Landschaft und Atmosphäre: Künstlerische Übersetzungen 9783839439043

Landscaping esthetics in the relation between nature and culture: What effects does landscaping have on the human condit

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Landschaft und Atmosphäre: Künstlerische Übersetzungen
 9783839439043

Table of contents :
Inhalt
Danksagung
Landschaften im Wandel
1. Atmosphären in der Landschaftsästhetik
2. Atmosphären erleben
3. Atmosphären prägen
4. Eine Heuristik der Atmosphären
5. Dokumentation der künstlerischen Arbeit
6. Einordnen der künstlerischen Forschungsarbeiten
7. Diskussion der Ergebnisse und Schlussfolgerungen
8. Abschlussfazit
Literatur

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Marie Ulber Landschaft und Atmosphäre

Image | Band 117

Marie Ulber (PhD), geb. 1982, forscht zu Atmosphären im Kontext von Landschaft, Architektur und Kunst. Als freie Dozentin gibt sie interdisziplinäre Kurse für Architektur- und Kunststudierende an Hochschulen im In- und Ausland und ist zudem als freiberufliche Farbdesignerin und Künstlerin tätig.

Marie Ulber

Landschaft und Atmosphäre Künstlerische Übersetzungen

Zugl. Ph.D.-Arbeit an der Fakultät Gestaltung (Promotionsstudiengang Kunst und Design) der Bauhaus-Universität Weimar 2015.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2017 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Alle Abbildungen und künstlerischen Werke im Buch: © Marie Ulber Umschlagkonzept: Marie Ulber Umschlagabbildung: Marie Ulber, »Horizonte«, Insel Hiddensee, 2013 (Ausschnitt) Satz: Marie Ulber Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-3904-9 PDF-ISBN 978-3-8394-3904-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Danksagung | 9



Landschaften im Wandel | 11

1.

Atmosphären in der Landschaftsästhetik | 15

1.1 1.2 1.3 1.4 1.5

Landschaft | 16 Ästhetik | 21 Landschaftsästhetik | 24 Atmosphäre | 26 Fazit zur Einführung | 30

2.

Atmosphären erleben | 33

2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6 2.7

Befinden als Zugang zur Welt | 34 Leib als Zugang zum Raum | 35 Leibliche Kommunikation | 38 Gelebter Raum | 40 Atmosphären erleben | 43 Atmosphären bemerken | 45 2.5.1 Atmosphären in Bewegung erleben | 47 2.5.2 Über Atmosphäre(n) sprechen | 48 Eigenleibliche Reflexion als Potenzial | 49 Fazit zum Erleben von Atmosphären | 52

3. 3.1 3.2 3.3 3.4

4. 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5

Atmosphären prägen | 53 Charaktere von Atmosphäre(n) | 54 Prägung der Atmosphäre | 57 3.2.1 Massive Ebene mit räumlicher Struktur | 57 3.2.2 Mobile Ebene mit Menschen, Dingen und Lebewesen | 62 3.2.3 Ephemere Ebene mit Atmosphärischem | 64 3.2.4 Zusammenwirken in der Atmosphärenprägung | 66 Atmosphärenprägung natürlicher und urbaner Landschaften | 68 Fazit zur Prägung des Atmosphärencharakters | 69

Eine Heuristik der Atmosphären | 71 Atmosphären untersuchen | 71 Künstlerische Forschung | 74 Kunst und Landschaft | 75 Künstlerische Arbeit zu landschaftlichen Atmosphären | 81 4.4.1 Rahmen und Vorgehen | 81 4.4.2 Vier künstlerische Mittel | 83 4.4.3 Präsentation | 86 Atmosphären übersetzen im Fazit | 87

5.

Dokumentation der künstlerischen Arbeit | 89

5.1 5.2 5.3 5.4 5.5 5.6

Steilküste | 92 Wald | 102 Neuendorf | 113 »Unterwegs« | 124 Historischer Friedhof | 139 Innenstadt | 149

6. Einordnen der künstlerischen Forschungsarbeiten | 161 6.1 6.2 6.3 6.4

Besprechung der künstlerischen Arbeiten | 161 Qualitäten landschaftstypischer Atmosphären | 178 Landschaftliche Atmosphären im Vergleich | 186 Fazit zur Einordnung der künstlerischen Arbeit | 188

7.

Diskussion der Ergebnisse und Schlussfolgerungen | 189

7.1 Erkenntnisse zu Atmosphären | 190 7.2 Diskussion der Ergebnisse zu urbanen und natürlichen Atmosphären | 195 7.3 Schlussfolgerungen und Ausblick | 201 7.4 Fazit zum Ergebnisteil | 206

8. Abschlussfazit | 209

Literatur | 217

Für die Insel Hiddensee

D anksagung Der Biologischen Station Hiddensee der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald gilt mein großer Dank für die Integration meiner Ph.D.-Arbeit in ihre Forschungsstrukturen. Im Besonderen danke ich der Leiterin PD Dr. habil. Irmgard Blindow für ihre Mentorinnentätigkeit sowie dem Mitarbeiterteam der Forschungsstation für vielfältige Unterstützungen. Ich danke Prof. Dipl.-Ing. Dipl.-Des. Bernd Rudolf von der Bauhaus-Universität Weimar für die Betreuung und Begutachtung der künstlerischen Arbeit sowie Prof. Dr. em. Olaf Weber für die Betreuung des theoretischen Teils. Ebenso danke ich Prof. Dr. Alexander Thumfart von der Universität Erfurt für sein stets hilfreiches Feedback zu meiner Forschungsarbeit. Für die Begutachtung der Dissertation bedanke ich mich bei Prof. Dr. Christiane Heibach von der Universität Regensburg. Ich danke ganz herzlich meiner Familie für ihre mentale Unterstützung und die Publikationsförderung. Für ihr Korrekturlesen bedanke ich mich ausdrücklich bei Elke Ulber, Dr. Christiane Wolff, Dr. Marianne Hübel und Caroline Rudloff. Mein großes Dankeschön für den Auf bau der Ausstellungen gilt Paula Ott, Christiane Löffler, Elisabeth Murzik, Lothar Spengler, Eveline Düker und Johannes Glemnitz. Für den wertvollen künstlerischen Gedankenaustausch und emotionalen Beistand durch alle Phasen der Doktorarbeit danke ich ganz herzlich meinen Freundinnen Jessica Siegel und Marlene Worschech. Ich bedanke mich liebevoll bei meinem wunderbaren Lebenspartner Johann Wolff für seine wohlwollende Begleitung, anhaltende Unterstützung und Lebensfreude. Die Dissertation wurde freundlicherweise unterstützt mit einem Promotionsstipendium der Thüringer Graduiertenförderung und einem Stipendium der Chancengleichheit für Künstlerinnen. Zudem wurden zwei Ausstellungen vom Frauenförderfonds der Bauhaus-Universität Weimar unterstützt. Marie Ulber, Januar 2017

Die im Text verwendete männliche Form impliziert gleichermaßen die weibliche und dient lediglich der einfacheren Lesbarkeit.

Landschaften im Wandel

Landschaften wandeln sich. Dies liegt in ihrer Natur. Der natürliche Prozess von Wachsen und Vergehen, Veränderungen im Tages- und Jahresverlauf und die aktuelle Wetterlage sind einige Gründe für deren stetigen Wandel. Die anthropogenen Nutzungen für Agrarwesen, Forst, Energie oder Infrastruktur verändern die Landschaften ebenfalls. Werden sie bebaut, und das urbane Gefüge breitet sich aus, werden Landschaften langfristig umgestaltet. Städte wachsen an den Rändern mit Neubau-, Industrie- und Gewerbegebieten, sie verbinden sich mit umliegenden Dörfern, welche wiederum erweitert werden. Im Gegenzug verschwinden natürlich geprägte und landwirtschaftlich genutzte Landschaften. Zudem beeinflusst der Klimawandel Landschaften durch plötzlich auftretende Extremwetterlagen und stetigen Temperaturanstieg. Dabei gehen Lebensräume für Tiere und Pflanzen verloren, aber auch wichtige Erfahrungsräume für die Menschen. Neben dem Wandel der Landschaften verändert sich die Wahrnehmung der Menschen im Umgang mit beständig weiterentwickelten Techniken und Medienformen. Ebenso verschiebt sich das Leben in die urbane Landschaft. Ein Großteil der Bevölkerung in Europa lebt heute in Städten oder Dörfern. Hier wohnen und arbeiten Menschen, erledigen Besorgungen, kaufen ein und besuchen Parks. Landschaften außerhalb des urbanen Gefüges werden meist mit dem Zug oder Auto durchfahren. Ein alltäglicher Aufenthalt in einer natur-nahen Landschaft ist selten. In der heutigen Zeit können Generationen heranwachsen, welche das urbane Gefüge kaum verlassen. Daher stellt sich die Frage, ob Menschen natürlich geprägte Landschaften noch brauchen, wenn urbane Umgebungen scheinbar alle Bedürfnisse befriedigen? Wie erleben Menschen heute großräumige natur-nahe und ungenutzte Landschaften, wie beispielsweise den Strand, die Steilküste, den Wald oder die Berge?

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Landschaf t und Atmosphäre

Ausgehend von zunehmender Urbanisierung und Medialisierung untersucht die vorliegende Arbeit, wie Menschen verschieden gestaltete Landschaften heute erleben. Dabei unterliegt der Arbeit die These, dass natürliche, weitestgehend natur-nahe und gegebenenfalls klug renaturierte Landschaften in Anbetracht des wachsenden urbanen Gefüges an Bedeutung gewinnen, da sie wichtige Erfahrungsräume für Menschen darstellen. Persönliche Erlebnisse sprechen dafür, dass Landschaften Menschen in ihrem Wohlbefinden erheblich beeinflussen und dies je nach Landschaftsform sehr unterschiedlich. In der Literatur finden sich dafür keine hinreichenden Erklärungen, denn diese konzentriert sich nahezu ausschließlich auf die Perspektive des wahrnehmenden Menschen und stellt fest, dass sich mit der menschlichen Einstellung auch die Wahrnehmung der Umgebung ändert. Dies zeigt beispielsweise Elisabeth Strö­ker­ anschaulich mit dem »gelebten Raum«, welcher als »gestimmter Raum«, als »Aktionsraum« und als »Anschauungsraum« differenziert untersucht wird (Ströker 1977, 22). Ebenso analysiert Martin Seel in seinem Buch »Eine Ästhetik der Natur« mit Kontemplation, Korrespondenz und Imagination drei subjektive Zugangsweisen zur Umgebung. Je nach aktueller Einstellung ist die Natur Raum menschlicher Betrachtungen, Ideen und Überlegungen. Dabei unbeantwortet ist hingegen die Frage, welchen Einfluss Landschaften ihrerseits auf Menschen haben. Dies merkt auch Rauh an: Die »Wechselwirkung von Befinden und Raum [ist] noch unzureichend erforscht« (Rauh 2012a, 260, Einf. d. Verf.). Dies ist nun eigentlich ein Thema der Landschaftsästhetik, wenn Ästhetik als alltägliche Wahrnehmung verstanden wird, welche berücksichtigt, wie es den Menschen in der aktuellen Wahrnehmungssituation geht. Die bisherige Land­ schafts­äs­thetik beschäftigt sich allerdings überwiegend mit dem Naturschönen und menschlichen Projektionen auf die Landschaft. Der Beitrag der Umgebung zum Landschaftserlebnis selbst bleibt wiederum weitgehend unberücksichtigt. Die Atmosphärentheorie bietet hier nun einen neuen und vielversprechenden Zugang. Atmosphären »sind Räume, insofern sie durch die Anwesenheit von Dingen, von Menschen oder Umgebungskonstellationen, d.h. durch deren Ekstasen, ›tingiert‹ sind« (Böhme 1995, 33, Herv. i. O.). Als solche räumlichen Wirkungsphänomene beeinflussen sie Menschen unterschiedlich. Atmosphären existieren überall, sie sind alltägliche Begleiter jeder Situation, beispielsweise bekannt als Gesprächsatmosphäre oder als ausgelassene Atmosphäre eines Festes, doch sie werden selten bewusst erlebt. Sie sind ein umgebendes Phäno-

Landschaf ten im Wandel

men, das »am eigenen Leib« erfahren wird. Atmosphären sind »[d]ieses Und, dieses zwischen beidem, dasjenige, wodurch Umgebungsqualitäten und [menschliches] Befinden aufeinander bezogen sind« (ebd., 23, Herv. i. O., Einf. d. Verf.). Genau dieser wechselseitig wirkenden Relation, ja diesen Interdependenzen wird in der vorliegenden Arbeit nachgegangen. Dafür werden ausgewählte Landschaften hinsichtlich ihrer Atmosphäre untersucht und miteinander verglichen, um über vielfältige Verbindungen, Vernetzungen, Einbettungen und Wechselwirkungen, die zwischen Mensch und »Welt« existieren und diesseits von rein kognitiv-konzeptuellen Erlebnisstrategien liegen, Aufklärung zu leisten. Denn letztlich geht es um jene Wirkungen, die Menschen in Landschaften von eben jenen Landschaften erfahren. Es ließe sich daher sagen, dass die Wirklichkeit einer Landschaft in ihrer Wirkung auf die Menschen besteht. Atmosphären werden in verschiedenen Disziplinen verhandelt, doch für eine Anwendung auf Landschaftserfahrungen müssen wichtige Zusammenhänge theoretisch fundiert und weiterentwickelt werden. Bezüglich des menschlichen Erlebens wird in dieser Arbeit der Frage nachgegangen, wie und weshalb Atmosphären das menschliche Befinden beeinflussen können (Kapitel 2). Darüber hinaus wird hier die These aufgestellt, dass Atmosphären auch die Art und Weise der Wahrnehmung sowie die Handlungen der Menschen beeinflussen können. In Fachdiskursen bislang weitgehend ungeklärt ist die Frage, wie Atmosphären ihren aktuellen Charakter erhalten, den die Menschen erleben. Gernot Böhme zufolge werden Atmosphären über »Ekstasen« der Umgebung erzeugt, dazu gehören »Farben, Gerüche und wie ein Ding tönt« aber auch »Ausdehnung und Form« (ebd., 33, Herv. i. O.). Da sich die Beiträge der Landschaften zur Atmosphäre nur bedingt ändern, unterliegt dieser Arbeit die These, dass Atmosphären bestimmten Formationen und Landschaften anhängen können. Ein Anliegen ist es, die Atmosphärenkonstitution systematisch zu entwickeln, mit dem Ziel, den Zusammenhang von Charakter, Wirkung und Erfahrbarkeit einer Atmosphäre zu klären sowie die Erschließung von landschaftlichen Atmosphären zu erleichtern (Kapitel 3). Mit dem neuem Atmosphärenverständnis soll eine hilfreiche Grundlage für zukünftige Gestaltungen geschaffen werden. Konkrete praktische Untersuchungen fanden in der Atmosphärenfor­ schung bislang kaum statt, daher fehlen geeignete Methoden, auf die zu­ rück­gegrif­fen werden kann. Es ist ein Anliegen der vorliegenden Ar­beit, die künstlerische Forschung als eine Methode für landschaftliche Atmo-

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Landschaf t und Atmosphäre

sphären zu entwickeln (Kapitel 4). Dafür werden verschiedene Kunstwerke und ihr Verhältnis zu Landschaften diskutiert und herausgearbeitet, dass Kunst sich eignet, Atmosphären zu begreifen und zu übersetzen. Unabhängig von der wissenschaftlichen Auseinandersetzung werden in dieser Arbeit ausgewählte landschaftliche Atmosphären künstlerisch erschlossen. Damit ist die Eigenständigkeit der künstlerischen Erkenntnisse gegenüber den theoretisch gewonnenen Einsichten gewährleistet. Die künstlerische Bearbeitung hat das Ziel, das Wesen der land­schaft­ lichen Atmosphären zu verstehen und die spezifischen Beiträge der Um­ ge­bung zum Atmosphärencharakter offenzulegen. Exemplarisch wer­den die Atmosphären von sechs Landschaften mit verschiedenen For­men und Nutzungen entschlüsselt. Auf der Insel Hiddensee in der Ost­see werden die Steilküste, der Wald auf dem Dornbusch und der Ort Neuen­ dorf bearbeitet, in Weimar der Historische Friedhof und die Innen­stadt. Die gefahrene Strecke zwischen Schaprode und Weimar wird mit »Unterwegs« berücksichtigt. Zu jeder landschaftlichen Atmosphäre gehören vier künstlerische Hinsichten: eine fotografische Serie, skizzenhafte Zeichnungen, gegossene Reliefe und ein phänomenologischer Ausflug. Die Arbeiten sind im Buch dokumentarisch abgebildet (Kapitel 5). Die künstlerische Forschung dient zunächst dem Erkenntnisgewinn. Zudem können die künstlerischen Arbeiten im Ausstellungskontext Aspekte der untersuchten landschaftlichen Atmosphären für die Besucher erfahrbar machen. Die gewonnenen Erkenntnisse aus der künstlerischen Arbeit werden ausgewertet, eingeordnet und diskutiert (Kapitel 6). Anliegen dieser Arbeit ist es, jeweils das Spezifische der landschaftlichen Atmosphäre zu erarbeiten und zu verstehen, wie Menschen sie erleben. Diese Erörterung bildet die Grundlage für den in der vorliegenden Arbeit angestrebten Vergleich der Landschaften hinsichtlich ihrer Wirkung auf und Bedeutung für die Menschen. In den Schlussfolgerungen werden für Nutzer, Gestalter und Planer von Landschaften konkrete Hinweise angestrebt, beispielsweise zur Bestimmung vorhandener Atmosphären oder zur Kontextualisierung gestalterischer Eingriffe (Kapitel 7). Zudem werden soziale, politische, künstlerische und individuelle Wege diskutiert, wie landschaftliche Atmosphären wahrzunehmen sowie nachhaltig zu gestalten und zu verändern sind. Angesichts zunehmender Verstädterung und Medialisierung ist die intensive Verschränkung von Gesellschaft und Natur von entscheidender Bedeutung für die belastbare Gestaltung nachhaltiger Lebensräume.

1. Atmosphären in der Landschaftsästhetik

Die Entwicklungen in der Landschaftstheorie, Ästhetik und Landschaftsästhetik verdeutlichen den neuartigen Untersuchungsansatz, welcher mit der Theorie der Atmosphären möglich ist. Der Einblick in ihre Diskurse sowie der aktuelle Forschungsstand zeigen offene Fragen auf und melden Forschungsbedarf an. Dieses Kapitel führt in die Thematik der Arbeit ein und klärt die Verwendung der Begriffe. Landschaftsästhetik setzt sich aus den Begriffen Landschaft und Ästhetik zusammen, welche in verschiedenen Disziplinen verhandelt werden. Die Erörterung des Landschaftsbegriffes bezieht sich auf ästhetische und kulturgeografische Diskurse. Landschaft setzt die Anwesenheit der Menschen voraus, sie besteht aus anthropogenen und natürlichen Elementen und verfügt über eine eigene Stimmung. Der Terminus wird gegen die Begriffe Natur und Umwelt abgegrenzt, sowie die Verwendung von Attributen wie natürlich und urban begründet. Ein Bestreben dieser Arbeit ist es, im Sinne von Böhme die Ästhetik als alltägliche Wahrnehmung der aktuellen Lebensumwelt wieder zu öffnen (vgl. Böhme 2001, 29). Die Ästhetik, von Baumgarten als sinnliche Erkenntnis begründet (1758/1973), verliert bald das menschliche Erleben aus dem Fokus und konzentriert sich auf Schönheit, Urteilsfindung und Kunstwerke. Ebenso beschränkt sich die Landschaftsästhetik auf landschaftliche Schönheit, auf menschliche Vorstellungen von sowie gedankliche Projektionen auf Landschaften. Weitestgehend unberücksichtigt sind bislang der Beitrag der Landschaft zum Erlebnis sowie die Menschen als leibliche Wesen. Die vorliegende Arbeit untersucht daher, wie verschieden gestaltete und genutzte Landschaften zum Landschaftserlebnis beitragen. Für diese Betrachtung dient die Atmosphärentheorie als Neuansatz. Die Atmosphären werden von Böhme als ästhetisches Konzept und als Erfahrungsphänomen in die Philosophie eingeführt (vgl. Böhme 1995, 34). Atmosphäre

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ist die räumliche Stimmungsqualität einer Situation, geprägt von Umgebung und Menschen gleichermaßen und wird von den Menschen leiblich erfahren. Atmosphären verbinden Menschen und Umgebung jederzeit und beschreiben ihre wechselseitige Wirkung. Im Verlauf der Arbeit wird das menschliche Erleben von Atmosphären erörtert (Kapitel 2) und das Zusammenspiel in der Prägung des Atmosphärencharakters erarbeitet (Kapitel 3). Das Atmosphärenkonzept wird theoretisch weiter fundiert, und das Verständnis von Atmosphären wird erweitert.

1.1 L andschaf t Der vielschichtige Terminus Landschaft wird in den diversen Disziplinen verhandelt und weist »ästhetische, territoriale, soziale, politische, öko­no­ mische, geografische, planerische, ethnologische und phi­lo­so­phische Be­ züge« auf (Kühne 2008, 13). Europas Landschaften sind von Menschen verschieden stark verändert worden, und die wenigen unberührten Gegenden werden als Natur bezeichnet. Der Terminus Landschaft beinhaltet dagegen die menschliche Präsenz, Gestaltung, Nutzung und Bebauung. Abzugrenzen ist ebenfalls der subjektzentrierte Terminus Umwelt, welcher verschiedene Einwirkungen auf Menschen beschreibt. Im Vergleich dazu ist Landschaft objektbezogener und wird als intersubjektiv erfahrbare Gegend mit spezifischen Eigenschaften und Charakteren verstanden. Etymologisch betrachtet stammt ›Land‹ aus dem Mittelhochdeutschen und bedeutet ›viel freies Land, Feld, Heide‹ und der Wortteil ›schaft‹ bezieht sich auf ›Beschaffenheit oder Zustand von etwas‹. Seiner Herkunft nach meint Landschaft zweierlei: eine politisch räumliche Zuordnung sowie den Gesamtcharakter eines Gebietes der Erde. Der Landschaftsbegriff wird im ästhetischen und im kulturgeo­gra­ fischen Diskurs verschieden entwickelt. Beide Ansätze sind relevant. Sie verweisen auf die Beziehung von Mensch und Umgebung. Die Aufzeichnung von Petrarcas Besteigung des Mont Ventoux 1335 zeigt, dass die­ser erstmalig eine Anstrengung unternommen hat, »einzig getrieben von der Begierde, die ungewöhnliche Höhe eines Ortes in unmittelbarer An­schau­ung kennenzulernen« (Petrarca o. J., in Ritter 1990, 24). Dies kann als Wendepunkt in der Geschichte verstanden werden: Die be­trach­ tete Gegend bleibt unverändert, nur der Mensch wendet sich ihr anders zu und erblickt Landschaft. Joachim Ritter schlussfolgert daraus: »Land-

Atmosphären in der Landschaf tsästhetik

schaft ist Natur, die im Anblick für einen fühlenden und empfindenden Betrachter ästhetisch gegenwärtig ist« (Ritter 1990, 31). Die Gegenden sind nicht von sich aus Landschaft, sondern »[s]ie werden dies erst, wenn sich der Mensch ihnen ohne praktischen Zweck in ›freier‹ genießender Anschauung zuwendet, um als er selbst in der Natur zu sein.« (Ebd., 31, Herv. i. O.) Dagegen versperrt die Abhängigkeit des Einzelnen vom landwirtschaftlichen Ertrag der Felder die Sicht auf Landschaft, und verengt den Blick auf ertragsrelevante Faktoren. Mit der Verdichtung der Städte im Mittelalter und ihrer Abgrenzung zu den umliegenden Feldern gehen eine Trennung von landwirtschaftlicher Erzeugung und Konsum sowie eine kontrastierte Wahrnehmung von Stadt und Umland einher. Dies ermöglicht die Wahrnehmung von Landschaft um ihrer selbst willen. »Die Individualisierung der inneren und äußeren Daseinsformen, die Auflösung der ursprünglichen Gebundenheiten und Verbundenheiten zu differenzierten Eigenbeständen – diese große Formel der nachmittelalterlichen Welt hat uns auch aus der Natur erst die Landschaft heraussehen lassen.« (Simmel 1990, 70) In dem Aufsatz »Philosophie der Landschaft« beschreibt Simmel, wie die Wahrnehmung von Landschaft der Schaffung eines Kunstwerks gleicht und verdeutlicht, dass die Einheit einer Landschaft erst mit der Betrachtung einer Gegend entsteht. »Wo wir wirklich Landschaft und nicht mehr eine Summe einzelner Naturgegenstände sehen, haben wir ein Kunstwerk in statu nascendi.« (Ebd., 74) Dieser »künstlerische« Vorgang ist Teil jeder Wahrnehmung von Landschaft und hat zur Folge, dass Menschen das aktuelle Landschaftserlebnis gern im Bild festhalten. Der Soziologe Lucius Burckhardt unterstreicht ebenfalls den Akt der Wahrnehmung von Landschaft und betont, dass »Landschaft nicht in den Erscheinungen der Umwelt zu suchen ist, sondern in den Köpfen der Betrachter. In der Umwelt eine Landschaft zu erblicken, ist eine schöpferische Tat unseres Gehirns, hervorgebracht durch bestimmte Ausklammerungen und Filterungen, aber auch integrativer Tätigkeiten des Zusammensehens, die das Ergebnis einer vorausgegangenen Erziehung sind.« (Burckhardt 2008, 33)

Burkhardts subjektbezogene Definition von Landschaft als Gedankenkonstrukt bezeugt, dass der Begriff zwischen dem physisch Realen und einer Betrachtungsweise verhandelt wird. Grundsätzlich ist die Wahrneh­ mung von persönlichen Erinnerungen und Assoziationen gefärbt (vgl. Wö­bse, 83). Dennoch sind in den Landschaftswahrnehmungen Gemein-

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samkeiten zu erwarten, da diese Burckhardt zufolge vom »Kulturgut« vorgeprägt sind: »Landschaft erweist sich zunächst als Sehweise. Die Dichter schufen den Code, die Maler gaben uns die Bilder dazu, und wir reagieren auf die dargebotenen Zeichen« (Burckhardt 2008, 122). Den Landschaftsbegriff auf eine gedankliche Leistung zu reduzieren ist problematisch, da sinnliche Erlebnisse unbeachtet bleiben, und der Umgebung kein nennenswerter Beitrag zum Wahrnehmungserlebnis eingeräumt wird. Simmel unterstreicht die Leistung des Menschen aus dem unendlichen Gebilde »Natur«, ein abgegrenztes Ganzes herauszulösen und als Landschaft zu sehen (vgl. Simmel 1990, 68f). »Landschaft […] entsteht, indem ein auf dem Erdboden ausgebreitetes Nebeneinander natürlicher Erscheinungen zu einer besonderen Art von Einheit zusammengefasst wird[…]. Der erheblichste Träger dieser Einheit ist wohl das, was man die ›Stimmung‹ der Landschaft nennt.« (Ebd., 75, Herv. i. O.) Die landschaftliche Stimmung ist Simmel zufolge keine subjektive Projektion, da die Gegend »ihre ganze Objektivität als Landschaft innerhalb des Machtgebietes unseres Gestaltens besitzt, hat die Stimmung, ein besonderer Ausdruck oder eine besondere Dynamik dieses Gestaltens, volle Objektivität an ihr« (ebd., 77). Simmel betont die Einzigartigkeit einer jeden Landschaft und ihrer »Stimmung, die ihr unmittelbar eigen ist, und die mit der Änderung jeder Linie eine andere würde« (ebd., 78). Damit stellt Simmel einen Zusammenhang von landschaftlichen Gegebenheiten und aktueller Stimmung her. »Die einer Landschaft wirklich und individuell eigene Stimmung ist mit [...] Abstraktion[…] wenig zu bezeichnen[...]. Wäre selbst Stimmung nichts anderes als das Gefühl, das die Landschaft in dem Beschauer auslöst, so ist doch auch dies[es ...] ausschließlich an grade und genau diese Landschaft unvertauschbar gebunden, und erst, wenn ich das Unmittelbare und Reale seines Charakters auslösche, kann ich es auf den Allgemeinbegriff des Melancholischen [...] bringen.« (Simmel 1990, 78f)

Die Charakterisierung der landschaftseigenen Stimmung mit wenigen Worten unterschlägt wesentliche Dimensionen. Die Wahrnehmung einer Landschaft beinhaltet für Simmel auch eine emotionale Komponente: »Als ganze Menschen stehen wir vor der Landschaft, der natürlichen wie der kunstgewordenen, und der Akt, der sie für uns schafft, ist unmittelbar ein schauender und ein fühlender, erst in der nachträglichen

Atmosphären in der Landschaf tsästhetik

Reflexion in diese Gesondertheiten zerspaltener.« (Ebd., 79, Herv. i.O.) Landschaft umfasst für Simmel natürliche und artifizielle Umgebungen, und ihre Einheit entsteht im Erleben der Menschen. Dabei verfügt jede Landschaft über eine spezifische Stimmung, welche die Menschen berührt. Simmels Landschaftsverständnis deckt sich mit dem von Alexander von Humboldt, der sagt: »Jede Vegetationszone hat außer den ihr eigenen Vorzügen auch ihren eigentümlichen Charakter, ruft andere Eindrücke in uns hervor.« (Humboldt 2008, 78) In seinem Verständnis sind unterschiedliche Wirkungen verschieden geprägter Landschaften auf die Menschen mitangelegt. Denn jede Landschaft hat eine »Naturphysiognomie, welche jedem Himmelsstrich ausschließlich zukommt. Was der Künstler mit den Ausdrücken Schweizernatur, italienischer Himmel bezeichnet, gründet sich auf das dunkle Gefühl eines lokalen Naturcharakters. Himmelsbläue, Wolkengestaltung, Duft, der auf der Ferne ruht, Saftfülle der Kräuter, Glanz des Laubes, Umriß der Berge sind die Elemente, welche den Totaleindruck einer Gegend bestimmen.« (Humboldt 2008, 79)

Landschaft verweist auf eine physische Gegend mit spezifischen Qualitäten wie einer Stimmung, welche Menschen emotional berührt. Dem philosophischen Ansatz folgend, sind die Termini Landschaft und Stimmung, welche Anwesende erleben, miteinander verbunden. Daher wird im Hinblick auf die Atmosphärenanalyse verschieden geprägter Umgebungen in dieser Arbeit der Begriff Landschaft bevorzugt. In der Diskussion des Landschaftsbegriffes sind kulturgeografische und historische Entwicklungen sowie der Wandel der Landschaften selbst bedeutsam. Nicht nur wahrnehmbare Grenzen zwischen Stadt und Land verschwinden, sondern Landschaften erfahren selbst einen Wandel. Neue Landschaftsformen entstehen mit »[d]er verstädterten Landschaft oder der verlandschafteten Stadt«, von Sieverts als »Zwischenstadt« bezeichnet (Sieverts 2005, 7). Viele natürliche Elemente, die vormals mit Landschaft verbunden waren, sind heutzutage in Städten zu finden. »Die Stadt, der Stadtrand, die Zwischenstadt, die ländliche Region unterscheiden sich als Ausprägungen von Landschaft, aber nicht dadurch, dass das eine Landschaft sei, das andere nicht.« (Ipsen 2003, 14) Natürliche und anthropogene Elemente sowie Gestaltungen sind heute gleichzeitig vorhanden und eng miteinander verwebt. Es bietet sich daher an, von Landschaften mit verschiedener Prägung zu sprechen. Dabei wohnen urban, kulturell wie

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natürlich geprägten Landschaften, räumliche, kulturhistorische und zeitliche Topografien inne, wie der Landschaftsarchitekt David Leatherbarrow im Aufsatz »Is landscape architecture?« aufzeigt: »Topography gives itself to perception, experience and knowledge as both a representation and an accommodation of prosaic and practical purposes, historically formed and re-formed.« (Leatherbarrow 2011, 210) Die Topografie wird auch von Christian Norberg-Schulz für die Bestimmung des prägenden Charakters eines Ortes hervorgehoben (vgl. Norberg-Schulz 1982, 46), und auch er bescheinigt Landschaften eine gewisse Dynamik: »Die Struktur eines Ortes ist kein festgelegter, immerwährender Zustand. In der Regel verändern sich Orte, manchmal sogar rasch. Dies bedeutet jedoch keineswegs, daß sein genius loci [der Geist eines Ortes] verloren geht.« (Ebd., 18, Einf. d. Verf.) Hermann Wöbse zufolge ist der Charakter von Landschaften als wandelbar anzusehen, mit zyklischen und plötzlichen Veränderungen, beispielsweise infolge von Wetter oder Jahreszeiten: »Streng genommen gibt es gar keine Statik, jedenfalls dann nicht, wenn wir den Zeitfaktor entsprechend groß wählen […]. Bei der Dynamik müssen wir zwischen spontan und permanent unterscheiden.« (Wöbse 2002, 73) Werden mit Landschaft auch städtische Umgebungen betrachtet, kommen zu den natürlich bedingten Veränderungen gesellschaftliche Umformungen oder planerische Neugestaltungen hinzu. John Brinkerhoff Jackson analysiert Landschaften in den USA und stellt fest: »Landschaft ist nicht einfach Szenerie, sie ist auch keine politische Kategorie; sie ist nicht mehr als eine Ansammlung, ein System menschengemachter Räume auf der Erdoberfläche. Egal, wie groß sie ist oder welche Form sie hat, Landschaft lässt sich nicht allein als natürlicher Raum, als Merkmal der natürlichen Umwelt verstehen. Sie ist stets künstlich, stets synthetisch, stets plötzlichen und unvorhersehbaren Veränderungen ausgesetzt.« (Jackson 2005, 43, Herv. i. O.)

Prominski definiert nach Jackson: »Landschaft ist […] unvorhersagbar […], prozessual […] und relational« (Prominski 2004, 72f). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Landschaft ein Gebilde menschlicher Abstraktion ist, und auf eine physische Umgebung verweist, mit veränderlicher natürlicher und anthropogener Ausstattung und Gestaltung, mit einem spezifischen Charakter und einer Stimmung, sowie ökologischen und sozialen Wechselbeziehungen. Landschaft kann als »dynamisches Gefüge menschgemachter Räume« verstanden werden (Jackson in Prominski

Atmosphären in der Landschaf tsästhetik

2004, 59). Im aktuellen und disziplinübergreifenden Diskurs umfasst Landschaft heute vom Menschen verschieden geprägte Charaktere. Der Begriff Landschaft eignet sich für die in dieser Arbeit angestrebten exemplarischen Feldstudien zu Atmosphären. Die spezifische Ausstattung der Landschaft wird mit vorangestellten Adjektiven näher bestimmt, und es wird von natürlichen, besiedelten, genutzten, gepflegten und urbanen Landschaften ge­spro­chen. Diese Klassifizierung verweist auf verschiedene Dimensionen der menschlichen Eingriffe. Die für die Untersuchung ausgewählten Landschaften stehen stellvertretend für ähnlich gestaltete. Jede Landschaft ist dennoch komplex und einzigartig.

1.2 Ä sthe tik Baumgarten führt die Ästhetik als »Wissenschaft der sinnlichen Erkenntnis« in die Philosophie ein (Baumgarten 1973, 107). Der Titel »Aesthetica« des 1758 erschienenen Werkes, bezieht sich auf aísthēsis (altgr. »Wahrnehmung«, »Empfindung«), verstanden als sinnliches Wahrnehmen, und bleibt mit zwei Bänden unvollständig. Für Baumgarten erbringen die unteren Sinne ebenso Erkenntnisse wie die höheren Sinne, also der Verstand. Der ästhetische Diskurs zeigt einige thematische Verschiebungen auf. »Der Rückgriff auf das Werk Baumgartens rechtfertigt sich also gerade im Hinblick auf Tendenzen heutiger Kunst und Philosophie, die universale Weite des Horizonts zurückzugewinnen, die zentrale Stellung des Ästhetischen neu zur Geltung zu bringen und damit seine Bedeutung weder im subjektiven Sinne auf das blosse ›Erleben‹ noch im objektiven Sinne auf einen ›Sonderbereich‹ der Wirklichkeit einzuschränken.« (Schweitzer 1973, 11, Herv. i. O.)

Im Wiederaufgreifen der Intentionen Baumgartens und ganz im Sinne von Böhme, wird Ästhetik in dieser Arbeit »als allgemeine Wahrnehmungslehre« verstanden (Böhme 2001, 29). Einige wichtige Entwicklungen der Ästhetik werden auch im Hinblick auf die Landschaftsästhetik kurz besprochen. In der »Kritik der reinen Vernunft« definiert Immanuel Kant Ästhetik als »die Wissenschaft der Regeln der Sinnlichkeit über­haupt« und grenzt sie zur Logik, verstanden als »Wissenschaft der Verstandesregeln« ab (Kant 1960, 39). Sinnlichkeit ist dabei die »Fähig-

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keit (Rezeptivität), Vor­stel­lung­en durch die Art, wie wir von Gegenständen affiziert werden, zu be­kom­men« (ebd., 21, Einf. i. O.). Sich bewegt oder berührt fühlen, infolge von empfangenen Sinneseindrücken aus der Umgebung, ist also im frühen Verständnis von Ästhetik mitangelegt. Mit Kants »Kritik der Urteilskraft« findet eine Reduktion der Ästhetik auf die Evaluation der Wahrnehmung statt. Es entsteht eine Urteilsästhetik, die sich mit Geschmacksurteilen, insbesondere über das Schöne und Erhabene, beschäftigt. Kant unterscheidet zwischen der »freien und der zweckgebundenen Schönheit« und begründet den intersubjektiven Anspruch von Schönheit mit dem »ästhetischen Gemeinsinn« (vgl. Kant 2006, 109f). »In allen Urteilen, wodurch wir etwas für schön erklären, verstatten wir keinem anderer Meinung zu sein« (Ebd., 125). Kant zufolge will »dieser Gemeinsinn […] zu Urteilen berechtigen, die ein Sollen enthalten: er sagt [...] daß jedermann mit unserm Urteile […] zusammenstimmen solle« (Ebd., 126, Herv. i. O.). Das Schönheitsurteil hat Kant zufolge einen allgemeingültigen Anspruch und wird auf einem Gefühl von Lust oder Unlust gefällt. Neben dem Schönen behandelt Kant das Erhabene, wobei »das Gefühl des Erhabenen eine mit der Beurteilung des Gegenstandes verbundene Bewegung des Gemüts« ist (ebd., 138, Herv. i. O.). Erhaben ist Kant zufolge, was in menschlicher Vorstellung unendlich gedacht werden kann. »Das Schöne der Natur betrifft die Form des Gegenstandes, die in der Begrenzung besteht; das Erhabene ist dagegen auch an einem formlosen Gegenstand zu finden, sofern Unbegrenztheit an ihm […] vorgestellt […] wird[…]. Also ist das Wohlgefallen dort mit der Vorstellung der Qualität, hier aber mit der Quantität verbunden.« (Kant 2006, 134, Herv. i. O.)

Da es sich um eine Vorstellungsleistung handelt, sagt Kant: »[D]as eigentliche Erhabene kann in keiner sinnlichen Form enthalten sein, sondern trifft nur Idee der Vernunft« (ebd., 136). Im Gegensatz zum Schönen, welches »positive Lust« enthält, wird beim Erhabenen »das Gemüt von dem Gegenstande nicht bloß angezogen, sondern wechselweise auch immer wieder abgestoßen« und enthält »Bewunderung und Achtung«, also »negative Lust« (ebd., 134f). Kant unterscheidet das »mathematisch- und das dynamisch-Erhabene« (ebd., 138), wobei Ersteres die Vorstellung der Unendlichkeit anregt und Zweiteres gedanklich die »eigene Erhabenheit […] selbst über die Natur« herausfordert (ebd., 162). Insofern »wird die Natur

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in unserem ästhetischen Urteile nicht, sofern sie furchterregend ist, als erhaben beurteilt, sondern weil sie unsere Kraft (die nicht Natur ist) in uns aufruft, um das, wofür wir besorgt sind (Güter[,] Gesundheit und Leben) als klein […] anzusehen« (ebd., 161f, Einf. i. O.). Erhabenheit findet Kant nicht in der Natur, daher muss: »die wahre Erhabenheit nur im Gemüte des Urteilenden, nicht in dem Naturobjekte, dessen Beurteilung diese Stimmung desselben veranlaßt, […] gesucht werden« (ebd., 152). Und so fragt Kant weiter: »Wer wollte auch ungestalte[te] Gebirgsmassen, in wilder Unordnung übereinander getürmt, mit ihren Eispyramiden, oder die düstere tobende See usw. erhaben nennen?« (Ebd., 152, Einf. d. Verf.) Damit ist deutlich gezeigt, wie Kant eine subjektbezogene Ästhetik betreibt und Landschaften keinerlei Einfluss auf das menschliche Befinden zuschreibt. Zeitweise wurde die Ästhetik auf das Formschöne reduziert, wobei Erfahrung und Bewertung von Schönheit erörtert wurden. Dabei wird das Perzipieren vom Schönen der Natur und der Kunst miteinander verglichen. Die Faszination an Schönheit ist, wie schon Kant aufzeigte, ihre Allgemeingültigkeit, wobei Kriterien dafür schwer zu benennen sind (vgl. ebd., 126). Neben »schön« werden in der Philosophie weitere ästhetische Prädikate wie »hässlich« oder »angenehm« behandelt. Über die Schönheit von Kunstwerken entwickelt sich Ästhetik zur Kunsttheorie und versucht, ihre Bedeutung und ihre Erfahrung zu entschlüsseln. Rezeptions- und Wirkungsästhetik spielen vornehmlich in der Literaturwissenschaft eine Rolle. So wird ein literarisches Werk einerseits geschrieben und andererseits aufgenommen, indem es gelesen wird. Wolfgang Iser fragt daher nicht, was ein Text ausdrücken will, sondern »was dem Leser geschieht, wenn er fiktionale Texte durch die Lektüre zum Leben erweckt« (Iser 1990, 41). Hier findet eine inhaltliche Verschiebung statt indem gefragt wird, wie das Aufgenommene auf die Leser wirkt, und wie es den Menschen während des Lesens geht. In der Ästhetik geht es um menschliche Wahrnehmung von etwas. Für eine Untersuchung ergeben sich daraus subjektive und objektive Ansätze und Konzepte. Die Subjektseite kann hinsichtlich menschlicher Zugangsweisen und ästhetischer Haltungen zum Objekt analysiert werden. Die Objektseite kann auf bestimmte Eigenschaften untersucht werden, wie in der empirischen Ästhetik geschehen. Da Natur und Lebensumwelt aus dem Diskurs der Ästhetik verschwunden sind, plädiert Böhme angesichts zunehmender Umweltzerstörung »Für eine ökologische Naturästhetik« und fordert ein

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Umdenken, beispielsweise indem der menschliche Leib als Teil der Natur angesehen wird (1989). Böhme verweist darauf, dass »die destruktive Beziehung zur äußeren Natur[…] ihre Entsprechung in der Beziehung zur eigenen Natur hat, nämlich der Natur, die wir selbst sind, zum menschlichen Leib« (Böhme 1989, 9). So gewinnt die Ästhetik Böhme zufolge eine neue Ausrichtung sowie Antrieb, denn wenn der Mensch die Veränderungen von Landschaften »am eigenen Leibe zu spüren bekommt«, wird deutlich, dass er »als leiblich sinnliches Wesen in Umwelten existiert« (ebd., 9). Böhme führt Atmosphären, als »dasjenige, wodurch Umgebungsqualitäten und Befinden aufeinander bezogen sind« in die Ästhetik ein (Böhme 1995, 23). Atmosphären sind räumliche Stimmungen, welche von anwesenden Subjekten und Objekten gleichermaßen erzeugt und von Menschen leiblich vernommen werden. Obwohl das Konzept in vielen Disziplinen bereits aufgegriffen wurde, ist »die Wechselwirkung zwischen Befinden und Raum noch unzureichend erforscht«, wie Andreas Rauh im Fazit seines Buches »Die besondere Atmosphäre« feststellt (Rauh 2012a, 260).

1.3 L andschaf tsästhe tik Die Arbeit des Gartentheoretikers Christian C. L. Hirschfeld, welcher »Gärten nach dem Charakter der Gegenden« unterschied (Hirschfeld 1990, 163), ist ein Beispiel der empirischen Ästhetik. In seinem Werk werden ein »an­ge­nehm­er, muntrer, heitrer«, ein »sanftmelancholischer«, ein »roman­tischer« und ein »feyerlicher« Garten differenziert (ebd., 163-166). Hirschfeld nennt detailliert Maßnahmen zur Gestaltung dieser Gärten, um eine Stim­mung hervorzubringen, welche Menschen jeweils anders berührt. Beim Garten mit melancholischem Charakter heißt es beispielsweise: »Ein­gezogenheit, Verschlossenheit, Dunkelheit und Stille müssen hier durchgängig herrschen, und ihre mächtigen Einwirkungen auf die Seele beweisen.« (Ebd., 165) Hirschfelds Arbeit kann als frühes Beispiel für eine praktische Landschaftsästhetik gelten. Die wechselnden Schwerpunkte der Ästhetik finden sich in den Ansätzen der Landschaftsästhetik wieder. An drei Arbeiten werden der eingeschränkte Diskurs auf menschliche Zugangsweisen zur Landschaft und auf das Naturschöne deutlich. Vilém Flusser unterscheidet in seinem phänomenologischen Aufsatz »Stöcke« vier Möglichkeiten der Menschen, durch den Wald zu gehen, bei

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denen sich die Erscheinung des Waldes jeweils ändert (Flusser 1993). Die Arten sind »in Gedanken versunken, den Wald betrachtend, den Wald genießend, den Heimweg suchend« (ebd., 63). Sie spiegeln verschiedene Verhältnisse von Natur und Kultur wider und bewirken, dass die Landschaft dem Menschen jeweils anders erscheint. So kann Flusser zufolge die Wahrnehmung nach innen gerichtet sein, der Wald kann hinsichtlich ökologischer Zusammenhänge, oder um seiner selbst willen angeschaut werden oder der Wald kann als »Hindernis« erfahren werden (vgl. ebd., 67ff). In Flussers Ausführungen bleiben die konkrete Landschaft, ihre Wirkung und das sinnliche Erleben der Menschen unberücksichtigt. Eine umfangreiche Ausarbeitung einer »Ästhetik der Natur« hat Martin Seel vorgelegt (1991). Sein Naturbegriff beschränkt sich nicht auf eigenständig entstehende, sondern bezieht künstliche, also vom Menschen hervorgebrachte, »Natur« mit ein (vgl. Seel 1991, 230f). Seel analysiert drei ästhetische Zugangsweisen zur Natur: Kontemplation, Korrespondenz und Imagination, wobei alle in einem Naturerlebnis vorkommen können (vgl. ebd., 185). Die Natur kann einer Wahrnehmung ohne Interesse dienen (vgl. ebd. 62f). In der Natur können weiterführende Überlegungen angestellt werden, wie zum Leben selbst (vgl. ebd., 102f), und Natur kann wie ein Kunstwerk erscheinen (vgl. ebd., 153). Dies überträgt Seel auf Landschaft, welche er im Anschluss an Ritter als »größere[n] Raum ästhetischer Natur« versteht (ebd., 221, Herv. i. O.). Seine Analyse ästhetischer Naturverhältnisse ist gut ausgearbeitet, aber insgesamt zu einseitig, da eine subjektive Ästhetik betrieben wird. Vordergründig sind Projektionen und gedankliche Verbindungen zur Natur auf kognitiver Ebene. Allsinnliche sowie leibliche Erfahrungsdimensionen der Menschen werden nur am Rande betrachtet. Auf der Seite der Umgebung steht das Naturschöne im Vordergrund, weil für Seel »die drei ästhetischen Dimensionen, die im Naturschönen eine temporale Einheit finden, die drei Dimensionen ästhetischer Wahrnehmung überhaupt sind. Zur Besonderheit des Naturschönen gehört, daß es ein herausragendes Einheitsphänomen des Ästhetischen ist.« (Ebd., 234, Herv. i. O.) Die spezifischen Qualitäten einer aktuell umgebenden Landschaft, und damit verbundene Voraussetzungen für das menschliche Erleben sind noch zu untersuchen. Hermann Wöbse untersucht in seinem Buch »Landschaftsästhetik – über das Wesen, die Bedeutung und den Umgang mit landschaftlicher Schönheit« facettenreich subjekt- und objektbezogene Dimensionen der Landschaftserfahrung (2002). Sein Verständnis von Landschaft bezieht

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anthropogene Elemente und Gestaltungen mit ein. In Bezug auf Landschaft werden Gestalt, Form, Material sowie Licht und Farbe erörtert. Neben den Raum-Zeit-Dimensionen der menschlichen Erfahrung werden Vorprägungen des Schönheitsempfindens und der menschlichen Sinne sowie ihre Eigenheiten hinsichtlich der Aufnahme von Landschaft diskutiert. Wöbse zeigt in seiner Arbeit katalogartig viele Aspekte der Landschaftserfahrung, mit dem Ziel, landschaftliche Schönheit zu untersuchen und zu bewerten. Unberücksichtigt bleiben die Menschen als leibliche Wesen und damit verbundene Erlebnisdimensionen. Die bisherige Landschaftsästhetik thematisiert entweder menschliche Zugangsweisen zur Landschaft oder einzelne Umgebungsqualitäten. Ziel dieser Arbeit ist es daher, das wechselseitige Wirken und Vernehmen von Menschen in umgebender Landschaft zu untersuchen. Dabei geht es nicht um landschaftliche Schönheit, menschliche Projektionen oder Vorstellungen, die mit der Landschaftsbetrachtung einhergehen. Vielmehr wird auf bauend auf der menschlichen Leiblichkeit gefragt, wie sich Menschen in den verschiedenen Umgebungen fühlen, und welchen Beitrag die aktuell umgebende Landschaft daran hat. Ein Großteil der Landschaften in Europa ist heute von Menschen angeeignet und umgestaltet. Daher werden in der vorliegenden Arbeit vom Menschen verschieden geprägte Landschaften, von natürlich bis urban, untersucht. Mit der Zuwendung zur Landschaft und ihren Phänomenen unter dem Signum der »Neuen Ästhetik« von Böhme (1995) und mit der Anknüpfung an die Leibphilosophie entsteht eine Nähe zur »Neuen Phänomenologie« von Hermann Schmitz (vgl. 2005a). Böhme zufolge ist beiden eine leibliche Zugangsweise zur Wirklichkeit gemein, wobei die Phänomenologie sich auf Phänomene konzentriert, ohne »Einstellungsweisen, Erzeugende oder auch gesellschaftliche Verhältnisse« zu berücksichtigen (Böhme 2005, 25).

1.4 A tmosphäre Ästhetik hat Böhme zufolge »mit der Beziehung von Umgebungsqualitäten und menschlichem Befinden zu tun. Dieses Und, dieses zwischen beidem, dasjenige wodurch Umgebungsqualitäten und Befinden aufeinander bezogen sind, das sind die Atmosphären.« (Böhme 1995, 22f, Herv. i. O.) Als Untersuchungsansatz verschiedener Landschaften wird in der vorliegenden Arbeit die Theorie der Atmosphären gewählt. Im Folgenden

Atmosphären in der Landschaf tsästhetik

wird erörtert, wie Atmosphären zu verstehen sind, und wo Forschungsbedarf für eine Anwendung auf Landschaften besteht. Der sprachliche Ursprung der Atmosphäre ist der einer »Dunstkugel« (»atmós« gr. Dunst, Dampf und »sphairos« gr. Kugel), welche Planeten umschließt. Dieses Umhüllen trifft auch auf die Atmosphäre als räumliche Stimmung zu, sofern sie Umgebung und Menschen gleichermaßen durchfärbt. Atmosphären werden verstanden »als etwas, das von den Dingen, von Menschen und deren Konstellationen ausgeht und geschaffen wird« (ebd., 33). Sie sind ein alltägliches Phänomen und beziehen sich in ihren Charakterisierungen oft auf »Kriterien der Temperatur, Spannung und Konsistenz […], die ansonsten für Kriterien der Atmosphäre als Luft gelten«, wie beispielsweise eine kalte oder unbehagliche Atmosphäre (Tellenbach 1968, 63). Sloterdijk erklärt in einem Vortrag auf der Konferenz »Atmosphären erleben« 2011 in Karlsruhe: Atmosphäre ist wie die Luft ein Austauschmedium und kann Qualitäten aufnehmen und abgeben. Die Anreicherung der Atmosphären geht über die der Luft mit Gerüchen, Dichte oder Staub hinaus. Denn Dinge werden in der Atmosphärentheorie nicht als abgeschlossen betrachtet sondern ihre Art, auf die Umgebung zu wirken, wird als »Artikulation ihrer Präsenz, der Weise ihrer Anwesenheit«, verstanden (Böhme 1995, 32). Die Ausstrahlungen der Dinge werden von Böhme als »Ekstasen« bezeichnet. Dazu gehören beispielsweise »Farben, Gerüche und wie ein Ding tönt« sowie »Ausdehnung und Form« (ebd., 33, Herv. i. O). Mit der Formulierung »Erzeugung einer Atmosphäre« unterstreicht Böhme die Einflussmöglichkeiten der Gestalter (ebd. 43). Unabhängig davon, ob sie bewusst inszeniert sind, existieren Atmosphären immer und überall. Da Atmosphäre als Medium verstanden wird, das unterschiedliche Qualitäten aufnehmen kann, wird hier vorgeschlagen, von Prägung statt von Erzeugung einer Atmosphäre zu sprechen. Atmosphären sind Medium des Austauschs sowie der Präsentation von Menschen und Umgebung, denn Böhme zufolge »zeigt sich Natur nicht bloß als Wechselwirkungszusammenhang, sondern als Kommunikationszusammenhang, als Wechselwirkung von Sich-Zeigen und Vernehmen« (ebd., 42). Natur, inklusive der Menschen, hat den Wunsch, »sich zu zeigen«, beispielsweise in Form von »Blüten« oder »Mode« (ebd., 42). »Es gibt […] nicht nur ein ästhetisches Grundbedürfnis, in einer Umgebung zu leben, in der ich mich wohlbefinde, sondern auch ein Grundbedürfnis, mich zu zeigen und durch meine Anwesenheit meine

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Umgebung atmosphärisch mitzubestimmen.« (Ebd., 42, Herv. i. O) Die Atmosphäre kann Ausdruckscharaktere der Umgebung und der Menschen aufnehmen und wieder abgeben, indem sie Menschen leiblich ergreift. Damit sind Atmosphären ein verbindendes Phänomen von Umgebung und Menschen. Eine gleichzeitige Präsenz von Umwelt und Mensch ohne Atmosphäre ist undenkbar, denn: »Sie ist die Wirklichkeit des Wahrgenommenen als Sphäre seiner Anwesenheit und die Wirklichkeit des Wahrnehmenden, insofern er, die Atmosphäre spürend, in bestimmter Weise leiblich anwesend ist.« (Ebd., 34) Das beiderseitige Beitragen von Mensch und Umgebung zur Atmosphäre erklärt ihre verbindende Zwischenstellung. »Die Atmosphären sind […] weder […] etwas Objektives, nämlich Eigenschaften, die die Dinge haben, und doch sind sie etwas Dinghaftes, zum Ding Gehöriges, insofern nämlich die Dinge durch ihre Eigenschaften – als Ekstasen gedacht – die Sphären ihrer Anwesenheit artikulieren. Noch sind die Atmosphären etwas Subjektives, etwa Bestimmungen eines Seelenzustandes. Und doch sind sie subjekthaft, gehören zu Subjekten, insofern sie in leiblicher Anwesenheit durch Menschen gespürt werden und dieses Spüren zugleich ein leibliches Sich-befinden der Subjekte im Raum ist.« (Böhme 1995, 33f)

Die gleichzeitige Präsenz und Prägung der Atmosphäre von Umwelt und Mensch sowie das menschliche Erleben der intersubjektiven Atmosphäre, welche keine Projektion ist, gehören zusammen, denn das »grundlegende Wahrnehmungsereignis liegt vor jeder Subjekt-Objekt-Spaltung« (Böhme 2001, 45). Daher untersucht Böhme das Atmosphärenphänomen vom »Objektpol« und vom »subjektiven Pol« her (vgl. ebd., 45f). Es wird deutlich, dass Atmosphäre als Verbindung von Umgebung und Mensch über zwei Pole verfügt. Ein Pol beschreibt den Atmosphäre erlebenden Menschen. Der andere Pol beschreibt die Prägung des Atmosphärencharakters in der aktuellen Situation. Je nach Artikulation und Prägung von Umgebung und Mensch ändert sich der Charakter der Atmosphäre. Doch Umgebungen können typische Atmosphären prägen, wie Rauh feststellt. »Bestimmten Landschaften, Ruinen oder Museen scheinen Atmosphären ›Hier und Immer‹ als eine eigene Umgebungsqualität anzuhaften, in der man sich immer wieder gleich gestimmt befindet – wenn auch nicht in gleicher Weise so doch glei­cher­maßen.« (Rauh 2012a, 150, Herv. i. O.) Diese Erfahrung liegt auch

Atmosphären in der Landschaf tsästhetik

der vorliegenden Arbeit zugrunde. Es wird davon ausgegangen, dass Atmosphären bestimmten Situationen oder Landschaften anhaften können, wenn die prägenden Beiträge relativ konstant sind. Atmosphären »sind Räume, insofern sie durch die Anwesenheit von Dingen, von Menschen oder Umgebungskonstellationen, d.h. durch deren Ekstasen, ›tingiert‹ sind« (Böhme 1995, 33, Herv. i. O.). Ekstasen sind Ausdruckscharaktere von Objekten, Subjekten und Phänomenen, welche das unmittelbare Umfeld färben und damit die Atmosphäre prägen. »Das Ding wird […] nicht mehr durch seine Unterscheidung gegen anderes, seine Abgrenzung und Einheit gedacht, sondern durch die Weisen, wie es aus sich heraustritt.« (ebd., 32f) Böhme zufolge sind es weniger die Eigenschaften der Dinge, welche eine Atmosphäre prägen, sondern das, was über die Gegenstände hinauswirkt, die spezifische Ausstrahlung, die beispielsweise über Form, Materialität, Geräusch, Geruch oder Farbe ihren Ausdruck findet (vgl. ebd. 33). Böhme verweist auf den Maler Josef Albers, der sagt: »Die Erfahrung lehrt […], daß in der visuellen Wahrnehmung ein Widerspruch zwischen physikalischer Wirklichkeit und psychischer Wirkung besteht.« (Albers 1973, 16) Anders ausgedrückt, Realität und Wirklichkeit sind verschieden, denn: »Wenn man sich mit der Relativität der Farbe, mit Farbtäuschungen beschäftigt, ist es sinnvoll, zwischen objektiven Tatsachen und wirklichen (Bewußtseins-)Tatsachen zu unterscheiden – ›factual facts‹ von ›actual facts‹.« (Ebd., 117, Herv. i. O.) Faktisch (engl. fact »Tatsache«) gibt es bestimmte Farben auf der Leinwand, wahrgenommen wird ihr Agieren (engl. act »wirken«), ihre Wirkung. »Wirklich ist in diesem Sinne nur das in aktueller Wahrnehmung Gegebene, real, was dinglich dahinter stehen mag.« (Böhme 2001, 57) So gesehen ist Atmosphäre die erfahrene Wirkung einer Situation. Den spezifischen Charakter erhält sie über Ekstasen aus der Umgebung sowie durch die anwesenden Menschen. Atmosphären verbinden jede Situation und sind auch Teil jeder Wahrnehmung. »Der primäre Gegenstand der Wahrnehmung sind die Atmosphären. Es sind weder Empfindungen noch Gestalten, noch Gegenstände oder deren Konstellationen, wie die Gestaltpsychologie meinte, was zuerst und unmittelbar wahrgenommen wird, sondern es sind die Atmosphären, auf deren Hintergrund dann durch den analytischen Blick so etwas wie Gegenstände, Formen, Farben usw. unterschieden werden.« (Böhme 1995, 48, Herv. i. O.)

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Über leibliches Spüren wird zuerst die Atmosphäre erfahren, doch ihrem Wesen nach ist sie der Hintergrund einer Situation, da sie Umgebung und menschliches Befinden verbindet.  Das ästhetische Konzept der Atmosphären ist vergleichsweise jung, doch als Phänomen keineswegs neu. Sie begegnen im Alltag als fröhliche Atmosphäre eines Festes, als heitere Atmosphäre einer Landschaft oder als angespannte Atmosphäre bei einer Verhandlung. Atmosphären beeinflussen das menschliche Befinden aktuell und dauerhaft. Wie und weshalb das möglich ist, wird genauer hergeleitet (Kapitel 2). Aus dem Einfluss der Atmosphären leitet sich das Bestreben ab, Umgebungen so zu gestalten, dass Menschen sich wohlfühlen. Dafür muss zunächst der Zusammenhang von Umgebungsgestaltung und Atmosphärencharakter geklärt werden (Kapitel 3). Dazu gehört auch, dass Menschen die aktuell umgebende Atmosphäre immer mitprägen.

1.5 F a zit zur E inführung Die Einblicke in die Konzepte von Landschaft, Ästhetik und Landschafts­ ästhetik zeigen, dass die subjektiven Ansätze überwiegen und breit erforscht sind. Der Beitrag der aktuellen Umgebung zu einem Erlebnis wurde bisher kaum untersucht. Es wird deutlich, dass Landschaft in der menschlichen Aneignung einer physischen Umgebung entsteht und einen spezifischen Charakter sowie eine eigene Stimmung aufweist. Landschaft wird in dieser Arbeit weder mit Natur gleichgesetzt noch wird sie als Gegenteil von Stadt verstanden. Sondern sie besteht vielmehr aus natürlichen und anthropogenen Elementen und setzt die Anwesenheit der Menschen voraus. Ästhetik wird hier als gewöhnliche Wahrnehmung verstanden. Mit Baumgarten wird von einem Wirkungszusammenhang ausgegangen, welchen die Menschen sinnlich erfahren. Daher wird in dieser Arbeit die unmittelbar erlebte Landschaft untersucht, und nicht ihre Schönheit und darauf bezogene menschliche Projektionen. Die Landschaftsästhetik wird um die Perspektive erweitert, wie verschieden geprägte Landschaften zu ihrem Erlebnis beitragen. Die Untersuchung von verschiedenen Landschaften und ihren Einflüssen auf das menschliche Befinden sowie auf ihre Wahrnehmungen und Handlungen sind ein vielversprechender Neuansatz für die Landschaftsästhetik. Aus den Ergebnissen wird die heutige Bedeutung der verschieden gestalteten

Atmosphären in der Landschaf tsästhetik

Landschaften bestimmt. Die Atmosphärenkonzeption verspricht einen neuen Zugang zum Landschaftserleben. Daher sind Atmosphären der eigentliche Gegenstand der Untersuchung, da sie jene Verbindung von Landschaft und Mensch darstellen, welche als erlebte Wirkung einer Landschaft verstanden wird. Zunächst wird geklärt, wie Atmosphären erlebt werden, und weshalb sie das menschliche Befinden, aber auch dessen Wahrnehmung und Handlungen beeinflussen können (Kapitel 2). Anschließend wird der Zusammenhang von Umgebungsgestalt und spezifischem Atmosphärencharakter analysiert und ein System der Prägung entwickelt (Kapitel 3). Im weiteren Verlauf werden mit exemplarischen Fallstudien Atmosphären verschiedener Landschaften festgestellt und hinsichtlich des menschlichen Erlebens bewertet. Darüber hinaus werden Erkenntnisse über die Gestaltung von humanen Landschaften mit wohltuenden Atmosphären gewonnen.

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2. Atmosphären erleben

Atmosphären verbinden Umgebung und Menschen, sie sind »dasjenige, wodurch Umgebungsqualitäten und Befinden aufeinander bezogen sind« (Böhme 1995, 23). Das Atmosphärenphänomen wird vom erlebenden und prägenden Pol betrachtet. Zunächst wird erörtert, wie Menschen Atmosphären erleben und inwiefern Atmosphären das menschliche Befinden, aber auch ihre Wahrnehmungen und Handlungen beeinflussen können. Dafür werden theoretische Vorläufer der Atmosphären besprochen, welche zeigen, dass Menschen sich immer in einer umgebenden Situation befinden und mit dieser leiblich verbunden sind. In der Erörterung werden auf Martin Heideggers Arbeit zum Befinden als Verbindung zur Welt, auf Maurice Merleau-Pontys Erkenntnisse zum Leib als Zugang zum Raum sowie auf Hermann Schmitz’ Arbeit zur leiblichen Kommunikation zugegriffen. Mit diesen Konzepten wird deutlich, wie sinnliches Wahrnehmen und leibliches Spüren von Atmosphären zu verstehen sind. Die Einführung des gelebten Raumes zeigt, dass die menschliche Einstellung zur Umgebung das Landschaftserlebnis maßgeblich mitbestimmt. Das Atmosphärenkonzept berücksichtigt dagegen auch ein Zutun und Beitragen der Umgebung zum Erlebnis. Nach der theoretischen Verortung der Atmosphären wird sich einzelnen Erlebnisdimensionen zugewandt. Diskutiert werden Umstände, in denen Atmosphären leichter zugänglich sind sowie die unterstützende Eigenbewegung. Schwierigkeiten, das Phänomen der Atmosphären verbal zu erfassen und auszudrücken, sowie die Verwendung von Atmosphäre(n) im Singular und Plural. Zudem werden persönliche Unterschiede im Erleben der Atmosphären sowie deren Hintergründe und mögliche Folgen besprochen. Abschließend wird die eigenleibliche Reflexivität als Potenzial der Atmosphären vorgestellt.

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2.1 B efinden als Z ugang zur W elt Wenn Atmosphären die »Beziehung von Umgebungsqualitäten und menschlichem Befinden« beschreiben (Böhme 1995, 22f), dann kann Heideggers Analyse der Befindlichkeit als Fundament der Atmosphärentheorie verstanden werden. Heidegger zufolge ist die Befindlichkeit der Menschen ein wesentliches Merkmal des »In-der-Welt-seins« (vgl. Heidegger 2006, 134). Dabei analysiert er ein zugleiches Bedingen der verschiedenen terminologischen Bedeutungen von sich »an-einem-Ort« und sich »in-einem-Zustand« befinden. Die Befindlichkeit »ist eine existenzielle Grundart der gleichursprünglichen Erschlossenheit von Welt, Mitdasein und Existenz, weil diese selbst wesenhaft In-der-Welt-sein ist« (ebd., 137, Herv. i. O.). Menschen sind immer schon auf eine Art gestimmt. Das zeigt sich darin, dass ihre Stimmung schlagartig kippen kann, und mit dieser Grundstimmung erschließen Menschen die Welt. »Die Gestimmtheit bezieht sich nicht zunächst auf Seelisches, ist selbst kein Zustand drinnen, der dann auf rätselhafte Weise hinausgelangt und auf die Dinge und Personen abfärbt.« (Ebd., 137) Es ist also keine einseitige subjektive Projektion der mitgebrachten Stimmung auf die Umgebung, sondern ein gegenseitiges (Ein-)Stimmen von Mensch und Umgebung. In der sinnlichen Erfahrung der Welt hat das »umsichtig besorgende Begegnenlassen […] den Charakter des Betroffenwerdens« (ebd., 137). Emotionales Ergriffensein »des befindlichen In-der-Welt-seins« ist nach Heidegger möglich, da die »Sinne« des Menschen »gerührt« werden (ebd., 137). Spezifische Umgebungsqualitäten können Menschen über Sinneseindrücke emotional beeinflussen. »Die Befindlichkeit erschließt nicht nur das Dasein in seiner Geworfenheit und Angewiesenheit auf, die mit seinem Sein je schon erschlossene Welt, sie ist selbst die existenziale Seinsart, in der es sich ständig an die ›Welt‹ ausliefert, sich von ihr angehen läßt derart, daß es ihm selbst in gewisser Weise ausweicht.« (Heidegger 2006, 139, Herv. i. O.)

In Heideggers Werk steht die Einstellung der Menschen im Vordergrund, und wie ihnen Dinge als »Zuhandenes« und »Vorhandenes« begegnen. Dagegen werden soziale Aspekte sowie die menschliche Leiblichkeit und damit leibliches Spüren vernachlässigt (vgl. Böhme 2001, 81). Doch die enge Verknüpfung von Befinden und Umgebung erklärt, warum Atmo-

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sphären mit ihrer Vermittlerposition das menschliche Befinden beeinflussen können. Böhme macht deutlich, dass »Befindlichkeit jeweils eine charakteristische Weise ist, das eigene Dasein zu spüren« (ebd., 80, Herv. i. O.). Dabei sind die Bezugsebenen der Befindlichkeit, sich »an-einemOrt-befinden« und sich »in-einem-Zustand-befinden« immer gleichzei­tig gegeben, über den jeweiligen Zustand wie »ich bin angespannt« wird den Menschen das eigene Dasein zugänglich (vgl. ebd., 81). Mit der Befindlichkeit an einem Ort werden den Menschen zugleich die eigene Existenz und der aktuelle Gemütszustand bewusst. Daher können auffällige oder ungewohnte Umgebungsqualitäten dafür sorgen, dass die eigene Gefühlslage deutlich wird, und so einen Weg zu sich selbst darstellen. Heideggers Ausführungen zeigen, dass Menschen die Welt über ihre Befindlichkeit erschließen. Damit wird der Atmosphäreneinfluss auf das menschliche Befinden nachvollziehbar. Offen bleibt bei Heidegger, wie und wo das menschliche Befinden zu verorten ist.

2.2 L eib als Z ugang zum R aum Atmosphären werden in »affektiver Betroffenheit« erlebt, indem sie »leiblich gespürt« werden (Schmitz nach Böhme 1995, 31). Das ist nur zu verstehen, wenn davon ausgegangen wird, dass Menschen die Umgebung über ihren Leib erfahren, verstanden als Instrument menschlicher Wahrnehmung, bei dem alle Sinneseindrücke zusammenlaufen. Merleau-Pontys Arbeit zur leiblichen Wahrnehmung ist daher ein weiterer Grundstein für die Atmosphärentheorie. In seinem Buch »Phänomenologie der Wahrnehmung« zeigt Merleau-Ponty, wie Raum leiblich erschlossen wird (Merleau-Ponty 1974). Der Raum ist über den menschlichen Leib zugänglich und dabei ist »unser Leib [...] nicht zu­nächst im Raum: er ist zum Raum« (ebd., 178). Ich und mein Leib haben keine Distanz, sondern »ich bin mein Leib«, und über diesen wird die Umgebung wahrgenommen (ebd., 180). Der Leib wird verstanden als »ein System von Bewegungs- und Wahrnehmungsvermögen«, ein empfindsames Etwas, das auf Sinneseindrücke reagiert (ebd., 184). »Unter Empfindung kann zunächst die Weise meiner Affizierung, die Erfahrung eines Zustandes meiner selbst verstanden werden.« (Ebd., 21) Nach Merleau-Ponty haben menschliche Empfindungen gedanklichen oder wahrgenommenen Ursprungs im Leib ein Zuhause. Über

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die leibliche Wahrnehmung von Raum erfahren die Menschen immer zugleich, wie es ihnen selbst im Moment der Wahrnehmung geht. Der Leib ist nicht mit dem Körper identisch und endet auch nicht mit der Haut, sondern »[d]er Umriß meines Leibes bildet eine Grenze, die von den gewöhnlichen Raumbeziehungen unüberschritten bleibt[,… wobei] die Teile des Leibes in einem ursprünglich eigenen Verhältnis zueinander stehen: sie sind nicht nebeneinander ausgebreitet, vielmehr ineinander eingeschlossen.« (Ebd. 123, Einf. d. Verf.) Menschen ist der eigene Leib nicht in seinen Umrissen präsent, sondern erst infolge eines Reizes tritt »die betroffene Körperstelle […] aus ihrer Anonymität heraus, zeigt sich durch eine gewisse Spannung« (ebd., 134). Merleau-Ponty spricht von einer »Verdoppelung des Leibes. Jede äußere Wahrnehmung ist unmittelbar [mit] einer bestimmten Wahrnehmung meines Leibes synonym, so wie jede Wahrnehmung meines Leibes sich in der Sprache äußerer Wahrnehmung auslegt.« (Ebd., 242, Einf. d. Verf.) Damit zeigt sich eine direkte Kopplung zwischen sinnlicher Perzeption und leiblicher Reaktion. Ein wechselseitiges Wirken von Raum und Leib zeichnet sich ab, wobei Leib auch als »Ausdruckseinheit« verstanden wird, welcher sich »der sinnlichen Welt selbst mitteilen« kann (ebd., 242). Der menschliche Leib steht im Austausch mit der Umgebung und erlaubt, mit der Welt zu kommunizieren. Merleau-Ponty zufolge ist der wahrgenommene Raum den Menschen immer schon über das primäre leibliche Empfinden zugänglich und ermöglicht, sich an die Umgebung anzupassen. »Bei jeder Erfahrung einer Empfindung erfahre ich, daß sie nicht eigentlich mein eigenes Sein angeht, [...] sondern ein anderes Ich, das sich je schon der Welt übereignet, gewissen unter ihren Aspekten erschlossen und mit ihnen synchronisiert hat. Zwischen mir und meiner Empfindung liegt die Dichte eines ursprünglichen Erwerbs, die mir eine gänzlich sich selber klare Erfahrung verweigert. Ich erfahre die Empfindung als Modalität einer allgemeinen Existenz, die je schon einer physischen Welt sich ausgeliefert hat, die mich durchdringt, ohne daß ich ihr Urheber wäre.« (Merleau-Ponty 1974, 254, Herv. i. O.)

Merleau-Ponty’s »Dichte« als schon gegebenes Zwischen und Verbindendes von Welt und Mensch zeigt wichtige Eigenschaften der Atmosphären auf. Die »Dichte« wie die Atmosphären sind in der Wahrnehmung schwer greif bar, durchdringen Menschen, sind keine subjektiven Projektionen, und werden über den empfindsamen Leib wahrgenommen.

Atmosphären erleben

Nach Merleau-Ponty bietet der emotional berührte Leib Zugang zur Umgebung. Er wird als Zentrum der Wahrnehmung verstanden, denn »[d]ie Sinne kommunizieren miteinander« und verschiedene Eindrücke finden im Leib zusammen (ebd., 264). »Mein Leib ist der Ort des Phänomens des Ausdrucks, oder vielmehr dessen Aktualität selbst; in ihm geht jede visuelle Erfahrung z.B. mit einer auditiven schwanger und umgekehrt, und ihr Ausdruckswert begründet die vorprädikative Einheit der wahrgenommenen Welt« (ebd. 274f). Leibliche Empfindung ist jeder Wahrnehmung mitgegeben und über diese wird die Umgebung erschlossen. Wie bei Heidegger ist das Befinden der Zugang zur Welt. Ort der Empfindung ist der menschliche Leib, er »ist ein für alle anderen Gegenstände empfindlicher Gegenstand, der allen Tönen ihre Resonanz gibt, und allen Farben mitschwingt und allen Worten durch die Art und Weise, in der er sie aufnimmt, ihre ursprüngliche Bedeutung verleiht« (ebd., 276, Herv. i. O.). Merleau-Ponty zeigt, dass der Leib der Wahrnehmung und Empfindung dient und ebenso Mittel der menschlichen Interaktion im Raum ist. »Nie ist es unser objektiver Körper, den wir bewegen, sondern stets unser phänomenaler Leib, und dies auf durchaus nicht geheimnisvolle Weise, da es ja unser Leib als Vermögen der und jener Weltregion selber schon war, der den greif baren Gegenständen sich entgegentrug und sie wahrnahm.« (Ebd., 131.) Leibliche Wahrnehmung von Raum steht nach Merleau-Ponty immer an erster Stelle. »Selbst wenn in der Folge Denken und Wahrnehmung des Raumes von der Motorik und dem Sein-zum-Raume sich loslösen, so müssen wir doch, um den Raum uns vorstellen zu können, zuvor allererst durch unseren Leib in ihn eingeführt sein« (ebd., 171). Menschen eignen sich den Raum über ihren Leib an und entwickeln so eine Vorstellung von seinen Dimensionen. Darüber hinaus zeigt Merleau-Ponty, dass Werkzeuge oder Geräte bei ihrer Benutzung einverleibt werden, so dass die Grenzen von Leib und Werkzeug verschwinden. »Der Druck auf die Hand und der Stock sind nicht mehr gegeben, der Stock ist kein Gegenstand mehr, den der Blinde wahrnähme, sondern ein Instrument, mit dem er wahrnimmt. Er ist ein Anhang des Leibes, eine Erweiterung der Leibsynthese.« (Ebd., 182, Herv. i. O.) In seiner Arbeit zeigt Merleau-Ponty, dass der menschliche Leib der Wahrnehmung und Bewegung dient. Die Welt ist den Menschen über den empfindsamen Leib immer schon gegeben, und was leiblich erfahren wird, sind Atmosphären, von ihm als »Dichte« bezeichnet. Seine Ausführungen zeigen, dass die menschliche Befindlichkeit im Leib zu verorten ist. Atmosphären ergreifen den

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menschlichen Leib und lösen emotionale Regungen aus (vgl. Schmitz 2005b, 153). Sie können in der Folge das menschliche Befinden beeinflussen. Wie der Austausch des Leibes mit der Umgebung vonstattengeht, erklärt Schmitz.

Leibliche Kommunikation »Eine Atmosphäre ist eine totale oder partielle, in jedem Fall aber umfassende Besetzung eines flächenlosen Raumes im Bereich dessen, was als anwesend erlebt wird.« (Schmitz 2014, 19, Herv. i. O.) Demnach ist Atmosphäre räumlich und wird in ihrer Präsenz erfahren. Schmitz arbeitet phänomenologisch heraus, wie räumliche Gefühlsqualitäten über den Leib erfahren werden und wie leibliche Kommunikation mit der Umgebung zu verstehen ist. »Die Atmosphären des Gefühls werden entweder bloß wahrgenommen oder sie ergreifen leiblich spürbar; in diesem Fall werden sie in affektivem Betroffensein als die Gefühle, die man selbst hat, gefühlt.« (Schmitz 2014, 21) Hier unterscheidet Schmitz leibliches Betroffensein und distanziertes Wahrnehmen von Atmosphären. Wird mit Merleau-Ponty, der Leib als Zentrum der sinnlichen Wahrnehmung verstanden (vgl. Merleau-Ponty 1974, 264), kommt es dennoch zur leiblichen Erfahrung, sie braucht lediglich mehr Zeit. Es sind zwei gegenläufige Erfahrungsformen: überkommende leibliche Regungen, welche vernommen werden und sinnliche Eindrücke, die im Leib zusammenfinden. Unklar ist bislang, ob die Struktur der Atmosphäre oder die leibliche Empfindsamkeit über den Erfahrungsverlauf entscheiden. Statt von Atmosphären spricht Schmitz von Gefühlen, da sie ebenfalls in ihrer Struktur räumlich sind und Menschen ebenfalls leiblich ergreifen. Er arbeitet den räumlichen Charakter der Gefühle heraus und zeigt, dass sie nichts »innerweltliches« sind und »nicht subjektiver als Landstraßen, nur weniger fixierbar« (Schmitz 2005b, 87). Diese Räumlichkeit gilt Schmitz zufolge für alle Gefühle wie für »kollektiv zugängliche Atmosphären unter Menschen« beispielsweise auf einer Party, für »optisch-klimatische Atmo­sphären« wie eine Frühlingsstimmung und auch für »private Atmosphären [...], wenn sie nur einen ergreifen« (Schmitz 2009a, 23). Die Wahrnehmung von Atmosphären erfolgt über leibliches Spüren, denn »das affektive Betroffensein durch Gefühle ist stets an leibliche Regungen gebunden und von diesen vermittelt« (Schmitz 2005b, 153). Unter Leib versteht Schmitz das, was Menschen von sich spüren, ohne auf die

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fünf Sinne zurückzugreifen, wie im Nachspüren der eigenen Bewegung oder im Empfinden menschlicher Bedürfnisse (vgl. Schmitz 2009a, 15f). »Der Leib ist besetzt mit leiblichen Regungen wie Angst, Schmerz, Hunger, Durst, Atmung, Behagen, affektives Betroffensein von Gefühlen.« (Ebd., 16) Wie Merleau-Ponty stellt Schmitz fest: Der Leib hat keine feste Gestalt und ist nicht mit dem Körper gleichzusetzen, er kann sich verschiedentlich ausdehnen oder zusammenziehen oder auf mehrere »Leibesinseln« aufteilen (ebd., 16f). Die leibliche Kommunikation »beruht auf der leiblichen Dynamik in der für den Leib wichtigsten Dimension von Enge und Weite, [...] als Spannung und Schwellung antagonistisch verschränkt [...], einander hemmend und treibend« (Schmitz 2014, 56). Der leibliche Austausch findet zwischen Menschen statt, und »mit leiblose[n] Gegenstände[n], sofern sie mit Bewegungssuggestionen und/oder syn­ äs­ t he­ tischen Charakteren besetzt sind, leibnahen Brückenqualitäten, die ebenso am eigenen Leib gespürt wie an Gestalten wahrgenommen werden können; in Betracht kommen ferner Halbdinge« (ebd., 57). Hier wird deutlich, wie umgebende Atmosphären über leibliche Regung das menschliche Befinden beeinflussen können. »Das affektive Betroffensein von Gefühlen kommt […] durch deren Eingreifen in das leibliche Befinden zu Stande« (Schmitz 2005b, 161). Nach Schmitz ergreifen Atmosphären den menschlichen Leib, indem umgebende Atmosphären leiblich nachvollzogen werden. Daher erklärt Schmitz auch, dass »der feierliche Ernst mit weit ausladender Atmosphäre, ein mächtiges Gefühl, das sowohl spontan in einer weiten, öden, stillen Landschaft von großem Format als auch bei feierlichen Anlässen auftreten kann und das Besondere an sich hat, dass es gegen Lust und Leid (oder Unlust) indifferent ist« (Schmitz 2014, 42, Einf. i. O.). Zunächst erfolgt eine leibliche Reaktion wie ein Zusammenziehen oder Ausweiten des Leibes. Als Beispiele der »leiblichen Wirksamkeit von Gefühlen« nennt Schmitz »Heben und Drücken« wie bei Freude oder Trauer, »Engung und Weitung« sowie »Spannung und Schwellung« und die »Strömungen«, welche als »Durchströmtwerden« des Leibes erfahren wird (Schmitz 2005b, 161-164). Schmitz unterscheidet beim leiblichen Spüren zwischen verteilten kontroversen Empfindungen und der durchgefärbten dezenten Empfindung. »Die Einleibung ist patent, wenn der gemeinsame vitale Antrieb in teilheitlichen Regungen auf einzelnen Leibesinseln gespürt wird, dagegen latent, wenn er sich nur in den ganzheitlichen Regungen abspielt. […] Die häufige Leibvergessenheit

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besteht darin, dass die leibliche Dynamik sich nur noch in latenter Einleibung abspielt.« (Schmitz 2014, 117)

Dafür spricht, dass mehrere, teils widersprüchliche leibliche Regungen auffälliger sind und dadurch der eigene Leib leichter bemerkt wird, als bei einer ganzheitlichen leichten leiblichen Regung. Hier wird zudem die These aufgestellt, dass zu viele kontroverse Einleibungen anstrengend sind und in der Folge leibliche Regungen ignoriert werden. Dafür spricht Schmitz’ Erklärung der Erholung, verstanden als Ausweitung des Leibes bei gleichzeitigem Fehlen von Zudringlichem. »Die[...] Ausleibung in eine Landschaft lässt erkennen, wie Landschaft heilen kann, nämlich durch Entlastung von der verstrickenden Einleibung des Zutunhabens mit Begegnendem und Bedrängendem als Offenwerden für die Vertiefung des Eingehens in ungeteilte Eindrücke absoluter Qualitäten.« (Schmitz 2014, 122)

Damit wird deutlich, dass Umgebungsqualitäten den menschlichen Leib durchaus unterschiedlich beeinflussen. Daher lohnt es sich, verschiedene Landschaften bezüglich ihrer Atmosphären und des menschlichen Erlebens zu vergleichen. Schmitz’ phänomenologische Arbeit zeigt, wie Menschen persönliche Gefühle und umgebende Atmosphären am ei­genen Leib erfahren. Leibliche Kommunikation mit Umwelt geschieht über leibliche Regungen wie Enge und Weite und wird als leibliches Betroffensein erfahren.

2.3 G elebter R aum Die Arbeiten von Heidegger, Merleau-Ponty und Schmitz zeigen, Mensch und Raum sind untrennbar miteinander verbunden. Daher werden At­ mos­phären in bestehende Raumkonzepte eingeordnet und der gestimmte Raum als Wegbereiter der Atmosphären vorgestellt. In den gängigen Raum­kon­zep­ten werden relativer und gelebter Raum unterschieden. Der Re­la­tions­raum ist messbar und in Karten und Planzeichnungen abstrahiert darstellbar. Er dient als Hilfsmittel im Entwurf, beispielsweise in der Architektur, und wird auch als mathematischer Raum bezeichnet. Da­mit unterscheidet er sich vom gelebten Raum, welcher den konstituie­ ren­den Menschen mit berücksichtigt. Atmosphären sind zunächst im

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ge­lebten Raum zu verorten, da sie nur im persönlichen Zugegensein erlebt werden. Da Atmosphären aber von Ekstasen der Umgebung geprägt werden, hat auch der relative Raum Anteil an der Prägung des spezifischen Atmosphärencharakters. Mit gestimmtem Raum, Handlungsraum und Anschauungsraum werden im philosophischen Diskurs einzelne Aspekte des gelebten Raumes getrennt behandelt. Die Vorgehensweise verdeutlicht, dass die menschliche Einstellungsweise dazu beiträgt, wie der Raum erscheint. Der gestimmte Raum hat »seine eigentliche Charakteristik darin, Qualität, Ausdrucksfülle zu sein. Hier macht er zunächst das Umhafte aus, das ›Atmosphärische‹, vom gestimmten Wesen in einer eigenen Unmittelbarkeit gewahrt.« (Ströker 1977, 22, Herv. i. O.) In diesem Sinne ist der gestimmte Raum ein räumliches Phänomen, das Eigenschaften aus der Umgebung aufnimmt und mit dem daraus resultierenden Charakter Menschen berührt. »Sein Vernehmen ist kein Wahrnehmen, sein Gewahren kein Erkennen, es ist vielmehr ein Ergriffenund Betroffensein.« (Ebd., 22f) Der gestimmte Raum wird nicht durch intentionale Wahrnehmung erfahren, sondern indem er die Menschen unmittelbar berührt. Ströker betont, dass die empfundene Stimmung keine subjektive Projektion ist. So ist der gestimmte Raum »nicht ›in‹ mir, sondern ›um‹ mich. Die Heiterkeit einer Landschaft ist nicht die meines Empfindens, sie ist etwas an ihr, wie ich sie durchaus im Widerspiel zu meine[n] eigenen subjektiven (icheigenen) Empfindungen erleben kann. In dieser Bedeutung ist auch der gestimmte Raum ein objektiver.« (Ströker 1977, 53, Herv. und Einf. i. O.)

In gleicher Weise werden Atmosphären als intersubjektiv verstanden. Da der gestimmte Raum verschiedene Charaktere annehmen kann, lässt sich »von ›Räumen‹ sprechen, die je verschieden anmuten. Der Übergang von dem einen in den anderen[…] bedeutet nicht Auslöschen des Atmosphärischen schlechthin, sondern nur eine Wandlung des Ausdrucksgehaltes.« (Ebd., 23, Herv. i. O) Dies gilt ebenso für die Atmosphäre, bei der lediglich der Charakter wechselt, wenn die prägenden Umstände sich verändern. Die Atmosphäre besteht immer zwischen Menschen und Umgebung. Wird sie nicht bewusst erlebt, hat dies andere Ursachen, beispielsweise einen involvierenden Atmosphärencharakter. Ebenso wird vom gestimmten Raum »abgesehen […], wenn bestimmte praktische oder theoretische Ziele die Einstellung des Subjekts bestimmen« (ebd., 24). Die zweite Di-

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mension des gelebten Raumes, der Handlungsraum, ist der Raum der menschlichen Aktion, in dem Menschen »Zuhandendes« finden, nach Heidegger von Menschen geordnete Werkzeuge und Dinge für ihre Zwecke. Handlungen werden intentional mit dahinterstehenden Absichten ausgeführt. Dabei ist »im Aktionsraum der Leib urtümlich nicht bei sich, sondern bei den Dingen, ist auf sie gerichtet; aber er hat sie nur im unmittelbaren Kontakt zum Leibe« (ebd., 101). Sind Menschen auf bestimmte Handlungen konzentriert, können sie sich kaum dem leiblichen Spüren der Atmosphäre zuwenden. Als dritte Dimension des gelebten Raumes behandelt Ströker den Anschauungsraum als »der perspektivische und horizonthaft begrenzte Raum, der bezogen ist auf das anschauende Leibsubjekt als Zentrum« (ebd., 95). Der Leib im Seh-Raum erhält von der Wahrnehmung zwar Informationen, aber »[s]eine Eigendynamik wird qualitativ und quantitativ reduziert; sie sinkt auf ein Minimum herab, insofern für die Wahrnehmung alle diejenigen Bewegungen ausfallen, in denen der Leib tätig im engeren Sinne sich zeigt.« (Ebd., 101) Das bedeutet, ohne Bewegung fehlen viele Sinneseindrücke, und das leibliche Erlebnis ist weniger intensiv. Die Raumvorstellung des gelebten Raumes zeigt, wie unterschiedlich Raum erscheinen kann, abhängig vom Menschen und seiner aktuellen Einstellungsweise. Eine getrennte Betrachtung von gestimmtem Raum, Handlungs- und Betrachtungsraum verdeutlicht, wie verschieden die Umgebung den Menschen erscheinen kann. Wobei in Wirklichkeit alle Dimensionen zugleich erfahren werden. Der gestimmte Raum von Ströker weist wesentliche Merkmale der Atmosphäre auf, beide sind räumlich und quasi-objektiv der Umgebung zugehörig, also keine subjektiven Projektionen. Stimmungsqualitäten wie melancholische oder heitere Atmosphären gehören zum gestimmten Raum. Doch ihrem Wesen nach sind Atmosphären mehr. Neben ihrem Einfluss auf das menschliche Befinden können Atmosphären auch zu Bewegungen oder Handlungen anregen. Damit fallen Atmosphären Attribute des Handlungsraumes zu. Daher kann das Konzept der Atmosphären alle drei Dimensionen des gelebten Raumes vereinen. Im weiteren Verlauf der Arbeit wird deutlich, wie Atmosphären das menschliche Befinden beeinflussen, zu Aktionen verleiten oder die Art und Weise der Wahrnehmung lenken. Der gelebte Raum ist eng an menschliche Einstellungsweisen gekoppelt, Atmosphären sind dagegen eigenständiger und werden gleichermaßen vom relativen Raum mitgeprägt. So gesehen verbindet das Atmosphärenkonzept relative und

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gelebte Raumverhältnisse. Denn neben der menschlichen Einstellungsweise, tragen die räumlich strukturierte Umgebung mit Dingen, Menschen und Ephemerem über Ekstasen zur Atmosphäre bei. In dieser Arbeit wird daher insbesondere untersucht, wie Umgebungen Atmosphäre prägen und darüber Voraussetzungen und Bedingungen für das menschliche Erleben schaffen.

2.4 A tmosphären erleben Das wechselseitige Zusammenwirken von Mensch und Umgebung wird am Beispiel der Wahrnehmung diskutiert. Das Konzept des gelebten Raumes zeigt: mit der menschlichen Einstellungsweise kann sich die Wahrnehmung der Umgebung ändern. Im Alltag ist das Wahrnehmen eher intentionaler Art, ein zielorientiertes Aufnehmen und kognitives Verarbeiten von Informationen, um möglichst effizient Aufgaben bewältigen zu können. Wenn Atmosphären Menschen ergreifen, werden sie eher leiblich bemerkt und weniger intentional erschlossen. Böhme betont, dass zunächst die Atmosphäre erlebt wird, und »auf deren Hintergrund dann durch den analytischen Blick so etwas wie Gegenstände, Formen, Farben usw. unterschieden werden« (Böhme 1995, 48). Es ist folglich möglich, eine Situation sinnlich und kognitiv wahrzunehmen. Dies zeigt Rauh am Beispiel eines Autofahrers, welcher die Umgebung überwiegend semiotisch wahrnimmt, also dessen Wahrnehmung auf Zeichen ausgerichtet ist. Dagegen nimmt der Bildbetrachter Kunst vorwiegend phänomenologisch auf. Rauh macht deutlich, dass die jeweils andere Sichtweise nicht gänzlich ausgeschlossen ist, sondern sich die Verhältnisse der Wahrnehmung verschieben (vgl. Rauh 2012b, 193ff). Dies zeigt, das Raumerleben wird von der menschlichen Einstellung mitbestimmt, ist aber über die untrennbare Verknüpfung mit dem Raum auch zuvor durch diesen beeinflusst. Böhme zufolge kann schon eine Auffälligkeit der Umgebung dazu führen, dass die Wahrnehmungsweise beispielsweise von phänomenologisch in semiotisch wechselt: »Es ist der Punkt, an dem eine Differenz von Zeichen und Bezeichnetem auftritt, sei es, daß gegenüber dem Zeichen sich die Bedeutung im Sinn von Realität, sei es im Sinn einer bloß gedachten Wirklichkeit ablöst.« (Böhme 2001, 153) Beispielsweise der Blick aus einem Hotelfenster kann zunächst auf die Abendstimmung gerichtet sein, bis ein Detail eine Frage eröffnet, wie ein schnell drehendes

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Windrad, und die Wahrnehmung wandelt sich vom reinen Phänomen zur Suche nach weiteren Hinweisen, zum Beispiel für einen aufkommenden Sturm. Dies wiederum zeigt, dass nicht nur die menschliche Einstellung, sondern auch die Atmosphäre die aktuelle Wahrnehmungsweise mitbestimmt. Atmosphäre wird von Jean-Paul Thibaud im Anschluss an John Deweys Überlegungen als »Qualität der Situation« bestimmt, welche einzelne Elemente und Phänomene der Umgebung verbindet (Thibaud 2003, 288, Herv. i. O.). Für Thibaud sind Wahrnehmen und Handeln untrennbar, denn »Empfindungs- und Bewegungsfähigkeit sind zwei nicht voneinander trennbare Seiten desselben Phänomens, und es ist nicht möglich, einem von beiden einen Vorrang zuzuerkennen« (ebd., 289). Dies entspricht dem leiblichen Verständnis vom Menschen, das auch MerleauPonty und Schmitz aufzeigen. Wahrnehmung wird nicht alleinig mit der Einstellungsweise der Menschen bestimmt, sondern »[s]ie bleibt stets eingebunden in die […] Umgebung, die sinnlichen Erscheinungen und das Handlungsgeschehen, also in das, was sie allererst möglich macht.« (Ebd., 282) Für Thibaud sind Atmosphären ein vermittelndes »Medium« zwischen Situation und Mensch, da sie der »Hintergrund« einer Situation sind und die »Rahmenbedingungen für die Wahrnehmungen setzen« (ebd., 293). Daher behauptet Thibaud: »Wir nehmen [...] eine Atmosphäre nicht wahr, sondern wir nehmen gemäß der Atmosphäre wahr.« (Ebd., 293, Herv. i. O.) Dies bedeutet, dass die aktuelle Atmosphäre mitentscheidet, in welchen Verhältnissen kognitive und leibliche Wahrnehmung angesprochen werden. Thibaud zufolge ist Wahrnehmen »nicht nur das Erkennen von Gegenständen in der Umgebung, sondern auch die Erfahrung des Zustands, in dem sich das Medium zu seiner gegebenen Zeit befindet« (ebd., 295, Herv. i. O.). Dies deckt sich mit Böhmes Aussage, dass Atmosphären immer in ihrem »Was-Sein« erfahren werden, verstanden »als charakteristische Weise, in der sie anmuten« (Böhme 2001, 87). Thibaud zeigt auf, dass Atmosphären neben dem menschlichen Befinden Wahrnehmungen, Verhalten und Handlungen beeinflussen. Der Aufforderungscharakter der Dinge, die Affordanz, beispielsweise der einer Bank, welche zum Hinsetzen animiert, ermöglicht den Atmosphären, »unsere Handlungsfähigkeit anzusprechen« (Thibaud 2003, 290). Atmosphären sind Thibaud zufolge »darauf angelegt, uns in einen Zustand der Spannung und Erregung zu versetzen, der es uns unmöglich macht, nicht zu reagieren« (ebd., 290). Tritt die Möglichkeit einer Handlung zutage,

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werden Menschen unter Zugzwang gesetzt, zu reagieren, und sei es nur, eine Gelegenheit auszuschlagen. Damit schreibt Thibaud Atmosphären deutlich mehr Einfluss auf Menschen zu als beispielsweise Schmitz oder Böhme. Neben dem menschlichen Befinden können sie auch die Wahrnehmung sowie die Art und Weise des Handelns beeinflussen. Die Atmosphäre ist dabei vermittelndes Medium von umgebender Situation und Mensch.

2.5 A tmosphären bemerken Menschen sind immer von einer Atmosphäre umgeben, doch unter bestimmten Umständen ist dies offensichtlicher. Das heißt, den Menschen werden die aktuelle Atmosphäre, ihr Charakter und ihre Wirkung bewusst. Verschiedene Konstellationen von Umgebungsqualitäten und menschlichem Befinden können die Zugänglichkeit zum Atmosphärenphänomen erleichtern oder erschweren. Ingressionserfahrungen (lat. ingressio, »das Hineingehen«) bezeichnen Böhme zufolge Umstände, in denen Menschen plötzlich in eine At­ mo­sphäre hineingeraten (vgl. Böhme 2001, 46f). Mit dem Eintritt in ein Zimmer wird die Atmosphäre zunächst am eigenen Leib gespürt, bevor Einzelheiten ausgemacht werden. So wird beispielsweise eine angespannte Atmosphäre vernommen, bevor einzelne Personen erkannt werden, und es besteht die Möglichkeit, das eigene Verhalten entsprechend anzupassen. Die Atmosphäre ist im Moment des Eintretens zur eigenen Stimmung verschieden, da diese unter Umständen an einen anderen Atmosphärencharakter angepasst war. Mit dem Hineingeraten in die aktuelle Atmosphäre, die nicht von einem Raum umfasst sein muss, sondern auch von einer Menschenansammlung ausgehen kann, wird die räumliche Dimension von Atmosphäre deutlich (vgl. ebd., 46f). Transformationserfahrungen (lat. transformare, »umformen«) werden an dieser Stelle neu eingeführt. Sie beschreiben einen Atmosphärenwechsel an einem Ort infolge veränderter prägender Umstände. Die Veränderung einer Atmosphäre kann spontan oder kontinuierlich geschehen, beispielsweise ausgelöst durch wandelnde Beiträge der Menschen, der Dinge oder des Wetters. Wie bei den Ingressionserfahrungen führt ein Wechsel im Atmosphärencharakter dazu, dass Anwesende auf die aktuell umgebende Atmosphäre aufmerksam werden.

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Konsonanzerfahrungen (lat. consonans, »das Übereinstimmen«) bezeichnet Rauh als Situationen, in denen festgestellt wird, dass die Atmosphäre mit der persönlichen Stimmung übereinstimmt (vgl. Rauh 2012a, 163). Die Konsonanzerfahrung ist eine Erweiterung der Ingressionserfahrung, die trotzdem stattfindet, mit dem Hineingeraten und Bemerken der Atmosphäre. Immersion (spätlat. immersio, »das Eintauchen«) bezeichnet das vollständige Eintauchen in die umgebende Atmosphäre. Dieser Umstand schließt an Ingressionserfahrungen für gewöhnlich an, wenn die eigene Stimmung sich an den Atmosphärencharakter anpasst. Mit dem Angleichen der persönlichen Stimmung an die umgebende Atmosphäre ist es viel schwieriger, deren Charakter zu bestimmen oder ihren Einfluss zu bemerken. Ein atmosphärischer Wechsel erleichtert rückblickend, den vorherigen Charakter von der aktuellen Atmosphäre abzusetzen. Im Einzelfall ist zu diskutieren, ob ein Nicht-Bewusst-Werden der Atmosphäre die Folge einer Immersion in diese ist, mit den verbundenen Schwierigkeiten, diese zu bestimmen, oder ob es sich um eine Ignoranz des eigenleiblichen Spürens handelt. Bisher ist unklar, ob es abgesehen von tiefgreifenden Gefühlen wie beispielsweise der Trauer möglich ist, sich dem Einfluss der Atmosphäre dauerhaft zu entziehen. Da Menschen immer von Atmosphäre umgeben sind, würden sie mit dem Verlassen einer Situation lediglich einen anderen Atmosphärencharakter erfahren. Die Diskrepanzerfahrung (lat. discrepare, »nicht übereinstimmen«) bezeichnet das Erleben einer Atmosphäre, welche in ihrem Charakter stark verschieden von der persönlichen Stimmung ist. Böhme zufolge mutet die heitere Atmosphäre beispielsweise einer Landschaft Trauernde zwar an, aber sie lassen sich nicht umstimmen, sondern erleben eine Diskrepanz zur eigenen Stimmung, welche sich unter Umständen noch verstärken kann (vgl. Böhme 2001, 47f). Die Diskrepanzerfahrung verdeutlicht Böhme zufolge, dass Atmosphären als »quasi objektive Gefühle zu bestimmen sind« (ebd., 48) und keine Projektion der persönlichen Stimmung auf die Landschaft sind. Fortan wird in dieser Arbeit die Unterscheidung begrifflich klar gezogen und die umgreifende räumliche Qualität als Atmosphäre und die persönliche Gefühlslage als Stimmung bezeichnet. Ingressions-, Transformations- und Diskrepanzerfahrungen untermauern den intersubjektiven Status der Atmosphäre, der es Menschen erlaubt, sich über den aktuell vorliegenden Charakter auszutauschen.

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2.5.1 Atmosphären in Bewegung erleben Die Eigenbewegung der Menschen spielt beim Erleben von Atmosphären in zweierlei Hinsicht eine Rolle. Die Bewegung fördert Ingressionserfahrungen, denn mit einem Standortwechsel ändern sich häufiger die prägenden Umstände der Atmosphäre und damit ihr Charakter. Zudem unterstützt die Eigenbewegung das leibliche Erleben der Atmosphäre, denn der Leib ist Ort aller Wahrnehmung und Bewegung. Wie Ströker am Beispiel des Anschauungsraumes zeigt, ist die leibliche Ansprache geringer, wenn verschiedene Sinneseindrücke fehlen (vgl. Ströker 1977, 101). Zu Fuß, per Rad oder mit dem Auto können verschiedene Atmosphären in zeitlicher Abfolge erfahren werden, wenn diese im Charakter unterschiedlich genug sind. Hier wird die These aufgestellt, dass Atmosphären in langsamer Bewegung leichter zugänglich sind, im Vergleich zum Stillstand oder einer hohen Geschwindigkeit. Dafür spricht, dass die leibliche Bewegung und Interaktion mit der Umgebung zu mehr Sinneseindrücken führt. Dies ist leicht vorstellbar für den Wandernden, welcher mehr leibliche Eindrücke über Steigung, Bodenbeschaffenheit, Temperaturunterschiede in der Luft, verschiedene Sonneneinstrahlungen, Ausblicke oder Windstärken gewinnt als ein Verweilender. Da die Atmosphäre selbst eine räumliche Dimension ist, können die beitragenden Ekstasen der Umgebung unmittelbarer erfahren werden als im Stillstand. Ähnliche Unterschiede lassen sich für Fahrer und Mitfahrer eines Wagens feststellen. Die Steuerung eines Autos erlaubt einen engeren Zugang zur landschaftlichen Atmosphäre, als es passiven Mitfahrern oder Zugreisenden möglich ist. Dafür spricht, dass Menschen nach Merleau-Ponty über den Leib mit dem Raum agieren und kommunizieren, entweder direkt oder über die Autos oder Räder, welche als Verlängerung des Leibes verstanden werden (vgl. Merleau-Ponty 1974, 182). Wird der Wagen auf der Fahrbahn durch die Landschaft gesteuert, die Bodenunebenheiten in der Lenkung gespürt oder Steigung und Gefälle über den Widerstand des Gaspedals erlebt, werden mehr Sinneseindrücke erlangt. Über die Leibsynthese mit dem Wagen interagieren Fahrer stärker mit der Umgebung als Beifahrer. Der Leib als Zentrum der Sinne, bei dem alles Empfinden zusammenläuft, reagiert daher eindrücklicher auf die Landschaft mit leiblichen Regungen und affektivem Betroffensein. Folglich haben aktiv Fahrende einen direkteren Zugang zur landschaftlichen Atmosphäre als Mitreisende, da diese weniger mit der umgebenden Landschaft

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interagieren und daher weniger leiblich kommunizieren und reagieren. Umgekehrt kann es für Mitfahrende dazu führen, dass die Landschaft in größerer Distanz erlebt wird, weil für sie das Wageninnere oder das Zugabteil präsenter ist. Und dies, obwohl es Mitreisenden eher möglich ist, den Blick aus dem Wagen auf die Landschaft zu lenken. Da Atmosphären über leibliche Empfindungen erlebt werden, sind diese im reinen Sehen und Stillstand schwerer zugänglich.

2.5.2 Über Atmosphäre(n) sprechen Schon Ströker stellte »besondere Schwierigkeiten in der begrifflichen Bestimmung des gestimmten Raumes« fest (Ströker 1977, 24). Für Atmosphären resultieren diese aus dem Status zwischen Welt und Mensch und führen zu »vagen« Beschreibungen. Dies heißt aber nicht, dass Atmosphären »selbst vage« sind (Böhme 1995, 28). Die intersubjektive Atmosphäre wird über leibliche Regungen erfahren. Diese doppelte Wahrnehmung, der Atmosphäre einerseits und der eigenleiblichen Reaktion andererseits, führt zu ungenauen sprachlichen Artikulationen. Rauh plädiert dafür, die Vagheit der Atmosphärenbeschreibung als etwas Charakteristisches zu akzeptieren, da so »das Alltägliche, Ungezwungene weil Unreflektierte, bisweilen Poetische und Metaphorische atmosphärischer Rede erklärbar« wird (Rauh 2012a, 200). Da Menschen immer von Atmosphären umgeben sind, wird die Allgegenwärtigkeit des Phänomens unterstrichen. »Der Sprachraum des Alltags ist damit sprachlicher Auffindungsort der und methodischer Zugriffsort auf Atmosphären.« (Ebd., 201) Das Artikulieren der gespürten Atmosphäre entspricht Rauh zufolge eher einem »Einweben der Atmosphäre in Wortschleier« (ebd., 201) als einer reduzierten Bezeichnung des Charakters mit einem Wort, womit aktuelle und vielschichtige Strukturen des Phänomens schnell verallgemeinert und Besonderheiten unterschlagen werden. Das in der Beschreibung vage Phänomen ist als intersubjektive Qualität keinesfalls vage, sondern eben nur schwer sprachlich auszudrücken (vgl. Böhme 1995, 28). Dabei fällt es Menschen, die Umgebungen gestalten, meist leichter, Atmosphären hinsichtlich ihres Erzeugungszusammenhangs zu verstehen, beispielsweise dem Architekten Peter Zumthor. Der Begriff der Atmosphäre wird in Singular und Plural verwendet. Die Atmosphäre als aktuell räumlich ausgedehntes intersubjektives Phänomen zwischen Welt und Menschen gibt es nur einmal. Diese Atmo-

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sphäre wird von der aktuellen Umgebung mit Ekstasen angereichert und ein ortsspezifischer Charakter geprägt. Je nach Zusammenspiel der beitragenden Umstände verändert sich der Charakter stetig. Die Atmosphäre bleibt bei diesen Wandlungen bestehen und löst sich nicht auf, sondern ändert lediglich ihren Charakter, je nach dem, was sie an Qualitäten aufnimmt und abgibt. Eine »komplexe Verschachtelung von Atmosphären« (Hasse 2012, 69) oder »Charaktere von Atmosphären […, die sich] überlagern« (ebd., 70, Einf. d. Verf.) gibt es folgerichtig nicht. Die Atmosphäre wird mancherorts von sehr unterschiedlichen Ekstasen bereichert, was zu einem ambivalenten Charakter führt, bestehend aus kontrastierenden Beiträgen. Die Verwendung von Atmosphären im Plural bezieht sich auf das Erleben verschiedener Charaktere im zeitlichen Nacheinander. Die Charaktere können scharfe Grenzen ausbilden, welche prädestiniert sind für Ingressionserfahrungen. Der Plural »Atmosphären« wird im Sprachgebrauch verwendet, wenn verschiedene Atmosphärencharaktere ausgewiesen werden. Die Menschen erfahren die Atmosphäre in ihrer aktuellen Prägung, in ihrem ausgelassenen, angespannten oder melancholischen »Was-Sein« (vgl. Böhme 2001, 87). Atmosphären in der Mehrzahl beschreiben die verschiedenen Tönungen, welche das Phänomen annehmen kann. Diese unterschiedlichen Charaktere erleben Menschen zeitlich nacheinander. Wird sich über die aktuell bestehende Atmosphäre eines Ortes ausgetauscht oder diese untersucht, werden mit der Verwendung von »Atmosphäre« im Singular spezifische und ortsverbundene Qualitäten betont.

2.6 E igenleibliche R efle xion als P otenzial Atmosphären werden erfahren, indem sie Menschen leiblich betroffen machen. Dies geschieht oft unbemerkt, wenn Menschen mit ihrer Wahrnehmung auf Dinge und Sachverhalte fokussiert sind oder schlicht verdrängen, wie sie sich in der jeweiligen Umgebung fühlen. »Dem distanzierten Blick, der Objekte, Tatsachen und Situationen konstatiert, steht ein Ich gegenüber, das entweder unauffällig in der Wahrnehmung mitgegebene Befindlichkeiten ignoriert oder andrängende abwehrt.« (Böhme 2001, 86) Dies bedeutet keineswegs, dass Atmosphären keinen Einfluss haben, sondern lediglich, dass dies den Menschen nicht bewusst ist. Ein hilfreicher Zugang zu Atmosphären ist ein Bewusstsein für den eigenen

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Leib, für seine Regungen und Empfindungen. Fehlt das eigenleibliche Verständnis infolge dauerhafter Ignoranz der Eindrücke und Regungen, ist es möglich, den Bezug zur eigenen Leiblichkeit zu verlieren. Dies ist leicht vorstellbar bei aufdringlichen Atmosphären. Es obliegt daher nicht nur der Einstellungsweise der Menschen, sondern auch dem Wesen der Atmosphäre, ob leibliche Erfahrungen gefördert und das menschliche Befinden in auffälliger Weise beeinflusst werden. Es gibt persönliche Unterschiede im Erleben von Atmosphären. »Man kann über seine Gefühle, auch wenn sie leiblich spürbar ergreifen, hinwegleben.« (Schmitz 2014, 41) Erfahrungen in der Vergangenheit können dazu führen, dass Menschen ihre Gefühlswelt und so ihren Leib unterdrücken. »Die Lebensgeschichte hat einen wichtigen Einfluss darauf, ob und wie sich die Person gegen Gefühle sperrt.« (Ebd., 41) Nach Schmitz erlauben besonders ergreifende Atmosphären diesen Menschen, ihren Leib wieder zu entdecken: »Die Chance für die Person, sich nach der anfänglichen Überwältigung durch das ergreifende Gefühl in Preisgabe oder Widerstand damit auseinanderzusetzen, gibt Gelegenheit zur Entwicklung einer persönlichen Kultur des Fühlens zwischen Rohheit und subtiler Verfeinerung.« (Ebd., 41) Eine Atmosphäre ist intersubjektiv und allen anwesenden Menschen über emotionales Betroffensein zugänglich, doch individuelle Vorerfahrungen, Erwartungen und Assoziationen können anschließend verschiedene persönliche Gefühle hervorrufen und zu unterschiedlichen Bewertungen der Umgebung führen. Die anfangs erlebte Atmosphäre ist dennoch dieselbe. Es ist möglich, sich über ihren Charakter auszutauschen, wenn sich auf die Umgebungserfahrung bezogen wird und nicht auf die eigene Bewertung. Böhme betont die »implizite Reflexivität«, die mit der Atmosphären­ erfahrung verbunden ist (Böhme 2001, 85). Im leiblichen Ergriffensein seitens der Atmosphäre wird der Spürende von der Umgebung auf die eigene Leiblichkeit zurückgeworfen. Dabei kommt »die in der Wahrnehmung mitgegebene Befindlichkeit des Wahrnehmenden erst im SichSpüren zur Abhebung« (ebd., 84). Das Spüren von Atmosphäre beinhaltet ein reflexives Moment: »Wenn ich nicht einfach bin, sondern mich spüre, liegt darin eine Tendenz, ich und mich zu unterscheiden: ich spüre mich.« (Ebd., 85) Mit der Bewusstwerdung der aktuellen Befindlichkeit distanziert sich der Mensch von dem Befinden »ich bin aufgeregt« und »[d]ie implizite Selbstbezüglichkeit der Befindlichkeit bricht auseinander in ein Ich und den Zustand, den es hat.« (Ebd., 85) Das Spüren der Atmosphä-

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ren kann folglich den Bezug zum eigenen Befinden fördern. Dies ist besonders hilfreich, da laut Böhme die mitgebrachte persönliche Stimmung weniger aus individuellen, sondern vielmehr aus sozialen und kulturellen Kontexten stammt: »Während ich mir selbst in höchst unbestimmter und sporadischer Weise erscheine, begegne ich mir in den Augen der anderen und ihren Erwartungen als eine feste Instanz, der Kontinuität und Selbigkeit durch die Zeit zugemutet wird.« (Ebd., 86) Nach Böhme wird das »mir« insbesondere über Mitmenschen erfahren. Wenn deren Bild angenommen wird, ist es möglich, die eigenen Intentionen aus dem Blick oder den Bezug zu sich selbst zu verlieren (vgl. ebd., 86). Das könnte dem Hang der Menschen geschuldet sein, die eigene emotionale Berührtheit zu verdrängen oder an entsprechenden Atmosphären, welche Menschen direkt ansprechen und ihre Aufmerksamkeit auf das Handeln lenken. Festzuhalten bleibt, die Bewusstwerdung der aktuellen Atmosphäre hat das Potenzial, dass Menschen ihre eigene Leiblichkeit und zugleich sich selbst erfahren. So schlussfolgerte schon Merleau-Ponty: wenn wir »ein neues Verhältnis zu unserem Leib wie zur Welt finden, werden wir auch uns selbst wiederfinden, da der Leib, mit dem wir wahrnehmen, gleichsam ein natürliches Ich und selbst das Subjekt der Wahrnehmung ist« (Merleau-Ponty 1974, 243). Atmosphären werden unterschiedlich intensiv erfahren, abhängig von der Empfindsamkeit der Menschen sowie von der Beschaffenheit der Umgebung und ihrer spezifischen Prägung der Atmosphäre. Da jede Situation eine Atmosphäre aufweist, definiert Rauh »die ›besondere Atmosphäre‹ des ›Auf Einmal‹ als Auffindungszusammenhang der quantitativen Besonderheit des Atmosphärenphänomens im Ganzen. Sie ist ein Entdeckungsmoment, im Vergleich zur alltäglichen Wahrnehmung diejenige besondere Wahrnehmungsform, die den Wahrnehmenden in jedem ›Hier und Jetzt‹ erst auf das Atmosphärephänomen aufmerksam macht.« (Rauh 2012a, 158, Herv. i. O.)

Mit dieser Spezifizierung versucht Rauh der Feststellung Rechnung zu tragen, dass in manchen Situationen die Atmosphäre den leiblich Spürenden plötzlich ergreift und das Phänomen überhaupt erst zugänglich wird. Kommt es zu einer »Abhebung« von der gewöhnlichen Sichtweise, wird »Wahrnehmung zum Sich-spüren«, dann steht die Atmosphäre plötzlich im Vordergrund (Böhme 2001, 84). Für den Spürenden kommt es zu einer »Wahrnehmung der Wahrnehmung[... verstanden als]: Eine distanzierte

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Wahrnehmung und Feststellung einer betroffen machenden Wahrnehmung wie das eigenleibliche Spüren der Ekstasen der Umgebung.« (Rauh 2012a, 161, Herv. i. O., Einf. d. Verf.) Die Begrifflichkeit der »besonderen Atmosphäre« beschreibt ein menschliches Wahrnehmungserlebnis. Ob diese Atmosphäre spezifische Eigenschaften aufweist, ist bislang nicht erforscht. Ein Anliegen dieser Arbeit ist es, verschiedene Atmosphärencharaktere auf qualitative Unterschiede zu untersuchen. Insbesondere im Hinblick darauf, ob Atmosphären Menschen unterschiedlich involvieren und andere Erlebnisse bedingen.

2.7 F a zit zum E rleben von A tmosphären Die Erörterung zeigt, wie und weshalb Atmosphären Menschen emotional beeinflussen können. Die Wahrnehmung von Umwelt und Selbst sind über das leibliche Befinden auf das Engste miteinander verknüpft. Das menschliche Befinden ist durch die eigene Gedankenwelt und durch den Austausch mit der Welt beeinflusst. Ort der Empfindungen ist der Leib, dieser reagiert mit emotionalem Bewegtsein und leiblichen Empfindungen auf eigene Gefühle und auf umgebende Atmosphären. Der Leib ist Sammelpunkt der sinnlichen Wahrnehmung, bei dem alle Eindrücke zusammenlaufen, und bietet eine immer schon gegebene Verbindung zur Umgebung. Merleau-Ponty und Schmitz zeigen, dass es Menschen über den phänomenal gegebenen Leib möglich ist, sich im Raum zu bewegen, mit Dingen zu interagieren, oder mit Werkzeugen zu hantieren. Thibaud stellt fest, Atmosphären beeinflussen die menschlichen Emotionen, ihre Wahrnehmungen und Handlungen in einer Situation. Atmosphären gehören zur alltäglichen Wahrnehmung, sind immer präsent und ergreifen Menschen leiblich. Doch persönliche Gründe, die aktuelle Einstellung und das Verhalten können eine Bewusstwerdung der Atmosphäre erschweren. Eindrückliche atmosphärische Erlebnisse können zu einer leiblichen Reflexion führen. Dabei werden das leibliche Berührtwerden von der Umgebung bewusst sowie der Kontakt zum eigenen Leib hergestellt. Nachdem besprochen wurde, wie Menschen Atmosphären erleben, wird nun gefragt, wie Atmosphären von der Umgebung geprägt werden und ihren aktuellen Charakter erhalten.

3. Atmosphären prägen

»Atmosphären sind etwas zwischen Subjekt und Objekt. Sie sind nicht etwas Relationales, sondern die Relation selbst.« (Böhme 2001, 54, Herv. i. O.) Daher hat das Atmosphärenphänomen zwei Pole. Der erlebende Pol berücksichtigt die wahrnehmende Perspektive der Menschen, der prägende Pol beschreibt den Beitrag der Situation zum spezifischen Atmo­sphä­ ren­cha­rakter. Nachdem erörtert wurde, wie Atmosphären das menschliche Befinden beeinflussen, wird nun die Prägung der Atmosphären be­trach­tet. Der Zusammenhang zwischen Umgebungsgestaltung und At­mo­sphä­ren­cha­rak­ter ist bislang weitgehend unklar. Daher wird für den Ver­gleich verschiedener Landschaften die Relation systematisch entwickelt. Mit dem Bestreben, Kriterien für die Auswertung der Analysen von land­schaft­lichen Atmosphären herauszuarbeiten, werden zunächst verschiedene Klassifizierungen von Atmosphärencharakteren diskutiert und ihre Eignungen mit einer kurzen Anwendung auf natürliche und urban geprägte Landschaften überprüft. In einem zweiten Schritt wird, gestützt von Erkenntnissen aus dem angewandten Bereich, das Zusammenspiel der Umgebung bei der Atmosphärenprägung systematisiert. Diese strukturierte Analyse des Zusammenwirkens in der Atmosphärenprägung bietet erstmalig ein Werkzeug zur Entschlüsselung des Atmosphärencharakters über die Umgebungsqualitäten. Der hier entwickelte Ansatz wird auf natürlich und urban geprägte Landschaften angewendet, welche deutliche Unterschiede erwarten lassen. Daraus entwickeln sich erste Erkenntnisse zu verschiedenen Atmosphären und lassen erste Schlüsse auf die unterschiedlichen Bedingungen für ihr Erleben zu. Damit zeigt dieses Kapitel, dass die spezifische Atmosphäre für die Erfahrung einer Landschaft mitverantwortlich ist. Darüber hinaus beeinflusst auch der erlebende Pol die Atmosphäre und damit das Landschaftserleben wie die aktuelle menschliche Einstellung zur Umgebung. Die so gewonnenen

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theoretischen Überlegungen stellen eine erste These dar, welche die Erkenntnisse aus den praktischen Untersuchungen ergänzen. In der Auswertung der exemplarischen Feldstudien findet die hier entwickelte Systematik der Atmosphärenprägung Anwendung (Kapitel 6).

3.1 C har ak tere von A tmosphäre (n) Der Begriff »Atmosphären« im Plural verwendet, zeigt an, dass dieses Phänomen verschiedene Charaktere annehmen kann. Jeder Mensch ist aktuell nur von einer Atmosphäre umgeben, doch vorige und anschließende Erfahrungen anderer Charaktere erlauben es, von Atmosphären in der Mehrzahl zu sprechen (vgl. Kapitel 2.5.2). Der Charakter von Atmosphären ist »die charakteristische Weise, in der sie anmuten« (Böhme 2001, 87). Das Wesen einer Atmosphäre ist mit leiblicher Anwesenheit bestimmbar, wenn sie »als Medium der Intersubjektivität spürbar wird« (Tellenbach 1968, 63). Die bisher aufgestellten Unterscheidungen und Klassifizierungen von Atmosphärencharakteren werden im Folgenden diskutiert und erweitert sowie auf Landschaften angewendet. Böhme unterscheidet fünf Arten von Atmosphären: »gesellschaftliche Charaktere, Synästhesien, Stimmungen, kommunikative Charaktere und Bewegungsanmutungen« (Böhme 2001, 89f). Die Entstehung von Atmosphären mit gesellschaftlichen Charakteren wie »Kleinbürgerlichkeit« und »Reichtum« führt Böhme auf Konventionen zurück. Die plakativen Beispiele zeigen, dass Atmosphären gesellschaftsbezogen sind und daher kulturell verschieden erfahren werden. Kom­munikative Charaktere informieren beispielsweise über eine »an­gespannte« oder »gelangweilte« Atmosphäre in einer Gruppe oder Situation. Bewegungsanmutungen wie »erhebend, drückend, ruhig und bewegend« werden überwiegend von architektonischen Gestaltungen erzeugt und beschreiben zugleich, wie Menschen die Atmosphäre leib­lich erfahren (ebd., 89). Der Bereich der Stimmungen wie »heiter« oder »melancholisch« umfasst Atmosphären, die Menschen umstimmen können (ebd., 89). Bei gesellschaftlichen und kommunikativen Atmosphären sowie Bewegungsanmutungen besteht ein enger Bezug von Umgebung und Situation, welche diese Atmosphäre definieren. Synästhesien wie »dichte« oder »feurige« Atmosphären können auf verschiedene Weisen beispielsweise über Farben oder Töne erzeugt werden und sprechen mehrere Sinne zugleich an (ebd., 89). Eine

Atmosphären prägen

Atmosphäre kann durchaus mehrere der aufgezeigten Qualitäten vereinen. Böhmes Differenzierung bezieht sich meist auf beides, den auftretenden Umstand sowie auf die Art, wie die Atmosphäre Menschen ergreift. Jürgen Hasse vereinfacht die Systematik und ordnet die kommunikativen Charaktere und die Bewegungsanmutungen den Synästhesien unter, da sie alle durch nicht-spezifische Reize erzeugt werden (vgl. Hasse 2012, 69ff). Damit verbleiben Hasse für die Unterscheidung städtischer Atmosphären gesellschaftliche und synästhetische Charaktere sowie Stimmungen. Es ist zu bezweifeln, ob das ausreichend ist, Atmosphären hinreichend zu charakterisieren und zu differenzieren. Die Anwendung der diskutierten Charaktere auf verschiedene Landschaftstypen lässt zwei Überlegungen zu. In urbanen Landschaften treten mehr gesellschaftliche und kommunikative Situationen und von diesen geprägte Atmosphärencharaktere auf, da der konventionelle Rahmen stärker und die menschliche Präsenz höher ist als in natürlichen Landschaften. In natürlichen und urbanen Landschaftstypen kommen Synästhesien, Bewegungsanmutungen und Stimmungen gleichermaßen vor. Je nach erzeugender Struktur differenziert Christiane Heibach die »physikalischen, sozialen und medial-intendierten Atmosphären«, welche in ihrer Systematik aufeinander auf bauen (Heibach 2012, 10). Der phy­si­ka­lische Bereich »umfasst die Luft und das Klima« und hat einen »natürlichen Charakter«, wobei Menschen auch diesen indirekt mit beeinflussen (ebd., 11). Die sozialen Atmosphären entstehen »in der und durch die Interaktion von Personen (mit anderen Personen, aber auch mit Räumen, Dingen, Umgebungen aller Art)« (ebd., 11, Herv. und Einf. i. O.). Intendierte Atmosphären entstehen aus »verschieden gearteten Interaktionen zwischen Mensch und Umwelt« und gehen aus physikalischen und sozialen Strukturen hervor (ebd., 11). Dazu zählen Heibach zufolge die Planung und Gestaltung der Umwelt, bildende und darstellende Künste, sowie mediale Erzeugungsstrukturen. Die Abgrenzung intendierter Atmosphären von natürlichen und sozialen Charakteren verweist auf die Möglichkeit, atmosphärische Wirkungen gezielt zu inszenieren, um Menschen in eine bestimmte Richtung zu beeinflussen. Dies ist beispielsweise ein Gestaltungsmittel von totalitären oder kriegsführenden Staaten, um die Bevölkerung für etwas zu gewinnen. Dieses Potenzial verdeutlicht auch, wie wichtig es ist, sich mit Atmosphären auseinanderzusetzen und unterstreicht ihren Einfluss auf das menschliche Befinden.

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Mit natürlichen und intendierten Atmosphären stehen sich relativ unbeeinflusste und gezielt gestaltete Charaktere gegenüber. Es bietet sich daher an, die Prägung der natürlichen Atmosphären von klimatischen Phänomenen auf natürliche Elemente wie Vegetation, Tiere und Wasser zu erweitern. Mit der Ausweitung des Konstruktionsrahmens über die Phänomene des Wetters hinaus auf alle natürlichen Elemente und Phänomene würde die Klassifikation an Stärke gewinnen. Dennoch ist die Differenzierung von sozialen, natürlichen und intendierten Charakteren für die Bestimmung landschaftlicher Atmosphären nur bedingt hilfreich. So kann ein Park kann eine intendierte Atmosphäre haben, wenn der Gestaltungsaspekt überwiegt oder eine natürliche Atmosphäre, wenn die Gestaltung in den Hintergrund tritt und die natürlichen Elemente, wie Bäume und Wiese als solche wirken können. Eine Differenzierung von natürlichen, sozialen oder intendierten Atmosphären ist möglich, doch meist liegt eine Mischform vor. Daher ist es zutreffender, vom dominanten Charakter einer Atmosphäre zu sprechen. Die Strukturtypen natürlich, sozial und intendiert lassen für Landschaften folgende Überlegungen zu: Im Vergleich zu natürlichen Landschaften finden sich in urbanen Landschaften mehr soziale sowie intendierte und weniger natürliche Atmosphären. Eine stärkere Gestaltung der urbanen Landschaften führt zu mehr intendierten Atmosphären, und eine verstärkte Anwesenheit von Menschen bedingt mehr soziale Atmosphären. In den natürlichen Landschaften überwiegen folglich die natürlichen Atmosphären. Die Klassifikation von Charakteren verdeutlicht, dass Atmosphären ein alltägliches Phänomen sind, das Menschen immer umgibt. Umweltgestalter tragen daher eine große Verantwortung, da sie die menschliche Stimmung, aber auch mögliche Handlungen, beeinflussen können. Für die Untersuchung von Landschaften ist es ungenügend, zwischen gesellschaftlichen, kommunikativen, natürlichen oder intendierten Charakteren zu unterscheiden, da diese Qualitäten schon bei einer einzigen Atmosphäre zugleich auftreten können. Die Erörterung zeigt auch, dass eine Annäherung an die Atmosphären über den erfahrenen Charakter nur begrenzt zu Erkenntnissen führt. Daher werden nun die erzeugenden Umstände betrachtet. Es wird diskutiert, welche Faktoren und Gegebenheiten in der Prägung des spezifischen Atmosphärencharakters eine Rolle spielen.

Atmosphären prägen

3.2 P r ägung der A tmosphäre Wie Atmosphären genau entstehen, ist im theoretischen Diskurs noch nicht umfassend geklärt. Atmosphären sind von allem geprägt, was in einer Situation vorhanden ist. Doch wie umgebende Elemente, Phänomene und Lebewesen in der Atmosphärenkreation zusammenwirken, ist noch offen. Aus der leiblichen Erfahrung einer Atmosphäre heraus ist es möglich, das Zusammenspiel der Umgebung durch »mehr analytische und versachlichende Wahrnehmungsweisen« festzustellen (Böhme 2001, 101). Auf bauend auf den praktischen und theoretischen Ansätzen im Atmosphärendiskurs und unter Berücksichtigung hermeneutischen Wissens wird in der vorliegenden Arbeit eine Theorie entwickelt, welche das Zusammenwirken von Umgebung und Atmosphäre aufzeigt. Die Überlegungen werden im Einzelnen begründet und im Hinblick auf größtmögliche Gestaltungsunterschiede, auf urban und natürlich geprägte Landschaften angewendet, um vorab Erkenntnisse über mögliche Differenzen zu gewinnen. Die Architekten Peter Zumthor und Christian Norberg-Schulz haben die Wirkung der Umgebung auf die Menschen beschrieben, und auch der Humangeograf Jürgen Hasse benennt wichtige Eigenschaften urbaner Atmosphären. Dennoch fehlt bislang eine Systematik, welche den Zusammenhang von Umgebung und Atmosphäre aufzeigt, die sich für eine Untersuchung eignen würde. Die bestehenden Erkenntnisse aus den praktischen und theoretischen Disziplinen werden neu strukturiert und in drei Bereiche unterteilt, welche im Zusammenwirken den Atmosphärencharakter prägen. Diese drei Kategorien tragen auf verschiedene Weise aber gemeinsam zur landschaftlichen Atmosphäre bei: die massive Ebene mit räumlicher Struktur in spezifischer Materialität, die mobile Ebene mit allen Dingen und Lebewesen, sowie die ephemere Ebene mit dem Atmosphärischen.

3.2.1 Massive Ebene mit räumlicher Struktur Die grundlegende Wirkung einer Atmosphäre wird von der räumlichen Struktur in spezifischer Materialität bestimmt. Die massive Ebene mit Topografie, Bauten und Vegetation gliedert den physischen Raum und ist der Rahmen für die mobile und ephemere Ebene der Atmosphärenprägung. Der Beitrag der räumlichen Struktur kann als relativ konstant an-

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gesehen werden, da diese nur bedingt Veränderungen ausgesetzt ist. Der Einfluss der massiven Struktur wird im philosophischen Diskurs häufig außer Acht gelassen, dabei ist ihr Beitrag grundsätzlicher Art. »Da in der dinglichen Welt praktisch nichts ohne Formen und Volumen ist, spielen diese Erzeugenden von Bewegungsanmutungen auch in alle anderen atmosphärischen Charaktere hinein.« (Böhme 2001, 102) Der Architekt Christian Norberg-Schulz arbeitet mit dem römischen Konzept des »genius loci«, der »Geist eines Ortes«, um den Einfluss der Umgebung auf die Menschen zu bestimmen (Norberg-Schulz 1982, 18, Herv. i. O). »Dieser Geist gibt Menschen und Orten Leben, begleitet sie von der Geburt bis zum Tod und bestimmt ihren Charakter oder ihr Wesen.« (Ebd., 18) Wichtigstes Hilfsmittel in der Annäherung an den Genius loci sind »die fundamentalen Beziehungen von Erde und Himmel«, wobei Norberg-Schulz drei Archetypen aufzeigt, deren Einteilung auf der physischen Gestalt der Erdoberfläche beruht (ebd., 46). Norberg-Schulz zufolge hat in der »romantischen Landschaft« die Erde den bestimmenden Einfluss auf den Genius Loci wie beispielsweise in den bewaldeten Norwegischen Bergen (vgl. ebd. 42). In der »kosmischen Landschaft« prägt dagegen der Himmel den Genius loci entscheidend, von Norberg-Schulz am Beispiel der Wüste verdeutlicht (vgl. ebd. 42). Die »klassische Landschaft« verfügt dagegen über ein ausgewogenes Verhältnis von Himmel und Erde, wie das Beispiel der italienischen Kulturlandschaft mit überschaubaren Tälern und Dimensionen zeigt (vgl. ebd. 45f). »Als plastische Erscheinung erhebt sich die Erde ohne Spannung und erblüht in Bäumen, die jeweils eigenen plastischen Wert haben.« (Ebd., 46) Laut Norberg-Schulz bedingen die Landschaftstypen verschiedene Mensch-NaturVerhältnisse. Während die Menschen in der vielfältigen romantischen Landschaft »in enger Beziehung mit der Natur leben« (ebd., 42, Herv. i. O.) ist die gleichförmige »kosmische Landschaft« außerhalb der Oasen für Menschen lebensfeindlich. Im Gegensatz dazu können Menschen in der »klassischen Landschaft« der Umgebung als gleichrangig begegnen und Energie daraus schöpfen. Dies wirkt sich auch auf die Mentalität der Menschen aus, wobei Norberg-Schulz auf Klischees vom in-sich-gekehrten Nordeuropäer und lebensfrohen Südeuropäer zurückgreift (vgl. ebd., 45). Die Archetypen der romantischen, kosmischen und klassischen Landschaft kommen selten vor, und ihre Mischformen werden als komplexe Landschaften bezeichnet (vgl. ebd., 46f). Die Unterscheidung wird auch in der Untersuchung von Städten und Bauwerken angewandt. Für

Atmosphären prägen

Norberg-Schulz wirkt sich die physische Gestalt der Landschaft inklusive Topografie, Architektur und Vegetation grundlegend auf den Genius loci, den Geist des Ortes, aus, welcher wiederum die Menschen prägt. Festzuhalten bleibt, dass die räumliche Struktur ein entscheidender Faktor ist, um die Wirkung eines natürlichen oder artifiziellen Ortes auf die Menschen zu bestimmen. David Leatherbarrow vergleicht Architektur mit urbanen und natürlich geprägten Landschaften und stellt fest, dass Topografie für alle gleichermaßen relevant ist »unter der Kenntnisnahme von Materialität, Räumlichkeit, Zweckmäßigkeit und Zeitlichkeit des Geländes« (Leatherbarrow 2011, 212). Die physische Ausprägung vereint natürlichen Grund und menschliche Gestaltung und wird als »Ensemble von Situationen oder Institutionen, welche den Mustern des täglichen Lebens Gestalt, Einteilung und Orientierung geben« verstanden (ebd., 215). Damit ist für Leatherbarrow die räumliche Ausformung ebenfalls grundlegender Beitrag für die Erfahrung verschieden geprägter Landschaften. Peter Zumthor geht unter Berufung auf seine Erfahrung als entwerfender Architekt architektonischen Wirkweisen und ihrem Beitrag zu Atmosphären nach. Seine neunteilige Aufzählung beginnt mit dem »Körper der Architektur«, wobei nicht nur die Form, sondern auch der dahinterstehende Auf bau und die spezifische Wirkung gemeint sind. (Zumthor 2006, 21). Zumthor versteht Architektur »[k]örperlich, als Masse, als Membran, als Stoff oder Hülle, Tuch, Samt, Seide, alles um mich herum. Der Körper [… d]er mich berühren kann.« (Ebd., 23) Der »Zusammenklang von Materialen« bestimmt für ihn die Wirkung im erheblichen Maße (ebd., 23) und ist eng an die räumliche Struktur gekoppelt. Der Baukörper in spezifischer Materialität bestimmt in der Folge den »Klang« und die subjektiv gefühlte »Temperatur« eines Gebäudes (ebd., 29-35). Die Gestalt des physischen Raumes ist Zumthor zufolge für die Konstitution von Atmosphären fundamental. Diese ist eng an die Materialität gebunden, welche der Atmosphäre eine maßgebliche Färbung verleiht. In drei Punkten geht Zumthor auf gestaltungsspezifische Aspekte der Architektur ein, welche die Atmosphäre bereichern. Unter dem Stichpunkt »Die Spannung zwischen innen und außen« betont Zumthor die Trennung, welche die Architektur mit dem gebauten Körper zur Umgebung erst schafft (ebd., 45). Mit der baulichen Abgrenzung entstehen neue Verbindungen und »diese Hülle um einen herum [… die] uns versammelt und hält, viele von uns oder nur eine Person« (ebd., 47,

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Einf. d. Verf.). Architektur schafft Zumthor zufolge nicht nur ein privates Innen, sondern die Bauten wirken auch nach außen, in den öffentlichen Raum, und können dabei »alles sagen« (ebd., 49). Am Beispiel der Wegeführung im Gebäude verdeutlicht Zumthor, wie Architekten »Zwischen Gelassenheit und Verführung« entwerfen können. Architekten denken die Wirkung für zukünftige Nutzer voraus, indem sie beispielsweise einen Flur nicht einfach geradeaus sondern durch gelegentliches Aufweiten des Innenraumes abwechslungsreich gestalteten (ebd., 41-45). Dabei sind weder Größe oder Funktionalität entscheidend, sondern die Balance von Führung und Verführung in der räumlichen Ausprägung. Unter den »Stufen der Intimität« versteht Zumthor das Zusammenspiel verschiedener Gestaltungsebenen, wenn die räumliche Gliederung im Einklang mit der Möblierung und den architektonischen Details steht (ebd., 49ff). Abschließend verankert Zumthor die Architektur wieder in der Umgebung, verstanden als Lebensraum der Menschen, die hier ihre individuellen Erfahrungen machen. Die »Stimmigkeit« in der Architektur ist für Zumthor das erstrebenswerte Ziel, denn »dann verweist alles aufeinander und Sie können das nicht auseinandernehmen. Der Ort, der Gebrauch und die Form.« (Ebd., 67f) Zwar reagiert die architektonische Form auf die örtlichen Bedingungen sowie auf die Bedürfnisse der Nutzer, aber im Entwurfsprozess wird am »Klang, an den Geräuschen, an den Materialen, an der Konstruktion, an der Anatomie usw.« gearbeitet (ebd., 71). Zumthor stellt heraus, dass Architektur im Gebäudeinneren über das Volumen und die Materialität Atmosphären schafft, welche Nutzer oder Bewohner später spüren. Die Gestaltung des architektonischen Raumes erlaubt es, der Atmosphäre bestimmte Attribute zu verleihen wie behaglich, abweisend oder repräsentativ. Stehen die Umgebung, Nutzung und architektonische Form im Einklang, dann wird eine Atmosphäre geschaffen, welche in ihrer Wirkung selbstverständlich ist. Der Beitrag der massiven Ebene zur Atmosphäre ist dabei ganz entscheidend, denn »Voluminösität oder Mächtigkeit wird in besonderem Maße leiblich gespürt.« (Böhme 2001, 143) Daher lässt sich schlussfolgern, dass die räumliche Ausgestaltung entscheidend dazu beiträgt, wie intensiv Menschen eine Atmosphäre affektiv leiblich erleben. Der architektonische Raum und die räumliche Atmosphäre sind nicht deckungsgleich, doch die Ausbildung baulicher Grenzen kann Ände­ rungen im Atmosphärencharakter bedingen. Der Gebäudeeingang bildet

Atmosphären prägen

oft atmosphärischen Wechsel aus und stellt eine Situation der Ingression dar, wodurch die Atmosphäre für Menschen besonders leicht zugänglich ist (vgl. Kapitel 2.5). Ebenso haben die Zugänge zu Plätzen »den Charakter von Schwellen oder Nähten, die im Hin- und Hergehen zwischen Straße und Platz atmosphärisch spürbar werden« (Hasse 2012, 90f). Mit der Straßenmündung in einen Platz weitet sich die räumliche Struktur, und der Atmosphärencharakter verändert sich. Die massive Ebene ist in ihrer Ausprägung und daher in ihrem Beitrag zur Atmosphäre relativ konstant. Ihre fundamentale Stellung in der Atmosphärenkreation als Grundlage für die mobile und ephemere Ebene wird durch die Eigenschaft des Versammelns unterstrichen. Gebäude schaffen Innenräume, die Bewohner und ihre Habseligkeiten aufnehmen (vgl. Zumthor 2006, 37). Urbane Landschaften versammeln Menschen und Dinge, und »Städte unterscheiden sich in dem, was sie versammeln« (Norberg-Schulz 1982, 77). Die massive Ebene gestaltet den Wahrnehmungs- und Bewegungsraum der Menschen. Topografie und Bebauung eröffnen oder verhindern Blicke und erlauben oder versperren Wege. In urban geprägten Landschaften ist die massive Komponente hauptsächlich für die Menschen und ihre Aktivitäten gestaltet. Abgesehen von der Topografie sind Straßen, Plätze, Häuser und oft auch Vegetation für menschliche Bedürfnisse angelegt sowie gebaut. Mit der Gestaltung der räumlichen Struktur seitens der Verkehrsplaner, Landschaftsarchitekten, Gartenplaner, Architekten und Städteplaner wird immer auch die Atmosphäre verändert. Dies trifft auch auf innerstädtische Grünräume zu, welche Landschaftsarchitekten, Gartenplaner und Gärtner gestalten und pflegen. In natürlichen Landschaften ist die räumliche Struktur dagegen weniger an menschliche Bedürfnisse angepasst und lässt folglich andere Atmosphären erwarten. Dabei können Landschaften mit extremer Weite oder Enge auffällige leibliche Regungen bedingen und so auf das aktuelle Atmosphärenphänomen aufmerksam machen. Die massiven Anteile der natürlichen Landschaft sind in ihrem Beitrag zur Atmosphäre ebenfalls relativ unveränderlich, wobei Vulkane, Erdbeben, Steilwandabbrüche, aber auch menschliches Einwirken wie Forstwirtschaft, Landgewinnung oder Tagebau signifikante Veränderungen darstellen können. Die größere Vegetation wie Bäume oder Wälder gehört zur massiven Ebene, da sie die Umgebung für die menschliche Erfahrung entscheidend formt.

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3.2.2 Mobile Ebene mit Menschen, Dingen und Lebewesen In der zweiten Ebene der Atmosphärenprägung kommen die relativ veränderlichen und beweglichen Dinge, Menschen und Tiere sowie kleinere Vegetation zur räumlichen Struktur hinzu. Die mobile Ebene ist in ihren Veränderungen sehr viel dynamischer, da sie beispielsweise menschliche Interaktionen mit Dingen und Mitmenschen umfasst. Die Einrichtung eines Ladengeschäftes wechselt, es wird neu dekoriert, Waren werden angeboten, Plakate bewerben neuste Angebote. Zudem bewegen sich Autos und Fußgänger, im Park stehen Bänke und Spielgeräte, Menschen treffen sich, erledigen Besorgungen und verschwinden in ihren Häusern. Dem Platz in der urbanen Landschaft wird eine »atmosphärische Wechselhaftigkeit« zugesprochen, da er als räumliche Struktur einen Rahmen für viele Veranstaltungen wie Wochenmarkt, Weihnachtsmarkt, Jahrmarkt, Demonstrationen und Konzerte anbietet, und je nach Nutzung verändert sich die Atmosphäre (Hasse 2012, 99). Menschen können individuell und gemeinsam Atmosphären entscheidend prägen. Nicht nur mit ihren Handlungen, sondern auch über Ausdruckscharaktere aus der Bewegung und Haltung, Mimik und Gestik, Stimme und Sprache, Bekleidung und Schmuck tragen sie zur Atmosphäre bei. »Ein Mensch hat und verbreitet Atmosphäre in mehr oder minder intensiver Weise als eine Wesensausstrahlung, die ihn in seiner Personalität kennzeichnet«, welche von Mitmenschen insbesondere in der Anfangsphase einer Begegnung vernommen wird (Tellenbach 1968, 48). Das Vernehmen der atmosphärischen Präsenz prägt den ersten Eindruck und entscheidet unmittelbar über Sympathie und Abneigung gegenüber Mitmenschen (vgl. ebd., 49). Die atmosphärische Ausstrahlung ist eng mit der Persönlichkeit verbunden und stellt den Grundcharakter der Menschen dar (vgl. Rudert in Tellenbach 1968, 48f). Die menschlichen Ausstrahlungen werden vernommen, wobei mit »dem aktiven Blicken ein Angeblickt-Werden korrespondiert« (Hasse 2012, 24). Ebenso können wechselnde subjektive Stimmungen wie schlechte Launen von Mitmenschen die umgebende Atmosphäre in bestimmter Weise färben. In gleicher Weise tragen beispielsweise bei einem Vortrag die Sprache, Stimmlage und Lautstärke, aber auch Mimik und Gestik über Ekstasen zur Atmosphäre bei und unterstreichen im besten Falle den Inhalt. Neben dem individuellen atmosphärischen Beitragen der Menschen können Gruppen spezifische Atmosphären prägen. Menschen sind Teil zwischen-

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menschlicher Gesprächsatmosphären, religiöser Atmosphären innerhalb einer Gemeinde, politischer Atmosphären auf gesellschaftlicher Ebene und festlicher Atmosphären als Zugehörige einer Kultur. All jene Atmosphären, welche vordergründig durch menschliches und zwischenmenschliches Wirken konstituiert werden, können als soziale Atmosphären zusammengefasst werden (vgl. Heibach 2012, 11). Die menschliche Fähigkeit, die aktuelle Tönung einer Atmosphäre leiblich zu erfahren, ermöglicht, sich beispielsweise auf die Fröhlichkeit oder Traurigkeit einer Gruppe einzustellen und das eigene Verhalten entsprechend anzupassen. Die Dinge und Lebewesen der mobilen Kategorie der Atmosphärenprägung stellen zugleich den dominanten Bereich der menschlichen Interaktion mit der Umwelt dar. Menschen erledigen Wege und besorgen Einkäufe, führen ihre Tiere aus, benutzen Werkzeuge und Hilfsmittel, fahren Räder und Autos, bereiten Lebensmittel zu, genießen ihr Essen und vieles mehr. Die menschlichen Beziehungen zur Umwelt sind vielfältig und keineswegs immer intentional, also bewusst von den Menschen geplant und umgesetzt. In der Akteur-Netzwerk-Theorie werden soziale Beziehungen und Handlungen nicht nur zwischen Menschen, sondern auch zu »nicht-menschliche[n] Wesen« eingeschlossen (Latour 2007, 124, Herv. i. O.). Dabei ist »jedes Ding, das eine gegebene Situation verändert, indem es einen Unterschied macht, ein Akteur – oder, wenn es noch keine Figuration hat, ein Aktant« (ebd., 123, Herv. i. O.). Dinge, anthropogenen und natürlichen Ursprungs, werden als »Akteure oder genauer Beteiligte am Handlungsverlauf« verstanden (ebd., 123f, Herv. i. O.). Bruno Latour zufolge bestimmen Objekte dabei nicht über die Menschen, doch sie können Handlungen »ermöglichen, anbieten, ermutigen, erlauben, nahelegen, beeinflussen, verhindern, autorisieren, ausschließen« (ebd., 124). Hier wird die These aufgestellt, dass gestaltete ›Akteure‹ einen grundlegenden Anteil an Atmosphären haben, welche die Menschen zum Handeln motivieren. Im Gegensatz zu natürlichen Elementen sind die Ekstasen gestalteter Dinge in ihrer Aufforderung eindeutiger, da sie auf eine potenzielle Benutzung verweisen und Handlungsoptionen eindeutiger aussprechen. Dies hat zur Folge, dass Menschen in urbanen Landschaften über die Atmosphäre mehr Optionen angeboten bekommen, welche Reaktionen, Entscheidungen oder Handlungen erfordern. Darüber hinaus gehören zur mobilen Ebene auch Zeichen, Symbole, Text, bebilderte Werbung, welche über Ekstasen zur Atmosphäre beitragen. Die gesprochenen oder geschriebenen Worte, Symbole und Zeichen sowie Signale,

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welche den Verkehr regeln, involvieren Menschen direkt auf kognitiver Ebene. Gerade hier wird deutlich, dass sich je nach Ausstattung einer Landschaft die Bedingungen ihrer Wahrnehmung verändern. Für urbane Landschaften zeigt sich, dass Dinge und Lebewesen die Atmosphäre mit Möglichkeiten aufladen, Handlungsoptionen anbieten und von Menschen Entscheidungen verlangen. Hier ist weniger von Anmutungen sondern von aktiven, anbietenden und fordernden Atmosphären zu sprechen. In diesem Bereich arbeiten beispielsweise Werbefachleute, Verkäufer, Ladenausstatter, Künstler, Möbelgestalter, Bühnenbildner. Genau genommen tragen viele Berufsgruppen von der Haarschneiderei bis zur Politik sowie alle Menschen individuell und als Teil der Gesellschaft zur Atmosphäre bei. Mit der »Präsenz der Dingfamilien« kann sich in der Stadt ein bestimmtes Milieu manifestieren und aufrechterhalten (Hasse 2012, 25). In natürlichen Landschaften gehören zur mobilen Ebene landschaftstypische Ausstattungen wie Blätter der Bäume, Blumen oder Steine und anthropogene Elemente wie Wege, Bänke oder Wegweiser.

3.2.3 Ephemere Ebene mit Atmosphärischem Die ephemeren Komponenten als dritte Ebene ergänzen die massiven und mobilen Anteile in der Atmosphärenprägung. Die ephemere Ebene umfasst beispielsweise die wechselhaften Phänomene des Wetters, Änderungen im Jahres- und Tagesverlauf, sowie Geräusche und Gerüche, Licht und Schatten, Dunst und Staub. Es handelt sich überwiegend um nicht haptische Phänomene wie beispielsweise ein farbenprächtiger Abendhimmel, Stimmengewirr, Musik und Düfte in Geschäften, Wind und Regen auf der Haut, die Seeluft oder klamme Feuchtigkeit. Zum Ephemeren gehören das Atmosphärische sowie die Halbdinge nach Schmitz, die sich durch Folgendes auszeichnen: »Um ein Ding zu sein, fehlt ihnen etwas, nämlich die Substantialität, d.h. die Beharrlichkeit durch die Zeit, und den Qualitäten sind sie durch ihre Selbständigkeit überlegen.« (Schmitz nach Böhme 2001, 61) Ändern sich die Eigenschaften eines Halbdinges, existiert es nicht mehr, so wird aus der Morgendämmerung ein Tag (vgl. ebd., 61). Atmosphärisches findet sich vor allem bei klimatischen Phänomenen wie Wind, Nebel, Hitze und ist »durch ein weitgehendes Fehlen des subjektiven Momentes« von Atmosphären abzugrenzen (Böhme 2001, 60). Atmosphäre und Atmosphärisches haben gemein, dass beide »unbestimmt in die Weite ergossen« sind (ebd.,

Atmosphären prägen

63). Bei der räumlichen Struktur, den Dingen und Lebewesen besteht ein relativ klarer Bezug von Ding und Ekstasen, welche die Atmosphäre prägen. Beim Atmosphärischen fehlt dagegen die unmittelbare Zuordnung der Wirkung auf ein dahinterstehendes Ding, wie bei den Halbdingen »hinter deren Einwirkung keine unterscheidbare Ursache steht« (Schmitz 2014, 57). Daher ist Atmosphärisches zugleich Ekstase. Es reichert die Atmosphäre direkt an und ist Teil einer jeden. Die Wirkung von Gerüchen erfasst die Menschen unmittelbar, »weil es im Riechen keine Dis­tanz zu Duftendem gibt« (Tellenbach 1968, 26, Herv. i. O.). Über den menschlichen Atem werden Düfte mit auf- und wahrgenommen. Jede Landschaft hat typische Gerüche, die gelegentlich oder immer auftreten, beispielsweise verursacht vom Seetang, Waldboden, Gülle oder Bratwurst. Distanzlosigkeit können Menschen ebenso im Falle von Nebel, Staub oder Dunst erfahren, deren lokale Ausdehnungen verschieden sein können. Geräusche werden nah und fern vernommen und zunächst nur als solche, und erst im Abgleichen mit weiteren Eindrücken oder mit der eigenen Erfahrung wird ihr Ursprung bestimmt. Die Geräuschkulissen in den Landschaften sind vielfältig wie beispielsweise das Knarzen der Bäume im Wind oder das Heulen eines Sturms. Ebenso tragen Stimmen, Kirchenglocken, Straßenbahnen und Autos mit Geräuschen zur Atmosphäre bei. Das Licht, beispielsweise das der Dämmerung, kann entscheidend zur Atmosphäre beitragen. Meist wird die jeweilige Situation in ein spezifisches Licht natürlichen oder künstlichen Ursprungs getaucht, beispielsweise von der Sonne, Straßenlaternen, Reklametafeln, Innenbeleuchtung oder Auto­scheinwerfern. Die Phänomene der ephemeren Ebene werden zudem gelenkt und inszeniert. So wird bei einem Gebäude über Öffnungen der Lichteinfall geregelt und bestimmt, wie Wände und Innenräume erhellt werden. Zumthor verdeutlicht den Zusammenhang aller Ebenen der Atmosphärenprägung in der Architektur mit der Vorstellung, »das Gebäude zunächst als Schattenmasse zu denken und dann nachher, wie in einem Aushöhlungsprozeß, Lichter zu setzen, Licht einsickern zu lassen« (Zumthor 2006, 59). Die wechselhaften und spontanen Veränderungen des Wetters wie Sonnenschein nach Regen ermöglichen Anwesenden Transformationserfahrungen, und die Atmosphäre wird leichter zugänglich (vgl. Kapitel 2.5). Daher spricht der Bereich des Atmosphärischen mit Duft, Geschmack, Klang und Wind die sinnliche Wahrnehmung besonders intensiv an. Beispielsweise am Strand, prägt Ephemeres die Atmosphäre ganz entschei-

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dend und fördert allsinnliche Erlebnisse, mit dem tosenden Geräusch der Brandung, dem Wind in Haar und Gesicht, dem Salz auf den Lippen. Im Gegensatz zu den massiven und mobilen Ebenen besteht keine Distanz zu den Dingen. Das Atmosphärische wird unmittelbar wahrgenommen. Daher kann das Ephemere die Aufmerksamkeit auf das Atmosphärenphänomen selbst lenken, ist aber nicht damit gleichzusetzen. Insgesamt umfasst der Bereich des Atmosphärischen viele natürliche, kaum beeinflussbare Elemente, doch auch hier gibt es für bestimmte Landschaften typische Phänomene wie den Seewind oder die salzhaltige Luft. Atmosphärisches natürlichen Ursprungs, wie das Wetter mit Sonne, Regen, Wind oder Schnee, tragen zu den Atmosphären der natürlichen und urbanen Landschaften bei, wobei in urban geprägten Landschaften Gebäude vor den klimatischen Phänomenen schützen und die Erlebbarkeit teilweise einschränken. Zudem schützen Menschen sich unter Regenschirmen, in U-Bahnen oder Autos. Atmosphärisches kann ebenso artifiziell erzeugt werden. In urbanen Landschaften wird es beispielweise von Musikern, Parfümherstellern und Lichttechnikern hervorgebracht und gestaltet. Oft vervollständigt es eine inszenierte atmosphärische Wirkung wie beispielsweise Countrymusik und Ledergeruch in einem Schuhgeschäft. In großräumigen natürlichen Landschaften kann sich das Ephemere stark entfalten, und folglich ist die Erfahrung der Atmosphäre intensiver. Zudem bieten natürliche Landschaften weniger Schutz beispielweise vor Wind, Regen oder Schnee, und das Atmosphärische ist zudringlicher.

3.2.4 Zusammenwirken in der Atmosphärenprägung Landschaftliche Atmosphären und Atmosphären im Allgemeinen werden im Zusammenwirken der drei Kategorien massiv, mobil und ephemer mit wechselnder Prävalenz geprägt. Die räumliche Struktur mit spezifischer Materialität, die Dinge und die Lebewesen sowie das Atmosphärische tragen unterschiedlich zu landschaftlichen Atmosphären bei. Die Wandelbarkeit des Charakters erlaubt ein aktives Eingreifen und Umgestalten. Die Veränderung einer Ebene wirkt sich auf die anderen aus, daher sind Atmosphären je nach Ansatzpunkt unterschiedlich beeinflussbar. Die grundlegende räumliche Struktur beeinflusst relativ konstant die Atmosphäre, indem sie die Umgebung gliedert und Ausbreitungsmöglichkeiten für das Mobile und Ephemere bereitstellt. Die Topografie mit

Atmosphären prägen

Gebäuden und Vegetation, verstanden als Volumen, gibt der Atmosphäre ihre charakteristische Grundierung, wobei die physische Ausprägung und die Atmosphäre in ihrer Räumlichkeit nicht deckungsgleich sind, sondern das Volumen die Atmosphäre über Ekstasen prägt. Die massive Ebene ist nur bedingt und langfristig Veränderungen ausgesetzt und reichert relativ stetig über Ausdruckscharaktere und Ekstasen die Atmosphäre an. In der Erfahrung einer Landschaft beeinflusst das räumliche Gefüge den Wahrnehmungs- und Bewegungsraum der Menschen. Die Wirkung der massiven Ebene wird insbesondere leiblich gespürt, daher sind Atmosphären mit einer auffälligen und ungewohnten räumlichen Prägung leichter zugänglich. In der zweiten mobilen Kategorie tragen die viel beweglicheren und wandelbaren Dinge und Lebewesen zur Atmosphärenprägung bei. Dinge, Menschen und Tiere färben oder tönen mit ihren Eigenschaften, Gestaltungen und Bewegungen über Ekstasen die Atmosphäre. Landschaften haben oft typische Ausstattungen an Dingen. Dennoch sind Wechsel im Atmosphärencharakter möglich: infolge natürlichen Wandels sowie menschlicher Umnutzung. Dinge und Lebewesen stellen in der Landschaftserfahrung einen großen Bereich der menschlichen Interaktion mit der Umwelt dar. Den gestalteten Dingen liegt eine Handlungsaufforderung inne, welche von den Menschen Reaktionen verlangt. In diese Ebene gehört die Präsenz von Schriften, Symbolen und Zeichen, welche Menschen insbesondere kognitiv involvieren. In der dritten Ebene kommt das Ephemere hinzu, dessen Wirkung weniger greif bar ist, da es keinem dahinter stehenden Ding zugeordnet werden kann und direkt zur landschaftlichen Atmosphäre beiträgt. In diesen Bereich fallen die natürlichen Phänomene des Wetters, aber auch Musik und Gerüche in Geschäften. Mit vielen nicht visuellen Reizen wie Geruch, Geschmack und Klang spricht der Bereich des Ephemeren die sinnliche Wahrnehmung intensiv an. Die wechselhaften Veränderungen des Wetters ermöglichen Wahrnehmenden Transformationserfahrungen und erleichtern die Bewusstwerdung der aktuellen Atmosphäre. Obwohl Atmosphärisches wechselhaft sein kann, gibt es für jede Landschaft typische Phänomene. Die Bereiche des Massiven, Mobilen und Ephemeren sind eng miteinander verbunden und prägen in ihrer Wirkung gemeinsam die Grundatmosphäre einer Landschaft. Wie in der Diskussion deutlich geworden ist, sind landschaftliche Atmosphären bestimmbar und können in ihrem

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prägenden Zusammenspiel analysiert werden. Die relative Konstanz der massiven Ebene und die typische Ausstattung der mobilen Ebene stützen die These, dass jede Landschaft einen spezifischen und grundlegenden Atmosphärencharakter hat, der auch Änderungsmuster aufweisen kann.

3.3 A tmosphärenpr ägung natürlicher und urbaner L andschaf ten In einer Gegenüberstellung des atmosphärischen Angebots von urbanen und natürlichen Landschaften hinsichtlich der prägenden Zusammensetzung werden grundlegende Unterschiede deutlich. In urbanen Landschaften ist die massive Struktur von Städteplanern und Architekten mit bestimmten Intentionen gestaltet und ist folglich an menschliche Bedürfnisse und Proportionen angepasst. Die grundlegende massive Ebene der Atmosphärenprägung bestimmt die Bewegungsräume und bietet den Rahmen für die mobile und ephemere Ebene. Die mobile Ebene in urbanen Landschaften ist vielgestaltig und umfasst Läden, Produkte, Menschen, Tiere, Texte, Zeichen und Werbung, welche insgesamt mit vielen Ekstasen zur Atmosphäre beitragen. Eine überladene mobile Ebene kann zu einer anbietenden oder auffordernden Atmosphäre beitragen. In urbanen Landschaften sind Sprache, Symbole und Zeichen präsent und involvieren Menschen, indem sie Reaktionen und Entscheidungen fordern, beispielsweise darüber, ein Angebot anzunehmen oder abzulehnen. In urbanen Landschaften ergänzt das artifizielle Ephemere meist die Beiträge der massiven und mobilen Ebenen, dem natürlich Ephemeren kann teilweise ausgewichen werden. Zusammengefasst bedeutet das: Atmosphären urbaner Landschaften sind auf allen Ebenen von Menschen mitgestaltet. Dies umfasst Bewegungsräume, Handlungsmöglichkeiten, Bedürfnisansprachen, Kommunikationsebenen. Natürlich geprägte Landschaften verfügen oft über großräumige Strukturen, welche nicht Menschen angepasst sind und daher intensive leibliche Erfahrungen ermöglichen. Die mobile Ebene mit nur wenigen anthropogen Elementen und Menschen ist mit landschaftstypischen Ausstattungen selten überladen. Die ausgedehnten und relativ einheitlichen Atmosphären ohne dahinterstehende intendierte Absichten ermöglichen den Menschen, in die Atmosphäre einzutauchen. Die ephemere Ebene kann sich in natürlichen Landschaften weiträumig entfalten und ist

Atmosphären prägen

präsenter als in urbanen Landschaften. Ohne Schutz sind Menschen in natürlichen Landschaften dem Ephemeren mehr ausgesetzt, und das Erlebnis wird verstärkt. Ephemere Phänomene sprechen die menschlichen Sinne unmittelbar an, wie beispielsweise der Wind, der auf der eigenen Haut gespürt wird. Dies kann die Aufmerksamkeit auf die Atmosphäre selbst lenken. Alle drei Ebenen der natürlichen Landschaften sind von Menschen weniger gestaltet, und in der Folge sind die Atmosphären weniger fordernd, etwas Bestimmtes zu tun. Diese erste Anwendung des Systems der Prägung zeigt für die natürlichen und urban geprägten Landschaften deutlich, wie verschieden ihre Atmosphären sind. Sie schaffen andere Voraussetzungen für die menschliche Erfahrung und bedingen verschiedene Wahrnehmungen. Es wird betont, dass alle Atmosphären und Landschaften immer eine natürlich-kulturell-technische Relation aufweisen. Dies erklärt sich schon aus der zu Anfang entwickelten Definition von Landschaften, welche die Anwesenheit und Gestaltung des Menschen mit einbezieht (vgl. Kapitel 1.1). Dennoch zeigt sich, dass anthropogen Gestaltetes Menschen eher kognitiv involviert, und dass natürliche Elemente eher sinnliche Erlebnisse fördern. Für die exemplarische Fallstudie sind daher Landschaften mit unterschiedlichen Verhältnissen von Natur und Kultur zu wählen, verstanden als Grad der anthropogenen Gestaltung, Nutzung oder Bebauung. Die Atmosphärenprägung auf drei Ebenen sowie die Relation von Natur und Kultur sind wichtige Aspekte für einen weiterführenden Vergleich landschaftlicher Atmosphären.

3.4 F a zit zur P r ägung des A tmosphärenchar ak ters Die systematische Betrachtung der Atmosphärenprägung führt zu neuen Erkenntnissen über die Konstitution von Atmosphären. Das aufgezeigte Zusammenwirken der massiven, mobilen und ephemeren Kategorien unterstützt die Entschlüsselung des aktuellen Atmosphärencharakters. Dabei werden einzelne Beiträge der Umgebung zur Atmosphäre sowie ihr Zusammenspiel offengelegt. Zur massiven Ebene zählt die räumliche Struktur mit Topographie, Bebauung und raumgreifender Vegetation. Zur mobilen Ebene gehören die Dinge, Menschen, Tiere und kleine Vegetation. Der ephemeren Ebene werden alle flüchtigen Phänomene des Wetters sowie die Geräusche und Gerüche zugeordnet. Alle drei Ebenen

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zusammen prägen den Charakter der Atmosphäre. Die landschaftstypischen Beiträge in den aufgezeigten Kategorien unterstützen die These von landschaftsverbundenen Atmosphären. Dennoch können Umgestaltungen auf jeder Ebene eine Änderung des Atmosphärencharakters bewirken. Das neu entwickelte System der Prägung kann ein Werkzeug sein, das es erleichtert, den Zusammenhang von Umgebungsqualitäten und Atmosphäre sowie deren spezifische Wirkung zu verstehen. Die Analyse des massiven, mobilen und ephemeren Zusammenspiels funktioniert zudem als Planungsmodell, da Ansatzpunkte für Atmosphärenänderung sichtbar werden. Die Entwicklung der Atmosphärenprägung und eine erste Anwendung auf natürlich und urban geprägte Landschaften zeigen, dass die Umgebung und ihre Atmosphäre einen entscheidenden Anteil an den Bedingungen für die menschliche Wahrnehmung und Handlung haben und das menschliche Befinden unterschiedlich beeinflussen können. Unterschiedliche Wirkungen der landschaftlichen Atmosphäre ergeben sich beispielsweise aus dem Verhältnis von natürlich und anthropogen Gestaltetem oder aus der Präsenz der ephemeren Phänomene. Die hier gewonnenen Erkenntnisse zur Atmosphärenprägung finden in der vorliegenden Arbeit Eingang in die Einordnung der exemplarischen Untersuchungen (Kapitel 6).

4. Eine Heuristik der Atmosphären

Atmosphären werden in der aktuellen Situation von Umgebung und Menschen spezifisch geprägt, und diesen Charakter erleben die Menschen. Damit ist das Feld aufgezeigt, in dem ein Atmosphärencharakter bestimmt werden kann: über die beitragenden Umstände und über das eigene Erleben. Im besten Fall erfolgt die Annäherung an die Eigenheiten der Atmosphäre von beiden Seiten. Bislang wurden Eigenschaften von Atmosphären entweder theoretisch auf Grundlage von Gedichten erarbeitet oder rückwirkend aus praktischen Erfahrungen in der Atmosphärengestaltung gewonnen. Für die Feststellung eines aktuellen Atmosphärencharakters fehlt bislang eine überzeugende Methode, daher wird in diesem Kapitel die künstlerische Arbeit als eine Annäherung an landschaftliche Atmosphären entwickelt. Anhand von zwei methodischen Ansätzen werden Besonderheiten in der Atmosphärenforschung erörtert. Nach einer kurzen Einführung in die künstlerische Forschung werden vielfältige Verbindungen von Landschaft und Kunst besprochen, um die These zu stützen, dass Kunst das Potenzial hat, landschaftliche Atmosphären zu erschließen, zu übersetzen, zu verändern und zu vermitteln.

4.1 A tmosphären untersuchen Landschaftliche Atmosphären sind schwer greif bar, da sie einer Umgebung und komplexen Situation anhaften und weniger an einzelnen Gegenständen festzumachen sind. Die Feststellung des aktuellen Charakters ist zudem durch die doppelte Wahrnehmung der Atmosphäre sowie der eigenen leiblichen Reaktion darauf erschwert (vgl. Kapitel 2.5.2). Dies führt zu Schwierigkeiten, das Phänomen zu beschreiben. Im Folgenden werden zwei methodische Ansätze, Atmosphären zu untersuchen, be-

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sprochen. Jürgen Hasse arbeitet im urbanen Bereich mit Fotografien, und Andreas Rauh entwickelt die »Aisthetische Feldforschung« und wendet sie in zwei Kunstausstellungen an. Die fotografischen Arbeiten von Hasse dienen neben der theoretischen Auseinandersetzung als eine zweite »Annäherung« an urbane Atmosphären (Hasse 2012, 50). Seine Fotografien von Hamburg und Frankfurt zeigen überwiegend Gegensätze und Kontraste in der Baukultur sowie Stadtstruktur und sind auf architektonische Zusammenhänge reduziert. Die Aufnahmen von Einfamilienhaussiedlungen, Garagen und Indus­ triebrachen zeigen Kurioses und Widersprüchliches, erzählen Geschichten und prägen ihre eigenen Atmosphären (Abb. ebd., 137-144, 169-176). Die Fotografien sind eine Sammlung an Beobachtungen, konkrete Fragen bezüglich städtischer Atmosphären werden nicht erkennbar. Der Autor bindet die Fotografien nicht textlich ein, sondern diese stehen im Buch für sich und können zwischen den Kapiteln entdeckt werden. Die schriftliche und künstlerische Auseinandersetzung mit Atmosphären sind von Hasse als zwei Erzählstränge bewusst gewählt. So wie alle Kunstwerke erlauben Hasses Fotografien den Betrachtern atmosphärische Erfahrungen (vgl. Böhme 1989, 152). Sein fotografischer Zugriff kann als Ansatz gewertet werden, Atmosphären im städtischen Raum aufzunehmen. In der Verwendung als Methode wären jedoch eine konkrete Fragestellung und eine vergleichende Betrachtung der Bilder nötig, um die gewonnenen Einsichten über Atmosphären herauszuarbeiten. Rauh entwickelt mit der »Aisthetischen Feldforschung« eine schriftliche Methode, die von einer Person durchgeführt wird. Während der atmosphärischen Erfahrung »wird im Aisthetischen Feldforschungsbericht alles festgehalten, was wahrgenommen wird (Eindrücke, Gefühle, (einzelsinnliche) Auffälligkeiten, Assoziationen, etc.)« (Rauh 2012a, 227, Herv. und Einf. i. O.). Im Nachhinein vervollständigt Rauh seine Notizen und wertet sie aus. In der »Aisthetischen Feldforschung« ist Rauh zufolge das lyrische Beschreiben durchaus erlaubt, da Atmosphären sprachlich besser »einge­webt« und späteren Lesern leichter zugänglich werden (ebd., 214). »In einem phänomenalen Modus zielen die Beschreibungen also eher auf die Wirklichkeit und weniger auf das, was realiter sei [...]. Dies hat Auswirkungen auf den Wortschatz, der nämlich weniger reflektiert ist, metaphernreich und durchaus po­ e­­tisch erscheinen kann, wenn sich eine Lust am Formulieren und Fabulieren ein-

Atmosphären untersuchen

stellt – was ja als ein Effekt der jeweiligen Atmosphäre auf diese hin interpretiert werden kann.« (Rauh 2012a, 215)

Da Wahrnehmung von Erinnerungen und Erwartungen geprägt ist, hält Rauh im »Aisthetischen Feldforschungsbericht« alles fest. Seine Notizen sind assoziativ und vergleichend. Er beschreibt Kunstwerke mit »Frühsommerstimmung« (ebd., 235) oder einen Ausstellungsraum mit »keine Durchgangshalle (wie ein Bahnhof)« (ebd., 241, Einf. i. O.). Für Rauh ist das unproblematisch, denn: »Aisthetische Erfahrungen sammeln sich zwangsläufig an und sedimentieren sich zu einem Hintergrund, der in die aktuelle Wahrnehmung einfließen und aus dem vergleichend geschöpft werden kann.« (Ebd., 242) Doch Assoziationen in einer Atmosphärenbeschreibung können den Nachvollzug der erlebten Atmosphären für Lesende erschweren, da auf einen persönlichen Erfahrungsschatz zugegriffen wird. Zudem kann die assoziierte Wahrnehmung und Beschreibung im Forschungsbericht dazu führen, dass aktuell prägende Umstände oder Aspekte der erlebten Atmosphäre ungenannt bleiben. Dies sieht Rauh zunächst nicht, da er sich nachträgliche Ergänzungen offenhält und seine Notizen selbst auswertet. Doch die Auswertung der »Aisthetischen Feldforschung« ist ebenfalls erschwert, da Rauh im Nachhinein die Atmosphäre aus den assoziativen Notizen isoliert. Für die in der vorliegenden Arbeit angestrebte Untersuchung konkreter Orte wäre daher in der Beschreibung der Atmosphären auf Assoziationen und Vergleiche zu verzichten. Die Aisthetische Feldforschung nach Rauh dokumentiert die Wahrnehmung, und in der Auswertung können einzelne Zusammenhänge sichtbar werden, doch angesichts der offenen Fragestellung bleiben Erkenntnisse möglicherweise verborgen. In der Verwendung als Methode sind Problemstellungen und vergleichende Studien erforderlich, um aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten. Dennoch zeigen die Fotografien von Hasse und die »Aisthetische Feldforschung« von Rauh, dass Atmosphären auf verschiedene Weisen aufzunehmen und in einem zweiten Schritt auszuwerten sind. Dies ist eine wichtige Voraussetzung für die Analyse landschaftlicher Atmosphären mit anschließendem Vergleich in der vorliegenden Arbeit. Eine Beteiligung mehrerer Menschen an der Atmosphärenuntersuchung führt nicht zwangsläufig zu aussagekräftigeren Ergebnissen. Im Gegenteil, die Studie kann sogar unpräziser werden, wenn teilnehmende Personen mit dem Phänomen unvertraut und im Feststellen sowie Beschreiben des Atmosphärencharakters unge-

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übt sind. Daher sind Befragungen als Methode für die Analysen in dieser Arbeit ungeeignet. Da der Atmosphärenstatus intersubjektiv ist, können die Untersuchungen von einer Person durchgeführt werden. »Dabei ist besonders im Rahmen von Atmosphäreforschung die persönliche Anwesenheit des Forschers im Untersuchungsfeld unproblematisch und vielmehr erwünscht, da sie die (affektive) Beteiligung an einer Wahrnehmungssituation ermöglicht und damit eine Beschreibung des Befindens in einer Atmosphäre« (Rauh 2012a, 226, Einf. i. O.).

Rauh zufolge ist es empfehlenswert, wenn das Aufnehmen der Atmosphäre und die spätere Auswertung von einer Person durchgeführt werden, da im Nachgang eine Präzisierung der Notizen möglich ist (vgl. ebd., 230). Zur Erfahrung der Vielschichtigkeit des Phänomens empfiehlt sich ein mehrmaliges Aufsuchen der Atmosphäre. Die Untersuchung mit einer Gruppe hat den Vorteil, schon bei einem einzigen Besuch viele Dimensionen einer Atmosphäre aufzunehmen, welche in anschließender Diskussion abzugleichen sind. Dies setzt allerdings Personen voraus, die mit Atmosphären vertraut sind sowie eine Gesprächsmoderation, welche gezielt nachfragt. Im Folgenden werden die künstlerische Feldforschung und ihr Potenzial für die Untersuchung von landschaftlichen Atmosphären diskutiert.

4.2 K ünstlerische F orschung Die künstlerische Forschung (Artistic Research) ist keine einfache Kombination von Kunst und Wissenschaft, sondern ein eigenständiger Forschungsstrang. »Mit dem Begriff des artistic research geht es um jene Kunst, die inhaltliche Fragen formuliert oder gesellschaftliche Probleme bearbeitet und dabei die eigene Arbeit als künstlerisch produktive Forschung begreift, indem sie je nach Fragestellung mit verschiedenen Medien arbeite.« (Haarmann o. J., 3, Herv. i. O.) In der Forschung wird systematisch und zielgerichtet nach neuen Erkenntnissen gesucht, basierend auf Forschungsfragen innerhalb eines eingegrenzten Forschungsgebietes. Im wissenschaftlichen Bereich ist es üblich, in einer Institution verankert zu sein, sowie Forschungsergebnisse zu veröffentlichen, zu präsentieren und zu diskutieren. Dies gilt im weitesten Sinne auch für die

Atmosphären untersuchen

künstlerische Forschung, auch wenn ihre Ergebnisse in einer Ausstellung oder Vorführung gezeigt werden. Für künstlerische wie wissenschaftliche Forschung ist es entscheidend, eine Fragestellung zu verfolgen, und unvoreingenommen zu arbeiten, um nachprüf bare Ergebnisse zu gewinnen. Die künstlerische Forschung kann im Wesentlichen drei verschiedene Formen annehmen: die Erweiterung der Kunst durch experimentelle Kunst, die Weiterentwicklung einer Kunstform, indem Kunstwerke analysiert und nach neuen Werkzeugen gesucht wird, und die Forschung im außerkünstlerischen Bereich mit Kunst oder mit künstlerischen Mitteln (vgl. Klein 2011, 1). Inwiefern die Arbeiten der künstlerischen Forschung Kunstwerke sind, ist nur im Einzelfall zu klären. Fungiert Kunst als Untersuchungswerkzeug und ist als Methode ausgewiesen, ist es sinnvoll, die Ergebnisse als künstlerische Forschung zu präsentieren, da die Arbeiten einen forschenden Charakter aufweisen. Nachfolgend werden vielfältige Verbindungen von Landschaft und Kunst erörtert, um künstlerische Forschung als eine Untersuchungsmethode für landschaftliche Atmosphären zu entwickeln.

4.3 K unst und L andschaf t Der künstlerische Zugang zu Landschaften kann auf eine lange Tradition zurückgreifen, wobei häufig die Auseinandersetzung mit einer spezifischen Atmosphäre stattfindet. Es wird hier die These aufgestellt, dass Kunst eine Reaktion auf besondere landschaftliche Atmosphären sein kann, und dass Künstler mit ihren Kunstwerken landschaftliche Atmosphären verstehen, aufnehmen, beschreiben, übersetzen, verdeutlichen, verändern und vermitteln. Im Folgenden werden Kunstwerke aus den Bereichen Grafik, Malerei, Fotografie, Text, Dichtung, Land Art und Installation besprochen. Dabei wird insbesondere gefragt, wie Künstler auf landschaftliche Atmosphären reagieren. In einer Zeichnung können Erkenntnisse über die Landschaft und ihre Atmosphäre in konzentrierter Form zum Ausdruck kommen. Traditionell haben Künstler auf ihren Reisen in abgelegene Landschaften Skizzen in Tagebüchern gefertigt, beispielsweise Sixt Thon in Skandinavien (Abb. Arnhold 2008, 306). In einer Zeichnung kann eine landschaftliche Situation konzentriert dargestellt werden, wie die aquarellierte Zeichnung »Abend in Aegypten« von Paul Klee 1929 zeigt (Abb. ebd., 263).

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Horizontale Bleistiftlinien rhythmisieren und beruhigen die mit wenigen schrägen und runden Linien angedeutete Landschaft. Die lineare Schichtung verankert die Pyramiden in der Weite der Wüste unter einer tief stehenden Sonne. Klee zeichnet die Landschaft mit wenigen Linien und arbeitet dennoch wichtige Bezüge heraus. Im Schaffensprozess eines Kunstwerkes kann eine landschaftliche Atmosphäre hinsichtlich ihrer Prägung verstanden werden. Daher kann Klee sagen: »Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar.« (Klee in Geelhaar 1981, 8) Dies kann in reduzierter Form in einer Zeichnung oder in reichhaltiger Form in einem Gemälde geschehen. In der Malerei gibt es viele Werke, bei denen es maßgeblich um die Stimmung einer Landschaft geht, beispielsweise von William Turner »The Blue Rigi, Lake of Lucerne, Sunrise«, gemalt 1842 (Tate Gallery of Modern Art, London). Es gibt einige Maler, die sich wiederholt mit denselben Umgebungen auseinandergesetzt haben, um besondere Stimmungsqualitäten einzufangen. Mit forschender Konstanz und immer neuen Werken hat sich Paul Cézanne im Zeitraum von 1882 bis 1906 dem Montagne Sainte-Victoire gewidmet, um Landschaft nicht nur abzubilden, sondern zugleich seine Empfindungen im Bild zu realisieren. Claude Monet malte von 1892 bis 1894 wiederholt von einem Standpunkt die Bilderserie »Kathedrale von Rouen«, um verschiedene Lichtqualitäten und damit verbunden die jeweils andere Wirkung des Bauwerks einzufangen. Ebenso malte Lyonel Feininger von 1906 bis 1937 viele Thüringer Dorfkirchen, oft in Gelmeroda bei Weimar. Das Gemälde »Gelmeroda IX« von 1926 (Museum Folkwang, Essen) verdeutlicht mit der geometrischen Aufteilung des Bildes die unterschiedliche Präsenz von Fassaden und Menschen. Die verschiedenfarbigen Flächen im Straßenraum lassen sich als Ekstasen der Umgebung interpretieren, welche die Atmosphäre anreichern. Humboldt weist darauf hin, dass Landschaftsmaler unter Berücksichtigung der wissenschaftlichen Erkenntnisse die Wirkung einer Landschaft festhalten können. Den »To­tal­e in­d ruck einer Gegend [...] aufzufassen und anschaulich wie­der­z u­ge­b en, ist die Aufgabe der Landschaftsmalerei« (Humboldt 2008, 79). Humboldt meint keine realistische Abbildung, sondern ein zusammengefügtes Landschaftsbild, das geografische und ökologische Erkenntnisse, sowie eine detailgetreue Pflanzendarstellung berücksichtigt. Landschaftsmaler können ihm zufolge den atmosphärischen Eindruck entlegener Gegenden vermitteln und damit »die Sehnsucht nach fernen Reisen vermehr[en] und auf eine

Atmosphären untersuchen

ebenso lehrreiche wie anmutige Weise zum Verkehr mit der freien Natur anreiz[en]« (ebd., 64, Einf. d. Verf.). Der Impuls, auf eine besondere Atmosphäre zu reagieren, wird bei vielen Menschen ausgelöst und äußert sich oft darin, eine Landschaft oder Situation zu fotografieren. »Der Wunsch des ›Festhaltens‹ folgt dabei aber auch einem Bedürfnis, etwas von der Spürbarkeit atmosphärischer Qualitäten zu verbildlichen, um ein Erleben im Moment der Aufnahme medial dem Nach-Erleben anzubahnen.« (Hasse 2012, 48, Herv. i. O.) Auf der Suche nach der Stimmung im Landschaftsbild »View from Mount Holyoke, Northampton Massachusetts, after a thunderstorm – The Oxbow« von Thomas Cole, 1936, sucht Joel Sternfeld 70 Jahre später in der ausgewiesenen Gegend nach Situationen, welche eine ähnliche atmosphärische Qualität aufweisen und fotografiert die Serie »The Oxbow Archive«. Eine seiner Aufnahmen zeigt beispielsweise einen Feldweg mit großer Pfütze bei abziehendem Sturm vor einer landschaftlichen Erhebung, betitelt mit »A Storm Clearing Over The Holyoke Range, 10:15 AM, July 9, 2006, The East Meadows, Northampton, Massachusetts« (Abb. Barth 2008, 165). Die Fotografien, welche der Stimmungsqualität von Coles Gemälde in besagter Landschaft nachspüren, dokumentieren die aktuell gefundene Atmosphäre dieser Gegend. Eine weitere fotografische Arbeit über landschaftliche Atmosphären stammt von Céline Clanet. Sie fotografierte Staudämme in den französischen Alpen (Abb. Vandeweghe 2012, 182-187). Die Arbeiten thematisieren Beziehungen von monumentalen Bauwerken in ebenso gewaltiger Naturkulisse zu verschiedenen Jahreszeiten. Mit dem Festlegen von Ausschnitt, Fokus und Komposition unterstreicht die Fotografin die prägenden Beiträge der Umgebung zu einer Atmosphäre. Die Fotografien transportieren demzufolge Qualitäten landschaftlicher Atmosphären, indem einige der beitragenden Umstände aufgenommen werden, die später im Ausstellungskontext als Ekstasen ihrerseits die Atmosphäre prägen. Ein Beispiel für den Umgang mit Sprache in der künstlerischen Auseinandersetzung mit Landschaft ist »Early morning senses tropical island walk - Frigate Island, Indian Ocean, 1989« von Richard Long (Abb. Long 1994, 143). In fünf Säulen sind Eindrücke des Künstlers angeordnet, entsprechend der fünf Sinne. Die erste und längste Reihe bezieht sich mit farbigen Elementen auf das Gesehene, die zweite umfasst mit Wurzeln und Seewasser das Gespürte, die dritte Reihe dokumentiert Geräusche, die vierte Gerüche und die fünfte den Geschmack. Beim Erschließen

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dieser Arbeit werden beim Betrachter verschiedene Sinne angesprochen, und Longs Erlebnis kann allsinnlich nachvollzogen werden. In einer weiteren Arbeit von Long »One hour - A sixty minute circle walk on Dartmoor 1984« sind 60 Wörter in Kreisform angeordnet, welche Eindrücke einer Wanderung durch diese Landschaft wiedergeben (Abb. ebd., 70). Die Begriffe umfassen unter anderem Farbe, Topografie, Gegenstände, Geräusche, Temperatur, Bewegungen und geben Einblick in das sinnliche Erleben des einstündigen Spaziergangs. Die Zuhilfenahme von Gedichten ist im philosophischen Atmosphärendiskurs geläufig, beispielsweise um die »Atmosphäre der Dämmerung« zu erörtern (vgl. Böhme 1998, 33f). Künstler beziehen sich in ihrem Tun teilweise auf alltägliche Situationen, halten einfach fest, was ihnen begegnet, und liefern damit Beschreibungen von Phänomenen, wie sie ihnen erscheinen. Das Gedicht »Meeresstrand« von Theodor Storm (Storm 1995, 114f) wird von Böhme als Beispiel für eine Atmosphärenbeschreibung angeführt. Storm beschreibt ein Landschaftserlebnis fast ohne Bezug zum wahrnehmenden Menschen und nennt einzelne Ekstasen der Umgebung wie Geräusche, Bewegungen, eine Reflexion oder ein Windhauch, welche gemeinsam die landschaftliche Atmosphäre prägen (vgl. Böhme 1995, 69). Mit Worten ist es möglich, die persönliche Ergriffenheit seitens der Atmosphäre und einzelsinnliche Erlebnisse textlich festzuhalten. »Beides – Beschreibung wie bildliche Wiedergabe eines Dinges – sind nicht das Ding selbst, sollen aber in gewisser Weise einem anderen die Präsenz des Dinges vermitteln. Was in der Beschreibung oder der bildlichen Darstellung an Dingen geschieht, ist die Abhebung ihrer Ekstasen.« (Böhme 1995, 175, Herv. i. O.)

Mit dem Abbilden der Landschaft wird die Atmosphäre neu kreiert, indem im Kunstwerk ähnliche Ekstasen erzeugt werden. Beim Lesen des Gedichtes wird dann ein ähnlicher Atmosphärencharakter geprägt und erfahren. Land Art ist eine Kunstform, welche unmittelbar auf die aktuelle landschaftliche Atmosphäre reagiert. Die Arbeiten des englischen Künstlers Richard Long zeugen von einem sensiblen Gespür für den Atmosphären­ charakter. Mit kleinen Eingriffen thematisiert er eine Besonderheit der Landschaft. In dem Werk »A circle in Ireland 1975« überbrückt Long mit im Kreis angeordnetem Gestein die parallel verlaufenden Spalten des massiven Untergrunds und betont damit diese Besonderheit der Land-

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schaft (Abb. Long, 57). Eduardo Chillidas Werk »Peines del viento« reagiert mit »Windkämmen« auf die klimatische und landschaftliche Situation der Hafenstadt San Sebastián in Spanien (Abb. Chillida 1981, 27-40). Drei gebogene Stahlskulpturen, geschaffen von 1972 bis 1977, sind am felsigen Steilufer verankert. Sie greifen in den Blick auf den Horizont und unterstreichen die Kraft des Windes, insbesondere bei stürmischer See. In der Land Art reagieren Künstler auf bestehende Atmosphären und verändern oder unterstreichen mit einer Intervention den spezifischen Atmosphärencharakter. Ein Kunstwerk kann so die Aufmerksamkeit auf die Atmosphäre lenken und einen Zugang zum Phänomen fördern. Eine Installation mit sortierten Fundstücken ermöglicht Museumsbesuchern einen konzentrierten und sinnlichen Zugang zu einer landschaftlichen Atmosphäre. Hermann de Vries, studierter Biologe, arbeitet im wissenschaftlich-künstlerischen Grenzgebiet. Er vereinigt in seinem Oevre eine Vielzahl von Möglichkeiten, sich Orten zu nähern, zu untersuchen und Erkenntnisse zu präsentieren. De Vries sammelt Erdproben, welche ein Museum füllen und erstellt Erdabreibungen auf Papier, beispielsweise die 12- teilige »vergleichende landschaftsstudie« (Abb. Vries 2009, 85-88). Zu jeder Landschaft werden verschiedene Erdproben in 45 Rechtecken auf einem Blatt ausgerieben und so die Farbtöne der Erde dokumentiert. Das Sammeln und Reihen von Funden und Proben schlägt eine Brücke zum quantitativen Forschen und erlaubt Einsichten in feinfühlige Auseinandersetzungen mit einer Landschaft. Das »eschenauer journal 2002« besteht aus 173 Einträgen und zeigt de Vries’ verschiedene Zugänge zu einer Gegend: Fundstücke wie Blätter oder Zeitungsreste, Ausschnitte von Wurzeln oder Böden, Erdausreibungen, Landschaftsnamen, gepresste Pflanzen oder Blüten, Moos und Rinde. Ein Klecks Blut vom Künstler unterstreicht den persönlichen Zugang zur Landschaft (Abb. Vries 2009, 104-107). Ein weiteres Beispiel für natürliche Phänomene im Museumskontext ist die Ausstellung »The mediated motion« von Olafur Eliasson in Zusammenarbeit mit Landschaftsarchitekt Günter Vogt im Kunsthaus Bregenz 2001 (Abb. Eliasson 2004, 145-159). Im Eingangsgeschoss ist eine Reihe von Birkenstämmen mit Baumpilzen aufgestellt, welche einen intensiven Geruch verströmen. Im ersten Geschoss führt ein Holzsteg über flaches Wasser. Der geflutete Ausstellungsraum ist mit grünen Wasserlinsen besetzt. Der Boden der zweiten Ebene ist mit komprimiertem Erdreich bedeckt und dichter Nebel füllt das dritte Obergeschoss, welches mit einer begehbaren Hängebrücke bestückt ist. Die

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identischen Ausstellungsräume aus Sichtbeton mit einer gläsernen Lichtdecke rahmen und kontrastieren die sinnlichen Ausflüge. Eliasson bringt extrahierte Phänomene natürlicher Landschaften in die Stadt und ermöglicht Ausstellungsbesuchern intensive sinnliche Erlebnisse, den Geruch des Waldes, das Überqueren eines Teiches, das Betreten des weichen Erdbodens sowie das unmittelbare Erleben des Nebels. Diese Ausstellung ist ein Beispiel dafür, wie Kunst Phänomene der natürlichen Landschaften und das sinnliche Erleben thematisieren kann. Installationen mit natürlichen Elementen und Phänomenen im Ausstellungskontext fördern das sinnliche Erleben und können an landschaftliche Atmosphären heran­ führen. Dabei ermöglichen Museen und Ausstellungen im urbanen Kontext den Menschen, sich in Ruhe auf Atmosphären einzulassen, ohne hinsichtlich möglicher Handlungen bedrängt zu werden. Böhme zufolge ist Kunst für die Vermittlung von Atmosphären geeignet, denn »Werke der bildenden Kunst teilen nichts mit, sie drücken nichts aus, sondern man macht an ihnen Erfahrungen. Und was ist es, was man an ihnen erfährt? Unsere Antwort lautet: Atmosphären.« (Böhme 1989, 148) Es wird festgestellt: Mit Kunst ist es möglich, auf bestehende Atmosphären zu reagieren, wichtige prägende Zusammenhänge aufzunehmen, Aspekte einer erlebten Atmosphäre in einem Kunstwerk neu zu gestalten und Atmosphären mit einem künstlerischen Werk zu vermitteln. Kunst verschiedener Formen ist geeignet, landschaftliche Atmosphären hermeneutisch zu erschließen. Je nach Kunstform bieten sich vielfältige Möglichkeiten, auf eine landschaftliche Atmosphäre zu reagieren. Beim Anfertigen eines landschaftsbezogenen Kunstwerkes kann beides eingehen, Aspekte der Landschaft und das persönliche Erleben dieser Gegend, also der Kopplungszustand der landschaftlichen Atmosphäre. Vor Ort trägt die Landschaft zum prägenden Pol bei, und die Untersuchungsperson erfährt den ergreifenden Pol. Das leibliche Betroffensein von der Atmosphäre findet Eingang in die Arbeiten der künstlerischen Forschung. »Wenn eine fotografische Darstellung im engeren Sinne auch nur abbilden kann, was sich auf der Objektseite gezeigt hat, so wird dieses Ablichten doch auch von der (aktuellen wie zuständlichen) persönlichen Situation des Fotografen disponiert.« (Hasse 2012, 40, Einf. i. O.) In den Arbeiten der künstlerischen Forschung ist Landschaft zu sehen, da die Ausschnitte oder Details in den Fotografien, Zeichnungen oder Reliefen Aspekte der erlebten landschaftlichen Atmosphäre neu erzeugen. Ein vollständiges Loslösen von den prägenden Umständen würde zu

Atmosphären untersuchen

einem anderen Charakter führen. Die Landschaft prägt die Atmosphäre über Ekstasen und ist insofern Teil ihrer Wirkung. Die Atmosphäre ist etwas Diffuses, das sich als Ansammlung von Ekstasen einer Landschaft anhängt, sie durchdringt und untrennbar mit ihr verbunden ist. Dennoch ist es möglich, eine erlebte Atmosphäre über ähnliche Ekstasen beispielsweise in einem Bild vergleichbar zu prägen. »Die Kunstwerke stellen die Atmosphären nicht dar, vielmehr sind diese mit und an den Kunstwerken wirklich gegenwärtig.« (Böhme 1989, 152) Die Atmosphäre im Bild oder Text wird neu und teilweise auf verwandte Weise geprägt, indem Aspekte der erlebten Landschaft präsent sind.

4.4 K ünstlerische A rbeit zu l andschaf tlichen A tmosphären Die künstlerische Forschung stellt einen eigenständigen Zugang zum Atmosphärenphänomen dar und lässt unabhängige Erkenntnisse erwarten. Die landschaftlichen Atmosphären werden in der vorliegenden Arbeit mit künstlerischer Arbeit entschlüsselt und Erkenntnisse über deren Prägungen und Erleben gewonnen. Ziel der künstlerischen Arbeit ist es, ausgewählte Landschaften mit ihren spezifischen Atmosphären zu verstehen, und ihre Wirkung zu erfassen. Die Untersuchung verschieden gestalteter Landschaften erlaubt einen anschließenden Vergleich. Dabei ist die künstlerische Arbeit als methodisches Vorgehen ein offenes System. Alle Ausdrucksmittel sind je nach persönlichen Vorlieben, Fertigkeiten und Verfügbarkeit einsetzbar. Mit einem Mix an künstlerischen Mitteln wird ein verengter Zugang zum komplexen Phänomen vermieden. Die künstlerische Arbeit wird als Übersetzung von Atmosphären verstanden.

4.4.1 Rahmen und Vorgehen Für die exemplarische Entschlüsselung der Atmosphären wurden sechs Landschaften über einen Zeitraum von vier Jahren vielfach aufgesucht. Die Auswahl berücksichtigt verschiedene Relationen von Natur und Kultur. An dieser Stelle werden die konkreten Orte genannt, um einen Nachvollzug der gesamten Untersuchung zu ermöglichen. Im weiteren Verlauf werden die Landschaften mit vorangestellten Adjektiven versehen, um den stellvertretenden Charakter für andere Gegenden zu unterstreichen.

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Abhängig vom anthropogenen Einfluss werden natürliche, besiedelte, genutzte, gepflegte und urbane Landschaften unterschieden. Die natürlichen Landschaften sind zweifach auf der Ostseeinsel Hiddensee vertreten: die Steilküste zwischen dem Ort Kloster und der Klausner Treppe und der Wald mit Hochuferweg auf dem Hochland Dornbusch nördlich von Kloster. Die besiedelte Landschaft ist mit Neuendorf im Süden der Insel Hiddensee vertreten. Die gefahrene Strecke von Schaprode auf der Insel Rügen in Mecklenburg-Vorpommern zur Stadt Weimar in Thüringen, wird mit »Unterwegs« bezeichnet und als genutzte Landschaft eingeordnet. In Weimar wird der Historische Friedhof als Beispiel einer gepflegten Landschaft untersucht und die Innenstadt zwischen Frauenplan, Markt, Herderplatz und Theaterplatz als Exempel der urbanen Landschaft betrachtet. Auf Recherchen zu historischen, geologischen, architektonischen Entwicklungen oder ökologischen Zusammenhängen wird bewusst verzichtet. Alle Landschaften werden in ihrer aktuellen Atmosphäre erlebt und künstlerisch erschlossen. Die künstlerische Erschließung landschaftlicher Atmosphären ist ein Prozess. Mit dem Begehen der Landschaft wird die Atmosphäre erlebt und auf verschiedene Weisen festgehalten. In Bewegung, zu Fuß oder mit dem Auto ist das räumliche Phänomen der Atmosphäre leichter zugänglich als im Stillstand (vgl. Kapitel 2.5.1). Die erste Phase des Aufsuchens der Landschaft ist am Ende nicht mehr sichtbar. Zunächst geht es darum, die Atmosphäre zu erleben, Eindrücke festzuhalten und zu sammeln. Fotografien, Videos, Materialen, Zeichnungen und Notizen werden angefertigt und gesammelt, verschiedene Medien kombiniert, Reihen angelegt, Zusammenhänge in Montagen hinterfragt und Erlebnisse in Collagen ausgedrückt. Die Wahl der künstlerischen Mittel ist uneingeschränkt und kann je nach persönlichen Vorlieben und Fähigkeiten sowie technischer Ausstattung variieren. Verschiedene Kunstformen eigenen sich zum Übersetzen von landschaftlichen Atmosphären (vgl. Kapitel 4.3). Im Laufe der Zeit werden über die künstlerische Aneignung Besonderheiten der landschaftlichen Atmosphäre sichtbar und verstanden. Teilweise unterstützt ein künstlerisches Mittel den Prozess des Erschließens einer Atmosphäre aktiv, so wird beispielsweise in einer raschen Skizze nur das Wesentliche festgehalten. In anderen Fällen wird eine Qualität der landschaftlichen Atmosphäre sehr eindringlich erlebt, wie beispielsweise der Wind. Ein geeignetes künstlerisches Mittel, dieses Phänomen einzufangen, muss aber noch gefunden werden. Das künstlerische Übersetzen

Atmosphären untersuchen

der spezifischen Qualitäten einer landschaftlichen Atmosphäre ist leibliches Ergriffensein und Suche nach Erkenntnis zugleich. Mit dem wiederholten Aufsuchen der Landschaften und neuerlichem Erleben der Atmosphären wird eine Überprüfung der eigenen Erkenntnisse gewährleistet. In der vorliegenden Arbeit hat sich ein Mix aus vier künstlerischen Mitteln für die Bearbeitung der landschaftlichen Atmosphären als geeignet herausgestellt. Die entstandenen Werke entsprechen vier Hinsichten auf die typische Atmosphäre einer Landschaft. Es ist vorstellbar, alle erkannten Zusammenhänge in einem künstlerischen Werk einzufangen, jedoch zu Lasten der Lesbarkeit der Erkenntnisse und Erfahrbarkeit der Werke. Die Verwendung von vier künstlerischen Mitteln erlaubt dagegen eine Konzentration in jeder Arbeit auf einzelne Landschaftsqualitäten und ihren Beitrag zur Atmosphäre und schützt davor, zu viel auf einmal zu thematisieren. Die mehrfachen Zugänge zum komplexen Phänomen fördern daher aussagekräftige Erkenntnisse über landschaftliche Atmosphären.

4.4.2 Vier künstlerische Mittel Jede landschaftliche Atmosphäre wird mit vier künstlerischen Mitteln erschlossen: einer fotografischen Serie, skizzenhaften Zeichnungen, gegossenen Reliefen und einem phänomenologischen Ausf lug. Ihre Kombination erlaubt verschieden geartete Auseinandersetzungen mit dem Phänomen. Die digitale Fotografie unterstützt unkompliziertes Sammeln von Eindrücken und erlaubt es, alles zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal zu sichten. Auf diese Weise können sich Zusammenhänge herauskristallisieren, die beim unmittelbaren Erleben der Landschaft weniger deutlich waren. Die Fotografie verlangt als Untersuchungsmedium Konzentration und ein klares Konzept für die Umsetzung durch Selektion und Fokus. Die Arbeit in Serie erlaubt, die räumliche Varianz einer Landschaft zu erkennen, indem Aufnahmen verschiedener Zeitpunkte nebeneinander betrachtet werden. Die fotografischen Serien haben immer abhängig von der Landschaft einen eigenen thematischen Schwerpunkt. Die gestalterischen Entscheidungen gründen auf der jeweiligen inhaltlichen Auseinandersetzung. Fotografie als Zugang zur landschaftlichen Atmosphäre eignet sich besonders, um Licht und Schatten, Farbigkeit, Vielschichtigkeit, Materialität, Wiederholendes, Veränderliches oder Schnelligkeit zu verhandeln.

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Mit der skizzenhaften Zeichnung kann eine Landschaft konzentriert erfasst werden. In zügigen Skizzen wird eine Umgebung auf das Wesentliche reduziert, dabei werden prägende Umstände der Atmosphäre sichtbar. In systematischer Reihenfolge angefertigt können Zeichnungen einen dokumentarischen Charakter aufweisen und Veränderungen der landschaftlichen Atmosphäre sichtbar machen. Insofern liefern sie wertvolle Erkenntnisse über die landschaftliche Erfahrung. Die konstruierte Zeichnung, welche meist außerhalb der Landschaft entsteht, dient der Bearbeitung komplexer Phänomene und ermöglicht es, schwer greif bare Erlebnisse auszudrücken. In den Zeichnungen werden Zusammenhänge sichtbar und Erkenntnisse entstehen, Erfahrungen werden ausgedrückt und verarbeitet. Die künstlerische Auseinandersetzung über das Relief eignet sich, um räumliche Zusammenhänge und ihren Beitrag zur Atmosphäre zu untersuchen. Mit der Planung der Reliefe erfolgt ein Perspektivenwechsel, und mit Varianten und Reihen werden Erkenntnisse herausgearbeitet, welche anschließend in Form gegossen werden. Das Anfertigen von Modellen und Varianten ist eine Praxis der Architektur. Im Modell werden Maßstab und Materialität reduziert und die Umgebung vereinfacht dargestellt. Dies kann komplexe räumliche Strukturen der Umgebung offenlegen und Aufschluss über die Atmosphärenprägung geben. In phänomenologischen Texten ist es möglich, Informationen aus allen Sinnesbereichen festzuhalten. Das Medium hat im Vergleich zu Fotografie, Zeichnung und Relief den stärksten dokumentarischen Charakter, da alle Wirkungen der Landschaft aufgeschrieben werden. Dabei wird versucht, sich möglichen Erwartungen oder Erinnerungen an eine Landschaft bewusst zu werden und diese zurückzustellen, sowie zu vermeiden, Wissen und Assoziationen abzurufen. Auf die landschaftlichen Atmosphären wird sich, soweit dies möglich ist, unvoreingenommen eingelassen und das Erleben der aktuellen Situation aufgeschrieben. Die phänomenologischen Ausflüge sind ein Balanceakt zwischen beiden Polen der Atmosphäre: dem sinnlichen Erleben des ergreifenden Pols sowie dem Aufnehmen des prägenden Pols. Die Aufzeichnungen werden durch mehrmaliges Begehen überprüft und dann digitalisiert. Die in den Notizen angelegte textliche Anordnung wird übernommen und fortgeführt. Die phänomenologischen Texte eröffnen Lesern einen Ausflug in die Landschaft und ermöglichen eine detaillierte Auswertung. Die Abfassungen haben keinen Anspruch auf Vollständigkeit, da sie Moment-

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aufnahmen der erlebten landschaftlichen Atmosphäre sind. Es sind auch keine direkten Beschreibungen des Atmosphärencharakters. Die phänomenologischen Skizzen haben vielmehr das Anliegen, verschiedene Sinneseindrücke wie Geräusche, Gerüche und Gelesenes aufzunehmen, um die prägenden Umstände zu erfassen und so Erkenntnisse über die Atmosphäre zu gewinnen. Die gewonnenen Erkenntnisse zu landschaftlichen Atmosphären werden erst mit Einordnung aller vier künstlerischen Arbeiten explizit. Der hermeneutische Zugang entspricht vier Übersetzungen, die sich gegenseitig ergänzen und das Potenzial eröffnen, in der künstlerischen Bearbeitung viele Dimensionen der landschaftlichen Atmosphäre zu erfassen. Die fotografischen Serien, Zeichnungen, Reliefe und phänomenologische Texte bieten verschiedene Zugänge zur Landschaft. Die künstlerischen Werkzeuge ergänzen sich, da sie zwischen prägenden und erlebenden Polen der Atmosphäre unterschiedlich ansetzen. Mit Zeichnungen und Reliefen werden prägende räumliche Umstände erfasst und erforscht. Fotografien können viele Eigenheiten der Landschaft abbilden und Aspekte der landschaftlichen Atmosphäre neu kreieren. Phänomenologische Texte können Erlebnisse aus verschiedenen Sinnesbereichen dokumentieren, so beispielsweise Geräusche und Gerüche, die kaum abzubilden sind. Die künstlerischen Mittel variieren in der Spannweite vom dokumentarischen Aufnehmen bis zum begreifenden Verstehen der landschaftlichen Atmosphäre. Fotografien und phänomenologische Skizzen eignen sich zum Festhalten und Dokumentieren der landschaftlichen Atmosphäre, Zeichnungen fördern das Begreifen, während das Relief schon erste Erkenntnisse voraussetzt, um einen Zusammenhang zu hinterfragen und eine Schalung zu bauen. Die Anwendung der vier künstlerischen Werkzeuge ist nicht strikt, sondern je nach thematischer Auseinandersetzung mit der landschaftlichen Atmosphäre experimentell. Es gibt keine Festschreibungen, mit welchen Mitteln etwas unbedingt untersucht werden muss. Jede Landschaft wird künstlerisch neu erschlossen und die erlebte Atmosphäre verarbeitet. Künstlerische Forschungsarbeiten sind vom persönlichen Erleben und der künstlerischen Ausdruckskraft der durchführenden Person beeinflusst. Gestalterische Entscheidungen unterliegen dem Erkenntnisprozess. Die künstlerische Arbeit dient der Untersuchung von landschaftlichen Atmosphären, und diesen Charakter tragen die künstlerischen Werke in sich.

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4.4.3 Präsentation Die künstlerischen Forschungsarbeiten zu verschiedenen Landschaften dienen im Rahmen der Untersuchung dem Erkenntnisgewinn über Atmosphären. Die Fotografien, Zeichnungen, Reliefe und Texte werden als Originale in Ausstellungen präsentiert und ermöglichen Betrachtern einen Nachvollzug der untersuchten Landschaften und ihren verschiedenen Atmosphären. Eine entsprechende Präsentation ist für dieses Vor­haben wichtig. In einer Ausstellung werden die Arbeiten zu jeder Landschaft zusammenhängend gezeigt und eröffnen vier Perspektiven auf eine landschaftliche Atmosphäre. Das Auswahlkriterium der Landschaften, die unterschiedliche anthropogene Prägung, wird im Ausstellungskonzept berücksichtigt und ermöglicht den Betrachtern, den Untersuchungsrahmen leichter zu erschließen. Die künstlerischen Werke der natürlichen und urbanen Landschaften bilden Auftakt und Endpunkt der Ausstellung. Die Ausstellungskonzeption versteht sich daher auch als These innerhalb der Gesamtarbeit. Eine kurze textliche Erläuterung führt in die Thematik ein und legt die Fragestellungen der künstlerischen Forschung offen. Von weiteren Erläuterungstexten wird abgesehen, da die Exponate für sich sprechen. Die Werke sind Übersetzungen der untersuchten landschaftlichen Atmosphären und können die in der Landschaft vorgefundenen Atmosphären partiell neu kreieren, beispielsweise indem sie eine empfundene Dichte oder Weite der Atmosphäre zeigen oder einen artifiziellen oder urwüchsigen Eindruck wiedergeben. In der Landschaft trägt die Umgebung zum prägenden Pol bei, und die Untersuchungsperson erfährt den ergreifenden Pol der Atmosphäre. In einer Ausstellung tragen die Werke zum prägenden Pol der Atmosphäre bei, und die Betrachter erfahren den ergreifenden Pol. Die im Forschungsprozess entstandenen Arbeiten formulieren Erkenntnisse zu landschaftlichen Atmosphären und ermög­lichen Betrachtern, in einem Ausstellungskontext unterschiedliche Atmosphären in kurzer Folge zu erfahren. Die künstlerischen Arbeiten sind Träger von Erkenntnissen und vermitteln diese, ebenso halten sie Erfahrungen fest und ermöglichen diese. Ist eine Ausstellung mit solchen künstlerischen Übersetzungen erfolgreich, dann kann dies ein Weg sein, verschiedene Atmosphären und ihre Einflüsse auf das menschliche Befinden zu vermitteln.

Atmosphären untersuchen

4.5 A tmosphären überse t zen im F a zit Atmosphären können nur über den Umweg des menschlichen Erlebens erschlossen werden und sind dennoch intersubjektiv. Das Erleben einer Umgebung zu erfassen, erfordert besondere Methoden, um Prägung und Wirkweise von Atmosphären zu entschlüsseln. Künstler können besondere Qualitäten einer Landschaft darstellen, ablichten oder umschreiben und dabei auch ihr eigenes Erleben dieser Atmosphäre mit einfließen lassen. Die künstlerische Forschung als Methode wird dem Atmosphärenstatus zwischen der Landschaft und dem menschlichem Befinden gerecht. Die Diskussion diverser Verbindungen verschiedener Kunstgattungen und Landschaften zeigt: der künstlerische Zugriff erlaubt, Atmosphären zu begreifen, zu übersetzen, zu verdeutlichen, zu verändern und zu vermitteln.

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5. Dokumentation der künstlerischen Arbeit

Fotografien, Zeichnungen, Reliefe und phänomenologische Texte werden als einander ergänzende künstlerische Mittel genutzt, um die Landschaften und ihre Wirkung auf den Menschen zu übersetzen. Ziel der künstlerischen Arbeit ist es, die charakteristischen Eigenschaften der Landschaften in ihrem Beitrag zur landschaftstypischen Atmosphäre zu verstehen. Dabei wird nach der spezifischen Prägung des Atmosphärencharakters gefragt sowie nach Bedingungen, welche die Atmosphären für das menschliche Erleben bereithalten. Der vierfache künstlerische Zugang erlaubt, einzelne Aspekte der Atmosphärenprägung zu thematisieren und Besonderheiten zu verstehen. Die ausgewählten Orte wurden vielfach aufgesucht und die Atmosphäre eigenleiblich erfahren. Die künstlerischen Arbeiten sind Übersetzungen der prägenden Umstände und der erfahrenen Wirkung. Als Werke der künstlerischen Forschung sind sie Gegenstand und Träger von Erkenntnis und Erfahrung, für die untersuchende Person und für andere. In Serien und Reihen sowie in der Gegenübergestellung von Werkstücken werden signifikante Eigenheiten der jeweiligen landschaftlichen Erfahrung herauskristallisiert. Dabei ist den künstlerischen Arbeiten eine Abstraktionsebene gemein, welche sich der Atmosphäre als landschaftsverbundenes Phänomen zuwendet und Erkenntnisse sucht und findet. Die sechs ausgewählten Landschaften werden von Menschen verschieden genutzt und stehen repräsentativ für ähnlich geprägte Umgebungen. Auf der Insel Hiddensee werden die Steilküste und der Wald als natürlich geprägte Landschaften und Neuendorf als besiedelte Landschaft bearbeitet. Das Erleben von landwirtschaftlich genutzten Landschaften aus dem fahrenden Auto wird mit »Unterwegs« bezeichnet. In Weimar werden der Historische Friedhof als gepflegte Landschaft, sowie die Innenstadt als urbane Landschaft untersucht. Die künstlerischen Arbeiten entstan-

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den in einem Zeitraum von vier Jahren. Im Buch sind nachfolgend die künstlerischen Übersetzungen abgebildet. Die Dokumentation beginnt mit den natürlichen Landschaften Steilküste und Wald, gefolgt von der besiedelten Landschaft Neuendorf und der genutzten Landschaft »Unterwegs«. Von der gepflegten Landschaft des Historischen Friedhofs sowie der urbanen Landschaft wird die Dokumentation abgeschlossen. Mit der Reihenfolge wird die Zunahme der anthropogenen Prägung der Landschaften berücksichtigt. Im Buch sind die Arbeiten zu den landschaftlichen Atmosphären systematisch katalogisiert und verkleinert abgebildet. Dies erlaubt einen schnellen Überblick und Nachvollzug der anschließenden Einordnung der mit künstlerischer Bearbeitung gewonnenen Erkenntnisse (Kapitel 6). Die Auseinandersetzung mit sechs ausgewählten Landschaften stellt einen eigenständigen Zugang zu Atmosphären dar. Sie begann zeitgleich mit der theoretischen Bearbeitung. Daher sind die Erkenntnisse der künstlerischen Arbeit gleichwertig zu denen der wissenschaftlichen Diskussion. Die Verwendung von vier künstlerischen Mitteln als einander bereichernde Perspektiven und die Bearbeitung von sechs Landschaften führen zu einer breiten Übersicht an landschaftlichen Atmosphären und ihren Besonderheiten. Verschiedene atmosphärische Wirkungen der Landschaften auf die Menschen wurden übersetzt, und eine vergleichende Betrachtung ist möglich.

K ünstlerische A rbeit Dokumentation Steilküste Wald auf dem Dornbusch Neuendor f Unterwegs Historischer Friedhof Innenstadt

S teilküste Natürlich geprägte Landschaft Horizonte Begleitend Aktanten An der Steilküste

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Horizonte 7 von 24 St Digitalprint 50x29,5cm

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Begleitend Zeichnungen 30x40cm Grafit auf Papier

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Aktanten 25 St je 10,5x24,5cm Keramofix und Steine vom Steilufer

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An der Steilküste kantige Steinblöcke trennen Sand und Meer Wellen grollen rollen heran überschlagen sich rauschen krachen gegen die Steine im Takt als Kanon lauter leiser Gischt in der Luft feine Tröpfchen setzen Salz auf Lippen mühsames Gehen im Sand große Steine hell und dunkel vom Nass klagendes Schreien zwei Möwen gleiten durch die Lüfte feiner Nebel auf der Haut auf feuchtem Sand im Seegras spitzes Zirpen grünes Steilufer modriger Geruch Tang und Gras Wind zieht durch die Kleider Sonne wärmt im Nacken Zirpen ganz nah leuchtende orange Beeren im Silbergrün schmaler Weg Summen im hohen Gras auf dem dunklen Steinwall erhöhter Steg biegt sich führt in neue Bucht Steine liegen im Meer

An der Steilküste Phänomenologischer Ausflug

zirpen klacken dip dip krrrr im Takt Wind bläst ins Gesicht grünliches Meer Steinlinie bricht Wellen moosige Steine vom Meer umspült weites Schreiten dunkle Platten betreten Fugen überspringen schräger Abhang zum Meer steil zum Strand zweite Steinreihe teilt Wellen überkreuzen sich im stetigen Takt hohe Wellen schlagen auf Steinwall ein bilden weiße Kronen spritzen hinauf auf Steine und Beine Steg bestimmt Schrittmaß massiver Deich endet weiter im losen Verbund Klettern zum Abstieg nun warm und windgeschützt zwischen Deich und grünem Steilufer Wellen schlagen gedämpft niedriger Wall ist nass Wellen lauter Wasser hinterm Deich feuchter Sand angenehm fest roter Stein mit feinen Streifen entdeckt und eingesteckt Steinwall hört langsam auf mit großen runden Steinen

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Künstlerische Überset zungen

Wasser trifft Stand Schaum Sand Seegras Kies dunkle Muscheln in langen Reihen nebeneinander versinken in groben Kieseln Wellen donnern heran ein Rauschen lauter leiser entlang des Ufers grünes Seegras Wand nun steiler fast überall grün gelbe Wand ragt heraus zwei Türme aus Steinen Wind umweht sanftes Gehen auf Tang bunte Kiesel am Ufer Bucht schließt sich Steilufer kommt näher große Abbruchstellen lautes Meerestosen an Buchtspitze große runde Gesteinsbrocken dahinter die See bis zum Horizont Einsicht in die nächste Bucht hohe Steilwand schiebt sich weit ins Meer karge Lehmwand Baum hängt kopfüber schmaler Streifen mit Kies schweres Treten Wellen schlagen an große Steine bespritzen Beine Sand vom Hang rutscht ins Meer

gelber und grauer Abbruch darüber sanftes Grün Steilwand rückt vor in die Weite des Horizonts große bunte Steine liegen im Sand kleine Bucht geht zu Ende hohe Steilwand ganz nah weit oben leuchten orange Beeren große Bucht schmaler Küstenstreifen lehmiger Boden Wind und Wellen toben ohne Unterlass Ufer weitet sich flach mit Kies und Sand Hütte aus aufgestellten Hölzern Bucht schließt sich hoch aufragende Steilküste stark abfallende Wand mit gelben Feldern senkrechte Abrutschlinien Bucht macht engen Bogen große runde Steine am Boden am Rand ein Schild im Gebüsch eine Treppe Eintritt ins Grüne über viele Stufen hinauf .

W ald auf dem D ornbusch Natürlich geprägte Landschaft Führung und Ver führung Vier Phasen Im Wald Auf hohem Ufer

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Führung und Verführung 7 von 15 St Digitalprint 50x33cm

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Vier Phasen Zeichnungen 30x45cm Grafit auf Papier

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Im Wald Relief 60x25cm Keramofix

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Auf hohem Ufer Phänomenologischer Ausflug

Künstlerische Überset zungen Auf hohem Ufer Eintreten in den Schatten der Bäume Blätter rauschen lauter leiser ein Aufweiten

Abzweig eröffnet Ausblick durchdringendes Getöse Wind getriebene Wellen Schutzwall an steiler Küste zurück

Im Sonnenlicht heller sandiger Boden eine Abbiegung ein kurzer Blick Meerestosen

Im dunklen Rund hinab Bäume rascheln helle Sprenkel unter lichtem Blätterdach

Wieder in Dunkelheit ruhig grüner Vorhang langsam im Licht ein ausladender Ast

Platz im Schatten helles Fenster rahmt geschwungene Küstenlinie kalter Luftzug unter lautem Getöse

Tor auf schmalem Pfad geöffnet zum Himmel hohe Gräser streifen Sonne im Gesicht

Abwärts unterm Blätterdach schwaches Rauschen auftauchen Pfad im hohen Wiesenbett beschützte Wärme

Im offenen Grasland tiefer weicher Sand ein Pfad quert kräftiges Meerestoben ein leichter Anstieg

Niedriges Buschwerk erlaubt Meeresblick leuchtender Pfad lädt ein tief verhangen ein Abzweig

Zur dunklen Pforte Eintritt in kühle Passage emporgehoben im dichten Wald geschützte Ruh

Düsterer Zugang in kühle Finsternis Brise in den Bäumen Meer verstummt ein Wegstück

Gewundener Pfad unter starken Ästen eine Gabelung führt ins Licht über Wurzeln

Undurchdringlicher Wald wilde Ranken entlang einer Senke mit stetiger Steigung plötzlich Stille

Hinaus auf kleine Höh ein leuchtender Pfad warme Strahlen krachende Brandung

Weiter Raum des Waldes mit glänzenden Gräsern Stämme tragen Laubwerk dazwischen ein roter First .

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N euendorf Besiedelte Landschaft Burgen Windschatten Weggeflecht Zusammenhalt Auf der Wiese

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Burgen 7 von 20 St Digitalprint 40x30cm

Künstlerische Überset zungen

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Windschatten Zeichnungen 30x24cm Grafit auf Papier

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Weggeflecht Zeichnungen 30x24cm Kreide auf Papier

Künstlerische Überset zungen

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Zusammenhalt 5 Plastiken in einer Reihe Keramofix je 20x20cm

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Landschaf t und Atmosphäre Auf der Wiese

im Wald mit hellen Stämmen klare Schneise der Straße es öffnet sich eine großen Wiese kleiner Teich dichtes Buschwerk rotes Pflaster führt Wind rauscht durch die Blätter Schafe weiden Dachfirste lugen übern Deich kleine Vögel schwarz weiß zirpen von der Weide Gebüsch begleitet stürzen und lupfen im Schwarm Herde an der Straße Schäfer schaut Brausen immer lauter Buschwerk beiderseits Summen im Dickicht zip zip zip rote Beeren im Blattwerk lila Flächen im Grünen Anstieg übern Deich plötzlich Übersicht weiße Häuser reihen sich im kargen Gras windig lautes Getose vom Meer den Deich hinab im Wind kleiner Wald schützt Grillen zirpen schwarze Beeren hohes Gras zu beiden Seiten Wald zu Ende

Auf der Wiese Phänomenologischer Ausflug

freies Grasland sandige Wege bieten sich an mittig breite Betonstraße erste Häuser ganz nah weiß geduckt unterm Dach eine Laterne auf der Wiese lautes Zirpen Meeresrauschen Radfahrer passieren ein Stück Land eingezäunt Wind nun stärker zweite Häuserreihe orange Beeren in Hecke Wiesenweg rote Ziegelscheune offene Wiese mit Gehspuren windig Haltestelle und Telefonzelle zwischen Häusern und Hecken der dritten Reihe still Geruch nach Holzfeuer offenes Gelände zwischen den Reihen Seitenweg mit Platten eröffnet Blick zum Deich dahinter Land in der Ferne Sandspur im Gras vierte Hausreihe Gebüsch und Bungalow windgeschützt Straße macht Biegung nach links Wäsche flattert einsamer Baum Häuser und Laternen wachsen aus der Wiese fünfte Reihe mit dicken Hecken Windstille Zirpen und Brummen im Gras

Künstlerische Überset zungen große Wiese mit Zaun von Wegen gerahmt Straße führt nach links zum Deich Doppelweg geht gerade Boje markiert Kreuzung ein Mast rot weiß kleines einzelnes Haus Straße parallel zu Reihe sechs weite Wiese mit hellem Gebäude rote Tore rotes Dach vorn Erhebung Straße führt übern Deich Giebel schauen drüber Masten schwanken den Deich hinauf ein Blick Hafenwasser aufgewühlt Touristen speisen nach links auf Deich sehr windig Gräser liegen Schotterweg kleine lila Büsche auf der Wiese Häuser tief unten Boote liegen im Hafenbecken auf dem Rücken im Gras dahinter Schilf Wind zerrt an den Kleidern zirpen im Gras Vogel nutzt Windschatten eine Kreuzung gepflastert abbiegen hinab zu heimeligen Häusern der Reihe fünf im Windschatten roter Holzschuppen das Wellenschlagen im Ohr Sandweg führt über die Wiese eine Laterne Vogelschreie zwischen den Reihen offenes Land sehr stürmisch dicke Federbetten hängen im Wind

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zwischen den Häusern in Reihe vier Windstille und Meeresrauschen Wäsche trocknet ein breiter Weg Spaziergänger zur dritten Reihe mit Getränkekästen Stille dann offenes feuchtes Land dahinter aufgereihte Häuser Grasspuren folgend nach links in Sicht ein Ziegelgiebel zwischen hellen Häusern sandigen Spuren folgend ein Bus hält Leute steigen ein zurück auf Straße am Klinker vorbei Figuren aus Holz stehen im Gras eine Doppelspur führt dem Wind entgegen entlang der letzten Reihe Wege kreuzen sich Wäsche fliegt im Wind ein Boot liegt in der Wiese Spielplatz im Sonnenschein dahinter Wald mit roten Stämmen Meeresgetöse immer lauter Wellenschlagen ist auszumachen am Übergang orange Früchte den Deich mit Seegras hinauf grünes Meer mit weißen Kämmen in ganzer Breite Sand zwirbelt an den Beinen zirpen im hohen Gras Eingemummelte kauern im Sand Nackte toben im Wasser den Wellen entgegen kaum Strand .

U nterwegs Genutzte Landschaft Seitenblicke Fahrerperspektive Autobahnabschnitte Während der Fahr t

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Seitenblicke 7 von 24 St Digitalprint 13x30cm

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Fahrerperspektive Chronologische Skizzen 15 von 70 Blatt

Künstlerische Überset zungen

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Autobahnabschnitte 6 Plastiken Keramofix je 12,5x25cm

Künstlerische Überset zungen

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Während der Fahrt Phänomenologischer Ausflug

Künstlerische Überset zungen

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Während der Fahrt hohe Blumen wanken Allee

wärmende Strahlen holprige Fahrbahn Lenkrad festhalten

zarte Bäume Kreuzung zwischen Baumreihen kleiner Ort große Bäume

offenes Feld Allee abgeerntete kurze gelbe Stoppelfelder Schilderansammlung mächtige Bäume begleiten

kleines Dorf Einfahrt in den Wald Übergang in Allee bergauf leichter Hügel einzelne Bäume Feld mit dunkeln Platten

Windräder drehen langsam ein Abzweig

geerntetes Feld mit Stoppeln Traktoren halten

Bäume stehen dicht

Ort mit Kurven Häuser Tor und Enge Allee führt hinaus unter geschlossenem Dach Büsche dahinter freies Feld hohe Kolben stehen im dichten Laubwald Allee schließt an Gebüsch schirmt ab nacktes Feld hohes Getreide daneben grüne Wiesen Büsche kleines Dorf blanker Acker große Blätter wuchern weites offenes Land Nadelwald im Quadrat Sportplatz leere Felder größerer Ort große Wohnbauten Häuser begleiten Stau eine Ampel Baumgruppen im weiten Land Autos in langer Reihe Schienen laufen parallel Maschinen bewegen Land hohes Feld Wald mit roten Stämmen Ortschaft Häuser Baustelle tief unten Kirchturm aus Holz Häuser

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S- Kurve unter Brücke auf geschwungene Brücke blaues Geländer durch Brückentürme große Kräne an Seilen verspannt blau grüne Werft hinauf auf zwei Spuren hoch gebaut leere Felder drehende Windräder

Straße erhaben über Landschaft schafft Überblick nun eingegraben

Waldstücke weite Grasfelder

Hafenstadt am aufgewühltem Meer Kirchtürme Speicher dazwischen weiße Bögen Hallendächer schwarze Zellen weites Land Baumgruppen

karge Stoppelfelder Baumreihen Haltebuchten unter Brücken ein Abzweig

einzelne Bäume

flaches Land Baumreihen begrenzen nackte Böden

rechteckige Wälder sanfte Bögen Wald

Wind rauscht Autos ziehen vorbei blaue Lücken in Wolken rote Fahrbahn nun Grau

hügeliges Land Stromtrasse geschwungene Felder

Einfahrt in den Wald bergauf weites Land

angeschnittene Hügel Baumgruppen Acker

Wald große weiße Wolken am tiefblauen Himmel lange Schneise im Wald

hohe Bäume begrenzen Felder über Eck schwarze glänzende Reihen

Felder mit Quadratwäldern Stoppelfelder Nadelwälder zwischen Feldern

hügeliges Land hohe Kolben stehen kurze Baustelle Güllegeruch

Künstlerische Überset zungen

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Fahrtwind flattert rechteckiger Ziegelturm eine Kirche offenes Feld Einfahrt in den Wald über Brücke Windpark Mischwald

geschwungene Felder Teich Lärmschutzwall Laub und Nadelgewächse Wasser dichter Wald spitzer Kirchturm

Baustelle ein Kreuz dichter Verkehr grüne Schilder fliegen vorbei Wald mit hellen und roten Stämmen Windräder Bauwerk aus Heuballen Kirche aus Ziegeln Laubbäume

hohe Gräser stehen flaches Land im Mischwald Stau

hohe schlanke Bäume begrenzen

pure Erde lauter Verkehr rollt vorbei Gräser wehen grüne Tafeln begrenzen Industriehallen

Unterfahren der Kabel

Strommasten entfernen sich Windräder

hochaufragende schmale Bäume Überfahren einer Brücke zwischen hohen gelben Fluss Laubwald Bögen weites Land Wiesen und Felder Baumgruppen Blätterwald helle und graue Stämme Blendschutz flattert vorbei

Baustelle See überquert in Allee Stau Gegenverkehr rauscht drei Spuren

Büsche und Bäume Nadelwald mit

Wald abgeerntetes Feld dahinter weites Land

bunte Laster parken 5 Spuren 4

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schmalen Stämmen Feld mit Windrädern

3 Stau stinkende Gülle

Bäume stehen eng

Wald mit Nadeln inmitten großer Windräder rotierende Räder flaches Land

im Laubwald

trockene Weite Reihe mit schlanken Bäumen

mehr Windräder Stau 3 auf 2 Spuren Baustelle

hohe Kolben begleiten flache Bauten Dorf

Halle in Rot grau

Gewitterwolken hohes Getreide Acker

Windräder drehen Runden

im Windradfeld Windräder dicht an dicht Gebüsch begrenzt dunkle Wolken Industriehallen kleiner Hain umfriedet

flaches weites Land bergauf Übersicht

große hohe Hallen Lärmschutzwand Wall graue Wand kleine Bäume diverse Hallen

kleine Bäume Lärmschutzwand

Wald begrenzt

Hügel

Regen tropft unter Brücke Kurve im Wald dunkelgrüne Nadeln unter Brücken aus dem Wald Abfahrt Regentropfen

Strommasten begleiten

hügelige Wiesen

Künstlerische Überset zungen

Hügel mit Wald

schlechte Sicht Autoschleier Ende des Waldes

Hallen begleiten

trockene Fahrbahn blauer Himmel Gebirge in Sicht unter Brücken weit oben felsiger Abbruch 3 auf 2 Einfahrt Tunnel trübes gelbes Licht auf Brücke gleißende Helle dunkelgrüne Berge langsame Autoschlange durch die Baustelle

dunkle Nadeln kleine Mauer trennt

bergauf in Kurven im dunklen Grün auf Gipfel Bergab mit Aussicht von 2 auf 3 wärmende Strahlen

Wald in der Ferne

steil bergab über Brücke windige Böen wieder hinauf

Lärmschutzwand Wall

dunkler Wald

Steinwall in Etagen schirmt ab große Wohnblöcke

Lärmschutzglas

Tunneleinfahrt Wiese dichter Wald

freies hügeliges Land Baustelle offene Felder ein Baum

hügelige Weite Abfahrt .

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H istorischer F riedhof Gepflegte Landschaft Raumstrukturen Komposition Mauerwerk Von Mauern umfriedet

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Raumstrukturen 7 von 12 St Digitalprint 20x30cm

Künstlerische Überset zungen

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Komposition Zeichnungen Grafit 12x29,5cm Schraffuren Grafit 12x14cm

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Mauerwerk 2 Plastiken Keramofix je 45x15cm

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Von Mauern umfriedet Phänomenologischer Ausflug

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Von Mauern umfriedet zwischen Autoreihen auf Straße bis zur Mauer mit kleiner Öffnung lautes Gezwitscher entferntes Brummen schmaler Eintritt eine Stufe nach unten Wege in alle Richtungen diagonaler Pfad eröffnet Blick ins Baummeer mittendrin verläuft eine Mauer Frau mit zwei Kindern Wurzeln im grünen Licht zwischen hohen Stämmen über Wurzeln über Wasserinne asphaltierter Weg führt hinab mittig erhöht hohe Bäume begleiten schief und ausladend den Weg auf beiden Seiten auf angrenzenden Wiesen stehen vereinzelt Steinmale dahinter grenzen Mauern besetzt mit vielen Tafeln ein breiter Weg kreuzt dicke knorrige Stämme geben Geleit zu einem Tor in der Mauer Autos tauchen kurz auf werden lauter werden leiser

dahinter ein grüner Garten mit gelbem Haus Vögel zwitschern vergnügtes Kindergeschrei entfernt geht eine Frau Unebenheiten im Boden Elefant aus Holz in Sicht Kinder drehen sich vor dem Tor rechts zwei Paare kommen entgegen kahle Mauer begleitet Öffnung in Zwischenmauer erlaubt Wechsel zur anderen Seite Wege zwischen weiten Wiesen mit hohen Bäumen und schiefen Kreuzen ziehen sich den Hügel hinauf singende Vögel rauschende Autos gelber Kuppelbau hinter Grenzmauer hohe Häuser Touristengruppe kreuzt zur Linken ein Tor durchs offene Gatter auf Bürgersteig sogleich die Straße Streifen ermöglichen Übertritt zum Garten mit Blumeninsel .

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I nnenstadt Urbane Landschaft Ansprache Straßenraum Straßen und Plätze Zwischen Häusern

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Ansprache 7 von 15 St Digitalprint 40x30cm

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Straßenraum 24 Blatt Bleistift 12x14cm

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Straßen und Plätze 6 Plastiken Keramofix je 15x15cm

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Zwischen Häusern Phänomenologischer Ausflug

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Zwischen Häusern lärmiges Eck Bewegung in alle Richtungen Radfahrer Bus Gruppen quatschen Lebensmittel bis 24 Uhr Leute an Ampeln überqueren hohes Eckhaus mit Kuppel um eine Hecke niedriges Haus mit Mauer Stimme »so ähnlich« Koffer rollen Wohnungsangebote Plakat bildet Tor zum Platz Geschenke und Brötchen Passanten schauen Kleiderständer auf Bürgersteig gefolgt von Hüten Sitzende an Tischen hellgelbes Haus Goethe Autos stehen am Platze tief verhangene Pergola Lastwagen dröhnt drei Radfahrer weibliche Stimme Touristengruppe »es geht darum« Wasser plätschert am grünen Brunnen Hufe klappernde Kutschen Türen schlagen durch die Ecke der Pergola dahinter eine Wiese kleiner Platz mit Bäumen Menschen sitzen auf niedriger Mauer Häuser mit Cafes Tische und Stühle auf der Straße die führt hinab Radfahrer und Fußgänger über kleine Straße ein Auto nähert sich rattert übers Pflaster

umgehängte Fotoapparate Übertritt Fußgängerzone schattige breite Straße mit Bäumen durch kurze schmale Gasse Stühle auf Ecke »er muss nach Kuala Lumpur« Schuhe stöckeln über Kopfsteinpflaster Hufe klappen Schmuck Bellen und Ballgeräusche Passanten Tee Café und Brötchen Räder ticken im leeren Lauf Ginkgoladen Passanten zu beiden Seiten Platz öffnet sich als großes Rechteck viele Aufsteller stehen Balkon mit Aussicht und Eingang viele Marktstände »runder Anhänger mit Silber« Gemüse Schmuck Crêpes Bratwurst und Blumen Eingang mit »Goethe« Zitat sonnig auf offenem Platz »wird schon warm« piep piep piep Grillgeruch Motor startet »blondes Engelchen« vier helle und zwölf dunkle Schläge einer Uhr Räder rattern Verengung der Straße auf Häuser zu junge Frauen erzählen »wo geh’ mer hin«

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intensiver Parfümgeruch Mann mit Blumen Räder rattern über Steine Straße schlägt einen Haken Bücher auf Bürgersteig Rad klickt Auto nähert sich Taxischild auf dem Dach verwinkelte Straße Häuser farbenfroh blau gelb grün rot Auto startet und parkt aus Spezialitäten »verkauft – steht schon dran« Schuhe und Taschen auf Steig Autos parken in einer Reihe Flip Flops flappen Frau »erst mal vielen Dank« Schuhe in Ständern vorn zwei Bäume in Sicht Drogerie »hat’s geschmeckt? »Ja, aber es hat gekrümelt wie Sau« Hufe klackern zwei Helle ziehen Wagen Galerie und Bäckerei Kutsche kommt näher acht Hufe auf Pflaster große Kirche steht am Platze Turmuhr schlägt 12 lange Töne hellgraue Kirche steht quer hohes Schieferdach Kinderwagen Turmuhr verhallt noch ein Schlag hinterher Auto quert »beim Markt vorbei« Wagen stehen auf dem Platz »Pflaume ist im Angebot«

Bäcker auf Ecke unebenes Kopfsteinpflaster links an Häuserreihe Reisen und Parkuhr Geld klingelt Kasse druckt Tische vor einem Laden Rosmarin steht geschrieben Teppiche auf Staffelei schmaler Giebel trennt zwei Straßen Baumaschinen dröhnen »doch man kommt rein« »Lutherbilder« Krankenwagen passiert drei Autos in Gasse quietschende Bremsen Friseur gesucht helle Häuserfarben gelb grau zu beiden Seiten Geflüster ein Auto rattert vorbei historische Schirme Aufsteller Ansammlung großer Bäume vor steinernem Tor kleiner Platz gepflastert mit Ketten abgetrennt 1856 im Pflaster Brunnen mit Gestalten eine Frau mit zwei Kindern Wasser läuft dahinter ein grüner Vorhang Efeu verhängt kleine Fenster Tische unter hohen Bäumen Besteck klappert Klaviermusik von irgendwo durchs Tor in den Schatten entlang krummer Hauswand ein Parkplatz Menschen stehen reden Mann mit großen schwarzen Hunden Aufweitung mit gelbem Sand einsame Holzburg zwei Erwachsene sitzen

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»die hat’s vergessen« dahinter ein flacher Bau engt den Weg ein Zaun zu Gärtchen und tief gelegenem Hof durch gelbes Winkelhaus begrenzt Rad überholt Schuhe klacken schmaler Weg erreicht Tor »alle ham’ zu außer« durchs Tor hindurch Ankunft am Platz unter Bäumen Blumenbeete und Bänke Fotos werden gemacht Betreten des offenen Platzes mit stattlichem grauem Bau mächtige Säulen eröffnen Zugang davor auf hohem Sockel zwei schwarz schimmernde Gestalten zum Motiv gemacht gelbe Kacheln rahmen Fenster niedrige Gebäude »I mean love« Zigarettenduft viele Passanten queren vorbei an Tischen Hähnchenduft Uhr und Eistüte stehen Telefone klingeln Backladen teilt offene Straße rechts von links mit großen Bäumen Eintritt in kühlen Schatten Touristengruppe »selber komponiert« Brötchenduft Allee mit großen Bäumen Auto blinkt und stoppt Frau zündet Zigarette an Buchbinderei und Fossilien

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Schuhständer eingehülltes Gebäude Figur weist nach links Zigarettengeruch Kleiderständer Luftzug durch Straßenöffnung Tische hinter Kübeln Straße biegt nach links ein Brunnen und Abzweig Passanten gehen und stehen Menschen auf Bänken schlecken Eis niedriges gelbes Haus mit grau verschlossenen Läden ein Auto Abzweig Kindergeschrei »hab’ ich gefunden« »Weimar, Erfurt, Suhl« »Mama« Fotografin mit Stativ Licht durch Häuseröffnung hohe Bäume wie Bebauung Bücher Besteck Parfüm »wie alt ist sie jetzt?« Taschen Tücher Tische Gemurmel »ich meine, warum ist das jetzt so?« Waldpilz Zucchini Karte hinter Blättern stinkt eine Zigarre Räder klicken Eintritt ins Licht vor dunkelrotem Sandsteingebäude rechts öffnet sich die Straße Blick öffnet sich leicht bergauf Touristengruppe Blumen .

6. Einordnen der künstlerischen Forschungsarbeiten

Im Anschluss an die Dokumentation werden die künstlerischen Arbeiten zu landschaftlichen Atmosphären eingeordnet. Dies geschieht in essayistischer Form, indem Hintergründe und Intentionen der künstlerischen Untersuchungen offengelegt und die Prägung der Atmosphäre seitens der Landschaft analysiert sowie die atmosphärische Wirkung herauskristallisiert wird. Die Erörterung der künstlerischen Arbeiten bezieht sich auf die gewonnenen Erkenntnisse über landschaftliche Atmosphären, nicht auf die Wirkung der Werke. Die vier künstlerischen Arbeiten zu einer Landschaft werden im Zusammenhang besprochen, die Wechselwirkung von prägender Umgebung und erlebter Atmosphäre aufgezeigt und Qualitäten der landschaftstypischen Atmosphäre abgeleitet. Die festgestellten Eigenschaften der Atmosphären werden im Hinblick auf das menschliche Erleben diskutiert. Dieses Vorgehen entspricht einem Abstraktionsprozess: von der konkreten Landschaft mit spezifischer Atmosphäre hin zu landschaftstypischen Atmosphären mit ausgewiesenen Eigenschaften, welche stellvertretend für ihre jeweilige landschaftliche Prägung stehen. Abschließend werden wesentliche Unterschiede der Atmosphären von natürlichen, von gemischt geprägten und von urbanen Landschaften festgehalten.

6.1 B esprechung der künstlerischen A rbeiten Die Atmosphäre ist die leiblich erfahrene Qualität in einer Landschaft. Die landschaftstypische Atmosphäre wird im spezifischen Zusammenwirken von Landschaft und Mensch bestimmt. Die Grundatmosphäre

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weist generelle und dauerhafte Qualitäten auf und ist mit der Landschaft verbunden. Die künstlerischen Arbeiten beleuchten verschiedene Aspekte dieser Atmosphäre und spezifische Zusammenhänge ihrer Prägung. Die Einordnung und Auswertung bezieht sich auf herausgearbeitete Besonderheiten der untersuchten Atmosphären und auf prägende Einflüsse seitens der Umgebungen. Die Erörterung beginnt entsprechend der Reihenfolge der vorangegangenen Dokumentation mit den natürlich geprägten Landschaften Steilküste und Wald, gefolgt von Neuendorf als besiedelte Landschaft und »Unterwegs«, dem Durchfahren genutzter Landschaft und wird abgeschlossen von der gepflegten Landschaft des Historischen Friedhofs und der Innenstadt als urbane Landschaft. Jede Landschaft wird kurz beschrieben, ohne auf Hintergrundinformationen oder Fachwissen, beispielsweise aus dem historischen, geologischen, ökologischen oder architektonischen Bereich, zurückzugreifen. Die künstlerischen Arbeiten werden hinsichtlich der gewonnenen Erkenntnisse besprochen, verstanden als exemplarische Entschlüsselung der landschaftlichen Atmosphären. Zudem wird jede Landschaft hinsichtlich der drei Kategorien der Atmosphärenprägung massiv, mobil und ephemer beleuchtet. Anthropogene und natürliche Beiträge der Umgebung werden notiert. So werden wichtige Zusammenhänge von Prägung und Qualität der Atmosphäre deutlich (vgl. Kapitel 3). Abschließend wird die landschaftstypische Atmosphäre hinsichtlich des menschlichen Erlebens charakterisiert.

S teilküste Dem Steilufer steht die Weite des Meeres gegenüber, dazwischen befindet sich ein schmaler steiniger Uferstreifen. Die Landschaft ist in mehrere Buchten gegliedert, die selten vorher einzusehen sind. Zu Beginn des Hochlandes liegt ein Steinwall dem Steilufer vor, die Steilküste ist verbuscht und der Boden sandig. Der teilweise begehbare Steinwall geht in eine Ansammlung von großen runden Steinen über und endet. Die Steilküste ist ab dieser Stelle stark ansteigend sowie von Abbrüchen gekennzeichnet, der Untergrund ist steinig. Hinter einigen Buchten befindet sich eine Treppe, welche den Uferbereich mit dem Hochland verbindet. In der fotografischen Serie »Horizonte« (Abb. S. 94f) werden Atmosphären in größtmöglicher Reduktion untersucht, mit der Aufnahme be-

Einordnen der künstlerischen Arbeiten

sonderer Stimmungsqualitäten von Himmel und Meer von einem Standort aus. In jedem Bild der 24-teiligen Serie sind zwei Fotografien aus einem Monat gegenübergestellt. Die Zeitpunkte der Aufnahmen variieren im Abstand von einer Stunde bis zu einem Monat, da nur fotografiert wurde, wenn eine besondere Atmosphäre gespürt wurde. Die Horizonte-Sammlung zeigt Vielfalt und Wandel der atmosphärischen Beiträge und formuliert über die Auswahl Fragen. Das doppelte Landschaftsbild im schmalen Querformat fokussiert die räumliche Stimmung. Die Serie verdeutlicht, dass der Horizont des Meeres als größtmöglicher Wahrnehmungsraum der Menschen stetiger Veränderung unterliegt, sich weitet oder verengt, mal klar oder diffus ist, und eine feine Varianz bietet. Die künstlerische Analyse der Horizonte zeigt, wie wechselhaft und flüchtig, aber auch forttragend und umgreifend landschaftliche Atmosphären sind. In den Zeichnungen »Begleitend« (Abb. S. 96f) wird die räumliche Situation der Steilküste herausgearbeitet. Das Steilufer gibt einerseits Halt und begleitet, es kann aber ebenso bedrohlich wirken. Der aufragenden Steilküste steht die Weite des Meeres gegenüber, ausgebreitet bis zum Horizont. Der flache Uferstreifen ist der begehbare Bereich zwischen beiden Extremen. Die räumliche Situation ist konstant und beschreibt das unmittelbar Umgebende, sowie den Blick entlang der Steilküste zu beiden Seiten und die zwei Richtungen, die begehbar sind. Am Ufer der Steilküste liegen viele bunte Steine, die zum Aufheben verleiten. Die Arbeit »Aktanten« (Abb. S. 98f) verhandelt den Eigenanteil der Steine am Prozess des Auswählens und Mitnehmens. Das Sortieren und Eingießen der Steine in den Keramikwerkstoff unterstreicht das Herausheben einzelner Steine aus der bunten Masse. Die 25 Platten mit je sechs bis acht aufgereihten Steinen thematisieren verschiedene Merkmale wie Form, Farbe, Art, Maserung, Zeichnung oder Oberflächenbeschaffenheit, die einen Stein hervorstechen lassen. Die Arbeit versteht sich weder als vollständige Bestandsaufnahme noch als systematisches Sortieren eines Strandabschnitts, vielmehr traten die einzelnen Steine mit ihrer Beschaffenheit hervor und wurden daraufhin aufgehoben. Trotzdem stehen die sortierten Steine repräsentativ für die Masse und Mischung am Ufer. In dem phänomenologischen Ausflug »An der Steilküste« (Abb. S. 100f) wird das Erleben der Atmosphäre in zeitlich räumlicher Ausdehnung nachvollziehbar. Der rechtsbündige Text spiegelt das räumliche Erlebnis wider, die Weite des Meeres auf der einen Seite und die konstante

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Begrenzung von der Steilküste auf der anderen. Die einzelnen Absätze repräsentieren aneinandergereihte Buchten. Entlang der Steilküste werden verschiedene räumliche Abschnitte erschlossen, »an Buchtspitze« »Einsicht in die nächste Bucht« und »kleine Bucht geht zu Ende«, und die Präsenz des Steilufers steigert sich mit »hohe Steilwand | schiebt sich weit ins Meer«, »Steilwand rückt vor«, »hohe Steilwand | ganz nah« und »hoch aufragende Steilküste | stark abfallende Wand«. Die Wellen werden verschiedentlich genannt, und deren Geräusch wird mit »grollen«, »rauschen«, »krachen«, »schlagen« und »donnern heran« beschrieben und ihre Kontinuität wird mit »überschlagen sich« »im Takt« charakterisiert. Ein Kontakt mit dem Wasser entsteht über die »Gischt in der Luft« und »bespritzen Beine« aber auch »feine Tröpfchen setzen | Salz auf Lippen«. An einer Stelle wird »moderiger Geruch« vernommen. Andere festgehaltene Geräusche neben den Wellen sind ein »Zirpen«, »Summen« und »klagendes Schreien«. Einige Eindrücke werden unmittelbar gespürt, wie die »Sonne wärmt den Nacken«, der »Wind zieht durch die Kleider« und »bläst ins Gesicht«. Über die Bewegung wird ein »mühsames Gehen im Sand« und »schweres Treten« sowie ein »Versinken im groben Kieseln« erlebt. »Wind und Wellen toben | ohne Unterlass« verdeutlicht, wie intensiv beide Phänomene zur Atmosphäre beitragen. Das Erlebnis auf dem Steinwall wird mit »erhöhter Steg biegt sich | führt in neue Bucht« und »Steg bestimmt Schrittmaß« beschrieben. Weitere anthropogene Objekte sind neben dem Wall eine »Hütte aus aufgestellten Hölzern«, »am Rand ein Schild« und »im Gebüsch eine Treppe«. Die Atmosphäre der Steilküste ist von der Weite des Meeres und der physischen Präsenz der Steilküste geprägt. Dies entspricht der massiven Ebene der Atmosphärenprägung. Abgesehen vom anfangs vorgelagerten Steinwall, bleibt der kontrastierende räumliche Auf bau den gesamten Ausflug über erhalten. Nur das Öffnen und Schließen einzelner Buchten bedingt eine leichte und wiederkehrende Veränderung. Die Ausstattung der Landschaft auf mobiler Ebene ist reduziert und lässt sich mit Steinen, Sand, Büschen und Vögeln benennen. Beide, die Großräumigkeit und die einheitliche Bespielung, bieten viel Raum für die Entfaltung des Ephemeren. Der Wind ist sehr präsent, ebenso die Geräusche der Wellen, die Farben von Meer und Himmel sowie die Gestalt der Wolken. Vieles wird unmittelbar erlebt wie der Wind, Wasserspritzer und Sand. Nur wenige anthropogene Elemente prägen die Landschaft: der vorgelagerte Steinwall zu Beginn, ein Schild, eine Hütte aus Strandgut sowie eine Treppe. In der

Einordnen der künstlerischen Arbeiten

Folge ist die Atmosphäre kaum durch Aufforderungscharaktere geprägt, auch wenn der schmale Uferstreifen zum Gehen in die eine oder andere Richtung einlädt. Die weite Atmosphäre der untersuchten Landschaft erlaubt Erfahrungen der Freiheit und Losgelöstheit, aber auch des Klein- und Unbedeutend-Seins. Ambivalent dazu kann das Steilufer als begleitend und haltgebend empfunden werden, unter Umständen auch als bedrohlich. Die weiträumige und konstante Atmosphäre gibt Menschen Zeit, in sie einzutauchen. Mit der natürlichen Prägung fehlen weitgehend Aufforderungscharaktere, daher kann die Atmosphäre als zurückhaltend und entspannend erlebt werden. Ein Verlust des Sicherheitsgefühls ist möglich, da explizite Handlungsaufforderungen fehlen, und Abbrüche der Steilküste möglich sind.

W ald Der untersuchte Wald liegt oberhalb der Steilküste. Der Untergrund ist bewegt und der Boden sandig. Die Vegetation ist von Bäumen und Büschen sowie von kleinen Wiesen geprägt, welche den Wald ab und an unterbrechen. Der Hochuferweg und Nebenwege erschließen diesen Bereich. Zum Rand des Hochlandes ergeben sich einige Ausblicke auf das Meer. In der fotografischen Serie »Führung und Verführung« (Abb. S. 104f) wird der Weg als durchgehendes Element verhandelt, welcher durch verschiedene Lichtsituationen leitet. Als anthropogenes Zeichen führt der Pfad durch den unübersichtlichen Wald, gibt Sicherheit und Orientierung, als gewundener Weg verführt er, ihm zu folgen, hinab und hinauf zu gehen, in Helligkeit und in Schatten einzutreten. Die Zeichnungen »Vier Phasen« (Abb. S 106f) analysieren die stetig wiederkehrende räumliche Veränderung des Weges. Mal führt der Weg über das offene Grasland, dann auf einen geschlossenen Baumbereich zu, anschließend verläuft er zwischen den Bäumen, um dann wieder aus dem Waldbereich auf eine Lichtung zu führen. Der stetige Wechsel der Vegetation entlang des Weges bildet verschiedene räumliche Situationen aus und bedingt stetige Veränderungen in anderen Bereichen wie beispielsweise der Temperatur, Wind, Geräusche und Helligkeit.

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Die beiden Reliefe »Im Wald« (Abb. S. 108f) untersuchen den halboffenen Raum des Waldes. Die Begrenzung der umgebenden Landschaft ist diffus, da die Stämme verschieden weit voneinander entfernt sind. Es entsteht zugleich ein offener und abgeschlossener Eindruck, daher können im Wald Geborgenheit und Schutz aber auch Bedrängung erlebt werden. Während das erste Relief den Wald abseits des Wegs behandelt, verdeutlicht das Relief mit Weg (Abb. 108), wie dieser im Wald Orientierung verschafft. Die Form des phänomenologischen Ausfluges »Auf hohem Ufer« (Abb. S. 110f) mit kurzen gleichlangen Absätzen spiegelt den kontinuierlichen räumlichen Wechsel, im Wald und außerhalb dessen zu sein, wider. Die verschiedenen räumlichen Ausprägungen werden mit »geöffnet zum Himmel«, »[i]m dunklem Rund« und »unterm Blätterdach« charakterisiert und ihre Übergänge mit »ein Aufweiten«, »[z]ur kühlen Pforte« und »Tor auf schmalem Pfad«. Die wechselnden Lichtsituationen werden mit »im Sonnenlicht«, »[w]ieder in Dunkelheit«, »[l]angsam im Licht« und ein »leuchtender Pfad« beschrieben. Zudem werden Temperaturunterschiede vernommen, wie mit »Eintritt in kühle Passage«, »beschützte Wärme« und »kalter Luftzug« deutlich wird. Die Geräusche ändern sich von »Meerestosen« »lauter leiser«, »krachende Brandung« und »Bäume rascheln« bis zum Gegenteil mit »geschützte Ruh«, »Meer verstummt« und »plötzlich Stille«. Die abwechslungsreiche Topografie wird in Beschreibungen wie »auf kleine Höh« und »[a]bwärts unterm Blätterdach« deutlich. Im Gehen wird die Beschaffenheit des Bodens vernommen und mit »tiefer weicher Sand« und »über Wurzeln« festgehalten. An drei Stellen ist eine Aussicht auf das Meer möglich: ein »Abzweig eröffnet Ausblick«, ein »helles Fenster rahmt« und »[n]iedriges Buschwerk erlaubt | Meeresblick«. Neben dem anthropogenen Element des Weges werden der Blick auf den »Schutzwall an steiler Küste« und »ein roter First« am Waldrand genannt. Die Notizen unterstreichen einen stetigen Wechsel auf vielen Ebenen. Die untersuchte landschaftliche Atmosphäre ist auf massiver Ebene von der sich weitenden und verengenden räumlichen Situation geprägt. Gestaltet von wechselnder Präsenz der Bäume, Büsche und Wiesen sowie von kleinen Hügeln und dem stellenweise eingegrabenem Weg. Die mobile Ebene umfasst niedrige Vegetation und ist in der Ausstattung homogen. Die verschiedenen räumlichen Ausprägungen bedingen auf der

Einordnen der künstlerischen Arbeiten

ephemeren Ebene Wechsel von Licht und Schatten, von Wärme und Kühle sowie Änderungen der Geräuschkulisse der Wellen und des Windes in den Blättern. Der Weg leitet durch den schwer einsehbaren Wald. Die Landschaftsausstattung ist einheitlich und von wiederkehrender Veränderung geprägt. Die umschließende Atmosphäre des Waldes kann Schutz und Geborgenheit vermitteln, aber auch beengend und bedrohlich wirken. Die begrenzte Atmosphäre vermittelt Nähe und Lokalität, zugleich erschweren dichte Waldabschnitte die Orientierung, und ein unsicheres Gefühl kann aufkommen. Als anthropogenes Zeichen übernimmt der Waldweg Aufgaben der Führung und Verführung. Die kontinuierlichen Wechsel der homogenen Landschaft sorgen für eine Varianz der Atmosphäre und erhöhen ihre Zugänglichkeit. Die natürliche Atmosphäre des Waldes verfügt über wenige Aufforderungscharaktere und ist weitgehend frei von potenziellen Handlungsangeboten. Die daraus resultierende zurückhaltende Atmosphäre kann als entspannend erlebt werden. Ein Gefühl der Unsicherheit kann sich einstellen, wenn Menschen sich verloren oder desorientiert fühlen.

N euendorf Die Siedlung steht auf flacher Ebene zwischen offener See und Boddengewässer und ist von einem Deich umgeben. Die freistehenden weißgetünchten Häuser mit tiefgezogenen Schilf- oder Ziegeldächern stehen nebeneinander in losen Reihen auf kargem Grasland ohne umgebende Zäune und Hecken. Eine befestigte Straße führt durch den Ort und verbindet den Hafen und weitere Dörfer. Ein dichtes Netz aus breiten sandigen Wegen und schmalen Wiesenpfaden verbindet die einzelnen Häuser. Die Fotoarbeit »Burgen« (Abb. S. 114f) zeigt einzelne Häuser im Verhältnis zur Landschaft. Jedes Bild portraitiert ein zusammenhängendes Konglomerat aus Gebäudeteilen auf freier Wiese unter homogenem Himmel. Der Übergang vom Grasland zur Hauswand ist unmittelbar und meist ohne weitere Umzäunung. Die vielen Verbindungen von Einzelbauwerken zeugen von einem inneren Zusammenhalt und einer Abschottung nach außen. Die Gebäude wirken auf Außenstehende abweisend. Die Verschlossenheit steht im Kontrast zur die offene Wiesenlandschaft.

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Auf der Straßenlaternen stehen und die Wäsche im Wind flattert. Das umgebende Land erfährt eine private und öffentliche Nutzung gleichermaßen. Die Zeichnungen »Windschatten« (Abb. S. 116f) untersuchen, wie die Häuser in Reihen sich gegenseitig vor dem Wind schützen. Je nach Windrichtung übernehmen andere Häuser den Windschutz für dahinterstehende Gebäude, und die windigen Stellen im Ort wechseln. In den Zeichnungen »Weggeflecht« (Abb. S. 118f) wird das Netz aus Straße, Wegen und Pfaden zwischen den Häusern analysiert. Die Wege verlaufen meist mittig zwischen den Gebäuden und halten Abstand. Neben den reinen Verbindungen und Verknüpfungen zeigt sich: durch häufige Benutzung werden die Wege breiter, da die Grasnarbe auf bricht. Daher spiegelt die Linienstärke die Wegbreite und Nutzung wider. Die fünf Reliefe »Zusammenhalt« (Abb. S. 120f) legen exemplarisch die Verbindungen von fünf Hauskomplexen offen. Stetiges Wachstum durch weitere Anbauten sowie Abgrenzung zur umgebenden Landschaft werden im Grundriss sichtbar. Die Erweiterungen kreieren Buchten und Höfe, welche vor Wind und Einblicken schützen und Halt und Geborgenheit gegenüber der Weite der Landschaft bieten. Mit dem Titel des phänomenologischen Ausflugs »Häuser auf der Wiese« (Abb. S. 122f) ist das besondere Verhältnis von Landschaft und Bebauung genannt. Die Eindeichung des Dorfes ist von weitem sichtbar und »Dachfirste lugen übern Deich«. Beim Überqueren des Deiches gibt es »plötzlich Übersicht« oder »ein Blick« auf den Hafen ist möglich. Mit dem »Anstieg übern Deich« und »hinab zu heimeligen Häusern« wird deutlich, dass der Deich die einzige topografische Erhebung ist. Wird er als Weg begangen, verschafft er eine andere Perspektive auf die »Häuser tief unten«. Der Eindruck im Dorf ist beschrieben mit »weiße Häuser reihen sich | im kargen Gras« und »Wäsche flattert | einsamer Baum | Häuser und Laternen | wachsen aus der Wiese«. Werden Häuserreihen durchquert, sind andere Geräusche hörbar, weil der Wind ausgebremst wird. »Zwischen den Reihen offenes Land«, da ist es »sehr stürmisch« und »zwischen Häusern« ist es »still« und ein »[Z]irpen und [B]rummen im Gras« ist vernehmbar sowie der »Geruch nach Holzfeuer«. Der dem Dorf vorgelagerte Wald bietet ebenfalls Windschutz und leise Töne, wie ein »[B]rausen« und »[S]ummen« sind hörbar. Im Text sind die windgeschützten Bereiche der Landschaft links- oder rechtsbündig, und die offe-

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nen Bereiche zentriert ausgerichtet. Auf dem Deich ist es »sehr windig« und der »Wind zerrt an den Kleidern«, die »Gräser liegen« und »lautes Getöse vom Meer« ist vernehmbar. Zwischen den Häuserreihen befinden sich eine »offene Wiese mit Gehspuren«, »sandige Wege bieten sich an« und »eine Doppelspur führt | dem Wind entgegen«. Andere Menschen begegnen als »Spaziergänger« und »Radfahrer passieren« aber auch »ein Bus hält | Leute steigen aus« und es wird beobachtet, wie »Touristen speisen«. Beide Wasserseiten des Landstrichs werden beschrieben. Die Boddenseite wird charakterisiert mit »aufgewühltes Hafenwasser« und »Boote liegen im Hafenbecken«, die andere Seite mit »grünes Meer mit weißen Kämmen« und »Nackte toben im Wasser | den Wellen entgegen«. Die landschaftliche Atmosphäre ist auf massiver Ebene von der räumlichen Offenheit geprägt, dem flachen Land unter weitem Himmel und den aufgereihten Häusern mit umgebendem Deich. Zwischen den Häusern ist der Raum begrenzter, bietet Schutz vor Wind und Halt in der Weite. Auf mobiler Ebene tragen anthropogene Elemente wie Boote, Menschen, Räder, Pferde, ein Bus, eine Haltestelle, Laternen und ein Spielplatz zur Atmosphäre bei. Auf den offenen Wiesen ist der Wind als Ephemeres präsent, im windgeschützten Bereich zwischen den Häusern sind andere Geräusche und Gerüche vernehmbar. Der Deich grenzt das Dorf ein und die dahinterliegende Landschaft aus, auch wenn Wind, Wellengeräusche sowie hohe Objekte wie beispielsweise Bootsmasten oder Baumkronen die Siedlung via Sicht mit der Landschaft außerhalb des Deiches verbinden. Die Wege leiten durch das Dorf, verbinden Häuser, Hafen, Strand und eine weiterführende Straße. In Neuendorf ist die Atmosphärenprägung auf massiver, mobiler und ephemerer Ebene relativ einheitlich. Die offene Atmosphäre in Neuendorf bietet viele Möglichkeiten und die Freiheit, selbst zu entscheiden. Die vielen Wegeoptionen können jedoch auch überfordern. Der konstant gleichbleibende Auf bau ermöglicht es, sich in Ruhe auf die Atmosphäre einzulassen. Die natürliche anthropogene Prägung ist ambivalent und auffällig, da privat Anthropogenes und öffentlich Natürliches unmittelbar aneinander grenzen. Der halböffentliche Charakter irritiert und kann das Gefühl auslösen, aufdringlich oder ausgeschlossen zu sein.

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»U nterwegs « Die genutzte Landschaft wird heute überwiegend aus dem Auto erlebt und selten zu Fuß erschlossen. Daher wird eine Fahrt über Landstraßen und überwiegend Autobahnen von 600 km analysiert. Untersucht wird die Situation als Ganzes, das Landschaftskonglomerat bestehend aus Feldern, Alleen, Wäldern, technischen Bauten, Infrastruktur und Fahrstraße, wie ein Autofahrer es aus dem Wagen erlebt. In der fotografischen Serie »Seitenblicke« (Abb. S. 126f) wird nur ausgelöst, wenn der Blick in der Landschaft an etwas hängenbleibt und ein zweiter Blick aus dem Seitenfenster folgt. So geschehen bei besonderen Wolkenformen, intensiven Farben oder auffälliger Beschaffenheit der Felder, geometrischen Formationen von Bäumen und Wäldern, einzelnen Bauwerken, bewegten Landschaftsformen oder bei der Möglichkeit eines kurzen Überblicks. Die Fotografien fangen die Geschwindigkeit ein, denn die Landschaft im Vordergrund ist verschwommen, da es unmöglich ist, Nahes zu fixieren, es sei denn der Kopf beziehungsweise die Kamera würden sich mitdrehen. Erst in der Ferne ist es möglich, Einzelheiten scharf zu sehen. In manchen Bildern befinden sich Tropfen auf der Fahrzeugscheibe und zeigen die Trennung zwischen Wageninnerem und Außenwelt an, welche in diesen Momenten präsent ist. Das Innere des Fahrzeuges und die Einschränkungen durch die Karosserie werden bei dem Blick aus dem Wagenfenster meist ausgeblendet. Das Querformat mit breitem Rand oben und unten verdeutlicht die begrenzte Fahrzeughöhe mit eingeschränktem Blick. Das an den Seiten randlose Format unterstreicht das Durchfahren eines konkreten Ortes in der Aneinanderreihung verschiedener Landschaftsformen. Die zeichnerische Arbeit »Fahrerperspektive« (Abb. S. 128f) besteht aus 70 Blättern mit je zwei bis drei Skizzen untereinander. Chronologisch auf einer Fahrt entstanden, fangen die Zeichnungen wesentliche Elemente der Wahrnehmung durch die Frontscheibe ein. Angesichts der kurzen Zeitspanne wird zeichnerisch automatisch eine Selektion vorgenommen. Die Fahrstraße führt mal gerade, mal gebogen durch die Landschaft, durch Wälder und enge Täler, vorbei an Feldern, unter Brücken, Schildern und Stromtrassen hindurch, an Ansammlungen von Windrädern und Wegmarken wie Kirchtürmen und Fabrikhallen vorbei, bergauf und bergab mit Übersicht. Die Wahrnehmung der Landschaft ist vielfältig

Einordnen der künstlerischen Arbeiten

und geht deutlich über die Grenzen der Fahrbahn hinaus. Alles Bewegliche, wie andere Fahrzeuge, ist zeichnerisch selten aufgenommen und spielt eine untergeordnete Rolle. Eine große Anzahl von Lastwagen ist dagegen in der Zeichnung festgehalten, sie verändern das räumliche Gefüge und somit auch die Atmosphäre. Die Reliefe »Autobahnabschnitte« (Abb. S. 130f) untersuchen das Verhältnis von Fahrbahn und Landschaft. Mal folgt die Fahrbahn der Topografie, mal durchschneidet sie Hügel und Täler und ist abwechselnd höher oder tiefer als die Umgebung. Die Straße durchtrennt eine Landschaft mit Feldern und Wäldern sowie alten Alleen. Neue Verbindungen in Form von Brücken entstehen. Das räumliche Gefüge kann sich auch auf der Autobahn verengen, wie beim Durchfahren eines Waldes oder durch die Begrenzung von Lärmschutzwänden. Die Zerlegung der Autobahn in einzelne Abschnitte verweist auf wiederkehrende landschaftliche Situationen mit austauschbaren Elementen auf einer Autofahrt sowie auf die Konstanz der Fahrstraße. Die Straße hat immer eine Richtung, sie führt und leitet durch die Landschaft, deren Beschaffenheit sie mal folgt und mal kontrastiert. Der phänomenologische Ausflug »Während der Fahrt« (Abb. S. 132137) ist in drei Spalten gegliedert. Die äußeren geben an, was links und rechts von der Fahrbahn passiert. Die mittlere Spalte zeigt, was sich auf der Straße und im Wagen abspielt. Die sich verändernde räumliche Situation wird im Auto klar vernommen, wie im Dorf mit »Tor und Enge« oder »zwischen Baumreihen«, »unter geschlossenem Dach«, die »Einfahrt in den Wald«, »im dichten Laubwald«, »aus dem Wald«, oder »inmitten großer Windräder« und »Einfahrt Tunnel«. Das Erheben der Fahrbahn »auf geschwungene Brücke« »schafft Überblick«, mit dem Befahren von Brücken wird ein »See überquert«, der Blick auf einen »Fluss« oder ein »aufgewühltes Meer« freigegeben. Folgt die Fahrbahn der Topografie, wird das mit »bergauf« und »steil bergab« deutlich. Andere notierte Eigenschaften der Fahrbahn sind: »holprig«, »kurze S-Kurve«, die Verengung oder Aufweitung der Straße »5 Spuren | 4 | 3« oder »von 2 auf 3« sowie »Haltebuchten«. Wenn es langsam vorangeht, wird der Verkehr aufgenommen, mit »Autos ziehen vorbei«, »Autos in langer Reihe«, und »dichter Verkehr« oder wenn gar »Stau« herrscht und der »Gegenverkehr rauscht«. Im Auto wird während der Fahrt vernommen, wenn der »Wind rauscht« und »windige Böen« herrschen, »Güllegeruch« in der Luft liegt

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und »wärmende Strahlen« eintreffen. »Regentropfen« haben »schlechte Sicht« und »Autoschleier« zur Folge. Am Himmel fallen »blaue Lücken in Wolken« und »dunkle Wolken« auf. Die passierte Landschaft neben der Fahrbahn wird mit »kurze Stoppelfelder« und »hohe Kolben begleiten«, »weites offenes Land« oder »hügeliges Land«, »rechteckige Wälder«, »Windräder drehen langsam«, »schwarze Zellen«, »bunte Laster parken«, »große Wohnblöcke« und »spitzer Kirchturm« charakterisiert. Die landschaftliche Atmosphäre »Unterwegs« wird auf massiver Ebene von größeren räumlichen Veränderungen der umgebenden Landschaft geprägt, wie durch Wälder, Alleen, große Bauwerke, Brücken, insbesondere wenn sie nah an der Fahrbahn sind. Folgt die Straße der Topographie, dann wird diese über die Fahrbewegung erlebt. Die Fahrbahn ist konstant vorhanden und führt durch die Landschaft. Mobiles spielt eine untergeordnete Rolle, da der Wagen selbst in Bewegung ist und andere Autos nur kurzzeitig in der Umgebung präsent sind. Der Verkehr wird vor allem bemerkt, wenn er stockt. Das Wageninnere wird kaum aufgenommen und eher ausgeblendet, dafür wird die Landschaft direkt wahrgenommen. Der Charakter des Flüchtigen entsteht durch die Geschwindigkeit, mit der Orte passiert werden. Ephemeres wie Wetterphänomene, Himmelszeichnungen und Gerüche sind nur in auffälligen Momenten präsent. Anthropogene Teile der Landschaft sind die Infrastruktur wie Straßen und Bahnschienen, Ortschaften, Fabrikhallen, Windkraftanlagen, Stromtrassen, Solaranlagen, Brücken, Fahrzeugen und Schildern. Mit natürlichen Elementen tragen Felder und Wälder, Büsche und Alleen, Seen und Flüsse, sowie das Wetter zur Atmosphäre bei. Die Atmosphäre »Unterwegs« wird als schnelllebig und flüchtig erlebt. Ständig neue Eindrücke erfordern viel Aufmerksamkeit und können anstrengend sein. Es besteht kaum Zeit, sich auf die aktuelle Situation einzulassen. Die Gerichtetheit führt zu einem eindimensionalen Erleben, da das gerade Aufgenommene schon vorüber ist. Daher ist die Atmosphäre schwerer aufzunehmen. Eine Konstanz bringt, neben der Präsenz der Fahrstraße, das Erlebnis, im geschlossenen Wagen zu sitzen und zu fahren, was aber weitestgehend ausgeblendet wird. Die heterogene Atmosphäre ändert stetig ihre Zusammensetzung und ist daher anregend, fordernd aber auch anstrengend. Das verschiedene Nebeneinander in anthropogen natürlicher Mischung lässt die Atmosphäre komplex werden.

Einordnen der künstlerischen Arbeiten

H istorischer F riedhof Der Historische Friedhof erstreckt sich über ein längliches Grundstück einen Hügel hinauf. An beide Längsseiten grenzen Straßen mit Wohnbebauung, der unteren schmalen Seite liegen eine Straße und ein kleiner Park vor, und den oberen Abschluss bildet ein Feld. Der Friedhof ist von einer Mauer umgeben und besitzt eine weitere Mauer in der Mitte, welche zwei schmale lange Parzellen entstehen lässt. Im Inneren sind die Mauern an vielen Stellen mit Grabsteinen und Tafeln versehen. Der Baumbestand ist umfangreich, und im unteren Teil der Anlage befinden sich Wiesen mit wenigen alten Einzelgräbern. Die Wege sind angelegt und verlaufen meist parallel zu den Mauern, welche mehrere Zugänge und Tore haben, die nachts verschlossen sind. In der fotografischen Serie »Raumstrukturen« (Abb. S. 140f) wird das Zusammenspiel von Mauern und Wegen mit Bäumen und Wiesen thematisiert. Die Wiesen sind durch das Blätterdach abgedunkelt und haben Lichtflecken. Die horizontale Mauer bildet einen Kontrast zu den aufstrebenden Bäumen. Der Blick endet oft an einer Mauer, und nur die Wege geben lange Sichtachsen frei. An einigen Stellen ist die außerhalb liegende Wohnbebauung sichtbar, und die Tore erlauben Ausblicke auf die angrenzende Umgebung. In der zeichnerischen Arbeit »Komposition« (Abb. S. 142f) wird die Mauer als gebautes Element thematisiert, welches die Bäume einrahmt und nur an bestimmten Stellen geöffnet ist. Die Mauern schließen den aufgespannten Raum zwischen den Bäumen mit hohem Blätterdach zu den Seiten hin ab. Zugleich ist die Mauer mit vielen Artefakten bestückt. Jede Grabplatte ist eine Einzelgestaltung mit kurzen Texten und Zitaten, Worten und Zahlen in diversen Schriftarten und mit Verzierungen. Die gepflegte Vegetation und die Mauer sind auf verschiedenen Ebenen gestaltet. Die beiden Reliefe »Mauerwerk« (Abb. S. 144f) analysieren die Friedhofsmauern im Detail. Ein Relief untersucht den Zugang zum Friedhof an der Längsseite (Abb. S. 145), wobei die Mauer das Innere abschottet. Die hohen Stämme dahinter versprechen eine gänzlich andere Raumqualität als im Wohnviertel. Die hohen Rückseiten von Grabsteinen entlang der Mauer deuten die Nutzung dahinter an. Der Durchgang ist relativ klein und mit der Erhöhung der Mauerenden dezent betont. Im Relief deutet sich eine Stufe nach unten an, welche den Eintritt in den Grün-

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raum nochmals absetzt. Die Mauer bildet eine klare Grenze und trennt Friedhof und Umgebung. Das zweite Relief untersucht, wie die Mauer im Inneren des Friedhofs für Grabstätten genutzt wird (Abb. S. 144). Die Gestaltung der Gräber und der Mauer korrelieren miteinander. Diesen exakten Strukturen liegen wilde Wiesen vor. Die Wege dazwischen sind ordentlich angelegt und leiten die Menschen über den Friedhof. Der phänomenologische Ausflug »Von Mauern umfriedet« (Abb. S. 146f) beginnt außerhalb mit »Häuser und Autoreihen begleiten | zum Ende der Straße«. Der Eingang des Friedhofs ist als »schmaler Eintritt | eine Stufe nach unten« charakterisiert. Im Text wird der Zutritt mit Leerzeilen davor und dahinter hervorgehoben und ebenso das Verlassen »durchs offene Gatter«. Nach dem Ausgang folgt »sogleich die Straße | Autos queren«. Innerhalb der Mauern wird der »Blick ins Baummeer« eröffnet, »mittendrin verläuft eine Mauer« und »dicke knorrige Stämme | geben Geleit«. Die Topografie ist präsent, denn der »asphaltierte Weg führt hinab« und »Wege zwischen weiten Wiesen | ziehen sich den Hügel hinauf«. Eine »Frau mit zwei Kindern« sowie »zwei Paare kommen entgegen«. Die außerhalb der Mauern liegende Umgebung ist durch »vergnügtes Kindergeschrei« hörbar und teilweise durch »hohe Häuser« sichtbar. Andere Geräusche sind »singende Vögel« und »ein Brummen und Rauschen«. Im Begehen fallen »Unebenheiten im Boden« und »Wurzeln im grünen Licht« auf. Die Mauern schotten die Umgebung nur teilweise ab und das Umfeld ist über Geräusche und in kleinen Ausschnitten präsent durch »ein Tor in der Mauer | Autos tauchen kurz auf | werden lauter werden leiser«. Der Historische Friedhof und die bebaute Umgebung haben unterschiedliche Atmosphären; und die umlaufende Mauer vollzieht diesen Charakterwechsel. Die massive Ebene der Atmosphärenprägung wird von der räumlichen Struktur des Friedhofs mit Topographie, Baumbestand und Mauern definiert. Das Blätterdach schließt den Raum nach oben ab, die Mauern begrenzen zu den Seiten. Die Allee des Hauptweges kreiert einen hohen schmalen Raum. Fast alle Wege leiten geradlinig durch den Friedhof und verbinden die Zugänge. Zur mobilen Ebene der Atmosphärenprägung gehören Menschen, Grabstätten mit Grabsteinen, Blumenbeete und kleine Zäune, sowie Büsche und alte Einzelgräber. Auf ephemerer Ebene wird die Atmosphäre vom grünen Licht, das durch die Bäume fällt, vom Vogelgesang und den Geräuschen der Kinder und Autos geprägt. Die Wege, Mauern, Beete und Grabsteine sind anthropogen

Einordnen der künstlerischen Arbeiten

gestaltet, die Wiesen und Bäume werden gepflegt, und dennoch ist ihr Beitrag zur Atmosphäre natürlicher Art. Die gepflegte Atmosphäre des Historischen Friedhofs wird als aufnehmend und einhüllend erfahren, kann aber auch bedrückend sein. Die Homogenität im Auf bau erleichtert die Zugänglichkeit zum Phänomen. Die natürlich-anthropogen gestaltete Atmosphäre ist aufgeräumt mit klar definierten Bereichen. Wege und Rasenkanten schaffen einen Abstand zur Grünfläche. Diese Distanz zur Vegetation wird durch das hohe Dach der Bäume verstärkt. Die gepflegte Atmosphäre lässt ein Gefühl der Ordnung und Sicherheit aufkommen. Die Mauer schafft eine eindeutige Grenze und unterstreicht die abgeschlossene Atmosphäre, welche beim Betreten und Verlassen auffällige Wechsel im Atmosphärencharakter bereithält und das Bemerken des Phänomens erleichtert. Die eindeutigen Zugänge versprechen Kontrolle und Sicherheit.

I nnenstadt Der gewählte Stadtausschnitt verfügt über drei öffentliche Plätze: Kirchplatz, Theaterplatz und Markt mit Rathaus. Die verbindenden Straßen sind von dreigeschossigen Wohnhäusern gesäumt, teilweise mit Läden im Erdgeschoss. Eine Einkaufsstraße mit dreigeschossigen Geschäftshäusern ist als Allee ausgebildet. Etwa die Hälfte der untersuchten Straßen und Plätze liegt in der Fußgängerzone. Die fotografische Serie »Ansprache« (Abb. S. 150f) zeigt Straßenszenen der Innenstadt, die mit Schildern und Wegweisern aller Art bestückt sind. Neben den Namen der Geschäfte stehen auf Fensterscheiben neueste Angebote und auf Tafeln aktuelle Anpreisungen. Im Straßenraum stehen allerlei Dinge wie eine Eistüte, eine Speisekarte und eine richtungweisende Figur sowie Warenständer mit Büchern, Taschen, Mode und Postkarten. Über Schriften und Symbole, Gesten und Abbildungen kommuniziert die Umgebung mit den Menschen sehr direkt. Die mit »Straßenraum« (Abb. S. 152f) betitelten 24 chronologischen Skizzen zeigen signifikante Ansichten der untersuchten urbanen Landschaft. Die Zeichnungen sind im Gehen entstanden und konzentrieren sich auf Wesentliches und Auffälliges. Markante Höhenunterschiede in der Bebauung, tiefgezogene Dächer, kleinteilige Fachwerkhäuser oder Eingangssituationen zu öffentlichen Bauten mit Balkon und Säulen wer-

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den sichtbar. In den Zeichnungen wird das Grün in der Stadt eingefangen, als Pergola, im Blumenkübel, als einzelner Baum, als Efeubewuchs oder im Dach der Allee. Ebenso wird die einladende Wirkung der Straßenschluchten deutlich. Dagegen treten die Häuserfronten der offenen Plätze den Menschen zunächst entgegen und fordern zum Anhalten und Versammeln oder zur Neuorientierung auf. Die Reliefe »Straßen und Plätze« (Abb. S. 154f) analysieren das räumliche Gefüge der urbanen Landschaft. Dabei werden drei Straßenzüge und drei Plätze auf einzelnen Keramikplatten betrachtet. Der gewählte Verbund präsentiert die tatsächliche erlebte Abfolge. Die Straßen mit ihrer Gerichtetheit halten dazu an, in die eine oder andere Richtung zu gehen. An Kreuzungen weitet sich der Straßenraum, ein Haus ist zurückgezogen und ein kleiner Platz ausgebildet, es bieten sich Optionen zum Abbiegen. Die großen Plätze sind weniger richtungsweisend, sondern laden zum Versammeln und Verweilen ein. Die Statuen vor den freistehenden öffentlichen Gebäuden akzentuieren die Plätze und markieren wichtige öffentliche Bauten. Der Brunnen auf dem rechteckigen Markt ist dem Platz zugehörig. Die Absätze des phänomenologischen Ausfluges »Zwischen Häusern« (Abb. S. 156-159) entsprechen dem Wechsel von Plätzen und Straßen. Diese räumlichen Übergänge sind charakterisiert mit »Ankunft unter Bäumen«, »ein Platz öffnet sich«, »Betreten des offenen Platz(es)« und »Platz verengt sich zur Straße«. Auf dem öffentlichen Platz stehen »Kutschen und Autos« sowie »viele Marktstände«. Die verbindenden Straßen werden beschrieben mit »durch kurze schmale Gasse«, »verwinkelte Straße«, »Straße biegt sich nach links« und »durchs Tor hindurch«. Andere Bewegungen werden vernommen wie ein »Krankenwagen passiert«, »Passanten strömen« und »ein Wagen rattert vorbei«. Die Farbigkeit der Bauten wie »Häuser farbenfroh | blau gelb grün rot«, »helle Häuserfarben« oder »dunkelrotes Steingebäude« fällt auf. Eine Vielzahl von Geschäften wird passiert: »Geschenke und Brötchen«, »Reisen und Speisen«, »Taschen und Tücher« oder »Pralinen und Blumenladen«. Die Geräuschkulisse ist mit »Hufe klappen«, »Absätze klacken«, »Räder ticken«, »Schläge einer Uhr«, »Koffer rollen«, »Brunnen plätschert«, »Telefone klingeln«, »Türen schlagen«, »Lastwagen dröhnt«, »Klaviermusik«, »Bellen und Ballgeräusche« vielfältig. Stimmen und Gesprächsfetzen wehen herüber wie »er muss nach Kuala Lumpur«, »hat ’s geschmeckt?« oder »wie alt ist sie jetzt?«. Im Straßengeschehen findet sich Text, der

Einordnen der künstlerischen Arbeiten

gelesen wird: »Lebensmittel bis 24 Uhr«, »Spezialitäten«, »Pflaume ist im Angebot« oder »Frisör gesucht«. Weitere Offerten sind mit »Wohnungsangebote«, »Bücherangebote an der Ecke« oder »Schuhe und Taschen auf Bürgersteig« notiert. Menschen sind in großer Vielzahl präsent als »Sitzende«, »Eisessende«, »Stehende«, »Radfahrer und Fußgänger« sowie in »Touristengruppen«. Auch Tiere, wie »zwei Schimmel« und die »großen schwarzen Hunde[...]« prägen die Atmosphäre. Die Gerüche sind vielfältig von »Grillgeruch«, »intensives Parfüm«, »Zigarettengeruch« bis »Hähnchenduft«. Das Licht und die Temperatur verändern sich je nach räumlicher Situation, es ist »sonnig auf offenem Platz«, und der Beginn der Allee zeichnet sich durch den »Eintritt in kühlen Schatten« aus. Neben den Bäumen der Allee wird Vegetation als »tief verhangene Pergola«, »ein grüner Vorhang« und »unter hohen Bäumen« festgehalten. Die Atmosphäre der Innenstadt wird auf der massiven Ebene von den Gebäuden, welche Straßen und Plätze begrenzen, und von einigen Bäumen und Statuen geprägt. Viele Geschäfte, Marktstände und Waren, Autos und Räder, Schriften und Zeichen, und Blumen bespielen als mobile Ebene der Atmosphärenprägung die räumliche Struktur. Die ephemere Ebene ist vielfältig mit Stimmen, Rauch, Glockengeläut und Pferdegetrappel, Parfüm und Grillgeruch. Die urbane Landschaft ist überwiegend anthropogen geprägt, das Grün der Bäume, an Hauswänden und als Pergola tritt kontrastierend hervor. Die urbane Atmosphäre ist vielfältig und verschafft mannigfaltige Eindrücke, welche anregend aber auch fordernd und anstrengend sind. Die heterogene Zusammensetzung lässt den Charakter der Atmosphäre changieren und verlangt einen stetigen Umgang mit neuen Situationen. Die anthropogen gestaltete Atmosphäre ist an menschliche Bedürfnisse angepasst, daher ist es teilweise schwierig, sich der Wirkung bewusst zu werden. Von Aufforderungscharakteren durchsetzt, ist die Atmosphäre interaktiv und fordert Entscheidungen. Die mit expliziten Angeboten sowie impliziten Aufforderungen angereicherte Atmosphäre kann als aufdringlich erlebt werden. Als leitende Atmosphäre signalisiert sie Sicherheit und Orientierung und kann zu anderen Wegen verleiten. Über die ansprechende Eigenart kommunizieren urbane Atmosphären direkt, und als belebte Atmosphärencharaktere sind sie integrativ. Die Einordnung der künstlerischen Analyse zeichnet ein genaues Bild der sechs untersuchten landschaftlichen Atmosphären mit ihren wesent­

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lichen Eigenschaften. Es wird deutlich, dass jede Landschaft die Atmosphäre spezifisch prägt und darüber andere Eigenschaften verleiht, welche Menschen erleben. Atmosphären sprechen die Menschen verschieden an, schaffen andere Bedingungen für das Landschaftserlebnis, beeinflussen Wahrnehmung, Verhalten und menschliches Befinden unterschiedlich. Die herausgearbeiteten Merkmale beziehen sich auf grundlegende und generelle Qualitäten der Atmosphären, die mit einer Landschaft untrennbar verbunden sind. Aktuelle Besonderheiten wie beispielsweise grün oder sonnig werden in die Analysen mit aufgenommen, aber mehrjährige Untersuchungen der Landschaften zu allen Jahreszeiten zeigen, dass generelle und strukturelle Merkmale die ortstypischen Atmosphären auszeichnen.

6.2 Q ualitäten l andschaf tst ypischer A tmosphären Die Einordnung der künstlerischen Arbeiten mit der Offenlegung der gewonnenen Erkenntnisse zeigt, dass Landschaften über Atmosphären mit grundlegenden Merkmalen verfügen. Die untersuchten Atmosphären weisen wesentliche strukturelle Eigenschaften auf, welche unabhängig von tages- und jahresspezifischen Beiträgen sind. Die wesentlichen Eigenheiten der untersuchten landschaftlichen Atmosphären lassen sich mit wenigen Attributen zusammenfassen: Die Atmosphäre der Steilküste ist ambivalent weit und begleitend, konstant, leicht variant und natürlich geprägt. Im Wald ist die Atmosphäre umschließend, verführend, variant, homogen und natürlich. Die Atmosphäre der besiedelten Landschaft ist offen, abgrenzend, widersprüchlich privat und öffentlich, homogen und natürlich-anthropogen geprägt. »Unterwegs« ist die Atmosphäre schnelllebig, flüchtig und gerichtet, heterogen und natürlich-anthropogen durchmischt. Die Atmosphäre auf dem Historischen Friedhof ist abgeschlossen, homogen, natürlich-anthropogen gestaltet, gepflegt und geordnet. Die urbane Atmosphäre ist vielfältig, heterogen, kommunikativ, fordernd, leitend, anthropogen gestaltet und belebt. Nachfolgend werden die festgestellten landschaftstypischen Merkmale der Atmosphären hinsichtlich des menschlichen Erlebens vergleichend diskutiert und als mögliche Qualitäten landschaftlicher Atmosphären herausgearbeitet. Dazu zählen beispielsweise räumliche Strukturen, Bewegungssuggestionen, gleich- oder verschiedenartige Zusammenset-

Einordnen der künstlerischen Arbeiten

zungen, Änderungsmuster, kontrastierende Beiträge, Intensität von Gestaltung und Nutzung, sowie Kommunikationsfähigkeiten. Dabei wird deutlich, dass es einen Unterschied macht, ob eine Umgebung die Atmosphäre beispielsweise weit oder umschließend prägt, denn für das Erlebnis werden andere Voraussetzungen geschaffen. Die Beschreibung des menschlichen Erlebens umfasst eine Bandbreite von Gefühlen, da diese auch abhängig von der persönlichen Bewertung der leiblichen Erfahrung ist. Beispielsweise kann eine weite Atmosphäre ein Gefühl der Freiheit, aber auch des Unbedeutendseins auslösen. So verschieden die Gefühlslagen zunächst erscheinen, beide gründen auf einer starken leiblichen Reaktion auf dieselbe umgebende Atmosphäre. Der Unterschied zu anderen Atmosphären besteht darin, dass diese beispielsweise ein weniger intensives Erlebnis auslösen und dafür ganz andere Erfahrungen bedingen. Im Folgenden werden einzelne Verbindungen von Landschaft und Mensch über die Atmosphäre diskutiert und aufgezeigt, wie einerseits eine Eigenschaft der Landschaft die Atmosphäre spezifisch prägt und wie andererseits die anwesenden Menschen diesen Charakterzug der Atmosphäre erleben. Die Erörterung hat zudem das Potenzial, das Erleben landschaftlicher Atmosphären sprachfähiger zu machen.

Weite, begleitende, umschließende und abgeschlossene Atmosphären Diese Attribute beziehen sich auf Beiträge der räumlichen Komponenten in der Atmosphärenprägung. Eine weitreichende Atmosphäre bis zum Horizont wie im Falle der Steilküste kann Gefühle von Freiheit oder Haltlosigkeit hervorrufen. Dagegen wirkt die Präsenz des Steilufers begleitend und haltgebend. Die Höhe und unbekannte Festigkeit der Steilküste mit sichtbaren Abbruchstellen kann als begrenzend, und das reelle Abbruchrisiko als bedrohlich empfunden werden. Eine klare räumliche Begrenzung in der Landschaft, wie beispielsweise auch ein Waldrand, bietet Orientierung in einer weiten Landschaft. Eine umschließende Atmosphäre, wie im untersuchten Wald vorgefunden, kann schützend und geborgen wirken. Zugleich kann sie als nah und beengend erlebt werden. Es gibt eine starke Erfahrung der Nähe, und oft ist unklar, wohin der Weg führt. Die Orientierung ist erschwert, und ein unsicheres Gefühl kommt auf. Die abgeschlossene Atmosphäre des Historischen Friedhofs ist weiträumiger als die umschließende des Waldes. Die Begrenzung zu

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den Seiten erfolgt über Mauern, und den oberen Abschluss bildet das hohe Blätterdach. Eine abgeschlossene Atmosphäre kann als einhüllend und schützend, aber auch als bedrückend empfunden werden. Die klaren Zugänge und Schließzeiten verstärken die abgeschlossene Atmosphäre. Die Eigenschaften der Atmosphären, welche auf räumliche Ausprägungen zurückzuführen sind, werden nur genannt, wenn die Atmosphäre besonders intensiv erlebt wird, und die Umgebung kaum an menschliche Dimensionen angepasst ist. Dann fällt ihre Charakterisierung bei der Beschreibung der Atmosphäre ins Gewicht. Im Auto oder in der Stadt, wo sich vieles auf den menschlichen Maßstab bezieht, sind andere Beiträge zur Atmosphäre entscheidender. Weite und umschließende Atmosphären mit den ungewöhnlichen Dimensionen fördern also auffallende leibliche Erfahrungen. Darüber sind die Atmosphären zudem besonders leicht zugänglich.

Verführende, offene, gerichtete und leitende Atmosphären Diese Charakteristika beziehen sich auf implizite Bewegungsoptionen einer Atmosphäre. Im Wald reichert der Weg die Atmosphäre mit führenden und verführenden Eigenschaften an. Dieser gibt Orientierung und Sicherheit, zugleich verführt er, die nächste Situation zu betreten. Die sandigen Wege sprechen die Möglichkeit aus, ihnen zu folgen, der Unterschied zum angrenzenden Waldboden ist teils nur gering. Im Wald ist es möglich, den Weg zu verlassen, dennoch folgen die meisten Menschen dem Weg, da er die Orientierung erleichtert. Eine offene Atmosphäre wie in Neuendorf hat wenige verbindliche Richtungen sondern bietet viele Optionen an. Dies zeigt sich im feinen Wegenetz auf den Wiesen und der losen Anordnung der Häuser in Reihen und mit nur einer klar definierten Straße ohne Bürgersteige. Diese Offenheit schafft Freiheit und fordert eigene Entscheidungen. Ebenso können die potenziellen Möglichkeiten überfordern und verunsichern. Eine gerichtete Atmosphäre wird dagegen »Unterwegs« erfahren. Sie ist linear orientiert, es geht immer nur vorwärts, insbesondere auf der Autobahn ist ein spontanes Umdrehen nicht möglich. Auch wenn Kurven wahrgenommen werden, überwiegt das Gefühl, dass das Erlebnis gerichtet und linear ist. Erfahren wird nur, was vordergründig und zu beiden Seiten der Straße zu sehen ist. Passierte Umgebungen werden nicht mehr wahrgenommen. Über leitende Atmosphären verfügt die urbane Landschaft, denn Straßen und Bürger-

Einordnen der künstlerischen Arbeiten

steigen liegt eine Botschaft inne, bestimmte Bereiche zu begehen oder zu befahren. Ist eine Atmosphäre leitend, kann dies Sicherheit und Orientierung versprechen und die geplante Bewegungsrichtung potenziell beeinflussen. Abschließend wird festgestellt: Viele Landschaften haben Wege, doch ihre leitende Eigenschaft ist in der Prägung der Atmosphäre unterschiedlich dominant. In der urbanen Landschaft wird der wegweisende Charakter durch die intensive anthropogene Gestaltung und die bauliche Begrenzung der Straßen verstärkt.

Homogene und heterogene Atmosphären Diese Attribute beziehen sich auf eine gleich- oder verschiedenartige Zusammensetzung der prägenden Umgebung. Bei homogenen Atmosphären setzen sich die erzeugenden Umstände aus gleichartigen Elementen zusammen, alle Ebenen bestehen aus einer überschaubaren Anzahl von Ausstattungsmerkmalen und sind ähnlich aufgebaut. Auf eine homogene Atmosphäre, wie beispielsweise im Wald, deren Zusammensetzung sich weniger ändert, können sich Menschen entspannter einlassen. Heterogene Atmosphären finden sich beispielsweise »Unterwegs« und in urbaner Landschaft. An ihrem Zustandekommen sind viele Bestandteile aus verschiedenen Kategorien beteiligt. Auf den drei prägenden Ebenen herrscht eine Vielgestaltigkeit. Die unterschiedliche Präsenz der beitragenden Elemente lässt den Atmosphärencharakter innerhalb des untersuchten Gebietes changieren, also leicht verändern. Eine heterogene Atmosphäre hinterlässt mannigfaltige Eindrücke und kann daher aufregend, fordernd und anstrengend sein. Im Gegensatz zu homogenen Atmosphären ist ihr Charakter viel schwieriger zu bestimmen.

Ambivalente Atmosphären Stark gegensätzliche Beiträge einer Umgebung prägen die Atmosphäre ambivalent und bauen eine Spannung auf. So ist beispielsweise die räumliche Situation an der Steilküste ambivalent. Die Weite bis zum Horizont kann Haltlosigkeit hervorrufen, und das Steilufer kann Halt geben. Ebenso kann die Weite befreiend wirken und das Steilufer bedrohlich. Infolgedessen kann die Atmosphäre widersprüchliche Erfahrungen hervorrufen. Dies kann ein Grund sein, warum räumlich kontrastreich geprägte Atmosphären besonders eindrücklich erlebt werden. In Neuendorf steht

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der Offenheit der Landschaft die Verschlossenheit der Häuser gegenüber. Das Wegenetz auf öffentlichen Wiesen bietet viele Möglichkeiten, und die Menschen sind frei, ihren Weg zu wählen. Die privaten Gebäude zeugen dagegen von Abgrenzung und vermitteln ein Gefühl des Ausgeschlossenseins, zugleich bieten die Häuser Außenstehenden Schutz vor dem Wind. Die Wirkung zusammen ergibt eine widersprüchliche Erfahrung, die Freiheit der Entscheidung, alle Wege zu gehen, mit dem Versuch, die unerwünschte Nähe zu den Häusern zu vermeiden. Ambivalente Atmosphären erzeugen eine Spannung, da sich zwei Aussagen oder Beiträge gegenüberstehen, und dieser Kontrast ist erlebbar. Dies kann als aufreibend oder irritierend erlebt werden, aber auch die Zugänglichkeit zur Atmosphäre fördern.

Konstante, variante und schnelllebige Atmosphären Diese Qualitäten beziehen sich auf Änderungsmuster von Atmosphären. Landschaftstypisch betrachtet sind konstante Atmosphären in ihren Änderungen geringfügig, beispielsweise an der Steilküste, wo die Ausstattung und der großräumige Auf bau gleichbleibend sind. Lediglich einzelne Buchten bescheren eine leichte Abwechslung. Ein beständiger Charakter erlaubt Menschen, in die landschaftliche Atmosphäre einzutauchen. Dagegen zeichnen sich variante Atmosphären durch stetige und wiederkehrende Wechsel auf vielen Ebenen aus, die sich gegenseitig bedingen. Die kontinuierliche Abwechslung in bestimmten Bereichen ist dann eine Eigenschaft der Atmosphäre. Am Beispiel des untersuchten Waldes, der homogen ist, ändern sich alle drei Ebenen der Atmosphärenprägung stetig in bestimmten Parametern und in ähnlichem Umfang, wie beispielsweise der räumliche Auf bau, die Geräuschkulisse, Temperatur und Helligkeit. Die zyklische Veränderung einer Atmosphäre kann die Aufmerksamkeit auf das Phänomen selbst lenken und ihre Zugänglichkeit ebenfalls erhöhen. Die schnelllebige Atmosphäre ist dagegen flüchtig und kurzweilig wie die »Unterwegs«. Die prägende Zusammensetzung ist immer wieder anders und nicht kontinuierlich wiederkehrend. Es gibt anhaltend neue Eindrücke, welche viel Aufmerksamkeit erfordern und anstrengend sein können. Schnelllebige Atmosphären erlauben nur wenig Zeit, sich auf die aktuellen Situationen einzulassen und sind daher schwerer zugänglich und im Charakter bestimmbar. Festzuhalten bleibt, Atmosphären weisen verschiedene Änderungsmuster auf, manche Land-

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schaften sind in ihren Beiträgen relativ konstant, andere stetig variant. Ein spezifisches transformatives Muster kann die Eigenschaft einer landschaftsverbundenen Atmosphäre sein.

Natürliche und natürlich-anthropogen gepflegte Atmosphären Diese Attribute beziehen sich auf den dominanten Charakter der beitragenden Umgebung, wobei Landschaften immer eine natürliche-anthropogene Relation aufweisen (Kapitel 1.1). Natürliche Atmosphären, wie an der Steilküste oder im Wald vorgefunden, werden überwiegend von natürlichen Elementen und Phänomenen auf allen Ebenen geprägt. Natürliche Gegebenheiten und Elemente sind weniger auf menschliche Bedürfnisse ausgerichtet, daher fehlen explizite Aktionsaufforderungen. Deshalb können Gefühle der Losgelöstheit und der Freiheit aufkommen. Andererseits können ohne ausformulierte Angebote und Hinweise seitens der Umgebung das Gefühl der Sicherheit und die Orientierung verloren gehen. Dies kann als beängstigend erlebt werden. Das Erlebnis in natürlichen Landschaften ist unmittelbar, da die Menschen in der Landschaft stehen, beispielsweise im Sand am Strand. Es gibt kaum Distanz zu den Elementen und Phänomenen. Eine natürlich-anthropogen angelegte Atmosphäre, wie auf dem Historischen Friedhof vorgefunden, besteht im Gegensatz dazu aus einer geordneten Mischung aus natürlichen und anthropogenen Elementen und Gestaltungen mit gepflegter Vegetation, angelegten Wegen, gestalteten Grabplatten und gebauten Mauern. Die aufgeräumte Anlage mit definierten Bereichen trennt Vegetation von Wegen und Mauern und vermittelt eine Distanz zu den natürlichen Elementen, zusätzlich verstärkt durch das hohe Blätterdach. Die Landschaft unterliegt einer Struktur und ist überwiegend angepflanzt und angelegt, wie an der Allee oder an einzelnen Grabflächen deutlich wird. Die klare Unterscheidung und Geradlinigkeit von Weg und Wiese mit Bäumen führt zu einer geordneten Überschaubarkeit der Landschaft. Die natürlichen Elemente wirken aufgeräumt und gepflegt. Die Wiese wird gemäht, totes Holz der Bäume sowie Laub werden entfernt. Eine klare Grenze um die Wiese mit Randsteinen rückt sie in die Ferne, die Wiese wird nicht begangen, sondern lediglich angeschaut. Die Ordnung und Führung durch die Landschaft verstärkten die empfundene Distanz zu den natürlichen Anteilen der Landschaft. Im Gegensatz zur natürlichen Atmosphäre bleibt immer ein Sicherheitsgefühl bestehen, da anthropogene Gestaltungen

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für Orientierung sorgen und an menschliche Dimensionen und Bedürfnisse angepasst sind.

Natürlich-anthropogen gemischte und anthropogen gestaltete Atmosphären Diese Eigenschaften beziehen sich ebenfalls auf den Charakter der prägenden Umgebung. Natürlich-anthropogen ist die Atmosphäre in Neuendorf geprägt, mit ähnlichen Haustypen in mehreren Reihen auf einer Wiese. Natürliche und anthropogene Elemente und Phänomene sind gleichermaßen präsent und vermitteln eine gewachsene Einheit. Der starke Kontrast von Häusern und Wiese ist im Ort relativ einheitlich. Die Atmosphäre »Unterwegs« wird als natürlich-anthropogen gemischt beschrieben. Gemischt, weil vieles aneinander stößt. Im Falle der Autobahn werden bestehende Landschaftsformen wie Wälder und Felder geteilt und teilweise mit Brücken neu verbunden. Anderes bleibt durchschnitten wie alte Alleen oder kreuzt unabhängig die Autobahn wie Stromtrassen. Zäune und Schallschutzmauern bilden klare Grenzen aus und verstärken den Eindruck des Nebeneinanders von natürlichen und anthropogenen Elementen. An diesen Übergängen und Grenzen wird der gemischte Atmosphärencharakter besonders auffällig. Anthropogen gestaltete Atmosphären, wie in der urbanen Landschaft gefunden, bestehen größtenteils aus anthropogenen Beiträgen auf allen Ebenen. Viele Bauwerke und Gestaltungen sind auf menschliche Bedürfnisse ausgerichtet oder tragen ihnen Rechnung. Wohnhäuser beispielsweise sind an die menschliche Größe angepasst und bestehen aus einer Addition von solchen Einheiten, wie Geschosse, Wohnungen und Zimmer. Dies hat zur Folge, dass anthropogene Atmosphären kaum auffallen, da keine starken leiblichen Regungen ausgelöst werden. Zudem erfordern anthropogene Atmosphären Entscheidungen und fordern zu Handlungen auf. Die gestalteten Dinge sprechen ihre potenzielle Nutzung aus, beispielsweise lädt eine Bank zum Sitzen ein. Eine Klinke ermöglicht das Öffnen einer Tür, ihre Handhabung ist implizit gegeben. Die Nutzung liegt unausgesprochen in den Dingen. Ihre Aufforderungscharaktere reichern die Atmosphäre an und bieten Optionen an, einen Weg zu gehen, etwas zu benutzen oder zu erwerben. Fallen Entscheidungen unbewusst, dann lassen Menschen sich (ver)leiten, geben die Kontrolle ab und lassen sich treiben. Anthropo-

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gene Atmosphärencharaktere versprechen Sicherheit und Geborgenheit und können die eigene Intention verwirren. Es ist dennoch zu betonen: Anthropogen gestaltete Atmosphären weisen ebenso eine natürliche Relation auf, welche die gebauten Strukturen akzentuiert. In der aktuellen Erörterung werden lediglich die dominanten Qualitäten von Atmosphären besprochen, um den Zusammenhang von Prägung und Wirkung einer Atmosphäre sowie deren Erleben besser zu verstehen.

Kommunikative und belebte Atmosphären Diese Merkmale beziehen sich auf die Kommunikationsfähigkeit der Atmosphäre. Eine kommunikative Atmosphäre, wie in der urbanen Landschaft gefunden, bezieht sich auf die Präsenz von Sprache, Schriften, Texten, Namen, Schildern, Symbolen und Zeichen. In dieser Form werden Angebote und Ankündigungen an die Menschen getragen, welche sie in lesender Weise direkt aufnehmen. Damit werden Aufforderungen ausgesprochen, die Reaktionen erfordern, und sei es nur eine Entscheidung dagegen oder eine ablehnende Haltung. Die kommunikativen Eigenschaften von Atmosphären tragen dazu bei, dass Landschaften und Situationen etwas mitteilen und sich damit aufdrängen. Eine belebte Atmosphäre entsteht mit der Anwesenheit vieler Menschen. Sie tragen über ihre Aktionen, Kleidung, Gestik und Mimik zur Atmosphäre bei. In Bewegung fordern Menschen eine Interaktion, wenn sie sich begegnen. Der Kommunikation über Sprache und Blicke können sich Menschen nur schwer entziehen. Belebte Atmosphären beanspruchen ein gewisses Maß der Teilhabe und können als integrativ sowie als interaktiv erlebt werden. Je mehr Menschen und anthropogene Gestaltungen in einer Landschaft präsent sind, desto kommunikativer und belebter ist eine Atmosphäre. Die Diskussion der strukturellen Eigenschaften von landschaftlichen Atmosphären weist den Zusammenhang von Landschaftsgestaltung, Atmosphärencharakter und menschlichem Erleben nach. Es wird deutlich, dass Landschaften je nach Gestaltung andere Atmosphären prägen und unterschiedliche Voraussetzungen für menschliche Erfahrungen schaffen. Die beleuchteten Kategorien umfassen signifikante Besonderheiten in Dimension, Struktur, Ausstattung, Änderungsmuster, Ambivalenz, Kommunikation und Belebtheit.

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6.3 L andschaf tliche A tmosphären im V ergleich Aus den expliziten Untersuchungsergebnissen leiten sich typische Kriterien für die Atmosphären der natürlichen, natürlich-anthropogen gemischten und urbanen Landschaften ab. Die Atmosphären werden als Angebote der Landschaften an die Menschen verstanden, bestimmte Erfahrungen zu machen. Es ist denkbar, dass sich einige Menschen gegenüber dieser Erfahrungswelt verschließen. Wie Menschen Landschaften jeweils begegnen, welche Einstellungen und Erwartungen sie mitbringen, welche Ideen sie auf die Umgebung projizieren, beeinflusst das Landschaftserleben ebenfalls. Diesen Zusammenhang berücksichtigt der erlebende Pol der Atmosphäre und muss weiteren Forschungen überlassen bleiben. In der vorliegenden Arbeit wird der prägende Pol der Atmosphäre erforscht. Hier wird gefragt, wie Landschaften Atmosphären prägen, und welche Bedingungen für das landschaftliche Erleben darüber geschaffen werden. Die natürlichen Landschaften bieten Atmosphären, welche leibliche Erfahrungen fördern. Sie erreichen die Menschen als leibliche Wesen. Die natürlichen Atmosphären sind weder an menschliche Bedürfnisse noch an ihren Maßstab angepasst, daher kann eine beengende oder weite Atmosphäre starke leibliche Reaktionen auslösen. Die Atmosphäre der natürlichen Landschaften ist bis auf wenige Elemente genuin und daher ohne dahinterliegende Aufforderungen. Die zurückhaltenden Atmosphären tragen dazu bei, dass Menschen in den natürlichen Landschaften einfach sein können anstatt zu reagieren. Das Erleben der natürlichen Landschaften erfolgt ohne Distanz, und die Erfahrungen der Atmosphären können als unmittelbar bezeichnet werden. Die wenigen anthropogenen Elemente gewinnen in den natürlichen Umgebungen an Gewicht und verleihen Orientierung. Konstante Atmosphären erlauben den Menschen, in sie einzutauchen, da die prägende Situation und ihre Beiträge über einen längeren Zeitraum erhalten bleiben. Variante Atmosphären bringen durch wiederkehrende Wechsel Aufmerksamkeit auf die Atmosphäre. Ambivalente Eigenschaften bauen eine Spannung auf und erleichtern ebenfalls den Zugang zur Atmosphäre. Atmosphären der natürlich-anthropogen gemischten Landschaften sind von diesem Verhältnis geprägt. Der natürliche Anteil ist in seiner Wirkung zurückhaltend, während der anthropogene Gestaltungsanteil lenkt, auffordert, ordnet und Angebote macht. Mit dem gleichzeitigen Vorhandensein von natürlichen Elementen und anthropogen Gestalte-

Einordnen der künstlerischen Arbeiten

tem wird in Parkanlagen eine Distanz zur Vegetation geschaffen. Dies ist auf den handlungsbezogenen Ausdruck der gestalteten Elemente zurückzuführen, indem Wege, Grenzen und Blicke vordefiniert werden. Mit zunehmendem Gestaltungsanteil steigen die Angebote einer Landschaft, etwas zu tun, und über diese müssen Anwesende entscheiden. In der Folge sind die Menschen stärker kognitiv involviert, und das Einlassen auf den natürlichen Anteil der Landschaft ist schwieriger. Anders gesagt, mit steigendem Anteil an anthropogenen Elementen in einer Landschaft nehmen die Aufforderungscharaktere und Handlungsangebote zu, und die Atmosphäre wird leitender und mit Möglichkeiten aufgeladen. Landschaften mit natürlichen und anthropogenen Elementen können als ein loses Nebeneinander erfahren werden. Ebenso können die Atmosphären von widersprüchlichen Aussagen geprägt sein. Die Atmosphären der natürlich-anthropogen gemischten Landschaften sind komplex und mitunter schwer zu bestimmen. Zudem können heterogene Atmosphären, die ein stetiges Einlassen auf neue Situationen verlangen, durch eine Vielzahl von Eindrücken überfordern. Die urbanen Atmosphären sind stark durch Aufforderungscharaktere geprägt. Die potenzielle Nutzung anthropogener Gestaltungen formuliert sich selbst oder wird mittels Text oder Symbolen direkt kommuniziert. Die vielen Handlungsangebote verlangen von den Menschen Reaktionen, Entscheidungen und Handlungen. Die interaktive Atmosphäre beschäftigt und unterhält. Diese Belebtheit vermittelt eine soziale Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft. Die urbane Atmosphäre erleichtert das Leben, da sie den Menschen in vielen Bedürfnissen entgegenkommt und ist zugleich schwerer bemerkbar. Urbane Atmosphären sind kommunikativ, fordernd und vergleichsweise aufdrängend, daher sind Menschen stärker kognitiv involviert und können den leiblichen Regungen weniger Aufmerksamkeit schenken. Dazu kommt, dass die räumliche Situation an Menschen angepasst ist und daher weniger auffällige leibliche Regungen ausgelöst werden. Es zeigt sich, dass jede Landschaft über die Atmosphäre andere Bedingungen und Voraussetzungen für ihre Erfahrung schafft. Natürliche Landschaften verfügen über zurückhaltende und urbane Landschaften über involvierende Atmosphären. Natürlich geprägte Landschaften fördern leibliche Erfahrungen, während urbane Landschaften Menschen stark kognitiv involvieren. Je nach Landschaftsgestaltung sind Atmosphären unterschiedlich zugänglich, die natürlichen Landschaften geben Zeit

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Landschaf t und Atmosphäre

und erleichtern den Zugang zum Phänomen. Urbane Atmosphären sind dagegen an die Menschen angepasst, verursachen kaum auffällige leibliche Regungen und sind schwerer zugänglich. In der abschließenden Betrachtung werden die gewonnenen Erkenntnisse zu landschaftlichen Atmosphären diskutiert und Schlussfolgerungen gezogen (Kapitel 7).

6.4 F a zit zur E inordnung der künstlerischen A rbeit In der Erörterung der künstlerischen Arbeit wurden Besonderheiten in der Prägung der Atmosphäre aufgezeigt und die spezifischen landschaft­ lichen Atmosphären herausgestellt. Die Entschlüsselungen der Atmosphären von sechs verschieden geprägten Landschaften zeigen deutliche Unterschiede auf. In der Diskussion wurden unterschiedliche Eigenschaften der landschaftsverbundenen Atmosphären herausgearbeitet, welche jeweils andere Voraussetzungen für das menschliche Erleben bedingen. Dazu gehören Unterschiede in der räumlichen Prägung, Bewegungssuggestionen, die gleich- oder verschiedenartige Zu­sam­men­set­ zung, Änderungsmuster, Gestaltungsintensität und Kom­mu­ni­kations­ fä­ hig­ keit der Atmosphären. Diese grundlegenden Eigenschaften von land­schaft­lichen Atmosphären wurden hinsichtlich der menschlichen Erfahrung diskutiert. In der Abstraktion von den konkreten Landschaften hin zu strukturellen Merkmalen von Atmosphären wurde festgestellt, dass urban, natürlich-anthropogen und natürlich geprägte Landschaften sehr verschiedene Atmosphären aufweisen. Diese Ergebnisse werden im Anschluss diskutiert.

7. Diskussion der Ergebnisse und Schlussfolgerungen

Zu Beginn der Arbeit stand die Frage, weshalb Menschen sich in verschieden gestalteten Landschaften unterschiedlich fühlen, und welchen Anteil die Umgebungsqualitäten daran haben. Die mit theoretischer und künstlerischer Bearbeitung gewonnenen Erkenntnisse zeigen, dass Landschaften über ihre Atmosphären jeweils andere Bedingungen der Wahrnehmung und der Erfahrung schaffen. Landschaften und ihre Gestaltung tragen also entscheidend zum Erleben und Befinden der Menschen bei. Die Wirklichkeit der Landschaft besteht eben gerade auch darin, auf Menschen zu wirken, im Menschen etwas zu bewirken. Die exemplarischen Analysen zeigen, dass Atmosphären Landschaften dauerhaft anhaften können und in ihrem Charakter überpersonell sind. Die neu gewonnenen Erkenntnisse zum Atmosphärenphänomen werden zunächst in den aktuellen Stand der Forschung eingeordnet. Anschließend werden die wichtigsten Eigenschaften der natürlichen und urbanen Landschaften dargestellt und erörtert. In der Diskussion der Ergebnisse werden typische Verhaltensweisen der Menschen und potenzielle Nutzungen der Landschaften berücksichtigt. Aus der aufgezeigten Bedeutung verschieden gestalteter Landschaften für die Menschen heute werden Schlussfolgerungen gezogen. Von der Politik wird eine nachhaltige Gestaltung gefordert, indem urbane Landschaften qualitativ verbessert und naturnahe Landschaften als wertvolle Erfahrungsräume für die Menschen geschützt werden. Umweltgestaltern wird eine große Verantwortung zuteil, Landschaften im Hinblick auf menschliches Wohlbefinden zu formen. Abschließend wird für die Ausbildung atmosphärenbewusster Menschen plädiert und Besuche von Kunstausstellungen sowie Aufenthalte in natürlichen Landschaften als mögliche Wege der Sensibilisierung für At-

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mosphären erörtert. Das Kapitel schließt damit ab, hinsichtlich aktueller Entwicklungen den Wert natürlich geprägter Landschaften zu betonen und den notwendigen Schutz einzufordern. Mit Blick in die Zukunft ist es wichtig, zeitnah zu handeln, bevor Generationen in urbanen Umgebungen heranwachsen, ohne wichtige Erfahrungen in unverstellten Landschaften sammeln zu können.

7.1 E rkenntnisse zu A tmosphären Atmosphären werden als »Beziehung von Umgebungsqualitäten und menschlichem Befinden« verstanden (Böhme 1995, 22f). Diese Definition wird in der vorliegenden Arbeit erweitert. Demnach liegt das Atmosphärenphänomen immer vor und wird im Charakter verschieden geprägt, je nach Umgebungsgestalt, anwesenden Menschen, Lebewesen und Dingen, sowie der Präsenz des Ephemeren. Solange die beitragenden Umstände sich nicht grundlegend ändern, bleibt der Charakter der Atmosphäre bestehen. Die theoretischen und künstlerischen Auseinandersetzungen dieser Arbeit zeigen, dass Atmosphären an Konstellationen wie Landschaften haften und unabhängig vom Menschen bestehen. Ortsgebundene Atmosphären werden von der Umgebung spezifisch geprägt, bestehen dauerhaft und sind überpersonell. Ortsverbundenheit wurde zuvor als eine mögliche Atmosphärendimension von Rauh beschrieben (vgl. Rauh 2012a, 150). Der Untersuchungszeitraum über mehrere Jahre bestätigt, dass landschaftsverbundene Atmosphären in ihren Eigenschaften viel fundamentaler sind und geringfügige Änderungen sowie Veränderungen im Tages- und Jahresverlauf eine untergeordnete Rolle spielen. In der Betrachtung verschiedener landschaftlicher Atmosphären wird deutlich, wie vielfältig und vielschichtig das Phänomen ist. So bestehen landschaftliche Atmosphären aus natürlichen, sozialen und intendierten Anteilen, die von Heibach als Strukturtypen ausgemacht wurden (vgl. Heibach 2012, 10f). Verschiedene atmosphärische Charaktere, wie Böhme sie feststellt, wurden vereint gefunden. Zum Beispiel Atmosphären, die zugleich kommunikative und gesellschaftliche Eigenschaften sowie Stimmungen und Bewegungsanmutungen in sich tragen (vgl. Böhme 2001, 101f). An Erkenntnis über das Phänomen hinzugekommen ist, dass Atmosphären über Aufforderungscharaktere verfügen, die bisher vernachlässigte Erfahrungsaspekte hineinbringen. Insbesondere an­t hro­

Diskussion der Ergebnisse

po­ gene Strukturen und Elemente formulieren Handlungsmöglichkeiten. Dies geschieht entweder implizit über die Gestaltung oder explizit in Worten. Neben Aufforderungscharakteren können Atmosphären auch Bewegungsintentionen aufnehmen und abgeben. Auf diese Weise können Umgebungen Angebote formulieren und Möglichkeiten eröffnen, über welche Menschen entscheiden müssen. Damit geht der Einflussbereich der Atmosphären über das menschliche Befinden hinaus und ist deutlich größer als bislang angenommen. Diese Überlegungen werden gestützt von Thibaud, der erstmalig formulierte, »daß Atmosphären sich auf unser Verhalten und unseren körperlichen Zustand auswirken. […] Sie beeinflussen auch die Bewegung.« (Thibaud 2003, 289) Darüber hinaus können Atmosphären »unsere Handlungsfähigkeit ansprechen« (ebd. 290). Atmosphären sind daher weniger räumliche Stimmungen als vielmehr räumliche Wirkungsphänomene. Die Prägung von Atmosphären wird in dieser Arbeit erstmalig systematisch analysiert und das Zusammenspiel in der Konstitution von Atmosphären theoretisch hergeleitet. Der entwickelte Schlüssel mit massiven, mobilen und ephemeren Beiträgen aus der Umgebung hilft, die atmosphärischen Dimensionen einer Situation grundlegend zu verstehen und zeigt, welche wesentlichen Komponenten zur Prägung der Atmosphäre beitragen. Das Sichtbarwerden einzelner Qualitäten der Atmosphäre erlaubt der untersuchenden Person eine Gewichtung, welche sich wieder auf das Gesamterlebnis bezieht. Mit den drei Kategorien wurde erstmals ein Werkzeug zur erleichterten Bestimmung von Atmosphären geschaffen. Wie im dritten Kapitel umfassend erörtert, besteht der Schlüssel zu jeder Atmosphäre aus drei Ebenen. Die grundlegende massive Ebene mit Topografie, Bebauung und raumprägender Vegetation wird von der mobilen Ebene mit Dingen, Menschen, Tieren und Beweglichem bespielt. Die ephemere Ebene mit Atmosphärischem, Halbdingen und Nichthaptischem wie Gerüchen und Geräuschen vervollständigt die Prägung der Atmosphäre. Der mit dieser Arbeit hergestellte Zusammenhang von Umgebung und Atmosphäre schließt eine bisherige Lücke in der Atmosphärentheorie. Diese zeigte Böhme bereits auf und verwies auf das implizite Wissen der Praktiker (vgl. Böhme 1995, 35f). Ebenso verwies Rauh in seinem Fazit auf den anstehenden Forschungsbedarf hinsichtlich der Wechselbeziehung von Umgebung und leiblichem Befinden (vgl. Rauh 2012a, 260).

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Eine wichtige Erkenntnis dieser Arbeit ist folgende: Landschaft und Atmosphäre sind untrennbar miteinander verknüpft. Die Vielfalt an Umgebungsgestaltungen bedeutet eine Diversität an landschaftlichen Atmosphären. Mit den exemplarischen Analysen ist erstmals eine vergleichbare Grundlage geschaffen, welche differenzierte Aussagen zu landschaftlichen Atmosphären erlaubt. Je nach Eigenschaften der Atmosphäre werden bestimmte menschliche Erfahrungen gehemmt oder gefördert. So sind Landschaften in ihrem räumlichen Auf bau verschieden. Während beispielsweise großräumige Landschaften intensive leibliche Erfahrungen fördern, bleiben Mensch bezogene Proportionen unauffällig. Landschaftliche Atmosphären unterscheiden sich auch in ihren Bewegungssuggestionen, diese können mehr oder weniger explizit sein. Die Aufforderungen werden mit Zunahme der anthropogenen Gestaltungen sowie der gebauten räumlichen Strukturen präziser. Je mehr Menschen und anthropogene Elemente zur Prägung beitragen, desto sozial integrativer und interaktiver ist eine landschaftliche Atmosphäre. Ist in einer Landschaft Ephemeres besonders präsent, fördert dies das sinnliche Erleben und macht auf das Atmosphärenphänomen aufmerksam. Je nach Zusammensetzung und Vielschichtigkeit der Umgebung werden homogene oder heterogene Atmosphärencharaktere geprägt, wobei erstere leichter zugänglich sind. Atmosphären können je nach Landschaftsprägung spezifische transformative Muster aufweisen und zum Beispiel stetig variant sein. Dabei erleichtern wiederkehrende Wechsel prägender Komponenten die Bestimmung des Atmosphärencharakters. In ihren Bestandteilen anhaltend wechselnde Zusammensetzungen lassen den Atmosphärencharakter dagegen changieren und erschweren die Bestimmung. Landschaftliche Atmosphären kommunizieren unterschiedlich, implizit über leibliche Regungen oder explizit beispielsweise über Sprache oder Zeichen. Landschaften involvieren Menschen unterschiedlich stark; fehlen Aufforderungscharaktere in der Umgebung, ist die Atmosphäre zurückhaltend. Viele anthropogene Gestaltungen in der Landschaft fordern dagegen stetige Aufmerksamkeit, Reaktionen und Entscheidungen. Ein starker kognitiver Austausch lässt Menschen weniger Zeit, sich den leiblichen Regungen und dem allsinnlichen Erleben der Atmosphäre zuzuwenden. In der Literatur wurde die Sinnhaftigkeit der Unterscheidung zwischen kognitivem Wahrnehmen und leiblichem Spüren diskutiert, und welche Wahrnehmungsweise einen Zugang zu den Atmosphären erlaubt

Diskussion der Ergebnisse

beziehungsweise versperrt (vgl. Rodatz 2012, 32f). Die erfolgten Untersuchungen zeigen, dass Atmosphären immer leiblich und kognitiv ansprechen, jedoch zu unterschiedlichen Anteilen. Es ist davon auszugehen, dass Atmosphären immer allsinnlich aufgenommen, jedoch nicht alle Sinneseindrücke verarbeitet werden. In den urbanen Landschaften liegt ein höherer Informationsgehalt vor, explizit in Form von Schrift, Bild und Sprache sowie implizit in jeder einzelnen Gestaltung. Daher ist das im Leib situierte Denken in urbanen Landschaften verschiedentlich in äußere Belange involviert. In natur-nahen Landschaften ist es dagegen frei und kann sich den leiblichen Regungen zuwenden. Damit wird deutlich, dass Landschaften je nach Ausstattung und Gestaltung entscheidend dazu beitragen, wie sie wahrgenommen und erlebt werden. Neue Erkenntnisse wurden über die Zugänglichkeit von Atmosphären gewonnen, welche das Eintauchen in die Atmosphäre, das Erkennen der Qualitäten und Bestimmen des Charakters umfasst. Böhmes Aussagen zur Ingression, dem Hineingeraten in eine andere Atmosphäre, kann als hilfreicher Umstand zur Charakterisierung des Phänomens bestätigt werden (vgl. Böhme 2001, 46f). Neu dazugekommen ist die Transformationserfahrung: das Erleben eines Charakterwechsels der aktuellen Atmosphäre an einem Ort, infolge einer Änderung der prägenden Umstände. Dies kann auf jeder der drei Ebenen im neu entwickelten System der Atmosphärenprägung geschehen. Auf massiver Ebene können es Umbrüche baulicher, topografischer oder vegetationsbezogener Art sein. Auf mobiler Ebene sind es Änderungen der Dichte oder Ausstattung wie eine plötzlich vermehrte Präsenz von Menschen, auf der ephemeren können beispielsweise Wetterumschwünge auftreten. Als besonders zugänglich erwiesen sich großräumige, zurückhaltende Atmosphären, welche den Menschen Zeit geben, in das Phänomen einzutauchen und es kennenzulernen, sowie homogene Atmosphären mit leichter Varianz, welche mit einem sanften Wandel auf das Phänomen aufmerksam machen. Ein unmittelbares Erleben der Landschaft und des eigenen Befindens wird ebenfalls unterstützt, wenn viele menschliche Sinne direkt angesprochen werden. Dies geschieht zum Beispiel durch Wind, Wetter, Geräusche und Gerüche. Ein derart intensives Erleben, welches auch als solches wahrgenommen wird, ist nur möglich, wenn das Ansprechen der Sinne ohne dahinterliegende Intentionen geschieht. Dieser Umstand wurde insbesondere in natürlich geprägten Landschaften gefunden. Zudem gibt es hier kaum Schutz vor den klimatischen Phänomenen. Die Umgebung ohne Distanz zu erle-

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ben und das Gefühl, direkt in der Landschaft zu sein, kommt nur auf, wenn gestalterische Intentionen fehlen, beispielsweise klare Wegkanten oder andere Markierungen. Mit zunehmender anthropogener Gestaltung vergrößert sich die gefühlte Distanz zu den natürlichen Elementen einer Landschaft, beispielsweise in einer Parklandschaft. Der Zugang zu Atmosphären ist schwierig, wenn das Phänomen stark heterogen geprägt ist. Zudem, wenn ihr Charakter schnelllebig ist und keine Zeit bietet, die Atmosphäre aufzunehmen. Und ebenfalls, wenn die Atmosphäre sehr kommunikative Eigenschaften aufweist, welche Menschen stark kognitiv involvieren. Damit zeigt sich, dass die Atmosphäre je nach Umgebungsgestaltung verschieden geprägt wird, und damit auch die Zugänglichkeit zum Atmosphärenphänomen erleichtert oder erschwert wird. Das unmittelbare Spüren bezieht sich auf die Atmosphärenqualität sowie auf das eigene Selbst, verbunden mit der Erfahrung, ein leibliches Wesen zu sein. Damit wird deutlich, dass ein Spüren der Atmosphäre insbesondere von natürlichen Landschaften mit einem »Sich-selbst-Spüren« verbunden ist, was Böhme charakterisiert als: »Sich leiblich spüren heißt zugleich spüren, wie ich mich in einer Umgebung befinde, wie mir hier zumute ist« (Böhme 1995, 31). Die leichte Zugänglichkeit der Atmosphären von natur-nahen Landschaften bedingt »besondere Atmosphären«, welche nach Rauh die Bewusstwerdung der umgebenden Atmosphäre beschreiben (vgl. Rauh 2012a, 158). Den Begriff der besonderen Atmosphäre bezieht Rauh allerdings nicht auf spezifische Umstände der Atmosphäre, sondern auf ein besonderes Wahrnehmungserlebnis, in dem der Wahrnehmende sich der emotional berührenden Wahrnehmung der Atmosphäre bewusst wird: »Dass und wie man wahrnimmt, wird in der ›besonderen Atmosphäre‹ spürbar« (ebd., 175). Mit den neu gewonnenen Erkenntnissen wird folgendes festgehalten: Atmosphären der natürlich geprägten Landschaften eignen sich für dieses Erlebnis besonders, da sie leicht zugänglich und zurückhaltend sind und eine bewusste Erfahrung der atmosphärischen Wirkung mit intensiven leiblichen Regungen fördern. Die künstlerische Bearbeitung hat sich als Analysewerkzeug landschaftlicher Atmosphären in der vorliegenden Arbeit bewährt und wird als Methodik empfohlen. Die verwendeten Medien Fotografie, Zeichnung, Relief und Text ergeben vier Hinsichten auf eine landschaftliche Atmosphäre und führen zu weitreichenden Erkenntnissen (Kapitel 5 und 6). Dabei können je nach Verfügbarkeit und Fertigkeit auch andere künst-

Diskussion der Ergebnisse

lerische Medien zum Einsatz kommen. Mit Serien und Reihen werden einzelne Aspekte der Atmosphären herausgearbeitet. Vor Ort erlebt die Untersuchungsperson eine landschaftliche Atmosphäre, und diese wird mit künstlerischen Arbeiten übersetzt. In einer Ausstellung können diese Bilder oder Texte dann eine eigene Atmosphäre prägen, welche Eigenschaften der landschaftlichen Atmosphäre aufweist, und Betrachtern einen Nachvollzug der untersuchten Landschaftsatmosphäre ermöglichen. Schon vor Abschluss aller Untersuchungen wurde das Format in zwei Ausstellungen getestet. Die Präsentation der künstlerischen Arbeiten mit zunehmender anthropogener Gestaltung der Landschaften funktioniert als These zur inhaltlichen Auseinandersetzung. Natürlich und urban geprägte Landschaften bilden in der Ausstellung die Anfangs- und Endpunkte und weisen in ihren Atmosphären den stärksten Kontrast auf. Eine genaue Studie der Besucherperzeptionen in einer Ausstellungssituation war nicht Teil der vorliegenden Arbeit, ist jedoch innerhalb der Atmosphärentheorie eine interessante Forschungsaufgabe. In der vorliegenden Arbeit münden der theoretische Diskurs und die exemplarischen Fallstudien in zahlreiche Erkenntnisse zu Atmosphären. Insbesondere wird erörtert, wie verschieden gestaltete Umgebungen die Atmosphäre prägen und darüber spezifische Bedingungen und Voraussetzungen für das menschliche Erleben schaffen. Wie Wahrnehmende zur aktuell vorliegenden Atmosphäre beitragen, muss in weiteren Studien geklärt werden.

7.2 D iskussion der E rgebnisse zu urbanen und natürlichen A tmosphären Die künstlerischen Untersuchungen bringen neue Erkenntnisse in den theoretischen Diskurs zu landschaftlichen Atmosphären ein. Die Ergebnisse werden als atmosphärische Angebote der Landschaften an die Menschen verstanden. Ausgangspunkt und Untersuchungsperspektive der vorliegenden Arbeit ist die Atmosphärenprägung der Umgebung, ein Pol der Atmosphärendimension. Der Anteil des wahrnehmenden Menschen als zweiter Atmosphärenpol muss in weiterführenden Forschungen untersucht werden. Es wird davon ausgegangen, dass die Anwesenden zunächst derselben Atmosphäre begegnen. Lediglich durch die individuellen Bewertungen der aktuellen Situation, sowie infolge kultureller

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Prägung und persönlicher Erfahrungen und Erwartungen färben sich die Perzeptionen unterschiedlich, und verschiedene Erlebnisse entstehen. Dennoch befördern oder erschweren die Landschaften je nach Gestaltung über ihre Atmosphären bestimmte Erlebnisse. Die Darstellung der Ergebnisse, wie auch die Diskussion, beschränken sich auf natürliche und urban geprägte Atmosphären, da diese deutliche Unterschiede aufweisen. Eigenschaften beider Atmosphären wurden in den gemischt geprägten Landschaften gefunden, wie dem untersuchten Dorf, Unterwegs und dem Historischen Friedhof. Urbane Atmosphären verfügen über viele Aufforderungscharaktere und involvieren Menschen kognitiv. Der interaktive Charakter kann unterhaltsam sein und von den eigenen Gedanken ablenken. Urbane Landschaften verfügen über leitende Atmosphären, welche dem Menschen Orientierung, Halt und Schutz geben. Die kommunikativen Qualitäten fördern eine Interaktion sowie Integration der Menschen. Auf diese Weise vermitteln urbane Landschaften die Zugehörigkeit zu einer Gesellschaft. Die mannigfaltige und vielschichtige Atmosphäre der urbanen Landschaft bietet dauerhaft viele Informationen an und kann anstrengend sein. Urbane Landschaften sind hinsichtlich menschlicher Nutzungen und Bedürfnisse gestaltet und orientieren sich an ihren Proportionen. Diese Angepasstheit sorgt für eher unauffällige leibliche Regungen, denen sich kaum gewidmet wird, da urbane Atmosphären die Ebene möglicher Aktionen und Bedürfnisse ansprechen. Beides führt dazu, dass Menschen in urbanen Landschaften eher kognitiv als leiblich involviert sind. Bei langfristigen und dauerhaften Aufenthalten kann dies zur Folge haben, dass der Kontakt zum eigenen Leib verloren geht, sowie die Eigenwahrnehmung als Person mit individuellen Bedürfnissen verblasst. Natur-nahe Landschaften mit Atmosphären von ungewohnten Dimensionen lösen verstärkt leibliche Erfahrungen aus. Diese lösen in ihrer Bewertung Gefühle aus, welche sehr intensiv und auch existenziell sein können. Damit fördern natürlich geprägte Atmosphären die gleichzeitige Wahrnehmung der Atmosphäre sowie der eigenen leiblichen Reaktion darauf. Auf diese Weise wird dem Menschen die eigene Leiblichkeit zugänglich und die Perspektive eröffnet, sich selbst als natürliches Wesen wahrzunehmen. Natur-nahe und sorgsam renaturierte Landschaften mit zurückhaltenden Atmosphären ohne Aufforderungscharakter können entspannend wirken. Da Handlungsangebote weitgehend fehlen, ist das

Diskussion der Ergebnisse

Denken frei und kann sich der Landschaft weiter zuwenden oder nach innen richten. Die Großräumigkeit und Homogenität natürlicher Atmosphären mit leichter Varianz erleichtern es, in die Atmosphäre einzutauchen und das Phänomen kennenzulernen. Dies ist wichtig, um die generelle Wirkkraft der Atmosphären zu verstehen. Da natur-nahe Landschaften weniger eindeutig durch die Umgebung leiten, können Menschen schneller verunsichert und orientierungslos werden. Atmosphären natürlicher Landschaften erleichtern es, das Phänomen kennenzulernen, wichtige eigenleibliche Erfahrungen zu sammeln und einen Bezug zu sich selbst aufzubauen, sich zu entspannen und die eigenen Gedanken zu ordnen. Dies ist besonders wichtig für Menschen, die im urbanen Gefüge aufwachsen und kaum Erfahrungen in natur-nahen Landschaften sammeln. Angesichts der Urbanisierung wächst damit die Bedeutung der natürlichen Landschaften als wertvolle Erfahrungsräume für die Menschen. Die Erkenntnisse aus den intensiven theoretischen und praktischen künstlerischen Bearbeitungen zeigen, wie Landschaften über Atmosphären andere Voraussetzungen für die Erlebnisse der Menschen schaffen und ihr Befinden beeinflussen können. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Atmosphären urbaner Landschaften für Menschen integrierend, kommunikativ, fordernd, anstrengend und Leib-vergessend sein können. Sie verfügen über viele Aufforderungscharaktere, sind an menschliche Bedürfnisse angepasst und beziehen sich in ihrer räumlichen Struktur auf ihre Dimensionen. Daher sind die leiblichen Erfahrungen weniger intensiv, zudem lenken geforderte Entscheidungen über Angebote seitens der Umgebung von den eigenleiblichen Regungen ab. In der Folge involvieren urbane Atmosphären eher kognitiv und sind schwerer zugänglich. Dagegen erweisen sich Atmosphären natur-naher Landschaften als entspannend, Leib-ansprechend, geistig befreiend und erholsam. Den zurückhaltenden Atmosphären fehlen weitgehend Aufforderungscharaktere. Die ungewohnten Dimensionen bedingen auffällige leibliche Reaktionen, denen sich zugewendet werden kann, da ablenkende Handlungsaufforderungen fehlen. Daher involvieren natürliche Atmosphären eher leiblich und erleichtern den Zugang zum Atmosphärenphänomen. Damit wird festgestellt: natürliche und urban geprägte Landschaften sind in ihren Atmosphären sehr gegensätzlich und gleichen sich in ihren Angeboten als Erfahrungsräume für Menschen aus.

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Die Diskussion der Ergebnisse zu natürlichen und urbanen Atmosphären erfolgt in Hinblick auf typische Verhaltensweisen der Menschen und überwiegende Nutzungen der Landschaften. Die landschaftlichen Atmosphären werden als wirkungsvolle Angebote verstanden, die bestimmte Erfahrungen ermöglichen. Es ist nicht auszuschließen, dass einige Menschen sich den Atmosphären nahezu vollständig verschließen können. Ebenso sind Menschen unterschiedlich sensibel in ihrer Wahrnehmung und haben verschiedene Tagesformen. Wie Menschen diesen im Einzelnen begegnen, wird weiteren Untersuchungen überlassen sein. In dieser Arbeit sind der prägende Pol und die Wirkung landschaftlicher Atmosphären auf die Menschen vordergründig, daher sind Aussagen zum Beitrag des wahrnehmenden Pols nur bedingt möglich. Die Überlegungen beziehen sich auf ein friedliches und demokratisches Zusammenleben. Es ist zu betonen, dass Landschaften und Atmosphären immer auch eine politische Komponente haben, der hier im Einzelnen aber nicht nachgegangen wurde. Dies muss weiteren Studien überlassen werden. Die Menschen nutzen Landschaften verschieden. Das bedingt unterschiedliche menschliche Einstellungen und wirkt sich auf ihre Wahrnehmung aus. In urbanen Landschaften wird überwiegend gewohnt und gearbeitet, daher sind Menschen hier verstärkt zielorientiert unterwegs, erledigen Besorgungen oder gehen Tätigkeiten nach. Entscheidungen werden zügig getroffen, und es bleibt kaum Zeit, um sich auf die Atmosphäre einzulassen. In der Freizeit oder im Urlaub dagegen ändert sich meist die Einstellung, und die Menschen sind entspannter und nehmen sich mehr Zeit. Damit fällt es ihnen leichter, die atmosphärische Wirkung einer Landschaft aufzunehmen. Mit Blick auf die Untersuchungsergebnisse hat ein Urlaub in natur-nahen und behutsam renaturierten Landschaften den doppelten Effekt der Erholung, während Städtereisen trotzdem anstrengend sein können. In seinem Buch »Ästhetik der Natur« zeigt Seel, wie Natur Ort der Kontemplation und Korrespondenz sowie der Imagination des guten Lebens sein kann (vgl. Seel 1991, 235ff). Dabei blieb der Einfluss der aktuellen Umgebung weitgehend unbeachtet. Mit den Erkenntnissen aus dieser Arbeit kann festgehalten werden, dass natürliche Landschaften den Wünschen nach persönlicher Rückbesinnung, Erholung, Gedankenspiel und Zuwendung zur Landschaft stärker entgegenkommen und diese Erlebnisse fördern als urbane Landschaften. Menschen in Deutschland und Europa leben überwiegend in urbanen oder besiedelten Landschaften, sie durchfahren die genutzten Land-

Diskussion der Ergebnisse

schaften selbst oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Der Aufenthalt in natur-nahen Landschaften ist selten ein alltägliches Erlebnis. Im Gegenteil, die urbanen Atmosphären werden kaum verlassen. Da die Menschen an ihrem Wohnort dauerhaft in die Atmosphäre eingetaucht sind, wird ihnen der atmosphärische Einfluss kaum bewusst. Verantwortlich dafür ist die Immersion in die aktuelle Atmosphäre, bei der sich die eigene Stimmung an die der umgebenden Atmosphäre anpasst (Kapitel 2.5). Mit der Rückkehr aus einem Urlaub und dem Wiedereintauchen in die vertraute Umgebung ist die spezifische Atmosphäre viel leichter bemerkbar. Dieser Wechsel ist eine Ingressionserfahrung, bei der sich die aktuelle umgebende Atmosphäre vom vorherigen Charakter absetzt. Diese Erfahrung erleichtert es, sich der Atmosphäre und ihrer Wirkung bewusst zu werden. Setzen sich aktuelle Entwicklungstendenzen fort, werden zukünftige Generationen überwiegend in urbanen Landschaften aufwachsen und mediale Atmosphären in steigendem Umfang erleben. Basierend auf den Erkenntnissen dieser Arbeit ist davon auszugehen, dass mediale Atmosphären, beispielsweise von Videos, Filmen und Computerspielen, von anderer Qualität sind, als die der Umgebung. Hier fehlen räumliche Komponenten in der Prägung. Die sinnliche Wahrnehmung erfolgt nur über das Sehen und Hören, andere Sinne wie das Tasten, Riechen und Schmecken bleiben unbedient. Mit dem Wegfall der raumprägenden Elemente der Atmosphäre und ohne die erschließende Eigenbewegung werden weniger leibliche Erfahrungen gemacht. Medial geprägte Atmosphären sind folglich in ihrem Angebot an die Sinne und an potenziellen leiblichen Erfahrungen eingeschränkt. Dies kann die Wahrnehmung der Menschen nachhaltig verändern. Zu den Qualitäten und dem Erleben medialer Atmosphären sind weitere Forschungen wünschenswert. Mit Blick auf die steigende Urbanisierung und Medialisierung werden der Erhalt und Schutz natürlich geprägter Landschaften umso wichtiger, da sie für Menschen einen offenen Erfahrungsraum darstellen und Möglichkeiten für Selbsterfahrung und Reflexion sowie der Erholung bieten. Während urbane Landschaften Menschen mit ihren Angeboten entgegenkommen und ihre Bedürfnisse förmlich abfragen, ermöglichen natürlich geprägte Landschaften mit Atmosphären, die von Angeboten weitgehend frei sind, elementare Bedürfnisse selbst zu spüren. Dies ist eine wichtige Voraussetzung für selbstbestimmte und verantwortungsvolle Menschen.

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Urbane Atmosphären können bei dauerhaften Aufenthalten fordernd sein, damit werden natürlich gepflegte Landschaften innerhalb des Stadtgefüges wichtig. Der Besuch einer Parkanlage im Alltag hat zwei Vorteile: Das kurze Eintauchen in eine Parkatmosphäre ist an sich schon wohlbringend. Zugleich wird die fordernde urbane Atmosphäre verlassen. Dieser erlebte Kontrast erleichtert es, die urbane Atmosphäre rückblickend zu bestimmen und ihren Einfluss zu verstehen. Ein Besuch der städtischen Grünräume kann Aufenthalte in natur-nahen Landschaften allerdings nicht ersetzen, da Parkanlagen nur selten Dimensionen einer natürlichen Landschaft erreichen, und dauerhaftes Eintauchen in die Atmosphäre kaum möglich ist. Zudem wird in natürlich-anthropogen gestalteten Landschaften mit angelegten Wegen und gepflegter Vegetation eine Distanz zur natürlichen Umgebung aufrechterhalten. Hinzu kommt, dass innerstädtische Parkanlagen oft von vielen Menschen besucht werden, welche bei übermäßiger Präsenz die Atmosphäre verändern und kommunikative und andere soziale Aspekte hineinbringen. Der Wert der natürlichen Landschaften liegt in ihrem atmosphärischen Angebot, das den Menschen die Chance gibt, sich selbst zu erfahren, sich zu entspannen und zu erholen. Damit ermöglichen natürlich geprägte Landschaften Erfahrungen, welche in urbanen Landschaften nur schwer möglich sind. Die urbanen Landschaften kommen den menschlichen Bedürfnissen sehr entgegen und sind lebenserleichternd, aber ihre Atmosphären können auch als leitend, fordernd und unter Umständen als stressig erlebt werden. In Anbetracht der stetig wachsenden Städte sind ungenutzte und unverstellte Landschaften wichtige Erfahrungsräume der Menschen, denn hier können sie sich selbst als leibliche Wesen erleben, welche in Relation zur Natur und Kultur existieren. Damit ist eine wichtige Frage der Arbeit beantwortet: urbane und natürliche Landschaften verfügen beide über wertvolle Qualitäten für Menschen. Sie können einander nicht ersetzen, im Gegenteil, die Koexistenz erweist sich als hohes Gut. Die Bedeutung und Schutzbedürftigkeit der natürlichen Landschaften erklärt sich aus der globalen Urbanisierung und dem damit einhergehenden Landschaftswandel. Die gewonnenen Erkenntnisse zeigen: die Ausstattung und Gestaltung der umgebenden Landschaft kann einen wesentlichen Einfluss auf das Befinden und die Handlungen der Menschen haben. Mit zunehmender Urbanisierung steigt der Wert natur-naher und renaturierter Landschaften als unverzichtbarer und ausgleichender Erfahrungsraum.

Diskussion der Ergebnisse

Je mehr Menschen in urbanen Landschaften leben und anders geprägte Landschaften nur mit dem Auto oder Zug durchqueren und je größer Städte werden, umso schwieriger wird es, diese wirklich zu verlassen, und desto dauerhafter sind Menschen interaktiven, integrierenden, leitenden, fordernden, stressigen Einflüssen ausgesetzt. Daher sind Landschaften mit erholsamen Wirkungen für ausgleichende Erfahrungen in Reichweite erforderlich. Die Entwicklung der Urbanisierung ist nicht umzukehren. Daher ist es wünschenswert, die Qualitäten urbaner Landschaften zu verbessern und das Bewusstsein für die Umgebungseinflüsse auf Menschen zu schärfen, sowie ausgleichende Aufenthalte in Landschaften mit natürlichem Charakter zu fördern. Dies sichert langfristig die Entwicklung von gesunden und offenen Menschen mit selbstbestimmten Persönlichkeiten als wichtige Grundlage demokratischen und friedlichen Zusammenlebens. Aus den Erkenntnissen dieser Arbeit werden nachfolgend Empfehlungen für die Gesetzgebung und für Umweltgestalter formuliert, sowie Wege der Sensibilisierung für Atmosphären – mit besonderem Blick auf die Kunst – diskutiert.

7.3 S chlussfolgerungen und A usblick Die vorgenommenen Untersuchungen und Diskussionen berücksichtigen aktuelle Tendenzen in der Entwicklung und Nutzung von Landschaften. In diesem Rahmen entfalteten die Erkenntnisse ihre volle Bedeutung. Der Kontrast zwischen natürlichen und urbanen Landschaften wird weiter zunehmen und unterschiedliche Erlebnisse ermöglichen. Das Leben in den urbanen Landschaften verändert sich und kommt den Menschen in ihren Bedürfnissen weiter entgegen. Die zunehmende Medialisierung verändert die Umgebung und die Wahrnehmung der Menschen im täglichen Umgang. Die Verbindungen zwischen den Städten werden immer direkter, und es scheint kaum mehr nötig, diese zu verlassen. Doch genau hier sei ein Veto eingelegt. Angesichts der neu gewonnenen Erkenntnisse ist es wichtiger denn je, natürliche Landschaften zugänglich zu machen, ohne Naturschutzgebiete zu überlaufen und Kernzonen in Nationalparks aufzuweichen. Bestehende Schutzgebiete können mit einem nachhaltigen Tourismus nur so weit nutzbar gemacht werden, wie sie es vertragen. Um auf den steigenden Bedarf von natur-nahen Landschaften zu reagieren, sind weitere Renaturierungen von Industriebrachen und Ta-

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gebaurestflächen, aber auch von landwirtschaftlich genutzten Flächen, zu befürworten. Natürlich geprägte Atmosphären benötigen eine Großräumigkeit, daher sind ihre Dimensionen nicht beliebig zu reduzieren, da sie sonst unwiederbringlich verschwunden sind. Der angezeigte steigende Bedarf an unverstellten Landschaften sollte jetzt erkannt und entsprechend gehandelt werden. Nach bisherigem Kenntnisstand sind die atmosphärischen Erfahrungen in natürlichen und renaturierten Landschaften, mit der Möglichkeit, die eigene Leiblichkeit zu erfahren und sich selbst zu reflektieren, von kaum zu ersetzender Qualität. Daher sind politische Maßnahmen erforderlich, um weitere Schutzzonen zu errichten und Programme zu initiieren, welche allen Menschen Aufenthalte in natürlich geprägten Landschaften ermöglichen. Auf diese Weise wird die Entwicklung von weltoffenen, mündigen, reflektierenden, gesunden und umweltbewussten Menschen gefördert, welche demokratische Strukturen verlangen und erhalten, nachhaltige Zielsetzungen fordern und weitreichende Entscheidungen politisch mitgestalten und mittragen. Der wohltuende Einfluss natur-naher Landschaften auf das menschliche Befinden ist ein starkes Argument für den Schutz dieser Landschaften, welches über bisherige Begründungen, wie beispielsweise den Erhalt wertvoller Habitate für Flora und Fauna, Seltenheitswert oder Schönheit hinausgeht. Neben dem Schutz vor weiterer Zerstörung oder Bebauung sollte die Zugänglichkeit zu natur-nahen Landschaften erleichtert werden sowie Aufklärung über deren atmosphärische Einflüsse erfolgen. Davon ausgehend, dass demokratische Länder selbstbestimmte, reflektierende und kritische Menschen brauchen, ist es Aufgabe der Politik, Aufenthalte in unverstellten und auch sorgsam renaturierten Landschaften gezielt zu fördern. Der Austausch mit einer relativ unberührten, nicht-urbanen Landschaft stellt angesichts globaler Urbanisierung ein hohes Gut dar und gewinnt dadurch einen größeren Stellenwert oder gar transformativen Charakter im menschlichen Selbstverhältnis. So wurde nicht zuletzt auf der United Nations Conference on Environment and Development in Rio de Janeiro 1992 der Zugang zu einer weitestgehend natürlichen Landschaft als ein Menschenrecht zumindest implizit formuliert. Dort wurde als erste Leitlinie folgendes formuliert: »Human beings are at the centre of concerns for sustainable development. They are entitled to a healthy and productive life in harmony with nature.« (OHCHR)

Diskussion der Ergebnisse

Mit der Erkenntnis, dass Landschaften Einfluss auf das menschliche Befinden haben, tragen Umweltplaner eine große Verantwortung. Dies betrifft beispielsweise die gestaltenden Bereiche der Architektur, Städteplanung, Landschaftsgestaltung, aber auch der Kunst, der Innenarchitektur und des Designs. Es ist erstrebenswert, ein Bewusstsein für Atmosphären zu wecken und eine Berücksichtigung in der Planung zu bewirken. Die hier gewonnenen Erkenntnisse können in die Ausbildung der Umweltgestalter integriert und konkret angewendet werden. Für Gestalter ist der Umgang mit Atmosphären in verschiedenen Planungsphasen wichtig. Die Aufnahme der bestehenden Atmosphäre am Planungsort braucht entsprechend Zeit, da Atmosphären dauerhaft und überpersönlich sind. Zu Beginn eines Projektes ist ein persönlicher Besuch des Planungsortes unabdingbar, da Atmosphären nur in leiblicher Anwesenheit erlebt werden. Die künstlerische Analyse, wie sie in dieser Arbeit betrieben wurde, stellt einen möglichen Zugang zur Atmosphäre dar (Kapitel 5). Ein weiterer Weg ist es, das Zusammenspiel der prägenden Komponenten massiv, mobil und ephemer zu entschlüsseln und nach ihrer erfahrenen Wirkung zu gewichten (Kapitel 3). Das entwickelte System der Prägung eignet sich zudem als Planungsinstrument, da Optionen deutlich werden, die den Atmosphärencharakter verändern. Abhängig von der Qualität der Atmosphäre einer Landschaft muss entschieden werden, ob diese zu respektieren oder zu verbessern ist. Soll der Atmosphärencharakter erhalten werden, ist der Eingriff sensibel anzupassen. Wird eine Veränderung der Atmosphäre angestrebt, sind die prägenden Umstände der Atmosphäre mit dem Entwurf entsprechend neu auszubilden. In der Planung ist zu bedenken, dass jeder Eingriff die Atmosphäre verändert und sich auf die Menschen auswirkt. Zur Verbesserung einer Atmosphäre kann es auch nötig sein, andere Parameter wie soziale Komponenten zu verändern. Hier sind weitere Forschungen im Bereich der Sozialwissenschaften nötig. Bauwerke wurden in dieser Arbeit nur in ihrem Beitrag zur landschaftlichen Atmosphäre behandelt. Die atmosphärische Wirkung einzelner Gebäude sowie von Innenräumen ist in weiterführenden Studien tiefgründiger zu analysieren. Es ist anzunehmen, dass Architektur Räume schafft, welche über einzigartige Atmosphären verfügen und eindrückliche Erlebnisse ermöglichen. Diese Überlegung gründet darauf, dass in der Architektur vordergründig die räumliche Struktur gestaltet wird und damit die massive Ebene der Atmosphärenprägung, welche Menschen insbesondere leiblich anspricht. In zukünftigen Forschungen

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kann mit dem neuen System der Atmosphärenprägung detailliert analysiert werden, wie Architektur nicht nur die massive, sondern darüber hinaus auch die mobile und ephemere Ebene inszeniert. So verändert ein Um- oder Neubau zunächst die massive Ebene, aber ebenso auf mobiler Ebene Optionen für Menschen und Möbel und auf ephemerer Ebene beispielsweise Licht und Schatten. Der Fachdiskurs hat der atmosphärischen Wirkung von Sakralbauten einige Beachtung geschenkt (vgl. Böhme 2006, 142-150), doch Profanbauten wie Bibliotheken, Museen, Schulen und Rathäuser, welche öffentlicher Nutzung unterliegen und gleichermaßen die Befindlichkeiten der Menschen beeinflussen, weisen weiterhin Forschungsbedarf auf. Eine Sensibilisierung aller Menschen für Atmosphären ist ein wünschenswertes Ziel. Doch die Beeinflussung des menschlichen Befindens seitens der landschaftlichen Atmosphäre ist ein Umstand, der zunächst vermittelt werden muss. Dies geht mit einem Bildungsauftrag für heranwachsende Generationen und einem angeleiteten Zugang für Erwachsene einher. Einen gesunden Umgang mit Atmosphären lernen heißt, sich dem generellen Einfluss der Umgebung auf das eigene Befinden bewusst zu sein. Es bedeutet auch, der eigenen Wahrnehmung zu vertrauen und in der Lage zu sein, die aktuelle Atmosphäre und ihre Wirkung zu verstehen sowie sich gegebenenfalls von ihren Einflüssen abgrenzen zu können. Ein kritisches Hinterfragen von beispielsweise politisch inszenierten Atmosphären ist angesichts der weltpolitischen Entwicklungen enorm wichtig. Dies ist möglich, wenn die eigene Leiblichkeit zugänglich und die eigene Befindlichkeit bekannt ist. Mit einem grundlegenden Atmosphärenbewusstsein können Menschen den Einfluss verschiedener Atmosphären gezielt für sich nutzen, beispielsweise für Erholung. Ein Verständnis für Atmosphären und ihren Einfluss auf das menschliche Befinden kann das Umweltbewusstsein steigern und nachhaltiges Denken und Handeln fördern. Dabei ist das Atmosphärenphänomen kaum theoretisch vermittelbar, sondern nur über das eigene Erleben. Dies kann unter Anleitung geschehen, und da Erfahrungen immer auf Vorerfahrungen auf bauen, ist es sinnvoll, schon Kinder zu fördern. Empfehlenswert sind Ausflüge in natürliche Landschaften mit leicht zugänglichen Atmosphären von zurückhaltender Art, welche Zeit geben, in das Phänomen einzutauchen. Kinder und Erwachsene können die atmosphärischen Erlebnisse entschlüsseln und verschiedene Qualitäten kennen-

Diskussion der Ergebnisse

lernen. Atmosphären und ihre Wirkung können ebenfalls verstanden werden, indem sie gezielt kreiert werden, beispielsweise in einem Theaterstück, bei dem Bühnenbild, Stückauf bau, Schauspieler, Kostüme, Mimik, Gestik und Sprache zusammenwirken. Die aktive Umgestaltung einer bestehenden Atmosphäre, sei es in der Schule, im Büro oder in der Wohnung, ist eine weitere Möglichkeit, den Umgang mit Atmosphären zu erlernen. Der zwischenmenschliche Umgang prägt ebenfalls die Atmosphären, und kann mithilfe von Mediation positiv verändert werden. Alle Wege der Vermittlung von Atmosphären, eine gezielte Hinführung zur landschaftlichen Atmosphäre und ihre Entschlüsselung, eine Neu­ kreation auf der Theaterbühne sowie eine aktive Umgestaltung unterstützen das Verständnis von Atmosphären und sind gleichermaßen förderungswürdig. Eine weitere Möglichkeit der Sensibilisierung für die Wirkung der Atmosphären bietet die Kunst. Auf vielfache Weise ist Kunst mit Atmosphären verknüpft. Kunstwerke eignen sich, um im geschützten Rahmen verschiedene Atmosphären und deren Wirkweisen kennenzulernen (vgl. Böhme 1995, 16). Museen stellen im urbanen Gefüge eine Besonderheit dar, da sie darauf ausgelegt sind, Erfahrungen zu sammeln und auf unmittelbare Handlungsimpulse verzichten. Folglich erlaubt ein Besuch im Kunstmuseum, die fordernde urbane Atmosphäre zu verlassen und in die Ausstellungsatmosphäre einzutauchen, und damit das Phänomen sowie seine Wirkung kennenzulernen. Darüber hinaus können Kunstwerke ein besonderes Verhältnis zu landschaftlichen Atmosphären aufweisen. So reagieren Werke der Land Art oder Kunst im öffentlichen Raum auf bestehende Atmosphären und zeigen diese an oder weisen auf Brüche hin. So installierte Olafur Eliasson die begehbare Arbeit »Riverbeds« 2014 im Kunstmuseum Louisiana in Dänemark, eine Flusslandschaft im kontrastierenden Ausstellungsraum (Abb. Eliasson 2014). Das Inszenieren einer Landschaft mit gegensätzlichem Charakter innerhalb eines Museums unterstreicht die besonderen Qualitäten der natürlichen Landschaften und dessen Wert für die Menschen. Für den Bereich der Freien Kunst lassen die Erkenntnisse dieser Arbeit die These zu, dass Bilder, Skulpturen und Installationen Atmosphären unterschiedlich prägen und diese folglich verschieden zugänglich sind und andere Erlebnisse ermöglichen. Auf diesem Gebiet ist eine weiterführende Forschung wünschenswert. Weitere offene Forschungsthemen im Bereich Kunst und Atmosphären sind die Korrelation von Kunstwerken und Ausstellungsraum, das Zu-

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sammenspiel von Ausstellung und Museumsarchitektur, sowie das Zusammenwirken von Bauwerk und Umgebung.

7.4 F a zit zum E rgebnisteil Die vorliegende Arbeit untersuchte den Einfluss der Umgebung auf das menschliche Befinden. Dabei wurde festgestellt, dass Landschaften einen erheblichen Anteil daran tragen, wie Menschen sich fühlen. Mehr noch, die Landschaftsgestaltung schafft andere Voraussetzungen für das menschliche Erleben, ihre Handlungen und Bewegungen. Dies geschieht über die Atmosphäre, welche Umgebung und Menschen immer verbindet. Die Landschaft reichert die Atmosphäre beispielsweise mit Stimmungen, Aufforderungscharakteren, Bewegungssuggestionen und Handlungsoptionen an und kreiert einen ortsspezifischen Atmosphärencharakter, den Menschen erleben. Wie die aktuelle Atmosphäre durch Wahrnehmende verändert wird, muss in weiteren Forschungen untersucht werden. Die theoretischen und künstlerischen Erkenntnisse dieser Arbeit begründen ein neues Atmosphärenverständnis. Dieses geht neben der Wahrnehmungsrelation von Umgebung und Menschen von ortsgebundenen, dauerhaften und überpersonellen Atmosphären aus, welche Landschaften anhaften. Die exemplarischen Untersuchungen verschieden geprägter Landschaften konnten zeigen, dass urbane Atmosphären überwiegend interaktiv, fordernd, kommunikativ und kognitiv involvierend sind. Atmosphären natur-naher Landschaften sind im Gegensatz dazu eher zurückhaltend und entspannend, vor allem fördern sie intensive leibliche Erfahrungen. Damit sind die Atmosphären der urban und natürlich geprägten Landschaften von gegensätzlicher Natur. Aufgrund der verschiedenen atmosphärischen Qualitäten können die natürlichen Landschaften ausgleichende Erlebnisse zu den urbanen Landschaften ermöglichen. Mit zunehmender Urbanisierung steigt der Bedarf an unverstellten Landschaften, um Resilienz stärkende Aufenthalte zu ermöglichen. Der Wert der natürlich geprägten Landschaften als elementarer menschlicher Erfahrungsraum verdient von der Gesetzgebung Schutz in ausreichenden Dimensionen, um die allgemeine Zugänglichkeit zu erhöhen. In dieser Arbeit wurde das Zusammenspiel der Umgebung in der Prägung der Atmosphäre systematisch entschlüsselt, und von diesem Wissen können Gestalter zukünftig profitieren. Mensch und Umgebung sind über die At-

Diskussion der Ergebnisse

mosphären miteinander verbunden und beeinflussen sich gegenseitig. Es ist notwendig, die verschiedenen Qualitäten von Atmosphären sowie deren beständige Einflüsse auf das menschliche Befinden zu vermitteln. Es wird allen Menschen empfohlen, sich mit dem Phänomen der Atmosphären vertraut zu machen. Der kontinuierliche Einfluss der Atmosphären auf die Menschen und die besonderen Qualitäten der natur-nahen Landschaften können ein generelles Bewusstsein für den Landschaftswandel und die Umgebungsqualitäten wecken. Dies ist in Zeiten des Klimawandels besonders wichtig und kann sensible wie nachhaltige Handlungen auf politischer oder persönlicher Ebene fördern, die dem zukünftigen Schutz und der Nutzung sowie Gestaltung von Landschaften dienen. Es besteht eine Wechselwirkung von Mensch und Umwelt. Die Umgebung hat immer eine Wirkung auf die Menschen. Diese ändert sich, wenn eine Landschaft umgestaltet wird, beispielsweise indem sie umgenutzt, bebaut oder renaturiert wird. Je nach gestalterischem Eingriff wirkt die umgeformte Landschaft anders auf die Menschen und verbessert oder verschlechtert das menschliche Wohlbefinden. Es ist ein wechselseitiges Beeinflussen, die Menschen verändern die Landschaften, die Landschaften verändern das menschliche Befinden.

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8. Abschlussfazit

Mit dem Beitrag der aktuellen Umgebung zum Landschaftserlebnis wird die Landschaftsästhetik um eine wesentliche Perspektive erweitert. Bislang dominierten subjektive Sichtweisen den Diskurs, vordergründig waren das menschliche Verhältnis zur Natur sowie gedankliche Projektionen auf die Landschaft. Diese Arbeit zeigt nun, dass ein Landschaftserlebnis nicht nur davon bestimmt wird, wie Menschen sich der Umgebung zuwenden, sondern dass die Landschaft ebenfalls einen wesentlichen Teil zum Landschaftserlebnis beiträgt und je nach Ausstattung und Gestaltung bestimmte Erfahrungen begünstigt. Die Atmosphärentheorie wird als neuer Ansatz gewählt, um die Landschaft-Mensch-Situation zu entschlüsseln. Atmosphären sind räumliche Wirkungsphänomene, geprägt von der Umgebung mit allen anwesenden Menschen und Dingen, welche die Menschen emotional ergreifen. Atmosphären beschreiben die »Beziehung von Umgebungsqualitäten und menschlichem Befinden« (Böhme 1995, 22f). Bislang galt »die Wechselwirkung zwischen Befinden und Raum [als] noch unzureichend erforscht« (Rauh 2012a, 260, Einf. d. Verf.). In dieser Arbeit wurden daher ausgewählte Landschaften hinsichtlich ihrer Atmosphäre untersucht und verglichen. Dabei ist mit dem Beitrag der Umgebung zur Atmosphäre der prägende Pol des Phänomens vordergründig. Den Einfluss des wahrnehmenden Menschen als zweiten Pol gilt es, mit vergleichenden Teilnehmerstudien weiter zu erforschen. Zwei Kernpunkte der Atmosphärentheorie werden in der vorliegenden Arbeit theoretisch fundiert: weshalb Atmosphären Menschen beeinflussen können, und wie der Atmosphärencharakter entsteht. Es wird festgestellt, dass die Umgebungsgestaltung über die Atmosphären einen wesentlichen Einfluss auf das menschliche Befinden, die Wahrnehmungen und die Handlungen hat. In der weiterentwickelten Theorie ist das Atmosphärenphänomen stets vorhanden und wird je nach Umgebungsgestal-

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tung und anwesenden Menschen, Dingen und Tieren sowie flüchtigen Phänomenen im Charakter jeweils anders geprägt. Die verschiedenen Atmosphärencharaktere werden von Menschen im zeitlichen Nacheinander erlebt. Mit dem Konzept der Prägung wird ein neues Verständnis von Atmosphären begründet, das Raum für weitere angewandte Forschungen eröffnet. In der vorliegenden Arbeit wird die Frage beantwortet, wie und weshalb Atmosphären das menschliche Befinden beeinflussen (Kapitel 2). Anhand der theoretischen Vorläufer der Atmosphäre wird aufgezeigt, wie Menschen mit der Welt verbunden sind und diese erschließen. In der Erörterung wird auf Heidegger und das Befinden als Verbindung zur Welt, auf Merleau-Ponty und den Leib als Zugang zum Raum sowie auf Schmitz und die leibliche Kommunikation Bezug genommen. Die theoretische Diskussion zeigt, dass Atmosphären Menschen beeinflussen, da die Wahrnehmungen von Umwelt und sich selbst über das leibliche Befinden auf das Engste miteinander verknüpft sind. Der Ort der Empfindungen ist der Leib. Dieser reagiert mit emotionalem Bewegt-sein und leiblichen Reaktionen auf die eigenen Gefühle und auf die umgebende Atmosphäre. Der Leib wird dabei als Sammelpunkt der sinnlichen Wahrnehmung verstanden, bei dem alle Eindrücke zusammenlaufen, und welcher eine immer schon gegebene Verbindung zur Umgebung bietet. Daraus erklärt sich das Potenzial der Atmosphären, auf die eigene Leiblichkeit zu verweisen. Der Atmosphärencharakter wird »am eigenen Leib« erfahren, und mit der Bewusstwerdung dieser emotionalen Berührung wird den Wahrnehmenden auch die eigene Leiblichkeit zugänglich. Diese Erfahrungen verdeutlichen zudem, dass Atmosphären das menschliche Befinden beeinflussen. In der vorliegenden Arbeit wurde darüber hinaus festgestellt, dass Atmosphären neben dem menschlichen Befinden auch die Wahrnehmungen und die Handlungen der Menschen beeinflussen können. Die Gestaltung und Ausstattung einer Landschaft prägt eine spezifische Atmosphäre, die andere Voraussetzungen und Bedingungen für ihr Erleben schafft. Diesen möglichen Einfluss formulierte erstmalig Thibaud: »Atmosphären [können] sich auf unser Verhalten und unseren körperlichen Zustand auswirken. […] Sie beeinflussen auch die Bewegung«, und können »unsere Handlungsfähigkeit ansprechen« (Thibaud 2003, 289f). Thibauds Ansatz wird in dieser Arbeit bestätigt mit dem Verständnis, dass Atmosphären Aufforderungscharaktere und Bewegungsintentio-

Abschlussfazit

nen aufnehmen und weitergeben. Auf diese Weise können Umgebungen Angebote formulieren und Möglichkeiten anbieten, zwischen denen die Menschen entscheiden müssen. Mit dem Konzept der Prägung von Atmosphären auf drei Ebenen schließt die vorliegende Arbeit eine Forschungslücke (Kapitel 3). Atmosphären wurden bislang nach ihrem Charakter unterschieden und je nach »Grad der Konstruktion […] von physikalischen, sozialen und medial-intendierten Atmosphären« gesprochen (Heibach 2012, 10). Doch wie der Charakter entsteht, war bisher unzureichend erforscht. Böhme zufolge werden Atmosphären über »Ekstasen« der Umgebung erzeugt. Dazu gehören »Farben, Gerüche und wie ein Ding tönt«, aber auch »Ausdehnung und Form« (Böhme 1995, 33, Herv. i. O.). Auf bauend auf den Aussagen der Architekten Zumthor und Norberg-Schulz sowie auf Böhmes und Latours Arbeiten wurde in der vorliegenden Arbeit die Kon­sti­ tu­tion von Atmosphären systematisch entwickelt. Nach diesem Modell wird eine landschaftliche Atmosphäre auf drei Ebenen geprägt, und je nach Zusammenspiel dieser Ebenen werden der Atmosphärencharakter sowie die Wirkung und Erfahrbarkeit der Atmosphäre selbst beeinflusst. Zur Atmosphäre tragen bei: die massive Ebene mit räumlichen Strukturen wie Topografie, Bauwerken und großer Vegetation, die mobile Ebene mit Menschen, Dingen und Lebewesen und die ephemere Ebene mit Atmosphärischem wie Geräuschen und Gerüchen. Bereits eine erste theoretische Betrachtung der prägenden Umstände von urbanen und natürlichen, weitestgehend unverstellten Landschaften zeigt deutliche Differenzen auf den drei Ebenen und lässt signifikante Unterschiede in ihren Atmosphären erwarten. Verschieden sind beispielsweise auf massiver Ebene die Anpassung an den menschlichen Maßstab, auf mobiler Ebene die Dichte an gestalteten Dingen sowie die Präsenz anderer Menschen, und auf ephemerer Ebene die Dimensionen des Atmosphärischen. In der Folge prägen Landschaften unterschiedliche Atmosphärencharaktere, und es ändern sich die Bedingungen der Wahrnehmung. Da sich die Beiträge einer Landschaft zur Atmosphäre nur bedingt ändern, wird die These begründet, dass Atmosphären bestimmten Formationen und Landschaften anhaften. Damit wird das Atmosphärenverständnis hinsichtlich ihrer Charakterprägung maßgeblich erweitert und ermöglicht weitere Forschungen. Insbesondere die Architektur und deren Einfluss auf die Atmosphären stellt zukünftig ein interessantes Forschungsfeld dar. Das Konzept der Prägung einer Atmosphäre auf massiver, mobiler

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und ephemerer Ebene eignet sich zudem als Werkzeug, den Zusammenhang von Umgebungsqualitäten und Atmosphäre sowie deren spezifische Wirkung zu verstehen. Außerdem werden mögliche gestalterische Ansatzpunkte aufgezeigt. Die künstlerische Forschung wurde in dieser Arbeit als neuer methodischer Zugang zum Atmosphärenphänomen entwickelt (K4). Für die Untersuchung landschaftlicher Atmosphären fehlte bislang eine geeignete Methode. Die Bestimmung des Atmosphärencharakters ist nur über das eigene Erleben möglich. Die größte Herausforderung besteht darin, das Atmosphärenphänomen näher zu begreifen und das Erlebte zu formulieren. Der Atmosphärenstatus zwischen Mensch und Umgebung macht das Phänomen vage. Zudem erschwert die doppelte Wahrnehmung ihre Beschreibung, da neben der Atmosphäre die eigenleibliche Reaktion auf diese erfahren wird. Die Diskussion verschiedener Kunstformen und deren Verhältnis zur Landschaft zeigt auf, dass es mit Kunst möglich ist, auf bestehende Atmosphären zu reagieren, wichtige prägende Zusammenhänge aufzunehmen, Aspekte einer erlebten Atmosphäre in einem Kunstwerk neu zu gestalten und Atmosphären mit einem künstlerischen Werk zu vermitteln. In der Folge wird Kunst verschiedener Formen als geeignet angesehen, landschaftliche Atmosphären hermeneutisch zu erschließen. Künstlern ist es möglich, besondere Qualitäten einer Landschaft darzustellen, abzulichten oder zu umschreiben und dabei auch ihr eigenes Erleben dieser Atmosphäre miteinfließen zu lassen. Daher kommt die vorliegende Arbeit zu dem Ergebnis, dass die künstlerische Forschung dem Atmosphärenstatus zwischen Umgebung und menschlichem Befinden als Methode gerecht wird. Ausgewählte Landschaften werden in dieser Arbeit künstlerisch erforscht mit dem Ziel, ihre Atmosphären, deren Prägung sowie deren Wirkung aufzunehmen und ihre Besonderheiten anschließend zu vergleichen. Damit ist die Forschungsarbeit ein Beispiel dafür, wie sich beide Wissensformen einträglich verbinden lassen. Für die exemplarische Entschlüsselung der Atmosphären wurden sechs Landschaften mit unterschiedlicher anthropogener Prägung ausgewählt und über einen Zeitraum von vier Jahren vielfach aufgesucht. Auf der Ostseeinsel Hiddensee wurden die Steilküste, der Wald auf dem Dornbusch sowie der Ort Neuendorf bearbeitet. Die gefahrene Strecke zwischen den Orten Schaprode und Weimar wurde mit »Unterwegs« berücksichtigt. In Weimar waren der Historische Friedhof und die Innenstadt Gegenstand der Untersu-

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chung. Für die Erschließung landschaftlicher Atmosphären haben sich in dieser Arbeit vier künstlerische Mittel besonders bewährt: fotografische Serien, skizzenhafte Zeichnungen, gegossene Reliefe und phänomenologische Texte. Mit vier Hinsichten auf jede Landschaft wurden das Zusammenwirken der Umgebung und der Besonderheiten in der Prägung der Atmosphäre untersucht. Dabei glich die künstlerische Bearbeitung einem Übersetzen der erlebten landschaftlichen Atmosphären. Die künstlerische Forschung diente in erster Linie dem Erkenntnisgewinn. Präsentiert in Ausstellungen, erlauben die künstlerischen Werke Besuchern zudem, die untersuchten landschaftlichen Atmosphären nachzuempfinden. Die künstlerische Forschungsarbeit ist im Buch umfassend dokumentiert (Kapitel 5). Atmosphären mit Kunst zu transformieren eröffnet die Frage, wie verschieden geartete Kunstwerke, beispielsweise Bilder, Skulpturen oder Installationen, Atmosphären prägen, und welche Erlebnisperspektiven damit verbunden sind. Dies ist Aufgabe zukünftiger Forschung. Mehrjährige Untersuchungen der Landschaften zu allen Jahreszeiten zeigen, dass ortstypische Atmosphären gleichbleibende strukturelle Merkmale aufweisen. Die Wechselwirkung von prägender Umgebung und erlebter Atmosphäre sowie die Qualitäten der landschaftstypischen Atmosphären wurden in einer Erörterung der künstlerischen Arbeiten herausgearbeitet (Kapitel 6). Dieses Vorgehen entspricht einem Abstraktionsprozess: von konkreten Landschaften mit spezifischen Atmosphären zu landschaftstypischen Atmosphären mit ausgewiesenen Eigenschaften, welche stellvertretend für bestimmte landschaftliche Prägungen stehen. In gezielter Gegenüberstellung wurden wesentliche differierende Eigenschaften der landschaftsverbundenen Atmosphären in ihrer Wirkung auf die Menschen diskutiert. Dies umfasste beispielsweise die räumliche Prägung, Bewegungsaufforderung, die gleich- oder verschiedenartige Zusammensetzung, Änderungsmuster, kontrastierende Beiträge, den Grad der anthropogenen Gestaltung sowie die Kommunikationsfähigkeit einer Atmosphäre. Im direkten Vergleich von natürlichen und urbanen Landschaften zeigte sich, dass die Atmosphären wesentlich differieren und unterschiedliche Bedingungen für ihre Erfahrung schaffen. Die natürlichen, weitestgehend ungenutzten Landschaften verfügen über zurückhaltende Atmosphären. Die ungewohnten Dimensionen der natürlich geprägten Landschaften führen zu auffälligen leiblichen Reaktionen, und die wenigen Aufforderungscharaktere geben Zeit, sich dem eigenen Leib zuzuwenden. Die vorliegende Arbeit stellt fest, dass

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naturnahe Landschaften leibliche Erfahrungen fördern und den Zugang zum Atmosphärenphänomen erleichtern. Dies ist ein Kennzeichen der »besonderen Atmosphären«, mit denen Rauh die Wahrnehmung und Bewusstwerdung der aktuellen Atmosphäre bezeichnet (vgl. Rauh 2012a, 158). Die vorliegende Arbeit kommt zu dem Ergebnis, dass Atmosphären natur-naher Landschaften entspannend und geistig befreiend sind. Ebenso können natürliche Landschaften mit ungewohnten Dimensionen wie der Weite oder Enge beängstigend oder bedrohlich wirken. In jedem Fall fördern sie die Erfahrung des eigenen Leibes. Im Gegensatz dazu sind urban geprägte Landschaften an menschliche Bedürfnisse und Proportionen angepasst. Daher verursachen urbane Atmosphären kaum auffällige leibliche Bewegungen und sind folglich schwerer zugänglich. Zugleich lenken nötige Entscheidungen über explizit formulierte Angebote der Umgebung von den eigenen leiblichen Reaktionen auf die Atmosphäre ab. In der Folge involvieren urbane Atmosphären Menschen eher kognitiv als leiblich. Zusammengefasst bedeutet das, Atmosphären urbaner Landschaften können für Menschen integrierend, kommunikativ, fordernd und bei dauerhaften Aufenthalten auch anstrengend und stressig sein. Weiterhin können anhaltende und eher unauffällige leibliche Regungen dazu führen, dass der eigene Leib ignoriert wird. In der Gegenüberstellung wird deutlich, wie grundlegend die Ausstattung und Gestaltung einer Landschaft die Atmosphäre prägt. In der Folge werden verschiedene Voraussetzungen und Bedingungen für das Landschaftserlebnis geschaffen. Zudem zeigen die Untersuchungen dieser Arbeit, dass natürlich und urban geprägte Landschaften in ihren Atmosphären gegensätzlich sind und sich daher als Erfahrungsräume für die Menschen ausgleichen. Die Betrachtungen der vorliegenden Arbeit gehen vom prägenden Pol einer Atmosphäre aus und sind unabhängig von den persönlichen Einstellungen, Erwartungen und Erinnerungen, welche die Wahrnehmung ebenfalls beeinflussen. Der wahrnehmende Pol einer Atmosphäre und die sozialen Dimensionen von Atmosphären, möglicherweise mit kulturhistorischer Perspektive, sind weitere Forschungsfelder der Atmosphärentheorie. Ein neues Atmosphärenverständnis, das über die Wahrnehmungsrelation »Umgebungsqualität-menschliches Befinden« hinausgeht, wird mit theo­ retischer und künstlerischer Forschung begründet. Das Atmosphärenphänomen ist immer vorhanden und wird je nach Situation im Charak-

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ter unterschiedlich geprägt. Atmosphären sind weit mehr als räumliche Stimmungen und können beispielsweise Aufforderungscharaktere und Bewegungsintentionen aufnehmen und abgeben. Daher können Atmosphären neben dem menschlichen Befinden auch die Wahrnehmungen und Handlungen der Menschen beeinflussen. Atmosphären können unabhängig vom Menschen bestehen und Konstellationen wie Landschaften und Formationen anhaften. Die ortsgebundenen Atmosphären sind von der Umgebung spezifisch geprägt, sie bestehen dauerhaft und sind überpersonell. Eine Vielfalt an Umgebungsgestaltungen bedeutet eine Diversität an landschaftlichen Atmosphären, welche verschiedene menschliche Erfahrungen ermöglicht. Die Ergebnisse dieser Arbeit beziehen sich auf den untersuchten Beitrag der Landschaften zur Atmosphäre und ihre Wirkung auf die Menschen. Urbane und natürliche Landschaften schaffen dabei verschiedene Voraussetzungen für ihr Erleben, was insbesondere langfristig gesehen Auswirkungen auf die Menschen hat. Bezüglich der urbanen Atmosphären wurde festgestellt, dass sie unterhaltsam sein und von den eigenen Gedanken ablenken können. Sie unterbreiten viele Angebote, fordern Reaktionen und involvieren Menschen eher kognitiv als leiblich. Lediglich bei langfristigen und dauerhaften Aufenthalten in urbanen Atmosphären kann der Kontakt zum eigenen Leib verloren gehen sowie die Eigenwahrnehmung als Person mit individuellen Bedürfnissen verblassen. Angesichts der aktuellen Entwicklungen werden zukünftige Generationen mediale Atmosphären verstärkt erleben sowie in urbanen Landschaften aufwachsen. Mit Blick auf diese Entwicklung werden Erhalt und Schutz der überwiegend natürlich geprägten und unverstellten Landschaften zunehmend wichtiger, denn ihre zurückhaltenden Atmosphären ermöglichen den Menschen elementare Erfahrungen des eigenen Leibes und des eigenen Selbst mit reflektierenden und selbstbestimmten Gedanken. Das atmosphärische Erlebnis in natur-nahen Landschaften zeigt Menschen, dass sie leibliche Wesen sind, die in Relation zu Natur und Kultur existieren. Diese Erfahrungen können die Entwicklung weltoffener, reflektierter und umweltbewusster Menschen fördern, welche nachhaltige Zielsetzungen fordern und weitreichende Entscheidungen politisch mitgestalten und mittragen. Damit ist die anfangs gestellte Frage, ob Menschen heute natürlich geprägte Landschaften überhaupt noch benötigen, ausdrücklich zu bejahen.

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Die Erkenntnisse der Arbeit verstehen sich als Empfehlung an die Politik, nachhaltig zu gestalten. Urbane Landschaften sollten qualitativ verbessert werden, beispielsweise indem innerstädtische Ausgleichslandschaften entstehen. Natürliche Landschaften sind als wertvolle Erfahrungsräume der Menschen zu schützen. Die Dimensionen der natürlich geprägten und renaturierten Landschaften dürfen nicht beliebig reduziert werden, denn natürliche Atmosphären brauchen eine Großräumigkeit, da sie sonst unwiederbringlich verloren gehen. Von den Umweltgestaltern wird ein sorgfältiger Umgang mit Atmosphären gefordert, da jede Umgebung und auch ihre Neugestaltungen das menschliche Wohlbefinden anhaltend beeinflussen. Eine Sensibilisierung der Menschen für Atmosphären wird empfohlen, denn ein grundlegendes Atmosphärenbewusstsein erlaubt, sich kritisch mit politisch inszenierten Atmosphären auseinanderzusetzen und sich von negativ beeinflussenden Atmosphären abzugrenzen. Das Wissen über Atmosphären und ihre Wirkungen kann ein generelles Bewusstsein für den Landschaftswandel und für Umgebungsqualitäten wecken. Angesichts zunehmender Verstädterung und Medialisierung ist die intensive Verschränkung von Gesellschaft und Natur von entscheidender Bedeutung für die belastbare Gestaltung nachhaltiger Lebensräume. Die Untersuchungen zeigen, dass Landschaften je nach Gestaltung, Ausstattung und Belebung unterschiedlich auf Menschen wirken und diese verschieden hinsichtlich ihres Befindens, ihrer Wahrnehmungen und ihrer Handlungen beeinflussen können. Es besteht eine Wechselwirkung: Menschen verändern die Landschaften, Landschaften verändern das menschliche Befinden. Damit weist die vorliegende Arbeit die Korrelation von Umgebung und Mensch nach.

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Horst Bredekamp, Wolfgang Schäffner (Hg.) Haare hören – Strukturen wissen – Räume agieren Berichte aus dem Interdisziplinären Labor Bild Wissen Gestaltung 2015, 216 S., kart., zahlr. farb. Abb., 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8376-3272-9 als Open-Access-Publikation kostenlos erhältlich E-Book: ISBN 978-3-8394-3272-3

Michael Bockemühl Bildrezeption als Bildproduktion Ausgewählte Schriften zu Bildtheorie, Kunstwahrnehmung und Wirtschaftskultur (hg. von Karen van den Berg und Claus Volkenandt) Oktober 2016, 352 S., kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8376-3656-7 E-Book: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3656-1

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Kunst- und Bildwissenschaft Leonhard Emmerling, Ines Kleesattel (Hg.) Politik der Kunst Über Möglichkeiten, das Ästhetische politisch zu denken Oktober 2016, 218 S., kart., 32,99 € (DE), ISBN 978-3-8376-3452-5 E-Book: 32,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3452-9

Werner Fitzner (Hg.) Kunst und Fremderfahrung Verfremdungen, Affekte, Entdeckungen September 2016, 260 S., kart., zahlr. Abb., 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8376-3598-0 E-Book: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3598-4

Goda Plaum Bildnerisches Denken Eine Theorie der Bilderfahrung Juli 2016, 328 S., kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8376-3331-3 E-Book: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3331-7

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