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 5.5.1868, LaS, V153 (Bassermann-­ Jordan), Bd. 52. 642 Verhandlungen des Zollparlaments 1868, S. 106–108; Horn, Zollparlament, S. 410–515; Schmidt, Bayern und das Zollparlament, S. 198–209; Schieder, Partei, S. 181–185. 643 Ludwig Andreas Jordan an Heinrich von Sybel, Berlin, 12./14.5.1868, GStA PK, Nachlass Heinrich von Sybel, B1 Nr. XXI. 644 Hierzu und zu dem Folgenden: Hahn, Geschichte des Deutschen Zollvereins, S. 186 f.

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Zudem führte das Zollparlament auch zu einem Verständnis der Abgeordneten für die wirtschaftlichen Integrationsprobleme, auf dem man in der Reichsgründungzeit aufbauen konnte. Wenn man Jordans Tagebuch studiert, wird auch deutlich, dass es nicht ausreicht, nur die Verhandlungsprotokolle zu analysieren, um die Bedeutung des Zollparlaments einzuschätzen. Dann erkennt man nicht, wie wichtig auch das gesellige Leben war. Die gemeinsamen Ausflüge der Abgeordneten oder der Fraktionen, z. B. nach Kiel oder Hamburg, die Gespräche mit Bismarck und anderen Regierungsmitgliedern oder dem Chef des Bundeskanzleramtes Delbrück, stellten schon wichtige Weichen für die Fraktionsbildung im Deutschen Reich und schufen Netzwerke, auf denen man in den folgenden Jahren aufbauen konnte. Insbesondere von Bismarck fühlte sich Jordan hofiert, der sich sehr freundlich gegenüber den kleindeutsch orientierten süddeutschen Liberalen verhielt.645 Als Jordans Intimus Marquard Barth bei einem Empfang der Berliner Kaufmannschaft am 21. Mai 1868 einen Toast auf Bismarck als »größten Mann der 2ten Hälfte des Jahrhunderts«646 ausbrachte, sorgte er für Unruhe bei den Süddeutschen. Jordan hatte ihm zuvor davon abgeraten, denn er befürchtete Rückwirkungen auf die Einheit der Fortschrittspartei in München. Inhaltlich stimmte er Barths Toast vollkommen zu, »denn unseren eingefleischten süddeutschen Particularisten schadet es gar nichts, wenn man einen Mann loben möchte, der mehr zu Stande gebracht hat als alle Vereine & Versammlungen seit 20 Jahren«. Jordans ursprüngliche Verachtung für Bismarck war somit nach dessen Kriegserfolgen und seinen politischen Schritten in Richtung deutsche Einheit zunehmend einer Bewunderung für den Bundeskanzler gewichen. Auf den Prozess der Nationalstaatsgründung selbst konnten Jordan und die anderen kleindeutsch orientierten Abgeordneten des Zollparlaments nur indirekt hinwirken. Diese verlief, ohne direkte Einflussnahme der Parlamentarier, durch Bismarcks Taktieren in der Frage der spanischen Thronfolge ab. Bismarck gelang es, die Auseinandersetzung um eine Kandidatur von Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen für den spanischen Thron so geschickt auszuschlachten, dass er damit die französische Kriegserklärung provozierte. Das löste den Bündnisfall der mit den süddeutschen Staaten 1866 geheim abgeschlossenen Schutz- und Trutzbündnisse aus, sodass die Armeen Preußens und seiner Verbündeten gemeinsam gegen Frankreich kämpften. Der Krieg diente auf diese Weise als »nationaler Einigungskrieg« und schuf die Voraussetzungen für eine deutsche Nationalstaatsgründung unter militärisch-konservativer Führung. Die Rolle des Reichstags des Norddeutschen Bundes, des Zollparlaments 645 Siehe Jordans Tagebucheinträge vom 21.5. und 23.5.1868, LaS, V153 (BassermannJordan), Bd. 52. 646 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 21.5.1868, LaS, V153 (BassermannJordan), Bd. 52.

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und der Parlamente der einzelnen Staaten wurde von Bismarck bewusst klein gehalten, und so gelang es ihm, das Deutsche Reich auf der Basis der Verfassung des Norddeutschen Bundes »von oben« zu gründen. Außerhalb des Norddeutschen Bundes hatten die Liberalen überhaupt keinen Einfluss auf diesen Prozess. Auch Jordan konnte den Ereignissen zunächst nur tatenlos zusehen. Das lag nicht nur an seinen Ämtern und Funktionen, die in keiner Verbindung zu den außenpolitischen Ereignissen standen, sondern auch an seinen privaten Verhältnissen. Seine Frau erkrankte Anfang Januar 1870 an einer Bauchfellentzündung und starb wenige Wochen später.647 Gleichzeitig erkrankte seine Tochter Josephine heftig. Sie lag mit einem Nervenleiden im Bett und war nicht mehr fähig zu gehen. In dieser Situation spielte Jordan erstmals mit dem Gedanken, sein Mandat in der bayerischen Kammer niederzulegen.648 Er nahm zunächst einen längeren Urlaub von seiner Abgeordnetentätigkeit und widmete sich der Genesung seiner Tochter, mit der er diverse Ärzte aufsuchte. Im Juni ging er mit ihr für einen längeren Kuraufenthalt nach ­Wildbad im Schwarzwald.649 Von dort aus verfolgte er auch die Ereignisse um den Kriegsausbruch. Einerseits befürchtete er die persönlichen Folgen, wie die Einquartierungen, den Umgang mit seiner kranken Tochter während des Krieges, die Schäden für die Weinberge und die Weinlager. Andererseits war er absolut überzeugt von der Notwendigkeit, Frankreich dauerhaft durch einen deutschen militärischen Sieg zu schwächen. Das lässt sich mit seiner Einschätzung der Ereignisse rund um die »Emser Depesche« belegen. Die französische Regierung hatte von dem preußischen König einen umfassenden Verzicht auf eine mögliche Hohenzollern-Kandidatur in Spanien gefordert, was der in Bad Ems weilende Wilhelm I. ablehnte. Diesen Vorgang hatte Bismarck am 13. Juni 1870 verkürzt veröffentlichen lassen und damit die französische Regierung weiter provoziert. Einen Tag nach der Veröffentlichung der »Emser Depesche« schilderte Jordan seiner Schwester seine persönliche Sicht dieser Vorgänge. Danach hätten die Franzosen sich so unverschämt verhalten, dass ihnen eine »Züchtigung«650 zustehe. Die Aggression sah er dabei ganz auf französischer Seite. Das Regiment Napoleons III. brauche zu seiner Existenz außenpolitische Erfolge und werde daher auch vor einem Krieg nicht zurückschrecken. An ein ruhiges Verhältnis mit dem Nachbarland sei so lange nicht zu denken, »bis der Tag der großen Abrechnung gekommen ist«. 647 Ludwig Andreas Jordan an Heinrich von Gagern, Deidesheim, 10.1.1870, 12.1.1870, 13.1.1870, alle in: HSD, O11 (Gagern), Bd. E38. 648 Ludwig Andreas Jordan an Heinrich von Gagern, Deidesheim, 10.1.1870, HSD, O11 (Gagern), Bd. E38. 649 Ludwig Andreas Jordan an Josephine Buhl, Wildbad, 24.6.1870, BaK, N1754 (Buhl), Bd. 177. 650 Ludwig Andreas Jordan an Josephine Buhl, Wildbad, 14.7.1870, BaK, N1754 (Buhl), Bd. 177. Daraus auch das folgende Zitat.

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Diese Sicht herrschte in weiten Teilen der deutschen Bevölkerung vor, sodass es Bismarck gelang, mit dem deutsch-französischen Krieg einen »›provozierten Defensivkrieg‹ [zu] führen, der als nationalpolitischer Unionskrieg, innenpoliti­ scher Integrationskrieg und einigungspolitischer Legitimationskrieg«651 fungierte. Bereits während der Kriegshandlungen begannen die Verhandlungen zwischen Preußen und den süddeutschen Staaten über eine Nationalstaatsgründung durch deren Beitritt zum Norddeutschen Bund.652 Die Verhandlungen wurden im November vom Erfolg gekrönt: Am 15. November wurden die Verträge über die Beitritte Badens und Hessens zum Norddeutschen Bund unterzeichnet. Bayern folgte am 23. November, hatte allerdings noch einige Reservatrechte in den Verhandlungen sichern können. So behielt es unter anderem seine Militärhoheit in Friedenszeiten und eine eigene Verwaltung des Postund Eisenbahnwesens. Bismarck sicherte König Ludwig II. außerdem die jährliche Zahlung einer hohen Summe zu, mit der Ludwig II. seiner Baulust frönen konnte. Am 25. November folgte abschließend noch der Vertrag mit dem Königreich Württemberg. Die bayerischen Liberalen um Barth und Völk hatten versucht, die Vertragsverhandlungen durch eigene Entwürfe und enge Kontakte zu den norddeutschen Liberalen zu beeinflussen, konnten damit aber wenig erreichen.653 Von den Verhandlungen erfuhren sie so gut wie nichts. Entscheidend wurde allerdings die Abstimmung in den beiden bayerischen Kammern. Der Vertrag wurde am 14.  Dezember in die Kammer der Abgeordneten eingebracht und stand von Anfang an unter heftiger Kritik von Anhängern der starken bayerischen Patriotenpartei unter der Führung des Archivars Josef Edmund Jörg.654 Es war daher nicht sicher, ob die für die Zustimmung notwendige Zweidrittelmehrheit zustande kommen würde. In den Kammerdebatten prallten die Ansichten über die historische Chance auf einen deutschen Nationalstaat bzw. die Vernichtung einer jahrhundertelangen Geschichte Bayerns scharf aufeinander. Auch die Pfalz mit ihrer von Bayern getrennten geographischen Lage spielte eine wichtige Rolle in der Debatte, denn die Nationalstaatsbefürworter warfen der Patriotenpartei vor, den Pfalzkreis mit ihrer Politik zu isolieren. Wenn Bayern dem neuen Reich nicht beitrete, werde es diese Provinz an das Deutsche Reich verlieren. Am 30. Dezember stimmte dann die Kammer der Reichsräte mit deutlicher Mehrheit dem Vertrag zu. In der Abgeordnetenkammer, in der die Mehrheitsverhältnisse nicht so deutlich waren, zog sich die Debatte bis zum 21. Januar 1871 hin. Die Abstimmung ging knapp aus. Mit 102 zu 48 Stimmen 651 Wehler, Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3: 1849–1914, S. 322. 652 Hierzu und zu dem Folgenden: Ebd., S. 327. Die Rolle der bayerischen Regierung in den Verhandlungen beleuchtet: Doeberl, Bayern und Deutschland, Bd. 2, S. 103–135. 653 Schieder, Partei, S. 262–275. 654 Hierzu und zu dem Folgenden: Schieder, Partei, S.  281–293; Doeberl, Bayern und Deutschland, Bd. 2, S. 176–191.

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konnten die Einheitsbefürworter geradeso die 2/3-Mehrheit erreichen. Jordan war sehr erleichtert über die Abstimmung, denn damit war Bayern endgültig dem bereits formal seit dem 1. Januar 1871 bestehenden Deutschen Reich beigetreten. In sein Tagebuch notierte er pathetisch sein Fazit des Tages, in dem er versuchte, das Ereignis historisch einzuordnen und es als krönenden Abschluss seiner politischen Laufbahn zu interpretieren: »Es ist ein großer Augenblick, Deutschland ist nun die dominierende Macht in ­Europa; möge es seine Geschicke in würdigster Weise erfüllen. Die Wünsche meiner Jugend sind erfüllt. Mein Vaterland ist groß und ich kann mit Ruhe aus diesem Leben scheiden!«655

Dass das Deutsche Reich nach einem Sieg über Frankreich »an die Spitze der europäischen Völker«656 treten werde, war für ihn selbstverständlich. Er sah darin eine geschichtliche Mission, die er allerdings nicht bellizistisch oder imperial interpretierte. Stattdessen solle Europa unter deutscher Führung »ein Hort des Friedens zum Segen der Menschheit« werden. Das klingt immer noch so naiv pathetisch wie bei den Reden des Hambacher Fests, nach denen die deutsche Einheit den europäischen »Völkerfrühling« einleiten sollte. Wie eine solche Friedensepoche nach den demütigenden Auseinandersetzungen des deutschfranzösischen Krieges eingeleitet werden sollte, reflektierte er in diesen Wochen des nationalistischen Überschwangs nicht. Auch über die liberale Ausrichtung des neuen Staates machte er sich in dieser Phase keine Gedanken. Er kritisierte lediglich die zahlreichen bayerischen Sonderrechte, die die Verfassung nicht besser gemacht hätten. Die Einheit war also für ihn zunächst das zentrale Faktum, ihr war alles andere nachgeordnet. Die beiden für Jordan einschneidendsten Ereignisse des Jahres 1870, zunächst der Tod seiner Frau und dann die Reichsgründung auf der Basis des militärischen Sieges über Frankreich, veranlassten ihn, erneut eine große Stiftung zu tätigen. Er spendete 5000 Gulden für die Errichtung einer Fortbildungsschule in Deidesheim. Im Gedenken an seine Frau sollte diese Schule den Namen Jordan’sche Fortbildungsschule erhalten. In der Stiftungsurkunde wies er auf den engen Zusammenhang zur Reichsgründung hin und entfaltete seine Interpretation der Ereignisse: »Meine Frau war mit mir stets der Ansicht, daß ein Volk nur dann großes zu leisten vermag, wenn es etwas gelernt hat, wenn es gesittet und gebildet ist. Ein solches Volk wird von einer tief religiösen Empfindung beseelt sein, gleich weit entfernt von Fanatismus wie von Unglaube. 655 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 21.1.1871, LaS, V153 (BassermannJordan), Bd. 55. Auch zitiert in Schieder, Partei, S. 293. 656 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 31.12.1870, LaS, V153 (BassermannJordan), Bd. 55. Daraus auch das folgende Zitat.

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Wohl nimmt das deutsche Volk unter den Culturvölkern Europas die erste Stelle ein und lange hat man von ihm gerühmt, daß es ein Volk von Denkern sei. Unsere Nachbarn gaben uns gern dieses Lob, weil sie meinten ein denkendes und gebildetes Volk sei energielos und untüchtig zu großen Thaten, sie glaubten, wie seit Jahrhunderten, sich in deutsche Verhältnisse einmischen, ja uns berauben zu können. Dieser Irrthum war groß! Das Jahr 1870 hat bewießen, was das geeinigte Deutschland vermag. Der uns stets bedrohende Nachbar liegt nach einer Reihe von deutschen Heldenthaten, wie sie die Weltgeschichte nicht größer kennt, zu Boden. Die alten deutschen Nachbargebiete kehren wieder zum Vaterlande zurück und Dank der patriotischen Gesinnungen der deutschen Fürsten und besonders unseres Königs Ludwig II. und Dank der Begeisterung des deutschen Volkes: das deutsche Kaiserreich ist wieder erstanden! Wir hoffen, daß es ein Reich des Friedens, der Wohlfahrt und der Freiheit werde! Es unterliegt keinem Zweifel, daß die herrlichen Siege nicht durch die Tapferkeit allein errungen wurden. Nein, die Intelligenz der Soldaten, wovon so viele sich zu Führern eignen, hat dazu sehr wesentlich beigetragen. In der That ist auch die deutsche Schulbildung die beste in Europa. Aber leider ist sie nicht überall in Deutschland gleichmäßig vorangeschritten. In vielen Theilen unseres Vaterlandes findet sich unter hundert jungen Männern kaum einer, der nicht lesen oder schreiben kann. Ganz anders steht es in unserm pfälzischen Heimathsland, in welchem noch jüngst von hundert Militärpflichtigen fünfzehn ohne Schul­ bildung waren und das hierdurch fast auf der untersten Stufe in der Rangordnung der bayerischen Provinzen sich befindet. Wenn auch in unserm geliebten Deidesheim solche Verhältnisse in gleicher Ausdehnung nicht bestehen, so läßt es sich doch nicht leugnen, daß unsere Schulen noch viel zu wünschen übrig lassen. Auch hier kann und soll noch Vieles gebessert werden. Die Erreichung dieses Zieles soll meine Stiftung erstreben. Ich wünsche dazu beizutragen, daß die Kenntnisse der heranreifenden Bürger vermehrt, daß die jungen Männer durch besseres Wissen vor den Gefahren des Lebens geschützt werden, daß sie zunehmen an Wohlanständigkeit und Gesittung und daß in ihnen die Liebe zum deutschen Vaterland geweckt und gestärkt werde.«657

Vor allem um das zuletzt genannte Ziel zu erreichen, bestimmte Jordan auch, dass der Geschichts- und der Geographieunterricht fester Bestandteil des Lehrplans sein sollten. Der Aufsichtskommission über die Schule sollte immer ein Mitglied der Familie Jordan angehören. Bei der Genehmigung der Stiftung durch den Regierungspräsidenten von Pfeufer legte dieser noch zusätzlich fest, dass die Familie Jordan über den anzustellenden Lehrer zu entscheiden habe.658 Mit der Stiftung fügte Jordan somit den Tod seiner Frau, ähnlich wie 1851 bei der Stiftung des Andreasbrunnens in Gedenken an seinen Vater, in eine Nütz 657 Stiftungsurkunde der Jordan’schen Fortbildungsschule vom 26.2.1871, LaS, U315 (Stadtarchiv Deidesheim), Bd.  1196. Die Stiftungsurkunde ist auch abgedruckt in: Effler, Wohltätigkeitsstiftungen, S. 11–13. 658 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 8.3.1871, LaS, V153 (Bassermann-­ Jordan), Bd. 55.

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lichkeitsperspektive ein. Memoria, Nationalismus und Fortschrittsglaube flossen zusammen. Die Bildung der Deidesheimer Jugend wurde ausgerichtet auf die Nation und das neugegründete Reich, diesem sollte die verbesserte Schulbildung seiner Bürger zugute kommen. Dabei nahm Jordan in der Stiftungsurkunde explizit auf die Vereinbarungsstrategie Bezug. Aus seiner Perspektive war die Reichsgründung das Ergebnis des Zusammenwirkens von Fürsten und Volk. Sie erschien somit als Vollendung seiner bereits 1832 beim Hambacher Fest im Tagebuch notierten Wünsche. Dass die Reichsgründung von oben erfolgt war und Bismarck gemeinsam mit den Fürsten gezielt das Volk und dessen politische Vertreter außen vor gelassen hatten, reflektierte er nicht. Stattdessen wollte er jetzt in Zusammenarbeit mit dem Reichsgründer daran mitwirken, dem Reich ein starkes Fundament zu schaffen und es auf diese Weise gegen innere und äußere Bedrohungen abzusichern.

5.7 Politischer Höhepunkt und Abschied: Reichstagsmandat zwischen 1871 und 1881 Nach der Zustimmung der bayerischen Kammer der Reichsräte und des Abgeordnetenhauses zur Gründung des Deutschen Reiches entschied sich Jordan, nicht mehr für den bayerischen Landtag zu kandidieren. Dafür sprachen private Gründe, aber auch die zunehmende Bedeutungslosigkeit der bayerischen Ebene. Das Regieren im Mehrebenensystem des Kaiserreichs bot auf der nationalen Ebene größere Einflussmöglichkeiten als in Bayern, denn das politische Gefälle, das seit der Zugehörigkeit des Rheinkreises 1816 zum Königreich Bayern zwischen der liberalen Kreis- und der konservativ-partikularistischen Landesebene bestanden hatte, war abgebaut. Mit Sigmund von Pfeufer besaß die Pfalz bereits seit 1867 einen eher liberal eingestellten Regierungspräsidenten, dem im Oktober 1871 mit Paul von Braun ein weiterer eher liberaler Bürokrat folgte.659 Auch die bayerische Regierung in München war gemäßigt-liberal ausgerichtet. Gleichzeitig hatte sich zwischen 1848 und 1871 der politische Radikalismus von Teilen der Pfälzer Bevölkerung so stark abgeschwächt, dass er keine politische Bedeutung mehr besaß. Die Dominanz der Nationalliberalen in der Pfalz unterstrich diese Entwicklung. Mit der deutschen Einheit fiel auch diese zentrale Forderung der liberalen Pfälzer, die von der bayerischen Regierung lange abgelehnt worden war, weg.660 Jordan empfand daher eher die Notwendigkeit, für eine liberale Reichspolitik zu sorgen, als in Bayern weiter an kleinen Schrauben zu drehen. 659 Ritthaler, Paul von Braun. 660 Zu den Annäherungen zwischen Bayern und der Pfalz siehe Applegate, Heimat, S. 43 f.

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In den Reichstagswahlen wurde Jordan wie selbstverständlich gewählt. Hier zeigt sich sehr anschaulich die von Max Weber für den Honoratiorenpolitiker aufgestellte Regel, dass dieser zunächst freiwillig und dann traditional gewählt werde.661 Er war so fest etabliert und hoch angesehen, dass seine Kandidatur auch gleichzeitig seine Wahl bedeutete. Jordan erhielt, genauso wie die anderen liberalen Kandidaten der Pfalz, eine deutliche Stimmenmehrheit. Mit 97,5 % der abgegebenen Stimmen erzielte er ein Traumergebnis.662 Allerdings war die Wahlbeteiligung in Jordans Wahlkreis Neustadt-Landau (Wahlkreis II) mit 39,7 % die niedrigste aller pfälzischen Wahlkreise. Offensichtlich waren nicht alle Wahlberechtigten von Jordans Kandidatur überzeugt. Ihnen fehlte­ allerdings die Alternative.663 In Berlin mussten sich die liberalen süddeutschen Abgeordneten dann entscheiden, ob sie sich den etablierten Fraktionen aus dem Reichstag des Norddeutschen Bundes anschließen oder neue Fraktionen gründen wollten. Das war nicht unwichtig, denn im Gegensatz zu dem eher mäßigen Ergebnis bei den Zollparlamentswahlen wurden bei der Reichstagswahl von den 85 süddeutschen Wahlkreisen immerhin 63 von liberalen Kandidaten gewonnen.664 Die liberalen süddeutschen Abgeordneten trafen sich zur Diskussion ihrer Organisierung im Reichstag nach der am 21. März 1871 erfolgten Eröffnung der Session mehrmals, konnten sich allerdings weder zur Gründung einer eigenen Fraktion noch zum gemeinsamen Anschluss an eine etablierte Fraktion entschließen.665 Deutlich wurde lediglich, dass Jordans Kollege und Freund aus der bayerischen Fortschrittspartei, Marquard Barth, eine neue Partei gründen wollte, die als Zusammenschluss süddeutscher und norddeutscher Abgeordneter unter liberal-konservativen Vorzeichen gedacht war. Barth wollte möglichst viele Abgeordnete aus der bayerischen Fortschrittspartei für seine Fraktion der »Liberalen Reichspartei« gewinnen und warb daher auch um Jordans Beitritt.666 Jordan konnte sich mit dem von Barth entworfenen Parteiprogramm zwar identifizieren. Da es ihm jedoch wichtiger war, mit welchen Persönlichkeiten er zusammentrat, lehnte er eine Mitgliedschaft ab. Er sah Barths Partei, in der auch viele Adelige vertreten waren, vor allem als Sammelbecken für ehemalige Minister und solche, die Minister werden woll 661 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 170. 662 Zu den Wahlergebnissen in den einzelnen Wahlkreisen der Pfalz siehe die Tabelle in: Bräunche, Parteien, S. 335. 663 Ebd., S. 211 f. 664 Grohs, Liberale Reichspartei, S. 26. 665 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 22.3.1871, LaS, V153 (BassermannJordan), Bd. 55. Zu den Diskussionen unter den liberalen süddeutschen Abgeordneten siehe auch Steinsdorfer, Die Liberale Reichspartei (LRP) von 1871, S. 15. 666 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 26.3.1871, LaS, V153 (BassermannJordan), Bd. 55.

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ten.667 Mit dem früheren preußischen Oberpräsidenten und Minister Gustav von Bonin, dem ehemaligen preußischen Finanzminister Erasmus Robert­ Freiherr von Patow oder dem bayerischen Regierungspräsidenten Friedrich Graf von Luxburg verband ihn, wie er in sein Tagebuch notierte, wenig. Mit diesem Personal sah er zu Recht keine große Zukunft für diese Partei, die sich bereits 1874 wieder auflöste.668 Jordan schloss sich daher der Fraktion der Nationalliberalen Partei an, die in ihrer politischen Ausrichtung seinen Positionen am nächsten kam. Damit stand er im Zentrum der Partei, denn die Nationalliberale Partei hatte keine parteiinternen Leitungsstrukturen aufgebaut. Stattdessen fungierte die Reichstagsfraktion um den Vorsitzenden Rudolf von Bennigsen als Leitungsgremium.669 Die nationalliberalen Reichstagsabgeordneten waren in der Regel Honoratiorenpolitiker, die über diverse Ämter in die lokale Ebene vernetzt waren. Jordan war hier eher die Ausnahme, denn mit dem Rückzug aus dem Handelstag und der bayerischen Kammer der Abgeordneten hatte er alle seine anderen politischen und wirtschaftlichen Funktionen in Bayern und der Pfalz abgegeben. Bei seinem Neffen Armand Buhl sah das anders aus. Dieser war wie sein Onkel als Abgeordneter in den Reichstag gewählt worden. Dort vertrat er den pfälzischen Wahlkreis Homburg-Kusel bis 1893.670 Er war eng mit den politischen und wirtschaftlichen Gremien der Pfalz verbunden und konnte auch über seinen Onkel Kontakte zu wichtigen Parlamentariern knüpfen.671 Jordan prophezeite seinem Neffen bereits frühzeitig eine große politische Zukunft, die ihn immerhin bis zum Vizepräsidenten des Reichstages brachte.672 Hinzu kam ab 1874 auch Jordans Schwiegersohn, der Gutsbesitzer und Unternehmer Ferdinand Scipio, der sich im badischen Wahlkreis Mannheim-Weinheim-Schwetzingen für die Nationalliberale Partei durchsetzen konnte.673 Damit hatte er seinen Schwiegervater eines besseren belehrt, der sich 1865 gegenüber Heinrich von Gagern über seine angehenden Schwiegersöhne beklagt hatte: »Ich schäme mich fast es zu sagen, meine Schwiegersöhne sind zu hausbacken & solid und zeigen nur geringe Neigung sich einst dem öffentlichen Leben zu widmen, was ich doch für die Schuldigkeit eines jeden unterrichteten und unabhängigen Mannes halte.«674 667 Ebd. Das war eine Einschätzung, die auch in der Öffentlichkeit ausgesprochen wurde. Siehe Grohs, Liberale Reichspartei, S. 31. 668 Tagebucheinträge Ludwig Andreas Jordans vom 26.3., 27.3., 28.3.1871, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 55. 669 Zu den parteiinternen Strukturen siehe Cioli, Pragmatismus, S. 99–147. 670 Bräunche, Parteien, S. 58. 671 Schmidt, Franz Armand Buhl. Zu seiner politischen Rolle im Reichstag siehe auch Schieder, Buhl, S. 160–168. 672 Ludwig Andreas Jordan an Josephine Buhl, 5.8.1871, BaK, N 1754 (Buhl), Bd. 177. 673 Zu Ferdinand Scipio und seiner politischen Rolle im Kaiserreich siehe Fischer, Scipio. 674 Ludwig Andreas Jordan an Heinrich von Gagern, 3.6.1865, HSD, O11 (Gagern), Bd. E38.

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Jordan exponierte sich in seiner Tätigkeit als Reichstagsabgeordneter nicht. Er stand dort ebensowenig im Vordergrund wie er es in der bayerischen Kammer der Abgeordneten getan hatte. Sein Hauptaugenmerk lag auf der Geschlossenheit der Partei und auf der Unterstützung Bismarcks, dessen Leistung für die Reichseinigung er bewunderte. Jordan trug daher die Entscheidungen der Partei in allen Bereichen mit. Diese erhoffte sich, in enger Zusammenarbeit mit Bismarck liberale Positionen durchsetzen zu können und agierte dabei insgesamt pragmatischer als die Fortschrittspartei, die stärker an der liberalen Ideologie orientiert war und Bismarck skeptischer gegenüberstand.675 Der Pfälzer Gutsbesitzer pflegte innerhalb seiner Partei enge Kontakte sowohl zum linken Flügel um den Berliner Juristen Eduard Lasker, den bayerischen Gutsbesitzer Franz August Schenk von Stauffenberg und den Breslauer Bürgermeister Max ­Forckenbeck, als auch zum rechten Flügel, mit Joseph Völk oder dem bayerischen Juristen und Bankier Friedrich von Schauß.676 Das Talent von Bennigsens, die immer wieder auseinanderdriftenden Parteiflügel zusammenzuhalten, schätzte er.677 Jordan legte viel Wert auf ein geselliges Beisammensein seiner Parteigenossen. Beliebt waren Jordans Dinners und seine abendlichen Weinspenden, für die er kistenweise Flaschen mit eigenem Wein nach Berlin mitbrachte.678 Jordan befürwortete, obwohl er Katholik war, auch den sogenannten »Kulturkampf«, durch den die Liberalen versuchten, den Einfluss der katholischen Kirche auf den Staat mit Vehemenz zurückzudrängen. Der Kulturkampf spielte sich sowohl auf Länderebene ab, wo er zum Teil  schon wesentlich früher begonnen hatte, als auch auf Reichsebene. Die erste zentrale Maßnahme war der »Kanzelparagraph« vom 10. Dezember 1871, der es den Pfarrern gesetzlich verbot, von der Kanzel zu politischen Themen Stellung zu nehmen. Hinzu traten 675 Zur Rolle der Nationalliberalen Reichstagsfraktion in der sogenannten »Liberalen Ära« im Norddeutschen Bund und im Kaiserreich siehe Lauterbach, Vorhof. Knappe Überblicke liefern, Langewiesche, Liberalismus in Deutschland, S. 164–200, und Mommsen, ­R ingen, S. 353–384. 676 So lud Jordan zum Beispiel am 9.6.1871 u. a. Bennigsen, Lasker, Völk und Schauß zu einem Dinner ein. Siehe Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 9.6.1871, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 55. Jordans enger Mitstreiter aus der Bayerischen Fortschrittspartei, Joseph Völk, hatte sich 1871 zunächst der Liberalen Reichspartei angeschlossen. Als diese sich 1874 auflöste, trat er der nationalliberalen Fraktion bei. 677 Positive Äußerungen über Bennigsen finden sich zum Beispiel in Jordans Tagebucheinträgen vom 13./14.4.1874, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 57; Tagebucheintrag vom 22.5.1878, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 60; Tagebucheinträge Ludwig Andreas ­Jordans vom 10.10.1878 und 6.5.1879, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 61. 678 Ein anschauliches Bild von der Geselligkeit während der Reichstagssessionen vermitteln die entsprechenden Tagebücher Jordans, der mit seinen Weinen die Essen, Whistpartien und Salongespräche bereicherte und dabei natürlich auch neue Kunden gewann. Siehe LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bde. 55–61.

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in der Folgezeit weitere Maßnahmen, wie zum Beispiel das Verbot des Jesuitenordens und die wirtschaftliche Austrocknung der katholischen Kirche. Jordan unterstützte dabei wichtige Anträge, wie die Verschärfung der von der Regierung vorgelegten Gesetzesvorlage gegen den Jesuitenorden oder die vor allem von Joseph Völk vorangetriebene Einführung der obligatorischen Zivilehe.679 Dem Gutsbesitzer wurde die Unterstützung des Kulturkampfs noch durch persönliche Erfahrungen erleichtert. Er war an sich überzeugter Katholik, aber war stark antiklerikal eingestellt.680 So hatte er sich vor der Heirat seiner Tochter Clothilde mit dem Protestanten Ferdinand Scipio einen heftigen Schlagabtausch mit seinem angehenden Schwiegersohn über die religiöse Erziehung seiner möglichen Enkelkinder geliefert. Scipio hatte auf der evangelischen Erziehung der Kinder bestanden, was Jordan nicht zugestehen wollte. Am Ende stimmte Jordan der Ehe nur unter der Bedingung zu, dass die Töchter die Religion der Mutter und die Söhne die Religion des Vaters annehmen sollten.681 Als seine Tochter im April 1865 die Beichte in Deidesheim ablegen wollte, verweigerte der Kaplan das Sakrament unter Verweis auf den protestantischen Ehemann und die geteilte Erziehung der Kinder. Die Familie war erbost über diese Zurücksetzung. Jordan notierte in sein Tagebuch: »Das Pfaffenthum wird immer frecher.«682 Auch aus dieser persönlichen Erfahrung heraus empfand­ Jordan die Ein- und Übergriffe der katholischen Kirche als anmaßend. Die rigorose Gangart des Katholizismus, die Jordan auch in Deidesheim erfuhr, beruhte stark auf dem bewusst antimodernen Kurs von Papst Pius IX. Mit der Veröffentlichung des »syllabus errorum« am 8. Dezember 1864 geißelte er die Entwicklung der letzten Jahrzehnte. Unter den Punkten, die er in seiner Sammlung der Irrlehren der aktuellen Zeit auflistete, befand sich auch der »Liberalismus«. Die Verkündung der Unfehlbarkeit des Papstes in religiösen Angelegenheiten durch das 1. Vatikanische Konzil am 18. Juli 1870 brachte dann das Fass zum Überlaufen. In den deutschsprachigen Ländern kam es daraufhin unter anderem zur Gründung sogenannter altkatholischer Gemeinden, welche die 679 Zu Jordans Engagement gegen den Jesuitenorden siehe Abänderungsantrag betr. den Gesetzentwurf zum Verbot des Jesuitenordens vom 16.6.1872, Reichstagsprotokolle 1872, Bd. 3, S. 724 f.; Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 15.6.1872, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 56. Vgl. Lauterbach, Vorhof, S. 156 f. Zu Jordans Unterstützung der Zivilehe, die im Pfalzkreis schon unter Napoleon eingeführt worden war, siehe den Antrag von Völk und Genossen, betr. Erlaß eines Reichsgesetzes die bürgerliche Form der Eheschließung betreffend vom 2.4.1873, Reichstagsprotokolle 1873, Bd. 3, S. 165 ff. Zur Rolle der National­ liberalen Partei im Kulturkampf siehe auch Heinen, Umstrittene Moderne. 680 Siehe seinen Kampf gegen die Einführung der »Barmherzigen Schwestern« in Deidesheim in Kapitel 5.2.1. 681 Tagebucheinträge Ludwig Andreas Jordans vom 1.–3.2.1865, LaS, V153 (BassermannJordan), Bd. 49. 682 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordan vom 21.4.1866, LaS, V153 (Bassermann-­ Jordan), Bd. 50.

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Unfehlbarkeit des Papstes nicht anerkannten. Auch Jordan schloss sich den Altkatholiken an.683 Seine Herkunft aus dem Wirtschaftsbürgertum war typisch für den Altkatholizismus, in dem Bildungs- und Wirtschaftsbürger die größte Gruppierung stellten.684 Der Altkatholizismus war zudem sehr stark nationalistisch orientiert und setzte sich auch auf diese Weise von dem »ultramontan« und damit an Rom orientierten Katholizismus ab.685 Die neue religiöse Bewegung fand viele Anhänger in der Nationalliberalen Partei, war aber durchaus auch in ländlichen Regionen vertreten.686 Die Nationalliberale Partei hatte in ihrem Kampf für eine Trennung zwischen Staat und Kirche und gegen den als antinational empfundenen Impetus der ultramontanen Bewegung einen mächtigen Verbündeten: Bismarck. Dieser sah vor allem die Gefahr in der zunehmenden Bedeutung der katholischen Zentrumspartei, die im selben Wasser wie Bismarck fischte, denn sie war vor allem auf konservative Bevölkerungskreise ausgerichtet.687 Der »Kulturkampf« wirkte daher zunächst als Kitt zwischen der Nationalliberalen Partei und Bismarck. Auch Jordan sah in der Zentrumspartei und den »Ultramontanen« den politischen Hauptgegner. Mit Unmut quittierte er immer wieder in seinem Tagebuch und in seinen Briefen die internen Auseinandersetzungen in der Nationalliberalen Partei oder der Fortschrittspartei in München, die er für verfrüht hielt, da der »ultramontane« Gegner noch nicht geschlagen war. Daraus entwickelte er sein politisches Credo eines engen Zusammenhalts der Liberalen, das er seinem Abgeordnetenkollegen Heinrich Marquardsen für die bayerische Politik der Fortschrittspartei nahelegte, das aber genauso für die Nationalliberale Partei im Reichstag galt: »Die Lieberalen[sic] aller Schattierungen müssen so lange einig bleiben bis der gemeinsame Feind völlig zu Boden liegt. Die Nörgeleien […] taugen nichts, daher keine Anträge, die auf den Beifall einer Volksversammlung oder einer Stadt berechnet sind, keine Prinzipienreiterei, die das Gute verwirft, weil sie nicht sofort das Beste er­ reichen kann.«688 683 Kermann, Tendenzen, S.  236 f. Siehe auch den Tagebucheintrag Ludwig Andreas­ Jordans vom 10.3.1872, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 55, in dem er den Besuch einer altkatholischen Versammlung in Kaiserslautern durch seinen Schwiegersohn Emil Bassermann vermerkt. 684 Blaschke, Altkatholizismus, S. 60 f.; Heilbronner, Catholic Bourgeoisie, S. 182 f., 190 f. 685 Blaschke, Altkatholizismus, S. 62 f. 686 Ebd., S. 62. Auch der im Kulturkampf überaus engagierte Joseph Völk gehörte den Altkatholiken an. Siehe Möller, Bürgerliche Herrschaft, S. 362. 687 Gall, Bismarck, S. 542. 688 Ludwig Andreas Jordan an Heinrich Marquardsen, 4.3.1872, BaB, N 2183 (Marquardsen), Bd. 12. Ähnliche Empfehlungen finden sich auch in: Ludwig Andreas Jordan an­ Heinrich Marquardsen, 4.2.1871, in: Wentzcke (Hg.), Deutscher Liberalismus im Zeitalter Bismarcks, Bd. 2, S. 8; Ludwig Andreas Jordan an Heinrich Marquardsen, 23.1.1872, BaB, N 2183 (Marquardsen), Bd. 12.

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Diese gegen den politischen Katholizismus ausgerichtete, im politischen Tagesgeschäft mit den anderen liberalen Parteien oder den Konservativen eher gemäßigte, kooperative Politik, erreichte für Jordan ihren Höhepunkt mit dem Kompromiss zwischen der Nationalliberalen Partei und Bismarck in der Frage des Heeresetats 1874. 1871 hatte der Reichstag sich in dieser Frage auf ein dreijähriges Provisorium geeinigt, sodass das Thema 1874 wieder auf der Agenda stand. Jetzt prallten die unterschiedlichen Ansichten zwischen den Liberalen und der Regierung bzw. den Militärs hart aufeinander. Die Liberalen, die in der Bewilligung des Heeresetats auch ein parlamentarisches Machtmittel gegenüber der Regierung sahen, strebten eine kurze Bewilligung an, wohingegen die Militärs eine unbegrenzte Gültigkeit, das sogenannte Äternat, forderten.689 Die Auseinandersetzung barg das Potential, sich erneut zu einem Heeres- und Verfassungskonflikt zu entwickeln. Jordan ging daher mit großen Sorgen in die entscheidende Fraktionssitzung der Nationalliberalen Partei am 9.  April 1874. Bennigsen und Johannes von Miquel verkündeten dann einen zwischen ihnen, Bismarck und dem Kaiser ausgehandelten Kompromiss: das Septennat, also eine Bewilligung des Heeresetats für sieben Jahre. Darauf ließen sich nach einigen Diskussionen selbst am linken Rand stehende Nationalliberale wie Lasker und am rechten Rand stehende Vertreter wie Heinrich von Treitschke ein. Eupho­risch notierte Jordan nach der Fraktionssitzung, dieser Beschluss sei »ein großer fürs Vaterland, aber auch für unsere Fraction«690. Die Entscheidung war sogar so attraktiv, dass zwölf Abgeordnete der Fortschrittspartei ihrer Fraktion den Rücken kehrten und sich den Nationalliberalen annäherten, darunter die beiden Pfälzer Abgeordneten Friedrich Karl August Zinn und Ludwig Groß.691 Erleichtert, einen für das junge Deutsche Reich lähmenden Konflikt ver­ mieden zu haben, feierten Jordan und seine nationalliberalen Mitbewohner im Hotel d’Angleterre den bevorstehenden Kompromiss. Man trank »auf des Kaisers und Bismarcks Wohl«. Beide hätten gezeigt, »daß das Gedeihen des Reiches ihnen über Alles geht!«692 In der Abstimmung im Reichstag setzte sich der Septennats-Vorschlag klar durch. Jordan sah dabei drei Väter des aus seiner Sicht historischen Kompromisses: Bismarck, den Kaiser und die Nationalliberale Partei, die »ihre ächt vaterländische Gesinnung bewies. Es war große Freude in unserm Lager.«693 689 Gall, Bismarck, S. 613–615. 690 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 9.4.1874, LaS, V153 (Bassermann-­ Jordan), Bd. 57. 691 Tagebucheinträge Ludwig Andreas Jordans vom 10.4.1874, 14.4.1874, LaS, V153 ­(Basser­ mann-Jordan), Bd. 57. 692 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 11.4.1874, LaS, V153 (BassermannJordan), Bd. 57. 693 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 14.4.1874, LaS, V153 (BassermannJordan), Bd. 57.

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Erleichtert wurde die Zusammenarbeit der Nationalliberalen mit dem Reichskanzler und den im Bundesrat vertretenen verbündeten Regierungen auch durch den Chef des Bundeskanzleramtes Rudolph von Delbrück. Dieser hatte eine Scharnierfunktion zwischen Bismarck und den Reichstagsparteien und war als erfahrener Finanz- und Wirtschaftsexperte wirtschaftsliberal eingestellt. Er hatte bereits an der engen Zusammenarbeit der nationalliberalen Fraktion mit Bismarck in der Zeit des Norddeutschen Bundes einen großen Anteil gehabt und war ein Garant für die Einflussmöglichkeiten der National­ liberalen. Auch Jordan hatte gut mit ihm zusammengearbeitet. Er hatte sich unter anderem erfolgreich bei Delbrück für die Einrichtung einer Filiale der Reichsbank in Neustadt eingesetzt und sah ihr Verhältnis als vertrauensvoll an.694 Der Gutsbesitzer war daher geschockt, als Delbrück am 14. April 1876 plötzlich von seinem Posten zurücktrat. Er schrieb Delbrück einen sehr persönlichen Brief, in dem er auch über die Ursachen für diesen »für das Reich vielleicht verhängnisvollste[n] Rücktritt«695 spekulierte. Diese sah er in dem Vertrauensverlust zwischen Bismarck und Delbrück sowie der Arbeitsüberlastung des Reichskanzleramtschefs. Den Schritt Delbrücks bedauerte Jordan zutiefst. Sein Nachfolger Karl von Hofmann habe nicht die Einblicke in die politischen Abläufe wie Delbrück sie gehabt habe, er sei nicht so schlagfertig und werde den Parteien im Reichstag kaum so glänzend Rede und Antwort geben können, wie Delbrück das getan habe. Darin sah Jordan eine große Gefahr. Das Reich sei noch jung und innerlich nicht gefestigt. Es stünden in dieser oder in der nächsten Legislaturperiode sicherlich noch »große Zerwürfnisse« im Reichstag bevor. Dann werde man die ausgleichende Art Delbrücks vermissen. Dieser Schritt Delbrücks festigte in Jordan die Wahrnehmung einer zunehmenden Krise des Liberalismus und des politischen Systems des Kaiserreichs. Bereits bei den Wahlen 1874 hatte die Zentrumspartei in der Pfalz deutlich zugelegt.696 Bei einem Teil der ursprünglich liberalen Wähler überwog somit die Konfessionsfrage in der Entscheidungsfindung. Zudem machte auch die Wirtschaftskrise nach den Gründerjahren dem Liberalismus zu schaffen. Die liberalen Reformen auf Landes- und Reichsebene hatten diese schwere Krise offensichtlich nicht verhindern können, und der Vorwurf wurde laut, dass es gerade die liberalen Gesetzesänderungen, wie zum Beispiel beim Aktienrecht, gewesen seien, die diese Krise herbeigeführt hätten. Publizistisch wurde intensiv darüber diskutiert, wie vor allem Liberale die Boomjahre ausgenutzt hätten und mit­ 694 Ludwig Andreas Jordan an Rudolph von Delbrück, 10.5.1875, LaS, V153 (BassermannJordan), Bd. 377. Poschinger, Bankgeschichte, S. 56; Longueville, Bankwesen, S. 577–579. 695 Entwurf eines Briefes von Ludwig Andreas Jordan an Rudolph von Delbrück, Deidesheim, 12.6.1876, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd.  377. Daraus auch die folgenden Zitate. 696 Bräunche, Parteien, S. 335 und 338.

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Aktienschwindeleien und ähnlich dubiosen Geschäften ihre hohen Gewinne auf Kosten der Allgemeinheit eingefahren hätten.697 Jordan verarbeitete diese zunehmenden gesellschaftlichen Konflikte, die auch innerhalb der Liberalen für Auseinandersetzungen sorgten, auf seine eigene Weise. Er veröffentlichte im ersten Band der »Badischen Biographien« eine Hommage an seinen Schwiegervater Franz Anton Buhl.698 In dieser Verherrlichung des Ettlinger Unternehmers und badischen Landtagsabgeordneten zeichnete er den großen Einfluss des vormärzlichen Liberalismus nach. Insbesondere die von Jordan hervorgehobenen Kontraste in religiöser Hinsicht zwischen dem Vormärz und den ersten Jahren nach der Reichsgründung fallen ins Auge. Die Benediktiner, als frühe Erzieher Buhls, schildert Jordan als von »Toleranz und Milde gegen Andersgläubige« geprägt. Damals habe noch Frieden unter den Konfessionen geherrscht. Buhl selbst wird von Jordan als patriotischer und liebevoller Mensch charakterisiert, dem das Wohl seiner Mitbürger wichtiger gewesen sei als sein eigenes. Als langjähriger Bürgermeister wird Buhl von Jordan als Mann des Fortschritts dargestellt, der sich gegen den »alten Schlendrian« gewandt und Reformen eingeführt habe. Das habe insbesondere die Geistlichkeit herausgefordert, deren Unbotmäßigkeit aber noch nicht den jetzigen Formen des »Ultramontanismus« entsprochen habe. Buhl habe sich vor allem gegen bekannte Liberale wie Rotteck oder Itzstein für einen badischen Beitritt zum Zollverein eingesetzt und habe frühzeitig dessen nationale Bedeutung erkannt. Abschließend betont Jordan, Buhl sei »ein edler, selbstloser Mann, ein treuer Sohn des Vaterlandes« gewesen. Diese biographische Einordnung seines Schwiegervaters durch Jordan trägt eine wehmühtige, melancholische Grundstimmung. Jordan trauerte der Zeit hinterher, als der Liberalismus noch auf die lokale Ebene und die Landesebene beschränkt war und die Liberalen dort ihren Einfluss geltend machen konnten. Die religiösen Auseinandersetzungen hatten noch nicht die Schärfe der späteren Jahre angenommen, politische Konflikte ließen sich noch lösen und die liberalen Persönlichkeiten stellten das Gemeinwohl über den persönlichen Vorteil. Diese gemeinsame Arbeit der liberalen Bewegung hielt Jordan für gefährdet, denn der Nationalliberalismus geriet im Reich zunehmend unter Beschuss. 697 Siehe hierzu u. a. die damals breit rezipierte polemische Schrift von Glagau, Börsenund Gründungsschwindel. Auszüge daraus waren bereits zuvor in der »Gartenlaube« erschienen. Glagau listete darin die Gründer diverser Aktiengesellschaften auf und wies auf ihre wirtschaftliche und politische Verflechtung hin. Auch Ludwig Andreas Jordan wurde von dem Publizisten als Mitbegründer der später pleite gegangenen »Märkischen Portland-­Cement­ fabrik« aufgeführt (S. 373). Armand Buhl wurde als Teil des liberalen Netzwerks genannt, das hohe Geldverluste weiter Bevölkerungskreise zu verantworten habe und trotzdem immer noch im Parlament sitze (S. 357 f.). Das Buch war insgesamt stark antisemitisch ausgerichtet und trug zu der zunehmenden Vermischung von Antiliberalismus und Anti­semitismus bei. Zu diesem Zusammenhang siehe Sieg, Antisemitismus und Antiliberalismus. 698 Jordan, Franz Buhl. Daraus auch die folgenden Zitate.

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Das zeigte sich deutlich bei den Reichstagswahlen vom 10. Januar 1877, auch in der nationalliberalen Hochburg Pfalz. Bisher hatte Jordan in seinem Wahlkreis nur einen leichten ultramontanen Gegenwind verspürt und bei den vorangehenden Wahlen kaum Wahlkampf betreiben müssen. Jetzt bekam er einen Vorgeschmack des zunehmenden Parteienwettbewerbs, denn in seinem Wahlkreis buhlten neben den Nationalliberalen noch die Fortschrittspartei, das Zentrum, die Konservativen und die Sozialdemokraten um die Stimmen der Wähler. Kurz nach seiner Rückkehr von der Reichstagssession erhielt Jordan am 27. Dezember 1876 vom Landauer Anwalt Jacob Keller die Nachricht, dass man ihn bei der Wahl unterstützen werde, er jedoch bei einer Wählerversammlung am 1. Januar in Neustadt Rechenschaft über die letzte Legislaturperiode ab­legen solle.699 Schweren Herzens nahm Jordan die Aufforderung an und setzte am letzten Tag des Jahres mit großer Aufregung eine Rede auf.700 Die Versammlung am Neujahrstag war sehr gut besucht, und Jordan hatte hier die Gelegenheit, einen Rückblick auf die Rolle der Nationalliberalen in den letzten Jahren zu halten.701 Er verglich die aktuellen Zustände mit den Zuständen vor zehn Jahren, als noch der Deutsche Bund mit seinem Bundestag existiert habe. Mittlerweile hätte eine umfangreiche sehr vorteilhafte Gesetzgebung des Reichstags stattgefunden, aus der er besonders das Militärgesetz und die Justizgesetze hervorhob. Das als Teil der Justizgesetze verabschiedete, wenig liberal ausgefallene Pressegesetz verteidigte er gegen die Angriffe der mit liberalen Prinzipien argumentierenden Fortschrittspartei. Jordan erachtete »das große Gut einer einheitlichen Justizgesetzgebung viel höher […] als das Durchsetzen eines Artikels, der die Presse von der Zeugnispflicht befreit.« Mit seiner Rede erntete er großen Beifall. Widerspruch kam lediglich von dem Mußbacher Gutsbesitzer Otto Sartorius, der als Kandidat der Fortschrittspartei ins Rennen ging, und Jordan und seiner Partei vorwarf »die Freiheit der Nation compromitiert & die Justiz-Gesetze durchlöchert« zu haben. Jordan und sein Neffe­ Armand Buhl traten dem Vorwurf vehement entgegen. Nach der Veranstaltung, in der Jordan so lange sprach wie noch nie in seiner politischen Karriere, fühlte er eine Zentnerlast von sich genommen. In Jordans Aufzeichnungen ist die Aversion gegen den Wahlkampf in jeder Zeile greifbar. Das lag nicht nur an seiner Scheu, in der Öffentlichkeit zu sprechen. Vor allem waren ihm der zunehmende Parteienpluralismus und der damit einhergehende Kampf um die Gunst des Wählers zuwider. Das durch das 699 Keller an Ludwig Andreas Jordan, 27.12.1876, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 589; Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 29.12.1876, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 59. 700 Tagebucheinträge Ludwig Andreas Jordans vom 29.–31.12.1876, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 59. 701 Hierzu und zu dem Folgenden: Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 1.1.1877, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 59. Daraus auch die folgenden Zitate.

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allgemeine Wahlrecht induzierte Erlernen demokratischer Umgangsformen fiel ihm offensichtlich schwer.702 Es entsprach nicht seinem Ideal und seinem Selbstverständnis als Abgeordneter, der aufgrund seiner Bildung, seiner finanziellen und damit auch politischen Unabhängigkeit und seines lokalen Ansehens gewählt wurde. Er verstand sich auch immer noch als Volksvertreter, der seinen gesamten Wahlkreis repräsentierte.703 Seine Position wurde jetzt durch die Parteiauseinandersetzungen in den Wahlen von einer in seinem Selbstverständnis allgemeinen, den Fortschritt repräsentierenden Position zu einer die Interessen einer bestimmten Klientel vertretenden Parteiposition degradiert. Diese Erkenntnis bereitete Jordan Unbehagen, und er verspürte keine Lust, sich darauf einzulassen. Umso mehr bewunderte er seinen Neffen Buhl, der sich in die Wahlkämpfe stürzte und um sein Mandat in zahlreichen Wahlversammlungen kämpfte.704 Bei den Wahlen siegte Jordan mit 11.392 von 17.787 abgegebenen Stimmen klar vor seinen Gegnern, die jedoch von Wahl zu Wahl aufholten.705 Vor allem war in den Wahlen, nicht nur in Jordans Wahlkreis sondern auch im Reich, erstmals ein tiefer Bruch zwischen den beiden liberalen Parteien des Fortschritts und der Nationalliberalen zu Tage getreten. Eine gemeinsame liberale Basis schien mehr und mehr zu schwinden.706 Insgesamt verloren die Nationalliberalen 26 Mandate in den Wahlen, wohingegen vor allem die konservativen Parteien neue Abgeordnetensitze hinzugewinnen konnten. Dass auch die Sozialdemokraten weiter zulegten und immerhin zwölf Sitze im Reichstag erobern konnten, sah Jordan als »bedenkliche Erscheinung«707. In der neuen Wahlperiode wehte den Nationalliberalen in Berlin ein scharfer Wind entgegen. Die politischen Probleme lassen sich in verschiedene Stränge bündeln, die in den sogenannten »Attentatswahlen« vom 30. Juli 1878 zusammenliefen.708 Zunächst versuchte Bismarck mit Rudolf von Bennigsen den prominentesten Nationalliberalen isoliert auf seine Seite zu ziehen, indem er ihm die 702 Siehe hierzu vor allem die innovative Studie von Anderson, Lehrjahre. Anderson zeigt anhand des Wahlrechts und der Wahlen überzeugend auf, dass diese bereits zum Erlernen demokratischer politischer Umgangsformen im Kaiserreich führten. 703 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 1.1.1877, LaS, V153 (Bassermann-­ Jordan), Bd. 59. 704 Siehe hierzu Jordans Eintragungen zu den Wahlkämpfen 1877, 1878 und 1881 in LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bde. 59, 60, 62. 705 Bräunche, Parteien, S.  338. Jordan notierte leicht abweichende Zahlen. Siehe Tage­ bucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 18.1.1877, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 59. 706 Lauterbach, Vorhof, S. 236 f. 707 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 13.1.1877, LaS, V153 (BassermannJordan), Bd.  59. Dabei waren die Sozialdemokraten durch das Mehrheitswahlrecht sogar noch benachteiligt, denn sie hatten mehr Stimmen erhalten als die Fortschrittspartei. Diese hatte damit aber 35 Mandate erringen können. Siehe Lauterbach, Vorhof, S. 271. 708 Zu dieser Endphase der »Liberalen Ära« siehe vor allem Lauterbach, Vorhof, S. 245–337; Gall, Bismarck, S. 636–681.

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Übernahme eines Ministerpostens in Preußen anbot. Da keine eigenständigen Reichsministerien existierten, sondern die Fäden im Reichskanzleramt und den preußischen Ministerien gezogen wurden, hätte dieser Schritt auch erhebliche Konsequenzen für die Reichspolitik gehabt. Bennigsen wollte sich nur darauf einlassen, wenn gleichzeitig weitere liberale Mitstreiter Ministerposten übernehmen oder an die Spitze von Reichsämtern rücken würden. Das hätte eine Parlamentarisierung des politischen Systems bedeutet, da die Regierungszusammensetzung sich an den Mehrheitsverhältnissen des preußischen Abgeordnetenhauses bzw. des Reichstags orientiert hätte. Diese Entwicklung war ein Albtraum für Bismarck, der, auch auf Drängen des Kaisers, sein Angebot zurückzog. Gleichzeitig wollte er die Reichsfinanzen ausbauen und langfristig absichern, die bisher vor allem durch Matrikularbeiträge der einzelnen Länder abgedeckt worden waren. Hier wollte er das Reich unabhängiger machen und dachte zum Beispiel über die Verstaatlichung der Eisenbahnen oder über die Errichtung eines staatlichen Tabakmonopols nach. Der wirtschaftliche Einbruch nach dem Gründerboom hatte zudem den Ruf nach Schutzzöllen in Teilen der deutschen Wirtschaft laut werden lassen. Diese populäre Bewegung griff Bismarck jetzt auf, denn auch der Aufbau von Schutzzöllen bot neue finanzielle Möglichkeiten für das Reich und eine stärkere Fundierung seiner Herrschaft. Außerdem holte er jetzt zum Schlag gegen die Sozialisten aus, in denen er Feinde der Reichseinigung und des politischen Systems erblickte. Die Sozialisten lösten somit das Feindbild des katholischen Zentrums ab, denn durch den Abbau der Kulturkampfmaßnahmen nach dem Tod von Papst Pius IX. 1878 wurde auch das Zentrum als Koalitionspartner für Bismarck salonfähig. Nach einem Attentat auf den Kaiser am 11. Mai 1878, das sofort propagandistisch den Sozialisten in die Schuhe geschoben wurde, legten die verbündeten Regierungen dem Reichstag einen ersten Regierungsentwurf über ein gegen die Sozialisten gerichtetes Gesetz vor. Insbesondere den Nationalliberalen und der Fortschrittspartei ging der Regierungsentwurf zu weit. Bennigsen forderte daher im Namen seiner Partei einen stärker rechtsstaatlich fundierten Gesetzentwurf. Auf dieser Basis lehnte eine große Mehrheit, zu der auch Jordan gehörte, den Gesetzentwurf ab.709 Als drei Wochen später ein weiteres Attentat auf Kaiser Wilhelm I. verübt wurde, nutzte Bismarck die Gunst der Stunde. Er ließ den Reichstag auflösen und setzte Neuwahlen an, um sich einen für die anstehenden Entscheidungen gefügigen Reichstag mit einer stärker konservativ ausgerichteten Basis als bisher zu schaffen. Bei diesen sogenannten »Attentatswahlen« trat Ludwig Andreas Jordan zum letzten Mal zur Wahl an. Zunächst hatte er eine Wahl aus Gesundheitsgründen abgelehnt und sich wochenlang gegen die Versuche seiner Pfälzer Wähler 709 Lauterbach, Vorhof, S.  272–275; Tagebucheinträge Ludwig Andreas Jordans vom 22.–24.5.1878, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 60.

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gesträubt, ihn noch einmal zu einer Kandidatur zu überreden. Die Lage in sei­ nem Wahlkreis war allerdings kompliziert. Keiner der in Frage kommenden Kandidaten war bereit, sich aufstellen zu lassen und den von Jordan vorgeschlagenen Nachfolger, den ehemaligen badischen Minister und Regierungschef­ Julius Jolly, akzeptierten seine nationalliberalen Wähler nicht. Als sich daher abzeichnete, dass sein Wahlkreis an einen Kandidaten der Fortschrittspartei fallen würde, entschied sich Jordan, doch noch einmal anzutreten.710 Im Reich entwickelte sich der Wahlkampf zu einer gehässigen Auseinandersetzung, in der neben den Sozialdemokraten vor allem die Nationalliberalen am Pranger standen. Von konservativer Seite wurde ihnen vorgeworfen, durch ihre liberale Ideologie und die Ablehnung des ersten Entwurfs des Sozialistengesetzes, den sozialistischen »Reichsfeinden« in die Hände gearbeitet zu haben. Auch die regierungsnahe Presse hieb kräftig auf die Nationalliberalen ein.711 Diese versuchten sich daher umso stärker von den Sozialdemokraten abzusetzen. Diesem harten Kampf der Parteien, dessen Anfänge Jordan schon bei der Wahl 1877 zu schaffen gemacht hatten, entzog sich der Deidesheimer Gutsbesitzer. Er hatte deutlich gemacht, dass er nur noch einmal kandidieren werde, wenn er keine Wahlkampfveranstaltung machen müsse. Das hatten seine nationalliberalen Unterstützer akzeptiert. Er veröffentlichte allerdings auf Drängen seines Neffen Armand Buhl eine Erklärung, in der er seine Positionen zu den anstehenden zentralen politischen Entscheidungen offenlegte.712 Darin setzte er sich für ein hartes Vorgehen gegenüber den sozialistischen Rädelsführern ein. Aus seinem paternalistischen Selbstverständnis heraus sah er die Arbeiter als ehrliche und hart arbeitende Menschen an, die von den sozialistischen Agitatoren verführt worden seien. Deswegen forderte er, den sozialistischen Führern das Handwerk zu legen. Seiner Meinung nach hätte man sich auch mit dem zuvor bestehenden Reichstag in dieser Frage einigen können. Diese Darstellung der in Bezug auf das Sozialistengesetz durchaus kompromissbereiten Nationalliberalen findet sich auch im offiziellen Wahlaufruf der Partei.713 Jordan schloss daraus, dass Bismarck und die Regierung den Reichstag nicht aus diesem Grund aufgelöst hätten, sondern nur um die Liberalen zu schwächen, die den Plänen Bismarcks zur Stärkung der Reichsfinanzen kritisch gegenüber ­gestanden­ 710 Ludwig Andreas Jordan an Heinrich von Gagern, Deidesheim, 21.12.1878, HSD, O11 (Gagern), Bd. E38; Tagebucheinträge Ludwig Andreas Jordans vom 8.6.1878–17.7.1878, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 60. 711 Braun, Kampf, S. 234–237; Lauterbach, Vorhof, S. 280–290. 712 Programmatische Notizen von Ludwig Andreas Jordan, o. O., o. D. [1878], LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 377. Daraus auch die folgenden Zitate. Siehe auch die Tagebucheinträge Ludwig Andreas Jordans vom 13.–17.7.1878, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 60. 713 Aufruf zur Reichstagswahl 1878, in: Programmatische Kundgebungen der National­ liberalen Partei, S. 22–24. Auch in der Forschung wird diese Sicht geteilt. Siehe Braun, Kampf, S. 230.

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hätten. Aus dieser Richtung kämen auch die Angriffe auf die Nationalliberale Partei in der offiziösen Presse, die keine Rücksicht auf die bedeutenden Leistungen nehme, welche die Nationalliberalen gemeinsam mit der Regierung in den letzten zwölf Jahren erreicht hätten. Als besonders ungerecht empfand er, dass man der Partei jahrelang von Seiten anderer Parteien vorgeworfen habe, dass sie zu kompromissbereit mit der Regierung gewesen sei und der Reichstag jetzt aufgelöst worden sei, weil die Partei »nicht gefügig genug war«.714 Im Hinblick auf ein Tabakmonopol machte Jordan deutlich, dass er einem solchen Plan nicht zustimmen werde. Hier ging er insbesondere auf die großen Pfälzer Interessen als wichtiges Tabakanbaugebiet ein. Er werde keinem Gesetz zustimmen, das den Tabakpflanzer und die Weiterverarbeiter schädigen werde. Man werde jedoch einer höheren Besteuerung des, wie er hoffe, ausländischen Tabaks zustimmen müssen und könne dadurch das Reich von den Matrikularbeiträgen unabhängiger machen. Auf diese Weise würden sich auch den Ländern Spielräume bieten, die Steuern zu reduzieren. Er sah die Angelegenheit also als ein finanzielles »Nullsummenspiel« zwischen dem Reich und den Ländern, erhoffte sich davon aber eine politische Stärkung des Reiches, die durchaus in seinem Sinne war. Auf die Schutzzollforderungen eingehend, betonte er, dass er niemals Schutzzöllner gewesen sei. Bei den handelspolitischen Entscheidungen der 1860er Jahre sei für ihn jedoch nicht der Freihandel maßgebend gewesen, sondern die Erhaltung des Zollvereins. Wichtig sei in der Handelspolitik, dass man nicht einseitig vorgehe. So mache eine Zollsenkung, wie sie für die Eisenzölle aufgrund früherer Vereinbarungen anstehe, nur Sinn, wenn auch die Partnerländer ihre Zölle in bestimmten Bereichen reduzieren würden. Eine solche Vereinbarung habe man versäumt. Er könne sich daher auch eine moderate Erhöhung der Eisenzölle und der Zölle auf feinere Textilien vorstellen. Abschließend ging er noch auf die außenpolitische und militärische Rolle des Deutschen Reiches ein. Bismarck habe das Deutsche Reich auf dem kurz zuvor zu Ende gegangenen Berliner Kongress hervorragend vertreten. Für diese einflussreiche Position des Deutschen Reiches sei eine deutsche »Machtstellung« unabdingbar. Diese könne nur mit einem starken Militär aufrechterhalten werden. Zudem müsse man immer mit der »Revanche« des französischen Nachbarn rechnen. Er halte aus diesem Grund eine jährliche Bewilligung des Militäretats, die in der nächsten Legislaturperiode sicherlich diskutiert werden würde, für wenig zielführend. Jordan sah aber auch die bisherige Vorgehensweise des Septennats, also eine Bewilligung des Heeresetats für sieben Jahre, als zu weitgehend an. Stattdessen sprach er sich für eine Bewilligung für die jewei-

714 Auch dieser Aspekt findet sich im offiziellen Wahlaufruf. Siehe Aufruf zur Reichstagswahl 1878, in: Programmatische Kundgebungen der Nationalliberalen Partei, S. 24.

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lige Legislaturperiode von drei Jahren aus. Er schloss seine Ausführungen mit einem Motto für sein politisches Engagement in Berlin: »Ein großes Gemeinwesen gedeiht nur in stetiger Entwicklung, in ruhigem Ausbau! Aber nichts soll uns höher stehen als die Treue zu Kaiser und Reich!« Insgesamt fällt eine Diskrepanz zwischen seinen innen- und außenpolitischen Positionen ins Auge. Außenpolitisch war er sehr unkritisch und betonte die machtvolle Position Deutschlands. Bismarck war für ihn in außenpolitischer Hinsicht sakrosankt. Innenpolitisch zeigten sich erste Risse. Hier war er zwar auch zu Kompromissen mit Bismarck und dem Reichsrat bereit, zog allerdings die Grenzen enger. Diese lagen eher im wirtschaftlichen Bereich. Ein Sozialistengesetz unterstützte er hingegen. Was er als besonders ungerecht empfand, war die Agitation Bismarcks und der offiziellen Presse gegen die Nationalliberalen, die bisher in der Zusammenarbeit mit Bismarck aus seiner Sicht viel erreicht hatten. Er befürchtete, dass die Politik Bismarcks zu starken Spannungen zwischen den Parteien führen werde und von einer solchen Uneinigkeit nur das Ausland profitieren werde. In der neuen Legislaturperiode verschärften sich jedoch nicht nur die Spannungen zwischen den Parteien, sondern vor allem die Spannungen innerhalb der Nationalliberalen Partei. Das zeigte sich insbesondere bei den Auseinandersetzungen um das Sozialistengesetz und die Schutzzollfrage. Hier ging ein Bruch durch die Nationalliberale Partei. Auf der einen Seite standen die Parteilinken um Lasker, Forckenbeck, Stauffenberg und Ludwig Bamberger, die am Freihandel festhalten und das Sozialistengesetz nur nach Verbesserungen annehmen wollten. Auf der anderen Seite standen die Parteirechten um Völk oder Treitschke, die sich bedingungslos für das Sozialistengesetz und einen hohen Schutzzoll aussprachen. Beim Sozialistengesetz gelang Bennigsen noch ein Kompromiss, der vor allem darin lag, das Gesetz zeitlich zu begrenzen. Jordan begrüßte die Verabschiedung des Gesetzes, das notwendig gewesen sei. Er war sich allerdings auch klar darüber, dass »jegliche Fehler & Härten des Gesetzes«715 in der Öffentlichkeit den Zustimmenden angekreidet werden würden. Dass sich der Wind für die Nationalliberalen drehte, die sich in internen Scharmützeln zerrieben und sich zum Teil  selbst um ihre politischen Einflussmöglichkeiten brachten, zeigte sich, als die Parteilinken Forckenbeck und Stauffenberg noch während der Auseinandersetzungen um die Zölle und die Reichsfinanzen am 20.  Mai 1879 von ihren Posten als erster beziehungsweise zweiter Präsident des Reichstages zurücktraten.716 Der nationalliberalen Fraktion

715 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 19.10.1878, LaS, V153 (BassermannJordan), Bd. 61. Lauterbach, Vorhof, S. 325. 716 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 20.5.1879, LaS, V153 (BassermannJordan), Bd. 61.

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gelang es nicht, einen Nachfolger zu küren, sodass sie auf einen Vorschlag­ Robert von Bendas einging, bei den Wahlen weiße Zettel abzugeben. Als Folge davon setzten sich die Konservativen und das Zentrum durch, die gemeinsam den Konservativen Otto von Seydewitz zum Präsidenten und den Zentrumspolitiker Georg Arbogast von und zu Franckenstein zum Vizepräsidenten wählten. Insbesondere die letzte Entscheidung schmeckte Jordan überhaupt nicht, denn er sah sich durch diesen Bedeutungsgewinn des Zentrums um die Früchte der Arbeit der letzten Jahre gebracht.717 In den Abstimmungen um die Zölle kämpften dann die Freihandelsanhänger auf verlorenem Posten. Häufig wurden die Regierungsvorlagen angenommen oder die gewünschten Zollsätze vom Reichstag sogar noch erhöht.718 Jordan stimmte hier in der Regel für mäßige Zollerhöhungen, bei einigen Produkten stimmte er für geringe Zölle oder lehnte diese komplett ab. Dabei befand er sich immer in der Minderheit.719 Besonders empörte ihn die sogenannte »Franckenstein’sche Klausel«.720 Diese besagte, dass alle Einnahmen des Reiches aus den Zollgesetzen von über 130 Mio. Reichsmark an die Länder überwiesen werden mussten. Damit war die gesamte Konstruktion widersprüchlich geworden, denn das Ziel, mit den Finanzgesetzen das Reich zu stärken und unabhängiger von den Matrikularbeiträgen der Länder zu machen, konnte auf diese Weise nicht erreicht werden. Aus diesem Grund stimmte Jordan in der Schlussabstimmung gegen die Finanzgesetze, befand sich aber auch hier deutlich in der Minderheit.721 Dass die Nationalliberalen aus den Auseinandersetzungen nicht unbeschadet hervorgehen würden, hatte Jordan bereits immer wieder vermutet.722 Zum Bruch kam es dann nach einer Reichstagsrede Völks am 10. Juli 1879 über das Finanzgesetz, in der er die Parteilinken und den um Ausgleich bemühten Bennigsen heftig angriff. In der anschließenden Fraktionssitzung forderten die Linken einen starken Tadel Völks, Bennigsen versuchte zu beschwichtigen.723 Völk verlas daraufhin am 12. Juli in der Fraktion eine versöhnliche Erklärung, an der auch Jordan mitgewirkt hatte. Damit gab sich die Parteilinke nicht zufrieden und eine Abstimmung ergab eine Mehrheit von 40 zu 39 Stimmen gegen eine Abschwächung des Tadels. Völk reagierte darauf mit seinem Austritt aus der Fraktion. Weitere 717 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 24.6.1879, LaS, V153 (BassermannJordan), Bd. 61. 718 Tagebucheinträge Ludwig Andreas Jordans vom 2.5.–28.5. und 16.6.–12.7.1879, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 61. 719 Ebd. 720 Tagebucheinträge vom 5.7. und 9.7.1879, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd.  61;­ Lauterbach, Vorhof, S. 327. 721 Tagebucheintrag vom 9.7.1879, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 61. 722 Tagebucheinträge vom 29.4., 1.5. und 9.5.1879, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 61. 723 Hierzu und zu dem Folgenden: Tagebucheinträge Ludwig Andreas Jordans vom 11., 12.7.1879, LaS, V153 (Bassermann-Jordan), Bd. 61.

Politischer Höhepunkt und Abschied  

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Mitglieder erwogen, sich Völk anzuschließen und zogen sich zunächst in einen Nebenraum zurück. Jordan ging mit und beschwor die Anwesenden, ihre Entscheidung bis zur nächsten Session zu verschieben und zu überdenken. Außerdem sei ein Austritt ohne Bennigsen wenig zweckmäßig. Damit stieß er jedoch auf »taube Ohren«724, sodass insgesamt 17 Mitglieder der Fraktion den Rücken kehrten. Neben Völk traten unter anderem auch Jordans enge Kollegen Friedrich von Schauß, der Pfälzer Zinn und Heinrich von Treitschke aus. Als Bismarck den Reichstag noch am selben Tag schloss, schied Jordan aus dem Reichstag »in großer Verstimmung«725. Das war nicht verwunderlich, denn es war deutlich geworden, dass die »Liberale Ära« der Reichsgründungsjahre zu Ende gegangen war. Die Nationalliberalen waren als regierungstreue, liberale Partei kraftlos geworden. Von Bismarck zunehmend an die Seite geschoben, zeigten sich neue Konstellationen im Reichstag. Mehrheiten waren für Bismarck jetzt auch in Verbindung mit den Konservativen und dem Zentrum möglich. Jordan konnte daher auch mit der Rolle des Reichskanzlers wenig zufrieden sein. Dieser hatte insbesondere durch die Akzeptanz der Franckenstein’schen Klausel, mit der er sich dem Zentrum annäherte, auf eine Stärkung des Reiches gegenüber den Ländern verzichtet und damit seine ursprüngliche Intention bei der Vorlage der Gesetze »praktisch ad absurdum«726 geführt. Wenig später spaltete sich auch noch der linke Flügel von der Partei ab. Mit dieser sogenannten »Secession« traten am 28. August 1880 Männer wie Bamberger, Forckenbeck und Stauffenberg aus, die einen entschiedeneren Liberalismus vertraten und nicht mehr bereit waren, Kompromisse mit Bismarck in der Schutzzollfrage und beim Militäretat einzugehen.727 Jordan, der eine gemäßigte, auf Ausgleich bedachte Position zwischen den beiden Flügeln vertrat, bedauerte diese erneute Abspaltung zutiefst.728 Er sah den Liberalismus nur in seiner Einheit als durchsetzungsfähig an. Hier zeigt sich auch seine historisch-politische Erfahrung, denn den Liberalismus hatte er als große politische Bewegung kennengelernt und wahrgenommen, die nur auf diese Weise erfolgreich sein konnte. Jede Spaltung in verschiedene Parteien musste die Bewegung aus dieser Perspektive weiter schwächen. Er hatte daher kein Verständnis für die Argumentation der Abweichler, die ihren Austritt als Beitrag zur Gründung einer großen übergreifenden liberalen Partei unter Einbeziehung der Fortschrittspartei und der 724 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 12.7.1879, LaS, V153 (BassermannJordan), Bd. 61. 725 Ebd. Zu den pessimistischen Urteilen in der Nationalliberalen Partei siehe Lauterbach, Vorhof, S. 330 f. 726 Gall, Bismarck, S. 672. 727 Lauterbach, Vorhof, S.  335–337. Lasker war bereits am 16.3.1880 aus der Fraktion ausgetreten. 728 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 1.9.1880, LaS, V153 (Bassermann-­ Jordan), Bd. 61.

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Nationalliberalen darstellten.729 Gegenüber Heinrich von Sybel sah Jordan das Grundübel in der Konstellation der Partei, die zu viele Führer gehabt habe. Bei der Abspaltung mache sich daher auch viel »persönlicher Ehrgeitz«730 geltend. Die Versammlungen der Nationalliberalen Partei in der Pfalz, auf denen über die Abspaltung diskutiert wurde, konnte Jordan nur noch zum Teil bestreiten.731 Wenn er nicht selbst auftrat, schickte er seinen Neffen Armand Buhl. J­ ordan gewann dabei den Eindruck, dass auch bei seinen Anhängern die »Secessionisten«, die als Liberale Vereinigung firmierten, einige Unterstützer gewonnen hätten. Bei den nächsten Wahlen trat er nicht mehr an. Gichtgebeugt, politisch resigniert und mit düsteren Aussichten für die Zukunft des Liberalismus hatte er sich aus der Politik zurückgezogen. Für die heftig umstrittenen Wahlen in seinem Wahlkreis Landau-Neustadt, die der Richter am Oberlandesgericht in Colmar, Julius Petersen, erst in einer Stichwahl für die Nationalliberalen gewinnen konnte, brachte er nur noch wenig Verständnis auf: »In meinem Wahlkreise bekämpfen sich jetzt die Socialisten, Democraten, der Fortschritt, die Nationalliberalen, die Ultramontanen und die Conservativen. Eine schöne Gegend! Wie dankbar bin ich, daß ich rechtzeitig von dem parlamentarischen Leben Abschied genommen habe.«732

5.8 Zusammenfassung Ludwig Andreas Jordans politische Sozialisation erfolgte Ende der 1820er und Anfang der 1830er Jahre. Die Erfahrung der sozialen und wirtschaftlichen Nöte der Unterschichten im Rheinkreis, die Politisierung der Bevölkerung durch die Julirevolution 1830 und den polnischen Unabhängigkeitskampf, sowie der Einsatz seines Vaters als Abgeordneter in der bayerischen Kammer stellen Schlüsselereignisse für den jungen Mann dar. Insbesondere die im Dezember 1831 stattfindenden Feierlichkeiten für den aus München nach Deidesheim zurückkehrenden Vater beeindruckten den Sohn zutiefst. Seit diesem Zeitpunkt stand für ihn fest, dass er in die politischen Fußstapfen seines Vaters treten wollte. Bestärkt wurde er dabei durch seine enge Freundschaft zu Franz Peter Buhl, des 729 Ludwig Andreas Jordan an Heinrich von Sybel, Deidesheim, 25.10.1880, GStA PK, Nachlass Heinrich von Sybel, B1 Nr. XXI. Der Brief ist teilweise auch abgedruckt in: Wentzcke (Hg.), Deutscher Liberalismus im Zeitalter Bismarcks, Bd. 2, S. 370. Zur Argumentation der »Sezessionisten« siehe Cioli, Pragmatismus, S. 152–154. 730 Ludwig Andreas Jordan an Heinrich von Sybel, Deidesheim, 25.10.1880, GStA PK, Nachlass Heinrich von Sybel, B1 Nr. XXI. 731 Ludwig Andreas Jordan an Heinrich von Sybel, Deidesheim, 19.11.1880, GStA PK, Nachlass Heinrich von Sybel, B1 Nr. XXI. 732 Tagebucheintrag Ludwig Andreas Jordans vom 23.10.1881, LaS, V153 (BassermannJordan), Bd. 62. Zum Wahlausgang in Jordans Wahlkreis siehe Bräunche, Parteien, S. 338.

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sen Vater auch als Abgeordneter, allerdings in Baden, tätig war. Gemeinsam übten die beiden Freunde bereits politische Reden ein und phantasierten über ihre zukünftige Rolle als Abgeordnete. Durch die Buhls erhielt Jordan auch frühzeitig Kontakte zum badischen Liberalismus um die Führungsfigur Johann Adam von Itzstein. Sein politisches Weltbild zu Beginn der 1830er Jahre wird durch seine Einschätzungen der Ereignisse rund um das Hambacher Fest vom Mai 1832 deutlich. Einige dort gehaltene Reden mit ihren Aufrufen zur Absetzung der Fürsten waren ihm zu radikal. Er wünschte sich stattdessen eine auf dem Recht basierende Ordnung, die nach Möglichkeit mit den bestehenden Gewalten erreicht werden sollte. Erst wenn dieser Weg scheitern sollte, war er zu weitergehenden Schritten bereit. Als Schlüssel zur Entwicklung hin zu einer Fürstenherrschaft unter liberalen Vorzeichen erschien ihm der Druck der Öffentlichkeit, die man vor allem mit Hilfe der Presse über ihre wahren Interessen aufklären müsse. Politisch aktiv wurde Jordan dann in den 1840er Jahren. Hierbei profilierte er sich insbesondere im Kampf gegen die katholische Restaurationspolitik von König Ludwig I. und seinem Innenminister Karl von Abel. Der katholische aber antiklerikal eingestellte Gutsbesitzer wandte sich gemeinsam mit den liberalen Pfälzern gegen die Installierung von Klöstern in der Pfalz und die Absetzung des gegen die Gründung von Klöstern votierenden Regierungspräsidenten von Wrede. Insbesondere agitierten Jordan und zahlreiche Deidesheimer Gutsbesitzer gegen die Einführung des Pflegeordens der Barmherzigen Schwestern in das Deidesheimer Spital, da sie diese Gruppierung als Instrument eines antiaufklärerischen Roll-backs ansahen. Bei ihrer Agitation bedienten sich die Deidesheimer Gutsbesitzer vor allem der Öffentlichkeit. So wurde der Kampf über die Presse und mit Hilfe von Petitionen an den König ausgetragen. Damit setzten sich Jordan und seine Unterstützer gegen den Bürgermeister durch. Hier wandelte sich auch Jordans idealistisches Bild vom politischen Einsatz für seine Mitbürger, denn es wurde ihm sehr deutlich, dass man über Macht verfügen musste, um bestimmte Ziele durchzusetzen. An dieser Auseinandersetzung zeigt sich auch, dass sich die liberale Pfälzer Bewegung nicht nur gegen die protestantische Orthodoxie zur Wehr setzte, wie es die Forschung bisher immer betont hat, sondern auch gegen Rekatholisierungstendenzen. Der Kampf gegen die von oben betriebene Konfessionalisierung war daher auch ein Kampf gegen neue religiöse Konfliktlinien. Die Stärke des Pfälzer Liberalismus im Vormärz basierte darauf, dass man in der Pfalz religiös tolerant war und man sich daher auf die politischen Anliegen konzentrieren konnte. Eine stärkere Konfessionalisierung drohte diese Stärke und Einheit zu untergraben und musste daher verhindert werden. In dieser Phase kandidierte Jordan 1846 erstmals als Abgeordneter für die bayerische Kammer der Abgeordneten. Er wurde zunächst nur als Ersatzmann gewählt, sollte dann allerdings für den Anwalt Friedrich Justus Willich in die

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Kammer nachrücken. Diesem verweigerte der König den für die Kammerverhandlungen nötigen Urlaub. Willich inszenierte sich daraufhin als Held im Kampf gegen die reaktionäre Politik des Königs und focht mit publizistischen und juristischen Mitteln für seinen Eintritt in die Kammer. Als er sogar bereit war, seinen Anwaltsberuf an den Nagel zu hängen, um in die Kammer einzu­ rücken, bewilligte der König doch noch den Urlaub. Willich wurde daher 1846 als großer Held im Pfalzkreis gefeiert. Dabei spielten die Wahlmänner, die durch das indirekte Wahlsystem notwendig waren, eine wichtige Rolle. Diese überhöhten nicht nur die Deputierten als Männer des Volkes, sondern beanspruchten diesen Status auch für sich. Jordan und die anderen Wahlmänner und Deputierten versicherten sich des liberalen Zusammenhalts über Festessen mit feierlichen Reden und Gesängen. Sie unterstrichen damit ihre Bedeutung nach außen und sorgten für den nötigen Zusammenhalt nach innen. Die politischen Äußerungen blieben in dieser Phase allerdings recht vage. Hier offenbarte erst die Märzrevolution 1848, welche unterschiedlichen politischen Ansichten vorhanden waren. Jordan erwies sich in der Revolution zunächst als gemäßigt liberal. Er sah in der deutschen Einheit vor allem die Möglichkeit, eine wirtschaftliche Einheit herzustellen und eine starke deutsche Position nach außen einnehmen zu können. Für Bayern wünschte er sich eine antiklerikale Gesetzgebung und eine Reduzierung der staatlichen Bürokratie. Zudem hielt er mehr Rechte für den Pfalzkreis für geboten und forderte die Einführung der Pressefreiheit. Als er im April 1848 für den zum Bundestagsgesandten berufenen Willich in die bayerische Kammer der Abgeordneten nachrückte, konnte er dort über zahlreiche Modernisierungsmaßnahmen abstimmen. Diese betrafen unter anderem die Veränderung des Wahlrechts, die Abschaffung der Feudallasten und die Einführung eines neuen Steuersystems. In seiner Eigenschaft als Abgeordneter konnte Jordan auch am Vorparlament in Frankfurt teilnehmen. Dort stimmte er für die moderaten Mehrheitsbeschlüsse gegen die radikaleren Forderungen Struves und Heckers. In der Pfalz erschien er dadurch als zu gemäßigt und wurde von den Pfälzischen Volksvereinen nicht an erster Stelle bei den Wahlempfehlungen für das Paulskirchenparlament genannt. Er wurde auch nicht gewählt, sondern stattdessen von der Regierung des Pfalzkreises im Juli 1848 zum Deidesheimer Bürgermeister ernannt. Die Revolution erlebte er daher vor allem auf der lokalen Ebene, wobei er über Buhl und seine engen Kontakte zu Heinrich von Gagern und die Frankfurter Salongastgeberin Clotilde Koch-Gontard genauestens über die Entwicklungen in Frankfurt informiert blieb. Insbesondere Heinrich von Gagern, der Führer der gemäßigt-liberalen Casino-Fraktion, war der Held der Jordans und Buhls. Sie verehrten ihn zutiefst. Sie hofften auf eine kleindeutsche Lösung mit einem preußischen Erbkaiser an der Spitze und waren daher bitter enttäuscht, als der preußische König im April 1849 das Angebot ablehnte und auch der baye-

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rische König das Inkrafttreten der Reichsverfassung verhinderte. Empört entwickelte Jordan nun erstmals, wie er es nannte, einen »Fürstenhass« und setzte sich in der Reichsverfassungskampagne vehement für die Reichsverfassung ein. Den in Kaiserslautern gebildeten Landesverteidigungsausschuss unterstützte Jordan daher zunächst und verließ dabei für einen kurzen Moment die Vereinbarungsstrategie. Erst als der Landesverteidigungsausschuss sich radikalisierte und die Entwicklung auf eine Loslösung vom bayerischen Staat unter einer provisorischen Regierung der Pfalz hinauslief, zog sich Jordan zurück. Er verhielt sich in dieser Phase opportunistisch und vermied Konflikte mit der radikalen Regierung. Die Perspektive eines kaum lebensfähigen Kleinstaates war allerdings das genaue Gegenteil von dem, was Jordan sich von der Märzrevolution erhofft hatte – einen auf bundestaatliche Weise errichteten wirtschaftlich und außenpolitisch potenten Nationalstaat. Den Sieg der preußischen Truppen über die aufständischen Pfälzer registrierten die Jordans daher mit Erleichterung. In der Folgezeit konzentrierten sich Jordan und seine Familie zunächst darauf, die sozialen Verwerfungen auf der lokalen Ebene abzumildern. Sie starteten daher in Erinnerung an Andreas Jordans Tod ab 1850 eine große Stiftungsoffensive mit der Herstellung einer Brunnenleitung und eines Brunnens an zentraler Position im Ort. Zudem spendeten sie einen hohen Betrag für die Errichtung einer Kleinkinderbewahranstalt unter Führung des reorganisierten Deidesheimer Hospitals. Auf diese Weise konnten sie auf der lokalen Ebene ihr Weltbild einer fortschrittlichen Entwicklung in der Praxis implementieren und sich gleichzeitig als wohltätige Spender inszenieren. Auf diese Weise sollte auch eine soziale Harmonisierung in Deidesheim herbeigeführt werden. Dass dieses Ziel erreicht wurde, zeigen die Berichte des Stadtschreibers und der Presse über die Einweihung des Brunnens und die Einrichtung der Kleinkinderbewahranstalt. Dieser bürgerliche Handlungsraum auf der lokalen Ebene wurde allerdings durch die bayerische Reaktionspolitik torpediert, die insbesondere mit der Ernennung Gustav von Hohes zum Regierungspräsidenten der Pfalz im April 1850 noch einmal an Schärfe zunahm. Hohes Reaktionspolitik griff bis auf die lokale Ebene durch, wie sich am Deidesheimer »Fahnenstreit« und der Absetzung missliebiger Bürgermeister und Gemeinderäte durch die sogenannten »Pluviôsierungen« zeigte. Damit versäumte es die bayerische Regierung, die gemäßigt Liberalen nach der Märzrevolution an sich zu binden. Dazu hätte durchaus eine Chance bestanden, denn durch die Erfahrungen in der Märzrevolution war diese Gruppierung etwas weiter nach rechts gerückt, wie sich zum Beispiel 1850 bei der Abstimmung im bayerischen Landtag über das neue Pressegesetz zeigte. Stattdessen drückte Hohes Reaktionspolitik die Liberalen wieder in eine klare Oppositionshaltung. Die Pfälzer Liberalen wehrten sich über die ihnen zur Verfügung stehenden Institutionen gegen die Einschränkung ihrer Aktionsmöglichkeiten. Im Landtag setzten sich Jordan und ab 1855 sein Nachfolger Franz Peter Buhl und weitere Pfälzer Liberale für eine Reform der Gemeindeverfas-

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sung mit ihrer starken Abhängigkeit von der Regierung der Pfalz ein. Als Jordan 1859 in den pfälzischen Landrat einzog, konnten Jordan und Buhl jetzt beide Ebenen für den Kampf um eine liberale Gemeindeverfassung nutzen. Es dauerte allerdings noch bis 1868, ehe diese auch aufgrund der gewandelten politischen Situation in Bayern erreicht werden konnte. Mit dieser neuen Gemeindeverfassung und den gleichzeitig verabschiedeten sogenannten Sozialgesetzen vollzog sich auch eine deutliche rechtliche Annäherung zwischen dem Pfalzkreis und den anderen bayerischen Gebieten. Das rechtliche und politische Spannungsverhältnis zwischen der Pfalz und dem bayerischen Staat wurde daher auch mit Hilfe des Einsatzes der Gutsbesitzer abgeschliffen. Dem Kampf gegen das Reaktionssystem Hohes war auch die Ende 1855 erfolgte Gründung des Wochenblatts für die Pfalz gewidmet. Die Zeitungsgründung war zunächst von zahlreichen Vorderpfälzer Liberalen angeregt worden, die Umsetzung oblag jedoch Jordan und Buhl mit ihrer engen Verbindung zu den Heidelberger Liberalen um den Geschichtsprofessor Ludwig Häusser. Dieser empfahl seinen Freund Carl Pfeiffer als Redakteur. Die Zeitung druckte elaborierte, eher geschichts- bzw. politikphilosophisch angehauchte Abhandlungen, Einordnungen politischer Entwicklungen und Berichte über die Kammerverhandlungen in München. Die Autoren erwiesen sich als politisch gemäßigt. Deutlich aggressiver griff die Zeitung ihr konservatives von der Regierung der Pfalz gestütztes Konkurrenzblatt, die Pfälzer Zeitung, an. Mit Schärfe wandte man sich auch gegen Hohe und seine Mitstreiter, wie den verhassten Generalstaatsprokurator Ludwig Schmitt. Es war daher nicht verwunderlich, dass das »System Hohe« zurückschlug und die Ermittlungen gegen das Wochenblatt für die Pfalz eröffnete. Das zwang Jordan und Buhl, sich über die Zukunft des Blattes und ihre eigene Position im Pfälzer Liberalismus klar zu werden. Eine Option bestand darin, den Angeklagten Drucker Hogrefe in einem großangelegten Prozess zu verteidigen und damit eine Generalabrechnung mit dem Reaktionssystem Hohes durchzuführen. Die andere Möglichkeit war es, nicht auf der Anwesenheit des Angeklagten zu bestehen und eine wenig öffentlichkeitswirksame Verurteilung unter Abwesenheit in Kauf zu nehmen. Jordan und Buhl entschieden sich gegen den Rat Häussers für die zweite Option, da sie mangelnde Unterstützung bei den Pfälzer Liberalen für das Blatt wahrnahmen. Sie sahen den­ Prozess eher als gute Gelegenheit, um das Zeitungsprojekt abzuwickeln. Die mangelnde Unterstützung für das Blatt durch die Pfälzer Liberalen hing auch mit der Stellung Jordans und Buhls im Hinblick auf eine deutsche Nationalstaatsgründung zusammen. Ihre dezidierte Ausrichtung auf eine kleindeutsche Lösung mit einer preußischen Spitze, die nicht nur wirtschaftlich Sinn machte, sondern auch durch ihre enge Verbundenheit zum badischen Liberalismus bestärkt wurde, war in der Pfalz eine Minderheitenposition. Die Mehrheit der dortigen Liberalen war an einer Einbeziehung Österreichs in einen zu gründenden deutschen Staat interessiert. In der Pfalz gab es daher für Jordan

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und Buhl in dieser Hinsicht wenig Anknüpfungspunkte. Buhl beteiligte sich allerdings in München an dem kleinen Kreis der Kleindeutschen, aus dem 1863 die bayerische Fortschrittspartei hervorgehen sollte. Nach dem Tod Buhls 1862 übernahm Jordan diese Position in der bayerischen Hauptstadt. Er fungierte in dieser Eigenschaft auch als Vermittler zwischen der Fortschrittspartei und den liberalen Pfälzer Abgeordneten. Diese kleindeutsche Ausrichtung geriet auch durch die preußische Politik zunehmend ins Hintertreffen. Die preußische Regierung ließ sich auf eine harte Auseinandersetzung mit dem preußischen Abgeordnetenhaus um die Heeresreform ein, die in den Heeres- und Verfassungskonflikt mündete. Mit der Ernennung Bismarcks zum preußischen Ministerpräsidenten 1862 schwanden zunächst alle Hoffnungen der kleindeutschen Liberalen auf eine von Preußen angeführte Reichseinigung. Die auf Konflikt angelegte Regierungsweise­ Bismarcks unterstützte den Eindruck, dass der »konservative Junker« einen reaktionären Kurs fuhr und liberale Reformen, die Preußens Attraktivität erhöht hätten, von ihm nicht zu erwarten waren. Auch Jordan lehnte Bismarcks Politik vehement ab. Er versuchte in dieser Phase, lediglich offizielle antipreußische Äußerungen der Pfälzer Liberalen zu verhindern. Das änderte sich schlagartig mit dem preußischen Sieg über Österreich und seine Verbündeten im Krieg von 1866. Da der Sieg auch nicht mit der Abtretung der Pfalz an Frankreich als Kompensationsgeschäft einherging, konnte man dort mit den neuen Entwicklungen sehr gut leben. Die Perspektive einer Nationalstaatsgründung bot jetzt vor allem die Aussicht auf eine starke Macht nach außen. Die Pfälzer, die ihre Region als immer wieder gefährdetes Grenzgebiet zu Frankreich wahrnahmen, erhofften sich jetzt von der wieder in greifbare Nähe gerückten Reichseinigung unter preußischer Führung eine Befriedigung ihres Sicherheitsbedürfnisses. Jordans Minderheitsposition war damit innerhalb weniger Wochen zu einer Mehrheitsposition geworden. Jetzt schlossen sich die Pfälzer Liberalen in München noch enger mit der Fortschrittspartei zusammen, und die nationalliberal ausgerichteten Kandidaten für das Zollparlament konnten sich bei den ersten allgemeinen Wahlen in der Pfalz vier von sechs Mandaten sichern. Auch Ludwig Andreas Jordan zog auf diese Weise ins Zollparlament ein. Sein Ziel, das Zollparlament als Weg zur deutschen Einheit zu instrumentalisieren, konnte er dort allerdings gegen die starke süddeutsche partikularistische Fraktion nicht durchsetzen. Die Entwicklung um die Reichseinigung nahm er daher eher aus der Ferne war. Erst bei der bayerischen Entscheidung, den Vertrag zum Beitritt Bayerns in das Reich zu ratifizieren, konnte er wieder direkt eingreifen. Hier setzten sich die Liberalen im Januar 1871 in der bayerischen Kammer der Abgeordneten knapp durch. In der Folgezeit konzentrierte sich Jordan ganz auf sein Reichstagsmandat als nationalliberaler Abgeordneter, das er in seinem Wahlkreis mit deutlicher Mehrheit errungen hatte. Alle anderen Ämter gab er ab. In Berlin setzte er sich

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für eine enge Zusammenarbeit mit Bismarck ein und kooperierte mit dem Chef des Reichskanzleramtes, Rudolph von Delbrück. Obwohl er gläubiger Katholik war, lehnte er die Politik des Papstes ab und schloss sich der altkatholischen­ Kirche an. Im Reichstag unterstützte er daher auch die Zurückdrängung der Kirche aus dem staatlichen Bereich im Kulturkampf. Mit zunehmender Sorge beobachtete er die auftretenden Konfliktlinien in der nationalliberalen Partei, die Bismarck mit seiner Politik noch verstärkte. Als die nationalliberale Partei dann 1879 mit dem Austritt des rechten Flügels und mit der linksliberalen »Sezession« 1880 Abspaltungen hinnehmen musste und im Reich zunehmend unter Druck geriet, zog er sich enttäuscht aus der Politik zurück. Seine Hoffnungen auf eine große liberale Bewegung hatten sich zerschlagen. Den in verschiedene Parteien gespaltenen Liberalismus sah er als wenig durchsetzungsfähig an.

Fazit

In diesem Buch wurde Ludwig Andreas Jordans Leben unter drei verschiedenen Blickwinkeln betrachtet. Die erste Perspektive beleuchtete seine Sozialisation im Zeichen der »Bürgerlichkeit«, die zweite Perspektive seine Rolle als Gutsbesitzer und Investor und die dritte Perspektive sein Engagement als liberaler Politiker. Welche allgemeinen Erkenntnisse hat diese biographische Sonde in das Pfälzer Weinbürgertum erbracht? Das Pfälzer Weinbürgertum war meines Erachtens dreifach geprägt. Zunächst war es durch den Raum beeinflusst, an ihn gebunden. Das Weinbürgertum gestaltete den physischen Raum »Pfalz« und seine kognitive Konstruktion mit, transzendierte dessen Grenzen aber auch im kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Bereich. Es war in seinem politischen und wirtschaftlichen Engagement von den Veränderungen des Raumes abhängig. Hinzu kommt eine starke Prägung durch die Wirtschaftsweise eines innovativen Qualitätsweinbaus, die eine Offenheit gegenüber den industriellen und technischen Neuerungen der Zeit mit einschloss. Zudem war diese Schicht in eine bürgerliche Kultur sozialisiert und übernahm bürgerliche Grundhaltungen, die »Bürgerlichkeit«. Unter diesen drei Aspekten möchte ich im Folgenden das Weinbürgertum genauer einordnen. Strukturelle Ausgangsbedingung für den Aufstieg des Weinbürgertums war die Zugehörigkeit des späteren Rheinkreises zu Frankreich. Dadurch wurde in der Pfalz eine neue politische und wirtschaftliche Ordnung eingeführt, die das Besitz- und Bildungsbürgertum begünstigte. Ein freier Bodenmarkt, Gewerbefreiheit oder die Säkularisation waren Reformen, die den Vorderpfälzer Grundbesitzern zugute kamen. Durch die Abschaffung der Fürstenherrschaft und die Flucht des Adels entstand zudem ein Machtvakuum in der Region, das durch die »Männer von Besitz und Bildung« gefüllt wurde. Das wurde von der französischen Regierung gezielt gefördert, die aus diesem Personenkreis die lokalen Funktionsträger, wie zum Beispiel die Bürgermeister, rekrutierte. Somit setzte sich in der französischen Zeit eine neue Führungsschicht in der Region durch. In der Vorderpfalz machte das Weinbürgertum einen wichtigen Bestandteil dieser Führungsschicht aus. Dieses profitierte insbesondere von dem freien Bodenmarkt und der Realteilung, sodass es ihm gelang, durch gezielte Zukäufe größere Güter zu schaffen. Als die Region 1816 zunächst als »Rheinkreis« dem bayerischen Staat zugeschlagen wurde, ging es aus der Perspektive dieser Führungsschicht darum, die sie begünstigende bestehende Ordnung zu verteidigen. Aus der Sicht der Pfälzer Elite erschien der bayerische Staat, in dem vor allem der Adel noch eine bedeutende Rolle einnahm, als rückständig und als Gefahr

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Fazit

für die Errungenschaften des Rheinkreises, die sogenannten liberalen Institutionen. Diese Wahrnehmung motivierte das Pfälzer Bildungs- und Wirtschaftsbürgertum, sich politisch für die Reform des bayerischen Staates einzusetzen. Das Projekt lautete, die politisch-wirtschaftliche Ordnung des bayerischen Staates dem als fortschrittlich deklarierten »Rheinkreis« anzugleichen. Erst wenn dieses Ziel erreicht sei, wäre der bayerische Staat keine Bedrohung mehr. Von daher ist es nicht überraschend, dass die Pfälzer Abgeordneten in der bayerischen zweiten Kammer fast ausnahmslos auf der linken, oppositionellen Seite zu finden sind. Dort verteidigten sie ihre »Institutionen« und forderten liberale Reformen des bayerischen Staates. Diese politische Identität des »Rheinkreises« wurde 1838 auch begrifflich aufgeladen. Mit der Umbenennung des »Rheinkreises« in »Pfalzkreis« konnte man dem Projekt einen sinnstiftenden Namen zuschreiben. Die »Pfalz« und die »Pfälzer« standen jetzt für eine fortschrittliche Region mit Bewohnern, die ihre liberalen Errungenschaften zäh verteidigten und auszubreiten suchten. Das Weinbürgertum war auf diese Weise an der Konstruktion der »Pfalz« als politischer Landschaft eng beteiligt. Mit der missionarischen liberalen Grundhaltung wurde zudem die Forderung nach einem deutschen Einheitsstaat verbunden, denn mit diesem auf einer freiheitlichen Ordnung aufgebauten Staat konnte man die eigenen Errungenschaften absichern. Im Vormärz reichten diese allgemeinen Ziele aus, um den Pfälzer Liberalismus zusammenzuführen. Die bayerische Reaktionspolitik nach dem Hambacher Fest sorgte für eine Entfernung von eher radikal eingestellten Pfälzern. Zurück blieb eine gemäßigt liberale Gruppierung, die durchaus zur Kooperation mit der bayerischen Regierung bereit gewesen wäre. Über Feierlichkeiten mit allgemeinen Reden und Liedern versicherte man sich einer gemeinsamen Identität als liberale Opposition. Auffällig ist dabei das politische Engagement der durch das indirekte bayerische Wahlrecht gewählten Wahlmänner für die Wahlen zur Kammer der Abgeordneten. Diese waren auf regionaler Ebene aktiv und nahmen ihre Wahl bereits als Legitimation für ihre politischen Aktivitäten wahr. Zudem stärkte der gemeinsame Kampf gegen die von der bayerischen Regierung protegierte religiöse Orthodoxie im Protestantismus und Katholizismus den Zusammenhalt der Liberalen. Liberale Protestanten und die in der bisherigen Forschung zum Liberalismus im Pfalzkreis vernachlässigten liberalen Katholiken setzen sich sowohl vor Ort als auch gegenüber der Regierung der Pfalz oder dem König in München für ein friedliches Zusammenleben der Konfes­ sionen im Pfalzkreis ein, das sie von der bayerischen Religionspolitik bedroht sahen. Aus dem liberalen Katholizismus der Pfälzer entstand auf diese Weise zwar kein katholisch geprägter Liberalismus, aber eine konfessionsübergreifende Basis für die Zurückdrängung des kirchlichen Einflusses auf die Gesellschaft und die Politik. Von dort führt ein direkter Weg zum späteren Engagement katholischer Liberaler im »Kulturkampf«.

Fazit

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Eine große Chance, die eigenen Ziele durchzusetzen, bot die Revolution von 1848/49, die in diesem Sinne von den Pfälzern in der bayerischen Kammer der Abgeordneten genutzt wurde. Der Reformlandtag 1848 brachte unter anderem mit der Reform des Wahlrechts und der Abschaffung der Feudallasten eine große Annäherung zwischen dem Pfalzkreis und den anderen bayerischen Gebieten. Als die erhoffte Einheit, die das neue Gebilde auch machtpolitisch nach außen absichern sollte, ausblieb, radikalisierte sich die liberale Bewegung in der Pfalz kurzfristig in der Reichsverfassungskampagne. Die Abspaltung des Pfalzkreises von Bayern durch die Bildung der »provisorischen Regierung der Pfalz« im Mai 1849 ging jedoch vor allem dem Wirtschaftsbürgertum der Pfalz zu weit. Dieser wirtschaftlich kaum lebensfähige Kleinstaat versprach, selbst in seiner unrealistischen Verbindung mit dem radikalen Baden, keinen Einheitsstaat mit liberaler Ordnung, sondern einen Umsturz der bestehenden Errungenschaften und bedrohte die bereits erreichte liberale Ordnung. Das Wirtschaftsbürgertum und Teile des Bildungsbürgertums trugen diese Radikalisierung daher nicht mehr mit. Diese Gruppen bekämpften entweder die provisorische Regierung direkt oder fügten sich opportunistisch, jedoch ohne weitergehendes Engagement, in die Anweisungen der revolutionären Regierung. Als die preußischen Truppen diesem kurzlebigen Gebilde ein Ende bereiteten, hat man das durchaus begrüßt. In der Folgezeit versäumte es die bayerische Regierung nach der vor allem für das Wirtschaftsbürgertum bedrohlichen Erfahrung der Revolution, die gemäßigt liberalen Gruppen an sich zu binden. Stattdessen verwies man diese Gruppen mit der Einsetzung Gustav von Hohes als Regierungspräsidenten des Pfalzkreises und von Ludwig Schmitt als Generalstaatsprokurator erneut in die Oppositionsrolle. In den 1850er und 1860er Jahren ging es daher darum, das ungeliebte Reaktionssystem, das den politischen Handlungsspielraum erheblich einschränkte, vor allem über die Kammer der Abgeordneten zu bekämpfen. Mit der Ablösung Gustav von Hohes 1866, der Einführung einer neuen Gemeindeordnung 1868 und den diversen sogenannten »Sozialgesetzen« 1868 vollzog sich dann eine erneute Angleichung zwischen dem politisch-wirtschaftlichen System der Pfalz und den anderen bayerischen Landesteilen. Das liberale politische Projekt der 1820er bzw. 1830er Jahre war damit, auf moderatere Weise als ursprünglich angestrebt, abgeschlossen. Abgesichert wurde diese Entwicklung durch die Reichsgründung 1870/71. Die von Celia Applegate aufgestellte These, die Pfälzer Nationalliberalen hätten nach 1871 die linke politische Identität der Pfalz zugunsten eines entpolitisierten Heimatgedankens aufgegeben, trifft zwar einen wichtigen Punkt, aber die Begründung ist falsch. Man gab diese linke Identität nicht bewusst auf, sondern sie war einfach obsolet geworden. Das linke Projekt einer Absicherung der liberalen Ordnung in der Pfalz durch eine Veränderung des bayerischen Gesamtstaates und die Gründung eines deutschen Nationalstaat hatte sich schlicht und einfach erfüllt und taugte daher als Motivation für die Zukunft nicht mehr.

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Fazit

Zudem lag die Basis für die seit 1868 vorherrschende nationalliberale Dominanz in der Pfalz, die stark vom Weinbürgertum getragen wurde, in der geographischen Position des Pfalzkreises an der Grenze zu Frankreich begründet. Die Pfälzer waren von der Unsicherheit einer französischen Expansion geprägt. Ob während der Rheinkrise 1840 oder während des deutsch-deutschen Krieges 1866, immer schwebte das Damoklesschwert einer potentiellen französischen Annexion über dem Pfalzkreis. Diese Unsicherheit wurde durch die Reichsgründung 1870/71 überwunden. Aus Pfälzer Sicht wurde durch die Annexion Elsass-Lothringens sogar noch ein Puffer gegen die französischen Revanchegelüste geschaffen. Die Einheit der liberalen Bewegung ließ sich allerdings im Kaiserreich nicht lange aufrechterhalten. Unterschiedliche wirtschaftliche Interessen und die religiösen Auseinandersetzungen im Zuge des Kulturkampfs der 1870er Jahre führten zu einem Aufstieg der Zentrumspartei als zweiter politischer Kraft neben der Nationalliberalen Partei, in der sich auch Teile des Weinbürgertums engagierten. In dieser Phase geriet das Modell der Honoratiorenpolitik an seine Grenzen. Das lokale Ansehen und die finanzielle Unabhängigkeit reichten nicht mehr aus, um die Wähler im verschärften Parteienwettbewerb an sich zu binden. Eine verstärkte Legitimation der eigenen Politik durch Auftritte und Gespräche im Wahlkreis, eine intensive Nutzung der Publizistik und ein zeitaufwendiger Wahlkampf waren nötig, um sich bei den Wahlen gegen die Konkurrenz durchzusetzen. Seine politische Kraft zog das Weinbürgertum aus dem lokalen Bereich. Hier dominierte man wirtschaftlich und politisch das Dorf- bzw. Kleinstadtleben. Die lokale Wirtschaft war auf den Weinbau und die Gutsbesitzer ausgerichtet und trug damit zu einer paternalistischen Position der Weingutsbesitzer bei. Auch das Wahlrecht begünstigte lange Zeit eine Auswahl der Besitzenden. In der Weinregion am Haardtrand rekrutierte sich daher ein Großteil des Gemeinderates aus dem Kreis der Weingutsbesitzer, welche damit die Wahlmänner und Abgeordneten für die auf den höheren Ebenen angesiedelten politischen Gremien stellten, zum Beispiel im Landrat oder der Kammer der Abgeordneten in München. Vor Ort konnte das Weinbürgertum seine liberale Weltanschauung am deutlichsten ausleben. Im Kampf gegen Klerikalismus, durch den Aufbau von Bildungsinstitutionen oder die Durchführung von lokalen Infrastrukturprojekten konnte das Weinbürgertum hier seine Vision von einem liberalen Fortschritt der Gesellschaft durchsetzen. Für die Unterschicht war diese Vision allerdings häufig mit einer stärkeren Überwachung verbunden, um einen kontrollierten Aufstieg dieser Schicht in das Bürgertum zu ermöglichen. Da die Durchsetzung dieses liberalen Weltbildes auf der lokalen Ebene oft mit privaten Stiftungen verbunden war, zementierte es das Bild des wohltätigen gemeinnützig agierenden Gutsbesitzers und festigte die soziale und politische Stellung des Wein-

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bürgertums im lokalen und regionalen Raum. Es prägte somit eine besondere Form des »Kommunalliberalismus«. Dieser wurde nicht von Liberalen als kommunale Mandatsträger oder Teil der Bürokratie durchgesetzt, sondern in gewisser Weise ohne den Staat, in Eigenregie und damit unabhängig. Das unterstrich nochmals den Machtanspruch dieses Weinbürgertums gegenüber der staatlichen Bürokratie und steigerte sein Ansehen vor Ort. Aus dieser Perspektive wird noch einmal deutlich, was den Staat aus Sicht des Weinbürgertums ausmachte. Dieser sollte den wirtschaftlichen und politischen Rahmen für das selbständige Handeln des Einzelnen und dessen freie Entfaltung schaffen. Sozialpolitik war nicht seine Aufgabe. Das war eine kommunale Angelegenheit, denn vor Ort wusste man viel genauer, wo die Probleme lagen.1 Zudem kam die Wohltätigkeit vor Ort dem Ansehen des Spenders und Förderers zugute, wohingegen bei einer staatlichen Sozialversicherung eben der Staat an Ansehen gewann. Neben dieser liberalen Politik im lokalen und regionalen Fortschrittsraum der Pfalz stand die Prägung durch die besondere Wirtschaftsform. Die wirtschaftliche Grundlage des Weinbürgertums war der Weinbau als Gutswirtschaft. Weinbau stand im Vordergrund, in der Regel waren noch Viehhaltung zur Düngerproduktion und die Bewirtschaftung von Wiesenflächen für das Heu damit verbunden. Durch den freien Bodenmarkt entwickelten sich einige Weingüter zu Großbetrieben, die in der Wirtschaftsweise eine Pionierfunktion einnahmen. Besonders innovativ waren hier die Jordans, welche den Betrieb konsequent auf »Qualitätsweinbau« mit dem Anbau bestimmter Traubensorten und getrennter Lese umstellten. Für diese Winzer war der regionale Markt zu klein. Sie waren auf Exporte über den Pfalzkreis hinaus angewiesen. Sie mussten daher auf einen überregionalen Wirtschaftsraum hinarbeiten. Die komplizierten Zollverhältnisse im Deutschen Bund zwischen 1815 und 1833 waren daher für den »Qualitätsweinbau« hinderlich, zumal sich der Pfalzkreis ohne direkte Verbindung zum bayerischen Kernland in einer besonders nachteiligen Lage befand. Die Winzer nutzten daher Ventile wie das »Hambacher Fest« als Möglichkeit, ihrer Unzufriedenheit Ausdruck zu verleihen. Eine Verbesserung der Lage versprach die Gründung des Deutschen Zollvereins 1834, insbesondere als das badische Nachbarland 1835 beitrat. Die Winzer wurden daher zu einem Anhänger des Zollvereins und des Freihandels innerhalb Deutschlands, was sie bereits frühzeitig auf Preußen als zollpolitische Führungsmacht hin orientierte. Allerdings war den Winzern die Übergangssteuer beim Weinexport in das nördliche Zollvereinsgebiet ein Dorn im Auge. Die Aufhebung dieser Übergangssteuer war daher eine wichtige Forderung der Winzer, als es ab 1861 um die Zustimmung zu dem von Preußen mit Frankreich 1 Zum Kommunalliberalismus und den Bismarck’schen Sozialreformen in den 1880er Jahren siehe Langewiesche, Liberalismus in Deutschland, S. 187–211.

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ausgehandelten Handelsvertrag ging. Die preußische Regierung sicherte die Aufhebung zu, was die Pfälzer Winzer restlos für den Handelsvertrag einnahm. In ihren jeweiligen Orten waren die Weingutsbesitzer tonangebend. Die lokale Wirtschaft hing von ihnen direkt oder indirekt ab. Entweder arbeiteten die Dorf- bzw. Kleinstadtbewohner direkt bei ihnen oder waren durch ihre handwerklichen Tätigkeiten auf die Winzer ausgerichtet. Zudem kauften die größeren Gutsbesitzer häufig den kleineren Winzern die Traubenernte oder den Most ab und bauten den Wein im Keller aus. Da es im Pfalzkreis schwierig war, einen Kredit zu erhalten, fungierten sie auch als Kreditgeber in der Region, was die ohnehin vorhandenen Abhängigkeitsverhältnisse noch fester zementierte. Mit den lokalen Handels- und Fabrikräten und der regionalen Handels- und Gewerbekammer schuf die bayerische Regierung ab 1843 ein Sprachrohr für die wirtschaftlichen Interessen im Pfalzkreis. Das Weinbürgertum war über diese wirtschaftlichen Gremien und ihre Beteiligung an der politischen Arbeit im Gemeinderat, dem Landrat oder dem Landtag in München eng miteinander vernetzt, sodass man bei der Durchsetzung bestimmter Ziele die unterschiedlichen Ebenen aktivieren konnte. Das zeigte sich zum Beispiel beim Bau der Eisenbahn von Neustadt nach Dürkheim, als man auf verschiedenen Ebenen Druck aufbauen konnte und damit letztlich erfolgreich war. Das Weinbürgertum blieb in seinem wirtschaftlichen Engagement jedoch nicht nur auf den Weinbau beschränkt, sondern nutzte die vielfältigen Chancen der Industrialisierung, die sich seit den 1840er Jahren auftaten. Aufgrund der innovativen, fortschrittsoptimistischen Einstellung nahm man den Ausbau der Infrastruktur, der fabrikmäßigen Produktion und die technischen Möglichkeiten bei der Umsetzung wissenschaftlicher Forschungsergebnisse in die Praxis als große Chance wahr, die wirtschaftlichen Aktivitäten zu diversifizieren und die wirtschaftliche Produktionsweise zu transformieren. Man investierte daher in zahlreiche Projekte im Pfalzkreis, wie den Eisenbahnbau, Textilfabriken, Bierbrauereien oder Düngemittelfabriken und trieb damit die Industrialisierung und verkehrstechnische Erschließung dieses Raumes voran. Damit veränderte man auch die Struktur des Raumes. Industrielle Zentren der Pfalz wie Kaiserslautern oder Ludwigshafen wurden durch das wirtschaftliche Engagement des Weinbürgertums mitgeschaffen. Dabei blieb man allerdings nicht auf den Rheinkreis beschränkt, sondern erschloss zum Beispiel über die Pfälzische Schleppschifffahrt den Raum bis in die Niederlande. Einen besonderen Bezug entwickelte man in den Rhein-Neckar-Raum um Mannheim und Ludwigshafen. Kulturell, durch den Weinexport und das Mannheimer Bankwesen ohnehin auf diesen Raum hin orientiert, nutzte man die sich dort bietenden Möglichkeiten für weitere finanzielle Investments in industrielle Projekte. Diese waren insgesamt, vor allem in den 1860er Jahren, sehr lukrativ, auch wenn man in einzelnen Bereichen Verluste hinnehmen musste. Auf diese Weise bildete sich ein Netz an Investoren, die Kapital für engagierte Firmen-

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gründer bereitstellten und in den diversen Verwaltungsräten gemeinsam die Entwicklungen der Firmen kontrollierten und sich gegenseitig über neue Projekte informierten. Sie nutzten die Industrialisierung für ihre Zwecke und trieben sie damit gleichzeitig voran. Das politische und wirtschaftliche Engagement des Weinbürgertums war zutiefst von einer bürgerlichen Sozialisation und Weltsicht durchdrungen. Es war frühzeitig darauf angelegt, »kulturelles Kapital« zu erwerben, um sich auf diese Weise in das Bürgertum zu integrieren. Bereits in der Ausbildung ihrer Kinder beschränkten sich die großen Winzer daher nicht auf reine »Realien«, sondern man befasste sich auch mit der Geschichte vergangener Epochen, lernte zu zeichnen oder zu musizieren. Der wichtigste kulturelle Bezugspunkt für die Vorderpfälzer Winzer lag allerdings außerhalb des Pfalzkreises, im badischen Mannheim. Hier zeigt sich, wie stark die städtisch-bürgerliche Lebensweise in ländliche Regionen ausstrahlte. In Mannheim besuchte man mit den Kindern Oper und Theater und nahm an den Festveranstaltungen der Mannheimer Oberschicht teil. Durch mehrmonatige Aufenthalte in den größeren Städten oder im Ausland konnten die Kinder ihr »kulturelles Kapital« verfeinern und lernten, sich in das Bürgertum zu integrieren. Auch Heiraten dienten als Möglichkeit, die Position in der Gesellschaft abzusichern oder auszubauen. Allerdings sollten, wie sich bei den Jordan’schen Hochzeiten in den 1830er Jahren zeigte, Zuneigung und wirtschaftliche Interessen Hand in Hand gehen. Eine pauschale Beurteilung der Heiraten aus wirtschaftlich-strategischen Interessen erscheint damit überzogen. Die Heirats- und Verkehrskreise zeigen den Erfolg der Integrationsbemühungen des Weinbürgertums. Besitz und Bildung schufen die Voraussetzungen für einen selbstverständlichen gesellschaftlichen Umgang mit dem Wirtschafts- und Bildungsbürgertum der größeren Städte. Dieser Austausch fand nicht nur auf dem Weingut über Weinhändler oder private Großkunden statt, sondern man suchte selbstbewusst den engen Kontakt zum Bildungsbürgertum der Advokaten, Journalisten, Professoren oder Ärzte. Das unterstreicht die Offenheit des Systems »Bürgertum«. Dort konnte auch ein wohlhabender und gebildeter, die Umgangsformen und Werte des Bürgertums beherrschender Weingutsbesitzer reüssieren, dessen Beruf sicherlich keinem klassisch bürgerlichen Arbeitsfeld entstammte. Dafür legte die Ausbildung der Kinder das Fundament. Sie zielte nicht nur auf das Erlernen von »Realien« oder kulturellem Wissen, sondern sie diente vor allem der Vermittlung von Lebenseinstellungen und Werten. Als oberste Ideale der Erziehung und Ausbildung galten Rechtschaffenheit und Tugendhaftigkeit. Über die eigene Entwicklung in dieser Hinsicht konnte man sich durch beständige Selbstreflexion, zum Beispiel in einem Tagebuch, klar werden. Trotz dieses Aspekts der Innerlichkeit, sind beide Eigenschaften sehr stark auf die Zuschreibung von außen bezogen. Das heißt, man musste immer wieder dafür sorgen,

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nach außen als rechtschaffen zu gelten, sich immer wieder darüber befragen, wie das eigene Handeln nach außen wirkte. Gleichzeitig lernte man frühzeitig, das eigene Tun in größere Zusammenhänge einzuordnen, denn es ging darum, sich immer als nützlich für die Gesellschaft zu erweisen. Auf diese Weise rationalisierte man sein Handeln und stilisierte sich als Wohltäter für die Gesellschaft. So wurde das industrielle Engagement, das auch dem persönlichen Gewinn diente, vor allem als Chance zur Überwindung des Pauperismus dargestellt oder als Dienst an der wirtschaftlichen Entwicklung des Pfalzkreises bzw. der deutschen Nation aufgefasst. Hier boten sich für die Regierung Möglichkeiten, durch gezielte Appelle an den Patriotismus und das Gemeinwohl das Engagement der Pfälzer Wirtschaftsbürger zu aktivieren. Auch die zahlreichen großen und kleinen Stiftungen des Weinbürgertums in den verschiedenen Orten der Vorderpfalz wurden als Opfer für die Gemeinschaft dargestellt. Dass sie gleichzeitig der Stabilisierung des für die Weingutsbesitzer vorteilhaften sozialen Gefüges dienten, wurde systematisch ausgeblendet. In der moralischen Überhöhung dieses politischen Engagements verbanden sich bürgerliches Selbstverständnis und Liberalismus am deutlichsten. Die Durchsetzung einer liberalen Ordnung mit erweiterten Partizipationsmöglichkeiten, die zunächst einmal den »Männern von Besitz und Bildung« zugutekam, wurde als Arbeit am »Gemeinwohl« wahrgenommen. Durch die bürgerlichen Werte darauf trainiert, das eigene Handeln immer auf seine Nützlichkeit für die Gemeinschaft zu befragen, entwickelte das Bürgertum Argumentationsmuster, um das eigene Engagement und die eigenen Forderungen in eine große Gesamtkonzeption einzuordnen. Als zentraler Integrationsbegriff, der die bürgerlich-liberale Bewegung zusammenhielt, erscheint der Begriff des »Fortschritts«. Um diesen allgemeinen Begriff konnte man sich sammeln. Das politische, wirtschaftliche und soziale Handeln sollte den Fortschritt vorantreiben, den Fortschritt ermöglichen. Man empfand sich selbst als Gestalter des Fortschritts. Dieser Fortschrittsoptimismus wurde lange Zeit von den politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen belegt. Als die Realität der erwarteten Entwicklung zunehmend hinterherhinkte, geriet die Fortschrittsutopie in eine Krise. Die wirtschaftlichen Probleme der 1870er Jahre sind hier entscheidend, denn jetzt wurde der Fortschrittsbegriff zunehmend kritisch gesehen und verlor an Integrationskraft. Er reichte nicht mehr aus, um eine Bewegung zusammenzuhalten, in die immer stärker andere Konfliktlinien, wie religiöse und wirtschaftliche Gegensätze einzogen. Das Selbstverständnis der Liberalen, keine Sonderinteressen zu repräsentieren sondern das Allgemeinwohl2, ließ sich unter diesen Umstän 2 In diesem Selbstanspruch sieht Sheehan ein wichtiges Charakteristikum des Liberalis­ mus als »universelle[m] System«. Siehe Sheehan, Wie bürgerlich war der deutsche Liberalismus?, S. 38.

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den immer schwerer aufrechterhalten. Bürgerliche Selbstansprüche und liberale Ideologie klafften immer weiter auseinander. Diese Entwicklung trug zur Sinnkrise des Liberalismus seit dem Ausgang der »liberalen Ära« bei. Die in der Biographie herauspräparierte dreifache Prägung des Weinbürgertums durch den Raum, die Wirtschaftsweise und die Bürgerlichkeit ermöglichen abschließend eine Einordnung seines politischen Engagements in den deutschen Liberalismus des 19.  Jahrhunderts. Die Motivation zur politischen Mitsprache durch das wahrgenommene Gefälle zwischen regionalem Fortschrittsraum und rückständigem Zentrum, das eigene Selbstverständnis als bürgerliche Avantgarde bei der Durchsetzung einer neuen Wirtschaftsweise und die durch die Sozialisation vermittelte Pflicht zum gesellschaftlichen Engagement führen das Pfälzer Weinbürgertum dabei in die Nähe des wirtschaftsbürgerlichen Liberalismus der Rheinprovinz. Auch wenn die ehemals französischen linksrheinischen Gebiete in die unterschiedlich organisierten politischen Herrschaftsgebilde der Königreiche Bayern und Preußen, sowie des Großherzogtums Hessen integriert wurden, bildete ihre gemeinsame Ausgangsbasis noch lange ein verbindendes Element. Das Wirtschaftsbürgertum als Teil der neuen Elite in den drei Regionen war stark da­ rauf bedacht, seine hervorgehobene Stellung unter den neuen Herrschaften zu bewahren und den politischen Entscheidungsprozess in diesem Sinne zu beeinflussen. Es agierte nicht modernisierungsskeptisch wie etwa das badische »Gemeindebürgertum« und zielte nicht auf eine »klassenlose Bürgergesellschaft mittlerer Existenzen«. Stattdessen wollte es die bereits durchgeführte und erfahrene Modernisierung sichern und auf größere Räume ausdehnen. Der zu gründende deutsche Staat wurde dabei frühzeitig auch in seiner wirtschaftlichen Dimension und Bedeutung bedacht. Die Biographie Ludwig Andreas Jordans hat somit verdeutlicht, wie eng Bürgerlichkeit, wirtschaftliche Erwerbsgrundlage und liberale Politik miteinander verbunden sind. Die Verschränkung von persönlicher Entwicklung als Teil des Bürgertums, rationeller und innovativer Wirtschaftsweise sowie politischem Engagement ist charakteristisch für eine Existenzform liberaler Bürgerlichkeit, die im 19.  Jahrhundert auch in ländlichen Regionen eine starke Modernisierungsdynamik in Gang setzte.

Abkürzungen

ADB

Allgemeine Deutsche Biographie

AfS

Archiv für Sozialgeschichte

AIHK

Archiv der Industrie- und Handelskammer der Pfalz, Ludwigshafen

BaB

Bundesarchiv Berlin

BaK

Bundesarchiv Koblenz

BASF

Badische Anilin- und Sodafabrik

Bd. Band BHStAM

Bayerisches Hauptstaatsarchiv München

GG

Geschichte und Gesellschaft

GStA PK

Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz

GWU

Geschichte in Wissenschaft und Unterricht

HSD

Hessisches Staatsarchiv Darmstadt

HZ

Historische Zeitschrift

LaS

Landesarchiv Speyer

MInn

Bayerisches Staatsministerium des Innern

NDB

Neue Deutsche Biographie

Nr. Nummer O. D.

Ohne Datum

O. O.

Ohne Ort

O. V.

Ohne Verfasser

UBH

Universitätsbibliothek Heidelberg

VSWG

Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte

ZBLG

Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte

ZBZ

Zentralbibliothek Zürich

ZGO

Zeitschrift für Geschichte des Oberrheins

Quellen- und Literaturverzeichnis

Unveröffentlichte Quellen Archiv der Industrie- und Handelskammer der Pfalz, Ludwigshafen (AIHK) Bd. Protocolle des Fabrik- und Handelsrathes Neustadt-Dürkheim.

Bayerische Staatsbibliothek München

Liebigiana (Nachlass Justus von Liebig), Bd. II. B.

Bayerisches Hauptstaatsarchiv München (BHstaM)

Bestand MInn (Innenministerium): Bde. 39677, 44345, 45628, 46019–46030, 46042, 59965.

Briefsammlung Hauck

Briefe Ludwig Andreas Jordans an seine Familie: Bde. 1829–1837, 1838–1839, 1840–1848, 1849–1858.

Bundesarchiv Berlin (BaB)

N2183 (Nachlass Heinrich von Marquardsen): Bd. 12.

Bundesarchiv Koblenz (BaK)

N1754 (Nachlass Familie Buhl): Bde. 2, 3, 7, 13, 67, 76, 109, 120, 128, 177, 261, 274, 289, 290, 307. N1758 (Nachlass Georg Friedrich Kolb): Bde. 2, 4, 5.

Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (GStA PK) Nachlass Heinrich von Sybel: B1 Nr. XXI.

Hessisches Staatsarchiv Darmstadt (HSD)

Bestand O11 (Familienarchiv von Gagern): Bde. D8, D9, E28, E38, E141, E161, H14, L20, L67.

Institut für Pfälzische Geschichte und Volkskunde in Kaiserslautern

Bestand Landratsprotokolle: Protokollband 1857–60; Protokollband 1859–60; Protokollband 1860–63.

Landesarchiv Speyer (LaS)

Bestand G6 (Departement Mont-Tonnerre): Bd. 53. Bestand H1 (Regierung der Pfalz): Bde. 580II–III, 1090, 1203, 1976–1979, 1982. Bestand H3 (Regierung der Pfalz, Kammer des Innern und der Finanzen): Bde. 202a, 202b, 202c, 214, 220j, 2232. Bestand H8 (Provisorische Regierung der Rheinpfalz): Bd. 25. Bestand J1 (Appellationsgericht der Pfalz/Oberlandesgericht): Bd. 2305.

388

Quellen- und Literaturverzeichnis

Bestand J2 (Appellationsgericht der Pfalz, Oberlandesgericht, Protokolle): Bd. 50. Bestand T89 (Familienarchiv Gienanth): Bde. 339, 340, 710. Bestand U315 (Stadtarchiv Deidesheim): Bde. 436, 595, 1110, 2523, 4171. Bestand V153 (Depositum Bassermann-Jordan): Bde. 1, 3, 4, 10, 13, 14, 18, 19, 20, 28, 29, 30, 31, 35, 36, 37, 39, 40, 42, 44, 45, 46, 49, 50, 51, 52, 55, 56, 57, 59, 60, 61, 62, 101, 180, 184, 185, 189, 192, 195, 230, 264, 276, 277, 278, 279, 284, 285, 335, 349, 350, 352, 354, 377, 380, 386, 392, 409, 414, 417, 427, 429, 503, 512, 550, 567, 568, 569, 581, 589, 590, 591, 592, 593, 594, 595, 596. Bestand V157 (Nachlass Siben): Bd. Z4650.

Stadtarchiv Kaiserslautern Bestand A02, Bd. 619.1.

Stadtarchiv Krefeld

Nachlass Hermann von Beckerath: Bd. 56.

Staatsarchiv Bremen

Bestand 7,16 (Nachlass Hermann Henrich Meier): Briefe Ludwig Andreas Jordans an Hermann Henrich Meier.

Universitätsbibliothek Heidelberg (UBH)

Wochenblatt für die Pfalz (5.1.1856–28.6.1856). Nachlass Ludwig Häusser: Bd. Hs. 3741. Nachlass Georg Gottfried Gervinus: Bd. Hs. 2526.

Zentralbibliothek Zürich (ZBZ)

Familienarchiv Bluntschli: Bd. 7.430.

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Personenregister

Abel, Karl von  224, 227, 231, 242, 252, 369 Abreck, Johann  229 Adam, Thomas  282 Alexander I. von Russland  92 Alwens, Franz  238, 247 Anderson, Nancy  102 Applegate, Celia  21, 27, 36, 377 Arndt, Ernst Moritz  335 Arndt, Gustav  192 Artaria (Familie)  69 Auber, Daniel-François-Esprit  67 f. Aufschneider, Franz Georg  164 Bach, Adolph  86 Bamberger, Ludwig  365, 367 Barth, Marquard Adolph  323, 330, 346, 348, 352 Basler, Casimir  141 Bassermann, Friedrich Daniel  86, 235 f., 240, 251, 311 Bassermann-Jordan, Augusta  61, 103 Bassermann-Jordan, Emil  161 Bassermann-Jordan, Friedrich von  54, 56 Bassermann-Jordan, Ludwig  121 Baudelaire, Charles  81 Baumann, Kurt  33, 51 Bechstein, Ludwig  96 Becker, August  11 f., 38, 290 Beckerath, Hermann von  29, 126, 194 f. Behrend, Heinrich  188, 193 Beisler, Hermann von  264, 310 Benda, Robert von  366 Benjamin, Walter  81 Bennigsen, Rudolf von  186, 353 f., 357, 361 f., 365–367 Benzino, Joseph  162, 341 f., 344 Biefang, Andreas  21, 185 f., 191 Bismarck, Otto von  184, 191, 328, 332–334, 336, 338 f., 346–348, 351, 354, 356–358, 361–365, 367, 373 f. Blaul, Friedrich  11 f. Blum, Robert  240 Bluntschli, Johann Caspar  323, 329 Boch, Rudolf  16

Böcking, Ferdinand  140 Böhl, Nikolaus von  231, 233 Börne, Ludwig  218 Boisserée, Sulpiz  283 Bonin, Gustav von  353 Bouchet, P. A.  50, 186 Bourdieu, Pierre  23, 67 f. Boyé, Adolph  313 Brandt, Harm-Hinrich  172 Brater, Karl  323–325, 328–330 Braun, Paul von  351 Brentano, Franz Dominikus  78, 83 Brockfeld, Susanne  143 Brogino, Jakob  209 f. Bronner, Johann Philipp  57 Brunck, Friedrich Karl  264 Budde, Gunilla-Friederike  62, 97 Bürklin, Albert  121, 169 Buhl, Barbara, geb. Jordan  46, 60 f., 99, 102 Buhl, Eugen  20, 116, 162, 169, 332 Buhl, Florian  61 Buhl, Franz Albert  60 Buhl, Franz Anton  60 f., 240, 359 Buhl, Franz Armand  20, 116, 122, 162, 329, 340 f., 353, 360, 363, 368 Buhl, Franz Peter  20 f., 29 f., 70–72, 75, 77–86, 89 f., 92–100, 103, 106 f., 109 f., 113–116, 118–121, 124–128, 136, 143, 154 f., 160, 166–170, 175 f., 180, 186, 191 f., 198–201, 213–216, 225, 231, 233, 236, 240–242, 245 f., 249, 256 f., 259 f., 270, 279, 284 f., 289–293, 295, 299 f., 302–305, 307 f., 311–314, 316, 318–327, 329, 368–373 Buhl, Josephine, geb. Jordan  61, 67, 71, 73, 77, 93 f., 97, 100, 103, 106 f., 115, 216, 233 f., 259, 270, 316, 319 f. Buhl, Seraphine, siehe Seraphine Jordan Chelius, Christian  300 Christian IX. von Dänemark  331 f. Christmann, Rudolph  176, 241, 245, 257, 260 f., 313, 330, 332 Cicero 63

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Personenregister

Clauss, Christian Walter  166, 168 Clemens Wenzeslaus von Sachsen, Kurfürst von Trier  54 Cobden, Richard  175, 178 Cockerill, John  80 f. Cörver, Johann Wendel  292 Cotta, Georg von  325 Culmann, August  229, 270 Culmann, Christian  208–210 Curtis, Matthew  167 Custine, Adam-Philippe de  32 Dacqué, Ludwig  149, 162, 209, 229, 313 Deck, Georg  273 Degenhard, Heinrich  56 Deinhard, Andreas  20, 122 Deinhard, August  79, 85 Deinhard, Auguste, geb. Jordan  61, 103, 114, 283 Deinhard, Friedrich Prosper  103, 113 f., 121, 167–169, 198, 270, 279, 283–285, 290 f., 329 Delbrück, Rudolph von  191, 345 f., 358, 374 Denis, Paul Camille von  135 Didier, Heinrich  270 Dietrich, Gustav  197 f. Dietzsch, Carl  162 Ditchfield (Familie)  89 f. Dotzauer, Winfried  33 Duncker, Franz  192 Duncker, Max  192, 324 Eckel (Adjunkt)  209, 220 Eckel (Witwe)  291 Eckel, Friedrich Ignaz  49 Eckel, Heinrich  48 Eckenroth, Philipp  151, 156, 158 Edel, Karl Friedrich Wilhelm  305 f. Eisenstuck, Bernhard  271 Engelhorn, Friedrich  161 f. Engels, Philipp  167 Engert, Johann Michael  55 Eppelsheimer, Eduard  241, 245 Ernst August I. von Hannover  294 Erthal, Friedrich Karl Joseph von  56 Espenschied, Julius  161 f. Etges, Andreas  180 Exter (Gerber)  313 Exter, Carl  166

Fay, Carl  122 Fay, Fritz  112 Fehrenbach, Elisabeth  33 Fénelon, François  62 f. Finck, Carl  193 Flügel, Axel  17 f. Forckenbeck, Max von  354, 365, 367 Franckenstein, Georg Arbogast von und zu  366 f. Frantz, Friedrich Theodor  250, 254 Franz II. Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation  31 f. Frey, Ludwig  186 Frey, Philipp  158, 186 Frey, Theodor  185–187 Friedrich III. von Preußen, Kaiser von Deutschland 328 Friedrich VII. von Dänemark  331 Friedrich Wilhelm III. von Preußen  92 Friedrich Wilhelm IV. von Preußen  182, 267 f., 278, 304 Fries, Ludwig  139 Fries, Peter  270, 273 Gagern, Heinrich von  29, 234, 242 f., 256, 259 f., 266 f., 271 f., 312, 322 f., 353, 370 Gaisberg, Hermann Freiherr von  117 Gall, Lothar  15–17, 126 f., 222 Gall, Ludwig  120 f. Gay, Peter  98 Gervinus, Georg Gottfried  236, 311 f., 316, 318 f. Geuns, Steven Jan van  54 Gienanth, Carl von  148 f., 165, 200, 272, 283 Gienanth, Johann Ludwig von  39, 95, 132 Giessen (Familie)  68, 74 Giessen, Andreas  209, 220 Giessen, Eduard  270, 291, 293 Gillot (Privatlehrer)  62 Gise, Friedrich August von  133 Glaß, Franz  258 Goerg, Heinrich  48 f., 52 Goerg, Johann Baptist  228, 231 f., 235, 237 Goerg, Theodor  291 Goethe, Johann Wolfgang von  73 Götschmann, Dirk  262 Golsen, Carl Ludwig  118 f., 227, 229, 335 Goschler, Constantin  15, 28 Greiffenclau zu Vollrads, Reichsfreiherrn von 55

Personenregister Greiner, Theodor  269 f., 272 f. Groß, Ludwig  357 Haan, Heiner  35 Habermehl, Eva  45 Hack, Philipp  241, 245 Hänle, Leo  193, 195 Häusling, Jacob  279 Häusling, Johann Adam  292 Häusser, Ludwig  29, 188, 311–314, 318–321, 324 f., 372 Haffner, Christian  135, 140 Hagen, Karl  259 Hannitz, August  270 Hansemann, David  126, 184 f., 188–195, 199 Hartmann, Jakob von  271 Hartmann, Rosalie von  271 Hausmann, Franz  276 Hecker, Friedrich  240, 256, 259 f., 370 Hegnenberg-Dux, Friedrich von  123 Heimes, Valentin  56 Heintz, Karl Friedrich von  243, 245, 255, 310 Hepp, Philipp  257, 270 Herder, Johann Gottfried  72 Herrmann (Anwalt)  319 Hertel, Albert von  197 Hettling, Manfred  26 Heydt, August von der  191 f. Hirsch, Benjamin  220 Hoche, Louis-Lazare  32 Hoffmann, Stefan-Ludwig  26 Hoffmann von Fallersleben, August ­ Heinrich 246 Hofmann, Karl von  358 Hogrefe, Heinrich  313, 315 f., 318–320, 372 Hohe, Gustav von  135, 280, 291–293, 297, 309, 311, 314, 318, 371 f., 377 Hohenlohe-Schillingsfürst, Chlodwig zu 343 Hohenzollern-Sigmaringen, Leopold von  346 f. Hohle, Carl  335 Horn, Hubert  342 f. Humboldt, Alexander von  54 Hurtzig, Fritz  193 Itzstein, Johann Adam von  240 f., 246, 359, 369 Jäger, Albert  140 Jäger, Lukas  312

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Jörg, Josef Edmund  348 Jolly, Julius  363 Jordan, Andreas  20 f., 25, 26–29, 43, 47–52, 56–60, 65 f., 70, 73–75, 78 f., 85, 87, 89, 92–105, 107, 110–113, 123, 130, 132, 186, 203, 208–210, 214–217, 220, 226, 230 f., 235, 237, 240, 247 f., 257, 265, 281, 283–285, 288, 350, 368, 371 Jordan, August  85 f. Jordan, Augusta, siehe Augusta BassermannJordan Jordan, Auguste, siehe Auguste Deinhard Jordan, Barbara, siehe Barbara Buhl Jordan, Christian  45 Jordan, Clothilde, siehe Clothilde Scipio Jordan, Georg  45 Jordan, Johann Peter  45–47 Jordan, Josephine, siehe Josephine Buhl Jordan, Josephine  29, 347 Jordan, Josepha, geb. Stengel  60 f., 65 f., 75, 93 f., 107 Jordan, Margarethe, siehe Margarethe ­ Kramer Jordan, Marie  103 Jordan, Nikolaus  45 f., 61 Jordan, Peter Heinrich  46, 50, 61, 70, 94, 102, 107, 109 Jordan, Pierre  43–45 Jordan, Seraphine, geb. Buhl  28 f., 59, 70, 94–101, 103, 105, 107, 109–111, 115, 119, 216, 242 f., 254–256, 258, 261 f., 270, 273, 292 f., 347, 349 f. Jordan, Seraphine, siehe Seraphine von ­ Stichaner Karcher (Familie)  162 Karl I. Ludwig Kurfürst von der Pfalz  44 Karl Theodor Kurfürst von der Pfalz  31, 66 Kaschuba, Wolfgang  25, 77 f., 80, 93, 204, 248 Keller, Jacob  360 Kempf, Dr.  341 Kimich, Johannes  52 Kimich, Johann Baptist  291 f. Kirchgeßner, Karl  255 Kleinschrod, Karl von  152 Klenze, Leo von  58 Klötzer, Wolfgang  258 Koch, Robert  256 Koch-Gontard, Clotilde  256, 259, 271, 370 Kölsch, Franz  273 f.

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Personenregister

Koenigs, Franz Wilhelm  167 Kößler, Nikolaus  209 Kolb, Georg Friedrich  36 f., 207, 230 f., 237, 240–243, 245 f., 249, 251, 257 f., 273, 307 f., 312, 330, 332, 334 f., 338, 341–343 Kotzebue, August von  67 Krämer, Philipp Heinrich von  132, 140, 162, 272 Kramer, August Georg  61, 105 Kramer, Margarethe, geb. Jordan  46, 61, 94 f., 102, 110, 285 Krieg, Dagmar  49 Kurz, Andreas  147 Ladenburg, Seligmann  58, 78, 113, 132, 141, 158, 161 Lammers, August  324 Lamotte, Max Joseph von  140, 156 f. Lang, Eduard  277 Lasker, Eduard  354, 357, 365 Lederle, Nikolaus  209 Lehrbach, Damian Hugo Philipp von  50 Leiden, Damian  167 Lemme (Kaufmann)  78, 83–85 Leopold II., König von Österreich und ­ Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation  31 Lerchenfeld, Gustav von  310 Lessing, Gotthold Ephraim  67, 73 Levi, Simon  191 Lichtenberger, Casimir  148 Lichtenberger, Philipp  132, 145 Liebermann, Benjamin  192, 195 Liebig, Justus von  29, 116, 122–124, 198, 337 Liebl, Toni  130 Lilier, Adolph  245 Limburg-Stirum, Damian August von  231 List, Friedrich  127, 134, 151 Lobkowitz, Franz Caspar Freiherr von  157 Lord Wellington (Arthur Wellesley, Duke of Wellington) 86 Ludwig I. von Bayern  129, 133 f., 145 f., 148 f., 158, 207–209, 211 f., 222–224, 226–231, 235, 237 f., 243, 245, 250 f., 253 f., 291 f., 369 f. Ludwig II. von Bayern  335, 348, 350 Ludwig XIV. von Frankreich  44, 63 Luxburg, Friedrich Graf von  353 Madeley, William George  167 Manz, August  165

Marmontel, Jean-François  62 f. Marquardsen, Heinrich von  29, 116, 169, 356 Martin, Johann  166 Marx-Hansemann, Jacob  192 Mathy, Karl  240, 256, 311, 324 Mattil, Heinrich  209 Maucher, Ferdinand  246 Maurer, Michael  65 Maximilian I. Joseph von Bayern  35, 95 Maximilian II. von Bayern  118, 138–141, 158, 164, 184, 254 f., 265, 268, 271, 286, 288, 298–300, 303–306, 323, 327 f., 370 f. Maximilian IV. Joseph Kurfürst von ­ Pfalz-Bayern 31 Meier, Hermann Henrich  29, 193, 195, 197 Mergel, Thomas  20 Meuth, Franz Flamin  40, 162, 165, 200, 277 Mevissen, Gustav  111, 126, 167 Miquel, Johannes von  357 Mittermaier, Carl Joseph Anton  256 Mohl, Robert von  312 Moll, Eduard  193–197 Montesquieu, Charles Louis de  218 Montez, Lola  252–254 Montgelas, Maximilian von  35, 224 Mozart, Wolfgang Amadeus  66, 68 Müller, Adam  117, 124, 299–301 Müller, Gangolf  284 f. Müller, Gustav  197 Mylius, Georg Melchior  88 f. Mylius, Heinrich  78, 83–85, 88 f. Mylius, Sophie  88 Napoleon I. von Frankreich  24, 31 f., 34, 36, 60–62, 171, 290, 333, 343 Napoleon III. von Frankreich  323, 347 Nebel, Hermann  283 Nepos, Cornelius  62 Neumayr, Max von  304 f. Nipperdey, Thomas  317 Nobis (Küfer)  292 Nolte, Paul  16, 19 Oberleithner, Carl  193 Oettingen-Wallerstein, Ludwig von  133, 299–301, 325–327 Oppenheim, David  161 Ottmann, Karl Friedrich  300 Paganini, Niccòlo  67 Pagenstecher, Heinrich Carl Alexander  312

Personenregister Parr, George  167 Pasteur, Louis  116 Patow, Erasmus Robert von  353 Perkins, Jacob  87 Petersen, Julius  368 Pfeiffer, Carl  313, 315 f., 318–320, 372 Pfeufer, Karl von  116 Pfeufer, Sigmund von  338, 350 f. Pfordten, Ludwig von der  277, 304, 310, 332 Pikulik, Lothar  74 Pius IX.  355, 362 Pixis, Franzilla  80 Pixis, Johann Peter  80 Pletsch, Adrian  163–165 Pohl, Karl Heinrich  19 Poth, Peter  68, 209 Prein, Philipp  77 Puscher, Wilhelm  193 Rausch, Johann Leberecht  50 Rebenack, Friedrich Wilhelm  136, 277, 296 f., 299 Reichard, Joseph Martin  258 Reichardt, Apollonia  46, 68 Reichardt, Eva  46, 61, 68 Reiffel, Georg  48 Reigersberg, August Lothar von  297 f., 300 f., 304, 311 Reiß, Carl  161 f. Reiß, Friedrich  161, 165, 200 Remling, Franz Xaver  232, 235 Reuthner, Adolph  165 Ricardo, David  178 Riedl, Joseph  237 Riehl, Wilhelm Heinrich  18, 38 Ritter, Daniel  208 f. Ritter, Karl  48 Röchling, Ernst  341 f. Römmich, Ludwig  277, 343 Rösch, Georg Rudolph  166–170, 201 Ronge, Johannes  235 f. Rosenberg, Hans  236 Roß, Edgar  193 Rossini, Gioachino  66 Roth, Friedrich von  254 f. Roth, Guenther  88 Rothschild, Mayer Amschel  58, 78, 113, 141 Rotteck, Karl von  36, 218, 359 Rudler, Franz Joseph  32 Rust, Isaak  250, 254 f.

423

Sabean, David Warren  101 f. Sachs, Wilhelm  260 Sahner, Simon  272 Sarasin, Philipp  282 Sartorius, Otto  360 Sauerbeck, Wilhelm  139–141, 149, 155, 245 Schandein, Joseph Wilhelm  61 f., 68, 212 Scharpff, Johann Heinrich  145 Schauß, Friedrich von  354, 367 Schellhorn (Familie)  50 Schenk, Eduard von  208 f. Scherbius, Gustav  197 f. Scherer, Karl  250 Scheurich, Clara  45 Schieder, Theodor  21 Schieder, Wolfgang  47 Schiller, Friedrich von  67, 72, 96 Schivelbusch, Wolfgang  90 Schmidt, Karl Wilhelm  270 Schmitt, Ludwig  314 f., 318, 372, 377 Schmitt, Nikolaus  258, 269, 273 Schmitz, Peter Robert  164 Schneider, Carl  148 f. Schoppmann, Jakob  208–210, 217 Schreiber, Rudolf  37 Schrenck von Notzing, Karl Freiherr von  227, 242 Schrenk von Notzing, Sebastian Freiherr von 208 Schüler, Friedrich  208–210, 216 f., 220 f., 251, 270, 273 Schüßler, Johann Adam  69 Schultz, Karl Heinrich  232, 313 Schwinn, Georg Adolf  341 f., 344 Scipio, Clothilde, geb. Jordan  103, 355 Scipio, Ferdinand  353, 355 Seinsheim, Karl Graf von  230 Seuffert, Johann Adam  208 Seybold, Johann Leonhard  165 Seydewitz, Otto von  366 Seyler, Friedrich  291 f. Shakespeare, William  67 Siben, Arnold  49 Siben, Chrysosthomus  48 f., 68 Siben, Franz  270 Siben, Georg  70 Siebenpfeiffer, Philipp Jakob  207, 218 f., 227 Simon, Heinrich  266 f. Smith, Adam  178 Soiron, Alexander von  246

424

Personenregister

Sonderburg-Augustenburg, Friedrich Christian August von  331 Sonderburg-Glücksburg, Christian von, siehe Christian IX. von Dänemark Souchay (Familie)  167 Souchay, Johann  89 Soyer, Ferdinand von  308, 335, 341 f., 344 Spatz, Carl Alexander  258 Spindler, Johann  52 Stahlberg, Paul  193, 196 f. Stauffenberg, Franz August Schenk von  354, 365, 367 Steinmetz, Theodor  50 Stengel, Anna Maria, geb. Tillmann  60 Stengel, Franz  60 Stengel, Josepha, siehe Josepha Jordan Stengel, Karl von  132 f. Stephanie Großherzogin von Baden  61 Stichaner, Joseph von  205 Stichaner, Seraphine von, geb. Jordan  103 Stockinger, Georg Jakob  245, 255, 257, 260 f., 313, 316 Struve, Gustav  256, 296, 370 Stürmer, Johann Baptist von  209 Sulser, Wilhelm  164 Sybel, Alexander von  193 Sybel, Heinrich von  29, 323, 327–329, 333, 336, 368 Szent-Ivanyi, Anna von (Nanette)  60, 79 Szent-Ivanyi, Johann von  60 Tafel, Franz  225, 229, 237, 258, 299 f., 316, 330, 332, 334 f. Tann, Heinrich Ferdinand Freiherr von und zu der  230 Tesche, Karl Anton  79, 85 Thon-Dittmer, Gottlieb von  254 f., 260, 264, 310 Thüngen, Wilhelm von  123, 345 Thukydides 62 Tillmann, Anna Maria, siehe Anna Maria Stengel Tillmann, Philipp  245 Treitschke, Heinrich von  357, 365, 367 Trepp, Anne-Charlott  73, 97 Ueberle, Valentin  148 Umbscheiden, Philipp Friedrich  330, 332 Utz, Richard  13

Valentin, Veit  268 Vandamme, Hyazinth  91 Vangerow, Adolph von  312 Varrentrapp, Georg  324 Virchow, Rudolf  15, 28 Völk, Joseph  323, 330, 348, 354 f., 365–367 Vogt, Carl  259 f. Waldkirch, Clemens August Graf von 301 Walz, Franz  119 Weber, Carl Maria von  67 Weber, Max  13, 27, 88, 231, 352 Weckesser, Johann Nepomuk  62 Wehler, Hans-Ulrich  20, 163 Weigel, Hermann  191, 193 Weis, Ludwig von  300 Weis, Nikolaus von  265 Weisbrodt, Emanuel  48 Weizel, Gideon  188 Welcker, Karl Theodor  36, 240, 246 Wertheim, Franz von  193 Wesenfeld, Carl Ludwig  193 Wiedtmann, Carl Leonhard  165 Wilbrandt, Adolf  324 Wild, Apollonia  44 f. Wilhelm I. von Preußen, Kaiser von Deutschland  182, 304, 328, 338, 344, 347, 357, 362 Willich, Friedrich Justus  208, 220, 230 f., 240–245, 249, 255–257, 369 f. Wirth, Johann, Georg August  209 f., 219, 221 Wissel, Ludwig von  289 Wolf, Johann Ludwig  48, 50, 119, 132, 219 Wolf, Karl Heinrich  136, 140, 155, 162, 176, 245, 257, 300, 313, 325 Wolf, Ludwig Heinrich  119, 162, 176, 313 Wolfanger, Eduard von  123 Wrede, Eugen von  145–148, 160, 200, ­226–231, 369 Wrede, Karl Philipp von  222 Zedler, Johann Heinrich  53, 55 Zinn, Friedrich Karl August  357, 367 Zumstein, Johann Georg  141 Zwackh zu Holzhausen, Franz Xaver von 35