Lehrbuch der Experimentalphysik: Band 2 Elektrizitätslehre [Reprint 2011 ed.] 9783111617756, 9783111241494

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Lehrbuch der Experimentalphysik: Band 2 Elektrizitätslehre [Reprint 2011 ed.]
 9783111617756, 9783111241494

Table of contents :
I. Kapitel. Elektrostatik
1. Die Gründerscheinungen bei der Elektrisierung durch Reibung
2. Die einfachsten Apparate zum Nachweis des elektrischen Zustandes
3. Gleichheit der positiven und negativen durch Reibung erzeugten Ladungen; Fluidumhypothese
4. Sitz der elektrischen Ladung auf einem Leiter; Dichte der Elektrizität
5. Coulombsches Gesetz; Einheit der Elektrizitätsmenge
6. Das elektrische Feld; elektrische Kraftlinien; elektrischer Kraftfluß; Gaußscher Satz
7. Das Potential
8. Kapazität
9. Influenz
10. Anwendungen der Influenz; Doppelplatte, Potentialsonden, Elektrophor
11. Anwendungen der Influenz; Kondensatoren
12. Das elektrostatische Feld in einem Dielektrikum
13. Polarisation der Dielektrika
14. Die elektrische Energie; Kraftwirkungen im elektrostatischen Felde
15. Die elektrostatischen Generatoren
16. Piezo- und Pyroelektrizität
17. Kontaktelektrizität
18. Das elektrische Feld der Erde
II. Kapitel. Magnetostatik
19. Grundtatsachen; Analogien und Differenzen zur Elektrostatik
20. Coulombsches Gesetz; magnetische Feldstärke
21. Kraftlinien; Kraftfluß; magnetisches Potential
22. Magnetstab im homogenen Magnetfeld; Messung der Feldstärke und des magnetischen Momentes
23. Magnetisches Feld der Erde
24. Einfluß der Materie auf die magnetischen Erscheinungen; para-, dia- und ferromagnetische Stoffe; magnetische Induktion, Magnetisierung
III. Kapitel. Stationäre elektrische Ströme
25. Begriff des elektrischen Stromes; Stromstärke; Stromdichte
26. Ohmsches Gesetz
27. Anwendungen des Ohmschen Gesetzes; Kirchhoffsche Sätze über Stromverzweigungen; Spannungsteilung, Potentiometer, Wheatstonesche Brücke
28. Stromarbeit; Stromwärme; Joulesches Gesetz; Peltier-Effekt; chemische Umsetzungen
29. Thermoelektrizität; Peltier- und Thomson-Effekt
IV. Kapitel. Das elektrische und magnetische Feld stationärer Ströme
30. Das elektrische Feld stationärer Ströme
31. Oerstedscher Versuch; Magnetfeld eines geradlinigen Stromleiters
32. Biot-Savartsches Elementargesetz
33. Äquivalenz von Strömen und Magneten; Amperes Molekularströme
34. Die verschiedenen Maßsysteme der Elektrodynamik und ihre Beziehungen zueinander
35. Magnetfeld von Spulen; Elektromagnete
36. Die Eigenschaften der ferromagnetischen Stoffe
37. Bewegung eines Stromleiters im Magnetfeld
38. Wirkung von Strömen aufeinander
39. Der Verschiebungsstrom; Hauptgleichung des Elektromagnetismus
V. Kapitel. Induktion
40. Grundtatsachen
41. Quantitative Fassung des Induktionsgesetzes
42. Einfache Anwendungen der Induktion; Erdinduktor; Messung magnetischer Felder; Messung der Permeabilität; magnetischer Spannungsmesser; Wechselspannungen; Wirbelströme; Theorie des Diamagnetismus
43. Gegenseitige Induktion und Selbstinduktion; Anwendungen
44. Allgemeines über Wechselströme
45. Wechselstromkreis mit Ohmschem Widerstand, Selbstinduktion und Kapazität
46. Mehrphasenströme, magnetische Drehfelder
47. Transformatoren
48. Die elektrischen Maschinen
49. Die Maxwellschen Gleichungen
VI. Kapitel. Elektrische Schwingungen und Wellen
50. Freie elektrische Schwingungen
51. Erzeugung gedämpfter Schwingungen mittels der Funkenmethode
52. Erzeugung ungedämpfter elektrischer Schwingungen
53. Erzwungene Schwingungen; Koppelungsschwingungen
54. Ausbreitung elektrischer Wellen längs Leitungen; Lecher-System; Telegraphen- und Wellengleichung
55. Elektromagnetische Raumwellen im Dielektrikum; offener Schwingungskreis; elektrischer Dipol und sein Strahlungsfeld; Hertzsche Versuche
56. Wesensgleichheit der elektromagnetischen Wellen mit den Lichtwellen; das elektromagnetische Spektrum
57. Anwendung der elektrischen Wellen in der drahtlosen Nachrichtenübermittlung; Ausbreitung der Wellen um die Erde
VII. Kapitel. Elektrolyse
58. Grundtatsachen; Mechanismus der Elektrolyse
59. Die Faradayschen Gesetze der Elektrolyse
60. Die Leitfähigkeit der Elektrolyte; Überführungszahlen und Beweglichkeit von Ionen
61. Umwandlung chemischer Energie in elektrische; Theorie der galvanischen Elemente
62. Elektrolytische Polarisation; sekundäre Elemente (Akkumulatoren)
63. Die praktischen Anwendungen der Elektrolyse
VIII. Kapitel. Gasentladungen
64. Das Leitvermögen der Gase; allgemeine Erörterungen
65. Unselbständige Entladung bei höheren Drucken
66. Unselbständige Elektrizitätsleitung im Hochvakuum
67. Die Natur der Elektrizitätsträger im Hochvakuum
68. Anwendungen der unselbständigen Elektrizitätsleitung im Hochvakuum
69. Die selbständige Stromleitung in Gasen bei niedrigem Druck
70. Die selbständige Elektrizitätsleitung in Gasen bei hohem Druck; Spitzen- und Büschelentladung, Funken, Lichtbogen
IX. Kapitel. Stromleitung in festen Körpern
71. Die metallische Leitung
72. Die elektrische Leitung in Kristallen und Halbleitern
Namenregister
Sachregister

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L. Bergmann · CI. Schaefer

Lehrbuch der Experimentalphysik Band II

LEHRBUCH DER EXPERIMENTALPHYSIK ZUM G E B R A U C H BEI AKADEMISCHEN VORLESUNGEN U N D ZUM S E L B S T S T U D I U M Von

Prof. Dr. L. Bergmann

und

Prof.Dr.Cl.Schaefer

Leitz-Werke Wetzlar

Universität Köln

II. Band

Elektrizitätslehre Mit 652 Abbildungen

1950

W A L T E R

DE

G R U Y T E R

&

CO.

vorm. G.J.Göschen'sche Verlagshandlung, J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer, Karl J. Triibner, Veit & Comp.

BERLIN

W35

Alle Rcchte, insbesondere das der Übersetzung, v o r b e h a l t e n C o p y r i g h t 1950 b y W a l t e r de G r u y t e r & Co. v o r m . G. J . Göschen* sehe V e r l a g s h a n d l u n g ,

J. Guttentag,

Verlagsbuchhandlung

Georg R e i m e r , K a r l J . T r ü b n e r , V e i t & C o m p . , Berlin W 35, G e n t h i n e r S t r a ß e 13 A r c h i v - N r . 52 79 50, P r i n t e d i n G e r m a n y Gedruckt im Druckhaus Tempelhof, Berlin

Vorwort Nach dem Erscheinen der ersten Auflage von Band I begannen wir mit der Arbeit am zweiten Bande. Sie war bis Januar 1945 schon ziemlich weit vorgeschritten, als die Katastrophe uns auseinanderriß. Erst im Jahre 1946 fanden wir wieder Verbindung zueinander und konnten die gemeinsame Arbeit wieder aufnehmen; natürlich war sie außerordentlich erschwert durch die räumliche Trennung und dadurch, daß wir neue Wirkungskreise übernehmen mußten. Erst jetzt ist es uns daher möglich, den zweiten Band, die Elektrizitätslehre enthaltend, vorzulegen. Er ist nach den gleichen Grundsätzen abgefaßt wie der erste Band, so daß darüber nichts weiter gesagt zu werden braucht. Nur ein Wort über das benutzte Maßsystem ist erforderlich: Wir haben uns nach reiflicher Überlegung entschlossen, das Gaußsche Maßsystem beizubehalten; dies hat zur Folge, daß in allen elektrodynamischen Gleichungen der Faktor c, die Lichtgeschwindigkeit, auftritt. Wir halten dies aus didaktischen Gründen für wünschenswert. Im übrigen hat W. Kossei kürzlich in einer kleinen Schrift: „Zur Darstellung der Elektrizitätslehre" mit einleuchtenden Gründen dargetan, daß es unzweckmäßig wäre, das sogenannte „praktische" Maßsystem in der Physik allgemein einzuführen. Wetzlar und Köln, im Herbst 1950. L. B e r g m a n n , Cl. S c h a e f e r

Inhaltsübersicht I. Kapitel. Elektrostatik 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18.

Die Grunderscheinungon bei der Elektrisierung durch Reibung Die einfachsten Apparate zum Nachweis des elektrischen Zustandes Gleichheit der positiven und negativen durch Reibung erzeugten Ladungen; Fluidumhypothese Sitz der elektrischen Ladung auf einem Leiter; Dichte der Elektrizität Coulombsches Gesetz; Einheit der Elektrizitätsmenge Das elektrische Feld; elektrische Kraftlinien; elektrischer Kraftfluß; Gaußscher Satz Das Potential Kapazität Influenz Anwendungen der Influenz; Doppelplatte, Potentialsonden, Elektrophor . . Anwendungen der Influenz; Kondensatoren Das elektrostatische Feld in einem Dielektrikum Polarisation der Dielektrika Die elektrische Energie; Kraftwirkungen im elektrostatischen Felde Die elektrostatischen Generatoren Piezo- und Pyroelektrizität Kontaktelektrizität Das elektrische Feld der Erde

1 3 5 7 10 13 18 25 27 30 33 41 50 61 68 71 76 86

II. Kapitel. Magnetostatik 19. 20. 21. 22. 23. 24.

Grundtatsache i; Analogien und Differenzen zur Elektrostatik 90 Coulombsches Gesetz; magnetische Feldstärke 93 Kraftlinien; Kraftfluß; magnetisches Potential 96 Magnetstab im homogenen Magnetfeld; Messung der Feldstärke und des magnetischen Momentes 100 Magnetisches Feld der Erde 103 Einfluß der Materie auf die magnetischen Erscheinungen; para-, dia- und ferromagnetische Stoffe; magnetische Induktion, Magnetisierung 107 III. Kapitel. Stationäre elektrische Ströme

25. Begriff des elektrischen Stromes; Stromstärke; Stromdichte 122 26. Ohmsches Gesetz 125 27. Anwendungen des Ohmschen Gesetzes; Kirchhoffsche Sätze über Stromverzweigungen; Spannungsteilung, Potentiometer, Wheatstonesche Brücke 141 28. Stromarbeit; Stromwärme; Joulesches Gesetz; Peltier-Effekt; chemische Umsetzungen 149 29. Thermoelektrizität; Peltier- und Thomson-Effekt : 156 IV. Kapitel. Das elektrische und magnetische Feld stationärer Ströme 30. 31. 32. 33. 34. 35. 36. 37. 38. 39.

Das elektrische Feld stationärer Ströme Oerstedscher Versuch; Magnetfeld eines geradlinigen Stromleiters Biot-Savartsches Elementargesetz Äquivalenz von Strömen und Magneten; Amperes Molekularströme Die verschiedenen Maßsysteme der Elektrodynamik und ihre Beziehungen zueinander Magnetfeld von Spulen; Elektromagnete Die Eigenschaften der ferromagnetischen Stoffe Bewegung eines Stromleiters im Magnetfeld Wirkung von Strömen aufeinander Der Verschiebungsstrom; Hauptgleichung des Elektromagnetismus

164 167 177 183 187 191 207 216 224 230

VIII

Inhaltsübersicht V. Kapitel. Induktion

40. Grundtatsachen 41. Quantitative Fassung des Induktionsgesetzes 42. Einfache Anwendungen der Induktion; Erdinduktor; Messung magnetischer Felder; Messung der Permeabilität; magnetischer Spannungsmesser; Wechselspannungen; Wirbelströme; Theorie des Diamagnetismus 43. Gegenseitige Induktion und Selbstinduktion; Anwendungen 44. Allgemeines über Wechselströme 45. Wechselstromkreis mit Ohmschem Widerstand, Selbstinduktion und Kapazität 46. Mehrphasenströme, magnetische Drehfelder 47. Transformatoren 48. Die elektrischen Maschinen 49. Die Maxwellschen Gleichungen

234 239

244 252 263 270 286 290 296 311

VI. Kapitel. Elektrische Schwingungen und Wellen 50. 51. 52. 53. 54.

Freie elektrische Schwingungen Erzeugung gedämpfter Schwingungen mittels der Funkenmethode Erzeugung ungedämpfter elektrischer Schwingungen Erzwungene Schwingungen; Koppelungsschwingungen Ausbreitung elektrischer Wellen längs Leitungen; Lecher-System; Telegraphen- und Wellengleichung 55. Elektromagnetische Raumwellen im Dielektrikum; offener Schwingungskreis; elektrischer Dipol und sein Strahlungsfeld; Hertzsche Versuche 56. Wesensgleichheit der elektromagnetischen Wellen mit den Lichtwellen; das elektromagnetische Spektrum 57. Anwendung der elektrischen Wellen in der drahtlosen Nachrichtenübermittlung; Ausbreitung der Wellen um die Erde

314 320 325 330 340 352 372 377

VII. Kapitel. Elektrolyse 58. 59. 60. 61. 62. 63.

Grundtatsachen; Mechanismus der Elektrolyse Die Faradayschen Gesetze der Elektrolyse Die Leitfähigkeit der Elektrolyte; Überführungszahlen und Beweglichkeit von Ionen Umwandlung chemischer Energie in elektrische; Theorie der galvanischen Elemente Elektrolytische Polarisation; sekundäre Elemente (Akkumulatoren) Die praktischen Anwendungen der Elektrolyse

383 389 395 407 413 419

V n i . Kapitel. Gasentladungen 64. 65. 66. 67. 68. 69. 70.

Das Leitvermögen der Gase; allgemeine Erörterungen 424 Unselbständige Entladung bei höheren Drucken 428 Unselbständige Elektrizitätsleitung im Hochvakuum 433 Die Natur der Elektrizitätsträger im Hochvakuum 437 Anwendungen der unselbständigen Elektrizitätsleitung im Hochvakuum 446 Die selbständige Stromleitung in Gasen bei niedrigem Druck 450 Die selbständige Elektrizitätsleitung in Gasen bei hohem Druck; Spitzen- und Büschelentladung, Funken, Lichtbogen 466

IX. Kapitel. Stromleitung in festen Körpern 71. Die metallische Leitung 72. Die elektrische Leitung in Kristallen und Halbleitern Namenregister Sachregister

477 488 494 495

I. K a p i t e l

Elektrostatik 1. Die Grunderscheinungen bei der Elektrisierung durch Reibung Wenn man einen Hartgummistab mit einem Wollappen oder einem Fell reibt und den geriebenen Stab kleinen leichten Körpern (Papierschnitzeln, Korkstückchen usw.) nähert, so beobachtet man, daß diese Körper von dem Hartgummistab angezogen werden. Es hat sich also der Zustand des Hartgummistabes derart verändert, daß von seiner Oberfläche Kraftwirkungen ausgehen. Bereits im Altertum hat (angeblich) T h a i e s von M i l e t eine solche Beobachtung an geriebenem Bernstein gemacht; da der griechische Name von Bernstein ήλεκτρον ist, spricht man von einer „ E l e k t r i s i e r u n g " oder dem „ e l e k t r i s c h e n Z u s t a n d e " oder der „ e l e k t r i s c h e n L a d u n g " des geriebenen Körpers und bezeichnet das ganze Gebiet als „Elektrizitätslehre". Wenn man alle möglichen Körper in dieser Weise behandelt, so findet man, daß sie nach ihrem Verhalten in zwei Klassen gesondert werden können. Die erste Klasse ist dadurch charakterisiert, daß es keiner besonderen Vorsichtsmaßregeln bedarf, um die Körper in den „elektrischen" Zustand zu versetzen. Man kann die dieser Gruppe angehörigen Stoffe ζ. B. einfach dadurch „elektrisieren", daß man sie in die Hände nimmt und aneinander reibt. Auch können sie dabei in direkter Verbindung mit der Erde sein. Zu den Stoffen dieser ersten Gruppe gehören Schwefel, alle Harze (Bernstein, Schellack, Siegellack), Hartgummi, Paraffin, Glas, Glimmer, Seide, trockenes Papier usw. Zu der zweiten Klasse von Substanzen, die durch die beschriebene primitive Behandlungsart nicht „elektrisch" werden, gehören in erster Linie die Metalle, ferner Kohle, der menschliche Körper, feuchtes Holz usw. Es hat lange Zeit gedauert, bis man die Bedingungen erkannte, unter denen diese letzteren Stoffe, z.B. die Metalle, überhaupt „elektrisch" werden können. G r a y fand im Jahre 1727, daß sie weder mit dem menschlichen Körper noch mit der Erde in direkter Verbindung sein dürfen, sondern von ihnen durch Stoffe der ersten Gruppe getrennt sein müssen. Will man also einen Metallstab durch Reiben mit einem Seidenlappen „elektrisieren", so muß man den Metallstab mit einem Handgriff aus Glas oder Hartgummi versehen. Auf diese Weise vermeidet man eine direkte oder durch den menschlichen Körper vermittelte Berührung mit der Erde; man muß daraus schließen, daß eine solche den elektrischen Zustand des Metallstabes vernichtet. Letzteres geschieht allerdings auch bei den Körpern der ersten Gruppe, aber mit einem sehr wesentlichen Unterschiede. Ein Metall braucht nur an einer einzigen Stelle direkt oder indirekt mit der Erde in Kontakt gebracht zu werden, um sofort in seiner ganzen Ausdehnung unelektrisch zu werden; dagegen verlieren die Stoffe der ersten Gruppe ihren elektrischen Zustand nur an den Stellen, die mit der Erde in Berührung sind, während er ihnen an den anderen, wenn auch dicht benachbarten Stellen erhalten bleibt. Im engsten Zusammenhang damit steht ferner die Tatsache, daß Metalle, wenn sie unter den oben angeführten Vorsichtsmaßregeln auch nur an einer Stelle gerieben werden, sofort in ihrer ganzen Ausdehnung elektrisch werden, während ein der ersten Gruppe zugehöriger Körper nur an den geriebenen Stellen die Fähigkeit erlangt, andere leichte Körperchen anzuziehen. Man drückt diesen Sachverhalt am einfachsten dadurch aus, daß man den Körpern zweiter Klasse, insbesondere den Metallen, die Eigenschaft zuschreibt, den durch Reiben erzeugten elektrischen Zustand von den geriebenen Stellen zu allen anderen Punkten des betreffenden Körpers „ f o r t z u l e i t e n " , während man den Körpern erster Klasse diese Fähigkeit abspricht. Letztere heißen deshalb Nichtleiter oder Isolatoren, die Körper der zweiten Klasse Leiter des elektrischen Zustandes. Da der menschliche Körper zu den Leitern gehört, ist es klar, weshalb ein Metall auch gegen diesen 1 Experimentalphysik II

2

I. Kapitel. Elektrostatik

vermittels eines Nichtleiters „isoliert" sein muß; die auf dem Metall durch Reibung erzeugte Elektrizität würde durch den menschlichen Körper zur Erde abgeleitet und damit der geriebene Leiter wieder unelektrisch werden. Verbindet man anderseits einen auf einem isolierenden Glasstativ aufgestellten ungeriebenen Metallkörper, von dem also keinerlei Kraftwirkungen ausgehen, durch einen Metalldraht etwa mit einer geriebenen Glasstange, so zeigt der Metallkörper in seiner ganzen Ausdehnung Elektrisierung, d.h. es werden dann von allen Stellen seiner Oberfläche leichte Körperchen angezogen. Wir haben also die Möglichkeit, den elektrischen Zustand sowohl mittels eines Leiters zu übertragen oder sein Abfließen zur Erde durch einen Isolator zu verhindern. Zwischen Leitern und Nichtleitern gibt es in Wirklichkeit keine strenge Grenze, es bestehen vielmehr alle Arten von Zwischenstufen, von den besten bis zu den schlechtesten Leitern. Als gute Leiter des elektrischen Zustandes gelten die Metalle, ferner Kohle, Wasser, Säure- und Salzlösungen, der menschliche Körper sowie stark erhitzte Gase; weniger gut leiten Holz, Marmor, Papier, Stroh, Alkohol; Nichtleiter sind u.a. Glas1), Quarz, Porzellan, Hartgummi, Harze, Schwefel, Bernstein, Seide, Öle, Luft, Wasserdampf und andere Gase. Daß Luft die Elektrizität nicht leitet, ist ja geradezu die Voraussetzung dafür, daß es überhaupt möglich ist, einen eüva durch Reiben eines Glasoder Hartgummistabes erzeugten elektrischen Zustand zu beobachten. Wäre die Luft nämlich ein Leiter, so würde der soeben erzeugte elektrische Zustand sofort wieder abgeleitet werden und sich der Wahrnehmung entziehen. Stark erhitzte Luft oder Flanlmengase leiten dagegen gut, was sich ζ. B. dadurch zeigen läßt, daß man einen geriebenen Hartgummistab durch eine Bunsenflamme zieht oder in einen heißen Luftstrom bringt: er wird sofort unelektrisch. Praktisch macht man beim Experimentieren von der Leitfähigkeit erhitzter Gase Gebrauch, um unerwünschte Elektrisierung von Isolatoren zu beseitigen. Wir haben bisher den elektrischen Zustand geriebener Körper nachgewiesen durch die Beobachtung der Kraftwirkungen auf leichte Papierschnitzelchen usw. Wir wollen von jetzt ab die Kraftwirkungen zwischen den geriebenen Körpern selbst untersuchen, hängen einen geriebenen Hartgummistab waagerecht auf (Abb. 1) und nähern seinem einen Ende einen auf gleiche Weise geriebenen zweiten Hartgummistab; beide Stäbe befinden sich also nach dem Gesagten im „elektrischen Zustande". Wir beobachten eine kräftige Abstoßung der einander genäherten Stabenden. Nähern wir aber dem aufgehängten Hartgummistab einen geriebenen, d.h. ebenfalls elekAbb. 1. Drehbar aufgehängter irisierten Glasstab, so findet eine starke Anziehung statt. Hartgummistab während schließlich zwei auf gleiche Weise geriebene Glasstäbe, von denen wir den einen freibeweglich aufhängen, sich gegenseitig ebenso abstoßen wie die beiden geriebenen Hartgummistäbe. Dies führt zu der Auffassung, daß es zwei verschiedene, einander polar entgegengesetzte elektrische Zustände gibt, die man früher als den „ h a r z e l e k t r i s c h e n " und „ g l a s e l e k t r i s c h e n " bezeichnete (Dufay',1734). Dann können wir die oben angeführte Beobachtung folgendermaßen aussprechen: Gleichartig elektrisierte Körper stoßen sich ab, ungleichartig elektrisierte ziehen sieh an. Da der Vorgang der Reibung ein wechselseitiger ist, wird nicht nur der geriebene Körper, sondern auch das „Reibzeug" elektrisch. Nähert man einem nach Abb. 1 aufgehängten geriebenen Glasstab das zum Reiben benutzte Stück Seide, so wird der Glasstab angezogen, während von dem gleichen Stück Seide ein mit einem Wollappen geriebener Hartgummistab abgestoßen wird. Aus diesem Versuch folgt, daß zwei verschiedene aneinander geriebene Körper stets beide und zwar ungleichartig elektrisch werden. Wir werden später zeigen (S. 5), daß die elektrischen Zustände aneinander geriebener Körper auch gleich stark sind, daß daher ihre gemeinsame Kraftwirkung sich nach außen aufhebt. Die Polarität der beiden elektrischen Zustände ist also die analoge, wie *) Dies gilt allerdings nicht von allen Glassorten. Gläser bestimmter Zusammensetzung können die Elektrizität leiten. Außerdem kommt es häufig vor, daß infolge von Hygroskopie sich auf der Glasoberfläche eine Wasserhaut bildet, die die Elektrizitätsleitung übernimmt. Dies kann man verhindern, indem man die Glasoberfläche mit einem Schellacküberzug versieht.

2. Die einfachsten Apparate zum Nachweis des elektrischen Zustandes

3

zwischen den positiven und negativen Zahlen; dies hat dann dazu geführt, daß man (willkürlich) den einen, und zwar den glaselektrischen als positiven, den harzclektrischen als negativen elektrischen Zustand bezeichnet, und kurz von positiver und negativer Elektrisierung oder Ladung spricht. Ob ein bestimmter Körper durch Reiben positiv oder negativ elektrisch wird, hängt von dem Partner ab, mit dem er gerieben wird. Ζ. B. wird Glas positiv elektrisch beim Reiben mit Seide oder einem amalgamierten Lederlappen, dagegen negativ elektrisch beim Reiben mit Pelzwerk oder Wolle; Hartgummi wird an Wolle oder Pelzwerk gerieben stets negativ, an Papier gerieben aber meist positiv. Übrigens kommt es nicht nur auf die stoffliche Natur des Körpers, sondern auch auf seine Oberflächenbeschaffenheit an. Schleift man die Hälfte eines polierten Glasstabes matt, so wird dieses Ende beim Reiben mit Wolle negativ elektrisch, während die polierte Hälfte mit dem gleichen Reibzeug positiv elektrisch wird. Daß auch pulverförmige Stoffe durch Reiben elektrisch werden, zeigt folgender Versuch: Zerstäubt man ein Gemisch aus gleichen Teilen Mennige und Schwefelpulver durch ein Stück Gaze hindurch, so wird Schwefel negativ, Mennige positiv elektrisch. L ä ß t man das Gemisch auf zwei nebeneinander liegende geriebene Stäbe aus Glas und H a r t g u m m i fallen, so bleibt der gelbe Schwefel am Glas, die rote Mennige am Hartgummi haften (siehe hierzu S. 72). Es werden ferner nicht nur feste Stoffe elektrisch, sondern auch Flüssigkeiten, worauf wir in Nr. 3 zurückkommen. Hier sei nur folgender einfacher Versuch g e n a n n t : Schüttelt man in einer evakuierten Glasröhre Quecksilber, so bemerkt man im Dunkeln ein intensives Leuchten der Röhre, dessen Ursache, wie wir später zeigen werden, auf dem Auftreten von elektrischen Zuständen entgegengesetzten Vorzeichens zwischen Quecksilber und Glas beruht. Dagegen lassen sich Gase durch Reibung nicht elektrisieren; den Grund hierfür können wir erst später in Kap. 8 angeben. 2. Die einfachsten Apparate zum Nachweis des elektrischen Zustandes Da der Mensch kein Organ zum Erkennen des elektrischen Zustandes besitzt, sind besondere Apparate dazu erforderlich, die man Elektroskope n e n n t ; sie beruhen auf den oben beschriebenen Kraftwirkungen. Die einfachste Ausführung ist das e l e k t r i s c h e D o p p e l p e n d e l (Abb. 2). Zwei kleine, möglichst leichte, mit einem dünnen Metallüberzug versehene Kügelchen sind an dünnen Leinenfäden oder mit sehr dünnen Drähten an einem Metallbügel aufgehängt, der a m oberen Ende eines isolierenden Stativs befestigt ist. Wird der Metallbügel elektrisch geladen, so teilt sich der elektrische Zustand den beiden Kügelchen mit, und diese stoßen sich infolge der Gleichnamigkeit a b (in Abb. 2 gestrichelt gezeichnet). Diese Abstoßung ist u m so größer, je stärker der mitgeteilte elektrische Zustand ist. Eine empfindlichere Anordnung ist das B l ä t t c h e n - E l e k t r o s k o p nach A. B e n n e t , 1786(Abb. 3). I m Innern eines meist zylindrischen auf beiden Seiten durch Glasscheiben abgedeckten Metallgehäuses hängen an einer von oben isoliert eingeführten Metallstange zwei schmale Blättchen aus Blattgold oder Aluminiumfolie; die Metallstange Abb. 2. Abb. 3. trägt meistens oben eine Kugel (oder Elektrisches Doppelpendel Blättchen-Elektroskop Platte). Wird die Kugel mit einem elektrischen Körper berührt, so geht ein Teil seines elektrischen Zustandes auf Kugel, Stange und Blättchen über, und letztere divergieren um so mehr, je kräftiger der elektrische Zustand des herangebrachten Körpers ist. Häufig ist unterhalb der Blättchen eine Skala angebracht, auf 1*

I. Kapitel. Elektrostatik

4

der sich die Größe des Ausschlages der Blättchen ablesen läßt; dadurch wird das Instrument, zum E l e k t r o m e t e r . Statt zweier beweglicher Leiter benutzt man vielfach nur einen beweglichen Leiter, der von einem festen abgestoßen wird. Bei dem B r a u n s c h e n E l e k t r o m e t e r (Abb. 4) wird ein leichter in Spitzen gelagerter Aluminiumanzeiger von einem vertikalen festen Leiter abgestoßen, wenn diesem eine elektrische Ladung zugeführt wird (F. B r a u n , 1891). Ein sehr empfindlichesElektrometer ist das W u 1 f s c h e Ζ w e i f a d e η e 1 e k t r ο m e t er (Th. Wu 1 f, 1907), dessen Aufbau aus der schematischen Abb. 5 hervorgeht. Durch die Deckplatte eines

Abb. 4. Braunsches Elektrometer

Abb. 5. Zweifadenelektrometer nach Wulf

Abb. 6. Bohnenbergersches Elektroskop

Metallgehäuses Α ist, mittels Bernstein isoliert, ein Metallstift Ε geführt, der an seinem oberen Ende die Anschlußklemme K1 trägt, und von dessen unterem Ende zwei sehr dünne Drähte von etwa 4 μ Durchmesser und etwa 8 cm Länge herabhängen. Die beiden Drähte sind mit ihren unteren Enden an einem elastischen Quarzbügel Q befestigt, durch den sie schwach gespannt werden. Führt man den Fäden F^ F2 über die Klemme eine elektrische Ladung zu, so spreizen sie sich auseinander (gestrichelte Lage in Abb. 5). Ihr gegenseitiger Abstand kann in der Fadenmitte, wo er am größten ist, mit Hilfe eines Mikroskops mit Okularmikrometer sehr genau gemessen werden. Damit die Fäden beim Auseinandergehen in der Bildebene des Mikroskops bleiben, sind beiderseits in der Fadenebene zwei Schneiden S1 und S2 angebracht, die mit dem über Klemme K2 zu erdenden Gehäuse leitend verbunden sind und somit die geladenen Fäden anziehen. Die bisher beschriebenen Instrumente zeigen zwar das Vorhandensein und die Stärke eines elektrischen Zustandes an, liefern aber nicht sein Vorzeichen. Letzteres leistet z.B. das B o h n e n b e r g e r s c h e E l e k t r o s k o p (Abb. 6). Zwischen zwei Platten (sog. Elektroden) E1 und E2 hängt an einer von oben isoliert eingeführten Metallstange 8 ein einzelnes schmales Aluminiumblättchen. Die beiden Elektroden Ej und E2 sind durch eine besondere, meist im Gerät eingebaute Elektrizitätsquelle (ζ. B. Zambonisäule, siehe S. 85) dauernd, die eine positiv, die andere negativ, geladen. Infolgedessen wird das Aluminiumblättchen bei positiver Aufladung von der einen Elektrode abgestoßen und von der anderen angezogen; bei negativer Aufladung führt es den entgegengesetzten Ausschlag aus, so daß die Richtung des Ausschlages einen Schluß auf das Vorzeichen der Ladung

3. Gleichheit der positiven und negativen durch Reibung erzeugten Ladungen

5

zuläßt. ·— In ähnlicher Weise wird auch das oben beschriebene Zweifadenelektrometer (Abb. 5) zu einem Einfadenelektrometer, wenn man die beiden Fäden durch einen einzigen ersetzt, die beiden Metallschneiden S1 und 8

i 11HM

Abb.16. Coulombsche Drehwaage

5. Coulombsches Gesetz; Einheit der Elektrizitätemenge Als Kennzeichen des elektrischen Zustandes haben wir nur das Auftreten von Kraftwirkungen: Gleichnamige Elektrizitäten stoßen sich ab, ungleichnamige ziehen sich an. Diese Kraftwirkung soll jetzt quantitativ untersucht werden. Als erster hat Ch. C o u l o m b (1785) dies mittels der in Abb. 16 skizzierten Drehwaage getan. In einem Glasgefäß Α hängt an einem dünnen Metalldraht F ein waagerechtes Hartgummistäbchen, das an einem Ende eine kleine Metallkugel K1 trägt, deren Gewicht durch ein am anderen Ende angebrachtes Gegengewicht ausgeglichen wird. Eine zweite gleich große Kugel K 2 läßt sich durch eine Öffnung im Deckel des Gefäßes an einem isolierten Stift einsetzen. Wird diese Kugel geladen und mit der Kugel in Berührung gebracht, so verteilt sich die elektrische Ladung aus Symmetriegründen auf die beiden gleich großen Kugeln zu gleichen Teilen, und es findet eine Abstoßung von Κ 1 statt; durch eine Drehung am Torsionskopf Τ kann die Kugel wieder in ihre Anfangsstellung gebracht werden. Aus dem Torsionswinkel, der dem Drehmoment des tordierten Fadens proportional ist, läßt sich die Größe der abstoßenden Kraft zwischen Κλ und K2 für jede Entfernung ermitteln. Halbiert man die auf K2 sitzende Ladung, indem man K2 zunächst mit einer gleich großen ungeladenen Kugel in Berührung bringt und dann wieder in die Apparatur einsetzt, so kann man die Kraftwirkung Κ zwischen zwei Ladungen q1 und q2 ermitteln, deren Größen sich wie 1 : 2 verhalten usw. Auf diese Weise fand C o u l o m b das nach ihm benannte Gesetz: Die Kraftwirkung zwischen zwei elektrisch geladenen Körpern ist dem Produkt der beiden Elektrizitätsmengen, die auf den Körpern sitzen, direkt und dem Quadrat ihrer Entfernung umgekehrt proportional. Die Kraft hat die Richtung der Verbindungslinie der beiden Ladungen. Bezeichnen wir mit Κ den Betrag der Kraft zwischen den beiden Ladungen q1 und q2 und mit / eine Proportionalitätskonstante, so können wir schreiben: (2)

K = fKq2·

Dabei bedeutet ein positiver Wert von K, d. h. gleiches Vorzeichen von qi und q2, eine abstoßende

δ. Coulombsches Gesetz; Einheit der Elektrizitätsmenge

11

Kraft, während ein negativer K-Wert, d. h. entgegengesetztes Vorzeichen von gl und q2. einer anziehenden Kraft entspricht. Das in Gl. (2) ausgesprochene Gesetz gilt nur unter gewissen Voraussetzungen: Erstens müssen sich die beiden Ladungen auf so kleinen Körpern befinden, daß ihre linearen Dimensionen gegenüber ihrem gegenseitigen Abstand verschwinden, mit anderen Worten: die Ladungen müssen als „punktförmig" betrachtet werden können. F e r n e r a b e r i s t die w i c h t i g s t e E i n s c h r ä n k u n g f ü r die G ü l t i g k e i t von (2) d i e , d a ß die L a d u n g e n sich im V a k u u m b e f i n d e n m ü s s e n . Freilich werden die praktischen Versuche stets im lufterfüllten Räume angestellt; dies bedingt, wie in Nr. 14 gezeigt wird, nur eine sehr geringe Abweichung gegenüber Versuchen im Vakuum, die schwierig anzustellen wären. Für die folgenden Erörterungen müssen wir also stets leeren (bzw. lufterfüllten) Raum voraussetzen; wie sich die Verhältnisse ändern, wenn die Ladungen sich in einem anderen isolierenden Medium befinden, werden wir in Nr. 14 erörtern. Die Abnahme der Kraftwirkung zwischen zwei Ladungen mit dem Quadrat der Entfernung läßt sich bequemer mit der in Abb. 17 skizzierten Anordnung nachweisen. Eine leichte metallisierte Kugel hängt an einem langen Doppelfaden. Direkt daneben befindet sich eine gleich große zweite Kugel, die auf einem isolierten und verschiebbaren Stativ befestigt ist. Werden die beiden Kugeln gleichnamig geladen, so stoßen sie sich ab, und die frei aufgehängte Kugel bewegt sich um die Strecke a aus ihrer Ruhelage; es sei dann r ihre Entfernung von der festen Kugel, wenn unter r der Abstand der Mittelpunkte beider Kugeln verstanden wird. Der abstoßenden Kraft wird das Gleichgewicht von einer Komponente K ' der Schwerkraft gehalten. Ist m die Masse der Kugel und α der Ablenkungswinkel des Pendels aus der Ruhelage, so ist K' = mg sin α, und wenn die Pendellänge l hinreichend groß ist, läßt sich



«

,

6

\

•K κ• - r « rι



G*mg

Abb. 17. Anordnung zum Beweis des Coulombschen Gesetzes

a a sin α = — setzen, so daß Κ = Κ' = mg -- ist; damit ist die abstoßende Kraft Κ proportional der Ablenkung a. Verschiebt man die feste Kugel nach links um solche Beträge, daß die Entfernung zwischen ihr und der beweglichen Kugel 2r, 3r, 4r usw. wird, so geht die Größe a, d. h. die Entfernung der beweglichen Kugel von ihrer Ruhelage und damit auch die Kraftwirkung Κ auf x/4, 1 / 8 , 1 / 1 6 usw. des ursprünglichen Wertes α zurück. Das Coulorabsche Entfernungsgesetz ί

läßt sich mit

Abb. 18.

aller Strenge auch aus der in Nr. 4 experimentell gefun- Z u m B e w e i s d e s Coulombschen Gesetzes denen Tatsache herleiten, daß im Inneren eines elektrisch geladenen Hohlleiters keinerlei elektrische Kraftwirkungen nachzuweisen sind, worauf zuerst G a u ß hingewiesen hat. Der Einfachheit halber nehmen wir den Leiter in Form einer Hohlkugel an, deren Oberfläche eine gleichmäßige Elektrizitätsdichte η trägt. Im Inneren der Kugel befindet sich etwa im Punkte Ρ (Abb. 18) eine Ladung q. Wir ziehen durch Ρ die Verbindungslinien zu der Begrenzung eines beliebig ausgewählten Flächenelementes dF1 auf der Kugel und verlängern diese Geraden über Ρ hinaus, so daß sie auf der gegenüberliegenden Seite das Flächenelement df \ aus der Kugel ausschneiden. Es entsteht so ein Doppelkegel mit den Grundflächen dF1 und d f \ und der gemeinsamen Spitze in P . Die Abstände von dF1 und dF2 von Ρ seien rl und r2 und der gemeinsame räumliche Winkel, unter dem die Grundflächen von Ρ aus erscheinen, sei ω. Die mechanische Kraft, die von der auf dF1 sitzenden Ladung auf die Ladung im Punkte Ρ wirkt, sei f·

q · iidF,

- — und ebenso sei die von der Ladung von dF2 auf q

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wirkende Kraft /

I. Kapitel. Elektrostatik q • r,dF2

, indem wir die Potenz von r noch als unbestimmt mit χ bezeichnen; beide

Kräfte sind entgegengesetzt gerichtet und müssen sich, da im Inneren der Kugel keinerlei elektrische Kraftwirkung nachweisbar ist, zu Null ergänzen, d. h. es muß

sein. Nun ist aber

dF1 = r t 2 o

äF2 — η, 2 ω,

und

so daß wir schreiben können

'""Ct-^'t-)·0· Dies ist aber nur möglich, wenn χ = 2 ist, was zu beweisen war.

In Gl. (2) für das Coulombsche Gesetz tritt ein unbekannter Proportionalitätsfaktor / auf. Wäre er bekannt, so könnten wir mit Hilfe von (2) elektrische Ladungen messen. Denn wenn wir zwei gleiche Ladungen q1 = q2 = q nehmen, so folgt aus (2) für diese Ladungen:

Vr

(2 a)

Es ist aber auf keine Weise möglich, / zu bestimmen1), und es bleibt daher nichts anderes übrig, als es willkürlich festzusetzen, um auf diese Weise zu einem Maß für q zu kommen. Nach dem Vorgange von Gauß nehmen wir / dimensionslos und gleich 1 an. Dann lautet das Coulombsche Gesetz: (2b)

* =

und Gl. (2 a) geht über in q=r~]/K.

(2c)

Die Messung einer E l e k t r i z i t ä t s m e n g e i s t d a m i t z u r ü c k g e f ü h r t auf die Messung einer K r a f t u n d einer L ä n g e , d. h. auf b e r e i t s aus der M e c h a n i k b e k a n n t e Größen. Damit haben wir auch die Einheit der Elektrizitätsmenge gewonnen. Denn für r = 1 und Κ = 1 wird auch q = 1. Wir können also sagen: Die Einheit der Elektrizitätsmenge ist diejenige Elektrizitätsmenge, die auf eine gleich große im Abstand von 1 cm befindliche die Kraft von 1 Dyn ausübt.

Diese E i n h e i t wird als die absolute elektrostatische Einheit der Ladung b e z e i c h n e t . Die D i m e n s i o n der E l e k t r i z i t ä t s m e n g e finden wir aus Gl. (2c); es ergibt sich: [q] =

[τΥκ]

=

[m'l·- l'l> Γ1]

bzw. im absoluten Maßsystem [q\ =

[g'l'cnil*

see" 1 ].

Von dieser Einheit, die keinen besonderen Namen führt, lassen sich die Einheiten aller anderen elektrischen Größen ableiten, die damit sämtlich auf die mechanischen Grundeinheiten Masse, Länge, Zeit zurückgeführt sind. Man n e n n t das d u r c h die G a u ß s c h e F e s t s e t z u n g : „ / d i m e n s i o n s l o s u n d gleich 1" c h a r a k t e r i s i e r t e M a ß s y s t e m das e l e k t r o s t a t i s c h e . Es sei ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die Einführung dieses Maßsystems natürlich vollkommen willkürlich ist; es stellt nur eine von unendlich vielen Möglichkeiten dar und hat den Vorteil, daß die Formeln übersichtlich und einfach werden. Wir werden später noch ein anderes Maßsystem kennenlernen, bei dem f = c 2 ist, wobei c die Dimension einer Geschwindigkeit vom Betrag 3 · 10 10 cm/sec besitzt. 1 ) Im N e w t o n s c h e n Gravitationsgesetz (Band I, S. 101 Gl. 79) ist dies anders: Die Gravitationskonstante ist vollkommen bestimmt, weil die Masse als Grundeinheit von vornherein eingeführt ist, während Gl. (2) hier die Elektrizitätsmengen erst definiert.

6. Das elektrische Feld; elektrische Kraftlinien; elektrischer Kraftfluß

13

Da die elektrostatische Einheit der Elektrizitätsmenge für fast alle praktischen und besonders technischen Zwecke einen zu kleinen Wert darstellt, h a t man als größere Einheit das ( a b s o l u t e ) Coulomb (C) gewählt. Es ist (3)

1 Cabs = 3 · 10 9 g'l> cm'/" sec" 1 = 3 · 10 9 elektrost. Ladungseinheiten.

Von der Größe eines Coulomb bekommt man einen anschaulichen Begriff, wenn man nach dem Coulombschen Gesetz die K r a f t berechnet, die zwei elektrische Ladungen von je 1 Coulomb in einer Entfernung von 1 k m aufeinander ausüben. Man erhält dafür den ungeheuren W e r t : Κ = —

0

° ' 3 ' 1 0 9 dyn = 9 · 10 8 dyn » 900 k p !

(105)2 Die kleinste in der Natur vorkommende Elektrizitätsmenge, das sog. elektrische Elementar quantum, ist die Ladung eines Elektrons, worauf wir bereits auf S. 6 hinwiesen. Sie beträgt e = 4,806· 1 0 - 1 ( y / * cm 1 '· sec - 1 (oder elektrostatische Einheiten). Auf die Verfahren, sie zu bestimmen, kommen wir später zurück. Bei der experimentellen Herstellung des Coulomb mittels Elektrolyse (vgl. Nr. 59) ist der Faktor 3 · 109, der die Beziehung zur elektrostatischen Einheit vermittelt, ebensowenig genau getroffen worden, wie seinerzeit bei Herstellung des Meterprototyps dieses genau die beabsichtigte Länge von 10-' Erdquadranten hatte. Das gesetzlich im Deutschen Reiche festgelegte und international geltende sog. i n t e r n a t i o n a l e C o u l o m b hängt mit dem a b s o l u t e n in folgender Weise zusammen (auf vier Stellen nach dem Komma genau): (3 a) 1 C;„, = 0,9999 Cab,. Bei sehr genauen Messungen muß auf diese Differenz Rücksicht genommen werden. Es ist im übrigen beabsichtigt, durch neue nationale und internationale Festsetzungen statt der bisher geltenden sog. internationalen Einheiten die absoluten einzuführen.

6. Das elektrische Feld; elektrische Kraftlinien; elektrischer Kraftfluß; Gaußscher Satz Die Form des Coulombschen Gesetzes legt die Vorstellung nahe, als ob die Kräfte zwischen den beiden aufeinander wirkenden Ladungen den Raum zeitlos übersprängen; denn in dem Gesetz ist ja nur von den Orten der Ladungen die Rede, es wird aber in keiner Weise der dazwischenliegende Raum zur Betrachtung herangezogen. Es sieht also so aus, als ob die Kräfte ihren Ursprung am Ort der einen Ladung hätten und von dort in die Ferne, d. h. auf die andere Ladung wirkten. Die Vorstellung von e l e k t r i s c h e n F e r n k r ä f t e n wurde besonders durch die formale Übereinstimmung zwischen dem Coulombschen Gesetz und dem Newtonschen Gravitationsgesetz (Band I, S. 101) bestärkt und diente lange Zeit als Arbeitshypothese. I m Gegensatz zu dieser F e r n w i r k u n g s t h e o r i e steht die Nahewirkungstheorie von Faraday; danach soll ein zwischen den elektrischen Ladungen im Raum befindliches Medium die elektrische Kraftwirkung vermitteln. Wenn keine Ladungen vorhanden sind, befinde sich dieses Medium in einer Art Normalzustand, in dem es sich nicht bemerkbar macht. Erzeugt man aber an irgendeiner Stelle eine elektrische Ladung, so soll diese das Medium in einen veränderten Zustand versetzen, der sich dann durch eine Kraftwirkung auf eine andere elektrische Ladung gemäß dem Coulombschen Gesetz bemerkbar mache. Wir können uns d i e s e n b e s o n d e r e n Z u s t a n d d e s M e d i u m s a l s e i n e A r t S p a n n u n g s z u s t a n d v o r s t e l l e n , w i e w i r i h n v o n d e n e l a s t i s c h e n M e d i e n h e r k e n n e n , wo eine an einem Punkt angreifende K r a f t durch die Deformation des elastischen Mediums an andere Stellen übertragen wird. Man muß sich aber hüten, zu glauben, daß dieser elektrische Zwangszustand mechanisch vorstellbar und verständlich sei: E i n e m e c h a n i s c h e E r k l ä r u n g d i e s e s Z w a n g s z u s t a n d e s u m e i n e e l e k t r i s c h e L a d u n g h e r u m h a t s i c h n i c h t f i n d e n l a s s e n ; wir müssen ihn vielmehr als etwas sui generis betrachten. Man nennt diesen Zustand das elektrische Feld und spricht in diesem Sinne von elektrischen Feldwirkungen im Gegensatz zu den oben erwähnten Fernwirkungen. Der Unterschied zwischen beiden Theorien wird besonders klar, wenn wir eine einzelne elektrische Ladung betrachten. Nach der Fernwirkungstheorie kommt ihr keiner-

I. Kapitel. Elektrostatik

14

lei Bedeutung z u ; denn es muß erst eine zweite Ladung vorhanden sein, damit eine Kraftwirkung auftritt. Nach der Feldtheorie erzeugt dagegen bereits die einzelne Ladung um sich herum ein Feld, d. h. ein System von Spannungen. Aus Symmetriegründen übt dieses auf die erzeugende Ladung selbst keine Kraftwirkungen aus. Zum Nachweis dieses Feldes benötigen wir vielmehr eine zweite (Probe-) Ladung, die durch eine meßbare Kraftwirkung das Vorhandensein und die Stärke des Feldes angibt. Diese Hilfsladung erzeugt nun aber um sich herum ebenfalls ein Feld, das sich dem ersten Felde überlagert. Das resultierende Feld hat aber nicht mehr die Symmetrie des ursprünglichen, und so kommt es zu einer Kraftwirkung auf die Hilfsladung. Diese K r a f t hängt also nicht nur von dem primären Felde, sondern auch von dem der Hilfsladung ab. Mit anderen W o r t e n : Das zu untersuchende bzw. nachzuweisende Feld wird grundsätzlich stets durch die Hilfsladung gestört. Man kann aber diese Störung beliebig klein machen, wenn man die Hilfsladung und die Dimensionen des sie tragenden Körpers hinreichend klein macht. Eine derartige kleine elektrische Ladung zur Ausmessung elektrischer Felder nennen wir eine P r o b e ladung. Als Feldstärke oder Feldintensität oder auch als elektrische Kraft d e s e l e k t r i s c h e n F e l d e s b e z e i c h n e t m a n n u n d i e j e n i g e K r a f t , d i e d a s F e l d auf e i n e s e h r k l e i n e P r o b e l a d u n g q a u s ü b t , d i v i d i e r t d u r c h d i e s e L a d u n g q; je kleiner q genommen wird, desto genauer ist die Feldmessung. Nennen wir die Feldstärke, die ein Vektor ist, nach Größe und Richtung 6 , so gilt also die Definitionsgleichung: (4)

ts = lim — i-yo q wenn S die auf die Probeladung ausgeübte Kraft bedeutet. Man kann daher kurz sagen: Die Feldstärke ist die Kraft auf die positive Einheitsladung. Die Einheit der elektrischen Feldstärke im elektrostatischen Maßsystem ist also durch dasjenige Feld gegeben, in dem die positive Einheitsladung die Kraft von 1 Dyn erfährt. v ;

In einem Felde der Intensität 6 erfährt demnach eine hinreichend kleine Ladung q die K r a f t : (5)

β = ϊ β .

Diese G l e i c h u n g e n t h ä l t e b e n f a l l s die a l l g e m e i n e D e f i n i t i o n der F e l d s t ä r k e . F ü r die Dimension der elektrostatisch gemessenen Feldstärke ergibt sich: [ΚηψΙ = = = [El. Menge]

[nfUl'Ut-1]

bzw. im absoluten Maßsystem: [g] = \g Vscm-1/* sec - 1 ]. Setzen wir in Gl. (2 b) für das Coulombsche Gesetz die eine Ladung gleich 1, so gibt die linke Seite die K r a f t an, die die andere Ladung q auf die Ladung 1 im Abstand r ausübt. Mit anderen W o r t e n : Der Betrag der Feldstärke einer punktförmigen Ladung q im Abstände r ist q/r2: (6)

Ι · Ι = 5 ·

Die e l e k t r i s c h e F e l d s t ä r k e ist nach dem Gesagten ein V e k t o r . Das elektrische Feld ist demnach erst bestimmt, wenn an jeder Stelle des Raumes die Feldstärke nach Größe und Richtung bekannt ist. Konstruiert man im elektrischen Felde Kurven, deren Tangente in jedem Punkte mit der Richtung der dort herrschenden Feldstärke übereinstimmt, so geben diese elektrischen Kraftlinien oder elektrischen Feldlinien oder (^-Linien ein anschauliches Bild von der Struktur des Feldes, das die Ladungen umgibt. Dabei kann man auch über die Stärke des Feldes etwas aussagen, wenn man nach Faraday die Zahl der Kraftlinien so beschränkt, daß durch eine zur Feldrichtung senkrechte Einheitsfläche nur soviel Kraftlinien hindurchgehen, wie der Vekt o r ® an dieser Stelle Einheiten besitzt. D i e Z a h l d e r e i n e F l ä c h e n e i n h e i t s e n k r e c h t d u r c h s e t z e n d e n K r a f t l i n i e n gibt somit den B e t r a g der e l e k t r i s c h e n F e l d s t ä r k e an d i e s e r S t e l l e a n . Ist dF ein beliebig orientiertes Flächenelement, dessen Normale η den Winkel φ

6. Das elektrische Feld; elektrische Kraftlinien; elektrischer Kraftfluß

15

mit der Richtung von © bildet, so ist demgemäß die Anzahl dN der dF durchsetzenden Feldlinien: clN=

1 g | cos

Abb. 37. Zum Nachweis der elektrischen Influenzladungen

stab, so zeigen die beiden Doppelpendel wie vorhin das Auftreten der Influenzladungen an. Ohne den Hartgummistab zu entfernen, schieben wir die beiden Leiterhälften auseinander und nehmen dann erst den influenzierenden Stab weg. Wir beobachten, daß die beiden Doppelpendel ihren Ausschlag beibehalten (Abb. 37 b): Die Influenzladungen haben sich infolge der Trennung des Leiters nicht mehr ausgleichen können; dies tritt erst ein, wenn wir die beiden Hälften wieder zur Berührung bringen. Das beweist zugleich, daß die beiden entgegengesetzten Influenzladungen genau gleiche Größe haben. Wir betrachten weiter den Fall, daß eine isoliert aufgestellte Metallkugel in ein homogenes elektrisches Feld gebracht wird. Nach S. 16 erhalten wir ein solches Feld, wenn wir zwei entgegengesetzt aufgeladene große Metallplatten parallel zueinander gegenüberstellen. In Abb. 38 ist ein Schnitt durch das zwischen den Platten PjimdPg bestehende Feld gezeichnet. Die Kraftlinien (gestrichelt) verlaufen parallel und äquidistant von der positiven nach der negativen Platte. Die Niveauflächen sind Parallelebenen zu P1 und P 2 , und ihre Schnitte mit der Zeichenebene sind durch die ausgezogenen Geraden dargestellt. Die Platte P 2 habe etwa das Potential + 5, die Platte P1 das Potential — 5. Die an den Niveaulinien angeschriebenen Zahlen geben die Potentiale auf den angedeuteten Niveauflächen zwischen den Platten an. In die Mitte dieses Feldes bringen wir nun eine ungeladene isolierte Metallkugel. Würde der Verlauf des Feldes dadurch keine Störung erfahren, so würde ζ. B. auf der Kugel der Punkt a das Potential 0, der Punkt b das Potential + 1, ν -3 -2 -1

ο *1 +2 +3 +lf.

+5

Abb. 38. Ungeladene Metallkugel im homogenen elektrischen Feld ohne Berücksichtigung der Influenzladungen

0

+

5

Abb. 39. Ungeladene Metallkugel im homogenen elektrischen Feld bei Berücksichtigung der Influenzladungen

9. Influenz

29

der Punkt c das Potential — 1 annehmen usw. Diese Potentialverteilung muß auf der Leiteroberfläche sofort eine Verschiebung von Elektrizität in dem Sinne zur Folge haben, daß positive Ladung nach links und negative nach rechts geht. Diese Verschiebung elektrischer Ladungen auf der Kugel muß so lange erfolgen, bis durch Überlagerung der Potentiale der sich auf der Kugel verteilenden Ladungen mit dem Potential des primären Feldes die Leiteroberfläche zu einer Niveaufläche geworden ist. Die Folge ist, daß das ursprüngliche Feld eine Verzerrung erfährt (Abb. 39). Die Niveauflächen werden auf beiden Seiten der Kugel zusammengedrängt, und die Kraftlinien verlaufen jetzt so, daß sie in die rechte Seite der Kugel, wo sich die negative Influenzelektrizität angesammelt hat, senkrecht eintreten und auf der linken Seite, wo die gleiche Menge positiver Ladungen angehäuft ist, ebenfalls senkrecht aus der Kugel austreten. Da die Kugel keine eigene Ladung besitzt, treten genau soviel Kraftlinien in die Kugel ein, wie wieder von ihr ausgehen; das ist nur ein anderer Ausdruck dafür, daß die beiden Influenzladungen genau gleiche Größe haben. Zwei Stellen, nämlich a und a' (Abb. 39) tragen keine Ladungen; an diesen Stellen entspringt und endigt gleichzeitig eine KraftAbb. 40. Verzerrung des in Abb.23 linie. Dies gilt natürlich für alle Punkte des Kugeläquators. gezeigten homogenen elektrischen In Abb. 40 ist für den soeben besprochenen Fall das Kraftlinien- Feldes durch eine in dasselbe hinbild nach dem früher beschriebenen Verfahren sichtbar gemacht. eingebrachte ungeladene Metallkugel Man sieht deutlich die Verzerrung des ursprünglich homogenen Feldes durch die in das Feld gebrachte Metallkugel; die Kraftlinien treten auf einer Seite in diese ein und auf der anderen Seite aus ihr wieder heraus. Das hier für die Kugel Gesagte gilt selbstverständlich auch für jeden beliebig gestalteten Leiter. Stets bildet sich, wenn er in ein elektrisches Feld gebracht wird, auf ihm eine neutrale Zone aus, die frei von elektrischen Ladungen ist, und auf den beiden durch die neutrale Zone getrennten Teilen sammeln sich die einander entgegengesetzten Influenzelektrizitäten an. Dabei hängt die Größe dieser influenzierten Elektrizitätsmengen sowohl von der Intensität des influenzierenden Feldes als auch von der Ausdehnung des betreffenden Konduktors in Richtung der influenzierenden Feldstärke ab. Um ein Fortbestehen der Influenzladungen nach Aufhebung des influenzierenden Feldes zu bekommen, haben wir oben den influenzierten Leiter längs der neutralen Zone geteilt, so daß eine Wiedervereinigung der beiden Ladungen nicht mehr stattfinden konnte. Statt dessen kann man auch die eine der beiden Influenzladungen nach der Erde ableiten, indem man den Leiter z.B. mit der Hand berührt. Entfernt man dann dasFeld oder nimmt den Leiter aus dem Feld heraus, so besitzt er nur noch diejenige Ladung, die von der influenzierenden Ladung angezogen wurde, d.h. ihr entgegengesetzt ist. — Bei der Verbindung des Leiters mit der Erde muß seine gesamte Oberfläche das Potential Null annehmen. Rührt ζ. B. das influenzierende Feld von einer positiven Ladung her, so ist dies nur möglich, wenn positive Elektrizität von dem Leiter zur Erde abfließt und sich dafür eine Verteilung von negativer Elektrizität auf seiner Oberfläche evtl. durch weiteres Hinzuströmen negativer Elektrizität aus der Erde einstellt, so daß sich die Potentiale des Leiters und des influenzierenden Feldes an seiner Oberfläche zu Null addieren. Von diesem Vorgang macht man häufig Gebrauch, um ein Elektroskop aufzuladen. Man berührt den Knopf des Elektroskops mit der Hand und nähert gleichzeitig einen geriebenen Hartgummi- oder Glasstab so weit, daß das Elektrometer den gewünschten Ausschlag anzeigt. Dann hebt man die Verbindung mit der Erde auf und entfernt den elektrisierten Stab. Das Elektroskop besitzt dann eine Ladung, deren Vorzeichen der des geriebenen Stabes entgegengesetzt ist.

Besonders schön erkennt man den Vorgang der elektrischen Influenz bei folgendem Versuch mit dem Becherelektroskop. Führt man in den Becher des Elektroskops eine positiv geladene Kugel ein, ohne die Wandung des Bechers zu berühren, so entsteht auf der Innenwand des Bechers eine der Ladung der eingeführten Kugel entgegengesetzte, aber gleich große Menge Influenzelektrizität. Gleichzeitig wird auf der Außenseite des Bechers eine entsprechende Menge positiver

30

I. Kapitel. Elektrostatik

Influenzelektrizität frei, die sich auch dem Elektroskop mitteilt (Abb. 41). Führt man die Kugel aus dem Becher heraus, so vereinigen sich die beiden influenzierten Elektrizitätsmengen wieder, und der Ausschlag des Elektroskops geht auf Null zurück. Berührt man aber mit der Kugel die Innenseite des Bechers, so gleichen sich die positive Ladung der Kugel und die auf der Innenseite des Bechers sitzende negative Elektrizität aus, und man zieht die Kugel völlig ungeladen aus dem Becher heraus. Die auf der Außenseite des Bechers sitzende positive Influenzelektrizität bleibt dann zurück und erzeugt am Elektroskop einen Ausschlag, der von derselben Größe ist wie vorher, als sich die Kugel frei im Innenraum des Bechers befand. Es läßt sich also mit einem Becherelektroskop eine Ladung messen, ohne daß man diese auf das Elektroskop selbst überträgt. Dies ist besonders dann von Wichtigkeit, wenn die Ladung nicht auf einem Leiter, sondern auf einem Isolator sitzt, von dem sie sich nur sehr schwer abstreifen läßt. Man kann nach F a r a d a y noch weitergehen und in dem Becher des Elektroskops einen zweiten

l

A

kleineren Becher einsetzen, der durch untergelegte Bernsteinstücke gegen den ersten Becher isoliert ist (Abb. 41). Wird eine positiv geladene Kugel in den inneren Becher eingeführt, so erzeugt die Ladung der Kugel auf dessen Innenseite einen entsprechenden Betrag negativer Influenzelektrizität und auf seiner Außenseite eine gleich große Menge positiver Elektrizität. Letztere erregt dann auf der Innenseite des äußeren Bechers wieder gleichviel negative Elektrizität und stößt nach der Außenseite eine entsprechende Menge positiver Elektrizität ab. Bringt man die Kugel in Berührung mit dem inneren Becher, so gleicht sich ihre Ladung mit der negativen Influenzladung auf der Innenseite des Bechers aus, und es bleiben nur die positive Ladung auf der Außenseite des inneren Bechers und die beiden Influenzladungen auf dem äußeren Becher übrig. Hebt man dann den inneren Becher mit einem isolierten Griff aus dem großen Becher heraus, so wird der äußere Becher wieder unelektrisch. Berührt man aber beim Herausnehmen mit dem inneren Becher die Innenseite des äußeren, so bleibt nur die auf der Außenseite des letzteren sitzende Ladung erhalten. Abb. 41 und 42. Zum Nachweis der Influenz mit dem Pecherelektroskop

Zum Schluß möge nochmals darauf hingewiesen werden, daß ein in einem elektrischen Feld befindlicher, mit der Erde verbundener Leiter infolge der Influenz eine Ladung trägt und trotzdem das Potential Null der Erde besitzt, während z.B. ein isoliert aufgestellter Leiter in einem elektrischen Feld ein bestimmtes Potential hat, obwohl die resultierende Ladung auf ihm Null ist. 10. Anwendungen der Influenz: Doppelplatte, Potentialsonden, Elektrophor Die elektrische Influenz kann zur Ausmessung elektrischer Felder mittels der sogenannten D o p p e l p l a t t e dienen. Diese bestehen aus zwei gleich großen dünnen Metallscheiben, die (Abb. 43) an isolierenden Handgriffen befestigt sind. Die beiden Scheiben werden aufeinander gelegt und an die zu untersuchende Stelle des elektrischen Feldes gebracht. In Abb. 44 ist der Fall skizziert, daß die Kraftlinien die Platten senkrecht treffen. Dadurch wird auf der einen Plattenseite positive, auf der anderen eine gleich große negative Influenzladung erregt. Abb. 43. Elektrische Doppelplatte

Trennt man die beiden Platten

r

Abb. 44. Doppelplatte in einem elektrischen Feld, dessen Kraftlinien die Platten senkrecht treffen

10. Anwendungen der Influenz: Doppelplatte, Potentialsonden, Elektrophor

31

noch im Feld, so kann man die Größe der Influenzladung an einem Elektroskop messen und damit auf die Stärke des Feldes an der betreffenden Stelle zurückschließen. Ändert m a n die Stellung der Doppelplatte in einem gegebenen elektrischen Feld, so findet man, daß die stärkste Erregung von Influenzelektrizität dann auftritt, wenn die Platten — wie im obigen Fall — senkrecht zur Feldrichtung stehen. Liegen die Platten parallel zur Feldrichtung, wie es die Abb. 45 zeigt, so werden auf j e d e r Platte gleiche Mengen entgegengesetzter Ladungen influenziert. Diese __ vf _ heben sich auf beiden Platten auf, sobald diese aus dem ~ ; -j^ • Feld herausgenommen werden. F ü h r t man ferner die VerVtA suche mit Platten verschiedener Größen und an verschie_ ' '" "" "' _ denen Stellen des Feldes aus, so ergibt sich, daß die influenzierten Elektrizitätsmengen sowohl der Größe der Abb. 45. Doppelplatte in einem elekPlatten als auch der Stärke des Feldes proportional sind. Bezeichnen wir mit F die Plattenoberfläche, mit Je einen noch zu bestimmenden Proportionalitätsfaktor und mit (£„ die zur Plattenfläche normale Feldkomponente, so ist der Absolutbetrag der auf jeder Platte influenzierten Elektrizitätsmenge qi durch die Beziehung gegeben: qi = lcF&n, oder, da nach Gl. (7) F{£„ = Φ„, dem durch die Plattenfläche tretenden elektrischen K r a f t f l u ß i s t : qt = M V Um die Konstante k zu bestimmen, beachten wir, daß nach dem Gaußschen Satze Gl. (8) der von einer Ladung q ausgehende Kraftfluß gleich 4nq ist; damit wird ]c =

also: 4,-t

(22)

e„. 4π 4π Man kann die Doppelplatten offenbar zu einer Messung von Cr benutzen. Weist nämlich die Plattennormale in die Richtung des zu messenden Feldes — erkennbar daran, daß die maximale Elektrizitätsmenge qi auf ihnen influenziert wird —, so wird durch das Plattenpaar der Verlauf der K r a f t linien und das zu messende Feld in keiner Weise geändert, da in diesem Falle die (ε-Linien nach Einbringen der Platten von vornherein die Bedingung erfüllen, senkrecht auf den Plattenebenen zu stehen. Die Richtung des Feldes stimmt darum also mit der der Plattennormale, genommen von der positiven zur negativen Ladung, überein. Der Betrag von © ergibt sich aus Gl. (22) zu: (22a)

| © |

=

r womit die Feldstärke also nach Größe und Richtung vollständig bestimmt ist. Damit haben wir eine ganz andersartige Methode zur ©-Bestimmung vor uns. Bisher geschah dies durch Feststellung der ponderomotorischen K r a f t des Feldes auf die positive Einheitsladung; nunmehr kann es auch durch die Influenzwirkung des Feldes geschehen. Daß diese beiden Möglichkeiten vorhanden sind, beruht auf der doppelten Eigenschaft einer elektrischen Ladung, sowohl A n g r i f f s p u n k t des Feldes als auch Q u e l l e desselben zu sein. Die erste Eigenschaft n ü t z t m a n aus, wenn man in der bisherigen Art die Kraft auf die Einheitsladung mißt, die zweite liegt der eben dargelegten Meßmethode zugrunde. — E s sei schon hier darauf hingewiesen, daß die Gleichwertigkeit der beiden Methoden zur ©-Bestimmung eine gewisse Abänderung erfährt, wenn das Feld nicht im Vakuum, sondern in einem beliebigen isolierenden Medium existiert (vgl. Nr. 14). Um in einem elektrischen Feld das Potential eines Punktes gegenüber einem Bezugspunkt (ζ. B. der Erdoberfläche) zu messen, bringt man an die betreffende Stelle des Feldes eine metallische S ο η d e, die mit einem Elektroskop verbunden ist. Auf dem Leitersystem Sonde-VerbindungsdrahtElektroskop werden dann durch das elektrische Feld Ladungen influenziert. R ü h r t ζ. B. das Feld von einer positiven Elektrizitätsmenge her, so wird sich an der Sonde eine negative Influenzladung

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I. Kapitel. Elektrostatik

ansammeln. Das Potential der Sonde wird also einen Wert annehmen, der zwischen Null und dem zu messenden Potential des Feldes liegt, so daß zwischen Sonde und dem Feld an der Stelle der Sonde eine Potentialdifferenz entsteht. Man muß also die an der Sonde angesammelte Influenzelektrizität so weit entfernen, daß das Potential der Sonde gleich dem Potential des betreffenden Feldpunktes ist. Dies läßt sich mit Hilfe besonderer Sondenausführungen erreichen. Bei dem Tropfkollektor besteht die Sonde aus einem kleinen mit Wasser gefüllten Metallgefäß; aus einer im Gefäß befindlichen Öffnung tropft Wasser aus und die fallenden Tropfen nehmen solange elektrische Ladungen mit fort, bis der Überschuß der Influenzladung auf der Sonde beseitigt ist und diese das Potential des Feldes angenommen hat. In ähnlicher Weise arbeitet auch die Flammensonde; sie besteht aus einer kleinen Gas- oder Kerzenflamme, die durch einen in die Flamme geführten Draht mit dem Elektroskop verbunden wird. Wie wir später noch näher erläutern werden, bilden sich in der heißen Flamme kleinste positive und negative Elektrizitätsträger (Ionen), die ähnlich wie die Wassertropfen die überschüssige Ladung von der Sonde wegführen. Gelegentlich bringt man auch auf der Sonde eine radioaktive Substanz an, die ebenfalls ElekΜ trizitätsträger zum Wegführen - - I I - - - / P der Influenzladung von der j ± : *- 4- -t- + + +> L/ / P Sonde liefert. Auf dem Vorgang der elekAbb. 46. Elektrophor in Ansicht (a) und Querschnitt (b) trischen Influenz beruht ferner der E l e k t r o p h o r , ein einfacher Apparat zur Erzeugung größerer Elektrizitätsmengen; er wurde bereits 1762 von J.C. W i l c k e erfunden und 1775 von A. V o l t a verbessert. Er besteht aus einer Hartgummiplatte Η (Abb. 46a), die auf einem Metallteller Ρ liegt oder auf der unteren Seite mit Stanniol beklebt ist. Auf der Hartgummischeibe liegt eine etwas kleinere Metallplatte M, die in der Mitte mit einem isolierenden Griff versehen ist. Die Hartgummiplatte wird zunächst durch Reiben mit einem wollenen Tuch oder einem Fell negativ elektrisch gemacht. Sodann wird die Metallplatte auf die Hartgummiplatte aufgesetzt. Die auf dem Hartgummi sitzende negative Elektrizität erzeugt nun auf der Unterseite von Μ eine gleich große positive und auf der Oberseite von Μ eine ebenso große negative Influenzladung (Abb. 46b). Berührt man mit der Hand die Oberseite von M, so wird die negative Ladung zur Erde abgeleitet. Hebt man jetzt die Platte Μ mittels des isolierenden Griffes von der Hartgummiplatte ab, so enthält sie nur noch die positive Influenzladung. Man kann diesen Vorgang beliebig oft wiederholen, ohne daß sich der elektrische Zustand der Hartgummiplatte ändert; denn es wird stets nur die auf der Metallplatte influenzierte Ladung gewonnen. Selbstverständlich ist zur Gewinnung dieser Ladung eine bestimmte Arbeitsleistung erforderlich, die darin besteht, daß man beim Abheben der positiv geladenen Metallplatte die anziehenden Kräfte zwischen der negativen Ladung auf der Hartgummiplatte und der positiven Ladung auf der Metallplatte überwinden muß. Die Größe dieser anziehenden Kräfte kann man nachweisen, wenn man die Metallplatte an einer Waage so aufhängt, daß sie im ausbalancierten Zustand gerade auf der Hartgummiplatte aufliegt. Bevor man die negative Elektrizität von der Oberseite der Metallplatte zur Erde ableitet, genügt bereits ein kleines Übergewicht auf der anderen Waagschale, um die Platte von der Hartgummischeibe zu trennen. Hat man aber die negative Ladung zur Erde abgeleitet, so daß die Metallplatte nur noch die positive Ladung trägt, so ist ein beträchtlich größeres Gewicht zum Abheben erforderlich. Man kann die Frage aufwerfen, wieso es kommt, daß zwischen der negativen Ladung auf der Hartgummiplatte und der auf der Unterseite der Metallplatte influenzierten positiven Ladung kein direkter Ausgleich erfolgt, so daß der beschriebene Versuch nur einmal ausführbar und jedesmal ein erneutes Reiben der Hartgummischeibe erforderlich wäre. Der Grund hierfür liegt darin, daß zwischen der Metallplatte und der Hartgummiplatte eine wirkliche Berührung nur an wenigen Punkten erfolgt. Da Hartgummi ein Isolator ist, kann demnach ein Austausch der Elektrizität nur an diesen wenigen Punkten stattfinden.

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11. Anwendungen der Influenz: Kondensatoren

Auch bei den I n f l u e n z m a s c h i n e n , die zur Erzeugung größerer Elektrizitätsmengen dienen, und auf die wir ausführlich im Abschn. 15, S. 68 zurückkommen, spielen die Erscheinungen der Influenz eine wichtige Rolle. Schließlich sollen noch einige Erscheinungen besprochen werden, die wir zwar schon kennengelernt haben, deren exakte Deutung aber nur mittels der Influenzvorgänge möglich ist. Gleich zu Anfang, S. 1, erwähnten wir, daß ungeladene Körper (ζ. B. eine leichte Metallkugel, die an einem Faden aus Seide aufgehängt ist), von einem elektrischen Körper, ζ. B. einem geriebenen Hartgummistab, angezogen werden. Wir wissen aber anderseits, daß anziehende Kräfte nur zwischen elektrischen Ladungen auftreten können. Dieser scheinbare Widerspruch erklärt sich dadurch, daß die Kugel in dem elektrischen Feld des Hartgummistabes zu einem elektrischen Dipol (S. 24) wird (Abb. 47); auf der dem Stab zugewandten Seite der Kugel sammelt sich eine positive Influenzladung, auf der abgewandten Seite eine negative Ladung an. Erstere wird von der Ladung auf dem Stab angezogen, letztere abgestoßen. Da die negative Ladung aber etwas weiter vom Stab entfernt ist, überwiegt die Anziehung zwischen der positiven Influenzladung und der negativen Ladung des Stabes. In dieser Weise spielt sich die Erscheinung ab, wenn die Kugel an einem isolierenden Faden, ζ. B. Seide, aufgehängt ist. Hängt sie aber an . Abb. 47. einem Leinenfaden oder an einem dünnen Draht, so sammelt sich einer isoliert nur positive Elektrizität in der Kugel an und die entsprechende Anziehung aufgehängten Metallkugel Menge negativer Elektrizität wird zur Erde abgeleitet. Die anzie- durch einen geriebenen hende Kraft zwischen Kugel und geriebenem Hartgummistab ist inHartgummistab folgedessen größer. Bei diesen Versuchen ist das von dem geriebenen Hartgummistab erzeugte Feld ein inhomogenes Feld. Nur in einem solchen Feld findet eine Bewegung der Kugel nach den Stellen wachsender Feldstärke statt. In einem homogenen Feld ζ. B. zwischen zwei entgegengesetzt geladenen ebenen Platten (Abb. 23) findet dagegen auf einer ungeladenen Kugel keinerlei Kraftwirkung statt, wie man sich leicht an dem in Abb. 39 gezeichneten Kraftlinienbild klarmacht. Schließlich gehört auch noch die Saugwirkung von Spitzen hierher. Stellt man entsprechend Abb. 48 einen geladenen Konduktor Α einem ungeladenen Β gegenüber, der eine nach Α gerichtete Spitze besitzt, so zeigt Β nach Entfernung von Α eine Ladung, deren Vorzeichen mit dem der Ladung auf Α übereinstimmt. Dies erklärt sich ebenfalls durch den Vorgang der elektrischen Influenz. Ist ζ. Β. Α positiv geladen,so erzeugt das Feld von Α auf Β zwei Influenzladungen. Die negative Influenzladung sammelt sich in der Spitze an und strömt bei genügender Dichte aus dieser aus, so daß ein Überschuß von positiver Elektrizität zurückbleibt, auch wenn Α entfernt wird. Da es den Anschein hat, als ob die Spitze diese Ladung von dem Konduktor A abgesaugt habe, bezeichnet man diese Erscheinung als Saugw i r k u n g der Spitze. Abb. 48. Saugwirkung einer Spitze

11. Anwendungen der Influenz: Kondensatoren Eine besonders wichtige Anwendung der Influenz besteht in der Möglichkeit, mit ihrer Hilfe große Kapazitäten zu erhalten. Dies ist eine praktische Notwendigkeit; denn wegen der begrenzten Isolationsfähigkeit der Luft kann man das Potential eines Konduktor nicht beliebig steigern ohne daß die Luft ein Leitvermögen erhält. Deshalb muß man das Potential des Leiters und damit die an seiner Oberfläche herrschende Feldstärke hinreichend klein halten, d. h. dem Leiter eine große Kapazität geben. 3 Experimentalphysik II

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I. Kapitel. Elektrostatik

Man kann das gewünschte Ziel auf folgende Weise erreichen: Nähert man einem geladenen, mit einem Elektroskop verbundenen Leiter einen zweiten ungeladenen isolierten Leiter, so beobachtet man, daß der Ausschlag des Elektroskops um so stärker abnimmt, je näher der zweite Leiter an den ersten heranrückt. Erdet man den herangebrachten Leiter oder nähert auch nur die Hand, so geht der Ausschlag des Elektroskops noch weiter zurück; wird der Leiter (die Hand) wieder entfernt, nimmt der Ausschlag seinen alten Wert an. Da das Elektroskop das Potential anzeigt und bei dem geschilderten Versuch die Ladung unverändert bleibt, muß nach Gl. (21) bei Annäherung des zweiten Leiters die Kapazität des ersten vergrößert worden sein. Die Erklärung dafür ist folgende: Der geladene Leiter erzeugt auf dem genäherten ungeladenen Influenzladungen, und zwar auf der ihm zugewandten Seite mit entgegengesetztem und auf der ihm abgewandten Seite mit gleichem Vorzeichen. Die Influenzladungen erzeugen aber ihrerseits um sich herum elektrische Felder, die das Potential des geladenen Leiters verändern. Und zwar erniedrigt sich dies Potential, da die Influenzladung entgegengesetzten Vorzeichens Abb. 49. Veränderlicher Plattenkondensator sich stets näher an dem geladenen Leiter befindet, als die von gleichem Vorzeichen. Wird letztere überdies zur Erde abgeleitet, so bleibt nur die Wirkung der Influenzladung von entgegengesetztem Vorzeichen übrig, und die Folge ist, daß eine besonders große Potentialerniedrigung auf dem geladenen Leiter eintritt. Sehr deutlich lassen sich diese Vorgänge bei plattenf örmigen Leitern übersehen, die sich mit ihren Flächen einander sehr nahe bringen lassen (Abb. 49). Die beiden isolierten Metallplatten, die auf einer horizontalen Schiene gegeneinander verschiebbar sind, werden zunächst möglichst weit von einander entfernt, eine von ihnen mit einem Elektrometer verbunden und auf ein bestimmtes Potential aufgeladen. Nähert man nun die andere ungeladene, zunächst noch isolierte Platte der geladenen bis auf einige Millimeter, so geht der Elektrometerausschlag zurück. Erdet man die genäherte Platte, so verschwindet der Ausschlag fast vollständig, um bei Entfernung der Platten voneinander wieder den alten Wert anzunehmen. Sehr instruktiv ist folgender Gegenversuch: Lädt man die verschiebbare zweite Platte mit gleichnamiger Ladung wie die erste auf, so tritt beim Zusammenschieben der beiden Platten eine Erhöhung des Potentials auf der ersten Platte ein, da sich in diesem Falle Potentiale gleichen Vorzeichens überlagern; hier wird, umgekehrt wie vorher, die Kapazität verkleinert. Wenn bei Annäherung der geerdeten Platte das Potential V der geladenen Platte auf den n-ten Teil absinkt, also den Wert V/n annimmt, so ist die Kapazität der Anordnung auf den w-faclien Betrag gestiegen, und man muß zur Erreichung des ursprünglichen Potentials V der geladenen Platte die n-fache Elektrizitätsmenge zuführen. Eine solche Vorrichtung, die aus zwei einander gegenüberstehenden Leitern besteht, heißt ein Kondensator, da man sie dazu benutzt, um elektrische Ladungen in größeren Mengen anzu-

^ ^ gQ Kraftlinienverlauf in einem Plattenkondensator

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11. Anwendungen der Influenz: Kondensatoren

sammeln (zu „kondensieren"), ohne daß das Potential zu hohe Werte annimmt. Abb. 49 stellt die einfachste Form eines P l a t t e n k o n d e n s a t o r s dar (R. K o h l r a u s c h , 1847). Die Größe seiner Kapazität C hängt sowohl von den Dimensionen der Plattenfläche F wie auch von dem Plattenabstand d ab. Um C zu berechnen, betrachten wir den Kraftlinienverlauf in einem solchen Kondensator. Er ist in Abb. 50 gezeichnet und wurde bereits in der früheren Abb. 23 experimentell sichtbar gemacht. Die überwiegende Mehrzahl aller Kraftlinien verläuft zwischen den beiden Platten senkrecht zur Plattenoberfläche, nur am Rande laufen einige außen herum. Von diesen wollen und können wir absehen, wenn wir die Plattenoberfläche groß gegenüber dem Plattenabstand nehmen. Bezeichnen wir mit η die auf der geladenen Platte befindliche Flächendichte, so ist die Feldstärke im Inneren des Kondensators —- | 6 [ = 4πη; denn 4πη stellt die je Flächen-

V1 -V2 — , wenn Vi d V1 -V2

einheit austretende Kraftlinienzahl dar! Anderseits ist nach Gl. (16b): | 6 j =

und V2 die Potentiale auf den beiden Platten sind. Daraus folgt 4πη = - ^ . Erweitern wir beide Seiten mit der Plattenfläche F, so ist, da ηΡ die auf der Platte befindliche Ladung g darstellt:

V -V 4πηΡ = 4nq • _L2 F. Nun ist aber nach Definition Gl. (21) die Kapazität gleich derjenigen Ladung, die die Potentialdifferenz 1 hervorbringt. Setzen wir also in vorstehender Gleichung —V 2 = 1, so wird q= C, mithin: (23)

Cputtenkond.

= 4 7td

, Clll,

in Worten: Die K a p a z i t ä t eines P l a t t e n k o n d e n s a t o r s ist der Oberfläche d i r e k t und dem P l a t t e n a b s t a n d u m g e k e h r t p r o p o r t i o n a l . Wie man sofort sieht, erhält man G in cm, wenn man F in cm 2 und d in cm mißt.

Abb. 51. Franklinsche Tafel in Aufsicht (a) und Längsschnitt (b)

(Gl. 23) gilt nur in Annäherung, da, wie bereits erwähnt, bei der Ableitung die am Rande des Kondensators verlaufenden Kraftlinien vernachlässigt wurden. Eine strengere Berechnung liefert eine etwas größere Kapazität, als Gl. (23) angibt.

Abb. 52. Leidener Flasche a) ältere Ausführung b) moderne Form

Eine ältere (unveränderliche) Ausführung des Plattenkondensators ist die Franklinsche Tafel (Abb. 51). Sie besteht aus einer Glasplatte, die auf beiden Seiten mit einem Stanniolbelag versehen ist, der den Rand der Glasplatte etwa handbreit frei läßt. (Auf den spezifischen Einfluß des Glases, das wir hier nur als isolierenden Träger für die beiden Metallbeläge betrachten, gehen wir in Nr. 14 ein.) Eine viel benutzte Form eines Kondensators ist die L e i d e n e r F l a s c h e , die unabhängig von G . v o n K l e i s t (1745)und C u n ä u s in Leiden (1746) erfunden wurde; sie besteht aus einem zylindrischen Glasgefäß (Abb. 52 a), das auf der Innen- und Außenseite bis etwa handbreit vom oberen Rande mit Stanniol beklebt ist. (Auch hier betrachten wir das Glas vorläufig nur als Gerüst zur Trennung des äußeren und inneren Metallbelages.) Die Zuführung zur inneren Belegung geschieht durch eine oben mit einer Kugel versehenen Metallstange, die durch

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I. Kapitel. Elektrostatik

ein paar federnde, im Innern des Gefäßes anliegende Metallstreifen gehalten wird. Die Flasche wird geladen, indem man die innere Belegung mit der Elektrizitätsquelle verbindet und die äußere zur Erde ableitet. Abb. 52 b zeigt eine moderne Form einer Leidener Flasche, bei der die beiden Belege aus elektrolytisch aufgebrachten Kupferschichten bestehen. Eine andere Kondensatorform ist der K u g e l k o n d e n s a t o r . Dieser besteht (Abb. 53) aus zwei konzentrischen leitenden Kugelflächen mit den Radien r; und ra. Der inneren Kugel wird mittels eines dünnen, durch die äußere Kugel isoliert durchgeführten Drahtes eine Ladung erteilt, die äußere ist mit der Erde leitend verbunden. Da die Kraftlinien nur im Raum zwischen den Kugelflächen verlaufen, läßt sich hier die Kapazität streng berechnen. Führt man der inneren Kugel die Ladung q zu, so erzeugt deren Feld auf der Innenseite der äußeren Kugel eine Influenzladung — q. Diese Influenzladung ruft im ganzen Räume zwischen den Kugeln ein überall konstantes Potential Va = —q/r a hervor, das sich dem Oberflächenpotential der inneren Kugel F ; =