Lektüren von Jahrestagen: Studien zu einer Poetik der "Jahrestage" von Uwe Johnson [Reprint 2014 ed.] 9783110939798, 9783484320772

Uwe Johnson's "Anniversaries" ("Jahrestage") is a project in narrative appropriation of the pas

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German Pages 234 [236] Year 1995

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Lektüren von Jahrestagen: Studien zu einer Poetik der "Jahrestage" von Uwe Johnson [Reprint 2014 ed.]
 9783110939798, 9783484320772

Table of contents :
Inhalt
Vorwort
1. Zur Einführung
2. Zehn Lektüren
3. Grundzüge einer Poetik
4. Bibliographie

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Untersuchungen zur deutschen Literaturgeschichte Band 77

Beatrice Schulz

Lektüren von Jahrestagen Studien zu einer Poetik der »Jahrestage« von Uwe Johnson

Max Niemeyer Verlag Tübingen 1995

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Vereinigung der Freunde der Universität des Saarlandes e.V.

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Schulz, Beatrice: Lektüren von Jahrestagen : Studien zu einer Poetik der "Jahrestage" von Uwe Johnson / Beatrice Schulz. - Tübingen : Niemeyer, 1995 (Untersuchungen zur deutschen Literaturgeschichte ; Bd. 77) NE: GT ISBN 3-484-32077-x

ISSN 0083-4564

© Max Niemeyer Verlag GmbH & Co. KG, Tübingen 1995 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Satz: Johanna Boy, Regensburg Druck: Weihert-Druck, Darmstadt Einband: Hugo Nädele, Nehren

Inhalt

Vorwort 1

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Zur Einführung

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1

Der Titel Das Wort bei B. Brecht Horizontale und Vertikale Zum Begriff der Wiederholung Philologische Bemerkungen

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Zehn Lektüren

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2.1 2.2 2.3 2.4

20 27 48

Spiegelung. Der 28. September (S. 124-125) Die Feuersbrunst. Der 15. Oktober (S. 176-179) »Metropolis«. Der 30. Oktober (S. 240-243) Die Prosopopöie des Staatsapparats. Der 28. November (S. 381-385) 2.5 Fieber. Der 27. Dezember (S. 519-523) 2.6 Monologue à deux. Der 2. Februar (S. 669-673) 2.7 Ferien auf dem Lande. Der 26. Mai (S. 1223-1226) 2.8 »Utopia«. Der 3. Juli (S. 1482-1488) 2.9 Die historiographische Rede. Der 19. Juli (S. 1579-1584) lAQMise en abyme, oder: Die Geburt der Erzählerin. Der 21. Juli (S. 1590-1595)

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VII

64 80 100 118 132 150 165

Grundzüge einer Poetik

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Gesine und Marcel, oder: Das Scheitern der Erinnerung Zum Realismus der Jahrestage Exkurs zum politischen Standort Geschichte in Geschichten

188 198 205 209

Bibliographie

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Vorwort

Der vorliegende Versuch über die poetischen Grundlinien der Jahrestage ist im Dialog mit literaturtheoretischen Überlegungen und Publikationen entstanden, die am Centre de recherche philologique (Université Charles de Gaulle Lille III, gegründet von Jean Bollack, gegenwärtig unter der Leitung von Pierre Judet de la Combe) anhand von Interpretationsproblemen vorrangig antiker Autoren entwickelt wurden. Der Name des Instituts ist sein Programm, »Philologie« ist zweifach zu verstehen: als die mehr technische Arbeit am Wortlaut und an der Wörtlichkeit der Texte, die durch die Diskussion von Sinnhypothsen zum Werk ergänzt wird. Das rekonstruktive und das spekulative Moment des Interpretierens sind eng verflochten. Die Auseinandersetzung sowohl mit der textuellen Überlieferung der Werke wie mit der Tradition ihrer Kritik hat zu allgemeinen interpretationstheoretischen Reflexionen geführt, die nun unabhängig von dieser Epoche auch an modernen literarischen Werken zu erproben sind. Jean Bollack (Paris/Lille) hat diese Ausweitung auf die neuere Literatur mit seinen Arbeiten Uber die Gedichte von Paul Celan begonnen. Er war der ständige Begleiter dieser Arbeit über Uwe Johnson und hat mit seinen kritischen Fragen und unerschöpflichen Ratschlägen, vor allem aber auch mit seinem Festhalten an den Erkenntnismöglichkeiten der Literaturwissenschaft den Mut erzeugt, sich dem Reichtum und den Schwierigkeiten der Johnsonschen Prosa immer wieder zu stellen. Professor Schmidt-Henkel (Saarbrücken) hat diese deutsch-französische Zusammenarbeit ermöglicht und großzügig bei sich aufgenommen. Ohne sein Interesse für verschiedene Traditionen des Interpretierens und ohne die Neugier, was solche kritische Hermeneutik für einen in vieler Hinsicht zeitgenössischen Text wie den der Jahrestage zu bieten hat, wäre die institutionelle Durchführung dieses auch methodologischen Projekts kaum gelungen. Erkenntnisse über Texte, sofern sie argumentativ begründet werden, überschreiten Sprachgrenzen. Unser Interesse für Uwe Johnson hatte einen bestimmten Anfang: der erste Impuls kam von Martin Bauer (Berlin), der diese Prosa im Streit um aktuelle literaturtheoretische Fragen als eine Herausforderung ansah. An der technischen Realisierung ist in nicht unbeträchtlichem Maße Robert Schulz (Zürich/Saarbrücken) beteiligt. Für kompetenten Rat und stete Hilfsbereitschaft bin ich Monika Gerhardt (Frankfurt/M., Uwe JohnsonArchiv) und schließlich dem Uwe Johnson-Archiv selber fur die Genehmigung zum Abdruck von Zitaten zu Dank verpflichtet. Frankfurt/M., im Mai 1994 VII

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Zur Einführung

Uwe Johnson hat die Jahrestage im Alter von 33 Jahren begonnen, mit 48 Jahren abgeschlossen. Lange Jahre begleiten sie das Leben ihres Autors und handeln dabei von einer anderen Lebensgeschichte, die bei allen Berührungspunkten eine erdachte ist und eigenen Gesetzen folgt. Die Jahrestage bestechen durch die Beobachtung menschlicher Verhaltens- und Redeweisen, deren Genauigkeit und Nuancenreichtum in Johnsons Wahrheitssuche begründet sind. Sie verwirren durch ihre sprachliche Form, durch Neologismen und Dialekt, durch Fremdsprachliches und scheinbare Brüche der gedanklichen Syntax, wie auch durch das Spiel mit den Gattungen literarischen Ausdrucks. Die Lebendigkeit und Intensität, mit der das Leben der geschilderten Personen dem Leser entgegentritt, sind so groß, daß er sich der eigenen affektiven Beteiligung kaum entziehen kann und vorschnell das Etikett des Realistischen zückt, dabei aber die Kunsthaftigkeit der sprachlichen Gestalt und die Ungereimtheiten des spontanen Verstehens großzügig übersieht; er erliegt dem Gestus des Geschichtenerzählens. Im besten Fall spricht man in der Literatur zu Johnson von »modernem Realismus«. 1 Dabei müßte es den Leser doch frappieren, daß ein Werk wie die Jahrestage, das so zentral von geschichtlicher Wirklichkeit handelt, ja noch Gedachtes explizit als wirklich bezeichnet (s. S. 670f.), das Wortfeld des Realen oder Realistischen fast vollständig vermeidet. 2 Die Prosa der Jahrestage ist eine

So schrieb Katrin Hillgruber kürzlich in der SZ vom 26./27.2.1994: »das letzte große realistische Epos überhaupt«; G. Bond in: »Wo ich her bin...« (1993), S. 2 2 7 Í ; Stefanie Golisch in: Wenigstens in Kenntnis leben... (1991), bes. S. 5 0 53, U. Fries, Uwe Johnsons »Jahrestage«... (1990), S. 137; J. Scholl, In der Gemeinschafi des Erzählers... (1990), S. 139f., 181; Christa Bürgers Aufsatz »Uwe Johnson: der Erzähler« (1988); N. Mecklenburg, Erzählte Provinz.... (1982), S. 200ff„ und Die grünen Inseln... (1987), S. 131, 136, 142; B. Neumann, Utopie und Mimesis... (1978), S. 295, 306f. Bisher konnten wir im ganzen fünf Rekurrenzen entdecken: S. 89 »das realpolitische Gespräch auf dem Bürgersteig«; S. 141 »die U.S. A. [müssen] Billionen Dollar haufenweise und die Anstrengung einer ganzen Generation aufwenden, wenn sie realistisch und ohne Ansehen der Rasse gegen die Armut im Land vorgehen wollen«; S. 902 im Kapitel, das die Ausbildung zum Bürgerkrieg schildert: »Ziegelsteine und Steine aus Gummi, die jedoch schwer genug sind, um realistisch zu wirken,...«; S. 1539: »Ich [Gesine] höre mich also nicht nur sprechen von der subjektiv realen (vergangenen) Stelle aus, auch von der Stelle des heute fünfunddreißigjährigen Subjekts aus«; S. 1834: »...er verdient keinen Namen./Den soll der Real Existierende Sozialismus holen!« I

hochgradig konstruierte, fern allen Fabulierens, zeigt sie doch durch ständiges Zitieren ihre Verflochtenheit mit externem verbalen wie faktischen Material, bevor sie es nach Zielsetzung des eigenen Projekts poetisch verwandelt. Noch die kärgsten Informationen, in Zahlen, Graffitti, Parolen, können Bestandteile dieses Erzählens werden. Auf dieser Beobachtung gründet die erste These: Die Jahrestage sind ein Werk der modernen Kunst, das daran zu erkennen ist, daß es sein Material als solches vorlegt und seine Komposition sichtbar macht; der Umwandlungsprozeß aller externen oder vorliterarischen Elemente ist selbst Gegenstand der ästhetischen Reflexion. Alles kann Thema sein, 3 die Form ist eine offene."1 Das Textgeschehen offenbart sich als Kunst, als künstlich und künstlerisch. Der Kritik solcher Werke ist folglich seine Rekonstruktion als Weg gewiesen (s. S. 15). Während diese Form der Reflexivität der klassischen Moderne der zwanziger Jahre verpflichtet ist, besteht ein innovativer Zug der Erzählung darin, daß sie diese mit der angelsächsischen Tradition des Geschichtenerzählens verbindet (s. S. 12). Johnson hätte zehn Verse Homer aufnehmen können, und doch wären sie kein Homer mehr. Die New York Times oder »New York Times« (S. 1770, 1845) wird gerade in der etymologisierenden Schreibweise zur Erzählzeit der Romanstadt New York; sie nimmt sich wie ein Wasserspiegel aus, in dem allerlei nachlesbar wird. Ihre wichtigste Eigenschaft: sie besteht aus Sprache. Wollte man die ihr entnommenen Informationen als solche lesen, sie wären kläglich veraltet; ihre Objektivität ist eine Eigenschaft der Quelle und ein Hinweis darauf, daß es hier um die Anverwandlung von sprachlichem Material geht, dessen neue semantische Ausrichtung der näheren Erforschung bedarf. Das gleiche gilt für Erfahrungsmaterial der eigenen Person. Die Aufgabe der kritischen Lektüre besteht somit genauer noch darin, beim Rekonstruieren des Textgeschehens dessen Brechungsgrad zu bestimmen. Was nützt es schon, Johnsons Bedürfnis nach Wassernähe zu konstatieren; die Bedeutung des wässrigen Elements erklärt es wohl kaum; dafür bedarf es vielmehr der Wassertonnengeschichte und des Regens. Sehr viel diskreter darf man Biographisches erst dann wiedererkennen, wenn die Inter-

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Virginia Woolf schrieb schon 1919 in ihrem Zeitungsessay »Modern Novels« S. 186: »>Der der Romankunst eigene Stoff/ existiert nicht; alles ist der eigentliche Stoff der Romankunst, jedes Gefühl, jeder Gedanke; jede Eigenschaft des Gehirns und des Geistes wird mitgenutzt; keine Wahrnehmung ist umsonst.« In: Der gewöhnliche Leser 1 (Essays), Frankfurt/M. 1989, S. 178-188. N . Mecklenburg erwähnt »die Aspekte der offenen Form«, in: Erzählte Provinz. Regionalismus und Moderne im Roman, Königstein/Ts. 1982, S. 200; R. Baumgart spricht von »der Spannung zwischen exakter äußerer und freier innerer Erzählzeit«, s. »Eigensinn. Ein vorläufiger Rückblick auf Uwe Johnsons Jahrestagen, in: Merkur 37 (1983) 422, S. 922; St. Golisch spricht von der »Tendenz zur grundsätzlich offenen künstlerischen Form« als Reaktion auf den Verlust von geschichtsphilosophischem Sinn, siehe »Uwe Johnsons Jahrestage — eine moderne Epopöe im »Zeitalter der vollendeten Sündhaftigkeit«, in: C. Gansei, J. Grambow (Hg.), ...Biographie ist unwiderruflich (1992), S. 130.

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pretation des Textgeschehens zeigt, wie ein Element der Realität in der entworfenen epischen Welt einen neuen Platz gefunden hat. Die chronistische Dimension, die die Jahrestage haben, übersteigt die einzelne Person bei weitem, und so vermessen, den eigenen Werdegang zum Maßstab zu nehmen, dürfte Johnson nicht gewesen sein. Gesine Cresspahl ist ein Kunstprodukt, keine Kopie (Johnson als Bankangestellter?). Daß die Erfahrungen des eigenen Lebens eine conditio sine qua non von Johnsons Erzählen sind, würde er selbst als erster bezeugen. Aber sie sind es doch erst mehrfach gebrochen, so daß jedes spontane Wiedererkennen sich zu zügeln und statt dessen die Logik des Textes ob seiner Legitimität zu befragen hat. Jeder biographische Versuch ist eine Konstruktion, aus mannigfaltigen Materialien, auch ganz persönlichen, aber in einer bestimmten poetischen Syntax. Diese Erkenntnis stellt sich rein biographischen Erklärungsansätzen entgegen; sie widerspricht einer mechanistischen Auffassung des Zusammenhangs von Autor und Werk, die das Werk als Widerspiegelung biographischer Zufälle ansieht. 5 Mit dem Schlüsselbegriff der persönlichen Erfahrung, 6 als individuellem perzeptivem Refugium vor allen Systemen, war der Stoff des eigenen Lebens für den Erzähler Johnson eine Notwendigkeit. Die biographische Thematik hingegen war sein besonderes Vorhaben. Wer schreibt, hat die Entscheidung getroffen zu schreiben (und zu publizieren); er hat sich ein bestimmtes Projekt vorgenommen, welches das intentionale Moment im Schaffensprozeß darstellt. Von der Gattung der Biographie bleibt nur der Gegenstand als umfassende Thematik; der hat Johnson interessiert, ja gefangen, auch ohne die literarische Tradition. Wenn menschliche Erfahrungen der Stoff des Erzählens sind und zugleich jede Erfahrung die einer PerMehrfach hat Johnson sich gegen diese Verkürzung verwahrt: »Man sollte vielleicht davon abgehen, die privaten Wendungen und Ereignisse im Leben eines Schriftstellers allzu schnell und allzu deutlich auf das Produkt dieser Leute Ubertragen zu wollen. Denn ihre Erfahrungen machen diese Leute ja nicht allein u m zu schreiben, sie machen sie erst mal ins Unreine. Was sie dann aussuchen, wird gegliedert durch das, was sie vorhaben, und nicht durch ihre private, subjektive Situation«; im Gespräch mit W. Bruck vom 24.4.1975 in: Gespräche..., S. 271. Man könnte seine grimmige Verschlossenheit gegenüber Leslie A. Willson im Gespräch vom 20.4.1982 hinzufügen, ebd., S. 293: »— Wenn man sich fragt, wer Uwe Johnson ist?/ - Das ist gleichgültig./ - W ü r d e n Sie sagen, die Identität von Uwe Johnson ist rätselhaft?/ - Nein, sie ist ohne Belang für das Verstehen der Bücher oder für die Benutzung der Bücher«. Die in den Begleitumständen empfundene Peinlichkeit, Ich sagen zu müssen, braucht nicht mehr erwähnt zu werden. Und so schickt auch Christine Jansen ihrem bisher veröffentlichten Briefwechsel mit Uwe Johnson den gleichen Gedanken in den Worten von Hugo von Hofmannsthal voran, s. R. Berbig, E. Wizisla, »Wo ich her bin...», Berlin 1993, S. 146. Im Gespräch mit W. J. Schwarz vom 10.7.1969 sagt er: »...für mich ist die gesamte Literatur gesammelte Erfahrung«; in: Gespräche..., S. 237. Interessant ist auch seine Wiederholung der Kategorie der Personen zu Beginn in den »Vorschlägen zur Prüfung eines Romans«; alle inhaltlichen Bestandteile sind bei der Erkundung der »Substruktur« zu ihnen in Beziehung zu setzen.

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son mit ihrer Vorgeschichte ist, dann folgt daraus, daß die Geschichte von Einzelpersonen der eigentliche Gegenstand allen Erzählens ist. Damit bahnt sich neben der ersten, mehr ästhetischen These der Modernität die zweite, mehr gehaltliche These an: Die Jahrestage sind auch als Experiment zu verstehen, wie mit dieser modernen poetischen Verfahrensweise auf die Herausforderung der Historiographie zu reagieren ist; so könnte man den Begriff der Wahrheitssuche bei Johnson verstehen. Sie beantworten diesen challenge mit einer metonymischen Erzählästhetik: Die Geschichten der einzelnen Tage versuchen eine punktuell genaue Einsicht in komplexe historische Zusammenhänge zu bekommen; einzelnen Situationen, in denen Personen standen und stehen, sind ebenso einzelne narrative Einheiten gewidmet. Und diese Partikularisierung der Jahrestage kann die verallgemeinernde Abstraktion begrifflicher Systeme dadurch überbieten, daß sie imstande ist, im Erzählen, gemäß Benjamins Entwurf einer Erzähltheorie, Erfahrung zu vermitteln. Die ersten zwei Bände schildern eine epische Kosmologie und ihre Vernichtung; ihr Ende fällt historisch mit der Kapitulation und Befreiung 1945 zusammen. Den dritten Band kann man als Versuch einer neuen Weltschöpfung lesen, dritter und vierter Band zusammen entwickeln die tragische Dimension der Jahrestage in der unterschwellig mitlaufenden, bald bangen, bald nüchternen Frage, ob die Entstehung einer neuen Gesellschaft, bestimmten Erwartungen an sozialer Gerechtigkeit entsprechend, überhaupt (noch) möglich sei.

Der Titel Die innere Architektur der Erzählung liegt im Titel, der in seiner unauffälligen Ambivalenz ein ganzes Programm enthält. Er definiert es weniger durch das, was er zu sagen gestattet, denn die zeitliche Vorgabe ist inhaltlich für alles offen, als vielmehr durch das, was er als Minimum zu sagen verpflichtet. Johnson hat sich mehrmals zu seinem Titelwort geäußert, indem er seine zwei gängigen Verständnismöglichkeiten ins Feld führt, ohne je sein »Geheimnis« preiszugeben. Man kann ihm aber auf die Spur kommen, indem man ihre Berechtigung am Text prüft. In der einen Bedeutung meint 'Jahrestag' nach dem morphologischen Muster von 'Wochentag' die Reihe der Kalendertage eines Jahres. Diese Leseweise ist nicht sehr geläufig, bleibt verständlich, wird aber erst aus dem Aufbau des Werks ersichtlich. Mit ihr ist die äußere Gliederung der Erzählung vorgegeben, nämlich in 367 Einträge für die Tage eines Jahres ab dem 21. August 1967 (d. i. ein Schaltjahr zuzüglich des undatierten Eingangskapitels). Sie ist eine Facette des deutschen Ausdrucks, die im englischen oder italienischen Äquivalent ausgeblendet wäre.7 Mit der minimalen VorVgl. ebd. S. 2 6 4 , oder auch J o h n s o n s Vortrag vom 1 8 . 7 . 1 9 7 4 »Wie es zu den Jahrestagen g e k o m m e n ist«, ebd., S. 69.

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gäbe zweier naturgebundener Zeiträume, mit Tag und Jahr, wird inhaltlich kaum mehr mitgeteilt als mit dem Untertitel Aus dem Leben von Gesine Crcsspahl·, um einige Daten im Leben einer Person soll es gehen; kein Erzählen ohne Personen zu einer bestimmten Zeit, der Raum findet sich. Damit ist nicht viel gesagt. Jede weitergehende thematische Festlegung ist soweit zurückgenommen, daß die Möglichkeiten sie zu füllen grenzenlos scheinen. 8 Diese inhaltliche Offenheit wird noch dadurch gesteigert, daß Johnson vor Ablauf des vorgenommenen Jahres zu schreiben begonnen hatte, das heißt bewußt mit dem Prinzip des Zufalls zu arbeiten gedachte. So konnte er zu Beginn der Niederschrift im Januar 1968 noch nicht übersehen, wie sein historisches und erzähltes Jahr aussehen würde. Die Morde an Martin Luther King und an Robert Kennedy müssen daher einem umfassenden strukturellen Prinzip untergeordnet sein. Die Offenheit für Kommendes scheint massiv am Dogma der Abgeschlossenheit alles Erzählens zu rütteln und verlangt eine um so stärkere Motivierung der aufgenommenen Realitäten (vgl. 15.10., 19.7.). Die Unabgeschlossenheit des Stoffs wird sich indes als partiell entpuppen, so daß das Zufällige in den Sog des Geplanten gerät. Die zweite geläufigere Bedeutung von 'Jahrestag' ist die des gleichmäßig wiederkehrenden Gedenktags aus Anlaß eines bestimmten offiziell anerkannten Ereignisses. Wie wichtig ihm diese Dimension war, hat er nicht zuletzt dadurch zu erkennen gegeben, daß der Titel ursprünglich auf italienisch »anniversarii« oder auf englisch »anniversaries« lauten, also ausschließlich die Idee des zyklischen Gedenkens enthalten sollte. 9 Wie aber paßt das zum Tag der Einkaufsrechnung im 29. Dezember, zur Zeitungscollage im 24. September oder gar zur Kakerlakensatire im 5. März, ganz abgesehen von Tagen ausführlicher soziologischer Studien wie etwa dem 9. März über den Slum? Gedenke der Armut; freilich, doch warum gerade an diesem und nicht an anderen Tagen. Verallgemeinert man die Bedeutung des Gedenktags soweit, daß er alles umfassen kann, dann erfaßt er im Grunde nichts mehr. Dies ist die dritte Stufe einer programmatischen Offenheit, infolge derer man mit Fug und Recht von einer offenen Form im Fall der Jahrestage sprechen kann. In der Literatur zu den Jahrestagen geht man davon aus, daß die gängige Bedeutung des Gedenktags irgendwie gültig sein muß, ohne zu fragen, ob jeder Tageseintrag auch wirklich den Sinn eines Gedenktags erfüllt und wie

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»Was die Struktur dieses Buches angehe, so sieht sie auf den ersten Blick schematisch aus: 365 Tage und dazu die Jahre von 1920 bis zur Zeit eben dieser 365 Tage. Ich möchte aber doch meinen, daß es eine flexible Struktur ist, insofern ich mir für den M o m e n t des Schreibens vorbehalten kann, was ich in den jeweiligen Tag als Gegenwart oder Vergangenheit hineinlege. D a bin ich ganz frei«, im Gespräch mit M. Pranget vom 6.3.1974, ebd., S. 263. Vgl. das Gespräch mit A. Leslie Willson vom 20. April 1982 in Sherness-on-Sea, ebd., S. 291.

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dies zur Darstellung kommt. Auf den Aspekt des Gedenkens angesprochen, entgegnet Johnson: »Eines potentiellen Tages«. 10 Das ist doch wohl so zu verstehen, daß ein Jahrestag bei Johnson das Prinzip meint, daß jeder Tag die Potenz der zeitlichen Vertiefung hat, die sich dann aktualisiert, wenn ein Individuum einem Ereignis in seinem Leben den Wert des Gedenkwürdigen zuerkennt. Das Kalenderjahr, das die erzählten Tage formal zusammenhält, bliebe eine leere Hülse der Chronologie, wäre da nicht eine Person, die den Kalender radikal personalisiert." Johnsons Jahrestag ist somit, wie er in einem Brief an Leila Vennewitz 12 schreibt, eine »technicality«, ein idiomatischer Fachausdruck, der die individuelle Möglichkeit bezeichnet, jeden einzelnen Tag der Gegenwart aufgrund seiner allgemeinen Prägung durch fernere oder nähere Vergangenheit zu einem oder mehreren bestimmten Tagen dieser Vergangenheit in Beziehung zu setzen. Damit entfällt aber die Komponente des Zyklischen, ist diese Wiederkehr doch nicht nur subjektiv, sondern auch einmalig, »>weil doch die Jahre unterschiedlich sindYou could say it was done with mirrorsin der vorletzten Juliwoche 1953 nach Frankfurt am MainIch sehe aus dem Fenster««, ein aktuell sichtbarer Anblick; beschrieben wird ein erinnerter Anblick, also erinnernd Vorgestelltes. Sowohl der Zeitpunkt des Geschehens (Mai 1966) als auch der seiner Beschreibung durch Marie (Oktober 1967) sind in New York zu lokalisieren, so daß die platonisierende Doppelbedeutung von 'sehen' als visuelle sinnliche Wahrnehmung und als gedankliche Vorstellung durch das Prinzip der Anamnese schon innerhalb der New Yorker Erzählgegenwart begründet ist. Sie ist die Voraussetzung für die visionäre Erweiterung der imaginativen Dimension von 'sehen' in die fernere Vergangenheit, dorthin, wo die Erinnerung versagt (vgl. 28.9.). In einem Diptychon, dessen Flügel die unterschiedlichen Ausführungen von Mutter und Tochter repräsentieren, gelangen beide Aspekte des Sehens zur Darstellung. Sehen, Bilder Die außerordentliche Bedeutung des Gesichtssinns ist auf Johnsons elementares Interesse an der Wirklichkeit, in der Menschen leben, zurückzuIm Manuskript stand: »Das weiß ich nicht«; mit der Wortwahl von 'überfragen' k o m m t die implizite Fragesituation des bruchstückhaft wiedergegebenen Dialogs deutlicher zum Vorschein. Johnson hatte in seiner Themenliste zum ersten Band handschriftlich »Erinnerung« notiert.

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führen. Sinnliche Wahrnehmung allgemein, sei es Gesehenes, sei es Gehörtes (vgl. 30.10.), ist der erste Garant für die Begegnung mit ihr; sie ist bei Johnson eine der Voraussetzungen für historische Erkenntnis. Die Beispiele für 'sehen und Gesehenes sind zahlreich, die Kontexte vielfältig; aufgrund ihrer Relevanz für die poetische Struktur des Werks werden einige markante Fälle vorgestellt. So war in den ersten Lebensjahren bei Gesine wie Marie zu beobachten, daß sie nicht viel sprachen, die Augen aber weit offen hatten (vgl. 21.7.), und so ist genaues Hinsehen Teil der ersten Lebensregel: »Was ich sehe, was ich höre, was ich weiß, es ist allein meins« (S. 856); Marie wiederholt in ihrem Jahrestag, was auch D.E. übernommen hat: »>Die Augen m u ß man offen halten«« (S. 1592). Empirie ist erstens lebenswichtig und zweitens eine persönliche Angelegenheit. Der Satz »Wir haben es gesehen« hat die Kraft eines Beweises, wenn er die Beschreibung des Slums im 9. März beschließt (S. 847), oder wenn Gesine Kenntnisse des elterlichen Richmond bei London zu haben behauptet (S. 331). Die gleiche zeugnisstiftende Kraft haben Bilder in den Jahrestagen, meist Fotos aus der Zeitung, die bestimmte Anblicke durch die Zeit transportieren. Der Gesichtssinn wird als unbestechlicher Zeuge angerufen, wo immer ein Geschehen, ein Unrecht von Fälschung bedroht ist, etwa in Halle 1953: »Von dem Einmarsch der streikenden Arbeiterinnen und Arbeiter in Halle gibt es eine Fotographie...« (S. 1852); Aussehen und Verhalten der Streikenden widerlegen die staatliche Fälschung der Tatsachen. Die Sichtbarkeit kommt einem Existenzbeweis gleich. Der 8. Dezember, der verschiedene Szenen eines Tagesverlaufs schildert, schließt mit den Worten: »Das ist alles, was ich heute gesehen habe« (S. 423); der gewesene Tag ist gleichzusetzen mit dem gesehenen Tag. Der Nachruf auf Lisbeth im 24. Februar endet in ähnlicher Weise: »Sie war so unverhofft weg; es wurde ja nicht von ihr gesprochen. / Nicht zu sehen« (S. 776); 'unsichtbar' bedeutet hier 'inexistent', 'tot'. Sichtbares oder Gesehenes erzeugen ein bestimmtes Wissen, das erinnerbar und abrufbar ist. »Mehr habe ich nicht gesehen. Mehr ist mir nicht erzählt worden« (S. 502); daran hat man sich fürs erste zu halten. Die Johnsonkritik hat mehrmals die Erfahrung der Fotos aus dem Konzentrationslager Bergen-Belsen aufgegriffen, die Gesine einen lebensbestimmenden Schock zufügten (S. 232). Er ist einer der Gründe, der sie dazu bewegt, auf Kosten des persönlichen Glücks am Verstehen von Geschichte festzuhalten. Vergleichbar ist ihr Entschluß im 5. Mai, einer bestimmten Situation in der Nachkriegszeit ins Auge zu sehen: »sie wußte aber, daß sie die Toten jetzt ansehen wollte« (S. 1118); das waren die gestapelten Leichen in der Kapelle in Jerichow. Aber diese unmittelbar positive, Tatsachen fixierende Kraft des Visuellen wird bei Johnson mehrfach relativiert, ist alle Empirie doch lediglich eine Form von Material, das der weitergehenden Vertiefung bedarf. 7

E. Fahlkc u. J. Zetzsche fuhren in einem Aufsatz das Spektrum der Kontexte von Photographien in den Jahrestagen aus und versuchen zu analysieren, wie Johnson 28

Die Interpretierbarkeit von Fakten schwächt ihren Erklärungsanspruch, und so m u ß die oft überlegene Marie in einer anderen Konstellation sich wegen unangebrachter Gutgläubigkeit ertappen und von Gesine sagen lassen: » - Du Amerikanerin, du mit deiner Wahrheit! Sie ist doch benutzbar« (S. 1219). In einem Dialog mit den Toten kommt wiederum die Ambivalenz solcher Daten zur Sprache: » Was kann ich wissen? [Gesine]/ Was du von uns gehört hast. Was du gesehen hast. / Sie [Marie] wird das Falsche benutzen.« (S. 1029). Das Sehen etabliert gewiß einen dominanten Kontakt zur Wirklichkeit; doch ist die Spannung zwischen objektivem Bestand und subjektiver Einschätzung nur durch kritische Überprüfung im Einzelfall zu lösen. Eine besondere Form des Mißbrauchs von sinnlichen Daten ist die Manipulation durch das Fernsehen mit »gottverfluchten Bilderfn]!« (S. 695). Heftigste Kritik an der Unterjochung durch Sensationsbilder in den Medien kommt auch im Streit zwischen Gesine und Marie um das Fernsehen zum Ausdruck; Gesine hat »die Fernsehprogramme der U.S. A. als schädlich befunden für ein Kind« (S. 1026). Nach der Ermordung Martin Luther Kings verlangt Marie jedoch: » - Wenn du jetzt keinen Fernsehapparat kaufst, laß ich uns einen schenken, ... !« (S. 972); für die Beerdigung von Robert Kennedy leiht sie dann von ihrem Taschengeld eigenmächtig einen aus (s. 8. Juni), in die »Cresspahlsche Wohnung, die seit sieben Jahren gefeit war gegen die amerikanische Television« (S. 1302). Die Beispiele für Beweiskraft und Mißbrauchbarkeit solcher Daten scheinen sich in den Jahrestagen die Waage zu halten. Die konkrete Unsichtbarkeit einer komplexen Sache widerlegt nicht ihre Existenz; daher kritisiert Gesine Maries mangelnde Abstraktionsbereitschaft, als diese den sinnlichen Zugang zu Vietnam vermißt: »Ihr [Marie] fehlt zu dem Krieg, daß sie ihn sieht./ Sie kann den Krieg in Viet Nam nicht sehen« (S. 492). 8 Die Brisanz dieser Sätze für die Erzählung liegt darin, daß Gesine ihr zwar erzählt, wie der Krieg in Jerichow spürbar wurde, daß Marie aber im Jahr 1968 das Kriegsgeschehen an anderem O r t nicht mit Gesines Erzählungen in Verbindung bringt. Die Stelle ist ein Beispiel dafür, wie begrenzt das Lernen von einer Generation zur andern funktionieren kann. Und umgekehrt kontert Marie Gesines Ausruf: » - Hier

sprachlich mit Bildern umgeht. Ihr Status als Material ist zwar erkannt, nicht aber ihre häufige Relativierung als Beweisstücke für ein Geschehen der Wirklichkeit, siehe »Photographische Augenblicke in der erzählten Geschichte der Jahrestage«, in: M. Jurgensen, Johnson: Ansichten, Einsichten, Aussichten (1989), S. 6 5 90. Eine andere Form der Unsichtbarkeit liegt in einer denkwürdigen Notiz Uber Francine aus Harlem: »— Viet Nam: sagte Francine, ungerührt, ohne Neugier, wie von etwas Unbrauchbarem, wie vom Mond« (S. 708); daß Slum-Bewohner, die täglich ihren Überlebenskampf führen, über ihr eigenes Gesichtsfeld nicht hinausblicken, also auch zu keiner weltpolitischen Überlegung fähig sind, ist in diesem Satz eingefangen. Der Krieg in Vietnam erreicht sie - trotz T V - erst gar nicht; Kunststück! - wo sie in gewissem Sinne in ihrem eigenen leben.

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aber haben wir eine Revolution, bloß zwanzig Blocks vor unserer Haustür! /[mit den Worten:] - Hast du sie gesehen?« (S. 1092) Marie fehlt abermals die konkrete Sichtbarkeit; gegen komplexe Behauptungen klagt sie den empirischen Beweis ein. Doch selbst vorhandene empirische Daten sind noch keine Garantie. Mit dem steten Fragen, was gesehene Anblicke und Bilder wohl bedeuten, erschließt sich die zweite Bedeutung von 'sehen' im Sinn von 'erinnernd vorstellen' oder 'erweiternd entwerfen'. 5 Die Ergriindung der eigenen Lebensgeschichte verlangt eine Verknüpfung von Gegenwart und Vergangenheit, so daß die Erinnerung ins Spiel kommt. Dem aktuell Sichtbaren tritt in der Erinnerung Gesehenes gegenüber (vgl. 28.9.). Aber gerade die nur partielle, lückenhafte Berührung von Sichtbarem mit Gesehenem nötigt den Beobachter, über ihre Legitimität und die Bedeutung nachzudenken, die diese Anhaltspunkte für ihn haben mögen. Fällt etwas ins Auge, hat es wie auch immer korrespondierende Präzedenzen. Da die »Tricks der Erinnerung« nicht zuverlässig sind, bleibt Gesine nichts anderes, als sich ihrem Vorstellungsvermögen anzuvertrauen, das nun aktiv wird und Visionen des Möglichen entwirft. Diese Facette von 'sehen' nähert sich derjenigen, die das Verb in der Person des antiken Sehers erlangt, der aus dem gegenwärtigen Raum heraustreten und ohne Bindung an Zeit noch O r t zurück- wie vorausblicken kann. Das Umschlagen von sachgetreuer Beobachtung in imaginatives Sehen wird in den Jahrestagen ästhetisch durch Phänomene des Transitorischen dargestellt, häufig meteorologisch durch Dunst (vgl. 26.5·), durch Verwischtes (vgl. 28.9.), durch Nebel (vgl. 2.2.), oder abstrakter durch die Konzentration von Weiße oder Schwärze, die in ihrer inhaltlichen Verfügbarkeit zur Durchdringung dessen einlädt, was in Gedanken gerade präsent ist. Diese imaginative Dimension kommt vielfach zu Wort: »die Augen an eine Erinnerung verloren« (Cresspahl, S. 1161); »die Gegend kaum sichtbar. Dafür Erinnerungen« (S. 1756); »[w]enn ich die Augen schließe ist die Erinnerung genau« (Gesine, S. 1862); »[w]enn ich daran vorbeidenke, sehe ich sie. ... Wenn ich die Erinnerung will, kann ich sie nicht sehen« (S. 617) gesteht Gesine bei der Erzählung der Wassertonnengeschichte. »Je undeutlicher..., um so vorstellbarer« werden Nachrichten an einer Stelle (S. 158). »Um sieben war die Dunkelheit ganz klar« so werden die meteorologischen Verhältnisse kommentiert. Im Dialog übers Erzählen stockt sie einmal: »Nun weiß ich etwas nicht. / - Stell es dir vor, Gesine! / - Ich stelle mir vor... (S. 811, s. auch S. 1375). Das Vorstellungsvermögen kann jedoch durch Lärm gestört werden; so heißt es über die Bombardierung von Lübeck im Dialog mit den Toten: »Ein Glück, daß das Feuer in Lübeck so laut war? / Die Bomben, Gesine. So konnte einer sich weniger vorstellen. Das nahm der Lärm weg.« (S. 887). Erinnerndes

N . Mecklenburg hat 'sehen' als Schlüsselwort des Romans erkannt, deutet die abstrakte zweite Bedeutung aber als besondere Schwierigkeit beim Erkennen einer Sache; in: Erzählte Provinz.S. 184f.

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Sehen und visionär entwerfendes Sehen gehen, oft unter Aufgabe des sinnlich Faßbaren, H a n d in Hand. 1 0 Schreiben Allgemeiner noch als um 'beschreiben' geht es im 15. Oktober um 'schreiben'. Der Schreibakt spiegelt zum einen das Zustandekommen der Erzählung und gestattet Johnson zum anderen, auf besondere Aspekte der Schrift hinzuweisen. Niedergeschriebenes ist festgehalten und gesichert, zu vervielfältigen und weiterzugeben. »Schreib das auf« (S. 1314) heißt es im 7. Juni mitten im Kommentar einer Zeitungsnachricht über eine absurd scheinende Neuigkeit in der neuesten Entwicklung in der Tschechoslowakei, um ein Faktum festzuhalten, dem in der Kette der Ereignisse besondere Beweiskraft zukommen könnte, auch wenn seine Bedeutung jetzt noch nicht abschätzbar ist. Das schriftliche Dokument birgt aber noch eine weitere Möglichkeit: ist es heute nicht verständlich, könnte es doch morgen verstanden werden; daher gibt es »Schreibpflichten« (S. 1035) über Dinge, die verstanden werden sollten. Hier kommt Johnsons normkritische Grundeinstellung zum Vorschein. Die Idee des Später-Verstehens ist ein Topos der Jahrestage, der wiederholt zur Sprache kommt, vor allem in Briefen und in Gesines Tonbändern an Marie, eben für später; etwa im Brief des 7. Februar über ihre sozialistischen Hoffnungen: »Ich habe etwas, das will ich dir noch acht Jahre verschweigen« (S. 687); und weiter unten: »Als ich allein war, hätte ich dir immer noch auf dein Tonband sagen können >für wenn ich tot binKellogg's c o m flakescapable of operating in areas contaminated through nuclear explosions«. Oie A t o m b o m b e taucht in verschiedenen Kontexten als dasjenige Faktum u n d Beweisstück auf, das durch seine einzigartige Vernichtungskraft manchen Anspruch Lügen straft oder eine besonders groteske Verhältnissetzung vor Augen führt. U.a.: S. 775 im Nachruf auf Lisbeth: »Gott, der die Atombombe erfand, schießt auch auf Sperlinge, damit sie vom Dach fallen«. S. 1026: Marie denkt als Graffitti an das Symbol der Atomwaffengegner. S. 1600: mit dem religiösen Kontext von Gottes Beistand für den Abwurf über Hiroshima bekräftigt Gesine ihren Bruch mit der Kirche. S. 1717: das Friedensgerede der D D R und die A t o m b o m b e der Sowjetunion. S. 1557: als Tabu in der DDR-Schule. S. 1612: Gesine bedauert die Protestantin Anita, weil sie »unterm Strich unbeirrt einen G o t t herausbekam, der anwesend ist im Molekül, im Atom und in den Sperlingen, die er vermittels Kernwaffen vom Dache schießt«.

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druck entstehen konnte, die Macht des Konkreten sei das Bestimmende, in dessen Wahrnehmung hie und da Vergangenheitselemente mit hineinspielen, so zeigt die Analyse des Textgeschehens doch eindeutig, daß die thematisierte sinnliche Wahrnehmung nur der Ausgangspunkt für die Entdekkung des Katastrophalen im Alltag ist.

2 . 4 D i e Prosopopöie des Staatsapparats. Der 28. November (S. 3 8 1 - 3 8 5 ) Aus dem Wortlaut eines Briefs tritt wie zu einer Stimme gebündelt der Staatsapparat der D D R hervor, der ausführlicher erst im dritten und vierten Band zur Darstellung kommt. In der Vergegenwärtigung und Verlebendigung eines abstrakten und komplexen Konzepts, der Staatsform der DDR, ist die rhetorische Figur der Prosopopöie wiederzuerkennen. Sie gestattet dem Erzähler in geschlossener Form und ohne Handlungsrahmen einen punktuellen Vorgriff auf wesentliche Züge der DDR-Politik, die erst im dritten und vierten Band ansteht. In der personalisierten Erzählform eines Briefs werden die ideologischen Dogmen und sprachlichen Klischees vorgeführt, die ein totalitäres Regime legitimiert haben. Es ist ein bestimmter politischer Diskurs, der in diesem Brief so mustergültig inszeniert wird, daß sein Inhalt immer weiter zurücktritt und nur noch das schematische Gerüst seiner Argumentation übrigbleibt. Dieser Abstraktionseffekt legt die binären Strukturen von Innen und Außen, von Freund und Feind bloß, die das Wesen jenes Staatsgebildes kennzeichnen, das in seiner staatlich legitimierten Gewalt so gespenstische Homologien zu jenem anderen aufweist, das der unmittelbare erzählerische Kontext in der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Mecklenburg schildert. Die begleitenden Abschnitte aus der New York Times halten andere Redeweisen dagegen, die durch ihre Ausrichtung auf Verfahren des Bedeutens wegweisend sind: erstens die hölzern-pompöse Mediensprache - der Gemeinplatz vom »umwälzenden Ereignis« kehrt im Brief in »tiefgreifende[n] Umwälzungen der Gesellschaft« wieder - , und zweitens die hohle Rechtfertigung des Napalm-Geschäfts durch einen Vertreter des herstellenden Konzerns. Im Umgang mit der Geschichte scheiden sich die Geister zwischen Ost und West, so sollte man meinen, hier tun sie es gerade nicht: die ideologisch instrumentalisierte Sprache im Brief und die propagandahafte Sprachverwendung im kapitalistischen Amerika mit seiner doch vielfältigen Öffentlichkeit legitimieren jede auf ihre Weise einen ahistorischen Geschichtsbegriff. Auf der Suche nach einem Standort, der beide Redeweisen zu beurteilen gestattet, greift Johnson zu einer Sprachkritik, die sich die Frage »was mag das sein?«, die in den Jahrestagen mehrmals zitiert ist, zum Prinzip macht. Man braucht nicht resigniert die Unhintergehbarkeit der Sprache zu zitieren; innerhalb der Sprache gibt es zwei Weisen ihres Gebrauchs, deren eine der andern den Spiegel vorhält: eine, die die Bedeutung 64

des Gesagten in seiner Situation kritisch konstruiert, und eine andere, die mit den Schablonen feststehender, kodifizierter Bedeutungen Politik treibt. Bei der Rekonstruktion des Gemeinten steht der Stellenwert der Fakten auf dem Spiel: das symbolische Beispiel ist hier eine Zahl, die der jüdischen Sommergäste im fiktiven Rande vor 1933, die jedoch nie genannt wird; es bleibt also nur der Umgang mit dem Phantom einer Zahl (vgl. 21.7.). In der Art, wie die Briefschreiber sich winden, um sie zu verschweigen, in der Strategie der Rede, die zur Verweigerung der Auskunft führt, wird erkennbar, daß an diesem Diskurs jegliche Fakten, und seien es bloße Zahlen, abprallen müssen. Die sachliche Objektivität, ob als Quelle, ob als Beleg, ist abgeschafft.

Der Kontext Der 28. November hat ein Vorspiel und ein Nachspiel. Der Brief ist ein Antwortschreiben auf eine schriftliche Anfrage im undatierten Eingangskapitel (S. 8). Gesines historiographisches Interesse veranlaßt sie dazu, da wo die Erinnerung versagt (»sie kann sich nicht erinnern«, S. 7), gezielte Nachforschungen anzustellen. Die gewünschte Auskunft ist eine bloße Zahl, eine Information noch ohne Zusammenhang, eine Minimalform der O b jektivität, die deswegen von Bedeutung ist, weil gerade die Tatsache, daß ihr Zusammenhang oder ihre Hintergründe nicht ersehbar sind, beim Adressaten panische Ängste auslöst. Der befürchtete Zusammenhang, die Zahl der jüdischen Sommergäste vor 1933 könnte irgendwie mit dem Verhalten der neuen Machthaber gegen Minderheiten in Beziehung gesetzt werden und so einen kontinuierlichen Antisemitismus belegen, führt zu einem vermeintlich apologetischen Diskurs, der seine Autoren durch ihre Sprache aber erst recht entlarvt. Obwohl der Brief aus New York doch unmißverständlich zu verstehen gibt, daß seine Schreiberin einem sozialen Umstand ihrer eigenen Kindheit nachgeht, »als ehemalige Bürgerin von Jerichow, und als ehemals regelmäßige Besucherin von Rande« (S. 8), beziehen die Adressaten das Thema auf sich selbst und wittern, nicht ganz zu Unrecht, Gefahr, was sie ja, wie noch zu zeigen sein wird, eo ipso tun. Kaum weniger aufschlußreich ist das Nachspiel im 1. April, ein weiterer Brief aus der D D R von einer anonymen Freundin, »die es gut mit Ihnen meint« (S. 945), und die erzählt, was Gesines Brief aus New York in Wirklichkeit vor O r t angerichtet hat. Ihre Schilderung aus privater Perspektive mit Blick in die Kulissen liefert eine komplementäre Analyse der dortigen Verhältnisse mit tragi-komischer Note. Die inhaltliche Verkettung dieser drei Briefe zeigt, wie eine einzelne Begebenheit recht unabhängig von der Chronologie (gerade so, daß sie nicht in Widerspruch zu ihr gerät) an verschiedenen Stellen der Jahrestage wiederauftauchen kann und erst mit diesen Querverbindungen ihre volle Bedeutung entfaltet. Wie aber kommt dieses später programmierte Thema der D D R schon in die letzten Novembertage mit dem politischen Kontext der nationalso-

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zialistischen Machtergreifung zu stehen? In den vorangehenden Kapiteln wird in aller Ausführlichkeit und Ungeschminktheit beschrieben, wie die Nazis systematisch die Republik unterlaufen, zerstören und ihre Willkürherrschaft errichten, was Cresspahl im englischen Richmond nicht daran hindern wird, trotz Kenntnis der Lage zur Geburt seiner Tochter in den rechtlich schon damals desolaten Staat zurückzukehren (s. 30. November). In diesem Kontext ist der scharfe thematische Schnitt des DDR-Briefs zunächst als solcher festzuhalten. Ein erzählerisches Verbindungsglied des 28. November zum Vortag wäre indes die identische Frage von Vater und Tochter: »Wäre es möglich, dahin zurückzugehen?« Beide Beschreibungen der Verhältnisse in Jerichow, 1933 und 1967,'lassen aber unmißverständlich klar werden, daß diese Frage abschlägig zu beantworten war und ist. Wenn Gesines Geburtsstadt damals wie heute ein O r t der Gewaltherrschaft ist, dann mag diese abrupte Nebeneinandersetzung auch etwas von dem ungläubigen Entsetzen wiedergeben, das für junge Leute in Johnsons Generation in der plötzlich alle Hoffnungen, nein Illusionen zerstörenden Erkenntnis bestand, daß mit umgekehrtem Vorzeichen und Versprechen auch in ihrer Gegenwart eine Diktatur aufgebaut wurde. 'Totaler Krieg', totalitärer »Friede« - »Mit Friedensgruß!« ?

Aus der New York Times Am 26. November 1967 wurde in New York nachweislich das Streckennetz der U-Bahn umgestellt, die Jahrestage widmen dem Ereignis einen eigenen Eintrag. Zwei Jahrestage später spielt die New York Times ihren Lesern mit dieser Begebenheit einen Streich: Indem sie vorgibt, die Leser unterhaltsam und lehrreich über die Folgen der Umstellung zu informieren, benutzt sie deren Aufmerksamkeit zur Eigenwerbung. Was kann nicht alles nützlich sein, wenn man es nur »richtig« zu gebrauchen weiß! - Auf dem Spiel steht die Finalität von Information. Johnsons Vorlage ist ein mit drei Fotos illustrierter Zeitungsartikel mit dem Titel: »New Subway Routings Give Riders (and Motormen) a Day of Adventure«. Interessant ist das Verhältnis von Bild und Untertitel. Wie schon im ersten Satz die Einstufung der Streckenänderung als » umwälzende [s] Ereignis« ein Akt der Bedeutungszuweisung war (»das ihr die Änderungen... bedeuten«), so verleihen auch die »humorvollen Unterschriften« den Bildern der Verwirrung in der Zeitung »absichtlich« eine Bedeutung, die sie in der Wirklichkeit gar nicht hatten. Die wahre Intention der New York Times ist aber gerade in der burlesken Verfremdung zu erkennen und dürfte auf die Wahrung eines heiteren, leistungsbewußten Klimas im New Yorker Alltag hinauslaufen. Die in freier Übersetzung zitierte Unterschrift ist im Original die des zweiten Bildes: »Well, I got them on their way. Now, to get home, I take the «, bei Johnson: »daß ein Zugführer wohl anderen Bescheid sagen kann, jedoch über den eigenen Heimweg nachdenken muß«; in »Heimweg« klingt die den Tag bestimmende Frage des Zurückgehens durch. Der Grundgedanke der Komö66

die in der Zeitung ist, daß man zwar in der Lage sein kann, anderen helfen zu können, selbst aber keinen Rat weiß, wie Gesine momentan. Die Sicherung des eigenen Interesses, zu der in jenem Augenblick nicht fähig zu sein den dargestellten Passagier so sympathisch und bemitleidenswert macht, ist für die Zeitung nicht das geringste Problem, wie die erfolgreiche Eigenwerbung bei der Definition des »Komfortpegels« noch zeigen wird. Die Verantwortlichen der Verkehrsbehörde rechtfertigen die Streckenänderung, die gegenwärtig soviel Unbill hervorruft, mit Zahlen. Im Vergleich zum Original hat Johnson die Uhrzeit weggelassen, so daß die Zahlen der Passagiere in den Vordergrund rücken: »that rush-hour congestion ... had been reduced to 105 and 110 riders a car compared with the jamming of 212 into a car« - auch im Brief aus Jerichow wird es um eine Zahl gehen. Der Gewinn der neuen Routen, die den Fotos nach zu urteilen zunächst nur Ärger stiften, ist in einem Fachausdruck versteckt. Ein »>Komfortpegel bei 180»wenn ein Mann im Stehen die New York Times lesen kannwhen a man standing can read T h e New York Times««); exaktes Zitat und Verfolgung eigener Zwecke schließen sich nicht aus. Die wörtliche Übersetzung aus der Zeitung paßt sich nahtlos in einen Erzählabschnitt ein, der die Funktionalisierung von Sprache und Fakten vor Augen führt. Das Interesse holt den Sachwert ein, die den Bildern und dem Fachausdruck zugewiesene Bedeutung ist ein Schritt der »nützlichen« Deutung. Die Anekdote liefert aber nicht nur eine unterhaltsame Story, sondern vor allem ein Exempel dafür, daß der Sinn einer sachlichen Information von der implizit oder explizit vorhandenen Intention ihres Benutzers geprägt wird. Auch der zweite Abschnitt f u ß t auf der New York Times. Die Zitate stammen aus dem gleichfalls ausgeschnittenen Artikel » D O W AIDE DEF E N D S SALE O F NAPALM«, Untertitel: »Teils Students Vietnam War Is N o t a Moral Issue«, der über ein öffentliches Streitgespräch zwischen Studenten und einem Konzernvertreter berichtet. Nur von den Quellen her ist kaum zu rekonstruieren, wie die mehr oder weniger zufällige Veröffentlichung der Zeitungsartikel und die Themenwahl in der kompositioneilen Genese dieses Tages zusammengespielt haben. Wie dem auch sei: man braucht nicht mehr als den vorliegenden Text, um den sinnhaften Zusammenhang zu rekonstruieren. Die Dialektik von Vorlage und exakter Ubersetzung von Ausschnitten daraus im Erzähltext ist folgende: Die Problematik des Zeitungsartikels kristallisiert sich in bestimmten Worten und Sätzen (zu 'Napalm', 'Moral', 'Vietnam', 'Geschichte'). Das Thema des Tages impliziert einen bestimmten Begriff von Geschichte, der sich im Zeitungsarti67

kel gespiegelt findet. Das von sich aus sinnträchtige journalistische Material wird durch den Blick von Gesine Cresspahl in der Erzählung sprechend; das Thema des Tages zieht seine Kreise und integriert, was der Zufall anbietet. Die Kontingenz spielt dem Erzähler in die Hände. Doch sind die kontingenten Elemente hier nicht nur Stützen eines anderen Gedankens unter Aufgabe ihrer ursprünglichen Funktion; im Gegenteil: ihr eigenes Profil wird im neuen narrativen Kontext um so schärfer. Der analysierende Effekt geht in beide Richtungen. Die Moral der Geschichte in Viet Nam liegt für den Vertreter von Dow Ghemical genau darin, daß er »den Krieg in Viet Nam, >im ganzen gesehenon the wholes a moral question«. Moral existiert nur im eigenen Lande: »Dow Ghemical erfülle einfach die Verantwortung gegenüber den nationalen Verpflichtungen einer demokratischen Gesellschaft (in Viet Nam)«; im Original erst einige Absätze weiter: »... we believe in fulfilling our responsibility to this national commitment of a democratic society«; und wiederum drei Absätze weiter in ähnlicher Formulierung und mit dem Zusatz des Landesnamens: »... Dow felt a responsibility to support >national commitment< of the United States in Vietnam«. Die leicht emphatische Bedeutung von »fulfilling« ist bei Johnson mit »erfülle einfach« um eine Nuance in die Selbstverständlichkeit hin abgebogen, was den Tatbestand nur verschärft. Da der Vertreter das Geschäft mit »Verpflichtungen« und »Verantwortung« gerade auf eine höhere Ebene zu heben sucht, ist das nächste Argument seiner Apologie ein Eigentor: »Übrigens sei der Kampfstoff so einfach zu machen, die Armee wäre selber dazu imstande«; im Original: »that [Napalm] was very simple to produce and could be made by the Army [mit dem Zusatz:] if Dow refused to make it«. Wollte man, nach welcher Moral auch immer, an den Napalm-Toten nicht mitschuldig sein, könnte man die Produktion ja der Armee überlassen - statt dessen gilt non olet - ein indirektes Bekenntnis zum Profit. Wenn Johnson dann in Klammern notiert, die New York Times erkläre, was Napalm ist (vgl. 27.12.) - im Original: »Napalm is a jellied gasoline that burns rapidly and is particularly effective in fighting guerillas in bunkers« - , so zeigt er auch ihre hinter belehrender Geste versteckte Akzeptanz des Geschäfts. Schon im vorangehenden Abschnitt hatte die Erklärung der Sache (»Komfortpegel«) eine andere als nur informierende Finalität; Information zur Maskierung der Position? Die Phrasen und Euphemismen des Vertreters sind von Rhetorik und Gewohnheit glatt geschliffen, dienen dem Profit, lassen fremde Fragen abgleiten. Das »Ausland« beginnt nicht erst jenseits der Landesgrenzen (»in Viet Nam«), an denen die »nationalen Verpflichtungen« aufhören; je nach Gesichtspunkt beginnt es schon jenseits des eigenen Unternehmens, so daß andere, die Kriegsmaterial herstellen, wie die Familie der Krupps, »schlechte Menschen« sein können (»>The Krupps were bad peoplewhat standards you apply in making moral judgments on companies««). Nur aus welcher Geschichte? Die Formel impliziert in dieser Situation und in ihrer Allgemeinheit einen äußerst fragwürdigen Umgang mit Geschichte, mit Wort und Sache, dessen Ziel allein die Rechtfertigung des eigenen Standpunkts ist. Die Anführungszeichen haben in der Zeitung und im Erzähltext eine je verschiedene Funktion: in der New York Times sollen sie für die Authentizität des Gesagten bürgen, möglicherweise fiir eine gewisse Distanzierung der Redaktion. Die im Erzähltext gesetzten hingegen müssen mehr als fremde Rede markieren, da fast der ganze zweite Abschnitt aus Zitaten besteht, die nicht als solche gekennzeichnet sind. Z u m einen wiederholen sie die Akzentsetzungen des Originals >»im ganzen gesehenIch bringe meine Mutter an die BahnIch sehe aus dem Fenster«< (vgl. 15.10.); sie schickt sich an, ein Thema zu erfüllen, indem sie durch Verwandlung der Realität (vgl. 3.7., 21.7.) an der Erkundung der Biographie teilnimmt. Die Hypothesen, die sie der Mutter unterbreitet und die wie im 15. Oktober eine Erwartung aufbauen (»sie könnte..., sie könnte..., sie könnte...«), verraten ein anderes Vorhaben. Nur daß der Erzähler immer noch eine Ebene höher über den Dingen steht und beobachten kann: »Sie machte das geschickt...«. Dieser Uberblick wahrt die Intimität von ihrem »>GeheimnisGeheimniswenn ich den Mut aufbringen werdeIm Schlaf war ich auch an der Wand von Berlin und habe mitgeschießt«?« Übersetzt man »Wand« ins Englische ('a wall') und zurück in ein deutsches Synonym, 'Mauer', so ist die Anspielung auf den Berliner Mauerbau am 13. August 1961 (the Berlin Wall) zu erkennen. Im Abschnitt über die Genese von Cydamonoe wird diese zeitliche Grenze abgesichert, denn »das Kind vom April und Sommer 1961« war es, das dieses Land erträumte; erst im Herbst erfuhren David und die Mutter davon. Das kindlich anmutende, falsche Partizip »mitgeschießt« erklärt sich aus dem Vergleich mit seinem englischen Äquivalent 'shot' als Anglizismus; desgleichen sind »Plätzef ]« (places') für 'Orte', »Stewardessens« mit gleichem Effekt als englische Pluralbildung eines deutschen Fremdwortes, »[o]ft und oft« und »Billionen von Billionen von Dollars« (amerikanisch für einige Milliarden) nach einem Muster der englischen Syntax zu verstehen. Ein weiteres deutsch-englisches Produkt ist »Mr. CoffeeCan«. 108 Das Wort mag zwar spontan wie 'Kaffeekanne' klingen, doch hieße die auf englisch 'coffee pot'. In Wahrheit bedeutet 'a coffee can', abgesehen von der irischen Namensbildung mit Großbuchstaben mitten im Wort, schlicht 'Kaffeedose' und spiegelt die roten Zigarettenblechdosen der Soldaten aus der Zeitung. Der konstitutive Bruch mit der Wirklichkeit ist weiterhin in einem komplexen Übersetzungsverfahren verschlüsselt: »frühsten« ist kein existierendes Wort; es erklärt sich aber als morphologisches Ergebnis einer Synkope in 'frühstücken', auf der Grundlage der gebotenen Erklärung und Definition im Text mit »bedienten sich selbst, ob sie nun ein Frühstück nahmen oder ein Haus«. Aber wodurch wird diese Synkope hervorgerufen? Die Antwort liegt in der semantischen Logik der Stelle: Sie entsteht daher, daß die Bedeutung von >broldingaventure d'une écriturec Geschichrenerzählen bei Uwe Johnson«, S. 415-420.

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Zähler mit einer Aufgabe versieht, die er in Einklang mit seinem Projekt der Vergangenheitssuche zu lösen hat. Der kontingente Anstoß ist somit eine Grundfigur des Erzählens mit offener Form und Ausrichtung auf die Wirklichkeit. Der Durchbruch zu einer Erkenntnis hingegen erinnert an den Begriff der epiphany bei James Joyce, der darunter »a sudden spiritual manifestation«, einen Moment erleuchtender Durchdringung der Wirklichkeit verstand, den die Jahrestage an einer Stelle selbst veranschaulichen: »Jetzt, neun Uhr abends, ist der Regen aus dem Norden gekommen, mitten darin zwei kurze Blitzschläge, die stechen in die Augen, schließen etwas kurz im Gehirn.« (S. 1421). Das episodische Magnetfeld eines Tages entsteht in der Grundkonstellation der zwei Zeitebenen von Vergangenheit und Gegenwart. Es stellt den Leser stets erneut vor die Frage, ob ihre Berührung zustande kommt, und wie sie im Textgeschehen realisiert ist. Ein Jahrestag war eingangs definiert worden durch den individuellen Versuch der Gesine Cresspahl, innerhalb der eigenen Biographie diesen Bezug zu erkunden. An die Stelle des zyklischen Gedenkens tritt die einmalige gedenkende Erkenntnis von Ereignissen und Zeitpunkten der Cresspahlschen Biographie; mit der Idee des Gedenkens steuert das Titelwort diskret die rückerinnernde Komponente zu diesem Unternehmen bei. Was hat Gesine in den zehn Tagen nun gefunden? Die Gefahr der Idealisierung und der Täuschung durch die Sinne, die Unzuverlässigkeit der willkürlichen wie der unwillkürlichen Erinnerung, einige Regeln historischer Rekonstitution anhand recherchierter Daten, das Gelingen des Weitergebens von Familiengeschichte an Marie, und vor allem das unvorhersehbare Zusammenspiel motivischer und sprachlicher Elemente, das es Gesine erlaubt, bestimmte Momente im Leben der engsten Angehörigen nachzuvollziehen. Als Jahrestage, in denen das Experiment des Bezuges beider Zeitebenen glückt, wurden erkennbar der 15. Oktober mit der motivischen Überblendung zweier Brände, der 28. November, der durch ideologische Sprache zwei Systeme entlarvt, der 27. Dezember, der mit dem assoziativen sprachlichen Potential in einem bestimmten Vergangenheitskontext die Verzweiflung der Mutter offenbart, der 26. Mai, der eine Landschaft wiederum in einem bestimmten Kontext zum Spiegel des Leidenswegs ihres Vaters allegorisiert, und in anderer Weise der 19. Juli: in diesem Jahrestag kommt die Zukunft ins Spiel, die stilisierte Sprache eines historischen Dokuments kündigt ein Scheitern an. Gegenwart und Vergangenheit stehen in einem wechselseitig deutenden Verhältnis zueinander; die reflexive Durchdringung bestimmter Situationen hat für beide Ebenen Folgen. Die Erforschung der Vergangenheit läßt ebenso Einsichten über die Gegenwart auftauchen, so etwa das in Geräusche übersetzte, apokalyptische Augenblicksporträt von New York im religiösen Kontext von Jerichow im 30. Oktober. Die Gleichrangigkeit der zwei zeitlichen Pole ist eine besondere Stärke dieser Form von subjektiv erzählender Geschichtsschreibung. In der Kritik der Jahrestage wurde in unterschiedlichem Grade immer wieder von Parallelisierung gesprochen; das reicht vom Prinzip der Wiederkehr des 217

Bösen 5 2 bis zur vergleichenden Gegenüberstellung von verwandt Wirkend e m . 5 3 Zur Präzisierung ist hinzuzufügen, daß zwischen Vietnam

und

Nazi-Deutschland ja nicht der geringste ursächliche Zusammenhang besteht und daß es mithin nicht um die faktische Erklärung des einen durch das andere gehen kann. Was die Erzählung heuristisch miteinander konfrontiert, sind einzelne Situationen, deren punktuelle Ähnlichkeit das Verstehen ermöglicht. Es geht dabei weder um Identität noch um Verschiedenheit, zwei Konzepte, die beide durch eine Relation konstituiert werden; zwischen den Ähnlichkeiten der Jahrestage besteht ausschließlich eine hypothetische reflexive Relation, sinnvoll ist jedes für sich allein. Benjamins in-

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So die schmale Arbeit von R.T. Hye: Uwe Johnsons »Jahrestage«: Die Gegenwart als variierende Wiederholung der Vergangenheit, Frankfurt/M. 1978, die mit diesem pauschalierenden und grob vereinfachenden Gesamtkonzept der ewigen Wiederkehr des Bösen das ganze Werk (die ganze Welt?) erklären will; mit dieser Projektion fallen ihr auch nur bestimmte Dinge auf, die sich dann notwendig alle ähneln müssen; Gcsinc unterscheide nicht mehr zwischen Gegenwart und Vergangenheit, bei ihr gingen die Zeiten ineinander Uber (S. 99), daher resigniere sie und werde passiv (s. S. 101 Ff.). Oder auch I. Hoesterey, die den Vietnamkrieg als historisches Gegenstück der Jerichow-Handlung sieht und gleichzeitig von der Nostalgie und Idylle bei Gesines Vergangenheitssuche spricht (S. 57) - entweder oder. Im vierten Band, den sie, da er ihre Erwartungen wohl enttäuscht, insgesamt als sehr viel schwächer als die ersten drei beurteilt und mangels besserer Analysekriterien biographisch erklärt (s. S. 63fF.), habe sich die Verknüpfung von Gegenwerts- und Vergangenheitshandlung abgenützt (S. 56); eine Relativierung des einen durch das andere (vgl. auch S. 59) wird jedoch keinem von beiden und erst recht nicht dem sehr genauen Vorgehen der Erzählung gerecht; s. »Das verratene Fragment...«, a.a.O. S. Storz-Sahl spricht generalisierend von einem System von Korrespondenzen zwischen Vergangenem und Gegenwärtigem (a.a.O., S. 172, siehe dazu auch A n m . l l ) ; I. Gerlach (a.a.O.) spricht von »der offenkundigen Parallelisierung von faschistischer Diktatur und Vietnamkrieg« (S. 132), beide Ebenen relativierten und beeinflußten sich (S. 144); die Relativierung gilt sicher nicht, die Beeinflussung ist in der Reflexion richtig, aber genauer zu fassen. P. Bekes versteht die Konfrontierung der zwei Zeitebenen als symptomatisch für eine offene, diskontinuierliche Struktur, die auf eine Aktivierung des Lesers und dessen moralisches Handeln abziele, Gesine erfüllt für ihn beispielhaft die Situation eines Individuums, das um das richtige Handeln ringt (mehr als um das richtige Verstehen)· s. »Gefällt dir das Land nicht, such dir ein anderes·. Zum Verhältnis von Moral und Politik in Uwe Johnsons Jahrestagen«, in: Text + Kritik 65/66 Uwe Johnson, v.a. S. 65f. u. 69. U. Fries (a.a.O.) hält im ganzen an der Eigenständigkeit der Ebenen fest (S. 96f.) und bemerkt anhand von Gesines alltäglichem Leben im Vergleich mit dem ihres Vaters, daß »beide sich ineinander spiegeln und erhellen können« (S. 124); die richtige Beobachtung des interpretierenden Verhältnisses ist auch Uber diese Personenkonstellation hinaus gültig; dem Vergleich des Mordes an den Juden durch die Deutschen und der amerikanischen Aggression gegen Vietnam stellt er sich kompromißlos entgegen (S. 125), auf der anderen Seite schreibt er: »Für das moralische Individuum setzt sich das terroristische System des Faschismus fort - mit anderen Inhalten zwar, aber in analogen Formen.« (S. 165) - Vielleicht geht es in den Jahrestagen präziser noch um das verstehende moralische Individuum, das die einzelnen Formen des Bösen gedanklich durchdringt, ohne das eine Leid durch das andere zu relativieren. 2l8

terpretative Begriffe des Sachgehalts und des Wahrheitsgehalts sind in der Tat erhellend für die Interpretation der Jahrestage,54 denn diese gehaltliche Differenzierung öffnet den Blick auf ein Feld, das über die literarische Interpretation hinausweist. Der Sachgehalt wäre die Summe der dokumentarischen geschichtlichen Information über die verhandelte Epoche, die weit davon entfernt ist, in ihrem vollen Ausmaß bekannt zu sein. Die Bestimmung des Wahrheitsgehalts könnte dagegen zwei weitere Dimensionen erschließen: eine erste, die einmal umfassend ergründet, was Gesine bei der Suche nach ihrer Vorgeschichte denn wirklich gefunden hat (welcher Qualität die Funde sind, was sich ihr entzieht), und eine zweite, die das Maß des Möglichen in der Aneignung von Vergangenheit zu beschreiben sucht. Dieser letzte Gesichtspunkt überschreitet aber den Rahmen einer subjektiven Lebensgeschichte, er richtet sich auf den objektiven (wissenschaftlichen) Erkenntniswert dieser biographischen Momente und betritt damit die Schwelle zur Historiographie. Die metonymische Erzählästhetik der Jahrestage fordert die Geschichtsschreibung zur vergleichenden Diskussion heraus.

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Die Begriffe wurden bereits von U. Fries (a.a.O., S. 149f.) und St. Golisch (»Wahrheitsfindung...«, a.a.O., S. 59f.) in die Diskussion gebracht; keiner von beiden entwickelt aber eine Vorstellung des Wahrheitsgehalts.

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Bibliographie

Die Literaturangaben dokumentieren die zu dieser Arbeit verwendeten Publikationen und führen darüberhinaus eine Reihe von Quellen auf, die von allgemeinem Interesse für die Arbeit mit den Jahrestagen sind. Zeitschriften-Nummern oder Anthologien sind unter ihrem Namen und mit den Namen der Autoren in Klammern aufgeführt.

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