Leopold Jacoby, Auswahl aus seinem Werk [Reprint 2021 ed.] 9783112545089, 9783112545072

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German Pages 250 [253] Year 1972

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Leopold Jacoby, Auswahl aus seinem Werk [Reprint 2021 ed.]
 9783112545089, 9783112545072

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LEOPOLD JACOBY AUSWAHL A U S SEINEM WERK

TEXTAUSGABEN ZUR F R Ü H E N SOZIALISTISCHEN LITERATUR IN D E U T S C H L A N D

Herausgegeben von der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin durch D r . U R S U L A

MÜNCHOW

BAND

X

LEOPOLD JACOBY AUSWAHL AUS SEINEM WERK

Heraujgegeben von

MANFRED HÄCKEL

AKADEMIE-VERLAG • BERLIN 1971

Erschienen im Akademie-Verlag G m b H , 1 0 8 Berlin, Leipziger Straße 3—4 Copyright 1 9 7 1 by Akademie-Verlag G m b H Lizenznummer: 202 • 1 0 0 / 1 1 8 / 7 1 Herstellung: I V / 2 / 1 4 V E B Werkdruck, 445 Gräfenhainichen • 3 4 6 5 Bestellnummer: 2 1 1 9 / X • E S 7 E E D V 7 5 1 797 1 1 9 -

INHALT

EINLEITUNG GEDICHTE 3 15 27 27 28 30 31 31 32 32 34 35 36 37 39 40 40 42 44 44 45 46 46 46 46 46 46 46

Klage Der deutschen Sprache Lobgesang Unterricht im Sozialismus 1. Fanny flüstert 2. Fanny fragt 3. Fanny fragt wieder Rebe und Rose Über Stürme hinweg und drohenden Graus Am Meer Gegenwart Das Volkslied Lasciate ogni speranza Wissen und Nichtwissen Der Dom zu Mailand Poesie und Wahrheit Ein Perlenschmuck Der Teufel im Flachs Die schwarze Margret Kinderreime An Thea Henckell in Lenzburg Robert Koch Indische Sprüche im deutschen Gewände Politik Noch steht die Welt im Sold Des Handwerkers Hand ist immer rein Bourgeoisie Nur ein anderes Wort für Tod Hörst du der Eulen wüst Geschrei

46/ 47 47 47 47 47 47 47 48 48 49 50 52 54 55 56 56 57 57 59 60 61 64 65

Weltweisheit Ein Unwissender wird leicht überzeugt Der Berg hat Höhe, das Meer hat Tiefe Der Vernunft des Menschen ist nichts vergleichbar Ein Beraten vor sechs Ohren Sein Geschick der Mann sich selber schuf Willst du nicht werden der Sorgen Beute Des Menschen Leib ist ein Wagen Alles Häßliche, das uns entgegenstarrt Antike und moderne Welt Die neue Zeit Karl Marx' Totenfeier Das letzte Jahrfünf des Jahrhunderts Das Schaffen des Schönen Bekenntnis Weltalls-Lieder 1. Idee der Entwickelung 2. Umkehrung 3. Die Erde ist zu klein für den Sozialismus 4. Farbenhymnus 5. Freiheit Vision Mammons Ende Die Maschine heut und in der Zukunft AUTOBIOGRAPHISCHES

69 73 75 81 86 88 91 94 97

Autobiographische Skizze Lauenburg Danzig Stenographie und Studium Marburg Schrecken des Krieges 1870/71 Augenblickbilder aus Paris Parlamentseindrücke Eine internationale Trauerfeier im Cooper-Hause WISSENSCHAFTLICHE

101

Aus: Die Idee der Entwickelung, I. Teil BRIEFE

125 130

PROSA

An Arnold Dodel An Arnold Dodel

131 133 136 136 138 139 142 146 148 149 150 153 154 155 156 158 159 162

An An An An An An An An An An An An An An An An An An

Arnold Dodel Arnold Dodel Karl Kautsky Hermann Schlüter Hermann Schlüter Hermann Schlüter Friedrich Engels Hermann Schlüter Hermann Schlüter Hermann Schlüter Hermann Schlüter Hermann Schlüter Hermann Schlüter Hermann Schlüter Hermann Schlüter Hermann Schlüter Hermann Schlüter Redaktion „Neue Zeit"

ANHANG 165 167

Bibliographie Anmerkungen

EINLEITUNG

Eine „eiserne Lerche" nannte Heinrich Heine 1841 den jungen Georg Herwegh, als dieser sich mit seinen „Liedern eines Lebendigen" in die Schar der bürgerlichdemokratischen Streiter einreihte, die den Ruf nach Befreiung Deutschlands von feudalabsolutistischer Willkür und Bevormundung erhoben hatten. Ebenfalls mit einer Lerche, die „einer kommenden Zeit entgegenjubelt", verglich sich dreißig Jahre später Leopold Jacoby in dem Gedichtband „Es werde Licht!", mit dem er an die Seite des kämpfenden Proletariats trat. Und ganz im Sinne Heines wollte auch er mit diesem Bild ein dichterisches Anliegen ausdrücken, nämlich Künder der kommenden Befreiung des Menschen von Ausbeutung und Unterdrückung, von Not und Elend zu sein: Künder der sozialistischen Zukunft der Menschheit. Sie galt ihm als das einzige, folgerichtige und mit Notwendigkeit zu erstrebende Ziel aller Menschheitsentwicklung, das er als Weltenwende und Beginn des eigentlichen menschlichen Zeitalters deutete. In einer lyrischen Weltanschauungsdichtung, die ihresgleichen in der frühen sozialistischen Literatur des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts sucht, ja in der deutschen Literatur jener Jahre überhaupt, und die zugleich neue Ansätze in struktureller und formaler Hinsicht leistete, hat Jacoby seinem Anliegen poetische Gestalt verliehen. Für einen sozialistischen Dichter hatte die offizielle bürgerliche Literaturgeschichte so gut wie keinen Raum. 1 Jacobys Name fand erst im zwanzigsten Jahrhundert Aufnahme in literaturwissenschaftliche Darstellungen XI

und Nachschlagewerke, jedoch auch nur in solche, deren Verfasser nach größtmöglicher Objektivität strebten. 2 Auch die Arbeiterklasse wurde ihrem Dichter zu dessen Lebzeiten nicht voll gerecht. Sieht man einmal von Besprechungen einzelner Werke ab, so wurden die wenigen würdigenden Artikel, die in der Arbeiterpresse und in den der Arbeiterbewegung nahestehenden Organen erschienen, ausschließlich durch das tragische Schicksal Jacobys am Ende seines Lebens bestimmt und erschienen als Nekrologe. 3 Selbst Franz Mehring kam über eine unverbindliche Einschätzung nicht hinaus. 4 Erst in der jüngsten Vergangenheit hat die sozialistische Literaturwissenschaft damit begonnen, die spezifische poetische Leistung Leopold Jacobys innerhalb der Entwicklung der sozialistischen Literatur zu bestimmen. 5

I Leopold Jacoby wurde am 29. April 1840 als Sohn eines jüdischen Religionslehrers und Kantors in Lauenburg in Hinterpommern geboren. Die glückliche Kindheit, die er in dem kleinen Landstädtchen verlebte, hat so stark in ihm nachgewirkt, daß sie zum Grundthema seines ersten Gedichtsbandes „Jugenderinnerungen aus Pommern und dem alten Pommerellenlande" 6 wurde. In der Lauenburger Bürgerschule genoß der Knabe, der bald zu den besten Schülern zählte, einen ausgezeichneten Unterricht. Doch des Vaters untergeordnete Stellung bot nur wenig Chancen für die Zukunft; sie schienen durch seinen frühen Tod vollends zu schwinden. Als auch die Mutter kurz darauf starb, war der Vierzehnjährige ganz auf sich allein gestellt. In einem harten und entbehrungsreichen Ringen um die tägliche Existenz, nur auf spärliche Unterstützungen und den Ertrag von Nachhilfestunden angewiesen, stand der junge Jacoby die Jahre bis zum Abitur durch. Mit der gleichen Zähigkeit erlernte er neben Schule und Stundengeben die Stenographie — und zwar nach der Methode von Heinrich Stolze —, die er bald so vollkommen beherrschte, XII

daß sie für die folgenden Jahre die Grundlage seiner Existenz bilden konnte. 1862 ließ sich Jacoby in die Matrikel der Berliner Universität einschreiben. Gleichzeitig trat er als Sekretär in das stenographische Büro des Abgeordnetenhauses ein, vertauschte diese Tätigkeit jedoch schon nach kurzer Zeit mit der eines Stenographen und Berichterstatters, zunächst im Parlamentsbüro der „Kölnischen Zeitung", seit 1863 dann für die „Oldenbergische Kammerkorrespondenz". Die vier ersten Semester waren der Medizin gewidmet. Doch erfolgte auch hier bald eine Veränderung zugunsten der Zoologie. Darüber hinaus wurden Physik, Geschichte, Philosophie und Ästhetik in das Studium einbezogen. Ein geselliger Verkehr verband ihn mit den Schülern Stolzes, deren Vereinsblatt „Stenographische Trinkstube" Jacoby zwei Jahre lang redigierte. 1867 erfolgte die Promotion mit der Arbeit „Über den Knochenbau der Oberkinnlade bei den Aalen". Noch im gleichen Jahre plante er, an einer Expedition in die Tropen teilzunehmen. Das dafür notwendige medizinische Staatsexamen bestand er 1870 in Marburg. Nicht nur in fachlicher Hinsicht war der zweieinhalbjährige Aufenthalt in Marburg von Nutzen. Die Atmosphäre der alten Stadt an der Lahn, der Reiz der sie umgebenden Landschaft und ein ungebundenes Studentenleben inspirierten Jacoby zu seinem zweiten Gedichtband „Weinphantasien" und einer ersten dramatischen Arbeit, betitelt „Das Lustspiel. Lustspiel mit Prolog in drei Aufzügen". 8 Zu einem Lustspielpreisausschreiben nach Hamburg eingereicht, erhielt Jacobys Stück zwar das Prädikat, die zweitbeste von 182 Einsendungen gewesen zu sein, wurde jedoch niemals an einem Theater aufgeführt. Wenige Wochen nach Beendigung des Studiums brach der Deutsch-Französische Krieg aus. Die geplante Expedition mußte aufgegeben werden. Der frischapprobierte Mediziner meldete sich zur freiwilligen Krankenpflege. Und hier in der Atmosphäre der Lazarette, wo der Krieg in der gleichen teuflischen Gestalt sichtbar wurde wie auf dem Schlachtfeld, erwachte in Leopold Jacoby der Zweifel an der Richtigkeit der Welt, die ihn XIII

umgab, an der Gesellschaft, in der er sich bewegte. Der Anblick der Verstümmelten und der Ruhr- und Typhustoten lehrte ihn den Krieg hassen. Jacoby erkannte, daß es für ihn keinen Weg zu den Kräften geben konnte, die Militarismus und Chauvinismus repräsentierten, daß aber auch der Weg zurück zum Liberalismus, dem er in den sechziger Jahren anhing, keine Lösung darstellte. Noch 1869 hatte er Vorstellungen vertreten, die auf Herstellung eines einheitlichen deutschen Kaiserreichs gerichtet waren. In den „Weinphantasien" finden sich die Zeilen: „Ich singe mir die Augen naß Und bringe jubelnd dieses Glas, Ich brings dem deutschen Kaiser. Es tönt ein Ruf, es dröhnt ein Wort In tausend Herzen fort und fort, Bald lauter und bald leiser: Daß wir des Bannes werden frei, Daß unsere Not zu Ende sei, Komme du bald, o Kaiser!" 9 Doch als dieser Wunsch im Ergebnis des Deutsch-Französischen Krieges in Gestalt des preußisch-deutschen Kaiserreiches von Bismarcks Gnaden seine Erfüllung fand, hatte ihr Verfasser bereits eine neue politische Orientierung gewonnen. Den Anstoß dazu gab die Pariser Kommune. Im revolutionären Paris, wo er nach dem Waffenstillstand wenige Tage zubrachte, erlebte er erstmalig bewußt das Wirken jener Kräfte, die eine grundsätzliche Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse erstrebten. Und als Naturwissenschaftler gewohnt, alles Neue zu prüfen, und auf der Suche nach einer neuen weltanschaulichen Orientierung begann er sich intensiv mit Ziel und Weg der Männer der Kommune zu befassen. Das Ergebnis hat er rückschauend so formuliert: „Als Liberaler, höchstens Fortschrittler war ich nach Frankreich gegangen, als eben aufwachender Sozialist heimgekehrt. . ." 10 Anfang der neunziger Jahre hat er dann noch einmal die internationalen und nationalen Ereignisse der Jahre 1870/71 als die unmittelbaren Anlässe seiner Hinwendung zum Proletariat bezeichnet: XIV

„Der Krieg, von welchem ich die Kehrseite zu erkennen Gelegenheit hatte, der Anblick des revolutionär erregten Paris mit den gleich darauf folgenden geschichtlichen Ereignissen, der Erhebung und Niederwerfung der Kommune, und vor allem die um dieselbe Zeit zu Berlin sich erhebende G r ü n d e r p e r i o d e , haben mich zum Sozialisten gemacht." 11 In einer Zeit sich ständig verschärfender Ausbeutung und Klassenauseinandersetzungen lernte Leopold Jacoby Leben und Kampf des Proletariats kennen. Obwohl er das Elend und das tägliche Ringen um die nackte Existenz am eigenen Leibe erfahren hatte, war es doch eine neue Welt, die sich nun vor ihm auftat. Und im gleichen Maße, wie er bestrebt war, sie bis ins Kleinste hinein kennenzulernen, formten sich diese Eindrücke und neuen Erkenntnisse zu Bildern und Versen, die noch 1871 zu dem Gedichtband „Es werde Licht!" zusammengefaßt wurden. 12 Ein späterer Bericht über die Entstehung des Bandes läßt nicht nur erkennen, mit welcher Intensität Jacoby nach seiner Rückkehr nach Deutschland in die Welt der Arbeiter hineinwuchs, sondern macht auch deutlich, wie spontan er sich in dieser Zeit noch die theoretischen Kenntnisse aneignete: „Das Buch: ,Es w e r d e L i c h t ! " ist von den Gesichtern der Berliner Arbeiter abgeschrieben. Es war damals die wildbewegte Zeit des Berliner Arbeitervereins der Lassalleaner, die späteren Eisenacher hatten noch nicht sehr viele Anhänger in Berlin. Ich versäumte keine der größeren Berliner Arbeiterversammlungen des Jahres 1871, stenographierte alles mir Merkwürdige nach und studierte es zu Hause. Ich las mit Bewußtsein zur Schaffung dieses Buches weder die Schriften von Lassalle noch das Werk von Marx.* Beider Name hatte ich bis dahin nur als wirre, verzerrte Klänge vernommen, wie aus den damaligen liberalen Zeitungen in mein Ohr schollen. Ich wollte, zum Sozialismus erwachend, alles aus dem lebendigen Leben heraus — nicht aus Schriften — selbst * Daher einzelne Stellen in diesem Buch, so Seite 91 von der Heilung der Krankheit und Seite 92 v o m Kaufmann, die ich heute nicht mehr unterschreiben könnte. (Anmerkung Jacobys) XV

prüfen, selbst beobachten, selbst erschließen. Zu diesem Ziele studierte ich den Einzug am 16. Juni; zu diesem Ziele auch schloß ich mich aufs engste einem Studiengenossen und Freunde an, mit welchem ich in diesem Jahre zusammen wohnte und der soeben zum städtischen Armenarzt des Alexanderviertels ernannt worden war . . . Mit ihm lernte ich die Kellerwohnungen im Alexanderviertel kennen, das ganze Leben der Fabrikarbeiter und kleinen Handwerker, das Elend des Proletariats. Ich vertrat ihn oft in weniger schweren Fällen und nahm die Eindrücke mancher Szenen des mir neuen Schauspiels in mein Buch auf." 13 Ein Echo in der Presse war dem Buch zunächst nicht beschieden. Lediglich Hoffmann von Fallersleben sandte dem Verfasser einige freundliche Zeilen, die dieser teilweise im Vorwort zur 4. Auflage abdruckte. Anfang und Schluß der Zuschrift lauten:

„Schloß Corvey (Höxter), 27. Januar 1872. Es werde Licht! Es freut mich, daß Sie diesem Notschrei so herrliche Worte geliehen haben und gegen die Lichtfeinde, Dunkelmänner und Verdunkler in Schimpf und Schande gründlich zu Felde ziehen. Ich habe Ihr Büchlein sofort gelesen, manche Stellen schon zwei,- dreimal und bin über Form und Inhalt immer erfreut und befriedigt. — . . . Ein neuer Frühling steht der Welt bevor. Fahren Sie fort, auch ihm die Fensterläden zu öffnen, auf daß er frei und fröhlich überall das Dunkel erhelle. Heute und Immer H. v. F."14

Jacobys spontanes Verhältnis zur Theorie des wissenschaftlichen Sozialismus, das die erste Zeit seiner Hinwendung zur Arbeiterklasse markierte, wurde jedoch XVI

bald durch ein intensives Studium der wichtigsten Werke von Marx und Engels abgelöst. Und je tiefer der Dichter in die Probleme und Fragestellungen der neuen Lehre eindrang, desto stärker wurde auch der Naturwissenschaftler, der bereits auf der Universität in der Darwinschen Entwicklungslehre eine Revolution für sein engeres Wissensgebiet erkannt und akzeptiert hatte, zu ihr hingezogen. Der Darwinist Jacoby wurde vor allem durch die exakte wissenschaftliche Begründung des Entwicklungsgedankens und der Idee von der Einheit und dem wechselseitigen Zusammenhang aller Erscheinungen in Natur und Gesellschaft angesprochen, wie sie ihm in Marx' Hauptwerk „Das Kapital" und in der Schrift „Zur Kritik der Politischen Ökonomie" entgegen trat. Was ihn faszinierte, war also letztlich die Tatsache, daß hier erstmalig eine umfassend materialistische Lehre von der Entwicklung gegeben wurde, die alle Wissensgebiete berührte und die auf der Erkenntnis basierte, daß in der Arbeiterklasse die Kraft entstanden war, die mit der kapitalistischen Ausbeutung jegliche Ausbeutung des Menschen durch den Menschen beseitigen werde. Die entscheidenden Grundthesen, die Marx im Vorwort „Zur Kritik der Politischen Ökonomie" niedergelegt hatte, wurden für Jacoby zum Ausgangspunkt seines eigenen philosophischen Denkens und künftigen poetischen Schaffens. Um sie mit Schlußfolgerungen der Entwicklungslehre Darwins zu verbinden und sie damit auf eine eigene philosophische Weise zu bestätigen, schrieb er das zweiteilige Werk „Die Idee der Entwickelung. Eine sozialphilosophische Darstellung" 15 . Das Buch läßt einmal erkennen, daß sein Verfasser zu jener Minderheit deutscher Wissenschaftler zählte, die bereits in der ersten Hälfte der siebziger Jahre von der Richtigkeit und der umwälzenden Bedeutung der Marxschen Lehre überzeugt waren und die begannen, sie mit den Ergebnissen anderer Wissensgebiete zu verbinden. Es ist zugleich einer der ersten Versuche in Deutschland, die Darwinsche Entwicklungslehre im Zusammenhang mit der des wissenschaftlichen Sozialismus zu betrachten. Auf die Problematik dieses Versuchs und damit auf Jacobys Leistung und Grenze wird an anderer Stelle ausführlicher einge2

Häckel, Jacoby

XVII

gangen werden. Dennoch darf bereits hier konstatiert werden, daß der von ihm geprägte Satz: „Das Buch: ,Das Kapital' ist die Fortsetzung und Ergänzung von Darwins Entstehung der Arten und Abstammung der Menschen" 10 deutlich macht, daß Jacoby den wissenschaftlichen Sozialismus in seiner ganzen Tiefe und weltanschaulichen Konsequenz nicht zu erfassen vermochte. Hervorzuheben ist jedoch die wissenschaftliche Akribie, mit der das Buch „Die Idee der Entwickelung" abgefaßt wurde. Die wichtigste, das Thema betreffende philosophische, ökonomische und technische Literatur der Zeit fand darin eine ausgewogene kritische Durchsicht. Dabei muß man wissen, daß Jacoby seit 1871 wieder als Parlamentsstenograph in der „Oldenbergischen Kammerkorrespondenz "arbeitete, die wissenschaftliche Tätigkeit also nur in seiner Freizeit ausführen konnte. Daneben wirkte er als Vortragender im Berliner Arbeiterbildungsverein. Hingewiesen werden muß hier aber auch auf das Schicksal des Werkes. Die deutsche bürgerliche Fachpresse überging es geflissentlich. Jedoch hat es unter den führenden Darwinisten, wie unter deren Gegnern, lebhafte Diskussionen ausgelöst, die u. a. auf den Versammlungen der deutschen Naturforscher und Ärzte in den Jahren 1877 und 1878 zum Ausdruck kamen. Ohne Jacobys Werke zu nennen, wohl aber dessen Kenntnis im Auditorium voraussetzend, hatte kein Geringerer als Virchow 1877 auf die Tatsache hingewiesen, daß die Sozialdemokratie mit dem Darwinismus bereits Fühlung genommen habe. Eduard Oscar Schmidt, Professor der Zoologie in Straßburg und einer der führenden Darwinisten, fühlte sich daraufhin verpflichtet, den Darwinismus von einer solchen Verdächtigung reinzuwaschen. Aus diesem Grunde trat er auf der Versammlung der deutschen Naturforscher und Ärzte des folgenden Jahres mit einem Vortrag über das Thema „Darwinismus und Sozialdemokratie" auf. Er unterzog darin nicht nur die Ideen von Marx und Engels, besonders deren historisch-materialistische Lehre von der Entwicklung, einer sogenannten Grundsatzkritik, sondern auch das Buch Jacobys. So sagte er: „Wer sich über dieses ,Phantasiebild', wie der Sozialismus harmloser Weise XVIII

in einem seiner Hauptorgane (,Die Zukunft'. August 1878, S. 702) genannt worden ist, näher unterrichten will, findet in dem Buche von Leopold J a c 0 b y, ,Die Idee der E n t w i c k l u n g ' , 1874, S. 6, eine überschwengliche Schilderung; auch kann man sich dasselbe aus den jüngsten Auslassungen von E n g e l s (Herrn Eug. Dühring's Umwälzungen der Wissenschaft, 1878) zusammenstellen." 1 7 Und weiter: „Nicht von Marx, wohl aber von seinem Anhänger L. J a c o b y ist der Versuch gemacht worden, die soziale Entwicklung und ihre Spitze, das sozialdemokratische Ideal, mit der Entwicklung der Natur logisch in zusammenhängender Darstellung zu verknüpfen. E r leistet in sophistischer, an Hegel'sche Dialektik erinnernder Beweisführung das Unmögliche, ein Schwärmer, über dessen spezifisch-sozialdemokratische Verdienste ich nicht urteile. E r ist offenbar ein enfant terrible seiner Partei. Seine naturwissenschaftlichen Begriffe sind kümmerlichster Art. Wir müssen aber mit ihm rechnen, da er der einzige sozialdemokratische Schriftsteller ist, der mit dem Schein wissenschaftlicher Methode hier, d. h. wo von der Verbindung unserer Entwicklungstheorie mit der Sozialdemokratie die Rede ist, vorgeht. Welche Stellung E n g e l s hierzu einnimmt, ist später zu berühren." 1 8 In seinem Brief an Friedrich Engels vom 4. November 1886 hat Jacoby die Angriffe Schmidts dahingehend kommentiert, Schmidt habe in seinem Vortrag „. . . die plattesten Auffassungen der Entwicklungslehre und eine staunenswerte Unwissenheit auf philosophischem Gebiet der Welt. . ," 1 9 kundgegeben. Eine Äußerung Jacobys aus dem Jahre 1895, niedergelegt in einer „Erklärung" betitelten Zusammenfassung seiner poetischen und philosophischen Gedanken, läßt erkennen, daß Engels, der die Rede Schmidts kannte 20 , in einer Zuschrift an den Dichter eine ähnliche Ansicht vertrat. „Dieser Vortrag", so heißt es dort, „wird von Friedrich Engels — ich hatte ihm bei Zusendung der zweiten Auflage meines Werkes darüber geschrieben — in seiner Zuschrift als das Oberflächlichste erklärt, was wohl jemals von einem deutschen Professor öffentlich über die soziale Frage ge2

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äußert worden ist, für die ihm offenbar selbst die Fähigkeit eines Verständnisses fehlte. Es ist denn auch von den wissenschaftlichen Gegnern des Sozialismus in ihren Streitschriften niemals auf diesen Vortrag bezug genommen worden." 21 Auch auf seinem speziellen Fachgebiet, der Zoologie, ist Jacoby während der siebziger Jahre nicht müßig gewesen. Die Liebe zu seinem alten Forschungsgegenstand, den Aalen, blieb erhalten und führte dazu, daß er auf Vorschlag des Wiener Zoologen Claus 1877 seine Tätigkeit als Stenograph aufgab und, mit einem bescheidenen Zuschuß versehen, sich über Zürich nach Triest begab, um auf der dortigen zoologischen Station erneut über diese damals noch wenig bekannten Meeresbewohner zu forschen. Der Aufenthalt in Triest fand seinen Niederschlag in zwei Buch Veröffentlichungen. Die erste, eine wissenschaftliche Abhandlung mit dem Titel „Der Fischfang in den Lagunen von Comacchio, nebst einer Darstellung der Aalfrage" 22 , brachte dem Verfasser noch im Erscheinungsjahr 1878 auf der I. Internationalen Fischereiausstellung in Berlin einen Preis. Die zweite, betitelt „Ein Ausflug nach Comacchio" und in der Form eines Reiseberichts geschrieben, der sich in einer Beschreibung der landschaftlichen Schönheiten dieses Teiles von Italien erschöpft, erschien ein Jahr später in Triest. In dieser Zeit entstand auch das ungedruckt gebliebene Drama „Der Uhrmacher von Danzig" sowie der erste literaturwissenschaftliche Versuch „Über die Nachahmung der Naturstimmen in der deutschen Poesie". 23 Für welchen Zeitraum insgesamt Jacobys Aufenthalt im italienischen Teil der Habsburger Monarchie, zu dem Triest damals gehörte, geplant war, ist nicht mehr genau festzustellen. Der Hinweis im Brief an Arnold Dodel vom 6. Juni 1878, daß zum 1. Oktober bzw. zum Jahresende ein „gewisser Zuschuß" aufhören werde, läßt den Schluß zu, daß das ganze Jahr 1878 für zoologische Arbeiten vorgesehen war. An eine Rückkehr nac'h Deutschland dachte er seit Mitte 1878 allerdings schon nicht mehr. Die nach den beiden Attentaten auf Kaiser Wilhelm I. künstlich geschürten Verleumdungen und Verfolgungen von SoziaXX

listen sowie das von Bismarck dem Reichstag zur Annahme vorgelegte Sozialistengesetz ließen ihn — die Briefe aus dieser Zeit an Arnold Dodel beweisen es — wenig Gutes für die eigene Person in der Heimat befürchten. So entschloß sich Jacoby, lieber freiwillig das Los eines Emigranten auf sich zu nehmen, als in Deutschland einer ungewissen Zukunft entgegenzusehen. Und wie recht er mit dieser Entscheidung hatte, bewies ihm dann der Erlaß des Sozialistengesetzes, durch den nicht nur die deutsche Arbeiterpartei, sondern auch deren Versammlungen, Zeitungen und Druckschriften für verboten erklärt wurden. Noch deutlicher bewies es ihm zwei Tage später die erste Liste mit 84 dem Verbot verfallenen Büchern, die im „Deutschen Reichsanzeiger" erschien. Dort hieß es: „Auf Grund des § 12 des Reichsgesetzes gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie vom 21. Oktober 1878 wird hierdurch zur öffentlichen Kenntnis gebracht, daß die in nachstehendem Verzeichnis aufgeführten nichtperiodischen Druckschriften nach § 11 des gedachten Gesetzes durch die unterzeichnete Landesbehörde verboten sind: 1.: E s w e r d e L i c h t ! — Berlin 1873. — Zweite Auflage. — Verfasser: L e o p o l d J a c o b y . — Verleger: G. E. Oliven. — Drucker: Carl Salevski. " 24 Daß ausgerechnet ein Band Gedichte die Reihe der verbotenen Bücher eröffnete, erschien wohl nicht nur August Bebel als ein Hohn, wie er in seinen Erinnerungen bemerkt, denn weder die Schriften von Marx und Engels noch die anderer Arbeiterführer waren auf dieser ersten Liste verzeichnet. Für Jacoby war aber damit die Rückkehr nach Deutschland auch amtlicherseits so gut wie unmöglich gemacht. Die folgenden Jahre lebte er in Zürich, wobei er wahrscheinlich schon zu dieser Zeit seinen Lebensunterhalt ausschließlich durch Privatstunden und Korrespondenzen bestritt. Immer mehr abgestoßen von der Entwicklung in Europa begab er sich 1882 auf Bitten seines in Kalifornien lebenden Bruders in die Vereinigten Staaten. Während eines kurzen Aufenthaltes in New York lernte er den einflußreichen deutsch-amerikanischen Sozialisten Adolf Douai, damals Chefredakteur der „New Yorker Volkszeitung" XXI

kennen, der ihm riet, seinen Aufenthalt in Cambridge bei Boston zu nehmen, um an der dortigen berühmten Harvard-Universität einen Lehrauftrag zu erhalten. Und für eine Weile schien diese Möglichkeit auch in greifbarer Nähe gewesen zu sein, wie der Brief an Arnold Dodel vom 5. Juni 1883 ausweist. Da Jacoby an anderer Stelle davon spricht, „ . . . dort in Studentenkreisen und in Familien, wie vorher in Triest. . ." Privatunterricht erteilt zu haben25, scheint sich die Hoffnung auf Anstellung an der Universität wieder zerschlagen zu haben. In Cambridge zählte ein junges Mädchen, Edith, zu Jacobys Schülerinnen. Sie war in den nordamerikanischen Südstaaten geboren, in Ostindien aufgewachsen, in England und Hannover erzogen und von so großer Anmut, daß sie einen unauslöschlichen Eindruck auf Jacoby hinterließ. Dieses Mädchen wurde zum Vorbild für die Titelgestalt des epischen Gedichts „funita". 2 6 Ein ideales Indien, wie es allein in den weisen Lehren des Brahmanen lebt und wie es sich in der üppigen Schönheit der fremden Natur verkörpert, stellt den Hintergrund der Dichtung dar. f u n i t a ist das Kind einer verbotenen Liebe zwischen dem Sohn eines Rajahs und einem einfachen Mädchen. Der Zorn des Rajahs treibt den Sohn in Elend und Tod; das Mädchen stirbt bei £unitas Entbindung. Auch das Neugeborene soll getötet werden, ein Priester aber setzt es in einem Weidenkörbchen aus. Ein einfacher Mann findet das Körbchen und zieht das Mädchen zusammen mit seinem Sohn als sein Kind auf. Vom Gangesgott hat er folgende Weissagung erhalten: „Halte dich an dies Pfand gebunden, Pflege und hege, die du gefunden. Durch sie wird einst vorbereitet Zum Kampf ein Ritter, der tapfer streitet, Und ein Retter aus Not, der treulich leitet. Die das All verschönt und Segen spendet Auf Erden, die Liebe das Elend endet. Es ist beschlossen und gefügt, D a ß ü b e r die I c h w e l t die L i e b e siegt."27 XXII

£unita erfüllt diese Prophezeiung. Durch ihre Liebe und ihren Tod bewegt sie einen jungen Prinzen, der seine Schwester verstoßen hatte, weil sie eine Liebesverbindung mit ihrem Lebensretter, einem Jüngling aus dem Volke, eingegangen war, zur Überwindung seiner. Hartherzigkeit. Indem der geläuterte Prinz sich mit seiner Schwester versöhnt und deren Geliebten gleichberechtigt und brüderlich aufnimmt — sich also mit dem Volk verbündet —, erlöst er sich selbst aus den Fesseln eines veralteten und damit falschen Denkens und tut den ersten Schritt auf dem Weg der Menschheitsbefreiung durch die Liebe. „Es ist die erste Tat seiner Liebe", heißt es in einer freisinnigen und klugen Besprechung von Robert Schweichel, „durch welche die Ichwelt besiegt werden soll. Auch seine Liebe zu £unita war nur die Liebe des Ichs; durch den Schmerz über den Tod der Holdseligen hat ihn die Erkenntnis zur Liebe der leidenden Menschheit geläutert. Jene Liebe, welche in dem . b e f r e i t e n P r o m e t h e u s ' des S h e l l e y dem Titanen die Ketten abnimmt, ist in ihrer Wesenheit nur Mitleid; die Liebe in Jacoby's Dichtung ist die Tat. Nur die tatkräftige Liebe des Menschen vermag die Selbstsucht der glückgehärteten Herzen zu überwinden und das Elend aus seinen Fesseln-zu befreien." 28 Als kritischen Einwand bemerkt er einzig: „Nicht überflüssig würde es gewesen sein, wenn der Dichter unser Vertrauen auf seinen Helden dadurch noch gestärkt hätte, daß er ihn bei irgendeiner Gelegenheit nachdrücklich handelnd vorführte." Auch andere namhafte Zeitgenossen, unter ihnen der Indienkenner Otto von Böthlingk, der Ästthetiker Friedrich Theodor Vischer, der Schweizer Dichter Joseph Victor Widmann und der Sprachforscher Daniel Sanders29 begrüßten, teils in Zuschriften an den Verfasser, teils in Rezensionen Jacobys Dichtung, die jedoch keine Wirkung nach außen zu erzielen vermochte. „£unita" zählt nicht zu den sozialistischen Dichtungen Jacobys. Der darin abgehandelte Grundgedanke, die Menschheitsbefreiung durch tätige Liebe, die alle Menschen einschließt, zu verwirklichen, erweist sich wohl plebejischen Hoffnungsvorstelhingen, wie sie im VolksXXIII

märchen anzutreffen, nicht aber sozialistischen Ideen verpflichtet. Was heute den Literaturwissenschaftler an dieser Dichtung interessiert, ist in erster Linie das Formexperiment Jacobys durch den Gebrauch der Makame. Robert Schweichel hat als erster auf diese Tatsache aufmerksam gemacht. Er schreibt: „Leopold Jacoby hat für , £ u n i t a ' die Makame gewählt . . . Ursprünglich den Ort bezeichnend, wo eine Unterhaltung sich zusammenfand, gab man später diesen Namen den Erzählungen, die dort vorgetragen wurden. Jacoby hat jedoch der Makame, in der man anfänglich bei uns nur eine gereimte Prosa sehen wollte, eine neue Seele eingehaucht, wie Freiligrath dem französischen Alexandriner. Er hat ihn zu einem deutschen Verse gemacht. Zur Hilfe kam ihm dabei die volkstümliche Form, deren sich Hans Sachs in seinen Erzählungen bedient hatte, die Goethe dann so glücklich wieder belebte und u. a. von Schiller in seiner Kapuzinerpredigt angewendet wurde. Wie diese Versart, so zählt auch die Makame nicht die Silben, sondern nur die Hebungen. Jacoby bildet die Verszeilen meistens aus vier Hebungen, jedoch auch aus wenigeren, wie es das Ohr und die beabsichtigte Wirkung erheischen. Mit einem Worte: Die deutsche Makame ist der alte Vers des Hans Hachs, nur ungleich schmiegsamer, edler und reicher geschmückt, jedoch unter Jacobys künstlerischer Behandlung frei von Uberladung, leerem Wortgeklingel und absichtlichem Prunke." 30 Die Benutzung der Makame in „ f u n i t a " war zugleich das Ergebnis langjähriger Beschäftigung mit dieser lyrischen Form, die Friedrich Rückert als erster die in deutsche Literatur einführte. Bereits zwei Jahre früher hatte Jacoby eine Studie „Die deutsche Makame" 3 1 erscheinen lassen. Sie findet noch heute in den einschlägigen Lexika Erwähnung. 3 2 Obwohl Jacoby seit Jahren außerhalb des deutschen Staatsverbandes lebte, in seinem Heimatlande also nur durch seine Schriften und Artikel wirken konnte, erfreute er sich wachsender Anerkennung in der deutschen Arbeiterbewegung. Ein Beweis dafür war die 1883 von Karl K a u t s k y ausgespröchene Bitte um Mitarbeit am XXIV

neugegründeten theoretischen Organ der deutschen Sozialdemokratie „Die Neue Zeit". 33 Auch Wilhelm Liebknecht und Bruno Geiser, Herausgeber und Begründer der „Volks-Bibliothek des gesammten menschlichen Wissens", veranstaltet zur Erziehung und Bildung der Arbeiter, gewannen ihn als ständigen Mitarbeiter und Berater und nannten ihn auf dem Titelblatt des Unternehmens. Eine Mitgliedschaft Jacobys innerhalb der deutschen Sozialdemokratie bzw. in einer entsprechenden nordamerikanischen oder schweizer Organisation konnte nicht nachgewiesen werden. Mitte der achtziger Jahre — der genaue Zeitpunkt ist nicht bekannt — kehrte Jacoby nach Europa zurück. Da er auch fernerhin nicht in einem vom Sozialistengesetz beherrschten Deutschland leben mochte, ließ er sich in Mailand nieder, das er des demokratischen Charakters wegen und weil Leonardo da Vinci, sein Jugendideal, dort gewirkt, bevorzugte. Die „Reale Accademia scientifico-letteraria" in Mailand gestattete ihm, deutschen Unterricht zu erteilen und als Privatdozent deutsche literaturgeschichtliche Vorlesungen zu halten, zahlte ihm jedoch keinerlei Vergütung dafür. 34 So blieb er weiterhin auf das Honorar von Privatstunden, Korrespondenzen, veröffentlichten Artikeln und Gedichten angewiesen und war gezwungen, Bibliotheken zu ordnen, Wissenschaftskataloge herzustellen und andere untergeordnete Arbeiten zu verrichten. In dieser Zeit doppelter, ja dreifacher Belastungen, entstanden, neben einer Arbeit über Annette von Droste-Hülshoff 35 , einige der besten und schönsten sozialistischen Gedichte. Zusammen mit bereits früher geschriebenen Poesien hat Jacoby sie zu dem Band „Deutsche Lieder aus Italien" zusammengefügt, der 1892 in München erschien. Neben „Es werde Licht!" ist es der zweite Band sozialistischer Lyrik Jacobys. Aus den wenigen Annotationen und Besprechungen, die das Bändchen in der Presse erhielt, ragt wiederum die Einschätzung von Robert Schweichel heraus, die noch immer Gültigkeit besitzt und die mit den Worten schließt: „Die . D e u t s c h e n L i e d e r a u s I t a l i e n ' stellen L e o p o l d J a c o b y unstreitig in die erste Reihe der heutigen Dichter, und sollte er um seiner XXV

Ideen willen für nicht courfähig erachtet werden, so ist das nur ein Beweis mehr für deren Macht, und er selbst wird sich mit dem Sprüchlein trösten, das er (Seite 109) der Bourgeoisie ins Stammbuch geschrieben hat: Was nützt ein Riegel vor morschen Toren, Und ein Spiegel dem, der die Augen verloren? Nein, das Sträuben hilft nichts, der neue Tag, den der Dichter verheißt, wird kommen, weil er mit Notwendigkeit kommen muß. Die Deutschen Lieder aber, die Jacoby in Italien sang, sind Ein Morgenstrahl Von wunderbar lösender Gewalt." 36 Die immense Belastung, der sich Jacoby zu Beginn der neunziger Jahre ausgesetzt sah, führte im Juni 1892 zu einem völligen körperlichen Zusammenbruch. Auf dem Wege zur Akademie erlitt er einen Schlaganfall, der ihn halbseitig lähmte und zeitweilig der Sprache beraubte. Nur langsam vermochte er sich zu erholen, doch konnte die Lähmung der rechten Seite nur bis zu einem gewissen Grade überwunden werden. Im September des gleichen Jahres siedelte er nach Zürich über und mietete sich in einem bescheidenen Zimmer des gleichen Hauses ein, in dem Karl Henckell wohnte, der sich in jenen Jahren der Krankheit sehr um ihn kümmerte. Hermann Schlüter gegenüber bekannte er am 21. Oktober des gleichen Jahres: „Mit furchtbarer Energie habe ich mich seitdem wieder in den Gebrauch meiner Glieder gesetzt; doch bin ich noch immer leidend, mein Geist aber ist frischer, regsamer als je." 37 Noch halb gelähmt, reiften neue Pläne und Ideen. Zusammen mit Karl Henckell wollte er eine Monatsschrift für sozialistische Literatur gründen, die aber nicht zustande kam; er überprüfte ältere Arbeiten, um sie erneut zum Druck vorzubereiten und schrieb für das Buch von Minna Geith 38 Skizzen über verschiedene Stationen seines Lebens. Auch neue Aufsätze über naturwissenschaftliche und philosophische Gegenstände wie über andere Probleme, so die politische Entwicklung Italiens, die er ständig verfolgte, entstanden. Doch XXVI

längst nicht alles wurde gedruckt. Die erhalten gebliebenen und an Hermann Schlüter — er hatte 1886 im Verlag der Volksbuchhandlung in Hottingen die dritte Auflage von „ E s werde Licht!" besorgt und war seit Ende der achtziger Jahre in New York an der „New Yorker Volkszeitung" tätig — wie an den Redakteur der „Wiener Arbeiter-Zeitung" Dr. Wilhelm Ellenbogen gerichteten Briefe 39 sind beredte Zeugnisse zähen Ringens des kranken Jacoby um die tägliche Existenz, aber auch einer oft unwürdigen Behandlung durch die Redaktionen, die nicht nur einzelne seiner Einsendungen unbeantwortet ließen, ja sogar bestellte Arbeiten ohne Begründung nicht abdruckten. 40 Auch die so dringend benötigten Honorare wurden ihm oft erst nach mehrmaligen Mahnungen zugesandt. Ebenso erging es ihm mit den Belegexemplaren. Die pekuniäre Situation verschlechterte sich immer mehr. „So ist es gekommen", schrieb er am 26. März 1895 an Schlüter, „daß, als mich ein grausamer Schlag in Mailand gelähmt niederwarf und meine körperliche Gesundheit zerbrach, m i r s e i t d e m d e r H u n g e r e n t g e g e n s t a r r t . Ich lebe hier in Zürich mit etwa 120 Mark monatlich, das sind 30 Dollar. Ich lebe von Korrespondenzen, für die ich mir teure ausländische Zeitungen halten muß. Fast alles, was Sie im Berliner .Vorwärts' aus Italien lesen, ist von mir; dafür erhalte ich 12V2 Dollar (50 Mark) monatlich." 4 1 Wenn auch Karl Henckell und Otto Erich Hartleben und andere Freunde, die letzterer in Berlin warb, dem kranken Dichter ab und an halfen, auch in geldlicher Hinsicht 42 , so wurden seine Verhältnisse dadurch nicht verändert. A m bittersten kränkte Jacoby, daß sein poetisches wie sein wissenschaftliches Werk nicht die gebührende Anerkennung fand, vor allem dort nicht, wo er sie am sehnlichsten erhoffte: in der Arbeiterbewegung. In der zweiten Hälfte des Jahres 1895 verschlechterte sich sein Gesundheitszustand zusehends. A m 20. Dezember starb er nach sechs schweren Krampfanfällen im Krankenhaus Neumünster. Über die Beerdigung heißt es im Nachruf von Bruno Marquardt: „Zwei Tage vor Weihnachten wurde der Dichter und Philosoph des Sozialismus Leopold Jacoby auf der Rehalp oberhalb XXVII

der Stadt und des Sees Zürich bestattet. Drei rote Fahnen wurden über seine Gruft gesenkt und eine große Anzahl mit roten Schleifen geschmückter Kränze umkleideten die letzte Hülle des Mannes . . . der, mit seinem ganzen Ich der Arbeiterklasse ergeben, für diese gekämpft und gelitten hat. Arbeiter folgten seinem Sarge und Arbeiter sprachen an seiner Gruft. Von Seiten der deutschen Arbeiter war der frühere Drechsler Aug. Bebel erschienen und von den schweizerischen der frühere Webergeselle Robert Seidel, um ihm zum letzten Mal die Verehrung der Arbeiterschaft zu erweisen." 43

II Leopold Jacobys poetisches Werk sozialistischer Prägung ist zusammengefaßt in den beiden schmalen Gedichtbänden „Es werde Licht!" und „Deutsche Lieder aus Italien". Obwohl eine Spanne von mehr als zwanzig Jahren zwischen den Erscheinungsdaten beider Sammlungen liegt, erweisen sie sich einer anfangs zwar noch spontanen, doch später immer ausgereifteren, im Prinzip jedoch gleichen politisch-philosophischen Grundauffassung verpflichtet. Aus diesem Grunde ist es notwendig, sich zunächst einmal den politischen und philosophischen Vorstellungen Jacobys zuzuwenden und sie als das Fundament seiner Dichtung zu erkennen. Theoretisch begründet und systematisiert hat Jacoby seine politisch-philosophischen Auffassungen in dem Buch „Die Idee der Entwickelung", Teil l . Und er t a t es unter Berufung auf Marx und Darwin. Daß dabei der größere und entscheidendere Einfluß von Marx ausging, hat Jacoby im Brief an Engels selbst bestätigt: „Das Buch ist entstanden unter dem gewaltigen Eindruck, den das erste Lesen und nachherige Durcharbeiten des Werkes ,Das Kapital' von Karl Marx in mir hervorrief." 44 Das Buch selbst beweist es. Marx' Gedanken werden aber zugleich mit den von Jacoby aus der Darwinschen Lehre gezogenen Schlußfolgerungen verbunden. Er begreift faktisch beide Lehren als zwei Seiten eines großen Zusammenhanges: „Das Werk XXVII1I

von Darwin hebt den Schleier auf von den Geheimnissen der vergangenen Menschenwelt, das B u c h : ,Das Kapital' hebt den Schleier auf von den Geheimnissen der gegenwärtigen Menschenwelt. Das Buch .Über die Entstehung der Arten', indem es die Spuren der Menschheitsentwicklung verfolgt bis zu den allerentferntesten Zeiten u n d Entwicklungsformen, lehrt den Menschen rückwärts schauen in die unendliche Vergangenheit. Das: ,Das Kapital', indem es das Kapital nachweist als Verfügung über unbezahlte Arbeit, als ein Produkt unbezahlter Arbeitszeit, mithin als ein Erzeugnis des Unrechts, und indem es das Entstehen und Geschehen dieses Unrechts verfolgt bis in die geheimsten Schlupfwinkel hinein, lehrt es die Menschen über die ganze Erde schauen, in die Gesellschaftszusammenhänge der Gegenwart." 4 5 Bereits diese Worte lassen erkennen, daß es Jacoby in seinem Buch letztlich darum ging, eine Synthese der E n t wicklungsgedanken beider Lehren zu erreichen. Drei Ausgangspunkte sind zu erkennen. Den ersten bildet Marx' Definition des Kapitals. Und logisch weiterdenkend greift er die sich daraus ergebenden, ebenfalls von Marx formulierten Schlußfolgerungen auf: Erstens, daß die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen — für Jacoby „das Unrecht" — u n d die damit verbundene Unterdrückung die Quelle aller Klassenkämpfe in Gegenwart und Geschichte darstellen; zweitens, daß der Kapitalismus, ebenso wie der Feudalismus und die Sklavenhalterordnung, eine notwendig zu durchlaufende ökonomische Gesellschaftsformation darstellt, und daß mit seiner Uberwindung zugleich die Vorgeschichte der Menschheit — Jacoby interpretiert sie als einen Daseinszustand, auf welchem der Mensch noch nicht zum Bewußtsein seiner selbst vorgedrungen ist — ihr Ende findet; drittens, daß die neue, die sozialistische Gesellschaft, die sich keimhaft im -Schöße der alten Gesellschaft herausbildet, eine höhere, eine zur klassenlosen Gesellschaft führende Form des menschlichen Zusammenlebens sein wird. Jacoby spricht von ihr als der Zeit der vollendeten Gleichheit. Den zweiten Ausgangspunkt bildet die durch Darwin begründete Lehre von der natürlichen Entwicklung der Organismenwelt, in welcher auch der XXIX

Mensch als ein Glied dieser Reihe erscheint. Ein dritter Ausgangspunkt zeigt sich in der bewußten Herleitung des Entwicklungsbegriffes aus dem Begriff der Revolution. Das bedarf jedoch einer Erläuterung. Für Jacoby ist jede Entwicklung in dem Sinne revolutionär, als sie Ausdruck ständig sich vollziehender Veränderungen ist,, durch die neue und höhere Qualitäten erreicht werden. Damit wird deutlich, daß sein Revolutionsbegriff nicht präzise abgegrenzt ist gegenüber der Evolution. Darüber hinaus findet er bei Jacoby sowohl in der Gesellschaft als auch in der Natur Anwendung. Im Zusammenfallen dieser drei Ausgangspunkte zeichnet sich jedoch ein Verflechten unterschiedlicher und im Prinzip nicht zu vereinbarender Standpunkte und Beziehungen ab. So interpretiert z. B. Jacoby die Veränderungen, die auf der Erde stattgefunden haben, als das Ergebnis dreier großer Revolutionen. E r schreibt: „Wir nennen in Bezug auf die erste Revolution die Existenz von Organismen auf der Erde die Idee dieser Revolution, wir nennen in bezug auf die zweite die Existenz des Menschen als die Idee dieser Revolution und wir nennen in bezug auf die dritte Revolution, die noch nicht zur äußeren Erscheinung gekommen ist, die Existenz des Menschheitsbewußtseins die Idee dieser Revolution." 46 Die Worte machen einen verhängnisvollen Irrtum sichtbar, darin bestehend, daß Jacoby die Naturgesetze mechanisch auf die Gesellschaft und umgekehrt, daß er die Gesetze der gesellschaftlichen Entwicklung ebenso mechanisch auf den Bereich der Natur anwendet. In der Natur wirken aber blinde, unbewußte Kräfte und die Ergebnisse der sich dort vollziehenden Prozesse sind allein Ergebnisse von Ursachen naturgesetzlicher Art. Die gesellschaftlichen Prozesse dagegen werden durch das Wirken bewußter Kräfte vorangetrieben. Revolutionen aber sind ausschließlich Auswirkungen des Handelns bewußter Kräfte. Natur und Gesellschaft müssen daher unterschiedlichen Gesetzen folgen. Eine falsche Anwendung der Gesetze führt notwendigerweise zu fehlerhaften Ergebnissen. Diese Einschränkungen sind grundsätzlich und machen sich in beiden Teilen seiner Arbeit, und darüber hinaus XXX

in seiner Poesie, immer wieder bemerkbar. Dennoch darf als die wichtigste Seite seines Philosophierens und Dichtens das Ringen um einen materialistischen und einen dialektischen Standpunkt genannt werden. Jacoby hat in diesem Prozeß eine Reihe interessanter, eigener Gedanken entwickelt, die eine, in diesem Rahmen nicht zu leistende, philosophische Bewertung verdienten. Dabei ist zu erkennen, daß er sie stets dort entwickelt, wo sich zugleich am eindeutigsten seine Hinwendung zu Marx und den Ideen des wissenschaftlichen Kommunismus abzeichnet. Es geschieht das vor allem dort, wo er nach den inneren Zusammenhängen, nach den Gesetzmäßigkeiten der Entwicklung und ihrer Quellen sucht. Die Ergebnisse seiner Überlegungen hat er in drei Gesetzen zusammengefaßt, die, nach seinen Vorstellungen, Naturgesetze darstellen: „. . . das erste: Den Widerschlag der unbewußten Natur gegen das Unrecht, das zweite: Die Umkehrung der Verkehrtheit durch das Bewußtsein, das dritte: Das Schaffen des Schönen in der menschlichen Gesellschaft."47 Betrachtet man das erste Gesetz sowie die angeführten Beispiele — u. a. das: „Wenn Sie mit der platten Hand das Wasser schlagen, was offenbar unvernünftig ist, so erhalten Sie vom Wasser einen schmerzhaften Widerschlag"'18 — so erweist es sich, daß es Jacoby hier nicht nur um die Deutung eines physikalischen Vorganges geht, sondern daß er eine bestimmte Gesetzmäßigkeit erfassen will. Es geht ihm darum, den allgemeinen Zusammenhang von Ursache und Wirkung zu bestimmen, jedoch unter dem Aspekt, die Wirkung zunächst nur als Rückwirkung zu sehen. Und seine Schlußfolgerung lautet, „. . . daß alles Unrecht auf Erden nichts anderes ist als ein Handeln gegen die menschliche Vernunft"' i9 . Damit ist aber nicht nur ausgedrückt, daß es die Pflicht der menschlichen Vernunft ist, gegen das Unrecht — d. h. die Ausbeutung — zu handeln, daß also der Klassenkampf eine richtige und notwendige Erscheinung ist, sondern daraus erhellt auch, „. . . daß die heut herrschenden Gesellschaftszustände innerlich morsch und unhaltbar sind . . .", „. . . daß diese innerlich morschen und unhaltbaren Zustände über kurz oder lang zusammenbrechen müssen . . . " und daß „. . . der XXXI

Beginn einer Weltwende, sichtbar über alles Erwarten, schnell h e r a n k o m m t . . ." 50 Die Beispiele lassen erkennen daß Jacoby bei der Formulierung seines Gesetzes vor allem die Zusammenhänge der Einheit und des Kampfs der Widersprüche zu erfassen sucht. In der poetischen Umsetzung der Gedanken hat er hierbei eindrucksvolle und ergreifende Bilder gefunden, so in der „Klage" das Bild vom Amboß, der, weil er aus demselben Stoff gemacht ist wie der Hammer, n u n nicht länger Amboß sein wolle, oder in epigrammatischen Zeilen wie die folgenden aus dem gleichen Gedicht : Sie pflanzen das Land Und säen die Saaten aus Und bringen die E r n t e n ein, U n d dürfen doch der F r u c h t nicht genießen. Sie bauen alle Häuser Und können nirgends wohnen. Sie machen alles, Sie schaffen alles, Und sie haben nichts. Ein Unrecht geschiehet hier, wer k a n n es ableugnen? Ein blutiges Unrecht geschiehet hier, Wer wird es sühnen? 5 1 Jacobys zweites Gesetz von der Umkehrung der Verkehrtheit durch das Bewußtsein ist dem Gesetz der Negation der Negation verpflichtet. Auch hier gibt er als Beweis ein Beispiel aus der Gegenwart: „Der Arbeiter wird Arbeitnehmer genannt, der F a b r i k a n t wird Arbeitgeber genannt. Also wird derjenige, der die Arbeit gibt, Arbeitnehmer genannt und derjenige, der die Arbeit n i m m t , wird Arbeitgeber genannt. Die so bezeichnete Anschauung ist offenbar ein verkehrtes Bild der Wahrheit. Das aufwachende Bewußtsein der Menschen kehrt diese Verkehrtheit um u n d nennt den Fabrikanten, das heißt denjenigen, der in Wahrheit die Arbeit n i m m t , Arbeitnehmer, und nennt den Arbeiter, das heißt denjenigen, der in Wahrheit die Arbeit gibt, Arbeitgeber; und wenn dies geschieht, so ist die Wahrheit der Anschauung dieses Verhältnisses in dem Bewußtsein der Menschen, und damit zugleich ein unaufhaltsam treiXXXII

bender Sporn zur Vorwärtsentwicklung der Menschheit gegeben, aber jetzt nicht mehr für eine geringe Anzahl von Menschen, sondern für die große Mehrzahl, das heißt für die Menschheit auf Erden . . ," 52 Das Beispiel ist paradigmatisch. Nicht nur als Beweis für das aufgestellte Gesetz, sondern darüber hinaus für Jacobys allgemeines Anliegen als Philosoph und Dichter. Jacoby will die Arbeiter zum Denken erziehen. Und sie sollen in diesem Erziehungsprozeß die Gründe für ihr Elend begreifen lernen. Ganz in diesem Sinne beginnt er das Gedicht „Wissen und Nichtwissen" mit den Versen: Unheilvoller Als das Darben der Erdenkinder Und alles Leid der Menschen ist Das Nichtwissen Vom eigenen Elend. 53 In dem Gedicht „Der deutschen Sprache Lobgesang" wird das Vorenthaltenen des Wissens gegenüber den Arbeitern ihrer Ausbeutung gleichgesetzt: Wer aber seinen Nebenmenschen zwingt, Weniger zu wissen, als er selber weiß, Der unterdrückt seinen Bruder, Der tritt auf ihn Und der saugt ihn aus. Und wer seinen Nebenmenschen zwingt, Mehr zu arbeiten, als er selber arbeitet, Der unterdrückt seinen Bruder, Der tritt auf ihn Und der saugt ihn aus. M Es geht Jacoby um eine Revolutionierung, eine Veränderung des Beswußteins aller arbeitenden Menschen, und zwar in Richtung auf das Erkennen ihres Elends und damit der gegenwärtigen Wirklichkeit mit ihrem Wolfsgesetz der Ausbeutung. Nur so wird verständlich, warum Jacoby den Begriff der Entwicklung aufs engste mit dem der Revolution verbindet. Eine solche Deutung des Entwicklungsbegriffes, die ohne den Einfluß von Marx nicht existent wäre, bringt ihn zugleich in einen Gegensatz zu den strengen Darwinisten, die nur eine 3

Häckel, Jacoby

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evolutionäre Entwicklung anerkennen, ihr wohl einen Zweck unterlegen, nicht aber ein Ziel stellen. Anderseits zeigt aber ebenso das Stehenbleiben bei einer Revolutionierung des Bewußtseins, daß Jacoby nicht die ganze Tiefe der Gedanken von Marx zu erfassen imstande war. Die Eonsequenz der sozialen Revolution wird von ihm nicht gesehen. Jacoby erscheint sie nur als eine im Selbstlauf sich vollziehende Folgerung aus der Veränderung des Bewußtseins der Menschen: Wirst du dies befolgen, So wird das Elend abfallen von dir, Wie ein Reif von der Erde schwindet, Wenn das Frühlicht kommt Und die Sonne am Himmel pranget. 5 5 Ganz eindeutig offenbaren diese Zeilen die Grenze seines Revolutionsbegriffes. Einen weiteren Beweis entwickelt er an der dialektischen Beziehung des einzelnen zur Masse. Aus der Feststellung, daß wohl der einzelne, niemals aber eine Gesamtheit von Menschen egoistisch handeln könne, fordert er, eine sozialistische Gesellschaftsstruktur vor Augen, die Umkehr der herrschenden Begriffe dahingehend, daß nicht die Masse einem einzelnen, sondern der einzelne sich der Masse unterzuordnen habe. Aus dem gleichen Grunde verwirft er den Satz: „Alle für einen, einer für alle" und setzt die Formulierung „Alle f ü r jeden und jeder f ü r alle" dagegen. „Denn", so sagt er, „der Begriff einer schließt die andern aus, der Begriff jeder schließt die andern ein. In dem Begriff einer ist das Vorrecht eines einzelnen enthalten, in dem Begriff jeder ist die Gleichberechtigung aller enthalten." 5 6 Die Forderung nach Gleichheit, und zwar nach vollkommener Gleichheit, ist eine Grundsatzforderung Jacobys. Ihre Verwirklichung kann sie erst im Sozialismus finden, denn sie beruht nicht n u r darauf, daß die Menschen befreit sind von Ausbeutung und Vergangenheit, daß die Veränderung ihres Bewußtseins vollzogen ist, sondern auch daß sie Lenker und „Gebieter des Schicksals" 64 geworden sind. Ihre Gleichheit ist mit dem Streben nach menschlicher Vollkommenheit und umfassendem Wissen verbunden: XXXIV

K o m m e n seh ich ein neu Geschlecht Lebensfreudiger Menschen, Wissend, daß sie müssen erzeugen, Wissend, daß sie müssen vollenden. Ausgeträumt ist der öde Traum, Umgestürzt der Moloch des Hoffens; D a quillt aus eigner K r a f t dem Menschen Ungeahnte Segensfülle Und ein Leben in Schönheit auf Erden. 5 8 Ganz aus dieser Vorstellung heraus stellt er in dem Gedicht „Bekenntnis" als das Kernstück der sozialistischen Lehre die Tatsache heraus: Daß sie den Menschen hinstellt Als Arbeiter auf Erden, So auch den Arbeiter hinstellt Als Menschen auf Erden, Was er bis heut noch nie gewesen war. 59 Jacobys Schlußfolgerungen daraus sind dagegen in ihrer Formulierung so eigenartig wie typisch für ihn. „ D a nun", schreibt er, „die Entwicklung der Menschheit nicht rückwärts sondern vorwärts geht . . .", dürfe der Mensch „. . . nicht rückwärts dankbar sein, sondern muß vorwärts dankbar sein." 60 Es heißt das nichts anderes als: Die Menschheit soll ihre Gegenwart nicht aus der Vergangenheit, sondern allein aus der noch zu verwirklichenden Zukunft bestimmen. Bereits 1871 hat er diesem Gedanken in „Der deutschen Sprache Lobgesang" R a u m gegeben. Der Gegenwärtige soll den Kommenden dankbar sein. Durch den Dank nach rückwärts ist die Knechtschaft gekommen, Durch den Dank nach vorwärts Müssen die Sklaven freie Menschen werden Und muß alles Elend ein Ende haben. 6 1 In seinem dritten Gesetz — er nennt es auch „Entwicklungsgesetz des Einzelmenschen zur Wahrheit" — formuliert Jacoby seine Vorstellungen vom Leben der Menschen im Zeitalter der organisierten Gesellschaftsarbeit, d. h. im Zeitalter des Sozialismus. Vorbedingung ist XXXV

dabei auch f ü r ihn, daß die Arbeit befreit wurde und das arbeitende Volk die Produktionsstätten in Besitz genommen h a t . In dieser neuen, von den Fesseln der Vergangenheit befreiten Gesellschaft erblickt Jacoby — und auch hier erweist er sich erneut Marx verpflichtet, jedoch mit der gleichen, bereits genannten Einschränkung — nicht nur eine neue Form menschlichen Zusammenlebens, sondern auch die Bedingung f ü r das E n t stehen eines neuen Menschen, und zwar eines Menschen, dem endlich die Möglichkeit gegeben ist: „. . . in der freien Zeit, welche ihm die organisierte Gesellschaftsarbeit gewährt, nicht nur für sich Schönes zu genießen, sondern zugleich für andere Schönes zu schaffen und er wird fähig und imstande sein, Schönes zu schaffen, weil er durch die Ausbildung seines bewußten Denkens dazu fähig gemacht worden ist." 6 2 In seiner bereits an anderer Stelle erwähnten „Erklärung" hat er diesen Gedanken noch einmal aufgegriffen: „Denn ich bin von der Überzeugung durchdrungen, daß in der sozialistischen Welt jeder Mensch sowohl mechanisch — dies f ü r eine kurze Zeit des Tages — als auch künstlerisch ideal — dies nach eigener Neigung und nach eigener Bestimmung der Zeitdauer — zu arbeiten gezwungen als berufen sein wird." 6 3 Das poetische Bild des neuen Menschen der Z u k u n f t hat Jacoby am prägnantesten in dem Gedicht „Bekenntnis" gegeben: Daß sie den Menschen hinstellt In den Weltraum und auf E r d e n : Die Arbeit hinter ihm, Die Gleichheit unter ihm, Die Liebe zu seiner Linken, Die Gerechtigkeit zu seiner Rechten, Die Wahrheit vor ihm U n d die Freiheit über ihm, Aber die Schönheit in ihm ! 64 Jacobys politisch-philosophisches Denken kulminiert in dem Satz: „Das Ziel der Entwicklung ist die Schönheit." 6 5 Schönheit wird hier nicht nur als ästhetische Kategorie, sondern als ein das gesamte gesellschaftliche Leben der sozialistischen Z u k u n f t erfassender Begriff verstanden. XXXVI

Er bedeutet nichts anderes als harmonisches Dasein, realisiert in einer klassenlosen Gesellschaft. Wichtig für Jacoby ist dabei, daß er ihn aus dem Begriff der Arbeit entwickelt, von der er sagt: „Ich nenne arbeiten in der menschlichen Gesellschaft diejenige Bewegung des menschlichen Körpers, welche auf ein für die menschliche Gesellschaft nützliches Ziel gerichtet ist." 6 6 Die Schönheit kann aber erst dann im Leben der Menschheit Wirklichkeit werden, wenn die Verkehrtheit der Ordnung, der die Menschheit ausgesetzt ist als verkehrt erk a n n t und umgekehrt wird: „Diese heut bestehenden Zustände sind nur ein notwendiger Durchgang zur E n t wicklung der natürlichen Wahrheit; was bisher tatsächlich existiert und geherrscht h a t , das ist nur die Vorgeschichte der Menschheit, u n d was gegenwärtig herrscht, das ist nur das letzte Stadium einer Durchgangsform, worin die Wahrheit auf dem Kopf steht; unser Bewußtssein, unser Wissen von uns selbst duldet diese Verkehrtheit nicht mehr, sondern es kehrt sie um und stellt die Wahrheit wieder her. . ,"(!7 Und diese Umkehrung ist f ü r Jacoby dann gegeben, wenn die Menschen aus ihrem Abhängigkeitsverhältnis zur Maschine — zu den Produktionsmittel also —, worin sie stehen, weil diese sich in der H a n d einzelner Kapitalisten befinden, zu einem Herrschaftsverhältnis kommen. Anders ausgedrückt: Wenn die Werktätigen die Produktionsmittel in ihren Besitz genommen haben. „Die soziale Idee schreitet über die Grenzen der H a u p t k u l t u r s t a a t e n und dringt, durch keine Naturschranke aufgehalten und mit Beihilfe der Gegenanstrengung der herrschenden Klassen, bis in die entlegensten Winkel aller Kulturländer der Erde. In dem Gehirn der großen Mehrzahl der Menschen dämmert zum ersten Mal das Bewußtsein der Menschenwürde, ihr Menschheitsbewußtsein auf. Dies Bewußtsein kommt zum Durchbruch, die ganze bisherige Kulturgeschichte auf Erden wird als eine Vorstufe zur Entwicklung der selbstbewußten Menschheit erkannt, die Verkehrtheit der kapitalistischen Herstellungsweise kehrt sich um, der natürliche Herr der Maschine bekommt die Maschinen in seine H a n d zur organisierten Arbeit für die menschliche Gesellschaft, die Gemeinde und der Staat XXXVII

innerhalb der neuorganiiserten menschlichen Gesellschaft wendet die Maschine an: Der Sozialismus." 68 In dem Gedicht „Die Maschine heut und in der Z u k u n f t " haben die gleichen Gedanken ihren poetischen Ausdruck gefunden. Aus der Umkehrung der kapitalistischen Wirklichkeit: „Der Mensch ist Sklave der Maschinen!" entsteht die zukünftige Wirklichkeit: „Der natürliche Herr der Maschinen, Bekommt die Maschine in seine Hand Zum Segen, zum Sieg, zur Befreiung, Zur Erlösung der darbenden Menschheit." ü 9 Die klassenlose Gesellschaft — für Jacoby gleichbedeutend mit Sozialismus — wird als die letzte E t a p p e und damit als Höhepunkt aller bisherigen Entwicklung auf Erden und allen menschlichen Strebens erfaßt. Und gerade hier wird noch einmal offenbar, wie Jacoby, bei allem Festhalten an Darwinschen Thesen, doch im Kern seiner „Idee der Entwickelung" der revolutionären Entwicklungslehre des Marxismus verpflichtet ist. Ausgehend von dem Satz, daß das Ziel der Entwicklung die Schönheit sei, h a t er im Brief an Engels die N a t u r dieses Ziels „als ein Ideal" 7 0 gekennzeichnet. F ü r Jacoby besitzt also die klassenlose Gesellschaft das A t t r i b u t höchster Vollkommenheit. Zugleich versteht er darunter kein unwirkliches Traumbild, sondern einen erreichbaren Zustand, und zwar erreichbar allein durch die zum bewußten Denken gereiften Arbeiter. Jacobys Idealbegriff besitzt somit ein materialistisches F u n d a m e n t im Sinne vorausgedachter Realität. Aus diesem Grunde wehrt er sich, seinen „naturwissenschaftlichen Idealismus" — mit diesem Terminus bezeichnet er seine philosophischen Auffassungen — dem erkenntnistheoretischen Idealismus gleichzusetzen. Und aus dem gleichen Grunde glaubt er auch, daß zwischen dem wissenschaftlichen Materialismus von Marx u n d Engels und seinen Vorstellungen kein prinzipieller Unterschied bestehe: „Ich finde", heißt es im Brief an Engels, „bei unbefangenem, aufmerksamem Studium keinen Wesensunterschied zwischen diesem naturwissenschaftlichen Idealismus und der materialistischen Geschichts- u n d Weltauffassung, XXXVIII

die in dem grundlegenden Werke von Marx und in Ihren eigenen Schriften hervortritt. Verneinen, daß der Sozialismus idealistisch sei, daß die Sozialdemokraten, welche heute auf der ganzen Erde unter Bedrückung und Verfolgung einen Zukunftgedanken, ein Entwicklungsziel festhalten, Idealisten sind, das hieße ungefähr die Strahlen der Sonne leugnen, weil der Himmel bewölkt ist. Jeder Zug ihres Denkens und Handelns beweist ihren Idealismus und der schon oft gehörte Satz: Wir sind die einzige Partei, die eine Idee repräsentiert, zeigt unbewußt die Anerkennung. " 71 Aber gerade im Versuch einer Gleichsetzung des wissenschaftlichen Materialismus mit seinem naturwissenschaftlichen Idealismus offenbaren sich noch einmal mit besonderer Deutlichkeit die Unterschiede und Jacobys Grenzen. Jacoby vermochte eben doch nicht zu einer konsequenten materialistischen Geschichtsbetrachtung vorzudringen. Seine Vorstellung, die gesellschaftlichen Veränderungen würden sich allein auf dem Wege von Erkenntnisprozessen vollziehen, bleibt idealistischen Anschauungen verpflichtet. Auch seine „Idee der Entwickelung" wird philosophisch durch einen Kompromiß materialistischer und idealistischer Gedanken geprägt, was in einer Vermischung von Naturgesetzen und Entwicklungsgesetzen der Gesellschaft zum Ausdruck kommt. Die Schlußfolgerung aus beiden Tatsachen ist, daß Jacoby den philosophischen Objektivismus nicht zu überwinden vermochte. Und noch ein weiteres kommt hinzu. Der Kompromiß läßt Jacoby auch nicht völlig mit dem Utopismus brechen, was vor allem dort sichtbar wird, wo er die sozialistische Zukunft antizipiert. So materialistisch auch das Fundament seines Idealbegriffes ist und, daraus resultierend, die Charakterisierung des Entwicklungszieles der Menschheit, die utopischen Züge sind nicht zu übersehen. Zieht man deshalb die Summe aus dem bisher Gesagten, so erweist sich Leopold Jacoby als ein Denker, der auf dem Wege zum wissenschaftlichen Materialismus ein gutes Stück vorangekommen war, dem es aber versagt blieb, den letzten Schritt zu tun. Aus diesem Grunde muß auch eine Abgrenzung nach einer anderen Seite hin erfolgen. Man könnte meinen, XXXIX

daß Jacoby, indem er die marxistische Entwicklungslehre mit der von Darwin zu verbinden suchte, der philosophischen Richtung des Sozialdarwinismus zuzurechnen sei, wie das auch bereits geschehen ist. 7 2 Tatsächlich ging ja der Sozialdarwinismus davon aus, allein der biologischen Sphäre zugehörende Prinzipien, wie das Prinzip vom Kampf ums Dasein und das der natürlichen Auslese, mechanisch auf die Gesellschaft zu übertragen. Da aber die biologische Existenz des Menschen nur die Vorbedingung seiner gesellschaftlichen Existenz darstellt, mußte eine solche Betrachtungsweise notwendig zum Biologismus und damit zur Ersetzung des Klassenkampfes durch den Kampf aller gegen alle führen. Die bisherigen Ausführungen dürften als Beweis genügen, daß Jacoby einer solchen Richtung nicht zugerechnet werden kann und darf. Weder der Denker — seine Auseinandersetzung mit Schmidt und seine Kritik an Haeckel zeigen, daß er zu dieser Richtung innerhalb der Darwinisten klare Distanz bewahrte — noch der Dichter wurden von dieser Seite her beeinflußt. In diesem Zusammenhang darf auch seine Kritik an den Mitgliedern des „Jüngsten Deutschland", d. h. des deutschen Naturalismus nicht unerwähnt bleiben.Ein beträchtlicher Teil der Vertreter dieser literarischen Richtung — unter ihnen Arno Holz und der Jacoby befreundete Karl Henckell — war von einzelnen Thesen des Sozialdarwinismus beeinflußt. Jacobys Äußerung über sie im Brief an Friedrich Engels — „Die Mehrzahl wird wohl früher oder später zu den Fleischtöpfen Ägyptens abschwenken. . ," 7 3 —, die sich voll bewahrheitet hat, beweist, daß seine eindeutig sozialistische Grundhaltung ihn immun machte gegenüber Einflüssen aus dieser Richtung.

III Leopold Jacoby ist als Lyriker in die Geschichte der sozialistischen deutschen Literautr eingegangen, und zwar als ein Lyriker von eigenständiger und unverwechselbarer Prägung. Seine Poesien stellen einen Höhepunkt XL

der Lyrikentwicklung innerhalb der frühen sozialistischen Literatur dar. Bis in die neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts hinein bildete die Lyrik nach Umfang und Wirksamkeit den wesentlichsten Teil der sozialistischen Literatur jenes Zeitraums. Die Gründe dafür liegen einmal im Charakter der frühen sozialistischen Literautr als einer Aufstiegsliteratur, zum anderen in den Bedingungen, unter denen sie entstand. Gerade die Gattungsspezifik der Lyrik kam den proletarischen Schriftstellern bei der Lösung des ihnen von ihrer Klasse gegebenen Auftrags, dem gestalteten Wort im Klassenkampf propagandistische Wirkung zu verleihen, sehr entgegen. Die zündende und mobilisierende Kraft des lyrischen Bildes wie der rhythmischen Sprache in politischen Kampfzeiten hat die Dichtung seit den Befreiungskriegen immer wieder bestätigt. Vor allem ermöglichte die lyrische Gestaltung, rasch präzise und im Gedächtnis bleibende Antworten auf gravierende politische Ereignisse und soziale Erscheinungen zu geben, in denen zugleich die Erfahrungen der Klasse aus den Gegenwartskämpfen als Verhaltensweisen vermittelt werden konnten. 7/1 Das Wurzeln im Gegenwärtigen und die Unmittelbarkeit der Aussage wurden charakteristisch für die sozialistische Lyrik. Dieser operativen Funktion verdankte sie ihre Stellung innerhalb der frühen sozialistischen Literatur. Als Zeitungsabdruck, als Sprechgedicht in Versammlungen und als Massenlied von den Arbeitern aufgenommen und weitergetragen, wurde sie .nicht nur durch ihre Inhalte, sondern auch durch ihren formalen Reichtum — die Skala der Formen reicht vom Spruch über das Lied bis zum großen Weltanschauungsgedicht — zu einer wirksamen Waffe, deren beste Leistungen bis in die Gegenwart hinein lebendig geblieben sind. Ihre Schöpfer waren keine Schriftsteller in damals üblichem Sinne. Es waren in erster Linie klassenbewußte Arbeiter, die als sozialdemokratische Funktionäre und Agitatoren in den sozialen und politischen Kämpfen und bei der Festigung des sozialistischen Bewußtseins unter den Massen in vorderster Front standen. In den Klassenauseinandersetzungen reifte ihr poetisches TaXLI

lent. Doch ihre oft nur geringe ästhetische und literaturtheoretische Bildung sowie ihre Kenntnisse über die klassische und realistische Dichtung der Vergangenheit vermochten sie nur unter schwierigsten Bedingungen, z. T. im Gefängnis, zu erwerben bzw. zu erweitern. Die Folge war, daß sie zunächst nur eine geringe Bindung zu den ästhetisch reifsten Epochen der deutschen Literatur — zur Klassik z. B. — fanden. Vielmehr suchten sie an die Epochen anzuknüpfen, in denen die Literatur zu einer offenen politisichen Meinungsäußerung gekommen war: an die Zeit der Befreiungskriege und an den Deutschen Vormärz. Diese Orientierung war aber auch eine Folge der Unentwickeltheit der Klassenkämpfe in Deutschland und der Tatsache, daß die Aneignung der marxistischen Ideen im Proletariat nur ungenügend erfolgte, der Lassalleanismus weiter zu wirken vermochte. Sichtbar wurde das in einem Mangel an konkreter poetischer Gestaltung und in einem ungenügenden historischkonkreten Erfassen der Wirklichkeit. Leopold Jacobys Gedichte enthalten die gleichen politisch-operativen Elemente, die die gesamte frühe sozialistische Literatur auszeichnet. Sie sind somit dem gleichen kämpferisch-aktuellen Anliegen, das dieser Lyrik immanent ist, verpflichtet. Und dennoch unterscheiden sie sich von der Mehrheit der poetischen Aussagen anderer sozialistischer Schriftsteller der Epoche. Das hervorstechendste und wesentlichste Unterscheidungsmerkmal, charakteristisch für das gesamte Schaffen Jacobys, erwuchs aus der Bindung des Autors an die Theorie. Gehalt und Struktur der Gedichte erhielten von hier aus ihre Prägung. Der Hauptmangel der sozialistischen Lyrik am Ausgang des vorigen Jahrhunderts — unbeschadet ihres großen Vorstoßes im Hinblick auf eine grundsätzliche politische Neuorientierung in Deutschland — war die ungenügende historisch-konkrete Spiegelung der Klassenkämpfe, was vielfach zu rhetorischen Bekenntnissen und allgemeinen Deklarationen führte. „Diese Allgemeinheit", so heißt es im „Lexikon sozialistischer deutscher Literatur", wurde,, wesentlich durch ein noch nicht überwundenes spontanes Element in der WeltänschauXLII

ung der sozialdemokratischen Dichter, durch eine noch ungenügende Aneignung der marxistischen Ideen bedingt." 7 5 Auf Jacoby trifft das nicht zu. Seine Leistung innerhalb der frühen sozialistischen Literatur wird gerade durch seine Hinwendung zum Marxismus bestimmt. Die Dichtung Leopold Jacobys ist Weltanschauungsdichtung. Und er erfüllte sie ganz im Sinne der Definition dieser Form durch Friedrich Theodor Vischer, nicht dithyrambisch fortgerissen zu werden vom jeweiligen „großartigen Grundgedanken" seines Gedichts, sondern ihn „. . . mit eigener poetischer Reflexion, in ebenso schwungreicher als umfassender Weise der Betrachtung mit hinreißender Gewalt in den prächtigsten, volltönendsten Worten und Bildern" 70 zu entwickeln. Sein im Verhältnis zu den übrigen sozialistischen Autoren seiner Zeit andersgearteter Bildungsgang ließ ihn diese Höhe des lyrischen Sichaussprechens, finden, ließ ihn den freien Rhythmus wie die unterschiedlichsten metrisch gebundenen Formen gleichermaßen beherrschen. Die Überzeugung von der Richtigkeit seiner theoretischen Erkenntnisse, gepaart mit großer Begeisterungsfähigkeit, verlieh seiner Dichtung den vorherrschenden hymnischen Grundton. Die lyrische Eigenart Jacobys wird durch eine enge Verbindung von Wissenschaftlichkeit und Emotion, von Ideenverknüpfungen und Bildhaftigkeit gekennzeichnet. Während die Mehrzahl der sozialistischen Schriftsteller die Auseinandersetzung mit der herrschenden Klasse an einzelnen Erscheinungsformen des Klassenkampfes — Streiks, Verfolgungen, Grubenunglücke, Aufrüstung und Kolonialabenteuer — demonstrierten und daran verallgemeinernde, aber eben oft allgemein und abstrakt bleibende Einsichten knüpften, suchte er das Wesen und die Gesetzmäßigkeit der Ausbeutung, des Klassenkampfes, der gesellschaftlichen Entwicklung überhaupt im poetischen Bild zu erfassen. Dabei ist charakteristisch, daß er niemals über einzelne philosophische Gedanken und Probleme reflektiert, sondern stets nach der Gestaltung von Zusammenhängen strebt. Jacoby vermochte das einmal durch seine ständige und umfassende Auseinandersetzung mit dem philosophischen und ästhetischen Erbe sowie.mit den naturXLIII

wissenschaftlichen Auffassungen seiner Zeit, zum anderen durch seine weitgehend den marxistischen Positionen angenäherte Geschichtsbetrachtung. Damit wurde er zu einem der ersten Dichter der frühen sozialistischen Literatur, der wesentliche Grunderkenntnisse und Wahrheiten des Marxismus in seiner Dichtung direkt verkündete. Bereits die Gedichte aus dem Jahre 1871 erweisen sich durch marxistisches Gedankengut angereichert. Dabei ist im Grunde gleichgültig, ob Jacoby es auf direktem Wege, d. h. durch ein Studium der Werke von Marx und Engels, oder auf indirektem Wege aufnahm. Der Einfluß ist unverkennbar. Vor allem die Gedichte „Klage" und „Der deutschen Sprache Lobgesang" weisen es aus. Bei beiden handelt es sich um breitangelegte Zeitgemälde. Formal der klassischen Weltanschauungsdichtung mit ihrem Wechsel von hymnischen und elegischen Tönen verpflichtet, spiegeln sie nicht nur die „Verkehrtheit'' der Welt und die daraus erwachsenden Anachronismen, sondern markieren auch in der Forderung nach einer grundlegenden Veränderung ein wesentliches Stück Gesellschaftsprognose. Betrachtet man die Gedichte von ihrer Gestaltung her so zeigt sich, daß sowohl ihr struktureller Aufbau als auch die Formung der einzelnen Bilder einem streng logischen System folgen. An einem Beispiel soll das verdeutlicht werden. Jacoby stellt an den Anfang der „Klage" Bilder, in denen er die Ausbeutung schildert, und zwar der Landarbeiter, der Bergleute, der Webereiarbeiter und der Kinder. Die Bilder stellen aber keineswegs nur Variationen des Themas dar, vielmehr erfahren sie stetige Steigerungen, in dem sie in der Folge immer stärker mit Aussagen, Vergleichen und Ideen angereichert werden, die über die Forderung: Du bist ein Mensch! Laß dich nicht schinden! 77 zu der Erkenntnis führen, daß der Amboß aus demselben Stoff gemacht ist wie der Hammer: Und siehe, er will nicht länger Amboß sein. Darob ist ein Entsetzen gekommen auf die Schläger alle. 78 XLIV

Damit ist der erste Höhepunkt des Gedichts erreicht. Er erfährt die notwendige Steigerung und Verallgemeinerung in einem anschließenden summierenden Teil, worin die Ausbeutung als wesentlichste Erscheinung der „Verkehrtheit" und damit als Gesetzmäßigkeit des Kapitalismus gekennzeichnet wird. Und sie erscheint im Gedicht als das, was sie tatsächlich ist: Ein von Menschen praktiziertes Verbrechen an der Menschheit. Jacoby überträgt dabei das räuberische Wesen der Ausbeutung völlig richtig auf die Kapitalisten selbst, die bereits vom Stadium der freien Konkurrenz zur Monopolbildung übergegangen sind: Und sie tun sich zusammen zu ganzen Banden Und fallen das Volk bei hellem, lichtem Tage an, Daß sie es ausplündern. 79 Die Arbeiter dagegen treten als kräftige, kampfbereite Gestalten auf: Und da kommen sie heraus, trotz'ge Gestalten. Ihnen blitzen die Augen kühn, Und ihre kräftigen Arme Möchten wohl einmal auf anderes schlagen Als das schuldlose Eisen. 80 Sie reihen sich würdig in die Schar der Proletariergestalten ein, die in Heines „Die schlesischen Weber", in Weerths „Lieder aus Lanceshire" und in Freiligraths „Von unten auf" erstmalig in der deutschen Literatur die weltverändernde Kraft ihrer Klasse demonstrierten. Damit schließt der erste Teil des Gedichts, der, wie bereits angedeutet, als wichtigste Aussage die Erkenntnis enthält, daß die Ausbeutung eine Gesetzmäßigkeit des Kapitalismus darstellt. Im zweiten Teil setzt Jacoby die kritische Analyse der Gesellschaft auf einer anderen Ebene fort. Hatte der erste Teil vornehmlich Erscheinungen in den Mittelpunkt gerückt, die der Basis zugehören, so werden nun in der Hauptsache Erscheinungen aus dem Bereich des Überbaus in das Blickfeld gerückt, besonders aus dem Bereich der Kultur. Seine Kritik gilt der geistigen Manipulierung und Nivellierung XLV

der Menschen, ja des ganzen Volkes durch die herrschende Klasse. Wohl bedauert er die wirklichen Dichter, die sich aus Groll zurückgezogen haben und schweigen, aber er geißelt die Servilität und Feigheit jener, die sich verkauft und ihre Aufgabe, Erzieher der Nation zu sein, verraten haben: Die Poesie ist zum Gewerbe geworden. Wer am meisten bezahlt bekommt, Ist unter ihnen der größte Dichter. 8 1 Seine Ablehnung der geistigen Beeinflussung — die für ihn letztlich eine Bevormundung ist — der Ausgebeuteten durch die Ausbeutergesellschaft ist prinzipiell. Sie trifft den ganzen verflachten Kulturbetrieb des zweiten deutschen Kaiserreichs. Jacoby kommt zu dem Schluß: Nach Gewicht steht da das Talent zu Kauf, Und talentvoll und gewissenlos Ist bei ihnen ein und dasselbe geworden, Darum sind sie mit Grund gering geachtet. Sie vernichten das Denken, Das höchste Gut der Menschen, Und sie machen stumpfsinnig, anstatt zu belehren. 82 Gerade die Aufnahme marxistischer Ideen befähigt Jacoby, in der Kritik der herrschenden Gesellschaft einen Schritt weiter zu gehen als der Großteil seiner dichtenden Mitstreiter und sie auch dort als Ausbeutergesellschaft zu entlarven, wo sie scheinbar gar nicht offen politisch auftrat. Denn er erfaßt diesen bewußt verflachenden und vom Klassenkampf abhaltenden Kulturbetrieb gleichermaßen als eine Form der Ausbeutung. Damit vermag das Gedicht eine wirklich umfassende Kritik des Kapitalismus zu geben. Die Absage an die Manipulierung und Nivellierung des Menschen durch den Kulturbetrieb der Ausbeuterordnung wird aber am Schluß des Gedichts — ganz im Sinne von Jacobys Forderung nach Umkehrung der Verkehrtheit, d. h. nach Uberwindung des Kapitalismus durch den Sozialismus — aufgehoben im Bekenntnis zu einer Poesie, die, den höchsten Leistungen der Dichtkunst der X L VI

Vergangenheit folgend, aktiv in die gesellschaftlichen Prozesse der Gegenwart eingreift und mithilft, das Bestehende zu verändern. Der Einfluß der marxistischen Theorie einerseits und wissenschaftlicher Denkmethoden andererseits auf Gehalt und Struktur der einzelnen Gedichte erweist sich im gesamten lyrischen Werk als evident, das nicht zuletzt dadurch seine Spezifik erhält. Und bis in den Bildaufbau hinein ist das nachweisbar. So unverkennbar das Vorhandensein marxistischen Ideenguts in den frühen Versen auch ist, so darf doch nicht übersehen werden, daß Jacoby zu Beginn der siebziger Jahre die ganze Tiefe der weltverändernden Lehre des wissenschaftlichen Kommunismus noch nicht erfaßt hatte. Gleichermaßen war sein Wissen um die Klassenposition des Proletariats noch ungenügend. In der „ K l a g e " — ebenso abgewandelt in „Der deutschen Sprache Lobgesang" — erschien ihm 1 8 7 1 das Proletariat noch unter dem Bilde eines elenden Kranken, dem der Arzt fehle, ihn von seinem furchtbaren Leiden — der Ausbeutung — zu befreien. Den Kaufmann zählte er ebenfalls zu den Ausgebeuteten. Als er 1893 das Vorwort zur vierten Auflage seines Buches „ E s werde Licht!" niederschrieb, vermerkte er, mit diesen Auffassungen nicht einverstanden sein zu können. Hatte er bei Niederschrift des Gedichts noch nicht gesehen, daß die Klasse des Proletariats sehr wohl das Rüstzeug für den Sieg aus eigner K r a f t besitzt, so verwarf er jetzt diese Gedichtstellen, die sich mit seinem in der Zwischenzeit angereicherten und gefestigten Bewußtsein nicht mehr vertrugen. Die gleiche Weiterentwicklung wird in den Gedichten selbst sichtbar. Gegenüber den Versen aus dem Anfang der siebziger Jahre besitzt die Lyrik der achtziger und neunziger Jahre einen wesentlich höheren Grad an theoretischer Einsicht. Im Hinblick auf die Aufnahme des Marxismus stellen die späteren Gedichte eine neue Qualität dar. Darüber hinaus tragen sie einen eindeutigeren kämpferischen Akzent. Die noch für das Gedicht „Klage" bestimmende Vorstellung, der Sozialismus werde sich im Selbstlauf durchsetzen, ist durch die ErXLVII

kenntnis verdrängt worden, daß die sozialistische Zukunft ohne Kampf nicht verwirklicht werden kann: Vorwärts kämpfend laßt uns sorgen, D a ß zu Ende geh die Nacht! 8 3 Auch das im Gedicht „Vision" gestaltete große Bild v o m Kampf der Naturgewalten, aus dem sich der helle Strahl eines keimenden Morgens sieghaft erhebt, deutet im Symbol die gewachsene Einsicht Jacobys. Leopold Jacoby sah sein poetisches Anliegen darin, den ausgebeuteten, um die Früchte seines Fleißes betrogenen, unterdrückten und in Unwissenheit gehaltenen arbeitenden Menschen durch Revolutionierung seines Bewußtseins aus der Dumpfheit des Dahinvegetierens zu wecken, ihm das Vertrauen in die eigene K r a f t zurückzugeben und ihn zur Einsicht in die Gesetzmäßigkeit der gesellschaftlichen Entwicklung und zu einem seiner Klassensituation entsprechenden Handeln zu führen. Stand dabei die erste Phase seines Wirkens stärker im Zeichen der Auseinandersetzung mit der überlebten Gegenwart, so rückte in der zweiten immer deutlicher die poetische Antizipation der sozialistischen Zukunft in den Mittelpunkt, in der nach Marx und Engels „. . . die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist." 8 4 Das erforderte, ein Bild des Menschen zu entwerfen, der die neue Ordnung errichten wird. In der Dichtung Leopold Jacobys wurde der Arbeiter poetische Gestalt, der sich v o m trotzigen, seine Welt in die Schranken fordernden Proletarier zum neuen, befreiten Menschentyp wandelt. Im Gedicht „Bekenntnis", 1893 im Gedichtband „Deutsche Lieder aus Italien" veröffentlicht, hat er gültige Deutung gefunden: Der Arbeiter wird erst Mensch sein in einer Gesellschaft, in der es nur noch Arbeiter, d. h. Tätige im Gegensatz zum nichtarbeitenden Ausbeuter gibt. Erst vermittels dieser Umwandlung des Menschen — und damit der Gesellschaft — kann der Arbeiter werden, was er in der Klassengesellschaft nicht sein durfte: ein Mensch, der, Freier und Gleicher unter Gleichen, das Ideal vollkommenen Menschentums erfüllen wird. Indem er die hohen Werte des Menschseins wie Liebe, Gerechtigkeit, XL VIII

Wahrheit verkörpert, erscheint er als ein Menschheitstyp, der alles Große, das die Vergangenheit geschaffen, in sich vereinigt. Im poetischen Bild vom neuen, sozialistischen Menschen wird damit die Klassenaufgabe des Proletariats, die sozialistische Veränderung der Welt, zur Menschheitsaufgabe, ganz im Sinne der Worte von Marx und Engfels aus ihrem ersten gemeinsamen Werk vom Jahre 1843: „. . . darum kann und muß das Proletariat sich selbst befreien. E s kann sich aber nicht selbst befreien, ohne seine eigenen Lebensbedingungen aufzuheben. E s kann seine eigenen Lebensbedingungen nicht aufheben, ohne a l l e unmenschlichen Lebensbedingungen der heutigen Gesellschaft, die sich in seiner Situation zusammenfassen, aufzuheben." 8 5 Nach Jacoby hat dieser Prozeß, eben die Aufhebung der eigenen und aller unmenschlichen Lebensbedingungen durch das Proletariat, bereits zu seinen Lebzeiten begonnen. Aus diesem Grunde ist es notwendig, seinen Gegenwartsbegriff, der ebenfalls marxistischen Ideen verpflichtet ist, einer genaueren Betrachtung zu unterziehen. Für Jacoby bedeutete seine Gegenwart die Etappe innerhalb der Menschheitsentwicklung, in welcher der Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus einsetzt durch den Kampf der Massen: Heut — hört ihr's nicht brausen? Die Arbeitswelt steht auf! 8 6 Seine Zeit wurde ihm daher zur Epoche der unmittelbaren Auseinandersetzung des Neuen mit dem Alten, zu einem Kampfplatz menschheitsgeschichtlicher Entscheidungen. Anders ausgedrückt stellt sie für ihn eine Einheit von Widersprüchen dar, geprägt durch das Prinzip der Negation der Negation. In dem Gedicht „Gegenwart" aus dem Jahre 1887, als das Sozialistengesetz noch in voller Aktion war, erschien ihm seine Zeit düster, voll menschlichem Elend, d . h . so, als würde sie nicht nach vorwärts, sondern nach rückwärts schreiten. Das Bild eines vorwärtsrollenden Wagens mit der dem Schein nach entgegengesetzten Bewegung der Radspeichen wurde ihm zum Gleichnis: 4

Häckel, Jacoby

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Der Wagen der Zeit rollt vorwärts unaufhaltsam Unter Ächzen und Stöhnen, Und ein Niedergang im Radumlauf — Solch ein Moment ist die Gegenwart. 87 Die Erkenntnis, die bereits dem Bild innewohnt, daß die Kräfte des Alten das Rad der Zeit nicht zurückzudrehen vermögen, erschien dann sieben Jahre später im Gedicht „Die Neue Zeit" um die Gewißheit bereichert, daß die unaufhaltsam vorwärtsdrängende gegenwärtige Entwicklung im Keim die sozialistische Zukunft bereits in sich trägt. Es war einzig und allein die Massenbewegung des Proletariats in Deutschland wie in der Welt, seine siegreichen Kämpfe gegen Bismarcks Sozialistengesetz, die in Jacoby die Überzeugung wachsen ließen, daß die Bedingungen herangereift seien, das anachronistisch gewordene sozialökonomische System des Kapitalismus aufzuheben und „das Reich der Schönheit", die sozialistische Gesellschaftsordnung, zu errichten. Ganz in diesem Sinne heißt es am Schluß seiner „Erklärung": „Ich sehe in der Arbeiterbewegung die ersten Keime einer höhern Organisation, der Bildung eines organisierten Menschheitskörpers auf Erden, der sein Leben beginnt mit dem Anwachsen des Menschheitsbewußtseins, und der wirkt und schafft durch planvoll vorgedachte, gesellschaftlich organisierte Arbeit. Das erste Entstehen, das erste Keimen und Wachsen dieses Körpers, dieser organisierten Neubildung auf Erden ist das, was wir gegenwärtig als den Kern der sozialen Frage, als das Wesen der internationalen Arbeiterbewegung auf Erden mit unseren Augen sehen." 88 Indem das Heute als entscheidende Epoche der Menschheitsentwicklung erfaßt wurde und poetische Spiegelung fand, entstand eine Poesie, die zum ersten Mal in der Geschichte der sozialistischen Literatur ein dialektisches Bild der Gesellschaft zeichnete, neue ästhetische Momente des Klassenkampfes entdeckte und die Menschheitsgeschichte in Vergangenheit und Zukunft mitreflektierte. Wie jede auf gesellschaftliche Wendepunkte bezogene Weltanschauungsdichtung zielt sie auf eine poetische Neuschöpfung der Welt, und zwar einer Welt, deren Erscheinungsformen nicht fiktiven Ursprungs L

sind, sondern auf marxistischer Gesellschaftsprognose basieren. Gedichte wie „Bekenntnis", „Unterricht im Sozialismus", „Die neue Zeit" oder „Das letzte Jahrfünf des Jahrhunderts" weisen das aus. Die Hinwendung zu Marx und zum wissenschaftlichen Sozialismus führten Jacoby bis zur wörtlichen Wiedergabe wesentlicher Erkenntnisse bzw. massenwirksamer Losungen. So lautet z. B. der Schlußsatz von Marx' Resümee über seine bisherigen ökonomischen Studien im Vorwort „Zur Kritik der Politischen Ökonomie" aus dem Jahre 1859: „Die bürgerlichen Produktionsverhältnisse sind die letzte antagonistische Form des gesellschaftlichen Produktionsprozesses . . . Mit dieser Gesellschaftsformation schließt daher die Vorgeschichte der menschlichen Gesellschaft ab." 89 Nicht die sozialökonomische Fragestellung interessierte den Dichter Jacoby, sondern die auf die Entwicklung der Menschheit bezogene Folgerung daraus. Sein Gedicht „Die neue Zeit", das allegorisch die Ablösung des Alten durch Aufnahme des sozialistischen Bewußtseins schildert, schließt mit den Versen: Die Vorgeschichte geht zu Ende, Es rückt heran die Welten wende. Ein neuer Morgen will nun werden: Der Menschheit Frührot glüht auf Erden! 90 Auch an das Gedicht „Karl Marx' Totenfeier im CooperInstitut zu New York" darf hier erinnert werden, dessen letzte Zeilen lauten: Noch gab uns ein Geschenk kein Spender Dem Donnerworte gleich : Ihr Proletarier aller Länder, Vereinigt euch!91 Entsprechend dieser Grundhaltung wurde das Motiv der Zeitenwende zum Hauptmotiv der Dichtung Jacobys. Blieb es in der ersten Phase von Jacobys literarischem Wirken noch an eine spontane Zukunftshoffnung gebunden, wie z. B. in den Schlußversen von „Der deutschen Sprache Lobgesang", so trat es in den achtziger und neunziger Jahren immer deutlicher an die Ge4'

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schichtskonzeption geknüpft auf. Dieses Motiv tritt zum Ausgang des Jahrhunderts auch verbreitet in der bürgerlichen Literatur auf. Dort aber besitzt es einen tragischen Aspekt. Die bürgerlichen Dichter, vor allem die Vertreter der in Auflösung begriffenen naturalistischen Strömung erfaßten, nicht zuletzt ebenfalls bedingt durch die Kraft der Arbeiterbewegung, die Wende als Endzeit und damit als Schlußkapitel der Menschheitsgeschichte. Für Jacoby führte sie genau umgekehrt zur Selbstbefreiung, zur endlichen Menschwerdung des Menschen. Von hier aus wird deutlich, daß der Dichtung Jacobys als der einzigen sozialistischen Weltanschauungsdichtung seiner Zeit nationalliterarische Relevanz zukommt. Eine solche Dichtung konnte naturgemäß nicht aus der kleinbürgerlichen Literaturtradition des 19. Jahrhunderts erwachsen. Seine Vorbilder fand Jacoby in der Aufstiegsliteratur des Bürgertums, in der Aufklärung und im Sturm und Drang, aber ebenfalls in der Lehrdichtung Friedrich Rückerts. In „Der deutschen Sprache Lobgesang" hat er dieser Orientierung auf die Literatur des 18. Jahrhunderts durch Aufnahme von Zitaten Lessings, Goethes und Schillers direkt Ausdruck gegeben. Ein ähnlicher Weg hatte Georg Weerth zu seinen den Beginn der sozialistischen Literatur in Deutschland markierenden Gedichten geführt. Und Jacoby setzte fort, was Weerth auf dem Gebiet der Weltanschauungsdichtung geleistet hatte. Ausgehend von der Uberzeugung, daß derjenige, der Schwert und Kette schmieden lernte, sich auch mit dem Schwert aus den Ketten erretten könne, entwarf Weerth in den vierziger Jahren ein Bild des freien Menschen: Frei auf der Erde geht des Menschen Gang! Und die Natur mit zaubervollem Kusse Lockt die Lebend'gen fröhlich zum Genüsse.92 Obwohl Jacoby die Höhe der kämpferischen Haltung Weerths, des Mitstreiters von Marx und Engels, nicht erreichte und auch als Dichter hinter ihm zurückblieb, hat er, einer fortgeschritteneren Stufe der Arbeiterbewegung verbunden, neue Momente des KlassenLII

kampfes ästhetisch erfaßt und ist in der Gestaltung des sozialistischen Menschenbildes einen wichtigen Schritt nach vorn gegangen. Stellt man Jacoby in die literarische Entwicklungslinie, die von Weerth bis zur sozialistischen Nationalliteratur unserer Zeit reicht, so heißt das zugleich, ihn als einen Fortsetzer der Linie zu begreifen, die von Lessing über Goethe und Schiller hin zu Heine, den Weerth als seinen Lehrer bezeichnete, reicht, eben der deutschen Literatur, die die Selbstverwirklichung des Menschen in den Mittelpunkt ihrer Gestaltung rückte. Jacobys These, daß die Schönheit das Ziel des Werdens sei, besitzt nicht nur enge Beziehungen zum klassischen Schönheitsbegriff des 18. Jahrhunderts, sondern auch zu Marx' Prognose vom befreiten Menschen, der beginnt, „. . . seine Umwelt nach den Gesetzen der Schönheit zu gestalten und damit das Bild des Menschen und seiner Beziehungen nach den Gesetzen der Schönheit zu formen" 93 . Gerade durch diese Bindung an die besten Traditionen deutscher Literaturentwicklung und marxistischer Gesellschaftsprognose wurde Leopold Jacoby zu einem unmittelbaren Vorläufer der sozialistischen Nationalliteratur. Dieses Vorläufertum weist dabei in die Richtung einer Entwicklungslinie der sozialistischen Lyrik, die in den großen Lehrgedichten Bertolt Brechts ihren ersten Höhepunkt erreichte. Heute sind die verschiedensten Varianten solcher in der Brecht-Tradition stehenden Gedankenlyrik weit verbreitet. Ihre Bedeutung für die Weiterentwicklung der Lyrik besteht vor allem darin, daß der Leser als Mitwirkender einbezogen wird, der das im Gedicht Gesagte mit dem bewußt Ausgelassenen verbinden und in die Tat umsetzen soll. Das Gedicht gibt deshalb in sparsamen Worten nur die Absicht, den Zweck und das Ergebnis, überläßt aber das Finden des Weges dem Hörer oder Leser. Unter den verschiedenen künstlerischen Mitteln, die Brecht anwandte, ragen vor allem zwei Methoden heraus, seine Gedanken und Aufforderungen in die Massen hineinzutragen. Einmal die der eindringlichen Wiederholung, wie wir sie aus „Lob des Lernens" kennen: LIII

Lerne, Mann im Asyl! Lerne, Mann im Gefängnis! Lerne, Frau in der Küche! Lerne, Sechzigjährige !9/* Zum anderen die der Gegenüberstellung, z . B . von Lüge und Wahrheit, die sich in den Worten der Genossen und der Gegner kristallisiert, in „Lob des Kommunismus" vorbildhaft gestaltet: Die Ausbeuter nennen ihn ein Verbrechen, aber wir wissen: Er ist das Ende aller Verbrechen. E r ist keine Tollheit, sondern das Ende der Tollheit. Er ist nicht das Rätsel, sondern die Lösung. 95 Bis in die Diktion hinein erweist sich Jacobys Vorlauf ertum. Wir finden sowohl die eindringliche Wiederholung, die, um der Eindringlichkeit willen, zur epigrammatischen Verkürzung drängt: Du bist ein Mensch. Du bist ein Mensch. Laß dich nicht schinden. Laß dich nicht schinden. 9 6 Oder: Du Du Du Du

sollst sollst sollst sollst

dich nicht treten lassen. dich nicht unterdrücken lassen, dich nicht aussaugen lassen. den Sklavensinn von dir tun. 9 7

Gleichermaßen bedient er sich aber auch der Methode der Gegenüberstellung: Sie pflanzen das Land Und säen die Saaten aus Und bringen die Ernten ein, Und dürfen doch der Frucht nicht genießen. Sie bauen alle Häuser Und können nirgend wohnen, Sie machen alles, Sie schaffen alles, Und sie haben nichts. 9 8 LIV

Brecht läßt sowohl die Wiederholung als auch die Gegenüberstellung in Formulierungen übergehen, in denen das Ziel, worauf sie gerichtet sind, sichtbar wird. So schließt das erste Zitat mit der Forderung: „Du mußt die Führung übernehmen." Das zweite endet mit dem Gedanken, daß der Kommunismus das Einfache sei, „das schwer zu machen ist". Jacoby stellt Fragen und zieht Schlußfolgerungen. Die zuletzt zitierten Zeilen enden: Ein blutiges Unrecht geschieht hier, Wer wird es sühnen? Dem vorangegangenen Zitat folgen die Verse: Wirst du dies befolgen, So wird das Elend abfallen von dir, Wie ein Reif von der Erde schwindet, Wenn das Frühlicht kommt Und die Sonne am Himmel pranget. Es ist letztlich die Ähnlichkeit des poetischen Anliegens beider Dichter, das zu verwandten Gestaltungsmethoden und lyrischen Strukturen führte, die aus der sozialistischen Nationalliteratur nicht mehr wegzudenken sind. Indem wir das konstatieren, erkennen wir darin aber auch eine Gesetzmäßigkeit innerhalb der Entwicklung der sozialistischen Lyrik. Jacobys Vorläufertum muß aber noch in zweifacher Hinsicht weiter gespannt werden. Er war der erste Dichter der frühen sozialistischen Literatur, der das neue Verhältnis der Menschen zueinander auch als neues Verhältnis der Geschlechter zueinander gestaltete. Seine Fanny-Gedichte („Unterricht im Sozialismus"), aufgebaut als Gespräche Liebender, werden dabei zu Liebesgedichten eigener Art. Sie erhalten ihre Besonderheit dadurch, daß für Jacoby die Liebesbeziehung im Sozialismus undenkbar ist ohne das gleichberechtigte Wirken der Frau in der Gesellschaft. Indem Frage und Antwort der Liebenden auf die veränderte Stellung der Frau in der sozialistischen Ordnung abzielen und daraus Leben und Lieben abzuleiten suchen, wird hier ebenfalls ein weltanschauliches Problem zum eigentlichen Gegenstand der Gedichte. LV

Eine besondere Note tragen die „Weltalls-Lieder". Es sind Hymnen auf das sozialistische Morgen und die Schöpferkraft des befreiten Menschen, der durch die Befreiung sich über die Erde erheben und das Universum in Besitz nehmen kann: Kühn, in selbstbewußter Schöpfungskraft Schaut er vom sicheren Grund empor, Die Erde sein Sitz, Das Weltall über ihm sein Reich, Sein unendliches E r b e ! " Unter der These „Die Welt ist zu klein für den Sozialismus" erscheint in den Gedichten das Weltall der poetisch antizipierten neuen Welt der Zukunft zugehörig. Es wird zu einem Raum für den Menschen, worin seine Tatensehnsucht Erfüllung findet. Was sich in den einzelnen Versen prophetisch vordeutet, hat bereits in unserer Zeit, z. B. in Johannes R. Bechers „Das planetarische Manifest", basierend auf den Erfolgen der sowjetischen Wissenschaft, eine gültige dichterische Deutung gefunden. Leopold Jacobys Sprache erweist sich dem hymnischen Grundton seiner Lyrik durchaus adäquat. Ihre reiche Klangfülle und Bildhaftigkeit, ihr getragenes Pathos und ihre rhythmische Kraft stellen gleichfalls einen Höhepunkt innerhalb der frühen sozialistischen Literatur in Deutschland dar. Für Jacobys Ausdrucksweise war in vieler Hinsicht Luthers Bibelsprache mit ihrer kongenialen Einheit von einfacher Wortwahl und großem Pathos bestimmend, was sich u. a. in Wendungen wie „Kannst du zurückdenken die Zeit" 1 0 0 oder „Und siehe, er will nun nicht länger Amboß sein" 1 0 1 ausdrückt. Wörter wie „Menschheitsbewußtsein", „Menschheitsgeschichte", „Sturmkampf" u. a. treten hier Jahre vor dem expressionistischen Jahrzehnt als charakteristische Termini der Dichtung auf. Einzelne sprachliche Banalitäten, die sich vor allem in die Prosaarbeiten eingeschlichen haben, sind ohne Bedeutung. Die volle Entfaltung hat Leopold Jacobys Talent in seiner Zeit nicht finden können. Die Isolierung, in der er sich jahrelang befand und die persönliche Tragik, die LVI

er erlebte, hemmten ihn, ja brachen die Entwicklung vorzeitig ab. Mancher nur zum Teil gelungene Vers blieb aus diesem Grunde unverändert, mancher noch nicht gelungene sprachliche Ausdruck wurde beibehalten. Dennoch hat er als sozialistischer Dichter seiner Zeit eine echte Mittlerposition zwischen Weerth und unserer Gegenwart erreicht. Sein Neuerertum in der Lyrik hat ihn zu einem wichtigen Vorläufer der sozialistischen Gegenwartslyrik werden lassen. In einem für den „Süddeutschen Postillon" verfaßten Nachruf schrieb Eduard Fuchs über den Dichter: „Jahrzehnte der Kulturarbeit des Sozialismus werden notwendig sein, um die Menschen auf jene Höhe zu heben, daß sie in ihrer Mehrzahl imstande sein werden, die wunderbare Schönheit und Erhabenheit der Jacobyschen Poesie zu erfassen und mit zu empfinden." 102 Diese Zeit ist heute gekommen.

GEDICHTE

Klage

Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, Der ist zum Eckstein geworden.

Meine Seele verdrießet mein Leben. Ich will meine Klage erschallen lassen Und reden von der Betrübnis meiner Seele. Ein Gott hat mir den Mund geöffnet, Ich kann nicht stumm sein. Die Vorsehung hat mir ein Schwert gegeben, Ich will es gebrauchen. Darum will ich reden, wer es hören wird, Dem werden seine beiden Ohren gellen. Siehst du den Ackersknecht dort? Auf dem Felde stehet er neben dem Pflug, Neben Pferd und Rind. Und er spricht mit dem Rind, Und das Tier dreht sich um Und brüllt Und glotzt ihn an. Und er stiert ins Blaue hinein. — Die Sonne brennt, So ist ihm heiß. Der Wind weht kalt, So friert ihn. Das ist die Erkenntnis, die man ihm gegeben. Und er peitscht auf das Pferd, Und er schlägt das Rind; Aber die Peitsche, die ihm im Nacken sitzt, sieht er nicht. Und wie er selber geschlagen wird, merkt er nicht, Und welch ein Menschenleben er dahinlebt, Das weiß er nimmermehr. 3

Siehst du die Bergleute dort? Beim Dämmermorgen aus den Hütten kommen sie, Und das Grubenlicht blinkt, Und wenn sie niederfahren, sagen sie Glück auf! Aber auf ihren Gesichtern da wohnt der Gram, Und in ihren Hütten sieht es jämmerlich aus. Lebendige Leichen sah ich sie in die Erde steigen, Lebendige Leichen kamen sie wieder hervor. Sie können nicht leben Und wollen doch nicht sterben. Und ihre Kinder und Enkel müssen sie sehen Erbarmungslos in dasselbe Elend hinemwandem. Aber in den Straßen der Stadt, Darin die Menschen wimmeln, Wenn du dicht an den Häusern gehest, Kannst du es hören: Schlag auf Schlag, und spät und früh, Wie das Herz gehet bei einem Fieberkranken, So schlägt der Webstuhl Und fliegt das Schiffchen durch. Aber auf der Spule ist der Hunger aufgewickelt, Und der wird hineingewebt In all die glänzenden Zeuge. In dem Saal, Wo die Kerzen hell schimmern Und die seidnen Gewänder knistern und rauschen, Da klingt der Reigen, Und die jungen Gesichter strahlen Fröhlich vom Tanz. Und sie setzen sich Paar an Paar Mit munterem Lachen Zum schimmernden Mahle nieder, Und die Pfropfen knallen, und die Gläser klingen. Aber auf das glänzende Gewebe dort fällt mein Blick, Und daraus hervor grauenhaft Das Gespenst des Hungers grinst mich an Über den Tisch. Siehst du das Gebäude dort mit den vielen Fenstern ? Und die hohen Schornsteine ragen In den blauen Frühlingshimmel hinein? 4

Drunten, In dem ruß'gen Raum, Dort, wo der Dampf atmet, Da spricht der Kessel Mit zisch und zisch: Du bist ein Mensch. Du bist ein Mensch. Laß dich nicht schinden. Laß dich nicht schinden. Aber droben, In dem weiten Saal, Wo die Spulen schwirren Und die Räder sausen, Kinder stehen da Und wickeln hastig Mit ihren Händchen Und wickeln immer Ohne Ende — Und sind doch Menschen Und sind Kinder. Aber unweit daneben da zittert die Erde Vom Stoß des Hammers Und von den eisernen Schlägen, Und es zischelt, und es haspelt, und es klopft Wie tausend Hexengeister. Es ist Abend, da tönt ein Pfiff Gellend laut. Und da kommen sie heraus, trotz'ge Gestalten. Ihnen blitzen die Augen kühn, Und ihre kräftigen Arme Möchten wohl einmal auf anderes schlagen Als das schuldlose Eisen. Es geht ein gewaltiger Geisteshauch über die Erde, Desgleichen auf Erden noch nie gespüret worden. Er wühlet die Wellen auf vom Grund. Dem Amboß hat es einer gesagt, Daß er aus demselben Stoffe gemacht sei Wie der Hammer, Und siehe, er will nun nicht länger Amboß sein. 5

Darob ist ein groß Entsetzen gekommen auf die Schläger alle; Aber die Geschlagenen sind noch nicht besser daran Denn zuvor. Wie der Arzt pocht an den Leib des Menschen Und horcht mit Sorgfalt, daß er ihm sage: Hier bist du krank, Und hier bist du schwer krank. Aber heilen kann ich dich nicht, Und helfen kann ich dir nicht, So ist die Erkenntnis zu ihnen gekommen Ihrer Krankheit, Und ist noch kein Arzt da, der ihnen helfe, Und ihr Elend ist nicht auszusagen. Seht doch, wie wunderlich es ihnen gehet. Sie pflanzen das Land Und säen die Saaten aus Und bringen die Ernten ein Und dürfen doch der Frucht nicht genießen. Sie bauen alle Häuser Und können nirgend wohnen. Sie machen alles, Sie schaffen alles, Und sie haben nichts. Ein Unrecht geschiehet hier, wer kann es ableugnen? Ein blutiges Unrecht geschiehet hier, Wer wird es sühnen? Der Kaufmann ist mir hochgeachtet, Der für sich und die Seinen sich quält In ehrlichem Erwerb. Ihn schätze ich dem Landmann gleich, Der den Acker bauet mit schwerer Hand Und das Gespenst des Hungers abwehrt von dem Menschen. Aber der Kaufmann ist ja auch elend. Die Nachbarn lauern auf seinen Untergang; Einer jagt den andern, daß er ihn verderbe. Es ist ein Grauen mit anzusehn. 6

Und dazu müssen meine Augen sehen, Wie das Blutsaugertum schamlos waltet im Lande, Und ist keine Schranke da, die ihnen Einhalt tut, Und kein Richter auf Erden, der sie strafe. Und die sich brüsten, die ersten im Lande zu sein, Und sich einbilden, anders geboren zu sein Als alle andern Menschen — Das doch eine Beschimpfung der Menschenwürde ist Und eine Lüge im Angesicht der Wahrheit Und ein Kinderspott vor der ganzen Welt — Die sind mitten darunter. Und sie tun sich zusammen zu ganzen Banden Und fallen das Volk bei hellem lichtem Tage an, Daß sie es ausplündern.* Und dann lachen sie noch in sich hinein Und rufen: Das sind die Dummen! Da es doch bloß die Unwissenden sind Und die nicht sehen können. Als ob es denn ein köstlich Ding sei und ein groß Werk, Einen Blinden in den Graben zu stoßen, Oder ein Kind anzulocken und auszurauben. Und viele, die ein Amt hatten zum Nutzen ihrer Mitmenschen, Und das Amt war voll Mühe und Arbeit, Die lassen ihr Amt und laufen jenen nach, Damit sie auch mit Gier mögen Gold einscharren Ohne Mühe und ohne Arbeit. Und dafür tausend Elende müssen noch elender sein Und noch mehr gequält und noch mehr geschunden. Ich will meine Stimme erheben Und rufen, daß man es weit höre: Wer nicht arbeitet, der soll nicht leben! Der Geist, der heut herrscht, ist eine Schmach den Menschen Und eine tiefe Schande den Völkern! Ihr Gift frißt um sich wie der Krebs. Sie haben sich steinerne Paläste gebaut, * geschrieben 1871 5

Häckel, Jacoby

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Aber aus allen Ecken pfeift der Betrug heraus. Wenn der Arbeitsmann vorbeigeht, Er weiß nicht warum, aber er ballt die Hand zur Faust Auf seinen Äckern da geht der Bauer Und stöhnet hinter dem Pfluge her. Es ist nicht die Arbeit, die ihn stöhnen macht, Denn sie war sonst seine Lust gewesen. Aber die Halme, die er mähen wird, Sie sind nicht mehr sein, Und sein Haus, darinnen seine Eltern gewohnt, Er wird es bald verlassen. Frage doch die Vögel unter dem Himmel, Die werden dir's sagen. Und haben sich öffentliche Blätter gemacht, Die sprechen von allem, was nicht ist Und was nicht gewesen ist. Aber was gerecht ist, das reden sie nicht, Und was not tut, das sagen sie nicht. Nach Gewicht steht da das Talent zu Kauf, Und talentvoll und gewissenlos Ist bei ihnen ein und dasselbe geworden. Darum sind sie mit Grund gering geachtet. Sie haben den Satz aufgestellt: Das Geld ist das Maß aller Dinge, Und wenn sie schreiben, handeln sie darnach. Sie starren von Unwissenheit. Sie vernichten das Denken, Das höchste Gut des Menschen, Und sie machen stumpfsinnig, anstatt zu belehren. Und rühmen sich dessen mit Heuchellügen Und nennen ihr Geldgeschäft Eine Geisteswohltat für das Volk. Sie haben einen feinen Teppich über den Sumpf gebreitet Und sehen wohl zu, daß nichts durchdringe. Kinder schreiben darin, Und Närrische wollen die Welt regieren. Das Schlagwort ist ihre Angriffswaffe, Und die Phrasen sind ihr tägliches Brot.

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Die Phrase aber ist der Betrug mit Worten, Und das Schlagwörtertum Der Mißbrauch gerechter Worte. Wer gewohnt ist, mit klaren Blicken um sich zu schaun, Wer sich den schlichten Verstand nicht mag verrücken lassen Und wer seine Sprache liebt, das edelste Geschenk, Das dem Menschen ein Gott gegeben, Der steht vor der Phrase Wie vor den Schnalzlauten, Die die Wilden in Afrika sprechen. Ein Gemisch von Schallwellen schlägt an sein Ohr, Er hört Laute und weiß keinen Sinn; Wie Seifenblasen Blähen sich die bunten Worte auf, Und wenn sie geplatzt sind, So ist darinnen das pure Nichts. Aber dichtgedrängt stehen die Hörer umher Und klatschen rasenden Beifall. Und sein Gemüt wird von Trauer erfüllt, Und ein unendlicher Ekel ergreift ihn. Aber die Dichter, die heut leben, Haben sie denn Augen, um nicht zu sehn? Haben sie denn einen Mund, um nicht zu sprechen? Ach! die besten von ihnen sind gar alt geworden. Sie haben sich zurückgezogen in gerechtem Groll Und schreiben nicht mehr, Und die noch schreiben, sind nicht die besten. Da ist keiner, Der mit Ernst die Wahrheit möchte verkünden, Obschon die Spatzen auf den Dächern davon reden. Da ist keiner, der das Schwert ergreift, Das blitzende, scharfe Schwert, Ein Lied zu singen zur rechten Zeit Mit klingender Form, Aber im Inhalt schonungslos, rücksichtslos. Die Poesie ist zum Gewerbe geworden, Wer am meisten bezahlt bekommt, Ist unter ihnen der größte Dichter. 5

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Was tot und begraben ist, Dagegen kämpfen sie, Und was keinem am Herzen liegt, Das bringen sie vor. Mit Stroh gehen sie schwanger, Und Stoppeln gebären sie. Einen Stecknadelkopf Gold Walzen sie zu einem bändigen Romane aus, Und sie schläfern lieber die Gedanken der Menschen ein, Statt neue zu wecken. Wüst und öde sieht es auf der Bühne aus, Und ich habe Beifall klatschen sehn solchem Schund, Daß ich nicht wußte, ob ich unter Irren war Oder in Gemeinschaft vernunftbegabter Menschen. Und sie nennen sich selber Epigonen. Wohl hat es Heroen in unserer Dichtkunst gegeben; Aber im Staub vor ihnen zu liegen Und im Gefühl der eignen Ohnmacht anzubeten, Das ist Sklavenart. Nicht also gebietet der Genius, Sondern mit ernstem Munde spricht er: Liebend sollst du dein Haupt vor ihnen beugen Und dich freuen in deinem Herzen, Daß du solche Vorbilder hast. Aber mit stolzem Aufblick als ein freier Mann Sollst du dir selber sagen: Das höchste in der Poesie aller Zeiten ist nicht so hoch, Daß mir von Anfang verboten wär, Es zu erreichen. Gelingt es nicht, was schadet das? So wird das Ziel adeln den Versuch Und ihn bewundernswert erscheinen lassen Dort, wo er stehn blieb. Damals, Als ich umherging einsam Und in mir selbst verlassen, 10

Verstanden von keinem, Geliebt von keinem, Und keinen Menschen auf Erden liebend, Die du mir damals ein neues Leben gegeben Und eine solche Blütenfülle von Poesien, Daß ich oft aufjauchzen mußte Im tiefsten Elend:

Abbitte Der du von deinem Himmel droben Mit güt'gem Aug' und mildem Lächeln Der Menschen ungezählte Torheit schaust, Verzeihe mir, allgüt'ger Vater! Verzeih die Torheit mir, die ich beging, Da ich einst sprach: Ich will nicht lieben. Verzeih die Torheit mir, die ich begehe nun, Da ich gestehen muß: Ich lieb, ich liebe! Da alles in mir wiederklingt von Liebe, Und ich herzkrank und elend Und doch selig bin durch Liebe. Wohl ist sie, die ich lieb, von jenen keine, Die mit ihren Gaben prunkend glänzt, Und deren Schönheit wie ein Rufer unter Trommelschlag Vorgeht und ausruft: Kommt, kommt her und huld'get mir! Die ich verspottet habe tausendmal Mit deinem Wohlgefallen, Herr, Die man bewundern mag, doch nimmer lieben. Nein, die ich liebe, ist von seltner Art, Ist eine von den Blumen, denen du Das himmlische Geheimnis hast gegeben, Daß sie mit ihrem Reiz entzücken müssen, Ganz ihrer eignen Schönheit unbewußt, Und strahlen doch in Blütenduft und Anmut, Ja so ist sie Von zaubervollem Anmutduft umflossen, Von unbewußtem Liebreiz und so schön, Daß auch, wenn sie zu lieben Torheit wär, 11

Du diese schon im voraus hast vergeben, Daß ob der Torheit aber, Herr, sie nicht zu lieben, Du zürnen müßtest für und für. Und also bin ich fromm Und liebe sie mit nie geglaubter Glut Und liebe sie mit nie empfundner Lust Und mit dem ganzen Heer von Qual und Plagen, Das so getreulich einer treuen Liebe folgt, Als wie ein Bienenschwarm der Königin, Doch so verschönend folget treuer Liebe, Als wie der Abendstern dem Mond, Wann er die stillen, blauen Pfade wandelt. Winter Ständchen Schnee liegt auf den Gassen weit, Schnee glänzt von den Dächern wieder. Voll in Winterherrlichkeit Strahlt der lichte Mond hernieder, Strahlt aufs Haus, wo Liebchen ruht, Wo die Engel halten Hut. Schlaf süß, mein Lieb, schlaf süß! Deiner Zukunft Rosenbild Wird durch deine Träume gehen. Goldig glänzend, wundermild Wird ein Stern am Himmel stehen, Den die Liebe sendet dir, Der dir leuchtet für und für. Schlaf süß, mein Lieb, schlaf süß! Horch, der Sturm mit Schneegebraus Schüttelt sich vor Frostbeschwerde. Alle Blumen schlummern aus, Denn der Winter deckt die Erde. Wachst du auf, wird Frühling sein Rings um mich durch dich allein. Schlaf süß, mein Lieb, schlaf süß! *

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*

*

Und es war eine Stimme, die sprach zu mir: Du warst wie ein Kind, aller Torheiten voll. Aber mitten darin, du weißt es wohl, Habe ich dir immer einen Stoß gegeben, Daß du solltest eingedenk bleiben der Botschaft Und nicht vergessen des Auftrags. Siehe nun die Zeit ist gekommen, So rüttle dich und gehe! Und ich erbebte tief im Herzen und sprach: Ich will leben, so laß mich leben! Aber die Stimme sprach zu mir: Willst du leben, sieh her, Ich ziehe heute den Vorhang von deinen Augen, Durch den du die Menschen siehest Und durch den die andern auf Erden die Menschen sehen. Und ich sah hin — Da erschauderte so mein Gebein, Daß ich stürzte und schrie: Halt ein, halt ein! Ich will lieber sterben! Seitdem ist die Freude von mir genommen. Ich bin wie ein Sieb, So durchgeschüttelt von Schmerz, Alles Lustige ist davongeflogen Und nur die schweren Stücke sind zurückgeblieben. Es trieb mich hinauf auf die Waldhöhe, Die am Ufer des Meeres liegt. Da erhob sich ein Sturmwind vom Meere her, Ein solcher war noch niemals heraufgekommen. Und die lustigen Birken zitterten, Und die Buchen und Tannen rauschten tief auf vor Angst. Droben aber da stand ein Eichbaum, Der schien unerschütterlich festgewurzelt. Lauter Schlingkraut wuchs an ihm Und blühete üppig auf. Aber die Blumen zu seinen Füßen hatten keinen Blütenduft, Und die Vögel aus seinen Zweigen waren alle hinweggeflogen. 13

Und der Sturmwind raste und faßte ihn Und hob ihn aus Und schlug ihn mit seinen Wurzeln um. Aber er barst im Fallen mitten entzwei, Und siehe, er war innerlich ganz morsch und faul gewesen. Der Sturmwind aber raste noch immer. Und da stand eine Kiefer hoch und schlank. Und ich sah sie an, Und meine Lippen bebten, und ich sprach: Die Eiche ist gefallen, wie soll die Kiefer bestehen bleiben? Und der Sturmwind faßte sie, Und sie bog sich hinüber und herüber Und hielt die Astbüsche vor ihr Angesicht Und knarrete und ächzte laut, Wie ein Mann stöhnt in wildem Schmerz. Aber siehe, sie brach nicht. Und der Sturmwind legte sich Und hörte auf. Da wurde es mit einmal helle, Und die Sonne strahlte voll und ganz. Da fingen alle Blumen an zu blühen Und dufteten köstlich ringsumher, Und die Vögel kamen alle wieder Und sangen herrlicher denn je zuvor. Und ich drückte mein Antlitz in den Boden nieder Und schluchzte und weinte lange. Und ich erhob mich Und wandte mein Angesicht dem Meere zu, Und in mir frohlockte es laut und rief: Der Mensch ist gut von Anfang an! Der Mensch ist gut von Anfang an! Verblendungswahn und Eigengier, Die haben den Menschen zum Zerrbild gemacht Und zum unmenschlichsten aller Erdenwesen. Aber die sind ihm nicht von Natur gegeben, Die sind dem Menschen aufgeprägt durch Gewohnheit! 14

Es ist finster um mich her, und die Blitze zucken. Und unheimlich der Donner rollt. Aber ich sehe ein strahlend Licht, Und durch alle Schrecken, die kommen wollen, Ruf ich mit heller Stimme hindurch: Der Mensch ist gut von Anfang an! Jauchze auf, du Welt, und sei wieder fröhlich! Es kommt die Zeit, und sie ist nahe, Wo Verblendung weichen wird der Klarheit Und Eigengier sich wird wandeln in Nächstenliebe. Es ist ganz finster um mich her, Und Mitternacht will erst werden. Die Lerche bin ich, Die einer kommenden Sonne entgegenjubelt.

Der deutschen Sprache Lobgesang Wie soll ich dich schildern, du geliebte! Meine Seele sehnt sich, dir Dank zu sagen, Und mein Herz quillt über, So müssen meine Lippen reden. Aus gepreßtem Innern muß ich dein Lob singen. Früher, Da mich niemand gekannt, Hast du allein mich aufgenommen, Und nun, da mich alles verlassen, Bist du doch mir treu geblieben Und bist meine einzige Liebe geworden. Wie soll ich dich schildern, du geliebte! Bist du mir hold gesinnt, Was habe ich zu fragen nach Ehre von Menschen? Was habe ich zu fragen nach den Schätzen, Die voll Jammer und Tränen der Armen sind? Du wendest dein Antlitz mir zu voll Liebe, Und in deinem Lachen spiegeln sich Die Sonne, der Mond und alle die Sterne. Wenn du mutwillig bist und spielest, 15

Dann bist du wie ein junges Reh im Walde, Da es bei der Mutter spielet, Und ich muß jauchzen unter Tränen. Zürnest du, ach sie wissen es ja nicht, Welche Qual du bereitest.

Wie eine Jungfrau zaghaft ist und unbeholfen, Und doch der süßesten Geheimnisse voll, So bist du ach wie oft so spröd, So starr und widerstrebend, Daß man sich muß ärgern über dich Und muß dich doch liebhaben. Wenn ich dich aber schelten will, Dann blickst du mich auf einmal an Klug mit frischen Kinderaugen, Wie eine Tanne unterm Schnee vorguckt, Und aller Unmut ist mir gleich davongeflogen. Wenn du ein Herzenslied anhebst zu singen, Dann quillt alles heraus voll innerlichem Wohllaut, Und du bist reich an Schönheit Und an Gedankentiefe wunderbar Wie Meerleuchten. Du bist kein Singsang Und bist keine Sprache, um nichts zu sagen. — Und du willst mich nimmer verlassen, Darob muß mein Herz wohl fröhlich sein. Wenn ich voll Jammer war, Wer hat mich getröstet als du? Wenn ich verschmachtet war, Wer hat mich erquickt als du? Wann habe ich eine frohe Stunde im Leben gehabt Nach der Kindheit bis auf den heutigen Tag, Wenn du sie mir nicht gegeben? Du hast mich durch dunkle Nacht geführt, Und ich habe ein Licht gesehen, Das noch niemals auf Erden Und auf die Menschen gestrahlet.

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So soll auch dein Ruhm klingen märchenhaft, Und du wirst gesegnet sein, Und dein Lob soll nicht untergehen, Solange Menschen auf Erden wohnen. Wie solltest du auch nicht trösten können Bis in die Tiefe der Menschenseele, Bist du doch selber auch elend und gequält. Du bist wie das Volk. Die Geschichtschreiber und Hofgelehrten Verraten dich alle Tage. Sie schreiben Lügen in ihre Bücher Und lassen sie auswendig lernen. Sie küssen den Fuß, der dich tritt Und der sie selber von sich stößt. Sie sind blind mit offenen Augen. Du bist wie das Volk. Von den Fürsten hast du dich mißhandeln lassen, Von den Königen hast du dich verachten lassen, Und die falschen Propheten Haben nun die geschwollene Phrase über dich geworfen, Um deinen Aufschrei zu ersticken. Aber ihnen zum Trotz hast du geblühet zweimal, Ihnen allen zum Trotz wirst du blühen Ein drittes Mal, Schöner als jede von beiden Blüten, Schöner als beide zusammen. Wie wenn im Junimond, An den Ufern des Stromes, der golden rauscht Und von Liebe und Freiheit murmeld klingt, Ein süßer Duft aufsteiget Und ein lieblicher Wohlgeruch, Das ist der Duft der Weinblüten, Der von den Bergen und Hügeln kommt — Aber ihrer sind wenige, die sich daran erfreuen Und ihre Augen weiden und ihr Herz erquicken — So hast du geblühet das erste Mal. Und wie wenn zur Herbsteszeit Auf den Hügeln und Bergen die Weinlese beginnt, 17

Und Und Und Und Und Und

der Wein in die Kelter wird getragen, Abends das junge Volk eilet zum Tanz, lauter Lust und Jubel erklinget ringsum — ihrer sind viel mehr, die ihr Herz erfreuen, von Grund der Seele fröhlich werden, der Wein hat manch Lied geboren, stark und herrlich, Das unvergessen ist und unvergänglich auf Erden So hast du geblühet das zweite Mal. Aber wie wenn nach des Winters Qual Bei des neuen Frühlings Einkehr Ein Hausherr den Tisch deckt voll und reich Und öffnet die Türen weit Und hinausruft in das Land: Kommet her, all ihr Armen und Elenden! Ihr sollt nicht mehr ausgeschlossen sein Von den Freuden dieser Erde, Ihr sollt vollen Anteil haben an allem, Was wir genießen. So kommet her und erquicket euch alle! — Und siehe, sie kommen alle herbei Und genießen von allem und trinken von dem Wein Und werden froh und fröhlich Und vergessen der grausen Zeit, Die hinter ihnen liegt, Und ist ihnen wie ein Traum, Aber sie brauchen nicht Angst haben aufzuwachen, Denn es ist in Wahrheit ein neuer Frühling worden Rings um sie her — So wirst du blühen das dritte Mal. So unvergleichlich wie du bist, Ist auch die Weise, wie du geworden bist, Und dein hoher Ruhm ist, sie zu erzählen: Vom Morgen her, Wo das Licht aufgehet Und die Wiege der Menschen stand, Bist du gekommen, Und durch Abend sollst du wandern Wieder zum Morgen! 18

Wild und stürmisch ist dein Anfang gewesen, Und wild und stürmisch Müssen die Wendepunkte deines Lebens sein. Als ein Zug voll Abenteuersehnsucht Und voll Schwärmerei die Menschen ergriff Und rückwärts nach Morgen führte Und sich daheim mit der Liebe verband, Da blühtest du im Süden auf Voll Anmut, In unerreichtem Sprachwohlklang. Damals als ein edler Sänger sang: Durchsüßet und geblümet sind die reinen Frauen Es ist so wonniglich es nicht zu schauen In Lüften, noch auf Erden, noch in allen grünen Auen. Aber noch war Nacht um dich her, Stockfinstere, graunvolle Nacht. Da kam eine Zeit, die war wie heute. An allen Ecken und Enden gährte es. Und die Menschen erfaßte ein Sehnen Und ein Hunger nach Licht und geistiger Speise. Da trat ein Mann auf und verdeutschte ein Buch, Das hat schon genug Blut gekostet auf Erden. Und seine Sprache in dem Buch war wunderbar, Voll Kraft und Männlichkeit Und doch voll hoher Schönheit fast überall: Sie weinet des Nachts, Daß ihr die Tränen über die Backen laufen, Es ist niemand unter allen ihren Freunden, Der sie tröste. Die Augen der Blinden Werden aus dem Dunkel und Finsternis sehen. Und die Elenden werden wieder Freude haben — Und die Armen unter den Menschen werden fröhlich sein. — 19

Nun ruhet doch alle Welt und ist stille, Und jauchzet fröhlich. Wenn ich mit Menschen und mit Engelzungen redete Und hätte der Liebe nicht, So wäre ich ein tönend Erz, Oder eine klingende Schelle. [Die Liebe] freuet sich nicht der Ungerechtigkeit, Sie freuet sich aber der Wahrheit! Es war ein streitbarer Held, Und manch schönen Sieg hat er dem Dunkel abgerungen. Aber auf halbem Wege blieb er stehen, Und trotz ihm und mit ihm ist es finster blieben, Finster vor ihm Und finster nach ihm. Denn höre es wohl, du Welt! Viele, die sich Jünger dessen nennen, Der doch gesprochen: Liebet euch untereinander! Die sind die ärgsten Hasser geworden Und Feinde des Menschengeschlechts auf Erden. Die Märchen und Poesien eines Buches Haben sie zu einem Verdummungshammer gemacht, Damit sie den Kopf des Volkes stumpfsinnig schlagen Bis auf den heutigen Tag. O wie fürchterlich haben sie gewütet! Die Erde, Darauf alle Menschen sollen Freude haben, Die haben sie zu einem Jammertale gemacht. Sie haben so lange geschrien: Die Erde ist ein Jammertal! Bis sie es wirklich schier ist geworden. Zum gemeinen Manne haben sie gesprochen: Quäl dich nur hier für uns, Und laß dich schinden hier für uns, Und sei ein getreuer Sklav, Und muckse und murre nicht; 20

Wenn du aber erst tot bist, Nachher wird alles gut werden. Und es sind noch nicht die schlimmsten. Es gibt welche, Die hassen den Menschen noch über den Tod hinaus. Sie lassen ja die Leichen nicht in ihren Gräbern ruhen. Wenn der Arme und Elende krank vor ihnen liegt Und hilflos ist vor Kummer und Gram, Dann schlagen sie ihm sein Herz noch mehr entzwei Mit Hölle und mit Teufel nach dem Tode, Bis er schier wahnsinnig wird vor Angst Und zu allem, was sie wollen, ja sagt, Da er noch lebt. Und brauchte sie doch bloß einer zu fragen: Wenn du mir so Angst machst Und es so greulich dort ist, Wie bist du denn von dort herausgekommen ? Denn du mußt doch dort gewesen sein, Da du es so alles haarklein weißt. So müßten sie ja auf der Stelle verstummen. Aber das fragt sie keiner, So brauchen sie auch nicht darauf zu antworten. Und sie machen mit den Menschen, was sie wollen. Und das ist ein gräßliches Elend Und das Fürchterlichste von allem, Was menschenliebende Augen sehen müssen auf Erden. Und sollten doch den Armen lieber sagen: Wir wollen dich fröhlich machen im Leben Und nicht traurig im Tode. Du sollst leben mit Freude, So sollst du sterben ohne Angst Und ohne Groll, Sondern mit Dank für die Freude auf Erden. Denn die Freude ist göttlich, Und die Liebe ist die köstlichste der Freuden. Wer aber fröhlich wird, der wird auch gut. — 21

Aber der Mann, der auf halbem Wege stehenblieb, Für seine Zeit hat er Großes getan. Wollte Jeder für seine Zeit so viel tun, Es müßte ganz licht aussehen um uns her. Eine Sprache hat er dem Volke geschaffen, Ein gutes Schwert für kommende Zeiten. Wenn ringsum Kriege und Stürme tobten, Und alles auf den Armen einhieb und schlug, Dann saß der Arme und weinte still für sich Und las in dem Buch, so lernte er die Sprache, Und die schlichte, sinnige Ausdrucksweise Wuchs ihm tief ins Herz hinein. Auf diesem Boden blühete ein Baum empor, Der soll noch herrliche Früchte tragen. Aber es kamen Tage des Jammers und der Not Und wurde schier finsterer um dich her, Als es vordem jemals gewesen. Und die Menschen erholten sich allmählich Und sahen dich in Nebel und Dunkel gehüllt. Da kam ein Mann auf, Der kämpfte mit scharfem Schwert und scharfem Wort Und brachte Vernunft und Licht und Klarheit In eine verkommene Welt. Die Gesetze des Schönen hat er den Menschen vorgezeichnet Und lehrte: frei sein von Vorurteil. Und lehrte es in klarer, durchsichtiger Sprache: Sein Haus ist groß. Und größer als ihr glaubt; Denn jeder Bettler ist von seinem Hause. Nun, wen lieben zwei Von euch am meisten? Macht, sagt an, ihr schweigt? Die Ringe wirken nur zurück und nicht Nach außen? Jeder liebt sich selber nur 22

Am meisten? — O so seid ihr alle drei Betrogene Betrüger! Und er blieb im Leben einsam und fühlte sich einsam. Aber da leuchtete ein Doppelstern empor am Himmel, Und zwei Zedern blüheten zusammen auf der Erde, Herrliche Gestalten! Einer an dem andern rankten sie sich empor zu gleicher Zeit, Ein nie gesehenes Schauspiel unter allen Nationen, Und wurden vollkommener einer durch den andern, Bis er dahin ging allzufrüh, Der eine Sprache schuf, Darin jedes Wort, einer vollen Ähre gleich, Sich beugt unter der Wucht der Gedanken: Was sind Hoffnungen, was sind Entwürfe, Die der Mensch, der flüchtige Sohn der Stunde, Aufbaut auf dem betrüglichen Grunde? Wenn Wolken getürmt den Himmel schwärzen, Wenn dumpf tosend der Donner hallt, Da, da fühlen sich alle Herzen In des furchtbaren Schicksals Gewalt. Aber auch aus entwölkter Höhe Kann der zündende Donner schlagen, Darum in deinen fröhlichen Tagen Fürchte des Unglücks tückische Nähe! Nicht an die Güter hänge dein Herz, Die das Leben vergänglich zieren! Wer besitzt, der lerne verlieren, Wer im Glück ist, der lerne den Schmerz! Und der erste blieb allein, Einer unter den Erdenmenschen, Der das Glück ertragen konnte.

Nie hat in Worten unmittelbarer ein Mensch An das Herz des Menschen gegriffen: 6

Häckel, Jacoby

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Wer fühlet, Wie wühlet Der Schmerz mir im Gebein? Wohin ich immer gehe, Wie weh, wie weh, wie wehe Wird mir im Busen hier! Ich bin, ach! kaum alleine, Ich wein, ich wein, ich weine, Das Herz zerbricht in mir! *

*

*

Das Alte ist vergangen, Und es ist alles neu geworden. Die Schönheit, auf Unrecht aufgebaut, ist keine Schönheit! Es ist ein häßlicher Flecken an ihr, Der sie zu Grunde richtet. Darum ist die Schönheit Griechenlands untergegangen, Denn sie war gebaut auf Sklaverei. Die Schönheit, die wir aufrichten wollen, Soll gebaut sein auf Menschenliebe, Und darum wird sie leben bleiben. Viele sollen nicht treu sein einem, Aber einer soll treu sein vielen. Viele sollen nicht dankbar sein einem, Aber einer soll dankbar sein vielen. Jeder, der gequält ist, Soll auf seine gequälten Brüder sehen, Daß er ihnen helfe, So wird einer treu sein vielen. Jeder, der minder gequält ist, Soll auf seine Brüder sehen, die mehr gequält sind,. Daß er ihnen helfe, So wird einer dankbar sein vielen. Alles, was den Menschen niedrig macht, Ist in der Treue gegen einen; 24

Alles, was den Menschen hoch erhebt, Ist in der Treue gegen viele. Wer vielen treu ist, Der muß frei werden; Wer einem treu ist, der muß ein Sklave sein, Und er wird es bleiben. Es waren aber wenige Menschen auf Erden, die haben gesprochen: Nichts für mich, und alles für die andern. Wer diesen treu ist in seinem Herzen, Der muß vielen treu sein in seinem Leben. Ihr sollt nicht hinter euch blicken, Ihr sollt nicht rückwärts blicken; Denn was ihr euch erkämpfen müßt, Das ist noch niemals auf Erden gewesen. Und ihr sollt v o r w ä r t s dankbar sein. Jeder Erwachsene soll den Kindern dankbar sein. Der Lehrer soll den Schülern dankbar sein. Der Gegenwärtige soll den Kommenden dankbar sein. Durch den Dank nach rückwärts ist die Knechtschaft gekommen, Durch den Dank nach vorwärts Müssen die Sklaven freie Menschen werden Und muß alles Elend ein Ende haben. Ihr sollt nicht Märchen für Wahrheit halten. Denn wenn ihr das tuet, So mordet ihr euch selbst Und mordet eure Kinder. Stehe auf, du Sprache, und gehe dorthin, Wo der Jammer wohnet, Wo das Elend zu Tische sitzt Und der Hunger in den Eingeweiden wühlet. Wen du dort finden wirst, Mache seinen zerschlagenen Arm stark Und seinen stumpfen Blick helle. Laß nicht ab von ihm, Wenn er sich hinlegt vom Elend 6!

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Und wenn er aufsteht zum Elend. Trommle, zischle, raune ihm zu: Du Du Du Du Du Du

sollst dich nicht treten lassen. sollst dich nicht unterdrücken lassen. sollst dich nicht aussaugen lassen. sollst den Sklavensinn von dir tun. sollst die Knechtseligkeit von dir tun. sollst dich nicht bücken vor einem lebendigen Menschen, Denn er ist nicht mehr als du. Wirst du dies befolgen, So wird das Elend abfallen von dir, Wie ein Reif von der Erde schwindet, Wenn das Frühlicht kommt Und die Sonne am Himmel pranget. Denn weil du dich treten läßt, Darum heulest du. Weil du dich unterdrücken läßt, Darum bist du elend. Und weil du dich aussaugen läßt, Darum mußt du Hunger leiden. Wer aber seinen Nebenmenschen zwingt, Weniger zu wissen, als er selber weiß, Der unterdrückt seinen B r u d e r , Der t r i t t auf ihn, Und der saugt ihn aus. Und wer seinen Nebenmenschen zwingt. Mehr zu arbeiten, als er selber a r b e i t e t , Der unterdrückt seinen B r u d e r , Der t r i t t auf ihn, Und der saugt ihn aus. Und du Sprache, Nimm eine Leuchte in deine Hand, Und gehe dorthin, wo es finster ist. Wo es ganz finster ist. Und strecke die Leuchte über die dort schlummern 26

Und nichts wissen von sich, Bis ihre Wimpern zucken Und sie sich hin und wieder wälzen. Und rufe laut, daß es halle Von Hügel zu Hügel, Von Tal zu Tal: Wacht auf! Wacht auf! Ihr habt zweitausend Jahre geschlafen, Das ist lange genug. Wacht auf! Seht, Es will lichter Morgen werden! Und Und Und Und Und Und Und Und Und

es hören es die Hügel, es hören es die Täler, es hören es die Ufer des Meeres alle. die Wellen am Ufer hören es, beginnen es gegen einander zu schlagen. die Tiefen des Meeres hören es steigen mit Freuden empor. die letzten Wellen hören es schlagen es an die Felsen mit Jubel.

Da dröhnt das Land. Ein neues Licht durchzuckt alle Menschen. Aufjauchzen die Nationen der Erde. Denn der Fluch ist von ihnen genommen, Und den Blinden sind die Augen aufgetan, Und wollen als freie Menschen auf Erden wohnen, Und ein Blutbad unter ihnen wird nicht mehr sein.

Unterricht im Sozialismus

Fanny flüstert Aber in dem neuen Leben, Wann die schönre Sonne scheint, Wird es dann auch Küsse geben? Werden Tränen auch geweint? 27

Und die Mädchen und die Frauen, Welche Stelle haben sie? Wirksam frei will ich sie schauen, Sonst mag ich die Zukunft nie! — Sei beruhigt, süßes Leben, Wonn und Weh bleibt stets vereint. Küsse wird es immer geben, Tränen werden auch geweint. Und die Mädchen und die Frauen Schwingen sich empor und frei, Wirksam schaffen sie und bauen An dem neuen Weltgebäu! 2.

Fanny fragt Aber wenn die Sonne aufgeht In der neuen, schönern Welt, Wie sie ausschaut und ihr Lauf geht, Das erzähl mir, Liebster! Gelt? Leicht versteh ich, froh erwart ich Dort, wo nicht mehr reich und arm, Wie dann aufhört tausendartig Elend, Jammer, Not und Harm. Doch die Gleichheit schafft mir Grauen. Macht die Zukunft alles gleich, Wird ihr Farbenbild nicht schauen Trüb, einförmig, öd und bleich? Gibt es keine höchsten Kronen, Wird das Maß auf Erden klein, Und das Niedere wird thronen Das Gemeine Herrscher sein. — Fanny, deine Zukunftsfrage Spiegelt sich in Wald und Flur. 28

Von der Gleichheit Antwort sage Dir ein Bild aus der Natur. Bist du über weite Heide Je gewandert, süßes Kind, Wo mit ödem braunem Kleide Alle Pflanzen niedrig sind? Wo kein Rauschen und kein Flüstern Dich umfängt mit Liebesgruß, Nur, die starren Kräuter knistern Knirschend unter deinem Fuß? Und dir ist als mußt du weinen, Todesschwermut packt dich an; Denn des Niedern und Gemeinen Urbild hat dir's angetan. Solche Gleichheit schafft das Heute, Es erniedert alle Höhn, Unerbittlich wird zur Beute Ihm, was herrlich hoch und schön. Aber ward dir Kunde nimmer Von der Palmenwälder Pracht, Deren Frucht- und Blütenschimmer Selbst den Forscher staunen macht? Deren Blätterkronen schweben Über ihm im Ätherzelt, Deren Wipfelhäupter leben Wie in einer andern Welt? Von den Palmen, die als Brüder Stehen stolz und gleich und frei, Und ihr Rauschen tönet nieder Eine Wundermelodei? Solche Gleichheit muß ein Morgen Bringen mit der Sonne Pracht; Vorwärts kämpfend laßt uns sorgen, Daß zu Ende geh die Nacht! 29

Alle Menschen sind erhoben, Und sie werden alle gleich Nicht nach unten, nein nach oben In dem neuen Weltenreich. Gleich wie die lebend'ge Flamme Sprüht nach oben nur empor, Aufwärts strebend an dem Stamme Prangt der Menschheit Blütenflor. 3Fanny fragt

wieder

Von der Zukunft frei und hehr, Von dem lichten Gegensatz Zu der düstern Qualenwelt, Die uns heut in Banden hält, Was mir noch verborgen blieb, Trauter Schatz! Sag mir mehr! öffne mir des Wissens Tor! Horch auf, mein Lieb! In dein köstlich kleines Ohr Flüstr' ich meine Antwort dir : Heilig ist die Arbeit für und für! Der Mensch ist Arbeiter geworden, Wenige strenge Tagesstunden Ans Maschinenwerk gebunden. Dann in der Freiheit wonnigem Schein Bleiben sonnige Stunden sein. Der Arbeiter ist Mensch geworden! Aus der Arbeit Pflichtgebäude Kehrt er heim zur Lebensfreude, Zum Wissen vom Schönen, Zum Genießen des Schönen, Zum Schaffen des Schönen! In dem Garten am Meer 30

Rebe und Rose Ein Rebenstrauch In Blüte stand, An ihm sich eine Rose wand In Lieb erglüht empor Und klagte ihm mit duft'gem Hauch Ins Ohr: Wenn ich vor Sommers Abschiedsgruß So frühe schon verwelken muß, Du trittst hinaus erst in die Welt, Dann wirst du erst ihr Götterheld. Wann du geworden bist der Wein, Die Rose wird vergessen sein, Dir wird man Ehre schenken, An mich wird niemand denken. In dem Rebenlaub mit süßem Schall Eine Nachtigall Die Antwort sang, Sie zog die Töne, das klang: Glühe, Rose, glühe! Blühe, Rebe, blühe! Wenn du worden bist der Wein, Wird in dir die Rose sein, Wird ihr Duft dir geben Wonnigliches Leben. Aber du zu ihrem Ruhm Wirkest, daß die Wunderblum Ewig in dir blühe. Glühe, Rose, glühe!

Über Stürme hinweg und drohenden Graus Über Stürme hinweg und drohenden Graus, Über der Gegenwart Elend hinaus, In schaueratmender Einsamkeit 31

Sing ich das Schöne der kommenden Zeit, Die Welt verloren unter mir her Wie eine Lerche überm Meer!

Am Meer* Dort einsam hebt ein Pinienbaum Die Krone ragend in den Raum Mit stolzem leisem Brausen Und blickt hernieder trauernd schwer, Sein Spiegelbild erbebt im Meer, Wann Winde drüber sausen. Den Meereswogen nur vertraut Er seinen Schmerz und Klagelaut; Ihm senden tröstend wieder, Wie einstmals dem Prometheus klang Der Meerestöchter Trostgesang, Die Wellen ihre Lieder. An seinem Fuß ein Lorbeerstrauch Empor ihm sendet süßen Hauch Vom starren Felsenthrone; Dann all sein Leid vergißt der Baum, Gewiegt von einem holden Traum Bewegt er seine Krone.

Gegenwart 1887 Dort, wo das Meer in schönem Bogen Istriens Gestade einschließt, Wandelt ich am Ufer frühmorgens einsam. Über die blaue Adriabucht * Aus einer größeren Dichtung

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Märchenhaft klar Grüßten Alpengipfelhäupter Schneeblinkend herüber; Aber mein Gemüt war kummerschwer, Und bittrer Groll fraß mir am Herzen. Ich dachte der düsteren Gegenwart, Wie alles scheinbar rückwärts sich gewendet : Menschenelend ringsum, Von den Erwartungen der Zeit nichts erfüllt, Und statt geträumter Freiheit allerlei Nachtgespenster Und Spott und Hohn und Rückschrittsübermut der Gegner. Da schlug ein seltsam Geräusch an mein Ohr, Wie polternd kam es näher und näher. Und da ich aufblickte, Sah ich auf der Straße vor mir Dampfwandelnd ein Wagenungetüm. Sausend schwirrte droben das Schwungrad, Aber die großen Räder drunten Wälzten sich langsam, Langsam vorwärts unter Ächzen und Stöhnen Und zermalmten auf der Straße den Kies und die Steine Knirschend. Und hinter sich her an Ketten schleppte der Wagen Eine riesige Schiffsdampfmaschine. Und ich trat heran; Doch wie ich in die Räder starrte, Da durchzuckt es mich seltsamlich, Daß die Speichen beim Radumlauf Nach unten scheinbar rückwärts gingen, Immer rückwärts nach unten nieder, Und doch stampfte der Wagen vorwärts Und rollten die Räder vorwärts unaufhaltsam. Da ward ich getröstet wunderbar, Wie der Koloß an mir vorbeizog, Ein Bild der Zeit: 33

Der Wagen der Zeit rollt vorwärts unaufhaltsam Unter Ächzen und Stöhnen, Und ein Niedergang im Radumlauf Solch ein Moment ist die Gegenwart. Wie wenn Fliegen auf den Speichen sitzend Sich freuen, daß sie rückwärts niedergehen, So ist der Spott der Gegner heute. Goldig glänzte die Luft und das Meer Im aufsteigenden Sonnenstrahl, Und ich grüßte über die Adriabucht Die schneefunkelnden Alpenhäupter Freudigen Herzens.

Das Volkslied Wohin du immer wanderst Auf diesem Erdenrund, Es spricht zu dir im Liede Des Volkes Klagemund. Und ist dieselbe Weise Und gleiche Melodie, Die aller Orten laut wird, Und du vergißt sie nie. Ob du den Fellah hörest, Wenn er das Schöpfrad dreht, Und ob den nord'schen Bauer, Wenn hinterm Pflug er geht; Der Slawe und der Ire Und der Romane singt Sein schwermutvolles Liedlein, Das dir zu Herzen dringt. Es tönet wie ein Murmeln Von tausendjähr'gem Leid, 34

Wie die gepreßte Stimme, Die leis um Hilfe schreit. Und nach des Elends Ende Ein Sehnen tief und bang Wie eine Prophezeiung Hörst du aus diesem Sang.

Lasciate ogni speranza Als die jenseitlose Welt, Die Welt des heiteren Genießens In Trümmer sank, schuldbeladen, Wurmzerfressen von Sklaverei, Da brach für die Menschen an Ein träumendes, erdenberaubtes Dasein. Hoffnungssklaven des Himmels, quälten sie sich Freudenenterbt und heimatlos In irdischem Fluch, in irdischem Elend. Wie ein Lottospieler Harret auf des Glückes Los, Entzogen wird ihm durch Hoffen, Ausgesogen durch Hoffnung Macht und Stärke von Hand und Hirn — So klammerten sich an Hoffnung an Die Menschenkinder Und lebten den Tod und starben ihr Leben. Da ein Dichter der Zeit Auf die Hallen des Schreckens schrieb: Die ihr eintretet, gebet die Hoffnung auf! Graunvoll klang das Wort In die angsterbebenden, hoffenden Herzen. Kommen seh ich ein neu Geschlecht Lebensfreudiger Menschen, Wissend, daß sie müssen erzeugen, Wissend, was sie müssen vollenden. 35

Ausgeträumt ist der öde Traum, Umgestürzt der Molch des Hoffens; Da quillt aus eigner Kraft dem Menschen Ungeahnte Segensfülle Und ein Leben in Schönheit auf Erden. Kommen seh ich ein neu Geschlecht, Und, wie die Griechen einst, Auf Weisheithallen schreibt es die Worte auf: Kenne dich selbst! Das ist: Mach dich von Hoffnung frei! Freudig ertönt das Wort In den erwachten Herzen wieder. Hoffnungslos, vollbewußt Wirket der einst am Weltenlauf Der Mensch, der Verächter blinden Glücks, Ein Gebieter des Schicksals.

Wissen und Nichtwissen Unheilvoller Als das Darben der Erdenkinder Und alles Leid der Menschen ist Das Nichtwissen Vom eignen Elend. Seh ich Millionen Menschenwesen, In ein Marterjoch gepreßt, Stumpfen Blicks durchs Tagwerk wandeln,. Dann in bittrem Groll und Gram Muß mein Herz und Hirn erbeben. Toren haben es Glück genannt, Haben die Menschen selig gepriesen, Die unbewußt der Seelenqualen Sich des niedern Daseins freun, 36

Mit dem Vieh zugleich zufrieden leben. Lieber wissend bluten in Qual, Lieber bewußt in Qual vergehn! Fürchterlicher Als das Elend der Menschen ist Das Nichtwissen, Sei's auch vom Elend.

Der Dom zu Mailand

(Ballade) 1. Auf dem Dach des Doms von Mailand Tausend Marmorbilder stehn, Die von Türmen und aus Nischen Nieder in die Lande sehn. Engel, Heil'ge, Römer, R i t t e r Eine lichte Marmorwelt Auf dem Dach des Doms zu Mailand Sind als Hüter aufgestellt. Jährlich einmal, wenn der Vollmond Strahlt auf eines Pfeilers Knauf Und die Geisterstunde tönet, Wachen sie vom Schlummer auf. Steigen von den Türmen nieder, Wandeln auf dem Dach umher Und erzählen leis einander Aus Jahrhunderten die Mär Von den Tagen Galeazzos In der Zeiten wildem Strom Bis zu Bonapartes Krönung Drunten in dem Marmordom. 37

Wie sie Kämpfe sahn und Leiden, Bis die Stadt vom Joche frei, Und Italia, die schöne, Jugendlich erstand aufs neu. — Auf dem Dach des Doms zu Mailand Wird an Türmen noch gebaut; Manch ein neues Marmorbildnis Droben künftig niederschaut. 2. Ringsum lichte Nacht. — Ich hatte Auf dem Marmordach geträumt; Um den Mondaufgang zu schauen Heimlich hatt ich lang gesäumt. Nun die Flur zu meinen Füßen Freudig überblickt ich ganz, Einen Riesengarten schimmernd Märchenhaft im Vollmondglanz. Da schlug dröhnend zwölf die Turmuhr. Schauer drang durch mein Gebein, Als ich auf des Daches Runde Bilder wandeln sah von Stein. Die in Nischen und auf Türmen Standen stumm und marmorschwer, Nun in Wechselgruppen flüsternd Wallten auf dem Dach einher. Zu der Ballustrade nordwärts, Wo ich furchtumfangen stand, Trat ein Ritter und ein Genius Mit dem Palmzweig in der Hand. Stolz der Ritter schien zu deuten Auf das freie Land hinab, Und ich hörte, wie der Seraph Ernsten Tones Antwort gab. 38

Sprach dies Wort: „Noch nicht vorüber Sind dem Lande Kampf und Streit. Dann erst frei sind diese Fluren, Wann wir schauen einst die Zeit, Wo der Arbeitsmann, der Bauer Sich der Frucht der Arbeit freun, Nicht mehr Hunger, Fieber, Elend Ihre Todessaaten streun!" So der Genius. — Horch, die Uhr schlug Eins! — Die Geisterschar verschwand Und als stumme Hüter wieder Marmorbleich auf Türmen stand. Vor mir paradiesisch grüßend Dehnte sich die Ebne weit, Und darüber in dem Mondglanz Stieg es auf in Herrlichkeit: Über der Brianza Hügeln Silberfunken sah ich sprühn, Und den Monte Rosa leuchten Und die Alpenkette glühn.

Poesie und Wahrheit O Meer! Aus deiner Fluten geheimnisvollem Schoß Mit dichterischem Vorgefühl Ließ einst das wunderbare Volk der Griechen Geboren werden der Schönheit Urbild Und Gottgestalt. Heute nach Jahrtausenden Ward kund die Deutung dieser Poesie: 7

Häckel, Jacoby

Aus dem niedern Wust Und aus den Ungetümen allen, Die das Meer gebar, In fürchterlichem Kampf hat sich herausgerungen Der Mensch, Und er muß einst in sich vollenden Die Gottnatur der Schönheit.

Ein Perlenschmuck (Zu Spinozas

Gedächtnis)

V a n Ende Lehrer war zu Amsterdam, Der einen Schüler hatte, wundersam, Und eine Tochter hold und schön und gut ; Der Jüngling liebte sie mit sanfter Glut. Ihn liebte die Holde — bis ein andrer Mann Durch einen Perlenschmuck ihr Herz gewann. Der Schüler mild und tief, in seinem Leid Von Licht erfüllt, floh in die Einsamkeit Und hat ein Lehrgebäude aufgestellt, Durch das in Trümmer ging die alte Welt.

Der Teufel im Flachs (Volkssage) Der Teufel einmal bekam ein Gelüst, Von hübschen Mädchen zu werden geküßt, Und schlau nachgrübelnd beschloß er, stracks Sich zu verstecken unter dem Flachs. 40

Der Flachs wird angefeuchtet fein Von den Lippen der spinnenden Mägdelein; „Und also", sann er, „sicherlich Müssen die Mädchen küssen mich!" Gedacht, getan: Er ging aufs Feld Und hat sich unter den Flachs gestellt Und ließ sich ziehen, in Bündel fügen; Dann mußt er auf der Raffel liegen. Der eiserne Kamm ihm Qualen schafft, Doch er bestand sie heldenhaft. Damach man ihn ins Wasser trug Zum Rösten, und das war bös genug. Doch nun das Brechen und das Schwingen, Das mußte Höllenpein ihm bringen. Selbst für den Teufel wars kein Spaß; Doch er, geduldig, ertrug auch das. Er dacht an die Belohnung süß, Die ihm der Mädchen Mund verhieß, Und tät die Zähne zusammenbeißen Und ließ sich schier in Stücke reißen Und auf der Racke durch den Rechen Den Körper Glied um Glied zerbrechen. Jetzt, da die Qual ein Ende nahm, Zuletzt er in die Hechel kam. Doch hier ließ ihn sein Stolz im Stich, Das Hecheln dünkt' ihm fürchterlich. Er dachte nicht mehr an das Küssen, Noch was er vorher erdulden müssen,

Dagegen dies nur Kinderspiel, Das Hecheln war ihm doch zuviel. Und lief davon und nahm Reißaus, Das Hecheln hielt er nimmer aus. — So singt uns ein Histörchen lieb, Das im Munde des Volks lebendig blieb. Als ich es las, ich war erschreckt, Wie ein Stück vom Teufel im Deutschen steckt. Er trägt geduldig die schlimmsten Plagen, Das Hecheln kann er nicht vertragen.

Die schwarze Margret (Hetzgier) Kennst du die Trümmer der weißen Burg? Wind und Wetter heulen hindurch. Stand einst so hoch mit ragender Zinn, Als Mestwins Tochter hauste darin, Die schwarze Margret. Nie zog eines Mannes unbändige Kraft Zur Jagd in so rasender Leidenschaft, Mit so grimmiger Gier und wildem Sinn Wie die Pommerellische Herzogin Die schwarze Margret. Hörst du die Hörner, das Hundgebell? Es hetzet den Hirsch manch hurt'ger Gesell Vom jagdgerüsteten wendischen Troß; Doch es fliegt voran auf schäumendem Roß Die schwarze Margret. Und preßt in die Weichen den treibenden Sporn Und durch Wiesen geht's und des Bauers Korn, 42

Über Gräben hinweg, in die Büsche hinein; Es holten die andern sie nimmer ein Die schwarze Margret. Lang hängt die Zunge und blutig rot Dem Hirsch in verzweifelter Todesnot. Ihm zittern die Knie, wie er vorwärts schoß, Und näher und näher schäumt das Roß Der schwarzen Margret. Fernab von der Burg im Waldesgrund Am Bach sie hat ihn erreicht jetzund. Laut stöhnt das Tier durch den düsteren Tann, Und als fleht es sie um Erbarmen an, Die schwarze Margret. So zuckte vor Weh das große Aug Des gehetzten Hirsches, mit keuchendem Hauch Brach er zusammen und sank in die Knie; Noch ergötzte so grausiger Anblick nie Die schwarze Margret. Von fernher tönet der Hörner Klang. — Der Hirsch er röchelte wild und bang, Wie er höret der gierigen Meute Nahn. Noch soll er den Gnadenstoß nicht empfahn Der schwarzen Margret. Da — vom Boden noch einmal im Todeskrampf Schnellt er empor zum Rachekampf, Und es kehrt sich der Hetzjagd grausiges Spiel: Hoch schlug das Roß, und die Reiterin fiel, Die schwarze Margret. — Wohl heulten die Hunde im düsteren Wald, Wohl bebte der Grund von des Falles Gewalt. Es rauschten die Tannen drüber hin, Tod lag das Wild und die Jägerin, Die schwarze Margret.

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Kinderreime Der

Krieg

Ich denk, wir spielen Krieg! Sprach die Flieg. So? Sprach der Floh. Mir ist es recht! Sprach der Hecht. Weil ich davon was hab! Sprach der Rab. Aber wo sind die Krieger? Sprach der Tiger. Horch! Sprach der Storch. Sie kommen mit der Trommel! Sprach die Dommel. Das fängt gut an! Sprach der Truthahn. Fein sieht's aus! Sprach die Maus. Der Friede ist mir lieber! Sprach der Biber. Nein! Sprach das Schwein. Der Krieg ist gesund! Sprach der Hund. Fürs Militär! Sprach der Bär.

An Thea Henckell in Lenzburg Zu Neujahr saß ich einsam sinnend, In Nacht und Weh versunken schier, Da kam ein Glückwunsch herzgewinnend Über die Alpen geflogen mir. 44

Ein Landschaftsbild: Der Mond erglänzet Auf einem Teich, und Schilf und Rohr In Wehmut still das Ufer kränzet; Wildvögel steigen draus empor Und fliegen auf zu einem Bilde, Das zart sich abhebt in der Höh, Zu einem seligen Gefilde, Wo goldig glänzt ein heitrer See. Am Ufer Blumen, Busch und Bäume, Rosig umhaucht der Himmel loht; Der Vögel Schar wie Märchenträume Verschwimmen in dem Morgenrot. — So hast du mir den Trost gesendet, Und Herzensdank mein Mund dir spricht; Dein Bild sagt mir: Das Leben wendet Sich heute dir: Aus Nacht"zum Licht!

Robert Koch 1890/91 Laß Kleinheit oder Bosheit höhnen! Dir muß des Armen Loblied tönen, Denn für Millionen rufest du Ein halt! dem bittren Tode zu. Des Menschen Heil zieht neue Bahn. — So ward ein erster Schritt getan, Die Flur des Jammers und der Qual Zu wandeln in ein Jubeltal. Der Globus glänzt im neuen Lichte; Verzagter Sinn sich kühn erhob. Das Mikroskop macht heut Geschichte! Doch einst wird mit dem Teleskop, Wann neue Wunder auferwachen, Die Menschheit ihre Geschichte machen. 45

Indische Sprüche im deutschen Gewände Politik Die hochgestellten Herren im Reich Sind einem felsigen Berge gleich: Hart und steif in ihrem Leben, Von Raubtieren umgeben, Schwer zugänglich, dem Wanderer, der ehrlich, Gefährlich. Noch steht die Welt im Sold Der Geldesgier bis heute, Der Prüfstein prüft das Gold, Das Geld probiert die Leute. Des Handwerkers Hand ist immer rein, Und sollte sie rußig und schweißig sein. Bourgeoisie Was nützt ein Riegel vor morschen Toren Und ein Spiegel dem, der die Augen verloren. Nur ein anderes Wort für Tod Ist die Armut, ist die Not. Hörst du der Eulen wüst Geschrei, Dann wisse, Mittemacht ist vorbei, Sie krächzen und heulen aufgejagt Vor Angst, daß bald der Morgen tagt. Weltweisheit Nicht beugt der Weise sein Haupt der Gewalt, Nicht der drohende Tod raubt ihm seinen Halt; Das Feuer erlischt, doch nie wird es kalt 46

Ein Unwissender wird leicht überzeugt, Noch leichter ein Weiser der Wahrheit sich beugt, Einen Halbwisser Mit seinen verschrobenen Sinnen Kann selbst Brahma nicht gewinnen. Der Berg hat Höhe, das Meer hat Tiefe, Der Mensch allein hat Höhe und Tiefe. Der Vernunft des Menschen ist nichts vergleichbar, Nichts ist ihr unmöglich, nichts unerreichbar. Ein Berater vor sechs Ohren Wird verraten, Ein Betaten vor vier Ohren Kommt zu Taten; Ein Beraten vor zwei Ohren Kann selbst Brahma nie erraten. Sein Geschick der Mann sich selber schuf. O Schicksal! ist des Feigen Ruf. Willst du nicht werden der Sorgen Beute, Was du morgen tun kannst, tue schon heute. Willst du mit Glück für die Zukunft sorgen, Was du Nachmittag tun kannst, tue am Morgen. Des Menschen Leib ist ein Wagen Mit fünf Rossen bespannt, Das sind die fünf Sinne, Und der Wagenlenker Ist seine Vernunft, Ist sein Gehirn. Gibt der Lenker wohl acht, Hält fest die Zügel, 47

So fährt er dahin Über alle Hemmnisse Heil durchs Leben Und gewinnt den Kampf, Bleibt Sieger im Spiel Und erreicht das Ziel Der Freiheit!

Alles Häßliche, das uns entgegenstarrt Auf Erden, ist von solcher Art, Daß wir gezwungen sind, Mit Bewußtsein zu handeln, Um es in Schönheit zu verwandeln.

Antike und moderne Welt (Von Aristoletes zu Reuleaux) Hört, was mit göttlichem Humor Der weise Grieche* führet vor: „Ja, wenn in einer Welt wir lebten, Wo die Webeschiffchen von selber webten, Das Werkzeug wie mit einer Seele Begabt, ausführte die Befehle Des Herrn mit allem Schick und Fug, Der ihm die Arbeit übertrug, Dann wär der Knechtschaft Qual vorbei Und alle Sklaven würden frei!" Hört, wie der kluge Mann von heute In seinem Buch** belehrt die Leute: „Das Werkzeug, das ihr Menschen habt, Ist heute fast vernunftbegabt; * Aristoteles. Politik. Buch I. Kapitel 2. ** F. Reuleaux. Kinematik. Die Maschine in der Arbeiterfrage. Minden in Westf. 1885.

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Es führt belebt wie mit Verstand Gedanken aus mit eigner Hand. Jedoch der Mensch, der damit schafft, Verliert des Menschen Eigenschaft, Wird umgewandelt und zerstückt Zum Werkzeug selbst herabgedrückt. So blüht — o graus'ge Ironie! Für ihn die Welt der Industrie, Daß er als Knecht, als Sklave diene Dem Werkzeug heute, der Maschine!" Hier schaut ihr kläglich hingestellt Antike und moderne Welt. Und die Moral? Nun wählet sie: Humor — und graus'ge Ironie! Seht, wie so menschenfreundlich groß In unsres Arbeitsmannes Los Sich heute nach zweitausend Jahren Des Fortschritts Wunder offenbaren.

Die neue Zeit (Zur Feier des ersten Mai) Ich nun geh in den T o d ; Doch auf Erden kommt eine neue Zeit U n d die Wende der N o t Mit Notwendigkeit! (Qunita l . Gesang)

Es zuckt wie roter Nordlichtschein In die tiefe Nacht der Massen, In die unterste Schicht der Menschenwelt, Die da lag vergessen, verlassen, Hinein der rotglühende Streifen fällt; Nun regt es sich jach aus allen Tiefen, Schläfer werden wach, die Jahrtausende schliefen. Wohin heute der Weckruf schallt, Millionenfach ein Echo hallt 49

Dumpf murmelnd Antwort — Ein nächtiger Klang, verworren vag, Doch schwellend lauter fort und fort Und hörbar immer mächtiger Von Tag zu Tag. Aus dem dunklen Menschenmeer Von unten her Aufsteigen flackernde Lichter, Und in dem gährenden Brausen Vor unsern Augen sehn wir heut In einer winz'gen Spanne Zeit Jahrhunderte vorübersausen, Wie wenn ein Weltendichter Uns alles dies erzählt als Traum, Wir aber lauschen, Entrückt aus Zeit und Raum, Begeistert dem Flügelrauschen Der Poesie. — Das ist der neue Weltenlauf, Das ist die neue Zeit auf Erden, Die Poesie der Wirklichkeit, Die nun will zur Wahrheit werden. So wacht der Menschheit Bewußtsein auf! Die Vorgeschichte geht zu Ende, Es rückt heran die Weltenwende. Ein neuer Morgen will nun werden Der Menschheit Frührot glüht auf Erden!

Karl Marx' Totenfeier im Cooper-Institut

zu New York ig. März 1883

Im Arbeitskittel viele Tausend Sie sitzen, stehn zumal, Und ihr Gemurmel füllet brausend den Riesensaal.

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In all den Sprachen, in den Zungen Der Weltnationen dort Dem toten Kämpfer ist erklungen Ein Abschiedswort. Der B r i t t e sprach: „Geliebt in Hütten, Gefürchtet im Palast, Hat er gelebt, gewirkt, gestritten, Ohn Hast und Rast. Sein Name wo Maschinen schwirren, Bei uns in Stadt und Land Die Fenster der Fabrik erklirren, Wird heut genannt!" Der Russe: „Wo Despoten thronen Bei uns durch Graus und Nacht An ihrer Kette zerrn Millionen, Wird sein gedacht!" Der F r a n k e : „Wie ein Weltbefreier Von Völkerhaß und Krieg Focht er, und diese Totenfeier Bürgt uns den Sieg!" Der D e u t s c h e * sprach: „In Liebe wollen Wir vor den andern heut Dem Denker wie dem Kämpfer zollen Ein Grabgeläut. Denn wie einst neu die Himmelskunde Kopernikus erschuf, Dem Wissen scholl aus seinem Munde Ein Werderuf. Dem Wissen von des Volkes Leiden Und von der Arbeit Qual. Der Götze schon liegt im Verscheiden Das Kapital! • A d o l f D o u a i f 1888.

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Er hat für unsern Kampf auf Erden Ein scharfes Schwert verliehn, Daß eine neue Zeit soll werden; Drum ehret ihn! Noch gab uns ein Geschenk kein Spender Dem Donnerworte gleich Ihr P r o l e t a r i e r aller L ä n d e r , V e r e i n i g t euch!"

Das letzte Jahrfünf des Jahrhunderts Zu Boden lag die Sklavenarbeit, In Staub gesunken die alte Welt, Gestürzt durch einen Hauch von Menschenliebe, Der mit der frohen Botschaft vom Osten kam. Aber den Hauch erstickte Betrug Und Herrschsucht und Eigengier; Und über die Menschheit brach herein Mit Leibeigenarbeit, mit Frohnarbeit Des Mittelalters grausige Nacht. Tausend J a h r e währte die Nacht. Da kam eine Kunde vom Westen her. Eine neue Welt war aufgefunden. Der Erdball drehte sich zum ersten Mal Im Bewußtsein der Menschen um die Sonne. Wie wachten da die Geister auf! Die Leibeigenen rüttelten ihre Ketten, Die Bauern standen auf im Verzweiflungskampf. — Kunst und Wissen erblüheten neu. Aber niedersank eine neue Nacht, Mit Willkürherrschaft, mit Menschengemetzel. Und doch mit dreifach beschleunigtem Schritt Ging eine neue Zeit vorüber. D r e i h u n d e r t J a h r e währte die Nacht. 52

Da erhob sich zur Freiheit die neue Welt. Und im Westen der alten Welt Stand ein gequältes Volk zum Sturme auf, Und ihre Stadt voll Freiheitsliebe Erschlug die Willkür, rief aus die Losung: Der Menschen Rechte! Freiheit! Gleichheit! Brüderlichkeit! Ein frischer Hauch wehte über die Völker, Belebte die Länder. Aber der Hauch erstickte wieder. Mammon trat auf. Seine gierige Herrschaft begann, Und mit der Maschine die Lohnarbeit. Und Moloch leistete dem Mammon Hilfe. — Und abermals nahm eine neue Zeit Mit dreifach beschleunigtem Schritt ihren Lauf. E i n h u n d e r t J a h r e wallten vorüber. Da ward in der neuen Welt Zu Boden geworfen die Sklavenarbeit Der farbigen Menschen im blutigen Kampf. Und siehe! Im Westen der alten Welt, In derselben Stadt voll Freiheitsliebe Erhob sich die unterste Schicht der Menschheit Und kämpfte den Verzweiflungskampf Gegen Mammon und Moloch. S e i t d e m rollt eine neue Zeit. Mit dreifach beschleunigtem Schritt Jetzt fliegt die Zeit. Und zwei Teile des neuen Dritteiis Sind heute vorüber, sind heute vorbei. Heut — hört ihr's nicht brausen? Die Arbeitswelt steht auf! Millionen Menschen beginnen zu rufen: „Von dreifacher Gestalt der Knechtschaft Erlöst, so wird die Menschheit frei!" „Vorbei die Sklaverei!" 53

„Die Fronarbeit vorbei!" „Die Lohnarbeit vorbei!" Ein gewaltiger Hauch erfaßt die Erde Und weckt der Menschheit Bewußtsein auf. In der alten Welt, in der neuen Welt Hörst Du im Hauche den Schritt der Zeit, Ein klirrendes Vorwärts! Wir schreiten mit Jauchzen vorwärts! Und schwillt der Hauch zum Sturm, Wir segeln mit dem Sturm.

Das Schaffen des Schönen Wie wenn ein Bildhauerkünstler An der unförmlichen Masse des Steins, An dem rohen, gewaltigen Steinblock schafft, Herausbildet, herausarbeitet den Stein, Nach einem Ziel der Schönheit, Getrieben durch inneren Zwang; Weil das Vorauswissen in ihm wirkt, In seinem Gehirn der Gedanke lebt Von dem vollendeten Körper, an dem er schafft, Denn er weiß von dem vollendeten Körper Und ruft ihn hervor aus dem Stein; Aber er weiß, wie sein eigenes Tun Erzeugend vollbringt die Schöpfung, Das erfüllt ihn mit innerstem Jubel, Mit der Freude am Schaffen des Schönen: So wer heut an der Menschheitsmasse, An dem rohen, gewaltigen Menschheitblock Wirkt und bildet und arbeitend schafft. Nach jenem erhabenen Ziel der Schönheit Getrieben durch inneren Zwang, Weil das Vorauswissen in ihm wirkt, In seinem Gehirn der Gedanke lebt 54

Von dem vollendeten Menschheitkörper, Der neuen Menschheitsbildung auf Erden ; Denn er weiß von dem vollendeten Körper, Und durch sein Wirken für sein Teil Er ruft aus der unförmlichen Masse Den neuen Menschheitskörper hervor. Doch daß er weiß, wie sein eigenes Tun Erzeugend wirkt an der großen Schöpfung, Das erfüllet sein Herz, sein Hirn Mit innerstem Jubel, unendlicher Lust, Der höchsten Lebensfreude auf Erden, Mit der Freude am Schaffen des Schönen!

Bekenntnis Dies ist das Große, Was die neue Lehre verkündet: Daß sie den Menschen hinstellt Als Arbeiter auf Erden, So auch den Arbeiter hinstellt Als Menschen auf Erden, Was er bis heute noch nie gewesen war; Daß sie den Menschen hinstellt In den Weltraum und auf Erden Die Arbeit hinter ihm, Die Gleichheit unter ihm, Die Liebe zu seiner Linken, Die Gerechtigkeit zu seiner Rechten, Die Wahrheit vor ihm Und die Freiheit über ihm, Aber die Schönheit in ihm!

8

Häckel, Jacoby

Weltalls-Lieder i. Idee der

Entwickelung

Kannst du zurückdenken die Zeit, Als der Mensch sich losriß vom Tier auf Erden ? Weißt du den Geburtstag des Erdenmenschen? Als er fühlte mit dumpfem Schauer Das Anklopfen des göttlichen Gastes, Das Pochen an sein Gehirn, Als in ihm zum ersten Mal Der Funke des Bewußtseins wach ward? Wie hob sich des Menschentieres Haupt Im scheuen Besitz, sich selbst zu wissen, Zu wissen von eigner Schöpfungskraft! Wie blickt er auf zum ersten Mal Mit leuchtenden Augen umfassend In stiller Nacht den blauen Äther über ihm, Die wandelnden Lichter des Weltenraumes! Jahrhunderttausendmal umflog Der Erdball seine Sonne. Und in den hunderttausend Jahren Auf dem Erdball im blutigen Kampf Gegeneinander kämpfte das Menschentier. Siehe nun. Ein neuer Geburtstag bereitet sich vor: Mit dumpfem Schauer fühlt die Menschheit Das Anklopfen des göttlichen Gastes, Das Pochen an das Gehirn Ungezählter Menschenmassen, Ein Aufwachen, Ein Aufflammen des Menschheitbewußtseins. Ein höheres Wesen will erstehn! Ein lebend'ger, gewaltiger Gliedbau, 56

Ein Einheitskörper, die Erd umspannend Mit planvoll vorgedachter Arbeit! Kühn, in selbstbewußter Schöpfungskraft Schaut er vom sicheren Grund empor, Die Erde sein Sitz, Das Weltall über ihm sein Reich, Sein unendliches Erbe! 2.

Umkehrung „Eine Stelle gib mir im Weltall zum Stehen, Und ich will die Erde bewegen!" Das Wort des Archimedes ist umgekehrt wahr; Der Spruch muß aufrecht heißen: Gib mir die Erde zum Stehen, Und ich will das Weltall bewegen! Und das Gebilde, das nun will aufblühn, Der neue Menschheitkörper Mit aufflammendem Bewußtsein Muß sich die Erde nehmen zum Stehen Und für sein Teil das Weltall bewegen. 3Die Erde ist zu klein für den

Sozialismus

Willst du das Fühlen des Volkes belauschen? Die wunderbare Eigenschaft, Die es gemeinsam hat mit dem Weibe? Die Gabe, vorauszuempfinden, Zu wittern, was sein wird? Schau, wie heute der Arbeiter lauscht, Wenn du ihm erzählst von Himmelskunde. In der Stadt mit dem zackigen Marmordom, Da lebt ein Himmelsforscher, 8'

Der weiß von den Sternen mehr, Hat mehr auf anderen Welten gesehn Als alle Erdenmenschen. Eines Abends sprach ich von ihm. Es war ein wundervoller Märztag Nach hartem, grausamem Winter War die Sonne gekommen hold und schön. Tiefblau strahlte der Abendhimmel, Und weit herübergrüßend, Schon rötlich erglühend färbten sich Die höchsten Spitzen des weißen Domes, Und ein Hauch des Frühlings wehte sanft Erquickend in dem Vorgarten der Stadt. Mit einem Schüler war ich hinausgegangen. Bauarbeiter saßen dort Und verzehrten im Freien ihr kärgliches Mahl. Doch als ich von dem Himmelsforscher, Von den Wundern, die er geschaut, Erzählte, sie sammelten sich um uns, Und siehe, sie kannten seinen Namen. Nun droben golden blitzten auf Aus dunklem Blau die ersten Sterne. Und ich sprach von den Wesen, die Mars bewohnen, Und ich sprach von den Weltensonnen Und ihren Wandelsternen. Wie heute die untersten Wilden auf uns, So schauen wir auf die Sternenwesen, Auf die Kinder anderer Sonnen, Auf die Brüdergeister des Weltenraumes. Aber die Erde wird sie verstehn: Wir werden wissen! Und heute — wie wenn unsre Sonne Wandelt mit ihren Kindern allen Einer lichteren Weltallswohnung zu, Und wir beginnen allmählich heut 58

Vorzufühlen die Weltallstrahlen, Ein neues Licht des neuen Hauses — So wundersam heute fühlt die Erde Das Sehnen nach solchem Wissen. Lange bevor die Menschheitbildung In Besitz genommen hat Nur die Hälfte dieser Erde, Wird das Gefühl des Sehnens drängen Mächtig über die Erde hinaus, Wird es die neue Menschheit drängen, Sich mitzuteilen, Zu sprechen mit dem Strahl des Bewußtseins Zu den Verwandten im Sonnenkreise, Zu den entfernteren Sternenwesen, Zu den Brüdern allen im Weltenraume! So sprach ich erregt, Mir selber unbewußt bebte die Stimme. Aber die Arbeiter um uns her Lautlos standen sie und lauschten. Als wir uns erhoben zum Heimgang Siehe da strahlte mit herrlichstem Glanz Sirius über uns Und das schönste Sternbild am Himmel, Orion! Und an seinem Gürtel und Schwertknauf Schimmerte deutlich der Nebel Orions, Jenes gewaltige Schöpfungsbild, Ein werdender Himmel mit neuen Welten, Und in mir aufjauchzend Eine Stimme rief wieder und wieder: Wir werden wissen! 4-

Farbenhymnus Im Sternbild des Schwans, im Weltallshimmel Zwei Sonnen wandeln umeinander Mit farbigen Flammen leuchtend Goldrot und saphirblau. 59

Um das funkelnde Sonnenpaar Kreisen Welten, Und über die Bewohner der Welten Im Farbenjubel Grüngoldige Tage ziehen dahin Und rosig silberblaue Nächte. Nacht und Tag wogt um sie her Ein lichtwandelndes Meer von Strahlen, Und ihre Augen trinken Farben wohllaut. Mit flammendem Leuchten Opal und Smaragd und Rubin Glühend tönen zusammen Vom Himmel nieder Und singen im Farbenhymnus Den Geistern, die dort wohnen, Lichtmusik der Sphären.

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Freiheit Freiheit! Freiheit! Du Wunderport, du Wunderwort! Du Inbegriff der herrlichsten der Lieder, Wie klingst du in des Menschen Seele wider! Ein Wunderwort, ein Wunderhort, Der alles Schönste in sich birgt, Der alles Schönste aus sich wirkt! Freiheit! Sie wird nicht ohne Mühe dein, Will wie ein schönes Weib errungen sein. Nur kämpfend dringst du vor Zu ihrem köstlichen Genuß, Nur wenn du sagst: Ich weiß, ich muß Und kann nicht anders! 60

Du bist nicht frei, wenn du das Schlechte willst, Du bist nicht irei, wenn du erwählst, Was dir bequeme Freuden, schafft, Ein Sklave bist du deiner Leidenschaft. Doch führt der Weg zur Schönheit auch durch Not, Droht er im Kampfe selbst den Tod, — Doch du erkennst und weißt, du mußt, Und vorwärts gehst du mit jauchzender Lust, Bleibst deinem Ziel vollendet treu, Daun bist du frei! Die Schönheit ist des Werdens Ende! Die Schönheit ist des Werdens Ziel! Vollendetes Gezwungensein, Den Weg zu wandeln vollbewußt Nach diesem Ziel ist Freiheit! Freiheit!

Vision Im Dämmergrauen der Nacht stieg ich empor, Mühsam aufwärts klimmend Die zackigen Felsenhöhn, Die das Ufer des Meeres krönen. An dem nachtblauen Firmament Des Mondes schmale Sichel erblaßte allmählich, Und abschiedfunkelnd Geisterhaft leuchteten die Gestirne. Von drunten aber tönte rauschend Der Meereswogen Nachtgesang. Auf einem Felsvorsprung saß ich nieder In der schauervollen Runde Und horchte dem Wellenlied, Bis am Horizont im Osten ein Vorschimmer aufging Und ein schmaler Streif sich spiegelte im Meer. 61

Da kam ein Windstoß von Süden her; Er trieb Nebelschleier heraus aus den Schluchten Und Felsabgründen, Die wogten hin und her bis zu den Gipfelhöhn. Aber wie sie sich zusammenballten, Und gegen und über einanderzogen, Da wuchs mit einem Mal der Windhauch zum Sturm Und seine Stimme zum Brausen. Und mein Ohr war wundersam aufgetan Den Tönen und Klängen über mir, Unter mir In der tobenden Sprache von Wind und Meer. Ich horchte angstvoll, da scholl es herauf Wie Weheruf aus den Tiefen, Wie weinender Laut und Ächzen und Stöhnen, Daraus ein dumpfes Grollen brach hervor Weithin widerhallend am Ufer. Da wirbelten dichter empor die Nebel, Und das Gewölk ward zum Kampfgewirr, Schreckhaft groß, übergewaltig! In tosendem Aufruhr heulte der Sturm; Steine bröckelten los von dem Felsen Und stürzten ins Meer Laut knatternd — Wie Schwertergeklirr, wie Rossegestampf Mir war, als hört ich Der Zertretenen Aufkreisch Und widerschallen ein Riesenschlachtfeld In dem Brüllen und Pfeifen des Frühsturms. So furchtbar stieg des Sturmkampfs Dröhnen, Daß die Erde bebte Wie mit geheimem mitfühlendem Grausen, Und es bebte mein Herz voll innerstem Anteil. Siehe, da brach durch die wildringenden Massen Ein Morgenstrahl 62

Von wunderbar lösender Gewalt. Und alsbald der Sturm heulte nicht mehr, Und der gellende Tumult ward milder und klingend, Wie die Wolken sich zerteilten; Sie schmolzen und schwanden dahin, Wie ein Reif schmilzt vor dem Hauch des Mundes, Und durch die Nebelhüllen der Blick ward frei. Da lag vor mir in Glut getaucht Der Himmelshorizont. Sprühflammen durchzuckten des Ozeans Ostrand, Und in dem letzten Grollen und Austönen des Sturmes Erschien aus den Wassern die Himmelsleuchte, Ein Sonnenaufgang, Wie bisher meine Augen ihn nie gesehn. Unter mir Noch schlugen die Wellen an die Felsen Laut schluchzend, Noch zitternd erregt von dem furchtbaren Kampfsturm, Aber sie zogen freudig dahin Ihre stolzen Meereslinien, Und Siegesfanfaren rauschte ihr Morgengesang. Verklärt schimmerten die fernen Gestade Wie Inseln der Sehgen in goldenem Licht, Und die Sonne stieg empor Freudig funkelnd, Als ginge sie über eine neue Welt Zum ersten Male auf Schönheitstrahlend, Segenspendend Für alle Menschen gleich auf Erden.

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Mammons Ende

„ H a l t e dein Ohr zu der Erde Grund Und horch dem Sausen, das wird Dir kund Vor dem kommenden, Sturm, einem neuen „ E s werde!" Schon in den Tiefen bebt die E r d e " . (Junita. I X . Gesang.

Der Menschheitsgeschichte Werden und Walten War bis heute auf Erden ein Kampf Gegen das Unrecht in drei Gestalten, Gegen das Unrecht der Sklavenarbeit, Gegen das Unrecht der Frohnarbeit, Gegen das Unrecht der Lohnarbeit: Mammon herrscht heut, sein Minister heißt Dampf. Jede dieser Gestalten gebot Dem Menschen Mühsal und Beschwerde, Ein Jammertal auf dieser Erde, Unendliche Qual und leibliche Not. Alles Elend der irdischen Hölle Floß aus des herrschenden Unrechts Quelle. Diese drei Gestaltungen waren Entwicklungsstufen im Gange der Zeit; Sie schufen mit Notwendigkeit Die Zukunft, die nun sich will offenbaren. Schon fühlst du den neuen Tag erblühn. Schon siehst du sein Morgenrot erglühn, Tausend Zeichen deuten auf ihn, Die Nebel weichen, die Schatten fliehn; Ein feuriger Schimmer blitzend erhellt Mit Lichtes Gewalt die neue Welt: Die letzte Gestalt des Unrechts fällt. Der Herrscher Mammon, voll Grimm und Hohn, Der grausige Götze erzittert schon, Bald stürzt er zerschmettert von seinem Thron. 64

Seinem tosenden, donnernden Falle Die Arbeiter jauchzen entgegen alle, Ein Götterschauspiel der Welten wende: Sein letzter Akt heißt Mammons Ende!

Die Maschine heut und in der Zukunft (Zum l. Mai) Der Ring der rollenden Weltenuhr Weist uns die Verkehrtheit der herrschenden Zeit Sehet, wie heut Die Wahrheit stehet auf dem Kopf, Schauet, wie wider die Natur Der Mensch ist ein lebendiges Ding In einer toten Hand, Daß er mit Leib und Seel ihr diene, Der Mensch ist Sklave der Maschine! Wie durch Zaubers Bann Ein totes Ding Für und für Wendet den lebenden Menschen an Mit des Dämons Macht Durch Tag, durch Nacht, Durch Schrecken und Graus In Fabrik und Haus, Mann, Weib und Kind! — Seht, wie die Gier Not ausbrütet! Sehet wie blind Mammon wütet! Vorwärts rollt die Weltenuhr, Vorwärts heut mit beschleunigtem Lauf. Durch den eisernen Stachel der Not Aufgewühlt, Wacht der Menschheit Bewußtsein auf, Seht, die Verkehrtheit kehret sich um.

Der Mensch, der mit Bewußtsein fühlt, Kann von Natur nicht Sklave sein. Und in der Zukunft Morgenrot, In dem neuen Gesellschaftsbau Die neu gegliederte Arbeiterwelt, Der natürliche Herr der Maschinen, Bekommt die Maschine in seine Hand Zum Segen, zum Sieg, zur Befreiung, Zur Erlösung der darbenden Menschheit. Aufhöret die Gier, Und die Not mit ihr, Aufhört der Fluch, den Mammon schafft,. Und des Dämons gewaltige Kraft, Die Maschine, sie wird zur Spenderin Von Heil und Glück, zur Wenderin Von Pein und Weh, Sie wird zur schönheitstrahlenden Fee, Ihr Wesen ist Schenken. Aus des Elendes Nacht blitzt Sonnenschein. Was nie war, nun will es werden: Zeit haben, zu denken, Zeit haben, ein Mensch zu sein, Das ist die Botschaft, die sie singt, Das ist die Gabe, die sie bringt Für alle Menschen gleich auf Erden!

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AUTOBIOGRAPHISCHES

Autobiographische Skizze

Ich bin zu L a u e n b u r g in Pommern geboren als Sohn des Kantors und Religionslehrers J a c o b y , der an der dortigen jüdischen Gemeinde dreiunddreißig Jahre in seinem schweren Amte war. Ich besuchte die Volksschule meines Heimatstädtchens von unten auf. Als Knabe kam ich auf das Gymnasium in Danzig, und seit dieser Zeit hatte ich für mich selbst zu sorgen. Ich machte im harten Kampfe ums Dasein das Danziger Gymnasium durch und ging sodann auf die Universität Berlin, um Literatur und Naturwissenschaften zu studieren. In dem leidenschaftlichen aber ungeregelten Trieb, alles geistig zu bewältigen, was mir unter die Hände kam, erlernte ich in Danzig die Kunst der Stolzischen Stenographie, der ich mein Leben lang zu Dank verpflichtet bin. Sie schloß mir zuerst Geheimnisse der deutschen Sprache auf, lehrte mich später in den Stenogrammen der beklatschten Redner das Wesen der Phrase erkennen, gab mir in den Jahren der Not durch harte, mechanische Arbeit ein ehrlich erworbenes Brot und bewahrte mich vor Untergang. Ich trat in meinem ersten Studiensemester als Sekretät in das stenographische Büro des Abgeordnetenhauses ein, ward bald darauf Stenograph und Berichterstatter für das neu gebildete Parlamentsbüro der Kölnischen Zeitung, im folgenden Jahre für die große Oldenbergische Kammerkorrespondenz. Ich blieb in dieser Tätigkeit — mit Unterbrechung durch mein zweites Studium in Marburg und durch meine Dienstzeit im Kriege — während voller zwölf Jahre und machte so die Begründung des Nord69

deutschen Bundes und des Deutschen Reiches an der Quelle mit. Im gleichzeitigen Verfolg meines Studiums promovierte ich mit einer Arbeit aus der vergleichenden Anatomie.* Weil ich damals eine Wissenschaftsreise nach den Tropen plante, so studierte ich mit Unterstützung eines Bruders nochmals — bis Sommer 1870 — in Marburg Medizin. In der lieblichen Umgebung Marburgs entstanden die „ W e i n p h a n t a s i e n " und das „ L u s t spiel". Beim Ausbruch des Krieges meldete ich mich freiwillig und ward als Assistenzarzt der freiwilligen Krankenpflege dem Etappenkommando der Südarmee zugeteilt. Ich war drei Monate im großen Kriegslazarett zu Chalons tätig und erhielt auf mein Ansuchen im Dezember ein Rekonvaleszentenlazarett an der Südfront vor Paris zugewiesen. Vor dem Einzugstage — 1. März 1871 — nahm ich mir Urlaub und marschierte die Nacht hindurch nach Paris. Ich hatte mir von einem meiner Patienten die Adresse eines Hotels geben lassen, welches, in dem nichtokkupierten Teile der Stadt gelegen, Deutsche aufnahm. Ich erreichte nach vielen Mühen und Hindernissen spät am Abend des ersten März dies Hotel, („Hotel National", Rue Villeneuve des Capucines) und hatte nun Gelegenheit, Paris, das ich zum erstenmal in meinem Leben sah, in seinem damaligen Zustande kennen zu lernen und nach allen Richtungen zu durchstreifen. Ich habe so vier unvergeßliche Tage durchlebt. — Nach dem Friedensschlüsse erhielt ich meinen Abschied und trat wieder in Berlin in die Oldenbergische Kammerkorrespondenz ein. Der Krieg, von welchem ich die Kehrseite der Medaille zu erkennen Gelegenheit hatte, der Anblick des revolutionär erregten Paris mit den gleich darauf folgenden geschichtlichen Ereignissen der Erhebung und Niederwerfung der Kommune, und vor allem die um dieselbe Zeit zu Berlin sich erhebende G r ü n d e r p e r i o d e , haben mich zum Sozialisten gemacht. Im Dezember 1871 erschien das Buch „ E s * „Über den Knochenbau der Oberkinnlade bei den Aalen." Mit 6 Tafeln Abbildungen. Abgedruckt im „Archiv für Naturwissenschaften" von Giebel und Siewert.

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werde L i c h t ! " , im folgenden Jahre erschien die zweite Auflage, 1878 ward das Buch, und zwar als das erste auf der Liste des Reichsanzeigers, durch das Sozialistengesetz im Deutschen Reiche verboten. 1874 und 1876 erschienen die beiden ersten Teile des Werkes „Die I d e e der E n t w i c k e l u n g " . Ich konnte alle diese Schriften nur in den Zwischenräumen vollenden, welche die den größten Teil des Jahres dauernde, sehr angestrengte Tätigkeit als Stenograph und Berichterstatter in drei Parlamentshäusern mir übrig ließ, aber ich habe diese letzte, für mich mechanische Arbeit nicht als ein Hemmnis empfunden, vielmehr als einen Ansporn zu künstlerischem Schaffen. Im Jahre 1877 verließ ich meine Stellung auf der Journalistentribüne und ging nach kurzem Aufenthalt in Zürich nach Triest, wo ich, empfohlen durch Professor Claus in Wien, auf der dortigen zoologischen Station mit einer Wissenschaftsaufgabe beschäftigt war. Ich machte aus selbsterworbenen Mitteln eine kleine Wissenschaftsreise nach den Lagunen des Po, und zur Zeit der ersten Internationalen Fischereiausstellung in Berlin ist darüber ein Buch erschienen.* Außer kleineren Schriften** entstand in Triest das Trauerspiel „Der U h r m a c h e r von D a n z i g " . — 1882 ging ich, zurückgestoßen durch die reaktionäre Gestaltung der politischen und sozialen Verhältnisse in Deutschland-Österreich, nach Amerika und wandte mich nach Cambridge bei Boston. Ich erteilte dort in Studentenkreisen und in Familien Privatunterricht, wie vorher in Triest und bis Frühjahr 1892 in Mailand, wobei mir als dauernder Besitz die Erwerbung der englischen und italienischen Sprache zufiel. — Unter den Ulmen von Cambridge ist die Dichtung „ £ u n i t a " entstanden. Nach Vollendung dieses Werkes ward ich von unbezwingbarer Sehnsucht zur alten Kulturwelt ergriffen. Ich kehrte nach Europa zurück. Da unter der Herrschaft * „Der Fischfang in den Lagunen von Comacchio, nebst einer Darstellung der Aalfrage." Berlin 1881. * * 1. „Über die Nachahmung der Naturstimmen in der deutschen Poesie." 2. „Die deutsche Makame." Zweite Auflage.

9 Häckel, Jacoby

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des Sozialistengesetzes in Deutschland meines Bleibens nicht sein konnte, ging ich nach Italien und ließ mich in Mailand nieder, welche Stadt ich wegen ihres demokratisch-arbeitsamen Geistes und als Schauplatz des Wirkens von Leonardo da Vinci, meinem Ideal seit der Kindheit, vor anderen Städten Italiens liebe. — Durch das freundliche Entgegenkommen des Präsidenten und einiger Professoren der Akademie ward mir gestattet, an der dortigen „R. Accademia scientifico-letteraria" deutschen Unterricht zu erteilen und als Privatdozent Vorlesungen aus der Literaturgeschichte in deutscher Sprache zu halten.* In Mailand erschienen die „ D e u t schen L i e d e r aus I t a l i e n " , sowie ein im dortigen deutschen Sprachverein gehaltener Vortrag : „ A n n e t t e von D r o s t e - H ü l s h o f f , Deutschlands Dichterin". Eine mathematische Idee, die mich seit einer Reihe von Jahren beschäftigte, konnte zu einem vorläufigen Abschluß gefördert werden. Überanstrengung während des Herbstes und Winters 1891/92, die mich bis zu neun Stunden täglich, auch mit Ausarbeitung von Wissenschaftskatalogen in einer Buchhandlung, gefesselt hielt, warf mich im Frühjahr 1892 auf dem Gange zur Akademie mit einem Schlaganfalle nieder. * In den Jahren 1888-1892 über Goethes „ F a u s t " und: „Geschichte der romantischen Schule in Deutschland." E s geschah wohl zum erstenmal, daß „ F a u s t " in Italien in deutscher Sprache erklärt wurde.

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Lauenburg

„Wer in der Kindheit glücklich war. Der ist gesegnet für immerdar. Er kann und wird nicht sterben an Wunden, Er will und wird immer wieder gesunden, Er ist gewappnet und bleibet so In allem Elend wunderfroh."— („Es werde Licht!'*)

Eine überaus glückliche Kindheit nenne ich mein eigen, die mir freilich nur allzubald, da ich selbst noch ein Kind, in der Fremde die schärfsten Bitterkeiten des Lebens zu kosten bekam, in dem verklärten Schimmer eines verlassenen Paradieses, eines durchlebten Märchentraumes erschien. — So ist es zu erklären, was selbst märchenhaft klingt, daß ich als Knabe auf dem Gymnasium begann, Jugenderinnerungen zu schreiben, die Erinnerungsbilder der Kindheit, die so kurz erst hinter mir lagen, aus dem Empfinden der bitteren Gegenwart heraus, poetisch zu schildern und mein Heimatstädtchen Lauenburg in Liedern zu besingen . . . — Nie wurden die Jahre meiner Kindheit in Lauenburg durch irgendwelchen Ausdruck konfessionellen Haders und Hasses getrübt, nicht in der Geselligkeit der Kinder- und Knabenspiele, nicht im Leben, nicht in der Schule. Wir, meine Brüder und ich, waren wohl überall die ersten, wenn es galt, wilde Knabenstreiche auszuführen und wir teilten mit allen andern getreulich die Freuden und die Leiden, den Genuß und die Strafen. Diese Schulkameradschaft hat sich bei Geschwistern von mir auf der andern Seite der Erdkugel — auch dies klingt märchenhaft — an den Gestaden des stillen Ozeans noch heute lebendig und wirksam erhalten. Dorthin, nach Kalifornien sind Familien aus Lauenburg ausgewandert, jetzt treue Nachbarn meiner Geschwister, die in San Franzisko und Los Angeles leben. Die Schule in Lauenburg war eine Volksschule mit zwei oberen Klassen, in denen ein höherer Unterricht be9*

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gönnen wurde, und hier war es vor allem die Gestalt eines Lehrers, dessen Gedächtnis mir ewig teuer bleiben wird, dem ich unendlich viel zu danken habe. Das war der Konrektor, Lehrer der zweiten Oberklasse, Fitte war sein Name. Eine idealschöne Gestalt war er, jung, noch in den Dreißigern, ein Burschenschafter mit Lockenhaar und breitem Kragen, in seinem ganzen Wesen noch umwoben von dem Abglanz der Zeit deutscher Freiheitsideale. Er führte uns nicht nur in die ersten Geheimnisse der lateinischen Grammatik, sondern auch in die ungleich tieferen der Naturerkenntnis ein. Alles schuf er neu in der Schule und machte wenigstens in dieser Richtung das noch bis heute urkonservativ gebliebene Lauenburg fast revolutionär. Turnplatz und Turnspiele — er war zugleich Turnlehrer — waren sein Werk und das erste Schauturnen und Preisturnfest war ein gewaltiges Ereignis für Lauenburg. Selbst zur Beschaffung physikalischer Apparate — etwas Unerhörtes bis dahin — wußte er die Väter der Stadt zu bewegen, und die allererste Elektrisiermaschine, die vielleicht je Lauenburgs Mauern gesehen hatten, kam an und wurde feierlich seiner Obhut übergeben. Er experimentierte damit nicht nur in der Schule, sondern in öffentlichen Vorlesungen. Ein poetischer Hauch umgab alles, was er begann und vollführte; unvergeßlich schön waren die Ferienausflüge, die er mit den Schülern unternahm, weite, wochenlange Wanderungen durch das liebe „blaue Ländchen", wobei wir Pflanzen und Insekten, vorzüglich Käfer, sammelten. Alles dies war völlig neu, nie gehört in Lauenburg und angestaunt von den Bürgern. Auf die eigentümliche Schönheit der Moor- und Heidelandschaften unserer Umgebung wies er uns hin und erzählte uns von den Zeiten der Heiden her wundersame Geschichten und die Sagen des Landes.

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Danzig

„Laß dein Herz vor Jammer brechen, Halt aus in äußrer Not, in Seelenqual." („Der Uhrmacher von Danzig") I. Wie ich nach Danzig kam, wollen Sie wissen? — Meine Mutter war todkrank, da erhob sie sich eines Tages wie durch ein Wunder. E s war im März, ein furchtbar kalter Winter. Sie ging zu allen Persönlichkeiten Lauenburgs, die mit Danzig Beziehungen hatten, und sammelte Briefe und Empfehlungen für mich; dann kam es zur Reise. E s gab zwei regelmäßige Verbindungen mit Danzig: zuerst die Post, aber die war nur für die Reichen, unerschwinglich teuer, und dann die Handelsverbindung der Frachtfuhrwerke. Wissen Sie, was ein hinterpommerscher Frachtwagen ist? Im Sommer, da ist es ein lustiges Fahren. Man läuft nämlich immer nebenher, und nur, wenn man gar zu müde wird, legt man sich auf ein Bündel Heu unter dem Leinwandzeltdach des Wagens, das schön luftig ist und hoch wie ein Haus, und man schlummert sanft trotz aller Püffe und Stöße der knarrenden Räder, lieblich eingewiegt durch die Musik des Schellengeläutes der Frachtpferde. Denn der Wagen geht Schritt für Schritt und braucht von Lauenburg bis Danzig — es sind zwölf deutsche Meilen, die heute in eineinhalb Stunden die Eisenbahn durchsaust — zwei Tage und eine Nacht. J a , das ist lieblich im Sommer! Aber im Winter und in dem harten, sibirischen Frost jenes Jahres! Der Fuhrmann, ein lieber Bekannter von uns, wollte zuerst gar nichts davon wissen, daß die Frau, die er vor kurzem schwerkrank gesehen, sich diesem Unternehmen aussetze; und als er merkte, daß ihr Entschluß unerschütterlich blieb, bereitete er sorgsam das beste Lager, das in seinem

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Wagen möglich war, mit Decken und Hüllen jeder Art. Und doch, bei dem klirrenden Eisboden und den vielen furchtbar steilen Stellen der Chaussee, wo der schwerbelastete Wagen gebremst werden mußte, war das ein gar gefährliches Sitzen. — Ich aber zog froh und frei, wie ein König auf seinem Thron, auf einem Sack Kartoffeln — daher habe ich bis heute die Kartoffeln gern — in die Stadt Danzig ein, die für mich eine unsagbar große, wilde, weite Welt war. Meine Mutter lief acht Tage lang treppauf, treppab in der fremden Stadt bei den Leuten herum und gab ihre Briefe ab und sprach für mich, und es gelang ihr durch Erwirken von Stipendien und Privatstunden, die ich geben durfte, mein Bleiben in Danzig durchzusetzen. Ich konnte in die Quinta des Gymnasiums eintreten. Dann nahm sie Abschied von mir. Sie kehrte zurück, und ihre Lebenskraft war ausgegeben. Sie starb wenige Tage darauf; es war der erste furchtbare Schlag meines Lebens; ich stürzte zu Boden, als ich aus dem Munde des Lehrers die Nachricht empfing. —

II. Das war in der Laternengasse zu Danzig, so genannt, weil niemals darin eine Laterne brannte — also buchstäblich wie lucus a non lucendo. — Diese wohl noch heute bestehende Gasse, die von der Breiten- zur Heiligengeist-Gasse führte, war so eng, daß kein Wagen hindurchfahren konnte. Aber sie wurde in der Mitte noch bedeutend verengert durch einen kleinen einfenstrigen Vorbau zur ebenen Erde ohne Türe, und in diesem Vorbau wohnte ich alle die Jahre hindurch. Das Zimmerchen war unheizbar, und weil die Mauern beständig feucht blieben, konnte man in den strengen Wintertagen bequem von den Wänden Reif und Schnee abstreifen, und wenn ich einmal an solchen Tagen von Kameraden Besuch bekam, schneeballten wir uns im Zimmer. — In einer stürmischen Winternacht ward ich durch heftiges Pochen an die Fensterläden aus festem Schlummer geweckt. Ich fragte: Wer ist da? und erschauerte durch Mark und Bein, als ich eine Stimme hörte, die ich nach

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den zuletzt gelesenen Briefen in Afrika glauben mußte. Es war mein Bruder Philo — jetzt in San Franzisko lebend —, der vor zwei Jahren, nachdem er heimlich der Buchdruckerlehre Lebewohl gesagt hatte, zur See gegangen war. Er war noch ganz jung, erst siebzehn Jahre, und hatte es vom Schiffsjungen zum Matrosen gebracht, auch schon die Erde umsegelt. Er kam aus der Guineaküste geradewegs zu dem Hafen von Danzig und war von Neufahrwasser nachts in die Stadt gegangen, mich aufzusuchen; nun kletterte er durchs Fenster herein. War das ein Wiedersehen in dem eisigen Stübchen! Ich bereitete ihm so gut es ging auf Koffer und Stühlen ein Lager, und am andern Morgen waren meine Wirtsleute — ein altes kinderloses Ehepaar — nicht wenig erstaunt, als aus meinem Stübchen statt des einen Bewohners unser zwei in die Wohnung traten. Mein Bruder hatte das Schiff verlassen, da er sich vorgenommen, hier in Danzig die Schiffahrtschule zu besuchen, um später sein Steuermannsexamen zu machen, und er führte mit ganzer Tatkraft diesen Entschluß durch. Er verschaffte sich bei Reedern und Kaufleuten, die Anteil an seinem Geschick nahmen, die Mittel, ein halbes Jahr bis in den Sommer hinein die vorzügliche Navigationsschule Danzigs zu besuchen. Erst im August nahm er wieder Heuer als Matrose. Ich blieb diese Sommerferien in Danzig — sonst waren meine Ferienwanderungen nach Haus die schönsten Erinnerungen meiner Danziger Schulzeit, — und ich wanderte nun jeden Tag nach den Weichselufern hinaus, wo das schlanke Schiff schaukelte, das seiner Ladung und Abfahrt entgegenharrte. Da lag ich in dem hohen Grase an dem malerischen Ufer des Stromes, Reiseabenteuer lesend, und sah dem Beladen des Schiffes zu, auf dem mein Bruder arbeitete. Es wurden große Baumstämme aufgeladen, die aus Polen die Weichsel heruntergeflößt worden waren. Das Herz t a t mir weh, wie ich meinen Bruder sah, angespannt mit der übrigen Schiffsmannschaft, unter Zurufen bemüht, die schweren Stämme an der Brust aus dem Wasser heraus aufs Schiff zu ziehen. Damals durchblitzte mich zuerst der Gedanke, der

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später in der Erkenntnis der sozialen Idee mein ganzes Sein erfüllte, daß ja die Dampfkraft recht eigentlich dazu erfunden, und daß es das Wesen der Maschine sei, dem Menschen die rauhe und häßliche, den Körper aufreibende Arbeit abzunehmen, die unbelebte, nicht fühlende Natur zu zwingen, für ihn alle diese Arbeit zu verrichten. Seit dieser Zeit konnte ich keinen Holzflößer mehr oder Lastkahntreiber in Danzig sehen, wie er fast waagerecht auf die Stange vornübergebeugt mit der Brust die schwere Last vorwärtsstieß, ohne denselben Gedanken mit aller Macht wieder zu empfinden.

Es war an einem Sommernachmittage in der vierten Klasse des Gymnasiums zu Danzig. Die gefürchtete Lateinstunde von 3—4 Uhr nahte heran; noch war Zwischenpause. Der Lehrer für diese Stunde, der bis zur obersten Klasse der Anstalt Unterricht gab, galt als einer der unerbittlichsten Schultyrannen, die je ein Knabenherz haben erzittern machen. Und diese Stunde war doppelt furchtbar, weil ihr Erfolg und Ausgang zugleich das bevorstehende Versetzungsexamen bestimmen mußte. Es war eine Vorprüfung in Latein für Grammatik und Übersetzen. Da sah man viele verstörte Gesichter in den Bänken sitzen, noch mit aller Hast sich vorbereitend, die verbotenen Ubersetzungen auf dem Tisch, oder mit aufgestützten Armen Regeln der Grammatik auswendig lernend; während an der Tür zwei Wachen standen, um hinausspähend die Ankunft des Gefürchteten anzuzeigen. Schon hatte die Glocke der Anstalt ein Viertel geschlagen, und einer von den Wachehaltenden war in den Korridor hinaus in das Zimmer des Pedells gegangen, um zu erkunden, was die ungewohnte Verzögerung zu bedeuten habe. Plötzlich hörte man ihn mit Gepolter zurücklaufen. Hurtig wurden die Übersetzungen versteckt; alles setzte sich kerzengerade, die Gesichter in ängstlicher, stummer Ergebung. Da kommt der eine Schüler hereingestürzt; aber anstatt sich auf seinen Platz zu begeben, springt er mit gewaltigem Satz aufs Katheder und ruft mit heller, jubelnder Stimme: „Kinder! er kommt nicht! er ist krank geworden!" — 78

Eine Sekunde lang war alles stumm, dann aber brach ein Jubel los, wie ihn die Klasse nie erlebt hatte. Ein donnerndes Hurra! erscholl, Bücher und Übersetzungen wurden in die Luft geworfen, die ärgsten Feinde umarmten sich, man tanzte vor den Bänken und auf den Bänken. Mitten in dem tollen Jubel erscholl die Stimme des anderen Schülers von der Türe her: „Der deutsche Lehrer kommt!" — Nun war der deutsche Lehrer durch seine Milde so beliebt, wie der lateinische gefürchtet und gehaßt. Die freudige Stimmung blieb also voll bestehen, als der Lehrer hereintrat. Es war ein noch junger Mann, bleich, von fesselndem Ausdruck und mit einer wunderschönen, zu Herzen dringenden Stimme begabt. Er trug ein kleines Büchlein in der Hand, nahm auf dem Katheder Platz und sagte: „Meine lieben Freunde! Da euer Lateinlehrer krank geworden ist, so bin ich vom Direktor beauftragt, für ihn diese Stunde zu geben. Ich will euch aber heute nicht mit Aufgaben und Übungen plagen, sondern euch lieber etwas absonderlich schönes vorlesen und vortragen." Ein freudiges Gemurmel ging durch die Reihen der Schüler, und er fuhr fort: „Ich habe euch schon früher von dem Dichter R ü c k e r t erzählt, und mehrere von euch haben auch schon Gedichte von ihm auswendig gelernt. Dieser wunderbare Mann war einer der größten Meister und Beherrscher unserer geliebten deutschen Sprache. Er hat auch eine ganz neue Dichtungsart geschaffen, man nennt sie Makame. Er hat diese Dichtungsform aus dem Orient übernommen, aber ihr ein so eigenes Leben eingehaucht, daß sie nun fast ganz unser geworden ist. Es ist aber diese Dichtung vor allem dazu geeignet, den Glanz und den Reichtum der Sprache zu offenbaren mit kunstreicher Form, durch buntfarbige Reime und durch musikalischen Klang und Wohllaut, wie auch vorzüglich durch Wortspiele. Und so nun hat es der Dichter verstanden, in dieser Kunstform uns unsere deutsche Sprache in einem Lichte zu zeigen, das wir selbst bisher noch gar nicht gekannt hatten. Da schimmert und funkelt alles wie im Regenbogenglanz. Ich will euch nun aus dieser neuen Dichtungsform, Makame genannt, heute ein Beispiel vorführen und wähle dazu die Makame, welche erzählt von

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dem Schulmeister von Hirns." — Und nun begann der Lehrer zu lesen, richtiger frei vorzutragen; denn er konnte, was er las, offenbar auswendig. Das war kein Gedicht mehr, das war ein Konzert, ein Zusammenklang von Tönen, eine Symphonie, und der Inhalt voll D u f t und Glanz und Schelmerei. Wie wenn Blütenflocken von Gebirgsbäumen herabgeweht werden, und man meint, es sei Schnee, und dazwischen tönen lieblich Alpenherdenglöcklein und tausend Vogelstimmen, und bunte Schmetterlinge gaukeln vorüber, und Sonnenglanz und D u f t und Flimmer erfüllt den Raum, so märchenhaft wurde das Schulzimmer verwandelt durch die vorgetragene Szene aus der Schule von Hims. — Und die Knaben saßen da wie verzaubert. Da war kein Auge, das nicht an den Lippen des Vortragenden hing, kein Ohr, das nicht mit Lust und Entzücken die klingenden Reime trank; und an den schönsten Stellen ein seliges Aufjauchzen unterbrach die aufmerksame Stille und belohnte den Vortragenden. Als nun der Vortrag dieser Geschichte und damit die Stunde zu Ende war und die Schüler, mit freudig glänzenden Augen um den Lehrer gedrängt, das Zimmer verließen, da blieb ganz hinten auf der letzten B a n k noch einer zurück, starr versunken, mit funkelnden Augen hineinschauend in eine neue Welt, die eben seinem Geiste aufgegangen war. Er, schon als Schulknabe ganz einsam lebend, hatte heute einen Antrieb, einen Vorwärtsstoß erhalten, von dem seine Seele noch nachzitterte, und dieser Stoß wirkte für sein ganzes Leben. Die glühende Liebe zur Poesie, zu poetischem Schaffen war ihm aufgegangen und konnte ihn nicht mehr verlassen durch unendliches Weh und Leid hindurch lange, lange Jahre bis auf den heutigen Tag.

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Stenographie und Studium

Eine fröhliche, lustige Zeit war im Vergleich zu früheren und späteren Jahren mein erster Aufenthalt als Student in Berlin. Wurde ich auch bald durch die verschiedenartigste gleichzeitige Tätigkeit in Anspruch genommen — an vielseitige Beschäftigung war ich ja schon gewöhnt —, so bewahrte mich doch ein gütiges Geschick vor den traurigen Folgen dieser Zersplitterung; denn ich gewann immer wieder Muße, mich dem Ernstschönen und dem Tiefen zu widmen, sei es im strengen Studium, im Aufnehmen und Lernen, sei es im Genießen. In solchen Stunden der wahren Förderung und Entwicklung schöpfte ich stets von neuem die Kraft, die mich befähigte, die vielen Nichtigkeiten, die ich trieb, zeitweise treiben mußte, ohne dauernden Schaden zu ertragen, zu überwinden. Ich war zu gleicher Zeit in meinen ersten Studiensemestern einmal Redakteur einer wöchentlichen Turnzeitung, ein halbes Jahr lang; ferner Redakteur der Stenographischen Trinkstube, über zwei Jahre hindurch. Es war dies ein humoristisches, illustriertes Wochenblatt, in Stolzischer Schrift lithographiert. Mehr als einmal war die ganze Nummer von der ersten bis zur letzten Zeile mitsammt den Illustrationen ausschließlich mein Werk. Älteren Stolzianern in Norddeutschland und in der Schweiz wird dies Blatt, dessen Leitung mir viel Anerkennung und noch mehr Schulden einbrachte, in freundlicher Erinnerung sein. Es war zugleich das Organ eines von mir mitbegründeten, geselligen Vereins, Stenographische Trinkstube genannt, welcher die besten Schüler Stolzes jeden Sonnabend zu 8l

fröhlichem Tun versammelte. Die Seele dieses Vereins war der alte K e ß l e r , der allererste und älteste Schüler Stolzes. Eine Zeitlang spielten auch die Stolzischen Drei Heiligen eine hervorragende Rolle; ihre wirklichen, bürgerlichen Namen waren nämlich: P e t r i , P a u l y und J a c o b y , die ersten beiden älteren Parlamentsstenographen, der letzte soeben Sekretär im stenographischen Büro des Abgeordnetenhauses geworden. Bald folgte dieser Stellung die des Stenographen und Berichterstatters in der Kammerkorrespondenz, und die Politik begann mich bei dieser Tätigkeit zu fesseln; doch nahm ich sie vorläufig nur von der humoristischen Seite zu fröhlichen Darstellungen von Zeitmomenten, die für den Vortrag sich eigneten. — Das Universitätsleben führte zu reger Teilnahme an dem Naturwissenschaftlichen Verein von Studierenden, welcher zu meiner Freude noch heute besteht und blüht und mich auch, wie die diesjährige Einladung zum Stiftungsfeste mir bewies, noch nicht vergessen hat.* Nur liebe, freundliche Erinnerungen knüpfen mich an diesen Verein. Er hatte ein Freundschaftsbündnis geschlossen, wie es auf Universitäten selten ist, nämlich mit dem akademischen Gesangverein. So war die Wissenschaft mit Kunst verschmolzen, und unsere Feste wurden durch Gesangsaufführungen verschönt. Tüchtige Wissenschaftsmänner sind aus dem naturwissenschaftlichen Verein hervorgegangen, den zu meiner Zeit hauptsächlich die Durchkämpfung des Darwinismus in Atem, in lebendiger und beständiger Erregung erhielt. Ich nenne die Namen des Chirurgen T r e n d e l e n b u r g , Sohnes des Philosophen, meines Lehrers, ferner des Botanikers P f i t z e r , des Astronomen V a l e n t i n e r , des Doktor P a n s c h von der Nordpolexpedition. In diesem Verein, dessen Sekretär ich mehrere Jahre hindurch war, ist die Mehrzahl der humoristischen Lieder aus den „Weinphantasien" entstanden, während die Naturlieder und Naturbilder dieses Buches die liebliche Umgebung Marburgs hervorrief. — Voll von poetischem Reiz und Schimmer, nun durch die Erinnerung verklärt, * Sein gegenwärtiger Name ist: Akademischer Verein für Naturwissenschaft und Medizin

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war ein Fest, das einige ausgewählte Freunde dieses Bundes der Naturwissenschaft und Sangeskunde in einer schönen Sommernacht in Pankow feierten. Ich hatte mit einem Freunde einen halbverfallenen Gartenpavillon dort als Sommerwohnung bezogen. Soeben war von meinem Bruder aus San Franzisko ein Fäßchen CalifornierWein eingetroffen, ein seltener Schatz um jene Zeit in Deutschland, und diesem zu Ehren galt die Feier. Das Fäßchen war sechs Monate lang fast um die ganze Erde gegangen, hatte sich auf allen Breitegraden des Ozeans geschaukelt, und dadurch hatte der halbwilde Californier ein mildes Feuer, ein Aroma gewonnen, wie ich desgleichen nie wieder genossen habe. Kein Wunder, daß die Leerung dieses Fäßchens unter den Zechern einen Sturm der Begeisterung hervorrief, der in prächtigen Liedern die Nacht durchtönte. Die Erinnerung an dieses Fest hat in den „Weinphantasien" einen Nachhall gefunden, wie freilich auch in diesem Buche für aufmerksame Leser die bei allen Scherzen und Tollheiten tief ernste, ja melancholische Stimmung des Verfassers zum Durchbruch kommt. Nach einer mit Ernst und Scherz durchgeführten Sitzung — es waren neue Mitglieder aufgenommen worden — war der Verein in überfröhlicher Stimmung. Etwa um Mitternacht wurde der Vorschlag mit Jubel angenommen, einen Umzug durch die Straßen anzutreten, eine naturwissenschaftliche Forschungsreise mit Erklärung des Aufgefundenen und Entdeckten in dem lustigen Teil der folgenden Sitzung. Es war eine Juninacht mit klarem Mondschein. Der Zug ging von der Französischen Straße nach dem Dönhofplatz. Auf dem Gendarmenmarkt befand sich damals schon geraume Zeit das Schiller-Gitter, ein Lieblingsgegenstand des Berliner Witzes und Spottes, — auch politische Momente spielten hinein, wie bei allen Berliner Denkmälern. — Beim Gitter angekommen, sprang ein Mitglied des Vereins, ein riesenhaft gebauter Westfale, hinein und forderte Freiwillige auf, von seinen Schultern herab einen Vortrag zu halten, eine naturwissenschaftliche Erklärung dieses so hartnäckig leer bleibenden Gitters. Ich hielt diesen Vortrag schlecht und recht, wie es der Augenblick eingab. Ich führte aus, 83

wie herrlich die Idee sei, in Zukunft gar keine Denkmäler mehr, sondern nur noch Denkmalsgitter zu erbauen. Wie großartig könne sich da die Kunst und Phantasie des Gitterbauers offenbaren. Da hätten wir DichterGitter mit den Lorbeerzweigen, die satirischen könnten durch Stachelgitter angedeutet werden; auch Dichterinnen wären durch Bänder, Schleifen und Haarlocken sinnig zu bezeichnen. Und nun erst die politischen Gitter, die Minister- und Staatsmanns-Gitter: wie oft schon sei in Kunstausstellungen der Rahmen mehr werth als das Bild; — die Fürsten-Gitter, die Königs-Gitter, die Kaiser-Gitter! Welche Pracht der Dekoration, welche Andacht der Devotion und Begeisterung. Der Deutsche sei ja von Natur im Stande, aus der Tiefe seiner Einbildungskraft sich alles selbst aufzubauen, warum nicht die vergötterten Denkmäler aus leerer Luft. Nun aber der Hauptgedanke dieser Idee: Jedesmal, wenn ein neues Gitter errichtet werde, müsse das gesammelte und gesamte Geld, welches ein eigentliches Denkmal in dem Gitter würde gekostet haben, dazu verwendet werden, das lebendige Verdienst zu belohnen, Dichter, Erfinder, Entdecker, deren so viele im Elend wahnsinnig werden, deren so viele vor Hunger sterben, aufzusuchen, — und jedesmal bei der Enthüllungsfeier eines Gitters müßte ein solches noch lebendes Denkmal feierlich enthüllt werden, nämlich mit den Kosten eines Denkmals für den Toten, dem dieses Gitter gebaut sei, festlich gekrönt werden. So werde der Verstorbene dem Lebenden über das Grab die Hand reichen, so bei der Enthüllungsfeier seines Gitters zu neuen Geistesschöpfungen, die ja die schönsten Denkmäler sind, den Segen geben. Und dies sei offenbar die naturwissenschaftliche Erklärung der Leere dieses Gitters! Seien wir stolz darauf, daß wir in Zeiten leben, wo so erhabene Ideen, wie dieses Beispiel zeigt, beginnen, zur Wahrheit werden! Hier kam die Polizei, die Schutzwächter der Nacht und drohte, die ganze begeisterte Versammlung gefangen zu nehmen, zur Polizeiwache abzuführen. Wir machten uns daher schleunigst von dem Gendarmenmarkt aus dem Staube. In der Universität selbst fesselte mich fast mehr noch als die Zoologie — in dieser waren das Gebiet der Wirbel84

tiere, das ich bei P e t e r s hörte, und die Entomologie bei G e r s t ä c k e r meine Lieblingskollegien — das Studium der Physik. Ich hatte das Glück, diese Wissenschaft von zwei in ihrer Natur wie in ihrer Vortragsweise völlig verschieden gearteten, ausgezeichneten Lehrern, den Professoren D o v e und M a g n u s erklärt und durchleuchtet, in mich aufzunehmen. Ja, zwei Semester hindurch brachte mir die geliebte Stenographie die Vergünstigung, die Vorträge von Magnus in seinem eigenen Auftrage nachzustenographieren und auszuarbeiten. Von seinen Bemerkungen, die er gelegentlich beim Abliefern der übertragenen Vorträge und bei meinen Fragen über schwierige oder unrichtige verstandene Stellen äußerte, sind mir die folgenden kurzen Aussprüche unauslöschlich im Gedächtnis geblieben und haben eingewirkt bei meinem sozial-philosophischen Werke, die Idee der Entwicklung : Die Natur ist dankbar, sie belohnt ernsten, ausdauernden Fleiß in der Forschung immer; sie gibt ihre Enthüllungen oft unvermutet in ganz anderer Richtung als man sie suchte. Mechanische Arbeit ist eine notwendige Vorbedingung zum geistigen Schaffen, zum Finden. Ich hatte damals den heimlichen, sehnsüchtigen Wunsch als Famulus in das physikalische Laboratorium bei Professor Magnus einzutreten und habe es später oft bedauert, daß ich nie den Mut fand, dem mir freundlich gesinnten Forscher meinen Wunsch zu äußern.

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Marburg

Wer, wie ich, in der Norddeutschen Tiefebene geboren, in den Niederungen von Kornfeld, Kartoffeln und Buchweizen, von sandiger Heide und weitem Moor aufgewachsen ist und Berg und Wald fast nur als fichtenbestandene Hügel kennt, der wird verstehen, wie mir das Herz aufgehen mußte, als ich zum ersten Mal in herrlicher Sommerzeit die schimmernden Gärten Thüringens vor mir sah und in das lieblich lachende Lahnthal einzog. — Wohl ist auch die Naturumgebung Danzigs wunderschön, und die Hügel der Norddeutschen Tiefebene erheben sich dort im Karlsberge zu ihrem höchsten Gipfel, aber ich war dort eben nie, nie zum frohen Genießen, zum Inmichaufnehmen der Naturschönheiten gekommen. So war mir Marburg und Umgebung eine neue Welt, und das Entzücken erreichte den höchsten Grad, als ich im folgenden Frühjahr auf einem längeren Ausfluge zum erstenmal den Rhein kennenlernte und seine Ufer von Koblenz hinauf bis Straßburg durchwanderte. In Marburg entstand auch das „Lustspiel", ein Jugendund Erstlingsdrama. Die Geschichte dieses Lustspiels ist keine lustige gewesen. Obwohl es auf der Lustspielkonkurrenz zu Hamburg von 182 eingesendeten Stücken als das zweite und nächstbeste nach dem Preislustspiel ausgewählt und von der Prüfungskommission mit besonderer Anerkennung hervorgehoben wurde, ist trotz vielfach wiederholter, aufopfernder Bemühung jede Bühnenaufnahme gescheitert. — Es erschien im Druck 1871. Ein Hinweis auf die ungewöhnliche Natur und 86

Bedeutung des Werkes in der damals zu Berlin erscheinenden „Demokratischen Zeitung" blieb völlig unbeachtet ; im Übrigen ist es, wie bei späteren Schöpfungen, so bei „ f u n i t a " , dem Verfasser lange Jahre hindurch niemals gelungen, in maßgebenden Zeitschriften eine Besprechung zu erlangen.

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Häckel, Jacoby

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Schrecken des Krieges 1870/71

Weshalb keine Begeisterung im Kriege und für den Krieg in mir aufkommen konnte?—Auf einer Eisenbahnstation zwischen Chalons und den Vorposten von Paris sah ich an einem trüben Dezembertage achtzig Särge von weißem Fichtenholz aufgetürmt, übereinander gestapelt. Die darin lagen waren sämtlich junge Avancierte, Einjährige Freiwillige oder Offiziere; zu diesen Toten gehörten also mindestens Tausend, die nicht nach Hause gesendet werden konnten, die ohne Sarg auf den Schlachtfeldern in fremder Erde eingescharrt wurden. Welch eine überströmende Flut von Gedanken ruft solch ein Massen anblick von gefüllten Särgen in uns wach, gefüllt mit jungen Leibern, mit den Blüten und Knospen von Menschenleben, alle abgeschnitten vor der Zeit, vor ihrer Reife, vor ihrer Frucht! Welche herzzerreißenden Auftritte daheim beim Empfang der Toten! Welche Fülle des Jammers, der Verzweiflung, der Tränen! Vor unserem geistigen Auge steht der Anblick der Väter, der Mütter, der Brüder und Schwestern, der Bräute. — Und die auf den Schlachtfeldern oder später an ihren Wunden sterben, sind bei weitem die Minderzahl im Kriege, regelmäßig mehr sterben an den Krankheiten des Krieges. In unserem Lazarett zu Chalons hatten wir Wochen, Monate hindurch einen starken Prozentsatz von Toten: die großen Würgengel, die treuen Begleiter des Krieges waren hereingebrochen, der Typhus, die schwarzen Pocken, die Ruhr, und sie wüteten mit ganzer Kraft. Nichts Erschütternderes kann es geben, als zu sehen, wie riesenkräftige 88

junge Leute, Menschen wie die Bäume, vom Typhus dahingerafft werden. Wie sie da lagen, bewußtlos, wie mit der breitstumpfen Seite einer unsichtbaren Axt vor den Kopf geschlagen. Welche verzweifelten Anstrengungen wurden da von uns jungen Ärzten gemacht: eiskalte Bäder gegen das furchtbar hohe Fieber, gewaltige, unerhört große Dosen von Chinin, nichts, nichts half; die kalten Bäder zumal verloren ganz und gar ihren Ruf bei uns. Oder zu sehen, wie die Menschen an der Ruhr sterben, an der richtigen Kriegsruhr. „Auch diese bluten auf dem Felde der Ehre!" sagte mit tiefem Ingrimm ein Oberarzt unseres Lazarettes, den blutenden Hintern eines an der Ruhr Verstorbenen aufdeckend, als Antwort auf die unglaublichen Kriegslieder, die schauderhaften Reimergüsse in der Sammlung „Trutz und Schutz" die aus dem sicheren daheim, aus dem lieben Deutschland damals unsere Lazarette überschwemmten. In einem bei Tisch vorgelesenen, besonders widerwärtigen Gedicht war „Das Bluten auf dem Felde der Ehre" mit Begeisterung geschildert worden. — Und dazu kam die Abteilung der Verwundeten. Während der ganzen Zeit meiner Tätigkeit im Lazarette trug jeder von uns, von den Oberärzten bis zu den Wärtern, eine Atmosphäre, gemischt aus Eiterduft der Wunden und aus Karbolsäure an seinem Körper mit sich herum, die durch kein Waschen fortzubringen war. — Unter meinen medizinischen Vorgesetzten in den Kriegslazaretten sind zwei als Männer der Wissenschaft später berühmt geworden; ich gedenke gern ihrer unermüdlichen Tätigkeit und in besonders freundlicher Erinnerung steht mir auch mein späterer Regiments- und Chefarzt, der bayrische Dr. W ü r t h vom Lazarett Briqueterie und Trouseau bei Corbeil vor Paris. Aus dem Abschiedsattest, das ich von ihm am 26. Februar 1871 erhielt, will ich die Eingangsworte hiehersetzen: „Herr Dr. Leopold Jacoby Assistenzarzt hat seit Weihnachten vorigen Jahres bis jetzt in der hiesigen Anstalt als ordinierender Arzt in dem Schlosse Trouseau fungiert. — Diese Spitalabteilung war in einem einsam und leer stehenden Schlosse errichtet und zählte einen durchschnittlichen Stand von 70—80 Kranken und bei der Entfernung von den Hülfsmitteln 10«

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der Stadt, bei der Ungeübtheit der freiwilligen Krankenpfleger und dem Mangel einer gegründeten festen Einrichtung und Ordnung erforderte es von Seiten des Herrn Assistenzarztes rastlose Tätigkeit und große Gewandtheit, um den Ansprüchen der schwierigen Lage zu genügen." —

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Augenblicksbilder aus Paris während der vier Tage vom l. bis zum 5. März 1871

I. Der Besitzer des Hotels, der sich mir zu meinem nicht geringen Erstaunen in der Uniform eines Hauptmanns der Nationalgarde vorstellte, hatte mir einen Schweizer besorgt, — sein Name war Bourgeois — mich zu führen. Der Mann hatte seit nun sechs Monaten keinen Fremden mehr führen können, sein Amtseifer erwachte daher mit ganzer Wut und brachte mich in die allerbedenklichsten Lagen. Wenn wir oben auf dem Omnibus saßen — die meisten Linien waren seit wenigen Tagen erst wieder eröffnet — fing er an, mit ausgestreckten Armen zu zeigen und zu erklären. Ich gab ihm schließlich zu meiner Sicherheit unter jeden Arm ein Paket Karikaturen zu tragen, die massenhaft in den Straßen feilgeboten und gekauft wurden. Von diesen erinnere ich mich insbesondere einer, welche Thiers weinend darstellte, dazu ein Leitartikel mit der Überschrift: Thiers aussi! Auf dem mit dichten flutenden Menschenmassen bevölkerten Boulevard des Italiens sang bereits ein Leierkastenmann die eben in der Nationalversammlung zu Bordeaux bewilligte Abtretung von Elsaß-Lothringen. Er verglich Frankreich in ergreifenden Worten mit einem edlen Verwundeten, der unter Verschmähung der Narkose die notwendig gewordene Amputation mit Bewußtsein ohne einen Schmerzenslaut, die Zähne zusammenbeißend, an sich vollziehen läßt. II. Auf der Julisäule am Arm des fliegenden Freiheitsgenius flatterte eine rote Fahne. Wir kamen auf einen nicht

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großen Platz — wie er heißt, weiß ich nicht mehr — dessen Anblick mir zum erstenmal jenes Gefühl des Grausens vor etwas völlig Unbekanntem, Unerklärlichem und doch zugleich des tiefsinnigen Seelenanteils einflößte, das mich in den folgenden drei Tagen zu Paris wiederholt überkam. Das Pflaster des Platzes war aufgerissen; acht Kanonen waren auf dem Platze verteilt und sie wurden bewacht von Männern, die in ihrer ganzen Haltung den schärfsten Gegensatz darstellten zu den überall munter plaudernden, uniformierten Nationalgarden. Dunkle Röcke mit Abzeichen trugen sie, einzelne auch Blusen; kalt, düster war ihr Gesichtsausdruck, und lautlos wie Hamlets Geist ging jeder auf und nieder. Derselbe Eindruck ward mir, als ich auf dem Montmartre ankam und die Kanonen auf den Hügeln dort mit ihrer Mündung nicht nach außen gegen den Feind, sondern nach innen gegen die Stadt gerichtet fand.

III. An allen Straßenecken, die dem okkupierten Teile der Stadt zunächst lagen, las ich angeklebte Zettel des Inhalts: Wer von den Prussiens es wagt, über die Demarkationslinie zu gehen, der sei reif für unsere Degen, reif für unsere Flinten, reif für unsere Mitrailleusen! — Bürger und Nationalgarden standen davor und gestikulierten heftig; mit ausgestreckten Armen wiesen sie auf die Worte hin, einer rief sie dem andern zu; man merkte, wie sie sich recht eigentlich in rasende, häßliche Wut erst hineinredeten. — Da erlebte ich den bedeutsamsten Auftritt aus der ganzen Zeit meines Aufenthaltes in Paris, ein Augenblicksbild, das mit seiner packenden Anschaulichkeit wie eine überwältigende Erscheinung, wie eine Offenbarung auf mich wirkte, meine Seele im tiefsten Grunde erschütterte. Ich sah aus der Nebengasse einen Mann herantreten, in eine graublaue Bluse gekleidet, eine Mütze auf dem Kopf; eine kleine Kalkpfeife hielt er im Munde, beide Hände in den Hosentaschen. Mit einem überlegenen Lächeln, das mir göttlich erschien, sah er eine ganze Weile dem närrischen Treiben der 92

Wütenden zu, dann nahm er gemächlich die linke Hand aus der Hosentasche, hob langsam die Kalkpfeife aus dem Mund und spie im Bogen gegen die Straßenecke nach der Richtung, wo der Maueranschlag hing. Darauf zuckte er mit ausdrucksvoller Verachtung die Schultern, wandte sich und ging. — Nie in meinem Leben werde ich diesen Auftritt vergessen, er hat eingewirkt auf mein ganzes ferneres Sein, auf mein Denken, Wirken und Schaffen. Als ein Nationalliberaler oder Fortschrittler war ich in den Krieg gegangen, als ein aufwachender Sozialist bin ich heimgekehrt. Wackerer Blusenmann, dessen Erinnerungsbild mir alle die großen Gedanken, alle Errungenschaften der Freiheit ins Gedächtnis ruft, die die Welt Frankreich schuldet, wo weilst du jetzt? Ach, sicher bist du nicht mehr unter den Lebenden! Der Erdboden an den Mauern des Pere-Lachaise wird dein Blut getrunken haben in den fürchterlichen Tagen, die so bald jener Stunde folgen sollten, als ich dich sah und so heiß bewunderte, in den Tagen des Ausröcheins der Kommune.

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Parlamentseindrücke

Das Parlament war meine dritte Universität, sie lehrte mich, was die andernUniversitäten mich nicht lehren konnten. Freilich offenbarte sie mir vorwiegend Schattenseiten menschlicher Geistesbildung und Natur, ähnlich wie der Krieg mir vorzüglich die Kehrseite seines ruhmumstrahlten Wirkens und damit doch sein Wesen gezeigt hatte. Zwölf Jahre habe ich auf dem Präsentierteller der Öffentlichkeit gesessen, auf der Journalistentribüne des Parlaments, des deutschen Reichstages; infolgedessen bin ich selbst, ist alles, was ich in diesen und in allen späteren Jahren — zwanzig Jahre hindurch — für die Öffentlichkeit schuf, in der tonangebenden Welt bis auf heute vollständig unbekannt, ungenannt, tot. Ist dies nicht ein Märchen? Aber weshalb sollte es nicht Wirklichkeitsmärchen geben? Von allen in jenen zwölf Jahren vollbrachten Taten des Parlaments, worüber die Geschichte richten wird, ist mir keine verderblicher erschienen, als seit seinem Beginn der sogenannte Kulturkapmf; er hat Deutschland um mehr als ein Menschenalter in der Kultur zurückgeschleudert. Es gab nie eine verkehrtere Bezeichnung, und dem Erfinder dieses Wortes ist die Unsterblichkeit der Unvernunft in der Politik, der Unfähigkeit des politischen Denkens gesichert. Ich sah auf der einen Seite Männer unter Verleugnung ihrer besten politischen Grundsätze, selbst unter Verkennung der einfachsten Regeln der Menschlichkeit, jauchzend mit dem Strome schwimmen, der sie einem Abgrunde zuführen mußte; ich sah auf der andern Seite Männer, die bestimmt schie-

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nen, Vorkämpfer einer verlornen Sache zu sein, durch Hülfe ihrer Gegner zu Helden sich erheben, nicht nur in persönlichem Mut und Tatkraft, sondern auch zu Helden in der Redekunst, in der Weite des Blickes, in der Schärfe des Urteils. Ein solcher Mann war Mallinckrodt. Ich habe mir die Reden dieses Mannes sehr oft zur Berichterstattung auserbeten und habe mich bemüht, auch in der notwendigen und vorgeschriebenen Verkürzung ihre Bedeutung erkennen zu lassen. Die Mutterstenogramme einzelner seiner Reden besitze ich noch heute und vergleiche sie mit den goldklaren Ausführungen Johann Jacobys. Ich habe stets höheren Genuß an solchen vollwichtigen Zeugnissen deutscher Sprache empfunden, als an den aalgewandten, an Spitzen und Witzen reichen Redewendungen Windthorsts, von der Schar der Phrasenhelden zu schweigen. Und diesen streitbaren Männern gegenüber die liberalen Kulturkämpfer in ihrem Eifer zu hören! Es waren dieselben wie die Konfliktskämpfer. — Ich bin dabei gewesen und habe mit Klios Griffel — so darf ich wohl den unparteiischen Stenographenstift nennen — das Wort niedergeschrieben, das der reaktionäre Haudegen von Roon dem Abgeordneten Gneist zurief, als dieser ihm das „Kainszeichen des Meineides" vorhielt; und der ganze darauf folgende Auftritt, die unsagbar jämmerliche Haltung des liberalen Gelehrten kann nie aus meiner Seele schwinden. Und dieser selbe Volksvertreter wußte sich später eben demselben Herrn Minister von Roon so angenehm und nützlich zu machen, daß dieser bewundernd in die bekannten Worte ausbrach: Herr Gneist ist zu allen Dingen gut, er kann alles beweisen! — Das ist zugleich das Beispiel eines Kultur kämpfers. — Das Gefühl das über ein Jahrzehnt hindurch auf meinem Beobachtersitz das Studium des Parlaments, das Kennenlernen der Hauptmitspieler, das Offenbarwerden ihrer Beweggründe in erregten Augenblicken — ein guter Stenograph kann dem Redner geradewegs ins Gehirn hinein sehen — der Einblick vor und hinter die Kulissen des Parlamentstheaters mir einflößte, hat in einer Anzahl zugespitzter Sinngedichte seinen Ausdruck gefunden. Ich will eines auf den genannten Parlamentarier hiehersetzen:

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Rudolf Gneist, seht ihn an, Jeder Zoll — kein Mann! Es kann dies Sinngedicht zugleich als Spiegelbild der liberalen Volksvertretung gelten bis auf den heutigen Tag.

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Eine internationale Totenfeier im Cooper-Hause

Gedächtnisfeier für Karl Marx Nirgends sonst auf diesem Erdenrunde wird man Arbeiter in so gewaltig großen Massen, Menschen aller Kulturnationen der Erde in geschlossenen vier Wänden beisammen finden können, wie sie das Cooper-Institut in New York sah am Abend des 9. März 1883. Der Riesensaal füllte sich — als ich nach 7 Uhr anlangte — mit Menschen, wie wenn die Meeresflut in einen Hohlraum strömt und das Murmeln der Menge, obwohl zurückgehalten stille, tönte in mein Ohr wie das Sausen des Meeres. Tausende mußten wohl noch in den Korridoren stehen, als der Strom sich endlich staute, weil alle Plätze gefüllt, überfüllt waren. Fahnen, Draperien und Standarten der Gewerke, Aussprüche, Bilder und Sinnbilder schmückten die Wände. Beethovens Trauermarsch ertönte zur Eröffnung der Feier, und ein Sängerchor sang ein deutsches Lied. Dann sprach von der Tribüne herab der erste Redner in englischer Sprache*: Ideen können durch keine Gewalt, durch keine Flinten und Kanonen ausgetilgt werden; und das Gedächtnis eines schöpferischen Vorkämpfers der neuen Idee, die gegenwärtig die Welt bewegt, unter deren Vorwärtsschritt die Erde bebt, unter deren Weckruf Millionen Menschen aller Länder aus tausendjährigem Schlaf auffahren, das Gedächtnis eines solchen Vorkämpfers feiern wir heute! Ein anderer Redner in englischer Sprache** gab Züge aus dem Leben des Dahingeschiedenen. Er schilderte * Victor Drury. ** John Swinton

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einen Besuch bei ihm in London im Jahre 1880 und rief dem großen Toten, dessen Geist so lebendig diese Völkerversammlung, diese Arbeitervereinigung aller Kulturnationen erfülle, ein ergreifendes Lebewohl zu. — Und nun sprach ein deutscher Redner in deutscher Sprache, Adolf Douai, ein lieber Bekannter von mir, der früher Lehrer in Boston gewesen war und mir, als ich herüber kam, Empfehlungen dorthin gegeben hatte. Er hat sein ganzes Leben in rastloser Tätigkeit der Arbeitersache gewidmet, geopfert. Nun ist er tot. Er sprach tiefbewegt, und es war ein Wunder, zu sehen, wie die Tausende unter den Hörern, die vielleicht kein einziges deutsches Wort verstanden, andächtig seinen Worten lauschten, ein Wunder zu sehen, wie sie von seiner Seelenerregung, die sich in Tonfall, in Mienen und Geberden wiederspiegelte, selbst ergriffen wurden. Die Berührung der verschiedenen Menschennationen, die hier vertreten waren, erzeugte mit einem elektrischen Strom ein völlig neues Empfinden, ein neues Fühlen, das für seine Mitteilung von einem zu andern der Einzelsprache der Nationen gar nicht mehr bedurfte: in den jubelnden Zurufen, in den leuchtenden Blicken, in den Handbewegungen gab es sich kund. — Ein Russe sprach dann russisch, ein Böhme böhmisch, ein Franzose französisch. Der Franzose betonte die Auslöschung des Nationalhasses auf Erden, die diese Feier so erhebend der Welt kund tue, eine Totenfeier von der die Teilnehmer noch ihren Kindern und Kindeskinders erzählen werden.

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WISSENSCHAFTLICHE PROSA

Aus: Die Idee der Entwickelung I. Teil

E s g a b ein V o l k , von dessen D i c h t e r n u n d D e n k e r n w i r g e z w u n g e n sind z u s a g e n : Sie h a b e n alles v o r a u s g e f ü h l t u n d v o r a u s g e a h n t . Dieses V o l k waren die Griechen. W e n n wir in d e m A n s p r u c h : o/xrj dagelg ävögomoq ov naideverel der Mensch wird n i c h t g r o ß ohne Qual, f ü r den E i n z e l begriff Mensch den Gesamtbegriff Menschheit setzen, so ist in diesem A u s s p r u c h u n b e w u ß t dargestellt das W e s e n der g a n z e n bisherigen M e n s c h h e i t s e n t w i c k l u n g d u r c h alle E p o c h e n der N o t u n d des Elendes hindurch, aus d e m T i e r heraus, d u r c h die E n t w i c k l u n g s f o r m der U n k u l t u r , der Sklaverei, der F r o n a r b e i t , der L o h n a r b e i t z u m Sozialismus u n d z u den Z u s t ä n d e n , die wir selbst heute nur ahnen können. Mehr als z w e i t a u s e n d J a h r e ist es her, d a ß der Grieche H e r a k l i t v o n E p h e s u s zuerst die W o r t e s p r a c h : Alles fließt, es g i b t n i c h t s R u h e n d e s im W e l t a l l u n d der K a m p f ist der V a t e r aller D i n g e ; u n d heute, in unserer gärungsvollen G e g e n w a r t sind es ebendiese W o r t e , welche die W i s s e n s c h a f t s w e l t bewegen, sind es diese selben A u s s p r ü c h e , deren W a h r h e i t sich d u r c h g e bohrt u n d plötzlich neue Gestalt g e w o n n e n h a t in einer folgeschweren E r k e n n t n i s der Menschheit, in der Lehre v o n der z u s a m m e n h ä n g e n d e n u n d aufeinanderfolgenden E n t w i c k l u n g aller organisierten W e s e n auf der E r d e . E s w a r ein Mitglied jener N a t i o n , welche bis auf den heutigen T a g die F ä h i g k e i t bewiesen h a t , b l i t z a r t i g mit der G a b e des Genies das V e r g a n g e n e z u stürzen u n d die Z u k u n f t aufzuhellen, sei es durch k ü h n e E r s t l i n g s t a t e n in der Geschichte, sei es durch Forschungsergebnisse in der W i s s e n s c h a f t , es w a r ein Mitglied der französi-

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sehen Nation, von welchem zuerst diese neue Lehre wissenschaftlich aufgestellt und in ihren kühnsten Folgerungen durchgeführt wurde. Der Name dieses Mannes ist Lamarck. Und was großen Erfindern und Entdeckern in der Geschichte der Menschheit so oft, begegnete auch ihm. Seine neu gefundenen Ideen, von den Zeitgenossen unverstanden, wurden niedergekämpft, sein Wissenschaftswerk totgeschwiegen, und ein halbes Jahrhundert mußte vorübergehen, ehe seine Schöpfung zu glänzenderem Nachruhm des längst Verstorbenen wieder auferstand, eine Tatsache, welche mit wehmütig stolzem Bewußtsein der Entdecker selbst prophezeit hatte.* Das Wiederaufleben dieser Ideen wurde im Jahre achtzehnhundertneunundfünfzig durch das Erscheinen eines Buches bewirkt, mit welchem eine Revolution auf allen naturgeschichtlichen und sprachlichen Gebieten des menschlichen Wissens begonnen hat. Es ist dies das Buch von Darwin „Über die Entstehung der Arten". Die revolutionäre Bedeutung dieses Buches wird von dem Verfasser selbst mit Voraussicht erkannt**, und wie Wallace in England***, so konnte ein deutscher Forscher, Haeckel, von welchem der Spruch gilt, daß der Schüler den Lehrer anspornt, bereits die großartige Wirkung vorführen, die schon jetzt, nach kaum zehn Jahren, dieses Buch in der Gesamtanschauung den denkenden Menschen hervorgebracht hat.**** In demselben Jahre, in welchem zuerst das Buch Darwins erschien, wurde von einer ganz anderen Richtung her nach demselben Ziele hin eine bedeutungsvolle Umwälzung in dem Wissen der Menschen durch eine Schrift angebahnt, die geraume Zeit unbeachtet blieb und betitelt ist: „Zur Kritik der politischen Ökonomie" von Marx. Diese Schrift war der Vorläufer des vor sechs Jahren * Philosophie zoologique par J.-B.-A.-Lamarck. A . Paris M D C C C I X , Tome premier. Seite X X . * * On the Origin of Species b y Charles

Darwin.

Fifth

edition, London 1869, Seite 575—577. * * * Contributions to the theory of Natural Selection b y Alfred Rüssel Wallace, London 1870, Seite 56—47. * * * * Natürliche Schöpfungsgeschichte von Ernst

Haeckel.

Vierte Auflage, Berlin 1873, S. X X X V - X X X V I I .

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erschienenen Werkes: „Das Kapital". Was jenes Buch: „Über die Entstehung der Arten" für das Werden und die Entwicklung in der unbewußten Natur bis herauf zum Menschen, ist dieses Werk: „Das Kapital" für das Werden und die Entwicklung in der Gesellschaft menschlicher Einzelwesen, in den Staaten und Gesellschaftsformen der Menschheit. Die gegenwärtig in den Hauptkulturländern herrschende Gesellschaftsform wird als eine naturnotwendige Entwicklungsstufe dargestellt, mit welcher die Vorgeschichte der Menschheit abschließt.* Der letzte, heute noch nicht ausgespielte Akt dieser keineswegs lustigen Vorgeschichte heißt: Die Herrschaft des Kapitals. Das Wesen des Kapitals war bisher dem Bewußtsein der menschlichen Gesellschaft ein Rätsel. Die Auflösung dieses Rätsels wird in dem Satze gegeben: Kapital ist Kommando über unbezahlte Arbeit, Kapital entsteht durch unbezahlte Mehrarbeit. Dieser Satz wird nachgewiesen.** Aber eine Fülle von Gedanken muß dem Hirn des Menschen bei der Erkenntnis zuströmen, die sofort aufsteigt, daß die ganze Menschheitsgeschichte auf Erden bisher tatsächlich nichts anderes war, als der Kampf gegen das Unrecht, gegen das Unrecht in seinen drei Hauptkulturgestalten: Der persönlichen Sklaverei, der Feudalherrschaft, der Kapitalherrschaft; daß alle Qual der Menschheit, alles Leiden, alles Elend aus diesem Unrecht floß, daß diese drei Gestaltungen der menschlichen Gesellschaft zwar notwendige Entwicklungsformen darstellen, daß aber heute, nachdem die naturwissenschaftlichen Erfindungen und Entdeckungen der menschlichen Vernunft es möglich gemacht haben, auch die letzte Gestaltung dieses Unrechts aus der Welt zu schaffen, sie in eine von Grund aus neue Entwicklungsform der Menschheit umzuwandeln, all dieses Elend, all diese leibliche Not ein Ende nehmen muß und aller Entwicklungskampf der Zukunft sich muß beschränken * **

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Zur Kritik der politischen Ökonomie v o n K a r l Marx Erstes Heft, Berlin 1859, S. V I . Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie von K a r l Marx, Hamburg 1867, Seite 130—132, 134—136, 139—140, 151—152, 156, 159—160, 200—201, 519—520, 525-526. Häckel, Jacoby

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lassen auf den Wettkampf des menschlichen Bewußtseins, das heißt auf die Entwicklung des menschlichen Gehirns und auf die Wahrheit und Schönheit, die daraus quillt. Diese Erwägung, diese logische Schlußfolge muß jeden denkenden Menschen mit einem Gefühl unendlicher Freude erfüllen. Das Buch: „Das Kapital" ist die Fortsetzung und Ergänzung von Darwins Entstehung der Arten und Abstammung des Menschen. Das Werk von Darwin hebt den Schleier auf von den Geheimnissen der vergangenen Menschenwelt, das Buch: „Das Kapital" hebt den Schleier auf von den Geheimnissen der gegenwärtigen Menschenwelt. Das Buch „Uber die Entstehung der Arten", indem es die Spuren der Menschheitsentwicklung verfolgt bis zu den allerentferntesten Zeiten und Entwicklungsformen, lehrt den Menschen rückwärts schauen in die unendliche Vergangenheit. Das Buch: „Das Kapital", indem es das Kapital nachweist als Verfügung über unbezahlte Arbeit, als ein Produkt unbezahlter Arbeitszeit, mithin als ein Erzeugnis des Unrechts, und indem es das Entstehen und Geschehen dieses Unrechts verfolgt bis in die geheimsten Schlupfwinkel hinein, lehrt die Menschen über die ganze Erde schauen, in die Gesellschaftszusammenhänge der Gegenwart. Das sind zwei gewaltige, neu errichtete Grundpfeiler der menschlichen Erkenntnis. Wie, wenn diese beiden Pfeiler genügen, um darauf gestützt, das Gebäude, welches zu tragen sie bestimmt sind, schon jetzt in der Idee zu zeichnen, wenn diese beiden Wahrheiten aus sich heraus im Stande sind, die Menschen zu lehren, vorwärts zu schauen in die Unendlichkeit der Zukunft? Das Unternehmen von dem festen Grund und Boden dieser gefundenen Wahrheiten aus, durch wissenschaftlichen Nachweis und durch reine Vernunftschlüsse die Bahn zu finden und aufzuzeigen, auf welcher die Entwicklung der Menschheit naturnotwendig vorwärts schreitet, ist eine Aufgabe, der höchsten Mühe und Anstrengnug würdig, und selbst wenn diese Aufgabe auf der gegenwärtigen Stufe des menschlichen Wissens nicht anders gelöst werden kann als in Begleitung einer Fülle von Irrtümern und Unvollständigkeiten, schon die Wirkung, die ein solches Unternehmen erzwingen wird:

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Diese Irrtümer in Wahrheit zu verwandeln, diese UnVollständigkeiten zu ergänzen, muß von nachhaltigem, unvergänglichen Werte sein. . . . . . Drei große Naturgesetze dieser Entwicklungslehre sind es, deren Erkenntnis uns zu der Höhe führen muß, von wo aus wir den Gipfelpunkt und das Ziel unserer Aufgabe erblicken können und wo wir den Pfad finden müssen, dieses Ziel zu erreichen. Ich nenne diese drei Gesetze, das erste: Den Widerschlag der unbewußten Natur gegen das Unrecht, das zweite: Die Umkehrung der Verkehrtheit durch das Bewußtsein, das dritte: Das Schaffen des Schönen in der menschlichen Gesellschaft. Wenn Sie einem unbewußten Kinde einen Schlag auf die Wange geben, so wird das unbewußte Kind mit seinem Arm die Bewegung vollführen, Sie wieder zu schlagen. Hier haben Sie als eine Äußerung der unbewußten Natur den Widerschlag gegen das Unrecht. Dies Gesetz des Widerschlags geht durch die gesamte unorganisierte Welt ebenso wie durch die unbewußte organisierte Welt. Wenn Sie mit der platten Hand das Wasser schlagen, was offenbar unvernünftig ist, so erhalten Sie vom Wasser einen schmerzhaften Widerschlag. . . Sie können aus diesem Experiment des Schlages aufs Wasser sofort etwas anderes lernen und das ist die Erkenntnis, daß alles Unrecht auf Erden nichts anderes ist als ein Handeln gegen die menschliche Vernunft, und daß die sogenannte göttliche Gerechtigkeit nichts anderes ist als die menschliche Vernunft selbst. Es muß an dieser Stelle in Ihrem bewußten Denken die Frage gegen mich auftauchen: Wenn Recht nichts anderes ist als ein Handeln nach der menschlichen Vernunft und Unrecht das Gegenteil, was nennst Du menschliche Vernunft ? Auf diese Frage kann meine Erklärung der Vernunft an dieser Stelle keine erschöpfende sein, doch muß sie für jetzt genügen. Ich nenne Vernunft diejenige Eigenschaft des entwickelten menschlichen Gehirns, welche sich mit Naturnotwendigkeit dahin äußern muß, beispielsweise, daß schwarz schwarz ist, daß weiß weiß ist, daß schwarz niemals weiß sein kann, daß weiß niemals schwarz sein kann, daß zwei mal zwei vier ist, daß die Winkel einens jeden Dreiecks gleich zwei rechten sein müssen, daß eins unendlich oft mit sich 11»

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selbst mulzipliziert, immer eins bleibt. . ., daß alles, was häßlich ist, Schmerz verursacht, daß alles, was schön ist, Freude verursacht, daß das Entstehen des Schönen aus dem Häßlichen Schmerz in Freude verwandelt, daß das Entstehen des Schönen aus dem Häßlichen eine Entwicklung zum Vollkommen-Schönen darstellt, daß das Wahrnehmen und die Erkenntnis einer jeden solchen Entwicklung den Menschen selbst entwickelt und gut macht, daß gut, schön und wahr zuletzt einundasselbe ist, nämlich das Ziel der Entwicklung: Diese Eigenschaft des entwickelten menschlichen Gehirns nenne ich die Vernunft. . . Es ist also beispielsweise genau ebenso ein Unrecht zu sagen, daß zwei mal zwei fünf ist, als zu denken, daß ein persönlicher Gott ist, als zu schreiben, daß ein Mensch Herr oder Knecht eines anderen Menschen sein darf, als seinen Nebenmenschen totzuschlagen. Und es ist beispielsweise genau ebenso ein Recht, mit Urteil in bewußter Erkenntnis der Dinge zu sagen, daß die heut herrschenden Gesellschaftszustände innerlich morsch und unhaltbar sind, als zu denken, daß diese innerlich morschen und unhaltbaren Zustände über kurz oder lang zusammenbrechen müssen, als zu schreiben, daß die Zeit dieses Zusammenbruchs und damit notwendig der Beginn einer neuen großartigen und schöneren Entwicklungsform der Menschheit, der Beginn einer Weltwende, sichtbar über alles Erwarten schnell herankommt, als mit den Betätigungen seines Denkens für diese neue und schönere Entwicklungsform der Menschheit einzustehn. Wir haben durch diese Erklärung eine, wenn auch noch unvollständige, Erkenntnis des Begriffes Vernunft und Recht gefunden. Legen wir diese Erkenntnis als einen Schlüssel an gewisse, bis dahin ungelöste Fragen, worin die Bedeutung der Vernunft bisher rätselhaft erschien, so muß sich bei diesem Experiment zeigen, ob die von uns gefundene Erkenntnis Wahrheit ist. Wir haben als ein Forschungsergebnis der auf die Gesellschaftsepochen ausgedehnten neuen Lehre die Tatsache vorgeführt, daß die bisherigen Entwicklungsforformen der Menschheit auf Unrecht aufgebaut waren, also wie wir jetzt wissen auf Unvernunft. . . . Denn, wenn die Gesellschaftsformen der Menschheit bisher immer und

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überall auf Unvernunft begründet waren, so kann es nicht anders als selbstverständlich sein, daß diese Unvernunft nur durch Unvernunft erhalten bleiben und weiter geführt werden konnte. Wäre einmal der Vernunft Gelegenheit gegeben worden, hier einzugreifen, so hätte sie mit Notwendigkeit die Aufgabe erfüllen müssen, die Unvernunft aus dem Wege zu räumen, das Unrecht in Recht zu verwandeln, das heißt die bestehende Gesellschaftsform aufzulösen. . . . Freilich, in den verwickelten Beziehungen des staatlichen und des Gesellschaftslebens der Menschen kann dies Naturgesetz nicht so einfach und unmittelbar zu Tage treten wie beim Experiment des Schlages aufs Wasser, des Schlages gegen ein Kind. Doch bricht es durch mit derselben Notwendigkeit hier wie dort, sicher und unerbittlich wie das Fatum der Alten. Hier ein Beispiel: Die Unvernunft der kapitalistischen Produktionsweise, sagt der Verfasser des Buches: „Das Kapital", macht sich der herrschenden Klasse am schlagendsten fühlbar in der allgemeinen Krise, dem notwendigen Gipfelpunkt der widerspruchsvollen Bewegung der modernen Industrie. Und von dem Verlauf solcher Krisen hat Engels ein Bild gezeichnet so eindringender Natur, daß ein überzeugenderer Beweis für die Wahrheit dieses Gesetzes schwer gefunden werden kann.* Ich sagte vorhin: Die große Menge der Menschen in allen Kulturstaaten der Erde ist bis heute zum Bewußtsein noch nicht erwacht. An dem Wendepunkt, wo dies geschieht, muß ein anderes Naturgesetz der Entwicklung zur Äußerung kommen: Die Umkehrung der Verkehrtheit durch das Bewußtsein. . . . Solange dies Bewußtsein noch nicht erwacht ist, müssen notwendig verkehrte Abbilder der Wahrheit als die Anschauungen der Menschen existieren. Greifen wir ein paar Beispiele solcher heut existierenden umgekehrten Abbilder der Wahrheit heraus: Diejenigen, die den Beruf haben, ihre Mitmenschen totzuschlagen, die Soldaten und Krieger, sind hochgeachtet; * Friedrich Engels, Die Lage der arbeitenden Klasse in England. Zweite Ausgabe, Leipzig, Verlag von Otto Wigand 1848, pag. 106 seq.

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diejenigen, die den Beruf haben, ihre Mitmenschen unsterblich zu machen, die Lehrer und Künstler, sind gering geachtet. Die Menschen bilden sich ein, von Göttern abzustammen und sind heutzutage in ihren Zuständen fast buchstäblich zu Tieren geworden, während die Wahrheit ist: Die Menschen stammen von Tieren ab und müssen zu Göttern werden. Was bei dem Beispiel mit der Flamme die Wahrheit der Anschauung von dem Verhalten eines Einzeldinges war, das ist in diesen Beispielen die Wahrheit der Anschauung von dem Verhältnis der Menschen zueinander und zur gesamten Natur. Wir nennen solche heut existierenden, in der Anschauung einer Gesamtheit von Menschen herrschenden umgekehrten Abbilder der Wahrheit menschliche Verkehrtheiten. Uber diese menschlichen Verkehrtheiten hat Spinoza ein denkwürdiges Wort gesprochen. Er sagt: Man muß die menschlichen Verkehrtheiten nicht belachen und nicht beweinen, sondern man muß sie verstehen. Aber Spinoza war zur Erkenntnis der Entwicklungslehre noch nicht gelangt. Diese Erkenntnis zwingt den denkenden Menschen, nicht nur zu verstehen, nicht nur zu wissen, sondern aus dem Verstandenen, aus dem Gewußten die Anwendung des Verstandenen und Gewußten zu lernen und so sein eigenes Bewußtsein zu entwickeln. Auf einer gewissen Stufe der Entwicklung angelangt, duldet das Bewußtsein der Menschen eine solche Verkehrtheit nicht mehr, sondern, nachdem es sie als verkehrt erkannt hat, kehrt es sie um und macht die Verkehrtheit gerade und stellt in solcher Weise die Wahrheit in seinem Bewußtsein her. . . . Sehen wir uns die folgenden heut herrschenden Anschauungen an: Der Arbeiter gibt die von ihm hergestellte Arbeit dem Fabrikanten, bekommt dafür in Form des Lohnes das Äquivalent für einen Teil dieser Arbeit zur notdürftigen Erhaltung seines gewohnheitsgemäßen Daseins zurück und bleibt notwendig elend dabei. Der Fabrikant nimmt die von dem Arbeiter hergestellte Arbeit, und der nicht in Form des Lohnes zurückgegebene Teil dieser Arbeit bildet sein Kapital. Der Arbeiter wird Arbeitnehmer genannt, der Fabrikant wird Arbeitgeber genannt. Also wird derjenige, der die Arbeit gibt, Arbeitnehmer ge-

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nannt und derjenige, der die Arbeit nimmt, wird Arbeitgeber genannt. Die so bezeichnete Anschauung ist offenbar ein verkehrtes Bild der Wahrheit. Das aufwachende Bewußtsein der Menschen kehrt diese Verkehrtheit um und nennt den Fabrikanten, das heißt denjenigen, der in Wahrheit die Arbeit nimmt, Arbeitnehmer, und nennt den Arbeiter, das heißt denjenigen, der in Wahrheit die Arbeit gibt, Arbeitgeber; und wenn dies geschieht, so ist die Wahrheit der Anschauung dieses Verhältnisses in dem Bewußtsein der Menschen hergestellt, und damit zugleich ein unaufhaltsam treibender Sporn zur Vorwärtsentwickelung der Menschheit gegeben, aber jetzt nicht mehr für eine geringe Anzahl von Menschen, sondern für die große Mehrzahl, ja für alle Arbeiter, das heißt für die Menschheit auf Erden. . . . Unter dasselbe Gesetz fällt dieser Vernunftschluß: Was einen Einzelmenschen bewegt, das kann im besten Falle eine Sache sein, eine Idee; aber es kann in unendlich vielen Fällen Selbstsucht und Eigennutz sein. Was aber eine Gesamtheit von Menschen bewegt, das kann niemals Selbstsucht und Eigennutz sein, das ist immer eine Sache, das ist immer eine Idee. Hieraus folgt der durch Umkehrung der heut herrschenden Anschauung bewirkte Satz: Eine Gesamtheit von Menschen darf nicht einem Einzelmenschen treu sein, das ist unwahr und verkehrt; aber der Einzelmensch muß einer Gesamtheit von Menschen treu sein, der Mensch muß einer Sache treu sein, der Mensch muß einer Idee treu sein, das ist aufrecht und wahr. Im Zusammenhang mit diesem Vernunftschluß steht die Erkenntnis, daß der Satz: Alle für einen, einer für alle, eine Verkehrtheit enthält. Das Verhältnis, das mit diesem Satz bisher ausgedrückt wurde, muß in Wahrheit heißen: Alle für jeden und jeder für alle. Denn der Begriff einer schließt die andern aus, der Begriff jeder schließt die andern ein. In dem Begriff einer ist das Vorrecht eines einzelnen enthalten, in dem Begriff jeder ist die Gleichberechtigung aller enthalten. Unter dasselbe Gesetz fällt die Erkenntnis eines bedeutungsvollen Unterschiedes zwischen dem Gefühl der Liebe und dem Gefühl der Dankbarkeit. Nichts hindert die Menschheit, ihre großen Toten zu ehren, die Märtyrer der Wissen-

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schaft und der Freiheit zu lieben, dem lebenden Verdienst Anerkennung zu zollen. Das Gefühl der Liebe ist unendlich und geht nach allen Richtungen wie das Meer, das Gefühl der Dankbarkeit kann nur nach einer Richtung gehen wie der Strom, es kann nicht zugleich vorwärts und zugleich rückwärts gehen. Da nun die Entwicklung der Menschheit nicht rückwärts sondern vorwärts geht, so taucht plötzlich in dem erwachenden Bewußtsein der Menschen die Erkenntnis auf: Der Dank nach rückwärts ist unwahr und verkehrt, der Dank nach vorwärts ist aufrecht und wahr; der Mensch darf nicht rückwärts dankbar sein, sondern muß vorwärts dankbar sein. Diese eine Erkenntnis, diese eine Wirkung unseres Gesetzes: Die Abtragung des schuldigen Dankes nicht nach rückwärts, sondern nach vorwärts ist so bedeutungsschwer, daß sie das ganze, in all seinen Äußerungen bis heute noch immer rückwärts gekehrte Menschentier umkehrt und zu einem vorwärts gekehrten Menschen macht. Der Mensch hatte Jahrhunderte, Jahrtausende hindurch derartige Verkehrtheiten in der menschlichen Gesellschaft für aufrecht und wahr gehalten. In dem Augenblick, wo er sie als verkehrt erkannt hat und in Folge durch ein Naturgesetz der Entwicklung gezwungen ist, sie umzukehren, ist er zugleich wie aus einem langen Schlaf zum Bewußtsein aufgewacht, er hat sein Selbstbewußtsein entwickelt. Denn der Mensch, der die Wirkung dieses Gesetzes in seinem Gehirn durchgemacht, weiß jetzt nicht nur, daß die in solcher Weise bisher existierenden Abbilder der Wahrheit verkehrte waren, sondern er weiß auch, daß sein eigenes Gehirn diese Abbilder hat umkehren müssen, um die Wahrheit herzustellen: Er ist sich also der Fähigkeit und der Macht seines eigenen Gehirns bewußt geworden, das heißt, er ist seiner selbst bewußt geworden, er hat sein Wissen von sich, sein Selbstbewußtsein entwickelt. Und diese Stufe der Entwicklung hat der Mensch nicht als ein alleinstehendes Einzelwesen erreicht, sondern als ein Einzelwesen innerhalb der menschlichen Gesellschaft, denn diese verkehrten Abbilder der Wahrheit existierten nur als die heut bestehenden, heut herrschenden Verhältnisse und Zustände innerhalb der menschlichen Gesell110

schaft. Wir haben somit nach Erkenntnis unseres ersten Gesetzes aus einem Gegenstand der unbewußten Natur, zu welcher ebenso wie das Kind die große Menge der heute noch unbewußt dahinlebenden Menschen gehörte, vermöge der Wirkung unseres zweiten Gesetzes einen selbstbewußten Menschen innerhalb der menschlichen Gesellschaft erhalten. An diesem Wendepunkt der Entwicklung t r i t t ein drittes großes Naturgesetz in Wirkung, und ich nenne dies Gesetz: Das Schaffen des Schönen in der menschlichen Gesellschaft. Um zur Erkenntnis des Begriffes Schaffen zu gelangen, müssen wir ihn aus einem Allgemeineren entwickeln, und zwar aus dem Begriff Arbeit. Ich nenne arbeiten in der menschlichen Gesellschaft diejenige Bewegung des menschlichen Körpers, welche auf ein für die menschliche Gesellschaft nützliches Ziel gerichtet ist.

Der natürliche Stein auf dem Felde wurde zu einem künstlichen Arbeitsmittel an dem Wendepunkt der Entwicklung, als der erste wilde Mensch ihn aufhob, um ein wildes Tier damit totzuschlagen. Und das wilde Tier selbst, ebenso der unbewußten Natur angehörend wie der Stein, wurde zu einem künstlichen Arbeitsmittel, als der Mensch begann es zu zähmen, und zwar zur nurmechanischen Arbeit für den Menschen abzurichten. Das Wasser des Stromes wurde zu einem künstlichen Arbeitsmittel, als der Mensch es anzuwenden begann, um ein Mühlrad zu bewegen, und das Wasser wurde zu einem fast vollendeten künstlichen Arbeitsmittel, als der Mensch es nicht mehr in seiner flüssigen, sondern in seiner Dampfform anzuwenden begann, wie denn schließlich das Wasser, aus welchem alle organischen Entwicklung auf Erden hervorging, noch ein anderes Arbeitsmittel von unschätzbarem Wert, das Heizmaterial aller Maschinen der Zukunft in sich birgt. Wir nennen das künstliche Arbeitsmittel in seiner einfachen Gestalt Werkzeug, in seiner entwickelten Gestalt Maschine. Ein durchschneidender Unterschied zwischen beiden läßt sich nicht feststellen. Die geschichtliche Bedeutung der 111

künstlichen Arbeitsmittel hebt Marx hervor.* Die E n t wicklungsgeschichte der Menschheit, seit sie aus dem Tier heraustritt unauflöslich verbunden mit der E n t wicklung der künstlichen Arbeitsmittel und ohne sie nicht denkbar, bewegt sich in einer K u r v e v o n parabelähnlicher Gestalt. A u s der unendlichen Vergangenheit herkommend geht sie gar langsam bis zur industriellen Revolution des letzen Jahrhunderts, welche durch die Erfindung der Spinn- und Webmaschine hervorgebracht wurde, sodann in unvergleichlich schnellerer Beweg u n g läuft sie ihrem B r e n n p u n k t zu, der Erfindung der Dampfmaschine, und u m diesen herumgehend ist sie gegenwärtig nahe vor ihrem W e n d e p u n k t angelangt, u m sodann als das Kehrbild der bisherigen W e l t des Elendes und der Not v o r w ä r t s zu gehen in die Unendlichkeit der Z u k u n f t . Eine Darstellung des früheren E n t w i c k lungsganges der Arbeitsmittel ohne Erkenntnisse des gegenwärtigen Zustandes wird von G r o t h e * * gegeben. A l s das Wesen der Maschine m u ß der S a t z hingestellt werden: Die Maschine ist der naturnotwendige Vollbringer der nurmechanischen A r b e i t . Alle nurmechanische Arbeit läßt sich zurückführen auf die B e w e g u n g der geraden Linie, des Kreises, der Elipse und der anderen durch die Wissenschaft der Mathematik festgestellten K u r v e n , und alle diese Bewegungen können ausgeführt werden und werden z u m großen Teil bereits gegenw ä r t i g tatsächlich ausgeführt durch Maschinen. E s gibt keine nurmechanische A r b e i t auf irgendeinem Gebiet der menschlichen Wiedererzeugung, die nicht durch eine Maschine vollführt werden kann. W e r je mit seinen eigenen A u g e n einen D a m p f h a m m e r wie den zu Essen oder in Moabit bei Berlin, eine große Spinnmaschinerie wie die Aktienspinnerei z u Chemnitz, eine Werkzeugmaschinerie wie die von H a r t m a n n daselbst, eine Stickund Strickmaschine, landwirtschaftliche Maschinen auf * Karl Marx, Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie, Erster Band, Zweite verbesserte Auflage, Hamburg, Verlag von Otto Meißner, 1872, pag. 166. ** Dr. Hermann Grothe, Bilder und Studien zur Geschichte der Industrie und des Maschinenwesens Erste Sammlung, Berlin, Verlag von Julius Springer 1870, pag. 6 seq. 112

ihrem Grund und Boden und das Gros aller Maschinen auf einer Weltausstellung hat arbeiten sehen, muß die Wahrheit des Satzes als eine bereits gegenwärtig vollführte zugeben. Es ist durch-den Anblick dieser arbeitenden Maschinen ein direkter Beweis für das vorhin ausgesprochene Wesen der Maschinen beigebracht. . . . . . Es ist also immer und überall und in jeglichem Grade die Maschine ein Betätiger des bewußten Denkens anderer Menschen, das heißt die Maschine ist ihrem Wesen nach ein nurmechanischer Arbeiter, die Maschine ist der naturnotwendige Vollbringer aller nurmechanischen ArArbeit. Damit ist zugleich als ein Naturgesetz der vorwärtsgehenden Entwicklung der Menschheit ausgesprochen: Die Maschine ist durch ihr Wesen mit Notwendigkeit bestimmt, dem Menschen die nurmechanische Arbeit abzunehmen und zwar dergestalt, daß die noch übrig bleibende notwendige Arbeit des Menschen am Anfangspunkt und Ausgangspunkt der Maschine frei ist von allen Wirkungen, welche die natürliche Entwicklung des arbeitenden Menschen verhindern oder unmöglich machen. Solche Wirkungen sind: Die Zerstörung des gesamten menschlichen Körpers, des Mannes, des Weibes, des Kindes durch alle rohe, den Körper abhetzende und aufreibende, häßliche und deshalb Schmerz verursachende Arbeit, und im besonderen die Zerstörung des menschlichen Gehirns, das heißt die verhinderte Entwicklung des menschlichen Denkens durch alle täglich langandauernde nurmechanische Arbeit. Der notwendige Befreier des Menschen von all diesen Wirkungen ist die Maschine. Die Erzeugung stets neuer und vervollkomneter Maschinen durch das menschliche Gehirn für alle Gebiete der menschlichen Arbeit in Landwirtschaft, Verkehr und Industrie ist ebenso unbegrenzt wie ihre Wiedererzeugung und Vervielfältigung durch die menschliche Hand aus den Produkten der Natur. Ein guter Überblick über die Ausbreitung der Dampfmaschinen bis vor etwa zehn Jahren und über die Gewinnung von Eisen und Stahl, des Hauptbestandteiles aller Maschinen, wird vpn Karmasch* gegeben. * Karl Karmasch, Geschichte der Technologie seit der 113

Eine Schilderung der Tätigkeit landwirtschaftlicher Maschinen findet sich bei Hamm.** Seit den letzten zehn Jahren beginnt die Ausdehnung und Verbreitung der Maschine, worunter ich also zunächst ein jedes entwikkeltes künstliches Arbeitsmittel verstehe, in den Hauptkulturländern der Erde in einer Weise zuzunehmen, die sich mit dem früheren Wachstum gar nicht mehr vergleichen läßt. Es ist, als ob eine Zahlenreihe, die bisher in bestimmten Zeitabschnitten anstieg in dem Verhältnis von eins zu zwei zu vier zu acht, plötzlich in denselben Zeitabschnitten fortfährt zu steigen von acht zu achtzig zu achthundert zu achttausend zu achtzigtausend. Die herrschende Art und Weise der Anwendung dieser in solchem Maße vermehrten Maschinen in den Hauptkulturländern der Erde ist gleichbedeutend mit der herrschenden Herstellungsweise aller für die menschliche Gesellschaft nützliche Dinge, gleichbedeutend mit der gegenwärtig herrschenden, ihrem Ablauf und Ende zueilenden kapitalistischen Entwickelungsform der menschlichen Gesellschaft. Werfen wir einen Blick auf den Zustand, den die heute herrschende kapitalistische Art und Weise der Anwendung der Maschinen unter den arbeitenden Menschen tatsächlich herstellt. Der Geist des Ermordeten spricht zu Hamlet: Wär mir's nicht untersagt Das Innre meines Kerkers zu enthüllen, So hob ich eine Kunde an, von der Das kleinste Wort die Seele dir zermalmte. Die Einbildungskraft des größten Dichters, der bisher gelebt hat, wäre nicht imstande gewesen, an dieser Stelle die Höllenphantasie poetisch zu ersinnen, welche die Geschichte der kapitalistischen Herstellungsweise zu einer tatsächlichen Wirklichkeit gemacht hat und je Mitte des achtzehnten Jahrhunderts, München 1872, R . Oldenburg, pag. 209 seq. ** Dr. Wilhelm H a m m , Die landwirtschaftlichen Geräte und Maschinen Englands, ein Handbuch der landwirtschaftlichen Mechanik und Maschinenkunde. Zweite Auflage, Braunschweig, Vieweg und Sohn 1858.

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nach dem Grade ihrer Entwicklung noch heute tatsächlich verwirklicht. Als solche verwirklichte Höllenphantasie tritt uns entgegen: Die Kinderarbeit, das Indenbodenstampfen aller natürlichen Unterschiede zwischen Mann und Weib, zwischen Kind und Mann, zwischen Nacht und Tag, die Verkrüppelung des menschlichen Körpers und die Zerstörung aller Gehirnentwicklung in ganzen Generationen durch die Teilung der Arbeit und durch die Länge der Arbeitszeit, der aussichtslose Verzweiflungskampf der Handarbeit gegen die Maschinenarbeit, das heißt der mit Notwendigkeit vor sich gehende und daher unabänderliche Untergang aller Handwerke, Kleingewerbe und Kleinwirtschaft auf dem Lande im Kampf gegen die Großindustrie und die Maschinenanwendung im Ackerbau, das zeitweise zu Tode Hetzen der Arbeiter in solchen Manufakturen oder an den Maschinen, die Züchtung der Schwindsucht, die Schilderungen der Arbeitsräume und der Wohnverhältnisse in den Städten und auf dem Lande, das Brotloswerden der Arbeiter in allen Krisen, das Überflüssigwerden und in England die gewaltsame Austreibung der Landarbeiter, das Gangsystem daselbst und die Verwandlung des von Menschen bewohnten Grund und Bodens in Viehweiden, Schaftriften und Jagdgründe, alles das mit einer Brutalität, die sofort für unwahr und unmöglich erklärt werden würde, wenn sie nicht durch amtliche Aktenstücke mit Zahlen und mit Namen öffentlich festgestellt wäre. Diese amtliche Feststellung geschah in England durch eine fortdauernde Reihe von Parlamentskommissionen zur Untersuchung von Tatsachen, vor allem durch die Kommission zur Untersuchung der Kinderarbeit und der öffentlichen Gesundheit. Die Untersuchungen wurden durch die vom Parlament ernannten Fabrikinspektoren und Ärzte ausgeführt, welche sich durch die Vollführung ihres Amtes und durch ihre klassischen Berichte um alle Arbeiter auf Erden, das ist um die Menschheit, wohl verdient gemacht haben. Durch einen bloßen Auszug aus diesen Berichten, die besonders in den Zeugenaussagen ein dramatisches Interesse gewähren, ist es dem Verfasser des Buches: „Das Kapital" möglich geworden, der Welt ein Medusenhaupt von 115

Tatsachen entgegenzuhalten.* Diese Tatsachen bestehen selbstverständlich nicht etwa allein in England, sondern mit Notwendigkeit in allen Ländern mit moderner Kulturentwicklung, je nach der Ausbildung und dem Grad dieser Entwickelung, das heißt immer und überall da, wo die kapitalistische Herstellungsweise als gesellschaftliche Entwicklungsform zur Herrschaft gelangt. Sie bestehen gegenwärtig außerhalb Englands in ihrer ausgeprägtesten Gestalt in Belgien, sodann in Frankreich, im gesamten Umfange des Deutschen Reichs, in Österreich, in der Schweiz, in den Industriestaaten Nordamerikas, nur hier überall vor der Öffentlichkeit verhüllt und in Nacht getaucht durch die mangelnde Statistik, durch den Mangel jeder öffentlichen Untersuchung und Kenntnisnahme. England ist der Boden, von welchem geschichtlich zuerst mit der Erfindung und Einführung der Spinnmaschine die industrielle Revolution und damit die gegenwärtig herrschende Entwicklungsform der menschlichen Gesellschaft ausging, und die englischen Arbeiter sind daher im buchstäblichen Sinne die Schmerzenskinder für alle Arbeiter der übrigen Welt in allen wirtschaftlichen Dingen gerade ebenso geworden wie die französischen Arbeiter in den politischen. Die herrschende Art und Weise der Herstellung aller für die menschliche Gesellschaft nützlichen Dinge, von den einfachsten, notwendigsten Lebensmitteln bis zu den Luxusartikeln, ist zu allen Zeiten, solange eine Menschengeschichte existiert, die Grundlage der bestehenden Entwicklungsform der menschlichen Gesellschaft gewesen. Alle Zustände, alle Äußerungen der menschlichen Gesellschaft sind auf dieser Grundlage aufgebaut. . . . . . Die erste Kulturperiode der Menschheit, die Herrschaft der persönlichen Sklaverei, die Sklavenarbeit, ist dadurch gekennzeichnet, daß, im lebendigen Widerspruch mit sich selbst, der Mensch mit all seinen natürlichen Arbeitsmitteln, mit Kopf, Hand und Fuß zu einem künstlichen Arbeitsmittel gemacht wird, ununter* Karl Marx, Das Kapital, Zweite Auflage, Achtes Kapitel: Der Arbeitstag. Dreizehntes Kapitel: Maschinerie und große Industrie. Dreiundzwanzigstes Kapitel: Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation.

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brochen während der ganzen Dauer seiner Existenz ange wendet von seinem Herrn, dem Besitzer der Sklaven. Wohl bekommt der Sklave ein künstliches Arbeitsmittel in seine Hand, aber nur zur Arbeit für seinen Herrn; der Mensch und das künstliche Arbeitsmittel zugleich gehört einem Menschen, dem Besitzer der Sklaven. Die nächstfolgende, sich aus der vorigen entwickelnde Kulturperiode, die Leibeigenschaft, die Fronarbeit, ist dadurch gekennzeichnet, daß der Mensch nicht mehr ununterbrochen während der ganzen Dauer, sondern für bestimmte Teile seiner Existenz, also für bestimmte Zeiten des Jahres, für bestimmte Tage der Woche, zu einem künstlichen Arbeitsmittel gemacht wird, angewendet von seinem Fronherrn, dem Besitzer der Leibeigenen. D e r Leibeigene bekommt das künstliche Arbeitsmittel in seine Hand, um zu einem Teil für seinen Herrn, zu einem Teil für sich zu arbeiten. Der Mensch und das künstliche Arbeitsmittel gehört zugleich für bestimmte Zeiten einem Menschen, dem Besitzer der Leibeigenen. Diese Kulturform konnte ihrer Natur nach nur auf dem Lande bestehen bleiben, ihre äußere Erscheinung in der Geschichte ist die Herrschaft des Großgrundbesitzes. Sobald die Leibeigenen scharenweise in die aufkommenden Städte flohen, um sich hinter Pfählen und Mauern gegen ihre früheren Herren zu schützen, entstand das Bürgertum, in ihm zunächst das Zunftwesen des Mittelalters. Jetzt tritt zum ersten Mal der Mensch in ein natürliches Verhältnis zum künstlichen Arbeitsmittel. Es ist diese Entwickelungsform dadurch gekennzeichnet, daß der Mensch nicht mehr von einem Menschen, sondern das künstliche Arbeitsmittel in seiner einfachen, unentwickelten Gestalt als Werkzeug angewendet wird von seinem Herrn, dem Besitzer des Werkzeugs. Der Mensch gehört nicht mehr einem Menschen, sondern nur das künstliche Arbeitsmittel gehört einem Menschen, dem Besitzer des Werkzeugs. Aber das Zunfthandwerkertum des Mittelalters, mit welchem auf der gleichen Entwickelungsstufe bis auf den heutigen Tag das Gewerbe des kleinen Handwerksmeisters, das Ackerbürgertum in den kleinen Städten und die Kleinwirtschaft des selbständigen Bauern und Farmers steht, duldet nicht die Ent-

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wicklung des künstlichen Arbeitsmittels zur Maschine. Es umgibt sich mit Schranken der kleinlichsten und lächerlichsten Art, um die kommende kapitalistische Entwicklungsform zu verhindern und von sich abzuwehren. Die zuerst heraufkommenden Maschinen werden zerstört, ihre Erfinder zuweilen, wie das Beispiel Anton Mollers zu Danzig, des ersten Erfinders einer Bandmühle zeigt, auf Befehl der Behörden ermordet, weil seine Erfindung die Arbeiter zu Bettlern mache, wie es in dem Dekrete heißt. Doch die Entwicklung geht mit dem eisernen Schritt der Notwendigkeit vorwärts ihren Gang. Die Erfindung des Kompasses und Schießpulvers, die Entdeckung Amerikas und des Seewegs nach Indien, in Folge davon die Umwälzung in den Verkehrswegen und Handelsstraßen zu Meer und zu Lande und die Bildung eines Weltmarktes als Absatzgebiet hatten die neue Entwicklungsform eingeleitet, die sich herausbildende Teilung der Arbeit auf allen Gebieten der Herstellung bringt mit innerer Notwendigkeit das Maschinenwesen hervor. Mit der Entwicklung der Maschinerie beginnt die kapitalistische Herstellungsweise, mit der Art ihrer Anwendung die Herrschaft des Kapitals. In ihrem Kern und Wesen ist diese Kulturform, die Herrschaft des Kapitals, die Lohnarbeit, dadurch gekennzeichnet, daß der Mensch mit all seinen natürlichen Arbeitsmitteln, mit Kopf, Hand und Fuß zu einem lebendigen Anhängsel des entwickelten künstlichen Arbeitsmittels gemacht wird, zuerst fast ununterbrochen während der ganzen Dauer seiner Existenz, womöglich durch Tag und Nacht, durch alle vierundzwanzig Stunden des Tages, sodann nach Erkämpfung des Zehnstundengesetzes und der Neunstundenarbeit in England, des Achtstundengesetzes in Amerika während des größten Teils seiner Existenz angewendet durch die Maschine für seinen Lehnherrn, den Besitzer der Maschine. Der Mensch gehört nicht mehr einem Menschen, aber der Mensch gehört einem künstlichen Arbeitsmittel, der Mensch gehört der Maschine. Die Maschine bekommt den Menschen in ihre Hand zur Arbeit für den Lohnherrn, den Besitzer der Maschine. Diese gegenwärtig tatsächlich herrschende Kulturperiode, die den Höhe-

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punkt ihrer Herrschaft bereits überschritten, läßt sich somit in drei Sätze zusammenfassen: Die Maschine wendet den Menschen an; der Mensch ist buchstäblich Sklave der Maschine; der Mensch ist ein lebendiges Ding in einer toten Hand, in der Hand de'r Maschine. Aber wir haben bereits hervorgehoben, daß der Ablauf und das Ende dieser heut herrschenden Kulturform und damit der Beginn einer völlig neuen Entwicklungsepoche der Menschheit notwendig verbunden ist mit dem Aufwachen des Bewußtseins in der Mehrzahl der Menschen, und wir haben gesehen, daß durch ein Naturgesetz das Bewußtsein den Menschen zwingt, eine Verkehrtheit, sobald sie als verkehrt erkannt ist, umzukehren und auf solche Weise die Wahrheit herzustellen. Es muß daher das erwachende Bewußtsein der großen Mehrzahl der Menschen zu dieser Erkenntnis kommen: Diese heut bestehenden Zustände sind nur ein notwendiger Durchgang zur Entwicklung der natürlichen Wahrheit ; was bisher tatsächlich existiert und geherrscht hat, das ist nur die Vorgeschichte der Menschheit, und was gegenwärtig herrscht, das ist nur das letzte Stadium einer Durchgangsform, worin die Wahrheit auf dem Kopf steht; unser Bewußtsein, unser Wissen von uns selbst duldet diese Verkehrtheit nicht mehr, sondern es kehrt sie um und stellt die Wahrheit her, und diese Wahrheit ist: Nicht die Maschine wendet den Menschen an, sondern der Mensch wendet die Maschine an . . . . . . Die Kapitalherrschaft wird als ein Durchgangsstadium der Entwicklung zuerst vorausgeahnt, sodann erkannt und nachgewiesen, die Berechtigung ihrer Fortexistenz durch Urteil vernichtet. Die soziale Idee schreitet über die Grenzen der Hauptkulturstaaten und ringt, durch keine Naturschranke aufgehalten und mit Beihilfe der Gegenanstrengung der herrschenden Klassen, bis in die entlegensten Winkel aller Kulturländer der Erde. In dem Gehirn der großen Mehrzahl der Menschen dämmert zum ersten Mal das Bewußtsein der Menschenwürde, ihr Menschheitsbewußtsein auf. Dies Bewußtsein kommt zum Durchbruch, die ganze bisherige Kulturgeschichte auf Erden wird als eine Vorstufe zur Entwicklung der selbstbewußten Menschheit 12

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erkannt, die Verkehrtheit der kapitalistischen Herstellungsweise kehrt sich um, der natürliche Herr der Maschinen bekommt die Maschinen in seine Hand zur organisierten Arbeit für die menschliche Gesellschaft, die Gemeinde und der Staat innerhalb der neuorganisierten menschlichen Gesellschaft wendet die Maschine an: Der Sozialismus. . . . Mit Beginn der Herrschaft der sozialen Idee, mit Beginn der organisierten Gesellschaftsarbeit muß sofort das folgende Naturgesetz zur Wirkung kommen. Ich nenne es das Entwicklungsgesetz des Einzelmenschen im Gegensatz zu den Entwicklungsgesetzen der Gesamtheit, die wir bisher kennengelernt. Es lautet: Der Mensch ist gut von Anfang an. Das heißt: Der Mensch ist mit Notwendigkeit gezwungen, sich in allen seinen Äußerungen nach der Richtung des Schönen zu entwickeln, mit derselben Naturnotwendigkeit, mit welcher ein fallender Stein gezwungen ist, sich mit stets wachsender Beschleunigung nach der Richtung des Mittelpunkts der Erde zu bewegen. Der Mensch kann dies Naturgesetz nicht erfüllen, solange eine Ursache vorhanden ist, welche ihn daran hindert, genauso wie ein fallender Stein seine natürliche Vorwärtsbewegung nicht fortsetzen und vollenden kann, solange eine Ursache, etwa ein dazwischengeschobener Gegenstand, ihn daran hindert. Wird die verhindernde Ursache entfernt, so muß bei beiden das Naturgesetz zur Wirkung und zur Vollendung kommen. Als solche vermindernde Ursache haben wir kennengelernt: Den Mangel an Zeit zum selbstbewußten Denken, zur Entwicklung des Bewußtseins, die Zerstörung des menschlichen Körpers durch die bisherige Art und Weise der Herstellung aller für die Gesellschaft nützlichen Dinge, und durch die gegenwärtige Anwendung der Maschinen, in Zusammenfassung: Die bisherige Herrschaft der Unvernunft in Staat und Gesellschaft und infolge davon die bisherige Herrschaft des Elendes und der Not in der großen Mehrzahl aller Menschen in allen bisherigen Kulturepochen, und wir haben gesehen, wie diese verhindernden Ursachen durch die organisierte Gesellschaftsarbeit entfernt werden . . . 120

. . . D a der E i n t r i t t der kommenden E n t w i c k l u n g s f o r m mit d e m A u f w a c h e n des B e w u ß t s e i n s in der Mehrzahl der K u l t u r m e n s c h e n beginnt, so folgt, d a ß diese E n t wicklungsform den Begriff Glauben, der im B e w u ß t s e i n nicht existiert, garnicht kennen wird, selbst in Sprache u n d A u s d r u c k nicht. E i n e n solchen S a t z wie den: Ich glaube an e t w a s u n d ich glaube, d a ß etwas ist, solch einen S a t z in allen seinen B e d e u t u n g e n k a n n die neue E p o c h e der Menschheit garnicht kennen, denn der Begriff dieses Satzes existiert für sie n i c h t ; sondern es m u ß heißen: Ich denke etwas und ich denke, d a ß etwas ist. Dieses D e n k e n k a n n irrig sein, aber es ist kein Nachteil für die E n t w i c k l u n g , denn durch I r r t u m geht der W e g zur W a h r h e i t . D u r c h Glauben aber geht gar kein W e g , sondern da ist nur eine Sackgasse, worin immer und überall die Zerstörung des menschlichen Denkens ihre W i r k u n g t u t . W i r d diese verhindernde Ursache v o n A n f a n g an aus der Erziehung des Menschen entfernt, so m u ß sich das Gehirn des K i n d e s und des Menschen nach seiner natürlichen R i c h t u n g entwickeln können, und wird die ganze Verkehrtheit der bisherigen Erziehung des Menschen u m g e k e h r t , so m u ß das Entwicklungsgesetz des Einzelmenschen zur W a h r h e i t werden. Durch dies E n t w i c k l u n g s g e s e t z wird aber der Mensch gezwungen, in der freien Zeit, welche ihm die organisierte Gesellschafsarbeit gewährt, nicht nur für sich Schönes zu genießen, sondern zugleich für andere Schönes z u schaffen und er wird fähig und imstande sein, Schönes z u schaffen, weil er durch die A u s b i l d u n g seines bewußten Denkens dazu fähig gemacht worden ist. D a d u r c h aber wird in der kommenden E n t w i c k l u n g «für den ganzen Menschen, u n d zwar für jeden Menschen in gleichem Maße das Ziel erreicht, welches Aristoteles aufgestellt h a t : ro sv £rjv glücklich z u leben, zo £fjv evdai/tövcogxai xa kmg auf schöne Weise z u leben, die höchste Lebensfreude z u genießen; denn das Schaffen des Schönen ist in Wahrheit die höchste Lebensfreude. U n d in solcher Weise m u ß die kommende E n t w i c k l u n g zwingen, das dritte Entwicklungsgesetz z u erfüllen: E i n Schöpfer des Schönen zu sein in der menschlichen G e s e l l s c h a f t . . .

12'

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BRIEFE

I. An Arnold Dodel in Zürich-Hottingen

Triest, 6. 6. 78 Mein lieber Freund! Sie müssen schon verzeihen, wenn ich ausnahmsweise in diesem meinen Briefe vor allen Dingen und zum weitem größten Teile von mir selber und meinen persönlichen Angelegenheiten rede. Wenn jemals eine Zeit war, wo mein von Ihnen zuweilen gelobter, gewiß aber Ihrer Natur nach noch öfter getadelter philosophischer Gleichmut auf eine sehr harte Probe gestellt wurde, so ist es die augenblickliche Gegenwart. Zunächst muß ich Ihnen mitteilen, daß die liebenswürdige Fortuna mir in voriger Woche eine Art von negativstem Glückslos (Glückslos nennt es Rückert in einer seiner Makamen) beschert hat, nämlich die sichere Aussicht und Ankündigung, daß vielleicht schon vom 1. Oktober, so bestimmt aber zu Ende dieses Jahres ein gewisser Zuschuß, von dem ich Ihnen erzählte, aufhören wird. Für mich hat diese Nachricht, wie ich der Wahrheit gemäß sagen kann, nur die eine sehr schmerzliche Seite, daß nun wiederum meine Übersiedelung nach Zürich unmöglich geworden ist; im übrigen ließ sie mich sehr kalt, der ich von früher Jugend gewöhnt bin, auf mich selbst angewiesen zu sein; ich habe sogar kaum jemals so frisch und freudig von innen heraus an meinem Werke gearbeitet, als in den darauf folgenden Tagen. Ich kann bei den überaus geringen Bedürfnissen, die ich habe, hier bereits ganz gut existieren; werde daher vorläufig, wenn nichts dazwischenkommt (worüber später) hierbleiben. Ich hätte Ihnen selbstverständlich, lieber Freund, diese Glücksnachricht garnicht mitgeteilt wenn ich nicht gezwungen und verpflichtet wäre, mein Nicht-

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herüberkommen Ihnen zu erklären. Ich habe mich eines recht wehmütigen Gefühles, über das ich sonst hinaus bin, nicht erwehren können, als ich von dem für mich mitgemieteten Zimmer las, das Sie hoffentlich ohne Verlust werden vermieten können. Das Humoristische meiner Angelegenheit kommt nun aber erst eigentlich und zwar hängt dies mit nichts anderem zusammen als — raten Sie einmal, bevor Sie weiterlesen, — mit den Mords-Attentaten in Berlin. Sie können sich denken, daß mich schon das erste unblutige Attentat im Interesse der Sache, die meine Seele erfüllt, tief betrübt hat. Es war alles im besten Zuge; die Sache mußte durch immer größeres Übergreifen in gebildete Kreise eine stark beschleunigte, unwiderstehliche Vorwärtsbewegung annehmen; da kommt irgend ein verkommenes Subjekt, ein Klempnergeselle, tut aus einem blechernen Revolver für 8 Mark drei Schüsse in die Luft — und siehe! alle Philister, die ja noch immer überall die Welt regieren, geraten in Angst, Schrecken, Zittern und Empörung. Das rote Gespenst flimmert ihnen vor den Augen, und sie begehen nun alle diejenigen Dummheiten, die bei Angsterfüllten und durch Angst der Vernunft Beraubten so natürlich sind. Ich will hierbei gar nicht reden von der sofort mit hastiger Wonne von den lieben Deutschen ergriffenen Gelegenheit, ihr Servilitätsbedürfnis zu befriedigen in Fackelzügen, Gratulationen, Deputationen, Adressen, Untertänigkeitsersterbenden, tränenerstickten Huligungen und Loyalitätsstammlungen der unglaublichsten Art, ein Schauspiel, wie es für jemanden, der sein Vaterland, der Deutschland wahrhaft liebt, bitterer und trauriger gar nicht gedacht werden kann. Gut. Dieser Kelch war vorübergegangen; das zum Glück von der Genialität schnell eingebrachte Sozialistengesetz begann überall seine wohltätigen ernüchternden Gegenwirkungen zu äußern, so daß in voriger Nummer sogar der Kladderadatsch bereits ein Bild brachte, welches die Sozialisten nach dem zurückgewiesenen Gesetz in einer ähnlichen Situation darstellte, wie ich es einmal in der Makame in den Weinphantasien von den Spatzen auf der Vogelscheuche geschildert. Plötzlich kommt der Sonntag vom 2. Juni.

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Der Sohn einer Majorin, in Beziehungen zu Ministerien stehend und unter den Linden wohnhaft, schießt aus einer Schrotflinte auf den Kaiser und verwundet ihn — wie ich schließen muß — schwer; und dieser Mensch und Attentäter gibt sozialistische Motive an für seine absolut wahnsinnige, aus menschlicher Rücksicht abscheuliche und sogar in der Weise der Ausführung niederträchtige Tat. In dieser Welt der vollendeten Verrücktheit muß man von nun an täglich auf das Allerirrenhäuslichste gefaßt sein, und es sollte mich daher nicht wundern, wenn am nächsten Sonntage auf der anderen Seite der Linden in Berlin ein natürlicher Sohn des Prinzen Georg vom Königlichen Hause aus sozialdemokratischen Motiven auf die Kronprinzessin schießt. Nach Briefen von mir befreundeten Familien aus Berlin ist die Stimmung dort eine unbeschreibliche und wird noch lange Zeit so andauern. Eine Walpurgisnacht, ein Hexensabbat der aufgewühlten Unvernunft, das wahre Delirium des Zitterns und der weiße Schrecken herrscht in Berlin, und die Sache muß wahrlich arg sein, wenn, wie es geschehen, von einer hochgebildeten, sonst vorurteilsfreien Familie einer mir bekannten jungen Dame der von ihr erteilte musikalische Unterricht gekündigt wird, weil sie früher zuweilen sozialistische Anschauungen kundgegeben. Schon ist, wie der Telegraph meldet, der berüchtigte Polizeirat Stieber (Leiter der Geheimpolizei verrufensten Angedenkens aus den Jahren 47—58) wiederum zur Tätigkeit berufen, der Reichstag wird einbeordert und wird diesmal sicher alles Unmögliche genehmigen etc. etc. Was nun demnächst mitzuteilen wäre ist, daß sich diese Sache auch auf mich bis hierher erstreckt. Der bisherige Vizekonsul, der sehr liebenswürdig gegen mich ist, teilte mir im Vertrauen mit, daß die geringste Hindeutung von Berlin aus genügen würde, mich aus den Gefilden des Polizeistaates Österreich auszuweisen. Für Österreich braucht es gar nicht einmal die Kenntnis meiner sozialistischen Schriften und Gesinnungen, sondern gemäß der Intelligenz der Regierung dieses Staates würde schon der Schluß durchaus hinreichen: Der Attentäter in Preußen ist ein Doktor der Philosophie; ich bin aus Preußen auch ein

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Doktor der Philosophie, also werde ich ausgewiesen. Nun gewinnt die Sache eine besondere ernste Seite durch die telegraphisch gemeldete und bestätigte Beschlagnahme der Papiere bei dem Leiter des Berliner sozialistischen Arbeiterbildungsvereins Herrn F. Milke. Auf eine Zuschrift und Aufforderung des Herrn Milke, wenn möglich Vorträge in dem Verein zu halten, sandte ich ihm Geldbeiträge und schrieb ihm einiges in Bezug auf Einrichtung und Ziel des Instituts, und so sehr ich nur wünschen kann, diesen Brief veröffentlicht zu sehen, würde die bloße Auffindung desselben, zumal bei der Suche nach Verbindungen und Hetze auf auswärtige Sozialisten, jenen Hinweis, von dem der Konsul sprach, mehr als erklärlich machen, und ich kann daher sehr wohl einer liebenswürdigen Vorladung und Aufforderung mir die Grenzländer anzusehen gewärtig sein. Ich bin in diesem Falle entschlossen, nach Genf zu gehen — nach Zürich in keinem Fall, da ich dort unter so anderen Verhältnissen hinkam und bekannt bin —. Ich sehe im übrigen jeder Eventualität mit äußerster Ruhe entgegen. Da es mir absolut gleichgültig ist, ob ich 5 Stunden des Tages Lektionen gebe oder Holz hacke — es ist oft beides dasselbe — oder als Korrektor in einer Druckerei oder sonstwie ehrlich arbeite, so ist mir um mich nicht im geringsten bange. Ich würde mich sogar sehr freuen, Genf kennen zu lernen, wo auch Giordano Bruno eine Zeit lang war, dem ich noch neulich in der „Neuen Welt" ein paar (leider an Druckfehlern reiche) Spalten gewidmet, oder den Mont Blanc zu sehen, von dem ich auch in diesen Tagen durch die wiederholte Lektüre von Byrons herrlichem „Manfred" auf das lebhafteste erinnert worden bin. Eine Empfehlung nach Genf würde mir in diesem Falle, wenn Sie mir in ihren Bekanntenkreisen eine solche verschaffen könnten, natürlich erwünscht sein. Übrigens ist es auch immerhin leicht möglich, daß das Unwahrscheinliche geschehe und ich ganz ruhig und unausgewiesen hier bleiben darf. Soviel und genug von mir. Nehmen Sie nun, lieber Freund, zunächst für die Übersendung der prächtigen Ophrys und Salvia-Karte meinen besten Dank. Ihr Anblick hat mich ebenso herz128

lieh erfreut wie die Nachricht, die Sie mir in ihrem heutigen Briefe schon jetzt über die bisherigen Erfolge mitteilen können. Ich wünsche von Herzen und bin überzeugt, daß die Anerkennung des in sich so wertvollen und schönen Werkes mit seiner Verbreitung zugleich fortwährend wachsen und zunehmen wird. Haben sich bereits oder werden sich nicht demnächst Stimmen in der Presse von Zürich und der Schweiz darüber hören lassen und was verlautet von Ihren Gegnern in Zürich, deren Sie sich ja auch zu erfreuen haben, bis jetzt darüber? Erwünscht wäre es jedenfalls, wenn Prof. Hermann und Frey Gelegenheit nehmen wollten, ihren Beifall und ihre Anerkennung auch schriftlich irgendwie kund zu tun. Was mich betrifft, so werde ich am 20. d. M. in der Vossischen Zeitung schreiben und gestützt auf das Programm und die bekannten Karten eine Rezension mitsenden. — Ich muß durchaus ein paar Tage länger erst hingehen lassen, weil ich bei denen, die mich überhaupt kennen, als Sozialist bekannt bin und ich bei der dort herrschenden Stimmung gar nicht sicher bin, daß nicht die von mir empfohlenen Karten als solche angesehen werden, welche mit Gift bestreut sind, um ein paar hohe Persönlichkeiten aus sozialen Motiven aus dem Wege zu räumen. Der Brief würde am 23. d. M. dort eintreffen und müßte sich Herr Schreiber mit seiner Kartensendung danach richten. Ob freilich meine eigene Besprechung oder eine selbständige, immerhin ähnliche der Redaktion zum Abdruck gelangen wird, kann ich mit Sicherheit nicht sagen, hoffe indeß das erste. Bei der Nationalzeitung, lieber Freund, hat mir Hödel und Nobiling jede Besprechung, die auch nur mittelbar von mir ausginge, weggeschossen, und es würde für Sie in jedem Falle vorteilhafter sein, wenn ein auch persönlich dem Blatte völlig Fremder von auswärts her auf das Werk aufmerksam macht. — Herrn Ernst in Zürich werde ich zugleich mit der Abschlagsendung am 20. das Okular No. 3 (von mir noch nicht gebraucht) zurücksenden und mir dafür ein Mikrometerokular ausbitten. Leben Sie und Frau Doktor mir herzlich wohl. Wenn etwas passieren sollte — so schnell kommt aber wohl

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noch nichts — so sende ich Ihnen eine K a r t e . Seien Sie und Frau Dr. aufs beste gegrüßt von Ihrem L . Jacoby

2.

An Arnold Dodel in Zürich-Hottingen Herrn Dr. et. Dodel-Port Dozent an der Universität

Triest, 26. 6. 78

Zürich Hottingen. Freie Str. Lieber Freund! Für Ihre freundschaftlichen, in sich von anderem Standpunkte als dem meinen gewiß gerechtfertigten Hinweisungen in Betreff Erlangung einer Lebensstellung etc. bin ich von Herzen dankbar, leider gehöre ich zu jenen Naturen, die vor dem Einlaufen in einen sicheren Lebenshafen geradezu einen Horror haben und behalten; es muß auch solche K ä u z e geben. Der erste Irrsinn in Bferlin] und Umgebung scheint sich ja nun gelegt zu haben; und ich denke, wenn nichts Neues dazukommt, daß der genannte äußerste Fall für mich nicht eintreten wird. Ihre Schilderung von G[enf] ist mir hoch wert voll: muß ich Tfriest] verlassen, so werde ich nach persönlicher Einsichtnahme der Verhältnisse in G[enf] wohl nach Zfürich] zurückkehren. — Ich habe an das „Sonntagsblatt des B u n d " Skizzen aus Commacchio eingesendet, weiß freilich nicht, ob sie angenommen werden. Schreiben Sie zufällig dorthin, so würde ich Ihnen für einen Hinweis sehr verbunden sein. — Uberaus leid tut es mir,

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daß ich für Ihren prächtigen Atlas nicht mein Geringes zur Verbreitung beitragen soll. Schreiben Sie doch, ob Sie für die ,,Voss[ische] Zeitung" jemand haben, vielleicht würde ein Brief von mir trotz alledem von Wert und Nutzen sein. Über den gewiß erfreulichen Fortgang der Sache hätte ich gern Näheres erfahren. — Ich bin in letzter Zeit durch die auf mich eindringenden Wirrnisse so heiter humorvoll angeregt worden, daß ich einen ganzen Zyklus neuer Poesien zu Stande gebracht, vorläufig nur zu meiner Erholung. — Von meinen Drucksachen habe ich an den Bund nichts eingesendet, obwohl Sie dazu rieten; mir scheint eben gegen die reaktionären Wallungen von B [erlin] aus auch die Schweiz nicht ganz feuerfest zu sein. Wo werden Sie denn und wie die Sommerferien zubringen. Pfingsten war ich in Adelsberg, wo ich von der Großartigkeit der Höhlenwunder mächtig angezogen wurde. — In dieser Woche reist Dr. Gräfe nach Zürich, und er wird Sie, denke ich, besuchen. Wegen Ihres Pakets hatte sich nachträglich — meine frühere Anfrage an Wollmann wurde verneint — eine geringe Inanspruchnahme (von 1 Gulden) herausgestellt, die ich beglichen habe. Flanok bekomme ich selten zu Gesicht. Seien Sie und die Frau Dr. aufs herzlichste gegrüßt von Ihrem Freunde L. 3-

An Arnold Dodel in Zürich-Hottingen

Triest, 17. 8. 78

Lieber Freund! Ob Sie meinen Brief (vor ca. 2 Wochen) erhalten haben, weiß ich nicht. Denn es ist leider mehr als wahrscheinlich geworden, daß in dieser glückseligen neuen deutschen Ära meine Briefe nicht alle ankommen. So habe ich

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zweimal an Geiser in Leipzig geschrieben und bin ohne Antwort. Dagegen ist inzwischen — kurz nach Absendung des zweiten Briefes nach Leipzig — wiederum ein behördlicher Wink jedenfalls aus Deutschland (indirekt über Wien) über meine bescheidene Person ergangen; denn man hat sich aufs genaueste über mich, über mein Tun und Lassen hier, meine Hilfsmittel u.s.w. informieren lassen. Auch ein Brief an die Meinen in Berlin ist jüngst nicht eingetroffen. Herzlich möchte ich Sie bitten, wenn Sie, was ja wohl geschieht, an Geiser schreiben, ihn anzufragen, ob er meine Briefe empfangen hat. Leider ist nun auch inzwischen die Berliner Freie Presse, mit welcher ich bisher die Neue Welt zugesandt erhielt, in Österreich verboten worden. Ob die Vossische Zeitung Ihren Atlas bereits besprochen, was, wie ich Ihnen mitteilte, um die Mitte August zu erwarten war, weiß ich nicht. Schreiben Sie mir doch, wie es Ihnen und Ihrem Werke geht, Sie wissen ja, wie lebhaften Anteil ich daran nehme. Über die politischen Zustände in meinem lieben Heimatlande in einem Gefühl Ausdruck zu geben, unterlasse ich lieber. Das Denken darüber hat mich krank gemacht. — Gespannt bin ich auf O. Schmidts Vortrag in Kassel über den Zusammenhang von Darwinismus und Sozialdemokratie. Es wäre mehr als traurig, wenn er in Oberflächlichkeit (resp. Unwissenheit in Betreff des Sozialismus) dem gliche, was Haeckel wahrlich nicht zu seinem Ruhm in seiner neuesten Streitschrift gegen Virchow in dieser Hinsicht geleistet. In den meisten anderen Punkten ist die Schrift vortrefflich, und zur Entschuldigung mag immerhin das naive Selbstbekenntnis dienen, daß er (Haeckel) von Politik gar nichts verstehe; und Sozialismus ohne Politik ist ein Begriff wie Organismus ohne Organ, wie Naturwissenschaft ohne Natur. Jedenfalls werde ich mir erlauben, auf beide Vorträge ein Wort zu erwidern. Leben Sie wohl und schreiben Sie mir bald in meine gänzliche Abgeschiedenheit ein paar Zeilen. Ich grüße Sie und die Frau Dr. herzlich Ihr Freund L. Jacoby 132

4-

An Arnold Dodel in Zürich-Hottingen Harvard University. Cambridge Massachusetts] 5. 6. 83 Herrn Professor A. Dodel in Zürich, Werter Freund! In der mir lieben Voraussetzung, daß während der langen Zeit, da unsere Korrespondenz beiderseitig ruhte, Sie hin und wieder freundlich meiner gedacht haben, schreibe ich Ihnen heute diese Zeilen von der anderen Seite dieser winzigen Erdkugel aus, dahin mich nunmehr mein wechselvolles Geschick verschlagen hat. Mit der Unmöglichkeit vor Augen, im lieben Deutschland, wie es gegenwärtig nun einmal dort aussieht, irgend eine noch so bescheidene Stellung zu erlangen, habe ich dem Drängen eines Verwandten nachgegeben und bin im Frühjahr vorigen Jahres ihm über den Ozean gefolgt. Nach kurzem Aufenthalt in New York bin ich hierher nach Cambridge-Boston gegangen, zunächst, da ich kein Wort englisch verstand, der Sprache leichter Herr zu werden, sodann um an einer der vielen, zum Teil ausgezeichneten Unterrichtsanstalten hierselbst eine lohnende Beschäftigung zu finden. Ich darf mit dem Resultat meines nunmehr einjährigen Aufenthalts hierselbst zufrieden sein. Ich habe unter anderem während des Winters eine Klasse für deutsche Literatur begründet und in freien Vorträgen unterrichtet, deren Schülerinnen, Bostoner junge Damen, mit wenigen Ausnahmen Amerikanerinnen, mit überraschendem Eifer, ja ich kann sagen mit wirklicher Begeisterung, von Anfang bis zu Ende teilgenommen haben. Ich bin mit mehreren einflußreichen Professoren und dem Präsidenten der Harvard-Universität bekannt geworden und zum ersten Mal in meinem Leben eröffnet sich mir die Aussicht, einen angemessenen Wirkungskreis als Lehrer 133

an der Universität selbst zu finden, wobei der Gegenstand meines Unterrichts jedoch nicht Naturwissenschaft, sondern deutsche Sprache und Literatur sein wird. Es hat mich gefreut, in hiesiger Harvard-Bibliothek (woselbst ich auch meine „Idee der Entwickelung" antraf) Ihre Schöpfungsgeschichte zu finden, während andere Schriften von Ihnen wie das „Illustrierte Pflanzenleben" in der Bibliothek des Agassiz-Museums hierselbst und in der naturwissenschaftlichen Library Bostons enthalten sind. Ich selbst habe von Anfang an, und das habe ich so recht wieder bei der Ausarbeitung meiner Aal-Schrift über Comacchio gefühlt, meine naturwissenschaftlichen Arbeiten als eine Pflicht, meine poetischen oder philosophischen aber als inneren Drang und Notwendigkeit, daran meine Seele hing, betrachtet. Mein kleines Büchlein „Ausflug nach Comacchio", Prosa und Poesie enthaltend, — ich habe es Ihnen seinerzeit zugesandt — hat mir beim Entstehen tausend mal mehr Freude bereitet als das bei Hirschwald verlegte Buch über den Fischfang, obwohl letzteres allein mir bar Geld, sogar einen Preis auf der Fischerei-Ausstellung einbrachte. Dabei erinnere ich mich der Bemerkung, die Sie mir einmal bei meiner Fahrt nach Comacchio schrieben: Mancher ging aus, seines Vaters Esel zu suchen und fand ein Königreich. Ich habe inzwischen etwas neues vollendet, davon Sie von hier aus hören werden. Ich freue mich der Tatsache, daß unter den Amerikanern hier in Cambridge wie in Boston eine große tiefgefühlte Hocheinschätzung für deutsche Literatur sich kund gibt und regster Eifer, sie kennen zu lernen, so daß ihre Kultur auch materiell einem die Existenz möglich macht. Ich würde mich nun herzlich freuen, wenn Sie, geehrter Freund mir mitteilen wollten, wie es Ihnen die letzte Zeit her, seitdem Ihnen endlich das längst verdiente Ordinariat erwuchs, ergangen ist, und was Sie seitdem geschrieben. Haben Sie vielleicht Wissenschaftsbekannte in Boston und Harvard, so würde ich mit Freuden sie aufsuchen. Im letzten Winter ist von hiesiger Harvard Library ein Landsmann von Ihnen, Dr. Theodor Vetter angestellt worden, ein tüchtiger Sprachgelehrter (sein

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Spezialfach ist slawische Literatur) und liebenswürdiger Mensch. Er wird vielleicht eine Professorstelle für Slawisch hier erhalten (eine solche existiert noch garnicht in den United States, obwohl die beiden Länder Amerika und Rußland, les extrêmes se touchent, einander zärtlich lieben, beinahe wie Krapülinski und Waschlapski). Ich habe ihn auf so manche Lücke aus deutscher Literatur in hiesiger Universitätsbibliothek aufmerksam gemacht, die er bereitwillig ausfüllte, und möchte das auch mit Ihren insbesondere nichtspezialfachlichen Schriften tun — für die streng naturwissenschaftlichen Spezialwerke ist die Agassiz-Bibliothek vorhanden. Mit dem Verleger Ihres „Pflanzenlebens" Herrn Caesar Schmidt bin ich von hier aus in Verbindung getreten für einen Vortrag von mir, betitelt „Die deutsche Makame". Der Inhalt ist so interessant wie nur etwas sein kann und Herr Schmidt erklärte sich in einem mir vorliegenden Briefe vom 14. Oktober vorigen Jahres bereit, das eingesandte Manuskript zu verlegen, freilich ohne Honorar, worauf ich dann auch einging, in der Erwartung, zu Weihnachten den Druck zu sehen. Obwohl nun inzwischen Anfragen und schon eine Anzahl Kaufbestellungen von hier und New York auf die Schrift nach Zürich eingegangen sind, habe ich bis zum heutigen Tage keine Nachricht, keine Zeile weiter erhalten, keine Spur von dem Vortrag zu Gesicht bekommen, dessen Manuskript er nun volle 9 Monate besitzt. Solches übersteigt denn doch selbst dasjenige Maß von berechtigten Eigentümlichkeiten, die der erfahrenste Autor an einem deutschen Verleger voraussetzen darf. Sollten Sie, geehrter Freund, durch Ihre gewichtige Stimme es vielleicht bewirken, daß das kleine Schriftchen noch in diesem Jahrhundert erscheint, so würden Sie mich zu bestem Dank verpflichten. Mit einer Empfehlung an Ihre Frau Gemahlin und einen herzlichen Gruß für Sie bin ich Ihr D. Leopold Jacoby Adresse: 465 Broadway, Cambridge, Mass. Un. St. 13

Häckel, Jacoby

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5.

An Karl Kautsky in Stuttgart Cambridge Massachusetts], 15. 8. 83 Geehrter Herr! Gern bin ich bereit, auch meinerseits für die „Neue Zeit" Beiträge zu liefern. Ich denke, Ihnen demnächst als ersten Artikel eine literaturhistorische Betrachtung aus der Gegenwart einzusenden, welche die Leser interessieren dürfte, nämlich über die drei schweizer Dichter G. Keller, C. F. Meyer und Heinrich Leuthold. Später soll, vielleicht im Anschluß an die im November hier in Boston stattfindende elektrotechnische Ausstellung, ein naturwissenschaftlicher Beitrag folgen. Von der „Neuen Zeit" wünschte ich gern auch die übrigen Nummern kennen zu lernen. Möchte das Unternehmen bestes Gedeihen haben. Wenn Sie an Herrn Dodel schreiben, so bitte ich, grüßen Sie ihn bestens mit einer leisen Mahnung wegen der bis heute leider vergeblich erwarteten Antwort auf meinen Brief. Empfehlen Sie mich auch Herrn Geiser. Mit Gruß und Hochschätzung. L. Jacoby Adr. Dr. L. Jacoby 465 Broadway, Cambridge Massachusetts], U. S. 6.

An Hermann Schlüter in Zürich-Hottingen

Mailand, 4. 5. 1886

Geehrter Herr Schlüter! Einliegend L[ire] 5,25 in Briefmarken für Schriften und 2. Quart[al] vom ,,Soz[ial]-Dem[okrat], Den Rest, der 136

für Schriften noch zu entrichten, sowie das 2. Quart[al] von der „Neuen Zeit", werde ich mit nächstem Briefe zusenden. Auch bitte ich Sie, mir den Betrag für die 6 Nummern der ,,N[euen] Z[eit]" von 1885 anzugeben, die ich behalten möchte. Von Schriften bestelle ich heute: „Karl Marx, Der 18. Brumaire." Ich habe eine Bitte an Sie, geehrter Herr Schlüter. Am 9. April sandte ich an J. H. W. Dietz in Stuttgart einen Brief mit der Anfrage, ob er geneigt sei, meine Schrift „Die Idee der Entwickelung" (I. u. II. Teil 1874 und 76) in zweiter Auflage zu drucken und herauszugeben. Ich sandte gleichzeitig (und zwar eingeschrieben) die beiden Schriften mit sorgsam druckfertig zur 2. Auflage hergestellter Ausarbeitung in Veränderungen und wichtigen Erweiterungen an seine Adresse. Obwohl der Termin, den ich zur Durchlesung bestimmte, längst vorüber, habe ich keinen Bescheid und erhalte auch nicht die Schriften zurück, die mir ganz unersetzbar sind. (Ich habe zwar, nachdem der gestellte Termin vergangen war, zwar zur Sendung an einen anderen Verlag eine neue Ausarbeitung gemacht, doch mußte diese beschränkter ausfallen, weil mir vieles nicht mehr gegenwärtig war.) Einen mahnenden Brief zu schreiben, widerstrebt mir sehr. Würden Sie wohl die Güte haben, da Sie sicher in ständiger Korrespondenz mit Herrn Dietz sind, dort einmal anzufragen, weshalb ich den erbetenen Bescheid nicht erhielt, vor allem, wenn dieser ablehnend sein sollte, die Schriften nicht zurückgesendet werden. Meinen besten Dank im voraus. Es liegt mir über alles daran, daß dieses Buch, der erste und bis heute einzige Versuch, auf wissenschaftlicher Grundlage, im Lichte der Darwinschen Lehre, die Gesetze der sozialen Entwicklung der Menschheit darzustellen, im Laufe dieses Sommers, vor Eintritt der nächsten Naturforscherversammlung, ausgegeben und buchhändlerisch verbreitet werde. Der I. Teil (1000 Exemplare]) der 1. Aufl[age] wurde fast vollständig, vom II. etwa die Hälfte abgesetzt; seit mehreren Jahren aber ist das Buch nicht mehr in Zirkulation. Heute aber ist eine unvergleichlich günstigere Stimmung für Bücher dieser Art, welche gleichsam ihr Publikum sich erst er13:

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ziehen und ihre Zeit erwarten müssen. Ernst Haeckel in Jena, der noch vor wenigen Jahren aufs äußerste gegen jede in meinem Buche gezogene Anwendung auf den Sozialismus sich sträubte, schreibt in einem Briefe an mich vom 18. Dezember 1885, er müsse nun anerkennen „Ihre Verwertung der Entwicklungslehre und deren philosophische Konsequenzen sind gewiß sehr dankenswert, wenn auch vielleicht etwas einseitig." Wollen Sie mir auf einer Postkarte ein paar Zeilen Antwort schreiben. Mit bestem Gruß L. Jacoby

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An Hermann Schlüter in Zürich-Hottingen

Mailand, 8. 8. 1886

Geehrter Herr Schlüter! Es ist mir endlich möglich geworden, mein Buch „Die Idee der Entwickelung" in zweiter, in den Anmerkungen vermehrter Auflage zum Druck zu bringen, und dadurch werde ich imstande sein, der Volksbuchhandlung den Restbetrag der Druckkosten voll auszugleichen, welchen der Verkauf von „Es werde Licht" etwa übrig läßt. Mein Werk wird Anfang Oktober erscheinen, und das Verlagsmagazin in Zürich, J. Schabelitz wird den Vertrieb übernehmen. Jeder der beiden Teile ist separat gedruckt und wird zum Ladenpreise von 3 frs. 10 ct. = 2 Mark 50 Pf. abgegeben werden. Ich habe Herrn Schabelitz bereits mitgeteilt, daß er auf meinen persönlichen Wunsch Ihnen 50 Exemplare von jedem Teile zum Anrechnungspreise von 1 fr. 20 Centimes] = 1 Mark und zum Verkaufspreise von 1 fr. 80 Centimes] = 1 M. 50 Pf. übermittele ; wie es ebenso seiner Zeit von mir mit der Uber-

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mittelung von Exemplaren der ersten Auflage an den „Volksstaat" geschah. Da das Buch, welches frei zirkulieren kann, sicher verlangt werden wird, so wird der kreditierte Anrechnungspreis — zusammen für beide Teile = 100 Mark — nach dem Verkauf der Exemplare von Ihnen zur oben erwähnten Ausgleichung benutzt werden können. Sollten Sie — vielleicht gegen Mitte Oktober — eine Anzeige für nützlich halten, so müßte diese etwa dahin lauten: Die Volksbuchhandlung ist in den Stand gesetzt, eine beschränkte Anzahl von Exemplaren des eben erschienenen Werkes: Die Idee der Entwickelung, eine sozialphilosophische Darstellung von Leopold Jacoby, I u. II Teil, zweite, in den Anmerkungen vermehrte Auflage zum Preise von l fr. 80 ct. (1,50 Mark) für jeden Teil (Ladenpreis 3 frs. 10 ct. 2,50 Mk.) abzugeben. Senden Sie mir — wenn möglich auch zusammen mit einer Notiz über den Stand von „ E s werde Licht!" — mein restierendes Schriftenkonto, welches ich mit dem Wiederbeginn meiner Unterrichtsstunden im Oktober berichten werde. Auch möchte ich Sie um Zusendung von 6 Exemplaren „ E s werde Licht!" bitten. Meine Adresse ist jetzt: Via Francesco Sforza No. 5. Mit bestem Gruß L. Jacoby

8.

An Hermann Schlüter in Zürich-Hottingen

Mailand, 11. 10. 1886

Geehrter Herr Schlüter! Beifolgend übersende ich für Sie ein Exemplar meines in zweiter Auflage soeben erschienenen Werkes „Die Idee der Entwickelung" I. u. II. Teil. Ich habe Herrn Schabe-

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litz beauftragt, am 15. d. M. Ihnen für die Volksbuchhandlung je 50 Exempl[are] von jedem Teile zu überliefern, welche Sie berechtigt sind, zum Preise von 1 Mark 50 Pfennige für jeden Teil — in erster Linie wo möglich für Arbeitervereine, Kooperationen und Arbeiterbibliotheken und an Arbeiter selbst —, zu verkaufen. Dieselben werden Ihnen zu 1 Mark für jeden Teil berechnet, und den Betrag dafür, also = 100 Mark, habe ich zum Ausgleich des Ihnen noch geschuldeten Restbetrages, auf mein persönliches Konto übernommen. Der Ladenpreis für alle von Schabelitz vertriebenen Bücher ist 2 Mark 50 Pf. für den ersten und 3 Mark für den zweiten Teil. Die Annonce auf der Ankündigung des Verkaufs der genannten beschränkten Anzahl zum angegebenen Preise von 1 M. 50 Pf. pro Teil bitte ich vorläufig nicht im „Sozialdemokrat", sondern in andern Ihnen zu Gebote stehenden Arbeiterblättern wie „Grütlianer" etc., außerdem natürlich in den Zirkularen u. Preislisten Ihrer Buchhandlung zu veröffentlichen. Bei der heut herrschenden überbrutalen Wirtschaft in Berlin möchte ich nicht, daß das Buch, welches bisher nicht verboten ist, von vorne herein dem wüsten EmpireGesetz zum Opfer falle. Mir selbst könnte es gleichgültig sein, doch darf ich es nicht wünschen um des befreundeten Mannes willen, welcher aus reiner Begeisterung für den Inhalt — er ist nicht einmal Sozialist — die gesamten Druckkosten auf sich genommen hat. Ich bin überzeugt, die Lektüre des Werkes wird Ihnen manche Anregung bieten. Die Sprache im Text ist mit Bewußtsein in einfachen, durchsichtig gestalteten Sätzen ausgearbeitet worden im Hinblick darauf, daß jeder durch soziale Schriften aufgeklärte deutsche Arbeiter ihn sollte verstehen können. Die Kunstform, die in leichter Hülle darüber geworfen ist — eine ideale Rede, zu welcher drei verschiedene Stenographen ihre Anmerkungen machen — werden Sie leicht erkennen. Sie finden unter den neuen Anmerkungen am Ende des zweiten Teiles eine gegen Herbert Spencer gerichtete Auseinandersetzung mit Begründung durch die letzte Schrift des berühmten Naturforschers Baer. Ich kann Ihnen mitteilen, daß Ernst Haeckel in Jena wiederholt

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sein Interesse an dieser zweiten Auflage ausgesprochen, sowie er sich zugleich in einem Briefe an mich ausdrücklich mit der von mir (im II. Teil) dargelegten Bedeutung des Begriffes „Ziel" in der Entwicklung (im Gegensatze zu „Zweck") einverstanden erklärt hat. Diese Erklärung bedeutet aber unter den strengen Darwinisten einen großen Schritt vorwärts in der Richtung der Anerkennung eines Zieles der sozialen Entwicklung, das ist in der Erkenntnis der sozialen Frage. Vielleicht ist Dr. Aveling berufen, diese Vorwärtsentwicklung unter den Darwinisten weiterzuführen. Da ich ein Exemplar meines Werkes an Fr. Engels zu senden wünsche, so bitte ich um Angabe seiner Adresse. — Wie steht es mit „Es werde Licht!" Teilen Sie mir doch nochmals die genauen Ziffern der vorhandenen, sowie der gedruckten Exemplare mit. In Ihren letzten Angaben muß ein Schreibfehler gewesen sein. Es wären danach mit Hinzurechnung der von mir direkt entnommenen mehr Exemplare noch vorhanden als überhaupt gedruckt worden sind, ein Erfolg, wie ihn sich kein Pessimist besser wünschen kann. Wollen Sie mir gefl. ein Exemplar per Kreuzband von Lafargue „Der Wirtschaftliche Materialismus in den Anschauungen von Marx" zusenden.

Mit besten Grüßen L. Jacoby. Die Annonce könnte etwa also lauten: Die „Volksbuchhandlung" ist in den Stand gesetzt, eine beschränkte Anzahl des soeben in zweiter, vermehrter Auflage erschienenen Werkes „Die Idee der Entwickelung" I und II Teil zu dem Preise von 1 Mark 50 Pf. pro Teil abzugeben. Der Ladenpreis des Werkes beträgt 2 M. 50 Pf. für den ersten und 3 Mark für den zweiten Teil.

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9An Friedrich Engels in London Mailand, 4. 11. 1886 Geehrter Herr! Zugleich mit Überreichung meines Buches „Die Idee der Entwickelung" hatte ich im Sinne, einige aufklärende Worte der Sendung hinzuzufügen. Damals daran verhindert, will ich es heute in diesen Zeilen tun. Das Buch ist entstanden unter dem gewaltigen Eindruck, den das erste Lesen und nachherige Durcharbeiten des Werkes „Das Kapital" von Karl Marx in mir hervorrief; ein Eindruck, welcher sich verband mit derjenigen Erkenntnis, die ich um jene Zeit aus den Werken Darwins gewonnen. Meine Stimmung für solche Eindrücke war vorbereitet zunächst durch die Erfahrungen über den Zustand der poetischen Literatur in Deutschland, die ich schon damals gemacht und welche in der „Klage" in „Es werde Licht" ihren Ausdruck fanden, sodann in der Umwandlung meiner politischen Anschauungen zur radikalen Richtung hin, welche die mich umgebenden Zeitereignisse gerade damals in mir hervorgerufen hatten. Denn ich hatte als Mediziner den ganzen Krieg bis nach Paris hinein mitgemacht, dabei in erster Linie die Kehrseite der glorreichen Medaille gesehen und studiert, hatte — vom 1.—4. März 71 — vier unvergeßliche Tage in dem nichtokkupierten Teile der revolutionär erregten Stadt durchlebt. Als Liberaler, höchstens Fortschrittler war ich nach Frankreich gegangen, als eben aufwachender Sozialist heimgekehrt; die Gründerperiode, die ich bei der Heimkehr ganz frisch in ihrer ersten Jugendblüte zu Berlin antraf und mit Händen greifbar vor mir emporschnellen sah, gab das Ihrige dazu. — Mein Buch „Es werde Licht" entstand aus

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dichterischem Fühlen heraus, rein instinktiv. Bis dahin nur mit Naturwissenschaften und Literatur beschäftigt, hatte ich, als ich es schrieb, nie ein sozialökonomisches Buch, ja keine einzige Schrift Lassalles gelesen, daher manche irrige Anschauungen („Ihn" — den Kaufmann — „schätze ich dem Landmann gleich" etc. S. 90) ihre Erklärung finden. Um so überwältigender war für mich das Licht der klar aufgehenden Erkenntnis, nachdem ich zuerst Marx, dann erst Lassalle gelesen. Den Idealismus, welchen die „Idee der Entwickelung" widerspiegelt, möchte ich im Gegensatze zu dem Glaubensidealismus früherer Philosophen den naturwissenschaftlichen Idealismus nennen, als eine Erkenntnis, welche auf Beobachtung und Reflexion sich gründet, durch Experiment und Schlußfolge gewonnen wurde. Da der Weg zu dieser Erkenntnis nicht das bloße Sein, sondern ganz wesentlich das Werden der Körper und ihrer Beziehungen umfaßt, so erscheint beim Studium derjenigen Bewegungen, die wir Entwicklung nennen als Schlußresultat das Auffinden eines Zieles, dessen Natur als ein Ideal sich darstellt, nämlich der — im 3. Teil meines Werkes nachzuweisende — Satz: das Ziel der Entwicklung ist die Schönheit. Ich finde bei unbefangenem, aufmerksamem Studium keinen Wesensunterschied zwischen diesem naturwissenschaftlichen Idealismus und der materialistischen Geschichts- und Weltauffassung, die in dem grundlegenden Werke von Marx und in Ihren eigenen Schriften hervortritt. Verneinen, daß der Sozialismus idealistisch sei, daß die Sozialdemokraten, welche heute auf der ganzen Erde unter Bedrückung und Verfolgung einen Zukunftsgedanken, ein Entwicklungsziel festhalten, Idealisten sind, das hieße ungefähr die Strahlung der Sonne leugnen, weil der Himmel bewölkt ist. Jeder Zug ihres Denkens und Handelns beweist ihren Idealismus und der schon so oft gehörte Satz: wir sind die einzige Partei, die eine Idee repräsentiert, zeigt unbewußt diese Anerkennung. Der Umstand, daß noch heute eine große und zwar die herrschende Anzahl von Menschen sich ausdrücklich deshalb Idealisten nennen, weil sie — heuchlerisch oder aufrichtig — an religiösen Offenbarungen festhalten und ihre

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Gegner deshalb Materialisten, weil sie, auf die Notwendigkeitsgesetze der Materie gestützt, solche Offenbarungen verwerfen, kann die Natur des Idealismus (wie ich sie im I. Teil meines Werkes erkläre) ebensowenig umgestoßen werden, als etwas das Wort „Freisinn" dadurch aufhören kann seine Natur zu verlieren, weil irgend eine Philisterpartei dich „die Freisinnigen" nennt. Mein Buch hat bisher das Schicksal gehabt, welches bei seiner Natur zu erwarten war, nämlich von den tonangebenden deutschen Journalen oder Pressestimmen ähnlich wie meine poetischen Schriften bisher totgeschwiegen zu werden, oder wenn in Deutschland einmal öffentlich davon gesprochen wurde, in einer wirklich kindischen Weise mißhandelt zu werden. So als im Attentatsjahr ein Zoologieprofessor das Bedürfnis fühlte, den Verdacht abzuwehren, als ob je ein Durchschnittsprofessor mit den Ideen eines solchen Buches sympathisieren könnte — denn vorher hatte Virchow in einem öffentlichen Vortrag mit Hindeutung auf mein Buch hervorgehoben, daß der Darwinismus und Sozialismus bereits Fühlung genommen — da wurde in der Naturforscherversammlung zu Eisenach von Oscar Schmidt ein Vortrag gegen diese drohende Gefahr gehalten, die die plattesten Auffassungen der Entwicklungslehre und eine staunenswerte Unwissenheit auf philosophischem Gebiet der Welt kundgab. Und der größte und schwerste Vorwurf, den der Sprecher gegen mein Buch machte, war wohl der, daß der Verfasser den Titel des Werkes von Kopernikus falsch zitiert und angewandt habe. Derselbe heiße nicht: de revolutionibus, sondern: de revolutionibus orbium coelestium. Sie finden in der zweiten Auflage eine Anmerkung, welche diese dem Professor so natürliche Angst vor revolutionibus richtigstellt. Nur in Frankreich hat sich bisher eine Stimme für mein Buch erhoben, in der revue philosophique zu Paris, worin eine längere, zum Teil symphatisch gehaltene Besprechung stand. Es ging daraus hervor, daß der Rezensent wirklich beide Teile gelesen; nur war er in dem Irrtum verfallen, die leichte künstlerische Hülle, die über das Ganze geworfen ist — die Form einer idealen Rede, zu welcher drei verschiedene Stenographen ihre Anmer-

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kungen machen — für Wirklichkeit zu halten und infolgedessen die Inkorrektheit der Vortragsweise zu tadeln ; während in Wahrheit auf Ausarbeitung der Sprache und Form die größte Sorgfalt verwendet wurde. In diesem Jahre hat zu meiner Freude Ernst Haeckel in Jena in Briefen an mich sein Interesse an dem Buche ausgesprochen, und im besonderen seine volle Übereinstimmung mit dem Unterschied der Begriffe „Zweck" und „Ziel" in der Entwicklung, wie ich sie darstelle, erklärt. Es ist das ein bedeutsamer Schritt vorwärts unter den strengen Darwinisten, die bisher stets vermieden und sich gehütet haben, ein Ziel in der Entwicklung anzuerkennen. Ich weise auf die große Bedeutung einer Klarstellung des Unterschiedes dieser beiden Begriffe hin. Es ist ein hervorragender Beweis für die philosophische Tiefe, welche der deutschen Sprache innewohnt, daß sie zieret unter den Sprachen aller Nationen diese Ausdrücke für zwei auf den ersten Anschein gleiche, in Wirklichkeit aber verschiedene Begriffe entwickelt hat. In anderen Sprachen kann man sie nur umschreiben, und so übersetzt der französische Rezensent meines Buches „Zweck" mit „fin intentionel'l" und „Ziel mit „fin nécessaire des choses". Vielleicht ist Dr. Aveling, welcher ja auch Beziehungen mit Haeckel hat, berufen, die beginnende Vorwärtsentwicklung unter den Darwinisten Häckel'scher Schule weiterzuführen. Ich meinerseits gebe die Hoffnung nicht auf, Männer wie Haeckel von dem notwendigen Zusammenhang zwischen Darwinismus und Sozialismus überzeugen zu können. Sicher werden Sie, geehrter Herr, mit manchen Ausführungen meines Buches durchaus nicht einverstanden sein, so vor anderem mit dem Abschnitt, der kursorisch über die natürliche Stellung der Geschlechter zueinander handelt. Ich halte diese Anschauung fest, gestützt auf meine naturwissenschaftlichen und medizinischen Studien, die Auffassung nämlich, daß das Weib dem Manne gleich wertig sei, aber nicht gleichartig, daß beide nicht untereinander konkurrieren können, sondern einander zu einem Vollkommenen ergänzen müssen. Bricht doch selbst diese einfache Wahrheit gefühlsmäßig durch in der anregenden kleinen Schrift von Eleanor Aveling, 145

wenn sie sagt: „There are approximately equal numbers of men and women, and the highest ideal seems to be the complete, harmonious, lasting blending of two human lives." Vielleicht habe ich Anlaß auf die Frage zurückzukommen, wenn Sie mich mit einigen Zeilen der Erwiderung erfreuen wollen. — In jüngster Zeit wurde ich angenehm überrascht durch Zuschriften von Mitgliedern des „Jüngsten Deutschland" in der poetischen Literatur. Es haben sich eine Anzahl junger Leute zusammengefunden, welche — zum Teil ungewöhnlich begabt — zum ersten Mal, seitdem mein „ E s werde L i c h t " niedergeschrieben wurde, in die Berliner Sumpf- und Stickluft der byzantinischen Gegenwart hinein frische Töne angeschlagen haben. Die Mehrzahl wird wohl früher oder später zu den Fleischtöpfen Ägyptens abschwenken, einige, wohl die besten aus der Schar, werden im Vorwärtswandern ausdauern, und einer von diesen kommt demnächst aus der Schweiz, um mich hier in Mailand, wo ich als Privatlehrer wirke, aufzusuchen. Ich zeichne Hochachtungsvoll Leopold Jacoby. Meine Adresse: Dr. L . Jacoby, Via Francesco Sforza No. 5., Milano.

10.

An Hermann Schlüter in New York Mailand, 25. 11. 1890 Geehrter Herr Schlüter! Durch Freund Hülß wurde mir die Nachricht, von Ihrer freundlichen Anteilnahme an meinem Werke „Die Idee der Entwickelung". Ich sage Ihnen besten Dank dafür.

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Der verstorbene Douai an der „New Yorker Volkszeitung" hatte sich in wiederholten Zuschriften an mich mit überaus warmen Worten über das Werk ausgesprochen und sich über das geringe Bekanntwerden desselben nicht wenig gewundert. Er gedachte, eine Reihe von Artikeln mit Auszügen aus beiden Teilen im „Sonntagsblatt der N[ew] Y[orker] Volkszeitung" zu bringen; doch starb er darüber hinweg. Solche Auszüge aus bestimmten Abschnitten des Buches würden auch heute gewiß ihre Wirkung tun, und ich möchte Sie recht sehr darum bitten. Als geeignete Stellen und Beispiele führe ich an: „Über Umkehrung der Verkehrtheit." So vorzüglich S. 37 bis gegen Ende 43 (I. Teil.) Über Wesen und Bedeutung der Maschine als Erlöserin. Ferner die Ausführung von Seite 73—Seite 80 mit der anziehenden Bestätigung in der Anmerkung zur zweiten Auflage (S. 80/ I. Teil.) Im zweiten Teil aber der tief bedeutsame Unterschied zwischen Zweck und Ziel, beginnend von S. 117. Ich habe eine andere kleine Bitte, auf deren Erfüllung um der Sache willen ich wohl rechnen darf. Es soll zum Beginn des neuen Jahres ein Bändchen „Gedichte aus Italien" von mir erscheinen. Ich habe im Sinn den mächtigen Eindruck, den seiner Zeit die Coopersaal-Totenfeier von Karl Marx in New York (1883) auf mich gemacht hat in einem Gedichte wiederzugeben. Dazu bedarf ich aber notwendig zur Anregung und Auffrischung der Einzeleindrücke die näheren einzelnen Daten. Darf ich Sie nun bitten, mir, falls diese noch vorhanden, die betreffende Nummer der Wochen- oder Tagesausgabe der „New Yorker Volkszeitung" mit dem Bericht über die Totenfeier zu senden; oder aber wenn keine Nummer mehr vorhanden mir den Gesamtbericht abkopieren zu lassen. Dies könnte in Stolzischer Stenographie (klar und deutlich geschrieben auf Linien) geschehen, die mir ganz vertraut ist. Ich will gern, was ich kann, dafür bezahlen. Eine etwa von Parteigenossen zu leihende Nummer mit dem genannten Bericht würde ich sicher gleich zurücksenden. Mir liegt sehr viel daran, den Bericht sofort zu haben. Anbei erfolgt ein Ihnen gewidmetes Exemplar von „Es werde Licht", welches Buch, wie Sie ja wissen, das 147

Schicksal des bis heute völlig Unbeachtetbleibens mit meinem Werke „Die Idee der E n t w i c k l u n g " teilt. Ein paar Zeilen der Antwort von Ihnen würden mich sehr erfreuen. Ich grüße Sie aufs beste. In Hochschätzung Ihr L. Jacoby Adresse: Dr. L. Jacoby, Via Cerva 38

11.

An Hermann Schlüter in New York Mailand, 26. 2. 1891 Geehrter Herr Schlüter! Einliegend sende ich Ihnen das eben erst jetzt entstandene Gedicht/ Karl Marx' Totenfeier im Coofier-Institut zu N[ew] York. Es wird wie ich denke gerade zur rechten Zeit vor dem 14. März ankommen. Das Gedicht, auf eigenen Anblick und auf Geschichte begründet, ist mir recht aus der Seele geflossen. Ich bitte Sie sehr, geehrter Herr Schlüter, es in der ,,N[ew] Yorker Volkszeitung" an hervorragender Stelle und mit gutem Druck und besonders sorgfältiger Korrektur zur Vermeidung von Druckfehlern zum Abdruck zu bringen, so wird es seinen Eindruck überall und bei tausenden Arbeitern gewiß nicht verfehlen. Mir ist es eine besondere Freude, daß ich in diesem Gedicht und durch die Worte der „Deutsche sprach" mit der dazu gehörenden Note* Adolf Douais gedenken konnte, mit dem ich befreundet war — er war es, der mir Empfeh* Ich denke, Adolf Douai starb 1887; sollte er 1888 gestorben sein, so bitte ich das Jahr zu ändern. Die Note * darf in keinem Falle fehlen.

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lungen nach Cambridge-Boston gab — und der sein ganzes Leben in uneigennütziger Weise der Arbeitersache gewidmet und geopfert hat. Was das Gedicht enthält und wiedergibt, so besonders auch in der Rede Douais ist historisch. Von der betreffenden Nummer der ,,N[ew] Y[orker] Volkszeitung" mit dem Gedicht bitte ich Sie sehr, mir /««/Exemplare hersenden zu wollen. Geehrter Herr Schlüter! Ich weiß nicht, ob bereits in der ,,N[ew] Y[orker] Volkszeitung" über mein Werk „Die Idee der Entwickelung" eine Besprechung oder ein Hinweis mit Auszügen gestanden hat, und ob das Buch überhaupt in den von Herrn Hülß dorthin gesendeten Exemplaren in den dortigen Arbeiterbuchhandlungen zum Verkauf gestellt wurde, und mit welchem Erfolg. Sollten Sie mir eine Nummer der ,,N[ew] Y[orker] V[olkszeitung]" mit dem eventuellen Bericht senden können so würde ich Ihnen sehr dankbar sein. Es würde mir das ein Trost sein, denn ich fühle mich elend. Ich sage Ihnen im voraus meinen Dank und ich grüße Sie herzlich Ihr L. Jacoby. Adresse: Dr. Leop. Jacoby Via Cerva 38, Milano. [Auf gesondertem Blatt folgt Gedicht] 12.

An Hermann Schlüter in New York

Mailand, 16. 4. 1891

Werter Herr Schlüter! Ihr Brief und der so schöne Abdruck des Gedichts „ K a r l Marx'Totenfeier" hat mich herzlich gefreut und ist mir eine Erquickung gewesen.

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Ich sende Ihnen heute das einliegende „Die neue Zeit", welches als Beitrag zum 1. Mai für die Sonntagsnummer vom 3. Mai gerade zurechtkommen wird. Ich werde Ihnen gern in regelmäßigen Zwischenräumen anziehende Artikel aus Naturwissenschaft oder Literatur senden und beginne demnächst mit einem Aufsatz über „Die Naturgeschichte des Aals und die Aalfrage", der sehr viel Fesselndes bietet. — Für einen erneuten Hinweis auf „Die Idee der Entwickelung" oder auf „Es werde Licht" durch Abdruck einzelner Stellen würde ich Ihnen verbunden sein. Der naturwissenschaftliche Artikel erfolgt in den nächsten Tagen. Mit herzlichem Gruß Ihr L.Jacoby Via Cerva 38. [Auf gesondertem Blatt folgt Gedicht]

13-

An Hermann Schlüter in New York Mailand, 29. 8. 1891 Geehrter Herr Schlüter! Meinen Dank für die übersandten $ 6,oo — Ich sende Ihnen heute einen für Ihre Leser gewiß anziehenden Hinweis — mit kurzer aber anregender Erläuterung und Charakterisierung — auf mein demnächst in München erscheinendes Buch: „Deutsche Lieder aus Italien", gleichzeitig Proben aus beiden Teilen des Buches, die, mit einer Ausnahme, bisher noch niemals veröffentlicht wurden. Diese eine Ausnahme bezieht sich auf das Gedicht aus den „Fanny-lAeAern", „Unterricht im Sozialismus 2." Fanny

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fragte „Aber wenn die Sonne aufgeht" usw., welches aus dem Sonntagsblatt des „Vorwärts" vor einem halben Jahr oder 8 Monaten wie ich glaube in einer Tagesnummer der ,,N[ew] Y[orker] V[olkszeitung]", jedoch etwas verändert, abgedruckt wurde. Aber ich bitte dringend, trotzdem das Gedicht hier wieder zu bringen, da es nach der vorangehenden Erklärung und im Zusammenhang mit den vorhergehenden Gedichten, nun einen durchaus anderen, neuen Eindruck hervorrufen wird. Im übrigen sprechen die kurzen Erklärungen, die ich in ganz sachlicher, von allem Persönlichen fern gehaltener Ausführung Ihnen sende, wohl für sich selbst. Es ist das Buch „Deutsche Lieder aus Italien" in seinen beiden Teilen blitzend neu, in Form und Inhalt eigenartig. Neue, schöpferische Gedanken, besonders im zweiten Teile, werden der Idee des Sozialismus abgewonnen und zum ersten Male hier ausgesprochen. Für mehreres (ich weise auf die „Weltallslieder" hin) darf ich sagen: Es befindet sich zufällig in diesem Augenblick kein anderer Schriftsteller auf dem Erdball, der diese Gedanken fassen, in seinem Gehirn ausbilden und in der geliebten deutschen Sprache — nur diese Sprache war dazu fähig — zum öffentlichen Ausdruck bringen konnte. Es liegt mir sehr viel an einem sorgfältigen Abdruck des ganzen Artikels — ich wiederhole nochmals, ohne Auslassung jenes bedeutsamen Gedichtes von der Gleichheit : „Aber wenn die Sonne aufgeht" — an einer hervorragenden Stelle ihres „Sonntagsblattes der N[ew] Y[orker] V[olkszeitung]" — Ich möchte aber auch die vorläufige Anfrage an Sie richten, ob Sie mit der Gesamtredaktion der ,,V[olks]z[eitung]", falls die hier eingesandten Proben Ihnen gefallen und Sie sich eine Zugkraft von dem durchaus aktuellen und zeitgemäßen Büchlein versprechen, den Abdruck des Buches nach seinem Erscheinen ins Auge fassen, und später übernehmen wollen. Das Buch ist an Umfang gar nicht groß; (etwa 7 bis 8 Bogen klein 8°, je nach dem Druck noch weniger). Doch ist eine gute, anständige Ausstattung bei reichlich bemessenem weißen Raum durchaus notwendig; dies um so mehr, als wohl 14

Häckel, Jacoby

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zu beachten ist, daß durch den ersten Teil, die reizvollen „Fanny-Lieder" besonders auch Frauen als Leserinnen herangezogen und sich zum Kauf angeregt finden werden. Sie könnten ja auch den ersten Erfolg in Deutschland abwarten; aber es liegt mir natürlich sehr daran, einem Raubnachdrucke in Amerika für einen Schundpreis vorzubeugen. Die Buchhandlung der Redaktion könnte nach Verständigung mit dem Autor und deutschen Verleger, auf Grund des neuen amerikanischen Gesetzes für Schriftwerke, vielleicht ein recht gutes Geschäft machen. Ich werde Ihnen nun, geehrter Herr Schlüter, da ich Ihre Zustimmung annehmen darf, regelmäßig etwa zweimal monatlich, resp. dreiwöchentlich, einen literarischen oder volkstümlich wissenschaftlichen Beitrag für Ihr Sonntagsblatt, und ich erbitte dann nach Abdruck von je zwei solcher Beiträge das Honorar, welches mir bei meiner Lage — ich bin Privatdozent für deutsche Literatur und Sprache an hiesiger Königl. Akademie, habe eine Menge Vorlesungen und Stunden zu halten, ohne das ganze Jahr nur einen Pfennig Geld zu bekommen oder zu erwarten — sehr, sehr willkommen sein muß. Sie können sich darauf verlassen, daß alle meine Beiträge, wertvoll-neu im Inhalt und ursprünglich-eigen in der Form, sorgsam von mir ausgearbeitet und für Ihre Leser immer anziehend sein werden. Schreiben Sie mir nun, ich bitte sehr, umgehend auch über den Vorschlag der eventuellen Übernahme des Buches für Amerika. Will oder kann es die Druckerei der Volkszeitung nicht, wo wird Ihnen vielleicht eine deutsche Buchhandlung in New York bekannt sein, an die ich mich wenden könnte. Seien Sie herzlich gegrüßt von Ihrem Leopold Jacoby. Adresse: Dr. Leop. Jacoby, Via Cerva 38, Milano.

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14An Hermann Schlüter in New York Mailand, 12. 4. 1892 Geehrter Herr Schlüter! Für das Sonntagsblatt der [New] Y[orker] V[olks]z[eitung] zum 1. Mai 1892 sende ich Ihnen das beiliegende neue Gedicht: „Der dreifache

Schritt

der

Zeit."

Es liegt mir recht sehr daran, daß das Gedicht in schönem Druck ohne Druckfehler und besonders auch mit Innehaltung der Absätze (Zwischenräume) in Ihrem geschätzten Blatte zum Abdruck kommt. Die Absätze sind zur Hervorrufung des vollen Eindrucks durchaus notwendig. Das Gedicht eignet sich auch gewiß gut zum Vortrag; es ist ein Sturmmövenlied im hohen Sinne des Wortes. Ich habe darin die gesamte sozialpolitische Geschichte der Arbeit in wenige, künstlerisch ausgearbeitete, Zeilen zusammengedrängt. Der Anteil, den Amerika an dieser Geschichte hat, leuchtet hervor; und darum, denke ich, soll es auch in Amerika einen nachhaltigen Eindruck ausüben. Sollte eine Verbreitung in Einzelabdrucken ihrer Redaktion angemessen erscheinen, so würde ich mich freuen. Ich sende Ihnen gleichzeitig mit freundschaftlicher Widmung ein Exemplar meines Buches : „Deutsche Lieder aus Italien" und füge dem B u c h eine Nummer der Dietz'schen Zeitschrift „Die Neue Zeit" hinzu, welche eine Besprechung dieser Lieder durch Robert Schweichel enthält. Diese Besprechung mit den gewählten Zitaten hebt in so vorzüglicher Weise alles Bedeutsame aus dem Buche hervor, daß ich Sie sehr bitten möchte, wenn dies irgend möglich ist, sie in einer folgenden Nummer des Sonntagsblattes vollständig, natürlich mit der Unterschrift Robert Schweichel, zum 14*

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Abdruck sein und Darf ich auch nur

zu bringen. Ihre Leser würden Ihnen dankbar Robert Schweichel selbst würde sich freuen. Sie um ein paar Zeilen des Bescheides (wenn auf Postkarte) bitten. Ich grüße Sie herzlich Ihr Leopold Jacoby.

Via Cerva 38, Milano. [Auf gesondertem Blatt folgt Gedicht]

15-

An Hermann Schlüter in New York Diktat

Zürich, 21. 11. 1892

Geehrter, lieber Herr Schlüter! Beifolgend übersende ich Ihnen für das Sonntagsblatt der ,,N[ew] Y[orker] Vfolkszeitung]" ein Manuskript (pag. 29.) Es ist eine anziehende kleine Novellenskizze die ich durchlebte, als ich meine Studienreise wegen der Aalfrage machte. Der Inhalt ist anschaulich, lebendig, da er der Wahrheit entspricht, und die Schilderung wird den Lesern der ,,V[olks-]Z[eitung]" gewiß gefallen; ich hatte sie seinerzeit für Bekannte und Freunde im Druck verteilt, die Skizze ist aber außerhalb des Buchhandels und daher völlig unbekannt. — Lieber Herr Schlüter, Sie wissen, daß mich der gräßliche Unfall im Juni betroffen, auf meinem Wege zum Unterricht in der Akademie zu Mailand, von einem Lähmungsschlag der ganzen rechten Seite heimgesucht zu werden und leider auch einen Teil der Sprache einzubüßen. Mit furchtbarer Energie habe ich mich seitdem wieder in den Gebrauch meiner Glieder gesetzt; doch bin ich noch immer leidend, mein Geist aber ist frischer, regsamer als je. Ich wohne

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nun hier in Zürich, mit Herrn Henckell zusammen, und wir gedenken, eine Monatsschrift für sozialistische Literatur zu begründen. Wenn Sie mir recht bald für die beifolgende Arbeit das Honorar zukommen lassen können, würden Sie mich bestens verbinden, ich darf wohl etwa nach 3 Wochen wieder etwas Interessantes einsenden. — Grüßen Sie mir Herrn Jonas recht vielmal von mir, er besuchte mich in Mailand kurz vor dem Unfall und sah mich in voller Gesundheit, wir verlebten eine so gemütliche Stunde miteinander. — Ich bitte auch ihn, mit seiner Stimme an der N[ew] Y[orker] V[olkszeitung] für ein entsprechendes Honorar meiner Arbeiten wirken zu wollen. Ich grüße Sie, Herr Schlüter, recht von Herzen Ihr Leopold Jacoby Adresse: Zürich-Hottingen, Englisches Viertel 15. (NB. Mit meiner halb noch gelähmten Hand.)

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An Hermann Schlüter in New York Zürich, 10.12. 1892 Sehr geehrter Herr! Vor vier Wochen etwa sandte ich Ihnen das Manuskript „Ein Ausflug nach Commacchio". Ich sandte Ihnen zugleich einen Brief, den ich diktieren mußte, da meine gelähmte Hand mir noch nicht das Schreiben gestattet. Ich legte Ihnen in diesem Brief bewegend meine Lage dar, wie elend ich bin nach dem. gräßlichen Lähmungsschlage, der mich in Mailand getroffen. Ich bat Sie aufs dringendste, mir ein gutes Honorar für die Arbeit zu senden, da ich es nötig habe. Nun erhalte ich vor zwölf

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Tagen und zwar unter der alten Mailänder Adresse die „New Yorker Volkszeitung" mit dem Abdruck des Manuskripts, für das ich selbst habe den Schreiber gut und schwer bezahlen müssen. Und ich erhalte von Ihnen auf meinen dringenden Brief kein Wort und keinen Bescheid, und Sie senden mir eine Nummer nach Mailand adressiert, während ich Ihnen meine Züricher Adresse in dem Briefe und auf dem Briefe geschrieben. — Ich kann nur annehmen, daß Sie den Brief gar nicht erhalten haben. Ich wiederhole also hiermit meine dringende Bitte um umgehende Zusendung eines Honoras und zugleich mehrerer, wenigstens fünf Nummern der betreffenden Nummer mit meiner Arbeit, die ich verschicken will. Ich hatte mich in dem Briefe noch ausdrücklich auf Herrn Jonas und seinen Besuch in Mailand kurz vor dem furchtbaren Unfall bezogen und ihn auch gebeten, für eine angemessene Honorierung Sorge zu tragen. Sie müssen versichert sein, Herr Schlüter, und Sie kennen mich ja seit Jahren genug, daß ich für meine Arbeiten, nur wenn ich es unumgänglich notwendig habe, etwas Materielles verlange. — Ich rechne also mit Bestimmtheit auf eine umgehende Erfüllung meiner Bitte. Ich habe noch andere Aufsätze, anziehendster Art (aus Naturwissenschaft und Literatur), die ich gern der N[ew] Y[orker] Vfolkszeitung] senden will. — Ich grüße Sie herzlich Leopold Jacoby Adresse: Zürich. Englisches Viertel 15 17-

An Hermann Schlüter in New York

Zürich, 25. 2.1893

Wertester Herr Schlüter! Es werden von einer Dame Skizzen aus meinem Leben — welches ganz märchenhaft ist — in einigen Monaten

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herausgegeben. Ich werde vor dem Druckerscheinen des Buches Ihnen für Ihr Sonntagsblatt einige Kapitel senden, sie werden im höchsten Maße fesselnd sein, auch aktuell politisch, reich an Beziehungen auf die Entwicklungsgeschichte Deutschlands. Das Ganze ist künstlerisch eingekleidet und stets von Auszügen aus meinen Werken begleitet. Aus meinen Erinnerungen in Amerika wird die Karl-Marx'-Totenfeier im Cooper-Hause geschildert sein sowie die Entstehung von „funita". Es fehlen mir die genauen Daten einer Szene in New York, die ich zufällig miterlebt habe. Es war der Abend, als die Verkündigung des Resultats der Präsidentenwahl 1884 absichtlich verzögert wurde und das Volk von New York vor die Wohnung des Schuldigen, des Kapitalkönigs zog mit dem Rufe: „Hang jay Gould!" Darf ich Sie, lieber Herr Schlüter, dringend bitten, mir die genaue Schilderung dieser Szene, wie sie auch die „New Yorker Volkszeitung" in der Tages- und Wochenausgabe enthielt, zu senden, sei es im Druck, sei es in einer Abschrift, die ich auf meine Kosten zu machen bitte. Es liegt mir außerordentlich viel an der genauesten, geschichtlichen Schilderung dieser Szene, welche in so treffender Weise Amerikas Mammonherrschaft verdammt, und welche ein sie vorzügliches Gegenbild liefert zu den erhebenden Volksund Proletarierszenen und Gedächtnisbildern aus der Totenfeier im Cooper-Hause. Sie werden an der Darstellung dieser Szenen in dem Buche Ihre Freude haben und ich wiederhole dringend und herzlich meine Bitte. Besten Dank im Voraus. Ich grüße Sie herzlich Ihr ergebener Leopold Jacoby Adr. Zürich, Englisches Viertel 15.

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i8.

An Hermann Schlüter in New York Zürich, 10. 1 1 . 1893 Geehrter Herr Schlüter! Wenige T a g e nach der A b s e n d u n g meines letzten Briefes k a m der A b d r u c k meines A u f s a t z e s in der ,,N[ew] Y [orker] V [olkszeitung]" und die ersehnte Sendung. I c h erwarte nun bald einige der so anziehenden aktuellen Skizzen* aus dem B u c h von F r l . Minna Geith in Ihrem geschätzten B l a t t z u finden; sollte der A b d r u c k und die Veröffentlichung noch nicht erfolgt sein, so bitte ich dringend darum. D a s B u c h ist leider, wie alles v o n mir Geschaffene u n d über mich Geschriebene, vollständig u n b e k a n n t , ungenannt, t o t . Ich sende Ihnen heute einen sehr fesselnd geschriebenen A u f s a t z (kritischen Essay) über eine deutsche Dichterin; durch den sofortigen A b d r u c k und gleichzeitige Honorarsendung würden Sie mich sehr erfreuen. Gegenwärtig sind ein paar Freunde in München bemüht, mein D r a m a „ D e r Uhrmacher von D a n z i g " an dortiger K g l . B ü h n e zur A u f f ü h r u n g z u bringen. D a s Stück mit dem Hintergrund der bürgerlichen Unruhen im 16. Jahrhundert und mit dem Hinweis auf die soziale B e w e g u n g der Gegenwart enthält Szenen, die auf das V o l k , Arbeiter u n d Handwerker begeisternd, wirken. Darf ich Ihnen — das D r a m a ist bisher noch nicht gedruckt — eine der wirkungsvollsten Szenen — „ D a s F e s t der Uhrmacher im Artushofe z u D a n z i g " z u r Veröffentlichung in der ,,N[ew] Y[orker] V[olkszeitung]" einsenden, und darf ich dafür ein etwas höheres Honorar, als das für die Prosaskizzen übliche v o n der R e d a k t i o n beanspruchen. Ich bitte Sie sehr, mir diese Frage z u beantworten. D a s * Die Kriegsbilder, das Parlament, die Totenfeier in N[ewJ Y[ork]

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Fest gibt im Hans Sachsischen Stil die künstlerische Darstellung der Entstehung der Uhr in überaus lebendiger, eigenartiger Weise wieder. Ich wiederhole, es ist noch nie veröffentlicht. Vielleicht empfehlen Sie diesen meinen Wunsch und meine Bitte der leitenden Kommission der ,,N[ew] Yforker] V[olkszeitung]". Ich rechne umgehend auf eine gefl. Nachricht. Mit bestem Gruß Leopold Jacoby Freie Straße 39

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An Hermann Schlüter in New York

Zürich, 26. 3.1895

Sehr geehrter Herr Schlüter! Vor 16 Jahren schrieb ich für „Die Neue Welt" eine Reihe von Aufsätzen aus Natur- und Geistesleben. Ich schrieb diese Aufsätze, sorgsam ausgearbeitet und aus ganzer Seele empfunden. Ich habe für alle diese Arbeiten niemals einen Pfennig Geld erhalten. Denn ich war damals körperlich vollkommen gesund und setzte meinen Stolz darein, meinen Lebensunterhalt wie ein einfacher Arbeiter durch eine mechanische Arbeit mir zu erwerben. Alles geistig Schöpferische gab ich umsonst. Ich sende Ihnen heute einen dieser Aufsätze zum evtl. Abdruck in Ihrem Sonntagsblatt, in etwa zwei oder drei Abteilungen. Der heut lesenden Generation ist der Inhalt dieser Aufsätze völlig neu und unbekannt, so voll Reiz und voll Anziehung in den geschilderten Tatsachen er immer auch sein mag. Können Sie den Aufsatz nicht und nicht bald verwenden, so ersuche ich Sie dringend um umgehende Zurücksendung. 159

Lieber, geehrter Herr Schlüter, Sie fragen wie es mir geht. Wenn ich der wirklichen, nackten Wahrheit entsprechend, Ihnen auf diese Frage antworten soll, so müßte meine einzige Antwort ein lauter Aufschrei und ein tiefes Stöhnen sein. Ich habe fünfundzwanzig Jahre lang schöpferisch gearbeitet, ich habe ein halbes Dutzend verschiedenartiger Werke geschaffen, die nicht untergehen können, die den Stempel des Unsterblichen in sich tragen. Ich bin heute nicht nur in der gesamten bürgerlichen Welt, sondern — dies sage ich Ihnen mit tiefem Weh — auch in der deutschen Arbeiterwelt so gut wie vollständig tot, ungekannt, ungelesen, ungenannt. Meine Werke sind auch den Arbeitern und vor allem allen führenden Größen der Arbeiterpartei nur dem Titel nach bekannt — ich habe mich oft zu meinem Ergötzen davon überzeugt. Ich werde gelesen wie die Buchhändler die Literatur kennen, nur von außen. Ich sandte Ihnen das Buch: „Leopold Jacoby, ein Lebens-Märchen", das eine Dame, die mich nie gesehen hat, ergriffen von meinen Schriften und von meinem Geschick, schrieb und herausgab. Auch dieses Buch ist, wie meine eigenen Werke, ohne jede Spur einer Kenntnisnahme, kaum in einer einzigen öffentlichen Erwähnung vorübergegangen. Der „Vorwärts" in Berlin ließ sich sechs Zeilen darüber berichten, gelesen hat es niemand von den Leitern, denen allen ich es zugesandt; Sie, Herr Schlüter, brachten ein kleines Kapitel aus dem Kriege, sonst ist das Buch von keinem einzigen Blatt, sei es literarischen oder politischen der bürgerlichen oder der Arbeiterpresse bei sehr zahlreichen Zusendungen auch nur mit einer einzigen Silbe erwähnt worden. So ist es gekommen, daß, als mich ein grausamer Schlag in Mailand gelähmt niederwarf und meine körperliche Gesundheit zerbrach, mir seitdem der Hunger entgegenstarrt. Ich lebe hier in Zürich mit etwa 120 Mark monatlich, das sind 30 Dollar. Ich lebe von Korrespondenzen, für die ich mir teure ausländische Zeitungen halten muß. Fast alles, was Sie im Berliner „Vorwärts" aus Italien lesen, ist von mir; dafür erhalte ich 12V2 Dollar (50 Mark monatlich.

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Sie können sich bei diesen schlichten Tatsachen, die ich hier vorbringe, lebhaft denken, wie mir zu Mute war, als ich eben Ihren Brief erhielt, für den ich 30 Rappen Strafporto zahlen mußte, denn er hat nur eine rote 2 centMarke, und darin die sehnlich erwartete kleine Sendung nicht fand. Mein Werk: Die Idee der Entwicklung wird von deutschen und ausländischen Gelehrten benutzt, mißbraucht, ausgezogen, ohne auch nur meinen Namen zu nennen. Es ist ohne mein Wissen und Willen ins Italienische und Französische übersetzt worden, als ich in Amerika war. Von dem Essay des Herrn Doktor Schwann über mich in Pernerstorfers Monatsschrift: „Deutsche Worte" — Januarheft 1894 — hat kein einziges Blatt, auch solche die mir befreundet sind, auch nur mit einer Silbe Notiz genommen, obwohl ich insbesondere die Berliner Herren dringend und inständig darum bat. Das ist im Brennpunkt — er brennt sehr, er schneidet zugleich in die Seele und ins Fleisch — das Wahrheitsbild der Antwort auf Ihre Frage, wie es mir gehe. Die Neue Zeit in Stuttgart bringt in ihren Nummern 24 und 25 einen kleinen philosophischen Artikel von mir, betitelt: „Zweck und Ziel". Ich würde Ihnen so sehr verbunden sein, geehrter Herr Schlüter, wenn Sie diesen für die Arbeiterwelt wie für die Entwicklungslehre tief bedeutsamen Aufsatz in Ihrem Blatte zum Abdruck bringen wollten, wie Sie es mit den Aufsätzen von Engels aus der „Neuen Zeit" getan haben. Ich würde Ihnen außerdem sehr, sehr verbunden sein, wenn Sie für den Fall der Aufnahme der eingesendeten Arbeit: „Naturbilder, Mimicry" mir das Honorar ohne Verzug, unmittelbar einsenden könnten. Ich grüße Sie herzlich aus meiner weltverlorenen und von aller Welt verlassenen Einsamkeit heraus. Leopold Jacoby Adresse: Zürich-Hottingen, Schönbühlstraße 11.

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An Redaktion „Neue Zeit" in Stuttgart Zürich, 29.11.1895

An die Redaktion der „Neuen Zeit" in Stuttgart. Gestern vor acht Tagen kam zu meiner Freude der so lange ersehnte Artikel von mir aus der Naturwissenschaft, der, wie ich durch Zuschriften von mehreren Seiten und auch mündlich vernehme, einige Aufmerksamkeit erregt hat. Ein Honorar oder auch nur ein Belegexemplar habe ich bis heute Nachmittag nicht erhalten. Ich werde übermorgen in das Krankenhaus Neumünster hierselbst übersiedeln, da mein Zustand sich verschlimmert hat. Sie können sich denken, daß mir das Ausbleiben des Honorars nicht gleichgültig sein kann. Eine etwaige Einsendung an die Grütli-Buchhandlung nehme ich nicht mehr an, da diese die Freundlichkeit besitzt, alle meine früheren Restbestände von Bücherbestellungen von solchen Uberweisungen aus Stuttgart abzuziehen. Ich bitte Sie dringend, mir das Honorar direkt und umgehend nach Empfang dieses einzusenden, damit ich es noch rechtzeitig Sonntag habe, um es in die Kaution von 150 Frs. einzuzahlen, es ist das der mir von der Anstalt gestellte Termin. Mit bestem Gruß L. Jacoby Schönbühlstr. 15.

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ANHANG

Bibliographie

Belletristik Jugenderinnerungen aus Hinterpommern und dem alten Pommerellenlande, Berlin 1864. Weinphantasien, Marburg 1869. — dsgl. — 2. Auflage, Marburg 1870. Das Lustspiel. Lustspiel mit Prolog in drei Aufzügen, Berlin 1870 Es werde L i c h t ! Poesien, Berlin 1872. — dsgl. — 2. Auflage, Berlin 1873. — dsgl. — 3. Auflage, o. O. 1886. — dsgl. — 4. Auflage, München 1893. Der Uhrmacher von Danzig. Drama, 1880 (ungedruckt) Ein Ausflug nach Comacchio, Triest 1881. Cunita. Ein Gedicht aus Indien, Hamburg 1885. — dsgl. — Zürich und Leipzig 1896. Deutsche Lieder aus Italien, München 1892. Leopold Jacoby. Ein Lebensmärchen, hg. v. Minna Geith, München 1893. Leopold Jacoby. Erinnerungen und Gedichte, hg. v. Manfred Häckel, Berlin 1959.

Philosophie Die Idee der Entwickelung. Eine sozial-philosophische Darstellung. Erster Theil, Berlin 1874; Zweiter Theil, Berlin 1876. — dsgl. — 2. Auflage, Zürich 1887. Der Raum. Ein Kapitel aus einer Philosophie für Arbeiter. In: Die Neue Zeit, Jg., X I I Bd. 2., Stuttgart 1894, S- 27> 59, 7^3 ffEin Kapitel aus einer Philosophie für Arbeiter. Zweck und Ziel. In: Die Neue Zeit, Jg. X I I I , Bd. 1, Stuttgardt 1895, S. 748, 787ff.

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Naturwissenschaft Über den Knochenbau der Oberkinnlade bei den Aalen (Muraenoidei Müll.). I n : Archiv für Naturwissenschaften, hg. v. Giebel und Siewert, Jg. 1867. Meeresleuchten. In: Die Neue Welt, Jg. 1878, Nr. 43, S. 507-511Der Fischfang in den Lagunen von Comacchio, nebst einer Darstellung der Aalfrage, Berlin 1881. Ein räthselhaftes Thier. Zur Naturgeschichte des Aals. I n : Die Neue Zeit, Jg. X I V , Bd. 1, Stuttgart 1896, S. 250 ff.

Literaturwissenschaft Über die Nachahmung der Naturstimmen in der deutschen Poesie. Vortrag, gehalten zu Triest im „Schillerverein". In: Sammlungen von Vorträgen für das deutsche Volk, hg. v. Wilhelm Frommel und Dr. Friedrich Pfaff, Bd. 2, Heidelberg 1880, S. 34i.fi. Die deutsche Makame, Hamburg 1883. Annette von Droste-Hülshoff, Deutschlands Dichterin. Vortrag, gehalten im deutschen Sprachverein zu Mailand, Hamburg 1890.

Übersetzungen Die Bewegungen in Sizilien im Hinblick auf die letzten Veru r t e i l u n g e n von Adolfo Rossi, Stuttgart 1894.

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Anmerkungen

Über den Verbleib des Nachlasses von Leopold Jacoby gibt es keine Anhaltspunkte. Außer 64 Briefen und Karten an verschiedene Empfänger, die das „Internationaal Instituut voor Sociale Geschiedenis" zu Amsterdam aufbewahrt, haben sich keine Handschriften erhalten. Aus diesem Grunde konnte der Herausgeber Jacobys Hinweisen auf weitere unbekannte Dichtungen — vgl. neben der Bemerkung in der Einleitung zum Drama „ D e r Uhrmacher von Danzig" (S. X X ) vor allem das Gedicht „ A m Meer" (S. 32) — und wissenschaftliche Arbeiten — vgl. „Autobiographische Skizze" (S. 72) — nicht nachgehen. Die Texte folgen jeweils den in den Anmerkungen angegebenen Vorlagen. Orthographie und Interpunktion wurden den heute geltenden Regeln so weit angeglichen, daß Besonderheiten des Lautstandes und stilistische Eigenheiten nicht verlorengingen. So wurde z. B. die alte Schreibweise „Entwickelung" in „Entwicklung" umgeändert, in der Titelangabe jedoch beibehalten. Dagegen blieben Formen wie „unförmlich" statt „unförmig" und Wortzusammensetzungen mit ausgelassenem „s" wie „Menschheitkörper" unverändert stehen. Alle Anmerkungen im T e x t stammen von Jacoby. Die Briefe erscheinen erstmalig im Druck. Der Herausgeber dankt an dieser Stelle dem „Internationaal Instituut voor Sociale Geschiedenis" Amsterdam für die Benutzung des Briefmaterials sowie für die Genehmigung, einen Teil davon abdrucken zu dürfen.

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Häckel, Jacoby

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Einleitung 1 Zu Lebzeiten fand Leopold Jacoby keine Erwähnung in literaturwissenschaftlichen Werken. 2 Vgl. hierzu: Richard M. Meyer, Die deutsche Literatur des neunzehnten Jahrhunderts, 2. Auflage, Berlin 1900, S. 784; Lexikon der deutschen Dichter und Prosaisten des neunzehnten Jahrhunderts. Bearbeitet von Franz Brümmer. Vierte, völlig neu bearbeitete und stark vermehrte* Ausgabe, Bd. 2, Leipzig o. J., S. 47of.; Wilhelm Kosch, Deutsches Literatur-Lexikon. Biographisches und bibliographisches Handbuch, Halle 1927, Spalte 1070—1071. 3 Gustav Maier, Dichter-Schicksal. In: Ethische Cultur III, Nr. 28 (13. Juli 1895), S. 222; Dr. M. Schwann, Leopold Jacoby. In: Deutsche Worte. Monatshefte, hg. v. Engelbert Pernerstorfer Jg. X I V , H. 1, S. 47—60. Bruno Marquardt, Leopold Jacoby. In: Der socialistische Akademiker, Jg. I I (1896), S. 38—44; E[rnst] F[uchs], Leopold Jacoby t o d t ! In: Süddeutscher Postillon, Jg. 1896, Nr. 321/1, S. 10—11. Anonym, Ein Dichter der Enterbten. In: Der wahre Jacob, Jg. 1896, Nr. 247, S. 2099; M. Schwann, Leopold Jacoby. In: Magazin für Literatur. Jg. 1896, Nr. 2, S. 47—50; L u d w i g Fränkel, Leopold Jacoby. In: Allgemeine deutsche Biographie, Bd. 50 (1905), S. 616—121. 4 „. . . andere, wie Max Kegel, Leopold Jacoby, Rudolf Lavant, standen der Politik ferner und der Dichtung näher, aber auch sie beanspruchten keine neue Ä r a der Kunst zu eröffnen." Franz Mehring, Geschichte der deutschen Sozialdemokratie. Zweiter Teil, Berlin i960, S. 664. 5 Leopold Jacoby. In: Lexikon sozialistischer Schriftsteller. Von den Anfängen bis 1945. Monographisch-biographische Darstellungen, Halle 1963, S. 261—264. 6 Berlin 1864. Der Band wird eigenartigerweise von Jacob y nie erwähnt. 7 Marburg 1869, zweite Auflage 1870. 8 Berlin 1870. 9 Ebenda, S. 31. 10 Brief Nr. 9, S. 142 des vorliegenden Bandes. 11 Vorwort zur 4. Auflage von „ E s werde Licht", München 1893, S. V . 12 Das Buch, mit der Zeitangabe „1872" versehen, wurde bereits 1871 ausgeliefert.

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13 Vorwort zur 4. Auflage von „ E s werde Licht!", a. a. O., S. V I - V I I . 15 Teil I, Berlin 1874, Teil II, Berlin 1876. 16 Ebenda. Vgl. S. 104 des vorliegenden Bandes. 17 Zit. nach: Deutsche Rundschau, Berlin, Bd. X V I I (Oktober-November-Dezember 1878), S. 280. 18 Ebenda, S. 282. 19 Brief Nr. 9, S. 144 des vorliegenden Bandes. 20 Engels hatte, als er Schmidts Vortrag in der Zeitschrift „Nature" vom 18. Juli 1878 angekündigt gefunden hatte, diesem einen Tag später geschrieben und ihm einen Band seines „Anti-Dühring" zugesandt. Vgl. Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 34, Berlin 1966, S. 334. Schmidt versprach daraufhin in einem Antwortbrief vom 23. Juli, Engels ein Exemplar seines Vortrages zuzusenden. Vgl. ebenda, S. 600. 21 Die „Erklärung" ist abgedruckt in dem Aufsatz von Bruno Marquardt, Leopold Jacoby. In: Der socialistische Akademiker, a. a. O., S. 43—44. 22 Berlin 1880. 23 Heidelberg, C. Winter 1880. Über den Verbleib des Dramas ist nichts bekannt. 24 Deutscher Reichs-Anzeiger und Königlich Preußischer Staats-Anzeiger Nr. 250, Berlin, Mittwoch den 23. Oktober 1878, abends. 25 Biographische Skizze, S. 71 des vorliegenden Bandes. 26 Hamburg 1885. 27 „Qunita". Erster Gesang. 28 Robert Schweichel, Leopold Jacobys „Qunita". In: Die Neue Zeit, J g . V I I , Stuttgart 1889, S. 423. 29 Minna Geith nennt diese Namen in ihrem Buch: Leopold Jacoby. Ein Lebensmärchen, München 1893, S. 238. Weitere Angaben fehlen. 30 Robert Schweichel, Leopold Jacobys „£unita". A. a. O., S. 424. 32 Gero von Wilpert, Sachwörterbuch der Literatur, Stuttgart 1959, S. 353. 33 Brief Nr. 5, S. 136 des vorliegenden Bandes. 34 Vgl. Brief Nr. 13, S. 152 des vorliegenden Bandes. 35 Annette von Droste-Hülshoff, Deutschlands Dichterin, Hamburg 1890. 36 Robert Schweichel, Leopold Jacobys „Deutsche Lieder aus Italien". In: Die Neue Zeit, J g . X , Bd. 1, Stuttgart 1892, S. 777. 37 Brief Nr. 15, S. 154 des vorliegenden Bandes. 15*

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38 Minna Geith, Leopold Jacoby. Ein Lebensmärchen, a. a. O. 39 H, Internationaal Instituut voor Sociale Geschiedenis, Amsterdam. 40 So ließ z. B . Dr. Wilhelm Ellenbogen ein von Jacoby für die Maifestnummer 1895 erbetenes Gedicht — es handelt sich um „Die Maschine heut und in der Zukunft — ohne Begründung ungedruckt. "Vgl. die Anmerkung zu dem Gedicht. 41 Brief Nr. 19, S. 160 des vorliegenden Bandes. 42 Vgl. Ludwig Fränkel, Leopold Jacoby. A. a. O., S. 618; Karl Henckell (1864—1929), bürgerlicher Schriftsteller, Naturalist, der sich zunächst an der politischen Lyrik des Vormärz schulte. Angezogen vom Kampf der Arbeiterklasse bekannte er sich offen zur Sozialdemokratie. Einige seiner Bücher wurden deshalb unter dem Sozialistengesetz verboten. Verdienstvoll war die Herausgabe der Anthologie „Buch der Freiheit", die in der Arbeiterbewegung weite Verbreitung fand. Um 1890 zog er sich wieder von den politischen Kämpfen zurück. Otto Erich Hartleben (1864—1905), naturalistischer Dramatiker, Erzähler und Lyriker. 43 Bruno Marquardt, Leopold Jacoby, A. a. O., S. 44 Brief Nr. 9, S. 142 des vorliegenden Bandes. 45 Die Idee der Entwickelung, T. I, ebenda, S. 109. 46 Die Idee der Entwickelung T. I, Berlin 1874, S. 44. 47 Die Idee der Entwickelung T. I, S. 105 des vorliegenden Bandes. 48 Ebenda. 49 Ebenda. 50 Ebenda, S. 105. 51 Klage, S. 6 des vorliegenden Bandes. 52 S. 108 f. des vorliegenden Bandes. 53 Ebenda, S. 53. 54 Ebenda, S. 26. 55 Ebenda. 56 Die Idee der Entwickelung, T. I, ebenda, S. 109. 57 Lasciate ogni speranza, ebenda, S. 39. 58 Ebenda. 59 Bekenntnis, ebenda, S. 55. 60 Die Idee der Entwickelung, T. I, ebenda, S. 1 1 0 . 61 Der deutschen Sprache Lobgesang, ebenda, S. 25. 62 Die Idee der Entwickelung, T. I, ebenda, S. 1 2 1 . 63 A. a. O., S. 44. 64 S. 55 des vorliegenden Bandes.

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65 66 67 68 69 70 71 72

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Brief Nr. g,S. 143 des vorliegenden Bandes. Ebenda, S. 1 1 1 . Ebenda, S. 1 1 9 . Ebenda. S. 66 des vorliegenden Bandes. Brief Nr. 9, S. 143 des vorliegenden Bandes. Ebenda. Vgl. Lexikon deutschsprachiger Schriftsteller von den Anfängen bis zur Gegenwart A—K, von Günter Albrecht, Kurt Böttcher, Herbert Greiner-Mai, Paul Krohn, Leipzig 1967, S. 662. Brief Nr. 9, S. 146 des vorliegenden Bandes. Vgl. hierzu: Lexikon sozialistischer deutscher Literatur von den Anfängen bis 1945. A. a. O., Vorwort, S. 1 8 f f . Ebenda, S. i 8 f . Friedrich Theodor Vischer, Ästhetik der Wissenschaft des Schönen. 3. Teil, 2. Abschnitt, Die Künste, 5. Heft, Die Dichtkunst. Stuttgart 1857, S. 1342. Klage, S. 5 des vorliegenden Bandes. Ebenda, S. 5 ! Ebenda, S. 7. Ebenda, S. 5. Ebenda, S. 9. Ebenda, S. 8. Unterricht im Sozialismus. 2. Fanny fragt, ebenda, S. 29. Karl Marx/Friedrich Engels, Manifest der Kommunistischen Partei. In: Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 4, Berlin 1959, S. 482. Karl Marx/Friedrich Engels, Die heilige Familie oder Kritik der kritischen Kritik. Ebenda, Bd. 2, Berlin 1958, S. 38. Das letzte Jahrfünft des Jahrhunderts, S. 53 des vorliegenden Bandes. Gegenwart, ebenda, S. 34. vgl. Anm. 21. Zur Kritik der Politischen Ökonomie. Vorwort. I n : Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 13, Berlin 1961, S. 9. Die neue Zeit, S. 50 des vorliegenden Bandes. Karl Marx' Totenfeier im Cooper-Institut zu New York, S. 52 des vorliegenden Bandes. Georg Weerth, Die Industrie. In: Georg Weerth, Sämtliche Werke in fünf Bänden, hg. v. Bruno Kaiser, Bd. 1, Berlin 1956, S. 185. 171

93 Die A u f g a b e n der K u l t u r bei der E n t w i c k l u n g der sozialistischen M e n s c h e n g e m e i n s c h a f t . P r o t o k o l l der 5. Sitzung des S t a a t s r a t e s der D D R v o m 30. N o v e m b e r 1967. I n : Schriftenreihe des S t a a t s r a t s der D e u t s c h e n D e m o k r a t i s c h e n R e p u b l i k , H e f t 2, 3. W a h l p e r i o d e 1967, S. 148. 94 B e r t o l t B r e c h t , Gedichte, B d . I I I , 1930—1933, Berlin 1 9 6 1 , S. 70. 95 E b e n d a , S. 7 1 . 96 Klage, S. 5 des vorliegenden B a n d e s . 97 I d e e der E n t w i c k e l u n g , e b e n d a , S. 26. 98 Klage, ebenda, S. 6. 99 Die E r d e ist zu klein f ü r den Sozialismus, e b e n d a , S. 57. 100 E b e n d a , S. 56. 1 0 1 Klage, e b e n d a , S. 5. 102 E [ d u a r d ] Ffuchs], Leopold J a c o b y t o t ! A. a. O., S. 1 1 .

Gedichte S. 3

Klage

E s werde L i c h t ! Poesien, Berlin 1872. M o t t o : P s a l m 1 1 8 , 22. S. 5, V. 2 A b 2. Auflage, Berlin 1 8 7 3 : „In dem dunst'gen Räume," S. 7, Y. 14 A n m e r k u n g a u s der 4. Auflage, M ü n c h e n 1893, übernommen. V. 19 A b 2. A u f l a g e : „Als o b es d e n n ein groß W e r k sei u n d ein köstlich D i n g , " S. 7, V. 32 A b 2. A u f l a g e : „ D e r Geist, der h e u t e h e r r s c h t , ist eine S c h m a c h d e n Menschen" S. 8, V. 13—22

Aus der 2. Auflage ü b e r n o m m e n .

S. 1 5 D e r d e u t s c h e n S p r a c h e L o b g e s a n g E s w e r d e L i c h t . Poesien, Berlin 1872 S. 18, Y. 1 7 A b 2. A u f l a g e : „ I h r sollt vollen Anteil h a b e n A n allem Schönen der E r d e . " S. 19, V. 13—15 172

Verse v o n W a l t h e r v o n der Vogelweide.

Vgl.: Die Gedichte Walthers von der Vogelweide. Elfte unveränderte Ausgabe mit Bezeichnungen der Abweichungen von Lachmann und mit seinen Anmerkungen neu herausgegeben von Carl von Kraus, Berlin 1950, I, 27, 17—19. V. 27—30 Die Klagelieder Jeremia's 1,2. V. 3 1 - 34, V. 2 Jesaja 29, 18,19 S . 20, V. 1—2 Ließ sich nicht ermitteln. V. 3—6 1. Korinther 13, 1. V. 7—8 Ebenda 13, 6. S. 21, V. 3 Ab 2. Auflage gestrichen. V. 4 Ab 2. Auflage: „Und es gibt welche". S. 22, V. 27—29 Verse von Gotthold Ephraim Vgl.: Nathan der Weise I, 3. S. 22 f. V. 30—33; 1—2 Ebenda I I I , 7. S. 23, V. 14—16 Verse von Friedrich von Die Braut von Messina I I I , 5. V. 1 7 - 2 8 Ebenda VI, 4. In der 4. Auflage sind Schillers Verse durch Gedicht „Die Künstler" ersetzt, und zwar folge: V. 443-445, 466-469, 270-273. Nach V. 28 folgt ab 2. Auflage: Johann Goethe, Prometheus (ohne Überschrift).

Lessing.

Schiller, Vgl.:

solche aus dem in der ReihenWolfgang von

S. 24, V. 1—3 Johann Wolfgang von Goethe. Vgl.: Faust I, Zwinger. V. 4—9 Ebenda. S. 27 U n t e r r i c h t im S o z i a l i s m u s Deutsche Lieder aus Italien, München 1892. S. 31 R e b e u n d R o s e Ebenda. S. 31 Ü b e r S t ü r m e h i n w e g u n d d r o h e n d e n G r a u s Ebenda. S. 32 A m M e e r Ebenda. Aus welcher größeren Dichtung das stammt, ist nicht bekannt.

Gedicht

S. 32 G e g e n w a r t Ebenda. S. 34 D a s V o l k s l i e d Ebenda.

173

S. 35 L a s c i a t e o g n i s p e r a n z a Ebenda. Das Gedicht entstand bereits 1878. Lasciate ogni speranza, voi ch' entrate (ital.) Laßt jede Hoffnung, ihr, die ihr eintretet. Dante Alighieri, Die göttliche Komödie, Hölle, I I I , 9. (letzter Vers der Inschrift über der Höllenpforte). S. 36 W i s s e n u n d N i c h t w i s s e n Ebenda. S. 37 D e r D o m zu M a i l a n d Ebenda V. 27 Gian Galeazzo Visconti (1351 — 1402), unter dem das Herzogtum Mailand seine höchste Machtentfaltung erreichte. V. 29 Am 17. März 1805 krönte sich Napoleon selbst im Mailänder Dom mit der Eisernen Krone. Gleichzeitig damit wurde die Italienische Republik in ein Königreich Italien umgewandelt. S. 39 P o e s i e u n d W a h r h e i t Ebenda. S. 40 E i n P e r l e n s c h m u c k Ebenda. S. 40 D e r T e u f e l im F l a c h s Ebenda. S. 42 D i e s c h w a r z e M a r g r e t Ebenda. S. 44 K i n d e r r e i m e Ebenda. S. 44 A n T h e a H e n c k e l l in L e n z b u r g Ebenda. S. 45 R o b e r t K o c h Ebenda. S. 46 I n d i s c h e S p r ü c h e im d e u t s c h e n G e w ä n d e Leipziger Volkszeitung, Beilage zu Nr. 152 vom 4. Juli 1895. Der wahre Jacob, Nr. 182, 1893. S. 48 A n t i k e u n d m o d e r n e W e l t Deutsche Lieder aus Italien, a. a. O. Franz Reuleaux (1829—1905), hervorragender Techniker, wurde 1856 Professor der Maschinenbaukunde in Zürich, seit 1868 Direktor der köngli. Gewerbeakademie zu Berlin. S. 49 D i e n e u e Z e i t Ebenda.

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Geschrieben anläßlich der Feier zum 1. Mai 1891. Vgl. Brief Nr. 12. S. 50 K a r l M a r x ' T o t e n f e i e r H, Beilage zu Brief Nr. 1 1 . Die in Band 1 der vorliegenden Reihe „Gedichte über Marx und Engels", Berlin 1963, S. 72, aufgestellte Behauptung, daß 1883 als Entstehungsjahr angenommen werden könne, erweist sich damit als hinfällig. S. 51 Adolf Douai (1819—1888), Pädagoge und Journalist, Dr. phil., anfangs kleinbürgerlicher Demokrat, später Sozialist, nahm an der Revolution 1848/49 teil und emigrierte 1852 nach den U S A , wo er als Pädagoge und Publizist tätig war; von 1878 bis 1888 Redakteur der „New Yorker Volkszeitung". S. 52 D a s l e t z t e J a h r f ü n f d e s J a h r h u n d e r t s Der wahre Jacob, Nr. 229, 1895. Das Gedicht wurde bereits anläßlich des 1. Mai 1892 geschrieben und unter dem Titel „Der dreifache Schritt der Zeit" am 12. April an die „New Yorker Volkszeitung" gesandt. Vgl. Brief Nr. 14. S. 54 D a s S c h a f f e n d e s S c h ö n e n Deutsche Lieder aus Italien, a. a. O. S. 55 B e k e n n t n i s Ebenda. S. 56 W e l t a l l s - L i e d e r Ebenda. S. 61 V i s i o n Ebenda. S. 64 M a m m o n s E n d e Süddeutscher Postillon, J g . 1893, Nr. 19. Dem Gedicht ist folgende Anmerkung beigegeben: „Unter dem Eindruck des Internationalen Arbeiterkongresses entstanden auf dem Züricher See, auf der Helvetiafahrt nach Ufenau, 12. August 1893. S. 65 D i e M a s c h i n e h e u t u n d in d e r Z u k u n f t Volks-Anwalt. Centrai-Organ der S. A. P Cleveland, J g . 6, Nr. 22, 18. Mai 1895. Das Gedicht, dessen ursprünglicher Titel lautete „Die Maschine in Gegenwart und Zukunft", war auf Bestellung der „Wiener Arbeiterzeitung" für deren Maifestnummer entstanden, dann aber nicht gedruckt worden. Jacoby an den

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Redakteur der „Wiener Arbeiterzeitung, Zürich, 22. Februar 1895: „ E s freut mich, daß ich Ihren Wunsch nach einem Beitrag für Ihr Festblatt bereits heute erfüllen kann. Ich sende ihnen das beiliegende Gedicht: Die Maschine in Gegenwart und, Zukunft. Es ist mir recht aus der Seele geflossen und wird gewiß für die Arbeiterwelt eine gute, nachhaltige Wirkung üben und den Arbeiterlesern gefallen, gerade deshalb, weil sie dabei denken müssen. Denn es regt zum Denken an. — Für den Fall der Annahme und Veröffentlichung bitte ich nur um einen würdigen, großen schönen Druck an guter, sichtbarer Stelle des Festblattes; vielleicht würde sich ein feiner Maschinenrahmen um das ganze Gedicht, das die Maschine besingt, schön machen." H, Internationaal. Instituut voor Sociale Geschiedenis, Amsterdam.

Autobiographisches Alle in diesem Abschnitt zusammengefaßten Prosaskizzen folgen dem B u c h : Minna Geith, Leopold Jacoby. Ein Lebensmärchen, München 1893. Jacoby hat nur einem kleinen Teil dieser Skizzen literarische Form gegeben. Der größere Teil ist von Minna Geith aus Briefen und schriftlichen Mitteilungen des Dichters zusammengestellt worden. Die auf diese Weise entstandenen Beiträge werden kenntlich gemacht. Die mit einem* versehenen Uberschriften stammen von mir (M. H.). Sie sind in der Quelle ohne Titel veröffentlicht worden. S. 69 A u t o b i o g r a p h i s c h e S k i z z e * Auszug aus einem Brief Jacobys an Minna Geith. Stolzischen Stenographie Heinrich August Wilhelm Stolze (1798—1867), begründete 1841 ein nach ihm benanntes stenographisches System, das neben dem von Gabelsberg in den preußischen Kammersitzungen sowie im Deutschen Reichstag zur Anwendung kam. Stolze bemühte sich auch um die Einführung der Stenographie in Schulen und auf Universitäten. Oldenbergische Kammerkorrespondenz Eine Einrichtung, die die Presse mit Mitteilungen aus den Kammersitzungen versorgte. S. 72 „R. Accademia scientifico-letteraria" ren nicht zu ermitteln. S. 73 Lauenburg Von Minna Geith aus Briefen Jacobys

176

Angaben

wa-

zusammengestellt.

S. 75 Danzig Auszug aus einem Brief Jacobys an Minna Geith. S. 76 Lucus a non lucendo S.v.w.: Der Wald heißt lucus, weil es nicht hell darin ist (non lucet); ein aus „ D e institutione oratione" (1,6) des Quintiiianus stammender, sprichwörtlich gewordener Ausdruck, um eine sinnlose E t h y m o logie zu bezeichnen. S. 77 mein Bruder Philo zu erhalten

Nähere Angaben waren nicht

S. 79 Makame Von arabisch m a k a m e h = Zusammenk u n f t stammend; aus den Zusammenkünften arabischer Gelehrter entstandene Stegreifdichtung, bei der es auf Schlagfertigkeit, witzige Wortspiele und Einfallsreichtum ankam. Form einer kunstvollen rhythmischen Reimprosa. S. 81 S t e n o g r a p h i e u n d S t u d i u m * Auszug aus einer Mitteilung Jacobys an Minna Geith einer wöchentlichen Tumzeitung Der Titel konnte nicht ermittelt werden. der Stenographischen Trinkstube Es waren keine Angaben zu ermitteln. Keßler Über ihn waren keine Angaben zu erhalten. S. 82 Petri und Pauly Über sie waren ebenfalls keine Angaben erhältlich. Trendelenburg Friedrich Trendelenburg (1844—1924), seit 1875 Professor der Chirurgie in Rostock, später in Bonn und Leipzig. des Philosophen Friedrich Adolf Trendelenburg (1802— 1872), idealistischer Philosoph, Gegner von K a n t und Hegel, Mitglied der Akademie der Wissenschaften und Sekretär der historisch-philosophischen Klasse von 1847 bis zu seinem Tode. Pfitzer Ernst Pfitzer (1846— 1906), Professor der Botanik und Direktor des Botanischen Gartens in Heidelberg. Valentiner Wilhelm Valentiner, wurde 1884 Professor und Direktor der Sternwarte in Karlsruhe, Herausgeber eines „Handbuchs der Astronomie". Pansch Über ihn waren keine Angaben zu erhalten. S. 85 Peters Wilhelm K a r l Hartwig Peters (1815-1883), Reisender und Naturforscher, seit 1857 Professor der Zoologie in Berlin, wurde später Direktor sämtlicher zoologischer Sammlungen. Gerstäcker K a r l Eduard Adolf Gerstäcker (1828—1895),

177

Zoologe, 1873 Professor an der Berliner Universität, seit 1876 Direktor des zoologischen Museums in Greifswald. Dove Heinrich Wilhelm Dove (1803—1879), seit 1829 Professor der Physik an der Berliner Universität, arbeitete vorwiegend auf den Gebieten der Meteorologie, Atmosphärologie und Klimatologie, seit 1837 Mitglied der Akademie der Wissenschaften. Magnus Heinrich Gustav Magnus (1802—1870), von 1834 bis 1869 Professor der Physik und der Technologie an der Berliner Universität. S. 86 M a r b u r g * Aus Briefen und Mitteilungen Jacobys von Minna Geith zusammengestellt. „Demokratischen Zeitung" Die Zeitung konnte nicht eingesehen werden. S. 88 S c h r e c k e n d e s K r i e g e s 1 8 7 0 / 7 1 * Aus Briefen und Mitteilungen Jacobys von Minna Geith zusammengestellt. Sammlung „Schutz und Trutz" Lieder zu Schutz und Trutz, hg. v. Franz Freiherr von Lipperheide, Berlin 1870/71. Dr. Wurth : Angaben über ihn waren nicht erhältlich. S. 91 A u g e n b l i c k s b i l d e r a u s P a r i s Julisäule-. Colonne de Juillet, wurde 1833/34 zu Ehren der Julirevolution auf dem place de la Bastille errichtet. S. 93 Nationalliberaler Die Nationalliberale Partei war die Partei der deutschen Großbourgeoisie, sie wurde offiziell 1867 gegründet. Fortschrittler Fortschrittspartei nannte sich eine 1861 gegründete Partei, die liberale Forderungen und das Übergewicht Preußens in Deutschland forderte. Père Lachaise Auf dem Friedhof Père Lachaise verteidigten sich an der Mauer der Föderierten am 27. 5. 1871 200 Kommunarden. Sie wurden nach ihrer Überwältigung standrechtlich erschossen. S. 94 Parlamentseindrücke Aus Briefen Jacobys von Minna Geith zusammengestellt. Kulturkampf Nach einem Schlagwort Virchows von den Liberalen geprägte Bezeichnung für Bismarcks Kampf gegen die partikularistischen und antipreußischen Bestrebungen der katholischen Geistlichkeit und Kirche. Mallinckrodt Hermann von Mallinckrodt (1821—1874), einer der Führer der ultramontanen katholischen Zentrumspartei, Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses und des späteren Deutschen Reichstags.

178

Jacobys Johann Jocoby (1805—1877), Arzt, Publizist, Politiker, 1848/49 Führer der bürgerlichen Opposition in Ostpreußen und einer der Führer der Linken im preußischen Abgeordnetenhaus; 1872 erfolgte sein Übertritt von der Fortschrittspartei zur Sozialdemokratie. Windhorsts L u d w i g Windhorst (1812—1891), einer der Führer der katholischen Zentrumspartei, Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses und des späteren Deutschen Reichstags. von Roon Albrecht Theodor Emil Graf von Roon (1803— 1879), preußischer Generalfeldmarschall und Kriegsminister, Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses und des späteren Deutschen Reichstags. Gneist Rudolf Gneist (1816—1895), nationalliberaler Politiker und Rechtswissenschaftler, Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses. S. 97 E i n e i n t e r n a t i o n a l e T o t e n f e i e r i m C o o p e r Hause Ein Bericht über diese Feier aus der Feder von Maurice Reinhold von Stern findet sich in dem Band „Gedichte über Marx und Engels", a. a. O., S. 74ff.

Wissenschaftliche Prosa S. 101 A u s : D i e I d e e d e r E n t w i c k e l u n g Die Idee der Entwickelung. Eine sozialphilosophische Darstellung. Erster Teil, Berlin 1874, S. 7—21, 23—27, 28—34, 35. 3 7 - 3 9 , 47~5 1 < 52-69, 7°—73, i°2, 103-104, 107-108. Bei der Wiedergabe wurde auf den A b d r u c k der teilweise sehr umfangreichen Zitate verzichtet, die dem W e r k als Anmerkungen beigegeben sind. Nur die Verweise blieben stehen. Der Mensch wird nicht groß ohne Qual Die 422. Gnome der „Monostichen" des Menander (eig.: „Wer nicht geschunden wird, wird nicht erzogen). Goethe stellte das Wort als Motto vor den ersten Teil seiner Selbstbiographie. S. 102 Wallace Alfred Rüssel Wallace (1923—1913), englischer Zoologe und Reisender, stellte 1858 seine Lehre von der natürlichen Zuchtwahl durch Auslese im Kampf ums Dasein auf, was Darwin veranlaßte, seine eigenen Forschungen zu veröffentlichen. S. 112 Grothe Dr. Hermann Grothe, Ingenieur, 1877 Abgeordneter des Deutschen Reichstags.

wurde

179

S. 113 Karmasch K a r l K a r m a s c h (1803—1879), Professor an der Technischen Hochschule zu H a n n o v e r . D u r c h seine weitverbreiteten B ü c h e r erhielt die Technologie einen g r ü n d lichen wissenschaftlichen A u s b a u . Hamm Dr. W i l h e l m R i t t e r v o n H a m m , Ministerialrat in Wien, Verfasser mehrere B ü c h e r über L a n d w i r t s c h a f t . S. 114 Der Geist des Ermordeten H a m l e t , II, 5.

William

Shakespeare,

S. 1 1 5 Gangsystem Brutales A u s b e u t u n g s s y s t e m der L a n d arbeiter, bes. in der englischen L a n d w i r t s c h a f t in der zweiten H ä l f t e des 19. Jahrhunderts. G a n g m a s t e r stellten sog. G a n g s , meist bestehend aus Jugendlichen und Kindern, auf, die alle landwirtschaftlichen Arbeiten verrichten m u ß t e n .

Briefe D a s „ I n t e r n a t i o n a a l I n s t i t u u t voor Sociale Geschiedenis" zu A m s t e r d a m b e w a h r t insgesamt 64 B r i e f e und K a r t e n J a c o b y s auf, die an folgende E m p f ä n g e r gerichtet sind: Friedrich Engels (1), K a r l K a u t s k y (8), Georg v o n V o l l m a r (2), Julius Motteier (1), H e r m a n n Schlüter (26), Wilhelm Ellenbogen (5), Arnold D o d e l (19), R e d a k t i o n der „ A r b e i terstimme" W i e n (1). Die Briefe an Engels, K a u t s k y , V o l l mar, Motteier und Schlüter befinden sich in deren N a c h lässen. Die Briefe und K a r t e n an die übrigen E m p f ä n g e r sind der „ K l e i n e n K o r r e s p o n d e n z " zugewiesen. Abkürzungen.: E . B . m. U . : E . K . m. U . : B r . m. U . :

Eigenhändiger Brief mit Unterschrift. Eigenhändige K a r t e m i t Unterschrift. Brief v o n fremder H a n d mit eigenhändiger Unterschrift. Br. m. U. u. H . : Brief v o n fremder H a n d mit eigenhändiger Unterschrift und Höflichkeitsformel.

B e i der B e a r b e i t u n g der Briefe wurden, zusätzlich zur allgemeinen Modernisierung der Rechtschreibung, alle ungewöhnlichen A b k ü r z u n g e n aufgelöst. A u ß e r bei der K o p u l a und, die durchgängig ausgeschrieben f ü r „ u . " erscheint, wurden die notwendigen Zusätze in eckige K l a m m e r n g e setzt. 1.

S. 125 E . B r . m. U., 9 V2 S., 8°. Arnold Dodel Arnold Dodel, auch Dodel-Port (1843—1908),

180

schweizer Botaniker, Darwinist, veröffentlichte neben zahlreichen fachwissenschaftlichen Büchern auch mehrere populärwissenschaftliche Schriften, z. B. „Moses oder Darwin", in denen er monistische und sozialistische Anschauungen vertrat. ein gewisser Zuschuß Es konnte nicht festgestellt werden, von welcher Stelle Jacoby damals finanziell unterstützt wurde. S. 126 • Mords-Attentaten Gemeint sind die Attentate von Heinrich Max Hödel (1857—1878) und von Karl Eduard Nobiling (1848—1878) am 10. Juli 1878 bzw. am 2. Juni 1878. Bismarck benutzte die Attentate, um die Sozialistengesetze im Reichstag zur Annahme zu bringen. S. 127 Prinzen Georg Georg Friedrich Wilhelm Ernst Prinz von Preußen (geb. 1826). Kronprinzessin Victoria Adelheid Maria Luise, Prinzeß R o y a l von Großbritannien und Irland (geb. 1840). Stieber Wilhelm Stieber (1818—1882), Polizeirat, Chef der preußischen politischen Polizei bis 1860, einer der Organisatoren und Hauptzeugen des Kölner Kommunistenprozesses. S. 128 Milke Angaben über ihn waren nicht erhältlich. in der „Neuen Welt" Die Neue Welt. Illustrirtes Unterhaltungsblatt für das Volk, sozialistische Zeitschrift, erschien von 1876 bis 1883 in Leipzig, dann bis 1919 in Stuttgart und Hamburg, zunächst von Wilhelm Liebknecht, später von Bruno Geiser geleitet. Jacobys Beitrag „Giordano Bruno" erschien in Nr. 34, 1878, S. 401-405. Ophrys und Salvia-Karte Ophrys (griech.) = Ragwurz, Gattung kalkliebender einheimischer Orchideen, deren Blüten in Größe, Gestalt und Farbe Insekten gleichen. Salvia (lat.) = Salbei. U m welche Veröffentlichung es sich bei Dodel handelt, konnte nicht ermittelt werden. S. 129 Prof. Hermann und Frey Ludimar Hermann (1838 — 1914), Physiologe, Professor in Königsberg. Heinrich Frey (1822—1890), Anatom und Zoologe, Professor in Zürich. In der Vossischen Zeitung Königlich priviligierte Berlinische Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen, erschien seit 1785 in Berlin, auch bekannt als „Vossische Zeitung". Eine Besprechung Jacobys konnte nicht nachgewiesen werden. Vgl. auch Brief Nr. 3. l8l

Schreiber Angaben über ihn waren nicht zu ermitteln. Nationalzeitung National-Zeitung, erschien von 1848 bis 1915 in Berlin. Emst Angaben waren keine zu ermitteln. 2. S. 130 E. K . m. U „ 2 S., 16 0 . „Sonntagsblatt des Bund" Der Bund. Eidgenössisches Zentralblatt. Organ der freisinnig-demokratischen schweizerischen und bernischen Politik, wurde 1850 gegründet. Die Zeitung brachte allwöchentlich ein „Sonntagsblatt". Skizzen aus Commacchio Aus ihnen dürfte das spätere Büchlein „ E i n Ausflug nach Commacchio", Triest 1881, hervorgegangen sein. S. 131 Adelsberg Postumia, Städtchen i. d. italienischen Provinz Triest, berühmt durch die sog. Adelsberger Grotten, eine der größten Tropfsteinhöhlen der Erde. Dr. Gräfe Angaben waren nicht zu ermitteln. Wollmann Angaben waren nicht zu ermitteln. Flanok Angaben waren nicht zu ermitteln. 3S. 131 E. Br. n. U., 21/2 S „ 8°. Geiser Bruno Geiser (1846—1898), Journalist, seit 1869 Mitglied der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, w a r Redakteur am „Volksstaat" und redigierte von 1877—1886 die Zeitschrift „Die Neue W e l t " ; Vertreter des rechten Flügels in der Partei, wurde 1887 auf dem Parteitag in St. Gallen aller Funktionen enthoben. Berliner Freie Presse Das 1876 gegründete B l a t t wurde durch das Sozialistengesetz verboten. O. Schmidts Vortrag Eduard Oscar Schmidt (8123—1886), Zoologe, Vertreter des Darwinismus, seit 1872 Professor in Straßburg; politisch Gegner der Sozialdemokratie. Schmidt sprach auf der 51. Versammlung der deutschen Naturforscher und Ärzte, die in der Zeit v o m 18.—24. September in Kassel stattfand, über den Zusammenhang von Darwinismus und Sozialdemokratie. Der Vortrag erschien nach der Tagung als Broschüre unter dem Titel: „Darwinismis und Socialdemokratie", Bonn 1878. in seiner neuesten Streitschrift gegen Virchow Ernst Haeckel, Freie Wissenschaft und freie Lehre, Stuttgart 1878. Die Schrift richtete sich gegen Virchows Rede auf der 50. Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte am 22. Sep-

182

tember 1877 in München „Die Freiheit der Wissenschaft im modernen Staat". Die Rede erschien als Broschüre im gleichen Jahre in Berlin. S. 155 auf beide Vorträge ein Wort zu erwidern Eine schriftliche Äußerung Jacobys ist nicht bekannt. 4S. 133 E. Br. m. U „ 8 S. 8°. Harvard University Eine der führenden Hochschulen der U S A , wurde 1636 gegründet, teilweise aus staatlichen Mitteln, teilweise als Stiftung des puritanischen Geistlichen John Harvard. S. 134 Ihre Schöpfungsgeschichte Arnold Dodel, Die neuere Schöpfungsgeschichte, Leipzig 1875. „Illustrierte Pflanzenleben" Arnold Dodel, Illustriertes Pflanzenleben", B d . 2, Zürich 1883. Agazziz-Museum Louis Agazziz (1808—1874), Zoologe, Paläontologe, Geologe, Gegner Darwins; Begründer des nach ihm benannten Museums für vergleichende Zoologie in Cambridge (Massachusetts). in meiner A al-Schrift Dr. L. Jacoby, Der Fischfang in der Lagune von Comacchio nebst einer Darstellung der Aalfrage. Mit zwei Tafeln, Berlin 1880. Hirschwald August Hirschwald, Verleger in Berlin. Fischerei-Ausstellung Angaben waren nicht zu ermitteln. inzwischen etwas neues vollendet Jacoby meint wahrscheinliche ein episches Gedicht „£unita. Ein Gedicht aus Indien", Hamburg 1885. Dr. Theodor Vetter Angaben waren nicht zu ermitteln. S. 135 Krapülinski und Waschlapski Poetische Figuren Heines aus dem Gedicht „Zwei Ritter". Caesar Schmidt Verleger in Zürich. Die deutsche Makame Jacobys Arbeit „Die deutsche Makame" erschien nicht in Zürich, sondern bei J. F. Richter in Hamburg 1883. 5. S. 136 E. Br. m. U., i'/ 2 S., 8°. Neue Zeit Die Neue Zeit, theoretische Zeitschrift der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, erschien von 1883 — 1923 in Stuttgart. eine literarhistorische Betrachtung Ein Aufsatz dieses Inhalts von Jacoby ist nicht erschienen. 16 Häckel, Jacoby

183

ein naturwissenschaftlicher Beitrag Auch ein solcher Beitrag von Jacoby ist nicht erschienen. 6. S. 136 E . Br. m. U., 4 S., 8°. Hermann Schlüter Hermann Schlüter (gest. 1919), Sozialdemokrat, begann 1882 das Parteiarchiv der S P D aufzubauen; zusammen mit Bernstein und Motteier in der Redaktion des „Sozialdemokrat" und maßgeblich beteiligt an der Leitung der Hottinger Volksbuchhandlung; Ende der achtziger Jahre Emigration in die U S A , wo er an der deutschen sozialdemokratischen Bewegung teilnahm, seit 1890 Chefredakteur der „New Yorker Volkszeitung"; Verfasser einer Reihe von Arbeiten zur Geschichte der amerikanischen und englischen Arbeiterbewegung. Soz. Dem. Der Sozialdemokrat, Zentralorgan der deutschen Sozialdemokratie, erschien von September 1879 bis September 1888 in Zürich, von Oktober 1888 bis September 1890 in London. S. 137 „Karl Marx, Der 18. Brumaire" Die Schrift war 1885 bei Meißner in Hamburg in neuer Auflage erschienen. sandte ich an J . H. W. Dietz Die Herausgabe der zweiten Auflage des Werkes kam bei Dietz in Stuttgart nicht zustande. an einen anderen Verlag Wahrscheinlich das Verlagsmagazin J . Schabelitz in Zürich, in dem die zweite Auflage 1887 erschien. S. 138

Ernst Haeckel in Jena Der Brief ist nicht erhalten.

7S. 138 E . Br. m. U., 31/2 S., 8°. mein Buch Die Neuauflage ist demnach bereits im vierten Quartal 1886 ausgeliefert worden, trotz der Jahreangabe 1887. den Restbetrag der Druckkosten 1886 war eine dritte Auflage des Gedichtbandes „ E s werde Licht." ohne Orts- und Verlagsangabe erschienen. Wie der Verlagskatalog ausweist, hatte die Volksbuchhandlung in Hottingen die Neuauflage besorgt. Jacoby hat wahrscheinlich die Druckkosten der Auflage selbst getragen. S. 139 Volksstaat Verlagsunternehmen der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei in Leipzig, das auch die gleichnamige Zeitung (1869—1876) herausbrachte. 8.

S. 139 S. 140

184

E . Br. m. U „ 5V2 S., 8°. „Grütlianer" Grütlianer. Organ für die Interessen des

Grütlivereins (Später: Centraiorgan für die Interessen des Grütlivereins und der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz), erschien von 1851—1925. Empire-Gesetz Sozialistengesetz. um des befreundeten Mannes willen Der Name des Mannes ist nicht bekannt. Lafarge Paul Lafarge (1842—1911), französischer Sozialist und Schriftsteller, einer der ersten Propagandisten des Marxismus; Schwiegersohn von Marx. Seine Schrift „Der wirthschaftliche Materialismus nach den Anschauungen von Karl Marx" erschien 1886 in Hottingen. Herbert Spencer Herbert Spencer (1820—1903), englischer Philosoph, Hauptvertreter des englischen Positivismus in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Vgl. „Die Idee der Entwickelung", 2. Auflage, Bd. 2, S. i28ff. und 132IL Buer Karl Ernst von Baer (1792—1876), Naturforscher, einer der bedeutendsten deutschen Zoologen des 19. Jahrhunderts. S. 141 in einem Briefe an mich Der Brief ist nicht bekannt. Dr. Aveling Dr. Edvard Aveling (1849—1898), englischer Arzt und Sozialist, trat für die Verbreitung des Marxismus und die Entwicklungslehre Darwins ein. ein Exemplar meines Werkes an Fr. Engels Vgl. Brief Nr. 9. 9S. 142 E . Br. m. U., 14 S., 8°. mit Überreichung meines Buches Das Exemplar befindet sich in der Bibliothek des Instituts für Marxismus-Leninismus beim Z K der S E D zu Berlin. Der Innentitel enthält folgende Widmung: „Friedrich Engels hochachtungsvoll der Verfasser. Mailand 24. 10. 1886." S. 143 im 3. Teil meines Werkes Ein dritter Teil des Werkes war geplant, ist aber nicht mehr erschienen. Wie weit die Vollendung gediehen war, ist nicht mehr nachprüfbar. S. 144 „die Freisinnigen" Deutsch-Freisinnige Partei, linksliberale bürgerliche Partei, entstand 1884; bekämpfte die Sozialdemokratie und Bismarcks Wirtschaftspolitik. ein Zoologieprofessor Sein Name konnte nicht ermittelt werden. Virchow in einem öffentlichen Vortrag Virchow hatte auf

185

der 50. Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte am 22. September 1877 in seinem Vortrag „Die Freiheit der Wissenschaft im modernen Staat" gesagt: „. . . ich will hoffen, daß die Deszendenztheorie uns nicht alle die Schrekken bringen möge, die ähnliche Theorien wirklich im Nachbarlande angerichtet haben. Immerhin hat auch diese Theorie, wenn sie konsequent durchgeführt wird, eine ungemein bedenkliche Seite, und daß der Sozialismus mit ihr Fühlung gewonnen hat, wird Ihnen hoffentlich nicht entgangen sein". A. a. O., S. 12. in der Naturforscherversammlung zu Eisenach von Oscar Schmidt Eduard Oscar Schmidt hielt den Vortrag auf der 51. Versammlung der deutschen Naturforscher und Ärzte in Kassel 1878. Vgl. Anmerkung zu Brief Nr. 3. revue philosophique A. Debon, Leopold Jacoby. — Die Idee der Entwickelung (L'Idée l'Evolution). Berlin 1874—76. In: R e v u e philosophique de la France et de l'etranger, dirigée par Th. Ribot, IV, Paris 1877, S. 87-93. S. 145 Ernst Haeckel in Jena in Briefen an mich Vgl. die Briefe 6 und 8. Schrift von Eleanor Aveling Eleanor Aveling (1855 — 1898), jüngste Tochter von Marx, verheiratet mit Edward A., wirkte vornehmlich in der Gewerkschafts- und Frauenbewegung. S. 146 mit einigen Zeilen der Erwiderung Ein Brief von Engels an Jacoby ist nicht erhalten. des „jüngsten Deutschland" Vertreter der damals jüngsten Schriftstellergeneration in Deutschland, die dem Naturalismus anhingen. einer von diesen Wahrscheinlich K a r l Henckell (1864— 1929). 10. S. 146 E . Br. m. U., 3V2 S., 8°. Freund Hülß Wahrscheinlich Redakteur der „ N e w Yorker Volkszeitung". S. 147 Der verstorbene Douai Vgl. Anmerkung zum Gedicht „ K a r l Marx' Totenfeier". „Sonntagsblatt der N. Y. Volkszeitung" New Y o r k e r Volkszeitung, sozialistische Tageszeitung, erschien von 1878— 1932 in deutscher Sprache in New Y o r k . Sie brachte allwöchentlich ein „Wochenblatt". Ausschnitte aus „Die Idee der Entwickelung" sind in den Jahren 1890 und 1891 dort nicht erschienen.

186

den mächtigen Eindruck feier im Cooper-Haus."

Vgl. „Eine internationale Toten-

11. S. 148 E. Br. m. U „ 3I/2 S-, 8°. •es in der „N. Yorker Volkszeitung" Von der „New Yorker Volkszeitung" konnten nur die Wochenbeilagen der Jahre 1890 und 1891 eingesehen werden. Veröffentlichungen Jacobys an anderer Stelle des Blattes waren daher nicht zu ermitteln. 12. S . 149

E. Br. m. U., 1V2 S., 8°.

S. 150 „Die neue Zeit" Vgl. Anmerkung zum Gedicht. Artikel aus Naturwissenschaft oder Literatur Die Artikel konnten nicht nachgewiesen werden. 13-

S. 150 E. Br. m. U., 5 S „ 8°. anziehenden Hinweis Der Hinweis ist nicht erhalten. Diese eine Ausnahme Das Gedicht „Unterricht im Sozialismus" aus dem Zyklus „Fannylieder" erschien im „Wochenblatt" der „ N e w Y o r k e r Volkszeitung", Nr. 9, Samstag, den 28. Februar 1891, S. 2. S. 151 den Abdruck des Buches Über einen Abdruck von „Deutsche Lieder aus Italien" in Amerika ist nichts bekannt. 14S. 153 E. Br. m. U., S., 8°. „Der dreifache Schritt der Zeit" Vgl. Anmerkung zum Gedicht „ D a s letzte Jahrfünf des Jahrhunderts". Besprechungen dieser Lieder durch Robert Schweichel Robert Schweichel (1821 — 1907), sozialistischer Romancier, Novellist und Publizist. Schweicheis Besprechung erschien unter der Überschrift „Leopold Jacoby's .Deutsche Lieder aus Italien'" in „Die Neue Zeit", Jg. 10, B d . 1, Stuttgart 1892, S. 772—778. 15-

S. 154 Br. m. U. u. H „ 2V2 S., 8°. kl. Novellenskizze Vgl. Brief Nr. 16.

187

S. 155 Herrn Henckell Vgl. Brief Nr. 9. eine Monatsschrift Das Unternehmen wurde nicht realisiert. Jonas Über ihn waren keine Angaben erhältlich. 16. S. 155

Br. m. U. u. H., 21/2 S „ 8°.

17S. 156 Br. m. U . u. H „ 2V2 S., 8°. Es wurde von einer Dame Minna Geith. Angaben über sie waren nicht zu erhalten. Das Buch erschien unter dem Titel „Leopold Jacoby. Ein Lebensmärchen", München 1893. S. 157 einer Szene in New York Die Szene ist in Minna Geiths Buch nicht enthalten. 18. S. 158 Br. m. U „ 21/2 S., 8°. Abdruck meines Aufsatzes Der Aufsatz konnte nicht nachgewiesen werden. Aufsatz (kritischen Essay) über eine deutsche Dichterin E s ist nicht bekannt, welcher Dichterin der Aufsatz gewidmet war. mein Drama Jacobys Drama „Der Uhrmacher von Danzig" kam nicht zur Aufführung. 19. S. 159 Br. m. U „ 71/2 S „ 8°. schrieb ich für die Neue Welt: „Die Neue W e l t " veröffentlichte im Jg. 1878 von Jacoby folgende Beiträge: „Girdano Bruno", in Nr. 34, S. 402—405; „Lasciate ogni speranza", in Nr. 38, S. 454; „Meeresleuchten", in Nr. 43, S. 507—510. S. 160 was Sie im Berliner „Vorwärts" Vorwärts, Zentralorgan der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands, erschien ab 1. Oktober 1876 in Leipzig; während des Sozialisetngesetzes verboten. E s handelt sich wahrscheinlich um ungezeichnete Korrespondenzen, die in der Rubrik „Politische Übersicht" A u f nahme fanden.

188

S. 161 Essay des Herrn Doktor Schwann Dr. M. Schwann, Leopold Jacoby. In: Deutsche Worte. Monatshefte, hg. v. Engelbert Pernerstorfer, Jg. X I V , H. 1, S. 47-60. Die Neue Zeit Der Aufsatz erschien unter der Überschrift: „ E i n Kapitel aus einer Philosophie für Arbeiter. Zweck und Ziel." I n : Die Neue Zeit, Jg. X I I I , B d 1, S. 748-753 und S. 787-794. 20. S. 162

E . Br. m. U „ 2 S „ 8°.

189

ALS NÄCHSTE BÄNDE FOLGEN

Frühes Leipziger Aus den Anfängen

Arbeitertheater.

Friedrich

der sozialistischen

Bosse

Dramatik

III