Liberalismus in Geschichte und Gegenwart [1. ed.] 3826015541

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Liberalismus in Geschichte und Gegenwart [1. ed.]
 3826015541

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Liberalismus •

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Geschichte und Gegenwart heraus gegeben von

Richard Faber

Königshausen & Neumann

Die DeutscheBibliothek- Cl P-Einheitsazifnabme Ein Titeldatensatz für diese Publikation ist bei der Deutschen Bibliothek erhältlich.

© Verlag Königshausen & Neumann GmbH, Würzburg 2000 Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier Umschlag: Hummel/ Lang, Würzburg Bindung: Rimparer Industriebuchbinderei GmbH Alle Rechte vorbehalten Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

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ISBN 3-8260-1554-1

Inhalt Vorwort ................................................................................. ................................ . 7 Einleitung Richard Faber: Ernst Bloch und das Hambacher „Fest der Hoffnung" ............. 21

I. Geschichte des Liberalismus Herfried Münkler: Protoliberalismus und Republikanismus in der italienischen Renaissance ............................................................................. 41 Richard Faber: Autoritärer Liberalismus. Von Thomas Hobbes zu Carl Schmitt .................................................................. 59 Matthias Bohlender: Herrschen, Regieren, Regulieren. Zur liberalen politischen Rationalität von Adam Smith ....................................... 79 Wilhelm Kreutz: Der pfälzische Frühliberalismus zwischen Metternichscher Restauration und 48er Revolution ............................ 97 Gangolf Hübinger: Liberalismus und Protestantismus im Deutschen Kaiserreich ..................................... ,.............................................. 115 Markus Llanque: Friedrich Naumann und das Problem des nationalen Sozialliberalismus ........................................................................ 131 Bernhard Vogt: Die „Liberalität" der Sozialen Marktwirtschaft. Über Ludwig Erhard und Franz Oppenheimer .................................................. 151

II. Gegenwart des Liberalismus Otto Kallscheuer: Noberto Bobbio und die Tradition des Liberalen Sozialismus in Italien i~................................................................ 163 Stephanie Blankenburg: Neoliberalismus. Ökonomische Theorie, gesellschaftliche Wirklichkeit und „Dritter Weg".............................................. 179 Reinhard Brenneke: Metamorphosen des Neoliberalismus. New Labour und die Rhetorik des dritten Wegs ............................................... 211 fiirgen Dittberner: FDP- Partei des organisierten Liberalismus? ..................... 223 Anton Pelinka: Jörg Haiders „Freiheitliche" ein nicht nur österreichisches Problem ............................................................... 233 Wolfgang Gessenharter: Die Neue Radikale Rechte in Österreich: Ideologie, Unterstützungspotential und politische Strategien Jörg Haiders und seiner FPÖ .............................................................................. 241

Schluß Frank Unger: Geschichte und Gegenwart des Liberalismus in den Vereinigten Staaten von Amerika ..................... ....................................... 253

Vorwort

„Neoliberale ökonomische Theorie stellt das jüngste Kapitel in der Geschichte der allmählichen Revision und Umdeutung des Zusammenhangs von Markt und gesamtgesellschaftlichem Wohlstand im Kapitalismus dar." Stephanie Blankenburg ,,Eine liberale Gesellschaft ohne soziale Verantwortung ist mörderisch." Burkhard Hirsch „Es gilt zu Beginn des dritten Jahrtausends, Liberalismus und Sozialismus wieder ins Verhältnis zu setzen." Bernhard Vogt

Die Römer haben mit dem lateinischen Terminus ,,liberalitas" in der Hauptsache jenes Verhalten bezeichnet, das wir Freigebigkeit oder finanzielle Großzügigkeit nennen. Andere Begriffe treten hinzu: ,,munificentia", ,,largitio" und „benignitas"; im Griechischen begegnen „eleutheriotäs", ,,megaloprepeia", ,,megalodoria", ,,euergesia" und „philanthropia". Nicht zu vergessen sind schließlich die negativen Brechungen der Tugenden, unter denen vor allem „mikrologia" und „avaritia" genannt seien. Auch an ihnen wird - ex negativo - das Postulat der Freigebigkeit deutlich. 1 Den Nicht-Altertumswissenschaftler dürften diese Hans Kloft verpflichteten Ausführungen verblüffen, erst recht, wenn er hört, daß sich Klofts 1970 erschienene Dissertation ihrerseits auf Hendrik Balkensteins 1939 in Utrecht herausgekommene Abhandlung „Wohltätigkeit und Armenpflege im vorchristlichen Altertum" stützt. Schon Bolkenstein erkannte in d~n Wertvorstellungen von ,,eleutheriotäs" und „liberalitas" ein Spezifikum griechischen und römischen Sozialverhaltens: sozialen Verhaltens. - Kloft formuliert ganz im Blick auf die „liberalitas principis": ,,Als persönliche Eigenschaft des 'princeps' ist die 'liberalitas' gleichsam der Ersatz für eine staatliche Sozialpolitik, die also in ihren Möglichkeiten gebunden ist an die moralische Qualität eines Einzelnen. Daß sich unter dieser Voraussetzung eine gezielte und kontinuierliche Unterstützung bedürftiger Menschen und Schichten so gut wie gar nicht einbürgern konnte, liegt auf der Hand. Wohl lassen sich in verschiedenen Bereichen, beim 'congiarium', 'donativum' an die Soldaten, weniger stark bei der Alimentarversorugng und den 'remissiones', Ansätze zu einer Institutionalisierung und damit zu einer über die Person 'des einzelnen Herrschers hinausgreifenden Kontinuität aufzeigen. Aber die Vors,tellung, daß alle diese Maßnahmen nur durch die individuelle Person des 1

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Kaisers Realität gewinnen, ist stets lebendig geblieben. Die Herrschaftsform des Prinzipates wird im Spiegel seiner Sozialpolitik, gefaßt in dem Schlagwort 'liberalitas' (oder auch 'indulgentia) principis', besonders deutlich". 2 Es handelt sich nicht um Sozialpolitik im modernen Sinn, dennoch hat die ,,liberalitas principis" mit Liberalismus im heurigen Wortverstand nichts zu tun, relativ viel aber mit der Polemik der Neoliberalen gegen die „Wohltaten" des Wohlfahrtsstaats. Als so paradox erweisen sich begriffsgeschichtliche Befunde nicht selten, gerade deswegen aber als heuristisch so wertvoll. Man erinnere sich in unserem Fall nur daran, daß Franz Joseph Strauß, ein Jünger Friedrich August von Hayeks, sich immer wieder auf die „Liberalitas Bavariae" berief, um seine Liberalität - im heutigen Wortsinn - herauszustreichen. Doch noch die bayerischen Fürsten, die Strauß herbeizuzitieren liebte, von Herzog Tassilo I. bis König Ludwig III., übten liberalitas als Freigebigkeit - nicht zuletzt in Form (kirchlicher) Bautätigkeit: ,,Die Freigebigkeit hat mit Konstantin keineswegs aufgehört, als ein wertvolles Verhalten des Herrschers zu gelten, im Gegenteil, gerade die Metamorphose der antiken 'liberaliras' zu einer christlichen Herrschertugend sicherte ihr ein kräftiges und blühendes Weiterleben" -wie wiederum Kloft festgehalten hat; er, der sein Buch mit diesem Zitat aus Niccolo Machiavellis „Principe" einleitet: ,,Ich mache also mit den ersten der oben genannten Eigenschaften den Anfang und sage, wie gut es wäre, für freigebig gehalten zu werden. Doch Freigebigkeit, die so gehandhabt wird, daß sie auffällt, schadet dir. Wird sie aber vernüftig und maßvoll ausgeübt, dann bleibt sie unbekannt und schützt dich nicht vor dem Vorwurf des Geizes. "3 Gerade auch die „liberalitas principis" ist also eine „ars" und ein „arcanum imperii" - nicht erst seit Machiavelli, der die Überlegung, ob es für einen Herrscher gut sei, freigebig zu sein, und in welcher Weise er diese Freigebigkeit ausüben müsse, bei aller Originalität seines Denkens mit den Verfassern mittelalterlicher Fürstenspiegel teilt. - Schon sie waren nicht zuletzt dem antik-römischen Prinzipatsideal verpflichtet: einem un-, ja antirepublikanischen, wie mit Kloft betont werden muß: Es ist in der „res publica" etwas gänzlich Ungewohntes, ja Gefährliches, wenn jemand sich großzügig erweist. Er sprengt damit den Rahmen der römischen Gesellschaft, handelt nicht wie ein normaler Römer, sondern wie ein fremder Monarch oder ein König der eigenen Vorzeit und muß darum fallen. Das ,,regnum appettere" erscheint nicht zuletzt aufgrund seiner Schenkungen als glaubhaft. 4 Im dann die Republik eines Tages tatsächlich ablösenden Prinzipat wird ,,panem et circenses" zur Formel solcher Schenkungen und erringt - bis heute den Status eines geflügelten Wortes. Nicht zuletzt der moderne Cäsarismus von Napoleon III. an hat dafür Sorge getragen, jene massendemokratische Autokratie also, die ohne den bürgerlichen Republikanismus des 18. und 19. Jahrhunderts nicht hätte entstehen können, sich dann aber gegen ihn gewandt hat - wie im 20. Jahrhundert noch und gesteigert der Faschismus.

Vorwort

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Zentrales Problem - im Rahmen des vorliegenden Sammelbandes - ist jedoch weniger die altbekannte Gefährdung der Demokratie, in Tyrannei umzuschlagen, als die spezifisch moderne, daß sich der dem Liberalismus inhärente Kapitalismus von jenem abkoppelt und sich in politicis dem Autoritarismus zuwendet - aus ökonomischen Zwängen/den Verlegenheiten des ökonomi,schen Liberalismus heraus. - Dieser besitzt, wie dann der Liberalismus insgesamt, jene Dialektik, die als solche von „Aufklärung" und „Fortschritt" sprichwörtlich geworden ist, oder eben als Dialektik des Kapitalismus. Gerade auch von ihm muß sprechen, wer vom Liberalismus - in all seiner Unterschiedlichkeit - handelt. Im folgenden geht es um 'Differenzierungen im Begriff Liberalismus', analog zu einem nach wie vor lesenswerten Vortrag Ernst Blochs, der „Differenzierungen im Begriff Fortschritt" überschrieben ist5. Ich beziehe mich in meinem Einleitungsbeitrag ausdrücklich und eingehend auf den Linkssozialisten, wenn ich die Schicksale des deutschen Liberalismus am Leitfaden des Hambacher Festes von 1832 und seiner immer wieder unterschiedlichen Erinnerung bis Vergegenwärtigung Revue passieren lasse. - Daß sich die Rezeptionsgeschichte des zentralen Ereignisses des deutschen Vormärz' dafür besonders eignet, dürfte spontan einleuchten, nicht unbedingt aber, daß ich die Geschichte des Liberalismus überhaupt mit einer U mersuchung des „Protoliberalismus und Republikanismus in der italienischen Renaissance" beginnen lasse.

I. Der Berliner Politologe Herfried Münkler fragt zunächst selbst, ob es Sinn macht, im Hinblick auf die Renaissance in Italien nach Republikanismus und Protoliberalismus zu suchen, doch nur um dieser Frage m.ethod(olog)ischnachzugehen: ,,In der Literatur wird verschiedentlich die Auffassung vertreten, spätestens mit Beginn der Moderne sei das, was ... als republikanisches politisches Denken bezeichnet wird, mitsamt der ihm zugerechneten Freiheitskonzeption durch das liberale Denken und die ihm zugehörige Freiheitskonzeption abgelöst worden ... Republikanisches und liberales politisches Denken werden hier gemäß dem Modell einer historischen Ablösung der Epochen so periodisiert, daß sie für unterschiedliche Entwicklungsstadien der Gesellschaft adäquate Selbstbeschreibungen der sozio-politischen Ordnung (gewesen) sind. Die Entscheidung über Veralterung und Ablösung erfolgt danach gemäß der jeweiligen Adäquatheit der Selbstbeschreibungen, und über die verfügt im Prinzip derjenige, der die Inadäquatheit behauptet. Gegen dieses Veralterungs- und Ablösungsmodell im Verhältnis von republikanischem und liberalem Denken kann aber auch eine Parallelität~- und Gleichzeitigkeitsbeziehung von republikanischem und liberalem Denke:p. behauptet werden". Speziell im Blick auf die ersten zwei bis drei Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts in Florenz -schreibt Münkler: ,,Diese Jahrzehnte, als die Verfassung der Stadt mehrfach von der Republik zur faktischen Signorie ... und wieder zurück zur Re-

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publik hin- und herschwankte, waren zugleich eine Zeit intensiver Kontroversen um den Vorrang eines eher liberalen oder stärker republikanischen Freiheitsverständnisses, als dessen theoretischer/Hauptvertreter auf Seiten des Republikanismus (der) Niccolo Machiavelli (dh „Discorsi", R.F.) und auf Seiten des Protoliberalismus Francesco Guiccaiardini zu nennen sind.'' Letzterer war bereit, um seiner protoliberalen Grundorientierung willen die Republik zugunsten der Alleinherrschaft eines Medici dranzugeben - wenn dieser denn nur bereit und in der Lage war, die Grundbedingungen eines liberalen bzw. protoliberalen Freiheitsverständnisses zu gewährleisten. - Genau dies schien Guiccaiardini im Falle der kleinbürgerlich dominierten Republik a la Machiavelli nicht garantiert zu sein. ,,Um der bürgerlichen Sekurität willen ist Guiccaiardini bereit gewesen, auf die bürgerschaftliche Partizipation zu verzichten", wie Münkler resümiert. Ich hebe besonders auf dieses Resümee ab, weil mein an Münkler anschließender Beitrag sich thematischmit dem nur scheinbar paradoxen Phänomen eines ,,Autoritären Liberalismus" beschäftigt - von Thomas Hob bes (der auch Münklers Auffassung nach einer der Väter des eigentlichen Liberalismus ist) bis zu Carl Schmitt (dem zeitweiligen „Kronjuristen des Dritten Reiches"). - Meine Generalthese lautet, mit Worten Hannah Arendts: ,,Der 'Leviathan' ist der Staat, und seine Philosophie ist die Weltanschauung, denen die bürgerliche Gesellschaft seit ihrem Beginnen zustrebte." Um schon hier keinen Zweifel aufkommen zu lassen: Ich glaube nicht, daß wir trotz der unübersehbaren Tendenzen zu einem wirtschaftsliberalen Sicherheitsstaat in nächster Zukunft in die Gefahr eines Autoritären Liberalismus geraten werden. Aber niemand kann sie für alle Zeit oder an sich ausschließen;denn sie ist eine der „Eigentumsmarktgesellschaft" inhärente Gefahr: die Versuchung, eine absolut freie Wirtschaft von einem iiberstarken Staat schützen zu lassen wie Carl Schmitt. Keiner der historischen Beiträge meines Sammelbandes ist „antiquarisch" mißzuverstehen, jeder hat seinen ausdrücklichen Sitz im gegenwärtigen Leben: Münkler verweist auf die Kommunitarismus-Debatte und ich auf den (Post-) Thatcherismus. Bereits wir beide argumentieren also Aug' in Aug' mit dem Neoliberalismus, mit dem sich als erster der Berliner Politologe Matthias Bohlender auseinandersetzt - indem er Adam Smith, den Klassiker des „Ökonomischen Liberalismus", als jemand ausweist, auf den sich der heutige Neoliberalismus nur auswahlsweise, also auf recht „häretische" Weise berufen kann: Smith' politische Rationalität fordert auf der einen Seite die Freiheit des Bürgers von staatlicher Bevormundung und juridisch-politischen Eingriffen in seine Interessensphäre, zugleich aber befördert sie den Aufbau einer ganzen Reihe politischer und subpolitischer Institutionen, die die vielfältigen Bewegungen und Beziehungen der Bürger in jener sozialen Sphäre beobachten, aufzeichnen und regulieren. Es sind die ausgewiesenen Schüler des Moralphilosophen Smith, die Philanthropen, Utilitaristen und politischen Ökonomen, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts m Großbritannien den zentralen und administrativ gesteuerten Staat entwerfen.

Vorwort

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Smith kritisiert radikal die absolutistische bzw. merkantilistische Staatsvernunft, doch nur um die Rationalität einer zivilen bzw. ökonomischen Regierung zu entwickeln: Politische Ökonomie seiner Art hat die schwierige, aber für das liberale Denken entscheidende Aufgabe, Staat und Gesellschaft, Politik und Ökonomie zusammenzudenken. ,,To enrich both", heißt es, ,,the people arad the souvereign". Und der Begriff „to enrich" zeigt an, auf welche Weise das Verhältnis der Regierung zu den Regierten bestimmt werden soll, nämlich über die natürlichen Gesetze der Erzeugung von Wohlstand und Reichtum. Nur wenn beide, Staat und Gesellschaft, sich gemeinsam auf den Entwicklungspfad dieser Gesetze begeben, kann ihr beiderseitiges krisenhaftes Verhältnis - das Regierungsverhältnis des Bürgers zum Souverän - dauerhaft, friedlich und zudem noch prosperierend weiterbestehen. Dieses Ziel verlangt nicht zuletzt, das - nur von einer zivilen Verkehrsgesellschaft erwirtschaf tbare - Mehrprodukt auch zur Versorgung des Teils der Bevölkerung zu verwenden, der überhaupt nichts zum jährlichen Gesamtertrag beigetragen hat. Also nicht nur die Kinder, die Alten und die Kranken sollen unterstützt werden, sondern auch der Herrscher, sein administrativer Apparat, die Geistlichen, die Lehrer und allerlei andere unproduktive - dennoch aber nötige Stände und Berufe. - Spätestens hieraus folgt, daß, recht verstanden, bereits Smith' klassischer Liberalismus Sozialliberalismus gewesen ist und damit Autoren wie Frz'.edrichNaumann, Franz Oppenheim.er und Ludwig Erhard vorgearbeitet hat. Bevor sich andere meiner Mitarbeiter diesen einflußreichen Theoretikern (und Praktikern!) des 20. Jahrhunderts zuwenden, geht der Mannheimer Historiker Wilhelm Kreutz extensiver, als ich es in meinem Einleitungsbeitrag konnte, der Geschichte des pfälzischen Frühliberalismus nach, zwischen Metternichscher Restauration und 48er Revolution. Dabei handelt es sich nicht um bloße Regionalgeschichte; denn dem „Bayerischen Rheinkreis" kam in diesem Zeitraum über Bayern hinaus - die Rolle des liberal(demokratisch)en Avantgardisten zu. Hier befand sich - realallegorisch in Gestalt des Hambacher Schlosses - die Hochburg der gesamten deutschen Linken, wofür nicht zuletzt die jahrzehntelange Zugehörigkeit zum revolutionären Frankreich und die andauernde Geltung des Code Napoleon verantwortlich waren: „In keiner anderen Region stiegen die Revolutionsanhänger der 1790er Jahre zu so einflußreichen Stellen auf und in keiner anderen Region konnten sie von den Nationalgütenrersteigerungen so stark profitieren wie im südlichen Teil des Donnersbergdepartements, wo einzelne ehemaligen Mainzer 'Klubisten' bald zu den Höchstbesteuerten zählten. Keine andere linksrheinische Region wurde so gründlich 'entfeudalisiert' wie der spätere bayerische Rheinkreis und nirgendwo sonst konnte das protestantische Besitzbürgertum größeren Nutzen aus der Ausschaltung von Adel und Klerus ziehen. Gerade in der Pfalz bildete sich während der napoleonischen Ära eine bürgerliche Führungsschicht heraus, die bis über die Mitte des 19. J ahrhundens hinaus ihre dominierende Stellung behielt."

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Unbeschadet dessen konnte sich selbst der pfälzische Frühliberalismus von der einschneidenden Zäsur der Revolutionsniederlage 1849 nicht mehr erholen. Als 1859 die bittere Reaktionszeit ,,endete und die nicht mehr manipulierten Wahlen die Heroen von 1848/49 .11.ocheinmal triumphieren ließen, war dies kaum mehr als eine nostalgische Referenz an die Vergangenheit, zumal die innenpolitischen Reformen im Bayern der 1860er Jahre die institutionelle Sonderstellung des vormaligen Rheinkreises Schritt für Schritt aufzuheben begannen und die Schlacht von Königgrätz den preußisch-österreichischen Dualismus endgültig entschied. 1866 vollzogen die pfälzischen Deputierten den Schwenk ins kleindeutsche Lager. Mit dem einst so zäh verteidigten, nun scheinbar obsolet gewordenen französischen Erbe und dem Geist von Harnbach, den die neue Generation unter euphorischen Bismarckhuldigungen begrub, gab der pfälzische Liberalismus auch sein regionalistisches Profil preis. Tief enttäuscht legte der pfälzische Promotor Georg Friedrich Kolb 1869 sein Zollparlaments- und drei Jahre später auch sein bayerisches Landtagsmandat nieder. Im HurraPatriotismus der Reichsgründungsära war für den Altliberalen kein Platz mehr. Der Historiker Gangolf Hübinger (Frankfurt/Oder) präsentiert den Linksliberalismus des späteren Kaiserreichs, der - vermittelt durch Politiker wie Friedrich N aumann und Theodor Heuss - bis in die Weimarer un.d Bonner Republik ausstrahlte: diese Republiken mitkonstituierte. Aus innerer Notwendigkeit schon der pfälzische Frühliberalismus war ohne seine enge Verflechtung mit dem rationalistischen Protestantismus undenkbar gewesen - hebt Hübinger auf die osmotische Beziehung aller ,,freisinnigen" Fraktionen zum zeitgenössischen Kulturprotestantismus ab. Seinem bildungsbürgerlichen Millieu galt die hohe Erwartung, im „Zusammenschluß aller wirklich liberalen Elemente zusammen mit den in der Sozialdemokratie organisierten Arbeitern die reaktionäre Herrschaft zu zerbrechen und Deutschland auch politisch zu einem modernen Staatswesen zu machen". Dementsprechend lauten Hübingers erkenntnisleitende Fragen: ,,Inwieweit konnte der politische Liberalismus ideelle Unterstützung aus dem kulturprotestantischen Spektrum beanspruchen, und inwieweit bedeutete dieses für ihn eine ethische Steuerungspotenz? Und umgekehrt: Inwieweit konnte liberale Theologie auf einen bürgerlichen Resonanzboden rechnen, der auch in der Phase der Fundamentalpolitisierung aller gesellschaftlichen Schichten in der wilhelminischen Ära liberal geprägt blieb?" Daß die vom linksliberalen Theodor Barth formulierte Hoffnung, ,,die reaktionäre Herrschaft zerbrechen und Deutschland auch politisch zu einem modernen Staatswesen machen" zu können, sich nur aufgrund des zerstörerischen Weltkriegs und der anschließenden - zunächst überhaupt nicht liberalen - Revolution kurzfristig erfüllte, ist bekannt. Dennoch wäre die „Weimarer Koalition" ohne Beteiligung der aus dem protestantischen „Freisinn" hervorgegangenen DDP nicht möglich gewesen. Vor allem ihr sozialliberaler Flügel repräsentierte nicht zuletzt in der Nachfolge Friedrich Naumanns - das, was man den Minimalkonsens der „Weimarer Koalition" bezeichnen könnte.

Vorwort

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Der Berliner Politologe Marcus Llanque wendet sich monographisch dem Naumann der (frühen) Weimarer Republik zu, der bereits der neuen Reichsverfassung eine „sozialistische Grundtendenz" zu geben versuchte. Freilich repräsentierten Naumann und seine Freunde seit alters auch jene Liberale, die sich zugleich mit den nationalen Ideen versöhnen wollten: Sie waren National-SozialLiberale, ja (bis zur Weltkriegsniederlage) Imperial-Sozial-Liberale. Dennoch plädiert Llanque dafür, (heute) vor allem das nach vorne Weisende in Naumanns Liberalismus-Konzept zu betonen: eben die Aufnahme sozialer Rechte in den Grundrechtskatalog und das Bemühen um die politische Bedingung ihrer Realisation. Mit Naumann gehe es mehr denn je um die soziale Vollendung der klassischen Menschenrechte und um den sozialen Rechtsstaat. Der Duisburger Nationalökonom Bernhard Vogt stimmt diesem Plädoyer zu, indem er sich auf Ludwig Erhard, vor allem aber dessen Lehrer Franz Oppenheimer beruft: als Programmierer und Praktiker einer Sozialen Marktwirtschaft. Ihrem Grundgedanken weiterhin verpflichtet, wendet er sich gegen den heutigen Neoliberalismus, der Vogts Überzeugung nach eigentlich „Manchesterliberalismus" genannt werden muß und schon deshalb, weil die N eoliberalen der frühen Bundesrepublik keine im heutigen Sinn gewesen sind, sondern - wie unterschiedlich auch immer - Vertreter einer eben Sozialen Marktwirtschaft. Vogt definiert ihre „ordnungspolitische Grundidee" mit Erhards langjährigem Staatssekretär Alfred Müller-Armack auf die Art, ,,daß neben dem Erfordernis, der Produktion freien Spielraum zu geben, die Notwendigkeit besteht, soziale Sicherungen in eine staatliche Ordnung einzubeziehen. Der Staat nimmt durch seine Wirtschaftspolitik soziale Umschichtungen, soziale Interventionen vor, die aber ... dadurch auf das System der Marktwirtschaft abgestellt werden, daß sie dem Grundsatz der 'Marktkonformität' unterworfen werden". Verbal bezog sich Erhard vor allem auf seinen im Exil verstorbenen Lehrer Franz Oppenheimer, ohne dessen viel weiter gehendem Konzept eines „liberalen Sozialismus" tatsächlich (noch) verpflichtet gewesen zu sein. Auf diese Pointe kommt es dem Oppenheimerianer Vogt an, wobei nicht der Siedlungsgenossenschaftler 'sein Mann' ist, sondern der entschi~dene Antimonopolist und demokratische Amietatist. Schon den Neoliberalen der frühen Bundesrepublik - unter Einschluß ihres Wirtschaftsministers - wirft Vogt Halbherzigkeit im Kampf gegen die Konzentration wirtschaftlicher Macht vor und - gerade im Blick auf Erhards „Formierte Gesellschaft" - ein unterentwickeltes, tendenziell autoritäres Verständnis von Demokratie. Im Unterschied zu Oppenheimer, der für eine Demokratisierung aller gesellschaftlichen Bereiche eintrat; habe sein nur partieller Schüler Erhard die Akzentuierung des „Liberalen Sozialismus" zu einem „Sozialen Liberalismus" verschoben.

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II. Man wird über das Ausmaß dieser .Pi.kzentverschiebung diskutieren können, interessant ist, um von der Vergangenheit ganz und gar auf die Gegenwart überzulenken, daß Noberto Bobbio, Italiens wohl einflußreichster Politologe, noch heute das Konzept eines „liberalen Sozialismus" vertritt. Für ihn - wie seinen Referenten in diesem Sammelband, den Gießener Politologen Otto Kallscheuer hat der Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus nicht alle linken Modelle oder Traditionen normativ inspirierter Gesellschaftsreform diskreditiert. Hilfreich ist Bobbio dabei, daß der italienische Begriff „liberalsocialismo" von Anfang an entschieden antifaschistisch und antistalinistisch motiviert gewesen ist. Kallscheuer resümiert - das Mißtrauen des empiristischen Skeptikers Bobbio gegenüber rein normativen Theorien nicht verschweigend: „Auf der Ebene normativer politischer Theorie ist die Verbindung zwischen einem egalitär-libertären Sozialismus und einem auch auf soziale Freiheitsrechte der Individuen pochenden Liberalismus eine recht naheliegende 'Wahlverwandtschaft' - wo hingegen sich ein reiner Hayekscher Wirtschafts (neo )liberalismus und kollektivistischer ('holistischer') Sozialismus logisch ausschließen. Während nämlich der marxistische Sozialismus/Kommunismus die existentiellen Grundbedingungen der conditio humana als aufhebbar ansieht - Knappheit, Interessenkonflikte, Wertepluralismus und Grenzen der Rationalität -, auf die die Prinzipien liberaler Ethik regulativ zu antworten versuchen, so läßt sich durchaus eine stärker egalitäre und in diesem Sinne sozialistische Interpretation des Liberalismus denken: nicht als Beseitigung von Konflikten, sondern als Konstruktion von Spielregeln, um sie auszutragen." Die zur Zeit in Cambridge forschende Nationalökonomin Stephanie Blankenburg analysiert den heutigen Neoliberalismus in extenso und gerade· auch in seiner spezifisch von Hayekschen Spielform. Nicht zuletzt der aus Österreich nach Großbritannien emigrierte Friedrich August von Hayek hat das neoliberale Feindbild „Keynesianischer Reformismus im entwickelten Kapitalismus" und Aug' in Aug' mit ihm - ein strikt antiinterventionistisches Gegenkonzept ent'worfen, das sich dem Unbehagen weiter Unternehmerkreise in der Kultur des Wohlfahrtsstaats spätestens seit Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre geradezu anbot: Der Erhalt unternehmerischer Macht schien auch ihnen die vollständige Rücknahme von Einkommenspolitik und die weitest mögliche Einschränkung politischer Partizipation zu erfordern. ,,Diese Forderung in einer Weise zu begründen, die ihre absehbaren Folgen - Massenarbeitslosigkeit, Abbau des Sozialstaates, Entmachtung der Gewerkschaften, Marginalisierung des Parlaments - akzeptierbar werden läßt, ist Aufgabe neoliberaler Ideologie und politischer Reform", wie Blankenburg resümiert, bevor sie von Hayeks „Spontane Ordnung" neodarwinisrischen Zuschnitts einer kritischen Untersuchung zuführt. Dabei rekurriert auch sie auf die Klassische politische Ökonomie, wie sie bereits Bohlenders „Smith"-Beitrag exemplarisch vorgestellt hat, unter Abheben auf den von den Neoliberalen tremendierten „Wohlstand der Nationen".

Vorwort

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Stärker als Vogt bezieht Blankenburg auch ältere bzw. 'eigentliche' Neoliberale wie den in der Frühzeit der Bundesrepublik höchst einflußreichen Wihelm Röpke in ihre Fundamentalkritik ein, vor allem aber spitzt sie sie aktuell und ausdrücklich auf die neoliberale Strategie europäischer „Sozialdemokraten" zu, benennen diese ihre „neuen" Konzepte nun „Dritter Weg" oder „Neue Mitte". Damit liefert Blankenburg dem Luxemburger England-Experten Reinhard Brenneke das Stichwort für seine Kritik an „New Labour" (die die an Gerhard Schröders „Neuer Mitte" einschließt). Kernpunkt der Brennekschen Kritik ist der Nachweis, daß sich Tony Blairs Politik vorrangig in Kontinuität mit der „Konservativen Revolution" des Thatcherismus befindet, selbst also so reaktionär' ist wie der Neoliberalismus generell. _Ich betone diese Tatsache, weil sie schlaglichtartig beleuchtet, daß es vom Liberalismus, wie zum Sozialismus, auch einen Übergang zum Konservatismus gibt 6 und selbst vom „liberalen Sozialismus" der · älteren Sozialdemokratie oder vom sozialen Liberalismus in Art der 70er JahreF .D.P. Entscheidend bei dieser 'Konversion' ist, daß es sich im Fall von FDP wie SPD - wenn man sich auf Deutschland konzentriert - um den Übertritt der jeweiligen Mehrheitsfraktion zum Neoliberalismus handelt - bei der SPD später, bei der FDP wesentlich früher. Das Beharren einiger weniger - in ihrer Partei - auf deren alten Programmatik ist damit nicht geleugnet. Ich habe mit hoher Absicht einen der letzten F.D.P.-'Mohikaner', den Potsdamer Politologen Jürgen Dittberner, um eine Kritik seiner heutigen Partei gebeten: an deren überwältigenden Mehrheit.Jedem wird dabei einleuchten, daß die FDP (ohne Pünktchen) die Speerspitze des deutschen Neoliberalismus bildete und bildet. - Dittberner beklagt nachhaltig, daß sich seine Partei von der „genuin liberalen" Rolle gelöst und verfassungsliberale Grundsätze über Bord geworfen hat: „Sie ermöglichte die Einschränkung des Asylrechts, hielt den Lauschangriff für wichtiger als die Unverletzlichkeit der Wohnung ... In der Wirtschaft orientiert sie sich nicht hauptsächlich am freien Mittelstand, sondern an der Großindustrie. Als sie sich als 'Partei der Besserverdienenden' geoutet hatte, war im Osten Deutschlands die einst als Partei Gensehers bewunderte FDP mit einem Schlag unmöglich geworden. Gerade hier hatte man so sehr auf die Marktwirtschaft und ihre Partei gehofft. Aber die Gerechtigkeit sollte dabei nicht untergehen. Die FDP verkannte diesen im Osten lebendigen Gedanken, obwohl er doch zum liberalen Erbe gehört" - zum Erbe des Sozialliberalismus, dem sich Dittberner in seiner scharfen Abgrenzung vom neuen „Manchesterliberalismus" als weiterhin verpflichtet erweist. Einige wenige in der FDP - um den früheren Generalbundesanwalt von Stahl - berufen sich statt auf das soziale auf das nationale Erbe des deutschen Liberalismus. Sie sind am anderen Pol der Partei (vorerst?) genauso marginalisiert wie der linksliberale „Freiburger Kreis" (dem auch Dittberner zuzurechnen ist), doch in Österreich sind sogenannte Freiheitliche mit fremdenfeindlichen bis rechtsextremen Slogans landesweit sogar zur zweitstärksten Partei aufgestiegen. - ,,Ein nicht nur österreichisches Problem", wie der Innsbrucker Politologe An-

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ton Pelinka urteilt, obwohl sein Beitrag über Jörg Haiders „Freiheitliche" mit der Feststellung beginnt: ,,Das politische System und die politische Kultur Österreichs sind von einer traditionellen_/Schwäche des politischen Liberalismus gekennzeichnet." Und diese SchwäcH~ist eines ihrer Spezifika, wie im Sinne Pelinkas fortgefahren werden muß. Unbeschadet dessen ist auch richtig, daß der 1986 einsetzenden „Ära Haider" eine sechsjährige, an der deu·tschen FDP orientierte Phase der FPÖ vorangegangen ist. Heute kann sie - wie in ihren Anfängen - nicht als ,,liberal" in dem Sinn gelten, wie dies von den liberalen Parteien des europäischen Parlaments verstanden wird. ,,Die FPÖ hat die vor Hai der erreichte europäische Normalität unter Haider wieder verloren. Aber sie hat - nicht deswegen, aber im Zusammenhang mit dem dahinter stehenden politischen Diskurs - an Akzeptanz auf dem politischen Markt in Österreich gewonnen. Das wiederum steht im Zusammenhang mit ihrer relativen Isolierung nicht nur im europäischen, sondern auch im österreichischen Parteienspektrum." ,,Die FPÖ ist - im europäischen Kontext - am ehesten mit dem französischen Front National (FN) und dem belgischen Vlaams Blok zu vergleichen. Wegen ihrer Größe, ihrer Tradition und ihrer insgesamt höheren Akzeptanz auch innerhalb der politischen Eliten - ausgedrückt etwa in der Wahl Jörg Haiders zum Landeshauptmann von Kärnten, 1989 und 1999 - kann die FPÖ mit diesen beiden Parteien nicht einfach gleichgesetzt werden. Aber der europäische Vergleich weist strukturelle und programmatische Parallelitäten auf: - FN, Vlaams Blok und FPÖ artikulieren, als Antwort auf die Herausforderungen einer fortgeschrittenen kapitalistischen Wirtschaft, die politische Entfremdung des Proletariats. Alle drei Parteien wurden (was ihre Wähler anging, R.F.) von eher bürgerlich-kleinbürgerlichen zu vorwiegend proletarischen Parteien. -FN, Vlaams Blok und FPÖ bringen eine Reaktion auf ein zentrales Thema spät- oder postindustrieller Politik zum Ausdruck: Migration. Die Abstiegsängste eines verkleinbürgerlichten Proletariats ('Modernisierungsverlierer,) führen zu einem Antiinternationalismus mit zumindest latent xenophoben und rassistischen Merkmalen."

Pelinkas komparatistische Analyse der österreichischen ,,Freiheitlichen" führt uns - über den Bereich des Konservatismus hinaus - in den des Rechtspopulismus, ja -extremismus7. Doch so weit rechts liegen die weltweiten Probleme des Liberalismus (in absehbarer Zeit) nicht. Ich beschließe deshalb den vorliegenden Sammelband mit der Erörterung der Verlegenheiten des US-amerikanischen Liberalismus (in Geschichte und Gegenwart). - Der im kanadischen Vancouver lehrende Politologe Frank Unger weist zunächst darauf hin: ,,Da in den USA der

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Liberalismus im europäischen Sinne praktisch übergreifend ist, hat der Begriff dort eine vom europäischen Gebrauch durchaus verschiedene Bedeutung. Er ist hier nicht der Name einer parlamentarischen Partei, sondern er bezeichnet eine Art überparteiliches Mentalitätscluster. Und er wird vornehmlich als Kampfbegriff benutzt - je nach historischer Situation und politischem Standpunkt entweder zur abgrenzenden Denunziation oder einnehmlichen Selbstverständigung ... Man kann sich ihm verständig nur über die Rekonstruktion seiner realen Gebrauchsgeschichte nähern." Das tut Unger dann auch, wobei er seinen Ausgangspunkt in theologicis bzw. religionibus nimmt. 8 Ich erwähne vorweg nur die „Social gospel"-Bewegung der Jahrhundertwende, die angesichts der höllischen Lebensverhältnisse in den Arbeiterquartieren der großen Industriestädte nach der ordnenden und sozial ausgleichenden Hand des Staates rief. Just solcher Staatsinterventionismus wurde von den marktradikalen Konservativen jetzt „Liberalismus" gescholten, und pointe der pointe - Roosevelt synonymisierte Anfang der 30er Jahre seinen „New Deal" von sich aus mit „liberalism", wobei er aus dem Schimpfwort ein Gütesiegel machte, analog zum vorher gebräuchlichen ,,progressivism". Im Grunde jedoch war der „New Deal" ein keynesianisches Projekt und deswegen für die USA - um so revolutionärer, hatten diese bisher doch nicht einmal eine revisionistische Sozialdemokratie gekannt. Außerdem stellte der „New Deal" nicht weniger ärgerlich für die Konservativen - auch eine schleichende Kulturrevolution dar: ,,Neue Lebensweisen bildeten sich heraus, geprägt durch zunehmende Mobilität, Emanzipation von bis dato eher diskriminierten Minderheiten Guden, Osteuropäer, mit Einschränkung auch Afroamerikaner) und wachsende Ansprüche auf individuelle Selbstverwirklichung. Die Frauen- und Bürgerrechtsbewegung wurde geboren in den integrierten Rüstungsfabriken des Zweiten Weltkriegs. Nach dem Krieg verwandelte die Ausweitung der Massenproduktion von Konsurhgütem und Wohnungen sowie das großzügige Veteranen-Versorgungsgesetz die USA in kürzester Zeit von einer klassenmäßig polarisierten und sozial kontrollierten Gesellschaft in eine dynamische Massengesellschaft mit breit gestreuter Prosperität und in der Tat egalitären Zügen." ,,Dies wiederum ergab für die politischen Gegner Roosevelts und dessen NEW DEAL, an die Liberalismuskritik der Jahrhundertwende anzuknüpfen, die in ihm in erster Linie eine Verfallserscheinung und Auflösung altamerikanischer Werte sah. Vor diesem Hintergrund ergab sich die innenpolitische Konstellation am Ende des Zweiten Weltkriegs als ein polemischer Gegensatz zwischen 'Liberalismus' und 'Konservatismus', den man auf folgende Weise zuspitzen könnte: Hie eine (hegemoniale) Weltanschauung, die für staatliche Eingriffe in das Marktgeschehen, aber für die Freiheit und das Recht des Einzelnen bei der Gestaltung seiner Lebensweise eintritt (liberal) - hie die polemische Negation, die umgekehrt für die totale Freiheit des Marktes, dafür aber für die Reglementierung und Überwachung der individuellen Lebensgestaltung plädiert (konservativ)."

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Für die weitere Entwicklung war entscheidend, daß in Folge von „ 1968" sich nicht wenige Wortführer des Liberalismus zu Neokonservativen wandelten, welchen Vorgang Unger an ander~r Stelle ausführlich rekonstruiert hat. 9 Und mit der rhetorischen Hinwendung,.-der linksliberalen „Meisterdenker" zum Neokonservatismus wurde auch der Offensive der alten Rechten die Bahn geebnet. ,,Dadurch, daß nun die Exzesse der Achtundsechziger von renommierten Kronzeugen selbst gewissermaßen als folgerichtiger Kollateralschaden des 'Liberalismus' erklärt wurden, hatten die richtigen Konservativen leichtes Spiel, ihn als ganzes zu denunzieren: Wie schon ein dreiviertel Jahrhundert zuvor wurde gegen Ende der siebziger Jahre und endgültig dann mit der Präsidentschaft Ronald Reagans das Wort 'Liberalismus' wieder ein öffentliches Schimpfwort zur Denunzierung des politischen Gegners." „Diese relative Hegemonie des Konservatismus bzw. Neokonservatismus im öffentlichen Diskurs der Vereinigten Staaten hat sich bis zum Ende des Jahrhunderts gehalten. Sie ist zwar nie so unangefochten gewesen, wie die des Liberalismus in den ersten beiden Nachkriegsjahrzehnten, aber ihre realpolitische und ideologische Wirkung ist nicht weniger durchschlagend. Unermüdlich wird dem Gedanken der sozialen Gleichheit und jeder Form von Sozialismus oder Wohlfahrtsstaat der Prozeß gemacht. Als 'notwendige Modernisierungen' und mithin als wahre Pfade des Fortschritts werden die Privatisierung von Unternehmen der öffentlichen Hand, die Kommerzialisierung des Bildungssystems und die Individualisierung der Alters- und Krankenvorsorge gepredigt, von 'Deregulierungen' der Arbeitsverfassung und Steuererleichterungen für 'die Wirtschaft' ganz zu schweigen." ,,Dieser 'spin' ist nicht auf die Vereinigten Staaten beschränkt, sondern wird mittlerweile weltweit mit unbegrenztem Medienaufwand unter die Leute gebracht. Er spiegelt nicht nur den Sieg des Kapitalismus über den (Staats-)Sozialismus wider, sondern innerhalb des siegreichen Kapitalismus auch die Hegemonie der USA und ihres Modells gegenüber ihren Partnern und Verbündeten in aller Welt ... Die kurze Periode des inneren Sozialdemokratismus in den beiden Nachkriegsjahrzehnten, den die Amerikaner als Liberalismus bezeichneten, ist eine Episode geblieben. Die Rückkehr zum (Neo-)Konservatismus in den 70er Jahren war auch eine Rückkehr zur US-amerikanischen Normalität, die dann mit dem Zusammenbruch ... der Sowjetunion grandios bestätigt wurde. Deswegen nennt man in Europa und anderswo diese Durchsetzung amerikanischer Normalitätsprinzipien auch 'Neoliberalismus'." Dieser, die sogenannte Globalisierung ist nicht zuletzt Imperialismus 10: ,,Die Globalisierung entfaltet ihre Wirkungen noch im entferntesten Winkel des Planeten, sie setzt sich über die Unabhängigkeit der Völker ebenso hinweg wie über die Unterschiede der politischen Systeme. - Die Erde erlebt eine neue Ära der Eroberungen, die an die Zeit der großen Entdeckungen und des Kolonialismus erinnert. Damals ging die Expansionsbewegung von souveränen Staaten aus, heute sind es Großunternehmen und Konzerne, Industrie- und Finanzgruppen,

Vorwort

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die sich daran machen, die Welt zu beherrschen. Nie zuvor waren die Herren der Welt ein so enger Zirkel, und nie zuvor hatten sie so viel Macht. Geographisch sind diese Herren im strategischen Dreieck USA-Europa-Japan zu Hause, zur Hälfte allerdings in den Vereinigten Staaten. Im Grunde stehen wir also vor einem amerikanischen Phänomen." 11

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Berlin, Dezember 1999/Mai 2000

Der vorliegende Sammelband geht zurück auf eine Ringvorlesung, die ich im Sommersemester 1998 am Soziologischen Institut der Freien Universität Berlin veranstaltet habe. Ich danke dem Claus-Hebler-Fond und dem Berliner Istituto italiano di cultura für die Erstattung der Reisekosten der auswärtigen Referenten und vor allem diesen selbst für ihr großes Engagement.

H. Kloft, Liberaliras principis. Herkunft und Bedeutung. Studien zur Prinzipatsideologie, Köln 1970, S. 1 2 Ebd., S. 3 und 179 3 Ebd., S. 2 und 1 -1Ebd., S. 1 und 51 5 E. Bloch, Differenzierungen im Begriff Fortschritt, in: Sitzungsberichte der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Klasse für Philosophie, H. 5 (1955) 6 Vgl. R.F. (Hg.), Sozialismus in Geschichte und Gegenwart, Würzburg 1994 sowie ders. (Hg.), Konservatismus in Geschichte und Gegenwart, Würzburg 1991. Diese beiden Bände und der vorliegende „Liberalismus"-Band bedingen und ergänzen sich gegenseitig. 7 Vgl. R.F./H. Funke/G.Schoenberner (Hg.), Rechtsextremismus. Ideologie und Gewalt, Berlin 1995 sowie - was Haiders FPÖ speziell angeht - den im letzten Augenblick mit aufgenommenen Beitrag des Hamburger Politologen \'7olfgang Gessenharter, dessen Erstfassung am 30. 3. 2000 in der „Frankfurter Rundschau" erschienen ist. 8 Vgl. auch F. Unger, Christlicher Fundamenralismus in den Vereinigten Staaten von Amerika, in: R.F. (Hg.), Politische Religion - religiöse Politik, Würzburg 1997, S. 267-89 9 Vgl. F. Unger, Konservative Konversion. Über die Selbstaufhebung des US-amerikanischen Linksliberalismus, in: R.F. (Hg.), Konservatismus in Geschichte und Gegenwart, S. 119-36 10 Vgl. u.a. R.F., Das ewige Rom oder: die Stadt und der Erdkreis. Zur Archäologie „abendländischer" Globalisierung, Würzburg 2000, bes. Kap. IV 11 I. Ramonet, 2000, in: Le Monde diplomatique / die cageszeitung, 17. 12. 1999, S. 1 1

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,,Die Hoffnung ist wie ein wildes Tier." Heinrich Böll ,,Wo Hoffnung ist, ist Religion." Ernst Bloch

„Es scheinen jetzt die Fackeln des Hambacher Festes", hat Ernst Bloch im Jahre 1967 vor Tübinger Studenten ausgerufen, angesichts des nun auch in Tübingen wie in der ganzen damaligen Bundesrepublik aufflammenden Studentenprotests. Und in einem Interview desselben Jahres mit dem Süddeutschen Rundfunk hat er erklärend hinzugesetzt, daß „unter den jungen Studenten zum ersten Mal wieder seit 1832 ... eine Erbitterung gegen Bevorm~ndung eingetreten" sei: ,,... das Wort 'keine Experimente' hat keinen Platz mehr. Es muß etwas Neues versucht werden. Das ist doch der legitime Zustand von Jugend und der selbstverständliche Zustand einer Zeit, die nicht in Lethargie versinken will, sondern Kräfte ge. «? nug h at, au f zuste1gen. -

1. Harnbachs revolution.iire Tradition.

Ich verweile bei Blochs Berufung auf das Hambacher Fest: der Aktualisierung seiner Tradition. Die gibt es und nicht erst für den späten Bloch, ja schon vor seiner frühesten Bezugnahme auf Harnbach vom Jahre 1918. Und auch (partielle) Zeitgenossen des Linkssozialisten haben sich in diese Tradition gestellt, darunter Vertreter der Sozialdemokratie und unterschiedlicher Fraktionen des Liberalismus, einschließlich solcher konservativer, um nicht zu sagen „schwarzer" Couleur. Einern Konservativen, dem früheren Bundespräsidenten Karl Carstens blieb es vorbehalten 1982 zu dekretieren: ,,Die Ziele von 1832 sind erreicht worden!" 3 Ein gerade auch stalinistischer Triumphalismus hätte vor solchem perf ectum praesens warnen sollen. Ich denke z.B. an die Umwandlung des hussitischen Spruchs im tschechoslowakischen Staatswappen: ,,Die Wahrheit wird siegen" nach dem zweiten Prager Fenstersturz 1948 in „Die Wahrheit hat gesiegt". Der

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Prager Frühling von 67/68 kehrte konsequenterweise zum Futur zurück, dem Lieblingstempus aller Linken, Progressiven und Revolutionäre, mit Bloch an ihrer Spitze. Bekanntlich sagt man 'Yeder zuviel noch zuwenig, wenn man ihn als Philosophen der Zukunft bezeichhet oder den Philosophen der Hoffnung und damit auch Zukunft nennt. Doch schon die Urhambacher (von 1832) blickten programmatisch nach vorn: ,,... für den Deutschen liegen die großen Ereignisse noch im Keim; will er ein Fest begehen, so ist es ein Fest der Hoffnung; nicht gilt es dem Errungenen, sondern dem zu Erringenden, nicht dem ruhmvollen Sieg, sondern dem mannhaften Kampf, dem Kampfe für Abschüttelung innerer und äußerer Gewalt, für Erstrebung gesetzlicher Freiheit und deutscher Nationalwürde. "4 In seiner Rede auf dem Hambacher Schloß setzt Philipp Jacob Siebenpfeiffer, der eben zitierte Autor der Neustadter Einladung zum Hambacher Fest, seinen Hoffnungsdiskurs fort, indem er von der „blütenumkränzten Hoffnung" bzw. den „Kränzen der Hoffnung" und - mindestens ebenso blochisch - vom „Wunsch" nach einer „freimenschlichen Heimath" spricht. 5 Noch der damalige Repräsentant der Friedensbewegung, Alfred Mechtersheimer (über dessen heutige politische Auffassung ich den finsteren Mantel der Nächstenliebe breite), hat sich in seiner Hambacher Rede von 1982 ausdrücklich auf Siebenpfeiffer berufen: ,,Der Neustadter Aufruf vom 20. April 1832 galt ... 'nicht dem Errungenen sondern dem zu Erringenden'. Der Tag der Bayerischen Verfassung, der ursprünglich in Harnbach gefeiert werden sollte, war nicht wichtig genug, weil es zu viele ungelöste Probleme gab. Genau das ist die Situation auch heute. " 6 ,,Das Hambacher Fest ist", wie Mechtersheimer damals fortfuhr, ,,ein historischer Auftrag zum Kampf für die Menschenrechte" 7• Darauf ist im Blick auf den späten Bloch (von 1967) zurückzukommen, zunächst aber daran zu erinnern, daß z. B. auch der spätere Bundespräsident Theodor Heuss in seiner Gedenkrede zum l00jährigen Jubiläum des Festes Siebenpfeiffer mit den Worten paraphrasierte, ,,jetzt handele es sich nicht um dankbare Erinnerung an die Vergangenheit, sondern um Vorbereitung einer Zukunft". Durchaus dialektisch und für seine Tage - hatte Heuss hinzugesetzt: ,,Jede Generation sieht ihre Aufgabe neu gestellt, spürt sich als Anfang oder Aufbruch, aber sie müßte arm sein oder gar verächtlich, wüßte sie sich nicht auch als Verwalterin eines Erbes, das über ein Jahrhundert hinweg ihr die ewigen Worte reicht: 'Freiheit und Vaterland"'.8 Die Jahre 1932/33, in welch letzterem Heuss bekanntlich für das „Ermächtigungsgesetz" gestimmt hat, sollen zunächst auf sich beruhen bleiben, ja „die ewigen Worte ... : 'Freiheit und Vaterlandm gebe ich sofort preis, nicht aber Heuss' prinzipiell produktiven Umgang mit dem Hambacher „Erbe". Schon der spätere erste Bundespräsident wußte: ,,Traditionen sind keineswegs das Privileg konservativer Kräfte. Noch weniger gehören sie in die alleinige Erbpacht von Reaktionären, obgleich diese am lautstärksten von ihnen reden." 9 Tatsächlich handelt es sich bei diesen Sätzen um solche Gustav Heinemanns, Heuss' wohl linksliberalstem Nachfolger bis heute. Heinemann hat sich

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während seiner Präsidentschaft 1969-1974 nachdrücklich in den Dienst der bereits von Friedrich Engels und dann Bloch beschworenen „revolutionären Tradition" Deutschlands gestellt - von den Bauernkriegen des 16. Jahrhunderts an. Eben schon Siebenpfeiffer hatte ihrer 1832 gedacht und des Hambacher Genius loci wegen: ,,... der Gedanke des heutigen Festes, des herrlichsten, bedeu,tungsvollsten, das seit Jahrhunderten in Deutschland gefeiert ward, - ... solcher (Freiheits-)Gedanke schallt von dieser Bergruine, an deren starren Felswänden so mancher Schädel verzweifelnder Bauern sich verblutete, von diesem bischöflichadeligen Raubnest, an welchem deutsche Volkskraft sich übte, die heiße Rache durch Zerstörung kühlend" 10• Einige mögen immer noch - oder heute wieder - beim Hören dieser Worte erschrecken, unbezweifelbar ist aber, daß Bloch durchaus bürgerliche Vorgänger besaß, als er Anfang der 20er Jahre seine Hagiographie Thomas Müntzers schrieb und - bis an sein Lebensende - gern das alte Bauernkriegs-Lied zitierte: ,,Geschlagen ziehen wir nach Haus,/ Uns're Enkel richtens besser aus." Freilich waren Blochs unmittelbare Vorläufer Sozialdemokraten der ersten Stunde, wobei der Urhambacher Johann Philipp Becker gleichsam das Missing link zwischen Siebenpfeiffer und Wilhelm Liebknecht abgab. 1832, so hatte sich 50 Jahre später der inzwischen im Schweizer Exil lebende Frankenthaler Arbeiterveteran erinnert, damals, als bei „den Landleuten die Erinnerung an den Bauernkrieg wieder aufgefrischt wurde und man sich mit Wohlgefallen von der Zerstörung der Ritterburgen und ganz Fabelhaftes von Thomas Miintzer und Franz von Sickingen" berichtete, habe auch allerorten in der Pfalz eine beispiellose Solidarität geherrscht.11 Liebknecht schließlich hat 1897 geschrieben, nach Aufhebung der „Sozialistengesetze" und einem Besuch auf dem Hambacher Schloß: ,,... etwas weiter (von Harnbach) der Kropsberg, hinter dem hervor 1525 die Nußdorfer Bauern mit den 12 Artikeln auf das Hambacher Schloß gezogen sind, um, nachdem sie die Burg überrumpelt, sich hier an dieser Stätte um das noch unzerstörte Schloß herumzulagern und von deutscher Freiheit und Einheit zu träumen, die sich nun bald erfüllen werden. - Das 'bald' hat lange gedauert. - Die Revolution der Bauern scheiterte. - Und die Revolution der Bürger, von der 307 Jahre später die Wirth, Siebenpfeiffer und Börne träumten, sie ist gescheitert. - Und heute stehen wir da, die Männer der internationalen Sozialdemokratie. Wir werden verwirklichen, was 1525 von den Bauern und 1832 von den Bürgern geträumt ward. Und viel mehr noch. Denn der Gesichtskreis hat, mit der erhöhten Kultur, sich erweitert" 12• Liebknecht schreibt bereits blochisch oder Bloch immer noch liebknechtisch, was ich speziell im Blick auf seinen Zeitungsbeitrag vom 3.08.1918 verdeutliche, indem ich Liebknechts Rede von den „Metternichepigonen" - in seinem Hambacher Aufsatz von 1897 - gleichfalls heranziehe: ,,Ach, im Deutschen Reich hat sich an der Spitze ... nichts Wesentliches geändert, nur daß Bismarck und Konsorten als Epigonen den Metternich und Gentz das Wasser nicht rei-

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chen; es ist da oben nichts gelernt und nichts vergessen worden. Bloß die Manieren sind heute etwas plumper und roher."n Bloch nun beginnt seinen erwähnten Aufsatz, nur ein Vierteljahr vor Beginn der Novemberrevolution, mit de:n' Sätzen: "Was jetzt (der Militärdiktator R.F.) Ludendorff, war vor 100 Jahren Metternich. Schon damals ... klang aus der deutschen revolutionären Jugend der Ruf nach der deutschen Republik, nach Sturz der Despoten, des preußischen, österreichischen, russischen Zarismus vor allem, nach Geburt der Vereinigten Staaten von Europa. Siebenpfeifferund andere riefen mitten in der trübsten Zeit die freiheitlich gesinnte Jugend zu einer Protestfeier

auf das Hambacher Schloß bei Neustadt in der bayerischenRheinpfalz"14. Im kurzen Rück- bzw. Vorblick auf die Jahre 1967/68 hebe ich Blochs Rede von der „freiheitlich gesinnten Jugend" hervor, um dann noch seinen Kommentar zu der von ihm wieder abgedruckten Rede Johann Georg August Wirths von 1832 zu paraphrasieren: an deren „donnernden Mundart" werde der Leser, ,,trotz der in vielem Einzelnen veränderten Situation, noch genug erstaunlichste Aktualität" erleben 15• Liebknecht hatte bereits 1897 davon gesprochen, daß das damalige Deutsche Reich vor den Reden Siebenpfeiffers, Wirths und Börnes „ebenso" gezittert habe, ,,wie das heutige vor einer sozialdemokratischen Rede". 16 Mit den Diskursen der Mehrheitssozialdemokratie seit dem 1. August 1914 sah es anders aus, auch ihr V errat hatte Bloch - wenn man will auf den Spuren der Urhambacher und frühen Sozialdemokraten - ins Schweizer Exil getrieben und zur Mitarbeit an dem Emigranten-Journal „Freie Zeitung" veranlaßt (zusammen übrigens mit dem gleich ihm rheinpfälzischen Hugo Ball). Bloch ist der SPD, wenn er überhaupt je ihr Gefolgsmann gewesen war, nie mehr nahe getreten, gerade auch sein „Volksfront"-Aufsatz von 1936, in dem er Wirths Hambacher Rede ein weiteres Mal aktualisiert, ist kein Gegenbeweis. Es hat wohl des von der Komintern verordneten „Volksfront"-Diskurses bedurft, damit sich Bloch Harnbachs wieder erinnerte. In der Weimarer Republik dürfte ihm dessen Erbe als zu „bürgerlich" erschienen sein, und tatsächlich wurde es zwischen 1919 und 1932 vom linken Zentrumsflügelehen, den Sozialdemokraten, vor allem aber den Linksliberalen (in der Art Theodor Heuss'), von der Weimarer Koalition also und ihrem „Reichsbanner" - mehr schlecht als recht - verwaltet. Dreimal insgesamt ist es während der Weimarer Zeit zu einer besonderen Aktualisierung des Hambacher Festes gekommen: 1922, 1925 und 1932. Diese Feiern sind vom Datum her besonders interessant, weil sie exemplarisch für drei verschiedene Entwicklungsphasen der Republik stehen. So fiel die Feier 1922 in eine Zeit, in der das neue Staatswesen noch mühsam um seinen Bestand ringen mußte. Wenige Wochen nach der Harnbachfeier von 1922 wurde Walter Rathenau ermordet, und das eigentliche Krisenjahr 1923 stand unmittelbar bevor. Die Veranstaltung im Jahre 1925 fiel in die mittlere Phase der Republik, die eine relative Stabilisierung brachte und mit „Locarno" eine merkliche Entspannung. Die Harnbachfeier 1932 schließlich steht mittendrin in der Agonie, im Niedergang und Zusammenbruch der Demokratie. Über sechs Millionen Ar-

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beitslose, die Entlassung Brünings und der atemberaubende Aufstieg des Nationalsozialismus signalisieren unter anderem das nahe Ende. 17

2. Streit um das Hambacher Erbe

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Daß die vom späteren Gauleiter Josef Bürckel herausgegebene ,,NSZ-Rheinfront" 1932 eine wahre Hetzkampagne gegen ,,Harnbach" und die beabsichtigte Jubiläumsfeier entfesselte, mag nicht erst heute als „nur konsequent" erscheinen, doch ist auch festzuhalten - und noch im Blick auf Blochs Äußerungen von 1936 bzw. '67, daß der spätestens 1872 offen ausgebrochene, aber eigentlich schon 1848/49, ja 1832 erkennbare Streit darüber, wer der legitime Erbe „Harnbachs", was dessen wahre Botschaft sei, innerhalb der Weimarer Koalition (in stark abgeschwächter Form) fortbestanden hat. Er ist, wie schon angedeutet, im Zeichen der „Volksfront" erneut entbrannt und spätestens 1967 ein weiteres und sicher nicht letztes Mal. Karl Carstens' Ukas: ,,Die Ziele von 1832 sind erreicht worden!" hatte weder 1982, noch hat er heute irgendeine Chance, auf allgemeine Zustimmung zu stoßen. Der Streit um „Harnbach" begann eben schon während des Festes von 1832, was eigentlich nie zu übersehen war. Ich bin davon überzeugt: Nur der kann dem „Fest der Hoffnung" adäquat begegnen, der jene Risse nicht verschweigt, die schon seine „Urszene" durchzogen.18Erich Schneider spricht richtig von der „politischen und sozialen Polyphonie" Harnbachs, 19 doch muß man vor allem die Dissonanzen betonen und nicht bloß die politisch(-taktisch)en, sondern -wie Schneider - gerade auch die sozialen. Der dann sozialdemokratische Veteran Becker reprojiziert nicht einfach, wenn er in seinem Rückblick von 1882 zu Protokoll gibt, er sei (schon) vor 50 Jahren „nicht nur gegen die gekrönten und ungekrönten Unterdrücker, sondern auch gegen die Leiter der freisinnigen Bewegung rebellisch" gewesen 20• Umgekehrt haben sich die bürgerlichen Liberalen von allen sozialen Unruhen und „direkten'\ wenn man will „anarchischen" Aktionen im Umkreis des Hambacher Festes entschieden distanziert, ja - in Beckers Heimatstadt Frankental z.B. (Hilfs-)Polizeiaufgaben gegenüber der „niederen Classe" wahrgenommen. 21 „Sobald ... das Gespenst der sozialen Umwälzung augenscheinlich Gestalt annahm, rückte das erschrockene Bürgertum ... zusammen und an die Seite der staatlichen Autoritäten. "22 Die „niedere Classe" - ich benutze eine durchaus schon dem Vormärz eigene Vokabel - hat sich wohl am nachdrücklichsten im anonymen Text eines Bewohners Kleinkarlbachs artikuliert, der im „Westboten" 1832 erschienen ist: „Die Worte: Volk, Bürgertum, Staat gehen heute von Mund zu Munde, und man versteht jetzt etwas anderes darunter als vor fünfzig Jahren. Sonst galten die Worte für eine tote, lichtlose Masse, die als Gebrauchssache anzuschlagen war; jetzt versteht man ein lebendiges, erleuchtetes und nach eigenen Gesetzen tätiges Vernunftwesen darunter", wie der Sprecher der „niederen Classe" betont und sich dadurch als Be-Kenner der revolutionären Aufklärung zu erkennen gibt.

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Freilich klagt er die faktische Privilegierung einer schmalen bürgerlichen Oberschicht von maximal einem Fünftel der Gesamtbevölkerung an und fragt polemisch: ,, ... was sind wir übrigen w~,ggeworfenen vier Fünftel ... ? Nichts, Heloten, Lohndiener des Herrn des St'aates. Das sollten wir aber nach der Willensmeinung des erleuchteten Fünftels nicht sein und sind es der Sache nach aber doch ... wir haben gleiche Rechte mit Allen, in euren Charten und Blättern steht es geschrieben", wie der „Kleinkarlbacher" die bürgerlichen Intellektuellen direkt anspricht, ,,aber Eure Charten und Blätter gelangen nicht zu uns, oder wenn sie zu uns gelangen, so ist ihr Sinn in einer Kastensprache verhüllt. Vergebens zeigt ihr Blinden ihre Schätze, - das Bewußtsein der Armut, der physischen wie geistigen Dürftigkeit und Abhängigkeit wird sie nicht verlassen. "13 Ich 'schiebe' die Information 'nach', daß die Neustadter Handwerksgesellen, die beim Zug auf das Schloß Siebenpfeiffers Festlied zum besten gaben, wohl den untersten Rand des sozialen Spektrums der Festbesucher gebildet haben. Die ,,Leute aus der Hefe des Volkes" waren, um einen zeitgenössischen Berichterstatter zu zitieren, weggeblieben, schon weil sie Reise- und V erpflegungskosten nicht aufbringen konnten. Im übrigen verweile ich bei der vom „Kleinkarlbacher" schonungslos aufgedeckten Diskrepanz zwischen dem intellektuellen Status einer elitären Minderheit, die von der „Fackel der Aufklärung'' hinreichend erleuchtet wurde, und jener Masse der „Heloten" und „Lasttiere", die sich nur dürftig aus Gesangbüchern, Bibeln und Kalendern geistige Nahrung verschafft und die wegen dieses Defizits an Bildung die großen politischen Fragen der Zeit einfach nicht verstehen kann und dadurch zum „folgsamen Werkzeug" in den Händen der Tyrannen und „blutsaugerischen Gewalthaber" wird 14 oder aber auch - wie sich zeigen wird - zu spontanen Gewaltaktionen schreitet. Letztere (darunter auch antisemitische) stießen die bildungsbürgerlichen Liberalen nicht weniger zurück als Passivität und reaktionäres Potential des „Pöbels" - wieder eine zeitgenössische Vokabel. - Dennoch bleiben die unleugbaren Verdienste der „Revolutionäre mit Doktorhut und spitzer Feder" 25 bestehen, unbeschadet ihrer mangelnden Empathie gegenüber der „niedersten Volksclasse"26und ihrer entsprechenden Unfähigkeit, deren Eigensinn produktiv den eigenen Zielen zu integrieren. 27 - Ich rede nicht nur von 1832 oder 1848/49, obwohl schon in der Paulskirchenzeit und der Pfälzischen Revolution speziell unübersehbar geworden war, daß eine sozialistische Bewegung an die Seite der liberalen und ihr entgegengetreten war - man kann auch sagen, sich von ihr „abgespalten" hatte. - Der gemeinsame Fokus blieb der das Hambacher Fest inauguriert habende Presseverein, speziell seine Pariser Dependance. Ich rufe in Erinnerung, was Wilhelm Herzberg in seinem bekannten Standardwerk diesbezüglich zusammengefaßt hat: „Der wichtigste Zweig des Preßvereins war der von Paris, weil sich aus ihm der 'Bund der Kommunisten', der Vorläufer der sozialdemokratischen Internationale, entwickelte. Als der Pariser Preßverein ... von der französischen Regierung Ende 1833 aufgelöst worden war, sammelten sich die Mitglieder in dem geheimen 'Deutschen Bunde der Geächteten', dessen Ziel ganz im Sinne der Be-

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strebungen des Preßvereins ... die Verwirklichung der in der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte ausgesprochenen Grundsätze war. Dem Bunde gehörten gegen 200 in Paris arbeitende deutsche Handwerker an, die man bemüht war, als 'Propaganda zu Fuß' zu erziehen. Zu diesem Zwecke wurde unter Leitung Jakob Venedeys (eines 'Hambachers', R.F.) 'Der Geächtete' herausgegeben, der vollständig im kleinbürgerlichen Fahrwasser schwamm. Bald aber gewann in dem aus lauter Arbeitern bestehenden Bunde die proletarische Tendenz das Uebergewicht. Der frühere Göttinger Privatdozent Theodor Schuster vertrat sie im Blatte mit einer für jene Zeit erstaunlichen Klarheit. 1836 kam es unter seiner Führung zur Spaltung. Mit ihm gründeten die hauptsächlich proletarischen Elemente den 'Bund der Gerechten', der kommunistische Bestrebungen nach der Richtung des Cabetschen Sozialismus pflegte und zwar in engem Anschluß an die von Blanqui und Barbes geleitete Societe des saisons. Im Auftrage des Bundes verfaßte Weiding ... 1838 die Schrift 'Die Menschheit, wie sie ist und sein sollte'. Der Bund nahm das darin entwickelte Weitlingsche System des Sozialismus als Programm an. U eher das südliche Deutschland hin, aber auch im Auslande, wo nur deutsche Flüchtlinge und Arbeiter waren, bildete sich von der Pariser Zentrale aus ein Netz von geheimen Vereinen, sogenannten 'Hütten'. Die Zentrale in Paris hörte auf, als der Aufstand am 12. Mai 1839, an dem die Societe des saisons beteiligt war, von der Regierung Louis Philipps niedergeworfen wurde. Der frühere Gießener Student und spätere Schriftsetzer Karl Schapper ... und der Schuhmacher Heinrich Bauer ... , die wegen Teilnahme an dem Aufstande und langer. Haft ausgewiesen wurden, verlegten den Mittelpunkt des Bundes nach London. Sie gründeten dort zusammen mit dem Uhrmacher Joseph Moll ... den Deutschen Arbeiterbildungsverein, der ihnen als Werbebezirk des Bundes diente. Der Bund gewann jetzt auch an Ausdehnung, er wurde aus einem deutschen zu einem internationalen. Der Arbeiterbildungsverein, auf dessen Mitgliedskarten in wenigstens zwanzig Sprachen der Satz: 'Alle Menschen sind Brüder!' stand, erhielt den Namen: Kommunistischer Arbeiterbildungsverein, den er noch heute führt. Unter dem Einfluß von Marx und Engels vollzog sich eine Umwälzung in den theoretischen Grundsätzen des Bundes. Im Sommer 1847 wurde auf dem Bundeskongreß der Bund reorganisiert. Sein Name wurde in 'Bund der Kommunisten' umgewandelt. Auf dem zweiten Kongreß November/Dezember desselben Jahres wurden die sozialistischen Lehren von Marx und Engels als Vereinsgrundsätze angenommen und beide beauftragt,. das Programm des Bundes auszuarbeiten. Die Frucht dieser Arbeit ist das für die Sozialdemokratie grundlegend gewordene 'Kommunistische Manifest', das an die Stelle der bisherigen Bundesdevise: 'Alle Menschen sind Brüder!' den jetzt vom modernen Proletariat angenommenen Sammelruf: 'Proletarier aller Länder, vereinigt Euch!' setzte. "18 So weit die Ausführungen Herzbergs. Ich überspringe - mehr noch als er in Siebenmeilenstief ein durch die Geschichte eilend - genau 25 Jahre: 1872, vierzig Jahre nach dem Urhambacher Fest, fälschten es die Nationalliberalen in ein rein nationales, ja nationalistisches und damit auch gegenrevolutionäres um. Ihre

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,,Hambacher" Erfüllung hieß Bismarck-Reich, samt semi-absolutistischer Verfassung. Der alt- bzw. linksliberale Widerstand gegen solche Perversion war schwach und _ängstlich, wie sich nqch zehn Jahre später zeigen sollte, allerdings auch, weil der 50. Jahrestag jetzt,;~ugleich von der verbotenen Sozialdemokratie begangen zu werden drohte. Und tatsächlich, als die Speyerer Bezirksregierung der linksliberalen „Volkspartei" ihr Harnbach-Jubiläum - unter Berufung auf die Sozialistengesetze - verbot, nahmen sozialdemokratische Aktivisten „die Sache" in ihre alleinigen Hände und standen damit in gewisser Weise als Harnbachs Alleinerben da. Für realsymbolisch könnte dabei gelten, daß der einzige überlebende Urhambacher, Becker, nun in ihren Reihen, ja mit an ihrer Spitze stand. Selbstverständlich erklärte er in seinem „Offenen Brief an die deutschen Parteigenossen bei Gelegenheit der fünfzigjährigen Gedenkfeier des Festes": ,,Nur Radikalkuren können helfen! - Nicht nur politische Freiheit und Gleithheit vor 'Gott' und dem Gesetz sind hinreichend, sondern auch die ökonomische U nabhängigkeit - die Gleichheit vor den Menschen - müssen her!" 29 Ganz selbstverständlich sollte das Harnbach seine Erfüllung finden, für das sein Lebensweg einstand, der eines Jacobiner-Enkels. Beckers eigene politische Lebensgeschichte liest sich, wie folgt: 1831 Gründung eines Revolutionsclubs; 1832 bei der militanten Fraktion der Hambacher, Aufruf zu den Waffen, Befreiung Venedeys aus dem Frankenthaler Gefängnis; angeklagt wegen seiner Hambacher Rede; August 1833 organisierte er die Befreiung Wirths, der jedoch nicht befreit werden wollte; 1834/35 Befreiung der Gefangenen in Frankfurt (nach dem Wachensturm 1833); konspirative Agitationsreise in Süddeutschland für eine neue Erhebung, zahlreiche Prozesse; 1838 Übersiedlung nach Bern; 1839 nach Biel, Organisierung der deutschen Handwerker in der Schweiz; 1843/44 Teilnahme an zwei Freischarenzügen gegen das reaktionäre Luzern; 1847 Offizier im eidgenössischen Sonderbundskrieg gegen die reaktionären Kantone; 1848 Aufbau einer deutschen Legion in der Schweiz, April Teilnahme am Heckerzug in Baden, in der Schweiz Gründung des Wehrbundes „Hilf dir"; 1849 Sammlung einer Legion für die italienische Revolution, dann Teilnahme am badisch-pfälzischen Aufstand als General der 5. Division; 1856-60 Paris; 1860 Versuch, in Genua eine Legion für Garibaldi aufzubauen; später Kommunist in Genf; 1864 in London Mitbegründer der Internationalen ArbeiterAssoziation (1. Internationale), Mitglied der Eisenacher Partei; 1866 Redakteur des „Vorboten", Organ der Internationale in der Schweiz; 1867 Leiter des Zentralkomitees in der Schweiz; gestorben 1886 in Genf3° - vier Jahre vor Aufhebung der Sozialistengesetze im Deutschen Reich. Deren Aufhebung ist eine entscheidende Voraussetzung für Herzbergs schon erwähntes Buch von 1907 und seine dort zu findende dialektische Einschätzung des Hambacher Liberalismus in Geschichte und Gegenwart: ,,Vergleiche man den revolutionären Liberalismus der Hambacher mit der aktuellen Haltung der Liberalen, so könne man nur eine ungeheure Kluft zwischen damals und heute, eine völlige Umkehrung der politischen Fronten, Werte und Gesinnungen konstatieren. 1832 habe der Liberalismus noch alles um sich geschart, was

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an dern Kampfe um politische Freiheit teilnehmen wollte, heute sei der Liberalismus so tief gesunken, daß er aus Furcht vor seinen ei·nst eigenen Forderungen mit seinem Todfeinde von einst, dem. faulen Konservativismus, einen Pakt, die liberalkonservative Paarung, geschlossen habe. Der Tat nach gäbe es eigentlich heute nur eine liberale Partei, nämlich die Sozialdemokratie, denn sie erfülle in Wahrheit die alten Ideale des Liberalismus und der Demokratie. Bei Licht besehen, seien ein Großteil der Forderungen der SPD die der Bourgeoisie, als sie noch mit der Ari"stokratie im Kampfe lag und demokratisch und liberal war. Der Liberalismus von heute bekämpfe deshalb die Sozialdemokratie aufs heftigste, weil diese so verrucht ist, die alten liberalen Ideen von Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit in die Tat umsetzen zu wollen, kurz, weil sie Forderungen der alten Demokratie übernommen habe. Die Bourgeoisie habe viele der Grundsätze aus ihrer liberalen Periode fallengelassen, weil deren Durchführung auch das Proletariat politisch gehoben hätte. Aus schnöder Ralfsucht heraus und der Absicht, den ewigen Bestand des volksausbeutenden Kapitalismus gegen den Ansturm des Proletariats zu sichern, seien die Liberalen zu Schmarotzern und Renegaten geworden. So erkläre sich auch ihre politische Lauheit und Pflaumenweichheit. Statt die politische Modernisierung voranzutreiben, leisteten sie den Brot-, Fleisch- und Kohlenwucherern Schleppträgerdienste, trieben Wahlentrechtung wie die brutalsten Junker, bekämpften ihren politischen Gegner mit schmachvollen Ausnahmegesetzen, träten mit dem Borussentum die Rechte der Polen mit Füßen und frohlockten über die Tendenzjustiz, die als Klassenjustiz die Waagschale der Gerechtigkeit mit der Macht des Besitzes und der herrschenden Gewalten belaste. Selbst der süddeutsche Liberalismus habe sich dem preußischen Junkertum verschrieben, und auch im schönen Pfä:lzerland gäbe es mehr Hurraschreier, als der moralischen Qualität des Volkes gut tue. - Wer deshalb heutzutage politische Freiheiten erobern wolle, der müsse sich jetzt unter das Banner des ka:mpfenden Proletariats begeben, dies habe sich längst selbst ermannt und sei sich seiner zunehmenden Stärke bewußt." 31 Nur sieben Jahre später koalierte Herzbergs Sozialdemokratie, nicht anders als die von ihm so sehr verachteten Liberalen mit der chauvinistischen Reaktion. Andererseits führt von Herzbergs „dialektischer" Beerbung des Hambacher Altliberalismus ein Weg hin zur Weimarer, also sozial-liberalen Koalition von nach 1918/19. Trotz momentaner Bündnisse mit Reichswehr und Freikorps bleiben die gegenrevolutionären Kräfte jetzt außen vor, aber revisionistischen Klassenkompromiß bedeutet gerade auch die Weimarer Koalition. Die Sozialdemokraten enthalten sich nun der scharfen Angriffe auf den Linksliberalismus. Aus unversöhnlichen Gegnern sind jetzt bloße Rivalen geworden, die miteinander konkurrieren, und auch als Sachwalter der Hambacher Tradition. Es gehört mit zu den auffallenden Unterschieden gegenüber der Wilhelminischen Ära, daß nunmehr die bürgerlichen Demokraten ebenfalls das Harnbach-Jubiläum in festlicher Weise begehen. 32 Und das von 1932 nicht anders als das von 1922. Zugleich aber ist im Mai '32 die Skepsis der Sozialdemokraten gegenüber dem restliberalen Bürgertum wieder überdeutlich geworden - bereits mitten im „Bürgerkrieg", wie man genau weiß. - Die „NSZ-Rheinfront" hat aus Anlaß des 100jährigen Jubilä-

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ums keinen Zweifel gelassen: Deutschland werde erst dann „frei" sein, wenn auf dem HambaGher Schloß „die Hakenkreuzfahne" flattere.

3. Blochs Hambach-Aufsatz vom Dezember 1936

Nicht erst „Bürgerkrieg" ist ein Stichwort, um auf Blochs zweiten „Hambach"Aufsatz vom Jahre 1936 einzugehen. Meine historischen Exkurse waren insgesamt kein Selbstzweck, sollten vielmehr dem besseren Verständnis der (nicht nur) von Bloch angesichts des Spanischen Bürgerkriegs bezogenen Position dienen: Diese ist einerseits keine sozialliberale, andererseits keine alt- bzw. revolutionär-sozialdemokratische mehr, sondern - auch im Unterschied zum Bloch des Jahres 1918 - eine kommunistische, und zwar, wie schon angedeutet, eine der Komintern gemäße volksfröntlerische Position. „Volksfront" ist - bis heute - ein demagogisches Schlagwort der Rechten gegen jede Form von Koalition linksliberaler und sozialdemokratischer Parteien mit kommunistischen, gleich welcher Spielart. Also auch ein Schlagwort gegen parlamentarisch-demokratische Regierungen, wie die chilenische zur Zeit des Präsidenten Allende und die französische des Jahres 1936. Andererseits ist nicht zu leugnen, daß die sich im selben Jahr in Spanien aufgrund des durch den Putsch von General Franco ausgelösten Bürgerkriegs konstituierende Volksfront sehr schnell in Abhängigkeit von der moskaugesteuerten Kommunistischen Partei geraten ist. Daß die parlamentarisch-demokratischen Parteien e1preßbar waren und wegen der ausbleibenden militärischen Hilfe von seiten Frankreichs und Englands für die zunächst durchaus bürgerliche Republik, kann nicht den Terror rechtfertigen, mit der die Stalinisten im weiteren Verlauf des Bürgerkriegs gerade auch gegen Anarchisten und Trotzkisten vorgegangen sind. Dezember 1936 ist diese Entwicklung für Bloch noch nicht abzusehen gewesen, doch hielt er dem stalinistischen Volksfront-Konzept auch später die Treue, so wie er zur selben Zeit die Moskauer Prozesse ausdrücklich verteidigt hat. 33 Man kann hier überhaupt nichts beschönigen, und auch was Blochs Faschismus-Theorie und antifaschistische Strategie angeht, jedenfalls in dem zur Diskussion stehenden zweiten „Hambach"-Aufsatz „Ein altes Lied" vom Dezember 1936: „Am Ende der Profitwirtschaft überhaupt drängen sich alle ihre Nutznießer zusammen, die des Finanz-, Industrie- und Agrarkapitals, werfen die Kulturmaske ab und zeigen ihre nackte Wirklichkeit: es sind Gauner, Banditen und Mörder. Der Auswurf des Menschengeschlechts hat sich oben versammelt und rettet mit zerfetzten Kindern, in Brand geschossenen Städten, auf dem Boden des spanischen (wie bald europäischen) Kirchhofs die Güter der Kultur. All dieses, damit ein Haufen Parasiten, ein Gremium Bourgeoisfamilien, die an die Stelle der alten Unterdrücker getreten oder zu ihnen gestoßen sind, den Profit nicht verlieren." 34 Bloch hat richtig gesehen: Der europäische Friedhof ist, wie von ihm prophezeit, sehr bald dem spanischen gefolgt. Der Bürgerkrieg ist das Vorspiel des 2. Weltkriegs gewesen. Und die Verantwortlichen im einen wie im anderen Fall wa-

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ren - wer wagte es zu bestreiten: ,,Gauner, Banditen und Mörder". Aber waren die einfach 'Agenten' des „Finanz-, Industrie- und Agrarkapitals"? Kein spanischer, deutscher oder sonstiger Faschist wollte den Kapitalismus abschaffen, aber jeder Faschismus will ihn in eigene Regie nehmen, für sich selbst gewaltige Anteile an Besitz und Profit gewinnen, unbeschadet dessen, daß die alten Eliten das Bündnis mit den Emporkömmlingen nicht nur ungern eingegangen sind. Es geht überhaupt nicht um eine (moralische) Entlastung der „Bourgeoisie", doch die Faschismus-Definition der Komintern - der sich Bloch völlig unkritisch anschließt - stimmt eben nicht: ,,Der Faschismus an der Macht ... ist ... die offene terroristische Diktatur der reaktionärsten, am meisten chauvinistischen, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals." Was außerdem von Komintern wie Bloch übersehen wird - jedenfalls im Hinblick auf den etablierten und bereits seit über drei Jahren regierenden Nationalsozialismus-, ist die Tatsache, daß sich die sozio-ökonomische Lage zunächst auch für die Millionen Arbeitslosen und von Arbeitslosigkeit Bedrohten gebessert hat, sicherlich um den Preis der blutigen Verfolgung für die NichtUnterwerfungsbereiten und Nicht-Anpassungswilligen, vor allem aber um den Preis des baldigen K.rieges. Doch zunächst ist der noch nicht da, und deswegen hat Hitler auch Millionen von Arbeitern für sich einnehmen können, selbst ehemals sozialdemokratische und kommunistische. Vor allem das aber will weder die Komintern noch Bloch wahr haben. Völlig „blind" dessen Hoffnung: ,,Wo nur noch der Mordbrenner Franco übrig bleibt, gehen dem Blindesten, auch in Deutschland allmählich die Augen auf." Und dann Blochs Behauptung, die Revolution habe „kein Hambacher Fest sondern einen bestückten Kontinent zu ihrer Verfügung" 35 : die Sowjetunion. Selbst wenn man den Hitler-Stalin-Pakt auf sich beruhen lassen könnte: dieser Sowjet-Kontinent allein hätte es nicht geschafft, den Faschismus zu besiegen, was zugleich bedeutet, daß dieser nicht die ganze „alte Welt" hat sich unterwerfen können, wie Bloch im selben Zusammenhang behauptet: ,,die formidable Hölle einer alten Welt" müsse „im Ganzen, nicht mehr in Teilen sich ihres Daseins wehren". - Ich argumentiere weiter ex eventu: Das Ergebnis des 2. Weltkriegs war die völlige Niederlage des Faschismus - wenn man Portugal und Spanien ausnimmt-, doch zugleich ein Fortbestehen des Weltkapitalismus, von dem auch die ungemein vergrößerte und jetzt mit Satelliten versehene Sowjetunion abhängig blieb - an dem sie inzwischen, samt ihren Satelliten, gescheitert ist. Bloch hat die „Francoländer der Ostseite", wie er dann formulieren wird 36 , bereits Anfang der 60er Jahre auf- und drangegeben. Er hat sich, wenn man will, schon damals der Urhambacher Tradition erinnert: dem Unabgegoltenen und Unaufgebbaren der Menschenrechte. Das Buch „Naturrecht und menschliche Würde" von 1961 ist der überragende Beweis für diesen Lernprozeß, der Bloch dann auch im eingangs erwähnten Interview mit dem Süddeutschen Rundfunk vom Jahre 1967 betonen läßt: ,,Die Durchführung der Menschenrechte, die Achtung vor der Würde des Individuums, daß das Individuum nicht eine Straf sa-

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ehe ist, sondern sogar ... das Einzige, was es sich lohnt zu leben. Freiheit steht im Zentrum von Ordnung" 37 • . Allerdings ist Blochs Bekennt;nis zur Freiheit nur das eine, was festgehalten werden muß, das andere ist - gedde in Rücksicht auf seine prinzipielle Solidarisierung mit der Studentenbewegung im selben Interview -, daß er Gleichheit und damit auch Sozialismus nicht preisgibt. Sozialismus verlangt jetzt unbedingt Freiheit, aber Freiheit auch Sozialismus. Eines kann ohne das Andere für diesen (späten) Bloch nicht wirklich sein. Um ihn wörtlich zu zitieren: ,,Keine Demokratie ohne Sozialismus, kein Sozialismus ohne Demokratie, das ist die Formel einer Wechselwirkung, die über die Zukunft entscheidet. "38 Kaum zufällig wird diese Formel - wie resümierend - auch in der Laudatio zitiert, die der spätere Innenminister Werner Maihof er Bloch im Jahre 1967 als Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels hielt. Ich kann hier weder auf diese Rede noch auf die Blochsche beim selben Anlaß eingehen. Festzuhalten ist nur, daß der kurz danach der FDP beitretende und baldige Bundesminister Maihafer ein leidenschaftlicher Befürworter der sozial-liberalen Koalition war und in einer geradezu geschichtsphilosophischen Dimension. Er verstand sie als historisches Bündnis eines aufgeklärten Bürgertums mit der Arbeiterschaft, wie Gustav Heinemann als Realisierungsversuch von Ansätzen der Jahre 1848/49 und sicher auch - so können wir jedenfalls hier formulieren - als den V ersuch, endlich zu synthetisieren, was schon ini Harnbach des Jahres 1832 gegeneinander gestanden hatte: das liberale und das soziale Interesse. Ich kann an dieser Stelle eine Bilanz der sozial-liberalen Koalition von 1969 bis 1982 nicht einmal versuchen, sicher ist für mich nur, daß ein Rückblick auf ihre Idee auch einer in die Zukunft ist, angesichts des grassierenden Neoliberalismus jedenfalls, den man „Unsozialen Liberalismus" nennen sollte. (Der Alt-Sozialliberale Burkhard Hirsch hat Anfang 1998 in einem Fernsehgespräch mit Günter Gaus den fundamental richtigen Aphorismus geprägt: ,,Eine liberale Gesellschaft ohne soziale Verantwortung ist mörderisch.") Sicher ist außerdem, daß Blochs Konzept einer „sozialistischen Demokratie" bzw. eines „demokratischen Sozialismus" wesentlich radikaler war, als das seines Freundes Maihafer. Doch ich möchte mich auch vorn Bloch der späten 60er Jahre verabschieden und nochmals zu dem des Jahres 1936 zurückkehren; denn auf seine Rezeption des Hambacher Festes in diesem Jahr bin ich noch kaum eingegangen, was um so unverzeihlicher ist, weil sie - ungeachtet ihres stalinistischen Kontextes - höchst ingeniös und sympathisch ist. - Wie schon im Jahre 1918 zitiert Bloch aus Wirths Hambacher Rede, wie folgt: ,,Das Land, das unsere Sprache spricht, das Land, wo unsere Hoffnung wohnt, wird verwüstet und geplündert, zerrissen .und entnervt, geknebelt und entehrt. Reich an allen Hilfsquellen der Natur, ist es für die Mehrzahl seiner Bewohner der Aufenthalt des Hungers, des Jammers und des Elends. Berufen von der Natur, um in Europa der Wächter des Lichts, der Freiheit und der völkerrechtlichen Ordnung zu sein, wird die deutsche Kraft gerade umgekehrt zur Unterdrückung der Freiheit aller Völker und zur Gründung eines ewigen Reiches der Finsternis, der Sklaverei und

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der rohen Gewalt verwendet. So ist denn das Elend des Vaterlandes zugleich der Fluch für ganz Europa. Spanien ist durch die Heilige Allianz, welche ihre Stütze ausschließlich in Deutschland hat, einer auf Aufklärung, Menschlichkeit und Vernunft gebauten Staatsverfassung sowie seiner patriotischen Cortes beraubt und unter das Messer fanatischer Priester und Aristokraten sowie des Regimes des Unsinns und der Grausamkeit überhaupt zurückgeführt worden." 39 ,,Diese Worte gelten fast unverändert für heute, sind aber von vorgestern", mit welchem Satz Blochs Kommentar beginnt. Und so wird er fortgeführt: ,,Der demokratische Revolutionär Wirth sprach sie 1832 auf dem Hambacher Fest, einem verfrühten Vorspiel der achtundvierziger Revolution. Diese Revolution war selbst nichts als ein zusammengebrochenes Vorspiel, genau wie die von 1918; denn wie wäre sonst die Hambacher Rede, nach über hundert Jahren, so aktuell? Die Geschichte wiederholt sich nicht; doch wo etwas nicht Geschichte wurde und Geschichte nicht gemacht hat, wiederholt sie sich durchaus. In dieser Lage ist die deutsche Nicht-Revolution; auf ihren Bahnen läuft, bequem und eingefahren, der Machtapparat der Unterdrückung und des Betrugs, versklavt das eigene Volk, bedroht die anderen. Die Machthaber des Apparats haben zum Teil gewechselt, es sind nicht mehr die Aristokratenfamilien und Könige des Vormärz, sondern die großen Kapitalisten, deren Urväter auf dem Hambacher Fest noch Freiheitsbäume gepflanzt haben. So ist die Anspielung auf die Heilige Allianz in Wirths Aufruf das Einzige, was erkennen läßt, daß hier keine Volksfront von 1936 spricht." 40 Das Problematische dieser Volksfront und auch das Unzulässige einer Reduktion des Faschismus auf extremen Kapitalismus habe ich bereits angesprochen - der Jude Bloch läßt den Rasse-Antisemitismus völlig unerwähnt -, und ich könnte also meinen Vortrag beenden. Doch bin ich noch mit keinem Wort auf den die Urhambacher mit Bloch auch verbindenden Antiklerikalismus eingegangen. - Spanien sei, so hat Wirth in seiner von Bloch (1918 und) 1936 zitierten Rede ausgeführt, ,,unter das Messer fanatischer Priester ... zurückgeführt worden". Friedrich Deidesheimer ging in seiner Rede in tiefe Vergangenheit zurück, als er fragte: ,,Sandte nicht jener kindesmörderische Philipp von Spanien den ruhigen aber aufgeklärten Holländern und jenen feurigen Flanderern zuerst einen verschmitzten freiheitsmörderischen Pfaffen, den verhaßten Granvella, und zuletzt den blutigen Alba, jenes Scheusal der Menschheit?" Doch auch Deidesheimer stellte solche Fragen nur einer bestehenden Kontinuitiit wegen; denn so fuhr er zu fragen fort: ,,Hetzte nicht in unsern Tagen der erbärmliche Pfaffen-Karl von Frankreich den nichtswürdigen, Vaterland und Wohlthäter verrathenden Marschall auf sein tapferes, nur seine Rechte vertheidigendes Volk? Darum sehen wir uns vor" - so lautete Deidesheimers aktuelle Nutzanwendung - ,,auch bei uns würden sich bei ähnlichen Gelegenhejten ähnliche Werkzeuge finden; auch wir könnten vielleicht Granvella's, Alba's und Ragusa's gegen uns wüthen sehen. "41 Bereits in Siebenpfeiffers Rede war vom Frankfurter Bundestag als politischem Vatikan" die Rede und wurde metaphorologisch das Auftreten eines „poli-

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tischen Luther" gefordert. 42 Die protestantische Provenienz des pfälzischen und deutschen Liberalismus überhaupt ist unübersehbar. Bloch aber konnte schon deshalb nicht mehr protestantisch ,,sprechen, weil im „Dritten Reich'' nicht nur die „Deutschen Christen", diese/besonders nationalsozialistische Fraktion der Evangelischen Kirche, sondern diese insgesamt antiliberal gesonnen war, jedenfalls in politicis. (Absolute Ausnahmen sind zu vernachlässigen.) Aber auch Bloch polemisiert - den Spanischen Bürgerkrieg vor Augen - gegen die Katholische Kirche. Ich beziehe mich auf seinen Aufsatz „Der letzte Hirtenbrief" bereits vom September 1936, in dem Bloch die deutschen Bischöfe heftig wegen ihrer geistlichen Schützenhilfe für Franco (und Hitler!) kritisiert hat. Er zitiert aus diesem Hirtenbrief: ,,Wenn jetzt Spanien dem Bolschewismus erläge, wäre das Schicksal Europas zwar noch nicht endgültig besiegelt, aber in beängstigende Frage gestellt. Welche Aufgabe damit unserem Volk und Vaterland zufällt, ergibt sich von selbst. Möge es unserem Führer mit Gottes Hilfe gelingen, dieses ungeheuer schwere Werk in unerschütterlicher und treuester Mitwirkung aller Volksgenossen zu lösen." 43

4. Jüdisch-christlicher Prophetisrnus Börnes und Blochs

„Das ist die Hauptermahnung des Vatikan", wie Bloch kommentiert, ,,an das Land der Konzentrationslager und Folterkeller, der Judengesetze und Schlachtfeste; ans Exportland des Krieges. Der härteste Stein des Anstoßes, den das Christentum Roms in Deutschland findet, ist der - Kommunismus; die Stehsärge sind ihm weniger interessant." 44 Dennoch warnt Bloch schon 1936 entschieden davor, die katholische Kollaboration mit dem international gewordenen Faschismus zum einzigen Kriterium einer Beurteilung des Katholizismus oder gar des Christentums zu machen. Er nimmt noch in sein religionsphilosophisches Hauptwerk „Atheismus im Christentum" von 1968 - ,,zur freundlichen Erinnerung", wie er schreibt - die Bischofs-Kritik von 1936 auf45, doch dieses umfangreiche Buch ist eine einzige, wenn auch hochdialektische Apologie christlichen und selbstverständlich jüdischen Prophetismus. Als „Religion des Exodus und des Reichs (Gottes)" ist das, was Faschisten aller Couleur als „JudaeoChristentum" verteufeln 46, durchaus Blochs Sache und seit seinem grundlegenden Erstlingswerk „Geist der Utopie" von 1918. Natürlich kann ich darauf nicht eingehen, doch wenigstens erwähnen muß ich, daß schon die Urhambacher auch prophetisch sprachen. Und ich denke nicht an die ziemlich peinliche Entlehnung, die sich Wirth zu Schulden kommen ließ, als er einen Satz mit der jesuanischen Formel einleitete: ,, Wahrlich, ich sage euch". Mein Mann ist Ludwig Börne, dessen „apostolischen Eifer" und „Bergpredigerton" - in jakobinischem wie jesuanischem Wortsinn - bereits Heinrich Heine aufgefallen war. Börne, den man am Ende des ersten Festtages in Neustadt durch einen Fackelzug persönlich ehrte 47, hatte bereits am 1.3.1832 „An die Herren Vorsteher des deutschen Preßvereins in Zweibrücken" u.a. geschrieben: ,,... das ist unser Glaube, was auch die Ver-

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leumdung gelogen; das ist die Lehre unserer Väter, was auch die Schriftgelehrten herausgedeutet! Als Gott die Welt erschuf, da schuf er den Mann und das Weib, nicht Herrn oder Knecht, arm oder reich, Jude oder Christ. Wenn unsere christlichen Brüder dieses oft vergessen, dann kommt es uns zu, sie mit Liebe an das Gebot der Liebe zu ermahnen - uns, die wir älter sind als sie, die wir ihre lehrer waren, die wir den einen und wahren Gott früher erkannt und der reinen Quelle der Menschheit näher stehen als sie."48 Börne schrieb und sprach liberal-jüdisch oder jüdisch-liberal, gleichviel: Er engagierte sich für Menschenrechte und Demokratie als Jude. Deren antisemitische Feinde haben das auszunützen verstanden, vom Reaktionär Wolfgang Menzel über die Nationalliberalen und Deutsch-Nationalen bis zu den Nationalsozialisten. Schon während der Verfassungsfeier von 1925 auf dem Hambacher Schloß war es in Neustadt zu antisemitischen Ausschreitungen seitens der SA gekommen. Die Kundgebung zum 100jährigen Jubiläum des Hambacher Festes bezeichnete die ,)NSZ-Rheinfront" schließlich - nur wenige Monate vor der Machtübergabe - als „jüdisch-demokratischen Bluff'". Dabei erging man sich in üblen antisemitischen Ausfällen, die den Lebenden wie den Toten, so z.B. ,,Ludwig Börne = Löw Baruch", dem Ehrengast von 1832, galten. 49 Ich frage und möchte damit ziemlich abrupt schließen, ob es nicht hoch an der Zeit wäre, in Neustadt eine Straße nach Ludwig Börne zu benennen: als ein Stück Wiedergutmachung und in Fortsetzung der Ehrung, die er zu Lebzeiten in Neustadt erfahren hat: als der brillanteste Publizist des deutschen Vormärz. Welche Straße es sein sollte? Ich könnte mir auch eine Umbenennung vorstellen, nämlich der Karl-Helfferich-Straße in Ludwig-Börne-Straße. Schon aus Anlaß des Harnbach-Jubiläums im Jahre 1922 hatte die USPD-Zeitung „Pfälzische Volkswacht" daran erinnert, daß ein Vorfahre des rabiat deutsch-nationalen und antisemitischen Politikers Helfferich Siebenpf eiffers Aufruf vom April 1832 unterschrieben hatte. Die bissige Glosse endete mit dem ironischen Satz: ,,Da ist doch der Apfel fern vom Stamm gefallen!" 50 Bloch ist beim Stamm des späteren Sozialisten Becker und dem des jüdischliberalen Börne schließlich und endlich geblieben. Auch er verdient also - auf dem Hambacher Schloß - Anerkennung und Ehrung. Mein Vortrag wollte keine einfache, aber doch entschiedene Hommage an den Philosophen der Hoffnung sem.

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1 Es handele sich beim folgenden um den nahezu unveränderten Text des Vortrags, den ich am 15.11.1997 im Hambacher Schloß gehalten habe, im Rahmen des von der Ernst-Bloch-Gesellschaft, der Harnbach-Gesellschaft und dem Ern~t'.-Bloch-Zentrum veranstalteten Kolloquiums „Bloch und Harnbach". (Für wichtige Hinweise dank~ ich Francesca Vidal und Claus-Peter Westrich.) 2

Zit. nach „Notizen. Tübinger Studentenzeitung", Okr. 1967, S. 15.

K. Carstens, Mahnung und Verpflichtung des Hambacher Festes, in: Bulletin der Bundesregierung, 3.06.1982, S. 447. 3

Zit. nach „Das Nationalfest der Demschen zu Harnbach. Unter Mitwirkung eines Redaktions-Ausschusses beschrieben von J. G. A. Winh", Neustadt a/H. 1832. Nachdruck der OriginalAusgabe, Neustadt an der Weinstraße 1981, S. 5. 4

5

Zit. nach ebd., S. 33/4.

6 A. Mechtersheimer, Das Hambacher Fest und die Friedensbewegung, m: Die Pfalz am Rhein. Mitteilungen des Bezirksverbandes Pfalz, Mai 1982, S. 157. 7

Ebd.

Th. Heuss, Festansprache, in: Instirut für staatsbürgerliche Bildung in Rheinland-Pfalz (Hg.), Schrift zur 125jährigen Wiederkehr 'der ersten politischen Volksversammlung' der neueren deutschen Geschichte, Mainz 1957. 8

9 G. Heinemann, zit. nach „Schon pflanzen sie frech die Freiheitsbäume. 150 Jahre Hambacher Fesr. Hg. von W. Rotthley und M. Geis", Neustadt an der Weinstraße 1982, S. 7.

10 Zit.

nach „Das Nationalfest", S. 39.

11 Vgl.

,,Schon pflanzen sie frech die Freiheitsbäume", S. 300.

12

Zit. nach ebd., S. 373.

13

Zir. nach ebd., S. 372.

14 E. Bloch, Kampf, nicht Krieg. Politische Schriften 1917-1919. Hg. von M. Korol, Frankfurt/M. 1985, S. 295.

15 Ebd. 16 Zit. 17

nach „Schon pflanzen sie frech die Freiheitsbäume", S. 372.

Vgl. ebd., S. 333.

Vgl. H. G. Haasis, Volksfest, Sozialer Protest und Verschwörung. 150 Jahre Hambacher Fest, Heidelberg 1981, S. 28. 18

19 In: 20

,,Schon pflanzen sie frech die Freiheitsbäume", S. 55.

Zit. nach ebd., S. 360.

21 Vgl.

u.a. H. G. Haasis, a.a.O., S. 122-24.

22

D. Schiffmann, in: ,,Schon pflanzen sie frech die Freiheitsbäume", S. 81.

23

Zit. nach: ,,Schon pflanzen sie frech die Freiheicsbäume", S. 58.

24

E. Schneider, in: ,,Schon pflanzen sie frech die Freiheitsbäume", S. 55/6.

J. Hannig, Vom Eigensinn der Freiheitsbäume. Frühliberale Bewegung und Volkskultur zur Zeit des Hambacher Festes 1832, in: R. van Dülmen (Hg.), Arbeit, Frömmigkeit und Eigensinn. Srudien zur historischen Kulturforschung, Frankfurr/M. 1990, S. 213. 25

26 Vgl. 27

D. Schiffmann, a.a.O., S. 73.

J. Hannig,

a.a.O., S. 213.

W. Herzberg, Das Hambacher Fest. Geschichte der revolutionären Bestrebungen in Rheinbayern, Ludwigshafen am Rhein 1908. Zentralantiquariat der Deutschen Demokratischen Republik, Leipzig 1974, S. 138-40. 28

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29

Zic. nach: ,,Schon pflanzen sie frech die Freiheitsbäume",

30 Vgl. 31 E.

37

S. 359 und 362.

H. G. Haasis, a.a.O., S. 77/8.

Schneider, a.a.O., S. 331/2.

32 Vgl.

ebd., S. 334.

33 Vgl. E. Bloch, Vom Hasard zur Katastrophe. Politische Aufsätze aus den Jahren 1934-1939, Frankfurt/M. 1972, S. 230 ff. und 351 ff.

34 Ebd.,

S. 118.

JS

Ebd.

36

E. Bloch, Erbschaft dieser Zeir, Frankfurt/M.

37

Zit. nach: ,,Notizen", Okt. 1967, S. 15.

1973, S. 21.

38 Zic. nach W. Maihafer, in: Ernst Bloch. Vier Ansprachen anläßlich der Verleihung des Friedenspreises des Demschen Buchhandels. Börsenverein des Deutschen Buchhandels e.V., Frankfurt/M. 1967, S. 44. 39

Vgl. E. Bloch, Vom Hasard zur Katastrophe,

S. 117 sowie ders., Kampf, nicht Krieg, S.

40

E. Bloch, Vom Hasard zur Katastrophe, S. 117/8.

41

Zit. nach: ,,Das Nationalfest", S. 84.

42

Zit. nach ebd., S. 36 und 35.

43

E. Bloch, Vom Hasard zur Katastrophe, S. 82.

295/6.

HEbd. Vgl. E. Bloch, Atheismus Frankfurt/M. 1968, S. 45 ff. '5

im Christentum.

Zur Religion des Exodus und des Reichs,

Vgl. z.B. A. de Benoist, Heide sein. Zu einem neuen Anfang. Die europäische Glaubensalcemative, Tübingen 1982. 46

47

Vgl. E. Schneider, a.a.O., S. 57.

48 Zit.

nach: ,,Schon pflanzen sie frech die Freiheitsbäume", S. 68/9

49 Vgl.

ebd., S. 339.

so Zit.

nach ebd., S. 335.

I. Geschichte des Liberalismus

Herfried Münkler

Protoliberalismus und Republikanismus in der italienischen Renaissance Auch wenn-'Liberalismus' nicht zu den scharf konturierten politischen Begriffen gehört und es nicht immer leicht fällt, exakt festzulegen, was dem Liberalismus noch zuzurechnen ist und was nicht mehr, so herrscht in der Forschung doch Konsens darüber, daß der Liberalismus als politische Bewegung dem 19. Jahrhundert entstammt und gemeinsam mit den komplementären politischen Strömungen des Konservatismus und Sozialismus unter dem Eindruck der tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen in Europa seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und als politische Antwort auf die Erfahrungen der Französischen Revolution entstanden ist. 1 In seinen begriffsgeschichtlichen Studien hat Reinhart Koselleck die Entstehung der modernen Bewegungsbegriffe Konservatismus, Sozialismus und Liberalismus, zu denen er auch Monarchismus, Demokratismus und Republikanismus rechnet, auf einen säkularen Prozeß der Temporalisierung der politischen Sprache zurückgeführt, in dessen Verlauf ähnliche, aber keineswegs deckungsgleiche politische Bindungen und Orientierungen vermittelst des Ismus-Suffixes auf einen gemeinsamen Nenner gebracht wurden, um als politische Bewegungen in die Konflikte moderne-r Gesellschaften eingreifen zu können. Die selbstreferentielle Temporalisierung politischer Leitvorstellungen diente hierbei als Ausgleich für Unterschiede in den gelebten politischen Bindungen der potentiellen Politikakteure. Koselleck hat darum auch von „temporalen Kompensationsbegriffen" gesprochen, in denen „proportional zur fehlenden Erfahrung die Erwartung an die kommende Zeit um so größer wird". 2 Diese Spaltung von Erwartung und Erfahrung ist für Koselleck das Signum der Moderne, das in allen auf das Ismus-Suffix endenden Bewegungsbegriffen seinen Ausdruck findet. 3 Sie treten an die Stelle der aristotelischen Verfassungstypologie, in der nach dem Modell eines Sechsfelderschemas in quantitativer Abfolge zwischen der Herrschaft eines Einzigen, der Herrschaft Einiger und der Herrschaft Vieler unterschieden und diese Unterscheidung in qualitativer Hinsicht in eine am Wohl der Allgemeinheit oder an den Interessen der jeweils Herrschenden orientierte Art der Herrschaftsausübung differenziert worden war. Der Monarchie, definiert als der Herrschaft eines Einzigen, die am Wohl der Allgemeinheit orientiert ist, stand dementsprechend die Tyrannis als die an den Eigeninteressen orientierte Herrschaft eines Einzigen gegenüber, auf der Ebene der Einigen entsprach dem die Kontrastierung von Aristokratie und Oligarchie und

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auf der Ebene der Vielen die Gegenüberstellung von Politie und Demokratie bzw. Demokratie und Ochlokratie: 1 Koselleck sieht nun die entscheidende Differenz zwischen der aristotelischen, Verfassungstypologie und den neuzeitlichen Bewegungsbegriffen darin, daß er;:;tere auf endliche Möglichkeiten menschlicher Selbstorganisation gezielt habe, während letztere eine neue Zukunft und eine unendliche Vielfalt neuer Verfassungslagen heraufzuführen beanspruchen, und in diesem Sinne stehen sich die aristotelische Verfassungstypologie sowie ihr analoge politische Ordnungsschemata auf der einen und die modernen Bewegungsbegriffe auf der anderen Seite diametral gegenüber. Noch die politischen Theoretiker der Renaissance haben, gleichgültig ob sie eher Anhänger der Republik oder der Alleinherrschaft (Signoria) waren, die politischen Ordnungen ihrer Zeit in der Begrifflichkeit der aristotelischen Verfassungstypologie oder zumindest ihr analoger, zumeist weniger komplexer Schemata beschrieben, wie etwa dem von Republik und Alleinherrschaft, und kaum etwas hätte ·ihnen ferner gelegen als der Rekurs auf Bewegungsbegriffe, die erst im 19. und 20. Jahrhundert zur Leitidee sozio-politischer Selbstbeschreibung geworden sind. Es stellt sich also die Frage: Macht es unter diesen Umständen überhaupt Sinn, im Hinblick auf die Renaissance in Italien von Republikanismus und Protoliberalismus zu sprechen bzw. nach ihnen zu suchen? Folgt man den Überlegungen Kosellecks, so handelt es sich dabei um mehr als einen bloßen Anachronismus, bei dem in einer Epoche nicht mehr oder noch nicht gebräuchliche Begriffe zu deren Analyse verwandt werden, sondern die aristotelische Verfassungstypologie und die moderne Bewegungsbegrifflichkeit stehen für einander konträre Modi sozio-politischer Selbstbeschreibung, die durch eine Epochenzäsur - Koselleck spricht von Sattelzeit - voneinander getrennt sind. Danach ist es nicht nur unproduktiv und unergiebig, sondern auch falsch und irreführend, die Epoche der Renaissance, also das 15. und frühe 16. Jahrhundert, mit Hilfe der selbstref eremiellen Bewegungsbegriffe der Moderne analysieren zu wollen. Bevor jedoch das Kapitel Republikanismus und Protoliberalismus in der italienischen Renaissance auf der Basis dieses Bescheides geschlossen wird, sind erst noch einige für eine starke Theorie der Epochenzäsur und der Inkommensurabilität ihrer Selbstbeschreibungen irritierende Befunde festzuhalten: zunächst der, daß weder das 19. noch das 20. Jahrhundert sich in seiner Selbstbeschreibung allein auf eine selbstreferentielle Bewegungsbegrifflichkeit beschränkt hat, sondern der herkömmlichen Verfassungstypologie entlehnte Begriffe, wie etwa Demokratie, Oligarchie oder auch Tyrannis, in der politisch-sozialen Sprache nach wie vor eine prominente Rolle spielen und bis heute nicht absehbar ist, daß sie demnächst daraus verschwinden werden. Natürlich kann man sich dieser Feststellung dadurch entziehen, daß man die fortwährende Verwendung dieser Begriffe auf die Trägheit der politisch-sozialen Sprache zurückführt und sie, wie Niklas Luhmann dies etwa mit den Leitunterscheidungen des Ganzen und seiner Teile oder der von Politik und Ethik getan hat, einer der modernen Gesellschaft zwar inadäquaten, zu ihrer politischen Selbstvergewisserung aber offenbar unersetzli-

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chen alceuropäischen Semantik zurechnet. 5 Man müßte also - was Luhmann selbst explizit nicht getan hat, was aber durchaus in der Logik seiner Argumentation angelegt ist - auf die Leitdifferenz zwischen Demokratie und Tyrannis bzw. Diktatur verzichten oder sie auf Begriffe im Zwielicht politischer Selbstverständigungsprozesse ohne jede wissenschaftliche Dignität reduzieren, um sich dieses Einwandes entledigen zu können. Da nach dem Ende der Blockkonfrontation, das verschiedentlich als 'Ende der Geschichte' und damit als Obsoleszenz einer selbstreferentiellen Bewegungsbegrifflichkeit bezeichnet worden ist, 6 gerade die in den Ismus-Suffixen zum Ausdruck gebrachte Offenheit der Zukunft und die unendliche Möglichkeit der Verfassungslagen fraglich geworden ist und statt dessen in der politischen Sprache verfassungstypologische Terminologien wieder neue Bedeutung für die Selbstbeschreibung der (westlichen) Gesellschaften erhalten haben, liegt die Vermutung nahe, daß in der These von der tiefen Epochenzäsur, durch die Alteuropa von der Modeme getrennt sein soll, einmal mehr Veränderungen in der Selbstbeschreibung von Gesellschaften überzeichnet und dramatisiert worden sind, die mit wachsendem Abstand wieder relativiert werden. Gestützt auf diese Vermutung soll hier die Frage nach Republikanismus und Protoliberalismus in der italienischen Renaissance also nicht von vornherein als unzulässig abgewiesen, sondern ihr etwas eingehender nachgegangen werden. Neben der fortdauernden Verwendung verfassungstypologischer Begriffe in der Ära selbstreferentieller Bewegungsbegrifflichkeit hinaus ist zunächst noch eine weitere Überspringung der Epochenzäsur festzuhalten, und zwar die Ausbildung liberaler Vorstellungen von politischer Ordnung schon lange vor dem Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert. Gemeint sind damit die Theorien des Gesellschaftsvertrages, in denen vermittelst der historischen Fiktion des Naturzustandes die Grenzen der Verfügung des politischen Verbandes bzw. des Souveräns als dessen Repräsentant über das Individuum normativ entfaltet worden sind. 7 Auch wenn in den einschlägigen Textsammlungen zum Liberalismus in der Regel John Locke als erster liberaler Denker im Sinne dieser Gesellschaf tsvertragstheorien aufgeführt wird,8 so ist in ideengeschichtlicher Hinsicht doch Lokkes Gesellschaftsvertragstheorie ohne die ihr vorangegangene Theorie des Thomas Hobbes nicht denkbar, denn Hobbes war es, der erstmals in dieser klaren Form Natur- und Gesellschaftszustand als zwei prinzipiell divergente Formen menschlichen Lebens einander gegenüberstellte und sie durch die Konstruktion eines Vertrages als Verbindungsglied miteinander verband: 9 Ursprünglich mit dem Recht auf alles ausgestattet, gerät der einzelne Mensch gerade infolge dieses unbeschränkten Rechts auf alles mit seinesgleichen in Widerspruch und Konflikt, und er kann den daraus resultierenden, mit Tötungsbereitschaft und Todesgefahr verbundenen Konflikt nur durch einen Vertrag beenden, in dem er auf sein ursprüngliches Recht auf alles verzichtet. Der Antrieb, diesen Gesellschaftsvertrag (der bei Hobbes gleichzeitig ein Herrschaftsvertrag ist) abzuschließen, ist die Angst vor dem gewaltsamen Tod, und so ist der Souverän im Hinblick auf den Vertragszweck verpflichtet, das Leben der Untertanen zu achten und zu schützen. Konkret heißt das, daß er sie nicht zum Kriegsdienst ausheben oder gar

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hierzu zwingen darf, sondern sich bei der Führung von Kriegen auf in Privatverträgen angeworbene Soldaten zu stützen hat. Immerhin aber darf er, um diese Soldaten anwerben und besolden zu können, nach seinem Gutdünken von seinen Untertanen Steuern eintreiben. Die ersten Grenzen der Verfügung des politischen Verbandes über den Einzelnen sind damit gezogen, und die anschließenden Gesellschaftsvertragstheorien konnten sich darauf konzentrieren, diese Grenzen vorzuverlegen, so daß nicht nur das Leben, sondern auch das Eigentum und dann die Freiheit des Einzelnen unter den Schutz des Staates gestellt wurden. In diesem Sinne markiert die Vertragstheorie des Thomas Hobbes den Anfang eines liberalen politischen Denkens. Dabei soll unter liberalem Denken eine politische Theorie verstanden werden, in der das Individuum und nicht die politische Gemeinschaft den systematischen Ausgangspunkt der Überlegungen darstellt; dem soll hier ein als republikanisch bezeichnetes Denken gegenübergestellt werden, bei dem die Akzente genau umgekehrt gesetzt sind: Hier steht die politische Gemeinschaft im Mittelpunkt der Überlegungen und sie bildet in der Regel auch deren systematischen Ausgangspunkt, auf den hin dann die Rolle und Funktion der Einzelnen innerhalb des politischen Verbandes bestimmt werden. Die Alternative zwischen republikanischem und liberalem politischen Denken ist also zunächst keine unterschiedliche Präferierung von Staatsformen oder divergente Wertschätzung von Traditionen bzw. Veränderungen, sondern eine unterschiedliche theoretische Grundlegung der politischen Ordnung, vor allem hinsichtlich der Begründung bürgerlicher Rechte und Pflichten. 10 In diesem Sinne sind bei den Vertragstheoretikern seit Hobbes die Rechte des Individuums das zeitlich wie systematisch Vorgängige, aus dem dann erst die Verpflichtungen gegenüber anderen wie der Gemeinschaft abgeleitet werden, während im republikanischen Denken herkömmlicherweise die Pflichten mit den Rechten der Bürger gleichursprünglich sind, wenn sie nicht gar vor ihnen rangieren und als Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Rechten begriffen werden. Dementsprechend lassen sich ein liberaler und ein republikanischer Begriff der Freiheit voneinander unterscheiden, die man vielleicht im Anschluß an Isaiah Berlin als negative und als positive Freiheit bezeichnen kann. 11 Freiheit im negativen Sinne, Freiheit wovon, ist zentral für das liberale Denken, und sie kann hier als bürgerliche Sekurität präzisiert werden; Freiheit im positiven Sinne, Freiheit wozu, ist zentral für das republikanische Denken, und sie soll hier als bürgerschaftliche Partizipation bezeichnet werden. Das liberale Denken versteht unter Freiheit also wesentlich den Anspruch eines jeden Einzelnen auf Sicherung des Lebens, des Eigentums und der Rechte gegenüber ihrer Bedrohung durch Andere wie durch die Staatsmacht selbst; für das republikanische Denken dagegen bezeichnet Freiheit die Möglichkeit zur Teilhabe an der Gestaltung des Zusammenlebens als Freie und Gleiche und die gemeinsame Verteidigung dieser Lebensform gegen alle von innen wie außen kommenden Bedrohungen und Gefahren. Im liberalen Denken ist Freiheit demnach ein wesentlich individuelles Gut, das nur in der Aufsummierung der Individuen als kollektives Gut gefaßt werden kann; im re-

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publikanischen Denken hingegen ist Freiheit wesentlich ein kollektives Gut, an • dem die der politischen Gemeinschaft Angehörenden partizipieren. Um aber an der Freiheit als kollektivem Gut partizipieren zu können, müssen die Büger sich auch an den Aufgaben und Pflichten bei der Sicherung und Verteidigung der Freiheit beteiligen, weswegen im republikanischen politischen Denken die, Partizipationsrechte immer durch Partizipacionspflichten, zumindest aber durch Partizipationserwartungen ergänzt und vervollständigt werden. In der Literatur wird verschiedentlich die Auffassung vertreten, spätestens mit Beginn der Modeme sei das, was hier als republikanisches politisches Denken bezeichnet wird, mitsamt der ihm zugerechneten Freiheitskonzeption durch das liberale Denken und die ihm zugehörige Freiheitskonzeption abgelöst worden. Damit sei selbstverständlich nicht ausgeschlossen, daß es nach wie vor ein republikanisches Denken gebe, nur sei dieses in normativer wie deskriptiver Hinsicht hoffnungslos veraltet und stelle bloß eine immer noch forrexistierende, längst nur noch nostalgische politische Rhetorik dar, die für das Funktionieren moderner Gesellschaften und ihrer politischen Institutionen eigentlich verzichtbar sei. Republikanisches und liberales politisches Denken werden hier gemäß dem Modell einer historischen Ablösung der Epochen so periodisiert, daß sie für unterschiedliche Entwicklungsstadien der Gesellschaft adäquate Selbstbeschreibungen der sozio-politischen Ordnung (gewesen) sind. Die Entscheidung über Veralterung und Ablösung erfolgt danach gemäß der jeweiligen Adäquatheit der Selbstbeschreibungen, und über die verfügt im Prinzip derjenige, der die Inadäquatheit behauptet. Gegen dieses Veralterungs- und Ablösungsmodell im Verhältnis von republikanischem und liberalem Denken kann aber auch eine Parallelitäts- und Gleichzeitigkeitsbeziehung von republikanischem und liberalem Denken behauptet werden, derzufolge seit dem Reflexivwerden politischer Ordnung im Griechenland des 5. vorchristlichen Jahrhunderts beide Varianten des Denkens freiheitlich verfaßter politischer Ordnungen nebeneinander hergelaufen und je nach Rahmenbedingungen und historischen Gegebenheiten in unterschiedlicher Weise hergevortreten sind. In diesem Sinne können dann auch die Debatten der letzten zwanzig Jahre zwischen Kommunitaristen und Kontraktualisten als jüngste Kontroverse zwischen liberalen und republikanischen Vorstellungen der politischen Ordnung gefaßt werden. 11 Welche der beiden Konzeptionen der soziopolitischen Ordnung und der Freiheit jeweils dominant ist oder in den Hintergrund tritt, hat danach nicht entscheidend mit Adäquatheit oder Inadäquatheit gegenüber den jeweiligen sozio-politischen Verhältnissen, sondern mit den politischen Rhetoriken und semantischen Strategien beider Konzeptionen zu tun, die Entwicklungen mehr oder weniger kohärent erfassen und bezeichnen können. Danach hat zunächst die republikanische Konzeption dominiert, bis dann zeitweilig diese Dominanz auf das liberale Denken übergegangen und das republikanische Denken in eine Position der Marginalität geraten ist. Aber die Dominanzposition ist und bleibt umstritten, und Vorstellungen, die zeitweilig marginal waren, können sehr wohl wieder dominant werden. Nicht Veralterung und Ablösung, sondern Dominanz und Marginalität bilden hier die

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Leitbegiff e bei der Beschreibung des Verhältnisses von republikanischem und liberalem Denken. Und selbstverständlich ist hierbei auch ein Gleichgewicht zwischen den Elementen eines liberalen und eines republikanischen Denkens möglich. Die These, die nachfolgend etwas ausführlicher dargelegt werden soll, lautet dementsprechend, daß in der italienischen Renaissance, in ihrer Gesamtheit betrachtet, eher von einem Gleichgewicht als von einer Dominanz-Marginalitäts-Beziehung zwischen republikanischem und protoliberalem Denken gesprochen werden kann, wobei die genauere Betrachtung einzelner Territorialund Stadtstaaten jedoch zu einer differenzierteren Sichtweise führt: So haben in Florenz beispielsweise zu Beginn des 15. Jahrhunderts republikanische Elemente die politische Selbstbeschreibung des Stadtstaates dominiert, 13 während sie in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts mehr und mehr zugunsten protoliberaler Elemente zurückgetreten sind. Die ersten zwei bis drei Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts, als die Verfassung der Stadt mehrfach von der Republik zur faktischen Signorie, freilich unter formalrepublikanischer Fassade, und wieder zurück zu Republik hin- und herschwankte, 14 waren zugleich eine Zeit intensiver Kontroversen um den Vorrang eines eher liberalen oder stärker republikanischen Freiheitsverständnisses, als dessen theoretische Hauptvertreter auf Seiten des Republikanismus Niccolo Machiavelli und auf Seiten des Protoliberalismus Francesco Guicciardini zu nennen sind. 15 Wenn hier nun mit Blick auf die italienische Renaissance, insbesondere die politische Selbstbeschreibung von Florenz im 15. und frühen 16. Jahrhundert, von Republikanismus und Protoliberalismus die Rede ist, dann darum, weil 'Republik' ein zeitgenössischer Begriff der Renaissance war, während 'liberal' in der politischen Sprache der Renaissance nicht vorkommt. Wenngleich terminologisch die Selbstreferentialisierung der Republik mir Hilfe des Ismus-Suffixes in der politischen Sprache der Renaissance fehlt, da, mit Koselleck gesprochen, die geschichtsphilosophischen Grundlagen dafür nicht vorhanden waren, hat doch das an der klassischen Antike orientierte Modell der Republik als Focus politischer Orientierungen und Gruppenbildung gedient. Was für den Republikanismus im Koselleckschen Sinn das moderne Fortschrittsbewußtsein ist, ist für den Republikanismus der Renaissance die Orientierung am Rom der republikanischen Zeit: Der gegenwärtige Erfahrungsraum wird nicht durch die Horizonte einer er-c.eJa1tetenZukunft, sondern die Muster einer literarisch vermittelten Erinnerung strukturiert. Und so wie im Fall der Moderne die politischen Auseinandersetzungen um das von der Zukunft zu Erwartende geführt werden, dreht sich in der Renaissance die politische Kontroverse um die Frage, ob das römische Beispiel tatsächlich vorbildlich zu sein hat, wie Salutati, Bruni, Machiavelli und andere Republikaner in Florenz meinen, oder ob die bedingungslose Orientierung daran in den politischen Abgrund führt, wie etwa Guicciardini, Vettori und andere dagegen eingewandt haben. So heißt es bei Guicciardini: ,,Es ist grundfalsch, die Römer in jedem Satz zu zitieren; denn eine Stadt, die nach Roms Beispiel gelenkt werden sollte, müßte auch die gleichen Lebensbedingungen besitzen. Wo diese jedoch abweichen, da ist die Übertragung der römischen Gesetze genau so

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unangebracht wie der Versuch, einem Esel die Gangart der Pferde beizubringen."16 Statt auf das römische hat Guicciardini zunächst auf das venezianische Beispiel als politisches Vorbild verwiesen, was im Hinblick auf die Florentiner Verfassung hieß, daß er Machiavellis auf die breite Schicht des Kleinbürgertums gestützten Republikanismus durch eine Republik des Großbürgertums der Stadt ersetzt wissen wollte, weil er nur dann seine protoliberalen Vorstellungen von bürgerlicher Sekurität für gesichert hielt; als sich schließlich herausstellte, daß eine solche Republik des städtischen Patriziats keine stabile Basis besaß, sondern immer wieder zur Radikalisierung neigte, daß der, in zeitgenössischer Terminologie, governo stretto notorisch in den governo largo umschlug, wie dies nicht nur 1494, sondern erneut 1527 der Fall gewesen ist, war Guicciardini bereit, um seiner protoliberalen Grundorientierung willen die Republik zugunsten der Alleinherrschaft eines Medici dranzugeben - wenn dieser denn nur bereit und in der Lage war, die Grundbedingungen eines liberalen bzw. protoliberalen Freiheitsverständnisses zu gewährleisten. Genau dies schien im Falle der kleinbürgerlich dominierten Republik nicht garantiert zu sein. Um der bürgerlichen Sekurität willen ist Guicciardini bereit gewesen, auf die bürgerschaftliche Partizipation zu verzichten. 17 Diese Debatte um den Vorrang von bürgerlicher Sekurität oder bürgerschaftlicher Partizipation, die hier als eine zwischen republikanischer und protoliberaler Grundorientierung gefaßt worden ist, hat ihren Ausgang genommen mit der humanistischen Rezeption der von Aristoteles in der Nikomachischen Ethik wie der Politik aufgeworfenen, zuletzt aber nicht abschließend beantworteten Frage, was die höchste und beste Form menschlichen Lebens sei, der bios theoretikos oder der bios politikos bzw. - in der Sprache des Humanismus - die vita activa oder die vita contem.plativa. Daß dies die Frage nach der Bedeutung politischer Partizipation für das Gelingen menschlichen Lebens oder aber die Eröffnung von Rückzugsmöglichkeiten aus den Verpflichtungen des Gemeinwesens und die Zulassung politikfreier Räume war, hat Aristoteles in kontrastiver Gegenüberstellung beider Auffassungen deutlich herausgearbeitet: ,,So meinen die einen", referiert er die eine Auffassung, die im hier verhandelten Zusammenhang wohl als proroliberal zu bezeichnen ist, ,,seine Nächsten zu beherrschen sei, wenn es despotisch geschieht, eine der größten Ungerechtigkeiten, wenn es aber verfassungsmäßig geschieht, so sei es zwar nicht ungerecht, hindere aber das eigene Wohlergehen." 18 Bürgerschaftliche Partizipation führt danach unmittelbar in ein unauflösbares ethisches Dilemma hinein: Befördere man dadurch das eigene Wohlergehen, was unter den Bedingungen der Despotie sehr wohl möglich sei, so handele man ungerecht; orientiere man sich hingegen an den Regeln der Verfassung, handele also als Bürger (.polites) und nicht als Herr (despotes), so vernachlässige man das eigene Wohlergehen und schade sich dadurch selbst. Die solcherart bezeichnete Problemkonstellation insinuiert eine eindeutige Schlußfolgerung: Wenn bürgerschaf tliche Partizipation so hohe moralische oder ökonomische Kosten zur Folge hat, sollte man sie meiden und danach trachten, sich in eine bürgerliche Sekurität zurückzuziehen, die durch einen wohlmeinenden

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Herrn garantiert wird. Das Problem bestand einzig und allein darin, diesen zu finden bzw. einen nicht wohlmeinenden Herrn durch entsprechende institutionelle Regelungen so zu binden, daß.,-ersich verhielt, als ob er wohlmeinend wäre. Wo dies theoretisch ausformuliert/wird, kann man vom Übergang des Protoliberalismus zum Liberalismus sprechen, und der Ort dieser Ausformulierung sind die Theorien des Gesellschaftsvertrags. Aristoteles hat den Einwand gegen diese protoliberale Vorstellung von politischer Ordnung anschließend referiert, und der lautet: ,,Ihnen stehen andere mit ihrer Meinung geradezu gegenüber: das praktische und politische Leben sei das einzige für einen Mann. Denn bei jeder einzelnen Tugend gebe es für den Privatmann nicht mehr Betätigungen als für den, der in der Gemeinschaft tätig sei und Politik treibe. Die einen haben also diese Ansicht, die anderen halten die despotische und tyrannische Form der Verfassung für die einzig glückliche." 19 Der Einwand gegen einen protoliberalen Rückzug aus der bürgerschafdichen Partizipation, den Aristoteles hier vorträgt, ist also ein doppelter: Zunächst wird in Zweifel gezogen, daß menschliche Selbstverwirklichung am ehesten und am zuverlässigsten außerhalb der politischen Sphäre zu finden sei; sodann wird gegen die Verweigerung bürgerschaftlicher Partizipation grundsätzlich geltend gemacht, durch sie werde das Gemeinwesen den Despoten und Tyrannen ausgeliefert. - Aristoteles konnte nicht zuletzt darum zum Bezugspunkt aller späteren Debatten über diese Frage werden, weil er sich selbst nicht eindeutig und abschließ end festgelegt hat: Im Übergang von der Epoche der Stadtstaaten mit einem hohen Grad bürgerschaftlicher Partizipation an der Regelung der die Gemeinschaft betreff enden Fragen zu den Großreichen des Hellenismus mit ihren spezialisierten, dem Reihendienst der Bürger entzogenen Erfüllungstäben hat er die den beiden Ordnungsmodellen korrespondierenden Argumentationen vorgetragen und miteinander kontrastiert; in der Forschungsliteratur zu Aristoteles konnte daraus ebenso eine Höherschätzung des politischen wie des theoretischkontemplativen Lebens herausgelesen werden. 20 So konnten auch die Humanisten der Renaissance sich bei ihrer Debatte um den Vorrang des tätigen gegenüber dem kontemplativen Leben mehr oder minder auf Aristoteles und die bei ihm vorgetragenen Argumente beziehen. In gewisser Hinsicht hat Machiavelli direkt an den von Aristoteles referierten Einwand gegen den Rückzug aus der Politik ins Private angeknüpft, als er den Einfluß der christlichen Religion bzw. ihrer spezifischen Auslegung für den Niedergang der italienischen Stadtrepubliken und den Aufstieg der Tyrannen verantwortlich gemacht und damit zugleich erklärt hat, warum es allen Mühen und Anstrengungen zum Trotz nicht gelungen sei, in den italienischen Stadtrepubliken an das römische Vorbild anzuknüpfen. So schreibt er in den Discorsi: ,,Unsere Religion hat mehr die demütigen und in Betrachtung versunkenen Menschen verherrlicht als die tatkräftigen. Sie sieht das höchste Gut in Demut, Selbstverleugnung und in der Geringschätzung der weltlichen Dinge. Die Religion der Alten dagegen sah es in der Größe des Muts, in der Kraft des Körpers und überhaupt in allen Eigenschaften, die die Menschen möglichst tapfer machen." 21 ' f

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Machiavelli hat hier, pointiert formuliert, der zeitgenössischen Diskussion über Sinn und Nutzen politischen Engagements eine religionstheoretische Begründung gegeben: In den religiösen Grundüberzeugungen der Menschen ließ sich danach eine Erklärung (unter anderen) dafür finden, warum die Idee der Republik in den italienischen Stadtstaaten der Renaissance fragiler war als in den Stadtstaaten der Antike. Zugleich hat Machiavelli über die Erklärung der politischen Konstellationen im Florenz seiner Tage hinaus 22 das Vordringen protoliberaler Vorstellungen vom Rückzug aus der bürgerschaftlichen Partizipation in die bürgerliche Sekurität für eine in seiner Sicht grundsätzlich verhängisvolle Entwicklung der politischen Geschichte verantwortlich gemacht: ,,Wenn auch unsere Religion fordert, daß man stark sei, so will sie damit mehr die Stärke des Duldens als die der Tat. Diese Regel hat, wie mir scheint, die Weltgeschichte den Bösewichten ausgeliefert, die ungefährdet ihr Unwesen treiben können; denn sie sehen, daß die große Mehrheit der Menschen, um ins Paradies einzugehen, mehr darauf bedacht ist, Schläge zu ertragen als zu rächen." 23 Wie nun sah die protoliberale Argumentation aus, gegen die Machiavelli den Vorwurf erhob, in ihrem Gefolge sei die Weltgeschichte den Bösewichten ausgeliefert worden. Erstmals faßbar wird sie in einem fiktiven Brief, den Francesco Petrarca an Cicero gerichtet hat und in dem er ihm das Engagement für die Republik, das schließlich in Ciceros Ermordung endete, als nicht bloß vergeblich, sondern auch als töricht vorhielt, weil er darin seine Berufung als Philosoph verfehlt habe. Bemerkenswerterweise taucht in Petrarcas fiktivem Brief an Cicero auch die Bemerkung auf, er habe durch sein politisches Engagement obendrein auch noch das ewige Leben als Ziel des irdischen Lebens verfehlt: ,,Welch falscher Ruhmesglanz hat dich, den Greis, in den Krieg der Jugend hineingerissen, durch alle Wechselfälle des Schicksals gejagt und schließlich in den für einen Philosophen so unwürdigen Tod getrieben? Ach, wie viel dienlicher wäre es gewesen, zumal für einen Philosophen, wärest du in Ruhe auf dem Land alt geworden und hättest über jenes ewige Leben, (...) nicht über dieses doch so geringfügige Leben nachgedacht, hättest du nicht nach consularischen fasces, nicht nach Triumphen getrachtet, hätten nicht Leute wie Catilina deinen Stolz auf gebläht. "24 Was sich zunächst als philosophischer Eskapismus ausnimmt, wie er bei Petrarca seit dem politischen Scheitern Cola di Rienzos und seiner in dessen Projekt einer renovatio Romae gesetzten Hoffnungen vermehrt anzutreffen ist,25 wird durch die psychologisierende Kritik an Ciceros Handeln zum prinzipiellen Einwand gegen alle Formen bürgerschaftlichen Engagements, denen vorgeworfen wird, hinter ihnen steckt zuletzt nichts als lasterhafte Bestrebungen, wie die Gier nach Ruhm und Macht. Gegen diese psychologisierende Infragestellung politischen Engagements war Machiavellis These gerichtet, Politikabstinenz, und sei sie auch durch das Christentum bzw. dessen vorherrschende Auslegung gedeckt, habe die Weltgeschichte den Bösewichten ausgeliefert. Den unvermeidlichen Zwang zu unehrenhaften und ungerechten Handlungen hat der Florentiner Bankier und Großkaufmann Giovanni Rucellai in einem Brief an seine Söhne als wichtigstes Argument für seine Forderung nach Distanz

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gegenüber den öffentlichen Angelegenheiten geltend gemacht: ,Jch würde euch nicht raten, Ämter und politischen Einfluß zu suchen und zu begehren. Es gibt nichts, was ich für geringer erachte oder was mir weniger ehrenhaft zu sein scheint, als in öffentliche Angelegenheiten verwickelt zu sein (...), wegen der Gefahren, den unehrenhaften Handlungen, den Ungerechtigkeiten (...) und weil sie weder verläßlich noch dauerhaft sind." 26 Hinter diesem Ratschlag stehen die konkreten Erfahrungen Rucellais mit der Florentiner Politik; während er als Geschäftsmann zumeist erfolgreich agierte und als Kunstmäzen in seiner Vaterstadt hochgeachtet war, haben ihm die politischen Angelegenheiten selten Glück gebracht: Durch seine Heirat mit Jacopa Strozzi im Jahre 1428, der Tochter Palla Strozzis, des damals wohl mächtigsten und reichsten Mannes in Florenz, schienen ihm alle Möglichkeiten off enzustehen, aber dann wurde sein Schwiegervater als Parteigänger der Albizzi im Gefolge der Rückkehr Cosimo de'Medicis nach Florenz im Jahre 1434 in die Verbannung geschickt, und Giovanni Rucellai blieb fast drei Jahrzehnte von den politischen Ämtern in Florenz ausgeschlossen. Nur allmählich war ihm die Annäherung an den nunmehr dominierenden MediciClan gelungen, womit ihm der Zugang zum inneren Zirkel der Florentiner Politik wieder offenstand. 27 Wenn Rucellai seinen Söhnen dennoch so eindringlich davon abriet, nach öffentlichen Ämtern und politischem Einfluß zu streben, dann sicherlich auch darum, weil er die Ungewißheit politischer Karrieren und die Launenhaftigkeit politischen Glücks zuvor kennengelernt und offenbar eine klare Vorstellung davon hatte, daß sich dagegen nur durchzusetzen vermochte, wer zu unehrenhaften und ungerechten Handlungen bereit war. Da war es besser, sich auf mäzenatische Projekte zu konzentrieren, solcherart zum Ruhm der Vaterstadt beizutragen und sich so ein Denkmal zu setzen: Nach den Entwürfen Albertis ließ Rucellai die Fassade von S. Maria Novella in Florenz mit polychromen Marmorinkrustationen verkleiden, um so seinen Beitrag dazu zu leisten, daß, wie er in seinen Zibaldone betitelten Aufzeichnungen schrieb, Florenz die schönste und, vornehmste Stadt der Weh wurde. Giovanni Rucellai kann als der Inbegriff protoliberaler Vorstellungen im Florenz der Renaissance angesehen werden. 28 Daß Giovanni Rucellais Vorstellungen von der wohltuenden Politikabstinenz Mitte des 15. Jahrhunderts in Florenz weit verbreitet waren, zeigt die Debatte, die Leon Battista Alberei im 3. Buch seiner Schrift Della famiglia Gianozzo, den Verächter politischen Engagements, und Lionardo, den Verteidiger bürgerschaftlicher Partizipation, hat führen lassen: Gianozzo beschreibt das politische Leben als „ein höchst beschwerliches Dasein, voller Argwohn, Plagen und vor allem voller Knechtesdienst", kurzum als eine Form des Selbstverlustes der Menschen, die zur Folge habe, daß zwischen dem politischen Leben und dem Sklavendienst an der Allgemeinheit kein Unterschied mehr gemacht werden könne.29 Breit läßt Alberti seinen Gianozzo die geläufige Auffassung vortragen, wonach Politik den Charakter verderbe bzw., ärger noch, es eigentlich nur bereits verdorbene Charaktere in die Politik.treibe. Wenn nicht ein jeder den Wahn der politischen Ehren durchschaue und dieses Elend flehe, so komme dies daher,

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daß politische Tätigkeit „die einzige Knechtschaft ist, die in eine Art Ehre gekleidet erscheint. Aber wie verrückt sind die Menschen, die so großen Wert darauf legen, unter dem Vorantritt von Trompetern einherzuschreiten und mit dem Stab in den Händen, daß ihnen die häusliche Ruhe und der wahre Seelenfrieden nicht lieber ist? Ihr Narren in eurer Eitelkeit, eurer Anmaßung, ja Tyrannei, ihr entschuldigt euer Laster damit, daß ihr nicht dulden könnt, daß andere, die weniger reich sind, aber vielleicht länger eingesessene Bürger als ihr, euch gleichgestellt sind, wie es doch billig ist; daß ihr nicht leben könnt, ohne den Schwächeren Gewalt anzutun, und deshalb ist es euch um eine Stellung im Staate zu tun." 30 Albertis literarische Figur Gianozzo, deren Position sicherlich nicht mit den Überzeugungen Albertis selbst gleichgesetzt werden darf, 31 steht am Anfang einer in der Moralistik des 16. und 17. Jahrhunderts dann breit ausgeführten Kritik an der psychischen Verfassung derer, die es nach der Übernahme öffentlicher Ämter und politischer Aufgaben drängte. Mit den Mitteln psychologisierender Kritik, u.a. bei Montaigne, Gracian und La Rochefoucault, ist der republikanischen Forderung nach bürgerschaftlichem Engagement für das Gemeinwohl der Boden entzogen worden. 32 Der protoliberale Politikdiskurs hat das Feld für den Rückzug in die bürgerliche Sekurität vorbereitet, indem er die ethische Überlegenheit des Engagements für die Allgemeinheit gegenüber der Orientierung an den eigenen Interessen und dem Rückzug ins Private bestritten hat, und nichts ist dabei wirksamer, als die Redlichkeit der Motive politischen Engagements in Frage zu stellen. So läßt Alberei Gianozzo erklären: „0 viehische Unvernunft! Abscheu verdient ihr, wenn ihr eure Lust habt an all dem Widersinn, der Plackerei, die über jeden hereinbricht, der ein Amt in der Staatsverwaltung hat! Und was für eine Herzenslust kann einer überhaupt empfinden, wenn er nicht von Natur aus roh und viehisch ist, der ununterbrochen den Beschwerden, den Klagen, dem Jammern von Witwen und Waisen, von Elenden, vom Unglück verfolgten Menschen sein Ohr leihen muß? Wie kann derjenige Befriedigung finden, der den ganzen Tag Gehör geben muß und sich zugleich in Acht nehmen vor zahllosen Banden von Gaunern, Betrügern, Spionen, Räubern, Leuten, die zu jeder Falschheit und Schandtat fähig sind?" 33 Dagegen stellt Gianozzo die Forderung: ,,Meine lieben Kinder, bleiben wir auf ebener Erde, geben wir uns Mühe, tüchtig zu sein und redlich zu haushalten. Leben wir vergnügt im kleinen Kreise unserer Familie, erfreuen wir uns der Güter, die das Glück uns spendet, und lassen wir unsere Freunde daran teilnehmen; denn wer ohne Tadel und Schande lebt, der findet sich geehrt genug!" 3-1 Wenn Alberti dieser Sichtweise so großes Gewicht beigemessen hat, so zeigt dies, wie verbreitet diese im Jahre 1434, als er die ersten drei Bücher von Della famiglia schrieb - es ist zugleich das Jahr, in dem Cosimo de'Medici aus der Verbannung zurückkehrte, womit die oligarchische Herrschaft beendet wurde -, in Florenz bereits war. Sinnbild dieser neuen Lebenseinstellung war die Villa, wo sich die reichen Bürger und die humanistischen Intellektuellen der Stadt procul negotiis trafen; procul negotiis heißt dabei zunächst: abseits der geschäftlichen Sorgen im Bankund Handelsverkehr, aber auch fern von den bürgerschaf tlichen Pflichten, denen

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man in der Villa den Rücken kehrte, um dem von Gianozzo entworfenen Ideal des vergnügten Lebens im Kreise von Familie und Freunden frönen zu können. Dazu gehörte, daß die Villa außerhalb der Stadt auf dem Lande lag; sie wurde zum Symbol einer neuen Lebens~instellung, in der „das Interesse an der politischen Freiheit (...) dem an der persönlichen Ungestörtheit einer beschaulichen Privatmannsexistenz" gewichen war.35 So wurde die Villa zum RenaissanceSymbol protoliberaler Entwürfe des guten Lebens. In politiktheoretischer Hinsicht hat Francesco Guicciardini diese protoliberale Ordnungsvorstellung am klarsten und deutlichsten ausformuliert, wobei er freilich zunächst Anhänger einer großbürgerlich dominierten, also aristokratischen bzw. oligarchischen Republik war. Sie allein sei imstande, schrieb er, Freiheit und Gerechtigkeit zu garantieren. Aber nach der schnellen Radikalisierung der mit der neuerlichen Vertreibung der Medici im Jahre 1527 errichteten Republik, die schließlich auch Guicciardini verbannte und sein Vermögen konfiszierte,36hat er sich von seiner Präferenz für eine gemischte Verfassung mit starkem Übergewicht des städtischen Patriziats verabschiedet und statt dessen die Auffassung vertreten, selbst ein Tyrann, wenn er denn nur von großbürgerlichen Beratern umgeben sei, sei politisch erstrebenswerter als eine vom Kleinbürgertum dominierte Republik. Damit trennten sich am Ausgang der Renaissance Republikanismus und Protoliberalismus, die bei divergenten Präferenzen hinsichtlich des anzustrebenden Lebens doch lange Zeit gemeinsam die Staatsform der Republik getragen hatten, definitiv und endgültig. 37 Hatten die Autoren mit protoliberalen Grundorientierungen seit längerem daran Zweifel geäußert, daß den Kosten, mit denen bürgerschaftliche Partizipation verbunden war, ein entsprechender Ertrag gegenüberstehe (so Giovanni Rucellai, aber auch Leon Battista Albertis Gianozzo ), so wurde nunmehr die republikanische Ordnung selbst als Gefährdung der bürgerlichen Sekurität ausgemacht. Bürgerschaftliche Partizipation war nicht länger ein Garant bürgerlicher Sekurität, wie noch Albertis Lionardo gegen Gianozzo eingewandt hatte, sondern deren Bedrohung, und dementsprechend dezidiert hat sich Guicciardini darum bemüht, den Freiheitsbegriff des Protoliberalismus gegen den des Republikanismus abzusetzen. ,,Freiheitsrechte", so notiert er in seinen Ricordi, ,,werden nicht verliehen, um jedermann an der Herrschaft zu beteiligen, da dies nur denjenigen zusteht, die dazu fähig und würdig sind, sondern um die Einhaltung guter Gesetze und nützlicher Ordnungen zu gewährleisten", wobei er noch hinzufügt, das gelinge in einem freien Staatswesen (vivere libero) eher als unter der Herrschaft eines Einzigen oder Weniger. Unglücklicherweise aber habe man in Florenz immer wieder Freiheit im Sinne bürgerlicher Sekurität mit Freiheit im Sinne bürgerschaftlicher Partizipation verwechselt: ,,Unserer Stadt machte es so viel zu schaffen, daß die Bürger es nicht einsehen und sich nicht damit zufrieden geben, wenn sie frei und sicher leben, sondern auch noch alle an der Herrschaft teilhaben wollen. "38 Da diese unglückliche Neigung aber in einer republikanischen Ordnung immer wieder aufkomme, präferierte Guicciardini zuletzt eine auf die Gesetze verpflichtete Alleinherrschaft; sie solle die persönliche Sicherheit und das Eigentum der Bürger gewähr-

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leisten, was in den Republiken von 1494 und 1527 nicht der Fall gewesen sei unter anderem auch deswegen, weil diese Republiken eine willkürliche Besteuerungspolitik praktiziert hätten, was in einer Signoria, so hofft Guicciardini, nicht der Fall sei. 39 So fehlt im Florentiner Protoliberalismus schließlich auch nicht das erzliberale Argument von der Sicherheit des Eigentums und seiner Bedrohtheit durch die kleinbürgerliche Republik bzw. die Demokratie, die vermittelst exzessiver Besteuerung eine Politik der Enteignung betreibe. Protoliberalismus und Republikanismus kamen erst wieder zusammen, nachdem sich herausgestellt hatte, daß die Herrschafte eines Einzigen doch keine Garantie gegen willkürliche Besteuerung darstellte; als im Vorfeld der Englischen Revolution von 1640 - 1660 die Frage der Besteuerung zum Bruch zwischen König und Parlament führte, tauchten auch bald alle jene republikanischen Überlegungen wieder auf, die in Florenz keiner mit dieser Prägnanz entwickelt hatte, wie Niccolo Machiavelli. Und das wiederholte sich dann noch einmal in der amerikanischen Revolution. 40 Der Protoliberalismus aber hatte sich mit Hob bes und Locke inzwischen zu einer Theorie weiterentwickelt, die mit naturrechtlichen Argumenten auftrat und so die Grenzen der Eingriffe der politischen Gemeinschaft in die Rechtssphäre des Einzelnen bestimmte.

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Herfried M ünkler

1 Zum Stand der Forschung vgl. den von Lorhar Gall herausgegebenen Sammelband Liberalismus, Königstein 1980, in dem die politischen Entwicklungen in England, Frankreich und Deutschland als weithin parallele Vorgänge begrif#n und dargestellt werden; speziell zu Deutschland vgl. James J. Sheehan, Der deutsche Liberalismus. Von den Anfängen im 18. jahrh1mde1t bis zum Ersten Weltkrieg. 1770-1914. Aus dem Engl. von K.H. Siber, München 1983, ebenso Rudolf Vierhaus, Liberalismus; in: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon Ztff politisch-sozialen Sprache, hrsg. von Otto Brunner, Werner Conze und Reinharr Koselleck, Stuttgart 1972ff., Bd. 3, S. 741-785.

Reinhard Koselleck, 'Neuzeit'. Zur Semantik moderner Bewegungsbegriffe; in: ders., Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt/M. 1979, S. 340f. 1

„Sozialgeschichtlich handelt es sich um Ausdrücke, die auf die Herausforderung einer technisch und industriell sich verändernden Gesellschaft reagierten. Sie dienten, die ständisch entgliederren Massen unter neuen Parolen zu ordnen; soziale Interessen, wissenschaf rliche und politische Diagnosen gingen in sie ein. Insofern haben sie allemal auch parteibildenden Schlagworrcharakter. Das gesamte politisch-soziale Sprachfeld wird seitdem von der progressiv aufgerissenen Spannung zwischen Erfahrung und Erwartung induziert." (Koselleck, 'Erfahrungsraum' und 'Erwarrungshorizonc' - zwei historische Kategorien; in: ders., Vergangene Zztkunft, a.a.0., S. 373f.). 3

4 Ausführlich und differenziert hierzu Andreas Kamp, Die politische Philosophie des Aristoteles und ihre metaphysischen Grundlagen. Wesenstheorie und Polisordmmg, Freiburg/München 1985, S. 220ff. 5

Niklas Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft, Frankfurt/M. 1997, Bd. 2, S. 912ff.

Zur Debatte des von Francis Fukuyama pointiert vorgetragenen Gedankens, die grundsätzlichen Alrernativen zum wesrlichen Modell der liberalen Demokratie seien erschöpft und damit die Geschichte zwar nicht als Kampf der Mächte, aber doch als Konflikt großer Ideen mir Anspruch auf die Gestaltung der Zukunft zu Ende, vgl. Lutz Niethammer, Posthistoire. Ist die Geschichte zu Ende?, Reinbek 1989; Martin Meyer, Ende der Geschichte? München 1993; sowie Rainer Rotermund, jedes Ende ist ein Anfang. Auffassungen vom Ende der Geschichte, Darmstadt 1994. 6

7 Vgl.

zusammenfassend Wolfgang Kersting, Die politische Philosophie des Gesellschaftsvertrags, Darmstadt 1994. 8 Vgl. etwa Lothar Gall/Rainer Koch (Hrsg.), Der etti-opiiischeLiberalismus im 19. Jahrhundert. Texte w seiner Ent"i.0icklzmg,4 Bde., Frankfurt/M. u.a. 1981.

9

Ausführlich hierzu Herfried Münkler, Thomas Hobbes, Frankfurt/M. 1993, S. 108ff.

10 Diese

Fragen sind klar herausgearbeitet bei Michael Sande!, Liberalismus oder Rept,blikanis~ mus. Von der Not"wendigkeit der Biirgertttgend. Aus dem Amerikan. von J. Schulte, Wien 1995; vgl. auch Herfried Münkler, Der kompetente Bürger; in: Politische Beteiligung und Biirgerengagement in Detltschland. Möglichkeiten und Grenzen, hrsg. von Ansgar Klein und Rainer Schmalz-Bruns, BadenBaden 1997, S. 153-172. 11 Isaiah Berlin, Zwei Freiheitsbegriffe; in: ders., Freiheit. Vie1·Versuche. Aus dem Engl. von R. Kaiser, Frankfurr/M. 1995, S. 197-256.

12 Vgl.

hierzu Christel Zahlmann (Hrsg.), Kommunitaiismus in der Diskussion. Eine streitbare Einfiihrnng, Berlin 1992; Axel Honneth (Hrsg.), Kommunitm·ismus. Eine Debatte iiber die momlischen Grnndlagen modemer Gesellschaften, Frankfurt/M. 1993 sowie Walter Reese-Schäfer, \Vas ist Kommrmitarismus?, Frankfurt/M. 1994. IJ Vgl. hierzu vor allem Hans Baron, The Crisis of the Early Italian Renaissance. Civic Hztmanism and Republican Liberty in an Age ofClassicism and Tyranny, 2 Bde., Princeton/N.J. 1955; ders., In Searcb of Florentine Civic Humanism. Essays on the Transition from Medieval to Modem Thought, 2 Bde., Princeton/N.J. 1988 und ders., Biirgersinn und Humanismus im Florenz der Renaissance. Aus dem Engl. von G . Krüger-Wirrer, Berlin 1992; als ideengeschichrliche Gesamrdarsrellung des 15. und frühen 16. Jahrhunderts vgl. nach wie vor Rudolf von Albertini, Das florentinische St,iatsbe-

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wußtsein im Übergang von der Republik wm Prinzipat, Bern 1955 sowie den von Walter Rorhholz herausgegebenen Sammelband Das politische Denken der Florentiner Humanisten, Kasrelaun 1976. 14 Vgl. hierzu insbes. J.N. Srephens, The Fall of the Florentine Republic 1512-1530, Oxford 1983 sowie Gene Brucker, Florenz in der Renaissance. Stadt, Gesellschaft, Kultur. Aus dem Amerikan. von C. Preuschoft, Reinbek 1990, S. 31 lf f.

Der Vergleich Machiavellis und Guicciardinis steht im Zentrum der Arbeiten des deutschamerikanischen Renaissanceforschers und Ideenhistorikers Felix Gilbert; zu nennen sind hier insbes. seine große Untersuchung Machiavelli and Guicciardini. Politics and History in SixteenthCentury Florence, Princeton/N.J. 1965 sowie die kleine Sammlung Guicciardini, lvf achiavelli und die Geschichtsschreibungder italienischen Renaissance. Übers. von M. Fienbork und F. Hausmann, Berlin 1991; einschlägig für den Vergleich Machiavellis und Guicciardinis ist auch Rudolf von Albertini, Das florentinische Staatsbewußtsein (wie Anm. 12) sowie Mauricio Viroli, from Politics to Reason of State. The acqztisition and transformation of the language of politics 1250-1600, Cambridge 1992, S. 126-200. 15

Guicciardini, Ricm·di II, 110; zit. nach der de. Übers. in Guicciardini, Vom politischen und biirgerlicben Leben. Übertragen von K.J. Parcsch, Berlin o.J., S. 31. Alfred von Martin (Soziologie der Renaissance [1931], Stuttgart 3 1974, S. 124ff.) hat diesen Gegensatz zwischen Machiavelli und Guicciardini ebenfalls gesehen, ihn aber nicht als einen zwischen republikanischen und protoliberalen Politikvorstellungen gefaßt, sondern Machiavelli als „politischen Romantiker" begriffen, dem er den „Realpolitiker" Guicciardini gegenübergestellt hat. Machiavellis als Romorientierung codierter Republikanismus wird von ihm folgendermaßen abgefertigt: ,,Doch alle Sehnsucht auch die nach der Klassik als einer idealen Vergangenheit, in die man flieht, weil man die Gegenwart, so wie sie ist, meint nicht ertragen zu können - ist Romantik" (S. 124). Und dagegen: ,,Von Machiavelli zu Guicciardini scheint es nur ein Schritt zu sein; doch es ist der Schritt über die Schwelle. Bei Guicciardini ist alle Romantik ausgeträumt - auch alle politische, auch die Römerromantik" (S. 135). Rene König ist in seiner Machiavelli-Interpretation (Niccolo .Machiavelli. Zur Kn'senanalyse einer Zeitenwende [1941], München-Wien 1979) der Sicht von Martin weitgehend gefolgt. Zur ausführlichen Kritik daran vgl. Münkler, lvf achiavelli, Frankfurt/M. 1982, S . 24 lff. 16 Francesco

Herfried Münkler, Im Namen des Staates. Die Begriindung der Staatsmison in der Friihen Neuzeit, Frankfurt/M. 1987, S. 148ff. 17 Vgl.

18 Aristoteles, Politik VII, 1324, 35 -38; das Zitat folgt der Übersetzung von Olof Gigon, München 1973.

19 Aristoteles,

Politik VII, 1324a 28 - 1224b 3.

Zu den Vertretern der Auffassung, Aristoteles habe das politische dem theoretischen Leben gegenüber präferiert, gehören Joachim Ritter (Das bürgerliche Leben. Zur aristotelischen Theorie des Glücks; in: ders., .Metaphysik und Politik. Studien zu Aristoteles und Hegel, Frankfurt/M. 1967, S. 57-107) und Günther Bien (Die Grundlegung der politischen Philosophie bei Aristoteles, Freiburg/München 2 1980, S. 234ff. ); dagegen hat Wolfgang Kullmann (Theoretische und politische Lebensform bei Aristoteles; in: Otfried Höffe (Hrsg.), A1·istoteles, Die Nikomachische Ethik, Berlin 1995, S. 253-276) die Auffassung vertreten, das politsche bleibe gegenüber dem theoretischen Leben deutlich abgewertet. 20

Machiavelli, Discorsi. Gedanken iiber Politik und Staatsfiihrzmg (II, 2), hrsg. von R. Zorn, Stuttgart 1966, S. 171. 21 Niccolo

„Es ist also eine Folge unserer Erziehung und der so falschen Auslegung unserer Religion, daß es in der Welt nicht mehr so viele Freistaaten (Republiken, H.M.) gibt wie in der Antike und daß die Völker infolgedessen nicht mehr von solcher Liebe zur Freiheit beseelt sind wie ehemals." Ebd., S. 172. 22

23

Ebd., S. 171f.

24 Francesco

Petrarca, Briefe. Übersetzt von H. Hachold und P. Stern, Berlin 1931, S. 105f.

Herfried Münkler

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Zu dem politischen Projekt Colas und der ihm von Seiten Petrarcas zuteil gewordenen Unterstützung vgl. Münkler/Grünberger/Mayer, Nationenbildung. Die Nationalisierung Europas im Diskurs humanistische1·lntellektuelle1·, Berlin }'998, S. 98ff. 25

26

Zic. nach Brucker, Florenz in der Ri~aissance (wie Anm. 13), S. 161.

Zu den Formen des Zugangs zu Ämtern und Einfluß vgl. Nicolai Rubinstein, The Government of Florence under the Medici (1434-1494), Oxford 1966. 27

Zur allmählichen Ablösung einer öffentlichen Kunst- und Kulturpolitik der Stadt durch privates Mäzenatentum vgl. Peter Burke, Culture and Society in Renaissance ltaly 1420-1540, London 1972, S. 28lff. sowie Alfred von Martin, Soziologie der Renaissance (wie Anm. 16), S. 94f. 28

29 Leon Battista Alberei, Über das Hauswesen [Della fomiglia]. Übersetzt von W. Kraus, eingel. von F. Schalk, Zürich und Stmtgare 1962, S. 230.

30

Ebd., S. 23 lf.

Zur humanistischen Dialogtechnik und der ihr zugrundeliegenden Wahrheitstheorie vgl. Ernesro Grassi, Einführung in die philosophischen Probleme des Humanism11s, Darmstadt 1986, S. 22ff. 31

32 Vgl. 33

hierzu auch Münkler, Im Namen des Staates (wie Anm. 16), S. 148ff.

Alberei, Über das Hauswesen (wie Anm. 28), S. 232.

Ebd., S. 234; der Einwand, den Gianozzos Gesprächspartner Lionardo dagegen geltend macht, ist nicht mehr der Rekurs auf die alte republikanische Vorstellung eines unauflöslichen Zusammenhangs zwischen Rechten und Pflichten in der Idee der politischen Tugend (vgl. Münkler, Die Idee der Tugend. Ein politischer Leitbegriff im vorrevolurionären Europa; in: Archiv für K1tlturgeschichte, 73. Jg., 1991, Heft 2, S. 379-403), sondern der Hinweis auf die fehlende Generalisienmgsfähigkeit der von Gianozzo vorgetragenen Position: ,,Ich bin mit Euch darin einig, daß der gme Bürger die Ruhe lieben wird, aber nicht so sehr die eigene als die auch der anderen Redlichen, daß er sich der Muße des Privatlebens erfreuen wird, aber nicht minder sie seinen Mitbürgern gönnen, daß er Einigkeit und Sicherheit, Frieden und Ruhe für sein eigenes Haus wünschen wird, noch viel mehr aber für sein Vaterland, die Republik." Lionardo ist davon überzeugt, daß sich der Zustand der Ruhe und Sicherheit nicht bewahren lasse, ,,wenn alle wackeren Männer mit der bloßen Muße des Privatlebens zufrieden sind" (Alberei, Über das Hauswesen, S. 235). Offenkundig hat Alberei der selbstverständlichen Geltung des republikanischen Ethos nicht mehr getraut und sich statt dessen auf die Lehren der Weisen berufen, wonach „die guten Bürger sich des Staates annehmen müssen und die Lasten des Vaterlands auf sich nehmen und sich um die Nichrsnützigkeit der Menschen nicht kümmern, um dem öffentlichen Frieden zu dienen und das Wohl aller Bürger zu wahren und um nicht den Schlechten den Platz zu überlassen, die infolge der Unbekümmertheit der Redlichen und ihrer eigenen Unverfrorenheit alles auf den Kopf stellen würden, so daß weder die öffentlichen noch die privaten Dinge in guter Ordnung bleiben könnten" (ebd., S. 236). Wenn Machiavelli über ein halbes Jahrhundert später das Christentum dafür verantwortlich macht, daß die Weltgeschichte den Bösewichten ausgeliefert worden sei, so sieht er genau das als eingetreten an, was Albertis Lionardo durch Reflexion auf die Generalisierungsfähigkeit von Motiven und Maximen verhindern zu können geglaubt hat. Dementsprechend auch hat Machiavelli Einzelinteresse und Gemeinwohl sehr viel entschiedener kontrastiert als der auf Vermittlung bedachte Alberei, als er über die Ursachen des Aufstiegs Roms schrieb: ,,Die Ursache ist leicht einzusehen; denn nicht das Wohl des Einzelnen, sondern das Gemeinwohl ist es, was die Größe der Staaten ausmacht. Ohne Zweifel wird das Gemeinwohl nur in Republiken beachtet; denn dort geschieht alles, was seiner Förderung dient, auch wenn es zum Schaden dieses oder jenes Privatmannes ausschlagen sollte" (Discorsi II, 2, S. 169). 34

35 von Martin, Soziologie der Renaissance (wie Anm. 16), S. 88; zu ähnlichen Entwicklungen in Venedig in der zweiten Hälfte des 15. und während des 16. Jahrhunderts vgl. Reinhard Bentmann/Michael Müller, Die Villa als He1Tschaftsarchitektur. Versuch einer km1st- tmd sozialgeschichtlichen Analyse, Frankfurt/M. 2 1981.

Protoliberalismus und Republikanismus in der italienischen Renaissance

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57

Ausführlich dazu Roberta Ridolfi, Vita di Francesco Guicciardini, Rom 1960, S.316ff.

Einer der wenigen Autoren, die in Florenz nach 1530, dem erneuten Sturz der Republik mit Hilfe deutscher und spanischer Truppen und der nunmehr endgültigen Rückkehr der Medici in die Stadt, an republikanischen Gmndorientierungen festgehalten haben, war Donato Giannotti. Mit Blick auf das Kloster San Marco als Ort antirepublikanischer Konspirationen und Intrigen stellt er fest: ,,Nicht zu den guten Bürgern gehören also jene, die den ganzen Tag mit den Mönchen (des Klosters San Marco, H.M.) flüstern und die Sorge um die öffentlichen Geschäfte Gott überlassen, dabei aber auf die eigenen, privaten Angelegenheiten alle Sorgfalt verwenden und in San Marco nach Unterstützung suchen, um Ämter zu erlangen, in denen sie weder Anstrengungen auf sich nehmen wollen noch überhaupt gedenken, sie gerecht und ernsthaft zu führen. Als gut sollen jene Bürger gelten, die das öffentliche Wohl glühend lieben und bereit sind, Leben, Hab und Gut sowie alles übrige dafür einzusetzen, und die bei der Amtsführung kein anderes Ziel verfolgen als die Ehre Gottes und den öffentlichen Nutzens" (Donato Giannotti, Die Republik Florenz [1534]. Hrsg. von A. Riklin und D. Höchli, München 1997, S. 299). 37

38

Guicciardini, Vom politischen ,md bürgerlichen Leben (wie Anm. 16), S. 48 (II, 109).

39

Vgl. hierzu Gustav Fremerey, Guicciardinis finanzpolitische Anschauungen, Stuttgart 1931, S.

llff. 40 Vgl.Jahn G.A. Pocock, The Machiavellian Moment. Florentine Political Thought and the Atlantic Republican Tradition, Princeton/N.J. 1975, S. 333ff. und 506ff.

Richard Faber

Autoritärer Liberalismus. Von Thomas Hobbes zu Carl Schmitt ,,Der 'Leviathan' ist der Staat, und seine Philosophie ist die Weltanschauung, denen die bürgerliche Gesellschaft seit ihrem Beginnen zustrebte." Hannah Arendt

„Gesunde Wirtschaft im starken Staat" ist der Vortrag überschrieben, den der Staatsrechtler Carl Schmitt im Jahre 1932 vor dem Langnam-Verein gehalten hat, dem damaligen Dachverband der rheinisch-westfälischen Schwerindustrie. 1 Dieser Titel erscheint 1998 als mehr oder weniger obsolet. Wer wünschte sich heute unumwunden einen „starken Staat"? Die erste sozialliberale Koalition der Bundesrepublik wollte sogar einmal „mehr Demokratie wagen". Was aus diesem Vorhaben geworden ist, interessiert hier nicht, es geht um die Sprachregelung. Und das gilt auch noch, wenn ich daran erinnere, daß die Christlich-Liberalen bei ihrem neuerlichen Regierungsantritt 1982 mit der Forderung „Weniger Staat" angetreten sind. Allerdings sei zu diesem Slogan angemerkt, daß seine Erfinder weniger Staat bloß im sozialen und wirtschaftlichen Bereich fordern. Eine Tendenz zum äußeren und inneren „Sicherheits"-Staat war und ist nicht in gleicher Weise ausgeschlossen wie die, das sogenannte Marktgeschehen regulieren zu wollen. Wirtschaftlich wird tatsächlich den „Selbstheilungskräften des Marktes" vertraut, was die immer bedeuten mögen. Klar ist jedenfalls, daß sich eine „gesunde" Wirtschaft selbst regulieren können soll. Und wie grundsätzlich bekannt, ist dieses Rezept anderswo, im (post-)thatcheristischen Großbritannien, geradezu zum Allheilmittel reüssiert, ohne den Staat generell „absterben" zu lassen. In vielen anderen als den sozial- und wirtschaftspoltischen Bereichen hat der Staat sogar ein Ausmaß an Autorität errungen, das der angelsächsischen Tradition an sich fremd ist ..'.! Ich möchte hier keine journalistischen oder auch nur zeitgeschichtlichen Überlegungen anstellen, sondern mit diesen aktuellen Reminiszenzen auf ein epochales und strukturelles Problem neuzeitlicher Gesellschaften hinweisen, nenne man sie nun bürgerliche oder liberale Gesellschaften. Mein Problem ist die - nicht selten aktualisierte - Möglichkeit eines „autoritifren Liberalismus". Wenn ich recht sehe, hat diesen scheinbar paradoxen Begriff zuerst der damalige

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Richard Faber

Frankfurter Staatsrechtler Hermann Heller geprägt, 1932/33 und in Auseinandersetzung mit seinem Gegenspieler Carl Schmitt - nicht zuletzt mit dessen Vortrag „Gesunde Wirtschaft im starken Staat". 3 Heller erkenne, wie alle Zeitge,nossen, die „Krise des Liberalismus"\ erblickt aber im entstehenden „Autoritäreh Staat" nicht nur keine zu akzeptierende Alternative, sondern diagnostiziert ihn in oeconomicis als weiterhin liberal, zutiefst liberal. Das Programm des Autoritären Staats sei eine liberale Ökonomie, ermöglicht, gefördert und abgesichert durch einen autoritären Staat: eine „gesunde Wirtschaft im starken Staat", wie der affirmative Ideologie-Kritiker Schmitt formuliert hatte. Meine These, die These dieses Beitrags ist, daß eine solch 'homöopathische' Therapie nicht erst in Krisensituationen des späten Liberalismus in Vorschlag gebracht und angewendet wurde, sondern schon der krisenhaften Entstehung der bürgerlichen Gesellschaft Pate gestanden hat - bei ihrer revolutionären Ablösung von der ständisch-feudalen. - Der Be-Gründungstheoretiker der bürgerlichen Gesellschaft und des neuzeitlichen Staates in einem, Thomas Hobbes, bezeugt dies bereits im 17. Jahrhundert mit aller nur 'wünschbaren' Deutlichkeit. Ich werde deshalb auf ihn, der nicht zufällig die für Schmitt entscheidende Autorität gewesen ist, näher eingehen, aber auch Karl Marx' Kritik an Hobbes und den Bürgerrechten der Französischen Revolution referieren, um schließlich über eine Kurzanalyse der für jeden bürgerlich-demokratischen Rechtsstaat grundlegenden Theorie John Lockes zurückzukommen auf Hobbes' cäsaristische und faschistische Wiederkehr in der Figur Carl Schmitts.

1. Vom Krieg aller gegen alle zur Unterweifung unter den Leviathan Für den bis heute einflußreichen Soziologen Helmut Schelsky war Schmitt der „deutsche Hobbes des 20. Jahrhunderts" 5 • Ich handle zunächst über Thomas Hobbes, den 'englischen Hobbes des 17. Jahrhunderts'. Er bezeugt wie kaum ein anderer die Dialektik des Liberalismus von allem Anfang an: die „Dialektik der Aufkliirung". Hobbes' Vernunft will ausdrücklich der Macht-Konzentration dienen.6 Solche Ausdrücklichkeit kritisiert den Paternalismus traditionaler Herrschaft, doch eben nicht um Herrschaft zu minimieren, sondern zu rationalisieren und zu effektivieren. Das den Hobbesschen Etatismus fundierende Vertragstheorem ist revolutionär nur in Ansehung des herkömmlichen Gottesgnadentums7, ansonsten entspringt es einer von Herrschaft instrumentalisierten Vernunft, wie sein Telos erweist: der Etatismus. Die Vertragsfiktion zielt auf einen Herrschafts- und Unterwerfungsvertrag; sie dient einem bloßen Kalkül der Macht. Hobbes' Ratio ist also tief irrational, Ursache und Folge einer egoistischen Anthropologie, die zeitgeschichtliche Erfahrung naturalistisch affirmiert und dadurch den (Sozial-)Darwinismus antizipiert: Der „große Mensch" Staat wird

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nicht zufällig „Leviathan" geheißen; großer Wolf wäre noch treffender, soll er doch im Großen so wölfisch sein können, wie es die vielen kleinen Wolfsmenschen wären, wenn es ihn nicht gäbe: den Wolfsgott. Zunächst freilich scheint Hob bes im menschlichen Naturzustand, den seine Vertragsfiktion voraussetzt, die realisierte Bergpredigt zu unterstellen. Jürgen Habermas hat das näher ausgeführt, doch auch ihm erweisen sich die Bedingungen, unter denen die Gemeinschaft der Heiligen leben sollte, als die Lebensbedingungen der sich auf Leben und Tod bekämpfenden Tiermenschen. 8 Wie nicht anders möglich und von Hobbes auch nachdrücklich betont, leben sie im Zustand permanenter Todes-Angst. Dennoch muß Carl Schmitt die moderne Existentialphilosophie bemühen, um formulieren zu können, Hobbes habe „die existentielle Angst des Menschen furchtlos zu Ende" gedacht9, indem er die Angst der Individuen voreinander überführte in die vor dem staatlichen Souverän: Die Individuen, die in permanenter Angst im Naturzustand dahinvegetieren, sollen sich einer Machtkonstellation fügen, in der das subjektiv stabilisierende Moment wieder die Angst ist 10 - jetzt vor dem staatlichen Machtmonopol11. Und tatsächlich, um den permanenten Krieg aller gegen alle zu beenden, bleibt nach Hobbes den einzelnen nur übrig, ihr Recht, über sich selbst zu bestimmen, aufzugeben zugunsten einer 'allgemeinen' Macht, die ihnen, den Untertanen, als Obrigkeit gegenübersteht. (Die Einsicht in diese 'Notwendigkeit' gilt Hobbes als Anfang und Ende aller Vernunft.) Nach Hobbes verzichten die vielen einzelnen gemeinsam auf ihr Selbstbestimmungsrecht, indem sie sich zusammentun und einen entsprechenden Vertrag schließen. Doch von seiner Fiktivität ganz abgesehen, erweist sich dieses „pactum unionis" sofort als „pactum subiectionis", weil das Recht aller einem einzigen übertragen wird, dem dadurch entstehenden StaatY Und darauf kommt es Hobbes an: daß das Volk, indem es sich vertragsmäßig konstituiert, aufhört, Volk zu sein und den Staat an seine Stelle treten läßt. Dieser ist jetzt „Volk", während es zur bloßen und zu beherrschenden „Menge" herabsinkt, wie bereits in „De Cive" nachzulesen ist. 13 Die zentrale Passage des „Leviathan" steigert diesen Gedanken nur noch, aufgrund jener theologischen Redeweise, der sich Hobbes hier exzessiv bedient: „Wenn sich Menschen zu einer Person vereinigen, bilden sie einen Staat ... Dies ist die Geburt des Großen Leviathan, oder vielmehr (um ehrerbietiger zu sprechen) des sterblichen Gottes, dem allein wir unter dem ewigen Gott Schutz und Frieden verdanken. Durch die (ihm von jedem Einzelnen im Staate zuerkannte) Autorität und die ihm übertragene Macht ist er nämlich in der Lage, alle Bürger zum Frieden und zu gegenseitiger Hilfe gegen auswärtige Feinde zu zwingen. Er macht das Wesen des Staates aus, den man definieren kann als eine Person, deren Handlungen eine große Menge durch Vertrag eines Jeden mit einem Jeden als die ihren anerkennt, auf daß sie diese einheitliche Gewalt nach ihrem Gutdünken zum Frieden und zur Verteidigung aller gebrauche."14 Hobbes spricht der Staatsperson ausdrücklich Willkürfreiheit zu, zwar um jedem die Sicherheit seines Lebens zu gewähren, doch nicht ohne generell anzu-

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Richard F aber

merken, daß es keinen Richter für den Fall gebe, ,.daß irgend jemand behauptete, der Herrscher habe das bei der Staatsgründung getroffene Abkommen verletzt, und andere Untertanen oder einer de,r Herrscher selbst behaupteten das Gegenteil. Der Streit könnte nur wieder d,rirch das Schwert entschieden werden" 1\ und das soll er nicht. Hobbes' Lösung,' das Leben statt der Freiheit zu wählen, nachdem man sie nicht vereinigen kann 16, ist also höchst prekär. Die Frage, ob nicht gerade auch der Zwangsfriede des Leviathan die Sicherheit des Lebens gefährdet - nachdem ihm schon die Freiheit geopfert wurde -, bleibt zumindest offen. 17 Und daß Leviathans Friede ein Gottesfriede sein soll, da er ein „sterblicher Gott", verstärkt diese Gefahr eher, als daß es sie mindert.

2. Vergötzung des Staates - Bereicherung des Bürgers

Der Leviathan ist sterblich, weil radikal immanent, aber solange er lebt, ist Gott allein er. Wie das erste und Hauptgebot des Dekalogs, so etatistisch schreibt Hobbes alle Gebote um 18: ,,Der Wunsch nach Neuerung ist zu vergleichen mit der Übertretung des ersten der Zehn Gebote Gottes: 'Non habe bis deos alienos' - du sollst keine anderen Götter neben mir haben. Denn an anderer Stelle sagt Gott von 'Königen', sie seien wie Götter." 19 Gott fungiert bei Hobbes zwar nur als theologisches Analogon, aber als das irrationaler Herrschaft. 20 Die Auffassungsweise einer voluntaristischen, ja dezisionistischen Theologie des (späten) Mittelalters, die die Unbegrenztheit der göttlichen Autorität so sehr akzentuiert, daß sie ihr Willkürfreiheit zugesteht, überträgt sich im absolutistischen Zeitalter auf den Staat, so daß dieser walten kann, wie ein Deus in ten·is, unumschränkte Gewalt übend. 21 Absolute Macht zu besitzen, heißt nach Hobbes: ,.Der Souverän ist den bürgerlichen Gesetzen nicht unterworfen. Da er die Macht hat, Gesetze zu erlassen. und zu widerrufen, kann er sich von ihrem Zwang befreien, wenn er die ihm lästigen Gesetze verwirft und sie in neue verwandelt; und folglich war er ihnen auch nicht verpflichtet. - Freiheit besteht nämlich darin, daß man frei sein kann, sobald man es will, und wer niemandem als sich selbst verpflichtet ist, ist in Wirklichkeit niemandem verpflichtet - es steht in seiner eigenen Macht, eine Bindung einzugehen oder sich ihrer zu entledigen. "22 - Der Souverän ist ,,legibus solutus" wie der spätmittelalterliche, aber auch frühneuzeitliche 23 Willkürgott oder - eine nicht weniger bedeutsame Analogie - wie der römische Kaiser, in dessen Gewalt die „ganze Macht des Volkes" lag. Deswegen gleichen seine ,,Edikte, Verordnungen und Sendschreiben ... den öffentlichen Bekanntmachungen des englischen Königs" 24 • Beide entspringen für den „klassischen Vertreter" des Dezisionismus 25 blankem Befehl, einem „mandatum dessen, der ... die höchste Gewalt hat" 26 • Hobbes betont es immer wieder: ,,Gültigkeit erhält ein Gesetz einzig kraft eines Befehls des Herrschers. "27 Und damit nicht genug: ,,... die Souveränität ist (auch) die Quelle aller Ehren. Vor ihrem Herrscher sind alle Untertanen gleich -

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wie die Sklaven vor ihrem Herrn - und ohne Ehre." Als ob Hob bes nochmals auf das spätancike Sonnenkaisertum rekurrierte, heißt es weiter: ,,Wenn einige vor den anderen größeres Ansehen besitzen, so verblaßt doch dieses Ansehen vor dem ihres Herrschers wie das Licht der Sterne in Gegenwart der Sonne." 18 Hobbes' Analogik läßt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: Englands Bürger werden mit Roms Untertanen verglichen wie deren Kaiser mit den englischen Königen. 29 Historischer Klartext wird deswegen aber nicht überflüssig. 30 Will man ihn schreiben, so ist zu konstatieren - durchaus im Anschluß an das, was durch Berufung auf die antike Untertänigkeit zum Ausdruck kam: Bei Hobbes hat historisch konkret das englische Bürgertum des 17. Jahrhunderts die Egalität um den Preis politischer Nullität gewonnen. 31 Die Privilegien der Feu~alität sind choses negligeables geworden 32, aber nur dadurch, daß Recht überhaupt zum Privileg geworden ist. Man mag diese Tatsache aufgrund des ökonomischen Vorteils 'dialektisch' rechtfertigen, aber man kann sie nicht bestreiten: ,,Um die Formen des Feudalismus zu brechen und ihnen Kapital zu entreißen, bedarf es der Macht und Unbarmherzigkeit eines absoluten Monarchen. Jedes dem göttlichen Recht seines Willens gegenüber festgesetzte Tun oder Lassen wäre falsch, da ein derartiges festgesetztes Tun oder Lassen nur feudal sein könnte und daher die Entwicklung der bürgerlichen Klasse zurückhalten würde."33 Christopher Caudwell pointiert die Pointe des Hobbesschen „Naturzustandes": seine Aufhebung im absoluten Staat. Diese erweist sich als eine positive nicht nur aufgrund der Willkürfreiheit des Staates, sondern auch insofern, als dieser das ökonomische bellum omnium contra omnes entscheidend fördert. Das ist die Pointe seiner Beendigung in politicis, wie Hobbes auch selbst zu erkennen gibt. Was ihm entgehen muß, ist, daß der ökonomische „Krieg" nicht im begrenzten und geregelten Konkurrenzkampf einzelner, vermeintlich gleich starker Individuen aufgeht, sondern - vor solcher Domestikation und über sie hinaus einen Kampf von Klassen darstellt. Gerade auch für seine „Befriedung" und nicht nur die endgültige Zurückdrängung der Feudalität wird der Souverän benötigt. Je länger, desto mehr ist er Organ zur Repression des innerkapitalistischen Klassen-,,Kriegs". 34 Der absolute Staat ist der Büttel der sich ausbildenden Kapitalistenklasse gegenüber den immer zahlreicher werdenden, die nur noch ihre Arbeitskraft besitzen, hält politisch aber auch das Kapital in Schach. Durch den Schrecken seiner Macht zwingt der „sterbliche Gott" generell zu einem Frieden, den „nihilistisch" zu nennen man sich nicht scheuen sollte 35 • Denn er ist es nicht erst bei Schmitt (wie von Krockow meint 36 ): Was Ernst Bloch als Schmitts „faschistisches AmiNaturrecht" bezeichnet, ist, wenn nicht der historischen Funktion, so doch dem Effekt nach, schon bei Hobbes grundlegend. 37

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3. Besitzindividualismus und Eigentumsmarktgesellschaft

Nun war der Faschismus gerade au9h eine Herrschaftsveranstaltung des Bürgertums, was die Behauptung, der es ,riihilierende Hobbes habe ihn antizipiert, paradox erscheinen läßt, doch der Weg von Hobbes zu Schmitt, d.h. die Entwicklung des Bürgertums aus seinen Anfängen hin zum Faschismus umfaßt nur jene (Real-)Dialektik der (politischen) Aufklärung, die Anfang und Ende seltsam ineinanderfallen läßt, wie Hannah Arendt dargelegt hat: ,,Die „modernen Machtanbeter" stimmen „trotz größter Unabhängigkeit mit der Philosophie des einzigen Denkers überein ... , der je versucht hat, das öffentliche Wohl aus privaten Interessen herzuleiten, und der um des Privatinteresses willen einen politischen Körper entwarf, dessen einziges und fundamentales Ziel die Akkumulation von Macht ist. Hobbes ist in der Tat der einzige Philosoph, auf den die Bourgeoisie sich je hätte berufen dürfen; ihre Weltanschauung jedenfalls ... ist von ihm entworfen und nahezu endgültig formuliert worden, Jahrhunderte bevor die neue Klasse den Mut fand, sich ausdrücklich zu ihr zu bekennen, wiewohl sie zu entsprechenden Verhaltungsweisen eindeutig genug gezwungen worden war. Was ihr in neuerer Zeit die nihilistischen Weltanschauungen aller Sorten auch intellektuell so verführerisch hat erscheinen lassen, ist eine prinzipielle Verwandtschaft, die sehr viel älter ist als das Erscheinen jenes Intellektuellen-Gesindels, das sie dann verarbeitet hat. Es ist immerhin denkwürdig, daß die einzige reine Begriffssprache, welche die Weltanschauung dieser Klasse je gefunden hat, vor mehr als dreihundert Jahren bereits in unübertroffener Offenheit und mit einer durchaus großartigen Konsequenz entwickelt wurde, also zu einer Zeit, in der diese Klasse ge-wissermaßen gerade erst aus dem Schoß der Geschichte entlassen und in ihre Entwicklung hineingeboren wurde. "38 Der von Arendt selbst nicht zureichend erkannte point ihrer Hobbes-Kritik ist ein ökonomischer; Schmitt nennt ihn: ,,Hobbes ist der Begründer einer Lehre, die das Individuum und seine Freiheit in eine konstitutive Verbindung mit dem Eigentum setzt, der Lehre vom 'possessiven Individualismus', wie C. B. Macpherson es plastisch genannt hat ... , eine Verbindung, die eine moderne bürgerliche Marktgesellschaft überhaupt erst ermöglicht" 39 : die bürgerliche Klassengesellschaft. Daß sie eine ist, daran läßt der von Schmitt apostrophierte Macpherson keinen Zweifel, nicht ohne Hobbes vorzuwerfen, daß er die Existenz politisch bedeutender Klassenunterschiede außer Acht gelassen hat: ,,Für Hobbes war die Gesellschaft durch den Kampf eines jeden um die Macht über andere mit Notwendigkeit so zersplittert, daß alle in der Unsicherheit gleich waren. Er durchschaute nicht, daß dasselbe Merkmal einer Gesellschaft, das sie zu einem ewigen Wettkampf aller um die Macht werden läßt, sie auch zu einer in ungleiche Klassen geteilten Gesellschaft macht. Dieses Merkmal ist das alles durchdringende Marktverhältnis. Nur dort, wo die Kräfte aller Menschen marktgängige Waren sind, kann es einen ewigen Konkurrenzkampf eines jeden um die Macht über andere geben; und wo die Kräfte und Fähigkeiten aller Menschen Waren sind, entsteht mit Notwendigkeit eine Teilung der Gesellschaft in ungleiche Klassen." 40

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Gerade auch dann besitzt der souveräne Staat seine - klassenstrategische Notwendigkeit: ,,In einer traditionsgebundenen Gesellschaft mag das Netz eingeschränkter Eigentumsrechte ohne einen zentralen Souverän gesichert werden können. In einer Marktgesellschaft dagegen, wo das Eigentum ein uneingeschränktes Recht ist, Boden und andere Güter unter Ausschluß aller anderen Menschen zu nutzen, zu übertragen und zu veräußern, ist ein Souverän zur Begründung und Aufrechterhaltung individueller Eigentumsrechte notwendig. Ohne souveräne Gewalt, sagte Hobbes, gibt es kein Eigentum, und er hatte recht, sofern es sich um die für die Eigentumsmarktsgesellschaft charakteristische Eigentumsform handelte" - den „Besitzindividualismus" 41 • - Der Intention nach dient der Zwangsfrieden dazu, daß ein jeder Bürger sein Vermögen vermehren und seine Freiheit genießen kann. Diese selbst besteht nur im „freiverfügbaren Eigentum" 42 • Damit es genossen werden kann, ist die vom Staat zu garantierende Sicherheit nötig, weswegen auch Karl Marx' späteres Urteil schon auf Hobbes zutrifft: ,,Durch den Begriff der Sicherheit erhebt sich die bürgerliche Gesellschaft nicht über ihren Egoismus. Die Sicherheit ist vielmehr die Versicherung des Egoismus. "43

4. Dialektik der bürgerlichen Revolution

Hob bes zuerst hat die ,,feudale Gesellschaft ... aufgelöst in ihren Grund, in den Menschen. Aber in den Menschen, wie er ihr wirklicher Grund war, in den egoistischen Menschen"H. Nur daß Hobbes diesem Menschen keine wirkliche Sicherheit geben konnte 45; die liberalen Intentionen, auf die auch der Inhaber der Staatsgewalt prinzipiell verpflichtet war,konnten nicht eingeklagt werden, ja wurden an die absolutistische Form ihrer Sanktionierung aufgeopfert. Aus diesem ver-un-sicherten Egoismus heraus - um Marx zu paraphrasieren - hat das spätere Wirtschaftsbürgertum die Allianz mit dem absoluten Staat gelöst; was ihm der Hobbes'sche Souverän nur versprochen hatte, gab es sich selbst: Gesetze, die die Eigentumsordnung begründen und Regeln, d.h. formale und generelle Normen. Sie trennen die staatliche Ordnung von der Lebensordnung der Gesellschaft und schaffen "rechtlich neutrale, nicht inhaltlich normierte Spielräume für die legitime Verfolgung des privaten Nutzens'\ 46 Was Habermas am XIII. Kapitel von Hobbes' ,,De cive" erarbeitet, deckt sich mit Marx' Analyse der bürgerlichen Revolution, deren „Menschenrechte" den Menschen ausdrücklich als Egoisten anerkennen 47 : ,,Die Konstitution des politischen Staats und die Auflösung der bürgerlichen Gesellschaft in die unabhängigen Individuen - deren Verhätlnis das Recht ist ... - vollzieht sich in einem und demselben Akte." Marx fährt fort - Hobbes historisierend: ,,Der Mensch, wie er Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft ist, der unpolitische Mensch, erscheint ... notwendig als der natürliche Mensch. Die droits de l'honune erscheinen als droits naturels, denn die selbstbewußte Tätigkeit konzentriert sich auf den politischen Akt. Der egoistische Mensch ist das passive, nur vorgefundene Resultat

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der aufgelösten Gesellschaft, Gegenstand der unmittelbaren Gewißheit, also natürlicher Gegenstand." Doch in der Historisierung ist Marx' fundamentale Kritik der bürgerlichen Revolution bereits,angelegt: ,,Die politische Revolution löst das bürgerliche Leben in seine Bestandteile auf, ohne diese Bestandteile selbst zu revolutionieren und der Kritik zu unterwerfen. Sie verhält sich zur bürgerlichen Gesellschaft, zur Welt der Bedürfnisse, der Arbeit, der Privatinteressen, des Privatrechts, als zur Grundlage ihres Bestehens, als zu einer nicht weiter begründeten Voraussetzung, daher als zu ihrer Naturbasis. " 48 Da sie aber eine „begründete ... Voraussetzung" ist, kann sie auch geändert werden. Doch warum wird aus der politischen keine gesellschaftliche Revolution? ,,Es ist schon rätselhaft, daß ein Volk, welches eben beginnt, sich zu befreien, alle Barrieren zwischen den verschiedenen Volksgliedern niederzureißen, ein politisches Gemeinwesen zu gründen, daß ein solches Volk die Berechtigung des egoistischen, vom Mitmenschen und vom Gemeinwesen abgesonderten Menschen feierlich proklamiert (Decl. de 1791)." 49 Und dennoch läßt Marx keinen Zweifel daran, daß auch für ihn die „politische Emanzipation ... eiri großer Fortschritt" ist, nur eben „nicht die letzte Form der menschlichen Emanzipation überhaupt" 50 • Ja, die weitergehende - umfassende - Emanzipation ist von der politischen antizipiert: ,,Worauf beruht eine teilweise, eine nur politische Revolution? Darauf, daß ein Teil der bürgerlichen Gesellschaft sich emanzipiert und zur allgemeinen Herrschaft gelangt, darauf, daß eine bestimmte Klasse von ihrer besonderen Situation aus die allgemeine Emanzipation der Gesellschaft unternimmt. Diese Klasse befreit die ganze Gesellschaft, aber nur unter der Voraussetzung, daß die ganze Gesellschaft sich in der Situation dieser Klasse befindet, also z. B. Geld und Bildung besitzt oder beliebig erwerben kann - keine Klasse der bürgerlichen Gesellschaft kann diese Rolle spielen, ohne ein Moment des Enthusiasmus in sich und in der Masse hervorzurufen, ein Moment, worin sie mit der Gesellschaft im allgemeinen fraternisiert und zusammenschließt, mit ihr verwechselt und als deren allgemeiner Reprilsentant empfunden und anerkannt wird, ein Moment, worin ihre Ansprüche und Rechte in Wahrheit die Rechte und Ansprüche der Gesellschaft selbst sind, worin sie wirklich der soziale Kopf und das soziale Herz ist. Nur im Namen der allgemeinen Rechte der Gesellschaft kann eine besondere Klasse sich die allgemeine Herrschaft vindizieren. "51 Zweifellos, die allgemeine Revolution wird nur ideologisch antizipiert, d. h. zunächst auf Kosten der Allgemeinheit, aber indem sie subjektiv Volksrevolution ist, wird doch mit dem Prinzip der Staatssouveränität gebrochen und ansatzweise Volkssouveränität praktiziert: Die Ideologie der Volkssouveränität ist ihre „Vernunft in ... unvernünftige ... (r) Gestalt; als bewußtes Sein ... (ist) sie die in Gedanken gefaßte Praxis, herrschaftssichernde Illusion und unverstandene Utopie zugleich. Die (weiterführende) revolutionäre Praxis ... (kann) daher an einen real bereits vorhandenen und anerkannten, d. h. in Traditionen und Institutionen verkörperter Sinnentwurf anknüp(en. "52 Wie Marx im September 1843 an Ruge schreibt, ,,enthält ... der politische Staat, auch wo er von den sozialistischen Forderungen noch nicht bewußterweise erfüllt ist, in allen seinen modernen Formen

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die Forderungen der Vernunft. Und er bleibt dabei nicht stehen. Er unterstellt überall die Vernunft als realisiert. Er gerät aber ebenso überall in den \Viderspruch seiner ideellen Bestimmungen mit seinen realen Voraussetzungen. - Aus diesem Konflikt des politischen Staates mit sich selbst läßt sich daher überall die soziale Wahr bei t entwickeln. "53

5. Konstitutionalismus als Eigen.tmnsabsolutismus 54

John Lacke war es zuerst, der sich - im Ausgangspunkt mit Hobbes einig - ihm durch die Lehre entgegenstellte, daß das „Volk'', gleichgültig wen es mit der höchsten Gewalt betraut hat, doch immer eine höchste Gewalt, die errichtete Herrschaftsform zu entfernen oder zu ändern, zurückbehält: Es behält immer noch ein Recht zur Revolution. 55 - Hob bes' Satz: ,,... alle Menschen sind ohne Unterschied von Natur aus frei" 56 bleibt in Lockes Theorie ständig präsent, statt im fiktiven Gründungsvertrag des Staates ein für alle Mal suspendiert zu werden; doch auch dem Lock'schen Staat auf Abruf muß das (bürgerliche) Individuum normalerweise seine gesamte, ihm von Natur aus zustehende Gewalt delegieren. Andererseits kann es das mit der Garantie gegen willkürliche Unterdrückung durch diesen seinen Staat tun. Locke fordert jedenfalls eine Verfassung, die in so gut wie allen inneren Angelegenheiten die Exekutivgewalt dem Gesetz und letztlich einer gesetzgebenden Versammlung mit genau bestimmten Befugnissen unterordnet. Die gesetzgebende Versammlung muß auf die Schaffung von Gesetzen zum Unterschied von „willkürlichen Beschlüssen des Augenblicks" beschränkt werden; ihre Mitglieder müssen vom Volk für ziemlich kurze Zeit gewählt werden und somit „den Gesetzen untertan sein, welche sie selbst gegeben haben". 57 Es vermittelte jedoch ein falsches Bild von Lackes Theorie, würde man nicht betonen, daß er solche Forderungen nur erheben konnte, da er zuvor - wie Hob bes - die totale Unterordnung des Individuums unter die Eigentumsmarktgesellschaft begründet hatte, ja sie mit dem „Volk" identifizierte. Lockes Volkssouveränität war die der besitzenden Klasse und sein Konstitutionalismus eine Verteidigung ihres Supremats. 58 Die Arbeiterschaft, also jener Teil der Gesellschaft, der nur seine Arbeitskraft besaß, war ihm kein vollwertiger Teil, bloß Objekt der staatlichen Politik und ihrer Verwaltung, nicht Subjekt. Dieser Staat war der der Besitzenden. Hierin war bereits die Krise des Konstitutionalismus angelegt und Hobbes' - cäsaristische - Wiederkehr mit ihr: die eines „neuen Leviathan "59 •

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6. Cäsarism.us- Bonapartismus - Faschisnms Julius Lipps glaubt, schon den äl,testen Leviathan, Hobbes' englischen Ur„Leviathan" - im Unterschied zu ,.s~iner lateinischen Zweitfassung - cäsaristisch verstehen zu müssen: ,,Das Volk setzt dem Monarchen die Ccisarenkrone aufs Haupt." 60- Ob dieser Cäsar konkret Cromwell ist, der erste bürgerliche Diktator, kann hier nicht entschieden werden 6 1, doch von Cromwells „militärischem und staatsrechtlichem Cäsareopapismus" zu sprechen 62, erscheint durchaus berechtigt - unabhängig davon, wie Hobbes zum (die Erbmonarchie kaum meidenden) ,,Lordprotector" stand. - Im Hinblick auf das 19. und 20. Jahrhundert ist schließlich von Interesse, daß eben Schmitt Hobbes ex eventu und in adventu als Cäsaristen interpretiert hat: ,,Bei Hob bes beruht die Macht des Souveräns ... auf einer mehr oder weniger stillschweigenden, aber darum soziologisch nicht weniger wirklichen Verständigung mit der Überzeugung der Staatsbürger, wenn auch diese Überzeugung gerade durch den Staat hervorgerufen werden soll. Die Souveränität entsteht aus einer Konstituierung der absoluten Macht durch das Volk. Das erinnert an das System des Caesarismus und einer souveränen Diktatur, deren Grundlage eine absolute Delegation ist. "63 Schmitt muß ent-ideologisiert werden, dann ist seine Definition des Cäsarismus durchaus richtig: Marx hat in seinem „ 18. Brumaire", einer ersten Theorie des Faschismus 6 4, gezeigt, wie es jederzeit zu solch cäsaristischen Systemen kommen kann 63 , wenn die inzwischen etablierte Macht des Bürgertums durch eine neue Klasse gefährdet wird; dann gibt es zwar weiterhin vor, die allgemeine Klasse zu sein, kann dies aber nur noch, indem es in eine Diktatur flüchtet, der es seine Macht „absolut" delegiert. 66 Schmitts Ausführungen sind ideologisch, insofern sie die Klasse, in deren Interesse der „Cäsar" die Macht ergreift, mit dem „Volk'' identifizieren, das als einige Person, die sich „stillschweigend" mit seinem Souverän „verständigt", sowieso mythisch ist, wie notwendig auch dieser.67 (,,Er besitzt ... eine Art von göttlichem Recht, er ist von Volkes Gnaden. " 68) Arnold Gehlen macht das offenkundig, wenn er dessen Ideal als „vollkommenen Repräsentanten des Stimmrechts der Wirklichkeit" bezeichnet und daran keine Psychologie heranreichen läßt: ,, ... niemand deutet das ... Portrait des Augustus, das sich auf einer Gemme im Aachener Domschatz findet. "6 9 ,,... einen Napoleon" konnte Metternich „noch charakterisieren" 70. Und doch hat kein Geringerer als Hegel auch ihn solcherart divinisiert, daß Schmitts Worte über Hobbes' Souverän geradezu unterkühlt wirken: ,,Das einzelne Ich, Napoleon, und das allgemeine Ich, das Volk, sind ... identisch, genauer, die Identität der Identität und der Nichtidentität. Sie bilden 'das Dasein des zur Zweiheit ausgedehnten Ichs', den demokratisch-plebiszitär legitimierten Staat, und der Kaiser wird der 'erscheinende Gott' mitten unter ihnen, die sich als das reine Wissen wissen! ... 'Der Gehorsam des Selbstbewußtseins' ist hier nicht 'der Dienst gegen einen Herrn, dessen Befehle eine Willkür wäre(n), und worin es sich nicht erkennte. Sondern die Gesetze sind Gedanken seines eigenen absoluten Be\vußtseins, welche es selbst unmittelbar hat'. Die Vermittlung der Sub-

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stanz mit dem Subjekt ist vollbracht, die Entäußerung zurückgenommen und die Entfremdung aufgehoben." 71 Auch nur an solche Möglichkeit, die für den Jenenser Hegel peifectum prasens ist, wird Schmitt nie glauben und dennoch Cäsarist bleiben. Er kann es auch und gerade dadurch, daß er das Volk unters Plebiszit subsumiert 71 wie dieses auf die Akklamation reduziert; so bereits in seinem frühen Aufsatz „Volksentscheid und Volksbegehren. Ein Beitrag zur Auslegung der Weimarer Verfassung und zur Lehre von der unmittelbaren Demokratie" von 1927.73 Die wirksame Fiktion genügt Schmitt, jene „demokratische Identitätsfiktion", die Schelsky schon Hobbes nachsagt74 • Es genügt Schmitt der „soziale Mythos", der - nach dem Vorbild des italienischen Faschismus - ein nationaler ist75 : ein „polytheistischer" und damit neopaganer Mythos, wie Schmitt keinen Zweifel läßt 76 • Er, der weiß, daß der Cäsarismus insgesamt „eine typisch nichtchristliche Machtform" ist77, vertritt schon früh die Überzeugung - im Anschluß an einen faschistisch rezipierten Georges Sorel -, daß nur ein Mythos die „Grundlage einer neuen Autorität, eines neuen Gefühls für Ordnung, Disziplin und Hierarchie" sein kann 78• Vor allem das faschistische Italien hat Schmitt in dieser Überzeugung bestätigt79,war es ihm doch gelungen, wieder einen „totalen Staat (aus Stärke)" zu schaff en 80 : einen monistischen und damit paganen Staat. - ,,Der faschistische Staat will mit antiker Ehrlichkeit wieder Staat sein, mit sichtbaren Machtträgern und Repräsentanten, nicht aber Fassade und Ami-Chambre unsichtbarer und unverantwortlicher Machthaber und Geldgeber. "81

7. Von der Prasidialdiktatur zum Führerstaat

Jeder Faschismus, auch schon der italienische, für den Schmitt seit den 20er Jahren plädierte, bedeutet den Bruch mit dem Prinzip der Egalität. Der Bruch verschärft sich aber, wenn der Faschismus in Art des Nationalsozialismus auf die ,.Artgleichheit" rekurriert 82 und sich als rassistischer Staat der ,,Volksgenossen" deklariert. Dann dementiert er die Menschenrechte, einschließlich des Rechts auf Leben für 'Andersartige'. Im „Deutschen Reich" ist dies bereits im Februar 1933 geschehen, unmittelbar nach dem Reichstagsbrand, aber noch vor dem eigentlichen Ermächtigungsgesetz. Reichsprasident von Hindenburg hat damals aufgrund der Sonder- und Ausnahmerechte, die ihm Artikel 48 der Weimarer Reichsverfassung zubilligte (oder zuzubilligen schien), die entscheidenden Grundrechte außer Kraft gesetzt. Wie sehr eine Diktatur des Reichspräsidenten überhaupt vorbereitet war, als Grundlage noch der späteren Führerdemokratie, zeigt besonders gut ein letzter Blick auf Schmitt. Er läßt deutlich erkennen, wie sehr Schmitt Hobbes cäsaristisch aktualisiert bzw. die Präsidialdiktatur und Führerdemokratie hobbesianisch antizipiert und legitimiert hat. - Mit der Weimarer Verfassung über sie hinausgehend, schreibt Schmitt 1931 zur Stellung des Reichspräsidenten: ,,Der Reichspräsident steht im Mittelpunkt eines ganzen, auf plebiszitärer Grundlage aufgebauten Systems von parteipolitischer Neutralität und Unabhängigkeit." Die

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geheime cäsaristische Tendenz dieses Satzes machen folgende Ausführungen deutlich, deren Übereinkunft mit Schmitts ausdrücklicher Hobbes-Rezeption evident ist: ,,Die Weimarer Verfass-qng ... setzt das ganze deutsche Volk als eine Einheit voraus, die unmittelbar ... ,,handlungsfähig ist ... und sich im entscheidenen Augenblick auch über die p'luralistischen Zerteilungen hinweg zusammen finden und Geltung verschaffen soll. Die Verfassung sucht insbesondere der Atttorität des Reichspräsidenten die Möglichkeit zu geben, sich unmittelbar mit diesem politischen Gesamtwillen. des deutschen Volkes zu verbinden und eben dadurch als Hüter und Wahrer der verfassungsmäßigen Einheit und Ganzheit des deutschen Volkes zu handeln." 83 Soweit Schmitt, und Hindenburg - darauf kommt es an - behandelte den einschlägigen Artikel 48 der Weimarer Reichsverfassung, ,,von Brüning und von Papen gelenkt, als den wichtigsten Bestandteil der Verfassung überhaupt. So hatte Hitler 'verfassungstreue' Vorbilder, die ihn lehrten, wie man sich formgerecht von der lästigen Bindung an das Staatsgrundgesetz befreie. Er machte den Artikel 48 'total'; in diesem allumfassend gewordenen Artikel erschöpft sich die Verfassung des Dritten Reiches." 84 Ihr „Hüter" war jetzt die NSDAP: der ,,Wächter des völkischen Heiligtums", wie Schmitt 1935 formulierte 85 , ein Jahr, nach dem Hitler die SA-Führung liquidiert und dadurch in den Augen Schmitts das Recht „geschützt" hatte 86 •

Schlußbemerkimg

Tatsächlich geschützt hatte Hitler nicht zuletzt das vor der SA bangende große Kapital. Ihm wurde überhaupt nur jeder mögliche Wirtschaftsliberalismus gewährleistet: eine liberale Ökonomie, ermöglicht, gefördert und abgesichert durch einen autoritären, ja totalitären Staat. Eben im Blick auf Schmitt sprach Heller 1932/33 von „autoritärem Liberalismus", und der ist, Pointe der Pointe, nicht erst ein Ergebnis der Krise des Liberalismus, sondern kennzeichnet bereits seine krisenhafte Entstehungsphase - wofür Hobbes der überragende Zeuge ist. Dafür, daß Bourgeois-Rechte keine Staatsbürger- oder Menschenrechte zu sein brauchen; daß jene diese geradezu ausschließen können. Ich glaube nicht, daß wir in absehbarer Zeit erneut in der Gefahr eines Autoritären Liberalismus stehen. Aber niemand kann sie für alle Zeit oder an sich ausschließen. Denn sie ist eine der „Eigentumsmarktgesellschaft" inhärente Gefahr. Darauf wollce ich aufmerksam machen, auf nicht mehr und nicht weniger. Deshalb die dialektische Würdigung des Hobbes, den ich mit Hannah Arendt und Macpherson zum Zeugen gegen. den „Besitzindividualismus" aufgerufen habe. Deshalb meine Kritik an Hobbes' Aktualisatoren Schmitt und Schelsky einerseits und meine Rezeption des jungen Marx andererseits. - Wie immer sie heute im einzelnen zu verwirklichen ist, Marx' Forderung nach einer sozialen Transzendierung der liberalen Demokratie a la John Locke scheint aktuell geblieben zu sein: Marx' Metakritik der Bürger- und Menschenrechte.

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Liberalismus

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C. Schmitt, Gesunde Wirtschaft im starken Staat, in: Mitteilungen des Vereins zur Wahrnehmung der gesamten wirtschaftlichen Interessen in Rheinland und Westfalen (Langnamverein), 1932, Nr. 1, S. 13-32; vgl. auch ders., Starker Staat und gesunde Wirtschaft, in: Volk und Reich. Politische Monatshefte, Februar 1933, S. 81-94. 1

Vgl. R. Brenneke, Thatcherismus - Die Realität des „Popular Capitalism", in: R. Faber (Hg.), Konservatismus in Geschichte und Gegenwart, Würzburg 1991, S. 107-18 sowie Brennekes Beitrag in diesem Band. 2

H. Heller, Autoritärer Liberalismus? In: Neue Rundschau 44 (1933), S. 289-98; vgl. jetzt auch I. Maus, Bürgerliche Rechtstheorie und Faschismus. Zur sozialen Funktion und aktuellen Wirkung der Theorie Carl Schmitts, München 1976 sowie D. Haselbach, Autoritärer Liberalismus und Soziale Marktwirtschaft, Baden-Baden 1991. 3

Vgl. u.a. E. Nolte, Die Ktise des liberalen Systems und die faschistischen Bewegungen, München 1968 4

H. Schelsky, Thomas Hobbes. Eine politische Lehre, Berlin 1981, S. 5. - Schelsky glaubte 1941, in welchem Jahr er seine Habilschrifc abgeschlossen hatte, ,,man müsse Hob bes ... so nachdenken, als ob man seine Aussagen noch heute als Wahrheiten vertreten wolle"; er beanspruchte, ihn ,,bewußt aus den Kräften der Gegenwart begriffen" zu haben. {Vgl. ebd., S. 13/4) Nach 1945 gehörte Schelsky zu den Schmitt-Schülern, die Politik auf die „Hobbessche Alternarive" reduzierten: „autoritäre Ordnung oder Bürgerkrieg", ,,und auf diese Weise unter dem Motto 'Der Staatsrechtler im Bürgerkrieg' jene bekannte existentielle Identifikation Carl Schmitt - Hobbes" verteidigten. (H. Hofmann, Bemerkungen zur Hobbes-lnterpretation, in: Archiv des öffentlichen Rechts 91 (1966), s. 122/3) 5

Vgl. u.a. G. Buck, Selbsterhaltung und Historizität, in: R. Koselleck / W. D. Stempel (Hg.), Geschichte -Ereignis und Erzählung, München 1973, bes. S. 54-57. 6

Vgl. Th. Lipps, englischen Revolution, Staatslehre des Thomas che Würde, Frankfurt/ 7

Die Stellung des Thomas Hobbes zu den politischen Parteien der großen Leipzig 1927, S. 32 Fn. 1, 85 und 99; C. Schmitt, Der Leviathan in der Hobbes, Hamburg 1938, S. 70 und 103; E. Bloch, Naturrecht und menschliM. 1961, S. 62.

8 Vgl. J. Habermas, Theorie und Praxis. Sozialphilosophische Studien, Neuwied/Berlin 1967 (2. Aufl.), S. 35 sowie H. Blumenberg, Säkularisierung und Selbstbehauptung. Erweiterte und überarbeitete Neuausgabe von „Die Legitimität der Neuzeit", erster und zweiter Teil, Frankfurt / M. 1974, S 256-60. 9

C. Schmitt, Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes, S. 132

°K. M. Kodalle, Thomas Hobbes. Logik der Herrschaft und Vernunft des Friedens, München 1972, S. 81, aber auch schon C. Schmitt, a.a.O., S. 112/3 1

11 In

Ansehung der von Hobbes immer wieder herausgestellten Bedeutung der (Angst vor der) Todesstrafe muß man sogar vom „staatlichen Gewaltmonopol" sprechen. K. H. Ilcing hat zu Recht festgehalten: ,,Ursprung und Bestand des Staates sind bei Hobbes auf die unwiderstehliche Gewalt der Furcht vor einem unnatürlichen Tode gegründet. So wie Hobbes die Bereitschaft zur Unterwerfung unter einen souveränen Befehl nur als Flucht vor einem gewaltsamen Tode zu begreifen vermag, so hängt für ihn die Existenz des Staates lerzlich allein an der extremen Gewalterzwingungschance, der Todesstrafe." (Hobbes und die praktische Philosophie der Neuzeit, in: Philosophisches Jahrbuch LXXII (1964/5), S. 100) ,,... alles Recht kommt von der Todesfurcht. Die Furcht gebiehrt die Vernunft", wie B. Willms in unübertrefflicher Weise affirmiert. (Einige Aspekte der neueren englischen Hobbes-Literatur, in: Der Staat 1 (1962), S. 106) 12 Die Formel des Vertrages lautet: ,,Ich autorisiere diesen Menschen oder diese Versammlung von Menschen und übertrage ihnen mein Recht, mich zu regieren, unter der Bedingung, daß du

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ebenso dein Recht überträgst und alle ihre Handlungen autorisierst." (Th. Hobbes, Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines kirchlichen und bürgerlichen Staates, Frankfurt/M. 1984, S. 134) Diese Formel belegt eindeutig den Charakter des „pacmm unionis" als „pactum subiecrionis", aber auch, daß es nur einen Vertrag zwischen d~n einzelnen zugunsten des Souveräns gibt und keinen jedes einzelnen mit dem Souverän. An der alles entscheidenden Konsequenz dieses Sachverhalts hat Hobbes keinen Zweifel gelassen: ,,Da von den Vertragsschließenden das Recht, ihre Person zu verkörpern, demjenigen, den sie zum Souverän ernennen, nur durch einen untereinander und nicht zwischen ihm und jedem einzelnen von ihnen abgeschlossenen Vertrag übertragen wurde, kann seitens des Souveräns der Vertrag niclu gebrochen werden, und folglich kann sich keiner seiner Untertanen von seiner Unterwerfung befreien, indem er sich auf Verwirkung beruft." (Ebd., S. 173) Ein Widerstandsrecht ist nicht vorgesehen! 13 Vgl.

Th. Hobbes, Vom Menschen. Vom Bürger, Hamburg 1966 (2. Aufl.) S. 154, aber auch

199 Th. Hobbes, Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines kirchlichen und bürgerlichen Staates, S. 134/5 14

15 Ebd.,

16 Vgl.

S. 137

P. Hazard, Die Krise des europäischen Geistes, Hamburg 1939 (5. Aufl.), S. 311

Schmitt hat recht: ,,Die Relation von Schurz und Gehorsam ist der Angelpunkt der Sraatskonstruktion des Hobbcs" (Der Staat als Mechanismus bei Hobbes und Descartes, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie XXX. 1936-37, S. 627), deren Funktionieren aber nicht so automatisch gewährleistet, wie Schmitt unterstellt, und damit auch nicht „die Sicherheit meines physischen Daseins" (Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes, S. 69). Was ist, wenn 'ich' trotz Gehorsam gegenüber dem Sraat von diesem nicht nur nicht geschützt, sondern sogar angegriffen werde? Der Unterwerfungsvertrag ist auch dann irreversibel und ein Widerstandsrecht nicht gegeben: ,,Im absoluten Staat des Hobbes ist ein Widerstandsrecht als 'Recht' auf einer Ebene mit dem staatlichen Recht in jeder Hinsicht, faktisch wie rechtlich, widersinnig und eine Absurdität. Gegenüber dem Leviathan als einem übermächtigen, jeden Widerstand vernichtenden, technisch vollendeten Befehlsmechanismus ist der Versuch eines Widerstandes praktisch völlig aussichtslos. Die juristische Konstruktion eines Rechtes auf einen solchen Widerstand aber ist schon als Frage oder Problem unmöglich." (Ebd., S. 71/2) - Hobbes hat von vornherein ausgeschlossen,, zwischen „Tyrannis" und „Souveränität" unterscheiden zu können; der eine Name bedeute „nicht mehr und nicht weniger" als der andere. Hobbes glaubt: ,,Daß die Duldung eines erklärten Hasses gegen die Tyrannis eine Duldung des Hasses gegen den Staat im allgemeinen ist." Der Staat ist mit anderen Wanen sakrosankt - was auch daraus erhellt, daß das Gesetz des Souveräns „die Sittenregel" darscellr. (Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines kirchlichen und bürgerlichen Staates, S.239 u. 391). 17

Ihr „hauptsächlichstes" ist, ,,unseren bürgerlichen Souveränen zu gehorchen, die wir über uns durch gegenseitigen Vertrag, den einer mit dem anderen abgeschlossen hat, eingesetzt haben." (Th. Hobbes, Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines kirchlichen und bürgerlichen Staates, S. 448) Für Hobbes kann es keinen Widerspruch zwischen den Befehlen Gottes und des Souveräns geben; die des einen sind auch die des anderen. Hob bes' Königtum verdankt sich einer vorgängigen Volkssouveränität, ist im Ergebnis aber nicht weniger souverän als das traditionelle und unmittelbare Gottesgnadentum. (Vgl. ebd., S. 446/7 bzw. 186) 18

19 Th. Hobbes, Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines kirchlichen und bürgerlichen Staates, S. 258 20 Vgl. H. G. Krüger, Theologie und Aufklärung. Untersuchungen zu ihrer Vermittlung beim jungen Hegel, Stuttgart 1966, S. 28/9

Vgl. A. von Martin, Sola volunras: Auch ein Rechtfenigungsglaube, in: Deutsche Beiträge. Erstes Beiheft zur Philosophie, München 1948, S. 31. - Diese Auffassungsweise konnte umso 21

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leichter auf den Staat übertragen werden, als etwa Duns Scotus Gon in Analogie zum König erklärt harre. (Vgl. K. M. Kodalle, a.a.O., S. 1 Fn. l) Hob bes vindiziert diesem nur, was er vorher hatte an Gon abgeben müssen. (Vgl. Th. Hobbes, Vom Menschen. Vom Bürger., S. 238, aber auch 245 und 255) - Belege für die Bekanntschaft Hobbes' mir der scotistischen und ockhamistischen Scholastik finden sich beim Ilring-Schüler F. 0. Wolf, Die neue Wissenschaft des Thomas Hobbes. Zu den Grundlagen der poltiischen Philosophie der Neuzeit, Stuttgart 1969, S. 76 ff., bes. S. 79/80. Th. Hobbes, Leviathan oder Stoff, Form und Gewalc eines kirchlichen und bürgerlichen Staates, S. 204 22

23 Vgl. C. Schmitt, Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes, S. 49/50, vor allem aber W. Hübener, Carl Schmitt und Hans Blumenberg oder über Kette und Schuß in der historischen Textur der Modeme, in: J. Taubes (Hg.), Der Fürst dieser Welt. Carl Schmitt und die Folgen, München 1985 (2. Aufl.), S. 72/3 2 ~ Th. Hobbes, Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines kirchlichen und bürgerlichen Staates, S. 217

25

C. Schmitt, Politische Theologie. Vier Kapitel zur Lehre von der Souveränität, Berlin 1934

(2. Aufl.), S. 44

C. Schmitt-Dorotic, Die Diktatur. Von den Anfängen des modernen Souveräntitätsgedankens bis zum proletarischen Klassenkampf, München und Leipzig 1921, S. 22 26

Th. Hobbes, Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines kirchlichen und bürgerlichen Staates, S. 210; vgl. schon ders., Vom Menschen. Vom Bürger, S. 193,249, 252 und 255. - Es handelt sich um das Credo des Regierungsstaates, wie es Schmitt am Vorabend der 'Machtergreifung' affirmieren wird: ,,Das Beste in der Welt ist ein Befehl."' (Legalität und Legitimität, München und Leipzig 1932, S. 13) Post festum kann E. Niekisch mit deurlicher Stoßrichmng gegen Schmitt interpretieren: ,,Die reinste Ausdrucksform der Rechtssubstanz ist der Fiihrerbefehl." (Das Reich der niederen Dämonen, Hamburg 1953, S. 91) 27

Th. Hobbes, Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines kirchlichen und bürgerlichen Staates, S. 143 18

29 Der „bürgerliche Souverän" ist „in jedem Staat das Haupt, die Quelle, die Wurzel und die Sonne" (Th. Hobbes, Leviathan oder Stoff, Form und Gewalc eines kirchlichen und bürgerlichen Staates, S. 435). Denn jeder Staat ist ein „Feldlager": ,,Ein deutliches Zeichen, daß die unbeschränkteste Monarchie die beste Staatsform von allen ist, liegt darin, daß nicht bloß die Könige, sondern auch die Staaten, wo das Volk oder die Vornehmen herrschen, nur einem einzigen die Kriegsgewalt übergeben, und zwar in der unbeschränktesten Weise." (Th. Hobbes, Vom Menschen. Vom Bürger, S. 186; vgl. auch ders.,Leviathan ... , S. 141) Schon Roms Sonnenkaiser waren Soldatenkaiser, als Sonnenkaiser aber auch Gottkaiser, wie noch Konstantin: ,,... man verehrte die höchste Sraatsgewalr wie eine sichtbare Gottheit." (Vom Menschen. Vom Bürger, S.66) 30 Bereits der Hobbessche Naturzustand stellt das abstrakte Modell empirischer Erfahrungen dar: das Modell des zeitgenössischen „Besitzindividualismus" und der zeitgenössichen „Eigentumsmarkrgesellschaft" (von denen das folgende Kapitel handelt).

31

Vgl. E. Bloch, Naturrecht und menschliche Würde, S. 65, aber auch H. Schelsky, a.a.O., S.

368

F. Borkenau, Der Übergang vom feudalen zum bürgerlichen Weltbild. Studien zur Geschichte der Philosophie der Manufakmrperiode, Paris 1934, S. 100, aber auch C. Schmitt, Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes, S. 113 32 Vgl.

C. Caudwell, Bürgerliche Illusion und Wirklichkeit. Beiträge zur materialistischen Ästhetik, München 1971, S. 74; vgl. auch F. Borkenau, a.a.O., S. 447-49 und 457/8 33

74

Richard Faber

34 Vgl.

F. Borkenau, a.a.O., S. 460 ff.

Daß - für B. Willms - ,,die Vernurtft des Leviathans ... der Friede" ist: das, was jener als Frieden „bestimmt", also ein deziosonist;s~her oder „nihilistischer" Friede - ,,Friede (an sich) ist vernünftig": Friede um jeden Preis -, dies charakterisiert die Hobbessche Vernunft insgesamt: den auch ihr eigenen Dezisionismus bzw. Nihilismus. (Vgl. B. Willms, Die Antwort des Leviathan. Thomas Hobbes politische Theorie, Neuwied/Berlin 1970, S. 150, 154 und 150 Fn.104) 35

Vgl. C. Graf von Krockow, Soziologie des Friedens. Drei Abhandlungen zur Problematik des Ost-West-Konflikts, Gütersloh 1962, S. 73. 35

E. Bloch, a.a.O., S. 173. - Bereits 0. von Gierke sprach von der „naturrechrlichen Vernichtung des Naturrechts" durch Hob bes. Gohannes Althusius und die Entwicklung des Naturrechts, Breslau 1913 (3. Aufl.), S. 300) Blochs Entlastung von Hobbes überzeugt nicht: Jener sucht (politischen) Liberalismus im Hobbesschen System selbst, das ihn nicht nur permanent ausschließt, sondern sogar liberale Momente - umfunktionierendzur eigenen Stabilisierung benmzt. Liberales läßt sich bei Hob bes nur vindizieren, wenn man die genannten Momenre aus dem Hobbesschen System herausbricht und von ihnen her gegen Hobbes deduziert. Das ist historisch auch geschehen, und nur dadurch hat er einen Stellenwert in der Geschichte der politischen Revolurion des Bürgertums. 37

38

H. Arendt, Elemente und Ursprünge rotaler Herrschaft, Frankfurt/M.

1955, S. 232/3

39 C. Schmitt, Die vollendete Reformation. Bemerkungen und Hinweise zu neuen LeviathanImerpretationen, in: Der Staat 4 (1965), S. 60 40 C. B. Macpherson, Die politische Theorie des Besitzindividualismus von Hobbes bis Locke, Frankfurt/M. 1967, S. 110/111

41 Ebd., 42 Vgl. 43

S. 113

J.Habermas,

Theorie und Praxis, S. 3 8/9

K. Marx, Die Frühschriften, Stuttgart 1964, S. 194

H Ebd., S. 197. - Von Krockow sieht richtig: ,,Was das 'kommunistische Manifest' an der Bourgeoisie abliest, das nackte Interesse, die gefühllose 'bare Zahlung', das Ertränken von Schwärmerei und Wehmut im 'eiskalten Wasser egoistischer Berechnung', das 'Verdampfen' alles Ständischen und Stehenden, der Zwang für alle Menschen, ihre Lebensstellung, ihre gegenseitigen Beziehungen endlich mit 'nüchternen Augen' zu sehen - es klingt weithin wie an Hobbes abgelesen. Marx erhebt keinen moralischen Vorwurf; er stellt die Tatsachen fest. So hätte es auch Hobbes verstanden. Er hält allerdings für 'natürlich', was Marx als 'bourgeois' erkennt. Und er akzeptiert, was Marx so leidenschaftlich verwirft." (A.a.O., S. 33/4). 45 „In der Realität verwandelt(e) sich die Sicherheit für die Bürger immer mehr zur 'Staatssicherheit' im Sinne der Sicherheit des Staates selber." (M. Theunissen, Freiheit und Gehorsam, hektographierte Thesen vom Anfang der 80er Jahre, S. 2) Noch nicht einmal das jeweilige Eigentum war prinzipiell gesichert; Hobbes läßt keinen Zweifel: ,,... dein Besitzrecht und dein Eigenrum an deinen Sachen kommen dir nur insoweit und solange zu als der Staat es will." Denn: ,,... woher hast du dieses dein Eigentum, wenn nicht vom Staate?" (Vom Menschen. Vom Bürger, S. 198; vgl. auch ders., Leviathan ... , S. 249 und 198) 45

Vgl.J. Habermas, a.a.O., S. 37/8.

Vgl. K. Marx, a.a..O., S. 198. - Marx' Untersuchung dieser Rechte beginnt mit dem lapidaren Satz: ,,Die praktische Nmzanwendung des Menschenrechts der Freiheit ist das Menschenrecht des Privateigentums." (Ebd., S. 193) '7

48

K. Marx, a.a.O, S. 198

49 Ebd.,

S. 194

Autoritärer Liberalismus

50

75

Ebd., S. 183

51 Ebd.,

S. 219/20

52

A. Wellmer, Kritische Gesellschaftstheorie und Positivismus, Frankfurt/M. 1969, S. 104

53

K. Marx, a.a.O., S. 169

54 Vgl. E. Bernstein, Sozialismus und Demokratie in der grolsen englischen Revolution, Berlin 1974 (6. Aufl.), S. 144 55

Vgl. L. Strauss, Naturrecht und Geschichte, Stuttgart 1956, S. 242

Th. Hobbes, Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines kirchlichen und bürgerlichen Staates, S. 168 56

57

Vgl. L. Strauss, a.a.0., S. 243

Vgl. C. B. Macpherson, a.a.O., S. 290 sowie F. Borkenau, a.a.O., S. 445/6. - Wenn nötig, wurde der besitzbürgerliche Supremat selbstverständlich auch mit aulsrekonstimrionellen Mitteln verteidigt: Die sogenannte Habeas-Corpus-Akte wurde stets gerade dann aufgehoben, wenn man ihrer am dringendsten bedurfte - zwischen 1688, dem Jahr der Glorreichen Revolution, und 1723 allein nicht weniger als sieben Mal und während der Zeit der ersten bürgerlich-demokratischen Bewegung im industriellen Zeitalter zwischen 1794 und 1802 so gut wie dauernd. Eine weitere Suspendierung erfolgte 1817/18, gefolgt von den berüchtigten Ausnahmegesetzen des Jahres 1819. Auch im letzten Fall ging es im „freiheitlichen" und „parlamentarischen" England gegen die demokratische Bewegung. (L. Kofler/A. Buro, Vom Handelskapitalismus zum Neo-Imperalisrnus der Gegenwart. Eine Einführung in die Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft, Offenbach 1973 (2. Aufl.), S. 43/4) 58

59 Vgl. F. Buchholz, Der neue Leviathan, Tübingen 1805 sowie D. Groh, Cäsarismus, Napoleonismus, Bonapartismus, Führer, Chef, Imperialismus, in: Geschicluliche Grundbegriffe. Bd. 1, Stmrgan 1972, S. 736 60

Th. Lipps, a.a.O, S. 43

61

Vgl. u.a. F. Borkenau, a.a.0., S. 444-453

62

Th. Lipps, a.a.O., S. 57

63

C. Schmin-Dorotic, Die Diktatur, S. 23; vgl. auch H. Schelsky, a.a.O., S. 353/4 und 417/8

64 Zur Kontroverse über die zuerst von A. Thalheimer vorgenommene Übertragung der Marxschen Bonarpartismus-Analyse auf den Faschismus vgl. H. C. F. Mansilla, Faschismus und eindimensionale Gesellschaft, Neuwied/Berlin 1971, S. 137-45 sowie R. Faber, Cäsarismus - Bonapartismus - Faschismus. Zur Rekonstruktion des Brecheschen „Cäsar"-Romans, in: L. Hieber/R. W. Müller (Hg.), Gegenwart der Antike. Zur Kritik bürgerlicher Auffassungen von Natur und Gesellschaft, Frankfurt/M. 1982, bes. S. 64-70 und 94-96.

Die Rede vom „Cäsarismus" ist - Marx entgegen - mehr als eine „landläufige Schulphrase" Bismarck-Deutschlands (MEW 8, S. 138), das - so der Generalrat der Internationale - den französischen Bonapartismus nur besiegte, um einen deutschen zu errichten (MEW 19, S. 175). 65

Um die weitere und vollständige Egalisierung der Gesellschaft zu verhindern, ist das Bürgertum erneut .bereit, seine politische Nullität zu akzeptieren: Die bonapartistische und faschistische Diktatur ist auch eine über die Bourgeoisie, obgleich zu ihren sozioökonomischen Gunsten. 66

Der nationalsozialistische Schmitt wird die naturalistische Basis solchen Mythos' - rassistisch - explizieren: ,,Auf der Artgleichheit beruht sowohl der fortwährende untrügliche Kontakt zwischen Führer und Gefolgschaft wie ihre gegenseitige Treue. Nur die Artgleichheit kann es verhindern, dals die Macht des Führers Tyrannei und Willkür wird". (Staat, Bewegung, Volk. Die 67

Richard Faber

76

Dreigliederung der politischen Einheit, Hamburg 1933, S. 42). - Daß das Gegenteil wahr ist, folgt bereics aus Schmitts zehn Jahre älterer Arbeit „Die geistesgeschichtliche Lage des Parlamentarismus"; schon dort hieß es: ,Jede wirkliche P~mokracie beruht darauf, daß nicht nur Gleiches gleich, sondern mit unvermeidlicher Konsequenz 'das Nichtgleiche nichtgleich behandelt wird. Zur Demokratie gehört also notwendig erstens Homogenität und zweitens - nötigenfalls - die Ausscheidung oder Vernichtung des Heterogenen" (München und Leipzig 1926, S. 13/4) - Der Schmitt verpflichtete Schelsky bezieht sich bei seinem Plädoyer für einen rassistischen Cäsarimus ausdrücklich auf Hobbes, indem er dessen Differenz gegenüber dem Nationalsozialismus festhält, aber auch das, worin er ihm mir dem Nationalsozialismus identisch erscheint: ,,Volk ist für Hobbes ... die Einheit, die schon einen einzigen, bestimmten Willen hat, d.h. bereits in der Herrschaftsordnung steht. Also ... in der Monarchie, wenn dies auch sonderbar klingt, ist der König das Volk. Nur wenn die Zusammenfassung durch den herrschaftlichen Willen gegeben ist, besteht ein Volk im Gegensatz zur Menge, und nur dann kann der Satz, daß 'das Volk in jedem Staate herrsche, auch in der Monarchie', behauptet werden. Diese Äußerung zeigt einerseits zwar, wie weit dieser etatistische Begriff des Volkes von einer Erkenntnis des lebendigen, aus rassischen Gegebenheiten und in geschichtlichem Werden entstandenen Volkes entfernt ist, andererseits aber behauptet sie die politische These eines auf demokratischer Zustimmung beruhenden Herrscherrums gegenüber dem parlamentarischdemokratischen Mißverständnis der Überlieferung der Herrschaftsgewalt an die anonymen Mächte der öffentlichen Meinung, in der der Volkswille gesehen wird". (A.a.O., S. 434.) K. Marx, Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte, Frankfurt/M. 1965, S. 27. - Mit diesem Marx-Wort kommt wiederum überein, was P. Schneider zur Interprecarion des Schmittschen Cäsarismus-Begriffs ausführt: ,,Mit dem Volk erwacht der Gott aus der Tiefe." Ihn „verkörpert" der „Cäsar Napoleon ... in seiner Person" (Ausnahmezustand und Norm. Eine Studie zur Rechtslehre von Carl Schmitt, Stuttgart 1957, S. 95/6). Schon Hobbes' Souverän repräsentiere nicht bloß die Person seiner Untertanen, sondern „verkörpert" sic:. (Vgl. M. Theunissen, a.a.O., S. 1) 68

69 A. Gehlen, Urmensch und Spätkultur. Philosophische Ergebnisse und Aussagen, Bonn 1964 (2. Aufl.), S. 70 70

Ebd.

H. Kesting, Geschichtsphilosophie und Weltbürgerkrieg. Deutungen der Geschichte von der Französischen Revolution bis zum Osr-W cst-Konflikt, Heidelberg 1959, S. 50 71

Vgl. W. Fietkau, Schwanengesang auf 1848. Ein Rendezvous am Louvre: Baudelaire, Marx, Proudhon und Viccor Hugo, Reinbek 1978, S. 424 72

Vgl. C. Schmitt, Volksentscheid und Volksbegehren, S. 33-35 sowie ders., Legalität und Legitimität, S. 93 73

7~ H. 75

Schelsky, a.a.O., S. 398

Vgl. R. Faber, Roma aeterna. Zur Kritik der „Konservativen Revolution", Würzburg 1981,

Kap. II, 15-24 76

C. Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heurigen Parlamentarismus, 1926 (2. Aufl.),

77

C. Schmitt, Der Nomos der Erde im Völkerrecht des Ius Publicum Europaeum, Berlin 1950,

78

C. Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heurigen Parlamentarismus, S. 89

s.89 s.32

Aber schon Hobbes beschwor „jene Männer der Vorzeit", die lieber wollten, ,,daß die Wissenschaft von der Gerechtigkeit in Mythen gekleidet als den öffentlichen Streitigkeiten ausgesetzt werde". (Vom Menschen. Vom Bürger, S. 66; vgl. auch D. Braun, Der sterbliche Gort oder Leviathan gegen Behemoth. Teil I, Zürich 1963, S. 189-194) 79

Autoritärer Liberalismus

77

„Ein solcher Staat läßt in seinem Innern keinerlei staatsfeindliche, staatshemmende oder staatszerspalrende Kräfte aufkommen. Er denkt nicht daran, die neuen Machtmittel seinen eigenen Feinden und Zerstörern zu überlassen und seine Macht unter irgendwelchen Stichworten, Liberalismus, Rechtsstaat oder wie immer man es nennen will, untergraben zu lassen". (C. Schmitt, Weiterentwicklung des totalen Staates in Deutschland, in ders., Positionen und Begriffe im Kampf mir Weimar - Genf - Versailles 1923-1939, Hamburg 1940, S. 186) - Ein solcher Staat ist monistisch und damit antipluralistisch; wie sehr Schmins Hobbes-Begeisterung durch seinen Antipluralismus bedingt ist, zeigt sich in seinem „Leviathan"-Buch von 1938, S. 116-118. 80

81

C. Schmitt, Positionen und Begriffe im Kampf mit Weimar - Genf - Versailles 1923-1939,

s. 114 82 Vgl.

Fn. 67

C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung. Beiträge zum öffentlichen Recht der Gegenwart, Tübingen 1931, S. 158/9 83

84

E. Niekisch, Das Reich der niederen Dämonen, S. 104

85

C. Schmitt, Die Verfassung der Freiheit, in: Deursche Juristen-Zeitung 40 (1935), Sp. 1135

86

Vgl. C. Schmitt, Der Führer schürzt das Recht, in: Deursche Juristen-Zeicung 39 (1934), Sp.

945-50

Matthias Bohlender

Herrschen, Regieren, Regulieren. Zur liberalen politischen Rationalität von Adam Smith Einleitung

Es ist heutzutage fast selbstverständlich geworden, mit dem Namen Adam Smith den Theoretiker marktwirtschaftlicher Konkurrenz, den rückhaltlosen Verfechter des internationalen Freihandels und den Vater der klassischen politischen Ökonomie zu verbinden. Es hat sich mehr oder minder eingebürgert, den Professor für Moralphilosophie und schottischen Aufklärer des 18. Jahrhunderts in die politisch-ideengeschichtliche Rubrik eines „ökonomischen Liberalismus'" einzuordnen - eines „ökonomischen Liberalismus, der die Rationalität einer Trennung von Staat und Markt, von Staat und bürgerlicher Gesellschaft mitbegründete und allein im von politischen Eingriffen und juridischen Regulierungen befreiten Austausch der Individuen die natürlichste, produktivste und gerechteste Form gesellschaftlichen Zusammenlebens erblickt. Und in der Tat: der locus classirns dieser liberalistischen Vorstellung findet sich an prominenter Stelle in Adam Smith' Hauptwerk, dem 1776 veröffentlichten Wohlstand der Nationen: „Gibt man daher alle Systeme der Begünstigung und Beschränkung auf, so stellt sich ganz von selbst das einsichtige und einfache System der natürlichen Freiheit her. Solange der einzelne nicht die Gesetze verletzt, läßt man ihm völlige Freiheit, damit er das eigene Interesse auf seine Weise verfolgen kann und seinen Erwerbsfleiß und sein Kapital im Wettwerb mit jedem anderen oder einem anderen Stand entwickeln oder einsetzen kann. Der Herrscher wird dadurch vollständig von einer Pflicht entbunden, bei deren Ausübung er stets unzähligen Täuschungen ausgesetzt sein muß und zu deren Erfüllung keine menschliche Weisheit oder Kenntnis jemals ausreichen könnten, nämlich der Pflicht oder Aufgabe, den Erwerb privater Leute zu überwachen und ihn in Wirtschaftszweige zu lenken, die für das Land am nützlichsten sind." (Smith 1993, 582) Der politischer Herrscher wird also von einer bis dato zentralen Pflicht entbunden; er herrscht nicht mehr über seine Untertanen, und er hat aufgehört die Bevölkerung nach seinen vermeintlich allwissenden und omnipotenten Maßstäben zu regi.eren. Statt dessen reguliert sich die Gesellschaft - einem weiteren klassischen Topos des Liberalismus zufolge - über die legendäre „unsichtbare Hand"; diese „unsichtbare Hand" ist es, die die Interessen und Bestrebungen der Einzelnen unabhängig von ihren Absichten, dem allgemeinen Zweck - dem

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Wohl der Allgemeinheit - zuführt. Der Staat hat in diesem Modell allein die Funktion, den Interessen und Bestrebungen der Menschen einen nach innen und außen gesetzlich geschützen Freiraum zu sichern und zu gewährleisten. Entgegen dieser weitverbreitetin Vorstellung einer Artikulation der Trennung von Staat und bürgerlicher Gesellschaft auf der einen und der liberalistischen Doktrin vom staatsfernen Laissez-faire auf der anderen Seite, möchte ich eine Lesweise von Smith heraustellen, die die spezifische politische Rationalita"t seines Denkens in den Mittelpunkt rückt. 1 Diese politische Rationalität ist von ihrer genealogischen Herausbildung gegen Ende des 18. Jahrhunderts weder staatsf ern noch einfach marktliberal. Sie bestimmt sich keineswegs nur über die einfache Zurückweisung politischer Eingriffe in den ökonomischen Raum der Interessen und Bedürfnisse; vielmehr muß man diese politische Rationalität als eine Wendung begreifen, als eine Umkehrung, die das Verhältnis von Staat und Gesellschaft, von Regierenden und Regierten neu zu bestimmen und hegemonial durchzusetzen versucht. Die Ausgangsfrage lautet demnach nicht: Wie läßt sich die Macht des Herrschers über die Bürger beschränken und limitieren? Sondern: Auf welche Weise müssen Menschen im sozialen Raum regiert werden, ohne ihre Freiheit, ihr Glück und ihren Wohlstand zu gefährden? Auf welche Weise ist gerade nicht eine Trennung, sondern eine Art Kohabitation von Govermnent und civil society möglich? Gibt es so etwas wie eine „ökonomische Regierung", d.h. einen Staat, der gemäß den natürlichen Gesetzen der Erzeugung von Reichtum, Wohlstand und Glück die Menschen regiert? Nimmt man diese Fragen und Problemematisierungen zum Ausgangspunkt des liberalen Denkens von Adam Smith, so zeigt sich dieser so scheinbar staatsferne und a-politische Liberalismus als eigenständige politische Aktivitiit und als spezifisches politisches Projekt; darüber hinaus könnten diese Ausgangsfragen ein eigentümliches historisches Paradox erklären helfen. Denn: auf der einen Seite fordert die liberale politische Rationalität die Freiheit des Bürgers von staatlicher Bevormundung und juridisch-politischen Eingriffen in seine Interessensphäre, zugleich aber befördert sie den Aufbau einer ganzen Reihe politischer und sub-politischer Institutionen, die die vielfältigen Bewegungen und Beziehungen der Bürger in jener sozialen Sphäre beobachten, aufzeichnen und regulieren. Es sind die ausgewiesenen Schüler von Adam Smith, die Philanthropen, die Utilitaristen und politischen Ökonomen, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Großbritannien den zentralen und administrativ gesteuerten Staat entwerfen. In den folgenden Überlegungen werde ich - bezogen auf die Ausgangsfrage nach der Regierbarkeit der Menschen im sozialen Raum - die Wendung zur neuen, liberalen politischen Rationalität bei Adam Smith nachzuzeichen versuchen. Dabei ist es unumgänglich, sich zumindest punktuell auf jenen Kreis schottischer Autoren zu beziehen, innerhalb dessen Adam Smith' Liberalismus seinen Ausgang rnmmt.

Herrschen, regieren, regulieren

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Kritik des Vertragsdenkens - Kritik der Staatsvernunft Es ist bezeichnend und keineswegs überraschend, daß die neue liberale politische Rationalität im Großbritannien des 18. Jahrhunderts sich zu formieren beginnt. Die sozialen, ökonomischen und politischen Veränderungen, die auf der.britischen Insel etwa seit 1750 zu beobachten waren, haben Sozial- und Wirtschaftshistoriker seit langem schon zum ausgiebigen Objekt ihrer Forschung gemacht. Interessanter hingegen - gerade für einen Historiker des politischen Denkens ist die Frage, auf welche Weise diese politische Rationalität sich formierte, um ihre Eigenart, ihre Spezifität und ihre Differenz zu anderen Typen charakterisieren zu können. Was nun diese Formierung betrifft, so beginnt der Liberalismus gerade nicht mit großen Programmentwürfen, mit einer ausgereiften politischen Philosophie oder Doktrin, sondern, wie sich an den schottischen Autoren David Hume, Adam Ferguson, John Millar und letztlich auch Adam Smith zeigen läßt, mit einer kritischen Reflexion über das prekäre und sich im Wandel befindliche Verhältnis der Regierenden zu den Regierten, des Herrschers zu seine Untertanen. „Nichts erscheint erstaunlicher bei der philosophischen Betrachtung menschlicher Angelegenheiten", so schreibt David Hume in seinem Essay Über die ersten Ursprünge der Regierung, ,,als die Leichtigkeit, mir der die Vielen von Wenigen regiert werden und die stillschweigende Unterwerfung, mit der Menschen ihre eigenen Gesinnungen und Leidenschaften denen ihrer Herrscher unterordnen. Fragt man sich, wie es zu diesem Wunder kommt, so stellt man fest, daß, zumal die Regierten (the governed) stets die Stärke (force) auf ihrer Seite haben, die Regierenden (ehe governors) durch nichts anderes gestützt werden als durch Meinung (opinion). Regierung (government) gründet sich daher ausschließlich auf Meinung, und diese Tatsache gilt für die überaus despotischen und militärischen Regierungen ebenso wie für die freiesten und republikanischsten." (Hume 1988, 25) Was Hume in dieser leicht und eingängig formulierten Passage zum Gegenstand macht, sind im Grunde die Schwächen und Defizite einer politischen Theorie, die seit Thomas Hobbes und John Locke den Diskurs um die Konstitution von Staat und Gesellschaft beherrschte. Die neue politische Rationalität beginnt erstaunlicherweise mit einer Kritik des Kontraktualisrnus; sie beginnt mit einer Kritik an der Vorstellung, daß die Herrschaft der Wenigen über die Vielen letztlich auf einer rationalen und konsensuellen Übereinkunft, einem ursprünglichen Vertrag beruhe, in dem die Bürger - unfähig, selbst dauerhaft eine gemeinsamen politischen Körper zu bilden - das „Recht sich selbst zu regieren" auf einen Souverän übertragen. Dieser gesetzliche Souveräne oder um die eher Locke'sche Variante zu wählen: dieses souveräne Gesetz sei es, das die Stabilität, Dauerhaftigkeit und den Frieden des Staates garantiert. Doch genau dies bestreitet Hume; für ihn stützt sich jede Art von Regierung auf das, was er hier Meimmg nennt und andere schottische Autoren als Gewohnheiten, Gebräuche, Interessen oder Tugenden beschreiben. Bei Adam Ferguson, dem Freund von

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Matthias Bohlender

Hume und Smith etwa heißt es: ,,In die Entscheidungen unserer Gefährten eingebunden, bewegen wir uns mit der Menge, noch ehe wir die Regel festgelegt haben, nach der sich ihr gemeinsamer Wille bildet. Wir folgen einem Führer, ehe wir die Grundlagen seiner Ansprücqe'' bestimmt oder einen Modus seiner Wahl eingerichtet haben: Und erst, nachdem die Menschen viele Irrtümer begangen haben, sei es als Obrigkeit oder Untertan, denken sie daran, auch das Regieren bestimmten Regeln zu unterwerfen." (Ferguson 1988, 179) Die liberale politische Rationalität beginnt sich vor dem Hintergrund einer Kritik am Vertragsdenken zu formieren; doch was genau ist das Problem eines goveming by law, einer Herrschaft durch das Gesetz? Ist es der mangelnde Realismus, die Chimäre des Naturzustandes und die Fiktion des Gesellschaftsvertrages, die hier einer nüchternen Kritik unterzogen werden? Darauf deutet folgendes Argument von Hume hin: ,,Fast alle Regierungen, die es zur Zeit gibt oder über die geschichtliche Quellen existieren, sind ursprünglich entweder durch Usurpation oder Eroberung oder beides entstanden, jedoch stets ohne die Vorspiegelung einer fairen Zustimmung oder freiwilligen Unterwerfung der Menschen." (Hume 1988, 306) Gerade dieses Argument aber war den Vertragstheoretikern wohl bekannt. Mag in ihren Augen ein Staat oder eine politische Gesellschaft faktisch durch gewaltförmige Unterwerfung, durch Krieg, Eroberung und Ursurpation entstanden sein, so war diesem politischen Körper jedoch solange keine friedliche, dauerhafte und stabile Existenz beschieden, solange seine Bürger diese Unterwerfung nicht anerkannten; der jeweilige Staat sei überhaupt nur dann ein politisches Gebilde, wenn das Verhältnis der Regierten zu den Regierenden über den für die Vertragsdenker einzig rationalen Modus der ununterbrochenen Verkettung von Veitrag-Souverän-Gesetz verläuft. Die Regeln des Gesetzes und nicht die faktischen Regeln der Gewalt ordnen den politischen Raum und stellen ihn auf Dauer, indem sie zugleich die Beziehungen der Individuen untereinander (als freie Rechtssubjekte) und die Beziehung der Individuen zum Souverän regulieren (als gleiche Untertanen). Die Kritik des Vertragsdenkens, die Kritik dieser - wie ich sie nennen möchte - juridisch-politischen Rationalität schlägt demnach auf den ersten Blick fehl, zeigt aber zugleich, worauf es den Vertragsdenkern ankommt: es sind die über einen Souverän ausgeübten festen Regeln des Rechts, des Gesetzes und der Gerechtigkeit, die eine politische Ordnung ermöglichen/ es ist die Artikulation der Menschen als Rechtssubjekte - als männlichen Herren über sich und ihr Eigentum - die eine Gesellschaft zum Staat werden läßt. Wo die Regeln des Gesetzes schweigen, herrscht politisches Niemandsland,3 d.h. entweder eröffnet sich hier der Raum des Krieges und mit ihm die Regeln der Gewalt oder es beginnt der Raum des Hauses und der Familie, indem die Regeln der Autorität, der Leitung der Kinder und Unmündigen, der Frauen und des Gesindes zur Geltung kommt. 4 An dieser Stelle nun setzt die eigentliche Kritik der schottischen Moralphilosophen an. Sie werfen dem Typ der juridisch-politischen Rationalität eine Blindheit gegenüber jenen Veränderungen und Transformation vor, die aus dem „politischen Niemandsland" einen Raum entstehen ließen, den sie civil und

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conunercial society nennen. Was kritisiert wird ist die Unfähigkeit, diesen sozialen Raitm zu denken, bzw. ihn anders zu denken als allein unter den Bedingungen der Regelungsbedürftigkeit von Rechtshandlungen zum Schutze vernünftiger, erwachsener und männlicher Rechtssubjekte. Das Gesetz oder - wie es bei Hume heißt - die „Idee der Rechtsordnung" kann dem Zweck, die Begehren, Neigungen und Leidenschaften der Menschen zu zügeln, nicht dienen; ,,sie kann nicht als eine natürliche Triebfeder angesehen werden, die imstande wäre, die Menschen zum rechtschaffenen Handeln gegeneinander zu bewegen." (Hume 1978, 231). In Adam Smith' Theorie der moralischen Gefühle von 1759 heißt es noch deutlicher: ,,Da die Rechtlichkeit aber kein wirkliches positives Gut schafft, so kann sie nur auf eine sehr geringe Dankbarkeit Anspruch erheben. Bloße Rechtlichkeit ist in den meisten Fällen nur eine negative Tugend und hindert uns nur, unserem Nächsten einen Schaden zuzufüge. [...] Wir können oft alle Regeln der Rechtlichkeit oder Gerechtigkeit dadurch erfüllen, daß wir still sitzen und nichts tun." (Smith 1994, 121). Die Regeln des Gesetzes, so beschreiben es auch Jahn Millar und Adam Ferguson, sind stumpf geworden zur Regulierung jenes neuen sozialen Raumes, der bestimmt wird durch die Praktiken des sozialen Austausches: des Tausches von Gütern, Meinungen, Gefühlen, Bedürfnissen und Interessen. Zwar gewährleisten die Gesetze und die Androhung von Strafen ein gewisses Maß an Sicherheit, aber sie sind in keiner Weise schöpferisch, produktiv; sie sind den Praktiken, insbesondere aber auch den Subjekten, die den sozialen Raum bevölkern, nicht mehr angemessen. Der Wesenszug dieser Subjekte, ihre Natur ist es, sich auszudehnen, schöpferisch, tätig und produktiv zu sein, sich zu vermehren, den Reichtum zu steigern und ihre Lebensweise ständig zu verbessern. Im Unterschied zur juridischpolitischen Rationalität haben wir es hier nicht mit rationalen Rechtssubjekten, sondern mit Subjekten von Begehren, Leidenschaften und Interessen zu tun. Recht, Gesetz, Herrschaft, Gewalt und Souveränität sind mit dieser „Gesellschaft" nur noch um den Preis der völligen Mißachtung ihrer „Natur" und ihrer inneren „Physiologie" vereinbar. Aber selbst eine solche Mißachtung, davon ist Adam Smith überzeugt, kann die Dynamik des sozialen Raumes nicht bremsen: ,,Das gleichmäßige, fortwährende und ununterbrochene Streben der Menschen nach besseren Lebensbedingungen, Ursache und Quelle des öffentlichen und nationalen wie des privaten Wohlstandes, ist durchweg mächtig genug, trotz Unmäßigkeit der Regierung und größter Fehlentscheidungen in der Verwaltung den natürlichen Fortschritt zum Besseren hin aufrecht zu erhalten. Es wirkt ähnlich wie die Abwehrkräfte im menschlichen Organismus, die den Körper immer wieder gesunden lassen, trotz unsinniger Anweisungen des Arztes." (Smith 1993, 283) Der soziale Raum ist vom einstigen politischen Niemandsland zu einem sich selbst-regulierenden Organismus geworden, zu einer eigenständigen, autonomen, historischen Realität. Mit Adam Smith' Artikulation der civil und commercial society als einer dynamischen, auf Fortschritt, Vermehrung und Produktion ausgerichteten „zivilen Verkehrsgesellschaft", verschiebt sich die Kritik des Vertragsdenken hin zu einer

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allgemeinen Problematisierung des Verhältnisses staatlichen Regierens zur Regulationweise dieser Gesellschaft. 5 Waren vorher noch der Souverän und seine Regierungsweise Garanten für die Eiµheit und Stabilität des politischen Körpers, so ist er nun zu einem möglichen Hfmmnis der natürlichen Entfaltungskraft der Gesellschaft und des Wohlstandes der Nation geworden. Die liberale politische Rationalität mit ihren neuen Konzepten des „natürlichen Subjekts von Begehren", der „zivilen Verkehrsgesellschaft" und der „quasi-physiologischen Selbstregulation" formiert sich zu einer allgemeinen Kritik der Staatsvemunft. Sicherlich, auch die Vertragslehren hatten auf der Grundlage „natürlicher Rechte" der Macht des Herrschers über seine Untertanen Grenzen gezogen; doch diese Grenzbestimmung war noch klar juridisch-normativer, philosophisch-politischer Natur. Ihre Kritik des Staates folgte dem Schema: 'Du daifst diese Steuern nicht erheben, diese Gesetze nicht erlassen, weil Du kein Recht dazu hast, weil Du nicht dazu legitmiert bist'. Demgegenüber basiert die Smith'sche Kritik der Staatsvernunft auf der Natur des sozialen Raumes und der Inkompetenz und Unwissenheit des Herrschers: 'Du kannst dies und dies nicht tun, weil Du nicht weißt was Du tust, weil Du die Folgen nicht abschätzen kannst'. Der Herrscher wird - wie eingangs schon erwähnt - seiner Regierungspflicht entbunden, weil er ,,bei deren Ausübung stets unzähligen Täuschungen ausgesetzt sein muß und [weil] zu deren Erfüllung keine menschliche Weisheit oder Kenntnis jemals ausreichen könnten" (Smith 1993, 582). Der Staat weiß nichts oder kaum etwas über die Gesellschaft, von der er lebt. Polizeytabellen, Statistiken, demographischen Kalkulationen und den gesamten technologischen Wissenspraktiken der Polirischen Arithmetik, wie sie von William Petty (1690) bis Arthur Y oung (1774) ausgearbeitet und angewendet wurden, steht Smith skeptisch gegenüber. 6 Dieses Wissen um die Bevölkerung seines Landes suggeriert dem Herrscher eine Macht, die er angesichts der wirklichen Komplexität der ökonomischen und sozialen Beziehungen nur mißbrauchen und fehlleiten kann. Es ist daher kein Zufall, daß weite Teile des Hauptwerkes von Adam Smith der Kritik des Merkantilismus und der Physiokraten gewidmet ist. Beiden Systemen der politischen Ökonomie 7 wirft er vor, die Logik des neuen Raumes nicht angemessen verstanden zu haben, ja nicht begriffen zu haben, daß dieser komplexe und unübersichtliche Raum nicht mehr mit den herkömmlichen Mitteln souveräner Macht regiert werden kann. Quesnays „Tableau" und die statistischen Tabellen der englischen Merkantilisten sind für ihn die letzten Versuche, von einer „ökonomischen Souveränität" zu träumen, die es in absehbarer Zeit nicht mehr geben wird. Die aus der Verkehrsgesellschaft entspringende ungeheure Dynamik der nationalen und internationelen Arbeitsteilung, der technologischen Verbesserungen der Produktion, der Expansion der Märkte und der Akkumulation von Kapital wird ganz im Gegenteil das Verhältnis von Staat und Gesellschaft umkehren. Fortan werden sich alle Kräfte des Staates fragen lassen müssen, was sie eigentlich zum Wohlstand der Nation, zur zivilisatorischen Entwicklung seiner Bevölkerung beitragen. Wenn die Gesetzes des Souveräns und die administrativen Maßnahmen seiner untergeordneten Stellen bestenfalls

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neutral oder - um den zeitgenössischen Terminus zu wählen - ,,unproduktiv" wirken und im schlechtesten Fall die natürliche Dynamik hemmen, wie soll dann das Verhältnis des herrschaftlichen Souveräns zur Gesellschaft bestimmt werden? Smith' Kritik der Staatsvernunft geht soweit zu behaupten: ,,Als unproduktiv können, zum Beispiel, die Tätigkeit des Herrschers samt seiner Justizbeamten und Off ziere, ferner das Heer und die Flotte angesehen werden. Sie all dienen dem Staat und leben von einem Teil des Ertrages, den andere Leute übers Jahr hin durch ihren Erwerbsfleiß geschaffen haben. So ehrenwert, nützlich oder notwendig ihr Dienst auch sein mag, er liefert nichts wofür später wiederum ein gleicher Dienst zu erhalten ist. [...] In die gleiche Gruppe muß man auch einige Berufe einreihen, die äußerst wichtig und bedeutend oder sehr anrüchig sind: Zum einen Geistliche, Rechtsanwälte, Ärzte und Schriftsteller aller Art, zum anderen Schauspieler, Clowns, Musiker, Opernsänger und Operntänzer." (Smith 1993, 273). Bevor ich mich dem Kerngedanken dieser interessanten Passage widmen werde, gilt es den Verlauf der Formierung der liberalen politischen Rationalität noch einmal klar vor Augen zuführen. Zwei Dinge waren dabei entscheidend. 1) Zum einen war es die Kritik an der juridisch-politischen Rationalität, die zunächst historisch motiviert auf den gewaltförmigen Ursprung der Regierungen verwies, um dann - insbesondere in den Texten von Miliar, Ferguson und des frühen Adam Smith - auf die Unzulänglichkeit komrakcualistischer Kategorien zu verweisen, den neuen sozialen Raum zu denken und seine eminent politische und ökonomische Dimension angemessen zu beurteilen. Die diskursive Endekkung der „Gesellschaft" als civil und commercial society, reflektiert bei den schottischen Aufklärern einen Wandel, eine Transformation in der Ordnung des Hauses und der Familie, d.h. im Verhältnis des Hausvaters zur Ehefrau, zu seinen Kindern, zu seinen Knechten und zu solchen, denen generell eine vernünftigen Lebensführung abgesprochen wurde. Diese Transformation erfaßt auch das explizit politische Verhältnis des Hausvaters zum Souverän. Unter den gegenwärtigen Bedingungen, so heißt es bei John Millar, kann der Fortschritt des Wohlstandes und die Verfeinerung der Lebensweisen das Verhältnis von Herrscher und Untertan zur Steigerung der Monarchie und der Tyrannis führen wie auch zur Stärkung der Rechte des Volkes und der Demokratie (Millar 1985, 226f). Das Regierungsverhältnis ist zerissen und die liberale politische Rationalität noch uneinig darüber, wie dieses Verhältnis zu bestimmen sei; oder genauer: welches die Gesetze des neuen sozialen Raume sind und wie sie mit den Gesetzen des Staates und der Regierung zusammenlaufen könnten. 2) Ein zweiter und entscheidender Impuls für die Ausrichtung des liberalen Denkens bildet der rhetorische Einsatz von Adam Smith. Er weitet die Kritik der juridischen-politischen Rationalität zu einer allgemeine Kritik der Staatsvernunft aus. Insbesondere seine scharfe Kritik des Merkantilismus ist wesentlich politisch motiviert und getragen vorn massiven Einsatz des neuen liberalen Vokabulars: der „Künstlichkeit" der Gesetze stellt er die „Natürlichkeit" der individuellen und gesellschaftlichen Dynamik gegenüber; den „anmaßenden Regulierun-

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gen" der Fürsten und ihrer Minister hält er das „System der natürliche Freiheit" entgegen und die „Verschwendungssucht" der oberen Stände konterkariert er mit der „Produktivität" und dem „Ei:;werbsfleiß" der Handwerker, Kaufleute und Pächter. Smith spricht im Namen,itler Natürlichkeit, der Freiheit und der Produktivität, er spricht im Namen eines gleichwohl komplexen und opaken Raumes, den zu regulieren der Staat sich anmaßt, obgleich er weder über die geeigneten Instrumente noch über das notwendige Wissen dazu verfügt. Der Staat verhält sich, so Smith, wie jene Ärzte, die sich einbilden, ,,man könne die Gesundheit des Menschen allein durch eine genau dosierte Diät und Bewegung schützen und erhalten", dabei sind es die Anweisungen des Arztes (regimen), die die.Gesundheit des Menschen gefährden (Smith 1993, 570ff.) Doch Adam Smith' Kritik der Staatsverunft ist kein Plädoyer für die Auflösung der politischen Regierungsgewalt. Mögen der Herrscher, seine Justizbeamten, das Heer und die Marine auch noch so unproduktiv sein, so sind sie doch gleichwohl nützlich und verrichten notwendige Dienste. Es gibt also einen Zusammenhang zwischen der Produktivität der zivilen Verkehrsgesellschaft und der Notwendigkeit zur Aufrechterhaltung der Regierungsgewalt. Worin aber genau besteht dieser Zusammenhang und wie soll er bestimmt werden? Die liberale politische Rationalität steht vor der Beantwortung der Frage nach den Funktionsgesetzen des sozialen Raumes und der veränderten aber gleichwohl notwendigen Rolle des Staates zu diesen Gesetzmäßigkeiten. Das heißt: Smith muß nach seiner harschen Kritik an der bisherigen Staatsvernunft die Rationalität einer ,,ökonomischen Regierung" ausarbeiten.

Liberalismus, politische Ökonomie und zivile Regierung Die neue Ausrichtung, die Adam Smith dem liberalen Denken gibt, ist zweifacher Natur. Mit dem Wohlstand der Nationen wandelt sich das negative Programm einer Kritik - sei es des Vertragsdenkens, sei es der Staatsvernunft - hin zu einem positiven, politischen Projekt: nämlich der kompromißhaften Ausarbeitung eines Konzeptes der „ökonomischen Regierung". Doch, was es so schwierig macht, dieses Projekt als ein genuin politisches zu identifizieren, ist die Tatsache, daß es nicht auf dem bis dato üblichen Terrain der Moral-, Rechts- und Staatsphilosophie ausgearbeitet wird, 8 sondern auf dem Feld der „Analyse der Reichtümer" oder - um den modernen Begriff zu gebrauchen - der politischen Ökonomie. Schon Smith's Verwendungsweise des Begriffs „politische Ökonomie" gibt uns hierfür einen deutlichen Hinweis: ,,Die Politische Ökonomie verfolgt als Zweig der Wissenschaft, die eine Lehre für den Staatsmann und Gesetzgeber entwicklen will, zwei unterschiedliche Ziele. Einmal untersucht sie, wie ein reichliches Einkommen zu erzielen oder der Lebensunterhalt für die Bevölkerung zu verbessern ist [...] und ferner erklärt sie, wie der Staat oder das Gemeinwesen Einnahmen erhalten können, mit deren Hilfe sie öffentliche Auf gaben durchführen. Die Politische Ökonomie beschäftigt sich also mit der Frage, wie

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man Wohlstand und Reichtum des Volkes und des Staates erhöhen kann.'" (Smith 1993, 347) Die politische Ökonomie hat die schwierige, aber für das liberale Denken entscheidende Aufgabe, Staat und Gesellschaft, Politik und Ökonomie zusammenzudenken. ,,To enrich both," heißt es, ,,the people and the souvereign'f. Und der Begriff „to enrich", zu bereichern, zeigt an, auf welche \XT eise das Verhältnis der Regierung zu den Regierten bestimmt werden soll, nämlich über die natürlichen Gesetze der Erzeugung von Wohlstand und Reichtum. Nur wenn beide, Staat und Gesellschaft, sich gemeinsam auf den Entwicklungspfad dieser Gesetze begeben, kann ihr beiderseitiges krisenhaftes Verhältnis - das Regierungsverhältnis des Bürgers zum Souverän - dauerhaft, friedlich und zudem noch prosperierend weiterbestehen. Die politische Ökonomie übernimmt damit als Disziplin, genau die Rolle, die vorher die Naturrechtslehren einnahmen. Nur wenig Jahre nach Adam Smith Tod (1790) wird Thomas Robert Malthus, einer der ersten Professoren für Politische Ökonomie in Großbritannien, ohne Übertreibung behaupten: ,,Political economy is perhaps the only science of which it may be said that the ignorance of it is not merely a deprivation of good, but produces great evil." (Malthus 1992, 275) Was ist der Kerngedanke der politischen Ökonomie von Smith - und zwar nicht allgemein oder dogmengeschichtlich verstanden - sondern bezogen auf das unmittelbare Problem der liberalen politischen Rationalität. Es ist die Bestimmung des „wahren Reichtums" eine Landes; denn es war der Reichtum, - in doppelten Sinn des Begriffs wealth, als materieller Reichtum und sozialer Wohlstand - der den Staat und die Gesellschaft zu beiderseitigem Nutzen zusammen bestehen lassen könnte. In den ersten Sätzen von Smith Hauptwerk lesen wir: ,,Die jährliche Arbeit eines Volkes ist die Quelle, aus der es ursprünglich mit allen notwendigen und angenehmen Dingen des Lebens versorgt wird, die es im Jahr über verbraucht. Sie bestehen stets entweder aus dem Ertrag dieser Arbeit oder aus dem, was damit von anderen Ländern gekauft wird. Ein Volk ist daher um so schlechter oder besser mit allen Gütern, die es braucht, versorgt, je mehr oder weniger Menschen sich den Ertrag der Arbeit oder das, was sie im Austausch dafür erhalten, teilen müssen." Es ist also der Ertrag der Arbeit, die produktive Kraft der Arbeit oder die „Produktivität der Arbeit", die den wahren Reichtum eines Landes ausmachen. Und es ist darüber hinaus die spezifische Organisation der Arbeit - nämlich die auf gesellschaftlicher und manufaktureller Arbeitsteilung beruhende „freie Lohnarbeit", die dafür sorgt, daß ein zivilisiertes und wohlhabendes Gemeinwesen überhaupt erst entstehen kann. Denn auch die sogenannten primitiven Völker waren bestrebt ihre Familien durch Arbeit zu versorgen und doch lebten und leben sie in so großer Armut, daß sie - wie Smith schreibt - ,,aus schierer Not gezwungen sind oder es zumindest für notwendig erachten, Kinder, Alte und Sieche bedenkenlos umzubringen". (Smith 1993, Einführung) Dagegen ist die zivile Verkehrsgesellschaft auf der Grundlage des umfassenden Regimes der arbeitsteilig organisierten freien Lohnarbeit in der Lage ein Mehrprodukt zu erzeugen, das es ihr ermöglicht auch noch den Teil der

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Bevölkerung zu versorgen, der überhaupt nichts zum jährlichen Gesamtertrag beigetragen hat. Also nicht nur die Kinder, die Alten und die Kranken, sondern auch den Herrscher, seinen administr~tiven Apparat, die Geistlichen, die Lehrer und allerlei andere unproduktive Stände und Berufe. Es ist das politische Projekt der politischen Ökonomie von Smith, durch die massenhafte Integration der Menschen in das Regime der Lohnarbeit einerseits und durch die Beseitigung jeglicher Schranken der freien Zirkulation der Arbeit und ihrer Erträge andererseits den allgemeinen Wohlstand, den kulturellen, wissenschaftlichen und sozialen Zivilisationsstandard zu steigern. Ob es nun darum geht, das Niederlassungsgesetz, die alten Arbeitstatuten und die Handelsmonopole abzuschaffen oder darum das Gemeindeland einzuzäunen; alle Maßnahmen sind unter dem Gesichtspunkt zu betrachten, die verstopften oder brachliegenden Quellen des Reichtums zu öffnen. Ist dies einmal geschehen, so stellen sich auch zugleich die Regulationsmechanismen ein (Lohnarbeits-, Güter-, Kapitalmärkte), die die Verteilung dieses Reichtums auf die sich bildenden Klassen (Lohnarbeiter, Kapitalinvestoren, Grundbesitzer) vornehmen. Mit der Arbeitsteilung bilden sich die Märkte, es bildet sich eine gesamtgesellschaftliche, dynamische Wachstumsordnung, die auf stetig steigender Produktion und effektiver Selbstregulation beruht. Allerdings steht dieses politisch-utopische Prokjekt des Liberalismus vor dem Problem, den Staat oder die politische Regierung zu denken. Die politische Ökonomie sei eine Lehre für den Staatsmann und Gesetzgeber, so lautete die Definition. Welche Rolle aber sollten Staat und Gesetzgeber einnehmen, wenn die eigentliche Regierung der Menschen über ein Regime verläuft, daß in der ,,Natürlichkeit" der Gesellschaft selbst verankert ist. ,,Der Mensch ist darauf angewiesen von seiner Arbeit zu leben" (Smith 1993, 59), heißt es; es ist die Natur des Menschen, produktiv zu sein, sich zu vermehren, seine Lage zu verbessern und seine Produktivkraft zu steigern. Die Gesellschaft organisiert sich auf dieser Grundlage und ordnet sich dann auf ihrer höchsten Stufe, der civil und com.mercial society, selbst. Folgt man dieser Argumentationslinie, so deckt sich der soziale Raum vollständig mit den Menschen und ihren „ökonomischen" Triebkräften und eine externe politische Figur wie die des „Souverän" oder der „Regierung" ist gar nicht mehr nötig. Die Gesellschaft wäre gleichsam mit sich selbst identisch und das politisch-utopische Projekt beendet oder genauer: es hätte sich unversehens in eine Kritik der Politik und ein rein sozial-ökonomisches Projekt verwandelt. Doch Adam Smith ist kein William Godwin. Während der utopische Anarchismus vom „sanften Tod des Staates" und dem vollständig transparenten Verhältnis von Individuum und Gesellschaft träumt,9 bleibt die Utopie des Liberalismus letztendlich staats- und politikzentriert. Daher gilt es nun, sich jenen Stellen zuzuwenden, an denen Smith über die Notwendigkeit der Errichtung und Aufrechterhaltung einer politischen Regierung (civil government) auch und gerade innerhalb der civil und commercial society spricht. Unter bestimmten gesellschaftlichen Bedingungen, schreibt Smith in einer nicht sehr häufig zitierten Stelle seines Wohlstand der Nationen, können Men-

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sehen mit einem zumutbaren Grad an Sicherheit (security) zusammenleben, obgleich es keine Obrigkeit (civil magistrate) gibt, die sie vor den entstehenden Ungerechtigkeiten schützt. Erst, wenn die Akkumulation von Besitz und Vermögen einen solchen Grad an Ungleichheit erreicht hat, daß die Reichen um den Bestand ihrer Vermögen fürchten müssen, entsteht eine politische Regier,ung. „Auf einen sehr Reichen kommen dann wenigsten 500 Arme, denn der Überfluß weniger setzt Armut bei vielen voraus. Ein solcher Reichtum der Besitzenden reizt zur Empörung der Besitzlosen, die häufig durch Not gezwungen und von Neid getrieben, sich deren Eigentum aneignen. Nur unter dem Schutz einer staatlichen Behörde (civil magistrate) kann der Besitzer eines wertvollen Vermögens, Frucht der Arbeit vieler Jahre oder sogar vieler Generationen, auch nur eine einzige Nacht ruhig und sicher schlafen. Er ist ständig von unbekannten Feinden umgeben, die er nie besänftigen kann, obgleich er selbst sie niemals gereizt hat, und vor deren Unrecht (injustice) ihn nur der mächtige Armeinerpolitischen Regierung schützt, die stets zu einer Bestrafung bereit ist." (Smith 1993, 601) Dieser Zustand der Errichtung einer politischen Regierungsgewalt zum Schutz der Reichen gegen die Armen, beginnt für Smith schon auf jener Stufe der gesellschaf dichen Entwicklung, die er das Zeitalter der Hirtenvölker nennt, 10 und ohne Zweifel bleibt diese Regierungsgewalt auch in der zivilen Verkehrsgesellschaft erhalten. Ihre Funktion ist es, in erster Linie die Sicherheit von Eigentum zu gewährleisten, um dann parallel zur wachsenden Eigentumsbildung in der Gesellschaft, Unterordnung, Gehorsam, Autorität und Loyalität zu erzeugen. Zwei Dinge sind hier bemerkenswert: 1) Die Gesellschaft, wie sie uns nun von Smith geschildert wird, hat aufgehört, mit sich selbst identisch zu sein; ihr Prinzip, das der politischen Ökonomie zufolge einen Prozeß von Wachstum, Reichtum und Selbstregulation in Gang setzt, scheint nun eher zu einer Spaltung zu führen, zu Konflikten und Kämpfen zwischen arm und reich. 2) Die Gesellschaft entwickelt sich - zumindest seit der Einführung von Privateigentum im Stadium der Hirtenvölker - Kopf an Kopf mit der Entwicklung der politischen Regierungsgewalt. Gesellschaft und Regierung sind nicht getrennt, sondern über die sie bedrohende materielle Ungleichheit auf eigentümlichweise mit einander verbunden. Nun könnte man geneigt sein, diese Ausführungen zu relativieren. Schließlich befinden sie sich im letzten drittel des Werkes, fast versteckt· innerhalb eines kurzen historischen Exkurses über die Frage nach den Ausgaben für das Justizwesen. 11 Doch blättert man einige Seiten weiter, so stößt man auf eine weitere, längere Ausführung, die sich nun unzweifelhaft als gesellschaftliche Gegenwartsdiagnose entpuppt: ,,Mit fortschreitender Arbeitsteilung wird die Tätigkeit der überwiegenden Mehrheit, derjenigen, die von ihrer Arbeit leben, also der Masse des Volkes, nach und nach auf wenige Arbeitsgänge eingeengt, oftmals auf nur einen oder zwei. [...] So ist es ganz natürlich, daß [der Arbeiter] verlernt, seinen V erstand zu gebrauchen, und so stumpf sinnig und einfältig wird, wie ein menschliches Wesen nur eben werden kann. Solch geistige Trägheit beraubt ihn

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nicht nur der Fähigkeit, Gefallen an einer vernünftigen Unterhaltung zu finden oder sich daran zu beteiligen, sie stumpft ihn auch gegenüber differenzierten Empfindungen, wie Selbstlosigkeit, Großmut oder Güte ab, so daß er auch vielen Dingen gegenüber, selbst jenen des' alltäglichen Lebens, seine gesunde Urteilskraft verliert. Die wichtigsten und weitreichenden Interessen seines Landes kann er überhaupt nicht beurteilen [...] Selbst seine körperliche Tüchtigkeit wird beeinträchtigt, und er verliert die Fähigkeit, seine Kräfte mit Energie und Ausdauer für eine andere Tätigkeit als der erlernten einzusetzen [...] Dies aber ist die Lage, in welche die arbeitenden Armen (labouring poor), also die Masse des Volkes, in jeder entwickelten und zivilisierten Gesellschaft unweigerlich gerät, wenn die Regienmg nichts unternimmt, sie zu verhindern." (Smith 1993, 662ff; Hervorh. MB) Auch hier haben wir ein ähnliches Schema der Argumentation wie im Fall des historischen Exkurses über die Errichtung der Regierungsgewalt, nur diesmal findet es Anwendung auf die moderne, zivile Verkehrsgesellschaft: Ausgerechnet das Signum dieser Gesellschaft, die von der politischen Ökonomie als Quelle des \Y/ohlstandes entdeckte Arbeitsteilung ist es, die von Smith hier für die Spaltung verantwortlich gemacht wird. Und hier ist es nicht nur die drohende materielle Ungleichheit, die die Gesellschaft in arm und reich spaltet, es ist die gesamte, soziale, geistige, psychische und physische Verkümmerung des größten Teils der Bevölkerung. Der schließliche Apell an die Regierung, gegen diese pathologischen Auswirkungen anzugehen, ist im Grunde als Aufruf zu verstehen, mit der gesellschaftlichen Entwicklung Schritt zu halten. Nicht diese gesellschaftliche Entwicklung ist das Problem, denn sie ist der „natürliche Lauf der Dinge ..; das Problem ist die Rückständigkeit der britischen Regierung, ihre Rückständigkeit wie Smith betont - insbesondere in Hinblick auf ihr Bildungs- und Erziehungssystem. Smith macht in diesem Zusammenhang ausführliche Vorschläge, wie der Sraat das Universitätswesen, die Schulausbildung, die religiöse und elterliche Erziehung verbessern könnte. Er macht Vorschläge wie die Kirche und die religiösen Gemeinschaften in diese Aufgabe mit eingebunden werden müssen, ja wie auch die kulturelle Öffentlichkeit (Schauspieler, Schriftsteller, Musiker) durch ,,fröhliche Zerstreuung" dazu beitragen kann, die labou.ringpoor von Revolten, Aufständen und Tumulten abzubringen. Überhaupt steht hinter diesem liberalen Programm einer Modernisierung der britischen Regierung schon die Angst vor der Masse jener „verstümmelten und einfältigen Wesen", die zu jedem Widerstand gegen den Staat mobilisiert werden könnten. Die Französische Revolution ist noch gut 13 Jahre entfernt, aber die Revolte der amerikanischen Kolonien hat schon ihren ersten Höhepunkt erreicht. Die Unabhängigkeitserklärung wird 4 Monate nach Veröffentlichung des Wohlstandes der Nationen proklamiert. Spätestens hier wird m.E. deutlich, daß der Liberalismus von Smith, das die liberale politische Rationalität, nicht staatsfern, a-politisch oder rein ökonomistisch argumentiert, sondern immer schon die politische Regierung mit in ihr Projekt aufgenommen hat. Die Beziehung des Staates zur Gesellschaft wird allerdings neu verstanden und neu konzipiert: nicht mehr der Staat ordnet die In-

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dividuen zu einem gesellschaftlichen Körper, sondern die Gesellschaft und ihr politisch-ökonomisches Prinzip geben den Takt an, nachdem sich die Regierung zu richten hat. Der Staat einer zivilen Verkehrsgesellschaft muß sich zu einer zivilen oder „ökonomischen Regierung" transformieren; er muß sein Verhältnis zur Öffentlichkeit, zu Gewerbe, Handel und den zentralen Einkommensklassen (Lohnarbeiter, Kapitalist, Landeigentümer) nicht mehr als das einer letztlich gewaltförmigen Behen·schung begreifen, sondern als das einer Führung und Förderung. Smith verwendet dazu des öfteren den Begriff „management". 12 „Unmerkliche Führung (management) und geschickte Überredung sind [...] noch immer das leichteste und sicherste Mittel zum Regieren, so wie umgekehrt Zwang und Gewalt das schlechteste und gefährlichste sind." (Smith 1993, 679) Im Unterschied zu seinen europäischen Zeitgenossen, zu Kant, zu Condorcet oder Thomas Paine geht es Adam Smith nicht so sehr um eine Modernisierung des Staates durch bürgerlich-demokratische Partizipation, durch Errichtung einer rechtstaatlichen Verfassung oder durch Umstellung der Legitimation des Staates auf Volkssouveränität; eine ökonomische Regierung muß nicht demokratisch sein, aber sie muß die Interessen, die Meinungen und Bedürfnisse der Bevölkerung in einem hegemonialen Führungsdispositiv vereinigen. Die moderne Idee der representation beispielsweise ist für Smith der politische Modus, ein solches allgemeines Führungsdispositiv zu etablieren. Dabei begreift er die repräsentative Einbindung führender Gesellschaftsschichten in die parlamentarische Gesetzgebung nicht als ein rechtsstaatliches Prinzip, sondern als eine spezifische politische Technologie, ein strategisches Element seines Systems der politische Führung und Leitung.'3 Repräsentation heißt einerseits, den führenden Meinungen und Interessen des Landes einen politischen Geltungsraum zu verschaffen und bedeutet andererseits die Bereitsscellung eines zentralen Informationsreservoirs für den in einer commercial society mit Wissen und Informationen über die Gesellschaft notorisch unterversorgten politischen Regierungsapparat. Die Abgeordneten der einzelnen Landesteile führen in der parlamentarischen Arena nicht nur einen auf Verallgemeinerung hinauslaufenden Meinungs- und Interessenkampf - stellvertetend für die Kämpfe in der Gesellschaft; sie informieren zugleich auch die politische Administration über die in der Gesellschaft offenen oder schwelenden Konfliktpotentiale; sie halten somit die Regierung auf dem Niveau der sozio-ökonomischen Entwicklung, die es politische zu begleiten gilt.

Schlttßbetrachtung Nachdem, was ich hier über Genese und Formierung der liberalen politischen Rationalität gesagt habe, wäre es sicherlich zu kurz gegriffen, den sogenannten „ökonomischen Liberalismus" von Adam Smith als reine Wirtschaftsdoktrin zu behandeln. Seine politische Kritik der Staatsvernunft, seine Konzeption der politischen Ökonorn.ie als einer neuen Wissenschaft vom sozialen Raum und letztlich seine noch bruchstückhaften Überlegung zu einer ökonomischen Regierung ma-

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chen deutlich, daß Smith zu unrecht in der politischen Theoriegeschichte lediglich als Übergangsstation zwischen Locke und John Stuarc Mill plaziert wird. Smith und die schottischen Autoren/des ausgehenden 18. Jahrhunderts bilden vielmehr eine zentrale Weichenstelluhg für das, was bis heute unter Liberalismus verstanden wird. Begriffe wie civil society, interest und govemment werden von ihnen genauso nachhaltig geprägt wie die Vorstellung, das der soziale Raum in seiner Komplexität von natürlichen Gesetzen bestimmt wird, die über ökonomische Größen wie Produktion, Konsumtion und Distribution zu erfassen sind. Die von ihren Anhängern im 19. Jahrhundert verherrlichte und von ihren Gegnern verteufelte politische Ökonomie beginnt ihren Siegeszug an den Universitäten von Edinburgh und Glasgow. Mit der Etablierung und Professionalisierung der politischen Ökonomie als Wissenschaft verschaffte sich der Liberalismus ein bis heute unumstrittenes, hegemoniales Feld der Auseinandersetzung darüber, wie Menschen regiert werden sollen, wie sie ihr Verhältnis zueinander und zu ihren sozialen und natürlichen Ressourcen zu organisieren haben. Die Weichenstellung hin zur liberalen politischen Rationalität, die Ende des 18. Jahrhunderts mit den schottischen Autoren begann, war daher mehr als ,,nur" eine Revolution der Denkungsart (wie Kant sagen würde), sie war auch eine folgenschwere Umkehrung einer Serie ganz konkreter Praktiken der Lebensführung.14 Städte, Dörfer, Arbeits-, Lern- und Lebensformen, bis hin zu Diät, Körperkultur und Krankheits- bzw. Gesundheitsbilder wurden verändert und zwar all dies in Hinblick auf den Wohlstand der Nation. So wenig wie daher der Liberalismus von Smith auf eine reine Wirtschaftsdoktrin reduziert werden kann, so wenig läßt er sich als bloße Denkströmung oder Theorie erfassen. Der von mir verwencete Begriff der liberalen politische~ Rationalität sollte darauf hinweisen, daß wir es hier mit einem Ensemble von theoretischen Reflexionen, politischen Handlungsanweisungen und ökonomischen Aussagen zu tun haben, die sich auch und gerade in spezifischen Praktiken fortsetzten, sei es nun in der Wissensdisziplin politische Ökonomie, in der politischen Praxis des Freihandels oder in der konkreten Erzeugung eines „freien Lohnarbeitsmarktes".

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Dabei stütze ich meine Überlegungen auf eine Reihe von Arbeiten, die aus der systematischen Weiterführung des von Michel Foucaulr entwickelten Konzepts des „Regierungsdenkens" (gouvernementalite) hervorgegangen sind. Siehe insbesondere Burchell/Gordon/Miller 1991 und Barry/Osborn/Rose 1996. 1

2 Die klassische Formulierung hierfür findet sich bei Thomas Hobbes. Für ihn sind die „bürgerlichen Gesetze" (civill lawes) die alleinigen Bande (bonds), die einen Staat oder politischen Körper zusammenhalten oder genauer: das Verhältnis des Souveräns zu den Untertanen fixieren . .,Aber wie die Menschen zur Erlangung von Frieden und Selbsterhaltung einen künstlichen Menschen geschaffen haben, genannt Staat, so haben sie auch künstliche Ketten geschaffen, die man bürgerliche Gesetze nennt. Das eine Ende haben sie selbst durch gegenseitige Verträge an die Lippen des Menschen oder der Versammlung, denen sie die souveräne Gewalt übertrugen, geheftet, und das andere an ihre eigenen Ohren." (Hobbes 1984, 164)

Schon Hobbes ist sich durchaus bewußt, daß die „Regulierung aller menschlichen Handlungen und Äußerungen" (regulating of all rhe acrions, and words of men) durch den Staat ein Ding der Unmöglichkeit ist (being a thing impossible). Notwendigerweise entsteht damit ein spezifischer Freiraum, ein Freiraum „in allen vom Gesetz nicht geregelten Gebieten". So heißt es: ,,Die Freiheit eines Untertanen ist daher auf die Dinge beschränkt, die der Souverän bei der Regulierung ihrer Handlungen freigestellt hat: so zum Beispiel die Freiheit zu kaufen und verkaufen oder andere Verträge, die Wahl der eigenen Wohnung, der eigenen Ernährung, des eigenen Berufs, der Kindererziehung, die sie für geeignet halten, und dergleichen mehr." (Hob bes 1984, 165) Für Hobbes ist dieser Freiraum der unpolitische Raum schlechthin; er ist historisch und gesellschaftlich variable und rückt jeweils nur als Objekt souveräner Macht ins Licht der juridisch-politischen Rationalität. Nach welchen Modus dieser Freiraum regiert und reguliert wird - ob nun durch Tausch (Handel) oder autoritäre Leitung (Erziehung) - ist für Hobbes's Souverän von untergeordnetem Interesse. 3

Die klassische Stelle bei Locke lauter: ,.Betrachten wir also den Hemi einer Familie mit all diesen untergeordneten Beziehungen von Weib, Kindern, Knechten und Sklaven, vereinigt unter der häuslichen Herrschaft einer Familie: Wie groß in ihrer Ordnung, in ihren Ämtern und auch in ihrer Zahl die Ähnlichkeit einer Familie mit einem kleinen Staatswesen auch immer sein mag, so ist sie doch in Verfassung, Gewalt und auch in ihrem Ziel sehr verschieden von einem solchen Staat." (Locke 1977, 252) Während imfamilialen Raum nach Maßgabe der Vormundschaft (ruirion) und Leitung (government) regiert wird, werden die Beziehungen im kriegerischen Raum unmittelbar gewalrförmig ausgetragen: ,,Es ist also der ungerechte Gebrauch von GF&alt, der einen Menschen in den Kriegszustand mir einem anderen versetzt, dadurch verwirke der, welcher Schuld daran trägt, sein Leben. Denn da er sich von der Vernunft abgekehrt, die die zwischenmenschlichen Beziehungen regeln soll, und an ihre Stelle nach Art der Tiere Gewalt anwendet, setzt er sich der Gefahr aus, von dem, gegen den er Gewalt anwendet, wie irgendein wildes, reißendes Tier vernichtet zu werden, das· seinem Dasein gefährlich ist." (Locke 1977, 315) -1

Diese Verschiebung, aus der die klassische politische Ökonomie entstehen sollte, ist allerdings nicht ausschließlich auf die schottische Kritik des Verrragsdenkenes zurückzuführen. Sie ist auch Effekt einer Auseinandersetzung unter den schottischen Autoren selbst. Vgl. dazu Bohlender 1998a, 115-147. 5

6 Vgl. Smith 1993, 67 und 446. Zur Geschichte der Political A1·ithmetic als Vorläufer der modernen Demographie und Statistik siehe die Smde von Hacking 1990.

Im Original verwendet Adam Smith den Ausdruck Political Oeconomy, was eher dem zeitgenössischen Terminus der „Sraarswirrschaftslehre" entspricht. Vgl. dazu Tribe 1988. 7

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8 Schon in seiner Theorie der moralischen Gefi1hle hatte Smirh einen Punkt erreicht, wo er die Rationalität des Regieren der Menschen in der zivilen Verkehrsgesellschaft nicht mehr allein der moralphilosophischen Reflexion überlassen konnte. Der „große Haufe", der „Pöbel" und, die „Armen" sind nicht in der Lage den ethischen Verhaltensregeln der Selbstbeherrschung und Sympathie zu folgen. Sie orientieren sich am Erwerb von Reichtum und nicht am Erwerb von Tugend. Zwei verschiedene Wege, zwei verschieden Gesinnungsancn, zwei verschiedene Modelle, so schreibt Smirh (Smith 1994, 87f.), bieten sich uns an: die Analyse der Tugenden, die er weiter verfolgen wird und die Analyse der Reichtümer, die er später im \Vohlstand der Nationen unternehmen wird. Zur Rolle