Founded in 1921, PEN – which stands for Poets, Essayists, Novelists – is the world's largest and best-known associa
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German Pages 625 [626] Year 2014
Table of contents :
Inhalt
Abkürzungsverzeichnis
Zum Geleit
Statt eines Vorworts Ein Blick zurück nach vorn
Vorbemerkung der Herausgeber
I Der Internationale PEN und die wichtigsten Instrumentarien zur Umsetzung der PEN-Charta
Der Internationale PEN Gründungsgeschichte und Struktur einer Schriftstellervereinigung
Das Writers in Prison-Committee in Geschichte und Gegenwart
Das Writers for Peace-Committee
Das Writers in Exile-Programm
II PEN in Deutschland
Das Zentrum in der Weimarer Republik Von der Gründung bis zur Auflösung unter nationalsozialistischer Herrschaft (1923–1933)
Versuchte Gleichschaltung durch das NS-Regime, die Auflösung und Flucht ins Exil (1933–1945)
Nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft Wiederbegründung und Teilung des deutschen PEN als Folge des Kalten Krieges (1946–1951)
Im Machtbereich der SED-Diktatur PEN in der DDR – Ein politisches Instrument?
Vom ‚Wohnzimmerverein‘ zur politischen Institution Zur Geschichte des bundesdeutschen PEN bis 1989
Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs Auswirkungen auf die PEN-Zentren in Ost- und Westdeutschland (1989–1998)
Das PEN-Zentrum Deutschland Vom mühsamen Vereinigungsprozess bis zur Gegenwart
III PEN im Exil
PEN-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland
Vom Exil-PEN-Club zum Zentrum der Schriftstellerinnen und Schriftsteller im Exil deutschsprachiger Länder 56 Jahre Engagement für emigrierte Autoren und Journalisten
IV Weitere deutschsprachige PEN-Zentren
Österreich
Der österreichische PEN-Club in den Jahren 1923–1955
Der Wiener PEN-Club vom Beginn des Kalten Krieges bis zur Ostöffnung (1947–1990)
Der lange Weg ins 21. Jahrhundert
Schweiz
Der PEN-Club in der Deutschschweiz
Liechtenstein
Der PEN-Club Liechtenstein Ein Präsident blickt zurück
Die Autorinnen und Autoren
Personenverzeichnis
Handbuch PEN
Handbuch PEN
Geschichte und Gegenwart der deutschsprachigen Zentren Herausgegeben von Dorothée Bores und Sven Hanuschek
ISBN 978-3-11-026067-0 e-ISBN (PDF) 978-3-11-026068-7 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-039558-7 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2014 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: Michael Peschke, Berlin Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
Inhalt Abkürzungsverzeichnis IX Josef Haslinger Zum Geleit 1 Herbert Wiesner Statt eines Vorworts Ein Blick zurück nach vorn 3 Dorothée Bores / Sven Hanuschek Vorbemerkung der Herausgeber 11
I Der Internationale PEN und die wichtigsten Instrumentarien zur Umsetzung der PEN-Charta Dorothée Bores Der Internationale PEN Gründungsgeschichte und Struktur einer Schriftstellervereinigung 19 Sascha Feuchert Das Writers in Prison-Committee in Geschichte und Gegenwart 34 Hans Thill Das Writers for Peace-Committee 53 Franziska Sperr Das Writers in Exile-Programm 59
II PEN in Deutschland Ernst Fischer Das Zentrum in der Weimarer Republik Von der Gründung bis zur Auflösung unter nationalsozialistischer Herrschaft (1923–1933) 71
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Inhalt
Helmut Peitsch Versuchte Gleichschaltung durch das NS-Regime, die Auflösung und Flucht ins Exil (1933–1945) 133 Christine Malende Nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft Wiederbegründung und Teilung des deutschen PEN als Folge des Kalten Krieges (1946–1951) 168 Dorothée Bores Im Machtbereich der SED-Diktatur PEN in der DDR – Ein politisches Instrument? 223 Sven Hanuschek Vom ‚Wohnzimmerverein‘ zur politischen Institution Zur Geschichte des bundesdeutschen PEN bis 1989 302 Dorothée Bores Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs Auswirkungen auf die PEN-Zentren in Ost- und Westdeutschland (1989–1998) 362 Johano Strasser Das PEN-Zentrum Deutschland Vom mühsamen Vereinigungsprozess bis zur Gegenwart 397
III PEN im Exil Helmut Peitsch PEN-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland 411 Wolfgang Schlott Vom Exil-PEN-Club zum Zentrum der Schriftstellerinnen und Schriftsteller im Exil deutschsprachiger Länder 56 Jahre Engagement für emigrierte Autoren und Journalisten 448
Inhalt
IV Weitere deutschsprachige PEN-Zentren Österreich Klaus Amann Der österreichische PEN-Club in den Jahren 1923–1955 481 Ingrid Schramm Der Wiener PEN-Club vom Beginn des Kalten Krieges bis zur Ostöffnung (1947–1990) 533 Helmuth A. Niederle Der lange Weg ins 21. Jahrhundert 550
Schweiz Helen Münch-Küng Der PEN-Club in der Deutschschweiz 563
Liechtenstein Manfred Schlapp Der PEN-Club Liechtenstein Ein Präsident blickt zurück 585
Die Autorinnen und Autoren 593 Personenverzeichnis 597
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Abkürzungsverzeichnis ABM Arbeitsbeschaffungsmaßnahme Abt. Abteilung a. D. außer Dienst AdK Akademie der Künste ADN Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst ai amnesty international AK Arbeiterkammer Wien, Dokumentation AKG Auswertungs- und Kontrollgruppe Anm. Anmerkung ap Associated Press, Nachrichtenagentur mit Hauptsitz in New York City ASV Allgemeiner Schriftsteller-Verein BArch Bundesarchiv BBC bzw. B.B.C. British Broadcasting Corporation Bd. Band BDC Berlin Document Center Bl. Blatt BMG Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen BND Bundesnachrichtendienst BRD Bundesrepublik Deutschland BStU Bundesbeauftragte[r] für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik BZ Berliner Zeitung bzw. beziehungsweise CDU Christlich-Demokratische Union CEJ Collegium Europaena Jenense CIA Central Intelligence Agency ČSR Tschechoslowakische Republik CSU Christlich-Soziale Union DA PEN-Archiv Darmstadt DDP Deutsche Demokratische Partei DDR Deutsche Demokratische Republik DEA Deutsches Exilarchiv 1933–1945 der Deutschen Nationalbibliothek Frankfurt am Main DEFA Deutsche Film AG d. h. das heißt d. i. das ist DLA Deutsches Literaturarchiv, Marbach am Neckar DM Deutsche Mark DÖW Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes, Wien dpa Deutsche Presseagentur DST Dokumentationsstelle für neuere österreichische Literatur, Wien DSV Deutscher Schriftstellerverband Ed. Edition ERC Emergency Rescue Committee ESV Europäische Schriftsteller-Vereinigung f. folgende (Seite) ff. folgende (Seiten)
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Abkürzungsverzeichnis
FAM Free Austrian Movement FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung FDKB Freier Deutscher Kulturbund FDP Freie Demokratische Partei Ffo Frankfurt an der Oder FU Freie Universität GAWA German-American Writers Association Gestapo Geheime Staatspolizei GMS Gesellschaftlicher Mitarbeiter für Sicherheit GUDA Gruppe Unabhängiger Deutscher Autoren GV Generalversammlung HA Hauptabteilung Hrsg. Herausgeber, herausgegeben HRHRC Harry Ransom Humanities Research Center, The University of Texas at Austin HV Hauptverwaltung ICORN International Cities of Refuge Network IfZ Institut für Zeitgeschichte, München IM Inoffizieller Mitarbeiter IMS Inoffizieller Mitarbeiter zur politisch-operativen Durchdringung und Sicherung des Verantwortungsbereichs JRBA Johannes R. Becher-Archiv KGB Komitee für Staatssicherheit (beim Ministerrat) der UdSSR kommunist. kommunistisch KP Kommunistische Partei KPD Kommunistische Partei Deutschlands KPdSU Kommunistische Partei der Sowjetunion KPÖ Kommunistische Partei Österreichs KSZE Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa KZ Konzentrationslager LDPD Liberal-Demokratische Partei Deutschlands MfAA Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten MfK Ministerium für Kultur MfS Ministerium für Staatssicherheit NATO North Atlantic Treaty Organization (Nordatlantikpakt-Organisation) NDR Norddeutscher Rundfunk NGO Non-governmental Organization (Nichtregierungsorganisation) N, NL Nachlass NS Nationalsozialismus NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei NTB Das Neue Tage-Buch NZZ Neue Zürcher Zeitung o. A. ohne Angabe bzw. ohne Autor o. D. ohne Datum o. O. ohne Ortsangabe o. V. ohne Verlagsangabe OV Operativer Vorgang ÖNB Österreichische Nationalbibliothek Wien, Handschriftensammlung ÖPC Archiv des Österreichischen PEN-Clubs, Wien ÖVP Österreichische Volkspartei
Abkürzungsverzeichnis
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PAL PEN-Archiv London PEN bzw. P.E.N. Poets/Playwrights, Editors/Essayists and Non-fiction-writer/Novelists polit. politisch Prof. Professor RAF Rote Armee Fraktion RAN Rapid Action Network RDS Reichsverband Deutscher Schriftsteller RIAS Rundfunk im amerikanischen Sektor RKK Reichskulturkammer RSK Reichsschrifttumskammer russ. russisch SA Sturmabteilung SALT Strategic Arms Limitation Talks SAPMO-BArch Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv Berlin SBBPK Staatsbibliothek Berlin Preußischer Kulturbesitz SDA Schutzverband Deutscher Autoren SDR Süddeutscher Rundfunk SDS Schutzverband Deutscher Schriftsteller SED Sozialistische Einheitspartei SJ Societas Jesu (Ordenskürzel der Jesuiten) sog. sogenannte(r) Sp. Spalte SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands SPIO Spitzenorganisation der Filmwirtschaft TMG Thomas-Mann-Gruppe u. a. unter anderem, und andere UdSSR Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken UN United Nations UNESCO United Nations Educational, Scientific, Cultural Organization (Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur) US United States USA United States of America (Vereinigte Staaten von Amerika) Vf. Verfasser Vgl. Vergleiche VS Verband der Schriftsteller WB Weimarer Beiträge WDR Westdeutscher Rundfunk WDRC Women’s Defence Relief Corps WfPC Writers for Peace Committee WiE Writers in Exile WiPC Writers in Prison Committee ZA Zentralarchiv ZDF Zweites Deutsches Fernsehen ZK Zentralkomitee ZMA Zentrale Materialablage ZS Zentralsekretariat Zss. Zeitschriften z. B. zum Beispiel
Josef Haslinger
Zum Geleit „No politics under no circumstances!“ Dieses Diktum des ersten PEN-Präsidenten John Galsworthy ist längst selbst ein Dokument der politischen Zeitgeschichte geworden. Die Salongespräche darüber, ab welcher Zumutung man politische Stellungnahmen abgeben kann, endeten in der völligen nationalsozialistischen Unterwanderung des deutschen PEN-Zentrums. Sind die Gründungsmütter und -väter des Internationalen PEN zu naiv gewesen, um dieser Entwicklung zu begegnen? Bedenkt man die politische Lage Europas nach dem Ersten Weltkrieg, so verkörpert der Gründungsimpuls des Internationalen PEN ein erstaunliches Maß an Großherzigkeit. Es gab in Deutschland eine Generation von Schriftstellern, die 1914, nach den ersten von deutschen Soldaten verübten Gräueln, nun auch auf intellektuellem Feld zur Attacke bliesen. Beim Vormarsch nach Frankreich waren in Belgien gerade ein paar tausend Zivilisten umgebracht worden und die alte Universitätsbibliothek von Löwen stand in Flammen, aber 93 deutsche Schriftsteller fanden sich zusammen, um der Welt zu verkünden: „Deutsches Heer und deutsches Volk sind eins.“ Darüber hinaus hatten sie noch ein weiteres Anliegen, das sie so ausdrückten: „Sich als Verteidiger europäischer Zivilisation zu gebärden, haben die am wenigsten das Recht, die sich mit Russen und Serben verbünden und der Welt das schmachvolle Schauspiel bieten, Mongolen und Neger auf die weiße Rasse zu hetzen.“ Geht’s noch schlimmer, möchte man fragen. Wir wissen, wer diesen Aufruf verfasst hat, es war Ludwig Fulda. Er wurde sechs Jahre nach dem Krieg, am 15. Dezember 1924, zum ersten deutschen PEN-Präsidenten gewählt. Zwei Jahre lang hatte man gestritten, ob man überhaupt einen PEN-Club gründen sollte und ob man nicht ein paar zusätzliche Paragraphen in die Charta aufnehmen müsste, damit nicht jeder dahergelaufene französische Schriftsteller als willkommener Gast begrüßt werden müsse. Einer der Unterzeichner dieses Aufrufs, dessen Geisteshaltung sich bald in Deutschland und Österreich durchsetzen sollte, war Gerhart Hauptmann, der zwei Jahre zuvor den Nobelpreis erhalten hatte. Bei einem Autor von dieser Bedeutung wiegt der politische und moralische Fehltritt umso schwerer. Kaum hatten diejenigen, die sich mit Russen, Serben, Mongolen und „Negern“ gemein gemacht hatten, den Sieg davon getragen, fand sich in London ein DinnerClub von Schriftstellerinnen und Schriftstellern zusammen, der den Unterzeichnern solch markiger Sprüche die Hand reichte und Gerhart Hauptmann zu einem seiner Ehrenmitglieder ernannte. Eine wahrlich entwaffnende Geste. Ich habe diese Geschichte in dem Buch gelesen, das Sie gerade in den Händen halten. Sie wird im Beitrag von Ernst Fischer dargestellt. Dort ist auch nachzulesen, dass der Verfasser dieses Aufrufs, Ludwig Fulda, von den Geistern, die er einst mit entfachte, bald überholt wurde. Er war einer jener besonders patriotisch gesinnten
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Josef Haslinger
Juden, denen das letztlich niemand gedankt hat. Nach der Reichspogromnacht, als es das deutsche PEN-Zentrum, dessen Mitbegründer er war, schon längst nicht mehr gab, bemühte er sich vergeblich um ein Ausreisevisum und ging schließlich in seiner Verzweiflung am 30. März 1939 in den Freitod. Dieses Buch erzählt, wie sich aus einem britischen Dining Club von Schöngeistern eine internationale Menschenrechtsorganisation entwickelt hat, und es informiert, was aus den deutschsprachigen PEN-Zentren geworden ist. Es ist eine spannende Lektüre. Denn im Auf und Ab der Entwicklung dieser Schriftstellerorganisation spiegelt sich die Weltgeschichte vom ersten Weltkrieg bis zum Ende des Kalten Krieges, und das ist die Geschichte eines ganzen Jahrhunderts. Leipzig, Februar 2014
Herbert Wiesner
Statt eines Vorworts Ein Blick zurück nach vorn Das Jahr 2014, in dem dieses Handbuch über den PEN erscheint, ist das Jahr, in dem die Welt, ein Jahrhundert danach, des Ersten Weltkriegs gedenkt. Unter dem Eindruck dieses furchtbaren Krieges hat sich am 5. Oktober 1921, im Jahr nach der Gründung des Völkerbunds, drei Jahre nach Kriegsende, in London die Vereinigung von Poets, Essayists und Novelists, auch von Playwrights, Editors und Non Fiction Authors als ein geistiger Völkerbund der Schriftsteller konstituiert. Literaturkritiker, Journalisten, Übersetzer, Hörspielautoren, neuerdings auch Internet-Autoren zählen dazu. Im Zeichen des englischen Wortes für Feder (pen) oder Bleistift (pencil) ist aus einer Londoner Dinnergesellschaft die einzige wirklich internationale Autorenvereinigung erwachsen, die weltweit in zurzeit rund 145 Ländern, Exilen und Sprachen agiert. Rund 20 000 Mitglieder zwischen Afghanistan und Zypern haben die Charta des PEN unterzeichnet und sich verpflichtet, für die Menschenrechte und gegen Rassen-, Klassen- und Völkerhass einzutreten. 1924 ist dem Internationalen PEN ein erstes deutsches Zentrum beigetreten, das bald auf fast 200 Mitglieder anwuchs, aber nur bis 1933 Bestand hatte. Dem Gründungspräsidium, das sich im Dezember 1924 konstituierte, gehörten durchaus namhafte Autoren an, doch keiner von ihnen zählte zu den Schriftstellern, die mit ihren Werken die Literaturgeschichte der legendären 1920er Jahre geprägt haben. Erst die später zugewählten Mitglieder konnten diesen anfänglichen Mangel an zeitgenössischer literarischer Repräsentanz beheben. Dennoch schienen Sitz und Stimmen in der 1926 gegründeten Sektion für Dichtkunst der Preussischen Akademie der Künste den Zeitgenossen wie der Nachwelt bedeutsamer zu sein als die Aufnahme in den PEN. Kurt Tucholsky hatte seinen Spott immerhin über beide Institutionen ausgegossen. Noch die Akademie-Austritte und -Ausschlüsse um 1933 wurden bis heute stärker wahrgenommen als die ganz ähnlichen Auseinandersetzungen im PEN. Als dann kurz nach den deutschen Bücherverbrennungen, noch im Mai, der XI. Internationale PEN-Kongress in Ragusa (Dubrovnik) stattfand, stießen die bereits ins Exil geflohenen deutschen Autoren auf eine aus Deutschland angereiste Delegation, die kritische Fragen nicht hören wollte und schon nicht mehr bereit oder fähig war, den international gültigen Anspruch der PEN-Charta anzuerkennen. Erst seit November 1948 existierten wieder freie PEN-Zentren in Deutschland, die auch nach der Teilung des Landes unterschiedliche Grade des Getrenntseins aufwiesen. Es dauerte aber bis Oktober 1998, bis ein sorgfältig erarbeiteter „Verschmelzungsvertrag“ ein geeintes PEN-Zentrum Deutschland möglich machte. Es zählt heute rund
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Herbert Wiesner
700 Mitglieder1, die jene weltweit tätige älteste den Menschenrechten verpflichtete Nicht-Regierungsorganisation (NGO) des Internationalen PEN mit tragen. Die Freiheit des Wortes ist eines der Rechte, die es zu verteidigen gilt. Die respektvolle Wahrung des Urheberrechts gehört dazu. Es geht dabei um angemessene Veröffentlichungshonorare für meist freiberuflich tätige Autoren, aber auch und erst recht um die Würde und die Unversehrtheit der Texte in allen Medien. Die Gedanken sind frei, aber nicht umsonst, besonders dann nicht, wenn ihnen ein Autor Form und Gestalt verliehen hat. Der PEN ist keine Standesvertretung, kein Berufsverband. Es gilt als Ehre, in den PEN gewählt zu werden. Man kann ihm nicht beitreten. Wenn dies ein Vorteil ist, dann ist es der einzige. Alles andere ist Verpflichtung: die Sorge um inhaftierte, gefolterte, mit dem Tode bedrohte oder auch nur an uneingeschränkter, nicht zensierter Publikation gehinderte Schriftsteller und Journalisten. Oft kann man nicht mehr tun, als ihnen einen Brief, einen Gruß aus der Freiheit in die Unfreiheit zu schicken. Namen und Adressen verbreitet die halbjährlich vom internationalen Writers in Prison Committee (WiPC) des PEN veröffentlichte „Case List“. Umgekehrt erreichen uns von außen die Kassiber der Verfolgten, die in Deutschland Zuflucht suchen. Acht Stipendiaten können wir jetzt in Berlin, in Hamburg, in Nürnberg, in München und auch in Darmstadt, dem Heimatort unserer Geschäftsstelle, beherbergen. Wir beraten sie in rechtlichen Fragen, geben ihnen und ihrer Familie bzw. ihrem Partner eine Wohnung, ebnen ihnen Wege zur Publikation2. Für das kleine Darmstädter Büro des PEN, in dem neben der Geschäftsführerin (bis 2007 Ursula Setzer, seitdem Claudia C. Krauße) drei Ganztagsangestellte und zwei Teilzeitkräfte arbeiten, bedeutet diese intensive Betreuung einen erheblichen Arbeitsaufwand, der natürlich auch von den dafür zuständigen ehrenamtlich tätigen Writers in Exile-Beauftragten (nach Christa Schuenke zurzeit Franziska Sperr) und den Generalsekretären oder der Generalsekretärin mitzutragen ist. Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Monika Grütters, ist für die Finanzierung dieses unter Michael Naumann 1999 eingerichteten Stipendienprogramms zuständig. Auch die Städte beteiligen sich. Damit sind in Kürze die beiden Säulen des PEN-Zentrums Deutschland beschrieben: das Writers in Prisonund das Writers in Exile-Programm.3 Wir arbeiten mit ICORN (International Cities of Refuge Network) oder zum Beispiel mit der Heinrich Böll-Stiftung zusammen. Leider existiert so etwas wie das Exil-Programm in diesem Umfang nur im deutschen PEN. Unser PEN leistet diese Arbeit auch, weil wir uns bei vielen Nationen dafür zu bedanken haben, dass deutschen Exilanten geholfen wurde, als sie vor dem Natio1 Bio-Bibliografisch aufgeführt in: PEN. A World Association of Writers. Deutsches Zentrum. Autorenlexikon 2012/2013. Redaktion: Rudi Schweikert. Wuppertal: Peter Hammer Verlag 2012. 2 2000, 2005 und 2009 haben Elsbeth Wolffheim, Michael Klaus, Sigfrid Gauch und Claudia C. Krauße drei Anthologien mit Texten von Stipendiaten herausgegeben. Zuletzt erschienen: Christa Schuenke und Brigitte Struzyk (Hrsg.): Fremde Heimat. Texte aus dem Exil. Berlin: Matthes & Seitz 2013. 3 Vgl. Gerhard Schoenberner: Das Wort und die Macht. Das Writers in Prison Committee; Christa Schuenke: Das Writers-in-Exile-Programm. Beide Beiträge in: Autorenlexikon 2012/13 (Anm. 1).
Statt eines Vorworts
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nalsozialismus fliehen mussten. Der deutsche PEN hat sich nach dem internationalen Kongress in Ragusa Ende Mai 1933 eine „völkische Sonderform gegeben“, wie die Neue Zürcher Zeitung dies am 15. 11. 1933 sehr zurückhaltend ausdrückte. Der XII. Internationale PEN-Kongress in Edinburgh und Glasgow beschloss im Juni 1934 die Löschung des deutschen PEN, den es rechtlich wie faktisch schon nicht mehr gab, und konnte bereits Rudolf Olden und Ernst Toller als Delegierte des in London neu gegründeten deutschen PEN-Clubs im Exil begrüßen. (Er besteht heute fort als PEN-Zentrum Deutschsprachiger Autoren im Ausland.) Für Österreich sprach während des schottischen Kongresses Emil Ludwig, der Ernst Tollers Resolutionsantrag gegen die Schriftstellerverfolgungen in Deutschland unterstützte. Ein Peter Meyer bezeichnete als Berichterstatter der Neuen Zürcher Zeitung solche Verfolgungen, also die Haft Carl von Ossietzkys zum Beispiel, als eine „ausgesprochen innenpolitische Angelegenheit“4; in seiner Rolle als Delegierter der Schweiz, eigentlich wohl des PEN-Clubs Zürich, votierte jener „Unbekannte“, der damals Redakteur der schweizerischen Architekturund Kunstzeitschrift Das Werk gewesen ist, einsam gegen den Antrag des PEN-Clubs im Exil. Heute ist der PEN, ist insbesondere jedes deutschsprachige PEN-Mitglied der Geschichte und der Haltung dieses Exil-Clubs verpflichtet. Die beiden deutschen Delegierten haben ihr Exil nicht überlebt. Ernst Toller hat sich am 22. Mai 1939 im Hotel Mayflower in New York erhängt. Rudolf Olden, der erste Generalsekretär des PEN-Clubs im Exil, ist nach seiner Entlassung aus dem Internierungslager auf der Isle of Man zusammen mit seiner Frau Ika und vielen anderen Flüchtlingen am 17. September 1940 beim Untergang der City of Benares ertrunken. Er war zu geschwächt, um sich zu retten; Monika Mann hat diesen Torpedoangriff eines deutschen U-Boots überlebt. Olden, so schrieb der Generalsekretär des Internationalen, dann des englischen PEN Hermon Ould in seinem schönen und würdigen Nachruf5, wäre als Anglophiler gerne britischer Staatsbürger geworden, aber er musste England verlassen. In New York wartete eine Professur an der New School for Social Research auf ihn. Dieser Hochschule wurde 1933 eine University in Exile eingegliedert; die Einladungsbriefe ihres Direktors Alvin Johnson galten, da sie eine Gehaltszusage enthielten, als Zugang für sogenannte Nonquota Visa. Alvin Johnson leitete auch den Senat der American Guild for German Cultural Freedom. Als Generalsekretär des Exil-PEN wie als Freund und Ratgeber von Hubertus Prinz zu Löwenstein unterhielt Olden aus dem englischen Exil heraus enge Beziehungen zur American Guild, und er gehörte dem Senat der Deutschen Akademie der Künste und Wissenschaften seit deren Gründung durch die Guild im Jahr 1937 an. 4 Zitiert nach: Der deutsche PEN-Club im Exil 1933–1948. Eine Ausstellung der Deutschen Bibliothek Frankfurt am Main. Ausstellung und Katalog: Werner Berthold und Brita Eckert. Frankfurt am Main: Deutsche Bibliothek 1980 (Sonderveröffentlichungen der Deutschen Bibliothek 10), S. 111. – Zu Peter Meyer vgl. Helen Münch-Küng: Die Gründungsgeschichte des PEN-Clubs in der Schweiz. Bern: Peter Lang 2011, S. 193f. 5 Abgedruckt in: Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 355.
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Herbert Wiesner
Rudolf Olden, als Mitarbeiter Theodor Wolffs am Berliner Tageblatt einer der bedeutendsten politischen Redakteure der Weimarer Republik, Autor wichtiger politischer Biographien und Strafverteidiger am Berliner Kammergericht (z. B. im Hochverratsprozess gegen Carl von Ossietzky) hat die Zusammenarbeit von PEN, American Guild und Deutscher Akademie nicht nur wegen der zu vergebenden Werkstipendien für deutsche und österreichische Schriftsteller gesucht. Er war mit Hubertus zu Löwenstein sowie mit Thomas Mann und Sigmund Freud, den Präsidenten der literarischen und wissenschaftlichen Klassen der Akademie, zu der Überzeugung gelangt, es sei der historische Auftrag der Emigranten, der Weltöffentlichkeit gegenüber ein „anderes“, ein „geistiges Deutschland“ zu repräsentieren. Volkmar Zühlsdorff, der engste Mitarbeiter des Prinzen zu Löwenstein, hat in seinem Buch Deutsche Akademie. Der vergessene Widerstand6 sehr einlässlich über Rudolf Olden, den PEN und jene amerikanischen Hilfsorganisationen geschrieben. Zwischen Thomas Mann und Löwenstein, der im März 1940 vor den „Gefahren der Vernichtungspolitik“ gewarnt hatte, war es im April zu einem schweren Zerwürfnis in der Einschätzung des alliierten Anti-Hitler-Krieges gekommen.7 Thomas Mann verließ die American Guild, und Hubertus zu Löwenstein trat von seinen Ämtern zurück. Die große Zahl der nach dem deutschen Einmarsch in Frankreich gefährdeten Exilanten (aber nicht nur diese) war auf neue Hilfsprogramme jenseits der längst ausgeschöpften Quotenregelung angewiesen, auf Not-Visen und den Nachweis einer bezahlten Schiffspassage. Nutznießer einer Notfallregelung in den Jahren 1940/41 wurden insbesondere Intellektuelle, Schriftsteller, Künstler, Politiker. Es bildete sich zur Umsetzung der direkt Präsident Roosevelt unterstellten Emergency-Visa-Aktion eine Vielzahl amerikanischer Komitees, die nun statt der bekannten finanziellen Affidavits (Bürgschaften) „affidavits of sponsorship“ und „moral affidavits“ (Leumundszeugnisse) zu beschaffen hatten, um eine neue Art von Besuchervisen zu beantragen. Eines dieser Komitees war das Emergency Rescue Committee (ERC), das von Frank Kingdon, dem Präsidenten der Universität Newark, mitbegründet wurde. Kingdon kannte Thomas Mann von anderen Projekten her und gewann diesen als Doyen für die kleine Gruppe der deutschen Berater, zu denen neben Erika Mann, Liesl Frank, Charlotte Dieterle vor allem Hermann Kesten gehörte. Kesten war im Mai 1940 mit einem Besuchervisum in die USA gekommen. Das ERC betreute wie fast alle diese Emergency-Committees Flüchtlinge aus vielerlei Ländern. Die deutsche Beratergruppe war also nur eines von mehreren Gremien, die Empfehlungslisten für Emergency Visa vorlegten und die dafür benötigten Unterlagen beschafften. Die gesammelten Dokumente mussten zunächst nach New York an das President’s Advisory Committee on Political Refugees geschickt werden, dann an das Justizministerium, von dort an 6 2. Auflage. Bonn: Edition Zeitgeschichte 2001, S. 105–119. 7 Die Debatte darüber ist dokumentiert in: Deutsche Intellektuelle im Exil. Ihre Akademie und die „American Guild of German Cultural Freedom“. Eine Ausstellung des Deutschen Exilarchivs der Deutschen Bibliothek Frankfurt am Main. München u. a.: Saur 1993, S. 415ff.
Statt eines Vorworts
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das State Department und schließlich an das für den Flüchtling zuständige amerikanische Konsulat, wo allzu häufig Visa-Anträge wieder aussortiert wurden, weil die Schiffspassage noch nicht hinreichend geklärt schien. Der Stützpunkt des ERC für die Frankreichflüchtlinge war das Büro von Varian Fry in Marseille; er verhandelte mit den Behörden des Vichy Regimes und organisierte die Flucht durch Spanien und Portugal, für die wiederum Transitvisa erforderlich waren. Der unglaublich komplizierte Hürdenparcours des schon am 1. Juli 1941 wieder eingestellten Verfahrens und die nationale Vielfalt der Hilfsbedürftigen zeigen, dass das ERC nicht „Tausende“ hat retten können, wie Hermann Kesten 1964 geschrieben hat, – und schon gar nicht tausende Deutsche. Hans-Albert Walter, der „Die SpecialEmergency-Visa-Aktion“ in seinem Werk Deutsche Exilliteratur 1933–1950. Bd. 2: Europäisches Appeasement und überseeische Asylpraxis8 genauestens analysiert hat, listet auf, dass 1940 insgesamt 3268 Visa vom State Department zur Erteilung vorgelegt wurden, die letztlich entscheidenden „Konsuln aber nur 1263 tatsächlich bewilligt haben. 1941 kamen noch einmal rund 800 bewilligte Visa hinzu, so daß man insgesamt von wenig mehr als 2000 erteilten Einreisegenehmigungen im EmergencyVerfahren sprechen kann“.9 Walter betont, dass der Anteil deutscher Emigranten beträchtlich war, diese Zahlen jedoch für Flüchtlinge aus vielen Nationen gelten. Das Hilfsprogramm enthülle sich „bei näherer Betrachtung also als eine knickrig bemessene, widerwillig gewährte und in ihrer zweiten Phase schikanös verabreichte ‚Gnade‘ für eine verschwindende, vom Zufall und vom Glück begünstigte Minderheit“. HansAlbert Walter kann die meisten Geretteten namentlich aufzählen. Der Vorwurf trifft die damalige amerikanische Mehrheitshaltung gegenüber Einwanderern, nicht die zahlreichen gutwilligen Helfer, die opferbereiten Spender und natürlich nicht den unermüdlichen Hermann Kesten, der die Zahl der Glücklichen, wenn sie denn glücklich wurden, zweifellos überschätzt hat. Hermann Kesten, der nach dem Zweiten Weltkrieg nur besuchsweise, jedenfalls aber zu den PEN-Tagungen nach Deutschland zurückgekehrt ist, wurde, seltsam spät und nach Heinrich Böll erst, 1972 zum Präsidenten des deutschen PEN gewählt, allerdings hat man ihn 1974 wiedergewählt und danach zum Ehrenpräsidenten ernannt. Anlässlich seines 85. Geburtstages wurde 1985 mit der nach ihm benannten Medaille, dem späteren Hermann Kesten-Preis, eine auf die Charta des PEN bezogene Ehrung für Menschen geschaffen, die Verfolgten helfen und mitunter selbst zu Verfolgten wurden. Diese Fokussierung in zwei Richtungen entspricht vielleicht nicht ganz der ursprünglichen Definition des Preises, dafür aber der Lebenspraxis, in der nur zu oft diejenigen, die sich für die Freiheit anderer einsetzen, mundtot gemacht und verhaftet werden.
8 Hans-Albert Walther: Deutsche Exil-Literatur 1933–1950. Bd. 2: Europäisches Appeasement und überseeische Asylpraxis. Stuttgart: Metzler 1984. 9 Ebd., S. 477.
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Herbert Wiesner
Die Preisentscheidungen der letzten Jahre, etwa die für die Gruppe Memorial, für den kämpferischen, aber auch umstrittenen spanischen Untersuchungsrichter Baltasar Garzón, den zu hoher Haftstrafe verurteilen chinesischen Schriftsteller Liu Xiaobo, der den Kesten-Preis noch vor dem Friedensnobelpreis erhielt, beide Preise jedoch nicht entgegennehmen durfte, die Entscheidung für den Verleger der ägyptischen Revolution Mohamed Hashem, für die weißrussische Journalistin Irina Khalip oder jüngst für die Londoner Organisation Index on Censorship zeigen ganz deutlich das Bestreben, historische Erfahrungen, die deutsche Schriftsteller zu bestehen hatten, in eine auf Gegenwart und Internationalität gerichtete Haltung umzusetzen. Am zweiten Tag des Gedenkjahrs 2014 ist in Potsdam Dirk Sager gestorben. Von 2009 bis 2012 ist er als Vizepräsident und vor allem als Writers in Prison-Beauftragter im Präsidium des PEN-Zentrums Deutschland tätig gewesen. In der Nachfolge Gerhard Schoenberners (1931–2012), Saids oder Karin Clarks und Katja Behrens‘ hat sich Dirk Sager in enger Zusammenarbeit mit PEN International und Reporter-ohneGrenzen unermüdlich gegen die Verfolgung von Schriftstellern und Journalisten zu Wort gemeldet. Er stand damit auch in der Tradition Walter Kaufmanns, der sich in der Mitte der 1980er Jahre verstärkt für ein internationales Engagement des DDR-PEN eingesetzt hatte; auch Christa Wolf und Christoph Hein, der Präsident des ersten vereinigten deutschen Präsidiums 1998/1999, hatten sich schon im März 1989 für die Freilassung des im Januar erneut inhaftierten Václav Havel eingesetzt. Dirk Sager hat, wie dann auch sein Nachfolger Sascha Feuchert, das besondere Augenmerk auf die Maßregelung und Unterdrückung des freien Wortes in Belarus gerichtet. Es hat dazu eine Veranstaltung während der Frankfurter Buchmesse 2012 und im Rahmenprogramm der Ausstellung „Kassiber. Verbotenes Schreiben“ des Deutschen Literaturarchivs Marbach10 gegeben. Im Mittelpunkt des vom PEN kuratierten Teils jener Ausstellung standen aus dem Gefängnis geschmuggelte Handschriften des nach Berlin geflüchteten Autors Liao Yiwu. Der Autor dieses Textes hat in stetem Kontakt zu John Ralston Saul, dem Präsidenten von PEN International seit 2009, und dem Independent Chinese PEN Centre immer wieder versucht, auf diplomatischen Wegen die Lebenssituation von Schriftstellern und Künstlern in China zu bessern oder Verbesserungen wenigstens anzumahnen. Wirklich Einfluss zu nehmen, ist zurzeit noch nicht möglich. Überraschend ist das nicht. Warum sollte im Verhältnis zu China etwas gelingen, was nicht einmal gegenüber unseren europäischen Nachbarn in Ungarn möglich ist. Eine gemeinsame Ungarn-Konferenz des österreichischen, des deutsch-schweizerischen und des deutschen PEN, die im April 2013 in Wien stattgefunden hat, konnte auch nur 10 Marbacher Kataloge 65 (Hrsg. v. Heike Gfrereis). Marbach am Neckar: Deutsche Schillergesellschaft 2012. Darin: fluxus 23, PEN. Writers in Prison – Writers in Exile, S. 304–375. Dieser Teil auch erhältlich als Sonderdruck für den PEN: Geschrieben gegen alle Verbote. Writers in Prison – Writers in Exile. Hrsg. und zusammengest. von Herbert Wiesner mit Sascha Feuchert, Julia Paganini, Dirk Sager, Gerhard Schoenberner und Christa Schuenke (2013).
Statt eines Vorworts
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besorgniserregende demokratiefeindliche Entwicklungen analysieren, aber das Ohr des anwesenden ungarischen Botschafters haben wir ebenso wenig erreicht wie die Ohren unserer ungarischen PEN-Kollegen, die schon 2012 auf dem internationalen Kongress in Südkorea eine Ungarn-Resolution zu verhindern wussten. Erst im September 2013 konnte es dem inzwischen neu gewählten Präsidium mit Regula Venske als Generalsekretärin und Josef Haslinger als Präsidenten gelingen, eine kritische Ungarn-Resolution auf dem Kongress in Reykjavik durchzusetzen. Das Wissen um die Gefährlichkeit der Partei des nationalkonservativen Bürgerbunds Fidesz war auch im Internationalen PEN bis dahin nur wenig verbreitet. Das PEN-Zentrum Deutschland hat spätestens mit dem internationalen PEN-Kongress 2006 ein hohes Ansehen innerhalb der World Association of Writers gewonnen. Es war der erste Weltkongress, der nach achtzig Jahren wieder in Berlin stattfinden konnte, in der Mitte der Stadt. (Geplant haben ihn Johano Strasser als Präsident und Wilfried F. Schoeller als Generalsekretär;11 Herbert Wiesner hat das Literaturprogramm erarbeitet, Hermann Schulz organisierte den Afrika-Schwerpunkt im Berliner Ensemble.) Das Kongress-Thema „Schreiben in friedloser Welt“ war auch ein Hinweis auf das außergewöhnlich umfangreiche internationale Literaturprogramm. Der Blick über den Tellerrand war nach den langen Jahren der deutschen Teilung dringend erforderlich. Immerhin hatte es noch fast ein Jahrzehnt gedauert, bis auch der PEN wieder zusammenwuchs. Das war ein langwieriger Prozess, der sich mit all seiner Vorsicht in seiner fast provokanten Langsamkeit letztlich als notwendig und angemessen erwiesen hat, aber in der Öffentlichkeit auch auf Ungeduld und Unverständnis gestoßen ist. Die beharrliche politische Arbeit des PEN, seine humanitären Hilfestellungen, seine Analysen und daraus resultierenden Proteste gegen Verletzungen der Menschenrechte an vielen Orten der Welt, dies alles scheint dazu beizutragen, dass die Stimmen der Schriftsteller auch im eigenen Land gehört werden. Schriftsteller verfügen dennoch nicht über besseres Wissen und tiefere Einsichten als andere Menschen. Es legitimiert sie nur ihre Literatur.12 Berlin, Januar 2014
11 Hermann-Anders Korte hatte als Schatzmeister die Finanzplanung übernommen. 12 19 Autorinnen und Autoren des PEN haben ihre Schreibhaltungen im Spannungsfeld von Politik und Ästhetik neu definiert und beschrieben in dem Band: Wilfried F. Schoeller und Herbert Wiesner (Hrsg.): Widerstand des Textes. Politisch-ästhetische Ortsbestimmungen. Berlin: Matthes & Seitz 2009.
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Herbert Wiesner
Literatur- und Quellenhinweise Der deutsche PEN-Club im Exil 1933–1948. Eine Ausstellung der Deutschen Bibliothek Frankfurt am Main. Ausstellung und Katalog: Werner Berthold und Brita Eckert. Frankfurt am Main: Deutsche Bibliothek 1980 (Sonderveröffentlichungen der Deutschen Bibliothek 10). Deutsche Intellektuelle im Exil. Ihre Akademie und die „American Guild of German Cultural Freedom“. Eine Ausstellung des Deutschen Exilarchivs der Deutschen Bibliothek Frankfurt am Main. München u. a.: Saur 1993. Marbacher Kataloge 65 (Hrsg. v. Heike Gfrereis). Marbach am Neckar: Deutsche Schillergesellschaft 2012. Darin: fluxus 23, PEN. Writers in Prison – Writers in Exile, S. 304–375. Dieser Teil auch erhältlich als Sonderdruck für den PEN: Geschrieben gegen alle Verbote. Writers in Prison – Writers in Exile. Hrsg. und zusammengest. von Herbert Wiesner mit Sascha Feuchert, Julia Paganini, Dirk Sager, Gerhard Schoenberner und Christa Schuenke (2013). Münch-Küng, Helen: Die Gründungsgeschichte des PEN-Clubs in der Schweiz. Bern: Peter Lang 2011. PEN. A World Association of Writers. Deutsches Zentrum. Autorenlexikon 2012/2013. Redaktion: Rudi Schweikert. Wuppertal: Peter Hammer Verlag 2012. (Darin Beiträge von Gerhard Schoenberner: Das Wort und die Macht. Das Writers in Prison Committee; Christa Schuenke: Das Writers-inExile-Programm.) Schuenke, Christa und Brigitte Struzyk (Hrsg.): Fremde Heimat. Texte aus dem Exil. Berlin: Matthes & Seitz 2013. Hans-Albert Walther: Deutsche Exil-Literatur 1933–1950. Bd. 2: Europäisches Appeasement und überseeische Asylpraxis. Stuttgart: Metzler 1984. Zühlsdorff, Volkmar: Deutsche Akademie. Der vergessene Widerstand. Bonn: Edition Zeitgeschichte 2 2001.
Dorothée Bores / Sven Hanuschek
Vorbemerkung der Herausgeber Der hundertprozentige Progressive ist, wie sein konservativer Bruder, ein Phantom. Wer seine eigene mentale politische Landkarte zu Gesicht bekäme, würde feststellen, daß sie scheckig ausfiele wie ein Flickenteppich. Hans Magnus Enzensberger1
Zusammenschlüsse von Schriftstellerinnen und Schriftstellern, die es in großer Zahl gab und gibt, sind häufig vor allem „zur Wahrung ihrer Standes- und Erwerbsinteressen“ da; eine deutsche Hauptvereinigung diente dazu, „die allgemeinen Interessen deutschen Schrifttums und deutscher Schriftsteller, wie im besondern die Berufsinteressen für Mitglieder wahrzunehmen und zu fördern“, außerdem konnte sie „Unterstützung bei Erwerbsunfähigkeit und im Alter und Fürsorge für die Hinterbliebenen“ leisten, sogar eine Möglichkeit zur Erholung im Schriftstellerhaus „Demmins Hort“ in Wiesbaden gab es. Hier ist natürlich nicht vom PEN die Rede, sondern vom Deutschen Schriftstellerverband (1887 in Dresden gegründet), die Zitate stammen aus Meyers Großem Konversations-Lexikon von 1909.2 Das Singuläre am PEN, der 1921 in London gegründet wurde, zeigt sich gerade in der Gegenüberstellung mit anderen Zusammenschlüssen, ein weites und nur für einige wenige Exemplare gut erforschtes Feld; einige Beispiele seien bunt durch die Jahrhunderte herausgegriffen: Einige Zusammenschlüsse dienen tatsächlich der ständischen Interessenvertretung (wie heute der VS), andere werden durch ästhetische Prinzipien geeint (Oulipo, Gli Oplepiani, Wiener Gruppe); es gibt Generationen-Verbindungen (Generación del 27, Gruppe 47 etc.), zahllose regionale Vereinigungen, gesellige Zusammenschlüsse (Maikäferbund), solche zur Sprachreinigung oder -reform (Pegnesischer Blumenorden, Aufrichtige Tannen-Gesellschaft), politische Verbindungen aller Couleurs und schließlich auch Parodien von Schriftsteller-Zusammenschlüssen wie den Neuen Friedrichshagener Dichterkreis um Johannes Bobrowski und Manfred Bieler, die sich mit ihrer (zunächst) Zwei-PersonenGründung zu Präsidenten ernannten und in die Präambel schrieben, ihr Dichterkreis diene „der Beförderung der schönen Literatur und des schönen Trinkens“.3 Was den PEN-Club von all diesen mehr oder weniger gerichteten und spezifizierten Zusammenschlüssen unterscheidet, ist seine Internationalität – tatsächlich handelt 1 Hans Magnus Enzensberger: Herrn Zetts Betrachtungen, oder Brosamen, die er fallen ließ, aufgelesen von seinen Zuhörern. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2013, S. 94. 2 Schriftstellervereine. In: Meyers Großes Konversations-Lexikon. Ein Nachschlagewerk des allgemeinen Wissens. Sechste, gänzlich neubearbeitete und vermehrte Auflage. 18. Bd.: Schöneberg bis Sternbedeckung. Neuer Abdruck. Leipzig und Wien: Bibliographisches Institut 1909,S. 43. 3 Vgl. Johannes Bobrowski: Statuten des Friedrichshagener Dichterkreises. In: J. B.: Gesammelte Werke. Bd. 4. Berlin: Union 1984, S. 328–331.
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es sich um die einzige weltweite Schriftstellervereinigung – und die vergleichsweise globale Ausrichtung seiner Ziele. Der Zusammenschluss der Poets, Essayists und Novelists sollte über nationalen und politischen Leidenschaften stehen, so war es von der Gründerin Catherine Amy Dawson Scott und dem ersten Internationalen Präsidenten John Galsworthy gedacht. Der Club setzt sich für die Rechte von Schriftstellerinnen und Schriftstellern ein, für das Ideal einer einigen, friedlichen Welt, für die freie Meinungsäußerung und für Kolleginnen und Kollegen, die wegen ihres Schreibens verfolgt werden. Diese Maximen werden in der Charta formuliert, jedes neue Mitglied unterschreibt sie nach der Annahme der Zuwahl in den Club (vgl. hierzu ausführlich den ersten Beitrag von Dorothée Bores über den Internationalen PEN). *** Das vorliegende Handbuch stellt umfassend die wichtigsten Instrumentarien zur Umsetzung der PEN-Charta vor, Sascha Feuchert das Writers in Prison-Committee, Hans Thill das Writers for Peace-Committee, Franziska Sperr das Writers in Exile-Network. Die Arbeit dieser Komitees zeigt auch die konstante, oft erfolgreiche, manchmal scheiternde politische Arbeit der Schriftstellervereinigung, die hier nicht nur Öffentlichkeit schafft, sondern auch unmittelbare Unterstützung gefangener oder vertriebener Autorinnen und Autoren leistet. In der umfangreichsten Abteilung des Bandes werden Geschichte und Gegenwart der deutschen PEN-Zentren vorgestellt: Ernst Fischer rekonstruiert die Geschichte des ersten deutschen PEN-Zentrums in der Weimarer Republik. Die folgenden Beiträge zeigen den Einfluss der Diktaturen auf das Verhalten des Clubs mit den hehren Zielen: Helmut Peitsch stellt die versuchte Gleichschaltung im Nationalsozialismus dar, die mit der Auflösung des Zentrums und der Flucht der wichtigen Vertreter ins Exil endete; Christine Malende fasst die komplexe Wiedererrichtung und Teilung des deutschen PEN in den Nachkriegsjahren bis 1953 zusammen; Dorothée Bores zeigt den Kurs des DDR-Zentrums von der Abspaltung der bundesdeutschen Gruppe bis zum deutschen Einheitsprozess 1989. Sven Hanuschek führt die Geschichte des bundesdeutschen Zentrums vom Gründungs-Eklat 1951 bis 1989 vor Augen, von den fast privaten Anfängen bis zur großen politischen Institution; Dorothée Bores rekapituliert die Einigungsquerelen der beiden deutschen Clubs vom Fall der Mauer bis zur Wahl des ersten ‚gesamtdeutschen‘ PEN-Präsidenten Christoph Hein 1998. Johano Strasser, an der Seite von Hein der erste Gesamt-Generalsekretär und nach ihm langjähriger Präsident des Zentrums, schildert den mühsamen Vereinigungsprozess bis in die Gegenwart; so schwierig die politischen Einigungsprozesse waren, so lang anhaltend waren sie auch im PEN, trotz des gemeinsamen Daches. 1934 ist der deutsche Exil-PEN in Edinburgh gegründet worden, durch Vertriebene des nationalsozialistischen Regimes. Das Zentrum blieb auch nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs bestehen und heißt heute PEN-Zentrum deutschsprachiger
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Autoren im Ausland; Helmut Peitsch stellt die Geschichte dieser Gruppe vor. Ein weiterer Exil-PEN unter umgekehrten Vorzeichen ist 1956 vom Internationalen PEN anerkannt worden, der Exil-PEN deutschsprachiger Länder – hier haben die Schweiz, Österreich und Deutschland also als Aufnahmeländer für Exilanten fungiert. Schon 1948 durch den spanischen Franco-Flüchtling Salvador de Madariaga y Rojo gegründet, nahm dieser Club vor allem Exilanten aus Ungarn 1956 und aus der Tschechoslowakei 1968 auf, auch andere Flüchtlinge aus Ländern des Warschauer Pakts. Wolfgang Schlott als Nachfolger des langjährigen Präsidenten Rudolf Ströbinger rekapituliert die Geschichte und Gegenwart dieses Zentrums. In der letzten umfangreichen Abteilung des vorliegenden Handbuchs findet sich die dreigeteilte Darstellung des österreichischen PEN: Klaus Amann rekonstruiert die Gründungsjahre bis 1955; Ingrid Schramm schildert die Geschichte des Clubs vom Beginn des Kalten Kriegs bis 1990. Helmuth A. Niederle schließlich analysiert als aktueller Präsident des österreichischen Zentrums (seit 2011) die Entwicklungen von 1990 bis zur Gegenwart. Helen Münch-Küng widmet sich dem deutschschweizerischen Zentrum von der Gründung bis 1979 – die Zeit nach 1979 ist als Forschungsdesiderat zu beschreiben; Manfred Schlapp informiert als derzeitiger Präsident über das vergleichsweise junge PEN-Zentrum Liechtenstein, das seit 1978 besteht. *** Der vorliegende Band liefert in erster Linie eine Institutionengeschichte der deutschsprachigen PEN-Zentren, diese verstanden als Teil einer umfassenden Kulturgeschichtsschreibung. Es geht auch um die Mentalitätsgeschichte eines wichtigen Bereichs im literarischen Leben, um die Geschichte der Intellektuellen und des intellektuellen Selbstverständnisses im 20. und frühen 21. Jahrhundert, das sich oft besonders elaboriert entlang politischer Einschnitte gezeigt hat und zeigt. En passant werden daher immer wieder auch vielstimmige und oft widersprüchliche Einschätzungen der Katastrophengeschichte des 20. Jahrhunderts in die Darstellungen hineingeholt. Die Idee des PEN reagiert ja bereits auf den Ersten Weltkrieg als frühe Katastrophe, der Catherine Amy Dawson Scott und die Gründergeneration eine Art Völkerbund der Schriftstellerinnen und Schriftsteller entgegensetzen wollten, ohne dabei tagespolitisch zu werden; ein Vorsatz, der nicht lange halten konnte. Gesellschaftliche und mentalitätsgeschichtliche Prozesse finden innerhalb eines kulturellen Kontextes statt; und der Mensch ist ein Wesen, „das in selbstgesponnene Bedeutungsgewebe verstrickt ist“, wie der Ethnologe Clifford Geertz geschrieben hat, wobei er „Kultur als dieses Gewebe ansehe“. Die Literaturwissenschaft ist in der Beschreibung solcher Prozesse eine interpretierende Wissenschaft wie die Geertzsche Ethnologie, „die nach Bedeutungen sucht“, der es „um das Deuten gesellschaftli-
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Dorothée Bores / Sven Hanuschek
cher Ausdrucksformen“ gehen muss, „die zunächst rätselhaft scheinen.“4 Jegliches Handeln auch im PEN-Zusammenhang ist Teil dieses kulturellen Gewebes und damit kontextabhängig; die Darstellungen des Bandes versuchen durchweg, diesen Kontexten gerecht zu werden und damit das kommunikative Handeln der Beteiligten verständlich zu machen. Gerade der Essay und publizistische Formen der Tagespresse, die hier die dominante Rolle spielen, sind schließlich die wohl am stärksten kontextabhängigen Äußerungen der Literatur. Besonders nötig scheint die Reflexion dieser Zusammenhänge für die Verhaltensweisen von Autorinnen und Autoren in der Diktatur; die aufgeregten Debatten um grundsätzliche Fragen, die insbesondere im Zuge der zunehmend ausgeprägten ideologisch basierten Teilung der Welt in zwei Machtblöcke nach dem Zweiten Weltkrieg stattfanden: Wie ist es um den Handlungsrahmen eines PEN-Zentrums in einem staatlichen Zwangssystem bestellt, dessen Organe alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens durchdrungen hatten? Können die Mitglieder überhaupt im Sinne der PEN-Charta agieren? Oder sind sie in einem diktatorischen System ‚Erfüllungsgehilfen einer hässlichen Diktatur‘, die sich von ihrer Staatsmacht instrumentalisieren lassen? Muss den PEN-Mitgliedern ein symptomatisches Versagen als Intellektuelle, ein Verrat an den moralischen Grundwerten vorgehalten werden, oder existieren doch Handlungsfreiräume? Der Internationale PEN antwortet auf diese Fragen seit Jahrzehnten mit einem Höchstmaß an Diplomatie, lässt sich leiten von der Hochachtung der Toleranz; er stellt die Aufrechterhaltung der Verbindung zu Mitgliedern in totalitären Systemen in der Regel über die kompromisslose Verurteilung von (potenziellen) Verstößen gegen die PEN-Charta. Es gilt bis heute als wesentlich, den unter den Bedingungen einer Diktatur lebenden Kolleginnen und Kollegen ein Fenster zur demokratischen Welt offen zu halten. Die Arbeit des PEN beruht zu einem Großteil auf dem Engagement der Mitglieder; die Zuwahl gilt zwar als Ehre, aber ebenso als Verpflichtung. Die Institutionengeschichte ist daher immer auch als Personengeschichte zu betrachten, einzelne Autorinnen und Autoren werden stärker profiliert werden, wie auch Nachlässe und Gespräche mit den Lebenden zentrale Quellen einer solchen Darstellung sind, weit über die kollektiveren Kommunikationsmittel wie Rundbriefe und Zeitschriften hinaus. Literaturwissenschaftler, -soziologen und Historiker verstehen sich als Vertreter kritischer Wissenschaften; so wenig Zweifel an der Singularität des Unternehmens PEN bestehen kann, so wenig handelt es sich um Hofberichterstattung. Auch die in unterschiedlichen PEN-Ämtern beteiligten Beiträger haben sich um einen resümierend-distanzierten Blick bemüht. Der Spott, den der PEN gelegentlich auf sich gezogen hat, wird nicht verschwiegen, etwa durch den Modus der Zuwahl, der den 4 Clifford Geertz: Dichte Beschreibung. Bemerkungen zu einer deutenden Theorie von Kultur. In: C. G.: Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme. Übersetzt von Brigitte Luchesi und Rolf Bindemann. Frankfurt am Main 51998, S. 7–43, hier S. 9.
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Vorwurf des Elitären erzeugt hat, oder durch den Ursprung der Schriftstellervereinigung als Dinner-Club. Solche Vorwürfe klingen in Friedrich Dürrenmatts Zuschreibung der PEN-Mitgliedschaft für eine seiner Figuren an: Der Alt-Kantonsrat schaute sich um, schritt dann gegen die Mitte des Speisesaales, wo an einem kleinen Tisch Professor Winter saß, mit einem Tournedos Rossini und einer Flasche Chambertin beschäftigt, zog einen Revolver hervor und schoß das Mitglied des PEN-Clubs nieder, nicht ohne vorher freundlich gegrüßt zu haben.5
Dürrenmatts Roman Justiz, 1985 erschienen, geht in den Vorarbeiten bis in die 1950er Jahre zurück, eine Zeit, in der der Club noch sehr viel mehr die gesellschaftliche Seite kultivierte; ein sozusagen gutbürgerlicher Mord, der hier satirisch inszeniert wird. Angesichts der vielen auch tagespolitisch gespeisten politischen Debatten könnte gelegentlich ein Mangel an sprezzatura eingeklagt werden, an müheloser Eleganz, und manche Verbissenheit im Kalten Krieg verträgt sich schlecht mit der Sehnsucht nach dem Ganzen Menschen, die Hans Magnus Enzensberger – übrigens kein PENMitglied – mit seinem Herrn Zett einklagt.6 Allerdings sei daran erinnert, dass Spott ex post meist billig ist; und dass die politische Arbeit, für die der PEN mit seinen Komitees und Protesten gegen heutige Diktaturen steht, Kritik dieser Art leicht als vorübergehende Oberflächenerscheinung vergessen lässt.
Literatur- und Quellenhinweise Bobrowski, Johannes: Statuten des Friedrichshagener Dichterkreises. In: J. B.: Gesammelte Werke. Bd. 4. Berlin: Union 1984, S. 328–331. Dürrenmatt, Friedrich: Justiz. In: F. D.: Gesammelte Werke. Bd. 4. Zürich: Diogenes 1996, S. 577–802. Enzensberger, Hans Magnus: Herrn Zetts Betrachtungen, oder Brosamen, die er fallen ließ, aufgelesen von seinen Zuhörern. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2013. Geertz, Clifford: Dichte Beschreibung. Bemerkungen zu einer deutenden Theorie von Kultur. In: C. G.: Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme. Übersetzt von Brigitte Luchesi und Rolf Bindemann. Frankfurt am Main: Suhrkamp 51998 (stw 696). Meyers Großes Konversations-Lexikon. Ein Nachschlagewerk des allgemeinen Wissens. Sechste, gänzlich neubearbeitete und vermehrte Auflage. 18. Bd.: Schöneberg bis Sternbedeckung. Neuer Abdruck. Leipzig und Wien: Bibliographisches Institut 1909.
5 Friedrich Dürrenmatt: Justiz. In: F. D.: Gesammelte Werke. Bd. 4. Zürich: Diogenes 1996, S. 577–802, hier S. 591. 6 Vgl. das Motto dieser Vorbemerkung.
I Der Internationale PEN und die wichtigsten Instrumentarien zur Umsetzung der PEN-Charta
Dorothée Bores
Der Internationale PEN Gründungsgeschichte und Struktur einer Schriftstellervereinigung „I’ve got an idea! A Dining Club – men and women of repute! Tuesdays for the Dinners – 8 p. m. the Florence Restaurant.“1 Dieser Gedankenblitz der heute weitgehend in Vergessenheit geratenen Londoner Schriftstellerin Catherine Amy Dawson Scott zu Beginn der 1920er Jahre wirkte als Initialzündung zur Gründung einer Autorengemeinschaft, deren anfangs auf London begrenzter Wirkungsraum rasch Ausdehnung auf weltweiter Ebene fand. Unter dem Eindruck des zu Ende gegangenen Ersten Weltkrieges und seiner weltpolitischen Folgen entwickelte Dawson Scott, die in den Londoner Literaturkreisen unter Berufung auf den Titel ihres Erstlingswerkes als ‚Sappho‘ bekannt geworden war, im Sommer 1921 die Idee einer Vereinigung von ausgewählten Angehörigen der Londoner Literaturszene, die als Anlaufstelle ausländischer, in London weilender Autoren dienen sollte. Doch es war ihr nicht nur um ein regelmäßiges Zusammentreffen von Gleichgesinnten auf nationaler Ebene zu tun mit einem gelegentlichen Hauch von Internationalität durch Besuche ausländischer Autoren. Die Ausdehnung des Clubs auf internationales Gebiet dachte Dawson Scott von Anfang an mit: „If we had an International Dinner Club, with centres in every capital city in the world, membership of one mean membership of all, we should have a meeting ground in the world.“2 Überall auf der Welt sollte das unproblematische Auffinden von Frauen und Männern der Literatur, ein ungestörter Gedanken- und Meinungsaustausch zwischen Literaten jeglicher Nationalität möglich sein. Dawson Scott schwebte ein Weltbund der Schriftsteller vor, der angesichts der Entzweiung der europäischen Staaten infolge des Ersten Weltkrieges zur neuerlichen Verständigung der Völker beitragen sollte: „Well the dinner club is more to draw the nations together – United States of Europe and America in literature. […] I want centres in Paris, New York …“3 Es war der Gründerin Dawson Scott also an der internationalen Freundschaft zwischen Autoren gelegen; sie sollten eine „Art Völkerbund der Literaten“ bilden, der das Zusammenwachsen der Nationen nach der Zersplitterung durch den Ersten Weltkrieg auf kulturellem Gebiet nachhaltig unterstützen konnte; es war der Versuch, die europäischen Intellektuellen zu vereinen: „Like many of her contemporaries she had been overwhelmed by the suffering, hate and misery generated during and after the first world war, and
1 Marjorie Watts: P.E.N. The Early Years 1921–1926. London: Archive Press 1971, S. 11. 2 Zitiert nach: ebd. 3 Zitiert nach: ebd., S. 13.
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shared in the prevailing conviction that the horrors of 1914–18 must not be repeated.“4 Catherine Amy Dawson Scott „muß mit Zuversicht und Energie unerschütterlich an die Kommunikationsfähigkeit des Menschen im allgemeinen und des Literaten im besonderen geglaubt haben. […] sie hat schlicht auf das Gute im Menschen vertraut.“5 Damit war die Begründung der Autorengemeinschaft PEN die Idee einer Frau, eine weibliche Idee. Eine Idee der gewaltfreien Kommunikation, der Vermittlung, der Versöhnung, aber auch der ‚Emanzipation‘ (von persönlichen, sozialen und professionellen Zwängen). Die Idee der Vereinigung geistiger Menschen beiderlei Geschlechts, die eine Leidenschaft, eine ‚Passion‘ […] gemeinsam hatten: das Schreiben – die Literatur. Es war ein wenig die Idee eines Salons, aber weil wir in England sind, wurde daraus ein Club. Doch wäre seine Entstehung nicht möglich gewesen ohne die stille Autorität einer Frau, der sich die Männer freiwillig unterwarfen […].6
Die erfolgreiche Umsetzung der Idee zur Gründung des PEN war, und hier ist Angelika Mechtel und ihrem Aufsatz „Nur sie hatte den Mut und die Kraft“ sicherlich zu folgen, nur möglich, weil Dawson Scott über ganz besondere, bemerkenswerte Charaktereigenschaften verfügte: Sie war „eine Frau mit Engagement, mit Mut, Zuversicht und Energie, mit Selbstvertrauen und einem respektablen Selbstbehauptungswillen. Diese Eigenschaften müssen ganz elementare Wesenszüge jener Autorin gewesen sein, die […] den P.E.N. gründete“.7 Die bis zum heutigen Tage gültige Bezeichnung der geplanten Gemeinschaft stand für Dawson Scott schon früh fest. Der Name war sozusagen Programm: „a dinner club for P.P.E.N. (Poet, Playwright, Editor, Novelist) people“.8 Aus P.P.E.N. wurde rasch P.E.N., später PEN – „[z]usammengenommen stehen die drei Buchstaben für die Feder des Schreibenden, einzeln kürzen sie in fast allen europäischen Sprachen die Begriffe ab, für die sie stehen, im Englischen“9: Poets/Playwrights, Editors/ Essayists und Novelist/Non-fiction-writers.
4 R. A. Wilford: The PEN Club, 1930–50. In: Journal of Contemporary History (SAGE, London and Beverly Hills) 14 (1979), S. 99–116, hier S. 99. 5 Angelika Mechtel: Nur sie hatte den Mut und die Kraft. Anmerkungen zu Leben und Werk der Gründerin des P.E.N., Catherine Amy Dawson-Scott. In: Gerd E. Hoffmann (Hrsg.): P.E.N. International. München: Bertelsmann 1986, S. 14–18, hier S. 16. 6 Nicolaus Sombart: Buchstabe und Geist der Charta des P.E.N.-Clubs. Der Ort der Literatur in einer Gesellschaft im Wandel. Vortrag gehalten am 12. April 1996 auf Einladung des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland und des Literaturhauses Berlin. Typoskript, o. S. 7 Mechtel: Nur sie hatte den Mut, S. 14. 8 Catherine Amy Dawson Scott an Marjorie Watts [o. D., Sommer 1921]. Zitiert nach Marjorie Watts: Mrs Sappho. The Life of C. A. Dawson Scott. ‘Mother of International P.E.N.‘. With a foreword by Francis King. London: Duckworth 1987, S. 96. 9 Christa Dericum: Aus der Geschichte des deutschen P.E.N. In: P.E.N. A World Association of Writers. Zentrum Deutschland. Autorenlexikon 2009/2010. Redaktion: Jens Wonneberger. Wuppertal: Peter Hammer 2009, S. 10–29, hier S. 10.
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Die Initiative der passionierten Clubgründerin Catherine Amy Dawson Scott, die als „good organizer and […] admirable hostess, as well as […] indefatigable worker“10 schon 1914 den Women’s Defence Relief Corps (WDRC) und 1917 den To-Morrow Club zur Unterstützung junger Autorinnen und Autoren mit großem Erfolg gegründet hatte,11 stieß in weiten Teilen der Londoner Literaturszene auf positive Resonanz und ideelle Begleitung bei der Ausarbeitung der Clubstrukturen. So rasch und klar Dawson Scott über die geeignete Namensgebung für den Club befunden hatte, entschied sie auch über den grundsätzlichen Aufbau der Vereinigung. Man müsse einen Präsidenten haben, „‚and he must be big enough to act as a magnet to draw in all the rest. And there’s only one man can do that just now.‘“12 Den geeigneten Kandidaten hatte sie längst auserkoren: „‚But I do mean [John] Galsworthy. He was made for it. And everyone will come in like sheep following the shepard. He hasn’t an enemy. He is charming, delightful, a pleasant speaker, has infinite tact. And he’s a gentleman.‘“13 Und tatsächlich ließ sich Galsworthy, wie viele andere, für die Idee des PEN begeistern: „Galsworthy has joined and many, many others. A dinner about 40 on the 5th October [1921]…“.14 So trafen an diesem Tag 44 Schriftsteller und Journalisten als Gründungsmitglieder des PEN zusammen, darunter Louis Golding, C. S. Evans, Beverly Baxter, Rebecca West, Kate Douglas Wiggin, Stephen Southworld, May Sinclair, Violet Hunt, Austin Harrison, Marjorie Dawson Scott, Hermon Ould, W. L. George, Elizabeth Craig, Netta Syrett, Ethel Colborne Mayne, Fryn Tennyson Jesse, Sheila Kaye-Smith und John Galsworthy.15 Die Anwesenden bestimmten ein „Executive Committee“, bestehend aus Austin Harrison, L. Rose McLeod, Rebecca West, Elizabeth Craig, Horace Shipp, C. S. Evans und Louis Golding. Als Schatzmeister wurde Austin Harrison eingesetzt. Dawson Scotts Tochter Marjorie übernahm das Amt des Generalsekretärs und John Galsworthy wurde als Präsident gewählt – ein Amt, das er bis zu seinem Tod im Januar 1933 bekleidete.16 Dawson Scott und Galsworthy arbeiteten für den PEN lange Jahre eng zusammen. Und obgleich beide sehr unterschiedliche Charaktere waren – „she gay, enthusastic and forthright, unconventional and wayward; J. G. shy, quiet and unhurried, wise and deliberate, unswayed by emotions, though often moved“17 –, verband beide „a deep belief in internationalism, a dislike of grandeur and show, snobbishness or racial prejudice, and they both loved the under-dog. In fact, also they are coming from such totally different backgrounds, they were of one mind to a surprising degree.“18 10 Watts: Mrs Sappho, S. 71. 11 Vgl. ebd., S. 70–75. 12 Ebd., S. 98. 13 Ebd. 14 Ebd., S. 100. 15 Vgl. ebd., S. 102. 16 Vgl. ebd., S. 102f. 17 Ebd., S. 103. 18 Ebd.
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Den Gedanken der freundschaftlichen Verbindung zwischen Schriftstellern der ganzen Welt verfolgte man von Anfang an sehr beharrlich. Schon auf der ersten Vorstandssitzung am 12. Oktober 1921 verständigten sich die Anwesenden darauf, dass man sich mit anderen Nationen in Verbindung setzen müsse. Und so wandte man sich an eine ganze Reihe von berühmten europäischen Schriftstellern mit der Anfrage, ob sie zur Übernahme einer Ehrenmitgliedschaft im Londoner Club bereit seien. Positiv beantworteten dieses Gesuch Romain Rolland, Georg Brandes, Anatole France, Hermann Sudermann, Gerhart Hauptmann, Maxim Gorki und Knut Hamsun. Sie alle zeigten Interesse an der Grundidee der Londoner Schriftsteller und wurden Ehrenmitglieder des englischen Clubs.19 Das Fundament einer internationalen Vereinigung war gelegt. Aufgrund des starken Interesses, das die Idee des PEN bereits kurz nach seiner Gründung in London auf internationaler Ebene hervorrief, war man in London gezwungen, sich Gedanken über die Funktion des englischen PEN-Zentrums zu machen. Zunächst beschloss man bereits im November 1921 die Bildung eines internationalen Executive Committees, das die Kontakte und Organisation der internationalen PEN-Gemeinschaft übernehmen sollte. Die Leitung des internationalen Komitees, das am 26. Januar 1922 zum ersten Mal zusammentrat, oblag Dawson Scott und Galsworthy; letzterer plädierte für die Eigenständigkeit der nationalen Zentren und legte damit den Grundstein für die noch heute geltende Struktur des Internationalen PEN: I have become convinced that the English Centre must only lead by example and cannot dictate what shall be the procedure of other centres in the matter of membership. We shall hit many snags if we try to and, further, we shall be going against the free spirit of friendliness which is the very base of the idea. Let us force nothing on anyone, and we may succeed. We will set example by (1) inviting as Hon. Members of our Centre the foreign writers we most admired in England, and, (2) by making the members of every other centre members of our. But there, I think we must stop.20
Die Ausweitung des Schriftstellerclubs auf internationaler Ebene nahm rasch Tempo auf. Schon im Januar 1922 wurde das erste Zentrum außerhalb Englands gegründet, in Frankreich – mit Anatole France als Präsident und Benjamin Crémieux als Generalsekretär. Es folgten Spanien (Barcelona), Belgien (Brüssel), Norwegen und die damalige Tschechoslowakei. Im Laufe des Jahres 1922 gesellten sich New York und Rom hinzu. Schon im November 1922 hatten Dawson Scott und Galsworthy beschlossen, ein Treffen aller Vertreter der neu gegründeten Sektionen zu organisieren. Ein halbes Jahr später, am 1. Mai 1923, fand im Londoner Hotel Cecil ein „special dinner“ statt, zu dem nicht nur die Ehrenmitglieder des englischen Zentrums, sondern auch zwei bis drei 19 Vgl. Marginalien zur Geschichte des Internationalen P.E.N. In: Martin Gregor-Dellin (Hrsg.): PEN Bundesrepublik Deutschland, S. 12–18, hier S. 13. 20 John Galsworthy an Catherine Amy Dawson Scott (6. 12. 1921). Zitiert nach Watts: Mrs Sappho, S. 105.
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Delegierte der neu gegründeten nationalen Zentren eingeladen worden waren. Die Resonanz auf die Einladung war überwiegend positiv: „164 Hon. Members, delegates and ordinary members were present“21, darunter die Delegierten von elf Zentren aus zehn Ländern (Barcelona (Spanien), Belgien, Tschechoslowakei, Dänemark, Frankreich, Italien, Madrid (Spanien), Norwegen, Rumänien, Schweden und USA).22 Für £ 200 wurde den Teilnehmern, ganz im Sinne eines vornehmen Clubs, einiges geboten: „In addition to the dinner on 1st May, Mr Basil Dean had offered to entertain the whole gathering to a Gala Night at his new theatre, when two plays by Gordon Bottomley and Lascelles Abercrombie would be presented. There would also be a reception at the Suffolk Galleries, and an expedition to Stratford-at-Avon, when Violet Hunt and Rebecca West offered to be escorts.“23 Doch es gab, trotz des allgemein regen Zuspruchs hinsichtlich der Durchführung eines internationalen Kongresses, auch Schriftsteller, die deutliche Vorbehalte äußerten: „If they are all as hopeless at languages as I am, the babel will be hideous. I have tackled Hauptmann und Bojer, and Bojer, who knows English, came off the better. Give them both my love. Never heard of Nexo – sounds like a polish in an oil shop. G.[eorge] B.[ernard] S.[haw]“.24 Selbst Dawson Scotts Tochter Marjorie, die als Generalsekretärin des englischen Zentrums durch und durch für den internationalen Gedanken des PEN brannte, sah sich aufgrund der sprachlichen und kulturellen Vielfalt unter den Teilnehmern während des Kongresses in einen Zustand permanenter Anspannung versetzt: „In fact, my chief memory of that first Congress was of being in a constant state of sheer fright that something would go terribly wrong and that my inadequacy as a linguist in that multi-lingual crowd would let me down at some crucial point.“25 Das befürchtete Sprachgewirr blieb aus, am Ende überwog die positive Erinnerung, denn „in spite of all the difficulties, this first P.E.N. Congress was a huge success, immense enthusiasm was generated, and the pattern laid down for future congresses.“26 Weitere nationale Gründungen und internationale Kongresse folgten: In den Jahren 1922/1923 setzten in Deutschland und Österreich ebenfalls Bestrebungen zur Gründung nationaler Sektionen ein. Für das Jahr 1924 lud das amerikanische PEN-Zentrum nach New York ein; Frankreich erhielt für das darauf folgende Jahr den Zuschlag. Die Tradition, alljährlich einen internationalen PEN-Kongress an wechselndem Tagungsort durchzuführen, hat bis zum heutigen Tage Bestand (vgl. Anhang). Gab es 1931 bereits 34 Einzelzentren mit rund 3000 Mitgliedern, so wuchs deren Zahl bis 1976 auf stolze 76 Zentren mit etwa 8000 Mitgliedern in 58 Staaten heran. Im Jahr 1990 waren es 104 Zentren, verteilt auf 102 Staaten. Zum heutigen Tage existieren 21 Watts: Mrs Sappho, S. 114. 22 Vgl. die Angaben bei Yu Zhang: Founding History of PEN International. http://www.penchinese. org/english/founding-history-of-pen-international (Letzter Zugriff: 6. 6. 2013). 23 Watts: Mrs Sappho, S. 114. 24 Ebd., S. 115. 25 Ebd., S. 116. 26 Ebd.
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weltweit 144 Sektionen der Schriftstellervereinigung in 102 Ländern. Und so wurde der Gedanke einer international verbindenden Institution, wie ihn Catherine Amy Dawson Scott von Beginn an verfolgt hatte, rasch Realität. Die internationale Schriftstellervereinigung PEN mit Sitz in London blickt auf eine langjährige und wechselvolle Institutionengeschichte zurück. Die Organisationsform des Internationalen PEN hat sich im Grunde im Laufe der Jahrzehnte kaum verändert: Die Zentrale der internationalen Schriftstellervereinigung ist in London angesiedelt. Jedes nationale Zentrum genießt vollständige Autonomie. Ein national gewähltes Mitglied ist immer Mitglied des Internationalen PEN; diese Mitgliedschaft bleibt bestehen, auch wenn ein Mitglied beschließt, sein nationales Zentrum zu verlassen. Ihm steht die Möglichkeit offen, sich um Aufnahme in ein anderes Zentrum zu bemühen. Die nationalen Zentren zahlen für jedes Mitglied einen jährlichen Beitrag an die Londoner Zentrale. Jedes nationale Zentrum wird durch ein von den Mitgliedern gewähltes Präsidium geführt; dieses besteht in der Regel aus Präsident, Generalsekretär und Schatzmeister sowie einem Beirat. Nationale Eigenheiten dieser Präsidiumsform sind möglich. Dem Präsidium zur Seite stehen meist auch Ehrenpräsidenten, deren Engagement hinsichtlich der Tagesgeschäfte allerdings stark variiert. Die Führung der internationalen Geschäfte obliegt dem Präsidium des Internationalen PEN, das sich wiederum aus internationalem Präsident, Generalsekretär und Schatzmeister zusammensetzt. Auch hier ergänzt eine Reihe von internationalen Ehrenpräsidenten das internationale Präsidium. Die internationalen Führungskräfte werden durch das Exekutivkomitee des Internationalen PEN per Wahlverfahren bestimmt. Das Exekutivkomitee wiederum setzt sich aus den Delegierten der nationalen Zentren zusammen, die ein-, meist zweimal jährlich zusammentreten, um die inhaltlichen und organisatorischen Fragen der internationalen PEN-Arbeit zu besprechen. Die internationalen Kongresse, denen auch die literarischen Themen vorbehalten bleiben, stehen allen PEN-Mitgliedern offen. Zu parallelen Tagungen des Exekutivkomitees sind indes nur die im Vorfeld bestimmten Delegierten der jeweiligen nationalen Zentren zugelassen. Im Laufe der Zeit sind zu diesen zentralen Gremien des Internationalen PEN weitere Subkomitees hinzugekommen, die sich gezielt den einzelnen Anliegen des P.E.N. widmen: Writers in Prison, Writers in Exile, Writers for Peace u. a. (vgl. die Beiträge von Sascha Feuchert, Hans Thill und Franziska Sperr). Hervorzuheben ist, dass der PEN im Gegensatz zu regulären Schriftstellerverbänden nicht die typischen Aufgaben einer Gewerkschaft und eines Interessenverbandes übernimmt; „[e]r hat nur ein Interesse: Die Freundschaft der großen (und kleinen) Poeten aller Welt.“27 Diese Tatsache findet ihren Ausdruck schon in der Zuwahlpraxis 27 Hermann Kesten: P.E.N. In: Martin Gregor-Dellin (Hrsg.): PEN Bundesrepublik Deutschland. Seine Mitglieder, seine Geschichte, seine Aufgaben. München: Wilhelm Goldmann Verlag 1978, S. 9–11, hier S. 9. Vgl. auch Hanns Werner Schwarze: Unser P.E.N. In: P.E.N. Bundesrepublik Deutschland. Autorenlexikon. München und Zürich: Piper 1988, S. 7–10, hier S. 8.
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der Vereinigung. Eine Autorin, ein Autor kann nicht selbst um Aufnahme in den Club ersuchen: Sie müssen die Zuwahl zu diesem vornehmsten Welt-Club der Autoren und die Zugehörigkeit als Freunde des P.E.N.-Clubs für eine Ehre ansehen, wie ihre Zugehörigkeit andererseits für den P.E.N. eine Ehre sein muß. Darum kann keiner ein Freund des P.E.N. werden, der nicht ausdrücklich vom P.E.N. vorgeschlagen und gewählt wird. Wie jeder Autor sein Publikum hat, das er verdient, so will auch der P.E.N. die Mitglieder haben, die zu ihm passen, und die Freunde des P.E.N., die er verdient und zu Freunden wählt, wie sie es verdienen, Freunde des P.E.N. zu heißen.28
Auch wenn dem PEN aufgrund seiner strikten Aufnahmekriterien und seines Clubcharakters seit jeher der Ruch einer elitären Gemeinschaft anhängt, zeichnet die Zugehörigkeit das Mitglied doch in besonderer Weise aus. Jedes neu gewählte Mitglied verpflichtet sich, die hohen ethisch-moralischen Grundsätze der Schriftstellervereinigung zu vertreten: [E]in Mitglied des P.E.N. zu sein, ist ein Verdienst. Es ist keine öffentliche Quittung für zweifelhafte literarische Meriten, sondern es bezeigt, daß man gegen den Chauvinismus auftritt, gegen die Zensur, gegen den Krieg, gegen alle nationalen Mauern, insbesondere gegen geistige Zollbehörden, gegen jede kulturelle Revolution, die eine Unterdrückung durch die andere ersetzt, aber für jede Revolution der Kunst und des Geistes, die zur Befreiung und friedlichen Vereinigung aller Menschen führt.29
Festgeschrieben ist diese Verpflichtung in einer Charta, die die ethisch und moralisch hoch stehenden Wertvorstellungen des Internationalen PEN zusammenfasst. Die humanitäre Zielsetzung der Charta, die jedes neues Mitglied bei Eintritt unterzeichnet, leitete den PEN von Beginn an. Verbindlich niedergelegt sind die Ideen und Grundsätze, die die konkrete Arbeit des PEN auf internationaler wie nationaler Ebene bestimmen, seit 1948:
28 Ebd., S. 11. 29 Ebd., S. 10.
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PEN Charta 1. 2. 3.
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Literatur kennt keine Landesgrenzen und muß auch in Zeiten innenpolitischer oder internationaler Erschütterungen eine allen Menschen gemeinsame Währung bleiben. Unter allen Umständen, und insbesondere auch im Krieg, sollen Werke der Kunst, der Erbbesitz der gesamten Menschheit, von nationalen und politischen Leidenschaften unangetastet bleiben. Mitglieder des PEN sollen jederzeit ihren ganzen Einfluß für das gute Einvernehmen und die gegenseitige Achtung der Nationen einsetzen. Sie verpflichten sich, mit äußerster Kraft für die Bekämpfung von Rassen-, Klassen- und Völkerhaß und für das Ideal einer einigen Welt und einer in Frieden lebenden Menschheit zu wirken. Der PEN steht für den Grundsatz eines ungehinderten Gedankenaustauschs innerhalb einer jeden Nation und zwischen allen Nationen, und seine Mitglieder verpflichten sich, jeder Art der Unterdrückung der freien Meinungsäußerung in ihrem Lande, in der Gemeinschaft, in der sie leben, und wo immer möglich auch weltweit entgegenzutreten. Der PEN erklärt sich für die Freiheit der Presse und verwirft jede Form der Zensur. Er steht auf dem Standpunkt, daß der notwendige Fortschritt in der Welt hin zu einer höher organisierten politischen und wirtschaftlichen Ordung eine freie Kritik gegenüber Regierungen, Verwaltungen und Institutionen zwingend erforderlich macht. Und da die Freiheit auch freiwillig geübte Zurückhaltung einschließt, verpflichten sich die Mitglieder, solchen Auswüchsen einer freien Presse wie wahrheitswidrigen Veröffentlichungen, vorsätzlichen Fälschungen und Entstellungen von Tatsachen für politische und persönliche Ziele entgegenzuarbeiten.
Schon beim Lesen dieser hochgesteckten Zielsetzungen drängt sich der Gedanke auf, dass Anspruch und Einhaltung der PEN-Charta nicht ohne Probleme in Einklang zu bringen sind; dies gilt, wenn auch gemildert, unter den Bedingungen demokratischer Systeme, aber erst recht in Staaten unter diktatorischer Herrschaft. Denn dort waren und sind die Themen Zensur, Unterdrückung der Meinungsfreiheit und Verfolgung von Schriftstellern von besonderer Brisanz. Das zeigten schon ein Jahrzehnt nach der PEN-Gründung die (welt)politischen Entwicklungen in den 1930er Jahren, insbesondere in Deutschland nach 1933. Noch war keine PEN-Charta festgeschrieben. Aber der von John Galsworthy postulierte Grundsatz „No politics in the P.E.N. under no circumstances“ rieb sich an den realen Gegebenheiten und schon bald war der PEN gefordert, Stellung gegenüber den Verhältnissen von Schriftstellern in diktatorischen Systemen zu beziehen und über den Einsatz für unterdrückte Frauen und Männer des Wortes nachzudenken: „Wenn man will, kann man das Jahrzehnt der Präsidentschaft Galsworthys als einen ausgedehnten Kampf gegen das Eindringen der Politik in die Vereinigung sehen, ein Kampf, der sich auf lange Sicht als aussichtslos erweisen sollte.“30 Insbesondere in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war die internationale Schriftstellervereinigung PEN aufgrund der weltpolitischen Situation in einer außerordentlich schwierigen Position: Das Phänomen des Kalten Krieges übte nachhalti30 Thomas von Vegesack: Aus der Geschichte des P.E.N.-Clubs. In: Gerd E. Hoffmann (Hrsg.): PEN International. München: Bertelsmann 1986, S. 19–27, hier S. 19.
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gen Einfluss auf die Konstellation des Internationalen PEN aus. Der Eiserne Vorhang trennte nicht nur die weltpolitischen Machtblöcke in Ost und West, sondern die Schriftsteller der ganzen Welt. Und die Demarkationslinie verlief quer durch Deutschland und die ehemalige Hauptstadt Berlin. Der Grundsatz „No politics at all!“ ließ sich unter diesen Bedingungen kaum konsequent durchhalten. Der Internationale PEN agierte in den Jahrzehnten nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges bis zum Fall der Berliner Mauer immer wieder, mit mehr oder weniger großem Erfolg, als Mittler zwischen den teils liberal eingestellten, teils dogmatischen Anhängern der jeweiligen ideologischen Lager: „Man wollte weder völkisch gesotten noch marxistisch gebraten sein, sondern von einer unabhängigen Position her, die über den Parteien, über den nationalen Ausgrenzungen angesiedelt war, als geistige Instanz des Ausgleichs wirken.“31 Der Einsatz für verfolgte und drangsalierte Schriftsteller musste sorgfältig abgewogen werden. Vor diesem Hintergrund drängte die schwierige Frage, wie eng oder weit die Grundsätze der Charta auszulegen seien, häufig ins Zentrum des Meinungsaustausches zwischen den internationalen PEN-Mitgliedern. Dem entsprechend variiert, nicht zuletzt in Abhängigkeit von der kulturpolitischen Situation im eigenen Land und der personellen Zusammensetzung des Präsidiums, auch die Vielfalt der nationalen Zentren hinsichtlich ihrer ideellen Ausrichtung: „Der Bogen reicht von lose organisierten Clubs der Freunde über Zentren mit betont gesellschaftspolitischem Engagement bis hin zu jenen PEN-Zentren, die vor allem die Förderung der Literatur ihres Landes und die Förderung junger Autorinnen und Autoren in den Vordergrund stellen; dazwischen gibt es nahezu alle denkbare Mischformen.“32 Und auch heute birgt der hohe Anspruch der PEN-Charta aufgrund der kulturpolitischen Situation in vielen Ländern dieser Welt weiterhin Zündstoff – für literarische und intellektuelle Diskussion, substanzielle Auseinandersetzung und Anklage von Missständen, aber auch ganz konkretes Handeln der PEN-Mitglieder. Daher scheint es ratsam, das elementare Kernstück der internationalen PEN-Arbeit, die Charta, bei der Darstellung der Geschichte und Gegenwart des PEN im deutschsprachigen Raum nicht aus dem Blick zu nehmen. Es gilt, diese aus ihrer historischen Bedingtheit heraus zu begreifen und den ihr inne wohnenden Widerspruch zwischen „Geltung und Leistung, der Ideologie und der Wirklichkeit“33 verständlich und nachvollziehbar zu machen.
31 Sombart: Buchstabe und Geist, o. S. 32 Gerd E. Hoffmann: Einleitung. Viel habe ich dazu gelernt. In: G. H. (Hrsg): P.E.N. International. München: Bertelsmann 1986, S. 7–13, hier S. 8. 33 Walter Jens: Politik und Freundlichkeit. In: Gregor-Dellin (Hrsg.): PEN Bundesrepublik Deutschland, S. 45–48, hier S. 46.
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Literatur- und Quellenhinweise Dericum, Christa: Aus der Geschichte des deutschen P.E.N. In: P.E.N. A World Association of Writers. Zentrum Deutschland. Autorenlexikon 2009/2010. Redaktion: Jens Wonneberger. Wuppertal: Peter Hammer 2009, S. 10–29. Gregor-Dellin, Martin (Hrsg.): PEN Bundesrepublik Deutschland. Seine Mitglieder, seine Geschichte, seine Aufgaben. München: Wilhelm Goldmann Verlag 1978. Hoffmann, Gerd E. (Hrsg.): P.E.N. International. München: Bertelsmann 1986. Kesten, Hermann: P.E.N. In: Martin Gregor-Dellin (Hrsg.): PEN Bundesrepublik Deutschland. Seine Mitglieder, seine Geschichte, seine Aufgaben. München: Wilhelm Goldmann Verlag 1978, S. 9–11. Marginalien zur Geschichte des Internationalen P.E.N. In: Martin Gregor-Dellin (Hrsg.): PEN Bundesrepublik Deutschland, S. 12–18. Mechtel, Angelika: Nur sie hatte den Mut und die Kraft. Anmerkungen zu Leben und Werk der Gründerin des P.E.N., Catherine Amy Dawson-Scott. In: Gerd E. Hoffmann (Hrsg.): P.E.N. International. München: Bertelsmann 1986, S. 14–18. P.E.N. Bundesrepublik Deutschland. Autorenlexikon. München und Zürich: Piper 1988. P.E.N.-Zentrum Deutschland. Autorenlexikon 2009/2010. Redaktion: Jens Wonneberger. Wuppertal: Peter Hammer 2009. Sombart, Nicolaus: Buchstabe und Geist der Charta des P.E.N.-Clubs. Der Ort der Literatur in einer Gesellschaft im Wandel. Vortrag gehalten am 12. April 1996 auf Einladung des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland und des Literaturhauses Berlin. Typoskript. Vegesack, Thomas von: Aus der Geschichte des P.E.N.-Clubs. In: Gerd E. Hoffmann (Hrsg.): PEN International. München: Bertelsmann 1986, S. 19–27. – : Die fordernde Meinung der Welt. 70 Jahre Internationaler P.E.N. In: P.E.N. Bundesrepublik Deutschland. Autorenlexikon 1996/97. Redaktion Bernard Fischer. Göttingen: Steidl 1996, S. 17–22. Watts, Marjorie: P.E.N. The Early Years 1921–1926. London: Archive Press 1971. – : Mrs Sappho. The Life of C. A. Dawson Scott. ‘Mother of International P.E.N.’ With a Foreword by Francis King. London: Duckworth 1987. Wilford, R. A.: The PEN Club, 1930–50. In: Journal of Contemporary History (SAGE, London and Beverly Hills) 14 (1979), S. 99–116. Zhang, Yu: Founding History of PEN International. Verfügbar unter URL: http://www.penchinese.org/ english/founding-history-of-pen-international (Letzter Zugriff: 6. 6. 2013).
Internationale Präsidenten 1921–1933 John Galsworthy 1933–1936 H. G. Wells 1936–1941 Jules Romains 1941–1947 Wartime International Presidental Committee Hu Shih Denis Saurat H. G. Wells (1941–1946) Hermon Ould Thornton Wilder E. M. Forster (1946–1947)
Internationale Schatzmeister
François Mauriac (1946–1947) Ignazio Silone (1946–1947) 1947–1949 Maurice Maeterlinck 1949–1952 Benedetto Croce 1953–1956 Charles Morgan 1956–1959 André Chamson 1959–1962 Alberto Moravia 1962–1965 Victor Van Vriesland 1965–1969 Arthur Miller 1969–1971 Pierre Emmanuel 1971–1974 Heinrich Böll 1974–1976 V. S. Pritchett 1976–1979 Mario Vargas Llosa 1979–1985 Per Wästberg 1986–1989 Francis King 05–11/1989 René Tavernier 11/1989–05/1990 Per Wästberg 1990–1993 György Konrád 1993–1997 Ronald Harwood 1997–2003 Homero Aridijs 2003–2009 Jiri Grusa 2009 bis heute John Ralston Saul
Internationale Sekretäre 1921–1926 1926–1951 1951–1974 1974–1981 1981–1998 1998–2004 2004–2007 2007–2010 2010 bis heute
Marjorie Dawson Scott (Watts) Hermon Ould David Carver Peter Elstob Alexandre Blokh Terry Carlbom Joanne Leedom Ackerman Eugene Schoulgin Hori Takeaki
Internationale Schatzmeister 1974–1991 1991–1996 1996–1998 1998–2001 2001–2007 2007 bis heute
Thilo Koch Bill Barazetti Martyn Goff Jan Honout Britta Junge Pederson Eric Lax
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Internationale Kongresse1 1923 London 1924 New York 1925 Paris 1926 Berlin 1927 Brüssel 1928 Oslo 1929 Wien 1930 Warschau 1931 Amsterdam 1932 Budapest 1933 Dubrovnik 1934 Edinburgh 1935 Barcelona 1936 Buenos Aires 1937 Paris 1938 Prag 1939 – 1940 – 1941 London 1942 – 1943 – 1944 – 1945 – 1946 Stockholm 1947 Zürich 1948 Kopenhagen 1949 Venedig 1950 Edinburgh: Freedom of Theatricals and Novelists 1951 Lausanne: History and Literature 1952 Nizza: Youth and Literature 1953 Dublin: Literature of the Nations whose Languages are not widely used 1954 Amsterdam: Various Experiments in Contemporary Literature 1955 Wien: Theatricals as an Expression of the Present 1956 London: Authors and Readers 1957 Tokio: Mutual Influence of the Eastern and Western Literature 1958 – 1959 Frankfurt am Main: Literature in the Age of Science 1960 Rio de Janeiro: An Interchange of the Cultures East and West and of National and Universal Literature 1961 – 1962 – 1963 – 1964 Oslo: The Writers and Semantics 1965 Belgrad: The Writer and contemporary Society 1 Soweit feststellbar, erfolgt die Nennung des Hauptthemas für den jeweiligen Kongress im Anschluss an die Ortsangabe.
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1966 New York: Essays on the Novelist as an Expression of a Spirit of Independance 1967 Abidjan: Legend and Mythology as the Source of Inspiration in Art and Literature 1968 – 1969 Menton: Literature in the Age of Leisure 1970 Seoul: Humour in Literature: the East and West 1971 Dún Laoghaire: Transition of Literature - Examination and Appreciation of the Developments in the Past 50 Years 1972 – 1973 Israel 1974 – 1975 Wien: The Significance of 30 Years’ Peace for Europe 1976 London Truth in Imagination 1977 Sydney: Literature, a Bridge Between Asia and European Cultures 1978 Stockholm: Literatur in Disguise 1979 Rio de Janeiro: Literary Expression and Mass Communication; Literature and the Child 1980 – 1981 Lyon: A Crisis-Ridden World, a Threat on Literature Poetry’s Challenge 1982 – 1983 Caracas: Trends of the Latin American Literature as the Cross Road of the New and the Old Cultural Exchange as the Source of Literary Inspiration and Style 1984 Tokio: Literature in the Nuclea Age – Why do we write? 1985 – 1986 New York (Januar); Hamburg: Contemporary History in International Literature; Unbeachtete Literaturen unserer Zeit 1987 Lugano 1988 Seoul 1989 Maastricht: The End of Ideologies 1990 Madeira 1991 Wien 1992 Barcelona/Rio de Janeiro 1993 Dubrovnik (April)/Santiago de Compostela (September): Auf den Wegen der Literatur 1994 Prag 1995 Freemantle 1996 Guadalajara 1997 Edinburgh 1998 Helsinki 1999 Warschau 2000 Moskau 2001 London 2002 Ohrid 2003 Mexico City: Kulturelle Vielfalt und Meinungsfreiheit 2004 Tromsö 2005 Bled 2006 Berlin: Schreiben in einer friedlosen Welt 2007 Dakar 2008 Bogotá: The role of the word 2009 Linz: Words, Words, nothing but words …? 2010 Tokio: Environment and Literature 2011 Belgrad: Literature – Language of the World
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2012 Gyeongju (Südkorea) 2013 Reykjavik: Digital Frontiers – Linguistic Rights and Freedom of Speech
Nationale PEN-Zentren Nähere Informationen zu den Zentren verfügbar unter URL: www.internationalpen.uk Afghanistan Ägypten Algerien Argentinien Argentinien (Salta) Armenien Aserbaidschan Äthiopien Australien (Melbourne Centre) Australien (Sydney Center) Bangladesch Belgien (flämisch) Belgien (französisch) Bolivien Bosnien-Herzegowina Brasilien Bulgarien Chile China (Beijing) China (Guangzhou) China (Shanghai) China (Taipei) China (Unabhängiges Zentrum) Chinesischsprachige Autoren im Ausland Dänemark Deutschland Deutschsprachige Autoren im Ausland Elfenbeinküste Esperanto Autoren im Exil, Deutsche Sektion Autoren im Exil, Londoner Sektion Autoren im Exil, Amerikanische Sektion Finnland Frankreich Frankreich (Langue d’oc) Georgien Ghana Griechenland Großbritannien (England)
Großbritannien (Schottland) Guatemala Guinea Haiti Hongkong (Chinesisch) Hongkong (Englisch) Indien Iranische Autoren im Exil Irland Island Israel Italien Italien (Sardinien) Italien (Triest) Jamaika Japan Jordanien Autoren des ehemaligen Jugoslawien Kamerun Kanada (Québec) Kanada (Toronto) Kasachstan Kenia Kirgistan Kolumbien Korea Kosovo Kroatien Kubanische Autoren im Exil Kurdischer P.E.N. Lettland Liechtenstein Litauen Malawi Marokko Mazedonien Mexiko Mexiko (Guadalajara) Mexiko (San Miguel de Allende)
Moldawien Monaco Mongolei Montenegro Nepal Neuseeland Nicaragua Niederlande Nigeria Norwegen Österreich Pakistan Palästinensischer P.E.N. Panama Paraguay Peru Philippinen Polen Portugal Puerto Rico Romani P.E.N.-Zentrum Rumänien Russland Russland (Tatarstan) Sambia Schweden Schweiz (deutsch-sprachig) Schweiz (italienisch und räto-romanisch) Schweiz (Suisse Romand)
Nationale PEN-Zentren
Senegal Serbien Sierra Leone Simbabwe Slowakische Republik Slowenien Somalisch sprechende Autoren Spanien Spanien (Baskenland) Spanien (Galizien) Spanien (Katalonien) Südafrika Südafrika (Pretoria) Thailand Tibetische Autoren im Ausland Tschechische Republik Tschetschenische Autoren Türkei Uganda Uiguren-Zentrum Ukraine Ungarn Ungarische Autoren in Rumänien Uruguay USA USA (American Centre) Venezuela Vietnamesische Autoren im Ausland Weißrussland Zypern
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Sascha Feuchert
Das Writers in Prison-Committee in Geschichte und Gegenwart Innere Spannungen, die eine Demokratie in ihrer Elastizität ohne Schaden erträgt, würden das starre System der Diktatur sofort sprengen. Dem Begriff des totalen Staates entspricht die totale Zustimmung; auch ein schmaler Sektor des Widerspruchs ist bereits eine Bresche im System. Was das Individuum denkt, läßt sich nicht kontrollieren, am wenigsten am Manometer erzwungener Abstimmungen; aber die Aeußerung der Gedanken und die Vereinigung der oppositionellen Meinungen mehrerer, somit den Schritt vom individuellen Gedanken zur politischen Wirklichkeit, kann ein unendlich gewaltiger und unendlich feiner Polizeiapparat verhindern. Das ist die Hysterie der Diktatur, daß sie nur vergnügte Gesichter um sich sehen kann und selbst vereinzelter Widerspruch sie in ihrem Wesen erschüttert. Der umfangreiche Apparat, den sie zur Bekämpfung dieses Widerspruchs aufbieten muß, machten offensichtlich, somit zugleich ihre Stärke und ihre Schwäche.1
Konrad Heiden, der diese klugen Bemerkungen 1937 zu Papier brachte, wusste, wovon er schrieb: Schon 1933 musste der erste Hitler-Biograph und oppositionelle Journalist Nazi-Deutschland verlassen. Bis heute hat sich an dieser Furcht der Diktaturen und anderer autoritärer Systeme vor dem freien (Wider-)Wort freilich nichts geändert: Noch immer werden jene, die dort ihr Menschenrecht auf freie Meinungsäußerung wahrnehmen, unnachgiebig verfolgt, zensiert, mit Geldstrafen belegt, inhaftiert oder gar ermordet. Um diesen Verstößen gegen ein fundamentales Grundrecht begegnen zu können und den betroffenen Schriftstellern und Autoren effektiver helfen zu können, gründete der Internationale PEN 1960 auf seinem Kongress in Rio de Janeiro das Writers in Prison-Committee (WiPC).
1 Anfänge Es mag auf den ersten Blick verwundern, dass erst 1960 – also ganze 15 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und, vielleicht schwerwiegender noch, 27 Jahre nach der nationalsozialistischen ‚Machtergreifung‘ im Deutschen Reich – ein ständiges Komitee innerhalb der Schriftstellervereinigung gegründet wurde, das sich konkret mit dem Schicksal inhaftierter Autoren befasste und die Hilfsmaßnahmen 1 Konrad Heiden: Ein Mann gegen Europa. Zürich: Europa 1937, S. 147. Heiden war kein Mitglied des PEN – vielmehr ergab sich 1938 im Pariser Exil sogar ein kleiner Skandal, da er dem deutschen ExilPEN aufgrund einer sehr persönlichen Kontroverse mit Georg Bernhard nicht beitreten wollte. Vgl. dazu und zu Heidens Biographie das Nachwort von Markus Roth in: Konrad Heiden: Eine Nacht im November. Ein zeitgenössischer Bericht. Hrsg. von Markus Roth, Sascha Feuchert und Christiane Weber. Göttingen: Wallstein 2013, S. 135–172.
Das Writers in Prison-Committee in Geschichte und Gegenwart
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zentral koordinierte. Dies lag zunächst sicher an der Selbstbeschränkung, die sich der PEN in den Jahren nach seiner Gründung auferlegt hatte, als Gründerin Catherine Amy Dawson Scott und der erste Präsident John Galsworthy das bekannte und viel zitierte Motto „No politics, under no circumstances“ vehement verteidigten. Allerdings hieß das nicht, dass der PEN nicht die moralische Pflicht sah, gegen die Unterdrückung der Meinungsfreiheit zu argumentieren und zu protestieren, wie Gerhard Schoenberner feststellt: Bereits zweieinhalb Jahre nach seiner Gründung, im März 1924, schlug die französische Sektion dem Londoner Sekretariat vor, beim spanischen Diktator Primo de Rivera gegen die Verbannung von Miguel de Unamuno zu protestieren. Gleichzeitig regte man an, ein Sonderkomitee zu bilden, das sich solcher und ähnlicher Fälle annehmen sollte. Aber in der Gründungszentrale war man damals noch der Auffassung, der Club solle sich aus politischen Fragen heraushalten, und vertagte die Angelegenheit.2
Die weiteren Ereignisse in Europa aber ließen offenbar werden, dass die in der Charta festgelegten Ziele „Toleranz, Freiheit, Frieden und Freundschaft“3 nur verteidigt werden konnten, wenn man sich einmischte – und zwar konkret. Obgleich Präsident John Galsworthy auf dem Kongress in Budapest 1932 noch ein letztes Mal vehement forderte, der PEN dürfe sich nicht politisch betätigen, engagierten sich die PEN-Zentren im selben Jahr erstmals öffentlich für zwei Schriftsteller, die im faschistischen Italien eingesperrt worden waren, und forderten deren Freilassung. Darüber hinaus erging ein Aufruf an die Regierungen in aller Welt, politische Gefangene freizulassen.4 Offenbar formierte sich auch innerhalb des Internationalen PEN zunehmend der Gedanke, die konkrete Arbeit für Autoren, die aufgrund ihrer schriftstellerischen Tätigkeit inhaftiert oder anders in Gefahr waren, über eine ständige Einrichtung zu organisieren. Zumindest schlug H. G. Wells als PEN-Präsident 1934 vor, einen Hilfsfonds für verfolgte Autoren aufzulegen; allerdings konnte er sich damit nicht durchsetzen.5 Wells dürfte durch den Kongress in Ragusa (Dubrovnik) im Jahr zuvor und den dortigen Beitrag von Ernst Toller nur allzu deutlich vor Augen gehabt haben, wie dringlich die organisierte Hilfe durch die Vereinigung tatsächlich war. Auch die Gründung des Exil-PENs im gleichen Jahr, dessen wichtigstes Anliegen die unmittelbare und sehr konkrete Hilfe für verfolgte Autoren in Nazi-Deutschland war, hat sicher dazu beigetragen. 1937 kam es schließlich zur ersten wirklich großen (und letztlich erfolgreichen) Kampagne – die freilich gleichzeitig auch eine der letzten für eine lange Zeit bleiben 2 Gerhard Schoenberner: Das Wort und die Macht. Das Writers in Prison Committee. In: P.E.N.-Zentrum Deutschland. Autorenlexikon 2012/2013. Wuppertal: Peter Hammer 2012, S. 532–546, hier S. 536. 3 Christa Dericum: Aus der Geschichte des deutschen P.E.N. (Auszug). http://www.exilpen.de/Documents/history_pen_051216.html (Letzter Zugriff: 20. 11. 2013) 4 Vgl. Schoenberner: Das Wort und die Macht, S. 536. 5 Vgl. ebd., S. 537.
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sollte: die Bemühungen um die Freilassung Arthur Koestlers. Dieser gehörte im Spanischen Bürgerkrieg zu einer ganzen Reihe von Journalisten und Schriftstellern (darunter George Orwell, Ernest Hemingway, John Dos Passos), die entweder für die Republikaner kämpften oder in ihrem Sinne berichteten. Koestler, unlike these figures, was virtually unknown at the time, but he was the only writer to be captured and jailed, and apparently to face a death sentence. He was also one of the first writers to become the object of an international campaign (by PEN, among others) to free him, inspiring a wave of publicity, protests, petitions and back door negotiations unprecedented in their intensity, paving the way for the innumerable international protest campaigns that have been conducted ever since.6
Im selben Jahr verurteilte man auf dem Kongress in Paris noch scharf die Erschießung Federico García Lorcas in Spanien – doch dann überrannten auch den PEN die Ereignisse in Deutschland und der Welt und ließen ihn nahezu verstummen: „Der von Hitler entfesselte Zweite Weltkrieg, in dessen Folge das bis dahin unbekannte und qualitativ neue Phänomen der kollektiven Verfolgung und Ermordung von Millionen Menschen auftrat, ließ Protestaktionen der bisherigen Art nicht nur sinnlos erscheinen, sondern machte sie auch technisch unmöglich.“7 Mochte es 1945 dann für eine kurze Zeit auch so ausgesehen haben, als habe das Ende des Krieges und des Hitler-Terrors auch die Situation von Autoren prinzipiell verbessern können, so wurde schnell klar, dass dies keineswegs so war: „Instead they ‚disappeared‘ or were arrested, in Czechoslovakia, Albania, Romania and Hungary, states in the grip of the Cold War. By 1959, the surge of optimism that inspired the first
6 Michael Scammell: Dialogue with Darkness. In: Index on Censorship 39/4 (2010) (Beyond Bars. 50 Years of the PEN Writers in Prison Committee), S. 52–57, hier S. 54. Der Artikel berichtet auch kurz darüber, wie auf Koestler nach der Befreiung aus der spanischen Haft noch weitere Gefängnisaufenthalte (u. a. in England) warteten. 7 Schoenberner: Das Wort und die Macht, S. 537f. Das bedeutete freilich nicht, dass den Internationalen PEN die Ereignisse in Nazi-Deutschland nicht weiter beschäftigten. Nach 1938 fand der nächste Kongress vom 10. bis zum 13. September 1941 in London statt. Storm Jameson, die als Präsidentin des englischen PEN auch den Kongress leitete, bezeichnete die Tagung gar als die politischste überhaupt und hielt in ihrem Schlusswort fest: „I think we have here among us the most intense feeling that authors and writers to-day are united in a feeling of anti-Nazism, in a spirit against Nazidom, and that it is this spirit that will survive.“ (XVII International Congress of the P.E.N. Club. Under the Auspices of the English Centre. Summary of Proceedings. London 1941, S. 61). Immer wieder spielten die Schicksale der deutschen Autoren auf diesem Kongress eine zentrale Rolle. In einem Brief vom 19. September 1941 erinnert sich die englische Delegierte Dame Una Pope-Hennessy neben Arthur Koestler vor allem an einen „very pale young Jew, also a victim from Dachau“ (Schreiben im Privatbesitz des Autors), der offenbar über seine Erlebnisse erzählte. Wer der Genannte gewesen sein könnte, wird aus der Delegiertenliste leider nicht klar.
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PEN Congress after the war, in Zurich in 1947, had melted away as the Iron Curtain descended on Europe and critical voices were silenced.“8 Diesen weltweit unterdrückten Stimmen nahm sich der PEN nun deutlich an: Schon 1958 hatte der Generalsekretär des Internationalen PEN, David Carver, beim griechischen Präsidenten gegen die Inhaftierung des Publizisten und Politikers Manolis Glezos protestiert, der schließlich 1961 freigelassen wurde.9 Carver war es auch, der schließlich begeistert auf den Vorschlag des ungarischen Publizisten und Dramatikers Paul Tabori, dem damaligen Präsidenten des ungarischen Exil-PEN, reagierte, „ein Komitee zu gründen, das sich mit dem Problem inhaftierter Schriftsteller befasst und das Sekretariat des Internationalen PEN auf Einzelfälle aufmerksam macht – damit die einzelnen Clubs und Mitglieder tätig werden können.“10 Am 24. Juli 1960 war es schließlich auf dem Kongress in Rio de Janeiro soweit: Auf Antrag des französisch-schweizerischen PEN, der die Idee Taboris aufgenommen hatte, wurde das Writers in Prison-Committee (WiPC) gegründet: Nachdem sich in Rio erstmals der Umfang des Problems andeutete, wurde vom österreichischen Zentrum ein Manifest vorbereitet und mit großer Mehrheit verabschiedet, das schockiert über die Anzahl der Inhaftierten das Komitee zur Angelegenheit vitalen Interesses für den PEN erklärte […]. Die japanischen und polnischen Zentren enthielten sich der Stimme, Ungarn und das Zentrum ‚Deutschland Ost und West‘ stimmten dagegen, alle anderen dreißig anwesenden Zentren unterstützten das Manifest – und die dauerhafte Installierung des Komitees.11
Zunächst sollten ihm nur drei Schriftsteller angehören: Neben Carver waren dies Victor E. van Vriesland, der einige Jahre später Präsident des Internationalen PEN werden sollte, und Margaret Storm Jameson, die frühere Präsidentin des englischen PEN. Mit Storm Jameson gehörte eine erfahrene politische Kämpferin diesem ersten WiPC an: „In 1913, she had joined 50,000 suffragettes in the ‚women’s pilgrimage‘ to the House of Commons. Storm brought the same sense of outrage to PEN’s concern for those writers who found that the end of the Second World War did not bring the liberation from tyranny it promised.“12 Auf dem Kongress wurden bereits über 50 Fälle betroffener Autoren präsentiert, um deren Schicksal sich das neue Komitee nun 8 Carole Seymour-Jones: Power of the PEN. In: Index on Censorship 39/4 (2010) (Beyond Bars. 50 Years of the PEN Writers in Prison Committee), S. 17–23, hier S. 20. Gerhard Schoenberner weist freilich zurecht darauf hin, dass der Kalte Krieg natürlich auch in den USA zu Kampagnen gerade gegen Schriftsteller führte und McCarthys „Ausschuss zur Untersuchung unamerikanischer Umtriebe“ nicht nur in dieser Hinsicht traurige Berühmtheit erlangte. Vgl. Schoenberner: Das Wort und die Macht, S. 538. 9 Vgl. Sven Hanuschek: P.E.N. Die internationale Schriftstellervereinigung. Ihre deutsche Geschichte. Ihre Aufgaben (Katalog). Darmstadt 2011, S. 44–48, hier S. 44. 10 Ebd. 11 Ebd., S. 44f. 12 Seymour-Jones: Power of the PEN, S. 20. Welche Bedeutung der PEN für Storm Jameson hatte (aber auch umgekehrt) wird in der exzellenten Biographie von Jennifer Birkett (Margaret Storm Jameson. A Life. Oxford: University Press 2009) sehr deutlich.
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kümmern sollte. Vier Jahre später erhielt das WiPC auch seine erste eigene Vorsitzende: Rosamond Lehmann, die 1927 durch ihren Roman Dusty Answer und ihre bisexuelle Protagonistin Judith Earle berühmt geworden war. Diese ersten Jahre waren vor allem gekennzeichnet durch die schiere Erfassung der Fälle und durch diplomatische Tätigkeiten; der Weg in die Öffentlichkeit wurde damals nur selten gesucht. Zu den frühen Fällen gehörten Anatoly T. Marchenko und Ruth First, die beide letztlich leider nicht gut ausgingen: Der sowjetische Dissident Marchenko verstarb 1986 im Gefängnis, die südafrikanische Apartheidsgegnerin First wurde 1982 ermordet.13 Sven Hanuschek weist darauf hin, dass der Beginn der WiPC-Arbeit auch von inneren Konflikten bestimmt war: „Die kommenden Jahre waren durch Scharmützel mit den Clubs der betroffenen Länder geprägt; die ersten Abwehr-Mechanismen bestanden darin, nach Monaten des Stillschweigens die Listen für veraltet zu erklären – oder den Genannten die schriftstellerische Tätigkeit abzusprechen.“14
2 Professionalisierung und Neuausrichtung Von den bescheidenen Anfängen eines Dreier-Zirkels hat sich das WiPC in den letzten fünf Dekaden deutlich weiterentwickelt: Im Londoner Hauptquartier des Internationalen PEN gibt es mittlerweile eine eigene Abteilung, die sich ausschließlich um die Writers in Prison-Belange kümmert. Insgesamt arbeiten sieben Mitarbeiter in Brownlow House, dem PEN-Hauptquartier, die spezialisiert sind auf einzelne Regionen der Welt und bestimmte Themen. Informationen zu den Fällen erhalten sie u. a. durch die systematische Auswertung der Presse, nationale PEN-Zentren, diplomatische Kreise oder durch andere NGOs, die den PEN alarmieren, sobald sie Kenntnis von einem bedrohten oder inhaftierten Autor erhalten.15 Von London aus werden auch die Maßnahmen mit weiteren Menschenrechtsorganisationen und den nationalen Zentren koordiniert.16 13 Zu diesen beiden sowie weiteren 48 Fällen, die stellvertretend für Hunderte andere Schicksale stehen, vgl. das Sonderheft von Index on Censorship 39/4 (2010) (Beyond Bars. 50 Years of the PEN Writers in Prison Committee), S. 122–222. Dort finden sich auch Auszüge aus Werken der betroffenen Schriftsteller. 14 Hanuschek: P.E.N., S. 45. 15 Vgl. dazu auch: A Guide to Defending Writers under Attack: The Writers in Prison Committee of International PEN. London 2010, S. 11. Das Handbuch ist online abrufbar unter: http://pen-international.org/campaigns/how-to-campaign/handbook/ (Letzter Zugriff: 1. 12. 2013). 16 Die Mitgliedschaft eines nationalen PEN im internationalen WiPC ist im Handbuch klar geregelt. Demnach muss ein PEN-Club ein eigenes WiPC gründen, mindestens aber einen Beauftragten benennen, aktiv an den Kampagnen teilnehmen (etwa dem Rapid Action Network) und sich mindestens zweier Autoren annehmen, die inhaftiert sind oder bedroht werden. Etwa die Hälfte aller rund 140 nationalen Zentren nimmt am WiPC des Internationalen PEN teil. Vgl. A Guide to Defending Writers
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Die ursprüngliche Konzentration auf inhaftierte Schriftsteller wurde mittlerweile aufgehoben und die Aufmerksamkeit auch auf anders bedrohte Autoren gerichtet. Die Kampagnen rufen deshalb heutzutage ebenso dazu auf, Schriftsteller zu unterstützen, die von der Mafia bedroht werden, die ins Exil flüchten müssen oder mit anderen Mitteln unter Druck gesetzt werden. Die Bedrohung des freien Wortes ist unvermindert hoch – die Methoden haben sich deutlich erweitert. Nicht zuletzt deshalb hat eines der größten PEN-Zentren der Welt bereits sein WiPC umbenannt: Im englischen PEN gibt es seit 2012 ein „Writers at Risk“-Programm.17 In seinem Handbuch definiert das WiPC sich und seine Aufgaben im Jahr 2010 folgendermaßen: Today, the Writers in Prison Committee of International PEN is staffed by a small team of professionals who monitor around 1,000 attacks on writers, journalists, editors, poets, publishers and others every year. These attacks include long prison terms, harassment, threats, and even murder. WiPC staff members work on international campaigns in defence of freedom of expression, write and publish special reports on specific issues, and ensure that the work of the WiPC is represented in other areas of International PEN such as literary events and PEN International magazine. They also work with the international programme team to enable long term change in civil society.18
Natürlich hat sich auch der Autorenbegriff im Laufe der Jahrzehnte deutlich verändert: Waren früher nur klassische ‚Schriftsteller‘ im Fokus, so traten schnell Journalisten, Übersetzer und Verleger hinzu und seit geraumer Zeit selbstverständlich auch Internetautoren, wie etwa Blogger. Gerade Letztere sind in den vergangenen Jahren in vielen Ländern furchtbaren Repressionen ausgesetzt.19 Der PEN hat dieser Tatsache Rechnung getragen und sie unter den Schutz des WiPC gestellt. Ganz ohne Diskussionen geht dieser Prozess innerhalb der Organisation freilich nicht ab: Auf dem Kongress in Gyeongju (Südkorea) 2012 und der WiP-Konferenz in Krakau 2013 wurde die neue PEN-Kampagne für „Digital Freedom“ immer wieder von zum Teil auch deutlichen Kontroversen um die Fragen begleitet, wer heutzutage als Autor gelten kann und wo die Grenzen für die Zuständigkeit des WiPC-Engagements liegen.20
under Attack, S. 13. Im Augenblick werden diese Mitgliedsregeln aber überprüft – ganz offenbar befindet sich auch das internationale WiPC in einer Phase der Neuorientierung (Mitteilung der Programmdirektorin Ann Harrison an den Verfasser, 2. 12. 2013). 17 Vgl. Mitteilung der Programmdirektorin Cat Lucas an den Verfasser vom 3. 12. 2013. Das neue Writers at Risk-Programme hat bereits eine eigene Facebook-Seite: https://www.facebook.com/pages/ English-PEN-Writers-at-Risk/78698626750 (Letzter Zugriff: 5. 12. 2013). 18 A Guide to Defending Writers under Attack, S. 8. 19 Vgl. dazu Ron Deibert: Blogging dangerously. In: Index on Censorship 39/4 (2010) (Beyond Bars. 50 Years of the PEN Writers in Prison Committee), S. 88–92. 20 In Südkorea verabschiedeten die Delegierten eine Erklärung zur Meinungsfreiheit in digitalen Medien, die in den kommenden Jahren auch für die Arbeit des WiPC zentral werden dürfte. Eine deutsche Version findet sich auf der Website des Internationalen PEN: http://www.pen-international.org/
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Debatten um die Beschränkung der eigenen Arbeit ‚nur‘ auf Autoren hat es hingegen seit Gründung des WiPC immer wieder gegeben, freilich überwiegend außerhalb des PEN.21 Gerhard Schoenberner, der langjährige WiP-Beauftragte des deutschen PEN, hat die Argumente für diese ‚Beschränkung‘ zusammengetragen: Damit da kein Missverständnis bleibt: Jeder Mensch auf dieser Welt, der von der Polizei verfolgt wird, weil er freie Wahlen verlangt, oder von den Killertrupps der Latifundienbesitzer, weil er eine Landarbeiter-Gewerkschaft organisiert, verdient unseren Respekt, unsere Aufmerksamkeit, unsere Hilfe. Das Leben eines bolivianischen Mineros, einer indischen Landarbeiterin oder eines afrikanischen Lastenträgers ist uns nicht weniger kostbar und um nichts weniger teuer als das eines Schriftstellers. Die Beschränkung der Aktivitäten des PEN auf die Hilfe für bedrohte Kollegen, so natürlich sie für eine Vereinigung von Schriftstellern ist, hat nicht nur den ganz profanen Grund, dass unsere Mittel beschränkt sind und die Kräfte kaum ausreichen, auch nur diese begrenzte Aufgabe hinreichend zu erfüllen. Sie findet auch ihre sachliche Rechtfertigung, weil die kritische Intelligenz in vielen Ländern das einzige Sprachrohr derer ist, die ihre Lebensinteressen nicht selbst artikulieren und vertreten können.22
pen-declaration-on-digital-freedom/declaration-on-digital-freedom-german-pen-erklarung-ubermeinungsfreiheit-in-digitalen-medien/ (Letzter Zugriff: 2. 12. 2013). 21 Beispielhaft mag das an Nelson Mandela deutlich werden, für den das WiPC des Internationalen PEN sich nicht engagierte, während er inhaftiert war. Zum einen weil Mandela in der Wahrnehmung des PEN nicht in erster Linie ein Autor, sondern Politiker war. Zum anderen unterstützen Mandela zahlreiche NGOs auf der ganzen Welt. Sara Whyatt, langjährige Programmkoordinatorin für das WiPC im Internationalen PEN begründete ihre Haltung in einer Mitteilung an den Verfasser vom 5. 12. 2013 so: „In my time at PEN, I saw it as essential that PEN focuses on writers, rather than dilute its mandate and indeed its capacity to act by broadening out. This in fact is what I believe has made PEN stronger, even though it has had at times resisted pressure to take up popular causes, such as Mandela’s, where there are/were anyway plenty of other support groups that PEN members as individuals could join. Indeed PEN Centres have always had the autonomy to ally themselves to any causes they feel strongly about, even if the PEN International office, abiding by its mandate as representative of all Centres and having to hold a generalist view, may not consider as falling into its remit. I do think that Centres did work for Mandela individually or alongside others, but don’t know which ones. You could argue that all politicians/activists are in some respect writers, given that most write articles and political treatises (or maybe their advisers draft them?), and PEN certainly couldn’t handle all of these while it has relatively small resources. So for me it was a matter of deciding a) that the weight of their work other than politics/activism was balanced towards writing rather than other activities, or b) was the person detained or attacked specifically for a particular piece of writing. Examples of decisions I made under a) include taking up Aung San Suu Kyi of Burma, who had written a sizable number of books before she became a politician, and Ken Saro Wiwa, executed for his activism but a hugely prolific fiction writer before taking up politics. Conversely, under b) I favoured a number of people at my time in PEN who were not writers nor considered themselves so, but who had written one article which led to their arrest. Take Alexandr Nikitin, Russian former-naval officer, who wrote one chapter of a Norwegian environmental report on the dumping of nuclear waste in the 1990s, his one and only piece of writing activity that nevertheless landed him in jail. […] PEN staged highly successful campaigns in Russia and Scandinavia on his behalf.“ 22 Schoenberner: Das Wort und die Macht, S. 544.
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Nicht zuletzt um auch dem perfiden Gegenargument vieler Regierungen, bei dem betroffenen Autor handele sich um keinen Schriftsteller bzw. nur um einen schlechten, gar nicht erst begegnen zu müssen, hat sich der PEN von Anfang an verpflichtet, den „großherzigste[n] Maßstab anzulegen, ‚we must go as far as we can to help anyone who wrote‘ (Robert Neumann)“.23 Für das Jahr 1962 dann kann Sven Hanuschek feststellen: „Das Komitee funktioniert ohne Anfechtungen aus dem Club selbst“,24 und seit dieser Zeit verschiebt sich die Tätigkeit zunehmend aus dem Bereich der stillen Diplomatie in die Öffentlichkeit: ‚Public awareness‘ wird zur zentralen Strategie des WiPC, denn die Überzeugung wächst, dass die Bekanntheit eines bedrohten Autors diesem als Schutz dienen kann.25 Staaten, die um ihr internationales Ansehen besorgt sind, werden – so die Hoffnung – von PEN-Aktivitäten und der Mitwirkung einer möglichst breiten Öffentlichkeit nicht gänzlich unberührt bleiben: „Natürlich gibt es keine überprüfbare Erfolgskontrolle, aber das ist auch ganz unwichtig. Der PEN kann nur versuchen, das Seine zu tun. Und wenn wir erfahren, dass dieser oder jener Gefangene, für den wir interveniert haben, Hafterleichterung erhalten hat oder sogar entlassen worden ist, sei es nun durch oder auch ohne unsere Hilfe, sind wir sehr froh.“26 Die Tätigkeiten des WiPC lassen sich heute daher unterteilen in direkte Hilfen für den betroffenen Autor und in öffentlichkeitswirksame Aktionen. Zentral für die Bemühungen des Komitees ist der unmittelbare Kontakt mit den Kollegen, damit sie nicht alleine sind in ihrem Kampf und ihr Schicksal wahrgenommen wird. Das WiPC fordert die nationalen Zentren, die an der Writers in Prison-Arbeit teilnehmen und über eine eigene WiP-Gruppe, mindestens aber über einen Beauftragten verfügen, auf, sich ebenfalls mit den bedrohten oder inhaftierten Autoren in Verbindung zu setzen. Jährlich werden auch „Seasons’ Greetings Lists“ an die nationalen PEN-Clubs verschickt, mit der Bitte, dass möglichst viele der Mitglieder Briefkontakt aufnehmen. Dabei kann natürlich nicht sichergestellt werden, dass die Briefe die Adressaten auch erreichen, geschweige denn, dass diese antworten können – und doch nehmen sie in der WiPC-Arbeit eine wichtige Rolle ein. Der nigerianische Autor Kunle Ajibade, der 1995 verhaftet und zunächst zu lebenslanger Haft verurteilt worden war, aber nicht zuletzt aufgrund internationalen Drucks 1998 frei kam,27 berichtete vor PEN-Kollegen in London, wie wichtig diese Briefe waren: „Kunle explained […] how vital it was to be remembered by fellow writers at PEN. He told of how receiving letters from abroad increased his standing among the jailers, even though it was impossible to reply.“28 23 Hanuschek: P.E.N., S. 45. 24 Ebd., S. 46. 25 Zur heutigen Bedeutung der Öffentlichkeitsarbeit vgl. A Guide to Defending Writers under Attack, S. 41–45. 26 Schoenberner: Das Wort und die Macht, S. 540. 27 Zu Kunle Ajibade vgl. http://www.englishpen.org/kunle-ajibade/ (Letzter Zugriff: 2. 12. 2013). 28 Anne Sebba: Surviving in Prison. In: Index on Censorship 39/4 (2010) (Beyond Bars. 50 Years of the PEN Writers in Prison Committee), S. 41–46, hier S. 42.
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Der Kubaner Léster Luis González Pentón, der 2003 verhaftet worden war und nach seiner Freilassung 2010 umgehend ins Exil nach Spanien ausreisen musste,29 betont, dass die Schreiben noch immer eine große Rolle für ihn spielen: „I have brought all these cards and letters with me to Spain and they are guarded as closely as treasure. They are a wonderful memory I will never forget, given that they helped me to survive in the darkness of despair.“30 Welche Dimensionen solche Unterstützungskampagnen annehmen können, hat amnesty international am Fall des Schriftstellers José Gallardo Rodriguez verdeutlicht: „Er wurde zu 28 Jahren und 8 Monaten Gefängnis verurteilt, weil er über die Situation indigener Soldaten in Mexiko berichtet hatte. Im Lauf seiner Haft erhielt er mehr als 35.000 Briefe aus aller Welt, die ihn ermutigten, unterstützten und deutlich machten, dass sein Schicksal der Welt nicht egal sei.“31 Doch auch die Absender der Briefe in den freien Ländern profitieren natürlich von diesem häufig nur einseitigen Kontakt: Er bietet die Möglichkeit, nicht tatenlos zu bleiben und – wenn vielleicht auch nur sehr begrenzt – Hilfe leisten zu können. Um für die betroffenen Autoren auch politisch Einfluss auszuüben, hat das WiPC mittlerweile gewisse Routinen etabliert, die bei den einzelnen Fällen durchlaufen werden: Zum einen werden Protestschreiben an die jeweilige Regierung gesandt, um direkt gegen die Inhaftierung oder die Bedrohung zu protestieren. Damit wird den jeweiligen Politikern auch mitgeteilt, dass der PEN den speziellen Fall intensiv verfolgt und der politische Druck nicht aufhören wird. Die kooperierenden Zentren werden ebenfalls um solche Briefe an die eigene Botschaft in dem jeweiligen Land und an den Botschafter des betroffenen Staates im Heimatland gebeten. Die Briefe sollen dabei auch veröffentlicht und ebenso der eigenen Regierung zur Kenntnis gebracht werden. In eiligen Fällen, bei denen befürchtet werden muss, dass ein Zögern die Situation des betroffenen Kollegen erheblich verschlechtert oder gar sein Leben in Gefahr bringt, startet der Internationale PEN sein „Rapid Action Network“ (RAN), mit dem die Maßnahmen sofort in Gang gesetzt werden sollen und nationale PEN-Clubs unmittelbar zur Reaktion aufgefordert werden.32 Die notwendige Schnelligkeit hat natürlich den Preis, dass die nationalen Zentren in der Regel keine Gelegenheit haben, eigene Recherchen zu den Fällen anzustellen, sondern sich komplett auf die Informationen aus London verlassen müssen. Hinzu kommt, dass in vielen Fällen sowieso nur wenige Details zur Verfügung stehen.
29 Zu Léster Luis González Pentón vgl. http://www.pen.org/defending-writers/test-first-name-testmiddle-name-test-last-name/l%C3%A9ster-luis-gonz%C3%A1lez-pent%C3%B3n (Letzter Zugriff: 3. 12. 2013). 30 Léster Luis González Pentón: The Darkest of Places. In: Index on Censorship 39/4 (2010) (Beyond Bars. 50 Years of the PEN Writers in Prison Committee), S. 119. 31 Aus einem Bericht zum Writers in Prison-Tag: http://redefreiheit.amnesty.de/kalender/2013-11-15 (Letzter Zugriff: 2. 12. 2013). 32 Die aktuellen RANs finden sich in deutscher und englischer Sprache unter http://www.pendeutschland.de/de/themen/writers-in-prison/rapid-action-network/ (Letzter Zugriff: 2. 12. 2013).
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Die nationalen Zentren können als weitere öffentlichkeitswirksame Maßnahme die verfolgten und bedrohten Autoren auch zu Ehrenmitgliedern ernennen, um auf ihr Schicksal besonders und auch langfristig aufmerksam zu machen. Der deutsche PEN hat in den vergangenen Jahrzehnten von dieser Möglichkeit schon bei nahezu 90 Schriftstellern Gebrauch gemacht, darunter äußerst prominente Kollegen wie Václav Havel oder Liu Xiaobo.33 Mit der Ernennung zum Ehrenmitglied geht der jeweilige Club eine besondere Verpflichtung dem Autor gegenüber ein: Die Maßnahmen zu seiner Sicherung müssen dauerhaft und intensiv sein. Mit solchen Ernennungen legen nationale WiPC auch fest, in welchen Regionen sie sich besonders engagieren. Den Unternehmungen sind natürlich Grenzen gesetzt: Nicht nur im Hinblick auf personelle Ressourcen, sondern auch auf Grund der vorhandenen Expertise. Maureen Freely hat deutlich gemacht, dass die Hilfen auch zu Problemen und Krisen führen können: At the worst of times, the prosecuted and persecuted writers will grow tired of always being at the receiving end of a helping hand. They will stop saying thank you. They will take offence at a remark that perhaps could have been phrased more thoughtfully. They will have one drink too many, and then they will accuse their foreign friends of being human rights tourists, of meddling in a country they do not begin to understand.34
Die erwähnten Ehrenmitgliedschaften werden in der „Caselist“ des Internationalen PEN veröffentlicht, die alle sechs Monate die Informationen zu den aktuellen Fällen bündeln und aktualisieren soll. Diese Liste wird damit zum zentralen Arbeitsinstrument des WiPC: Bislang wurde sie gedruckt vorgelegt, in Zukunft wird sie nur noch online verfügbar sein.35 Sie verdeutlicht eindringlich, wo das Recht auf Meinungsfreiheit zu einem gegebenen Zeitpunkt am meisten bedroht ist. Die aktuelle Liste etwa zeigt für das zweite Halbjahr des letzten Jahres [2012] über 590 Übergriffe auf Schriftsteller, Journalisten und Verleger weltweit […]. Im gesamten Jahr 2012 verzeichnete [sie] 14 getötete Schriftsteller, die ermordet wurden, weil sie ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrnahmen, bei 31 weiteren Todesfällen ist ein Zusammenhang mit dem Beruf der Autoren nicht ausgeschlossen. 157 Schriftsteller und Journalisten müssen zurzeit langjährige Haftstrafen absitzen, weil sie in Ländern wie etwa China, Vietnam, der Türkei, Eritrea und Usbekistan kritische Texte veröffent-
33 Eine Liste mit allen Ehrenmitgliedern des deutschen PEN findet sich auf http://www.pen-deutschland.de/de/themen/writers-in-prison/aktuelle-ehrenmitglieder/ (Letzter Zugriff: 20. 11. 2013). Dort werden die aktuell gefährdeten Ehrenmitglieder Pinar Selek (Türkei), Mohammed Ibn al-Dheeb alAjami (Katar), Li Bifeng (China), Thich Quang Do (Vietnam), Ragip Zarakolu (Türkei), Dolma Kyab (Tibet), Shi Tao (China) und Liu Xiaobo (China) ausführlicher vorgestellt. 34 Maureen Freely: Two for the Road. In: Index on Censorship 39/4 (2010) (Beyond Bars. 50 Years of the PEN Writers in Prison Committee), S. 27–40, hier S. 27. 35 Über das deutsche PEN-Zentrum in der jeweils aktuellen Form abrufbar unter http://www.pendeutschland.de/de/themen/writers-in-prison/ (Letzter Zugriff: 10. 11. 2013).
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lichten. 133 weitere Autoren werden durch Behörden festgehalten, 170 erwarten ein Urteil, ohne bislang im Gefängnis zu sein.36
Die „Caselist“ soll natürlich auch eine Grundlage für die Zentren darstellen, damit sie in den nationalen Medien Berichte über einzelne Schicksale initiieren können. Allerdings – und das gilt besonders für Deutschland – hat die Bereitschaft der klassischen Medien, über solche Fälle zu berichten, deutlich abgenommen. Es wird für das WiPC immer schwerer, mit diesen Nachrichten durchzudringen. Gezieltere Maßnahmen zur Herstellung von Öffentlichkeit spielen daher seit geraumer Zeit eine größere Rolle. Der wichtigste Anlass, um die Aufmerksamkeit auf bestimmte Fälle zu lenken, ist seit 1980 der „Day of the Imprisoned Writer“ („Tag des inhaftierten Schriftstellers“), der weltweit am 15. November begangen wird. Er bietet die Möglichkeit, regional unterschiedliche Schicksale zu fokussieren und Unterstützer ganz konkret zu mobilisieren. Auch das deutsche PEN-Zentrum hat diesen Termin fest im Jahreskalender eingeplant: Zum einen mit gezielten Veranstaltungen an diesem Tag selbst, besonders aber mit der Verleihung des Hermann-Kesten-Preises, die immer um dieses Datum in Darmstadt stattfindet. Dieser nach dem ehemaligen Ehrenpräsidenten des deutschen PEN benannte Preis „würdigt Persönlichkeiten, die sich im Sinne der internationalen PEN-Charta in besonderer Weise für verfolgte und inhaftierte Schriftsteller und Journalisten einsetzen.“37 Natürlich verlagern sich auch die Aktivitäten des WiPC seit einiger Zeit zunehmend in das Internet. Neben den klassischen Homepages werden v. a. die „Rapid Actions“ und andere Kampagnen zu Einzelautoren in sozialen Netzwerken wie Facebook und über Nachrichtenkanäle wie Twitter lanciert. In Deutschland ist das erst seit 2012 der Fall – und auch das nur nach intensiven und zum Teil äußerst kontroversen Diskussionen auf allen Ebenen.38 Kritiker in den Reihen der Schriftstellervereinigung fürchteten, dass man mit der Nutzung dieser Plattformen unseriöse Wege gehe oder den Bezug zum eigentlichen ‚Kerngeschäft‘, der Literatur, verlöre. Besonders die letztere Befürchtung bleibt in diesem Zusammenhang mindestens nebulös,39 36 Aus einer Pressemitteilung des deutschen PEN zur Vorstellung der aktuellen „Caselist“: http:// www.pen-deutschland.de/de/2013/02/21/pressemitteilung-des-pen-zentrums-deutschland-im-zweiten-halbjahr-2012-uber-590-ubergriffe-auf-publizisten-weltweit/ (Letzter Zugriff: 2. 12. 2013). 37 http://www.pen-deutschland.de/de/kesten-preis/ (Letzter Zugriff: 2. 12. 2013). Dort finden sich auch Informationen zu Hermann Kesten und eine Liste der bisherigen Preisträger. 38 Einher mit dieser neuen Nutzung ging auch eine komplette Neuausrichtung der Homepage des gesamten PEN im selben Jahr. 39 Allerdings ist sie auch das Echo der Befürchtung, die in den letzten Jahren immer öfter im Hinblick auf die Gesamtaktivitäten des Internationalen PEN geäußert wurde, dass der PEN nämlich zu einer – dann vielleicht sogar: beliebigen – NGO bzw. Menschrechtsorganisation würde, die ihr Hauptinteresse, die Literatur, ganz aus dem Blick verlöre. Um die Tatsache, dass es sich beim PEN in erster Linie um eine Schriftstellervereinigung handelt, deutlich zu machen, gibt es in einzelnen nationalen PENZentren die Bestrebung, der Literatur und dem literarischen Leben wieder deutlich mehr Gewicht zu verleihen. Klar erkennbar ist dies etwa beim französischen PEN, der als einen seiner drei Schwer-
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allerdings verkennt auch erstere die Vorteile der genannten Kanäle: Zum einen erreichen die Informationen durch die „Fan“- bzw. „Follower“-Funktionen gezielt jene Menschen, die sich für diese Nachrichten interessieren und potenziell auch bereit sind, die beschriebenen Kampagnen zu unterstützen. Zum anderen fällt die Filterfunktion traditioneller Medien weg: In diesen würden erfahrungsgemäß gerade die „Rapid Actions“ kaum noch Aufnahme finden. Diese neuen Medien, die so neu mittlerweile nicht mehr sind, ermöglichen eine schnelle und gezielte Information. Als Ersatz für traditionelle Bemühungen – das haben die oben gemachten Ausführungen gezeigt – sind sie nicht gedacht, wohl aber als notwendige Ergänzung. Allerdings, und das wurde bislang in der Diskussion weniger beachtet, bedeuten sie auch eine Verschiebung der WiPC-Kampagnentätigkeit von der Repräsentation zur Mitwirkung: Während bis vor kurzem v. a. darauf gesetzt wurde, dass die Schriftstellerorganisation für einen Autor repräsentative Maßnahmen ergreift (oft auch durch bekannte Schriftsteller), organisiert sie nun noch stärker als früher die Mitwirkung einer interessierten und engagierten Öffentlichkeit. Sie belässt es nun nicht mehr beim überwiegenden Protest durch eigene Mitglieder, sondern fordert zunehmend auch andere Interessierte dazu auf, sich für Autoren konkret einzusetzen.40 Der deutsche PEN ermöglicht dies im Rahmen seiner WiPC-Arbeit z. B. auch damit, dass er Musterbriefe an Botschafter oder Regierungen zur Verfügung stellt, die ein Engagement erleichtern, und Stichworte nennt, die in einem solchen Protestschreiben vorkommen können.41 Diese Tätigkeiten im Internet binden natürlich personelle Ressourcen im WiPC-Bereich, die dann für Anderes nicht zur Verfügung stehen. Allerdings erhöhen sie auch die Akzeptanz und die Reichweite der PEN-Arbeit und befriedigen auch ein seit Jahren ansteigendes Interesse von Nichtmitgliedern an einer Mitwirkung.42 Die Facebook-Präsenz punkte neben der WiPC-Arbeit und der allgemeinen Tätigkeit für die Freiheit des Wortes definiert: „La pensée, l’expression poétique, la langue française et la francophonie“. Dieser Schwerpunkt auf der (literarischen) Sprache wird im Präsidium auch personell abgebildet. Vgl. http://www.penclub. fr/ (Letzter Zugriff: 2. 12. 2013) – Der Internationale PEN scheint ebenfalls gegenzusteuern: Der 2013 erstmals vergebene New Voices Award mag in dieser Hinsicht als Beleg gelten. Vgl. http://www.peninternational.org/pen-internationalnew-voices-award/ (Letzter Zugriff: 2. 12. 2013). 40 Natürlich hat es auch früher schon die Organisation etwa von Demonstrationen gegeben, aber hier geht es zunehmend um eine andere Art der Mitwirkung Außenstehender. 41 Ein Beispiel hierfür wäre die RAN zu Nguyen Van Hai unter: http://www.pen-deutschland.de/ de/2013/07/25/vietnam-sorgen-um-die-gesundheit-von-journalist-und-blogger-dieu-cay/ (Letzter Zugriff: 15. 11. 2013). 42 Das deutlich gestiegene Interesse an Partizipation ist nicht zuletzt auf die im Internet üblichen Enthierarchisierungsprozesse zurück zu führen. Natürlich ist es aber auch das Ergebnis der Internet aktivitäten des PEN selbst. Darüber hinaus hat es besonders im Zusammenhang mit dem „Tag des inhaftierten Schriftstellers“ in den letzten Jahren erfolgreiche Bemühungen gerade des deutschen PEN gegeben, auch lokale Organisationen, die nicht zum PEN gehören, zu aktivieren, um an diesem Tag für verfolgte Schriftsteller Aktionen zu starten. Ein gutes Beispiel dafür ist der 2008 entstandene Gießener Verein „Gefangenes Wort e. V.“, der u. a. in jedem Jahr einen großen Bücherflohmarkt zugunsten verfolgter Autoren durchführt und über eine enorme regionale Resonanz verfügt. Unterstützt wurde die Etablierung des Vereins, der aus einer studentischen Initiative hervorging, durch die
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des deutschen WiP-Beauftragten hat innerhalb der ersten 24 Monate immerhin mehr als 1140 Fans gewonnen und der Twitter-Account über 180. In bedeutenden oder dringlichen Fällen stellt das WiPC Öffentlichkeit auch durch „Fact Finding Missions“ her, bei denen meist prominente Schriftsteller bzw. hochrangige Vertreter des Internationalen PEN in betroffene Länder reisen, um vor Ort Informationen zur Situation der bedrohten bzw. inhaftierten Autoren zu bekommen und mit den Kollegen selbst oder deren Familien zu sprechen.43 Diese Missionen sind nicht immer ungefährlich und ihr Erfolg ist von vielen oft unkalkulierbaren Variablen abhängig: Sorgfältig muss beispielsweise abgewogen werden, ob ein Besuch dem bedrohten Schriftsteller nicht sogar eher schadet als nützt. Eine der wohl bekanntesten PEN-Missionen führte die beiden weltbekannten Dramatiker Harold Pinter und Arthur Miller 1985 in die Türkei, um sich u. a. für den Dramatiker Ali Taygun einzusetzen, der im Zuge der Prozesse gegen die Türkische Friedensgesellschaft (Bariš Derneği) im Gefängnis saß. Diese Mission hatte einen ungeplanten, wenngleich spektakulären und sehr öffentlichkeitswirksamen Höhepunkt, als Pinter und Miller in Ankara aus der US-Botschaft geworfen wurden, nachdem sie sich mit dem US-Geschäftsträger über die Folter in türkischen Gefängnissen gestritten hatten.44 In den letzten Jahren geht das WiPC zusammen mit anderen PEN-Komitees auch dazu über, Kampagnen zu starten, die eher Regionen als ‚nur‘ Einzelschicksale in den Blick nehmen. Beispielhaft können dafür die Aktionen „Write against Impunity“ oder der „Day of the Dead“ gelten, die sich beide mit der mörderischen Situation für Autoren in Lateinamerika auseinandersetzen: On Day of the Dead 2011, PEN highlighted the situation in Mexico, and in 2012 we widened our focus to include Honduras and Brazil, in a literary protest resulting in the bilingual anthology ‚Write Against Impunity‘, which includes work by some of Latin America’s best known authors. On Day of the Dead 2013 we ask our Centres around the world to commemorate the lives of our fallen colleagues in Mexico, Honduras and Brazil using PEN’s recently passed resolution on violence against journalists and impunity in Latin America and the ‚Write Against Impunity‘ anthology.45
Auch wenn die Publikation von Anthologien zu den klassischen literarischen Verfahren zählt, Öffentlichkeit für die Anliegen des WiPC zu erzeugen, nehmen diese doch
jeweils amtierenden WiP-Beauftragten des deutschen PEN-Zentrums. Vgl. http://www.gefangeneswort.de/ (Letzter Zugriff: 15. 11. 2013). 43 Von einer dieser Missionen nach Belarus berichtet Seymour-Jones: Power of the PEN. 44 Vgl. dazu Freely: Two for the road, v. a. S. 34ff. 45 http://www.pen-international.org/newsitems/day-of-the-dead-2013/ (Letzter Zugriff: 2. 12. 2013). Die zweisprachige Anthologie ist unter dem Titel Escribe Contra La Imunidad / Write Against Impunity von Tamsin Mitchell und J. S. Tennant 2012 herausgegeben worden.
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weniger Raum als früher ein, und auch traditionelle literarische Veranstaltungsformate – wie etwa Lesungen – werden international eher zurückgedrängt.46
3 Große Kampagnen: Chancen und Grenzen der WiPC-Arbeit Im Laufe seiner Geschichte hat das WiPC sich um einzelne Schriftsteller ganz besonders gekümmert und Kampagnen aufgelegt, die über das ‚normale‘ Maß hinausgingen. Dies hat zum einen mit der Bedrohung des jeweiligen Kollegen zu tun, zum anderen sicher auch mit der grundsätzlichen Relevanz des Falles. Eine der größten und längsten Aktionen galt – in Zusammenarbeit mit anderen Menschenrechtsorganisationen, wie etwa Article 19 – Salman Rushdie, der 1988 wegen seines Romans Die satanischen Verse islamistische Todesdrohungen erhielt und für fast ein Jahrzehnt untertauchen musste. Die öffentlichen Kampagnen für Rushdie, die immer wieder gegebenen Solidaritätsbekundungen und die vielen auch diplomatischen Aktionen, die vom PEN mit ausgingen, boten Rushdie einen – wenn auch äußerst fragilen – Schutz. Gleichwohl machte sich keiner der damals Beteiligten Illusionen darüber, dass all diese Aktionen ohne den enormen Aufwand, Rushdie untertauchen zu lassen, wohl wenig genutzt hätten. Rushdie und die ihn unterstützenden Organisationen machten seinen Fall auch zu einer Bewährungsprobe für die Meinungsfreiheit: Obgleich Rushdie mit seinem Roman nie einen Angriff auf den Islam oder seine Gläubigen intendiert hatte, beharrte er auf seinem Recht, seinen Roman unzensiert auf den Markt bringen zu können. Durch die Ausweitung der durch Khomeini ausgesprochenen Fatwa auf alle anderen am Herstellungs- und Verbreitungsprozess des Buches Beteiligten gerieten auch bei demokratischen Politikern offenbar Grundüberzeugungen zur Meinungsfreiheit ins Wanken. Der ‚Fall Rushdie‘ wurde damit auch zu einem enorm wichtigen Selbstverständigungsprozess in den westlichen Demokratien. Man darf Salman Rushdies Bereitschaft, zwischen 2004 und 2006 als Präsident des amerikanischen PEN zu fungieren, u. a. auch als Dankbarkeit gegenüber der WiPC-Arbeit verstehen.47 Noch während Salman Rushdie im Versteck leben musste, beanspruchte ein anderer Fall die volle Aufmerksamkeit nicht nur des WiPC, sondern vieler Menschen und Organisationen – er sollte gleichzeitig auf das Brutalste illustrieren, wo die 46 Dass das gelesene literarische Wort auf internationaler PEN-Bühne gelegentlich eher eine Rand existenz führt, mag aus dem manches Mal recht lustlos absolvierten Ritual der täglichen Lesung zu Beginn des jeweiligen Kongresstages exemplarisch hervorgehen. 47 Salman Rushdie hat eindrucksvoll die Jahre im Versteck, die vielen Auseinandersetzungen und Entbehrungen, aber auch die Hilfen und Unterstützungen in seiner Autobiographie geschildert: Joseph Anton. Die Autobiografie. München: C. Bertelsmann 2012. Zu Rushdie gibt es auch im Sonderheft von Index on Censorship eine kurze Information auf S. 168.
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Grenzen von Kampagnen liegen können. Am Morgen des 10. November 1995 wurde mehr oder weniger vor den Augen der Weltöffentlichkeit der nigerianische Schriftsteller und Menschenrechtsaktivist Ken Saro-Wiwa zusammen mit acht anderen Menschen hingerichtet. Saro-Wiwa hatte sich mit dem mächtigen Shell-Konzern und der korrupten Militärdiktatur angelegt und vor allem gegen die enormen Umweltzerstörungen durch den Öl-Multi protestiert. Dank einer enormen weltweiten Unterstützung sah es zunächst so aus, als könne man den Autor vor dem Schlimmsten bewahren, wie sich William Boyd erinnert: Ken was released on 22 July [1993], free to return to the UK. Many people were agitating for Ken’s release at the time and indeed it was the editorial teams at The Times and Today who decided to run the story that really swung things our way. The media events surrounding the case of Ken Saro-Wiwa in July 1993 have always seemed to me to illustrate the positive power of unwelcome publicity. If there’s a lesson to be learnt it is that the key media outlets in this and any other country – those with the highest profile and influence – have an additional responsibility in the field of human rights: they are not simply there to report. They would be astonished at the significant difference they can make.48
So sehr Boyds positive Feststellungen eigentlich den Kern gerade der WiPC- Öffentlichkeitsarbeit trifft, so brutal wurden diese Hoffnungen 1995 enttäuscht: Sani Abacha, der neue Militärmachthaber Nigerias – „whose cocaine-fuelled paranoia, fear and ignorance overrode all political pragmatism“49 – störte sich nicht an der internationalen Aufregung und ließ Saro-Wiwa töten. Damit hielt das Schicksal des nigerianischen Autors zwei Lehren für die Kampagnenführer bereit: Internationaler öffentlicher Druck kann die einzige Möglichkeit sein, ein derart bedrohtes Menschenleben zu retten – eine Garantie ist allerdings selbst der allergrößte Druck nicht. Auch wenn Ken Saro-Wiwas Fall tatsächlich „on everyone’s agenda by then“50 war, konnte die mediale Aufmerksamkeit letztlich seinen Tod nicht verhindern. Gerade in London, dem Sitz des englischen und des internationalen WiPC, löste Saro-Wiwas Ermordung großes Entsetzen aus, wie sich Moris Farhi, der damals Vorsitzender beider Komitees war, erinnert: „Both committees […] were in shock.“51 Die Situation wurde für alle Beteiligten noch schwerer, als das WiPC und seine nationalen Zentren 1995 erneut die Nachricht über ein grausames Urteil gegen einen Autor erreichte: Der Iraner Faraj Sarkohi wurde in Teheran mit dem Tod bedroht. Der 48 William Boyd: Eyewitness. On Ken Saro-Wiwa. In: Index on Censorship 39/4 (2010) (Beyond Bars. 50 Years of the PEN Writers in Prison Committee), S. 93–96, hier S. 94. Ken Saro-Wiwas eigene Schilderung seiner Inhaftierung sowie Briefe, die aus seinem letzten Gefängnis geschmuggelt werden konnten, wurden 2005 erstmals in Großbritannien veröffentlicht: Ken Saro-Wiwa: A Month and a Day & Letters. Banbury: Ayebia 2005. 49 Boyd: Eyewitness, S. 96. 50 Ebd., S. 95f. 51 Moris Farhi: Eyewitness. On Faraj Sarkohi. In: Index on Censorship 39/4 (2010) (Beyond Bars. 50 Years of the PEN Writers in Prison Committee), S. 24–26, hier S. 25.
Das Writers in Prison-Committee in Geschichte und Gegenwart
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Schriftsteller, der mit seinen Kurzgeschichten und Essays Ruhm erlangt hatte, war 1971 unter dem Schah-Regime erstmals verhaftet und zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt worden.52 1979 kam er zwar frei, allerdings wurde er wegen seines Kampfes für die Meinungsfreiheit nach der islamischen Revolution zwischen 1984 und 1996 erneut mehrfach verhaftet. 1996 schließlich wollte er nach Deutschland fliegen, um seine Frau zu besuchen – und ‚verschwand‘. 48 Tage später tauchte er wieder auf und wurde gezwungen, auszusagen, dass er in Deutschland gewesen sei. Was ihm tatsächlich widerfahren war, erzählte er in einem Brief, den er aus dem Iran schmuggeln konnte: Tagelang war er gefoltert und unter Druck gesetzt worden. Als dieser Brief 1997 im Westen veröffentlicht wurde, geriet Sarkohi erneut in Haft und wurde in einem geheimen Verfahren wegen angeblicher Spionage zum Tode verurteilt. Dieser Richterspruch löste weltweites Entsetzen und großen Protest aus. Trotz des enormen Schocks in Folge der Hinrichtung Saro-Wiwas war es erneut das WiPC des englischen PEN, das wichtige Proteste initiierte: Suddenly confronted with yet another iniquitous execution, we at English PEN agreed to campaign as effectively as we could for Faraj’s release. We decided that the best means available to us was persistent demonstrations – at least once a week. So many of us – invariably bolstered by Iranian exiles – gathered every Monday outside the Iranian embassy in London.53
Dieses Mal zeigten die Proteste des PEN, vieler Regierungen und anderer Organisationen Wirkung: Die Todesstrafe wurde in einem weiteren Verfahren aufgehoben und die Anklage lautete nun auf „antistaatliche Propaganda“. Sarkohi wurde zu einem Jahr Haft verurteilt und konnte nach Verbüßung der Strafe nach Deutschland ausreisen. Dort fand er zunächst für ein Jahr im Projekt „Städte der Zuflucht“ Unterschlupf, ehe er sich zwischen 2000 und 2006 als Stipendiat des deutschen Writers in ExileProgramms (WiE) eine sichere Existenz in Deutschland aufbauen konnte.54 *** Alleine im Jahre 2013 lancierte der Internationale PEN über sein WiPC 32 Rapid Actions55 – 32 Fälle, in denen Menschen massiv bedroht waren und nicht selten ihr Leben in Gefahr geriet. Nicht für alle diese Kollegen können nationale Zentren gleich intensiv auftreten. Wenn sie sich entschließen, einen Autor zum Ehrenmitglied zu ernennen, bindet das, wie bereits verdeutlicht, auch Kräfte. In Deutschland etwa hat sich der PEN seit 2012 besonders für den katarischen Dichter Mohammed al-Adjami
52 Vgl. hierzu und dem Nachstehenden Farhi: Eyewitness, S. 24f. 53 Ebd., S. 25. 54 An Faraj Sarkohi, der zum Ehrenmitglied des deutschen PEN ernannt wurde, sieht man beispielhaft, wie die beiden Programme WiP und WiE im deutschen PEN ineinandergreifen können. 55 Der Stichtag ist hierfür der 3. Dezember 2013.
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stark gemacht, der offenbar wegen des nachstehenden Gedichts zunächst zu lebenslanger Haft und dann zu 15 Jahren Einzelhaft verurteilt wurde: We are all Tunisians (Tunisian Jasmine) Mr. Prime Minister Mohamed al-Ghannoushi You don’t hold constitutional power We don’t wax nostalgic for Ben Ali or his times For us that’s past history The dictatorship of a despotic and oppressive regime Against which the people have raised their revolutionary voice We only criticize the disgrace and the horror And when we praise somebody it’s only because of our personal convictions Oh revolutionary hail the struggle with the blood of the people Carve the value of rebellion in the soul of the free And tell those who are holding their shroud That every victory bears its ordeals Ah, when shall it be the turn of that country whose foolish king Believes he can rely on the American military Ah, when shall it be the turn of the country whose people are empty bellied While its government time and again praises the growth of finance? Ah, when shall it be the turn of the country where you go to sleep a citizen And you wake up stateless the next morning? Ah, when shall it be the turn of that repressive and hereditary regime? Until when shall you remain a slave to selfishness? Until when shall the people remain unaware of its value And fail to choose its own government? Enough with tyrannical regimes! Tell the one who torment his people That tomorrow someone else will take his place He should not rest assured that the country belongs to him or his offspring Because the country belongs to the people and so does glory Join your voices in a chorus for a single destiny We are all Tunisians in the face of repression Governments and Arab governments Are all – without exception A gang of thieves. And there is a question that rings obsessively in the minds of those who wonder But shall never be answered by the official sources: If we import all kinds of things from the West Why can’t we import freedom and the rule of law?56
Bislang konnte mit al-Adjami freilich kein direkter Kontakt hergestellt werden, alle Nachrichten über ihn wurden nur über die Medien bezogen, auch die katarische Botschaft reagierte auf kein Schreiben. Diplomatische Bemühungen sind im Gange: Der 56 Diese – bislang unautorisierte – englische Übersetzung des Gedichts findet sich unter http://foxchasereview.wordpress.com/tag/tunisian-jasmine-poem/ (Letzter Zugriff: 3. 12. 2013)
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deutsche PEN steht hier, wie üblich in solchen Fällen, mit der Bundesregierung in Kontakt. Neben anderen Organisationen unterstützt auch der amerikanische PEN alAdjami – bislang ebenso ohne direkten Erfolg. Hieran kann man ermessen, welch langen Atem solche Kampagnen verlangen und wie groß die Herausforderungen sind, wenn ein Engagement so lange möglicherweise resonanzlos bleibt.57
Literatur- und Quellenhinweise A Guide to Defending Writers under Attack: The Writers in Prison Committee of International PEN. London 2010. Verfügbar unter URL: http://pen-international.org/campaigns/how-to-campaign/ handbook/ (Letzter Zugriff: 1. 12. 2013). Birkett, Jennifer: Margaret Storm Jameson. A Life. Oxford: University Press 2009. Boyd, William: Eyewitness. On Ken Saro-Wiwa. In: Index on Censorship 39/4 (2010) (Beyond Bars. 50 Years of the PEN Writers in Prison Committee), S. 93–96. Deibert, Ron: Blogging dangerously. In: Index on Censorship 39/4 (2010) (Beyond Bars. 50 Years of the PEN Writers in Prison Committee), S. 88–92. Dericum, Christa: Aus der Geschichte des deutschen P.E.N. (Auszug). Veröffentlicht auf: http://www. exilpen.de/Documents/history_pen_051216.html (Letzter Zugriff: 20. 11. 2013). Ehrenmitglieder des deutschen P.E.N. Verfügbar unter URL: http://www.pen-deutschland.de/de/ themen/writers-in-prison/aktuelle-ehrenmitglieder/ (Letzter Zugriff: 20. 11. 2013). Farhi, Moris: Eyewitness. On Faraj Sarkohi. In: Index on Censorship 39/4 (2010) (Beyond Bars. 50 Years of the PEN Writers in Prison Committee), S. 24–26. Freely, Maureen: Two for the Road. In: Index on Censorship 39/4 (2010) (Beyond Bars. 50 Years of the PEN Writers in Prison Committee), S. 27–40. González Pentón, Léster Luis: The Darkest of Places. In: Index on Censorship 39/4 (2010) (Beyond Bars. 50 Years of the PEN Writers in Prison Committee), S. 119. Hanuschek, Sven: P.E.N. Die internationale Schriftstellervereinigung. Ihre deutsche Geschichte. Ihre Aufgaben (Katalog). Darmstadt 2011. Heiden, Konrad: Ein Mann gegen Europa. Zürich: Europa 1937. – : Eine Nacht im November. Ein zeitgenössischer Bericht. Hrsg. v. Markus Roth, Sascha Feuchert und Christiane Weber. Göttingen: Wallstein 2013. XVII. International Congress of the P.E.N. Club. Under the Auspices of the English Centre. Summary of Proceedings. London: [o. V.] 1941. Mitchell, Tamsin und J. S. Tennant: Escibe Contra La Imunidad / Write Against Impunity. Latin American Authors Commemorate Their Murdered Colleagues. London: PEN International 2012. RANs. Verfügbar unter URL: http://www.pen-deutschland.de/de/themen/writers-in-prison/ rapid-action-network/ (Letzter Zugriff: 2. 12. 2013). Rushdie, Salman: Joseph Anton. Die Autobiografie. München: C. Bertelsmann 2012. Saro-Wiwa, Ken: A Month and a Day & Letters. Banbury: Ayebia 2005. Sebba, Anne: Surviving in Prison. In: Index on Censorship 39/4 (2010) (Beyond Bars. 50 Years of the PEN Writers in Prison Committee), S. 41–46. Scammell, Michael: Dialogue with Darkness. In: Index on Censorship 39/4 (2010) (Beyond Bars. 50 Years of the PEN Writers in Prison Committee), S. 52–57.
57 Stichtag für diese Informationen zu al-Adjami ist der 3. Dezember 2013.
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Sascha Feuchert
Schoenberner, Gerhard: Das Wort und die Macht. Das Writers in Prison-Committee. In: P.E.N.Zentrum Deutschland. Autorenlexikon 2012/2013. Wuppertal: Peter Hammer 2013. Seymour-Jones, Carole: Power of the PEN. In: Index on Censorship 39/4 (2010) (Beyond Bars. 50 Years of the PEN Writers in Prison Committee), S. 17–23.
Hans Thill
Das Writers for Peace-Committee Das Writers for Peace-Committee des Internationalen PEN (WfPC) ist eines der zahlreichen Komitees, die das Engagement von Mitgliedern des PEN bündeln und strukturieren. In der internationalen Autorenorganisation gehört es neben den Komitees für ‚Translation and Linguistic Rights‘, ‚Women Writers‘ und ‚Writers in Prison‘ zu den vier ‚programmatischen Komitees‘. Es ist eines der jüngeren Komitees des PEN-Clubs – begründet im Jahr 1984 beim Kongress in Tokio auf Initiative einiger im Slowenischen PEN-Zentrum organisierten regime-kritischen Intellektuellen um den Journalisten und Satiriker Miloš Mikeln. Die Gründung eines Friedenskomitees der Schriftsteller im damals noch bestehenden Staat Jugoslawien, tatsächlich durchaus im Rahmen von Titos’ Außenpolitik der ‚Blockfreien‘, spricht für Weitsicht und Mut einer kleinen Gruppe von Intellektuellen, die ihre aus der PEN-Charta erwachsende Verpflichtung ernst nahmen. Friedensarbeit ist ein zentrales Anliegen des Internationalen PEN: Angesichts der Tragik weltweit zunehmender Kriegsereignisse will das Writers-for-Peace-Committee dazu beitragen, diesen Anspruch in stärkerem Maße zu realisieren, als das einzelne Mitglied es vermag. Es geht darum, im Konfliktfall aktuell Position zu beziehen. Hierzu können Briefe dienen, adressiert an Machthaber beziehungsweise politische Entscheidungsträger, öffentliche Erklärungen sowie Resolutionen, die von der Delegiertenversammlung des Internationalen P.E.N. bestätigt werden […].1
Bis zum heutigen Tag trifft sich das Komitee einmal jährlich im Slowenischen Bled. Der Slowenische PEN-Club ist bis heute Organisator dieser Treffen und stellt traditionell auch den Präsidenten des Komitees. Auf Miloš Mikeln folgte unter anderen der Lyriker Veno Taufer und der Essayist sowie Übersetzer Boris A. Novak. Der derzeitige Präsident, der Theologe Edvard Kovač, hat sich Ende des Jahres 2013 zurückgezogen. Insgesamt gehören dem Writers for Peace-Committee heute 35 der insgesamt 145 PEN-Zentren an. An den Zusammenkünften nehmen u. a. Delegierte aus Albanien, Bosnien-Herzegowina, Katalonien, Kroatien, Tschechien, Estland, Frankreich, Deutschland, Ungarn, Israel, Italien, Kosovo, Kurdistan, Mazedonien, Portugal, Russland, Schottland, der Slowakei, Schweden und Slowenien, sowie Abgesandte der drei schweizer Zentren, des Esperanto-Zentrums, des Uiguren-Zentrums, des Vietnamese Writers abroad Centre und des Writers in Exile PEN Centre (American branch) teil. Das in einem europäischen Krisengebiet gegründete Friedenskomitee der Schriftsteller stand bald vor seiner ersten großen Herausforderung: Der Balkan-Krieg erforderte das Friedensengagement der Intellektuellen weltweit. In den 1990er Jahren 1 Gisela Kraft: Writers-for-Peace-Committee. In: P.E.N.-Zentrum Deutschland. Autorenlexikon 2009/2010. Redaktion: Jens Wonneberger. Wuppertal: Peter Hammer 2009, S. 51f., hier S. 51.
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Hans Thill
wurden die Aktivitäten des Komitees in hohem Maße von den kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Nationen Ex-Jugoslawiens in Anspruch genommen. Neben spektakulären Aktionen wie den Reisen von Veno Taufer, Drago Jančar, Niko Grafenauer und Boris A. Novak in den Jahren 1992 bis 1996 ins belagerte Sarajewo, fanden zahlreiche Treffen von Schriftstellern der verfeindeten Nationen statt. Die Tatsache, dass auch aus befreundeten Intellektuellen plötzlich Angehörige verfeindeter Nationen werden können, zeigt in kreativer Umkehrung durch die Begründer des Komitees das friedensstiftende Potenzial, das in den internationalen Beziehungen der PEN-Mitglieder untereinander schlummert. Bis heute folgt das Komitee dieser Idee. Das Writers for Peace-Committee hat es sich zur Aufgabe gemacht, durch friedensstiftendes Eingreifen in Konflikte zu schlichten, bevor es zu einer bewaffneten Auseinandersetzung kommt, und bereits ausgebrochene kriegerische Konfrontationen durch aktive Friedensarbeit zu entschärfen. Es versteht sich dabei als parteilich im Sinne der Stützung der Menschenrechte. Im Rahmen der Bleder Treffen haben Autorinnen und Autoren, deren Obrigkeiten einander bekämpfen, die Gelegenheit zu offenem Meinungsaustausch. So nutzen beispielsweise Mitglieder des Israelischen und Palästinensischen PEN die Mitarbeit im Writers for Peace-Committee zur aktiven Begegnung. Auch Delegierte aus neueren Konfliktgebieten nehmen die Treffen des Komitees wahr, etwa Vertreter der PEN-Zentren Somalia und Mexiko und des Uigurischen PEN-Zentrums. Waren die Bleder Treffen in den ersten Jahren nach der Gründung des Writers for Peace-Committees vor allem ein europäisches Friedenstreffen, so hat sich in den letzten Jahrzehnten der Radius des Friedenskomitees beträchtlich ausgeweitet. Delegierte aus der ganzen Welt reisen in den slowenischen Kurort, nicht zuletzt um Menschenrechtsverletzungen zu dokumentieren, die im Umkreis bewaffneter Konflikte begangen werden. Die Arbeit des Komitees geht jedoch weit über die praktische Friedensarbeit hinaus. Beim 40. Friedenstreffen in Bled wurde eine Erklärung erarbeitet, die die Betätigungsfelder des Komitees absteckt. In mehreren Überarbeitungsschritten führte das Dokument aus der Feder des Franzosen Sylvestre Glancier zu einem Manifest des Writers for Peace-Committees, das von der Delegiertenversammlung auf dem 79. Internationalen Kongress im September 2013 in Reykjavik angenommen wurde und hier wiedergegeben werden soll: Bled Manifesto of the Writers for Peace Committee PEN International, the world’s leading association of writers, promotes a culture of peace based on freedom of expression, dialogue, and exchange. PEN is dedicated to linguistic and cultural diversity and to the vibrancy of languages and their cultures whether spoken by many or few. PEN International’s Writers for Peace Committee has therefore approved this Manifesto calling for the universal right to peace, based on the Lugano Declaration for Peace and Freedom (1987), the Appeal of Linz Protesting Against the Degradation of the Environment (2009) and the Belgrade Declaration (2011). It was adopted by the Assembly of Delegates at the 79th PEN International Congress in Reykjavik (September 2013).
Das Writers for Peace-Committee
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1.
All individuals and peoples have a right to peace and this right should be recognised by the United Nations as a universal human right. 2. PEN promotes discussion and dialogue between writers from countries in conflict and across regions of the world where wounds are open and political will is unable to address tensions. 3. PEN seeks to bring together people from around the world through literature and discussion amongst writers and with the broad public. 4. PEN considers one of the world’s greatest challenges to be the transition from violence to debate, discussion and dialogue. We aim to be active participants in this process promoting where necessary the principles of international law. 5. In order to achieve the conditions for peace, freedom of expression and creativity in all its forms must be respected and protected as a fundamental right so long as it respects all other basic human rights in accordance with the principles of the Universal Declaration of Human Rights. 6. PEN acknowledges that it is of primary importance to be permanently committed to creating conditions that can lead to ending conflicts of all kinds. There is neither freedom without peace, nor peace without freedom; social and political justice is inaccessible without peace and freedom. 7. In order to achieve sustainable conditions for peace, PEN calls for the respect of the environment in conformity with the Rio Declaration on Environment and Development (1992). We condemn the excesses of technology and financial speculation that contribute to the impoverishment of a large part of the world’s population. 8. PEN respects and defends the dignity of all human beings. PEN opposes injustice and violence wherever they are found, including oppression, colonisation, illegal occupation and terrorism. 9. In accordance with the principles of freedom of expression and justice, every individual or group involved in conflict has the right to demand non-violent solutions to conflict and should be free to petition and appeal to international institutions and government authorities. 10. All children have the right to receive a comprehensive peace and human rights education. PEN promotes the implementation of this right.2
Diese Erklärung zeigt die Erweiterung reiner Friedenspolitik zu einer ganzheitlichen Menschenrechtspolitik, die ökologische Inhalte wie beispielsweise die Themenfelder ‚Erneuerbare Energien‘ und ‚Wasser‘ ebenso mit einschließt wie das grundlegende Recht auf Bildung. Verwiesen sei in diesem Zusammenhang auf einen Internet-Blog: diesem kann man entnehmen, welche Krisengebiete in der Aktivität des Friedenskomitees eine große Rolle spielen.3 Der Konflikt zwischen Israel und Palästina hat mit zahlreichen Wortmeldungen der unterschiedlichsten Schriftsteller seine Spur hinterlassen. Neben Äußerungen von international prominenten Autoren wie Mahmoud Darwish und Amos Oz sind Beiträge des WfPC-Beauftragten der romanischen
2 Verfügbar unter: http://www.pen-international.org/wp-content/uploads/ 2014/01/ Bled-Manifesto. pdf (Letzter Zugriff: 13. 3. 2014). 3 Verfügbar unter http://permanentwhisper.penclubeportugues.org (letzter Zugriff 17. 9. 2013).
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Hans Thill
Schweiz, Zeki Ergas, zu finden oder Berichte der Dichterin und Philologin Bluma Finkelstein über die alltägliche Diskriminierung arabischer Bürger in Israel. Doch auch auf die jüngsten Ereignisse im Bereich ökologischer Unglücksfälle von verheerendem Ausmaß reagierte das Writers for Peace-Commitee. Eine umfangreiche Erklärung vom 11. Mai 2011 bekundet Solidarität mit den Opfern der Reaktorkatastrophe in Japan: Déclaration du Comité des Écrivains pour la Paix du Pen International sur le problème nucléaire Nous exprimons notre grande solidarité avec le PEN japonais et tout le peuple japonais qui souffre des conséquences de la catastrophe de Fukushima, ainsi qu’au peuple russe et ukrainien qui souffrent encore des effets de Tchernobyl. L’information des citoyens sur les risques du nucléaire est capitale. Elle ne doit pas être confisquée par des experts oeuvrant pour une conception centralisatrice du pouvoir. La gestion du nucléaire ne doit pas être laissée de manière opaque à des sous-traitants. Il faut une transparence de débat au sein des parlements représentatifs. Des instances de réflexion sur le développement des énergies durables non productrices de CO2 doivent être constituées, auxquelles les citoyens seront associés.4
Wenige Tage später erschien eine Resolution, in der das Writers for Peace-Committee sich mit den türkischen Schriftstellerkollegen solidarisch erklärte. Die Erklärung vom 16. Mai 2011 protestiert gegen die Einschränkung von Meinungsfreiheit in der Türkei: Statement of protest against the situation of the freedom of expression in Turkey Having observed with great anxiety the situation of the freedom of expression in Turkey, we, writers representing more than 30 PEN centres from all over the world, gathered at the General Assembly of the Writers for Peace Committee of International PEN, held on the 7th of May 2011 in Bled (Slovenia), strongly protest against measures infringing freedom of expression in Turkey and demand the immediate release of all detained journalists, writers and translators. Moreover, we emphasize that the internet is a major area for the freedom of expression and this freedom must not be censored.5
Die jährlichen Treffen in Bled haben den Charakter von literarischen Fachtagungen, aber auch von Initiativsitzungen eines Friedenskomitees. Den Tagungen wie der gesamten Arbeit der WfPC könnte man als Motto ein Zitat von Roland Barthes voranstellen: Guerre des langues, paix des textes – Krieg der Sprachen, Friede der Texte. Die Thesen und Überlegungen der Vorträge kreisen um die Idee, ein neues Verhältnis unter den Bewohnern der Welt sei vor allem kulturell zu formen, da die wirtschaftlichen und religiösen Beziehungen durch krasse Ungleichheit geprägt sind. Der Abstraktion der Zahlen die Konkretheiten menschlichen Lebens und die kulturelle Vielfalt der Völker entgegenzusetzen, ist das Programm der WfPC. 4 Verfügbar unter: http://permanentwhisper.penclubeportugues.org/2011/05/ declaration-du-comite-des-ecrivains.html (Letzter Zugriff: 13. 3. 2014). 5 Verfügbar unter: http://permanentwhisper.penclubeportugues.org/2011/05/ statement-of-protestagainst-situation.html (Letzter Zugriff: 13. 3. 2014).
Das Writers for Peace-Committee
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Zu den konkreten Initiativen des WfPC gehören die Teilnahme an zahlreichen Regionalkonferenzen, die Vorbereitung einer Charte sur le Developpement durable (Charta zur nachhaltigen Entwicklung) und verschiedene Friedensaktivitäten im Nahen Osten. Zahlreiche Petitionen, insgesamt bislang 32, die die Situation in verschiedenen Weltregionen wie etwa Columbien, China, Tibet, Burma, Korea, Iran und Russland betrafen, wurden vom WfPC verfasst und öffentlich gemacht. Das WfPC engagiert sich weiterhin für sprachliche Minderheiten in Österreich und hat verschiedene Projekte in Haifa, Triest und Fernost initiiert. Zu erwähnen ist auch der Okinawa Peace Price, der vom japanischen PEN vergeben wird. Die vielfältigen Aktivitäten des Writers for Peace-Commitees finden oft im Verborgenen statt. Das steht ursächlich in direktem Zusammenhang mit dem quasi-diplomatischen Charakter mancher Initiativen und der Tatsache, dass das Komitee meist dann tätig wird, wenn die großen Konflikte aus den Weltnachrichten schon wieder verschwunden sind. Allerdings wird es in der Zukunft auch darauf ankommen, dass die Tätigkeit des WfPC, die ja direkt in den Kernbereich des humanitären PEN-Engagements gehört, eine größere Öffentlichkeit findet.
Literatur- und Quellenhinweise Bled Manifesto of the Writers for Peace Committee. Verfügbar unter: http://www.pen-international. org/wp-content/uploads/ 2014/01/ Bled-Manifesto.pdf (Letzter Zugriff: 13. 3. 2014). Déclaration du Comité des Écrivains pour la Paix du Pen International sur le problème nucléaire. Verfügbar unter: http://permanentwhisper.penclube portugues.org/2011/05/declaration-ducomite-des-ecrivains.html (Letzter Zugriff: 13. 3. 2014). Kraft, Gisela: Writers-for-Peace-Committee. In: P.E.N.-Zentrum Deutschland. Autorenlexikon 2009/2010. Redaktion: Jens Wonneberger. Wuppertal: Peter Hammer 2009, S. 51f. Statement of protest against the situation of the freedom of expression in Turkey. Verfügbar unter: http://permanentwhisper.penclubeportugues.org/2011/05/ statement-of-protest-againstsituation.html (Letzter Zugriff: 13. 3. 2014). Thill, Hans: Writers for Peace Committee. In: PEN-Zentrum Deutschland. Autorenlexikon 2012/2013. Redaktion: Rudi Schweikert. Wuppertal: Peter Hammer 2012, S. 554f. Writers-for-Peace. Verfügbar unter: http://www.pen-deutschland.de/de/themen/ writers-for-peace/ (Letzter Zugriff: 13. 3. 2014). Writers for Peace. Verfügbar unter: http://www.pen-international.org/who-we-are/writers for peace (Letzter Zugriff: 13. 3. 2014).
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Hans Thill
Präsidenten des WfPC 1984–1992:
Miloš Mikeln, Dramatiker, Journalist und Satiriker; Begründer des WfPC. Betrieb zusammen mit dem Vorstand des Slowenischen PEN aktive Friedenspolitik.
1994–2000: Boris A. Novak, Lyriker; engagierte sich vor allem für die Unterstützung der Schriftsteller des ehemaligen Jugoslawiens im Bürgerkrieg. 2000–2006: Veno Taufer, Lyriker und Journalist; Mitbegründer der dissidentischen Tageszeitung Nova revija. Seit 1987 Mitglied des ‚Komitees zur Verteidigung der Menschenrechte‘. 2006–2013: Edvard Kovač Theologe, Philosoph Essayist, Spezialist für philosophische Anthropologie.
Vize-Präsidenten des WfPC 1992–1994: 2000–2003: 2003–2009: 2009– :
Hüseyin Erdem Musa Kaval Kjell Olaf Jensen; Norwegischer PEN Teresa Salema; Portugiesischer PEN
Franziska Sperr
Das Writers in Exile-Programm Exil – das ist ein Stück Lebenszeit, unfreiwillig verbracht in einem Land, das nicht die Heimat ist, mit Leuten die fremd, deren Sprache, Zeichen, Gesten, Mimik oft schwer oder gar nicht zu verstehen sind. Ein Alltag zwischen Zukunftsangst, Trauer und auch Dankbarkeit. In der Emigration während der Naziherrschaft, schreibt Thomas Mann über seine Schicksalsgenossen, sei einer nach dem anderen an überanstrengtem Herzen gestorben. Der Internationale PEN hatte sich längst vorher, nämlich bereits einige Jahre nach dem Ersten Weltkrieg, 1921, in London gegründet. Unter dem Eindruck des Grauens, das der Krieg über die Menschen gebracht hatte, auch unter der Last des moralischen Versagens und bestürzt über die anfängliche Kriegslust und Unbekümmertheit, die auch viele Intellektuelle, Schriftsteller und Künstler hoffnungsfroh und erhobenen Hauptes in den Krieg ziehen ließ. Die gewaltige Erschütterung, das nachbebende Entsetzen und schließlich die nicht wieder gut zu machenden Folgen waren der Boden für eine Charta, in der sich – bis heute – die Mitglieder verpflichten, „jeder Art der Unterdrückung, der Äußerungsfreiheit in ihrem Lande oder in der Gemeinschaft, in der sie leben, entgegen zu treten“ und sich „mit äußerster Kraft für die Bekämpfung von Rassen-, Klassen- und Völkerhass“1 einzusetzen. Das Problem des Exils stand damals noch nicht auf der Agenda der poets, essayists and novelists. Dass das deutsche PEN-Zentrum in der Frage des Exils für verfolgte Schriftsteller besonders aktiv ist, erklärt sich auch aus der deutschen Vergangenheit. Als Michael Naumann, der damalige Kulturstaatsminister zusammen mit dem PEN das Programm Writers in Exile aus der Taufe hob, begründete er das besondere Engagement damit, dass es für uns in Deutschland eben auch darum gehe, einen Teil jener ‚Dankesschuld‘ abzutragen, die sich aus der Tatsache herleite, dass während der Nazi-Diktatur so viele deutsche Wissenschaftler, Schriftsteller und Künstler in anderen Ländern Aufnahme fanden. Das Programm wurde 1999 als Ergänzung zur Writers in Prison-Arbeit, für die viele Jahre lang Karin Clark, später Katja Behrens und Dirk Sager zuständig waren, ins Leben gerufen. Ausgeheckt hatte das Staatsminister Naumann zusammen mit Elsbeth Wolffheim, die in den folgenden zweieinhalb Jahren das Programm mit liebevoller Hartnäckigkeit, seelenvoll und mit vorbildlichem Feingefühl betreute. Was für ein Schock, als die geliebte und hoch geachtete Elsbeth während der Jahrestagung 2002 in Darmstadt völlig überraschend starb. Der Stipendienplatz für Exilautoren, den die Stadt Darmstadt im Jahr 2004 einrichtete, ist aus gutem Grund nach ihr benannt worden.
1 Die Charta des PEN International. In: PEN-Zentrum Deutschland. Autorenlexikon 2012/2013. Redaktion: Rudi Schweikert. Wuppertal: Peter Hammer 2012, S. 9.
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So, wie die Zustände auf der Welt heute sind, ist die auf den Grundsätzen der PEN-Charta fußende Arbeit für verfolgte Schriftsteller, Journalisten und Verleger niemals getan, im Gegenteil, sie nimmt immer weiter zu, die „Fälle“ werden mehr und mehr, wie man aus der vom Londoner Büro des PEN halbjährlich versandten Case-list ersehen kann. Es ist eine mühevolle, zeitraubende und oft deprimierende Sisyphosarbeit. Von A bis Z, von Albanien bis Zimbabwe, sind in der Case-list in alphabetischer Reihenfolge der Länder die dem Writers in Prison-Komitee bekannt gewordenen Fälle von Bedrohung, Verfolgung, Folterung und Ermordung von Schriftstellern, Journalisten und Verlegern aufgeführt. Die „Fälle“, das sind Autoren, deren Meinungsäußerung den jeweiligen Herrschenden nicht passt, deren Texte zensiert werden, Menschen, die verhaftet, abgeurteilt und mit Publikationsverbot bestraft werden, wenn man ihnen nichts Schlimmeres antut. Die Mittel, mit denen Menschenrechtsorganisationen wie der PEN versuchen, den Verfolgten, Drangsalierten, mit Tod und Verbannung Bedrohten und ihren Familien zu helfen, mögen lächerlich erscheinen angesichts der Machtmittel, die den Verfolgern zur Verfügung stehen. Wir schreiben höfliche Briefe an Diktatoren, denen wir lieber unsere Empörung ins Gesicht schreien möchten; wir machen Eingaben bei den zuständigen Behörden; wir geben Außenministern, Kanzlern und Präsidenten Listen mit den Namen der Opfer mit ins Gepäck, wenn sie zu Staatsbesuchen in die entsprechenden Länder aufbrechen; wir setzen die uns zur Verfügung stehenden Mittel ein und versuchen, das, was die Täter lieber im Dunkeln bewahrt hätten, ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen. Manchmal, selten genug, haben wir Erfolg. Das sind dann die Sternstunden, die für alle Mühen und Enttäuschungen entschädigen. Aber gerade, wenn diese Arbeit erfolgreich ist, und bedrängte Schriftsteller ihren Verfolgern entkommen können, stellt sich bereits ein neues Problem: wie bekommen sie ein Dach über dem Kopf, wovon sollen sie und ihre Familien leben, wie können sie und ihre Familien ihre Traumata einigermaßen bewältigen, und last but not least: wie können sie als Schriftsteller überleben? Aus diesem Grund hat der deutsche PEN mit finanzieller Unterstützung der Bundesregierung das Writers in Exile-Programm ins Leben gerufen. In zunächst vier Städten wurden Wohnungen für Exilschriftsteller eingerichtet. Inzwischen ist das Programm auf acht Stipendienplätze erweitert worden. Die ausländischen Kollegen, die in diesem Exil-Programm Aufnahme finden, erhalten aus einem beim Staatsminister für Kultur und Medien angesiedelten Etat ein – zunächst auf ein Jahr befristetes – Stipendium, die Wohnung wird manchmal von der gastgebenden Gemeinde, manchmal ebenfalls aus dem Writers in Exile-Programm bezahlt und die Geschäftsstelle des PEN in Darmstadt sowie freiwillige Helfer aus den Reihen der PEN-Mitglieder oder des PEN-Freundeskreises sorgen dafür, dass den Stipendiaten bei den vielfältigen Problemen des Alltags geholfen wird. Gleichzeitig bemüht sich der PEN zusammen mit Universitäten und Sprachinstituten, für diese Autoren Kontakte zu Verlagen, Übersetzern und Redaktionen herzustellen, organisiert mit engagierten Studenten Lesun-
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gen und Diskussionsveranstaltungen, und sorgt dafür, dass Texte der Stipendiaten übersetzt werden und in Publikationen und Anthologien erscheinen können, um die in Deutschland oft völlig unbekannten Autoren mit ihrem Werk dem einheimischen Publikum vorzustellen. An die 50 Stipendiaten aus 16 Ländern konnten wir seit dem Start 1999 in unserem Programm aufnehmen. Schriftsteller aus Algerien, Bangladesch, Belarus, China, Iran, Kolumbien, Kuba, Mexiko, Nigeria, Russland, Serbien, Sierra Leone, Simbabwe, Sri Lanka, Syrien, Togo, Tschetschenien, der Türkei, Tunesien und Vietnam. Manche von ihnen kehrten in ihre Heimatländer zurück, weil sich die politische Lage dort inzwischen verbessert hatte und sie nicht mehr von Verfolgung bedroht wurden. Aber in den meisten Fällen trat eine solche für die Betroffenen glückliche Wende nicht ein. Gerade in der Arbeit und im Zusammenleben mit Menschen, die in unserem Land im Exil leben, kann man lernen, dass die Akzeptanz kultureller Verschiedenheit und die Vorstellung universell geltender Menschenrechte sich gegenseitig bedingen und nicht, wie oft behauptet wird, sich ausschließen. In unserer Zeit sind es in aller Regel die Unterdrücker, die Diktatoren, die selbsternannten Volkserzieher, die sich bei der Abwehr der Forderungen nach Menschenrechten und Demokratie auf unvereinbare kulturelle Identitäten berufen, während die Verfolgten, besonders die verfolgten Wissenschaftler, Künstler und Schriftsteller, regelmäßig die immer gleiche Idee der Menschenrechte ins Feld führen, von der ihre Gegner behaupten, sie sei ein ihrer Kultur fremdes eurozentristisches Konstrukt. Die Schriftsteller, die zu uns ins Exil kommen, wollen als Künstler, nicht als bedauernswerte, arme Gestalten wahrgenommen werden. Sie wollen die wertvollen Traditionen ihrer Kultur mit den neuen Erfahrungen verknüpfen. „Da mögen verbohrte Politiker noch so arrogant von nützlichen und unnützen Immigranten reden. Der ‚Nutzen‘ eines interkulturellen Austausches ist nicht messbar nach Zahlen oder greifbarer Beschleunigung unserer wirtschaftlichen Entwicklung: Jede Nation profitiert vom Dialog mit Vertretern anderer Kulturkreise. Und wer wäre für diesen Dialog prädestinierter als die Intellektuellen?“2, schrieb Elsbeth Wolffheim im Nachwort der Anthologie Stimmen aus dem Exil. Viele derer, die bei uns Aufnahme finden, gehörten zu Hause zur geistigen Elite. Hier müssen sie ganz von vorne anfangen. Guten Tag. Danke. Bitte. Die Kollegen vom PEN-Zentrum und die ehrenamtlichen Helfer stoßen bei der Arbeit im Exilprogramm immer wieder auf unerwartete Probleme, auf Situationen, die man sich vorher nicht vorstellen konnte. Der tägliche Kampf mit den Ausländerbehörden und den Krankenkassen, die Suche nach geeigneten Instituten für den Sprachunterricht, die Begleitung bei Behördengängen und Arztbesuchen beanspruchen Kraft und Geduld. Dazu kommen die ganz praktischen Alltagsprobleme: Ein berühmter und gefeierter, nun aber verfolgter Dichter aus – sagen wir – Bangladesh 2 Elsbeth Wolffheim: Das Writers in Exile-Programm. In: E. W. (Hrsg.): Stimmen aus dem Exil. Darmstadt: P.E.N.-Zentrum Deutschland 2000, S. 118–120, hier S. 119.
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oder Togo oder …, der in seinem Land zur Oberschicht gehörte und noch nie einen Staubsauger in der Hand hatte, geschweige denn Mehl, Butter oder Reis in einem deutschen Supermarkt kaufen oder einen deutschen Handyvertrag abschließen musste, ist ohne Hilfe total aufgeschmissen. Eine Wohnung und monatliches Geld zum Leben, das ist das eine, aber die Handreichungen, die er für seinen Alltag hier braucht, müssen organisiert werden. Oft fühlen sich die Stipendiaten einsam, sie kommen aus ihrer düsteren Stimmung nicht allein heraus. Manchmal werden sie sogar aggressiv, oder sie lassen sich hängen und vergraben sich in ihrem Schmerz. Ohne die vielen ehrenamtlichen Helfer wäre das Programm Writers in Exile gar nicht durchführbar. Wir legen unseren ausländischen Kollegen ans Herz, so schnell wie möglich Deutsch zu lernen. Nicht, weil wir sie mit Haut und Haar an uns, unsere Kultur, unsere Traditionen anpassen wollen, sondern weil wir sie unterstützen möchten, so rasch wie möglich selbständig zu werden und sich – so weit möglich – hier ein wenig zu Hause zu fühlen. Häufig dauert es ein Jahr oder länger, bis ein Stipendiat sich die rudimentärsten Grundkenntnisse der deutschen Sprache aneignen kann. Natürlich hat es jemand, der aus einem afrikanischen Land kommt und ohnehin fließend Französisch oder Englisch spricht, in dieser Hinsicht leichter als jemand, der aus China oder Vietnam zu uns kommt. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Schriftsteller sich oft besonders schwer tun, Deutsch zu lernen, weil sie sehr hohe Ansprüche an die eigene Ausdrucksfähigkeit haben und sich deswegen nicht mit der selben Unbekümmertheit in der fremden Sprache bewegen wie andere. Oft ist da der Einzelunterricht erfolgreicher als die üblichen Sprachkurse. Manche unserer hier angekommenen Kollegen sind persönlichen Lebensumständen entflohen, die schwerste Traumatisierung zur Folge haben. Nervenaufreibende Verfolgungen, oft über lange Zeit hinweg, Haft und Folter, viele werden das, was sie gerade erlebt haben, auch hier, wo sie sich in Sicherheit fühlen dürfen, noch lange nicht los. Hier ist die persönliche Betreuung, in schweren Fällen auch die professionelle Betreuung etwa durch das Berliner Traumazentrum lebensnotwendig. Und doch gibt es die Kollegen, die irgendwann fast trotzig einen Schlussstrich ziehen wollen unter ihr Leiden, wie etwa Faraj Sarkohi, der sich in einer Pressekonferenz in Berlin bei den Journalisten beklagte: „Fragt uns doch nicht immer nach den KerkerErfahrungen! Fragt uns nach unseren literarischen Plänen, nach unserer Arbeit!“ Das Einleben im Gastland, die Konzentration auf die eigenen Texte, Recherchen und die literarische Arbeit, oder gar die Lust auf eine neue Sprache sind oft erst nach sehr langer Zeit möglich. Vor allem für die, die das Writers in Exile-Programm nach einem, zwei oder drei Jahren verlassen und nicht in ihre Heimat zurückkehren können, sondern Asyl beantragen, ist das Erlernen der deutschen Sprache aber extrem wichtig. Ohne Deutschkenntnisse ist ein selbständiges Leben in Deutschland nicht möglich. Dabei sollte es nicht darum gehen, den bei uns im Exil Lebenden abzuverlangen, dass sie sich den Sitten und Gebräuchen des Gastlandes möglichst weitgehend anpassen und sich selbst zu Deutschen machen. Vielmehr kommt es darauf
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an, Bedingungen zu schaffen, unter denen sie – um ein Wort Adornos aufzugreifen – „ohne Angst“ und ohne Diskriminierung „verschieden sein können.“3 Ja, es ist Sisyphosarbeit, die da in den Writers in Prison-Comitees und im Writers in Exile-Programm des PEN, in den Arbeitsgruppen von amnesty international und in den zahlreichen anderen Non-Government- und Menschenrechtsorganisationen geleistet wird. Aber wenn man an die Kollegen denkt, denen geholfen werden konnte und kann, ihren Verfolgern zu entkommen, oder deren Los wir auch nur ein wenig erleichtern können, dann scheint die Passage am Ende des Essays von Albert Camus über den ‚Mythos von Sisyphos‘ wahrer denn je: „Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen. Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.“4 Immer wieder kommt es vor, dass Journalisten oder Schriftsteller auch im Exil nicht vor Drohungen der Geheimdienste ihrer Länder, der Mafia oder anderer feindlicher (religiöser) Gruppen sicher sind. In manchen, gottlob seltenen, Fällen ist es nötig, polizeilichen Personenschutz anzufordern, Schlösser auszutauschen oder Wohnungen mit zusätzlichen Sicherheitsvorkehrungen auszustatten. Zwei Mal musste eine ganze Familie in eine andere Stadt umziehen, da sie von ihren Verfolgern gefunden und bedroht wurde. In solchen Fällen kann es lange dauern, bis die Atmosphäre aus Misstrauen und Angst überwunden wird – wenn das überhaupt gelingt. Die Betreuer, das Personal der Geschäftsstelle und nicht zuletzt die deutschen Kollegen und Helfer müssen mit Feingefühl und Behutsamkeit dafür sorgen, dass sich das Exil in Deutschland als sicherer Boden erweist, dass die Ängste in den Hintergrund treten und sich in den „überanstrengten Herzen“ ein Gefühl von Ruhe und Sicherheit ausbreiten kann. Das deutsche PEN-Zentrum arbeitet seit vielen Jahren eng mit anderen PENZentren zusammen, die sich in der Exil-Arbeit engagieren. Das sind vor allem viele PEN-Zentren in Europa, das kanadische, die beiden US-amerikanischen, das japanische und die australischen PEN-Zentren. Darüber hinaus kooperieren wir eng mit dem Internationalen PEN in London und anderen Nicht-Regierungs- und Menschenrechtsorganisationen wie amnesty international, Reporter ohne Grenzen, Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte, Heinrich-Böll-Stiftung oder Städte der Zuflucht und ICORN. Inzwischen ist ein solches Netzwerk und die darauf fußende gegenseitige Hilfe und Beratung aus der Arbeit für verfolgte Kollegen nicht mehr wegzudenken. Aber zu diesem Netzwerk gehören nicht nur Organisationen, sondern auch Einzelpersonen wie z. B. Rechtsanwälte, Trauma-Psychotherapeuten, Ärzte oder hilfsbereite Studenten, Nachbarn und Privatleute, die manchmal zu Freunden werden. Der Nutzen dieses Netzwerks liegt vor allem im Austausch von Erfahrungen und Informationen. 3 Theodor W. Adorno: Gesammelte Schriften. Hrsg. von Rolf Tiedemann. Bd. 4. Minima Moralia. Reflexionen aus einem beschädigten Leben. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1998, S. 116. 4 Albert Camus: Der Mythos Sisyphos. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2006, S. 160.
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Auch wenn es darauf ankommt, weltweite Kampagnen durchzuführen, wie das der Fall war für den nigerianischen Menschenrechtsaktivisten Ken Saro-Wiwa, den Schriftsteller Salman Rushdie oder den iranischen Autor und Verleger Faraj Sarkohi. Die Zusammenarbeit in einem solchen globalisierten Netz ist sinnvoll, nicht nur bei der Mobilisierung der Weltöffentlichkeit, sondern auch bei den vielfältigen Problemen des Exils in Deutschland. Sobald sich die politische Situation in den Herkunftsländern der Stipendiaten grundlegend verbessert, ihnen keine Verfolgung mehr droht und sie ihr Leben zusammen mit ihren Familien und Freunden in Sicherheit leben können, kehren die allermeisten in ihr Land, in ihr Sprachmilieu und zu ihrer Leserschaft zurück. Leider sind die Umstände zumeist nicht danach. Also müssen sie auf Dauer hier bleiben oder sich in einem anderen westlichen Land niederlassen. Unser PEN-Zentrum hilft in diesen Fällen den ehemaligen Stipendiaten dabei, in Deutschland oder in einem anderen Land einen sicheren Aufenthaltsstatus zu erlangen. Allen Stipendiaten ist gemein, dass sie gezwungen wurden, ihre Heimat zu verlassen. Doch jedes Schicksal ist anders, jedes Schicksal ist ein ganz besonderes. Hinter jedem, der zu uns kommt, liegen schwere, oft für Leib und Leben extrem gefährliche Wochen, Monate oder Jahre. Manche sind körperlich misshandelt worden, vergewaltigt, bedroht und in Todesangst versetzt. Sie können, auch wenn sie ihr Leid und die Anstrengung mit Disziplin hinter gespielter Gleichmut verstecken, nicht einfach zur Tagesordnung übergehen und sich in den deutschen Alltag werfen. Manchmal kommt die Trauer erst an die Oberfläche, wenn die Aufregung der ersten Wochen nachgelassen hat, dann kommt das hoch, was sie mit der letzten Kraft niederzudrücken versucht haben. Bei anderen erkennt man bereits beim ersten Blickkontakt die schwere Traumatisierung, wie gravierend die totale psychische Entwurzelung ist, das komplette Herausgerissensein aus dem eigentlichen Leben: Für gerettete Verfolgte ist Heimat der Ort wo man geboren ist, lange gelebt hat und nicht mehr hin darf. Diese Heimat bleibt der intimste Feind, den man hat. Man hat alle, die man liebt, zurückgelassen. Und die sind weiter so ausgeliefert, wie man selber war. Über diesen Schmerz können wir kaum hinweghelfen, aber wir können denen zuhören, die darüber berichten.5
Die Arbeit im Exilprogramm des PEN ist anstrengend und manchmal ist auch der ein oder andere Ehrenamtliche überfordert. Es ist allerdings kaum zu beschreiben, wie bereichernd der Kontakt mit den Stipendiaten sein kann. Es gibt Menschen, die sind ein Häufchen Elend, wenn sie hier ankommen, deprimiert und auch mit liebevollen Gesten, Blicken und Handreichungen kaum zu erreichen. Sie sind mit sich und ihrem Unglück beschäftigt, oft dauert der Zustand lange an. Aber irgendwann 5 Herta Müller über Liao Yiwu. Diesseitige Wut, jenseitige Zärtlichkeiten. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27. 8. 2011. Verfügbar unter: http://www.faz. net/aktuell/feuilleton/herta-mueller-ueber-liaoyiwu-diesseitige-wut-jenseitige-zaertlichkeiten-11126134-p4.html (Letzter Zugriff: 13. 3. 2014).
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kommen die meisten wieder wenigstens ein bisschen auf die Beine. Und was für ein Glück es bedeutet, wenn die Versuche, jemanden aufzurichten, nicht umsonst waren, wenn sie ganz langsam wieder zu den Persönlichkeiten werden können, die sie wohl gewesen waren, bevor sie zu Hause ins Unglück gestürzt wurden: humorvoll, schlagfertig, mit blitzenden Augen und spitzbübischem Lachen. Wenn peu à peu ihre Klugheit und Intellektualität, die Fähigkeit zur Ironie und ihre Herzlichkeit und Wärme wieder ans Tageslicht kommen, oft nach monatelanger seelischer Düsternis. Solche Erfahrungen zu machen ist für unser Leben ein großes Glück. Es gibt Gespräche und Situationen, die man nie vergessen wird, es sind Glücksmomente, die man anderen kaum mitteilen kann. Etwa bei Faraj Sarkohi, den ich das erste Mal sah in einem Bus auf dem Weg in die KZ-Gedenkstelle Dachau. Die PEN-Jahrestagung fand in München statt, und als die Busfahrt als einer der Programmpunkte angeboten wurde, meldete sich Faraj sofort an. Er, der ein paar Tage zuvor in Deutschland gelandet war. Er war einem Schicksal entronnen, das dem der KZ-Insassen gleich kam. Wir alle versuchten, ihn abzuhalten, sich das nicht anzutun, aber er blieb stur. Er saß im Bus neben mir, zusammengesackt, dürr und klapprig, mit finsterer Mine, kettenrauchend. Noch unter dem Schah-Regime war er zu fünfzehn Jahren Gefängnis verurteilt worden, weil er kritisch war gegenüber der Regierung. Während der Revolution 1979 wurde er entlassen und gründete das Kulturmagazin Adineh. Bald war er einer der bekanntesten Schriftsteller und Intellektuellen des Iran, doch in den 1990er Jahren geriet er erneut in Konflikt – diesmal mit den Mullahs. Es folgten Gefängnis und Folter, in einem geheimen Strafverfahren wurde er zum Tode verurteilt. Aufgrund einer weltweiten Kampagne des PEN und anderer Menschenrechtsorganisationen und mit Hilfe der deutschen Diplomatie kam er frei und flog von Teheran nach München. Es dauerte lange, bis er sich einigermaßen erholte, das Writers in Exile-Programm bot ihm den Platz und die Ruhe, die er dringend brauchte. Heute, viele Jahre später, hat er eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung für Deutschland, er schreibt – auf Deutsch – für etwa die FAZ über seine Heimat, hält Vorträge. Inzwischen lebt sein Sohn in Berlin, Faraj fühlt sich wohl in Deutschland und ist dem PEN weiter verbunden, er berät das Präsidium in Menschenrechtsfragen, engagiert sich in der Writers in Prison-Arbeit. Er ist mir ein Freund geworden, einer, mit dem ich oft und viel gelacht habe. Oder Mainat Kurbanova aus Tschetschenien. Sie arbeitete für verschiedene russische Zeitungen, dann berichtete sie immer häufiger über den Krieg und die unrühmlichen Taten des russischen Militärs und über die Gewalt in der Tschetschenischen Republik. Für ihre Reportagen wurde sie für den Andrej-Sacharov-Preis „Journalistik als Tat“ nominiert. Nach mehreren Morddrohungen verließ sie mit ihrer Tochter die Heimat. Als sie zu uns kam, sah sie unendlich traurig aus. In der Zeit, als sie Stipendiatin im Writers in Exile-Programm war, wurde ihre Kollegin bei der Novaja Gaseta, Anna Politkowskaja, im Flur ihres Hauses von hinten erschossen. Alles sah nach einem Auftragsmord aus. Der russische Präsident Putin, der am nächsten Tag in Berlin erwartet wurde, kündigte an, alles dafür zu tun, dass die Mörder gefasst
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würden. Anna Politkowskaja hatte sich in ihren Artikeln und Büchern mit der tschetschenischen Tragödie befasst und mit den mafiösen Machenschaften des russischen Militärs. Um den vom Deutschen PEN an sie verliehenen Hermann Kesten-Preis entgegen zu nehmen, war sie kurz vor ihrem Tod nach Darmstadt gereist. Zart und schmal, bescheiden und leise kam sie mir damals vor, als sie auf der Bühne stand mit dem großen Blumenstrauß. Als man sie fragte, ob sie denn keine Angst hätte, wenn sie jetzt wieder in die Heimat zurückkehrte, nach all den Todesdrohungen, da zuckte sie nur mit den Schultern, was wohl bedeutete, dass ihr keine Wahl blieb. „Mit beispielgebendem Mut hat sie sich um die Wahrheiten über den schmutzigen Krieg in Tschetschenien bemüht“ stand in der Todesanzeige, die der PEN in der Süddeutschen Zeitung und der FAZ platzierte.6 Der Mord an Anna Politkowskaja warf Mainat, die gerade ein bisschen Zutrauen zu ihrer Situation in Deutschland gewonnen hatte, wieder in die alte Angst zurück, die Angst, nicht nur um sich selbst, auch um ihre kleine Tochter. Heute, nach drei Jahren Writers in Exile-Stipendium, lebt sie in Wien, wo sie schreibt und veröffentlicht und viele Freunde hat. Ihre Tochter ist Klassenbeste, darauf ist sie zu Recht stolz. Oder Zhou Qing aus China, Schriftsteller und Spezialist für Oral History. Er beteiligte sich an der Demokratiebewegung und kam in Haft. Er weigerte sich, zu gestehen, was die Behörden ihm vorwarfen: Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Aufruf zum Umsturz. Die Haft wurde verlängert. Als er frei war, befasste er sich mit brennenden sozialen Problemen in China. Für seine Reportage über die Skandale der Lebensmittelwirtschaft, insbesondere über die verseuchte Babymilch erhielt er den Lettre Ulysses Award for the Art of Reportage. Mit seinen Büchern Krisen des Gesundheitswesens, Exil im Heimatland, Interviewanthologie mit Drogenabhängigen war er zu unbequem geworden, er musste fliehen. In ein Land, das ihm fremd war und dessen Sprache er nicht lernen konnte oder wollte – nach Deutschland. Oder Sergej Solowkin. Zweimal hat die russische Mafia versucht, ihn zu ermorden. Mit knapper Not sind er und seine Frau Emma den Anschlägen entronnen. Der russische Staat konnte oder wollte die beiden nicht schützen, weil der Mafiaboss, dem Sergej mit journalistischen Mitteln zusetzte, beste Beziehungen zum Kreml hatte. Sergej und Emma haben Asyl erhalten, sie leben, wenn auch finanziell kärglich von Sozialhilfe noch immer in München, trotzdem sind sie die großzügigsten Gastgeber. Ist man selbst mal schlechter Stimmung, dann muss man sich von Sergej und Emma in den Arm nehmen lassen und mit ihnen einen Wodka trinken. Die kernigen russischen Trinksprüche, die Sergej dann loslässt, verjagen jede schlechte Laune. Oder Hamid Skif, der in Algerien die erste freie Journalistengewerkschaft gründete und nach zwei zum Glück gescheiterten Attentaten auf ihn und seine Familie nach Deutschland fliehen konnte. Als französisch schreibender Autor schaffte er es, 6 Zitiert nach Wilfried F. Schoeller: Zum Gedenken an Anna Politkowskaja. Verfügbar unter: http:// www.pen-deutschland.de/de/2006/10/09/zum-gedenken-an-anna-politkowskaja-2/ (Letzter Zugriff: 12. 3. 2014).
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sich bald auch in Deutschland eine Leserschaft zu erobern. Ein charmanter Herr, mit dem man sich wunderbar über Gott und die Welt, Orient und Okzident unterhalten konnte. Als er das Exilprogramm schon wieder verlassen und sich in Hamburg gerade etabliert hatte, wurde er krank und starb bald darauf an einem Krebsleiden. Ein Verlust, der in allen, die ihn kennengelernt hatten, große Trauer auslöste. Oder Claudia Anthony aus Sierra Leone, die des „unverantwortlichen Journalismus“ bezichtigt wurde, und als sie weiter schrieb und recherchierte, stand eines Tages ihr Haus in Flammen. Oder Pinar Selek aus der Türkei oder Jorge Luis Arzola Benitez aus Kuba und Itai Mushekwe aus Simbabwe. Einige leben im europäischen Ausland, andere wollen nicht Asyl beantragen wenn ihr Stipendium endet, zu endgültig scheint ihnen damit die Abkehr von ihrem Land. Sie möchten mit dem Antrag auf Asyl nicht dokumentieren, dass sie keine Hoffnung mehr haben, dass sich die politischen Verhältnisse in ihrem Land bessern könnten, keine Hoffnung, dass die Verfolger ins Gefängnis gesperrt und unschädlich gemacht würden, keine Hoffnung mehr auf Frieden und Freiheit in ihrer Heimat. Was ist schlimmer, was ist am schlimmsten? Wenn man als Schriftsteller nicht mehr veröffentlichen darf? Wenn man unter Hausarrest steht? Wenn man Scheinerschießungen erleiden muss? Wenn man durchs Telefon bedroht und in Angst versetzt wird und nicht mehr wagt, die Wohnung zu verlassen? Wenn Freunde, Kollegen, Weggefährten ermordet werden? Eine Skala, ein Rating der Grausamkeiten kann es nicht geben. Was alle unsere Stipendiaten verbindet, egal woher sie kommen, ist, dass sie dazu verurteilt sind, dem Leben in ihrer vertrauten Heimat zu entfliehen und ins Exil zu gehen. Das ist ihr Schicksal, ihr gemeinsames Schicksal.
Literatur- und Quellenhinweise Adorno, Theodor W.: Gesammelte Schriften. Hrsg. von Rolf Tiedemann. Bd. 4. Minima Moralia. Reflexionen aus einem beschädigten Leben. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1998. Camus, Albert: Der Mythos Sisyphos. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2006. Herta Müller über Liao Yiwu. Diesseitige Wut, jenseitige Zärtlichkeiten. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27. 8. 2011. Verfügbar unter: http://www.faz. net/aktuell/feuilleton/ herta-mueller-ueber-liao-yiwu-diesseitige-wut-jenseitige-zaertlichkeiten-11126134-p4.html (Letzter Zugriff: 13. 3. 2014). Schoeller, Wilfried F.: Zum Gedenken an Anna Politkowskaja. Verfügbar unter: http://www. pen-deutschland.de/de/2006/10/09/zum-gedenk en-an-anna-politkowskaja-2/ (Letzter Zugriff: 12. 3. 2014). Wolffheim, Elsbeth: Das Writers in Exile-Programm. In: E. W. (Hrsg.): Stimmen aus dem Exil. Darmstadt: P.E.N.-Zentrum Deutschland 2000, S. 118–120.
II PEN in Deutschland
Ernst Fischer
Das Zentrum in der Weimarer Republik Von der Gründung bis zur Auflösung unter nationalsozialistischer Herrschaft (1923–1933)
1 Die Gründung und ihr (außen)politischer Kontext Als die englische Romancière Catharine Amy Dawson Scott im Oktober 1921 in London einen Schriftsteller-Club mit dem beziehungsvollen Namen PEN gründete, konnte sie nicht ahnen, welche Erfolgsgeschichte ihrer Initiative beschieden sein würde. Denn die zentrale Idee der Gründung – „ein Band der Freundschaft zwischen den Autorinnen und Autoren der Welt zu knüpfen, das dem Frieden und der Verständigung dienen soll“1 – war damals durchaus unzeitgemäß. Zwar hätte, nachdem sich im Ersten Weltkrieg die schwelenden nationalistischen Ressentiments zum Hass gesteigert hatten, allen Menschen guten Willens nichts wichtiger erscheinen müssen als das Bemühen, auf das zukünftige Zusammenleben der Völker befriedend einzuwirken. In Politik und Gesellschaft der vordem kriegsführenden Ländern war man aber weit davon entfernt, dem Gedanken an Versöhnung Raum zu geben, und zumal in Deutschland hatte sich mit dem Friedensdiktat von Versailles die Ausgangslage für solche Bestrebungen noch bedeutend verschlechtert: In den konservativen und rechtsgerichteten Kreisen hatte sich ob dieser Demütigung eine tiefe (und politisch folgenschwere) Verbitterung gegen die Siegermächte herausgebildet. Aber auch in England, Frankreich und anderen europäischen Ländern, die Opfer der vom Deutschen Kaiserreich ausgehenden Aggression geworden waren, herrschte politisch eine Stimmung vor, die auf eine Ausgrenzung Deutschlands aus der Familie der zivilisierten Völker gerichtet war. Ein Zusammenschluss von Schriftstellern, der den Teufelskreis aus Hass und Krieg aufsprengen wollte, lag im Grunde quer zur Zeitstimmung. Dass nun dieser PEN-Club, präsidiert von John Galsworthy, seiner internationalen Ausrichtung gemäß, auch auf die deutschen Schriftstellerkollegen zuging und sie ermunterte, sich der Gemeinschaft anzuschließen, setzte eine beachtliche Weitherzigkeit voraus. Umgekehrt war nicht zu erwarten, dass die deutsche Schriftstellerschaft, die sich im Rahmen der „Augustbegeisterung“ 1914 an die Spitze der Kriegshetzer und Militaristen gestellt hatte (wenn sie auch in weiten Teilen bald ernüchtert war), die großzügige Einladung ohne Weiteres annehmen würde. Eine Mischung von Scham und Stolz, Gekränktheit und Hochmut konnte hier ein ernstes Hindernis werden. 1 Angelika Mechtel: Nur sie hatte den Mut und die Kraft [Über Amy Dawson Scott]. In: Gerd E. Hoffmann (Hrsg.): P.E.N. International. München: C. Bertelsmann 1986, S. 14–18, hier S. 16. – Vgl. den Beitrag von Dorothée Bores zur Gründungsgeschichte des Internationalen PEN in diesem Handbuch, S. 19–33.
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Es war dies auch ein Hindernis, aber kein unüberwindliches. Denn zwar nicht alle, aber doch einige der deutschen Literaten verstanden sofort, welche Chance sich für eine Verbesserung ihrer gesellschaftlichen Stellung bot, wenn es ihnen gelänge, Deutschland aus der Isolation zu führen und den ersten erfolgreichen Schritt zu setzen, der zur Wiederaufnahme ihres Landes in die Völkergemeinschaft führen würde. Es war im Grunde die gleiche Hoffnung im Spiel, die sie 1914 dazu getrieben hatte, als Kriegseinpeitscher aufzutreten (1915 lagen bereits 450 Bände und Anthologien mit Kriegsgedichten vor): die Hoffnung, sich als „geistige Führer“ an die Spitze der Nation setzen zu können und so die vielfältigen narzisstischen Kränkungen zu kompensieren, die seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert mit ihrem Abstieg zum lohnabhängigen Lieferanten der Kulturindustrie verbunden gewesen waren. Die ersten konkreten Vorbereitungsarbeiten zur Gründung eines deutschen PEN reichen in den Herbst 1922 zurück. Hermon Ould, nachmalig Generalsekretär des Internationalen PEN, war damals mit dem Auftrag nach Deutschland gereist, eine solche Gründung in die Wege zu leiten. Jahrzehnte später berichtete er in einer Rede in Berlin von den Schwierigkeiten, die dieser Auftrag mit sich gebracht hatte: Die zweite [Berührung mit Ihrem Land] war, glaube ich, 1922 oder 1923, als ich mit der festen Absicht herkam, den PEN-Club in Deutschland zu gründen. Zu jener Zeit erlebte er in verschiedenen Ländern Europas einen ziemlichen Aufschwung. Aber in Deutschland war es nicht möglich, die nötigen Kontakte herzustellen. Ich sah einige Ihrer Schriftsteller, leider sind mehrere von ihnen inzwischen tot, aber sie waren noch nicht bereit, in den PEN-Club einzutreten, wie ich es doch gehofft hatte. Ich erinnere mich besonders an Karl Federn, der später als bedeutender Mann nach England kam und dort starb. Karl Federn hatte starkes Interesse daran, daß der PENClub in Deutschland gegründet werden sollte, aber er nahm an, daß die Deutschen abgeneigt wären. Sie waren noch nicht dazu bereit gewesen, in den Staatenbund einzutreten.2
Zunächst galt es also, die Widerstände in der deutschen Schriftstellerschaft gegenüber einer von ehemaligen Feindländern ausgehenden Initiative zu überwinden. Seit September 1922 mühte sich eine Gruppe von Autoren um die Konstituierung eines Gründungsausschusses,3 und es weist auch alles darauf hin, dass es tatsächlich Karl 2 Hermon Ould: Rede auf dem Ersten Deutschen Schriftstellerkongress 1947. Abgedruckt in: Ursula Meinhold, Dieter Schlenstedt und Horst Tanneberger (Hrsg.): Erster Deutscher Schriftstellerkongress 4.–8. Oktober 1947. Protokolle und Dokumente. Berlin: Aufbau 1997, S. 129–130, hier S. 129. Es überrascht, dass Ould bereits Jahre vor dem Antritt seines Amts als Generalsekretär des Internationalen PEN in einer solchen Mission unterwegs gewesen sein soll. Indirekt findet die von London ausgehende Initiative aber eine Bestätigung durch eine Bemerkung Karl Federns: „Die englische Gruppe hatte sich sogleich auch nach Deutschland gewendet und ein vorbereitender Ausschuß trat in Berlin zusammen.“ Karl Federn: Der PEN-Klub. In: Die literarische Welt 2 (1926; Reprint Nendeln 1973) 20, S. 1. 3 Federn hierzu: „Die Verhältnisse lagen in unserem Lande besonders schwierig, und wie freundlich auch immer neue Aufforderungen und Einladungen aus den anderen Ländern kamen, es gelang erst Ende 1924 die Gruppe wirklich zu begründen.“ Karl Federn: Der PEN-Klub. In: Die literarische Welt 2 (1926; Reprint Nendeln 1973) 20, S. 1. Der Vorbereitungsgruppe gehörten insgesamt 20 Schriftsteller und Schriftstellerinnen an.
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Federn war, der in diesem Vorgang von Anfang an die zentrale Rolle gespielt hat. Aus seinen Briefen an Hermann Sudermann, einem zweiten wichtigen Proponenten, geht hervor, dass man sich über einzelne Formulierungen in der Satzung nicht einigen konnte. Es ging dabei um ein überaus sprechendes Detail, nämlich um die Möglichkeit, den unerwünschten Besuch einzelner ausländischer Autoren, insbesondere Franzosen, auf der Grundlage eines Satzungszusatzes ablehnen zu können.4 Sudermann hatte sich für einen solchen Zusatz ausgesprochen und damit ein Hindernis für die Annahme der Satzung geschaffen – Federn zufolge sogar die Gefahr einer Spaltung noch vor der offiziellen Gründung heraufbeschworen: Dieser Gegensatz, der ja im Grunde nur ein solcher der Taktik ist, zeigt nur wieder, in einer wie schwierigen Lage wir uns infolge all dieser bittern Verhältnisse befinden. Umso wichtiger scheint mir, dass wir uns die Schwierigkeiten nicht selbst verm[e]hren: wenn die Verbindung unserer Schriftsteller mit denen der ganzen Welt so zu stande [sic] kommt, wie wir es hoffen, werden wir in der Lage sein, unserm Lande grosse Dienste zu erweisen. Wir ringen nun schon elf Monate darnach uns überhaupt zu konstituiren [sic]; wenn wir uns jetzt nicht einigen, wird es nie gelingen.5
„Unserm Lande grosse Dienste zu erweisen“ – damit war ein Hauptmotiv der Schriftsteller, sich in dieser internationalen Vereinigung zu engagieren, offen ausgesprochen. Dass es Karl Federn war, der diesen Gedanken artikulierte, kam nicht von ungefähr: Der ursprünglich aus Wien stammende, nach kurzer Rechtsanwaltstätigkeit seit 1894 als freier Schriftsteller tätige Autor hatte sich, seit 1908 in Berlin lebend, mit Gedichten, Erzählungen und Novellen sowie Romanen und historischen Studien einen Namen gemacht, war im Ersten Weltkrieg als Sonderberichterstatter der Vossischen Zeitung in Lugano und 1919–1921 als Referent für italienische Angelegenheiten im Auswärtigen Amt tätig.6 Diese Tätigkeit dürfte ihn für Belange der deutschen Außenpolitik sensibilisiert haben – und der PEN hatte, wohl nicht nur für ihn sofort erkennbar, das Potenzial, als Instrument auswärtiger Politik eingesetzt zu werden. Übrigens trat Federn später, 1929, als Autor eines Weltkriegsromans (Hauptmann Latour) hervor, der ob seiner differenzierten und auch kritischen Darstellung im Dritten Reich verboten wurde. Er selbst, auch aufgrund seiner jüdischen Herkunft gefährdet, flüchtete 1933 nach Kopenhagen und ging anschließend ins Exil in London, wo er 1943 verstarb. Am 15. Dezember 1924 erfolgte nun die formelle Gründung der ersten deutschen PEN-Gruppe.7 Dem Gründungsausschuss gehörten damals an Ludwig Fulda, Karl 4 Karl Federn an Hermann Sudermann (23. 8. 1923). DLA, Cotta-Archiv, NL Sudermann, V 31, Bl. 11. 5 DLA, Cotta Archiv NL Hermann Sudermann V 31, Bl. 11. 6 Elsa Spreyermann-Griesser: „Federn, Karl“. In: Neue Deutsche Biographie 5 (1961), S. 44–45. Verfügbar unter URL: http://www.deutsche-biographie.depnd116427000.html (Letzter Zugriff: 30. 12. 2013). 7 Martin Gregor-Dellin zufolge hat sich das deutsche PEN-Zentrum bereits im Juni 1923, parallel zum österreichischen, gebildet und zwar aus „einer Reihe von Teilgründungen: in Berlin, Hamburg, München, Köln, Freiburg. Diese schlossen sich im Laufe der nächsten drei Jahre zu einem Zentrum zu-
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Federn, Marie von Bunsen, Harry Graf Kessler, Joachim Kühn, Walter von Molo, Albert Osterrieth, Rudolf Presber, Samuel Sänger, H. G. Scheffauer, Hermann Sudermann sowie Fedor von Zobeltitz.8 Fulda wurde auf der Gründungssitzung zum ersten Präsidenten gewählt, Federn zum Sekretär, Elstner zum Schatzmeister und Osterrieth zum Schriftführer. Bemerkenswert erscheint die Berufung Ludwig Fuldas (1862–1939) an die Spitze des deutschen PEN-Zentrums. Qualifiziert hatte er sich für diese Position zweifellos in erster Linie durch den hohen Bekanntheitsgrad, den er sich als Lustspieldichter erworben hat; seine Stücke wurden um die Jahrhundertwende und bis 1932 auf hunderten von in- und ausländischen Bühnen gespielt. Auch als Übersetzer (aus sieben Sprachen) fand er Anerkennung – das ihm von Frankreich für seine Molière-Übertragungen verliehene Kreuz der Ehrenlegion war ihm allerdings 1914 wieder aberkannt worden. Damit ist bereits ein höchst bemerkenswerter Umstand angesprochen: Zum ersten Präsidenten dieser auf Versöhnung und Friedenspolitik ausgerichteten Vereinigung war in Deutschland ein bekennender Nationalist, ja Chauvinist berufen worden. Fulda war es gewesen, der zusammen mit dem befreundeten Hermann Sudermann und weiteren 91 Repräsentanten des Geisteslebens im Oktober 1914 den berüchtigten Aufruf an die Kulturwelt! (auch bekannt als Aufruf der 93) unterzeichnet hatte. Mehr noch, er hatte ihn in weiten Teilen selbst formuliert!9 Diese in aggressivem Ton gehaltene Propagandaschrift wies jede deutsche Schuld am Krieg zurück und glaubte, sammen.“ Diese Behauptung findet in den Quellen keinerlei Stütze; Gregor-Dellin projizierte hier die erst Jahre später erfolgte Errichtung lokaler Gruppen in die Entstehungszeit zurück. Die Darstellung ist auch sonst fehlerhaft. [Vgl.] Martin Gregor-Dellin: Marginalien zur Geschichte des Internationalen P.E.N. In: M. G. D. (Hrsg.): PEN Bundesrepublik Deutschland. Seine Mitglieder, seine Geschichte, seine Aufgaben. München: Goldmann 1978, S. 14. – Ungefähr zur gleichen Zeit wurde in Österreich ein PEN-Zentrum errichtet; über dessen Geschichte informiert Roman Roček: Glanz und Elend des P.E.N. Biographie eines literarischen Clubs. Wien, Köln und Weimar: Böhlau 2000. 8 Vgl. Ludwig Fulda: Briefwechsel 1882–1939. Zeugnisse des literarischen Lebens in Deutschland. Teil 2. Hrsg. von Bernhard Gajek und Wolfgang von Ungern-Sternberg. Frankfurt am Main u. a.: Peter Lang 1988 (Regensburger Beiträge zur dt. Sprach- und Literaturwissenschaft, Reihe A/Quellen, Bd. 4), S. 908. 9 Vgl. Jürgen Ungern-Sternberg und Wolfgang von Ungern-Sternberg: Der Aufruf ‚An die Kulturwelt!‘ Das Manifest der 93 und die Anfänge der Kriegspropaganda im Ersten Weltkrieg. Mit einer Dokumentation. Stuttgart: Steiner 1996. Vgl. ferner Fulda: Briefwechsel 1882–1939, Teil 2, S. 1023–1029; sowie Holger Dauer: Ludwig Fulda, Erfolgsschriftsteller. Eine mentalitätsgeschichtlich orientierte Interpretation populärdramatischer Texte. Tübingen: Niemeyer 1998 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 62), bes. S. 49f. – Dass Fulda den Basistext des Aufrufs verfasst hat, der dann von Sudermann bearbeitet und von dem Berliner Bürgermeister Georg Reicke in die endgültige Fassung gebracht wurde, ist auch das Ergebnis der Forschungen von Bernhard vom Brocke: ‚Wissenschaft und Militarismus‘. Der Aufruf der 93 ‚An die Kulturwelt!‘ und der Zusammenbruch der internationalen Gelehrtenrepublik im Ersten Weltkrieg. In: William Musgrave Calder, Hellmuth Flashar und Theo Lindken (Hrsg.): Wilamowitz nach 50 Jahren. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1985, S. 649–719.
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auch den deutschen Überfall auf das neutrale Belgien rechtfertigen zu können: „Wir als Vertreter deutscher Wissenschaft und Kunst erheben vor der gesamten Kulturwelt Protest gegen die Lügen und Verleumdungen, mit denen unsere Feinde Deutschlands reine Sache in dem ihm aufgezwungenen schweren Daseinskampfe zu beschmutzen trachten.“ Dass sich Fulda, der als Übersetzer zuvor noch wertvolle kulturelle Vermittlungsarbeit geleistet hatte, mit diesem schrillen Nationalismus persönlich vollkommen identifizierte, ergibt sich aus mancherlei sonstigen Äußerungen.10 Damit aber nicht genug: Während sich nach dem Krieg ein größerer Teil der Unterzeichner des „Aufrufs“ von ihrer damals eingenommenen Position distanzierte, lehnte Fulda dies ab.11 Bezeichnend – auch für spätere Debatten um das „Politische“ im PEN –, dass Fulda rückblickend auf sein Leben sich selbst zwar unverbrüchlichen Patriotismus bescheinigte, diesem aber keine politische Dimension zuschrieb: „Auch in der Nachkriegszeit habe ich meine Stimme immer nur im nationalen Sinn erhoben, bin niemals politisch hervorgetreten, habe in zahlreichen Ehrenämtern nur gemeinnützig und kulturell zu wirken versucht, namentlich für die Lebensinteressen meiner Berufsgenossen.“12 War Fulda mehr „Repräsentant oder Funktionär“?13 Tatsächlich war er an vielen „Fronten“ aktiv: Er war eine der treibenden Kräfte bei der Entstehung des Berliner Goethebundes 1900 (mit Hermann Sudermann); er gehörte zu den Begründern des bedeutenden Verbands der Deutschen Bühnenschriftsteller und war 20 Jahre lang dessen Vorsitzender; er wurde auch zum Vorsitzenden des ebenfalls bedeutenden Schutzverbandes deutscher Schriftsteller (SDS) gewählt, konnte aber dieses Amt wegen seiner sonstigen Funktionärsbelastungen nicht annehmen. Schließlich gehörte Fulda 1926 – noch in seiner Amtszeit als PEN-Präsident – neben Arno Holz, Thomas Mann und Hermann Stehr zu den vier vom preußischen Kultusminister ernannten Gründungsmitgliedern der Sektion für Dichtkunst in der Preußischen 10 Maria Kühn-Ludewig: Erfolgreich – unter Feinden. Ludwig Fulda in seinem Briefwechsel 1882– 1939. In: Euphorion 85 (1991), S. 199–219, hier S. 208. Vgl. ferner Dauer: Ludwig, Erfolgsschriftsteller, S. 49f. und 51f. 11 Vgl. Ungern-Sternberg und Ungern-Sternberg: Der Aufruf, S. 61–80, und vor allem Brocke: ‚Wissenschaft und Militarismus‘, S. 661: Eine von dem Völkerrechtsexperten Hans Wehberg 1919 im Auftrag der Deutschen Liga für Völkerbund durchgeführte Umfrage ergab, dass 16 von 75 Befragten ohne Vorbehalt an dem Text des Aufrufs festhielten, unter ihnen Ludwig Fulda. 12 Fulda: Lebenslauf. In: Fulda: Briefwechsel 1882–1939, Bd. 2, S. 1034. In diesem 1933 geschriebenen Lebenslauf stand Fulda zu seiner „Propaganda-Tätigkeit für das Vaterland“ im Krieg, den er „wegen vorgerückten Alters“, als 53-Jähriger, nicht mit der Waffe in der Hand mitmachen konnte: „Ich habe längere Zeit im Aufklärungsdienst des Reichsmarine-Amtes gearbeitet, um den feindlichen Verleumdungen entgegenzutreten (vgl. den bekannten Aufruf der 93 an die Kulturwelt). Durch ungezählte Kriegsvorträge, Rezitationen, Broschüren und Kriegsgedichte (die vielfach in Anthologien übergegangen sind) trug ich nach besten Kräften dazu bei, die Stimmung in der Heimat zu heben. Lustspiele von mir wurden von fast allen Fronttheatern häufig gespielt.“ Fulda: Briefwechsel 1882–1939, Bd. 2, S. 1033. 13 Diese Frage wird von Maria Kühn-Ludewig aufgeworfen (Erfolgreich unter Feinden, S. 210).
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Akademie der Künste. Diese Ämterhäufung war kein Zufall; ein beträchtlicher Teil der Autorschaft fühlte sich von dem anhaltend erfolgreichen Theaterautor, der sich entschieden gegen jede Zensurbestrebung des Staates und tatkräftig für eine Stärkung des Urheberrechtes einsetzte, gut vertreten. Dies galt allerdings nicht für die jüngeren links bzw. linksbürgerlich orientierten Autoren: In einer von der Zeitschrift Die literarische Welt anlässlich der Akademiegründung veranstalteten Umfrage, wer die deutsche Literatur repräsentieren solle, erhielt Fulda nicht eine einzige Stimme, vielmehr wurde der Multifunktionär vom Herausgeber Willy Haas öffentlich attackiert: Wo es etwas Literarisches zu repräsentieren gibt, dem In- und Ausland gegenüber: da steht, aus einem rätselhaften Nebel von gesellschaftlichen Verbindungen und offiziellen Protektionen auftauchend, ausgerechnet dieser miserabelste Reimer der gesamten deutschen Literatur auf dem Podium. Damit müßte nun doch endlich einmal Schluß gemacht werden! Herr Fulda als Dichter existiert nicht; Herr Fulda als Privatperson ist sicher unantastbar; aber Herr Fulda als repräsentative Gesamterscheinung ist das Symbol einer Zeit- und Literaturstimmung, die in Grund und Boden vernichtet werden muß. Ein guter alter Onkel, ein brauchbarer Vorsitzender eines Kegelvereins hat nicht den deutschen Geist zu repräsentieren – heute nicht mehr! Damit ist es ein für allemal vorbei! Das möge sich das Kultusministerium, das durch diese Ernennung die ganze Institution von vorneherein auf das schwerste kompromittiert hat, gesagt sein lassen.14
Sicherlich war die (an französischen Vorbildern angelehnte!) Konfektionsarbeit, die Fulda für die Bühnen lieferte, nach 1918 nicht mehr das, wonach die Zeit verlangte.15 Doch hatte sich der Theaterdichter auch vielfältige berufspolitische Verdienste erworben. Nachdem sich der Jude Ludwig Fulda nach der Pogromnacht im November 1938 vergeblich um eine Ausreisevisum aus dem nationalsozialistischen Deutschland bemüht und schwerste Demütigungen erfahren hatte, beging er am 30. März 1939 Selbstmord. In welchem Maße man Anfang der 1920er Jahre in London bereit war, über das rabiate Verhalten der deutschen Literaten im Krieg hinwegzusehen, belegt neben der vorbehaltlosen Akzeptanz von Fulda als Vorsitzendem auch die Tatsache, dass der englische Club bereits 1921 mit Hermann Sudermann und Gerhart Hauptmann zwei andere Unterzeichner des Aufrufs der 93 zu seinen Ehrenmitgliedern ernannt hatte.16 Diese Gesten der Versöhnung sollten strategisch den Weg frei machen für eine Ausweitung des PEN auf Deutschland. Dort hatte man in der Zusammenstellung des Gründungsausschusses offensichtlich auf den Grundcharakter des PEN Bedacht genommen, der in London als ein ‚dining club‘ entstanden und also auf gesellschaftliche Repräsentation abgestellt war. Deshalb wurden in der Hauptsache „salonfähige“ 14 Willy Haas: Meine Meinung. In: Die literarische Welt 2 (1926) 20, S. 2. Auch in: Weimarer Republik. Manifeste und Dokumente zur deutschen Literatur 1918–1933. Mit einer Einleitung und Kommentaren hrsg. v. Anton Kaes. Stuttgart: Metzler 1983, S. 96. 15 Allerdings verzeichnete der Deutsche Bühnenspielplan noch für 1932 mehr als 400 Aufführungen; allein am Wiener Burgtheater wurden im Laufe der Zeit 15 seiner 38 Stücke aufgeführt. 16 [Gregor-Dellin:] Marginalien zur Geschichte des Internationalen P.E.N., S. 13.
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Vertreter der Schriftstellerschaft in die Gründungsvorbereitungen mit einbezogen. Ein Beispiel dafür liefert Marie von Bunsen, Tochter eines (liberalen) Reichstagsabgeordneten, Enkelin eines Diplomaten, Verfasserin von Biographien und Reiserzählungen, auch Aquarellistin, die ihre finanzielle Unabhängigkeit für ausgedehnte Reisen nutzte und in Berlin als Salonnière mit ausgewählten Gesellschaftskreisen in Verbindung stand. Ein anderes Beispiel ist Harry Graf Kessler, geboren 1868 in Paris; er hatte sich als adeliger Kosmopolit mit Lebensart für eine Mitwirkung im PEN zweifellos an vorderster Stelle empfohlen, in einem Club, in dem Weltläufigkeit mehr noch als literarische Reputation gefragt war. Zwar war Kessler auch als Verfasser biographischer und anderer Schriften hervorgetreten und hatte sich u. a. als Gründer der Cranach Presse oder als Direktor des Großherzoglichen Museums für Kunst und Kunstgewerbe in Weimar in Szene gesetzt. Vor allem aber hatte er im Ersten Weltkrieg sein politisches Engagement verstärkt: seit 1916 hatte er im Auftrag des Auswärtigen Amtes Verhandlungen mit französischen Delegierten geführt, war danach Botschafter in Polen und organisierte dort die Rückführung der deutschen Truppen; als Teilnehmer an den Konferenzen in Genua und Genf war er auf diplomatischer Ebene um eine Verständigung mit den Siegermächten bemüht. Das Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) war politisch und privat Walter Rathenau verbunden und hat dem 1922 ermordeten Politiker in einer Biographie ein Denkmal gesetzt. Graf Kessler hat sogar einen eigenen Völkerbundplan entworfen und lag damit ganz auf der Linie der Gründungsidee des PEN. Allerdings beobachtete er das Treiben in dem Klub mit einiger Distanz; bezeichnend dafür sind Tagebucheintragungen wie die vom Januar 1925 mit der Schilderung eines PEN-Abendessens: Als Anwesende nennt er u. a. Marie von Bunsen, Fulda, Federn, O. H. Schmitz – „meistenteils nur Fossilien“; es sei ein „trüber Abend“ gewesen.17 Der „rote Baron“, der mehrfach als Redner vor Gewerkschaftskongressen auftrat, scheint zum PEN innerlich Abstand gehalten zu haben. Die Zusammensetzung des Ausschusses zeigte somit eine weltanschauliche Gemengelage, bei einem Übergewicht konservativer Kräfte. Für letzteres sorgten neben einem Hermann Sudermann, der sich nach sozialkritischen Dramen immer stärker heimatverbundener Erzählliteratur zugewandt hatte, ein (damals vielgelesener) Rudolf Presber oder der in der Bibliophilenbewegung verankerte Fedor von Zobeltitz. Von besonderem Interesse ist die Beteiligung von Prof. Dr. Samuel Saenger, der zunächst Gymnasiallehrer war, bis 1907 für Maximilian Hardens Zeitschrift Zukunft schrieb und von 1908 bis 1933 als Redakteur der Zeitschrift des Verlags S. Fischer Die Rundschau tätig war. Gleichzeitig aber, von 1919 bis 1929, stand er als Diplomat in den Diensten des Auswärtigen Amtes – eine weitere Stärkung der Verbindungslinien zwischen deutschem PEN und deutscher Außenpolitik. Eine Betonung der internationalen Ausrichtung mag auch das Motiv für die Einbeziehung des deutschameri17 Harry Graf Kessler: Tagebücher 1918–1937. Hrsg. v. Wolfgang Pfeiffer-Belli. Frankfurt am Main: Insel 1961, S. 409.
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kanischen, in San Francisco geborenen Schriftstellers Hermann George Scheffauer geliefert haben, der seit 1910 in Deutschland lebte und hier als Übersetzer von Werken Klabunds, Georg Kaisers und vor allem Thomas Manns, mit dem er auch in engerer Verbindung stand, hervorgetreten war. Insgesamt scheinen also literaturfremde Qualitäten und gerade auch eine Verbindung zur deutschen Außenpolitik für eine Berufung in den Gründungsausschuss eine wichtige Rolle gespielt zu haben. Bezeichnend für diese enge Verbindung von Literatur und Außenpolitik ist der Bericht Hans Friedrich Bluncks, der 1925 von verschiedenen Seiten bestürmt wurde, als Repräsentant des deutschen PEN zum internationalen Kongress nach Paris zu fahren: Und der Vertreter unseres Auswärtigen Amtes mahnte, er berief sich, wie er behauptete, auf den Wunsch Stresemanns. ‚Sie müssen ertragen lernen, daß in drei oder vier Boulevardblättern wüste Karikaturen erscheinen, Sie müssen ertragen, daß Sie in Deutschland von der Linken als zu rechts, von der Rechten als zu links für Ihre Aufgabe angesprochen werden, daß Eifersüchtige und Enttäuschte Ihnen ein paar erbärmliche Buchkritiken schreiben. Nehmen Sie es auf sich und reisen Sie!‘18
Der österreichische Schriftsteller Robert Neumann, der in den Exiljahren und insbesondere nach 1945 eine wichtige (Vermittler-)Rolle zwischen Internationalem PEN und den deutschen PEN-Zentren spielte, kommentierte in seinen Erinnerungen19 nicht nur die PEN-Idee als solche,20 sondern auch die Bedeutung des personellen Aspekts: „Das Schicksal des PEN hat in jedem Land davon abgehangen, wer auf den ersten Trompetenstoß der Dawson Scott reagierte. In den europäischen Ländern waren es fast immer die richtigen.“ Ob Neumann zu den Ausnahmen auch Deutschland rechnete, muss offen bleiben, es ist allerdings nicht unwahrscheinlich. Denn schon sehr bald, im Zusammenhang mit dem 1926 in Berlin abgehaltenen internatio18 Hans Friedrich Blunck: Licht auf den Zügeln. Lebensbericht 1. Bd. Mannheim: Kessler 1953, S. 394. – Blunck war zusammen mit Federn während des Kongresses beim deutschen Botschafter von Hoesch geladen; sie trafen dort auf Graf Coudenhove-Kalergi, den Gründer der Paneuropa-Bewegung, die ähnliche völkerversöhnende und friedensstiftende Ziele verfolgte wie der PEN. Vgl. Blunck: Licht auf den Zügeln, S. 398. 19 Robert Neumann: Ein leichtes Leben. Bericht über mich selbst und Zeitgenossen. Berlin und Weimar: Aufbau 1975 (maßgeblich ist hier die DDR-Ausgabe). 20 Die PEN-Idee charakterisierte er als eine im Wesen damenhafte; zu der „Romanstrickerin“ Dawson Scott bemerkte er etwas herablassend, es sei ihr nach dem Ersten Weltkrieg eingefallen, „es wäre doch eine nette Sache, wenn alle Schriftsteller der Welt sich verbrüderten“; sie habe aber – mit John Galsworthy – einen großen Bruder benötigt, „um diesem schönen, auf edelste Weise zeitgemäßen Einfall Lebensatem einzuhauchen“. Neumann: Ein leichtes Leben, S. 73. Neumanns Spott trifft auch Hermon Ould, mit dem der Typus des PEN-Funktionärs geschaffen worden sei (Neumann, S. 74f.), und die Begeisterung der Anfangsjahre: „Der erste Verbrüderungstaumel erfaßte alle Schriftsteller überall, man hatte den jungen PEN, und man hatte den jungen Völkerbund, man hielt Reden und glaubte tatsächlich an ihre Wirkung, man reiste von Kongreß zu Kongreß, man dichtete in langen und edlen Beratungen mit gedankenvoll gerunzelten Stirnen eine Charta, die mit dem Völkerbundstatut, was sage ich da, mit den zehn Geboten jederzeit konkurrieren kann.“ Ebd.
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nalen PEN-Kongress, geriet das deutsche PEN-Zentrum – hauptsächlich wegen seiner Mitglieder- und Funktionärsschaft – in die öffentliche Kritik.
2 Der 4. Internationale PEN-Kongress 1926 in Berlin Auf dem 3. Internationalen PEN-Kongress 1925 in Paris war Deutschland mit acht Delegierten vertreten – erstmals durfte es an dieser Versammlung, die jährlich an einem jeweils neu festzusetzenden Ort stattfand, teilnehmen.21 Dass Heinrich Mann als Ehrengast der französischen Sektion geladen war, wurde – so der Schriftführer Prof. Albert Osterrieth gegenüber Wilhelm von Scholz – „allgemein als Rehabilitierung und erneute internationale Anerkennung der deutschen Literatur nach dem Ersten Weltkrieg angesehen“.22 Auch war es in Paris gelungen, die Zulassung der deutschen Sprache neben der englischen und französischen zu erreichen – nach dem Frieden von Versailles war von den Siegermächten die Verwendung der deutschen Sprache auf öffentlichen Tagungen verhindert worden. Dem Bericht Hans Friedrich Bluncks zufolge hätten er und Federn diesen „erste[n] Bruch mit der Vergangenheit“ geschafft: „Auf dem großen Bankett am Abend fielen, wie man mir in unserer Botschaft sagte, seit dem Weltkrieg die ersten deutschen Worte auf einem Kongreß in Paris.“23 Einen noch größeren Erfolg auf dieser Linie der internationalen Anerkennung verzeichnete die Delegation aber, als sie den PEN einlud, den Jahreskongress 1926 in Berlin abzuhalten. Rom und Basel zogen daraufhin ihre Einladungen zurück; man wünschte so zu dokumentieren, „daß nach der europäischen Zwietracht des großen Krieges nun die friedlichen Aufgaben für die Diener der Idee, für die Schriftsteller und Dichter in den Vordergrund zu treten hätten und daß es dabei keine Eifersüchteleien, keinen Streit und Kampf für die Geistigen geben dürfe“.24 Die Vorbereitung des Kongresses verlief in Berlin durchaus problematisch, denn unerwartet verstarb der bisherige Schriftführer des PEN, Prof. Albert Osterrieth.25 Nicht 21 Nach von Vegesack hatten sich noch auf dem ersten PEN-Kongress die belgischen Delegierten geweigert teilzunehmen, falls die deutschen Schriftsteller mit Gerhart Hauptmann an der Spitze eingeladen würden: „Grund dafür war Hauptmanns chauvinistisches Verhalten während des Kriegs“. Thomas von Vegesack: Aus der Geschichte des P.E.N.-Clubs. In : Gerd E. Hoffmann (Hrsg.): P.E.N. International, S. 19–27, hier S. 19. 22 Fulda: Briefwechsel, S. 908, Anm. 1. 23 Blunck: Licht auf den Zügeln, S. 394f. – Vgl. auch S. 403: „Wir durften, wie Hoesch uns schrieb, ‚heimreisen im Gefühl, zum erstenmal seit Versailles auf einem großen Kongreß ohne Aufgabe der Würde als deutsche Vertreter die Lage gemeistert und die Gleichberechtigung gewonnen zu haben.‘“ 24 Werner Mahrholz in: Umfrage „Was erwarten Sie von der Berliner Tagung des PEN-Klubs?“ In: Literarische Welt 2 (1926) 20, S. 2. 25 Werner Mahrholz an Marjorie Scott (21. 4. 1926). Harry Ransom Humanities Research Centers in Austin, Texas (in weiterer Folge abgekürzt als: HRHRC). Dort befindet sich ein (nicht mit Einzelsigna-
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nur dieser Todesfall erschwerte die Vorbereitung des Kongresses, sondern zusätzlich die „Trägheit“ der übrigen PEN-Gruppen, so dass Ende April „noch immer kein Überblick über die Zahl der Teilnehmer zu gewinnen“ war. „Einige Gruppen haben überhaupt noch nicht geantwortet, ob sie Delegierte zur Tagung senden werden.“26 Im Vorfeld des Berliner Kongresses notierte Harry Graf Kessler in sein Tagebuch: „Der Berliner Kongress lässt sich ziemlich mies an. Bisher haben aus dem Ausland nur Mediocritäten zugesagt; aus England blos [!] Galsworthy, aus Frankreich Niemand u.s.w. Auch haben sie kein Geld.27 Bis zum Beginn der Zusammenkunft nahm die Beteiligung aber noch deutlich zu; insgesamt versammelten sich am 16.–19. Mai 1926 mehr als 200 Teilnehmer aus 15 PEN-Zentren.28 Der 4. Internationale PEN-Kongress in Berlin, die erste große internationale Zusammenkunft in Deutschland überhaupt nach dem Ersten Weltkrieg, bedeutete für das Land einen wichtigen Schritt heraus aus der politischen Isolation. Die Anerkennung für die Schrittmacherdienste, die der PEN damit für die deutsche Außenpolitik leistete, blieb auch nicht aus: Reichspräsident Hindenburg empfing Ludwig Fulda und Hermann Sudermann anlässlich des Kongresses und verlieh der Veranstaltung somit höchsten Rang;29 er bestätigte damit auch die Funktion des deutschen PEN als verlängerter Arm der auswärtigen Politik des Deutschen Reiches, die damals nicht so viel Wirkungsmöglichkeiten hatte wie die internationale Vereinigung der Schriftsteller.30 turen versehener) Bestand von Dokumenten der Geschäftsstelle des Internationalen PEN, die früher im „Glebe House“ in Chelsea/London, dem Sitz des Londoner PEN, aufbewahrt worden waren. Diese Dokumente geben guten Einblick in die Tagesgeschäfte des deutschen Zentrums und seine Kontakte zur Londoner Zentrale. 26 Deutsche P.E.N.-Gruppe an sämtliche Gruppen des P.E.N.-Clubs (30. 4. 1926, Werner Mahrholz.) HRHRC. 27 Harry Graf Kessler: Tagebuchauszüge (11. 4. 1926). Archiv Freies Deutsches Hochstift. – Frankreich erlebte damals eine wirtschaftliche Krise durch Währungsverfall. 28 [Gregor-Dellin:] Marginalien zur Geschichte des Internationalen P.E.N., S. 15. – Auch Marjorie Scott, die Tochter der Gründerin des PEN-Clubs, hatte man zum Kongress nach Berlin eingeladen. Ludwig Fulda und Albert Osterrieth an Scott [Februar 1926]. HRHRC. Es hatte sich offensichtlich eine ganze Reihe englischer Mitglieder zur Teilnahme am Kongress angesagt, vgl. Werner Mahrholz an Scott (8. 5. 1926). HRHRC: „1. Wir danken Ihnen für die Unterstützung, die Sie uns bei der Vorbereitung durch Ihren Eilbrief an alle Gruppen zu Teil werden liessen. Die Antworten laufen jetzt allmählich ein. 2. Wir freuen uns ganz besonders, dass aus England eine so zahlreiche Beteiligung zu erwarten ist und hoffen nur, dass der Streik Sie nicht im letzten Augenblick hindert zu erscheinen; wir nehmen vorläufig als die Zahl von 24 Teilnehmern aus England an.“ 29 Der Empfang beim Reichspräsidenten wurde seitens der extremen Rechten attackiert: Nicht die Vertreter der deutschen Literatur seien empfangen worden, sondern „die Manufaktur des Berliner Geistes, verkörpert in den ehrwürdigen Erscheinungen der bekannten Firma Sudermann & Fulda.“ Vgl. Eugen Kalkschmidt: Auch die Literatur. In: Deutsches Volkstum (1925), H. 8, S. 633. Zitiert nach Weimarer Republik. Manifeste und Dokumente, S. 88f. 30 Bezeichnend für die Instrumentalisierung des PEN seitens der deutschen Außenpolitik sind die Gründe, die Walter von Molo später (um 1930) für seinen Austritt aus der Vereinigung geltend machte: „Ich legte alle Ehren-Ämter nieder, wie ich bereits vor längerer Zeit aus dem ‚PEN-Club‘ ausgetreten war, weil er sich die Reisen seiner Mitglieder zu den ausländischen Kongressen vom Auswärtigen Amt
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Es gab neben den festlichen Empfängen, Fahrten über die Potsdamer Seen und verschiedenen Veranstaltungen – u. a. wurde für die ausländischen Gäste am Staatstheater Hebbels Gyges und sein Ring gezeigt31 und in der Oper Richard Strauss und Lortzing gegeben32 – wie stets auf diesen Kongressen auch ein Arbeitsprogramm, das an zwei Tagen (am ersten präsidierte John Galsworthy, am zweiten Jules Romains) Punkt für Punkt durchgezogen wurde.33 Auf der Tagesordnung standen Fragen des Urheberrechts und des Übersetzungswesens, auf Anregung der deutschen Delegation wurde aber auch die Durchführung eines internationalen Vortragsaustauschs beschlossen. Weitere Beschlüsse bezogen sich auf die Nichtaufnahme von Schriftstellern bzw. den rücksichtlosen Ausschluss von Mitgliedern, die sich durch unbefugte Aneignung von Rechten oder unerlaubten Nachdruck gegen das geistige Eigentum vergangen haben; es gelte, diese Praktiken „als das zu brandmarken, was sie sind: Diebstahl.“34 Die schon im Vorjahr diskutierte Aufstellung von Listen von zu übersetzenden Werken hatte sich als problematisch erwiesen; die Liste sollte jetzt nur noch empfehlenden Charakter haben. Der Vertreter Belgiens machte hierzu den Vorschlag, zunächst Listen der bereits übersetzten Werke anzulegen. Schließlich wurde Brüssel als nächster Konferenzort festgelegt. Im Übrigen hob der Berichterstatter Hans Jacob hervor, dass die deutsche Sprache als Konferenzsprache nicht nur zugelassen war, sondern dass sich einzelne ausländische Delegierte ihrer bedienten – eine Geste gegenüber dem Gastgeberland, die wieder als „außenpolitischer“ Erfolg betrachtet wurde. Über den Verlauf des Kongresses selbst gab Graf Kessler seine subjektiven Eindrücke in einem Stimmungsbild wieder: Vormittags in die Sitzung des Pen-Clubs. Jules Romains präsidierte; Fulda, Galsworthy, Piérard, Martin du Gard u. andre gesprochen. […] Abends Festbankett des Pen-Club im ‚Kaiserhof‘. Fulda präsidierte. Galsworthy redete deutsch und gut; sehr zu Herzen gehend auch der Schwede Björnsberg, dessen schöner Kopf und ganze Ausdrucksweise eine hart durchgekämpfte Existenz ahnen ließen. Fulda war trivial, wie kaum anders zu erwarten, Jules Romains amüsant ohne viel Tiefe oder Wärme. Ich saß zwischen Martin du Gard u. einem Monsieur Berge. Die vielen Reden und das lange Sitzen bis elfeinhalb ermüdend; aber die Stimmung war gut und harmonisch.35
bezahlen ließ und nicht selbst die Mittel dazu aufbrachte; ich wollte weiter ein ‚freier‘ Schriftsteller sein und kein Beamter des Auswärtigen Amtes.“ Walter von Molo: So wunderbar ist das Leben. Erinnerungen und Begegnungen. Stuttgart: Stuttgarter Hausbücherei 1957, S. 330. 31 Von Molo: So wunderbar ist das Leben, S. 267. Zum Kongress stellte Molo fest: „Zum ersten Male seit dem Zusammenbruch kamen Schriftsteller von Rang aus dem Ausland wieder zu uns.“ 32 Blunck: Licht auf den Zügeln, S. 467. 33 Hans Jacob: Bericht über die Arbeitssitzungen des 4. Internationalen Kongresses des PEN-Klubs zu Berlin 1926. In: Die literarische Welt 2 (1926) 23, S. 7. – Im Juni übersandte Mahrholz das Protokoll der Sitzungen an Scott und Ould, es ist jedoch in den Akten nicht enthalten. Vgl. Werner Mahrholz an Hermon Ould/Marjorie Scott (8. 6. 1926). HRHRC. 34 Jacob: Bericht, S. 7. 35 Harry Graf Kessler: Tagebücher 1918–1937, S. 477.
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Mit dem Berliner Kongress 1926 stieg die öffentliche Wahrnehmung des PEN auch innerhalb des deutschen Literaturbetriebs sprunghaft an.36 Willy Haas widmete dem Ereignis fast ein gesamtes Heft der von ihm herausgegebenen Zeitschrift Die Literarische Welt. Karl Federn erhielt als 2. Vorsitzender die Gelegenheit, den Leitartikel zu präsentieren („Der PEN-Klub“), in welchem er die Entstehung des Londoner Klubs und die Ausbreitung über – bis dahin – 23 Länder rekapitulierte,37 dabei auch die Grundideen und ersten Ergebnisse der Arbeit des PEN (Steigerung des persönlichen und geistigen Verkehrs, literarischer Austausch durch Übersetzungen) zur Sprache brachte. Unter einem Bild von der ersten internationalen Zusammenkunft des PENClubs 1923 in London wurde die im Jahr darauf in New York gehaltene Rede des PEN-Präsidenten John Galsworthy abgedruckt, in welcher der Romancier dezidiert festhielt, was der PEN nicht sei: „It does not stand for any definite antagonism to national ideals; it does not concern itself with politics at all; and it does not meddle with people outside the literary profession.“38 Von einiger Brisanz waren aber die Ergebnisse einer von dem Blatt veranstalteten Rundfrage „Was erwarten Sie von der Berliner Tagung des PEN-Klubs?“. Hier kamen auch Vertreter des PEN zu Wort: Werner Mahrholz hielt als Schriftführer ein Plädoyer für die im Klub gepflogene Form der „geselligen Beratung“, während Hermann George Scheffauer vollmundig auf die „ungewöhnliche Bedeutung“ dieser Zusammenkunft verwies, „ist es doch der erste internationale Kongreß, der in Deutschland seit dem Weltkriege stattfindet!“ Das offizielle und das künstlerische Berlin habe ihm auch bereits „seinen Segen erteilt“. Marie von Bunsen würzte ihre Ausführungen mit milder Ironie („Ich erwarte, daß man in ergiebigem Maße so tun wird, als habe man die Werke der Anwesenden gelesen. Ich erwarte, daß sich die Gesinnungen und Ausdrücke der kommenden Reden bereits heute genau vorhersagen ließen“), wollte es aber bereits als einen schönen Erfolg verbuchen, wenn „freundlich-menschliche Beziehungen sich zwischen uns und den Ausländern anknüpfen und befestigen“.
36 Werner Mahrholz teilte den Mitglieder hierzu in einem Rundschreiben mit: „Wie wir aus der Beobachtung der Presse ersehen, ist eine Fülle von Gruppenbildern und Artikeln publiziert worden. Sollten Sie dafür Interesse haben, so wollen wir Ihnen gerne eine Auswahl davon zusenden.“ Werner Mahrholz an alle Mitglieder (12. 6. 1926). HRHRC. – An eine unbekannte Adressatin übersandte Mahrholz im Oktober „die wichtigsten Pressestimmen zum P.E.N.-Club-Kongress in Berlin sowie einige Bilder – soweit sie uns noch zugänglich waren – […]“ und stellte noch einmal fest: „Wir dürfen sagen, dass die Beachtung, die der Kongress gefunden hat, sehr gross gewesen ist, insbesondere [sind] auch Bilder (Einzel- und Gruppenbilder) durch die ganze illustrierte Presse gelaufen. Bemerkenswert ist, dass auch die Provinzpresse in Artikeln und Notizen Kenntnis von der Tagung genommen hat.“ Werner Mahrholz an Hermon Ould (16. 10. 1926). HRHRC. 37 In anderen, jüngeren Quellen ist davon die Rede, dass 1926 die Zahl der PEN-Zentren bereits auf 34 angestiegen sei. Das ist nicht unbedingt ein Widerspruch, da in einzelnen Ländern mehrere Gruppen existierten. Vgl. Wilhelm Sternfeld: Dreißig Jahre Internationaler PEN-Klub. In: Das Literarische Deutschland 1 (1951) 23, S. 2. 38 John Galsworthy: P.E.N. Club. From a Speech by J. G. In: Die Literarische Welt 2 (1926) 20, S. 1.
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Wesentlich mehr ins Auge fällt allerdings die z. T. sehr scharfe Kritik der jungen, progressiven Autorenschaft, die in dieser Umfrage prominent vertreten war. Insbesondere wurde der Anspruch des PEN auf Repräsentation der deutschen Literatur entschieden zurückgewiesen. Alfred Döblin stellte dazu ohne Umschweife fest: Ich erwarte von der Tagung des PEN-Klubs gar nichts. Die deutsche Gruppe führt die Öffentlichkeit des In- und Auslandes irre. Sie ist absolut nicht die Vertreterin der deutschen Geistigkeit, sondern sie ist eine Clique. Es ist die Clique des Herrn Fulda. Die kriegsgegnerische und junge Dichtergeneration ist nicht vertreten.39
Ganz unverblümt äußerte sich auch Bertolt Brecht: Ich glaube, daß die Tagung des Berliner PEN-Klubs unter dem Zeichen der Festessen stehen wird. Über das, was die alten Leute erreichen könnten, habe ich gar nicht erst nachgedacht. Sie haben so bewußt alles Junge ausgeschlossen, daß diese Tagung, jedenfalls was die deutsche Gruppe anbetrifft, absolut hoffnungslos überflüssig und schädlich ist.40
Walter Mehring lehnte den Vertretungsanspruch unter Hinweis auf die chauvinistischen Positionen der PEN-Funktionäre ab: Gegen diese Tagung ist zu protestieren. Die deutsche Gruppe weist auch nicht einen Namen der jungen Dichtergeneration auf. Die führenden Leute, wie Fulda, Presber, waren gestern noch Kriegshetzer. Ihnen fehlt jede Legitimation, sich heute als Völkerversöhner oder als Vertreter der deutschen Schriftsteller aufzuspielen. Namen wie Mann, Hauptmann benutzt man lediglich als Staffage. Der führende Geist ist der oben gekennzeichnete.41
Döblin, Brecht und Mehring brachten hier keine Einzelmeinungen zum Ausdruck; sie gehörten, wie auch Johannes R. Becher, Ernst Bloch, Max Brod, Hermann Kasack, Klabund oder Kurt Tucholsky der im Jahr zuvor entstandenen Gruppe 1925 an, die in ihrer Gesamtheit gegen den Vertretungsanspruch des PEN auftrat.42 Auch Willy Haas, selbst ein Mitglied dieser Gruppe, erkannte im deutschen PEN die „Ablehnung einer ganzen Geistesrichtung“ und den kompromisslosen Ausschluss vor allem der radikalen literarischen Jugend. In seiner Herausgeber-Rubrik „Meine Meinung“ stellte er die Frage:
39 Was erwarten Sie von der Berliner Tagung des PEN-Klubs? Umfrage, veranstaltet von Hans Tasiemka. In: Die Literarische Welt 2 (1926) 20, S. 2 (Hervorhebungen im Original). Die Umfrage ist auch abgedruckt in: Weimarer Republik. Manifeste und Dokumente, S. 90f. 40 Ebd. (Hervorhebungen i. O.). 41 Ebd. (Hervorhebungen i. O.). 42 Vgl. Klaus Petersen: Die ‚Gruppe 1925‘. Geschichte, Soziologie einer Schriftstellervereinigung. Heidelberg: Winter 1981. – Petersen weist darauf hin, dass die gegen den PEN-Kongress gerichtete Erklärung die einzige öffentliche Aktion blieb, mit der sich die ‚Gruppe 1925‘ als eigenständige Vereinigung profilierte (S. 50).
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‚Bietet die Majorität der deutschen Sektion dieser internationalen literarischen Verständigungsgruppe eine ganz sichere Gewähr dafür, daß sie allen nationalistischen Verhetzungsversuchen, allen Lockungen des gesellschaftlichen und staatsoffiziösen Opportunismus, allen ästhetischen Reizen eines lebensentfremdeten, literatenhaften Pseudokonservativismus, das den Teufeln der nationalistischen Reaktion die Tore sperrangelweit öffnet – bietet diese Majorität eine sichere Gewähr dafür, daß sie allen diesen offenen und versteckten Feinden der geistigen Verständigung einen beharrlichen und festen Widerstand entgegensetzen wird?‘ – dann gibt es darauf nur eine Antwort: Nein, sie bietet keine Gewähr dafür.43
Ebenfalls in seiner Meinungs-Rubrik zitierte er eine kollektive Stellungnahme der geistesrevolutionären Gruppe: „Wir jüngeren Schriftsteller, die wir uns in der Gruppe 1925 zusammengeschlossen haben, müssen also dagegen protestieren, daß der willkürlich und einseitig zusammengesetzte PEN-Klub die Vertretung der deutschen Schriftsteller dem Auslande gegenüber usurpiert.“44 Haas hatte damals insbesondere den PEN-Vorsitzenden Ludwig Fulda aufs Korn genommen. Entsprechend seinem deklarierten Vorhaben, „in die Festesfreude ein paar tüchtige Eßlöffel Wermut zu mischen“, druckte er mitten auf der Umfrageseite ein Zitat Fuldas aus dessen im Ersten Weltkrieg erschienener Broschüre Deutsche Kultur und Ausländerei ab, in welcher der Theaterdichter und Shakespeare-Übersetzer die Forderung erhoben hatte, dass „falls es uns glückt, England niederzuzwingen“, der Friedensvertrag eine Klausel enthalten solle, „wonach Shakespeare auch formell an Deutschland abzutreten ist.“ Ohnehin wüssten die Engländer nichts Rechtes mit dem Dichter anzufangen, während dieser in Deutschland unvergleichlich besser gespielt und unvergleichlich besser verstanden werde.45 Mit einer solchen Erinnerung an Fuldas Scharfmacherei im Krieg hat Haas – sicherlich nicht ganz erfolglos – die Position des deutschen Vorsitzenden zu erschüttern gesucht. Bemerkenswert erscheint die – verspätet eingelangte und daher erst im nächsten Heft abgedruckte – differenzierte Stellungnahme Thomas Manns „Dem Kongreß“: Zwar sei er selbst „kein Kongreßfex und Verbandsbruder“, aber er denke gerne an die „gewinnendste Gastfreundschaft“, die er „in London, in Amsterdam, in Wien, in Paris, im Schoße des Weltklubs genossen“ habe. Der Pen-Klub sei letztlich aus der Idee „Europa“ hervorgegangen, die heute den Verzicht auf alle hegemonialen Träume in sich schließe, die sich in zahlreichen blutigen Versuchen ad absurdum geführt hätten. „Echtheit und Weltfreundlichkeit“ laute nun die Forderung des Tages; „Cha-
43 Willy Haas: Meine Meinung. In: Die Literarische Welt 2 (1926) 20, S. 1–2, hier S. 1. (Hervorhebung im Original). 44 Ebd., S. 2. 45 Ebd. – Haas druckte auch ein ironisierendes „Festgedicht“ von Herwarth Walden ab, das dieser „zu Ehren der Berliner Tagung“ verfasst bzw. aus Texten „der berühmten Lyriker Keller, Goethe, Hebbel, Fulda, Heine, Mörike, Uhland und [der] Botenfrau der Berliner Morgenzeitung“ montiert hatte, „um den Ausländern ein echt deutsches Stimmungsgedicht als Vorschmack des Festbanketts zu spenden.“ In: Die Literarische Welt 2 (1926), 20, S. 6.
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rakter und Mondänität“ könnte dementsprechend auch die Losung sein „für das Kameradschaftsfest der europäischen Schriftsteller“.46 Harsch fiel die Kritik am PEN naturgemäß von linksradikaler Seite aus. In der Zeitung Die Rote Fahne erschien ein Kommentar zum Berliner Kongress, der eine entschieden klassenkämpferische Note in die Debatte einbrachte. Charakteristisch für das Wesen des PEN sei schon „die Antwort, die er dem deutschen Dichter Alfred Döblin gegeben hat, als er sich außerstande erklärte, die hohen Beiträge und Festessen zu bezahlen: Er solle sich wieder melden, wenn seine wirtschaftlichen Verhältnisse es zuließen.“47 Den Klub und seinen Kongress beurteilten die proletarisch-revolutionären Schriftsteller entsprechend negativ: Also: Ein Klub zahlungsfähiger Prominenter, die bei Festschmaus und geselligen Veranstaltungen sich gegenseitig beweihräuchern und unter der Hand Geschäfte miteinander abschließen. Ein Klub, bei dem es hoch hergeht und in dem von den ärgsten früheren Kriegshetzern pazifistische, ethische und andere Phrasen geflunkert werden, die mit der Wirklichkeit, die diese Schriftsteller repräsentieren, in krassem Widerspruch stehen.48
Nicht zuletzt scheint es damals auch im deutschen PEN selbst zu einer Fraktionenbildung gekommen zu sein; Blunck berichtet in seinen Lebenserinnerungen, die Jahrestagung sei zwar gelungen, aber sie war belastet durch den Gegensatz zwischen zwei örtlichen Gruppen, von denen die eine sich nicht beachtet glaubte und recht frostig verhielt, sie sammelte sich um das ‚Berliner Tageblatt‘. Die andere nahm alles ein wenig überschwenglich, es war der Kreis um Federn und Mahrholz von der ‚Vossischen Zeitung‘. Am unabhängigsten berichtete nach meiner Erinnerung die ‚Deutsche Allgemeine Zeitung‘. Sie stand außerhalb der Verfeindung und war, anders als die übrige Rechtspresse, so besonnen, die Tagung ernst zu nehmen.49
Die PEN-Mitgliederschaft war somit alles andere als homogen, wobei die unterschiedlichen Parteiungen auch von ihren Zugriffsmöglichkeiten auf die Tagespresse Gebrauch machten.
3 Organisatorische Entwicklung So holprig die Konstituierungsphase des deutschen PEN verlaufen war, so aufstrebend zeigte sich die Vereinigung seit Mitte der 1920er Jahre. Den Jahresberichten
46 Thomas Mann: Dem Kongreß. In: Die literarische Welt 2 (1926) 21–22, S. 1 und 4. 47 -ib-: Zur Tagung des Pen-Klubs. In: Die Rote Fahne 9 (1926), H. 113. 48 Ebd. 49 Blunck: Licht auf den Zügeln, S. 463.
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zufolge hielt der Club im März 1927 bei 200 Mitgliedern;50 bis Ende April 1928 hatte sich die Zahl mit 205 kaum, bis Ende April 1929 aber markant auf 270 erhöht.51 Ein Jahr später, im April 1930, wurde die Zahl der Mitglieder mit 340 angegeben; im April 1931 war sie auf unter 300 gesunken.52 Im April 1933 belief sie sich auf 320. Allerdings: Um die Aufnahme in den Klub konnte man sich nicht bewerben, mögliche Kandidaten mussten zunächst einmal von einem Mitglied vorgeschlagen werden. Es bedurfte dann einer Einladung durch den Ausschuss; jedes potenzielle Mitglied benötigte zwei Mitglieder als Paten und hatte sich der Ballotage zu stellen, die dann mit mindestens einer Zweidrittelmehrheit zugunsten des neuen Mitglieds ausgehen musste.53 Die formal restriktiven Aufnahmebedingungen förderten das Bild einer abgeschotteten, ‚geschlossenen Gesellschaft‘, die unwillkommene Neuzugänge jederzeit verhindern konnte und offenbar auch verhindert hat. Denn dass fast die gesamte jüngere Generation der im Expressionismus und in der Zeit der Weimarer Republik hervorgetretenen Schriftsteller in den Mitgliederlisten noch fehlte, wie anlässlich des PEN-Kongresses in Berlin zutreffend kritisiert wurde, war sicherlich kein Zufall; hier waren die weltanschaulichen Gräben kaum überbrückbar. Ernst Toller gehörte zu den ganz wenigen gesellschaftskritischen Autoren, denen das Eindringen in den PEN glückte. Immerhin gelang es der Vereinigung nach und nach, allererste Namen des aktuellen Literaturgeschehens an sich zu binden und damit dem Anspruch auf Repräsentanz der deutschen Literatur näherzukommen. Schon am 14. 2. 1925 dankte Thomas Mann dem Präsidenten Ludwig Fulda für die Einladung: „Ich trete natürlich gern in den Pen-Club ein und werde den Jahresbeitrag in den nächsten Tagen einzahlen.“54 Auch Ernst Bertram, Kasimir Edschmid, Fritz von Unruh, Bertolt Brecht, Lion Feuchtwanger, Josef Ponten, Armin T. Wegner, Arnold Zweig, auch Döblin, Heinrich Mann oder Ricarda Huch traten dem PEN bei.55 Einige prominente Autoren behandelten ihre Mitgliedschaft recht diskret und nahmen an den Veranstaltungen faktisch nie teil; so etwa Gottfried Benn, der 1928 in den PEN aufgenommen worden ist.56 Mindestens phasenweise scheint die Aufnahmepolitik nicht nur auf Klasse, sondern auch auf Masse ausgelegt gewesen zu sein – dies war auch gedeckt durch 50 Werner Mahrholz an Hermon Ould (28. 3. 1927). HRHRC. Ould hatte sich bereits im Januar 1927 anerkennend über die Entwicklung des deutschen PEN geäußert: „From all accounts the German Centre is going ahead very strongly and is one of the most flourishing and influential of the P.E.N. Clubs.“ Hermon Ould an Werner Mahrholz (11. 1. 1927). HRHRC. 51 Vgl. Tätigkeitsbericht 1928–1929; Jahresbericht über die Tätigkeit des P.E.N.-Clubs 1929/30. – HRHRC. 52 Jahresbericht über die Tätigkeit des P.E.N.-Clubs 1930/31. HRHRC. 53 Der Schriftführer Werner Mahrholz weist in einem Brief vom 1. Dezember 1927 an Rudolf Pechel auf diese Voraussetzungen hin. BArch Koblenz, NL Pechel N 1160 III/64. 54 Ludwig Fulda: Briefwechsel 1882–1939, S. 514. 55 Vgl. Mitglieder-Verzeichnis des P.E.N.-Clubs (Deutsche Gruppe) [undatiert; wohl nach 1929]. BArch Koblenz, NL Pechel N 1160 III/64. 56 Ebd.
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eine Satzungsbestimmung, wonach eine Mitgliedschaft jedem offen stand, „der deutsch schreibt oder Wertvolles für das geistige Leben der Nation leistet“. Diese nun doch sehr dehnbare (und durch das „oder“ nicht unkomisch klingende) Bedingung war leicht zu erfüllen und öffnete der Bildung von Seilschaften Tür und Tor. Hans Friedrich Blunck äußerte sich in seinen Erinnerungen zu dem 1925 erreichten Status quo noch eher abfällig: Nicht daß der deutsche Pen-Club damals schon viele ernsthafte Namen umschloß. Ich weiß, daß ich unter anderen dem Pastor Heinrich Seidel, Ina Seidels Mann, der über seine berühmte Frau oftmals zu Unrecht vergessen wird, an jenem Abend [Sinclair Lewis-Empfang im Berliner PEN] begegnete. […] Sonst war da viel Unzeug, Männer wie Hanns Heinz Ewers und eine Schar von Wichtigtuern.57
Hinsichtlich der Selektivität der Aufnahmepolitik ergibt sich eine aufschlussreiche Insiderperspektive aus einem in der Literarischen Welt veröffentlichten, mit 22. Mai 1926 datierten Brief an den Herausgeber Willy Haas, in welchem Josef Ponten ausdrücklich eine Kritik am deutschen PEN artikulierte, wie sie in der Umfrage zum Berliner PEN-Kongress nicht ausgesprochen worden sei.58 Auch Ponten wollte einen Repräsentativitätsanspruch des PEN erst akzeptieren, wenn ihm auch die jüngeren Autoren von Ruf angehörten; deshalb sei er in den PEN eingetreten und habe sogar ein Vorstandsamt angenommen, um von hier aus diese Verjüngung wirksamer betreiben zu können. Er erwähnt aber noch andere Schieflagen in der Mitgliederstruktur: Es seien verhältnismäßig zu viele „Publizisten“ und zu wenig „Dichter“ zu finden. Auch habe der Klub im Verhältnis die in Berlin ansässigen Autoren mehr zu sammeln gesucht als jene in der Provinz. Schließlich würden Schriftsteller von Rang, die man als „katholische“ kenne, vermisst. Ein Wandel in der Aufnahmepolitik zugunsten der jüngeren Schriftstellergeneration war in den folgenden Jahren tatsächlich zu beobachten. Eine Vorbedingung dafür mag auch in den Veränderungen in der Vorstandszusammensetzung gelegen haben. Die Ära Fulda ging im Herbst durch Amtsniederlegung zu Ende, zum neuen Vorsitzenden wurde Theodor Däubler gewählt.59 Der Wechsel hatte allerdings, wie Mahrholz ausdrücklich in einem „privaten“ Brief an Ould berichtete – eine Vorgeschichte: Nach Fuldas Amtsniederlegung wurde nämlich „Heinrich Mann […] nach vorheriger Verhandlung mit ihm im Herbst 1927 […] zu [Fuldas] Nachfolger als Vorsitzender des deutschen P.E.N.-Clubs gewählt […]. Als wir ihm dann die vollzogene Wahl 57 Blunck: Licht auf den Zügeln, S. 393. 58 Josef Ponten: Zuschrift [über den PEN]. In: Die literarische Welt 2 (1926) 24–25, S. 11. – Zu den Kritikpunkten Pontens gehörte auch, „daß zuviel Wert auf das Gesellschaftlich-Repräsentative gelegt werde.“ 59 Als stellvertretende Vorsitzende fungierten seit Anfang 1928 Leonhard Frank und Jakob Wassermann. Schriftführer blieb Mahrholz, Schatzmeister war weiterhin Elster. Vgl. Werner Mahrholz an Hermon Ould (21. 1. 1928). HRHRC, sowie: Theodor Däubler, Werner Mahrholz und Hanns Martin Elster an alle Mitglieder [Februar 1929]. BArch Koblenz, NL Pechel N 1160 III/64.
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mitteilten, an der u. a. auch Thomas Mann mitgewirkt hat und die einstimmig erfolgt war, lehnte Heinrich Mann ohne Angabe von Gründen die Annahme der Wahl ab.“60 Däubler verkörperte, verglichen mit Fulda, einen völlig konträren Typus: er war ein Dichter im Elfenbeinturm, der mit seinem Hauptwerk, dem Versepos Nordlicht (1910; neue Fassung 1921/22), einen großartigen Prestigeerfolg erzielte, in der Folgezeit aber mit seinen neoklassischen Dichtungen auf dem Buchmarkt nicht reüssierte und materiell eine Existenz am Rande der Verelendung führte. Er war daher auf mildtätige Zuwendungen angewiesen; 1924 wurde für den hochgeachteten Autor unter Mithilfe von Insel-Verleger Anton Kippenberg und Thomas Mann ein Däubler-Fonds eingerichtet.61 Eine ausgedehnte, durch Krankheit unterbrochene Reisetätigkeit führte ihn durch verschiedenste europäische Länder, und es mag für den so häufig abwesenden Autor selbst eine Überraschung gewesen sein, dass er am 28. Dezember 1927 zum Präsidenten des deutschen PEN gewählt wurde, dem er seit Gründung angehört hat. Er wurde in den Folgejahren immer wieder in diesem Amt bestätigt. Der vielfach geehrte Däubler (auch er gehörte der Sektion Dichtkunst der Akademie der Künste an) vertrat das deutsche Zentrum auf den internationalen Kongressen in Oslo, Wien, Den Haag und Budapest. Blunck gab in seinen Erinnerungen eine kritische Sicht des Vorsitzenden: „Deutschland wurde durch den maßlos dicken Theodor Däubler geführt – das heißt nicht geführt. Dieser gütige Phantast des ‚Nordlichts‘, groß in der Lyrik, war dem Leben gegenüber ein Kind geblieben.“62 Däubler erkrankte am Beginn der 1930er Jahre schwer; ihm wurden daher 1931 Walter Bloem und 1932 Alfred Kerr als gleichberechtigte 1. Vorsitzende an die Seite gestellt. Däubler starb 1934. Wenn die Wahl Walter Bloems an die Spitze des PEN als ein Rechtsruck interpretiert werden kann, so wurde diese Tendenz 1932, als Bloem nicht wiedergewählt wurde (Walther von Hollander 60 Werner Mahrholz an Hermon Ould (21. 1. 1928). HRHRC. 61 Zu Däubler vgl. Theodor Däubler 1876–1934. Bearbeitet von Friedhelm Kemp und Friedrich Pfäfflin. Marbach am Neckar 1984 (Marbacher Magazin 30/1984). Vgl. etwa seine Briefe an Toni Sussmann von 1922, in denen es heißt: „[…] ich entbehre Kopfkissen, Bettbezug, Waschbecken, verschliessbare Fenster“. Theodor Däubler 1876–1934, S. 32. 62 Blunck: Licht auf den Zügeln, S. 466. – Übrigens hat Blunck auch die beiden langjährigen PENFunktionäre Werner Mahrholz (Schriftführer) und Hanns Martin Elster (Schatzmeister) auf eine sehr persönliche Art charakterisiert: „Recht geschickt waren Federn und der Literarhistoriker Dr. Werner Mahrholz, der dem immer freundlich schmunzelnden Däubler beistand. Er hatte den Beinamen ‚Werner mit dem hängenden Hosenboden‘, weil er, ein Mann der frühen Jugendbewegung, gar zu wenig auf sein Äußeres gab. Aber er besaß ein blendendes Wissen, das er in einer kühn geschriebenen Literaturgeschichte festhielt. (Die spätere Bearbeitung zerstörte manches). Er war insbesondere unabhängig in seinem Denken und Handeln und war, wenn auch ein großer Dogmatiker, doch ein Mann, der die europäische Politik übersah und dem immer wachen Crémieux weder an Witz noch Verstand nachgab. Neben ihm hat sich Hanns Martin Elster in jenen Tagen opfervoll eingesetzt. Elster hatte den Fehler, daß er in Gesprächen gern ein wenig zynisch tat. Er war es durchaus nicht, er sehnte sich nach Überwindung und Berichtigung; aber er brauchte den Tonfall, um sich in der Berliner Umwelt seiner Haut zu wehren.“ Blunck: Licht auf den Zügeln, S. 466.
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legte deshalb sein Amt als Schriftführer nieder) deutlich revidiert, indem mit Alfred Kerr einer der engagiertesten Kämpfer gegen alle Einengungen der geistigen Freiheit zum Co-Vorsitzenden und das KP-Mitglied Herwarth Walden zum neuen Schriftführer gekürt wurden. Damit wies der deutsche PEN im Jahr vor dem politischen Umbruch eine bis dahin undenkbare „progressive“ Vorstandszusammensetzung auf. Zuvor aber musste das deutsche PEN-Zentrum erst noch eine innere Organisationskrise überwinden.
4 Zentrifugale Tendenzen im deutschen PEN: Die Bildung von „Kulturgruppen“ Bereits im Juni 1925 war der Ausschuss des PEN gezielt durch „Mitglieder aus den Gauen des Deutschen Reiches“ erweitert worden, mit Wilhelm von Scholz, Hans Friedrich Blunck, Max Halbe, Heinrich Mann und Josef Ponten. Damit sollte zum Ausdruck gebracht werden, dass der PEN nicht als rein Berlinische Veranstaltung gedacht war. Die auswärtigen Ausschussmitglieder waren nicht verpflichtet, aber eingeladen, an den Sitzungen teilzunehmen, konnten ihre Meinung und Vorschläge jedoch auch schriftlich mitteilen; letztlich sollten sie den Klub „durch das Gewicht ihres Namens unterstützen“.63 Ungeachtet dieser demonstrativen Geste gegenüber der „Provinz“ scheinen sich im Laufe der Jahre Widerstände gegenüber einer „Berlin-Lastigkeit“ des PEN herausgebildet zu haben. Der Vorstand selbst machte im Februar 1928 diese Unausgewogenheit für die damals registrierte Austrittswelle verantwortlich (die allerdings durch zahlreiche Neueintritte kompensiert werden konnte).64 Im darauffolgenden Jahr mahnte er zur Geduld: Manche ausserhalb von Berlin wohnende Schriftsteller scheinen den Eindruck zu haben, dass ihnen die Zugehörigkeit zum P.E.N.-Club keinen ausreichenden Vorteil bringe. Diese Kollegen, so glauben wir, vergessen bei ihrer Kritik, dass der P.E.N.-Club für Deutschland eine sehr junge Einrichtung ist, die erst seit wenigen Jahren besteht und nur allmählich durch das Anwachsen der Mitgliederzahl und durch ein immer lebhafteres Solidaritätsgefühl unter ihnen ihr Ziel voll erreichen kann.65
Das Protokoll der Generalversammlung am 10. Mai 1929 vermerkt, dass das Vorhaben von Vorstandsmitglied Fedor von Zobeltitz, sich in der Münchener und Kölner Gegend um die Bildung von Ortsgruppen zu bemühen, mit Befriedigung zur Kenntnis 63 Albert Osterrieth an Wilhelm von Scholz (17. 6. 1925). DLA, NL Scholz 613498. 64 Rundschreiben vom Februar 1928. BArch Koblenz, NL Pechel N 1160 III/64. 65 Theodor Däubler, Werner Mahrholz und Hanns Martin Elster an alle Mitglieder [Februar 1929]. BArch Koblenz, NL Pechel N 1160 III/64.
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genommen wurde.66 Der Aufbau einer Ortsgruppenstruktur schien das probate Mittel zu sein, um den PEN auf eine breitere Grundlage zu stellen. Nur wenige Wochen später wurde jedoch auf dem internationalen PEN-Kongress in Wien (24.–28. Juni 1929) ein Beschluss mit weitreichenden Folgen gefasst. Das internationale Exekutivkomitee bekannte sich dazu, dass die Einteilung des PENClubs in Sektionen und das Recht auf Vertretung und Stimme auf den Kongressen sich nicht auf politische Ländergrenzen, sondern allein auf die kultursprachliche Selbständigkeit einer Literatur begründe; jedes Mitglied könne sich also der Kulturgruppe anschließen, der er sich geistig zugehörig fühlt.67 Dies erlaubte innerhalb eines Landes die Errichtung mehrerer, im Internationalen PEN stimmberechtigter Gruppierungen, wie sie sich in der Tat sehr rasch bildeten. Denn schon im März 1930 konstituierte sich in Hamburg ein „Hansischer Kreis“, der sich auf die Wiener Beschlüsse sowie auf das Faktum berief, dass es dort die deutsche Gruppe selbst gewesen sei, die den Anstoß dazu gegeben habe, mit der Forderung nämlich, das Exekutivkomitee möge zwei weitere Stimmen für zwei neue deutsche selbständige Kulturgruppen bewilligen – um so ein britisches Übergewicht auszugleichen, das durch die Existenz eines schottischen und irischen Zentrums entstanden war.68 In Berlin war man mit der Entstehung dieses nach den Statuten des Internationalen PEN tatsächlich als selbständig zu betrachtenden „Hansischen Kreises“, der im Wesentlichen die plattdeutsche Literatur vertrat, nun aber nicht glücklich; die Berliner Mitglieder wandten sich mit einem Rundschreiben im Januar 1931 gegen die Anerkennung einer Hansischen Kulturgruppe.69 66 Allerdings hatte Werner Mahrholz schon im Mai 1927 darauf hingewiesen, „dass sich in München [Josef Ponten] und Köln [Josef Winckler] inzwischen Sektionen des P.E.N.-Clubs gebildet haben.“ Werner Mahrholz an Hermon Ould [3. 5. 1927]. HRHRC. – Ould begrüßte damals diese Gründungen: „I have written to the secretaries and hope that these two branches will flourish like the others.“ [Hermon Ould] an Werner Mahrholz [5. 5. 1927]. HRHRC. Im Weiteren erwiesen sich diese beiden Ortsgruppen jedoch als Phantome; Generalsekretär Ould erkundigte sich noch 1930 ein ums andere Mal in der Berliner Zentrale nach deren tatsächlicher Existenz: „While I am on this subject may I say that I never hear from Dr. Winckler of Cologne, nor from Dr. Ponten of Munich, and I imagine that these Centres exist in theory only. I do no think that this makes for strength, and I should be obliged if you would write to them and ask them whether they really wish to maintain separate groups.“ Hermon Ould [?] an Walther von Hollander (23. 1. 1930); ähnlich ein Brief vom 10. 2. 1930. HRHRC. – Hollander bestätigte in einem späteren Schreiben, dass es sich nur um Sekretariate handle. Noch später wurden sie als inexistent bezeichnet. 67 Vgl. Hans Friedrich Blunck: Pen-Klub in tieferer Bedeutung. In: Die Literatur 33 (1930/31), S. 241f., hier S. 241. 68 Blunck nahm für sich persönlich in Anspruch, in Oslo und dann in Wien die entscheidenden Anstöße geliefert zu haben, vgl. Hans Friedrich Blunck: Unwegsame Zeiten. Lebensbericht 2. Bd. Mannheim: Kessler 1952, S. 92 und S. 96f.: „Ich meldete mich und […] verlangte, daß neben den Staaten die selbständigen, historisch gewachsenen Schrifttumsgruppen […] ihre Vertreter schicken dürften. […] In einer neuen Gesamtsitzung wurde unter brausendem Beifall beschlossen, daß die Literaturen und nicht die Staatsgrenzen das Stimmrecht im Pen-Club ausmachen sollten.“ 69 Vgl. Blunck: Unwegsame Zeiten, S. 92 und 96f.
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Im Gegenzug legte der Hansische Vorsitzende Max Alexander Meumann (er wurde in dieser Funktion kurze Zeit später abgelöst von Hans Friedrich Blunck) in einem Rundschreiben an alle deutschsprachigen Mitglieder des PEN-Clubs die Sichtweise des Hansischen Kreises und dessen Ziele dar; es gehe nicht um eine Sprengung der „deutschen Einheit“, man lehne „mit Entschiedenheit jeden Separatismus“ ab und erstrebe „vielmehr die großdeutsche Einheit“: Dass aber diese Einheit aller deutschsprechenden Menschen in allen Kulturfragen und ohne Ansehung willkürlicher politischer Grenzen nur auf dem Boden der Gleichberechtigung aller Kulturgruppen herbeizuführen sei, dürfte jedem einsichtigen Zeitgenossen klar sein. Man müsse nun wählen: entweder einen deutschen PEN-Club-Torso unter faktisch alleiniger Führung von Berlin – oder einen wirklichen großdeutschen Zusammenschluss bei Gleichberechtigung aller Gruppen. Ein Kompromissvorschlag, die Bildung eines paritätisch beschickten „Vollzugsausschusses“ aller Gruppen, sei leider von Berlin nicht zur Kenntnis genommen worden.70 Letztlich entstand daraus ein veritabler Konflikt, der – wie der Jahresbericht 1930/31 bekundete –, die Arbeit sehr behindert hat, „dadurch, dass ein grosser Teil der Arbeitskräfte des Vorstandes durch die Streitigkeiten mit dem Hansischen Kreis aufgebraucht wurde.“ 71 Damit nicht genug, entstand – ebenfalls noch 1929 – nach dem nördlichen Ableger auch ein südlicher: In Freiburg konstituierte sich ein alemannischer Kreis, der unter der Führung vom Hermann Eris Busse stand. Dieser Kreis hatte erheblich mehr Mühe, sich zu etablieren und trat auch gegenüber dem Berliner Vorstand nicht so offensiv auf wie der Hansische Kreis, wurde aber von der Londoner Zentrale ebenso anerkannt wie dieser.72 Und sogar eine Rheinische Gruppe wollte sich im Frühjahr 1930 von Berlin absetzen, doch scheint diese Initiative nach den ersten Schritten wieder versandet zu sein.73 70 Rundschreiben des PEN-Club „Hansischer Kreis“ an alle deutschsprachigen Mitglieder des PENClubs [nach dem 22. 1. 1931]. DLA, NL Lehmann 685176/5. Dem Rundschreiben war auch eine Mitgliederliste des Hansischen Kreises beigegeben. Vgl. Jahresbericht über die Tätigkeit des PEN-Clubs 1929/30. HRHRC. 71 Jahresbericht über die Tätigkeit des P.E.N.-Clubs 1930/31. [Walther von Hollander]. HRHRC. Dort heißt es auch: „Über die Streitigkeiten mit Hamburg unterrichtet ein ausführlicher Bericht, der in der Anlage beigelegt ist.“ Dieser Bericht hat sich in den Akten nicht erhalten. 72 Ould informierte den Berliner PEN: „You will have learned that the Committee decided to accept the applications from Hamburg and Freiburg for the establishments of the Niederdeutsche und Allemannische Centres.“ [Hermon Ould] an Walther von Hollander (10. 4. 1930). HRHRC. Vom 9. Internationalen PEN-Kongress Haag/Amsterdam, auf dem der Hansische Kreis bereits mit zwei offiziellen Delegierten (Johannes Tralow und Max Alexander Meumann) vertreten war, wurde der autonome Status bestätigt. 73 Der Jahresbericht 1929/30 verweist in Punkt VI. explizit auf die „Arbeit der Ortsgruppen“; dazu gehören neben der Niederdeutschen, sprich der Hamburger Ortsgruppe, die Alemannische Gruppe und die Rheinische Gruppe. Bei der Alemannischen Gruppe bestehe „ihre Hauptarbeit bisher in ihrer Konstituierung […], die sprachliche und grenzstaatliche Schwierigkeiten hat.“ Für die Rheinische Gruppe setzte sich Fedor von Zobeltitz auf einer vorbereitenden Aussprache in Köln ein; am 1. 5. 1930 wurde
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Im Juli 1930 versuchte das Ausschussmitglied Alfred Kuhn, die in London bestehenden Irritationen über die Strukturen des PEN-Clubs, Deutsche Gruppe, aufzuklären, und bat Generalsekretär Ould: Haben Sie die Güte, den Deutschen P.E.N.-Club in den P.E.N.-News in Zukunft in folgender Art zu drucken: Deutschland Hochdeutsche Hauptgruppe (Berlin .. .. Dr. Walther v. Hollander Büro: Berlin-Grunewald, Humboldtstr. 6a) Niederdeutsche Gruppe (Hamburg .. .. Dr. Hans Fr. Blunck Parkallee 35, Hamburg) Alemannische Gruppe (Freiburg i. Breisgau .. .. Hermann Eris Busse Hansjakobstr. 12). Offizielle Zentren München und Köln existieren nicht. Die dort bestehenden ‚Vertretungen‘ dienen rein gesellschaftlichen Zwecken. Ich bitte also, dieselben in den offiziellen P.E.N.-News nicht mehr aufzuführen.74
Mit der Konsolidierung dieser Ortsgruppenstruktur waren aber nun nicht etwa alle Probleme beseitigt, vielmehr waren neue Spannungen vorprogrammiert. Hans Friedrich Blunck deutete in einem Artikel an, dass es in bewegten Sitzungen immer wieder zu Auseinandersetzungen über den Autonomiestatus der einzelnen Gruppen kam.75 Als Vorsitzender der Hansischen Gruppe verwies er darauf, dass „wir […] draußen im Reich“ manche Fragen vielfach anders ansähen als Berlin. Man dürfe aber nicht Entscheidungen von europäischer Tragweite (dazu zählte er den PEN-Beschluss 1929 in Wien) zu rein innerdeutschen Angelegenheiten zerreden. Im März 1932 wurde schließlich unter der Leitung von Walter Bloem eine Diskussion zum Thema „Stadt und Land“ abgehalten, die „in gleicher Weise der Aktivierung des P.E.N.-Klubs wie dem Ausgleich des internen Zwists innerhalb der Gruppe diente“.76 In einem Bericht war von einer „Anti-Berlin-Bewegung“ die Rede, als deren Sprecher an diesem Abend der Alemanne Hermann Eris Busse aufgetreten sei. Zur Überbrückung der Gegensätze seien verschiedene Vorschläge gemacht worden; Walther von Hollander habe angeregt, statt solcher Scheinprobleme die eigentlichen Probleme der Zeit, die alle in gleicher Weise träfen – wie der ökonomische Druck, die „Übervölkerung“ oder „die Maschine“ – gemeinsam anzugehen. Wenig später, nach
die westdeutsche Gruppe dann tatsächlich dort gegründet, war aber offenbar nur kurze Zeit aktiv. Vorsitzender war D. H. Sarnetzki (Feuilletonleiter der Kölnischen Zeitung) und Schriftführer Dr. M. Rockenbach. Vgl. Jahresbericht über die Tätigkeit des PEN-Clubs 1929/30. HRHRC. 74 Alfred Kuhn an Hermon Ould (19. 7. 1930). HRHRC. 75 Hans Friedrich Blunck: Pen-Klub in tieferer Bedeutung. In: Die Literatur 33 (1930/31), S. 241f., hier S. 241. 76 L. W. (= Lutz Weltmann): Diskussion über Stadt und Land. In: Die Literatur 34 (1931/32), H. 6 (März 1931), S. 303f.
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der „Machtergreifung“ durch den Nationalsozialismus 1933, traten die Ortsgruppen des PEN in Deutschland nicht mehr in Erscheinung.77
5 Gesellschaftsleben im Berliner PEN Ein wichtiger Punkt in der Ausrichtung der deutschen PEN-Gruppe war von Anfang an die Entfaltung eines Gesellschaftslebens. Hierin war man am Vorbild Londons orientiert, auch wenn man dieses hinsichtlich kommunikativer Gewandtheit und unangestrengter Eleganz schwerlich erreichen konnte. Stellt man aber die Frage, worin der PEN institutionentypologisch seine Besonderheit gehabt hat, dann gewinnt dieser Punkt einige Bedeutung. Der PEN war weder eine staatliche Vertretung der Künstler und Schriftsteller (wie die Preußische Akademie), noch eine Vertretung der beruflich-ökonomischen Interessen der Autoren (wie der Schutzverband Deutscher Schriftsteller), auch kein weltanschauliches Gesinnungsbündnis (wie die – kurzlebige – ‚Gruppe 1925‘), er war in den ersten Jahren seines Bestehens auch kein Teil der Intellektuellenbewegung. Er verkörperte einen Typus von Schriftstellervereinigung, den es bis dahin noch nicht gab und der seine Rolle erst finden musste. Er verstand sich als Zusammenschluss einer geistigen Elite, schrieb die hohen Werte der Friedensstiftung und der Meinungsfreiheit auf seine Fahnen, im Übrigen aber legte er Wert darauf, „Berufs- und Standesfragen unerörtert [zu] lassen“.78 Walter von Molo sprach wie viele andere PEN-Funktionäre dem Moment des „Geselligen“ einen Eigenwert zu: „Es ist selbstverständlich, dass wir, trotzdem wir keine Fachorganisation sind, bei der Pflege geselliger Beziehungen, weil wir Schriftsteller sind, auch über Fachfragen, aber, und das ist das Wichtigste, gesellig beraten.“79 Damit stand der PEN in mehr als deutlichem Gegensatz vor allem zum Schutzverband deutscher Schriftsteller (SDS), der seine professionelle, gewerkschaftliche Ausrichtung stets durch eine Hintanstellung alles Geselligen zu unterstreichen und seinerseits die konkurrierenden Verbände wie den Deutschen Schriftstellerverband (DSV) oder den Allgemeinen Schriftsteller-Verein (ASV) ausdrücklich wegen ihrer Sektempfänge, Rheinfahrten etc. zu diskreditieren suchte. So wollte er die Entschlossenheit zum emanzipatorischen Kampf der als Arbeitnehmer verstandenen Autoren
77 Bezeichnend für das Verhalten der Ortsgruppen dürfte sein, was Johannes Tralow in einem Brief an Barbara Laspeyres vom 13. 4. 1960 über die Vorgänge 1933 mitteilte: „Der Hansesche[!] Kreis hatte meines Wissens überhaupt keine Juden, stellte sich aber vorsichtshalber aus Gründen des Nazigerimes[!] tod[!].“ SBBPK, NL Tralow, K 34 Konv. Laspeyres. 78 Federn: Der PEN-Klub, S. 1. 79 Rundfrage der Literarischen Welt, S. 2.
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zu seinem Markenzeichen machen.80 Beim PEN aber hatte die Orientierung am gehobenen Gesellschaftsleben auch etwas in seiner Art Emanzipatorisches, insofern man alle Formen der Depravierung und materiellen Abhängigkeit, wie sie mit dem Schriftstellerberuf nur allzu oft verbunden war, durch demonstrativen gesellschaftlichen Glanz glaubte kompensieren zu können. Dieses kompensatorische Moment kommt nicht zuletzt auch in der Einladung gehobener nichtschriftstellerischer Kreise zu den Veranstaltungen zum Ausdruck, in der gesuchten Nähe zur politischen Klasse. Bereits vom 16. November 1925 stammte eine Satzungsänderung, der zufolge nun jedes Mitglied berechtigt war, zu den geselligen Zusammenkünften einen Gast einzuführen; „jedoch den gleichen Gast nicht mehr als dreimal im Jahr, sofern er nicht ein nahes Familienmitglied ist“.81 Daran wurde später, im Februar 1928, erinnert und betont, dass auch Nicht-Schriftsteller – „literarisch interessierte Damen und Herren der Gesellschaft“ – als Gäste sehr erwünscht seien.82 Ebenso war es erwünscht, „dass auch die Damen der Klubmitglieder an den Abenden teilnehmen, vor allem, da projektiert ist, dass inskünftig nach dem Souper getanzt werden soll.“83 Dass in solchen Mitteilungen grundsätzlich nur Männer angesprochen waren, obwohl der PEN ja doch auch weibliche Mitglieder zählte (in England allerdings bedeutend mehr als in Deutschland), ist dem Formenzwang jener Zeit geschuldet. So gut es ging, suchte also die deutsche PEN-Gruppe den ‚dining club‘-Stil des englischen Vorbilds zu kopieren und bei der Durchführung der Veranstaltungen auf Stil und Etikette zu achten, mithin die Sitten der gehobenen Gesellschaft zu imitieren. Die mit prätentiös-verschnörkelten Schriften gedruckten Einladungskarten waren daher regelmäßig mit Hinweisen zur Garderobe („Abendanzug“, „Frack oder Smoking“) oder zum Preis des „trockenen Gedecks“ ausgestattet. Es kann daher nicht überraschen, dass diese großbürgerliche Attitüde des PEN bald zur Zielscheibe von Spott und Hohn wurde. Den öffentlichen Attacken anlässlich des Berliner PEN-Kongresses folgten später noch manche andere Anfeindungen; so etwa griff die Berliner Ortsgruppe im Schutzverband Deutscher Schriftsteller den PEN als einen Club der ‚Fracks und Abendtoiletten‘ an, der überhaupt keine konkrete Funktion habe und sich lediglich aus repräsentativen Gründen treffe.84 Im Tätigkeitsbericht 1928–1929 heißt es: „Die Veranstaltungen des P.E.N.-Clubs waren im allgemeinen recht gut besucht, 80 Vgl. Ernst Fischer: Der „Schutzverband deutscher Schriftsteller“ 1909–1933. Frankfurt am Main: Buchhändler-Vereinigung 1980, bes. Sp. 62. 81 Albert Osterrieth an alle Mitglieder [Dezember 1925]. DLA, NL Scholz 613499/1. Rundschreiben vom 16. 2. 1928. BArch Koblenz, NL Pechel N III/64. – Rudolf Pechel, Herausgeber der Deutschen Rundschau, ist dem PEN 1928 beigetreten. Sein Nachlass enthält für die anschließenden Jahre wertvolles Material zur Geschichte des deutschen PEN-Zentrums. 82 Werner Mahrholz: Rundschreiben an alle Mitglieder (16. 2. 1928). BArch Koblenz, NL Pechel N 1160 III/64. 83 Ebd. 84 Jost Hermand: Die deutschen Dichterbünde von den Meistersingern bis zum PEN-Club. Köln: Böhlau 1998, S. 13.
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sodass man für eine gewöhnliche Veranstaltung mit einer Teilnehmerzahl von etwa 80 Personen rechnen konnte, eine Zahl, die sich bei etwas grösseren Festlichkeiten bis auf 120 vermehrte.“85 Neben den festlichen Abenden, die anlässlich des Besuchs ausländischer Schriftstellerkollegen stattfanden, und den sonstigen Abend- und Festessen wurden regelmäßig auch Bierabende sowie – bald traditionell gewordene – Sommerfeste am Wannsee veranstaltet. Damit bildete sich ein gesellschaftliches Leben heraus, dem auch Gäste aus den Nachbarbereichen der Kunst gerne folgten.86 Das PEN-Zentrum war darüber hinaus bestrebt, seinen Mitgliedern Vergünstigungen zu sichern. Im Juni 1929 wurde mitgeteilt, dass die Bemühungen um die Beschaffung von verbilligten Theaterkarten erfolgreich verlaufen seien; fast alle Berliner Theater seien bereit, den PEN-Mitgliedern und ihren Ehefrauen Ermäßigungen zu gewähren. Der damals annoncierte Plan, Mitglieder-Lichtbildausweise auszugeben, wurde schließlich doch nicht umgesetzt, ebenso wenig die von London aus angeregte Bildung eines Jugend-PEN-Clubs; ein solcher würde den hiesigen „besonderen Verhältnissen keine Rechnung tragen“.87 Es liegt die Annahme nahe, dass man der jungen Generation, die viel Unruhe in den bis dahin eher als Altherren-Club hervortretenden PEN tragen konnte, erst gar nicht die Türe aufmachen wollte. Auch der Beschluss zur Herausgabe eines Mitteilungsblattes, das viermal im Jahr erscheinen sollte, wurde nicht in die Tat umgesetzt. Das Geselligkeitskonzept hingegen wurde konsequent weiter verfolgt – nicht ohne hämische Kommentierung durch eine kritische literarische Öffentlichkeit. Eine Notiz der Weltbühne vom 28. Januar 1930 berichtet von einem „Alpenball des Pen Klubs“ in höchst süffisantem Ton: Ein entzückender Kostümball vereinte gestern Literatur, Kunst, Wissenschaft und die verwandten Industrien bei Kroll. Man tanzte nach den Kapellen Etté und Rowohlt und sah eine Fülle bezaubernder Kostüme an sich vorbeiziehen: Walter von M… als Dichter; Arnolt Br… als ziemlicher Original-Faschist mit schwarzem Hemd und rituellem Monokel; Gerhart Hauptmann in vorzüglicher Maske als alter Gerhart Hauptmann; aus Paris zwei Damen: die Colette und Germaine André, und die Stimmung erreichte ihren Höhepunkt, als Ernst Jünger und Kaplan Fahsel einen reizenden Philosophieplattler vorführten. Die Behäbigkeit und Stämmigkeit unserer Börsenmakler brachte die Tiroler Kostüme erst voll zur Geltung, ein Beweis, daß Natürlichkeit das Hübscheste ist und bleibt. Zum Schluß des Abends trat in der Kaffeepause, stürmisch akklamiert, Galsworthy für deutsch-französisch-englische Verständigung ein, womit sie ja nun wohl Tatsache sein dürfte. Die anwesenden Dichter gelobten, im Frieden Pazifisten zu sein und zu bleiben. Die moderne Literatur hat mit dieser Veranstaltung, der die Spitzen der Behörden und ein Kranz schöner Frauen beiwohnten, bewiesen, daß sie nun endlich repräsentativ geworden ist, ja wir dürfen getrost sagen: nichts als das.88 85 Tätigkeitsbericht 1928–1929. HRHRC. 86 Protokoll der Generalversammlung am 10. Mai 1929. DLA, NL Lehmann 685176/5. 87 Tätigkeitsbericht 1928–1929. HRHRC. 88 Kaspar Hauser [d. i. Kurt Tucholsky]: Alpenball des Pen-Club. In: Die Weltbühne 5 (28. 1. 1930). Der Artikel wurde in der Neuen Weltbühne 1 (1952), S. 9f. wieder abgedruckt. Vgl. auch K. T.: Berliner Ballberichte. In: K. T.: Gesamtausgabe. Texte und Briefe. Hrsg. von Antje Bonitz, Dirk Grathoff, Mi-
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Damals, in der Zeit der Weltwirtschaftskrise, verschlechterte sich die soziale Lage der Schriftsteller ganz beträchtlich (die deutsche PEN-Gruppe selbst geriet in Geldnöte). Diese Problematik blieb jedoch weitgehend ausgeblendet; auch die aus pekuniären Gründen erfolgenden Austritte (der Mitgliedsbeitrag betrug um 1930 jährlich 20 Mark) wurden zunächst ungerührt hingenommen. Allmählich musste man aber doch auf diese Negativentwicklung reagieren: die Zahl der Bankette und sonstigen Festivitäten wurde zurückgefahren – üppige Diners hätten als Provokation empfunden werden können. Im Jahresbericht 1930/31 hieß es dazu: „Die Wirtschaftskrise veranlasste uns, unsere Arbeit vom rein Repräsentativen mehr auf das Kulturpolitische zu verschieben. Wir haben im ersten Teil der Saison grössere gesellschaftliche Veranstaltungen vermieden.“89 Und auch nach London wurde damals gemeldet, „dass wir der unsicheren politischen Lage wegen und der steigenden Not weiter Kreise alle Diners bis Weihnachten abgesagt haben und uns mit Zusammenkünften in engem Kreise und bescheidener Form begnügen.“90 Eine ganz wichtige Aufgabe sah der PEN aber in dem, was mit einem modernen Begriff als transnationales ‚Networking‘ bezeichnet werden könnte. Dazu hieß es im Tätigkeitsbericht 1928–1929: „Bemerkt werden darf noch, dass der PEN-Club sich mehr und mehr als eine Auffangorganisation für in Deutschland reisende ausländische Kollegen betätigen wird. Eine seiner Aufgaben in dieser Beziehung ist, den Kollegen die Wege zu Behörden, anderen Kollegen, Zeitungen und Zeitschriften zu ebnen.“91 Umgekehrt war die Geschäftsstelle bereit, jedem ins Ausland reisenden Mitglied ein Empfehlungsschreiben mitzugeben, das ihm dort Tür und Tor öffnen sollte.92 So nebensächlich diese Betreuung ausländischer Gäste oder die Ausstellung von Empfehlungsbriefen erscheinen mag: Der Klub erhoffte sich die Erreichung seiner Ziele in allererster Linie von der Stärkung der individuellen Beziehungen unter den Schriftstellern aller Länder; gerade darin, dem „freundschaftlichen Verkehr und dem geistigen Austausch von Nation zu Nation zu dienen“,93 sah man den wirkungsvollsten Beitrag zur Friedensstiftung und -sicherung. So wollte der PEN, im Sinne der Gründerin Dawson Scott, ein „Völkerbund der Literaten“ werden. chael Hepp und Gerhard Kraiker. Bd. 13: Texte 1930. Hrsg. von Sascha Kiefer. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2003, S. 33–39, hier S. 38. 89 Jahresbericht über die Tätigkeit des P.E.N.-Clubs 1930/31. [Walther von Hollander]. HRHRC. 90 Walther von Hollander an Hermon Ould (27. 10. 1930). HRHRC. 91 Tätigkeitsbericht 1928–1929, S. 2. HRHRC. – 1926 unterstellte Carl Sternheim in einem satirischen Artikel dem Präsidenten Galsworthy, dieser habe die Gründung von PEN-Gruppen in allen größeren Städten bloß „zu seiner größeren Bequemlichkeit auf Reisen“ veranlasst. Im Übrigen versprächen für ihn selbst Kongresse wie der in Berlin stattfindende, allen „feurigen Weinen“ zum Trotz, nichts als „krasse Gesellschaftskatastrophe, denkbar größte Langeweile“. Carl Sternheim: PEN-Klub, Deutsche Akademie der Dichtung und anderes neuzeitig geistiges deutsch-berlinisches Unterfangen. In: Der Querschnitt 6 (1926) 7, S. 548–550. Abgedruckt auch in Carl Sternheim: Zeitkritik. Gesamtwerk, Bd. 6. Neuwied: Luchterhand 1966. 92 Rundschreiben des Vorstands vom Februar 1929. BArch Koblenz, NL Pechel N III/64. 93 Federn: Der PEN-Klub, S. 1.
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6 Wandlungen einer Dinnergesellschaft: Politisierungstendenzen im deutschen PEN Zur Haltung der Schriftsteller in Friedens- und Kriegszeiten wurde 1927 auf dem PENKongress in Brüssel ein schon seit längerem diskutiertes, von Präsident Galsworthy propagiertes Grundsatzpapier angenommen, das die Grundlage für die spätere offizielle PEN-Charta darstellte. Hans Jacob referierte seinen Inhalt in einem Bericht aus Brüssel in der Literarischen Welt in zusammenfassender Form: 1.
2.
3.
Die Literatur kennt zwar Nationen, sie kennt aber keine Landesgrenzen. Der literarische Austausch muß stets unabhängig von den Zwischenfällen des politischen Lebens der Völker bleiben. Die Mitglieder des P.E.N.-Clubs sind der Überzeugung, daß die Achtung vor dem Kunstwerk, dem Allgemeingut der Menschheit, zu allen Zeiten, besonders zu Kriegszeiten, über den nationalen und politischen Leidenschaften stehen muß. Die Mitglieder des P.E.N werden stets den Einfluß, den ihre Persönlichkeit oder ihr Werk auszuüben vermag, für die gegenseitige [!] und die Verständigung zwischen den Völkern einsetzen.94
„Zu wenig. Aber doch etwas!“, kommentierte der Berichterstatter Jacob. Besonders der erste Satz, an dem Galsworthy besonders viel gelegen war, sollte in die PENCharta, wie sie nach 1945 formuliert wurde und bis heute Gültigkeit hat, fortwirken. Der PEN hält dort fest, dass er unter Verzicht auf jede politische Betätigung „dem Frieden dienen will und selbst im Krieg den Völkerhaß verwirft, unbehinderte Gedankenfreiheit und freien Austausch von Ideen innerhalb jedes Landes und zwischen den Sprachen und Völkern vertritt, jeden Angriff auf Meinungsfreiheit, Freiheit der Kunst und der Medien bekämpft, jede Zensur (und jeden Versuch einer Zensur) zurückweist […] und die Menschenrechte, wo immer sie bedroht, verteidigt.“95 Gegenläufig zu den vor allem von Galsworthy vorangetriebenen Bemühungen, den PEN auf Politikferne zu verpflichten, verlief allerdings die Entwicklung im deutschen Zentrum. Seit den späten 1920er Jahren trat dieses immer öfter in Resolutionen und Aktionen für die Wahrung der in anderen Ländern und dann auch im eigenen Land bedrohten Meinungsfreiheit ein. Zwar wurde entsprechend der bereits vom Internationalen PEN so nachdrücklich ausgegebenen Parole „No politics under no circumstances!“ auch im deutschen Klub jede Manifestation des Politischen ausdrücklich ausgeschlossen, doch lockerte sich diese Haltung allmählich. Wenn man
94 Hans Jacob: Zum IV. Internationalen Kongreß des PEN-Klubs in Brüssel. In: Die literarische Welt 3 (1927) 27, S. 8. 95 Martin Gregor-Dellin: Der PEN-Club. In: Heinz Ludwig Arnold (Hrsg.): Literaturbetrieb in der Bundesrepublik Deutschland. Ein kritisches Handbuch. 2., völlig veränd. Aufl. München: Edition Text und Kritik 1981, S. 226.
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nach einem Anfangspunkt dieser Entwicklung sucht, so bietet sich dafür der „Fall Hatvany“ an. Im Frühjahr 1928 wurde im Berliner PEN der weltweit Aufsehen erregende Prozess gegen den kritischen Publizisten Lajos Hatvany in Ungarn diskutiert. Dieser war wegen angeblicher Beleidigung der ungarischen Nation zu sieben Jahren Gefängnis und einer hohen Geldstrafe verurteilt worden, ein klarer Fall von Unterdrückung der Meinungsfreiheit. Es wurde eine öffentliche Protestveranstaltung erwogen, doch der PEN-Ausschuss entschied sich anders. In seinem Rundschreiben vom 22. März 1928 legte er noch größten Wert auf die Feststellung, dass es der PEN-Club grundsätzlich ablehne, sich in innerpolitische Streitigkeiten einzumischen. Trotzdem bat er alle Mitglieder, sich am Protest dahingehend zu beteiligen, dass sie – nach dem Vorbild Gerhart Hauptmanns – unter Hinweis auf den Fall Hatvany Einladungen ungarischer Organisationen ablehnten; dies sei wohl die „würdigste Form“, der Meinung über den Hatvany-Prozess Ausdruck zu geben.96 Den Hintergrund dieser noch recht vorsichtigen Vorgangsweise bildete eine Anfrage des PEN-Mitglieds Lion Feuchtwanger an Ould, ob für einen öffentlichen Protest die Unterstützung des Londoner Zentrums zu erlangen wäre. Diese Anfrage wurde in einem Schreiben Oulds an das Vorstandsmitglied Mahrholz wie folgt beantwortet: I have no doubt that individually all members of the London Committee would be willing to support such a protest but as we have made it one of the fundamental principles of the P.E.N. that we should not take any active part in politics it seems to me that we cannot, as a body, support the protest. If we did so we should be established a precedent which might prove to be very dangerous to the solidity of the P.E.N.. As the request comes from Dr. Feuchtwanger and not officially from you I am inclined to think that you share this point of view.97
Tatsächlich schloss sich Mahrholz der Sichtweise Oulds an, wenn auch nicht zur Gänze: „Im Fall Hatvany haben sich Ihre Gesichtspunkte, die auch die meinen sind, durchgesetzt. Trotzdem aber haben wir eine Aktion, die wir auch nachahmenswert glauben, beschlossen.“98 Zwar nicht der Reiseboykott der deutschen PEN-Mitglieder, aber die vehementen internationalen Proteste führten dazu, dass die Gefängnisstrafe für Hatvany auf 18 Monate verringert und de facto nach 9 Monaten aufgehoben wurde. Nächste Protestkonstellationen ergaben sich erst wieder zwei Jahre später. Auf dem 9. Internationalen PEN-Kongress in Den Haag (1930) verlas Theodor Däubler, der sich selbst als einen völlig unpolitischen Menschen sah, mit dem „Appell an die Staatsregierungen der Welt“ eine gegen die Kriegspolitik gerichtete Protestresolution der französischen, polnischen und deutschen Sektion, nachdem die deutsche
96 Werner Mahrholz an alle Mitglieder (22. 3. 1928). BArch Koblenz, NL Pechel N 1160 III/64. 97 Hermon Ould an Werner Mahrholz (14. 2. 1928). HRHRC. 98 Werner Mahrholz an Hermon Ould (19. 3. 1928). HRHRC.
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Gruppe im Vorfeld sogar für eine Verschärfung des ursprünglichen Entwurfs eingetreten war.99 Wichtiger noch war aber die öffentliche Positionierung des Berliner PEN-Zentrums im Lande selbst, im Zusammenhang mit der Verfilmung von Erich Maria Remarques Im Westen nichts Neues. Am 15. 12. 1930 wurde in einer Ausschuss-Sitzung ein Protest gegen das Verbot des Remarque-Films formuliert und beschlossen. Es handelt sich hier um das bemerkenswerte Dokument einer deutlichen Neuorientierung hinsichtlich des „Politikverbots“ im PEN und soll deshalb im vollen Wortlaut zitiert werden: Der P.E.N.-Club, Deutsche Gruppe, protestiert gegen das Verbot des Remarque-Films ‚Im Westen nichts Neues‘, weil dieses Verbot den Anschein erwecken muss, als ob in Deutschland eine freie Meinungsäusserung gegen den Krieg nicht mehr gestattet wird. Die Durchsetzung des Gedankens der Völkerversöhnung ist nach Ueberzeugung des P.E.N.-Clubs, Deutsche Gruppe, gerade heute die vornehmste Aufgabe überhaupt. Deshalb verlangt der P.E.N.-Club, Deutsche Gruppe, die Zurücknahme des Verbots und fordert hier wie für die Zukunft – in Abänderung der bisher geltenden Bestimmungen – für alle ähnlichen Fälle das letztentscheidende Mitwirken eines Gremiums, das aus den angesehensten Vertretern des geistigen Deutschlands von Fall zu Fall zu berufen ist. Über diesen Protest hat sich wiederum der schon übliche Streit erhoben, ob der P.E.N.-Club politisch sein dürfe oder nicht. Der Ausschuss des P.E.N.-Clubs hat sich mit dieser Frage ausführlich beschäftigt und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass das Ziel des P.E.N.-Clubs im weitesten Sinne politisch ist, und dass man eine vollkommene politische Abstinenz nicht ausüben kann. Wenn es dem P.E.N.-Club gelingt, oberhalb aller Parteipolitik zu bleiben, wird er seine sehr wichtige Aufgabe endlich in vollem Umfang erfüllen können: Er wird für den Frieden unter den Völkern und für die Verständigung unter den Gutgesinnten wirken können. Erinnert werden muss hierbei an den Beschluss des Kongresses in Brüssel, der im Jahre 1927 angenommen wurde: ‚Members of the P.E.N. will at all times use what influence they have in favour of good understanding and mutual respect between the nations.‘ Auch dieser Beschluss ist – wenn man will – ein politischer Beschluss.100
Dieser Protest und seine Begründung können als programmatisch aufgefasst werden, denn wenige Wochen später101 trat der PEN mit einem für ihn neuen Veranstaltungstyp hervor, mit dem er den Anschluss an die kritischen Diskurse der Intellektuellenbewegung suchte. Am 25. Januar 1931 fand der „Erste Diskussionsabend“ im Haus der Presse zum Thema „Der Schriftsteller als Gewissen der Zeit“ statt. Die Leitung hatte 99 Theodor Däubler und Walther von Hollander an Hermon Ould (30. 5. 1931). HRHRC. 100 Diesen Protest übermittelte von Hollander auch an Ould, der sich bereits sehr viel früher für Remarque interessiert und auf dessen Besuch in England gedrängt hatte. Vgl. Walther von Hollander an Hermon Ould (17. 12. 1930). HRHRC. Ould bestätigte sein positives Interesse an dem Protest der deutschen Gruppe und versprach dessen Weitergabe an die Presse. Vgl. [Ould] an [Sekretärin] Mendelson (19. 12. 1930). HRHRC. 101 Schon für den Dezember 1930 war eine Veranstaltung unter dem Motto „Der Schriftsteller und der Staat“ geplant; man wollte sich „mit der gegenwärtig brennendsten Frage des Schrifttums prinzipiell auseinandersetzen“. Vgl. Walther von Hollander an Hermon Ould (27. 10. 1930). HRHRC. Eine PEN-Veranstaltung mit diesem Titel ist jedoch nicht nachzuweisen.
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Hanns Martin Elster, als Redner traten Walter Bloem, Peter Flamm [nome de plume für den Berliner Arzt, Psychoanalytiker und Schriftsteller Erich Mosse], Walther von Hollander und Pater Friedrich Muckermann SJ auf. Nach Angaben des Schriftführers Walther von Hollander waren an dem Abend 250 Personen anwesend.102 Einen Monat später, am 22. Februar 1931, fand ein „Zweiter Diskussionsabend“ statt, diesmal zu „Der Schriftsteller und die Freiheit“, wieder unter Elsters Leitung. Als Redner wurden Paul Ernst, Alfons Paquet sowie Jakob Schaffner aufgeboten; 200 Personen waren gekommen. Der Londoner Zentrale gegenüber wurde diese Neuorientierung recht selbstbewusst vertreten; von Hollander schrieb im März 1931 an Ould: Wir haben in diesem Winter überhaupt versucht, aktiv zu den Fragen des Tages Stellung zu nehmen. Wir haben gegen das Verbot des Remarquefilms feierlich Protest erhoben, und wir haben in zwei grossen Diskussionsabenden versucht, die Stellung des Schriftstellers zu den Problemen von heute klarzulegen. […] Wir wollen noch einen Diskussionsabend veranstalten und dann über ‚Die Möglichkeit des Schriftstellers, in das öffentliche Leben formend einzugreifen‘ sprechen.103
Es verblüfft, wie sehr diese Themen jenen ähneln, die damals im linken Spektrum diskutiert wurden, z. B. in der Berliner Ortsgruppe des Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller, die zu einer Plattform der Opposition gegenüber dem Rechtsruck in der Gesellschaft und den autoritären Tendenzen des Staates geworden war.104 Nicht weniger verblüffend erscheint, wie hier eine alte Garde verdienter Autoren wie Paul Ernst, der publizistisch tätige Jesuit Friedrich Muckermann oder der selbst dem rechten Lager zuzuordnende, sich später rückhaltlos dem Nationalsozialismus anvertrauende Walter Bloem aufgeboten wurde, um nun vom PEN aus den Geist der Widerständigkeit zu verbreiten. Die Reden sind nicht überliefert, aber es wäre sicherlich aufschlussreich, die von den Rednern eingenommenen Positionen mit den typischen Diskursfiguren der Weimarer Intellektuellen zu vergleichen. Klassische Themen wie „Der Schriftsteller als Gewissen der Zeit“ und „Der Schriftsteller und die Freiheit“ eröffneten freilich die Möglichkeit, mit zeitaktuellen Bezügen auch abstrakte idealistische Ideen zu verknüpfen – und so mit dem PEN-Kurs einigermaßen konform zu bleiben. Der Einstieg des Berliner PEN in die politisch-engagierten Debatten der Zeit gewann eine internationale Dimension, als sich die Deutsche Gruppe des PEN-Clubs im Februar 1931 an einem Manifest von 199 Intellektuellen führend beteiligte, das als Antwort auf ein Manifest französischer Intellektueller entstanden war.105 Dieses war am 18. Januar 1931 in der von Jean Luchaire herausgegebenen Zeitschrift Notre Temps mit den Unterschriften von 186 Schriftstellern, Künstlern und Wissenschaftlern pub102 Walther von Hollander an Hermon Ould (18. 3. 1931). HRHRC. 103 Ebd. – Der angekündigte dritte Diskussionsabend hat offenbar nicht stattgefunden. 104 Vgl. Fischer: Der „Schutzverband deutscher Schriftsteller“, Sp. 554–611. 105 Vgl. Walther von Hollander an Hermon Ould [Februar 1931]. HRHRC.
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liziert worden (danach kamen noch weitere 30 hinzu) und war gerichtet „contre les exces du nationalisme, pour l‘Europe et pour l‘entente franco-allemande“, gegen Kriegstreiberei und für eine Neuorganisation Europas.106 Mit dem französischen PEN hatte es nur insofern etwas zu tun, als dessen Spitzenfunktionäre Benjamin Crémieux und Jules Romains mitunterzeichnet hatten. Der deutsche PEN fühlte sich zu einer Reaktion aufgerufen und sammelte Unterschriften für das von ihm redigierte zustimmende Antwortmanifest, offenbar mit sehr guter Resonanz. Wie von Hollander an Ould berichtete, hatte auch Heinrich Mann in seiner Funktion als Präsident der Sektion Dichtkunst an der Preußischen Akademie der Künste das deutsche Manifest unterzeichnet; er habe „dieser Bitte in der liebenswürdigsten Weise entsprochen, und so [sei] – in Zusammenarbeit mit ihm – das Manifest entstanden, das sowohl in Deutschland, wie auch in Frankreich grosse Aufmerksamkeit gefunden hat.“107 Heinrich Mann und die 198, vielfach ebenfalls höchst prominenten Mitunterzeichner (Georg Bernhard, Rudolf G. Binding, Ernst Robert Curtius, Alfred Döblin, Lion Feuchtwanger, Thomas Mann, Walter Mehring, Rudolf Olden, Carl Sternheim, Jakob Wassermann, Ernst Wiechert, Carl Zuckmayer, Arnold Zweig u. v. a. m.) bekundeten ihre volle Solidarität mit der Elite des französischen Geisteslebens, akklamierten die vorgeschlagenen Schritte zu einer deutsch-französischen Annäherung und zur Schaffung eines neuen Europa, baten aber „um Verständnis dafür, daß die Friedensfreunde im Reich einen schweren Stand hätten: Außer der allgemeinen politischen Erregung und den Parolen der Ewiggestrigen dämpften besonders die Deutschland auferlegten moralischen und materiellen Folgelasten des Krieges, die als ungerecht und untragbar empfunden würden, die Versöhnungsbereitschaft.“108 Nicht minder bemerkenswert ist die Beteiligung des Berliner PEN an der breiten, auch im Ausland stark beachteten Protestbewegung gegen die Verurteilung Carl von Ossietzkys zu 18 Monaten Gefängnis wegen Spionage. Ihm wurde der Verrat militärischer Geheimnisse zur Last gelegt, weil er einen Artikel des Luftfahrtexperten Walter Kreiser in der Weltbühne veröffentlicht hatte, der den – nach den Bestimmungen des Friedensvertrags verbotenen – Aufbau einer Luftwaffe thematisierte. Walther von Hollander verlas auf einer großen, von der Liga für Menschenrechte organisierten Veranstaltung die Resolution des PEN, in der das Vorgehen gegen Ossietzky als krasser Fall politischer Justiz gebrandmarkt wurde:
106 Vgl. Roland Ray: Annäherung an Frankreich im Dienste Hitlers? Otto Abetz und die deutsche Frankreichpolitik 1930–1942. München: Oldenbourg 2000, S. 56. 107 Walther von Hollander an Hermon Ould (18. 3. 1931). HRHRC. 108 Ray: Annäherung an Frankreich, S. 56f. – Von Ould kamen überraschend zustimmende Worte: „Thank you so much for your letter of the 18th, and for the information you gave me concerning the French Intellectuals’ Manifeste. This seems to me of great importance, and I am glad that the German P.E.N. Centre decided to give it serious attention. My only regret is that such a Manifesto should have been confined to Germany and France alone; something similar might be accomplished for the whole civilized world.“ Hermon Ould an Walther von Hollander (25. 3. 1931). HRHRC.
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Der P.E.N.-Club stellt fest, dass die verfassungsmässig gewährleistete Freiheit der öffentlichen Meinungsbildung grundsätzlich unmöglich gemacht wird, wenn eine Kritik an öffentlich bekannten Tatsachen und Massnahmen mit entehrender Strafe belegt wird, noch dazu in einem nicht öffentlichen Verfahren.109
Der deutsche PEN ging jetzt bei allen sich bietenden Gelegenheiten in die Offensive. Im zeitlichen Vorfeld zum internationalen PEN-Kongress in Budapest 1932 regte von Hollander bei Ould an: „Es wäre zu erwägen, ob wir in Budapest die Frage behandeln wollen: Welche Massnahmen können die Schriftsteller gegen das Überhandnehmen der brutalen Strasseninstinkte in der Politik ergreifen?“110 Und im Juli 1932 schickten der Vorsitzende Alfred Kerr und Schriftführer H. M. Elster ein Telegramm nach London: „Untersuchet bitte Angelegenheit Budapester Standgericht gegen Sallai Karikas Fuerst und Kilian und interveniert noetigenfalls.“111 Die genannten ungarischen Schriftsteller und Journalisten waren wegen Handlungen angeklagt, die bereits 14 Jahre zurücklagen, und von standrechtlicher Exekution bedroht. Es handelte sich durchwegs um Kommunisten und Sozialdemokraten. Dieser Umstand und die Tatsache, dass der PEN hier nicht auf eine Protestbewegung aufsprang, sondern eine solche zu initiieren suchte, lässt seinen Einsatz bemerkenswert erscheinen. Diesmal allerdings antwortete Ould nicht einfach zustimmend, sondern verwies wieder auf das Dilemma „PEN und Politik“: „This was clearly a political matter with which the P.E.N. Club as such could not deal, but Mr. Galsworthy wrote in his own name and not as President of the P.E.N. to von Horthy, and I hope had some influence with him. I hope that you will realise that although I did not answer your letter, I did all that was possible in the circumstances.“112 Wie der Vorstand des Berliner PEN sich in zunehmendem Maße von der No politics!-Linie entfernte, so gab es auch einzelne Mitglieder, die auf ihre Weise diesen Prozess voranzutreiben suchten. Als wichtigster Vorkämpfer einer forcierten Politisierung des PEN kann Ernst Toller gelten; sein legendärer Auftritt in Ragusa 1933 hat mithin eine Vorgeschichte. Tollers Name taucht erstmals 1929 in einem Vorstandsprotokoll auf, 1930 forderte er auf dem PEN-Kongress in Warschau: „Der Gedanke des PEN läuft sich tot, wenn ihm nicht neue Impulse zugeführt werden. Jenseits von Politik und sozialen Fragen tagen zu wollen, ist eine Illusion. Bei allen entscheidenden Fragen zeigt sich das nackte politische Gesicht.“113 109 Walther von Hollander an Hermon Ould (3. 12. 1931). HRHRC. 110 Walther von Hollander an Hermon Ould (23. 3. 1932). HRHRC. Anlass bot hier der Fall des Pazifisten Hans Hartmann, der in Brüssel nach einem Vortrag misshandelt worden war. Hier blieb es aber bei zwei Briefen an das belgische PEN-Zentrum. 111 Telegramm von Alfred Kerr und Hanns Martin Elster an Hermon Ould [Juli 1932]. HRHRC. In einem nachgesendeten Brief wurde Ould die Sachlage genau erörtert. Elster an Ould (28. 7. 1932). HRHRC. 112 Hermon Ould an Hanns Martin Elster (23. 9. 1932). HRHRC. 113 Ernst Toller: PEN-Kongreß in Polen. In: Die Weltbühne 26 (1930) II, S. 49–51.
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1930 eckte Toller mit der Forderung nach einer grundsätzlichen Umorientierung der PEN-Linie noch an. Nicht mehrheitsfähig war damals auch sein auf internationaler Ebene vertretener Vorschlag, sowjetische Schriftsteller in den PEN aufzunehmen.114 Im August dieses Jahres erkundigte sich Hermon Ould besorgt bei Vorstandsmitglied Alfred Kuhn: „I rather saw a disquieting article in the Kattowitzer Zeitung about you and Toller. Is it a matter of importance, or can it be safely neglected?“115 Kuhn, der in dieser Frage als entschiedener Kontrahent Tollers aufgetreten war, suchte Ould zu beruhigen: Der Artikel in der Kattowitzer Zeitung geht auf einen Angriff Tollers in der ‚Weltbühne‘ zurück. Toller konnte es nicht verwinden, dass man ihm nicht gestattete, seinen Russenantrag im Namen der deutschen Gruppe einzubringen. Seine Eitelkeit hat ihn hier, wie so oft, zu Dingen verführt, die man im deutschen P.E.N.-Club jedoch nicht billigt. […] Mich persönlich haben weder der Aufsatz in der ‚Weltbühne‘ noch die Ausführungen in der Kattowitzer Zeitung in meiner Seelenruhe gestört.116
1932, auf dem Kongress in Budapest, trat Toller ein weiteres Mal als Störenfried auf. Zwar konnte John Galsworthy auf dem Kongress eine Fünf-Punkte-Proklamation durchsetzen, in der es im letzten Satz hieß: „[F]or the P.E.N. has nothing whatever to do with State or Party politics, and cannot be used to serve State or Party interests or conflicts.“117 Zugleich aber nahmen die Delegierten des Kongresses eine von Ernst Toller formulierte Protestnote an, die „gegen die wachsende Verfolgung von geistigen Arbeitern aus politischen und kulturpolitischen Gründen und die Unterdrückung ihrer Werke“ gerichtet war.118 Die wachsenden Widersprüche innerhalb des PEN in der Auffassung des Politischen waren also nicht zu übersehen. Entwicklungen, wie sie in Deutschland im folgenden Jahr Platz griffen, ließen aber die von der PEN-Spitze angestrebte Entkoppelung von Literatur und Politik dann aus ganz anderen Gründen als illusorisch erscheinen.
114 Näheres dazu bei von Vegesack: Aus der Geschichte des P.E.N.-Clubs, S. 20f. 115 [Hermon Ould] an Alfred Kuhn (26. 8. 1930). HRHRC. Beigefügt war der Artikel aus der Kattowitzer Zeitung: K. S.: Seltsames Echo der Warschauer Pen-Klub-Tagung. Ernst Toller contra Dr. Alfred Kuhn. 116 Alfred Kuhn an Hermon Ould [3. 10. 1930]. HRHRC. 117 Zitiert nach von Vegesack: Aus der Geschichte des P.E.N.-Clubs, S. 21. Vgl. auch S. 19: „Wenn man will, kann man das Jahrzehnt der Präsidentschaft Galsworthys als einen ausgedehnten Kampf gegen das Eindringen der Politik in die Vereinigung sehen, ein Kampf, der sich auf lange Sicht als aussichtslos erweisen sollte.“ 118 Ernst Toller: Rede in Budapest. In: Die Weltbühne 28 (1932) I, S. 853–855, hier S. 855. Vgl. auch Alexander Márai: Ungarische Antwort. In: Die Weltbühne 28 (1932) I , S. 855f., sowie Lutz Weltmann: P.E.N.-Klub.-Impressionen aus Budapest. In: Die Literatur 34 (1931–32), S. 541f.
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7 1933: Politische „Gleichschaltung“ des Berliner PEN Als Adolf Hitler am 30. Januar 1933 vom Reichspräsidenten Hindenburg zum Kanzler ernannt wurde, verstanden wache Beobachter, dass die Errichtung eines totalitären Regimes nicht lange auf sich warten lassen würde. Alfred Kerr, der erfuhr, dass ihm der Reisepass entzogen werden sollte, flüchtete bereits am 15. Februar außer Landes. Damit hatte der PEN, Deutsche Gruppe, bereits seinen Vorsitzenden verloren. Es war übrigens der gleiche Tag, an dem Hanns Johst in einem Artikel in der Zeitschrift Deutsche Kulturwacht erste namentliche Ächtungen aussprach: „Thomas Mann, Heinrich Mann, Werfel, Kellermann, Fulda, Döblin, Unruh usw. sind liberal-reaktionäre Schriftsteller, die mit dem deutschen Begriff Dichtung in amtlicher Eignung keineswegs mehr in Berührung zu kommen haben.“119 Die meisten der Genannten waren PEN-Mitglieder, und tatsächlich ging mit Heinrich Mann, zum Austritt aus der Preußischen Akademie der Künste genötigt, bereits einige Tage später, am 21. Februar, ein weiteres prominentes Mitglied ins Exil. Eine Woche später, in der Nacht des Reichstagsbrandes, und in den darauf folgenden Tagen und Wochen lief die Hatz besonders auf die linken und liberalen Gegner des Regimes in Politik und Publizistik auf vollen Touren.120 In den nachfolgenden Wochen erfolgte die „Gleichschaltung“ der Schrifttumsorganisationen. Dabei sollte grundsätzlich der Anschein einer „inneren Erneuerung“ aus den eigenen Reihen heraus gewahrt bleiben – im Sinne des ‚Scheinlegalismus‘, der in dieser „revolutionären“ Phase ein bevorzugtes Verfahren der neuen Machthaber gewesen ist. Den Anfang machte die Sektion Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste, aus der neben Heinrich Mann zunächst alle politisch oder „rassisch“ untragbaren Dichter wie Alfred Döblin, Thomas Mann oder Leonhard Frank entfernt wurden, indem sie teils zum Austritt veranlasst oder eben ausgeschlossen wurden.121 119 Deutsche Kultur-Wacht 4 (15. 2. 1933), S. 13. Zitiert nach Joseph Wulf: Literatur und Dichtung im Dritten Reich. Eine Dokumentation. Frankfurt am Main: Ullstein 1983, S. 15. Wulfs Dokumentation enthält wertvolles Material zu den Vorgängen im PEN nach der NS-„Machtergreifung“. Die beste, aus den Quellen gearbeitete Darstellung zur „Gleichschaltung“ des PEN findet sich bei Jan-Pieter Barbian: Literaturpolitik im „Dritten Reich“. Institutionen, Kompetenzen, Betätigungsfelder. Überarbeitete und aktualisierte Ausgabe, München: dtv 1995, S. 80–88. Für die im Folgenden behandelten Vorgänge ist der Bestand im BArch Berlin, R 56 I/102 besonders relevant. Dieser Bestand ist bereits bei Barbian und in anderen Forschungsarbeiten ausgewertet worden; daher wird nachfolgend aus der leichter erreichbaren Forschungsliteratur zitiert. 120 Von 320 PEN-Mitgliedern (Stand April 1932) sind wenig mehr als achtzig emigriert, rund 50 noch im Jahr 1933; die überwiegende Anzahl blieb im Lande und passte sich den neuen Gegebenheiten an. Mindestens 40 PEN-Mitglieder haben sich aktiv als Nationalsozialisten betätigt. 121 Inge Jens: Dichter zwischen links und rechts. Die Geschichte der Sektion für Dichtkunst an der Preußischen Akademie der Künste, dargestellt nach den Dokumenten. 2., erw. und verb. Aufl. Leipzig: Kiepenheuer 1994; Werner Mittenzwei: Der Untergang einer Akademie oder Die Mentalität des ewigen
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Sie wurden durch nationalsozialistische oder sogenannte „nationale“ Schriftsteller ersetzt, wie Werner Beumelburg, Hans Friedrich Blunck, Hanns Johst, Erwin Guido Kolbenheyer oder Will Vesper. Gleichgeschaltet wurde auch der SDS, den eine schon seit 1931 im Verband bestehende „Arbeitsgemeinschaft nationaler Schriftsteller“ am 12. März 1933 im Handstreich eroberte und der dann am 9. Juni 1933 – gemeinsam mit dem Verband dt. Erzähler, dem Deutschen Schriftsteller-Verband (DSV) und dem Kartell lyrischer Autoren – in den „Reichsverband deutscher Schriftsteller“ (RDS) umgewandelt wurde.122 Als eine Art Dachverband diente der RDS dem Bestreben der NS-Behörden zur konsequenten Ausschaltung jüdischer und linksgerichteter Autoren aus dem Kulturleben. Die Mitgliedschaft in dem Verband war Voraussetzung jeglicher Publikationstätigkeit im Dritten Reich, die Aufnahme war aber gebunden an „deutschblütige Abstammung“ und „politisch einwandfreies“ Verhalten. In seiner Eigenschaft als Zwangsorganisation war der RDS Vorläufer der im November 1933 errichteten Reichsschrifttumskammer (RSK), der er als Fachverband mit rund 12 000 Mitgliedern angehörte, bis er Ende September 1935 aufgelöst und im Herbst 1936 in die „Gruppe Schriftsteller“ der RSK überführt wurde. Am dramatischsten und am wenigsten störungsfrei verlief die „Gleichschaltung“ des deutschen PEN-Klubs – schon aus dem Grunde, dass es sich nicht um eine rein nationale Institution, sondern um ein internationales Organisationsnetzwerk handelte. Den Anfang machte eine mit 16. März 1933 datierte Mitteilung an die Mitglieder des PEN, die darüber informierte, „daß Mitglieder, die kommunistische und ähnliche Anschauungen unterstützen, sich von den Rechten und Pflichten als Mitglieder des deutschen Zentrums entbunden sehen sollten.“123 Was war im Klub vor sich gegangen, von wem stammte diese Mitteilung, wer war dort an der Macht? Die Berichte, die Schatzmeister Hanns Martin Elster weiterhin an Hermon Ould lieferte, vermitteln kein zutreffendes Bild, denn er suchte jetzt durch Opportunismus seine Haut zu retten. Im Brief vom 7. März wird dies offenbar: [D]ie politischen Ereignisse haben natürlich auf den P.E.N.-Club ihre Rückwirkungen. Grade gestern hat der gesamte Vorstand seinen Rücktritt erklärt, und ich muss nun bis zur Generalversammlung allein die Geschäfte des deutschen P.E.N.-Clubs führen. Ich hoffe, dass die Generalversammlung auch mich in meiner bisherigen Arbeit bestätigt, dann gehöre ich gewiss zu denen, die nach Dubrovnik kommen. Die Schwierigkeiten gehen hier hauptsächlich von unserm alten Mitglied Alfred Kuhn aus, den Sie ja auch kennen, der sich aber leider wenig im Sinne Galsworthys betätigt, weil sein Ehrgeiz keine Grenzen kennt. Aber dies freundschaftlich unter uns.124 Deutschen. Der Einfluß der nationalkonservativen Dichter an der Preußischen Akademie der Künste 1918 bis 1947. Berlin: Aufbau 1992, bes. S. 217–275; Barbian: Literaturpolitik, S. 71–79. 122 Vgl. Fischer: Der „Schutzverband deutscher Schriftsteller“, Sp. 611–636. 123 Werner Berthold: Die Repräsentanten der gleichgeschalteten deutschen Literatur auf dem PENKongreß in Dubrovnik. In: W. B.: Exilliteratur und Exilforschung. Ausgewählte Aufsätze, Vorträge und Rezensionen. Wiesbaden: Harrassowitz 1996, S. 135. 124 Hanns Martin Elster an Hermon Ould (8. 3. 1933). HRHRC.
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Von „Rückwirkungen“ der politischen Ereignisse zu sprechen, kann als Euphemismus gewertet werden; der PEN-Vorstand hat sich, am Tag nach den schon nicht mehr regulär zu nennenden Reichstagswahlen am 5. März (bei denen die NSDAP allerdings nur knapp 44 % der Stimmen erhielt), offenbar unter dem Zwang gesehen zu demissionieren. Alfred Kerr hatte aus dem Exil heraus keine Möglichkeit, dies zu verhindern. Es lag ihm aber daran, Ould eine Darstellung des Vorgangs aus seiner Sicht zu geben: Die deutsche Gruppe des PEN-CLUBS beschloss (in meiner Abwesenheit und ohne meine Stimme) im Hinblick auf die Machtergreifung der Nationalsozialisten: dass der Vorstand und der Ausschuss zurücktreten. Ich erhob dagegen Einspruch: durch einen Brief vom 3. 4. an den sog. ‚kommissarischen Vorstand‘, zu Händen des Herrn Fedor v. Zobeltitz. Ich schrieb wörtlich ‚Ich erkläre mich nicht bereit zum Rücktritt; ich will abgesetzt werden‘. Hinzugefügt waren die folgenden Worte: ‚Der zum Staatsprinzip erhobene Rassenkrieg widerspricht den Grundzielen des PEN-CLUBS. Ich empfehle daher dem deutschen PEN-CLUB (dies ist mein letzter Rat): sich ehrlicherweise jetzt aufzulösen‘.
Diese Botschaft sei jedoch ignoriert worden. Zu der Frage, wie Intellektuelle in Deutschland behandelt würden, könne er sich selbst als Beispiel anführen: Ich erkläre auf Ehre und Gewissen folgendes: Es ist mir von der Behörde verboten worden in irgend einer deutschen Zeitung oder Zeitschrift irgendeinen Beitrag zu veröffentlichen. Auch unpolitische, harmlose nicht. Es ist den Zeitungen in Deutschland verboten irgend eine Zahlung an mich zu leisten. Sogar fälliges Gehalt für einen bereits vergangenen Monat darf nicht gezahlt werden. Der behördliche terminus technicus dafür lautet: ‚Zur deutschen Publizistik nicht zugelassen‘. Das ‚Berliner Tageblatt‘ wurde amtlich gezwungen, mich inmitten des Monats fristlos zu entlassen und auch das bereits verwirkte Gehalt nicht zu zahlen – bei Androhung des Verbots der Zeitung.125
Kerr, der in den vorangegangenen Jahren publizistisch die NS-Umtriebe mit besonderer Schärfe kritisiert hatte, repräsentierte zweifellos ein Feindbild erster Ordnung für die neuen Machthaber; sein Name stand im März 1933 auf der ersten Ausbürgerungsliste. Für den deutschen PEN war unter den aktuellen politischen Gegebenheiten – wie Carl Haensel, ein Herold der neuen Zeit, dies in einem Artikel „Für einen neuen deutschen PEN-Club“ in der Deutschen Allgemeinen Zeitung vom 17. März 1933 zum Ausdruck brachte – jedenfalls „ein völliger Bruch mit der letzten Vergangenheit und den sie repräsentierenden Persönlichkeiten unvermeidlich“; die Neubesetzung des Vorstandes sollte mit Männern erfolgen, „die wissen, daß nur der ein Volk nach außen vertreten kann, der bis in die Tiefen mit dem eigenen Volkstum verwurzelt, durchdrungen und von seinen Säften bis in die letzte Pore durchzogen ist“.126 Zunächst aber stand nach dem Rücktritt des Vorstands der deutsche PEN ohne Führung da – bis auf Schatzmeister Elster, der seine Hauptaufgabe darin sah, London 125 Alfred Kerr [Schweiz] an Hermon Ould (3. 5. 1933). HRHRC. (Hervorhebungen im Original). 126 Carl Haensel: Für einen neuen deutschen PEN-Club. In: Deutsche Allgemeine Zeitung 129 (17. 3. 1933).
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zu beschwichtigen und die politischen Entwicklungen in Deutschland, die in der ausländischen Presse doch einigen Widerhall gefunden hatten, in einer schon perfide zu nennenden Weise zu verharmlosen. Am 24. März schrieb er an Ould: Als Mitglied des internationalen Exekutivkomitees möchte ich mir erlauben, Ihnen nach bestem Wissen und Gewissen hierdurch zu versichern, dass die vielfachen Greuelnachrichten, die jetzt im Auslande teilweise über Deutschland verbreitet werden, in keiner Weise den Tatsachen entsprechen. Es geht in Deutschland durchaus nach Recht und Ordnung zu. Ich kenne zum Beispiel im gesamten Umkreise des deutschen Schrifttums nicht einen einzigen Fall, der auch nur im entferntesten das Recht gäbe, irgend eine auch noch so kleine Schreckensnachricht nach dem Ausland zu senden. Sie würden mich zu besonderem Dank verpflichten, wenn Sie auch in Ihrem Kreise dazu beitragen wollten, dass eine sachliche und gerechte Auffassung gegenüber Deutschland Platz greift.127
Der durch die Meldungen aus Deutschland sehr beunruhigte Ould, dem Nachrichten auch aus anderen Quellen zugegangen waren, hatte Zweifel an der Verlässlichkeit dieser Auskünfte; er hatte gehört, Lion Feuchtwanger, Stefan Zweig, Ernst Toller, Heinrich Mann und Thomas Mann „were unable to stay in Germany“ und verlangte eine Klärung der widersprüchlichen Meldungen: „It seems to me that the most satisfactory form of denial would be if you addressed an official statement that there is no truth in the reports concerning the persecution of these writers, signed by them.“128 Ein solches Statement konnte klarerweise nicht gegeben werden, zumal sich die Ereignisse nun überstürzten. Denn am 2., 9. und 23. April fanden in Berlin insgesamt drei Hauptversammlungen statt, mit denen die Umgestaltung des Zentrums etappenweise vorangetrieben wurde. Zu diesen Versammlungen hat ein Dokumentarist seine Erinnerungen an die einzelnen Stadien der „Gleichschaltung“ 23 Jahre später publik gemacht: der Schriftsteller Friedrich Märker. Zunächst berichtet er von einer Vorbesprechung, die im Hause Elsters abgehalten wurde, um die Wahl eines neuen PENVorstandes vorzubereiten: Die Mitglieder dieses Vorstandes sollten einerseits nicht antisemitisch, andrerseits aber nicht Juden sein. Wer Praesident werden sollte, weiss ich nicht mehr; jedenfalls wurde nicht Hanns Johst vorgeschlagen. Die Sitzung endete mit der Vereinbarung, dass die Autoren, auf die man sich geeinigt hatte, auf einer offiziellen Sitzung gewaehlt werden sollten.129
127 Hanns Martin Elster an Hermon Ould (24. 3. 1933). HRHRC. 128 Hermon Ould an Hanns Martin Elster (29. 3. 1933). HRHRC. Gleich hinterher schickte er noch einmal eine kurze Note: „The present moment seems to be an extremely serious one for the P.E.N., and the principles for which we stand need to be more than ever emphasised.“ Mit dieser Notiz verband Ould eine Einladung des englischen PEN an alle nach Großbritannien reisenden deutschen Schriftsteller. Vgl. Ould an Elster (29. 3. 1933). HRHRC. Dies konnte als demonstrative Geste gegenüber den aus Deutschland flüchtenden Schriftstellern aufgefasst werden. 129 Friedrich Märker: Zeugen gesucht. Der Deutsche PEN-Club im Jahre 1933. In: Bericht vom PEN deutschsprachiger Autoren im Ausland, Mai 1962 [aus dem Mitteilungsblatt des Schutzverbandes deutscher Schriftsteller in Bayern], S. 6f. Enthalten in DLA, NL Lehmann 685176/45.
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Die Hauptversammlung vom 2. April nahm aber offensichtlich nicht den geplanten Verlauf. Was Elster darüber nach London berichtete, klingt reichlich bizarr: Danach sei er selbst zum Gegenstand ehrverletzender Vorwürfe rund um das Tragen von Kriegsorden im PEN gemacht worden, die Sitzung sei abgebrochen worden.130 Viel folgenschwerer aber war, dass Hermon Ould von einem schon im März mit der Einladung zur Hauptversammlung versandten Rundschreiben Kenntnis erlangt hatte, in welchem der generelle Ausschluss kommunistischer oder ähnlich gesinnter Mitglieder verfügt wurde: Communications have come to my notice from members of the German P.E.N. who have received an announcement of a meeting which took place on 2nd April. In the third paragraph of the announcement appeared a statement to the effect that those members of the German P.E.N. Centre with Communistic or similar connections might regard themselves as relieved of their rights and duties in connection with the P.E.N. I cannot believe that such an announcement as this was sent out with your consent, as it violates the very first principle of the P.E.N. which is that we, as an association, stand apart from politics. I should be extremely grateful if you would let me have your explanation by return of post.131
In Berlin nahm man diese Aufforderung zur postwendenden Aufklärung nicht ernst und war auch bereits mit dem nächsten Schritt zur Neuwahl eines Vorstands beschäftigt; mit entsprechenden Winkelzügen sollte nun sichergestellt werden, dass der PEN ab sofort von politisch zuverlässigen Vertretern der „nationalen Erhebung“ geführt wird. Schon am 27. März hatte Walter Bloem in einem Gespräch mit Erich Kochanowski, dem Berliner Landesleiter des „Kampfbundes für deutsche Kultur“, angeregt, „daß die Mitglieder des Kampfbundes für deutsche Kultur in den P.E.N.-Club hineingehen, um dort die Säuberungsaktion schleunigst durchführen zu können.“132 Der bisher als Deutschnationaler eingeschätzte Edgar von Schmidt-Pauli bewarb sich am 4. April um die Mitgliedschaft im Kampfbund und stellte sich ab sofort voll in den Dienst der neuen Machthaber. Er empfahl Kochanowski, der bisher mit dem PEN nichts zu tun hatte, eine Liste mit nationalsozialistischen Schriftstellern aufzustellen. Zunächst aber wurde am 9. April in einer Ordentlichen Hauptversammlung ein „kommissarischer Vorstand“ gewählt, der noch keine dezidiert nationalsozialistische Ausrichtung hatte, denn über eine solche konnte – nach „teilweise scharfen Zusammenstößen“133 – vorerst keine Einigung herbeigeführt werden. Dieser kom130 Elster teilte Ould mit, die Sitzung sei „mit einem furchtbaren Kampf um meine Person vertagt worden. Es ist gegen mich der Vorwurf erhoben worden, ich wäre eigenmächtig dagegen aufgetreten, dass Kriegsorden im P.E.N.-Club getragen wurden.“ Gegen diesen Vorwurf wollte sich Elster mit einer offiziellen, eventuell sogar telegraphischen Bestätigung Oulds wehren, wonach ein entsprechender „Beschluss des internationalen Exekutivkomitees vorliegt und es nicht üblich, bzw. nicht Sitte gewesen ist, auch gegenwärtig noch nicht ist, im P.E.N.-Club Orden mit Einschluss der Kriegsorden zu tragen.“ Hanns Martin Elster an Hermon Ould (10. 4. 1933). HRHRC. 131 Hermon Ould an Hanns Martin Elster (21. 4. 1933). HRHRC. 132 Zitiert nach Barbian: Literaturpolitik, S. 80. 133 So das Protokoll zur Hauptversammlung am 9. 4. 1933, zitiert nach Barbian: Literaturpolitik, S. 82.
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missarische Vorstand bestand aus Hanns Martin Elster, Fedor von Zobeltitz, Edgar von Schmidt-Pauli, Hans Richter und Werner Bergengruen. Welche Methoden aber in der Versammlung am 9. April angewandt wurden, um das gewünschte Resultat zu erzwingen, darüber informiert wieder der Zeitzeuge Friedrich Märker: Es waren meines Erinnerns auffallend viele juedische PEN-Club-Mitglieder anwesend. […] Wir warteten ziemlich lange auf XY’s [wohl: Elsters] Erscheinen. Viele wurden ungeduldig. Endlich ertoenten, sehr zu unserer Ueberraschung, die scharfen Tritte von Militaerstiefeln. Ein SchwarzUniformierter, ein SS-Mann, betrat den Sitzungsraum, ging zum Kopf des Tisches, setzte sich nicht und verkuendete, er spreche im Auftrag des Kulturbeauftragten Soundso [wohl: Hans Hinkel]. Der Deutsche PEN-Club habe Hanns Johst zum Praesidenten zu waehlen, oder er werde aufgeloest und sein Vermoegen beschlagnahmt. Ein Tumult der Empoerung erhob und entlud sich in Rufen wie ‚Verrat! Schurkerei!‘ Der SS-Mann blieb ruhig. Er sehe, sagte er, die PEN-ClubMitglieder seien ueberrascht. Er gebe ihnen Zeit zum Nachdenken. Sie wuerden zu einer neuen Sitzung eingeladen.134
Eine folgenschwere Entscheidung wurde auf der Sitzung aber doch gefällt, in Form einer Satzungsänderung: Ab sofort sollte es erlaubt sein, neue Mitglieder zu Beginn einer Sitzung hinzu zu wählen und ihnen sofortiges Stimmrecht zu gewähren. Davon wurde auch sogleich Gebrauch gemacht und Hanns Johst, Hans Grimm sowie als Vertreter des Kampfbundes Hans Hinkel und Alfred Rosenberg in den PEN aufgenommen. Auf diese Weise konnte sichergestellt werden, dass auf der nächsten Generalversammlung, die für den 23. April festgesetzt worden war, ein Vorstand gewählt würde, der „vollständig im Sinne unserer neuen Reichsregierung“ arbeitet. Für die praktische Umsetzung erhielt Alterspräsident Fedor von Zobeltitz den Auftrag, zusammen mit überwiegend nationalsozialistisch gesinnten Kollegen eine Vorschlagsliste zu erstellen, und zwar „nach Fühlungnahme mit den Regierungsstellen“.135 Die nicht-nationalsozialistischen PEN-Aktivisten leisteten nicht ernsthaft Widerstand gegen die Total-Gleichschaltung der Gruppe; letztlich nahm die Generalversammlung am 23. April den von den neuen Machthabern gewünschten Verlauf. Friedrich Märker erinnerte sich: Diese 3. Sitzung […] war – zunaechst! – sehr gut besucht. Fedor von Zobeltitz praesidierte. Er gab bekannt, der Deutsche PEN-Club habe Hanns Johst zum Praesidenten zu waehlen und zwar einstimmig; andernfalls werde er aufgeloest und sein Vermoegen beschlagnahmt. Zobeltitz unterbrach die Sitzung für fuenf Minuten. Die meisten Anwesenden verliessen den Saal und kehrten nicht zurueck. Als abgestimmt wurde, war nur ein kleines Haeuflein anwesend. Gegen den befohlenen Kandidaten stimmte nur einer. Und zwar ich, weil ich hoffte, durch die Aufloesung des Deutschen PEN-Clubs werde dem Ausland gezeigt, dass es in Deutschland noch immer ‚Andersdenkende‘ gibt. Warum der Deutsche PEN-Club trotz der von Zobeltitz bekanntgegebenen
134 Märker: Zeugen gesucht, S. 6f. 135 Zitiert nach Barbian: Literaturpolitik, S. 82. Zobeltitz stand damals im 76. Lebensjahr; er starb 1934.
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Drohung und trotz meiner Gegenstimme nicht aufgeloest worden ist, erfuhr ich erst 1946: Zobeltitz hatte eine einstimmige Wahl protokolliert.136
Ergänzend zu Märkers Bericht ist darauf zu verweisen, dass von der am 9. April beschlossenen Satzungsergänzung hemmungslos Gebrauch gemacht wurde und 23 vom Kampfbund „durchgeprüfte“ Personen in den PEN aufgenommen wurden, unter ihnen die Redakteure des Völkischen Beobachters Götz Otto Stoffregen und Rainer Schlösser, der Verfasser der Hetzschrift Juden sehen dich an Johann von Leers, ebenso Kampfbundleiter Kochanowski sowie der Leiter des Nationalsozialistischen Studentenbundes Baldur von Schirach; denn wie es hieß, „die neue Lage berechtigt […], von Pedanterie abzusehen.“137 Der Wahl des Vorstands gingen allerdings heftige Debatten voraus. Der Vorschlag der nationalen Gruppe, Walter Bloem und von Zobeltitz zu Ehrenvorsitzenden mit erweiterten Befugnissen zu ernennen, wurde von Kochanowski zurückgewiesen; die (abwesenden) Herren Johst und Hinkel würden sich als Vorsitzende keinen Rat zumuten lassen. Vor allem aber: „Der PEN-Club ist ein wichtiges Instrument im Staatsgefüge. Und wenn hier ein neuer Vorstand gewählt wird, so ist es selbstverständlich, daß dieser es sich zur Pflicht macht, den PEN ganz besonders im Interesse des Staates zu verwalten.“138 Eine bemerkenswerte Aussage; dem PEN war es von seiner Grundidee her nicht in die Wiege gelegt, einmal als „wichtiges Instrument im Staatsgefüge“ angesehen zu werden. Hinsichtlich der Rolle Bloems und von Zobeltitz‘ wurde ein Kompromiss gefunden. Den entscheidenden Schritt setzte Schmidt-Pauli, der seinen „nationalen“ Kollegen in den Rücken fiel, indem er eine neue Vorstandsliste präsentierte; er machte jetzt auch seine Zugehörigkeit zum Kampfbund öffentlich. Kochanowski und seine Entourage stießen Drohungen aus: Komme über diesen Vorschlag keine Einigkeit zustande, so „haben die zu wählenden Vorsitzenden und alle Kampfbundmitglieder bis zu einer weiteren Mitgliederversammlung kein Interesse an den Vorgängen im P.E.N.-Club.“ Im Übrigen hätte „die deutsche P.E.N.-Gruppe im Falle der Nichtannahme der neuen Liste die Staatsführung nicht mehr hinter sich.“139 Die Drohworte zeigten Wirkung; ohnehin hätte es bei der Abstimmung gegen die neue Übermacht der Parteigänger des Nationalsozialismus kein Mittel gegeben. Die Nationalen verzichteten auf Vorstandsposten und kehrten nach einer (taktisch angesetzten) Sitzungspause nicht mehr in den Saal zurück. Der neue Vorstand wurde
136 Märker: Zeugen gesucht, S. 7. 137 So von Schmidt-Pauli. Vgl. Protokoll der Fortsetzung der ordentlichen Generalversammlung am 23. April 1933, gekürzt abgedruckt in: Wulf: Literatur und Dichtung, S. 69–74, hier S. 70. 138 Wulf: Literatur und Dichtung, S. 71. 139 Zitiert nach Barbian: Literaturpolitik, S. 83.
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„durch Akklamation […] einstimmig angenommen“140 und hatte nun folgende Zusammensetzung: Vorsitzende: Hanns Johst, Hans Hinkel, Dr. Rainer Schloesser Schriftführer: Dr. Johannes von Leers, Dr. Edgar von Schmidt-Pauli Schatzmeister: Dr. Hanns Martin Elster, Erich Kochanowski Ehrenmitglieder: Walter Bloem, Theodor Däubler, Fedor von Zobeltitz
Damit hatte sich der deutsche PEN durch brachiale Vorgangsweise141 der Nationalsozialisten „selbsttätig erneuert“; nur Elster (und die im Alltagsgeschäft unbedeutenden Ehrenmitglieder) durften die Kontinuität wahren, wohl auch aus praktischen Erwägungen. Das Zentrum selbst war über die Dreierspitze und die meisten anderen Amtsinhaber nun vollständig in die NS-Schrifttumspolitik eingebunden. Am 29. April informierte Elster Ould über die personellen Änderungen;142 der Öffentlichkeit wurde in einer Pressenotiz gemeldet, der PEN habe in einer Generalversammlung „dem einmütigen Willen Ausdruck gegeben, fortan im Gleichklang mit der nationalen Erhebung zu arbeiten“.143
8 Der PEN-Kongress in Ragusa Der Konflikt mit der Londoner Zentrale war nun unausweichlich; Hermon Ould reagierte auf Elsters Versammlungsbericht mit der Ankündigung, dass auf dem herannahenden, für den 22.–28. Mai 1933 in Ragusa (Dubrovnik) anberaumten internationalen PEN-Kongress zweifellos eine Reihe unangenehmer Fragen gestellt werden würde: There was no indication in this latter letter that the persons elected were in any way connected with the P.E.N., but your letter confirms, what seems to be the fact, that they are the new Committee.
140 Protokoll der Hauptversammlung am 23. 4. 1933, zitiert nach Wulf: Literatur und Dichtung, S. 74. 141 Aufschlussreich ist in dieser Hinsicht eine Äußerung des PEN-Mitglieds Felix Langer in einem Brief an Rudolf Olden vom 12. Januar 1939: „Ich meldete meinen Austritt […] nach der letzten Generalversammlung im Jahre 33, der ich mit heimlichem Entsetzen beigewohnt hatte. Denn da ging es nicht mehr wie unter Schriftstellern zu, sondern wie bei einem Reserveoffiziersrat. […] Da schlich ich mich mit KZ-Angst im Herzen aus der Versammlung am Zoo, die diesmal ziemlich richtig am Ort war, und meldete schnell meinen Rücktritt an.“ Zitiert nach: Der deutsche PEN-Club im Exil 1933–1948. Eine Ausstellung der Deutschen Bibliothek. Katalog: Werner Berthold und Britta Eckert. Frankfurt am Main: Buchhändler-Vereinigung 1980 (Sonderveröffentlichung der Deutschen Bibliothek 10), S. 11. 142 Hanns Martin Elster an Hermon Ould (29. 4. 1933). HRHRC. 143 Pressemeldung vom 24. 4. 1933, zitiert nach: Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 10f.
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It would be disingenuous to pretend that the International Federation of the P.E.N. will accept this new German Centre without question. I act without official instructions, but think it my duty to inform you that the question of the constitution of the German Centre is bound to be raised very early in the course of the business of the Congress in Jugislavia, and the German delegates will certainly be asked whether they accept the chief principles of the P.E.N, viz: that it stands aside from politics; that it believes in the free interchange of literature; that the only qualification for membership is distinction in literature, irrespective of nationality, race or creed. Also, the German delegates will be asked to explain why distinguished writers like Heinrich and Thomas Mann, Fritz von Unruh, Doublin [sic], Arnold und Stefan Zweig, Else Lasker-Schuler [sic], Albert Ehrenstein, Jakob Wassermann, Remarque, and many others are not admitted to membership of the German P.E.N., and why your President, Alfred Kerr, should have been asked to resign.144
Die „neuen Herren“ in Berlin zeigten sich davon nicht überrascht; dass sie den PEN außenpolitisch zu instrumentalisieren gedachten, hatte sich ja bereits in einer Äußerung Erich Kochanowskis in der Generalversammlung vom 23. April angekündigt: „Es geht beim P.E.N.-Club nicht um innerdeutsche Verhältnisse, sondern um unsere Weltgeltung.“145 Die Liste der nachfolgend für den Kongress in Ragusa nominierten Delegation spricht schon in ihrem Umfang dafür, dass sich das ‚neue Deutschland‘ dort selbstbewusst präsentieren wollte; sie umfasste Hanns Johst, Hans Hinkel, Rainer Schlösser, Erich Kochanowski, Edgar von Schmidt-Pauli, Friedrich Kurt Benndorf, Theodor Berkes, Ludwig Wolde und Hanns Martin Elster146 und wurde noch ergänzt um Fritz Otto Busch. Busch war Marineoffizier und Verfasser zahlreicher Seekriegsbücher (teilweise unter dem Pseudonym Peter Cornelissen erschienen), auch Hauptschriftleiter der Zeitschrift Die Kriegsmarine. Diese Zusammensetzung erregte Kritik, öffentliche und private. Will Vesper nahm sich in Die neue Literatur kein Blatt vor den Mund: Die deutsche Sektion des internationalen PEN-Clubs hat nun auch erfreulicherweise einen deutschen Vorstand bekommen, dem wir dringend zur nötigen Säuberung des Klubs die notwendige Entschlossenheit und die richtige Erfahrung wünschen! Wenig Vertrauen in dieser Hinsicht gibt leider die Tatsache, daß man als Vertreter des deutschen Schrifttums zur internationalen Tagung des Klubs in Ragusa ausgerechnet Hanns Martin Elster und Schmidt-Pauli – zwei Herren, die wir längst in anderen, ihnen mehr liegenden Branchen tätig sähen – und einen auch uns völlig unbekannten Herrn Fritz Otto Busch entsandt hat. Der PEN-Club ist ein internationaler, freier Schriftstellerbund. Wenn die deutschen Vertreter die deutschen Grenzen überschreiten, haben sie vor dem internationalen Forum allein die Autorität, die sie sich selbst durch überragende und allgemein anerkannte schriftstellerische Leistungen erworben haben – und gar keine andere!147 144 Hermon Ould an Hanns Martin Elster (9. 5. 1933). HRHRC. Abgedruckt auch in: Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 17. 145 Protokoll der Fortsetzung der ordentlichen Generalversammlung am 23. April 1933, zitiert nach Wulf: Literatur und Dichtung, S. 72. 146 So mitgeteilt von Hanns Martin Elster an Alfred Wolfenstein (8. 5. 1933). DLA, B. Hanns Martin Elster, mit der Bemerkung: „Ich hoffe, dass wir dort auch die letzten Unklarheiten über die Lage des Schriftstellers in Deutschland beseitigen.“ 147 Will Vesper in: Die neue Literatur 1933, S. 365f., zitiert nach Wulf: Literatur und Dichtung, S. 75f. NS-intern drückte sich Vesper noch drastischer aus: „Was macht Ihr denn mit dem PEN-Klub? Wie
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Nach den Vorstellungen Vespers hätten Rosenberg und Goebbels als Repräsentanten der Kulturpolitik und Stehr, Kolbenheyer und Grimm ihres dichterischen Rangs wegen nach Ragusa fahren sollen. Beim Vorbereitungskomitee offiziell angemeldet wurde von Elster aber nun die oben genannte Liste mit Delegierten, von denen viele bislang literarisch nicht hervorgetreten waren; der Nachweis ihrer Eignung sollte nachgereicht werden. Zudem verband Elster seine Nachricht mit einer Bitte: „Sollten deutsche Mitglieder unter Umgehung unserer Zentrale sich bei Ihnen unmittelbar angemeldet haben, so bitten wir Sie höflichst, uns diese Anmeldungen doch sofort bekannt zu geben, damit wir wissen, welche deutschen Mitglieder wir noch in Dubrovnik antreffen.“148 Man bereitete sich in Berlin also darauf vor, in Ragusa mit exilierten deutschen Schriftstellern konfrontiert zu werden. In einer Vorstandssitzung am 20. Mai 1933 wurde, unmittelbar vor Abreise der Delegation, noch eine Kongressstrategie erarbeitet. Als offizielle Vertreter sollten Elster, Edgar von Schmidt-Pauli und Fritz Otto Busch auftreten und die Tagungsteilnehmer „in Gestalt einer grundsätzlichen Proklamation im Geist des neuen Deutschland unter seinem Führer Adolf Hitler über die nationale Revolution und ihr Wollen unterrichten und alle böswilligen Angriffe, vor allem aber die Greuelhetze einzelner zurückweisen“.149 Zu der Strategie gehörte ausdrücklich auch, die Tagungsteilnehmer durch betont höfliches Auftreten und demonstrative Bereitschaft zur sachlichen Zusammenarbeit für sich zu gewinnen. Dieser Plan schien zunächst aufzugehen. Erste Gelegenheiten zu seiner Umsetzung ergaben sich offenbar bereits bei der Anreise150, und am 26. Mai schrieb Busch nach Berlin: „Es herrschen die unglaublichsten Ansichten über unsere Bewegung, und ich denke, dass wir privatim und durch den Vortrag sehr gutes im Sinne unserer Bewegung werden leisten können. Mit Ruhe, Liebenswürdigkeit und unter Inne-
kann man Elster und Schmidt-Pauli – die man längst in anderen Branchen verwenden sollte – und einen völlig unbekannten Busch nach Ragusa schicken. Die Fahrt wird nichts als Peinlichkeiten bringen. Man konnte von Ragusa so gut fernbleiben, ebenso wie die Italiener. Inzwischen würden die Dinge in Deutschland etwas klarer und man konnte Leute von einiger Autorität ins Ausland schicken. […]. Wie kann man dem Ausland solche Nullen anbieten. Man macht es wirklich den Gegnern allzu leicht. Wenn es dann wenigstens rabiate Nationalsozialisten wären, kämpferische Jugend, die dort draussen etwas lernte, aber diese abgetakelten Gäule?“ Abschrift aus einem Brief von Will Vesper an Dr. [Bruno E. ?] Werner (20. 5. 1933). BArch Koblenz, NL Pechel N 1160 III/64. 148 Hanns Martin Elster an das Comité préparatoire (3. 5. 1933), zitiert nach Wulf: Literatur und Dichtung, S. 75. 149 Protokollnotiz einer Vorstandssitzung, Berlin, 20. 5. 1933, abgedruckt in: Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 13. 150 Fritz Otto Busch, Edgar von Schmidt-Pauli und Hanns Martin Elster an Erich Kochanowski (24. 5. 1933), zitiert nach Wulf: Literatur und Dichtung, S. 80–82, hier S. 82: „Eines ist sicher: Wären wir nicht zum Kongreß erschienen und hätten wir nicht jede Gelegenheit an Bord des Schiffes ausnutzen können, so hätte sich der Kongreß zu einer einzigen schweren Anklage gegen Deutschland mit dem ganzen nach außen wirkenden Echo zusammengeballt.“
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haltung der besten Umgangsformen, die wir aufzuweisen haben, wird es bestimmt meiner Ansicht nach möglich sein, die meisten umzustimmen.“151 Tatsächlich wurden feindlich gestimmte Fragen an die deutsche Delegation vorerst nicht gestellt. Nur Frankreich und Belgien waren als entschiedene Gegner einzustufen; einige Delegationen wie die italienische (mit dem Delegationsleiter Marinetti), holländische und schweizerische waren ohnehin deutschfreundlich oder neutral eingestellt, die österreichische war gespalten, England und die USA suchten sich besonders fair oder jedenfalls abwartend zu verhalten. Eine von amerikanischer Seite (Henry Seidel Canby) am ersten Tag eingebrachte Resolution war in solcher Allgemeinheit gehalten, dass ihr auch von deutscher Seite zugestimmt werden konnte: We likewise call upon the International Congress to take definite steps to prevent the individual Centers of the PEN, founded for the purpose of fostering goodwill and understanding between races and nations, from being used as weapons of propaganda in the defense of persecutions inflicted in the name of nationalism, racial prejudice and political ill will.152
Seine Zustimmungserklärung zu diesen „hohen und schönen Zielen des PEN-Clubs“ begleitete Schmidt-Pauli mit dem Bemerken, die deutsche Delegation sei bereit, „auf sachliche Fragen zu antworten, soweit sie nicht auf politisches Gebiet hinüberspielten, denn das Abgleiten auf dieses Gebiet verbiete sich nach den Regeln des PEN-Clubs selbst.“153 Zutreffend bemerkt hierzu Werner Berthold, dass die deutschen Delegierten es auf zynische Weise verstanden, „die liberale PEN-Charta zu nutzen, um sich einer Debatte der humanitätsfeindlichen Politik ihrer Oberen zu entziehen.“154 Die dramatische Wende auf dem Kongress ist bereits oft dargestellt worden und kann hier in raschen Strichen in Erinnerung gerufen werden. Ausgelöst wurde sie von einer Resolution belgischer und französischer Autoren („Resolution René Lyr“), die sich nun explizit gegen die Kulturpolitik des nationalsozialistischen Deutschland richtete. Die deutsche Delegation drohte damit, die Sitzung zu verlassen, wenn dieser Antrag in dieser Form diskutiert würde, und konnte mit dieser Drohung sowie durch Absprachen hinter den Kulissen tatsächlich eine Abschwächung erreichen. Busch berichtete dazu am 27. Mai: Sodann gelang es, eine ganze Reihe von gefährlichen Punkten entweder zu streichen oder so zu verändern, daß die Spitzen gegen Deutschland abgebogen wurden, und die déclaration mehr 151 Fritz Otto Busch an Erich Kochanowski (26. 5. 1933), zitiert nach Wulf: Literatur und Dichtung, S. 83. – Der im Brief erwähnte Vortrag (teilabgedruckt in Wulf: Literatur und Dichtung) fand aufgrund der vorzeitigen Abreise der deutschen Gruppe nicht statt. 152 William M. Park: The first confrontation: Ernst Toller at Ragusa. In: Deutsche Exilliteratur. Literatur im Dritten Reich. Akten des II. Exilliteratur-Symposiums der University of South Carolina. Bern: Lang 1979, S. 142. 153 Bericht von Fritz Otto Busch an Erich Kochanowski (27. 5. 1933), zitiert nach Wulf: Literatur und Dichtung, S. 84–89, hier S. 87. 154 Berthold: Die Repräsentanten der gleichgeschalteten deutschen Literatur, S. 139.
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allgemeinen Charakter erhielt. Lediglich die Erwähnung der Bücherverbrennung und die Absetzung einiger Professoren und anderer Männer geistigen Berufes von Ämtern wurde gestreift und war nicht zu vermeiden.155
In der Hauptsache war die Delegation bemüht, eine öffentliche Debatte des Antrags zu verhindern. Trotz verschiedener Verabredungen mit den Antragstellern gelang dies aber nicht. H. G. Wells, der dem am 31. Januar 1933 verstorbenen John Galsworthy als Präsident des Internationalen PEN nachgefolgt war, zeigte sich fest entschlossen, eine Debatte zuzulassen, weil er, als Anwalt freier Meinungsäußerung, all jenen die Diskussion über die Situation in Deutschland nicht verwehren könne, die gerade deshalb nach Jugoslawien gekommen seien.156 Inzwischen war Ernst Toller erschienen und von „geradezu tosendem Beifall“ empfangen worden (so Fritz Otto Busch in seinem Bericht157). Toller zeigte sich allerdings bereit, seine angemeldete Rede erst nach Annahme der Resolution zu halten bzw. der deutschen Delegation am folgenden Tag Fragen zu stellen, wurde aber von Wells aufgefordert, sofort zu sprechen. Daraufhin spitzte sich die Situation zu: Busch erklärte, dass diese Vorgangsweise gegen alle zuletzt getroffenen Vereinbarungen verstoße; seine Delegation würde im Falle einer Rede Tollers den Saal verlassen. Mitten in diesen Disput hinein erteilte Wells dem Generalsekretär Hermon Ould das Wort, der nun ganz offiziell die entscheidenden Fragen stellte: Had the German P.E.N. Centre protested against the ill-treatment of German intellectuals and the burning of the books? Was it true that the Berlin Centre has issued a notice to its members depriving those of Communist or ‚similar‘ views of their rights of membership, thereby violating the first rule of the P.E.N. that it should stand aside from politics?158
Schmidt-Pauli protestierte namens der deutschen Gruppe sofort energisch „gegen diesen eklatanten Bruch der Geschäftsordnung“ und drohte erneut mit dem Verlas-
155 Bericht von Fritz Otto Busch an Erich Kochanowski (27. 5. 1933), zitiert nach Wulf: Literatur und Dichtung, S. 84–89, hier S. 88. 156 Vgl. hierzu auch Berthold: Die Repräsentanten der gleichgeschalteten deutschen Literatur, S. 140. 157 Bericht von Fritz Otto Busch an Erich Kochanowski (27. 5. 1933), zitiert nach Wulf: Literatur und Dichtung, S. 84–89, hier S. 88. 158 So in den P.E.N. News No. 56 (June 1933), S. 4f., zitiert nach: Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 24. – Die deutsche Delegation übermittelte die Fragen in nicht ganz vollständiger Übersetzung nach Deutschland: „1) Hat der deutsche PEN-Club gegen die Bücherverbrennungen protestiert? 2) Ist es wahr, dass der deutsche PEN-Club in einem Rundschreiben eine Anzahl von Mitgliedern wegen ihrer Zugehörigkeit zur kommunistischen Partei ausgeschlossen hat? Wenn das der Fall ist, würde der deutsche PEN-Club gegen die Regeln des PEN-Clubs verstoßen haben.“ Bericht von Fritz Otto Busch und Edgar von Schmidt-Pauli (27. und 28. 5. 1933), zitiert nach: Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 22.
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sen der Sitzung.159 Wells, davon unbeeindruckt, gab Toller das Zeichen zum Beginn seiner Rede, woraufhin die deutsche Delegation in der zum Tumult gesteigerten Szene geschlossen abrückte, gefolgt von der österreichischen Delegierten Grete von Urbanitzky160, dem Schweizer Delegierten Emanuel Stickelberger und der holländischen Delegierten Johanna van Ammers-Küller. Toller sprach an diesem Tag nur kurz (er hätte es vorgezogen, unter Beisein der deutschen Delegation zu sprechen); die „Resolution René Lyr“ wurde mit 10 Stimmen bei 2 Gegenstimmen und 14 Enthaltungen angenommen; Deutschland wurde an diesem Tag trotz Abwesenheit wieder in das Exekutivkomitee gewählt.161 An der Sitzung des nächsten Tages und am offiziellen Festbankett hat die deutsche Delegation – allen Bemühungen der jugoslawischen Gastgeber zum Trotz – nicht mehr teilgenommen, sie hat sich aber in demonstrativ höflicher Form entschuldigt. Der letzte Bericht vermerkt lapidar, dass in der Schlusssitzung – neben Schalom Asch – Ernst Toller „eine kurze Rede“ gehalten habe.162 Tatsächlich aber kann seine große Rede als Höhepunkt des PEN-Kongresses betrachtet werden, insofern sie eine bemerkenswerte, auch nachhaltige Resonanz erzielt hat.163 Bei der von Toller formulierten Anklage handelte sich um den bis dahin und lange Zeit wirkungsvollsten Versuch der exilierten Schriftsteller, die Weltöffentlichkeit über die Vorgänge in Deutschland, über die Bücherverbrennungen, die Verfolgung und Vertreibung von Schriftstellern und Künstlern aus ihrer Heimat aufzuklären. In der Betrachtung ex post haben Toller und die Emigration somit recht eindeutig den „Sieg“ davongetragen. Umso mehr mag es überraschen, dass auch die deutsche Delegation mit dem Ergebnis ihrer Bemühungen hoch zufrieden war: Man habe eine ganze Reihe von Erfolgen erzielt; so sei es nicht zu einer offiziellen Erklärung des Kongresses gekommen, „die irgend eine politische oder überhaupt beleidigende Äußerung gegen Deutschland“ enthalte, vor allem aber habe man „das Gesetz des Handelns in der Hand behalten und jede weitere Entscheidung im Dunkeln gelassen“.164 Tatsächlich
159 Bericht von Fritz Otto Busch und Edgar von Schmidt-Pauli (27. und 28. 5. 1933), zitiert nach Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 22. 160 Eine präzise Darstellung zu der ambivalenten Rolle des österreichischen PEN in Ragusa gibt Klaus Amann: P.E.N. Politik. Emigration. Nationalsozialismus. Ein österreichischer Schriftstellerclub. Wien: Böhlau 1984. Zur Rolle der Schweiz in diesen Vorgängen vgl. Helen Münch-Küng: Die Gründungsgeschichte des PEN-Clubs in der Schweiz. Bern u. a.: Lang 2011. 161 Fortsetzung des Berichts (28. 5. 1933), zitiert nach Wulf: Literatur und Dichtung, S. 91. Vgl. hierzu ferner: Die deutsche Delegation des PEN-Klubs verläßt den Internationalen Kongreß. In: Völkischer Beobachter 148/149 (28./29. 5. 1933). 162 Fortsetzung des Berichts (28. 5. 1933), zitiert nach Wulf: Literatur und Dichtung, S. 92. 163 Der erste Abdruck erfolgte in der in Prag erscheinenden Neuen Weltbühne: Ernst Toller: Rede auf dem Penklub-Kongreß. In: Die neue Weltbühne 2 (1933) 24 vom 15. 6. 1933, S. 741–744. Auszugsweise abgedruckt in: Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 27–30. 164 Fortsetzung des Berichts von Fritz Otto Busch und Edgar von Schmidt-Pauli, zitiert nach: Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 23.
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hatte man sich die Möglichkeit einer weiteren Mitarbeit im Internationalen PEN offen halten können.
9 Entstehung des deutschen Exil-PEN und Austritt des deutschen PEN-Zentrums Die Behandlung der PEN-Problematik blieb auf deutscher Seite strategiegeprägt; dies zeigt das wieder betont höfliche Schreiben, das Edgar von Schmidt-Pauli anlässlich seiner in der Ausschusssitzung am 7. 7. 1933 erfolgten Wahl zum Delegierten für das Exekutivkomitee an Hermon Ould richtete und in welchem er seiner Hoffnung Ausdruck gab, „dass die Zusammenarbeit mit den Kollegen im Exekutiv-Komitée [sic] den hohen Zielen des Klubs entsprechend im kameradschaftlichen Sinne fortgesetzt werden und gute Erfolge zeitigen wird.“ Er selbst werde jedenfalls bemüht sein, seinem ehrenvollen Auftrag gemäß in diesem Sinne zu wirken. Ould könne aus dieser Meldung ersehen, „dass die Deutsche Gruppe des P.E.N. Klubs durchaus gewillt ist, die Arbeit nach den Regeln des internationalen P.E.N. Klubs fortzusetzen.“165 Den Hintergrund dieser Nachricht bildete der in der Ausschusssitzung auf Vorschlag Hans Hinkels gefasste Beschluss, die deutsche PEN-Gruppe für auslandspropagandistische Zwecke zu nutzen; mittels intensivierter Pressearbeit, Aufrufen und Veranstaltungen sollte weiterhin für die nationale Politik des ‚neuen Deutschland‘ geworben werden.166 Ould bekundete nun zwar seine Freude über Schmidt-Paulis Teilnahme an der Sitzung des internationalen Exekutivkomitees,167 führte aber gleichzeitig Korrespondenz mit Vertretern des deutschsprachigen Exils. Denn schon lange vor Ragusa, am 16. April 1933, hatte Herwarth Walden – vor der „Gleichschaltung“ Schriftführer des Berliner PEN-Zentrums – von Moskau aus bei ihm angefragt, ob die Bildung einer deutschen PEN-Gruppe im Ausland denkbar erscheine: Während des Ausbruchs der Barbarei in Deutschland, der sogenannten nationalen Revolution, befand ich mich in Moskau. Ich hatte hier seit einigen Monaten eine literar-wissenschaftliche Arbeit zu erledigen. Ich war also auch bei der Sitzung des P.E.N.-Clubs nicht anwesend, in der der Vorstand zurücktrat. Ich bitte Sie um Mitteilung, wie die Exekutive des P.E.N.-Clubs sich zu der ganzen Angelegenheit gestellt hat oder stellt. Soweit unsere Freunde nicht zufällig im Ausland waren oder das Land verlassen konnten, sind sie aufs äusserste bedrängt und in jeder Hinsicht gefährdet, soweit sie nicht bereits in Konzentrationslagern untergebracht sind. Also in lebenslänglicher Gefangenschaft. Nur dürfte das Leben dieser Regierung verrückter oder verrücktwerdender Kleinbürger nicht solange dauern. 165 Edgar von Schmidt-Pauli an Hermon Ould (8. 7. 1933). HRHRC. 166 Vgl. Barbian: Literaturpolitik, S. 86 (nach dem Protokoll der Ausschusssitzung vom 7. 7. 1933). 167 Vgl. Hermon Ould an Edgar von Schmidt-Pauli (13. 7. 1933). HRHRC.
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Wäre es möglich, den P.E.N.-Club Deutsche Gruppe im Ausland zu konstituieren. Das ist eine Anfrage meiner Initiative. Können Sie mir die Möglichkeit einer direkten Besprechung mit der Exekutive in London geben. Ich kann mich leider mit unseren deutschen Freunden nicht in Verbindung setzen, da jede Nachricht von Verfemten, zu denen ich gehöre, mit Lebensgefahr für die Briefempfänger verbunden ist.168
Da sich London, wohl mangels Überblick über die Lage, vorderhand bedeckt hielt, wiederholte Walden im August 1933 seine Anfrage: Ich bitte Sie um Auskunft, ob eine deutsche Gruppe des P.E.N., die im Ausland konstituiert würde, von der Internationale des P.E.N.-Clubs unter den üblichen Voraussetzungen, nämlich Anerkennung des Generalstatuts, bestätigt werden kann. Wie Sie wissen, sind die meisten Mitglieder von literarischer Bedeutung aus dem P.E.N.-Club ausgeschlossen, oder mussten emigrieren. Auch meine sämtlichen Bücher sind beschlagnahmt und eingezogen worden. Ich bitte Sie, eine offizielle Aeusserung der Exekutive über meine Anfrage herbeizuführen.169
Walden betrieb aber nicht nur die Gründung einer neuen Gruppe, sondern auch mit Nachdruck den Ausschluss des unter illegitimer Führung stehenden Berliner Zentrums. Anfang September wandte er sich in einem Schreiben an den Präsidenten H. G. Wells mit einer ausformulierten Beschlussvorlage: ‚Die Exekutive des P.E.N. wolle beschliessen, den P.E.N.-Club Deutsche Gruppe auszuschliessen, da die Zusammensetzung seines neuen Vorstands und Ausschusses nicht den Bestimmungen des Generalstatuts entspricht.‘ Begründung: Zahlreiche deutsche Mitglieder des P.E.N.-Clubs sind ohne jeden Rechtsgrund aus dem P.E.N.-Club Deutsche Gruppe ausgeschlossen worden. Schon das widerspricht dem Generalstatut. In dem neuen Vorstand befinden sich Personen, deren einzige schriftstellerische Tätigkeit darin besteht, dass sie sich Schriftsteller nennen. Die eigentliche Leitung liegt in den Händen eines nationalsozialistischen Beamten, wie offiziell in der deutschen Presse mitgeteilt wird. Unter den Ausschussmitgliedern sind zahlreiche Personen, die die Aufnahmebedingungen des Generalstatuts nicht erfüllt haben oder nicht erfüllen können.170 168 Herwarth Walden [Moskau] an Hermon Ould (16. 4. 1933). HRHRC. – Die in den PEN-Archivalien dokumentierten Interventionen Waldens finden in den Darstellungen zur Vorgeschichte des deutschen Exil-PEN bisher keine Erwähnung und sollen deshalb hier ausführlicher zitiert werden. 169 Herwarth Walden an Hermon Ould (14. 8. 1933). HRHRC. 170 Herwarth Walden an H. G. Wells (6. 9. 1933). HRHRC. Nachfolgend zitiert Walden aus Rudolf G. Bindings offenem Brief an Rolland, um ein besonders abschreckendes Beispiel der Inhumanität zu geben, die die neue Führung des deutschen PEN kennzeichne: „Dieser Herr Binding schreibt in einem öffentlichen Brief an Romain Rolland unter anderem folgendes: ‚Wir geben zu, dass in Deutschland Menschenjagden veranstaltet werden auf solche Menschen, die wir für nichtdeutsch zu erklären uns anmassen. Wir bekennen und nehmen nicht zurück, dass um der Abkunft, des Glaubens, der Gesinnung und Meinung willen der Mensch verfemt, verunrechtet, ja gemartert und gemordet wird. Wir räumen ein, dass Deutschland keinen Raum hat für Marxisten, Juden, Pazifisten, H u m a n i s t e n und ähnliches Gelichter. Das wird schwer sein für die Opfer, aber Gottseidank, deutsche Seele, deutsches Blut ist in der Lage, die Leiden a n d e r e r heroisch zu ertragen. Und was besagen die Leiden einzelner Gruppen gegenüber der herrlichen Tatsache, dass unser Volk wieder Volk wurde, dass die
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Dass Ould auf diese Attacke gegen Berlin nur hinhaltend mit der Zusendung der P.E.N.-News an Walden reagierte, lässt die Unsicherheit erkennen, die in London in Bezug auf die Verhältnisse in Deutschland unter dem Nationalsozialismus herrschte. Walden aber ließ sich auf diese Weise nicht beruhigen; am 27. September schrieb er erneut an Ould und brachte weitere Argumente vor: Es ist mir und meine Freunden unverständlich, dass die Exekutive duldet, ihren Namen auf diese Weise missbrauchen zu lassen. Der Vorsitzende, der sogenannte ‚Staatskommissar‘ Hinkel, ist überhaupt kein Schriftsteller und einer der politischen Hauptagitatoren der Nazis. Die Exekutive kann sich doch unmöglich damit einverstanden erklären, dass alle führenden deutschen Schriftsteller emigrieren müssen, zum Teil die Staatsangehörigkeit verlieren oder in Konzentrationslagern untergebracht werden. Das ist auch mit Mitgliedern des PEN-Clubs geschehen. Die Tatsachen müssten der Exekutive natürlich schon aus der Weltpresse bekannt sein. Die gleichgeschalteten Schriftsteller in Deutschland mögen so viele Vereine bilden, wie die Nazis befehlen. Der PEN-Club ist es aber seiner Vergangenheit schuldig, sein Ansehen nicht so diskreditieren zu lassen. Das kollegiale Verhalten der Schriftsteller des PEN hat seine Grenzen, die Grenzen, die durch das Generalstatut als solche gekennzeichnet sind. Jedenfalls dürfen Schriftsteller nicht diesen plumpen Betrug mitmachen, dass Versicherungen als wahr angenommen werden, während die Handlungen genau das Gegenteil bewiesen haben und beweisen. […] Der PEN kann gar keine anderen Konsequenzen aus dem Verhalten der deutschen Gruppe ziehen.171
Am 30. September sandte Walden noch eine Information über Dr. Johann von Leers, dem aktuellen Sekretär des gleichgeschalteten PEN, hinterher: „Damit Sie sich eine Vorstellung von den ‚schriftstellerischen Qualitäten‘ des neuen Sekretärs und von seiner P.E.N.-Gesinnung machen können, überreiche ich Ihnen einen Ausschnitt aus seinem Buch ‚Juden sehen Dich an‘. Hiernach scheint mir der Ausschluss der deutschen Gruppe mehr als selbstverständlich.“172 Im November 1933 hatte Walden allerdings noch immer keine Nachricht von der Entscheidung der Exekutive.173
deutsche Seele Auferstehung, Neugeburt, vaterländischen Höhenflug feiert. W i r s i n d d e u t s c h, w a s b r a u c h e n w i r e d e l z u s e i n? [Sperrungen vom Autor].‘ Der P.E.N.-Club würde sich zum Mitschuldigen dieser menschlichen und geistigen Schmach machen, wenn er eine deutsche Sektion mit einem solchen Ausschussmitglied in seinen Reihen duldet.“ Dieser Wortlaut stimmt nicht mit den 1933 veröffentlichten, gemäßigten Versionen überein (Rudolf G. Binding: Antwort eines Deutschen an die Welt. Berlin: Rütten & Loening 1933; Sechs Bekenntnisse zum neuen Deutschland. Rudolf G. Binding, E. G. Kolbenheyer [u. a.] antworten Romain Rolland. Hamburg: Hanseatische Verlags-Anstalt 1933), entspricht aber der Version, die 1935 in der Tarnschrift des „SDS im Exil“, Deutsch für Deutsche (Paris 1935; Reprint Zürich 1978), Verbreitung fand. Werner Mittenzwei hält diesen Wortlaut für eine Fälschung (Mittenzwei: Der Untergang einer Akademie, S. 290f.), kennt allerdings Waldens Brief nicht. Entweder ist dieser Brief Ausgangspunkt der Fälschung oder es gab eine bisher nicht identifizierte Fassung von Bindings Brief, die von diesem selbst für die Verbreitung im Druck „entschärft“ wurde. 171 Herwarth Walden an Hermon Ould (27. 9. 1933). HRHRC. 172 Herwarth Walden an H. G. Wells (30. 9. 1933). HRHRC. 173 Herwarth Walden an Hermon Ould (2. 11. 1933). HRHRC.
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Zu diesem Zeitpunkt hatten sich die Rahmenbedingungen für die Arbeit des Berliner PEN bereits markant verändert: Am 14. Oktober 1933 hatte Adolf Hitler den Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund verkünden lassen – Signal für einen neuen, aggressiven Kurs in der Außenpolitik, auf das der Vorstand des PEN denn auch sehr bald reagierte, am 1. November, mit einem „vor allen Schriftstellern der Welt“ geleisteten Bekenntnis „zum Führer des deutschen Volkes, Reichskanzler Adolf Hitler, in der Gewißheit, daß der wirkliche Friede und die wirkliche Völkerversöhnung allein unter seiner Führung geschaffen werden“.174 Auslösendes Moment dafür war ein vom Reichsverband deutscher Schriftsteller inszeniertes „Treuegelöbnis“ von 88 deutschen Schriftstellern, hinter dem der deutsche PEN nicht zurückstehen wollte.175 Am 8. November fand nun die Sitzung des PEN-Exekutivkomitees in London statt, auf der die Lage des deutschen Zentrums ausführlich diskutiert wurde. Schmidt-Pauli wurde zunächst die Frage gestellt, ob Mitglieder wegen ihrer politischen Ansichten ausgeschlossen worden seien. Dies verneinte er, gab aber zu, dass einigen die Mitgliedschaft entzogen worden sei, „because […] they had brought politics into the P.E.N.“176 Eine weitere Frage bezog sich darauf, ob das deutsche Zentrum tatsächlich allen Mitgliedern im März 1933 eine Mitteilung zugesandt habe, nach deren Punkt 3 alle, die kommunistischen oder ähnlichen Anschauungen anhingen, sich als ausgeschlossen betrachten sollten. Als Schmidt-Pauli hierzu kundgab, dass das deutsche Zentrum zu dieser Entscheidung stehe, und auf die Nachfrage, wie er „ähnliche Anschauungen“ definiere, verschiedene Erscheinungsformen des Liberalismus darunter fasste, nahm das Exekutivkomitee – bei nur einer Gegenstimme, jener SchmidtPaulis – eine von der PEN-Gründerin Dawson Scott selbst eingebrachte Resolution an: „That in the opinion of this Committee clause 3 of the communication to members of the German Centre dated 16th March, 1933, is incompatible with the general constitution of the P.E.N.“177 Daraufhin gab Schmidt-Pauli eine Erklärung ab, wonach er die Zusammenarbeit der deutschen Gruppe mit dem Internationalen PEN vorbehaltlich der Zustimmung seines Vorstands für beendet ansehen müsse: „Wir deutschen
174 Zitiert nach Barbian: Literaturpolitik, S. 86 (vgl. nähere Angaben zum Originaldokument). 175 Vgl. dazu die Schreiben von Hanns Martin Elster an Erich Kochanowski und an den Reichsverband deutscher Schriftsteller vom 27. 10. 1933 bzw. 28. 10. 1933, abgedruckt in Wulf: Literatur und Dichtung, S. 113f. In letzterem heißt es: „Die Veröffentlichung der 88 Namen wirkt insofern ungerecht, als sie den Eindruck erwecken kann, daß diejenigen Schriftsteller, die nicht in der Namensliste genannt sind, nicht zu dem Treuegelöbnis und zum Führer stehen.“ In ersterem Schreiben hatte Elster vorgeschlagen, innerhalb des PEN-Clubs eine entsprechende Aktion durchzuführen, sollte der Reichsverband den Antrag auf Erweiterung der Unterschriftenliste ablehnen. 176 P.E.N. News No. 59 (Nov. 1933), S. 3f., Protokoll der Sitzung des International Executive Committee of the P.E.N. (8. 11. 1933), zitiert nach dem Teilabdruck in: Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 36f., hier S. 36. 177 Ebd.
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Schriftsteller werden nach wie vor für den Frieden arbeiten, aber auf einem Weg, den wir für richtig und erfolgreich halten“.178 Nach Berlin zurückgekehrt, erstattete Schmidt-Pauli in einer Ausschuss-Sitzung am 18. November 1933 Bericht über die Vorgänge in London. Der Ausschuss billigte die Abgabe der Austrittserklärung und beschloss – auf Vorschlag Elsters – eine „Umgründung“ des Zentrums; dazu wurde auf Vorschlag von Leers’ eine Kommission eingesetzt, der neben Elster noch Hermann Eris Busse und von Schmidt-Pauli sowie Carl Haensel als juristischer Berater angehörte. Hans Hinkel, der diese Idee schon seit längerem verfolgt hatte,179 schlug vor, den Präsidenten der Reichskulturkammer (RKK) Hans Friedrich Blunck in den Vorstand des neuen Verbandes zu berufen und das Propagandaministerium über die Vorgänge zu informieren.180 Die Vorbereitungsarbeiten kamen offenbar rasch voran. Mit einem von Johann von Leers gezeichneten Rundschreiben am Jahresende für den 8. Januar 1934 zu einer Generalversammlung des deutschen PEN eingeladen, mit der gleichzeitig „die Gründungsversammlung des internationalen Schriftstellerverbandes ‚Union nationaler Schriftsteller‘“ abgehalten werden sollte. Hanns Johst habe sich bereit erklärt, den Vorsitz zu übernehmen; als Ausschussmitglieder seien u. a. RKK-Präsident Hans Friedrich Blunck, Gottfried Benn, Werner Beumelburg sowie Fritz Otto Busch vorgesehen.181 Am 8. Januar 1934 kam es tatsächlich zu der Errichtung der Union Nationaler Schriftsteller. Sie trat – auch vermögensrechtlich – die Nachfolge des Berliner Zentrums an, dessen Mitglieder zum formellen Beitritt in die neue Organisation aufgefordert wurden. Johst wurde zum Präsidenten, Gottfried Benn182 zum Vizepräsiden178 Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 37. – Vgl. auch: (anon.): Herr von Schmidt-Pauli in London. In: Die Sammlung 1 (1934) 4, S. 222. Hier wird berichtet, H. G. Wells habe den Vorschlag gemacht, „dass die deutschen Mitglieder des Clubs auf ihre Mitgliedschaft an der Internationalen Vereinigung verzichten sollten, bis sie wieder bereit wären, ein Mitglied aufzunehmen, ohne eine Rasse oder Gesinnung zur Bedingung zu machen.“ Dies habe den Beifall aller Anwesenden (mit Ausnahme SchmidtPaulis) gefunden. 179 Vgl. Barbian: Literaturpolitik, S. 87; danach hatte Hinkel bereits im Juli 1933 die Gründung eines „Verbands nationalbewußter Schriftsteller“ vorgeschlagen. 180 Protokoll der Ausschuss-Sitzung vom 18. 11. 1933 [Johann von Leers]. BArch Koblenz, NL Pechel N 1160 III/64. Als Teilnehmer werden dort genannt: „Barthel / v. Below / Binding / Busch / Busse / Elster / Ewers / Haensel / Hegeler / Hinkel / Hoecker / Kochanowski / v. Leers / Meyer / Müller-Jabusch / Pechel / Schauwecker / v. Schmidt-Pauli“. 181 Rundschreiben, abgedruckt in: Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 38f. 182 Benn hatte sich bereits Ende Dezember in einem Brief an Blunck darüber beschwert, er sei gar nicht gefragt worden, ob er das Amt annehmen wolle: „Ich bin gar nicht im Penclub [Benn wurde seit 1928 als PEN-Mitglied geführt!], kenne die Leute gar nicht. – Abgesehen von dieser Ungezogenheit mit den Namen bin ich der Meinung, dass diese Gründung im Augenblick keinen Sinn hat. Der Aufruf ist kläglich, die Namen darunter für diesen Zweck ganz unmöglich.“ Gottfried Benn an Hans Friedrich Blunck (31. 12. 1933), zitiert nach Claudia Scheufele: Dokumentation einer Annäherung und Distanzierung. Der Briefwechsel zwischen Gottfried Benn und Hans Grimm in den Jahren 1933 bis 1935. In: Benn-Forum 2 (2010/2011), S. 79–104, hier S. 99. Benn unternahm allerdings auch nichts gegen seine
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ten gewählt; Schmidt-Pauli fungierte als Schriftführer, Elster und Kochanowski als Schatzmeister. Am 1. März 1934 wurde im Völkischen Beobachter ein programmatischer Aufruf „An die Schriftsteller aller Länder!“ veröffentlicht, der zunächst noch einmal die Billigung des am 8. November 1933 vollzogenen Austritts aus dem PEN durch die „gesamte deutsche Schriftstellerschaft“ unterstrich.183 Diese habe „mit äußerster Erbitterung“ davon Kenntnis genommen, dass das internationale Exekutivkomitee „von der deutschen Gruppe die Aufnahme kommunistischer Mitglieder verlangte in einem Augenblick, als die kommunistischen Literaten vom Ausland her eine fanatische Verleumdungspropaganda gegen das Deutsche Reich vor aller Welt entfesselten“. Die darauf folgenden gedanklichen Abstrusitäten des Aufrufs (die sehr deutlich an die Sprache Gottfried Benns erinnern)184 müssen hier nicht in extenso ausgebreitet werden; im Zentrum steht „der hohe Begriff des Vaterlandes“, aus dem die Verpflichtung zur „Sicherung aller der großen und kleinen Vaterländer nebeneinander“ abgeleitet wird, als Ausdruck einer Gesinnung, „die auf nichts weiter zielt als auf die vertiefte Ehre der Völker und die Sammlung zu einer neuen menschlichen Gemeinschaft.“ Der hohe Ton vermischt sich im Schlussappell dann mit weiteren Tiraden gegen die Exilanten: Die deutsche Schriftstellerschaft richtet daher an die Schriftsteller aller anderen Länder die Bitte, von nun an nicht mehr den Haßausbrüchen einer zum Absterben verurteilten Emigrantenliteratur zu glauben, sondern aus uns die Stimme der deutschen Geschichte zu vernehmen. Wir sind das Erbe und die Tradition jenes Reiches, das seit tausend Jahren den Begriff und die Leistung Europas kämpfend miterschuf. Wir sind die deutschen Schriftsteller. Und wir tun hiermit den Schritt, die Schriftsteller der anderen Länder aufzufordern, unsere Anschauungen nachzuprüfen und uns wissen zu lassen, ob sie bereit sind, mit uns an die Gründung der Union Nationaler Schriftsteller zu gehen. Wollen Sie mitarbeiten, so lautet unsere direkte Frage, am Aufbau einer neuen menschlichen Gemeinschaft aller unserer, von der äußeren wie inneren Auflösung gleichermaßen bedrohten Vaterländer? Auf dieser Grundlage werden Sie uns zu jeder Freundschaft bereit finden und zu jeder kameradschaftlichen Zusammenarbeit am Aufbau der Union.185
Wahl zum Vizepräsidenten, die ja erst auf der Generalversammlung am 8. 1. 1934 erfolgte. Aufgrund einer längeren Abwesenheit Johsts fungierte Benn im ersten Halbjahr 1934 sogar als Präsident der Union. 183 An die Schriftsteller aller Länder! Aufruf der ‚Union nationaler Schriftsteller‘. In: Völkischer Beobachter 60 (1. 3. 1934). Der Aufruf ist abgedruckt in Wulf: Literatur und Dichtung, S. 99–101. 184 So z. B. die Attacken auf die aus Deutschland geflüchteten Schriftsteller, „deren Beleidigungen, Haß und Lügen gegen ihr ehemaliges Vaterland notorisch“ seien und die vom Londoner PEN zu Ehrenmitgliedern gemacht worden seien: „Das heißt nach Auffassung der deutschen Schriftstellerschaft eine Gesinnung krönen, ja sie vor dem Forum der ganzen weißen Rasse feiern, die in ihren Folgen den Rang und die Zukunft dieser Rasse für immer vernichtet.“ Wulf: Literatur und Dichtung, S. 100 (Hervorhebung durch den Verfasser); Benn war geradezu fixiert auf diesen Begriff. 185 Zitiert nach Wulf: Literatur und Dichtung, S. 100f.
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Den Hintergrund dieser Gegenüberstellung von wahrhaft vaterländischer Gesinnung und den „Haßausbrüchen einer zum Absterben verurteilten Emigrantenliteratur“ bildete die Entstehung eines Exil-PEN, die parallel bzw. sogar noch vor Unionsgründung vonstatten ging. Denn das internationale Exekutivkomitee hatte auf der Sitzung am 8. 11. 1933 nicht nur die Resolution gefasst, die den deutschen PEN zur Austrittserklärung veranlasste; das Protokoll vermerkte außerdem: „The question of whether a Centre composed of those writers who have for various reasons left Germany should be formed was considered, and it was agreed that if a suggestion to this effect were made by any of the writers in question it would be handled according to the usual routine of the P.E.N.“.186 Dies war als eine Einladung an die exilierten Schriftsteller zur Gründung eines eigenen Zentrums zu verstehen, und tatsächlich traf bereits am 15. Dezember 1933 eine entsprechende „suggestion“ ein: Rudolf Olden, die treibende Kraft hinter diesen Sammlungsbestrebungen, beantragte gemeinsam mit Lion Feuchtwanger, Max Herrmann-Neiße und Ernst Toller die Anerkennung einer autonomen PEN-Gruppe der außerhalb Deutschlands lebenden Schriftsteller. Der deutsche PEN-Club im Exil wurde im Juni 1934 auf dem 12. Internationalen PENKongress in Edinburgh/Glasgow offiziell als Zentrum bestätigt. Während nun das von Heinrich Mann präsidierte und Rudolf Olden geleitete neue Zentrum in den folgenden Jahren mit einem Minimum an Organisation und einer über viele Länder zerstreuten Mitgliederschaft zu einer bedeutenden Stimme des deutschsprachigen Exils wurde, erwies sich die Union Nationaler Schriftsteller als Fehlschlag. Zwar konnte Gottfried Benn am 29. März 1934 Filippo Tommaso Marinetti als Gast der Union in Berlin begrüßen und in einer Festrede den Vertreter des Futurismus, der „den Faschismus mit erschuf“, als einen Verbündeten und Verwandten im Geiste preisen,187 die Anwerbung von Mitgliedern im Ausland kam aber nicht voran.188 Die Union, die „alle Schriftsteller der Welt, die sich zu ihrem Volkstum und zur Gleichberechtigung der Völker untereinander bekennen, unmittelbar auf[nehmen] wollte“,189 186 P.E.N. News No. 59 (Nov. 1933), S. 3f., Protokoll der Sitzung des International Executive Committee of the P.E.N. vom 8. 11. 1933, teilabgedruckt in: Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 36f., hier S. 37. 187 Vgl. Rede auf Marinetti. In: Gottfried Benn: Essays, Reden, Vorträge. Gesammelte Werke in vier Bänden. Hrsg. von Dieter Wellershoff. Bd. 1, Wiesbaden: Limes 1959, S. 478–481. 188 Vgl. hierzu die exemplarisch fehlgeschlagenen Versuche von Hans Grimm, in Scheufele: Dokumentation einer Annäherung und Distanzierung, S. 101f. 189 Hanns Martin Elster: Die Union nationaler Schriftsteller. In: Das Deutsche Wort. Die literarische Welt 10. Jg. (Neue Folge: 2. Jahr), Nr. 20 (11. 5. 1934), S. 8f. In seinem Artikel nahm Elster noch einmal Gelegenheit, die „Gleichschaltung“ des PEN und den Austritt aus der internationalen Vereinigung zu begründen: Vor 1933 sei der PEN-Club „immer mehr in die Hände fanatischer Parteipolitiker, insbesondere der Marxisten und Kommunisten und durch diese wieder in die Hände der Juden“ geraten. Gegen die Statuten des PEN sei dieser immer mehr politisiert worden, er sei immer mehr „zu einem Abbild der Völkerbundarbeit in Genf“ geworden, und: „Wie das neue Deutschland politisch nicht mehr mit dem Völkerbund, der keine Gleichberechtigung im wahren Sinne durchzuführen vermag, zusammenarbeiten konnte, so auch nicht mehr mit dem PEN-Klub, der sich ebenfalls als Instrument des Versailler Vertrages herausgestellt hatte.“
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also zunächst auf die Bildung von Landesgruppen oder Zentren verzichtete, hatte noch im Juni 1934 keine präzisere Zielsetzung als „die Verbindung mit dem ausländischen Schrifttum, soweit es unseren geistigen und nationalen Grundlagen entspricht, zu pflegen“.190 Dass zur gleichen Zeit auf dem internationalen PEN-Kongress in Schottland der Exil-PEN als die Vertretung des ‚anderen Deutschland‘ weltöffentliche Anerkennung fand, wird den Unionsbestrebungen ebenfalls nicht förderlich gewesen sein – abgesehen von den Vorgängen im Reich, die nun vom Ausland aus doch mit größerer Aufmerksamkeit verfolgt wurden, und der Tatsache, dass sich Gottfried Benn auf dem Rückzug aus der NS-Schrifttumspolitik befand. Die nationalsozialistische Anti-PEN-Initiative schlief also ein, erlebte allerdings Jahre später eine Wiederbelebung in Gestalt einer „Europäischen Schriftsteller-Vereinigung“ (ESV), die aus den seit 1938 in Weimar abgehaltenen großdeutschen Dichtertagen und speziell einer im Herbst 1941 organisierten Deutschlandreise europäischer Schriftsteller herauswuchs und mit tatkräftiger, aber diskret gehaltener Unterstützung des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda im Oktober 1941 unter dem Vorsitz Hans Carossas gegründet wurde.191 Wie sehr sich auch die Idee der ESV noch aus dem Hass gegen den Internationalen PEN nährte, geht u. a. aus Tagebucheintragungen Joseph Goebbels‘ hervor, der im Zusammenhang mit der Errichtung der ESV höhnisch vom „Penn-Klub“ spricht, „der nicht mehr das Recht habe, im Namen des intellektuellen Europa zu sprechen“.192 Die ESV sollte – hierin ein Gegenstück zum PEN – über den Aufbau von Ländergruppen für die im Zuge der militärischen Eroberungen entwickelte Europa-Politik und die Weltbeherrschungsphantasien des NS-Regimes instrumentalisiert werden. Für kurze Zeit gelang dies auch, indem Schriftsteller, Kritiker und wissenschaftliche Autoren aus 14 Ländern zum Eintritt in den Verband motiviert werden konnten; der Krieg setzte ab 1943 auch diesen Bestrebungen ein Ende. *** Es war somit ein weiter Bogen, den der deutsche PEN in nur zehn Jahren zurückgelegt hat: Anfänglich bedeutend als eine Plattform der Begegnung und Aussöhnung mit den Weltkriegsgegnern und in dieser Funktion ein Werkzeug des Auswärtigen Amtes; dann verspottet als „harmloser Geselligkeitsverein“ und als „eine Gesellschaft von schauerlicher Abseitigkeit“193, die sich in Frack und Smoking zu unzeitgemäßen Fest190 So das von Gottfried Benn verfasste Rundschreiben vom 9. 6. 1934, zitiert nach Scheufele: Dokumentation einer Annäherung und Distanzierung, S. 100. 191 Eine ausführliche Darstellung dazu gibt Frank-Rutger Hausmann: „Dichte, Dichter, tage nicht!“ Die Europäische Schriftsteller-Vereinigung in Weimar 1941–1948. Frankfurt am Main: Klostermann 2004. 192 Zitiert nach Hausmann: „Dichte, Dichter, tage nicht!“, S. 52. 193 So Rudolf Olden über den deutschen PEN vor 1933, in einem Brief an Alfred Kantorowicz vom 5. 4. 1935, zitiert nach Walter Huder und Klaus Siebenhaar (Hrsg.): „Das war ein Vorspiel nur…“. Bü-
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diners versammelt; schließlich, nach Öffnung gegenüber einer jüngeren Generation und gegenüber weniger konservativen Positionen, die temporäre Mutation zu einer zeit- und gesellschaftskritischen Intellektuellenvereinigung, die den fatalen Entwicklungen hin zum Totalitarismus entgegentreten wollte; am Ende dann der Versuch einer Einverleibung des deutschen PEN in das System der nationalsozialistischen Literaturpolitik, der aber am Widerstand der internationalen PEN-Zentrale und an der Aufklärungsarbeit der sich sammelnden Exilschriftsteller scheiterte. Noch in den Versuchen einer Gegengründung war das NS-Regime, dessen auslandspropagandistische Ambitionen mit dem erzwungenen Austritt des deutschen Zentrums einen Schlag versetzt bekamen, negativ auf den PEN fixiert; gleichzeitig aber pervertierte es in diesen Gegengründungen dessen Friedens- und Freiheits-Idee, die mit jeder Form von Totalitarismus unvereinbar war und ist.
Literatur- und Quellenhinweise Ungedruckte Quellen
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Anhang I Satzung der deutschen P.E.N.-Gruppe, Berlin: undatiert, ca. 1930. 1. Der P.E.N.-Club, Deutsche Gruppe, ist eine Vereinigung deutscher Schriftsteller und Schriftstellerinnen, welche die Pflege geselliger Beziehungen mit in- und ausländischen Berufsgenossen für erstrebenswert halten. Politische Zwecke sind ausgeschlossen. 2. Sitz der Deutschen Gruppe ist Berlin. Mitglieder können anerkannte Schriftsteller und Schriftstellerinnen irgendeines Zweiges des Schrifttums werden, die deutsche Staatsangehörige sind oder in Deutschland wohnen. Außerhalb Berlins können Ortsgruppen gebildet werden, ohne daß dadurch die Verfassung und Leitung des Clubs geändert würden. 3. Zum Beitritt bedarf es einer Einladung durch den Ausschuß. Jedes Mitglied kann Vorschläge zur Einladung neuer Mitglieder machen. Zur Aufnahme bedarf es der Anwesenheit von mindestens 8 Ausschußmitgliedern. Sind 2 Stimmen gegen die Aufnahme, so ist der Vorschlag abgelehnt. 4. Jährlich findet eine allgemeine Mitglieder-Versammlung statt, die wenn möglich mit der ersten geselligen Vereinigung des Jahres zusammenfallen soll. Diese Mitglieder-Versammlung nimmt den Rechenschaftsbericht des Ausschusses entgegen und erteilt dem Ausschuß die Entlastung. An der allgemeinen Mitglieder-Versammlung können nur Mitglieder der deutschen Gruppe teilnehmen, es würde denn ein Mitglied einer anderen Gruppe durch besonderen Ausschußbeschluß eingeladen, doch dürften auf diese Weise eingeladene Gäste sich nie an einer Abstimmung beteiligen.
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5. Die Mitglieder-Versammlung wählt den Ausschuß, der aus mindestens 9 und höchstens 23 Mitgliedern bestehen soll. Mindestens ein Drittel des Ausschusses soll aus im Reich außerhalb Berlins wohnenden Mitgliedern bestehen und wenn möglich von jeder Ortsgruppe ein Mitglied dem Ausschuß angehören. Der erste Ausschuß besteht aus den gründenden Mitgliedern der Gesellschaft mit dem Recht der Zuwahl. Jedes Jahr scheidet ein Drittel der Ausschußmitglieder aus. Ihre Wiederwahl ist zulässig. 6. Der Ausschuß wählt aus seiner Mitte einen Vorsitzenden, einen oder zwei stellvertretende Vorsitzende, einen Schatzmeister, einen Schriftführer und einen stellvertretenden Schriftführer. Die Vereinigung wird nach außen von dem Vorsitzenden vertreten. 7. Der Mindestbeitrag für das Clubjahr beträgt 12 Mark. Dieser Beitrag ist bis zum 1. Oktober jeden Jahres voll einzuzahlen; er kann vom Ausschuß ganz oder teilweise gestundet werden. 8. Die geselligen Zusammenkünfte finden in der Regel einmal im Monat statt. Der Tag wird vom Ausschuß bekanntgegeben. 9. Jedes Mitglied kann zu den geselligen Zusammenkünften einen Gast einführen; jedoch den gleichen Gast nicht mehr als dreimal im Jahr, sofern er nicht ein nahes Familienmitglied ist. 10. Die Mitgliedschaft erlischt durch freiwilligen Austritt, der durch schriftliche Mitteilung an den Schriftführer erfolgt. Ein Mitglied, das den Jahresbeitrag trotz Mahnung nicht bezahlt oder die Interessen des Clubs in gröblicher Weise schädigt, kann vom Ausschuß als ausgeschieden erklärt werden. Dieser Beschluß erfordert eine Mehrheit von zwei Dritteln des Ausschusses. 11. Die Mitglieder der anderen Landesgruppen des P.E.N.-Clubs gelten in geselliger Beziehung als Mitglieder der deutschen Gruppe. Ausländer, die in Deutschland wohnhaft sind, unterliegen wie die Inländer der Ballotierung. Quelle: DLA, NL [Wilhelm] Lehmann 68.5176/2–4, PEN-Club, Verschiedenes.
II Mitgliederverzeichnis des P.E.N.-Clubs (Deutsche Gruppe); undatiert (1931/32), 282 Mitglieder. Alsen, Ola Andersen-Nexö, Martin Angermayer, Fred Antoine Bab, Julius Bagier, Guido Behne, Adolf Benn, Gottfried Beradt, Martin Berend, Alice Bernhard, Georg Bernus, Alexander von Bertling, K. O. Bischoff, Fritz Walther Blaß, Ernst Blei, Franz Bloem, Walter Blunck, Hans Friedrich Böhlau, Helene (al Raschid) Bock, Alfred
Bonsels, Waldemar Bormann, Hans Heinrich Brandl, Alois Brennert, Hans Brentano, Bernard von Brües, Otto Bruns, Max Brust, Alfred Bulcke, Carl Bunsen, Marie von Burschell, Friedrich Busse, Hermann Eris Claudius, Hermann Curtius, Ernst Robert Däubler, Theodor Daudistel, Albert Dibelius, Wilhelm Diebold, Bernhard Dörfler, Peter
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Donath, Adolf Dresdner, Albert Drigalski, Liesbet von (Liesbet Dill) Dülberg, Franz Eckehard, Gabriele Ehrke, Hans Eisenlohr, Friedrich Elias, Julie Eloesser, Arthur Elster, Alexander Elster, Hanns Martin Emmel, Felix Engel, Georg Federn, Helene Federn, Karl Feist, Hans Feldmann, Siegmund Feuchtwanger, Lion Fischel, Oskar Fischer, Adolf Fischer, Kurt Forbes-Mosse, Irene Franck, Hans Frank, Bruno Frank, Leonhard Frey, Alexander Moriz Friedmann, Wilhelm Friedrich, Paul Frisch, Efraim Frobenius, Leo Fröschel, Georg Fulda, Ludwig Gerhard, Adele Godwin, Catharina (de Vargas S.) Goldstein, Ludwig Goetz, Wolfgang Goldschmidt-Faber, Hermann Gomoll, Wilhelm Conrad Grabowsky, Adolf Graf, Oskar Maria Grautoff, Otto Greeven, Erich August Guenther, Johannes von Hahn, Victor Halbe, Max Harich, Walther Hatzfeld, Adolf von Hauptmann, Gerhart Hausenstein, Wilhelm
Hefele, Hermann Hegeler, Wilhelm Heilborn, Ernst Heine, Anselma Heise, Carl Georg Hermann-Borchardt, Georg Herwig, Franz Hesse, Otto Ernst Heuß, Theodor Heynen, Walter Heynicke, Kurt Herrmann-Neiße, Max Hildenbrandt, Fred Hirsch, Julius Hirschfeld, Georg Hoechstetter, Sophie Höcker, Paul Oskar Holitscher, Arthur Holländer, Felix Hollander, Walther von Houben, H. H. Huch, Rudolf Huebner, F. M. Ihering, Herbert Ilgenstein, Heinrich Jacob, Hans Jacob, Heinrich Eduard Jacobs, Monty Jacques, Norbert Kamnitzer, Ernst Katz, Richard Kayssler, Friedrich Kellermann, Bernhard Kerr, Alfred Kesser, Hermann Keßler, Graf Harry Kippenberg, Anton Kircheisen, Friedrich M. Klatt, Fritz Klein, Fritz Klutmann, Rudolf Kneip, Jacob Knudsen, Hans Kober, A. H. Köster, Adolf Kolb, Annette Kuhn, Alfred Kühn, Joachim Kyser, Hans
Anhang
Land, Hans Lange, Carl Lauckner, Rolf Lauret, René (Gast) Lehmann, Wilhelm Leip, Hans Leppmann, Franz Lersch, Heinrich Levin , Julius Lilienfein, Heinrich Lochmüller, Benedikt Loerke, Oskar Lübbe, Axel Mackowsky, Hans Magnus, Erwin Mahrholz, Werner Mann, Thomas Marcu, Valerie Matthias, Leo Mayer, Anton Meier-Gräfe, Julius Meumann, Max Alexander Meyer, Alfred Meyer-Eckhardt, Viktor Meyerfeld, Max Meyrink, Gustav Miegel, Agnes Molo, Walter von Montgelas, Graf Albrecht Moreck, Kurt Much, Hans Muckermann, Friedr. Müller, August Müller-Freienfels, Richard Müller-Jabusch, Maximilian Müller-Rastatt, Carl Muth, Carl Mutius, Gerhard von Nadel, Arno Nadler Josef Naval, Margret (Gast) Norden, Fritz Nostitz-Wallwitz, Helene von Nötzel, Karl Olden, Balder Olden, Rudolf Osborn, Max Ostwald, Hans Otten, Else
Palitzsch, Otto A. Pechel, Rudolf Petersen, Julius Peuckert, Will Erich Pinner, Rudolf Pinthus, Kurt Piper, Karl Anton Ponten, Josef Presber, Rudolf Reck-Malleczewen, Fritz Percy Reinacher, Eduard Reisiger, Hans Reuter, Gabriele Rickmers, C. Mabel Rockenbach, Martin Roda-Roda, Alexander Roeseler, Hans Roselius, Ludwig Roß, Colin Röttger, Carl Saenger, Samuel Sarnetzki, Dettmar Heinrich Seidel, Heinrich Wolfgang Seidel, Ina, Berlin Seidel, Willy Siemens, Kurt Speyer, Willy Spiero, Heinrich Südekum, Albert Schabbel, Otto Schaffner, Jakob Schäfer, Wilhelm Scharrelmann, Wilhelm Scheff, Werner Scheffler, Karl Schendell, Werner Schering, Emil Schickele, René Schmidt, Lothar Schmidtbonn, Wilhelm Schneider, Manfred Scholz, Wilhelm von Schönlank, Bruno Schreiber-Krieger, Adele Schulze, Hanns Schroeder, Rudolf Alexander Schumann, Wolfgang Schurek, Paul Stahl, Ernst Leopold
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Stehr, Hermann Sternberg, Leo Stolper, Gustav Strauß und Torney-Diederichs, Lulu von Strich, Fritz Stucken, Eduard Stutterheim, Kurt von Tagger, Theodor Talhoff, Albert Theile, Albert Toller, Ernst Ulitz, Arnold Ullmann, Regina Unger, Hellmutth Vallentin, Antonina Vershofen, Wilhelm Viebig, Clara Wach, Joachim Wagenfeld, Karl Walden, Herwarth Wassermann, Jakob
Wechsler, E. Wegner, Armin T. Weigand, Wilhelm Weisl, Wolfgang von Weismantel, Leo Weiß, Ernst Welk, Ehm Wendel, Hermann Werner, Bruno E. Wiechert, Ernst Winckler, Josef Wirz, Otto Wittmaack, Adolf Wolff, Theodor Wolfskehl, Karl Würzbach, Friedrich von Würzburger, Karl Zinn, Alexander Zobeltitz, Fedor von Zobeltitz, Martha von Zuckmayer, Carl Zweig, Arnold
Quelle: BArch Koblenz, NL Rudolf Pechel N 1160 III/64.
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Versuchte Gleichschaltung durch das NSRegime, die Auflösung und Flucht ins Exil (1933–1945) 1 Unter nationalsozialistischer Herrschaft: Gleichschaltung und Auflösung des deutschen PEN-Clubs1 „Für einen neuen deutschen PEN-Club“ lautete die Überschrift eines programmatischen Artikels, den Carl Haensel am 17. März 1933 in der Deutschen Allgemeinen Zeitung veröffentlichte: Bei der außerordentlichen Bedeutung, die dem PEN-Club als Vertreter des deutschen Geistes gegenüber den führenden Schriftstellern der anderen Völker zukommt, ist ein völliger Bruch mit der letzten Vergangenheit und den sie repräsentierenden Persönlichkeiten unvermeidlich und eine Neubesetzung des gesamten Vorstandes mit Männern unerläßlich, die wissen, daß nur der ein Volk nach außen vertreten kann, der bis in die Tiefen, mit dem eigenen Volkstum verwurzelt, gedrungen und von seinen Säften bis in die letzte Pore durchzogen ist.2
Zwei Tage zuvor, am 15. März 1933, hatte der kommissarische preußische Kultusminister Bernhard Rust die ‚Säuberung‘ der Preußischen Akademie der Künste eingeleitet, ausgehend von Heinrich Manns und Käthe Kollwitz‘ Unterstützung des „Dringenden Appells“ des Internationalen Sozialistischen Kampfbunds, „unbeschadet von Prinzipiengegensätzen alle Kräfte zusammenzufassen, die in der Ablehnung des Faschismus einig sind“.3 Rust hatte insbesondere in Gottfried Benn ein Mitglied der Sektion für Dichtkunst gefunden, das die ‚Reinigung‘ vorantrieb, indem er betonte, „daß er weiterhin zu dem Dichter Heinrich Mann stehe“.4 Benn entwarf einen Revers, den zwei Drittel der verbliebenen Sektionsmitglieder unterschrieben (darunter Gerhart Hauptmann, Georg Kaiser, Leonhard Frank, Bernhard Kellermann, Fritz von Unruh, Alfred Mombert und
1 Vgl. die Ausführungen zur Gleichschaltung und Auflösung von Ernst Fischer im Beitrag zum PEN in der Weimarer Republik in diesem Handbuch, S. 71–132. 2 Joseph Wulf: Literatur und Dichtung im Dritten Reich. Eine Dokumentation. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1966, S. 68f. 3 Hermann Haarmann u. a.: „Das war ein Vorspiel nur …“ Bücherverbrennung Deutschland 1933: Voraussetzungen und Folgen. Berlin und Wien: Medusa 1983, S. 67. 4 Inge Jens: Dichter zwischen rechts und links. Die Geschichte der Sektion für Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste dargestellt nach Dokumenten. München: dtv 1979, S. 194. (Erstausgabe München: Piper 1971)
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Franz Werfel, die aber – bis auf Hauptmann – trotzdem auf der Grundlage des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums entlassen wurden):5 Sind Sie bereit, unter Anerkennung der veränderten geschichtlichen Lage weiter Ihre Person der Preußischen Akademie der Künste zur Verfügung zu stellen? Eine Bejahung dieser Frage schließt die öffentliche politische Betätigung gegen die Reichsregierung aus und verpflichtet Sie zu einer loyalen Mitarbeit an den satzungsgemäß der Akademie zufallenden nationalen kulturellen Aufgaben im Sinne der veränderten geschichtlichen Lage.6
Rudolf G. Binding erklärte am 20. Februar 1933, „daß die Meinungsfreiheit, die uns vor allem wertvoll sein müsse, nicht in der politischen Betätigung liege“7, und Alfred Mombert schrieb am 18. Februar 1933 der Akademie, „daß es für die meisten geradezu unbegreiflich ist, wie ein einsichtiger Geist sich heute vom Kommunismus die Rettung der deutschen Kultur erhofft“.8 Am 11. März 1933 hatten zwölf Mitglieder der seit 1933 innerhalb des Schutzverbands deutscher Schriftsteller (SDS) operierenden Arbeitsgemeinschaft nationaler Schriftsteller eine Sitzung des Vorstands gestürmt, diesen zum Rücktritt gezwungen, sich selbst zum neuen Vorstand ernannt und Mitglieder aus dem Verband ausgeschlossen, die sich „‚gegen deutsches Wesen, gegen nationales Gefühl“ vergangen hatten: „Diese Vermutung galt nicht automatisch für die jüdischen Autoren, die im SDS verbleiben konnten, soweit sie sich eben nicht politisch mißliebig gemacht hatten.“9 Auch im Fall des PEN Deutschland begann die ‚Reinigung‘ noch bevor die Deutsche Studentenschaft in Kooperation mit dem Propagandaministerium und den für die Bibliotheken zuständigen staatlichen, städtischen Stellen am 12. April 1933 die Vorbereitungen für die Bücherverbrennungen „Wider den undeutschen Geist“ begann; diese verknüpfte sie mit dem so genannten Judenboykott vom 1. April 1933: „Öffentliche Verbrennung zersetzenden jüdischen Schrifttums durch die Studentenschaften aus Anlass der schamlosen Hetze des Weltjudentums gegen Deutschland.“10 Gerade die Bücherverbrennungen belegen, dass im Faschismus keine offene Politisierung der Künste stattfand. Auch die Faschisierung der Literaturverhältnisse erfolgte vielmehr im Namen der ‚gesunden‘ oder ‚reinen‘ Kunst, des ‚Ewigmenschlichen‘ und vor allem 5 Werner Mittenzwei: Der Untergang einer Akademie oder Die Mentalität des ewigen Deutschen. Der Einfluß der nationalkonservativen Dichter auf die Preußische Akademie der Künste 1918 bis 1947. Berlin und Weimar: Aufbau 1992, S. 239. 6 Jan-Pieter Barbian: Nationalsozialismus und Literaturpolitik. In: Wilhelm Haefs (Hrsg.): Nationalsozialismus und Exil 1933–1945. München: Deutscher Taschenbuch Verlag 2009 (Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart 9.), S. 53–98, hier S. 56. 7 Jens: Dichter zwischen rechts und links, S. 193. 8 Ebd., S. 197. 9 Volker Dahm: Die nationalsozialistische Schrifttumspolitik nach dem 10. Mai 1933. In: Ulrich Walberer (Hrsg.): 10. Mai 1933. Bücherverbrennung in Deutschland und die Folgen. Frankfurt am Main: Fischer 1983, S. 36–83, hier S. 39. 10 Werner Treß: „Wider den undeutschen Geist“. Bücherverbrennung 1933. Berlin: Parthas 2003, S. 62f.
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des ‚Nationalen‘, das sich wirksam als ‚unpolitisch‘ darstellte. Im Parteiprogramm der NSDAP war nur von einer einzigen der Künste und zudem ausschließlich in negativer Weise die Rede; der „zersetzende […] Einfluß“ einer bestimmten Richtung der Literatur „auf unser Volksleben“ wurde beklagt.11 Die spektakulärste Aktion, mit der der pseudo-revolutionäre Bruch zwischen der Weimarer Republik und dem ‚Dritten Reich‘ der ‚nationalen Revolution‘ inszeniert wurde, betraf insofern nicht zufällig die Literatur. In den ‚Feuersprüchen‘, unter denen am 10. Mai 1933 vor allem, aber nicht nur in den Universitätsstädten die Bücher von Karl Marx und Karl Kautsky, von Heinrich Mann, Ernst Glaeser und Erich Kästner, Friedrich Wilhelm Foerster, Sigmund Freud, Emil Ludwig und Werner Hegemann, Theodor Wolff und Georg Bernhard, Erich Maria Remarque, Alfred Kerr, Kurt Tucholsky und Carl von Ossietzky und vielen anderen verbrannt wurden, war nicht von Politik die Rede; im Namen ewiger Werte des Künstlerischen, des Menschlichen, des Deutschen wurde die Literatur der Arbeiterbewegung und der bürgerlichen Demokratie, sozialistische wie liberale kritische Literatur vernichtet. Die Werte – als Idealismus ausgegeben – wurden gegen die als ‚materialistisch‘, ‚jüdisch‘ und ‚undeutsch‘ denunzierten Interessen ausgespielt. Der erste gegen Marx und Kautsky gerichtete ‚Feuerspruch‘ fasste schon die Werte zusammen: „Gegen Klassenkampf und Materialismus, für Volksgemeinschaft und idealistische Lebenshaltung“.12 Der ‚unpolitische‘ Idealismus der Bücherverbrennung meinte Unterwerfung unter eine nach innen wie außen militant eingesetzte Ordnung der ‚Volksgemeinschaft‘. Ihre Stichworte wurden jeweils im zweiten, positiven Teil der antithetisch gebauten ‚Feuersprüche‘ genannt (Nr. 2–9): „Zucht und Sitte“, „Hingabe an Volk und Staat“, „Adel der menschlichen Seele“, „Ehrfurcht vor unserer Vergangenheit“, „verantwortungsbewußte Mitarbeit am Werk des nationalen Aufbaus“, „Geist der Wehrhaftigkeit“, „Pflege“ „der deutschen Sprache“ als „des kostbarsten Gutes unseres Volkes“, „Achtung und Ehrfurcht vor dem unsterblichen deutschen Volksgeist“.13 Das ‚Undeutsche‘ dagegen wurde als Unwertes bestimmt: „moralische[r] Verfall“, „Verrat“, „Seelenzerfaserung“, „Verfälschung“, „Volksfremdheit“, „Dünkel“, „Frechheit und Anmaßung“.14 Getragen wurde die Aktion von der Deutschen Studentenschaft, die mit einem Rundschreiben vom 9. Mai 1933 die 15 Autoren zusammen mit den ‚Feuersprüchen‘ für verbindlich erklärte, aber den örtlichen Studentenschaften ‚jegliche Freiheit‘ zur Erweiterung gab.15 11 Günter Hartung: Literatur und Ästhetik des deutschen Faschismus. Drei Studien. Berlin: Akademie 1983, S. 164. 12 Wulf: Literatur und Dichtung, S. 49. 13 Ebd., S. 49f. 14 Ebd. 15 Werner Treß (Hrsg.): Verbrannte Bücher 1933. Mit Feuer gegen die Freiheit des Geistes. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 2009, S. 41. Widerlegt ist mittlerweile die seit dem 50. Jahrestag der Bücherverbrennungen (1983) allgemein akzeptierte These, dass es sich um eine spontane Aktion der Deutschen Studentenschaft gehandelt habe, wie es etwa noch in Volker Weidermanns „Das Buch der verbrannten Bücher“ (Köln: Kiepenheuer und Witsch 2008, S. 16) heißt: „Die ‚Deutsche Studen-
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Bei den 15 landesweit obligatorischen Autoren wurde nur in jeweils zwei Fällen das antimarxistische, das antipazifistische und das antisemitische Leitmotiv angespielt; aber gerade die einzige ausdrückliche Erwähnung von ‚Jüdischem‘, nämlich im 6. ‚Feuerspruch‘: „Gegen volksfremden Journalismus demokratisch-jüdischer Prägung“,16 zeigt, wie der Antisemitismus mit anderen ‚Feindbestimmungen‘ verbunden wart. Zugespitzt gesagt (weil heutzutage im Feuilleton gelesen werden kann: die ‚jüdische Moderne‘ wäre verbrannt worden): Die jüdische Herkunft allein war kein Grund, ebenso ästhetische Modernität, Franz Kafka z. B. stand erst 1935 auf der ‚Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums‘, noch nicht auf denen von 1933 wie z. B. dem „Vorläufigen Halleschen Generalindex jüdischer, marxistischer, pazifistischer und anderer volkszersetzender Schriften“.17 Auch im PEN erfolgte die ‚Reinigung‘ unter dem Schein einer ‚Reinigung‘ von Politik. Am 9. April 1933 wurde auf einer Generalversammlung das Zentrum um Mitglieder des Rosenbergschen Kampfbunds für deutsche Kultur erweitert, der Vorstand (Hanns Martin Elster, Theodor Däubler, Herwarth Walden) – nach der Flucht des bisherigen Vorsitzenden Alfred Kerr schon am 15. Februar 193318 – zum Rücktritt veranlasst und das Zentrum ‚gereinigt‘: „Es sind etwa ⅓ der deutschen Mitglieder eingeschriebene Kommunisten, sehr viele Juden“, erklärte ein Kampfbund-Mitarbeiter.19 Zu Vorsitzenden gewählt wurden Hanns Johst sowie die Völkische Beobachter-Redakteure Hans Hinkel und (der spätere ‚Reichsdramaturg‘) Rainer Schlösser, in den Vorstand Edgar von Schmidt-Pauli, Verfasser von Die Männer um Hitler und Hitlers Kampf um die Macht, sowie Johann von Leers, Autor einer Hitler-Biographie, einer Geschichte der NSDAP und von Juden sehen dich an.20 Auf der Fortsetzung der Generalversammlung erklärte der Berliner Landesleiter des Kampfbunds für deutsche Kultur: „Wenn wir uns für den PENClub einsetzen, so geschieht das für Deutschland. Wir wollen gewiß keine eindeutig nationalsozialistische Liste durchbringen.“21 Der Herausgeber der Zeitschrift Die neue Literatur, Will Vesper, stimmte zwar der „dringend nötigen gründlichen Säuberung des Klubs“ zu, kritisierte aber nicht nur die Auswahl von Delegierten, sondern überhaupt die beabsichtigte Teilnahme am für den 25.–28. Mai 1933 anstehenden Kongress des Internationalen PEN in Dubrovnik/Ragusa: tenschaft‘ organisierte eigenmächtig eine ‚Reinigung‘ der Bibliotheken und Büchereien […]. Erst spät sprang Joseph Goebbels auf den fahrenden Zug auf.“ 16 Wulf: Literatur und Dichtung, S. 50. 17 Treß: Verbrannte Bücher, S. 41. 18 Hans-Albert Walter: Deutsche Exilliteratur 1933–1950. Bd. 1: Bedrohung und Verfolgung bis 1933. Darmstadt und Neuwied: Luchterhand 1972, S. 211. Vgl. die fiktionalisierte Darstellung des Verhaltens prominenter PEN-Mitglieder während der ersten Monate des Jahres 1933 in dem noch im selben Jahr entstandenen Roman von Balder Olden: Anbruch der Finsternis. Roman eines Nazi. Berlin: Rütten und Loening 1981, vor allem S. 108f., 117, 118–130. 19 Jan-Pieter Barbian: Literaturpolitik im „Dritten Reich“. Institutionen, Kompetenzen, Betätigungsfelder. München: dtv 1995, S. 80, bringt leider nicht die Namen der Ausgeschlossenen. 20 Barbian: Literaturpolitik, S. 68–101. 21 Wulf: Literatur und Dichtung, S. 72.
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„Es kämen […] als Vertreter Deutschlands nur […] in Frage […] Männer von höchster dichterischer Autorität, wie [Hermann] Stehr, [Erwin Guido] Kolbenheyer oder [Hans] Grimm“: „Nur die eigene Leistung, die auch den Gegner zwingt, in ihnen Ebenbürtige zu achten, kann ihnen Gehör und Wirkung verschaffen.“22 Entgegen einer heroischen Legende war es nicht erst das Auftreten Ernst Tollers auf dem Kongress des Internationalen PEN, das zur Gründung einer deutschen Gruppe außerhalb Nazideutschlands führte, sondern sie begann mit einer Initiative aus dem Internationalen PEN.23 Bereits einen Tag vor den Bücherverbrennungen erinnerte der Generalsekretär Hermon Ould in einem Schreiben an den von zwölf Mitgliedern mit „kommunistische[n] und ähnliche[n] Ideen“24 ‚gereinigten‘ deutschen PEN an die Prinzipien der Charta des Clubs: „that it stands aside from politics; that it believes in the free interchange of literature; that the only qualification for membership is distinction in literature, irrespective of nationality, race or creed“25. Der Übersetzer Klaus Manns und Tollers betonte nicht umsonst, dass er ohne „official instruction“26 handelte, denn der Verlauf des Kongresses bewies, dass die Anwendung dieser Prinzipien auf die nationalsozialistische Literaturpolitik nicht unumstritten war. Toller erhielt das Recht zu sprechen nur auf der Basis des Prinzips der Redefreiheit; der neu gewählte Präsident des Internationalen PEN, H. G. Wells, erklärte, „that the P.E.N. existed very largely to advocate freedom of expression“.27 Unmittelbar vor Tollers Rede stellte Ould als englischer Delegierter die Frage: „Was it true that the Berlin Centre had issued a notice to its members depriving those of Communist or ,similar‘ views of their rights of membership, thereby violating the first rule of the P.E.N. that it should stand aside from politics?“28 In der Konfrontation zwischen dem Internationalen PEN und dem nazifizierten deutschen Zentrum zeigte sich ein Paradox: Der internationale Sekretär Hermon Ould warf den Berlinern vor, durch die Ausschlüsse den ‚unpolitischen‘ Charakter des PEN 22 Ebd., S. 76. 23 Vgl. Egon Larsen: Die Welt der Gabriele Tergit. Aus dem Leben einer ewig jungen Berlinerin. München: Auerbach 1987, S. 39. Vgl. Brief von Gabriele Tergit an J. W. Brügel (27. 1. 1966). Deutsches Exilarchiv 1933–1945 der Deutschen Nationalbibliothek Frankfurt am Main (im Folgenden DEA), EB 88/159. Vgl. auch den ersten Satz von Hans-Christian Oeser: Zur Gründungsgeschichte unseres Zentrums. In: PENinfo 2 (2005), S. 5–7, hier S. 5, sowie Sven Hanuschek: P.E.N. Die internationale Schriftstellervereinigung. Ihre deutsche Geschichte. Ihre Aufgaben. Ausstellung und Katalog im Auftrag des P.E.N.-Zentrums Deutschland in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Böll-Stiftung. Berlin: P.E.N.-Zentrum Deutschland 2011, S. 7. 24 Wilhelm Sternfeld: Wie es zum Austritt des ersten deutschen PEN-Klubs aus der Internationale und zur Gründung des Emigranten-Zentrums kam. In: Die Kultur 4 (1955/56) 56, S. 12. 25 Der deutsche PEN-Club im Exil 1933–1948. Eine Ausstellung der Deutschen Bibliothek Frankfurt am Main. Ausstellung und Katalog: Werner Berthold und Brita Eckert. Frankfurt am Main: BuchhändlerVereinigung 1980 (Sonderveröffentlichung der Deutschen Bibliothek 10), S. 17. 26 Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 17. 27 Ebd., S. 24. 28 Ebd.
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zu verletzen, der Delegierte Schmidt-Pauli verteidigte das Berliner Zentrum damit, den ‚unpolitischen‘ Charakter des PEN gerade durch die Ausschlüsse zu retten, denn die Ausgeschlossenen hätten den PEN politisiert. In der Diskussion des internationalen Exekutivkomitees am 8. November 1933 versuchte der deutsche Vertreter Schmidt-Pauli, sich diesen ,unpolitischen‘ Grundsatz zunutze zu machen; er verteidigte die Ausschlüsse: „several members had been deprived of membership because […] they had brought politics into the P.E.N.“29 Wie im Fall der ,Reinigung‘ der Preußischen Akademie der Künste stellte sich die ,nationale Revolution‘ als ,unpolitisch‘ dar, um insbesondere kommunistischen Antifaschisten die Verletzung der Autonomie der Kunst und Literatur vorzuwerfen. Auch im Falle des PEN wurde diese Position vielfach von Konservativen akzeptiert. Die Times z. B., die über Wells’ Entscheidung, Toller reden zu lassen, äußerst distanziert berichtete, nannte Toller einen Kommunisten,30 und die Neue Zürcher Zeitung kommentierte: „[D]ie Aufnahme staatsfeindlicher Schriftsteller in den PEN-Klub würden auch wir unverständlich finden“.31 Zufrieden hatten die Nazi-Delegierten Fritz Otto Busch und Schmidt-Pauli nach Ragusa in ihrem Bericht als „Erfolg“ feststellen können: „So ist es nicht […] zu irgend welcher offiziellen Erklärung des Kongresses [gekommen], die irgend eine politische oder überhaupt beleidigende Äußerung gegen Deutschland enthält.“32 Tollers Anklage der faschistischen Politik und des nazifizierten deutschen PENZentrums wurde weder auf dem Kongress noch in der Presse diskutiert; der US-amerikanische Delegierte Henry Seidel Canby berichtete: „These Congresses, of which I have attended several, are ordinarily harmless and most delightful social gatherings […]. No issue of great importance has ever troubled the Conference“.33 Toller hatte in seiner Rede in drei Punkten Anklage gegen den deutschen Faschismus erhoben und jedes Mal gefragt: „Was hat der deutsche Pen-Klub [da]gegen […] getan?“34 Der erste Anklagepunkt lautete: „[D]ie deutschen Schriftsteller Ludwig Renn, Ossietzky, Mühsam, Duncker, Wittfogel, […] zehntausende deutsche Arbeiter [sind] ins Gefängnis gesperrt worden“;35 der zweite: „Am 10. Mai wurden die Werke der folgenden deutschen Schriftsteller verbrannt“ – Toller nannte 60 Namen, als erste zehn: Thomas und Heinrich Mann, Stefan und Arnold Zweig, Jakob Wassermann, Lion Feuchtwan-
29 Ebd., S. 36. 30 Ebd., S. 31. 31 Ebd., S. 40f. 32 Ebd., S. 23. 33 Helga Schreckenberger: Der Weltkongreß der Schriftsteller von 1939 im Spiegel der amerikanischen Presse. In: Dieter Sevin (Hrsg.): Die Resonanz des Exils. Gelungene und misslungene Rezeption deutschsprachiger Exilautoren. Amsterdam und Atlanta: Rodopi 1992, S. 10–21, hier S. 15. 34 Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 28. 35 Ebd.
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ger, Kurt Tucholsky, Emil Ludwig, Theodor Wolff, Alfred Kerr;36 der dritte Anklagepunkt betraf „die schwarze Liste der Werke jener Schriftsteller, die heute nicht mehr in Deutschland gedruckt werden und nicht mehr in deutschen Buchhandlungen verkauft werden dürfen“.37 Weder von den Delegierten noch in der konservativ-liberalen Öffentlichkeit Europas wurde auf diese Punkte eingegangen. Die Enttäuschung Klaus Manns ist seinem Tagebuch zur Zeitungslektüre am 30. Mai 1933 zu entnehmen, wo er eintrug:„PEN-Club aufgeflogen“.38 Weil es in Ragusa zu keiner Verurteilung von Verhaftungen, Bücherverbrennungen und Verboten kam, erklärte Toller am 8. Juni 1933 in Sarajewo einem Interviewer:„Es war keine würdige Manifestation der Geistesarbeiter, dieser Kongreß“.39 Im internationalen Exekutivkomitee jedoch quittierte man Schmidt-Paulis Antwort auf die Frage, wie er den kommunistischen ,ähnliche‘ Ideen definiere: „that several shades of liberal opinion would come within the meaning of that term“40, mit der Entscheidung, dass der Ausschluss solcherart weit gefasster Kommunisten „incompatible with the general constitution of the P.E.N.“41 sei: „[A] Centre composed of those writers who have for various reasons left Germany should be formed“.42 Der Beschluss ließ dem Generalsekretär für das Procedere freie Hand. Ould selbst hat in seinem Nachruf auf Rudolf Olden diesen als den „treibende[n] Geist“43 der Gründung bezeichnet.44 Zusammen mit Lion Feuchtwanger, Max Herrmann-Neiße und Ernst Toller schrieb Olden am 15. Dezember 1933, also noch bevor Hanns Johst, Gottfried Benn u. a. den Berliner PEN am 8. Januar 1934 in die kurzlebige Union Nationaler Schriftsteller transformierten, an Ould: „We the undersigned German writers living outside Germany wish to found an autonomous group of the PEN Club.“45 36 Michael Winkler (Hrsg.): Deutsche Literatur im Exil. Texte und Dokumente. Stuttgart: Reclam 1977, S. 160. 37 Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 29. 38 Joachim Heimannsberg (Hrsg.): Klaus Mann. Tagebücher 1934 bis 1935. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1995, S. 141. 39 Zitiert nach Maximilian Scheer: So war es in Paris. Erinnerungen. Berlin: Verlag der Nation 1972, S. 69. 40 Scheer: So war es in Paris, S. 36. 41 Ebd. 42 Ebd., S. 37. 43 Mitteilungsblatt 6 (April 1951), S. 1. 44 Dieselbe Position formulierte Ould 1935 gegenüber dem England bereisenden Hans Friedrich Blunck, der seinem Nachfolger als Präsident der Reichsschrifttumskammer, Hanns Johst, folgendermaßen am 30. Oktober über die mit „einer in England sonst ungewohnten Schärfe“ geführte Unterhaltung berichtete: „Ich warf ihm die Bildung deutscher Gruppen von Emigranten vor, er erwartete die Neugründung einer deutschen PEN-Gruppe im Reich unter Beachtung des Grundsatzes, dass Schriftsteller aller Richtungen aufgenommen werden können (also auch Emigranten). Ich antwortete mit grösster Schärfe und empfahl ihm, von jeder Hoffnung auf Neuausbau der Zusammenarbeit abzusehen.“ Haarmann: Vorspiel, S. 414. 45 Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 46.
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Johst als Präsident und Benn als Vizepräsident erklärten zwei Monate nach der Gründung der Union in einem „Aufruf“ An die Schriftsteller aller Länder am 1. März 1934: „Die gesamte deutsche Schriftstellerschaft, ihre Standesorganisationen wie ihre geistige Repräsentanz, eingeschlossen die aus der zweihundertjährigen ruhmreichen Preußischen Akademie der Künste hervorgegangene Deutsche Akademie der Dichtung, billigt den am 8. November 1933 in London vollzogenen Austritt der Deutschen aus dem PENClub.“46 Nach Deutschlands Austritt aus dem Völkerbund legte der PEN-Vorstand „in der Gewissheit, daß der wirkliche Friede und die wirkliche Völkerversöhnung allein unter seiner Führung geschaffen werden“, ein ‚Bekenntnis‘ zu Hitler ab. Dieses wurde von Johst und Benn in „äußerster Verbitterung“ über das internationale Exekutivkomitee, „das von der deutschen Gruppe die Aufnahme kommunistischer Mitglieder verlangte in einem Augenblick, als die kommunistischen Literaten vom Ausland her eine fanatische Verleumdungskampagne gegen das Deutsche Reich vor aller Welt entfesselten“, verschärft, indem sie ein maßgeblich von Benn geprägtes Bild des vom „geschichtsbildenden Instinkt „geleitet[en]“ „neuerwachten europäischen Formwillen[s“] entwarfen, das innenpolitische Repression und außenpolitische Aggression zusammenbrachte: Die deutsche Schriftstellerschaft ist der Meinung, daß in dem gefährdeten Zustand, in dem sich die abendländische Kultur befindet, keine geistige Neuordnung Europas sich verwirklichen, kein Stil sich bilden, keine Literatur so aufgelösten Elementen mehr entsteigen, ja überhaupt keine Geschichte diesem Erdteil mehr beschieden sein kann, wenn nicht der hohe Begriff des Vaterlandes als genealogischer Tatbestand, moralisches Erbe, sprachliches Mysterium den obersten verantwortungsfordernden Begriff der Zukunft bildet.47
Diese „Formulierungen“ nur als „aufgeblasen […] und teilweise unklar“ zu bezeichnen und aus ihnen auf „wenig Resonanz“ zu schließen, verkennt die Wirksamkeit einer weiterhin ‚unpolitisch‘ artikulierten Identifikation mit dem Faschismus an der Macht.48
2 Flucht aus Deutschland: Initiative zur Begründung einer autonomen deutschen Gruppe im Ausland Vor dem faschistischen Regime flohen aus Deutschland schon im Frühjahr 1933 vor allem, aber nicht nur parteipolitisch organisierte oder als Nazi-Gegner bekannte und deshalb durch den Terror unmittelbar gefährdete Autoren, insbesondere nach der Reichtagsbrand-Verordnung zum Schutze von Volk und Staat vom 28. Februar, 46 Wulf: Literatur und Dichtung, S. 99f. 47 Ebd. 48 Barbian: Literaturpolitik, S. 88.
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dem Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums, das Linke und Juden vom öffentlichen Dienst ausschloss, vom 7. April, und dem Gesetz gegen die Neubildung von Parteien vom 14. Juli 1933: „In den ersten Jahren (1933/34) war die politische Fluchtbewegung stärker als die jüdische“.49 Dabei gilt für die mindestens 2500 Schriftsteller:50 „Zahlenmäßig steht die Fluchtwelle von 1933 zu der der folgenden Jahre im Verhältnis 4:1.“51 Von damaligen und späteren Mitgliedern des PEN flohen außer Kerr noch vor dem Reichstagsbrand Heinrich Mann (21. 2.) und Walter Mehring (27. 2.), unmittelbar danach am 28. 2. Alfred Döblin, Ludwig Marcuse, Johannes R. Becher, Bertolt Brecht, Kurt R. Grossmann, Bruno Frank, Karl Wolfskehl, am 1. 3. Rudolf Olden, Franz Pfemfert und Adrienne Thomas, am 2. 3. Max Herrmann-Neiße, am 3. 3. Friedrich Wolf, am 4. 3. Alfred Wolfenstein und Gabriele Tergit, am 5. 3. Theodor Lessing und Gustav Regler, am 10. 3. Leonhard Frank und Leopold Schwarzschild, am 12. 3. Alfred Kantorowicz und Erika Mann, am 13. 3. Klaus Mann, am 14. 3. Arnold Zweig, am 15. 3. Hermann Kesten; auch noch im März flohen Ferdinand Bruckner, Balder Olden, Hans Sahl, Wilhelm Sternfeld, Wieland Herzfelde und Heinrich Fischer, im April Hubertus Prinz zu Löwenstein, Hans José Rehfisch, Else Lasker-Schüler und Hermynia Zur Mühlen; bis Jahresende folgten wenigstens 80 weitere Autoren und Autorinnen, unter ihnen Walter A. Berendsohn, Ivan Heilbut, Manfred Georg, Hilde Walter, Paul Roubiczek, Peter de Mendelssohn, Alfred Neumann, Friedrich Burschell und Hans FleschBruningen. 1934 flohen Elisabeth Castonier, Grete Fischer, Karl Jakob Hirsch, Kurt Kersten und Johannes Wüsten. Einige Schriftsteller konnten 1933/34 Deutschland erst nach Haft oder Konzentrationslager verlassen, so 1933 Kurt Kläber, Otto LehmannRußbüldt, Will Schaber, Eduard Claudius und, befreit durch Protest ihrer Botschaften, weil sie oder der Ehepartner keine deutschen Staatsbürger waren, Egon Erwin Kisch, Anna Seghers und Manès Sperber. Erst 1934 kamen Willi Bredel, Kurt Hiller, Wolfgang Langhoff, Julius Zerfass und Armin T. Wegner aus dem KZ frei zur Flucht, Ludwig Renn sogar erst 1936. Im Jahre 1935, als der Völkerbund-Hochkommissar die Zahlen der Flüchtlinge aus Deutschland nach politischer Orientierung schätzte und 8000 der KPD, 6000 der SPD und 5000 anderen Richtungen zuordnete,52 flohen Schriftsteller, die bisher illegal in Deutschland politisch gearbeitet hatten und der SPD (Walther Victor), KPD (Jan Petersen) oder den kleinen Parteien zwischen ihnen angehörten wie Eugen Brehm und Walter Fabian, aber auch der Konservative Karl Otto Paetel und
49 Walter: Exilliteratur, Bd. 1, S. 205. 50 Alexander Stephan: Die intellektuelle, literarische und künstlerische Emigration. In: Claus-Dieter Krohn u. a. (Hrsg.): Handbuch der deutschsprachigen Emigration 1933–1945. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1998, Sp. 30–46, hier Sp. 31. 51 Walter: Exilliteratur, S. 247. Walters Ermittlungen folgen auch die hier anschließend gegebenen Datierungen der Flucht. 52 Werner Röder: Die politische Emigration. In: Claus-Dieter Krohn u. a. (Hrsg.): Handbuch der deutschsprachigen Emigration 1933–1945. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1998, Sp. 16– 30, hier Sp. 21.
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Irmgard Keun, 1936 die bis dahin Illegalen Stephan Hermlin und Franz Jung, 1937 Kurt Pinthus. Die Fluchtbewegung vor dem faschistischen Rassismus, die 1933 in Reaktion auf den so genannten Judenboykott vom 1. April 37 000–38 000 Menschen umfasst hatte, sank zwischen 1934 und 1937 auf durchschnittlich 22 500 pro Jahr, um nach dem 9. November 1938 auf 33 000–40 000 noch bis Ende 1938 zu steigen und 1939 mit 75 000–80 000 ihren Höhepunkt zu erreichen; selbst nach Kriegsbeginn gelang 1940 15 000, 1941 8000 und in den Jahren 1942–1945 8500 Menschen die Flucht.53 Schriftsteller und spätere PEN-Mitglieder, die 1938 und 1939 aus dem rassistischen Deutschland flohen, waren Richard Friedenthal, Monty Jacobs, Edwin Maria Landau, Martin Beheim-Schwarzbach, Martin Beradt und Joachim Maass; 1940 floh Nelly Sachs. Die vier Autoren Lion Feuchtwanger, Ernst Toller, Max Herrmann-Neiße und Rudolf Olden, die am 15. Dezember 1933 für eine ‚autonome Gruppe des PEN‘ initiativ wurden, „representing free German literature in the spirit of the International PEN Club“,54 deckten die im Namen des PEN angespielte Vielfalt literarischer Gattungen repräsentativ ab – ein international renommierter Romancier, der im Ausland erfolgreichste deutsche Gegenwartsdramatiker, ein Lyriker sowie ein politischer Essayist, aber auch eine Spannweite politischer Positionen: Keiner war Kommunist, einer von ihnen, HerrmannNeiße, betonte öffentlich, nicht durch den Rassismus der Nazi-Regierung bedroht zu sein. In einem Brief an Hermann Kesten, in dem er am 17. Januar 1934 seine Absage an eine Anthologie jüdischer Autoren erläuterte und Kesten in die „in die Wege geleitet[e]“ „deutsche nazigegnerische PEN-Clubgruppe“ einlud, bestimmte er seine eigene Rolle als Repräsentant in der Gründungsinitiative: Man soll den Hitlerleuten nicht den Gefallen tun, immer nur von den Juden eine Gegenfront bilden zu lassen. In meinem speziellen Falle: Man soll der Welt zeigen, daß nicht nur jüdische Künstler, die als Juden dort verfemt waren, das toll gewordene Land verließen, nein, daß auch Dichter, die ihrer Abstammung nach ,rein deutsch‘ sind und deren Dichtung zum größten Teil aus der Verbundenheit mit deutscher Landschaft erblühte, das Nazideutschland angewidert ablehnten. Man sollte zeigen: Der Bestand der Literatur des Hitlergegnerischen Deutschland umfaßt neben episch gestaltenden, kritischen, großstädtischen Geistern auch die positive Lyrik, ,reine‘ Lyrik des schlesischen Kleinstädters Max Herrmann.55
Mit der Zusammensetzung der Initiatorengruppe konnte Vorbehalten begegnet werden, wie sie z. B. René Schickele artikulierte: Wo immer die ‚Emigrantenliteratur‘ den Anspruch erhebe, sie vertrete die deutsche Literatur, werde er dadurch widerlegt,
53 Wolfgang Benz: Die jüdische Emigration. In: Claus-Dieter Krohn u. a. (Hrsg.): Handbuch der deutschsprachigen Emigration 1933–1945. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1998, Sp. 5–16, hier Sp. 6. 54 Ebd., Sp. 6. 55 Klaus Völker: Max Herrmann-Neisse. Künstler, Kneipen, Kabaretts. Schlesien, Berlin, im Exil. Berlin: Edition Hentrich 1991, S. 171.
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daß die Sprecher entweder ‚alljüdisch‘ oder bolschewistisch seien.56 „Der ‚kombattante‘ Teil der deutschen Emigration“, teilte Schickele am 11. September 1934 Stefan Zweig mit, „besteht heute aus alljüdischen Eiferern, (mehr oder minder überzeugten) Bolschewiken, jedenfalls aus verkehrten Nazis.“57 An Schickele schrieb Annette Kolb am 24. Mai 1933, nachdem sie im Börsenblatt die „offiziell[e]“ Liste der Verbrannten und Verbotenen gesehen hatte: „Auf dem Index bist du nicht […]. Auch Thomas Mann nicht. Ausser Heinrich Mann ist kein Schriftsteller von Bedeutung darauf.“58 Emphatisch nannte Kolb ihren Briefpartner Schickele einen deutschen Dichter – und das erläuterte sie so: „weder Jude noch Parteimann“.59 Zugleich zeigte die um Olden zentrierte Vierergruppe auch eine Kontinuität zur letzten öffentlichen Manifestation deutscher Intellektueller gegen den Faschismus an der Macht vor dem Reichtagsbrand. Olden hatte zusammen mit Heinrich Mann zum Kongress ‚Das freie Wort‘ am 19. Februar 1933 aufgerufen und ihn für die Liga für Menschenrechte und den Berliner SDS im Bündnis mit der KPD nahe stehenden Organisationen durchgeführt, an dem sowohl einzelne Sozialdemokraten als auch Vertreter der ,demokratischen Mitte‘60 wie Georg Bernhard vom Berliner Tageblatt teilnahmen. Auf der ersten PEN-Mitgliederliste der „German Group […] outside Germany“61 vom März 1934 stand an erster Stelle der Name Georg Bernhards, und fast alle neuen Mitglieder hatten – außer dem damaligen KPD-Mitglied Bernard von Brentano – zum Initiativkomitee des ‚Freien Worts‘ gehört: Bruno Frank, Balder Olden und Arnold Zweig. Während Olden im britischen Exil weiterhin zur Leitung der Liga für Menschenrechte gehörte, setzte er das neue PEN-Zentrum, als dessen „temporary secretary“ ihn die PEN News vom März 1934 auswiesen, deutlich vom SDS ab. Denn der von Rudolf Leonhard, Alfred Kurella und David Luschnat in Paris KPD-nah geführte Schutzverband deutscher Schriftsteller (SDS) hatte sich mit einem Telegramm an den Kongress von Ragusa nicht nur gewissermaßen als „Gesamtorganisation der nicht-gleichgeschalteten deutschen Schriftsteller“62 konstitutiert, sondern auch einen Anspruch auf alleinige Repräsentanz der deutschen Literatur erhoben: 56 Vgl. Dieter Schiller: Der Pariser Schutzverband deutscher Schriftsteller. Eine antifaschistische Kulturorganisation im Exil. In: Exilforschung 6 (1988), S. 174–190, hier S. 182. 57 Zitiert nach Joachim W. Storck: René Schickele und Annette Kolb im Spannungsfeld des Exils. Bemerkungen zur Rezeption ihres Briefwechsels. In: Adrien Finck u. a. (Hrsg.): René Schickele aus neuer Sicht. Beiträge zur deutsch-französischen Kultur. Hildesheim u. a.: Olms 1991 (Auslandsdeutsche Literatur der Gegenwart 24), S. 254–265, hier S. 264. 58 Hans Bender (Hrsg.): Annette Kolb, René Schickele. Briefe im Exil 1933–1940. Mainz: von Hase und Koehler 1987, S. 60. 59 Ebd., S. 166. 60 Klaus Briegleb und Walter Uka: Zwanzig Jahre nach unserer Abreise … In: Exilforschung 1 (1983), S. 203–244, hier S. 232. 61 Völker: Max Herrmann-Neiße, S. 172. 62 Gegen-Angriff, 12. 11. 1933. Zitiert nach Schiller: Schutzverband, S. 177. Dieter Schiller stimmt diesem Anspruch zu, wenn er auch einschränkt, „daß der berechtigte Anspruch des Schutzverbandes in Paris, einzige legitime Vertretung des deutschen Schrifttums zu sein, nicht so verstanden werden
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Die in Ragusa vertretene Leitung des deutschen PEN-Klub ist unter dem Druck uniformierter SA-Leute (Nichtschriftsteller) eingesetzt worden. Sie hat in keiner Weise Befugnis, im Namen des deutschen Schrifttums aufzutreten […] Der Schutzverband Deutscher Schriftsteller Ausland als nunmehr einzige legitime Vertretung des deutschen Schrifttums ersucht die in Ragusa anwesenden Vertreter des PEN-Klubs, ihren Landesorganisationen von diesem Sachverhalt Kenntnis zu geben.63
Als 1935 der damalige SDS-Generalsekretär Alfred Kantorowicz Olden verklausuliert zu „Gründung und […] Betrieb einer englischen Sektion des SDS“64 aufforderte, wie Olden in Klartext übersetzte, war diese Aufforderung mit der Behauptung einer Führungsrolle für den Pariser SDS verbunden: „Es ist uns gelungen, in der Tat hier das literarische Zentrum für die deutsche Emigration zu bilden“65. Olden wies die Zumutung verbindlich – unter Hinweis auf Gemeinsamkeiten in der „Taktik“66, aber entschieden zurück: Es sei „möglicherweise ratsam, wenn von einem Verein gesagt werden kann, daß er nicht unter kommunistischer Leitung steht. Sie wissen ja, daß es zahlreiche Leute in diesem Land und anderen Ländern gibt, die sich vor diesem Wort scheuen, und daß es sich empfiehlt, wenn die Emigration nicht mit der Kommunistischen Partei identifiziert werden kann.“67 Olden grenzte den PEN aber auch von der Gegenorganisation zum SDS ab, die der Herausgeber des Neuen Tage-Buchs (NTB), Leopold Schwarzschild, 1937 als Bund Freier Presse und Literatur gründete – nach Beginn der Moskauer Prozesse, Feuchtwangers Reise in die UdSSR und dem Streit um das Pariser Tageblatt. Der SDS war im ‚Ausschuß zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront‘ vertreten, der sich im Juni 1936 im Pariser Hotel Lutetia offiziell unter dem Präsidenten Heinrich Mann konstituiert hatte. Schwarzschild hingegen trat Ende 1936 mit der Begründung – publiziert als „Radeks Schicksal“ im Januar 1937 – aus, er sei „überzeugt, das [sic] ‚Rot‘ nicht besser als ‚Braun‘ sei. ‚Alle Argumentationen versagen vor diesem Parallelismus […] und die Überzeugung, daß die eine Diktatur der Zwillingsbruder der anderen ist, wird sich unter dem Eindruck solcher Schauspiele mit wachsender Geschwindigkeit in Europa ausbreiten.‘“68 Oldens Beteuerung gegenüber dem von Alfred Kantorowicz vertretenen SDS, der PEN sei „mehr eine Fiktion als eine rechtliche Gemeinschaft“,69 ist in der Literaturgeschichtsschreibung vielfach aus diesem Kontext herausgelöst und zu einem Eingedarf, als ob er auch schon alle antifaschistischen und hitlerfeindlichen Autoren und literarischen Institutionen tatsächlich in sich vereint hätte“ (Schiller: Schutzverband, S. 182). 63 Ebd., S. 176. 64 Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 187. 65 Ebd., S. 185. 66 Ebd., S. 188. 67 Ebd., S. 189. 68 Zitiert nach David Pike: Deutsche Schriftsteller im sowjetischen Exil 1933–1945. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1992, S. 254. 69 Ebd.
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ständnis von Wirkungslosigkeit verfälscht worden;70 Olden aber ging es einerseits um das Fehlen von Generalversammlungen und Vorstandssitzungen sowie Mitgliedsbeiträgen in der Arbeit der Gruppe, andererseits um die Sicherung der Repräsentativität der Gruppe. Sein Herunterspielen der deutschen Gruppe zur ,Fiktion‘ oder, in anderen Briefen, ,Illusion‘71 erfolgte jeweils gezielt gegen Vereinnahmungen; er verwies Kantorowicz auf die internationalen Kongresse, auf denen sich in seiner Sicht entscheide, wer die deutsche Literatur vertrete: „Wenigstens war der Verlauf des letzten Kongresses [Edinburgh/Glasgow] ein Erfolg. Und es wäre nicht unmöglich, daß auch der diesjährige [Barcelona] eine Demonstration gegen das Regime Hitler bringen könnte.“72 Zugespitzt ließe sich sagen, dass die mehr als 1500 Briefe Oldens, in denen es um Mitgliedschaft einerseits und Vertretung der Gruppe auf den internationalen Kongressen andererseits ging, von 1933 bis 1939/40 die ,Realität‘ des Londoner Zentrums darstellten; der Schwerpunkt der Arbeit lag auf dem Repräsentationsanspruch, der für die aus Deutschland geflohene Literatur auf den internationalen Kongressen angemeldet wurde. Aber obwohl dieser Schwerpunkt schon mit dem Schreiben an Ould vom 15. Dezember 1933 feststand, blieb die Frage, ob London oder Paris der Sitz des Zentrums der aus Deutschland vertriebenen deutschen Literatur sein solle. Auch auf der Ebene des Internationalen PEN war das Problem zunächst offen; Wells sprach auf dem internationalen Kongress in Edinburgh/Glasgow (17.–21. 6. 1934) von einem „temporary Centre, perhaps in London or Paris“73, und auch Oulds Antrag, das Oldensche Zentrum anzuerkennen, ließ beide Möglichkeiten offen; das einstimmig anerkannte „centre pro tem“ sollte als „German P.E.N. de facto in London or Paris“ fungieren „with a view to the final complete restoration of the German P.E.N. on German soil“.74 Das 1934 vom Internationalen PEN anerkannte, in London bis 2002 basierte Zentrum änderte seinen Namen in den folgenden Jahrzehnten dreimal: von Deutsche Gruppe des Internationalen PEN über German (Anti-Nazi) Group zu Centre of German Writers Abroad und schließlich Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland. Es wurde bei seiner Gründung also keineswegs, wie das Zentrum deutschsprachiger
70 William Abbey: ,Die Illusion genannt Deutscher PEN-Club‘. The PEN-German Group and the English Centre, 1933–45. In: W. A. u. a. (Hrsg.): Between Two Languages. German-speaking Exiles in Great Britain 1933–45. Stuttgart: Heinz 1995, S. 135–153. Vgl. auch Roman Roçek: Glanz und Elend des P.E.N. Biographie eines literarischen Clubs. Wien u. a.: Böhlau 2000, S. 168: „eine Art von Schattendasein auf dem Papier“, oder die Einschätzung als im Vergleich mit dem SDS weniger bedeutend „für die Sammlung des literarischen Exils“ durch Ernst Fischer: Literarische Institutionen des Exils. In: Wilhelm Haefs (Hrsg.): Nationalsozialismus und Exil 1933–1945. München: Deutscher Taschenbuch Verlag 2009 (Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart 9.), S. 99–151, hier S. 102. 71 Vgl. Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 238. 72 Ebd., S. 187. 73 Ebd., S. 101f. 74 Ebd., S. 105.
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Autoren im Ausland auf seiner aktuellen Website behauptet, „damals ‚P.E.N.-Zentrum deutscher Autoren im Exil‘ genannt“.75 Die Beschränkung der Deutschen Gruppe auf die Repräsentation der deutschen Literatur auf den internationalen Kongressen erlaubte es, dass die Frage des Zentrumssitzes bis zum Kriegsbeginn nicht entschieden wurde. Am 24. Juli 1937 schrieb der 1934 zum Präsidenten des Zentrums ernannte Heinrich Mann an seinen Sekretär, er sei bereit, den „Vorsitz“ „auf eine, auch mir genehme Art“ abzugeben, „sobald London unser Hauptsitz wird […]. Im Fall der Verlegung nach London ergäbe es sich von selbst.“76 Unumwunden formulierte Olden in einem Brief an Walter Meckauer vom 9. Juni 1939: „[D]ie (emigrantische) deutsche Gruppe der internationalen PENAssociation […] hat natürlich nichts eigentliches mit England zu tun, sondern ihre Mitglieder wohnen in der ganzen Welt.“77
3 Die Deutsche PEN-Gruppe im Exil: Mitgliederstruktur und Funktion Im Briefwechsel des Sekretärs Olden mit dem Präsidenten Mann ging es um die Aufnahme von Mitgliedern mit sehr unterschiedlichen Erwartungen: Sie reichten von individueller Hilfe bis zum kollektiven Kampf, und die Eintritte erfolgten in deutlich unterscheidbaren Wellen. Schon die Antworten auf das Rundschreiben Feuchtwangers, Herrmann-Neißes, Oldens und Tollers vom 28. Dezember 1933, in dem um „Zustimmungserklärungen“ gebeten wurde, die freie deutsche Literatur im Geist des internationalen PEN zu repräsentieren,78 rangierten zwischen Brentanos Meinung, seine Unterschrift „könnte der hiesigen [Schweizer] Polizei gegenüber nützlich“79 sein, und Oskar Maria Grafs Forderung, „eine wirkliche antifaschistische Front damit zu schaffen“.80 Erwartungen von Hilfe anderer Art wies Olden regelmäßig zurück. Elisabeth Castonier berichtete enttäuscht von einem Gespräch: „Ich hatte gehofft, daß Olden mir irgendwelche Winke geben oder eine Verbindung zu Verlegern verschaffen könnte.“81 Einen anderen Neuling 75 Homepage des PEN-Zentrums deutschsprachiger Autoren im Ausland: Hoppla, wir leben! Verfügbar unter URL: http://exilpen.net/start/ueber (Letzter Zugriff: 28. 2. 2013). Vgl. auch Hanuschek: Geschichte, S. 7: „In London gründen Toller, Lion Feuchtwanger, Max Herrmann-Neiße und Rudolf Olden den Exil-P.E.N, der bis heute Bestand hat.“ 76 AdK Berlin, Heinrich-Mann-Archiv SB 339/3. 77 AdK Berlin, Bestand Meckauer H 61 Dh pl. 78 Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 46. 79 Ebd., S. 61. 80 Ebd., S. 62. 81 Elisabeth Castonier: Stürmisch bis heiter. Memoiren einer Außenseiterin. 8. Auflage. München: Nymphenburger 1964, S. 315.
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in London, Werner Ilberg, warnte Olden am 10. Dezember 1938: „Was das Kennen Lernen der englischen Schriftsteller angeht, so bin ich in den 5 Jahren, die ich hier lebe, darin noch nicht weit gediehen, was vielleicht an meiner Ungeschicklichkeit liegt. Infolge dessen werde ich kaum anderen dabei behilflich sein können.“82 Für die unmittelbare finanzielle Unterstützung, die z. B. Hermynia Zur Mühlen erwartete83, bildete sich eine gewisse Arbeitsteilung zwischen der PEN-Gruppe und Hubertus Prinz zu Löwensteins American Guild for German Cultural Freedom heraus. Olden gehörte nicht nur selbst zu den am stärksten durch Stipendien der Guild unterstützten Autoren, sondern er vermittelte solche auch vielen in Großbritannien exilierten PEN-Mitgliedern. Diese Zusammenarbeit basierte aber auf einer klaren Abgrenzung der praktischen Funktion der Guild von der repräsentativen Funktion des PEN-Zentrums.84 Olden versagte sich allen Initiativen Löwensteins, die diese Unterscheidung verwischten, wie etwa dem Vorschlag, den PEN als britische Parallele zur Guild zu betrachten.85 Arbeitsteilung praktizierte Olden aber auch innerhalb der PEN-Sektion. So verwies er diejenigen Autoren, die ein Vereinsleben erwarteten, auf den englischen Club. Auf die damit verbundene Kehrseite machte Olden 1938 die spätere langjährige Sekretärin Gabriele Tergit aufmerksam, der er vom Eintritt wegen des – für Exilierte hohen – Beitrags abriet: „Was wollen Sie im PEN? Der PEN ist eine Organisation, um Geld auszugeben, nicht, um es zu verdienen.“86 Der spätere Präsident Alfred Kerr war zunächst nur Mitglied des englischen Clubs und nicht der Deutschen Gruppe.87 In Eintrittswellen, die jeweils auf bestimmte Monate der Jahre 1935 und 1937–1939 zu datieren sind, veränderte sich die Mitgliedschaft der Deutschen Gruppe signifikant. Während die beiden ersten Wellen durch Kongresse in Frankreich bedingt waren, war die Expansion des faschistischen Deutschlands die Ursache der beiden letzten Eintrittswellen vor Kriegsbeginn. Im Vorfeld des Internationalen Kongresses zur Verteidigung der Kultur, der vom 21.–25. Juni 1935 in Paris stattfand, meldeten sich nicht nur kommunistische Autoren wie Johannes R. Becher, Anna Seghers und Bertolt Brecht neu an; es entsprach der von den Kommunisten vollzogenen Wende zur Volksfrontpolitik auch außerhalb Frank-
82 Charmian Brinson und Marian Malet: Rudolf Olden in England. In: Sieglinde Bolbecher u. a. (Hrsg.): Zwischenwelt 4. Literatur und Kunst des Exils in Großbritannien. Wien: Theodor-Kramer-Gesellschaft 1994, S. 193–213, hier S. 208. 83 Beate Frakele: „Ich als Österreicherin...“ Hermynia Zur Mühlen (1883–1951). In: Johann Holzner (Hrsg.): Eine schwierige Heimkehr. Österreichische Literatur im Exil 1938–1945. Innsbruck: Institut für Germanistik 1991, S. 373–383, hier S. 379f. 84 Werner Berthold u. a.: Deutsche Intellektuelle im Exil. Ihre Akademie und die „American Guild for German Cultural Freedom“. München u. a.: Saur 1993, S. 64. 85 Ebd., S. 223. 86 Bericht Oktober 1981, S. 3. 87 Vgl. Herrmann-Neißes Bericht an Paul Zech über das Scheitern einer Feier für Kerr (24. 11. 1937). In: Völker: Herrmann-Neiße, S. 219.
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reichs und Spaniens, dass Wieland Herzfelde den Eintritt in die PEN-Gruppe zugleich für F. C. Weiskopf, Albert Ehrenstein und Kurt Kersten erklärte.88 Als 1937 der Internationale PEN in Paris tagte, wollte Egon Erwin Kisch von Olden am 22. Mai 1937 nicht nur eine offizielle Einladung des SDS zum Kongress, sondern auch die der Spanienkämpfer unter den deutschen Schriftstellern zur Mitgliedschaft: Ich möchte Sie fragen, ob nicht auch andere deutsche Schriftsteller Einladungen bekommen könnten, insbesondere die, die in Spanien an der Front stehen wie Ludwig Renn, Gustav Regler, Bodo Uhse, Hans Marchwitza, Alfred Kantorowicz, Theodor Balk, Kurt Stern, usw. Auch andere Schriftsteller von Namen wie Anna Seghers, F,C,Weiskopf [sic], Leonhard Frank, Rudolf Leonhard könnte man vielleicht einladen oder, wenn es ginge, zur Mitgliedschaft im PEN-Club auffordern.89
Als der ,Anschluss‘ Österreichs und von Teilen der Tschechoslowakei Schriftsteller zur weiteren Flucht vor Nazideutschland zwang, stellte Olden fest, wie er schon am 24. April 1938 Arnold Zweig schrieb, dass auch bisher kaum interessierte Schriftsteller die Aufnahme anstreben.90 In Reaktion auf die Fluchtwelle aus Österreich traf Olden eine der wichtigsten Entscheidungen, was die Mitgliedschaft in der Deutschen Gruppe betraf. Er widersprach Oulds Empfehlung, die österreichischen Autoren in die Deutsche Gruppe aufzunehmen: „As realists“, so Ould am 27. Oktober 1938, „ought one not to combine the ex-Austrian P.E.N. members with the German? I cannot hope that Austria will become independent again […] in our lifetime.“91 Olden erwiderte, wie er Heinrich Mann mitteilte: „Hitlers ,Anschluß‘ solle uns nicht zum gleichen Vorgehen veranlassen“;92 Mann stimmte zu: „Sie haben recht, der österreichische Club bleibt selbständig.“93 Olden gelang es, das internationale Exekutivkomitee von der „Neueröffnung des österreichischen PEN“94 zu überzeugen – mit Franz Werfel als Präsident und Robert Neumann als Sekretär.95 Der Name entsprach dem des deutschen Zentrums: Austrian Group.96 Schon in den ersten Wochen nach dem ,Anschluss‘ machte Oskar Maria Graf in einem Brief an Olden vom 13. April 1938 einen Vorschlag, der die Attraktivität der Mitgliedschaft deutlich erhöhte: Mitgliedsausweise97 einzuführen, die, wie Olden selbst 88 Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 121. 89 AdK Berlin, Bestand Egon Erwin Kisch 56/38. 90 Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 238. 91 Klaus Amann: P.E.N. Politik Emigration Nationalsozialismus. Ein österreichischer Schriftstellerclub. Wien u. a.: Böhlau 1984, S. 65. 92 Ebd. 93 Ebd. 94 Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 225. 95 Ebd., S. 227. 96 Vgl. den Beitrag zur Geschichte des österreichischen PEN von Klaus Amann in diesem Handbuch, S. 481–532. 97 Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 247.
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dann wenig später Ernst Bloch schrieb, „nützlich bei Reiseschwierigkeiten“98 sein könnten. Während die Hilfe für die aus Österreich flüchtenden Schriftsteller gewissermaßen nachträglich war, also auf den ,Anschluss‘ folgte und vor allem vom englischen Club getragen wurde, versuchte die Deutsche Gruppe rechtzeitig den in der Tschechoslowakei seit dem Münchener Abkommen bedrohten Kollegen zu helfen. Im Ergebnis wurde London, wie einer der aus Prag durch den PEN Geretteten, Wieland Herzfelde, formulierte, zum Ersatz für Prag: „In England und Amerika hatten bis dahin verhältnismäßig wenige emigrierte Schriftsteller gelebt. Nun trat London an die Stelle von Prag und – mit dem Ausbruch des Krieges – New York und Mexico-City an die Stelle von Paris.“99 Oldens Zusammenarbeit mit den verschiedenen Gruppen der in der Tschechoslowakei exilierten Autoren war ein Versuch, diesmal Hitler ,zuvorzukommen‘;100 Friedrich Burschell, für den von ihm administrierten ThomasMann-Fonds, und Wieland Herzfelde schlugen aus Prag Olden „eine Art Zwischenlösung“ auch für Nicht-Mitglieder des PEN vor: „Versuchen Sie, uns durch den PEN-Club die Einreise nach England, wenigstens für ein paar Wochen zu vermitteln. […] Wenn es auch nicht PEN-Club-Mitglieder sind, so verdienen doch auch sie, daß zum Schutz ihrer Köpfe alles geschieht, und zwar schnell, sonst ist es zu spät.“101 Olden gewann nicht nur die Zustimmung des englischen Clubs zu diesem Verfahren, sondern auch die Bereitstellung von Geldern, aus denen der Czech Refugee Trust Funds wurde.102 Die Kehrseite dieser PEN-Aktion war, dass die Begründungen der Hilfsbedürftigkeit gegenüber dem Home Office darauf abstellen mussten, dass es sich bei den jeweils aus Prag zu rettenden Autoren um, wie Olden am 28. Oktober 1938 an das englische Club-Mitglied Wickham Steed schrieb, „the most harmless, innocent and unpolitical ones“ handelte.103 Im Konfliktfall wie z. B. bei der Zurückweisung Herzfeldes durch die britische Einwanderungsbehörde bei seiner Landung auf einem britischen Flughafen wurde die Fragwürdigkeit der ,unpolitischen‘ Begründung von Hilfsbedürftigkeit offenkundig; so schrieb Olden an Ould am 26. November 1938 nach Herzfeldes Abschiebung nach Paris:
98 Ebd., S. 245. 99 Wieland Herzfelde: Die deutsche Literatur im Exil. Antrittsvorlesung an der Universität Leipzig, Herbstsemester 1949. In: W. H.: Zur Sache geschrieben und gesprochen zwischen 18 und 80. Berlin, Weimar: Aufbau 1976, S. 189–213, hier S. 206. Schon am 8. Juni 1939 notierte Kantorowicz: „Es wird leer in Paris“, nach einer Auflistung derjenigen Schriftsteller, die „auf dem Weg“ nach New York seien. Ursula Büttner und Angelika Voß (Hrsg.): Alfred Kantorowicz. Nachtbücher. Aufzeichnungen im französischen Exil 1935 bis 1939. Hamburg: Christians 1995, S. 240f. 100 Amann: P.E.N., S. 65. 101 Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 305 und 307. 102 Kurt Hiller: Rote Ritter. Erlebnisse mit deutschen Kommunisten. Mit einem Nachwort von Eugen M. Brehm. Berlin und Fürth: Mytze und Klaussner 1980, S. 94 (Erstausgabe Gelsenkirchen: RuhrVerlag 1951 (Schriften zum Zeitgeschehen Heft 3)). 103 Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 338.
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What kind of political tendency do the British authorities expect of Refugees from Germany? Certainly not a Nazi tendency. Consequently there will always be ties to Communists. For the anti-Nazi opposition has the shape of the Popular Front. This is not our invention but it has been created by Herr Hitler himself who persecutes Communists, Socialists, and Liberals. […] Will the English Pen Club take any action in this case?104
Im Ergebnis kam es zur Erlaubnis eines dreimonatigen Aufenthalts für Herzfelde in Großbritannien. Mit der Ankunft der Flüchtlinge aus Prag in den Jahren 1938/39 wurde die Verwandlung der Deutschen Gruppe in eine Londoner Mitgliederorganisation möglich. Zur Realität aber wurde sie erst, als der Zweite Weltkrieg die Routine der internationalen Kongresse unterbrochen hatte und – noch entscheidender – in New York der Versuch gemacht worden war, unabhängig vom Londoner Exekutivkomitee und dem englischen Club ein Europäisches Zentrum zu schaffen. Bis zum – bei Anwesenheit der meisten Delegierten – abgesagten Kongress von Stockholm, geplant für den 3.–7. September 1939, bestimmte die Repräsentation der deutschen Literatur die Arbeit der Deutschen Gruppe. Weil diese Literatur aus dem faschistischen Deutschland vertrieben war, konnte diese Repräsentanz – so Olden und Heinrich Mann – nur Vertretung der deutschen Literatur als einer antifaschistischen meinen. In der Auswahl der Redner wurde von Olden und Heinrich Mann, so wie Ould es am 3. Mai 1934 nahe gelegt hatte, Repräsentation im Hinblick auf die internationalen Adressaten mit Prominenz gleichgesetzt: Ould betonte „the moral value of having a really distinguished German writer representing German literature“.105 Mit Toller (1934), Klaus Mann (1935), Emil Ludwig (1936), Feuchtwanger (1937) und Thomas Mann (1939) – den Olden von Anfang an im Blick gehabt hatte – wurden Mitglieder der Gruppe delegiert, die Spitzenplätze auf der von Walter A. Berendsohn 1939 erstellten „Übersicht über die Verteilung der Übersetzungen“ der Jahre 1933–1938 einnahmen: Feuchtwanger führte mit 80 übersetzten Titeln vor Mann mit 74 und Ludwig mit 60;106 Berendsohns 1939 abgeschlossenes Buch,107 das die Prominenz der deutschen Redner auf den internationalen Kongressen des PEN belegte, sich aber keineswegs auf diese beschränkte, im Gegenteil, die ganze Breite der von den Prominenten nur repräsentierten Literatur sichtbar zu machen versuchte, bestimmte im letzten Absatz seinen idealen Leser als den Internationalen PEN: „Vielleicht mag dies Buch über die deutsche Emigranten-Literatur 104 Ebd., S. 314f. 105 Brief an Ika Olden (3. 5. 1934). Zitiert nach: Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 94. 106 Walter A. Berendsohn: Die humanistische Front. Einführung in die deutsche Emigranten-Literatur. Erster Teil: Von 1933 bis zum Kriegsausbruch 1939. Zürich: Europa 1946, S. 158. 107 Bei Werner Berthold: Exil-Literatur 1933–1945. Eine Ausstellung aus Beständen der Deutschen Bibliothek, Frankfurt am Main (Sammlung Exil-Literatur). 2. Auflage. Frankfurt am Main: Deutsche Bibliothek 1966 (Sonderveröffentlichungen der Deutschen Bibliothek 1), S. 164, heißt es ohne weiteren Hin- oder Nachweis: „Berendsohn wurde 1938 von einer englischen Stelle aufgefordert, einen Essay über die Literatur der deutschen Emigranten zu schreiben.“
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dem P.E.N.-Club und den nicht-deutschen Schriftstellern aller Kulturländer überhaupt den Beweis liefern, daß die deutschen landesflüchtigen Schriftsteller mit Fug und Recht an den internationalen Kongressen teilnahmen, daß hinter ihnen die repräsentative deutsche Literatur, das andere und wahre Deutschland stand.“108 Für die Frage, wer sprechen sollte, spielte neben der internationalen Prominenz aber auch das Verhältnis zwischen interner Repräsentativität – im Sinne des in der Gruppe vertretenen politischen Spektrums von liberal bis kommunistisch – und dem zu erwartenden externen Echo auf die internationalen Kongresse eine besondere Rolle. Hier zeigten sich die Probleme des Antifaschismus im liberalen Club. So begründete Olden den Wunsch, Klaus Mann auf den Kongress von Barcelona zu delegieren, am 6. März 1935 in der Form einer – auf Unkenntnis der jüdischen Herkunft des Adressaten beruhenden – Bitte um Hilfe: „Unter uns gesagt, die Emigration sollte doch nicht immer nur von Juden vertreten sein, es ermüdet. […] Können Sie nicht helfen?“109 Ebenso war Olden bemüht, die Gleichsetzung von Exilliteratur und KPD zu vermeiden, akzeptierte aber Herzfelde als Delegierten für Prag, den Bloch so vorgeschlagen hatte: „Er ist […] in kluger Konzilianz, konzilianter Festigkeit geübt, weltläufig, […] spricht englisch und französisch […]. Ein mögliches Hindernis: das KPhafte – tritt hier am wenigsten in Erscheinung“.110 Tollers Rede auf dem Kongress von 1934 in Edinburgh/Glasgow begründete einen Antrag, der gegen die Stimme des Schweizer Delegierten angenommen wurde: Er verlangte die Freilassung derjenigen deutschen Schriftsteller, die „have been imprisoned without trial and without having committed any offence against the laws of their land, for no other reason than that they had, under former governments, in former years written books the intellectual content of which was not to the taste of the present government“.111 Klaus Mann konzentrierte sich in seiner Rede in Barcelona 1935 auf „besonders krasse Fälle – zufällig herausgegriffen unter vielen – und betonte: „[I]ch bleibe in streng literarischer Sphäre“.112 Nachdem er über die Schicksale Ossietzkys, Renns, Felix Fechenbachs, Edgar J. Jungs (allerdings ohne den Namen dieses „konservative[n] Schriftsteller[s]“113 zu nennen) und Theodor Lessings gesprochen hatte, behandelte er besonders ausführlich die Entführung Berthold Jacobs; er nannte auch den Grund: Der allgemeine Protest ist eine Macht, das hat der Fall Jacob bewiesen: unser unglücklicher Kollege ist zwar noch nicht frei, aber unter dem Druck der Weltmeinung hat man doch gezögert, ihn einfach umzubringen. – Zu solchem Protest sind am meisten wir verpflichtet, die Schriftsteller: nicht nur, weil es sich um einen Berufskollegen, vor allem, weil es sich um die letzte Bewahrung von Idealen
108 Berendsohn: Die humanistische Front, S. 182. 109 Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 128. 110 Ebd., S. 273. 111 Ebd., S. 107. 112 Michel Grunewald (Hrsg.): Klaus Mann. Mit dem Blick nach Deutschland. Der Schriftsteller und das politische Engagement. München: edition spangenberg 1985, S. 60. 113 Ebd.
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handelt, die uns am teuersten sind. Protestieren wir gegen die Einkerkerung und Mißhandlung der Schriftsteller in Deutschland!114
Obwohl Mann die inhaftierten Schriftsteller umfassend als „Katholiken, Juden, Pazifisten und Sozialisten“115 charakterisierte, stimmte die niederländische Delegation gegen Manns Resolution, die die Freilassung aller inhaftierten Autoren forderte und die Namen Ossietzky, Renn und Jacob nannte, mit folgender Begründung: „their objection was not to the principle of the resolution, to which they agreed, but to the stating of names.“116 Auch in Emil Ludwigs Rede in Buenos Aires (1936) spielte der Name Ossietzky eine zentrale Rolle; Ossietzky, „den ein großer Teil der Weltmeinung für den Nobel-Preis vorgeschlagen hat“, belegte Ludwigs These: „Die Juden und Kommunisten bilden alles andere, nur nicht die Mehrheit derer, die ermordet und eingesperrt worden sind. Das gleiche Schicksal hat man den demokratischen ,Ariern‘ bereitet.“117 Ludwig legte keinen Antrag vor, so dass auf seine Rede nur der spontane Ausdruck von „sympathy and encouragement“118 für die exilierten deutschen Autoren folgte – in Form einer „Ovation […] auf Veranlassung des […] Belgiers [Louis] Piérard“.119 Obwohl Feuchtwanger auf dem internationalen Kongress 1937 in Paris heftigen Angriffen wegen seines Buches Moskau 1936 ausgesetzt war, führte seine Rede, die in einem Antrag zur Solidarität mit Ossietzky endete, zur Annahme dieser Resolution. Feuchtwanger bezog sich in seiner Rede auf „Statistiken“ zu „Auflagenhöhe“, „Quantität“ und „Intensität der Rezensionen“, um zu belegen, „daß von den rund hundert Schriftstellern, die innerhalb der deutschen Grenzen Geltung hatten, heute noch zwölf innerhalb dieser Grenzen leben […]. Von den Schriftstellern, die […] Weltgeltung haben, leben innerhalb der deutschen Reichsgrenzen noch nicht zwei“.120 Dementsprechend nannte die von Feuchtwanger eingebrachte Resolution den „Kampf“ der Nazi-Regierung gegen Ossietzky „eines Kulturstaates unwürdig“; die „Mißbilligung“ und der „Einspruch“ des Kongresses ging über den Fall des Nobelpreisträgers hinaus: „Unwürdig eines Kulturstaates sind weiter die Methoden, durch welche die gleiche Regierung eine Anzahl verdienter deutscher Schriftsteller, um ihrer Gesinnung willen, an der Ausübung ihres Werkes zu hindern versucht.“121
114 Ebd., S. 62. 115 Ebd., S. 60. 116 Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 134. 117 Ebd., S. 149. 118 Ebd., S. 144. 119 Emil Ludwig: Epilog zum PEN-Kongress. In: Neue Weltbühne 44 (1936), S. 1374–1378, hier S. 1376. 120 Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 169f. Feuchtwangers Rede wurde in der Pariser Tageszeitung als Aufmacher des Beitrags „Wie das Dritte Reich die Schriftsteller verfolgt“ gedruckt. In: Pariser Tageszeitung 376 (23.6.1937), S. 1. 121 Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 172.
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In Prag brachte Wieland Herzfelde 1938 eine Gedenkresolution für Ossietzky zur Annahme, die den „großen Essayisten und Pamphletisten“ „die Verkörperung“ der PEN-Prinzipien und ein Vorbild von „Überzeugungstreue und tapfere[m] Einstehen“ für die „Idee des Friedens und der Freundschaft zwischen den Völkern“ nannte.122 Der Erste Delegierte, den Heinrich Mann Olden mit der Begründung vorgeschlagen hatte, er „würde […] statt einer geistesscharfen eine kernige Sprache führen, und seine Erscheinung muss dem Kongress unbedingt vorgeführt werden. So sehen die volksfremden Intellektuellen aus“,123 half durch seine Kontroverse mit dem scheidenden Präsidenten Wells über die Stellung des PEN zum Antisemitismus eine – schließlich einstimmig angenommene – Resolution des Jiddischen Zentrums durchzusetzen. Thomas Manns Rede ‚Das Problem der Freiheit‘ war bereits im Satz, als der Stockholmer Kongress 1939 verschoben wurde. Die ungehaltene Rede basierte auf einem Vortrag, den er im Frühjahr 1939 in US-amerikanischen Städten gehalten hatte,124 „umgearbeitet, gekürzt und der Gelegenheit angepaßt“125, der, wie er im Tagebuch formulierte, „Übernahme der Vertretung der deutschen Gruppe in Stockholm“.126 Unter dem Titel ‚Das Problem der Freiheit‘ präsentierte Mann eine – erst im Verlaufe des Exils gewonnene – „Einsicht, welche dem auf seine Sonderkultur stolzen Individuum nicht eben leichtfällt“: daß eine rein individualistische, rein persönliche und geistige Humanität unvollständig und für die Kultur gefährlich ist; daß das Politische und Soziale Teilgebiete des Menschlichen sind, und daß es nicht möglich ist, sie vom Geistigen und Kulturellen reinlich zu trennen, sich auf dieses zurückzuziehen und zu erklären, daß man sich für jenes ‚nicht interessiere‘.127
4 Der Zweite Weltkrieg: Internierungswellen und deren Folgen für das Exil Mit Kriegsbeginn wurden wie in Frankreich auch in Großbritannien Deutsche, die vor der politischen und rassistischen Verfolgung durch den Faschismus geflohen waren, interniert: zuerst 1939 in kleinerer, dann 1940 – nachdem die Eroberung Norwegens in den Medien und von der Regierung als Ergebnis vorheriger Tätigkeit einer ,deut-
122 Ebd., S. 282. 123 Heinrich Mann an Rudolf Olden (28. 4. 1938). Zitiert nach: Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 269. 124 Peter de Mendelssohn (Hrsg.): Thomas Mann. Tagebücher 1937–1939. Frankfurt am Main: Fischer 1980, S. 760. 125 Ebd., S. 796. 126 Ebd., S. 440. 127 Thomas Mann: Das Problem der Freiheit. In: Hans Bürgin (Hrsg.) Thomas Mann. Das essayistische Werk in acht Bänden, Bd. 3. Frankfurt am Main: Fischer 1968, S. 65–80, hier S. 74.
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schen fünften Kolonne‘ präsentiert worden war –128 in größerer Zahl. Von den in Großbritannien lebenden Mitgliedern der Deutschen Gruppe, deren Namen sich auf der Mitgliederliste von 1939 fanden, wurde in der ersten Welle nur Kurt Karl Doberer129 interniert, in der zweiten dann aber auch Burschell,130 Friedenthal,131 Hiller,132 Dosio Koffler,133 Friedrich Walter Nielsen134 und vor allem Olden selbst;135 Herrmann-Neißes Abtransport ins Internierungslager wurde nur durch das Eingreifen eines Arztes „vorläufig“ ,ausgesetzt‘.136 Zu den Internierten zählten auch andere in Großbritannien exilierte Schriftsteller, die erst nach der Reaktivierung der PEN-Gruppe seit 1941 Mitglied wurden: Eugen M. Brehm,137 Hans Flesch,138 Heinrich Fraenkel,139 Hans José Rehfisch140 und Max Zimmering.141 Die Internierung erfasste sogar solche PEN-Mitglieder, die sich bereits um Naturalisierung als britische Bürger bemüht oder der Regierung Hilfe bei ihrem ,war effort‘ angeboten hatten. Nicht betroffen von der Internierung waren solche PEN-Mitglieder von 1939, die bereits von britischen Regierungsstellen beschäftigt wurden wie Peter de Mendelssohn142 oder Karl Otten.143 Eine Möglichkeit
128 Peter und Leni Gillman: ‘Collar the Lot!’ How Britain Interned And Expelled Its Wartime Refugees. London, Melbourne und New York: Quartet Books 1980, S. 85. 129 Werner Röder und Herbert Strauss (Hrsg.): International Biographical Dictionary of Central European Emigrees. Bd. 2, Teil 1. München u. a.: Saur 1983, S. 132. 130 Roland Krischke (Hrsg.): Friedrich Burschell. Erinnerungen 1889–1919. Ludwigshafen: Stadtarchiv 1997, S. 273. 131 Richard Friedenthal: Die Welt in der Nußschale. Roman. München: Piper 1956. 132 Hiller: Rote Ritter, S. 99. 133 Ebd., S. 100. 134 Werner Röder und Herbert Strauss (Hrsg.): International Biographical Dictionary of Central European Emigrees. Bd. 2, Teil 2. München u. a.: Saur 1983, S. 86. Zu Walter Nissen in Picture Post vom 28. 9. 1940 vgl. Michael Seyfert: Im Niemandsland. Deutsche Exilliteratur in britischer Internierung. Ein unbekanntes Kapitel der Kulturgeschichte des Zweiten Weltkriegs. Berlin: Das Arsenal 1984, S. 122. 135 Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 344. 136 Völker: Herrmann-Neiße, S. 230. 137 Karl Holl: Deutsche Pazifisten im britischen Exil. In: Charmian Brinson, Richard Dove u. a. (Hrsg.): „England? Aber wo liegt es?“: Deutsche und österreichische Emigranten in Großbritannien 1933–1945. München: Iudicium 1996, S. 71–85, hier S. 84. 138 Richard Dove: The Gift of Tongues. German-speaking Novelists Writing in English. In: William Abbey u. a. (Hrsg.): Between two Languages. German-speaking Exiles in Great Britain 1933–45. Stuttgart: Heinz 1995, S. 95–115, hier S. 99. 139 Seyfert: Im Niemandsland, S. 191. 140 AdK Berlin, Tagebuch, Bestand Hans José Rehfisch. 141 Berendsohn: Die humanistische Front, S. 176. 142 Unterwegs. Peter de Mendelssohn zum 70. Geburtstag. Frankfurt am Main: Fischer 1978, S. 97. 143 Karl Otten: Geplante Illusionen. Eine Analyse des Faschismus. Frankfurt am Main: Luchterhand 1989, S. 361–365. Richard Dove: ,Marching on‘: Karl Otten at the BBC. In: Charmian Brinson, Richard Dove u. a. (Hrsg.): Keine Klage über England? Deutsche und österreichische Exilerfahrungen in Großbritannien 1933–1945. München: Iudicium 1998, S. 39–47, hier S. 39f.
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der Befreiung aus der Internierung war die Meldung zum Pioneer Corps144, eine Möglichkeit, die das Mitglied der Deutschen Gruppe Otto Zarek145 wahrnahm, aber auch später in das Zentrum eintretende wie Lutz Weltmann146 oder Arnold Bender.147 Wenn durch die „Vermittlung des englischen PEN-Clubs“148 auch nicht die ursprüngliche Internierung verhindert werden konnte, so begann sie in dem Maße eine immer wichtigere Rolle zu spielen, wie die britische liberale Öffentlichkeit die Regierung unter Druck setzte. Im September 1940 stellte die Präsidentin des englischen Clubs, Margaret Storm Jameson, fest: „This month […] the PEN was appointed by the Home Office to advise it on the standing, past life, and claims of every refugee writer who had been or might be interned, and on all appeals from ,men of letters‘ for release.“149 In den Fällen der erst spät und aus überseeischer, kanadischer oder australischer Internierung Entlassenen war der Internationale PEN entscheidend beteiligt, so an der Befreiung Zimmerings.150 Im Herbst 1941, konstatierte Storm Jameson, „all our interned Germans had been released“.151 Die Arbeit der Gruppe kam zum Erliegen – zunächst infolge Oldens eigener Internierung. Schließlich starben Olden und seine Frau Ika auf der Überfahrt in die USA bei der Torpedierung des Dampfers City of Benares am 17. September 1940. So lag die Befreiung internierter Autoren allein in der Hand des englischen Clubs, wie Storm Jameson berichtet: „Hermon and I laboured alone, to exhaustion, knowing to make only one mistake would compromise every refugee.“152 Die einzige Londoner kulturelle Organisation, die für einen gewissen Zusammenhalt der deutschen Exilierten sorgen konnte, der Freie Deutsche Kulturbund (FDKB), sah sich seit Kriegsbeginn einer Belastungsprobe ausgesetzt. In der im Dezember 1938 unter Beteiligung des PEN-Mitglieds Kerr153 gegründeten Organisation wurde seit dem ,Hitler-Stalin-Pakt‘ der Einfluss der KPD, der acht von 26 Vorstandsmitgliedern angehörten154, zum Problem. Von diesen stand nur John Heartfield in einer Beziehung zum PEN, insofern er auf Oldens Liste der aus Prag zu 144 Vgl. zur Rekrutierung Andreas Klugescheid: ′His Majesty’s Most Loyal Aliens′. Der Kampf deutsch-jüdischer Emigranten in den britischen Streitkräften. In: Exilforschung 19 (2001), S. 106–127, hier S. 108. 145 Röder und Strauss (Hrsg.): International Biographical Dictionary, S. 1275. 146 Ebd., S. 1234. 147 Hans-Christian Müller (Hrsg.): „Kleines Leben in England“. Arnold Bender 1904–1978 – Ein Dortmunder Schriftsteller im Exil. Dortmund: Stadt- und Landesbibliothek Dortmund 1982, S. 38. 148 Klaus Piper (Hrsg.): Und unversehens ist es Abend: Von und über Richard Friedenthal. Essays, Gedichte, Fragmente, Würdigung, Autobiographisches. München, Zürich: Piper [1976], S. 54. 149 Abbey: ,Die Illusion‘, S. 147. 150 Röder und Strauss: Dictionary, S. 1229. 151 Abbey: ,Die Illusion‘, S. 148. 152 Ebd. 153 Ulla Hahn: Der Freie Deutsche Kulturbund in Großbritannien. Eine Skizze seiner Geschichte. In: Lutz Winckler (Hrsg.): Antifaschistische Literatur. Programme, Autoren, Werke. Bd. 2. Kronberg: Scriptor 1977, S. 131–195, hier S. 137. 154 Ebd., S. 137f.
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Rettenden gestanden hatte. Allerdings betätigten sich im FDKB in den Jahren 1939/40 viele Autoren, die nach 1941 zum PEN stießen: Rita Hausdorf,155 Berthold Viertel,156 Egon Larsen,157 Werner Ilberg, Freimut Schwarz, Lutz Weltmann158 und Hans José Rehfisch159. Im Gegensatz zur offiziellen KPD-Politik begrüßte der FDKB die britische Kriegserklärung „als Beitrag zur Vernichtung des Faschismus“160 und bemühte sich, seinen Mitgliedern Arbeitsplätze in der kriegswichtigen Industrie zu vermitteln. So wurde auf der einen Seite die Internierungszeit zur Blütezeit des FDKB:161 „Die Isolierung von der britischen Öffentlichkeit und das Bedürfnis nach Kontakt mögen wesentliche Gründe dafür gewesen sein, daß die Zahl der FDKB-Mitglieder bis zum Frühjahr 1940 auf 1500 stieg und in mehreren Städten Ortsgruppen gebildet wurden.“162 Auf der anderen Seite wuchs der Druck auf prominente Schriftsteller, sich vom kommunistisch beeinflussten FDKB zu distanzieren. Am 10. November 1939 trat der bisherige Präsident Kerr nicht nur zurück, sondern auch aus der Organisation aus, bestand aber darauf, dass öffentlich als Rückund Austrittsgrund nur „Meinungsverschiedenheiten mit dem [kommunistischen] Mitglied [Alfred] Meusel“163 genannt werden sollten. Zu Kurt Hillers Enttäuschung folgten nur „[s]ehr wenige“164 Kerrs „Beispiel“, aus dem FDKB auszutreten, und vor allem trat Kerr selbst nicht der GUDA bei165, der bereits im März 1939 erfolgten „Gegengründung“166 zum FDKB, der Gruppe Unabhängiger Deutscher Autoren, in der außer Hiller 1939 noch ein weiteres PEN-Mitglied war: Dosio Koffler. Doch traten andere GUDA-Mitglieder später in den PEN ein: Irmgard Litten, Heinrich Fischer und Hans Jaeger.167 Die Bedeutung des Wortes ,unabhängig‘ im Namen der Gruppe erläuterte Hiller auf eine Weise, die deutlich macht, warum sie eine ,Gegengründung‘ war: „Da in London niemand von Berlin abhängig war […], besagte ,unabhängig‘ im Titel der ,Gruppe‘: unabhängig von Moskau. Die ganz selbstverständliche Unabhängigkeit von unserer Sozialdemokratie und von den kleineren politischen Verbänden, die es gab, war mitgemeint.“168 Zu diesen ,mitgemeinten‘ Organisationen gehörte im London der Internierungszeit die Thomas-Mann-Gruppe (TMG) mit Burschell, der bereits PEN-Mitglied war, und 155 Ebd., S. 138. 156 Ebd., S. 144. 157 Ebd., S. 145. 158 Ebd., S. 188. 159 Ebd., S. 188. 160 Ebd., S. 146. 161 Heinrich Fraenkel: Lebewohl, Deutschland. Hannover: Literatur und Zeitgeschichte 1960, S. 62. Vgl. Max Zimmering: Der gekreuzigte Prometheus. Begegnungen mit Zeitgenossen. Rudolstadt: Greifenverlag 1969, S. 67f. 162 Hahn: Der Freie Deutsche Kulturbund, S. 148. 163 Ebd. 164 Ebd., S. 323. 165 Ebd., S. 324. 166 Ebd., S. 322. 167 Ebd. 168 Ebd.
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Sternfeld sowie Bernhard Menne, die auf PEN-Visen aus Prag entkommen waren169 und später dem PEN beitraten. Auch für die – wie Menne170 – der SPD angehörenden oder ihr in Opposition nahen Mitglieder der TMG war die Rolle der Kommunisten im FDKB der entscheidende Einwand gegen den umfassenden Anspruch der Organisation, alle deutschen Anti-Nazis auf dem Boden der demokratischen Traditionen deutscher Kultur zu vereinen. Die Szene des deutschen literarischen Exils der frühen 1940er Jahre in London differenzierte sich im Ergebnis der Internierungszeit klar in drei sich feindlich gegenüberstehende Gruppen, wie Fritz Beer in seinen Memoiren171, aber auch schon ein zeitgenössischer auswärtiger Beobachter wie Berendsohn172 feststellte: FDKB, GUDA und TMG. Die durch die Internierungszeit bedingte Verschärfung der wechselseitigen Verdächtigungen führte zu einer Umkehrung jener Vergleiche des ,friedlichen‘ Londoner Exils mit den anderen Zentren, die in den 1930er Jahren üblich gewesen waren; als Erika Mann 1940 zum ersten Mal nach London kam, erschienen ihr die deutschen Autoren dort „zerstrittener“ als in New York.173
5 Reaktivierungsbestrebungen der Deutschen PENGruppe in London Wenn die Differenzierung des deutschen literarischen Exils in London nach dem de facto-Ende der Deutschen Gruppe des PEN in den Jahren 1939/1940 auch eine Reaktion auf britische Politik war, so war die Reaktivierung der Gruppe definitiv das Ergebnis einer britischen Initiative. Denn Oldens Hinterlassenschaft war zweideutig in der Frage, wie die Arbeit fortgesetzt werden sollte. Einerseits schrieb er am 28. August 1940 an Burschell – und im gleichen Sinn am 31. August 1940 an Ould:174 „Jemand müsste die German Group of the International PEN Association hier fortführen, wenn ich weg bin. Wären Sie geneigt, die Sekretärsgeschäfte zu übernehmen?“175 Dass Burschell für die TMG ähnliche Arbeit geleistet hatte, war der Grund dieser Wahl.176 Andererseits teilte Olden am 6. September 1940 im Anschluss an die Bitte, „das Sekretariat 169 J. M. Ritchie: Willy Sternfeld and Exile Studies in Great Britain. In: Brinson, Dove u. a. (Hrsg.): Keine Klage, S. 263–275, hier S. 263. 170 Anthony Glees: Exile Politics during the Second World War. The German Social Democrats in Britain. Oxford: Clarendon Press 1982, S. 98. 171 Fritz Beer: Hast du auf Deutsche geschossen, Grandpa? Berlin und Weimar: Aufbau 1994, S. 480. 172 Berendsohn: Die humanistische Front, S. 64. 173 Erika Mann: Briefe und Antworten. Bd. 1: 1922–1950. München: Ellermann 1984, S. 188. 174 Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 349. 175 AdK Berlin, Bestand Friedrich Burschell 48/83 (Mappe mit Briefen). 176 Krischke (Hrsg.): Friedrich Burschell, S. 294.
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der deutschen Gruppe in Europa zu übernehmen“, Burschell mit: „Ich werde das Sekretariat in Amerika weiterführen, wo die German-American Writers Association verschwunden ist, gesprengt von Thomas Mann.“177 Es war die Gefahr, dass sich – wie im zweiten Brief vorgeschlagen – zwei konkurrierende deutsche Gruppen (und Sekretariate) im PEN bildeten statt der – im ersten Brief vorgesehenen – Kontinuität einer deutschen Vertretung in London, die den Internationalen PEN zum Eingreifen bewog. Eine US-amerikanische Konkurrenz hatte sich für London schon im Verlaufe des Jahres 1939 abgezeichnet: Der Pariser SDS hatte sich in New York in die German-American Writers Association (GAWA) transformiert und diese war, im Gegensatz zu Oldens Abgrenzungspolitik der früheren Jahre, „korporativ Mitglied“ des US-PEN geworden;178 dieser hatte in New York anlässlich der Weltausstellung im Mai 1939 einen World Congress of Writers als „special congress of the P.E.N.“179 organisiert, der mehr prominente deutsche Exilautoren angezogen hatte als irgendeiner der internationalen PEN-Kongresse der 1930er Jahre. Gäste waren u. a. Remarque, Kolb, Döblin, Zuckmayer und die Österreicher Auernheimer, Broch und Werfel.180 Neben Arnold Zweig, um den sich Olden vergeblich für Prag bemüht hatte, und drei Autoren, die vor und nach Prag PEN-Kongress-Redner waren, Toller, Klaus und Thomas Mann, trat Ferdinand Bruckner als Sprecher181 auf, den die Präsidentin des US-PEN, Dorothy Thompson, am 21. Januar 1939 als „special guest“ und „representative“ des deutschen „centre“ eingeladen hatte. Der Internationale PEN griff in diese „Wechselbeziehungen“182 ein, als Bruckner zusammen mit Leo Lania, der 1938 Mitglied der Deutschen Gruppe war, für das „projet“ eines European PEN in America183 die Unterstützung Romains‘ gewann, der immer noch Präsident des Internationalen PEN war. Ould protestierte am 20. Mai 1941 in scharfer Form184 gegen die am 15. Mai 1941 erfolgte Gründung eines European PEN in America, New York, an der – außer Romains und Bruckner – Undset, Maeterlinck, Sforza, Alvarez, Stefan Zweig und Fritz von Unruh teilgenommen hatten,185 und das Londoner Exekutivkomitee berief nun für September 1941 den nächsten internationalen Kongress nach London ein. Oulds Brief an Romains vom 20. Mai 1941 enthielt nicht nur den Einspruch gegen die New Yorker Gründung, sondern auch die – wenngleich nicht offen formulierte – 177 Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 350. Vgl. Erika Mann: Briefe, S. 135. 178 Berendsohn: Die humanistische Front, S. 181. 179 Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 288. 180 Schreckenberger: Der Weltkongreß, S. 13f. 181 Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 294. 182 Carol Paul-Merritt: Die Rezeption deutscher Exilautoren durch die liberale amerikanische Presse während der Jahre 1933–1945. In: John Spalek und Joseph Strelka (Hrsg.): Deutschsprachige Exilliteratur seit 1933. Bd. 2: New York, Teil 2. Bern: Francke 1989, S. 1470–1492, hier S. 1478. 183 Jules Romains an Ferdinand Bruckner (14. 4. 1941). AdK Berlin, Bestand Ferdinand Bruckner 765. 184 Hermon Ould an Jules Romains (20. 5. 1941). AdK Berlin, Bestand Ferdinand Bruckner 765. 185 Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 359.
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Ankündigung der Reaktivierung der Deutschen Gruppe; Ould unterstellte diese sogar als bereits geschehen, um die Legitimität der Romains’/Lania/Brucknerschen Konkurrenz zu bestreiten: It came as a great surprise that you did not consult any of the officials of the existing European centres […], but formally established ,The European P.E.N. in America’ as if a ,free‘ Europe no longer existed. This is far from the truth. Apart from the English, Scottish and Irish Centres, which are all very active, we have in England properly accredited Centres representing Poland, Czechoslovakia, Norway, Catalonia, as well as the Polish Centre of the Yiddish P.E.N. and the anti-Nazi Austrian and German Groups of the P.E.N. To them, and to us, it seems obvious that if there must be a ,European P.E.N.‘ so-called (and we do not, as a matter of fact, see any reason for this new classification), so its seat must be in England, which remains free and is, after all, Europe. To transfer the ,European P.E.N.‘ to America is a defeatist gesture for which it is hard to find any justification, and I must tell you that no little indignation was expressed by the European members when they […] found that their very active Centres here in England were referred to as ,the former P.E.N. Centres in Europe.‘186
Oulds Protest wies nicht nur einen US-amerikanischen Führungsanspruch zurück, sondern meldete zugleich – im Namen des internationalen Exekutivkomitees mit Sitz in London – den eigenen an, nämlich in England das freie literarische Europa zu repräsentieren. Auch klang erstmals der neue Name an, der an die Stelle des alten „Deutsche Gruppe“ treten sollte: „German (anti-Nazi) Group“. Dabei machte Ould klar, daß die GAWA nur als „associated with the New York Centre“, d. h. dem US-PEN, zu betrachten sei, und er verglich sie mit den „[m]any of those refugee writers in England who have not formed themselves into national groups“, sondern sich dem „London Centre“, d. h. dem englischen Club, angeschlossen haben.187 Kategorisch ausgeschlossen wurde die Repräsentation der deutschen Literatur (und der Literaturen der von den Nazis eroberten Länder) durch Zentren außerhalb Londons oder – wie Oldens Brief an Burschell angedeutet hatte – durch zwei Zentren oder Sekretariate, in London und New York. Aus der Abweisung des Anspruchs der New Yorker ergab sich die Notwendigkeit, zu beweisen, dass es eine ,Aktivität‘ der in England ,akkreditierten‘ Zentren bzw. Gruppen gab, oder, anders gesagt, dass es sich keineswegs um ,ehemalige‘ Zentren bzw. Gruppen handelte. Im Fall der Deutschen Gruppe bedeutete dies ihre Reaktivierung als German (anti-Nazi) Group. Vergleicht man die Namen der Autoren, die wenige Monate nach der Reaktivierung der Gruppe die deutsche Literatur auf dem internationalen Kongress in London ,Writers in Freedom‘ (10.–13. 9. 1941) repräsentierten, mit denen der Vorkriegskongresse, so fällt der Unterschied in der Prominenz auf: Abgesehen von Kerr selbst und – bedingt – von Erika Mann, waren weder Wilhelm Wolfgang Schütz noch Peter de Mendelssohn ,prominente‘ deutsche Autoren. 186 AdK Berlin, Bestand Ferdinand Bruckner 764. 187 Ebd.
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Ihre Rede ‚Die Zukunft Deutschlands‘ begann Erika Mann mit dem „Bild“ des internationalen PEN-Kongresses, das sie in den USA verbreiten werde: Sie habe „mit eigenen Augen gesehen […], daß Europa in London ist“.188 Sie begrenzte die Zuständigkeit der Schriftsteller, indem sie hervorhob, daß „die nach dem Krieg auf uns zukommenden großen politischen und wirtschaftlichen Probleme von den Berufspolitikern gelöst werden müssen und vor dem Ende des Krieges nicht in allen Details und offen erörtert werden können“; zuständig seien die Schriftsteller hingegen für „das Problem der Erziehung in Europa und vor allem der Umerziehung in Deutschland“.189 Gerade weil zwischen der politischen und wirtschaftlichen Verhinderung eines „weiteren Krieg[es]“ und der Umerziehung ein Zusammenhang bestand, konzentrierte sie sich auf „unsere Aufgabe“, „die Deutschen“ „von solchen Wünschen“, „einen weiteren Krieg vorzubereiten“, zu „befreien“.190 Auch wenn sie betonte, dass der „Schock“ der „Niederlage“ und das ‚Leiden‘ des „vollkommen besiegte[n] Deutschland[s]“191 auf „ein Volk […], das geisteskrank ist“192, „Wirkung“ haben werde, insofern ihm dadurch nämlich das „Gift des Nazismus […] zumindest teilweise ausgetrieben“193 werde, stellte sie die Aufgabe der Umerziehung durch „Bücher“, die „die deutsche Erziehung völlig neu […] gestalten“194, ins Zentrum: „[S]chon seit Generationen sind sie in hohem Maße falsch erzogen worden; ihr Verstand ist vergiftet, sie sind geistig krank.“195 Weil die Deutschen aber nicht „unheilbar“196 seien, schloss Erika Mann ihre Ansprache mit dem Appell: „Es wird an uns sein, die Köpfe und Herzen der Deutschen mit neuen Ideen, neuen Hoffnungen und einem besseren Glauben zu füllen.“197 Während Kerrs Rede im Tenor mit der Erika Manns übereinstimmte, wenn er aus der Unfähigkeit der Deutschen, Hitler zu stürzen, folgerte:198 „Consequently, as to literature after the war: first a great deal of educational work will have to be done“199, unterschieden sich die Schwerpunktsetzungen sowohl von Wilhelm Wolfgang Schütz als auch von Peter de Mendelssohn auf gegensätzliche Weise von der Sicht Kerrs und Manns. Während Mendelssohn dafür plädierte, dass die Flüchtlinge wirkliche Emig188 Erika Mann: Die Zukunft Deutschlands. Rede auf dem Internationalen PEN-Kongreß. In: Irmela von der Lühe und Uwe Naumann (Hrsg.): Erika Mann. Blitze überm Ozean. Aufsätze, Reden, Reportagen. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2000, S. 229–233, hier S. 229. 189 Ebd., S. 230. 190 Ebd. 191 Ebd., S. 232. 192 Ebd. 193 Ebd., S. 233. 194 Ebd., S. 232. 195 Ebd., S. 230. 196 Ebd. 197 Ebd., S. 233. 198 Hermon Ould (Hrsg.): Writers in Freedom. A Symposium. Based on the XVII. International Congress of the P.E.N. Club Held in London in September, 1941. London, New York and Melbourne: Hutchinson 1941, S. 80. 199 Ebd.
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ranten würden: „An ‚émigré‘ is a man […] who refuses to spend years merely hoping for a chance to return“200, forderte Schütz die exilierten Schriftsteller auf, sich den Inneren Emigranten in Deutschland unterzuordnen: They have gone through a revolution and a war – and they have never had a spiritual country at home. Or, at least, their home has always stood under the shadow of torture and death. […] whoever talks to these exiles in their own country from abroad, be they speakers or writers, be it in publications or addresses – all these will have to be written in a spirit and based upon a language which those inside Nazi Germany will understand.201
Obwohl Schütz wie Mendelssohn letztlich jeweils eine Vermittlung zwischen außen und innen, dem Westen und Deutschland, einführten, die Idee der Freiheit, war der Gegensatz der Perspektiven deutlich. Im „Postscript“ des Herausgebers Hermon Ould wurden die Gegensätze zwischen den deutschsprachigen Rednern des Londoner Kongresses als exemplarisch hervorgehoben: „That some of the opinions expressed in this book are fundamentally opposed to one another is obvious. Dr. Alfred Kerr and Dr. W. W. Schuetz, for instance, would be ill-matched in double harness, and Robert Neumann has confessed his disagreement with Dr. Kerr’s point of view is one hundred per cent.“202 Im Unterschied zu Schütz argumentierte Neumann aber nicht im Namen der Inneren Emigranten, sondern der in Nazi-Deutschland Verfolgten. Zeitlich parallel zur Reaktion des Internationalen PEN auf die Initiative zur Gründung eines Europäischen PEN in Amerika liefen die Vorbereitungen zu einem nazistischen Gegen-PEN in einem deutsch beherrschten Europa. Keine vierzehn Tage vor dem Überfall auf die Sowjetunion, am 11. Juni 1941, schrieb der Geschäftsführer der Reichskulturkammer im Auftrag des Ministers Goebbels an eine Reihe von Experten, unter ihnen Hans Friedrich Blunck, über den Plan, „möglichst bald eine Gegenbewegung bzw. eine Vereinigung gegen den PEN-Club einzuleiten und einzurichten, d. h. zunächst auf europäischer Basis“.203 Statt des von Blunck vorgeschlagenenen „Freundschaftsclub[s] des Schrifttums“204 gründete das Propagandaministerium die Europäische Schriftsteller-Vereinigung, zu deren erster Jahrestagung im Oktober 1941 in Weimar Goebbels für seine Rede notierte: „Der PEN-Klub wird von mir als ‚Penn‘Klub gekennzeichnet, der nicht mehr das Recht habe, im Namen des intellektuellen Europa zu sprechen.“205 Unter Beteiligung von ausländischen Autoren wie Robert Brasillach, Marcel Jouhandeau, John Knittel und Pierre Drieu la Rochelle wurde Hans Carossa zum Präsidenten gewählt. 200 Ebd., S. 95. 201 Ebd., S. 90. 202 Ebd., S. 150. 203 Zitiert nach Frank-Rutger Hausmann: „Dichte, Dichter, tage nicht!“ Die Europäische Schriftstellervereinigung in Weimar 1941–1948. Frankfurt am Main: Klostermann 2004, S. 29. 204 Ebd., S. 30. 205 Ebd., S. 52.
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Zwei der Redner des Londoner PEN-Kongresses, Wilhelm Wolfgang Schütz und Peter de Mendelssohn, erscheinen auf einer der acht Listen, die Kerr, Burschell und Friedenthal im Laufe des Jahres 1942 erstellten, um sich über die Mitgliedschaft des Zentrums klar zu werden, als „Zwangsmitglieder“, mit dem erklärenden Zusatz „durch Ould“.206 Auf den Listen werden die Bezeichnungen „Deutscher PEN-Club“ (a, b, f, g, h), „Deutsche Gruppe (German Centre)“ (c) und „deutsche Sektion“ (e) nebeneinander verwendet, die alle den Vertretungsanspruch stärker hervorheben als die vorher übliche Rede von der „Gruppe“. In zwei Briefen hat Kerr den neuen Charakter der reaktivierten ,deutschen Gruppe‘ auf Formeln gebracht: „das Gesellige betonen“, hieß es in einem Brief an Friedenthal vom 1. Mai 1942,207 und am 2. Mai 1942 schrieb er Hiller: „ein harmloser Geselligkeitsverein, dessen Idealismus darin besteht, dass Antinazitum heute für die Mitgliedschaft Bedingung ist“; die Ursachen der Reaktivierung wurden deutlich, wenn Kerr die Geselligkeit auf das Verhältnis London – New York bezog: Es galt für uns nur ein festeres Angliedern des winzigen deutschen Beiwägelchens an die Mutterkutsche. […] In diesem (ja: möglichst freundschaftlichen) Club kann hohe literarische Leistung nicht verlangt werden – sonst müsste man die Bude sofort zumachen. Die namhafteren deutschen Schriftsteller sitzen halt in New York. Hier in England gilt es nur, für den (tunlich gesammelten) Rest einen Erholungs-, Beriechungs-, Anregungskreis zu ermöglichen.208
Um die Zusammensetzung des ,geselligen Kreises‘ kam es, noch bevor sich dieser sehr spät, nämlich am 4. September 1942, erstmals zu einer Jahreshauptversammlung traf,209 zu heftigen Auseinandersetzungen. Vom Ergebnis des Auswahlprozesses her gesehen, spielte die Bindung an britische Dienste eine größere Rolle in der Mitgliedschaft des entstehenden ,geselligen Kreises‘ als die an Organisationen des deutschen literarischen und politischen Exils, mit denen Kerr durch die Berater Hiller und Menne verbunden war, wobei letzterer aber nicht nur zur TMG gehörte, sondern auch zur GUDA und zudem mit dem sozialdemokratischen Parteivorstand in Verbindung stand.210 Aus den über 100 Autoren und Autorinnen, deren Namen auf den acht Listen von 1942 standen, wurden 1943 37 Mitglieder. Von diesen waren acht bei der British Broadcast Corporation (BBC) und vierzehn bei der Zeitung beschäftigt, einem von der britischen Regierung herausgegebenen Organ; der GUDA gehörten fünf und der TMG 206 DEA, EB 75/177 D.I.4.a. Im Folgenden werden die Listen nach der Reihenfolge, in der sie hier vorhanden sind, unterschieden (a–h). Die handschriftlichen Zusätze von Alfred Kerr finden sich auf Liste c. 207 AdK Berlin, Bestand Alfred Kerr H br D h pe. 208 AdK Berlin, Bestand Alfred Kerr H br D h pe. Vgl. zur gegensätzlichen Beurteilung von Kerrs Präsidentschaft Thomas Koebner: Autoren im englischen Exil. In: Kunst im Exil in Großbritannien 1933–1945. Berlin: Frölich und Kaufmann 1986, S. 257–259, und Walther Huder: Alfred Kerr. Ein deutscher Kritiker im Exil. In: Sinn und Form 18 (1966), S. 1262–1279, hier S. 1276: „Er wollte als Präsident der deutschen PEN-Gruppe nicht ausschließlich repräsentieren, sondern vor allem als kritischer, ja regulativer Kopf der Gemeinschaft gelten.“ 209 Alfred Kerr an Hermon Ould (6. 9. 1942). AdK Berlin, Bestand Alfred Kerr H br Dh pe. 210 Röder und Strauss: Dictionary, S. 489.
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zwei Mitglieder an; zwei waren Sozialdemokraten und einer möglicherweise Kommunist.211 Nur hinter zwei Namen, die 1943 nicht auf der Liste der Mitglieder standen, war zur Kennzeichnung ihrer ,Verbindung‘ „Kulturbund“ vermerkt: bei Rehfisch und Ernst Meyer (c). Die strukturelle Distanz der Mitgliedschaft gegenüber der SPD, deren Parteivorstand sich seit Anfang 1941 in London befand und die in der Stadt 160 Mitglieder hatte,212 sowie der KPD, die der Führung des FDKB verdächtigt wurde und 300 Mitglieder in London zählte213, entsprach der strukturellen Nähe zur Zeitung einerseits, zur BBC andererseits. Im Falle der Zeitung war es die SPD, die ihren Mitgliedern eine Mitarbeit bis Ende 1944 nicht „erlaubte“214; im Fall der BBC wurde eine führende Tätigkeit im Kulturbund als unvereinbar mit einer Beschäftigung gehandhabt. Die Streichungen, die Kerr auf den Listen von 1942 vornahm, legen insgesamt die Einschätzung nahe, dass er de facto die Oldensche Linie der doppelten Abgrenzung fortsetzte: einerseits gegen einen – kommunistischen – Führungsanspruch, andererseits gegen eine – meist auch antikommunistische, aber vor allem und im Kern nationalistische – Ausschlusspraxis. Kerrs doppelte Abgrenzung von Kommunismus und Nationalismus verschob die Basis der Abgrenzung von Oldens Volksfrontliberalismus zur Unterstützung des Antinazismus der Alliierten. Deshalb bestand er auch auf Distanz zum Club 1943, mit dessen Gründung nicht-kommunistische KulturbundMitglieder auf den Versuch reagierten, den FDKB in der britischen Öffentlichkeit auf die offensive Forderung der Eröffnung der ,Zweiten Front‘ festzulegen.
Literatur- und Quellenhinweise Ungedruckte Quellen AdK Berlin, Heinrich-Mann-Archiv; Bestand Ferdinand Bruckner; Bestand Friedrich Burschell; Bestand Alfred Kerr; Bestand Egon Erwin Kisch; Bestand Walter Meckauer; Bestand Hans José Rehfisch.
211 Zuordnung nach Berthold: Exil-Literatur; Lieselotte Maas: Handbuch der deutschen Exilpresse 1933–1945. Bd. 1. München und Wien: Hanser 1978; Conrad Pütter: Rundfunk gegen das ,Dritte Reich‘. München u. a.: Saur 1986; Röder und Strauss: Dictionary. 212 Glees: Exile Politics, S. 68–70. 213 Ebd., S. 216. 214 Volker Kaukoreit: Vom Exil bis zum Protest gegen den Krieg in Vietnam: Frühe Stationen des Lyrikers Erich Fried. Werk und Biographie 1938–1966. Darmstadt: Häusser 1991, S. 62.
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Christine Malende
Nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft Wiederbegründung und Teilung des deutschen PEN als Folge des Kalten Krieges (1946–1951) Die Zeit der Wunder schwand. Die Jahre sind vertan. Stephan Hermlin1
Die ersten öffentlichen Bemühungen um die Wiederbegründung eines PEN-Zentrums in Deutschland gingen von der Londoner Deutschen Gruppe im Internationalen PEN aus. In ihrem Namen brachte Walter A. Berendsohn auf dem XVIII. Internationalen PEN-Kongress im Juni 1946 in Stockholm, dem ersten nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, einen Resolutionsantrag ein, der die Bitte, „die Möglichkeiten einer Wiedererrichtung des deutschen PEN in Deutschland zu ergründen“, mit dem re-education-Gedanken verknüpfte, „die Einfuhr demokratischer Literatur nach Deutschland“ zu unterstützen.2 Gegen einen direkten „Antrag auf Wiedererrichtung des P.E.N. in Deutschland wäre wohl heftiger Widerstand entstanden“, wie Berendsohn nach London berichtete.3 Das zeigte sich im Jahr darauf in Zürich. Offenbar durch Nachrichten über die Stockholmer Tagung und Kontakte mit Exil-Autoren sahen sich Schriftsteller in den verschiedenen Besatzungszonen und in Berlin ermutigt, als einzelne oder gemeinsam Briefe an den Sekretär des Internationalen PEN Hermon Ould zu schreiben.4 Kleine Gruppen ehemaliger PEN-Mitglieder fanden sich in München, Hamburg und Berlin zusammen. In München gehörten – um hier nur die Beteiligten an der späteren Neugründung zu nennen – dazu: Erich Kästner, Ernst Penzoldt, Rudolf Schneider-Schelde und Johannes Tralow, der der rührigste Organisator, Listen- und Briefschreiber wurde. In Hamburg: Hans Leip, Martin Beheim-Schwarzbach, Hans Henny Jahnn, Axel Eggebrecht und Wilhelm Leh-
1 Aus dem Gedicht: Die Zeit der Wunder (1947). 2 Zitiert nach Übersetzung in: Der deutsche PEN-Club im Exil. 1933–1948. Eine Ausstellung der Deutschen Bibliothek Frankfurt am Main. Ausstellung und Katalog: Werner Berthold und Brita Eckert. Frankfurt am Main: Buchhändler-Vereinigung 1980 (Sonderveröffentlichungen der Deutschen Bibliothek 10), S. 380, Dokument 527. 3 Walter A. Berendsohn an Alfred Kerr (5. 6. 1946). In: Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 380, Dokument 528. 4 Hierzu und allem Folgenden vgl. Dorothée Bores: Das ostdeutsche P.E.N.-Zentrum 1951 bis 1998. Ein Werkzeug der Diktatur? Berlin und New York: de Gruyter 2010 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 121), besonders Kap. 2–4 (S. 50–227).
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mann.5 Aus Berlin nahm Johannes R. Becher im Namen von Herbert Eulenberg, Erich Kästner, Ilse Langner, Dr. Rudolf Pechel, Theodor Plievier, Günther Weisenborn und Ernst Wiechert Kontakt zu Ould auf. Er schloss mit der Überzeugung, „daß im Interesse nicht nur unseres Volkes, sondern aller Völker eine internationale Verbindung des Schrifttums wieder angebahnt werden muß“.6 Die Namensliste lässt auf ein vorangegangenes Gespräch mit Kästner schließen.7 Antinazi- bzw. antifaschistische Grundhaltung, was seinerzeit noch unbefangen synonym gebraucht wurde, galt in München wie Hamburg und Berlin als selbstverständliche Voraussetzung. Die ‚Stildifferenz‘ zwischen dem Präsidenten des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands und dem Münchner Kollegenkreis war anfangs nicht politisch konnotiert. Zu größtmöglicher Sorgfalt bei der Auswahl der Gründungsmitglieder mahnte Ould auch in seinem Antwortschreiben an Tralow, sie müssten für die anderen Zentren vertrauenswürdig (responsible) sein.8 PEN-Zugehörigkeit vor 1933 begründete ausdrücklich keine Ansprüche.9 Aus Londoner Sicht ging es im Gegenteil darum, „Anbiederungsversuche der Anderen“ abzuwehren, wie Robert Neumann, der wenig später einer der Vizepräsidenten des Internationalen PEN wurde, mit Bezug auf Hans Friedrich Blunck an Becher schrieb.10 Zum PEN-Kongress im Juni 1947 in Zürich waren auf Beschluss des internationalen Exekutivkomitees Kästner, Ernst Wiechert und Becher als Beobachter eingeladen.11 Kästner, zu dieser Zeit Feuilletonchef der Neuen Zeitung in München, genoss 5 Nach der Abschrift einer „Hamburger Liste für den P.E.N. Club von Hans Leip“ (5. 5. 1947). SBBPK, NL Tralow K 85 M 3. Von den 17 Genannten wurden nur 6 bis 1949 gewählt, Jahnn und Eggebrecht gehörten zur international bestätigten Gründergruppe. Laut Sonntag, Berlin, vom 1. Juni 1947 hatte sich in Hamburg eine „‚Sektion Nordwestdeutschland‘ des PEN-Clubs“ gegründet. 6 Johannes R. Becher an Hermon Ould (26. 7. 1946). AdK Berlin, JRBA 1210, englische Fassung unter der gleichen Signatur. Die Form der Adresse spricht für eine Übermittlung durch Boten. (Vgl. Anhang III.1) 7 Gelegenheit hierzu wäre u. a. bei Bechers München-Besuch im Mai 1946 gewesen. Vgl. Sven Hanuschek: Keiner blickt dir hinter das Gesicht. Das Leben Erich Kästners. München und Wien: Hanser 1999, S. 351. 8 Hermon Ould an Johannes Tralow (6. 9. 1946), SBBPK, NL Tralow, beantwortet das Schreiben Tralows vom 9. 8. 1946, vorangegangene Briefe vom 27. 7. und 4. 8. 1946 hatten Ould offenbar nicht erreicht. 9 Hermon Ould an Johannes Tralow (18. 12. 1947). SBBPK, NL Tralow. 10 Robert Neumann an Johannes R. Becher (21. 9. 1946). AdK Berlin, JRBA 1202. Er zitierte Hans Friedrich Blunck, der geschrieben habe, „es sei nun wohl wieder an der Zeit, die kleinen Meinungsverschiedenheiten der Vergangenheit zu vergessen und die alte Freundschaft wiederaufzunehmen“. 11 Robert Neumann hatte Becher am 17. 12. 1946 avisiert, er werde auf der Sitzung des Exekutivkomitees am 23. 1. 1947 den Antrag stellen, die Genannten einzuladen. AdK Berlin, JRBA 1207, Bl. 2. Die gleichen Namen, dazu noch Weisenborn, enthielt auch ein Telegramm Heinrich Manns und Lion Feuchtwangers, in dem sie die Exekutive des Internationalen PEN ersuchten, die Genannten zur erwähnten Exekutivtagung einzuladen, vgl.: Vorstandssitzung des Deutschen PEN am 6. Januar 1947 […], Deutsches Exilarchiv 1933–1945 der Deutschen Nationalbibliothek Frankfurt am Main (im Folgenden DEA), EB 77/27, 475 (1947 Januar–Mai); vgl. auch Wilhelm Sternfeld an Johannes Tralow (26. 1. 1947), SBBPK, NL Tralow, ders. an dens. (19. 2. 1947), ebd. (die Rolle Hermann Friedmanns, des
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besonders in London Sympathien als „unbescholtener Nicht-Emigrant“;12 der national-konservative Wiechert, damals noch ein viel gelesener Autor, war wegen seiner Widerstandshaltung und zeitweisen KZ-Haft – wenngleich nicht unbestritten13 – international angesehen; Becher war prominenter Remigrant und als „Vertreter des Kommunismus“ eingeladen.14 Bedenken gegen ihn gab es speziell unter Exilautoren,15 sie gründeten vermutlich zur Hauptsache in Erinnerungen an dessen Linksradikalismus während der Weimarer Republik. Über Persönliches hinaus galten sie der für Kommunisten verpflichtenden Priorität der Parteibindung.16 Die Vorbehalte richteten sich zu dieser Zeit nicht gegen eine Mitgliedschaft, doch entschieden gegen eine herausgehobene Stellung kommunistischer Autoren.17 Der Antrag auf Gründung eines Zentrums in Deutschland bei „genaue[r] Kontrolle der aufzunehmenden Mitglieder durch eine Spezialkommission und das Exekutivkomitee“, stieß auf Widerspruch bei Autoren aus den während des Krieges von deutschen Truppen besetzten Ländern.18 Besonders die belgischen Delegierten und der französische Résistance-Autor Vercors fanden die Zulassung eines deutschen Zentrums verfrüht bzw. hielten „erhebliche Restriktionen und Kontrollen“ für nötig.19 Thomas Mann, der als Ehrengast und amerikanischer Staatsbürger am Kongress teilnahm, bekundete Verständnis für diese Bedenken, trat aber für die „erhebliche Minorität“ ein, die „unter der Abgeschnittenheit von der übrigen Welt“ leide.20 Ernst Wiechert berief sich in seiner Wortmeldung auf allgemein-humanistische Ideale. Becher Vorsitzenden der Deutschen Gruppe, betonend). Friedmann hatte dem Exekutivkomitee mitgeteilt, dass die deutsche Gruppe „den dringenden Antrag stellen wolle: der XIX. Internationale Kongreß in Zürich möge beschließen, die Wiedereinrichtung eines PEN-Clubs in Deutschland nunmehr in die Wege zu leiten“. Zitiert nach: Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 383. 12 Hanuschek: Keiner blickt dir hinter das Gesicht, S. 323. Kästner war auch schon nach Stockholm eingeladen gewesen, aber an den für Deutsche geltenden Reisebeschränkungen gescheitert, vgl. Erich Kästner an Pony Bouché (30. 10. 1946). In: Erich Kästner: Dieses Na ja!, wenn man das nicht hätte! Ausgewählte Briefe von 1909 bis 1972. Hrsg. von Sven Hanuschek. Zürich: Atrium 2003, S. 93. 13 Einwände gab es von tschechischer Seite, sie wurden aber in London nicht akzeptiert, vgl. Protokolle der Mitgliederversammlung des deutschen P.E.N. vom 6. März und 3. April 1947. DEA, EB 77/27 517, S. 1; 531, S. 2. 14 Hermann Friedman lt. Protokoll der Mitgliederversammlung, 3. 4. 1947. DEA EB 77/27 531, S. 3. 15 Alfred Kerr an Walther A. Berendsohn (18. 4. 1946). In: Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 378–379, Dokument 526. 16 Vgl. u. a. Vorstandssitzung des Deutschen PEN in London am 15. April 1947. DEA, EB 75/177 D.I.4.a, S. 1. 17 Ossip Kalenter an Wilhelm Sternfeld (17. 8. 1947). DEA, EB 75/177 A.I.3, S. 4, Sternfeld an Kalenter (25. 9. 1947), DEA, EB 75/177 A.II.3, S. 3. 18 b-i: Internationaler PEN-Kongress in Zürich. In: Neue Zürcher Zeitung, 5. 6. 1947, zitiert nach: Presseschau in: Aufbau 3 (1947) 7, S. 71. b-i steht für Günther Birkenfeld, vgl. Robert Neumann an Johannes R. Becher (15. 2. 1947), AdK Berlin, JRBA 1368, sowie Becher an Birkenfeld (20. 3. 1947), AdK Berlin, JRBA 865. 19 b-i: Internationaler PEN-Kongress in Zürich. In: Neue Zürcher Zeitung, 5. 6. 1947, zitiert nach: Presseschau in: Aufbau 3 (1947) 7, S. 72. 20 Ebd.
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stimmte Vercors‘ Klage über das Leid in den okkupierten Ländern zu, warnte aber vor „Ressentiments“, denn die „ganze Wahrheit“ sei, „daß auch hunderttausende Deutsche dem Hitlerterror zum Opfer gefallen sind“, „die Welt“ müsse endlich zur Kenntnis nehmen, „daß es auch in Deutschland eine Resistance [sic] gab“.21 Nach längeren Debatten einigten sich die stimmberechtigten Delegierten auf die Installierung einer „Garantiekommission“. Sie sollte sich aus drei Vertretern der seinerzeit besetzten Länder, einem emigrierten und einem „zu-Hause-gebliebenen“ Deutschen sowie dem internationalen Generalsekretär zusammensetzen.22 Erich Kästner, der sich im Plenum auf die vorgesehene Rolle eines Beobachters beschränkt hatte, verbarg in seinem Bericht für die Neue Zeitung nicht seine Enttäuschung über diese Verlängerung der „faktische[n] und geistige[n] Quarantäne Deutschlands“ und äußerte Skepsis, ob eine solche Kommission „angesichts der vielen Grenzpfähle und Postschwierigkeiten überhaupt aktionsfähig“ sein würde.23 Ould nahm die übernommene Verpflichtung sehr ernst. Offenbar auf Einladung Bechers nahm er am 4.–8. Oktober 1947 am 1. Deutschen Schriftstellerkongress in Berlin teil.24 Die auf dem Kongress beobachteten Spannungen zwischen den ehemaligen Alliierten25 sowie den westlich oder östlich orientierten deutschen Gegnern der Nazi-Diktatur verstärkten offenbar den Wunsch, enger mit der Münchner Gruppe als mit Becher in Berlin zusammenzuwirken. Als Becher von der „vorbereitenden Gruppe in München“ um sein Einverständnis mit einer auf Veranlassung Oulds von ihr zusammengestellten Namensliste gebeten wurde,26 warnte er vor „Verwicklungen“,27 wenn 21 (Johannes R. Becher): Die ganze Wahrheit. In: Sonntag, 29. 6. 1947, zitiert nach: Presseschau in: Aufbau 3 (1947) 7, S. 73, s. a.: Johannes R. Becher: Gesammelte Werke, Band 17: Publizistik III: 1946– 1951. Berlin und Weimar: Aufbau 1979, S. 163–166. 22 b-i: Internationaler PEN-Kongress in Zürich. In: Neue Zürcher Zeitung, 5. 6. 1947, zitiert nach: Presseschau in: Aufbau 3 (1947) 7, S. 73; Friedrich Burschell: Bericht über den zweiten internationalen Nachkriegskongreß des Pen-Clubs in Zürich. In: Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 383–385. Ebd. ist hinsichtlich der Zusammensetzung der Garantiekommission die Rede von „einem Vertreter der Schriftsteller in Deutschland“, die Vertreter aus den besetzten Ländern kamen aus Polen, Dänemark und den Niederlanden. Näheres im Kapitel „Vorgeschichte (1946–1950)“ bei: Bores: Das ostdeutsche P.E.N.-Zentrum 1951 bis 1998, S. 56–58. 23 Erich Kästner: Reise in die Gegenwart: In: Neue Zeitung (München), 23. 6. 1947, zitiert nach: Presseschau in: Aufbau 3 (1947) 8, S. 138–139 (u. d. T.: Die deutsche Frage). 24 Ursula Reinhold, Dieter Schlenstedt und Horst Tanneberger (Hrsg.): Erster Deutscher Schriftstellerkongreß. 4.–8. Oktober 1947. Protokoll und Dokumente. Berlin: Aufbau 1997, Oulds Beiträge S. 129–131 und S. 429–430. Aus der späteren Gründergruppe waren neben Becher anwesend: Elisabeth Langgässer, Birkenfeld, Friedrich Wolf, Eggebrecht, Weisenborn, Anna Seghers, Penzoldt und Tralow. 25 Vgl. die Wortmeldungen von Melvin J. Lasky und Valentin Katajew, in: Reinhold u. a. (Hrsg.): Erster Deutscher Schriftstellerkongreß, S. 295–301 und 336–337. 26 Johannes Tralow an Johannes R. Becher [13. 2. 1948]. AdK Berlin, JRBA-PEN 11544, abgedruckt in: Sonntag 3 (1948) 14 vom 11. April, S. 10. 27 Johannes R. Becher an Johannes Tralow (13. 3. 1948). AdK Berlin, JRBA-PEN 11547, im gleichen Sinne schon am 23. 2. 1948. AdK Berlin, JRBA-PEN 11545, beide Texte ebenfalls in: Sonntag 3 (1948) 14 vom 11. April, S. 10.
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eine solche Liste nur von einer Zone aus aufgestellt werde. Er nutzte die Gelegenheit, um wieder unmittelbar mit Ould in Kontakt zu kommen, dem er erklärte, „wir wollen doch den P.E.N.-Club für ganz Deutschland zulassen und nicht daraus eine einseitige Angelegenheit machen“.28 Bechers PEN-Bemühungen waren von Anfang an mit seinen in den Moskauer Exil-Erfahrungen wurzelnden Deutschland-Hoffnungen verknüpft sowie mit seiner Absicht, eine relativ eigenständige, überparteiliche „Intellektuellenarbeit“29 zu betreiben.30 Auch im Zusammenhang damit war ihm die künftige Mitgliedschaft in der einzigen internationalen Schriftstellerorganisation sehr wichtig. Dies umso mehr, als sein mit dem Kulturbund verfolgtes bündnispolitisches Konzept gerade nach dem Schriftstellerkongress von westlicher wie östlicher Seite in die Krise gebracht wurde.31 Die Wiederbegründung eines PEN-Zentrums in Deutschland hatte sich bis dahin nahezu abseits von dem im Umfeld in Gang kommenden Kalten Krieg vollzogen. Die erste öffentliche innerdeutsche Auseinandersetzung um das künftige PEN-Zentrum begann, als Friedmann Anfang April 1948 der Presse mitteilte, er habe „im Einverständnis mit der Erich-Kästner-Gruppe in München“32 in der Exekutivratssitzung des Internationalen PEN „die folgenden zehn deutschen Schriftsteller aus allen vier Besatzungszonen“ als „Neugründer des 1934 aufgelösten deutschen PEN-Clubs“ vorgeschlagen: Wiechert, Kästner, Tralow, Schneider-Schelde, Penzoldt, Eulenberg, Leip, Reinhold Schneider, Becher und Seghers.33 Der Tagesspiegel, die amerikanisch lizenzierte Berliner Tageszeitung, kommentierte am gleichen Tage: „Berlin ist in dem Kreis der Neugründer nicht vertreten.“ In einem Brief an Friedmann erklärten die Unterzeichner, zu denen auch Birkenfeld gehörte: „Wir Berliner Schriftsteller weigern uns, Johannes R. Becher und Anna Seghers als unsere Vertreter anzuerkennen.“ Denn die „Mehrzahl der Berli28 Johannes R. Becher an Hermon Ould (13. 3. 1948). AdK Berlin, JRBA-PEN 11548. 29 Johannes R. Becher an das Sekretariat des Zentralvorstandes der SED (8. 12. 1947). In: Carsten Gansel (Hrsg.): Der gespaltene Dichter. Johannes R. Becher. Gedichte, Briefe, Dokumente 1945–1958. Berlin: Aufbau Taschenbuch 1991, S. 42. 30 Dies bestätigt für die ersten Nachkriegsjahre auch: Alexander Behrens: Johannes R. Becher. Eine politische Biographie. Köln, Weimar und Wien: Böhlau 2003, S. 225–228 und S. 236–240. Vgl. auch Magdalena Heider: Politik – Kultur – Kulturbund. Zur Gründungs- und Frühgeschichte des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands 1945–1954 in der SBZ/DDR. Köln: Wissenschaft und Politik 1993 sowie Ursula Heukenkamp: Becher fuhr nicht nach Wrocław. In: Sven Hanuschek, Therese Hörnigk und Christine Malende (Hrsg.): Schriftsteller als Intellektuelle. Politik und Literatur im Kalten Krieg. Tübingen: Niemeyer 2000, S. 173–196. 31 Vgl. Behrens: Johannes R. Becher, S. 240 und 243–246. 32 Kästner, der auf energisches Zureden Bechers der innerdeutsche Vertreter in der Garantiekommission geworden war, hatte wegen Pass-Schwierigkeiten nicht nach London fahren können und seine Stimme Friedmann übertragen, Erich Kästner an Hermann Friedmann (19. 3. 1948), in: Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 389f. 33 DPD-Meldung in: Neue Zeitung, 3. 4. 1948. Die Namensliste stimmt überein mit einer nach Besatzungszonen geordneten undatierten Aufstellung Names and adresses of German Writers, proposed as the members of a new German P.E.N. Club by the German P.E.N. in London and by Mr. Erich Kaestner, Munich, member of the Preparatory Commission. SBBPK, NL Tralow K 85 M 3.
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ner Schriftsteller“ zähle „keineswegs zu den Anhängern des Kommunismus“.34 Becher reagierte im persönlichen Briefwechsel mit Birkenfeld und durch Veröffentlichung der Texte mit dem Hinweis auf seine Korrespondenz mit Tralow im Februar 1948,35 aus der hervorgehe, „dass ich von Anfang an für eine Berliner Vertretung eingetreten bin“.36 Auf seine Anregung hin suchte der Vorstand des seinerzeit noch gesamtberlinischen Schutzverbandes deutscher Autoren (SDA) nach einem Kompromiss und schlug Weisenborn und Hermann Kasack als Vertreter für Berlin vor. Am XX. Internationalen PEN-Kongress, der vom 31. Mai bis 5. Juni in Kopenhagen stattfand und die Wiederaufnahme eines innerdeutschen Zentrums akzeptierte, nahm aus Deutschland nur Becher teil.37 Die statutengemäß erforderliche 20-köpfige Gründerliste war im Exekutivkomitee mit dem „vorbereitenden Ausschuss“ (Garantiekommission), dem internationalen Generalsekretär, Friedmann und Friedenthal von der Londoner Deutschen Gruppe „unter Hinzuziehung“ Bechers und des „über die deutschen Verhältnisse orientierten“ Peter de Mendelssohn38 zusammengestellt worden. Verbliebenen Vorbehalten im Plenum kamen Becher und Friedmann durch den Vorschlag entgegen, den vorbereitenden Ausschuss noch bis zum nächsten Kongress bestehen zu lassen und bis dahin nur von der Gründergruppe einstimmig gewählte weitere Mitglieder aufzunehmen. Die Namensliste und die „Resolution über die Gründung einer innerdeutschen PENGruppe“ wurden „durch Akklamation“ bestätigt. Sie enthielt die „dauernde Bedingung“, „keinen Schriftsteller aufzunehmen, der zu irgendeiner Zeit in der Nazi-PropagandaOrganisation, insbesondere in einem der vormals von Deutschland besetzten Länder, beschäftigt gewesen ist“.39 Die Gründergruppe bildeten: Kästner, Becher, Seghers, Eulenberg, Tralow, Birkenfeld, Penzoldt, Schneider-Schelde, Reinhold Schneider, Weisenborn, Ludwig Renn, Plievier, Kasack, Langgässer, Jahnn, Eggebrecht, Dolf Sternberger, Paul Wiegler, Wolf und als Ehrenmitglied Friedmann. Sechs der Genannten waren aus dem Exil nach Deutschland zurückgekehrt, vier von ihnen waren Kommunisten, drei wegen aktiven Widerstands verfolgt, die Übrigen waren als Gegner der Hitler-Diktatur in unter34 An den PEN-Club. In: Tagesspiegel, 3. 4. 1948. 35 Vgl. Anm. 27. 36 Johannes R. Becher an Günther Birkenfeld (5. 4. 1948). AdK Berlin, JRBA-PEN 11552. 37 Einsprüche des polnischen und jiddischen Zentrums gegen das Projekt eines deutschen PEN hatten Kästner bewogen, Anfang Mai in einem Brief an Ould seine Teilnahme abzusagen, nach: Johannes Tralow an Johannes R. Becher (7. 5. 1948). AdK Berlin, JRBA-PEN 11575. Im gleichen Brief schlug Tralow vor, „von uns aus“ Friedmann in „unsere Aufnahmegremien“ zu wählen. „Auf diese Weise wäre die deutsche Gruppe in London immer über unsere Absichten in bezug auf Neuwahlen unterrichtet, ohne daß wir uns etwas vergeben würden.“ 38 Peter de Mendelssohn war 1945–1948 „Presseberater der britischen Kontrollkommission in Berlin“. Peter de Mendelssohn: Zeitungsstadt Berlin. Menschen und Mächte in der deutschen Presse. Überarbeitete und erweiterte Aufl. Frankfurt am Main, Berlin und Wien: Ullstein 1982, S. 9 (Vorwort). 39 Hilde Spiel: Schriftsteller in Kopenhagen. In: Sie, 12. 6. 1948. – Zur Rolle des „Vorbereitenden Ausschusses“ und seines Weiterbestehens bis zum nächsten Internationalen PEN-Kongreß vgl. auch: Peter de Mendelssohn: Der PEN-Club. In: Tagesspiegel, 13. 6. 1948. (Vollständiger Resolutionstext in: Anhang III.2)
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schiedlichem Maße benachteiligt oder bedrängt worden, mindestens aber gezwungen gewesen, auf unverbindliche Unterhaltungsliteratur auszuweichen. Melvin Lasky, der schon auf dem 1. Deutschen Schriftstellerkongress in einem Plädoyer für die „kulturelle Freiheit“ die „totalitäre Diktatur“ in der Sowjetunion zur Sprache gebracht hatte40 und 1950 Organisator des Kongresses für kulturelle Freiheit war, kommentierte die „Illusion des PEN-Clubs“: „das demokratische Deutschland“ habe zwar „einen seiner bedeutendsten internationalen Erfolge seit Kriegsende errungen“, aber: „Die kommunistische Frage, die ‚russische Frage‘, wurde eifrig vermieden. Was würde der treffliche, redegewandte Becher zum Beispiel tun, um die Bürgerrechte und die geistige Freiheit seiner schriftstellerischen Kollegen im Jahre 1948 zu verteidigen?“41 Dem internationalen Sekretariat des PEN hielt er vor, einen Protest gegen die Maßnahmen, „mit denen das neue Prager Regime die kulturelle Freiheit beseitigt hat“, aus intellektueller Bequemlichkeit abgelehnt zu haben. Argumente, die in den späteren Auseinandersetzungen um die Mitgliedschaft Bechers, kommunistischer Autoren überhaupt und um den PEN selbst vorgebracht wurden, waren hier schon einmal versammelt. Zunächst kam es aber zu einer Krise, die ein anderes Spannungsfeld erkennen ließ. Nach der Rückkehr aus Kopenhagen wurde Becher eine Literaturzeitschrift vom Oktober 1933 „überreicht“. Zu jener Zeit war der Vorstand des deutschen PEN schon von Nazi-Autoren okkupiert.42 Unter den Mitgliedern eines Ausschusses war Tralow genannt. Nach Abstimmung mit Mendelssohn,43 mit dem zusammen er sich „persönlich für die Integrität der […] Gründungsmitglieder verbürgt“ habe, forderte Becher Tralow auf, „im Interesse unter [unserer] gemeinsamen Sache hier die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen“.44 Abschriften der Meldung aus dem Jahre 1933 sandte er an Friedmann und Ould.45 Tralow setzte sich in zwei Rundbriefen an die übrigen Gründungsmitglieder vehement zur Wehr. Zur Sache selbst verwies er darauf, wie er sich Bemühungen von Nazi-Dienststellen um ihn entzogen habe.46 In 40 Ursula Reinhold und Dieter Schlenstedt: Vorgeschichte, Umfeld, Nachgeschichte des Ersten Deutschen Schriftstellerkongresses. In: Reinhold u. a. (Hrsg.): Erster Deutscher Schriftstellerkongreß, S. 48–51; Laskys Rede: S. 295–301. 41 Melvin J. Lasky: Illusion des PEN-Clubs. Die Tagung in Kopenhagen. In: Tagesspiegel, 8. 6. 1948. 42 Die Literatur. Monatsschrift für Literaturfreunde, 36 (Oktober 1933–September 1934) 1, S. 62, als Redaktionsschluss ist der 8. 9. 1933 angegeben. Als Vorstandsmitglieder sind genannt: Hanns Johst, Hans Hinkel, Rainer Schlösser, Johann von Leers, Edgar von Schmidt-Pauli, Hanns Martin Elster, Erich Kochanowski. 43 Vgl. S. 173 u. Anm. 38. 44 Johannes R. Becher an Johannes Tralow (10. 6. 1948). AdK Berlin, JRBA-PEN 11594, enthalten auch in SBBPK, NL Tralow. 45 Johannes R. Becher an Hermann Friedmann (10. 6. 1948). AdK Berlin, JRBA-PEN 11593; Becher an Hermon Ould (11. 6. 1948). AdK Berlin, JRBA-PEN 11595. 46 Johannes Tralow: An die Gründungsmitglieder der Deutschen Gruppe des Internationalen P.en. [sic]. Betr. Klage des Herrn Johannes R. Becher gegen Herrn Johannes Tralow (15. 6. 1948). SBBPK, NL Tralow K 86 M 50.
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seinem zweiten Schreiben empörte er sich über die „Diktatur Becher“, ihr Ziel sei: „Aus der Deutschen Gruppe soll eine SED Organisation werden.“47 Wie Tralow, der in seinem Kopenhagen-Kommentar, gegen Lasky gerichtet,48 die Überparteilichkeit des PEN betont hatte,49 in seinen Solidarisierung heischenden Rundbriefen und in der ausufernden Korrespondenz mit Friedmann50 zu antikommunistischen Klischees griff, sagt einiges über das politische Umfeld. Die Stiche gegen Becher deuten auch auf Spannungen zwischen in Deutschland gebliebenen und aus dem Exil zurückgekehrten Autoren. Schriftliche Reaktionen erhielt Tralow von Jahnn, Reinhold Schneider, Eulenberg und Eggebrecht. Sie bedauerten den Konflikt und rieten zu gütlicher Einigung.51 Friedmann ließ Becher nach Beratungen mit seinen Londoner Vorstandskollegen und Ould wissen, „dass die Sache nicht von der Art ist, dass eine Aufforderung an Tralow, aus der Gründerschaft auszuscheiden, statthaft wäre“.52 Vermutlich auf Veranlassung Bechers richteten die „in Berlin wohnhaften Mitglieder der deutschen PEN-Gruppe“ an Friedmann die Bitte, „bis zu unserer Gründungsversammlung Herrn Tralow nicht als Ihren Beauftragten zu betrachten“.53 Unterzeichner waren Wolf, Becher, Birkenfeld, Kasack, Wiegler und Weisenborn. Die gemeinsame Aktion von Autoren aus Ost- und West-Berlin ist insofern bemerkenswert, als sie trotz der seit dem 24. Juni 1948 bestehenden sowjetischen Berlin-Blockade zustande kam, die die Viersektorenstadt zwar nicht territorial, aber politisch tiefer spaltete. Es gab zu dieser Zeit anscheinend noch Reste einer „Wir Berliner“-Haltung im Spannungsverhältnis zur ‚Provinz‘, wie sie sich in der Pressekampagne nach der Veröffentlichung der ersten Zehnerliste im April gezeigt hatte.54 Tralow, dem es neben der Anti-Becher-Kampagne offenbar um die Verankerung des PEN-Zentrums im Westen Deutschlands ging, verstärkte daraufhin gegenüber 47 Johannes Tralow: Betrifft: Becher contra Tralow (17. 6. 1948). SBBPK, NL Tralow K 86 M 50. Beigefügt waren u. a. Abschriften des Becher-Briefes vom 10. 6. und Tralows Antwort darauf vom 15. 6. 1948 (AdK Berlin, JRBA-PEN 11598), adressiert war die Sendung an alle westdeutschen bzw. Westberliner Mitglieder außer Günther Weisenborn. 48 Vgl. S. 174 und Anm. 41. 49 Johannes Tralow: Die Lage des P.E.N. In: Welt und Wort 3 (1948), S. 242. 50 Aus der Zeit zwischen dem 15. Juni und 18. Oktober 1948 haben sich 31 Briefe an Friedmann, zwischen dem 3. Juni und 18. Oktober 1948 13 Nachrichten Friedmanns an Tralow erhalten. SBBPK, NL Tralow. 51 Hans Henny Jahnn an Johannes Tralow (21. 6. 1948); Reinhold Schneider an Tralow (22. 6. 1948); Herbert Eulenberg an Tralow (18. u. 28. 6. 1948); Axel Eggebrecht an Tralow (16. 7. 1948). Alle SBBPK, NL Tralow. 52 Hermann Friedmann an Johannes R. Becher (25. 6. 1948). AdK Berlin, JRBA-PEN 11601. Im gleichen Sinne Hermon Ould an Becher (22. 7. 1948). AdK Berlin, JRBA-PEN 11617. 53 Johannes R. Becher an Hermann Friedmann (3. 7. 1948). AdK Berlin, JRBA-PEN 11610. Abschriften des Schreibens und des „beigefügten Briefwechsel[s] Becher – Tralow“ gingen an die dreizehn übrigen Mitglieder der Gruppe. Laut Friedmann an Tralow (22. 7. 1948), SBBPK, NL Tralow, wurde ihm die „gemeinsame Bitte“ durch Mendelssohn übermittelt. 54 Vgl. S. 172f., Anm. 34 und 36. Johannes Tralow an Hermann Friedmann (19. 7. 1948), SBBPK, NL Tralow, vermutet einen „Berlin-Komplex“.
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Friedmann seine Warnungen vor Berlin als Haupt- bzw. Sekretariatssitz und eventuellem Tagungsort.55 Das gemeinsame Schreiben der Berliner an Friedmann bewirkte, dass fortan Schneider-Schelde die Briefe zur Vorbereitung der konstituierenden Versammlung unterzeichnete.56 Die praktische Arbeit erledigte auf Bitten Friedmanns weiterhin Tralow.57 Die für Mitte August vorgesehene konstituierende Sitzung58 verzögerte sich infolge der Berlin-Blockade und der vorangegangenen Währungsreform. Vom 18. bis 21. November 1948 kamen fünfzehn der zwanzig international bestätigten Gründungsmitglieder zur Konstituierung des PEN-Centrums Deutschland in Göttingen zusammen. Aus Berlin fehlte nur Anna Seghers, außerdem Eulenberg, Langgässer, Renn und Plievier. Verglichen mit vorangegangenen Pressekontroversen und internen Misstrauensbekundungen fällt an dem 47-seitigen Stenographischen Protokoll der überwiegend gelassen kollegiale Umgang der Anwesenden miteinander in den z. T. langwierigen Diskussionen auf.59 Da man sich nicht mehr an den Alliierten Kontrollrat wenden konnte und eine Betonung des Zonenaspekts vermeiden wollte, einigte man sich, die einzelnen Besatzungsbehörden gleichzeitig von der Konstituierung der deutschen Sektion des Internationalen PEN-Clubs zu unterrichten. Die vorgesehene „Schlichtung“ der Becher-Tralow-Affäre bewerkstelligte Friedmann, indem er Bechers „Gewicht“ in Kopenhagen herausstellte und Tralow erklärte, das bloße Gewähltwerden in jenen Ausschuss sei kein Hinderungsgrund für seine Zugehörigkeit zur Gründergruppe, bei seiner Verteidigung aber habe er „unbesonnen gehandelt“, denn: „Das Schlimme ist, dass er sofort mit dem Vorwurf reagiert hat, ‚das sei Parteipolitik‘. Das durfte er nicht tun. Das richtete sich auch gegen unser ganzes P.E.N.Unternehmen. Solche Dinge dürfen bei uns nicht ausgesprochen werden.“ Friedmanns Versöhnungsformel – „Sie erkennen an, dass wir in einer menschlichen und
55 Johannes Tralow an Hermann Friedmann (5. und 19. 7., 9. und 12. 8. [der vollständige Text trägt das falsche, handschriftlich ergänzte Datum „12. 7. 48“, die Erwähnung von Göttingen bestätigt die richtige Datierung auf dem unvollständigen Text]); im gleichen Sinn schon am 30. Juni 1948, sämtlich SBBPK, NL Tralow. 56 Friedmann hatte Birkenfeld telegraphiert, dass Schneider-Schelde die organisatorischen Vorarbeiten übernehme, Birkenfeld teilte den Unterzeichnern und Anna Seghers mit, er habe Friedmann namens der Berliner via Peter de Mendelssohn gedankt (Günther Birkenfeld an Johannes R. Becher , Eingangsvermerk: 5. 8. 1948. AdK Berlin, JRBA-PEN 11620). In dem Schreiben, das Friedmann erhalten hatte, stand Birkenfelds Name an der Spitze – vgl. Hermann Friedmann an Johannes Tralow (22. 7. 1948). SBBPK, NL Tralow. 57 Hermann Friedmann an Johannes Tralow (9. 8. 1948). SBBPK, NL Tralow. 58 Hermann Friedmann an Johannes R. Becher (25. 6. 1948). AdK Berlin, JRBA-PEN 11601. 59 Tagung des P.E.N.-Centrums Deutschland am Freitag, dem 19. November 1948. AdK Berlin, JRBAPEN 11645. Die Nummerierung beginnt dreimal von vorn, eine Tageseinteilung ist nur indirekt zu erschließen.
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überparteilichen Verbundenheit zusammenarbeiten wollen“ – stimmten Tralow und Becher schließlich zu.60 Der Antrag der Münchner Gruppe, die „provisorische Leitung“ bis zur nächsten Generalversammlung bestehen zu lassen, die nach dem nächsten internationalen Kongress in Venedig einberufen werden sollte, und erst dann Neuwahlen vorzunehmen, wurde in der Diskussion verworfen.61 Eine solche Vorgehensweise hätte die Kopenhagener Einstimmigkeitsforderung und mögliche internationale Einsprüche umgangen und eine Dominanz der Münchner Gruppe gefestigt. Bechers Vorschlag, schon jetzt weitere Mitglieder zu wählen, fand Zustimmung. Auch konnte er die Anwesenden überzeugen, dass sich angesichts der politischen Lage für die Mitglieder in der „Ostzone“ Schwierigkeiten ergäben, wenn man einen Präsidenten wählte, der in London lebte.62 Den Vorschlag eines Dreiergremiums mit einem Vertreter für die „drei Westgebiete“, einem aus der Ostzone und Friedmann brachte Birkenfeld ein.63 Gegen verschiedene Einwände argumentierte Kasack mit positiven Erfahrungen im Berliner Schutzverband Deutscher Autoren.64 Hinsichtlich der Struktur des Vorstands und seines provisorischen Charakters einigte man sich auf die Formulierung: „Die Leitung des P.E.N.-Centrums Deutschland liegt in den Händen von 3 gleichberechtigten Mitgliedern, so lange, bis zu einem günstigeren Zeitpunkt ein Präsident gewählt wird.“65 Als erster wurde Friedmann durch Akklamation gewählt, die übrigen in geheimer Zettelwahl. Becher, vorgeschlagen durch Birkenfeld, mit 12 Stimmen, für die „Westgebiete“ Penzoldt mit 7 (Kästner erhielt 6 Stimmen, Schneider-Schelde und Sternberg je 1). Zu Sekretären wurden Kästner und Schneider-Schelde bestimmt, zum Sitz des Sekretariats München.66 Die Anwesenden wählten eine ungenannt bleibende Zahl Kollegen hinzu.67 60 Tagung des P.E.N.-Centrums Deutschland am Freitag, dem 19. November 1948. AdK Berlin, JRBAPEN 11645, [Teil I], S. 14–21 (S. 18 wurde offenbar als zu detailreich entfernt), hier S. 16 und 21. 61 Tagung des P.E.N.-Centrums Deutschland am Freitag, dem 19. November 1948. AdK Berlin, JRBAPEN 11645, II. Teil, S. 1. Siehe auch Anhang III.3. 62 Tagung des P.E.N.-Centrums Deutschland am Freitag, dem 19. November 1948. AdK Berlin JRBAPEN 11645, II. Teil, S. 3. 63 Ebd., S. 5. Die Anregung, ein Präsidium statt eines Präsidenten zu wählen, ging von Friedmann aus, der sie mit Becher besprochen habe. Vorstandssitzung des PEN Clubs Deutscher Autoren im Ausland bei Prof. Hermann Friedmann, am 2. Dezember 1948. DEA, EB 75/177 D.I.4.b, S. 2. 64 Tagung des P.E.N.-Centrums Deutschland am Freitag, dem 19. November 1948. AdK Berlin, JRBAPEN 11645, II. Teil, S. 8. 65 Tagung des P.E.N.-Centrums Deutschland am Freitag, dem 19. November 1948. AdK Berlin, JRBAPEN 11645, III. Teil, S. 2. 66 Ebd., S. 2–5. 67 30 erreichten offenbar die nötige Zustimmung der abwesenden Mitglieder der Gründergruppe – vgl. Anhang I. P.E.N.-Club deutscher Autoren im Ausland (Sitz London): Mitteilungsblatt Nr. 2, S. 3, nennt die Zahl 34. Enthalten in SBBPK, NL Tralow K 85 M 29. – Für Vorschläge, über die man sich nicht klar werden konnte, wurde auf Anregung Sternbergers eine Prüfungskommission bestellt, bestehend aus Sternberger, Birkenfeld, Weisenborn und Tralow (auf Vorschlag Friedmanns), undatierter „Privatbericht Prof. Friedmanns“ über Göttingen, offenbar für seine Londoner Vorstandskollegen, DEA,
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Standespolitische Resolutionen galten –– der Aufhebung der Preisstop-Verordnung und der Forderung nach „freie[m] Austausch der Druckwerke“, der „durch zonale Sperrungen und Verbote zur Zeit unmöglich gemacht“ werde,68 –– dem Projekt „Kulturpfennig“ (Einführung einer Abgabepflicht aus der Verwertung frei gewordener Urheberrechte zugunsten lebender Autoren, von Hinterbliebenen und literaturfördernden Kultureinrichtungen) –– dem „Recht auf Freizügigkeit“ („ausländische und deutsche Behörden“ sollten „den Mitgliedern des P.E.N.-Centrums Deutschland ohne weitere Nachprüfungen Visa, Pässe und andere benötigte Papiere ausstellen“).69 Die Präambel betonte im Anschluss an Punkt 3 und 4 der PEN-Charta die spezielle Verpflichtung deutscher Autoren, Antisemitismus zu bekämpfen. Sie schloss mit einem Aufruf zu Friedenspolitik im „Zeitalter der Atombombe“,70 den Friedmann rückblickend als „sehr stark de[n] russischen Gesichtspunkten Rechnung“ tragend kommentierte.71 Die Kompromissfähigkeit der Gründergruppe verdankte sich dem konsequenten Vermeiden jeder direkt politischen Diskussion, das dem PEN-Verständnis des designierten Präsidenten Friedmann entsprach, daneben den Kopenhagener Anforderungen72 und wahrscheinlich nicht zuletzt der angespannten weltpolitischen Situation, von der das Pathos der Friedenssehnsucht in der Präambel geprägt war. Zwei kleinere Mitgliedertagungen fanden am 12. April und vom 2. bis 4. Juni 1949 statt. In Hamburg kamen Friedmann und die drei Münchner Vorstandsmitglieder mit fünf weiteren Gründungsmitgliedern zusammen.73 Man besprach Organisations- und Statutfragen. Die Anwesenden einigten sich auf 22 Zuwahlvorschläge.74 Als Delegierte zum Internationalen PEN-Kongress im September 1949 in Venedig wurden Friedmann und Kästner gewählt. Am folgenreichsten war, dass Tralow zum Schatz-
EB 75/177 D.I.5.a, sowie: Vorstandssitzung des PEN Clubs Deutscher Autoren im Ausland bei Prof. Hermann Friedmann, am 2. Dezember 1948, DEA, EB 75/177 D.I.4.b, S. 2. 68 Hans Henny Jahnn hatte berichtet, der Militärgouverneur von Hamburg habe „den Besitz und Erwerb von Druckwerken, hergestellt in der sowjetischen Zone, verboten“. Tagung des P.E.N.-Centrums Deutschland am Freitag, dem 19. November 1948. AdK Berlin, JRBA-PEN 11645, [Teil I], S. 13. 69 Anlage zum Stenographischen Protokoll. AdK Berlin, JRBA-PEN 11645, unpaginiert, Bl. 2 (vermutlich zur abschließenden Pressekonferenz verteilt, beginnt Bl. 1 mit „Präambel“). 70 Vgl. Anhang III.4. Die Präambel wurde von einer Redaktionskommission, bestehend aus Friedmann, Birkenfeld und Wolf, unter Mitwirkung von Jahnn, Kasack und Reinhold Schneider formuliert. Tagung des P.E.N.-Centrums Deutschland am Freitag, dem 19. November 1948. AdK Berlin, JRBA-PEN 11645, III, S. [11] (Paginierungsfehler, S. 10 doppelt). 71 Vorstandssitzung des PEN Clubs Deutscher Autoren im Ausland bei Prof. Hermann Friedmann, am 2. Dezember 1948. DEA, EB 75/177 D.I.4.b, S. 1. Den Text habe Friedrich Wolf mitgebracht. 72 Vgl. S. 173 und Anhang III.2. 73 Siehe Anhang II. 74 Siehe Anhang I.
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meister „bestellt“ wurde.75 In Bielefeld trafen sich Friedmann, Tralow und Birkenfeld mit den in Göttingen Gewählten Kasimir Edschmid, Horst Lange, Fritz Usinger und Alfred Kantorowicz (Ostberlin). Die Beratungen kreisten um Reiseschwierigkeiten und Vertriebsbeschränkungen für deutsche Bücher sowie das angesichts der vorläufig begrenzten Mitgliederzahl besonders prekäre Finanzierungsproblem.76 Vom 15. bis 18. November 1949 fand die fällige Jahresversammlung in München statt. Das deutsche Zentrum war seit dem internationalen PEN-Kongress in Venedig endgültig souverän, wenn auch Erich Kästner als deutscher Delegierter hatte erfahren müssen, dass „das Ressentiment noch ungeheuer“ war.77 In München kamen 14 bzw. 16 Mitglieder zusammen.78 An Diskussionen beteiligten sich Friedmann, Kästner, Tralow, Schneider-Schelde, Kasack, Weisenborn, Usinger und Birkenfeld, anwesend waren – wie aus Pressemitteilungen hervorgeht – auch Penzoldt, Wilhelm Hausenstein, Horst Lange, Hermann Kesten, Hanns Wilhelm Eppelsheimer und Martin Kessel.79 Aus dem Osten war niemand dabei, vermutlich waren so kurz nach Gründung der DDR die Aus- und Einreisemodalitäten ungeklärt.80 Weisenborn wirkte als Vertreter Bechers und der ostdeutschen Mitglieder.81 Wegen der „bestehenden Zonenverhältnisse“ blieb es ohne Einspruch bei einem 3-köpfigen Präsidium. Die anschließende geheime Wahl ergab lediglich eine Umgruppierung des Vorstandspersonals. Geschäftsführender Präsident: Friedmann, 1. weiterer Präsident: Becher, 2. weiterer Präsident: Kästner, Generalsekretär: Penzoldt, Schatzmeister: Tralow.82
75 Tagung des deutschen Zentrums des PEN-Clubs in Hamburg am 12. April 1949. SBBPK, NL Tralow K 86 M 37. 76 PEN-Zentrum Deutschland. Tagung vom 2. bis 4. Juni 1949 in Bielefeld. SBBPK, NL Tralow K 86 M 37. 77 Hermann Friedmann in: Tagung des Internationalen P.E.N.Clubs, Zentrum Deutschland in München vom 15. 11.–18. 11. 1949. Auszug aus dem Sitzungsprotokoll, S. 1. SBBPK, NL Tralow K 86 M 37. Im Folgenden: Auszug aus dem Sitzungsprotokoll (München). Detaillierter Richard Friedenthal in: Vorstandssitzung des Deutschen PEN am 19. 10. 49 bei Dr. Friedenthal. DEA, EB 75/177 D.I.4.b, S. 1. 78 Es existiert keine Anwesenheitsliste. Die Zahl 14 ergibt sich aus den Abstimmungsergebnissen in: Auszug aus dem Sitzungsprotokoll (München). SBBPK, NL Tralow K 86 M 37. Hinzu kamen die erst in München selbst gewählten Oda Schaefer und Alfred Neumann. 79 Vgl. Am Rande PENdelnd. In: Süddeutsche Zeitung, 19./20. 11. 1949, S. 8; Tralow: Das Gesicht des deutschen PEN. In: Neue Zeitung (München), 21. 11. 1949, S. 3. 80 Noch am 2. November hatte Becher an Walter Bauer geschrieben, dass er am 14. November zur PEN-Tagung nach München komme (Johannes R. Becher: Briefe 1909–1958. Hrsg. von Rolf Harder unter Mitarbeit von Sabine Wolf und Brigitte Zessin. Berlin und Weimar: Aufbau 1993, S. 392). Erst am 11. November hatte er in einem Telegramm an Kästner seine Teilnahme wegen der Vorbereitung des Kulturbundkongresses abgesagt (AdK Berlin, JRBA-PEN 11678). Das erklärte aber nicht das Fernbleiben der übrigen ostdeutschen Mitglieder. 81 Vgl. Auszug aus dem Sitzungsprotokoll (München). SBBPK, NL Tralow K 86 M 37, S. 3 und 6. 82 Ebd., S. 2f.
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Die einstimmig angenommene Satzung83 bestätigte die Präsidiumskonstruktion (§ 6, ohne Hinweis auf den provisorischen Charakter84); sie legte u. a. fest, dass: mindestens einmal im Jahr eine Mitgliederversammlung zusammentritt (§ 4); Voraussetzung für die Aufnahme die „Veroeffentlichung hinreichend gewichtig befundener Literaturwerke in deutscher Sprache“ ist, der Antrag von zwei Mitgliedern schriftlich einzubringen ist, die Aufnahme durch Zweidrittelmehrheit einer Mitgliederversammlung erfolgt (§§ 2, 7, 8); der Vorstand ermächtigt ist, finanzielle Hilfe anzunehmen (§ 11);85 die „Bildung von Landesgruppen zur Foerderung der Ziele des PEN-Zentrums gestattet“ ist (§ 12). Einstimmig verabschiedet wurde auch die folgende Resolution: Das PEN-Zentrum Deutschland wendet sich mit Entschiedenheit gegen Massnahmen und Tendenzen in allen Teilen Deutschlands, die das freie literarische Schaffen beeinträchtigen. Die direkte oder indirekte Zensur widerspricht der internationalen PEN-Charter. Wir protestieren auch heute schon gegen die Einführung eines sog. Schmutz- und Schundgesetzes, weil wir seine missbräuchliche Anwendung kennen und fürchten.86
Die Münchner Kollegen des Vorstands, speziell Kästner, gingen energisch an die Umsetzung dieses Beschlusses und brachten in der Bundesrepublik die beabsichtigte öffentliche Kampagne in Gang.87 In München wurden die Namen der in Göttingen und Hamburg Gewählten bekannt gegeben.88 Auf der Tagung selbst wurden mit der von da an geltenden Zweidrittelmehrheit der Anwesenden weitere 42 Autoren hinzu gewählt.89 Es war die letzte Zuwahl vor der Teilung im Jahre 1951. Von den insgesamt 114 Gewählten nahmen 49 an wenigstens einer der sechs Tagungen teil, einige weitere traten als PEN-Mitglieder 83 Satzungen des PEN-Zentrums Deutschland, angenommen in der Mitgliederversammlung am 17. 11. 1949, Anlage zu: Auszug aus dem Sitzungsprotokoll (München). SBBPK, NL Tralow K 86 M 37. 84 Vgl. S. 177, Anm. 65. 85 In der Diskussion über das Finanzierungsproblem hatte Friedmann ausgeführt, damit „nicht der Wunsch nach Beiträgen am Ende das Niveau drücke“, brauche der PEN „Gönner und Freunde“, die ihn „aus idealistischen Gründen“ unterstützten, ohne seine „innere Freiheit […] zu lähmen“. Auszug aus dem Sitzungsprotokoll (München). SBBPK, NL Tralow K 86 M 37, S. 2. 86 Ebd., S. 5. 87 Schon Anfang Februar 1950 hatten sich der Resolution „zwölf kulturelle Verbände angeschlossen“. Gegen das geplante Schund- und Schmutzgesetz. In: Neue Zeitung (München), 7. 2. 1950. 88 Auszug aus dem Sitzungsprotokoll (München). SBBPK, NL Tralow K 86 M 37, S. 1 und 3. Siehe Anhang I. 89 Bezüglich dieser 42 lässt sich nicht sicher feststellen, wer die Wahl angenommen hat. Belegt ist, dass Rudolf Hagelstange seine Ablehnung „mit der bisherigen Praxis, kommunistische Mitglieder zu akzeptieren“ begründete. Vgl. Michael Hochgeschwender: Freiheit in der Offensive? Der Kongreß für kulturelle Freiheit und die Deutschen. München: Oldenbourg 1998, S. 337. Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 399f., enthält eine Mitgliederliste vom 19. Juli 1950 mit 90 Namen, in ihr fehlen folgende noch im Exil lebende Autoren: Arnheim, Lichnowsky, Hardekopf, Heiden, Kracauer, Lion, Pinthus, von Radecki, Schoenberner, außerdem Georg Lukács. Den anschließenden Überlegungen ist die Zahl der Gewählten zugrunde gelegt.
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öffentlich in Erscheinung. Außer Hans Erich Nossack, Luise Rinser, Rudolf Hagelstange und Stephan Hermlin hatten alle schon in der Weimarer Republik – mindestens in Zeitschriften – publiziert. Entsprechend hoch war der Altersdurchschnitt. Nur etwa ein Drittel (32) war z. Z. der Münchner Tagung noch unter 50 Jahren, nur sechs unter 40. Exilerfahrung hatten 49 der Gewählten, in Nazideutschland gelebt hatten 65. Die meisten, soweit sie sich nicht als ‚unpolitisch‘ verstanden, wären wohl als liberal-konservativ bis linksdemokratisch zu charakterisieren. Zum Autorenkreis der Weltbühne hatten neun gehört,90 zur Gruppe 1925 elf,91 zum Kreis um die Zeitschrift Die Kolonne sechs,92 Mitglied im Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller waren sechs.93 Allen gemeinsam aber war ein bürgerlicher Hintergrund. Andere kannten sich offenbar aus regionalen Zusammenhängen. Im ‚Osten‘ lebten 1949/50 vierzehn, davon neun in Berlin (Ost), aus Westberlin kamen ursprünglich ebenfalls neun. Der „Auszug aus dem Sitzungsprotokoll“ bot das Bild einer harmonischen Veranstaltung, Friedmann berichtete seinen Londoner Vorstandskollegen allerdings über „eine grosse Spannung zwischen Ost und West“, die jedoch überbrückt worden sei.94 Es war Birkenfeld, der diese öffentlich zu machen suchte. Sein Artikel „Die Gewissensfrage“ war der erste direkte Angriff eines PEN-Mitglieds gegen Kommunisten und deren Freunde im PEN-Zentrum Deutschland.95 Dabei nahm er Bezug auf die Forderung David Roussets, des Autors von L’Univers concentrationnaire, einer Kommission aus „ehemaligen französischen Opfern des deutschen KZ-Systems“ die „Besichtigung der russischen Zwangslager“ zu erlauben, und warf Becher, Wolf und Seghers, die die PEN-Charta unterzeichnet hätten, vor, sie sagten, obwohl sie es anders wüssten, „wenn sie überhaupt etwas sagen, daß nur Nazis in die (sogenannten) ‚Sicherungslager‘ kämen“. Speziell attackierte er Weisenborn. Dieser „Fellow-Traveller“ habe während eines abendlichen politischen Streits in München z. Z. der PEN-Tagung „angesichts eines unbestreitbaren Neo-Nazismus in Westdeutschland“ verkündet, es sei „ein Jammer, daß es nicht auch in den Westzonen Konzentrationslager gibt“.
90 Arnheim, Bloch, Eggebrecht, Feuchtwanger, Kästner, Leonhard, Mehring, Zuckmayer, Arnold Zweig. 91 Becher, Bloch, Brecht, Döblin, Haas, von Hollander, Kasack, Leonhard, Lion, Ludwig Marcuse, Mehring. 92 Belzner, Huchel, Kasack, Horst Lange, Langgässer, Oda Schaefer. 93 Becher, Brecht, Lukács, Renn, Seghers, Wolf. 94 Protokoll der Vorstandssitzung des PEN Club deutscher Autoren am 13. 12. 49 in der Wohnung Sternfelds. DEA, EB 75/177 D.I.4.b, S. 1. Vgl. auch Ernst Penzoldt und Erich Kästner an Johannes R. Becher (18. 11. 1939), AdK Berlin, JRBA-PEN 11680, die das Harmonische betonten, sowie Günther Weisenborn an Becher (21. 11. 1949), AdK Berlin, JRBA-PEN 11683, der als Konfliktpartner Birkenfeld und Kasack nannte. 95 Günther Birkenfeld: Die Gewissensfrage. In: Telegraf, 18. 12. 1949, S. 4 (d. h. im Teil Politik). Der Telegraf war eine von der britischen Militärverwaltung lizenzierte SPD-nahe Berliner Tageszeitung. Birkenfelds Angriff ist zugleich im Kampf der (Westberliner) SPD gegen die SED zu verorten.
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Weisenborn antwortete im Januar 1950 im Kurier.96 Er habe sich gegen Ende jenes „wirren Gesprächs […] mit aller Klarheit zu einer gerechten Justiz ohne Konzentrationslager“ bekannt. Gegen den von „Osten und Westen“ erhobenen Vorwurf der „Entscheidungslosigkeit“ erklärte er, sein „entscheidendes Grundprinzip“ sei der Frieden. Damit waren das zentrale Thema und das Argumentationsmuster der kommenden Auseinandersetzung innerhalb des deutschen PEN-Zentrums vorgezeichnet. Eröffnet wurde sie nicht zufällig in Berlin, wo die Gegensätze infolge des Zerfalls der Anti-Hitler-Koalition besonders ausgeprägt waren und die Beteiligten einander aus der hoffnungserfüllten frühen Nachkriegszeit persönlich kannten. Becher kommentierte den „hinterhältigen Angriff gegen Weisenborn […], ebenfalls wegen der sogenannten Konzentrationslager“ an zunächst verborgen bleibender Stelle, im Manuskript seines Tagebuchs 1950. Seine Erwägungen verraten – wahrscheinlich nicht unbeabsichtigt – ein Gefühl für die eigene prekäre Position.97 Die Tatsache des Stalinschen Lagersystems war für die kommunistischen Schriftsteller im PEN eine schwere Hypothek, zumal sie wie Becher und Wolf nicht ahnungslos waren, wenn ihnen auch das ganze Ausmaß der Katastrophe vielleicht wirklich nicht klar war. Bechers späteres Eingeständnis, man habe immer weniger über „gewisse Vorgänge“ gesprochen, die er „in der Sowjetunion erleben mußte“, bis man sogar den Monolog abbrach, im „nur allzu beflissene[n] Bestreben, das sozialistische Experiment, wie es sich in seiner aktuellen Wirklichkeit darbietet, mit einer Apologetik zu umgeben“,98 ist auch auf die frühen 1950er Jahre zu beziehen. Eine öffentliche Distanzierung wäre damals – im konkreten wie übertragenen Sinne – in einem Maße existenzgefährdend gewesen, wie es Schriftstellerkollegen, die aus einer ‚inneren Emigration‘ kamen, nicht erwarten konnten. In ihrer Mehrheit haben sie dies auch nicht getan. Birkenfelds Attacke gegen Weisenborn beschäftigte – ohne dass dabei auf die ‚einleitenden‘ Bemerkungen über Becher, Wolf und Seghers eingegangen wurde – die in München lebenden Mitglieder des Vorstands schon in ihrer ersten Sitzung am 3. Januar 1950.99
96 Grenzgänger der Humanität. In: Der Kurier, 23. 1. 1950, S. 3. Die redaktionelle Überschrift bezieht sich auf ein längeres Zitat aus „Birkenfelds Angriff“, „Weisenborns Antwort“ und das „Nachwort der Redaktion“. 97 Vgl. Johannes R. Becher: Gesammelte Werke, Bd. 12: Auf andere Art so große Hoffnung. Tagebuch 1950. Eintragungen 1951. Berlin und Weimar: Aufbau 1969, S. 70 (Eintrag unter: 24. Januar, Dienstag). 98 Johannes R. Becher: Selbstzensur. In: Sinn und Form 40 (1988) 3, S. 543–551, hier S. 544, 546 und 550. Es handelt sich um Texte vom Juni 1956, die Becher 1957 aus den Druckfahnen des Poetischen Prinzips gestrichen hat, vgl. ebd., S. 679. 99 Protokoll der Vorstandssitzung des PEN-Zentrums Deutschland am 3. Januar 50 [sic]. DEA, EB 75/177 D.I.5.e, S. 1.
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Vom 26. bis 30. Juni 1950 fand in Berlin der 1. Kongress für kulturelle Freiheit statt.100 Generalsekretär, d. h. praktischer Organisator des Kongresses war Melvin Lasky.101 Konzipiert als Gegenpol zu der sich antiimperialistisch definierenden und antiamerikanisch orientierten Weltfriedensbewegung suchte der Kongress gegen geistige Unfreiheit und Totalitarismus im sowjetischen Machtbereich liberale und konservative Intellektuelle, Sozialdemokraten, nichtkommunistische und antistalinistische Linke einschließlich prominenter Exkommunisten im antikommunistischen – und pro-amerikanischen – Sinne zu mobilisieren. Die Beteiligung der Letztgenannten gab den Gegenangriffen den Ton der Erbitterung. Am Kongress selbst nahmen aus dem PEN-Zentrum Deutschland Birkenfeld, Pechel, Plievier, Eugen Kogon, Hermann Kesten, Sternberger und Luise Rinser teil. Unter den Gästen waren Karl Friedrich Borée, Friedrich Luft und Walter Mehring. Ein Schriftstellerkongress in Ostberlin wurde eigens auf den 4. und 5. Juli 1950 verschoben, um ihn als Gegenveranstaltung zu inszenieren. Becher steigerte sich am Ende seines Schlusswortes in eine wüste Schmährede hinein, in der sich Versatzstücke aus dem Arsenal des Kalten Krieges häuften, vom „Spitzel- und Kriegsbrandstifterkongreß“ nach der Prawda bis zur Wendung, mit solchen Leuten müsse verfahren werden, „wie es Menschenfeinde verdienen und wie es Maxim Gorki in dem Satz ausgedrückt hat: ‚Wenn der Feind sich nicht ergibt, muß er vernichtet werden‘“. Das Gorki-Zitat war zugleich ein Stalin-Zitat.102 Eine peinliche Stalin-Apotheose bildete denn auch das Ende der Rede. Hinter den Tiraden ist durchaus noch Bechers seit der Auseinandersetzung mit dem Ersten Weltkrieg bestehende Grundüberzeugung von der Friedensunfähigkeit des imperialistischen Systems auszumachen,103 deren Verschleierung er der Gegenseite vorwarf. In der Absicht, seinerseits das Verhältnis von Frieden und Freiheit zu bestimmen, verstieg er sich zu Ausbrüchen von der Art: „widerwärtig ist uns das Geschwätz dieser kriminellen Clique von der Freiheit der Persönlichkeit, hinter dem nichts anderes steckt als der Versuch, die Entfaltung der Persönlichkeit in 100 Zu Vorgeschichte, Intentionen und Verlauf sowie der Arbeit der gleichnamigen Institution: Hochgeschwender: Freiheit in der Offensive?; zu personellen und finanziellen Verflechtungen der Institution vgl.: Frances Stonor Saunders: Wer die Zeche zahlt … Der CIA und die Kultur im Kalten Krieg. Berlin: Siedler 2001; Kongressreferate, Teilnehmer- und Gästeverzeichnis in: Der Monat 22/23 (Juli/August 1950). 101 Vgl. Anm. 25 und S. 174, Anm. 40 und 41. 102 Johannes R. Becher: Schlußwort auf einem Schriftstellerkongreß. In: Gesammelte Werke, Bd. 17, S. 348–358, die Angriffe gegen die Teilnehmer des Kongresses für kulturelle Freiheit: S. 354–358; Erstveröffentlichung unter dem Titel: Die gleiche Sprache. In: Aufbau 6 (1950) 8, S. 697–703. – Stalin hatte sich in einem Befehl vom 23. Februar 1942 auf Gorki (1930) bezogen, aus diesem Zusammenhang dürfte Becher das Zitat bekannt gewesen sein. 103 Vgl. Bechers Beitrag zur Neujahrsnummer 1950 der Täglichen Rundschau, in dem er als entscheidendes Lektüre-Erlebnis in der ersten Jahrhunderthälfte die Lenin-Schrift Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus nannte, unter dem Titel: Vom Geheimnis unseres Jahrhunderts oder Dank an ein Buch. In: Gesammelte Werke, Bd. 17, S. 334–341.
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einem freien Volk zu verhindern und wieder Millionen von Persönlichkeiten auf den Schlachtfeldern den Heldentod der freien Persönlichkeit sterben zu lassen“.104 Dieser Auftritt Bechers diente als Anlass für den Versuch, die kommunistischen Autoren aus dem PEN-Zentrum auszuschließen. Trotz des ‚heißen Sommers‘ mit dem Kongress für kulturelle Freiheit und dem Ausbruch des Korea-Krieges scheinen Friedmann und die Münchner Vorstandskollegen, als sie Ende Oktober die Jahrestagung in Wiesbaden – statt Berlin, wie in München beschlossen – vorbereiteten, noch mit einer normalen Clubveranstaltung gerechnet zu haben. Zwei Mitgliedern aus dem Osten sollten die Rückfahrkosten und 25 D-Mark Tagegeld gezahlt werden. Die Tagesordnung enthielt u. a. den „sog. Fall Birkenfeld“ vom Dezember 1949.105 In Wiesbaden kamen vom 4. bis 7. Dezember 1950 24 Mitglieder zusammen, dabei zum ersten und einzigen Mal das dreiköpfige Präsidium. Zum Auftakt der Sacharbeit berichtete Kästner über die Anhörung „in Bonn“ zum Thema „Schund- und Schmutzgesetz“,106 die er „nicht befriedigend“ nannte, weil die Gesprächspartner nicht begriffen hätten, „weshalb der PEN sich wehrt“. Die Behandlung als „Gesetz über den Vertrieb jugendgefährdender Schriften“ hielt er für Tarnung.107 Zur immer wiederkehrenden Frage der Geldbeschaffung erklärte Friedmann, „man müsse sehr vorsichtig sein, wenn man Geld annehmen wolle, und sehr genau wissen von wem“.108 Ein Brief Pechels, Plieviers und Birkenfelds an das Präsidium wegen Bechers Attacke gegen die Teilnehmer des Kongresses für kulturelle Freiheit „überrascht[e] die Mehrzahl der Anwesenden“. In ihm beantragten sie die „Trennung von Becher und seinen Gesinnungsgenossen“, weil diese „als Wortführer eines Systems der kulturellen Unfreiheit und Unterdrückung, beständig und öffentlich im schroffen Widerspruch zu der von ihnen unterschriebenen PEN-CHARTA“ handelten.109 Eine Diskussion im Plenum wurde vermieden. Keiner der Ankläger war selbst gekommen. 104 Becher: Schlußwort auf einem Schriftstellerkongreß. In: Gesammelte Werke, Bd. 17, S. 356. 105 Kurzer Bericht über die Vorstandssitzung des PEN-Zentrum Deutschland in München am 21. 10. 1950. SBBPK, NL Tralow K 86 M 38 und AdK Berlin, JRBA-PEN 11720; zum „sog. Fall Birkenfeld“ vgl. S.185f., Anm. 95f. Auf der Tagung in Wiesbaden entschied man sich, ein Ehrengericht einzusetzen, Tagung des Internationalen P.E.N.Clubs, Zentrum Deutschland in Wiesbaden vom 4.–7. 12. 1950. SBBPK, NL Tralow K 86 M 38, S. 3. 106 Vgl. S. 180. 107 Tagung des Internationalen P.E.N.Clubs, Zentrum Deutschland in Wiesbaden vom 4.–7. 12. 1950. SBBPK, NL Tralow K 86 M 38, S. 1. Vgl. hierzu: Das drohende Schmutz- und Schundgesetz, darunter: Vortrag vor dem Bundestagsausschuss; Vier Gesichtspunkte; Erich Kästner: Ein paar Beispiele? Bitte sehr!; Stefan Andres: Die düsteren Perspektiven und Ein Sozialgesetz für die Jugend ist wichtiger. In: Das literarische Deutschland. Zeitung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, 5. 12. 1950, S. 2. 108 Tagung des Internationalen P.E.N. Clubs, Zentrum Deutschland in Wiesbaden vom 4.–7. 12. 1950. SBBPK, NL Tralow K 86 M 38, S. 1. 109 Ebd., S. 3 und 2. Vgl. Anhang III.5.
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Dem Präsidium hatte nur eine ‚Blütenlese‘ vorgelegen, deren Quellenangabe überdies falsch war. Sie wurde nicht verlesen, um den Vorwurf zu vermeiden, der Tatbestand „sei nicht völlig und konkret dargestellt“. Becher versicherte, er habe keinen der Unterzeichner „gemeint oder genannt“. Friedmann schlug vor, den „ganzen Komplex“, weil er die „allgemeinen Prinzipien des PEN“ berühre, der „Exekutive des Internationalen PEN zur Beurteilung vorzulegen“. Dagegen stimmte nur BeheimSchwarzbach, weil so nur einer „effektiven Entscheidung aus dem Wege“ gegangen werde.110 Die Präsidiumsstruktur wurde einstimmig bestätigt, auch personell blieb es beim Alten. Gegen die Wiederwahl Bechers hatte sich Borée ausgesprochen, den Friedmann um Enthaltung bat. Tralow blieb Schatzmeister. Zum neuen Generalsekretär wurde Edschmid gewählt – als erstes Vorstandsmitglied, das nicht aus der Gründergruppe stammte. Am Rande der PEN-Tagung erklärte Becher vor Pressevertretern in Mainz auf die Frage nach Konzentrationslagern in der DDR: „Wir leugnen die Existenz dieser Lager keineswegs, doch befinden sich dort nur Kriegshetzer und Feinde der Sache des Friedens.“111 Das heißt, er reagierte nach dem Muster, das Birkenfeld schon ein Jahr zuvor den kommunistischen Autoren vorgehalten hatte.112 Pechel, Birkenfeld und Plievier gaben kurz nach der Wiesbadener Tagung bekannt, „sie haben dem Präsidium des deutschen Pen-Clubs mitgeteilt, daß sie den Sitzungen fernbleiben werden, solange der Präsident des kommunistischen Kulturbundes der Sowjetzone, Johannes R. Becher (SED) dem deutschen PEN-Club angehört“.113 Im Kongress für kulturelle Freiheit hatten die Protestierer für ihre aktive Nazigegnerschaft, zu der sie auch im Jahre 1950 Anlass sahen114 und die sich bei ihnen mit antikommunistischen bzw. antisowjetischen Überzeugungen verband, eine Identifikationsbasis gefunden, die auch kampagnefähig war. Im konkreten Fall war Birkenfelds Vorstoß aber gerade nicht von der Zentrale der noch im Aufbau befindlichen Organisation veranlasst.115 Die Wiederwahl Bechers ins Präsidium sowie dessen Äußerungen in Mainz und Frankfurt brachten dem PEN-Zentrum Deutschland eine Flut von Vorwürfen in der
110 Tagung des Internationalen P.E.N. Clubs, Zentrum Deutschland in Wiesbaden vom 4.–7. 12. 1950. SBBPK, NL Tralow K 86 M 38, S. 3. 111 [dpa]: Geist und Macht. In: Süddeutsche Zeitung 284 (1950), Ausriss in: DEA, EB 75/177 D.I.5.f. Vgl. Anm. 135 und 266. 112 Vgl. S. 181. 113 [ap]: Protest gegen PEN-Mitglied Joh. R. Becher, Ausriss in: DEA, EB 75/177 D.I.5.h (11. 12. 1950). 114 Vgl. S. 181. 115 Ein Solidaritätstelegramm des Amerikanischen Komitees für kulturelle Freiheit an das Berliner Büro des Kongresses (Von der schändlichen Führung Bechers lossagen. In: Neue Zeitung, 4. 2. 1951 und Nachdrucke) kam erst zustande, nachdem Lasky bei der Pariser Zentrale Unterstützung für Birkenfelds Initiative angefordert hatte. Vgl. Hochgeschwender: Freiheit in der Offensive?, S. 340–342.
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Presse ein.116 Am lautesten war das Medien-Echo in Berlin. Neben Tagesspiegel, Neuer Zeitung und Monat, die Vorgänge im PEN regelmäßig beachteten, beteiligten sich daran speziell SPD-nahe Blätter. Hinzu kamen die einschlägigen RIAS-Sendungen Birkenfelds. In der gesamten Kampagne verflochten sich Becher-Verteufelung und PEN-Schelte. Diese lag auf der antineutralistischen Linie des Kongresses für kulturelle Freiheit. Aus der Mitgliedschaft meldeten sich neben den drei Protagonisten BeheimSchwarzbach, Borée, Sternberger, Otto Flake, Mehring, Stefan Andres und Hagelstange117 zu Wort. Im allgemeinen Presse-Echo hob sich der offene Briefwechsel zwischen Becher und Pechel118 von den schrillen Tönen des Kalten Krieges ab, die auch Pechel selbst an anderer Stelle119 und die Mehrheit der Genannten anschlugen. Beider Rückblick auf ihre Beziehung in der frühen Nachkriegszeit machte das Ausmaß der Entfremdung deutlich, die im Gefolge der Abgrenzung und der – speziell seit Mitte 1950 forcierten – Stalinisierung in der DDR120 zwischen engagierten Nazi-Gegnern unterschiedlicher geistiger Herkunft eingetreten war. Die sich ankündigenden ‚finsteren Zeiten‘ vertieften die Widersprüche in Bechers Verhalten: Stalin-Panegyrik in Vers und Prosa, aggressive Ausbrüche neben ernsthaftem Interesse an der weiteren Mitgliedschaft in der internationalen Schriftstellervereinigung für sich selbst und seine Kollegen in der DDR. Eine gewisse Sonderstellung nimmt die Einschaltung Gerhart Pohls in den Fall der „kleinen katholischen Buchhändlerin“ Mocny ein, die wegen des Verkaufs von Schriften aus dem Westberliner Morus-Verlag zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt worden war. Der Pressemeldung im Tag121 war ein persönlicher Brief an Becher vorausgegangen. Die Schilderung des Falles leitete Pohl mit der Bemerkung ein: „Worte über Sinn und Aufgaben des PEN-Zentrums Deutschland sind in den letzten Wochen wohl ausreichend gewechselt worden. Man sollte vom Deklamatorischen zum Konkreten gelangen.“ Er bezeichnete den Fall als „exemplarische Unterdrückung der Äusserungsfreiheit“ und forderte Becher auf, „das Recht wiederherzustellen oder eine Begnadigung zu bewirken oder im Falle einer Ablehnung beider Möglichkeiten durch den Staat öffentlich von dem Urteil abzurücken, in jedem Fall also der PEN-Charter zu genügen“.122 Pohl veran116 Näheres bei: Bores: Das ostdeutsche P.E.N.-Zentrum 1951 bis 1998, S. 93–102. 117 Vgl. Anm. 89. 118 Johannes R. Becher: Über das Persönliche hinaus … In: Sonntag 5 (1950) 52, 24. 12. 1950, S. 7; Rudolf Pechel: Antwort an Johannes R. Becher. In: Neue Zeitung (Berlin), 29. 12. 1950. Näheres vgl. Christine Malende: Zur Vorgeschichte eines öffentlichen Briefwechsels zwischen Johannes R. Becher und Rudolf Pechel im Dezember 1950. In: Hanuschek, Hörnigk und Malende (Hrsg.): Schriftsteller als Intellektuelle, S. 197–234. 119 Rudolf Pechel: Opportunismus. In: Deutsche Rundschau 76 (1950) 12, S. 996. 120 Hermann Weber: Geschichte der DDR. München: dtv 1999, S. 136. 121 Gerhard [sic] Pohl gegen Becher. In: Der Tag, 18. 2. 1951. Der Tag war das Organ des Ostbüros der CDU. 122 Gerhart Pohl an Johannes R. Becher (15. 2. 1951). AdK Berlin, JRBA-PEN 11787.
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lasste auch die seinerzeit prominenten katholischen Autoren Reinhold Schneider und Gertrud von le Fort, sich für Mocny einzusetzen.123 Becher wandte sich an Justizminister Fechner,124 der sein Ersuchen an die Berliner Justiz weiterleitete. Schließlich richtete Becher an den dafür zuständigen Generalstaatsanwalt ein Gnadengesuch, in dem er auf „die soziale Lage der Angeklagten“ abstellte, das am 25. März 1951 bewilligt wurde.125 Es blieb der einzige der Fälle, in denen Becher um Vermittlung gebeten wurde und in denen er wenigstens Auskunft zu erhalten suchte, der so positiv ausging.126 Im Unterschied zu den anderen lag hier das Urteil eines DDR-Gerichts vor. Mit unterschiedlicher Akzentsetzung bemühten sich Eggebrecht, Emil Belzner und Friedmann um Differenzierungen. Eggebrecht gab zu bedenken, dass es „auch drüben“ noch manchen „heimliche[n] Bruder im Geiste“ gebe.127 Friedmann führte aus: „Die allgemeine Sympathie für ein bestimmtes politisches System ist noch kein Beweis für die Solidarität mit diesem System in allen Dingen.“128 Auch Belzner bestand auf dem Nachweis einer persönlichen Schuld Bechers und hielt es – ähnlich wie Friedmann – für eine Aufgabe des PEN, „unpolitisch zu sein und selbst die gegensätzlichsten politischen Richtungen unter dem Signum der ‚Unteilbarkeit des Geistes‘ zu vereinigen“; dabei hielt er am Ideal einer deutschen Einheit fest.129 Edschmid schloss seinen Bericht über die PEN-Tagung, in dem er bei Erwähnung der Spannungen auf Namen und Polemik verzichtete: „Die PEN-Mitglieder in Wiesbaden, die zu vier Fünfteln aus dem Westen kamen, bekannten sich, getreu der Charta des Internationalen PEN zur Unteilbarkeit des geistigen Deutschlands.“130 Ein Verweis auf die Brückenfunktion für eine Wiedervereinigung unterblieb. Edschmid 123 Reinhold Schneider an Johannes R. Becher (21. 2. 1951). AdK Berlin, JRBA-PEN 11796; Gertrud von le Fort an Becher (25. 2. 1951). AdK Berlin, JRBA-PEN 11800. 124 Johannes R. Becher an Minister Fechner (19. 2. 1951). AdK Berlin, JRBA 3768. 125 Bechers Schriftwechsel mit der Berliner Justiz. AdK Berlin, JRBA 3771–3774. 126 Vgl. Behrens: Johannes R. Becher, S. 269. 127 Axel Eggebrecht: Ich bleibe im PEN-Club! Eine Antwort an Theodor Plievier. In: Die Welt, 4. 1. 1951, Abdruck in: Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (Hrsg.): Die Freiheit fordert klare Entscheidungen. Johannes R. Becher und der PEN-Club. Bonn: [o. V.] 1951, S. 22–24, hier S. 24. Eggebrecht dürfte vor allem an Kantorowicz gedacht haben, mit dem und Falk Harnack zusammen er seit 1949 am Projekt eines Ossietzky-Filmes bei der DEFA arbeitete. Vgl. Alfred Kantorowicz: Deutsches Tagebuch. Erster Teil. Berlin: Verlag Anpassung und Widerstand 1978, S. 416–419, Zitate aus Briefen Eggebrechts vom 8. 2. und 5. 10. 1950, S. 417–419. 128 Hermann Friedmann: „Was bleibt der deutschen PEN-Gruppe …?“ (zusammen mit einer Entgegnung Plieviers unter dem Obertitel: Um der notwendigen Klärung willen). In: Neue Zeitung (Berlin), 14. 1. 1951, S. 4. Abdruck beider Texte in: Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (Hrsg.): Die Freiheit fordert klare Entscheidungen, S. 25–27 und S. 28–30. 129 [Emil Belzner]: Gegenseitige Achtung der Nationen. Die Erklärungen des deutschen PEN-Zentrums in Wiesbaden. In: Rhein-Neckar-Zeitung, 12. 12. 1950. Vgl. (Emil Belzner): PEN/Becher. In: Rhein-Neckar-Zeitung, 14. 12. 1950. 130 Kasimir Edschmid: „Unteilbarkeit des geistigen Deutschlands“. Zur Wiesbadener Tagung des deutschen PEN-Zentrums. In: Rhein-Neckar-Zeitung, 16./17. 12. 1950. Kursivierungen in der Quelle gesperrt.
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ging es darum, die Souveränität der internationalen Schriftstellerorganisation und ihrer deutschen Gruppe gegenüber tagespolitischen und ideologischen Forderungen zu betonen. Die Ostberliner Berichterstattung, die anscheinend erst auf Bechers Initiative in Gang kam, schnitt „das in Wiesbaden geführte Gespräch zwischen Ost und West“131 auf die aktuelle Deutschlandpolitik des östlichen Lagers zu, die angesichts der geplanten Wiederbewaffnung in Westdeutschland auf die Neutralisierung eines vereinigten Deutschlands zielte.132 Becher seinerseits benutzte die Wiesbadener Kompromisse mehrfach als Beispiel, um die Möglichkeit fruchtbarer Gespräche unter Deutschen zu demonstrieren.133 In diesem Sinne bezog sich auch der gemeinsame Brief von Becher, Brecht, Seghers und Arnold Zweig „An alle deutschen Schriftsteller im Westen unseres Vaterlandes!“134 auf die Wiesbadener Tagung. Unausgesprochen reagierte er auch auf die PEN-Auseinandersetzungen, insofern er indirekt eine teilweise Abstandnahme von den Becherschen Rüpeleien andeutete. Die Verfasser fühlten sich gedrängt, vor aller Öffentlichkeit zu erklären, daß kein wie immer geartetes Ressentiment […] uns abhalten wird, jedem die Hand reichen, der ebenso aufrichtig wie wir den Frieden und die Einheit Deutschlands will. Der Wille zum Frieden ist für uns die oberste Instanz, der wir unsere Meinung, unsere Gefühle unterordnen.
Die drei Präsidenten und der neue Generalsekretär korrespondierten auch nach der Wiesbadener Tagung in sachlich-höflichem Ton miteinander. Edschmid musste Becher um den inkriminierten Aufbau-Artikel bitten, damit er ihn seinem Bericht an Ould beifügen konnte.135 Von Mitte Dezember 1950 bis Ende Februar 1951 beschäf131 Die deutsche Literatur ist unteilbar. Ergebnis der Tagung des deutschen PEN-Zentrums in Wiesbaden im Geist der Einheit und des Friedens. In: Neues Deutschland, 12. 12. 1950. Die erste Meldung hatte unter der Rubrik „Schriftsteller aus Ost und West an einem Tisch“ firmiert und die Tagung des PEN-Clubs nur nebenher erwähnt: Becher und Hermlin sprachen in Frankfurt (Main). In: Neues Deutschland, 10. 12. 1950. 132 In einem Brief vom 30. November hatte der DDR-Ministerpräsident Otto Grotewohl der Bundesregierung Besprechungen über die Bildung eines Gesamtdeutschen Konstituierenden Rates vorgeschlagen. Der Brief folgte dem Beschluss der Prager Außenministerkonferenz vom 20./21. 10. 1950. Vgl. Deutschland im Kalten Krieg 1945–1963. Eine Ausstellung im Deutschen Historischen Museum. Berlin: Argon 1992, S. 216. 133 Vgl. u. a. Die Position des Gegners ist schwach. Ein Interview des „Sonntag“ mit Johannes R. Becher. In: Sonntag 6 (1951) 6, 11. 2. 1951, S. 2. Es handelt sich vermutlich um ein Selbstinterview. 134 An alle deutschen Schriftsteller im Westen unseres Vaterlandes! In: Neues Deutschland, 11. 1. 1951, S. 3, zitiert nach Abdruck in: Sonntag, 14. 1. 1951. In diesem offenen Brief ist die Anregung zum Starnberger Schriftstellergespräch Ostern 1951 und zum ersten deutschen Kulturkongress im Mai 1951 in Leipzig zu sehen. 135 Kasimir Edschmid an Johannes R. Becher (30. 12. 1950). AdK Berlin, JRBA-PEN 11757. Auf die Frage, was Becher in Mainz über „das System der Konzentrationslager“ wirklich gesagt habe, antwortete dieser gereizt, diese gebe es nicht, er habe sich „darüber ausgelassen, dass wir so human sind,
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tigten Tralow und Friedmann die übrigen Vorstandsmitglieder mit einer Privatfehde.136 Sie wurde zum einen der Anlass, dass sich zwischen dem Generalsekretär und Präsident Kästner eine intensive briefliche Zusammenarbeit einspielte. Zum anderen bot sie Tralow Gelegenheit, die Beziehung zu Becher wieder anzuknüpfen, der in der Ehrengerichtsfrage – wie Edschmid und Kästner – zur „möglichst anständigen und unskandalösen“ Bereinigung riet,137 im Übrigen aber gern Tralows Angebot annahm, ihn mit Pressestimmen aus München zu versorgen, und ihn im Weiteren als Stützpunkt nutzte. Vorstandsintern ging nach der Wiesbadener Wahl die Initiative an Edschmid und Kästner über. An sie wandten sich auch zwei Ratgeber aus der Londoner Exil-Gruppe, Wilhelm Sternfeld und Richard Friedenthal, die schon 1946/47 mit der Münchner Gruppe korrespondiert hatten.138 Sternfeld hatte als Gast an der Wiesbadener Tagung teilgenommen. Friedenthal, der Sekretär des PEN-Clubs Deutscher Autoren im Ausland, der 1951 Friedmann als dessen Präsident ablöste, war in Kopenhagen an der Auswahl der Gründergruppe beteiligt gewesen.139 Beide bemühten sich, Kästner und Edschmid die Interessenlage des Internationalen PEN und seines Generalsekretärs klarzumachen, die keine Forderung nach prinzipiellem Ausschluss von kommunistischen Autoren wünschten; diese seien in anderen Zentren normale Mitglieder, mit denen man per Geschäftsordnung fertig werde.140 Übereinstimmend missbilligten sie es, dass die Ankläger gegen Becher ihre Sache in Wiesbaden nicht persönlich vertreten hatten, und bedauerten deren Austritt und die öffentlichen Erklärungen.141 Die Ausdehnung der Ausschlussforderung „auf alle Autoren der Ostzone“ lehnten sie ab.142 Auch Friedmann erklärte zu dieser Zeit öffentlich, dass sie „von Anfang an nicht in Frage“ kam.143 Nach Kenntnis der Becherdiejenigen, die zum Krieg hetzen […] rechtzeitig zu verwahren um auf diese Weise Deutschland und darüber hinaus der ganzen Menschheit unsägliche blutige Verluste zu ersparen“. Becher an Edschmid (4. 1. 1951). AdK Berlin, JRBA-PEN 11762. Vgl. S. 185 und Anm. 266. 136 Hierzu wurde innerhalb des Vorstands (also einschließlich Tralows) fast ein halbes Hundert Briefe gewechselt. 137 Johannes R. Becher an Johannes Tralow (6. 1. 1951). AdK Berlin, JRBA-PEN 11764 bzw. SBBPK, NL Tralow, auch 11. 1. 1951, AdK Berlin, JRBA-PEN 11768. 138 Vgl. SBBPK, NL Tralow. 139 Vgl. S. 172, sowie Richard Friedenthal an Kasimir Edschmid (8. 1. 1951). DLA, NL Edschmid. Für die Mitteilung seiner Recherche-Ergebnisse aus dem Edschmid-Nachlass im Deutschen Literaturarchiv Marbach, auf die ich mich auch im Folgenden stütze, danke ich Herrn Prof. Dr. Sven Hanuschek. 140 Dieser Aspekt am deutlichsten bei Wilhelm Sternfeld an Kasimir Edschmid (10. 1. 1951). DLA, NL Edschmid. 141 Vgl. Richard Friedenthal an Kasimir Edschmid (8. und 15. 1. sowie 15. 2. 1951), Wilhelm Sternfeld an Edschmid (3., 10., 22., 24., 30. 1. 1951). DLA, NL Edschmid. 142 Vgl. Richard Friedenthal an Kasimir Edschmid (15. 2. 1951). DLA, NL Edschmid. 143 Hermann Friedmann: Informatorischer Zwischenbericht. In: Neue Zeitung (München), 14. 2. 1951, zitiert nach: Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (Hrsg.): Die Freiheit fordert klare Entscheidungen, S. 31 (dort angeblich nach der Berliner Ausgabe).
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schen Äußerungen fanden Sternfeld und Friedenthal ihn zumindest in einer Präsidiumsfunktion nicht tragbar.144 Mehrfach gaben sie zu erwägen, statt Becher einen „weniger exponierten Repräsentanten der Ostzone“ ins Präsidium zu nehmen.145 Sternfeld dachte an Seghers, die allerdings im PEN-Zentrum noch nicht in Erscheinung getreten war.146 Der etwas später von Kästner geäußerte Gedanke, den hochbetagten Kellermann für diese Rolle vorzuschlagen, entsprach wohl dem Wunsch nach einer lediglich formalen Vertretung des Ost-Flügels im Präsidium.147 Die Idee einer mehr oder weniger einvernehmlichen Teilung des PEN-Zentrums Deutschland, die Sternfeld schon im Vorfeld der Wiesbadener Tagung geäußert hatte148 und die inzwischen auch Kästner zu überlegen gab, lehnte Friedenthal ab: „Ein Ost-PEN waere doch eine ganz eindeutig ‚ernannte‘ Affaire […]“.149 Auch Becher wäre zu dieser Zeit nicht im Geringsten an einer solchen Lösung interessiert gewesen.150 Am 5. April 1951 entschied das Exekutivkomitee des Internationalen PEN, nicht in die inneren Angelegenheiten des PEN-Zentrums Deutschland einzugreifen. Ihm hatten neben Edschmids und Friedmanns Darstellungen ein Brief der in der DDR lebenden Mitglieder vom 6. Februar 1951 an Ould und ein Schreiben des Zürcher PEN vorgelegen.151 Dessen „Begehren“, die „internationale Leitung des Pen“ müsse „sich mit den Zuständen im Deutschen Penclub befassen, da dessen Haltung infolge der Machtposition von Becher usw. den wichtigsten Grundsätzen unserer Institution zuwiderlaufe“,152 war möglicherweise ausschlaggebend, dass die Angelegenheit überhaupt auf die Tagesordnung kam, denn Ould hatte ursprünglich beabsichtigt, den Internationalen PEN nicht damit zu befasssen.153 Vermutlich in Absprache mit ihm empfahl Robert Neumann, zu dieser Zeit einer der internationalen Vizepräsiden144 Wilhelm Sternfeld an Kasimir Edschmid (22., 24. 1. und 11. 2. 1951) (auch in der beigelegten Kopie eines undatierten Briefes an Kästner), vgl. auch Sternfeld an Edschmid (3., 10., 30. 1. 1951); Richard Friedenthal an Edschmid (8. 1. und 15. 2. 1951). DLA, NL Edschmid. 145 Richard Friedenthal an Kasimir Edschmid (8. 1. 1951), DLA, NL Edschmid, hier noch in rückblickenden Erwägungen zur Wiesbadener Tagung. 146 Wilhelm Sternfeld an Kasimir Edschmid (3. und 22. 1. 1951), Sternfeld an Erich Kästner [o. D.] (beigelegt einem Brief an Edschmid vom 11. 2. 1951, hierin außerdem genannt: Brecht, Renn, Zweig). DLA, NL Edschmid. 147 Erich Kästner an Kasimir Edschmid (20. 4. 1951; erster Brief von diesem Tage). DLA, NL Edschmid. 148 Wilhelm Sternfeld an Rudolf Pechel (29. 11. 1950). BArch Koblenz, N 1160 II/76 (NL Pechel); Sternfeld an Kasimir Edschmid (3. und 10. 1. 1951). DLA, NL Edschmid. 149 Richard Friedenthal an Kasimir Edschmid (8. 1. 1951). Vgl. auch Friedenthal an Edschmid (15. 1. 1951). DLA, NL Edschmid. 150 Vgl. S. 192. So sah es auch Gerhart Pohl in einem Brief an Rudolf Pechel (1. 2. 1951). BArch Koblenz, N 1160 III/64 (NL Pechel). 151 Richard Friedenthal an Kasimir Edschmid (9. 4. 1951). DLA, NL Edschmid. Aus Friedenthals Inhaltsangabe eines verlesenen Becher-Briefs geht hervor, dass es sich um o. g. Schreiben handelte. AdK Berlin, JRBA-PEN 11777. 152 Vgl. Robert Faesi an Rudolf Pechel (17. 3. 1951). BArch Koblenz, N 1160 III/64 (NL Pechel). 153 So übereinstimmend Hermann Friedmann an Kasimir Edschmid (15. 2. 1951), Richard Friedenthal an Edschmid (15. 2. 1951), Erich Kästner an Edschmid (20. 2. 1951). DLA, NL Edschmid.
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ten, die Angelegenheit „als nicht fuer das Forum des Exekutiv-Komitees geeignet zu erklaeren“. Es blieb also bei einer Aussprache.154 Kästner zeigte sich verärgert über den Internationalen PEN und meinte: „Ohne eine Mitgliederversammlung einzuberaumen, könnte ja nur sehr wenig geschehen.“155 Edschmid war gegen eine Versammlung, denn „das gibt nur ein Zufallsergebnis!“ Er entwarf den Plan eines Rundschreibens an die Mitglieder etwa zu folgenden Fragen: „Sind Sie dafür, dass alles beim alten bleibt?/ Wünschen Sie eine Neuwahl des Präsidiums?/ Wünschen Sie, dass der PEN in Zwei Sektionen in Ost und West geteilt wird?/ Wünschen Sie anstelle Bechers einen anderen Vertreter der Ost-Zone usw.“156 In einem Brief an Kästner, zu dem nur die Antwort vorliegt, scheint er eine schriftliche Abstimmung über die Zusammensetzung des Präsidiums vorgeschlagen zu haben. Angesichts der Unsicherheit über die Stimmung in der Mitgliedschaft – „Laut geworden sind ja nur die Extremisten. Wie groß ist nun die Zahl der Vernünftigen?“ – riet Kästner, „die Umfrage […] nicht als endgültige Abstimmung, sondern als unerläßliche Informationsquelle“ vor dem internationalen Kongress in Lausanne hinzustellen.157 In einem Gespräch Kästners mit Friedmann, Tralow und Penzoldt über Edschmids Vorschlag entstand die Idee, „vorher Becher auf mehr oder weniger gütlichem Wege zum Rücktritt aus dem Vorstand zu bewegen“.158 Dazu zeigte sich Becher nicht bereit und verwies auf möglicherweise daraus folgende Austrittsabsichten seiner Kollegen.159 Über ein kurz danach stattfindendes Gespräch mit Becher im Hause Desch berichtete Kästner: „Gegenstände der Unterhaltung waren, recht freimütig von beiden Seiten, die Zensur der kulturellen Beiräte in der DDR, der Fall ‚Lucullus‘, das […] OstWestgespräch in Starnberg usw.“160 154 Richard Friedenthal an Kasimir Edschmid (9. 4. 1951). DLA, NL Edschmid. Robert Neumann schrieb Kästner eine „vertrauliche Ergänzung“ des zu erwartenden offiziellen Briefs von Ould, hierin erwähnte er die Stellungnahme des „Amerikaners“, der fand, Becher „habe einfach einen starken Ausdruck gebraucht, wie das im politischen Leben gang und gäbe ist“, Abschrift des Briefes von Neumann vom 11. 4. 1951 als Anlage zu Kästner an Edschmid (14. 4. 1951). DLA, NL Edschmid. Der Wortlaut von Oulds offizieller Mitteilung an Friedmann vom 13. 4. 1951 findet sich als Abschrift in der Anlage zu Robert Faesi an Rudolf Pechel (18. 4. 1951). BArch Koblenz, N 1160 III/64 (NL Pechel). 155 Erich Kästner an Kasimir Edschmid (14. 4. 1951). DLA, NL Edschmid. 156 Kasimir Edschmid an Hermann Kasack (16. 4. 1951). Eine Kopie der Kopie dieses Briefes verdanke ich Professor Dr. Sven Hanuschek, der sie mir 1998 nach Recherchen im Nachlass Kästners zugänglich gemacht hat. Edschmids Brief an Kästner, dem die Kopie beigelegt war, liegt mir nicht vor. 157 Erich Kästner an Kasimir Edschmid (17. 4. 1951). DLA, NL Edschmid. 158 Erich Kästner an Kasimir Edschmid (20. 4. 1951, erster Brief von diesem Tag). DLA, NL Edschmid, s. a. S. 194, Anm. 147. Vgl. auch Hermann Friedmann an Johannes R. Becher (20. 4. 1951). AdK Berlin, JRBA-PEN 11825. Wilhelm Sternfeld hatte schon vor der Londoner Exekutivtagung ein „guetliches Arrangement mit Becher“ als „vorteilhafter“ zu bedenken gegeben. Sternfeld an Edschmid (11. 2. 1951). DLA, NL Edschmid. 159 Erich Kästner an Kasimir Edschmid (20. 4. 1951, zweiter Brief von diesem Tag). DLA, NL Edschmid. Vgl. auch Johannes R. Becher an Hermann Friedmann (28. 4. 1951). AdK, JRBA-PEN 11829. 160 Erich Kästner an Kasimir Edschmid (27. 4. 1951). DLA, NL Edschmid. An der Unterhaltung am 25. April waren auch Lilly Becher, Erich Wendt, der Leiter des Aufbau-Verlages Berlin, Walter Kolben-
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Ohne länger auf Becher Rücksicht zu nehmen, den Friedmann und Edschmid aber vorab in Kenntnis setzten, bat der Generalsekretär am 12. Mai 1951 alle Mitglieder des Zentrums, „die drei Mitglieder des Präsidiums neu zu wählen“. Er begründete diesen „in den Satzungen nicht vorgesehen[en]“ Schritt mit den „zahlreichen Missverständnissen, Diskussionen und Polemiken“ nach der Wiesbadener Tagung; man wolle auf diese Weise „endlich einmal […] die Stimme des gesamten Plenums […] hören und nicht nur die Ansicht einer sich aus dem häufig schwachen Besuch der Tagungen ergebenden Minderheit“.161 Am gleichen Tag meldete die Neue Zeitung: „Kaiser-Ministerium nimmt zu Becher und PEN-Club Stellung“162. Gemeint war die Broschüre Die Freiheit fordert klare Entscheidungen163, die um den 20. Mai – anscheinend selektiv – an westdeutsche PENMitglieder geschickt wurde.164 Kästner etwa musste sie sich zunächst von einem Münchner Kollegen borgen. Das Interesse des Bundesministeriums für gesamtdeutsche Fragen am PEN-Zentrum war Anfang Februar erwacht,165 vermutlich im Zusammenhang mit dem Telegramm des Amerikanischen Komitees für kulturelle Freiheit.166 Es handelte sich um eine Zusammenstellung zumeist gedruckter Texte der PEN-Kontroverse zwischen November 1950 und Februar 1951, hauptsächlich von Mitgliedern.167 hoff und Mitarbeiter des Desch-Verlages beteiligt. Zum „Fall Lucullus“ vgl. Joachim Lucchesi (Hrsg.): Das Verhör in der Oper. Die Debatte um die Aufführung „Das Verhör des Lukullus“ von Bertolt Brecht und Paul Dessau. Berlin: BasisDruck 1993. 161 Der Generalsekretär: An die Mitglieder des PEN-Zentrums Deutschland (12. 5. 1951). SBBPK, NL Tralow K 86 M 39 sowie AdK Berlin, JRBA-PEN 11836. 162 Kaiser-Ministerium nimmt zu Becher und PEN-Club Stellung. In: Neue Zeitung (Frankfurt am Main), 12. 5. 1951, S. 2. 163 Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (Hrsg.): Die Freiheit fordert klare Entscheidungen. Johannes R. Becher und der PEN-Club. Bonn: [o. V.] 1951. AdK Berlin, JRBA-PEN 12042. 164 Die unvollständige Versendung hat möglicherweise ihre Ursache darin, dass Rudolf Pechel, der am 9. April seitens des Ministeriums gefragt worden war, „durch wen die Anschriften aller Mitglieder des Deutschen PEN-Zentrums zu erfahren sind“, am 12. April 1951 nicht auf den Generalsekretär oder Schatzmeister, sondern auf Birkenfeld oder Borée verwiesen hatte. Beide Briefe im BArch Koblenz, N 1160 III/64 (NL Pechel). 165 Der Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen, ZA 3a an die Redaktion der Zeitschrift Deutsche Rundschau (6. 2. 1951), BArch Koblenz, N 1160 III/64 (NL Pechel), bittet um eine Abschrift von Bechers offenem Brief an Pechel vom Dezember 1950 (vgl. S. 188, Anm. 118). Von Präsident Friedmann versuchte das Ministerium über den Wiesbadener Oberbürgermeister eine Abschrift des vollständigen Protokolls der Wiesbadener Tagung zu erlangen, Hermann Friedmann an Kasimir Edschmid (11. und 15. 2. 1951). DLA, NL Edschmid. Dort findet sich auch Erich Kästners Kommentar an Edschmid (29. 2. 1951). Von Seiten des PEN-Vorstands gab es offenbar keine ‚Zuarbeit‘. 166 Vgl. Anm. 115. 167 Rudolf Pechel, Theodor Plievier, Günther Birkenfeld: An das Präsidium des PEN-Centrum Deutschland (20. 11. 1950), vgl. S. 184 und Anhang III.5; offener Briefwechsel zwischen Becher und Pechel, vgl. S. 186 und Anm. 118; Theodor Plievier: „Ich trete aus dem PEN-Zentrum aus“, nach: Neue Zeitung (Berlin), 30. 12. 1950 (dort anderer Titel); Axel Eggebrecht: „Ich bleibe im PEN-Club“, nach: Die Welt, 4. 1. 1951, vgl. S. 187; Hermann Friedmann: „Was bleibt der deutschen PEN-Gruppe …?“, Theodor Plievier: Antwort an Hermann Friedmann, beide Texte nach: Neue Zeitung (Berlin), 14. 1. 1951, vgl.
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Die 3-seitige ungezeichnete Einleitung „Der Tatbestand“ schwankte zwischen Apodiktik und dem Gestus einer wohlmeinenden Handreichung zur Entscheidungsfindung. Man wünschte nichts Geringeres, als den „Standort des deutschen Geistes neu zu bestimmen“. Die durch den „Fall Becher“ aufgeworfene „eigentliche Frage“ sei, „wie weit die alte und bislang so selbstverständliche Vorstellung einer geistigen Einheit Deutschlands durch die politischen Ereignisse der letzten Jahre erschüttert worden ist, weil eine echte Repräsentanz deutschen Schrifttums in der Sowjetzone nicht mehr zur Geltung kommt“.168 Die forcierte Bemühung der Adenauer-Regierung um die Westintegration und die Wiederbewaffnungskrise, die als Hintergrund all dieser Vorgänge zu bedenken sind, scheinen in diesem Trennungsgebot des Ministeriums für gesamtdeutsche Fragen am deutlichsten auf. Edschmid hatte in seinem Wiesbaden-Bericht noch vom Bekenntnis „zur Unteilbarkeit des geistigen Deutschlands“ geschrieben.169 Jetzt zeigte er sich über die regierungsamtliche Einmischung nicht erbaut, fand die Lage seines Vereins aber gar nicht so schlecht, da man mit der schriftlichen Wahl schon vorher begonnen habe.170 Diese war inzwischen ins Stocken geraten, da Kasack bei Edschmid formell Protest eingelegt hatte.171 Kästner und Edschmid einigten sich, die Aktion als „Wahl-Vorumfrage“ zu nutzen.172 Bis dahin hatte, wie Edschmid registrierte, „der Osten nicht protestiert“.173 Erst nach einer Meldung in der Welt, Borée habe vorgeschlagen, „drei Kandidaten zur Auswahl an seine Anschrift mitzuteilen“174, protestierte Becher gegen das schriftliche Wahlverfahren in Briefen an Friedmann, Edschmid und Ould sowie einem Rundschreiben „An die Mitglieder des deutschen PEN-Zentrums“.175 Gleichzeitig organisierte er eine Kampagne im Sonntag.176 In seinem eigenen Beitrag war die Rede von „Schriftsätzen S. 187 und Anm. 128; Hermann Friedmann: Zwischenbericht vom 14. Februar, vgl. S. 189, Anm. 143; John T. Becher: Ein Sohn schreibt an seinen Vater und Rudolf Hagelstange: Der Verrat aus Furcht, beide nach: Der Monat 29 (Februar 1951) – zu Hagelstange vgl. Anm. 89. 168 Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (Hrsg.): Die Freiheit fordert klare Entscheidungen, S. 5. AdK Berlin, JRBA-PEN 12042. 169 Vgl. S. 187, Anm. 130. 170 Kasimir Edschmid an Erich Kästner (26. 5. 1951). DLA, NL Kästner. 171 Vgl. Kasimir Edschmid an Johannes Tralow (22. 5. 1951). SBBPK, NL Tralow, sowie Erich Kästner an Edschmid (22. 5. 1951). DLA, NL Edschmid. Laut Edschmid an Kästner (26. 5. 1951), DLA, NL Kästner, hatte Kasack ihm nun erklärt, er habe nur „gewarnt“. 172 Kasimir Edschmid an Erich Kästner (26. 5. 1951). DLA, NL Kästner. 173 Ebd. Hierbei erwähnte er, dass Zweig und Welk für das „alte Präsidium“ gestimmt hatten. 174 Unter der Rubrik Kulturmeldungen in: Die Welt, 26. 5. 1951. 175 Johannes R. Becher an Hermann Friedmann, an Kasimir Edschmid (28. 5. 1951). AdK Berlin, JRBA-PEN 11838, 11840; an Hermon Ould (29. 5. 1951). AdK Berlin, JRBA-PEN 11843. Das dreieinhalbseitige Rundschreiben ist handschriftlich datiert „29. 5. 51“ und mit dem Faksimilestempel versehen. AdK Berlin, JRBA-PEN 11844, auch SBBPK, NL Tralow K 86 M 39. 176 Vgl. Sonntag 6 (1951) 22, 3. Juni, S. 2: STG: Was geht im deutschen PEN-Zentrum vor?; (Johannes R. Becher): Ohne jede rechtliche Grundlage. Erklärung; Undemokratisch und ungesetzlich. Offener Brief an das Präsidium des deutschen PEN-Zentrums (Hermann Friedmann), gez. Kellermann, Seghers und Huchel; (Stephan Hermlin): Eine ernste Belastungsprobe. Brief an Kasimir Edschmid.
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[…], deren Verwendung und Kontrolle undurchsichtig ist“. Schon am 30. Mai schrieb er an Edschmid, dass „eine Anzahl von Mitgliedern […] sich entschlossen hat, […] eine PEN-Gruppe der Deutschen Demokratischen Republik zu bilden“; dies sei nach „Punkt 12 der Satzungen […] zulässig“.177 Bechers Absicht war nicht eine Teilung des Zentrums, sondern die Möglichkeit, für eine solche Gruppe eine Vertretung im Vorstand zu beanspruchen.178 Außerdem bat er Tralow, von sich aus Mitglieder anzuschreiben, damit die erforderlichen fünfzehn Unterschriften zusammenkämen, um vom Vorstand die Einberufung einer Mitgliederversammlung zu verlangen.179 Abweichend von dem „rauhen Ton im ‚Sonntag‘“180, machte Huchel am gleichen Tag in einem ganz unpolemischen Rundbrief den Vorschlag, „eine Mitgliederversammlung nach Punkt 4 der Satzung einzuberufen, die die Vorgänge im PEN-Zentrum kameradschaftlich zu klären hätte“.181 Tags darauf lud Becher die „PEN-Club-Mitglieder der Republik“ zu einer Sitzung am 6. Juni in Berlin,182 nach der er Edschmid mitteilen musste, dass die Gruppenbildung „von der Mehrheit […] vorerst nicht gutgeheissen wurde“.183 Als sicher gelten kann, dass jedenfalls Kantorowicz, Brecht, Zweig, Huchel, Mayer, Leonhard und Bloch – abseits von Bechers politischen und taktischen Interessen – an ihrer Mitgliedschaft in einer gesamtdeutschen und vor allem internationalen Schriftstellervereinigung lag. Präsident Friedmann hatte inzwischen den Abbruch der schriftlichen Wahl öffentlich gemacht.184 Auf das Rundschreiben vom 12. Mai185 hatte nur etwa die Hälfte der Mitglieder reagiert, mit Stimmabgabe oder Ablehnung des Wahlverfahrens. Außer Kästner und Friedmann, die mehrheitlich bestätigt wurden, habe kein anderer mehr als fünf Stimmen bekommen. Gerade „die Leute“ hatten nicht gewählt, „die sich stark gegen die Brücke nach Osten ausgesprochen haben“. Edschmid spekulierte: „Wenn Becher den Osten hätte wählen lassen, wären sie glänzend durchgekommen.“186 Die Becher-Gegner befürchteten gerade diesen Effekt und übten Wahlabstinenz bzw.
177 Johannes R. Becher an Kasimir Edschmid (30. 5. 1951). AdK Berlin, JRBA-PEN 11845. Zur Satzung vgl. S. 180. 178 Vgl. S. 196 und Anm. 196. 179 Johannes R. Becher an Johannes Tralow (30. 5. 1951). AdK Berlin, JRBA-PEN 11852. 180 Kasimir Edschmid an Erich Kästner (4. 6. 1951). DLA, NL Kästner. 181 Peter Huchel an Sehr geehrter Herr Kollege (30. 5. 1951). SBBPK, NL Tralow bzw. AdK Berlin, JRBA-PEN 11851. Huchel hatte Kopfbögen von Sinn und Form benutzt, dessen Chefredakteur er war. Ob und inwieweit das mit Becher abgestimmt war, ließ sich nicht klären. Kasimir Edschmid an Erich Kästner (4. 6. 1951) vermutete einen Rat Arnold Zweigs. Jedenfalls dürfte die Initiative dazu nicht von Becher ausgegangen sein. 182 Telegramm (31. 5. 1951). AdK Berlin, JRBA-PEN 11854. 183 Johannes R. Becher an Kasimir Edschmid (6. 6. 1951). AdK Berlin, JRBA-PEN 11866. 184 (Hermann Friedmann): PEN/Einberufung einer Versammlung. In: Rhein-Neckar-Zeitung, 4. 6. 1951. Ein Datum für die Tagung nannte er nicht, erklärte aber Berlin als Tagungsort für fraglich. 185 Vgl. S. 192, Anm. 161. 186 Kasimir Edschmid an Erich Kästner (4. 6. 1951). DLA, NL Kästner.
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wünschten den Abbruch der schriftlichen Wahl.187 Auffallend ist, wie wenig die Mitglieder im Jahre 1951 voneinander wussten, z. B. verstand Edschmid nicht, warum Borée in der Sonntag-Kampagne angegriffen wurde, weil er von dessen Sammlungsversuch, den die Welt gemeldet hatte,188 nichts wusste.189 Über ein Gespräch mit Friedmann in Berlin, das am 12. Juni stattfand, berichtete Becher, dieser habe versichert, „dass die Einheit des deutschen PEN-Zentrums, als Symbol der Unteilbarkeit der deutschen Literatur, ihm vor allem am Herzen liege“, und ihm zugesagt, er werde sofort nach dem internationalen PEN-Kongress oder schon während diesem, eine Vorstandssitzung einberufen.190 Vom 22. bis 28. Juni 1951 fand in Lausanne der 23. Internationale PEN-Kongress statt. Als Delegierte des deutschen Zentrums waren Friedmann und Kästner nominiert, Edschmid war eingeladen, aber ohne Stimmrecht, da generell „nur zwei Delegierte“ erlaubt seien.191 Aus der DDR waren Becher, Hermlin und Zweig via Prag angereist.192 Zu einer Aussprache aller zunächst anwesenden Vorstandsmitglieder kam es nicht, weil Friedmann nur zur Sitzung des Exekutivkomitees am Vortag der Kongresseröffnung gekommen war, von der er Kästner und Becher berichtete. Dort sei „einmütig zum Ausdruck“ gekommen, „es nicht zum Konflikt oder zum Bruch mit den Schriftstellern der DDR kommen zu lassen“.193
187 Vgl. Karl Friedrich Borée an Kasimir Edschmid (12. 7. 1951). DLA, NL Edschmid: „Wie sollte man denn wählen?! Wenn keine Liste da war, wenn man keine Zeit hatte, sich zu verabreden? […] Man konnte doch aber nicht ins Blaue hinein drei Kandidaten benennen, auf die Gefahr hin, daß die geschlossene Front der Östlichen dann [unleserlich] durchdrang. Man konnte einfach nichts anderes tun, als durch Schweigen die Wahl zu vereiteln.“ Sein Aufruf in der Presse zur Aufstellung einer Kandidatenliste, um „die Katastrophe“ (Borée an Edschmid DLA, NL Edschmid) zu verhindern, sei verhallt. Vgl. auch Günther Birkenfelds Bitte an Rudolf Pechel ( BArch Koblenz, N 1160 III/64, NL Pechel), er solle Kasack zu einem aufklärenden Schreiben „an die anderen westdeutschen Mitglieder“ veranlassen. Kasack hatte aber schon bei Edschmid interveniert (vgl. S. 193 und Anm. 174). 188 Vgl. S. 193, Anm. 174. 189 Vgl. Kasimir Edschmid an Erich Kästner (4. 6. 1951). DLA, NL Kästner. Er bezog sich auf Friedmanns Tadel Borées in: Hermann Friedmann: PEN/Einberufung einer Versammlung. In: Rhein-Neckar-Zeitung, 4. 6. 1951. 190 Johannes R. Becher: Bericht über die Unterredung mit Professor Hermann Friedmann, geschäftsführender Präsident des PEN-Clubs (13. 6. 1951). AdK Berlin, JRBA-PEN 11881. Der Tonfall des zweieinhalbseitigen „Berichts“ lässt auf eine Parteiinstanz als Adressaten schließen, vgl. auch Anm. 192. 191 Kasimir Edschmid an Erich Kästner (4. 6. 1951). DLA, NL Kästner. 192 Zur Genehmigung der Reise vgl. Protokoll 75 der Sitzung des Sekretariats des ZK [der SED] am 7. Juni 1951, Punkt 19. SAPMO BArch DY 30/J IV 2/3/ 202. Rudolf Pechels Anfrage bei Robert Faesi, an dessen früheres Interventionsangebot er sich erinnerte (vgl. Faesi an Pechel , BArch Koblenz, N 1160 III/64, NL Pechel), „Es ist wohl nicht ausgeschlossen, dass die Schweiz diese Gäste nicht mit einem Einreisevisum begnaden wird“ (Pechel an Faesi, 18. 6. 1951, BArch Koblenz, N 1160 III/64, NL Pechel) hatte offenbar keinen Erfolg gehabt. 193 [Johannes R. Becher]: Bericht über die 23. internationale Tagung des PEN-Club in Lausanne, S. 1. AdK Berlin, JRBA-PEN 11891. Die Tonlage des Ganzen lässt eine Parteiinstanz als Adressaten vermu-
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In mehreren Gesprächen Kästners und Edschmids mit Becher, an denen zeitweise Friedenthal und Peter de Mendelssohn sowie Hilde Spiel, Ossip Kalenter, die österreichischen Delegierten Franz Theodor Csokor und Erika Hahnel teilnahmen,194 wurde diesem „immer wieder nahegelegt“ zurückzutreten, was er „hartnäckig“ verweigerte.195 In diesen Gesprächen war Becher auf den Gedanken einer relativ eigenständigen Gruppe der in der DDR lebenden Mitglieder zurückgekommen.196 Zu einem neuen Konfliktpunkt wurde der Versuch, eine „Friedensresolution“ des Internationalen PEN durchzusetzen. Mit Hilfe Robert Neumanns hatten Becher und Hermlin die amerikanischen Delegierten Ben Lucien Burman und Marc Conelly dafür gewonnen, eine von ihnen entworfene Resolution vorzuschlagen.197 Als Gäste waren sie selbst nicht dazu berechtigt. Es kostete einige diplomatische Mühen, die Annahme des Textes, der auch nach dem Urteil eines aktiven Kontrahenten „unschuldig genug“ war,198 zu verhindern. Sie wäre – so Mendelssohn – „in der ganzen Welt als Billigung und Unterstützung des kommunistischen Stockholmer Friedensmanifestes199 aufgefaßt worden“ und hätte „den Internationalen PEN-Club sozusagen hinter seinem eigenen Rücken an diese sowjetische Propagandaaktion gefesselt“. Den rettenden Ausweg fand der in PEN-protokollarischen Dingen erfahrene Friedenthal. Er formulierte einen weiter gehenden und daher vor der Resolution zur Abstimmung stehenden Antrag: Der Kongress begrüße „zwar den Geist dieses Antrags“, doch er solle erst „den einzelnen Zentren zur Abstimmung vorgelegt werden“.200 Die Verschiebung kam einer Ablehnung gleich. Sie wurde mit nur 16 ten, ein Exemplar ging nachweislich am 12. Juli 1951 an den Leiter des Komitees der Kämpfer für den Frieden, Heinz Willmann. AdK Berlin, JRBA-PEN 11896. 194 Nach Richard Friedenthals Lausanne-Bericht in: P.E.N.-Klub deutscher Autoren im Ausland/Sitz London, Mitteilungsblatt Nr. 7, S. III. SBBPK, NL Tralow K 85 M 29. 195 Richard Friedenthal an Wilhelm Sternfeld (25. 6. 1951). DEA, EB 77/27 844 a. 196 Vgl. Kasimir Edschmid an Erich Kästner (13. 8. 1951). DLA, NL Kästner, auch Kästner an Johannes R. Becher (12. 1. 1952). AdK Berlin, JRBA-PEN 12053. Im Bericht über die 23. internationale Tagung des PEN-Clubs in Lausanne (vgl. Anm. 193) erläuterte Becher dem bzw. den Adressaten seine Vorstellung von einer „geteilten Einheit“; diese solle der DDR-Gruppe die Möglichkeit geben, „ihre Mitglieder selber zuzuwählen“ und für die internationalen Kongresse „einen eigenen Delegierten“ zu wählen. AdK Berlin, JRBA-PEN 11891, S. 8. Zur Gruppenbildung vgl. auch S. 194. 197 [Johannes R. Becher]: Bericht über die 23. internationale Tagung des PEN-Club in Lausanne, S. 2. AdK Berlin, JRBA-PEN 11891, Text siehe Anhang III.6. 198 Peter de Mendelssohn: Propaganda-Manöver auf dem PEN-Kongreß. Sowjetzonale Delegation wollte „Friedensresolution“ lancieren. In: Neue Zeitung (Frankfurt am Main), 2. 7. 1951. 199 Der Stockholmer Appell richtete sich jedoch ausschließlich gegen den Gebrauch von Atomwaffen, was ihn zum Hassobjekt des Kongresses für kulturelle Freiheit (als Bewegung) machte. Eine Verwandtschaft des Resolutionsentwurfs mit ihm bestand allerdings in dem Gestus, sich an unterschiedslos alle Regierungen zu wenden. 200 Richard Friedenthal in: P.E.N.-Klub deutscher Autoren im Ausland/Sitz London, Mitteilungsblatt Nr. 7, S. IV. Vgl. auch: Aus der Debatte über die Abstimmung der Friedens-Resolution, S. 2f. AdK Berlin, JRBA-PEN 11887 (das Typoskript basiert offenbar auf einer Mitschrift während der Diskussion im Plenum); sinngemäß auch: Peter de Mendelssohn: Propaganda-Manöver auf dem
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gegen 15 Stimmen akzeptiert, den Ausschlag gab die Stimme des Tagungsleiters. Kästner, der sich als konsequenter Pazifist verstand, sah sich in einer „grotesken Situation“: Als Einzelperson und Schriftsteller bin ich natürlich für den Frieden als Punkt der Charter. Aber als Delegierter sehe ich mich ausserstande[,] ohne die Meinung meiner Schriftsteller-(Kollegen?) zu kennen, abzustimmen. Sonst kommt dabei heraus, dass das deutsche PEN-Zentrum zerbricht.201
Das Groteske der Situation nahm er den Initiatoren der ursprünglichen Resolution übel. Seine bis in die Zeit der schriftlichen Neuwahl wahrnehmbare Vermittlerhaltung war aufgebraucht. Becher fühlte sich angesichts der nur knappen Abstimmungsniederlage nicht ent mutigt. Nach seiner Rückkehr begann er mit dem Versuch, die Mehrheitsverhältnisse bei künftigen Abstimmungen dieser Art zu beeinflussen. Über persönliche Beziehungen und mit Hilfe des Weltfriedensrates setzte er sich für die Wiederbelebung der PENZentren in den ‚Volksdemokratien‘ ein.202 Seinen nicht für die Öffentlichkeit, auch nicht für die PEN-Mitglieder in der DDR bestimmten Lausanne-Bericht203 schickte er außer an Heinz Willmann vom Komitee der Kämpfer für den Frieden auch an Georg Lukács und Ernst Fischer, mit denen er das Moskauer Exil geteilt hatte, an Leon Kruczkowski, den Sekretär des polnischen Schriftstellerverbandes, und an Paul Reimann in Prag. Becher ersuchte sie „um Überprüfung zur PEN-Club-Angelegenheit“, weil „es vom Standpunkt des Friedenskampfes unerlässlich ist, innerhalb des PEN-Clubs ernsthaft zu arbeiten“.204 Nach dem Scheitern der schriftlichen Wahl und der fehlgeschlagenen Kompromisssuche übernahm Edschmid energisch die Initiative. Unmittelbar nach dem Lausanner Kongress wandte er sich an den Bundestagsabgeordneten (CDU) und Mäzen Dr. Günther Henle vom Klöckner-Konzern mit der Bitte um eine Finanzierungshilfe PEN-Kongreß, in: Neue Zeitung, 2. 7. 1951 sowie Kasimir Edschmid: Der PEN-Club in Lausanne. In: Das literarische Deutschland 2 (1951) 16, 20. 8. 1951, S. 2. 201 Zitiert nach: Aus der Debatte über die Abstimmung der Friedens-Resolution, S. 4f. AdK Berlin, JRBA-PEN 11887. 202 Laut Richard Friedenthal an Kasimir Edschmid (8. 1. 1951), DLA, NL Edschmid, waren zu dieser Zeit die „PEN-Klubs der Oststaaten […] so gut wie tot“ und wurden „lediglich par courtoisie auf der Liste beibehalten“. 203 Vgl. Anm. 193. 204 Johannes R. Becher an Georg Lukács (12. 7. 1951). AdK Berlin, JRBA-PEN 11897; gleichlautend an die anderen Genannten, JRBA-PEN 11898–11900. Vgl. auch noch nach der Teilung: Becher an Jorge Amado, Weltfriedensrat (15. 11. 1951). AdK Berlin, JRBA-PEN 11989 (vgl. Anm. 284); [Becher] an Conseil Mondial de la Paix, Secrétariat Géneral, Praha (4. 1. 1952), AdK Berlin, JRBA-PEN 12047, mit der Bitte, die PEN-Zentren Polens, der ČSR, Bulgariens, Rumäniens und Ungarn zu veranlassen, zur Lausanner Friedensresolution Stellung zu nehmen und sich „gegen die Zulassung einer spezifischen westdeutschen PEN-Club-Gruppe in Deutschland [zu] wenden“.
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von „3 bis 4000 DM“ für die nächste Mitgliederversammlung: „Denn die meisten sind zu arm, um die Reise und die Tagungskosten tragen zu können.“ Es hänge „natürlich alles daran, die Majorität vom Westen her zu bekommen“.205 Eine solche Bitte um Sponsorengelder war nichts Ungewöhnliches.206 Es galt das Prinzip der Staatsferne, an das sich Edschmid zunächst auch zu halten bemühte. Henle übergab Edschmids Bittschreiben an das Auswärtige Amt. Dieses reichte es an das Bundesministerium des Innern weiter, das sich mit dem Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen in Verbindung setzte, von dem schließlich 3000 DM gezahlt wurden.207 Um die gleiche Zeit hatte Edschmid auch den Oberbürgermeister von Düsseldorf um Unterstützung gebeten, der sich bereit erklärte, Gastgeber der PEN-Tagung zu sein.208 Gegenüber Kästner argumentierte Edschmid: „Wenn wir […] treugläubig die Tagung ansetzen und es kommen nicht genug Leute, die unseren Lausanner Standpunkt teilen, dann ist es aus.“ Der deutsche PEN müsse sich dann „wegen unlösbarer Schwierigkeiten suspendieren lassen oder auflösen“, um sich „später als West-PEN neu zu gründen“. Für den Versuch einer anderen Lösung wollte er Kästners Einverständnis mit seiner Geldbeschaffungsaktion erreichen. Die „Gegenseite“ werde alles tun, „um sich durchzusetzen“, und werde „bestimmt in jeder Weise finanziert“. „Ohne Geldzuschüsse in die Tagung zu gehen“, schien ihm „Selbstmord“. „Das Geld würde von der Industrie kommen […] und wir würden es natürlich nur verteilen müssen an Leute, die uns passen. Wenn die Industrie das Geld aus einem staatlichen Fonds nimmt, geht uns das ja schließlich nichts an.“209 Bei gleicher Gelegenheit erwähnte Edschmid das Kommen Borées; „wir werden dann weiter sehen, was die Berliner zu sagen haben“.210 Ungeachtet seiner Verärge205 Zitiert nach dem Auszug aus dem Brief Kasimir Edschmids an G[ünther] Henle (30. 6. 1951) in der Anlage eines Schreibens des Auswärtigen Amtes an das Bundesministerium des Innern (14. 8. 1951). BArch Koblenz, B 106/294, Bl. 296 und 294 (Mikrofilm). Der Vorgang firmierte als Betr.: Westdeutsche Gruppe des PEN. 206 Vgl. § 11 der Satzungen (S. 184, Anm. 85 und S. 188). Das Protokoll der Vorstandssitzung des PEN-Zentrums Deutschland am 3. Januar [19]50, DEA, EB 75/177 D.I.5.e, vermerkte die Annahme einer „Schenkung von DM 2.000 der AEG, Hamburg“, mit dem ausdrücklichen Hinweis, sie komme von einer Seite, „die in keiner Weise parteipolitisch gebunden ist“. 207 Vgl. BArch Koblenz, B 106/294, Bl. 301 (Mikrofilm). Das Blatt enthält u. a. eine handschriftliche Notiz über ein Telefonat mit Herrn von Wittgenstein im BMG und den Vermerk, die Tagung des PENClubs am 23.–25. Oktober sei „im gesamtdeutschen Interesse mit 3000,– finanziert worden, wodurch [?] die Angelegenheit hier als erledigt angesehen werden kann. Um vertrauliche Behandlung wird gebeten.“ 208 Erich Kästner an Kasimir Edschmid (11. 7. 1951), DLA, NL Edschmid, erwähnt die für ihn überraschende Einladung der Stadt Düsseldorf. 209 Kasimir Edschmid an Erich Kästner (13. 8. 1951). DLA, NL Kästner. 210 Borée engagierte sich seit der Wiesbadener Tagung in Artikeln und Memoranden vehement für die Trennung von den kommunistischen Mitgliedern und hatte sich nach Birkenfelds Austritt eine Sprecher-Rolle für die Westberliner Autoren, speziell die dem Kongress für kulturelle Freiheit nahestehenden, erarbeitet.
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rung über Borées Lausanne-Artikel211, vereinbarte Edschmid mit ihm eine Arbeitsteilung bei der Vergabe der aus Bonn zu erwartenden Geldsumme.212 Es hätte nicht zum Selbstverständnis des auf unbedingte formale Korrektheit bedachten Generalsekretärs gepasst, spezielle Einladungen mit dem Angebot finanzieller Unterstützung an einzelne Mitglieder zu schicken, von denen man ein bestimmtes Wahlverhalten erwartete. Auch sollten offenbar weder Präsident Friedmann noch Schatzmeister Tralow etwas von der Aktion erfahren. Die Vorstandsmitglieder unterrichtete Edschmid am 21. August 1951 von der Einladung der Stadt Düsseldorf.213 Den westdeutschen Mitgliedern versuchte Edschmid seine Position durch den eigenen Lausanne-Bericht in der ‚Hauszeitung‘ der Darmstädter Akademie, deren Vizepräsident er war, nahe zu bringen.214 So konnte er hoffen, relativ viele PENMitglieder zu erreichen, vor allem bot dieser Publikationsort Raum für eine gewisse Ausführlichkeit. Der PEN wolle und solle „unpolitisch sein in einer total politisierten Welt“. Am deutlichsten wirke sich dieses Dilemma „in der Situation des deutschen PEN“ aus, „dessen Gründungsmitglieder in einer Zeit gewählt wurden, als Deutschland noch in Zonen verwaltet wurde und noch nicht aus zwei ideologisch gänzlich verschieden eingestellten Teilen bestand“. Nach einer dramatisierenden Schilderung des Zustandekommens und der Verhinderung der Becher/Burmanschen Friedensresolution lenkte er auf die Frage hin, „ob es auch, bei noch so großer Neigung zahlreicher Mitglieder des PEN zu einer Demonstration der Einheit des deutschen Geistes, praktisch überhaupt möglich sein wird, in dieser Haltung zu verharren“. Entweder gelinge es, „ein Präsidium zu bilden, das homogen ist und damit auch legitime und nicht immer wieder angefochtene und angezweifelte Autorität besitzt – oder es werden zwei deutsche PEN gebildet“.215 Eine solche Möglichkeit, „die Becher bereits andeutete (oder androhte)“, besitze durchaus Realität, „da die ostdeutschen Schriftsteller ihrer Erklärung nach“ bereit seien, die Forderungen der PEN-Charta „in ihrem politischen Raum zu erfüllen“. Er setzte aber hinzu, inwieweit dies in der „Welt der Wirklichkeit, die ja eine andere ist als die der Schwüre, zu realisieren ist“, müsse das internationale Präsidium entscheiden. Edschmids Absicht war es, in einer regulären Mitgliederversammlung die Trennung von den ostdeutschen Mitgliedern oder 211 Karl Friedrich Borée: PEN-Club in der Entscheidung. In: Tagesspiegel vom 19. 7. 1951. Vgl. Kasimir Edschmid an Erich Kästner (13. 8. 1951). DLA, NL Kästner. Demnach war sein eigener LausanneBericht im Literarischen Deutschland aus dem abgewiesenen Versuch einer Richtigstellung im Tagesspiegel hervorgegangen; ihr polemischer Teil nannte aber weder Titel noch Namen. 212 Vgl. Karl Friedrich Borée an Kasimir Edschmid (15. 9. 1951, DLA, NL Edschmid), worin Borée die „Abrede“ erwähnt, sich „vertraulich mit gewissen Mitgliedern in Verbindung [zu ] setzen“. 213 Generalsekretariat des PEN-Zentrums Deutschland an die Herren des Praesidiums (Friedmann, Becher, Kästner, Tralow (21. 8. 1951), SBBPK, NL Tralow K 86 M 39, auch AdK Berlin, JRBA-PEN 11908. 214 Kasimir Edschmid: Der PEN-Club in Lausanne. In: Das literarische Deutschland 2 (1951) 16, 20. 8. 1951, S. 2. 215 Im Brief an Erich Kästner hatte er noch deutlicher ausgesprochen, dass er selbst die zweite Variante wünschte. Vgl. Kasimir Edschmid an Kästner (13. 8. 1951). DLA, NL Kästner.
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doch die unbestreitbare Dominanz des westdeutschen Flügels im Vorstand zu erreichen. Sein Ziel war ein funktionierendes, angesehenes Zentrum ohne ideologische Auseinandersetzungen, ohne leidige Pressepolemiken und mit der Möglichkeit, z. B. bei Fällen von Zensur bzw. einschlägigen Gesetzesvorhaben in der Bundesrepublik öffentlich gehört zu werden. Auf der „Gegenseite“ reagierte Becher auf Robert Neumanns Ratschläge zum weiteren Verfahren innerhalb des deutschen Zentrums mit der Absicht, „den Sommer ein wenig darüber hinweggehen“ zu lassen.216 Vermutlich wollte er die Reaktionen seiner ungarischen, polnischen und tschechischen Kollegen auf seine Anregungen abwarten,217 für die auch Entscheidungen von Regierungs- und Parteiinstanzen benötigt wurden.218 Die ostdeutschen Mitglieder informierte Becher über Edschmids Mitteilung,219 dass die Jahrestagung 1951 „am 23. und 24. evtl. 25. Oktober in Düsseldorf stattfindet“. „Termin und Mitgliederliste des deutschen PEN-Zentrums“ werde er auch den „entsprechenden Instanzen übersenden, damit sie ihrerseits die Vorbereitung treffen können für die Beteiligung unserer Freunde“.220 Edschmid ließ er mitteilen, er sei während des Urlaubs nicht erreichbar und werde erst Anfang Oktober zurück erwartet.221 Ende September veröffentlichte Brecht den „Offenen Brief an die deutschen Künstler und Schriftsteller“, aus dem meist nur die Sentenz von den drei Kriegen des „großen Carthago“ zitiert wurde. Anknüpfend an eine Rede Otto Grotewohls, des Ministerpräsidenten der DDR, erklärte er: Die Menschen aller Berufe, alle gleich bedroht, müssen dazu beitragen, die Spannungen zu beseitigen, die entstanden sind. Als Schriftsteller wende ich mich an die deutschen Schriftsteller und Künstler, ihre Volksvertretungen zu ersuchen, in einem frühen Stadium der erhofften Verhandlungen folgende Vorschläge zu besprechen: 1. völlige Freiheit des Buches, mit einer Einschränkung. [Gleichlautend für Theater, bildende Kunst, Musik, Film.] 216 Johannes R. Becher an Robert Neumann (13. 7. 1951). AdK Berlin, JRBA-PEN 11901; Antwort auf einen Brief Neumanns vom 9. Juli 1951, AdK Berlin, JRBA-PEN 11895. 217 Vgl. S. 197 und Anm. 204. 218 Vgl. Georg Lukács an Johannes R. Becher (30. 7. 1951). AdK Berlin, JRBA-PEN 11904: „[…] Unsere Teilnahme ist aber keine einfache Angelegenheit und geht über viele Instanzen.“ Via Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten (MfAA) der DDR hatte die ungarische Regierung um einen Bericht über Bechers „Erfahrungen auf dem Kongreß in Lausanne“ gebeten. Peter Florin (MfAA) an Becher (21. 7. 1951). AdK Berlin, JRBA-PEN 11903, Antwort Bechers, JRBA-PEN 11905. Ein Beschluss des Sekretariats des Zentralkomitees der SED, Becher zu beauftragen, einen Lausanne-Bericht „an die Schriftsteller-Organisationen bzw. bekannte Schriftsteller in den volksdemokratischen Ländern“ zu schicken, SAPMO BArch DY 30/ J IV 2/3A/ 203, Bl. 3, Punkt 1.9, datiert vom 2. 8. 1951, war also weniger Auftrag als nachträgliche Absegnung. 219 Vgl. S. 199, Anm. 213. 220 Johannes R. Becher an Lieber Freund! (28. 8. 1951). AdK Berlin, JRBA-PEN 11911. 221 Sekretariat Becher an Kasimir Edschmid (28. 8. 1951). AdK Berlin, JRBA-PEN 11910.
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Die Einschränkung: Keine Freiheit für Schriften und Kunstwerke, welche den Krieg verherrlichen oder als unvermeidbar hinstellen, und für solche, welche den Völkerhaß fördern. […]222
Im Gegensatz zu einem wohlmeinenden Appell an die Politiker, wie ihn der Resolutionsentwurf in Lausanne darstellte, hielt sich Brecht betont im Berufsspezifischen, wenn er die Frage künstlerischer Freiheit mit der des Friedens verknüpfte. Zum einen ließ sich so dem ritualisierten Prioritätenstreit um Frieden und Freiheit ausweichen, der inzwischen zum propagandistischen Schlagabtausch im Kalten Krieg gehörte. Zum anderen gab die Aufforderung an die Künstler, den „Volksvertretungen“ Vorschläge zu machen, Gelegenheit, von ‚seiner‘ Regierung, die er in der Frage Einheit und Frieden zu unterstützen wünschte, klar inhaltsbezogene Kriterien für Einschränkungen einer „völligen Freiheit“ der Künste einzufordern. Der Text als Ganzes stellte eine – für ihren Autor wie die DDR-Verhältnisse charakteristische – diplomatisch vorgebrachte, aber doch öffentliche Stellungnahme gegen Bevormundungen wie das Formalismus-Plenum223 dar, von dessen Verdikt der Librettist der Lukullus-Oper auch direkt betroffen war. Der Aufruf vertrat auf seine Art „die in der Charta des PEN niedergelegten Forderungen“ im eigenen „politischen Raum“.224 Kästner, dem „Brechts Rundschreiben“ persönlich zugeschickt worden war, kommentierte es Edschmid gegenüber nur mit „Na sowas“.225 Anscheinend rechnete er es umstandslos östlicher Friedensrhetorik zu, die er seit Lausanne nicht mehr hören mochte; dies stand einer differenzierteren Wahrnehmung entgegen. Mehr Sinn für das Ungewöhnliche zeigte Emil Belzner.226
222 Bertolt Brecht: Offener Brief an die deutschen Künstler und Schriftsteller. In: Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe, Bd. 23 (Schriften 3), Berlin: Aufbau, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1993, S. 155f. © Bertolt-Brecht-Erben/Suhrkamp Verlag. Veröffentlichung des laut Typoskript „26. September 1951“ (S. 495) datierten vollständigen Textes im Rahmen der Kampagne zum „Volkskammerappell für gesamtdeutsche Beratung zur Abhaltung freier, demokratischer Wahlen in ganz Deutschland“ in: Neues Deutschland, 27. 9. 1951, S. 1; u. d. T. Offener Brief Bertolt Brechts. Kulturelle Freiheit – Tagesordnungspunkt für die erhofften Verhandlungen, in: Berliner Zeitung, 27. 9. 1951, S. 1. 223 Der Kampf gegen den Formalismus in Kunst und Literatur, für eine fortschrittliche deutsche Kultur. Referat, Diskussion und Entschließung von der 5. Tagung des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands vom 15.–17. März 1951. Berlin: Dietz 1951. 224 Vgl. Edschmids Formulierung, S. 199, Anm. 214. Brechts Forderung nach nur der „eine[n] Einschränkung“ geriet unter den Künstlern und Schriftstellern in der DDR nicht in Vergessenheit, vgl. z. B. Franz Fühmanns Wortmeldung auf der Generalversammlung des PEN-Zentrums Deutsche Demokratische Republik am 22. Oktober 1975, Stenographisches Protokoll und auch in der fünfseitigen hektographierten Information für die Mitglieder, S. 3. AdK, PEN-Archiv (Ost). Zu Brechts Position in der DDR vgl. Werner Hecht: Die Mühen der Ebenen. Brecht und die DDR. Berlin: Aufbau 2013. 225 Erich Kästner an Kasimir Edschmid (5. 10. 1951). DLA, NL Edschmid. 226 Vgl. Emil Belzner: Schlägt der Wind um? Zu einem Brief Bertolt Brechts. In: Rhein-Neckar-Zeitung, 29./30. 9. 1951, S. 2.
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Mitte September lud Becher die in Ostberlin und der DDR lebenden PEN-Mitglieder für den 15. Oktober zu einer „Zusammenkunft“ ein, „in welcher die Jahres-Generalversammlung des PEN-Zentrums von unserer Seite aus vorbereitet werden soll“.227 Unabhängig davon wandte sich Tralow „An alle Kollegen in der DDR“, um sie für die Teilnahme in Düsseldorf zu gewinnen. Es komme „in diesem Augenblick doch nicht etwa auf den Tagungsort an, sondern auf die deutsche Einheit, und die Einheit des deutschen PEN-Zentrums ist ein Teil davon“. Er habe „unseren Kollegen“ Edschmid gebeten, sich bei der Stadt Düsseldorf um „Aufenthaltsgenehmigung“ zu bemühen.228 Die Einladung des Generalsekretärs an alle Mitglieder zur „Jahres-Generalversammlung“ erfolgte am 3. Oktober 1951.229 Sie enthielt neben der Tagesordnung230 die Mitteilung: „Hinsichtlich der aus dem Osten kommenden Mitglieder hat das Sekretariat die Behörden von Düsseldorf ersucht, sich um die Aufenthaltsbewilligung zu bemühen.“ Sie schloss mit der dringenden Mahnung: „Im Hinblick auf die ausserordentliche Wichtigkeit gerade dieser Tagung des P.E.N., Zentrum Deutschland, ersucht der Vorstand die Mitglieder zum Zeichen ihres wirklichen Interesses an dem Ziele und am Bestehen des P.E.N. dringend, an der Tagung teilzunehmen.“ Im Briefwechsel zwischen Becher und Edschmid ging es fortan um die Modalitäten der Aufenthaltsbewilligung.231 Eine gewisse atmosphärische Unsicherheit über die Einreisemöglichkeiten hatte sich vermutlich durch das am 31. August 1951 in Kraft getretene 1. Strafrechtsänderungsgesetz mit dem Zweiten Abschnitt „Staatsgefährdung“ ergeben, auch wenn hierauf nicht ausdrücklich Bezug genommen wurde.232 Becher konnte schon einem Schreiben vom 6. Oktober entnehmen, wie zu verfahren war. Doch offenbar wollte er die Sache in die Länge ziehen, da erst am 15. Oktober 227 Johannes R. Becher an Lieber Freund (17. 9. 1951). AdK Berlin, JRBA-PEN 11915. 228 Johannes Tralow an alle Kollegen in der DDR (25. 9. 1951). SBBPK, NL Tralow K 86 M 39, auch AdK Berlin, JRBA-PEN 11918. 229 Vgl. AdK Berlin, JRBA-PEN 11923. 230 „1. Satzungsänderungen (Festsetzung eines Minimums von Anwesenden bei Beschlüssen und Wahlen und anderes Formelle)/ 2. Bericht Lausanne/ 3. Friedensresolution/ 4. Organisatorisches und Neuwahl des Präsidiums.“ 231 Vgl. Johannes R. Becher an Kasimir Edschmid (3. 10. 1951). AdK Berlin, JRBA-PEN 11924; Kasimir Edschmid an Johannes R. Becher (6. 10. 1951), JRBA-PEN 11927; Becher an Edschmid (Telegramm, 15. 10. 1951), JRBA-PEN 11938; Edschmid an Becher (15. 10. 1951), JRBA-PEN 11937; Becher an Edschmid (17. 10. 1951), JRBA-PEN 11942; Becher an Edschmid (Telegramm, 18. 10. 1951), JRBA-PEN 11950 (darin genannt: Zweig, Hermlin, Mayer, Brecht, Huchel, Welk, Renn, Kantorowicz, Leonhard, Becher). Hinzu kamen noch zwei Briefe und ein Telegramm an den Düsseldorfer Oberbürgermeister am 9., 12. und 17. 10. 1951, JRBA-PEN 11929, 11931 und 11942. 232 Vgl. Kasimir Edschmid an Erich Kästner (25. 9. 1951), DLA, NL Kästner: „Ich kann mir hinreichend vorstellen, was Düsseldorf sagen wird, wenn ich als erste Heldentat Passage für 15 Kommunisten verlange. Immerhin möchte ich in jeder Hinsicht korrekt sein und werde […] anfragen, welche Formalitäten nötig seien, um unseren Ostmitgliedern – soweit sie sich für Düsseldorf anmelden, – die Aufenthaltserlaubnis zu beschaffen.“
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die Sitzung des Sekretariats des Zentralkomitees der SED stattfand, auf der über die Teilnahme der Mitglieder aus der DDR entschieden wurde.233 Davon hing neben allem anderen die ganz praktische Frage der Valuta ab. Becher wollte zweifellos vermeiden, auf die Abhängigkeit von Regierungs- und Parteistellen einzugehen. Die finanzielle Unterstützung aus Bonn muss Ende September fest zugesagt gewesen sein. Am 1. Oktober schrieb Borée an Wilhelm Lehmann, es habe sich „jemand gefunden, der aus reinem persönlichen Idealismus eine beachtliche Summe spenden will, die zu Reisebeihilfen verwendet werden soll“. Tags darauf fragte er „in Eile und vertraulich“ an, ob Lehmann bereit sei, das Anschreiben zu beiliegender Denkschrift zu unterzeichnen.234 Es handelte sich um die Broschüre Über Toleranz und Geistesfreiheit.235 Weitere Unterzeichner waren Beheim-Schwarzbach, Kasack, Kreuder, Rudolf Alexander Schröder und Georg von der Vring. Wie schon in früheren Texten236 ging Borée davon aus, dass die beiden Gebote der Charta – Toleranz und „Verteidigung der Freiheit des Geistes“ – zueinander in Widerspruch geraten, wenn „die geistige Freiheit durch ein politisches System als solches […], das heißt durch dessen totalitäres Programm“ bedroht sei.237 Seine 8-seitige Aufzählung von Beispielen für den „Prozess der Totalisierung“ in der „deutschen Sowjetzone“ enthielt Fakten zur Verhaftung Andersdenkender, zur Benachteiligung privater Verleger durch das System der Druckgenehmigungen und Papierzuweisungen und zutreffende Beobachtungen zur „Freiheit der Meinungsäußerung“, die sich strikt auf „Fragen der Durchführung“ zu beschränken habe (S. 5) u. ä. In seinen Aussagen über Schulwesen, Wissenschaft und Universitätsleben vermischte sich Kritik an problematischen Erscheinungen mit solcher an Veränderungen in Bereichen, über die dieser unerschütterlich selbstgewisse Konservative feste Vorstellungen hegte, mit einfachen Fehlinformationen. Auch das Stereotyp „wie im Nationalsozialismus, nur in verstärktem Grade“ fehlte nicht. (S. 7) Zur Untermauerung der Grundthese, der „Kommunismus“ habe die Kultur „als das wirkungsvollste Massenerziehungsmittel erkannt […], als das Instrument, um den Staatsbürger ‚ideologisch umzuformen und zu erziehen‘“ 233 SAPMO BArch DY 30/ J IV 2/3/ 24, Sekretariat des ZK, 15. Oktober 1951, Protokoll Nr. 112, Bl. 10, Punkt 16. In der Aufzählung der Mitglieder fehlt nur Anna Seghers, die zu dieser Zeit auf einer ChinaReise war. 234 DLA, 68.3069/4 und 68.3069/5 NL Lehmann, nach: Helmut Peitsch: Vom Faschismus zum Kalten Krieg – auch eine deutsche Literaturgeschichte. Literaturverhältnisse, Genres, Themen. Berlin: Ed. Sigma 1996, S. 240. 235 Über Toleranz und Geistesfreiheit an die Mitglieder des Internationalen P.E.N.-Club. Berlin, Oktober 1951. SBBPK, NL Tralow K 86 M 51. 236 Vgl. u. a. Karl Friedrich Borée: PEN-Club vor der Entscheidung. In: Tagesspiegel, 12. 12. 1950; (Borée:) An das Generalsekretariat des Internationalen P.E.N.-Clubs in London, lt. Begleitschreiben an Rudolf Pechel (3. 1. 1951). BArch Koblenz, N 1160 III/64 (NL Pechel), Mitunterzeichner waren: Beheim-Schwarzbach, Flake, von der Vring, Birkenfeld und Gustav Regler (nach: Kasimir Edschmid an Erich Kästner (9. bzw. 22. 1. 1951, DLA, NL Kästner), vermutlich auch Pechel; Borée: PEN-Club in der Entscheidung. In: Tagesspiegel vom 19. 7. 1951, vgl. 197f. und Anm. 211. 237 Über Toleranz und Geistesfreiheit, S. 4. SBBPK, NL Tralow K 86 M 51.
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(S. 8), zitierte er mehrfach aus der damals in Berlin leicht zugänglichen Resolution des Formalismus-Plenums238, deren simplifizierendes Kunstverständnis mit dem Stalin-Zitat über die Schriftsteller als „Ingenieure der menschlichen Seele“ u. ä. ihm geradezu eine Steilvorlage geliefert hatte. Die in ihr auch enthaltenen durchgängigen Empfehlungen zum Studium des klassischen Erbes blieben säuberlich ausgeklammert, sie hätten schlecht zur Behauptung gepasst, „bestimmte [ungenannte – C. M.] Werke“ von Goethe, Schiller und Matthias Claudius seien verboten. (S. 10). An die „Mitglieder des Internationalen P.E.N.-Club“ richtete er am Schluss des allgemeinen Teils seiner Denkschrift die Mahnung: „In der Wahl, ob dem Gebote der politischen Toleranz oder der Verteidigung der geistigen Freiheit der Vorzug zu geben sei, kann gegenüber einem totalitären System kein Zweifel sein.“ (S. 12) Den „Mitgliedern des deutschen PEN-Zentrums“ könne er es nicht ersparen, „eine kurze Übersicht“ zu geben, „in welchem Maße einzelne deutsche PEN-Mitglieder, die in der sowjetischen Besatzungszone arbeiten, diesem System Vorschub geleistet haben“. (S. 13) Es folgten 12 Steckbriefe239 nach dem Muster: Bert [sic] Brecht: Neben Friedrich Wolf der meistgespielte Dramatiker in der Sowjetzone; Mitglied des „Deutschen Friedensrates“; Unterzeichner des „Stockholmer Friedensappells“, Verfasser des „Herrnburger Berichts“, einer eindeutig kommunistischen Propaganda- und Hetzdichtung; vom Zentralkomitee der SED im März 1951 ausdrücklich belobt. (S. 13)
Die abschließende Formel wird auch bei Becher, Kantorowicz, Kellermann, Seghers, Friedrich Wolf und Arnold Zweig verwendet. Eine so radikale Reduzierung auch international geachteter Autoren nicht einmal auf ihr Verhältnis zu den vom Verfasser verabscheuten politischen Instanzen, sondern umgekehrt auf deren Lob für sie, sollte wohl keinen Gedanken an Auseinandersetzungen aufkommen lassen, die vor, auf und nach dem ZKPlenum, auf das sich die Angabe „im März 1951“ bezieht, nicht zuletzt von den genannten Autoren geführt wurden. Sie dürften den radikalen Antikommunisten auch nicht interessiert haben, zumal sie sich in einer für ihn nicht ‚normalen‘ Form vollzogen.240 Der Versand von Über Toleranz und Geistesfreiheit erfolgte vermutlich Mitte Oktober, also kurz vor der Jahrestagung. Eine Stellungnahme Bechers, dem Tralow die Broschüre 238 Der Kampf gegen den Formalismus […] 5. Tagung des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands vom 15.–17. März 1951, Berlin: Dietz 1951, vgl. Anm. 223. 239 Ernst Bloch und Ehm Welk hatte er vermutlich übersehen. Bei der Verwechslung des Leipziger Literaturwissenschaftlers Hans Mayer mit dem Ökonomen Georg Mayer, der „seinem geflüchteten Vorgänger im Rektorat“ folgte, hatten wahrscheinlich fehlendes Interesse an der Person und denunziatorische Absicht zusammengewirkt. 240 Vgl. S. 201 und Edschmids Bemerkung (S. 199). Der vollständige Wortlaut von Bechers und Zweigs Diskussionsbeiträgen auf dem ‚Formalismus-Plenum‘, der 5. Tagung des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands vom 15.–17. März 1951, ist nur im Typoskript der Mitschrift zu lesen, SAPMO BArch DY 30/ IV 2/1/ 93, im Falle Zweigs im Nachdruck aus dieser Quelle bei: Lucchesi (Hrsg.): Das Verhör in der Oper, S. 168–172. Bechers Beitrag war ein für ihn typisches ‚zustimmendes Widersprechen‘.
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vorsichtshalber durch einen Münchner Bekannten hatte zuschicken lassen,241 datiert vom 21. Oktober.242 Aus ihr geht hervor, dass „dieses Dokument“ den in der DDR lebenden PEN-Mitgliedern „bezeichnenderweise vorenthalten“ wurde. Es gehöre „zu jenen zahllosen Exzessen, wie sie seit Jahr und Tag in pamphletistischer Form gegenüber der Deutschen Demokratischen Republik verübt werden“. Das war ein grober Keil auf einen groben Klotz. Entschieden zu weit aber ging die anschließende pauschale Zurückweisung: „Dieses ‚Tatsachenmaterial‘ enthält nicht eine einzige Tatsache, die einer wahrheitsgemässen sachlichen Prüfung standhält.“ Bechers erfolgreiches Gnadengesuch im Falle der bei Borée namenlosen „Buchhändlerin, die katholische Schriften verkauft hatte“ (S. 1),243 widerlegte nicht andere, zutreffende Beispiele für Unterdrückungsmechanismen im Kulturbereich. Borées Pamphlet wie Bechers Reaktion signalisierten, dass auf der bevorstehenden Zusammenkunft aufrichtige und sachlich-differenzierende Gespräche unter Kollegen kaum noch zu erwarten waren. Zur letzten Tagung des vier Jahre zuvor in Göttingen konstituierten PEN-Zentrums Deutschland trafen am 23. und 24. Oktober 1951 in Düsseldorf 23 Mitglieder zusammen.244 Das waren vom Vorstand Friedmann, Becher, Edschmid und Tralow. Kästner hatte „in letzter Minute krankheitshalber absagen müssen“.245 Von den Mitgliedern aus der Bundesrepublik kamen Emil Barth, Walter Bauer, Beheim-Schwarzbach, Borée, Hanns Braun, Hans Hennecke, Jahnn, Kasack, Lehmann, Martha Saalfeld, von der Vring, Weisenborn. Aus der DDR nahmen – neben Becher – Hermlin, Huchel, Leonhard, Mayer, Renn, Welk und Zweig teil. Sieben der Anwesenden hatten schon zu der in Kopenhagen bestätigten Gründungsgruppe gehört. Als Gäste geladen waren Franz Theodor Csokor, Präsident des österreichischen PEN, und Richard Friedenthal, Präsident des PEN-Clubs deutscher Autoren im Ausland. Beide hatten in Lausanne Edschmid und Kästner zur Seite gestanden.246
241 Erich Protz an Johannes R. Becher (18. 10. 1951). AdK Berlin, JRBA-PEN 11948. 242 AdK Berlin, JRBA-PEN 11958 [ohne Überschrift], diese Stellungnahme sandte Becher mit Anschreiben vom 22. Oktober 1951 an Karl Friedrich Borée, AdK Berlin, JRBA-PEN 11959, und die weiteren Unterzeichner, AdK Berlin, JRBA-PEN 11960–11965. 243 Vgl. S. 186f. 244 Vgl. Bores: Das ostdeutsche P.E.N.-Zentrum 1951 bis 1998, S. 142–155; Sven Hanuschek: Geschichte des bundesdeutschen PEN-Zentrums von 1951 bis 1990. Tübingen: Niemeyer 2004 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 98), S. 31–43. 245 Protokoll anläßlich der Tagung des P.E.N.-Zentrums Deutschland in Düsseldorf (Kleiner Kongreßsaal, Ehrenhof 3) am 23. und 24. Oktober 1951, S. 1. SBBPK, NL Tralow K 86 M 39. Das Protokoll ist von Hildegard Finger, der von Generalsekretär Edschmid für seine PEN-Korrespondenz beschäftigten Sekretärin, unterzeichnet, die am Schluss ihres 12-seitigen Typoskripts „erklärt, das vorliegende Protokoll, fussend auf den während der Sitzungen gemachten Stenogramm-Aufzeichnungen, selbständig zusammengestellt zu haben“. Kästner hatte am 21. Oktober Edschmid telegraphiert, dass Luiselotte Enderle, seine Lebensgefährtin, „sehr krank“ sei. DLA, NL Edschmid. Hanuschek: Geschichte des bundesdeutschen PEN-Zentrums, S. 31, verweist auf einen Brief vom gleichen Tage mit Details. 246 Vgl. S. 196.
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Kästners Befürchtung, dass trotz der Reisezuschüsse nur wenige der westdeutschen Mitglieder zur Jahrestagung kommen würden, bestätigte sich. Sehr wahrscheinlich traf auch seine Vermutung zu: „Es wäre ja auch möglich, daß eine gewisse Indolenz die wichtigere Ursache ist.“247 Im Vergleich zur vorangegangenen Tagung, an der 24 Mitglieder teilgenommen hatten, war die Zahl der Anwesenden nahezu gleich. Doch die Zahl der Teilnehmer aus Westdeutschland und Westberlin hatte sich von 22 auf 15 verringert. Anzunehmen ist, dass einige Mitglieder die absehbare Konfrontation meiden wollten (Belzner, Usinger, Schneider, Penzoldt?). Zur Eröffnung gedachte Friedmann des am 21. September 1951 gestorbenen Hermon Ould.248 Der langjährige Generalsekretär des Internationalen PEN war entschiedener Befürworter eines einheitlichen deutschen Zentrums gewesen. Vor Beginn der Sachdiskussionen versicherte Becher, ihm und seinen Freunden liege „an der Einigung und Einheit des PEN“; sie seien bereit, dafür auch Opfer zu bringen. „Wir wünschen nur eines: dass man anständige Gespräche führen kann …“249 Hinsichtlich der „Festsetzung eines Minimums von Anwesenden bei Beschlüssen und Wahlen“250 einigte man sich letztlich relativ problemlos auf Bechers Kompromissvorschlag: „die feste Zahl 23“.251 In der vorangegangenen Debatte war das Problem des „wirtschaftliche[n] Unvermögen[s]“ zur Sprache gekommen. Edschmids Einwurf, die eingegangenen Entschuldigungen sprächen von Krankheit und anderen Gründen, nicht von Geldmangel, verkannte den Schamfaktor (die angebotenen Reisezuschüsse erwähnte er selbstverständlich nicht). Die Erfahrungen von Schatzmeister Tralow zeugten doch eher von Geldmangel bei vielen.252 Die Diskussion über die Lausanner Friedensresolution253 leitete Friedmann mit dem Verweis auf die beiden „fundamentale[n] Punkte“ der PEN-Charta ein: Frieden (Artikel 3) und Freiheit (Artikel 4). Sie bildeten „ein untrennbares Ganze[s]“. Dem von Borée vorgelesenen Lausanner Text stellte er die sogenannte Londoner Friedensresolution des PEN-Klubs deutscher Autoren im Ausland gegenüber und erklärte, er halte „diese Fassung für ein klassisches Dokument“.254 Ohne die unangemessene Vorbildbehauptung und den Forderungscharakter des Lausanner Textes brachte die 247 Erich Kästner an Kasimir Edschmid (14. 8. 1951). DLA, NL Edschmid. Ein Anzeichen dafür war möglicherweise schon die schwache Beteiligung am Projekt schriftliche Neuwahl des Präsidiums, vgl. Edschmid an Kästner (4. 6. 1951). DLA, NL Kästner. 248 Protokoll […] Düsseldorf, S. 2. 249 Ebd.; über den Ansatz zur Polemik gegen „Dokumente […], strotzend von Entstellungen“ vermerkte die Protokollantin an dieser Stelle: „(es ist davon später noch die Rede)“. 250 Vgl. Anm. 230. 251 Protokoll […] Düsseldorf, S. 3. 252 Ebd.; vgl. auch Edschmids Argumentation gegenüber Henle, S. 201f. 253 Vgl. S. 196. Text s. Anhang III.6. 254 Protokoll […] Düsseldorf, S. 4 und 5. Text s. Anhang III.7. Text und Begründung der Londoner Fassung waren vor der PEN-Tagung veröffentlicht worden: (W. Sternfeld): Frieden und Freiheit. Neue Vorschläge zu einer Friedensresolution des PEN-Clubs. In: Das literarische Deutschland 2 (1951) 19, 5. 10. 1951, S. 8.
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Londoner Friedensresolution die Fahnenworte der beiden Weltlager in eine schlüssige Beziehung zueinander und zur Charta der eigenen Institution. Unverkennbar war aber auch ein polemischer Grundzug, der den Verfechtern des anderen Resolutionstextes „blosses Lippenbekenntnis“ unterstellte. Zunächst erinnerte Hans Mayer an Brechts Appell, „der im Prinzip für die Freiheit der Meinungsäusserung eintrete, mit der Einschränkung allerdings: keine Freiheit für Kriegshetzer“.255 Er plädierte für den Lausanner Text. Aus den „Debatten […] zur Klärung der Begriffe Frieden und Freiheit“ zitiert das Protokoll wörtlich Bechers Statement: „Wenn ich Frieden sage, wünsche ich auch Frieden gegenüber FrancoSpanien … ich bin für Frieden auch denjenigen gegenüber, die nicht den Begriff der sozialen Freiheit vertreten. Wir sind bedingungslos für Frieden“256 Borée lehnte den Lausanner Text ab; er schmecke „zu sehr nach Stockholmer Friedensappell“ und es fehle „dieser Resolution das ergänzende Moment der Freiheit“ Darin folgten ihm Hennecke, Braun, Beheim-Schwarzbach, Kasack, zuvor hatte sich schon Friedmann in diesem Sinne geäußert.257 Tralow erklärte sich dagegen, die Begriffe Freiheit und Frieden zu „verkoppeln“. Darin sei man doch einig: „keiner will Krieg!“258 Zur Vorrangigkeit der Friedensforderung bekannten sich auch Hermlin und Leonhard.259 Jahnn sprach sich – folgenlos – für die Formulierung eines neuen Textes aus.260 Im Verlauf der Diskussion richtete Friedmann – nach dem Protokoll zu schließen – in durchaus freundlichem Ton an Becher direkt jene Fragen, zu deren Formulierung er nach der Wiesbadener Tagung immer wieder aufgefordert worden war: „ob in Bechers Sphäre Dinge geschähen, die gegen den Freiheitsbegriff der Charta stünden, ob er, Becher, sie unterbinden könne, ja ob er überhaupt in der Lage sei, die Regeln der Charta einzuhalten“.261 Becher verwies auf „Dokumente, die er zur Entkräftung gewisser Anschuldigungen“ mitgebracht habe und schlug eine „Kommission zur Untersuchung gewisser Fälle“ vor.262 Borée behauptete, „er kenne die Verhältnisse besser“.263
255 Protokoll […] Düsseldorf, S. 5. Vgl. S. 200f., Anm. 222–224. 256 Ebd.; das lag geradezu erschreckend genau auf der damaligen Linie der Weltfriedensbewegung, deren Aufgabe neben der Propagierung des Friedenswillens der Sowjetunion es war, den Verzicht auf sozialrevolutionäre Parolen der westeuropäischen kommunistischen Parteien zu erreichen und zu signalisieren, vgl. Rüdiger Schlaga: Die Kommunisten in der Friedensbewegung – erfolglos? Die Politik des Weltfriedensrates im Verhältnis zur Außenpolitik der Sowjetunion und zu unabhängigen Friedensbewegungen im Westen (1950–1979). Münster und Hamburg: Lit 1991 (Studien zur Friedensforschung 2), S. 64. 257 Protokoll […] Düsseldorf, S. 5, 6 und 7. 258 Ebd., S. 5. 259 Ebd., S. 7. 260 Ebd. 261 Ebd., S. 6. 262 Ebd., vgl. die Bemühungen um die Begnadigung der Buchhändlerin Mocny (S. 190f.). 263 Protokoll […] Düsseldorf, S. 6.
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Die Abstimmung über den Lausanner Text ergab 9 Ja- und 11 Nein-Stimmen sowie 2 Enthaltungen. Für die Londoner Friedensresolution wurden 23 Stimmen abgegeben (Lehmann war eingetroffen), dafür 11, dagegen 12. Becher diktierte für das Protokoll: „die Lausanner Friedensresolution wurde nach längerer und ausführlicher Erörterung mit 11/9 Stimmen (bei 2 Stimmenthaltungen) abgelehnt.“264 Vor der Neuwahl des Vorstands gab es über Borées Broschüre offenbar noch eine nicht protokollierbare heftige Auseinandersetzung, deren Wortführer Hermlin war. Becher wiederholte seine pauschale Zurückweisung und den Hinweis auf die Begnadigung der katholischen Buchhändlerin,265 außerdem forderte er „den Verfasser dieses Dokumentes“ auf, nach Buchenwald zu fahren und „sich dort die Verhältnisse in einem Umkreis von 50 km selbst anzusehen“.266 Die Vorstandswahlen fanden als „geheime Zettelwahl“ statt. Das Protokoll verzeichnet bei allen fünf Abstimmungen Kandidatenlisten, es lässt sich jedoch nicht nachvollziehen, wie sie aufgestellt wurden (Zuruf oder Zettel, zahlenmäßige Begrenzung?) Für die Funktion des Geschäftsführenden Präsidenten waren Friedmann, Kästner und Tralow nominiert. Von den 23 Wahlberechtigten erhielten Friedmann und Tralow je 11 Stimmen. Friedmann erklärte, er habe selbst nicht abgestimmt und trete zurück. Damit galt Tralow als gewählt. Von den 6 Kandidaten für das Amt des Zweiten Präsidenten erhielt Kästner 6, Becher 9, Edschmid 5 Stimmen, Bauer und Welk je 1 Stimme bei einer Enthaltung. Wären nicht Kästner und Edschmid nebeneinander aufgestellt worden, hätten 9 Stimmen nicht für Bechers Wiederwahl ausgereicht. Zum Dritten Präsidenten wurde aus 7 Kandidaten bei 9 Enthaltungen (von 22) Weisenborn mit 7 Stimmen gewählt. Zum Generalsekretär wurde Edschmid „per acclamation einstimmig wiedergewählt“; er nahm die Wahl nicht an, auch nicht, als er in geheimer Abstimmung die Stimmenmehrheit erhielt, nämlich 7 von 22 bei 10 Enthaltungen. Nach Zögern nahm Jahnn an, der im gleichen Wahlgang 5 Stimmen erhalten hatte. Edschmid begründete seine Weigerung mit der „Nicht-Wahl seiner Freunde Friedmann und Kästner“, denen hierdurch „ein Mißtrauen ausgesprochen worden sei“.267 Zum Schatzmeister wurde der abwesende Eggebrecht gewählt, mit 11 von 23 Stimmen, bei 8 Enthaltungen. Sieht man vom Sonderfall der offenen Abstimmung für Edschmid ab, hatte keiner außer Tralow und Eggebrecht auch nur annähernd 50 % der jeweils abgegebenen Stimmen auf sich vereinigen können. Die vorauszusetzenden Absprachen der acht Mitglieder aus der DDR hatten anscheinend nur der Wahl Tralows und der Wiederwahl Bechers in seine bisherige Funktion gegolten.268 Auf der anderen Seite hatten 264 Ebd., S. 8. 265 Vgl. S. 205, außerdem S. 186f. 266 Protokoll […] Düsseldorf, S. 9. Das sowjetische Speziallager Nr. 2 in Buchenwald war seit Februar 1950 aufgelöst. 267 Ebd., S. 10. 268 Vgl. S. 202.
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offenbar auch die fünf anwesenden Unterzeichner des Begleitschreibens zu Über Toleranz und Geistesfreiheit, deren erklärtes Ziel „die klare Absetzung von den mit dem sowjetkommunistischen System sympathisierenden Kollegen“ war,269 über ihre Ablehnung Bechers hinaus keine gemeinsame Personalvorstellung. Nach dessen Wiederwahl gehörten sie vermutlich zum ‚harten Kern‘ derjenigen, die sich der Stimme enthielten. Wahlabstinenz hatten Borée und seine Gesinnungsfreunde schon bei der schriftlichen Neuwahl geübt, um der Wiederwahl Bechers vorzubeugen.270 Nachdem sich Edschmids Hoffnung, dass Becher auf Grund klarer Mehrheitsverhältnisse aus dem Vorstand ausscheiden werde, nicht erfüllt hatte, hatten offenbar auch er und die ihm nahe Stehenden271 diese Taktik eingeschlagen, um die sich abzeichnende Vorstandszusammensetzung prophylaktisch zu delegitimieren. Die Zahl der FürStimmen war – mit Ausnahme der Schatzmeisterwahl – von da an niedriger als die der Stimmenthaltungen.272 Aus dieser problematischen Wahl hatte sich folgende Vorstandsbesetzung ergeben: Tralow, Becher, Weisenborn, Jahnn und Eggebrecht. Alle fünf hatten schon zur Gründergruppe gehört. Gemeinsam war ihnen – bei unterschiedlichen Interessen und Akzenten – die Ablehnung einer Teilung der deutschen Literatur entlang des OstWest-Konflikts. Nach der Wahl verließ Edschmid bis gegen „Schluss der Sitzung“ den Raum und Borée folgte, nachdem er seinen Austritt in folgender Weise begründet hatte: man sei in der „einzigartigen Lage, […] die Charta bejahen [zu] müssen“, habe aber im deutschen Zentrum „Leute“, die „auf Grund ihrer totalisierten Ideologien nicht in der Lage sind, den entscheidenden Passus (die Freiheit betreffend) der Charta befolgen zu können, selbst wenn sie menschlich dies tun wollten“.273 Becher kam auf seinen Antrag zurück, eine Untersuchungskommission zu bilden,274 die – in Tralows Formulierung – „alle Fälle von Vergehen gegen die Menschlichkeit zu bearbeiten und darüber Informationen zu sammeln hat“.275 Es folgten höfliche Danksagungen: Tralow an Friedmann und Edschmid, Friedmann hob Kästners Verdienste um den deutschen PEN hervor und wehrte Bechers Anregung ab, ihn „per acclamation“ zum Ehrenpräsidenten zu wählen.
269 An die Mitglieder des Internationalen P.E.N. Clubs. Im Oktober 1951. SBBPK, NL Tralow K 86 M 51, vgl. auch S. 203f. 270 Vgl. S. 194f. und Anm. 187. 271 Vgl. die Diskussion um die Friedensresolutionen, S. 207. 272 Vgl. Hermann Friedmanns Feststellung in der Rhein-Neckar-Zeitung, 6. 11. 1951: „In Düsseldorf gab es weder eine ‚Wahlniederlage‘, noch einen ‚Wahlsieg‘. In fast allen Wahlgängen war der eigentliche Sieger – der weiße Zettel.“ 273 Protokoll […] Düsseldorf, S. 11. Die Protokollantin vermerkte vorab, diese Ausführungen seien „nicht absolut wörtlich“ wiedergegeben. 274 Vgl. S. 207. 275 Protokoll […] Düsseldorf, S. 12.
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Noch vor der geplanten Pressekonferenz des neuen Vorstands wurden „die Journalisten […] zu einer separaten Besprechung“ gebeten“,276 auf der ihnen die folgende Erklärung übergeben wurde: Die auf der Generalversammlung des PEN-Zentrums Deutschland in Düsseldorf anwesenden Mitglieder: der bisherige geschäftsführende Präsident Prof. Dr. Hermann Friedmann, der seitherige, durch Krankheit am Erscheinen verhinderte Präsident Dr. Erich Kästner, der bisherige Generalsekretär Kasimir Edschmid, sowie Emil Barth, Walter Bauer, Martin Beheim-Schwarzbach, Karl Friedrich Borée, Hanns Braun, Hans Hennecke, Hermann Kasack, Wilhelm Lehmann, Martha Saalfeld, Georg von der Vring erklären folgendes: Wir bedauern, dass von den etwa 50 westdeutschen Kollegen nur eine geringe Zahl erschienen ist, trotz des ausdrücklichen Hinweises auf die Bedeutung dieser Tagung, während aus dem Osten 8 von 14 Mitgliedern gekommen waren. Infolgedessen ergab sich für die westdeutschen Mitglieder eine Niederlage bei den Vorstandswahlen. Obwohl die vom Osten befürwortete Lausanner Friedensresolution von der Versammlung abgelehnt wurde, hat die Diskussion ergeben, dass zwischen den beiden Gruppen eine Verständigung über den Begriff Freiheit nicht möglich ist. Um die geistig schon längst bestehende Trennung auch organisatorisch zum Ausdruck zu bringen, werden die oben Genannten eine selbständige Gruppe innerhalb des internationalen PEN bilden.277
Auf der Pressekonferenz des neugewählten Präsidiums wurde der „Trennungsentschluß“ missbilligt. Jahnn sprach sich für eine „Verständigung mit den Freunden aus der DDR und einen geistig-menschlichen Austausch aus“. Weisenborn zeigte sich überzeugt, daß wohl die meisten Schriftsteller von Rang in Westdeutschland eine derartig scharfe Zurückweisung ihrer ostdeutschen Kollegen nicht anerkennen […] Ich werde mich für eine baldige neue Generalversammlung einsetzen, auf der nach diesem klärenden Gewitter endlich eine Arbeitsatmosphäre entstehen kann. Der PEN lebt in der Idee der Verständigung. Sowie dies Grundprinzip nicht mehr gewahrt und ein objektives Gleichgewicht der gesamtdeutschen Interessen nicht mehr gesichert ist, trete ich zurück. Bis dahin halte ich es für meine Pflicht zu bleiben und in völliger Unabhängigkeit der Bekämpfung des Hasses unter den Deutschen zu dienen.278
276 (Gerd Vielhaber:) Spaltung im deutschen PEN-Zentrum. Zwei Erklärungen auf der Düsseldorfer Generalversammlung. In: Weser-Kurier, 27. 10. 1951, S. 2. Diese relativ späte Quelle wurde herangezogen, weil aus ihr am klarsten die Abfolge der Pressekonferenzen zu belegen war. Ähnlich präzise, aber ohne den Text der Sezessionserklärung: Die Spaltung des Pen-Zentrums. Erklärungen west- und ostdeutscher Schriftsteller. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26. 10. 1951. 277 Zitiert nach: P.E.N.-Klub deutscher Autoren im Ausland/Sitz London, Mitteilungsblatt Nr. 7, S. VI. SBBPK, NL Tralow K 85 M 29. Der vollständige Text, mit kleinen sprachlichen Abweichungen, findet sich auch im Weser-Kurier, 27. 10. 1951. 278 Zitiert nach (Gerd Vielhaber:) Spaltung im deutschen PEN-Zentrum. In: Weser-Kurier, 27. 10. 1951, S. 2.
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Der neue Vorstand war nicht arbeitsfähig. Becher erklärte wenig später auf einer weiteren Pressekonferenz in Düsseldorf: „Der neue Vorstand sei vollkommen legal“, somit „bestehe kein Grund, eine neue Hauptversammlung einzuberufen“. Er sei jedoch bereit, in Verhandlungen das Ergebnis der Vorstandswahl so zu korrigieren, „daß es auch der abgespaltenen westdeutschen Gruppe gerecht werde“, die Initiative müsse jedoch von „‚westdeutscher Seite‘“ ausgehen“.279 Eggebrecht nahm die Wahl zum Schatzmeister nicht an. Gemeinsam mit Hans Erich Nossack erklärte er, sie bedauerten beide die Spaltung und hofften, „daß die geplante neue gesamtdeutsche Hauptversammlung des PEN-Zentrums – ‚und nicht nur eine zufällig anwesende Minderheit‘ – eine redliche Klärung bringen möge. Bis dahin wollen sie sich jeder Stellungnahme enthalten.“280 Weisenborn trat Ende November von seinem Amt zurück, da ein für ihn „überraschend großer Teil“ der damals abwesenden Schriftsteller „sich inzwischen für die Spaltung“ entschieden habe, er aber „die Einheit des PEN befürwortete“.281 In der Zwischenzeit hatten die Hamburger PEN-Mitglieder in einem ausdrücklich privaten Brief Becher gebeten, im Interesse eines gesamtdeutschen PEN „vom Präsidium zurück[zu]treten zugunsten eines anderen Schriftstellers der DDR“.282 Anscheinend blieb die Bitte unbeantwortet.283 In dieser Zeit erinnerte Becher Jorge Amado vom Weltfriedensrat an „unsere Entschließung bezüglich der Arbeit im PEN-Club“.284 Jenseits aller Schuldzuweisungen, die es unter den Bedingungen des Kalten Krieges zuhauf gab, hatte Edschmid mit der Bemerkung recht, dass die Gründung aus einer Zeit, „als Deutschland noch in Zonen verwaltet wurde“, einer Situation, in
279 Zitiert nach: Becher gegen neue Versammlung des PEN-Clubs. Bewegte Pressekonferenz in Düsseldorf. In: Stuttgarter Nachrichten, 29. 10. 1951, S. 2. 280 Bis zur redlichen Klärung. Axel Eggebrecht und Hans Erich Nossack lehnen PEN-Wahl ab, nach Ausriss in: DEA, EB 75/177 D.I.5.g, vermutlich aus: Neue Zeitung, 1. 11. 1951, die dpa-Nachricht ist datiert „Frankfurt a. M., 31. Oktober“. Der oben zitierte Textanfang stimmt überein mit: Eggebrecht und Nossack zum deutschen PEN-Konflikt. In: Rhein-Neckar-Zeitung, 1. 11. 1951, S. 2. 281 (dpa): Weisenborn nicht mehr Mitpräsident des PEN. In: Stuttgarter Nachrichten, 26. 11. 1951, S. 2. Vgl. Weisenborn tritt als PEN-Präsident zurück. In: Neue Zeitung, [27./28. 11. 1951], nach Ausriss in DEA, EB 75/177 D.I.5.g, hier statt Spaltung: Sezession; außerdem enthält dieser längere Text eine Passage über den Dissens mit Becher hinsichtlich der Notwendigkeit einer neuen Hauptversammlung und neuen Wahl; diese Passage auch unter Kleine Kulturnachrichten. In: Süddeutsche Zeitung, 28. 11. 1951. 282 Axel Eggebrecht, Günther Weisenborn, Hans Erich Nossack, Martin Beheim-Schwarzbach, Hans Henny Jahnn an Johannes R. Becher (6. 11. 1951). AdK Berlin, JRBA-PEN 11979, vgl. auch Jahnn an Becher vom gleichen Tag, JRBA-PEN 11978. 283 Im PEN-Material des Becher-Archivs befinden sich drei nicht abgeschickte Antwort-Entwürfe vom 12., 15. und 20. 11. 1951. AdK Berlin, JRBA-PEN 11985, 11988, 11993. 284 Johannes R. Becher an Jorge Amado, Weltfriedensrat (15. 11. 1951). AdK Berlin, JRBA-PEN 11989. Es ging darum, „die Freunde in Bulgarien, Rumänien, Tschechoslowakei und Polen“ zu veranlassen, „vor dem internationalen PEN-Club-Kongress“ 1952 Fühlung mit Becher aufzunehmen; vgl. S. 197 und Anm. 204.
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der das Land „aus zwei ideologisch gänzlich verschiedenen Teilen bestand“285 nicht gewachsen sein konnte. Hoffnungen und Ansprüche aus der Anfangszeit waren verbraucht.286 Probleme wie Literaturaustausch über Grenzen hinweg, Reisemöglichkeiten für Schriftsteller u. ä. hatten sich unter den Bedingungen der verhärteten Teilung des Landes zwar verschärft, wurden aber im Rahmen des PEN nicht mehr Gegenstand prinzipieller Forderungen. Spätestens seit der Wiesbadener Tagung beschäftigte sich das PEN-Zentrum Deutschland ausschließlich mit den eigenen Problemen, die ihm durch den Kalten Krieg aufgedrängt waren. Das durch diesen gesetzte EntwederOder-Gebot, die damit einhergehende Reflexionsabwehr und die Wirkung als Disziplinierungsmechanismus unterbanden – besonders unter den unsicheren Bedingungen der späten Stalin-Jahre – weitgehend den individuellen Austausch zu politischen Fragen über die Grenzen hinweg. Beide deutsche Teilgruppen hatten nun das Problem zu lösen, den Internationalen PEN-Club von ihrer Existenzberechtigung zu überzeugen, dessen Zentren es weder schätzten, erneut mit deutschen Streitigkeiten befasst zu werden, noch gern ein weiteres deutsches Zentrum akzeptieren würden. Aus „führenden Kreisen des Internationalen PEN“ wurde umgehend erklärt, nur die Exekutivtagung „Anfang nächsten Jahres“ könne „zu der Frage einer Neugründung in der Bundesrepublik Stellung nehmen“.287 Zunächst musste die vorgeschriebene Gruppenstärke von 20 Mitgliedern gesichert werden. Das fiel der Gruppe um die bisherigen Vorstandsmitglieder Friedmann, Kästner und Edschmid zwar leichter, aber vollständig sicher war sie sich nicht, denn die relativ geringe Teilnahme westdeutscher Mitglieder an der Düsseldorfer Tagung hinterließ Unsicherheit über deren Interesse am PEN288 und den Auseinandersetzungen in und um ihn. Ende November hatten sich „33 westdeutsche Schriftsteller […] für die Bildung eines eigenen westdeutschen PEN-Zentrums entschieden“.289 Die Gründungsversammlung wurde für den 3./4. Dezember 1951 in Darmstadt angekündigt.290 Das Präsidium des PEN-Zentrums Deutschland, d. h. praktisch nur Tralow und Becher – Jahnn war ernsthaft krank und hatte um Urlaub
285 Vgl. S. 197 und Anm. 214. 286 Vgl. S. 167, 176 und Anm. 68–70. 287 Internationaler PEN zur Spaltung. In: Neue Zeitung, 27./28. 10. 1951, nach Ausriss in DEA, EB 75/177 D.I.5.h, wahrscheinlich aus der Frankfurter Ausgabe. 288 Kräftig ins Gewissen redete ihnen ein nach Position und Diktion von Friedenthal stammender Artikel: Die Sezession im deutschen PEN-Club. Eine kritische Würdigung. In: Neue Zeitung, 27./28. 10. 1951, Ausriss in DEA, EB 75/177 D.I.5.h. 289 Unter Notizen in: Das literarische Deutschland 2 (1951) 22, 25. 11. 1951, S. 6. Aus der Kopenhagener Liste fehlten von westdeutschen Autoren, abgesehen von Tralow, Weisenborn, Eggebrecht und Jahnn, die zu dieser Zeit noch – mehr oder weniger – an einem einheitlichen PEN-Zentrum Deutschland festhalten wollten, Penzoldt, Reinhold Schneider und Dolf Sternberger. 290 Unter der Spitzmarke Westdeutsche PEN-Gruppe in: Stuttgarter Nachrichten, 24. 11. 1951, S. 2; auch in: Das literarische Deutschland 2 (1951) 22, 25. 11. 1951, S. 8.
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gebeten, ohne sein Amt aufzugeben291 – berief für den 10. Dezember 1951 eine Versammlung nach Berlin ein.292 Auf beiden Veranstaltungen wurden neue Mitglieder hinzugewählt. In Darmstadt vorbehaltlich der Akzeptierung des neuen Zentrums durch den Internationalen PEN-Club. In Berlin, um die erforderlichen 20 zu erreichen und um den gesamtdeutschen Anspruch zu sichern, auf den sich die Legalitätsbehauptung gründete. Von den 31 Zugewählten lebten 16 in der DDR und Ostberlin, 25 in der Bundesrepublik und Westberlin.293 Der Internationale PEN-Club akzeptierte letztlich beide innerdeutschen Zentren, wohl gemäß einem Selbstverständnis, das Sternfeld anlässlich der „Einmischung der Amerikaner“,294 folgendermaßen umrissen hatte: „Trotz aller politischen Differenzen halte der PEN als unpolitische Organisation an dem Gedanken der Einheit fest und sei nicht bereit, sich in die Gefolgschaft einer politischen Richtung zu begeben.“295
Literatur- und Quellenhinweise Ungedruckte Quellen AdK Berlin, Johannes R. Becher-Archiv; PEN-Archiv (Ost) BArch Koblenz, NL Rudolf Pechel N 1160 II/76 und N 1160 III/64; B 106/294 DEA, EB 77/27; EB 75/177 DLA Marbach am Neckar, NL Kasimir Edschmid; NL Erich Kästner; NL Wilhelm Lehmann SAPMO BArch Berlin, DY 30 o/J IV 2/3/ 202; DY 30/J IV 2/3A/ 203; DY 30/J IV 2/3/ 241; DY 30/ J IV 2/1/ 93. SBBPK (Potsdamer Straße), NL Johannes Tralow
291 Johannes Tralow an Johannes R. Becher (29. 11. 1951). AdK Berlin, JRBA-PEN 12000. Ein Rücktrittsgesuch richtete er erst im Frühjahr 1952 an Tralow, vgl. Bores: Das ostdeutsche P.E.N.-Zentrum 1951 bis 1998, S. 210f. 292 Tralows hektographierte Einladung zur Mitgliederversammlung am 10. Dezember 1951 in BerlinCharlottenburg. AdK Berlin, JRBA-PEN 11998; Bechers Mitteilung an die Mitglieder in der DDR vom 27. 11. 1951, AdK Berlin, JRBA-PEN 11997. 293 Vgl. Beschlußprotokoll von der Mitgliederversammlung des Deutschen PEN-Zentrums am 10. Dezember 1951 in Berlin Charlottenburg, Schillerstr. 5, Weinstube Neumann, 10 Uhr, S. 1 und 2. AdK Berlin, JRBA-PEN 12018. 294 Vgl. Anm. 115 sowie S. 192. 295 Wilhelm Sternfeld an Kasimir Edschmid (11. 2. 1951), S. 2. DLA, NL Edschmid. Eine differenzierte Darstellung des schwierigen praktischen Weges dahin bietet Bores: Das ostdeutsche P.E.N.-Zentrum 1951–1998, S. 156–253.
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Gedruckte Quellen und Forschungsliteratur Becher, Johannes R.: Gesammelte Werke, Bd. 12: Auf andere Art so große Hoffnung. Tagebuch 1950. Eintragungen 1951. Berlin und Weimar: Aufbau 1969. – : Gesammelte Werke, Bd. 17: Publizistik III: 1946–1951. Berlin und Weimar: Aufbau 1979. – : Briefe 1909–1958. Hrsg. von Rolf Harder unter Mitarbeit von Sabine Wolf und Brigitte Zessin. Berlin und Weimar: Aufbau 1993. Abdruck mit freundlicher Genehmigung © Aufbau Verlag GmbH & Co. KG, Berlin 2014. Behrens, Alexander: Johannes R. Becher. Eine politische Biographie. Köln, Weimar und Wien: Böhlau 2003. Brecht, Bertolt: Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe, Bd. 23 (Schriften 3), Berlin: Aufbau, Frankfurt am Main: Suhrkamp. © Bertolt-Brecht-Erben/Suhrkamp Verlag. Bores, Dorothée: Das ostdeutsche P.E.N.-Zentrum 1951 bis 1998. Ein Werkzeug der Diktatur? Berlin und New York: de Gruyter 2010 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 121). Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (Hrsg.): Die Freiheit fordert klare Entscheidungen. Johannes R. Becher und der PEN-Club. Bonn: o.V.] 1951. Der deutsche PEN-Club im Exil. 1933–1948. Eine Ausstellung der Deutschen Bibliothek Frankfurt am Main. Ausstellung und Katalog: Werner Berthold und Brita Eckert. Frankfurt am Main: Buchhändler-Vereinigung 1980 (Sonderveröffentlichungen der Deutschen Bibliothek 10). Der Kampf gegen den Formalismus in Kunst und Literatur, für eine fortschrittliche deutsche Kultur. Referat, Diskussion und Entschließung von der 5. Tagung des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands vom 15.–17. März 1951. Berlin: Dietz 1951. Gansel, Carsten (Hrsg.): Der gespaltene Dichter. Johannes R. Becher. Gedichte, Briefe, Dokumente 1945–1958. Berlin: Aufbau Taschenbuch 1991. Hanuschek, Sven: Geschichte des bundesdeutschen PEN-Zentrums von 1951 bis 1990. Tübingen: Niemeyer 2004 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 98). – : Keiner blickt dir hinter das Gesicht. Das Leben Erich Kästners. München und Wien: Hanser 1999. – , Therese Hörnigk und Christine Malende (Hrsg.): Schriftsteller als Intellektuelle. Politik und Literatur im Kalten Krieg. Tübingen: Niemeyer 2000 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 73). Hecht, Werner: Die Mühen der Ebenen. Brecht und die DDR. Berlin: Aufbau 2013. Heider, Magdalena: Politik – Kultur – Kulturbund. Zur Gründungs- und Frühgeschichte des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands 1945–1954 in der SBZ/DDR. Köln: Wissenschaft und Politik 1993. Heukenkamp, Ursula: Becher fuhr nicht nach Wrocław. In: Hanuschek, Hörnigk und Malende (Hrsg.): Schriftsteller als Intellektuelle, S. 173–196. Hochgeschwender, Michael: Freiheit in der Offensive? Der Kongreß für kulturelle Freiheit und die Deutschen. München: Oldenbourg 1998. Kantorowicz, Alfred: Deutsches Tagebuch. Erster Teil. Berlin: Verlag Anpassung und Widerstand 1978. Kästner, Erich: Dieses Na ja!, wenn man das nicht hätte! Ausgewählte Briefe von 1909 bis 1972. Hrsg. von Sven Hanuschek. Zürich: Atrium 2003. Lucchesi, Joachim (Hrsg.): Das Verhör in der Oper. Die Debatte um die Aufführung „Das Verhör des Lukullus“ von Bertolt Brecht und Paul Dessau. Berlin: BasisDruck 1993. Malende, Christine: Zur Vorgeschichte eines öffentlichen Briefwechsels zwischen Johannes R. Becher und Rudolf Pechel im Dezember 1950. In: Hanuschek, Hörnigk und Malende (Hrsg.): Schriftsteller als Intellektuelle, S. 197–234. Peitsch, Helmut: Vom Faschismus zum Kalten Krieg – auch eine deutsche Literaturgeschichte. Literaturverhältnisse, Genres, Themen. Berlin: Ed. Sigma 1996.
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Reinhold, Ursula, Dieter Schlenstedt und Horst Tanneberger (Hrsg.): Erster Deutscher Schriftstellerkongreß. 4.–8. Oktober 1947. Protokoll und Dokumente. Berlin: Aufbau 1997. Schlaga, Rüdiger: Die Kommunisten in der Friedensbewegung – erfolglos? Die Politik des Weltfriedensrates im Verhältnis zur Außenpolitik der Sowjetunion und zu unabhängigen Friedensbewegungen im Westen (1950–1975). Münster und Hamburg: Lit 1991 (Studien zur Friedensforschung 2) Stonor Saunders, Frances: Wer die Zeche zahlt … Der CIA und die Kultur im Kalten Krieg. Berlin: Siedler 2001. Weber, Hermann: Geschichte der DDR. München: dtv 1999.
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Anhang I Mitglieder- bzw. Zuwahllisten Ab Kopenhagen 31. 5. – 5. 6. 1948 Erich Kästner (1899–1974) Johannes R. Becher (1891–1958) Anna Seghers (1900–1983) Herbert Eulenberg (1876–1949) (September) Johannes Tralow (1882–1968) Günther Birkenfeld (1901–1966) Ernst Penzoldt (1892–1955) Rudolf Schneider-Schelde (1890–1956) Reinhold Schneider (1903–1958) Günther Weisenborn (1902–1969) Ludwig Renn (1889–1979)
Theodor Plievier (1892–1955) Hermann Kasack (1896–1966) Elisabeth Langgässer (1899–1950) (Juli) Hans Henny Jahnn (1894–1959) Axel Eggebrecht (1899–1991) Dolf Sternberger (1907–1989) Paul Wiegler (1878–1949) (August) Friedrich Wolf (1888–1953) Hermann Friedmann (als Ehrenmitglied) (1873–1959)
Nach Göttinger Zuwahl (18. 11. 1948) und internationaler Bestätigung Stefan Andres (1906–1970) Walter Bauer (1904–1976) Martin Beheim-Schwarzbach (1900–1985) Emil Belzner (1901–1979) Bertolt Brecht (1898–1956) Alfred Döblin (1878–1957) Kasimir Edschmid (1890–1966) Hanns Wilhelm Eppelsheimer (1890–1972) Lion Feuchtwanger (1884–1958) Oskar Maria Graf (1894–1967) Willy Haas (1891–1973) Wilhelm Hausenstein (1882–1957) Alfred Kantorowicz (1899–1979) Marie Luise Kaschnitz (1901–1974) Bernhard Kellermann (1879–1951)
Martin Kessel (1901–1990) Eugen Kogon (1903–1987) Annette Kolb (1875–1967) Horst Lange (1904–1971) Hans Leip (1893–1971) Joachim Maass (1901–1972) Heinrich Mann (1871–1950) Rudolf Pechel (1882–1961) Hans Reisiger (1884–1968) Rudolf Alexander Schröder (1878–1962) Fritz Usinger (1895–1982) Ernst Wiechert (1887–1950) Leopold Ziegler (1881–1958) Karl Zuckmayer (1896–1977) Arnold Zweig (1887–1968)
„Hamburger Zuwahlliste“ (April 1949) Rudolf Arnheim (1904–2007) Emil Barth (1900–1958) Ernst Robert Curtius (1886–1956) Otto Flake (1880–1963) Alexander Moritz Frey (1881–1957)
Martin Gumpert (1897–1955) Walther von Hollander (1892–1973) Peter Huchel (1903–1981) Hermann Kesten (1900–1996) Editha Klipstein (1880–1953)
Anhang
Ernst Kreuder (1903–1972) Wilhelm Lehmann (1882–1962) Rudolf Leonhard (1889–1953) Mechthilde von Lichnowsky (1879–1958) Hans Mayer (1907–2001) Karl August Meissinger (1883–1950)
Werner Milch (1903–1950) Hans Erich Nossack (1901–1977) Luise Rinser (1911–2002) Curt Thesing (1879–1956) Hermann Uhde-Bernays (1873–1965) Leo Weismantel (1888–1964)
In München (15. – 18. 11. 1949) mit Zweidrittelmehrheit gewählt Richard Benz (1884–1966) Werner Bergengruen (1892–1964) Ernst Bloch (1885–1977) Karl Friedrich Borée (1886–1964) Hanns Braun (1893–1966) Gunter Groll (1914–1982) Rudolf Hagelstange (1912–1984) Ferdinand Hardekopf (1876–1954) Adolf von Hatzfeld (1892–1957) Konrad Heiden (1901–1966) Hans Hennecke (1897–1977) Stephan Hermlin (1915–1997) Wilhelm Herzog (1884–1960) Irmgard Keun (1910–1982) Siegfried Kracauer (1889–1966) Ferdinand Lion (1883–1968) Friedrich Luft (1911–1990) Georg Lukács (1885–1971) Ludwig Marcuse (1894–1971) Walter Mehring (1896–1981) Alfred Neumann (1895–1952)
Kurt Pinthus (1886–1975) Gerhart Pohl (1902–1966) Sigismund von Radecki (1891–1970) Gustav Regler (1898–1963) Hans José Rehfisch (1891–1960) Erich Maria Remarque (1898–1970) Walter Riezler (1878–1965) Herbert Roch (1907–1978) Oda Schaefer (1900–1988) Martha von Scheidt-Saalfeld (1898–1976) Albrecht Schaeffer (1885–1950) Karl Scheffler (1869–1951) Wilhelm Schmidtbonn (1876–1952) Franz Schoenberner (1892–1970) Wilhelm Speyer (1887–1952) Fedor Stepun (1884–1965) Otto von Taube (1879–1973) Adrienne Thomas (1897–1980) Georg von der Vring (1889–1968) Armin T. Wegner (1886–1978) Ehm Welk (1884–1966)
II Anwesenheitslisten (alphabetisch) Göttingen, 18. – 21. 11. 1948 Johannes R. Becher Günther Birkenfeld Axel Eggebrecht Hermann Friedmann Hans Henny Jahnn Hermann Kasack Erich Kästner Ernst Penzoldt
Reinhold Schneider Rudolf Schneider-Schelde Dolf Sternberger Johannes Tralow Günther Weisenborn Paul Wiegler Friedrich Wolf
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Hamburg, 12. 4. 1949 Axel Eggebrecht Herbert Eulenberg Hermann Friedmann Hans Henny Jahnn Hermann Kasack
Erich Kästner Ernst Penzoldt Rudolf Schneider-Schelde Dolf Sternberger
Bielefeld, 2. – 4. 6. 1949 Günther Birkenfeld Kasimir Edschmid Hermann Friedmann Alfred Kantorowicz
Horst Lange Johannes Tralow Fritz Usinger
München, 15. – 18. 11. 1949 Günther Birkenfeld Hanns Wilhelm Eppelsheimer Hermann Friedmann Wilhelm Hausenstein Hermann Kasack Erich Kästner Martin Kessel Hermann Kesten
Horst Lange Alfred Neumann Ernst Penzoldt Oda Schaefer Rudolf Schneider-Schelde Johannes Tralow Fritz Usinger Günther Weisenborn
Wiesbaden, 4. – 7. 12. 1950 Johannes R. Becher Martin Beheim-Schwarzbach Emil Belzner Karl Friedrich Borée Hanns Braun Kasimir Edschmid Hermann Friedmann Adolf von Hatzfeld Hans Hennecke Stephan Hermlin Hans Henny Jahnn Hermann Kasack
Marie Luise Kaschnitz Erich Kästner Martin Kessel Ernst Kreuder Ernst Penzoldt Luise Rinser Curt Thesing Johannes Tralow Fritz Usinger Georg von der Vring Günther Weisenborn Leo Weismantel
Anhang
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Düsseldorf, 23. – 24. 11. 1951 Emil Barth Walter Bauer Johannes R. Becher Martin Beheim-Schwarzbach Karl Friedrich Borée Hanns Braun Kasimir Edschmid Hermann Friedmann Hans Hennecke Stephan Hermlin Peter Huchel Hans Henny Jahnn
Hermann Kasack Wilhelm Lehmann Rudolf Leonhard Hans Mayer Ludwig Renn Martha von Scheidt-Saalfeld Johannes Tralow Georg von der Vring Günther Weisenborn Ehm Welk Arnold Zweig
III Dokumente 1 Johannes R. Becher an den Generalsekretär des Internationalen PEN-Club, Hermon Ould, London (26. 7. 1946). Sehr geehrter Herr Ould! Namens und im Auftrag der deutschen Schriftsteller Herbert Eulenberg, Erich Kästner, Ilse Langner, Dr. Rudolf Pechel, Theodor Plievier, Günther Weisenborn, Ernst Wiechert erlaube ich mir, Ihnen die Frage vorzulegen, ob die deutsche Gruppe im PEN-Klub, der einige der Obengenannten angehörten, noch existiert, und ob der PEN-Klub die Absicht hat, diese Gruppe entweder neu zu gründen oder neu zu beleben. Wir würden es von jedem Standpunkt aus nur begrüßen, wenn diese Gruppe wieder aktiv arbeiten würde. Wir bitten Sie, diese Anfrage eventuell bei den Behörden zu unterstützen, da wir der Überzeugung sind, dass im Interesse nicht nur unseres Volkes, sondern aller Völker eine internationale Verbindung des Schrifttums wieder angebahnt werden muss. Quelle: AdK Berlin, JRBA 1210. 2 Resolution über die Gründung einer innerdeutschen PEN-Gruppe 1. Der internationale PEN-Klub, der auf seinem vorjährigen Kongreß die Wiedererrichtung des deutschen PEN-Klubs beschlossen hatte, nimmt mit Genugtuung die Gründung der ersten Gruppe von 20 deutschen Schriftstellern zur Kenntnis, die laut dem Statut für die Errichtung eines autonomen deutschen PEN-Klubs erforderlich ist. Diese 20 Schriftsteller sind von der deutschen Auslandsgruppe in London und mit Zustimmung des in Zürich gewählten vorbereitenden Ausschusses designiert worden. 2. Der Kongreß nimmt mit Genugtuung davon Kenntnis, daß die deutschen Schriftsteller damit einverstanden sind, daß der vorbereitende Ausschuß bis zum nächsten Kongreß oder aber längstens ein Jahr weiter bestehen bleibt, um die ordnungsgemäße Durchführung des von den deutschen Schriftstellern zugestandenen Grundsatzes zu garantieren, nämlich, daß während dieser selben Zeitspanne alle weiteren und zukünftigen Mitglieder des deutschen PEN-Klubs von der Gründergruppe einstimmig aufgenommen werden müssen. 3. Der Kongreß nimmt mit Befriedigung zur Kenntnis, daß der deutsche PEN-Klub als grundsätzlicher und dauernder Bedingung damit einverstanden ist, keinen Schriftsteller
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aufzunehmen, der zu irgendeiner Zeit in der Nazi-Propaganda-Organisation, insbesondere in einem der vormals von Deutschland besetzten Länder, beschäftigt gewesen ist. Quelle: Hilde Spiel: Schriftsteller in Kopenhagen. In: Sie, 12.6.1948. Mit orthographischen und geringen sprachlichen Abweichungen auch in: P.E.N.-Club deutscher Autoren im Ausland, Sitz London: Mitteilungsblatt [Nr. 1], S. 3. SBBPK, NL Tralow K 85 M 29. 3 Münchner Antrag auf der Konstituierenden Tagung des P.E.N.-Centrums Deutschland am 19. November 1948 in Göttingen In Anbetracht der bis zum nächsten Kongreß in Venedig eingeschränkten Souveränität des Centrums Deutschland beantragen wir, die unterzeichneten Gründungsmitglieder, die Gründungsversammlung vom 18.–20. 11. 1948 in Göttingen wolle folgendes beschließen: Die provisorische Leitung bleibt bis zu einer nach dem Kongreß in Venedig innerhalb von drei Monaten anzuberaumenden Generalversammlung bestehen. Bis zu dieser Versammlung, in der Neuwahlen vorgenommen werden müssen, ist Professor Dr. Hermann Friedmann in London provisorischer Vorsitzender. Herrn Friedmann bleibt es überlassen, einen Beauftragten in Deutschland zu bestellen. München, den 7. November 1948. Quelle: Tagung des P.E.N.-Centrums Deutschland am Freitag, dem 19. November 1948, II. Teil, S. 1. AdK Berlin, JRBA-PEN 11645. 4 Präambel Das P.E.N.-Centrum Deutschland wurde am 19. November 1948 in Göttingen durch die zwanzig international gewählten deutschen Schriftsteller konstituiert. In der von allen Mitgliedern unterschriebenen P.E.N.-Charter heisst es: „Mitglieder des P.E.N. sollen jederzeit ihren ganzen Einfluss für das gute Einvernehmen und die gegenseitige Achtung der Nationen einsetzen; sie verpflichten sich, für die Bekämpfung von Rassen-, Klassen- und Völkerhass und für die Hochhaltung des Ideals einer in einer einigen Welt in Frieden lebenden Menschheit mit äusserster Kraft zu wirken. Der P.E.N. steht zu dem Grundsatz des ungehinderten Gedankenaustausches innerhalb einer jeden Nation und zwischen allen Nationen, und seine Mitglieder verpflichten sich, jeder Art von Unterdrückung der Äusserungsfreiheit, in ihrem Lande oder in der Gemeinschaft, in der sie leben, entgegenzutreten. Der P.E.N. erklärt sich für die Freiheit der Presse und verwirft Zensurwillkür (erst recht in Friedenszeiten). Er ist des Glaubens, dass der notwendige Fortschritt der Welt zu einer höher organisierten politischen und wirtschaftlichen Ordnung hin eine freie Kritik gegenüber den Regierungen, Verwaltungen und Einrichtungen gebieterisch verlangt.“ Daher haben die deutschen Autoren gerade jetzt die Aufgabe, jeden Gewissenszwang überhaupt, besonders aber durch Eid, jeden Glaubens-, Völker- und Rassenhass, wie den Antisemitismus, zu bekämpfen. In den heutigen Tagen – kaum drei Jahre nach Beendigung des letzten Völkermordens – beobachten wir deutschen Schriftsteller mit grösster Sorge, wie bereits wieder von einer Kriegsgefahr und einem Kriege als einer unvermeidlichen Tatsache geredet wird, wie auf diese Weise eine Kriegsstimmung als erste Phase eines Krieges geschaffen wird. Wir deutschen Schriftsteller fühlen uns mitverantwortlich für die vergangenen Ereignisse und das gegenwärtige Geschehen. Wir fühlen uns in besonderem Masse verantwortlich, im Sinne der Wiedergutmachung gegen jede Völkerverhetzung und für die Völkerverständigung zu wirken, für die Achtung alles dessen, was Menschenantlitz trägt. Im Zeitalter der Atombombe bekämpfen wir auf dem Gebiete des Geistes wie des gesamten öffentlichen Daseins die Neigung zur Zerstörung menschlichen und kreatürlichen Lebens. Wir sind der Überzeugung, dass die gewaltigen
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entfesselten kosmischen Kräfte nicht der Vernichtung, sondern der menschlichen Arbeit und der Erfüllung der menschlichen Bestimmung dienen sollen. Wir halten den Anspruch der Menschen auf Glück für unverletzbar. Wir stehen hier unter der Verpflichtung unseres Gewissens zu den Worten Goethes: Es gibt eine Ebene der Kultur, auf der man das Schicksal des anderen Volkes wie sein eigenes empfindet. Quelle: Anlage zum Stenographischen Protokoll der Tagung des P.E.N.-Centrums Deutschland am Freitag, dem 19. November 1948. AdK Berlin, JRBA-PEN 11645, S. 1. Das abschließende Goethe-Zitat ergänzt nach: P.E.N.-Club deutscher Autoren im Ausland. Sitz London: Mitteilungsblatt Nr. 2, S. 2. SBBPK, NL Tralow K 85 M 29. 5 Rudolf Pechel, Theodor Plievier und Günther Birkenfeld an das Präsidium des P.E.N.-Zentrums Deutschland (20. 11. 1950). An das Präsidium des PEN-Centrum Deutschland zu Händen Herrn Erich Kästner. München 23, Fuchsstr. 2 Liebe Kollegen! Vom 26. bis 30. Juni 1950 fand in Berlin der INTERNATIONALE KONGRESS FÜR KULTURELLE FREIHEIT statt, an dem die folgenden Mitglieder des deutschen PEN als Delegierte teilnahmen: Hermann Kesten, Eugen Kogon, Rudolf Pechel, Theodor Plievier, Dolf Sternberger und Günther Birkenfeld. Unter den ausländischen Delegierten aus zwanzig Staaten befanden sich gleichfalls zahlreiche Mitglieder des internationalen PEN. Einer der Präsidenten des deutschen PEN-Centrums, Johannes R. Becher, hat die ausländischen und deutschen Delegierten dieses Kulturkongresses auf das schwerste öffentlich geschmäht, so u. a. in Heft Nr. 5/1950 der Zeitschrift des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands „Aufbau“ (s. Anlage). Es ist anzunehmen, dass einige weitere Mitglieder des deutschen PEN-Centrums diesen Auslassungen Bechers vorbehaltlos zugestimmt haben und zustimmen, so sicherlich Stefan [sic] Hermlin, Alfred Kantorowicz, Anna Seghers und Friedrich Wolff [sic]. Da Johannes R. Becher sich mit den Teilnehmern des Kulturkongresses ‚im wörtlichen Sinne auseinandersetzen‘ will, kann es uns nicht zugemutet werden, dass wir uns mit ihm und seinen Gesinnungsgenossen im deutschen PEN-Centrum noch weiterhin zusammensetzen. Nicht nur die Selbstachtung macht uns das unmöglich, sondern auch die Rücksicht auf unsere ausländischen Kameraden, die an dem Kulturkongress teilnahmen. Johannes R. Becher hat die Neutralität, um die sich die anderen Präsidenten des deutschen PEN und die an den bisherigen Tagungen anwesenden Mitglieder so sehr bemühten, in einer Form öffentlich gebrochen, die nach unserer Überzeugung von dem deutschen Centrum nur noch mit der Trennung von Becher und seinen Gesinnungsgenossen beantwortet werden kann. Zudem handeln Becher und seine oben genannten Parteigänger, als Wortführer eines Systems der kulturellen Unfreiheit und Unterdrückung, beständig und öffentlich im schroffen Widerspruch zu der von ihnen unterschriebenen PEN-CHARTA. Eine gedeihliche Zusammenarbeit mit dieser Gruppe ist nicht mehr denkbar. Sollte die von uns hiermit beantragte Trennung von der Gruppe Becher nicht erfolgen, so würden die Unterzeichneten schweren Herzens ihren Austritt aus dem PEN-Centrum Deutschland unter Abgabe einer öffentlichen Erklärung vollziehen müssen. Mit kollegialem Gruß! gez. Dr. Rudolf Pechel gez. Theodor Plievier gez. Dr. Günther Birkenfeld Quelle: Tagung des Internationalen P.E.N.Clubs, Zentrum Deutschland in Wiesbaden vom 4.–7. 12. 1950, S. 2. SBBPK, NL Tralow K 86 M 38.
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6 Text der Lausanner Friedensresolution Der P.E.N.-Club, der zu seiner internationalen Tagung in Lausanne, Schweiz, zusammentrat, und aus Schriftstellern aus allen Teilen der Welt, aus Männern und Frauen der verschiedensten Rassen und Kulturen besteht, hat anschaulich bewiesen, dass Menschen aller möglichen politischen Überzeugungen und Ideologien sich an einen Beratungstisch setzen, über ihre Meinungsverschiedenheiten und eine Lösung ihrer Probleme verhandeln können [,] ohne Gewalt anzuwenden. Wir – von denen viele in zwei Kriegen, die die Welt verwüstet haben, Soldaten gewesen sind – glauben, dass es auch für ihre Nationen möglich ist, das zu tun, was eine Gruppe von Menschen getan hat. Der 23. Internationale P.E.N.-Club-Kongress handelt nach dem Grundsatz der P.E.N.-Charte[r] und nach den Prinzipien der UN, indem er einen dringenden Appell an die Regierungen aller Länder richtet, den gleichen Geist der Duldsamkeit wie ihre Schriftsteller zu zeigen und jede ihnen mögliche Anstrengung zu machen[,] um den Weltfrieden zu bewahren. Quelle: Anlage zu: Aus der Debatte über die Abstimmung der Friedens-Resolution. AdK Berlin, JRBA-PEN 11887, unter der gleichen Signatur auch die englische und französische Fassung; gleichlautend (mit minimalen Abweichungen) in: [Johannes R. Becher]: Bericht über die 23. internationale Tagung des PEN-Club in Lausanne, S. 2f.. AdK Berlin, JRBA-PEN 11891; eine sinngleiche, sprachlich andere Fassung, vermutlich nach dem englischen Text, in: P.E.N.-Klub deutscher Autoren im Ausland. Sitz London: Mitteilungsblatt Nr. 7 (Anfang November 1951), S. IV. SBBPK, NL Tralow K 85 M 29. 7 Text der Londoner Friedensresolution Wir Mitglieder des PEN-Klubs wünschen ausdrücklich festzustellen, dass wir uns zum Gedanken des Friedens bekennen. Wir wollen im Interesse des Friedens mit jedem zusammenarbeiten, der nicht nur durch ein blosses Lippenbekenntnis, sondern durch die Tat zeigt, dass er sich für Frieden, Freiheit des Einzelnen, Freiheit der Meinungsäusserung und Verständigung der Völker einsetzt, wie dies auch die Charta des internationalen PEN-Klub zum Ausdruck bringt. Quelle: P.E.N.-Klub deutscher Autoren im Ausland. Sitz London, Mitteilungsblatt Nr. 7, S. IV, SBBPK, NL Tralow K 85 M 29. Text und Begründung auch abgedruckt bei: (W. Sternfeld): Frieden und Freiheit. Neue Vorschläge zu einer Friedensresolution des PEN-Clubs. In: Das literarische Deutschland, 2 (1951) 19, 5. Oktober 1951, S. 8.
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Im Machtbereich der SED-Diktatur PEN in der DDR – Ein politisches Instrument?1
Vorbemerkung Nach dem Fall der Berliner Mauer geriet die Vergangenheit des PEN-Clubs im Osten Deutschlands verstärkt in den Focus – nicht nur der deutschen PEN-Mitglieder, sondern auch der medialen Öffentlichkeit. Im Kern ging es bei der oftmals hitzigen, teils unsachlichen und vor allem aufgeregten Debatte um grundsätzliche Fragen, auf die insbesondere der Internationale PEN seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges und im Zuge der zunehmend ausgeprägten ideologisch basierten Teilung der Welt in zwei Machtblöcke immer wieder Antworten suchen und finden musste: Wie ist es um den Handlungsrahmen eines PEN-Zentrums in einem staatlichen Zwangssystem bestellt, dessen Organe alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens durchdringen? Ist es dessen Mitgliedern überhaupt möglich im Rahmen des moralisch-ethischen Handlungsgerüstes, das die internationale PEN-Charta umschreibt, zu agieren? Oder sind die Autoren, die in einem diktatorischen System leben, nicht bloß „Erfüllungsgehilfen einer hässlichen Diktatur“?2 Ist ihr Zentrum von der Staatsmacht für ihre politischen Zwecke instrumentalisiert? Muss den PEN-Mitgliedern ein symptomatisches Versagen als Intellektuelle, ein Verrat an den moralischen Grundwerten vorgehalten werden? Oder existieren doch Handlungsfreiräume? Der Internationale PEN antwortet auf diese Fragen seit Jahrzehnten mit einem Höchstmaß an Diplomatie, lässt sich leiten von der Hochachtung der Toleranz; er stellt die Aufrechterhaltung der Verbindung zu Mitgliedern in totalitären Systemen in der Regel über die kompromisslose Verurteilung von (potenziellen) Verstößen gegen die PEN-Charta. Es gilt bis heute als wesentlich, den unter den Bedingungen einer Diktatur lebenden Kollegen ein Fenster zur demokratischen Welt offen zu halten. Deshalb muss auch im Falle des DDR-PEN genau hingesehen werden, um Antworten auf die vielen Fragen zu finden, die sich im Zusammenhang PEN und Diktatur stellen. Aufgrund der Anbindung an eine internationale Organisation ergibt sich ein dreifacher Bezugsrahmen für die Geschichte des PEN-Zentrums in der DDR, der zum einen die Stellung im Staatswesen der DDR erfasst, zugleich aber die Einbindung im Internationalen PEN beleuchtet und – aufgrund der besonderen Situation im zweigeteilten Deutschland – auch das Verhältnis 1 Die vorliegenden Ausführungen folgen der ausführlichen Darstellung der Verfasserin, vgl. Dorothée Bores: Das ostdeutsche P.E.N.-Zentrum 1951 bis 1998. Ein Werkzeug der Diktatur? Berlin und New York: De Gruyter 2010 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 121). 2 Wolfgang Emmerich: Kleine Literaturgeschichte der DDR. Erweiterte Neuausgabe. Leipzig: Kiepenheuer 1997, S. 14.
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zum bundesdeutschen PEN-Zentrum berücksichtigt. Da die Arbeit des PEN zu einem Großteil auf dem Eigenengagement der Mitglieder beruht, gilt es darüber hinaus, die Entwicklung der PEN-Sektion nicht als reine Institutionen-, sondern auch als Personengeschichte zu betrachten. Das Leben in einem diktatorischen Staat spielt sich oftmals zwischen gegensätzlichen Polen – „Verrat oder Widerstand, Lüge oder Wahrheit“ – ab. Es entsteht somit ein „Magnetfeld“, in dem sich jeder einzelne immer wieder neu positionieren muss.3 Nur unter Berücksichtigung dieser Aspekte kann ein differenzierendes Bild der PEN-Geschichte im Osten Deutschlands gezeichnet werden.
1 Kampf um Anerkennung als gesamtdeutsches PEN-Zentrum Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde die weltpolitische Atmosphäre durch eine zunehmende Blockbildung geprägt; deren deutlicher Ausdruck fand sich in der Zweistaatlichkeit Deutschlands. Die Abspaltung einer Gruppe westdeutscher Mitglieder vom bis dahin Schriftsteller aus Ost und West einenden PEN-Zentrum Deutschland anlässlich der Düsseldorfer Jahrestagung im Oktober 1951 belegt eindrücklich, dass die Auswirkungen der machtpolitischen Weltaufteilung längst das deutsche Kulturleben erreicht hatten. Während die Gruppe der Ausgetretenen durch die Ankündigung einer konstituierenden Versammlung eine eindeutige Stellungsnahme der gesamten deutschen PEN-Mitgliedschaft provozieren wollte – Mitgliedschaft Ost oder West als „Gewissensfrage“4 – und das Engagement hinsichtlich einer eigenständigen westlich orientierten Gruppierung intensivierte, hoffte der gerade erst ins Amt gehobene Vorstand des PEN-Zentrums Deutschland – bestehend aus Johannes Tralow, Johannes R. Becher, Günther Weisenborn und Hans Henny Jahnn – auf eine gütliche Regelung des Sachverhaltes und appellierte unter Verweis auf die Grundsätze der internationalen PEN-Charta gleichfalls an das Gewissen der Mitglieder. Die Reaktionen fielen sehr unterschiedlich aus: Während die einen der Haltung der Ausgetretenen beipflichteten, äußerten andere Enttäuschung und Bedauern über die Abspaltung und reagierten mit Rückzug. Grundsätzlich aber schien die PEN-Mitgliedschaft durch die jüngsten Entwicklungen aus ihrer mindestens z. T. spürbaren Lethargie erwacht. Schon wenige Tage nach der umstrittenen Vorstandswahl offenbarten sich die Schwierigkeiten einer Verständigung von West nach Ost: Toleranz gegenüber dem Osten wurde in der Bundesrepublik Deutschland nur allzu schnell als Kommunis3 Günther Rüther: Überzeugungen und Verführungen. Schriftsteller in der Diktatur. In: Deutsch landArchiv 37 (2004) 4, S. 602–611, hier S. 607f. 4 Hermann Kasack: Ja und Nein. Auf der Düsseldorfer PEN-Tagung. In: Stuttgarter Nachrichten, 27. 10. 1951.
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mussympathie gewertet. Zu spüren bekam dies sehr bald der neu ernannte Generalsekretär Hans Henny Jahnn (Hamburg), der sich am liebsten der quälenden Debatte entzogen hätte: „Ich kann jedenfalls nur sagen, daß mir die deutsche Nation wieder einmal zum Halse heraus hängt, und daß ich nichts sehnlicher wünsche, als wieder emigrieren zu können.“5 Der Druck von außen war groß, eine tolerante Haltung gegenüber der DDR – und sei es nur auf der Ebene der Kultur – wurde geahndet: „Es war eine große Torheit, mich zum Generalsekretär zu wählen, eine noch größere, daß ich mich überreden ließ, die Wahl anzunehmen. Ich werde kalt gestellt werden, ohne daß ich oder jemand sonst einen Gewinn davon hätte.“6 Dennoch bemühte sich Jahnn um eine vermittelnde Position; er appellierte an die westdeutschen Mitglieder Hans Erich Nossack und Wilhelm Lehmann, in ihrer Entscheidung hinsichtlich des PEN nichts zu übereilen, bat Peter Huchel um eine mäßigende Einwirkung auf die östlichen Kulturschaffenden und nahm auch Kontakt zum Internationalen PEN auf. Der geschäftsführende Präsident Johannes Tralow zeigte sich demonstrativ zuversichtlich – „Solange das Triumvirat Weisenborn, Jahnn und Tralow zusammenhält, fürchte ich nichts.“7 – und plädierte, nachdem der Wille der Ausgetretenen zur Gründung einer eigenständigen westdeutschen PEN-Gruppe mehr als offensichtlich geworden war, vehement für eine rasche Schaffung klarer Verhältnisse. Die möglichst unbeschädigte Rekonstruktion der ursprünglichen Mitgliedschaft war damit aus dem Blickpunkt gerückt. Eine eiligst einberufene Mitgliederversammlung, zu der alle nicht ausdrücklich ausgetretenen Mitglieder geladen werden sollten, sollte den Fortbestand des PEN-Zentrums Deutschland sichern. Während die Vorbereitungen einer solchen Versammlung anliefen, kam von den Hamburgern Hans Erich Nossack und Axel Eggebrecht die Mitteilung, dass beide die auf der Düsseldorfer Generalversammlung im Oktober 1951 vorgenommene Wahl in den Vorstand ablehnten und starke Skepsis gegenüber der von Tralow geführten, gesamtdeutsch titulierten PEN-Gruppe hegten. Es handele sich vielmehr um eine „Rumpfgruppe“8, die sich zwar gesamtdeutsch nenne, de facto aber alle Ostmitglieder umfasse und damit keineswegs den realen Mehrheitsverhältnissen entspreche. Ungeachtet dieser Rückschläge setzte sich Tralow für den Fortbestand des PEN-Zentrums Deutschland ein. Das Problem der Ungleichgewichtigkeit zwischen Ost- und West-Mitgliedern, das enormen Sprengstoff barg, war ihm sehr bewusst: Der PEN dürfe kein kommunistisches Gesicht erhalten, stattdessen müsse insbesondere der unkommunistische West-Flügel durch Zuwahlen gestärkt werden. Zwischen Westund Ost-Mitgliedern sollte etwa ein 2:1-Verhältnis durchgesetzt werden – aber nicht 5 Hans Henny Jahnn an Han[n]s Ulbricht (28. 10. 1951). Personalakte der Akademie der Wissenschaften und der Literatur. Zitiert nach Bernd Goldmann (Hrsg.): Hans Henny Jahnn. Schriftsteller, Orgelbauer. 1894–1959. Eine Ausstellung. Wiesbaden: Steiner 1973, S. 129. 6 Hans Henny Jahnn an Peter Huchel [26. oder 27. 10. 1951]. In: Bernd Goldmann (Hrsg.): Hans Henny Jahnn. Peter Huchel. Ein Briefwechsel 1951–1959. Mainz: Hase & Koehler 1959, S. 20–23, hier S. 21. 7 Johannes Tralow an Johannes R. Becher (28. 10. 1951). AdK Berlin, JRBA 11969. 8 Erklärung von Axel Eggebrecht und Hans Erich Nossack (31. 10. 1951). SBBPK, NL Tralow K 86 M 39.
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um jeden Preis: „Ich lehne ab, einen ganzen Stoß von Ostleuten hineinzunehmen, obwohl der Osten sehr schwach vertreten war, und ebenso lehne ich es ab, hier im Westen die Schriftsteller von den Wegrändern aufzusammeln. Lieber langsam. Vorerst gilt es, die Position zu stärken.“9 Nur wer sich ausdrücklich mit einem PENZentrum einverstanden erklärte, das Mitglieder aus Ost und West vereinte, sollte auf die Vorschlagsliste für die Zuwahlen gesetzt werden. Auch für die Besetzung des Vorstandes galt in Absprache mit Johannes R. Becher die Zielsetzung, dass der Westen dominieren sollte: Die besondere Lage des Zentrums bringt es mit sich, daß der Westen und der Osten durch je einen Präsidenten im Vorstand vertreten sind, und es ist ferner ein stillschweigendes Übereinkommen, daß der geschäftsführende Präsident immer ein Westler sein soll, ebenso wie der Generalsekretär und der Schatzmeister. Im Vorstand stehen also einer Stimme des Ostens vier Stimmen des Westens gegenüber.10
Becher und Tralow waren vom Fortbestand des PEN-Zentrums Deutschland überzeugt und hatten gemeinsam ein provisorisches Arbeitsprogramm vorgelegt, das auch dessen (inter)nationale Aktivität ankurbeln sollte. Der Termin für die geplante Mitgliederversammlung in Berlin war auf den 10. Dezember 1951 festgesetzt worden. In diese Atmosphäre produktiver Arbeitsamkeit platzte Ende November 1951 die Meldung vom Rücktritt Günther Weisenborns. Sein Amt als Mit-Präsident werde frei, weil er die „Einheit des PEN“ befürworte. Seine Forderung nach einer allgemeinen Hauptversammlung mit allen Mitgliedern des deutschen PEN, inklusive der Düsseldorfer Sezessionisten, sah er als nicht erfüllt an und erklärte seinen Rückzug: „Da mein Verhalten lediglich von meiner eigenen Meinung bestimmt wird, ziehe ich in aller Sauberkeit die fällige Konsequenz.“11 Beinahe zeitgleich erklärte der Generalsekretär Jahnn, dass er sein Amt aus gesundheitlichen Gründen „im Augenblick in keiner Weise ausfüllen“12 könne. Obgleich er sich in der westlichen Öffentlichkeit zahlreichen Verdächtigungen ausgesetzt sah, machte Jahnn deutlich, dass er nach wie vor ein Befürworter der Verständigung zwischen Ost und West, insbesondere der deutschen PEN-Mitglieder, war. Dass ihn seine gesundheitliche Verfassung längerfristig außer Gefecht setzen würde, ahnte er zu diesem Zeitpunkt nicht. Aktiven Anteil konnte er daher an den Reorganisationsbestrebungen nicht nehmen. Gleichwohl war sein Interesse an den PEN-Belangen ungebrochen. Mindestens mit seinem Namen stand er für einen PEN mit Mitgliedern aus Ost und West ein. Unterdessen waren die Konstitutionsbestrebungen auf westdeutscher Seite, gelegentlichen Selbstzweifeln zum Trotz, weit vorangeschritten. So wurde unter Beteiligung der aus dem PEN-Zentrum Deutschland Ausgetretenen am 3./4. Dezember 1951 9 Johannes Tralow an Fritz Usinger (29. 11. 1951). SBBPK, NL Tralow K 37 Konv. Usinger. 10 Johannes Tralow an Wilhelm von Scholz (26. 11. 1951). SBBPK, NL Tralow K 36 Konv. Tralow. 11 [NZ]: Weisenborn tritt als PEN-Präsident zurück. In: Die Neue Zeitung, 28. 11. 1951. 12 Hans Henny Jahnn an Johannes Tralow (26. 11. 1951). SBBPK, NL Tralow K 47 Konv. Jahnn.
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in Darmstadt das Deutsche PEN-Zentrum (Bundesrepublik) aus der Taufe gehoben. Insgesamt hatten sich 15 ehemalige Mitglieder des PEN-Zentrums Deutschland für die Teilnahme an der konstituierenden Sitzung entschieden, darunter die abgewählten Vorstandsmitglieder Hermann Friedmann, Erich Kästner und Kasimir Edschmid, sowie die Unterzeichner der Düsseldorfer Sezessionserklärung Walter Bauer, Martin Beheim-Schwarzbach, Wilhelm Lehmann, Georg von der Vring und Hermann Kasack. Hinzu kamen Rudolf Alexander Schröder, Curt Thesing, Marie Louise Kaschnitz, Martin Kessel, Oda Schaefer, Ernst Kreuder und Leo Weismantel. Neben weiteren 15 übertrittswilligen Mitgliedern ließen sich auch Hanns Braun, Emil Barth, Hans Hennecke, Martha Saalfeld und Karl Friedrich Borée durch Vollmachten vertreten. Der Gründungsversammlung wohnte als Gast der Präsident des PEN-Klubs deutschsprachiger Autoren im Ausland, Richard Friedenthal, bei. Die Anwesenden wählten Erich Kästner zum Präsidenten des neu gegründeten deutschen PEN-Zentrums. Ihm zur Seite gestellt wurden Kasimir Edschmid als Generalsekretär und Walter Bauer im Amt des Schatzmeisters. Als Ehrenpräsident mit Sitz und Stimme im Vorstand bestimmte die Versammlung Hermann Friedmann. Das beratende Kollegium des Präsidiums setzte sich zusammen aus Rudolf Alexander Schröder, Hermann Kasack, Martin Kessel und Martin Beheim-Schwarzbach. Die junge PEN-Sektion erfreute sich raschen Zulaufs. Schon Mitte Dezember 1951 meldete die Presse Zahlen von mehr als 60 Mitgliedern. Dem Anschluss an die neu gebildete Sektion lagen überaus individuelle und häufig schwierige Entscheidungen zu Grunde. Es war durchaus eine Gewissensfrage, die von jedem Einzelnen im Hinblick auf die politische und weltanschauliche Überzeugung beantwortet werden musste. Indes spielte auch die Bedeutung persönlicher Bindungen eine nicht unerhebliche Rolle. So wurden gruppendynamische Prozesse in Gang gesetzt, die mit dem menschlichen Grundbedürfnis nach Vertrautheit und Kollegialität in Einklang standen. Der Vorstand des neu geschaffenen bundesdeutschen PEN-Zentrums zeigte sich nach dem erfolgreichen Verlauf der konstituierenden Sitzung und dem großen Anklang, den die neu gegründete Sektion fand, davon überzeugt, dass es gelungen sei, die Majorität der bisherigen deutschen PEN-Mitglieder unter dem Dach der Neugründung zu vereinigen. Der Fortführung des PEN-Zentrums Deutschland, dessen kommunistische Ausrichtung in der westlichen Presse als erwiesen dargestellt wurde, billigten die Vorstandsmitglieder keine großen Chancen zu; vielmehr sei die baldige Selbstauflösung zu erwarten. Interpretiert wurde die Bildung eines bundesdeutschen Zentrums in der Presse in der Regel als zwangsläufige Konsequenz der politischen Entwicklung. Vereinzelt wurde Enttäuschung darüber laut, dass die Schriftsteller daran gescheitert waren, die politische Teilung Deutschlands auf der Ebene des geschriebenen und gesprochenen Wortes zu überwinden. Ähnlich wie die bundesdeutschen Vorstandsmitglieder billigten auch die Vertreter des PEN-Zentrums Deutschland ihrem Gegenüber nur geringe Überlebens-
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chancen zu. Tralow sprach pejorativ von einem „Häuflein“13, dessen Existenz auf internationaler Ebene keineswegs bestätigt worden sei: „Es scheint mir nicht wahrscheinlich, dass der internationale PEN einer aggressiven politischen Kampfgruppe seinen Namen gibt, zumal der Missbrauch des PEN-Namens, wie er jetzt stattfindet, uebel vermerkt werden duerfte.“14 Tralow interpretierte die Vorgehensweise auf der Düsseldorfer Tagung als konzertierte Aktion gegen die PEN-Mitglieder aus der DDR, die auf Weisung „seitens des Kaiser-Ministeriums [d. i. das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen] bzw. amerikanischer Dienststellen ergangen“15 sei. Zielsetzung sei der Ausschluss der DDR-Autoren gewesen: „Die Spaltung war vorher kühl überlegt. Man will im Gegensatz zur Pen-Charter keinen einzigen Kommunisten im Zentrum Deutschland mehr dulden, und es ist nicht mehr zu leugnen, daß einige unserer Kollegen aus der DDR der SED angehören.“16 So sprachen sich beide PENGruppierungen gegenseitig die Existenzberechtigung ab und schielten nach dem Internationalen PEN, von dem sie eine Klärung der Sachlage erhofften. Die nächste Exekutivkomitee-Tagung war indes erst für März 1952 (Paris) angesetzt. Bis dahin blieb den Verantwortlichen im PEN-Zentrum Deutschland Zeit, auf die als unumstößlicher Fakt anzusehende Konstituierung der bundesdeutschen Gegen-Gruppierung zu reagieren und eine rege Aktivität zu entfalten. Am Beginn der Reorganisationsbestrebungen des PEN-Zentrums Deutschland stand die Vorbereitung und Durchführung der Mitgliederversammlung am 10. Dezember 1951. Im Vor- und Nachhinein war die Mitgliederversammlung von zahlreichen Presseartikeln begleitet worden. Während die antikommunistische Presse der Tagung den Anstrich einer hoch konspirativen Zusammenkunft östlicher Anhängerschaft verpasste, schürte die DDR-Presse ihrerseits ebenso propagandistisch das Misstrauen gegenüber dem Westen. Zielscheibe der westlichen Journalisten war vor allem Johannes R. Becher; er versuche unter allen Umständen „Söldlinge zu werben für sein mit literarischen Emblemen getarntes trojanisches Pferd“.17 Er sei indes gescheitert – die Haltung der westdeutschen Autoren habe seine Idee, das PEN-Zentrum „zur Propagierung kommunistischer Pseudo-Ideen zu nutzen“,18 längst zunichte gemacht. Tatsächlich waren kaum Mitglieder aus dem Westen für eine Teilnahme zu motivieren und so wohnten mit Ausnahme von Tralow und dem noch zu wählenden Mitglied Rüdiger Syberberg ausschließlich führende Schriftstellerpersönlichkeiten der DDR der Versammlung am 10. Dezember 1951 bei: Anna Seghers, Friedrich Wolf, Bertolt Brecht, Arnold Zweig, Peter Huchel, Hans Mayer, Ehm Welk, Rudolf Leonhard, 13 [Johannes Tralow]: Die PEN-Spalter in Darmstadt und die Mitgliederversammlung des gesamtdeutschen PEN-Zentrums am 10. Dezember in Berlin, S. 2. AdK Berlin, JRBA 12011. 14 Johannes Tralow an Ernst Glaeser (26. 11. 1951). SBBPK, NL Tralow K 32 Konv. Glaeser. 15 [Johannes Tralow]: Die PEN-Spalter in Darmstadt und die Mitgliederversammlung des gesamtdeutschen PEN-Zentrums am 10. Dezember in Berlin, S. 1. AdK Berlin, JRBA 12011. 16 Johannes Tralow an Adolf von Hatzfeld (13. 11. 1951). SBBPK, NL Tralow K 32 Konv. v. Hatzfeld. 17 [o. V.]: Becher-Dämmerung. In: Die Neue Zeitung 259 (15. 12. 1951). 18 Ebd.
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Johannes R. Becher und Alfred Kantorowicz. Der Vorwurf, dass das PEN-Zentrum Deutschland DDR-dominiert sei, war auf dieser Grundlage nicht zu entkräften. Umso erstaunlicher erscheint die Vehemenz mit der die alleinige Existenzberechtigung des Zentrums verteidigt wurde. Um die Daseinsberechtigung der vielfach als „Rumpf-P.E.N.“ bzw. „P.E.N.-Torso“19 bezeichneten Gruppierung zu bekräftigen, stand im Zentrum der Tagung die Zuwahl neuer Mitglieder. In der Tat wurden 31 neue Mitglieder aus Ost wie West zugewählt, deren Namen allerdings unter Verschluss gehalten wurden, weil sie der Wahl erst zustimmen mussten.20 Zur Stärkung des geschwächten Vorstands wählte man das gerade erst aufgenommene Mitglied Rüdiger Syberberg zum Mitpräsidenten und übertrug Tralow zusätzlich zum Amt des Präsidenten das des Schatzmeisters – Zugeständnisse an das selbst auferlegte Verhältnis im Präsidium von 3 (West) : 1 (Ost). Als offizielle Delegierte für den Kongress in Nizza (Juni 1951), der für die Entscheidung über die Anerkennung der deutschen Zentren von immenser Bedeutung werden sollte, nominierte man Becher und Tralow. Weitere Beschlüsse der Versammlung zielten auf die Intensivierung der Beziehungen zu den PEN-Zentren in den Ostblockstaaten Polen, Bulgarien, Rumänien, Tschechoslowakei, um deren Inaktivität im Internationalen PEN zu beenden und mit Blick auf die Nizzaer Abstimmung positive Stimmen für das PEN-Zentrum Deutschland zu sichern. Zudem gelang es im Nachgang, eine von Tralow formulierte und von der Versammlung einstimmig angenommene Resolution öffentlichkeitswirksam zu präsentieren, die noch einmal den Alleinvertretungsanspruch des PEN-Zentrums deutlich machte. Zwar zeigte man darin demonstrativ eine versöhnliche Haltung des PEN-Zentrums Deutschland und räumte den ‚Abtrünnigen‘ großmütig die Rückkehrmöglichkeit ein. Gleichwohl brandmarkte man die Mitglieder des neu gegründeten bundesdeutschen Zentrums als politische Störenfriede, die die Idee von der Bewahrung einer einheitlichen deutschen Kultur durch ihr Verhalten empfindlich störten.21 Wenig versöhnliche Worte fand Bertolt Brecht; er attackierte die westdeutschen Neugründer, deren Spaltungsbestrebungen er als Auftragsunternehmung derer charakterisierte, „die an Spaltung und kriegerischer Haltung inter-
19 [dpa]: PEN-Torso tagte unter Becher und Tralow. In: Die Neue Zeitung, 12. 12. 1951. 20 Zu den 31 Zugewählten zählten u. a. die DDR-Schriftsteller Wieland Herzfelde, Bodo Uhse, Willi Bredel und Stefan Heym. Aus dem Westen hatte man u. a. Wilhelm von Scholz, Herbert Burgmüller, Alexander Stenbock-Fermor, Karl Jakob Hirsch, Irma Loos, Rüdiger Syberberg, Walter von Molo und Wolfheinrich von der Mülbe gewählt. Aufgelistet wurden weiterhin Manfred Hausmann, Melchior Fischer, Walter Kolbenhoff, Marie-Luise Fleisser, Werner Ilberg, Herbert Ihering, Eduard Claudius, Alexander Abusch, Paul Rilla, Hans Marchwitza, Arno Peters, Richard Drews, Maximilian Scheer, Claus Herrmann, Ernst Niekisch, Victor Klemperer, Werner Krauß, Erich Weinert und Kuba (d. i. Kurt Barthels). 21 Vgl. Resolution des P.E.N.-Zentrums Deutschland vom 10. 12. 1951. Zitiert nach: Gegen eine Bevormundung des PEN-Clubs. Eine Pressekonferenz seines „Deutschen Zentrums“ in der Akademie der Künste. In: Der Morgen (LDPD), 12. 12. 1951.
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essiert sind.“22 Damit waren die wechselseitigen Stellungen in der kulturpolitischen Auseinandersetzung klar bezogen. Für die Entscheidung des Internationalen PEN, wie mit der deutschen Situation umzugehen sei, schien es aus Sicht der Verantwortlichen im PEN-Zentrum Deutschland vordringlich, über eine gesunde Mischung von Mitgliedern aus Ost und West die eigene Legitimität zu untermauern. Die Mitgliederlage aber erscheint zu Beginn, und auch im weiteren Verlauf des Jahres undurchsichtig. Zwar liefen schleppend Abund Zusagen ein. Eindeutige Aussagen über die Mitgliedschaft zu treffen, fiel jedoch angesichts sich widersprechender Zuordnungen und fortdauernder Verschiebungen in den Mitgliederzahlen schwer. Nichtsdestotrotz war Tralow fortwährend bemüht, die Existenz des PEN-Zentrums Deutschland zu erhalten. Ein wenig glücklicher Versuch, durch Kontaktaufnahme mit der internationalen Zentrale direkte Gespräche einzuleiten, scheiterte; man war nicht gewillt, die deutsche Problematik vor der Pariser Exekutive im März 1952 auf die Agenda zu setzen. Untätigkeit war indes nicht Tralows Sache. In einem Bericht über die Situation im Deutschen P.E.N. startete er den Versuch, vor allem das widrige Verhalten der westdeutschen Spaltungsgruppierung aufzudecken, das wohl darauf abziele, „Staats- wie Parteipolitik in das Zentrum […] und offensichtlich in den gesamten Internationalen P.E.N. hineinzutragen“.23 Seiner Argumentation zupass kam die Zuwahl des Bundespräsidenten Theodor Heuss; diese zeige deutlich, dass sich die westdeutsche PEN-Sektion „zu einer politischen Kampfgruppe gegen den Osten“24 zusammengefunden habe. Selbst unter den Mitgliedern des Darmstädter PEN herrschte Skepsis hinsichtlich Heuss’ Zuwahl; diese sei ein „Schönheitsfehler“.25 Heuss selbst ging mit den Vorwürfen relativ gelassen um; er wünschte seine Mitgliedschaft zuallererst als literarische Angelegenheit verstanden zu wissen. Im Zusammenhang mit der Broschüre zur Situation im deutschen P.E.N., die übersetzt in mehrere Sprachen erschien, muss auf die Finanzierung und Organisation der Drucklegung durch den Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands verwiesen werden, dessen Präsidentschaft Johannes R. Becher innehatte. Schon unmittelbar nach der Abspaltung einer bundesdeutschen Sektion im Oktober 1951 hatte sich eine Annäherung des PEN-Zentrums Deutschland an den sowjetisch kontrollierten und daher im Westen handlungsunfähigen Kulturbund angebahnt; dieser vertrat eine „Konzeption der Erneuerung Deutschlands mit der Berufung auf die Einigungskraft der deutschen Kultur“26 und hatte sich zum Ziel gesetzt, ein Sam22 Zitiert nach: Dichter und Drahtzieher. Zu Vorgängen um das deutsche PEN-Zentrum. In: NationalZeitung (Berlin/Ost), 14. 12. 1951. 23 Johannes Tralow: Bericht über die Situation im Deutschen P.E.N. (20. 12. 1951), S. 2. SBBPK, NL Tralow K 86 M 39. 24 Ebd., S. 5. 25 Erich Kästner an Kasimir Edschmid (18. 12. 1951). DLA, N: Edschmid Konv. P.E.N. 26 Werner Mittenzwei: Die Intellektuellen. Literatur und Politik in Ostdeutschland 1945–2000. Berlin: AtV 2003, S. 33.
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melpunkt der gesamten deutschen Intelligenz zu werden. Das Interesse des Kulturbunds an einer verdeckten Indienstnahme des PEN-Zentrums Deutschland, einer der letzten gesamtdeutschen Vereinigungen, war demgemäß groß. In der Folgezeit wurden die Belange des PEN-Zentrums Deutschland in enger Kooperation mit dem Kulturbund verhandelt. Die Führungspersonen des Kulturbunds waren umfassend über die Unternehmungen des PEN informiert; Tralow war zum Rechenschaftsbericht verpflichtet. Eine direkte Einflussnahme von Seiten des Kulturbunds ist nur schwerlich nachzuweisen; Belege für die organisatorische und finanzielle Unterstützung finden sich indes: So erhielt Tralow unregelmäßige Zahlungen „für die Bestreitung der Organisationsauslagen“27 – im Durchschnitt 500,- DM monatlich. Für Tralow kam die finanzielle Unterstützung aufgrund seiner vielfach belegten, chronischen Geldnot zur rechten Zeit. Auch die Annehmlichkeiten, die sich durch die Verbindung mit dem Kulturbund eröffneten, etwa finanzierte Aufenthalte in der Künstlerkolonie Ahrenshoop, nahm Tralow gerne an. So wurde er im Grunde zu einem Wanderer zwischen zwei Welten – er wandelte zwischen Gauting und Berlin; er war kein überzeugter Kommunist, aber auch kein williger ‚Fellow-Traveller‘. Tralow hoffte nachhaltig auf die Überwindung des OstWestkonflikts. Die Lage von Neutralisten, die sich nicht recht für eine Seite entscheiden mochten, war aber gerade in der Bundesrepublik schwierig. In der DDR stand man den Befürwortern der deutschen Einheit Anfang der 1950er Jahre aufgrund der gemeinsamen Zielvorstellung etwas offener gegenüber. Die Gemengelage aus desolater Auftragslage in der Bundesrepublik, daraus resultierender schwieriger Finanzlage und der scheinbar übereinstimmenden Zielvorstellung trugen dazu bei, dass Tralow sich zur Zusammenarbeit mit einer kulturpolitischen Institution der DDR bereit fand. Dass er sich damit in Abhängigkeit einer staatlich kontrollierten Massenorganisation der DDR begab, dürfte Tralow sehr bewusst gewesen sein. Gleichwohl blieb er unbeirrt fixiert auf seine Zielvorstellung – ein gesamtdeutsches PEN-Zentrum. Auf der Exekutivkomitee-Tagung in Paris (März 1952) sollten die Vertreter der beiden deutschen Sektionen erstmals wieder aufeinander treffen – jeweils wohl beraten: So wie der internationale Vizepräsident Robert Neumann sich als verlässlicher Ratgeber des ursprünglichen PEN-Zentrums Deutschland betätigte, agierten als eifrige Fürsprecher der bundesdeutschen Neugründung der Präsident des PEN-Klubs Deutschsprachiger Autoren im Ausland, Richard Friedenthal, und auch Wilhelm Sternfeld. Schon im Vorfeld der Tagung hatten beide deutsche Sektionen sich bemüht, auf internationaler Ebene die Legitimität des eigenen Zentrums zu beschwören und die Existenzberechtigung des jeweiligen Gegenübers in Zweifel zu ziehen. Trotz Friedenthals scharfer Attacken, die auf die Schwachstellen des PEN-Zentrums Deutschland zielten, fällte die Pariser Exekutive nach Anhörung beider Kontrahenten ein diplomatisches Urteil: Beiden Gruppen wurde ihre vorläufige Existenzberechtigung zugesprochen. Die Nach- und Zuwahlen des PEN-Zentrums Deutschland 27 Carlfriedrich Wiese an Johannes Tralow (9. 6. 1952). SBBPK, NL Tralow K 58 Konv. Wiese.
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wurden anerkannt, dem neu gegründeten Deutschen PEN-Zentrum (Bundesrepublik) bewilligte man ein „‚Provisorium‘ bis 1953“.28 Mit dieser Abstimmung war allerdings keinerlei Klarheit über die genaue Benennung der beiden deutschen PEN-Zentren geschaffen worden. Eine deutliche Trennung gemäß einer geographischen Bezeichnung war nicht durchgesetzt worden. Während Tralow im Nachgang der Pariser Tagung mit dem Begriff ‚gesamtdeutsch‘ kokettierte, machte Friedenthal deutlich, dass in Paris in dieser Hinsicht keinerlei Entscheidung getroffen worden sei. Die endgültige Entscheidung über die ‚querelles allemandes‘ im Internationalen PEN fiel erst auf dem PEN-Kongress in Nizza, der im Juni 1952 tagte; dort wurde die Existenz zweier respektive dreier deutscher Zentren endgültig anerkannt: Das bundesdeutsche Zentrum wurde einstimmig von den Delegierten akzeptiert, das PEN-Zentrum Deutschland und der PEN-Klub Deutschsprachiger Autoren im Ausland bestätigt. Schon im Nachgang der Pariser Tagung, die ein grundsätzlich positives Signal für die Fortexistenz des PEN-Zentrums Deutschland gegeben hatte, gab es Veränderungen in dessen Vorstand: Jahnn zog sich endgültig aus dem Amt des Generalsekretärs zurück, und gab damit nicht nur dem wachsenden Druck nach, dem er aufgrund seiner exponierten Stellung als Generalsekretär des von DDR-Mitgliedern dominierten PEN-Zentrums Deutschland in der Bundesrepublik ausgesetzt war, sondern auch seinen Bedenken, dass sich mit der Anerkennung einer bundesdeutschen Sektion aus dem gesamtdeutschem Zentrum tatsächlich ein Ost-PEN entwickeln könnte. Eine solche Entwicklung schien er nicht mittragen zu wollen. Und auch ein anderer Protagonist zog sich mehr und mehr von der PEN-Bühne zurück. Nach der vollzogenen Trennung rührte Johannes R. Becher sich „so gut wie gar nicht“.29 Als Ansprechpartner für Tralow fungierten in der DDR die Sekretäre des Kulturbunds Alexander Abusch, Carlfriedrich Wiese und Erich Wendt; diese vertraten die lenkende Kontrolle des PEN-Zentrums Deutschland durch den Kulturbund. Was folgte, war Tralows entschiedenes Ringen, der Zuordnung des PEN-Zentrums Deutschland zum östlichen Machtbereich durch die westdeutsche Öffentlichkeit entgegenzuwirken. Tralow empfand die Berichterstattung im Nachgang des Nizzaer Kongresses als regelrechte Pressekampagne gegen das PEN-Zentrum Deutschland und erhob gezielt Anklage gegen verschiedene westdeutsche Zeitungen und Zeitschriften. Die Auseinandersetzung mit der Süddeutschen Zeitung und deren Artikelschreiber Hanns Braun etwa führte bis zu einer Klage vor dem Landgericht München, die durch den Abdruck einer Berichtigung schließlich abgewendet werden konnte. Begleitet wurden die presserechtlichen Auseinandersetzungen durch die Meldungen von neuerlichen Aus- bzw. Rücktritten westdeutscher Mitglieder – namentlich Wilhelm von Scholz und Rüdiger Syberberg –, die selbstredend als neue Belege für das Bröckeln des 28 Johannes Tralow an Hans Henny Jahnn (17. 3. 1952). SBBPK, NL Tralow K 33 Konv. Jahnn. 29 Erich Kästner berichtete über Weisenborn, der im Gespräch mit Tralow diese Klage gehört hatte. Erich Kästner an Kasimir Edschmid (25. 4. 1952). DLA, N: Edschmid Konv. P.E.N.
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als Ost-PEN titulierten PEN-Zentrums Deutschland aufgegriffen wurden. Schädlich war im Falle von Scholz nicht unbedingt der eigentliche Austritt, sondern vielmehr dessen öffentlichkeitswirksamer Vollzug. Noch schwerer wog indessen der Rücktritt des amtierenden Präsidenten Rüdiger Syberberg, der wiederum öffentlich seine Kapitulation hinsichtlich des schwelenden Ost-West-Konfliktes bekannte: „Ich habe allen Widerständen zum Trotz einer Verständigung zwischen Ost und West zu dienen versucht – heute gestehe ich meinen Irrtum (um nicht zu sagen Konkurs) ein und verspüre keine weiteren Neigungen mehr zu solchen direkten Unternehmungen.“30 Inoffizieller Hintergrund seines Rücktrittes mögen aber auch interne Auseinandersetzungen um finanzielle Angelegenheiten gewesen sein, die nicht letztgültig aufgeklärt werden konnten. Nach Syberbergs Ausscheiden stand dem PEN-Zentrum Deutschland nurmehr ein regelrechtes ‚Rumpfpräsidium‘ vor, das aus Johannes Tralow als geschäftsführendem Präsidenten und Schatzmeister sowie Johannes R. Becher als zweitem Präsidenten bestand. Allen Rückschlägen zum Trotz stand Tralow weiterhin mit Vehemenz für seine Idee eines Ost- und West-Autoren vereinenden PEN-Zentrums Deutschland ein, dass es in seiner Existenz zu stärken und weiter aufzubauen galt. Einen nicht unerheblichen Unsicherheitsfaktor in dieser Hinsicht bildete die Frage, wie es tatsächlich um den Mitgliederstand bestellt war. Viele westdeutsche Mitglieder hatten zwar ihren Eintritt in das Deutsche PEN-Zentrum (Bundesrepublik) erklärt, aber nicht definitiv ihren Austritt vermeldet. Eine dezidierte Aufforderung, sich zu erklären, wurde nur von wenigen Mitgliedern überhaupt und wenn, dann abschlägig beantwortet. Ein positiver Kontakt nach Westdeutschland ergab sich durch die Verbindung zu dem in Düsseldorf ansässigen Redakteur Herbert Burgmüller, der 1951 ins PEN-Zentrum Deutschland gewählt und über die Mitarbeit an der Herausgabe eines Ost-West-Almanachs an die PEN-Arbeit herangeführt worden war. Deren Untiefen sollte er allerdings sehr bald kennen lernen. Die Schwierigkeiten, die die Organisation und die Durchführung einer ordnungsgemäßen Generalversammlung im Februar 1953 begleiteten, spiegelten die Realitäten im Verhältnis der beiden deutschen Staaten gleichsam wider. Alle politischen Bemühungen um eine Wiedervereinigung oder zumindest eine neuerliche Annäherung waren an der mangelnden Kooperationsbereitschaft der Kontrahenten gescheitert. Konrad Adenauers Politik, die die Integration der Bundesrepublik in das westliche Machtbündnis über die Verständigung bzw. Einheit mit dem ostdeutschen Staat stellte, war spätestens mit der Unterzeichnung des Deutschlandvertrages besiegelt. Die deutliche Abgrenzungspolitik wurde nun auch vom Osten, der zuvor noch Vorschläge zur Abhaltung gesamtdeutscher Beratungen gemacht hatte, mit gezielten Maßnahmen an der Demarkationslinie zwischen Ost und West beantwortet: Die bislang noch durchlässige Zonengrenze wurde vollkommen abgeriegelt. Von Seiten 30 Rüdiger Syberberg schreibt uns. In: Die Literatur (Stuttgart), 1. 11. 1952. Enthalten in SBBPK, NL Tralow K 89 Konv. 1952.
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der DDR setzte man nicht länger auf eine gesamtdeutsche Politik, sondern auf die Verkündung des planmäßigen Aufbaus des Sozialismus. Beide deutsche Staaten strebten in der Folge verstärkt danach, die Einbindung in den östlichen bzw. westlichen weltpolitischen Machtblock voranzutreiben. Die staats- und geopolitischen Gegebenheiten zeigten am Ende des Jahres 1952 deutliche Auswirkungen auf das PEN-Zentrum Deutschland, dessen gesamtdeutsche Ausrichtung den realpolitischen Verhältnissen im Grunde nicht länger entsprach. Die Verantwortlichen sahen sich vor die Frage gestellt, wie angesichts der strikten Zweistaatlichkeit zukünftig das Clubleben aussehen sollte. Zu den altbekannten finanziellen Engpässen, die schon früher die Teilnahme an Tagungen behindert hatten, kamen nun die Problematik des strikt reglementierten Interzonenverkehrs und die durchaus heikle Wahl des Tagungsortes hinzu. Als Veranstaltungsort für die Generalversammlung Ende Januar 1952 wählte man schließlich München. Diese Entscheidung erwies sich als problematisch: Die Ausstellung der Aufenthaltsgenehmigungen für die Mitglieder aus der DDR verzögerte sich, in der Folge wurde die Generalversammlung auf Anfang Februar verschoben. Die Ausgabe der Genehmigungen verzögerte sich weiter, schließlich zog das Bundes-Innenministerium gar die ursprüngliche Bewilligung der Mitgliederversammlung indirekt zurück; es empfehle sich nicht, „Mitglieder aus der DDR nach München einzuladen“,31 da „begründeter Anlaß zu der Annahme [bestehe], daß diese Schriftsteller ihre Anwesenheit im Bundesgebiet für die Propagierung sowjetischer Ideologien verwenden werden, die die Bevölkerung im Bundesgebiet ablehnt.“32 Letztlich wurden die Aufenthaltsgenehmigungen für die Mitglieder aus der DDR nicht erteilt; dies zwang das PEN-Zentrum Deutschland schon im Vorfeld der Tagung zur Aufgabe: Die Durchführung einer Versammlung auf bundesdeutschem Boden ohne die Autoren aus der DDR hätte die grundlegende Idee des Zentrums, Literaten aus Ost und West zusammenzubringen, ad absurdum geführt. Aus Sicht der DDR bot das faktische Verbot der Generalversammlung einen geeigneten Aufhänger für einen propagandistischen Feldzug gegen die Bundesrepublik und deren Staatssystem, in dem nicht nur die Verhinderung von „Veranstaltungen demokratischer Kräfte“33, sondern auch die aktuelle Deutschlandpolitik der bundesdeutschen Regierung angeprangert wurde. Gleichwohl war die Durchführung einer PEN-Veranstaltung in München schon im Ansatz gescheitert. In der Folge suchte Tralow verzweifelt nach einer Lösung und schlug gar die Durchführung einer schriftlichen Vorstandswahl durch. Nach der Debatte zahlreicher Lösungsansätze und möglicher Tagungsorte, in die sich die Sekretäre des Kulturbunds verstärkt einmischten, stand Ende April 1953 schließlich 31 Johannes Tralow an Herbert Burgmüller (28. 1. 1953). SBBPK, NL Tralow K 29 Konv. Burgmüller. 32 Brief des Bundes-Innenministeriums an Johannes Tralow (24. 1. 1953). Zitiert nach Dr. F. T.: „… es empfiehlt sich nicht!“ Generalversammlung des PEN-Clubs in München verboten. In: Der Sonntag 6 (8. 2. 1953). 33 Ebd.
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„Gross-Berlin“ als Ort der Generalversammlung fest. Durch den besonderen Einsatz des Bundessekretärs Carlfriedrich Wiese, der die Verhandlungen mit den parteipolitischen Instanzen der DDR übernommen hatte, standen der Veranstaltung keine bürokratischen Hinderungsgründe entgegen: Alle erforderlichen Genehmigungen waren erteilt und auch die Frage des Grenzübergangs von West nach Ost eindeutig geklärt. So konnte die Generalversammlung, die die Aufnahme regulärer Clubaktivität nach der internationalen Anerkennung ermöglichen sollte, planungsgemäß am 10. Mai 1953 in Berlin zusammentreten.
2 „Wenn Du kein Spektakel machen kannst …“ – Die Ära Brecht (1953–1956) Die Mitgliederversammlung des PEN-Zentrums Deutschland, die im Mai 1953 in Berlin zusammentrat, markierte eine deutliche Zäsur in der Geschichte des Zentrums: Die direkte Konfrontation der PEN-Mitglieder in Deutschland kam zu einem gewissen Stillstand. In den Vordergrund rückte die Konzentration auf die Wiederherstellung der ‚normalen‘ Arbeitsaktivität, die vor allem auf eine bessere Akzeptanz auf internationaler wie nationaler Ebene abzielte. Eine wesentliche Voraussetzung zur Erreichung dieses Ziels war die Wahl eines arbeitsfähigen und vor allem vollständigen Vorstands. Bevor es jedoch an die Neubesetzung der Vorstandsämter gehen konnte, verabschiedete das PEN-Zentrum Deutschland eine Resolution, die einerseits ein deutliches Bekenntnis zur internationalen PEN-Charta beinhaltete, andererseits den Wunsch nach einer Wiedervereinigung der deutschen PEN-Zentren deutlich zum Ausdruck brachte: „Die 5. Generalversammlung […] fordert alle PEN-Mitglieder auf, im Geiste der PEN-Charter dahin zu wirken, den jetzigen unnatürlichen Zustand zu überwinden.“34 Konkrete Vorschläge, wie eine Annäherung der beiden deutschen Zentren aussehen konnte, notierte das Protokoll der Generalversammlung indes nicht. Gleichwohl unterstrichen sowohl die Zuwahlen als auch die Vorstandswahlen das Bekenntnis zu einem gesamtdeutschen PEN: Acht der Neuzugänge stammten aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, sechs kamen aus der DDR und ein weiteres Neumitglied hatte seinen Wohnsitz in Paris. Eine im Anschluss vorgenommene Statutenänderung legte die Zusammensetzung des Vorstandes fest, der künftig aus „zwei bis drei gleichberechtigten Präsidenten, deren einer der geschäftsführende Präsident ist, sowie aus einem Generalsekretär und einem Schatzmeister“35 bestehen sollte. Einer der bisherigen Vertreter 34 Resolution des P.E.N.-Zentrums Deutschland vom 10. Mai 1953. Zitiert nach: Protokoll der Mitgliederversammlung des P.E.N.-Zentrums Deutschland (10. 5. 1953). AdK Berlin, JRBA 12215, Bl. 13. 35 Statuten. Vollständig abgedruckt in Protokoll der Mitgliederversammlung des P.E.N.-Zentrums Deutschland (10. 5. 1953). AdK Berlin, JRBA 12215, Bl. 13.
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des Ostens, Johannes R. Becher, machte einen für die weitere Entwicklung des PENZentrums Deutschlands entscheidenden Vorschlag. Der nicht unumstrittene Kulturfunktionär der DDR, auf dessen Person sich in den zurückliegenden Auseinandersetzungen vielfach geäußerter Argwohn konzentriert hatte, schlug die Einsetzung von Bertolt Brecht in das Präsidentenamt vor und kündigte damit de facto seinen eigenen Rückzug aus der PEN-Arbeit an, der längst schleichend begonnen hatte. Bechers Vorschlag wurde von den Anwesenden positiv aufgenommen und mit einer einstimmigen Wahl bestätigt: Brecht galt den meisten als prominente Integrationsfigur. Obgleich er 1949 seinen ständigen Wohnsitz nach Ostberlin verlegt hatte, vertrat Brecht doch weiterhin seine Vision einer gesamtdeutschen Literatur und den Wunsch nach einer friedlichen Vereinigung der beiden deutschen Staaten. Zwar war auch er aus westlicher Sicht mit politisch motivierten Vorbehalten belastet. Diese reichten aber längst nicht an das Misstrauen heran, das Becher auf sich gezogen hatte. So überwog die Hoffnung, dass mit Brecht als Präsident der Weg zur (inter)nationalen Konsolidierung mindestens geebnet sein würde. Zur Seite gestellt wurden ihm Johannes Tralow als geschäftsführender Präsident, Herbert Burgmüller als Generalsekretär und Stephan Hermlin als Schatzmeister. Die enge Verbindung zum Kulturbund wurde durch die Zuwahl der Bundessekretäre Erich Wendt und Carlfriedrich Wiese verfestigt, denen zudem die Kassenrevision übertragen wurde. Die klare Aufgabenverteilung, die durch die Ämterzuweisung auf der Generalversammlung vorgenommen worden war, ließ indes schon wenig später zu wünschen übrig: Burgmüller meldete sich nicht, die Kommunikation mit den DDR-Funktionären erwies sich nach wie vor als schwierig und Brecht beharrte auf seiner repräsentativen Funktion. Für die alltäglichen Dinge hatte Tralow zu sorgen; Brecht konzentrierte sich lediglich auf wenige Initiativen, die in erster Linie auf Öffentlichkeitswirksamkeit abzielten – gemäß Brechts Devise: „‚Wenn Du kein Spektakel, wenn Du keinen Skandal machen kannst, brauchste gar nichts machen!‘“36 Noch bevor das PEN-Zentrum Deutschland jedoch in die konkreten Arbeiten zur eigenen Konsolidierung eintreten konnte, sah es sich neuen Debatten um seine Existenzberechtigung ausgesetzt, die bereits im März 1953 auf einer internationalen Exekutivratssitzung ihren Anfang genommen hatten. Im Kern ging es – vor allem auf internationaler Ebene – um den „status of the German P.E.N.“.37 Der Leitung des Internationalen PEN war daran gelegen, eine eindeutige Lösung der innerdeutschen Zwistigkeiten herbeizuführen; David Carver, internationaler Generalsekretär, schlug zu diesem Zwecke eine territoriale Zuordnung der beiden deutschen Zentren vor. Dass eine solche gebietsmäßige Aufteilung de facto die Anlehnung an die staatspolitische Aufteilung Deutschlands bedeutet hätte und eine solche nicht der gesamtdeutschen Ausrichtung des PEN-Zentrums Deutschland entsprach, wurde bei der Propagierung dieser Idee wohl ‚vergessen‘. Auf dem internationalen Kongress in Dublin (Juni 1953) 36 Interview mit Ingeburg Kretzschmar, geführt am 21. 2. 2002 in Berlin. 37 David Carver an Johannes Tralow (17. 4. 1953). SBBPK, NL Tralow K 42 Konv. Carver.
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einigte man sich schließlich verbindlich auf die Bezeichnungen Deutsches PEN-Zentrum Ost und West (Sitz München) und Deutsches PEN-Zentrum (Bundesrepublik). Mit dieser Regelung konnte das ursprüngliche PEN-Zentrum Deutschland seinen Anspruch, Schriftsteller aus Ost und West zu einen, zumindest verteidigen. Daran änderte auch die festgeschriebene Forderung nach einem Revers, auf dem jedes einzelne Mitglied des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West seine Kenntnis von der Existenz einer bundesdeutschen Sektion versichern musste, nichts oder nur wenig. Doch für Frieden zwischen den deutschen Kontrahenten sorgte die Dubliner Namensgebung nicht – vielmehr gab es öffentliches Gezänk um deren korrekte Interpretation, in die sich schließlich die internationale Zentrale einschaltete. Was folgte, war ein Schlagabtausch zwischen Tralow und David Carver. Der internationale Vizepräsident Robert Neumann war es schließlich, der Tralow riet, den „ganzen Hader aus der Welt [zu] schaffen“,38 den Dissens mit dem bundesdeutschen PEN beizulegen und endlich zu einer gedeihlichen Mitarbeit im Internationalen PEN zu gelangen: „[V]ersuchen Sie, Ihre Mitglieder zu einer Aufgabe ihrer emotionalen Fixierung gegenüber dem P.E.N. ‚Bundesrepublik‘ zu überreden, die Welt ist gross und es gibt für Sie alle eine ungeheure Anzahl ausserdeutscher Probleme, nehmen Sie doch direkte Verbindung mit anderen Zentren auf […].“39 Ein mögliches Arbeitsfeld sei die Aktivierung der Zusammenarbeit mit den Zentren östlich des Eisernen Vorhangs. Nur auf diese Weise sei der Kluft zwischen Ost und West entgegenzuwirken. Der Österreicher Robert Neumann, der weder Kommunist noch willfähriger ‚Fellow-Traveller‘ war, plädierte vehement für die Fortführung der Kommunikation nach Osten hin und sah offenkundig das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West als ein geeignetes Medium, um die Kluft zwischen den in konträren politisch-ideologischen Machtsphären angesiedelten PEN-Zentren zumindest zu überbrücken. Der geschäftsführende Präsident Johannes Tralow folgte Neumanns Rat. Die Jahre 1953/54 zeigen sich geprägt von einer regen Aktivität, die insbesondere auf die Vorbereitung des internationalen Kongresses in Amsterdam (Juni 1954) fokussiert war. Das Bestreben, sich gegen tatsächliche oder vermeintliche Angriffe auf das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West zur Wehr zu setzen, war abgeebbt. Das (re)etablierte Zentrum setzte alles daran, sich auf internationaler Ebene als aktive und funktionierende Sektion zu präsentieren. So gab es Bemühungen, Berlin auf dem Amsterdamer Kongress als Tagungsort für den internationalen PEN-Kongress des Jahres 1955 zu propagieren; diese versandeten zwar letztlich nicht zuletzt aufgrund der unschlüssigen Haltung der DDR-Regierung. Gleichwohl lässt sich daran ein erstarkendes Selbstbewusstsein ablesen. Oberstes Ziel war es indes, auf dem Amsterdamer Kongress mit einer repräsentativen Delegation des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West aufzulaufen. Eine starke Präsenz zu zeigen, war für die Positionierung im internationalen Raum von erheblicher Bedeutung. Dementsprechend wichtig schien es, prominente 38 Robert Neumann an Johannes Tralow (15. 9. 1953). SBBPK, NL Tralow K 51 Konv. Neumann. 39 Robert Neumann an Johannes Tralow (3. 12. 1953). SBBPK, NL Tralow K 51 Konv. Neumann.
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Autoren – insbesondere aus der DDR – zu einer Teilnahme zu bewegen. Es galt, auch die Integrationsfigur Bertolt Brecht zu mobilisieren: „Sie wissen wer Sie sind, und wir alle wissen es auch. Im Interesse unseres Zentrums wäre es mir schmerzlich, Sie in Amsterdam nicht zu sehen“40, schrieb Tralow. Letztlich waren die Anstrengungen von Erfolg gekrönt: Neben Bertolt Brecht und Johannes Tralow als offizielle Delegierte nahmen Anna Seghers als Ehrengast sowie als reguläre Teilnehmer Erich Arendt mit Frau, Stephan Hermlin mit Frau, Günter Hofé, Hans Mayer, Peter Huchel, Eugen Rugel, Hans Schwalm [d. i. Jan Petersen], Erwin Strittmatter und Arnold Zweig mit Frau Beatrice am Amsterdamer Kongress teil. Doch neben der Aktivierung der eigenen Mitglieder aus dem Osten setzte sich Tralow schon im Vorfeld des Kongresses – gemäß Neumanns Vorschlag – für die generelle Stärkung des östlichen Flügels im Internationalen PEN ein: So bemühte er sich um die Aktivierung der osteuropäischen Zentren (Polen, Ungarn, Bulgarien, Rumänien, Tschechoslowakei) sowie die Neugründung einer chinesischen Sektion und arbeitete an der Vorbereitung der Aufnahme der sowjetischen Schriftsteller in die internationale Schriftstellerorganisation. In Amsterdam erschienen schließlich tatsächlich Vertreter des ungarischen, polnischen und tschechoslowakischen PENClubs – ein Teilerfolg für Tralow, der ihm auch vom internationalen PEN-Sekretär David Carver zugestanden wurde: „It was more truly international in character than often before in recent years in that East European centres sent delegates.“41 Im Rückblick auf den Amsterdamer Kongress werteten die Vorstandsmitglieder des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West die Teilnahme als großen Gewinn. Die Zielsetzung, die deutsch-deutschen Querelen hinter sich zu lassen, aktiv an der Arbeit des Internationalen PEN teilzuhaben und die eigene Position zu stärken, schien geglückt. Als greifbare Erfolge verbuchte man zum einen die interessierte Aufnahme des Almanachs Deutsches Wort in dieser Zeit, der nach vielen internen Schwierigkeiten zeitgleich zum Kongress mit Beiträgen von Schriftstellern aus beiden deutschen Staaten in der Verantwortung des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West erschienen war, und zum anderen die Durchsetzung eines Resolutionstextes zur Thematik ‚Verbreitungsfreiheit‘: 1.
2.
The International P.E.N. Club demands freedom of circulation for all types of literature, while deploring works which serve the inflammation of national hatred, racial discrimination or militarism. The International P.E.N. Club declares that in particular every obstacle placed in the way of humanistic literature is an attack upon humanity, irrespective of whether this hindrance is imposed by private persons, authorities, governments or parliaments.42
40 Johannes Tralow an Bertolt Brecht (2. 10. 1953). SBBPK, NL Tralow K 29 Konv. Brecht. 41 David Carver: Report on the XXVIth International Congress June 20th–26th, 1954: Amsterdam. In: [o. A.], S. 11–18, hier S. 11. PEN-Archiv London, im Folgenden PAL. 42 Zitiert nach Minutes of the Meeting of the Executive Committee held at the Carlton Hotel, Amsterdam, Holland, at 2 p.m. on Sunday, June 20th 1954, S. 8. PAL.
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Der Versuch, für eine Aufnahme der sowjetischen Schriftsteller in die internationale Schriftstellervereinigung zu werben, wurde skeptisch aufgenommen. Brechts Plädoyer für die Integration der sowjetischen Autoren stieß auf kritische Kenntnisnahme. Eine endgültige Entscheidung aber fiel auf dem Kongress in Amsterdam nicht. Die Frage wurde vertagt. In der Folge setzte sich das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West jahrelang für die Vermittlung ein. Die Mitgliedschaft der sowjetischen Kollegen war von Seiten des Internationalen PEN keineswegs unerwünscht; sie kam indes trotz vielfältiger Bemühungen von Johannes Tralow, Bertolt Brecht und Bodo Uhse bis in die 1960er Jahre hinein nicht zustande. Von den Vertretern des Deutschen PENZentrums Ost und West wurde die fehlende Vertretung osteuropäischer Staaten im Internationalen PEN als Zeichen einer einseitigen, antikommunistischen Ausrichtung interpretiert. Erst in den 1980er Jahren erfolgte schließlich die Aufnahme der sowjetischen Schriftsteller in den Internationalen PEN. Neben den Erfolgen von Amsterdam, die auch in der Öffentlichkeit durchaus zur Kenntnis genommen worden waren, muss indes die interne strukturbedingte Problemlage des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West in den Jahren 1953/54 in den Blick genommen werden. Obgleich Johannes Tralow sich mit ganzer Kraft für ‚seine‘ Sektion verwandte, hatte er doch mit Schwierigkeiten zu kämpfen: Noch während er mit Engagement die Teilnahme am Amsterdamer Kongress vorbereitete, war unter den Kulturfunktionären der DDR eine Diskussion um die organisatorische Zugehörigkeit des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West entbrannt. Innerhalb des Kulturbunds, in dessen Nähe das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West seit der Aufspaltung des deutschen PEN angesiedelt war, wurde schon im September 1953 „die Frage der Übergabe an den Schriftstellerverband“43 (DSV) erörtert. Die Initiative war offenbar vom Monopolverband der Schriftsteller ausgegangen; dessen Abteilung Gesamtdeutsche Arbeit hegte offenkundig besonderes Interesse. In diesen Prozess schien der Vorstand des PEN-Zentrums indes nicht aktiv integriert. Gleichwohl schien Tralow als geschäftsführender Präsident einer engeren Zusammenarbeit mit dem DSV nicht abgeneigt: „Wenn man es mit der gesamtdeutschen Arbeit ernst meint, so findet sich naturgemäß bei unserm P.E.N.-Zentrum die fruchtbarste Arbeit, die ich allein nicht bewältigen kann. Ich kann nur wiederholen, daß ich eine Zusammenarbeit sehr begrüßen würde, und ich bezweifle nicht, daß sich sachliche Erfolge in diesem Fall kaum vermeiden lassen.“44 In der Tat arbeitete der DSV und insbesondere dessen Abteilung Gesamtdeutsche Arbeit, die wie eine dem ZK der SED nachgeordnete Abteilung funktionierte und dementsprechend parteipolitische Zielsetzungen verfolgte, intensiv daran, die meist sporadischen und persönlichen Kontakte zwischen Schriftstellern aus Ost und West zu 43 Beschlussprotokoll der Sekretariatssitzung (Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands) vom 8. September 1953. AdK Berlin, JRBA 7706. 44 Johannes Tralow an Toni Stemmler (DSV, Ref. Gesamtdeutsche Arbeit) (21. 11. 1953). SBBPK, NL Tralow K 30 Konv. Deutscher Schriftstellerverband.
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stärken und institutionell zu fixieren. Damit sollte dem Rückzug der Kulturschaffenden von gesamtdeutschen Veranstaltungen entgegengewirkt werden, der maßgeblich auf den Druck zurückzuführen war, dem die Befürworter der deutschen Einheit in der bundesdeutschen Öffentlichkeit ausgesetzt waren. Das Interesse an einer kontinuierlichen Einsicht und Einwirkung auf die Arbeit des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West erscheint konsequent, insofern das Referat Gesamtdeutsche Arbeit die Funktionalisierung der persönlichen Kontakte zwischen ost- und westdeutschen Autoren durch einen vorgegebenen und kontrollierten Briefwechsel, ausgewählte Dichterlesungen und den „Ausbau von ‚Stützpunkten‘ in Westdeutschland“45 plante. Wenn Tralow auch keine engere Anbindung an den DSV im Blick hatte, so sah er doch in der Verbindung eine Chance, die Zusammenarbeit mit den Mitgliedern im Osten auf eine stabilere Grundlage stellen zu können. Zugleich hoffte er wohl, das Spannungsfeld entschärfen zu können, das sich seit Ende 1952 kontinuierlich zwischen den Sekretären des Kulturbundes und ihm aufgebaut hatte. Inhaltlich ging es dabei vor allem um die ausbleibende finanzielle Unterstützung der PEN-Unternehmung durch den Kulturbund, die nicht nur die Schwierigkeiten bei der Begleichung des offenen Mitgliedsbeitrages beim Internationalen PEN, sondern auch die Finanzierung eines deutsch-deutschen Almanach-Projektes betraf. Insbesondere in der Angelegenheit des Almanachs, für den zahlreiche Schriftsteller aus der DDR, aber auch der Bundesrepublik Beiträge in Aussicht gestellt hatten, suchte Tralow händeringend nach einer Finanzierungsmöglichkeit. Obgleich spätestens im Dezember 1953 die Einschaltung des Schriftstellerverbandes in die Arbeit des PEN-Zentrums spruchreif war und die Erledigung der Almanach-Angelegenheit zur vordringlichen Aufgabe erklärt worden war, kamen die Dinge nur langsam ins Rollen. Auch die Einwirkung der Abteilung Gesamtdeutsche Arbeit auf den Kulturbund war nur von geringem Erfolg gekrönt. Schlussendlich führte mutmaßlich eine Intervention des amtierenden PEN-Präsidenten Bertolt Brecht zu einem nicht völlig zu durchschauenden Händel, der die Lösung der finanziellen Schwierigkeiten, die Drucklegung des Almanachs Deutsches Wort in dieser Zeit und dessen Vorstellung auf dem Amsterdamer Kongress möglich machte. Im Hintergrund hatte sich indessen, was die organisatorischen und finanziellen Belange des PEN anlangte, einiges bewegt: In Kooperation mit der Abteilung Kultur und Literatur beim ZK der SED hatten die Verantwortlichen des Schriftstellerverbandes bei der Abteilung Finanzverwaltung und Parteibetriebe des ZK der SED darauf gedrungen, trotz der organisatorischen Anbindung an den DSV eine eigenständige Finanzierung für das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West durchzusetzen. Organisatorisch funktionierte die breit aufgestellte Infrastruktur des Schriftstellerverbandes, etwa bei der Vorbereitung der PEN-Generalversammlung 1954 und auch im Hinblick auf die Unterstützung bei der Visa- und Devisenbeschaffung für Amsterdam, 45 Carsten Gansel: „Deutschland einig Vaterland“. Zur gesamtdeutschen Arbeit des DSV. In: C. G. (Hrsg.): Parlament des Geistes. Literatur zwischen Hoffnung und Repression 1946–1961. Berlin: BasisDruck 1996, S. 209–240, hier S. 226.
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gut. Die finanzielle Verantwortung für den PEN blieb jedoch zunächst ungeklärt. Der DSV stellte dem Kulturbund gewisse Ausgaben für den PEN in Rechnung; das Konto, auf dem die Mitgliederbeiträge eingingen, führte der Kulturbund; benötigte Devisen wurden wiederum über den DSV bereit gestellt. Im Verlauf des Jahres 1954 wurden die strukturellen Veränderungen im Deutschen PEN-Zentrum Ost und West fortgesetzt: Ein Versuch des auf der Generalversammlung 1954 neu ins Amt gehobenen Schatzmeisters Bodo Uhse, eine eigenständige Geschäftsführung durchzusetzen, scheiterte. Eine separate Aufnahme des Zentrums in den Haushaltsplan der DDR erfolgte auch für das Jahr 1955 nicht. Noch immer lag die finanzielle Verantwortung beim DSV, der über einen gesonderten „P.E.N.-Etat“46 verfügte. Nachweisbar ist zudem, dass dem PEN Gelder aus dem Kulturfonds der DDR zuflossen – „jeweils nach Bedarf und persönlicher Anweisung eines Gen. der Abt. [Kultur]“47; damit war das PEN-Zentrum der Anleitung durch die Abteilung Kultur beim ZK der SED unterstellt. Direkte Regulierungsmaßnahmen von dort sind jedoch Mitte der 1950er Jahre am Quellenmaterial nicht nachweisbar. Zu diesen organisatorischen Veränderungen, die die Einbindung des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West in die parteipolitischen und staatlichen Strukturen der DDR betrafen, kamen interne Neuerungen. Mit der Einrichtung eines Berliner Büros im November 1954 erwuchs Johannes Tralow, der bislang vornehmlich und vor allem eigenständig von München aus geschaltet und gewaltet hatte, ein starkes Gegengewicht. Mit der Sekretärin Ingeburg Kretzschmar, die von Uhse mit der Arbeit im Berliner Büro betraut wurde, war eine schillernde Persönlichkeit – „eine Kunstfigur zur dritten Potenz“48 – zum PEN gestoßen, die durch ihre redaktionelle Arbeit für die Tägliche Rundschau über weit reichende Kontakte in die Kulturszene der DDR verfügte. Der Konflikt zwischen Tralow im Westen und der aus dessen Sicht allzu selbstbewusst agierenden Kretzschmar im Osten schien vorprogrammiert. Tralow fühlte sich schlecht informiert, in wesentlichen Fragen ignoriert. Die Zusammenarbeit zwischen Ost und West funktionierte nur mäßig: „Nun haben wir ja […] ein Berliner Büro mit einer piekfeinen Dame. Ich bekam sie als vollzogene Tatsache serviert, und sie lässt mich deutlich merken, daß ich sie nicht bezahle.“49 Tralow erlitt im Verlaufe des Jahres 1955 einen zunehmenden Kontrollverlust. Das Berliner Büro agierte eigenständig und ohne Rücksprache mit München; dies gefährdete zunehmend das gesamtdeutsche Konzept, der Westen, insbesondere Tralow, sah sich ungebührlich zurückgesetzt: „Ich glaube, daß es nötig sein wird, über die Möglichkeit, unser Zentrum aufrecht zu erhalten, ernsthaft und aufrichtig […] zu sprechen. Ich habe nicht den 46 Bodo Uhse an DSV (14. 2 .1955). AdK Berlin, NL Bodo Uhse 681/37. 47 Arno Röder (Abt. Kultur beim ZK der SED) (14. 9. 1964). Betr.: Deutsches PEN-Zentrum Ost und West. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156. 48 Robert Neumann: Vielleicht das Heitere. Tagebuch aus einem andern Jahr. München, Wien und Basel: Desch 1968, S. 104. 49 Johannes Tralow an Konrad Winkler (21. 6. 1955). SBBPK, NL Tralow K 38 Konv. Winkler.
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Eindruck, daß dem Osten und auch unseren Kollegen des Ostens an ihm etwas liegt. Warum sollen wir Westmitglieder so große ideelle Opfer bringen, wenn sie gar nicht verlangt werden.“50 Obgleich Tralow die Aufgabe seines Amtes erwogen hatte, nahm er die Wiederwahl auf der Generalversammlung im März 1955 an: „Sie können mich inkonsequent nennen; aber ich kann beim besten Willen keinen entdecken, der mich zur Zeit ersetzen könnte.“51 Zu Beginn des Jahres 1956 schien Tralows Abkopplung von der Arbeit des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West durch Vermittlung von Uhse der neuerlichen Bereitschaft zu konstruktiver Zusammenarbeit gewichen. Doch schon im August 1956 musste sich der Vorstand des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West mit einer erneuten Erschütterung auseinandersetzen: In der Nacht vom 14. auf den 15. August verstarb der Präsident Bertolt Brecht völlig unerwartet. Sein Anteil an den beschriebenen organisatorischen Veränderungen im PEN-Zentrum war gering; er hatte in seiner kurzen Amtszeit maßgeblich die ureigenen Interessen in die PEN-Arbeit eingebracht und fungierte in erster Linie als Ideengeber. Ein kleines „Spektakel“ war ihm mit der Durchsetzung einer Anti-Atom-Resolution im Internationalen PEN geglückt. Die Frage der Auswirkungen von Atomenergie und Atomwaffenversuchen hatte die Arbeit des engagierten Friedensaktivisten und strikten Aufrüstungsgegners auf allen Ebenen geprägt – in seiner Dramatik (Leben des Galilei), in seinen politischen Verlautbarungen und in seiner Aktivität für den PEN-Club. Auf Brechts Drängen hin hatte das Präsidium schon 1955 beschlossen, auf die Herausgabe eines Almanachs zu verzichten und stattdessen eine Publikation mit dem Arbeitsthema Literatur und Wasserstoffbombe herauszubringen. Auch die Generalversammlung des Jahres 1955, die in Hamburg tagte, widmete sich der Bedrohung durch die atomare Energie. Dort wurde die Annahme einer von Brecht formulierten Resolution beschlossen, die auf die Gefährdung der Menschheit durch die Entwicklung der Atombombe nachdrücklich hinwies und dem Internationalen PEN zur Abstimmung vorgelegt werden sollte. Auf dem internationalen PEN-Kongress in Wien (1955), zu dem Uhse gereist war, stieß die Resolution indes auf starken Widerstand. Daran änderte auch die Überarbeitung des Textes durch eine internationale Kommission nichts. Der Resolutionsantrag scheiterte – nicht zuletzt aufgrund politisch gefärbter Bedenken. Doch Brecht gab nicht bei und trug Uhse auf, die abgelehnte Resolution im folgenden Jahr auf der Tagung der internationalen PEN-Exekutive in London erneut vorzulegen: „Nur keine falsche Scham. Die Sache ist gut. Also geniere ich mich gar nicht, selbst mit dem Hute in der Hand, immer wieder an die gleiche Tür zu klopfen. Damit vergebe ich mir nicht das geringste. Bleibt die Tür verschlossen, ist das keineswegs peinlich für mich, den
50 Johannes Tralow an Herbert Burgmüller (14. 4. 1955). SBBPK, NL Tralow K 29 Konv. Burgmüller. 51 Johannes Tralow an Robert Neumann (2. 4. 1955). SBBPK, NL Tralow K 35 Konv. Neumann.
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Bittsteller, wohl aber für den, der nicht öffnet.“52 Brechts Ahnung täuschte ihn nicht, in London gelang die Durchsetzung der Resolution in abgeschwächter Form. Als Uhse die Nachricht von der Annahme überbrachte lächelte Brecht, aber ohne alle Ironie. Zu Uhse sagte er: … man soll das nicht überschätzen. Aber etwas ist damit doch getan, nicht viel, eine Kleinigkeit. Die Resolution ist gut. Sie drückt aus, was die Menschen beschäftigt. Sie ist auch deshalb gut, weil sie Leute, die sonst nicht viel mitein ander zu tun haben, in dieser wichtigen Frage zusammengeführt hat. Ein Schritt vorwärts also. Wenn man weit zu gehen hat, braucht es vieler Schritte. Aber jeder ist wichtig, denn man kann bekanntlich den nächsten nicht ohne den vorhergegangenen Schritt tun.53
Nur wenig später musste das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West betroffen Abschied von seinem Präsidenten nehmen: „Brecht war ein Einmaliger und von ihm gilt nicht das Wort, daß jeder Mensch zu ersetzen sei.“54
3 Der PEN unter Arnold Zweig (1956/57–1968) Der plötzliche Verlust des Präsidenten Bertolt Brecht führte nicht unmittelbar zu Veränderungen im Vorstand des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West. Da die alljährliche Jahresversammlung der Mitglieder bereits im März 1956 stattgefunden hatte, blieb das Amt des Präsidenten zunächst vakant. Das Tagesgeschäft lag nun in den Händen der Kontrahenten Johannes Tralow und Bodo Uhse; damit änderte sich im Grunde wenig, denn Brecht hatte in erster Linie die repräsentative Seite seines Amtes ausgefüllt und Organisatorisches getrost dem geschäftsführenden Präsidenten und Schatzmeister überlassen. Der Generalsekretär Herbert Burgmüller, der schon vor Brechts Tod kaum mehr in Erscheinung getreten war, füllte seine Funktion nicht mehr aus. Überdies wurden die Fragen zur personellen Besetzung des Vorstandes von den Unsicherheiten hinsichtlich der weltpolitischen Situation überlagert. Für die Entwicklung des Weltkommunismus muss das Jahr 1956 als entscheidende Zäsur markiert werden: Der XX. Parteitag der KPdSU hatte mit der Aussendung großenteils neuer Thesen des Kommunismus eine weit reichende Erschütterung der gesamten kommunistischen Welt ausgelöst. Zentrale Punkte betrafen die Vermeidbarkeit von Krieg, die friedliche Koexistenz von Ost und West sowie den Aufbau des Sozialismus auf friedlichem Wege. Besonders schwer wog zudem die von Nikita Chruschtschow geforderte Abschaffung des Personenkultes, die unmissverständlich auf die Distanzierung von Stalin und dessen Herrschaftsmethoden abzielte. Die hier 52 Zitiert nach Werner Mittenzwei: Das Leben des Bertolt Brecht oder der Umgang mit den Welträtseln. Zweiter Bd. Frankfurt am Main: Büchergilde Gutenberg 1986, S. 653. 53 Ebd. 54 Johannes Tralow und Bodo Uhse an alle Mitglieder (17. 8. 1956). AdK Berlin, NL Wieland Herzfelde 2155.
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eingeläutete ‚Entstalinisierung‘ hatte in allen Ländern innerhalb des sowjetischen Machtbereichs unterschiedliche Auswirkungen. In der DDR sorgten die Weisungen der KPdSU für Verwirrung und Unruhe. Ulbricht strebte eine Anpassung an die ausgegebene Linie an und rief zur Vermeidung jedweden Personenkults auf. Die Enthüllungen über Stalin und dessen Machtmethoden, die nur auf inoffizieller Ebene durchsickerten, versetzten sämtliche Schichten der Gesellschaft in Aufruhr und Entsetzen: „Selbst in Gremien, in denen bisher die Rituale streng eingehalten wurden, kam es zu eruptiven Ausbrüchen, offenbarten Menschen ihre Verzweiflung, als hätten sie einen Gott verloren. Die Wortführer waren verunsichert, verzweifelt oder blieben stumm.“55 Insbesondere die Schriftsteller, die Stalin oftmals verehrt und in ihren Werken gepriesen hatten, fühlten sich vor den Kopf geschlagen und begannen in der Folge, die ästhetische Indoktrination durch den Parteiapparat auf breiter Basis offen zu kritisieren. Um die heftige Auseinandersetzung einzudämmen, setzte die Parteispitze einen kurzfristigen Liberalisierungsprozess in Gang. Die ‚Tauwetter‘-Phase in der DDR, die jedoch keinesfalls die Richtigkeit der Generallinie in Frage zu stellen erlaubte, war begleitet von einer umfangreichen Amnestie zahlreicher Strafgefangener, darunter auch politischer Häftlinge. Auch in den anderen sozialistischen Staaten kam es zu heftigen Reaktionen der Bevölkerung auf das Signal des XX. Parteitages der KPdSU. Während in Polen der Protest durch personelle Veränderungen abgefedert werden konnte, steigerte sich die Empörung der Massen im ohnehin destabilisierten Ungarn zu einem Volksaufstand, der mit Unterstützung der sowjetischen Armee niedergeschlagen wurde. Tausende Arbeiter, Bauern und Intellektuelle, darunter auch die Schriftsteller Tibor Déry und Gyula Háy, wurden im Zuge einer Vergeltungsaktion der nach der Niederschlagung eingesetzten prosowjetischen Übergangsregierung inhaftiert und zu hohen Haftstrafen verurteilt. Die westliche Welt sah mit Entsetzen auf die Entwicklung und stilisierte Ungarn zu einem Symbol der Freiheit und der tragischen Niederlage. Die unter dem Eindruck des ungarischen Volksaufstandes erstarkende Oppositionsbewegung in der DDR, die maßgeblich von Intellektuellen getragen wurde und sich für Reformen im Sinne eines menschlichen Sozialismus einsetzte, geriet rasch in den Fokus der staatspolitischen Instanzen. Die scheinbare ‚Tauwetter‘-Periode, die nach dem XX. Parteitag eingesetzt hatte, endete abrupt: Die Furcht der Machthaber vor einer ähnlichen Entwicklung wie in Ungarn, die das politische System massiv gefährdet hätte, mündete in einer Verschärfung der (kultur)politischen Situation. Verhaftungen, Schauprozesse und Verurteilungen zu langjährigen Haftstrafen standen nun täglich auf der Agenda. Obgleich das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West als Institution an den Entwicklungen innerhalb der DDR-Intelligenz keinen aktiven Anteil genommen hatte, geriet es in der Folge doch verstärkt in den Fokus der parteilichen und staatlichen Stellen. Schon Mitte 1955 hatte das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten Interesse an 55 Mittenzwei: Die Intellektuellen, S. 124f.
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der internationalen Tätigkeit des PEN gezeigt, auch die Abteilung Kultur beim ZK der SED erhielt diesbezügliche Informationen. Offenkundig fürchteten die Kulturfunktionäre eine Beeinflussung des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West durch die Kontakte auf internationaler Ebene. Man verlangte nicht nur grundlegende Aufklärung über das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West, sondern insbesondere auch über die Haltung des Internationalen PEN in der Ungarn-Frage. Eine offizielle Stellungnahme des Internationalen PEN gab es indes nicht. Gleichwohl hatte das internationale Sekretariat die nationalen Zentren aufgefordert, in Eigeninitiative Solidarität mit den inhaftierten ungarischen Kollegen zu bekunden. Eigenmächtig hatte der geschäftsführende Präsident Johannes Tralow eine Mitteilung an das Sekretariat des Internationalen PEN verfasst, die allerdings alles andere als eine Solidaritätsbekundung mit den ungarischen Kollegen war. Tralow zog die Informationen über die Lage der Schriftsteller in Ungarn in Zweifel und machte aus seiner latent prosowjetischen Haltung keinen Hehl: Wir wissen wohl, daß im Augenblick Bücher verbrannt werden und von wem und welche Bücher, wir wissen, daß Häuser angesteckt werden und von wem; wir wissen, daß Gesandschaften erstürmt und geplündert werden und von wem; wir wissen wohl, daß in Ungarn Streitigkeiten ausgebrochen sind, die zu beklagenswerten Kämpfen geführt haben, aber wir wissen nicht genau, wer wen bekämpft, und ich persönlich kann mir sehr wohl vorstellen, daß eine Besatzungsmacht die Verpflichtung in sich fühlte, diese Kämpfe, die zu Beginn ausschließlich Kämpfe von Ungarn gegen Ungarn waren, im Interesse des ungarischen Volkes zu unterbinden.56
Dieser Brief blieb zunächst die einzige offizielle Verlautbarung des Deutschen PENZentrums Ost und West zur Krise in Ungarn. Der Internationale PEN, dessen Solidaritätsaufruf in anderen Ländern auf fruchtbaren Boden gefallen war, strafte die Haltung des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West im Jahresbericht 1956/57 ab: Die Verweigerung einer Solidaritätsbekundung sei „the only evidence of the activity of the Ost-and-West-Centre.“57 Wohl aber avancierte das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West zum Auffangbecken für vier österreichische PEN-Mitglieder, die der Kommunistischen Partei Österreichs angehörten; diese hatten die Unterzeichnung einer Protestresolution des österreichischen PEN gegen die sowjetische Invasion verweigert. In der Konsequenz war ihnen das Ausscheiden aus dem österreichischen PEN nahe gelegt worden. Ihre Aufnahme in das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West kann wiederum als eine Form der indirekten Befürwortung sowjetischer Machterhaltspolitik gedeutet werden.
56 Johannes Tralow an André Chamson und David Carver (8. 11. 1956). Zitiert nach Tralow: Gelebte Literatur. Autobiographische Skizze. In: J. T. (Hrsg.): Der Beginn. Berlin: Verlag der Nation 1958, S. 7–79, hier S. 75. 57 David Carver: International Secretary’s Annual Report 1956–57. AdK Berlin, NL Bodo Uhse 694/2, 2. Mappe.
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Erst im September 1957 ergab sich für das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West die Notwendigkeit einer direkten Stellungnahme zu den Verhältnissen in Ungarn: Auf dem internationalen Kongress in Tokio stand die Mitgliedschaft des ungarischen PENZentrums zur Disposition, weil der Verdacht einer parteipolitischen Beeinflussung bei der Besetzung der Vorstandsämter ruchbar geworden war. Paul Tabori, Präsident der Writers in Exile-Sektion im Internationalen PEN hatte einen Antrag auf Suspendierung des ungarischen PEN formuliert. Bislang habe er gegen den Ausschluss von Zentren totalitärer Staaten votiert, „since he believed maintaining bridgeheads with their members was very important; but now in the case of Hungary it was only a bridgehead for tyranny and hypocrisis, an alien body within the PEN that could harm it greatly.“58 Auf dem Kongress wurde schließlich abgestimmt für die Einsetzung einer Untersuchungskommission, eine eindeutige Entscheidung hinsichtlich der Suspendierung gab es nicht. Obgleich Bodo Uhse als Vertreter des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West versucht hatte, die ‚volksdemokratischen‘ Zentren zu einer geschlossenen Haltung zu bewegen, bezogen deren Delegierte durch Stimmenthaltung eine neutrale Position. Uhses Versuche, im Nachgang die Entscheidung der internationalen Exekutive durch den Hinweis auf Unregelmäßigkeiten am Rande der Sitzungen und in der Berichterstattung zu torpedieren, gingen letztlich ins Leere. Schon im März 1958 beschäftigten sich die PEN-Delegierten wiederum mit Ungarn und beschlossen die Einsetzung eines ‚Committee of five‘, das die Vorgänge im ungarischen PEN prüfen und darüber berichten sollte. Im Deutschen PEN-Zentrum Ost und West sah man die Vorgänge mit Sorge, denn die Haltung gegenüber Ungarn stellte implizit auch die Mitgliedschaft der anderen Zentren aus dem sowjetischen Machtbereich in Frage. Eine endgültige Entscheidung im Fall Ungarn sollte schließlich der internationale Kongress in Frankfurt am Main im Mai 1959 bringen, zu dem eine stark besetzte Delegation des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West reiste. Deren DDR-Vertreter waren aufgrund der brisanten Thematik zuvor von den parteipolitischen Instanzen auf eine klare Haltung eingeschworen worden. Demgemäß stimmte das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West für die Aufhebung der Suspendierung des ungarischen PEN; diese wurde auf internationaler Ebene als integrative Maßnahme im Hinblick auf alle Ostblock-Zentren interpretiert: „[It] decided to recommand the readmission because it believed that the interests of writers in all Iron curtain countries […] would be best served by keeping open a line of communication“.59 In der DDR waren die Kulturfunktionäre indes mit dem Auftreten der Delegierten, die den Diskussionen in Frankfurt am Main eher passiv beigewohnt hatten, nicht zufrieden und erachteten eine nachfolgende Besprechung zum Ablauf des PEN-Kongresses als notwendig. Inaktives Verhalten konnte kaum zur Imageverbesserung des DDR-Staates beitragen und war daher nicht zu tolerieren. Gleichwohl spiegelt das 58 Meeting of the International Executive Committee of P.E.N. held in the Sankei Hall in Tokyo, Japan, at 2.30 p.m. on September 1st, 1957, S. 11. PAL. 59 Stellungnahme von Margaret Storm Jameson (1. 11. 1959). AdK Berlin, NL Bodo Uhse 692/3.
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Interesse am PEN deutlich wider, dass man sich durch die internationale Vernetzung der PEN-Mitglieder einen positiven Effekt auf die Wahrnehmung des DDR-Staates auf globaler Ebene erhoffte. Hinderlich war in dieser Hinsicht lediglich die unklare Zuständigkeit für die Anleitung und Kontrolle des Zentrums – Anfragen kamen mal vom ZK der SED, mal vom Ministerium für Kultur und dann wieder aus dem Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten. Doch Ende 1959 schien man von Seiten des Ministeriums für Kultur gewillt, die Fäden stärker in die Hand zu nehmen und ganz generell die Arbeit nationaler Zentren in internationalen Organisationen im Sinne der Parteipolitik zu verbessern. In der gesamten Debatte um die Ereignisse in Ungarn trat bezeichnenderweise eine Person nicht in Erscheinung; es war Arnold Zweig, der im März 1957 auf der Generalversammlung des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West als Bertolt Brechts Nachfolger ins Amt des Präsidenten gewählt worden war. Gleichwohl war dieses Verhalten symptomatisch für die Weise, in der Arnold Zweig sein Amt ausübte. Tralow hatte Zweigs Nominierung kritisch gesehen, fürchtete er doch in der Folge eine stärkere kulturpolitische Einflussnahme, namentlich durch den seit 1954 als Minister für Kultur amtierenden Johannes R. Becher: „Nun stehe ich mich mit Zweig sehr gut, aber es ist nun einmal Tatsache, daß er alle seine eigenen Schritte von Becher abhängig macht.“60 Doch die Wahl war getroffen: Zweig wurde Präsident, Uhse im Amt bestätigt. Das Amt des Generalsekretärs übernahmen der West-Berliner Alexander Stenbock-Fermor und der Hamburger Heinrich Christian Meier. Letzterer war von Tralow protegiert worden, in der Hoffnung, die Koexistenz von Ost und West doch aufrecht erhalten zu können – „wenn wir vorsichtig vorgehen und unsern lieben Ostkollegen klar machen, daß Koexistenz gegenseitig sein muß.“61 Zu seiner eigenen Überraschung wurde Tralow, der auf der Generalversammlung gar nicht anwesend war, einstimmig als geschäftsführender Präsident wiedergewählt; er beschwor im Nachgang den „Eindruck einer großen Geschlossenheit unseres Zentrums“.62 Doch diese Einmütigkeit war schon ein Jahr später kaum mehr fassbar. Die so vehement beschworene Koexistenz war zum Mythos verkommen, die Realitäten im Umgang zwischen Ost und West sprachen eine andere Sprache. Mehr und mehr dominierten die DDR-Vertreter die Leitung des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West – die immer stärkere Ausrichtung an den kulturpolitischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten der DDR wurde augenfällig. Eine gleichberechtigte Aktivität westlicher Mitglieder schien kaum noch möglich und auch deren Bereitschaft zur Mitwirkung an einer östlich dominierten Organisation war im Schwinden begriffen – aus gutem Grund: Tralow hatte schon 1953 Hausdurchsuchungen erdulden müssen wegen des
60 Johannes Tralow an Heinrich Christian Meier (9. 3. 1957). SBBPK, NL Tralow K 34 Konv. Meier. 61 Ebd. 62 Johannes Tralow an Arnold Zweig (13. 4. 1957). AdK Berlin, Arnold Zweig-Archiv Fiche 4226.
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„Verdachts der Förderung verfassungsfeindlicher Vereine“.63 1954 stand das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West als so genannte Tarnorganisation im Visier des bundesdeutschen Amtes für Verfassungsschutz und wurde 1956 gar in einem „System der kommunistischen Hilfsorganisationen“64 verortet. So wuchs berechtigterweise die Furcht vor repressiven Maßnahmen, etwa einem Verbot des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West in der Bundesrepublik bzw. Sanktionen gegen dessen westdeutsche Mitglieder. Die Unterrepräsentation der westdeutschen Mitglieder im Deutschen PEN-Zentrum Ost und West sah auch Heinrich Christian Meier mit Unbehagen. Seine Versuche, zu einer Verbesserung der „Beziehung zu den westlichen Mitgliedern“65 beizutragen, scheiterten an der Kooperationsunlust des Berliner PEN-Sekretariates. Weder Kretzschmar noch Uhse zeigten Interesse an den westlichen Befindlichkeiten. Meier urteilte über die Beziehungen von Ost nach West: „direkt fatal“.66 Und wirklich: Die Vorbehalte gegenüber den Ost-Vertretern bestätigten sich nur allzu rasch. Im Mai 1959 äußerte Zweig, aus dem Deutschen PEN-Zentrum Ost und West müsse eine „Ostzentrum“ gemacht werden. Tralow drohte sofort mit Rücktritt. Doch in der DDR wusste man, was man an ihm hatte und ruderte zurück; Tralow sollte für den PEN erhalten bleiben: „Man hat Tralow immer mit berechtigter Achtung behandelt, mit großer Vorsicht, um ihn nicht zu verknatzen und Tralow verstand, daraus das Beste zu machen. Er war […] eine sehr hilfreiche Figur. Im Hinblick auf die Etablierung des PEN war er ein führender Mann mit großem Geschick und diplomatischem Talent.“67 Doch Tralow, der sogleich über Maßnahmen zur Stärkung des westlichen Flügels nachdachte, wog sich in trügerischer Sicherheit. Schon im November 1959 spitzte sich die Situation erneut zu. Uhse schlug Veränderungen in der Vorstandszusammensetzung vor. Auf der kommenden Generalversammlung sollte Zweig zum alleinigen Präsidenten gewählt werden, dem dann drei Vizepräsidenten zur Seite gestellt werden sollten. Tralow verweigerte seine Zustimmung zu einer solchen Änderung, die die Ungleichgewichtigkeit zwischen Ost und West noch verstärkt und zugleich seine eigenen Einflussmöglichkeiten geschmälert hätte. In der Reaktion auf diese Verweigerung plädierte Zweig wiederum für die Umwandlung des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West in eine reine DDR-Sektion: „[A]ngesichts der allgemeinen Verschärfung der politischen Lage“ sei es ohnehin unmöglich, dass die Westmitglieder im Zentrum verblieben.68 In Anbetracht dieser bedrohlichen Situation 63 Durchsuchungsanordnung im Ermittelungsverfahren gegen den Schriftsteller Johann [sic] Tralow von Gauting (14. 1. 1953; ausgestellt vom Amtsgericht Starnberg). AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost). 64 Anlage „Zeichnung des ‚Systems der kommunistischen Hilfsorganisationen‘ nach dem Stand vom 1. 2. 1956“ zu einem Schreiben des Bundesamts für Verfassungsschutz an den Bundesminister der Justiz, Bundesminister für Verteidigung und den Oberbundesanwalt (22. 3. 1956). BArch Koblenz, B 141 17821, Bl. 30. 65 Heinrich Christian Meier an Johannes Tralow (8. 3. 1958). SBBPK, NL Tralow K 50 Konv. Meier. 66 Heinrich Christian Meier an Johannes Tralow (27. 2. 1959). SBBPK, NL Tralow K 50 Konv. Meier. 67 Interview mit Ingeburg Kretzschmar, geführt am 21. 2. 2002 in Berlin. 68 Protokoll der Vorstandssitzung am 13. 11. 1959 (16. 11. 1959). SBBPK, NL Tralow K 86 M 46.
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zog Tralow alle Register und wandte sich an Erich Wendt, PEN-Mitglied und Minister für Kultur. Und nun wurde zum ersten Mal der direkte Zugriff ministerieller Institutionen der DDR auf personelle Entscheidungen im Deutschen PEN-Zentrum Ost und West spürbar; PEN-Mitgliedschaft und ministerielles Amt vermischten sich in einer Weise, die eine klare Trennung nicht mehr erlaubte. Am Tag vor der geplanten Generalversammlung fand im Ministerium für Kultur ein Gespräch statt, an dem Alexander Abusch, ebenfalls PEN-Mitglied, Wendt, Uhse und der Leiter des Ministerbüros, Werner Baum, teilnahmen. Dort wurde beschlossen, Tralow in seiner Funktion zu belassen, während Heinrich Christian Meier nicht wieder gewählt werden sollte. Die Ergebnisse der Generalversammlung, die vom 26.–28. November 1959 in Berlin tagte, entsprachen der Unterredung im Ministerium. Tralow blieb zunächst – allen Zweifeln zum Trotz. Meiers Einsatz für das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West, das er als „geistige und literarische Klammer […] zwischen den beiden Teilen des Volkes“ begriff, die „mit Liebe und äusserster Delikatesse“ zu wahren sei,69 wurde indessen mit seiner Nichtwahl gnadenlos abgestraft. Doch auch Tralows Loslösung vom Deutschen PEN-Zentrum Ost und West hatte längst begonnen. Schon auf der besagten Generalversammlung setzte die „Abdrosselung des Westens auf kaltem Wege“70 mit einer perfiden Verhinderung der Zuwahl von West-Mitgliedern ein. Tralow resignierte: Es ist jedenfalls klar ersichtlich, daß man den Eintritt neuer Westmitglieder verhindern wollte, während man sich wohl der Hoffnung hingab, daß die anderen Westmitglieder sich damit begnügen würden, Mitläufer des Ostens zu sein oder sich überhaupt zu verkrümeln. Das aber entspricht nicht meiner Auffassung der von uns praktisch gelebten Koexistenz.71
Das Aushängeschild ‚Ost und West‘ war unansehnlich, nach Tralows Ansicht gar zu einer „falschen Flagge [geworden], unter der sich der Osten allein produzieren will“.72 Zum Jahreswechsel 1959/60 zog Tralow die längst fällige Konsequenz: „Es hat keinen Zweck mehr. […] Ich habe immerhin neun Jahre als Mauerhaken zwischen Ost und West gehalten und schließlich ermüdet jede Materie einmal.“73 Offiziell verkündete er seinen Rücktritt Ende März 1960 und fühlte sich „wie befreit“74 – obgleich ihn aufgrund seiner Absage an den Osten die Frage quälte, wie er wieder in der Bundesrepublik Fuß fassen konnte. Zwar blieb Tralow kritischer Beobachter der Entwicklungen um das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West. Doch er hielt größte Distanz. Seine einst freundliche Bereitschaft zur Koexistenz war einem bitteren Zynismus gegenüber den DDR-Kollegen gewichen. 69 Heinrich Christian Meier an das Präsidium und die Generalversammlung des Deutschen P.E.N.Zentrums Ost und West (20. 11. 1959). SBBPK, NL Tralow K 50 Konv. Meier. 70 Johannes Tralow an Hanna Meuter (13. 4. 1960). SBBPK, NL Tralow K 34 Konv. Meuter. 71 Johannes Tralow an Richard Cahen (24. 4. 1960). SBBPK, NL Tralow K 30 Konv. Cahen. 72 Johannes Tralow an Richard Cahen (10. 1. 1960). SBBPK, NL Tralow K 30 Konv. Cahen. 73 Johannes Tralow an Heinrich Christian Meier (1. 1. 1960). SBBPK, NL Tralow K 34 Konv. Meier. 74 Johannes Tralow an Hanna Meuter (13. 4. 1960). SBBPK, NL Tralow K 34 Konv. Meuter.
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Die Führungssituation im Deutschen PEN-Zentrum Ost und West nach Tralows vorzeitigem Rücktritt ist nicht ganz durchsichtig. Gleichwohl lässt sich feststellen, dass sich die strukturelle Zusammensetzung des Vorstands veränderte. Zwar blieb Zweig als Präsident im Amt und Kretzschmar führte weiterhin das Sekretariat, das nun engeren Kontakt mit der Abteilung Kultur des ZK der SED aufnahm. Gleichzeitig trat eine neue Figur auf den Plan, die über Jahrzehnte hinweg maßgeblich die Geschäfte des PEN in der DDR lenken sollte: Heinz Kamnitzer war 1958 als Mitglied zugewählt worden und übernahm, obgleich 1960 gar keine Präsidiumswahlen stattgefunden hatten, schon in diesem Jahr präsidiale Aufgaben. So reiste der enge Vertraute von Arnold Zweig schon 1960 ohne offiziellen Status mit diesem zu Gesprächen mit dem internationalen Generalsekretär nach London und blieb auch in der Folge Ansprechpartner für diesen. Die nächste reguläre Generalversammlung fand erst im Oktober 1962 statt; deren Protokoll vermerkt nur die Wiederwahl des bisherigen Vorstands. Eine Notiz vom November 1962 vermerkt als Präsidiumsmitglieder Stephan Hermlin, Wieland Herzfelde und Heinz Kamnitzer. Stenbock-Fermor blieb zunächst noch im Amt, während sich der langjährige Schatzmeister Bodo Uhse bereits 1959 immer mehr aus der PEN-Arbeit herausgezogen hatte. Spätestens 1961 füllte er sein Amt nicht mehr aktiv aus. So lag die Führung des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West großenteils in der Hand von DDR-Bürgern. Dem in der Bezeichnung erhobenen Anspruch ‚Ost und West‘ wurde man demgemäß kaum mehr gerecht. Die Mitglieder aus dem Westen fühlten sich mehr und mehr in die Passivität abgedrängt. Obgleich das Firmenschild Deutsches PEN-Zentrum Ost und West also im Verlauf des Jahres 1960 arge Risse bekommen hatte, wartete der Dezember mit überraschenden Entwicklungen auf: Um ein Zeichen einer reaktivierten Kooperationsbereitschaft von Ost nach West zu setzen, hatte der östlich gelenkte Vorstand beschlossen, vom 7. bis 9. Dezember 1960 in Hamburg eine Mitgliederversammlung mit breit angelegtem Programm durchzuführen. Tagungsorte sollten die Hamburger Universität und der Künstlerclub ‚die insel‘ sein. Doch der Versuch, die Koexistenz aufleben zu lassen, scheiterte: In Hamburg angekommen, sahen sich die Verantwortlichen des PEN mit dem kaum zu entkräftenden Vorwurf konfrontiert, eine kommunistisch gelenkte Organisation zu sein. Ungeniert wurde das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West mit der DDR und ihrer führenden Partei gleichgesetzt. Die angemieteten Veranstaltungslokalitäten stünden für politische Aktivitäten nicht zur Nutzung bereit; man habe, so die Welt, ein „Veto gegen die Veranstaltungen der SED in hamburgischen Hörsälen eingelegt“.75 Alle nach der Unterbindung der Generalversammlung unternommenen Versuche der Präsidiumsmitglieder, sich der Öffentlichkeit zu erklären, wurden von den Hamburger Behörden im Keim erstickt. Eine Abhaltung der Mitgliederversammlung war unter diesen Umständen unmöglich geworden.
75 W. G.: SED-Autoren wollen in Hamburg tagen. Versammlung des „Deutschen PEN-Zentrums Ost und West“. In: Die Welt, 7. 12. 1960.
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Gleichwohl sorgte der Boykott sowohl in der Bundesrepublik Deutschland als auch in der DDR für einen enormen medialen Widerhall. Die Meldung über die geplatzte Generalversammlung fand im Westen Eingang in jedes noch so kleine Blatt; hier war von der in letzter Minute geglückten Verhinderung einer „getarnte[n] kommunistische[n] Veranstaltung“76 die Rede. Einen scharfen Angriff formulierte Eugen Rühle: Hier wird mit falschen Karten gespielt. Hier kommen Schriftsteller, die sich dazu weiß Gott zu schade sein sollten, aufgezäumt als Trojanische Parade-Pferde über die Grenze! […] Die Tagesordnung, die Referate, die Resolutionen – das ist alles bis aufs i-Tüpfelchen im SED-Zentralkomitee und Ostberliner Kulturministerium abgesprochen worden. Keiner aus der Schar der Nationalpreisträger, der aus seinem Herzen nicht eine Mördergrube machte.77
Doch auch die Führungsspitze der SED registrierte die massiven Maßnahmen gegen das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West, die das Staatswesen der DDR indirekt torpedierten, und plante im Gegenzug einen breit angelegten Propaganda-Feldzug. Dessen Kernstück war die mediengerechte Aufarbeitung der Vorgänge in Hamburg und ein gezielter öffentlicher Protest. Zu diesem Zweck wurde u. a. eine internationale Pressekonferenz mit zahlreichen DDR-Vertretern des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West geplant und am 13. Dezember 1960 durchgeführt; diese diente einerseits der Anprangerung des geistigen Klimas in der Bundesrepublik, andererseits wurde inständig die Integrität des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West beschworen. Das Verbot sei ein Angriff auf den deutsch-deutschen geistigen Austausch; diesen Dialog wolle man indes ungeachtet aller Hindernisse auf PEN-Ebene fortsetzen.78 Während nach außen also deutsch-deutsche Einmütigkeit unter den Geistesschaffenden demonstriert wurde, gärte im Inneren die Unzufriedenheit hinsichtlich der deutlich spürbaren Ungleichbehandlung der westdeutschen PEN-Mitglieder durch die DDR-dominierte Führungsriege. Zwar gab es im Westen noch immer Vorkämpfer einer gleichberechtigten Ost-West-Zusammensetzung des Präsidiums. Die resignierte Haltung, wie sie auch Tralow als Beobachter aus der Ferne artikulierte, überwog jedoch: „Wie kann eine Organisation nach außen hin wirken, wenn sie innerlich gar nicht existiert?“79 Überlegungen hinsichtlich einer neuerlichen Sezession westdeutscher Mitglieder und der Begründung eines norddeutschen bzw. Hansischen Kreises blieben letztlich schiere Gedankenspiele. Zumindest aber zeigte der Vorstand des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West nach dem Hamburger Spektakulum ein gewisses Entgegenkommen
76 [AP]: Kommunistisches PEN-Zentrum wollte in Hamburg tagen. In: Badische Neueste Nachrichten (Karlsruhe), 9. 12. 1960. 77 Kommentar von Eugen Rühle im Rundfunksender SFB (10. 12. 1960). SAPMO-BArch DY 30/IV A2/2.026/38, Bl. 93–98, hier Bl. 96–98. 78 Vgl. [Protokoll zur] Pressekonferenz des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West am Dienstag, 13. Dezember 1960 im Deutschen Presseklub in Berlin [o. D.]. AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost). 79 Johannes Tralow an Heinrich Christian Meier (8. 1. 1961). SBBPK, NL Tralow K 34 Konv. Meier.
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gegenüber den westdeutschen Mitgliedern und bemühte sich zur Demonstration einer paritätischen Ordnung um Stärkung des westdeutschen Flügels. Obgleich der öffentliche Nachhall der verbotenen Hamburger Generalversammlung von einem fahlen Beigeschmack begleitet war, folgte ihr eine Entwicklung auf dem Fuße, die der gescheiterten Veranstaltung aus Sicht der DDR-Verantwortlichen „ohne, daß sie stattfand, zu einem spektakulären Erfolg“80 verhalf. Die Wochenzeitschrift Die Zeit setzte sich in einem Artikel unter dem Titel „Die roten Dichter und Hamburgs Polizei“ differenziert mit den Vorgängen um die verbotene Generalversammlung des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West auseinander und bot: eine polemische Klage über die vergebene Chance, mit den DDR-Autoren in Austausch zu treten; eine haarkleine Analyse der ideologischen Zusammensetzung der DDR-Delegation in Hamburg; eine deutliche Kritik am Verhalten der Hamburger Behörden, die lediglich Schwäche demonstriert und dem politischen Gegner Argumente frei Haus geliefert habe; eine kostenfreie Einladung der DDR-Vertreter in die Hamburger ZeitRedaktion zur Diskussion der ursprünglich geplanten Themen.81 Zweig nahm die Einladung „mit Dank“82 an und Gerd Bucerius, Verleger der Zeit, machte deutlich, worum es in den Gesprächen gehen sollte: „Wir haben kein unverbindliches Ost-WestVerbrüderungsgeschwätz zu bieten. Unsere Gäste sollten sich darauf vorbereiten, faire und präzise Fragen über die Verantwortung des Schriftstellers für das Volk und die Zukunft an uns zu stellen und uns zu beantworten.“83 Die Entscheidung für die Annahme der Einladung war ohne Rücksprache mit den PEN-Mitgliedern getroffen worden. Insbesondere die Mitglieder aus dem Westen fühlten sich erneut übergangen. Der Hamburger Heinrich Christian Meier etwa sah das Interesse der Zeit mit Misstrauen: „Der Zweck der Veröffentlichungen von Bucerius ist doch ganz klar, den Ost-West-PEN abzustempeln als reinen Club der SED, einen ‚sowjetzonalen PEN‘.“84 Er vermutete politisches Kalkül als Motiv: „[I]n der Operation des Dr. Bucerius [könne man] nur den Versuch sehen, den PEN endgültig als ‚ostzonal‘ abzustempeln und dabei der SPD einen Wischer zu erteilen. (Denn B. ist CDUabgeordneter.)“85 Ähnlich urteilte der staatlich gelenkte Nachrichtenmonopolist ADN, der Bucerius geschickte Wahlpropaganda unterstellte. Auch in der Öffentlichkeit rief das Gesprächsangebot geteilte Reaktionen zwischen Empörung und Zustimmung aus. Nichtsdestotrotz stieg man zu Beginn des Jahres 1961 in die Vorbereitung des Zusammentreffens ein und vereinbarte ein erstes Vorgespräch, zu dem die Zeit-Vertreter Gerd Bucerius und Marion Gräfin Dönhoff in Berlin erwartet wurden. In der DDR wurde die Zusammenkunft erwartungsgemäß parteipolitisch vorbereitet: Zu einem 80 Ingeburg Kretzschmar an Konrad Farner (3. 1. 1961). AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost). 81 Vgl. Die Redaktion der Zeit: Die roten Dichter und die Polizei Hamburgs. In: Die Zeit 51 (16. 12. 1960). 82 Arnold Zweig an Redaktion Die Zeit (17. 12. 1960). AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost). 83 Stellungnahme von Gerd Bucerius. Abgedruckt in: Die Antwort von Arnold Zweig. In: Die Zeit 52 (23. 12. 1960). 84 Heinrich Christian Meier an Johannes Tralow (2. 1. 1960). SBBPK, NL Tralow K 50 Konv. Meier. 85 Heinrich Christian Meier an Johannes Tralow (11. 1. 1961). SBBPK NL Tralow, K 50 Konv. Meier.
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Treffen der Präsidiumsmitglieder kam ein Vertreter der Abteilung Kultur im ZK der SED hinzu und auch Alfred Kurella als Leiter der Kulturkommission beim Politbüro des ZK der SED wurde einbezogen in die Überlegungen hinsichtlich der inhaltlichen Vorgaben und potenziellen Teilnehmer an den geplanten Veranstaltungen. Endlich waren die Rahmenbedingungen für das Aufeinandertreffen in Hamburg am 6./7. April 1961 geklärt. Das Programm ähnelte dem ursprünglich für die Generalversammlung geplanten sehr: Im Künstlerclub ‚die insel‘ lasen DDR-Autoren vor zahlreich erschienenem Publikum; in der Universität fanden zwei Gesprächsabende zu den Themenblöcken ‚Tolstoi und seine Wirkung auf die Gegenwart‘ und ‚Die Rolle des PEN-Clubs in unserer Zeit‘ statt. Dabei gab es keine einseitigen Vorträge, sondern „Rede und Gegenrede“, die einem fest gefügtem Regelwerk folgen sollte: Ein Podium, darauf ein Tisch, an dessen Mitte der Gesprächsleiter Platz nahm, der am ersten Abend vom ‚Osten‘, am zweiten vom ‚Westen‘ gestellt wurde. […] Zur Rechten des Diskussionsleiters saßen die von der Redaktion eingeladenen Gäste, drei an der Zahl, zur Linken drei Mitglieder der Ost-Delegation. Zum Anfang hielt, von einem Vortragspult aus, ein Sprecher jeder Seite ein kurzes Referat. Danach begann eine Diskussion, die sich zunächst auf die Teilnehmer am Podiumstisch erstreckte, dann aber ausgedehnt wurde auf eingeladene Gäste, die in den drei ersten Reihen des Publikums Platz genommen hatten.86
Zu Beginn legte Gerd Bucerius noch einmal dar, welche Beweggründe es für die Einladung der Ost-Kollegen gab: Wir wollten einfach wissen: wie setzen sich angesehene Dichter und Schriftsteller diesseits und jenseits des Eisernen Vorhangs mit dem System diesseits und jenseits – und unsere Neugier bezog sich natürlich vor allem auf das System jenseits –, mit dem totalitären System auseinander? Wie werden sie mit dem Kommunismus fertig, da wir doch glauben, daß die Freiheit die Voraussetzung für Dichtung sei? Auf diese Frage können wir aber natürlich nur Antworten bekommen, wenn wir uns mit Kennern und – ja, vor allem – mit Vertretern jener totalitären Weltanschauung auseinandersetzen, sie anhören.87
Der Einstieg in die Gespräche über die Thematik ‚Tolstoi‘ geriet relativ moderat. Erst die Thematik ‚PEN‘ steuerte auf die Kernfrage zu, welche Funktion dem Schriftsteller hinsichtlich seiner gesellschaftlichen Position zukomme – insbesondere innerhalb eines totalitären Systems. An dieser Stelle sollen die einzelnen, z. T. hitzigen und aggressiven Diskussionsbeiträge nicht referiert werden, liegt doch das zeithistorische Protokoll Schriftsteller: Ja-Sager oder Nein-Sager (1961) sowie die vor wenigen Jahren erschienene Dokumentation Ja-Sager oder Nein-Sager. Das Hamburger Streitgespräch
86 Josef Müller-Marein: Vorwort. In: J. Müller-Marein und Theo Sommer (Hrsg.): Schriftsteller: Ja-Sager oder Nein-Sager? Das Hamburger Streitgespräch deutscher Autoren aus Ost und West. Hamburg: Rütten & Loening 1961 (Das aktuelle Thema 7), S. 7–13, hier S. 12. 87 Müller-Marein und Sommer: Schriftsteller, S. 20.
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deutscher Autoren aus Ost und West 1961 (2011) zur Nachlese vor.88 Fokussiert werden soll hier nur auf die Essenz der Gespräche: Im Grunde hatte man wenig über die reale Situation der Schriftsteller hinter der deutsch-deutschen Demarkationslinie und ihr intellektuelles Selbstverständnis hinzugelernt. Harsche Angriffe auf die literaturpolitischen Zustände in der DDR waren – erwartungsgemäß – mit Verteidigung bzw. Gegenangriff beantwortet worden. Dies war wohl in erster Linie der Anlage der Gespräche geschuldet. In der Öffentlichkeit war ein ehrliches Bekenntnis zur schwierigen kulturpolitischen Situation von niemandem zu erwarten – weder von den kritischen, noch von den getreuen DDR-Vertretern: Mit Freunden der Unfreiheit ist kein Gespräch möglich, mit Leuten aber, die sich durch eine freie Meinungsäußerung selbst in höchste Gefahr bringen, sollte man kein öffentliches Gespräch veranstalten. Man stellt sie vor die Frage, zu heucheln oder sich selbst zu gefährden. Das ist eine unmenschliche Alternative zwischen Lüge und Selbstmord. Und darum war das Gespräch in Hamburg nicht nur unnötig, sondern auch unmenschlich.89
Doch eine geringe Chance bot das Treffen doch: Man konnte zu der Einsicht gelangen, dass durch persönliche Kontaktaufnahme und privates Gespräch individuelle Einblicke in die (kultur)politische Entwicklung des DDR-Staates möglich werden konnten. Immerhin bot der PEN in dieser Hinsicht gewisse Möglichkeiten. Mit dem deutschdeutschen Gespräch war demgemäß, bei aller Skepsis hinsichtlich seines direkten Ertrages, ein kleiner Grundstein der Annäherung von Ost nach West und umgekehrt gelegt. Auch die kulturpolitischen Verantwortungsträger der DDR forderten nach der Auswertung des Hamburger Gesprächs die Aufrechterhaltung und Stärkung der Kontakte des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West zu westdeutschen Schriftstellerkollegen. Diesem Ansinnen stand indes die deutsch-deutsche Politik der DDR-Regierung entgegen, die in Reaktion auf die innenpolitische Krise des totalitären SED-Staates eine dramatische Entwicklung nahm: Andauernde wirtschaftliche Schwierigkeiten, Missstände in der Versorgung der Bevölkerung und der harte Führungsstil der SED hatten die Zahlen der Flüchtlinge aus der DDR sprunghaft ansteigen lassen. Um ein Ausbluten des eigenen Staates durch die Flüchtlingsströme zu verhindern, die auch angesichts massiver Strafandrohungen kaum gestoppt als vielmehr gesteigert wurden, entschloss sich die Regierung zur strikten Abriegelung der Grenzen nach Westberlin und begann nach der Absegnung durch den Warschauer Pakt im August 1961 mit dem Bau der Berliner Mauer. Wenige Tage nach der Errichtung folgte der Beschluss zur „Anwendung der Waffe“ an der Mauer. Der Weg von Ost nach West war verschlossen. Die DDR hatte ihr eigenes Volk eingesperrt und setzte damit ein Fanal ihrer harten und brutalen Politpraxis. 88 Vgl. Müller-Marein und Sommer (Hrsg.): Schriftsteller; Jens Thiel (Hrsg.): Ja-Sager oder Nein-Sager. Das Hamburger Streitgespräch deutscher Autoren aus Ost und West 1961. Berlin: Aurora 2011. 89 Erich Naumann: Die armen Leute. In: Nürnberger Zeitung, 10. 4. 1961.
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Angesichts dieser drakonischen Maßnahme, die von der Weltöffentlichkeit aufmerksam beobachtet wurde, geriet auch das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West gegenüber dem Internationalen PEN verstärkt in Erklärungsnot: Die dem Mauerbau vorausgegangene drastische Verschärfung der kulturpolitischen Situation, die von zahlreichen Verhaftungen schreibender Intellektueller begleitet worden war, blieb der Außenwelt nicht verborgen. Kommunikationsversuche des vom Internationalen PEN 1960 neu begründeten Writers in Prison-Committee (WiPC), das sich verstärkt den Einzelschicksalen verfolgter Autoren widmete, richteten sich demgemäß auf genauere Auskunft über bekannt gewordene Fälle inhaftierter DDR-Schriftsteller. Schon Mitte 1961 sahen sich die Verantwortlichen des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West mit Inhaftierten-Listen konfrontiert, über die die Zentrale des Internationalen PEN Informationen erbat. Zunächst entzog man sich, indem man keine Delegierten zu den Sitzungen des Exekutivkomitees entsandte. Für die Vorstandsmitglieder des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West war eine brisante Situation entstanden: Eine Verweigerung der Kooperation mit den internationalen PEN-Instanzen konnte die gerade einigermaßen gefestigte Position auf internationaler Ebene gefährden. Eine kritische Auseinandersetzung mit den Schicksalen der auf den Listen geführten Autoren barg die Gefahr, sich in eine oppositionelle Position gegenüber der DDR-Regierung und ihrer fragwürdigen Strafrechtspraxis zu begeben. Was tun? Zweig ersuchte das ZK der SED um eine politisch korrekte Argumentationslinie – ohne Erfolg. So hüllte sich der Vorstand des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West gegenüber dem Internationalen PEN in Schweigen. Eine klärende Auseinandersetzung mit den Fällen, geschweige denn ein Einsatz für die inhaftierten Schriftsteller, deren Schicksale ungeklärt waren, blieb aus. Doch es gab neue Anfragen; so erbat im September 1961 das österreichische PENZentrum Informationen in der Angelegenheit der in der DDR inhaftierten Schriftsteller und Journalisten. Das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West indes schwieg weiter und folgte auch dem Rat des stets um Vermittlung bemühten internationalen Vizepräsidenten Robert Neumann nicht, der inständig darum bat, die „Liste der Inhaftierten jetzt tatsächlich zu behandeln und mit irgendwelchen positiven Ergebnissen [zur Exekutive] nach Rom [November 1961] zu kommen.“ Neumann warnte eindringlich: „Die Stimmung gegen Euch ist […] in einem Maße aufgepeitscht worden, daß eine freundliche Aussprache und die Erzielung irgendwelcher positiver Resultate von höchster Notwendigkeit sind.“90 Doch man folgte Neumanns Rat nicht und entsandte stattdessen in Zweigs Namen unmittelbar vor Beginn der Exekutivkomitee-Tagung im November 1961 ein Telegramm an den internationalen PEN-Präsidenten Alberto Moravia, in dem nicht nur das internationale Generalsekretariat scharf angegriffen, sondern auch die jüngsten Maßnahmen des SED-Regimes verteidigt wurden: „Neither the Rules of the International P.E.N., nor our own work, are in any way prejudiced by measures which the Government of the German Democratic Republic found necessary to take in order 90 Robert Neumann an Stephan Hermlin (4. 10. 1961). ÖNB HsSlg. Ser. N. 21.842.
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to guarantee its security and sovereignty.“91 Auch in der DDR-Presse waren positive Reaktionen von Mitgliedern des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West abgedruckt worden, die den Mauerbau ausdrücklich begrüßten. Derlei euphemistische Verlautbarungen hinsichtlich einer politischen Maßnahme, die gegen jedes Menschenrecht sprach, sorgten im Westen für Aufregung und führten zu demonstrativen Austritten aus dem Deutschen PEN-Zentrum (Bundesrepublik): „Mag mit Schriftstellern, deren oberster Grundsatz es ist, 16 Jahre nach Hitler wieder einer blutbedeckten deutschen Diktatur zu dienen, zusammen in einem Club, in einem Verband sein, wer will, ich will es nicht“92, so etwa Wolfdietrich Schnurre, der die tolerante Haltung des bundesdeutschen PEN-Vorstandes in dieser Angelegenheit aufs Schärfste verurteilte. Obgleich kein Vertreter des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West in Rom erschien, standen der Mauerbau und die Liste der in der DDR inhaftierten Kollegen auf der Agenda. Die bundesdeutsche Delegation legte dort, in Reaktion auf die interne Auseinandersetzung, ein ausführliches Memorandum zu den innerdeutschen Vorgängen vor und bat um Unterstützung des Internationalen PEN in dieser Problematik. Doch bei den internationalen Delegierten überwog die Unlust, „deutsche Sonderprobleme zu erörtern“.93 Hinsichtlich der in der DDR inhaftierten Schriftsteller beschloss die Exekutive, den Sachverhalt an das WiPC zu übergeben. Zugleich wurde Carver mit der Abfassung eines Briefes beauftragt, der die Position des Internationalen PEN darlegen sollte, ohne den klärenden Dialog mit dem Deutschen PEN-Zentrum Ost und West im Keim zu ersticken. So fragte er wiederum nach den Inhaftierten, verurteilte deutlich die Ergebenheitsadressen hinsichtlich des Mauerbaus und zog deren Vereinbarkeit mit der PEN-Charta in Zweifel. Carver machte deutlich, dass man in allen kritischen Punkten umgehend eine Antwort erwartete; diese blieb indes aus. Allerdings zeigte der Druck von außen im Inneren Wirkung: Zweig reagierte beunruhigt und kündigte mehrfach seinen Rücktritt vom Amt des Präsidenten an. Er hatte zu keinem Zeitpunkt seiner Präsidentschaft einen aktiven Part an der PENArbeit übernommen und fühlte sich von den politischen Fragen höchster Brisanz überfordert. Um den prominenten Präsidenten für den PEN zu erhalten, dessen plötzlicher Rückzug auf internationalem Terrain sicherlich für unangenehme Nachfragen gesorgt hätte, schaltete die Sekretärin Ingeburg Kretzschmar die parteipolitischen Instanzen ein. Dass ein weiteres Schweigen und erneutes Nichterscheinen auf der internationalen Bühne Schwierigkeiten mit sich bringen würde, schien den führenden Köpfen klar gewesen zu sein. So trat man die Flucht nach vorne an und setzte alle
91 Arnold Zweig an Alberto Moravia (o. D.). Zitiert nach P.E.N. International Executive Committee Meeting in the Palazzetto Venezia, Rome, at 10 a. m. on November 1, 1961, S. 13f. PAL. 92 Zitiert nach [o. V.]: Streit im westdeutschen PEN-Zentrum. Können sowjetzonale Schriftsteller noch Mitglieder des Internationalen PEN-Clubs sein? In: Nürnberger Zeitung, 13. 10. 1961. 93 Rundschreiben von Erich Kästner und Walter Schmiele an alle Mitglieder (15. 11. 1961). PEN-Archiv Darmstadt (im folgenden DA).
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Hebel in Bewegung, um die Teilnahme des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West an der nächsten internationalen Exekutivsitzung im Mai 1962 zu realisieren. In Absprache mit der Abteilung Kultur des ZK der SED reisten Ingeburg Kretzschmar und Stephan Hermlin nach Brüssel, um Kooperationsbereitschaft in allen Fragen zu signalisieren, die in Zusammenhang mit der Liste der Inhaftierten standen. Nur auf diese Weise konnte die Gefährdung der eigenen Position im Internationalen PEN abgewendet werden. Wer indes erwartet hatte, dass die Entsandten als reuige Sünder auftreten würden, sah sich enttäuscht. Der wortgewandte Redner Stephan Hermlin unternahm keinen Versuch, seine Äußerungen hinsichtlich des Mauerbaus zurückzunehmen und blieb loyal gegenüber der DDR-Regierung – so wie viele literarische und künstlerische Intellektuelle, die „von der Grenzschließung größere Freiheiten in der Meinungsbildung und in den Publikationen“94 erhofften. Eine Hoffnung, von der sich später herausstellen sollte, dass sie trog. Gleichwohl war Hermlin bestrebt, das beschädigte Verhältnis zwischen Internationalem PEN und Deutschem PEN-Zentrum Ost und West zu kitten und den Dialog wieder aufzunehmen. Das Kunststück gelang: Hermlin entschuldigte sich in aller Form für das lange Schweigen der eigenen Sektion und gab, durch die Abteilung Agitation im Ministerium für Staatssicherheit sehr gut vorbereitet, einen ausführlichen Bericht über die Nachforschungen des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West zur Liste der inhaftierten Autoren. Die Weitergabe der detaillierten Informationen wurde auf internationaler Ebene als partielle Kooperation aufgefasst und konnte die Vorbehalte gegenüber dem Deutschen PEN-Zentrum Ost und West mindestens mildern. Auf der Brüsseler Exekutive wurden keine konkreten Beschlüsse zur Unterstützung der in der DDR Inhaftierten gefasst. Doch das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West war damit keineswegs aus dem Blickpunkt gerückt. Der Internationale PEN zeigte sich in der Frage der inhaftierten Autoren mehr als hartnäckig. Da aufgrund der Visa-Problematik an der darauf folgenden Exekutive in London (Oktober 1962) kein Vertreter des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West teilnehmen konnte, reiste Robert Neumann im November 1962 nach Ostberlin und wurde dort ohne Vorbehalte empfangen: „Er war uns bekannt als einer, der uns nichts vormachen würde, der uns nicht sozusagen ein Kuckucksei legen wollte.“95 Der versierte Mittler zwischen Ost und West, der auch den deutsch-deutschen Dialog forcierte, kam im Auftrag des internationalen Generalsekretärs mit „eine[r] nun sehr konkret gewordene[n] Frageliste bezüglich jener […] noch Inhaftierten“96 und der deutlichen Aufforderung, „für die Freilassung der einwandfrei zu Zuchthaus Verurteilten einzutreten, das Schicksal der Verschollenen und Umgekommenen aufzuklä94 Mittenzwei: Die Intellektuellen, S. 171. 95 „Post mortem“ – Prof. Heinz Kamnitzer im Gespräch mit Reinhard Hübsch zur Diskussion an der Humboldt-Universität Ost-Berlin. In: Reinhard Hübsch und Friedrich-Martin Balzer (Hrsg.): „Operation Mauerdurchlöcherung“. Robert Neumann und der deutsch-deutsche Dialog. Mit Beiträgen von Robert Neumann, Wolfgang Abendroth u. a. Bonn: Pahl-Rugenstein 1994, S. 201–211, hier S. 203. 96 Robert Neumann an Ingeburg Kretzschmar (3. 11. 1962). AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost).
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ren und Akteneinsicht in die Fälle der Personen zu verschaffen, denen Spionage und Kriegsverbrechen vorgeworfen werden“.97 Neumann kam wider Erwarten zu einer positiven Einschätzung der DDR-Schriftsteller, um die es vom P.E.N.-Standpunkt […] viel besser steht, als wir je erwartet hätten: ihre Meinungen sind keineswegs uniform, ihre Bereitwilligkeit zu Interventionen reicht vom stursten ‚njet‘ bis zu wirklicher und aktiver Zivilcourage, das Spektrum dieser Zwischentöne ist keineswegs enger als das zwischen den kalten Kriegern und den Verständigungswilligen in Westdeutschland – und der Unterschied zwischen West und Ost liegt im Wesentlich nur darin, daß diese Leute […] viel eher bereit sind, etwas stumm zu tun, als es der westlichen Öffentlichkeit bekannt zu geben.98
So erwartete er positive Ergebnisse in der Frage der inhaftierten Autoren, obgleich die Vertreter des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West deutlich gemacht hatten, dass sie nur „zur Intervention für wirkliche Schriftsteller im Sinn der P.E.N.-Charta bereit seien“.99 Mit erhöhter Konzentration verfolgte Neumann während seines Berlin-Besuches die Aufklärung des Schicksals von Wolfgang Harich, der schon seit sieben Jahren in Bautzen inhaftiert war. Und erhielt Unterstützung von Arnold Zweig, der sich in diesem Fall an den stellvertretenden Justizminister, Ranke von Liebenstein, wandte – allerdings ohne Erfolg. Erst im Dezember 1964 wurde Harich aus der Haft entlassen. Welche Rolle dabei Neumanns über Jahre andauernde Aktivität spielte, ist nicht nachweisbar. Das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West jedenfalls lieferte weder 1961 noch zu einem späteren Zeitpunkt eine offizielle Intervention für die übrigen auf der Liste aufgeführten Inhaftierten oder auch nur Informationen über deren Schicksal. Alle Nachfragen wurden abgeschmettert: „Ergänzende Mitteilungen [zu dem in Brüssel erbrachten Bericht] sind nicht zu machen.“100 Notwendig wird es an dieser Stelle, die Einflussnahme der parteipolitischen Instanzen auf das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West in den 1960er Jahren einmal genauer zu betrachten. Beim wem lagen die Zuständigkeiten? Wann und wie wurde regulierend in die Arbeit des Zentrums eingegriffen? Aus den 1950er Jahren liegen kaum Belege für eine Anleitung des PEN-Zentrums vor. Erst zwischen 1959/60, nach dem Ausscheiden Uhses aus der aktiven PEN-Arbeit, lässt sich eine verstärkte Kontaktaufnahme der Generalsekretärin Ingeburg Kretzschmar101 mit dem ZK der SED feststellen. Dabei ging es vor allem um die Bewilligung von Aufgaben- und Arbeits97 Carry Hauser und Franz Theodor Csokor an Ingeburg Kretzschmar (6. 11. 1962). AdK Berlin, PENArchiv (Ost). 98 Robert Neumann an Kasimir Edschmid (3. 1. 1963). AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost). 99 Ebd. 100 Ingeburg Kretzschmar an Carry Hauser (2. 3. 1963). ÖNB HsSlg. Ser. n. 21.842. 101 Zu welchem Zeitpunkt Ingeburg Kretzschmar von der Sekretärin zur Generalsekretärin avancierte, lässt sich nicht eindeutig klären. Es liegt nahe, den Amtswechsel in zeitlicher Nähe zu Uhses Rückzug zu vermuten. Schriftliche Belege für eine reguläre Wahl sind bislang nicht aufgefunden worden. Ähn-
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plänen des Zentrums. Ohne Zustimmung und Unterstützung der parteipolitisch Verantwortlichen waren die Vorhaben des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West schon wegen der Bewilligung von Visaanträgen und Valuta nicht durchführbar. So entwickelte sich im Laufe des Jahres 1961 eine engere Zusammenarbeit, die auf eine koordinierte PEN-Arbeit abzielte. Gleichwohl wurde eine direkte Konfrontation zwischen Parteifunktionären und Präsidiumsmitgliedern „sehr gemieden. Man hat höchstens den einen oder anderen unter den Präsidiumsmitgliedern zu Hause angerufen und ein paar Andeutungen gemacht. Man hat sich bei uns nicht blicken lassen. Diese Verquickung wollte man nicht manifestiert wissen. Das ging immer sozusagen hinter den Türen.“102 Schriftliche Belege aus dieser Zeit gibt es kaum: „Niemals etwas schriftlich, niemals per Telefon. Ich wurde hinzitiert, und es wurde mir mündlich mitgeteilt […]. Wir bekamen alles mündlich mitgeteilt – niemals mit einer schriftlichen Anweisung, damit man nichts in der Hand hatte. Das war eine Taktik.“103 Umgekehrt schien die Abteilung Kultur beim ZK der SED in den Jahren 1961–1964 durch Kretzschmars schriftliche Berichterstattungen über internationale Exekutiven und Kongresse, Kontaktaufnahmen mit anderen sozialistischen Zentren, Aktivitäten in Westdeutschland und laufende Anthologie-Projekte umfassend über die Aktivität des PEN-Zentrums informiert. Im Verlauf des Jahres 1964 gelangte man von Seiten der Abteilung Kultur beim ZK der SED indes zu der Einsicht, dass die Möglichkeiten des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West weder im Hinblick auf den Internationalen PEN noch auf die Arbeit nach Westdeutschland ausreichend ausgeschöpft worden seien. Eine lange Liste mit Kritikpunkten, die vor allem die interne Struktur des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West betrafen, wurde erstellt. In der Konsequenz wurden konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der parteipolitischen Anleitung beschlossen, die zu jahrelanger Routine wurden; so sollte künftig die Aktivierung der Parteigenossen unter den PENMitgliedern durch Zusammenkünfte mit Vertretern des ZK der SED erfolgen; die Teilnahme an Kongressen und Exekutiven musste fortan mittels Vorlage von Konzeptionen im Vorfeld ideologisch kontrolliert und abgesegnet werden. Angestoßen worden war diese Entwicklung durch die Weigerung des Kulturfonds der DDR, den PEN weiterhin finanziell zu unterstützen. Begründet wurde diese durch die als unzureichend empfundene Anleitung und Kontrolle des PEN-Zentrums. Erwogen wurde in der Folge die organisatorische und haushaltsmäßige Angliederung an den parteipolitisch verlässlichen DSV. Als kurzfristige Lösung für das Jahr 1965 wurde beschlossen, dem PEN über den DSV Geldmittel zur Verfügung zu stellen. Langfristig wurden eigene Haushaltspläne für das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West erstellt. Verbindlich wurde festgelegt: „Für die Anleitung […] ist die Kulturabteilung des ZK der SED verantwortlich verhält es sich mit Kretzschmars Wahl in den PEN – ihre (Nicht)Mitgliedschaft ist nicht eindeutig zu klären. 102 Interview mit Ingeburg Kretzschmar, geführt am 21. 2. 2002 in Berlin. 103 Ebd.
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lich. Alle Auslandsvorhaben sind mit der Abteilung Internationale Verbindungen des ZK abzustimmen, alle Vorhaben nach Westdeutschland mit der Abteilung 62.“104 Ein Novum in der Zusammensetzung des Präsidiums dürfte von den Parteifunktionären mit Zufriedenheit aufgenommen worden sein. Im Dezember 1964 war Heinz Kamnitzer in die neu geschaffene Position eines Vizepräsidenten gewählt worden – in Reaktion auf Arnold Zweigs Rückzugsgesuch, das maßgeblich durch seinen desolaten Gesundheitszustand begründet war. Um Zweig als präsidiale Figur für den PEN zu erhalten, entschied man sich, ihm einen Vizepräsidenten für die Erledigung des Tagesgeschäftes zur Seite zu stellen. Ob auch parteiinterne Einflussnahme diese Neuerung begünstigte, ist nicht belegbar. Die Parteiverantwortlichen dürften die Entwicklung indes begrüßt haben, besetzte nun doch mit Kamnitzer ein treuer Parteisoldat eine führende Position im Deutschen PEN-Zentrum Ost und West; er besaß überdies Zweigs vollständiges Vertrauen und übernahm dessen Aufgaben in einer Art schleichendem Prozess schließlich ganz und gar. Doch die Politik drang auch auf anderen Wegen mehr und mehr in den PEN ein: Schon Ende 1964 bzw. Anfang 1965 war eine Parteigruppe innerhalb des Präsidiums eingerichtet worden; diese bestand aus Heinz Kamnitzer, Wieland Herzfelde, Stephan Hermlin und Ingeburg Kretzschmar. In deren Anleitung durch das ZK der SED galt es sicherzustellen, „daß die Parteigruppe des Präsidiums die politisch richtige Durchführung aller vorgegebenen Maßnahmen sichert.“105 Indes ist die Aktivität der Gruppe nur sporadisch belegt. Ein Jahr später gab es einen weiteren Vorstoß aus den Reihen des Präsidiums, der die Gründung einer Parteigruppe befürwortete, die sich aus den Parteiangehörigen innerhalb der gesamten Mitgliedschaft zusammensetzen sollte. Diese Gruppierung trat auf so genannten Voraus-Versammlungen im Vorfeld der Generalversammlungen zusammen, um die Teilnehmer in Anwesenheit von ZKVertretern auf die aktuelle parteipolitische Linie einzuschwören und auf diese Weise Ablauf und Ergebnis der jeweiligen Tagung abzusichern. Sehr eindrückliche Belege für die Mitte der 1960er Jahre verschärfte Überwachung des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West durch die kulturpolitischen Verantwortungsträger liefert das Quellenmaterial für das Jahr 1965. Ins Visier der Kulturfunktionäre gerieten mit Stefan Heym und Wolf Biermann zwei prominente Personen des DDR-Kulturbetriebs, deren Tun und Lassen aus nahezu paranoider Angst vor ihrem öffentlichen Auftreten mit vorbeugenden und nachregulierenden Maßnahmen belegt war. Im Falle von Stefan Heym, dessen jüngste Aussagen zu den Pflichten eines Schriftstellers als Kampfansage gegen den literaturpolitischen Kurs der Regierung gewertet wurden, nahm die Abteilung Kultur entscheidenden Einfluss auf die Planung einer 104 Vorlage an das Sekretariat des ZK der SED (9. 3. 1965; erstellt von Ingeburg Kretzschmar). SAPMOBArch DY 30/IV A2/9.06/156. 105 Stellungnahme zum vorliegenden Material des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West [o. D., vermutlich Anfang 1965; erstellt von Abt. Kultur beim ZK der SED]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156.
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PEN-Veranstaltung. Zwar sollte der in Aussicht genommene Abend mit einem Vortrag über Heyms Werke nach dem Willen der Kulturfunktionäre stattfinden. Die Vorbereitung sollte indes eine kleinstmögliche Öffentlichkeit und die Verurteilung von Heyms „falsche[m] Verhalten gegenüber der DDR“106 durch die anwesenden Genossen garantieren. Ein Verwirrspiel um die Veranstaltung begann, in dem die Abteilung Kultur, die Ideologische Kommission beim Politbüro und auch das Ministerium für Kultur führende Rollen übernahmen. Am Ende fand die Veranstaltung in der vorgesehenen Weise niemals statt. Ein weiteres Ereignis sollte nicht nur einzelne PEN-Mitglieder, sondern auch die Verantwortlichen von ZK der SED und Ministerium für Staatssicherheit (MfS) nachhaltig beschäftigen. Wolf Biermann, dessen Texte unverhohlen eine kritische Haltung gegenüber der DDR-Regierung demonstrierten, wurde auf der Generalversammlung im April 1965 in das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West gewählt – gemeinsam mit Hans-Joachim Bunge und Hartmut Lange. Eine Beeinflussung des Wahlverfahrens durch eine Absprache unter den anwesenden Parteigängern scheiterte aufgrund fehlender Majorität. Das missliebige Ergebnis versuchte man in der Folge durch mannigfaltige Maßnahmen zu manipulieren – ohne Erfolg. Weder ein Versuch, durch öffentliches Ausschweigen über die Wahl Biermanns dessen Eintritt in den PEN zu verhindern, noch Kretzschmars Informationspolitik gegenüber Biermann, die mehr einer Aus-, denn einer Einladung zur Mitgliedschaft im PEN glich, tat die gewünschte Wirkung. Frohgemut nahm Biermann die Wahl an: Ich sagte Ihnen schon am Telephon, daß es mir eine Ehre und ein Vergnügen ist, Mitglied des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West zu sein. Daß meine Wahl mit nur einer Stimme Mehrheit zustande kam, ist mir ein Grund mehr, die Wahl anzunehmen, wird doch der nächste Kandidat meiner Spezies auf diese Weise mit wahrscheinlich zwei Stimmen Mehrheit gewählt werden.107
Die staatlichen Stellen, ZK der SED und MfS, waren mit dem leidigen Thema einige Zeit beschäftigt. An Biermanns Mitgliedschaft im PEN änderte sich nichts. Indes lässt sich in Reaktion auf Biermanns Zuwahl eine strikte Verschärfung in der parteilichen Anleitung des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West dokumentieren. Unter dem Eindruck des 11. Plenums des ZK der SED (Dezember 1965), dessen scharfe Angriffe auf zahlreiche Kulturschaffende für enorme Unruhe innerhalb der künstlerischen Intelligenz der DDR gesorgt hatten, demonstrierten die Kulturfunktionäre ihren Willen, das PEN-Zentrum noch stärker als bislang unter Kontrolle zu bringen und die Sicherungssysteme, die offenkundig versagt hatten, weiter auszubauen. Die Angst vor dem Erstarken oppositioneller Kräfte, vor einer unkontrollierten Öffentlichkeit innerhalb des PEN war groß und demgemäß die Kritik an der Zuwahl von Personen wie Wolf Biermann sowie Hartmut Lange und Hans-Joachim Bunge, die beide ebenfalls 106 Information [zu Stefan] Heym am 15. 4. 1965. BStU, MfS, AP 4589/92, Bl. 18. 107 Wolf Biermann an Ingeburg Kretzschmar (7. 10. 1965). AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost).
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im Sinne der Partei negativ aufgefallen waren, groß. Zur Diskussion stand nun die Frage nach funktionierenden Sicherungsmechanismen bei künftigen Wahlen, aber auch nach Möglichkeiten, sich der unliebsamen Neumitglieder wieder zu entledigen. In der Konsequenz wurde die Arbeitsplanung des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West einer noch massiveren Kontrolle von außen ausgesetzt und die Regulierung der internen Prozesse über eine Parteigruppe forciert. Wolf Biermann aber blieb über Jahre hinweg das ‚enfant terrible‘ des PEN – steter Kontrolle und Überwachung ausgesetzt.108 Die ‚Lösung‘ des Falles sollte Jahre später auf höchster staatlicher Ebene erfolgen. Wie sehr die Verantwortlichen des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West inzwischen unter der Anleitung und Kontrolle der parteistaatlichen Stellen standen, belegt auch die akribische Vor- und Nachbereitung der Teilnahme am internationalen PENKongress in New York (1966). Von den Delegierten Heinz Kamnitzer, Wilhelm Girnus und Wieland Herzfelde war nicht nur ein umfassender schriftlicher Bericht über den Verlauf des Kongresses vorzulegen. Auch auf einer Aussprache mit Vertretern aller kulturpolitisch wesentlichen Einrichtungen mussten die Kongressteilnehmer aus der DDR Rede und Antwort stehen. Deutlich spricht aus den Beiträgen der Delegierten, wie sehr sie im Vorfeld dazu angehalten worden waren, auf dem internationalen Parkett für die Belange der DDR einzutreten. Kamnitzer, Girnus und Herzfelde wurden nicht müde zu betonen, dass man klar und deutlich als Vertreter der DDR und des sozialistischen Standpunkts aufgetreten und auch als solche wahrgenommen worden sei. Die eigene Wirkung beurteilte man geradezu enthusiastisch: Die internationalen Pressestimmen, die sich mit dem New Yorker PEN-Kongreß befassen, vermerken – wenn einzelne Delegationen erwähnt werden – an erster, meist an einziger Stelle die DDR-Delegation […]. Aus der internationalen Presse geht hervor, daß die Delegation des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West nicht nur als absolut gleichberechtigter Partner aufgetreten ist, sondern daß die DDR-Mitglieder in entscheidenden Verhandlungsfragen des Kongresses im Mittelpunkt des Interesses standen.109
Ob und welche Resonanz der Bericht über den Kongress letztlich erzielte, ist in den Quellen nicht belegt. In der vorliegenden Darstellung zur Geschichte des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West in den 1960er Jahren ist bislang der Blick auf das deutsch-deutsche Verhältnis vernachlässigt worden. Doch es gab ab Mitte der 1960er Jahre durchaus Entwicklungen, die Erwähnung verdienen: Zwischen den beiden deutschen PEN-Zen108 Vgl. Dorothée Bores: „Wenn man ihn kalt stellt und isoliert“. Wolf Biermann als Mitglied des DDR-PEN. In: Susanne Muhle, Hedwig Richter und Juliane Schütterle (Hrsg.): Die DDR im Blick. Ein zeithistorisches Lesebuch. Berlin: Metropol 2008, S. 87–96. 109 Heinz Kamnitzer, Wilhelm Girnus und Wieland Herzfelde: Bericht über die Tätigkeit der Delegation des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West auf dem XXXIV. Internationalen P.E.N.-Kongress in New York vom 12. bis 19. Juni 1966 (19. 7. 1966), S. 7. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156.
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tren kam es zu ersten Schritten einer verbindlicheren Annäherung, die sich schließlich in der Bildung eines Ständigen Verbindungsausschusses manifestierten. Dessen Arbeitsergebnisse sind – bis auf wenige Einzelereignisse – indes kaum fassbar; so ist Sven Hanuschek zu folgen, der den Ständigen Verbindungsausschuss als „missratene und weitgehend erfolglose Institution“110 bezeichnet. Resignierend urteilte auch Dolf Sternberger, Präsident des bundesdeutschen PEN, über die letztlich erfolglosen Bemühungen um Kooperation: „[D]ie Kommunikation mit dem PEN-Zentrum der DDR – […] – die unter internationalem Protektorat […] eingeleitet wurde, [hat sich] nur hingeschleppt, sie ist eigentlich doch immer am Rande eines Versandens entlang gelaufen. […] Wir hatten […] große Mühe, viel Geduld daran gewendet und doch nicht das erreicht, was wir erhofft hatten.“111 Angestoßen worden war die Annäherung zwischen dem Deutschen PEN-Zentrum (Bundesrepublik) und dem Deutschen PEN-Zentrum Ost und West durch den Internationalen PEN, der als Mittler zwischen Ost und West fungierte. Als Botschafter trat in dieser Angelegenheit auch Robert Neumann bei seiner Reise nach Ostberlin (1962) auf. Doch die Ostberliner PEN-Akteure zeigten wenig Kooperationsfreude. Zahlreiche Vermittlungsversuche von außen liefen weitestgehend ins Leere und zogen sich über Jahre hin. Erst im Oktober 1964 traten Vertreter beider deutscher Zentren unter Victor van Vrieslands Vorsitz in Budapest zusammen und einigten sich nun erstaunlich schnell auf die Bildung eines Ständigen Verbindungsausschusses, der mindestens zwei Mal im Jahr tagen sollte, um folgende Aufgaben zu koordinieren: 1. 2. 3. 4. 5.
Der Ausschuß soll den Austausch von Informationen und Publikationen veranlassen, die von der Tätigkeit der beiden Zentren Zeugnis ablegen. Der Ausschuß soll vereinbaren, daß gemeinsame literarische Veranstaltungen (Lesungen, Vorträge, Aussprachen) stattfinden. Der Ausschuß soll dafür Sorge tragen, daß die beiden deutschen Zentren sich gegenseitig zu ihren eigenen literarischen Veranstaltungen einladen. Der Ausschuß soll versuchen, Angelegenheiten, die zwischen den beiden Zentren strittig sind, zu schlichten. Der Ausschuß soll durch seine Tätigkeit ein enges Zusammengehen der beiden deutschen PEN-Clubs vorbereiten.112
Die Aktivität des Ständigen Verbindungsausschusses nahm sich gegenüber der langen Vorgeschichte relativ bescheiden aus. Obgleich der Ausschuss von 1964 bis 1968 existierte, traten dessen Mitglieder nur zwei Mal zusammen. Als konkretes Ergebnis dieser Beratungen wurden thematische Veranstaltungen geplant (Goethe 110 Sven Hanuschek: Geschichte des bundesdeutschen PEN-Zentrums von 1951–1990. Tübingen: Niemeyer 2003 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der deutschen Literatur 98), S. 263. 111 Begrüßungsrede von Dolf Sternberger (= Anlage 1 des Protokolls der Generalversammlung des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland am 16./17. 4. 1970). DA. 112 Vereinbarung zwischen dem Deutschen P.E.N.-Zentrum Ost und West und dem Deutschen P.E.N.Zentrum Bundesrepublik (14. 10. 1964). AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost).
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und seine Zeit; Thomas Mann und die Politik; Lesungen), die parallel in der Bundesrepublik und in der DDR durchgeführt wurden. Beide Seiten zeigten sich zufrieden mit dem Verlauf, insbesondere von Seiten der DDR gab es Zustimmung: „Man setzt sich zusammen, um sich auseinanderzusetzen; so kann man sich näher kommen.“113 Und auch der Internationale PEN zeigte sich glücklich, „that the bridge between the two Germanies was strengthened in this way.“114 Das bundesdeutsche PEN-Zentrum, dessen Blick auf die kulturpolitischen Maßregelungen der DDR-Schriftsteller durch die Annäherung keineswegs verstellt wurde, nutzte die Basis des Verbindungsausschusses, um vorsichtige Nachfragen zur Kulturpolitik der DDR zu stellen; diese blieben allerdings ohne konkrete Antwort. Stellungnahmen waren den Vertretern des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West nicht zu entlocken. Schon Ende 1966 schien das Verhältnis deutlich abgekühlt, die Beziehungen insbesondere von Ost nach West eingefroren. Während im Westen noch heiß diskutiert wurde, schien der Osten im April 1967 bereits abschließend zu bewerten. Eine ganz andere Frage hatte sich hier in den Vordergrund gedrängt, die gleichwohl auf die Zukunft des Ständigen Verbindungsausschusses Einfluss nehmen sollte; es ging um das Für und Wider einer Umwandlung des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West in ein DDR-Zentrum. Auf das Drängen aus dem ZK der SED antworteten die Präsidiumsmitglieder mit einem thesenartigen Papier, das vor allem negative Folgen und deutliche Skepsis hinsichtlich einer Umbenennung formulierte. Zur Disposition stand im Zuge einer solchen Maßnahme zudem die Mitgliedschaft der westdeutschen Autoren. Auch gegen eine Liquidierung des Ständigen Verbindungsausschusses sprachen sich die PEN-Verantwortlichen aus: „Eine Tätigkeit unseres Zentrums in der Bundesrepublik ist nach Annullierung des [Budapester] Abkommens nicht mehr gegeben.“115 Doch die Argumentation zeigte keine Wirkung. Letztendlich sollte nach dem Willen der Kulturfunktionäre durch die Namensänderung den strukturellen Gegebenheiten innerhalb des Zentrums Rechnung getragen werden; das Gewicht liege seit Jahren eindeutig auf Seiten der DDR. Durch die veränderte Namensgebung sollte ein erstarktes Selbstbewusstsein innerhalb des Internationalen PEN zum Ausdruck kommen und die politischen Bestrebungen, die internationale Anerkennung der DDR als Staat durchzusetzen, sollten Unterstützung finden. Damit war die Aufrechterhaltung des Ständigen Verbindungsausschusses unmöglich geworden. Ein PEN-Zentrum DDR, das auf die Repräsentanz des eigenen Staates ausgerichtet war, musste aus Sicht der kulturpolitisch Verantwortlichen jede Verbindung zu einer bundesdeutschen Organisation abbrechen. Dies entsprach der offiziellen politischen Linie: Die 113 Günther Cwojdrak: PEN-Gespräch in München. In: Die Weltbühne 48 (30. 11. 1966), S. 1524f., hier S. 1525. 114 Zitiert nach Minutes. P.E.N. International Executive – English-Speaking Union 11 Charles Street London W1 at 10 – Wednesday 30. 3. 1966, S. 6. PAL. 115 [Darlegung zur Umwandlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West in ein P.E.N.-Zentrum DDR] (7. 2. 1967; erstellt vom Präsidium des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West). AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost).
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SED hatte Ende 1966 ihre Deutschlandpolitik radikal geändert. Die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten stand nicht länger auf der Agenda, alle gesamtdeutschen Bestrebungen waren obsolet. Damit war die Umbenennung des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West beschlossene Sache, die auf der Generalversammlung im April 1967 endgültig besiegelt wurde. Den westdeutschen Mitgliedern wurde die Entscheidung, ob sie dem umbenannten PEN-Zentrum weiterhin angehören wollten, freigestellt. Auf internationaler Ebene wurde die Umbenennung unbeeindruckt registriert und die neue Bezeichnung stillschweigend übernommen. Für die Zukunft des Ständigen Verbindungsausschusses ergab sich kein klares Bild – die in dieser Frage uneinigen Kulturfunktionäre lösten ein uneindeutiges Hin und Her der Verantwortlichen im PEN-Zentrum DDR aus. Es fehlte eine klare Linie und so verfiel man von DDR-Seite in Schweigen. Alle Versuche des bundesdeutschen PEN-Zentrums, die Kommunikation wieder in Gang zu bringen, liefen ins Leere. Auf internationaler Ebene traf man im Oktober 1968 in Abwesenheit der DDR-Vertreter die Entscheidung, die Arbeit des Ständigen Verbindungsausschusses temporär ruhen zu lassen. In der Folgezeit trafen beide deutsche Zentren schließlich die Vereinbarung, dass Kontakte fortan „eine Angelegenheit von Fall zu Fall“116 seien, etwa in Form gelegentlicher „Lesungen hüben und drüben“.117 Damit war de facto die Inexistenz des Ständigen Verbindungsausschusses besiegelt. Gleichwohl wurde durch die Aussetzung der Ausschuss-Tätigkeit die Aufnahme loser, von keinem Regelwerk belasteter Gespräche möglich. Mit der Anerkennung der Umwandlung des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West veränderte sich das Selbstverständnis der führenden Köpfe im PEN-Zentrum DDR. Das erstarkte Selbstbewusstsein der DDR-Vertreter löste einen Prozess zunehmender Emanzipation aus. Man nahm mehr und mehr einen eigenen, betont sozialistischen Standpunkt ein: „Was wir in Wort und Schrift unterbreiten, erhält mehr als die übliche Aufmerksamkeit, obwohl wir nicht als Ja-Sager uns angenehm machen, sondern durch sachliche Entschiedenheit wirken.“118 Die Führung des DDR-PEN setzte sich bewusst in eine konfrontative Haltung gegenüber dem Internationalen PEN, dem sie eine antisozialistische Position vorwarf. Zur Zielscheibe wurde dabei insbesondere das WiPC, dessen Arbeit etwa in einem Memorandum (März 1968) scharf angegriffen wurde. Die DDR-Vertreter unterstellten darin, dass sich der Internationale PEN „auf eine koordinierte und ununterbrochene Kampagne nur dort [konzentriere], wo die Behörden der Sowjetunion einzubeziehen“ seien.119 Kritisiert wurde auch die Haltung 116 Heinz Kamnitzer: Bericht über die Tagung des Internationalen Exekutiv-Komitees des Internationalen P.E.N. in London am 26. März 1969 (5. 5. 1969). AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost). 117 Protokoll der Vorstandssitzung des Deutschen P.E.N.-Zentrums der Bundesrepublik vom 25. 4. 1969 (14. 5. 1969; erstellt von Hans Schwab-Felisch). DA. 118 Heinz Kamnitzer: Bericht zur Lage (Referat auf der Generalversammlung 1970), S. 3. SAPMOBArch DY 30/IV A2/9.06/157. 119 Arnold Zweig, Heinz Kamnitzer, Günther Cwojdrak, Peter Hacks, Stephan Hermlin, Wieland Herzfelde, Hermann Kant, Maximilian Scheer und Christa Wolf: Botschaft an das Exekutivkomitee des
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des Internationalen PEN gegenüber den Schriftstellern der Sowjetunion, deren Integration sich trotz vielfältiger Bemühungen als sehr schwierig herausgestellt hatte. Daraus einen dezidiert antisowjetischen Kurs des Internationalen PEN herauslesen zu wollen, ging indes an der Wirklichkeit vorbei. Der internationale Generalsekretär nahm deutlich Stellung zu den großenteils haltlosen Vorwürfen aus der DDR und respektierte die darin vertretene politisch intendierte Haltung – ohne deshalb seine eigenen Überzeugungen zu verraten. Nach diesem Schlagabtausch schwiegen beide Seiten, ohne zu einem Ergebnis in der Auseinandersetzung gekommen zu sein. Zu einer erneuten Konfrontation kam es erst, als der Generalsekretär des Internationalen PEN in Reaktion auf die brutale Niederschlagung des Prager Frühlings mit Beteiligung sowjetischer Truppen die PENZentren zum deutlichen Protest aufrief und die Einladung sowjetischer Beobachter zur Teilnahme an der Exekutivkomitee-Tagung im Oktober 1968 (Genf) widerrief. Die deutliche Positionierung gegenüber dem Aggressor Sowjetunion provozierte eine erneute Auseinandersetzung der kommunistischen und anti- bzw. nichtkommunistischen Mitglieder des Internationalen PEN-Clubs. Mit einer moderat formulierten Stellungnahme, die die Aktivität des internationalen Generalsekretärs im Hinblick auf die Tschechoslowakei abstrafte, setzte sich der Konfrontationskurs des PEN-Zentrums DDR fort, der auch in den folgenden Jahren die Atmosphäre zwischen nationaler Sektion und internationaler Leitung bestimmen sollte. Im Inneren des PEN-Zentrums DDR brachte das Jahr 1968 indes die Unterbrechung einer jahrelangen Kontinuität: Unter fragwürdigen Umständen war im August 1968 die langjährige Generalsekretärin Ingeburg Kretzschmar, die seit den 1950er Jahren im Dienst des PEN gestanden hatte, aus ihrem Amt entlassen worden. Vorausgegangen war dieser Amtsenthebung ein langsam gärender Prozess, der hier nicht in seinen Facetten beleuchtet werden soll und durch viele Widersprüche im Quellenmaterial und der Selbsteinschätzung der Generalsekretärin nicht eindeutig geklärt werden kann. Kretzschmars Nachfolge übernahm Werner Ilberg; er gehörte zur Gruppe kommunistisch geprägter Exilanten, die 1933 Deutschland verlassen hatten. Im November 1968 sah sich der DDR-PEN mit einer weiteren Veränderung konfrontiert. Der seit langem kränkelnde Präsident Arnold Zweig, der lange Jahre eine repräsentative Funktion im PEN übernommen hatte, starb. Doch für die fortlaufenden Arbeiten des DDR-PEN bedeutete sein Tod keine tief greifende Zäsur. Das Tagesgeschäft übernahm nun kommissarisch der Vizepräsident Heinz Kamnitzer. Damit ergab sich keine spürbare Veränderung in der Führungspraxis, hatte Kamnitzer doch schon seit seiner Amtseinführung in Absprache mit dem ZK der SED faktisch die Geschicke des DDR-PEN geleitet.
Internationalen P.E.N., London 3. und 4. April 1968 (19. 3. 1968). SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/157.
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4 Verstärkte parteipolitische Einflussnahme im PENZentrum DDR (1968/69–1979) Zum Ende der 1960er Jahre dominierte im Auftreten des PEN-Zentrums DDR gegenüber der internationalen PEN-Zentrale weiterhin eine betont prosowjetische Haltung. Zwar war der DDR-PEN seit 1967 auf keiner internationalen Zusammenkunft des PEN aufgetreten, die Stoßrichtung seiner Wortmeldungen aber änderte sich nicht. Für das Frühjahr 1969 hatte man sich auf die Teilnahme an der Frühjahrs-Exekutive in Sofia (Bulgarien) eingerichtet. Aufgrund der Beteiligung bulgarischer Truppen an der Niederschlagung des Prager Frühlings war das internationale PEN-Sekretariat in Absprache mit dem bulgarischen PEN darin übereingekommen, die Exekutive von Sofia nach London zu verlegen, um mit Blick auf die sowjetische Invasion in der Tschechoslowakei einen Boykott der Tagung durch die westlichen PEN-Zentren zu verhindern. Der DDR-PEN indes begriff den Vorgang als einen weiteren Beleg für den antisowjetischen Kurs des Internationalen PEN und startete den Versuch, alle PEN-Zentren im sowjetischen Machtbereich auf einen einheitlichen Standpunkt einzuschwören. In der Kürze der Zeit aber war wenig erreichbar und so machte das PEN-Zentrum DDR alleine Front gegen den Internationalen PEN. Unerwartete Unterstützung erhielt der DDR-PEN durch einen Resolutionsentwurf des amerikanischen PEN, der nicht nur die eigenmächtige Verlegung des Tagungsortes durch den internationalen Generalsekretär kritisierte, sondern auch die Haltung gegenüber den sowjetischen Schriftstellern. Eine Neufassung der Resolution, die von einem Subkomitee formuliert wurde, beschwor die absolute Autorität der internationalen Exekutive gegenüber dem Generalsekretär: jede Beschlussfassung bedurfte demnach der Bestätigung durch die nationalen PEN-Zentren – Kamnitzer triumphierte und wertete die Resolution als Niederlage des internationalen Generalsekretärs. Er sah seine Haltung als „richtig und erfolgreich“120 bestätigt und forcierte in der Folge eine Aussprache über die Haltung der sozialistischen Zentren, die auch der Vorbereitung der Herbsttagung 1969 in Menton (Frankreich) dienen sollte. Indes erwies sich die Schaffung einer geschlossenen sozialistischen Front als schwieriges Unterfangen. In die Vorbereitung für Menton platzte die Nachricht, dass der internationale PEN-Präsident Arthur Miller die Vorlage einer Resolution plante, die die Unterdrückung und Zensur liberaler Schriftsteller in der Sowjetunion zum Thema hatte. Diese Nachricht veranlasste die Abteilung Kultur des ZK der SED, die Teilnahme von DDR-Delegierten an der Exekutive in Zweifel zu ziehen. Dass auch wirtschaftliche Schwierigkeiten die Bereitstellung von Valuta und damit eine Teilnahme erschwerten, erwähnten die Kulturfunktionäre nur am Rande. Kamnitzer gelang es nicht, die Verantwortlichen vom Gegenteil zu überzeugen und versuchte im Gegenzug, alle sozialistischen Zentren auf eine geschlossene Nichtteil120 Heinz Kamnitzer: Bericht über die Tagung des Exekutiv-Komitees des Internationalen P.E.N. am 26./27. März 1969, London (5. 5. 1969). AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost).
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nahme einzuschwören. Dieser Versuch misslang: Am Ende war es nur der DDR-PEN, der nicht an der Tagung teilnahm. Eine sozialistische Verschwörung war gescheitert. Blickt man auf die Dokumentation der Mentoner Zusammenkunft, so erscheinen Kamnitzers Vorwürfe als völlig haltlos: Eine besondere Tendenz in der Arbeit des WiPC lässt sich nicht erkennen. Bis zur letzten Minute hatte man sich zudem für die Teilnahme einer sowjetischen Beobachterdelegation eingesetzt. Damit war der Angriff des PEN-Zentrums DDR abgeprallt. Das Feindbild des antisowjetisch eingestellten Westens mit dem impliziten Schreckgespenst des Kapitalismus wurde indes gepflegt – innerhalb der Führungs-, aber auch auf Mitgliederebene des DDR-PEN. Die strikte politisch-ideologische Anleitung des PEN-Zentrums DDR lässt sich an der akribischen Vorbereitung einer Generalversammlung zu Beginn der 1970er Jahre überdeutlich ablesen: Neben einer Beratung der Parteigruppe des Präsidiums, zwei vorbereitenden Gesprächen zwischen dem Vizepräsidenten Heinz Kamnitzer, dem Generalsekretär Werner Ilberg und der Abteilung Kultur hatte auch eine Zusammenkunft aller Genossen unter den anwesenden PEN-Mitgliedern unmittelbar vor Beginn der Generalversammlung stattgefunden. Darin verständigte man sich unter anderem auf die Kandidatur Kamnitzers für das Amt des Präsidenten. Die Präsidiumsmitglieder einigten sich in Absprache mit der Abteilung Kultur zudem darauf, Jeanne Stern und Henryk Keisch als neue Mitglieder zur Ergänzung des Präsidiums vorzuschlagen. Auch eine vom Präsidium vorgelegte Liste für die Neuwahlen wurde von den Kulturfunktionären abgesegnet. Alle diesbezüglichen Informationen erhielten im Vorfeld der Generalversammlung auch alle Parteigruppenmitglieder des PEN-Zentrums DDR in Form eines Materialblattes, versehen mit einer deutlichen Direktive: „Alle Genossen der Parteigruppe des PEN-Zentrums DDR werden aufgefordert, sich mit diesen Vorschlägen zu identifizieren [und sie im Wahlakt zu unterstützen].“121 Derlei vorbereitet war Kamnitzers Wahl zum Präsidenten des DDR-PEN eine reine Formsache. Kamnitzer hatte sich aus Sicht der Abteilung Kultur für den PEN unentbehrlich gemacht: Schon in den letzten Lebensjahren Arnold Zweigs hat Genosse Kamnitzer die Geschäfte des Präsidenten des PEN-Zentrums praktisch geführt. Seiner konsequenten Haltung und Aktivität ist es wesentlich zu verdanken, dass sich das internationale Ansehen des PEN-Zentrums DDR kontinuierlich erhöht hat. Genosse Kamnitzer bringt […] alle erforderlichen Voraussetzungen mit, die Arbeit und internationale Wirksamkeit des PEN-Zentrums DDR auf der Grundlage der Politik von Partei und Regierung weiter zu entfalten. Genosse Kamnitzer geniesst in den Reihen der progressiven Mitglieder des Internationalen PEN bedeutendes Ansehen.122
Die Kaderpolitik konnte ohne Probleme durchgesetzt werden. Jenseits der Einflussnahme auf die personelle Besetzung wichtiger Schlüsselpositionen forcierte die Abtei121 Material für die Parteigruppe GV 2. 4. 1970. AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost). 122 Arno Hochmuth [Abt. Kultur beim ZK der SED] und Werner Ilberg: Vorlage an das Sekretariat des ZK der SED [o. D.]. AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost).
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lung Kultur auch eine Funktionalisierung des PEN-Zentrums für die außenpolitischen Zielsetzungen des SED-Staates: „Das P.E.N.-Zentrum DDR soll mit allen Möglichkeiten die DDR vertreten.“123 Deren oberste Maxime war es, im Sinne der jüngsten Entwicklungen in der deutsch-deutschen Politik, für eine völkerrechtliche Anerkennung der DDR einzutreten. Eine Verlautbarung, die von der Generalversammlung 1970 verabschiedet wurde, unterstützte die auf Abgrenzung der beiden deutschen Staaten ausgerichtete offizielle Deutschlandpolitik der DDR-Regierung unmissverständlich; „die vorbehaltlose Anerkennung der durch den Sieg der Antihitlerkoalition geschaffenen politischen Realitäten“124 sei nunmehr unverzichtbar. Anlass für eine weitere sozialistische Offensive bot das Vorhaben des Internationalen PEN, den nächsten Kongress auf politisch problematischem Terrain – im südkoreanischen Seoul – stattfinden zu lassen. Die Situation in Korea spiegelte, ähnlich wie in Deutschland, die politische Zweiteilung der Welt in Folge des Zweiten Weltkrieges wider. Während der Norden des geteilten Landes dem sowjetischen Kontrollbereich oblag, lehnte sich der Süden vor allem wirtschaftlich stark an die USA an. Kamnitzer empfand durch die Wahl des Tagungsortes einmal mehr die einseitige politische Orientierung des Internationalen PEN belegt und forderte „geschlossene[n] Protest der Mitglieder des PEN-Zentrums DDR gegen die imperialistische Manipulierung des Internationalen PEN im Dienst der psychologischen Kriegsführung gegen den Sozialismus“125, die er in Pierre Emmanuel, internationaler PEN-Präsident, personifiziert sah. Gleichwohl strebte Kamnitzer keine kommunistische Machtübernahme im PEN an. Zielvorgabe war vielmehr die Durchsetzung einer anerkannten und gleichberechtigten Existenz der sozialistischen Zentren innerhalb des internationalen PEN-Clubs. Wieder stand zur Debatte, wie einem wirkungsvollen Protest Ausdruck verliehen werden sollte – durch demonstratives Fernbleiben oder durch offensive Teilnahme. Eine zweiseitige Resolution, die die Wahl des Tagungsortes scharf verurteilte und die Situation der Schriftstellerkollegen in Südkorea erläuterte, wurde auf den Weg gebracht. Verhandelt wurde sie auf einer dem internationalen Kongress vorgeschalteten Exekutive in London – mit geringem Erfolg. Eine ganze Reihe von Delegierten wies die Klage des DDR-PEN zurück, die Resolution wurde zur Abstimmung gar nicht erst zugelassen. Damit war eine weitere Offensive des PEN-Zentrums DDR gescheitert. Der Kongress fand wie geplant statt. Kein DDR-Vertreter reiste nach Seoul. Immerhin war es gelungen, in diesem Punkt die Solidarität der PEN-Zentren in Ungarn, Bulgarien, Polen und der ČSSR zu erringen. Auch hier nahm kein Vertreter teil. So musste immerhin das Fehlen der sozialistischen Länder wahrgenommen werden. 123 Bericht zur Generalversammlung am 2. 4. 1970. AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost). 124 Entschließung des P.E.N.-Zentrums Deutsche Demokratische Republik (2. 4. 1970). SAPMOBArch DY 30/IV A2/9.06/157. 125 Arno Hochmuth [Abt. Kultur beim ZK der SED]: Kurzbericht über die Generalversammlung des PEN-Zentrums der DDR am 2. 4. 1970 [o. D.]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/157.
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Doch schon mit Blick auf die folgende Exekutive im Oktober 1968 (Edinburgh) zeigte man sich von Seiten des DDR-PEN bereit, die gegen den internationalen PENPräsidenten Emmanuel und den internationalen Generalsekretär Carver gerichtete Politik persönlich fortzusetzen. Der Internationale PEN schien mehr denn je Austragungsort eines ideologischen Kleinkriegs zu sein. Denn die DDR-Vertreter planten nicht nur den Angriff, sondern fürchteten auch, selbst zur Zielscheibe der Kritik zu werden. Von der Generalversammlung 1970 waren zum Leidwesen der Verantwortlichen Informationen in die westdeutsche Öffentlichkeit getragen worden, die Attacken der internationalen Delegierten nicht unwahrscheinlich erscheinen ließen: Wolf Biermann hatte in der Zeitschrift Stern Auskunft gegeben über die gegen ihn gerichteten scharfen Angriffe, die das Erscheinen seiner provokativen Titel in der Bundesrepublik und deren inoffizielle Verbreitung in der DDR betrafen. Tatsächlich war Biermann harsch angegangen und schließlich ein Antrag verabschiedet worden, nach dem Biermanns Verhalten und dessen Vereinbarkeit mit der Mitgliedschaft im PEN-Zentrum DDR auf den Prüfstand gestellt werden sollte. De facto suchte man einen Weg, den missliebigen Biermann aus dem PEN auszuschließen. Biermanns Äußerungen wurden in der westdeutschen Öffentlichkeit mit Besorgnis aufgenommen und Heinrich Böll, der 1970 die Federführung im bundesdeutschen PEN übernommen hatte und an einem fruchtbaren Austausch mit allen DDR-Kollegen interessiert war, erkundigte sich nachdrücklich: „Sie können sich denken, daß die Nachricht über Biermann[ ] […] hier ziemliche Bestürzung ausgelöst hat und noch weitere auslösen wird. Die Mitglieder des Westdeutschen PEN werden Auskunft […] verlangen.“126 Insofern war die Furcht vor Kritik in Edinburgh keineswegs unbegründet. Der Fall Biermann kam indes auf der Exekutive gar nicht zum Tragen. Die DDRVertreter sahen sich unmittelbar vor deren Beginn mit einer Offensive des Internationalen PEN konfrontiert, die sie nicht vorhergesehen hatten: Das internationale PEN-Sekretariat hatte eine Anfrage an den Staatsratvorsitzenden der DDR, Walter Ulbricht, gerichtet, die sich auf das Schicksal des seit Jahren politisch, literarisch und privat kalt gestellten Lyrikers Peter Huchel bezog. Als Huchels Fürsprecher war insbesondere das bundesdeutsche PEN-Zentrum in Erscheinung getreten. Alle Versuche, auf persönlicher Ebene mit den Mitgliedern des DDR-PEN in Kontakt zu treten, waren gescheitert. So entschied die internationale PEN-Führung gemeinsam mit den Mitgliedern Henry Miller, Graham Greene und Heinrich Böll eine direkte Anfrage an den politisch Verantwortlichen zu senden, die nach den Ursachen für die Restriktionen gegen Huchel fragte und zugleich den deutlichen Appell formulierte, die Lebensund Arbeitsbedingungen für Huchel zu verbessern. Die Empörung im DDR-PEN war groß. Kamnitzer interpretierte den Vorgang als weiteres Glied in der Kette vermeintlich antisozialistischer Aktivitäten innerhalb des Internationalen PEN-Clubs. Auf der Tagung des Exekutivkomitees sorgte Kamnitzer gemeinsam mit Hermlin für einen dramatischen Abgang von der PEN-Bühne: Die Exekutive werde vom internationalen 126 Heinrich Böll an Heinz Kamnitzer (4. 6. 1970). AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost).
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Generalsekretariat oftmals vor vollendete Tatsachen gestellt; deshalb werde die DDRDelegation nurmehr an den literarischen Veranstaltungen, nicht aber an den Sitzungen des Exekutivkomitees teilnehmen. Sprach’s und ging. Eine Diskussion unter den übrigen Teilnehmern entbrannte, die die zwischen Ost und West bestehende Front innerhalb des Gremiums deutlich sichtbar werden ließ. Am Ende bat der internationale Generalsekretär den ungarischen Delegierten Tibor Kéry um Vermittlung, die schließlich erfolgreich war. Kamnitzer und Hermlin kehrten an den Verhandlungstisch zurück. Der Fall Huchel kam hier nicht mehr zur Sprache. Dennoch trat die DDR-Delegation mit der Vorlage von zwei Resolutionen wieder in die Debatte ein. Der Vorschlag, den PEN-Zentren die Möglichkeit regelmäßiger Berichte über ihre eigene Tätigkeit einzuräumen, wurde von der Mehrheit begrüßt. Ein weiterer Hieb gegen den Generalsekretär, der sich hinter der Forderung nach einer ausgewogenen Berichterstattung und fairer Reflexion verschiedener Standpunkte verbarg, wurde indes abgeschmettert und so eine Eskalation der Konfrontation mit Carver verhindert. Die Aktivität des bundesdeutschen PEN im Hinblick auf den Fall Huchel brachte zunächst eine Verschlechterung in den deutsch-deutschen Beziehungen mit sich. Heinrich Bölls Geschick als Verhandlungsführer muss es angerechnet werden, dass Dank seiner vorsichtigen Vorgehensweise in der Folge nicht nur Gespräche geführt wurden, sondern sogar eine freundschaftliche Annäherung zwischen beiden deutschen PEN-Präsidenten möglich wurde. Böll hatte begriffen, dass mit einer offensiven Einmischung und massivem Druck wenig zu erreichen war. Stattdessen schwor er einer direkten Anklageführung ab und stellte in Aussicht, künftig den Weg der mündlichen, inoffiziellen Nachfrage zu beschreiten. Gleichwohl kam in den Fall Huchel Bewegung. Im April 1971 durfte Peter Huchel die DDR verlassen. Einen Vorstoß mit Blick auf Wolf Biermann wagte der internationale Vizepräsident Robert Neumann im Mai 1971. Die Exekutive beauftragte in der Folge Carver mit der Informationsbeschaffung über Biermanns konkrete Position innerhalb der DDR. Eine Antwort auf die aus diesem Auftrag resultierende Nachfrage beim PEN-Zentrum DDR blieb, kaum verwunderlich, aus. Obgleich im Inneren der DDR nach dem Wechsel von Walter Ulbricht zu Erich Honecker im Mai 1971 eine kurze Phase der Liberalisierung auf kulturpolitischem Gebiet einsetzte, blieb das PEN-Zentrum DDR von dieser Entwicklung unberührt. Im Gegenteil: Das Verhältnis zwischen den Verantwortlichen des PEN und der Abteilung Kultur beim ZK der SED gestaltete sich umso enger. Deutlich wurde von Seiten der Kulturfunktionäre eine Intensivierung und Konzentration der Parteiarbeit gefordert. Ein Maßnahmenkatalog formulierte die wichtigsten Anforderungen an den PEN; so war es vordringlich a)
die Parteiarbeit im Präsidium und im Parteiaktiv des PEN-Zentrums wesentlich zu intensivieren und die Zeitabstände der Zusammenkünfte zu verkürzen;
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alle positiven Kräfte des PEN-Zentrums unter der Leitung des Präsidiums fest zu formieren, zu einer offensiven Arbeit auf der Grundlage der Politik von Partei und Regierung zu befähigen und sie damit zur Überwindung hemmender Auffassungen bei einigen Mitgliedern zu führen; neue Kräfte, die auf dem Boden der Kultur- und Kunstpolitik der Partei stehen, in das PEN-Zentrum zu drücken.127
Auch eine erhöhte Kontrolle der PEN-Arbeit ins Ausland wurde angestrebt. Gefordert wurde vom PEN die zielgerichtete, strategische Aufnahme von Verbindungen ins Ausland – der PEN als Türenöffner. Damit war die Indienstnahme des PEN, seine Funktionalisierung für die außenpolitischen Bestrebungen des SED-Staates installiert. Doch auch die innenpolitische Aktivität kam auf den Prüfstand: Welche Rolle sollte der PEN im Literaturbetrieb der DDR übernehmen? Diese Frage wurde ‚von oben‘ mit konkreten Arbeitsaufträgen beantwortet; dazu zählte die Durchführung regelmäßiger Clubabende, die Erstellung literaturpolitischer Analysen und die Vorstellung ausländischer Gäste im Rahmen der PEN-Arbeit. In der Folge änderte sich die Qualität der Zusammenarbeit zwischen PEN und der Abteilung Kultur: Waren es bislang meist Kamnitzer und Ilberg gewesen, die den Kontakt pflegten, wurde mit Beginn des Jahres 1972 die gesamte Parteigruppe des Präsidiums in die Zusammenarbeit einbezogen. Geplant war zudem, Heinz Kahlau als Parteigruppensekretär einzusetzen. Die Zielsetzungen blieben indes die gleichen: Stärkung der außenpolitischen Wirksamkeit und kontrollierte Aktivität im Inneren der DDR. Die erste gemeinsame Aussprache von Parteigruppe und Kulturfunktionären im Januar 1972 verlief jedoch in Teilen überraschend. Die Mitglieder des PEN-Präsidiums – Werner Ilberg, Heinz Kamnitzer, Wieland Herzfelde, Henryk Keisch, Jeanne Stern, Günther Cwojdrak, Stephan Hermlin und Christa Wolf – wagten vor dem Hintergrund der scheinbar kulturpolitischen Öffnung eine lebhafte Diskussion über grundsätzliche Probleme des strikt regulierten Literaturbetriebes, die nicht nur dessen starre Organisation, sondern schließlich auch die Ausreisepolitik der DDR zur Sprache brachte. Wie die Mitarbeiter der Abteilung Kultur auf die teils unverblümt vorgebrachten Kritikpunkte reagierten, bleibt in den Quellen undokumentiert. Lediglich Heinz Kahlaus Einsetzung als Parteigruppensekretär ist belegt; auf dessen Aktivität gibt es indessen kaum Hinweise. Während die Arbeit des PEN-Zentrums DDR im eigenen Lande zum Jahresende 1972 auf relativ niedrigem Niveau stagnierte, erscheint indes eine Initiative des PENPräsidiums für den Schriftstellerkollegen Stefan Heym zu Beginn des Jahres 1973 erwähnenswert. Der von den Zensurbehörden der DDR arg drangsalierte Heym hatte auf einer Präsidiumssitzung von den Schwierigkeiten bei der Veröffentlichung seiner 127 Arno Hochmuth [Abt. Kultur beim ZK der SED]: Kurzbericht über die Generalversammlung des PEN-Zentrums der DDR am 2. 4. 1970 [o. D.]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/157.
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Arbeiten in der DDR berichtet und war damit auf offene Ohren gestoßen: „[Die Präsidiumsmitglieder] hätten sich alle an den Kopf gegriffen, wie so etwas überhaupt möglich gewesen sei. Es wäre einstimmig die Meinung vertreten worden, so könne man mit unseren Schriftstellern nicht umgehen, das schadet unserer Literatur, dagegen muß man unbedingt etwas unternehmen.“128 Im Namen des Präsidiums richtete Stephan Hermlin eine Mitteilung an den Minister für Kultur, Hans Joachim Hoffmann, in der „um eine schnelle Entscheidung in dem unserer Meinung nach einzig möglichen Sinn [gebeten wurde]: zugunsten der neuen Bücher eines Autors, der nicht nur bei uns, sondern allgemein zwischen Moskau und New York schon lange als ein repräsentativer Erzähler unseres Landes gilt.“129 Ob es nun der Brief des Präsidiums oder schlicht der bevorstehende runde Geburtstag des Autors war, der die Publikation von Heyms Werken in der DDR beförderte, bleibt letztlich ungewiss. Zu konstatieren ist jedenfalls für das Jahr 1973 eine bewusste Hervorhebung des so lange totgeschwiegenen Autors in der DDR-Presse und die Tatsache, dass das PENPräsidium endlich einmal für einen Autor im eigenen Lande eingetreten war – auch wenn es ‚nur‘ um die Aufhebung von Zensurmaßnahmen ging. Nach dieser bemerkenswerten Initiative für Stefan Heym kehrte zunächst Ruhe im PEN-Zentrum ein. Zu Beginn des Jahres 1974 führte eine personelle Neuerung im Generalsekretariat zu einer entscheidenden Veränderung in der Führungssituation des PEN-Zentrums DDR: Der politisch instinktlose Werner Ilberg, der bereits unmittelbar nach seiner Einsetzung in der Kritik gestanden hatte, wurde durch das Präsidiumsmitglied Henryk Keisch abgelöst. Mit der Einsetzung des freischaffenden Autors und Übersetzers war das System der politischen Selbstkontrolle im PEN-Zentrum DDR endgültig installiert. Keisch machte bald seine Position als harter und kompromissloser Vertreter des sozialistischen Gesellschaftssystems in aller Öffentlichkeit deutlich; er attackierte die aus seiner Sicht zahlreichen Versuche, „aus dem Internationalen P.E.N. ein Instrument des Kalten Krieges gegen die sozialistischen Länder zu machen“.130 Die Stoßrichtung war damit unmissverständlich deutlich geworden; man würde es künftig im Internationalen PEN mit einem politischen Hardliner als Vertreter des PEN-Zentrums DDR zu tun haben. Für Henryk Keisch stand im Rahmen seiner DDR-internen Arbeit zunächst die Vorbereitung der nächsten Generalversammlung im Vordergrund; diese zog sich indes ungebührlich in die Länge: Erst im Oktober 1975 trat das PEN-Zentrum DDR nach einer langen Phase intensiver Auseinandersetzung zwischen Parteigruppe, Führungsspitze und Kulturfunktionären zusammen. Zentraler Diskussionspunkt war 128 Rolf Pönig [Oberleutnant, Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/7]: Treffbericht mit IMS ‚Dichter‘ am 9. 3. 1973 (19. 3. 1973). BStU, MfS, AIM 7781/83, Bd. II/1, Bl. 298–301, hier Bl. 299. 129 [Stephan Hermlin im Namen des Präsidiums des P.E.N.-Zentrums DDR] an Hans-Joachim Hoffmann [Minister für Kultur] (12. 2. 1973). AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost). 130 Henryk Keisch: Die Schreibfeder – nicht nur ein Symbol. Bemerkungen zu einigen Fehlspekulationen um den P.E.N. In: Sonntag 35 (1. 9. 1974), S. 11.
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neben der Zuwahl neuer Mitglieder auch der Umgang mit dem „Problem der Mitgliedschaft Wolf Biermann“.131 Ein letzter Versuch, sich des missliebigen Mitglieds mit Verweis auf die jahrelange Nichtzahlung von Mitgliedsbeiträgen zu entledigen, scheiterte am Einspruch des Präsidiums; man war offenkundig nicht gewillt, Biermann in noch größere Isolation zu treiben. Oder war es doch die Furcht vor den Reaktionen auf internationaler Ebene, die schwerer wog als der aufrichtige Wille zur Unterstützung eines notorischen Systemkritikers? Auch für den Umgang mit Stefan Heym war von Seiten der Abteilung Kultur beim ZK der SED eine Sicherung erdacht worden; er „wurde als Mitglied des PEN ordnungsgemäß eingeladen. Wenn er auf der Generalversammlung seine bekannten Argumente vorbringt, werden diese in aller Form zurückgewiesen. […] Zur Formierung der Genossen des PEN-Zentrums wird mit Unterstützung der Abteilung eine Parteigruppensitzung durchgeführt.“132 Die Parteigruppensitzung zur Vorbereitung der Generalversammlung am 8. Januar 1975 nahm einen von den Verantwortlichen nicht vorhergesehenen Verlauf. Um die Frage, wie mit den Zuwahlen und Biermann umzugehen sei, entbrannte eine zum Teil heftige Auseinandersetzung. Der Versuch, die Genossen auf Zuwahlen einzuschwören, die die „führende Rolle der Partei“133 stärken konnten, scheiterte kläglich. Die PEN-Mitglieder wünschten aus eigener Überzeugung für oder gegen einen Kandidaten zu entscheiden; sie verweigerten eine blinde Gefolgschaft. Dabei stand nicht eine generelle Entscheidung für oder gegen die Parteilinie im Vordergrund; Maßgabe sollte das individuelle Urteil über Person und Werk sein. Der Plan der Abteilung Kultur, die Parteimitglieder auf ein einheitliches Abstimmungsvotum einzuschwören und damit massiv Einfluss auf die personelle Zusammensetzung des PEN-Zentrums DDR zu nehmen, konnte nicht durchgesetzt werden. Die Parteigruppenversammlung wurde schließlich ergebnislos abgebrochen. Die „Aufregung über die erlebte Disziplinlosigkeit“134 war groß: Die Generalversammlung musste verschoben werden. In der Folgezeit drängten die verantwortlichen Kulturfunktionäre auf eine Grundsatzentscheidung hinsichtlich des PEN-Zentrums und seiner personellen Besetzung. Offenkundig war man bestrebt, den DDR-PEN möglichst klein zu halten – aus vielfältigen Gründen: Angst vor einer Konkurrenz für den Schriftstellerverband; Furcht vor einem Sammelbecken oppositioneller Kräfte; wirtschaftsbedingte Devisenprobleme in Bezug auf die Zahlung der internationalen Mitgliedsbeiträge. Der kul-
131 Peter Heldt [Leiter der Abt. Kultur beim ZK der SED] an Kurt Hager (2. 1. 1975). SAPMO-BArch vorl. SED 18514. Zitiert nach Jochen Staadt: Ruhe im P.E.N.? In: Zeitschrift des Forschungsverbundes SEDStaat 3 (1997), S. 70–79, hier S. 73. 132 Ebd. 133 Peter Heldt [Leiter der Abt. Kultur beim ZK der SED]: Information über eine Parteigruppensitzung zur Vorbereitung der Generalversammlung des PEN-Zentrums der DDR am 8. Januar 1975 (27. 1. 1975). SAPMO-BArch vorl. SED 18514. 134 Staadt: Ruhe im P.E.N., S. 74.
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turpolitischen Direktive, „die Zahl der Kandidaten unbedingt zu verringern“135, stand die Vorschlagsfreudigkeit der PEN-Mitglieder entgegen. Gegen eine eigenmächtige Streichung von Kandidaten durch das Präsidium stemmten sich einzelne Mitglieder. Die Debatte ging schließlich soweit, dass die Abteilung Kultur die Mitgliederzuwahl für das Jahr 1975 komplett streichen wollte. Nach mehrfachen Beratungen zwischen Kamnitzer, Keisch und der Abteilung Kultur und einer Parteigruppenversammlung unmittelbar vor der Generalversammlung, die am 22. Oktober 1975 endlich tagte, erzielte man schließlich Einigkeit über eine reduzierte Liste für Neuaufnahmen. Die Generalversammlung verlief letztlich ohne besondere Zwischenfälle, obgleich einzelne Mitglieder deutliche Kritik gegenüber der PEN-Führung äußerten. So beklagte Jurek Becker die mangelnde Transparenz und Einbeziehung der Mitglieder; Wieland Herzfelde kritisierte die einseitige Auswahl der Delegierten für internationale Kongresse. Hinsichtlich der Zuwahlen gab es während der Tagung keine neuerliche Diskussion. Es war den Kulturfunktionären mindestens zum Teil gelungen, Einfluss auf den Wahlausgang zu nehmen. Eine völlige Kontrolle blieb ihnen indes, auch durch den deutlichen Widerstand der Parteigruppe, versagt. Blicken wir nun für die 1970er Jahre noch auf jenen zentralen Themenkomplex der internationalen PEN-Arbeit, der sich vor dem Hintergrund der sich in diesem Jahrzehnt akut verschärften kulturpolitischen Situation in der SED-Diktatur für die Bewertung des DDR-PEN von besonderem Interesse erweist: Wie war es um das humanitäre Engagement des PEN-Zentrums DDR in den schlimmsten Krisenzeiten bestellt? Gab es einen dezidierten Einsatz für verfolgte Intellektuelle und Künstler? Tatsächlich hielt sich die grundsätzliche Solidarität mit Schriftstellerkollegen, die in Konflikt mit der Obrigkeit geraten waren, bei den führenden Köpfen des PEN-Zentrums DDR in sehr engen Grenzen. Es gibt kaum Beispiele positiver Einflussnahme, namentlich Kamnitzer und Keisch konzentrierten sich, mit Blick auf den eigenen Staat, auf die Abwehr kritischer Nachfragen. Eine nachdrückliche Unterstützung verfolgter Autoren blieb weitestgehend aus. Aufforderungen des Internationalen PEN zur Solidarität mit Schriftstellern aus dem Machtbereich der Sowjetunion blieben erwartungsgemäß unbeantwortet. Ein jahrelanges Engagement zeigte der DDR-PEN indes im Fall von Chile; man verurteilte die fortgesetzte Verletzung der Menschenrechte in einem diktatorischen System immer wieder ganz entschieden. Dabei spielte sicherlich eine entscheidende Rolle, dass es sich beim Pinochet-Regime um eine, aus kommunistischer Sicht, ‚reaktionäre‘ Regierung handelte. Denn die Verantwortlichen des PEN-Zentrums DDR machten je nach politischer Ausrichtung der verantwortlichen Regierungen deutliche Unterschiede in der Beurteilung von Verstößen gegen die Menschenrechte. Eine entschlossene Verteidigung der menschlichen Grundrechte, mit besonderem Blick auf die Schriftsteller, eine generelle Verurteilung diktatorischer
135 Peter Heldt [Leiter der Abt. Kultur beim ZK der SED] an Kurt Hager (9. 1. 1975). SAPMO-BArch vorl. SED 18514.
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Staatssysteme, gleich welcher Couleur, leistete das PEN-Zentrum DDR in den 1970er Jahren nicht. In der DDR wurde in diesem Jahrzehnt, auch nach dem mit Hoffnung auf Liberalisierung verbundenen Wechsel von Ulbricht zu Honecker (1971), der Kurs rigider Regulierung auf dem Gebiet der Kunst und Kulturpolitik unvermindert fortgesetzt. Zwar gab es eine kurze Phase der Liberalisierung, die Entspannung versprach. Unterstützt durch die von Seiten der DDR-Regierung getätigte Unterzeichnung der KSZE-Akte (August 1975), die auch die Verpflichtung zur Achtung der Menschenrechte enthielt, wagten immer mehr Menschen, größere Freiheiten auf allen Gebieten einzufordern. Spätestens der November 1976 aber unterbrach diesen, schon zuvor immer wieder gebremsten Liberalisierungsprozess abrupt: Wie ein Fanal für das Ende der Phase relativer Freiheiten wirkte der Ausschluss des schon seit langem totgeschwiegenen Lyrikers Reiner Kunze aus dem Schriftstellerverband. Wenige Tage später erfolgte auf Anweisung von Erich Honecker die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann, der nach einer Reise in die Bundesrepublik nicht mehr in die DDR zurückkehren durfte. Was von den Politfunktionären als Schlusspunkt einer jahrelangen Auseinandersetzung, „als Befreiungsschlag“ gedacht war, „schlug allerdings mit einer von SED und Ministerium für Staatssicherheit nicht vorhergesehenen Protestbewegung in der DDR auf die Urheber zurück und bestimmte wesentlich das kulturpolitische Klima der nächsten Jahre.“136 In Reaktion auf Biermanns Ausbürgerung hatte sich eine kleine Gruppe von 12 DDR-Schriftstellern, allesamt Mitglieder des PEN-Zentrums DDR, und einem Bildhauer unter Federführung von Stephan Hermlin zusammengefunden, um gegen die drakonische Maßnahme der DDR-Regierung zu protestieren. Innerhalb weniger Tage unterzeichneten mehr als 100 Schriftsteller und Künstler die Petition, die mehr einer diplomatischen Note denn einem flammenden Protestaufruf glich. Die eigentliche Sensation war die Tatsache, dass eine Reihe von DDR-Bürgern, zudem zumeist Mitglieder der SED, ihren Einwand gegen eine Entscheidung des Regimes gezielt in die internationale Weltöffentlichkeit trug und damit von der üblichen Praxis der internen Problemlösung abrückte. Die westliche Welt nahm diesen Sachverhalt mit größtem Interesse zur Kenntnis; der gesamte Führungs- und Kontrollapparat der DDR indes war in allerhöchste Alarmbereitschaft versetzt worden. Auf das PEN-Zentrum DDR wirkten solche kulturpolitischen Ereignisse in verschiedener Hinsicht nach: Während der Mitgliedschaft des PEN-Zentrums DDR keinerlei Möglichkeit eingeräumt wurde, die Ereignisse des November 1976 zu diskutieren, liefen mit Beginn des Jahres 1977 Anfragen nationaler PEN-Zentren ein, die auf eine Stellungsnahme zu den jüngsten kulturpolitischen Entwicklungen in der DDR drängten. Die Antwort oblag allein den führenden Köpfen des DDR-PEN und fiel erwartungsgemäß aus: Kamnitzer und Keisch zeigten sich wenig kooperativ und signalisierten kei136 Joachim Walther: Sicherungsbereich Literatur. Schriftsteller und Staatssicherheit in der Deutschen Demokratischen Republik. Berlin: Links 1996 (Wissenschaftliche Reihe des Bundesbeauftragten 6), S. 88.
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nerlei Bereitschaft zu einem ernsthaften Einsatz – weder für Biermann noch andere verfolgte oder inhaftierte Schriftstellerkollegen. Die kritische Auseinandersetzung mit dem eigenen Regime wurde verweigert, die Unterdrückung der Meinungsfreiheit vollkommen negiert. Die Schuldigen im Konflikt zwischen Regierenden und Künstlern waren die Betroffenen: „Die Biermanns […] sind Gegner der real bestehenden, an ihrer steten Entwicklung und Vervollkommnung arbeitenden sozialistischen Staaten, und sie bekämpfen diese im Bündnis mit den offen antikommunistischen Kräften in aller Welt.“137 Insbesondere Wolf Biermann hatte gegen ein ungeschriebenes Gesetz verstoßen; er hatte seine Kritik am eigenen Staat nach außen getragen. Dass er dies tat, weil ihm im Inneren der DDR längst jegliche Möglichkeit einer Meinungsäußerung genommen war, blendete diese Darstellung vollkommen aus. Obgleich das PEN-Zentrum aufgrund seiner Mitgliedschaft im Internationalen PEN den Werten der Charta verpflichtet war, verweigerte es mit unfassbarer Härte einen Einsatz für Schriftstellerkollegen im eigenen Land. Es war ein wiederkehrendes, für die Position der führenden Köpfe symptomatisches Argumentationsschema, mit dem kritische, aber auch vorsichtige Nachfragen regelrecht abgeschmettert wurden: Immer ging es um die Abwehr der Kritik an der Regierungspolitik, die Ergründung des Sachverhaltes trat dahinter zurück. In Zweifel gezogen wurde meist die Glaubwürdigkeit der Quellen, aus denen sich die Anfragen speisten, in manchen Fällen gar die reine Existenz des von Verfolgung Betroffenen. Insbesondere der Generalsekretär Henryk Keisch zeigte sich als verblendeter, bedingungsloser Verteidiger eines inhumanen Regimes, der die Aktivität anderer nationaler Zentren bzw. des Internationalen PEN in Fällen inhaftierter Schriftsteller nur als einen Teil antisozialistischer, sprich gegen die DDR gerichteter Propaganda begriff. Er zeigte keinerlei Bereitschaft, in Fragen der Menschenrechtsverletzungen mit dem Internationalen PEN zu kooperieren. Gleichzeitig wurde in enger Abstimmung mit den kulturpolitischen Funktionären der DDR das Präsidium des PEN von den linientreuen Anhängern des SED-Regimes instrumentalisiert, um vermeintlich Abtrünnige oder Andersdenkende von ihrem ‚fehlerhaften‘ Verhalten zu überzeugen und Sicherungen gegen die Verbreitung oppositioneller Denkarten einzubauen. Am 29. November 1976 stand der Fall ‚Biermann‘, dessen PEN-Mitgliedschaft wieder und wieder diskutiert worden war, auf der Präsidiumssitzung des PEN-Zentrums DDR ganz oben auf der Agenda. Sämtliche Versuche des Generalsekretärs Keisch, den Petenten bereits im Vorfeld zur Schadensbegrenzung eine linientreue Erklärung abzuringen, waren gescheitert. Und auch im Verlauf der Präsidiumssitzung wurde deutlich, dass es keinen gemeinsamen Standort der Präsidiumsmitglieder gab. Insbesondere Hermlin trug zum Scheitern dieses Vorhabens bei; er geißelte die Ausbürgerung als diktatorisches Vorgehen, das „beseitigt“ werden müsse – und sei es auf Kosten der Parteitreue: „Parteidisziplin gehört zum Parteimitglied. Aber ich sage jetzt offen, daß mir andere
137 Henryk Keisch an Ankie Peypers (18. 2. 1977). AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost).
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Werte höher sind.“138 Seinen unverrückbaren Standpunkt sicherte Hermlin mit einem geschickten Winkelzug: Ganz bewusst stellte er seine persönliche Bekanntschaft mit dem Regierungschef Honecker heraus, der ihm zugesichert habe, dass er mit keinerlei Repression zu rechnen habe. Nach dieser gescheiterten Einflussnahme wurde die Biermann-Affäre im PEN nicht mehr offen diskutiert. Aber die Angst der Kulturfunktionäre vor der Entwicklung des PEN-Zentrums zu einer Keimzelle konzertierten Protests war groß; man zog in Erwägung, alle Petenten von sämtlichen Vorstandsämtern im kulturellen Bereich zu entbinden. Auf diese Weise sollte die Dominanz linientreuer Anhänger der SED-Politik im Präsidium gesichert werden. Bis zur nächsten Generalversammlung hatte indes die allgemeine Aufregung nachgelassen. Nichtsdestotrotz wurde die Versammlung des Jahres 1978 akribisch vorbereitet. Es wurde alles daran gesetzt, die Position der Partei innerhalb des Zentrums zu stärken; dies galt mit Blick auf die Zuwahl neuer Mitglieder als auch auf die Zusammensetzung des Präsidiums: „Anliegen unserer Parteigruppe muß sein, daß es die richtigen sind“,139 die gewählt werden. Die Generalversammlung lief schließlich unter Einhaltung aller Vorgaben wie geplant ab und Kamnitzer zeigte sich zufrieden: „Wir wollen auch in Zukunft so harmonisch und fruchtbar wie möglich zusammenwirken.“140 So harmonisch, wie Kamnitzer den Verlauf der Generalversammlung beschrieb, stellte sich indes die Situation für die Unterzeichner der Biermann-Petition nicht dar. Alle Petenten waren gehörig unter Druck geraten: Die parteiliche Maßregelung reichte von Parteiausschluss bzw. -austritt (Jurek Becker, Gerhard Wolf, Sarah Kirsch) bis hin zur ‚strengen Rüge‘ im Falle von Stephan Hermlin und Christa Wolf. Die meisten parteilichen Disziplinierungsmaßnahmen erfolgten über den Schriftstellerverband; dazu liegt umfassende Literatur vor.141 Manche entzogen sich der Repression: Jurek Becker und Sarah Kirsch verließen im Verlauf des Jahres 1977 die DDR; viele weitere Künstler und Schriftsteller folgten ihnen. Nach den heftigen Reaktionen auf die Biermann-Ausbürgerung war die Angst der Regierenden vor einem Erstarken der oppositionellen Bewegung groß – umfassende Sicherungsmaßnahmen wurden in der Folge konzipiert und zur Anwendung gebracht; diese zielten vor allem darauf, den Bestrebungen des „Gegners“ entgegenzuwirken, „feindlich-negative Kräfte in den sozialistischen Ländern, insbesondere der DDR, noch stärker zu staatsfeindlichen Handlungen und Aktivitäten zu mobilisieren und mehr als bisher politisch nicht gefestigte, labile, schwankende Personen 138 Zitiert nach Roland Berbig u. a. (Hrsg.): In Sachen Biermann. Protokolle, Berichte und Briefe zu den Folgen der Ausbürgerung. Berlin: Links 1994 (Armin Mitter und Stefan Wolle (Hrsg.): Forschungen zur DDR-Geschichte 2), S. 19 bzw. S. 172. 139 [Henryk Keisch] an Leo Sladczyk [Abt. Kultur beim ZK der SED] (9. 3. 1978). AdK Berlin, PENArchiv (Ost). 140 P.E.N.-Zentrum Deutsche Demokratische Republik. Generalversammlung am 5. April 1978/Zusammenfassung [o. D.]. AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost). 141 Vgl. vor allem Berbig u. a. (Hrsg.): In Sachen Biermann.
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in derartige Machenschaften einbeziehen zu können“.142 Die vom „Gegner verfolgten Ziele und Absichten zur Unterwanderung der DDR und zu ihrer Zersetzung von innen heraus, zur Schaffung und Aktivierung einer sogenannten inneren Opposition bzw. zur Forcierung der politischen Untergrundtätigkeit“,143 für die bestimmte Kräfte unter den Kulturschaffenden besonders anfällig seien, sollten ausgehebelt werden – mittels einer strikten Kaderpolitik, die die Durchsetzung der Beschlüsse von Partei und Regierung auf dem Gebiet der Kulturpolitik gewährleisten sollte. So geriet auch das PEN-Zentrum DDR ins Visier der parteipolitischen Analysten, die ihm das Fehlen einer klaren politischen Konzeption anlasteten. Die Befehle und Weisungen „zur allseitige[n] politisch-operative[n] Sicherung der sozialistischen […] Kultur“144 zielten insbesondere auf „Schriftsteller mit politisch-negativen Persönlichkeitsmerkmalen“145, darunter auch die Mitglieder des PEN-Zentrums DDR. Neue Operative Vorgänge (OV) wurden eingerichtet – OV ‚Zyniker‘ gegen Günter Kunert, OV ‚Filou‘ gegen Franz Fühmann, OV ‚Doppelzüngler‘ gegen Christa und Gerhard Wolf und OV ‚Leder‘ gegen Stephan Hermlin, OV ‚Germanist‘ gegen Rolf Schneider, OV ‚Milan‘ gegen Sarah Kirsch, OV ‚Dramatiker‘ gegen Ulrich Plenzdorf. Die Überwachung und Beeinflussung der Zielpersonen war so zu gestalten, dass –– –– ––
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die feindlichen Kräfte keinen einheitlichen konterrevolutionären Block bilden können keinen bedeutenden Einfluß zur Sammlung und Aktivierung feindlicher, negativer und politisch schwankender Kräfte auszuüben vermögen ihre feindlichen Pläne, Absichten und Verbindungen so wie Kanäle und Hintermänner aufgedeckt und beweismäßig gesichert werden, insbesondere zu feindlichen Zentren und Geheimdiensten wirksame Maßnahmen zur Zersetzung, Verunsicherung und des Herausbrechens einzelner Personen durchgesetzt werden, um die feindliche Wirksamkeit dieser Kräfte einzuschränken.146
Wer diese Aufgabe übernahm, geht aus dem Aktenmaterial nicht hervor. Die Überwachung konzentrierte sich indes vor allem auf die Aktivität des PEN-Zentrums DDR auf internationaler Ebene. Besonders scharfer Kontrolle unterlag dabei Stephan Hermlin: Er „ist Vizepräsident des Internationalen PEN und keiner DDR-Institution rechenschaftspflichtig“147 und wurde in den Folgejahren von verschiedenen IM, insbesondere auf Auslandsreisen, politisch-operativ ‚bearbeitet‘. Die reale Wirksamkeit der Überwachungsmaßnahmen ist nur schwer einzuschätzen. Nachweisbar ist indes, dass 142 Hinweise über einige Probleme im Zusammenhang mit feindlich-negativen Aktivitäten von Personenkreisen auf dem Gebiet Kunst und Kultur (8. 1. 1977). BStU, MfS, HA XX 209, Bl. 115–139, hier Bl. 115. 143 Ebd., Bl. 116. 144 Karl Brosche [Oberleutnant, MfS, HA XX/7]: Jahresarbeitsplan der Haupt abt. XX/7 für das Jahr 1977 (3. 1. 1977). BStU, MfS, HA XX 209, Bl. 196–242, hier Bl. 198. 145 Ebd., Bl. 211. 146 Ebd., Bl. 229. 147 Ebd., Bl. 231.
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sich Hermlin auch während der strikten Überwachung in einzelnen Fällen für weniger prominente Schriftsteller und Künstler, etwa im Fall von Jürgen Fuchs, Gerulf Pannach und Christian Kunert oder Frank Schöne, verwendete. Auf seine Vermittlungsversuche bei Honecker hat Hermlin mehrfach hingewiesen; diese seien „ziemlich erfolgreich“ gewesen: „[E]r hat mich kaum einmal enttäuscht.“148 So nahm Hermlin am Ende der 1970er Jahre eine Sonderrolle unter den DDR-Autoren ein; er war zum direkten Ansprechpartner des WiPC-Beauftragten Michael Scammell geworden. Als Vizepräsident des Internationalen PEN war er den ethisch-moralischen Idealen der Schriftstellervereinigung ganz besonders verpflichtet; er besaß gute Kontakte in die obersten Regierungskreise der DDR und er war bereit, sich in den meisten Fällen mit verfolgten Schriftstellerkollegen solidarisch zu erklären – im Gegensatz zu Heinz Kamnitzer und Henryk Keisch, die als überzeugte Parteisoldaten die Linientreue über jegliche Moral stellten. Gleichwohl nahm sich der DDR-PEN auf internationaler Ebene in seiner Aktivität stark zurück und erschien im Jahr 1977 auf keiner internationalen Tagung. Insbesondere die von der Sektion Writers in Exile durchgeführte Tagung in Hamburg (Mai 1977), die kritische Nachfragen auf die repressive Kulturpolitik in Staaten des östlichen Machtbereichs erwarten ließ, wurde von den Verantwortlichen im DDR-PEN durch ein demonstratives Fernbleiben bewusst torpediert. Es gibt indes keinerlei Indizien dafür, dass das Fehlen der DDR-Sektion in der Öffentlichkeit als massive Demonstration gegen die Veranstalter wahrgenommen wurde. Und doch geriet das PEN-Zentrum DDR in Hamburg ins Kreuzfeuer der Kritik. Konkreter Anlass war ein ungeheuer zynisches, die Realitäten negierendes Schreiben, das Keisch auf eine Anfrage des schwedischen PEN-Zentrums hinsichtlich der Aktivitäten des DDR-PEN für die aus dem Lande ausgewiesenen bzw. dort in Haft befindlichen Schriftsteller an den Internationalen PEN gesandt hatte. Das „shocking document“149, das die rigiden Maßnahmen der SED-Diktatur schön redete, wurde von den Delegierten mit Entsetzen aufgenommen. Keisch zeigte sich von der Aufregung unbeeindruckt – wohl nicht zuletzt deshalb, weil keine konkreten Maßnahmen gegen den DDR-PEN folgten. Eine persönliche Aussprache über die Vorgänge in der DDR fand auch im weiteren Verlauf des Jahres nicht statt. So wagte sich der DDR-PEN im Jahr 1978 wieder aufs internationale Parkett – mit einer Eingabe, die die neu entbrannte, langwierige Diskussion um die Aufnahme der sowjetischen Schriftsteller in den Internationalen PEN betraf und die internationale PEN-Führung wegen vorgeblich antikommunistischer Positionen scharf attackierte. Das Schreiben des DDR-PEN wurde in Stockholm (Mai 1978) von den Delegierten rege diskutiert – ohne greifbares Ergebnis. Als Triumph wertete Keisch jedoch die Annahme einer von der DDR-Sektion vorgeschlagenen Resolution, die alle Regierungen der Welt zur Abrüstung und Ächtung der Neutronenwaffe 148 An Allem ist zu zweifeln. Gespräch mit Günter Kaindlstorfer. In: Stephan Hermlin: In den Kämpfen meiner Zeit. Berlin: Wagenbach 1995, S. 91–98, hier S. 94. 149 Minutes of the Meeting of the International Executive Committee of P.E.N. held in Hamburg on Tuesday, May 17th and Wednesday, May 18th 1977, S. 25. PAL.
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aufforderte. Man war auf internationaler Ebene wieder angekommen, ungeachtet des strikten Kurses, den Keisch in allen Fragen verfolgter und mit Repressionen belegter Schriftstellerkollegen beibehalten hatte – unbeeindruckt von aller Kritik, die auch aus den eigenen Reihen, in persona Stephan Hermlin, an ihn herangetragen wurde. Daran änderte auch die kulturpolitische Katastrophe des Jahres 1979 nichts. Die innenpolitische Situation in der DDR war nach der Biermann-Ausbürgerung angespannt: Schon im Laufe des Jahres 1977 hatten zahlreiche Schriftsteller, Künstler und Musiker die DDR verlassen – auf Zeit oder für immer –, weil sie aufgrund ihres Protestes gegen die Ausbürgerung massiven Gängeleien der Staatsmacht ausgesetzt waren. Andere blieben, legten aber wichtige öffentliche Ämter nieder. Die Repressionen der SED-Regierung gegenüber kritischen Geistern wurden ungeachtet dessen unvermindert fortgesetzt. Und auch das PEN-Zentrum DDR hielt an seiner regierungskonformen Haltung fest: Nachfragen und Mahnungen aus dem Internationalen PEN in Bezug auf die im eigenen Lande inhaftierten Kollegen wurden nach alt bekanntem Muster zurückgewiesen, so etwa im Fall von Rudolf Bahro; er sei kein Schriftsteller, sondern Ökonom. Die auf Betreiben des Internationalen PEN getätigten Anfragen seien Angriffe auf die Rechtssprechung der DDR und würden lediglich ausgenutzt im Rahmen der „permanente[n] Stimmungsmache gegen die DDR“.150 Insbesondere war es Keisch, der weiterhin jegliche Solidarität mit drangsalierten Schriftstellerkollegen verweigerte und die politische Strafverfolgung des SED-Regimes unterstützte. Unterdessen wurde die restriktive Kulturpolitik auch 1978 unvermindert fortgesetzt und auch der Exodus der kritischen Schriftsteller und Künstler ging weiter. Die ideologische Situation im Inneren der DDR verhärtete sich immer mehr. Das Jahr 1979 wurde schließlich zu einem der „finstersten Kapitel[ ] im kulturpolitischen Schwarzbuch der DDR-Geschichte“151, in dem auch das PEN-Zentrum keine positive Rolle übernahm. Mit dem tribunalartig inszenierten Ausschluss der Schriftsteller Jurek Becker, Klaus Poche, Erich Loest, Adolf Endler, Klaus Schlesinger, Kurt Bartsch, Dieter Schubert und Martin Stade aus dem Schriftstellerverband am 7. Juni 1979 eskalierte die kulturpolitische Situation in der DDR. Im Mai 1979 hatten die Genannten in einem Brief an Erich Honecker gegen die massive und vor allem demonstrative Bestrafung und Kriminalisierung von Kollegen wie Stefan Heym, Robert Havemann und Wolfgang Hilbig protestiert, die unter Umgehung des Büros für Urheberrechte, also ohne amtliche Genehmigung, Werke im Westen publiziert hatten. Daraufhin setzte der Schriftstellerverband, der eine „unrühmliche, ja sogar die Staatsmacht sekundierende Rolle übernommen hatte“152, in enger Abstimmung mit der Abteilung Kultur des ZK der SED, der HV Verlage und Buchhandel und dem Ministerium für Staatssicherheit eine perfekte „Mischung 150 Henryk Keisch an Erik Vagn Jensen (1. 6. 1979). AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost). 151 Joachim Walther u. a. (Hrsg.): Protokoll eines Tribunals. Die Ausschlüsse aus dem DDR-Schriftstellerverband. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1991, S. 7. 152 Wolfgang Emmerich: Kleine Literaturgeschichte der DDR. Erweiterte Neuausgabe. Leipzig: Gustav Kiepenheuer 1997, S. 259.
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aus Parteiverfahren und Schauprozeß“153 in Szene, um mit den Petenten des Protestbriefes und zugleich einigen anderen missliebigen Mitgliedern abzurechnen. Auf der Mitgliederversammlung wagte es nur Stephan Hermlin, sich gegen die drakonische Disziplinierungsmaßnahme auszusprechen, andere Widersacher erhielten erst gar kein Rederecht. Und Franz Fühmann urteilte noch am selben Tag resigniert: „Ich bin der tiefen Überzeugung, daß wir auf verlorenem Posten stehen; nun ja.“154 Gegen die Maßnahmen des Schriftstellerverbandes, der zum Instrument parteipolitischer Schikane geworden war, erhob sich vereinzelter Protest von Schriftstellerkollegen, etwa von den PEN-Mitgliedern Günter de Bruyn, Christa Wolf, Franz Fühmann, Ulrich Plenzdorf und Rainer Kirsch. Der PEN als Institution indes, der durch den Ausschluss der Mitglieder Stefan Heym, Rolf Schneider und Joachim Seyppel direkt betroffen war, meldete sich nicht zu Wort. Ein Vorstoß von Christa Wolf, die sich schon im Vorfeld der Ausschlüsse im Falle des wegen Devisenvergehens bestraften Stefan Heym in Sorge an den Generalsekretär des PEN-Zentrums DDR gewandt hatte, wurde von diesem harsch abgestraft. Keisch griff Wolf scharf an und unterstellte ihr Parteinahme für die falsche Seite. Ein kurzer Schlagabtausch folgte, der deutlich machte, dass vom PEN keine konzertierte Kritik an der Behandlung ‚unbequemer‘ Autoren zu erwarten war: Kritischen Geister sollte im PEN kein Raum gegeben werden. Der Protest wurde im Keim erstickt, der Druck erhöht, der Ausschluss vom Schriftstellerverband offiziell bestätigt und propagandistisch ausgeschöpft. Anfragen aus dem Ausland wiegelte Keisch wie gewohnt ab. Die Annahme, dass die Ausschlüsse in Zusammenhang mit der literarischen Arbeit der Betroffenen stünden, sei ein Irrtum. Bei der Auseinandersetzung „zwischen bestimmten DDRAutoren auf der einen, dem Großteil ihrer Kollegen sowie gesellschaftlichen und staatlichen Institutionen auf der anderen Seite“ handele sich vielmehr um einen notwendigen und heilsamen „Prozess sachlicher Klärung“155, an dessen Ende die Distanzierung von jenen stünde, die sich nicht loyal zur DDR-Administration verhielten. Indiskutabel sei daher eine einvernehmliche Verständigung mit notorischen Kritikern des Systems, „die ihren Kollegen, der Gesellschaft der DDR und dem Staat Schwierigkeiten bereiten und sich dafür Kritik gefallen lassen müssen“.156 Wer der Parteilinie nicht folgen wolle, könne sich getrost distanzieren – gezwungen oder ungezwungen: Der Schriftstellerverband ist eine Organisation, keine Behörde. Er hat ein Statut, und er hat ein Programm. Aus dem Programm und dem Statut geht hervor, daß er eine Vereinigung von sozialistischen Schriftstellern ist, die auf ihre Weise und mit ihren Mitteln an der in der DDR herrschenden gesellschaftlichen und politischen Ordnung mitwirken wollen. Wer dies nicht will, braucht nicht einzutreten, kann austreten und im Konfliktfall ausgeschlossen werden.157 153 Zitiert nach: Zu diesem Buch. In: Walther u. a. (Hrsg.): Protokoll eines Tribunals, S. 2. 154 Franz Fühmann an Stephan Hermlin (23. 5. 1979). DLA, A: Stephan Hermlin, Briefe an Hermlin. 155 Henryk Keisch an Martin Gregor-Dellin (1. 6. 1979). AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost). 156 Ebd. 157 Henry Keisch an Erik Vagn Jensen (9. 7. 1979). AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost).
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Dies galt für den Schriftstellerverband, ließ sich aber auch ohne Weiteres auf die Staatsbürgerschaft der DDR übertragen: „Wer Loyalität aufkündigt, kann in dieser Sache nicht unsere Solidarität haben.“158 Keisch demonstrierte mit dieser Haltung indirekt die Übereinstimmung mit dem „amtliche[n] Urteil über den bis 1979 erfolgten Künstlerexodus […], der an sich gesunde DDR-Volkskörper habe sich durch die ‚schmerzlose Amputation erkrankter Glieder‘ regeneriert.“159 Eine Einmischung in die Auseinandersetzung um den Schriftstellerverband lehnte Keisch strikt ab; er sah sich vielmehr dazu berufen, die repressive Politik des Staates vorbehaltlos zu bejahen und gegen jegliche Kritik von außen zu verteidigen. Doch auf der Ebene des Internationalen PEN sah sich der DDR-PEN mit einer scharfen Resolution konfrontiert, die das bundesdeutsche PEN-Zentrum im Juli 1979 auf dem Kongress in Rio de Janeiro durchsetzte. Darin wurde ganz allgemein die Situation der Menschenrechte in der DDR beklagt und deutlicher Protest zu den jüngsten kulturpolitischen Ereignissen erhoben. Die anwesenden DDR-Delegierten hatten dem wenig entgegenzusetzen. Deutlich wurde nur eins: Man war nicht bereit, auch nur „ein kleines bißchen Solidarität160“ für die mit Restriktionen belegten Schriftstellerkollegen im eigenen Lande aufzubringen. So zeigte sich das PEN-Zentrum DDR am Ende der 1970er Jahre, die kulturpolitisch besonders brisant waren, in einer staatskonformen Position erstarrt; es bot den Mitgliedern kein Forum der offenen Aussprache, Grundsatzdiskussionen waren unmöglich geworden, einen offiziellen Einsatz für Schriftstellerkollegen gab es nicht. Das Interesse der Mitglieder an der PEN-Arbeit war stark zurückgegangen, beklagt wurde die mangelnde Transparenz. Der kritische Geist hatte im PEN keine Heimstatt und der Massenexodus der Schriftsteller war auch im PEN spürbar geworden. Beherrscht wurde das PEN-Zentrum vom SED-konformen Führungsduo Kamnitzer–Keisch, das von getreuen Gefolgsleuten des MfS sekundiert wurde. Das Präsidium glich einem Rumpfkabinett, dessen Tun und Lassen in enger Abstimmung mit den kulturpolitischen Verantwortlichen gesteuert wurde. Die Teilnahme an den Präsidiumssitzungen konzentrierte sich im Wesentlichen auf Kamnitzer, Keisch und Paul Wiens, hinzu kam Stephan Hermlin. In diesem desolaten Zustand ging das PEN-Zentrum DDR in das letzte Jahrzehnt der SED-Diktatur, die ihrem Niedergang entgegensah.
158 Information über die Sitzung des Präsidiums des Schriftstellerverbandes der DDR am 23. Mai 1979 in Berlin. Zitiert nach Walther u. a. (Hrsg.): Protokoll eines Tribunals, S. 99f, hier S. 100. 159 Emmerich: Kleine Literaturgeschichte, S. 262. 160 Susanne Ulrici: Kulturexport nach Brasilien. Impressionen vom Internationalen PEN-Kongreß in Rio der Janeiro. In: Mainzer Allgemeine Zeitung, 31. 7. 1979.
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5 Innere Erstarrung, politische Willfährigkeit und partieller Neuanfang: Das PEN-Zentrum DDR in den 1980er Jahren (1979/80–1989) Obgleich das literaturpolitische Katastrophenjahr 1979 enorme Auswirkungen auf das Verhältnis zwischen Staat und Schriftstellern hatte, setzte die Führung des DDR-PEN weiterhin auf das Prinzip der Nichteinmischung als Mittel der Wahl. Hinsichtlich dieser Position gab es kaum Widerspruch aus den Reihen der Mitglieder. Lediglich einzelne Präsidiumsmitglieder entwickelten eine kritische Haltung, die zwar nicht zu einer offenen Auseinandersetzung führte. Gleichwohl manifestierte sich ein indirekter Protest im stummen Rückzug vom Präsidium: Christa Wolf und Jeanne Stern standen für die Präsidiumswahlen im Februar 1980 nicht mehr zur Verfügung. In der Folge begann die Suche nach geeigneten Kandidaten. Keisch sah darin die Chance, eine kadermäßige Besetzung des Präsidiums durchzusetzen, die einer „spürbare[n] Verbesserung der politischen Zusammensetzung“161 dienlich sein konnte. Gleichzeitig trieb Keisch bei der Vorbereitung der Generalversammlung die Furcht vor einem Konflikt innerhalb des PEN um. Er setzte auf eine Sicherung der Veranstaltung durch eine sorgfältige Vorbereitung der Parteigruppe, die auf absolute Disziplin hinsichtlich der ausgegebenen Zielsetzungen einzuschwören war. Im Zentrum stand dabei der Umgang mit den politischen ‚Sorgenkindern‘: Notwendig war es aus Keischs Sicht, jegliche gegnerische Auffassung zurückzuweisen und deutlich zu machen, dass eine Nutzung des PEN als Basis oppositioneller Handlungen aussichtslos sei. Auch das Zuwahlprozedere war in dieser Weise durch die Verpflichtung der SED-Mitglieder auf Parteidisziplin zu kontrollieren, um den PEN nicht zu einem Sammelbecken kritischer Geister werden zu lassen. Um diese Zielsetzungen zu erreichen, zog Keisch sich hinter die Parteiverantwortlichen zurück. Jedoch zeigte das ZK der SED kein übermäßiges Interesse und ließ auf eine Antwort warten. Aber das Ministerium für Staatssicherheit beobachtete die Veranstaltung; Paul Wiens, alias IM ‚Dichter‘, legte einen detailreichen Bericht vor. Im Visier der Staatssicherheit standen insbesondere Stephan Hermlin, Stefan Heym, Günter de Bruyn, Rainer Kirsch, Adolf Endler, Kurt und Jeanne Stern, Volker Braun, Christa und Gerhard Wolf, Franz Fühmann sowie Ulrich Plenzdorf. Die Brisanz der Generalversammlung im Februar 1980 blieb indes weit hinter den Befürchtungen zurück. Es gab keine scharfe oder auch nur kontroverse Diskussion über die einschneidenden Ereignisse in der kulturpolitischen Entwicklung der DDR. Ein Vorstoß kam lediglich von Stefan Heym, der die Unmöglichkeit eines öffentlichen Meinungsaustausches und die mangelnden Mitgestaltungsmöglichkeiten der Kulturschaffenden monierte; dieser blieb unbeantwortet. Der PEN schwieg, notorischer Dis161 Vorlage an das Sekretariat des ZK der SED [o. D.; erstellt von Henryk Keisch]. AdK Berlin, PENArchiv (Ost).
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kussionsmüdigkeit verfallen. Lediglich der Präsident Heinz Kamnitzer gab ein Signal der Gesprächsbereitschaft, um ein winziges Ventil für den sich aufbauenden Druck zu öffnen. Es gebe Gesprächsmöglichkeiten – aber „natürlich nicht, wo aus dem Fenster gesprochen werden kann.“162 In der Folge erfuhren Präsident und Generalsekretär wiederholte Bestätigung, das Präsidium wurde ergänzt durch die Zuwahl von Fritz Rudolf Fries, Paul Wiens und Rita Schober. Damit war die Durchsetzung der PENFührung mit Inoffiziellen Mitarbeitern des MfS gestärkt worden: Als Zuträger arbeiteten nunmehr aktiv Fries, Wiens, Keisch und Kamnitzer. Kant hatte seine IM-Tätigkeit 1976 eingestellt. Etwas lebendiger zeigte sich die Generalversammlung im Jahr 1982, auf der Rainer Kirsch eine Debatte über die Behandlung kritischer Autoren in der DDR anstieß. Zwar wurde Kirschs Einwurf von Keisch scharf gekontert. Dennoch entspann sich ein Meinungsaustausch, an dem sich die anwesenden PEN-Mitglieder beteiligten: „Es zeigte sich […], daß man zum Gespräch bereit ist […]. Seit langem wurden wieder Standpunkte erklärt und bei allen Differenzen: Man sprach miteinander, auch gegeneinander.“163 So lebhaft sich die Generalversammlung des Jahres 1982 gestaltet hatte, so erstarrt zeigte sich das PEN-Zentrum DDR im Jahr 1985. Das Präsidium war in regelrechte Lethargie verfallen und eine solche spiegelte auch der Ablauf der Generalversammlung wider. Die Versammlung plätscherte mit unverfänglichen Themen vor sich hin, gefolgt von einem unspektakulären Wahlgang, der das Präsidium und das Führungsduo Kamnitzer–Keisch bestätigte. Auch die Vorschläge für die Zuwahl neuer Mitglieder wurden ohne Debatte angenommen. Insgesamt zeigte sich in der ersten Hälfte der 1980er Jahre, dass der PEN im DDRInneren immer mehr an Bedeutung verlor und das Interesse vor allem auf die internationalen Wirkungsmöglichkeiten gerichtet war. Der kontinuierliche Rückgang des Interesses unter den Präsidiumsmitgliedern demonstrierte die Lethargie im Inneren, die möglicherweise aber mit der zunehmenden Dominanz von Präsident und Generalsekretär in Zusammenhang stand. Lediglich Stephan Hermlin mischte ab und an in der Führungsebene mit, insbesondere in der direkten Konfrontation mit Henryk Keisch. Die Präsidiumssitzungen waren schlecht besucht; es kam kaum mehr zu einem konstruktiven Austausch. Zwar gab es unter den wenigen Anwesenden ab und an hitzige Debatten, insgesamt aber herrschte eine allgemeine Lähmung vor. Davon zeugt auch die verschwindend geringe Zahl der in den Jahren 1980 bis 1985 durchgeführten Clubveranstaltungen, die kaum auf Außenwirkung ausgerichtet waren.
162 Stenographisches Protokoll der Generalversammlung des P.E.N.-Zentrums DDR am 17. 2. 1980 [o. D.], S. 38. AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost). 163 Gerhard Hoffmann [Hauptmann, Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit Frankfurt/Oder, Referat XX/7]: Jahreshauptversammlung des P.E.N.-Zentrums DDR [IM Pedro Hagen] (22. 11. 1982). BStU, MfS, Ffo, V 1106/72, Bd. II/II, Bl. 192f., hier Bl. 192.
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So erstaunt es nicht, dass das PEN-Zentrum DDR in diesen Jahren weiterhin wenig bzw. keinen Einsatz für drangsalierte Schriftstellerkollegen im eigenen Lande zeigte. Eine Auseinandersetzung mit einzelnen Fällen fand, wenn überhaupt, nur auf Anstoß von außen statt und blieb in der Regel folgenlos für die betroffenen Schriftsteller. Anfragen kamen häufig vom bundesdeutschen Pendant, aber auch aus der internationalen PEN-Zentrale bzw. von den WiPC-Beauftragten. Die Kooperationsbereitschaft der führenden Köpfe im PEN-Zentrum DDR, d. h. Kamnitzer und Keisch, nahm sich in dieser Hinsicht sehr bescheiden aus. Insbesondere Keisch verfolgte weiterhin einen harten Kurs; er wies jegliche kritische Frage nach dem immer gleichen Muster zurück: Kein Schriftsteller in der DDR sei wegen seiner Schriften inhaftiert; vielmehr liege ein Verstoß gegen die Gesetze der DDR vor. Kritische Nachfragen geißelte er als Einmischungen in die inneren Angelegenheiten des SED-Staates; es seien „typische Aktivitäten [der] Gegner“.164 Auf internationaler Ebene verteidigte der DDR-PEN kompromisslos die Politik der SED-Regierung und wies alle Nachfragen mit Empörung zurück; es sei nicht wahrheitsgemäß, „daß sich auch nur ein Autor in der DDR in Haft befindet, daß der Staat mit Repression gegen Autoren vorgeht.“165 Vertreten wurde die irrwitzige Auffassung, der Exodus der Schriftsteller, der doch das Resultat einer diktatorischen Kulturpolitik war, sei als Zeichen der Liberalität des SED-Staates zu verstehen. Aber auch die direkten Hilferufe aus dem Inneren, etwa von Lutz Rathenow, der den Regulierungsmaßnahmen der SED-Organe gegenüber den Friedensaktivisten der DDR zum Opfer gefallen war, blieben ohne Resonanz des PEN-Zentrums oder wurden barsch zurückgewiesen. Jede Bitte um Unterstützung blieb folgenlos. Einziger Gegenspieler im PEN-Präsidium war Stephan Hermlin; er brach scharfe Auseinandersetzungen mit Keisch los und versuchte, den Widerspruch zwischen dem Einsatz für Kollegen und der Loyalität gegenüber dem eigenen Staat aufzulösen und die Ideale der PEN-Charta in Erinnerung zu bringen: Als Mitglieder des PEN sind wir verpflichtet, uns für solche Leute einzusetzen. Das bedeutet nicht, daß ich oder wir als PEN-Mitglieder nicht für die Einhaltung der Gesetze der DDR sind oder daß wir gegen unseren Staat und dessen Gesetze sind. Was wir können und müssen ist, die entsprechenden Stellen um Milde zu bitten. Wie dann individuell entsprechend der Sachlage von diesen Institutionen oder Verantwortlichen entschieden wird, ist eine ganz andere Frage.166
164 Information über eine Präsidiumstagung des PEN-Zentrums der DDR zu Problemen der Internationalen PEN-Tagung vom 6.–11.5.1980 in der jugoslawischen Stadt Bled (11. 4. 1980). BStU, MfS, A 175/86, Bd. II/1, Bl. 92–95, hier Bl. 93. 165 Gerhard Hoffmann [Hauptmann, Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit Frankfurt/Oder, Referat XX/7]: Bericht über den Kongreß des Internationalen P.E.N. in Caracas 25. 9. bis 1. Oktober 1983 (II) (5. 10. 1983). BStU, MfS, Ffo, V 1106/72, Bd. II/II, Bl. 287–293, hier Bl. 292. 166 Information über eine Präsidiumstagung des PEN-Zentrums der DDR zu Problemen der Internationalen PEN-Tagung vom 6.–11.5.1980 in der jugoslawischen Stadt Bled (11. 4. 1980). BStU, MfS, A 175/86, Bd. II/1, Bl. 92–95, hier Bl. 94.
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Demgemäß war es Hermlin, der in Einzelfällen nach Anfragen von außen im Inneren aktiv wurde – eigenmächtig, ohne Absprache mit dem Führungsduo Kamnitzer und Keisch. So nahm Hermlin etwa im Fall von Thomas Erwin und Frank-Wolf Matthies, die wegen des Vorwurfs ungesetzlicher Verbindungsaufnahme inhaftiert worden waren, direkten Kontakt mit Erich Honecker auf und vermeldete dem Präsidium wenig später: Er habe „diese Angelegenheit bereits geregelt und seinen ‚heißen Draht‘ benutzt, um darüber ausführlich mit seinem Freund, Genossen Honecker, zu beraten. […] Im Ergebnis seines Gespräches habe Genosse Honecker diese Angelegenheit sofort bereinigt […].“167 Im Präsidium löste Hermlins eigenmächtiges Handeln einen heftigen Meinungsstreit um den Einsatz des PEN für verfolgte Schriftsteller aus, der schließlich zwischen Hermlin und dem Hardliner Keisch zu eskalieren drohte. Lediglich Kamnitzers vermittelndes Eingreifen verhinderte, dass Hermlin von seiner Präsidiumstätigkeit zurücktrat. Indes handelte es sich bei Hermlins Einsätzen um Einzelaktionen; diese waren keineswegs die Regel. Die vehemente Verweigerung einer offiziellen Kooperation mit dem Internationalen PEN gipfelte im Jahr 1984 in einer scharfen Auseinandersetzung zwischen Keisch und dem WiPC-Beauftragten Michael Scammell, der einen wesentlichen Grund aufdeckte, warum die Zusammenarbeit zwischen WiPC und DDR-PEN nicht funktionierte. Die Verantwortlichen des PEN-Zentrums DDR, insbesondere Keisch, fassten jede Anfrage als Anklage auf; sie verstanden sich nicht als Anwalt der verfolgten Schriftsteller, sondern als Verteidiger der staatlichen Politik. Keisch begriff sich nicht als Kooperationspartner des WiPC, sondern sah den DDR-PEN als Opfer subversiver Bestrebungen, die im Einklang mit gegen die DDR gerichteten „Angriffe[n] auf politischer, ökonomischer, psychologischer, propagandistischer Ebene“168 standen. In der Beweispflicht sah Keisch den WiPC-Beauftragten; dieser habe stichhaltige Belege für seine Behauptungen zu erbringen. Eine konstruktive Zusammenarbeit war auf dieser Grundlage unmöglich. Das PEN-Zentrum DDR war Mitte der 1980er Jahre hinsichtlich seiner Positionierung innerhalb des Internationalen PEN in die Offensive gegangen. Das betraf die Arbeit des WiPC, die nicht nur ignoriert, sondern vielfach, insbesondere in der Person von Michael Scammell, torpediert wurde, aber auch alle anderen Bereiche auf internationaler Ebene. Auf der Grundlage geheimdienstlicher Überwachung ging es darum, die Möglichkeiten gezielter Einflussnahme ausfindig zu machen; „Vertreter im internationalen PEN zu ermitteln, die in positiver Weise beeinflusst und für die Zurückdrängung antisozialistischer Aktivitäten rechter Kräfte im internationalen PEN gewonnen werden können. Es sind offizielle Möglichkeiten und Kanäle zu ermitteln und zu nutzen, um antisozialistische und antisowjetische Kräfte im internationalen
167 Zwischenbericht zum OV ‚Leder‘ (23. 1. 1981). BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. V/18, Bl. 260–262, hier Bl. 261. 168 Henryk Keisch an Kathleen von Simson (20. 3. 1984). AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost).
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PEN öffentlich zu kompromittieren.“169 Demnach war es bei der Präsenz im internationalen Raum vordringlich daran gelegen, die eigene politische Linie deutlich zu machen und zugleich Angriffe auf das eigene Lager abzuwähren oder mindestens zu schwächen. Die Erfüllung dieser Zielsetzungen sollte durch den Einsatz geeigneter Kader gewährleistet werden. Eine operative Arbeitsvereinbarung von 1978 nennt „die IMS/GMS der HA XX/7 ‚Heinz‘ (Präsidiumsmitglied im PEN-Zentrum DDR), ‚Henryk‘ (Präsidiumsmitglied im PEN-Zentrum DDR), ‚Dichter‘, ‚Thomas‘, ‚Martin‘ (Präsidiumsmitglied im PEN-Zentrum DDR)“.170 Wie ein roter Faden durchziehen die MfS-Berichte der 1980er Jahre Klagen über antisozialistische Angriffe und Verleumdungen. Internationale PEN-Tagungen wurden akribisch vorbereitet. Ins Visier des Geheimdienstes gerieten dabei nicht nur der internationale WiPC-Beauftragte Michael Scammell, der längst den Status einer ‚Feindperson‘ erlangt hatte, und der internationale Generalsekretär Alexandre Blokh, sondern auch Stephan Hermlin, den es angesichts seiner herausgehobenen Stellung als internationaler Vize-Präsident von der Mitarbeit an ‚antisozialistischen‘ bzw. ‚antisowjetischen‘ Resolutionen abzuhalten galt. Er sollte vielmehr instrumentalisiert werden für die Durchsetzung von Resolutionen aus dem sozialistischen Lager, die man als adäquates Abwehrmittel von Kritik gegenüber dem sowjetischen Machtbereich begriff. In der Tat gab es von Seiten des Internationalen PEN immer wieder kritische Nachfragen hinsichtlich kulturpolitischer Entwicklungen in der UdSSR und anderen sozialistischen Ländern; diese wurden indes nicht weniger sachlich und akzentuiert vorgebracht als die Erkundigungen hinsichtlich von Problemlagen in anderen Ländern. Letztere interpretierte Kamnitzer indes nur als Elemente einer Verschleierungstaktik, die von den vorgeblich konzertierten antisozialistischen Angriffen ablenken sollte. Auch Fritz Rudolf Fries, der als Delegierter am internationalen Kongress in Caracas (1983) teilnahm, spürte ein politisch-ideologisches Ungleichgewicht im Internationalen PEN, dessen Entscheidungen aufgrund der Minorität sozialistischer Staaten auffallend häufig gegen diese gerichtet seien. Man stehe einer „Mafia gegenüber“.171 Gleichwohl sah er die Wirkungsmöglichkeiten des Internationalen PEN sehr viel
169 BStU, MfS, ZA, HA XX, AKG 781, Bl. 369–373. Zitiert nach Walther: Sicherungsbereich Literatur, S. 809. 170 BStU, MfS, ZA, HA XX, AKG 781, Bl. 369–373. Zitiert nach Walther: Sicherungsbereich Literatur, S. 810. – Die Identifizierung der IMS/GMS ist nicht eindeutig geklärt. ‚Dichter‘, ‚Thomas‘ und ‚Martin‘ sind identifiziert als Paul Wiens, Peter Edel und Hermann Kant. ‚Heinz‘ war vermutlich Heinz Kamnitzer, obgleich dieser eigentlich den Decknamen ‚Georg‘ trug. ‚Henryk‘ ist nicht entschlüsselt. Die Vermutung, dass es sich dabei um Henryk Keisch handelte, liegt nahe; eine Verifizierung des Klarnamens ist indes nicht gelungen. 171 Gerhard Hoffmann [Hauptmann, Bezirksverwaltung des MfS Frankfurt/Oder/Referat XX/7]: Bericht über den Kongreß des Internationalen P.E.N. in Caracas 25. September bis 1. Oktober 1983 (I) (5. 10. 1983). BStU, MfS, Ffo, V 1106/72, Bd. II/II, Bl. 284–286, hier Bl. 284.
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gelassener als sein Kollege Kamnitzer; der PEN gebärde sich zwar gewaltig, real löse er aber kaum umfassende Wirkungen aus. Bei vielen Resolutionsvorschlägen, die auf Vorgänge in sozialistischen Ländern Bezug nahmen, verfolgte der DDR-PEN die Strategie, durch Stimmenthaltung bzw. Gegenstimme die Annahme einer Eingabe zu verhindern. Auf dem Kongress in Tokio (1984) gewann die Auseinandersetzung jedoch an Schärfe; man ging in die Offensive. Zielscheibe des scharfen Angriffs war wiederum Michael Scammell; er wurde von Keisch heftig kritisiert. Scammell indes wehrte die Angriffe versiert ab und erinnerte an die Möglichkeit der aktiven Mitarbeit im WiPC. Keischs Attacke blieb so ohne jede Wirkung. Auch eine versuchte Einflussnahme auf den internationalen Generalsekretär Alexandre Blokh auf der Ebene des persönlichen Kontaktes zeigte keine erkennbare Wirkung. Das WiPC setzte seine Arbeit unbeirrt fort. Von Seiten des DDR-PEN besann man sich auf eine weitere Taktik, die man bereits in den 1970er Jahren von Zeit zu Zeit verfolgt hatte: Dabei ging es um die Reaktivierung einer engeren Zusammenarbeit zwischen den sozialistischen Zentren, die die „Abstimmung einer gemeinsamen offensiven Politik im Rahmen des Internationalen P.E.N.“172 in Aussicht nehmen sollten. Deren konsequente Umsetzung gestaltete sich indes schwierig, denn eine einheitliche Front der Zentren aus sozialistischen Ländern war kaum zu generieren: Das Zentrum der ČSSR war seit langem nicht mehr in Erscheinung getreten und während etwa die Ungarn in den Abstimmungen häufig eine eigenständige, prowestliche Position einnahmen, musste das polnische PENZentrum, das infolge der politischen Veränderungen in Polen 1983 in den ‚Ruhestand‘ versetzt worden war, erst einmal um seine Anerkennung auf internationaler Ebene kämpfen. Im Sommer 1980 hatte sich in Polen, ausgelöst durch landesweite Gewerkschaftsstreiks, eine Demokratiebewegung entwickelt, die erst 1981 durch die Einsetzung eines Militärrats zur Nationalen Rettung unter Kontrolle gebracht werden konnte. Die rigide Politik der Militäradministration, die zur Sicherung der Regierungsmacht beitragen sollte, traf auch die oppositionellen Schriftsteller. Das polnische PEN-Zentrum war suspendiert worden, 17 Mitglieder wurden inhaftiert. Diese Entwicklung wurde im Internationalen PEN mit größter Aufmerksamkeit beobachtet. Die internationale Führung propagierte die Unterstützung der polnischen Kollegen. Demgegenüber vertrat der DDR-PEN exakt die konträre Position und folgte damit der offiziellen Linie der SED, die die politischen Entwicklungen in Polen mit äußerster Sorge betrachtete und auch eine militärische Intervention nicht ausschloss. Der Druck auf die PEN-Mitglieder, sich stets konform zur politischen Administration zu verhalten, war enorm. Und so fuhren die Verantwortlichen des DDR-PEN den altbekannten Kurs: Jegliche Resolution, die den polnischen PEN betraf, wurde abgelehnt; die Vorgänge in Polen 172 Vgl. Information zu operativ interessierenden Fragen im Zusammenhang mit dem 47. Internationalen PEN-Kongreß im Mai 1984 in Tokio/Japan (23. 6. 1984). BStU, MfS, A 175/86, Bd. II/2, Bl. 557–564, hier Bl. 564.
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wurden als innere Angelegenheiten und legitime Maßnahmen zur Sicherung der Lage im Land interpretiert; der Einsatz für die polnischen Schriftsteller wurde demgemäß negiert. Für den polnischen PEN verschärfte sich indes die Lage immer mehr. Die Regierungspartei versuchte zunächst, regulierend auf die Zusammensetzung des Präsidiums einzuwirken und setzte schließlich im Juli 1983 ein neues, politisch akzeptables Präsidium ein; dieses wurde jedoch vom Internationalen PEN nicht anerkannt, die staatliche Regulierungsmaßnahme in einer Resolution deutlich kritisiert und das PEN-Zentrum in den ‚Ruhestand‘ versetzt. In dieser problematischen Lage nahm das PEN-Zentrum DDR direkten Kontakt mit den polnischen PEN-Kollegen auf, die den DDR-PEN um Unterstützung bei der Bildung eines neuen, regierungstreuen Präsidiums anriefen. Kamnitzer sicherte Unterstützung zu, machte aber zugleich deutlich: „Eure kulturpolitischen Probleme können wir nicht lösen.“173 Offenbar sah man wenig Chancen, sich im Internationalen PEN erfolgreich für Polen zu verwenden, denn in der Folge hielt sich das PEN-Zentrum DDR in der Frage des polnischen PEN auf internationalem Terrain zurück. Erst 1988, nachdem die polnische Regierung freie Präsidiumswahlen gestattet hatte, konnte der polnische PEN nach jahrelanger Zwangspause seine Tätigkeit im Rahmen des Internationalen PEN wieder aufnehmen. Wie die vorausgegangenen Ausführungen zeigen, konzentrierte sich in den 1980er Jahren die Aktivität der DDR-Vertreter im Internationalen PEN auf die ideologisch geprägte Agitation im Sinne der Politik des SED-Regimes; dazu gehörte auch die Unterstützung des seit Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre stark propagierten ‚Friedenskampfes‘. Die Friedensthematik war durch das atomare Wettrüsten der beiden Weltmächte USA und UdSSR zu einer schwerwiegenden Problematik herangewachsen. Die weltpolitische Situation drohte in einer verhängnisvollen Konfrontation der beiden Machtsysteme, in einem Atomkrieg globalen Ausmaßes zu eskalieren. Deutschland war von dieser Konstellation in besonderer Weise betroffen: Hier standen sich die todbringenden Maschinerien direkt gegenüber. In dieser unmittelbaren Bedrohungssituation gehörten Rüstungsbegrenzung, -stopp oder gar Abrüstung zu den vordringlichen Themen – nicht nur in der Bundesrepublik, auch in der DDR sah man die Friedenssicherung als vorrangiges Ziel an. Entsprechend agierten auch die Verantwortlichen des PEN-Zentrums DDR. Die meisten Resolutionen, die das PEN-Zentrum DDR in den 1980er Jahren vor der internationalen Exekutive zur Diskussion stellte, betrafen die problematische Friedensthematik. Die auf Initiative des DDR-PEN verabschiedete Entschließung zum 35. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus (1980) beschwor „cooperation between the nations and the peoples in the service of peace.“174 Bei der Aktivität im Sinne des ‚Friedenskampfes‘ scheute der DDR-PEN auch eine Kooperation mit dem bundesdeutschen PEN nicht. 173 Marion Brandt: „Eure kulturpolitischen Probleme können wir nicht lösen“. Dokumente zur Haltung des PEN-Zentrums DDR zu Polen (1981 bis 1988). In: DeutschlandArchiv 35 (2002) 4, S. 618–628, hier S. 618. 174 Minutes of the Assembly of Delegates of International P.E.N. held in Bled, Yugoslavia, on 9th May, 1980, S. 40. PAL.
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So hatte das PEN-Zentrum DDR schon im Juli 1979 mit Unterstützung des PENZentrums Bundesrepublik Deutschland eine Resolution eingebracht, die sich auf die aktuellen Entwicklungen in der Nachrüstungsdiskussion (SALT II-Vertrag) bezog. In den Folgejahren intensivierte sich die Beziehung zwischen den beiden deutschen Zentren. Die Friedensproblematik bot einen Anknüpfungspunkt für gemeinsame Gespräche und die Verständigung von PEN zu PEN verbesserte sich. Dass einer Mehrzahl der bundesdeutschen PEN-Mitglieder an einer Verständigung mit dem ostdeutschen Pendant gelegen war, dokumentiert auch eine von der bundesdeutschen Jahresversammlung verabschiedete Aufforderung an die Bundesregierung vom Mai 1981; darin wurde die explizite Forderung eines Kulturabkommens mit der DDR formuliert – als Grundlage offizieller Kontakte zwischen den Kulturorganisationen beider Staaten. Auf bundesdeutscher Seite setzte sich insbesondere Ingeborg Drewitz für eine Kooperation ein; Ergebnis der Verhandlungen war eine Friedensresolution, die unmissverständlich auf die Einhaltung des „ideal of one humanity living in peace and freedom“175 und Abrüstung drang (1981). Diese freundschaftliche Annäherung auf der Ebene der deutsch-deutschen PEN-Politik entsprach der Entspannung der deutsch-deutschen Beziehungen auf höchster politischer Ebene, die durch den DDRBesuch des Bundeskanzlers Helmut Schmidt im Dezember 1981 angestoßen worden war. Als Vertreter der PEN-Zentren trafen im Sommer 1982 der bundesdeutsche Generalsekretär Hanns Werner Schwarze und das DDR-Führungsduo Kamnitzer–Keisch aufeinander und kamen überein, dass in Fragen von Friedenserhaltung und Abrüstung ein Kontakt von Fall zu Fall der gemeinsamen Sache dienlich sein konnte. Doch die Entzweiung der ohnehin anfälligen Allianz ließ nicht lange auf sich warten. Anlass war eine Entschließung des DDR-PEN, die vor der Gefahr eines weltumspannenden Krieges warnte und sich gegen das Fortschreiten der atomaren Aufrüstung in Ost und West richtete. Diese wurde nach kontroverser Debatte durch das internationale Exekutivkomitee im November 1982 angenommen, wohl auch durch die vermittelnde Fürsprache des internationalen Präsidenten. Zu den Delegierten, die sich bei der Abstimmung enthalten hatten, gehörte auch der bundesdeutsche Generalsekretär Hanns Werner Schwarze. Keisch quittierte dessen Abstimmungsverhalten mit einem scharf formulierten Brief, der Schwarzes Enthaltung als deutliche Distanzierung, als regelrechten Verrat an der gemeinsamen Sache interpretierte. Es folgte ein Schlagabtausch, den Schwarze im März 1983 mit einem Höchstmaß an Diplomatie und Kooperationsbereitschaft zu beenden suchte. Doch in dieser Konfliktphase löste ein über die bundesdeutsche Tagespresse lancierter Angriff auf führende DDR-Schriftsteller und das PEN-Zentrum DDR eine neuerliche Verkrampfung im Verhältnis der beiden deutschen Zentren aus. Das ehemalige Mitglied des DDR-PEN Joachim Seyppel, 1973 in die DDR übergesiedelt, im Dezember 1982 wieder ausgebürgert und ins bundesdeutsche Zentrum übernommen worden, attackierte in aller Schärfe Stephan Hermlin und Hermann Kant wegen getreuer 175 Zitiert nach Henryk Keisch an Ingeborg Drewitz (27. 7. 1981). AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost).
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Gefolgschaft des SED-Regimes und aktiver Mitarbeit an der Verfolgung missliebiger Regimekritiker. Und auch der DDR-PEN erntete scharfe Kritik. Angesichts der öffentlich erhobenen Vorwürfe war der Aufschrei in der Führungsetage des PEN-Zentrums DDR naturgemäß groß und man holte zum Gegenschlag aus. Im bundesdeutschen PEN reagierte man verhalten, betrachtete die ‚Affäre Seyppel‘ in erster Linie als Störfall und legte die Verantwortung für Seyppels Äußerungen in dessen Hände. Schließlich konnte der Internationale PEN auf einer Exekutivkomitee-Tagung im Mai 1983 vermittelnd einwirken. Dem DDR-PEN gelang es hier in Abstimmung mit der internationalen PEN-Führung zudem, eine neuerliche Resolution zum Thema Abrüstung anzustoßen, die schließlich mit großer Mehrheit angenommen wurde. Nach Venedig war es der beiderseitigen Diplomatie zu verdanken, dass die deutschen PEN-Zentren in Kontakt blieben. Ein Treffen zwischen Schwarze, Keisch und Kamnitzer im Juni 1983 rückte das Verhältnis gerade und man zeigte sich bestrebt, zu einem vernünftigen Nebeneinander zurückzukehren. Die Zusammenarbeit ging weiter; man war bereit, die gemeinsamen Initiativen für den Weltfrieden fortzusetzen und dabei über manche ideologisch begründete Meinungsverschiedenheit hinwegzusehen. Beide PEN-Sektionen schlossen sich einer Erklärung zum Jahrestag des Kriegsausbruchs am 1. September 1939 an, die die Vorstände des Schriftstellerverbandes der DDR und des Verbandes deutscher Schriftsteller in der BRD gemeinsam beraten und beschlossen hatten; sie appellierten an alle Bürger, die Friedensbewegung weiterhin einmütig zu unterstützen. Bedeutsam wurde die Kooperation der beiden deutschen PEN-Zentren auch im Rahmen des gerade erst auf internationaler Ebene begründeten Writers for Peace-Committees, das auf gemeinsamen Vorschlag der PEN-Zentren Bundesrepublik, DDR und Schweden auf dem internationalen Kongress in Tokio (1984) eine ‚Resolution zum Frieden‘ einbrachte, die nach Nachbesserungen schließlich verabschiedet wurde. Alle schienen mit dem Ergebnis zufrieden; Hanns Werner Schwarze lobte „jenes vernünftige Miteinander“ zwischen den beiden deutschen Zentren, „was zwischen den Regierenden noch nicht funktioniert.“176 Für Keisch gab es höchstes Lob aus dem Kulturministerium, Abteilung Internationale Beziehungen, für sein „großes Engagement bei der Propagierung und Realisierung der politischen und kulturpolitischen Prinzipien [der] Republik“.177 Auch die Mitwirkung an den friedenspolitischen Aktivitäten des Internationalen PEN wurde lobend anerkannt, gleichwohl konnte die DDR aufgrund der wirtschaftlichen Misslage den Jahresbeitrag für das Writers for Peace-Committee nicht aufbringen. Eine weitere Mitwirkung des DDR-PEN in diesem Gremium ist nicht belegt.
176 Hanns Werner Schwarze: Impressionen und Ergebnisse des Internationalen P.E.N.-Kongresses in Tokio vom 14.–18. Mai 1984 (20. 6. 1984). DA. 177 [?] Tautz [Ministerium für Kultur, HA Internationale Beziehungen] an Henryk Keisch (11. 9. 1984). AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost).
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Fortgesetzt wurde hingegen die davon los gelöste Zusammenarbeit der deutschen PEN-Zentren in Friedensfragen – weiterhin von Fall zu Fall, begleitet von Gleichklängen und Dissonanzen. Ungeachtet aller Misstöne war man bestrebt, „miteinander im Gespräch zu bleiben“.178 So unterstützte das bundesdeutsche PEN-Zentrum eine vom DDR-PEN auf internationaler Ebene vorlegte Resolution zum ‚40. Jahrestag der Befreiung vom Hitlerfaschismus‘ (November 1984); führte mit dem DDR-PEN Unterredungen über „Grenzen und Möglichkeiten eines Kulturabkommens“179 beider deutscher Staaten; regte eine gemeinsame Resolution zum 8. Mai 1945 an, die mit ihrem Plädoyer für „Frieden, Abrüstung, Versöhnung und mehr Menschlichkeit“180 ein breites Medienecho anstieß. Auch wenn es immer wieder Wortmeldungen aus der DDR gab, die für Verärgerung bei den bundesdeutschen PEN-Kollegen sorgten, überwog auf deren Seite doch das Bestreben, die zaghafte Annäherung nicht aufs Spiel zu setzen. Denn trotz aller Rückschläge hatte es auch „Fortschritte auf dem Weg zur Normalisierung“ gegeben: Die DDR-Kollegen waren „beweglicher, kompromiss- und hilfsbereiter geworden“.181 Ein personeller Wechsel im Präsidium des DDR-PEN in der Mitte der 1980er Jahre schürte zudem die Hoffnungen auf eine kooperativere Haltung hinsichtlich der gemeinsamen Aufgaben des PEN-Clubs. Das Jahr 1985 brachte eine einschneidende Veränderung für das PEN-Zentrum DDR mit sich. Der gesundheitliche Zustand des Generalsekretärs Henryk Keisch, der stets als linientreuer Parteigänger die Kulturpolitik der SED-Regierung mitgetragen und verteidigt hatte, verschlechterte sich abrupt. Kamnitzer übernahm dessen Aufgaben, was Keisch indes nicht daran hinderte, auch vom Krankenbett aus in einzelnen Angelegenheiten tätig zu werden. So auch im Fall von Detlev Opitz, Autor der alternativen Literaturszene am Prenzlauer Berg, der nach seiner Verurteilung den DDR-PEN um Unterstützung angerufen hatte. Keisch reagierte in vorauseilendem Gehorsam gewohnt kompromisslos und undiplomatisch – ohne die Haltung der Kulturfunktionäre wirklich zu kennen. Seine eigenmächtige und zudem taktisch unkluge Reaktion auf Opitz’ Anliegen wurde schließlich den anleitenden Köpfen zu viel; diese entbanden Keisch aus seiner Funktion – zunächst ohne ihn zu informieren. Hermlin, der im Präsidium oft als stärkster Kontrahent von Keisch aufgetreten war und für diesen offensichtlich keine allzu freundschaftlichen Gefühle hegte, zeigte sich zustimmend. Im Amt folgte Walter Kaufmann dem wenig ehrenhaft ausgeschiedenen Keisch nach; er übernahm zunächst administrative Aufgaben und wurde im September 1985 offiziell berufen. Kaufmann selbst, der kein SED-Mitglied war, vermutete einen Irrtum: „Ich 178 Ingeborg Drewitz an Alfred Grosser. Zitiert nach Hanns Werner Schwarze: 11. Rundbrief des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland (20. 5. 1985). DA. 179 Hanns Werner Schwarze: 10. Rundbrief des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland (28. 2. 1985), S. 4. DA. 180 Zitiert nach: Deutsche Autoren mahnen zum Frieden. Gemeinsame Erklärung der PEN-Zentren aus Ost und West zum 8. Mai. In: Süddeutsche Zeitung 85 (12. 4. 1985), S. 8. 181 Hanns Werner Schwarze: Anlage, betr. Jahresversammlung in Saarbrücken (September 1985), zum 13. Rundbrief des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschalnd (20. 12. 1985), S. 6. DA.
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glaube, es war sowieso ein Fehlentscheid oder ein Kurzschluß, daß ich es überhaupt zum Generalsekretär gebracht habe. Irgend jemand muß gedacht haben, daß ich in der Partei wäre, denn später war es offensichtlich ein Schock für [Ursula] Ragwitz in der ZK-Abteilung der SED. Aber, als sie das erfuhr, war es zu spät. Ich war nominiert und gewählt worden.“182 Kaufmanns Nominierung versetzte den DDR-PEN in eine besondere Situation. Zwischen dem Generalsekretär und dem ZK der SED beschränkte sich die Kommunikation auf das Nötigste. Der Kontakt war nach Kaufmanns Aussagen nur ganz gering, in meinem Fall von dem Moment an, als die Ragwitz erfuhr, daß ich nicht Mitglied der SED sei. Ich wurde nicht mehr zu den von ihr einberufenen Versammlungen eingeladen und sie siezte mich von einem Tag zum anderen wieder. Ich bin nur ein einziges Mal [bei ihr] gewesen und habe schon eine kräftige Einflussnahme gespürt. Der Mann, der vom ZK zu uns kam, war ein sehr bescheidener und zugänglicher Mensch, der uns wenig eingeredet hat und mit dem man auch ganz offen und verständnisvoll reden konnte und der ging dann wieder seiner Wege und gab uns grünes Licht für unsere Arbeit.183
In der Folgezeit gab es Veränderungen in der PEN-Arbeit. Zwar setzte Kaufmann keine grundlegenden Reformen in Gang und es gelang ihm auch nicht, den PEN aus der Lethargie zu befreien. Aber er setzte neue Akzente. Kaufmann bemühte sich, die Präsenz des DDR-PEN im eigenen Land zu stärken und investierte viel Zeit und Kraft in die Vorbereitung und Durchführung von Veranstaltungen. Die Lesungen und Vorträge von Schriftstellern und Wissenschaftlern der DDR plante er häufig in Kooperation mit anderen Institutionen: Partner waren wie schon zuvor der Schriftstellerverband der DDR, der Club der Kulturschaffenden und der Kulturbund. Gewicht erhielt aber auch der Austausch mit bundesdeutschen Kollegen. Kaufmanns Einladung folgten Gert von Paczensky, Wilhelm von Sternburg, Max von der Grün, Ralph Giordano und Günter Gaus. Letzterer wertete seine Einladung als Zeichen des Wandels: „[N]och vor wenigen Jahren habe er es für unmöglich gehalten, daß er vom PEN-Zentrum zu einer Lesung eingeladen werde. Die Tatsache allein, daß er hier lesen und diskutieren dürfe, spreche für gewisse Veränderungen zum Guten während der letzten 10 Jahre.“184 Dass die Freiräume tatsächlich größer wurden, belegt auch die Tatsache, dass das politische Sorgenkind Stefan Heym im PEN lesen durfte. Sogar Jurek Becker, der bereits Ende der 1970er Jahre das Land gen Westen verlassen hatte, durfte im Mai 1989 eine öffentliche Lesung bestreiten. Kaufmann indes gelang deren Durchsetzung ohne größere Probleme. Die Versuche des Generalsekretärs, innerhalb des PEN-Zentrums kulturpolitische Probleme zu diskutieren, wurden jedoch im Keim 182 Therese Hörnigk: Unveröffentlichtes Interview mit Walter Kaufmann am 20. 10. 1995. 183 Ebd. 184 Information über eine Lesung des ehemaligen BRD-Politikers Günter Gaus am 11. 6. 1987 im Klub der Kulturschaffenden ‚Johannes R. Becher‘ in Berlin (12. 6. 1987). BStU, MfS, HA XX, ZMA 401, Bd. 1a, Bl. 130–133, hier Bl. 133.
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erstickt: Kamnitzer war ein nicht zu unterschätzender Gegenspieler, der versuchte, jede kritische Auseinandersetzung innerhalb des PEN zu unterbinden. Doch so sehr Kaufmann sich um die Aktivität im Landesinneren sorgte: Sein Blick richtete sich hinsichtlich der PEN-Arbeit verstärkt auf das internationale Feld und insbesondere auf die Kernarbeit der Schriftstellervereinigung – den Einsatz für verfolgte Schriftstellerkollegen. Ein Signal dieser Stoßrichtung setzte er auf der Generalversammlung 1987, dem ersten Markstein seiner Tätigkeit als Generalsekretär, mit der Verlesung der internationalen PEN-Charta vor den versammelten Mitgliedern – ein völliges Novum. Kaufmanns Tätigkeit gab dem internationalen Auftritt des DDR-PEN eine Prägung, die sich an den persönlichen Interessen des Generalsekretärs ausrichtete. Maßgeblich waren dabei zwei Faktoren: Zum einen dürfte der parteiliche Einfluss auf Kaufmann durch dessen fehlende Bindung an die Partei weniger nachhaltig gewirkt haben. Zum anderen spielte Kamnitzers sukzessiver Rückzug von der internationalen PEN-Arbeit eine Rolle; er ließ Kaufmann weitestgehend freie Hand. Kaufmann selbst war kein Freund von Resolutionen, die auf Geheiß der kulturpolitischen Funktionäre den sozialistischen Interessen dienen sollten. Gleichwohl war er kein stummer Vertreter der DDR. Er veränderte jedoch den Ton, trat ruhig und sachlich auf – nicht als Gegner des sozialistischen Regimes, aber auch nicht als blinder Verteidiger. Die kategorische Weigerung, die Verfolgung von Schriftstellerkollegen im eigenen Lande auch als solche zu benennen, wurde abgelöst von einem regen Interesse an der Arbeit des WiPC. Schon auf dem Kongress in New York (1986) demonstrierte Kaufmann seine Haltung gegenüber dem WiPC: „It was far more important that the work of the Writers in Prison Committee should continue unhampered.“185 Und auch in Hamburg wiederholte er sein Bekenntnis zum WiPC und sicherte dessen Tätigkeit Unterstützung zu. Die Entscheidung, den Weg entgegen der offiziellen Linie der Partei zu beschreiten, erwuchs aus den Gewissenskonflikte[n], wenn wir gegen Unrecht stimmten, das in der westlichen Welt stattfand und schwiegen oder uns enthielten, wenn es um sozialistische Länder ging. Da gab es für mich den entscheidenden Bruch mit dieser Art von Handhabung auf dem Kongreß in New York. Nachdem ich mich überzeugt hatte von der Wahrscheinlichkeit dieser Wahrheit, von der Richtigkeit konnte man sich ja nie überzeugen, in Bezug auf die Inhaftierung von sowjetischen Schriftstellern, wo Namen genannt wurden, Schriften, Beweise vorgetragen wurden, case histories publiziert wurden, daß ich nicht mehr wie früher nachfragte; ist das überhaupt ein Schriftsteller oder handelt es sich um einen kriminellen Fall. All diese Machenschaften habe ich dann nicht mehr mitgemacht und es ist mir nicht wohl dabei gewesen, aber ich habe sie nicht mehr mitgemacht. Und ich war froh, daß ich zum Hermlin gehen konnte und ihn um Rat bitten. Er hat mir gesagt: stimme nach deinem Gewissen ab. Ich war irgendwie froh, daß ich mit dieser Art der Abstimmung mit mir ins Reine gekommen bin.186 185 Minutes of the Assembly of the Delegates of International P.E.N. held in New York in 14th and 15th January, 1986, S. 65. PAL. 186 Therese Hörnigk: Unveröffentlichtes Interview mit Walter Kaufmann am 20. 10. 1995.
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Kaufmann war es gelungen, sich von der Indoktrination durch Kamnitzer, der insbesondere den WiPC-Beauftragten Michael Scammell stetig antisozialistischer und antisowjetischer Aktivitäten beschuldigte, zu befreien: Ich bin sehr stark von [Kamnitzer] beeinflusst worden mit Blick […] auf Scammell (…). Ich kam [Scammell] immer näher […]. Irgendwann dachte ich mir, […] alles, was er hier sagt, entspricht meinen eigenen Empfindungen, Gefühlen und Vermutungen. Es hat ein bis zwei Jahre gedauert, bis ich so dachte. Der Einfluß von hier war stark. Ich habe an den Versammlungen von Writers in Prison teilgenommen, ohne daß wir schon Mitglied waren.187
Durch die Anbindung an den Internationalen PEN und die Erfahrungen, die Kaufmann auf internationaler Ebene machte, war ein Entwicklungsprozess angestoßen worden, an dessen Ende die Emanzipierung des Generalsekretärs von den staatlichen Regulierungsbehörden stand: Der Einfluß auf unsere Arbeit […] war in der Wirklichkeit verschwindend klein. Man konnte frei entscheiden, ohne daß irgendwelche Repressalien zu befürchten gewesen wären. Bei all diesen Entscheidungen konnte man seinen Verstand und seinem Gewissen folgen, wenn es sich um Kongresse handelte, die außerhalb [der DDR] stattfanden. Das habe ich sehr schnell herausgefunden, aber nicht schnell genug. Ich wurde erst nach ein, zwei Jahren freier in meinen Entscheidungen, weil ich merkte: der PEN wird nicht angefasst, da halten sie doch noch Distanz. Wir hatten uns doch eine gewisse Unabhängigkeit erhalten. Das spürte man doch immer deutlicher.188
In diesem Wissen regte Kaufmann auf internationaler Ebene Kritik an den rigiden Disziplinierungsmaßnahmen der UdSSR, dem Mutterstaat der DDR, an – ein bis dahin undenkbarer Vorgang! Kaufmanns Öffnung hin zum Internationalen PEN und insbesondere zum WiPC hielt Kamnitzer indessen nicht davon ab, die jüngsten Verhaftungen in der DDR am 17. Januar 1988, die Mitglieder der pazifistischen und ökologischen Alternativbewegung und der ihr nahe stehenden Literatur betrafen, mit kompromisslosen und staatskonformistischen Kommentaren zu verteidigen, die wiederum negativen Einfluss auf das Verhältnis zwischen den beiden deutschen PEN-Zentren nahmen. Gleichwohl stand Kamnitzer mit seiner engstirnigen Haltung im DDR-PEN einsam da. Die einzigen Präsidiumsmitglieder, die sich außer ihm für den PEN verwandten, waren Kaufmann und Hermlin; beide agierten auf eigene Verantwortung. Kaufmann stand in dieser Angelegenheit mit dem WiPC in Verbindung; Hermlin korrespondierte mit dem internationalen Generalsekretär Alexandre Blokh. Kaufmanns Bereitschaft zur Übernahme einer kooperativen Haltung gegenüber dem Internationalen PEN war es schließlich zu verdanken, dass die Diskussion der Vorgänge in der DDR auf der Exekutive im April 1988 (Cambridge) nicht eskalierte. Die Verantwortlichen des Inter187 Ebd. 188 Ebd.
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nationalen PEN erkannten, in welcher Lage sich der DDR-PEN befand und brachten ihn aus der Schusslinie der internationalen Delegierten. Kaufmann indes versuchte, auf Aufforderung und im engen Rahmen seiner Möglichkeiten, Informationen über die Situation der Inhaftierten in der DDR zu beschaffen und an das WiPC weiterzuleiten. Diese Arbeit war nicht gänzlich erfolglos: [I]ch wußte auch […], daß unter der Oberfläche eine ganze Menge getan wurde, um eine [längerfristige Inhaftierung eines Autors wegen seiner schriftstellerischen Arbeit] zu verhindern. Es ist auch immer sehr schnell Abhilfe geschaffen worden. Sobald über den Internationalen PEN ruchbar wurde, daß es in der DDR Schriftsteller gab, die inhaftiert worden sind wegen ihrer schriftstellerischen Arbeit oder aus welchen Gründen auch immer. Schon vor meiner Zeit, aber auch in meiner Zeit konnte man sich für solche Leute verwenden, und es hat nicht lange gedauert, dann war die Sache behoben. Manchmal auf eine Weise, die nicht immer die eleganteste war, aber meistens so, daß die Schriftsteller, um die es ging, des Landes verwiesen wurden, außer Landes gebracht wurden, oder die Möglichkeit hatten, die DDR zu verlassen. Eines haben wir immer geschafft: schnell raus aus dem Gefängnis, denn es sollte nie ruchbar werden, daß wir […] Schriftsteller im Gefängnis haben. Wir hatten dann ja auch international einen sehr guten Ruf. Man hätte uns vorwerfen können, ja Ihr holt die Leute raus und schiebt sie dann nach Westdeutschland ab, hat aber keiner gesagt. Es wurde so gehandhabt, weil wir diesen Druck ausgeübt haben, nicht daß die Leute in den Westen abgeschoben werden, sondern daß unser Ruf gewahrt bleibt als ein Land, wo keine Schriftsteller im Gefängnis sitzen.189
Auf internationaler Ebene trat das PEN-Zentrum DDR nach der Cambridger Exekutive im April 1988 kaum mehr in Erscheinung. Die Durchführung eines Kongresses in Seoul beantwortete man, ähnlich wie in den 1970er Jahren, mit demonstrativer Nichtteilnahme. Die politischen Umwälzungen in der DDR drängten die internationalen Bestrebungen mehr und mehr in den Hintergrund. In Maastricht (Mai 1989) erschien Kaufmann noch als Delegierter des DDR-PEN und stimmte einer Resolution zu, die die Regierung der SU aufforderte, „to respect the freedom of expression and the right to cultural heritage, values and language of all their subjects.“190 An der PEN-Tagung in Montréal und Toronto, die im September 1989 stattfand, nahm kein Vertreter des PENZentrums DDR teil – die Vorgänge im eigenen Lande beanspruchten volle Aufmerksamkeit. Die Schriftsteller beobachteten die demokratische Revolution in der DDR, die auch für das PEN-Zentrum weit reichende Veränderungen mit sich bringen sollte. *** Am Ende dieser historiographischen Betrachtung steht somit die Erkenntnis, dass das ostdeutsche PEN-Zentrum keine originäre DDR-Gründung war und in einem jahrelangen Prozess immer stärker unter die Ägide des politischen Systems geraten war; dass 189 Ebd. 190 Minutes of the Assembly of Delegates of International P.E.N. held in Maastricht, The Nederlands, May 9 and 10, 1989, S. 49 und 59f. PAL.
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die Qualität der PEN-Arbeit wesentlich von den Führungspersonen abhängig war; dass der PEN im Osten Deutschlands kein Hort des freien Wortes und keine Keimzelle des Widerstandes gewesen ist; dass der PEN vom DDR-System vor allem für außenpolitische, prosozialistische bzw. prosowjetische Interessen instrumentalisiert worden ist; dass der PEN sich dem Einsatz für verfolgte Autoren im eigenen Land und allen anderen, vor allem sozialistischen Ländern, weitgehend verschlossen hatte; dass das Engagement der Mitglieder des DDR-PEN auf anderen Ebenen zum Tragen kam und mehr auf einem persönlichen ethisch-moralischen Wertesystem basierte als auf den institutionalisierten Grundsätzen der PEN-Charta. Insbesondere das persönliche Engagement, das konkrete Handeln der Mitglieder im Sinne der Charta-Grundsätze erforderte vom Einzelnen viel – nicht nur das Erkennen des Unrechts, sondern auch ein Höchstmaß an charakterlicher Stärke, wie es nicht jedem gegeben war. Und so ist Christa Wolf zuzustimmen, wenn sie vermerkt: „Nicht zu viel – zu wenig haben wir gesagt, und das Wenige zu zaghaft und zu spät.“191
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191 Christa Wolf: Störfall. Nachrichten eines Tages. Berlin: Suhrkamp 2009, S. 68. 192 Die mit * versehenen Interviewpartner sind von Frau Therese Hörnigk befragt worden, die freundlicherweise die Typoskripte zur Auswertung überlassen hat.
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Sven Hanuschek
Vom ‚Wohnzimmerverein‘ zur politischen Institution Zur Geschichte des bundesdeutschen PEN bis 1989
1 Bemerkungen vorab Im PEN ist immer wieder die ‚Einigkeit der Einzelgänger‘ beschworen worden, die nie viel mehr sein konnte als ein frommer Wunsch (abgesehen von den Writers in PrisonAktionen seit den 1960er Jahren). Bestand diese Einigkeit mindestens auf dem Papier in der Unterzeichnung der Charta durch jedes zugewählte Mitglied, gab es doch zu allen Zeiten des bundesdeutschen Zentrums immer nur eine beschränkte Anzahl von Mitgliedern, die tatsächlich aktiv waren. Die Frequenz, in der sich der ‚Freundesclub‘ als Institution auch konstituierte, war niedrig; es gab nationale und internationale Jahresversammlungen, dazwischen rege Korrespondenzen und wenige Treffen der Mitglieder eines Präsidiums; zeitweilig könnte man aus den Archivunterlagen zumal der 1950er Jahre den Eindruck gewinnen, dass der Club zwischen den Versammlungen nur aus den Aktivitäten von Präsidenten, Generalsekretären und deren jeweiligen Sekretärinnen besteht bzw. bestand – die meisten Mitglieder sahen sich maximal einmal im Jahr. Im Folgenden wird die Entwicklung des bundesdeutschen PEN-Zentrums vom elitären ‚Wohnzimmerverein‘ der 1950er Jahre bis zum großen, repräsentativen Club der 1980er Jahre zusammengefasst, eine ausführliche Version mit der Nennung und Aufarbeitung aller Quellen und der jeweiligen Kontexte ist bereits vorgelegt worden.1 Nachdem es nicht nur um eine Institutionengeschichte geht, sondern auch um Mentalitätsgeschichte eines wichtigen Bereichs im literarischen Leben, um Intellektuellengeschichte und einen wohl singulären Versuch, schreibende Intellektuelle weltweit freundschaftlich zusammen zu bringen, müsste von kollektiven Selbstbildern und Selbsttäuschungen die Rede sein, angesichts des doch nur sehr temporären Kollektivs der Einzelgänger eine einigermaßen paradoxe Aufgabe. Oft müssen die Präsidenten, Generalsekretäre und Beiratsmitglieder als das Kollektiv genommen werden, für das sie doch nur bedingt standen; sichtbar wurde das immer besonders, wenn sie 1 Diese ist stets die Grundlage der hier vorliegenden Darstellung; vgl. Sven Hanuschek: Geschichte des bundesdeutschen PEN-Zentrums von 1951 bis 1990. Tübingen 2004 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 98); als bebilderte Kurzfassung vgl. S. H.: P.E.N. Die internationale Schriftstellervereinigung. Ihre deutsche Geschichte. Ihre Aufgaben. Ausstellung und Katalog. Darmstadt 2011. – Als Pendant für die ostdeutsche P.E.N.-Geschichte vgl. Dorothée Bores: Das ostdeutsche P.E.N.Zentrum 1951 bis 1998. Ein Werkzeug der Diktatur? Berlin und New York 2010 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 121).
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unterschiedlichen Fraktionen angehörten und sich also schon untereinander einig werden mussten. Häufig sind Höhepunkte der Aktivitäten dieser Schriftstellervereinigung durch politische Ereignisse in der deutschen Geschichte oder der Geschichte der alten Bundesrepublik generiert worden; der Kalte Krieg wie der Mauerbau, die Spiegel-Affäre und 1968, auch der Prozess der deutschen Einheit beschäftigte den PEN intensiv, manchmal über die breite öffentliche Diskussion hinaus, mal vorpreschend, mal hinterherhinkend. Über den ganzen Zeitraum der knapp vier Jahrzehnte ist eine zunehmende Politisierung des deutschen PEN zu beobachten. Gesellschaftliche und mentalitätsgeschichtliche Prozesse finden innerhalb eines kulturellen Kontextes statt; und der Mensch ist ein Wesen, „das in selbstgesponnene Bedeutungsgewebe verstrickt ist, wobei ich Kultur als dieses Gewebe ansehe“. Auch im vorliegenden Band ist Literaturwissenschaft in der Beschreibung solcher Prozesse eine interpretierende Wissenschaft, ähnlich der Ethnologie Clifford Geertz’, „die nach Bedeutungen sucht“, der es „um das Deuten gesellschaftlicher Ausdrucksformen“ gehen muss, „die zunächst rätselhaft scheinen.“2 Es mag zuerst etwas rätselhaft erscheinen, warum sich habituelle Einzelgänger in einer solchen Institution zusammenfinden, in der es gerade nicht um ständische Fragen geht wie im Verband deutscher Schriftsteller (VS). Und die Gründe werden nicht immer dieselben sein; auch sie sollen in der folgenden Darstellung wenigstens kursorisch thematisiert werden.
2 Von der Wiedererrichtung zur Spaltung Nach der Wiedererrichtung des deutschen PEN auf dem internationalen Kongress in Zürich 1947 wurden die Spaltungstendenzen des Kalten Krieges auch zwischen den Schriftstellern aus den ost- und westdeutschen Besatzungszonen schnell manifest, obwohl noch Einigkeit über die Notwendigkeit bestand, die Verantwortung auch von Literatur nach 12 Jahren NS-Diktatur aufzuarbeiten. Alle deutschen PEN-Mitglieder, in West und Ost, achteten bei den Zuwahlen neuer Mitglieder peinlich darauf, keine mit dem Nationalsozialismus verstrickten Schriftsteller aufzunehmen. Bis 1949 war das zu diesem Zeitpunkt noch gesamtdeutsche PEN-Zentrum auf 52 Mitglieder angewachsen, die auf ihrer Jahresversammlung in München weitere 42 hinzuwählten und sich eine Satzung gaben. Äußerer Anlass der Spaltung wurde eine umstrittene Rede von Johannes R. Becher, mit der er seinerseits auf den „Kongress für kulturelle Freiheit“ in Berlin reagierte. Der Kongress wurde tatsächlich, wie mittlerweile bekannt ist, vom CIA mitfinanziert, Arthur Koestler und James Burnham waren unter den 2 Clifford Geertz: Dichte Beschreibung. Bemerkungen zu einer deutenden Theorie von Kultur. In: C. G.: Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme. Übersetzt von Brigitte Luchesi und Rolf Bindemann. Frankfurt am Main: Suhrkamp 51998, S. 7–43, hier S. 9.
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Hauptrednern, auch einige deutsche PEN-Mitglieder nahmen teil (Günter Birkenfeld, Hermann Kesten, Eugen Kogon, Rudolf Pechel und Dolf Sternberger). Burnham bekannte in seiner Rede: Um der Wahrheit die Ehre zu geben, muß ich hinzufügen, daß ich nicht unter allen Umständen gegen Atombomben bin. Ich bin gegen die Bomben, die jetzt oder später in Sibirien oder im Kaukasus gestapelt werden, und die für die Zerstörung von Paris, London, Rom, Brüssel, Stockholm, New York, Chicago, Berlin und der westlichen Zivilisation im allgemeinen bestimmt sind. Aber ich bin […] für die in Los Alamos […] hergestellten Bomben, die irgendwo in den Bergen oder in den Wüsten Amerikas bewacht werden.3
Becher antwortete auf dem Deutschen Schriftstellerkongress in Ostberlin, der als Gegenveranstaltung gedacht war, womöglich noch harscher: Wenn solche Leute anläßlich des Spitzel- und Kriegsbrandstifter-Kongresses, wie er vor einiger Zeit in Berlin stattfand, an Arnold Zweig, Anna Seghers, Bertolt Brecht und mich die Aufforderung gerichtet haben, uns mit ihnen zusammenzusetzen und zu diskutieren, so antworten wir ihnen: Mit Spitzeln und Kriegsverbrechern gibt es keinerlei Art von Diskussion. Solche Leute sind für uns keine Gesprächspartner. Wir setzen uns mit ihnen so weit wie möglich auseinander, um nicht in Tuchfühlung mit ihnen zu geraten, die ja längst keine deutschen, französischen, englischen, amerikanischen Schriftsteller mehr sind, sondern die sich längst als Handlanger der Kriegshetzer in eine Bande internationaler Hochstapler verwandelt haben, in literarisch getarnte Gangster.4
Die Injurien dieser ‚Wechselrede‘ legten den Ton für die kommenden Monate fest; Birkenfeld, Pechel und Plievier wandten sich in einem Rundschreiben gegen Bechers Wiederwahl ins PEN-Präsidium und verlangten die „Trennung von der Gruppe Becher“, gemeint war: von allen DDR-Autoren. Dennoch wählte die westdeutsche Mehrheit auf der Jahresversammlung in Wiesbaden (4.–7. 12. 1950) erneut Becher in den Vorstand, neben Erich Kästner und Hermann Friedmann; trotz der offenen Kontroverse um Becher als Vertreter des „ostzonalen Unterdrückungssystems“ wollte eine Mehrheit wenigstens den Zusammenhalt deutscher Schriftsteller erhalten, gerade gegen die Positionen auf dem ideologischen Kampffeld. Als Folge dieser Wahl traten Pechel, Plievier, Birkenfeld und einige andere aus dem Club aus. Die politische Sonderrolle, die der deutsche PEN zwischen den Fronten des Kalten Krieges spielen wollte, wurde in der Folge offen von politischen Institutionen torpediert, zuerst vom Bundesministerium für Gesamtdeutsche Fragen unter Minister Jakob Kaiser: Es veröffentlichte die Broschüre Die Freiheit fordert klare Entscheidungen. Johannes R. Becher und der P.E.N.-Club – ohne die Verfasser der nachgedruck-
3 James Burnham: Die Rhetorik des Friedens. In: Der Monat 2 (Juli/August 1950) 22/23, S. 448–455, hier S. 451f. 4 Johannes R. Becher: Die gleiche Sprache. In: Aufbau 6 (1950) 8, S. 697–703, hier S. 697.
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ten Zeitungsartikel aus der aktuellen Debatte um Bechers Rede zu fragen.5 Einer von ihnen, Axel Eggebrecht, erwog daraufhin eine Klage auf Verletzung des Urheberrechts. Keinen Monat später erschien eine Gegenbroschüre Standort des deutschen Geistes oder: Friede fordert Entscheidung. […] Eine Antwort, herausgegeben vom Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands.6 Nachdem die internationale PENZentrale den Becher-Konflikt weder schlichten noch entscheiden wollte, versuchte Kasimir Edschmid, durch eine geheime Briefwahl außerhalb der Satzung neue Fakten zu schaffen. Die Mitglieder sollten die drei Präsidenten neu wählen, „damit wir vor dem Kongress in Lausanne Bescheid wissen“. Der Plan schlug fehl. In Lausanne (22.– 27. 6. 1951) vermittelte Robert Neumann, dass eine von den anwesenden DDR-Autoren (Becher, Stephan Hermlin und Arnold Zweig) formulierte umstrittene Friedensresolution durch US-amerikanische Delegierte eingebracht wurde. Erich Kästner, der als stimmberechtigter Delegierter teilnahm, erreichte zusammen mit dem Emigranten Richard Friedenthal, dass die Resolution nicht beschlossen, sondern an die einzelnen Zentren zur Abstimmung verwiesen wurde. In der Bundesrepublik verschärften sich die Töne des Kalten Kriegs. Karl Friedrich Borée ließ im Oktober 1951 seine Kampfschrift Über Toleranz und Geistesfreiheit veröffentlichen, eine Broschüre, die in einer Art Schwarzer Liste die Biographien ostdeutscher Schriftsteller polemisch verzerrt; hier zwei der prominenten Namen als Auszug: BERT BRECHT: Neben Friedrich Wolf der meistgespielte Dramatiker in der Sowjetzone; Mitglied des ‚Deutschen Friedensrates‘; Unterzeichner des ‚Stockholmer Friedensappells‘, Verfasser des ‚Herrnburger Berichts‘, einer eindeutig kommunistischen Propaganda- und Hetzdichtung; vom Zentralkomitee der SED im März 1951 ausdrücklich belobigt. […] PETER HUCHEL: Vorsitzender des Schriftstellerverbandes im Sowjetsektor Berlins; Chefredakteur der staatlich finanzierten Zeitschrift ‚Sinn und Form‘, deren Aufgabe es ist, den intellektuellen Westen zu zersetzen.7
Die Spaltung wurde nach der vierten Jahrestagung des gesamtdeutschen PEN in Düsseldorf vollzogen (23.–25. 10. 1951). Verlief die Debatte über die Lausanner Friedensresolution noch recht konstruktiv, wurde trotz aller Vorgeschichten Johannes R. Becher erneut ins Präsidium gewählt, neben Johannes Tralow als geschäftsführenden Prä5 Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (Hrsg.): Die Freiheit fordert klare Entscheidungen. Johannes R. Becher und der P.E.N.-Club. Bonn: [o. V.] 1951. 6 Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands (Hrsg.): Standort des deutschen Geistes oder: Friede fordert Entscheidung. Johannes R. Becher und der P.E.N.-Club. Eine Antwort. [Berlin 1951]. 7 Karl Friedrich Borée: Über Toleranz und Geistesfreiheit. An die Mitglieder des Internationalen P.E.N.-Club. Berlin 1951, S. 13. – Gezeichnet ist die Broschüre zudem von Martin Beheim-Schwarzbach, Hermann Kasack, Ernst Kreuder, Wilhelm Lehmann, Rudolf Alexander Schröder und Georg von der Vring.
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sidenten und Günter Weisenborn zum dritten Präsidenten. Kasimir Edschmid wollte nicht Generalsekretär werden, an seiner Statt wurde daraufhin Hans Henny Jahnn gewählt. Aufgrund der „unüberbrückbaren Gegensätze“ – weil sie sich von der DDRMinderheit majorisiert fühlten, und weil demokratische Mittel nicht ausgereicht hatten – beschloss eine Gruppe von zwölf westdeutschen Autoren die Errichtung eines selbständigen PEN-Zentrums der Bundesrepublik. Axel Eggebrecht und HansErich Nossack, in Abwesenheit in den Vorstand gewählt, erklärten ihr Bedauern über die Spaltung und lehnten ihre Wahl in das „Präsidium der Rumpfgruppe“ ab. Die in Westdeutschland lebenden Noch-Mitglieder Eggebrecht, Weisenborn, Nossack, Beheim-Schwarzbach und Jahnn baten Becher brieflich, er möge im Interesse eines „gesamtdeutschen“ PEN aus dem Präsidium „zugunsten eines anderen Schriftstellers in der DDR“ zurücktreten; diese Aktion sollte der letzte Rettungsversuch bleiben. Die Spaltung war vollzogen, am 3./4. Dezember 1951 fand in Darmstadt die Gründungsversammlung des „Deutschen P.E.N.-Zentrums (Bundesrepublik)“ statt; von 43 Mitgliedern waren 18 anwesend, im folgenden Jahr wurden auf einer Tagung des internationalen Exekutivkomitees in Paris vorläufig beide deutschen Zentren anerkannt. Die endgültige – vor allem auch gegenseitige – Anerkennung zog sich noch über Monate hin.
3 Als Wohnzimmerverein und Freundschaftsclub gegen den Kalten Krieg Auf der Gründungsversammlung im Dezember 1951 in Darmstadt wählten die Anwesenden Erich Kästner zum Präsidenten und Kasimir Edschmid zum Generalsekretär, Hermann Friedmann wurde Ehrenpräsident. Als Abspaltung des ursprünglich gesamtdeutschen Zentrums flossen nicht wenige Energien der kommenden Jahre in die Konstituierung und Darstellung des eigenen Zentrums vor dem Internationalen PEN, dem stets klar gemacht werden sollte, dass der ostdeutsche Club, der lange Zeit auch Westmitglieder hatte, sich nicht ‚gesamtdeutsch‘ nennen dürfe (obwohl dieser den Anspruch bis 1967 aufrecht erhielt). Gleichzeitig versuchten die Autorinnen und Autoren, sich vom Kalten Krieg nicht vereinnahmen und die Verbindung zu den Kolleginnen und Kollegen in der DDR nicht ganz einfrieren zu lassen – eine andere Quadratur des Kreises, gleichsam. Der „Freundschaftsclub“ bestand aus Davongekommenen, einem kleinen Grüppchen um Edschmid in Darmstadt, einem kleinen um Kästner in München (der gern vom ‚Stammtisch‘ sprach), vielen ‚inneren‘ Emigranten, durch persönliche Freundschaften auch einigen wirklichen Emigranten. Neben Friedmann sind vor allem Wilhelm Sternfeld und Richard Friedenthal zu nennen, der als Verlagsleiter von Droemer Knaur und als Emigrant, der weiterhin zwischen London und München pendelte, wichtige Vermittler-Aufgaben zwischen der Londoner Zentrale und den Bundes-
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deutschen übernahm, nicht ohne die Kollegen gelegentlich auch etwas zu dirigieren. Die Schnittmenge mit Autoren der ‚Gruppe 47‘ war durchaus vorhanden, aber einige Jahre lang sehr klein. Das Zentrum blieb einige Jahre relativ konstant bei etwa 120 Mitgliedern, die sich dank dieser Größe und den beiden starken regionalen Fraktionen tatsächlich noch freundschaftlich verbunden fühlen konnten und sich gegenseitig halfen, auch finanziell. Man kann sich das soziale Leben des Clubs in diesen Jahren wohl kaum klein genug vorstellen; eine Amtsübergabe etwa war denkbar schlicht, nachdem die ersten Generalsekretäre in ihren Darmstädter Privatwohnungen arbeiteten und zwar eine Sekretärin hatten, aber die Aufgaben der Geschäftsführung noch in Personalunion mit-erledigten, für die erst in den 1960er Jahren eine bezahlte Stelle geschaffen wurde. Edschmids PEN-Büro war ein Kämmerchen neben dem Wohnzimmer mit ein paar Regalen, Walter Schmieles sein Arbeitszimmer, Besucher wurden im Wohnzimmer empfangen. Die Übergabe von Schmiele an Rudolf Krämer-Badoni ging so vor sich, dass letzterer aus dem nahen Wiesbaden „mit dem Auto hier vorgefahren“ kam und „den P.E.N. in seinen Kofferraum geräumt [hat], dann war er weg“.8 Wie wichtig waren Jahresversammlungen und internationale Kongresse für die politische Meinungsbildung, für die Entschlussfassung? Die wichtigen Entscheidungen sind in den meisten Fällen auf Vorstands- bzw. Exekutivsitzungen gefallen, zumal die internationalen Treffen in erster Linie gesellschaftliche Ereignisse waren. Auch auf deutschen Jahresversammlungen wurde eher selten diskutiert und gestritten, der Vorstand brachte möglichst gut vorbereitete Entscheidungen zur Abstimmung. Die Veranstaltungen, für die der PEN die meiste öffentliche Beachtung fand, standen also in den 1950er Jahren noch am ehesten in der Tradition des ursprünglichen DinnerClubs, auch die Tagungsorte waren oft wegen geeigneter persönlicher Verbindungen ausgesucht worden. Richard Friedenthal beschrieb den Sinn von Tagungen als rein kommunikativ, er habe auf Kongressen „die reizendsten Bekanntschaften gemacht“, er habe „Freunde wiedergetroffen und neue gewonnen“. Kongresse seien „wandelnde Café-Häuser“, in denen freimütig erzählt werden könne – freimütiger, als man je schreiben würde. „Wir sind Menschen begegnet auf diesen Kongressen, an solchen Abenden. Das ist viel.“9 Das Büro verschickte Glückwunschtelegramme zu runden Geburtstagen, Beileidstelegramme an Hinterbliebene, Genesungswünsche in Krankenhäuser; auch international bedeutete der Begriff ‚Freundesclub‘, dass sich die Mitglieder im Büro vor Reisen erkundigen konnten, wen sie besuchen konnten, wo das dortige PEN-Büro sei und dergleichen mehr, umgekehrt meldeten sich ausländische Gäste im Darmstädter Büro. Auch Literaturpreise wurden als Freundschaftsdienste verstanden, Kästner z. B. verteilte sein Büchner-Preisgeld an Autorinnen und Autoren, die es gerade drin-
8 Gespräch des Verfassers mit Walter Schmiele am 3. 7. 1995. 9 Richard Friedenthal: Die Party bei Herrn Tokaido. Begegnungen im heutigen Japan. München: Piper 1958, S. 37f.
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gend brauchten.10 Zusammen mit Edschmid vermittelte er Legate für Hermann Friedmann, Martin Kessel, mehrfach auch Ernst Kreuder. Wie unter Schriftsteller- und Künstlerfreunden notorisch, konnten die Freundschaften freilich immer wieder zu Feindschaften verblassen, die sich in jahrelangen Intrigen und Animositäten äußerten; es ist ja auch nicht einzusehen, warum Schriftsteller ein weniger nachtragender Berufsstand sein sollte wie alle anderen. Edschmid beschrieb die Besonderheiten des PEN gegenüber der Vereinslandschaft der Zeit zusammenfassend damit, dass es sich eben um einen Club handle und nicht um einen Verein, dass seine Haltung durch die in der CHARTA niedergelegten Ideen bestimmt werde und dass der PEN, der natürlich geselliges und kameradschaftliches Leben pflegen wolle, in keiner Weise durch besonderes öffentliches Hervortreten im Wettstreit mit Gremien treten dürfe, die ihre Aufgabe in ‚Veranstaltungen‘ sähen. Die grosse Autorität des PEN bestehe in seiner internationalen Verflechtung und darin, dass man an seine innere Kraft glaube. So hatte der PEN-Club bei der den Künsten gewidmeten Tagung der UNESCO in Venedig so viele Stimmen wie ein einzelnes Land.11
Diese Einschätzung wurde auf der Münchner Jahresversammlung 1954 abgegeben, und einigen Mitgliedern scheint sie nicht ausgereicht zu haben; sie fragten nach, woher der PEN seine Autorität nehme, und wer warum an die Kraft des Clubs glaube. Edschmids Antworten blieben vage, sein Hauptargument, warum der PEN auch ohne Veranstaltungen angesehen sei, war die pure Zahl der Bewerber, die aufgenommen werden wollten. Einer der journalistischen Berichterstatter monierte, der „stille“ Club mache so gar keine Anstalten, wieder ein repräsentatives Forum zu werden, wie es in der Weimarer Republik die Berliner Akademie gewesen sei (der Weimarer PEN war allerdings auch keines gewesen).12 In der ersten Hälfte der 1950er Jahre war das Zentrum vor allem damit beschäftigt, Beziehungen zu anderen Clubs aufzubauen und selbst möglichst renommierte Autoren zu rekrutieren; die Verbindungen zum Internationalen PEN waren durch die Emigranten sozusagen kommunikativ gesichert, mit Kolleginnen und Kollegen des deutschschweizerischen und österreichischen Zentrums war man befreundet, Verbindungen zu den Clubs anderer Nationen waren eher zufällig auf internationalen Kongressen entstanden. Am sensibelsten wurde natürlich die Kommunikation mit dem Deutschen PEN-Zentrum Ost und West gehandhabt. Nach den Trennungsquerelen und den Versuchen, dem je anderen Club das Existenzrecht abzuerkennen, bemühte man sich etwa seit Mitte der 1950er Jahre um freundliche Distanz; man 10 Emil Barth, Werner Helwig, Martin Kessel, Oda Schaefer, Martha vom Scheidt-Saalfeld. 11 Protokoll Kasimir Edschmid, n. dat. (über das Jahr 1953, der Bericht dürfte aus dem ersten Quartal 1954 stammen), S. 1. DLA, NL Wilhelm Lehmann. 12 Kuckuck: Unser Literaturbummel. Der stille PEN-Club. In: Abendzeitung, 24. 4. 1954. – Zum Weimarer PEN vgl. Ernst Fischers Beitrag in diesem Handbuch, S. 71–132.
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kondolierte beim Tod früherer Präsidenten oder Ehren-Präsidenten, war sich einig in der Ablehnung der Hetztiraden des Kalten Kriegers William S. Schlamm13 und sprach sich gegen Zensur aus. Als das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West in Hamburg eine Jahresversammlung abhalten wollte, wurde das von der Polizei verhindert – mit der Folge, dass der Zeit-Verleger Gerd Bucerius die ostdeutschen Kollegen ein Jahr später zu einer Debatte über den „P.E.N. in unserer Zeit“ einlud. Allerdings diskutierten auf der westdeutschen Seite nicht Mitglieder des PEN, sondern von Bucerius geladene Vertreter (Hans Magnus Enzensberger, Martin Beheim-Schwarzbach und Marcel Reich-Ranicki) mit Wieland Herzfelde, Peter Hacks und Heinz Kamnitzer; die Debatte erschien danach als Taschenbuch und ist mittlerweile auch wissenschaftlich gut aufgearbeitet.14 Wenn man nachfragt, in welchen Aktionen die „durch die Charta niedergelegten Ideen“, von denen Edschmid sprach, sich denn geäußert haben, ist das Resultat in den Anfangsjahren recht bescheiden. Die ersten Präsidien bestanden auf dem ‚Club‘ und waren überzeugt von der Wirkungslosigkeit von Resolutionen; Walter Schmiele, Generalsekretär direkt nach Edschmid, hat erzählt, die Wirkung habe sich auf ein paar Pressemeldungen und Anrufe bei ihm im PEN-Büro (also: bei ihm zu Hause) beschränkt, „die Entscheidungen fallen anderswo“.15 Eigene Veranstaltungen gedachten der NS-Bücherverbrennung, die Proteste des Clubs betrafen vor allem Themen wie Buchzensur, das neue Jugendschutzgesetz und neonazistische Literatur. Mitte der 1950er Jahre beruhigte sich der Kalte Krieg etwas, der Londoner Kongress verlief unverhofft harmonisch; das hatte mit der Niederschlagung des ungarischen Aufstands 1956 durch sowjetische Truppen wieder ein Ende und in der Folge der zeitweiligen Suspendierung des ungarischen PEN-Zentrums. Der bundesdeutsche PEN beteiligte sich an Solidaritätsaktionen; westdeutsche Kollegen ‚adoptierten‘ einige der ungarischen Schriftsteller, das heißt, sie unterstützten sie auch materiell, schickten Pakete mit Lebensmitteln und Textilien oder sandten die entsprechenden Gelder an die Londoner Exekutive. Das Engagement war allerdings quantitativ geringfügig – nur vier Autoren übernahmen eine Patenschaft, einige weitere überwiesen Geld, „und man darf wohl sagen, dass die Bereitschaft Entschliessungen zu formulieren zu der Bereitschaft Pakete zu versenden sehr im Missverhältnis steht.“16 Wenige PEN-Mitglieder initiierten größere politische Aktionen außerhalb des Clubs; Ernst Kreuder beispielsweise setzte sich erfolgreich dafür ein, dass Jan Herchenröder aus einem sächsischen Zuchthaus entlassen wurde und die DDR verlassen konnte; und er initiierte die vielleicht bedeutendste Aktion gegen atomare Auf13 William S. Schlamm: Die Grenzen des Wunders. Ein Bericht über Deutschland. Zürich: Europ 1959. 14 Josef Müller-Marein und Theo Sommer (Hrsg.): Schriftsteller: Ja-Sager oder Nein-Sager? Das Hamburger Streitgespräch deutscher Autoren aus Ost und West. Hamburg: Rütten und Loenig 1961. – Vgl. jetzt die ausführliche Dokumentation von Jens Thiel (Hrsg.): Ja-Sager oder Nein-Sager. Das Hamburger Streitgespräch deutscher Autoren aus Ost und West 1961. Berlin: Aurora 2011. 15 Gespräch des Verfassers mit Walter Schmiele am 3. 7. 1995. 16 Walter Schmiele an Erich Kästner (13. 5. 1957). DLA, Slg. Erich Kästner.
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rüstung der Zeit. Sie war als Aufforderung an den damaligen Oppositionsführer im Deutschen Bundestag, Erich Ollenhauer (SPD) gerichtet; im Briefkopf wies Kreuder ausdrücklich auf seine PEN-Mitgliedschaft hin. Unter den mehr als 30 Unterzeichnern fanden sich PEN-Vorstände wie Mitglieder, auch Schriftstellerinnen und Schriftsteller wie Ilse Aichinger, Wolfgang Hildesheimer, Wolfgang Koeppen, Arno Schmidt, zum Teil nicht im PEN, die nicht gerade für ihre Freudigkeit bekannt waren, politische Resolutionen zu unterzeichnen. Der pathetische Aufruf an die SPD als stärkster Oppositionspartei trägt deutlich Kreuders Handschrift und spricht auch von einer „Lüge von der bevorstehenden Aggression der Sowjetunion“, die ebenso über die Folgen eines Angriffs mit thermonuklearen Waffen Bescheid wisse. Die Unterzeichner erwarteten vom kommenden Parteitag, dass die SPD-Politiker unerschrocken der atomaren Ausrüstung der Bundeswehr, die wir für moralisch verwerflich und illegal halten, entgegentreten. Unerschrocken, unnachgiebig und unerbittlich. […] Atomwaffen in den Händen deutscher Militärs sind eine unverantwortliche und unzumutbare Bedrohung der Weltgegenwart. Ihre Anwendung bedeutet in jedem Falle die Zerstörung der abendländischen Kultur, die Vernichtung unseres Erdteiles. Allein der Gedanke an eine solche Anwendung ist satanisch, er steht in unbestreitbarem Widerspruch zu den religiösen Grundgesetzen jeder, nicht nur der christlichen Glaubensgemeinschaften. Den Namen eines Weltschöpfers mit dem Abwurf einer einzigen Atombombe in Verbindung zu bringen, ist ein geistiges Verbrechen. Wir erwarten von Ihnen, daß Sie jeden erdenklichen Widerstand leisten gegen eine atomare Aufrüstung. Hierzu gehört auch die bedingungslose Ächtung der Atomwaffen. […] Wir sind die Davongekommenen des Hitlerschen Krieges und protestieren gegen jede Art von Kriegsvorbereitung, besonders auch der geistigen.17
Kreuders Appell ist auch deshalb interessant, weil ihm 1957 ein Brief Arnold Zweigs, des Präsidenten des PEN Ost und West, an das westdeutsche Zentrum vorausgegangen war. Zweig hatte als Geste der Annäherung eine gemeinsame Erklärung der beiden Zentren angeregt, in der „zur Göttinger Professoren-Resolution und zum Appell Albert Schweitzers gegen die Anwendung von Kernwaffen Stellung genommen werden soll“.18 Zweigs Geste wurde abgelehnt: Der PEN (Bundesrepublik) habe sich bereits im Februar 1957 zu der Londoner Erklärung gegen den Krieg mit Atomwaffen ausdrücklich bekannt und überdies bereits von sich aus mit einer Erklärung den Schweitzer-Appell unterstützt. So nachvollziehbar diese Entscheidung inhaltlich ist, ließe sich doch fragen, wie der PEN (Bundesrepublik) auf eine entsprechende Aufforderung etwa des schwedischen oder des österreichischen Zentrums reagiert hätte. Der größte diplomatische und politische Erfolg des PEN (Bundesrepublik) in den 1950er Jahren war sicher die Organisation des internationalen PEN-Kongresses 17 Ernst Kreuder an den Parteitag der SPD, z. Hd. Ernst Ollenhauer (Ende April 1958). DLA, NL Ernst Kreuder (samt Vorstufen erhalten). Erstdruck in E. K.: Die Gesellschaft vom Dachboden. Erzählungen, Essays, Selbstaussagen. Hrsg. von Peter-Alexander Fiedler. Berlin und Weimar: Aufbau 1990, S. 572–574. 18 Rundschreiben (künftig: Rs.) Walter Schmiele (August 1957), S. 3. DLA, NL Wilhelm Lehmann.
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1959 in Frankfurt am Main mit dem Thema „Schöne Literatur im Zeitalter der Wissenschaft“. Der Generalsekretär des Internationalen PEN, David Carver, hatte schon ein paar Jahre zuvor versucht, einen solchen Kongress in Deutschland zu lancieren, wo der letzte 1926 stattgefunden hatte. Die Blockbildung in Ost und West war ja Mitte der 1950er Jahre ans Ende gekommen, die deutsche Teilung stand ebenso fest wie die Westintegration der Bundesrepublik. In dieser Konstellation, stabil bis 1990, erschien Carver ein deutscher Kongress eine schöne Geste – präsidiert von André Chamson, der Präsident des Internationalen PEN war, ein französischer Essayist und Romancier, der in der Résistance gekämpft hatte und der die neue deutsch-französische Freundschaft gebührend würdigen könnte. Eröffnet wurde der Kongress in der Paulskirche, unter den Rednern war auch der deutsche Bundespräsident Theodor Heuss; zu den berühmtesten Besucherinnen bzw. Besuchern gehörten Alberto Moravia, Sarvepalli Radhakrishnan, Veronica Wedgwood und Thornton Wilder. Die Suspendierung des ungarischen Zentrums wurde nach langer Debatte wieder aufgehoben, sicher die wichtigste politische Entscheidung des Kongresses; Kästner wurde zu einem der internationalen Vizepräsidenten gewählt. Die Bundesrepublik und auch ihr PEN-Zentrum waren in der internationalen Staatengemeinschaft angekommen; da war es nur ein Schönheitsfehler, dass die deutschen Mitglieder sich in Frankfurt rar gemacht hatten und die kommende Jahresversammlung in Konstanz kaum besucht wurde: Ganze zehn Mitglieder waren gekommen, und der österreichische PEN-Präsident Franz Theodor Csokor. Das Modell des Freundschaftsclubs war offensichtlich mit dem Paukenschlag des Frankfurter Kongresses an sein Ende gekommen, sozusagen amtsmüde wie der Präsident Erich Kästner und der letzte Generalsekretär zu seiner Amtszeit, Walter Schmiele, der in einer Konstanzer Tageszeitung nochmals die Vitalität der PEN-Idee beschwor; er sei die einzige internationale Vereinigung schreibender Menschen in der Welt. Er ist kein Schutzverband. Er ist keine Fachorganisation. Er vertritt keine literarische Sonderrichtung. Wohl tritt er aktiv dafür ein, daß die Rechte von Autoren und Übersetzern in allen Staaten der Welt respektiert werden – denn noch ist das nicht der Fall –, aber da liegt das Geheimnis seiner Vitalität nicht. Der PEN ist eine moderne Gründung. Er beruft sich auf keine Tradition und keinen Mythos, die ihm sein Wesen diktieren. Das unterscheidet ihn wesentlich von den literarischen Zusammenschlüssen mit Akademiecharakter. Der PEN will keine Macht für sich und keine Macht für andere. Darum hat er keine Führer nötig, nur jeweils ein paar Männer, die ihm die Geschäfte führen, und von keinem Ministerium wird er etatisiert.19
19 Walter Schmiele: PEN vereint die Schriftsteller der Welt. Zur Tagung der westdeutschen Mitglieder des PEN-Clubs in Konstanz. In: Südkurier (Konstanz) 34 (15. 10. 1959), S. 3.
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4 Die 1960er Jahre: Diplomatische Politisierung Paul Schallück sah „[s]pätestens nach der zweiten Bundestagswahl“ einen Prozess der Versteinerung des Regierungssystems einsetzen; 1961 schien ihm „die Versteinerung nicht mehr zu übersehen“.20 Keine Regierung könne über drei Wahlperioden hinweg frisch und jugendlich bleiben, es sei ihr gutes Recht, zu verknöchern. Die Schriftsteller, die Generation der in den 1920er Jahren geborenen besonders, begannen um 1960, auch die Versteinerungen ihres eigenen Berufsstandes zu überwinden. Erst jetzt fand die Gruppe 47 allmählich ein breites Publikum.21 Der westdeutsche PEN stand am Anfang der 1960er Jahre noch quer zu diesen Entwicklungen, seine Politisierung fand sehr allmählich und zum Ende des Jahrzehnts statt, vielleicht mit Ausnahme des sensiblen Themas Antisemitismus in der Bundesrepublik, der nicht nur von Edschmid konstant beobachtet und kommentiert wurde. Unter dem 14. Januar 1959 zählte er in seinem publizierten Tagebuch die antisemitischen Ereignisse einer Zeitungs-Tageslektüre auf: In Alsheim sei ein alter jüdischer Friedhof geschändet worden; in Herford gebe es bald einen Prozess gegen „einen Kaufmann, der die Vergasung der Juden gutgeheißen hatte“; in Wiesbaden sollen zwei junge Assessoren ähnliche Bemerkungen gemacht haben: Was heißt das alles? Bei 30 000 Juden, die von 600 000 übriggeblieben sind? Es heißt, abgesehen von der Schamlosigkeit und dem Skandalösen, noch etwas anderes: unsere Schuld. Schuld des Staates und der Privatperson. Was ist denn getan worden, nichtgeachtet einiger Empörungswellen und gelinder Strafen, um den Deutschen ein positives Bild des Judentums zu geben? Fast nichts. Was haben die Schulen getan? Nichts.22
Edschmids Vorschlag gegen den hartnäckig andauernden Antisemitismus war, es müsse auf Schulen und Universitäten das „Unrecht, das an den Juden begangen wurde, eindeutig verurteilt“ werden.23 Antisemitische Grabschändungen hatte es auch nach 1945 immer wieder gegeben,24 das Jahr 1959 brachte eine neuerliche Zunahme. Rudolf Pechel regte Resolutionen im Internationalen und im bundesdeutschen PEN an, „die [s]einer Ansicht nach gar nicht scharf genug sein“ konnten,25 Edschmid wie Heuss thematisierten den Antisemitismus auf der Eröffnungssitzung des internationalen Kongresses in der Paulskirche. Robert Neumann, stets in enger Verbindung mit dem bundesdeutschen PEN-Vorstand, hielt Rundfunkvorträge und veröffentlichte die Broschüre Ausflüchte unseres Gewissens. Dokumente zu Hitlers „Endlösung der Judenfrage“ mit Kommentar und Bilanz der politischen Situation 20 Paul Schallück: Versteinerungen. In: Die Alternative oder Brauchen wir eine neue Regierung? Hrsg. von Martin Walser. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1961, S. 55–60, hier S. 56. 21 Vgl. Hermann Kinder: Der Mythos von der Gruppe 47. Eggingen: Edition Isele 1991, bes. S. 28–48. 22 Kasimir Edschmid: Tagebuch 1958–1960. Wien, München und Basel: Kurt Desch 1960, S. 68. 23 Ebd., S. 69; weitere Kommentare zu Antisemitismus s. S. 152f. und S. 341–345. 24 Vgl. Harry Pross: Memoiren eines Inländers. 1923–1993. München: Artemis & Winkler 1993, S. 224. 25 Rudolf Pechel an Walter Schmiele (14. 2. 1959). BArch Koblenz, NL Rudolf Pechel.
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(1960). Auch Wolfdietrich Schnurre regte eine Aktion gegen die Friedhofsschmierereien an; Kästner als PEN-Präsident wollte mit einem Rundbriefverfahren eine möglichst einstimmige Resolution erreichen. Er war der Ansicht, eine bloße Verurteilung der Schmierereien sei zu wenig und zu selbstverständlich: „Ich bin nur für eine Resolution, wenn wir übers Redensartliche hinausgehen wollen. Wenn nicht, wäre es das Beste, die nächste Entwicklung präzise zu beobachten und im womöglich notwendigeren Zeitpunkt einzugreifen.“26 Die ausführlichen Antworten auf Kästners Rundschreiben an den Vorstand, Schnurre und Kühner-Wolfskehl mit der schlichten Frage „Was sollen wir tun?“27 reichten von ‚ignorieren‘ (Georg von der Vring) über ‚keine Resolution an die Öffentlichkeit, sondern an die Kultusministerkonferenz‘ (Rudolf Hagelstange, Hermann Kasack); ‚Geschichtsbücher revidieren‘ (Martin Kessel); ‚Selbstbesinnung‘ (Friedenthal); ‚keine Resolution, etwas wirklich Konkretes – etwa ein Vortrag Jaspers’ oder Bubers in der Paulskirche‘ (Schmiele); bis hin zu Schnurres Forderung nach einer „einstimmige[n] präzis formulierte[n] Resolution […], in der die antijüdischen Ausschreitungen in der Bundesrepublik […] von allen Mitgliedern aufs schärfste gebrandmarkt und einhellig mißbilligt werden“.28 Passiert ist dann tatsächlich nichts, für Schnurre ein erster Grund, den PEN jämmerlich zu finden (sein Wort: „beschämend“); beim nächsten Ärger, der nur diplomatischen Reaktion auf den Mauerbau, wird er austreten.29 Die 1960er Jahre begannen im übrigen für den bundesdeutschen PEN friedlich, fast lethargisch, Kästner und Schmiele verabschiedeten sich über den kleinen Zwistigkeiten innerhalb des Clubs innerlich immer mehr von ihren Aufgaben, der Bau der Berliner Mauer traf auf kein sehr handlungsfähiges Zentrum. Seit 1949 wurden Statistiken über die Zahl der Flüchtlinge aus der DDR gesammelt. Bis 1958 waren etwa 2 200 000 Menschen in den Westen geflohen, in den kommenden Jahren stiegen die jährlichen Flüchtlingsziffern eher noch an bis zur förmlichen Explosion im ersten Halbjahr 1961, wo mehr als 90 000 Menschen über die Sektorengrenze Berlins zogen.30 In der Nacht vom Samstag, dem 12., auf Sonntag, den 13. August um 230 Uhr „riegelten die Ostdeutschen Westberlin ab. Sie ließen nur einige offizielle Übergangsstellen offen, an denen einzelne unter amtlicher Aufsicht hinüber- und herüberwechseln konnten. In der Nacht vom 17. auf den 18. August begannen sie eine mit Stacheldraht gekrönte
26 Erich Kästner an Walter Schmiele (7. 1. 1960), S. 1f. DLA, Slg. Erich Kästner. 27 Rs. Erich Kästner (27. 1. 1960). DLA, Slg. Erich Kästner. 28 Wolfdietrich Schnurre an Erich Kästner (5. 1. 1960). DLA, Slg. Erich Kästner. 29 Vgl. seinen Aufsatz gegen die antisemitischen Ausschreitungen: Wolfdietrich Schnurre: Im Niemandsland. In: W. S.: Schreibtisch unter freiem Himmel. Polemik und Bekenntnis. Olten und Freiburg i. Br.: Walter 1964, S. 21–25 (Erstdruck in: Israel-Forum (Haifa), Februar 1960). 30 Die Journalistin Erika Hornstein hat sich Lebensläufe solcher Flüchtlinge in den westdeutschen Auffanglagern erzählen lassen: Ihre Flüchtlingsgeschichten erschienen zuerst 1960, erneut 1985 in H. M. Enzensbergers Anderer Bibliothek.
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Betonmauer zu bauen.“31 Die Dramatik des Mauerbaus für die Berliner selbst lässt sich heute am ehesten anhand der vor Zorn und Trauer förmlich bebenden Arbeiten Wolfdietrich Schnurres aus den Jahren 1961 bis 1964 nachvollziehen; anders als die stärker auf Dauer angelegten Romane Uwe Johnsons, der in den Literaturgeschichten das Thema der deutschen Teilung in erster Linie zugewiesen erhält, hat Schnurre Artikel und Aufsätze verfasst, Vorträge auf Tagungen und im Rundfunk gehalten, offene Briefe geschrieben und in zwei Bildbänden die Vorgänge während und unmittelbar nach dem Bau kommentiert, alles aus dem Tag heraus und für den Tag geschrieben.32 Auf das Argument, die Teilung Berlins sei längst vollzogen gewesen, antwortete Schnurre, man solle Spaltung und Teilung nicht verwechseln: „Siebzig Prozent aller Westberliner haben Verwandte im Ostsektor wohnen. Es gibt kaum einen Ostberliner, der nicht Arbeitskollegen, Bekannte und Freunde in Westberlin hätte.“33 63 000 Ostberliner arbeiteten im Westen, 12 000 Westberliner im Osten; S- und U-Bahnen ignorierten die Sektorengrenzen; noch im Juli überquerten sie „über fünfhunderttausend Menschen […] täglich nach beiden Seiten unkontrolliert“.34 Den Potsdamer Platz erklärte Schnurre für „die menschenleerste, schrecklichste Mondlandschaft, die sich je in einer bewohnten und nicht unter direktem Kriegseinfluß stehenden Großstadt aufgetan hat.“35 Schnurre und Günter Grass wollten den verbalen Protest gegen den Mauerbau nicht nur den Politikern und Journalisten überlassen, sie schrieben am 16. 8. 1961 einen offenen Brief an die Mitglieder des DDR-Schriftstellerverbandes. Sie wiesen die ostdeutschen Kollegen auf ihre Pflicht zum Protest hin, wie im Westen gegen den wegen seiner Tätigkeit im nationalsozialistischen Deutschland umstrittenen Hans Globke, geplante Notstandsgesetze und autoritären Klerikalismus protestiert werde: „Es gibt keine ‚Innere Emigration‘, auch zwischen 1933 und 1945 hat es keine gegeben. Wer schweigt, wird schuldig.“36 Sie bekamen Antworten, von Bruno Apitz, Stephan Hermlin, Erwin Strittmatter und Bodo Uhse, die alle die Mauer verteidigten. Hermlins Antwort sei als pars pro toto zitiert, sie war 1961 auch in der westdeutschen Zeitschrift konkret nachzulesen: 31 Louis J. Halle: Der Kalte Krieg. Ursachen, Verlauf, Abschluß. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Elfriede Burau. Frankfurt am Main: S. Fischer 1969, S. 388. Vgl. Hermann Weber: DDR. Grundriß der Geschichte 1945–1990. Vollständig überarbeitete und ergänzte Neuauflage. Hannover: Fackelträger 1991, S. 93–96. 32 Vgl. die Sammlung von Reden und Aufsätzen von Wolfdietrich Schnurre: Schreibtisch unter freiem Himmel. Polemik und Bekenntnis. Olten und Freiburg i. Br.: Walter 1964, S. 50–115. – Die Bildbände: W. S.: Berlin. Eine Stadt wird geteilt. Eine Bilddokumentation. Olten und Freiburg i. Br.: Walter 1962; W. S.: Die Mauer des 13. August. Berlin: Ernst Staneck 1962. 33 Schnurre: Berlin, S. 6. 34 Ebd., S. 8. 35 Wolfdietrich Schnurre: Mit der Mauer leben. In: Rudolf Hartung (Hrsg.): Hier schreibt Berlin heute. Eine Anthologie. München: List 1963, S. 37–44, hier S. 43. 36 Zit. nach Günter Grass: Werkausgabe in zehn Bänden. Hrsg. von Volker Neuhaus. Darmstadt und Neuwied: Luchterhand 1987, Bd. IX, S. 35f.
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Wenn Sie, Schnurre und Grass, gegen Globke und Schröder auftreten, die Sie regieren, so bin ich keineswegs verpflichtet, gegen meine Regierung aufzutreten, die Globke und Schröder etwas nachdrücklicher bekämpft, als Sie beide es tun – das sei bei allem Respekt vor Ihrer Zivilcourage gesagt. […] Tatsächlich ist das, was Sie das Unrecht vom 13. August nennen, eine staatliche Aktion gegen die Globke-Schröder-Politik.37
Die Stadt sei nicht plötzlich „durch eine Gewalttat in zwei Teile auseinandergefallen“,38 sie sei bereits seit 1948 gespalten; die Mauer „war ein logischer Schritt in einer Entwicklung, die nicht von dieser Seite der Stadt eingeleitet wurde.“39 Ein Gran der Distanzierung findet sich in Hermlins Brief: Er gebe den Maßnahmen seiner Regierung seine „uneingeschränkte ernste Zustimmung“, heißt es, aber er habe ihr „kein Danktelegramm geschickt und ich würde meine innere Verfassung auch nicht als eine solche ‚freudige Zustimmung‘ […] definieren.“40 Hermlin war noch 1980 bereit, gegenüber Ulla Hahn seinen damaligen Standpunkt zu verteidigen, wegen der Feindseligkeit der alten Bundesrepublik gegenüber den östlichen Nachbarn: „Sie müssen bedenken, daß ich von dem Staat Adenauers rede, nicht von der Bundesrepublik, wie sie sich unter Willy Brandt und Helmut Schmidt entwickelte.“41 Schnurre hatte 1961 nicht nur an Kästner geschrieben, sondern seinen Brief in Abschrift an den ganzen Vorstand geschickt; ein emphatisch aufgeregtes Erinnern an die Charta des PEN, und Ausdruck seiner Beunruhigung über das Stillschweigen des PEN, auch angesichts der zustimmenden Reaktionen der DDR-Kollegen: Das heißt, die ostdeutschen Schriftsteller heißen Konzentrationslager gut, von denen es inzwischen insgesamt 23 uns bekannte in der Zone gibt. Das heißt, die ostdeutschen Schriftsteller heißen die Selbstmorde gut, deren Durchschnittsquote (nicht nur alte Menschen, auch junge) in der Zone zwischen 25 und 30 Leben am Tag beträgt seit Ulbrichts Terror neu angelaufen ist. Das heißt, die ostdeutschen Schriftsteller heißen die Deportationsgesetze und die Terrorurteile gut, durch welche schuldlose Menschen verschickt und in Zuchthäuser geworfen werden. Das heißt, die ostdeutschen Schriftsteller heißen die Unmenschlichkeit und die Unterdrückung der Freien Meinung in der Zone gut. Wie darf der westdeutsche P.E.N. dazu schweigen? […] Ich beantrage, soweit ich das in meiner Eigenschaft als einfaches Mitglied darf, dringend, zumindest eine Entschließung zu fassen, die sich gegen das menschenunwürdige Verhalten der ostdeutschen Schriftsteller wendet. Es braucht ja keine im Leitartikelton verfaßte Beschimpfung zu sein. Aber man muß doch wohl einmal darauf hinweisen, was Aufgabe eines Schriftstellers ist. Und wie steht es mit dem 4. Grundsatz der Charta? ‚– … und seine Mitglieder verpflichten sich, jeder Art der Unterdrückung der Äußerungsfreiheit in ihrem Lande oder in der Gemeinschaft, in
37 Stephan Hermlin: Traum der Gemeinsamkeit. Ein Lesebuch. Hrsg. von Klaus Wagenbach. Berlin: Wagenbach 1985, S. 112. 38 Ebd. 39 Ebd., S. 113. 40 Ebd. 41 Ebd., S. 114.
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der sie leben, entgegenzutreten.‘ […] Wo sind die Mitglieder, die dem Terror Ulbrichts entgegentreten? Ich sehe sie nicht.42
Offenbar hat niemand aus dem Präsidium Schnurre geantwortet, auch wenn intern mögliche Schritte eines Protestes gegen den Mauerbau überlegt worden sind. Schnurre erklärte daraufhin im Oktober 1961 mit einer Presseerklärung seinen Austritt: Er berief sich auf den § 4 der Charta; beide, das west- wie das ostdeutsche Zentrum, hätten „eklatant gegen die Charta verstoßen“.43 Mit Schriftstellern, die sechzehn Jahre nach Hitler wieder einem blutbefleckten Diktator dienten, könne er nicht mehr zusammen in einem Club sein, die Satzung des PEN sei entwertet. Erich Kästner hat Schnurre ebenfalls mit einer Presseerklärung geantwortet; er bedauerte den Austritt, mehr noch seine demonstrative Art. Er sei überzeugt, dass die 170 verbliebenen Kollegen wie Schnurre „die Vorgänge seit dem 13. 8. ablehnen und die Entwicklung mit äußerster Sorge beobachten“.44 Aber diese „vermutlich mehr oder weniger einhellige Meinung“ und ein öffentlicher Protest seien nicht dasselbe: Ost- wie Westzentrum gehörten einem internationalen Verband von mehr als sechzig Zentren aus beiden Hemisphären an, „und der Internationale PEN-Club sieht es nach wie vor als eine wichtige Aufgabe an, diesen Kontakt trotz aller Spannungen nicht zu unterbrechen.“ Zerreißproben gebe es immer wieder, zuletzt zur Ungarnfrage auf dem Internationalen Kongress in Frankfurt 1959. Der Vorstand habe sich wiederholt gefragt, „ob ein öffentlicher Protest, vom Grad seiner Wirksamkeit ganz abgesehen, angebracht sei“; nach dem Protest durch das Zentrum Writers in Exile sei man sich einig gewesen, „daß der nächste Schritt nicht weiterhin von einzelnen Zentren, sondern vom Internationalen PEN zu erfolgen habe.“45 Auf der nächsten Exekutivsitzung werde die Angelegenheit besprochen und ein internationaler Mehrheitsbeschluss gefasst, der dann freilich nicht die Meinung des westdeutschen Zentrums wiedergeben müsse, aber so sei das nun mit den „Spielregeln der Demokratie“.46 Auch aus Walter Schmieles Antwort wird deutlich, dass der Club die Gesprächsmöglichkeiten mit den Ost-Kollegen erhalten wollte und Schnurres Forderung für weltfremd hielt, ja unkollegial: Man „könne nicht erwarten, daß die Schriftsteller der Sowjetzone von selbst über die Klinge springen würden. Unter den augenblicklichen Umständen sei keine andere Antwort möglich gewesen“ als die apologetische von Hermlin, Seghers, Strittmatter und Wiens.47 Als notorischer Resolutionsgegner 42 Wolfdietrich Schnurre an Kasimir Edschmid (13. 9. 1961). DLA, NL Kasimir Edschmid. 43 Schnurres Erklärung, abgedruckt in Rs. Walter Schmiele (Oktober 1961), S. 2. DLA, NL Ernst Kreuder. 44 Erich Kästner im Rs. Walter Schmiele (Oktober 1961), S. 1. DLA, NL Ernst Kreuder. 45 Ebd. 46 Ebd., S. 2. 47 Walter Schmiele: Streit im westdeutschen PEN-Zentrum. Können sowjetzonale Schriftsteller noch Mitglieder des Internationalen PEN-Clubs sein? In: Nürnberger Nachrichten, 13. 10. 1961; als Antwort Wolfdietrich Schnurre: Der Schriftsteller und die Mauer. Vortrag vom Februar 1962, abgedruckt in Schnurre: Schreibtisch, S. 62–95, zu Schmiele dort S. 82f.
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reagierte Schmiele auch noch 1996 gereizt auf eine entsprechende Nachfrage, unter Abstreitung einer besonderen Rolle der Intellektuellen: „Der Verein deutscher Kanarienzüchter kann sich dieselben Vorwürfe machen. Die haben auch ganz schwach reagiert damals! Was soll’s!?“48 Der Versuch von Schmiele und Friedenthal, im November 1961 auf einer Sitzung des internationalen Exekutivkomitees in Rom einen öffentlichen Protest auf dieser Ebene zustande zu bringen, scheiterte, wurde sogar als Versuch verstanden, deutsche Besonderheiten zu delegieren. Nachdem keine Vertreter des ostdeutschen Klubs gekommen waren, blieb es bei der Aufforderung Jean de Beers (Frankreich), das Zentrum Bundesrepublik „should make its own decisions in the matter“.49 Richard Friedenthal hatte in seinem Bericht vor übertriebenen Erwartungen gewarnt und den Stellenwert der Charta neu und sehr skeptisch eingeschätzt: Berufung auf den Wortlaut der Charta hilft da nicht viel mehr als bei größeren Weltorganisationen (UN), die auch alle ihre Charta haben. Der P.E.N. ist in mancher Beziehung zu groß geworden. […] Die Zusammensetzung des internationalen Gremiums wird immer bunter: es geht nicht nur um West und Ost. […] Es wird also immer wieder zu Kompromissen kommen, auch zum ‚Leisetreten‘, wenn man will. Es ist aber ebenso deutlich, daß eine solche Organisation doch eine moralische Macht darstellt und daß es sehr leichtherzig wäre, sie aufzugeben. Die Kleinarbeit, die das internationale Sekretariat geleistet hat und weiter leistet, ist höchst wertvoll. Und wenn auch nicht in allen Fällen etwas erreicht wird, so doch in vielen Fällen […]50
Das zehnjährige Jubiläum des westdeutschen PEN fand im Schatten der Ereignisse um die Berliner Mauer statt; lediglich Heinz Möhlmann schrieb einen Festartikel.51 In der Frage des Protests oder Nicht-Protests des westdeutschen PEN gegen den Mauerbau stellte sich Möhlmann eher auf die Seite Kästners und Schmieles, indem er die politische Machtlosigkeit des Clubs betonte. Auch Walter Schmiele schrieb, viel später, zwei sehr ähnliche Geburtstagsartikel für den PEN52 und nutzte die Gelegenheit zu einer Stellungnahme in der Frage des Mauerprotests. Es gebe zwei Meinungen über den Charakter des PEN: die einen hielten ihn „für das moralische Gewissen der Weltliteratur“, die anderen für ein „Institut zur diskreten Anbahnung internationaler Bekanntschaften“. Die eine Partei meine ein „Phantom“, die andere „den wirklichen PEN-Club“, und das habe sich auch nach dem 13. August gezeigt. Missverständnisse gebe es seit der dezidiert unpolitischen Gründung, die Charta sei kein Gründungstext, 48 Gespräch des Verfassers mit Walter Schmiele am 25. 6. 1995 in Darmstadt. 49 Ebd. 50 Richard Friedenthal in Rs. Erich Kästner und Walter Schmiele (15. 11. 1961), S. 2. DA. 51 Dieser wurde in sieben verschiedenen Zeitungen, auch in verschieden redigierten Fassungen abgedruckt. Vgl. z. B. Heinz Möhlmann: Völkerbund von Leuten der Feder. Zehn Jahre PEN-Zentrum der Bundesrepublik. In: Westfälische Zeitung, 30. 11. 1961. 52 Walter Schmiele: Der PEN-Club hat Geburtstag. Wie er entstand und warum er entstand. In: Heidelberger Tageblatt, 9. 12. 1961; W. S.: Der PEN-Club und die Lobredner der Mauer. In: Der Tagesspiegel, 5. 4. 1962.
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keineswegs „eine Art Rütlischwur“, den seine Mitglieder zu leisten gehabt hätten, noch einmal eine Reminiszenz an den Freundesclub der 1950er Jahre: Die erste und vorerst einzige Weisung an die Mitglieder des Ur-PEN hatte folgenden Wortlaut: ‚Es wird von den Mitgliedern erwartet, daß sie die Frage des Abendanzugs nach eigenem Ermessen entscheiden. Es werden keine formellen Reden gehalten werden, und die Mitglieder des Clubs sollen sich in jeder Weise so bequem fühlen, als ob sie bei sich zuhause wären.‘53
Mit der Charta, 1927 in Brüssel von John Galsworthy entworfen, seien die abwechselnden Vorwürfe gekommen, der Club sei zu politisch oder zu unpolitisch. Der Ausschluss54 des deutschen PEN nach der Bücherverbrennung 1933 sei singulär geblieben, weder das faschistische italienische Zentrum von Ungarn 1956, Frankreich nach dem Algerienkrieg oder das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West nach dem Mauerbau seien ausgeschlossen worden. Warum nicht? Nicht weil die Charta aufgeweicht worden wäre […], sondern weil sich im weltweiten PEN mit seinen 7000 Schriftstellern aller Hautfarben, aller Sprachfamilien, aller Religionen der Welt die Meinung durchgesetzt hat, man müsse im Sinne der Charta tolerant auch gegen die Intoleranten sein. Gerade dies ist heute vielen von uns nicht begreiflich zu machen. Der PEN ist ein Club inclusive totalitärer Zentren: Ungarn, Bulgarien, die ‚DDR‘, die Tschechoslowakei, Polen, und wir glauben zu wissen, daß der PEN für viele Autoren dieser Länder das letzte Forum darstellt, auf dem die Praxis einer gemeinsamen poetischen Muttersprache noch geübt wird. Und bisher hat kein totalitäres Zentrum auf die PEN-Mitgliedschaft verzichtet, und keine totalitäre Regierung eines dieser Zentren aufgelöst!55
Schmieles Argumentation hat Brüche; welchen Sinn hatte es, der Charta-freien (unpolitischen) Zeit nachzutrauern, wenn es doch anscheinend eine zwangsläufige historische Entwicklung war, den Dinner-Club zugunsten des politischen aufzugeben? Schmiele bedachte das Schicksal von nicht systemgetreuen Kollegen, die durch den PEN eine Chance behielten, sich der ‚gemeinsamen poetischen Muttersprache‘ zu bedienen, auch, trivialer, ins Ausland zu reisen; aber wieso sollte das autoritäre Regime ein Interesse an der Aufrechterhaltung des eigenen Zentrums haben? Der langjährige Vizepräsident des Internationalen PEN Robert Neumann beschrieb die Entstehung der Charta in seiner Autobiographie ähnlich spöttisch und distanziert wie Schmiele,56 für die 1950er und 1960er Jahre schätzte er sie so ein: Die noble Charta bedeutet in jedem Land etwas anderes. Es ist nicht ein politisches Problem, sondern ein semantisches oder ein psychologisches oder ein moraltheologisches, daß jeder
53 Walter Schmiele: Der PEN-Club hat Geburtstag, 9. 12. 1961. 54 De facto ein Selbstausschluss, vgl. den Beitrag von Ernst Fischer in diesem Handbuch, S. 71–132. 55 Walter Schmiele: Der PEN-Club hat Geburtstag, 9. 12. 1961. 56 Robert Neumann: Ein leichtes Leben. Bericht über mich selbst und Zeitgenossen. Berlin und Weimar: Aufbau 1975, S. 74f.
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in jedem Land guten Glaubens ist, er sei frei – und freier als sein Nachbar auf jeden Fall.57 Allerdings ist Neumanns Buch in der DDR erschienen und von seinem Autor gekürzt worden; es ist nicht einsehbar, dass die Frage der Charta keine politische Frage sein sollte, nachdem sie keine moraltheologischen, sondern durchaus politische Forderungen stellt.58 In seinem späteren Artikel – ursprünglich ein Kommentar für den Deutschlandfunk, ohne Wissen des Verfassers abgedruckt59 – beschrieb Schmiele konkreter das Scheitern der Versuche des PEN, eine gemeinsame literarische Plattform mit den Ostblockstaaten zu erhalten. Das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West habe ungestört und ohne Zensur, wenn auch erst im zweiten Anlauf, seine Versammlung in Hamburg abhalten können,60 und das, „obschon sie dabei das PEN-Forum und die Literatur als propagandistische Mittel für die marxistische Lehre benutzten“;61 Schmiele musste diese Einschätzung aus der Presse beziehen, es war ja niemand vom westlichen PENVorstand in Hamburg gewesen. Umgekehrt hielt Schmiele eine westliche Mitgliederversammlung in Ostberlin für undenkbar (ohne den Ostvorstand dazu befragt zu haben). Trotz wiederholter Bemühungen sei es nicht möglich gewesen, eine Mitgliederliste des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West zu bekommen; der gute Umgang der Zentren untereinander werde so missachtet. Deshalb könne er leicht nachsehen, wer Mitglied im PEN von Los Angeles sei, im Falle der DDR sei ihm das unmöglich. Trotz aller Toleranz sei aber das Gespräch nach dem 13. August 1961 verstummt: Die Tatsache, daß Präsidialmitglieder des Zentrums der DDR die Errichtung der Mauer in allen ihren Konsequenzen zu rechtfertigen versuchten, hat innerhalb des Internationalen PEN Diskussionen darüber ausgelöst, ob dies nicht einen flagranten Verstoß gegen die Charta darstelle, und wenn man sie ernst nimmt, buchstäblich nimmt, dann ist gar kein Zweifel möglich, daß hier ein schwerer Verstoß vorliegt. Als man auf der letzten Exekutivsitzung des Internationalen PEN in Rom darüber eine Aussprache herbeiführen wollte – erschienen die Vertreter der DDR nicht. Die Diskussion unterblieb.62
Der PEN spiegele nur die zerrissene Weltlage wider, auch den Stand von Freiheit und Wahrheit auf der Welt. Schmieles befremdlicher, mindestens eurozentrischer Schluss sei nicht verschwiegen: Seit dem Tod der Gründerin habe sich vieles verändert am PEN; denn damals „waren ausschließlich Kulturnationen mit alten Literaturen im
57 Ebd., S. 79. 58 Zur DDR-Bearbeitung der Autobiographie vgl. Robert Neumann: Vielleicht das Heitere. Tagebuch aus einem andern Jahr. München: Kurt Desch 1968, S. 173f. 59 Lt. Walter Schmiele an Erich Kästner (3. 5. 1962). DLA, Slg. Erich Kästner. 60 Das anfängl