Logische Untersuchungen 9783787333493, 9783787319442

Husserl war ursprünglich davon ausgegangen, dass die Logik die Aufklärung ihrer eigenen Grundlagen aus der Psychologie z

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Logische Untersuchungen
 9783787333493, 9783787319442

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E DM U N D H US SE R L

Logische Untersuchungen Mit einer Einführung und einem Namen- und Sachregister von Elisabeth Ströker †

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

PHILOSOPHISCHE BIBLIOTHEK BAND 601 Diese Ausgabe bietet Edmund Husserls „Logische Untersuchungen“ in einem Band text- und seitengleich nach den kritischen Editionen in Husserliana XVIII, hg. von Elmar Holenstein, Den Haag 1975 mit Husserliana XIX/1–2, hg. von Ursula Panzer, Den Haag 1984.

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.d-nb.de› abrufbar. ISBN 978-3-7873-1893-3 eISBN 978-3-7873-3349-3

www.meiner.de © für diese Ausgabe: Felix Meiner Verlag GmbH, Hamburg 2009. Alle Rechte vorbehalten. Dies betrifft auch die Vervielfältigung und Übertragung einzelner Textabschnitte durch alle Verfahren wie Speicherung und Übertragung auf Papier, Transparente, Filme, Bänder, Platten und andere Medien, soweit es nicht §§ 53 – 54 URG ausdrücklich gestatten. Einbandgestaltung: qart, Hamburg. Druck und Bindung: Druckerei C. H. Beck, Nördlingen. Gedruckt auf alterungsbeständigem Dünndruckpapier, hergestellt aus 100 % chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany.

INHALT

Elisabeth Ströker, Husserls Logische Untersuchungen . . . . . . . . xxvii Editorische Hinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . lxix

LOGISCHE UNTERSUCHUNGEN

vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . vorwort zur zweiten auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

5 8

ERSTER BAND PROLEGOMENA ZUR REINEN LOGIK

einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 1.

16

Der Streit um die Definition der Logik und den wesentlichen Inhalt ihrer Lehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Notwendigkeit der erneuten Erörterung der Prinzipienfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Streitfragen. Der einzuschlagende Weg . . . . . . . . . . . . .

20 22

erstes kapitel: die logik als normative und speziell als praktische disziplin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25

§ 2. § 3.

Die theoretische Unvollkommenheit der Einzelwissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 5. Die theoretische Ergänzung der Einzelwissenschaften durch Metaphysik und Wissenschaftslehre . . . . . . . . . . . . . § 6. Die Möglichkeit und Berechtigung einer Logik als Wissenschaftslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 7. Fortsetzung. Die drei bedeutsamsten Eigentümlichkeiten der Begründungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 8. Die Beziehung dieser Eigentümlichkeiten zur Möglichkeit von Wissenschaft und Wissenschaftslehre . . . . . . . . . . . . . .

19

§ 4.

25 26 27 32 34

VI

inhalt

§ 9.

Die methodischen Verfahrungsweisen in den Wissenschaften teils Begründungen, teils Hilfsverrichtungen für Begründungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 10. Die Ideen Theorie und Wissenschaft als Probleme der Wissenschaftslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 11. Die Logik oder Wissenschaftslehre als normative Disziplin und als Kunstlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 12. Hierhergehörige Definitionen der Logik . . . . . . . . . . . . . . . .

40 42

zweites kapitel: theoretische disziplinen als fundamente normativer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

44

§ 13. Der Streit um den praktischen Charakter der Logik . . . . . . § 14. Der Begriff der normativen Wissenschaft. Das Grundmaß oder Prinzip, das ihr Einheit gibt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 15. Normative Disziplin und Kunstlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 16. Theoretische Disziplinen als Fundamente normativer . . . . drittes kapitel: der psychologismus, seine argumente und seine stellungnahme zu den üblichen gegenargumenten § 17. Die Streitfrage, ob die wesentlichen theoretischen Fundamente der normativen Logik in der Psychologie liegen . . . . § 18. Die Beweisführung der Psychologisten . . . . . . . . . . . . . . . . . § 19. Die gewöhnlichen Argumente der Gegenpartei und ihre psychologistische Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 20. Eine Lücke in der Beweisführung der Psychologisten . . . . viertes kapitel: empiristische konsequenzen des psychologismus . . . . . § 21. Kennzeichnung zweier empiristischer Konsequenzen des psychologistischen Standpunktes und deren Widerlegung § 22. Die Denkgesetze als vermeintliche Naturgesetze, welche in isolierter Wirksamkeit das vernünftige Denken kausieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 23. Eine dritte Konsequenz des Psychologismus und ihre Widerlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 24. Fortsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

37 39

44 53 59 59

63 63 64 65 70

72 72

76 80 85

erster band fünftes kapitel: die psychologischen interpretationen der logischen grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

VII

88

§ 25. Der Satz vom Widerspruch in der psychologistischen Interpretation Mills und Spe n cers . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 § 26. Mills psychologische Interpretation des Prinzips ergibt kein Gesetz, sondern einen völlig vagen und wissenschaftlich nicht geprüften Erfahrungssatz . . . . . . . . . . . . . . 91 Anhang zu den beiden letzten Paragraphen: Über einige prinzipielle Gebrechen des Empirismus . . . . . . . . . . . . . . . . 94 § 27. Analoge Einwände gegen die übrigen psychologischen Interpretationen des logischen Prinzips. Äquivokationen als Quellen der Täuschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 § 28. Die vermeintliche Doppelseitigkeit des Prinzips vom Widerspruch, wonach es zugleich als Naturgesetz des Denkens und als Normalgesetz seiner logischen Regelung zu fassen sei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 § 29. Fortsetzung. S i gwar ts Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 sechstes kapitel: die syllogistik in psychologistischer beleuchtung. schlussformeln und chemische formeln . . . . . . . . . . . 110 § 30. Versuche zur psychologischen Interpretation der syllogistischen Sätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 § 31. Schlußformeln und chemische Formeln . . . . . . . . . . . . . . . . 113 siebentes kapitel: der psychologismus als skeptischer relativismus . . § 32. Die idealen Bedingungen für die Möglichkeit einer Theorie überhaupt. Der strenge Begriff des Skeptizismus . . . . . . . . § 33. Skeptizismus in metaphysischem Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . § 34. Der Begriff Relativismus und seine Besonderungen . . . . . . § 35. Kritik des individuellen Relativismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 36. Kritik des spezifischen Relativismus und im besonderen des Anthropologismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 37. Allgemeine Bemerkung. Der Begriff Relativismus in erweitertem Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 38. Der Psychologismus in allen seinen Formen ein Relativismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

118 118 120 122 123 124 129 130

VIII

inhalt

§ 39. Der Anthropologismus in Si g w a rts Logik . . . . . . . . . . . . . 131 § 40. Der Anthropologismus in B. E rdmann s Logik . . . . . . . . . 142 achtes kapitel: die psychologistischen vorurteile . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 § 41. Erstes Vorurteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 42. Erläuternde Ausführungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 43. Rückblick auf die idealistischen Gegenargumente. Ihre Mängel und ihr richtiger Sinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 44. Zweites Vorurteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 45. Widerlegung: Auch die reine Mathematik würde zu einem Zweige der Psychologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 46. Das Forschungsgebiet der reinen Logik, analog dem der reinen Mathematik, ein ideales . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 47. Bestätigende Nachweisungen an den logischen Grundbegriffen und an dem Sinn der logischen Sätze . . . . . . . . . . § 48. Die entscheidenden Differenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 49. Drittes Vorurteil. Die Logik als Theorie der Evidenz . . . . . § 50. Die äquivalente Umformung der logischen Sätze in Sätze über ideale Bedingungen der Urteilsevidenz. Die resultierenden Sätze nicht psychologische . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 51. Die entscheidenden Punkte in diesem Streite . . . . . . . . . . . .

159 163 167 170 171 173 177 181 183

185 190

neuntes kapitel: das prinzip der denkökonomie und die logik . . . . . . . . 196 § 52. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 53. Der teleologische Charakter des Mach-Avenariusschen Prinzips und die wissenschaftliche Bedeutung der Denkökonomik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 54. Nähere Darlegung der berechtigten Ziele einer Denkökonomik, hauptsächlich in der Sphäre der rein deduktiven Methodik. Ihre Beziehung zur logischen Kunstlehre. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 55. Die Bedeutungslosigkeit der Denkökonomik für die reine Logik und Erkenntnislehre und ihr Verhältnis zur Psychologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 56. Fortsetzung. Das ὕστερον πρότερον denkökonomischer Begründung des rein Logischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

196

197

200

206 209

erster band zehntes kapitel: schluss der kritischen betrachtungen . . . . . . . . . . . . . § 57. Bedenken mit Rücksicht auf naheliegende Mißdeutungen unserer logischen Bestrebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 58. Unsere Anknüpfungen an große Denker der Vergangenheit und zunächst an K ant . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 59. Anknüpfungen an He rba rt und L o t z e . . . . . . . . . . . . . . . § 60. Anknüpfungen an L eib niz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 61. Notwendigkeit von Einzeluntersuchungen zur erkenntniskritischen Rechtfertigung und partiellen Realisierung der Idee der reinen Logik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anhang: Hinweise auf F. A. L a n g e und B. B o l z a n o . . . .

IX 214 214 216 218 222

225 226

elftes kapitel: die idee der reinen logik . . . . . . . . . . . 230 § 62. Die Einheit der Wissenschaft. Der Zusammenhang der Sachen und der Zusammenhang der Wahrheiten . . . . . . . . § 63. Fortsetzung. Die Einheit der Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 64. Die wesentlichen und außerwesentlichen Prinzipien, die der Wissenschaft Einheit geben. Abstrakte, konkrete und normative Wissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 65. Die Frage nach den idealen Bedingungen der Möglichkeit von Wissenschaft bzw. Theorie überhaupt. A. Die auf die aktuelle Erkenntnis bezogene Frage . . . . . . . § 66. B. Die auf den Erkenntnisinhalt bezogene Frage . . . . . . . . § 67. Die Aufgaben der reinen Logik. Erstens: die Fixierung der reinen Bedeutungskategorien, der reinen gegenständlichen Kategorien und ihrer gesetzlichen Komplikationen . . . . . . § 68. Zweitens: die Gesetze und Theorien, die in diesen Kategorien gründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 69. Drittens: die Theorie der möglichen Theorienformen oder die reine Mannigfaltigkeitslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 70. Erläuterungen zur Idee der reinen Mannigfaltigkeitslehre § 71. Teilung der Arbeit. Die Leistung der Mathematiker und die der Philosophen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 72. Erweiterung der Idee der reinen Logik. Die reine Wahrscheinlichkeitslehre als reine Theorie der Erfahrungserkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

230 233

235

238 241

244 247 248 250 253

256

selbstanzeige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259

X

inhalt ZWEITER BAND UNTERSUCHUNGEN ZUR PHÄNOMENOLOGIE UND THEOR IE DER ERKENNTNIS I. TEIL

einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Notwendigkeit phänomenologischer Untersuchungen zur erkenntniskritischen Vorbereitung und Klärung der reinen Logik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 2. Zur Verdeutlichung der Ziele solcher Untersuchungen . . . . § 3. Die Schwierigkeiten der rein phänomenologischen Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 4. Unentbehrlichkeit einer Mitberücksichtigung der grammatischen Seite der logischen Erlebnisse . . . . . . . . . . . § 5. Bezeichnung der Hauptziele der nächstfolgenden analytischen Untersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 6. Zusätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 7. Das Prinzip der Voraussetzungslosigkeit erkenntnistheoretischer Untersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

5

§ 1.

5 7 13 17 20 22 24

I. AUSDRUCK UND BEDEUTUNG

erstes kapitel: die wesentlichen unterscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . § 1. § 2. § 3. § 4.

Ein Doppelsinn des Terminus Zeichen . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Wesen der Anzeige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hinweis und Beweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs über die Entstehung der Anzeige aus der Assoziation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 5. Ausdrücke als bedeutsame Zeichen. Absonderung eines nicht hierhergehörigen Sinnes von Ausdruck . . . . . . . . . . . . § 6. Die Frage nach den phänomenologischen und intentionalen Unterscheidungen, die zu den Ausdrücken als solchen gehören . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 7. Die Ausdrücke in kommunikativer Funktion . . . . . . . . . . . § 8. Die Ausdrücke im einsamen Seelenleben . . . . . . . . . . . . . . . § 9. Die phänomenologischen Unterscheidungen zwischen

30 30 31 32 35 37

38 39 41

zweiter band

§ 10. § 11. § 12. § 13. § 14. § 15.

§ 16.

physischer Ausdruckserscheinung, sinngebendem und sinnerfüllendem Akt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die phänomenologische Einheit dieser Akte . . . . . . . . . . . . Die idealen Unterscheidungen: zunächst zwischen Ausdruck und Bedeutung als idealen Einheiten . . . . . . . . . Fortsetzung: Die ausgedrückte Gegenständlichkeit . . . . . . . Zusammenhang zwischen Bedeutung und gegenständlicher Beziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Inhalt als Gegenstand, als erfüllender Sinn und als Sinn oder Bedeutung schlechthin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die mit diesen Unterscheidungen zusammenhängenden Äquivokationen der Rede von Bedeutung und Bedeutungslosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fortsetzung. Bedeutung und Mitbezeichnung . . . . . . . . . . .

zweites kapitel: zur charakteristik der bedeutungverleihenden akte § 17. Die illustrierenden Phantasiebilder als vermeintliche Bedeutungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 18. Fortsetzung. Argumente und Gegenargumente . . . . . . . . . . § 19. Verständnis ohne Anschauung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 20. Das anschauungslose Denken und die „stellvertretende Funktion“ der Zeichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 21. Bedenken mit Rücksicht auf die Notwendigkeit, zur Klärung der Bedeutungen und zur Erkenntnis der in ihnen gründenden Wahrheiten auf korrespondierende Anschauung zurückzugeben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 22. Die differenten Verständnischaraktere und die „Bekanntheitsqualität“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 23. Die Apperzeption im Ausdruck und die Apperzeption in den anschaulichen Vorstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . drittes kapitel: das schwanken der wortbedeutungen und die idealität der bedeutungseinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 24. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 25. Deckungsverhältnisse zwischen den Inhalten der Kundgabe und der Nennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 26. Wesentlich okkasionelle und objektive Ausdrücke . . . . . . .

XI 43 45 48 51 54 56

58 63

67 67 69 72 73

75 78 79

83 83 84 85

XII

inhalt

§ 27. Andere Arten schwankender Ausdrücke . . . . . . . . . . . . . . . § 28. Das Schwanken der Bedeutungen als Schwanken des Bedeutens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 29. Die reine Logik und die idealen Bedeutungen . . . . . . . . . . .

92 94 97

viertes kapitel: der phänomenologische und ideale inhalt der bedeutungserlebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 § 30. Der Inhalt des ausdrückenden Erlebnisses im psychologischen Sinne und sein Inhalt im Sinne der einheitlichen Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 31. Der Aktcharakter des Bedeutens und die ideal-eine Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 32. Die Idealität der Bedeutungen keine Idealität im normativen Sinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 33. Die Begriffe „Bedeutung“ und „Begriff“ im Sinne von Spezies decken sich nicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 34. Im Akte des Bedeutens wird die Bedeutung nicht gegenständlich bewußt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 35. Bedeutungen „an sich“ und ausdrückliche Bedeutungen . .

102 104 107 108 108 109

II. DIE IDEALE EINHEIT DER SPEZIES UND DIE NEUEREN ABSTR AKTIONSTHEOR IEN

einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 erstes kapitel: die allgemeinen gegenstände und das allgemeinheitsbewusstsein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 § 1.

Die allgemeinen Gegenstände werden uns in wesentlich anderen Akten bewußt als die individuellen . . . . . . . . . . . . § 2. Unentbehrlichkeit der Rede von allgemeinen Gegenständen § 3. Ob die Einheit der Spezies als eine uneigentliche zu verstehen ist. Identität und Gleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . § 4. Einwände gegen die Reduktion der idealen Einheit auf die zerstreute Mannigfaltigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 5. Fortsetzung. Der Streit zwischen J. St. Mill und H. Spencer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 6. Überleitung zu den folgenden Kapiteln . . . . . . . . . . . . . . . .

113 115 117 118 121 124

zweiter band

XIII

zweites kapitel: die psychologische hypostasierung des allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 § 7.

Die metaphysische und psychologische Hypostasierung des Allgemeinen. Der Nominalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ein täuschender Gedankengang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lockes Lehre von den abstrakten Ideen . . . . . . . . . . . . . . Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lockes allgemeines Dreieck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anmerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Lehre von den Gemeinbildern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

127 128 131 132 138 140 141

drittes kapitel: abstraktion und aufmerksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . .

142

§ 8. § 9. § 10. § 11. § 12.

§ 13. Nominalistische Theorien, welche die Abstraktion als Leistung der Aufmerksamkeit fassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 14. Einwände, welche zugleich jede Form des Nominalismus treffen. a) Der Mangel einer deskriptiven Fixierung der Zielpunkte § 15. b) Der Ursprung des modernen Nominalismus als überspannte Reaktion gegen Lockes Lehre von den allgemeinen Ideen. Der wesentliche Charakter dieses Nominalismus und die Abstraktionstheorie durch Aufmerksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 16. c) Allgemeinheit der psychologischen Funktion und die Allgemeinheit als Bedeutungsform. Der verschiedene Sinn der Beziehung des Allgemeinen auf einen Umfang § 17. d) Anwendung auf die Kritik des Nominalismus . . . . . . . . . § 18. Die Lehre von der Aufmerksamkeit als generalisierender Kraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 19. Einwände. a) Das ausschließliche Achten auf ein Merkmalsmoment behebt nicht dessen Individualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 20. b) Widerlegung des Argumentes aus dem geometrischen Denken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 21. Der Unterschied zwischen dem Aufmerken auf ein unselbständiges Moment des angeschauten Gegenstandes und dem Aufmerken auf das entsprechende Attribut in specie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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157 160

161

XIV

inhalt

§ 22. Fundamentale Mängel in der phänomenologischen Analyse der Aufmerksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 § 23. Die sinngemäße Rede von der Aufmerksamkeit umfaßt die gesamte Sphäre des Denkens und nicht bloß die des Anschauens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 viertes kapitel: abstraktion und repräsentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

171

§ 24. Die allgemeine Vorstellung als denkökonomischer Kunstgriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 § 25. Ob die allgemeine Repräsentation als wesentliches Charakteristikum der allgemeinen Vorstellungen dienen könne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 § 26. Fortsetzung. Die verschiedenen Modifikationen des Allgemeinheitsbewußtseins und die sinnliche Anschauung . . . . . 175 § 27. Der berechtigte Sinn der allgemeinen Repräsentation . . . . 178 § 28. Die Repräsentation als Stellvertretung. Locke und Berkeley . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 § 29. Kritik der Berkeleyschen Repräsentationstheorie . . . . 182 § 30. Fortsetzung. Berkeleys Argument aus dem geometrischen Beweisverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 § 31. Die Hauptquelle der aufgewiesenen Verirrungen . . . . . . . . . 185 fünftes kapitel: phänomenologische studie über humes abstraktionstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 § 32. Abhängigkeit Humes von Berkeley . . . . . . . . . . . . . . . . § 33. Humes Kritik der abstrakten Ideen und ihr vermeintliches Ergebnis. Sein Außerachtlassen der phänomenologischen Hauptpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 34. Rückbeziehung der Humeschen Untersuchung auf zwei Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 35. Das leitende Prinzip, das Ergebnis und die ausführenden Hauptgedanken Humescher Abstraktionslehre . . . . . . . . § 36. Humes Lehre von der distin ct io ration is in der gemäßigten und radikalen Interpretation . . . . . . . . . . . . . . . § 37. Einwände gegen diese Lehre in ihrer radikalen Interpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

189

190 193 195 196 199 205

zweiter band

XV

§ 38. Übertragung der Skepsis von den abstrakten Teilinhalten auf alle Teile überhaupt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 § 39. Letzte Steigerung der Skepsis und ihre Widerlegung . . . . . 208 Anhang: Moderner Humeanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 sechstes kapitel: sonderung verschiedener begriffe von abstraktion und abstrakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 § 40. Vermengungen der einerseits auf unselbständige Teilinhalte und andererseits auf Spezies bezogenen Begriffe von Abstraktion und Abstrakt . . . . . . . . . . . . . . . . 218 § 41. Sonderung der Begriffe, die sich um den Begriff des unselbständigen Inhalts gruppieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 § 42. Sonderung der Begriffe, die sich um den Begriff der Spezies gruppieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 III. ZUR LEHRE VON DEN GANZEN UND TEILEN

einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 erstes kapitel: der unterschied der selbständigen und unselbständigen gegenstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 § 1. § 2. § 3. § 4. § 5. § 6. § 7. § 7a. § 8.

Zusammengesetzte und einfache, gegliederte und ungegliederte Gegenstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einführung der Unterscheidung zwischen unselbständigen und selbständigen Gegenständen (Inhalten) . . . . . . . . . . . . . Die Unabtrennbarkeit der unselbständigen Inhalte . . . . . . Beispielsanalysen nach Stumpf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die objektive Bestimmung des Begriffs der Unabtrennbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fortsetzung. Anknüpfung an die Kritik einer beliebten Bestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schärfere Ausprägung unserer Bestimmung durch Einführung der Begriffe reines Gesetz und reine Gattung Selbständige und unselbständige Ideen . . . . . . . . . . . . . . . . Absonderung des Unterschiedes zwischen selbst ändigen und u nselbständigen Inhalten von dem

229 231 233 234 238 240 242 245

XVI

§ 9. § 10. § 11. § 12. § 13.

inhalt Unterschied zwischen anschaulich sich a b h e b en d e n und v er sch mo lz en en Inhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fortsetzung. Hinweis auf die weitere Sphäre der Verschmelzungsphänomene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Mannigfaltigkeit der zu den verschiedenen Arten von Unselbständigkeiten gehörigen Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . Der Unterschied dieser „materialen“ Gesetze von den „formalen“ oder „analytischen“ Gesetzen . . . . . . . . . . . . . . . Grundbestimmungen über analytische und synthetische Sätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Relative Selbständigkeit und Unselbständigkeit . . . . . . . . .

246 248 253 255 258 263

zweites kapitel: gedanken zu einer theorie der reinen formen von ganzen und teilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 § 14. Der Begriff der Fundierung und zugehörige Theoreme . . . § 15. Überleitung zur Betrachtung der wichtigeren Teilverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 16. Wechselseitige und einseitige, mittelbare und unmittelbare Fundierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 17. Exakte Bestimmung der Begriffe Stück, Moment, physischer Teil, Abstraktum, Konkretum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 18. Der Unterschied der mittelbaren und unmittelbaren Teile eines Ganzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 19. Ein neuer Sinn dieses Unterschiedes: nähere und fernere Teile des Ganzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 20. Nähere und fernere Teile relativ zueinander . . . . . . . . . . . . § 21. Exakte Bestimmung der prägnanten Begriffe Ganzes und Teil, sowie ihrer wesentlichen Arten, mittels des Begriffes der Fundierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 22. Sinnliche Einheitsformen und Ganze . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 23. Kategoriale Einheitsformen und Ganze . . . . . . . . . . . . . . . . § 24. Die reinen formalen Typen von Ganzen und Teilen. Das Postulat einer apriorischen Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . § 25. Zusätze über die Zerstückung von Ganzen durch die Zerstückung ihrer Momente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

267 270 270 272 274 275 279

281 283 288 291 295

zweiter band

XVII

IV. DER UNTERSCHIED DER SELBSTÄNDIGEN UND UNSELBSTÄNDIGEN BEDEUTUNGEN UND DIE IDEE DER REINEN GR AMMATIK

einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 § 1. Einfache und zusammengesetzte Bedeutungen . . . . . . . . . . § 2. Ob die Zusammengesetztheit der Bedeutungen ein bloßer Reflex sei einer Zusammengesetztheit der Gegenstände . . . § 3. Zusammengesetztheit der Bedeutungen und Zusammengesetztheit des konkreten Bedeutens. Implizierte Bedeutungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 4. Die Frage nach der Bedeutsamkeit „synkategorematischer“ Bestandstücke komplexer Ausdrücke . . . . . . . . . . . . § 5. Selbständige und unselbständige Bedeutungen. Die Unselbständigkeit der sinnlichen und diejenige der ausdrückenden Wortteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 6. Gegenüberstellung anderer Unterscheidungen. Ungeschlossene, anomal verkürzte und lückenhafte Ausdrücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 7. Die Auffassung der unselbständigen Bedeutungen als fundierter Inhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 8. Schwierigkeiten dieser Auffassung. a) Ob die Unselbständigkeit der Bedeutung eigentlich nur in der Unselbständigkeit des bedeuteten Gegenstandes liege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 9. b) Das Verständnis herausgerissener Synkategorematika . . § 10. Apriorische Gesetzmäßigkeiten in der Bedeutungskomplexion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 11. Einwände. Bedeutungsmodifikationen, welche im Wesen der Ausdrücke, bzw. Bedeutungen wurzeln . . . . . . . . . . . . . § 12. Unsinn und Widersinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 13. Die Gesetze der Bedeutungskomplexion und die rein logischgrammatische Formenlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 14. Die Gesetze des zu vermeidenden Unsinns und die des zu vermeidenden Widersinns. Die Idee der reinlogischen Grammatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

303 303

305 310

314

316 318

321 322 325 329 334 336

342 348

XVIII

inhalt

V. ÜBER INTENTIONALE ER LEBNISSE UND IHRE „ INHALTE“

einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 erstes kapitel: bewusstsein als phänomenologischer bestand des ich und bewusstsein als innere wahrnehmung . . . . . 335 § 1. Vieldeutigkeit des Terminus Bewußtsein . . . . . . . . . . . . . . . § 2. Erstens: Bewußtsein als reell-phänomenologische Einheit der Ich-erlebnisse. Der Begriff des Erlebnisses . . . . . . . . . . § 3. Der phänomenologische und der populäre Erlebnisbegriff § 4. Die Beziehung zwischen erlebendem Bewußtsein und erlebtem Inhalt keine phänomenologisch eigentümliche Beziehungsart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 5. Zweitens: Das „innere“ Bewußtsein als innere Wahrnehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 6. Ursprung des ersten Bewußtseinsbegriffs aus dem zweiten § 7. Wechselseitige Abgrenzung der Psychologie und Naturwissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 8. Das reine Ich und die Bewußtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . zweites kapitel: bewusstsein als intentionales erlebnis . . . . . . . . . . . . § 9. § 10. § 11. § 12. § 13. § 14. § 15.

Die Bedeutung der Brentanoschen Abgrenzung der „psychischen Phänomene“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Deskriptive Charakteristik der Akte als „intentionaler“ Erlebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abwehrung terminologisch nahegelegter Mißdeutungen: a) Das „mentale“ oder „immanente“ Objekt . . . . . . . . . . . . . b) Der Akt und die Beziehung des Bewußtseins oder des Ich auf den Gegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fixierung unserer Terminologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bedenken gegen die Annahme von Akten als einer deskriptiv fundierten Erlebnisklasse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ob Erlebnisse einer und derselben phänomenologischen Gattung (und zumal der Gattung Gefühl ) teils Akte und teils Nicht-Akte sein können . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

355 356 361

363 365 367 370 372

377 377 379 384 389 391 394

401

zweiter band

§ 16. § 17. § 18. § 19.

§ 20. § 21.

a) Ob es überhaupt intentionale Gefühle gibt . . . . . . . . . . . b) Ob es nicht-intentionale Gefühle gibt. Unterscheidung der Gefühlsemplindungen und Gefühlsakte . . . . . . . . . . Unterscheidung zwischen deskriptivem und intentionalem Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der intentionale Inhalt im Sinn des intentionalen Gegenstandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einfache und zusammengesetzte, fundierende und fundierte Akte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Funktion der Aufmerksamkeit in komplexen Akten. Das phänomenologische Verhältnis zwischen Wortlaut und Sinn als Beispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Unterschied der Qualität und der Materie eines Aktes Das intentionale und das bedeutungsmäßige Wesen . . . . . . Beilage zu den Paragraphen 11 und 20. Zur Kritik der „Bildertheorie“ und der Lehre von den „immanenten“ Gegenständen der Akte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XIX 402 406 411 414 416

419 425 431

436

drittes kapitel: die materie des aktes und die zugrunde liegende vorstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 § 22. Die Frage nach dem Verhältnis zwischen Materie und Qualität des Aktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 23. Die Auffassung der Materie als eines fundierenden Aktes „bloßen Vorstellens“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 24. Schwierigkeiten. Das Problem der Differenzierung der Qualitätsgattungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 25. Genauere Analyse der beiden Lösungsmöglichkeiten . . . . . § 26. Abwägung und Ablehnung der proponierten Auffassung . . § 27. Das Zeugnis der direkten Intuition. Wahrnehmungsvorstellung und Wahrnehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 28. Spezielle Erforschung der Sachlage beim Urteil . . . . . . . . . § 29. Fortsetzung. „Anerkennung“ oder „Zustimmung“ zu der bloßen Vorstellung des Sachverhalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 30. Die Auffassung des identischen Wort- und Satzverständnisses als „bloßen Vorstellens“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 31. Ein letzter Einwand gegen unsere Auffassung. Bloße Vorstellungen und isolierte Materien . . . . . . . . . . . . . . . . . .

441 443 447 450 453 455 461 463 468 468 471

XX

inhalt

viertes kapitel: studie über fundierende vorstellungen mit besonderer rücksicht auf die lehre vom urteil . . . . § 32. Ein Doppelsinn des Wortes Vorstellung und die vermeintliche Evidenz des Satzes von der Fundierung jedes Aktes durch einen Vorstellungsakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 33. Restitution des Satzes auf Grund eines neuen Vorstellungsbegriffes. Nennen und Aussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . § 34. Schwierigkeiten. Der Begriff des Namens. Setzende und nichtsetzende Namen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 35. Nominale Setzung und Urteil. Ob Urteile überhaupt Teile von nominalen Akten werden können . . . . . . . . . . . . . . . . . § 36. Fortsetzung. Ob Aussagen als ganze Namen fungieren können . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

474

474 476 480 484 490

fünftes kapitel: weitere beiträge zur lehre vom urteil. „vorstellung“ als qualitativ einheitliche gattung der nominalen und propositionalen akte . . . . . . . . . . . 496 § 37. Das Ziel der folgenden Untersuchung. Der Begriff des objektivierenden Aktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 38. Qualitative und materiale Differenzierung der objektivierenden Akte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 39. Die Vorstellung im Sinne des objektivierenden Aktes und ihre qualitative Modifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 40. Fortsetzung. Qualitative und imaginative Modifikation . . . § 41. Neue Interpretation des Satzes von der Vorstellung als Grundlage aller Akte. Der objektivierende Akt als primärer Träger der Materie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 42. Weitere Ausführungen. Fundamentalsätze für komplexe Akte § 43. Rückblick auf die frühere Interpretation des behandelten Satzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

496 499 505 509

514 515 518

sechstes kapitel: zusammenstellung der wichtigsten äquivokationen der termini vorstellung und inhalt . . . . . . . . . . . . . . . 520 § 44. „Vorstellung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 520 § 45. „Vorstellungsinhalt“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 527 Anmerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 528

zweiter band

XXI

ZWEITER BAND · II. TEIL

vorwort zur zweiten auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533 VI. ELEMENTE EINER PHÄNOMENOLOGISCHEN AUFK LÄRUNG DER ERKENNTNIS

einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 537 Erster Abschnitt. Die objektivierenden Intentionen und Erfüllungen. Die Erkenntnis als Synthesis der Erfüllung und ihre Stufen erstes kapitel: bedeutungsintention und bedeutungserfüllung . . 544 § 1. § 2. § 3. § 4.

§ 5. § 6. § 7. § 8.

§ 9. § 10. § 11.

Ob alle oder nur gewisse Aktarten als Bedeutungsträger fungieren können . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Ausdrückbarkeit aller Akte entscheidet nicht. Zwei Bedeutungen der Rede vom Ausdrücken eines Aktes Ein dritter Sinn der Rede vom Ausdruck eines Aktes. Formulierung unseres Themas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Ausdruck einer Wahrnehmung („Wahrnehmungsurteil“). Seine Bedeutung kann nicht in der Wahrnehmung, sondern muß in eigenen ausdrückenden Akten liegen . . . . . Fortsetzung. Die Wahrnehmung als Bedeutung bestimmender, aber nicht als Bedeutung enthaltender Akt . . . . . . Die statische Einheit zwischen ausdrückendem Gedanken und ausgedrückter Anschauung. Das Erkennen . . . . . . . . . Das Erkennen als Aktcharakter und die „Allgemeinheit des Wortes“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die dynamische Einheit zwischen Ausdruck und ausgedrückter Anschauung. Das Erfüllungs- und Identitätsbewußtsein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der verschiedene Charakter der Intention in und außerhalb der Erfüllungseinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die umfassendere Klasse der Erfüllungserlebnisse. Anschauungen als erfüllungsbedürftige Intentionen . . . . . . Enttäuschung und Widerstreit. Synthesis der Unterscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

544 546 548

550 552 558 560

566 570 572 574

XXII

inhalt

§ 12. Totale und partiale Identifizierung und Unterscheidung, als die gemeinsamen phänomenologischen Fundamente der prädikativen und determinativen Ausdrucksform . . . .

576

zweites kapitel: indirekte charakteristik der objektivierenden intentionen und ihrer wesentlichen abarten durch die unterschiede der erfüllungssynthesen

582

§ 13. Die Synthesis des Erkennens als die für die objektivierenden Akte charakteristische Form der Erfüllung. Subsumption der Bedeutungsakte unter die Klasse der objektivierenden Akte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 14. Phänomenologische Charakteristik der Unterscheidung zwischen signitiven und intuitiven Intentionen durch die Eigenheiten der Erfüllung. a) Zeichen, Bild und Selbstdarstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die perzeptive und imaginative Abschattung des Gegenstandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 15. Signitive Intentionen außerhalb der Bedeutungsfunktion

582

586 589 592

drittes kapitel: zur phänomenologie der erkenntnisstufen . . . . . . . . 596 § 16. Bloße Identifizierung und Erfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 17. Die Frage nach dem Verhältnis zwischen Erfüllung und Veranschaulichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 18. Die Stufenreihen mittelbarer Erfüllungen. Mittelbare Vorstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 19. Unterscheidung zwischen mittelbaren Vorstellungen und Vorstellungsvorstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 20. Echte Veranschaulichungen in jeder Erfüllung. Eigentliche und uneigentliche Veranschaulichung . . . . . . . . . . . . . § 21. Die „Fülle“ der Vorstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 22. Fülle und „intuitiver Gehalt“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 23. Die Gewichtsverhältnisse zwischen intuitivem und signitivem Gehalt ein und desselben Aktes. Reine Intuition und reine Signifikation. Wahrnehmungsinhalt und Bildinhalt, reine Wahrnehmung und reine Imagination. Die Gradationen der Fülle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

596 599 601 603 604 606 608

610

zweiter band

XXIII

§ 24. Steigerungsreihen der Erfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 25. Fülle und intentionale Materie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 26. Fortsetzung. Repräsentation oder Auffassung. Die Materie als der Auffassungssinn, die Auffassungsform und der aufgefaßte Inhalt. Unterscheidende Charakteristik der intiuitiven und signitiven Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 27. Repräsentationen als notwendige Vorstellungsgrundlagen in allen Akten. Letzte Klärung der Rede von den verschiedenen Weisen der Beziehung des Bewußtseins auf einen Gegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 28. Intentionales Wesen und erfüllender Sinn. Erkenntnismäßiges Wesen. Anschauungen in specie . . . . . . . . . . . . . . . § 29. Vollständige und lückenhafte Anschauungen. Angemessene und objektiv vollständige Veranschaulichung. Essenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

614 616

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viertes kapitel: verträglichkeit und unverträglichkeit . . . . . . . . . . . 632 § 30. Die ideale Unterscheidung der Bedeutungen in mögliche (reale) und unmögliche (imaginäre) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 31. Vereinbarkeit oder Verträglichkeit als ein ideales Verhältnis in der weitesten Sphäre der Inhalte überhaupt. Vereinbarkeit von „Begriffen“ als Bedeutungen . . . . . . . . . . § 32. Unvereinbarkeit (Widerstreit) von Inhalten überhaupt . . . . § 33. Wie auch Widerstreit Einigkeit fundieren kann. Relativität der Reden von Vereinbarkeit und Widerstreit . . . . . . . . . . . § 34. Einige Axiome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 35. Unvereinbarkeit von Begriffen als Bedeutungen . . . . . . . . .

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fünftes kapitel: das ideal der adäquation. evidenz und wahrheit . . . . 645 § 36. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 37. Die Erfüllungsfunktion der Wahrnehmung. Das Ideal der letzten Erfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 38. Setzende Akte in Erfüllungsfunktion. Evidenz im laxen und strengen Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 39. Evidenz und Wahrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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XXIV

inhalt Zweiter Abschnitt. Sinnlichkeit und Verstand

sechstes kapitel: sinnliche und kategoriale anschauungen . . . . . . . . . 657 § 40. Das Problem der Erfüllung kategorialer Bedeutungsformen und ein leitender Gedanke für dessen Lösung . . . . § 41. Fortsetzung. Erweiterung der Beispielssphäre . . . . . . . . . . . § 42. Der Unterschied zwischen sinnlichem Stoff und kategorialer Form in der Gesamtsphäre der objektivierenden Akte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 43. Die objektiven Korrelate der kategorialen Formen keine „realen“ Momente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 44. Der Ursprung des Begriffes Sein und der übrigen Kategorien liegt nicht im Gebiete der inneren Wahrnehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 45. Erweiterung des Begriffes Anschauung, spezieller der Begriffe Wahrnehmung und Imagination. Sinnliche und kategoriale Anschauung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 46. Phänomenologische Analyse des Unterschiedes zwischen sinnlicher und kategorialer Wahrnehmung . . . . . . . . . . . . . § 47. Fortsetzung. Charakteristik der sinnlichen Wahrnehmung als „schlichte“ Wahrnehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 48. Charakteristik der kategorialen Akte als fundierte Akte . . . § 49. Zusatz über die nominale Formung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 50. Sinnliche Formen in kategorialer Fassung, aber nicht in nominaler Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 51. Kollektiva und Disjunktiva . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 52. Allgemeine Gegenstände sich konstituierend in allgemeinen Anschauungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . siebentes kapitel: studie über kategoriale repräsentation . . . . . . . . . . . § 53. Rückbeziehung auf die Forschungen des ersten Abschnitts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 54. Die Frage nach den Repräsentanten der kategorialen Formen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 55. Argumente für die Annahme eigener kategorialer Repräsentanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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zweiter band

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§ 56. Fortsetzung. Das psychische Band der verknüpften Akte und die kategoriale Einheit der entsprechenden Objekte . . 701 § 57. Die Repräsentanten der fundierenden Anschauungen nicht unmittelbar verknüpft durch die Repräsentanten der synthetischen Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 702 § 58. Das Verhältnis der beiden Unterschiede: äußerer und innerer Sinn, sowie Sinn der Kategorie . . . . . . . . . . . . . . . . . 705 achtes kapitel: die apriorischen gesetze des eigentlichen und uneigentlichen denkens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 710 § 59. Komplikation zu immer neuen Formen. Reine Formenlehre möglicher Anschauungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 60. Der relative oder funktionelle Unterschied zwischen Materie und Form. Reine und mit Sinnlichkeit bemengte Verstandesakte. Sinnliche Begriffe und Kategorien . . . . . . § 61. Die kategoriale Formung keine reale Umgestaltung des Gegenstandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 62. Die Freiheit in der kategorialen Formung vorgegebenen Stoffes und ihre Schranken: die rein kategorialen Gesetze (Gesetze des „eigentlichen“ Denkens) . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 63. Die neuen Geltungsgesetze der signitiven und signitiv getrübten Akte (Gesetze des un eigentlichen Denkens) . . . . § 64. Die reinlogisch-grammatischen Gesetze als Gesetze jedes und nicht bloß des menschlichen Verstandes überhaupt. Ihre psychologische Bedeutung und ihre normative Funktion hinsichtlich des inadäquaten Denkens . . . . . . . . . § 65. Das widersinnige Problem der realen Bedeutung des Logischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 66. Sonderung der wichtigsten, in der üblichen Gegenüberstellung von „Anschauen“ und „Denken“ sich vermengenden Unterschiede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Dritter Abschnitt. Aufklärung des einleitenden Problems neuntes kapitel: nichtobjektivierende akte als scheinbare bedeutungserfüllungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 734

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inhalt

§ 67. Daß nicht jedes Bedeuten ein Erkennen einschließt . . . . . . 734 § 68. Der Streit um die Interpretation der eigenartigen grammatischen Formen zum Ausdruck nichtobjektivierender Akte 737 § 69. Argumente für und wider die Aristotelische Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 740 § 70. Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 748 Beilage Äußere und innere Wahrnehmung Physische und psychische Phänomene § 1.

Die populären und die traditionell philosophischen Begriffe von äußerer und innerer Wahrnehmung . . . . . . . . 751 § 2 und 3. Erkenntnistheoretische und psychologische Motive zur Vertiefung der traditionellen Scheidung; Brentanos Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 753 § 4. Kritik. Äußere und innere Wahrnehmung sind bei normaler Fassung der Begriffe von demselben erkenntnistheoretischen Charakter; Wahrnehmung und Apperzeption . . . 760 § 5. Die Äquivokationen des Terminus Erscheinung . . . . . . . . . 762 § 8. Daher Verwechslung des erkenntnistheoretisch bedeutungslosen Gegensatzes von innerer und äußerer Wahrnehmung mit dem erkenntnistheoretisch fundamentalen Gegensatz von adäquater und inadäquater Wahrnehmung 767 § 7. Daß der Streit kein Wortstreit ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 771 § 8. Verwechslung zweier fundamental verschiedener Einteilungen der „Phänomene“. Daß die „physischen“ Inhalte nicht „bloß phänomenal“, sondern „wirklich“ existieren . . . 773 selbstanzeige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Namenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 785 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 789

HUSSERLS LOGISCHE UNTERSUCHUNGEN

Ein Werk des Durchbruchs zur Phänomenologie Von Elisabeth Ströker Auch Husserl war anfangs von der damals herrschenden Überzeugung ausgegangen, daß die Logik – Grundlage nicht nur der deduktiven Wissenschaften, sondern letzthin aller Wissenschaft überhaupt – die Aufklärung ihrer eigenen Grundlagen aus der Psychologie zu erwarten habe. Zunehmend sich meldende Unklarheiten jedoch, Fragen und Zweifel, wie sich, ja ob sich die unbestreitbare Objektivität und strenge Allgemeingültigkeit logischer Wahrheiten denn psychologisch begreifen lasse, führten ihn schließlich aus dem Bannkreis derartiger Begründungsversuche heraus. Husserl durchbrach ihn mit jener Entschiedenheit, in der er 1900 seine ,Prolegomena zur reinen Logik‘ als kritische Abrechnung mit dem logischen Psychologismus vorlegte, ihnen im Jahr darauf sechs minutiös durchgeführte Einzeluntersuchungen als ,Versuche zur Neubegründung der reinen Logik und Erkenntnistheorie‘ folgen ließ und sich damit auf einen Weg eines eigenen, vorbildlos neuartigen Philosophierens begab. Beschwerlichkeiten und Mühen dieses Unterfangens mochten Husserl zunächst ebenso unabschätzbar gewesen sein wie die Fülle der Einsichten, die sein lebenslanges, unablässiges Fortschreiten und Eindringen in immer weitere Problemkreise und immer tiefere Problemschichten der Philosophie bescheren würden. Denn die Logischen Untersuchungen sollten nur mehr ein Erstlingswerk werden – eben jener Phänomenologie Husserls, von der in seinem ersten Band, den ,Prolegomena‘, denn auch noch nirgends die Rede ist, und die dann in den sechs Einzeluntersuchungen im umfänglichen Zweiten Band zunächst vornehmlich als eine bestimmte analytisch-deskriptive Methode hervortritt. Mit der detaillierten Ausarbeitung und Verfeinerung dieser Methode, und zwar unter dem generellen Anspruch der Sinnklärung von Wahrheit, strebt Husserl eine neuartige Theorie der Erkenntnis an. In sie hat er auch die Aufklärung des

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Wahrheitssinnes der eigenen Untersuchungen einbezogen. So sollte die Phänomenologie letztlich Grundwissenschaft der Philosophie und als diese Erste Philosophie werden. Die Logischen Untersuchungen bedeuteten insoweit nicht allein Durchbruch und Anfang, sondern auch nur einen ersten Anfang der Phänomenologie Husserls.1 Ihm hatten, bis zur vollen Ausgestaltung seiner Philosopohie, noch etliche Anfänge zu folgen: Weiterentwicklung und Erprobung des phänomenologischen Rüstzeugs an den mehr und mehr sich verzweigenden Sachproblemen, welche ihrerseits fortlaufend Präzisierungen und Korrekturen einzelner methodischer Schritte notwendig machten, ließen es anders nicht zu. Dagegen hat Husserl die Metapher des ,Durchbruchs‘, so oft sie sich ihm später rückblickend nahelegte, wohl nicht zufällig auch für das Beginnen seiner Phänomenologie in den Logischen Untersuchungen verwendet: Zum einen zur kritischen Reflexion über das Wesen der Logik gedrängt, hatte er in diese Reflexion doch auch jenes Verhältnis zwischen der Subjektivität des Erkennens und der Objektivität des Erkenntnisinhalts (7) einzubeziehen, das ihn sogleich vor die zweifache schwierige Aufgabe stellte, reine Logik als theoretische Wissenschaft jenseits aller Psychologie zu begründen und gleichwohl dieser – wie es jedenfalls zunächst schien – eine gewisse Mitgeltung an der Fundierung der Logik zu konzedieren (59), ohne ihr indes die entscheidenden Züge der Logik als einer autonomen theoretischen Wissenschaft zu opfern.

1. Grundfragen der ,Prolegomena‘ Die Sachprobleme der Logik, wie Husserl sie zunächst aufgriff, drängten vorab auf eine grundlegende Unterscheidung (26 f., 35 f.). Als Wissenschaft war die Logik weder im Sinne einer normativen Disziplin für einwandfreie Begründungsverfahren Dazu: E. Husserl, Entwurf einer ,,Vorrede“ zu den ,,Logischen Untersuchungen“ (1913), hrg. v. E. Fink, Tijdschrift voor Filosofie I, 1939, S. 106– 133 und 319–339. 1

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in den Wissenschaften zu nehmen, wie sie damals allgemein als Wissenschaftslehre oder Wissenschaftstheorie verstanden wurde, noch konnte sie als eine Kunstlehre vom richtigen Denken und Urteilen das Wesen des Logischen erkennbar werden lassen. Unstrittig war zwar die Logik mit ihren allgemeinsten Formen begründender Argumentation und ihren Regeln korrekten Schließens für dergleichen Anwendungen bestimmt, indem sie eine ,,Technologie“ des wissenschaftlichen Erkennens ermöglichte (51) und letzthin bestimmte, was Wissenschaften überhaupt zu Wissenschaften macht. Doch setzte sie darin, nicht anders als jede andere praktisch angewandte Disziplin, Sachverhalte voraus, die nicht nur von jeder praktischen Normierungsfunktion unabhängig sind, sondern die auch für diese allererst das theoretische Fundament bilden. Diese Sachverhalte rein als solche zu analysieren, die elementaren logischen Grundsätze schlicht auf das hin zu befragen, was in ihnen ausgesagt und wovon in ihnen die Rede ist, um auf diese Weise ihre Bedeutung zu explizieren und ihre spezifischen Wahrheiten einsichtig zu machen, war Husserl ein zweifaches Erfordernis. Zum einen galt es, die Idee einer reinen Logik zu begrifflicher Klarheit zu bringen, um zu sehen, was sie für Struktur und Typik wissenschaftlicher Theorien zu leisten imstande ist. Zum zweiten mußte es aber nun auch um die Auseinandersetzung mit eben jener Psychologie der Logik gehen, die zwar nicht länger die Gesetze der Logik kausal erklärend aus Entwicklungen und Folgen realer Denkabläufe hervorgehen ließ, wohl aber – zumal seit Brentanos Inauguration einer deskriptiven Psychologie – an einer prinzipiellen Gleichsetzung von logischen Gesetzen und Denkgesetzen meinte festhalten zu müssen, und die demgemäß wenig Problematisches darin sehen konnte, die Grundlagen der Logik im logischen Denken festzumachen. Dagegen stellt Husserl, in eingehender Auseinandersetzung mit dem logischen Psychologismus in seinen verschiedenen Spielarten, unzweideutig heraus, was die Eigenart der logischen Gesetze wesentlich ausmacht (242 ff.).2 Diese Gesetze sind rein for2

Husserls Beschäftigung mit Problemen der Algebra der Logik und des

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male Gesetze, ,Sätze‘, die von jedweder Erkenntnismaterie frei sind. Das macht die Logik zu einem Bereich analytischer Wahrheiten. Als diese gründen sie ausschließlich in der Bedeutung der primitiven Begriffe und Kategorien, mit denen es die Logik ihrem eigenen wissenschaftlichen Gehalt nach allein zu tun hat: den reinen Bedeutungskategorien wie Begriff, Satz, Wahrheit, Begriffe der Subjekt- und Prädikatformen, den elementaren Aussagen der logischen Verknüpfungsformen, sowie den korrelativ zugehörigen formalen gegenständlichen Kategorien wie etwa Gegenstand, Sachverhalt, Einheit, Vielheit, Anzahl und anderen. Die Gesetze der Logik sind ferner ideale Gesetze. Von zeitlichrealer Existenz und mithin auch von denkenden Subjekten ist in ihnen nichts impliziert und nicht einmal irgend etwas vorausgesetzt. Damit hängt zusammen, daß die logischen Gebilde einen Bereich a priori bilden, der nach Ursprung und Geltung gänzlich erfahrungsunabhängig ist. Wohl bedingt es der idealgesetzliche Zusammenhang, daß die logischen Gesetze für jede prinzipiell erfahrbare Realität den Spielraum ihrer Möglichkeiten umgrenzen und für die Wissenschaften vom Realen die formale Typik ihrer möglichen theoretischen Systeme determinieren. Insofern gehört die Logik zu den idealen Bedingungen der Möglichkeit der Erkenntnis, die – neben den in der Idee der Erkenntnis als solcher gründenden und von Husserl hier ,noetisch‘ genannten Bedingungen – rein im Inhalt der Erkenntnis, deutlicher, im Gehalt ihrer wissenschaftlichen Formen nach deduktiver Theorie- und Einheitsbildung liegen (237 f.). logischen Kalküls hatten ihn schon bald nach dem Erscheinen seiner ersten Schrift zur Kritik an psychologischen Begründungsversuchen der Logik geführt. Für ihre Ablehnung war, wenngleich nicht auslösend, doch maßgeblich mitwirkend 1894 Freges Kritik an Husserls ,Philosophie der Arithmetik‘. Zu der vielfach diskutierten Beziehung der beiden Gelehrten und zum tatsächlichen Einfluß Freges auf Husserl vgl. die eingehende Darstellung von J. N. Mohanty, Husserl and Frege, Bloomington (Ind.), 1982. Vgl. ferner J. N. Mohanty, Husserl, Frege and the Overcoming of Psychologism, in: ders., The Possibility of Transcendental Philosophy, Dordrecht/Boston/ Lancaster 1985, Essay 1.

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Erkenntnisbedingungen dieser Art lassen sich abgesondert nicht bloß von aller Beziehung zum denkenden Subjekt, sondern sogar, wie Husserl hier noch überzeugt ist, auch von der ,,Idee der Subjektivität überhaupt“ betrachten (240). Deshalb gehört ihre nähere Erforschung in die formale Logik. Ihre seinerzeit noch am Beginn stehende moderne Formalisierung und Kalkülisierung hat Husserl in ihrer weitreichenden Bedeutung früh erkannt. Er sah in ihr die Entfaltung von Leibnizens Programm einer mathesis universalis. Auch dankte Husserl der mathematischen Logik nicht nur die Erkenntnis, daß der Bereich des Mathematischen weit über den des Quantitativen hinausreicht. Vielmehr schrieb er bereits ihrem eigenen Gebiet eine Extension zu, in der ihr, als reiner Mannigfaltigkeitslehre, nicht allein die Klärung der logischen Grundbegriffe nebst ihren Verknüpfungsformen sowie die Aufsuchung der aus ihnen erwachsenen Gesetze und analytischen Wahrheiten oblag, sondern auch die Aufgabe, die aus diesen sich ergebende ,,Idee der Theorie“ nach Typen a priori möglicher Theorien zu differenzieren und ihre Beziehungen zueinander zu erforschen (247 ff.). Was Husserl dazu im Schlußkapitel der ,Prolegomena‘ nur noch weitsichtig skizziert, aber nicht mehr ausgeführt hat, blieb für ihn auch in der Folgezeit Programm. Es sogleich im einzelnen weiter zu verfolgen hinderte ihn vor allem jenes andere Erfordernis, das mit der schlüssigen Widerlegung des Psychologismus allein sich noch keineswegs als eingelöst erwiesen hatte – um so weniger, als Husserl mit der scharfen Trennung des rein Logischen vom Psychologischen, so unzweifelhaft sie im Dienste des ersteren auch angezeigt war, gleichwohl nicht auch die Beziehungen bestritten hatte, die zwischen der Objektivität rein logischer Gebilde auf der einen und der Subjektivität ihres Erkennens auf der anderen Seite bestehen und bestehen müssen, wenn es Erkenntnis überhaupt sollte geben können. Insofern konnte Husserl als ,,reale Bedingungen“ der Möglichkeit von Erkenntnis auch psychologische Bedingungen akzeptieren (239). Nun war damit zwar, zur eben genannten Trennung konform, auch diejenige von Objektivem und Subjektivem durchaus gewahrt. Doch wie ihr Verhältnis näherhin zu verstehen war, blieb

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in den ,Prolegomena‘ noch vage und sogar mit Unstimmigkeiten belastet. Husserl ist dessen erst später in scharfer Kritik an sich selbst gewahr geworden. Was sollte es auch heißen, daß logische Gesetze eine ideale Gegenständlichkeit, ein ,,Reich für sich“ bilden und gleichwohl in psychischen Akten ,,ihre konkrete Grundlage“ haben (189)? Nicht nur irritierende Äußerungen wie diese forderten eine neue Grundlegungsarbeit Husserls, die psychologisch nicht ausfallen konnte – und die nichtsdestoweniger alle ,,Denkerlebnisse“, ,,Akte“ des Denkens, Urteilens und Vorstellens einzubeziehen hatte, in welchen die logischen Gebilde als ideale Gegenständlichkeiten erfaßt und einsichtig werden. Dabei konnte es jedoch nicht um die Restituierung auch nur eines der in den ,Prolegomena‘ abgewiesenen psychologistischen Argumente gehen. Daß Husserl mit seinen anschließenden logischen Einzeluntersuchungen zunächst gleichwohl den Eindruck eines Rückfalls in den Psychologismus erwecken konnte, lag eher an Unebenheiten seiner ersten einleitenden Darstellung von 1901 als an ihrer konkreten Durchführung. Als phänomenologische Untersuchungen brachten sie sich in dem Maße deutlicher zur Geltung, wie Husserl Ansprüche und Zielsetzungen der hier zunächst wesentlich als Methode auf den Weg gebrachten Phänomenologie deutlich expliziert und überdies auch reflektiert hat.

2. Die Untersuchungen zur Neubegründung der reinen Logik und Erkenntnistheorie Das Programm der Logischen Untersuchungen insgesamt, im Ersten Teil der ,Prolegomena‘ nur erst kritisch vorbereitet und grob umrissen, hat in den sechs Detailstudien des Zweiten Teils seine erste positive Bearbeitung gefunden. Nach Husserl selbst ,,nicht eigentlich ein Buch oder Werk im literarischen Sinne, sondern eine systematisch verbundene Kette von Untersuchungen“, lassen sie indes ihre Verklammerung mit den ,Prolegomena‘ durch die dort abschließend exponierte Aufgabe der erkenntnistheoretischen Klärung der logischen Ideen, Begriffe

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und Gesetze eher noch erkennen als ihren Zusammenhang untereinander.3 Nicht einmal ihre Aufeinanderfolge erscheint sachlich zwingend. Inbesondere die ersten vier Untersuchungen bieten sich jeweils thematisch relativ geschlossen und lassen zudem als phänomenologisch durchgeführte sich im ersten Studium nicht leicht erkennen. Daß jedoch auch sie von Anfang an im Rahmen des methodischen Neuansatzes standen, wird vielleicht weniger an Husserls phänomenologischer Begrifflichkeit, die von nun ab sich zu bilden und terminologisch zu festigen beginnt, deutlich als später im Lichte der beiden letzten Untersuchungen. Daß in ihnen bereits die wesentlichen Probleme der späteren Phänomenologie Husserls aufgenommen werden und Themen anklingen, die nach der Art von Leitmotiven Husserls Philosophie bis zum Ende durchdringen werden, weist ihnen aber eine tragende Rolle nicht nur im Vorblick auf Künftiges zu. Vielmehr stellen die V. und VI. Untersuchung auch die ersten vier und auf den ersten Blick so disparaten Studien, zu denen sie im Verhältnis expliziter Verhandlung von zuvor bereits getätigten Verfahren gesehen werden können, als erste Werkstücke der Erprobung ganz in das phänomenologische Unternehmen hinein. Die leitende Fragestellung Husserls, unter der in den sechs Einzeluntersuchungen seine Phänomenologie in Gang gebracht werden sollte, bedurfte nach ihrer Exposition am Ende der ,Prolegomena‘ zunächst genauerer Explikation. Die Grundproblematik, die diese Fragestellung aufgeworfen hatte, verlangte zu ihrer Bearbeitung nicht zuletzt auch die Klärung und Verständigung über einen angemessenen Zugang. War sie Husserl aus dem psychologistischen Scheitern als Frage philosophischer Begründung der reinen Logik entstanden, so stellte sie sich ihm nunmehr als Frage der Wesensklärung der Logik. Dafür konnte es indes mit der HerDazu: R. Sokolowski, The Structure and Content of Husserl’s Logical Investigations, Inquiry, Vol. 14, 1974, S. 318–347, als aufschlußreicher Versuch, einen solchen Zusammenhang – vielleicht nicht zufällig unter Abänderung ihrer Reihenfolge – durch bestimmte durchlaufende ,,Themen“ Husserls sichtbar zu machen. 3

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vorhebung wesentlicher Züge, welche die logischen Gebilde als ideal und apriorisch, in ihren Wahrheiten analytisch, in ihren Beziehungen idealgesetzlich erscheinen ließen, sein Bewenden nicht haben. Als problematisch daran erwies sich vielmehr, wie dergleichen zur Erfassung kommen, wie ideal Objektives – und weiterhin objektiv Gegenständliches jedweder Art – im Erkennen ,gegeben‘ sein kann. Nicht mehr und nicht weniger als die Analyse von dergestalt Gegebenem sollte fortan den Kern dessen ausmachen, was Husserl als phänomenologische Analyse in Gang setzte. Sie ließ die Objektivität jedwedes Gegenständlichen unangetastet – so sehr, daß sie, gerade als diese dem erkennenden Bewußtsein gegeben und vorstellig, zum leitenden Aspekt der phänomenologischen Forschung wurde. Das aber hieß auch, daß nicht sie allein und ausschließlich, sondern daß die prinzipielle Korrelation von Gegenstand und Bewußtsein, und näherhin von Gegebenheitsweisen und Bewußtseinsweisen, zum grundlegenden analytischen Thema zu werden hatte. Als intentionale Korrelation verstanden, insofern Bewußtsein in seinen Akten oder intentionalen Erlebnissen auf Gegenständliches sich richtet, wurde genau dies der bleibende Gesichtspunkt, unter dem Husserl – auch durch alle Veränderungen und Fortentwicklungen aus vertiefter Fragestellung hindurch, sowie unbeschadet etlicher selbstkritischer Korrekturen dank seines immer mehr verfeinerten und verbesserten analytischen Instrumentariums – Bewußtsein und Ich, Subjektivität und Objektivität, Wissenschaft und Welt bis zuletzt gesehen hat. Mit dieser leitenden Fragestellung, als Frage nach der Intentionalität des Bewußtseins nur andeutungsweise zunächst umrissen, die als diese auch kaum erkennen ließ, was alles im Grunde sie in sich barg, legitimierte sich Husserls beginnende Phänomenologie jedenfalls sogleich als Erkenntnistheorie. Denn nicht nur, daß Husserl die anstehende Wesensproblematik der Logik – und weiterhin aller objektiven Gegebenheiten der Wissenschaft – mit den für jene bereits formulierten Aufgaben aus traditionellen Bindungen der Metaphysik löste, indem er die Fragen nach Sein und Wahrheit wissenschaftlicher Gebilde und letztendlich aller denkbaren Gegebenheiten allein im Wege jener korrelativen Un-

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tersuchungen für lösbar erachtete, womit er bereits den Sinn jener Fragen letztlich in einem fragenden Subjekt verankerte. Darüber hinaus bedurfte die Phänomenologie selber auch erkenntnistheoretischer und erkenntniskritischer Kontrolle: Haltbarkeit und philosophische Verbindlichkeit konnte ihren Analysen offenkundig nur in dem Maße zuwachsen, wie sie selber dem Postulat der Wahrheit genügten – einer Wahrheit freilich, die nicht diejenige wissenschaftlicher Gebilde in ihrem gegenständlichen Wahrheitssinn sein konnte. Denn derer war, wenn auch nicht einfach durch bloßes Hinsehen, so doch prinzipiell in der natürlichen Einstellung habhaft zu werden; bedurfte es dazu doch keiner Reflexion auf die phänomenologische Sachlage, sondern lediglich einer disziplinierten Zuwendung zu den ,Sachen selbst‘ (10). Dagegen erforderte die phänomenologische Analyse dieser Sachlage den Übergang in eine reflektive Einstellung (15), da sie nicht mit den ,Sachen‘ und ihrer Wahrheit unmittelbar, sondern mit etwas so wenig unmittelbar Gegebenem wie deren Gegebenheitsweisen befaßt zu sein hatte. In ihrer näheren Durchleuchtung hat Husserl den methodischen Zugang zum Wahrheitsproblem und zur Aufklärung des je verschiedenen Sinnes von Wahrheit gefunden. Nicht zuletzt von hierher versteht sich Husserls vielfache Besinnung auf das eigene Vorgehen, mit der er den Gang seiner Detailanalysen oftmals begleitet und nicht selten unterbrochen hat. Sie ermöglichte ihm zugleich, in jener bemerkenswerten Vorbehaltlosigkeit, wie sie allenthalben zum Ethos sachbezogenen Forschens gehört, auch Mängel und Fehler seiner Arbeit selbstkritisch offenzulegen, wo immer es ihm geboten schien. Auch erhielt Husserls Methodenbewußtsein seine besondere Ausprägung nicht nur durch die Ausgangslage eines entschiedenen Neubeginns. Es bildete sich vor allem auch im Hinblick auf eine Begrifflichkeit, auf deren Klärung die Phänomenologie aus war, die aber zwangsläufig von ihr bereits darstellend verwendet werden mußte, so daß sie ihre Präzisierung nur im Lauf konkreter Analysen, gleichsam Zug um Zug mit diesen, finden konnte (22). Entscheidend aber war schließlich auch und nicht zuletzt, daß mit der Hinwendung der Phänomenologie zur Wahrheitsproblematik auch die Refle-

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xion auf die Problematik der eigenen Wahrheit zur unabweisbaren Forderung an sie selbst werden mußte. Als Erkenntnistheorie etablierte sich eine dergestalt geforderte Phänomenologie damit ebenfalls in einem neuen Sinn. Der alten Prioritätenfrage, wie sie traditionell zwischen Erkenntnistheorie und Metaphysik verhandelt worden war, entledigte sich Husserls phänomenologische Erkenntnistheorie ebenso, wie sie Gefahren zirkelhafter Argumente, in die die Metaphysik sich immer wieder einmal hatte verstrickt sehen müssen, zu meiden wußte: Beidem entging sie, jedenfalls fürs erste, durch die Bescheidenheit ihres Anspruchs, gar nicht eigentlich ,Theorie‘ sein zu wollen. Denn nicht nur entsprach Erkenntnistheorie niemals dem Typus von Theorie, wie er in den gesetzmäßigen Zusammenhängen nach streng deduktiver Einheitsbildung für Husserl der Idee von wissenschaftlicher Theorie am nächsten kam; vielmehr stand die Erkenntnistheorie auch noch nicht einmal unter einer Zielsetzung derartiger Theorien. Denn nicht Erklären als Begreifen von einzelnem aus übergeordneten Gesetzen und Prinzipien sollte ihre Aufgabe sein, sondern lediglich Klärung und Aufklärung, ,,Besinnung und evidente Verständigung darüber, was Denken und Erkennen überhaupt ist“ (25) und was jemals als seiend, in Sonderheit als wahr, wahrhaft, wirklich seiend dem Erkennen gegeben sein konnte. Phänomenologische Erkenntnistheorie sollte somit ein Gebiet ,,neutraler Forschungen“ sein und einem ,,Prinzip von Voraussetzungslosigkeit“ genügen (6 f., 24, 28), das freilich nicht mehr besagen sollte als den Ausschluß aller Aussagen, die nicht phänomenologisch voll und ganz zu realisieren und zu rechtfertigen waren. Damit hielt sich die Phänomenologie nicht nur diesseits aller Metaphysik, sondern auch aller Wissenschaften, einschließlich der diese bisher vorgeblich fundierenden Psychologie, um selber Fundamentalwissenschaft für alle Wissenschaften werden zu können. Die geforderte Realisierung und Rechtfertigung, welche die Phänomenologie insgesamt und einschließlich ihres Bezuges auf sich selbst von Grund auf zu einem Unternehmen radikaler Klärungen machte, ließ allerdings mitgeführte und undurchschaute Reste psychologischer Ansätze um so weniger zu, als sich mit ih-

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nen nicht gewinnen ließ, was zu einer sich als Wissenschaft verstehenden Phänomenologie unabdingbar gehört: Allgemeingültigkeit und Überprüfbarkeit. Offenkundig aber konnte jene die Gültigkeit von Gesetzesallgemeinheit nicht sein; und dieser würde sie sich ungerechtfertigt entziehen, wollte sie die vorgenommenen Klärungen und Verständigungen auf dem Grunde von Erkenntnisakten realer, psychophysischer Subjekte vollziehen und damit sie in einer bloß ,inneren Erfahrung‘ festmachen, welche als je individuelle verbindliche Erkenntnis nicht zu garantieren vermöchte. Der phänomenologische Ansatz machte nun freilich den Rekurs auf die Akte und Erlebnisse des Bewußtseins unabwendbar. Husserl erläuterte indes dazu: ,,Soll die Besinnung auf den Sinn der Erkenntnis kein bloßes Meinen ergeben, sondern, was hier strenge Forderung ist, einsichtiges Wissen, so muß es sich als reine Wesensintuition auf dem exemplarischen Grunde gegebener Denk- und Erkenntniserlebnisse vollziehen“ (25). Daß mithin letztere als real gegebene vollzogene Erlebnisse lediglich als Exempla zu nehmen sind, nämlich für die entsprechenden Wesenheiten von Erlebnissen, deren Zugang Husserl in ideierender Abstraktion und Wesensintuition sah, stellte seine Phänomenologie von vornherein unter den Anspruch von Wesensallgemeinheit, der zu genügen sie als eidetische Analyse und Deskription sich auszurichten hatte. Als dergleichen Wesenslehre, die ausschließlich bezogen ist auf wesensmäßige Strukturen des erkennenden Bewußtseins und a fortiori auf das Wesen jener intentionalen Korrelation von Gegebenheitsweisen und Bewußtseinsweisen, wird die Phänomenologie, als so verstandene reine Phänomenologie, auch hinreichend deutlich absetzbar von aller Psychologie. Denn mochte auch diese zwar sich der Phänomene des Bewußtseins deskriptiv annehmen, so konnte deren Ziel doch lediglich in Klassifizierung und Typisierung real vorkommender Bewußtseinsvorkommnisse, allenfalls in ihren kausalen Bedingtheiten und Verknüpfungen bestehen. Reine Phänomenologie dagegen erstrebte zugleich weniger und mehr: weniger, indem sie nichts sein wollte als rein eidetische Beschreibung in getreuer Anmessung an ihre Sachen, nämlich die

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Wesensstrukturen erkennenden Bewußtseins; mehr jedoch, indem sie als rein eidetische Phänomenologie nicht das mindeste über Sein, Dasein, Realität präjudizierte, auch keine empirische Psychologie voraussetzte, sondern im Gegenteil auch deren eigene Voraussetzungen allererst noch zu klären anstrebte. Die I. Untersuchung (30–101) nimmt mit ,Ausdruck und Bedeutung‘ eine Problemstellung auf, die insofern grundlegend für das Husserlsche Vorhaben ist, als alle Erkenntnis und Wahrheit sprachlich vermittelt ist. Unter dem allgemeinen Begriff des sprachlichen Zeichens differenziert Husserl zunächst nach Anzeichen und Ausdrücken – eine Unterscheidung, mit der die Vielfalt sprachlicher Verlautbarungen zwar keineswegs erschöpft ist, die jedoch für Husserls Absicht dieses ersten Werkstücks seiner Phänomenologie hinreicht, damit aus dem Kontrast dieser bei den Sprachfunktionen um so deutlicher hervortreten kann, in welchem Sinne schließlich die Gebilde der Logik als ,ideale Bedeutungen‘ zu verstehen sind. Zeichen sind stets Zeichen für etwas. Doch ist dieses Etwas keineswegs auch schon eine Bedeutung oder eine Gegenständlichkeit, die mit ihnen ausgedrückt würde, wie die unreflektierte Rede von Zeichen suggerieren mag. So drücken Zeichen, die Anzeichen sind, gerade nichts aus; sie bedeuten nichts; sie haben, jedenfalls im strengen semantischen Sinne, ,,keine Bedeutung“. Was durch sie geschieht, nämlich ein Anzeigen, ist vom Bedeuten so weit entfernt, daß vielmehr in ihnen zwei getrennte Gegenstände oder Sachverhalte, die auch unabhängig voneinander bestehen könnten, in eine Beziehung gebracht werden, so daß die Anzeichenrelation nur mehr eine äußerliche, weder objektiv notwendige noch begründet einsichtige Relation ist (31 ff.). Dagegen sind Ausdrücke bedeutsame Zeichen. Diese Kennzeichnung ist zwar eine Restriktion auf denjenigen Bereich, in dem nicht auch Ausdrücke etwas anzeigen, das ein anderer im Sinne des Anzeigens deutet. Daß Husserl Ausdrücke auf den Bereich mitteilender Rede beschränkt, in welchem also wesentlich ihre Beziehung auf Gegenstände und Sachverhalte wird, läßt nicht auf Vernachlässigung sprachwissenschaftlich gebotener Unterscheidungen schließen, sondern dient lediglich der Konzentra-

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tion auf eine allgemeinere phänomenologische Bedeutungsproblematik, die in den Wortbedeutungen nur erst ihren Kern erkennen läßt. Dabei kommen erste wichtige Differenzen zum Zuge: Nicht nur wird die physische Seite des Ausdrucks von seiner Bedeutung und diese wiederum als Wortlaut von den begleitenden Anschauungsbildern unterschieden; es wird auch die Bedeutung, die ein Ausdruck hat, von dem Gegenstand, den er nennt, distinkt abgehoben, so daß fortan nicht nur jede Vermengung beider ausgeschlossen bleibt, sondern auch die nicht selten anzutreffende Konfundierung von Bedeutung und Gegenstandsbezug vermieden wird. Was sprachtheoretisch heutzutage längst gängige Unterscheidung von meaning und reference geworden ist, hat Husserl bereits auch in seiner spezifisch phänomenologischen Relevanz herausgestellt. So hat er durch die Einbeziehung zugehöriger Aktweisen verschiedene Frageperspektiven zur Geltung gebracht, die seiner späteren Forschung in mehreren Zusammenhängen zugute kommen konnten. Dazu zählt vor allem eine erste, grundlegend wichtige Unterscheidung in der Komplexion der den Ausdrücken korrelativ zugehörigen ausdrückenden Akte. Mit den bedeutungsverleihenden oder, unmißverständlicher, bedeutungsintendierenden Akten einerseits, den bedeutungserfüllenden Akten andererseits kommt hier erstmalig ein Aktgefüge zur Abhebung, das für die präzise Analyse von Gegebenheit und Selbstgegebenheit eines Gegenständlichen, von Meinen und Wissen, von Evidenz und Wahrheit phänomenologisch ausschlaggebende Bedeutung haben wird, und zwar weit über die Sphäre sprachlicher Ausdrücke hinaus. Vorerst speziell im Hinblick auf diese expliziert, erweisen sich die bedeutungsintendierenden Akte oder Akte des Bedeutens in dem Sinne als grundlegend, daß in ihnen dasjenige, was Ausdrücke wesentlich zu Ausdrücken macht, nämlich ihre Bedeutung, gegeben ist, und ein Ausdruck überhaupt als dieser, statt als irgendein physisches Objekt, verstanden werden kann. Daß mit seiner erfaßten Bedeutung zugleich ein Gegenstandsbezug gegeben, wenn auch nur in der Weise bloßen Intendierens oder Meinens gegeben ist, macht nicht nur die Unterscheidung von Bedeutung und Gegenstand nicht hinfällig, sondern läßt sogar noch eine weitere Un-

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terscheidung in der Beziehung von Bedeutung und Gegenstandsbezug zu. Zeigt sich zunächst auf der Objektseite, daß sich verschiedene Ausdrücke auf ein und denselben Gegenstand beziehen können, wie umgekehrt mit einem Ausdruck einer bestimmten Bedeutung verschiedene Gegenstände gemeint sein können, womit sich Bedeutung und Gegenstand unstrittig als wesentlich verschieden zeigen (52 ff.), so lehrt die zugehörige Aktanalyse genauer noch, wie nicht nur beide zueinander stehen, sondern wie auch mit der Gegenstandsbeziehung bezüglich des gemeinten Gegenstandes in einem Ausdruck noch ein Zweifaches ausgedrückt sein kann. Genau hier kommen nun die bedeutungserfüllenden Akte ins Spiel. Entspricht nämlich den bedeutungsintendierenden Akten allein nicht mehr als ein leeres Meinen, das freilich in gewöhnlicher Rede hinreichendes Wortverständnis gewähren mag, so leisten bedeutungserfüllende Akte darüber hinaus, daß die betreffende Sache, die doch eigentlich ,zum Ausdruck gebracht‘ werden soll, deutlich und als diese selbst vor Augen steht, und so der im Grunde uneigentlichen Rede eines bloßen Meinens ihre volle Bedeutung zuwächst. Es kann aber auch die Erfüllung leer vermeinter Bedeutung durchaus nur dieser selbst in ihrem vollen Sinn gelten – und beispielsweise nur ihr allein, wo einem Ausdruck gar kein von ihm unabhängiger Gegenstand entspricht. Trotzdem ist er, wie in aller fiktionalen Rede, bedeutender Ausdruck; er hat seinen Sinn im Gemeinten, der mehr oder weniger anschaulich erfüllt sein kann. So sieht Husserl das Wesen der Bedeutungserfüllung insgesamt in der Selbstgegebenheit des gemeinten Gegenstandes sowie der korrelativen Bedeutung seines Ausdrucks (56). Daß es sich hier um zwei verschiedene Arten von Bedeutungserfüllung eines Ausdrucks handelt, denen strenggenommen auch bereits zwei verschiedene Typen von Bedeutungsintentionen entsprechen, wird am einfachsten an ihrer kategorial verschiedenen Gegenständlichkeit greifbar. Nicht nur beiläufig spricht Husserl von den Ausdrucksbedeutungen als von ,,idealen Einheiten“. So hatten es bereits die ,Prolegomena‘ für die logischen Bedeutungen gefordert, und so konstatiert Husserl sie nun generell für alle Wortbedeutungen. Einheiten sind sie gegenüber der Man-

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nigfaltigkeit möglicher Akte, welche sie intendieren; als ideale Einheiten bieten sie sich auch gegenüber vielfach schwankenden Bedeutungserlebnissen (102 ff.), sobald sie durch alle Variationen ihres oftmals nur vagen und mehrdeutigen Ausgedrücktwerdens hindurch als ein Invariantes in strenger Identität zutage treten. Husserl sieht die ideale Einheit der Bedeutung nun näherhin darin garantiert, daß ihre ,,wahrhafte Identität“ keine andere ist als ,,die Identität der Spezies“ (105). Das führte freilich anfangs zu Unstimmigkeiten und Unebenheiten in der vorerst nur rohen Beschreibung dessen, was gegenüber der so verstandenen Einheit als mannigfache Einzelheiten zu gelten hatte, und unter die Husserl hier fälschlich auch die Akte des Bedeutens subsumierte. Vor allem aber ließ es Husserl für die Eigenständigkeit von allgemeinen Gegenständen eintreten, und zwar dahingehend, daß er sie, im Hinblick auf die Geltung bestimmter Urteile, als deren gegenständliche Korrelate verstand. Ihre metaphysische Hypostasierung im Sinne eines platonischen Begriffsrealismus, der Husserl öfter unterstellt worden ist, wurde jedoch von ihm ausdrücklich abgelehnt (106). Dem hatte Husserls Eintreten für die Eigenständigkeit der reinen Logik in den ,Prolegomena‘ im Grunde bereits voll entsprochen, wenn auch dort die logischen Gebilde zuweilen noch in trügerischer Metapher in einem ,,Reich an sich“ angesiedelt worden waren. Insbesondere aber entsprach dies nun und künftighin Husserls phänomenologischem Prozedere, welches Prinzipientreue vornehmlich dort verlangte, wo unausgewiesene und unerweisbare metaphysische Vorurteile seine Reinheit zu gefährden drohten. Mit der Exposition der allgemeinen, idealen oder spezifischen Gegenstände sah Husserl sich ebenfalls genötigt, deren Eigenrecht in kritischer Auseinandersetzung mit einer Reihe erkenntnistheoretischer Positionen zur Geltung zu bringen, die, wenn nicht den gegenständlichen Charakter der Bedeutungen unmittelbar, so doch den Zugang zu dieser Art von Gegenständlichkeit zu erschweren und zu verwirren schienen. Die II. Untersuchung stellt deshalb die Frage nach der ,idealen Einheit der Spezies‘ in den Bezugsrahmen neuerer, vor allem durch Locke, Berkeley und Hume repräsentierter Abstraktionstheorien (111–226).

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Da die Verteidigung der allgemeinen idealen Gegenstände, deren Eigenberechtigung neben derjenigen individueller und realer Objekte herauszustellen ist, vor allem ,,das Hauptfundament für eine reine Logik und Erkenntnislehre“ (112) sichern und diese Sicherung streng phänomenologisch erfolgen soll, wird das Ergebnis nicht zuletzt davon abhängen, wie die in Rede stehenden Gegenstände im erkennenden Bewußtsein gegeben, beziehungsweise gebbar sind. Es ist mithin ihre besondere Gegebenheitsweise, die ihren besonderen Charakter als Gegenständlichkeit verbürgt; und es sind die Bewußtseinsweisen oder sie intendierenden Akte, an denen der fundamentale kategoriale Unterschied zwischen ihnen und realen Gegenständen greifbar wird. Husserl versteht diese kategoriale Differenz zwischen Realem und Idealem, welche zugleich diejenige von Zeitlichem und Unzeitlichem ist, unmißverständlich auch ontologisch als eine solche innerhalb der ,,begrifflichen Einheit des Seienden“ oder zwischen ,,idealem Sein und realem Sein“ und trägt keine Bedenken, auch nach dem für ihn längst erledigten ,,platonisierenden Realismus“ vom idealen Sein der allgemeinen Gegenstände zu sprechen (128 ff.). Wenn damit nicht die Gefahr aufkommen sollte, daß die abgewiesenen und für Husserl längst erledigten Mißdeutungen lediglich durch andere ersetzt werden, so mußte Husserl sich hier vor die schwierige Aufgabe einer Sinnklärung von Sein gestellt sehen. Die nur erst bescheidenen Möglichkeiten des phänomenologisch-analytischen Rüstzeugs, wie es in den „Logischen Untersuchungen“ eben erst bereitgestellt wurde, ließen diese Klärung freilich noch nicht zu. Auch konnte wohl erst eine spätere Rückkehr zu Husserls phänomenologischem Frühwerk hellhörig machen, daß Husserl hier nahezu wie beiläufig vom ,Sinn‘ des Seins – und spezifisch zunächst des idealen Seins – spricht. Er wird nur erwähnt, da er viel später erst ein Leitthema seiner transzendentalen Phänomenologie werden wird. Die II. Untersuchung widmet Husserl dagegen dem Beziehungszusammenhang von idealen Gegenständlichkeiten und korrelativen Akten unter dem Gesichtspunkt, daß für jene zunächst der Nachweis ihrer Existenz, und zwar auch gegen zu gewärtigende Kritik des Nominalismus, zu erbringen ist. Da dies nur im Auf-

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weis entsprechender Akte geschehen kann, in welchen jene Gegenständlichkeiten zur Gegebenheit kommen und in dieser Weise sich ,,konstituieren“, wird hier zur Aufgabe, erste grundlegende aktanalytische Unterscheidungen herauszuarbeiten und zu zeigen, daß es eines ist, einzelnes, wie etwa einen realen, prinzipiell in sinnlicher Wahrnehmung zugänglichen Gegenstand, zu intendieren – ein anderes, Generelles, und spezifisch von der in Rede stehenden Art idealer Bedeutungseinheiten, zu meinen. Da Husserl mit ihnen nichts Geringeres als die phänomenologisch so entscheidenden Wesen und Wesenheiten erfaßt, bietet die II. Untersuchung zugleich einen ersten Grundlegungsversuch von Husserls Wesensphänomenologie. Die konkrete Durchführung gipfelt in der Hervorhebung jener vielzitierten Wesensintuition und Wesensschau, die Husserls Phänomenologie – nicht ohne seine Mitwirkung – weithin als im wesentlichen durch dergleichen Betätigungen charakterisiert erscheinen lassen, und in denen sich dann auf schwerlich kontrollierbar Weise wohl allerlei als ,Wesen‘ einer Sache ausgeben läßt, was anders zureichender Begründung entbehrte. Was sich hinter jenen terminologisch gewiß unglücklich gefaßten Charakterisierungen wesenserfassender Akte verbirgt, ist zunächst Husserls Beschreibung einer anders als traditionell gefaßten Abstraktion, welche als ideierende Abstraktion bereits in den ,Prolegomena‘ (109, 232) gestreift und hier nur einleitend erwähnt (10) oder auch kurz ,Ideation‘ genannt wird (108, 149). Sie soll ihre Besonderheit darin haben, daß die Abstraktion, als ,,die Fähigkeit, von den phänomenalen Dingen, die uns als Merkmalskomplexionen gegeben sind, […] Ideen einzelner Merkmale abzutrennen und sie an Worte als deren allgemeine Bedeutungen anzuknüpfen“ (132), dazu nicht des aktuellen oder vorstellungsmäßigen Durchlaufens einer Reihe einschlägiger realer Dinge bedarf, um so lediglich in Hervorhebung eines einzelnen abstrakten oder unselbständigen Inhalts der Dinge zu einer bloß generalisierenden Allgemeinheit zu kommen. Vielmehr sieht Husserl bereits auf dem Grunde eines einzelnen Dinges die Möglichkeit gegeben, in einer speziellen Ausrichtung des Interesses jene Abtrennung vorzunehmen und dabei ,,in Idee“ zu setzen, was sich gerade nicht auf reale Dingmerkmale

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reduzieren, sondern nur schauend erfassen läßt und so, daß ein Allgemeinheitsbewußtsein von der Art erzeugt wird, daß aus ihm jedes Moment bloßer Verallgemeinerung getilgt ist und echte Allgemeinheit im Sinne von Wesensallgemeinheit erreicht wird. Das hier mit Idee Gemeinte ist prinzipiell nichts anderes, als was von jeher in der traditionellen Logik unter der Bedeutung eines allgemeinen Namens begriffen wurde. Als solche ist sie aber auch in den verschiedenen Varianten des Nominalismus kein Streitpunkt gewesen. Was dagegen Husserl hier zu verteidigen findet, ist denn auch weniger das Konzept allgemeiner Wortbedeutungen als vielmehr die Möglichkeit, sie zu ,,ursprünglicher Gegebenheit“ kommen zu lassen, genauer, zu evidenter Gegebenheit, in der sie als sie selbst keinem Zweifel mehr offenstehen sollen. Allerdings kann die ideierende Abstraktion, die dahin führen soll, kein einfaches, schlichtes Hinschauen sein. Vielmehr muß sie ein synthetischer Akt von besonderer Art sein. Zum einen kann sie sich nicht in einem bloßen Meinen erschöpfen. Vielmehr ist es für die Selbstgebung der Wesenheiten entscheidend, daß das Gemeinte zu anschaulicher Erfüllung kommt. Was Husserl als ideierende Abstraktion faßt, ist deshalb wesentlich Erfüllung ideierender Intentionen (157). Eine derartige Anschauung ist selbstverständlich keine sinnliche Anschauung; sie ist vielmehr aufgrund einer solchen zu vollziehen. Sie ist also ein sinnlich fundierter Akt. Mit Bezug auf ihre Gegenständlichkeit, die idealen Bedeutungen, ist sie als kategoriale Anschauung charakterisiert. Damit ist der grundlegende Unterschied, den Husserl für jedwede Aktart trifft und um willen der deutlichen phänomenologischen Unterscheidung von Meinen und Erkennen treffen muß, nämlich von Leerintention und Erfüllung, sowie korrelativ von Gegebenheit und Selbstgegebenheit, hier erstmalig an Akten etwas genauer demonstriert worden, wo es um die allgemeinen, spezifischen Gegenstände geht. Jedoch geht es nicht nur um ihre Erfassung, sondern es soll zugleich auf diese Weise ihr Nachweis geführt werden. Nicht unberechtigt waren jedoch mancherlei Kritik und Skepsis, ob Husserl – mochte er auch für die Tatsache, daß es auch bezüglich der Erfassung einer Spezies den Unterschied zwischen

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leerem Vermeinen und klarer Erfassung des Gemeinten gibt, Evidenz in Anspruch nehmen – denn gleichermaßen zu evidenter Einsicht habe bringen können, wie sich die Ideation der Spezies oder der Wesen als anschaulich erfüllte ideierende Abstraktion genauer zu vollziehen hat, wenn sie das ihr Zugedachte soll leisten können. Daß Husserl diese Fragen später wiederholt aufgegriffen hat, zeigen die Logischen Untersuchungen mit ihrer VI. und letzten, auf welche insoweit die II. Untersuchung vorbereitet hat.4 Jedoch sind mit dem ersten Eindringen in ideale gegenständliche Gegebenheiten und ihre zugehörigen Erlebnisweisen eine Reihe weiterer Fragen aufgetaucht. Bereits in dieser II. Untersuchung zeigt sich, daß sie sich in dem Maße mehr einstellen, wie die phänomenologische Analyse sich vor allem in Schärfe und Distinktion von Unterscheidungen bewährt, die anders kaum greifbar werden dürften. Sie führen zwangsläufig zu neuen Problemen, die ein unanalysierter Zugriff gar nicht erkennen ließe. So hat etwa die Thematisierung der Eigenständigkeit der idealen Gegenstände in ideierender Abstraktion auch die Frage mit sich gebracht, wie der Inhalt der allgemeinen Gegenstände als Spezies Selbständigkeit erlangen kann, wenn er sich an einem individuellen Gegenstand in sinnlicher Anschaulichkeit als dessen unselbständiges Moment findet. Ferner ergibt sich für den gesamten Bereich der Spezies die Frage der Selbständigkeit gegeneinander oder Abhängigkeit voneinander. Entsprechend sind auf der Seite der Akte die konstitutiven Bewußtseinsweisen komplexe Erlebnisse, welche, je als ein Ganzes genommen, demnach weiter nach Teilen zu differenzieren sind. Von dergleichen phänomenologischen Sachlagen her konnte Husserl sich zunächst veranlaßt sehen, als nächstes die Frage von selbständigen und unselbständigen oder konkreten und abstrakten Gegebenheiten aufzunehmen.

Nicht nur beiläufig verweist Husserl in der II. Untersuchung mehrmals ausdrücklich auf die VI. Untersuchung. Doch wird sich dort zeigen, daß dieser Problemaufschub sich wenig günstig für die Analyse der kategorialen Erfüllungsakte ausgewirkt hat. Dazu hier S. 49 f. 4

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Die III. Untersuchung (225–300) nimmt deshalb die Problematik von Ganzen und Teilen auf. Sowohl in ihrer Durchführung als in ihrer Thematik nimmt sie im Rahmen der übrigen Untersuchungen eine gewisse Sonderstellung ein. Und wenn Husserl Jahre später empfand, daß sie die am wenigsten beachtete seiner „Logischen Untersuchungen“ sei, so konnte dies sehr wohl mit der angedeuteten zweifachen Besonderheit zusammenhängen. Bezeichnend für dieses Lehrstück ist, daß Husserl den Verhältnissen zwischen Ganzen und Teilen ihre systematische Stellung in einer ,,Theorie der Gegenstände als solcher“ zuweist. Mit dieser einleitenden Festlegung, die auch im weiteren Verlauf der Untersuchung nicht überschritten wird, bietet die III. Untersuchung eine Behandlung bestimmter Fundamentalfragen aus der formalen Ontologie, welcher alle Probleme angehören, die im Zusammenhang mit der Kategorie Gegenstand oder dem Gegenstand als Etwas überhaupt unabhängig von inhaltlichen Besonderungen einzelner Gegenstandsregionen sich auftun. Bleibt somit diese Untersuchung allein gegenständlich ausgerichtet, und zwar in der Ausschließlichkeit, daß sie Aspekte korrelativer Analyse mit Bezug auf die korrespondierenden Akterlebnisse so gut wie gar nicht verfolgt, so ist sie insofern als vorphänomenologisch anzusehen. Andererseits handelt es sich bei Ganzen und Teilen um Sachverhalte, die sich strukturell nicht nur auf der Seite der Gegenstände als Objekten von Aktintentionen finden, sondern die entsprechend auch noch in diesen anzutreffen sind, sobald sie in der reflektiven Analyse der Phänomenologie ihrerseits Gegenstände der Untersuchung werden. Insofern liegt die Thematik der dritten Untersuchung nicht nur allen Erörterungen über gegenständliche Strukturen zugrunde. Vielmehr durchdringt sie, wenn auch in einer vorerst verborgenen Weise, alle anderen Logischen Untersuchungen Husserls und letztlich seine gesamte Phänomenologie.5 Wieder sind es die für eine phänomenologische Klärung unverzichtbaren Unterscheidungen, um die es Husserl hier vornehmEingehend dazu: R. Sokolowski, The Logic of Parts and Wholes in Husserl’s Investigations, Philosophy and Phenomenological Research, Vol. XXVIII, No. 4, 1968, S. 537–553. 5

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lich zu tun ist. Ganzes und Teil stehen in wechselseitigen Verhältnissen, sie fordern einander, und unter Umständen bedingen sie sich gegenseitig, so daß solche Wechselseitigkeit genaue Analyse fordert. Sie läßt sich jedoch zureichend nur bestimmen, wenn am Teil innerhalb seines jeweiligen Ganzen und an einem Ganzen selber im Konnex mit seinen Teilen noch wesentliche Unterschiede wahrgenommen werden. So trifft Husserl insbesondere unter den Teilen die wesentliche Unterscheidung nach selbständigen und unselbständigen Teilen oder, terminologisch, nach Stücken und Momenten. Erstere lassen sich jeweils vom Ganzen abtrennen und können für sich existieren. Zwar sind sie, herausgelöst aus ihrem jeweiligen Ganzen, nicht mehr dessen Teil; doch bleiben sie auch ohne ihre Teilfunktion das, was sie innerhalb eines Ganzen sind. Ihre Verbindung zu diesem, insbesondere, wenn es sich um disjunkte Stücke handelt, bezeichnet damit auch das entsprechende Ganze. Im Extremfall ist es nichts als Häufung oder Aggregat. Und ist ein Ganzes teilbar in Stücke von derselben Gattung, der es als ungeteiltes Ganzes zugehört, so handelt es sich um den Spezialfall eines extensiven Ganzen. Schwieriger, auch weitreichender gestalten sich die Verhältnisse für Momente als unselbständige oder abstrakte Teile. Sie sind dadurch gekennzeichnet, daß sie nur in einem Ganzen vorkommen, nicht aber für sich selbst. Dafür spielen sie aber in Ganzen, die solche nur dank derartiger Momente sind, eine fundierende Rolle. Für fundierende Momente gestalten sich je nach Art der Fundierung, die weiterhin noch eine unmittelbare oder mittelbare sein kann, die Verhältnisse innerhalb eines Ganzen besonders beziehungsreich; und sie geben dementsprechend auch ihren zugehörigen Ganzen jeweils ein besonderes Gefüge. Auch gewinnt hier die Komplexität nach Art und Ausmaß eines Ganzen neue strukturelle Züge, sobald es selber Teilfunktion in einem übergeordneten Ganzen hat und somit seinerseits als dessen unselbständiges Moment zu betrachten ist. Die genaueren Ausführungen Husserls zu seinem Theorieentwurf der reinen Formen von Ganzen und Teilen (267 ff.) zeigen insbesondere, wie ihm an einem präzisen Begriff der Fundierung gelegen war – so sehr, daß für ihn mit seiner Hilfe der Begriff des Ganzen, bis dahin eher vorausge-

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setzt als expliziert, sogar entbehrlich und durch das Zusammenbestehen von Teilen oder deren Inbegriff substituierbar war, weil dessen Struktur jeweils durch die Art der Fundierung sich bestimmt (281 f.). Fundierungsverhältnisse sind es denn auch, die schließlich auch das gesamte Gefüge der Akte des Bewußtseins in ihren mannigfachen Arten und Charakteren, ihren Komplexionen und Stufungen strukturell bestimmen. Daß Husserl für die Darlegung der hier obwaltenden Wesensverhältnisse weitgehend die bündige Form des Lehrsatzes wählte, geschah kaum in didaktischer Absicht, zumal sie im allgemeinen gerade phänomenologischer Absicht zuwiderlaufen mußte. Vielmehr konnte Husserl hier direkte Einsichtigkeit für formale Sachverhalte in Anspruch nehmen, die, wie stets im Falle elementarer logischer Prinzipien, nur auf präzise Explikation angewiesen sind, damit ihre analytische Wahrheit hervortritt. Dem widerspricht nicht, daß die volle Einsichtigkeit in ihre Wahrheit erst in einer phänomenologischen Analyse hätte erreicht werden können, die präziser dem Wahrheitsbegriff als solchem und der mit ihm verbundenen Problematik der Evidenz gelten mußte. Die III. Untersuchung bildet auch insofern eine teils vorwegnehmende Vorarbeit für die VI. Untersuchung, und sie bleibt in ihrer Ergiebigkeit auch an deren Ergebnisse gebunden. Diese wiederum sollten sich als fundamental für Husserls gesamte Philosophie erweisen, soweit zu ihrem Kernbestand eben jene Wesensphänomenologie gehört, zu der vor allem die III. Untersuchung, wenn auch eher mittelbar, wichtige Bausteine liefert. Denn die bis dahin relativ unfixierte Rede von ,Wesen‘ und ihrem Apriori der Gegebenheit in ideierender Abstraktion gewinnt ihre Festigkeit und Bestimmtheit vor allem aus den apriorischen Verknüpfungen eines Wesens mit einem oder mehreren anderen; und diese sind nach Husserl in ihrer relativen Unselbständigkeit zueinander begründet. Die Theorie der Ganzen und Teile bildet insofern auch die Grundlage für das Verständnis von Wesensapriori und eidetischer oder Wesensnotwendigkeit. Zur unmittelbaren Anwendung bringt Husserl seine Lehre von Ganzen und Teilen in der IV. Untersuchung. In vergleichsweise knapper Darstellung legt Husserl hier das Gewicht der Unter-

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scheidung von Ganzem und Teil, von Selbständigem und Unselbständigem in den Bereich der Bedeutungen und nutzt sie für die Idee einer reinen Grammatik (301–351). Der Sachverhalt, daß nicht beliebige Reihung von Wörtern schon ihren Satzcharakter als verstehbare Sinneinheit ausmacht, sondern daß dafür bestimmte grammatikalische Regeln maßgeblich sind, ist im Prinzip fast so alt wie das Nachdenken über Sprache. Auch daß derartige Regeln nicht an die Grammatik der einzelnen Sprachen gebunden, sondern grundlegender sind und allen Sprachen gemeinsam, sofern man sich für die Definition von Sprache nur auf die minimale Festlegung einigt, daß sie aus Wörtern und Sätzen besteht, wird nicht von Husserl als eigene Entdeckung beansprucht. Gleichwohl konnte Husserl mit seinem Konzept der reinen Grammatik als Initiator der späteren logischen Syntax und Semantik sowie der Linguistik bis hin zur Transformationsgrammatik und Universalienforschung gelten. Daß die moderne Logik und Sprachwissenschaft dabei vieles an Husserls Konzept zu korrigieren, einiges auch abzuweisen fand, mindert nicht die Bedeutung seiner IV. Untersuchung, mit der Husserl 1901 in der Philosophie jedenfalls völliges Neuland betrat. Die in der III. Untersuchung herausgestellten formalen Strukturen und vornehmlich die Gesetzmäßigkeiten der Verknüpfung, die zwischen Momenten und Ganzen obwalten, sollen hier dazu dienen, a priori notwendige Bedingungen herauszustellen, welche für eine Sequenz von Ausdrücken garantieren, daß ihre unselbständigen Einzelbedeutungen sich zur Einheit eines Satzsinnes fügen, sowie die hinreichenden Bedingungen dafür anzugeben, wann dergleichen kombinatorische Möglichkeiten ausgeschlossen sind und nur einen ,,Bedeutungshaufen statt einer Bedeutung“ ergeben; sei es, daß sie Sinnlosigkeit als Unsinn, sei es, daß sie Absurdes als Widersinn, das gleichwohl noch zum Gebiet des Sinnvollen gehört, produzieren (326 ff., 334 ff.). Dergleichen Möglichkeiten und Unmöglichkeiten haften nun nicht an syntaktischen und semantischen Konventionen und Gewohnheiten einzelner Sprachen, geschweige denn an Fähigkeiten oder Unfähigkeiten unserer – teilweise durch jene mitbedingten – geistigen Organisation. Vielmehr gründen sie in Bedeutungskate-

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gorien, die Husserl als wesentliche Gattungen ansieht, relativ zu welchen eine Einzelbedeutung, obgleich in sich selbst ein Spezifisches, nur eine zufällige Singularität ist. Dergleichen Bedeutungskategorien sind es, welche für die Bildung von einheitlichen Bedeutungen aus Teilbedeutungen aufkommen und welche die Schranken festlegen, innerhalb deren in einer Satzform wie etwa ,dies S ist p‘ von Husserl so bezeichnete ,,Materien der Bedeutung“ einsetzbar sind und transformierbar verwertet werden können. Die Verletzung derartiger Formregeln, das ist, der in ihnen gegründeten Verknüpfungsregeln, führt dagegen zu unsinnigen Kombinationen im strengen Sinne wie ,,ein Mensch und ist“, oder aber zu der sprichwörtlichen Absurdität des ,,runden Vierecks“, die Husserl vom Unsinn als Sinnlosigkeit schon in der I. Untersuchung (54 ff.) dadurch geschieden hatte, daß solchen Ausdrücken zwar Bedeutung zukommt, jedoch kein existierender Gegenstand. Nun können sich vom Erkenntnisstand späterer logischer und linguistischer Forschung sehr wohl Zweifel ergeben, ob Husserl in der Erfassung der Bedeutungskategorien und zumal der Bedeutungsmaterien, welche für die Abwandelbarkeit und Austauschbarkeit bei Aufrechterhaltung der Sinneinheit eines Satzes einstehen sollen, sich nicht doch eher von den damals allgemein akzeptierten grammatischen Kategorien als durch die in Anspruch genommene ,,apodiktische Evidenz“ hat leiten lassen.6 Denn die apodiktische Evidenz soll doch Wesenssachverhalte a priori in der Sphäre der Bedeutungen zur Selbstgegebenheit bringen. Die Kategorisierung jener Materien, die beispielsweise von Unterscheidungen nach nominaler und adjektivischer Materie und ähnlichem Gebrauch macht, ist aber offenkundig eine grammatische, speziell sogar aus der indoeuropäischen Sprachenfamilie, die bei näherem Hinsehen sogar zu unrichtigen Behauptungen über Nichtaustauschbarkeit bei Husserl geführt hat (327 ff.). Näheres dazu bei Y. Bar-Hillel, Husserl’s Conception of a Purely Logical Grammar, Philosophy and Phenomenological Research, Vol. XVII, Nr. 1, 1957, S. 362–369. Zu Husserls Idee der reinen Grammatik, auch in seiner Beziehung zu N. Chomskys Konzept der Tiefenstruktur der Sprache J. M. Edie, Speaking and Meaning. The Phenomenology of Language. Bloomington/London 1976, S. 45–72 und 202–211. 6

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So konnte die IV. Untersuchung, unbeschadet ihrer Verdienste als erste wichtige Vorarbeit für die spätere logische Syntax und Semantik, die Frage hinterlassen, ob Husserl hier seine so wichtige Idee einer reinen Grammatik bereits radikal genug entfaltet, die Kategorie der allen empirischen Sprachen a priori zugrundeliegenden Bedeutung und ihrer reinen Bedeutungsmaterie wohl ,rein‘ genug erfaßt und tatsächlich ohne Einschlüsse empirischer Sprachwissenschaften gewonnen habe. Diese Frage aber betrifft letztlich jene apodiktische Evidenz, auf die Husserl sich gerade hier bemerkenswert oft beruft. Zur genaueren Untersuchung der Evidenz und der phänomenologischen Klärung ihres Begriffs gelangt er jedoch erst in der VI. Untersuchung. Nicht zufällig geht ihr noch eine andere Untersuchung voran, deren Anschluß an die IV. Untersuchung auf den ersten Blick willkürlich erscheinen kann, die jedoch die in den vorausgegangenen und zumal in der III. und IV. Untersuchung weitgehend ausgesparte phänomenologische Problematik zu Wort kommen läßt, indem sie prinzipielle Klärungen nun auf der Seite der Erlebnisse vornimmt. Mit ihr wird für die vorangegangenen vier Untersuchungen ein einheitliches phänomenologisches Fundament freigelegt und für die VI. Untersuchung die notwendige aktanalytische Vorarbeit geleistet. Die V. Untersuchung ,,Über intentionale Erlebnisse und ihre ,Inhalte‘“ (332–529) hat, abgesehen von ihrer Schlüsselstellung, die sie im Rahmen der „Logischen Untersuchungen“ insgesamt einnimmt, auch für Husserls spätere Phänomenologie und die phänomenologische Philosophie grundlegende Bedeutung behalten. Das geht bereits daraus hervor, daß in ihr erstmalig das Grundthema der Intentionalität des Bewußtseins systematisch aufgenommen wird, das, unbeschadet späterer Wandlungen in Husserls Intentionalitätskonzept, seine Fragestellungen und Lösungsversuche bis zuletzt maßgeblich bestimmen wird.7 Gedacht zur Herausarbeitung grundlegender Gegebenheiten Zu Husserls Konzept der Intentionalität in Orientierung an seinem methodischen Rüstzeug der phänomenologischen Analyse mit mehrfachen Verbesserungen und Differenzierungen im Laufe der Zeit vgl. E. Ströker, Husserls transzendentale Phänomenologie, Frankfurt am Main 1987, S. 34 ff. 7

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auf der Seite der Erlebnisse, hat diese Untersuchung aus der Gesamtheit der ,psychischen Phänomene‘ insbesondere diejenigen abzuscheiden, die als intentionale Erlebnisse oder Akte entscheidend für die Neubegründung der Erkenntnistheorie sind. Ihrer genauen phänomenologischen Klärung dient in einem ersten Schritt die Sonderung verschiedener Begriffe von Bewußtsein und zumal von Bewußtseinsinhalten, deren Konfundierung auch in der zeitgenössischen Psychologie erkenntnistheoretische Fragestellungn eher verdunkelt als erhellt hatten. Die erste Differenzierung verschiedener Begriffe von Bewußtsein (355 ff.) führt zu einer ersten schärferen Bestimmung von Bewußtseinsakt (375–393) dergestalt, daß Akte als Weisen der Intentionalität oder Weisen des Bewußtseins ausgewiesen werden, in denen die intendierte Gegenständlichkeit je verschieden ,gemeint‘ ist oder als eine so oder so bestimmte ,erscheint‘. Dabei ist die Frage, ob verschiedenen Bewußtseinsweisen auch allenthalben verschiedene Gegenstände entsprechen, oder ob ihnen eventuell nur verschiedene Gegebenheitsweisen desselben Gegenstandes entsprechen. Sie kann faktisch nur in konkreter Einzelanalyse beantwortet und prinzipiell erst zureichend gelöst werden, wenn schärfer, als es in der V. Untersuchung geschieht, auch die intendierte Gegenständlichkeit mit in die Analyse einbezogen wird. Husserls Fixierung auf die Seite der Akte bot dazu aber um so weniger Möglichkeiten, als sie ihm noch kaum analytischen Spielraum ließ, zwischen intentionaler und intendierter Gegenständlichkeit hinreichend deutlich zu unterscheiden; und nicht immer ist Husserl anfangs der Gefahr ihrer Konfundierung entgangen. Gleichwohl gelangt Husserl in der V. Untersuchung, die trotz mancher aktphänomenologischen Einseitigkeit auch die gegenständliche Seite doch mit im Blick behalten muß, zu zwei grundlegenden Einsichten. Die eine betrifft die Unterscheidung von reellem und intentionalem Bewußtseinsinhalt, die andere die Gegebenheitsweisen des intendierten Gegenstandes. Für beide darf Husserl Originalität in Anspruch nehmen; und mit beiden ist er zu fundamentalen Entdeckungen über die Struktur des erkennenden Bewußtseins gelangt.

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Die alltägliche Redeweise aufnehmend, daß man ,,etwas im Bewußtsein“ haben kann, welche die Unterscheidung von Bewußtsein und Gegenstand bereits impliziert, setzt Husserl ihre genaue Klärung bei distinkten Akten an (411 ff.). Zu ihrem reellen Inhalt zählt Husserl alles, was den Bestand eines Aktes nach seinen Momenten ausmacht, was einen Akt überhaupt erst zu einem solchen macht. Dabei stößt die Analyse hier in erster Näherung auf Empfindungsdaten und Auffassungscharaktere. Insbesondere letztere, die notwendig sind, damit die wesentliche Funktion des Aktes, sein Gegenstandsbezug, gewährleistet ist, werden ihre genauere Untersuchung erst in transzendentalphänomenologischen Rahmen der Problematik von Noesis und Noema in den ,Ideen I‘ finden. Zunächst legt die ausgemachte Beziehung von Akt und Aktmomenten als seinen unselbständigen Teilen nahe, sie fortgesetzt zu finden für das Bewußtsein und seine Akte insgesamt, und diese also wiederum als reelle Teile des Bewußtseins zu fassen. Das so gesehene Bewußtseinsganze stellt indes sogleich vor weitere Fragen: Lediglich aus Akten bestehend oder aufgebaut gedacht, läßt es noch gänzlich offen, wie es mit seiner Ganzheit als Einheit steht; wie sich seine Akte, kontinuierlich zusammenhängend nach Koexistenz und Sukzession, zur Einheit eines Bewußtseins zusammenfinden und welches demnach die Einheitsform der Erlebnisse ist; was es ferner heißt, daß ein Bewußtsein nicht bloß irgendein, sondern mein Bewußtsein ist und daß es als meines a limine auf anderes Bewußtsein verweist. Auch hier handelt es sich um Themen, die in der V. Untersuchung nur anklingen, indessen ihre weitere Ausarbeitung erst aufgenommen werden kann, wenn die wichtigsten vorbereitenden Analysen durchgeführt sind. Die Frage der Einheitsbildung des Bewußtseins, die Husserl zuerst als ,,Einheit der Veränderung“ wahrnimmt (369, 390), wird ihn bald schon auf die Problematik der Zeit führen. Die traditionell vorgegebene Frage nach einem Träger oder einem Prinzip solcher Einheit stieß indes zunächst bei Husserl auf dezidierte Abwehr – meinte er doch zunächst, es der programmierten Reinheit seines deskriptiven Verfahrens schuldig zu sein, daß er das hier freilich unabweisbar auftauchende ‚Ich‘,

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welches Bewußtsein hat, nicht anders auffassen dürfe denn als ,,phänomenologisches Ich“, das indes nichts weiter sei als die Verknüpfungseinheit seiner Erlebnisse (368 ff.). Alsbald hier einsetzende Schwierigkeiten Husserls sollten dann allerdings nur tiefer und tiefer in eine Ich-Problematik führen, die neben der Last der Dopplung und Identität eines reinen und eines empirischen ‚Ich‘ auch die weitere mit sich führte, wie es sich mit beiderlei ‚Ich‘ ferner in seinen intersubjektiven Beziehungen verhalte. Auch für den intentionalen Inhalt eines Aktes ließen sich im ersten Anlauf abschließende Ergebnisse nicht erzielen. Mit ihm meint Husserl den intentionalen Gegenstand. Ihn im Bewußtsein zu finden kann also nicht heißen, daß er ebenfalls reeller Teil eines Aktes wäre. Er könnte ihm selbst dann nicht reell zugerechnet werden, wenn er gar kein wirklicher, sondern ein fiktiver Gegenstand wäre, dem realiter nichts entspricht. Daraus scheint sich zunächst zu ergeben, daß Unterschiede der Seinsweise die intentionale Gegenständlichkeit gar nicht betreffen und mithin auch die intentionale Struktur der Akte und weiterhin des Bewußtseins in keiner Weise berühren. Insoweit konnte Husserl für die Phänomenologie sein Neutralitätspostulat geltend machen. Denn nicht nur sollte damit jedwede wissenschaftliche Vormeinung über die Erkenntnisgegenständlichkeit ausgeschaltet bleiben; es war auch die ontologische Frage für sie vorerst völlig offenzuhalten. Das schließt allerdings nicht auch ein, daß die von Anfang an bei Husserl ins Spiel gebrachte Unterscheidung zwischen intentionalem und wirklichem oder ,wahrem‘ Gegenstand aktphänomenologisch ohne Bedeutung wäre. Vielmehr erwies näheres Hinsehen sogleich das Gegenteil: Gerade die Differenz von intentionalem und wirklichem Gegenstand oder von intentionalem und intendiertem Gegenstand mußte sich im Aktgefüge selber bereits zur Geltung bringen und konnte nur von ihm her analytisch überhaupt zugänglich werden. Husserl erreichte damit die später nicht nur für die phänomenologische Erkenntnistheorie, sondern für seine phänomenologische Philosophie im Ganzen grundlegende Problemdimension von Immanenz und Transzendenz. Wieder aber war auch hier die Möglichkeit tieferen Eindringens abhängig von einer Reihe von Vorklärungen. So ergeben sich

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mit Blick auf eine einheitliche intentionale Gegenständlichkeit noch wesentlich verschiedene und vielgestaltige Verhältnisse auf der Seite der Akte. Ihren gegenständlichen Korrelaten kann zum Beispiel ein Gesamtakt aus mehreren Teilakten entsprechen, welche sich, unbeschadet dessen, daß sie in sich selber Akte sind, zu ihm verhalten wie seine unselbständigen Momente oder Komponenten. Diese Mehrgliedrigkeit findet sich spezifisch bei synthetischen Akten, die dann in ihren Teilakten als fundiert anzusehen sind. So korreliert beispielsweise jedem behaupteten, erkannten, vermuteten, gedachten Sachverhalt ein Urteilsakt als synthetischer Akt. Ferner lassen sich mit Hilfe des phänomenologischen Grundverhältnisses von Ganzen und Teilen, wie Husserl es in der III. Untersuchung systematisch im Bereich der Gegenstände untersucht hat, eine Reihe von Akten nach schlichten und höherstufigen unterscheiden, wobei die letzteren sich im einzelnen wiederum auf mehrfache Weise als in schlichten Akten fundiert erweisen können. Alle derartigen aktphänomenologischen Ergebnisse dienten Husserl aber nicht zu einer Klassifizierung oder Typisierung, wie sie die zeitgenössische empirische Psychologie für die psychischen Phänomene angestrebt haben mochte. Vielmehr steht ihre phänomenologische Analyse unter einem ganz anderen als einem psychologischen Gesichtspunkt: Die Beziehung und Beziehbarkeit der Akte auf Gegenständlichkeit, welche ihr Grundkennzeichen, die Intentionalität, ausmacht, gewinnt ihre Vielfalt phänomenologisch nicht anders als im Blick auf die gegenständlichen Korrelate der Akte. Auf diese Weise aber ergab sich sogleich die Frage nach der Art der Vielfalt zugehöriger Gegenständlichkeiten. Dabei zeigte sich, daß hier kein bloßer Parallelismus obwaltet, als entspräche jedem Akt jeweils ein eigener Gegenstand, dessen Gegebenheitsweise also nichts anderes sei als das Korrelat seiner entsprechenden Bewußtseinsweise. Daß Husserls Thematisierung der Gegebenheitsweisen eines Gegenstandes in den Rang einer Entdeckung rücken konnte, lag wesentlich daran, daß er jenen vermeintlichen Parallelismus auflöste in der geschärften Einsicht, daß in verschiedenen Bewußtseinsweisen ein und derselbe Gegenstand zur Gegebenheit

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kommen kann, ja daß dieser als der eine sich im Regelfalle kaum anders überhaupt zur Gegebenheit bringen kann, denn durch seine verschiedenen Gegebenheitsweisen. Damit war nicht nur das phänomenologische Problem der Identität des Gegenstandes in der Mannigfaltigkeit seiner Gegebenheitsweisen gestellt; es tauchte damit hier auch bereits das Thema der Konstitution aus Husserls Spätphilosophie wie von ferne auf. Einstweilen führt die Untersuchung nur weiter in die Richtung des Grundunterschiedes zwischen dem Gegenstand, welcher intendiert ist und so wie er intendiert ist (425 ff.). Da er in letzterer Hinsicht Gegenstand verschiedener Intentionen – einer Vorstellung, eines Wunsches, einer Wahrnehmung, eines Urteils – sein kann, lassen sich auf der Erlebnisseite unterschiedliche Aktqualitäten ausmachen, die insoweit für sein ,so wie‘ bestimmend sind. Darüber hinaus kann ein Gegenstand auch in Akten gleicher Qualität noch in verschiedener Weise, im unterschiedlichen ,Sinne‘ gemeint sein. In eben diesem Auffassungssinn, wie er jedem Akt, gleich welcher Qualität, als reelle Komponente zugehört, wird für Husserls Phänomenologie bald der eigentliche Ausgangspunkt des erkenntnistheoretischen Fragens liegen müssen. Er kann indes präziser erst ausgemacht werden, wenn auf der Seite des Gegenstandes dessen mögliche Seinsmodi – des Wirklichseins, Fraglichsein, Möglichseins und weitere – befragt werden und korrelativ dazu bestimmte ,doxische Charaktere‘ der Akte hervortreten.8 Husserl bezeichnet hier den gegenständlichen Auffassungssinn eines Aktes, terminologisch nicht recht glücklich, als seine Aktmaterie, wohl um damit gegenüber der bloßen Qualität des Aktes ein weiteres reelles Aktmoment hervorzuheben. Wichtig erscheint ihm hier vor allem, daß als wesentlicher Inhalt eines Aktes nicht schon seine Aktqualität angesehen wird, sondern auch seine Aktmaterie, durch die die gegenständliche Beziehung eines Aktes jeweils allererst eindeutig fixiert wird. Sind somit Aktmaterie und Aktqualität unentbehrliche Bestandteile eines jeden Aktes, jeder Die aufschlußreiche Weiterführung dieser Problematik findet sich unmittelbar in Husserls noetisch-noematischen Untersuchungen in den ,Ideen I‘. 8

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aber auch nur ein Unselbständiges, eines seiner Momente, so kann Husserl die Einheit von Qualität und Materie als das intentionale Wesen eines Aktes bestimmen (431). Für das Verhältnis von Aktqualität und Aktmaterie sind wiederum grundsätzlich unterschiedliche Sachlagen kennzeichnend. Speziell für den Fall identischer Materie bei variierender Qualität fand Husserl Anlaß, die zu seiner Zeit häufig diskutierte These erneut aufzugreifen, daß jedes intentionale Erlebnis entweder eine Vorstellung sei oder eine Vorstellung zur Grundlage habe. Diese Annahme spitzte sich für Husserl auf die Behauptung zu, daß demnach in der gegenständlichen Beziehung eines Aktes, in seiner Materie also, noch ein Akt oder Aktmoment mitfungiere, welches primär die Vorstelligkeit des Gegenstandes zu besorgen habe, damit er überhaupt in dieser oder jener Aktqualität aufgefaßt werden könne (441 ff.). Die dazu angeschlossenen Detailstudien (474 ff.) – beispielhaft für Husserls Akribie in der Aufdeckung und Auflösung verwirrender Mehrdeutigkeiten eines allzu gängig gewordenen Begriffs zum einen, in der Handhabung aktphänomenologischen Instrumentariums an einem konkreten Beispiel zum anderen – lehren vor allem, welche Rolle Husserl der gesamten Vorstellungsproblematik für die phänomenologische Urteilslehre beigemessen hat. Für sie werden wiederum zwei neue Grundunterscheidungen in den Akten wichtig, die in einem Urteil fungieren. Neben den nominalen und propositionalen Akten, die einer Qualitätsgattung angehören, werden vor allem für die spätere Phänomenologie Husserls die setzenden und nichtsetzenden Akte von Bedeutung; erstere als seinsmeinende, letztere als höchst sonderbare, die den Seinsmodus ihres Bezugsgegenstandes ,dahingestellt‘ sein lassen, und denen sehr bald schon mehr als nur die Wahrung eines phänomenologischen Neutralitätspostulats von Husserl zugetraut werden wird. Fülle und Vielfalt der Fragen, die Husserl bereits mit der ersten Erprobung seiner phänomenologischen Analyse in der V. Untersuchung wenn auch eher mittelbar heraufbeschwor als sogleich sichtbar zutage förderte, konnten eine anschließende Behandlung vorerst abermals nur im begrenzten Rahmen finden.

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Was Husserl dazu in der VI. und letzten seiner Logischen Untersuchungen als Elemente einer phänomenologischen Aufklärung der Erkenntnis vorgelegt hat, steht deutlicher als die vorausgegangenen Untersuchungen im Zeichen der Wahrheitsproblematik.9 Unter dem leitenden Gesichtspunkt einer phänomenologischen Sinnklärung von Wahrheit werden einzelne frühere Problemlinien vertieft und fortgeführt, früher erworbene Resultate erweitert und präzisiert (533–783). Das gilt zumal in Hinblick auf die V. Untersuchung. Daß Husserl selber indes die VI. Untersuchung als die in phänomenologischer Beziehung wichtigste ansehen konnte, versteht sich unmittelbar bereits aus ihrer Problemgliederung: Im ersten großen Abschnitt geht es spezifisch um die Struktur der erkennenden Akte, der objektivierenden Intentionen und ihrer Erfüllungen, welch letztere jene insgesamt als Erfüllungssynthesen kennzeichnen lassen, während der nächste Hauptabschnitt mit der Thematik von Sinnlichkeit und Verstand ein seit Kant klassisch gewordenes Begriffspaar der Erkenntnistheorie phänomenologisch neu zur Diskussion stellt. Die Problemstellung der I. Untersuchung wieder aufnehmend, ob die Bedeutung von Ausdrücken in irgendwelchen bildhaften Gegebenheiten zu finden seien, untersucht Husserl nun genauer, welche Verhältnisse zwischen Bedeutung und Anschauung obwalten. Dabei erweist sich zum einen, daß wechselnde anschauliche Bilder bei identisch festgehaltener Bedeutung es bereits ausschließen, daß Anschauung, sei es in der Gestalt der Wahrnehmungen oder der Phantasie, zum intentionalen Wesen der Akte des Bedeutungsbewußtseins gehören (550 ff.). Andererseits aber tragen Wahrnehmung und Anschauung, ohne selbst Bedeutungsträger zu sein, dennoch einiges zur Bedeutung bei (552 f.). Die genaue Bestimmung dieses Beitrags führt Husserl in das Studium der Funktion, welche die Anschauung für die Bedeutung erfüllt. Es gestaltet sich in Form einer Reihe minutiöser kleiner Dazu: E. Tugendhat, Der Wahrheitsbegriff bei Husserl und Heidegger, Berlin 1967, 2. Aufl. 1970, Erster Teil. Hier wird unter der leitenden Fragestellung zugleich eine instruktive und bisher die eingehendste Interpretation von Husserls VI. Untersuchung geboten. 9

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Analysen zum Verhältnis von bedeutungsintendierenden und bedeutungserfüllenden Akten, in denen aufgedeckt wird, welche grundlegende Rolle die Anschauung für die Erkenntnis spielt und damit für Akte, die prätendieren, Wahres erfassen zu können (582 ff.). Husserl nimmt auch damit eine Fragestellung der I. Untersuchung neu auf. War dort die Nennfunktion von Namen darin gesehen worden, daß ein Name einen Gegenstand meint, sofern er ihn nennt, daß jedoch damit sein Gegenstandsbezug noch nicht realisiert wird, wenn nicht ,,begleitende“ Anschauungen ihn aktuell gegenwärtig machen, so unterscheidet Husserl jetzt präziser zwischen der bloßen ,,leeren“ Bedeutungsintention oder auch ,,signitiven“ Intention, in der ein Gegenstand lediglich gegeben ist, sofern er gemeint ist, und der anschaulichen Bedeutungserfüllung, welche es macht, daß der Gegenstand nicht nur gegeben, sondern selbstgegeben ist. Die Sonderung dieser beiden Gegebenheitsmodi erweist sich als schlechthin grundlegend für Husserls Philosophie. Sie ist auch nicht nur im Bereich der Verbalisierung anzutreffen, sondern in allen möglichen Gebieten objektivierender Akte zur Geltung zu bringen. Mit ihr fixiert Husserl zugleich den Ausgangspunkt für die Verhandlung der Problematik von Evidenz und Wahrheit. Daß ein Gegebenes niemals eo ipso auch ein Selbstgegebenes ist, das ist für Husserl gleichbedeutend damit, daß ein Gemeintes nicht auch schon ein Erkanntes ist. Etwas intendieren, es meinen oder ,vermeinen‘, macht lediglich den intentionalen Grundzug der Akte überhaupt aus. Es heißt indessen noch nicht, das Gemeinte auch als das gegenwärtig haben, was es in Wahrheit ist. Dafür muß das Gemeinte vielmehr in einer spezifischen Weise gegenwärtig gemacht werden. Somit bedarf die Erkenntnis eines Gegenstandes noch besonderer Verfahren seiner Selbstgebung. Husserl hat diese Selbstgegebenheit als ,,anschauliche Fülle“ des Gegebenen beschrieben und ihr Zustandekommen immer wieder und auch später immer weiter untersucht. Er sieht diese Selbstgegebenheit einer gemeinten Gegenständlichkeit, in der sie als ,,wirklich so seiend wie gemeint“ vor Augen steht und somit als sie ,,selbst“ vorstellig wird, durch gewisse Erfüllungsakte herstell-

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bar, die Husserl insgesamt als ,,erfüllende Anschauungen“ gekennzeichnet hat. Damit wird jeder erkennende Akt zu einem synthetischen Akt von besonderer Struktur: Leerintention und Erfüllung bilden nicht zwei gesonderte Aktverläufe, sondern eine Einheit, die genauer eine bestimmte Deckungseinheit ist. So ist alle Erkenntnis Deckungssynthesis von intendierenden und erfüllenden Akten, und sie ist hinsichtlich ihres gegenständlichen Korrelats, welches eine Einheit des Gemeinten mit dem, was es selbst der Sache nach ist, eine identifizierende Synthesis. Als diese ist sie unter den vielfältigen von Husserl untersuchten Synthesen und selbst noch unter den identifizierenden Synthesen besonders ausgezeichnet: Einem Gegenständlichen, das in Leerintentionen, beispielsweise in der uneigentlichen Rede bloß signitiven Meinens, eben nur gemeint und sachfern gedacht, wenn auch womöglich richtig gedacht ist, wächst durch anschauliche Fülle gegenständliche Nähe und Gegenwärtigkeit zu und so erst seine volle Erkenntnis. Husserls Begriff der Anschauung ist damit abweichend von seinem herkömmlichen Verständnis zu nehmen. Insbesondere ist er nicht aus der geläufigen erkenntnistheoretischen Opposition von Anschauung und Denken zu verstehen. Denn nicht das Denken ist ihr Gegenstück, sondern die Leerintention bloßen Meinens, die nunmehr denn auch Intention im präzisen Sinne heißen soll (572). Damit gehört die Anschauung auch nicht einfach zu den Aktcharakteren, als sei sie nur eine spezifische Aktart unter anderen. Ferner gibt es damit für sie auch strenggenommen nicht bestimmte Gegenstände der Anschauung im Gegensatz zu anderen, als könne sie aus dem intentionalen Bezug zu jenen erfaßt werden. Vielmehr bedürfen selbst noch die Gegenstände der Anschauung, wenn darunter Gegenstände der sinnlichen Wahrnehmung gemeint sind, zu ihrer vollständigen Erkenntnis ebenfalls der anschaulichen Erfüllung, die hier speziell in der Einlösung der in jeder einseitigen, perspektivisch abgeschatteten Einzelwahrnehmung enthaltenen Verweisungen auf weitere Ansichten des Gegenstandes besteht. Erweist sich somit bereits die sinnliche Wahrnehmung, soll sie ihren Gegenstand als ihn selbst geben, bereits als synthetischer

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Akt, der in diesem Falle eine kontinuierliche Synthesis aus Einzelwahrnehmungen ist, so gilt dies a fortiori für alle höherstufigen Erkenntnisakte bis hin zu den Erfüllungssynthesen im Bereich des Logischen und Kategorialen im weitesten Sinne. Daß Husserl auch dergleichen Erfüllungen noch als ,,kategoriale Anschauung“ charakterisieren konnte, obgleich ihnen aus dem Bereich des Sinnlichen nichts mehr entspricht, ließ sich durch Rekurs auf Gemeinsames in aller Anschauung rechtfertigen (694) und später in der Durchführung vieler konkreter Einzelanalysen durch den Aufweis von Fundierungsverhältnissen plausibel machen.10 Husserl hat auch noch die Erkenntnis abstraktester Sachverhalte, wie etwa diejenigen der wissenschaftlichen Theorien in den Formalwissenschaften, letzthin mit Vorgegebenheiten der sinnlichen Anschauung fundierend verknüpft gesehen. So ist Husserls Konzept der Anschauung, wie er es in der VI. Untersuchung zum ersten Mal, aber für seine weitere Forschung im wesentlichen verbindlich dargelegt hat, auf der einen Seite weder einfach mit einer sinnlichen Anschauung in eins zu setzen, noch auf der anderen Seite in die Nähe einer unsinnlichen oder nicht sinnlichen Anschauung zu bringen. Was Husserls Anschauungsbegriff bedeutet, kann in seinem gesamten Werk niemals anders als aus der Funktion der Anschauung für die Erkenntnis, nämlich ihrer Erfüllungsfunktion für Leerintentionen, begriffen werden. Insoweit findet, was Husserls Anschauungsbegriff meint, seine eigene Erfüllung erst mit jeder getätigten Erfüllungssynthesis, die ein Gemeintes in Erkanntes überführt. Nichtidentität wie Zusammengehörigkeit von bloß Gemeintem und Erkanntem, wie sie gleichermaßen zwischen durchaus richtig, aber bloß richtig Gemeintem und als richtig auch Erkanntem bestehen, entsprechen zugleich der Differenz von bloßer Gegebenheit und Selbstgegebenheit einer Sache. Damit ist diejenige Zur Bedeutung der formal-kategorialen Anschauung bei Husserl siehe: E. Tugendhat, a. a. O. (wie in Anm. 9), S. 132 f.; zur Kritik an Husserls material-kategorialer Anschauung S. 137 f., 141 ff. Zu Husserls Anschauungsbegriff allgemein vgl. die eingehende Interpretation von E. Levinas, La théorie de l’intuition dans la phénomenologie de Husserl, Paris 1930, 4. Aufl. 1978. 10

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Grundunterscheidung auf der Gegenstandsseite herausgehoben, welche auf der Aktseite ihre Entsprechung in Intentionen und Erfüllungen hat; und so sind damit zugleich auch die wesentlichen Bestimmungsmomente beisammen, die für Husserl den Zusammenhang von Evidenz und Wahrheit ausmachen (734 ff.). Diese Unterscheidungen sind insgesamt zu beachten, wenn Husserls Rede von ,,Evidenzerlebnissen“ und ,,Erlebnis der Wahrheit“ nicht mißverstanden werden soll.11 Aus der Zugehörigkeit von Evidenz und Selbstgegebenheit folgt unmittelbar, daß derartige Evidenzerlebnisse in keinem Fall einfache Akte des Hinsehens auf Gegebenes sein können. Stets erst im Zuge erfüllender Anschauungen sich einstellend, ist Evidenz allemal das Resultat von Deckungssynthesen, die in Akten gelingender Erkenntnis erst hergestellt werden müssen. Doch nicht nur in ihrer Eigentümlichkeit als Leistung des erkennenden Bewußtseins unterscheidet sich Husserls Evidenzkonzept von einer Reihe anderer. So liegt es in seiner Konsequenz, daß Evidenz nicht nur je nach Art der Erfüllungssynthesen Unterschiedliches bedeutet, sondern auch Grade und Stufen, Steigerungsreihen, kennt. Zwischen den Extremen bloß vermeintlicher Evidenz, die sich als irrtümlich erweisen, nämlich an anderen Evidenzen zerschellen kann, auf der einen Seite und dem Ideal der vollständigen Adäquation von Gemeintem und Erfülltem, bei dem es weder nicht erfüllte Teilintentionen noch verfehlte Teilerfüllungen gibt, liegt in jedem Erkenntnisgebiet ein Spektrum prinzipiell möglicher Erfüllungssteigerungen, an denen sich die Vollkommenheit evidenter Selbstgebung bemißt. Liegt aber in der evidenten Selbstgebung die notwendige Bedingung dafür, daß ein im leeren Intendieren Gemeintes zum ErDazu: E. Ströker, Husserls Evidenzprinzip. Sinn und Grenzen einer methodischen Norm der Phänomenologie als Wissenschaft, Zeitschrift für Philosophische Forschung, Bd. 32, 1. Heft, 1978, S. 1 – 30; auch in E. Ströker, Phänomenologische Studien, Frankfurt am Main 1987, S. 1 – 34. Vgl. ferner D. Føllesdal, Husserl on Evidence and Justification, in: R. Sokolowski (ed.), Edmund Husserl and the Phenomenological Tradition. Essays in Phenomenology, Washington DC, 1988, S. 107 – 129. 11

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kannten wird, so erhellt daraus auch die enge Beziehung von Evidenz und Wahrheit. Sie ist allerdings nicht so beschaffen, als ließe Husserls gelegentliche Redeweise von der Evidenz als Wahrheitserlebnis hier so etwas wie Wahrheitsdefinitionen oder Wahrheitskriterien mittels Evidenzerlebnissen zu. Wenngleich Husserl alle Einsichten der Wissenschaft und Philosophie – und die der eigenen nicht ausgenommen – zuletzt auf Evidenz zurückführt und jedwede Wahrheit letztlich auf ihr beruhend findet, so tritt damit nicht etwa phänomenologische Wahrheitsfindung konkurrierend neben anderen Formen begründender Argumentation, gar mit dem Anspruch, die grundlegende zu sein. Vielmehr hat Husserl im Gegenteil stets das volle Eigenrecht eigener wissenschaftlicher Wahrheitskriterien eingeräumt und dabei sogar nicht selten phänomenologische Mitsprachekompetenz ausdrücklich bestritten. Denn nicht um neue Wegweisung zur Wahrheit kann es sich im phänomenologischen Evidenzkonzept handeln. Vielmehr geht es um etwas sehr viel Grundlegenderes, das aller Suche nach Wahrheit bereits zugrundeliegt: um den Sinn von Wahrheit und die Verständigung über Recht und Grenzen von Wahrheitsannahmen, Wahrheitsbehauptungen, und dies im Wege der Entfaltung ihrer impliziten Sinnesvoraussetzungen. Die so verstandene Aufgabe der Sinnklärung von Wahrheit aber läßt Husserl nicht erst bei der Aussagenwahrheit ansetzen, als welche Wahrheit in der Regel verstanden wird und im Gefolge der traditionellen Bestimmung als adaequatio rei et intellectus im Sinne einer Übereinstimmung von Aussage und bezüglichem bestehenden Sachverhalt normiert ist. Denn auch für sie erweist sich eben jene Wahrheit als Selbstgegebenheit noch als grundlegend. Zwar bedeutet auch diese nur einen von mehreren Wahrheitsbegriffen (651 ff.). Doch repräsentiert sie, abgesehen von ihrer phänomenologisch allein angemessenen Zugangsweise, darin ein Wahrheitsverständnis fundamentalster Art, daß dieses, statt im Bereich der Aussage, im Gegenständlichen angetroffen wird. So jedenfalls will es unser schlichtes Alltagsverständnis, wenn bei der Frage, ob denn dieses oder jenes wahr sei, ob es denn zutreffe oder stimme, was da gesagt wurde, mit dem Prädikat der Wahrheit ersehen werden, sondern die behaupteten Sachverhalte selbst.

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So verstößt denn auch die Rede von ,wahren‘ Sachverhalten, Tatbeständen oder sogar ,wahren‘ Gegenständen keineswegs gegen logische und erkenntnistheoretische Wahrheitsbestimmungen, sondern sie bringt zum Ausdruck, daß sie Wahrheit im Sinne des Bestehens eines Sachverhalts, seines tatsächlichen Vorkommens, nimmt, ohne damit auch schon der Übereinstimmung des Urteils mit ihm zugewandt zu sein. Wenn dementsprechend auch Husserl ,wahr‘ im Sinne von selbstgegeben als Sachverhaltsprädikat verwendet und so das Hinarbeiten auf Wahrheit als evidente Selbstgebung durch Dekkungssynthesen von Leerintentionen und ihre Erfüllungen fordert, so folgt er indes nicht einfach einem alltäglichen unreflektierten Wahrheitsverständnis. Diesem soll vielmehr zur phänomenologischen Aufklärung deshalb verholfen werden, weil damit zugleich der Kern der Bedeutung auch aller anderen Wahrheitsbegriffe freigelegt werden kann. Von ausnehmender Bedeutung wird für Husserl die Sinnklärung von Wahrheit vor allem in zwei Problembereichen: Hat logische Evidenz der Selbstgebung apriorischer Gegebenheiten zwecks Aufklärung des Sinnes logisch-analytischer Wahrheit zu dienen, so mußte für ihn und gerade für die Phänomenologie die Wahrheitsfrage noch in einem anderen, synthetisch-apriorischen Bereich dringlich werden, in dem es um Wesen und Wesensgesetzlichkeiten geht. Dort wie hier würde mithin die in Rede stehende Klärung entscheidend vom Gelingen erfüllender Anschauungen sein. Und da bereits das Intendieren eines Sachverhalts nichtsinnliche und insofern kategoriale Auffassungsmomente einschließt, konnte es sich bei ihren Erfüllungen prinzipiell nur um kategoriale Anschauungen handeln. ,,Die kategorialen Anschauungen fungieren eben im theoretischen Denken als wirkliche oder mögliche Bedeutungserfüllungen bzw. -enttäuschungen und verleihen je nach ihrer Funktion den logischen Wert der Wahrheit bzw. der Unwahrheit“ (720). Was Husserl in der VI. Untersuchung an Analysen zur formalkategorialen Anschauung vorgelegt hat (715 ff.), gibt zum einen wichtige Einblicke in die komplizierten Fundierungsverhältnisse, in denen die reinen Formen ohne sinnliche Inhalte gleichwohl,

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und auf höchst verdeckte und vermittelte Weise, mit sinnlichen Vorgegebenheiten stehen. So liefern z. B. die ersten Versuche des Eindringens in die unterschiedlichen Weisen der Selbstgebung von logischen Variablen und Konstanten erste wichtige Aufklärung über die Analytizität des Logischen, welche die Fruchtbarkeit phänomenologischen Zugangs zum Wesen des Logischen und der Geltung logischer Aussagen schwerlich verkennen läßt. Zwar bietet Husserl hier noch keine durchgeführte Theorie der logischen Wahrheit, und späterer Forschung unter dem umfassenden Titel der Urteilstheorie sollte vorbehalten bleiben, was Husserl ihr in den Logischen Untersuchungen einstweilen schuldig blieb. Doch dürften die Analysen, die Husserl hier in dem kurzen achten Kapitel (710 – 733) vorlegt, methodisch zum Scharfsichtigsten und inhaltlich zum Ergiebigsten gehören, was Phänomenologie überhaupt an Einsichten in das Wesen des Logischen und zur Aufklärung logischen Wahrheitssinnes beizutragen vermag. Auch bedeutet es dafür keine Einschränkung, daß Husserl sich in der VI. Untersuchung ausdrücklich auf einfachste logische Sachverhalte beschränkt hat, die, etwa nach der Gebietszuweisung der späteren formalen Logik, die des Aussagenkalküls kaum überschreiten. Ausgeschlossen blieb damit vorläufig noch insbesondere das im engeren Sinne logische Gebiet formalen Schließens mit all seinen ,,mittelbaren Evidenzen“, auf welche nur erst ein allgemeiner Ausblick geboten wurde. Dafür ließ sich aber mit Husserls Instrumentarium bereits an den elementarsten logischen Gebilden ein vertieftes Verständnis der analytischen Gesetze und ihres Sinnes als apriorischer, formaler und idealer Gebilde gewinnen, wie Husserl sie als diese in den ,Prolegomena‘ nur erst exponiert, aber noch nicht analysiert hatte. Zwar scheint seine Bestimmung des Formalen im Sinne der Geltung bei beliebiger Abwandlung von Stoffen und damit auch des Formal-apriorischen lediglich traditioneller Auffassung zu entsprechen (189 – 198), wie ebenso die Gegründetheit analytischer Wahrheit in der bloßen Bedeutung der logischen Konstanten bereits in der formalen Logik jener Zeit allgemein akzeptiert war. Doch führt gerade Husserls Evidenzforderung und ihre Einlösung durch kategoriale Anschauungen zu einem tieferen

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Verständnis der herkömmlichen logischen Charakterisierungen. Daß auch die analytischen Gesetze erst vermittels derartiger Anschauungen als voll einsichtig gelten, bedeutet nach Husserl doch nichts anderes, als daß es auch noch für logische Bedeutungen eine Differenz von bloß signitivem Meinen und erfülltem Erkennen gibt. Und diese ihre Erfüllungen geschehen, wohl verstanden, nicht etwa in der ,Veranschaulichung‘ an bestimmten Gegenständen, welche den Bedeutungen selbst äußerlich bleiben und sie als solche gar nicht tangieren. Vielmehr betrifft Erfüllung hier die logischen Bedeutungen rein als Bedeutungen. Anders als in bloßer Veranschaulichung, welche lediglich durch Einsetzen eines sinnlich Gegebenen als exemplarischen Stoff in seine Form ein logisches Gesetz zu verdeutlichen vermag, nutzt seine phänomenologisch präzise kategoriale Erfüllung die allgemeine Erfüllbarkeit an beliebigen sinnlichen Stoffen in anderer Weise: Nicht setzt sie, sei es realiter oder fiktiv, eine empirische Gegebenheit als exemplarische Instanz wirklich ein; vielmehr stellt sie nicht mehr, aber auch nicht weniger als die Möglichkeit prinzipiell beliebiger und unbegrenzter derartiger Einsetzungsinstanzen vor Augen. Damit aber werden Sinn und Wahrheit der analytischen Gesetze in völlig neuer Weise begreifbar.12 Zeigt sich ihre Selbstgegebenheit nicht schon darin, daß sie als gleichsam frei schwebende ideale Gegenstände evident werden, sondern zielt ihre kategoriale Erfüllung durch Anschauung viel mehr auf ihre klar und deutlich erfaßte allgemeine Erfüllbarkeit an beliebigen sinnlichen Stoffen schlechthin, so liegt darin letztlich nichts Geringeres als ein neues Verständnis des formalen Apriori. Was Husserl dazu in Anlehnung an Wendungen des Apriori bei Kant ausdrückt, so wenn er etwa die analytischen Gesetze als ,,Bedingungen einer möglichen (empirischen) Wahrheit überhaupt“ beschreibt oder die in ihnen vorgegebenen ,,idealen Bedingungen der Möglichkeit kategorialer Anschauung“ korrelativ auf die ,,Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände kategorialer Anschauungen“ bezieht (718 f.), so Näheres, außer bei Tugendhat, a. a. O. (wie in Anm. 9 u. 10), vor allem bei J. N. Mohanty, Edmund Husserl’s Theory of Meaning, Den Haag 1964, bes. die 3. Aufl. von 1976. 12

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dürfen dergleichen Anlehnungen nicht verdecken, daß bei Husserl das Apriori nicht in Kantischen Formen der Sinnlichkeit und Kategorien des Verstandes gründet, sondern allein in gewissen spezifischen Akten – dergestalt indes, daß daraufhin alles sinnlich-empirisch Gegebene die entsprechende kategoriale Gestaltung nicht notwendig annehmen muß, sondern nur annehmen kann. Für Husserl ist danach die entscheidende Modalität des Apriori nicht die Notwendigkeit, sondern die Möglichkeit; und Notwendigkeit wie Unmöglichkeit kann nur im Rahmen bestimmter Möglichkeiten liegen, ohne daß diese ihrerseits notwendig wären. Der phänomenologische Zusammenhang, den Husserl zwischen Evidenz, Selbstgegebenheit und Wahrheit im Bereich der logischen Formen dargestellt hat, müßte sich, seinen methodischen Forderungen gemäß, nicht weniger eingehend in jenem zweiten Problembereich apriorischer Gegebenheiten untersuchen lassen, in dem Husserl die Wesenheiten angesiedelt hat. Müßte aber deren Erkenntnis eine a priori synthetische sein, so hätten hier die anschaulichen Erfüllungen material-kategoriale Anschauung zu sein, und zwar in einer sehr spezifischen Funktion. Nicht von ungefähr hatte Husserl in der II. Untersuchung sich zur Verteidigung der ,,allgemeinen Gegenstände“ oder Spezies, wie es dort hieß, insbesondere angesichts ihrer mehr als einmal angefochtenen Eigenberechtigung veranlaßt gesehen. Nun konnte in der Leerintention bloßen Meinens von Wesenheiten so wenig ein Problem gelegen sein wie im Falle der rein logischen Gebilde. Ungleich größer als für diese war indes für jene die Funktion der erfüllenden Anschauung; mußte Husserl hier doch ein besonderes Problem gerade darin sehen, daß mittels derartiger erfüllender Anschauungen und der zu leistenden Deckungssynthesen mit ihren Leermeinungen dergleichen ideale Gegenstände wie Wesen allererst sicherzustellen waren. Anders gesagt, in ihrer zu leistenden Selbstgebung lag nicht allein die Erkenntnis von etwas, das auch vor diesem ausgezeichneten Gegebenheitsmodus schon irgendwie da und vage gewußt war; vielmehr bedeutete hier ihre Selbstgegebenheit zugleich den Nachweis, daß es Wesen als eigenständige ideale Gegenstände gibt. Denn nur in dem Maße, in dem

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sich hier evidente Selbstgegebenheit überhaupt erreichen ließ, war die Existenz allgemeiner Wesenheiten zu sichern. Überdies wurde für Husserl die Frage der allgemeinen Wesenheiten insofern von ganz besonderer Bedeutung, als Wesenserkenntnisse bestimmter Art eine schlechthin tragende Rolle für die Einlösung des Wissenschaftsanspruchs seiner phänomenologischen Philosophie spielen mußten. Dagegen fällt auf, daß Husserls Untersuchungen zur Wesenserkenntnis in der VI. Untersuchung den Stand seiner Analysen zur formal-kategorialen Anschauung bei weitem nicht erreichen (690 f.). Schon in der II. Untersuchung hat Husserl den Nachweis allgemeiner Wesen im Aufweis entsprechender Akte gesehen, in denen Wesen sich konstituieren (113, 128 ff., 145 f.). Auch hatte er für deren nähere Untersuchung wiederholt auf die VI. Untersuchung verwiesen (115, 178 f., 193). So wäre nunmehr, zumal auch Husserls Konstitutionsbegriff in den „Logischen Untersuchungen“ noch undeutlich blieb und erst in seinen späteren Schriften die Rolle eines Schlüsselbegriffs für sein gesamtes Philosophiekonzept erhalten würde, eine genauere Analyse fällig gewesen – um so mehr, als die Kennzeichnung der Wesensschau zwangsläufig von Anfang an Mißverständnisse und Fehlinterpretationen der Husserlschen Wesenslehre heraufbeschwören mußte, die ohne eingehende Untersuchung der material-kategorialen Anschauungen, welche sich hinter jenem terminologischen Fehlbegriff verborgen haben, schwerlich rückgängig zu machen waren. Mißlicherweise aber bietet dazu die letzte Untersuchung kaum mehr, als was in der II. Untersuchung zu den kategorial-intuitiven Akten bereits gesagt worden war. Insofern geriet Husserls Lehre von den allgemeinen Wesenheiten und Wesensgesetzen in den „Logischen Untersuchungen“ insgesamt eher zu einem Desiderat als zu einem befriedigenden Lehrstück seiner frühen Phänomenologie. Wann und in welchem Umfang er es einlösen würde, das sollte allerdings auch davon abhängen, welche Prioritäten er für die Fülle von neuen Problemen künftig setzte, die sich mit seinem ersten phänomenologischen Werk aufgetan hatten.

EDITOR ISCHE HINWEISE

Edmund Husserls Logische Untersuchungen (LU) erschienen in erster Auflage in zwei Teilen: Erster Theil: Prolegomena zur reinen Logik (1900) und Zweiter Theil: Untersuchungen zur Phänomenologie und Theorie der Erkenntnis (1901) beim Verlag Max Niemeyer in Halle a. d. Saale. Ursprünglich sollte das Werk im Verlag Veit und Comp. in Leipzig erscheinen, und die dort verlegten Prolegomena waren Ende November 1899 bis auf das Vorwort gedruckt. Das erklärt die Verlagsangabe in Husserls ,,,Selbstanzeige‘“ (S. 261 dieses Bandes) und in den broschierten Vorexemplaren, die Husserl im Dezember 1899 an Hallenser Ordinarien versandte, sowie in einer Anzahl von Exemplaren, die im Juli 1900 u. a. an Alexius Meinong, Paul Natorp und Wilhelm Schuppe versandt wurden. Bei der Drucklegung des zweiten Teils der LU kam es auf seiten des Verlages zu für Husserl untragbaren Verzögerungen, die zum Bruch mit dem Verleger Veit und zur Übernahme des gesamten Werkes durch den Verlag Max Niemeyer führten (vgl. K. Schuhmann: Husserl-Chronik. Denk- und Lebensweg Edmund Husserls, Den Haag 1977, 58–61). Die zweite, umgearbeitete Auflage der bald vergriffenen LU erschien – wie auch alle folgenden Auflagen, die unveränderte, nur um Druckfehler bereinigte Nachdrucke der zweiten darstellen – ebenfalls bei Max Niemeyer. Im Jahre 1913 wurden als nun ,,,Erster Band‘“ der LU die Prolegomena zur reinen Logik neu aufgelegt. Da sie, wie Husserl im Vorwort schreibt, ,,eine bloße Ausarbeitung“ von Vorlesungen sind, die er 1896 in Halle gehalten hatte, hat Husserl bei der Umarbeitung relativ wenig in den alten Text eingegriffen, um die von der Art des Vortrags herrührende ,,größere Lebendigkeit der Darstellung“ nicht zu beeinträchtigen. Näheres zu der Umarbeitung ist diesem Vorwort zu entnehmen. Der in dieser Ausgabe vorgelegte Abdruck des ersten Bandes der LU ist ein seitengleicher Nachdruck der Prolegomena in dem von Elmar Holenstein herausgegebenen und eingeleiteten Band

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editorische hinweise

XVIII der Husserliana (Edmund Husserl, Gesammelte Werke), Den Haag: Martinus Nijhoff 1975. Den Grundtext bildet der Text der 2., umgearbeiteten Auflage von 1913; die Änderungen gegenüber der 1. Auflage sind im fortlaufenden Text bezeichnet und in den vom Herausgeber stammenden Fußnoten angeführt. Nicht eigens vermerkt sind Korrekturen offensichtlicher Druckfehler sowie Modernisierungen der Orthographie und der Interpunktion. Die Seitenangaben in eckigen Klammern am Rand beziehen sich auf den Seitenumbruch nach der 1. und 2. Auflage (A und B). Die Edition verwendet folgende Sigel und Zeichen: A

1. Auflage des I. Teiles, 1900, und des II. Teiles, 1901

B B1 B2

2. Auflage des I. Bandes, 1913 2. Auflage des I. Teiles des II. Bandes, 1913 2. Auflage des II. Teiles des II. Bandes, 1921

| ||

Beginn einer neuen Seite in A bzw. B Beginn von neuen Seiten in A und B Varianten zwischen A und B

[]

1) In Zitaten: Einfügungen Husserls, von ihm als solche gekennzeichnet 2) Am Rande: Seitenzahlen in A bzw. B

ist*

Hochgestellte Sternchen: Fußnoten Husserls (in A und B: hochgestellte Ziffern), durch einen kurzen Strich vom Haupttext getrennt Hochgestellte Ziffern: Fußnoten der Hrsg., durch einen sich über die ganze Seite erstreckenden Strich vom Grundtext getrennt Fußnoten der Hrsg., die für stark umgearbeitete Passagen den gesamten A-Text wiedergeben Hochgestellte kleine Buchstaben: Fußnoten der Hrsg., die Änderungen des Drucks (Kursivierung, Sperrdruck, Kleindruck) oder Änderung von Großund Kleinschreibung anzeigen

ist1

°ist ista

Anm.

Anmerkung

editorische hinweise

LXXI

‹›

Zusätze der Hrsg.

Sperrdruck

1) Hervorhebung (in A z. T. durch Schreibung mit großen Anfangsbuchstaben) 2) Eigennamen (in A und B in Kapitälchen)

Kursivdruck

1) Ausdrücke und Zitate in fremden Sprachen 2) Alleinstehende Buchstaben 3) Titel von Büchern und Zeitschriften (in A und B nicht oder unterschiedlich gekennzeichnet)

Für die vorliegende Ausgabe wurde der Text durchgesehen. Druckfehler wurden berichtigt. Mitaufgenommen ist Husserls ,Selbstanzeige‘ der Prolegomena aus dem Jahr 1900 (dieser Band, S. 261 f.) In der ersten Auflage der Logischen Untersuchungen (LU) bildete deren ,Zweiter Theil‘ mit den sechs Untersuchungen zur Phänomenologie und Theorie der Erkenntnis, der 1901 im Verlag Max Niemeyer in Halle a. d. Saale erschien, den zweiten, auf die Prolegomena zur reinen Logik folgenden Teilband; er trug auf dem Vorlageblatt noch den (in den folgenden Auflagen entfernten) Zusatz ,,Erste Reihe“, da Husserl zunächst beabsichtigte, gleich im Anschluß eine zweite Reihe von Untersuchungen zur Phänomenologie der Anschauung, der Phantasie, der Wahrnehmung und des Bildbewußtseins zu veröffentlichen. Dieses Vorhaben scheiterte zum späteren Bedauern Husserls an den Bedenken des Verlegers, der das finanzielle Risiko eines weiteren Teilbandes scheute (vgl. K. Schuhmann: Husserl-Chronik. Denk- und Lebensweg Edmund Husserls, Den Haag 1977, 63 f.). Für die 2., umgearbeitete Auflage der Logischen Untersuchungen verteilte Husserl die sechs Untersuchungen auf zwei Teilbände; davon erschien 1913 bei Niemeyer der erste Teilband mit der I. bis V. Untersuchung unter dem Titel Logische Untersuchungen. Zweiter Band: Untersuchungen zur Phänomenologie und Theorie der Erkenntnis. I. Teil. Der II. Teil dieses zweiten Bandes mit der umfangreichen VI. Untersuchung (,Elemente einer phänomenologischen Aufklärung der Erkenntnis‘) folgte erst im Jahre 1921. Über Motive, Maximen und Ziele der Umarbeitung der ersten 5 Untersuchun-

LXXII

editorische hinweise

gen, bei der Husserl einen ,,Mittelweg“ zwischen der Anpassung dieses Werkes an das inzwischen erreichte und in den 1913 erschienenen Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie dokumentierte transzendentale Niveau seiner Phänomenologie und der Bewahrung seines alten Gesamtcharakters zu gehen versuchte, gibt Husserls ,Vorwort zur zweiten Auflage‘ im ersten Band der LU Auskunft. Der in dieser Ausgabe vorgelegte Abdruck des I. Teils des zweiten Bandes der LU ist ein seitengleicher Nachdruck der Neuausgabe dieses Textes in dem von Ursula Panzer herausgegebenen und eingeleiteten Band XIX/1 der Husserliana (Edmund Husserl, Gesammelte Werke), Den Haag: Martinus Nijhoff Publishers 1984. Den Grundtext bildet der Text der 2., umgearbeiteten Auflage (B1) von 1913; die Änderungen gegenüber der 1. Auflage (A) sind im fortlaufenden Text bezeichnet und in den von der Herausgeberin stammenden Fußnoten angeführt. Nicht eigens vermerkt sind Korrekturen offensichtlicher Druckfehler sowie Modernisierungen der Orthographie und der Interpunktion. Die Seitenangaben in eckigen Klammern am Rand beziehen sich auf den Seitenumbruch nach der 1. und 2. Auflage (A und B1). In der ersten Ausgabe der Logischen Untersuchungen (LU) enthielt deren Zweiter Theil: Untersuchungen zur Phänomenologie und Theorie der Erkenntnis, der 1901 im Verlag Max Niemeyer in Halle a. d. Saale erschien, alle sechs Untersuchungen in einem Band. Für die zweite Auflage der LU teilte Husserl die umgearbeiteten Untersuchungen neu auf. Die fünf ersten wurden zum I. Teil des ,Zweiten Bandes‘, der 1913 erschien. Die sechste Untersuchung (,Elemente einer phänomenologischen Aufklärung der Erkenntnis‘) veröffentlichte Husserl erst 1921 in der zweiten, ,teilweise umgearbeiteten‘ Auflage als II. Teil des ,Zweiten Bandes‘ unter dem Titel Logische Untersuchungen. Zweiter Band: Elemente einer phänomenologischen Aufklärung der Erkenntnis. II. Teil. Diese Neuausgabe lag den beiden noch zu Husserls Lebzeiten erschienenen, nur um Druckfehler bereinigten Auflagen von 1922 und 1928 zugrunde. Entgegen der im ,Vorwort zur zweiten Auflage‘ von 1913 im ersten Band der LU angekündigten Umarbeitung dieser ,,in phänomenologischer Beziehung wichtigsten“

editorische hinweise

LXXIII

Untersuchung (ebd.), mußte sich Husserl, wie er im Vorwort zur Ausgabe von 1921 schreibt, ,,dazu entschließen, an Stelle der radikalen Umarbeitung, von der damals schon ein erheblicher Teil gedruckt war, den alten, nur in einigen Abschnitten wesentlich verbesserten Text zu veröffentlichen“ (dieser Band, S. 533). Über die Grundzüge dieser teilweisen Umarbeitung gibt dieses Vorwort Auskunft. Der in dieser Ausgabe vorliegende Abdruck des II. Teils des zweiten Bandes der LU ist ein seitengleicher Nachdruck der Neuausgabe dieses Werkes, in dem von Ursula Panzer herausgegebenen Band XIX/2 der Husserliana (Edmund Husserl, Gesammelte Werke), Den Haag: Martinus Nijhoff Publishers 1984. Den Grundtext dieser Neuedition bildet der Text der 2. Auflage (B2) voon 1921. Die Änderungen gegenüber der 1. Auflage (A) von 1901 sind im fortlaufenden Text bezeichnet und in den von der Herausgeberin stammenden Fußnoten angeführt. Nicht eigens vermerkt sind Korrekturen offensichtlicher Druckfehler sowie Modernisierungen der Orthographie und der Interpunktion. Die Seitenangaben in eckigen Klammern am Rand beziehen sich auf den Seitenumbruch nach der 1. und 2. Auflage. Für die vorliegende Ausgabe wurde der Text durchgesehen. Druckfehler wurden berichtigt. Mitaufgenommen ist Husserls ,Selbstanzeige‘ des zweiten Teils seiner Logischen Untersuchungen aus dem Jahre 1901 (dieser Band, S. 779 – 783). — In den Husserliana umfassen die LU die Bände XVIII und XIX/1–2, deren Text in der vorliegenden Ausgabe in einem Band seitengleich wiedergegeben wird. Um die Zitierfähigkeit zu erhalten und das Auffinden von Stellenangaben nach der Paginierung der Husserliana zu bewahren, wurde für diese Ausgabe auf die Einfügung einer durchgängigen Seitenzählung verzichtet – entsprechend endet die fortlaufende Seitenzählung des Textes von LU 1 mit einer Zäsur, und es folgt im Anschluß der Text von LU 2 mit neu beginnender Paginierung.

LOGISCHE UNTERSUCHUNGEN ERSTER

BAND

[A I] [ B I]

CARLSTUMPF

IN VEREHRUNG UND FREUNDSCHAFT ZUGEEI GNET

[A III] [B III]

{[ AV] [ BV]

VORWORT

Die logischen Untersuchungen, derenVeröffentlichung ich mit diesen

Prolegomena beginne,

sind aus unabweisbaren Problemen

erwachsen, die den Fortgang meiner langjährigen Bemühungen

5

um eine philosophische Klärung der reinen Mathematik immer wieder gehemmt und schließlich unterbrochen haben. Neben den Fragen nach dem Ursprung der mathematischen Grundbegriffe und Grundeinsichten betrafen jene Bemühungen zumal auch die schwierigen Fragen der mathematischen Theorie und Methode.

1 0 Was

nach den Darstellungen der traditionellen oder wie immer

reformierten Logik hätte leicht verständlich und durchsichtig er­ scheinen müssen, nämlich das rationale Wesen der deduktiven Wissenschaft mit ihrer formalen Einheit und symbolischen Me­ thodik, stellte sich mir beim Studium der wirklich gegebenen

15

deduktiven Wissenschaften dunkel und problematisch dar. Je tiefer ich analytisch eindrang, um so mehr

kam

es mir zum Be­

wußtsein, daß die Logik unserer Zeit an die aktuelle Wissenschaft nicht hinanreiche, welche aufzuklären sie doch berufen ist. Besondere Schwierigkeiten bereitete mir die logische Durch-

20

forschung der formalen Arithmetik und Mannigfaltigkeitslehre, dieser über alle Besonderheiten der speziellen Zahlen- und Aus­ dehnungsformen hinausreichenden Disziplin und Methode. Sie nötigte mich zu Erwägungen von sehr allgemeiner Art, welche sich über die engere mathematische Sphäre erhoben und einer

25

allgemeinen Theorie der formalen deduktiven Systeme zustrebten.

IIVon den Problemreihen,

die sich mir dabei aufdrängten, sei hier

nur eine bestimmter bezeichnet. Die offenbare Möglichkeit von Verallgemeinerungen bzw. Ab­ wandlungen der formalen Arithmetik, wodurch sie ohne wesent-

30

liehe Änderung ihres theoretischen Charakters und ihrer rechne­ rischen Methodik über das quantitative Gebiet hinausgeführt

{[A VI] [B VI]

6

V O RWORT

werden kann, mußte die Einsicht erwecken, daß das Quantitative gar nicht zum allgemeinsten Wesen des Mathematischen oder „Formalen" und der in ihm gründenden kalkulatorischen Me­ thode gehöre. Als ich dann in der „mathematisierenden Logik"

5

eine in der Tat quantitätslose Mathematik kennenlernte, und zwar als eine unanfechtbare Disziplin von mathematischer Form und Methode, welche teils die alten Syllogismen, teils neue, der Überlieferung fremd gebliebene Schlußformen behandelte, gestalteten sich mir die wichtigen Probleme nach dem allgemei-

10

nen Wesen des Mathematischen überhaupt, nach den natürlichen Zusammenhängen oder etwaigen Grenzen zwischen den Systemen der quantitativen und nichtquantitativen Mathematik, und spe­ ziell z. B. nach dem Verhältnis zwischen dem Formalen der Arithmetik und dem Formalen der Logik. Naturgemäß mußte

15

ich von hier aus weiter fortschreiten zu den fundamentaleren Fragen nach dem Wesen der Erkenntnis f o r m im Unterschiede von der Erkenntnis m a t e r i e und nach dem Sinn des Unter­ schiedes zwischen formalen (reinen) und materialen Bestimmun­ gen, Wahrheiten, Gesetzen.

20

Aber noch in einer ganz anderen Richtung fand ich mich in Probleme der allgemeinen Logik und Erkenntnistheorie ver­ wickelt. Ich war von der herrschenden Überzeugung ausgegangen, daß es die Psychologie sei, von der, wie die Logik überhaupt, so die Logik der deduktiven Wissenschaften ihre philosophische

25

Aufklärung erhoffen müsse. Demgemäß nehmen psychologische Untersuchungen in dem ersten (und allein veröffentlichten) Bande meiner Philosophie der Arithmetik einen sehr breiten Raum ein.

f [AVII] [BVlllsammenhängen nie recht genügen. Wo es sich um die Frage nach l

Diese psychologische Fundierung wollte

30

II

mir in gewissen Zu-

dem Ursprung der mathematischenVorstellungen oder um die in der Tat psychologisch bestimmte Ausgestaltung der praktischen Methoden handelte, schien mir die Leistung der psychologischen Analyse klar und lehrreich. Sowie aber ein Übergang von den psychologischen Zusammenhängen des Denkens zur logischen

35

Einheit des Denkinhaltes (der Einheit der Theorie) vollzogen wurde, wollte sich keine rechte Kontinuität und Klarheit heraus­ stellen lassen. Um so mehr beunruhigte mich daher auch der prinzipielle Zweifel, wie sich die Objektivität der Mathematik und aller Wissenschaft überhaupt mit einer psychologischen Be-

7

V O RWORT

gründung des Logischen vertrage. Da auf solche Weise meine ganze, von den Überzeugungen der herrschenden Logik getragene Methode - gegebene Wissenschaft durch psychologische Analy­ sen logisch aufzuklären - ins Schwanken geriet, so sah ich mich

5

in immer steigendem Maße zu allgemeinen kritischen Reflexionen über das Wesen der Logik und zumal über dasVerhältnis zwischen der Subjektivität des Erkennens und der Objektivität des Er­ kenntnisinhaltes gedrängt. Von der Logik überall im Stiche ge­ lassen, wo ich von ihr Aufschlüsse in Beziehung auf die bestimm-

10

ten Fragen erhoffte, die ich an sie zu stellen hatte, ward ich endlich gezwungen, meine philosophisch-mathematischen Unter­ suchungen ganz zurückzustellen, bis es.mir gelungen sei, in den Grundfragen der Erkenntnistheorie und in dem kritischen Ver­ ständnis der Logik als Wissenschaft zu sicherer Klarheit vorzu-

15

dringen. Wenn ich nun diese, in vieljähriger Arbeit erwachsenen Ver­ suche zur N e u b e g r ü n d u n g d e r r e i n e n L o g i k u n d E r­ k e n n t n i s t h e o r i e veröffentliche, so tue ich es in der Überzeu­ gung, daß die Selbständigkeit, mit der ich meine Wege von denen

20

der herrschenden logischen Richtung abscheide, mit Rücksicht auf die ernsten sachlichen Motive, die mich geleitet haben, eine Mißdeutung nicht erfahren wird. Der Gang meiner Entwicklung hat es mit sich gebracht, daß ich mich von den

1

Werken, denen meine wissenschaftliche Bildung

25

Männern und [AVIII]

1

am meisten [BVIII]

verdankt, in den logischen Grundüberzeugungen weit entfernt und mich andererseits einer Reihe von Forschern beträchtlich genähert habe, deren Schriften nach ihrem Werte zu schätzen ich früher nicht vermocht und die ich daher während meiner Ar­ beiten nur zu wenig zu Rate gezogen rhatte11. Von einer nach-

30

träglichen Einfügung umfassender literarischer und kritischer Hinweise auf verwandte Forschungen mußte ich leider absehen. Was aber die freimütige Kritik anbelangt, die ich an der psycho­ logistischen Logik und Erkenntnistheorie geübt habe, so möchte ich an das G o e t h esche Wort erinnern: „Man ist gegen nichts

35

strenger als gegen erst abgelegte Irrtümer." H a l l e, a. rd.12 S.,

2 1 . Mai 1 900.3

1 A: rhabel . 2 Zusatz von B. 3 In A folgt : rProf. Dr. E . G . Hu s s etl.l

VORWORT ZUR Z W E IT E N AU F LA G E

Die Frage, in welcher Form ich dieses nun schon seit einer Reihe von Jahren vergriffene Werk zur Neuausgabe bringen solle, s

hat mir nicht geringe Sorge verursacht. Die

suchungen

Logischen Unter-

waren für mich ein Werk des Durchbruchs, und somit

nicht ein Ende, sondern ein Anfang. Nach Vollendung des Druckes setzte ich die Studien sogleich wieder fort. Ich versuchte mir über Sinn, Methode, philosophische Tragweite der Phänome­ nologie vollkommenere Rechenschaft zu geben, die angesponne-

10

nen Problemlinien allseitig weiter zu verfolgen, zugleich auch die parallelen Probleme in allen ontischen und phänomenologischen Gebieten aufzusuchen und in Angriff zu nehmen. Begreiflicher­ weise verschob sich mit der Erweiterung des in Forschung ge­ nommenen Horizonts, mit der tieferen Erkenntnis der so ver-

15

wirrend aufeinander bezogenen intentionalen „Modifikationen", der so vielfältig sich verschlingenden Bewußtseinsstrukturen manche der im ersten Eindringen in das neue Gebiet gewonnenen Auffassungen. Verbliebene Dunkelheiten wurden geklärt, Viel­ deutigkeiten entwirrt; 1 isolierte Bemerkungen, denen ursprüng- [B IX]

20

lieh keine besondere Wichtigkeit beigemessen werden konnte, erhielten im Übergang in die großen Zusammenhänge eine grund­ legende Bedeutung - kurzum, überall vollzogen sich in der ur­ sprünglichen Forschungssphäre nicht bloß Ergänzungen, sondern Umwertungen, und vom Standpunkt der zugleich erweiterten

25

und vertieften Erkenntnis erschien nun selbst die Anordnung der Darstellungen nicht mehr als eine vollangemessene. In welchem Sinne und Ausmaße sich diese Fortschritte vollzogen und die Forschungskreise erweiterten, zeigt schon das jüngst erschienene erste Buch meiner

I d e e n zu e i n e r r e i n e n P h ä n o m e n o l o gi e 3 0 u n d p h ä n o m e n o l o g i s c h e n P h i l o s o p h i e, welches i m ersten Bande des Jahrbuchs für Philosophie und phänomenologische For-

V O RWORT

schung {1 9 1 3)

9

abgedruckt ist, und die bald erfolgende Veröffent­

lichung der beiden ausstehenden Bücher wird es noch besser zeigen. Ich hegte ursprünglich die Hoffnung, es würde mir möglich

5

sein, nach Auffindung und Durchforschung der radikalen Pro­ blematik der reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie, eine Reihe systematischer Darstellungen zu geben, die einen Neudruck des alten Werkes entbehrlich machen wür­ den: sofern sein keineswegs preisgegebener Inhalt, gereinigt und

10

sachgemäß verteilt, in ihnen zu angemessener Mitgeltung käme. In der Ausführung stellte sich ein ernstes Bedenken ein. Bei dem Umfange und der Schwierigkeit der zwar in concreto schon durch­ geführten, aber nun erst literarisch zu vereinheitlichenden, zu­ meist neu darzustellenden, in schwierigen Punkten wohl auch zu

15

bessernden Untersuchungen mußte die Realisierung dieser Ab­ sicht noch viele Jahre in Anspruch nehmen. So entschloß ich mich z u n ä c h s t die

Ideen

zu entwerfen. Sie sollten eine allgemeine

und doch inhaltreiche (weil durchaus auf wirklich ausgeführter Arbeit beruhende) Vorstellung von der neuen Phänomenologie

20

geben: von ihrer Methode, ihrer systematischen Problematik, ihrer Funktion für die Ermöglichung einer streng wissenschaftlichen Philosophie, sowie einer rationalen Theoretisierung der empiri­ schen Psychologie. N a c h h e r aber sollten sogleich die

1 Untersuchungen 25

Logischen

zur Neuausgabe kommen, und zwar in einer [B X]

verbesserten Gestalt, die, dem Standpunkt der

Ideen

nach Mög­

lichkeit angepaßt, dazu verhelfen könne, den Leser in die Art wirklicher phänomenologischer und erkenntnistheoretischer A r­ b e i t einzuführen. Denn wenn diese Untersuchungen von den phänomenologisch Interessierten als hilfreich empfunden werden,

30

so liegt es darin, daß sie nicht ein bloßes Programm darbieten (und gar eins jener hochfliegenden Art, womit die Philosophie so überreich bedacht ist), sondern Versuche wirklich ausführender Fundamentalarbeit an den unmittelbar erschauten und ergriffe­ nen Sachen; und daß sie sich selbst da, wo sie kritisch verfahren,

35

nicht in Standpunktserörterungen verlieren, vielmehr den Sachen selbst und der Arbeit an ihnen das letzte Wort belassen. In der Wirkung sollten sich die Ideen auf diejenige der

suchungen

Logischen Unter­

stützen: War der Leser durch die letzteren mit einer

Gruppe von Fundamentalfragen in expliziter Untersuchung be-

10

V O RWORT

schäftigt gewesen, so konnten ihm die

Ideen

mit ihrer Art, die

Methode aus letzten Quellen aufzuklären, die Hauptstrukturen des reinen Bewußtseins vorzuzeichnen und die Arbeitsprobleme in demselben systematisch aufzuweisen, für ein weiteres und

5

selbständiges Fortschreiten behilflich sein. Die Ausführung des ersten Stücks meines Planes war relativ leicht, und wenn auch der unerwartete Umfang der in einem Zuge entworfenen beiden ersten Bücher der Ideen (die für meine Zwecke wesentlich in Betracht kamen) während des Druckes zur Teilung

10

der Publikation nötigte, so konnte schließlich auch das I. Buch allein vorläufig genügen. Sehr viel größer war die Schwierigkeit der Erfüllung meiner zweiten Absicht. Die Unmöglichkeit, das alte Werk ganz und gar auf das Niveau der

Ideen

zu erheben,

sieht der Kenner ohne weiteres. Das würde ein völliges Neuver-

15

fassen des Werkes - eine Verschiebung

ad kalendas graecas

-

bedeuten. Demgegenüber auf eine Umarbeitung ganz zu ver­ zichten und es bloß mechanisch nachzudrucken, erschien mir aber angesichts jener die Neuausgabe rechtfertigenden Ziele mehr bequem als gewissenhaft. Durfte ich die Leser abermals 1 durch all [B XI]

20

die Versehen, Schwankungen, Selbstmißverständnisse beirren, die, mochten sie auch bei der ersten Ausgabe eines solchen Werkes schwer vermeidlich und entschuldbar sein, ihm ein klares Er­ fassen des Wesentlichen unnötig erschweren würden? Es blieb also nur übrig, einen Mittelweg zu versuchen, und

25

dabei freilich mich selbst in gewisser Weise preiszugeben. Denn es hieß, gewisse zum einheitlichen Stil des Werkes gehörige Un­ klarheiten und selbst Irrtümer stehen zu lassen. Bestimmend wurden folgende Maximen für die Umarbeitung:

1. 30

Nichts für den Neudruck zuzulassen, von dem ich nicht

völlig überzeugt sein konnte, daß es eines genauen Studiums wür­ dig sei. In dieser Hinsicht durften also auch einzelne Irrtümer verbleiben, wenn ich sie als eine natürliche Unterstufe für die, ihre guten Motive umwertende Wahrheit gelten lassen konnte. Ich durfte mir dabei auch sagen: Leser, welche von den allgemeinen

35

philosophischen Richtungen der Gegenwart herkommen - die im wesentlichen ja noch dieselben sind, wie in dem Jahrzehnt der Entstehung dieses Werkes - finden, wie dereinst der Verfasser, zunächst nur Zugang zu gewissen phänomenologischen bzw. logi­ schen Unterstufen. Erst wenn sie eine sichere Herrschaft über die

V O RWORT

II

phänomenologische Forschungsart gewonnen haben, erkennen sie die fundamentale Bedeutung gewisser Unterscheidungen, die ihnen vordem als unbedeutende Nuancen erschienen wären. 2. Alles zu verbessern, was gebessert werden konnte, ohne den 5 Gang und Stil des alten Werkes von Grund aus zu änderen ; vor allem die neuartigen Gedankenmotive, die in demselben zum Durchbruch kommen, die aber von dem anfangs noch unsicheren und zaghaften Verfasser in der ersten Auflage bald scharf be­ zeichnet, bald verwischt wurden, überall zu entschiedenstem Aus1 0 druck zu bringen. 3. Den Leser im Fortgange der Darstellungen allmählich zu einem relativ steigenden Gesamtniveau der Einsicht zu erheben, darin der ursprünglichen Eigenart des Werkes folgend. Es ist hier zu erinnern, daß das Werk eine systematisch verbundene K e t t e 1 5 v o n U n t e r s u c h u n g e n war, aber nicht eigentlich e i n 1 Buch [ B XII] oder Werk im literarischen Sinne. Es ist darin ein beständiges Emporsteigen von einem niederen zu einem höheren Niveau, ein sich Emporarbeiten zu immer neuen logischen und phänomeno­ logischen Einsichten, welche die früher gewonnenen nicht ganz 20 unberührt lassen. Immer neue phänomenologische Schichten tre­ ten hervor und bestimmen mit die Auffassungen der früheren. Dieser Charakter des alten Werkes ließ eine Art der Umarbeitung als möglich erscheinen, die den Leser in bewußter Weise empor­ leitet, und zwar so, daß in der letzten Untersuchung im wesent25 liehen die Stufe der 1deen erreicht ist und in ihr die früher mit in den Kauf genommenen Unklarheiten und Halbheiten einsichtig geklärt erscheinen. Im Sinne dieser Maximen bin ich nun vorgegangen und habe zunächst hinsichtlich der beiden vorläufig ausgegebenen Stücke 30 (der Prolegomena und des ersten Teiles des zweiten Bandes) den Eindruck, daß die angewandten großen Mühen nicht verschwen­ det sind. Ich habe natürlich bald ergänzen und bald streichen, bald einzelne Sätze, bald ganze Paragraphen und Kapitel neu schreiben müssen. Der Gedankeninhalt ist dichter und extensiv 35 reicher geworden, der Gesamtumfang des Werkes - spezieller gesprochen, des zweiten Bandes - ist, trotzdem j ede Beigabe kritischen Füllsels unterlassen wurde, unvermeidlich angewach­ sen, weshalb dieser Band geteilt werden mußte. Hinsichtlich der einzelnen Untersuchungen und ihrer Neuge-

12

V O RWORT

staltung wäre folgendes zu sagen: Die

nen L ogik

P r o l eg o m e n a zur r e i­

sind ihrem wesentlichen Inhalte nach eine bloße Aus­

arbeitung zweier sich ergänzenden Hallenser Vorlesungsreihen aus dem Sommer und Herbst

5

1896.

Damit hängt die größere

Lebendigkeit der Darstellung zusammen, die der Wirkung förder­ lich gewesen ist. Die Schrift ist auch gedanklich aus einem Gusse, und so glaubte ich sie nicht radikal umarbeiten zu dürfen. Ande­ rerseits fand ich die Möglichkeit, etwa von der Mitte ab viele erhebliche Verbesserungen der Darstellung zu vollziehen, Ver-

10

sehen auszumerzen, wichtige Punkte in ein schärferes Licht zu rücken. Freilich einige z.T. sehr wesentliche Unzulänglichkeiten - wie der J allzu einseitig nach den. verites

de raison

orientierte [B XIII]

Begriff der „Wahrheit an sich" - mußten, als zum einheitlichen Niveau der Schrift gehörig, erhalten bleiben. Die sechste Unter-

15

suchung (jetzt der zweite Teil des zweiten Bandes) bringt in dieser Hinsicht die nötigen Aufklärungen. Den Streit um den Psychologismus mit neuen Kritiken und gar mit Gegenkritiken zu belasten (die doch nicht das geringste neue Gedankenmotiv beigebracht hätten), schien mir wenig angemes-

20

sen. Ausdrücklich betonen muß ich die Beziehung dieser im we­ sentlichen nur erneuerten Schrift vom Jahre

1899 *

auf eben

diesen Zeitpunkt. Seit ihrem Erscheinen haben einige der Auto­ ren, die ich als Repräsentanten des (logischen) Psychologismus im Auge hatte, ihre Stellung wesentlich geändert. So ist z.B. T h.

25

L i p p s in seinen überaus bedeutsamen und originellen Schriften seit etwa

1 902

keineswegs derselbe als der hier zitierte. Andere

Autoren haben ihre psychologistische Position inzwischen anders zu begründen gesucht, und auch das ist, da meine Darstellung darauf keine Rütksicht nimmt, nicht zu übersehen.

30

Was nun den z w e i t e n B a n d der neuen Ausgabe anbelangt, so wurde die schwankende, dem wesentlichen Sinn und der Me­ thode der wirklich ausgeführten Untersuchungen so wenig ge­ recht werdende E i n l e i t u n g radikal umgearbeitet. Ihre Mängel fühlte ich sogleich nach dem Erscheinen und habe auch bald

35

Gelegenheit gefunden (in einer Rezension im

Philos„

XI. Bd„

1 903, 397 S.

Archiv. f. system.

ff.), gegen meine irreführende Be-

• Der Druck der Prolegomena (ohne Vorrede) war schon im November 1 899 voll­ endet. Vgl. meine Selbstanzeige in der Vierteliakrsschr. f. wiss. Philosophie, 1 900,

s. 512f.

VORWORT

13

zeichnung der Phänomenologie als deskriptive Psychologie Ein­ spruch zu erheben. Einige prinzipielle Hauptpunkte finden dort schon in kurzen Worten eine scharfe Charakteristik. Die in der inneren Erfahrung vollzogene psychologische Deskription er5 scheint gleichgestellt der in der äußeren vollzogenen Deskription äußerer Naturvorgänge ; sie wird andererseits in G e g e n s a t z gestellt zur phänomenologischen Deskription, in welcher alle trans­ zendierenden Deutungen der immanenten 1 Gegebenheiten, auch [B XIV] diejenigen als „psychische Tätigkeiten und Zustände" realer Ich, 10 völlig ausgeschlossen bleiben. Die Deskriptionen der Phänomeno­ logie, heißt es da (S. 399) , „betreffen nicht Erlebnisse oder Erleb­ nisklassen von empirischen Personen ; .denn von Personen, . . . von meinen und anderer Erlebnissen weiß sie nichts und ver­ mutet sie nichts ; über dergleichen stellt sie keine Fragen, ver1 5 sucht sie keine Bestimmungen, macht sie keine Hypothesen. " Die volle reflektive Klarheit, die ich über das Wesen der Phäno­ menologie in diesen und den folgenden Jahren gewonnen habe, und die allmählich zur systematischen Lehre von den „phäno­ menologischen Reduktionen" geführt hat (vgl. die Ideen I, Ab20 schnitt wurde sowohl für die Neubearbeitung der Einleitung, als auch für den Text der ganzen weiterfolgenden Untersuchun­ gen nutzbar gemacht und in dieser Hinsicht das ganze Werk auf eine wesentlich höhere Klarheitsstufe erhoben. Von den fünf den ersten Teil des zweiten Bandes füllenden 25 Untersuchungen behält die erste - „A u s dr u c k u n d B e d e u­ t u n g" - auch in der neuen Ausgabe ihren „ bloß vorbereitenden" Charakter. Sie gibt zu denken, sie lenkt den Blick des phänome­ nologischen Anfängers auf erste und bereits sehr schwierige Pro­ bleme des Bedeutungsbewußtseins, ohne ihnen aber schon voll 30 gerecht zu werden. Die Art, wie sie sich mit den okkasionellen Bedeutungen (zu denen doch, genau besehen, diejenigen aller empirischen Prädikationen gehören) abfindet, ist ein Gewalt­ streich - die notgedrungene Konsequenz der unvollkommenen Fassung des Wesens der „Wahrheit an sich" in den Prolegomena. 35 Als ein weiterer, erst im Abschluß des Bandes sich verstehender und berichtigender Mangel dieser Untersuchung ist zu erwähnen, daß der Unterschied und Parallelismus von „Noetischem" und „Noematischem" (über dessen fundamentale Rolle in a l l e n Be­ wußtseinsgebieten erst die Ideen vollen Aufschluß geben, der aber

2),

14

VORWORT

schon in vielen Einzelausführungen der letzten Untersuchungen des alten Werkes zum Durchbruch gelangt) noch nicht berück­ sichtigt ist. Daher kommt auch der wesentliche Doppelsinn der „Bedeutung" als Idee nicht zur Abhebung. Einseitig wird 1 der [B XV] 5 noetische Bedeutungsbegriff betont, während doch in manchen wichtigen Stellen der noematische vorzüglich in Betracht käme. Die zweite Untersuchung über „D i e i d e a l e E i n h e i t d e r S p e z i e s u n d d i e m o d e r n e n A b s t r a k t i o n s t h e o ri e n" hatte in ihrem Stil, aber auch in ihrer Beschränkung eine gewisse Ab1 0 geschlossenheit, die keine durchgreifenden Umgestaltungen, wenn auch viele einzelne Besserungen, wünschenswert machte. Nach wie vor bleiben unerörtert die grundwesentlich zu scheidenden Typen von „ Ideen", denen natürlich grundwesentlich zu schei­ dende „Ideationen" entsprechen. Es kommt in dieser Unter15 suchung nur darauf an, daß man an einem Typus, etwa repräsen­ tiert durch die Idee „rot", Ideen sehen und sich das Wesen solchen „Sehens" klarmachen lerne. Eine sehr durchgreifende Umarbeitung hat die dritte Unter­ suchung „ Z u r L e h r e v o n d e n G an z e n u n d T e i l e n" er20 fahren, obschon bei ihr keinerlei unbefriedigenden Kompromisse zu vollziehen, keine nachkommenden Berichtigungen oder Ver­ tiefungen nötig waren. Hier galt es, dem eigenen Sinn der Unter­ suchung und ihren m.E. wichtigen Ergebnissen zu besserer Wirk­ samkeit zu verhelfen und vielfache Unvollkommenheiten der 25 Ausführung zu beheben. Ich habe den Eindruck, daß diese Unter­ suchung allzuwenig gelesen worden ist. Mir selbst bot sie eine große Hilfe, wie sie j a auch eine wesentliche Voraussetzung für das volle Verständnis der folgenden Untersuchungen ist. Ähnlich wie mit der dritten verhält es sich mit der vierten 30 Untersuchung „ Ü b e r d e n U n t e r s c hi e d d e r s e l b s t ä n di g e n und unselbständigen Bedeutungen und die Idee der r e i n e n G r a m m a t i k" . Mein Standpunkt hat sich auch hier nicht geändert. Der Text erfuhr neben Besserungen auch manche inhaltliche Bereicherung, die im voraus auf künftige Publikatio35 nen aus meinen logischen Vorlesungen hindeuten. Tiefeingreifende Umarbeitungen hat die fünfte Untersuchung „ Ü b e r i n t e n t i o n a l e E r l e b n i s s e u n d i h r e ,I n h a l t e"' er­ fahren müssen. In ihr sind kardinale Probleme der Phänomeno­ logie (insbesondere der phänomenologischen Urteilslehre) in An-

VORWORT

15

griff gelnommen, i n Hinsicht auf welche, ohne daß der Aufbau [ B XVI] und wesentliche Inhalt der Untersuchung geändert werden mußte, eine erheblich höhere Stufe der Klarheit und Einsicht erzielt werden konnte. Nicht mehr billige ich die Bestreitung des reinen Ich ; 5 doch ließ ich die bezüglichen Ausführungen in verkürzter und formell verbesserter Gestalt stehen, als Substrat interessanter polemischer Auseinandersetzungen P. N a t o r p s (vgl. dessen neue Allgemeine Psychologie, Band 1, 1 9 1 2) . Völlig weggestrichen habe ich den vielzitierten, wenig klaren und im Zusammenhang 1 0 völlig entbehrlichen Paragraphen „Wechselseitige Abgrenzung der Psychologie und Naturwissenschaft". Allzu konservativ war ich vielleicht nur insofern, als ich den ganz unpassenden Terminus „nominale Vorstellung" beibehielt, wie ich denn überhaupt die alte Terminologie des Werkes anzutasten mich scheute. 15 Für den zweiten Teil des zweiten Bandes ist die im Druck be­ findliche Neubearbeitung der sechsten Untersuchung bestimmt, der in phänomenologischer Beziehung wichtigsten. Bei ihr über­ zeugte ich mich bald, daß ich damit nicht mehr auskomme, den alten Gehalt, Paragraph für Paragraph der ursprünglichen Dar20 stellung folgend, zu verarbeiten. Zwar soll auch ihr Problem­ bestand allein maßgebend bleiben ; aber ich bin in Beziehung auf denselben erheblich weiter gekommen, und auf Kompromisse möchte ich mich im Sinne meiner „Maximen" hierbei nicht mehr einlassen. Demgemäß verfuhr ich ganz frei und fügte, um die 25 großen und in der ersten Ausgabe zu unvollkommen behandelten Themata wissenschaftlich durchzuführen, ganze Reihen neuer Kapitel ein, die den Umfang dieser Untersuchung in besonderem Maße anwachsen ließen. Wie in den Prolegomena bin ich auch im zweiten Bande (mit 30 einer geringen Ausnahme in der vierten Untersuchung) auf die vielen Kritiken nicht eingegangen, die, wie ich leider konstatieren muß, fast ausschließlich auf Mißverständnissen des S i n n e s mei­ ner Darstellungen beruhen. Für nützlicher habe ich es daher ge­ halten, in allgemeiner Form die t y p i s c h e n Mißverständnisse 35 meiner philosophischen Bestrebungen und ihrer historischen Ein1 ordnungen zu besprechen, und zwar am Schlusse des zweiten [B XVII] Bandes, sozusagen als Nachwort. Der Leser wird gut tun, in diesen Anhang, schon nachdem er die Prolegomena gelesen hat, Einblick zu nehmen, um sich rechtzeitig vor solchen, wie es scheint, naheliegenden Mißverständnissen zu bewahren.

7,

16

VORWORT

Dem Werke wird ein ausführlicher, von Herrn cand. phil. R u­ d o l f C l e m e n s mit großer Sorgfalt bearbeiteter Index beige­ geben. Überhaupt habe ich für manche freundliche Beihilfe herz­ lich zu danken. In erster Linie Herrn Privatdozenten Dr. A d o l f 5 R e i n a ch, der mir vor zwei Jahren, bei den ersten eingehenden Überlegungen für die Möglichkeiten einer Neubearbeitung, mit Eifer und Sachkunde zur Seite stand. Die Mühen der Korrektur sind durch die treue Mitwirkung der Herren Dr. H a n s L i p p s und cand. phil. J e an H e r i n g wesentlich erleichtert worden. 10

G ö t t i n g e n, i m Oktober 1 9 1 3. E. H u s s e rl.

ERSTER rBAND11

PROLEGOMENA ZUR REINEN LOGIK

1 A: 'Tei!1 .

[A !] [B !]

E I N L E I TUNG

§

1.

{

[A 3] [B 3]

Der Streit u m die Definition der Logik und den wesentlichen Inhalt ihrer Lehren

„Es herrscht ebenso großer Meinungsstreit in betreff der Defi5 nition der Logik, wie in der Behandlung dieser Wissenschaft selbst. Dies war naturgemäß bei einem Gegenstande zu erwarten, in betreff dessen die meisten Schriftsteller sich derselben Worte nur bedient haben, um verschiedene Gedanken auszudrücken."* Seitdem J. S t. M i l l mit diesen Sätzen seine wertvolle Bearbei1 0 tung der Logik eingeleitet hat, ist manches Jahrzehnt verstrichen, bedeutende Denker hier wie j enseits des Kanals haben der Logik ihre besten Kräfte gewidmet und deren Literatur um stets neue Darstellungen bereichert ; aber noch heute mögen diese Sätze als passende Signatur des Zustandes der logischen Wissenschaft die1 5 nen, noch heute sind wir von einer allseitigen Einigkeit in betreff der Definition der Logik und des Gehaltes ihrer wesentlichen Leh­ ren weit entfernt. Nicht als ob die Logik der Gegenwart dasselbe Bild rböte1 1, wie die Logik um die Mitte des Jahrhunderts. Zu­ mal unter dem Einfluß j enes ausgezeichneten Denkers hat von 20 den drei Hauptrichtungen, die wir in der Logik finden, der psy­ chologischen, der formalen und rder1 2 metaphysischen, die erst­ genannte in Beziehur1g auf Zahl und Bedeutung ihrer Vertreter ein entschiedenes Übergewicht erlangt. Aber die beiden anderen Richtungen pflanzen sich immer noch fort, die strittigen 1 Prinzi- [A 4] 25 pienfragen, die J sich in den verschiedenen Definitionen der Logik [B 4] reflektieren, sind strittig geblieben, und was den Lehrgehalt der *

J. S t. M i l l ,

Logik,

Einleitung, § 1 ( Übersetzung von G o m p e rz) .

1 A: rbieten würde l. 2 Fehlt in A.

20

EINLEITUN G

systematischen Darstellungen anbelangt, so gilt es noch immer und eher noch in gesteigertem Maße, daß die verschiedenen Schriftsteller sich derselben Worte nur bedienen, um verschiedene Gedanken auszudrücken. Und es gilt nicht bloß in Beziehung auf 5 die Darstellungen, welche aus verschiedenen Lagern stammen. Die Seite, auf welcher wir die größte Regsamkeit finden, die der psychologischen Logik, zeigt uns Einheit der Überzeugung nur in Hinsicht auf die Abgrenzung der Disziplin, auf ihre wesentlichen Ziele und Methoden ; aber kaum wird man es als Übertreibung 1 0 tadeln, wenn wir in Hinsicht auf die vorgetragenen Lehren und zumal auch in Hinsicht auf die gegensätzlichen Deutungen der altüberlieferten Formeln und Lehrstücke das Wort vom bellum omnium contra omnes anwenden. Vergeblich wäre der Versuch, eine Summe sachhaltiger Sätze oder Theorien abzugrenzen, in 15 denen wir den eisernen Bestand der logischen Wissenschaft unse­ rer Epoche und ihr Erbe an die Zukunft sehen könnten. § 2. Notwendigkeit der erneuten Erörterung der Prinzipienfragen

Bei diesem Zustande der Wissenschaft, welcher individuelle Überzeugung von allgemein verpflichtender Wahrheit zu schei­ den nicht gestattet, bleibt der Rückgang auf die Prinzipienfragen eine Aufgabe, die stets von neuem in Angriff genommen werden muß. Ganz besonders scheint dies zu gelten von den Fragen, die 25 im Streite der Richtungen und damit auch im Streite um die richtige Abgrenzung der Logik die bestimmende Rolle spielen. Allerdings ist das Interesse gerade für diese Fragen in den letzten Jahrzehnten sichtlich erkaltet. Nach den glänzenden Angriffen M i l l s gegen H a m i l t o n s Logik und nach den nicht minder be30 rühmten, obschon nicht so fruchtreichen logischen Untersuchun­ gen T r e n d e l e n b u r g s schienen sie ja im ganzen erledigt zu sein. Als daher mit 1 dem großen Aufschwung der psychologischen [A 5] Studien auch die psychologistische Richtung in der Logik ihr Übergewicht errang, kon[zentrierte sich alle Bemühung bloß auf [B S] 35 einen allseitigen Ausbau der Disziplin nach Maßgabe der als gültig angenommenen Prinzipien. Indessen läßt doch eben der Um­ stand, daß so viele und von bedeutenden Denkern herrührende Versuche, die Logik in den sicheren Gang einer Wissenschaft zu bringen, einen durchgreifenden Erfolg vermissen lassen, die Ver20

EINLEITUNG

21

mutung offen, daß die verfolgten Ziele nicht in dem Maße geklärt sind, wie es für reine11 erfolgreiche Untersuchung nötig wäre. Die Auffassung von den Zielen einer Wissenschaft findet aber ihren Ausdruck in der Definition derselben. Es kann natürlich 5 nicht unsere Meinung sein, daß der erfolgreichen Bearbeitung einer Disziplin eine adäquate Begriffsbestimmung ihres Gebietes vorausgehen müsse. Die Definitionen einer Wissenschaft spiegeln die Etappen ihrer Entwicklung wieder, mit der Wissenschaft schreitet die ihr nachfolgende Erkenntnis der begrifflichen Eigen10 art ihrer Gegenstände, der Abgrenzung und Stellung ihres Ge­ bietes fort. Indessen übt der Grad der Angemessenheit der Defini­ tionen bzw. der in ihnen ausgeprägten Auffassungen des Gebietes auch seine Rückwirkung auf den Gang der Wissenschaft selbst, und diese Rückwirkung kann j e nach der Richtung, in welcher 1 5 die Definitionen von der.Wahrheit abirren, bald von geringerem, bald von sehr erheblichem Einfluß auf den Entwicklungsgang der Wissenschaft sein. Das Gebiet einer Wissenschaft ist eine obj ektiv geschlossene Einheit ; es liegt nicht in unserer Willkür, wo und wie wir Wahrheitsgebiete abgrenzen. Objektiv gliedert sich das 20 Reich der Wahrheit in Gebiete ; nach diesen objektiven Einheiten müssen sich die Forschungen richten und sich zu Wissenschaften zusammenordnen. Es gibt eine Wissenschaft von den Zahlen, eine Wissenschaft von den Raumgebilden, von den animalischen We­ sen usw., nicht aber eigene Wissenschaften von den Primzahlen, 25 den Trapezen, den 1 Löwen oder gar von all dem zusammenge- [A 6 ] nommen. Wo nun eine als zusammengehörig sich aufdrängende Gruppe von Erkenntnissen und Problemen zur Konstituierung einer Wissenschaft führt, da kann die Unangemessenheit der Ab­ grenzung bloß darin bestehen, daß der Gebietsbegriff im Hinblick 30 1 auf das Gegebene vorerst zu enge gefaßt wird, daß die Verket- [B 6] tungen begründender Zusammenhänge über das betrachtete Gebiet hinausreichen und sich erst in einem weiteren zu einer syste­ matisch geschlossenen Einheit konzentrieren. Solche Beschränktheit des Horizontes braucht nicht den gedeihlichen Fortschritt 35 der Wissenschaft nachteilig zu beeinflussen. Es mag sein, daß das theoretische Interesse zunächst seine Befriedigung findet in dem engeren Kreise, daß die Arbeit, die hier ohne Inanspruchnahme

22

E I N LEITU N G

der tieferen und weiteren logischen Verzweigungen getan werden kann, in Wahrheit das eine ist, was zunächst nottut. Ungleich gefährlicher ist aber eine andere Unvollkommenheit in der Abgrenzung des Gebietes, nämlich die G e b i e t s v e r m e n5 g u n g, die Vermischung von Heterogenem zu einer vermeintlichen Gebietseinheit, zumal wenn sie gründet in einer völligen Miß­ deutung der Objekte, deren Erforschung das wesentliche Ziel der intendierten Wissenschaft sein soll. Eine derart unbemerkte µ.e-r&ß�crL>; d>; &"Mo yevo>; kann die schädlichsten Wirkungen nach 1 o sich ziehen : Fixierung untriftiger Ziele ; Befolgung prinzipiell ver­ kehrter, weil mit den wahren Obj ekten der Disziplin inkommen­ surabler Methoden ; Durcheinanderwerfung der logischen Schich­ ten, derart, daß die wahrhaft grundlegenden Sätze und Theorien, oft in den sonderbarsten Verkleidungen, sich zwischen ganz fremd1 5 artigen Gedankenreihen als scheinbar nebensächliche Momente oder beiläufige Konsequenzen fortschieben usw. Gerade bei den philosophischen Wissenschaften sind diese Gefahren beträchtlich, und darum hat die Frage nach Umfang und Grenzen für die fruchtbare Fortbildung dieser Wissenschaften eine ungleich größe20 re Bedeutung, als bei den so sehr begünstigten Wissenschaften von 1 der äußeren Natur, wo der Verlauf unserer Erfahrungen uns [A 7] Gebietsscheidungen aufdrängt, innerhalb deren wenigstens eine vorläufige Etablierung erfolgreicher Forschung möglich ist. Speziell in Beziehung auf die Logik hat K a n t das berühmte Wort 25 ausgesprochen, das wir uns hier zu eigen machen : „Es ist nicht Vermehrung, sondern Verunstaltung der Wissenschaften, wenn man ihre Grenzen ineinanderlaufen läßt. " In der Tat hofft die 1 folgende Untersuchung es deutlich zu machen, daß die bisherige [B 7] und zumal die psychologisch fundierte Logik der Gegenwart den 30 eben erörterten Gefahren fast ausnahmslos unterlegen ist, und daß durch die Mißdeutung der theoretischen Grundlagen und durch die hieraus erwachsene Gebietsvermengung der Fortschritt in der logischen Erkenntnis wesentlich gehemmt worden ist. § 3. Die Streitfragen. Der einzuschlagende Weg 35

Die traditionellen und mit der Abgrenzung der Logik zusam­ menhängenden Streitfragen sind folgende:

E I NLEITUN G

23

1. 0 b die Logik eine theoretische oder eine praktische Disziplin (eine „K unstlehre") sei. 2. Ob sie eine von anderen Wissenschaften und speziell von der Psychologie oder Metaphysik unabhängige Wissenschaft sei. 3. Ob sie eine formale Disziplin sei, oder, wie es gefaßt zu werden 5 pflegt, ob sie r es1 1 mit der „bloßen Form der Erkenntnis" zu tun oder auch auf deren „Materie" Rücksicht zu nehmen habe. 4. Ob sie den Charakter einer apriorischen und demonstrativen oder den einer empirischen und induktiven Disziplin habe. 10 Alle diese Streitfragen hängen so innig zusammen, daß die Stellungnahme in der einen, bis zu einem gewissen Grade wenig­ stens, diejenige in den übrigen mitbedingt oder faktisch beein­ flußt. Der Parteien sind eigentlich nur zwei. Die Logik ist eine theoretische, von der Psychologie unabhängige und 1 zugleich [A 15 eine formale und demonstrative Disziplin - so urteilt die eine. Der anderen gilt sie als eine von der Psychologie abhängige Kunstlehre, womit von selbst ausgeschlossen ist, daß sie den Charakter einer formalen und demonstrativen Disziplin habe im Sinne der für die Gegenseite vorbildlichen Arithmetik. 20 Da wir es nicht eigentlich auf eine Beteiligung an diesen tra­ ditionellen Streitigkeiten, vielmehr auf eine Klärung der in ihnen spielenden prinzipiellen Differenzen und letztlich auf eine 1 Klä- [B 8] rung der wesentlichen Ziele einer reinen Logik abgesehen haben, so wollen wir folgenden Weg einschlagen : Wir nehmen als Aus25 gangspunkt die gegenwärtig fast allgemein angenommene Be­ stimmung der Logik als einer Kunstlehre und fixieren ihren Sinn und ihre Berechtigung. Daran schließt sich naturgemäß die Frage nach den theoretischen Grundlagen dieser Disziplin und im be­ sonderen nach ihrem Verhältnis zur Psychologie. Im wesentlichen 30 deckt sich diese Frage, wenn auch nicht dem Ganzen, so doch einem Hauptteile nach, mit der Kardinalfrage der Erkenntnis­ theorie, die Obj ektivität der Erkenntnis betreffend. Das Ergebnis unserer diesbezüglichen Untersuchung ist die Aussonderung einer neuen und rein theoretischen Wissenschaft, welche das wichtigste 35 Fundament für j ede Kunstlehre von der wissenschaftlichen Er­ kenntnis bildet und den Charakter einer apriorischen und rein

8]

1 Fehlt in A.

24

E I NLE ITUNG

demonstrativen Wissenschaft besitzt. Sie ist es, die von K a n t und den übrigen Vertretern einer „formalen" oder „reinen" Logik intendiert, aber nach ihrem Gehalt und Umfang nicht richtig er­ faßt und bestimmt worden ist. Als letzter Erfolg dieser Überlegun5 gen resultiert eine klar umrissene Idee von dem wesentlichen Gehalt der strittigen Disziplin, womit von selbst eine klare Posi­ tion zu den aufgeworfenen Streitfragen gegeben ist.

ERSTES

KAPITEL

{

[A 9 ) [B 9 )

D I E L O G I K A L S N O RM A T I V E U N D S P E Z I E L L A L S PRA K T I S C H E D I S Z I P L I N § 5

4.

Die theoretische Unvollkommenheit der Einzelwissenschaften

Es ist eine alltägliche Erfahrung, daß die Vorzüglichkeit, mit der ein Künstler seinen Stoff meistert, und daß das entschiedene und oft sichere Urteil, mit dem er Werke seiner Kunst abschätzt, nur ganz ausnahmsweise auf einer theoretischen Erkenntnis der Gesetze beruht, welche dem Verlauf der praktischen Betätigungen 1 0 ihre Richtung und Anordnung vorschreiben und zugleich die wertenden Maßstäbe bestimmen, nach denen die Vollkommenheit oder Unvollkommenheit des fertigen Werkes abzuschätzen ist. In der Regel ist der ausübende Künstler nicht derjenige, welcher über die Prinzipien seiner Kunst die rechte Auskunft zu geben 1 5 vermag. Er schafft nicht nach Prinzipien und wertet nicht nach Prinzipien. Schaffend folgt er der inneren Regsamkeit seiner harmonisch gebildeten Kräfte, und urteilend dem fein ausge­ bildeten künstlerischen Takt und Gefühl. So verhält es sich aber nicht allein bei den schönen Künsten, an die man zunächst 20 gedacht haben mag, sondern bei den Künsten überhaupt, das Wort im weitesten Sinne genommen. Es trifft also auch die Betätigungen des wissenschaftlichen Schaffens und die theoretische Schätzung seiner Ergebnisse, der wissenschaftlichen Begrün­ dungen von Tatsachen, 1 Gesetzen, Theorien. Selbst der Mathe- [A 1 0] 25 matiker, 1 Physiker und Astronom bedarf zur Durchführung auch [B 1 0] der bedeutendsten wissenschaftlichen Leistungen nicht der Einsicht in die letzten Gründe seines Tuns, und obschon die gewonnenen Ergebnisse für ihn und andere die Kraft vernünftiger Über­ zeugung besitzen, so kann er doch nicht den Anspruch erheben,

26

D I E L O G I K ALS N O RMATIVE

überall die letzten Prämissen seiner Schlüsse nachgewiesen und die Prinzipien, auf denen die Triftigkeit seiner Methoden beruht, erforscht zu haben. Damit aber hängt der unvollkommene Zu­ stand aller Wissenschaften zusammen. Wir meinen hier nicht die 5 bloße Unvollständigkeit, mit der sie die Wahrheiten ihres Gebie­ tes erforschen, sondern den Mangel an innerer Klarheit und Ra­ tionalität, die wir unabhängig von der Ausbreitung der Wissen­ schaft fordern müssen. In dieser Hinsicht darf auch die Mathe­ matik, die fortgeschrittenste aller Wissenschaften, eine Ausnah10 mestellung nicht beanspruchen. Vielfach gilt sie noch als das Ideal aller Wissenschaft überhaupt ; aber wie wenig sie dies in Wahrheit ist, lehren die alten und noch immer nicht rendgültig1 1 erledigten Streitfragen über die Grundlagen der Geometrie, s o wie die nach den rberechtigten1 2 Gründen der Methode des Imagi1 5 nären. Dieselben Forscher, die mit unvergleichlicher Meisterschaft die wundervollen Methoden der Mathematik handhaben und sie um neue bereichern, zeigen sich oft gänzlich unfähig, von der logischen Triftigkeit dieser Methoden und den Grenzen ihrer be­ rechtigten Anwendung ausreichende Rechenschaft zu geben. Ob20 schon nun die Wissenschaften trotz dieser Mängel groß geworden sind und uns zu einer früher nie geahnten Herrschaft über die Natur verholfen haben, so können sie uns doch nicht theoretisch Genüge tun. Sie sind nicht kristallklare Theorien, in denen die Funktion aller Begriffe und Sätze völlig begreiflich, alle Voraus25 setzungen genau analysiert, und somit das Ganze über j eden theoretischen Zweifel erhaben wäre. § 5.

Die theoretische Ergänzung der Einzelwissenschaften durch {[AB 1 1] Metaphysik und Wissenschaftslehre [ 1 1]

Um dieses theoretische Ziel zu erreichen, bedarf es, wie ziemlich 30 allgemein anerkannt ist, fürs erste einer Klasse von Untersuchun­ gen, die in das Reich der Metaphysik gehören. Die Aufgabe derselben ist nämlich, die ungeprüften, meistens sogar unbemerkten und doch so bedeutungsvollen Voraussetzun­ gen metaphysischer Art zu fixieren und zu prüfen, die mindestens 1 Zusatz von B. 2 A : fberechtigendenl .

U N D SPEZIELL ALS PRAKTI S C H E D I S Z I P L I N

'J:7

allen Wissenschaften, welche auf die reale Wirklichkeit gehen, zugrunde liegen. Solche Voraussetzungen sind z.B., daß es eine Außenwelt gibt, welche nach Raum und Zeit ausgebreitet ist, wobei der Raum den mathematischen Charakter einer dreidimen5 sionalen E u k l i d ischen, die Zeit den einer eindimensionalen orthoiden Mannigfaltigkeit hat ; daß alles Werden dem Kausali­ tätsgesetz unterliegt usw. Unpassend genug pflegt man diese durchaus in den Rahmen der Ersten Philosophie des A r is t o t e l e s gehörigen Voraussetzungen gegenwärtig als erkenntnistheoreti1 o sehe zu bezeichnen. Diese metaphysische Grundlegung reicht aber nicht aus, um die gewünschte theoretische Vollendung der Einzelwissenschaften zu erreichen ; sie betrifft ohnehin bloß die Wissenschaften, welche es mit der realen Wirklichkeit zu tun haben, und das tun doch 1 5 nicht alle, sicher nicht die rein mathematischen Wissenschaften, deren Gegenstände Zahlen, Mannigfaltigkeiten u. dgl. sind, die unabhängig von realem Sein oder Nichtsein als bloße Träger rein idealer Bestimmungen gedacht sind. Anders verhält es sich mit einer zweiten Klasse von Untersuchungen, deren theoretische 20 Erledigung ebenfalls ein unerläßliches Postulat unseres Erkennt­ nisstrebens bildet ; sie gehen alle Wissenschaften in gleicher Weise an, weil sie, kurz gesagt, auf das gehen, was Wissenschaften überhaupt zu Wissenschaften macht. Hierdurch aber ist das Gebiet einer neuen und, wie sich alsbald zeigen wird, komplexen 25 Disziplin bezeichnet, deren Eigentümliches es J ist, Wissenschaft [B 1 2] von J der Wissenschaft zu sein, und die eben darum am prägnan- [A 1 2] testen als Wissenschaftslehre zu benennen wäre. § 6.

Die Möglichkeit und Berechtigung einer Logik als Wissenschaftslehre

Die Möglichkeit und die Berechtigung einer solchen Disziplin - als einer zur Idee der Wissenschaft gehörigen normativen und praktischen Disziplin - kann durch folgende Überlegung be­ gründet werden. Wissenschaft geht, wie der Name besagt, auf Wissen. Nicht als 35 ob sie selbst eine Summe oder ein Gewebe von Wissensakten wäre. Objektiven Bestand hat die Wissenschaft nur in ihrer Literatur, nur in der Form von Schriftwerken hat sie ein eigenes, wenn auch 30

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D I E L O G I K ALS N ORMATIVE

zu dem Menschen und seinen intellektuellen Betätigungen be­ ziehungsreiches Dasein ; in dieser Form pflanzt sie sich durch die Jahrtausende fort und überdauert die Individuen, Generationen und Nationen. Sie repräsentiert so eine Summe äußerer Veran5 staltungen, die, wie sie aus Wissensakten vieler Einzelner hervor­ gegangen sind, wieder in eben solche Akte ungezählter Individuen übergehen können, in einer leicht verständlichen, aber nicht ohne Weitläufigkeiten exakt zu beschreibenden Weise. Uns genügt hier, daß die Wissenschaft gewisse nähere Vorbedingungen für die 10 Erzeugung von Wissensakten beistellt bzw. beistellen soll, reale Möglichkeiten des Wissens, deren Verwirklichung von dem „nor­ malen" bzw. „entsprechend begabten" Menschen unter bekann­ ten „normalen" Verhältnissen als ein erreichbares Ziel seines Wollens angesehen werden kann. In diesem Sinne also zielt die 15 Wissenschaft auf Wissen. Im Wissen aber besitzen wir die Wahrheit. Im aktuellen Wissen, worauf wir uns letztlich zurückgeführt sehen, besitzen wir sie als Objekt eines richtigen Urteils. Aber dies allein reicht nicht aus ; denn nicht j edes richtige Urteil, j ede mit der Wahrheit überein20 stimmende Setzung oder Verwerfung eines J Sachverhalts ist ein [B 1 3] Wis s e n vom 1 Sein oder Nichtsein dieses Sachverhalts. Dazu [A 1 3] gehört vielmehr - soll von einem Wissen im engsten und strengsten Sinne die Rede sein - die Evidenz, die lichtvolle Gewißheit, daß i s t, was wir anerkannt, oder n i c h t i s t, was wir verworfen 25 haben ; eine Gewißheit, die wir in bekannter Weise scheiden müssen von der blinden Überzeugung, vom vagen und sei es noch so fest entschiedenen Meinen, wofern wir nicht an den Klippen des extremen Skeptizismus scheitern sollen. Bei diesem strengen Begriffe des Wissens bleibt die gemeinübliche Redeweise aber 30 nicht stehen. Wir sprechen z.B. von einem Wissensakt auch da, wo mit dem gefällten Urteil zugleich die klare Erinnerung ver­ knüpft ist, daß wir früher ein von Evidenz begleitetes Urteil identisch desselben Gehaltes gefällt haben, und besonders, wo die Erinnerung auch einen beweisenden Gedankengang betrifft, aus 35 dem diese Evidenz hervorgewachsen ist und den zugleich mit dieser Evidenz wiederzuerzeugen wir uns mit Gewißheit zutrauen. („Ich weiß, daß der Pythagoräische Lehrsatz rwahr ist1 1 - ich 1 A : rbestehtl .

U N D S P E Z I E LL ALS PRAKTI S C H E D I SZIPLIN

29

kann ihn beweisen" ; statt des letzteren kann es allerdings auch heißen : - „aber ich habe den Beweis vergessen.") So fassen wir überhaupt den Begriff des Wissens in einem weiteren, aber doch nicht ganz laxen Sinne ; wir scheiden ihn ab 5 von dem grundlosen Meinen und beziehen uns hierbei auf irgend­ welche „Kennzeichen" für rdas Besteheni 1 des angenommenen Sachverhalts bzw. für die Richtigkeit des gefällten Urteils. Das vollkommenste Kennzeichen der Richtigkeit ist die Evidenz, es gilt uns als unmittelbares Innewerden der Wahrheit selbst. In 10 der unvergleichlichen Mehrheit der Fälle entbehren wir dieser absoluten Erkenntnis der Wahrheit, statt ihrer dient uns (man denke nur an die Funktion des Gedächtnisses in den obigen Bei­ spielen) die Evidenz für die mehr oder minder hohe Wahrschein­ lichkeit des Sachverhalts, an welche sich bei entsprechend „er1 5 heblichen" Wahrscheinlichkeitsgraden das fest entschiedene Ur­ teil anzuschließen pflegt. Die Evidenz der Wahrscheinlichkeit eines SachverJhalts A begründet zwar nicht die Evidenz seiner [A 1 4] Wahrheit, 1 aber sie begründet jene vergleichenden und evidenten [B 1 4] Wertschätzungen, vermöge deren wir je nach den positiven oder 20 negativen Wahrscheinlichkeitswerten vernünftige von unvernünf­ tigen, besser begründete von schlechter begründeten Annahmen, Meinungen, Vermutungen zu scheiden vermögen. Im letzten Grunde beruht also jede echte und speziell jede wissenschaftliche Erkenntnis auf Evidenz, und so weit die Evidenz reicht, so weit 25 reicht auch der Begriff des Wissens. Trotzdem bleibt eine Doppelheit im Begriff des Wissens (oder was uns als gleichbedeutend gilt : der Erkenntnis) bestehen. Wis­ sen im engsten Sinne des Wortes ist Evidenz davon, daß ein ge­ wisser Sachverhalt rbesteht oder nicht besteht1 2 ; z.B. daß S P 30 ist oder nicht ist ; also ist auch die Evidenz davon, daß ein ge­ wisser Sachverhalt in dem oder jenem Grade wahrscheinlich ist, in Beziehung darauf, daß er dies ist, ein Wissen im engsten Sinne ; dagegen liegt hier in Beziehung auf r den Bestand13 des Sach­ verhaltes selbst (und nicht seiner Wahrscheinlichkeit) ein Wissen 35 im weiteren, geänderten Sinne vor. In diesem letzteren spricht 1 A: rdie Wahrheitl . 2 A: rgilt oder nicht gilt1 . s A : rdie Geltung1 .

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D I E L O G I K ALS N O RMATIVE

man, den Wahrscheinlichkeitsgraden entsprechend, von einem bald größeren, bald geringeren Ausmaß von Wissen, und es gilt das Wissen im prägnanteren Sinne - die Evidenz davon, daß S P sei - als die absolut feste, ideale Grenze, der sich die Wahr5 scheinlichkeiten für das P-Sein des S in ihrer Steigerungsfolge asymptotisch annähern.1 Zum Begriff der Wissenschaft und ihrer Aufgabe gehört nun aber mehr als bloßes Wissen. Wenn wir innere Wahrnehmungen, einzeln oder gruppenweise, erleben urid als daseiend anerkennen, 10 so haben wir Wissen, aber noch lange nicht Wissenschaft. Und nicht anders verhält es sich mit zusammenhangslosen Gruppen von Wissensakten überhaupt. Zwar Mannigfaltigkeit des Wissens, aber nicht fbl o ß e1 2 Mannigfaltigkeit will die Wissenschaft uns geben. Auch die sachliche Verwandtschaft macht noch nicht die 1 5 ihr eigentümliche Einheit in der Mannigfaltigkeit des Wissens aus. Eine Gruppe vereinzelter 1 chemischer Erkenntnisse würde [A 1 5] gewiß nicht die Rede von einer chemischen Wissenschaft berechjtigen. Offenbar ist mehr erfordert, nämlich s y s t e m a t i s c h e r [B 1 5] Z u s am m e n h an g i m t h e o r e t i s c h e n S i n n e, und darin liegt 20 Begründung des Wissens und gehörige Verknüpfung und Ord­ nung in der Folge der Begründungen. Zum Wesen der Wissenschaft gehört also die Einheit des Be­ gründungszusammenhanges, in dem mit den einzelnen Erkennt­ nissen auch die Begründungen selbst und mit diesen auch die 25 höheren Komplexionen von Begründungen, die wir Theorien nennen, eine systematische Einheit erhalten. Ihr Zweck ist es eben, nicht Wissen schlechthin, sondern Wissen in solchem Aus­ maße und in solcher Form zu vermitteln, wie es unseren höchsten theoretischen Zielen in möglichster Vollkommenheit entspricht. 30 Daß uns die systematische Form als die reinste Verkörperung der Idee des Wissens erscheint, und daß wir sie praktisch an­ streben, darin äußert sich nicht etwa ein bloß ästhetischer Zug unserer Natur. Die Wissenschaft will und darf nicht das Feld eines architektonischen Spiels sein. Die Systematik, die der 35 Wissenschaft eignet, natürlich der echten und rechten Wissen­ schaft, erfinden wir nicht, sondern sie liegt in den Sachen, wo wir 1 In A schließt der Absatz mit einem Gedankenstrich. 2 In A nicht gesperrt.

U N D SPEZIELL ALS PRAKTI SCHE D I S Z I P L I N

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sie einfach vorfinden, entdecken. Die Wissenschaft will das Mittel sein, unserem Wissen das Reich der Wahrheit, und zwar in größt­ möglichem Umfange, zu erobern ; aber das Reich der Wahrheit ist kein ungeordnetes Chaos, es herrscht in ihm Einheit der 5 Gesetzlichkeit ; und so muß auch die Erforschung und Darlegung der Wahrheiten systematisch sein, sie muß deren systematische Zusammenhänge widerspiegeln und sie zugleich als Stufenleiter des Fortschrittes benützen, um von dem uns gegebenen oder bereits gewonnenen Wissen aus in immer höhere Regionen des 1 0 Wahrheitsreiches eindringen zu können. Dieser hilfreichen rstufenleiter1 1 kann sie nicht entraten. Die Evidenz, auf der schließlich alles Wissen beruht, ist nicht eine natürliche Beigabe, die sich mit der bloßen Vorstellung 1 der [A 1 6] Sachverhalte und ohne j ede methodisch-künstlichen Veranstal1 5 tungen 1 einfindet. Anderenfalls wären die Menschen auch nie [B 1 6] darauf verfallen, Wissenschaften aufzubauen. Methodische Um­ ständlichkeiten verlieren ihren Sinn, wo mit der Intention schon der Erfolg gegeben ist. Wozu die Begründungsverhältnisse er­ forschen und Beweise konstruieren, wenn man der Wahrheit in 20 unmittelbarem Innewerden teilhaftig wird ? Faktisch stellt sich aber die Evidenz, die den vorgestellten Sachverhalt als rbeste­ hend1 2, bzw. die Absurdität, die ihn als rnicht bestehend1 3 stempelt (und ähnlich in Hinsicht auf Wahrscheinlichkeit und Unwahrscheinlichkeit) , nur bei einer relativ höchst beschränkten 25 Gruppe primitiver Sachverhalte unmittelbar ein ; unzählige wahre Sätze erfassen wir als Wahrheiten nur dann, wenn sie methodisch „begründet" werden, d.h. in diesen Fällen stellt sich im bloßen Hinblick auf den Satzgedanken, wenn überhaupt urteilsmäßige Entscheidung, so doch nicht Evidenz ein ; aber es stellt sich, ge30 wisse normale Verhältnisse vorausgesetzt, beides zugleich ein, sowie wir von gewissen Erkenntnissen ausgehen und dann einen gewissen Gedankenweg zu dem intendierten Satze einschlagen. Es mag für denselben Satz mannigfaltige Begründungswege geben, die einen von diesen, die anderen von j enen Erkenntnissen 35 auslaufend ; aber charakteristisch und wesentlich ist der Umstand, i

A : rstufenleiternl . 2 A : rwahrheitl . s A : rFalschheit1 .

32

5

10

15

20

D I E L O G I K ALS N O RMATIVE

daß es unendliche Mannigfaltigkeiten von Wahrheiten gibt, die ohne dergleichen methodische Prozeduren nimmermehr in ein Wissen verwandelt werden können. Und daß es sich so verhält, daß wir Begründungen brauchen, um in der Erkenntnis, im Wissen über das unmittelbar Evidente und darum Triviale hinauszukommen, das macht nicht nur Wissenschaften möglich und nötig, sondern mit den Wissen­ schaften auch eine Wi s s e n s c h af t s l e h r e, eine L o gik. Ver­ fahren alle Wissenschaften methodisch im Verfolge der Wahrheit, haben sie alle mehr oder minder künstliche Hilfsmittel in Ge­ brauch, um Wahrheiten bzw. Wahrscheinlichkeiten, die sonst verborgen blieben, zur Erkenntnis zu bringen, und um das Selbst­ verständjliche oder bereits Gesicherte als Hebel zu nützen für die [A 1 7] Erreichung von Entlegenem, nur mittelbar Erreichbarem : dann dürfte doch die j vergleichende Betrachtung dieser methodischen [B 1 7] Hilfen, in denen die Einsichten und Erfahrungen ungezählter Forschergenerationen aufgespeichert sind, Mittel an die Hand geben, um allgemeine Normen für solche Verfahrungsweisen auf­ zustellen und desgleichen auch Regeln für die erfindende Konstruktion derselben je nach den verschiedenen Klassen von Fällen.

§

7. Fortsetzimg. DiederdreiBegründungen bedeutsamsten Eigentümlichkeiten

Überlegen wir, um etwas tiefer in die Sache zu dringen, die bedeutsamsten Eigentümlichkeiten dieser merkwürdigen Gedan25 kenverläufe, die wir Begründungen nennen. Sie haben, um auf ein E r s t e s hinzuweisen, in Beziehung auf ihren Gehalt den Charakter fester Gefüge. Nicht können wir, um zu einer gewissen Erkenntnis, z.B. der des Pythagoräischen Lehr­ satzes, zu gelangen, ganz beliebige aus den unmittelbar gegebenen 30 Erkenntnissen zu Ausgangspunkten wählen, und nicht dürfen wir im weiteren Verlaufe beliebige Gedankenglieder einfügen und ausschalten : soll die Evidenz des zu begründenden Satzes wirk­ lich aufleuchten, die Begründung also wahrhaft Begründung sein. Noch ein Z w e i t e s merken wir alsbald. Von vornherein, d.h. 35 vor dem vergleichenden Hinblick auf die Beispiele von Begrün­ dungen, die uns von überall her in Fülle zuströmen, möchte es als denkbar erscheinen, daß j ede Begründung nach Gehalt und Form

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ganz einzigartig sei. Eine Laune der Natur - dies dürften wir zunächst wohl für einen möglichen Gedanken halten - könnte unsere geistige Konstitution so eigensinnig gebildet haben, daß die uns j etzt so vertraute Rede von mannigfachen Begründungs5 f o r m e n eines jeden Sinnes bar und als Gemeinsames bei der Vergleichung irgendwelcher Begründungen immer nur das eine zu konstatieren wäre : Daß eben ein Satz 5, der für sich evidenzlos ist, den Charakter der Evidenz erJhält, wenn er im Zusammen- [A 1 8] bang auftritt mit gewissen, ihm ohne j edes rationale Gesetz ein 10 1 für allemal zugeordneten Erkenntnissen P 1P2 . . Aber so steht [B 1 8] die Sache nicht. Nicht hat eine blinde Willkür irgendeinen Haufen von Wahrheiten P 1P2 . . . S zusammengerafft und dann den menschlichen Geist so eingerichtet, daß er an die Erkenntnis der P 1P2 . . unweigerlich (bzw. unter „normalen" Umständen) die 15 Erkenntnis von S anknüpfen muß . In keinem einzigen Falle verhält es sich so. Nicht Willkür und Zufall herrscht in den Be­ gründungszusammenhängen, sondern Vernunft und Ordnung, und das heißt : regelndes Gesetz. Kaum bedarf es eines Beispiels zur Verdeutlichung. Wenn wir in einer mathematischen Aufgabe, 20 die ein gewisses Dreieck ABC betrifft, den Satz anwenden „ein gleichseitiges Dreieck ist gleichwinklig", so vollziehen wir eine Begründung, die expliziert lautet : Jedes gleichseitige Dreieck ist gleichwinklig, das Dreieck ABC ist gleichseitig, also ist es gleich­ winklig. Setzen wir daneben die arithmetische Begründung : Jede 25 dekadische Zahl mit gerader Endziffer ist eine gerade Zahl, 364 ist eine dekadische Zahl mit gerader �ndziffer, also ist sie eine gerade Zahl. Wir bemerken sofort, daß diese Begründungen etwas Gemeinsames haben, eine gleichartige innere Konstitution, die wir verständlich ausdrücken in der „Schlußform" : Jedes A ist B, 30 X ist A, also ist XE . Aber nicht bloß diese zwei Begründungen haben diese gleiche Form, sondern ungezählte andere. Und noch mehr. Die Schlußform repräsentiert einen Klassenbegriff, unter den die unendliche Mannigfaltigkeit von Sätzeverknüpfungen der in ihr scharf ausgeprägten Konstitution fällt. Zugleich besteht 35 aber das apriorische G e s e t z, daß jede v o r g e b l i c h e Begrün­ dung, die ihr gemäß verläuft, auch wirklich eine r i c h t i g e ist, wofern sie überhaupt von richtigen Prämissen ausgeht. Und dies gilt allgemein. Wo immer wir von gegebenen Erkennt­ nissen begründend aufsteigen zu neuen, da wohnt dem Begrün.

.

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dungswege eine gewisse Form ein, die ihm gemeinsam ist mit unzähligen anderen Begründungen, und die in gewisser 1 Bezie- [A 1 9] hung steht zu einem allgemeinen Gesetze, das alle diese einzelnen Begründungen mit einem Schlage zu rechtfertigen gelstattet. [B 1 9] 5 Keine Begründung steht, dies ist die höchst merkwürdige Tat­ sache, isoliert. Keine knüpft Erkenntnisse an Erkenntnisse, ohne daß, sei es in dem äußerlichen Modus der Verknüpfung, sei es in diesem und zugleich in dem inneren Bau der einzelnen Sätze, ein bestimmter Typus ausgeprägt wäre, der, in allgemeine Begriffe 10 gefaßt, sofort zu einem allgemeinen, auf eine Unendlichkeit mög­ licher Begründungen bezüglichen Gesetze überleitet. Endlich sei noch ein D r i t t e s als merkwürdig hervorgehoben. Von vornherein, d.h. vor der Vergleichung der Begründungen v e r s c hi e d e n e r Wissenschaften, möchte man den Gedanken 1 5 für möglich halten, daß die Begründungsformen an Erkenntnis­ gebiete gebunden seien. Wenn schon nicht überhaupt mit den Klassen von Objekten die zugehörigen Begründungen wechseln, so könnte es doch sein, daß sich die Begründungen nach gewissen sehr allgemeinen Klassenbegriffen, etwa denjenigen, welche die 20 Wissenschaftsgebiete abgrenzen, scharf sondern. Ist es also nicht so, daß keine Begründungsform existiert, die zwei Wissenschaften gemeinsam ist, der Mathematik z.B. und der Chemie ? Indessen auch dies ist offenbar nicht der Fall, wie schon das obige Beispiel lehrt. Keine Wissenschaft, in der nicht Gesetze auf singuläre Fälle 2 5 übertragen rwürden1 1, also Schlüsse der uns als Beispiel dienen­ den Form öfter raufträten1 2. Und dasselbe gilt von vielen Schluß­ arten sonst. Ja wir werden sagen dürfen, daß alle anderen Schluß­ arten sich so verallgemeinern, sich so „rein" fassen lassen, daß sie von jeder wesentlichen Beziehung auf ein konkret beschränktes 30 Erkenntnisgebiet frei werden. § 8. Die Beziehung dieser Eigentümlichkeiten zur Möglichkeit von Wissenschaft und Wissenschaftslehre Diese Eigentümlichkeiten der Begründungen, deren Merkwür­ digkeit uns nicht auffällt, weil wir allzuwenig geneigt sind, 1 das [A 20) 1

B

Fehlt in A. A : rauftreten würden1 ,

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Alltägliche zum Problem zu machen, stehen in ersichtlicher 1 [B 20] Beziehung zur M ö g l i c h k e i t e i n e r Wi s s e n s ch a f t und weiterhin einer Wi s s e n s c h a f t s l e h r e . Daß e s Begründungen gibt, reicht i n dieser Beziehung nicht 5 hin. Wären sie form- und gesetzlos, bestände nicht rdiese1 1 fun­ damentale Wahrheit, daß allen Begründungen eine gewisse „Form" einwohnt, die nicht dem hie et nunc vorliegenden Schlusse (dem einfachen oder noch so komplizierten) eigentümlich, sondern für eine ganze Klasse von Schlüssen typisch ist, und daß zugleich 1 0 die Richtigkeit der Schlüsse dieser ganzen Klasse eben durch ihre Form verbürgt ist, bestände vielmehr in all dem das Gegenteil dann gäbe es keine Wissenschaft. Das Reden von einer Methode, von einem systematisch geregelten Fortschritt von Erkenntnis zu Erkenntnis, hätte keinen Sinn mehr, j eder Fortschritt wäre Zu15 fall. Da würden einmal zufällig die Sätze P1P2 . . . in unserem Bewußtsein zusammentreffen, die dem Satze S die Evidenz zu verleihen fähig sind, und richtig würde die Evidenz aufleuchten. Es wäre nicht mehr möglich, aus einer zustande gekommenen Begründung für die Zukunft das Geringste zu lernen in Beziehung 20 auf neue Begründungen von neuer Materie ; denn keine Begrün­ dung hätte etwas Vorbildliches für irgendeine andere, keine ver­ körperte in sich einen Typus, und so hätte auch keine Urteils­ gruppe, als Prämissensystem gedacht, etwas Typisches an sich, das sich uns (ohne begriffliche Hervorhebung, ohne Rekurs auf 25 die explizierte „Schlußform") im neuen Falle und bei Gelegenheit ganz anderer „Materien" aufdrängen und2 die Gewinnung einer neuen Erkenntnis erleichtern könnte. Nach einem Beweis für einen vorgegebenen Satz forschen, hätte keinen Sinn. Wie sollten wir dies auch anstellen ? Sollten wir alle möglichen Satzgruppen 30 durchprobieren, ob sie als Prämissen für den vorliegenden Satz brauchbar seien ? Der Klügste hätte hier vor dem Dümmsten nichts voraus, und res ist fraglich, ob er vor ihm überhaupt noch etwas Wesentliches voraus hätte1 3. Eine reiche Phantasie, ein 1 [A 2 1 ] umfassendes Gedächtnis, die Fähigkeit angespannter Aufmerki

A : rdiel . 2 In A folgt : rnach den Gesetzen der Ideenassoziationl . a A : res ist überhaupt fraglich, ob er vor ihm noch etwas Wesentliches voraus hätte1 .

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5

io

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samkeit und dgl. mehr sind schöne Dinge, aber intellektuelle Bedeutung gewinnen sie nur bei einem d e n l k e n d e n Wesen, [B 2 1 ] dessen Begründen und Erfinden unter gesetzlichen Formen steht. Denn es gilt allgemein, daß in einer beliebigen psychischen Komplexion nicht bloß die Elemente, sondern auch die verknüp­ fenden Formen assoziative bzw. reproduktive Wirksamkeit üben. So kann sich also die Form unserer theoretischen Gedanken und Gedankenzusammenhänge als förderlich erweisen. Wie z.B. die Form gewisser Prämissen den zugehörigen Schlußsatz mit besonderer Leichtigkeit hervorspringen läßt, weil uns früher Schlüsse derselben Form gelungen waren, so kann auch die Form eines zu beweisenden Satzes gewisse Begründungsformen in Erinnerung bringen, welche ähnlich geformte Schlußsätze früher ergeben hatten. Ist es auch nicht klare und eigentliche Erinnerung, so ist es doch ein Analogon davon, gewissermaßen latente Erinnerung, es ist „unbewußte Erregung" (im Sinne B. E r d m a n n s) ; j eden­ falls ist es etwas, das sich für das leichtere Gelingen von Beweis­ konstruktionen (und nicht allein in den Gebieten, wo die argu­ menta in forma vorherrschen, wie in der Mathematik) höchst förderlich zeigt. Der geübte Denker findet leichter Beweise als der ungeübte, und warum dies ? Weil sich ihm die Typen der Beweise durch mannigfache Erfahrung immer tiefer eingegraben haben und darum für ihn viel leichter wirksam und die Gedankenrich­ tung bestimmend sein müssen. In gewissem Umfang übt das wissenschaftliche Denken beliebiger Gattung für wissenschaft­ liches Denken überhaupt ; daneben aber gilt, daß in besonderem Maß und Umfang das mathematische Denken speziell für Mathe­ matisches, das physikalische speziell für Physikalisches prädispo­ niert usw. Ersteres beruht auf dem Bestande typischer Formen, die allen Wissenschaften gemein sind, letzteres auf dem Bestande anderer (eventuell als bestimmt gestaltete Komplexionen j ener zu charakterisierenden) Formen, die zu der Besonderheit der ein­ zelnen Wissenschaften ihre besondere Bei ziehung haben. Die [A 22] Eigenheiten des wissenschaftlichen Taktes, der vorausblickenden Intuition und Divination hängen hiermit zusammen. Wir sprechen von einem philologischen Takt und Blick, von einem mathematischen usw. 1 Und wer besitzt ihn ? Der durch vielj ährige Übung [B 22] geschulte Philologe bzw. Mathematiker usw. In der allgemeinen Natur der Gegenstände des j eweiligen Gebietes wurzeln gewisse

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Formen sachlicher Zusammenhänge, und diese bestimmen wieder typische Eigentümlichkeiten der gerade in diesem Gebiete vor­ wiegenden Begründungsformen. Hierin liegt die Basis für die vorauseilenden wissenschaftlichen Vermutungen. Alle Prüfung, 5 Erfindung und Entdeckung beruht so auf den Gesetzmäßigkeiten der Form. Ermöglicht nach all dem die g e r e g e l t e F o r m den Bestand von Wi s s e n s ch a f t e n, so ermöglicht auf der anderen Seite die in weitem Umfange bestehende U n ab h ä n g i g k e i t d e r F o r m 1 0 v o m Wi s s e n s g e b i e t den Bestand einer Wi s s e n s c h a f t s l e h r e. Gälte diese Unabhängigkeit nicht, so gäbe es nur einander beige­ ordnete und den einzelnen Wissenschaften einzeln entsprechende Logiken, aber nicht die allgemeine Logik. In Wahrheit finden wir aber beides nötig : wissenschaftstheoretische Untersuchungen, 1 5 welche alle Wissenschaften gleichmäßig betreffen, und zur Er­ gänzung derselben besondere Untersuchungen, welche die Theorie und Methode der einzelnen Wissenschaften betreffen und das diesen Eigentümliche zu erforschen suchen. So dürfte die Hervorhebung j ener Eigentümlichkeiten, die sich 20 bei der vergleichenden Betrachtung der Begründungen ergaben, nicht nutzlos gewesen sein, auf unsere Disziplin selbst, auf die Logik im Sinne einer Wissenschaftslehre, einiges Licht zu werfen. § 9. Die methodischen Verfahrungsweisen in den Wissenschaften

teils Begründungen, teils Hilfsverrichtungen für Begründungen 25

Doch es bedarf noch einiger Ergänzungen, zunächst hinsichtlich unserer Beschränkung auf die Begründungen, die 1 doch den [A 23] Begriff des methodischen Verfahrens nicht erschöpfen. Den Be­ gründungen kommt aber eine zentrale Bedeutung zu, die unsere vorläufige Beschränkung rechtfertigen wird. 30 1 Man kann nämlich sagen : daß alle wissenschaftlichen Metho- [B 23] den, die nicht selbst den Charakter von wirklichen Begründungen (sei es einfachen oder noch so komplizierten) haben, e n t w e d e r denkökonomische A b b r e v i a t u r e n und S u r r o g a t e von Be­ gründungen sind, die, nachdem sie selbst durch Begründungen 35 ein für allemal Sinn und Wert empfangen haben, bei ihrer prak­ tischen Verwendung zwar die Leistung, aber nicht den einsichti­ gen Gedankengehalt von Begründungen in sich schließen ; o d e r

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daß sie mehr oder weniger komplizierte H i l f s v e r r i c h t u n g e n darstellen, die zur Vorbereitung, zur Erleichterung, Sicherung oder Ermöglichung künftiger Begründungen dienen und abermals keine diesen wissenschaftlichen Grundprozessen gleichwertige und 5 neben ihnen selbständige Bedeutung beanspruchen dürfen. So ist es z.B., um uns an die z w e i t erwähnte Methodengruppe anzuschließen, ein wichtiges Vorerfordernis für die Sicherung von Begründungen überhaupt, daß die Gedanken in angemessener Weise zum Ausdruck kommen mittels wohl unterscheidbarer und 10 eindeutiger Zeichen. Die Sprache bietet dem Denker ein in weitem Umfang anwendbares Zeichensystem zum Ausdruck seiner Ge­ danken, aber obschon niemand desselben entraten kann, so stellt es doch ein höchst unvollkommenes Hilfsmittel der strengen Forschung dar. Die schädlichen Einflüsse der Äquivokationen 1 5 auf die Triftigkeit der Schlußfolgerungen sind allbekannt. Der vorsichtige Forscher darf die Sprache also nicht ohne kunst­ mäßige Vorsorgen verwenden, er muß die gebrauchten Termini, soweit sie rnicht eindeutig sind1 1 und scharfer Bedeutung er­ mangeln, definieren. In der N o m i n a l d e f i n i t i o n sehen wir also 20 ein methodisches Hilfsverfahren zur Sicherung der Begründun­ gen, dieser primär und eigentlich theoretischen Prozeduren. 1 Ähnlich verhält es sich mit der N o m e n kl a t u r. Kurze und [A 24] charakteristische Signaturen für wichtigere und häufig wieder­ kehrende Begriffe sind - um nur eines zu erwähnen - überall 25 da unerläßlich, wo diese Begriffe mit dem ursprünglichen Vorrat von definierten Ausdrücken nur sehr umständlich zum Ausdruck 1 kämen ; denn umständliche, vielfach ineinander geschachtelte [B 24] Ausdrücke erschweren die begründenden Operationen oder machen sie sogar unausführbar. 30 Von ähnlichen Gesichtspunkten läßt sich auch die Methode der K l a s s i f i k a t i o n betrachten usf. Beispiele zur e r s t e n Methodengruppe bieten uns die so über­ aus fruchtbaren a l g o r i t h m i s c h e n M e t h o d e n, deren eigen­ tümliche Funktion es ist, uns durch künstliche Anordnungen 35 mechanischer Operationen mit sinnlichen Zeichen einen mög­ lichst großen Teil der eigentlichen deduktiven Geistesarbeit zu ersparen. Wie Wunderbares diese Methoden auch leisten, sie ge1 A: reindeutigerl .

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winnen Sinn und Rechtfertigung nur aus dem Wesen des begrün­ denden Denkens. Hierher gehören auch die in wörtlichem Sinne mechanischen Methoden - man denke an die Apparate für me­ chanische Integration, an Rechenmaschinen u. dgl. -, ferner die methodischen Verfahrungsweisen zur Feststellung objektiv gül­ tiger Erfahrungsurteile, wie die mannigfaltigen Methoden zur Bestimmung einer Sternposition, eines elektrischen Widerstandes, einer trägen Masse, eines Brechungsexponenten, der Konstanten der Erdschwere usw. Jede solche Methode repräsentiert eine Summe von Vorkehrungen, deren Auswahl und Anordnung durch einen Begründungszusammenhang bestimmt wird, welcher allge­ mein nachweist, daß ein so geartetes Verfahren, mag es auch blind vollzogen sein, notwendigerweise ein objektiv gültiges Einzel­ urteil liefern müsse. Doch genug der Beispiele. Es ist klar : Jeder wirkliche Fort­ schritt der Erkenntnis vollzieht sich in der Begründung ; auf sie haben daher alle die methodischen Vorkehrungen und Kunstgriffe Beziehung, von denen über die Begründungen hinaus die Logik noch handelt. Dieser Beziehung verdanken sie auch 1 ihren typi- [A 25] sehen Charakter, der ja zur Idee der Methode wesentlich gehört. Um dieses Typischen willen ordnen sie sich übrigens in die Be­ trachtungen des vorigen Paragraphen ebenfalls mit ein. § 1 0. Die Ideen Theorie und Wissenschaft als

Probleme der Wissenschaftslehre Aber noch einer weiteren Ergänzung bedarf es. Natürlich hat res1 1 die Wissenschaftslehre, so wie sie sich uns hier ergeben hat, nicht bloß mit der Erforschung der Formen und Gesetzmäßig­ keiten einzelner Begründungen (und der ihnen zugeordneten Hilfsverrichtungen) zu tun. Einzelne Begründungen finden wir j a 3 0 auch außerhalb der Wissenschaft, und somit ist klar, daß einzelne Begründungen - und ebenso zusammengeraffte Haufen von Be­ gründungen - noch keine Wissenschaft ausmachen. Dazu ge­ hört, wie wir uns oben ausdrückten, eine gewisse Einheit des Begründungszusammenhanges, eine gewisse Einheit in der Stu35 fenfolge von Begründungen ; und diese Einheitsform hat selbst

25

1 Fehlt in A.

[B 25]

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ihre hohe teleologische Bedeutung für die Erreichung des ober­ sten Erkenntniszieles, dem alle Wissenschaft zustrebt : uns in der Erforschung der Wahrheit - d.h. aber nicht in der Erforschung einzelner Wahrheiten, sondern des Reiches der Wahrheit bzw. der 5 natürlichen Provinzen, in die es sich gliedert - nach Möglichkeit zu fördern. Die Aufgabe der Wissenschaftslehre wird es also auch sein, von den Wi s s e n s c h a f t e n a l s s o u n d s o g e a r t e t e n s y s t e m a­ t i s c h e n E i n h e i t e n zu handeln, m.a.W. von dem, was sie der 1 0 Form nach als Wissenschaften charakterisiert, was ihre wechsel­ seitige Begrenzung, was ihre innere Gliederung in Gebiete, in relativ geschlossene Theorien bestimmt, welches ihre wesentlich verschiedenen Arten oder Formen sind u. dgl. Man kann diese systematischen Gewebe von Begründungen 1 5 ebenfalls dem Begriff der Methode unterordnen und somit der Wissenschaftslehre nicht bloß die Aufgabe zuweisen, von den Wissensmethoden zu handeln, die in den Wissenschaften auf\- [A 26] treten, sondern auch von denjenigen, welche selbst Wissenschaften heißen. Nicht allein gültige und ungültige Begründungen, 20 sondern auch gültige und ungültige Theorien und Wissenschaften zu scheiden, fällt ihr zu. Die Aufgabe, die ihr damit zugewiesen wird, ist \ von der früheren offenbar nicht unabhängig, sie setzt [B 26] in beträchtlichem Umfange deren vorgängige Lösung voraus ; denn die Erforschung der Wissenschaften als systematischer Ein25 heiten ist nicht denkbar ohne die vorgängige Erforschung der Begründungen. Jedenfalls liegen beide im Begriffe einer Wissen­ schaft von der Wissenschaft als solcher. § 1 1 . Die Logik oder Wissenschaftslehre als normative Disziplin und als Kunstlehre Nach dem, was wir bisher erörtert haben, ergibt sich die Logik - in dem hier fraglichen Sinne einer Wissenschaftslehre - als eine n o r m a t i v e D i s zi p l i n . Wissenschaften sind Geistesschöp­ fungen, die nach einem gewissen Ziele gerichtet und darum auch diesem Ziele gemäß zu beurteilen sind. Und dasselbe gilt von den 35 Theorien, Begründungen und allem überhaupt, was wir Methode nennen. Ob eine Wissenschaft in Wahrheit Wissenschaft, eine Methode in Wahrheit Methode ist, das hängt davon ab, ob sie

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dem Ziele gemäß ist, dem sie zustrebt. Was den wahrhaften, den gültigen Wissenschaften als solchen zukommt, m.a.W. , was die Idee der Wissenschaft konstituiert, will die Logik erforschen, damit wir daran messen können, ob die empirisch vorliegenden 5 Wissenschaften ihrer Idee entsprechen, oder inwieweit sie sich ihr nähern, und worin sie gegen sie verstoßen. Dadurch bekundet sich die Logik als normative Wissenschaft und scheidet von sich ab die vergleichende Betrachtungsweise der historischen Wissen­ schaft, welche die Wissenschaften als konkrete Kulturerzeugnisse 1 0 der j eweiligen Epochen nach ihren t y p i s c h e n Eigentümlich­ keiten und Gemeinsamkeiten zu erfassen und aus den Zeitver­ hältnissen zu erklären versucht. Denn das ist das Wesen der normativen Wissenschaft, daß sie allgemeine Sätze 1 begründet, [A 27] in welchen mit Beziehung auf ein normierendes Grundmaß - z.B. 1 5 eine Idee oder einen obersten Zweck - bestimmte Merkmale an­ gegeben sind, deren Besitz die Angemessenheit an das Maß verbürgt oder umgekehrt eine unerläßliche Bedingung für diese An­ gemessenheit 1 beistellt ; desgleichen auch verwandte Sätze, in [B 27) welchen der Fall der Unangemessenheit berücksichtigt oder das 20 Nichtvorhandensein solcher Sachlagen ausgesprochen ist. Nicht als ob sie allgemeine Kennzeichen zu geben brauchte, die besagen, wie ein Obj ekt überhaupt beschaffen sein soll, um der Grundnorm zu entsprechen ; so wenig die Therapie Universalsymptome an­ gibt, so wenig gibt irgendeine normative Disziplin Universalkri25 terien. Was uns im besonderen die Wissenschaftslehre gibt und allein geben kann, sind Spezialkriterien. Indem sie feststellt, daß im Hinblick auf das oberste Ziel der Wissenschaften und auf die faktische Konstitution des menschlichen Geistes, und was sonst noch in Betracht kommen mag, die und die Methoden, etwa 30 M1M2 . , erwachsen, spricht sie Sätze der Form aus : Jede Gruppe von Geistesbetätigungen der Arten a.ß , die in der Komplexionsform M1 (bzw. M 2 ) sich abwickeln, liefert einen Fall richtiger Methode ; oder was gleichwertig ist : Jedes (angeb­ lich) methodische Verfahren der Form M 1 (bzw. M2 . . . ) ist ein 35 richtiges. Gelänge es, alle an sich möglichen und gültigen Sätze dieser und verwandter Art wirklich aufzustellen, dann allerdings enthielte die normative Disziplin die messende Regel für j ede angebliche Methode überhaupt, aber auch dann nur in Form von Spezialkriterien. . .

.

• • •





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Wo die Grundnorm ein Zweck ist oder Zweck werden kann, geht aus der normativen Disziplin durch eine naheliegende Er­ weiterung ihrer Aufgabe eine Kunstlehre hervor. So auch hier. Stellt sich die Wissenschaftslehre die weitergehende Aufgabe, die 5 unserer Macht unterliegenden Bedingungen zu erforschen, von denen die Realisierung gültiger Methoden abhängt, und Regeln aufzustellen, wie wir in der methodischen Überlistung der Wahrheit verfahren, wie wir Wissenschaften triftig 1 abgrenzen und [A 28] aufbauen, wie wir im besonderen die mannigfachen in ihnen 1 0 förderlichen Methoden erfinden oder anwenden, und wie wir uns in allen diesen Beziehungen vor Fehlern hüten sollen : so wird sie zur K u n s t l e h r e v o n d e r Wis s e n s c h a f t . Offenbar schließt diese die normative Wissenschaftslehre rganz1 1 in sich, und es ist daher vermöge ihres unzweifelhaften Wertes durchaus an-1 [B 28] 15 gemessen, wenn man den Begriff der Logik entsprechend erweitert und sie im Sinne dieser Kunstlehre definiert. § 1 2. Hierhergehörige rnefinitionen1 2 der Logik Die Definition der Logik als einer Kunstlehre ist von alters her sehr beliebt, doch lassen die näheren Bestimmungen in der Regel 20 zu wünschen übrig. Definitionen wie Kunstlehre des Urteilens, des Schließens, der Erkenntnis, des Denkens (l' art de penser) sind mißdeutlich und j edenfalls zu enge. Begrenzen wir z.B. in der letzterwähnten und noch heute gebrauchten Definition die vage Bedeutung des Terminus „denken" auf den Begriff des richtigen 25 Urteils, so lautet die Definition : Kunstlehre vom richtigen Urteil. Daß diese Definition aber zu enge ist, geht nun daraus hervor, daß aus ihr der Zweck der wissenschaftlichen Erkenntnis nicht ableitbar ist. Sagt man : der Zweck des Denkens werde rvoll­ kommen 13 erst in der Wissenschaft erfüllt, so ist dies unzweifel30 haft richtig ; aber es ist damit auch zugegeben, daß eigentlich nicht das Denken bzw. die Erkenntnis, der Zweck der fraglichen Kunstlehre ist, sondern dasjenige, dem das Denken selbst Mittel ist. 1 A : rvoll und ganz1 . 2 A : rDefinitionl . Die Veränderung in B entspricht dem Wortlaut des Titels im Inhaltsverzeichnis von A sowie den „Berichtigungen" zu A. 3 A : rvoll und ganz1 .

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Ähnlichen Bedenken unterliegen die übrigen Definitionen. Sie unterliegen auch dem neuerdings wieder von B e r g m a n n er­ hobenen Einwande, daß wir in der Kunstlehre einer Tätigkeit - z.B. des Maiens, des Singens, des Reitens - vor allem erwarten 5 müßten, „daß sie zeige, was man tun müsse, damit die betreffende Tätigkeit richtig vollzogen werde, z.B. wie man beim Malen den Pinsel fassen und führen, beim Singen die Brust, die Kehle und den Mund gebrauchen, beim Reiten 1 den Zügel anziehen und [A 29] nachlassen und mit den Schenkeln drücken müsse" . So kämen 10 in den Bereich der Logik ihr ganz fremdartige Lehren. * 1 Näher der Wahrheit steht sicherlich S c h l e i e r m a c h e r s De- [ B 29] finition der Logik als Kunstlehre von der wissenschaftlichen Er­ kenntnis. Denn selbstverständlich wird man in der so begrenzten Disziplin nur die Besonderheit der wissenschaftlichen Erkenntnis 15 zu berücksichtigen und, was sie fördern kann, zu erforschen ha­ ben ; während die entfernteren Vorbedingungen, welche das Zu­ standekommen von Erkenntnis überhaupt begünstigen, der Pä­ dagogik, der Hygiene usw. überlassen bleiben. Indessen kommt in S ch l e i e r m a c h e r s Definition nicht ganz deutlich zum Aus20 druck, daß es dieser Kunstlehre auch obliege, die Regeln aufzu­ stellen, denen gemäß Wissenschaften abzugrenzen und aufzu­ bauen sind, während umgekehrt dieser Zweck den der wissen­ schaftlichen Erkenntnis einschließt. Vortreffliche Gedanken zur Umgrenzung unserer Disziplin findet man in B o l z a n o s 25 aber mehr in den kritischen Voruntersuchungen als in der Definition, die er selbst bevorzugt. Diese lautet befremdlich genug : die Wissenschaftslehre (oder Logik) sei „diejenige Wissen­ schaft, welche uns anweise, wie wir rdie1 1 Wissenschaften in zweckmäßigen Lehrbüchern darstellen sollen". * *

Wissen-

schaftslehre,

* B e r g m a n n, Die Grundprobleme der Logik•, 1 895, S . 7f. - Vgl. auch Dr. B. B o l z a n o s Wissenschafts/ehre (Sulzbach 1 637), I, S. 24. „Gehört z.B. die Frage, ob Koriander ein Mittel zur Stärkung des Gedächtnisses sei, in die Logik ? Und doch müßte sie es, wäre die Logik eine ars rationis /ormandae im ganzen Umfange der Worte." •• B o l z a n o, a. a. 0. I , S. 7. Allerdings ist der IV. Bd. der Wissenschaftslehre speziell der Aufgabe gewidmet, welche die Definition ausspricht. Aber es mutet sonderbar an, daß die unvergleichlich wichtigeren Disziplinen, welche die drei ersten Bände be· handeln, bloß als Hilfsmittel einer Kunstlehre von den wissenschaftlichen Lehr· büchern dargestellt sein sollen. Natürlich beruht auch die Größe dieses noch lange nicht genug geschätzten, ja fast gar nicht benutzten Werkes auf den Forschungen dieser r ersten l • Bände. i

Fehlt in A.

2 A : rersterenl .

ZWEITES KAPITEL

THEORETISCHE DISZIPLINEN ALS FUNDAMENTE NO RMATIVER § 1 3. Der Streit um den praktischen Charakter der Logik

Aus unseren letzten Betrachtungen ist die Berechtigung einer Logik als Kunstlehre als so selbstverständlich hervorgegangen, daß es verwunderlich erscheinen muß, wie in diesem Punkte ein Streit je hat bestehen können. Eine praktisch gerichtete Logik ist ein unabweisbares Postulat aller Wissenschaften, und dem ent1 0 spricht es auch, daß die Logik historisch aus praktischen Motiven des Wissenschaftsbetriebes erwachsen ist. Dies geschah bekannt­ lich in j enen denkwürdigen Zeiten, als die neu aufkeimende griechische Wissenschaft in Gefahr geriet, den Angriffen der Skeptiker und Subjektivisten zu unterliegen, und alles weitere 1 5 Gedeihen der Wissenschaft davon abhing, objektive Wahrheits­ kriterien zu finden, welche den täuschenden Schein der sophisti­ schen Dialektik zu zerstören rvermochten1 1. Wenn man gleichwohl, zumal in neuerer Zeit unter K an t s Einflusse, der Logik den Charakter einer Kunstlehre wiederholt 20 aberkannt hat, während man dieser Charakterisierung auf der anderen Seite fortgesetzt Wert beimaß, so kann sich der Streit doch nicht um die bloße Frage gedreht haben, ob es möglich sei, der Logik praktische Ziele zu setzen und sie darnach als eine Kunstlehre zu fassen. Hat doch K a n t selber von einer ange25 wandten Logik gesprochen, welcher die Regelung des Verstandes­ gebrauchs „unter den zufälligen Bedingungen des Subjekts, die

5

1 A : rvermöchten1 .

{

[A 30] [B 30]

THEORETISCHE DISZIPLINEN

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diesen Gebrauch hindern und befördern können'',* obliege, und von welcher wir auch lernen können, „was den richtigen Ver­ standesgebrauch befördert, die Hilfsmittel desselben 1 oder die [A 3 1 ] Heilungs lmittel von logischen Fehlern oder Irrtümern" . * * Wenn [ B 3 1 ] 5 e r sie auch nicht eigentlich als Wissenschaft gelten lassen will, wie die r e i n e Logik,*** wenn er sogar meint, daß sie „eigentlich nicht Logik heißen sollte",* * * * so wird es doch j edermann frei­ stehen , das Ziel der Logik so weit zu stecken, daß sie die ange­ wandte, also praktische* * * * * mit umfaßt. Allenfalls mag man 1 0 darüber streiten - und dies ist auch ausreichend geschehen -, ob für die Förderung der menschlichen Erkenntnis durch eine Logik als praktische Wissenschaftslehre ein erheblicher Gewinn zu erhoffen sei ; ob man sich z.B. von einer Erweiterung der alten Logik, die nur zur Prüfung gegebener Erkenntnisse dienen könne, 15 um eine ars inventiva, eine „Logik der Entdeckung" wirklich so große Umwälzungen und Fortschritte versprechen dürfe, wie L e i b n i z dies bekanntlich geglaubt hat, u. dgl. Aber dieser Streit betrifft keine prinzipiell bedeutsamen Punkte, und er entscheidet sich durch die klare Maxime, daß schon eine mäßige Wahrschein20 lichkeit für eine künftige Förderung der Wissenschaften die BeA 32 arbeitung einer II dahin abzielenden normativen Disziplin rechtB 32 fertige ; davon abgesehen, daß die abgeleiteten Regeln an sich eine wertvolle Bereicherung der Erkenntnis darstellen. Die eigentliche und prinzipiell wichtige Streitfrage, die leider

{i 1

s.

• Kritik d. r. V., Einleitung zur transz. Logik I, letzter Absatz. •• K a n t s Logik, Einleitung II. ( W W, H a r t e n s t e i n sche Ausgabe 1 867, VIII. 1 8.)

••• Kritik d. r. V„ a. a. •••• Logik, a. a. 0.

0.

( WW, III. S. 83 . )

* * * * * Wenn K a n t in einer allgemeinen Logik mit einem praktischen Teil eine con­ tradictio in adjecto sieht und darum die Einteilung der Logik in theoretische und prak­ tische verwirft (Logik, Einleitung II. sub 3), so hindert uns dies gar nicht, das, was er angewandte Logik nennt, als praktische zu schätzen. Eine „praktische Logik" setzt, wenn der Ausdruck in seiner gemeinen Bedeutung genommen wird, keineswegs not­ wendig voraus „die Kenntnis einer gewissen Art von Gegenständen, worauf sie ange­ wendet wird", aber wohl die eines Geistes J der im Streben nach Erkenntnis durch sie gefördert werden soll. I n doppelter Richtung kann Anwendung statthaben : Mit Hilfe logischer Regeln können wir Nutzen ziehen für ein besonderes Erkenntnisgebiet dies gehört zur besonderen Wissenschaft und der sich ihr anscbließenden Methodo­ logie. Andererseits ist es aber auch denkbar, daß wir mit Hilfe der idealen, von der Besonderheit des menschlichen Geistes unabhängigen Gesetze der reinen Logik (falls es dergleichen gibt) praktische Regeln ableiten, die auf die besondere Natur des Menschen (in specie) Rücksicht nehmen. Dann hätten wir eine allgemeine und doch praktische Logik.

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THEORETI S C H E D I S ZIPLI N E N

von keiner Seite klar präzisiert worden ist, liegt i n ganz anderer Richtung ; sie geht dahin, ob denn die Definition der Logik als Kunstlehre ihren w e s e n t l i c h e n C h a r a k t e r treffe. Es fragt sich m.a.W. , ob es n u r der praktische Gesichtspunkt rsei1 1, 5 welcher das Recht der Logik als einer eigenen wissenschaftlichen Disziplin begründe, während vom theoretischen Standpunkte aus all das, was die Logik an Erkenntnissen sammle, einerseits in rein theoretischen Sätzen bestehe, die in sonst bekannten theo­ retischen Wissenschaften, hauptsächlich aber in der Psychologie, 10 ihr ursprüngliches Heimatsrecht beanspruchen müssen, und an­ dererseits in Regeln, die auf diese theoretischen Sätze gegründet sind. In der Tat liegt wohl auch das Wesentliche2 der Auffassung K a n t s nicht darin, daß er den praktischen Charakter der Logik 1 5 bestreitet, sondern daß er eine gewisse Begrenzung bzw. Ein­ schränkung der Logik für möglich und in erkenntnistheoretischer Hinsicht für fundamental hält, wonach sie als eine völlig unab­ hängige, im Vergleich mit den anderweitig bekannten Wissen­ schaften neue, und zwar rein theoretische Wissenschaft dasteht, 20 welcher nach Art der Mathematik j eder Gedanke an eine mögliche Anwendung äußerlich bleibt, und welche der Mathematik auch darin gleicht, daß sie eine apriorische und rein demonstrative Disziplin ist. Die Einschränkung der Logik auf ihren theoretischen Wissens25 gehalt führt nach der vorherrschenden Form der gegnerischen Lehre auf psychologische, evtl. auch grammatische und andere Sätze ; also auf kleine Ausschnitte aus anderweitig abgegrenzten und dazu empirischen Wissenschaften ; nach K an t stoßen wir vielmehr noch auf ein in sich geschlossenes, selbständiges und dazu 30 apriorisches Gebiet theoretischer Wahrheit, auf die reine Logik. 33] [A II Man sieht, daß in diesen Lehren noch andere bedeutsame 33 B Gegensätze mitspielen, nämlich ob die Logik als apriorische oder empirische, unabhängige oder abhängige, demonstrative oder nichtdemonstrative Wissenschaft zu gelten habe. Scheiden wir 35 diese, als unseren nächsten Interessen fernliegend, ab, so bleibt nur die oben hingestellte Streitfrage übrig ; wir abstrahieren auf

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A : ristl . 2 In A folgt : qn1 . 1

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der einen Seite die Behauptung, daß jeder als Kunstlehre ge­ faßten Logik eine e i g e n e theoretische Wissenschaft, eine „reine" Logik zugrunde liege, während die Gegenseite alle theoretischen Lehren, die in der logischen Kunstlehre zu konstatieren sind, in 5 anderweitig bekannte theoretische Wissenschaften glaubt ein­ ordnen zu können. Den letzteren Standpunkt hat schon B e n e k e mit Lebhaftig­ keit vertreten ;* klar umschrieben hat ihn J. St. M i ll, dessen Logik auch in dieser Hinsicht sehr einflußreich geworden ist.** 1 0 Auf demselben Boden steht auch das führende Werk der neueren logischen Bewegung in Deutschland, die Logik S i g w a r t s. Scharf und entschieden spricht sie es aus : „Die oberste Aufgabe der Logik und diejenige, die ihr eigentliches Wesen ausmacht, [ist es,] Kunstlehre zu sein . " * * * 15 Auf dem anderen Standpunkte finden wir neben K a n t ins­ besondere H e r b a r t, dazu eine große Zahl ihrer Schüler. Wie wohl sich übrigens in d i e s e r Beziehung der extremste Empirismus mit der K an t schen Auffassung verträgt, ersieht man aus B ai n s Logik, die zwar als Kunstlehre aufgebaut ist, 20 aber eine Logik als eigene theoretische und abstrakte Wissen\schaft [A 34] - und \ sogar als eine Wissenschaft nach Art der Mathematik - [B 34] ausdrücklich anerkennt und zugleich in sich zu fassen bean­ sprucht. Zwar ruht diese theoretische Disziplin nach B a i n auf der Psychologie ; sie geht also nicht, wie K a n t es will, allen 25 anderen Wissenschaften als eine absolut unabhängige Wissen­ schaft voraus ; aber sie ist doch eine e i g e n e Wissenschaft, sie ist nicht wie bei M i l l eine bloße Zusammenordnung psychologi­ scher Kapitel, geboten durch die Absicht auf eine praktische Regelung der Erkenntnis.**** 30 In den mannigfachen Bearbeitungen, welche die Logik in die* Die Überzeugung vom wesentlich praktischen Charakter der Logik will B e n e k e schon i n den Titeln seiner Darstellungen der Logik - Lehrbuch deY Lcgik als Kunst­ lehre des Denkens, 1 832 ; System der Logik als Kunstlehre des Denkens, 1 842 - andeu­ ten. In sachlicher Beziehung vgl. im System das Vorwort, die Einleitung und zumal die Polemik gegen H e r b a r t, I, S. 2 l f. •• Mehr noch als M i l 1 s logisches Hauptwerk kommt für die Diskussion der hier· hergehörigen Frage die Streitschrift gegen H a m i l t o n in Betracht. Es folgen weiter unten die erforderlichen Zitationen. ••• S i g w a r t, Lcgik rsl 1 , S. 1 0 . **** Vgl. B a in , Logic, I ( 1 879), § 5 0, S. 34!.

1 In A wird die

2. Auflage zitiert.

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sem Jahrhundert erfahren hat, kommt der hier i n Rede stehende Differenzpunkt kaum je zu deutlicher Hervorhebung und sorg­ samer Überlegung. Mit Rücksicht darauf, daß sich die praktische Behandlung der Logik mit beiden Standpunkten wohl verträgt 5 und in der Regel auch von beiden Seiten als nützlich zugestanden worden ist, erschien manchen der ganze Streit um den (wesentlich) praktischen oder theoretischen Charakter der Logik als bedeu­ tungslos. Sie hatten sich den Unterschied der Standpunkte eben nie klargemacht.

10

Unsere Zwecke erfordern es nicht, auf die Streitigkeiten der älteren Logiker - ob die Logik eine Kunst sei oder eine Wissenschaft oder beides oder keines von beiden ; und wieder ob sie im zweiten Falle eine praktische oder spekulative Wissenschaft sei oder beides zugleich kritisch einzugehen. Sir William H am i l t o n urteilt über sie und 15 damit zugleich über den Wert der Fragen wie folgt : „The controversy . . . is perhaps one of the most futile in the history of speculation. In so far as Logic is concerned, the decision o/ the question is not o/ the very smallest import. lt was not in consequence of any diversity of opinion in regard to the scope and nature of this doctrine, that philosophers disputed by what 20 name it should be called. The controversy was, in fact, only about what was properly an art, and what was properly a science; and as men attached one meaning or another to these terms, so did they affirm Logic 1 to be an art, [B 35] or a science, 1 or both, or neither." * Doch ist zu bemerken, daß H a m i l- [A 35] t o n selbst über Gehalt und Wert der in Rede stehenden Unterschei25 dungen und Kontroversen nicht sehr tief geforscht hat. Bestände eine angemessene Übereinstimmung in bezug auf die Behandlungsweise der Logik und den Inhalt der ihr beizurechnenden Lehren, dann wäre die Frage, ob und wie die Begriffe art und science zu ihrer Definition gehören, von geringerer Bedeutung, obschon lange noch nicht eine 30 Frage der bloßen Etikettierung. Aber der Streit um die Definitionen ist (wie wir bereits ausgeführt haben) in Wahrheit ein Streit um die Wissenschaft selbst, und zwar nicht um die fertige, sondern um die werdende und vorläufig nur prätendierte Wissenschaft, bei der noch die Probleme, die Methoden, die Lehren, kurz alles und jedes zweifel35 haft ist. Schon zu H am i l t o n s Zeiten und lange vor ihm waren die Differenzen in Ansehung des wesentlichen Gehalts, des Umfangs und der Behandlungsweise der Logik sehr erheblich. Man vergleiche nur H am i l t o n s, B o l z a n o s, Mills und B e n e k e s Werke. Und wie sind ilie Differenzen seitdem erst gewachsen. Stellen wir E r d m a n n und 40 D r o b i s ch, Wundt und B e r g m ann, S ch u p p e und B r e n t a n o, Sigwart und Ü b e rw e g zusammen - ist das alles eine Wissenschaft • Sir W i l l i a m H a m i l t o n, vol. III), 1 884, p. 9- 1 0.

Logic,

Lectures on Logic,•

vol. I (Lect. on Metaphysics and

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und nicht bloß ein Name ? Fast möchte man so entscheiden, wenn nicht umfassendere Gruppen von Themen da und dort gemeinsam wären, obschon freilich in Hinsicht auf den Inhalt der Lehren und selbst der Fragestellungen sich auch nicht zwei dieser Logiker erträglich ver5 ständigen. Hält man nun damit zusammen, was wir in der Einleitung betont haben - daß die Definitionen nur die Überzeugungen ausprä­ gen, die man über die wesentlichen Aufgaben und den methodischen Charakter der Logik besitzt, und daß hierauf bezügliche Vorurteile und Irrtümer bei einer so zurückgebliebenen Wissenschaft dazu bei10 tragen können, die Forschung von vornherein auf falsche Bahnen zu lenken - so wird man H am i l t o n sicherlich nicht zustimmen können, wenn er sagt : „the decision of the question is not of the very smallest import". Nicht wenig hat zur Verwirrung der Umstand beigetragen, daß 1 5 auch von seiten ausgezeichneter Vorkämpfer für die Eigenberech­ tigung einer r e i n e n Logik, wie D r o b i s c h und B e rglm a n n, [A 36] der 1 normative Charakter dieser Disziplin als etwas ihrem Be- [B 36] griffe wesentlich Zugehöriges hingestellt wurde. Die Gegenseite fand hierin eine offenbare Inkonsequenz, j a einen Widerspruch. 20 Liegt nicht im Begriffe der Normierung die Beziehung auf einen leitenden Zweck und ihm zugeordnete Tätigkeiten ? Besagt also normative Wissenschaft nicht genau dasselbe wie Kunstlehre ? Die Art, wie D r o b i s c h seine Bestimmungen einführt und faßt, kann nur zur Bestätigung dienen. In seiner noch immer 25 wertvollen Logik lesen wir : „Das Denken kann in doppelter Be­ ziehung Gegenstand einer wissenschaftlichen Untersuchung wer­ den : einmal nämlich, sofern es eine Tätigkeit des Geistes ist, nach deren Bedingungen und Gesetzen geforscht werden kann ; sodann aber, sofern es als Werkzeug zur Erwerbung mittelbarer Erkennt30 nis, das nicht nur einen richtigen, sondern auch einen fehlerhaften Gebrauch zuläßt, im ersteren Falle zu wahren, im anderen zu falschen Ergebnissen führt. Es gibt daher sowohl N at u r ge s e t z e des Denkens als N o r m a l g e s e t z e für dasselbe, V o r s c h r i f t e n (Normen) , nach denen e s sich z u r i c h t e n hat, um zu w a h r e n 3 5 Ergebnissen z u führen. Die Erforschung der Naturgesetze des Denkens ist eine Aufgabe der Psychologie, die Feststellung seiner Normalgesetze aber die Aufgabe der L o g i k. " * Und zum Über­ fluß lesen wir in der beigegebenen Erläuterung : „Normalgesetze • D r o b i s c h , Neue Darstellung der Logik', § 2, S. 3.

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T H E O RETI S C H E D I S ZIPLI N E N

regulieren eine Tätigkeit immer einem gewissen Zwecke gemäß." Von gegnerischer Seite wird man sagen : Hier ist kein Wort, das nicht B e n e k e oder M i l l unterschreiben und zu eigenen Gunsten verwerten könnte. Gesteht man aber die Identität der Begriffe 5 „normative Disziplin" und „Kunstlehre" zu, so ist es auch selbst­ verständlich, daß, wie bei Kunstlehren überhaupt, nicht die sach­ liche Zusammengehörigkeit, sondern der leitende Zweck das Band ist, welches die logischen Wahrjheiten zu einer Disziplin einigt. [A 37] 1 Dann aber ist es sichtlich verkehrt, der Logik so enge Grenzen [B 37] 1 0 zu ziehen, wie es die traditionelle aristotelische Logik - denn darauf kommt j a wohl die „reine" Logik hinaus - tut. Es ist widersinnig, der Logik einen Zweck .zu setzen und dann gleich­ wohl Klassen von Normen und normativen Untersuchungen, die zu diesem Zwecke gehören, von der Logik auszuschließen. Die 15 Vertreter der reinen Logik stehen eben noch unter dem Banne der Tradition ; der verwunderliche Zauber, den der hohle Formel­ kram der scholastischen Logik durch Jahrtausende geübt hat, ist in ihnen noch übermächtig. Dies die Kette naheliegender Einwände, ganz dazu angetan, 20 das moderne Interesse von einer genaueren Erwägung der sach­ lichen Motive abzulenken, welche bei großen und selbständigen Denkern zugunsten einer reinen Logik als eigener Wissenschaft gesprochen haben, und welche auch j etzt noch auf ernste Prüfung Anspruch erheben könnten. Der treffliche D r o b i s c h mag sich 2 5 mit seiner Bestimmung vergriffen haben ; aber das beweist nicht, daß seine Position, sowie die seines Meisters H e r b a r t und endlich diejenige des ersten Anregers, K a n t,* im wesentlichen eine falsche war. Es schließt nicht einmal aus, daß hinter der un­ vollkommenen Bestimmung selbst ein wertvoller Gedanke stecke, * K a n t selbst, obschon er den psychologischen Gesetzen, die besagen, „wie der Verstand ist und denkt", die logischen Gesetze gegenüberstellt, als „notwendige Regeln'', die besagen, ,,wie er im Denken verfahren sollte'' (vgl. die Vorlesungen über Logik, WW, H a r t. Ausgabe, VIII, S. 1 4) , hatte letztlich doch wohl nicht die Absicht, die Logik als eine normative (in dem Sinne einer die Angemessenheit an gesteckte Zwecke abmessenden) Disziplin zu fassen. Entschieden weist darauf hin seine Koordi· nierung der Logik und Ästhetik nach den beiden „Grundquellen des Gemüts'', diese als die (sc. rationale) „Wissenschaft von den Regeln der Sinnlichkeit überhaupt", jene als die rkorrelative 1 1 „Wissenschaft der Verstandesregeln überhaupt". Wie die Ästhetik in diesem K a n t schen Sinne, so kann auch seine Logik nicht als eine nach Z w e c k e n regelnde Disziplin gelten wollen. (Vgl. Kritik d. r. V„ Einleitung zur trans· zendentalen Logik, 1. Schluß des zweiten Absatzes.) l

A: rkorrelate1

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der nur nicht zu begrifflich 1 klarer Ausprägung gekommen ist. [A 38] Achten wir doch auf die bei den Vertretern einer reinen Logik so beliebte Zujsammenstellung der Logik und der reinen Mathe- [B 38] matik. Auch die mathematischen Disziplinen begründen Kunst5 lehren. Der Arithmetik entspricht die praktische Rechenkunst, der Geometrie die Feldmeßkunst. Wieder schließen sich, obschon in etwas anderer Weise, an die theoretischen abstrakten Natur­ wissenschaften Technologien, an die Physik die physikalischen, an die Chemie die chemischen Technologien. Mit Rücksicht dar1 0 auf liegt die V e r m u t u n g nahe, es sei der eigentliche Sinn der prätendierten r e i n e n Logik, eine abstrakte theoretische Diszi­ plin zu sein, die in analoger Weise wie in den bezeichneten Fällen eine Technologie begründe, eben die Logik im gemeinen, prakti­ schen Sinne. Und wie nun überhaupt bei Kunstlehren mitunter 1 5 vorzugsweise eine, mitunter aber mehrere theoretische Disziplinen den Unterbau für die Ableitung ihrer Normen beistellen, so könnte auch die Logik im Sinne der Kunstlehre von einer Mehr­ heit solcher Disziplinen abhängen, also in j ener reinen Logik bloß das eine, wenn auch vielleicht das hauptsächlichste, Fundament 20 besitzen. Würde sich dann überdies zeigen, daß die im prägnanten Sinne logischen Gesetze und Formen einem theoretisch abge­ schlossenen Kreis abstrakter Wahrheit angehören, der auf keine Weise in die bislang abgegrenzten theoretischen Disziplinen ein­ zuordnen und somit selbst als die fragliche reine Logik in An25 spruch zu nehmen sei : dann würde sich die weitere Vermutung aufdrängen, daß Unvollkommenheiten der Begriffsbestimmung dieser Disziplin, sowie die Unfähigkeit, sie in ihrer Reinheit dar­ zustellen und ihr Verhältnis zur Logik als Kunstlehre klarzulegen, die Vermengung mit dieser Kunstlehre begünstigt und den Streit, 30 ob die Logik wesentlich als theoretische oder praktische Disziplin abgegrenzt werden solle, ermöglicht habe. Während die eine Partei auf j ene rein theoretischen und i m p r ä g n a n t e n S i n n e l o g i s c h e n Sätze hinblickte, hielt sich die andere an die angreif­ baren D e f i n i t i o n e n der prätendierten theoretischen Wissen35 schaft und an ihre tatsächliche Durchführung. 1 Der Einwand aber, es handle sich hier um eine Restitution [A 39] der scholastisch-aristotelischen Logik, über deren Geringwertigkeit 1 die Geschichte ihr Urteil gesprochen habe, soll uns nicht [B 39] beunruhigen. Vielleicht, daß sich noch herausstellt, daß die frag-

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liehe Disziplin keineswegs von so geringem Umfange und so arm an tiefliegenden Problemen sei, wie man ihr damit vorwirft. Viel­ leicht, daß die alte Logik nur eine höchst unvollständige und getrübte Realisierung der Idee j ener reinen Logik war, aber 5 immerhin als erster Anfang und Angriff tüchtig und achtenswert. Es ist ja auch fraglich, ob die Verachtung der traditionellen Logik nicht eine ungerechtfertigte Nachwirkung der Stimmungen der Renaissance ist, deren Motive uns heute nicht mehr berühren können. Begreiflicherweise richtete sich der historisch berechtigte, 10 aber in der Sache oft unverständige Kampf gegen die scholasti­ sche Wissenschaft vor allem gegen die Logik als der zu ihr zuge­ hörigen Methodenlehre. Aber daß die formale Logik in den Hän­ den der Scholastik (zumal in der Periode der Entartung) den Charakter einer falschen Methodik annahm, beweist vielleicht 1 5 nur : daß es an einem rechten philosophischen Verständnis der logischen Theorie (soweit sie schon entwickelt war) fehlte, daß darum die praktische Nutzung derselben irrige Wege einschlug, und daß ihr methodische Leistungen zugemutet wurden, denen sie ihrem Wesen nach nicht gewachsen ist. So beweist ja auch die 20 Zahlenmystik nichts gegen die Arithmetik. Es ist bekannt, daß die logische Polemik der Renaissance sachlich hohl und ergebnis­ los war ; in ihr sprach sich Leidenschaft, nicht Einsicht aus. Wie sollten wir uns von ihren verächtlichen Urteilen noch leiten lassen ? Ein theoretisch schöpferischer Geist wie L e i b n i z, bei dem sich 25 der überschwengliche Reformationsdrang der Renaissance mit der wissenschaftlichen Nüchternheit der Neuzeit paarte, wollte von dem antischolastischen Kesseltreiben jedenfalls nichts wissen. Mit warmen Worten nahm er sich der geschmähten aristotelischen Logik an, so sehr sie gerade ihm als der Erweiterung und Besse30 rung bedürftig erschien. Jedenfalls können wir die Vorlwürfe, daß [A 40] die reine Logik auf eine Erneuerung des „hohlen scholastischen Formelkrams" hinauslaufe, so lange auf sich beruhen lassen, als wir über Sinn und Gehalt der fraglichen Disziplin beziehungsweise über die Berechtigung 1 der uns aufgedrängten Vermutungen nicht [B 40] 35 ins klare gekommen sind. Wir wollen, diese Vermutungen zu prüfen, nicht etwa darauf ausgehen, alle Argumente, die für die eine oder andere Auffassung der Logik historisch aufgetreten sind, zu sammeln und einer kri­ tischen Analyse zu unterziehen. Dies wäre nicht der Weg, dem

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alten Streit ein neues Interesse abzugewinnen ; aber die prinzipiel­ len Gegensätze, die in ihm nicht zur reinlichen Scheidung gelang­ ten, haben ihr eigenes, über die empirischen Bedingtheiten der Streitenden erhabenes Interesse, und dem wollen wir nachgehen.

5

§ 1 4. Der Begriff der normativen Wissenschaft. Das Grundmaß oder Prinzip, das ihr Einheit gibt

Wir beginnen mit der Fixierung eines Satzes, der für die weitere Untersuchung von entscheidender Wichtigkeit ist, nämlich daß j ede normative und desgleichen j ede praktische Disziplin auf einer 10 oder mehreren theoretischen Disziplinen beruht, sofern ihre Re­ geln einen von dem Gedanken der Normierung (des Sollens) ab­ trennbaren theoretischen Gehalt besitzen müssen, dessen wissen­ schaftliche Erforschung eben jenen theoretischen Disziplinen ob­ liegt. 15 Erwägen wir, um dies klarzustellen, zunächst den Begriff der normativen Wissenschaft in seinem Verhältnis zu dem der theo­ retischen. Die Gesetze der ersteren besagen, so heißt es gewöhn­ lich, was sein soll, obschon es vielleicht nicht ist und unter den gegebenen Umständen nicht sein kann ; die Gesetze der letzteren 20 hingegen besagen schlechthin, was ist. Es wird sich nun fragen, was mit dem S e i n s o l l e n gegenüber dem schlichten Sein ge­ meint ist. Zu enge ist offenbar der ursprüngliche Sinn des Sollens, welcher Beziehung hat zu einem gewissen Wünschen oder Wollen, 1 zu [A 4 1 ] 2 5 einer Forderung oder einem Befehl, z.B. : D u sollst mir gelhor- [ B 4 1 ] chen ; X soll zu mir kommen. Wie wir in einem weiteren Sinn von einer Forderung sprechen, wobei niemand da ist, der fordert, und evtl. auch niemand, der aufgefordert ist, so sprechen wir auch oft von einem Sollen, unabhängig von irgend j emandes Wünschen 30 oder Wollen. Sagen wir : „Ein Krieger soll tapfer sein' ', so heißt das nicht, daß wir oder j emand sonst dies wünschen oder wollen, befehlen oder fordern. Eher könnte man die Meinung dahin fassen, daß allgemein, d.h. in Beziehung auf j eden Krieger, ein ent­ sprechendes Wünschen und Fordern Berechtigung habe ; obschon 35 auch dies nicht ganz zutrifft, da es doch nicht geradezu nötig ist, . daß hier solch eine Bewertung eines Wunsches oder einer Forde­ rung wirklich Platz greife. „Ein Krieger soll tapfer sein", das heißt

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vielmehr : nur ein tapferer Krieger ist ein „guter" Krieger, und darin liegt, da die Prädikate gut und schlecht den Umfang des Begriffs Krieger unter sich teilen, daß ein nicht tapferer ein „schlechter" Krieger ist. W e i l dieses Werturteil gilt, hat nun 5 j edermann recht, der von einem Krieger fordert, daß er tapfer sei ; aus demselben Grunde ist, daß er es sei, auch wünschenswert, lobenswert usw. Ebenso in anderen Beispielen. „Ein Mensch soll Nächstenliebe üben", d.h. wer dies unterläßt, ist nicht mehr ein „guter" und damit eo ipso ein (in dieser Hinsicht) „schlechter" 1 0 Mensch. „Ein Drama soll nicht in Episoden zerfallen" - sonst ist es kein „gutes" Drama, kein „rechtes" Kunstwerk. In allen diesen Fällen machen wir also unsere positive Wertschätzung, die Zuerkennung eines positiven Wertprädikates, abhängig von einer zu erfüllenden Bedingung, deren Nichterfüllung das entsprechen1 5 de negative Prädikat nach sich zieht. Überhaupt dürfen wir als gleich, zum mindesten als äquivalent setzen r die1 1 Formen : „Ein A soll B sein" und „Ein A , welches nicht B ist, ist ein schlechtes A ", oder „Nur ein A , welches B ist, ist ein gutes A " . Der Terminus „gut" dient uns hier natürlich i m weitesten 20 Sinne des irgendwie Wertvollen ; er ist in den konkreten, unter J unsere Formel gehörigen Sätzen j eweilig in dem besonderen [A 42] Sinne J der Werthaltungen zu verstehen, die ihnen zugrunde [B 42] liegen, z.B. als Nützliches, Schönes, Sittliches u. dgl. Es gibt so vielfältige Arten der Rede vom Sollen, als es verschiedene Arten 25 von Werthaltungen, also Arten von - wirklichen oder vermeint­ lichen - Werten gibt. Die negativen Aussagen des Sollens sind nicht als Negationen der entsprechenden affirmativen zu deuten ; wie j a auch im ge­ wöhnlichen Sinne die Leugnung einer Forderung nicht den Wert 30 eines Verbotes hat. Ein Krieger soll nicht feige sein, das heißt nicht, es sei falsch, daß ein Krieger feige sein soll, sondern : es sei ein feiger Krieger auch ein schlechter. Es sind also die Formen äquivalent : „Ein A soll nicht B sein" und „Ein A , welches B ist, ist allgemein ein schlechtes A ", oder „Nur ein A, welches n i c h t 3 5 B ist, ist ein gutes A " . Daß sich Sollen und Nichtsollen ausschließen, ist eine formal ­ logische Konsequenz der interpretierenden Aussagen, und dassel-

A L S F U N D A M E N T E N O RMATIVE R

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be gilt von dem Satze, daß Urteile über ein Sollen keine Behaup­ tung über ein entsprechendes Sein einschließen. Die soeben klargelegten Urteile normativer Form sind offenbar nicht die einzigen, die man als solche wird gelten lassen, mag 5 auch im Ausdruck das Wörtchen 1„soll"1 1 keine Verwendung finden. Unwesentlich ist es, daß wir statt „A soll (bzw. soll nicht) B sein", auch sagen können „A muß (bzw. darf nicht) B sein". Sachhaltiger ist der Hinweis auf die beiden neuen Formen „A muß nicht B sein" und „A darf B sein", welche die kontradikto10 rischen Gegensätze zu den obigen darstellen. Es ist also „muß nicht" die Negation von „soll" oder - was gleich gilt - von „muß" ; „darf" die Negation von „soll nicht" oder - was gleich gilt - von „darf nicht" ; wie man aus den interpretierenden Werturteilen leicht ersieht : „Ein A muß nicht B sein" = „Ein A , 1 5 das nicht B ist, ist darum noch kein schlechtes A " . „Ein A darf B sein" = „Ein A , das B ist, ist darum noch kein schlechtes A " . Aber noch andere Sätze werden wir hierher rechnen müssen. J Z.B. : „Damit ein A ein gutes sei, genügt es (be jziehungsweise genügt es nicht), daß es B sei." Während die vorigen Sätze irgend20 welche n o t w e n d i g e n Bedingungen für die Zuerkennung oder Aberkennung der positiven oder negativen Wertprädikate be­ treffen, handelt es sich in den j etzt vorliegenden um h i n r e i c h e n­ d e Bedingungen. Andere Sätze wiederum wollen zugleich not­ wendige u n d hinreichende Bedingungen aussagen. 25 Damit dürften die wesentlichen Formen allgemeiner normativer Sätze erschöpft sein ; ihnen entsprechen natürlich auch Formen partikulärer und individueller Werturteile, die der Analyse nichts Bedeutsames hinzufügen und von denen j edenfalls die letzteren für unsere Zwecke auch nicht in Betracht kommen ; sie haben 30 allezeit eine nähere oder fernere Beziehung zu gewissen norma­ tiven Allgemeinheiten und können in abstrakten, normativen Disziplinen nur in Anlehnung an die sie regelnden Allgemein­ heiten als Beispiele auftreten. Solche Disziplinen halten sich über­ haupt j enseits aller individuellen Existenz, ihre Allgemeinheiten 35 sind „rein begrifflicher" Art, sie haben den Charakter von Ge­ setzen im echten Sinne des Wortes. Wir ersehen aus diesen Analysen, daß j eder normative Satz l

A : 'Sollen1 .

{� j 43

A 43 B

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eine gewisse Art der Werthaltung (Billigung, Schätzung) voraus­ setzt, durch welche der Begriff eines in bestimmtem Sinne „Guten" (Werten) bzw. „Schlechten" (Unwerten) hinsichtlich einer gewissen Klasse von Objekten erwächst ; ihr gemäß zerfallen 5 darnach diese Obj ekte in gute und schlechte. Um das normative Urteil „Ein Krieger soll tapfer sein" fällen zu können, muß ich irgendeinen Begriff von „guten" Kriegern haben, und dieser Be­ griff kann nicht in einer willkürlichen Nominaldefinition gründen, sondern nur in einer allgemeinen Werthaltung, die nach diesen 1 0 oder j enen Beschaffenheiten die Krieger bald als gute, bald als schlechte zu schätzen gestattet. Ob diese Schätzung eine in irgendwelchem Sinne „obj ektiv gültige" ist oder nicht, ob über­ haupt ein Unterschied zwischen subjektiv und objektiv „Gutem" zu machen ist, kommt hier bei der bloßen Fest lstellung des Sinnes [B 44] 1 5 der Sollenssätze 1 nicht in Betracht. Es genügt, rdaß für wert [A 44] g e h a l t e n, daß eine I n t e n t i o n vollzogen wird des Inhalts, daß etwas wert oder gut sei1 1. Ist umgekehrt auf Grund einer gewissen allgemeinen Wert­ haltung ein Paar von Wertprädikaten für die zugehörige Klasse 20 festgelegt, dann ist auch die Möglichkeit normativer Urteile ge­ geben ; alle Formen normativer Sätze erhalten ihren bestimmten Sinn. Jedes konstitutive Merkmal B des „guten" A liefert z.B. einen Satz der Form : „Ein A soll B sein" ; ein mit B unverträg­ liches Merkmal B' einen Satz : „Ein A darf nicht (soll nicht) B' 25 sein" usw. Was endlich den B e g r i f f d e s n o r m a t i v e n U r t e i l s an­ belangt, so können wir ihn nach unseren Analysen folgender­ maßen beschreiben : Mit Beziehung auf eine zugrunde liegende rallgemeine1 z Werthaltung und den hierdurch bestimmten Inhalt 30 des zugehörigen Paares von Wertprädikaten heißt j eder Satz ein normativer, der irgendwelche notwendige oder hinreichende, oder notwendige und hinreichende Bedingungen für den Besitz eines solchen Prädikates ausspricht. Haben wir einmal einen Unter­ schied zwischen „gut" und „schlecht" in bestimmtem Sinne, also 35 auch in bestimmter Sphäre wertschätzend gewonnen, dann sind 1 A : rdaß für wert g e h a l t e n wird, als ob etwas wirklich wert oder gut seil . 2 Zusatz von B.

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wir naturgemäß an der Entscheidung interessiert, unter welchen Umständen, durch welche inneren oder äußeren Beschaffenheiten das Gutsein bzw. Schlechtsein in diesem Sinne verbürgt oder nicht verbürgt ist ; welche Beschaffenheiten nicht fehlen dürfen, 5 um einem Objekte der Sphäre den Wert des Guten noch geben zu können usf. Wo wir von gut und schlecht sprechen, da pflegen wir auch in vergleichender Wertschätzung Unterschiede des B e s s e r e n und Besten bzw. des S ch l e c h t e r e n und Schlechtesten zu voll1 0 ziehen. Ist die Lust das Gute, so ist von zwei Lüsten die inten­ sivere und wieder die länger andauernde die bessere. Gilt uns die Erkenntnis a,Is das Gute, so gilt uns noch nicht j ede Erkenntnis als „gleich gut" . Die Gesetzeserkenntnis werten wir höher als 45] die Erkenntnis singulärer Tatsachen ; die Erkenntnis allgemeine[B 1 5 rer 1 Gesetze - z.B. „J ede Gleichung 1 nten Grades hat n Wurzeln" 45] [A höher als die Erkenntnis ihnen untergeordneter Spezialgesetze - „Jede Gleichung 4ten Grades hat 4 Wurzeln" . So erheben sich also in Beziehung auf die relativen Wertprädikate ähnliche nor­ mative Fragen wie in Beziehung auf die absoluten. Ist der kon20 stitutive Inhalt des als gut - beziehungsweise schlecht - zu Be­ wertenden fixiert, so fragt es sich, was in vergleichender Wertung konstitutiv als besser oder schlechter zu gelten habe ; des weiteren dann, welches die näheren und ferneren, notwendigen und hin­ reichenden Bedingungen für die relativen Prädikate sind, die den 25 Inhalt des Besseren - beziehungsweise Schlechteren - und schließlich des relativ Besten konstitutiv bestimmen. Die kon­ stitutiven Inhalte der positiven und relativen Wertprädikate sind sozusagen die messenden Einheiten, nach denen wir Obj ekte der bezüglichen Sphäre abmessen. 30 Die Gesamtheit dieser Normen bildet offenbar eine durch die fundamentale Werthaltung bestimmte, in sich geschlossene Grup­ pe. Der normative Satz, welcher an die Objekte der Sphäre die allgemeine Forderung stellt, daß sie den konstitutiven Merkmalen des positiven Wertprädikates in größtmöglichem Ausmaße ge35 nügen sollen, hat in j eder Gruppe zusammengehöriger Normen eine ausgezeichnete Stellung und kann als die G r u n d n o r m bezeichnet werden. Diese Rolle spielt z.B. der kategorische Im­ perativ in der Gruppe normativer Sätze, welche K an t s Ethik ausmachen ; ebenso das Prinzip vom „größtmöglichen Glück der größtmöglichen Anzahl" in der Ethik der Utilitarier.

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T H E O R E T I S C H E D I S ZI P L I N E N

Die Grundnorm ist das Korrelat der Definition des i m frag­ lichen Sinne „Guten" und „Besseren" ; sie gibt an, nach welchem G r u n d m a ß e (G r u n d w e r t e) alle Normierung zu vollziehen ist, und stellt somit im eigentlichen Sinne nicht einen normativen 5 Satz dar. Das Verhältnis der Grundnorm zu den eigentlich nor­ mierenden Sätzen ist analog demjenigen zwischen den sogenannten Definitionen der Zahlenreihe und den - immer 1 auf sie [B 46] rückbezogenen - Lehrsätzen über numerische Verhältnisse in der J Arithmetik. Man könnte auch hier die Grundnorm als [A 46] 1 0 „Definition" des maßgebenden Begriffes vom Guten - z.B. des sittlich Guten - bezeichnen ; womit freilich der gewöhnliche logische Begriff der Definition verlassen wäre. Stellen wir uns das Ziel,l mit Beziehung auf eine derartige „Definition", also mit Beziehung auf eine fundamentale allge1 5 meine Wertung, die Gesamtheit zusammengehöriger normativer Sätze wissenschaftlich zu erforschen, so erwächst die Idee einer n o r m a t i v e n D i s z i p l i n. Jede solche Disziplin ist also ein­ deutig charakterisiert durch ihre Grundnorm bzw. durch die Definition dessen, was in ihr als das „Gute" gelten soll. Gilt uns 20 z.B. die Erzeugung und Erhaltung, Mehrung und Steigerung von Lust als das Gute, so werden wir fragen, welche Objekte erregen die Lust, bzw. unter welchen subjektiven und objektiven Um­ ständen tun sie es ; und überhaupt, welches sind die notwendigen und hinreichenden Bedingungen für den Eintritt der Lust, für 25 ihre Erhaltung, Mehrung usw. Diese Fragen als Zielpunkte für eine wissenschaftliche Disziplin genommen, ergeben eine Hedo­ nik ; es ist die normative Ethik im Sinne der Hedoniker. Die Wertung der Lusterregung liefert hier die die Einheit der Diszi­ plin bestimmende und sie von j eder anderen normativen Disziplin 30 unterscheidende Grundnorm. Und so hat eine j ede ihre eigene Grundnorm, und diese stellt jeweils das einsmachende Prinzip der normativen Disziplin dar. In den t h e o r e t i s c h e n D i s z i p l i n e n entfällt hingegen diese zentrale Beziehung aller Forschungen auf eine fundamentale Werthaltung als Quelle eines herrschenden 35 Interesses der Normierung ; die Einheit ihrer Forschungen und die Zusammenordnung ihrer Erkenntnisse wird ausschließlich 1

Das Komma fehlt in A und B. Es findet sich jedoch in der 3. Auflage,

1 922, entsprechend den Ccwrigenda in H u s s e r l s Handexemplar von B.

ALS F U N DAMENTE N O RMATIVER

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durch das theoretische Interesse bestimmt, welches gerichtet ist auf die Erforschung des sachlich (d.i. theoretisch, vermöge der inneren Gesetzlichkeit der Sachen) Zusammengehörigen und daher in seiner Zusammengehörigkeit auch zusammen zu Er5 forschenden. § 1 5 . Normative Disziplin und Kunstlehre Das normative Interesse beherrscht uns naturgemäß besonders bei r e a l e n Obj ekten als Objekten p r a k t i s c h e r Wertungen ; daher die unverkennbare Neigung, den Begriff der normativen 10 Disziplin mit dem der praktischen Disziplin, der K u n s t l e h r e, zu identifizieren. Man sieht aber leicht, daß diese Identifizierung nicht zu Recht bestehen kann. Für S c h o p e nh a u e r, welcher in Konsequenz seiner Lehre vom angeborenen Charakter alles praktische Moralisieren grundsätzlich verwirft, gibt es keine Ethik 1 5 im Sinne einer Kunstlehre, wohl aber eine Ethik als normative Wissenschaft, die er j a selbst bearbeitet. Denn keineswegs läßt er auch die moralischen Wertunterscheidungen fallen. - Die Kunstlehre stellt j enen besonderen Fall der normativen Disziplin dar, in welchem die Grundnorm in der Erreichung eines allge20 meinen praktischen Zweckes besteht. Offenbar schließt so j ede Kunstlehre eine normative, aber selbst nicht praktische Disziplin ganz in sich. Denn ihre Aufgabe setzt die Lösung der engeren voraus, zunächst, abgesehen von allem auf die praktische Er­ reichung Bezüglichen, die Normen zu fixieren, nach welchen die 25 Angemessenheit an den allgemeinen Begriff des zu realisierenden Zieles, an das Haben der die bezügliche Klasse von Werten charakterisierenden Merkmale beurteilt werden kann. Umgekehrt erweitert sich j ede normative Disziplin, in welcher sich die fun­ damentale Werthaltung in eine entsprechende Zwecksetzung ver30 wandelt, zu einer Kunstlehre. § 16. Theoretische Disziplinen als Fundamente normativer Es ist nun leicht einzusehen, daß j ede normative und a fortiori j ede praktische Disziplin eine oder mehrere theoretische Diszi­ plinen als Fundamente voraussetzt, in dem Sinne nämlich, daß 35 sie einen von aller Normierung ablösbaren theoretischen Gehalt

{[A

47] [B 47]

60

T H E O RE T I S C H E D I SZIPL I N E N

besitzen muß, der als solcher in irgendwelchen, sei es schon ab­ gegrenzten oder noch zu kon!stituierenden, theoretischen Wissen- [A 48] schaften seinen natürlichen Standort hat. 1 Die Grundnorm (bzw. der Grundwert, der letzte Zweck) be- [B 48] 5 stimmt, wie wir sahen, die Einheit der Disziplin ; sie ist es auch, die in alle normativen Sätze derselben den Gedanken der Nor­ mierung hineinträgt. Aber neben diesem gemeinsamen Gedanken der Abmessung an der Grundnorm besitzen diese Sätze einen eigenen, den einen vom anderen unterscheidenden theoretischen 10 Gehalt. Ein j eder drückt den Gedanken einer abmessenden Be­ ziehung zwischen Norm und Normiertem aus ; aber diese Bezie­ hung selbst chnrakterisiert sich - wenn wir von dem wert­ schätzenden Interesse absehen - objektiv als eine Beziehung zwischen Bedingung und Bedingtem, die in dem betreffenden 15 normativen Satze als bestehend oder nicht bestehend hingestellt ist. So schließt z.B. j eder normative Satz der Form „Ein A soll B sein" den theoretischen Satz ein „Nur ein A , welches B ist, hat die Beschaffenheiten C", wobei wir durch C den konstitutiven Inhalt des maßgebenden Prädikates „gut" andeuten (z.B. die 20 Lust, die Erkenntnis, kurz das durch die fundamentale Wert­ haltung im gegebenen Kreise eben als gut Ausgezeichnete) . Der neue Satz ist ein rein theoretischer, er enthält nichts mehr von dem Gedanken der Normierung. Und umgekehrt, g i l t irgendein Satz dieser letzteren Form und erwächst als ein Neues die Wert25 haltung eines C als solchen, die eine normierende Beziehung zu ihm erwünscht sein läßt, so nimmt der theoretische Satz die normative Form an : r„Nur ein A , welches B ist, ist ein gutes"1 1, d.h. r„Ein A soll B sein" 1 1. Darum können auch selbst in theo­ retischen Gedankenzusammenhängen normative Sätze auftreten : 30 das theoretische Interesse legt in solchen Zusammenhängen Wert auf den Bestand eines Sachverhaltes der Art M (etwa auf den Bestand der Gleichseitigkeit eines zu bestimmenden Dreiecks) und mißt daran anderweitige Sachverhalte (z.B. die Gleichwink­ ligkeit : S o l l das Dreieck gleichseitig sein, so muß es gleich35 winklig sein) , nur daß diese Wendung in den theoretischen Wissenschaften 1 etwas Vorübergehendes und Sekundäres ist, da [A 49] die letzte Intention hier auf den eigenen, theoretischen Zusam1 Die Anführungszeichen fehlen in A.

ALS F U N DAMENTE N O RMATIVER

61

menhang der Sachen geht ; bleibende Ergebnisse 1 werden daher [B 49] nicht in normative Form gefaßt, sondern in die Formen des objektiven Zusammenhanges, hier in die des generellen Satzes. Es ist nun klar, daß die theoretischen Beziehungen, die nach 5 dem Erörterten in den Sätzen der normativen Wissenschaften stecken, ihren logischen Ort haben müssen in gewissen theoreti­ schen Wissenschaften. Soll die normative Wissenschaft also ihren Namen verdienen, soll sie die Beziehungen der zu normierenden Sachverhalte zur Grundnorm wissenschaftlich erforschen, dann 10 muß sie den theoretischen Kerngehalt dieser Beziehungen stu­ dieren und daher in die Sphären der betreffenden theoretischen Wissenschaften eintreten. Mit anderen Worten : Jede normative Disziplin verlangt die Erkenntnis gewisser nicht normativer Wahrheiten ; diese aber entnimmt sie gewissen theoretischen 1 5 Wissenschaften oder gewinnt sie durch Anwendung der aus ihnen entnommenen Sätze auf die durch das normative Interesse be­ stimmten Konstellationen von Fällen. Dies gilt natürlich auch für den spezielleren Fall der Kunstlehre und offenbar noch in erweitertem Maße. Es treten die theoretischen Erkenntnisse hin20 zu, welche die Grundlage für eine fruchtbare Realisierung der Zwecke und Mittel bieten müssen. Noch eines sei im Interesse des Folgenden bemerkt. Natürlich können diese theoretischen Wissenschaften in verschiedenem Ausmaße Anteil haben an der wissenschaftlichen Begründung 25 und Ausgestaltung der bezüglichen normativen Disziplin ; auch kann ihre Bedeutung für sie eine größere oder geringere sein. Es kann sich zeigen, daß zur Befriedigung der Interessen einer nor­ mativen Disziplin die Erkenntnis gewisser Klassen von theoreti­ schen Zusammenhängen i n e r s t e r L i n i e erforderlich, und 30 daß somit die Ausbildung und Heranziehung des theoretischen Wissensgebietes, dem sie angehören, für die Ermöglichung der normativen Disziplin geradezu entscheidend ist. Andererseits kann es aber auch sein, daß für den Aufbau dieser Disziplin 1 ge- [A 50] wisse Klassen theoretischer Erkenntnisse zwar nützlich und evtl. 35 sehr wichtig, aber doch nur von sekundärer Bedeutung sind, sofern 1 ihr Wegfall den Bereich dieser Disziplin einschränken, j e- [B 50] doch nicht ganz aufheben würde. Man denke beispielsweise an das Verhältnis zwischen bloß normativer und praktischer Ethik. * • Vgl. oben § 1 5, S. 47.

62

T H E O R E T I S C H E D IS Z I P L I N E N

Alle die Sätze, welche auf die Ermöglichung der praktischen Realisierung Bezug haben, berühren nicht den Kreis der bloßen Normen ethischer Wertung. Fallen diese Normen weg bzw. die ihnen zugrunde liegenden theoretischen Erkenntnisse, so gibt es 5 keine Ethik überhaupt ; entfallen j ene ersteren Sätze, so gibt es nur keine Möglichkeit ethischer Praxis bzw. keine Möglichkeit einer Kunstlehre vom sittlichen Handeln. Mit Beziehung auf derartige Unterschiede soll nun die Rede von den w e s e n tl i c h e n theoretischen Fundamenten einer nor10 mativen Wissenschaft verstanden werden. Wir meinen damit die für ihren Aufbau schlechterdings wesentlichen theoretischen Wissenschaften, eventuell aber auch die bezüglichen Gruppen theoretischer Sätze, welche für die Ermöglichung der normativen Disziplin von entscheidender Bedeutung sind.

D R I TT E S K A P I T E L

D ER P S Y C HO LO G I S M U S, S E I N E A R G U M E N T E U N D S E I N E ST E L L U N G NA H M E Z U D E N ÜB L I C H E N G E G E NAR G U M E NT E N



17.

Die Streitfrage, o b die wesentlichen theoretischen Fundamente der normativen Logik in der Psychologie liegen

Machen wir von den allgemeinen Feststellungen des letzten Kapitels Anwendung auf die Logik als normative Disziplin, so erhebt sich als Erstes und Wichtigstes die Frage: Welche theore1 0 tischen Wissenschaften liefern die wesentlichen Fundamente der

Wissenschaftslehre ? Und daran fügen wir sogleich die weitere

II

Frage: Ist es richtig, daß die theoretischen Wahrheiten, die wir

im Rahmen der traditionellen und neueren Logik behandelt finden, und vor allem die zu ihrem wesentlichen Fundament 15 gehörigen, ihre theoretische Stelle innerhalb der bereits ab­

gegrenzten und selbständig entwickelten Wissenschaften be­ sitzen ? Hier stoßen wir auf die Streitfrage nach dem Verhältnis zwi­ schen Psychologie und Logik ; denn auf die angeregten Fragen 20 hat eine, gerade in unserer Zeit herrschende Richtung die Ant­

wort fertig zur Hand: Die wesentlichen theoretischen Fundamen­ te liegen in der Psychologie ; in deren Gebiet gehören ihrem theo­ retischen Gehalt nach die Sätze, die der Logik ihr charakteristi­ sches Gepräge geben. Die Logik verhält sich zur Psychologie wie

25

irgendein Zweig der chemischen Technologie zur Chemie, wie die Feldmeßkunst zur Geometrie u. dgl. Zur Abgrenzung einer neuen theoretischen Wissenschaft, zumal einer solchen, die in einem engeren und prägnanteren Sinne den Namen Logik verdienen sollte, besteht für diese Richtung kein Anlaß. Ja nicht selten

{

51 B 51

�A



64

5

10

15

DER PSYCHOLOGISMUS, SEINE ARGUMENTE U N D SEINE

spricht man so, als gäbe die Psychologie das alleinige und aus­ reichende theoretische Fundament für die logische Kunstlehre. So lesen wir in M i l l s Streitschrift gegen H a m i l t o n : „Die Logik ist nicht eine von der Psychologie gesonderte und mit ihr koordinierte Wissenschaft. Sofern sie überhaupt Wissenschaft ist, ist sie ein Teil oder Zweig der Psychologie, sich von ihr einer­ seits unterscheidend wie der Teil vom Ganzen und andererseits wie die Kunst von der Wissenschaft. Ihre theoretischen Grund­ lagen verdankt sie rsämtlich1 1 der Psychologie, und sie schließt soviel von dieser Wissenschaft ein, als nötig ist, die Regeln der Kunst zu begründen." * Nach L i p p s scheint es sogar, als wäre die Logik der Psychologie als ein bloßer Bestandteil einzuordnen ; denn er sagt : „Eben daß die Logik eine Sonderdisziplin der Psychologie ist, scheidet beide genügend deutlich voneinander."** § 1 8. Die Beweisführung der Psychologisten***

Fragen wir nach der Berechtigung derartiger Ansichten, so bietet sich uns eine höchst plausible Argumentation dar, die j eden weiteren Streit von vornherein abzuschneiden scheint. Wie immer man die logische Kunstlehre definieren mag - ob als 20 Kunstlehre vom Denken, Urteilen, Schließen, Erkennen, Bewei­ sen, Wissen, von den Verstandesrichtungen beim Verfolge der Wahrheit, bei der Schätzung von Beweisgründen usf. - immer finden wir psychische Tätigkeiten oder Produkte als die Objekte praktischer Regelung bezeichnet. Und wie nun überhaupt kunst25 mäßige Bearbeitung eines Stoffes die Erkenntnis seiner Beschaf­ fenheiten voraussetzt, so wird es sich auch hier, wo es sich speziell um einen psychologischen Stoff handelt, verhalten. Die wissen­ schaftliche Erforschung der Regeln, nach denen er zu bearbeiten ist, wird selbstverständlich auf die wissenschaftliche Erforschung 30 dieser Beschaffenheiten zurückführen : das theoretische Funda­ ment für den Aufbau einer logischen Kunstlehre liefert also die • J. S t. M i l l, A t1 Examinatiot1 0/ Si• William H a m i l t o t1's Philosopky>, S. 46 1 f. •• L i p p s, G.ut1dzilge de. Logik ( 1 893) , § 3. ••• Ich gebrauche die Ausdrücke Psychologist, Psychologismus u. dgl. ohne jede abschätzende „Färbung", ähnlich wie S t u m p f in seiner Schrift „Psychologie und Erkenntnistheorie''.

1 A: rgänzlich1 .

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[A 52] [B 52]

STELL U N G N A H M E ZU D E N Ü B L I C H E N G E G E N A R G U M E N T E N

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Psychologie, und näher die Psychologie der Erkenntnis. * Dies bestätigt auch j eder Blick auf den Gehalt der logischen Literatur. Wovon ist da beständig die Rede ? Von Begriffen, Urteilen, Schlüssen, Deduktionen, Induktionen, Definitionen, 5 Klassifikationen usw. - alles Psychologie, nur ausgewählt und geordnet nach den normativen und praktischen Gesichtspunkten. Man möge der reinen Logik noch so enge Grenzen ziehen, das Psychologische wird man nicht fernhalten können. Es steckt schon in den Begriffen, welche für die logischen Gesetze konstitu1 0 tiv sind, wie z.B. Wahrheit und Falschheit, Bejahung und Ver­ neinung, Allgemeinheit und Besonderheit, Grund und Folge, u.dgl. § 1 9. Die gewöhnlichen Argumente der Gegenpartei und ihre psychologistische Lösung

Merkwürdig genug glaubt man von der Gegenseite die scharfe 15 Trennung beider Disziplinen gerade in Hinblick auf den norma­ tiven Charakter der Logik begründen zu können. Die Psychologie, sagt man, betrachtet das Denken, wie es ist, die Logik, wie es sein soll. Die erstere hat es mit den Naturgesetzen, die letztere mit den Normalgesetzen des Denkens zu tun. So heißt es in J ä s c h e s 2 0 Bearbeitung der K a n t schen Vorlesungen über Logik :** „Einige Logiker setzen zwar in der Logik p s y c h o l o g i s c h e Prinzipien voraus. Dergleichen Prinzipien aber in die Logik zu bringen, ist ebenso ungereimt, als Moral vom Leben herzunehmen. Nehmen wir die Prinzipien aus der Psychologie, d.h. aus den Beobachtun25 gen über unseren Verstand, so würden wir bloß sehen, w i e das Denken vor sich geht, und wie es i s t unter den mancherlei sub­ j ektiven Hindernissen und Bedingungen ; dieses würde aber nur zur Erkenntnis bloß z u f ä l l i g e r Gesetze führen. In der Logik ist aber die Frage nicht nach z u f ä l l i g e n, sondern nach n o t30 w e n d i g e n Regeln - nicht, wie wir denken, sondern, wie wir denken sollen. Die Regeln der Logik müssen daher nicht vom z u f ä l l i g e n, sondern vom n o t w e n di g e n Vernunftgebrauche • „Die Logik ist eine psychologische Disziplin, so gewiß das Erkennen nur in der Psyche vorkommt und das Denken, das sich in ihm vollendet, ein psychisches Ge� schehen ist" ( L i p p s, a. a. 0.). • • Einleitung, 1, Begriff der Logik. Kants Werke, ed. H a r t e n s t e i n, 1 867, VIII, s. 14.

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[A 53) [B 53]

66

DER PSYCHOLOGISMUS, SEINE ARGUMENTE UND SEINE

hergenommen sein, den man ohne alle Psychologie bei sich findet. Wir wollen in der Logik nicht wissen : wie der Verstand ist und denkt, und wie er bisher im Denken verfahren ist, sondern : wie er im Denken verfahren sollte. Sie soll uns den richtigen, d.h. den 5 mit sich selbst übereinstimmenden Gebrauch des Verstandes lehren. " Eine ähnliche Position nimmt H e r b a r t ein, indem er gegen die Logik seiner Zeit und „die psychologisch sein sollenden 54 Erzählungen vom Verstande und der Vernunft, mit denen sie A J anhebt", einwendet, es sei dies ein I Fehler gerade so arg, wie der l 54 B 1 0 einer Sittenlehre, welche mit der Naturgeschichte der mensch­ lichen Neigungen, Triebe und Schwachheiten beginnen wollte, und indem er zur Begründung des Unterschiedes auf den norma­ tiven Charakter der Logik, wie Ethik hinweist. * Derartige Argumentationen setzen die psychologistischen Lo15 giker in keinerlei Verlegenheit. Sie antworten : der notwendige Verstandesgebrauch ist eben auch ein Verstandesgebrauch und gehört mit dem Verstande selbst in die Psychologie. Das Denken, wie es sein soll, ist ein bloßer Spezialfall des Denkens, wie es ist. Gewiß hat die Psychologie die Naturgesetze des Denkens zu er20 forschen, also die Gesetze für alle Urteile überhaupt, ob richtige oder falsche ; aber ungereimt wäre es, diesen Satz so zu inter­ pretieren, als gehörten nur solche Gesetze in die Psychologie, welche sich in umfassendster Allgemeinheit auf alle Urteile über­ haupt beziehen, während Spezialgesetze des Urteilens, wie die 25 Gesetze des richtigen Urteilens, aus ihrem Bereich ausgeschlossen werden müßten.** Oder ist die Meinung eine andere ? Will man leugnen, daß die Normalgesetze des Denkens den Charakter solcher psychologischen Spezialgesetze haben ? Aber auch dies geht nicht an. Normalgesetze des Denkens wollen, heißt es, nur 30 angeben, wie man zu verfahren habe, v o r a u s g e s e t z t, daß man r i e b t i g denken will. „Wir denken richtig, im materialen Sinne, wenn wir die Dinge denken, wie sie sind. Aber die Dinge sind so oder so, sicher und unzweifelhaft, dies heißt in unserem Munde, wir können sie der Natur unseres Geistes zufolge nicht 35 anders als eben auf diese Weise denken. Denn es braucht ja nicht wiederholt zu werden, was oft genug gesagt worden ist, daß selbst-

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• H e r b a r t, Psychologie als Wissenschaft, II, § 1 1 9. (Originalausgabe, II, S. 1 73.) • • Vgl. z.B. M i l l, An Examination•, S. 459 f.

S T E L L U N G N A H M E ZU D E N Ü B L I C H E N G E G E N A R G U M E N T E N

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verständlich kein Ding, so wie es ist, abgesehen von der Art, wie wir es denken müssen, von uns gedacht werden �der Gegenstand 55] [A _ unseres Erkennens sem kann, daß also, wer seme II Gedanken 55] [B von den Dingen mit den Dingen selbst vergleicht, in der Tat nur 5 sein zufälliges, von Gewohnheit, Tradition, Neigung und Ab­ neigung beeinflußtes Denken an demjenigen Denken messen kann, das von rsolchen1 1 Einflüssen frei, keiner Stimme gehorcht, als der der eigenen Gesetzmäßigkeit." „Dann sind aber die Regeln, nach denen man verfahren muß, t o um richtig zu denken, nichts anderes als Regeln, nach denen man verfahren muß, um so zu denken, wie es die Eigenart des Denkens, seine besondere Gesetzmäßigkeit, verlangt, kürzer ausgedrückt, sie sind identisch mit den Naturgesetzen des Denkens selbst. Die Logik ist Physik des Denkens oder sie ist überhaupt nichts."* 1 5 Vielleicht sagt man von antipsychologistischer Seite : ** Aller­ dings gehören die verschiedenen Gattungen von Vorstellungen, Urteilen, Schlüssen usw. als psychische Phänomene und Dispo­ sitionen a u c h in die Psychologie hinein ; aber die Psychologie hat in Ansehung derselben eine verschiedene Aufgabe wie die 20 Logik. Beide erforschen die Gesetze dieser Betätigungen ; aber „Gesetz" bedeutet für beide etwas total Verschiedenes. Die Auf­ gabe der Psychologie ist es, den realen Zusammenhang der Be­ wußtseinsvorgänge untereinander, sowie mit den zugehörigen psychischen Dispositionen und den rkorrespondierenden 1 2 Vor25 gängen im körperlichen Organismus gesetzlich zu erforschen. Ge­ setz bedeutet hier eine zusammenfassende Formel für notwendige und ausnahmslose Verknüpfung in Koexistenz und Sukzession. Der Zusammenhang ist ein kausaler. Ganz anders geartet ist die Aufgabe der Logik. Nicht nach kausalen Ursprüngen und Folgen 30 der intellektuellen Betätigungen fragt sie, sondern nach ihrem Wahrheitsgehalt ; sie fragt, wie solche Betätigungen beschaffen

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• L i p p s, „Die Aufgabe der Erkenntnistheorie", Philos. Monatshefte, XVI ( 1 880) , 530 f. • • Vgl. z.B. H a m i l tons Lectures, III, S. 7 8 ( zitiert von M i l l, a. a. 0„ S. 460) ; D r o b i s c h, Neue Darstellung der Logik4, § 2 ( cf. das Zitat oben S. 36) . rvgI. hier auch 1 s B. E r d m a n n , Logik, I, S. 1 8. s.

1 A : rseinenl . 2 A : rkorrelaten1 . 3 Zusatz von B.

68

D E R P S Y C H O L O G I S M U S, S E I N E ARGU M E NTE U ND S E I N E

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sein und verlaufen s o l l e n, damit die resultierenden II Urteile wahr seien. Richtige Urteile und falsche, einsichtige und blinde, kommen und gehen nach Naturgesetzen, sie haben ihre kausalen Antezedenzien und Konsequenzen wie alle psychischen Phäno5 mene ; den Logiker aber interessieren nicht diese natürlichen Zu­ sammenhänge, sondern er sucht ideale, die er nicht immer, j a nur ausnahmsweise im faktischen Verlaufe des Denkens verwirklicht findet. Nicht eine Physik, sondern eine Ethik des Denkens ist sein Ziel. Mit Recht betont daher S i g w ar t : In der p s y c h o lo10 gi s c h e n Betrachtung des Denkens hat „der Gegensatz von wahr und falsch ebensowenig eine Rolle . . . wie der Gegensatz von gut und böse im menschlichen Handeln ein psychologischer ist".* Mit solchen Halbheiten - so werden die Psychologisten ant­ worten - können wir uns nicht zufrieden geben. Gewiß hat die 1 5 Logik eine ganz andere Aufgabe als die Psychologie, wer wird dies auch leugnen ? Sie ist eben Technologie der Erkenntnis ; aber wie könnte sie dann von der Frage nach den kausalen Zusammen­ hängen absehen, wie könnte sie nach idealen Zusammenhängen suchen, ohne die natürlichen zu studieren ? „Als ob nicht j edes 20 Sollen auf ein Sein sich gründen, j ede Ethik sich zugleich als Physik ausweisen müßte."** „Die Frage, was man tun solle, ist immer zurückführbar auf die Frage, was man tun müsse, wenn ein bestimmtes Ziel erreicht werden solle ; und diese Frage wieder­ um ist gleichbedeutend mit der Frage, wie das Ziel t a t s ä c h l i c h 2 5 e r r e i c h t werde." * * * Daß für die Psychologie i m Unterschied zur Logik der Gegensatz von wahr und falsch nicht in Betracht komme, „kann nicht heißen, daß die Psychologie diese beiden voneinander verschiedenen psychischen Tatbestände als gleich ausgebe, sondern J nur, daß sie beide in gleicher Weise ver- [A 57] 30 1 ständlich mache".**** In theoretischer Beziehung verhält sich [B 57] also die Logik zur Psychologie wie der Teil zum Ganzen. Ihr Hauptziel ist es zumal, Sätze der Form herzustellen : Gerade so und nicht anders müssen sich - allgemein oder unter bestimmt • Logik, I2, S. 10. Freilich bewegt sich (wie wir im VII. Kapitel sehen werden) S i g w a r t s eigene Behandlungsweise der Logik durchaus in psychologistischer Rich­ tung. •• L i p p s, „Die Aufgabe der Erkenntnistheorie", a. a. 0., S. 529. ••• L i p p s, &undzüge der Logik, § 1 . • • • • L i p p s, a. a. 0., § 3 , S . 2.

STELL U N GN A H M E ZU D E N Ü B L I C H E N G E G E N A R G U M E N T E N

69

charakterisierten Umständen - die intellektuellen Betätigungen formen, anordnen und zusammenschließen, damit die resultie­ renden Urteile den Charakter der Evidenz, der Erkenntnis im prägnanten Sinne des Wortes erlangen. Die kausale Beziehung 5 ist hier greifbar. Der psychologische Charakter der Evidenz ist

ein kausaler Erfolg gewisser Antezedenzien. Wie beschaffener ? Dies zu erforschen ist eben die Aufgabe. * Nicht besser glückt es dem folgenden und oft wiederholten Argument, die psychologistische Partei ins Schwanken zu bringen:

10

Die Logik, sagt man, kann auf der Psychologie ebensowenig ruhen, wie auf irgendeiner anderen Wissenschaft ; denn eine j ede ist Wissenschaft nur durch Harmonie mit den Regeln der Logik, sie setzt die Gültigkeit dieser Regeln schon voraus. Es wäre dar­ nach ein Zirkel, Logik allererst auf Psychologie gründen zu

15 wollen. * *

Man wird von der Gegenseite antworten : Daß diese Argumen­

tation nicht richtig sein kann, erhellt schon daraus, daß aus ihr die Unmöglichkeit der Logik überhaupt folgen würde. Da die Logik als Wissenschaft selbst logisch verfahren muß, so verfiele

20 sie ja demselben Zirkel ; die Triftigkeit der Regeln, die sie voraus-

setzt, müßte sie zugleich begründen.

I I Aber sehen wir näher zu, worin derl Zirkel eigentlich bestehen

soll. Darin, daß die Psychologie die logischen Gesetze als gültig

voraussetze ? Aber man achte auf die Äquivokation im Begriff

25 der Voraussetzung. Eine Wissenschaft setzt die Gültigkeit gewis­

ser Regeln voraus, das kann heißen : sie sind Prämissen für ihre

Begründungen ; es kann aber auch heißen: sie sind Regeln, denen gemäß die Wissenschaft verfahren muß, um überhaupt Wissen­ schaft zu sein. Beides wirft das Argument zusammen ; n a c h

3 0 logischen

Regeln schließen und a u s ihnen schließen, gilt ihm

• Dieser Gesichtspunkt tritt mit steigender Deutlichkeit in den Werken von Mill, S i g w a r t, W u n d t, H ö f l e r-M e i n o n g hervor. Vgl. darüber die Zitate und Kritiken im VIII. Kap., § 49 f. •• Vgl. L o t z e s Logik 2, § 332, S. 543-44. N a t o r p, „Über objektive und subjek­ tive Begründung der Erkenntnis'', Philos. Mo11atskefte, XXIII, S. 264. E r d m a n n s Logik, I , S. 1 8. Vgl. dagegen S t u m pf, „ Psychologie und Erkenntnistheorie", S. 5 . (A bhandlungen der k . bayer. A kad. d . Wiss., I . KI., XIX. Bd„ I I . Abt., S. 469. Daß bei S t u m p f von Erkenntnistheorie, nicht von Logik die Rede ist, macht offenbar keinen wesentlichen Unterschied.)

1 In A folgt :

rurgiertei .

{[A

581 [B 581

70

5

DER PSYCHOLOGISMUS, SEINE ARGUMENTE UND SEINE

als dasselbe ; denn nur, wenn aus ihnen geschlossen würde, be­ stände der Zirkel. Aber wie so mancher Künstler schöne Werke schafft, ohne von Ästhetik das Geringste zu wissen, so kann ein Forscher Beweise aufbauen, ohne j e auf die Logik zu rekurrieren ; also können logische Gesetze nicht deren Prämissen gewesen sein. Und was von einzelnen Beweisen gilt, das gilt auch von ganzen Wissenschaften. § 20. Eine Lücke in der Beweisführung der Psychologisten

Unleugbar erscheinen die Antipsychologisten mit diesen und 10 verwandten Argumentationen im Nachteil. Nicht wenigen gilt der Streit für zweifellos entschieden, sie halten die Entgegnungen der psychologistischen Partei für durchaus schlagend. Immerhin möchte hier eines die philosophische Verwunderung reizen, näm­ lich der Umstand, daß überhaupt ein Streit bestand und noch 15 fortbesteht, und daß dieselben Argumentationen immer wieder vorgebracht und deren Widerlegungen nicht als bindend aner­ kannt wurden. Läge wirklich alles plan und klar, wie die psycho­ logistische Richtung versichert, dann wäre diese Sachlage nicht recht verständlich, zumal doch vorurteilslose, ernste und scharf20 sinnige Denker auch auf der Gegenseite stehen. Ob nicht die Wahrheit wieder einmal in der rechten Mitte liegt, ob nicht j ede der Parteien ein gutes Stück der Wahrheit erkannt hat und sich nur unfähig zeigte, es in begrifflicher Schärfe abzugrenzen und 59 [A ] eben als bloßes Stück der ganzen zu begreifen ? II Ob nicht doch [B 59] 25 in den Argumenten der An1;ipsychologisten - rbei manchen Un­ richtigkeiten oder Unklarheiten im einzelnen, welche die Hand­ haben zu den Widerlegungen darboten 11 ein ungelöster Rest übrig bleibt, ob ihnen nicht doch eine wahre Kraft innewohnt, die sich bei vorurteilsloser Erwägung immer wieder aufdrängt ? Ich 30 für meinen Teil möchte diese Frage bej ahen ; es will mir sogar scheinen, daß der wichtigere Teil der Wahrheit auf antipsycho­ logistischer Seite liegt, nur daß die entscheidenden Gedanken nicht gehörig herausgearbeitet und durch mancherlei Untriftig­ keiten getrübt sind.

{

-

A : rbei mancher Unrichtigkeit im Einzelnen, welche durch die Wider­ legungen unzweifelhaft zutage tritt1 , 1

STELL U N G N AH M E ZU D E N Ü B L I C H E N G E G E N A R G U M E NTEN

71

Kehren wir zu der oben aufgeworfenen Frage nach den wesent­ lichen theoretischen Fundamenten der normativen Logik zurück. Ist sie durch die Argumentation der Psychologisten wirklich er­ ledigt ? Hier rbemerken1 1 wir sofort einen schwachen Punkt. Er5 wiesen ist durch das Argument nur das eine, daß die Psychologie an der Fundierung der Logik m i t b e t e i l i g t ist, nicht aber, daß sie an ihr a l l e i n oder auch nur vorzugsweise beteiligt ist, nicht, daß sie ihr das w e s e n t l i c h e F u n d a m e n t in dem von uns (§ 1 6) definierten Sinn beistellt. Die Möglichkeit bleibt offen, daß eine 1 0 andere Wissenschaft und vielleicht in ungleich bedeutsamerer Weise zu ihrer Fundierung beitrüge. Und hier mag die Stelle sein für j ene „reine Logik" , welche nach der anderen Partei ihr von aller Psychologie unabhängiges Dasein führen soll, als eine natür­ lich begrenzte, in sich geschlossene Wissenschaft. Wir gestehen 15 gerne zu, es entspricht, was von den Kantianern und Herbartia­ nern unter diesem Titel bearbeitet worden ist, nicht ganz dem Charakter, der ihr nach der angeregten Vermutung eignen müßte. Ist doch bei ihnen allerwege die Rede von normativen Gesetzen des Denkens, im besonderen der Begriffsbildung, der Urteilsbil20 dung usw. ; Beweis genug, möchte man sagen, daß der Stoff weder ein theoretischer, noch ein der Psychologie fremder ist. Aber dieses Bedenken verlöre seine Kraft, wenn sich bei näherer Untersuchung die Vermutung bestätigte, die sich uns oben (§ 1 3 , S. 38) auf­ drängte, nämlich, daß jene Schulen zwar in der Definition 1 und [A 60] 25 im Aufbau 1 der intendierten Disziplin nicht glücklich rwaren1 2, [B 60] aber ihr doch insofern nahe kamen, als sie eine Fülle theoretisch zusammengehöriger Wahrheiten in der traditionellen Logik be­ merkten, die sich weder in die Psychologie, noch in andere Einzel­ wissenschaften einreihen und somit ein eigenes Reich der Wahr30 heit ahnen ließen. Und waren es gerade diejenigen Wahrheiten, auf welche alle logische Regelung letztlich bezogen ist, und an welche man daher, wo von logischen Wahrheiten die Rede war, vorzugsweise denken mußte, dann konnte man leicht dazu kom­ men, in ihnen das Wesentliche der ganzen Logik zu sehen und 35 ihre theoretische Einheit mit dem Namen „reine Logik" zu be­ nennen. Daß hiermit die wahre Sachlage gekennzeichnet ist, hoffe ich in der Tat nachweisen zu können. 1 A : rmerken1 . 2 Fehlt i n A.

VIERTES K APITEL EMPIRISTISCHE K O N S EQUENZEN DES PSYCHOLOGISMUS § 21.

Kennzeichnung zweier empiristischer Konsequenzen des psychologistischen Standpunktes und deren Widerlegung

5

Stellen wir uns für den Augenblick auf den Boden der psycho­ logistischen Logik, nehmen wir also an, es lägen die wesentlichen theoretischen Fundamente der logischen Vorschriften in der Psy­ chologie. Wie immer diese Disziplin nun definiert werden mag 10 ob als Wissenschaft von den psychischen Phänomenen oder als Wissenschaft von den Tatsachen des Bewußtseins, von den Tatsachen der inneren Erfahrung, von den Erlebnissen in ihrer Abhängigkeit von erlebenden Individuen oder wie immer sonst darin besteht allseitige Einigkeit, daß die Psychologie eine TatA 61 1 5 sachenwissenschaft ist und somit eine I Wissenschaft als Erfah61 rung. Wir werden auch nicht auf Widerspruch stoßen, wenn wir hinzufügen, daß die Psychologie bislang noch echter und somit exakter Gesetze ermangelt, und daß die Sätze, die sie selbst mit dem Namen von Gesetzen ehrt, zwar sehr wertvolle, aber doch 20 nur vage* Verallgemeinerungen der Erfahrung sind, Aussagen über ungefähre Regelmäßigkeiten der Koexistenz oder Sukzession, die gar nicht den Anspruch erheben, mit unfehlbarer, eindeutiger Bestimmtheit festzustellen, was unter exakt umschriebenen Ver­ hältnissen zusammen bestehen oder erfolgen müsse. Man betrach-

{

• Ich gebrauche den Terminus v a g e als Gegensatz zu e x a k t. Keineswegs soll durch ihn irgendwelche Geringschätzung der Psychologie ausgedrückt sein, der etwas am Zeuge flicken zu wollen, mir gänzlich fernliegt. Auch die Naturwissenschaft hat in manchen, zumal den konkreten Disziplinen, vage „Gesetze". So sind die meteorolo· gischen Gesetze vage und doch von großem Werte.

�B 1

73

KONSEQUENZEN D E S P S Y C H O L O G I S M U S

te z.B. die Gesetze der Ideenassoziation, welchen die Assoziations­ psychologie die Stellung und Bedeutung von psychologischen Grundgesetzen einräumen wollte. Sowie man sich die Mühe nimmt, ihren empirisch berechtigten Sinn angemessen zu formulieren, 5 verlieren sie auch sofort den prätendierten Gesetzescharakter. Dies vorausgesetzt, ergeben sich für die psychologistischen Logi­ ker recht bedenkliche Konsequenzen : E r s t e n s . In vagen theoretischen Grundlagen können nur vage Regeln gründen. Entbehren die psychologischen Gesetze der Ex-

10

aktheit, so muß dasselbe von den logischen Vorschriften gelten . Nun ist es unzweifelhaft, daß manche dieser Vorschriften aller­ dings mit empirischen Vagheiten behaftet sind. Aber gerade die im prägnanten Sinne sogenannten logischen Gesetze, von denen wir früher erkannt haben, daß sie als Gesetze der Begründungen

15 den eigentlichen Kern aller Logik ausmachen : die logischen „Prinzipien" , die Gesetze der Syllogistik, die Gesetze der mannigfachen sonstigen Schlußarten, wie der Gleichheitsschluß, der B e r n o u l l i sche Schluß von

n

auf

n + 1,

Wahrscheinlichkeitsschlüsse usw . , sind von

die Prinzipien der

1

absoluter

1

Exakt-

20 heit ; j ede Interpretation, die ihnen empirische Unbestimmtheiten unterlegen, ihre Geltung von vagen „Umständen" abhängig machen wollte, würde ihren wahren Sinn von Grund auf ändern. Sie sind offenbar echte Gesetze und nicht „bloß empirische", d.i. ungefähre Regeln. 25

Ist, wie L o t z e meinte, die reine Mathematik nur ein selbstän­ dig entwickelter Zweig der Logik, so gehört auch die unerschöpf­ liche Fülle rein mathematischer Gesetze in die eben bezeichnete Sphäre exakter logischer Gesetze. Auch in allen weiteren Ein­ wänden möge mit dieser Sphäre auch die des rein Mathematischen

30 im Auge behalten werden. Z w e i t e n s . Würde j emand, um dem ersten Einwande zu ent­ gehen, die durchgängige Inexaktheit der psychologischen Gesetze leugnen und die Normen der soeben ausgezeichneten Klasse auf vermeintlich exakte Naturgesetze des Denkens gründen wollen, 35 so wäre noch nicht viel gewonnen. Kein Naturgesetz ist ra

priori erkennbar,

ist selbst einsichtig

begründbar1 1. Der einzige Weg, ein solches Gesetz zu begründen

1 A : ra priori, d.h. einsichtig erkennbar1 .

{

62 [B 62]] [A

E M P I RI S TI S C H E K O N S E Q U E N Z E N

74

und z u rechtfertigen, ist die Induktion aus einzelnen Tatsachen der Erfahrung. Die Induktion begründet aber nicht die Geltung des Gesetzes, sondern nur die mehr oder minder hohe Wahr­ scheinlichkeit dieser Geltung ; einsichtig gerechtfertigt ist die

5

Wahrscheinlichkeit und nicht das Gesetz. Folglich müßten auch die logischen Gesetze, und zwar ausnahmslos, den Rang bloßer Wahrscheinlichkeiten haben. Demgegenüber scheint nichts offen­ kundiger, als daß die „rein logischen" Gesetze insgesamt

a priori

gültig sind. Nicht durch Induktion, sondern durch apodiktische

10

Evidenz finden sie Begründung und Rechtfertigung. Einsichtig gerechtfertigt sind nicht bloße Wahrscheinlichkeiten ihrer Gel­ tung, sondern ihre Geltung oder Wahrheit selbst. Der Satz vom Widerspruch besagt nicht, es sei zu v e r m u t e n, daß von zwei kontradiktorischen Urteilen eines wahr und eines

15

der modus Barbara besagt nicht, es sei, wenn zwei Sätze der Form : „Alle A sind B" und „alle B sind C" wahr sind, zu v e r m u t e n, daß ein zugehöriger Satz der II Form : „Alle A sind C" wahr sei. Und so überall, auch im Gebiete der rein mathema-

falsch sei ;

tischen Sätze. Andernfalls müßten wir j a die M ö g l i c h k e i t

2 0 offen

halten, daß sich die Vermutung bei Erweiterung unseres

allzeit nur begrenzten Erfahrungskreises nicht bestätigte. Viel­ leicht sirid unsere logischen Gesetze dann nur „Annäherungen" an die wahrhaft gültigen, uns aber unerreichbaren Denkgesetze. Solche Möglichkeiten werden bei den Naturgesetzen ernstlich und

25

mit Recht erwogen. Obschon das Gravitationsgesetz durch die umfassendsten Induktionen und Verifikationen empfohlen ist, faßt es heutzutage doch kein Naturforscher als absolut gültiges Gesetz auf. Man probiert es gelegentlich mit neuen Gravitations­ formeln, man wies z . B . nach, daß We b e r s Grundgesetz der

30

elektrischen Erscheinungen ganz wohl auch als Grundgesetz der Schwere fungieren könnte. Der unterscheidende Faktor der bei­ derseitigen Formeln bedingt eben Unterschiede in den berech­ neten Werten, welche die Sphäre der unvermeidlichen Beobach­ tungsfehler nicht überschreiten. Derartiger Faktoren sind aber

35

unendlich viele denkbar ; daher wissen wir

a priori, daß unendlich

viele Gesetze dasselbe leisten können und leisten müssen, wie das (nur durch besondere Einfachheit empfohlene) Gravitationsgesetz N e w t o n s ; wir wissen, daß schon die Suche nach dem einzig wahren Gesetz bei der nie und nimmer zu beseitigenden Unge-

{

[A 63] [B 63]

DES PSYCHOLOGISMUS

75

nauigkeit der Beobachtungen töricht wäre. Dies ist die Sachlage in den exakten Tatsachenwissenschaften. Keineswegs aber in der Logik. Was dort berechtigte Möglichkeit ist, verkehrt sich hier zu offener Absurdität. Wir haben ja Einsicht nicht in die bloße

5

Wahrscheinlichkeit, sondern in die Wahrheit der logischen Ge­ setze. Wir sehen die Prinzipien der Syllogistik, der B e r n o u l l i­ schen Induktion, der Wahrscheinlichkeitsschlüsse, der allgemei­ nen Arithmetik u. dgl. ein, d.h. wir erfassen in ihnen die Wahrheit selbst ; somit verliert die Rede von Ungenauigkeitssphären, von

10

bloßen Annäherungen u. dgl. ihren möglichen Sinn. Ist aber, was die psychologische Begründung der Logik als Konsequenz verlangt, absurd, so ist sie selbst absurd.

II

Gegen die Wahrheit selbst, die wir einsichtig erfassen, kann

auch die stärkste psychologistische Argumentation nicht auf-

15

kommen ; Wahrscheinlichkeit kann nicht gegen Wahrheit, Ver­ mutung nicht gegen Einsicht streiten. Mag sich, wer in der Sphäre allgemeiner Erwägungen stecken bleibt, durch die psychologisti­ schen Argumente täuschen lassen. Der bloße Hinblick auf irgend­ eines der logischen Gesetze, auf seine eigentliche Meinung und die

20 Einsichtigkeit, mit der es als Wahrheit an sich erfaßt wird, müßte der Täuschung ein Ende machen. Wie klingt doch plausibel, was die so naheliegende

rpsycho­

logistische 11 Reflexion uns aufdrängen will : Die logischen Gesetze sind Gesetze für Begründungen. Begründungen - was sind sie

25

anderes denn eigenartige Gedankenverläufe des Menschen, in welchen unter gewissen normalen Verhältnissen die als Endglieder auftretenden Urteile mit dem Charakter der notwendigen Folge behaftet erscheinen. Dieser Charakter ist selbst ein psychischer, eine gewisse Art des Zumuteseins und nichts weiter. Und rall1 2

30

diese psychischen Phänomene stehen selbstverständlich nicht iso­ liert, sie sind einzelne Fäden des vielverschlungenen Gewebes von psychischen Phänomenen, psychischen Dispositionen und orga­ nischen Prozessen, die wir menschliches Leben nennen . Wie sollte unter diesen Umständen anderes resultieren als empirische All-

35 gemeinheiten ? Wo gäbe die Psychologie auch mehr ? Wir antworten : Gewiß gibt die Psychologie nicht mehr. Eben

1 A : rpsychologische1 . 2 A : rallel .

{

� � A 64 B 64

76

EMPIRISTISCHE KONSEQUENZEN

darum kann sie auch nicht j ene apodiktisch evidenten und somit überempirischen und absolut exakten Gesetze geben, welche den Kern aller Logik ausmachen. §

5

22. Die Denkgesetze als vermeintliche Naturgesetze, welche in isolierter Wirksamkeit das vernünftige Denken kausieren Hier ist auch der Ort, zu einer verbreiteten Auffassung der lo­

gischen Gesetze Stellung zu nehmen, welche das richtige Denken durch seine Angemessenheit an gewisse (wie immer zu formulierende) Denkgesetze bestimmt, zugleich aber geneigt ist, II sich

10

diese Angemessenheit in folgender .Weise psychologistisch zu interpretieren : nämlich, wie ihr die Denkgesetze als die N a t u r­ g e s e t z e gelten, welche die Eigenart unseres Geistes als eines denkenden charakterisieren, so soll das Wesen der das richtige Denken definierenden Angemessenheit in der reinen, durch keine

15

anderweitigen psychischen Einflüsse (wie Gewohnheit, Neigung, Tradition) getrübten Wirksamkeit dieser Denkgesetze liegen. * Von den bedenklichen Konsequenzen dieser Lehre sei hier eine ausgeführt. Denkgesetze als Kausalgesetze, nach denen die Er­ kenntnisse rim seelischen Zusammenhang1 1 werden, könnten nur

20 in

Form von rwahrscheinlichkeit1 2 gegeben sein. Demgemäß

dürfte keine Behauptung als eine richtige mit Gewißheit beurteilt werden ; denn Wahrscheinlichkeiten als Grundmaße aller Richtig­ keit müssen j eder Erkenntnis den Stempel der bloßen Wahr­ scheinlichkeit aufprägen. So ständen wir vor dem extremsten

25

Probabilismus. Auch die Behauptung, daß alles Wissen ein bloß wahrscheinliches rseil 3, wäre nur wahrscheinlich gültig ; diese neue Behauptung abermals und so

in infinitum.

Da j ede folgende

Stufe den Wahrscheinlichkeitsgrad der nächstvorhergehenden in etwas herabdrückt, so müßten wir um den Wert aller Erkenntnis

30

ernstlich besorgt sein . Hoffentlich trifft es sich aber glücklich genug,

daß die Wahrscheinlichkeitsgrade

dieser unendlichen

• Vgl. z.B. die S. 55 oben zitierten Sätze aus L i p p s' Aufsatz über die Aufgabe der Erkenntnistheorie.

1 Zusatz von B. 2 A: rwahrscheinlichkeiten1 . a A : ristl.

{� � A B

65 65

DES PSYCHOLOGISMUS

77

Reihen allzeit den Charakter C a n t o r scher „Fundamentalreihen" haben, und zwar so, daß der endgültige Grenzwert für die Wahr­ scheinlichkeit der j eweilig zu beurteilenden Erkenntnis eine rreelle Zahl1 1 ist >

0.

Natürlich entgeht man diesen rskeptischen1 2

5 Unzuträglichkeiten, wenn man die Denkgesetze als einsichtig

gegebene gelten läßt. Aber wie sollten wir von Kausalgesetzen Einsicht haben ? Und angenommen, es bestände diese Schwierigkeit nicht, dann dürfen wir doch fragen : Wo ist in aller Welt der Nachweis ge-

10

führt, daß aus der reinen Wirksamkeit dieser Gesetze II (oder welcher Gesetze auch sonst) die richtigen Denkakte entspringen ? Wo sind die r deskriptiven und1 3 genetischen Analysen, die uns berechtigen, die Denkphänomene aus zwei Klassen von Natur­ gesetzen zu erklären, von welchen die einen ausschließlich den

15

Gang solcher Kausationen bestimmen, die das logische Denken hervorgehen lassen, während für das alogische Denken auch die anderen mitbestimmend sind ? Ist die Bemessung eines Denkens rnach den logischen Gesetzen1 4 etwa gleichbedeutend mit dem Nachweis seiner kausalen Entstehung nach eben diesen Gesetzen

20

als Naturgesetzen ? Es scheint, daß hier einige naheliegende Verwechslungen den psychologistischen Irrtümern den Weg geebnet haben. Zunächst verwechselt man die logischen Gesetze mit den Urteilenr, im Sinne von Urteilsakten 1 5, in denen sie möglicherweise erkannt

25 werden, also die G e s e t z e a l s „U r t e i l s i n h a l t e" mit den U r­ t e i l e n s e l b s t. Die letzteren sind reale Vorkommnisse, die ihre

Ursachen und Wirkungen haben. Insbesondere wirken die Urteile gesetzlichen Inhalts des öfteren als D e n k m o t i v e, welche den Gang unserer Denkerlebnisse so bestimmen, wie es eben j ene

30

Inhalte, die Denkgesetze, vorschreiben . In solchen Fällen ist die reale Anordnung und Verknüpfung unserer Denkerlebnisse dem, w a s in der leitenden gesetzlichen Erkenntnis allgemein gedacht ist, angemessen ; sie ist ein konkreter Einzelfall zu dem allgemei-

1 A : rreelle absolute Zahll . Die Veränderung in B entspricht den „Berichtigungen" zu A. 2 Zusatz von B. s Zusatz von B. 4 A: rdurch die logischen Gesetzel . 5 A : r(urtei!sakten) l .

{

[A 66] [B 66]

78

E M P I R I S T I S C H E K O N S E Q U E NZ E N

nen des Gesetzes. Verwechselt man aber das Gesetz mit dem Ur­ teilen, Erkennen des Gesetzes, das Ideale mit dem Realen, so er­ scheint das Gesetz als eine b e s t i m m e n d e M a c h t unseres Denkverlaufs. In wohl begreiflicher Leichtigkeit reiht sich dann

5

eine zweite Verwechslung an, nämlich zwischen dem G e s e t z a l s G l i e d d e r K a u s a t i o n und dem G e s e t z a l s d e r R e g e l d e r K a u s a t i o n . E s ist uns j a auch sonst die mythische Rede von den Naturgesetzen als waltenden Mächten des natürlichen Geschehens nicht fremd - als ob die Regeln ursächlicher Zu-

1 0 sammenhänge selbst wieder

als Ursachen, somit als Glieder eben

solcher Zusammenhänge sinnvoll fungieren könnten. Die ernsthafte Vermengung so wesentlich verschielldener Dinge war in unserem Falle durch die vordem bereits begangene Vermengung zwischen Gesetz und Gesetzeserkenntnis offenbar begünstigt. Die

15

logischen Gesetze erschienen j a bereits als treibende Motoren im Denken. Sie regieren, dachte man sich, den Denkverlauf kausal also sind sie Kausalgesetze des Denkens, sie drücken aus, wie wir der Natur u n s e r e s Geistes zufolge denken müssen, sie kenn­ zeichnen den menschlichen Geist als einen (im prägnanten Sinne)

20

denkenden. Denken wir gelegentlich anders als diese Gesetze es verlangen, so „denken" wir, eigentlich gesprochen, überhaupt nicht, wir urteilen nicht, wie es die Naturgesetze des Denkens oder wie es die E i g e n a r t u n s e r e s G e i s t e s als eines denken­ den fordert, sondern wie es andere Gesetze, und zwar wiederum

25

kausal, bestimmen, wir folgen trübenden Einflüssen der Gewohn­ heit, Leidenschaft u. dgl. Natürlich können auch andere Motive zu dieser selben Auffas­ sung gedrängt haben. Die Erfahrungstatsache, daß die in gewisser Sphäre normal Disponierten, z . B . die wissenschaftlichen Forscher

30

in ihren Gebieten, logisch richtig zu urteilen pflegen, scheint die natürliche Erklärung zu fordern, daß die logischen Gesetze, nach denen die Richtigkeit des Denkens bemessen wird, zugleich in der Weise von Kausalgesetzen den Gang des j eweiligen Denkens be­ stimmen, während die vereinzelten Abweichungen von der Norm

35

leicht auf Rechnung j ener trübenden Einflüsse aus anderen psy­ chologischen Quellen zu setzen rwären1 1. Demgegenüber genügt es, folgende Erwägung anzustellen. Wir

1 A : rwarenl .

{� � A B

67 67

DES PSYCHOLOGISMUS

79

fingieren einen Idealmenschen, in dem alles Denken so von­ statten geht, wie es die logischen Gesetze fordern. Natürlich muß die Tatsache, daß es so vonstatten geht, ihren erklärenden Grund haben in gewissen psychologischen Gesetzen, welche den 5 Verlauf der psychischen Erlebnisse dieses Wesens von gewissen ersten „Kollokationen" aus in einer gewissen Weise regeln. Ich frage nun : Wären diese Naturgesetze und j ene logischen Gesetze [A 68] unter den gemachten Annahmen idenl!tisch ? Die Antwort muß [B 68] offenbar verneinend ausfallen. Kausalgesetze, nach welchen das 1 0 Denken so ablaufen muß, wie es nach den idealen Normen der Logik gerechtfertigt werden könnte, und diese Normen selbst - das ist doch keineswegs dasselbe. Ein Wesen ist so konstituiert, daß es in keinem einheitlichen Gedankenzuge widersprechende Urteile fällen, oder daß es keinen Schluß vollziehen kann, der 15 gegen die syllogistischen Modi verstieße - darin liegt durchaus nicht, daß der Satz vom Widerspruch, der modus Barbara u. dgl. Naturgesetze rseien1 1, die solche Konstitution zu erklären ver­ möchten. Das Beispiel der Rechenmaschine macht den Unter­ schied völlig klar. Die Anordnung und Verknüpfung der hervor20 springenden Ziffern wird naturgesetzlich so geregelt, wie es die arithmetischen Sätze für ihre Bedeutungen fordern. Aber niemand wird, um den Gang der Maschine physikalisch zu erklären, statt der mechanischen die arithmetischen Gesetze heranziehen. Die Maschine ist freilich keine denkende, sie versteht sich selbst nicht 25 und nicht die Bedeutung ihrer Leistungen ; aber könnte nicht unsere Denkmaschine sonst in ähnlicher Weise funktionieren, nur daß der reale Gang des einen Denkens durch die in einem anderen Denken hervortretende Einsicht in die logische Gesetzlichkeit allzeit als richtig anerkannt werden müßte ? Dieses andere Denken 30 könnte ebensogut zu der Leistung derselben wie anderer Denk­ maschinen gehören, aber ideale Bewertung und kausale Erklä­ rung blieben immer noch heterogen. Man vergesse auch nicht die „ersten Kollokationen' ' , die für die kausale Erklärung unerläßlich, für die ideale Wertung aber sinnlos sind. 35 Die psychologistischen Logiker verkennen die grundwesent­ lichen und ewig unüberbrückbaren Unterschiede zwischen Ideal-

{

1 A : rsindl .

80

EMPIRI STI S C H E K O N S E Q U E N Z E N

gesetz und Realgesetz, zwischen normierender Regelung und kausaler Regelung, zwischen logischer und realer Notwendigkeit, zwischen logischem rGrundl l und Realgrund. Keine denkbare Abstufung vermag zwischen Idealem und Realem Vermittlungen A 69 5 herzustellen. Es ist kennzeichnend für den Tiefstand der I I rrein B 69 logischen1 2 Einsichten in unserer Zeit, wenn ein Forscher vom Range S i g w a r ts gerade mit Beziehung auf die auch oben erwogene Fiktion eines intellektuell idealen Wesens glaubt annehmen zu dürfen, daß für ein solches „die logische Notwendigkeit 1 0 zugleich eine reale wäre, die wirkliches Denken hervorbringt", oder wenn er zur Erklärung des Begriffes „logischer Grund" den Begriff des Denkzwanges benützt. * Wieder, wenn3 W u n dt* * im Satz vom Grunde „das Grundgesetz der Abhängigkeit unserer Denkakte voneinander" erblickt, usw. Daß es sich in diesen 15 Beziehungen wirklich um logische Grundirrtümer handelt, wird der Lauf der weiteren Untersuchungen hoffentlich auch dem Voreingenommenen zu voller Gewißheit bringen.

{ � �

§ 23. Eine dritte Konsequenz des Psychologismus und ihre Widerlegung 20

D r i t t e ns. * * * Hätten die logischen Gesetze ihre Erkenntnis­ quelle in psychologischen Tatsächlichkeiten, wären sie z.B„ wie die Gegenseite gewöhnlich lehrt, normative Wendungen psycho­ logischer Tatsachen, so müßten sie selbst einen psychologischen Gehalt besitzen und zwar in doppeltem Sinne : sie müßten Gesetze 25 für Psychisches sein und zugleich die Existenz von Psychischem voraussetzen bzw. einschließen. Dies ist nachweislich falsch. Kein logisches Gesetz impliziert ein „matter of fact", auch nicht die Existenz von Vorstellungen oder Urteilen oder sonstigen Erkennt­ nisphänomenen. Kein logisches Gesetz ist - nach seinem echten 30 Sinne - ein Gesetz für Tatsächlichkeiten des psychischen Lebens, Logik, I ra, S. 259 f.l Logik, !", S. 573. Vgl. oben § 2 1 , S. 60 ff.

• Sigwarts •• W u n d ts •••



1 Fehlt in A. 2 A : rrein-logischenl . a In A folgt : reinl . 4 In A wird die 2. Auflage zitiert : rs.

252 u. 253.l

D E S PSYCHOLO G I S M U S

81

also weder für Vorstellungen (d.i. Erlebnisse des Vorstellens) , noch für Urteile (d.i. Erlebnisse des Urteilens) , noch für sonstige psy­ chische Erlebnisse. Die meisten Psychologisten stehen zu sehr unter dem Einflusse [A 70] 5 ihres allgemeinen Vorurteils, als daß sie daran II dächten, es an [B 70] den bestimmt vorliegenden Gesetzen der Logik zu verifizieren. M ü s s e n diese Gesetze aus allgemeinen Gründen psychologisch sein, wozu im einzelnen nachweisen, daß sie es wirklich sind ? Man beachtet nicht, daß ein konsequenter Psychologismus zu 10 Interpretationen der logischen Gesetze nötigen würde, welche ihrem wahren Sinn von Grund aus fremd wären. Man übersieht, daß die natürlich verstandenen Gesetze weder der Begründung noch dem Inhalt nach Psychologisches (also Tatsächlichkeiten des Seelenlebens) voraussetzen und j edenfalls nicht mehr als die 15 Gesetze der reinen Mathematik. Wäre der Psychologismus auf richtigem Wege, so müßten wir in der Lehre von den Schlüssen durchaus nur Regeln folgender Art erwarten : Erfahrungsgemäß knüpft sich ein mit dem Charak­ ter apodiktisch notwendiger Folge versehener Schlußsatz der 20 Form S unter den Umständen U an Prämissen der Form P. Um also „richtig" zu schließen, das heißt Urteile dieses auszeichnen­ den Charakters beim Schließen zu gewinnen, hat man demgemäß zu verfahren und für die Realisierung der Umstände U und der bezüglichen Prämissen zu sorgen. Psychische Tatsächlichkeiten 25 erschienen hier als das Geregelte, und zugleich wäre die Existenz solcher Tatsächlichkeiten, wie in der Begründung der Regeln vorausgesetzt, so in ihrem Inhalt mit eingeschlossen. Aber kein einziges Schlußgesetz entspricht diesem Typus. Was besagt z.B. der modus Barbara ? Doch nichts anderes als dies : r„Allgemein 30 gilt für beliebige Klassentermini A , B, C, daß, wenn alle AB und alle BC sind, auch alle A C sind"1 1. Wieder sagt der „modus ponens" unverkürzt ausgesprochen : „Es ist ein für beliebige Sätze A , B gültiges Gesetz, daß, wenn A gilt und überdies gilt, daß, wenn A so B gilt, dann auch B gilt" . So wenig diese und alle 3 5 ähnlichen Gesetze empirisch sind, so wenig sind sie auch psycho­ logisch. Allerdings werden sie in der traditionellen Logik in Ab­ sicht auf die Normierung der Urteilstätigkeiten aufgestellt. Aber

{

1 Die Anführungszeichen fehlen in A.

82

E M P I R I STI S C H E K O N S E Q U E N Z E N

{�� ;: �

ist die Existenz eines einzigen aktuellen Urteils oder II eines sonstigen psychischen Phänomens in ihnen mitbehauptet ? Ist j emand dieser Meinung, so verlangen wir den Beweis. Was in einem Satze als mitbehauptet liegt, muß sich durch eine gültige 5 Schlußweise aus ihm ableiten lassen. Aber wo sind die Schluß­ formen, die aus einem reinen Gesetz eine Tatsache abzuleiten gestatten ? Man wird nicht einwenden, daß in aller Welt die Rede von logischen Gesetzen nicht hätte aufkommen können, wenn wir nie 10 Vorstellungen und Urteile im aktuellen Erlebnis gehabt und die betreffenden logischen Grundbegriffe aus ihnen abstrahiert hät­ ten ; oder gar, daß in j edem Verstehen und Behaupten des Ge­ setzes die Existenz von Vorstellungen und Urteilen impliziert, also daraus wieder zu erschließen sei. Denn kaum braucht gesagt 1 5 zu werden, daß hier die Folge nicht aus dem Gesetz, sondern aus dem Verstehen und Behaupten des Gesetzes gezogen ist, daß dieselbe Folge aus j eder beliebigen Behauptung zu ziehen wäre, und daß psychologische Voraussetzungen oder Ingredienzien der B e h a u p t u n g eines Gesetzes nicht mit logischen Momenten 20 seines I n h a l t e s vermengt werden dürfen. „Empirische Gesetze" haben eo ipso einen Tatsachengehalt. Als unechte Gesetze sagen sie, roh gesprochen, nur aus, daß unter gewissen Umständen erfahrungsmäßig gewisse Koexistenzen oder Sukzessionen einzutreten pflegen, oder je nach Umständen mit 25 größerer oder geringerer Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind. Darin liegt, daß solche Umstände, solche Koexistenzen oder Sukzessionen t a t s ä c h l i c h v o r k o m m e n . Aber auch die stren­ gen Gesetze der Erfahrungswissenschaften sind nicht ohne Tat­ sachengehalt. Sie sind nicht bloß Gesetze über Tatsachen, sie 30 implizieren auch die Existenz von Tatsachen. Doch es bedarf hier größerer Genauigkeit. Die exakten Gesetze in ihrer normalen Formulierung haben freilich den Charakter reiner Gesetze, sie schließen keinerlei Existenzialgehalt in sich. Aber denken wir an die Begründungen, aus denen sie die wissen[A 72] 35 schaftliche Rechtfertigung schöpfen, so ist II es sofort klar, daß [B 72] sie als die reinen Gesetze der normalen Formulierung nicht ge­ rechtfertigt sein können. Wahrhaft begründet ist nicht das Gra­ vitationsgesetz, wie es die Astronomie ausspricht, sondern nur ein Satz der Form : Nach Maßgabe unserer bisherigen Erkennt-

{

D E S P S Y C H O L O GI S M U S

83

nisse ist es eine theoretisch begründete Wahrscheinlichkeit höch­ ster Dignität, daß für den Bereich der mit den gegenwärtigen Hilfsmitteln erreichbaren Erfahrung der Satz N e w t o n s gilt oder überhaupt eines aus der unendlichen Mannigfaltigkeit mathe5 matisch denkbarer Gesetze, welche von N e w t o n s Gesetz nur innerhalb der Sphäre unvermeidlicher Beobachtungsfehler diffe­ rieren können. Diese Wahrheit ist mit Tatsächlichkeitsgehalt reichlich beschwert, sie selbst ist also nichts weniger als ein Gesetz im echten Sinne des Wortes. Sie schließt offenbar auch mehrere 10 Begriffe vager Umgrenzung ein. Und so sind alle Gesetze der exakten Wissenschaften über Tat­ sachen zwar echte Gesetze, aber, erkenntnistheoretisch betrach­ tet, nur idealisierende Fiktionen - obschon Fiktionen cum funda­ mento in re. Sie erfüllen die Aufgabe, theoretische Wissenschaften 15 als der Wirklichkeit nächstangepaßte Ideale zu ermöglichen, also das höchste theoretische Ziel aller wissenschaftlichen Tatsachen­ forschung, das Ideal der erklärenden Theorie, der Einheit aus Gesetzlichkeit, insoweit zu realisieren, als es nach Maßgabe der unüberbrückbaren Schranken der menschlichen Erkenntnis mög20 lieh ist. An Stelle der absoluten Erkenntnis, die uns versagt ist, arbeiten wir uns durch einsichtiges Denken am; dem Gebiet empi­ rischer Einzelheiten und Allgemeinheiten zunächst j ene sozusagen apodiktischen Wahrscheinlichkeiten heraus, in denen alles erreich­ bare Wissen betreffs der Wirklichkeit beschlossen ist. Diese redu25 zieren wir dann auf gewisse exakte Gedanken von echtem Geset­ zescharakter, und so gelingt uns der Aufbau formell vollkomme­ ner Systeme erklärender Theorien. Aber diese Systeme (wie z . B die theoretische Mechanik, die theoretische Akustik, theoretische Optik, theoretische Astronomie u. dgl.) können sachlich nur gel[A 73] 30 ten als II ideale Möglichkeiten cum fundamento in re, welche un[B 73] endlich viele andere Möglichkeiten nicht ausschließen, aber dafür in bestimmte Grenzen einschließen. - Doch dies geht uns hier nicht weiter an und noch weniger die Erörterung der erkenntnis­ praktischen Funktionen dieser idealen Theorien, nämlich ihrer 35 Leistungen zur erfolgreichen Vorausbestimmung der künftigen und Rekonstruktion der vergangenen Tatsachen und ihrer tech­ nischen Leistungen für die praktische Naturbeherrschung. Wir gehen also wieder zu unserem Falle über. Ist echte Gesetzlichkeit, wie soeben gezeigt wurde, ein bloßes

{

84

EMPIRISTISCHE KONSEQUENZEN

Ideal im Gebiete der Tatsachenerkenntnis, so findet sie sich da­ gegen realisiert im Gebiete der „rein begrifflichen" Erkenntnis. In diese Sphäre gehören unsere rein logischen Gesetze, wie auch die Gesetze der Mathesis pura. Ihren „Ursprung" , genauer ge5 sprochen, ihre rechtfertigende Begründung, nehmen sie nicht aus der Induktion ; so führen sie auch nicht den existenzialen Gehalt mit sich, der allen Wahrscheinlichkeiten als solchen, auch den höchsten und wertvollsten, anhaftet. Was sie besagen, gilt voll und ganz ; einsichtig begründet sind sie selbst in ihrer absoluten 1 0 Exaktheit, und nicht an ihrer Statt gewisse Wahrscheinlichkeits­ behauptungen mit ersichtlich vagen Bestandstücken. Das j ewei­ lige Gesetz erscheint nicht als eine von unzähligen theoretischen Möglichkeiten einer gewissen, obschon sachlich abgegrenzten Sphäre. Es ist die eine und alleinige Wahrheit, die j ede anders1 5 artige Möglichkeit ausschließt und sich als e i n s i e h t i g erkannte Gesetzlichkeit von allen Tatsachen dem Inhalt wie der Begrün­ dung nach rein erhält. Man sieht aus diesen Betrachtungen, wie innig die beiden Hälf­ ten der psychologistischen Konsequenz - nämlich daß die logi20 sehen Gesetze nicht bloß existenziale Behauptungen über psychische Tatsächlichkeiten mit sich führen, sondern daß sie auch Gesetze für solche Tatsächlichkeiten sein müßten - zusammen­ hängen. Die Widerlegung der ersten Hälfte ergab sich uns zunächst. Die der anderen erscheint darin mitbe lschlossen 1 nach 25 folgendem Argument : Wie j edes Gesetz, das der Erfahrung und Induktion aus Einzeltatsachen entstammt, ein Gesetz f ü r Tat­ sachen ist, so ist umgekehrt j edes Gesetz für Tatsachen ein Gesetz aus Erfahrung und Induktion ; und folglich sind von ihm, wie oben nachgewiesen, Behauptungen existenzialen Gehalts unabtrennbar. 30 Selbstverständlich dürfen wir hier unter Tatsachengesetzen nicht auch die allgemeinen Aussagen befassen, welche rein be­ griffliche Sätze - d. i. Sätze, die sich als allgemeingültige Bezie hungen auf Grund reiner Begriffe darstellen - auf Tatsächlich­ keiten übertragen. Ist 3 > 2, so sind auch 3 Bücher j enes Tisches 35 mehr als 2 Bücher j enes Schrankes. Und so allgemein für beliebige Dinge. Der reine Zahlensatz spricht aber nicht von Dingen, son­ dern von Zahlen rin reiner Allgemeinheit1 1 - d i e Zahl 3 ist 1 Fehlt in A.

{ j � 74

A 74 B

D E S PSYCHOLOGISMUS

85

größer als d i e Zahl 2 und Anwendung kann er nicht bloß finden auf individuelle, sondern auch auf „allgemeine" Gegen­ stände, z.B. auf Farben- und Tonspezies, auf Arten geometrischer Gebilde rund dergleichen unzeitliche Allgemeinheiten1 1. 5 Wird dies alles zugestanden, so ist es natürlich ausgeschlossen, daß die logischen Gesetze r(in ihrer Reinheit genommen)1 2 Ge­ setze psychischer Betätigungen oder Produkte sind. -

§ 24. Fortsetzung Vielleicht wird mancher unserer Konsequenz zu entgehen 1 0 suchen, indem er einwendet : Nicht j edes Gesetz für Tatsachen entspringt aus Erfahrung und Induktion. Man muß hier vielmehr unterscheiden : Jede Gesetzeserkenntnis beruht auf Erfahrung, aber nicht j ede erwächst aus ihr in der Weise der Induktion, also in j enem wohlbekannten logischen Prozeß, der von singulären 1 5 Tatsachen oder empirischen Allgemeinheiten niedriger Stufe zu den gesetzlichen Allgemeinheiten hinleitet. So sind im besonderen die logischen Gesetze erfahrungsmäßige, aber nicht induktive Gesetze. In der psychologischen E r f a h r u n g abstrahieren wir die logischen Grundbegriffe und die mit ihnen gegebenen rein 75] [B 20 begrifflichen Verhältnisse. Was wir im 1 einzelnen 1 Fall vorfinden, 75 ] [A erkennen wir mit einem Schlage als allgemeingültig, weil nur in den abstrahierten Inhalten gründend. So verschafft uns die Er­ fahrung ein unmittelbares Bewußtsein der Gesetzlichkeit unseres Geistes. Und wie wir hier der Induktion nicht bedürfen, so ist auch 25 das Ergebnis nicht mit ihren Unvollkommenheiten behaftet, es hat nicht den bloßen Charakter der Wahrscheinlichkeit, sondern den apodiktischer Gewißheit, es ist nicht von vager, sondern von exakter Begrenzung, es schließt auch in keiner Weise Behauptun­ gen existenzialen Gehalts ein. 30 Indessen, was man hier einwendet, kann nicht genügen. Nie­ mand wird bezweifeln, daß die E r k e n n t n i s der logischen Ge­ setze, als psychischer Akt, die Einzelerfahrung voraussetzt, daß sie ihre Grundlage hat in der konkreten Anschauung. Aber man vermenge nicht p s y c h o l o g i s c h e „Voraussetzungen" und 35 „Grundlagen" der Gesetzes e r k e n n t n i s mit l o g i s c h e n Vor-

{

i A : ru. dg!. l . 2 A: r(wesentlich)l .

86

EMPIRISTI S C H E K O N S E Q U E N Z E N

aussetzungen, Gründen, Prämissen des G e s e t z e s ; und demge­ mäß auch nicht die psychologische Abhängigkeit (z.B. in der Entstehung) mit der logischen Begründung und Rechtfertigung. Die letztere folgt einsichtig dem objektiven Verhältnis von Grund 5 und Folge, während sich die erstere auf die psychischen Zu­ sammenhänge in der Koexistenz und Sukzession bezieht. Nie­ mand kann ernstlich behaupten, daß die etwa vor Augen stehen­ den konkreten Einzelfälle, auf „Grund" welcher die Einsicht in das Gesetz zustande kommt, die Funktion von logischen Gründen, 1 0 von Prämissen haben, als ob aus dem Dasein des Einzelnen die Folge statthätte auf die Allgemeinheit des Gesetzes. Die intuitive Erfassung des Gesetzes mag psychologisch zwei Schritte verlan­ gen : den Hinblick auf die Einzelheiten der Anschauung und die darauf bezogene gesetzliche Einsicht. Aber logisch ist nur eines 1 5 da. Der Inhalt der Einsicht ist nicht Folgerung aus der Einzelheit. Alle Erkenntnis „ f ä n g t mit der Erfahrung a n " , aber sie „entspringt" darum nicht schon aus der Erfahrung. Was wir behaupten, ist dies, daß j edes Gesetz für Tatsachen aus 1 der [A 76] Erlfahrung entspringt, und darin liegt eben, daß es nur durch [B 76] 20 Induktion aus einzelnen Erfahrungen zu begründen ist. Gibt es einsichtig erkannte Gesetze, so können sie also nicht (unmittelbar) Gesetze für Tatsachen sein. rwo immer bisher unmittelbare Ein­ sichtigkeit von Tatsachengesetzen angenommen wurde1 1, da stell­ te sich heraus, daß man entweder echte Tatsachengesetze, d.h. 25 Gesetze der Koexistenz und Sukzession, vermengt hat mit idealen Gesetzen, denen die Beziehung auf zeitlich Bestimmtes an sich fremd ist ; oder daß man den lebhaften Überzeugungsdrang, den die wohlvertrauten empirischen Allgemeinheiten mit sich führen, mit der Einsichtigkeit, die wir nur im Gebiete des rein Begriff30 liehen erleben, verwechselte. Kann ein Argument dieser Art auch nicht entscheidend wirken, so kann es immerhin die Kraft anderweitiger Argumente verstär­ ken. Noch ein solches sei hier angefügt. Schwerlich wird j emand leugnen, daß alle rein logischen Geset35 ze ein und desselben Charakters sind ; können wir von einigen zeigen, rdaß es unmöglich sei, sie als Gesetze über Tatsachen auf1 A : r1ch will es nicht geradezu als absurd hinstellen, daß ein Gesetz

für Tatsachen unmittelbar einsichtig erkannt sei ; aber ich leugne, daß es je vorkomme, wo immer dergleichen bisher angenommen wurde1 .

D E S P S Y C H O L O GI S M U S

87

zufassen1 1, so wird dasselbe von allen gelten müssen. Nun finden sich unter den Gesetzen auch solche, die sich auf Wahrheiten überhaupt beziehen, in denen also Wahrheiten die geregelten „Gegenstände" sind. Z.B. für j ede Wahrheit A gilt, daß ihr kon5 tradiktorisches Gegenteil keine Wahrheit ist. Für j edes Paar Wahrheiten A , B gilt, daß auch ihre konjunktiven und disjunk­ tiven Verknüpfungen* Wahrheiten sind. Stehen drei Wahrheiten A , B, C in dem Verhältnis, daß A Grund ist für B, B Grund für C , so ist auch A Grund für C u. dgl. Es ist aber absurd, Gesetze, die 10 für Wahrheiten als solche gelten, als Gesetze für Tatsachen zu be­ zeichnen. Keine 1 Wahrheit ist eine Tatsache, d.i. ein zeitlich Be- [A 77] stimmtes. Eine Wahrheit kann freilich die Bedeutung haben, daß ein Ding ist, 1 ein Zustand besteht, eine Veränderung von statten [B 77] geht u. dgl. Aber die Wahrheit selbst ist über alle Zeitlichkeit 1 5 erhaben, d.h. es hat keinen Sinn, ihr zeitliches Sein, Entstehen oder Vergehen zuzuschreiben. Am klarsten tritt die Absurdität für die Wahrheitsgesetze selbst hervor. Als Realgesetze wären sie Regeln der Koexistenz und Sukzession von Tatsachen, spezieller von Wahrheiten, und zu diesen Tatsachen, die sie regeln, müßten 20 sie selbst, nämlich als Wahrheiten, gehören. Da schriebe ein Ge­ setz gewissen Tatsachen, genannt Wahrheiten, Kommen und Gehen vor, und unter diesen Tatsachen sollte sich nun, als eine neben anderen, das Gesetz selbst finden. Das Gesetz entstände und verginge nach dem Gesetz - ein offenbarer Widersinn. Und 25 ähnlich, wenn wir das Wahrheitsgesetz als Koexistenzgesetz deu­ ten wollten, als zeitlich Einzelnes und doch als allgemeine Regel für alles und j edes zeitlich Seiende maßgebend. Derartige Absur­ ditäten* * sind unausweichlich, wenn man den fundamentalen Unterschied zwischen idealen und realen Obj ekten und dement30 sprechend den Unterschied zwischen Ideal- und Realgesetzen nicht beachtet oder nicht in rechtem Sinne versteht ; immer wie­ der werden wir sehen, daß dieser Unterschied für die Streitfragen zwischen psychologistischer und reiner Logik entscheidend ist. • Ich verstehe darunter den Sinn der Sätze „A und B'', d. h. beides gilt, bzw. „A oder B'', d. h. eines von beiden gilt - worin nicht liegt, daß nur eines gilt. •• Man vgl. dazu die systematischen Ausführungen des VII. Kap. d. rw.l • über den skeptisch-relativistischen Widersinn jeder Auffassung, welche die logischen Ge· setze von Tatsachen abhängig macht.

1 A : rdaß ihre Auffassung als Gesetze über Tatsachen unmöglich seil . 2 A : rs. 1 .

FÜ NFTES

KAPITEL

DIE PSYCHOLOGISCHEN INTERPRETATI ONEN DER L O G I S CHEN GRUNDSÄTZE

5

§ 25. Der Satz vom Widerspruch i n der rpsychologistischen, 1 Interpretation Mills und S p e n c ers

Wir haben oben bemerkt, daß eine konsequent durchgeführte Auffassung der logischen Gesetze als Gesetze über psychische Tatsachen zu wesentlichen Mißdeutungen derselben führen müß­ te. Aber in diesen, wie in allen anderen Punkten hat die herrschen10 de Logik die Konsequenz in der Regel gescheut. Fast würde ich sagen, der Psychologismus lebe nur durch Inkonsequenz, wer ihn folgerichtig zu Ende denke, habe ihn schon aufgegeben, wenn nicht der extreme Empirismus ein merkwürdiges Beispiel dafür liefern würde, wie viel stärker eingewurzelte Vorurteile sein können, als die klarsten Zeugnisse der Einsicht. In unerschrocke15 ner Folgerichtigkeit zieht er die härtesten Konsequenzen, aber nur, um sie auf sich zu nehmen und zu einer, freilich wider­ spruchsvollen Theorie zusammenzubinden. Was wir gegen die bestrittene logische Position geltend gemacht haben - daß die logischen Wahrheiten statt a priori gewährleisteter und absolut 20 exakter Gesetze rein begrifflicher Art, vielmehr durch Erfahrung und Induktion begründete, mehr oder minder vage Wahrschein­ lichkeiten sein müßten, gewisse Tatsächlichkeiten menschlichen Seelenlebens betreffend - dies ist (wenn wir etwa von der Beto­ nung der Vagheit absehen) gerade die ausdrückliche Lehre des 25 Empirismus. Es kann nicht unsere Aufgabe sein, diese erkenntnis­ theoretische Richtung einer erschöpfenden Kritik zu unterwerfen. 1 Im Inhaltsverzeichnis von A :

rpsychologischen, .

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[A 78] [B 78]

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8

9

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Ein besonderes Interesse bieten für uns aber die psychologischen A?9 Interpretationen der logischen Gesetze, die in dieser Schule II auf79 B getreten sind, und die auch über ihre Grenzen hinaus blendenden Schein verbreitet haben . * 5 Bekanntlich lehrt J. S t. M i ll**, das principium contradictionis sei „eine unserer frühesten und naheliegendsten Verallgemeine­ rungen aus der Erfahrung" . Seine ursprüngliche Grundlage findet er darin, „daß Glaube und Unglaube zwei verschiedene Geistes­ zustände sind" , die einander ausschließen. Dies erkennen wir 1 O - so fährt er wörtlich fort - aus den einfachsten Beobachtungen unseres eigenen Geistes. Und richten wir unsere Beobachtung nach außen, so finden wir auch hier, daß.Licht und Dunkel, Schall und Stille, Gleichheit und Ungleichheit, Vorangehen und Nach­ folgen, Aufeinanderfolge und Gleichzeitigkeit, kurz j edes positive 1 5 Phänomen und seine Verneinung (negative) unterschiedene Phä­ nomene sind, im Verhältnis eines zugespitzten Gegensatzes, und rdasl l eine immer dort abwesend, wo rdasl l andere anwesend ist. „Ich betrachte" , sagt er, „das fragliche Axiom als eine Verallge­ meinerung aus all diesen Tatsachen. " 20 W o e s sich u m die prinzipiellen Fundamente seiner empiristi­ schen Vorurteile handelt, ist der sonst so scharfsinnige M i l l wie von allen Göttern verlassen. Und s o macht hier nur eines Schwierigkeit : zu begreifen, wie eine solche Lehre überzeugen konnte. Auffällig ist zunächst die offenbare Inkorrektheit der 25 Behauptung, es sei das Prinzip, daß zwei kontradiktorische Sätze nicht zusammen wahr sind und sich in diesem Sinne ausschließen, eine V e r a l l g e m e i n e r u n g der angeführten „Tatsachen" , daß Licht und Dunkel, Schall und Stille u. dgl. sich ausschließen, welche doch alles eher sind als kontradiktorische Sätze. Es ist 30 überhaupt nicht recht verständlich, wie M i l l den Zusammen[A 80] bang dieser rangeblichen1 2 Erfahrungstatsachen mit II dem loB 80] gischen Gesetz herstellen will. Vergeblich erhofft man die Aufklärung von den parallelen Ausführungen M i l l s in der Streit-

{[

• Eine allgemein gehaltene Erörterung der prinzipiellen Hauptgebrechen des Em­ pirimus, so weit geführt, als wir dadurch eine Förderung unserer idealistischen Inten­ tionen in der Logik erhoffen dürfen, bietet der Anhang zu diesem und dem nächsten Paragraphen, S. 94 ff. •• M i l l, Logik, Buch II, Kap. VII, § 4 (G o m p e r zl, I, S. 298).

1 A: z

rdie l .

Zusatz

von

B.

90

D I E P S Y C H O L O G I S C H E N I N TE RPRETATI O N E N

schritt gegen H am i l t o n . Hier zitiert e r mit Beifall das „absolut konstante Gesetz'', welches der gleichgesinnte S p e n c e r dem logischen Prinzip unterlegt hat, nämlich „that the appearance of

any positive mode of consciousness cannot occur without excluding 5 a correlative negative mode; and that the negative mode cannot occur without excluding the correlative positive mode". * Aber wer sieht nicht, daß dieser Satz eine pure Tautologie darstellt, da doch der wechselseitige Ausschluß zur D e f i n i t i o n der korrelativen Ter­ mini „positives und negatives Phänomen" gehört ? Im Gegenteil 1 0 ist aber der Satz vom Widerspruch nichts weniger als eine Tauto­ logie. Es liegt nicht in der D e f i n i t i o n kontradiktorischer Sätze, daß sie sich ausschließen, und tun sie es auch vermöge des ge­ nannten Prinzips, so gilt doch nicht das Umgekehrte : nicht j edes Paar sich ausschließender Sätze ist ein Paar kontradiktorischer 15 Beweis genug, daß unser Prinzip nicht zusammengeworfen werden darf mit j ener Tautologie. Und als Tautologie will es j a auch M i l l nicht verstanden wissen, d a e s nach ihm allererst durch Induktion aus der Erfahrung entspringen soll. Jedenfalls besser als die so wenig verständlichen Beziehungen 20 auf r1nkoexistenzen1 1 der äußeren Erfahrung mögen andere Äußerungen M i l l s dazu dienen, uns den empirischen Sinn des Prinzips klarzulegen, zumal diejenigen, welche die Frage disku­ tieren, ob die drei logischen Grundprinzipien als „inherent neces­ sities of thought" , als „an original part of our mental constitution" , 25 als „laws of our thoughts by the native structure of the mind" gelten dürfen, oder ob sie Denkgesetze nur sind „because we perceive them to be universally true of observed phenomena" was M i l l übrigens nicht positiv entscheiden möchte. D a lesen wir i n Be[A 8 1 ] ziehung auf diese Gesetze : „ They II may o r may not b e capable of [B 8 1 ] -

-

30 alteration by experience, but the conditions of our existence deny to us the experience which would be required to alter them. Any assertion, therefore, which conflicts with one of these laws - any proposition, for instance, which asserts a contradiction, though it were on a subfect wholly removed from the sphere of our experience, • M i l l, An Examination • , eh. XXI, S. 49 1 . Es ist wohl ein Versehen, wenn S p e n­ c e r statt auf den Satz vom Widerspruch auf den des ausgeschlossenen Dritten re­ kurriert.

1 A : rdie Inkoexistenzenl .

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is t o u s unbelievable. The belief in such a proposition is, in the present constitution of nature, impossible as a mental fact."* Wir entnehmen daraus, daß die Inkonsistenz, die im Satze vom Widerspruch ausgedrückt wird, nämlich das Nichtzusammen5 wahrsein kontradiktorischer Sätze, von M i l l als Unverträglich­ keit solcher Sätze in unserem belief gedeutet wird. Mit anderen Worten : dem N i c h t z u s a m m e n w a h r s e i n d e r S ä t z e wird substituiert die r e a l e U n v e r t r ä g l i c h k e i t der entsprechenden U r t e i l s a k t e. Dies harmoniert auch niit der wiederholten Be10 hauptung M i l l s, daß Glaubensakte die einzigen Obj ekte seien, die man im eigentlichen Sinne als wahr und falsch bezeichnen könne. Z w e i k o n t r a d i k t o r i s c h e n t g e g e n g e s e t z t e G l a u­ b e n s a k t e k ö n n e n n i c h t k o e x i s t i e r e n - so müßte das Prinzip verstanden werden. 1 5 § 26. M ills psychologische Interpretation des Prinzips ergibt kein

Gesetz, sondern einen völlig vagen und wissenschaftlich nicht geprüften Erfahrungssatz Hier regen sich nun allerlei Bedenken. Zunächst ist der Aus­ spruch des Prinzips sicher unvollständig. U n t e r w e l c h e n U m20 s t ä n d e n, so wird man fragen müssen, können die entgegen­ gesetzten Glaubensakte nicht koexistieren ? In verschiedenen In­ dividuen können, wie allbekannt, entgegengesetzte Urteile sehr wohl koexistieren. Wir werden also, zugleich den Sinn der realen [A 82] Koexistenz auseinanderlegend, genauer sagen II müssen : In dem[B 82] 25 selben Individuum, oder noch besser, in demselben Bewußtsein, können während einer noch so kleinen Zeitstrecke kontradikto­ rische Glaubensakte nicht andauern. Aber ist dies wirklich ein G e s e t z ? Dürfen wir es wirklich mit unbeschränkter Allgemein­ heit aussprechen ? Wo sind die psychologischen Induktionen, die 30 zu seiner Annahme berechtigen ? Sollte es nicht Menschen ge­ geben haben und noch geben, die gelegentlich, z.B. durch Trug­ schlüsse verwirrt, Entgegengesetztes zu gleicher Zeit für wahr hielten ? Hat man wissenschaftliche Forschungen darüber ange-

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• M i l l, An E:ramination, S. 49 1 . Vgl. auch S. 487 : „lt is the ge""1'ali:ation o/ a mental act, which is o/ continual occurrence, and which cannot be dispensed with in reasoning".

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D I E P S Y C H O L O GI S C H E N I N T E RPRETATI O N E N·

stellt, ob dergleichen nicht unter den Irrsinnigen und vielleicht sogar bei nackten Widersprüchen vorkomme ? Wie steht es mit den Zuständen der Hypnose, des Fieberdeliriums usw. ? Gilt das Gesetz auch für Tiere ? 5 Vielleicht begrenzt der Empirist, um diesen Einwänden zu entgehen, sein „Gesetz" durch passende Zusätze, z.B. daß es nur für normale und im Zustande normaler Denkverfassung befind­ liche Individuen der Spezies homo Geltung beanspruche. Aber es genügt, die verfängliche Frage nach der genaueren Bestimmung 1 0 der Begriffe „normales Individuum" und „normale Denkver­ fassung" aufzuwerfen, und wir erkennen, wie kompliziert und wie inexakt der Inhalt des Gesetzes geworden ist, mit dem wir es nun zu tun haben. Es ist nicht nötig diese Betrachtungen weiter fortzusetzen (ob1 5 schon z.B. das im Gesetz auftretende Zeitverhältnis einigen An­ halt bieten würde) : sie sind ja mehr als ausreichend, um die er­ staunliche Konsequenz zu begründen, daß unser wohlvertrautes principium contradictionis, welches man allzeit für ein evidentes, absolut exaktes und ausnahmslos gültiges Gesetz gehalten hatte, 20 in Wahrheit das Muster eines grob ungenauen und unwissenschaft­ lichen Satzes ist, welcher erst nach mancherlei Korrekturen, die seinen scheinbar exakten Gehalt in einen recht vagen umwandeln, zum Range einer plausiblen Vermutung erhoben werden kann. So muß es sich freilich verhalten, wenn der Empirismus darin im 25 Rechte ist, daß die Unverträglichkeit, von der das Prinzip spricht, [A 83] als II reale lnkoexistenz von kontradiktorischen Urteilsakten, also [B 83] das Prinzip selbst als eine empirisch-psychologische Allgemeinheit zu deuten sei. Und der Empirismus M i l l scher Observanz denkt nicht einmal daran, j enen grob ungenauen Satz, der aus der 30 psychologischen Deutung zunächst hervorgeht, wissenschaftlich zu begrenzen und zu begründen ; er nimmt ihn, so wie er sich gibt, so ungenau, wie es bei „einer der frühesten und nächst­ liegenden Verallgemeinerungen aus der Erfahrung", d.h. bei einer rohen Verallgemeinerung der vorwissenschaftlichen Empirie nur 35 irgend zu erwarten ist. Gerade da, wo es sich um die letzten Fundamente aller Wissenschaft handelt, soll es bei dieser naiven Empirie mit ihrem blinden Assoziationsmechanismus sein Be­ wenden haben. Überzeugungen, die ohne alle Einsicht aus psy­ chologischen Mechanismen erwachsen, die keine bessere Recht-

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5

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20

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30

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fertigung haben als allverbreitete Vorurteile, die vermöge ihres Ursprungs einer haltbaren oder festen Begrenzung ermangeln, und die, wenn sie sozusagen beim Wort genommen werden, nach­ weislich Falsches einschließen - sollen die letzten Gründe für die Rechtfertigung aller im strengsten Wortsinne wissenschaftlichen Erkenntnis darstellen. Doch dies haben wir hier nicht weiter zu verfolgen. Wichtig ist es aber, auf den Grundirrtum der gegnerischen Lehre mit der Frage zurückzugehen, ob denn j ener empirische und wie immer zu formulierende Satz über Glaubensakte wirklich der Satz ist, von dem in der Logik Gebrauch gemacht wird. Er sagt : Unter gewissen subjektiven (leider nicht näher erforschten und komplett angebbaren) Umständen X können in demselben Bewußtsein zwei rwie1 1 Ja und Nein entgegengesetzte Glaubensakte nicht zusammen bestehen. Ist das wirklich gemeint, wenn die Logiker sagen : „Zwei kontradiktorische Sätze sind nicht beide wahr" ? Wir brauchen nur auf die Fälle hinzublicken, wo wir uns dieses Gesetzes zur Regelung der Urteilstätigkeiten bedienen, und wir erkennen, daß seine Meinung eine ganz andere ist. In seiner normativen Wendung besagt es offenbar dies und nichts anderes : Welche Paare entgegengesetzter Glaubensakte heraus lgegriffen [A 84] 1 werden mögen - ob nun demselben Individuum angehörig oder [B 84] auf verschiedene verteilt ; ob in demselben Zeitabschnitt koexis­ tierend oder durch irgendwelche Zeitabschnitte getrennt - es gilt in absoluter Strenge und Ausnahmslosigkeit, daß die Glieder des j eweiligen Paares nicht beide richtig, d.i. wahrheitsgemäß sind. Ich denke, man wird an der Gültigkeit dieser Norm selbst auf empiristischer Seite nicht zweifeln können. Jedenfalls hat es die Logik da, wo sie von den Denkgesetzen spricht, nur mit dem zweiten, l o g i s c h e n Gesetze zu tun und nicht mit j enem vagen, dem Inhalt nach total verschiedenen und bisher noch nicht ein­ mal formulierten „Gesetz" der Psychologie.

i

A : ra151 .

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A N H A N G Z U D E N B E I D E N L E TZTE N P A R A G R A P H E N

Übf'/r einige prinzipielle Gebrechen des Empirismus Bei der innigen Verschwisterung zwischen Empirismus und Psy­ chologismus dürfte eine kleine Abschweifung gerechtfertigt erscheinen, 5 welche die Grundirrtümer des Empirismus bloßlegt. Der extreme Empirismus als eine Theorie der Erkenntnis ist nicht minder absurd als der extreme Skeptizismus. Er h e b t d i e M ö g l i c h k e i t e i n e r vernünftigen Rechtfertigung der mittelbaren Erkenntnis a u f , und damit hebt e r s e i n e e i g e n e M ö g l i c h k e i t als einer 1 0 wissenschaftlich begründeten Theorie auf.* Er gibt zu, daß es mittel­ bare, aus Begründungszusammenhängen erwachsende Erkenntnisse gibt, er leugnet auch nicht Prinzipien der Begründung. Er gesteht die Möglichkeit einer Logik nicht bloß zu, sondern er baut sie auch selbst auf. Beruht aber jede Begründung auf Prinzipien, denen gemäß sie 15 verläuft, und kann ihre höchste Rechtfertigung nur durch Rekurs auf diese Prinzipien vollzogen werden, dann führte es entweder auf einen Z i r k e l oder raufl l einen unendlichen R e g r e ß, wenn die Begrün- [A dungsllprinzipien selbst immer wieder der Begründung bedürften. Das (B erstere : wenn die Begründungsprinzipien, die zur Rechtfertigung der 20 Begründungsprinzipien gehören, identisch sind mit diesen selbst. Das letztere : wenn die einen und die anderen immer wieder verschieden sind. Also ist es evident, daß die Forderung einer prinzipiellen Recht­ fertigung für jede mittelbare Erkenntnis nur dann einen möglichen Sinn haben kann, wenn wir fähig sind, gewisse letzte Prinzipien ein25 sichtig und unmittelbar zu erkennen, auf welchen alle Begründung im letzten Grunde beruht. Alle rechtfertigenden Prinzipien möglicher Be­ gründungen müssen sich sonach deduktiv zurückführen lassen auf gewisse letzte, unmittelbar evidente Prinzipien, und zwar so, daß die Prinzipien d i e s e r Deduktion selbst sämtlich unter diesen Prinzipien 30 vorkommen müssen. Der extreme Empirismus aber, indem er im Grunde nur den em­ pirischen Einzelurteilen volles Vertrauen schenkt (und ein gänzlich unkritisches, da er die Schwierigkeiten nicht beachtet, welche gerade diese Einzelurteile in so reichem Maße betreffen) , verzichtet eo ipso 35 auf die Möglichkeit einer vernünftigen Rechtfertigung der mittelbaren Erkenntnis. Anstatt die letzten Prinzipien, von denen die Rechtferti­ gung der mittelbaren Erkenntnis abhängt, als unmittelbare Einsichten

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* Nach dem prägnanten Begriff von Skeptizismus, den wir im Kap. VII, S. 1 1 2 ent­ wickeln, ist also der Empirismus als skeptische Theorie charakterisiert. Sehr treffend wendet W i n d e l b a n d auf ihn das K a n t sche Wort vom „hoffnungslosen Versuch" an - er sei nämlich der hoffnungslose Versuch, „ d u r c h e i n e e m p i r i s c h e T h e o­ r i e d a s j e n i g e zu b e gr ü n de n 1 w a s s e l b s t d i e V o r a u s s e t z u n g j e d e r T h e o r i e b i l d e t" (Präludienl, S. 26 1 ) .

1 Fehlt i n A.

85 ] 85 ]

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und damit als gegebene Wahrheiten anzuerkennen, glaubt er ein Mehreres leisten zu können, wenn er sie aus Erfahrung und Induktion ableitet, also mittelbar rechtfertigt. Fragt man nach den Prinzipien d i e s e r Ableitung, nach dem, was s i e rechtfertigt, so antwortet der 5 Empirismus, da ihm der Hinweis auf unmittelbar einsichtige allge­ meine Prinzipien verschlossen ist, vielmehr durch Hinweis auf die naive, unkritische Alltagserfahrung. Und für diese selbst glaubt er eine höhere Dignität gewinnen zu können, indem er sie in H u m e scher Art psychologisch erklärt. Er übersieht also, daß, wenn es keine ein1 O sichtige Rechtfertigung von mittelbaren Annahmen überhaupt gibt, also keine Rechtfertigung nach unmittelbar evidenten allgemeinen Prinzipien, an denen die bezüglichen Begründungen fortlaufen, auch die ganze psychologische Theorie, die ganze auf mittelbarer Erkennt­ nis beruhende Lehre des Empirismus selbst jeder vernünftigen Recht1 5 fertigung entbehrte, daß sie also eine willkürliche Annahme wäre, nicht besser als das nächste Vorurteil. Es ist sonderbar, daß der Empirismus einer Theorie, die mit solchen A 86] Widersinnigkeiten beschwert ist, mehr Vertrauen schenkt als II den [B 86] fundamentalen Trivialitäten der Logik und Arithmetik. Als echter 20 Psychologismus zeigt er überall die Neigung, die psychologische Ent­ stehung gewisser allgemeiner Urteile aus der Erfahrung, wohl vermöge dieser vermeintlichen „Natürlichkeit", mit einer Rechtfertigung der­ selben zu verwechseln. Es ist bemerkenswert, daß die Partie nicht etwa besser steht für 25 den gemäßigten Empirismus H u m e s, welcher die Sphäre der reinen Logik und Mathematik (bei allem auch sie verwirrenden Psychologis­ mus) als a priori gerechtfertigte festzuhalten versucht und nur die Tatsachenwissenschaften empiristisch preisgibt. Auch dieser erkennt­ nistheoretische Standpunkt erweist sich als unhaltbar, ja als wider30 sinnig ; dies zeigt ein ähnlicher Einwand, wie derjenige, welchen wir oben gegen den extremen Empirismus gerichtet haben. Mittelbare Tatsachenurteile - so können wir den Sinn der H u m e schen Theorie kurz ausdrücken - lassen, und zwar ganz allgemein, k e i n e v e r­ n ü n f t i g e R e c h t f e r t i g u n g, sondern n u r eine p s y c h o l o g i s c h e 3 5 E r k l ä r u n g zu. Man braucht bloß die Frage aufzuwerfen, wie e s denn mit der vernünftigen Rechtfertigung der psychologischen Urteile steht (über Gewohnheit, Ideenassoziation u. dgl.), auf welche sich diese Theorie selbst stützt, und der Tatsachenschlüsse, die sie selbst ver­ wendet - und man erkennt den evidenten Widerstreit zwischen dem 40 Sinn des Satzes, den die Theorie beweisen, und dem Sinn der Herlei­ tungen , die sie dazu verwenden will. Die psychologischen Prämissen der Theorie sind selbst mittelbare Tatsachenurteile, ermangeln also im Sinne der zu beweisenden These jeder vernünftigen Rechtfertigung. Mit anderen Worten : die Richtigkeit der Theorie setzt die Unvernünf45 tigkeit ihrer Prämissen, die Richtigkeit der Prämissen die Unvernünf­ tigkeit der Theorie (bzw. These) voraus. (Auch H u m e s Lehre ist danach in dem prägnanten, im Kapitel VII zu definierenden Sinne eine s k e p t i s c he.)

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§ 27. Analoge Einwände gegen die übrigen psychologischen

Interpretationen des logischen Prinzips. Äquivokationen als Quellen der Täuschung Es ist leicht einzusehen, daß Einwände der Art, wie wir sie in s den letzten Paragraphen erhoben haben, j edwede psychologische 87) Mißdeutung der sog. Denkgesetze und aller von ihnen abhängi[B 87) gen Gesetze betreffen müssen. Es würde nichts helfen, wenn man unserer Forderung nach Begrenzung und Begründung mit der Berufung auf das „Selbstvertrauen der Vernunft" oder auf die 1 0 ihnen im logischen Denken anhaftende Evidenz ausweichen woll­ te. Die Einsichtigkeit der l o g i s c h en Gesetze steht fest. Aber sowie man ihren Gedankengehalt als einen psychologischen ver­ steht, hat man ihren originären Sinn, an den die Einsichtigkeit geknüpft war, total geändert. Aus exakten Gesetzen sind, wie wir 1 5 sahen, empirisch vage Allgemeinheiten geworden, die, bei gehöri­ ger Beachtung ihrer Unbestimmtheitssphäre, Gültigkeit haben mögen, aber von aller Evidenz weit entfernt sind. Dem natürli­ chen Zuge ihres Denkens folgend, aber ohne sich dessen klar be­ wußt zu sein, verstehen zweifellos auch die psychologischen Er20 kenntnistheoretiker alle die hierhergehörigen Gesetze z u n ä c h s t - nämlich bevor ihre philosophische Interpretationskunst zu spielen beginnt - in dem objektiven Sinne. Dann aber verfallen sie in den Irrtum, die auf diesen eigentlichen Sinn bezogene Evi­ denz, welche ihnen die absolute Gültigkeit der Gesetze verbürgte, 25 auch für j ene wesentlich geänderten Deutungen in Anspruch zu nehmen, die sie bei nachträglicher Reflexion den Gesetzesformeln glauben unterlegen zu dürfen. Hat in aller Welt die Rede von der Einsicht, in der wir der Wahrheit selbst innewerden, irgendwo Berechtigung, so gewiß bei dem Satze, daß von zwei kontradikto30 rischen Sätzen nicht beide wahr sind ; und wieder : müssen wir dieser Rede die Berechtigung irgendwo versagen, so gewiß bei jeder psychologisierenden Umdeutung desselben Satzes (oder seiner Ä quivalente) , z.B. „daß Bej ahung und Verneinung im Denken sich ausschließen" , daß „gleichzeitig in re i n e m1 1 Be35 wußtsein als widersprechend erkannte Urteile nebeneinander

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In A nicht gesperrt, jedoch großgeschrieben.

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nicht bestehen können" '* daß an einen expliziten Widerspruch zu glauben, für uns unmöglich sei,** daß niemand annehmen könne, es sei etwas und sei zugleich nicht, und dergleichen. Verweilen wir, um keine Unklarheit übrig zu lassen, bei der Erwägung dieser schillernden Fassungen. Bei näherer Betrach­ tung merkt man sogleich den beirrenden E i n f l u ß m i t s p i e l e n­ d e r Ä q u i v o k a t i o n e n , infolge deren das echte Gesetz oder irgendwelche ihm äquivalente normative Wendungen mit psy­ chologischen Behauptungen verwechselt wurden. So bei der ersten Fassung. Im D e n k e n schließen sich Bej ahung und Ver­ neinung aus. Der Terminus Denken, der in weiterem Sinne alle intellektiven Betätigungen befaßt, wird im Sprachgebrauch vieler Logiker mit Vorliebe in Beziehung auf das vernünftige, , ,logi­ sche" Denken, also in Beziehung auf das richtige Urteilen gebraucht. Daß sich im r i c h t i g e n Urteilen Ja und Nein aus­ schließen, ist evident, aber damit ist auch ein mit dem logischen Gesetz äquivalenter, nichts weniger als psychologischer Satz aus­ gesprochen. Er besagt, daß kein Urteilen ein richtiges wäre, in welchem derselbe Sachverhalt zugleich bej aht und verneint würde ; aber mitnichten sagt er irgend etwas darüber, ob - gleich­ gültig ob in re i n e m1 1 Bewußtsein oder in mehreren - kontra­ diktorische Urteilsakte realiter koexistieren können oder nicht.*** Zugleich ist so die zweite · Formulierung (daß gleichzeitig in r e i n e m1 1 Bewußtsein als widersprechend erkannte Urteile nebeneinander nicht bestehen können) ausgeschlossen, es sei denn , daß man das „Bewußtsein" als „Bewußtsein überhaupt", al s überzeitliches N o r m a l bewußtsein interpretiert. Natürlich kann 89] aber ein primitives logisches Prinzip nicht den Begriff des N or[B 89] malen voraussetzen, der ohne Rückbeziehung auf dieses Prinzip

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• Fassungen von H e y m a n s (Die Gesetze und Elemente des wissenschaftlichen Den· kens, I ',§ 19 u. f. Verwandt mit der zweiten Fassung ist diejenige S i g w a r t s, Logik,

I•, S. 4 1 9, „daß es unmöglich ist, mit Bewußtsein denselben Satz zugleich zu bejahen und zu verneinen". •• Vgl. den Schluß des Zitats aus M i l l s Schrift gegen H a m i l t o n oben S. 8 1 (Text). Ebenso heißt es a. a. 0„ S. 484 f . unten : „two ass"1'tions, one of which denies what the othet' a!fi1ms, cannot be tho1tght togethet'", wo das „thought" gleich darauf als „believed" interpretiert wird. ••• Auch H ö f l e r und M e i n o n g unterläuft das Versehen, dem logischen Prinzip den Gedanken der Inkoexistenz zu unterschieben (Logik, 1 890, S. 1 33). i

In A nicht gesperrt, jedoch großgeschrieben.

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gar nicht z u fassen wäre. Übrigens ist e s klar, daß der s o ver­ standene Satz, wofern man sich j eder metaphysischen Hyposta­ sierung enthält, eine äquivalente Umschreibung des logischen Prinzips darstellt und mit aller Psychologie nichts zu tun hat. 5 Eine ähnliche Äquivokation wie in der ersten spielt in der dritten und vierten Formulierung. Niemand k a n n an einen Widerspruch glauben, niemand k a n n annehmen, daß dasselbe sei und nicht sei - niemand Vernünftiger, wie selbstverständlich ergänzt werden muß. Für j eden, der richtig urteilen will, und für 1 0 niemand sonst besteht diese Unmöglichkeit. Sie drückt also keinen psychologischen Zwang aus, sondern die Einsicht, rdaß entgegengesetzte Sätze nicht zusammen wahr sind bzw. ihnen entsprechende Sachverhalte nicht zusammen bestehen können 1 1 und daß somit, wer den Anspruch erhebt, richtig z u urteilen, das 15 heißt, das Wahre als wahr, das Falsche als falsch gelten zu lassen, so urteilen muß, wie dieses Gesetz es vorschreibt. Im faktischen Urteilen mag es anders kommen ; kein psychologisches Gesetz zwingt den Urteilenden unter das Joch der logischen Gesetze. Wieder haben wir es also mit einer äquivalenten Wendung des 20 logischen Gesetzes zu tun, der nichts ferner liegt als der Gedanke an eine psychologische2 Gesetzlichkeit der Urteilsphänomene. Eben dieser Gedanke macht andererseits aber den wesentlichen Gehalt der psychologischen Deutung aus. Sie resultiert, wenn das Nichtkönnen eben als Inkoexistenz der Urteilsakte anstatt als 25 Inkompatibilität der entsprechenden Sätze (als ihr gesetzliches Nichtzusammenwahrsein) gefaßt wird. Der Satz : kein „Vernünftiger" oder auch nur „Zurechnungs­ fähiger" k a n n an einen Widerspruch glauben, läßt noch eine andere Interpretation zu. Wir nennen den einen Vernünftigen, 30 dem wir die habituelle Disposition zutrauen, „bei normaler Denkverfassung" „in seinem Kreise" richtig zu urteilen. Wer die habituelle Befähigung besitzt, in normaler Denkverfassung zum [A 90] mindesten das „Selbstverständliche" , „auf der Hand I I Liegende" [B 90] nicht zu verfehlen, gilt uns in dem hier fraglichen Sinne als „zu35 rechnungsfähig" . Natürlich zählen wir die Vermeidung expliziter Widersprüche in den - übrigens recht vagen - Bereich dieses

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1 A : rdaß entgegengesetzte Sachverhalte nicht zusammen wahr sind l . 2 In A folgt : r, also kausale 1 .

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Selbstverständlichen. Ist diese Subsumtion vollzogen, so ist der Satz : kein Zurechnungsfähiger (oder gar Vernünftiger) kann Widersprüche für wahr halten, nichts mehr als eine triviale Über­ tragung des Allgemeinen auf den Einzelfall. Natürlich würden wir 5 niemanden zurechnungsfähig n e n n e n , der sich anders verhielte. Von einem psychologischen Gesetz ist also wiederum keine Rede . Doch wir sind mit den möglichen Interpretationen nicht zu Ende. Eine arge Zweideutigkeit des Wortes U n m ö g l i c h k e i t, nach der es nicht bloß die o b j e k t i v g e s e t z l i c h e U n v e r e i n1 0 b ar k e i t, sondern auch ein s u b j e k t i v es U n v e r m ö g e n, Ver­ einigung zustande zu bringen, bedeuten kann, trägt nicht wenig zur Begünstigung psychologistischer Tendenzen bei. Daß Wider­ sprüche zusammen bestehen, k a n n ich n i c h t g l a u b e n ich mag mich noch so sehr bemühen, der Versuch scheitert an 1 5 dem gefühlten und unüberwindlichen Widerstand. Dieses Nicht­ glaubenkönnen, so möchte man argumentieren, ist ein evidentes Erlebnis, ich sehe also ein, daß der Glaube an Widersprechendes für mich, also auch für j edes Wesen, das ich mir analog denken muß, eine Unmöglichkeit ist ; ich habe damit eine evidente Ein20 sieht in eine psychologische Gesetzlichkeit, die eben im Satze vom Widerspruch ausgedrückt ist. Wir antworten, nur auf den neuen Irrtum der Argumentation Rücksicht nehmend, folgendes : Erfahrungsmäßig mißlingt, wo wir uns urteilend entschieden haben, j edweder Versuch, die Ü ber25 zeugung, von der wir eben erfüllt sind, aufzugeben und den gegen­ teiligen Sachverhalt anzunehmen ; es sei denn, daß neue Denk­ motive auftauchen, nachträgliche Zweifel, ältere und mit der gegenwärtigen unverträgliche Überzeugungen, oft nur ein dunk­ les „Gefühl" feindlich aufstrebender Gedankenmassen. Der ver30 gebliche Versuch, der gefühlte Widerstand u. dgl., das sind indi[A 9 1 ] viduelle Erlebnisse, beschränkt auf Person I I und Zeit, gebunden [B 9 1 ] an gewisse, exakt gar nicht bestimmbare Umstände. Wie sollten sie also Evidenz begründen für ein allgemeines, Person und Zeit transzendierendes G e s e t z ? Man verwechsle nicht die asserto35 rische Evidenz für das Dasein des einzelnen Erlebnisses mit der apodiktischen Evidenz für den Bestand eines allgemeinen Geset­ zes. Kann die Evidenz für das Dasein j enes als Unfähigkeit ge­ deuteten Gefühls uns die Einsicht gewähren, daß, was wir soeben faktisch nicht zustande bringen, uns auch für immer und gesetz -

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lieh versagt sei ? Man beachte die Unbestimmbarkeit der wesent­ lich mitspielenden Umstände. Tatsächlich irren wir in dieser Hinsicht oft genug, obschon wir uns, von rdem Bestand eines Sachverhalts1 1 A fest überzeugt, so leicht zu dem Ausspruch 5 versteigen : Es ist undenkbar, daß j emand non-A urteile. In gleichem Sinne können wir nun auch sagen : Es ist undenkbar, daß j emand den Satz des Widerspruches - von dem wir j a die festeste Überzeugung haben - nicht annehme ; und wieder : Niemand bringt es fertig, zwei kontradiktorische rsätze1 2 zu1 o gleich für wahr zu halten. Es mag sein, daß hierfür ein aus viel­ fältiger Erprobung an Beispielen erwachsenes und eventuell recht lebhaftes Erfahrungsurteil spricht ; aber die Evidenz, daß es sich allgemein und notwendig so verhalte, besitzen wir nicht. Die w a h r e S a c h l a g e können wir so beschreiben : Apodik15 tische Evidenz, d.i. Einsicht im prägnanten Sinne des Wortes , haben wir bezüglich des Nichtzusammenwahrseins kontradikto­ rischer S ä t ze rbzw. für das Nichtzusammenbestehen der ent ­ gegengesetzten Sachverhalte1 3. Das Gesetz dieser Unverträglich­ keit ist das echte Prinzip vom Widerspruche. Die apodiktische 20 Evidenz erstreckt sich dann auch auf eine psychologische Nutz ­ anwendung ; wir haben auch die Einsicht, daß zwei U r t e i l e von kontradiktorischem Gehalt nicht i n der Weise koexistieren können, daß sie beide nur urteilsmäßig fassen, was in fundieren­ den Anschauungen wirklich gegeben ist. Allgemeiner haben wir die Einsicht, daß nicht bloß assertorisch, sondern auch apodik25 tisch evidente Urteile von kontradiktorischem Gehalt rweder in [B 92] einem Belwußtsein, noch auf verschiedene Bewußtseine 1 ver[A 92] teilt1 4 koexistieren können. Mit alledem ist ja nur gesagt, daß Sachverhalte, die als kontradiktorische objektiv unverträglich s i n d, faktisch auch von niemandem in dem Kreise seiner An30 schauung und seiner Einsicht als koexistierend v o r g e f u n d e n werden können - was keineswegs ausschließt, daß sie für koexi­ stierend g e h a l t e n werden. Dagegen f e h l t uns apodiktische Evidenz in Beziehung auf kontradiktorische Urteile überhaupt ;

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1 A : reinem Sachverhalt1 . 2 A : 'Sachverhaltel . s Zusatz von B. 4 In A zwischen Gedankenstriche gesetzt.

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nur besitzen wir innerhalb praktisch bekannter und für praktische Zwecke genügend begrenzter Klassen von Fällen ein erfah­ rungsmäßiges Wissen, daß sich in diesen Fällen kontradik­ torische Urteilsakte tatsächlich ausschließen. 5 § 28. Die vermeintliche Doppelseitigkeit des Prinzips vom Wider­ spruch, wonach es zugleich als Naturgesetz des Denkens und als Normalgesetz seiner logischen Regelung zu fassen sei

In unserer psychologisch interessierten Zeit haben sich nur wenige Logiker von den psychologischen Mißdeutungen der logischen Prinzipien ganz frei zu halten gewußt;l auch solche nicht, die selbst gegen eine psychologische Fundierung der Logik Partei ergriffen haben, oder die aus anderen Gründen den Vorwurf des Psychologismus empfindlich ablehnen würden. Bedenkt man, daß, was nicht psychologisch ist, auch nicht psychologischer Auf1 5 klärung zugänglich ist, daß also jeder noch so wohlgemeinte Ver­ such, durch psychologische Forschungen auf das Wesen der „Denkgesetze" ein Licht zu werfen, deren psychologische Um­ deutung voraussetzt, so wird man alle deuts.chen Logiker der von Sigwart angebahnten Richtung hierher zählen müssen, mögen siedieserauchGesetze der ausdrücklichen Formulierung oder Kennzeichnung als psychologischer ferngeblieben sein und sie wie immer den sonstigen Gesetzen der Psychologie gegenübergestellt haben. Findet man die gedanklichen Verschiebungen nicht in den gewählten Gesetzesformeln ausgeprägt, dann um so sicherer in den begleitenden Erläuterungen oder in dem Zusammenhang der jeweiligen Darstellungen. {[A[B ISatzeBesonders bemerkenswert erscheinen uns die Versuche, dem vom Widerspruch eine Doppelstellung zu verschaffen, der zufolge er einerseits als Naturgesetz eine bestimmende 30 Macht unseres tatsächlichen Urteilens, andererseits als N or­ malgesetz das Fundament aller logischen Regeln bilden soll. I n besonders ansprechender Weise vertritt diese Auffassung F. A. Lange in den einer geistvollen Schrift, die imsehenübrigen ein Beitrag nicht zur Förderung einer psychologistiLogik im Stile Mills, sondern „zur Neubegründung der 10

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Logischen Studien,

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a In A folgt : rdarunterl .

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formalen Logik" sein will. Freilich, wenn man sich diese Neu­ begründung näher ansieht und liest, daß die Wahrheiten der Logik sich wie die der Mathematik aus der Raumanschauung ableiten,* daß die einfachen Grundlagen dieser Wissenschaften, „da sie die strenge Richtigkeit aller Erkenntnis überhaupt ver­ bürgen", „die Grundlagen unserer intellektuellen Organisation sind", und daß also „die Gesetzmäßigkeit, die wir an ihnen be­ wundern, aus uns selbst stammt . . . aus der unbewußten Grundlage unserer selbst"** -so wird man kaum umhin können, 1 0 die Langesche Stellung wieder als einen Psychologismus zu klassifizieren, nur von einem anderen Genus, unter welches auch Kants formaler Idealismus im .Sinne der vorherrschenden Interpretation desselben und die sonstigen Spezies der Lehre von den angeborenen Erkenntnisvermögen oder „Erkenntnis1 5 quellen" gehören.*** 5

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L a n g e s hlerhergehörige Ausführungen lauten : „Der Satz des Widerspruchs ist der Punkt, in welchem sich die N a t u r g e s e t z e des Denkens mit den N o r m a l g e s e t z e n berühren. Jene psychologischen Bedingungen unserer Vorstellungsbildung, welche durch ihre unabänderliche Tätigkeit im natürlichen, von keiner Regel geleiteten Denken sowohl Wahrheit als Irrtum in ewig sprudelnder Fülle hervorbringen, werden ergänzt, beschränkt und in ihrer Wirkung zu einem bestimm­ ten Ziele geleitet durch die Tatsache, daß wir Entgegengesetztes in unserem Denken nicht vereinigen können, sobald es gleichsam zur Deckung gebracht wird. Der menschliche Geist nimmt die größten Widersprüche in sich auf, solange er das Entgegengesetzte in verschie­ dene Gedankenkreise einhegen und so auseinanderhalten kann ; allein wenn dieselbe Aussage sich unmittelbar mit ihrem Gegenteil auf den­ selben Gegenstand bezieht, so hört diese Fähigkeit der Vereinigung auf ; es entsteht völlige Unsicherheit, oder eine der beiden Behaup• F. A. L a n ge, Logische Studien. Ein Beitrag zur Neubegründung der formalen Logik und Erkennt„istheorie, 1 877, S. 1 30. ** A. a. 0. S. 1 48.

*** Daß K a n t s Erkenntnistheorie Seiten hat, die über diesen Psychologismus der Seelenvermögen als Erkenntnisquellen hinausstreben und in der Tat auch hinaus­ reichen, ist allbekannt. Hier genügt es, daß sie auch stark hervortretende Seiten hat, die in den Psychologismus hineinreichen, was lebhafte Polemik gegen andere Formen psychologistischer Erkenntnisbegründung natürlich nicht ausschließt. Ü brigens ge­ hört nicht bloß L a n ge, sondern ein guter Teil der rkantianisierenden Philosophen l 1 in die Sphäre psychologistischer Erkenntnistheorie, wie wenig sie es auch Wort haben wollen. Transzendentalpsychologie ist eben a u c h Psychologie.

l A: rNeukantianerl .

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tungen muß weichen. Psychologisch kann freilich diese Vernichtung des Widersprechenden vorübergehend sein, insofern die unmittelbare Deckung der Widersprüche vorübergehend ist. Was in verschiedenen Denkgebieten tief eingewurzelt ist, kann nicht so ohne weiteres zerstört werden, wenn man durch bloße Folgerungen zeigt, daß es wider­ sprechend ist. Auf dem Punkte freilich, wo man die Konsequenzen des einen und des anderen Satzes unmittelbar zur Deckung bringt, bleibt die Wirkung nicht aus, allein sie schlägt nicht immer durch die ganze Reihe der Folgerungen hindurch bis in den Sitz der ursprünglichen Widersprüche. Zweifel an der Bündigkeit der Schlußreihe, an der Identität des Gegenstandes der Folgerung schützen den Irrtum häufig ; aber auch wenn er für den Augenblick zerstört wird, bildet er sich aus dem gewohnten Kreise der Vorstellungsverbindungen wieder neu und behauptet sich, wenn er nicht endlich durc:;h wiederholte Schläge zum Weichen gebracht wird. Trotz dieser Zähigkeit des Irrtums muß gleichwohl das psychologi­ sche Gesetz der Unvereinbarkeit unmittelbarer Widersprüche im Den­ ken mit der Zeit eine große Wirkung ausüben. Es ist die scharfe Schneide, mittels welcher im Fortgang der Erfahrung allmählich die unhaltbaren Vorstellungsverbindungen vernichtet werden, während die besser haltbaren fortdauern. Es ist das vernichtende Prinzip im natürlichen Fortschritt des menschlichen Denkens, welches, llgleich dem Fortschritt der Organismen, darauf beruht, daß immer neue Ver­ bindungen von Vorstellungen erzeugt werden, von denen beständig die große Masse wieder vernichtet wird, während die besseren über­ leben und weiter wirken. Dieses p s y c h o l o g i s c h e Gesetz des Widerspruches . . . ist unmit­ telbar durch unsere Organisation gegeben und wirkt vor aller Erfah­ rung als Bedingung aller Erfahrung. Seine Wirksamkeit ist eine objektive, und es braucht nicht erst zum Bewußtsein gebracht zu werden, um tätig zu sein. Sollen wir nun aber dasselbe Gesetz als Grundlage der L o g i k auf­ fassen, sollen wir es als N o r m a l g e s e t z alles Denkens anerkennen, wie es als N a t u r g e s e t z auch ohne unsere Anerkennung wirksam ist, dann allerdings bedürfen wir hier so gut, wie bei allen anderen Axio­ men der typischen Anschauung, um uns zu überzeugen." * „Was ist hier das Wesentliche für die Logik, wenn wir alle psycho­ logischen Zutaten weglassen ? Nichts als die Tatsache der beständigen Aufhebung des Widersprechenden. Es ist auf dem Boden der Anschauung im Schema ein bloßer Pleonasmus, wenn man sagt, daß der Widerspruch nicht bestehen k a n n ; als ob hinter dem Grunde des Notwendigen noch einmal eine Notwendigkeit steckte. Die Tatsache ist, daß er n i c h t b e s t e ht, daß jedes Urteil, welches die Grenze des Begriffs überschreitet, sofort durch ein entgegengesetztes und fester begründetes Urteil aufgehoben wird. Diese tatsächliche Aufhebung ist *

a. a. 0., S. 27 f.

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aber für die Logik der letzte Grund aller Regeln. Psychologisch be­ trachtet kann man sie auch wieder als notwendig bezeichnen, indem man sie als einen Spezialfall eines allgemeineren Naturgesetzes an­ sieht ; damit hat aber die Logik nichts zu schaffen, welche vielmehr 5 hier mitsamt ihrem Grundgesetze des Widerspruchs erst ihren Ur­ sprung nimmt." * Diese Lehren F. A. L a n g e s haben insbesondere auf K r o m an** und H e ym a n s*** sichtliche Wirkungen geübt. Dem Letzteren verdanken wir einen systematischen Versuch, die Erkenntnistheorie mit 1 0 I I möglichster Konsequenz auf psychologischer Basis aufzuführen. Als ein nahezu reinliches Gedankenexperiment muß es uns besonders willkommen sein, und wir werden bald Gelegenheit finden, darauf nähere Rücksicht zu nehmen. - Ähnliche Auffassungen finden wir auch von L i e b m a n n**** ausgesprochen und zu unserer Überraschung inmitten 1 5 einer Betrachtung, welche, durchaus zutreffend, der logischen Not­ wendigkeit „absolute Gültigkeit für j edes vernünftig denkende Wesen" beimißt, „gleichviel ob dessen sonstige Konstitution mit der unsrigen zusammenstimme oder nicht".

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Was wir gegen diese Lehren einzuwenden haben, ist nach dem Obigen klar. Wir leugnen nicht die psychologischen Tatsachen, von denen in Langes so eindringlicher Darstellung die Rede ist; aber wir vermissen alles, was es rechtfertigen könnte, hier von einem Naturgesetz zu sprechen. Vergleicht man die ver­ schiedenen gelegentlichen Formulierungen des vermeintlichen Gesetzes mit den Tatsachen, so erweisen sie sich als sehr nach­ lässige Ausdrücke derselben. Hätte Lange den Versuch einer begrifflich genauen Beschreibung und Umgrenzung der uns wohl­ vertrauten Erfahrungen unternommen, so hätte ihm nicht ent­ gehen können, daß sie keineswegs als Einzelfälle eines Gesetzes in dem exakten Sinne gelten können, der bei den logischen Prin­ zipien in Frage kommt. In der Tat reduziert sich, was man uns alsempirische „Naturgesetz vom Widerspruch" darbietet, auf eine rohe Allgemeinheit, die als solche mit einer des Genaueren überhaupt nicht fixierbaren Unbestimmtheitssphäre behaftet ist. Es bezieht sich überdies nur auf die normalen psychischen Individuen; denn wie sich psychisch Abnorme verhalten, darüber • a. a. o„ s. 49. ** K. K r o m an, Vnsere Naturerkenntnis, übers. von F i s c h e r- B e n z o n, Kopen­ hagen 1 883. ••• G. H e y m a n s, Die Gesetze und Elemente des wissenscka/tlicken Denkens!, 2 Bde„ Leipzig 1 890 und 1 894. • • • • O. L i e b m a n n, Gedanken und Tatsachen, 1. Heft ( 1 882) S. 25-27.

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kann die hierl zu Rate gezogene Alltagserfahrung des Normalen nichts aussagen. Kurz, wir vermissen die streng wissenschaftliche Haltung, die bei aller Benützung vorwissenschaftlicher Erfah­ rungsurteile zu wissenschaftlichen Zwecken unbedingt geboten ist. Wir erheben den entschiedensten Einspruch gegen die Vermeng{ [B ung jener 1 vagen empirischen Alll g emeinheit mit dem absolut exakten und rein begrifflichen Gesetze, das allein in der Logik seine Stelle hat; wir halten es geradezu für widersinnig, das eine mit dem anderen zu identifizieren, oder aus dem einen das andere herzuleiten, oder auch beide zu dem vermeintlich zweiseitigen Gesetz vom Widerspruch zusammenzuschweißen. Nur die Un­ achtsamkeit auf den schlichten Bedeutungsgehalt des logischen Gesetzes ließ es übersehen, daß dieses zur tatsächlichen Aufhebung des Widersprechenden im Denken weder direkt noch in­ direkt die mindeste Beziehung hat. Diese tatsächliche Aufhebung betrifft offenbar nur die Urteilserlebnisse eines und desselben Individuums in einem und demselben Zeitpunkt und Akt; es be­ trifft nicht Bejahung und Verneinung verteilt auf verschiedene Individuen oder auf verschiedene Zeiten und Akte. Für das Tatsächliche, das hier in Frage ist, kommen dergleichen Unterschei­ dungen wesentlich in Betracht, das logische Gesetz wird durch sie überhaupt nicht berührt. Es spricht eben nicht von dem Kampfe kontradiktorischer Urteile, dieser zeitlichen, real so und so be­ stimmten Akte, sondern von der gesetzlichen Unverträglichkeit unzeitlicher, idealer Einheiten, die wir kontradiktorische Sätze nennen. Die Wahrheit, daß rvon einem Paar solcher Sätze nicht beide wahr sind, enthält nicht den Schatten einer empiri­ schen Behauptung über irgendein Bewußtsein und seine Urteils­ akte. Ich denke, man muß sich dies nur einmal ernstlich klargemacht haben, um die Untriftigkeit der kritisierten Auffassung einzusehen. § Auf Seiten der hier bestrittenen Lehre vom doppelten Charak­ ter der logischen Grundsätze finden wir schon vor Lange herr

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29. Fortsetzung. S ig w a r t s Lehre

1 In A folgt : alleinl . 2 A : finl .

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vorragende Denker, nach einer gelegentlichen Bemerkung selbst Bergmann, der sonst wenig Neigung zeigt, dem Psychologismus Konzessionenzu machen;* vor allem aber Sigwart, 1 dessen [A weitl r eichender Einfluß auf die neuere Logik die genauere Er[B wägung seiner bezüglichen Ausführungen rechtfertigt. „In keinem anderen Sinne", meint dieser bedeutende Logiker, „tritt das Prinzip des Widerspruchs . . . als Normalgesetz auf, als inVerneinung welchem esfeststellte; ein Naturgesetz war und einfach die Bedeutung der aber während es als Naturgesetz nur sagt, daß es unmöglich ist, mit Bewußtsein in irgendeinem Moment zu sagen, A ist und A ist nicht wird es jetzt als Normalgesetz auf den gesamten Umkreis konstanter B egriffe angewendet, über . welchen sich die Einheit des Bewußtseins überhaupt erstreckt; unter dieser Voraussetzung begründet es das gewöhnlich sogenannte das jetzt aber kein Seiten­ stück zum Prinzip der Identität (im Sinne der Formel A ist A) bildet, sondern dieses, d. h . die absolute Konstanz der Begriffe selbst wieder als erfüllt voraussetzt."** Ebenso heißt es in paralleler Ausführung in Beziehung auf den (als Prinzip der Übereinstimmung interpretierten) Satz der Iden­ tität: „Der Unterschied, ob das Prinzip der Übereinstimmung als Naturgesetz oder Normalgesetz betrachtet wird, liegt . . . nicht ines seiner eigenen Natur, sondern in den Voraussetzungen, auf die angewendet wird; im ersten Falle wird es angewendet auf das eben dem Bewußtsein Gegenwärtige; im zweiten auf den idealen veränderlichen 11 Gegenwart des Zustand einer durchgängigen gesamten geordneten Vorstellungsinhalts für ein Bewußtsein, derNunempirisch niemals vollständig erfüllt sein kann."*** unsere Bedenken. Wie kann ein Satz, der (als Satz vom Widerspruch) „die Bedeutung der Verneinung feststellt", den Charakter eines Naturgesetzes haben? Natürlich meint Sigwart nicht, daß der Satz in der Weise einer Nominaldefinition den { [[BA Sinn des Wortes Verneinung angibt. Nur daß er im Sinne der Verneinung gründet, daß er auseinanderlegt, was zur Bedeutung

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principium contradictionis,

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B e r g m a nn, Reine Logik, S. 20 (Schlußworte des § 2) . (§ 45, 5).

•• S i g w ar t, Logik, I •, S. 385 *** a. a. 0„ S. 383 (§ 45, 2) . 1

A : runveränderlichen1 .

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107 des Begriffes Verneinung gehört11, mit anderen Worten, nur daß durch ein Aufgeben des Satzes auch die Bedeutung des Wortes Verneinung aufgegeben wäre, kann Sigwart im Auge haben. Eben dies kann aber nimmermehr den Gedankengehalt eines Naturgesetzes ausmachen, zumal auch nicht desjenigen, das Sigwart in den anschließenden Worten so formuliert: Es sei un­ möglich mit Bewußtsein in irgendeinem Moment zu sagen, ist und ist nicht Sätze, die in Begriffen gründen (und2 nicht das, was in Begriffen gründet, auf Tatsachen bloß übertragen), können nichts darüber aussagen, was wir mit Bewußtsein in irgendeinem Moment tun oder nicht tun können; sind sie, wie Sigwart an anderen Stellen lehrt, überzeitlich, so können sie keinen wesentlichen Inhalt haben, der Zeitliches, also Tatsäch­ liches betrifft. Jedes Hineinziehen von Tatsachen in Sätze dieser Art hebt ihren eigentlichen Sinn unvermeidlich auf. Demgemäß istNormalgesetz es klar, daß(dasjenesechteNaturgesetz, das von Zeitlichem, und das Prinzip vom Widerspruch), das von Un­ zeitlichem spricht, durchaus heterogen sind, und daß es sich also nicht um ein Gesetz handeln kann, das in demselben Sinne 2 0 nur in verschiedener Funktion oder Anwendungs­ sphäre auftritt. Übrigens müßte doch, wenn die Gegenansicht richtig wäre, eine allgemeine Formel angebbar sein, welche jenes Gesetz über Tatsachen und dieses Gesetz über ideale Objekte gleichmäßig befaßte. Wer hier ein Gesetz lehrt, muß über eine begrifflich bestimmte Fassung verfügen. Begreiflicherweise ist aberWiederum die Fragehabe nachichdieser einheitlichen Fassung eine vergebliche. folgendes Bedenken. Das Normalgesetz soll die absolute Konstanz der Begriffe als erfüllt voraussetzen? Dann würde das Gesetz also nur Geltung unter der Voraussetzung haben, daß die Ausdrücke allzeit in identischer Bedeutung ge­ braucht werden, und wo diese Voraussetzung nicht erfüllt ist, verlöre es auch seine Geltung. Dies kann nicht die ernstliche Logikers sein. Natürlich setzt {�AB 100 Überzeugung des ausgezeichneten 1 ooj die empirische Anwendung des Gesetzes voraus, daß die Begriffe bzw. Sätze, welche als Bedeutungen unserer Ausdrücke D E R L O G I S C H E N G R U N D S Ä TZE

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1 A : rwas zur Bedeutung des Begriffes Verneinung gehört, auseinander­ legtl . 2 I n A folgt : rauch1 .

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fungieren, wirklich dieselben sind, so wie der ideale Umfang des Gesetzes auf alle möglichen Sätzepaare entgegengesetzter Quali­ tät, aber identischer Materie geht. Aber natürlich ist dies keine Voraussetzung der Geltung, als ob diese eine hypothetisehe wäre, sondern die Voraussetzung möglicher Anwendung auf vorgegebene Einzelfälle. So wie es die Voraussetzung der Anwendung eines Zahlengesetzes ist, daß uns gegebenenfalls eben Zahlen vorliegen, und zwar Zahlen von solcher Bestimmtheit, wie essehensie ausdrücklich bezeichnet, so ist es Voraussetzung des logiGesetzes, daß uns Sätze vorliegen, und zwar verlangt es ausdrücklich Sätze identischer Materie. Auch die Beziehung auf rdas von Sigwart geschilderte11 Bewußtsein überhaupt* kann ich nicht recht förderlich finden. Inalleeinem r solchen Bewußtsein 12 würden alle Begriffe (genauer Ausdrücke) in absolut identischer Bedeutung gebraucht sein, esQuaternionen. gäbe keine fließenden Bedeutungen, keine Äquivokationen und Aber in sich haben die logischen Gesetze keine wesentliche Beziehung auf dieses Ideal, das wir uns um ihretwillen vielmehr erst bilden. Der beständige Rekurs auf das Idealbewußtsein erregt das unbehagliche Gefühl, als ob die logischen Gesetze instattStrenge eigentlich nur für rfiktive 13 Idealfälle Geltung besäßen, für die empirisch vorkommenden Einzelfälle. In welchem Sinne rein logische Sätze identische Begriffe „voraussetzen", haben wir eben erörtert. Sind begriffliche Vorstellungen fließend, d.h. ändert sich bei Wiederkehr „desselben" Ausdrucks „der" begriffliche Gehalt der Vorstellung, so haben wir im logischen Sinne nicht mehr denselben, sondern einen zweiten Begriff, und sofürbeisichjeder weiteren Änderung einen neuen. Aber jeder einzelne ist eine überempirische Einheit und fällt unter die auf {[B[A seine jeweilige Form bezüglichen logischen Wahrheiten. der Fluß der empirischen Farbeninhalte und die Unvollkommenheit der qualitativen Identifizierung nicht die Unterschiede der II

• Vgl. auch a. a. 0„ S. 4 1 9 (§ 48, 4).

1 A : rein ideales1 , z A : ridealen Denken 3 A : diese fiktiven 4 A: wiel .

rrso

1. 1.

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lOl] 101]

D E R L O G I S C H E N GRU N D S Ä TZE

Farben als Qualitätenspezies tangiert, wie11 die eine Spezies ein ideal Identisches ist gegenüber der Mannigfaltigkeit möglicher Einzelfälle (die selbst nicht Farben sind, sondern eben Fälle einer Farbe), so rverhält es sich auch mit12 den identischen Bedeutungen oder Begriffen in Beziehung auf die begrifflichen Vorstellungen, deren „Inhalte" sie sind. Die Fähigkeit, ideierend imBegriff Einzelnen das Allgemeine, in der empirischen Vorstellung den rschauendl3 zu erfassen und uns im wiederholten Vor­ stellen der Identität der begrifflichen Intention zu versichern, ist die Voraussetzung für die Möglichkeit der Erkenntnis4. Und wie wir ein Begriffliches im Akte der Ideation r schauend13 erfassen -als die eine Spezies, deren Einheit gegenüber der Mannigfaltig­ keit tatsächlicher oder als tatsächlich vorgestellter Einzelfälle wir einsichtig zu vertreten vermögen so können wir auch die Evidenz der logischen Gesetze gewinnen, welche sich auf diese, bald so oder so geformten Begriffe beziehen. Zu den „Begriffen" in„Sätze", diesemvonSinnedenenvondasidealen Einheiten gehören nunspricht, auch und die soformelhaften überhaupt dieAusdrücken Bedeutungen der Buchstabenzeichen, die in den der logischen Sätze benutzt werden. Wo immer wir Akte begrifflichen Vorstellens vollziehen, da haben wir auch Begriffe; die Vorstellungen haben ihre „Inhalte", ihre idealen Bedeutungen, deren wir uns abstraktiv, in ideierender Abstraktion bemächtigen können; und damit haben wir auch überall die Möglichkeit der Anwendung der logischen Gesetze gegeben. Die Geltung dieser Gesetze ist aber schlechthin un­ begrenzt, sie hängt nicht davon ab, ob wir und wer immer begriff­ liche Vorstellungen faktisch zu vollziehen und sie mit dem Be­ wußtsein identischer Intention festzuhalten, bzw. zu wiederholen vermag. r

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principium contradictionis

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1 A : rso wiel . 2 A : rgilt dasselbe vonl . 3 Zusatz von B. 4 In A folgt : r, des Denkens1 .

SECHSTES KAPITEL

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DIE SYLLOGISTIK IN PSYCHOLOGISTISCHER BELEUCHTUNG. SCHLUSSFORMELN UND CHEMISCHE FORMELN § Wir haben in den Ausführungen des letzten Kapitels vorzugs­ weise den Satz des Widerspruchs zugrunde gelegt, weil gerade bei diesem, wie bei den Grundsätzen überhaupt, die Versuchung zur psychologistischen Auffassung sehr groß ist. Die Gedankenmoti­ ve, die zu ihr hindrängen, haben in der Tat einen starken Anstrich dies läßt man sich auf die spe­ von Selbstverständlichkeit. Über zielle Durchführung der empiristischen Doktrin bei den Schluß­ gesetzen seltener ein; vermöge ihrer Reduktibilität auf die Grundsätze glaubt man bei ihnen jeder weiteren Bemühung ent­ hoben zu sein. Sind diese Axiome psychologische Gesetze, und sind die syllogistischen Gesetze rein deduktive Konsequenzen der Axiome, dann müssen auch die syllogistischen Gesetze als psy­ chologische gelten. Man sollte nun meinen, daß jeder Fehlschluß eine entscheidende Gegeninstanz abgeben müsse, und daß also aus dieser Deduktion vielmehr ein Argument gegen die Mög­ lichkeit jeder psychologischen Deutung der Axiome zu entneh­ men sei. Man sollte ferner meinen, daß die nötige Sorgsamkeit inpsychologischen der gedanklichenGehalts und sprachlichen Fixierung des prätendierten der Axiome den Empiristen überzeugen müßte, daß sie in solcher Interpretation auch nicht den kleinsten Beitrag zum Beweise der Schlußformeln leisten können, und daß, wo immer solch ein Beweis statthat, die Ausgangspunkte ebenso wie die Endpunkte den Charakter von Gesetzen haben, die von 30. Versuche zur psychologischen Interpretation der syllogistischen Sätze

{[A[B

1 02] 1 02]

S C H L U S S F O R M E L N U N D C H E M I S C H E FO R ME L N

111

� � �;� dem, was in der Psychologie Gesetz heißt, verschieden { � sind. Aber selbst die klarsten Widerlegungen scheitern an der Überzeugungsfreudigkeit der psychologistischen Lehre. G. Heymans, welcher diese Lehre neuerdings ausführlich entwickelt hat, nimmt an der Existenz von Fehlschlüssen so wenig Anstoß, daß er in der Möglichkeit, einen Fehlschluß nachzuweisen, sogar eine Bestätigung der psychologischen Auffassung sieht; denn dieser Nachweis bestehe nicht darin, denjenigen, der noch nicht nach dem Satze des Widerspruchs denke, eines Besseren zu belehren, sondern darin, den im Fehlschluß unvermerkt begangenen Widerspruch aufzuzeigen. Man möchte hier fragen, ob unbe­ merkte Widersprüche nicht auch Widersprüche sind, und ob das logische Prinzip nur die Unvereinbarkeit bemerkter Widersprüche aussage, während es bei unbemerkten zulasse, daß sie zusammen wahr seien. Es ist wieder klar man denke nur an den Unter­ schied der psychologischen und logischen Unvereinbarkeit -daß wir uns in der trüben Sphäre der schon besprochenen Äquivoka­ tionen herumtreiben. Wollte man noch sagen, die Rede von „unvermerkten" Widersprüchen, die der Fehlschluß enthalte, sei eine uneigentliche; erst imspruch Verlaufe des widerlegenden Gedankenganges trete der Wider­ als Neues auf, er stelle sich als Folge der irrigen Schluß­ weise ein und daran knüpfte sich (immer psychologisch verstan­ den) die weitere Folge, daß wir uns nun auch genötigt sehen, diese Schlußweise als irrig zu verwerfen so wäre uns wenig gedient. Die eine Gedankenbewegung hat diesen, eine andere wieder einen anderen Erfolg. Kein psychologisches Gesetz bindet die „Wider­ legung" an den Fehlschluß. Jedenfalls tritt er in unzähligen Fällen ohne sie auf und behauptet sich in der Überzeugung. Wie 30 unter kommtgewissen also gerade die eine Gedankenbewegung, die sich nur psychischen Umständen an den Trugschluß anknüpft, zu dem Rechte, ihm einen Widerspruch schlechthin zu­ zuschieben, und ihm nicht bloß die „Gültigkeit" unter diesen Umständen, sondern dieverhält objektive, absolute Gültigkeit abzuAB es sich natürlich bei den „richtistreiten? Genau ebenso { [ gen" Schlußformen i n Beziehung auf ihre rechtfertigende Be­ gründung durch die logischen Axiome. Wie kommt der begründende Gedankengang, der nur unter gewissen psychischen Umständen eintritt, zu dem Anspruch, die bezügliche Schlußform als II

toto coelo

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1 04) 1 04)

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S Y L L O G I S T I K IN P S Y C H O L O G I S T IS C H E R B E L E U C H T U N G

schlechthin gültige auszuzeichnen? Für derartige Fragen hat die psychologistische Lehre keine annehmbare Antwort; es fehlt ihranspruch hier wiederüberall die Möglichkeit, den objektiven Gültigkeits­ logischen Wahrheiten, und damit auch ihre Funktion als absolute Normen des richtigen und falschen Urteilens, zum Verständnis zu bringen. Wie oft ist dieser Einwand erhoben, wie oft ist bemerkt worden, daß die Identifikation von logischem und psychologischem Gesetz auch jeden Unterschied zwischen richtigem und irrigem Denken aufhöbe, da die irrigen Urteilsweisen nicht minder nach psychologischen Gesetzen erfolgen als die richtigen. Oder sollten wir, etwa auf Grund einer willkürlichen Konvention, die Ergebnisse gewisser. G esetzlichkeiten als richtig, diejenigen anderer als irrig bezeichnen? Was antwortet der Empi­ rist auf solche Einwände? „Allerdings strebt das auf Wahrheit gerichtete Denken darnach, widerspruchslose Gedankenverbin­ dungen zu erzeugen; aber der Wert dieser widerspruchslosen Gedankenverbindungen liegt doch eben wieder in dem Umstande, daß tatsächlich nur das Widerspruchslose bejaht werden kann, daß also der Satz des Widerspruchs ein Naturgesetz des Denkens ist. " * Ein sonderbares Streben, wird man sagen, das dem Denken hier zugemutet wird, ein Streben nach widerspruchslosen Ge­ dankenverbindungen, während es andere als widerspruchslose Verbindungen überhaupt nicht gibt und nicht geben kann so zum mindesten, wenn das „Naturgesetz" wirklich besteht, von dem hier die Rede ist. Oder ist es ein besseres Argument, wenn f [A man sagt: „Wir haben keinen einzigen Grund, Verbindung HB zweier sich widersprechender Urteile als „unrichtig" zu verurteilen, wenn nicht eben diesen, daß wir instinktiv und unmittelbar die Unmöglichkeit empfinden, die beiderseitigen Urteile gleichzeitig zu bejahen. Man versuche es nun, unabhängig von dieser Tatsache zu beweisen, daß nur das Widerspruchslose bejaht werden darf: man wird immer wieder, um den Beweis führen zuS. 6können, das zu Beweisende voraussetzen müssen" (a. a . 0 ., 9f. ) . Man erkennt ohne weiteres die Wirksamkeit der oben analysierten Äquivokationen: die Einsicht in das logische Gesetz, II

die

• H e y m a n s a. a. 0., l', S. 70. So sagte j a auch F. A. L a n g e (vgl. den letzten Absatz des längeren Zitates aus den Log. Studien, oben S. 95) , die ta ! s ä c h l i c h e Aufhebung des Widersprechenden i u unseren Urteilen sei der letzte Grund der logi­ schen Regeln.

1 05] 1 05]

SCHLUSSFORMELN UND CHEMISCHE FORMELN

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1 13

daß kontradiktorische Sätze nicht zusammen wahr sind, wird identifiziert mit der instinktiven und vermeintlich unmittelbaren „Empfindung" der psychologischen Unfähigkeit, kontradiktori­ sche Urteilsakte gleichzeitig zu vollziehen. Evidenz und blinde Überzeugung, exakte und empirische Allgemeinheit, logische Un­ verträglichkeit der Sachverhalte und psychologische Unverträg­ lichkeit der Glaubensakte, also Nicht-zusammen-wahrsein-können und Nicht-zugleich-glauben-können fließen in eins zusammen. § Die Lehre, daß die Schlußformeln „empirische Gesetze des Denkens" ausdrücken, versucht Heymans durch den Vergleich mit den chemischen Formeln plausibler zu machen. „Genau so, wie in der chemischen Formel nur die allge­ meine Tatsache zum Ausdruck kommt, daß zwei Volumen Wasserstoff mit einem Volumen Sauerstoff sich unter geeigneten Um­ ständen zu zwei Volumen Wasser verbinden, -genau so sagt die logische Formel nur aus, daß zwei allgemein bejahende Urteile mit gemeinschaftlichem Subjektbegriff unter geeigneten Umständen im Bewußtsein zwei neue partikulär bejahende Urteile erzeugen, in denen die Prädikatbegriffe der ursprünglichen Urteile als Prädikatund {�AB 1 Subjektbegriff auftreten. Warum in diesem Falle eine Erzeugung neuer Urteile nicht, stattfindet, dagegen etwa bei der Kombination davon wissen wir zurzeit noch nichts. Von der unerschütterlichen Notwendigkeit aber, welche diese Ver­ hältnisse beherrscht, und welche, wenn die Prämissen zugegeben sind, uns zwingt, auch die Schlußfolgerung für wahr zu halten, möge man sich durch Wiederholung der . . . Experimente überzeugen."* Diese Experimente sind natürlich „unter Aus­ schließung aller störenden Einflüsse" anzustellen und bestehen darin, „daß man die betreffenden Prämissenurteile möglichst klar sich vergegenwärtigen, dann den Mechanismus des Denkens wirken lassen und Erzeugung oder Nichterzeugung eines 3 1 . Schlußformeln und chemische Formeln

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2H2 + 02

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MaX + MaY

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25 MeX + Me Y

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die



H e y m a n s, a. a. 0., S. 62 f.

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SYLL O GISTIK I N P S Y C H O L O GISTI S C H E R B E L E UCHTU N G

neuen Urteils abwarten muß". Kommt aber ein neues Urteil wirklich zustande, dann muß man scharf zusehen, ob vielleicht außer Anfangsund Endpunkt des Prozesses noch einzelne Zwi­ schenstadien ins Bewußtsein treten und diese in möglichster Genauigkeit und Vollständigkeit notieren.* Was uns bei dieser Auffassung überrascht, ist die Behauptung, daß bei den von Logikern ausgeschlossenen Kombinationen keine Erzeugung neuer Urteile statthabe. In Beziehung auf jeden Fehl­ schluß, z.B. der Form wird man doch sagen müssen, daß. allgemein zwei Urteile der Formen und „unter geeigneten Umständen" im Bewußtsein ein neues Urteil ergeben. Die Analogie mit den chemischen Formeln paßt hier genau so recht und schlecht wie inzulässig, den anderen Fällen. Natürlich ist darauf nicht die Entgegnung daß die „Umstände" in dem einen und anderen Falle ungleich seien. Psychologisch sind sie alle von gleichem Interesse und die zugehörigen empirischen Sätze von gleichem Wert. Warum mach en wir also diesen fundamentalen Unterschied zwischen {[B[A 107] 107] den beiden Klassen von Formeln? Würde man uns diese . so würden natürlich antworten: Weil wir in Frage vorlegen, Beziehung auf die einen zur Einsieht gekommen sind, daß, was sie ausdrücken, Wahrheiten, und in Beziehung auf die anderen, daß es Falschheiten sind. Diese Antwort kann aber der Empirist nicht geben. Unter Voraussetzung der von ihm ange­ nommenen Interpretationen sind ja die den Fehlschlüssen ent­ sprechenden empirischen Sätze in gleicher Weise gültig, wie die denDerübrigen Schlüssen entsprechenden. Empirist beruft sich auf die Erfahrung der „unerschütterliehen Notwendigkeit", welche, „wenn die Prämissen gege­ ben sind, uns zwingt, auch die Schlußfolgerung für wahr zu halten". Aber alle Schlüsse, ob logisch gerechtfertigt oder nicht, vollziehen sich mit psychologischer Notwendigkeit, und auch der (allerdings nur unter Umständen) fühlbare Zwang ist überall derselbe. Wer einen begangenen Fehlschluß allen kritischen Ein­ wänden zum Trotze immerfort aufrechthält, fühlt die „unerXeM + MeY

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• a. a. 0., S. 56 f.

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XeY

1 15 schütterliche Notwendigkeit", den Zwang des Nichtanderskön­ nens er fühlt ihn genau so wie derjenige, der richtig schließt und auf der erkannten Richtigkeit bestehen bleibt. Wie alles Ur­ teilen, so ist eben auch das Schließen nicht Sache der Willkür. Diese gefühlte Unerschütterlichkeit ist so wenig ein Zeugnis für rwirkliche11 Unerschütterlichkeit, daß sie vermöge neuer Urteils­ motive, und zwar selbst im Falle richtiger und als richtig erkann­ ter Schlüsse, weichen mag. Sie darf man also nicht vermengen mit der echten, logischen Notwendigkeit, die zu jedem richtigen Schlusse gehört, und die nichts anderes besagt und besagen darf, alsUrteilenden wie die einsichtig zu erkennende ( o bschon nicht von jedem wirklich erkannte) ideal-. g esetzliche Geltung des Schlusses. Die Gesetzlichkeit der Geltung als solche tritt aller­ dings erst hervor in der einsichtigen Erfassung des Schlußgesetzes; imvollzogenen VergleichSchlusses mit ihr erscheint die Einsichtigkeit des als Einsicht in die notwendige Geltung des Einzelfalles, d.i. in die Geltung desselben auf Grund des Gesetzes. {[[BA 108] Der Empirist meint, wir wüßten „zurzeit noch nichts" dar108] über, warum die in der Logik verworfenen Prämissenkombina­ tionen „kein Ergebnis lieferten". Also von einem künftigen Fort­ schritt der Erkenntnis erhofft er reichere Belehrung? Man sollte denken, hier wüßten wir alles, was sich überhaupt wissen läßt; haben wir doch die Einsieht, daß jede überhaupt mögliche (d.Formh. invondenSchlußsätzen Rahmen der insyllogistischen Kombinationen fallende) Verknüpfung mit den fraglichen Prä­ missenkombinationen ein falsches Schlußgesetz liefern würde; man sollte denken, daß in diesen Fällen auch für einen unendlich vollkommenen Intellekt ein Mehr an Wissen schlechterdings nicht möglich wäre. An diese und ähnliche Einwände würde sich noch ein anders­ artiger knüpfen lassen, der, obschon nicht minder kräftig, für unsere Zwecke minder wichtig erscheint. Es ist nämlich un­ zweifelhaft, daß die Analogie mit den chemischen Formeln nicht eben weit reicht, ich meine nicht so weit, daß wir Anlaß fänden, neben den logischen Gesetzen die mit ihnen verwechselten psy­ chologischen pathetisch zu nehmen. Im Falle der Chemie kennen S C H L U S S F O RM E L N U N D C H E M I S C H E F O R M E L N

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hie et nunc

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1 A: rwahrhafte 1 .

1 16 wir die „Umstände'', unter denen die formelhaft ausgedrückten Synthesen erfolgen, sie sind in erheblichem Maße exakt bestimm­ bar, und eben darum rechnen wir die chemischen Formeln zu den wertvollsten Induktionen der Naturwissenschaft. Im Falle der Psychologie hingegen bedeutet die uns erreichbare Kenntnis der Umstände so wenig, daß wir schließlich nicht weiter kommen als zuschensagen: daß es eben öfter vorkommt, daß Menschen den logi­ Gesetzen konform schließen, wobei gewisse exakt nicht zu umgrenzende Umstände, eine gewisse „Anspannung der Aufmerksamkeit", eine gewisse „geistige Frische", eine gewisse Vor­ bildung" u. dgl. begünstigende Bedingungen für das Zustande­ kommen eines logischen Schlußaktes sind. Die Umstände oder Bedingungen im strengen Sinne, unter denen der schließende Urteilsakt mit rkausaler11 Notwendigkeit hervorgeht, sind uns ganz verborgen. Bei der gegebenen Sachlage ist es auch wohl be­ 99] greiflich, warum es bisher keinem Psyl c hologen eingefallen ist, A 10 [ 1jene die den mannigfaltigen Schlußformeln zuzuordnenden und durch [B 10 ] vagen Umstände charakterisierten Allgemeinheiten in der Psychologie einzelweise aufzuführen und mit dem Titel „Denkgesetze" zu ehren. Nach alledem werden wir wohl auch Heymans' interessanten (und in vielen hier nicht berührten Einzelheiten anregenden) Versuch einer „Erkenntnistheorie, die man auch Chemie der Ur­ teile nennen könnte"* und die „nichts weiter sei, als eine Psychologie des Denkens"**, zu den im Kantschen Sinne hoff­ nungslosen rechnen dürfen. In der Ablehnung der psycho­ logistischen Interpretationen werden wir jedenfalls nicht schwan­ ken können. Die Schlußformeln haben nicht den ihnen unter­ legten empirischen Gehalt; ihre wahre Bedeutung tritt am klarsten hervor, wenn wir sie in äquivalenten idealen Unverträg­ lichkeiten aussprechen. Z. B .: Es gilt allgemein, daß nicht zwei Sätze der Formen „alle sind und „kein ist wahr sind, ohne daß auch ein Satz der Form „einige sind nicht wahr wäre. Und so in jedem Falle. Von einem Bewußtsein, von Urteilsakten und Umständen des Urteilens u. dgl. ist hier keine SYLLOGISTIK IN P S Y C H O L O G I S T I S C H E R B E L E U C H T U N G

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H e y m ans, a. a. 0., S. 30. •• a. a. 0., S. 1 0.

1 Zusatz •ron B.

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S CRL U S S F ORMELN U N D C H E M I S C H E FORMELN

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Rede. Hält man sich den wahren Gehalt der Schlußgesetze vor Augen, dann verschwindet auch der irrige Schein, als ob die experimentelle Erzeugung des einsichtigen Urteils, in dem wir das Schlußgesetz anerkennen, eine experimentelle Begründung des Schlußgesetzes selbst bedeuten oder einleiten könnte.

SIEBENTES KAPITEL

DER PSYCHOLOGISMUS ALS SKEPTISCHER RELATIVISMUS § 32. 5 Der schwerste Vorwurf, den man gegen eine Theorie, und zu­ mal gegen eine Theorie der Logik, erheben kann, besteht darin, daß sie gegen die evidenten Bedingungen der Möglich­ keit einer Theorie überhaupt verstoße. Eine Theorie aufstellen und in ihrem Inhalt, sei es ausdrücklich oder einschließlich, den Sätzen widerstreiten, welche den Sinn und Rechtsanspruch aller Theorie überhaupt begründen das ist nicht bloß falsch, sondern von Grund aus verkehrt. In doppelter Hinsicht kann man hier von evidenten „Bedin1 5 gungen der Möglichkeit" jeder Theorie überhaupt sprechen. Fürs erste in subjektiver Hinsicht. Hier handelt es sich um die apriorischen Bedingungen, von denen die Möglichkeit der un­ mittelbaren und mittelbaren Erkenntnis* und somit die Mög­ lichkeit der vernünftigen Rechtfertigung jeder Theorie ab20 hängig ist. Die Theorie als Erkenntnisbegründung ist selbst eine Erkenntnis und hängt ihrer Möglichkeit nach von gewissen Be­ dingungen ab, die rein begrifflich in der Erkenntnis und ihrem Verhältnis zum erkennenden Subjekt gründen. Z. B .: Im Begriff der Erkenntnis im strengen Sinne liegt es, ein Urteil zu sein, das 25 nicht bloß de� Anspruch erhebt, die Wahrheit zu treffen, sondern auch der Berechtigung dieses Anspruches gewiß ist und diese Die idealen Bedingungen für die Möglichkeit einer Theorie überhaupt. Der strenge Begriff des Skeptizismus

!o

• Ich bitte zu beachten, daß der Terminus Erkenntnis in diesem Werke n i c h t in der viel gebräuchlichen Einschränkung auf Reales verstanden wird.

{[A[B 11 1010] ]

S K E P TI S C H E R RELATIVI S M U S

�� : j auch wirklich besitzt. Wäre der Urteilende aber Bnieerechtigung { und nirgends in der Lage, diejenige Auszeichnung, welche die Rechtfertigung des Urteils ausmacht, in sich zu erleben und als solche zu erfassen, fehlte ihm bei allen Urteilen die Evidenz, die sievollevonGewißheit blinden Vorurteilen unterscheidet, und die ihm die licht­ gibt, nicht bloß für wahr zu halten, sondern die Wahrheit selbst zu rhaben1l so wäre bei ihm von einer ver­ nünftigen Aufstellung und Begründung der Erkenntnis, es wäre von Theorie und Wissenschaft keine Rede. Also verstößt eine Theorie gegen die subjektiven Bedingungen ihrer Möglichkeit als Theorie überhaupt, wenn sie, diesem Beispiel gemäß, jeden Vor­ zug des evidenten gegenüber dem blinden Urteil leugnet; sie hebt dadurch das auf, was sie selbst von einer willkürlichen, rechtlosen Behauptung unterscheidet. Man sieht, daß unter subjektiven Bedingungen der Möglichkeit hier nicht etwa zu verstehen sind reale Bedingungen, die im ein­ zelnen Urteilssubjekt oder in der wechselnden Spezies urteilender Wesen (z. B . der menschlichen) wurzeln, sondern ideale Bedingun­ gen, die in der Form der Subjektivität überhaupt und in deren Beziehung zur Erkenntnis wurzeln. Zur Unterscheidung wollen wirInvonobjektiver ihnen als vonHinsicht noetischen Bedingungen sprechen. betrifft die Rede von Bedingungen der Möglichkeit jeder Theorie nicht die Theorie als subjektive Einheit von Erkenntnissen, sondern Theorie als eine objektive, durch Verhältnisse von Grund und Folge verknüpfte Ein­ heit von Wahrheiten bzw. Sätzen. Die Bedingungen sind hier all die Gesetze, welche rein im Begriffe der Theorie gründen spezieller gesprochen, die rein im Begriffe der Wahrheit, des Satzes, des Gegenstandes, der Beschaffenheit, der Beziehung u. dgl., kurz in den Begriffe n gründen, welche den Begriff der theoretischen Einheit wesentlich konsti­ tuieren. Die Leugnung dieser Gesetze ist also gleichbedeutend (äquivalent) mit der Behauptung, all die fraglichen Termini: Theorie, Wahrheit, Gegenstand, Beschaffenheit usw. entbehrten eines konsistenten Sinnes. Eine Theorie hebt sich in dieser {�AB j objektiv-logischen Hinsicht auf, wenn sie in ihrem Inhalt gegen II

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D E R P S Y C H O L O GI S M U S

die„vernünftigen" Gesetze verstößt, ohne welche Theorie überhaupt keinen (konsistenten) Sinn hätte. Ihre logischen Verstöße können in den Voraussetzungen, inauchdenin Formen der theoretischen Verbindung, endlich der erwiesenen These selbst liegen. Am schroffsten istwenndieesVerletzung der logischen Bedingungen offenbar dann, zum Sinne der theoretischen These gehört, diese Ge­ setze zu leugnen, von welchen die vernünftige Möglichkeit jeder These und jeder Begründung einer These überhaupt abhängig ist. Und ähnliches gilt auch für die noetischen Bedingungen und die(natürlich gegen nicht sie verstoßenden Theorien. Wir unterscheiden also in klassifikatorischer Absicht) : falsche, absurde, . logisch und noetisch absurde und endlich skeptische Theo­ rien; unter dem letzteren Titel alle Theorien befassend, deren Thesen entweder ausdrücklich besagen oder analytisch in sich schließen, daß die logischen oder noetischen Bedingungen für die Möglichkeit einer Theorie überhaupt falsch sind. Hiermit ist für den Terminus Skeptizismus ein scharfer Begriff und zugleich eine klare Sonderung in logischen und noetischen Skeptizismus gewonnen. Ihm entsprechen bei­ spielsweise die antiken Formen des Skeptizismus mit Thesen der Art wie: Es gibt keine Wahrheit, es gibt keine Erkenntnis und Erkenntnisbegründung u. dgl. Auch der Empirismus, der ge­ mäßigte nicht minder als der extreme, ist nach unseren früheren Ausführungen* ein Beispiel, das unserem prägnanten Begriffe entspricht. Daß es zum Begriff der skeptischen Theorie gehört, widersinnig zu sein, ist aus der Definition ohne weiteres klar. § 33. Gewöhnlich wird der Terminus Skeptizismus einigermaßen vage gebraucht. Sehen wir von seinem populären Sinn ab, so A 1 13 man skeptisch jedwede philosophischen Theorien, welche nennt {�B 1 1 3j aus prinzipiellen Gründen eine erhebliche Einschränkung der menschlichen Erkenntnis dartun wollen, zumal wenn durch sie umfassende Sphären des realen Seins oder besonders wertgehaltene Wissenschaften (z.B. Metaphysik, Naturwissenschaft, Ethik Skeptizismus in metaphysischem Sinne

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II

• Vgl. Kapitel V, Anhang zu den §§ 25 und 26, S. 84 ff.

ALS S KEPTI S C H E R RELATIVI S M U S

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alsverbannt rationalewerden. Disziplinen) aus dem Gebiete möglicher Erkenntnis Unter diesen unechten Formen des Skeptizismus pflegt haupt­ sächlich die eine mit dem hier definierten, eigentlich erkenntnistheoretischen Skeptizismus vermengt zu werden, bei welcher es sich um die Beschränkung der Erkenntnis auf psychisches Dasein und die Leugnung der Existenz oder Erkennbarkeit von „Dingen anphysische; sich" handelt. Derartige Theorien sind aber offenbar meta­ sie haben an sich mit dem eigentlichen Skeptizismus nichts zu tun, ihre These ist von allem logischen und noetischen Widersinn frei, ihr Rechtsanspruch ist nur eine Frage der Argumente und Beweise. Vermengungen und echt skeptische Wendungen erwuchsen erst unter dem paralogistischen Einfluß naheliegender Äquivokationen oder anderweitig geförderter skeptischer Grundüberzeugungen. Faßt z. B . ein metaphysischer Skep­ tiker seine Überzeugung in die Form : „Es gibt keine ob j e k ti v e Erkenntnis" ( s c. keine Erkenntnis von Dingen an sich); oder: „Alle Erkenntnis ist subjektiv" (sc. alle Tatsachen-Erkenntnis istlockung bloßegroß, Erkenntnis von Bewußtseinstatsachen), so ist die Verder Zweideutigkeit der Ausdrucksweise Subjektiv­ Objektiv nachzugeben und für den ursprünglichen, dem einge­ nommenen Standpunkte angemessenen Sinn einen noetisch-skep­ tischen unterzulegen. Aus dem Satze: „Alle Erkenntnis ist sub­ jektiv" wird nun die total neue Behauptung: „Alle Erkenntnis als Bewußtseinserscheinung untersteht den rGesetzen menschlichen Bewußtseins was wir Formen und Gesetze der Erkenntnis nennen, sind nichts weiter als „Funktionsformen des Bewußtseins" bzw. Gesetzmäßigkeiten dieser Funktionsformen psy­ chologische Gesetze." Wie riun (in dieser unrechtmäßigen Weise) { �AB � der meta[ [ p hysische Subjektivismus den erkenntnistheoretischen empfiehlt, so scheint auch in umgekehrter Richtung der letztere (wo er als für sich einleuchtend angenommen wird) ein kräftiges Argument für den ersteren abzugeben. Man schließt etwa: „Die logischen Gesetze, als Gesetze für unsere Erkenntnisfunktionen, ermangeln der „realen Bedeutung"; jedenfalls könnten wir nie und nirgends wissen, ob sie mit den etwaigen Dingen an sich harmonieren, die Annahme eines „Präformationssystems" wäre 11;

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1 A : rBewußtseinsgesetzenl ,

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D E R P S Y C H O L O GI S M U S

völlig willkürlich. Ist schon die Vergleichung der einzelnen Er­ kenntnis mit ihrem Gegenstande (zur Konstatierung der ad­ aequatio rei et intetlectus) durch den Begriff des Dinges an sich ausgeschlossen, so erst recht die Vergleichung der subjektiven 5 Gesetzmäßigkeiten unserer Bewußtseinsfunktionen mit dem ob­ j ektiven Sein der Dinge und ihren Gesetzen. Also wenn es Dinge an sich gibt, können wir von ihnen schlechterdings nichts wissen. " Metaphysische Fragen gehen uns hier nicht an, wir erwähnten sie nur, um gleich von vornherein der Vermengung zwischen meta­ ! o physischem und logisch-noetischem Skeptizismus zu begegnen.

§ 34.

Der Begriff Relativismus und seine Besonderungen

Für die Zwecke einer Kritik des PsycholOgismus müssen wir noch den Begriff des (auch in der besprochenen metaphysischen Theorie auftretenden) S u b j e k t i vi s m u s oder R e l a t i v i s m u s 1 5 erörtern. Ein ursprünglicher Begriff ist umschrieben durch die P r o t ag o r e i sche Formel : „Aller Dinge Maß ist der Mensch'', sofern wir sie in dem Sinne interpretieren : Aller Wahrheit Maß ist der individuelle Mensch. Wahr ist für einen j eden, was i h m als wahr erscheint, für den einen dieses, für den anderen das 20 Entgegengesetzte, falls es ihm ebenso erscheint. Wir können hier also auch die Formel wählen : Alle Wahrheit (und Erkenntnis) ist relativ - relativ zu dem zufällig urteilenden S u b j e k t . Nehmen wir hingegen statt des Subjektes die zufällige S p e z i e s [A 1 1 5] urteilender Wesen als den Bel lziehungspunkt der Relation, so [B 1 1 5] 25 erwächst eine neue Form des Relativismus. Aller menschlichen Wahrheit Maß ist also der Mensch a l s s o l c h e r. Jedes Urteil, das im S p e z i f i s c h e n des Menschen, in den es konstituierenden Gesetzen wurzelt, ist - für uns Menschen - wahr. Sofern diese Urteile zur Form der allgemein menschlichen Subjektivität (des 30 menschlichen „Bewußtseins überhaupt") gehören, spricht man auch hier von Subj ektivismus (von dem Subjekt als letzter Er­ kenntnisquelle u . dgl.) . Besser wählt man den Terminus R e l a­ t i v i s m u s und unterscheidet den i n di v i du e l l en und s p e z i­ f i s c h e n Relativismus ; die einschränkende Beziehung auf die 35 menschliche Spezies bestimmt den letzteren dann als A n t h r o­ p o l o g i s m u s. - Wir wenden uns nun zur Kritik, deren sorg­ sa mste Ausführung durch unsere Interessen geboten ist.

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A L S S K E P T I S C H E R RELATIVISMUS

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§ Der individuelle Relativismus ist ein so offenkundiger und, fast möchte ich sagen, frecher Skeptizismus, daß er, wenn überhaupt je,ist. soDiegewiß nicht in neueren Zeiten ernstlich vertreten worden Lehre ist, sowie aufgestellt, schon widerlegt aber frei­ lich nur für den, welcher die Objektivität alles Logischen ein­ sieht. Den Subjektivisten, wie den ausdrücklichen Skeptiker über­ haupt, kann man nicht überzeugen, wenn ihm nun einmal die Disposition mangelt einzusehen, daß Sätze, wie der vom Widerspruch, im bloßen Sinn der Wahrheit gründen, und daß ihnen gemäß die Rede von einer subjektiven Wahrheit, die für den einen diese, für den andern die entgegengesetzte sei, eben als widersinnige gelten müsse. Man wird ihn auch nicht durch den gewöhnlichen Einwand überzeugen, daß er durch die Aufstellung seiner Theorie den Anspruch erhebe, andere zu überzeugen, daß erleugne. also dieEr wird Objektivität der Wahrheit voraussetze, die er natürlich antworten: Mit meiner Theorie spreche ich meinen Standpunkt aus, der für mich wahr ist und für niemand sonst wahr zu sein braucht. Selbst die Tatsache seines sub{ AtB 11 11 66j jektiven Meinens wird er als bloß für sein eigenes Ich, nicht aber alsSubjektivisten an sich wahrepersönlich behaupten.* Aber nicht auf die Möglichkeit, den zu überzeugen und zum Eingeständnis seines Irrtums zu bringen, sondern auf die, ihn objektiv gültig zu widerlegen, kommt es an. Widerlegung setzt aber als ihre Hebel 25 gewisse einsichtige und damit allgemeingültige Überzeugungen voraus. Als solche dienen uns Normaldisponierten jene trivialen Einsichten, an welchen jeder Skeptizismus scheitern muß, sofern ß seine Lehren im eigentlichsten und wir durch sie erkennen, da strengsten Sinne widersinnig sind: Der Inhalt ihrer Behauptungen leugnet das, was überhaupt zum Sinn oder Inhalt jeder Be­ hauptung gehört und somit von keiner Behauptung sinngemäß abtrennbar ist. 35. Kritik des individuellen Relativismus

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• Darin müßten ihm diejenigen recht geben, welche zwischen bloß subjektiven und objektiven Wahrheiten glauben scheiden zu dürfen, indem sie den Wahrnehmungs­ urteilen über die eigenen Bewußtseinserlebnisse den Charakter der Objektivität ab­ streiten: als ob das Für-mich-sein des Bewußtseinsinhalts nicht als solches zugleich ein An-sich-sein wäre ; als ob die Subjektivität im psychololli=h• -i mit der Objektivi­ tät im logischen Sinne stritte !

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§

DER PSYCHOLOGISMUS

36. Kritik des spezifischen Relativismus und im besonderen des Anthropologismus

Können wir bei dem Subj ektivismus zweifeln, ob er j e in vollem Ernste vertreten worden sei, so neigt im Gegenteil die neuere und 5 neueste Philosophie dem spezifischen Relativismus und näher dem Anthropologismus in einem Maße zu, daß wir nur aus­ nahmsweise einem Denker begegnen, der sich von den Irrtümern dieser Lehre ganz rein zu erhalten wußte. Und doch ist auch sie eine skeptische in der oben fixierten Bedeutung des Wortes, also 1 0 mit den größtmöglichen Absurditäten behaftet, die bei einer Theorie überhaupt denkbar sind ; auch bei ihr finden wir, nur wenig verhüllt, einen evidenten Widerspruch zwischen dem Sinn ihrer These und dem, was von keiner These als solcher sinngemäß abtrennbar ist. Es ist nicht schwierig, dies im einzelnen nachzu1 5 weisen. [A l l 7] Der spezifische Relativismus stellt die Behauptung auf : II [B l l 7] Wahr ist für j ede Spezies urteilender Wesen, was nach ihrer Konstitution, nach ihren Denkgesetzen als wahr zu gelten habe. Diese Lehre ist widersinnig. Denn es liegt in ihrem Sinne, daß 20 derselbe Urteilsinhalt (Satz) für den einen, nämlich für ein Sub­ j ekt der Spezies homo, wahr, für einen anderen, nämlich für ein Subjekt einer anders konstituierten Spezies, falsch sein kann. Aber derselbe Urteilsinhalt kann nicht beides, wahr und falsch, sein. Dies liegt in dem bloßen Sinne der Worte wahr und falsch. 25 Gebraucht der Relativist diese Worte mit ihrem zugehörigen Sinn, so sagt seine These, was ihrem eigenen Sinn zuwider ist. Die Ausflucht, es sei der Wortlaut des herangezogenen Satzes vom Widerspruch, durch den wir den Sinn der Worte wahr und falsch entfalteten, unvollständig, es sei in ihm eben von mensch30 lieh wahr und menschlich falsch die Rede, ist offenbar nichtig. Ähnlich könnte j a auch der gemeine Subj ektivismus sagen, die Rede von wahr und falsch sei ungenau, gemeint sei „für das ein­ zelne Subj ekt wahr bzw. falsch" . Und natürlich wird man ihm antworten : Das evident gültige Gesetz kann nicht meinen, was 35 offenbar widersinnig ist ; und widersinnig ist in der Tat die Rede von einer Wahrheit f ü r den oder j enen. Widersinnig ist die offengehaltene Möglichkeit, daß derselbe Urteilsinhalt (wir sagen

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ALS S KEPTI S C H E R RELATIVI S M U S

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inUrteilenden gefährlicherbeides,Äquivokation 11: dasselbe Urteil) je nach dem wahr und falsch, sei. Entsprechend wird nun auch die Antwort für den spezifischen Relativismus lauten: „Wahrheit für die oder jene Spezies", z. B . für die menschliche, das ist so wie es hier gemeint ist eine widersinnige Rede. Man kann sie allerdings auch in gutem Sinne gebrauchen; aber dann meint sie etwas total Verschiedenes, nämlich den Umkreis von Wahrheiten, die dem Menschen als solchem zugänglich, er­ kennbar sind. Was wahr ist, ist absolut, ist „an sich" wahr; die Wahrheit ist identisch eine, ob sie Menschen oder Unmenschen, Engel oder Götter urteilend erfassen. Von der Wahrheit in dieser { [A[B idealen Einheit gegenüber der realen Mannigfaltigkeit von Rassen, Individuen und Erlebnissen sprechen die logischen Gesetze und sprechen wir alle, wenn wir nicht etwa relativistisch verwirrt sind. Mit Rücksicht darauf, daß, was die Grundsätze vom Wider­ spruch und vom ausgeschlossenen Dritten besagen, zum bloßen Sinn der Worte wahr und falsch gehört, ließe sich der Einwand auch so fassen: Sagt der Relativist, es könnte auch Wesen geben, welche an diese Grundsätze nicht gebunden sind (und diese Be­ hauptung ist, wie leicht zu sehen, mit der oben formulierten rela­ tivistischen äquivalent), so meint er entweder, es könnten in den Urteilen dieser Wesen Sätze und Wahrheiten auftreten, wel­ che den Grundsätzen nicht gemäß sind; oder er meint, der Verlauf des Urteilens sei bei ihnen durch diese Grundsätze nicht psychologisch geregelt. Was das letztere anbelangt, so finden wir darin gar nichts Absonderliches, denn wir selbst sind solche Wesen. (Man erinnere sich an unsere Einwände gegen die psycho­ logistischen Interpretationen der logischen Gesetze. ) Was aber das erstere anbelangt, so würden wir einfach erwidern: Entweder esSinn;verstehen jene Wesen die Worte wahr und falsch in unserem dann ist keine vernünftige Rede davon, daß die Grundsätze gelten: sie gehören ja zu dem bloßen Sinn dieser Worte, nicht und zwar wie wir rsie12 verstehen. Wir würden in aller Welt nichts wahr oder falsch nennen, was ihnen widerstritte. Oder sie gebrauchen die Worte wahr und falsch in einem anderen r

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1 A : fLaxheitl . 2 A : fihnl .

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126 Sinne, und dann ist der ganze Streit ein Wortstreit. Nennen sie z.dieBwir . Bäume, was wir Sätze nennen, dann gelten die Aussagen, in Grundsätze fassen, natürlich nicht; aber sie verlieren dann ja auch den Sinn, in dem wir sie behaupten. Somit kommt der Relativismus darauf hinaus, daß er den Sinn des Wortes Wahr­ heit total ändert, aber doch Anspruch erhebt, von Wahrheit in dem Sinne zu sprechen, der durch die logischen Grundsätze festgelegt ist, und den wir alle, wo von Wahrheit die Rede ist, aus{ [[AB 11 11 99]] schließlich meinen. In einem Sinne gibt es nur eine Wahrheit, inÄquivokationen äquivokem Sinnezu schaffen aber natürlich so viel „ Wahrheiten", als man liebt. 3 . Die Konstitution der Spezies ist eine Tatsache; aus Tatsachen lassen sich immer wieder nur Tatsachen ableiten. Die Wahrheit relativistisch auf die Konstitution der Spezies gründen, das heißt also ihr den Charakter der Tatsache geben. Dies ist aber wider­ sinnig. Jede Tatsache ist individuell, also zeitlich bestimmt. Bei der Wahrheit gibt die Rede von zeitlicher Bestimmtheit nur Sinn mit Beziehung auf eine durch sie gesetzte Tatsache (falls sie eben Tatsachenwahrheit ist), nicht aber mit Beziehung auf sie selbst. Wahrheiten als Ursachen oder Wirkungen zu denken, ist absurd. Wir haben davon schon gesprochen. Wollte man sich darauf stützen, daß doch wie jedes Urteil auch das wahre aus der Konstitution des urteilenden Wesens auf Grund der zugehörigen Naturgesetze erwachse, so würden wir entgegnen: Man vermenge nicht das Urteil als Urteilsinhalt, d. i . als die ideale Einheit, mit dem einzelnen realen Urteilsakt. Die erstere ist gemeint, wo wir 4 " sprechen, welches dasselbe ist, von dem Urteil „2 2 ist wer immer es fällt. Man vermenge auch nicht das wahre Urteil, als den richtigen, wahrheitsgemäßen Urteilsakt, mit der Wahrheit dieses Urteils oder mit dem wahren Urteilsinhalt. Mein Urteilen, daß 2 2 4 ist, ist4 sicherlich kausal bestimmt, nicht aber4. dieHatWahrheit: 2 . (im Sinne des Anthropologismus) alle Wahrheit ihre ausschließliche Quelle in der allgemein menschlichen Konstitution, so gilt, daß wenn keine solche Konstitution bestände, auch keine Wahrheit bestände. Die Thesis dieser hypothetischen Be­ hauptung ist widersinnig; denn der Satz „es besteht keine WahrDER PSYCHOLOGISMUS

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127 heit" ist dem Sinne nach gleichwertig mit dem Satze „es besteht die Wahrheit, daß keine Wahrheit besteht". Die Widersinnigkeit der Thesis verlangt eine Widersinnigkeit der Hypothesis. Als Leugnung eines gültigen Satzes von tatsächlichem Gehalt kann sie aber wohl falsch, niemals aber widerl\sinnig sein. In der Tat { �AB 112020j die bekannten geologischen istundesphysikalischen noch niemandemTheorien, beigefallen, welche dem Menschengeschlechte inverwerfen. der Zeitlichkeit Anfang und Ende setzen, als absurd zu Folglich trifft der Vorwurf des Widersinns die ganze hypothetische Behauptung, da sie an eine dem Sinne nach ein­ stimmige („logisch mögliche") Voraussetzung eine widersinnige („logisch unmögliche") Folge knüpft. Derselbe Vorwurf trifft dann den auf Anthropologismus und überträgt sich natürlich die allgemeinere Form des Relativismus. 15 Nach dem Relativismus könnte sich auf Grund der Konsti­ tution einer Spezies die für sie gültige „Wahrheit" ergeben, daß solch eine Konstitution gar nicht existiere. Sollen wir also sagen, sieunsexistiere in Wirklichkeit nicht, oder sie existiere, aber nur Menschen? Wenn nun alle Menschen und alle Spezies urteilender Wesen bis auf die eben vorausgesetzte vergingen? Wir bewegen uns offenbar in Widersinnigkeiten. Der Gedanke, daß die Nichtexistenz einer spezifischen Konstitution ihren Grund habe inwahrheitgründende, dieser selben Konstitution, ist der klare Widerspruch; die also existierende Konstitution soll neben anderen Wahrheiten die ihrer eigenen Nichtexistenz begründen. -Nichtexistenz Die Absurdität ist nicht viel kleiner, wenn wir Existenz mit vertauschen und dementsprechend an Stelle jener fingierten, aber vom relativistischen Standpunkte aus möglichen Spezies, die menschliche zu grunde legen. Zwar jener Widerspruch, nicht aber der übrige mit ihm verwobene Widersinn verschwindet. Die Reiativität der Wahrheit besagt, daß, was wir Wahrheit nennen, abhängig sei von der Konstitution der Spezies und den sie regierenden Gesetzen. Die Abhängigkeit will und kann nur alsKonstitution kausale verstanden sein. Also müßte die Wahrheit, daß diese und diese Gesetze bestehen, ihre reale Erklärung daraus schöpfen, daß sie bestehen, wobei die Prinzipien, nach denen die Erklärung verliefe, mit eben diesen Gesetzen identisch ALS S K E P TI S C H E R RELATIVI S M U S

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128 wären -nichts Widersinn. Die Konstitution wäre �� :;: j { auf Grund von Gesetzen, die sich auf Grund von sich selbst kausieren würden usw. 6. Die Relativität der Wahrheit zieht die Relativität der Weltexistenz nach sich. Denn die Welt ist nichts anderes als die ge­ samte gegenständliche Einheit, welche dem idealen System aller Tatsachenwahrheit entspricht und von ihm runtrennbar11 ist. Man kann nicht die Wahrheit subjektivieren und ihren Gegen­ stand r(der nur ist, wenn die Wahrheit besteht)12 als absolut (an sich) seiend gelten lassen. Es gäbe also keine Welt an sich, sondern nur eine Welt für uns oder für irgendeine andere rzu­ fällige13 Spezies von Wesen. Das wird nun manchem trefflich passen; aber bedenklich mag er wohl werden, wenn wir darauf aufmerksam machen, daß zur Welt auch das Ich und seine Bewußtseinsinhalte gehören. Auch das „Ich bin" und „Ich erlebe dies und jenes" wäre eventuell falsch; gesetzt nämlich, daß ich soKonstitution konstituiertverneinen wäre, diesezu Sätze auf Grund meiner spezifischen müssen. Und es gäbe nicht bloß für diesen oder jenen, sondern schlechthin keine Welt, wenn keine rinkonstituiert der Weltwäre, faktische13 Spezies urteilender Wesen so glücklich eine Welt ( u nd darunter sich selbst) anerken­ nen zu müssen. Halten wir uns an die einzigen Spezies, die wir tatsächlich kennen, die animalischen, so bedingte eine Änderung ihrer Konstitution eine Änderung der Welt, wobei freilich, nach allgemein angenommenen Lehren, die animalischen Spezies Ent­ wicklungsprodukte der Welt sein sollen. So treiben wir ein artiges Spiel: Aus der Welt entwickelt sich der Mensch, aus dem Men­ schen die Welt; Gott schafft den Menschen, und der Mensch schafft Gott. Der wesentliche Kern dieses Einwandes besteht darin, daß der Relativismus auch in evidentem Widerstreit ist mit der Evidenz des unmittelbar anschaulichen Daseins, d. i . mit der Evidenz der „inneren Wahrnehmung" in dem berechtigten, dann aber auch nicht entbehrlichen Sinne. Die Evidenz der auf Anschauung be­ ruhenden Urteile wird mit Recht bestritten, sofern sie intentional D E R PSYCHOLOGISMUS

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1 A : runabtrennbar1 . 2 A : r (der nur in und vermöge der Wahrheit ist) l . 3 Zusatz von B.

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2 A 122] über den Gehalt des faktischen Bel wußt l s einsdatums hinausgehen. { [ Wirklich evident sind sie aber, wo ihre Intention auf ihn selbst [B 122] geht, in ihm, wie er ist, die Erfüllung findet. Dagegen streitet nicht die Vagheit aller dieser Urteile (man denke nur an die für kein unmittelbares Anschauungsurteil aufhebbare Vagheit der Zeitbestimmung und evtl. auch Ortsbestimmung). § 37. Die beiden Formen des Relativismus sind Spezialitäten des Relativismus in einem gewissen weitesten Sinn des Wortes, als einer Lehre, welche die rein logischen Prinzipien irgendwie aus Tatsachen ableitet. Tatsachen sind „zufällig", sie könnten eben­ sogut auch nicht sein, sie könnten anders sein. Also andere Tat­ sachen, andere logische Gesetze; auch diese wären also zufällig, siegegenüber wären nurwillrelativ zu den sie begründenden Tatsachen. Dem­ ich nicht bloß auf die apodiktische Evidenz der logischen Gesetze hinweisen, und was wir sonst in den früheren Kapiteln geltend gemacht haben, sondern auch auf einen anderen, hier bedeutsameren Punkt.* Ich verstehe, wie man schon aus dem Bisherigen entnimmt, unter rein logischen Gesetzen alle die Ideal­ gesetze, welche rein im Sinne (im „ Wesen", „Inhalt") der Begriffe Wahrheit, Satz, Gegenstand, Beschaffenheit, Beziehung, Ver­ knüpfung, Gesetz, Tatsache usw. gründen. Allgemeiner gespro­ chen, sie gründen rein im Sinne der Begriffe, welche zum Erbgut aller Wissenschaft gehören, weil sie die Kategorien von Bau­ steinen darstellen, aus welchen die Wissenschaft als solche, ihrem Begriffe nach, konstituiert !st. Gesetze dieser Art darf keine theo­ retische Behauptung, keine Begründung und Theorie verletzen; nicht bioß weil sie sonst falsch wäre dies wäre sie auch durch Widerstreit gegen eine beliebige Wahrheit sondern weil sie { [B[A 11 2323] ingegen sichPrinzipien widersinnigstreitet, wäre. dieZ.Bim. eineSinne Behauptung, deren Inl h alt ] der Wahrheit als solcher gründen, „hebt sich selbst auf". Denn behaupten ist aussagen, daß der und jener Inhalt in Wahrheit sei. Eine Begründung, die inhaltlich gegen die Prinzipien streitet, die im Sinne der BeALS S K E P T I S C H E R RELATIVI S M U S

Allgemeine Bemerkung. Der Begriff Relativismus in erweitertem Sinne

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• Vgl. den einleitenden § 32 dieses Kapitels, S. 1 1 0 ff.

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ziehung von Grund und Folge gründen, hebt sich selbst auf. Denn begründen heißt wieder aussagen, daß diese oder jene Beziehung von Grund und Folge bestehe usw. Eine Behauptung „hebt sich selbst auf", sie ist „logisch widersinnig", das heißt, ihr besonderer Inhalt (Sinn, Bedeutung) widerspricht dem, was die ihm zugehörigen Bedeutungskategorien allgemein fordern, was innunihrer allgemeinen Bedeutung allgemein gegründet ist. Es ist klar, daß in diesem prägnanten Sinne jede Theorie logisch widersinnig ist, welche die logischen Prinzipien aus irgendwelchen Tatsachen ableitet. Dergleichen streitet mit dem allgemeinen Sinn der Begriffe „logisches Prinzip" und „Tatsache"; oder um genauer und allgemeiner zu sprechen: der Begriffe „Wahrheit, die in dem bloßen Inhalt von Begriffen gründet" und „Wahrheit über individuelles Dasein". Man sieht auch ]eicht, daß die Einwände gegen die oben diskutierten relativistischen Theorien der Hauptsache nach auch den Relativismus im allgemeinsten Sinne beträfen. § 38. Der Psychologismus in allen seinen Formen

ein Relativismus 20

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Den Relativismus haben wir bekämpft, den Psychologismus haben wir natürlich gemeint. In der Tat ist der Psychologismus in allen seinen Abarten und individuellen Ausgestaltungen nichts anderes als Relativismus, nur nicht immer erkannter und aus­ drücklich zugestandener. Es ist dabei ganz gleich, ob er sich auf „Transzendentalpsychologie" stützt und als formaler Idealismus die Objektivität der Erkenntnis zu retten glaubt, oder ob er sich auf empirische Psycholoß-ie stützt und den Relativismus als unvermeidliches Fatum auf sich nimmt. {[A[B 11 2424]] Jede Lehre, welche die rein logischen Gesetze entweder nach Art der Empiristen als empirisch-psychologische Gesetze faßt oder sie nach Art der Aprioristen mehr oder minder mythisch zurückführt auf gewisse „ursprüngliche Formen" oder „Funk­ tionsweisen" des (menschlichen) Verstandes, auf das „Bewußt­ sein überhaupt" als (menschliche) „Gattungsvernunft", auf die „psychophysische Konstitution" des Menschen, auf den der als angeborene {allgemein menschliche) Anlage dem faktischen Denken und aller Erfahrung vorhergeht, u. dgl. - ist II

„intellec­

tus ipse",

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eo ipso relativistisch, und zwar von der Art des spezifischen Rela­ tivismus. Alle Einwände, die wir gegen ihn erhoben haben, treffen auch sie. Selbstverständlich muß man aber die zum Teil schillern­ den Schlagwörter des Apriorismus, z.B. Verstand, Vernunft, Be5 wußtsein, in j enem natürlichen Sinne nehmen, der rihnen1 1 eine wesentliche Beziehung zur menschlichen Spezies verleiht. Es ist der Fluch der hierhergehörigen Theorien, daß sie ihnen bald diese reale und bald eine ideale Bedeutung unterlegen und so ein un­ erträgliches Gewirr teils richtiger, teils falscher Sätze ineinander1 0 flechten. Jedenfalls dürfen wir die aprioristischen Theorien, so­ weit sie relativistischen Motiven Raum gönnen, auch dem Rela­ tivismus zurechnen. Allerdings, wenn ein Teil der kantianisieren­ den Forscher einige logische Grundsätze als Prinzipien „analyti­ scher Urteile" aus dem Spiel läßt, so beschränkt sich auch ihr 15 Relativismus (sc. auf das Gebiet der mathematischen und Natur­ erkenntnis) ; aber den skeptischen Absurditäten entgehen sie da­ durch nicht. Bleiben sie doch in dem engeren Kreise dabei, die Wahrheit aus dem allgemeinen Menschlichen, also das Ideale aus dem Realen, spezieller : die Notwendigkeit der Gesetze aus der 20 Zufälligkeit von Tatsachen herzuleiten. Doch hier interessiert uns noch mehr die extremere und konse­ quentere Form des Psychologismus, die von solcher Einschränkung nichts weiß. Ihr gehören die Hauptvertreter der englischen empiristischen, sowie der neueren deutschen Logik an, also For] [A 1 25 25 scher wie M i l l, B ain, W u n d t, S i g w a r t, E r d m a n n I und [B 1 25] L i p p s. Auf alle hiergehörigen Werke kritische Rücksicht zu nehmen, ist weder möglich noch wünschenswert. Doch darf ich, den reformatorischen Zielen dieser Prolegomena zu genügen, nicht die führenden Werke der modernen deutschen Logik übergehen, 30 vor allem nicht S i g w a r t s bedeutendes Werk, das wie kein zweites die logische Bewegung der letzten Jahrzehnte in die Bahn des Psychologismus gelenkt hat.

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§ 39. Der Anthropologismus in S i g w a r t s Logik

Vereinzelte Ausführungen von psychologistischem Klang und 35 Charakter finden wir als vorübergehende Mißverständnisse auch

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bei Denkern, welche in ihren logischen Arbeiten eine bewußt anti­ psychologistische Richtung vertreten. Anders bei Sigwart. Der Psychologismus ist bei ihm nicht eine unwesentliche und abfäll­ bare Beimischung, sondern die systematisch herrschende Grundauffassung. Ausdrücklich leugnet er gleich eingangs seines Werkes, „daß die Normen der Logik (die Normen, also nicht bloß die technischen Regeln der Methodenlehre, sondern auch die rein logischen Sätze, der Satz des Widerspruches, des Grundes usw. ) erkannt werden können anders, als auf Grundlage des Studiums der natürlichen Kräfte und Funktionsformen, welche durch jene Normen geregelt werden sollen."* Und dem entspricht auch die ganze Behandlungsweise der Disziplin. Sie zerfällt nach Sigwart inscheneinenTeil.analytischen, einen gesetzgebenden und einen techni­ Sehen wir von dem letzten, uns hier nicht interessierenden ab, so hat der analytische Teil „das Wesen der Funktion zu erforschen, für welche die Regeln gesucht werden sollen". Auf ihn baut sich der gesetzgebende Teil, der die „Bedingungen und Gesetze ihres normalen Vollzuges"** aufzustellen hat. Die „Forderung, daß unser Denken notwendig und allgemein gültig sei", ergibt, die nach allen ihren Bedingungen und Faktoren {tAB 11 2626� erkannte 1 Funktion des Urteils" 1 gehalten, „bestimmte Normen, welchen das Urteilen genügen muß". Und zwar konzentrieren sie sich in zwei Punkten: „Erstens, daß die Elemente des Urteils durchgängig bestimmt, d. h . begrifflich fixiert sind; und zweitens, daß der Urteilsakt selbst auf notwendige Weise aus seinen Voraus­ setzungen hervorgehe. Damit fällt in diesen Teil die Lehre von den Begriffen und Schlüssen als Inbegriff normativer Gesetze für die Bildung vollkommener Urteile."*** Mit anderen Worten, in diesen Teil gehören alle rein logischen Prinzipien und Lehrsätze (soweit sie überhaupt in den Gesichtskreis der traditionellen, wie der Sigwartschen Logik fallen), und darnach haben sie für Sigwart in der Tat eine psychologische Fundierung. Hiermit stimmt auch die Einzelausführung. Nirgends werden die rein logischen Sätze und Theorien und die objektiven Elemente, aus denen sie sich konstituieren, aus dem Flusse erkenntnis„an

• S i g w a r t, Logik, I", S. 22. •• a. a. 0., § 4, S. 16. • • • a. a. O., S. 20 f.

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psychologischer und erkenntnis-praktischer Forschung ausgelöst. Immer wieder ist von unserem Denken und seinen Funktio­ nen gerade dort die Rede, wo es gilt, im Gegensatz zu den psy­ chologischen Zufälligkeiten die logische Notwendigkeit und ihre ideale Gesetzmäßigkeit zu charakterisieren. Reine Grundsätze, wie der vom Widerspruch, vom Grunde, werden wiederholt als „Funktionsgesetze" oder als „fundamentale Bewegungs­ formen unseres Denkens"* u. dgl. bezeichnet. Beispiels­ weise lesen wir: „So gewiß die Verneinung in einer über das Seiende hinausgreifenden Bewegung des Denkens wurzelt, welche auch das Unvereinbare aneinander mißt, so gewiß kann Aristo­ teles mit seinem Prinzip nur die Natur unseres Denkens treffen wollen."** „Die absolute Gültigkeit des Prinzips des Widerspruchs und infolge davon der Sätze, welche eine verneinen'', ruht, so finden wir an einer anderen {[A[B 1271 1271 wir immer Stelle, „auf dem unmittelbaren Bewußtsein, daß dasselbe tun und tun werden, wenn wir verneinen . . . "*** Ähnliches gilt nach Sigwart für den Satz der Identität {als „Prinzip der Übereinstimmung") und jedenfalls auch für alle rein begriffliehen und spezieller rein logischen Sätze.**** Wir hören Äußerun­ wie die folgende: „Leugnet man . . . die Möglichkeit, etwas gen zuGedanken, erkennen,diewiewiresproduzieren: an sich ist;soistgiltdasdoch Seiende nur einer der das, daß wir eben denjenigen Vorstellungen die Objektivität beilegen, die wir mit dem Bewußtsein der Notwendigkeit produzieren, und daß, sobald wir etwas als seiend setzen, wir eben damit behaupten, daß alle anderen, wenn auch nur hypothetisch angenommenen, denken­ den Wesen von derselben Natur wie wir es mit derselben . Notwendigkeit produzieren müßten."***** Dieselbe anthropologistische Tendenz zieht sich durch alle Ausführungen, welche sich auf die logischen Grundbegriffe und contra-

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a. a. 0., S. 1 84. Vgl. auch den ganzen Zusammenhang S. 1 84 f. •• a. a. 0„ S. 253. • • • a. a. 0., S. 386. •••• Vgl. a. a. O., S. 4 1 1 : „Diese Sätze müßten a priori gewiß sein, in dem Sinne, daß

wir in ihnen n u r e i n e r k o n s t a n t e n u n d u n a b w e i s l i c h e n F u n k t i o n u n s e r e s D e n k e n s bewußt würden . . . " Ich darf diese Stelle zitieren, obschon sie i m Zu­ sammenhang nicht unmittelbar auf die logischen Grundsätze bezogen ist. Dazu be­ rechtigt der gesamte Sinn der Ausführungen (sub 2, § 4 8) und der ausdrücklich ver­ gleichende Hinweis auf den Satz vom Widerspruch auf derselben zitierten Seite. ••••• a. a. 0., S. 7 f.

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zunächst auf den Begriff der Wahrheit beziehen. Es ist z. B . nach Sigwart „eine Fiktion . . . als könne ein Urteil wahr sein, abgesehen davon, daß irgendeine Intelligenz dieses Urteil denkt". Soumdeutet. kann doch nur sprechen, wer die Wahrheit psychologistisch Nach Sigwart wäre es also auch eine Fiktion, von Wahrheiten zu sprechen, die an sich gelten und doch von niemand erkannt sind, z. B . von solchen, welche die menschliche Erkennt­ nisfähigkeit überschreiten. Zum mindesten der Atheist dürfte so nicht sprechen, der an übermenschliche Intelligenzen nicht glaubt, und wir selbst erst nach dem Beweise für die Existenz solcher {�AB 1 Intelligenzen. Das Urteil, das die Gravitationsformel ausdrückt, wäre rvor11 Newton nicht wahr gewesen. Und so wäre es, genau besehen, eigentlich widerspruchsvoll und überhaupt falsch: Offenbar gehört ja die unbedingte Geltung für alle Zeit mit zur Intention seiner Behauptung. Ein näheres Eingehen auf die mannigfachen Ausführungen Sigwarts über den Begriff der Wahrheit würde größere Um­ ständlichkeit erfordern, die wir uns hier versagen müssen. Es würde jedenfalls bestätigen, daß wir die oben zitierte Stelle in der Tat beim Wort nehmen dürfen. Für Sigwart löst sich die Wahrheit in Bewußtseinserlebnisse auf, und somit ist trotz aller Rede von einer objektiven Wahrheit die echte Objektivität der­ selben, die in ihrer überempirischen Idealität ruht, aufgegeben. Die Erlebnisse sind reale Einzelheiten, zeitlich bestimmt, werdend und vergehend. Die Wahrheit aber ist „ewig" oder besser: sie ist eine Idee, und als solche überzeitlich. Es hat keinen Sinn, ihr eine Stelle in der Zeit oder eine, sei es auch durch alle Zeiten sich hin­ durcherstreckende Dauer anzuweisen. Allerdings sagt man auch von der Wahrheit, daß " s ie uns gelegentlich „zum Bewußtsein komme" und so von uns „erfaßt'', „erlebt" werde. Aber von Erfassen, Erleben und Bewußtwerden ist hier, in Beziehung auf dieses ideelle Sein, in ganz anderem Sinne die Rede, als in Be­ ziehung auf das empirische, d. i . das individuell vereinzelte Sein. Die Wahrheit „erfassen" wir nicht wie einen empirischen Inhalt, der im Flusse psychischer Erlebnisse auftaucht und wieder ver­ schwindet; sie ist nicht Phänomen unter Phänomenen, sondern sie ist Erlebnis in jenem total geänderten Sinn, in dem ein AllgeII

1 In A gesperrt.

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meines, eine Idee ein Erlebnis ist. Bewußtsein haben wir von ihr, so wie wir von einer Spezies, z.B. von „dem" Rot, im allgemeinen Bewußtsein haben. Ein Rotes haben wir vor Augen. Aber das Rote ist nicht die 5 Spezies Rot. Das Konkretum hat die Spezies auch nicht als („psychologischen'', „metaphysischen") Teil in sich. Der Teil, [A dies unselbständige Rotmoment, ist wie das konkrete I I Ganze [B ein Individuelles, ein Hier und Jetzt, mit und in ihm bestehend und vergehend, in verschiedenen roten Objekten gleich, nicht 10 identisch. Die Röte aber ist eine ideale Einheit, bei der die Rede von Entstehen und Vergehen widersinnig ist. Jener Teil ist nicht Röte, sondern ein Einzelfall von Röte. Und wie die Gegenstände verschieden sind, die allgemeinen verschieden von den einzelnen, so auch die Akte der Erfassung. Es ist etwas total Verschiedenes, 15 im Hinblick auf das anschauliche Konkretum die empfundene Röte, diesen hier und j etzt seienden Einzelzug zu meinenl, und wieder die Spezies Röte zu meinen (wie in der Aussage : die Röte ist eine Farbe) . Und so, wie wir, auf das Konkret-Einzelne hin­ blickend, doch nicht dieses, sondern das Allgemeine, die Idee 20 meinen, so gewinnen wir im Hinblick auf mehrere Akte solcher Ideation die evidente Erkenntnis von der Identität dieser idealen, in den einzelnen Akten gemeinten Einheiten. Und es ist Identität im echten und strengsten Sinne : es ist d i e s e l b e Spezies, oder es sind Spezies d e r s e l b e n Gattung u. dgl. 25 So ist nun auch die Wahrheit eine Idee, wir erleben sie wie j ede andere Idee in einem Akte auf Anschauung gegründeter Ideation (es ist dies hier natürlich der Akt der Einsieht) und gewinnen auch von ihrer identischen Einheit gegenüber einer verstreuten Mannig­ faltigkeit von konkreten Einzelfällen (d.i. hier von evidenten 30 Urteilsakten) in der Vergleichung Evidenz. Und wie das Sein oder Gelten von Allgemeinheiten auch sonst den Wert von i d e a l e n M ö g l i c h k e i t e n besitzt - nämlich i n Hinsicht auf das mögliche Sein von empirischen Einzelheiten, die unter j ene Allgemeinheiten fallen - so sehen wir dasselbe auch hier : die Aussagen „die 35 Wahrheit gilt" und „es sind denkende Wesen m ö g l i ch, welche Urteile des bezüglichen Bedeutungsgehaltes einsehen", sind von gleichem Werte. Gibt es keine intelligenten Wesen, sind sie durch

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In A folgt : r(wie in der psychologischen Analyse)1 .

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DER PSYCHOLOGISMUS

die Naturordnung ausgeschlossen, also r e a l unmöglich - oder gibt es für gewisse Wahrheitsjklassen keine Wesen, die ihrer [A Erkenntnis fähig sind - dann 1 bleiben diese i d e a l e n Mög- [B lichkeiten ohne erfüllende Wirklichkeit ; das Erfassen, Erkennen, 5 Bewußtwerden der Wahrheit (bzw. gewisser Wahrheitsklassen) ist dann nie und nirgend realisiert. Aber j ede Wahrheit an sich bleibt, was sie ist, sie behält ihr ideales Sein. Sie ist nicht „irgend­ wo im Leeren", sondern ist eine Geltungseinheit im unzeitlichen Reiche der Ideen. Sie gehört zum Bereich des absolut Geltenden, 1 0 in den wir zunächst all das einordnen, von dessen Geltung wir E i n s i c h t haben oder zum mindesten begründete Vermutung, und zu dem wir weiterhin auch den für unser Vorstellen vagen Kreis des indirekt und unbestimmt als geltend Vermuteten rech­ nen, also dessen, was gilt, während wir es noch nicht erkannt haben 1 5 und vielleicht niemals erkennen werden. In diesen Beziehungen dringt S i g w a r t, wie mir scheinen will, zu einer klaren Position nicht durch. Die Obj ektivität der Wahr­ heit möchte er retten und sie in dem subjektivistischen Phäno­ menalismus nicht untersinken lassen. Fragen wir aber nach dem 20 Wege, auf dem S i g w a r t s psychologische Erkenntnistheorie zur Objektivität der Wahrheit glaubt durchdringen zu können, so stoßen wir auf Äußerungen wie die folgende : „Die Gewißheit, daß es bei einem Urteile bleibt, daß die Synthese unwiderruflich ist, daß ich immer dasselbe sagen werde* - diese Gewißheit kann 25 nur dann vorhanden sein, wenn erkannt ist, daß die Gewißheit nicht auf m o m e n t a n e n und mit der Zeit w e c h s e l n d e n p s y­ c h o l o g i s c h e n M o t i v e n ruht, sondern auf e t w as, w a s j e d e s­ m a l, w e n n i c h d e n k e, u n a b ä n d e r l i c h d a s s e l b e und von allem Wechsel unberührt"ist ; und dies ist einerseits m e i n S e l b s t30 b e w u ß t s e i n s e l b s t, die Gewißheit Ich bin und denke, die Gewißheit Ich bin Ich, derselbe, der j etzt denkt und früher gedacht hat, der dieses 1 und j enes denkt ; und andererseits das, [A worüber ich urteile, 1 d a s G e d a c h t e s e l b s t n a c h s e i n e m [B g l e i c h b l e i b e n d e n, v o n m i r i n s e i n e r I d e n t i t ä t a n e r-

• Kann ich das je mit Sicherheit behaupten ? Die Unwiderruflichkeit betrifft nicht das Faktische, sondern das Ideale. Nicht „die Gewißheit des Urteils ist eine unverän­ derliche" (wie es bei S i g w a r t kurz vorher heißt), sondern eben die G ü l t i g k e i t bzw. Wahrheit.

1 30] 1 30]

131] 131]

ALS S K E P TI S C H E R RELATI V I S M U S

1 37

k a n n t e n I n h alt, der ganz unabhängig von den individuellen Zuständen des Denkenden ist."* Ein konsequent relativistischer Psychologismus wird hier na­ türlich antworten : Nicht bloß das von Individuum zu Indivi5 duum Wechselnde, sondern auch das in allen Konstante, also der überall gleichbleibende Inhalt und die ihn beherrschenden kon­ stanten Funktionsgesetze sind psychologische Tatsachen. Gibt es solche allen Menschen wesentlich gemeinsamen Züge und Ge­ setze, so machen sie das Spezifische der menschlichen Natur aus. 1 0 Demnach hat alle Wahrheit als Allgemeingültigkeit Beziehung zur menschlichen Spezies, oder allgemeiner, zur j eweiligen Spezies denkender Wesen. Andere Spezies - andere Denkgesetze, andere Wahrheiten. rwir1 1 unsererseits würden nun aber sagen : Allgemeingleich1 5 heit nach Inhalt und konstanten Funktionsgesetzen (als Natur­ gesetzen für die Erzeugung des allgemeingleichen Inhalts) macht keine echte Allgemeingültigkeit, die vielmehr in der Idealität ruht. Sind alle Wesen einer Gattung ihrer Konstitution nach zu gleichen Urteilen genötigt, so stimmen sie miteinander empirisch 20 überein ; aber im idealen Sinne der über alles Empirische erhabe­ nen Logik können sie dabei doch statt einstimmig vielmehr wider­ sinnig urteilen. Die Wahrheit durch Beziehung auf die Gemein­ samkeit der Natur bestimmen, heißt ihren Begriff aufgeben. Hätte die Wahrheit eine wesentliche Beziehung zu denkenden 25 Intelligenzen, ihren geistigen Funktionen und Bewegungsformen, so entstände und verginge sie mit ihnen, und wenn nicht mit den Einzelnen, so mit den Spezies. Wie die echte Objektivität der Wahrheit wäre auch die des Seins dahin, selbst die des subjektiven Seins, bzw. des Seins der Subj ekte. Wie wenn z.B. die denkenden 30 Wesen insgesamt unfähig wären, ihr eigenes Sein als wahrhaft seiend J zu setzen ? Dann wären sie und wären auch nicht. Wahr- [A 1 32] heit J und Sein sind beide im gleichen Sinne „Kategorien" und [B 1 32] offenbar korrelativ. Man kann nicht Wahrheit relativieren und an der Objektivität des Seins festhalten. Freilich setzt die .Rela35 tivierung der Wahrheit doch wieder ein objektives Sein als Bezie hungspunkt voraus - darin liegt j a der relativistische Widerspruch. • a. a. 0., § 39, 2, S. 3 1 0.

1 In A gesperrt.

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25

30

DER PSYCHOLOGISMUS

In Harmonie mit S i g w a r t s sonstigem Psychologismus finden wir seine Lehre vom Allgemeinen, die hierher gehört, da die Idealität der Wahrheit durchaus die Idealität des Allgemeinen, des Begrifflichen voraussetzt. Gelegentlich lesen wir die scherzhafte Äußerung, „das Allgemeine 1als solches [existiere] nurl l in unserem Kopfe ' ' , * und in ernsthafter Ausführung, das „begriff­ lich Vorgestellte" sei „ein rein inneres, . . . von nichts als von der inneren Kraft unseres Denkens abhängiges".** Unzweifelliaft kann man dergleichen von unserem begrifflichen Vorstellen sagen, als einem subjektiven Akt von dem und dem psychologischen Gehalt. Aber das „Was" dieses Vorstellens, der Begriff, kann in keinem Sinne als reelles Stück des psychologischen Gehalts ge­ faßt werden, als ein Hier und Jetzt mit dem Akte kommend und verschwindend. Es kann im Denken gemeint, aber nicht im Denken erzeugt sein. Dieselbe Relativierung wie bei dem Wahrheitsbegriff vollzieht S i gw a r t konsequenterweise auch bei den mit j enem so nahe zusammenhängenden Begriffen G r u n d und N o t w e n di g k e i t. „Ein logischer Grund, den wir nicht kennen, ist streng genommen ein Widerspruch, denn er wird erst ein logischer Grund da­ durch, daß wir ihn kennen."*** Die Aussage, daß die mathema­ tischen Lehrsätze ihren Grund haben in den mathematischen Axiomen, beträfe also „streng genommen" eine Sachlage von menschlich-psychologischem Inhalt. Dürften wir noch behaupten, daß sie gilt, ob überhaupt j emand ist, gewesen ist und sein wird, [A 1 33] der sie erkennt ? Die gewöhnliche I I Rede, welche solchen Verhält[B 1 33] nissen zwischen Grund und Folge Objektivität verleiht, indem sie von ihrer E n t d e c k u n g spricht, wäre danach eine verkehrte. So sehr sich S i g w a r t ·b emüht, die wesentlich unterschiedenen Begriffe des Grundes zu sondern, und so viel Scharfsinn er darin bekundet (wie wir dies bei einem so bedeutenden Forscher nicht anders erwarten können), die psychologistische Richtung seines

{

ra. a. 0., S. 1 03, Anm. l • •• a. a. 0., § 45, 9, S. 388. • • • a. a. 0., § 32, 2, S. 248. •

1 A : 'seil . Die Veränderung in B entspricht dem zitierten Original und den „Berichtigungen" zu A. 2 Zusatz von B entsprechend den „Berichtigungen" zu A.

A L S SKEPTISCHER RELATIVI S M U S

1 39

Denkens hindert ihn doch, die wesentlichste Scheidung zu voll­ ziehen, welche eben die scharfe Sonderung zwischen Idealem und Realem voraussetzt. Wenn er den „logischen Grund" oder „Grund der Wahrheit" dem „psychologischen Grund der Gewiß5 heit" gegenüberstellt, so findet er ihn doch nur in einer gewissen Allgemeingleichheit des Vorgestellten, „weil nur dieses, nicht die individuelle Stimmung usw. ein für alle Gemeinsames sein kann" ; wogegen wir unsere obigen Bedenken nicht zu wiederholen brauchen.

10

Die fundamentale Sonderung zwischen G r u n d d e r Wahrheit, der das r e i n Logische, und G r u n d d e s Urteils, der das n o r m a t i v Logische angeht, müssen wir bei Sigwart vermissen. Auf der einen Seite hat eine Wahrheit (nicht das Urteil, sondern die ideale Gel­ tungseinheit) einen Grund, das heißt hier, in äquivalenter Redeweise, 1 5 es gibt einen theoretischen Beweis, der sie auf ihre (objektiven, theo­ retischen) Gründe zurückführt. Einzig und allein auf diesen Sinn be­ zieht sich der Satz vom Grunde. Und für d i e s e n Begriff des Grundes gilt es durchaus nicht, daß jedes Urteil einen Grund habe, geschweige denn, daß jedes einen solchen „implicite mitbehaupte". Jedes letzte 20 Begründungsprinzip, also jedes echte Axiom, ist in diesem Sinne grundlos, wie in entgegengesetzter Richtung auch jedes Tatsachen­ urteil. Nur die Wahrscheinlichkeit einer Tatsache kann begründet sein, nicht sie selbst bzw. das Tatsachenurteil. Auf der anderen Seite meint der Ausdruck „Grund d e s U r t eils" - wofern wir absehen von den 25 psychologischen „Gründen", d. i. Ursachen der Urteilsfällung und speziell auch von den inhaltlichen Motiven derselben* - nichts anderes [A 1 34] als 1 l o g i s c h e s 1 R e c h t d e s Urt eils. In diesem Sinne „bean[B 1 34] sprucht" jedes Urteil allerdings sein Recht (obschon es nicht unbedenklich wäre zu sagen, daß es „implicite mitbehauptet" würde) . Das 30 heißt : an jedes ist die Forderung zu stellen, daß es als wahr behaupte, was wahr sei ; und als Techniker der Erkenntnis, als Logiker im ge­ wöhnlichen Sinne, müssen wit an das Urteil auch mit Beziehung auf die weitergehende Erkenntnisbewegung mancherlei Forderungen stel­ len. Sind sie nicht erfüllt, so tadeln wir das Urteil als logisch unvoll35 kommen, als „unbegründet" ; letzteres allerdings mit einer gewissen Überspannung des gemeinen Wortsinns.

{

40

Ähnliche Bedenken erregen uns S i g w a r t s Ausführungen über Notwendigkeit. Wir lesen : „Aller logischen Notwendigkeit [muß] doch zuletzt ein s e i e n d e s denkendes Subjekt, dessen Natur es ist, so zu denken, vorausgesetzt werden, solange wir verständlich * Vgl. S i g w a r t s treffliche Sonderung zwischen Veranlassung der Verknüpfung und Grund der Entscheidung, a. a. 0„ S. 250.

1 40

DER P S Y C H O L O G I S M U S

reden wollen."* Oder man verfolge die Ausführungen über den Unterschied der assertorischen und apodiktischen Urteile, den S i g w a r t für einen unwesentlichen erachtet, „sofern in j e d e m mit vollkommenem Bewußtsein ausgesprochenen Urteil die Not5 wendigkeit, es auszusprechen, mitbehauptet werde".** Die total verschiedenen Begriffe von Notwendigkeit ermangeln bei S i g­ w a r t der wechselseitigen Absonderung. Die subjektive Not­ wendigkeit, d.h. der subjektive Zwang der Überzeugung, welcher j edem Urteil anhaftet (oder vielmehr bei j edem Urteil dann her1 0 vortritt, wenn wir, von ihm noch durchdrungen, sein Gegenteil zu vollziehen suchen) , wird nicht klar unterschieden von den ganz anderen Notwendigkeitsbegriffen, zumal von der apodiktischen Notwendigkeit, als dem eigenartigen Bewußtsein, in dem sich das einsichtige Erfassen eines G e s e t z e s oder eines Gesetz m ä ß i g e n 1 5 konstituiert. Dieser letztere (eigentlich zwiefache) Begriff von Notwendigkeit fehlt bei S i g w a r t im Grunde genommen ganz. Zugleich übersieht er die fundamentale Äquivokation, welche es gestattet, nicht bloß das apodiktische Notwendigkeits b e w u ß t- A [ 1 35] s e i n, sondern sein o b j e k t i v e s K o rr e l l a t - nämlich 1 das [B 1 35] 20 G e s e t z, bzw. das Gelten gemäß dem Gesetze, von dem wir in j enem Bewußtsein Einsicht haben - als notwendig zu bezeich­ nen. So erst gewinnen j a die Ausdrücke „es ist eine Notwendig­ keit'' und „es ist ein Gesetz" ihre objektive Gleichwertigkeit, und desgleichen die Ausdrücke „es ist notwendig", daß SP sei, und 25 „es ist nach Gesetzen begründet", daß SP sei. Und natürlich ist es dieser letzte r e i n o b j e k t i v e und i d e a l e Begriff, der allen apodiktischen Urteilen i m objektiven Sinne der reinen Logik zugrunde liegt ; er allein beherrscht und konstituiert alle theoretische Einheit; er bestimmt die Bedeutung des hypo30 thetischen Zusammenhanges als einer objektiv-idealen Wahr­ heitsform von Sätzen, er bindet den Schlußsatz als „notwendige" (ideal-gesetzliche) Folge an die Prämissen. Wie wenig S i g w a r t diesen Unterschieden gerecht wird, wie sehr er im Psychologismus befangen ist, das zeigen zumal seine 35 Auseinandersetzungen über L e i b n i z ens fundamentale Schei­ dung in „verites de raison et celles de fait". Die „Notwendigkeit"

{

• a. a. 0., § 33, 7, S. 262. • • a. a. 0., § 3 1 , 1, S. 230

ff.

ALS S KEPTI S C H E R RELATIV I S M U S

1 41

beider Arten ist, meint S i g w a r t, „zuletzt eine hypothetische", denn „daraus, daß das Gegenteil einer tatsächlichen Wahrheit nicht a priori u n m ö g l i c h ist, folgt nicht, daß es für mich nicht notwendig wäre, das Faktum zu behaupten, nachdem es ge5 schehen ist, und daß die entgegengesetzte Behauptung für den möglich wäre, der das Faktum kennt" ;* und wieder : „auf der anderen Seite ist das Haben der allgemeinen Begriffe, auf denen die identischen Sätze ruhen, zuletzt ebenso etwas Faktisches, was da sein muß, ehe das Prinzip der Identität darauf angewandt 1 0 werden kann, um ein notwendiges Urteil zu erzeugen" . Und so glaubt er schließen zu dürfen, daß sich die L e i b n i z'sche Unter­ scheidung „hinsichtlich des Charakters der Notwendigkeit auf­ löse".** Was hier rzu Anfang1 1 geltend gemacht wird, ist freilich richtig. 1 5 Für mich zu behaupten notwendig ist j edes Urteil, während ich es fälle, und sein Gegenteil, während ich seiner noch gewiß bin, zu leugnen, ist mir unmöglich. Aber ist es diese psychologische Not[B 1 36] lwendigkeit, 1 welche L e i b n i z meint, wenn er den Tatsachen[A 1 36] wahrheiten die Notwendigkeit - die Rationalität abstreitet ? 20 Wieder ist es sicher, daß kein Gesetz erkannt werden kann, ohne das Haben der allgemeinen Begriffe, aus denen es sich aufbaut. Gewiß ist dieses Haben, wie die ganze Gesetzeserkenntnis, etwas Faktisches. Aber hat denn L e i b n i z das Erkennen des Gesetzes und nicht vielmehr die erkannte Gesetzeswahrheit als notwendig 25 bezeichnet ? Verträgt sich mit der Notwendigkeit der verite de raison nicht sehr wohl die Kontingenz des Urteilsaktes, indem sie evtl. zu einsichtiger Erkenntnis kommen mag ? Nur durch Vermengung der beiden wesentlich verschiedenen Begriffe von Notwendigkeit, der subjektiven des Psychologismus und der ob30 j ektiven des L e i b n i z schen Idealismus, kommt in S i g w a r t s Argumentation der Schluß zustande, daß sich j ene Unterschei­ dung L e i b n i z ens „hinsichtlich des Charakters der Notwendigkeit auflöse". Dem fundamentalen objektiv-idealen Unterschied zwi­ schen Gesetz und Tatsache entspricht unweigerlich ein subjekti35 ver in der Weise des Erlebens. Hätten wir nie das Bewußtsein der

{



••

a. a. 0„ § 3 1 , 6, S. 239 f. Die beiden letzten Zitate a. a . 0., S. 239 f.

1 Zusatz von B.

1 42

DER PSYCHOLOGISMUS

Rationalität, des Apodiktischen erlebt in seiner charakteristi­ schen Unterschiedenheit vom Bewußtsein der Tatsächlichkeit, so hätten wir gar nicht den Begriff von Gesetz, wir wären unfähig zu unterscheiden : Gesetz von Tatsache ; generelle (ideale, gesetz5 liehe) Allgemeinheit von universeller (tatsächlicher, zufälliger) Allgemeinheit ; notwendige (d.h. wiederum gesetzliche, generelle) Folge von tatsächlicher (zufälliger, universeller) Folge ; all das, wofern es wahr ist, daß Begriffe, die nicht als Komplexionen be­ kannter Begriffe (und zwar als Komplexionen bekannter Kom1 0 plexionsformen) gegeben sind, uns ursprünglich nur erwachsen sein können rauf Grund der Anschauung1 1 von Einzelfällen. L e i b n i z ens verites de raison sind nichts anderes als die Gesetze, und zwar im strengen und reinen Sinn der idealen Wahrheiten, die „rein in den Begriffen gründen'', die uns gegeben und rvon 15 uns1 2 erkannt sind in apodiktisch evidenten, reinen Allgemein­ heiten. L e i b n i z ens verites de fait sind rane übrigen1 s Wahrhei­ ten, es ist die Sphäre der Sätze, welche über rindividuelle1 4 Existenz aussagen, mögen sie für uns auch die Form „allgemei­ ner" Sätze haben, wie „alle Südländer sind heißblütig" . § 40. Der Anthropologismus in B. E r d m a n n s Logik

20

Eine ausdrückliche Erörterung der relativistischen Konse­ quenzen, die in seiner ganzen Behandlung der logischen FundaA 1 37 l l mentalbegriffe und -probleme beschlossen sind, finden wir bei B 1 37 S i g w a r t nicht. Dasselbe gilt von W u n dt. Obschon W u n d t s 2 5 Logik den psychologischen Motiven einen womöglich noch freie­ ren Spielraum gewährt als diejenige S i gw a r t s und ausgedehnte erkenntnistheoretische K apitel enthält, so werden in ihr die letzten prinzipiellen Zweifel kaum berührt. Ähnliches gilt von L i p p s, dessen Logik den Psychologismus übrigens so originell 30 und konsequent vertritt, so sehr allen Kompromissen abhold, so tief bis in alle Verzweigungen der Disziplin durchgeführt, wie wir es seit B e n e k e kaum wieder finden.

{

1 A : rim Erlebnisl .

2 Zusatz von B. B: findividuelle 1. Setzfehler ; vgl. folgende Anmerkung. 4 B : ralle übrigen1 . Setzfehler ; vgl. vorangehende Anmerkung. 3

� �

ALS S K E PTI S C H E R RELATIVI S M U S

1 43

Ganz anders liegt die Sache bei E r d m a nn. In lehrreicher Folgerichtigkeit tritt er in einer längeren Ausführung für den Relativismus entschieden ein, und durch Hinweis auf die Mög­ lichkeit der Ä n d e r u n g der Denkgesetze glaubt er der „Vers messenheit" begegnen zu müssen, „die da meint, an diesem Punkte die Grenzen unseres Denkens überspringen, einen Stand­ ort für uns außerhalb unserer selbst gewinnen zu können".* Es wird nützlich sein auf seine Lehre näher einzugehen. E r d m a n n beginnt mit der Widerlegung des gegnerischen 1 0 Standpunktes. „Mit überwiegender Majorität" , so lesen wir,* * „ist seit A r i s t o t e l e s behauptet worden, daß die Notwendig­ keit dieser [logischen] Grundsätze eine unbedingte, ihre Geltung also eine ewige sei . . . . „Der entscheidende Beweisgrund dafür wird in der Denkun1 5 möglichkeit der widersprechenden Urteile gesucht. Indessen folgt aus ihr allein doch nur, daß j ene Grundsätze das Wesen unseres Vorstellens und Denkens wiedergeben. Denn lassen sie dieses erkennen, so können ihre kontradiktorischen Urteile nicht voll­ ziehbar sein, weil sie eben die Bedingungen aufzuheben suchen, 20 an die wir in allem unserem Vorstellen und Denken, also auch in unserem Urteilen gebunden sind." A 1 38 I I Zunächst einige Worte über den Sinn des Argumentes. Es �B 1 38 scheint zu schließen : Aus der Unvollziehbarkeit der Leugnung j ener Grundsätze folgt, daß sie das Wesen unseres Vorstellens und 25 Denkens wiedergeben ; denn wenn sie es tun, so ergibt sich j ene Unvollziehbarkeit als notwendige Folge. Dies kann nicht als Schluß gemeint sein. Daß A aus B folgt, kann ich nicht daraus erschließen, daß B aus A folgt. Die Meinung ist offenbar nur die, daß die Unmöglichkeit, die iogischen Grundsätze zu leugnen, ihre 30 Erklärung darin finde, daß diese Grundsätze „das Wesen unseres Vorstellens und Denkens wiedergeben". Mit dem Letzteren wie­ derum ist gesagt, daß sie Gesetze sind, welche feststellen, was dem allgemein menschlichen Vorstellen und Denken als solchem zu­ kommt, „daß sie Bedingungen angeben, an die wir in allem 3 5 unserem Vorstellen und Denken gebunden sind". Und darum, "

{

• B. E r d m a n n, Logik, 1 1, §

•• a. a. 0., Nr. Reihe nach an.

369, S. 375.

60, Nr. 370, S. 378 u. f. Die weiter unten folgenden Zitate schließen sich der



1 44

D E R P S Y C H O L O GI S M U S

weil sie dies tun, sind kontradiktorisch sie leugnende Urteile - wie E r d m a n n annimmt - unvollziehbar. Aber weder kann ich diesem Schluß beistimmen, noch den Behauptungen, aus denen er sich zusammensetzt. Es erscheint

5

mir als sehr wohl möglich, daß gerade vermöge der Gesetze, denen alles Denken eines Wesens (z.B. eines Menschen) untersteht,

in

individuo Urteile zutage treten, welche die Geltung dieser Gesetze leugnen. Die Leugnung dieser Gesetze w i d e r s p r i c h t i h r e r B e h a u p t u n g; aber die Leugnung als r e a l e r A k t kann sehr

10

wohl verträglich sein mit der objektiven Geltung der Gesetze bzw. mit der realen Wirksamkeit der Bedingungen, über welche das Gesetz eine allgemeine Aussage macht. Handelt es sich beim Widerspruch um ein ideales Verhältnis von Urteilsinhalten, so handelt es sich hier um ein realesVerhältnis zwischen dem Urteils-

15

akt und seinen gesetzlichen Bedingungen. Angenommen, es wären die Gesetze der Ideenassoziation Grundgesetze des menschlichen Vorstellens und Urteilens, wie die Assoziationspsychologie in der Tat lehrte, wäre es dann eine als absurd zu verwerfende Unmög­ lichkeit, daß ein U r t e i l, das diese Gesetze leugnete, sein Dasein

20

gerade der Wirksamkeit dieser Gesetze verdankte? (Vgl. oben s. 67f. ) .

II

Aber selbst wenn der Schluß richtig wäre, seinen Zweck { [A 1 39] müßte er verfehlen. Denn der logische Absolutist (sit venia verbo) [ B 1 39] wird mit Recht einwenden : Die D e n k g e s e t z e, von welchen 25 E r d m a n n spricht, sind entweder nicht diejenigen, von welchen ich und alle Welt spricht, und dann trifft er gar nicht meine These; oder er legt ihnen einen Charakter bei, der ihrem klaren Sinn durchaus widerstreitet. Und abermals wird er einwenden: Die D e n k u n m ö g l i c h k e i t für die Negationen dieser Gesetze,

30

welche sich aus ihnen als Folge ergeben soll, ist entweder dieselbe, die ich und alle Welt darunter verstehen, dann spricht sie für meine Auffassung; oder sie ist eine andere, dann bin ich abermals nicht getroffen. Was das E r s t e anlangt, so drücken die logischen Grundsätze

35

nichts weiter aus, als gewisse Wahrheiten, die im bloßen Sinn (Inhalt) gewisser Begriffe, wie Wahrheit, Falschheit, Urteil (Satz) u. dgl. gründen. Nach E r d m a n n sind sie aber „D e n k gesetze", welche das Wesen

unseres

menschlichen

Denkens aus­

drücken; sie nennen die Bedingungen, an welche alles m e n s c h-

ALS S K E PTI S C H E R RELAT I V I S M U S

1 45

l i e h e Vorstellen und Denken gebunden ist, sie würden sich, wie gleich nachher expressis verbis gelehrt wird, mit der mensch­ lichen Natur verändern. Folglich hätten sie nach E r d m a n n einen realen Inhalt. Aber dies widerspricht ihrem Charakter als 5 rein begrifflichen Sätzen. Kein Satz, der in bloßen Begriffen! gründet, der bloß feststellt, was in den Begriffen liegt und mit ihnen gegeben ist, sagt etwas über Reales aus. Und man braucht nur auf den wirklichen Sinn der logischen Gesetze hinzublicken, um zu erkennen, daß sie dies auch nicht tun. Selbst wo in ihnen 10 von U r t e i l e n die Rede ist, meinen sie nicht das, was die psy­ chologischen Gesetze mit diesem Worte treffen wollen, nämlich Urteile als reale Erlebnisse, sondern sie meinen Urteile in dem Sinne von Aussagebedeutungen in specie, die identisch sind, was sie sind, ob sie wirklichen Akten des Aussagens zugrunde liegen 15 oder nicht, und wieder ob sie von dem oder j enem ausgesagt werden. Sowie man die logischen Prinzipien 1 als Realgesetze auf- [A 1 40] faßt, die in der Weise von Natur l gesetzen unser reales Vorstellen [B 1 40] und Urteilen regeln, verändert man total ihren Sinn - wir haben dies oben ausführlich erörtert. 20 Man sieht, wie gefährlich es ist, die logischen Grundgesetze als Denkgesetze zu bezeichnen. Sie sind es, wie wir im nächsten Kapitel noch genauer darlegen werden, nur in dem Sinne von Gesetzen, die bei der Normierung des Denkens eine Rolle zu spielen berufen sind ; eine Ausdrucksweise, die schon andeutet, 25 daß es sich dabei um eine praktische Funktion handelt, eine Nutzungsweise, und nicht um etwas in ihrem Inhalt selbst Liegen­ des. Daß sie nun das „Wesen des Denkens" ausdrücken, dies könnte im Hinblick auf ihre normative Funktion einen wohlbe­ rechtigten Sinn noch gewinnen, wenn die Voraussetzung erfüllt 30 wäre, daß in ihnen die notwendigen und hinreichenden Kriterien gegeben sind, nach welchen die Richtigkeit j edes Urteils zu be­ messen wäre. Man könnte dann allenfalls sagen, daß sie das i d e a l e Wesen alles Denkens, im outrierten Sinne des richtigen Urteilens, ausprägten. So hätte es der alte Rationalismus gerne 35 gefaßt, der sich aber nicht klar machen konnte, daß die logischen Grundsätze nichts weiter sind als triviale Allgemeinheiten, gegen die eine Behauptung bloß darum nicht streiten darf, weil sie sonst 1 In A folgt : r(Bedeutungen

in specie)l .

1 46

DER P S Y C H OLOGI S M U S

w i d e r s i n n i g wäre, und daß also umgekehrt die Harmonie des Denkens mit diesen Normen auch nicht mehr verbürgt, als daß es in sich formall einstimmig sei. Darnach wäre es ganz unpassend, auch j etzt noch in diesem (idealen) Sinne von dem „Wesen des 5 Denkens" zu sprechen und es durch j ene Gesetze* zu umschrei[A 1 4 1 ] ben, die, II wie wir wissen, nicht mehr leisten, als uns den formalen [B 1 4 1 ] Widersinn vom Leibe zu halten. Es ist noch ein Überrest des rationalistischen Vorurteils, wenn man bis in unsere Zeit statt von formaler Einstimmigkeit von formaler Wahrheit gesprochen hat, 10 ein höchst verwerfliches, weil beirrendes Spiel mit dem Worte Wahrheit. Doch gehen wir nun zum z w e i t e n P u n k t e über. Die U n­ m ö g l i c h k e i t der Leugnung der Denkgesetze faßt E r d m a n n als U n v o l l z i e h b a r k e i t solcher Leugnung. Diese beiden Be15 griffe halten wir logischen Absolutisten für so wenig identisch, daß wir die Unvollziehbarkeit überhaupt leugnen und die Un­ möglichkeit aufrecht halten. Nicht die Leugnung als Akt ist un­ möglich (und das hieße, als zu einem Realen gehörig, so viel wie r e a l-unmöglich) , sondern der ihren Inhalt bildende n e g a t i v e 20 S a t z ist unmöglich, und zwar ist e r als idealer i n idealem Sinne unmöglich ; darin liegt aber : er ist w i d e r s i n n i g und somit evident falsch. Diese ideale Unmöglichkeit des negativen Satzes streitet gar nicht mit der realen rMöglichkeit1 2 des negierenden Ur­ teilsaktes. Man vermeide noch den letzten Rest äquivoker Aus25 drücke, man sage, der Satz sei widersinnig, rder Urteilsakt1 3 sei kausal rnicht1 4 ausgeschlossen, und alles wird völlig klar. Im faktischen Denken des n o r m a l e n Menschen tritt nun

{

• Ich denke hier schon alle rein logischen Gesetze zusammengefaßt. Mit den zwei oder drei „Denkgesetzen" im traditionellen Sinn bringt man nicht einmal den Begrüf eines formal-einstimmigen Denkens zustande, und alles, was dem entgegen von alters­ her gelehrt wurde, halte ich (und nicht ich allein) für Täuschung. Jeder formale Widersinn läßt sich auf einen Widerspruch reduzieren, aber nur unter Vermittlung gar mannigfaltiger anderer formaler Grundsätze, z.B. der syllogistischen, der arithme­ tischen usw. Schon in der Syllogistik ist deren Zahl mindestens ein Dutzend. Sie lassen sich alle trefflich demonstrieren - in Scheinbeweisen, die sie selbst oder ihnen äqui­ valente Sätze voraussetzen.

1 In A folgt : r(nicht)l , Die Weglassung in B entspricht den „Berichti-

gungen" zu A. 2 A : runmöglichkeitl . a A : rdas Urteil1 . 4 Fehlt in A.

ALS S KE P T I S C H E R RELATIVI S M U S

1 47

freilich die aktuelle Negation eines Denkgesetzes in der Regel nicht auf ; aber daß es beim Menschen überhaupt nicht auftreten kann, wird man schwerlich behaupten können, nachdem große Philosophen wie E p i k u r und H e g e l den Satz des Widerspruchs 5 geleugnet haben. Vielleicht sind Genie und Wahnsinn einander auch in dieser Hinsicht verwandt, vielleicht gibt es auch unter den Irrsinnigen Leugner der Denkgesetze ; als Menschen wird man doch auch sie müssen gelten lassen. Man erwäge auch : Im selben Sinne denkunmöglich wie die Negation der primitiven 10 Grundsätze ist diejenige aller ihrer notwendigen Konsequenzen. Aber daß man sich in Beziehung auf verwickelte syllogistische oder arithmetische Lehrsätze täuschen kann, ist allbekannt, und [A 1 42] so dient auch dies als unanfechtbares Argument. I I Im übrigen [B 1 42] sind dies Streitfragen, die das Wesentliche nicht berühren. Die 1 5 logische Unmöglichkeit, als Widersinnigkeit des idealen Urteils­ inhalts, und die psychologische Unmöglichkeit, als Unvollziehbar­ keit des korrespondierenden Urteilsaktes, wären heterogene Be­ griffe auch dann, wenn die letztere mit der ersteren allgemein­ menschlich gegeben, also die Fürwahrhaltung von Widersinnig20 keiten naturgesetzlich ausgeschlossen wäre. * E s ist nun diese echte logische Unmöglichkeit des Widerspru­ ches gegen die Denkgesetze, welche der logische Absolutist als Argument für die „Ewigkeit" dieser Gesetze verwendet. Was meint hier die Rede von der Ewigkeit ? Doch nur den Umstand, 25 daß j edes Urteil, unabhängig von Zeit und Umständen, von Individuen und Spezies, durch die rein logischen Gesetze „ge­ bunden" ist ; und dies Letztere natürlich nicht im psychologischen Sinne eines Denkzwanges, sondern in dem idealen Sinne der Norm : wer eben anders urteilte, urteilte unbedingt falsch, zu 30 welcher Spezies psychischer Wesen er sich nun rechnen rmöge1 1. Die Beziehung auf psychische Wesen bedeutet offenbar keine Einschränkung der Allgemeinheit. Normen für Urteile „binden" urteilende Wesen und nicht Steine. Das liegt in ihrem Sinn, und so wäre es lächerlich, die Steine und ähnliche Wesen in dieser 35 Hinsicht als Ausnahmen zu behandeln. Der Beweis des logischen

{

• Vgl. die Erörterungen des § 1

A:

rmagl.

22 in

Kap. IV, besonders S. 67 f.

1 48

DER P S Y C H O L O GI S M U S

Absolutisten ist nun sehr einfach. Er wird eben sagen : Folgender Zusammenhang ist m i r durch Einsicht gegeben. Es gelten die und die Grundsätze, und sie tun es so, daß sie nur entfalten, was im Inhalt ihrer Begriffe gründet. Folglich ist j eder Satz (d.i. j eder 5 mögliche Urteilsinhalt im idealen Sinne) widersinnig, wenn er die Grundgesetze entweder unmittelbar negiert oder gegen sie mittel­ bar verstößt. Das Letztere besagt ja nur, daß ein rein deduktiver Zusammenhang an die Wahrheit solcher Urteilsinhalte als Hypothesis die Unwahrheit j ener Grundsätze als Thesis anknüpft. Sind [A 1 43] 1 o darnach Urteilsinhalte dieser Art widertlsinnig und als solche falsch, [B 1 43] so muß auch rj e d e s1 1 a k t u e l l e U r t e il, dessen Inhalte sie sind, unrichtig sein ; denn richtig heißt ein Urteil, wenn „das was es urteilt", d.i. sein Inhalt, wahr, also unrichtig, wenn derselbe falsch ist. 15 Ich betonte soeben j e d e s Urteil, um aufmerksam zu machen, daß der Sinn dieser strengen Allgemeinheit j ede Einschränkung, also auch die auf menschliche oder andersartige Gattungen ur­ teilender Wesen eo ipso ausschließt. Ich kann niemanden zwingen, einzusehen, was i c h einsehe. Aber ich selbst kann nicht zweifeln, 20 ich sehe j a abermals ein, daß jeder Zweifel hier, wo ich Einsicht habe, d.i. die Wahrheit selbst erfasse, verkehrt wäre ; und so finde ich mich überhaupt an dem Punkte, den ich entweder als den archimedischen gelten lasse, um von hier aus die Welt der Unver­ nunft und des Zweifels aus den Angeln zu heben, oder den ich 25 preisgebe, um damit alle Vernunft und Erkenntnis preiszugeben. Ich sehe ein, daß sich dies so verhält, und daß ich im letzteren Falle - wenn von Vernunft oder Unvernunft dann noch zu reden wäre - alles vernünftige Wahrheitsstreben, alles Behaupten und Begründen einstellen mü"ßte. 30 Mit all dem finde ich mich nun freilich in Widerstreit mit dem ausgezeichneten Forscher. Er fährt nämlich fort. , , Unbedingt wäre die so begründete Notwendigkeit der formalen Grundsätze . . . nur dann, wenn unsere Erkenntnis derselben verbürgte, daß das Wesen des Denkens, das wir in uns finden und 35 durch sie ausdrücken, ein unveränderliches, oder gar das einzig mögliche Wesen des Denkens wäre, daß j ene Bedingungen u n­ s e r e s Denkens zugleich die Bedingungen j e d e s möglichen

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1 In B nicht gesperrt.

ALS S K E P T I S C H E R RELATIV I S M U S

1 49

Denkens wären. Wir wissen j edoch nur von unserem Denken. Ein von dem unseren verschiedenes, also auch ein Denken über­ haupt als Gattung zu solchen verschiedenen Arten des Denkens zu konstruieren sind wir nicht imstande. Worte, die ein solches zu 5 beschreiben scheinen, haben keinen von uns vollziehbaren Sinn, der dem Anspruch genügte, den dieser Schein erwecken soll. Denn A 1 441 j eder Versuch, das, II was sie beschreiben, herzustellen, ist an die [B 1 44] Bedingungen unseres Vorstellens und Denkens gebunden, bewegt sich in ihrem Kreise. " 1 0 Würden wir s o verfängliche Reden, wie die vom „Wesen unse­ res Denkens" in rein logischen Zusammenhängen überhaupt gel­ ten lassen, würden wir sie also nach Maßgabe unserer Analysen durch die Summe der Idealgesetze fassen, welche die formale Ein­ stimmigkeit des Denkens umgrenzen, dann würden wir natürlich 15 auch den Anspruch erheben, das strenge erwiesen zu haben, was E r d m a n n für unerweisbar hält ; daß das Wesen des Denkens ein unveränderliches, j a gar das einzig mögliche wäre usw. Aber frei­ lich ist es klar, daß E r d m a n n, während er dies leugnet, j enen allein berechtigten Sinn der fraglichen Redeweise nicht innehält, 20 es ist klar, daß er (die weiter unten folgenden Zitate lassen es noch schroffer hervortreten) die Denkgesetze als Ausdrücke des realen Wesens unseres Denkens, somit als Realgesetze faßt, als ob wir mit ihnen eine unmittelbare Einsicht in die allgemein menschliche Konstitution nach ihrer Erkenntnisseite gewönnen. Leider ist dies 25 gar nicht der Fall. Wie sollten auch Sätze, die nicht im entfern­ testen von Realem sprechen, die nur klar legen, was mit gewissen Wortbedeutungen oder Aussagebedeutungen sehr allgemeiner Art unabtrennbar gesetzt ist, so gewichtige Erkenntnisse realer Art, über das „Wesen geistiger Vorgänge, kurz unserer Seele" 30 (wie wir weiter unten lesen) gewähren ? Andererseits, h ä t t e n wir durch solche oder andere Gesetze Einsicht in das reale Wesen des Denkens, dann kämen wir doch zu ganz anderen Konsequenzen wie der verdiente Forscher. „Wir wissen nur von unserem Denken. " Genauer gesprochen wissen 35 wir nicht nur von unserem individuell-eigenen Denken, sondern, als wissenschaftliche Psychologen, auch ein klein wenig vom allgemein-menschlichen, und noch viel weniger vom tierischen. Jedenfalls ist aber ein in diesem realen Sinne andersartiges Den­ ken und sind ihm zugeordnete Spezies denkender Wesen für uns

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1 50

D E R PSYCHOLOGIS M U S

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gar nicht denkunmögjjlich, sie könnten sehr wohl und s i n n v o l l beschrieben werden, ganz so wie dergleichen bei fiktiven natur­ wissenschaftlichen Spezies nicht ausgeschlossen ist. B ö c k l i n malt uns die prächtigsten Zentauren und Nixen mit leibhaftiger 5 Natürlichkeit. Wir glauben sie ihm - mindestens ästhetisch. Freilich, ob sie auch naturgesetzlich möglich sind, wer wollte dies entscheiden. Aber hätten wir die letzte Einsicht in die Kom­ plexionsformen organischer Elemente, welche die lebendige Ein­ heit des Organismus gesetzlich ausmachen, hätten wir die Gesetze, 1 0 welche den Strom solchen Werdens in dem typisch geformten Bette erhalten, so könnten wir den wirklichen Spezies mannig­ faltige objektiv mögliche in wissenschaftlich exakten Begriffen anreihen, wir könnten diese Möglichkeiten so ernsthaft diskutie­ ren, wie der theoretische Physiker seine fingierten Spezies von 15 Gravitationen. Jedenfalls ist die l o g i s c h e M ö g l i c h k e i t solcher Fiktionen auf naturwissenschaftlichem wie auf psychologischem Gebiet unanfechtbar. Erst wenn wir die µe:'t"&ßaatc; de; IJ.'Mo yevoc; vollziehen, die Region der psychologischen Denkgesetze mit der der rein logischen verwechseln, und nun die letzteren selbst in psy20 chologistischem Sinne mißdeuten, gewinnt die Behauptung, an­ dersartige Denkweisen vorzustellen seien wir außerstande, die Worte, die sie zu beschreiben scheinen, hätten für uns keinen voll­ zieh baren Sinn, einen Anschein von Berechtigung. Mag sein, daß wir uns von solchen Denkweisen „keine rechte Vorstellung" zu 25 machen vermögen, mag sein, daß sie auch in absolutem Sinn für uns unvollziehbar sind ; aber diese Unvollziehbarkeit wäre in kei­ nem Falle die Unmöglichkeit im Sinne der Absurdität, des Wider­ sinns. · Vielleicht ist folgende Überlegung zur Klärung nicht unnütz. 30 Theoreme aus der Lehre von den A b e l schen Transzendenten haben für ein Wickelkind, und sie haben ebenso für den Laien (das mathematische Kind, wie die Mathematiker scherzhaft zu sagen pflegen) keinen „vollziehbaren Sinn". Das liegt an den [A 1 46] individuellen Bedingungen ihres Vorstellens und Denkens. Genau (B 1 46] 35 so wie wir Reifen zum Kinde, wie der I I Mathematiker zum Laien, so könnte sich allgemein eine höhere Spezies denkender Wesen, sagen wir Engel, zu uns Menschen verhalten. Deren Worte und Begriffe hätten für uns keinen vollziehbaren Sinn, gewisse spezi­ fische Eigenheiten unserer psychischen Konstitution ließen es

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ALS S KEPTI S C H E R RELATIV I S M U S

151

eben nicht zu. Der normale Mensch braucht, u m die Theorie der A b e l schen Funktionen, j a auch nur um deren Begriffe zu ver­ stehen, einige, sagen wir fünf Jahre. Es könnte sein, daß er, um die Theorie gewisser engelischer Funktionen zu verstehen, bei 5 seiner Konstitution eines Jahrtausends bedürfte, während er doch im günstigen Falle ein Jahrhundert kaum erreichen wird. Aber diese absolute, durch die rnatürlichen1 1 Schranken der spezi­ fischen Konstitution bedingte Unvollziehbarkeit wäre natürlich nicht diejenige, welche uns die Absurditäten, die w i d e r s i n n i g e n 1 0 Sätze zumuten. I m einen Falle handelt e s sich u m Sätze, die wir schlechterdings nicht verstehen können ; dabei sind sie an sich be­ trachtet einstimmig und sogar gültig. Im anderen Falle hingegen verstehen wir die Sätze sehr wohl ; aber sie sind widersinnig, und darum „können wir an sie nicht glauben", d.h. wir sehen ein, daß 1 5 sie als widersinnige verwerflich sind. Betrachten wir nun auch die extremen Konsequenzen, welche E r d m a n n aus seinen Prämissen zieht. Gestützt auf das „leere Postulat eines anschauenden Denkens", müssen wir nach ihm „die M ö gl i c h k e i t zugeben, daß ein Denken, welches von dem 20 unsrigen wesensverschieden ist, stattfinde", und er zieht daraus den Schluß, daß somit „die logischen Grundsätze auch nur für den Bereich dieses unseres Denkens gelten, ohne daß wir eine Bürgschaft dafür hätten, daß dieses Denken sich seiner Beschaf­ fenheit nach nicht ändern könnte. Denn es bleibt demnach mög25 lieh, daß eine solche Änderung eintrete, sei es, daß sie alle, sei es, daß sie nur einige dieser Grundsätze träfe, da sie nicht alle aus ei ­ nem analytisch ableitbar sind. Es ist belanglos, daß diese Möglichkeit in den Aussagen unseres Selbstbewußtseins über unser Denken . A 1 471 keine Stütze 1J findet, die ihre Verwirklichung vorhersehen ließe. Sie B 1 471 30 besteht trotz alledem. Denn wir können unser Denken nur hin­ nehmen, wie es ist. Wir sind nicht in der Lage, seine zukünftige Be­ schaffenheit durch die gegenwärtige in Fesseln zu schlagen. Wir sind insbesondere unvermögend, das Wesen unserer geistigen Vor­ gänge, kurz unserer Seele so zu fassen, daß wir aus ihr die Unver35 änderlichkeit des uns gegebenen Denkens deduzieren könnten. " *

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• Vgl. a. a. 0 . , Nr. 369, sub e, S . 377-78. - Hatte man sich mit der Möglichkeit einer Veränderung des logischen Denkens einmal vertraut gemacht, so lag der Ge­ danke einer E n t wi c k l u n g desselben nicht mehr fern. Nach G. F e r r e r o, Les lois psyclwlogiques du Symbolisme, Paris 1 895, soll die Logik - so lese ich in einem Referat

1 A : rgesetzlichen1 .

1 52

D E R P S Y C H O L O GI S M U S

Und so können wir nach E r d m a n n „nicht umhin, einzuge­ stehen, daß alle j ene Sätze, deren widersprechende Gedanken von uns unvollziehbar sind, nur unter der Voraussetzung der Be­ schaffenheit unseres Denkens notwendig sind, die wir als diese 5 bestimmte erleben, nicht aber absolut, unter j eder möglichen Bedingung. Unseren logischen Grundsätzen also bleibt auch hier­ nach ihre Denknotwendigkeit ; nur daß sie n i c h t a l s a b s o l u t e, s o n d e r n a l s h y p o t h e t i s c h e [in unserer Redeweise : relative] angesehen wird. Wir können nicht anders, als ihnen zustimmen 10 nach der Natur unseres Vorstellens und Denkens. Sie gelten allgemein, vorausgesetzt daß unser Denken dasselbe bleibt. Sie sind notwendig, weil wir nur unter ihrer Voraussetzung denken können, solange sie das Wesen unseres Denkens ausdrücken."* A 1 48 Nach den bisherigen Ausführungen brauche ich nicht zu I I sagen, B 1 48 1 5 daß meines Erachtens diese Konsequenzen zu Recht nicht be­ stehen können. Gewiß gilt d i e Möglichkeit, daß ein von dem unsrigen wesensverschiedenes Seelenleben stattfinde. Gewiß kön­ nen wir unser Denken nur hinnehmen, wie es ist, gewiß wäre j eder Versuch töricht, aus „dem Wesen unserer geistigen Vorgänge, 20 kurz unserer Seele", ihre Unveränderlichkeit deduzieren zu wol­ len. Aber daraus folgt mitnichten j ene toto coelo verschiedene Möglichkeit, daß Veränderungen unserer spezifischen Konstitu­ tion, sei es alle oder einige Grundsätze träfen, und daß somit die Denknotwendigkeit dieser Sätze eine bloß hypothetische sei. Viel25 mehr ist all das widersinnig, widersinnig in dem prägnanten Sinne, in dem wir das Wort (natürlich ohne j ede Färbung, als rein wissenschaftlichen Terminus) hier allzeit gebraucht haben. Es ist der Unsegen unserer vieldeutigen logischen Terminologie, daß dergleichen Lehren noch auftreten und selbst ernste Forscher 30 täuschen können. Wären die primitiven begrifflichen Unterschei­ dungen der Elementarlogik vollzogen und auf Grund derselben die Terminologie geklärt, würden wir uns nicht mit so elenden -

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A. L a s s o n s in der Zeitschrift f. Philos„ Bd. 1 1 3, S. 85 - „positiv werden und die Gesetze des Schließens je nach dem Alter und der Entwicklungsstufe der Kultur dar· stellen ; denn auch die Logik ändere sich mit der Entwicklung des Gehirns . . . Daß man früher die reine Logik und die deduktive Methode vorgezogen habe, sei Denk· faulheit gewesen, und die Metaphysik sei das kolossale Denkmal dieser Denkfaulheit bis zum heutigen Tage geblieben, glücklicherweise nur noch bei einigen Zurückge­ bliebenen nachwirkend". • Vgl. a. a. 0„ Nr. 370, S. 378.

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ALS S KEPTI S C H E R RELATIVI S M U S

1 53

Äquivokationen herumschleppen, wie sie allen logischen Terminis - Denkgesetz, Denkform, reale und formale Wahrheit, Vorstel­ lung, Urteil, Satz, Begriff, Merkmal, Eigenschaft, Grund, Not­ wendigkeit usw. - anhaften, wie könnten so viele Widersinnig5 keiten, darunter die des Relativismus, in Logik und Erkenntnis­ lehre theoretisch vertreten werden und in der Tat einen Schein für sich haben, der selbst bedeutende Denker blendet ? Die rRede von deri 1 Möglichkeit von variablen „Denkgesetzen" als p s y c h o l o g i s c h e n Gesetzen des Vorstellens und Urteilens, 1 0 welche für verschiedene Spezies psychischer Wesen mannigfach differieren, j a in einer und derselben von Zeit zu Zeit wechseln, das gibt einen guten Sinn. Denn unter psychologischen „Gesetzen" pflegen wir „empirische Gesetze" zu verstehen, ungefähre Allge­ meinheiten der Koexistenz und Sukzession, auf Tatsächlichkeiten 15 bezüglich, die in einem Falle so, im anderen anders sein können. [A 1 491 Auch die Möglichkeit von variablen Denkgesetzen I I als n o r m a[B 1 491 t i v e n Gesetzen des Vorstellens und Urteilens gestehen wir gerne zu. Gewiß können normative Gesetze der spezifischen Konstitution der urteilenden Wesen angepaßt und daher mit ihnen verän20 derlich sein. Offenbar trifft dies die Regeln der praktischen Logik als Methodenlehre, so wie es auch die methodischen Vorschriften der Einzelwissenschaften trifft. Die mathematisierenden Engel mögen andere Rechenmethoden haben als wir - aber auch ande­ re Grundsätze und Lehrsätze ? Diese Frage führt uns denn auch 25 weiter : W i d e r s i n n i g wird die Rede von variablen Denkge­ setzen erst dann, wenn wir darunter die r e i n-l o g i s c h e n Gesetze verstehen (an welche wir auch die reinen Gesetze der Anzahlen­ lehre, der Ordinalzahlenlehre, der reinen Mengenlehre usw. an­ gliedern dürfen) . Der vage Ausdruck „normative Gesetze des 30 Denkens" , mit dem man auch sie bezeichnet, verführt allgemein dazu, sie mit j enen psychologisch fundierten Denkregeln zu­ sammenzuwerfen. Sie aber sind rein theoretische Wahrheiten idealer Art, rein in ihrem Bedeutungsgehalt wurzelnd und nie über ihn hinausgehend. Sie können also durch keine wirkliche oder 35 fiktive Änderung in der Welt des matter of fact berührt werden. Im Grunde hätten wir hier eigentlich einen dreifachen Gegen­ satz zu berücksichtigen : nicht bloß den zwischen p r a k t i s c h e r

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1

Zusatz von B.

1 54

DER PSYCHOLOGISMUS

R e g e l und t h e o r e t i s c h e m G e s e t z, und wieder den zwischen I d e a l g e s e t z und R e a l g e s e t z, sondern auch den Gegensatz zwischen e x a k t e m Gesetz und „ e m p i r i s c h e m G e s e t z" (sc. als Durchschnittsallgemeinheit, von der es heißt : „keine Regel 5 ohne Ausnahme" ) . Hätten wir Einsicht in die e x a k t e n Gesetze des psychischen Geschehens, dann wären auch sie ewig und un­ wandelbar, sie wären es wie die Grundgesetze der theoretischen Naturwissenschaften, sie würden also gelten, auch wenn es kein psychisches Geschehen gäbe. Würden alle gravitierenden Massen 10 vernichtet, so wäre damit nicht das Gravitationsgesetz aufgehoben, es bliebe nur ohne Möglichkeit faktischer Anwendung. [A 1 5 0] Es sagt j a nichts über die Existenz gravitierender 1 Massen, 1 [B 1 50] sondern nur über das, was gravitierenden Massen als solchen zukommt. (Freilich liegt, wie wir oben* erkannt haben, der Sta1 5 tuierung exakter Naturgesetze eine idealisierende Fiktion zu­ grunde, von der wir hier absehen, uns an die bloße Intention dieser Gesetze haltend.) Sowie man also nur zugesteht, daß die logischen Gesetze exakte sind undl als exakte eingesehen werden, ist schon die Möglichkeit ihrer Änderung durch Änderungen in 20 den Kollokationen des tatsächlichen Seins und die dadurch ge­ setzten Umbildungen der naturhistorischen und geistigen Spezies ausgeschlossen, somit ihre „ewige" Geltung verbürgt. Von psychologistischer Seite könnte j emand unserer Position entgegenhalten, daß wie alle Wahrheit, so auch die der logischen 25 Gesetze in der Erkenntnis liegt, und daß die Erkenntnis als psy­ chisches Erlebnis selbstredend psychologischen Gesetzen unter­ steht. Aber ohne hier die Frage erschöpfend zu erörtern, in wel­ chem Sinne die Wahrheit in der Erkenntnis liegt, weise ich doch darauf hin, daß keine .Änderung psychologischer Tatsächlich30 keiten aus der Erkenntnis einen Irrtum, aus dem Irrtum eine Erkenntnis machen kann. Entstehen und Vergehen der Erkennt­ nisse als Phänomene hängt natürlich an psychologischen Bedin­ gungen, so wie das Entstehen und Vergehen anderer psychischer Phänomene, z.B. der sinnlichen . Aber wie kein psychisches Ge35 schehen es je erreichen kann, daß das Rot, das ich eben anschaue,

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• Vgl. Kapitel IV, § 23, S. 7 1 -73.

1 In A folgt : rnurl .

ALS S K E P T I S C H E R RELATIVIS M U S

1 55

statt einer Farbe vielmehr ein Ton, oder daß der tiefere von zwei Tönen der höhere sei ; oder allgemeiner gesprochen, so wie alles, was in dem Allgemeinen des j eweiligen Erlebnisses liegt und gründet, über j ede mögliche Ä nderung erhaben ist, weil alle 5 Änderung die individuelle Einzelheit angeht, aber für das Begriff­ liche ohne Sinn ist : so gilt das Entsprechende auch für die „Inhalte" der Erkenntnisakte. Zum Begriff der Erkenntnis gehört, [A 1 5 1 ] daß sein Inhalt den Charakter der Wahrheit habe. Dieser I I Cha[B 1 5 1 ] rakter kommt nicht dem flüchtigen Erkenntnisphänomen zu, 10 sondern dem identischen Inhalte desselben, dem !dealen oder Allgemeinen, das wir alle im Auge haben, wenn wir sagen : ich erkenne, daß a + b b + a ist, und unzählige andere erkennen d a s s e l b e. Natürlich kann es sein, daß sich aus Erkenntnissen Irrtümer entwickeln, z.B. im Trugschluß ; darum ist nicht die 1 5 Erkenntnis als solche zum Irrtum geworden, es hat sich nur kau­ sal das eine an das andere angereiht. Es kann auch sein, daß sich in einer Spezies urteilsfähiger Wesen überhaupt keine Erkennt­ nisse entwickeln, daß alles, was sie für wahr halten, falsch, und alles, was sie für falsch halten, wahr ist. In sich blieben Wahrheit 20 und Falschheit aber ungeändert ; sie sind wesentlich Beschaffen­ heiten der bezüglichen Urteilsinhalte, nicht solche der Urteils­ akte ; sie kommen j enen zu, ob sie auch von niemandem anerkannt werden : ganz so, wie Farben, Töne, Dreiecke usw. die wesent­ lichen Beschaffenheiten, die ihnen als Farben, Tönen, Dreiecken 25 usw. zukommen, allzeit haben, ob j emand in aller Welt es j emals erkennen mag oder nicht. Die Möglichkeit also, die E r d m a n n zu begründen versucht hat, nämlich, daß andere Wesen ganz andere Grundsätze haben könnten, darf nicht zugestanden werden. Eine widersinnige Mög30 lichkeit ist eben eine Unmöglichkeit. Man versuche nur einmal auszudenken, was in seiner Lehre liegt. Da gäbe es vielleicht Wesen eigener Art, sozusagen l o g i s c h e Ü b e r m e n s c h e n, f ü r w e l c h e u n s e r e G r u n d s ä t z e n i c h t g e l t e n, vielmehr ganz andere Grundsätze, derart, daß j ede Wahrheit für uns zur Falsch35 heit wird für sie. Ihnen gilt es recht, daß sie die psychischen Phänomene, die sie j eweils erleben - nicht erleben. Daß wir und daß sie existieren, mag für uns wahr sein, für sie ist es falsch usw. Freilich würden wir l o g i s c h e n A l l t a g s m e n s c h e n urteilen : solche Wesen sind von Sinnen, sie reden von der Wahrheit und

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1 56

DER PSYCHOLOGISMUS

heben ihre Gesetze auf, sie behaupten ihre eigenen Denkgesetze zu haben, und sie leugnen diejenigen, an welchen die Möglich lkeit [A 1 52] von 1 Gesetzen überhaupt hängt. Sie behaupten und lassen zu- [B 1 52] gleich die Leugnung des Behaupteten zu. Ja und Nein, Wahrheit 5 und Irrtum, Existenz und Nichtexistenz verlieren in ihrem Denken j ede Auszeichnung voreinander. Nur merken sie ihre Widersinnigkeiten nicht, während wir sie merken, j a mit licht­ vollster Einsicht als solche erkennen. - Wer dergleichen Möglich­ keiten zugesteht, ist vom extremsten Skeptizismus nur durch 10 Nuancen geschieden ; die Subj ektivität der Wahrheit ist, statt auf die einzelne Person, auf die Spezies bezogen. Er ist spezifischer Relativist in dem von uns oben definierten Sinne und unterliegt den erörterten Einwänden, die wir hier nicht wiederholen. Im übrigen sehe ich es nicht ein, warum wir bei den Grenzscheiden 1 5 fingierter Rassenunterschiede Halt machen sollen. Warum nicht die wirklichen Rassenunterschiede, die Unterschiede zwischen Vernunft und Wahnsinn und endlich die individuellen Unter­ schiede als gleichberechtigt anerkennen ? Vielleicht wendet ein Relativist gegen unsere Berufung auf die 20 E v i d e n z bzw. auf den evidenten Widersinn der uns zugemuteten Möglichkeit den oben mitzitierten Satz ein, e s s e i „b e l a n g l o s, d a ß d i e s e M ö g l i c h k e i t i n d e n A u s s a g e n d e s S e l b s t b e­ w u ß t s e i n s k e i n e S t ü t z e f i n d e t" , es sei j a selbstverständlich, daß wir nicht unseren Denkformen zuwider denken können. In25 dessen, unter Absehen von dieser psychologistischen Interpreta­ tion der Denkformen, die wir schon widerlegt haben, weisen wir darauf hin, daß solche Auskunft den absoluten Skeptizismus be­ deutet. Dürften wir der Evidenz nicht mehr vertrauen, wie könn­ ten wir überhaupt noch :Behauptungen aufstellen und vernünftig 30 vertreten ? Etwa mit Rücksicht darauf, daß andere Menschen ebenso konstituiert sind wie wir, also vermöge gleicher Denkgeset­ ze auch zu ähnlicher Beurteilung geneigt sein möchten ? Aber wie können wir dies wissen, wenn wir überhaupt nichts wissen können ? Ohne Einsicht kein Wissen. 35 Es ist doch recht sonderbar, daß man so zweifelhaften Be­ hauptungen, wie es die über das Allgemeinmenschliche sind, Vertrauen schenken will , nicht aber j enen puren Trivialitäten, [A 1 53] II die zwar sehr gering sind an inhaltlicher Belehrung, aber für [B 1 53] das Wenige, was sie besagen, uns klarste Einsicht gewähren ;

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ALS S K E PTI S C H E R RELATIVI S M U S

1 57

und darin ist j edenfalls von denkenden Wesen und ihren spezi­ fischen Eigentümlichkeiten schlechterdings nichts zu finden. Der Relativist kann auch nicht dadurch eine, wenn auch nur vorläufig gebesserte Position zu erringen hoffen, daß er sagt : Du 5 behandelst mich als extremen Relativisten, ich aber bin es nur hinsichtlich der logischen Grundsätze ; alle anderen Wahrheiten mögen unangefochten bleiben. So entgeht er den allgemeinen Einwänden gegen den spezifischen Relativismus j edenfalls nicht. Wer die logischen Grundwahrheiten relativiert, relativiert auch 1 0 alle Wahrheit überhaupt. Es genügt, auf den Inhalt des Satzes vom Widerspruch hinzublicken und die naheliegenden Konse­ quenzen zu ziehen. Solchen Halbheiten bleibt E r d m a n n selbst durchaus ferne : den r e l a t i v i s t i s c h e n W a h rh e i t s b e gr i f f, den seine Lehre 1 5 fordert, hat er seiner Logik in der Tat zugrunde gelegt. Die Definition lautet : „Die Wahrheit eines Urteils besteht darin, daß die logische Immanenz seines Gegenstandes subjektiv, spezieller, objektiv gewiß, und der prädikative Ausdruck dieser Immanenz denknotwendig ist."* So bleiben wir freilich im Gebiet des Psy20 chologischen. Denn Gegenstand ist für E r d m a n n das Vorge­ stellte, und dieses wiederum wird ausdrücklich identifiziert mit Vorstellung. Ebenso ist die „obj ektive oder Allgemeingewißheit" nur scheinbar ein Objektives, denn sie „gründet sich auf die all­ gemeine Übereinstimmung der Urteilenden". * * Zwar den Aus25 druck „objektive Wahrheit" vermissen wir bei E r d m a n n nicht, aber er identifiziert sie mit „Allgemeingültigkeit", d.i. Gültigkeit für alle. Diese aber zerfällt ihm in Gewißheit für alle, und wenn ich recht -verstehe, auch in Denknotwendigkeit für alle. Eben dies meint auch_ die obige Definition. Bedenklich möchte man werden, 30 wie wir in einem einzigen Falle zur berechtigten Behauptung der [A 1 54] objektiven Wahrheit in diesem II Sinne kommen, und wie wir dem [B 1 54] unendlichen Regressus entgehen sollen, der durch die Bestimmung gefordert und auch von dem hervorragenden Forscher bemerkt worden ist. Leider reicht die Auskunft, die er rerteilt1 1, nicht hin. 35 Gewiß sind, wie er sagt, die Urteile, in denen wir die Überein-

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*

**

a. a. 0., Nr. 278, S. 275. a. a. 0., S. 274.

1 A : rergreiftl .

1 58

D E R P S Y C H O L O GI S M U S

stimmung mit anderen behaupten, nicht diese Übereinstimmung selbst ; aber was kann dies nützen, und was die subjektive Gewiß­ heit, die wir dabei haben ? B e r e c h t i g t wäre unsere Behauptung doch nur dann, wenn wir von dieser Übereinstimmung wüßten, 5 und das heißt wohl, ihrer Wahrheit inne würden. Man möchte auch fragen, wie wir auch nur zur subjektiven Gewißheit von der Übereinstimmung a l l e r kommen sollten, und endlich, um von dieser Schwierigkeit abzusehen, ob es denn überhaupt zu recht­ fertigen ist, die Forderung der Allgemeingewißheit zu stellen, als 1 0 ob die Wahrheit bei allen und nicht vielmehr bei einigen Aus­ erwählten zu finden rwäre1 1 .

ACHTES KAPITEL

DIE PSYCHOLOGISTISCHEN V O R U RTEILE Bisher haben wir den Psychologismus vorzugsweise aus seinen Konsequenzen bekämpft. Wir wenden uns nun gegen seine Argu­ s mente selbst, indem wir die vermeintlichen Selbstverständlich­ keiten, auf die er sich stützt, als täuschende Vorurteile nachzu­ weisen suchen. § 4 1 . Erstes Vorurteil Ein erstes Vorurteil lautet : „Vorschriften zur Regelung von t o Psychischem sind selbstverständlich psychologisch fundiert. Demgemäß ist es auch einleuchtend, daß die normativen Gesetze der Erkenntnis in der Psychologie der Erkenntnis gründen müssen. " [A I SS] I I Die Täus�hung vers:hwindet, sowie man, sta t im allgemeinen [B I SS] zu argumentieren, an die Sachen selbst herantntt. 1 5 Zunächst tut es not, einer schiefen Auffassung beider Parteien ein Ende zu machen. Wir weisen nämlich darauf hin, daß die lo­ gischen Gesetze, an und für sich betrachtet, keineswegs normative Sätze sind in dem Sinne von Vorschriften, d.i. Sätzen, zu deren I n h al t es gehört, auszusagen, wie geurteilt werden s o l l e . Man 20 muß durchaus unterscheiden : Gesetze, welche z u r N o r m i e r u n g der Erkenntnistätigkeiten d i e n e n, und Regeln, welche d e n G e d a n k e n d i e s e r N o r m i e r u n g s e l b s t e n t h a l t e n und sie als allgemein verpflichtend a u s s a g e n. Betrachten wir ein Beispiel, etwa das bekannte Prinzip der 25 Syllogistik, welches von alters her in die Worte gefaßt wird : Das Merkmal des Merkmals ist auch Merkmal der Sache selbst. Die Kürze dieser Fassung wäre empfehlenswert, wenn sie nicht einen sichtlich falschen Satz als Ausdruck des intendierten Gedankens

:

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1 60

D I E P S Y C H O L O G I STI S C H E N

böte.* U m ihn z u rkonkretem11 Ausdruck z u bringen, werden wir uns schon zu mehr Worten bequemen müssen. „Für jedes Merkmalpaar

AB gilt der Satz : Hat jeder Gegenstand, welcher das Merkmal A hat, auch das Merkmal B, und hat irgendein be5 stimmter Gegenstand S das Merkmal A , so hat er auch das Merk­ mal B." Daß nun dieser Satz den geringsten normativen Gedan­ ken enthalte, müssen wir entschieden bestreiten. Wir können ihn freilich zur Normierung verwenden, aber darum ist er nicht selbst eine Norm. Wir können auf ihn auch eine a u s d r ü c k l i c h e

10

rvorschrift12 gründen, z.B. „Wer immer urteilt, daß jedes auch

B

sei, und daß ein gewisses

daß dieses

S

auch

B

SA

A

sei, der muß (soll) urteilen,

sei." Aber jedermann sieht, daß dies nicht

mehr der ursprüngliche logische Satz ist, sondern aus ihm durch Hineintragung des normativen Gedankens erst erwachsen ist.

15

II Und dasselbe gilt offenbar von allen syllogistischen Gesetzen,

wie von rallen ia „rein logischen" Sätzen überhaupt.* * Aber nicht

für sie allein. Die Fähigkeit zu normativer Wendung haben ebenso die Wahrheiten anderer theoretischer Disziplinen, vor allem die rein mathematischen, die man ja gewöhnlich von der Logik

20

zu trennen pflegt. * * * Der bekannte Satz • Sicherlich ist das Merkmal des Merkmals, allgemein gesprochen, n i c h t ein Merkmal der Sache. Meinte das Prinzip, was die Worte klar besagen, so wäre ja zu schließen: Dies Löschblatt ist rot, rot ist eine Farbe, also ist dies Löschblatt eine Farbe. ** In dieser Überzeugung, daß der normative Gedanke, das Seinsollen, nicht zum Inhalt der logischen Sätze gehört, treffe ich zu meiner Freude mit N a t o r p zusam­ men, der sie jüngst in der Sozialpädagogik (Stuttgart, 1 899, § 4) kurz und klar aus­ gesprochen hat : „Logische Gesetze sagen, nach unserer Behauptung, ebensowenig, wie man tatsächlich unter solchen und solchen Umständen denkt, als, wie man denken soll. " Mit Beziehung auf das Beispiel des Gleichheitsschlusses „wenn A = B und B = C, so ist A = C 1 1 , heißt es : „Dies sehe ich ein, indem ich nichts als die zu ver� gleichenden Termini und deren dadurch zugleich gegebene Relationen vor Augen habe, ohne irgend an den, sei es tatsächlichen oder seinsollenden Verlauf oder Vollzug eines entsprechenden Denkens dabei denken zu müssen" (a. a. 0., S. 20 bzw. 2 1 ) . Auch in einigen anderen, nicht minder wesentlichen Punkten berühren sich meine Prolegomena mit diesem Werke des scharfsinnigen Forschers, welches mir für die Bildung und Darstellung meiner Gedanken leider nicht mehr hilfreich sein konnte. Dagegen konnten auf mich zwei ältere Schriften N a t o r p s, der oben zitierte Aufsatz aus den Phil. Monatsh., X X I I I , und die Einleitung in die Psychologie anregend wirken - wie sehr sie mich auch in anderen Punkten zu Widerspruch reizten. *** Die 11reine„ oder „formale Mathematik'\ so wie ich den Terminus gebrauche, befaßt die gesamte reine Arithmetik und Mannigfaltigkeitslehre, nicht aber die Geo­ metrie. Dieser entspricht in der reinen Mathematik die Theorie der E u k l i d schen Mannigfaltigkeit von drei Dimensionen, welche Mannigfaltigkeit die Gattungsidee des Raumes, nicht aber dieser selbst ist.

1 A : rkorrekteml . 2 I n A zusätzlich gesperrt. a A : ralleinl .

{[A [B

1 56) 1 5 6)

V O R U RT E I LE

( a + b ) (a - b )

=

161

a 2 - b2

besagt z.B„ daß das Produkt aus der Summe und Differenz zweier beliebiger Zahlen gleich ist der Differenz ihrer Quadrate. Hier ist keine Rede von unserem Urteilen und der Art, wie es 5 verlaufen s o ll, wir haben ein theoretisches Gesetz und nicht eine praktische Regel vor uns. Betrachten wir hingegen den korres­ pondierenden Satz : „Um das Produkt aus Summe und Differenz [A 1 57] zweier Zahlen zu bestimmen, bilde man die Differenz I I ihrer [B 1 57] Quadrate", so haben wir umgekehrt eine praktische Regel und 10 nicht ein theoretisches Gesetz ausgesprochen. Auch hier wandelt sich allererst durch die Einführung des normativen Gedankens das Gesetz in die Regel, die seine selbstverständliche apodiktische Folge, j edoch nach dem Gedankengehalt von ihm verschieden ist. Wir können noch weiter gehen. Es ist ja klar, daß in gleicher 1 5 Weise j e d e allgemeine Wahrheit, welchem theoretischen Gebiete sie angehören mag, zur Begründung einer allgemeinen Norm richtigen Urteilens dienen kann. Die logischen Gesetze zeichnen sich in di e s e r Hinsicht in keiner Weise aus. Ihrer eigenen Natur nach sind sie nicht normative, sondern theoretische Wahrheiten 20 und können als solche, so gut wie Wahrheiten irgendwelcher anderer Disziplinen, zur Normierung des Urteilens dienen. Andererseits ist freilich auch dies unverkennbar : Die allgemei­ ne Überzeugung, welche in den logischen Sätzen Normen des Denkens sieht, kann nicht ganz haltlos, die Selbstverständlich25 keit, mit der sie uns sofort einleuchtet, nicht reiner Trug sein. Ein gewisser i n n e r e r Vorzug in Sachen der Denkregelung muß diese Sätze vor anderen auszeichnen. Aber muß die Idee der Regelung (des Sollens) darum im Inhalt der logischen Sätze selbst liegen ? Kann sie nicht in diesem Inhalt mit einsichtiger Notwendigkeit 30 g r ü n d e n ? Mit anderen Worten : Können nicht die logischen und rein mathematischen Gesetze einen ausgezeichneten Bedeu­ tungsgehalt haben, der ihnen einen n a t ü r l i c h e n B e r u f zur Denkregelung verleiht ? Wir sehen aus dieser einfachen Betrachtung, wie in der Tat auf 35 beiden Seiten hier Unrecht verteilt ist. Die A n t i p s y c h o l o g i s t e n irrten darin, daß sie Regelung der Erkenntnis sozusagen als die Essenz der logischen Gesetze hin­ stellten. Darum kam der rein theoretische Charakter der formalen

{

162

DIE PSYCHOLOGISTISCHEN

Logik und in weiterer Folge ihre Gleichstellung mit der formalen Mathematik nicht zu gebührender Geltung. Man sah richtig, daß [A 1 58] die in der traditionellen Syllogistik abgehandelte I I Gruppe von [B 1 58] Sätzen der Psychologie fremd fist11. Ebenso erkannte man ihren 5 n a t ü r l i c h e n B e ru f zur Normierung der Erkenntnis, um des­ sentwillen sie notwendig den Kern j eder praktischen Logik bilden müssen. Aber man übersah den Unterschied zwischen dem eige­ nen Gehalt der Sätze und ihrer Funktion, ihrer praktischen Ver­ wendung. Man übersah, daß die sog. logischen Grundsätze in sich 1 0 selbst nicht Normen sind, sondern eben nur als Normen dienen. Mit Rücksicht auf die Normierung hatte man sich daran gewöhnt, von Denkgesetzen zu sprechen, und so schien es, als ob auch diese Gesetze einen psychologischen Gehalt rhätten1 2, und als ob der Unterschied von den gewöhnlich so genannten psychologischen 1 5 Gesetzen nur darin rJäge1 3, daß sie normieren, während die son­ stigen psychologischen Gesetze dies nicht tun. Auf der anderen Seite irrten die P s y c h o l o gi s t e n mit ihrem vermeintlichen Axiom, dessen Ungültigkeit wir nun mit wenigen Worten aufweisen können : Zeigt es sich als eine pure Selbstver20 ständlichkeit, daß j ede allgemeine Wahrheit, ob sie nun psycho­ logischer Art ist oder nicht, eine Regel des richtigen Urteilens be­ gründet, so ist hiermit nicht nur die sinnvolle Möglichkeit, son­ dern sogar die Existenz von Urteilsregeln, die nicht in der Psycho­ logie gründen, gesichert. 25 Nun sind freilich nicht alle derartigen Urteilsregeln, obgleich sie die Richtigkeit des Urteilens normieren, darum schon l o g i­ s c h e Regeln ; aber es ist einzusehen, daß von den im eigentlichen Sinne logischen Regeln, welche die ureigene Domäne einer Kunst­ lehre des wissenschaftlichen Denkens ausmachen, nur die eine 30 Gruppe psychologische Begründung zuläßt und dann auch for­ dert : nämlich die der menschlichen Natur speziell angepaßten technischen Vorschriften zur Erzeugung wissenschaftlicher Er­ kenntnis und zur Kritik solcher Erkenntniserzeugungen. Die andere Gruppe hingegen, und die ungleich wichtigere, besteht

{

1 A : rsindl . 2 A : rhabenl . s A : rliege l .

VORURTEILE

1 63

aus normativen Wendungen von Gesetzen, die zur Wissenschaft nach ihrem objektiven oder idealen Gehalt gehören. Indem die [A 1 59] psychologischen Logiker, darunter Forscher vom Range I eines [B 1 59] M i l l und S i g w a rt, die Wissenschaft mehr von ihrer subjektiven 5 Seite (als methodologische Einheit der spezifisch-menschlichen Erkenntnisgewinnung) als von ihrer objektiven Seite (als Idee der theoretischen Einheit der Wahrheit) betrachten und demnach die methodologischen Aufgaben der Logik einseitig betonen, über­ sehen sie den f u n d a m e n t a l e n U n t e r s c h i e d zwischen den 10 r e i n l o g i s c h e n N o r m e n und den t e ch n i s c h e n R e g e l n e i n e r s p e z i f i s c h h u m a n e n D e n k k u n st. Beide aber sind nach Inhalt, Ursprung und Funktion von total verschiedenem Charakter. Beziehen sich die rein logischen Sätze, wenn wir auf ihren originären Inhalt sehen, nur auf Ideales, so j ene methodo1 5 logischen Sätze auf Reales. Haben die ersteren ihren Ursprung in unmittelbar einsichtigen Axiomen, so die letzteren in empirischen und hauptsächlich psychologischen Tatsachen. Dient die Auf­ stellung j ener rein theoretischen und nur nebenbei praktischen Interessen, so verhält es sich bei diesen umgekehrt : ihr unmittel20 bares Interesse ist ein praktisches und nur mittelbar, sofern näm­ lich ihr Ziel die methodische Förderung wissenschaftlicher Er­ kenntnis überhaupt ist, werden auch theoretische Interessen durch sie gefördert.

{

§ 42. Erläuternde Ausführungen

Jeder beliebige theoretische Satz läßt sich, wie wir oben sahen, normativ wenden. Aber die so erwachsenden Regeln für richtiges Urteilen sind im allgemeinen nicht diejenigen, welche eine logi­ sche Kunstlehre braucht, nur wenige unter ihnen sind zur logi­ schen Normierung sozusagen prädestiniert. Will diese Kunstlehre 30 unseren wissenschaftlichen Bestrebungen tatkräftige Hilfe bieten, so kann sie ja nicht die Erkenntnisfülle der fertigen Wissen­ schaften voraussetzen, die wir durch ihre Hilfe allererst zu ge­ winnen hoffen. Nicht die ziellose Umwendung aller gegebenen theoretischen Erkenntnisse ins Normative kann uns nützen, 35 sondern was wir brauchen, sind allgemeine und in ihrer Allge­ meinheit über alle bestimmten Wissenschaften hinaus greifende f [A 1 60] Normen zur wertenden Kritik theoretischer Erkenntllnisse und l [B 1 60] 25

1 64

D I E P S Y C H O L O G I STIS CHEN

Erkenntnismethoden überhaupt und desgleichen praktische Re­ geln zu deren Förderung. Eben das will die logische Kunstlehre leisten, und will sie es als wissenschaftliche Disziplin, so muß sie selbst gewisse theoretische 5 Erkenntnisse voraussetzen. Da ist nun von vornherein klar, daß für sie von ausnehmendem Werte alle die Erkenntnisse sein müssen, welche rein in den Begriffen Wahrheit, Satz, Subj ekt, Prädikat, Gegenstand, Beschaffenheit, Grund und Folge, Be­ ziehungspunkt und Beziehung und dergleichen gründen. Denn 10 alle Wissenschaft baut sich nach dem, w a s sie lehrt (also objektiv, theoretisch) , aus Wahrheiten auf, alle Wahrheit liegt in Sätzen, alle Sätze enthalten Subjekte und Prädikate, beziehen sich durch sie auf Gegenstände oder Beschaffenheiten ; Sätze als solche haben Verknüpfung nach Grund und Folge usw. Nun ist klar : Wahr1 5 heiten, die in solchen w e s e n t l i c h e n K o n s ti t u e n t i e n a l l e r W i s s e n s c h a f t a l s o b j e k t i v e r, t h e o r e t i s c h e r E i n h e i t gründen, Wahrheiten, die also nicht als aufgehoben gedacht werden können, ohne daß, was aller Wissenschaft als solcher objektiven Halt und Sinn gibt, aufgehoben wäre, bilden selbst20 verständlich die fundamentalen Maßstäbe, an denen gemessen werden kann, ob gegebenenfalls, was den Anspruch erhebt, Wissenschaft zu sein bzw. als Grundsatz oder Folgesatz, als Syllogismus oder Induktion, als Beweis oder Theorie usw. zur Wissenschaft zu gehören, solcher Intention wirklich entspricht, 25 oder ob es nicht vielmehr a priori den idealen Bedingungen der Möglichkeit von Theorie und Wissenschaft überhaupt wider­ streitet . Gesteht man uns dann zu, daß Wahrheiten, die rein im Inhalt (Sinn) derjenigen Begriffe gründen, welche die Idee der Wissenschaft als einer objektiven Einheit konstituieren, nicht 30 nebenher zum Bereich irgendeiner Einzelwissenschaft gehören können ; gesteht man im besonderen zu, daß solche Wahrheiten als ideale ihren Heimatsort nicht haben können in den Wissen­ schaften vom matter of f act, also auch nicht in der Psychologie dann ist unsere Sache entschieden. Dann kann man auch nicht [A 1 6 1 ] 35 die ideale Existenz einer I I eigenen Wissenschaft, der reinen Logik, [B 1 6 1 ] bestreiten, welche in absoluter Selbständigkeit von allen anderen wissenschaftlichen Disziplinen j ene Begriffe abgrenzt, die zur Idee einer systematischen oder theoretischen Einheit konstitutiv gehören, und in weiterer Folge die theoretischen Zusammenhänge

{

V O R U RTEILE

1 65

erforscht, welche rein in diesen Begriffen gründen. Diese Wissen­ schaft wird dann die einzigartige Eigentümlichkeit haben, daß sie selbst ihrer „Form" nach dem Inhalt ihrer Gesetze untersteht, m . a.W. daß die Elemente und theoretischen Zusammenhänge, 5 aus denen sie selbst als systematische Einheit von Wahrheiten besteht, durch die Gesetze beherrscht werden, die mit zu ihrem theoretischen Gehalt gehören.

10

15

20

25

30

35

Daß die Wissenschaft, welche sich auf alle Wissenschaften hinsicht­ lich deren Form bezieht, sich eo ipso auf sich selbst bezieht, klingt paradox, aber es birgt keinerlei Unzuträglichkeit. Das allereinfachst e hierhergehörige Beispiel mache dies klar. Der Satz vom Widerspruch regelt alle Wahrheit und, da er selbst Wahrheit ist, auch sich selbst. Man überlege, was diese Regelung hier bedeutet, man formuliere den auf sich selbst angewendeten Satz vom Widerspruch, und man stößt auf eine einsichtige Selbstverständlichkeit, somit auf das gerade Gegen­ teil von Verwunderlichkeit und Fraglichkeit. So verhält es sich ruber­ haupt 1 1 mit der Regelung der reinen Logik in Beziehung auf sich selbst.

Diese reine Logik ist also das erste und wesentlichste Fundam ent der methodologischen Logik. Aber natürlich hat diese noch ganz andere Fundamente, die ihr die Psychologie beistellt. Denn j ede Wissenschaft läßt sich, wie wir schon ausgeführt haben, in doppelter Hinsicht betrachten : In der einen ist sie ein Inbegriff menschlicher Veranstaltungen zur Erlangung, systematischen Abgrenzung und Darlegung der Erkenntnisse dieses oder j enes Wahrheitsgebietes. Diese Veranstaltungen nennen wir Methoden ; z.B . das Rechnen mit Abakus und Kolumnen, mit Schriftzeichen auf ebener Tafelfläche, mittels der oder j ener Rechenmaschine, mittels Logarithmen-, Sinus- oder Tangententafeln usw. ; 1 ferner [A 1 62] astro l nomische Methoden mittels Fadenkreuz und Fernrohr, phy- [B 1 62] siologische Methoden mikroskopischer Technik, Färbungsmethoden usw. Alle diese Methoden, wie auch die Formen der Darstellung sind der menschlichen Konstitution in ihrem jetzigen normalen Bestande angepaßt, und rsind1 2 zum Teil sogar Zufälligkeiten nationaler Eigenart. Sie rwären1 3 offenbar ganz unbrauchbar für

1 A : rauchl . 2 Fehlt in A. 3 A: rwerden1 .

1 66

D I E P S Y C H O L O G I S TI S C H E N

anders konstituierte Wesen. Selbst die physiologische Organisa­ tion spielt hier eine nicht unwesentliche Rolle. Was sollten bei­ spielsweise unsere schönsten optischen Instrumente einem Wesen nützen, dessen Gesichtssinn an ein von dem unseren erheblich 5 unterschiedenes Endorgan gebunden wäre ? Und so überall. Jede Wissenschaft läßt sich aber noch in anderer Hinsicht be­ trachten, nämlich nach dem, w a s sie lehrt, nach ihrem theoreti­ schen Gehalt. Was - im idealen Falle - j eder einzelne Satz aus­ sagt, ist eine Wahrheit. Keine Wahrheit ist aber in der Wissen1 0 schaft isoliert, sie tritt mit anderen Wahrheiten zu theoretischen Verbänden zusammen, geeinigt durch Verhältnisse von Grund und Folge. Dieser objektive Gehalt der Wissenschaft ist, soweit sie ihrer Intention wirklich genügt, von der Subjektivität der Forschenden, von den Eigenheiten der menschlichen Natur über15 haupt völlig unabhängig, er ist eben objektive Wahrheit. Auf diese ideale Seite geht nun die reine Logik, nämlich der Form nach ; das heißt, sie geht nicht auf das, was zur besonderen Materie der bestimmten Einzelwissenschaften, zu den j eweiligen Eigenheiten ihrer Wahrheiten und Verknüpfungsformen gehört, 20 sondern auf das, was sich auf Wahrheiten und theoretische Ver­ bände von Wahrheiten überhaupt bezieht. Daher muß ihren Ge­ setzen, die durchaus idealen Charakters sind, eine j ede Wissen­ schaft in Ansehung ihrer objektiven theoretischen Seite angemes­ sen sein. 25 Hierdurch gewinnen diese idealen Gesetze aber gleichfalls me­ thodologische Bedeutung, und sie besitzen sie auch darum, weil A 1 63] mittelbare Evidenz in den Begründungszusammenhängen I I er[B 1 63] wächst, deren Normen eben nichts anderes sind als normative Wendungen j ener idealen Gesetze, die rein in den logischen Kate30 gorien gründen. Die charakteristischen Eigentümlichkeiten der Begründungen, welche im ersten Kapitel d. 1W.1 1 * hervorgehoben wurden, haben sämtlich darin ihre Quelle und finden dadurch ihre volle Erklärung, daß die Einsichtigkeit in der Begründung ­ im Schlusse, im Zusammenhang des apodiktischen Beweises, in 35 der Einheit der noch so umfassenden rationalen Theorie, aber auch in der Einheit der Wahrscheinlichkeitsbegründung - nichts

{[

*

Vgl. oben § 7, S. 17 ff.

1 A : rs. 1 .

V O R U RT E I LE

167

anderes ist als Bewußtsein einer idealen rG e s e t z m ä ß i g k e i tll. Die rein logische Reflexion, historisch zum ersten Male erwacht im Genius des A ri s t o t e l e s, hebt abstraktiv das j eweils zu­ grunde liegende Gesetz selbst heraus, führt die Mannigfaltigkeit 5 der so zu gewinnenden und zunächst bloß vereinzelten Gesetze auf die primitiven Grundgesetze zurück und schafft so ein wissen­ schaftliches System, welches in geordneter Folge und rein deduk­ tiv alle überhaupt möglichen rein logischen Gesetze - alle mög­ lichen „Formen" von Schlüssen, Beweisen usw. - abzuleiten 10 gestattet. Dieser Leistung bemächtigt sich nun das praktisch­ logische Interesse. Die rein logischen Formen wandeln sich ihm in Normen um, in Regeln, wie wir begründen s o l l e n, und - mit Beziehung auf mögliche u n g e s e t z l i c h e Bildungen - in Regeln, wie wir n i c h t begründen d ü r f e n . 1 5 Demnach zerfallen die Normen i n zwei Klassen : Die e i n e n, alles Begründen, allen apodiktischen Zusammenhang a priori regelnd, sind rein idealer Natur und nur durch evidente Über­ tragung auf menschliche Wissenschaft bezogen. Die a n d e r e n, die wir auch als bloße Hilfsverrichtungen oder Surrogate für Be20 gründungen charakterisieren durften, * sind empirisch, sie beziehen sich w e s e n t l i c h auf die spezifisch-menschliche Seite der Wissenschaften ; sie gründen also in der allgemeinen Konstitution A des Menschen und zwar nach dem einen 1 (für die 1 Kunstlehre B wichtigeren) Teile in der psychischen und nach dem anderen Teile [ 25 sogar in der physischen Konstitution. * *

{[ 164 164]

§ 43. Rückblick auf die idealistischen Gegenargumente. Ihre Mängel und ihr richtiger Sinn In dem Streit um psychologische oder objektive Begründung der Logik nehme ich also eine Mittelstellung ein. Die Antipsycho30 logisten blickten vorzugsweise auf die idealen Gesetze hin, die wir * Vgl. oben § 9, S. 22 ff. ** Gute Beispiele in letzteren Beziehungen bietet auch die elementare Rechenkunst. Ein Wesen, das dreidimensionale Gruppenordnungen (und im besonderen bei Zeichen· verteilungen) so klar anschauen und praktisch beherrschen könnte, wie wir Menschen die zweidimensionalen, hätte vielfach ganz andere Rechenmethoden. Vgl. über derar· tige Fragen meine Philosophie der A rithmetik ; speziell über den Einfluß physischer Umstände auf die Gestaltung der Methoden, S. 275 f., 3 1 2 ff.

1 A: rGesetzm ä ß i g k e i tl .

]

1 68

D I E P S Y C H O L O GISTI S C H E N

oben als rein logische, die Psychologisten auf die methodologi­ schen Regeln, die wir als anthropologische charakterisierten. Da­ her konnten sich beide Parteien nicht verständigen. Daß sich die Psychologisten wenig geneigt zeigten, dem bedeutsamen Kern 5 der gegnerischen Argumente gerecht zu werden, ist um so begreif­ licher, als in diesen letzteren all die psychologischen Motive und Vermengungen selbst mitspielten, die doch vor allem vermieden werden mußten. Auch der tatsächliche Inhalt der Werke, die sich als Darstellungen der „formalen" oder „reinen" Logik ausgeben, 1 0 mußte die Psychologisten in ihrer ablehnenden Haltung nur be­ stärken und den Eindruck in ihnen erwecken, es handle sich in der proponierten Disziplin doch nur um ein Stück verschämter und dabei eigensinnig beschränkter Erkenntnispsychologie bzw. um eine darauf gegründete Erkenntnisregelung. Die Antipsycholo1 5 gisten durften in ihrem Argument* j edenfalls nicht betonen : die Psychologie habe es mit Naturgesetzen, die Logik hingegen mit N o r m a l g e s e t z e n zu tun. D e r G e g e n s a t z v o n N a t u r g e s e t z als empirisch begründeter Regel eines tatsächlichen Seins und Ge­ schehens i s t n i c h t d a s N o r m a l g e s e t z als Vorschrift, sondern [A 1 65] 20 J1 das I d e al g e s e t z im Sinne einer rein in den Begriffen (Ideen, [B 1 65] reinen rbegrifflichen Wesen1 1) gründenden und daher nicht em­ pirischen Gesetzlichkeit. Insofern die formalistischen Logiker bei ihrer Rede von Normalgesetzen diesen rein begrifflichen und in diesem Sinne apriorischen Charakter im Auge hatten, bezogen 25 sie sich mit ihrer Argumentation auf ein unzweifelhaft Richtiges. Aber sie übersahen den theoretischen Charakter der rein logischen Sätze, sie verkannten den Unterschied von theoretischen Gesetzen, die durch ihren Inhalt zur Regelung der Erkenntnis prädestiniert sind, und normativen Gesetzen, die s e l b s t und w e s e n t l i c h 3 0 den Charakter von Vorschriften haben. Auch das ist nicht ganz richtig, daß der Gegensatz von Wahr und Falsch in der Psychologie keine Stelle habe : * * insofern näm­ lich, als die Wahrheit doch in der Erkenntnis „erfaßt" und das Ideale hierdurch zur Bestimmtheit des realen Erlebnisses wird. 35 Andererseits sind freilich die Sätze, welche sich auf diese Be-

{

*

Vgl. oben § 1 9, zumal S. 55, und das Zitat aus D r o b i s ch, S. 36. • • Vgl. oben S. 56.

l A : rcattungsbegriffen1 .

V O R U RTEILE

1 69

stimmtheit in ihrer begrifflichen Reinheit beziehen, nicht Gesetze des realen psychischen Geschehens ; darin irrten die Psycholo­ gisten, sie verkannten, wie das Wesen des Idealen überhaupt, so zumal die Idealität der Wahrheit. Dieser wichtige Punkt wird 5 noch ausführlich zu erörtern sein. Endlich liegt auch dem letzten Argument der Antipsychologis­ ten* neben Irrigem zugleich Richtiges zugrunde. Da keine Logik, nicht die formale und nicht die methodologische, Kriterien zu geben vermag, nach denen j ede Wahrheit als solche erkennbar ist, 10 so liegt in einer psychologischen Begründung der Logik sicherlich kein Zirkel. Aber ein anderes ist die psychologische Begründung der Logik (im gewöhnlichen Sinne der Kunstlehre) und wieder ein anderes die psychologische Begründung j ener theoretisch ge­ schlossenen Gruppe logischer Sätze, die wir „rein logische" nann1 5 ten. Und in dieser Hinsicht ist es allerdings eine krasse Unzuträglichkeit, obschon nur in gewissen Fällen eine Art Zirkel, Sätze, [B 1 66] welche in den 1 wesent llichen Konstituentien aller theoretischen [A 1 66] Einheit und somit in der begrifflichen Form des systematischen Inhalts der Wissenschaft als solcher gründen, aus dem zufälligen 20 Inhalt irgendeiner Einzelwissenschaft und nun gar einer Tat­ sachenwissenschaft abzuleiten. Man mache sich den Gedanken an dem Satze vom Widerspruch klar, man denke ihn durch irgend­ eine Einzelwissenschaft begründet ; also eine Wahrheit, die im Sinne der Wahrheit als solcher liegt, begründet durch Wahrheiten 25 über Anzahlen, Strecken u. dgl., oder gar durch Wahrheiten über physische oder psychische Tatsächlichkeiten. Jedenfalls schwebte diese Unzuträglichkeit den Vertretern der formalen Logik gleich­ falls vor, nur daß sie, wieder durch ihre Vermengung der rein logischen Gesetze mit normativen Gesetzen oder Kriterien, den 30 guten Gedanken in einer Weise trübten, die ihn seiner Wirksam­ keit berauben mußte. Die Unzuträglichkeit besteht, wenn wir auf den Grund gehen, darin, daß Sätze, welche sich auf die bloße Form beziehen (das ist auf die begrifflichen Elemente wissenschaftlicher Theorie als sol35 eher) , erschlossen werden sollen aus Sätzen eines ganz h e t e r o­ g e n e n Gehalts. * * Es ist nun klar, daß die Unzuträglichkeit bei

{

* Vgl. oben S. 57. •• Allerdings ist die

Unmöglichkeit theoretischer Zusammenhänge zwischen hete· rogenen Gebieten und das Wesen der fraglichen Heterogenität logisch nicht hinrei­ chend erforscht.

1 70

DIE PSYCHOLOGISTISCHEN

primitiven Grundsätzen, wie dem Satz vom Widerspruch, modus ponens u. dgl . , insofern zum Zirkel wird, als die Ableitung dieser Sätze sie selbst in den einzelnen Herleitungsschritten voraus­ setzen würde - nicht in der Weise von Prämissen, aber in der 5 von Ableitungsprinzipien, ohne deren Gültigkeit die Ableitung Sinn und Gültigkeit verlieren würde. In dieser Hinsicht könnte man von einem r e f l e k t i v e n Z i r k e l sprechen, im Gegensatz zum gewöhnlichen oder direkten circulus in demonstrando, wo Prämissen und Schlußsätze ineinanderlaufen. 1 0 Diesen Einwänden entgeht von allen Wissenschaften allein die reine Logik, weil ihre Prämissen nach dem, worauf sie sich gegen­ ständlich beziehen, fbomogen sind den Schlußsätzen, die 1 sie [B 1 67] begründen 11 1. Sie entgeht dem Zirkel ferner dadurch, daß sie die [A 1 67] Sätze, welche die j eweilige Deduktion als Prinzipien voraussetzt, 15 in dieser selbst eben nicht beweist, und daß sie Sätze, welche j e d e Deduktion voraussetzt, überhaupt nicht beweist, sondern an die Spitze aller Deduktionen als Axiome hinstellt. Die überaus schwierige Aufgabe der reinen Logik wird also darin bestehen, einerseits analytisch zu den Axiomen aufzusteigen, die als Aus20 gangspunkte unentbehrlich und aufeinander ohne direkten und reflektiven Zirkel nicht mehr reduktibel sind ; des weiteren die Deduktionen für die logischen Lehrsätze (wovon die syllogisti­ schen Sätze einen kleinen Teil ausmachen) so zu formen und an­ zuordnen, daß Schritt für Schritt n i c h t b l o ß d i e P r ä m i s s e n 2 5 sondern auch die P r i n z i p i e n der Deduktionsschritte entweder zu den Axiomen oder zu den bereits erwiesenen Lehrsätzen ge­ hören. § 44: Zweites Vorurteil Zur Bestätigung seines ersten Vorurteils, wonach es selbstver30 ständlich sein soll, daß sich Regeln der Erkenntnis auf die Psy­ chologie der Erkenntnis stützen müssen, beruft sich der Psycho­ logist* auf den tatsächlichen Inhalt aller Logik. Wovon ist in ihr die Rede ? Allerwege doch von Vorstellungen und Urteilen, von •

Vgl. die Argumentation des § 1 8, oben S. 52, 2. Absatz.

1 A : rden Schlußsätzen, die sie begründen, 1 homogen sindl .

[A 1 67]

V O R U RTEILE

171

Schlüssen und Beweisen, von Wahrheit und Wahrscheinlichkeit, von Notwendigkeit und Möglichkeit, von Grund und Folge, so wie anderen mit diesen nahe zusammenhängenden und verwandten Begriffen. Aber ist unter diesen Titeln an anderes zu denken als an 5 psychische Phänomene und Gebilde ? Bei Vorstellungen und Ur­ teilen ist dies ohne weiteres klar. Schlüsse sind Begründungen von Urteilen mittels Urteile, und Begründen ist doch eine psychische Tätigkeit. Wieder beziehen sich die Reden von Wahrheit und Wahrscheinlichkeit, Notwendigkeit und Möglichkeit usw. auf 10 Urteile ; was sie meinen, kann J j eweils nur an Urteilen auf- [A 1 68] !gewiesen, d.i. erlebt werden. Ist es also nicht sonderbar, daß man [B 1 68] daran denken wollte, Sätze und Theorien, die sich auf psychische Phänomene beziehen, von der Psychologie auszuschließen ? In dieser Hinsicht ist die Scheidung zwischen rein logischen und 1 5 methodologischen Sätzen nutzlos, der Einwand trifft die einen so gut wie die anderen . Es müßte also j eder Versuch, auch nur einen Teil der Logik als vermeintlich „reine" Logik der Psychologie zu entfremden, als grundverkehrt gelten.

20

§ 45. Widerlegung: A uch die reine Mathematik würde zu

einem Zweige der Psychologie

Wie selbstverständlich dies alles auch erscheinen mag, es m u ß irrig sein. Dies lehren die wiedersinnigen Konsequenzen, die, wie wir wissen, für den Psychologismus unausweichlich sind. Aber auch noch anderes müßte hier bedenklich stimmen : die natürliche 25 Verwandtschaft zwischen rein logischen und arithmetischen Dok­ trinen, welche öfters sogar zur Behauptung ihrer theoretischen Einheit geführt hat. Wie wir gelegentlich schon erwähnten, hat auch L o t z e gelehrt, daß die Mathematik als „ein sich für sich selbst fortentwickelnder Zweig der allgemeinen Logik" gelten 30 müsse. „Nur eine praktisch begründete Spaltung des Unterricht s" läßt, meint er, „die vollkommene Heimatsberechtigung der Ma­ thematik in dem allgemeinen Reich der Logik übersehen".* Ja, nach R i e h l „könnte man füglich sagen, daß die Logik mit dem allgemeinen Teil der rein formalen Mathematik (diesen Begriff im • L o t z e, Logik•, § 1 8, S. 34, und § 1 1 2, S. 138.

172

D I E P S Y C H O L O G I S TI S C H E N

Sinne von H . H a n k e l genommen) koinzidiert . . . . "* Wie immer es sich damit verhalten mag, j edenfalls wird das Argument, das für die Logik recht war, auch der Arithmetik zugebilligt werden müssen. Sie stellt Gesetze auf für Zahlen, für deren Beziehungen 5 und Verknüpfungen. Aber Zahlen erwachsen aus dem Kolligieren A und Zählen, welches II psychische Tätigkeiten sind. Die BeziehunB gen erwachsen aus Akten des Beziehens, die Verknüpfungen aus Akten des Verknüpfens. Addieren und Multiplizieren, Substrahieren und Dividieren - nichts als psychische Prozesse. Daß sie der 1 0 sinnlichen Stützen bedürfen, tut nichts zur Sache, dasselbe gilt j a für alles und j edes Denken. Somit sind auch die Summen, Pro­ dukte, Differenzen und Quotienten, und was immer in den arith­ metischen Sätzen als das Geregelte erscheint, nichts als psychische Produkte, sie unterliegen also der psychischen Gesetzmäßigkeit. 15 Nun mag zwar der modernen Psychologie mit ihrem ernsten Streben nach Exaktheit j ede Erweiterung um mathematische Theorien höchst erwünscht sein ; aber schwerlich wäre sie sehr erbaut, wenn man ihr die Mathematik selbst als Teil einordnen wollte. Die Heterogenität beider Wissenschaften ist eben unver20 kennbar. So würde auch auf der anderen Seite der Mathematiker nur lächeln, wollte man ihm psychologische Studien aufdrängen, in Absicht auf rdie1 1 vermeintlich bessere und tiefere Begründung seiner theoretischen Aufstellungen. Er würde mit Recht sagen, das Mathematische und rdas1 2 Psychologische sind so fremde 25 Welten, daß schon der Gedanke ihrer Vermittlung absurd wäre ; wenn irgendwo, so fände hier die Rede von einer µe't"lißor.cr� d, 11.)J..o yl:vo, ihre Anwendung.**

{ 1699 � 16 j

• A . R i e b !, Der philosophische Kritizismus und seine Bedeutung für die positive Wissenschaft, I I . Band, 1. Teil, S. 226. •• Vgl. zur Ergänzung die schönen Ausführungen von N a t o r p, „ Über objektive und subjektive Begründung der Erkenntnis", Pkilos. Monatshefte, XXIII, S. 265 f. Ferner G. F r e g e s anregende Schrift : Die Gfundlagen der Arithmetik ( 1 884) , S. VI f. (Daß ich die p r i n z i p i e l l e Kritik nicht mehr billige, die ich an F r e g e s antipsycho­ logistischer Position in meiner Philosophie der A rithmetik, I, S. 1 29- 1 32 geübt habe, brauche ich kaum zu sagen.) Bei rdieser1 • Gelegenheit sei bezüglich der ganzen Dis­ kussionen dieser Prolegomena auf das Vorwort der späteren Schrift F r e g e s, Gfund­ gesetze der Arithmetik, I . Bd., Jena 1 893, hingewiesen.

1 A : reinel . 2 Fehlt in A.

V O R U RT E I LE

1 73

§ 46. Das Forschungsgebiet der reinen Logik, analog dem der reinen Mathematik, ein ideales Mit diesen Einwänden sind wir allerdings wieder in Argumen-

{[A auf [B ihren Inhalt blicken, finden wir die Handhaben, um die Grund­

tationen aus den Konsequenzen geraten. Aber wenn wir

5

II

fehler der gegnerischen Auffassung bezeichnen zu können. Der V e r g l e i c h d e r r e i n e n L o g i k m i t d e r r e i n e n M a t h e m a t i k, als der reif entwickelten Schwesterdisziplin, die sich das Recht selbständiger Existenz nicht erst erkämpfen muß, dient uns als

1 0 zuverlässiges

Leitmotiv. Auf die Mathematik wollen wir also zu­

nächst hinblicken. Niemand faßt die r e i n m a t h e m a t i s c h e n Theorien und speziell z.B. die reine Anzahlenlehre als „Teile oder Zweige der Psychologie", o b g l e i c h wir ohne Zählen keine Zahlen, ohne

15

Summieren keine Summen, ohne Multiplizieren keine Produkte hätten usw. Alle arithmetischen Operationsgebilde weisen auf gewisse psychische Akte arithmetischen Operierens zurück, nur in Reflexion auf sie kann, was Anzahl, Summe, Produkt u. dgl. ist, „aufgewiesen" werden. Und trotz dieses „psychologischen

20

Ursprungs" der arithmetischen Begriffe erkennt es jeder als eine fehlerhafte

µe:-rcißoccr�

an, daß die mathematischen Gesetze psy­

chologische sein sollen. Wie ist das zu erklären? Hier gibt es nur re i n e11 Antwort. Mit dem Zählen und dem arithmetischen Operieren als T a t s a c h e n , als zeitlich verlaufenden psychischen

25

Akten, hat es natürlich die Psychologie zu tun. Sie ist ja die em­ pirische Wissenschaft von den psychischen Tatsachen überhaupt.

Ganz anders die Arithmetik. Ihr Forschungsgebiet ist bekannt, es ist vollständig und unüberschreitbar bestimmt durch die uns wohlvertraute Reihe idealer Spezies

30 Tatsachen,

1 , 2, 3

.

. . Von individuellen

von zeitlicher Bestimmtheit ist in dieser Sphäre gar

keine Rede. Zahlen, Summen und Produkte von Zahlen (und was dergleichen mehr) sind nicht die zufällig hier und dort vor sich gehenden A k t e des Zählens, des Summierens und Multiplizierens usw. Selbstverständlich sind sie auch verschieden von den V o r-

35

s t e l l u n g e n , in denen sie jeweils vorgestellt werden. Die Zahl Fünf ist nicht meine oder irgend jemandes anderen Zählung der

1 In A nicht gesperrt, jedoch großgeschrieben.

1 703 1 703

1 74

DIE PSYCHOLOGISTISCHEN

Fünf, rsie1 1 ist auch nicht meine oder eines anderen Vorstellung der Fünf. In letzterer Hinsicht ist sie möglicher G e g e nlls t a n d von Vorstellungsakten, in ersterer ist sie die ideale S p e z i e s reiner Form1 2, die i n gewissen Zählungsakten rauf Seiten des in 5 ihnen Objektiven, des konstituierten Kollektivum, 1 2 ihre kon­ kreten E i n z e l f ä l l e hata. In j edem Falle ist sie ohne Wider­ sinn n i c h t a l s T e i l o d e r S e i t e des psychischen Erlebnisses, somit nicht als ein Reales zu fassen.4 Vergegenwärtigen wir uns rklar1 5, was die Zaltl Fünf eigentlich ist, erzeugen wir also eine 1 0 adäquate Vorstellung von der Fünf, so werden wir zunächst einen gegliederten Akt kollektiver Vorstellung von irgendwelchen fünf Objekten bilden. In ihm ist rdas Kollektivum in einer gewissen Gliederungs f o r m und damit1 6 ein Einzelfall der genannten Zahlenspezies anschaulich gegeben. In Hinblick auf dieses an1 5 schaulich Einzelne vollführen wir nun eine „Abstraktion", d.h. wir heben nicht nur7 das unselbständige Moment der Kollektions­ form ram Angeschauten als solchen1 8 heraus, sondern wir erfassen in ihm die Idee : Die Zahl Fünf als Spezies rder Form1 8 tritt in das r meinende 1 9 Bewußtsein. rnas j etzt Gemeinte ist nicht dieser 20 Einzelfall,1 9 es ist nicht rdas Angeschaute1 10 als Ganzes, noch die rihm1 11 innewohnende, obschon für sich nicht lostrennbare Form ; gemeint ist rvielmehr1 12 d i e i d e al e rF o r m s p e z i e s1 1a, die im Sinne der Arithmetik rschlechthin1 12 e i n e ist, in welchen Akten sie rsich auch an anschaulich konstituierten Kollektiven verein1

A : resl . 2 Zusatz von B. s In A folgt : r ähnlich wie etwa die Farbenspezies Rot in Akten des Rotempfindens1 . 4 In A folgt : rim Zählungsakte finden wir zwar das individuell Einzelne zur Spezies als idealer Einheit. Aber diese Einheit ist nicht Stück der Einzelheitl . 5 A : rvoll und ganzl . 6 A : r, als seine Gliederungsform,l . 7 In A folgt : rdas Einzelne, 1 . 8 Zusatz von B. u In A gesperrt. 1 0 A : rdie kollektive Vorstellung1 . 1 1 A : rihr1 . 12 In A zusätzlich gesperrt. i s A : rs p e z i e sl . -

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A 171

�B � 171

V O R U RTEILE

1 75

zelnenl l mag, und die somit ohne j eden Anteil ist an der rzu­ fälligkeit der Akte mit ihrer1 2 Zeitlichkeit und Vergänglichkeit. Die Zählungsakte entstehen und vergehen ; in Beziehung auf die Zahlen ist von dergleichen sinnvoll nicht zu sprechen. 5 Auf derartige ideale Einzelheiten (niederste Spezies in einem ausgezeichneten Sinne, der von empirischen Klassen scharf unter­ schieden ist) gehen nun die arithmetischen Sätze, die numerischen (d.i. die arithmetisch-singulären) wie die algebraischen (d.i. die arithmetisch-generellen) Sätze. Über Reales sagen sie schlechter1 0 dings nichts aus, weder über solches, das gezählt wird, noch über die realen Akte, in denen gezählt 1 wird bzw. in denen sich die [A 1 72) oder j ene indirekten Zahlencharakteristiken konstituieren. Konkrete Zahlen und Zahlensätze 1 gehören in die wissenschaftlichen [B 1 72) G e b i e t e, zu welchen die bezüglichen konkreten Einheiten ge1 5 hören ; Sätze über die arithmetischen Denkvorgänge hingegen in die Psychologie. Streng und eigentlich sagen die arithmetischen Sätze daher auch nichts darüber, „was in unseren bloßen Vorstel­ lungen von Zahlen liegt" ; denn so wenig wie von sonstigen Vor­ stellungen sprechen sie von den unserigen. Sie handeln vielmehr 20 von Zahlen und rzahlenverknüpfungen1 3 schlechthin, in abstrak­ ter Reinheit und Idealität. Die Sätze der arithmetica universalis der arithmetischen Nomologie, wie wir auch sagen könnten sind die Gesetze, welche r e i n i m i d e a l e n W e s e n d e s G e n u s A n z ah l gründen. Die l e t z t e n E i n z e l h e i t e n, welche in den 25 Umfang dieser Gesetze fallen, sind i d e a l e , es sind die numerisch bestimmten Zahlen, d.i. die niedersten spezifischen Differenzen des Genus Anzahl. Auf sie beziehen sich daher die arithmetisch­ singulären Sätze, die der arithmetica numerosa. Sie erwachsen durch Anwendung j ener allgemein arithmetischen Gesetze auf 30 numerisch gegebene Zahlen, sie drücken aus , was rein im idealen Wesen dieser gegebenen Zahlen beschlossen ist. Von allen diesen Sätzen ist keiner auf einen empirisch-allgemeinen Satz zu redu­ zieren, 4 möge diese Allgemeinheit auch die größtmögliche sein, -

1 2 s 4

A: rauch gegenständlich werden1 . A : rindividuellen Einzelheit des Realen mit seiner1 , A : rzahlverknüpfungenl . I n A folgt : rundl .

1 76

DIE P S Y C H O L O G I S TI S C H E N

die empirische Ausnahmslosigkeit im ganzen Bereiche der realen Welt. Was wir hier in betreff der reinen Arithmetik ausgeführt haben, überträgt sich durchaus auf die r e i n e L o gi k. Auch für sie geben 5 wir als selbstverständlich die Tatsache zu, daß die logischen Be­ griffe einen psychologischen Ursprung haben, raber1 1 wir leugnen auch rhier1 2 die psychologistische Konsequenz, die darauf ge­ gründet wird. Bei dem Umfang, den wir der Logik, im Sinne der K u n s t l e h r e wissenschaftlicher Erkenntnis, konzediert haben, 10 ziehen wir es natürlich auch nicht in Zweifel, daß sie es in weitem Ausmaße mit psychischen Erlebnissen zu tun hat. Gewiß fordert die Methodologie des wissenschaft llichen Forschens und Bewei- [A 1 73] sens eine ausgiebige Rücksicht auf die Natur der psychischen Vorgänge, in denen es verläuft. 1 Demgemäß werden logische [B 1 73] 1 5 Termini wie Vorstellung, Begriff, Urteil, Schluß, Beweis, Theorie, Notwendigkeit, Wahrheit u. dgl. auch als Klassennamen für psy­ chische Erlebnisse und dispositionelle Gebilde auftreten können und auftreten müssen. Dagegen bestreiten wir, daß dergleichen j emals in den rein-logischen Partien der in Rede stehenden Kunst20 lehre zutrifft. Wir leugnen, daß die als selbständige theoretische Disziplin abzulösende reine Logik es je auf psychische Tatsachen abgesehen hat und auf Gesetze, die als psychologische zu charak­ terisieren wären. Wir erkannten ja schon, daß die rein-logischen Gesetze, wie z.B. die primitiven „Denkgesetze" oder die syllo25 gistischen Formeln, ihren wesentlichen Sinn völlig einbüßen, so­ wie man sie als psychologische zu interpretieren versucht. Es ist also von vornherein klar, d a ß d i e B e gr i f f e, a u s w e l c h e n s i c h d i e se u n d ä h n l i c h e G e s e t z e a u f b a u e n, k e i n e n e m­ p i r i s c h e n U m f a n g haben können. Mit anderen Worten : sie 30 können nicht den Charakter bloß universeller Begriffe haben, deren Umfang tatsächliche Einzelheiten erfüllen, sondern s i e m ü s s e n e c h t g e n e r e l l e B e g r i f f e s e i n, d e r e n U m f a n g s i c h a u s s c h l i e ß l i c h z u s a m m e n s e t z t a u s i d e a l e n E i n z e l­ h e i t e n , a u s e c h t e n S p e z i e s. Des weiteren geht klar hervor, 35 daß die genannten Termini und alle überhaupt, die in rein-logi­ schen Zusammenhängen auftreten, insgesamt ä q u i v o k sein 1 A : rund1 . 2 A : rjetzt1 .

V O R U RTEILE

1 77

müssen, derart, daß sie auf der einen Seite eben Klassenbegriffe für seelische Gebilde bedeuten, wie solche in die Psychologie ge­ hören, und auf der anderen Seite generelle Begriffe für ideale Einzelheiten, welche zu einer Sphäre reiner Gesetzlichkeit ge5 hören.

§ 47 . Bestätigende Nachweisungen an den logischen Grundbegriffen und an dem Sinn der logischen Sätze Dies bestätigt sich, wenn wir uns auch nur flüchtig in den hi­ storisch vorliegenden Bearbeitungen der Logik umblicken und 1 0 dabei unsere besondere Aufmerksamkeit auf den fundamentalen 1 [A 1 74] Unterschied zwischen der s u b j e k t i v-a n t h r o p o l o g i l s c h e n [B 1 74] E i n h e i t d e r E r k e n n t n i s und der o b j e k t i v-i d e a l e n E i nh e i t d e s E r k e n n t n i s i n h al t e s richten. Die Äquivokationen treten dann alsbald hervor, und sie erklären den trügerischen 1 5 Schein, als ob die unter dem traditionellen Titel „Elementarlehre" abgehandelten Materien innerlich homogen und insgesamt psy­ chologische wären. Da wird vor allem von den V o r s t e l l u n g e n gehandelt und in weitem Maße auch psychologisch gehandelt ; die apperzeptiven 20 Vorgänge, in welchen Vorstellungen erwachsen, werden möglichst tief erforscht. So wie es aber an die Unterschiede der wesentlichen „Formen" der Vorstellungen geht, bereitet sich schon ein Bruch in der Betrachtungsweise vor, der sich fortsetzt in der Lehre von den Urteilsformen und am weitesten auseinanderklafft in der 25 Lehre von den Schlußformen, sowie den zugehörigen Denkge­ setzen. Der Terminus Vorstellung verliert plötzlich den Charakter eines psychologischen Klassenbegriffs. Dies tritt in Evidenz, so­ wie wir nach dem Einzelnen fragen, das unter den Begriff Vor­ stellung fallen soll. Wenn der Logiker Unterschiede fixiert, wie die 30 zwischen singulären und allgemeinen Vorstellungen (Sokrates der Mensch überhaupt ; die Zahl Vier - die Zahl überhaupt) , zwi­ schen attributiven und nicht attributiven (Sokrates, Weiße - ein Mensch, eine Farbe) u. dgl. ; oder wenn er die mannigfachen Ver­ knüpfungsformen von Vorstellungen zu neuen Vorstellungen auf35 zählt, wie konjunktive, disjunktive, determinative Verknüpfung u. dgl. ; oder wenn er wesentliche Vorstellungsverhältnisse, wie Inhalts- und Umfangsverhältnisse klassifiziert : so muß doch

1 78

D I E P S Y C H O L O G I S TI S C H E N

j edermann sehen, daß hier nicht von phänomenalen, sondern von spezifischen Einzelheiten die Rede ist. Nehmen wir an, es spreche j emand als logisches Exempel den Satz aus : Die Vorstellung Dreieck schließt die Vorstellung Figur ein, und der Umfang dieser 5 umschließt den Umfang j ener. Ist darin von den subjektiven Erlebnissen irgendeiner Person und vom realen Enthaltensein von Phänomenen in Phänomenen die Rede ? Gehören in den Umfang dessen, was hier und in allen ähnlllichen Zusammenhängen V o r s t e l l u n g heißt, als u n t e r s c h i e d e n e Glieder, die Dreieck! o vorstellung, die ich j etzt, und die, welche ich in einer Stunde habe ; oder nicht vielmehr als e i n z i g e s Glied d i e Vorstellung „Drei­ eck" und daneben, wieder als E i n z e l h e i t en, d i e Vorstellung 1 „Sokrates" , d i e Vorstellung „Löwe" u. dgl. ? 1 In aller Logik ist gar viel die Rede von U r t e i l e n ; aber auch 1 5 hier besteht Äquivokation. In den psychologischen Partien der logischen Kunstlehre spricht man von Urteilen als F ü r w a h r­ h al t u n g e n, man spricht also von bestimmt gearteten Bewußt­ seinserlebnissen. In den rein logischen Partien ist davon weiter keine Rede. Urteil heißt hier soviel wie S a tz, und zwar verstan20 den nicht als eine grammatische, sondern als eine i d e al e B e­ d e u t u n g s e i nh e i t. Dies trifft all die Unterscheidungen von Urteilsakten bzw. Formen, welche für die rein-logischen Gesetze die nötigen Unterlagen bieten. Kategorisches, hypothetisches, disjunktives, existenziales Urteil, und wie die Titel noch lauten 25 mögen, sind in der reinen Logik nicht Titel für Urteilsklassen, sondern Titel rfür ideale1 1 Satzformen. Dasselbe gilt für die S c h l u ß f o r m e n : für Existenzialschluß, kategorischen Schluß usw. Die bezüglichen Analysen sind Bedeutungsanalysen, also nichts weniger als psychologische Analysen. Nicht individuelle 30 Phänomene, sondern Formen intentionaler Einheiten werden analysiert, nicht Erlebnisse des Schließens, sondern Schlüsse. Wer in logisch-analytischer Absicht sagt : das kategorische Urteil „Gott ist gerecht" hat die Subj ektvorstellung „Gott", spricht sicherlich nicht von dem Urteil als psychischem Erlebnis, das er 35 oder ein anderes Individuum hat, und desgleichen nicht von dem psychischen Akt, der darin eingeschlossen und durch das Wort 1 A : rvon idealen1 .

{� j A 1 75 B 1 75

VORURTEILE

1 79

r„Gott"1 1 erregt ist ; sondern er spricht von d e m Satze „Gott ist gerecht", welcher re i n e r1 2 ist, der Mannigfaltigkeit möglicher Erlebnisse zu Trotze, und von d e r Vorstellung „Gott", die wiederum re i n e1 2 ist, wie es nicht anders sein kann bei dem 5 einzelnen Teile re i n e s1 2 Ganzen. Und demgemäß meint der [A 1 7 6] II Logiker mit dem Ausdruck „jedes Urteil" nicht „j eder Urteils- [B 1 76] akt", sondern „jeder objektive Satz'' . Im Umfang des logischen Begriffes Urteil steht nicht gleichberechtigt das Urteil „ 2 X 2=4", das ich soeben erlebe, und das Urteil „ 2 X 2 = 4", das gestern 1 0 und sonst wann und in sonst welchen Personen Erlebnis war. Im Gegenteil, es figuriert kein einziger unter diesen Akten im fraglichen Umfang, wohl aber schlechthin „ 2 X 2 = 4" und daneben etwa „die Erde ist ein Kubus", der Lehrsatz des Pytha­ goras u. dgl., und zwar j e als ein Glied. Genau ebenso verhält es 1 5 sich natürlich, wenn man sagt : „ d a s Urteil S folgt aus d e m Urteil P" ; und s o i n allen ähnlichen Fällen. Dadurch bestimmt sich auch erst der wahre Sinn der logischen Grundsätze, und zwar als ein solcher, wie ihn unsere früheren Analysen gekennzeichnet haben. Das Prinzip vorn Widerspruch 20 ist, so lehrt man, ein Urteil über Urteile. Wofern man aber unter Urteilen psychische Erlebnisse, Akte des Fürwahrhaltens, Glau­ bens rusw.1 3 versteht, kann diese Auffassung nicht Geltung haben. Wer das Prinzip aussagt, urteilt ; aber weder das Prinzip, noch das, worüber es urteilt, sind Urteile. Wer aussagt : r„von 25 zwei kontradiktorischen Urteilen ist eins wahr und eins falsch"14, meint, wenn er sich nicht mißversteht (wie es bei nachträglicher Interpretation wohl kommen mag) , nicht ein Gesetz für Urteils­ akte, sondern ein Gesetz für U r t e i l s i n h a l t e auszusagen, mit anderen Worten, für die i d e a l e n B e d e u t u n g e n, die wir kurz30 weg Sätze zu nennen pflegen. Also lautete der bessere Ausdruck : r„von zwei kontradiktorischen Sätzen ist einer wahr und einer A 1 77] falsch"l4. Es 1 ist auch klar, daß wir, um den 1 Satz vom WiderB 1 77]

{

*

• Man verwechsle nicht den Satz vom Widerspruch mit dem normativen Satz für Urteile, der seine evidente Folge ist : r„ Von zwei kontradiktorischen Urteilen ist eines rieb t i g" l •. - Der Begriff der Richtigkeit rist korrelativ mit dem der Wahr-

1 Die Anführungszeichen fehlen in A. 2 In A nicht gesperrt, jedoch großgeschrieben. a A : retc.1 . 4 Die Anführungszeichen fehlen in A .

{

1 80

D I E P S Y C H O L O GISTISCHEN

spruch zu verstehen, nichts weiter nötig haben, als uns den Sinn entgegengesetzter Satzbedeutungen zu vergegenwärtigen. An Urteile als reale Akte haben wir nicht zu denken, und in keinem Falle wären sie die hierhergehörigen Objekte. Man braucht nur 5 darauf hinzublicken, um einzusehen, daß zum Umfang dieser logischen Gesetzlichkeit nur Urteile in einem idealen Sinne ge­ hören - wonach „das" Urteil „2 x 2 5" re i n e s1 1 ist neben „dem" Urteil „Es gibt Drachen" , neben „dem" Satz von der Winkelsumme u. dgl. - hingegen kein einziger der wirklichen 1 0 oder vorgestellten Urteils a k t e, die in unendlicher Mannigfaltig­ keit j eder dieser idealen Einheiten entsprechen. Ähnliches wie vom Satze des Widerspruchs gilt für alle rein logischen Sätze, z.B. die syllogistischen. Der Unterschied der psychologischen Betrachtungsweise, wel15 ehe die Termini als Klassentermini für psychische Erlebnisse ver­ wendet, von der objektiven oder idealen Betrachtungsweise, in welcher eben dieselben Termini rideale1 2 Gattungen und Arten vertreten, ist kein nebensächlicher und bloß subjektiver ; er be­ stimmt den Unterschied wesentlich verschiedener Wissenschaften. 20 Reine Logik und Arithmetik, als Wissenschaften von den idealen Einzelheiten gewisser Gattungen (oder von dem, was a priori im idealen Wesen dieser Gattungen gründet) , trennen sich von der Psychologie, als der Wissenschaft von den individuellen Einzel­ heiten gewisser empirischer Klassen. =

heit 1 •. Richtig ist ein Urteil, wenn es für wahr hält, was wahr ist ; also ein Urteil, dessen r„I n h a t t" l • ein wahrer Satz ist. Die logischen Prädikate Wahr und Falsch gehen, ihrem eigentlichen Sinne pach, ausschließlich die Sätze, im Sinne idealer Aus­ sage-Bedeutungen, an. - Wieder rsteht der Begriff des kontradiktorischen Urteiles in Korrelation mit dem 1 kontradiktorischen Satze 1 • : Im rnoetischen1 • Sinne heißen [B 1 77] Urteile kontradiktorisch, wenn ihre I n h a l t e (ihre idealen Bedeutungen) in jener deskriptiv bestimmten Beziehung stehen, die wir - im lformal-logischen1 7 Sinn als Kontradiktion bezeichnen.

1 In A nicht gesperrt, jedoch großgescbrieben. 2 A : raristotelische 1 . 3 A : rsetzt den der Wahrheit voraus1 . 4 Die Anführungszeichen fehlen in A. 5 A : rsetzt der Begriff des kontradiktorischen Urteiles denjenigen 1 des [A 1 77] kontradiktorischen Satzes voraus1 . 6 A : rübertragenenl . 7 A : reigentlichen1 .

V O R U RT E I L E

181

§ 48. Die entscheidenden Differenzen

Heben wir zum Schluß noch die entscheidenden Differenzen hervor, von deren Anerkennung bzw. Verkennung die ganze Stellung zur psychologistischen Argumentation abhängt, so sind 5 es folgende : A 1 781 I I 1 . Es ist ein wesentlicher, schlechthin unüberbrückbarer B 78 Unterschied zwischen Idealwissenschaften und Realwissenschaften. Die ersteren sind apriorisch, die letzteren empirisch. Entwickeln j ene die ideal-gesetzlichen Allgemeinheiten, welche mit 10 einsichtiger Gewißheit in echt generellen Begriffen gründen, so stellen diese die realgesetzlichen Allgemeinheiten, und zwar mit einsichtiger Wahrscheinlichkeit fest, welche sich auf eine Sphäre von Tatsachen beziehen. Der Umfang der Allgemeinbegriffe ist dort ein Umfang von niedersten spezifischen Differenzen, hier 15 ein Umfang von individuellen, zeitlich bestimmten Einzelheiten ; die letzten Gegenstände also dort ideale Spezies, hier empirische Tatsachen. Offenbar vorausgesetzt sind hierbei die wesentlichen Unterschiede zwischen Naturgesetz und idealem Gesetz, zwischen universellen Sätzen über Tatsachen (die sich vielleicht als gene20 relle Sätze verkleiden : alle Raben sind schwarz - der Rabe ist schwarz) und echt generellen Sätzen (wie es die allgemeinen Sätze der reinen Mathematiksind) , zwischen empirischem Klassenbegriff und idealem Genusbegriff u. dgl. Die richtige Schätzung dieser Unterschiede ist durchaus abhängig von dem endgültigen Auf25 geben der empiristischen Abstraktionstheorie, welche, gegen­ wärtig vorherrschend, das Verständnis alles Logischen verbaut ; worüber wir später ausführlich sprechen werden. r (Vgl. II. Band, s. 1 06ff. )11. 2. Es ist in aller Erkenntnis und speziell in aller Wissenschaft 30 der fundamentale Unterschied zwischen dreierlei Zusammen­ hängen zu beachten : a) Der Zusammenhang der E r k e n n t n i s e r l e b n i s s e, in wel­ chen sich Wissenschaft subjektiv realisiert, also der p s y c h o l o­ g i s c h e Z u s a m m e n h a n g der Vorstellungen, Urteile, Einsich35 ten, Vermutungen, Fragen usw., in denen sich das Forschen voll-

{[ [ 1 l

1 Zusatz von B.

1 82

D I E P S Y C H O L O G I S TI S C H E N

zieht, oder in welchen die längst entdeckte Theorie einsichtig durchdacht wird. b) Der Zusammenhang der in der Wissenschaft erforschten und theoretisch e r k a n n t e n S a c h e n, die als solche das G e b i e t [A 1 79) 5 dieser Wissenschaft ausmachen. Der Zusammenhang II des For[B 1 79) schens und Erkennen ist sichtlich ein anderer als der des Er­ forschten und Erkannten. c) D e r l og i s c h e Z u s a m m e n h a n g, d.h. der spezifische Zu­ sammenhang der theoretischen Ideen, welcher die Einheit der 10 W a h rh e i t e n einer wissenschaftlichen Disziplin, spezieller einer wissenschaftlichen Theorie, eines Beweises oder Schlusses konsti­ tuiert, bzw. auch die Einheit der B e g r i f f e im wahren S a t z e, der einfachen Wahrheiten in Wahrheitszusammenhängen u. dgl. Im Falle der Physik z.B. unterscheiden wir den Zusammenhang 1 5 der psychischen Erlebnisse des physikalisch Denkenden von der physischen Natur, die von ihm erkannt wird, und beide wieder von dem idealen Zusammenhang der Wahrheiten in der physika­ lischen Theorie, also in der Einheit der analytischen Mechanik, der theoretischen Optik u. dgl. Auch die Form der Wahrschein20 lichkeitsbegründung, welche den Zusammenhang von Tatsachen und Hypothesen beherrscht, gehört in die Linie des Logischen. Der logische Zusammenhang ist die ideale Form, um derentwillen in specie von derselben Wahrheit, von demselben Schlusse und Beweise, von derselben Theorie und rationalen Disziplin die Rede 25 ist, von d e r s e l b e n und re i n e nl l, wer immer „sie" denken mag. Die Einheit dieser Form ist gesetzliche Geltungseinheit. Die Ge­ setze, unter denen sie nebst allen ihresgleichen steht, sind die rein logischen Gesetze, welche somit alle Wissenschaft übergreifend befassen, und zwar befassen nicht nach ihrem psychologischen 30 und gegenständlichen, sondern nach ihrem idealen Bedeutungs­ gehalt. Selbstverständlich sind die bestimmten Zusammenhänge von Begriffen, Sätzen, Wahrheiten, welche die ideale Einheit einer bestimmten Wissenschaft ausmachen, nur insofern logische zu nennen, als sie u n t er die Logik, in der Weise von Einzelfällen, 35 gehören ; nicht aber gehören sie selbst z u r Logik als Bestand­ stücke. Die drei unterschiedenen Zusammenhänge betreffen Logik und

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l In A nicht gesperrt, jedoch großgeschrieben.

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Arithmetik natürlich ebensogut wie alle anderen Disziplinen ; nur A l SO] sind bei beiden die erforschten Sachen nicht wie in 1 der 1 Physik B l 80] reale Tatsachen, sondern ideale Spezies. Bei der Logik ergibt sich aus der Besonderheit derselben die gelegentlich schon erwähnte 5 Eigentümlichkeit, daß die idealen Zusammenhänge, welche ihre theoretische Einheit ausmachen, als Spezialfälle unter die Gesetze gehören, die sie selbst aufstellt. Die logischen Gesetze sind zu­ gleich Teile und Regeln dieser Zusammenhänge, sie gehören zum t h e o r e t i s c h e n V e r b a n d und doch gleichzeitig zum G e b i e t 1 0 der logischen Wissenschaft.

§ 49. Drittes Vorurteil. Die Logik als Theorie der Evidenz Wir formulieren ein drittes Vorurteil* in folgenden Sätzen : Alle Wahrheit liegt im Urteil. Aber als wahr erkennen wir ein Urteil nur im Falle seiner E v i d e n z. rDieses Wort bezeichnet 15 so sagt man -1 1 einen eigentümlichen und j edem aus seiner inneren Erfahrung wohlbekannten psychischen Charakterr, ein eigenartiges Gefühl, welches die Wahrheit des Urteils, dem es1 2 angeknüpft ist, verbürgt. Ist nun die Logik die Kunstlehre, welche uns in der Erkenntnis der Wahrheit fördern will, so sind die 1020 gischen Gesetze selbstverständlich Sätze der Psychologie. Es sind nämlich Sätze, die uns über die rpsychologischen1 3 Bedingungen aufklären, von denen das Dasein oder Fehlen j enes r„Evidenz­ gefühls"14 abhängig ist. An diese Sätze schließen sich dann natur­ gemäß praktische Vorschriften an, welche uns bei der Realisierung 25 von Urteilen, die dieses auszeichnenden Charakters teilhaftig sind, fördern sollen. Allenfalls mögen auch diese psychologisch fundier­ ten Denkregeln gemeint sein·, wo man von logischen Gesetzen oder Normen spricht. An diese Auffaussung streift schon Mill, wenn er in der Absicht, 30 die Logik von der Psychologie abzugrenzen, lehrt : „The properties -

* In den Argumentationen des I I I . Kapitels spielte es seine Rolle speziell im § 1 9, s. 57,

1 2 des a 4

A : rMit diesem Worte bezeichnen wir1 , A : r(er wird gewöhnlich als Gefühl bezeichnet), welcher die Wahrheit Urteils, dem er1 . A : rpsychischen1 . Die Anführungszeichen fehlen in A.

1 84

D I E P S Y C H OLOGISTI S C H E N

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of Thought which concern Logic, are some of its c o ntingent properties; t�ose,_ namely, on th� Presen�e of wh�ch depends g_ood thinking, �s dis- [A 1 8 1 ] , tinguished from bad. * In semen weiteren I I Ausführungen bezeichnet [B 1 8 1 ] er die Logik wiederholt als (psychologisch zu fassende) „Theory" 5 oder „Philosophy of Evidence'',** wobei er es unmittelbar allerdings nicht auf die rein logischen Sätze abgesehen hat. In Deutschland tritt dieser Gesichtspunkt gelegentlich bei S i g w a r t hervor. Nach ihm „kann keine Logik anders verfahren, als daß sie sich der Bedingungen bewußt wird, unter denen dieses subjektive Gefühl der Notwendigkeit 1 0 (im vorhergehenden Absatz „das innere Gefühl der Evidenz") ein­ tritt, und dieselben auf ihren allgemeinen Ausdruck bringt" . * * * In dieselbe Richtung deuten auch manche Äußerungen W u n d t s . In seiner Logik lesen wir z.B. : „Die in bestinimten Verbindungen des Denkens enthaltenen Eigenschaften der Evidenz und Allgemeingül1 5 tigkeit lassen . . . aus den psychologischen die logischen Denkgesetze hervorgehen. " Ihr „normativer Charakter ist lediglich darin begrün­ det, daß gewisse unter den psychologischen Verbindungen des Den­ kens tatsächlich Evidenz und Allgemeingültigkeit besitzen. Denn nun wird es erst möglich, daß wir an das Denken überhaupt mit der For20 derung herantreten, es solle den Bedingungen der Evidenz und Allge­ meingültigkeit genügen" . - „Jene Bedingungen selbst, denen genügt werden muß, um Evidenz und Allgemeingültigkeit herbeizuführen, bezeichnen wir als logische Denkgesetze . . . . " Ausdrücklich wird noch betont : „Das psychologische Denken bleibt immer die umfassendere 25 Form."**** In der logischen Literatur rgegen Ende des letzten Jahrhunderts1 I gewinnt die Interpretation der Logik als praktisch gewendeter Psycho­ logie der Evidenz unverkennbar an Schärfe und Ausbreitung. Beson­ dere Erwähnung verdient hier die Logik von H ö fl e r und M e i n o n g, 30 weil sie als der erste wirklich durchgeführte Versuch anzusehen ist, den Gesichtspunkt der Psychologie der Evidenz in der ganzen Logik mit möglichster Konsequenz zur Geltung zu bringen. Als die Haupt[B 1 82] auflgabe der Logik belzeichnet H ö f l e r die Untersuchung der „ (zunächst psychologischen) Gesetze, nach welchen das Zustandekommen [A 1 8 2] 35 der Evidenz von bestimmten Eigenschaften unserer Vorstellungen

{

• ]. S t. M i l l, A n Examination•, S. 462. •• a. a. 0., S. 473, 475, 476, 478. ••• S i g w a r t, Logik, 12, S. 1 6. • • • • W u n d t, Logik, I", S. 9 1 . W u n d t stellt hier beständig nebeneinander die Evidenz und die Allgemeingültigkeit. Was die letztere anlangt, so scheidet er subjek· tive Allgemeingültigkeit, die eine bloße Folge der Evidenz sei, und die objektive, die auf das Postulat der Begreiflichkeit der Erfahrung hinausläuft. Da aber Berechtigung und angemessene Erfüllung des Postulates doch wieder auf Evidenz fußt, so scheint das Hereinziehen der Allgemeingültigkeit in die prinzipiellen Erörterungen der Aus· gangspunkte nicht tunlich.

1 A : rdes letzten Jahrzehnts l .

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1 85

und Urteile abhängt".* „Unter allen wirklich vorkommenden oder doch als möglich vorstellbaren Erscheinungen des Denkens" habe die Logik „diejenigen Arten („Formen") von Gedanken herauszuheben, welchen Evidenz entweder direkt zukommt, oder welche notwendige 5 Bedingungen für das Zustandekommen von Evidenz sind".** Wie ernstlich psychologisch dies gemeint ist, zeigen die sonstigen Ausfüh­ rungen. So wird z.B. die Methode der Logik, soweit sie die theoretische Grundlegung der Lehre vom richtigen Denken betrifft, als die näm­ liche bezeichnet, welche die Psychologie gegenüber a l l e n psychi1 0 sehen Erscheinungen anwende ; sie habe die E r s c h e i n u n g e n spe­ ziell des richtigen Denkens zu b e s ch r e i b e n und dann soweit als möglich auf einfache Gesetze zurückzuführen, d.h. die verwickelteren aus den einfachen zu e r k l ä r e n (a.a.O. , S. 1 8) . In weiterer Folge wird der logischen Lehre vom Schlusse die Aufgabe zugewiesen, „die 1 5 Gesetze aufzustellen . . . , von welchen Merkmalen der Prämissen es abhängt ob ein bestimmtes Urteil aus ihnen mit Evidenz erschlossen werden kann" . Usw.

§ 50. Die äquivalente Umformung der logischen Sätze in Sätze über ideale Bedingungen der Urteilsevidenz. Die resuUierenden Sätze 20 nicht psychologische Wenden wir uns nun zur Kritik. Wir sind zwar davon weit entfernt, die Unbedenklichkeit des gegenwärtig als Gemeinplatz umlaufendenr, aber sehr klärungsbedürltigen1 1 Satzes zuzuge­ stehen, mit dem das Argument anhebt - nämlich, daß alle Wahr25 heit im Urteil liege ; aber daran zweifeln wir natürlich nicht, daß Wahrheit erkennen und mit Rechtsanspruch behaupten, Wahr­ heit einsehen voraussetzt. Desgleichen auch nicht daran, daß die logische Kunstlehre nach den rpsychologischen1 2 Bedingungen zu forschen hat, unter welchen uns die Evidenz im Urteilen auf3 0 leuchtet. Wir kommen der bestrittenen Auffassung sogar 1 noch [B 1 83] einen weiteren Schritt ent lgegen. Obwohl wir auch j etzt wieder [A 1 83] den Unterschied zwischen rein logischen und methodologischen Sätzen geltend zu machen gedenken, gestehen wir bezüglich der ersteren ausdrücklich zu, daß sie eine gewisse Beziehung zum • Logik, Unter Mitwirkung von A. M e i n o n g verfaßt von A. H ö f l e r, Wien 1 890, S. 16 oben. ** a. a. 0„ S. 1 7.

1 Zusatz von B. 2 A : rpsychischen 1 .

1 86

D I E P S Y C H O L O G I S TI S C H E N

rpsychologischen Datum1 1 der Evidenz haben und in gewissem Sinne rpsychologische1 2 Bedingungen desselben hergeben. Aber allerdings gilt uns diese Beziehung als eine rein ideale und indirekte. Wir leugnen es, daß die rein logischen Sätze selbst über 5 die Evidenz und ihre Bedingungen das Geringste aussagen. Wir glauben zeigen zu können, daß sie j ene Beziehung zu Evidenz­ erlebnissen nur auf dem W e g e d e r A n w e n d u n g resp. Um­ wendung erlangen können, nämlich auf gleiche Weise, wie j edes „rein in Begriffen gründende" Gesetz auf den allgemein vorge10 stellten Bereich empirischer Einzelfälle j ener Begriffe übertragen werden kann. Die so erwachsenden Evidenzsätze behalten aber nach wie vor ihren apriorischen Charakter, und die Evidenzbe­ dingungen, die sie nun aussagen, sind nichts weniger als psycho­ logische, also rreale1 3 Bedingungen. Die rein begrifflichen Sätze 15 wandeln sich vielmehr, hier wie in j edem analogen Falle, in Aus­ sagen über i d e al e Unverträglichkeiten bzw. Möglichkeiten um. Eine einfache Überlegung wird Klarheit schaffen. Aus j edem rein logischen Gesetz kann man, durch a priori mögliche (eviden­ te) Umformung gewisse Evidenzsätze, wenn man will, Evidenz20 bedingungen ablesen. Das kombinierte Prinzip vom Widerspruch und ausgeschlossenen Dritten ist sicherlich äquivalent mit dem Satze : Evidenz k a n n bei einem,4 aber auch nur bei re i n e m1 4 von einem Paar kontradiktorischer Urteile auftreten. * Wieder • Verlangte die Evidenztheorie wirklich die Deutung, welche H ö f l e r, a. a. 0., S. 133 bietet, so wäre sie schon durch unsere frühere Kritik der empiristischen Ver­ kennungen der logischen Prinzipien gerichtet (vgl. S. 74 d. W.) . H ö f l e r s Satz „ein bejahendes und ein verneinendes Urteil über denselben Gegenstand sind unverträglieh" ist, genau besehen, in sich falsch 1 •, 1 geschweige denn, daß er als Sinn des logischen Prinzips gelten könnte. Ein ähnliches Versehen unterläuft bei der Definition der Korrelativa Grund und Folge; die, wenn sie richtig wäre, aus allen Schlußgesetzen falsche Sätze machen würde. Sie lautet : „Ein Urteil F ist dann die ,Folge' eines ,Grundes' G, wenn mit dem F ü r w a h r h a l t e n von G das (vorgestellte) F ü r f a l s c hh a l t e n von F unverträglich . . . ist" (a. a. 0„ S. 1 36) . Man beachte, daß H ö f l e r Unverträglichkeit durch Evidenz der Inkoexistenz erklärt ( a . a. 0 . , S . 1 29) . E r verwechselt offenbar die ideale „Inkoexistenz" der betreffenden Sätze (deutlicher zu reden : ihr Nichtzusammengelten) mit der realen Inkoexistenz der entsprechenden Akte des Fürwahrhaltens, Vorstellens usw.

1 A : rpsychischen Charakter1 , 2 A : rpsychische 1 . 3 A : rkausale1 . 4 Bei diesen beiden Zahlwörtern wurde die in A übliche Großschreibung wie gelegentlich auch an anderen Stellen in B beibehalten, im zweiten Fall trotz Sperrung in B. 5 In A folgt : roder mindestens zweifelhaft1 ,

{ [B

A 1 84 1 84

J

1 87

V O R U RT E I L E

ist der modus barbara zweifellos äquivalent dem Satze : die Evidenz der notwendigen Wahrheit eines II Satzes der Form „alle A sind C" (oder genauer ausgedrückt : seiner Wahrheit als einer notwendig erfolgenden) kann auftreten in einem schließenden 5 Akte, dessen Prämissen die Formen haben „alle A sind B" und „alle B sind C", Und so ähnlich bei j edem rein logischen Satze. Völlig begreiflich, da evidentermaßen die allgemeine Äquivalenz besteht zwischen den Sätzen „A ist wahr" und „es ist möglich, daß irgend j emand mit Evidenz urteilt, es sei A " . Natürlich 10 werden also die Sätze, zu deren Sinn es gehört auszusagen, was gesetzlich im Begriffe der Wahrheit liegt, und daß das Wahrsein von Sätzen gewisser Satzformen dasjenige von Sätzen korrelater Satzformen bedingt, äquivalente Umformungen zulassen, in denen das mögliche Auftreten von Evidenz zu den Satzformen der Ur1 5 teile in Beziehung gesetzt wird. Aber die Einsicht in diesen Zusammenhang bietet uns zugleich die Handhabe zur Widerlegung des Versuches, reine Logik in Psychologie der Evidenz aufgehen zu lassen. An sich besagt doch der Satz „A ist wahr" nicht dasselbe wie sein Äquivalent „es ist 20 möglich, daß irgend j emand urteile, es sei A ". Der erstere spricht nicht von Urteilen irgend j emandes, auch nicht irgend j emandes ganz im allgemeinen. Es verhält sich hier ganz so wie bei den rein mathematischen Sätzen. Die Aussage, daß a + b b + a ist, besagt, daß der Zahlenwert der Summe zweier Zahlen von ihrer 25 Stellung in der Verknüpfung unabhängig ist, aber rsie sagt1 1 nichts vom Zählen und Summieren irgend j emandes. Dergleichen kommt erst I I durch eine evidente und äquivalente Umformung hinein. In concreto rist ja (und dies steht a priori fest) keine Zahl ohne Zählen, keine Summe ohne Summieren gegeben 1 • z 30 Aber selbst wenn wir die originären Formen der rein logischen Sätze verlassen und sie in die äquivalent zugehörigen Evidenz­ sätze umwenden, so entsteht daraus nichts, was die Psychologie als ihr Eigentum in Anspruch nehmen könnte. Sie ist eine empi­ rische Wissenschaft, die Wissenschaft von den psychischen Tat35 sachen. Psychologische Möglichkeit ist also ein Fall von realer

{

[A 1 841 [B 1 84)

=

1 A:

rer spricht1 .

2 A : rgibt es ja (und dies steht

keine Summe ohne Summieren1 ,

a

pyiori fest) keine Zahl ohne Zählen,

{

[A 1 851 B 1 85

[ ]

1 88

D I E P S Y C H O L O G I S TI S C H E N

Möglichkeit. Jene Evidenzmöglichkeiten sind aber ideale. Was psychologisch unmöglich ist, kann ideal gesprochen sehr wohl sein. Die Auflösung des verallgemeinerten „Problems der 3 Kör­ per", sagen wir das „Problem der n Körper", mag j ede mensch5 liehe Erkenntnisfähigkeit überschreiten. Aber das Problem h a t eine Auflösung, und s o ist eine darauf bezügliche Evidenz mög­ lich. Es gibt dekadische Zahlen mit Trillionenstellen, und es gibt auf sie bezügliche Wahrheiten. Aber niemand kann solche Zahlen wirklich vorstellen und die auf sie bezüglichen Additionen, Multi10 plikationen usw. wirklich ausführen. Die Evidenz ist hier psycho­ logisch unmöglich, und doch ist sie, i d e a l zu reden, ganz gewiß ein mögliches psychisches Erlebnis. Die Umwendung des Begriffs Wahrheit in den der Möglichkeit evidenten Urteilens hat ihr Analogon rin dem 1 1 Verhältnis der Be1 5 griffe individuelles Sein und Wahrnehmungsmöglichkeit. Die Äquiva­ lenz dieser Begriffe ist, wofern nur unter Wahrnehmung die adäquate Wahrnehmung verstanden wird, unbestreitbar. Es ist danach eine Wahrnehmung m ö g l i ch, welche in rein em1 2 Schauen die ganze Welt, die überschwengliche Unendlichkeit von Körpern3 wahrnimmt. 20 Natürlich ist diese ideale Möglichkeit keine reale, die für irgendein empirisches Subjekt angenommen werden könnte r, zumal solches Schauen ein unendliches Kontinuum des Schauens wäre : einheitlich gedacht eine K a n t s c h e Ideel 4.

Indem wir die Idealität der Möglichkeiten betonen, welche in 25 betreff der Urteilsevidenz aus den logischen Gesetzen ent[[nommen werden können, und welche uns in apodiktischen Evidenzen als a priori geltende einleuchten, wollen wir keineswegs ihre p s y c h o l o g i s c h e N u t z b a r k e i t leugnen. Wenn wir aus dem Gesetze, daß von zwei kontradiktorischen Sätzen einer wahr und 30 einer falsch ist, die Wahrheit ableiten, daß von einem Paar mög­ licher kontradiktorischer Urteile je eines, aber nur eines den Charakter der Evidenz haben kann - und diese Ableitung ist eine evident zu Recht bestehende, wenn wir Evidenz als das Erlebnis definieren, in dem irgendein Urteilender der Richtigkeit 1 A : rim1 . 2 In A nicht gesperrt, jedoch großgeschrieben. 3 Zusatz in A : 'mit allen ihren Teilen, Molekülen, Atomen und nach allen Verhältnissen und Bestimmtheiten1 . 4 Zusatz von B .

{ �B j A 1 86

1 86

V O R U RT E ILE

1 89

seines Urteils, d.i. dessen Angemessenheit an die Wahrheit inne wird - so spricht j a der neue Satz eine Wahrheit aus über Ver­ träglichkeiten bzw. Unverträglichkeiten gewisser p s y c h i s c h e r E r l e b n i s s e. Aber i n dieser Weise belehrt uns auch j eder rein 5 mathematische Satz über mögliche rund1 1 unmögliche Vorkomm­ nisse im Gebiete des Psychischen. Keine empirische Zählung und Berechnung, kein psychischer Akt algebraischer Transformation oder geometrischer Konstruktion 'ist1 2 möglich, rder 13 den idea­ len Gesetzen der Mathematik rwiderspräche1 4. So sind diese 1 0 Gesetze psychologisch nutzbar zu machen. Wir können aus ihnen jederzeit apriorische Möglichkeiten und Unmöglichkeiten ablesen, die sich auf gewisse Arten psychischer Akte, auf Akte der Zäh­ lung, der additiven, multiplikativen . . . Verknüpfung usw. be­ ziehen. Aber darum sind diese Gesetze noch nicht selbst psycho1 5 logische Sätze. Sache der Psychologie, als Naturwissenschaft von den psychischen Erlebnissen, ist es, die N a t u r b e d i n g t h e i t dieser Erlebnisse z u erforschen. In ihr Gebiet gehören also speziell die rempirisch-realen1 5 Verhältnisse der mathematischen und lo­ gischen Betätigungen. Ihre i d e a l e n 'Verhältnisse1 6 und Ge$etze 20 bilden aber ein Reich für sich. Dieses konstituiert sich 7 in rein generellen Sätzen, aufgebaut aus „Begriffen", welche nicht etwa Klassenbegriffe von psychischen Akten sind, sondern 1Idealbe­ griffe (Wesensbegriffe)1 B, die in solchen Akten 'bzw. in ihren objektiven Korrelaten1 9 ihre konkrete Grundlage haben . Die 25 Zahl Drei, die Wahrheit, die nach Pythagoras benannt ist, u. dgl., das sind, wie wir erörtert haben, nicht em lpirische Einzelheiten [B 1 87] oder 1 Klassen von Einzelheiten, es sind ideale Gegenstände, die [A 1 87] wir 'in Aktkorrelaten1 1 0 des Zählens, des evidenten Urteilens u. dgl. ideierend erfassen. 1 A : 'oderl . 2 A : lsindl . s

A : rdiel . A : rwidersprächenl . 5 A : •natürlichen (ka u s al e n) l . 6 I n A zusätzlich gesperrt. 7 In A folgt : rtetztlichl . s A : 'Ideenl . 9 Zusatz von B . io A : •im Aktel . 4

1 90

DIE PSYCHOLOGISTISCHEN

Und so ist denn in Ansehung der E v i d e n z die bloße Aufgabe der Psychologie, die n a t ü r l i c h e n Bedingungen der unter diesem Titel befaßten Erlebnisse aufzusuchen, also die realen Zusammen­ hänge zu erforschen, in denen nach dem Zeugnis unserer Erfah5 rung Evidenz erwächst und verschwindet. Solche natürlichen Be­ dingungen sind Konzentration des Interesses, eine gewisse gei­ stige Frische, Übung u. dgl. Ihre Erforschung führt nicht auf Er­ kenntnisse von exaktem Inhalt, nicht auf einsichtige Allgemein­ heiten von echtem Gesetzescharakter, sondern auf vage empiri10 sehe Allgemeinheiten. Aber die Urteilsevidenz steht nicht bloß unter solchen p s y c h o l o g i s c h e n Bedingungen, die wir auch als äußerliche und empirische bezeichnen können, sofern sie nicht rein in der spezifischen Form und Materie des Urteils, sondern in seinem empirischen Zusammenhang im Seelenleben gründen ; 1 5 vielmehr steht sie auch unter i d e a l e n Bedingungen. Jede Wahr­ heit 1ist1 1 eine ideale Einheit zu einer der Möglichkeit nach un­ endlichen und unbegrenzten Mannigfaltigkeit richtiger Aussagen derselben Form und Materie. Jedes aktuelle Urteil, das dieser ideellen Mannigfaltigkeit angehört, erfüllt, sei es durch seine bloße 20 Form oder durch seine Materie, die idealen Bedingungen für die Möglichkeit seiner Evidenz. Die rein logischen Gesetze sind nun Wahrheiten, die rein im Begriff der Wahrheit und in den ihm wesentlich verwandten Begriffen gründen. In Anwendung auf mögliche Urteilsakte sprechen sie dann, auf Grund der bloßen 25 Urteilsform, ideale Bedingungen der Möglichkeit bzw. Unmög­ lichkeit der Evidenz aus. Von diesen beiden Arten von Evidenz­ bedingungen haben die einen Beziehung zur besonderen Konsti­ tution der Arten psychischer Wesen, welche in den Rahmen der j eweiligen Psychologie fallen ; denn nur so weit wie die Erfahrung 30 reicht die psychologische Induktion ; die anderen aber, als ideal­ gesetzliche, gelten überhaupt für j edes mögliche Bewußtsein.

§

5 1 . Die entscheidenden Punkte in diesem Streite

Endlich und schließlich hängt die letzte Klärung auch in diesem Streite zunächst von der richtigen Erkenntnis des fundamental-

1 A : 'repräsentiertl .

{

[A 1 88] [B 1 88]

V O R U RT E I L E

191

sten erkenntnistheoretischen Unterschiedes, nämlich r dem1 1 zwi­ schen R e a l e m und I d e al e m ab bzw. von der richtigen Er­ kenntnis raller1 2 der Unterschiede, in die er sich auseinanderlegt. Es sind die wiederholt betonten Unterschiede zwischen realen 5 und idealen Wahrheiten, Gesetzen, Wissenschaften, zwischen realen und idealen (individuellen und spezifischen) Allgemein­ heiten und ebenso Einzelheiten u. dgl. Freilich in gewisser Weise kennt j edermann diese Unterschiede, und selbst ein so weit ins Extreme gehender Empirist wie H u m e vollzieht die fundamen10 tale Sonderung der , ;relations of ideas" und „matters of fact'' , die­ selbe, die unter den Titeln verites de raison und verites de fait schon vor ihm der große Idealist L e i b n i z gelehrt hatte. Aber eine erkenntnistheoretisch wichtige Sonderung vollziehen, heißt noch nicht ihr erkenntnistheoretisches Wesen richtig erfassen. Es muß 1 5 zu klarem Verständnis kommen, was denn das Ideale in sich und in seinem Verhältnis zum Realen ist, wie das Ideale auf Reales bezogen, wie es ihm einwohnen und so zur Erkenntnis kommen kann. Die Grundfrage ist, ob wirklich ideale Denkobjekte - um es modern auszudrücken - bloße Anzeigen sind für „denkökono20 misch" verkürzte Redeweisen, die, auf ihren eigentlichen Gehalt reduziert, sich in lauter individuelle Einzelerlebnisse, in lauter Vorstellungen und Urteile über Einzeltatsachen auflösen ; oder ob der Idealist Recht hat, wenn er sagt, daß sich j ene empiristi­ sche Lehre in nebelhafter Allgemeinheit zwar aussagen, aber nicht 25 ausdenken lasse ; daß j ede Aussage, z.B. auch j ede zu dieser Lehre selbst gehörige, S i n n und G e l t u n g beanspruche, und daß j eder Versuch, diese idealen Einheiten auf reale Einzelheiten zu reduzieren, in unabwendbare A?surditäten verwickle ; daß die Zer[A splitterung des Begriffs in irgendeinen Umfang von Einzelllheiten, [B 3 0 ohne irgendeinen Begriff, der diesem Umfang im Denken Einheit gäbe, undenkbar sei usw. Andererseits setzt das Verständnis unserer Scheidung zwischen der realen und idealen „Theorie der Evidenz" richtige Begriffe von E v i d e n z und W a h r h e i t voraus. In der psychologistischen 35 Literatur r der letzten Jahrzehnte1 3 hören wir von Evidenz rso1 4

{

l Fehlt in A. 2 A : ralll . 3 A : runserer Tage 1 .

4 A : rderartl .

1 89) 1 89)

1 92

D I E P S Y C H O L O G I S TI S C H E N

sprechen, als wäre sie ein zufälliges Gefühl, das sich bei gewissen Urteilen einstellt, bei anderen fehlt, bestenfalls so, daß es allge­ mein menschlich - genauer gefaßt, bei j edem normalen und unter normalen Urteilsumständen befindlichen Menschen - an 5 gewisse Urteile geknüpft erscheint, an andere nicht. Jeder Nor­ male fühlt unter gewissen normalen Umständen die Evidenz bei dem Satze 2 + 1 = 1 + 2, so wie er Schmerz fühlt, wenn er sich brennt. Freilich möchte man dann fragen, worauf sich die Autori­ tät dieses besonderen Gefühls gründe, wie es das anstelle, Wahr1 0 heit des Urteils zu verbürgen, ihm den „Stempel der Wahrheit aufzuprägen", seine Wahrheit „anzukündigen" , oder wie immer die bildliche Rede lauten mag. Man möchte auch fragen, was denn die vage Rede von normaler Veranlagung und normalen Um­ ständen exakt charakterisiere, und vor allem darauf hinweisen, 15 daß selbst der Rekurs auf das Normale den Umfang der evidenten Urteile mit dem der wahrheitsgemäßen nicht zur Deckung bringe. Niemand kann schließlich leugnen, daß auch für den normalen und unter normalen Umständen Urteilenden die ungeheure 1Mehrheit1 1 der möglichen richtigen Urteile der Evidenz erman20 geln muß. Man wird doch den fraglichen Begriff der Normalität nicht so fassen wollen, daß kein wirklicher und in dieser endlichen Naturbedingtheit möglicher Mensch normal genannt werden könnte. Wie der Empirismus überhaupt das Verhältnis zwischen Idea25 lem und Realem im Denken verkennt, so auch das Verhältnis zwischen Wahrheit und Evidenz. Evidenz ist kein akzessorisches Gefühl, das sich zufällig oder naturgesetzlich an gewisse Urteile anschließt. Es ist überhaupt nicht ein psychischer j Charak- [B 1 90) ter 1 j , der1 2 sich an j edes beliebige Urteil einer gewissen Klasse [A 1 90) 30 (sc. der sog. „wahren" Urteile) einfach anheften ließe ; 1so daß der phänomenologische1 3 Gehalt des betreffenden, an und für sich betrachteten Urteils identisch derselbe bliebe, ob es mit diesem Charakter behaftet ist oder nicht. Die Sache liegt keines­ wegs etwa so, wie wir uns den Zusammenhang der Empfindungs35 inhalte und der darauf bezogenen Gefühle zu denken pflegen : 1 A : 'Majoritätl . 2 A : rvon 1 einer Art, die1 . 3 A : rals ob der psychologischel .

[A 1 90]

V O R U RT E I L E

1 93

Zwei Personen haben dieselben Empfindungen, aber sie werden von ihnen im Gefühl anders berührt. Evidenz ist vielmehr nichts anderes als das „Erlebnis" der Wahrheit. Erlebt ist die Wahrheit natürlich in keinem andern Sinne, als in welchem überhaupt ein 5 Ideales im realen Akt rErlebnis1 1 sein kann . Mit anderen Worten : W a h rh e i t i s t e i n e I d e e, d e r e n E i n z e l f all i m e v i d e n t e n U r t e i l a k t u e l l e s E r l e b n i s i s t. rDas evidente Urteil aber ist ein Bewußtsein originärer Gegebenheit. Zu ihm verhält sich das nicht-evidente Urteil analog, wie sich die beliebige vorstellende 1 0 Setzung eines Gegenstandes zu seiner adäquaten Wahrnehmung verhält. Das adäquat Wahrgenommene ist nicht bloß ein irgend­ wie Gemeintes, sondern, als was es gemeint ist, auch im Akte originär gegeben, d.i. als selbst gegenwärtig und restlos erfaßt1 2 . So rähnlich1 3 ist das evident Geurteilte nicht bloß geurteilt (in 1 5 urteilender, aussagender, behauptender Weise gemeint}, sondern im Urteilserlebnis rgegeben als1 3 selbst gegenwärtig - gegen­ wärtig in dem Sinne, wie ein Sachverhalt in dieser oder j ener Bedeutungsfassung und je nach seiner Art, als einzelner oder all­ gemeiner, empirischer oder idealer u. dgl. „gegenwärtig" sein 20 kann. rrne Analogie, die alle originär gebenden Erlebnisse ver­ bindet, führt dann zu analogen Reden : man nennt die Evidenz ein Sehen, Einsehen, Erfassen des selbst gegebenen („wahren") Sachverhalts bzw., in naheliegender Äquivokation, der Wahrheit. Und wie im Gebiet der Wahrnehmung das Nichtsehen sich keines25 wegs deckt mit dem Nichtsein, so bedeutet auch Mangel der Evidenz nicht so viel wie Unwahrheit1 3. Das E r l e b n i s d e r Z u s a m m e n s t i m m u n g zwischen der Meinung und dem rselbst1 3 i A : rerlebtl .

2 A : rnaher das Gleichnis vom Sehen, Einsehen, Erfassen der Wahr­ heit in der Evidenz. Und wie im Gebiet der Wahrnehmung das Nichtsehen sich keineswegs deckt mit dem Nichtsein, so bedeutet auch Mangel der Evidenz nicht so viel wie Unwahrheit. Wahrheit verhält sich zur Evidenz analog, wie sich das Sein eines Individuellen zu seiner a d ä q u a t e n Wahr­ nehmung verhält. Wieder verhält sich das Urteil zum evidenten Urteil analog, wie sich die anschauliche Setzung (als Wahrnehmung, Erinnerung u. dgl.} zur adäquaten Wahrnehmung verhält. Das anschaulich Vorge­ stellte und für seiend Genommene ist nicht bloß ein Gemeintes, sondern, als was es gemeint ist, auch im Akte g e g e n w ä r t i gl . 3 Zusatz von B.

1 94

D I E P S Y C H O L O G I S TI S C H E N

Gegenwärtigen,l das sie meint, zwischen 1 dem raktuellen1 2 Sinn [B 1 9 1 ] d e r A u s s a g e und dem rselbst gegebenen1 3 S ac h v e r h a l t ist die Evidenz, und die r1 d e e1 4 dieser Zulsammenstimmung die [A 1 9 1 ] Wahrheit. Die Idealität der Wahrheit macht aber ihre Objektivi5 tät aus. Es ist nicht eine zufällige Tatsache, daß ein Satzgedanke, hier und j etzt, zum rgegebenen1 5 Sachverhalt stimmt. Das Ver­ hältnis betrifft vielmehr die identische Satzbedeutung und den identischen Sachverhalt. Die „Gültigkeit" oder „Gegenständlich­ keit" (bzw. die „Ungültigkeit", „Gegenstandslosigkeit") kommt 1 0 nicht der Aussage als diesem zeitlichen Erlebnis zu, sondern der Aussage in spezie, der (reinen und identischen) Aussage 2 X 2 ist 4 u. dgl. Nur mit dieser Auffassung stimmt es, daß ein Urteil U (d.h. ein Urteil des Inhaltes, Bedeutungsgehaltes U) rin der Weise eines 15 einsichtigen vollziehen, und einsehen, daß die Wahrheit U be­ steht1 6, auf dasselbe hinauskommt. Und dementsprechend haben wir auch die Einsicht, daß niemandes Einsicht mit der unsrigen - wofern die eine und andere wirklich Einsicht ist - streiten kann. Denn dies heißt ja nur, daß, was als wahr e r l e b t rist, 20 auch1 7 schlechthin wahr i s t, nicht falsch sein kann. rDas aber ergibt sich aus dem generellen Wesenszusammenhang zwischen Wahrheitserlebnis und Wahrheit. 1 8 Nur für unsere Auffassung ist also j ener Zweifel ausgeschlossen, dem die Auffassung der Evidenz als seines zufällig angeknüpften Gefühls nicht entfliehen 25 kann und der offenbar dem vollen Skeptizismus gleichkommt : eben der Zweifel, ob denn nicht, wo wir die Einsicht haben, daß U sei, ein anderer die Einsicht haben könnte, daß ein mit U evident unverträgliches U' sei, ob nicht überhaupt Einsichten mit Einsichten unlöslich kollidieren könnten usw. Wieder ver30 stehen wir so, warum das „Gefühl" der Evidenz keine andere 1 In A folgt : rErlebten,l .

2 A : rerlebtenl .

3

A : re r l e b t e nl . 4 I n A nicht gesperrt. o A : r erlebtenl . 6 A : re i n s e h e n und einsehen, daß U wahr istl . 7 A : ru nd somitl . B Zusatz von B.

V O R U RTEILE

5

1 95

w e s e n t l i c h e Vorbedingung haben kann als die Wahrheit des bezüglichen Urteilsinhalts. Denn wie es selbstverständlich ist, daß, wo nichts ist, auch nichts zu sehen ist, so ist es nicht minder selbstverständlich, daß es, wo keine Wahrheit ist, auch kein als wahr Einsehen geben kann, m.a.W. keine Evidenz r (ct. Bd. II, 6. Unt., Kap. 5)1 . 1

1 A in einem neuen Abschnitt : rDoch genug über diesen Gegenstand. Bezüglich der näheren Analyse dieser Verhältnisse sei auf die bezüglichen Spezialuntersuchungen in den späteren Teilen d. W. verwiesenl .

NEUNTES KAPITEL

DAS PRINZIP DER DENKÖKONOMIE UN D DIE LOGIK

§ 52. Einleitung Nah verwandt mit dem Psychologismus, dessen Widerlegung uns bisher beschäftigt hat, ist eine andere Form empiristischer Begründung der Logik und Erkenntnistheorie, welche in den letzten Jahren in besonderem Maße Ausbreitung gewinnt : näm­ lich die b i o l o g i s c h e Begründung dieser Disziplinen mittels des l O Prinzips vom kleinsten Kraftmaß, wie A v e n a r i u s, oder des Prinzips von der Ökonomie des Denkens, wie M ac h es nennt. Daß diese neue Richtung schließlich wieder in einen Psychologis­ mus einmündet, tritt am deutlichsten in der „Psychologie" von C o r n e l i u s hervor. In diesem Werke wird das fragliche Prinzip 15 ausdrücklich als „Grundgesetz des Verstandes" und zugleich als ein „allgemeines psychologisches Grundgesetz" * hingestellt. Die Psychologie (und speziell die Psychologie der Erkenntnisvorgän­ ge) , auf diesem Grundgesetz erbaut, soll zugleich die Grundlage der Philosophie überhaupt liefern. * * 20 Es will mir scheinen, daß in diesen denkökonomischen Theorien wahlberechtigte und in passender Beschränkung sehr fruchtbare Gedanken eine Wendung erhalten, die im Falle allgemeiner An­ nahme den Verderb aller echten Logik und Erkenntnistheorie auf der einen und der Psychologie auf der andern Seite bedeuten 25 würde. ***

5

* H. C o r n e l i u s, Psychologie, S . 8 2 u . 86. * * a. a. 0„ S. 3-9. („Methode und Stellung der Psychologie".) • • • Die ablehnende Kritik, welche ich in diesem Kapitel an einer Haupttendenz der A v e n a r i u s schen Philosophie üben muß, verträgt sich sehr wohl mit aller

{

[A 1 92] [B 1 92]

197 Wir erörtern zunächst den Charakter des Avenarius-MachA : 99�j sehen Prinzips als eines teleologischen Anpassungsprinzips; hier{� auf bestimmen wir seinen wertvollen Gehalt und die berechtigten B Ziele der darauf zu gründenden Untersuchungen für die psychisehe Anthropologie und für die praktische Wissenschaftslehre; zum Schluß erweisen wir seine Unfähigkeit, für eine Begründung der Psychologie und vor allem der reinen Logik und Erkenntnis­ theorie irgendwelche Beihilfe zu leisten. U N D DENK Ö KONOMIE LOGIK

II

5

§ 53. Der teleologische Charakter des M a c h-A v e n a r i u s schen Prinzips und die wissenschaftliche Bedeutung der 10 Denkökonomik*

15

Wie immer das Prinzip ausgesprochen werden mag, es hat den Charakter eines Entwicklungsbzw. Anpassungsprinzips, es be­ trifft die Auffassung der Wissenschaft als möglichst zweckmäßiger (ökonomischer, kraftersparender) Anpassung der Gedanken an die verschiedenen Erscheinungsgebiete.

A v e n ar i u s faßt das Prinzip im Vorwort seiner Habilitations­ schrift ** in die Worte : „Die Änderung, welche die Seele ihren Vor­ stellungen bei dem Hinzutritt neuer Eindrücke erteilt, ist eine mög20 liehst geringe. ' ' Es heißt aber bald darauf : „Insofern aber die Seele den Bedingungen organischer Existenz und deren Zweckmäßigkeitsanfor­ derungen unterworfen ist, wird das angezogene Prinzip zu einem P r i n z i p d e r E n t w i c k l u n g : Die Seele verwendet zu einer Apper­ zeption nicht mehr Kraft als nötig und gibt bei einer Mehrheit mög25 licher Apperzeptionen derjenigen den Vorzug, welche die gleiche Lei­ stung mit einem geringeren Kraftaufwand bzw. mit dem gleichen Kraftaufwand eine größere Leistung ausführt ; unter begünstigenden Umständen zieht die Seele selbst einem augenblicklich geringeren Kraftaufwand, mit welchem aber eine geringere Wirkungsgröße bzw. 30 Wirkungsdauer verbunden ist, eine zeitweilige Mehranstrengung vor, welche um soviel größere bzw. andauerndere Wirkungsvorteile verspricht. " II Die größere Abstraktheit, welche A v e n ar i u s durch Einführung Hochschätzung für den der Wissenschaft allzufruh entrissenen Forscher, sowie für den gediegenen Ernst seiner wissenschaftlichen Arbeiten. • Nachdem sich das M a c bscbe Wort „denkökonomiscb" allgemein eingebürgert bat, wird man mir wohl auch die bequeme Bildung „Denkökonomik" zur Bezeichnung des ,v;ssenscbaftlicben Inbegrüfes denkökonomischer Untersuchungen - wenigstens innerhalb der folgenden Blätter - hingeben lassen. •• R. Avenarius, Philosophie als Denken der Welt gemäß dem Prinsip des kleinsten Kraftmaßes. Prolegomena zu einer Kritik der reinen Erfahrung, Leipzig 1 876, S. I I I f.

{[AB 11 994]41 [

1 98

D A S PRINZIP D E R D E N K Ö K O N OM I E

des Apperzeptionsbegriffes bewirkt, ist bei der Weitfaltigkeit und In­ haltsarmut desselben teuer erkauft. M a c h stellt mit Recht an die Spitze, was bei A v e n a r i u s als Resultat umständlicher und im ganzen wohl zweifelhafter Deduktionen erscheint ; nämlich, daß die Wissens schaft eine möglichst vollkommene Orientierung in den bezüglichen Erfahrungsgebieten, eine möglichst ökonomische Anpassung unserer Gedanken an sie bewirke. Er liebt es übrigens nicht (und wieder mit Recht) , von einem Prinzip zu sprechen, sondern schlechthin von der „ökonomischen Natur" der wissenschaftlichen Forschung, von der 1 0 „denkökonomischen Leistung" der Begriffe, Formeln, Theorien, Me­ thoden u. dgl.

Es handelt sich bei diesem Prinzip also nicht etwa um ein Prinzip im Sinne rationaler Theorie, um ein exaktes Gesetz, das fähig wäre, als Grund einer rationalen Erklärung zu fungieren 1 5 (wie die rein-mathematischen oder mathematisch-physikalischen Gesetze es können) , sondern um einen j ener wertvollen t e l e o­ l o g i s c h e n G e s i c h t s p u n k t e, welche in den biologischen Wis­ senschaften überhaupt von großem Nutzen sind und sich sämtlich dem allgemeinen Entwicklungsgedanken angliedern lassen. 20 Die Beziehung zur Selbsterhaltung und Gattungserhaltung liegt hier j a offen zutage. Das tierische Handeln wird bestimmt durch Vorstellungen und Urteile. Wären diese dem Verlauf der Ereignisse nicht hinreichend angepaßt, könnte vergangene Er­ fahrung nicht nutzbar gemacht, das Neue nicht vorausgesehen, 25 Mittel und Zwecke nicht angemessen zusammengeordnet werden - all das mindestens im groben Durchschnitt, im Lebenskreise der betreffenden Individuen und mit Beziehung auf die ihnen drohenden Schädlichkeiten oder ihnen günstigen Nützlichkeiten - so wäre eine Erhaltung nicht möglich. Ein Wesen von men30 schenähnlicher Art, das rbloß1 1 Empfindungsinhalte erlebte, rdas1 2 keine Assoziationen vollzöge, keine Vorstellungsgewohn­ heiten bildete ; ein Wesen also, das der Fähigkeit entbehrte, Inhalte g e g e n s t ä n dl i c h zu d e u t e n, äußere Dinge 1 und Ereig- [A 1 95] nisse wahrzu l nehmen, sie gewohnheitsmäßig zu erwarten oder [B 1 95] 35 sich in der Erinnerung wieder zu vergegenwärtigen, und das in all diesen Erfahrungsakten durchschnittlichen Erfolges nicht sicher wäre - wie könnte das bestehen bleiben ? Schon H u m e hat in 1 Zusatz von B . 2 A : raberl .

UND DIE LOGIK

1 99

dieser Hinsicht von „einer Art vorbestimmter Harmonie zwischen dem Laufe der Natur und der Folge unserer Ideen" gesprochen,* und die moderne Entwicklungslehre hat es nahegelegt, diesen Gesichtspunkt weiter zu verfolgen, und die hierhergehörigen Te5 leologien der geistigen Konstitution im einzelnen zu erforschen. Es ist sicherlich ein Gesichtspunkt von nicht minderer Fruchtbar­ keit für die psychische Biologie, als er es für die physische schon längst ist. Natürlich ordnet sich ihm nicht bloß die Sphäre des blinden, 10 sondern auch die des logischen, des wissenschaftlichen Denkens ein. Der Vorzug des Menschen ist der Verstand. Der Mensch ist nicht bloß überhaupt ein Wesen, das sich rwahrnehmend und erfahrend1 1 nach seinen äußeren Lagen richtet ; er denkt auch, er überwindet durch den Begriff die engen Schranken des An15 schaulichen. In der begrifflichen Erkenntnis dringt er bis zu den strengen Kausalgesetzen durch, die es ihm gestatten, in ungleich größerem Umfange und mit ungleich größerer Sicherheit, als dies sonst möglich wäre, den Lauf der künftigen Erscheinungen vor­ auszusehen, den Verlauf der vergangenen zu rekonstruieren, die 20 möglichen Verhaltungsweise:ri der umgebenden Dinge im voraus zu berechnen und sie sich praktisch zu unterwerfen. „Science d'ou prevoyance, prevoyance d'ou action", so spricht es C om t e treffend aus. Wie vieles Leiden der einseitig überspannte Erkenntnistrieb dem einzelnen Forscher, und gar nicht selten, bringen mag : 25 schließlich kommen rdie1 2 Früchte, kommen die Schätze der Wissenschaft der ganzen Menschheit doch zugute. In dem eben Ausgeführten war nun von Ö k o n o m i e d e s D e n k e n s allerdings noch keine Rede. Aber dieser Geldanke [A 1 96] 1 drängt sich sofort auf, sowie wir genauer erwägen, was die Idee [B 1 96] 30 der Anpassung fordert. Ein Wesen ist offenbar um so zweck­ mäßiger konstituiert, d.h. seinen Lebensbedingungen um so besser angepaßt, je schneller und mit je geringerem Kraftaufwand es j eweils die für seine Selbstförderung notwendigen oder günstigen Leistungen zu vollführen vermag. Angesichts irgendwelcher * H u m e , A n Enquiry concerning Human U„derstanding, Sect. V, Part. I I . (Essays, ed. G r e e n a. G r o s e, Vol. I I , p. 46.)

1 A : rvorstellend und urteilend l . 2 A : rseinel .

200

DAS P R I N Z I P D E R D E N K Ö K O N O M I E

(durchschnittlich einer gewissen Sphäre angehörigen und nur mit einer gewissen Häufigkeit auftretenden) Schädlichkeiten oder Nützlichkeiten wird es nun schneller zur Abwehr bzw. zum An­ griff bereit und hierin erfolgreich sein, es wird um so mehr übers schüssige Kraft übrig behalten, neuen Schädlichkeiten entgegen­ zutreten bzw. neue Nützlichkeiten zu realisieren. Natürlich han­ delt es sich hier um vage, nur roh aufeinander abgestimmte und von uns abzuschätzende Verhältnisse, aber immerhin um solche, über die sich hinreichend bestimmt reden läßt, und die, mindestens 1 0 innerhalb gewisser Gebiete, im großen und ganzen lehrreich ab­ zuwägen sind. Sicher gilt dies von dem Gebiete der geistigen Leistungen. Nachdem sie als erhaltungsfördernd erkannt sind, kann man sie unter dem ökonomischen Gesichtspunkt betrachten und die tat15 sächlich bei dem Menschen realisierten Leistungen teleologisch prüfen. Man kann auch, sozusagen a priori, gewisse Vollkommen­ heiten als denkökonomisch empfohlen dartun und sie dann in den Formen und Wegen unseres Denkverfahrens - sei es allgemein, sei es bei den fortgeschritteneren Geistern oder in den Methoden 20 der wissenschaftlichen Forschung - als realisiert nachweisen. Jedenfalls eröffnet sich hier eine Sphäre umfangreicher, dankbarer und lehrreicher Untersuchungen. Das Gebiet des Psychischen ist eben ein Teilgebiet der Biologie, und so bietet es denn nicht nur Raum für abstrakt-psychologische Forschungen, die, nach Art 25 der physikalischen, auf das Elementargesetzliche abzielen, sondern auch für konkret-psychologische und speziell für teleologische Forschungen. Diese letzteren konstituieren die p s y c h i s c h e Anthropologie als das notwendige Gegenstück der p h y s i s c h e n, [A 1 97] sie betrachten den II Menschen in der Lebensgemeinschaft der [B 1 97] 30 Menschheit und in weiterer Folge in derjenigen des gesamten irdi­ schen Lebens.

{

§ 54. Nähere Darlegung der berechtigten Ziele einer Denkökonomik, hauptsächlich in der Sphäre der rein deduktiven Methodik. Ihre Beziehung zur logischen Kunstlehre 35

Speziell auf die Sphäre der Wissenschaft angewendet, kann der denkökonomische Gesichtspunkt bedeutsame Resultate ergeben, er kann helles Licht werfen auf die anthropologischen Gründe der

U N D DIE LOGIK

20 1

verschiedenen Forschungsmethoden. Ja manche der fruchtbar­ sten und für die fortgeschrittensten Wissenschaften charakteri­ stischen Methoden können nur durch Hinblick auf die Eigenheiten unserer psychischen Konstitution zu befriedigendem Verständnis gebracht werden. Vortrefflich sagt Mach in dieser Hinsicht: „Wer Mathematik treibt, ohne sich in der angedeuteten Richtung Aufklärung zu verschaffen, muß oft den unbehaglichen Eindruck erhalten, als ob Papier und Bleistift ihn selbst an Intelligenz über­ träfen."* Es ist hier folgendes zu bedenken. Zieht man in Erwägung, wie beschränkt die intellektuellen Kräfte des Menschen sind, und des näheren, wie eng die Sphäre ist, innerhalb welcher sich die noch vollverständlichen Komplikationen abstrakter Begriffe halten, und wie anstrengend schon das bloße Verstehen derartiger, in eigentlicher Weise vollzogener Komplikationen ist; überlegt man weiter, wie wir in ähnlicher Weise in der eigentlichen Auffassung des Sinnes auch nur mäßig komplizierter Satzzusammenhänge beschränkt sind und erst recht im wirklichen und einsichtigen Vollzuge von nur mäßig komplizierten Deduktionen; überlegt {[[BA man endlich wie gering die Sphäre ist, in der sich die aktive, volleinsichtige, überall mit den Gedanken selbst sich abmühende Forschung ursprünglich bewegen kann: so muß es wundernehmen, wie überhaupt umfassendere rationale Theorien und Wissenschaften zustande kommen können. So ist es z.B. ein 25 Disziplinen, ernstes Problem, wie mathematische Disziplinen möglich sind, in welchen nicht relativ einfache Gedanken, sondern wahre Türme von Gedanken und tausendfältig ineinandergreifen­ den Gedankenverbänden mit souveräner Freiheit bewegt und durch Forschung in immer sich steigender Komplikation geschaffenDaswerden. vermag Kunst und Methode. Sie überwinden die Unvoll­ kommenheiten unserer geistigen Konstitution und gestatten uns 5

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fortiori I

30

• E. M a c h, Die r Mechanik 1 a in ikrtr Entwicklung ( 1 883) , S. 460. Die Stelle ist wert, vollständig zitiert zu werden. Es heißt weiter : „Mathematik in dieser Weise als Unterrichtsgegenstand betrieben, ist kaum bildender als die Beschäftigung mit Kab­ bala oder dem mystischen Quadrat. Notwendig entsteht dadurch eine mystische Neigung, welche gelegentlich ihre Früchte trägt." 1

A : rweiterl .

2 B : rMathematik l . In der 3. Auflage berichtigt.

1 98] 1 98]

202

DAS P R I N Z I P D E R D E N K Ö K O N O M I E

indirekt, mittels symbolischer Prozesse und unter Verzichtleistung auf Anschaulichkeit, eigentliches Verständnis und Evidenz, Er­ gebnisse abzuleiten, die völlig sicher, weil durch die a l l g e m e i n e Begründung der Leistungskräftigkeit der Methode ein für allemal 5 gesichert sind. Alle hierher gehörigen Künstlichkeiten (welche man im Auge zu haben pflegt, wo in einem gewissen prägnanten Sinne überhaupt von Methode die Rede ist) haben den Charakter von denkökonomischen Vorkehrungen. Sie erwachsen historisch und individuell aus gewissen n a t ü r l i c h e n d e n k ö k o n o m i1 0 s e h e n P r o z e s s e n, indem die praktisch-logische Reflexion des Forschers sich die Vorteile dieser zum einsiehtigen Verständnis bringt, sie nun vollbewußt vervollkommnet, künstlich verknüpft und rauf solche1 1 Art kompliziertere, aber auch unvergleichlich leistungsfähigere Denkmaschinerien herstellt, als es die natürli1 5 chen sind. Also auf e i n s i e h t i g e rn Wege und mit beständiger Rücksicht auf die Besonderheit unserer geistigen Konstitution* erfinden die Bahnbrecher der Forschung Methoden, deren allgemeine Berechtigung sie ein für allemal nachweisen. Ist dies ge­ schehen, dann können diese Methoden in j edem gegebenen Einzel[A 1 99] 20 fall uneinsichtig, sozusagen m e c h aJln i s c h befolgt werden, die [B 1 99] objektive Richtigkeit des Resultates ist gesichert. Diese weitgehende Reduktion der einsichtigen auf mechanische Denkprozesse, wodurch ungeheure Umkreise auf direktem Wege unvollziehbarer Denkleistungen auf einem indirekten Wege be25 wältigt werden, beruht auf der psychologischen Natur des signi­ tiv-symbolischen Denkens. Dieses spielt seine unermeßliche Rolle nicht bloß bei der Konstruktion blinder Mechanismen - nach Art der Rechenvorschriften für die vier Spezies und ebenso für höhere Operationen mit dekadischen Zahlen, wo das Resultat 30 (evtl. mit Hilfe von Tabellen für Logarithmen, trigonometrische Funktionen u. dgl.) ohne j ede Mitwirkung einsichtigen Denkens hervorspringt - sondern auch in den Zusammenhängen e i n­ s i c h t i g e n Forschens und Beweisens. Da wäre z.B. zu erwähnen die merkwürdige Verdoppelung aller rein mathematischen Be35 griffe, wonach, im besonderen in der Arithmetik, die allgemein

{

• Natürlich heißt das nicht : unter Beihilfe der w i s s e n s c h a f t l i c h e n P s y c h o­ l o g ie.

1 A: rsolcherl .

U N D D I E L O GIK

203

arithmetischen Zeichen zunächst im Sinne der ursprünglichen Definition als Zeichen für die betreffenden Zahlbegriffe stehen und d a n n vielmehr als reine Operationszeichen fungieren, näm­ lich als Zeichen, deren Bedeutung ausschließlich durch die äußeren 5 Operationsformen bestimmt ist ; ein jedes gilt nun als ein bloßes Irgendetwas, mit dem in diesen bestimmten Formen auf dem Papiere so und so hantiert werden darf.* Diese stellvertretenden Operationsbegriffe, durch welche die Zeichen zu einer Art Spiel­ marken werden, sind in weitesten Strecken arithmetischen Den10 kens und sogar Forschens ausschließlich maßgebend. Sie bedeuten eine ungeheure Erleichterung desselben, sie versetzen es 200] aus den mühseligen Höhen der 1 Abstraktion in 1 die bequemen [B 200] Bahnen der Anschauung, wo sich die einsichtig geleitete Phantasie innerhalb der Regelschranken frei und mit relativ geringer 1 5 Anstrengung betätigen kann ; etwa so wie in geregelten Spielen. Im Zusammenhang damit wäre auch darauf hinzuweisen, wie in den rein mathematischen Disziplinen die denkökonomische Abwälzung des eigentlichen Denkens auf das stellvertretende signitive, zunächst ganz unverrnerkt, zu formalen Verallgemeine20 rungen der ursprünglichen Gedankenreihen, j a selbst der Wissen­ schaften Anlaß gibt, und wie auf diese Weise, fast ohne eigens darauf gerichtete Geistesarbeit, deduktive Disziplinen von un­ endlich erweitertem Horizont erwachsen. Aus der Arithmetik, die ursprünglich Anzahlen- und Größenzahlenlehre ist, entsteht 25 so, und gewissermaßen von selbst, die verallgemeinerte, formale Arithmetik, in Beziehung auf welche Anzahlen und Größen nur noch zufällige Anwendungsobjekte und nicht mehr Grundbegriffe sind. Indem die vollbewußte Reflexion hier nun ansetzt, erwächst als weitere Extension die reine Mannigfaltigkeitslehre, die der 30 Form nach alle möglichen deduktiven Systeme in sich faßt, und für welche daher selbst das Formensystem der formalen Arith­ metik einen bloßen Einzelfall darstellt.**

{[A

• Nimmt man statt der äußeren Operationsformen sozusagen die inneren, versteht man die Zeichen im Sinne von „irgendwelchen Denkobjekten", die in „gewissen" Relationen stehen, „gewisse" Verknüpfungen zulassen, nur so, daß für sie, und zwar in dem entsprechenden f o r m a l e n Sinne, clie Operations- und Beziehungsgesetze gelten : a + b = b + a u. dgl. - so erwächst eine neue Reihe von Begriffen. Es ist die­ jenige, welche zu der „formalen" Verallgemeinerung der ursprünglichen Disziplinen führt, von der oben im Texte gleich die Rede sein wird. •• Vgl. darüber einiges im Kapitel XI, §§ 69 und 70, S. 247 ff.

204

DAS PRINZIP D E R D E N KÖ KONOMIE

Die Analyse dieser und ähnlicher Methodentypen und die voll­ gültige Aufklärung ihrer Leistungen bildet vielleicht das schönste und j edenfalls das am wenigsten angebaute Feld einer Theorie der Wissenschaft, zumal aber der so wichtigen und lehrreichen Theos rie der deduktiven (der im weitesten Sinne mathematischen) Me­ thodik. Mit bloßen Allgemeinheiten, mit vager Rede von der stell­ vertretenden Funktion der Zeichen, von kraftersparenden Mecha­ nismen und dergleichen ist es hierbei natürlich nicht getan ; es be­ darf überall tiefgehender Analysen, es muß für j ede typisch ver1 0 schiedene Methode die Untersuchung wirklich ausgeführt und die [A 20 1 ] ökonomische Leistung J1 der Methode nebst der genauen Erklärung [B 20 1 ] dieser Leistung wirklich nachgewiesen werden. Hat man den Sinn der hier zu lösenden Aufgabe klar erfaßt, so gewinnen auch die für das vor- und außerwissenschaftliche Den15 ken zu lösenden denkökonomischen Probleme neues Licht und neue Form. Eine gewisse Anpassung an die äußere Natur erfordert die Selbsterhaltung ; sie verlangt, sagten wir, die Fähigkeit, die Dinge in gewissem Maße richtig zu beurteilen, den Lauf der Ereignisse vorauszusehen, kausale Abfolgen richtig rzu schätzenl l 20 u. dgl. Aber wirkliche Erkenntnis von alldem vollzieht sich erst, wenn überhaupt, in der Wissenschaft. Wie können wir nun doch praktisch richtig urteilen und schließen ohne Einsicht, die im ganzen nur die Wissenschaft, die Gabe weniger, zu bieten vermag ? Den praktischen Bedürfnissen des vorwissenschaftlichen Lebens 25 dienen j a manche sehr komplizierte und leistungsfähige Ver­ fahrungsweisen - man denke nur an das dekadische Zahlen­ system. Sind sie rauch1 2 nicht einsichtig erfunden, sondern natür­ lich erwachsen, so muß doch die Frage erwogen werden, wie dergleichen möglich ist, · wie blindmechanische Operationen im 30 Endwert mit dem, was Einsicht verlangt, zusammentreffen kön­ nen. rüberlegungen, wie wir siel 3 oben angedeutet haben, zeigen runs1 4 den Weg. Um die Teleologie der vor- und außerwissen­ schaftlichen Verfahrungsweisen aufzuklären, wird man rzu-

{

1 A : rabzuschätzenl .

2 Fehlt in A. A : füberlegungen der Art, die wir1 , 4 Zusatz von B. 3

U N D DIE LOGIK

205

nächst1 1 durch genaue Analyse der einschlägigen Vorstellungs­ und Urteilszusammenhänge, sowie der wirksamen Dispositionen zunächst das Faktische, den psychologischen Mechanismus des bezüglichen Denkverfahrens herausstellen. Die denkökonomische 5 Leistung desselben tritt rdann1 2 im Nachweis hervor, daß dieses Verfahren indirekt und logisch einsichtig zu begründen ist als ein solches, dessen Ergebnisse - sei es notwendig, sei es mit einer ge­ wissen, nicht zu kleinen Wahrscheinlichkeit - mit der Wahrheit zusammentreffen müssen. Endlich wird man, um die natürliche 1 0 Entstehung der denkökonomischen Maschinerie nicht als ein [A 202] Wunder J übrig zu behalten (oder was dasselbe : als 1 Resultat B 202 eines eigenen Schöpfungsaktes der göttlichen Intelligenz) , auf [ ] eine sorgsame Analyse der natürlichen und vorherrschenden Vor­ stellungsumstände und -motive des Alltagsmenschen (evtl. des 15 Wilden, des Tieres usw.) ausgehen und auf Grund derselben nach­ weisen müssen, wie sich ein derart erfolgreiches Verfahren „von selbst", aus rein natürlichen Gründen ausbilden konnte und mußte.* Auf diese Weise ist also die m.E. wahlberechtigte und frucht20 bare Idee der Denkökonomik mit einiger Bestimmtheit klarge­ legt, in allgemeinen Zügen sind die Probleme, die sie zu lösen, und die Hauptrichtungen, die sie einzuschlagen hat, angedeutet. Ihr V e r h ä l t n i s z u r L o gi k, im praktischen Sinne einer Kunst­ lehre wissenschaftlicher Erkenntnis, ist ohne weiteres verständ25 lieh. Offenbar bildet sie ein wichtiges Fundament dieser Kunst­ lehre, sie gibt j a wesentliche Behelfe zur Konstitution der Idee von technischen Methoden menschlicher Erkenntnis, zu nütz­ lichen Spezialisierungen solcher Methoden, rso wie1 3 zur Ableitung von Regeln für deren Abschätzung und Erfindung.

{

• Kein Beispiel ist geeigneter, sich das Wesen der hier zu lösenden und oben kurz angedeuteten Aufgaben klar zu machen, als das der natürlichen Zahlenreihe. Eben weil es mir so lehrreich erschien, habe ich es im X I I . Kapitel meiner Philosophie der Arithmetik (I, 1 8 9 1 ) in aller Ausführlichkeit behandelt, und zwar so, daß es die Art, wie derlei Untersuchungen nach meiner Überzeugung zu führen sind, typisch illustrie­ ren kann.

1 A : reinerseits1 .

2

s

A : rnunl . A : rsowiel .

206

D A S PRINZIP D E R D E N K Ö K O N O M I E

§ 55. Die Bedeutungslosigkeit der Denkökonomik für die reine Logik und Erkenntnislehre und ihr Verhältnis zur Psychologie

5

Soweit diese Gedanken mit denen R. A v e n a r i u s' und E. M a c h s zusammengehen, besteht keine Differenz, und ich kann ihnen freudig zustimmen. Wirklich bin ich der Überzeugung, daß man zumal E. M a c h s historisch-methodologischen Arbeiten eine Fülle logischer Belehrung verdankt, und dies auch dort, wo man [A 203] seinen Konsequenzen nicht durchllaus (oder durchaus nicht) nach[B 203] geben kann. Leider hat E. M a c h gerade jene, wie mir scheinen möchte, fruchtbarsten Probleme der deduktiven Denkökonomik nicht in Angriff genommen, die ich oben in etwas kurzer, aber wohl hinreichend bestimmter Fassung zu formulieren versuchte. Und daß er dies nicht getan hat, liegt zum Teil jedenfalls an den erkenntnistheoretischen Mißdeutungen, die er seinen Untersuchungen glaubte unterlegen zu rmüssenl l. Aber gerade hieran knüpft sich eine besonders starke Wirkung der M a c h schen Schriften. Es ist zugleich die Seite seiner Gedanken, die er mit A v e n a r i u s teilt, und um derentwillen ich gegen ihn an dieser Stelle Opposition machen muß. M a c h s Lehre von der Denkökonomie, rso wie1 2 die A v e n a­ r i u s sche vom kleinsten Kraftmaß, bezieht sich, wie wir sahen, auf gewisse biologische Tatsachen, und letztlich handelt es sich dabei um eine Abzweigung der Entwicklungslehre. Demgemäß ist es selbstverständlich, daß von den hierhergehörigen Forschungen zwar Licht auf die praktische Erkenntnislehre, auf die Metho­ dologie der wissenschaftlichen Forschung, keineswegs aber auf die reine Erkenntnislehre, speziell auf die idealen Gesetze der reinen Logik geworfen werden kann. Im Gegenteil scheint es aber in den Schriften der M a c h-A v e n a r i u s schen Schule auf eine Erkenntnistheorie mit denkökonomischer Begründung abgesehen zu sein. Gegen eine solche Auffassung bzw. Verwertung der Denk­ ökonomik wendet sich natürlich das ganze Arsenal von Einwän­ den, das wir oben gegen den Psychologismus und Relativismus angelegt haben. Die denkökonomische Begründung der Erkenntnislehre führt j a schließlich auf die psychologische zurück, und so

{

10

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35

1 A:

rdürfenl . 2 A : rsowiel .

U N D D I E L O GIK

207

bedarf es hier weder der Wiederholung noch der speziellen An­ passung der Argumente. Bei C o r n e l i u s häufen sich die eviden­ ten Unzuträglichkeiten dadurch, daß er es unternimmt, aus einem teleologischen Prinzip der psychischen Anthropologie Elementars tatsachen der Psychologie herzuleiten, die ihrerseits für die Ab[A 204] leitung dieses Prinzips selbst schon vorausgesetzt sind, und II daß [B 204] er weiter mittels der Psychologie eine erkenntnistheoretische Be­ gründung der Philosophie überhaupt anstrebt. Ich erinnere daran, daß das sogenannte Prinzip nichts weniger als ein letzterklä1 0 rendes rationales Prinzip, sondern die bloße Zusammenfassung eines Komplexes von Anpassungstatsachen ist, der - ideell einer letzten Reduktion auf Elementartatsachen und Elementar­ gesetze harrt, gleichgültig, ob wir sie werden leisten können oder nicht. 15 Der Psychologie teleologische Prinzipien als „Grundgesetze" unterlegen in der Absicht, die verschiedenen psychischen Funk­ tionen durch sie zu erklären, das eröffnet nicht die Aussicht auf eine Förderung der Psychologie. Sicherlich ist es belehrend, die teleologische Bedeutung der psychischen Funktionen und der 20 wichtigeren psychischen Gebilde nachzuweisen ; also im einzelnen nachzuweisen, wie und wodurch die tatsächlich sich bildenden Komplexionen psychischer Elemente j ene Nützlichkeitsbeziehung zur Selbsterhaltung besitzen, die wir a priori erwarten. Aber das deskriptiv Gegebene in d e r Weise als „notwendige Folgen" 25 solcher Prinzipien hinstellen, daß der Anschein einer wirklichen Erklärung erweckt wird, und überdies im Zusammenhange wissen­ schaftlicher Darstellungen, welche vorwiegend dazu bestimmt sind, die letzten Fundamente der Psychologie bloßzulegen, das kann nur Verwirrung stiften. 30 Ein psychologisches oder erkenntnistheoretisches Gesetz, das von einem B e s t r e b e n spricht, in dem oder j enem m ö g l i c h s t v i e l z u leisten, ist ein Unding. I n der reinen Sphäre der Tatsachen gibt es kein Möglichstviel, in der Sphäre der Gesetzlichkeit kein Streben. In psychologischer Hinsicht geschieht in j edem Falle ein 35 Bestimmtes, genau so viel und nicht mehr. Das Tatsächliche des Ökonomieprinzips reduziert sich darauf, daß es so etwas wie Vorstellungen, Urteile und sonstige Denk­ erlebnisse gibt und in Verknüpfung damit auch Gefühle, die in [A 205] Form der Lust gewisse Bildungsrichtungen II fördern, in Form [B 205]

{

{

208

D A S P R IN Z I P D E R D E N K Ö K O N O M I E

der Unlust von ihnen zurückschrecken. Es ist dann ein im allge­ meinen, im Groben und Rohen, fortschreitender Prozeß der Vor­ stellungs- und Urteilsbildung zu konstatieren, wonach sich aus den ursprünglich bedeutungslosen Elementen zunächst vereinz.el5 te E r f a h r u n g e n bilden und dann weiter die Zusammenbildung der Erfahrungen zu der re i n e n1 1 , m e h r o d e r m i n d e r geord­ neten E rf a h r u n g s e i n h e i t erfolgt. Nach psychologischen Ge­ setzen erwächst, auf Grund der im Rohen übereinstimmenden ersten psychischen Kollokationen, die Vorstellung der rei n e n1 1 , 1 0 für uns alle gemeinsamen Welt und der empirisch-blinde Glaube an ihr Dasein. Aber man beachte wohl : diese Welt ist nicht für j eden genau dieselbe, sie ist es nur im großen und ganzen, sie ist es nur so weit, daß die Möglichkeit gemeinsamer Vorstellungen und Handlungen praktisch zureichend gewährleistet ist. Sie ist 15 nicht dieselbe für den gemeinen Mann und den wissenschaftlichen Forscher ; j enem ist sie ein Zusammenhang von bloß ungefährer Regelmäßigkeit, durchsetzt von tausend Zufällen, diesem ist sie die von absolut strenger Gesetzlichkeit durchherrschte Natur. Es ist nun sicherlich ein Unternehmen von großer wissenschaft20 licher Bedeutung, die psychologischen Wege und Mittel nachzu­ weisen, durch welche sich diese für die Bedürfnisse des prakti­ schen Lebens (für die der Selbsterhaltung) hinreichende Idee einer Welt als Gegenstand der Erfahrung entwickelt und festsetzt ; in weiterer Folge die psychologischen Wege und Mittel nachzu25 weisen, durch welche sich im Geiste der wissenschaftlichen For­ scher und Forsqhergenerationen die objektiv angemessene Idee einer streng gesetzlichen Erfahrungseinheit mit ihrem sich immer­ fort bereichernden wissenschaftlichen Inhalt bildet. Aber erkennt­ nistheoretisch ist diese ganze Untersuchung gleichgültig. Höch30 stens indirekt kann sie der Erkenntnisthe.orie von Nutzen sein, nämlich zu Zwecken der Kritik erkenntnistheoretischer Vorurtei­ le, bei welchen es auf die psychologischen Motive j a durchaus ankommt. Die Frage ist nicht, wie Erfahrung, die naive oder wissen[A 206] schaftliche, entllsteht, sondern welchen Inhalt sie haben muß, um [B 206) 35 objektiv gültige Erfahrung zu sein ; die Frage ist, welches die idealen Elemente und Gesetze sind, die solche obj ektive Gültigkeit realer Erkenntnis (und allgemeiner : von Erkenntnis überhaupt)

{

1 In A nicht gesperrt, jedoch großgeschrieben.

U N D DIE LOGIK

209

fundieren, und wie diese Leistung eigentlich zu verstehen ist. Mit anderen Worten : wir interessieren uns nicht für das Werden und die Veränderung der Weltvorstellung, sondern für das objektive Recht, mit dem sich die Weltvorstellung der Wissenschaft j eder 5 anderen gegenüberstellt, mit dem sie i h r e Welt als die objektiv­ wahre behauptet. Die Psychologie will einsichtig erklären, wie die Weltvorstellungen sich bilden ; die Weltwissenschaft (als In­ begriff der verschiedenen Realwissenschaften) einsichtig erken­ nen, was realiter, als wahre und wirkliche Welt, ist ; die Erkennt1 0 nistheorie aber rwm1 1 einsichtig verstehen, was die Möglichkeit einsichtiger Erkenntnis des Realen, und was die Möglichkeit von Wissenschaft und Erkenntnis überhaupt in obj ektiv-idealer Hin­ sicht ausmacht. § 56. Fortsetzung. Das ffcrreeov ne6reeov denkökonomischer Begründung des rein Logischen

15

Der Schein, daß wir es beim Sparsamkeitsprinzip mit einem, sei es erkenntnistheoretischen, sei es psychologischen Prinzip zu tun haben, liegt rder Hauptsache nach1 2 an der Verwechslung des tatsächlich Gegebenen mit dem logisch !dealen, das ihm un20 vermerkt supponiert wird. Wir erkennen es e i n s i c h t i g als höchstes Ziel und als ideal berechtigte Tendenz aller über bloße Beschreibung hinausgehenden Erklärung, daß sie die an sich „blinden" Tatsachen (zunächst die eines begrifflich umschriebe­ nen Gebietes) unter möglichst allgemeine Gesetze ordnet und in 25 diesem Sinne möglichst rationell zusammenfaßt. Hier ist das „möglichst viel" der „zusammenfassenden" Leistung völlig klar : es ist das Ideal der durchgreifenden und allbegreifenden Ratio­ nalität. Ordnet sich alles Tatsächliche nach Gesetzen, so muß es einen kleinsten Inbegriff möglichst allgemeiner und deduktiv A 207 30 voneinander unabhängiger Gesetze geben, II raus welchen sich alle B 207 übrigen Gesetze in reiner Deduktion ableiten 1 3 lassen. Diese „Grundgesetze" sind dann j ene möglichst viel befassenden und

{� 1

1 Fehlt in A.

2 A : rhauptsächlich1 . A : rauf welche sich alle übrigen Gesetze in reiner Deduktion zurück­ führenl . s

210

D A S PRINZIP D E R D E N KÖKONOMIE

leistenden Gesetze, ihre Erkenntnis verschafft die absolut größte Einsicht in das Gebiet, sie gestattet, in ihm alles zu erklären, was einer Erklärung überhaupt fähig ist (wobei allerdings, in ideali­ sierender Weise, die schrankenlose Fähigkeit der Deduktion und 5 Subsumtion vorausgesetzt wird) . So erklären oder befassen die geometrischen Axiome als Grundgesetze die Gesamtheit der räum­ lichen Tatsachen ; j ede allgemeine Raumwahrheit (m.a.W. j ede geometrische) erfährt durch sie eine evidente Reduktion auf ihre letzterklärenden Gründe. 10 Dieses Ziel bzw. Prinzip größtmöglicher Rationalität erkennen wir also einsichtig als das höchste der rationalen Wissenschaften. Es ist evident, daß die Erkenntnis allgemeinerer Gesetze als j ener, die wir j eweils schon besitzen, wirklich das Bessere wäre, sofern sie eben auf tiefere und weiter umfassende Gründe rzurückleite1 5 ten1 1 . Aber dieses Prinzip ist offenbar kein biologisches und bloß denkökonomisches, sondern vielmehr ein r e i n i d e a l e s und zum Überfluß ein n o r m a t i v e s Prinzip. In Tatsachen des psychischen Lebens und des Gemeinschaftslebens der Menschheit kann es also in keiner Weise aufgelöst oder umgedeutet werden. Die Tendenz 20 größtmöglicher Rationalität mit einer biologischen Anpassungs­ tendenz zu identifizieren oder aus ihr abzuleiten, ihr dann noch die Funktion einer psychischen Grundkraft aufzuladen - das ist eine Summe von Verirrungen, die nur in den psychologistischen Mißdeutungen der logischen Gesetze und in deren Auffassung als 25 Naturgesetze ihre Parallele findet. Zu sagen, unser psychisches Leben werde durch dieses Prinzip faktisch regiert, das wider­ spricht auch hier der offenkundigen Wahrheit ; unser faktisches Denken läuft eben nicht nach Idealen - als ob überhaupt Ideale so etwas wie Naturkräfte wären. [A 208 30 Die i d e a l e Tendenz des logischen Denkens als solchen I I geht [B 208 auf Rationalität. Der Denkökonom (sit venia verbo) macht daraus eine durchgreifende r e a l e Tendenz des menschlichen Denkens, begründet sie durch das vage Prinzip der 1Kraftersparnis1 2 und letztlich durch Anpassung ; und nun meint er, die Norm, daß wir 3 5 rational denken s o l l e n, und meint er überhaupt, den obj ektiven Wert und Sinn rationaler Wissenschaft aufgeklärt zu haben. Ge-

{

1 A : rzurückleitete 1 . 2 A : rKraftersparung1 .

j

UND DIE LOGIK

21 1

wiß ist die Rede von der Ökonomie im Denken, von denkökono­ mischer „Zusammenfassung" von Tatsachen durch allgemeine Sätze, von niederen Allgemeinheiten durch höhere u. dgl. eine wohlberechtigte. Aber sie gewinnt ihre Berechtigung nur durch 5 Vergleich des tatsächlichen Denkens mit der einsichtig erkannten idealen Norm, die sonach das :;ie6'reeo11 -rf1 rkenntniskritische Aufklärung der Möglichkeit " „





30



• Man spricht hier nicht eben passend von einer Theorie. wo es doch. nach dem im Texl Wci 1erfolgendcn. gar n ichts zu theoretisieren. d. i. zu erklären gibt. rdie Analyse der „ Begri1Te "1. r 1 2 A : um Klärung der Bedeutungen . r 1 1 A : verbildlichung . 1 A:

D I E A L L G E M E I N E N G EG E N STÄ N D E U. DAS A L LG E M E I N H EJ T S B E W U ß T S E I N

5

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15

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30

1 25

der Erkenntnis zu leisten ; also in unserem Falle : um die Möglichkeit gültigen Aussagens über allgemeine Gegenstände (bzw. über singulä­ re Gegenstände a l s Gegenstände der entsprechenden allgemeinen Begriffe) zu wesenhafter Klarheit zu bringen und im Zusammenhang damit den rechtmäßigen Sinn, in dem Allgemeines als Seiendes, Einzelnes als unter allgemeinen Prädikaten Stehendes gelten kann, einsichtig zu bestimmen., Jede Abstraktionslehre, die e r k e n n t n i s ­ t h e o re t i s c h , d . i . erkenntnisklärend sein will, verfehlt von vornherein ihr Ziel, wenn sie, statt die unmittelbare deskriptive Sachlage, in der uns Spezifisches zum Bewußtsein kommt, zu be­ schreiben, mittels ihrer den Sinn der Attributnamen zu klären und in weiterer Folge die vielfachen Mißdeutungen, die das Wesen der Spezies erfahren hat, zu evidenter Lösung zu bringen - sich viel­ mehr in rempirisch-psychologische1 1 Analysen des Abstraktionsvorganges nach Ursachen und Wirkungen verliert rund, über den de­ skriptiven Gehalt des Abstraktionsbewußtseins flüchtig hinwegge­ hend,, ihr Interesse vorwiegend den unbewußten Dispositionen, den hypothetischen Assoziationsverflechtungen zuwendet. Gewöhnlich finden wir dabei, daß der rimmanente Wesensgehalt1 2 des Allgemeinheitsbewußtseins, 1 mit dem die gewünschte Klärung ohne wei- [B 1 1 2 1 ] teres zu leisten ist, gar nicht beachtet und bezeichnet wird. Und ebenso verfehlt eine Abstraktionstheorie von vornherein ihr Ziel, wenn sie zwar ihre Absicht auf das Feld des rin aller eigentli­ chen (also intuitiven) Abstraktion immanent1 3 Vorfindlichen richtet und somit den Fehler der Vermengung rvon Wesensanalyse und empirischer Analyse (erkenntniskritisch a u fklärender und psycholo­ gisch e r klärender)1 4 meidet ; dafür aber in die andere zumal durch die Vieldeutigkeit der Rede von der allgemeinen Repräsentation nahegelegte Verwechslung verfällt, nämlich in die Verwechslung zwischen p h ä n o m e n o l og i s c h e r und o bj e k t i v e r Analyse : Das, was die Akte des Bedeutens ihren Gegenständen eben nur zudeuten, wird nun den Akten selbst als reelles Konstituens beigemessen.

1 A:

' A: 3 A:

4

A:

rpsychologische1.

rwesentliche Kern1. r gelegentlich jeder aktuellen Abstraktion im Bewußtsein1.

rzwischen

1 Analyse .

erkenntniskritisch a u f klärender und psychologisch e r klärender

1 1 . D I E I D E A L E E I N H E I T D E R S PE Z I ES

1 26

Unvermerkt ist so die rhier1 1 maßgebliche Sphäre des rßewußtseins und seines immanenten Wesens1 2 wieder verlassen und alles der Verworrenheit anheimgegeben. Die nachfolgenden Analysen werden zeigen, daß diese summari5 sehe Charakteristik auf die einflußreichsten neueren Abstrakltions- [A 1 2 1 ] theorien paßt und daß diese in der Tat aus den soeben i m allgemeinen bezeichneten Gründen ihr Ziel verfehlen.

' A : rvernünftigerweise allein ' A : unmittelbar Bewußten1.

r

1.

Z W E I TES K A P I T E L

Die psychologische Hypostasierung des Allgemeinen § 7. 5

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Die me/aphysische .und psychologische llypos1asier1111g des A l/gemeinen. Der Nominalismus

Zwei Mißdeutungen haben die Entwicklung der Lehren von den allgemeinen Gegenständen beherrscht. Erstens die m e t a p h y s i s c h c H y p o s t a s i e r u n g des Allgemeinen, die Annahme einer realen Exi­ stenz von Spezies a u ß e r h a 1 b des Denkens. 1 Zweitens. die p s y c h o l o g i s c h e H y p o s t a s i e r u n g des Allgemeinen. die Annahme einer realen Existenz von Spezies i m Denken. Gegen die erstere Mißdeutung, die dem platonischen Realismus r(im Sinne der traditionellen AutTassung)1 zugrunde liegt, wendet sich der ältere Nominalismus, und zwar sowohl der extreme wie der konzeptualistische Nominalismus. Dagegen hat die Bekämpfung der zweiten Mißdeutung. speziell in der Form von L o c k e s abstrakten Ideen. die Entwicklung der neueren Abstraktionslehre seit B e r k e ­ l e y bestimmt und ihr die entschiedene Neigung zum extremen No­ minalismus (den man gegenwärtig schlechtweg als Nominalismus zu bezeichnen und dem Konzeptualismus gegenüberzustellen pflegt) gegeben. Man glaubte nämlich, um der Absurdität der abstrakten Ideen L o c k e s zu entgehen, die allgemeinen Gegenstände als eigen­ artige Denkeinheiten und die allgemeinen Vorstellungen als eigen­ artige Denkakte überhaupt leugnen zu müssen. Indem man den Unterschied der allgemeinen Anschauungen (wohin neben jenen abstrakten Ideen auch die Gemeinbilder der traditionellen Logik gehören) und der allgemeinen Bedeutungen verkannte, verwarf man, wenn auch nicht dem Wortlaut, so doch dem Sinne nach diese letz-

[ B 1 1 2 2]

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11.

D I E IDEALE E I N H E I T DER SPEZIES

teren begri ffl lichen Vorstellungen " mit ihrer eigenartigen Vorstel- [A 1 22] l ungsintention und schob ihnen individuelle, nur psychologisch eigenartig fungierende Einzelvo�stellungen unter. So schließt sich an jene beiden Mißdeutungen als dritte die des 5 Nominalismus an, der in seinen verschiedenen Formen das Allge­ meine in Hinsicht auf Gegenstand und Denkakt in Einzelnes glaubt umdeuten zu können. Diese Mißdeutungen müssen wir, soweit sie noch von aktuellem Interesse sind, der Reihe nach zergliedern. Es liegt in der Natur der 1 0 Sache, und schon unsere bisherigen Ü berlegungen machen es er­ sichtlich, daß die Streitfragen nach dem Wesen der allgemeinen Gegenstände und diejenigen naeh dem Wesen der allgemeinen Vor­ stellungen nicht zu trennen sind. Es ist aussichtslos, die Eigengeltung der Rede von allgemeinen Gegenständen über l zeugungskräftig dar- [B 1 1 23] 1 5 tun zu wollen, wenn man nicht den Zweifel behebt, wie solche Gegenstände vorstellig werden können, und in weiterer Folge, wenn man nicht die Theorien widerlegt, die durch wissenschaftliche psy­ chologische Analysen den Nachweis zu führen rscheinen1 1 , daß es bloß Einzelvorstellungen gibt, daß uns somit nur Einzelobjekte be20 wußt werden k ö n n e n und je bewußt worden s i n d und daß daher a uch die Rede von allgemeinen Gegenständen nur als fi k t i v e oder ganz u n e i g e n t 1 i c h e verstanden werden müsse. Die Mißdeutungen des platonisierenden Realismus können wir, als längst erledigt, auf sich beruhen lassen. Dagegen sind die Gedan25 kenmotive, die zum psychologisierenden Realismus zu drängen scheinen, noch heute sichtlich wirksam, wie sich zumal an der Art zeigt. in der L o c k e kritisiert zu werden pflegt. Auf diese Motive gehen wir in diesem Kapitel näher ein. „

§ 8. Ein täuschender Gedankengang Man könnte unserer Auffassung, nicht so sehr in ernsthafter Ü berzeugung, als um die L'nhaltbarkeit der Rede von Spezies als allge­ meinen Gegenständen apagogisch zu erweisen, folgende Gedanken­ reihe entgegenhalten : 1 Sind die Spezies nichts Reales und sind sie auch nichts im Den- [A 1 23] 35 ken, so sind sie überhaupt nichts. Wie können wir von etwas reden, 30

1 A : schienen1.

r

D I E PSYCHO LOG I S C H E H Y POSTAS I E R U N G DES A L L G E M E I N E N

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ohne daß es mindestens i n u n s e r e m D e n ke n wäre. Das Sein des Idealen ist also selbstverständlich Sein im Bewußtsein. So heißt es mit Recht : Bewußtseinsinhalt. Im Gegensatz dazu ist das reale Sein eben nicht bloßes Sein im Bewußtsein oder Inhalt-sein ; sondern r An-sich-sein1 I , transzendentes Sein, Sein außerhalb des Bewußt­ seins. Indessen in die Irrgänge solcher Metaphysik wollen wir uns nicht verlieren. Als r e a l gilt uns das I m " Bewußtsein genau so, wie das Außen ". Real ist das Individuum mit all seinen Bestandstücken ; es ist ein Hier und Jetzt. Als charakteristisches Merkmal der Realität genügt uns die Zeitlichkeit. Reales Sein und zeitliches Sein sind zwar nicht identische, aber umfangs ! gleiche Begriffe. Natürlich meinen [B 1 1 24) wir nicht, daß die psychischen Erlebnisse Dinge sind im Sinne der Metaphysik. Aber zu einer dinglichen Einheit gehörig sind auch sie, wenn die alte metaphysische Überzeugung im Rechte ist, daß alles zeitlich Seiende notwendig entweder ein Ding ist oder Dinge mit­ konstituiert. Soll aber Metaphysisches ganz ausgeschlossen bleiben, so definiere man Realität geradezu durch Zeitlichkeit. Denn worauf es hier allein ankommt, das ist der Gegensatz zum unzeitlichen Sein " des Idealen. ferner ist es gewiß, daß das Allgemeine, sooft wir davon sprechen, ein von uns Gedachtes ist; aber es ist darum nicht Denkinhalt im Sinne eines realen Bestandstückes im Denkerlebnis, es ist auch nicht Denkinhalt im Sinne des Bedeutungsgehaltes, vielmehr ist es dann gedachter G e g e n s t a n d. Kann man übersehen, daß ein Gegenstand, selbst wenn er ein realer und wahrhaft existierender. ist,z nicht als reales Stück des ihn denkenden Aktes aufgefaßt werden kann ? Und ist nicht auch das Fiktive und Absurde, sooft wir davon sprechen, ein von uns Gedachtes? Natürlich ist es nicht unsere Absicht, das S e i n d e s I d e a l e n auf eine Stufe zu stellen mit dem G e d a c h t s e i n d e s F i k t i v e n 1 o d e r [A 1 24) W i d e rs i n n i ge n.* Das letztere existiert überhaupt nicht, katego„



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Vgl. dagegen B. E r d m a n n. Logik, 1 1 , S. 81 u. 85. K. T w a r d o w s k i, Zur Lehre 1·om Inhalt und Gegenstand der Vorstellungen, S. 1 06.



1 1 A : rA nsieh-sein .

' In A folgt : ri m allgemeinen

1.

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I I . D I E I D E A L E E I N H E I T D E R SPEZI ES

risch kann rim eigentlichen Sinne1 von ihm nichts ausgesagt werden ; und wenn wir doch so sprechen, als wäre es, als hätte es seine eigene Seins weise, die bloß intentionale ", so erweist sich die Rede bei genauerer Betrachtung als eine uneigentliche. In Wahrheit bestehen nur gewisse gesetzlich gültige Zusammenhänge zwischen gegen­ standslosen Vorstellungen ", die vermöge ihrer Analogie mit den auf gegenständliche Vorstellungen bezüglichen Wahrheiten die Rede von den bloß vorgestellten Gegenständen, die in Wahrheit nicht existieren, nahelegen. Die idealen Gegenstände hingegen existieren wahrhaft. Es hat evidenterweise nicht bloß einen rguten1 Sinn, von solchen Gegenständen (z. B. von 1 d e r Zahl 2, von d e r Qualität [B1 1 25) Röte, von d e m Satz des Widerspruches u. dgl.) zu sprechen und sie als mit Prädikaten behaftet vorzustellen, sondern wir erfassen auch e i n s i c h t i g gewisse rkategorische1 Wahrheiten, die auf solche ideale Gegenstände bezüglich sind. Gelten diese Wahrheiten, so muß all das sein, was ihre Geltung objektiv voraussetzt. Sehe ich ein, daß 4 eine gerade Zahl ist, daß das ausgesagte Prädikat dem idealen Ge­ genstand 4 wirklich zukommt, so kann auch dieser Gegenstand nicht eine bloße Fiktion sein, eine bloße fa9on de par/er, in Wahrheit ein Nichts. Das schließt nicht aus, daß der Sinn dieses Seins und mit ihm der Sinn der Prädikation hier nicht ganz, nicht speziell derselbe ist wie in den Fällen, wo einem realen Subjekt ein reales Prädikat, seine rE i g e n s c h a ft1 1 beigelegt oder abgesprochen wird. Anders ausgedrückt : Wir leugnen es nicht und legen vielmehr Gewicht darauf, daß innerhalb der begriffiichen Einheit des Seienden (oder was das­ selbe : des Gegenstandes überhaupt) ein fundamentaler kategorialer Unterschied bestehe, dem wir eben Rechnung tragen durch den Unterschied zwischen idealem Sein und realem Sein, Sein als Spezies und Sein als Individuelles. Und ebenso spaltet sich die begriffliche Einheit der Prädikation in zwei 1 wesentlich unterschiedene [A 1 25] Arten : je nachdem einem Individuellen seine rEigenschaften1 2 oder einem Spezifischen seine generellen Bestimmtheiten beigelegt oder abgesprochen werden. Aber dieser Unterschied hebt nicht die oberste Einheit im Begriffe des Gegenstandes und rkorrelativ den1 3 der „

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1 1 A : r B e s c h a ffe n h e i t . ' A : r BeschalTenheiten

3 A : ri n dem1.

1.

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kategorischen Satzeinheit auf. I n jedem Falle kommt einem Gegen­ stand (Subjekt) etwas (ein Prädikat) zu oder nicht zu, und der Sinn dieses allgemeinsten Zukommens mit den ihm zugehörigen Geset­ zen bestimmt auch den allgemeinen Sinn des Seins, bzw. des Gegen5 standes überhaupt ; so wie der speziellere Sinn der generellen Prädi­ kation mi t den ihr zugeordneten Gesetzen den Sinn des idealen Gegenstandes bestimmt (bzw. voraussetzt). Gilt uns alles, was ist. mit Recht als seiend und als so seiend vermöge der Evidenz, mit der wir es im Denken als seiend erfassen, dann kann keine Rede 1 0 davon sein, daß wir 1 die Eigenberechtigung des idealen Seins [B 1 1 26] verwerfen dürften. In der Tat kann keine Interpretationskunst der Welt die idealen Gegenstände aus unserem Sprechen und Denken eliminieren. § 9. L ackes Lehre von den abstrakten Ideen 15

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Von besonderer historischer Wirkung war, wie wir hörten, die psychologische Hypostasierung des Allgemeinen in der L o c k e schen Philosophie. Sie erwuchs in folgender Gedankenreihe : In rrealer1 Wirklichkeit existiert nichts dergleichen wie ein Univer­ sale, es existieren real nur individuelle Dinge, die sich nach Gleichheiten und Ähnlichkeiten in Arten und Gattungen ordnen. Halten wir uns an die Sphäre des unmittelbar Gegebenen und Erlebten, rmit L o c k e gesprochen,1 an die „ Ideen ", so sind die Dingerscheinungen Komplexionen von „ einfachen Ideen ", derart, daß in vielen solchen Komplexionen dieselben einfachen Ideen, dieselben phänomenalen Merkmale, einzeln oder gruppenweise, wiederzukehren pflegen. Wir n e n n e n nun die Dinge, und nennen sie nicht bloß mittels Eigenna­ men, sondern vorwiegend mittels Gemeinnamen. Die Tatsache aber, daß wir viele Dinge einsinnig mittels eines und desselben all­ gemeinen Namens nennen können, beweist, daß diesem eben ein allgemeiner Sinn, eine „ a l l ge m e i n e I d e e " entsprechen muß. 1 Sehen wir näher zu, in welcher Weise sich der allgemeine Name [A 1 26] auf die Gegenstände der zugehörigen Klasse bezieht, so zeigt es sich, daß er dies mittels eines und desselben allen diesen Gegenständen gemeinsamen Merkmals (oder Merkmaikomplexes) tut und daß die Einsinnigkeit des allgemeinen Namens nur soweit reicht, als Gegen­ stände mittels dieses und keines anderen Merkmals (bzw. mittels dieser und keiner anderen Merkmals i d e e) genannt sind.

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I I . D I E I DE A L E E I N H E I T D E R S P E Z I ES

Das allgemeine Denken, das sich in allgemeinen Bedeutungen vollzieht, setzt also voraus, daß wir die Fä h i g k e i t d e r A b s t r a k ­ t i o n haben, d . h . die Fähigkeit, von den phänomenalen Dingen, die uns als Merkmalkomplexic.nen gegeben sind, partiale Ideen, Ideen einzelner Merkmale, a b z u t r e n n e n und sie an 1 Worte als deren [B 1 1 2 7] allgemeine Bedeutungen anzuknüpfen. Die Möglichkeit und Wirklichkeit solcher Lostrennung ist durch die Tatsache gewährleistet. daß jeder allgemeine Name seine eigene Bedeutung hat, also eine ausschließlich an ihn gebundene Merkmalsidee trägt ; und ebenso, daß wir nach Willkür irgendwelche Merkmale herausgreifen und sie zu Sonderbedeutungen neuer allgemeiner Namen machen können. Freilich ist ·die Bildung der abstrakten " oder allgemeinen Ideen ", dieser Erdichtungen " und Kunstgriffe " des Geistes, nicht ohne Schwierigkeit, sie bieten sich nicht so leicht dar, wie wir zu glauben geneigt sind. Erfordet es z. B. nicht eine gewisse Bemü­ hung und Geschicklichkeit, die a l l ge m e i n e I d e e e i n e s Dre i e c k s w bilden (die noch nicht z u den umfassendsten und schwierigsten gehört); denn es muß w e d e r s c h i e fw i n k l i g n o c h re c h t w i n k ­ l i g , w e d e r g l e i c h s e i t i g, gleichschenklig rnoch1 • u n g l e i c h s e i t i g sein, sondern a l l e s d a s und k e i n e s d a v o n a u f e i n m a l. I n der Tat ist sie etwas Unvollkommenes, das nicht existieren kann, eine Idee. worin gewisse Teile mehrerer verschiedener und unvereinbarer Ideen zusammengefügt sind. Freilich hat der Geist in diesem seinem unvollkommenen Zustande solche Ideen nötig und beeilt sich, mögliehst zu ihnen zu gelangen, um der Bequemlichkeit der Mitteilung und der Erweite l rung des Wissens willen . . . Gleichwohl läßt sich [A 1 27] mit Grund vermuten, daß solche Ideen Zeichen unserer Unvollkom­ menheit sind. " * „









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§ 1 0. Kritik 30

In diesem Gedankengange verflechten sich mehrere fundamentale Irrtümer. Das Grundgebrechen der L o c k e schen und der englischen

• L o c k e s Essa)'. B. IV, chap. V I I , s. 9. (In der sorgsamen Übersetzung von T h . S c h u l t z c i n Reclams Universalbibl., I I , S . 273.)

a I n A zusätzlich gespern.

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Erkenntnistheorie überhaupt, die unklare Idee von der 1 d e e macht sich in seinen Folgen sehr bemerklich. Wir notieren folgende Punkte : 1 . Idee wird als jedes Objekt innerer Wahrnehmung definiert : Whatel'er the mind perceives in itself. or is the immediate ob[ject of [8 1 1 28} perception. thought or understanding, that l ca// idea. "* In naheliegender Extension - die Wahrnehmung braucht nicht gerade aktuell zu erfolgen - wird dann jedes m ög l i c h e Objekt innerer Wahrnehmung und schließlich jeder Inhalt im rimmanent-psychologischen1 t Sinne, jedes psychische Erlebnis überhaupt, unter dem Titel Idee befaßt. 2. Idee hat aber bei L o c k e zugleich die engere Bedeutung von V o r s te l l u n g, und zwar in dem Sinne, der eine sehr eingeschränkte Klasse von Erlebnissen, und näher von intentionalen Erlebnissen, auszeichnet. Jede Idee ist Idee v o n E t w a s, sie stellt Etwas vor. 3. Weiter wird bei L o c k e Vorstellung und Vorgestelltes als sol­ ches vermengt, rdie Erscheinung mit dem Erscheinenden, der Akt (das Aktphänomen als reell-immanentes Bestandstück des Bewußt­ seinstlusses) mit dem intendierten Gegenstand1 2 . So wird der erscheinende Gegenstand zu einer Idee, seine Merkmale zu Partial­ ideen. 4. Die rim vorigen Punkt bezeichnete1 3 Vermengung hängt wohl damit zusammen, daß L o c k e die Merkmale, die dem Gegenstande zukommen, mit den rimmanenten1 Inhalten verwechselt, welche den sinnlichen Kern des Vorj stellungsaktes ausmachen, nämlich mit den [A 1 28} E m p fi n d u ngen, welche der auffassende Akt gegenständlich deutet oder mit welchen er die gegenständlichen Merkmale wahrzunehmen und sonstwie anzuschauen vermeint. 5. Ferner werden unter dem Titel allgemeine Idee " die Merkmale als spezifische Attribute und die Merkmale als gegenständliche Momente vermengt. „



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• Essa.v, B. II, chap. Vill, s. 8. Vgl. auch den zweiten Brief an den Bischof von W o r c e s t e r ( Philos. works. ed. J . A . S I . J o h n, London 1 882, II, S. 340 u. 343) : „ h e that thinks must have some immediate object of his mind in thinking: i. e. must have ideas. "

1 A : rpsychologischen1.

2

r 1.

A : der Akt mit dem intendierten Gegenstand, die Erscheinung mit dem Erschei­

nenden

1.

' A : rletztere

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I I . D I E I DE A L E E I N H E I T D E R S P E Z I E S

Was endlich noch von besonderer Wichtigkeit ist, es fehlt bei L o c k e ganz und gar der Unterschied zwischen Vorstellung im Sinne von anschaulicher Vorstellung (Erscheinung, vorschwebendes Bild " ) und Vorstellung im S!nne von Bedeutungs l vorstellung. Man [ B 1 1 29] kann dabei unter Bedeutungsvorstellung ebensowohl die Bedeu­ tungsintention als die Bedeutungserfüllung verstehen ; denn dies beides wird von L o c k e gleichfalls nie geschieden. Nur diese Vermengungen (an denen die Erkenntnistheorie bis zum heutigen Tage krankt) geben L o c k e s Lehre von den abstrakten allgemeinen Ideen den Anstrich von selbstverständlicher Klarheit, der ihren Urheber täuschen konnte. Die Gegenstände der anschauli­ chen Vorstellungen, die Tiere, Bäume usw„ und zwar so gefaßt, wie sie uns gerade erscheinen (also nicht als die Gebilde von „ primären Qualitäten " und „ Kräften ", welche nach L o c k e die wahren Dinge sind - denn diese sind jedenfalls nicht d i e Dinge, die uns in den anschaulichen Vorstellungen erscheinen), werden wir keineswegs als Komplexion von r„ Ideen "1 1 und somit selbst als r„ Ideen "1 1 gelten lassen. Sie sind nicht Gegenstände möglicher innerer Wahrneh­ mung ", als ob sie im Bewußtsein einen komplexen rphänomenologischen1 2 Inhalt bildeten und sich darin nun rals reelle Daten1 3 vor­ finden ließen. rMan darf sich nicht dadurch beirren lassen, daß wir in äquivoker Rede die sinnlich erscheinenden Dingbestimmtheiten und die dar­ stellenden Momente der Wahrnehmungen mit denselben Worten bezeichnen und somit von „ Farbe ", „ Glätte ", „ Gestalt " bald im Sinne von objektiven Eigenschaften sprechen, bald im Sinne von Empfindungen. Aber prinzipiell ist zwischen beiden ein Gegensatz. Die Empfindungen stellen in den betreffenden Dingwahmehmungen vermöge der sie beseelenden Auffassungen die objektiven Bestimmtheiten dar, sind aber niemals sie selbst. Der erscheinende Gegen­ stand, so wie er da erscheint, ist der Erscheinung als Phänomen transzendent. Mögen wir auch die erscheinenden Bestimmtheiten selbst aus irgendwelchen Gründen in bloß phänomenale und wahre, 6.



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1 Die Anführungszeichen fehlen in A.

1 2 A: rpsychischen . 3 A : rwirklich1.

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etwa im Sinne der Tradition in sekundäre und primäre unterschei­ den. Die Subjektivität der sekundären Bestimmtheiten kann nie und nimmer den Widersinn besagen, daß sie reelle Bestandstücke der Phänomene sind. Die erscheinenden Objekte der äußeren Anschau5 ungen sind g e m e i n t e Einheiten, aber nicht „ Ideen " oder Ideen­ komplexe im Sinne der L o c k e schen Rede. Des weiteren 1 besteht [B 1 1 30) also die Nennung durch die allgemeinen Namen nicht darin, aus solchen Ideenkomplexen einzelne gemeinsame Ideen herauszuheben und sie an die Worte als deren „ Bedeutungen " anzuknüpfen. Die 1 0 Nennung, als eigentliche, auf Grund der Anschauung sich vollzie­ hende, mag sich speziell auf ein einzelnes Merkmal richten, aber dieses sich Richten ist ein Meinen in dem analogen Sinne, in dem das sich auf den konkreten Gegenstand selbst Richten ein solches ist. Und dieses Meinen meint etwas fü r s i c h, was im Meinen des 1 5 Konkretum in gewisser Weise mitgemeint ist. Das sagt aber nicht, es vollziehe ein Abtrennen. 1 1 1 A (ohne Absatz an das vorige anschließend) :

rEs mag sei n . daß diese intentionalen

Gegenstände sich (vermeintlich) aus Elementen aufbauen, die sämtlich aus i nnerer Wahrneh mung• stam men und in gewisser Art auch weiterhi n durch solche Wahrnehmung realisierbar

1

[

sind. Aber normalerweise sind d iese Elemente gar nicht adäquat A 1 29)

gegeben. und sind sie überhaupt adäquat realisierbar - was für ihre Gesamtkomplexion als Ganzes jedenfalls ausgeschlossen ist - . so ist diese Möglichkeit bestenfalls diejenige der Wahrnehmung künftiger I nhalte, sie bezieht sich n icht auf den jeweilig wirklichen und vorfindlichen Bewußtseinsgehalt. es handelt sich n icht bloß darum, auf etwas hin-

1 ublicken. was psychisch präsent ist. Die .. äußeren „ Anschauungsobjekte und ihre Merkmale sind g e m e i n t e Einheiten, aber n icht

•.

Ideen ·• im Sinne der L o c k e schen

Definition. Diese Sachlage macht es klar. daß die M öglichkeit einer auf ein einzelnes M erkmal

fü r sich gerichteten I ntention keineswegs die Abtrennung dieses Merkmals bzw. sein Gegebenscin als ein Isoliertes voraussetzt. Ist uns der gesamte Gegenstand nur in der Weise ei nes Vermeinten gegeben. während er. als das, was er vermeint ist. i m Vermei­ nen selbst gar n icht real ist : so wird auch ein Vermeinen. das sich auf die M erkmale des Gegenstandes richtet. möglich sein, ohne daß diese i m eigentlichen Sinne gegeben. näm­ lich wieder im Vermeinen selbst real sind. Dies wird sowohl i n anschaulkher Weise.

1 . B. i n der Weise einer Partialwahrnehm ung. mögl ich sein als auch i n der Weise einer

andersartigen I ntention. z.B. einer gewissen Bedeutungsi ntention. I st aber das Merkmal sel bst in Wahrheit gar nicht gegeben. so kann davon auch keine Rede sei n . daß es als losgetrenntes gegeben sei oder gegeben sein m ü ssc.1.

• rwarum ich von innerer Wahrnehmung spreche. wo es sich gar nicht um Rcnexion a u f psychische Akte handelt. werden die Erörterungen d e r Beilage über äußere und innere Wahr­ nehm ung am Schlusse des Bandes aufldärcn.1

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I I . D I E IDEALE E I N H E I T DER SPEZIES

Wir können allgemein sagen : Worauf sich eine Intention richtet, das wird dadurch zum eigenen Gegenstand des Aktes. Es wird zum e i g e n e n Gegenstand, und es wird zu einem von allen anderen Gegenständen g e t re n n t e n Gegenstand, das sind zwei grundverschiedene Behauptungen. Die Merkmale sind, wofern wir unter Merkmalen attributive Momente verstehen, von dem konkreten Untergrunde evident unabtrennbar. Inhalte dieser Art können nicht für sich sein. Aber darum können sie für sich gemeint sein. Die Intention trennt nicht, sie meint, und was sie meint, schließt sie eo ipso ab, sofern sie eben nur dieses und nichts anderes meint. Dies gilt für jederlei M�inen, und man 1 muß sich darüber klar sein, daß [A 1 30) nicht jedes Meinen Anschauen und nicht jedes Anschauen ein ad­ äquates, seinen Gegenstand rvollkommen und restlos1 1 in sich schließendes Anschauen ist. Mit all dem reichen wir aber rfür unsere Frage1 noch nicht aus. Das individuell einzelne rgegenständliche1 Moment ist noch nicht das Attribut in specie. Ist das erstere gemeint, das Moment, so ist das Meinen vom Charakter des individuellen, ist das Spezifische gemeint, so ist es vom Charakter des spezifischen Meinens. Selbstverständlich bedeutet auch hier wieder die Pointierung, die das attri­ butive Moment erfährt, keine Abtrennung desselben. Zwar richtet sich das Meinen im letzteren Falle gewissermaßen auch auf das erscheinende Moment, aber dies geschieht in wesentlich neuer Weise ; nur im Aktcharakter kann ja bei der Identität der Anschauungsgrundlage 1 der Unterschied liegen. Ähnliche Unter- (8 1 1 3 1 ] schiede sind zwischen der Gattungsvorstellung i m gewöhnlichen Sinn (wie Baum, Pferd u. dgl.) und direkten Dingvorstellungen (überhaupt direkten Vorstellungen von Konkretis) zu beachten. Überall werden wir unterscheiden müssen zwischen den schlichten Total- und Partialanschauungen, welche die Grundlage bilden, und den wechselnden Aktcharakteren, die sich als gedankliche darauf bauen, ohne daß sich im Sinnlich-Anschaulichen das Geringste än­ dern müßte. Für die genauere Analyse kämen hier natürlich viel mannigfaltigere Unterschiede der Akte in Betracht, als wir zu Zwecken der Kritik L o c k e s in Erwägung zu ziehen brauchen. Das Anschaulich-Einzelne

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1 37

ist einmal direkt als d i e s e s rda1 • gemeint, dann wieder ist es a l s T r ä g e r e i n e s A l l ge m e i n e n, als Subjekt eines Attributs, als Ein­ zelnes einer empirischen Gattung gemeint ; wieder ein andermal ist d a s A l l ge m e i n e s e l b s t gemeint, z. B. die Spezies des in einer 5 Partialanschauung pointierten Merkmals ; dann wieder ist eine sol­ che S p e z i e s a l s A r t e i n e r (i d e a l e n) G a t t u n g gemeint usw. Bei all diesen Auffassungsweisen kann unter Umständen eine und die­ selbe sinnliche Anschauung als Grundlage fungieren. Den Unterschieden des eigentlichen " Denkens, in welchen sich 1 0 die mannigfachen kategorialen Formen aktuell konstituieren, 1 folgen [A 1 3 1 ] nun auch die s y m b o l i sc h e n I n t e n t i o n e n der Ausdrücke. In der Weise des Aussagens und Bedeutens ist all das gesagt und gemeint, was vielleicht in der eigentlichen, intuitiv erfüllten Weise gar nicht aktualisiert ist. Das Denken " ist nun ein bloß symbolisches " 1 5 oder .. uneigentliches ". Diesem phänomenologischen Sachverhalt vermag L o c k e nicht gerecht zu werden. Das sinnlich-anschauliche Bild, mittels dessen sich die Bedeutungsintention erfüllt, wird, sagten wir oben,* von L o c k e für die Bedeutung selbst genommen. Unsere letzte Betrach20 tung bestätigt und klärt diesen Einwand. Denn L a c k e s Identifika­ tion stimmt weder, wenn wir unter Bedeutung die intendierende, noch, 1 wenn wir darunter die erfüllende Bedeutung verstehen. Die [ ß 1 1 32] erstere liegt im Ausdruck als solchem. Seine Bedeutungsintention macht das allgemeine Vorstellen in dem Sinne des allgemeinen 25 Bedeutens aus, und ein solches ist ohne jede aktuelle Anschauungs­ grundlage möglich. Tritt aber gegebenenfalls eine Erfüllung ein, so ist, wie aus unseren Erwägungen hervorgeht, nicht etwa das sinnlich­ anschauliche Bild die Bedeutungserfüllung selbst, sondern es ist die bloße Grundlage dieses erfüllenden Aktes. Dem nur symbolisch " 30 vollzogenen allgemeinen Gedanken, d. i. der bloßen Bedeutung des allgemeinen Wortes, entspricht dann der eigentlich " vollzogene Gedanke, welcher seinerseits in einem Akte sinnlicher Anschauung fundiert, aber nicht mit ihm identisch ist. „









• Vgl. oben in der Aufzählung der L o c k e schen Vermengungen riie letzte.

a In A zusätzlich gesperrt.

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I I . D I E I DE A L E E I N H E I T D E R S P E Z I E S

Und nun verstehen wir die trügerischen Verwechslungen in L o c k e s Gedankengang vollkommen. Aus der Selbstverständl ickeit. daß jeder allgemeine Name seine ihm eigene allgemeine Bedeutung hat, macht er die Behauptung, daß jedem allgemeinen Namen eine 5 a l l ge m e i n e I d e e zugehöre, und diese Idee ist für ihn nichts ande­ res als eine a n s c h a u l i c h e S o n d e r v o rs t e l l u n g (eine Sonderer­ scheinung) eines Merkmals. Dies ist eine notwendige Folge davon. daß er die Wortbedeutung, weil sie sich auf Grund der Erscheinung des Merkmals e r fü l l t, mit dieser Erscheinung selbst verwechselt : so l O wird ja aus der gesonderten 1 Bedeutung (sei es der intendierenden [A 1 32] oder erfüllenden). die gesonderte Anschauung des Merkmals. Da L o c k e nun zugleich die Merkmals e r s c h e i n u n g und das erscheinende M e r k m a l nicht auseinanderhält,* so wenig als das Merkmal als M o m e n t und das Merkmal als s p e z i fi s c h e s Attribut.** so ist 1 5 mit seiner „ allgemeinen Idee " in der Tat eine p s y c h o l o g i s c h e H y p o s t a s i e r u n g d e s A l l ge m e i n e n vollzogen. das Allgemeine wird zum reellen Bewußtseinsdatum.*** § 1 1 . L ockes allgemeines Dreieck Diese Irrtümer rächen sich durch die Absurditäten, in welchen sie 20 den großen Denker im Beispiel der allgemeinen Idee eines Dreiecks verwickeln. Diese Idee ist die Idee e i n e s Dreiecks, welches weder rechtwinklig noch spitzwinklig ist usw. So kann es freilich leicht scheinen, wenn man die allgemeine Idee des Dreiecks zunächst als die allgemeine Bedeutung des Namens faßt und ihr dann die an25 schauliche Sondervorstellung, bzw. das anschauliche Sonderdasein der zugehörigen Merkmalskomplexion im Bewußtsein unterschiebt. Nun hätten wir ein inneres Bild, welches Dreieck ist und nichts weiter; die Gattungsmerkmale losgetrennt von den spezifischen Dif­ ferenzen und zu einer psychischen Realität verselbständigt. 30 Daß diese Auffassung nicht nur falsch, sondern widersinnig ist, braucht kaum gesagt zu werden. Die Unabtrennbarkeit des Allge• Vgl . oben. S. 127 sub 3. •• V�I. oben. S. 1 28 sub 5.

*** Es ist sehr merkwürdig. daß selbst L o t ze, dessen Interpretation der platonischen Ideenlehre wir zu größtem Danke verpflichtet sind, in den Fehler der psychologischen Hypo­ stasierung des Allgemeinen verfallen ist. Man lese die Betrachtungen in seiner Logik von J 8 74. S. 509 ff. . besonders § 3 1 6.1

[B 1 1 33]

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D I E PSYCHOLOG I S C H E H Y POSTAS I E R U NG DES ALLG E M E I N E N

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meinen, bzw. seine Unrealisierbarkeit rgilt a priori, sie gründet im Wesen der Gattung als solcher. Mit1 1 Beziehung auf das Exempel wird man vielleicht eindrucksvoller sagen : Die Geometrie beweist a priori auf Grund der Definition des Dreiecks, daß jedes Dreieck entweder spitzwinklig oder stumpfwinklig oder rechtwinklig ist usw. Und sie kennt keinen Unterschied zwischen Dreiecken der Wirk­ lichkeit ·· und Dreiecken der Idee ", d. i. Dreiecken, die als Bilder im Geiste schweben. Was a priori unverträglich ist, ist es schlechthin, also auch im Bilde. Das adäquate Bild 1 eines Dreiecks ist selbst [A 1 33] ein Dreieck. So täuscht sich L o c k e, wenn er die ausdrückliche Anerkennung der evidenten Nichtexistenz eines realen allgemeinen Dreiecks mit dessen Existenz in der Vorstellung glaubt verbinden zu können. Er übersieht, daß psychisches Sein auch reales Sein ist und daß, wenn man Vorgestellt-sein und Wirklich-sein gegenüberstellt, damit nicht auf den Gegensatz von Psychischem und Außerpsychi­ schem abgezielt ist und abgezielt sein darf, sondern auf den Gegen­ satz zwischen Vorgestelltem in dem Sinne von bloß G e m e i n t e m und W a h r e m i n dem Sinne von dem der Meinung Entsprechenden. Gemeint-sein heißt aber nicht Psych i sch-real-sein. 1 Vor allem hätte sich L o c k e auch sagen müssen : Ein Dreieck ist [ß 1 1 34] etwas, das Dreieckigkeit hat. Die Dreieckigkeit ist aber nicht selbst etwas, das Dreieckigkeit hat. Die allgemeine Idee vom Dreieck, als Idee der Dreieckigkeit, ist also Idee von dem, was von jedem Dreieck als solchem gehabt wird ; nicht ist sie aber die Idee von e i n e m Dreieck selbst. Nennt man die allgemeine Bedeutung B e g r i ff, das Attribut selbst B e g r i ffs i n h a l t, jedes Subjekt zu diesem Attribut B e g r i ffsgege n st a n d, so kann man dies auch so ausdrücken : Es ist absurd, den Begriffsinhalt zugleich als Begriffsgegenstand zu fassen oder den Begriffsinhalt dem Begriffsumfang einzuordnen. * Man bemerkt übrigens, daß L o c k e die Absurditäten noch häuft, indem er das allgemeine Dreieck nicht nur als ein Dreieck faßt, wel„



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• Ich würde es also nich t ' korrekt finden, mit M e i n o n g zu sagen, L o c k e verwechsle den I nhalt und Umfang des Begriffs. Vgl. Hume-Studien, l, S. 5 (Sitzungsber. der phil.-hist. Klasse der Wiener Ak. d. W.. Jhrg. 1 877. S. 1 87). 1

A : rgründet

2 In

A

a

priori im Begriff der Gattung. Speziell mit1.

1 folgt : rganz .

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I I . DIE I D E A L E E I N H E I T DER S P E Z I E S

ches aller spezifischen Differenzen bar ist, sondern auch als ein Dreieck. das sie a l l e z u gl e i c h v e re i n i gt,* also dem Inhalt des Dreieckbegriffs den Umfang der ihn einteilenden Arten unter­ schiebt. Dies ist aber bei L 0 c ke nur ein ganz vorübergehender Lap5 sus. Jedenfalls bieten, wie ersichtlich, hnt. Wie immer die Aufmerksamkeit charakterisiert werden mag, sie ist eine Funktion, die in deskriptiv eigenartiger Weise Gegenstände des Bewußtseins bevorzugt und sich (von gewissen graduellen Un­ terschieden abgesehen) von Fall zu Fall auch nur durch die 1 Gegen- [A 1 53] stände unterscheidet, denen sie diese Bevorzugung erteilt. Folglich kann nach der Theorie, die das Abstrahieren mit dem Aufmerken identifiziert, zwischen dem Meinen des Individuellen, wie es z. B. zur Intention der Eigennamen gehört, und dem Meinen des Allge­ meinen, das den Namen von Attributen anhaftet, kein wesentlicher Unterschied sein ; er besteht eben nur darin, daß einmal der ganze individuelle Gegenstand, das andere Mal das Attribut gleichsam mit dem geistigen Blick fixiert wird. Nun fragen wir aber, ob denn das Attribut, da es doch im Sinne der Theorie e i n k o n s t i t u i e r e n d e s M o m e n t d e s G e ge n s t a n d e s sein soll, nicht genauso ein indivi­ duell Einzelnes sein müßte wie der ganze Gegenstand. Angenommen, wir konzentrieren unsere Aufmerksamkeit auf das Grün des eben vor uns stehenden Baumes. Wer es bei sich zu ermöglichen vermag. steigere die Konzentration rsogar1 1 bis zu der von M i l l * angenommenen Bewußtlosigkeit hinsichtlich aller mitverbundenen Momente. Dann sind, wie man sagt, die sämtlichen irgend faßbaren Anhaltspunkte für den Vollzug der individualisierenden Unterschei­ dung entschwunden. Würde uns plötzlich ein anderes Objekt von genau gleicher Färbung unterschoben, wir würden keinen Unter­ schied merken, das Grün, dem wir ausschließlich zugewendet sind, wäre für uns eines und dasselbe. Lassen wir all das gelten. Aber w ä r e nun dieses Grün w i r k l i c h dasselbe wie jenes ? Kann unsere Vergeßlichkeit oder unsere absichtliche Blindheit für alles Unter­ scheidende irgendetwas daran ändern, daß, was objektiv verschieden ist, nach wie vor verschieden bleibt und daß das gegenständliche

• Vgl. z.B. die S. *

* * Näheres über Berechtigung und Gehall dieser Bestimmung in der nächstfolgenden Unter­ such ung.

1 A:

r.

' A:

rs. 1 351.

so wenig wie sich Töne malen oder Farben durch Gerüche und so allgemein heterogene Inhalte durch heterogene abbilden lassen. 1. 2 A : rpsychologischen1. 3 A : rerlebten1. 4 A : rpsychischer lnhalt1.

S O N D E R U N G V E R S C H I E D E N E R B E G R I FFE V O N A B S T R A K T I O N U N D A B S T R A K T

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tionalen ", d. h. bloß i n t e n d i e r t e n Gegenstand nicht fälschlich als rreelles1 Bestandstück desjenigen rErlebnisses1 1 , in dem sich die In­ tention vollzieht, deutet), ist als Ganzes konkret ; die ihm innewoh­ nenden Bestimmtheiten, wie Farbe, Form usw„ und zwar als konstitutive Momente seiner Einheit verstanden, sind abstrakt. Diese rg e ­ g e n s t ä n d l i c h e1 • Unterscheidung rzwischen Abstrakt und Konkret1 ist die allgemeinere ; denn rimmanente1 2 Inhalte sind nur eine spe­ zielle Klasse von Gegenständen (womit natürlich nicht gesagt ist : von Dingen). Der fragliche Unterschied wäre daher eigentlich passender als Unterschied zwischen abstrakten und konkreten Gege n ­ s t ä n d e n bzw. Gegenstands l teilen zu bezeichnen. Wenn ich hier [B 1 2 1 9] doch fortfahre, von Inhalten zu sprechen, so geschieht es, um nicht bei der Mehrheit der Leser beständigen Anstoß zu erregen . .In dieser auf dem Boden der Psychologie erwachsenen Unterscheidung, wo die Veranschaulichung naturgemäß immer nach sinnlichen Beispie­ len greifen wird, ist die Interpretation des Wortes Gegenstand durch Ding zu sehr vorwiegend, als daß die Bezeichnung einer Farbe oder Form als Gegenstand nicht als störend oder gar verwirrend empfun­ den werden könnte. Doch ist scharf im Auge zu behalten, daß rd i e R e d e v o n I n h a l t e n h i e r k e i n e s w eg s a u f d i e S p h ä re d e r B e w u ß t se i n s i n h a l t e i m re e l l e n S i n n b e g re n z t i s t , s o n d e r n a l l e i n d i v i d u e l l e n Gege n s t ä n d e u n d G e ge n s t a n d st e i l e m i t b e fa ß t1 •. Selbst die Sphäre der uns anschaulich werdenden Gegenstände schränkt uns nicht ein. Die Unterscheidung hat vielmehr auch rontologischen1 3 Wert : es sind Gegenstände doch mög­ lich, die rfaktisch1 4 jenseits der allem menschlichen Bewußtsein überhaupt zugänglichen Erscheinung liegen. Kurzum die Unterschei­ dung betrifft in schrankenloser Allgemeinheit individuelle Gegen­ stände überhaupt rund gehört als solche in den Rahmen der apriorischen formalen Ontologie1. b) Legen wir nun den objektiven r(ontologischen)1 Begriff von „ abstrakten Inhalten " zugrunde, so wird unter A b s t ra k t i o n der ' A : rpsychischen Erlebnisses1. a In A nicht gesperrt. 2 A : rpsychische1. J A : rmetaphysijschen1. ' A : rihrer G a t t u n g nach 1.

[A 2 1 7]

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I I . DI E I D E A L E E I N H E I T D ER S P E Z I E S

A k t gemeint sein, durch welchen ein abstrakter Inhalt unterschie­ den ", d. h. durch den er zwar nicht losgetrennt, aber doch zum eige­ nen Objekt eines auf ihn gerichteten anschaulichen Vorstellens wird. Er erscheint in und mit dem betreffenden Konkretum, von dem er abstrahiert ist, aber er ist speziell gemeint und dabei doch nicht bloß gemeint (wie in einem indirekten ", bloß symbolischen Vorstellen), sondern als das, rals, was er gemeint ist, auch anschaulich gege­ ben. c) Doch wir müssen hier noch einen wichtigen und schon mehrfach betonten * Unterschied in Rechnung ziehen. Wenn wir auf eine der in die Erscheinung fallenden " Seitenflächen 1 eines Würfels [ B 1 220) achten, so ist dies der abstrakte Inhalt " unseres anschaulichen Vorstellens. Jedoch der wahrhaft e r l e bt e Inhalt, welcher dieser e r s c h e i n e n d e n Seitenfläche entspricht, ist von dieser selbst verschieden ; er ist nur die Grundlage einer „ Auffassung ", vermöge deren, während er empfunden wird, die von ihm verschiedene Wür­ felfläche zur Erscheinung kommt. Der empfundene Inhalt ist dabei nicht das Objekt unseres anschaulichen Vorstellens, er wird zum Objekt erst in der psychologischenr, bzw. phänomenologischen, Reflexion ". Gleichwohl lehrt die deskriptive Analyse, daß er nicht bloß überhaupt im Ganzen der konkreten Würfelerscheinung rmit­ „

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enthalten, 1 ist, sondern daß er gegen über all den a n de ren in d i e s e m Vorstellen der betreffenden Seiten fläche nicht re p rä se n t a t i v f'ungie­ renden I nhalten i n gewi sser Wei se geh o be n po i n tiert ist. Dies ist er natürlich auch dan n, wenn re r s e l b s t z u m G e g e n s t a n d,a einer auf i h n eigens gerichteten vorstellenden I ntention w i rd. n u r d a ß 1 d a n n (also i n d e r r Reflexion, 2 ) eben d iese I ntention noch h i nz u t r i t t . [A Somit rk ö n n te, 3 auch d iese Hebung des I n halts. welche s e l b st k e i n A k t **, aber eine deskriptive E igen t ü m lichkeit rd e r Erschei n u ngssci ,

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• Vgl. auch die rv1. Unters . . § 1 5, '. •• In dem strengen in der Untersuchung V

r

§

9 ff.i festzustellenden Sinne.

rmitgegeben,_ • In A nicht gespern. 2 A : rpsychologischen Reflexioni. ' A : rk ann . • A : rv. Unters .. Kap. 2i. Vgl. Zusi!tze und Verbesserungen „ zu 1 A:

i

525 ff}.



A : rv1.

(§ 1 5. S.

2 1 8)

SON DER U NG V E R S C H I E D E N E R BEG R I FFE V O N A B S T R A K T I O N U N D A B S T R A K T

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te1 jener Akte ist, in denen der Inhalt zum Träger einer eigenen Intention wird. als A b s t r a k t i o n bezeichnet werden. Damit rwäre aber1 1 ein durchaus neuer Begriff von Abstraktion bestimmt. d) Nimmt man an, daß das Abstrahieren ein eigenartiger Akt oder überhaupt ein deskriptiv eigenartiges Erlebnis sei, dem die Hervor­ hebung des abstrakten Inhalts aus seinem konkreten Untergrund verdankt wird, oder sieht man in der Weise der Heraushebung gera­ dezu das Wesentliche des abstrakten Inhaltes als solchen, so er­ wächst ein abermals neuer Begriff vom Abstrakten. Der Unterschied gegenüber dem Konkreten wird n i c h t i n d e r e i g e n e n N a t u r d e r I n h a l te gesucht, sondern i n d e r W e i s e d e s G eg e be n s e i n s : abstrakt heißt ein Inhalt, s o fe r n e r a b s t ra h i e rt, konkret. sofern er n i c h t abstrahiert ist. Man wird leicht bemerken, daß die Neigung. zur Charak l teristik [B 1 22 1 ] des Inhaltsunterschiedes auf die Akte zu rekurrieren, durch die Ver­ wechslung mit den weiterfolgenden Begriffen von Abstrakt und Konkret hervorgerufen wird, bei welchen das Wesen der Sache aller­ dings in den Akten liegt. e) Versteht man unter Abstrahieren im p o s i t i v e n Sinn das b e v o rz u g e n d e B e a c h t e n eines Inhalts, unter Abstrahieren im n e ­ ga t i v e n Sinn das A b s e h e n von gleichzeitig mitgegebenen Inhal­ ten, so verliert das Wort seine ausschließliche Beziehung zu den abstrakten Inhalten in dem Sinne von unselbständigen Inhalten. Auch bei konkreten Inhalten spricht man ja, allerdings nur in dem negativen Sinne, von Abstraktion : man achtet z. B. auf sie in Abstraktion vom Hintergrunde ". „

§ 42. Sonderung der Begriffe. die sich um den Begr((f der Spezies gruppieren 2

a) Man unterscheidet abstrakte und konkrete B e g r i ffe und ver30 steht unter Begriffen die B e d e u t u n g e n v o n N a m e n. Dem l gemäß · [A 2 1 9] en tspricht d i eser U n tersch ei d u n g z ugl ei ch e i n e solche der N a m e n . und in der nominalistisehen Logik pflegt auch nur diese grammatische Unterscheidung aufgeführt zu werden. Von ihr können wir 1 A : rist also1.

' .. Zusätze und Verbesserungen ·· zu i n Betracht.1. Vgl. Anm. 1 . S. 1 85.

A:

rFür § 42 kommt die obige Note zu § 3 1

mit

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I I . D I E I DE A L E E I N H E I T D E R S P E Z I E S

bequem ausgehen. Namen können Individuen nennen, wie Mensch, Sokrates; oder auch Attribute, wie Tugend, Weiße, ;fh nlichkeit. Die ersteren nennt man konkrete, die letzteren abstrakte Namen. Die den letzteren entsprechenden Prädikatausdrücke, wie tugendhaft, weiß, ähnlich, rechnet man zu den konkreten Namen. Genauer müß­ ten wir aber sagen, sie seien konkret, wenn die möglichen Subjekte, auf die sie sich beziehen, konkrete Subjekte sind. Dies ist nicht immer der Fall : Namen wie Attribut, Farbe, Zahl u. dgl. beziehen ·sich prädikativ auf Attribute (als spezifische rEinzelheiten1 1 ) und nicht auf Individuen, oder zum mindesten auf Individuen nur mit­ telbar und unter .Ä nderung des prädikativen Sinnes. Hinter dieser grammatischen Unterscheidung liegt offenbar eine logische, nämlich die U n te r s c h e i d u ng d e r rn o m i n a l e n1 B e d e u t u n ge n , w e l c h e a u f A t t r i b u t e , u n d d e rj e n i g e n , 1 w e l c h e [ B 1 222] a u f Gege n s t ä n d e , s o fe r n s i e an A t t r i b u t e n A n t e i l h a b e n , g e r i c h t e t s i n d. Nennt man mit H e rb a r t alle logischen Vorstel­ lungen (und das heißt, sagten wir, alle nominalen Bedeutungen) Begriffe, so zerfallen die Begriffe 2 dieser Art in abstrakte und kon­ krete. Bevorzugt man aber einen a n d e r e n Sinn der Rede von Begriffen, welcher B e g r i ff = A t t r i b u t ansetzt, so ist es der Un­ terschied der Bedeutungen, welche Begriffe, und derjenigen, welche Begriffsgegenstände als solche vorstellen. Dieser Unterschied ist re­ lativ, sofern Begriffsgegenstände selbst wieder, nämlich in Relation zu gewissen neuen Gegenständen, den Charakter von Begriffen haben können. Aber dies kann nicht in infinitum gehen, und letztlich kommen wir notwendig auf den absoluten Unterschied zwischen Begriffen und Begriffsgegenständen, die nicht mehr als Begriffe fun­ gieren können ; einerseits also Attribute, andererseits Gegenstände, die Attribute „ haben ", aber selbst keine sind. So korrespondiert dem Unterschied der Bedeutungen ein Unterschied im gegenständlichen Gebiet, es ist, mit anderen Worten, der Unterschied der indi­ vi l duellen und spezifischen (der „ allgemeinen ") Gegenstände. Äqui- [A 220] vok heißen aber sowohl die allgemeinen Gegenstände wie die allgemeinen Vorstellungen (allgemeinen Bedeutungen), genauer, die d i r e k t e n Vorstellungen allgemeiner Gegenstände, „ Be g r i ffe ". Der rEinheiten1. ' In A folgt : rin1. 1 A:

SO N D E R U N G V E R S C H I E D E N E R B EG R I FFE VON A B S T R A K T I O N U N D A B S T R A K T

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Begriff Röte ist entweder die Röte selbst - wie wenn man diesem Begriff seine mannigfaltigen Gegenstände, die roten Dinge gegen­ überstellt - oder die Bedeutung des Namens Röte. Beide stehen offenbar in demselben Verhältnis wie die Bedeutung Sokrates und 5 Sokrates selbst. Freilich wird auch das Wort Bedeutung, infolge der Vermengung dieser Unterschiede, äquivok, so daß man sich nicht scheut, bald den Gegenstand der Vorstellung, bald ihren Inhalt " (den S i n n des Namens) Bedeutung zu nennen. Sofern Bedeutung auch Begriff heißt, wird übrigens auch die beziehende Rede von 1 0 Begriff und Begriffsgegenstand zweideutig : einmal handelt es sich „

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um das (vorh i n maßgebliche) Verhältnis zwischen dem Attribut ( Röte) und dem Gegenstand. dem dies Attribut zukommt (das rote H a us) : das andere Mal um 1 das total versch iedene Verhältnis zwi- [ B 1 sehen der logischen Vorstell ung (z. B. der Bedeutung des Wortes Riite oder des Eigen namens Thetis) und dem vorgestellten Gegen­ stande (dem Attribut Röte. der Göttin Thetis). b) Der U nterschied von kon kreten und abstrakten Vorstellungen kann aber auch in anderer Weise gefaßt werden. näml ich so. daß e i n e V o r s t e l l u n g k o n k r e t genannt wird. wenn sie e i n e n i n d i v i d u e l l e n G e g e n s t a n d d i re k t. ohne Verm ittl ung begri tll icher (attributi ver) Vorstellungen v o r s t e 11 t: und abstrakt i m gegentei l i ­ gen Falle. A u f d e r einen Seite stehen dann i m Bedeutungsgebiete d i e B e d e u t u n g e n d e r E i g e n n a m e n. a u f d e r anderen Seite a l l e ü b r i g e n rn o m i n a l e n1 B e d e u t u n g e n . c) Den oben gekennzeich neten Bedeutungen des Wortes Abstrakt entspricht auch e i n neuer Bedeutungskreis für die Rede von A b ­ s t r a k t i o n . E r wird die Akte befassen. d u rch welche die abstrakten .. 13egri fTc " erwachsen. Genauer gesprochen. handelt es sich um die A k t e . in w e l c h e n a l l g e m e i n e N a m e n i h r e d i r e k t e B e z i e h u n g a u f s p e z i fi s c h e E i n h e i t e n g e w i n n e n : 1 und wiederum [ A u m die Akte. welche zu d iesen Namen i n i h rer attributiven oder prädi kati ven Funktion gehören, i n welchen sich also Formen wie ein .·L alle A. einige A. S, 11•elches A ist u. dgl. konstituieren : endlich um die Akte. i n welchen uns die i n d iesen mannigfaltigen Denkformen gefaßten Gegenstände als so gefaßte evident „ g e g e b e n " sind. m i t anderen Worten. u m die Akte. i n welchen s i c h die begri tll ichen I n tentionen erfüllen, ihre Evidenz und Klarheit gewi nnen. So erfas­ sen wir die spezi fi sche Einheit Röte d i rekt, „ selbst ". auf Grund ei ner singulären Anschauung von etwas Rotem . Wir blicken auf das

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21. 6

I I . D I E I D E A L E E I N H E I T D E R S P E Z I ES

Rotmoment hin, vollziehen aber einen eigenartigen Akt, dessen 1 ntention auf die Idee ", auf das Allgemeine " gerichtet ist. Die Abstraktion im Sinnt' dieses Aktes ist durchaus verschieden von der „



bloßen Beachtung oder Hervorhebung des Rotmomentes : den U n 5 tersch ied anzudeuten, haben wir wiederholt v o n i d e i e r e n d e r oder g e n e r a l i s i e r e n d e r A b s t r a k t i o n gesprochen. Auf diesen Akt zielt die tradi tionelle Rede von der Abstrai