Lackformulierung und Lackrezeptur: Das Lehrbuch für Ausbildung und Praxis 9783748600206

Lackformulierung Schritt für Schritt: Die Entwicklung von Lacken ist ein kreativer Prozess – und erfordert gleichzeitig

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Lackformulierung und Lackrezeptur: Das Lehrbuch für Ausbildung und Praxis
 9783748600206

Table of contents :
Auf ein Wort
Inhalt
Teil I. Grundsätzliches
1. Einführung
2. Pigmentdispersionen
3. Lackrezepturformulierung
Teil II. Lösemittelhaltige Lacke
1. Bei Raumtemperatur filmbildende Lacke
2. Einbrennlacke
Teil III. Wässrige Lacke
1. Wasserlöslichkeit bzw. -dispergierbarkeit von organischen Lackbindemitteln
2. Bei Raumtemperatur trocknende/härtende wässrige Lacke und Beschichtungen
3. Bei Raumtemperatur härtende wässrige Lacke
4. Wässrige Einbrennlacke
Teil IV. Lösemittelfreie Lacke
1. Zwei-Komponenten-Systeme
2. Strahlenhärtende Beschichtungen
3. Pulverlacke
Allgemeine Literaturempfehlungen
Autoren
Index

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Bodo Müller Ulrich Poth

Lackformulierung und Lackrezeptur Das Lehrbuch für Ausbildung und Praxis 4., vollständig überarbeitete Auflage

Cover: Africa Studio – shutterstock

Bibliographische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Bodo Müller und Ulrich Poth: Lackformulierung und Lackrezeptur: Das Lehrbuch für Ausbildung und Praxis 4., überarbeitete Auflage Hannover: Vincentz Network 2017 Farbe und Lack // Bibliothek ISBN 978-3-74860-020-6 © 2017 Vincentz Network GmbH & Co. KG, Hannover Vincentz Network, Plathnerstr. 4c, 30175 Hannover, Germany T +49 511 9910-033, F +49 511 9910-029, [email protected] Das Werk einschließlich seiner Einzelbeiträge und Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urhebergesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchtnamen, Warenzeichen und Handelsnamen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass solche Namen ohne weiteres von jedermann benutzt werden dürfen. Vielmehr handelt es sich häufig um geschützte, eingetragene Warenzeichen. Haftungsausschluss Es ist darauf hinzuweisen, dass die Autoren lediglich ihre personliche Auffassung nach bestem Wissen und Gewissen wiedergeben. Dies entbindet den Leser nicht davon, eigene Nachforschungen bei der An- oder Verwendung der verschiedenen beschriebenen Verfahren oder Erzeugnisse anzustellen und/oder erganzende Beratungsleistungen einzuholen. Eine Haftung der Autoren ist insofern unter allen rechtlichen Gesichtspunkten ausgeschlossen. Weitere Bücher aus der Reihe FARBEUNDLACK // BIBLIOTHEK finden Sie unter: www.farbeundlack.de/shop Satz: Vincentz Network, Plathnerstr. 4c, 30175 Hannover, Germany

FARBEUNDLACK // BIBLIOTHEK

Bodo Müller Ulrich Poth

Lackformulierung und Lackrezeptur Das Lehrbuch für Ausbildung und Praxis 4., vollständig überarbeitete Auflage

Auf ein Wort Vom Erfolg der ersten bis zur dritten Auflage waren die Autoren nicht überrascht, da es bisher am Markt kein vergleichbares Fachbuch gab, das Rezepturen und Formulierungen ausführlich erklärt. Richtrezepturen gibt es zwar viele, aber was fehlt, ist eine didaktisch sinnvolle und sachkundige Auswahl, Kommentierung bzw. Wertung. Die Autoren haben sich deshalb gerne in die Pflicht nehmen lassen, die dritte Auflage zu überarbeiten und weiter zu aktualisieren. Dabei wurden einzelne veraltete Richtrezepturen durch neue ersetzt und viele neue Abbildungen eingefügt. An vielen Stellen wurden inhaltliche Überarbeitungen und Ergänzungen vorgenommen. Die Rezeptentwicklung von Lacken (Lackformulierung) ist ein wichtiger Bestandteil der Lacktechnologie. Leider wird nur wenig darüber berichtet, weil Rezepturen zu den wohl behüteten Geheimnissen der Lackindustrie gehören. Die Richtrezepturen der Lackrohstoffherstel­ler sind zwar verfügbar, können aber ohne sorgfältige Auswahl und Aufbe­reitung nicht für ein Lehrbuch verwendet werden. In diesem Buch soll die Lackformulierung in einzelnen Schritten vermittelt werden: In jedem Abschnitt wird zuerst die stoffliche Zusammensetzung und insbesondere die Bindemittelbasis des jeweiligen Lacktyps beschrieben. Danach werden Formulierungshinweise gegeben und bestehende Rezepte (z.B. Richtrezeptu­ren) analysiert. Diese Analyse besteht in einer lehrbuchmäßigen Berechnung von wichtigen Lackkenngrößen wie der Pigmentierungshöhe, der Pigment-VolumenKonzentration und ggf. der Härterzusatzmenge. Zum Schluss wird bei den wichtigsten Lacktypen die Rezeptent­wicklung anhand von konkreten Aufgabenstellungen und deren Lösung erklärt. Alle Berechnungen im Zusammenhang mit Rezepturen werden Schritt für Schritt durchgeführt, damit auch ein Anfänger sie nachvollziehen kann. Die so erworbenen Fertigkeiten im Umgang mit Rezepturen können auch auf andere Anwen­dungen wie z.B. Kleb- und Dichtstoffe übertragen werden. Im Mittelpunkt des Buches steht die Lackformulierung und der Weg zum Rezept (vgl. Laotse: „Der Weg ist das Ziel.“). Aus der Vielzahl der bestehenden Lack- und Beschichtungssysteme musste eine Auswahl getroffen werden, die sich auf die wichtigsten Typen beschränkt. Die im Buch verwendeten Rezepturen sind häufig aus Richtrezepten oder Patentbeispielen entwickelt worden und sind nicht als sofort produktionsfähige Lackrezepte zu verstehen. Auf patentrechtliche Einschränkungen und eingetragene Warenzeichen (z.B. ™ oder ®) wird nicht ausdrücklich hingewiesen. Darüber hinaus muss darauf hingewiesen werden, dass sich heutzutage durch Firmenverkäufe Produkt- und Markennamen kurzfristig ändern können. Ziel des vorliegenden Lehrbuchs über Lackformulierung ist es, zukünftige Lacklaboranten oder Ingenieure, Bachelors oder Master mit der Praxis der Lackformulierung vertraut zu machen. Dabei werden die Grundlagen der Chemie sowie ein Basiswissen über Bindemittel, Pigmente und Additive vorausgesetzt. Darüber hinaus soll es auch als Nachschla­gewerk für alle an Lacken und Beschichtungen interessierte Leser dienen. Esslingen und Münster, im Juni 2016 Bodo Müller [email protected]

Ulrich Poth [email protected] 5

Inhaltsverzeichnis

Inhalt Teil I  Grundsätzliches 

13

1 Einführung  1.1 Vorbemerkungen  1.2 Gesichtspunkte des Umweltschutzes  1.3 Lacke als „High-Tech“-Produkte  1.4 Begriffsbestimmungen  1.5 Beschichtungen  1.5.1 Verfestigung von Lacken  1.5.2 Phasengrenzflächen in Beschichtungen  1.6 Adhäsion/Haftung  1.6.1 Benetzung von Substraten  1.6.2 Haftkräfte und -mechanismen  1.6.3 Haftvermittler/Haftschichten  1.6.4 Korrosionsinhibitoren, Korrosionsschutzpigmente und -additive  1.7 Systematik von Lacken  1.8 Literatur 

13 13 13 15 16 17 17 22 23 23 28 33 35 36 40

2 Pigmentdispersionen  2.1 Grundsätzliche Betrachtung von dispersen Systemen  2.2 Stabilisierung von Dispersionen  2.2.1 Elektrostatische Stabilisierung  2.2.2 Sterische Stabilisierung  2.3 Netz- und Dispergiermittel  2.3.1 Dispergiermittel  2.3.2 Netzmittel  2.4 Benetzung von Pigmenten  2.5 Literatur 

41 41 45 46 48 49 50 54 59 62

Lackrezepturformulierung  3.1 Verhältnis Bindemittel/Feststoffe  3.1.1 Pigmentierungshöhe und Pigment-Volumen-­Konzentration  3.1.2 Ölzahl  3.2  Einfluss von Pigmenten auf Lack­eigenschaften  3.3 Rezepturentwicklung  3.4 Anstrichaufbau  3.5 Literatur 

63 64 64 66 68 69 71 74

3

7

Inhaltsverzeichnis

Teil II  Lösemittelhaltige Lacke 

75

1

 ei Raumtemperatur filmbildende Lacke  B 1.1 Physikalisch trocknende Lacke  1.1.1 Lacke auf Basis von Cellulosenitrat  1.1.2 Lacke auf Basis physikalisch trocknender Acrylatharze  1.1.3 Lacke auf Basis von Kautschukderivaten  1.2 Oxidativ härtende Lacke  1.2.1 Oxidative Härtung  1.2.2 Bindemittel für oxidativ härtende Lacke  1.2.3 Sikkative und Antihautmittel  1.2.4 Öllacke  1.2.5 Alkydharzlacke  1.2.6 Epoxidharzesterlacke  1.3 Zwei-Komponenten-Systeme (2K)  1.3.1 2K-Polyurethanlacke (2K-PUR)  1.3.2 2K-Epoxidharz-Lacke (2K-EP)  1.4 Beschichtungen auf Basis von silanterminierten Präpolymeren  1.4.1 Silanterminierte Polyurethane  1.4.2 Silanterminierte Epoxidharze  1.5 Literatur 

75 75 76 82 82 85 85 86 89 91 91 96 98 99 114 126 126 130 133

Einbrennlacke  2.1 Definitionen  2.2 Einbrennlacke auf Basis von Aminoharzen  2.2.1 Aufbau von Aminoharzen  2.2.2 Typen und Eigenschaften von Aminoharzen  2.2.3 Kombinationspartner für Aminoharze  2.2.4 Vernetzungsreaktionen  2.2.5 Katalyse der Vernetzungsreaktionen  2.2.6 Formulierung von Einbrennlacken auf Basis von Aminoharzen  2.3 Einbrennlacke auf Basis von Phenolharzen (Resolen)  2.4 Einbrennlacke auf Basis verkappter Polyisocyanate  2.4.1 Aufbau und Eigenschaften verkappter Polyisocyanate  2.4.2 Kombinationspartner für verkappte Polyisocyanate  2.4.3 Vergleich verkappter Polyisocyanate mit Aminoharzen als Vernetzer  2.4.4 Formulierung von Einbrennlacken auf Basis verkappter Polyisocyanate  2.5 Sonstige lösemittelhaltige Einbrennlacke  2.5.1 Selbstvernetzende Acrylatharze  2.5.2 Selbstvernetzende Polyester  2.5.3 Reaktion von Epoxidgruppen mit Säurederivaten  2.5.4 Siloxane in Einbrennlacken  2.6 Überlackierechtheit  2.7 Literatur 

134 134 134 134 136 141 145 148 149 159 162 162 165 165

2

8

166 171 171 172 172 172 173 176

Inhaltsverzeichnis

Teil III  Wässrige Lacke 

177

1  Wasserlöslichkeit bzw. -dispergierbarkeit von organischen Lackbindemitteln  1.1 Sonderstellung von Wasser als Lacklösemittel  1.2 Polymerverteilungen in Wasser  1.3 Bindemitteldispersionen und -emulsionen  1.3.1 Primärdispersionen  1.3.2 Bindemittelemulsionen  1.3.3 Sekundärdispersionen  1.4 Wässrige Bindemittellösungen  1.4.1 Wasserlöslichkeit von Bindemitteln  1.4.2 Neutralisationsmittel  1.4.3 Colösemittel  1.5 Literatur 

177 177 178 180 180 183 184 187 187 188 190 192

Bei Raumtemperatur trocknende/härtende wässrige Lacke und Beschichtungen  2  2.1 Physikalisch trocknende Anstrichstoffe  2.1.1 Filmbildung von Primärdispersionen  2.1.2 Dispersionslacke  2.2 Fassaden­beschichtungen  2.2.1 Dispersionsfarben  2.2.2 Siliconharzfarben  2.2.3 Silicatfarben (2K)  2.2.4 Dispersionssilicatfarben (1K)  2.3 Literatur 

193 193 193 197 199 199 202 205 206 208

 ei Raumtemperatur härtende wässrige Lacke  B 3.1 Wässrige, oxidativ härtende Lacke  3.1.1 Wässrige Lacke auf Basis von Alkydharzen 3.1.2 Weitere wässrige oxidativ härtende Bindemittel  3.1.3 „Hybrid“-Systeme  3.2 Wässrige Zwei-Komponenten-Systeme  3.2.1 Wässrige 2K-Polyurethan-Lacke (2K-PUR)  3.2.2 Wässrige 2K-Epoxidharz-Lacke  3.3 Literatur 

209 209 209 213 214 216 216 221 229

3



4 Wässrige Einbrennlacke  4.1 Allgemeines zur Formulierung wässriger Einbrennlacke  4.2 Wässrige Einbrennlacke auf Basis von Aminoharzen 4.3 Wässrige Einbrennlacke auf Basis von Phenolharzen  4.4 Elektrophoretische Lackabscheidung  4.4.1 Verfahren der elektrophoretischen Lackabscheidung  4.4.2 Anodische Elektrotauchlackierung (ATL)  4.4.3 Kathodische Elektrotauchlackierung (KTL)  4.5 Literatur 



230 230 231 242 245 245 247 250 257

9

Inhaltsverzeichnis

10

Inhaltsverzeichnis

Teil IV  Lösemittelfreie Lacke

259

1

Zwei-Komponenten-Systeme 1.1 2K-Polyurethan-Beschichtungen 1.2 2K-Epoxidharz-Beschichtungen  1.3 Beschichtungen auf Basis ungesättigter Polyester 1.4 Literatur 

259 259 261 263 266

2

 trahlenhärtende Beschichtungen S 2.1 Definitionen der strahlenhärtenden Beschichtungen 2.2 UV-härtende Beschichtungen 2.2.1 Prinzipien der UV-Härtung 2.2.2 UV-Beschichtungsverfahren 2.2.3 UV-Initiatoren und Sensibilisatoren 2.2.4 Bindemittel der UV-Lacke 2.2.5 Reaktive Lösemittel für UV-Lacke 2.2.6 Eigenschaften und Anwendung von UV-Lacken 2.2.7 Formulierungsbeispiele  2.3 Elektronenstrahlhärtung 2.4 Literatur 

267 267 267 267 268 270 273 276 277 279 281 282

3

Pulverlacke 3.1 Entwicklung der Pulverlacke  3.2 Herstellung von Pulverlacken und allgemeine Eigenschaften 3.3 Applikation von Pulverlacken 3.3.1 Wirbelsinterverfahren 3.3.2 Elektrostatisches Spritzen 3.4 Zusammensetzung und Eigenschaften von Pulverlacken 3.4.1 Thermoplastische Pulverlacke 3.4.2 Vernetzende Pulverlacke 3.4.3 Ausblick für Pulverlacksysteme 3.5 Literatur

283 283 283 287 287 287 289 289 289 304 305

Allgemeine Literaturempfehlungen Lacke und Beschichtungen  Lackrohstoffe  Nachschlage- und Tabellenwerke Spezialgebiete und Vertiefung  Zeitschriften  Internet-Adressen 

307 307 307 307 307 308 308

Autoren

311

Index

313

11

Einführung

Teil I Grundsätzliches 1 Einführung 1.1

Vorbemerkungen

Lacke bzw. Anstrichstoffe sind Halbfabrikate (Zwischenprodukte oder Prozessmaterialien); die End- bzw. Fertigprodukte sind die lackierten Objekte. Lacke bzw. Anstrichstoffe verteilen sich auf verschiedenste Anwendungen (Abbildung I-1.1). Abbildung I-1.1 zeigt deutlich, dass die Bautenanstrichstoffe den Hauptanteil bilden, gefolgt von Industrielacken und anderen Anwendungen. Alle diese verschiedenen Lacksysteme (mit Ausnahme der Druckfarben) werden in diesem Lehrbuch beschrieben und zwar vor allem im Hinblick auf Problemlösungen bei der Formulierung bzw. Rezeptierung von Lacken.

1.2

Gesichtspunkte des Umweltschutzes

Lacke haben in der öffentlichen Meinung leider häufig ein negatives Image, da in der Vergangenheit schützende oder dekorative organische Beschich­tungen meist in lösemittelhaltiger Form appliziert wurden, was zur Emission von organischen Lösemitteln führte. Diesem Negativimage soll in diesem Abschnitt durch die Beschreibung von emissionreduzierenden Maßnahmen, die die Umweltverträglichkeit von Lacken verbessern, entgegengewirkt werden. Eine Senkung der Emission von organischen Lösemitteln während der Lackapplikation ist durch die TA Luft vorgeschrieben und ein aktiver Beitrag zum Umweltschutz. Zur Reduzierung der Emission von organischen Lösemitteln bieten sich bei der Lackformulierung drei Wege an: (siehe folgende Seite)

Absatz in Mio. Euro Bautenschutz

1774

Holz-/Möbellacke

235

Autoserie

645

Autoreparatur

372

Industrie

1364

Korrosionsschutz Schiffsfarben

247

Druckfarben

887

Summe

5524

Abbildung I-1.1: Aufgliederung des Lack- und Druckfarbenabsatzes 2014 (Inland) Quelle: Lack im Gespräch, 122, April 2015

13

Teil I – Grundsätzliches Tabelle I-1.1: Bezeichnung von löse­mittelhaltigen Lacken Für pigmenNichtflüch­tiger tierte Lacke gilt Anteil (in der Regel) (Gew.-%) Low-Solids < 30 Normal-Solids 30 bis 60 Medium-Solids 60 bis 70 > 70 High-Solids (manchmal > 80) Ultra-High-Solids > 90

1.

 igh-Solids-Lacke (d.h. Lacke mit hohem nichtH flüchtigen Anteil und damit geringem Anteil an Lösemitteln) 2. Ersatz von organischen Lösemitteln durch Wasser > Wasserlacke > Dispersionsfarben 3. Lösemittelfreie Lacke > 2-Komponenten-Systeme > strahlungshärtende Beschichtungen > Pulverlacke

Auf alle diese emissionsarmen, umweltfreundlichen Lacksysteme wird in diesem Buch eingegangen. Abbildung I-1.2 zeigt am Beispiel der Automobillackierung, welche Fortschritte in Bezug auf die Reduzierung der Emission von organischen Lösemitteln bei der Lackapplikation in den letzten zwei Jahrzehnten gemacht worden sind [1]. In diesem Zusammenhang sollen Begriffe wie High-Solids-Lacke kurz beschrieben werden (Tabelle I-1.1), wobei neuerdings Ultra-High-Solids hinzugekommen sind. Darüber hinaus kann die Emission von organischen Lösemitteln anderweitig reduziert werden, so bei der Applikation durch Verfahren mit höherem Auftragswirkungsgrad (z.B. elek­ trostatische Lackapplikation) oder durch Lösemitteladsorption.

Korrosionsschutz als Umweltschutzmaßnahme

Die zweite umweltschützende Wirkung von Beschichtungen wird auf den ersten Blick nicht als solche sichtbar. Dies soll am Beispiel der Korrosion von Eisen (unlegiertem Stahl) näher erläutert werden (Abbildung I-1.3). Die atmosphärische Korrosion von Eisen bzw. unlegiertem Stahl (Bildung von Rost: Fe₂O₃ · x H₂O) ist thermo­dynamisch die Umkehrung seiner Herstel­lung. Bei der Eisenherstellung (Hochofenprozess) werden Eisenerz (z.B. Fe₂O₃) und Kohle bzw. Koks (C) verbraucht

Abbildung I-1.2: Gesamtemission (g) von organischen Lösemitteln Erstlackierung von Automobilen (4-Schichtaufbau) in Bezug auf die Oberfläche (m²) der Rohkarosse (Durchschnittswerte; die Jahres­ zahlen können je nach Automobilhersteller variieren).

14

Einführung und das Treibhausgas Kohlen­dioxid (CO₂) emittiert (Abbildung I-1.3). Korrosionsschutz bewirkt eine längere Nutzungsdauer von Werkstoffen (z.B. Stahl), die der Korrosion unterliegen. Damit werden Rohstoff- und Energieresourcen geschont und die Umwelt entlastet. Somit ist jede Art von Korrosionsschutz, z.B. durch Beschichtungen, (neben der Werterhaltung) auch Umwelt­schutz. Beispielsweise werden zur Lackierung eines 1000 kg schweren Autos nur 15 bis 25 kg Lacke benötigt; diese Lackierung bewirkt eine extreme Erhöhung der Nutzungsdauer.

Ganzheitliche Betrachtung von Lacken

Abbildung I-1.4 zeigt eine ganzheitliche Betrachtung von Lacken und Beschichtungen und zwar von der Ressourcenaufbereitung (z.B. Erdölgewinnung) über die Herstellung von Lackrohstoffen und Lacken bis hin zur Entsorgung der lackierten Objekte nach Ablauf ihrer Nutzungsdauer [2]. Alle in Abbildung I-1.4 gezeigten Fertigungsschritte müssen bei der ökologischen Bewertung eines Lacksystems berücksichtigt werden.

1.3

Lacke als „High-Tech“-Produkte

Wie in Kapitel 1.2 schon angesprochen, haben Lacke wegen der Lösemittelemission leider oft ein negatives Image. Über emissionreduzierende Maßnahmen, wie die Einführung von Wasser- oder Pulverlacken (Abbildung I-1.2, oben), wird in den Massenmedien meist nicht berichtet. Dagegen findet in der breiten Öffentlichkeit zur Zeit eine intensive Diskussion über sog. Zukunfts- oder Schlüsseltechnologien statt, worunter an erster Stelle die Informations- und

Korrosion von Eisen 2 Fe + 1,5 0₂ + x H₂0 → Fe₂O₃ · x H₂0 ("Rost")

Herstellung von Eisen 3C + 1,5 O₂ → 3 CO Fe₂O₃ + 3 CO → 2 Fe + 3 CO₂

Energieverbrauch: x C + O₂ → x CO₂

Abbildung I-1.3: Korrosionsschutz als Umwelt­schutzmaßnahme (stark vereinfachte Formel­gleichungen)

Abbildung I-1.4: Ganzheitliche Betrachtung von Lacken und Beschichtungen Ressourcenaufbereitung ist z.B. die Erdölgewinnung. Chemische Grundstoffe sind z.B. Ethylen, Propylen. Chemische Zwischenprodukte sind z.B. Acrylsäure, Epichlorhydrin.

15

Teil I – Grundsätzliches Biotechnologie zu verstehen sind. In letzter Zeit wird in diesem Zusammenhang auch verstärkt die Nanotechnologie genannt. Im Gegensatz zur Lacktechnologie sind die Begriffe Zukunfts- und Schlüsseltechno­logie in der Öffentlichkeit positiv besetzt. Ein Teilbereich der Nanotechnologie sind Nanopartikel, worunter Partikel mit Durchmessern unter 100 nm verstanden werden [3, 4]. Dabei sollten alle Lackfachleute aufhorchen, da viele feinteilige Pigmente oder Füllstoffe nichts anderes als Nanopartikel sind. Altbekannte Lackrohstoffe, wie Rußpigmente oder pyrogene Kieselsäure (siehe Tabelle I-2.3), werden neuerdings mit der Überschrift Nanopartikel versehen [3]. Darüber hinaus gibt es in der Lacktechnologie in Bezug auf Nanostrukturen weitere innovative Denkan­sätze. Genannt sei die Einarbeitung von nanoskaligen Partikeln als verstärkende Füllstoffe in Lackbindemittel [5] und Kieselsäure-Acrylat-Nanokomposite, die bereits zu einem marktfähigen Produkt im Bereich des Bautenschutzes geführt haben [6]. Nanostrukturen können beispielsweise durch geeignete Sol-Gel-Prozesse erzeugt werden [7]. Es existieren also Zusammenhänge zwischen der Nanotechnologie und der Lacktechno­logie, die meist noch gar nicht richtig als solche erkannt worden sind. Auf diese Zusammen­hänge soll hier explizit hingewiesen werden, um das Image von Lacken als – „High-Tech“-Produkte – zu verbessern.

1.4

Begriffsbestimmungen

Die folgenden notwendigen Begriffsbestimmungen, Definitionen und Abkürzungen wurden meist in Anlehnung an DIN bzw. EN erstellt [8, 9]. Beschichtungsstoff ist der Oberbegriff für flüssige bis pastenförmige oder auch pulverförmige Stoffe, die aus Bindemitteln, sowie ggf. zusätzlich aus Pigmenten und anderen Farbmitteln, Füllstoffen, Lösemitteln und sonstigen Zusätzen (Additiven) bestehen. Die wichtigste Untergruppe der Beschichtungsstoffe sind Lacke bzw. Anstrichstoffe. Das Bindemittel ist der nichtflüchtige Anteil des Beschichtungsstoffes, ohne Pigment und Füllstoff, aber einschließlich Weichmachern und nichtflüchtigen Hilfsstoffen. Das Bindemittel verbindet die Pigmentteilchen untereinander und mit dem Untergrund. Der Einfachheit halber können nichtflüchtige Hilfsstoffe (Additive) bei der Berechnung von Lackkenngrößen (Kapitel 3.1) ohne großen Fehler vernachlässigt werden. Farbmittel ist der Oberbegriff für alle farbgebenden Stoffe; sie können gemäß Abbildung I-1.5 weiter unterteilt werden. Ein Pigment ist eine aus Teilchen bestehende, im Anwendungsmedium praktisch unlösliche Substanz, die (dekorativ) als Farbmittel oder (funktional) wegen ihrer korrosionshemmenden oder anderer spezieller Eigenschaften, z.B. magnetischen, verwendet wird. Synthetische anorganische Pigmente (Abbildung I-1.5) können weiter in Weiß-, Schwarz-, Bunt- und Effektpigmente unterteilt werden. Anisometrische Effektpigmente sind z.B. Metalleffekt- und Perlglanzpigmente. In Abbildung I-1.5 sind nur lacktechnisch anwendbare Farbmittel und Effektpigmente aufgeführt. Effektpigmente (manchmal auch Effektpigmente genannt) sind in vielen Fällen neben der Effektgebung auch farbig (z.B. Metalleffektpigmente auf Basis Kupfer oder Messing). Leuchtpigmente wurden hier der Einfachheit halber vernachlässigt. Funktional anorganische Pigmente wie z.B. Korrosionsschutzpigmente, flammhemmende Pigmente, Leitfähigkeitspigmente oder magnetische Pigmente, gehören nicht zu den Farbmitteln und sind deshalb nicht in Abbildung I-1.5 aufgeführt. Ein Füllstoff (Extender) ist eine meist pulverförmige, im Anwendungsmedium praktisch unlösliche Substanz. Eingesetzt wird sie hauptsächlich zur Vergrößerung des Volumens (Verbil16

Einführung ligung), zur Erzielung oder Verbesserung technischer Eigenschaften (z.B. Abrieb- oder Steinschlagbeständigkeit) und/oder Beeinflussung optischer Eigenschaften. Es muss angemerkt werden, dass Füllstoffe nur geringe farbgebende Eigenschaften haben; in speziellen Fällen (z.B. Dispersionsfarben, siehe Teil III, Kapitel 2) werden sie ähnlich wie Weißpigmente zur Erhöhung der Deckfähigkeit eingesetzt (vgl. Abbildung I-1.5). Das Lösemittel ist meist eine aus mehreren Komponenten bestehende Flüssigkeit, die Bindemittel ohne chemische Umsetzung zu lösen vermag. Lösemittel müssen unter den jeweiligen Bedingungen der Filmbildung flüchtig sein. Liegt das Bindemittel nicht gelöst sondern als Dispersion vor, so bezeichnet man die Flüssigphase (häufig Wasser) als Dispersionsmittel (siehe Teil III, Kapitel 1). Ein Additiv (Zusatz- oder Hilfsstoff) ist eine Substanz, die einem Beschichtungsstoff in kleinen Mengen zugesetzt wird, um eine oder mehrere Eigenschaft(en) zu verbessern oder zu modifizieren. Sehr nützlich sind die Kurzzeichen für die Bindemittel­grundlage von Anstrichstoffen (Tabelle I-1.2), die im weiteren Verlauf dieses Buches verwendet werden sollen.

1.5

Beschichtungen

1.5.1

Verfestigung von Lacken

Die Verfestigung (auch Filmbildung genannt) ist der Übergang eines aufgetragenen Lacks vom flüssigen in den festen Zustand. Dabei unterscheidet man zwischen physikalischer

Abbildung I-1.5: Farbmittel

17

Teil I – Grundsätzliches Tabelle I-1.2: Auswahl von Kurzzeichen für organische Bindemittel Kurzzeichen AK SP UP AY CAB CN EP EPE MF PF UF PUR PVAC PVB PVC RUC RUI

Bindemittel Alkydharz gesättigter Polyester ungesättigter Polyester Acrylharz Celluloseacetobutyrat Cellulosenitrat Epoxidharz Epoxidharzester Melamin/ Formaldehyd-Harz Phenol/ Formaldehyd-Harz Harnstoff/ Formaldehyd-Harz Polyurethan Polyvinylacetat Polyvinylbutyral Polyvinylchlorid Chlorkautschuk Cyclokautschuk

Abbildung I-1.6:Vereinfachte Darstellung einer verdünnten Bindemittellösung

18

Trocknung und chemischer Härtung, die auch gleichzeitig oder nacheinander ablaufen können. Durch die Verfestigung geht der vom Lackhersteller als Zwischen­produkt gelieferte Lack über in das Endprodukt, die auf dem Untergrund festhaftende Beschichtung.

Physikalische Trocknung

Die physikalische Trocknung eines aufgetragenen Lacks ist der Übergang vom flüssigen in den festen Zustand unter Abgabe von Lösemitteln (wozu auch Wasser zählt). Die gelösten Bindemittelmoleküle bilden zunächst von Lösemittel durchflutete Polymer-Knäuel (Solvate), die in einer Phase aus freiem Lösemittel beweglich sind (Abbildung I-1.6). Es besteht ein Gleichgewicht zwischen gebundenem Lösemittel und freiem Lösemittel. Deshalb ist der Dampfdruck eines Lösemittels über einer Bindemittel-Lösung geringer als beim reinen Lösemittel. Das Lösemittel – zuerst das freie Lösemittel – verdunstet aufgrund seines Dampfdrucks immer dann auch weit unterhalb seines Siedepunktes, wenn es dank ausreichenden Luftvolumens nicht zum Dampfdruckgleichgewicht in der Gasphase über dem Lackfilm (Luft) kommen kann. Für eine vollständige physikalische Trocknung ist somit ausreichende Belüftung unabdingbar. Als Folge der Abgabe eines Teils des Lösemittels nähern sich die Bindemittelknäuel, gleichzeitig verarmen sie an gebundenem Lösemittel. Schließlich verbinden sich die Solvate an ihren Rändern miteinander; es gibt dann keine Teilchengrenzen mehr und die erste Verfestigungsstufe des Films ist erreicht. Weiteres Lösemittel verdunstet dann immer langsamer. Es kommt zum Schrumpfen und zu weiterer Verfestigung des Films. Geringe Anteile von Lösemitteln bleiben noch recht lange im Film, selbst bei Einbrennlacken; dies wird auch als „Retention“ bezeichnet. Bei Organosolen [Dispersionen in organischen Lösemitteln (NAD = non aqueous dispersions)] verdunsten die als Dispersionsmittel ausgewählten Lösemittel zum Teil. In der Schlussphase des Vorgangs wandelt sich die Dispersion dabei in eine Lösung, und zwar in jenem Teil der Lösemittel, die langsamer verdunsten und die gute Lösemittel für das Polymer darstellen.

Einführung Plastisole (Dispersionen in Weichmachern) verfestigen dadurch, dass bei höheren Temperaturen die Weichmacher die dispergierten Polymere gelieren, d. h. eine homogene Lösung bilden, die dann beim Abkühlen zu einem festen Film erstarrt. Die physikalische Trocknung von wässrigen Dispersionen bildet einen besonderen Fall und wird ausführlich im Kapitel III-1 behandelt. Eine weitere physikalische Verfestigung ist das Abkühlen von aufgeschmolzenen thermoplastischen Pulverlacken (siehe Kapitel IV-3.4.1).

Chemische Härtung

Die chemische Härtung von Lacken ist der Übergang vom flüssigen in den festen Zustand unter Molmassenvergrößerung und Vernetzung. Daher muss die „oxidative Trocknung“ von Alkydharzen streng genommen „oxidative Härtung“ heißen [8]. Voraussetzung für eine chemische Reaktion – und damit auch für die chemische Härtung – ist eine ausreichende Beweglichkeit der zur Reaktion kommenden Moleküle. Dies ist in Gasen und Flüssigkeiten gegeben, bei Feststoffen aber nur an deren Grenzflächen. Flüssige Bindemittel (siehe Teil IV, Kapitel 1) und Schmelzen (siehe Teil IV, Kapitel 3) können daher gut über chemische Reaktionen verfestigen. Einen besonderen Vorteil bilden Lösungen von Bindemitteln. In Lösungen können Bindemittelmoleküle, die sonst einen Feststoff bilden würden, miteinander reagieren. Eine erste Voraussetzung dafür ist, dass die Bindemittelmoleküle durch das Lösemittel verteilt werden und die oben beschriebenen Solvate bilden, die dann in der Phase aus freiem Lösemittel beweglich sind. Die zweite Voraussetzung ist, dass die Bindemittelmoleküle auch bei der chemischen Härtung noch beweglich sind, dass reaktionsfähige Gruppen so aufeinander treffen, d.h. dass chemische Reaktionen ablaufen können. In Reaktionslacken sind es meist zwei Bindemitteltypen (oder auch Bindemittel und Vernetzer), die zur Reaktion miteinander gebracht werden sollen. Dann ist es wichtig, dass solch unterschiedliche Moleküle aufeinandertreffen können. Dafür ist eine Voraussetzung, dass diese Moleküle untereinander verträglich sind. Bei der Verträglichkeit spielen die gleichen Parameter eine Rolle wie bei der Löslichkeit. Bindemittel, bzw. Bindemittel und Vernetzer, sind vor allem dann verträglich, wenn sie ähnliche Strukturelemente aufweisen oder mindestens Strukturelemente ähnlicher Polarität und Löslichkeit. Wenn man nicht ausreichend untereinander verträgliche Bindemittel zusammen bringen will, kann man die Mischungen vorreagieren lassen. Meist gelingt das durch chemische Reaktionen bei höherer Temperatur. Beispiele solcher Vorreaktionen sind die Präkondensation von gesättigten Polyestern mit Harnstoffharzen oder mit Siliconharzen. Ein Präaddukt eines Epoxidharzes mit einem Resol wird in Kapitel III-4.3 ausführlich beschrieben werden. Für das Zusammenkommen der unterschiedlichen Moleküle und deren Reaktion untereinander sind vor allem Diffusionsvorgänge verantwortlich, deren ausreichend schneller Ablauf gewährleistet sein muss. Hochmolekulare, unbewegliche Moleküle vernetzen daher weniger effektiv als niedrigmolekulare, leichter bewegliche. Die chemische Härtung (Vernetzung) wird vor allem bei der industriellen Applikation von Lacken herangezogen, weil dieser Vorgang so beschleunigt werden kann, dass man in relativ kurzen Zeiten gebrauchsfertige Beschichtungen erhält. Solche Zeitvorgaben sind aber auch maßgebend für die Auswahl der chemischen Reaktionen. Diese müssen in der vorgegebenen Zeit vollständig ablaufen. Trotzdem sollen die Lacke möglichst lagerstabil sein. Man wählt daher Systeme aus, die erst bei höheren Temperaturen vernetzen (Einbrennlacke) oder erst nach 19

Teil I – Grundsätzliches Zugabe eines Beschleunigers, Initiators, Katalysators (z.B. säurehärtende Lacke). Darüber hinaus kann man die zur Reaktion kommenden Komponenten bis kurz vor der Applikation trennen (Zweikomponentenlacke). Dispersionen können sehr hochmolekulare Bindemittel enthalten. Das ist zunächst ein Vorteil, wenn man derartige Lacke nur physikalisch trocknen will. Chemische Reaktionen in Dispersionen zu erzielen ist dagegen schwieriger. Wenn man Bindemittel aus Dispersionen, z.B. durch extern zugegebene Vernetzer, zur chemischen Härtung bringen will, müssen die Vernetzer (gelöst oder ebenfalls in disperser Form) zunächst die Grenzfläche der Dispersionsteilchen durchdringen und dann noch so gut über Diffusionsvorgänge in das Teilcheninnere eindringen können, dass chemische Reaktionen überhaupt stattfinden können. Oft werden daher Bindemittel von Dispersionen nur in den Teilchenrändern vernetzt. Eine Möglichkeit sicherzustellen, dass auch disperse Systeme effektiv chemisch vernetzen ist die, bei der man das Dispersionsteilchen aus einer Mischung von Bindemittel und Vernetzer aufbaut. Eine andere Möglichkeit besteht darin, dass man Dispersionen mit einem vernetzendem System kombiniert und auf eine Reaktion der dispersen Bindemittelphase verzichtet. Auch in Pulverlacken gelingt eine effektive Vernetzung nur dann, wenn man Bindemittel und Vernetzer möglichst homogen mischt (Schmelze im Extruder) und dann erst das Pulver herstellt (siehe Kapitel IV-3.2). An dieser Stelle müssen noch Anmerkungen zum Begriff der Emulsion folgen (insbes. zur Abgrenzung gegenüber Dispersionen). Emulsionen sind Zweiphasensysteme mit einer flüssigen dispersen Phase (z.B. Bindemittel) und zumeist Wasser als Dispersionsmittel. Durch physikalische Trocknung alleine bilden Bindemittel-Emulsionen nur dauerklebrige Filme („Fliegenleim“); feste Beschichtungen können mit Bindemittel-Emulsionen ausschließlich durch Härtung (chem. Reaktion) erhalten werden, wie es beispielsweise bei Emulsionen von langöligen (oxidativ härtenden) Alkydharzen oder flüssigen Epoxidharzen (Kapitel III-3.2.2) der Fall ist. Dispersionen hingegen sind Zweiphasensysteme mit einer festen dispersen Phase (z.B. Bindemittel) und vielfach Wasser als Dispersionsmittel (siehe oben). Durch physikalische Trocknung alleine können nur Dispersionen im Gegensatz zu Emulsionen feste Beschichtungen bilden (z.B. Dispersionslacke und -farben, Kapitel III-2.1.2 und III-2.2.1).

Abbildung I-1.7: Einteilung polymerer Kunststoffe

20

Einführung

Organische Bindemittel als polymere Kunststoffe

An dieser Stelle sollen Beschichtungen einmal aus der Sicht der Kunststofftechnik betrachtet werden, was zwar unüblich ist, aber zu interessanten Einblicken führt. Denn im Wesentlichen sind organische Bindemittel in Beschichtungen nichts anderes als polymere Kunststoffe und können wie diese eingeteilt werden (Abbildungen I-1.7 und I-1.8). Durch physikalische Trocknung erhaltene Beschichtungen sind Plastomere, während durch chemische Härtung erhaltene Duromere sind. Elastomere spielen in der Beschichtungstechnik nur eine untergeordnete Rolle und können in diesem Zusammenhang vernachlässigt werden. Plastomere sind thermoplastisch und in geeigneten Lösemitteln löslich. Die Lösegeschwindigkeit von physikalisch getrockneten Beschichtungen ist wegen deren relativ kleiner Oberfläche (planimetrische Oberfläche) meist recht langsam, was von Vorteil ist, aber nicht mit der Löslichkeit verwechselt werden darf. Duromere sind unschmelzbar; bei hohen Temperaturen zersetzen sie sich durch chemische Abbaureaktionen. Darüber hinaus sind Duromere unlöslich; manchmal lässt sich bei gehärteten Beschichtungen eine Quellung durch Lösemittel beobachten, die zu einer (meist reversiblen) Erweichung der Beschichtung führen kann.

Abbildung I-1.8: Schematische Darstellung polymerer Kunststoffe

21

Teil I – Grundsätzliches An dieser Stelle folgen einige Anmerkungen zum Begriff der Elastizität, der in der Lacktechnologie manchmal gedankenlos benutzt wird. Elastizität ist die Eigenschaft fester Stoffe, nach einer Deformation durch Einwirkung äußerer Kräfte wieder in ihren ursprünglichen Zustand überzugehen, was als elastische Rückstellung bezeichnet wird. Plastizität hingegen ist die Eigenschaft fester Stoffe, bei Einwirkung äußerer Kräfte bleibende Verformungen zu zeigen. Plastizität ist viskoses Fließen unter Krafteinwirkung. Polymere Materialien wie z.B. Beschichtungen können sowohl elastisches als auch plastisches Verhalten zeigen; man spricht dann von Viskoelastizität. Wichtige, routinemäßig durchgeführte mechanische Prüfmethoden für Beschichtungen basieren auf dem Prinzip der Verformung von Lackschichten (z.B. Erichsen-Tiefung, Dornbiegeversuch). Gemessen wird hier die Verformbarkeit (Flexibilität) von Beschichtungen und nicht die Elastizität, da keine Prüfung der elastischen Rückstellung erfolgt. Die mit diesen Prüfmethoden gemessene Verformbarkeit (Flexibilität) ist die Summe unbekannter Anteile von Elastizität und Plastizität. In diesem Buch wird deshalb in diesen Fällen der Begriff Flexibilität verwendet.

1.5.2

Phasengrenzflächen in Beschichtungen

Schon unpigmentierte Klarlacke können, z.B. durch ungleichmäßige Vernetzung oder Bindemittel-Entmischung, heterogene Filmstrukturen zeigen [10]. Die Folge dieser Heterogenität können große innere Phasengrenzflächen sein, herrührend von verschiedenen Bindemittelphasen. Darüber hinaus können sich bestimmte funktionelle Gruppen des Bindemittels (z.B. Carboxygruppen) zu polaren Substraten (z.B. Metalloxide) hin orientieren, was ebenfalls eine Heterogenität der Beschichtung bewirkt [10]. Mit Pigmenten bzw. Füllstoffen bekommt man immer heterogene Filmstrukturen und damit große innere Phasengrenzflächen (sog. grenzflächenüberladene Systeme). Beschichtungen zeigen bis zu vier verschiedene Phasengrenzflächen (Abbildung I-1.9). –– Die erste Phasengrenzfläche ist die Bindemittel/Substrat; sie entspricht der planimetrischen Oberfläche des Substrats (ggf. bis zu vier mal größer wegen der Rauhigkeit des Substrats). Die Funktion dieser Phasengrenzfläche ist Haftung (bei metallischen Substraten auch Korrosionsschutz). –– Die zweite Phasengrenzfläche ist die Bindemittel/Pigment bzw. Füllstoff; sie kann wegen der hohen spezifischen Oberfläche von Pigmenten (bis 100 m²/g) sehr groß werden (vgl. Tabelle I-2.3). Diese Phasengrenzfläche ist für den inneren Verbund der Beschichtung verantwortlich und kann die mechanischen Eigenschaften (z.B. Steinschlagbeständigkeit) mit beeinflussen. Eine pigmentierte Beschichtung lässt sich deshalb auch als (sehr dünner) Verbundwerkstoff bezeichnen. Darüber hinaus kann diese Phasengrenzfläche auch die korrosionsschützenden Eigenschaften der Beschichtung beeinflussen [20]. –– Die dritte Phasengrenzfläche ist die Bindemittel/Atmosphäre (bei Unterwasseranstrichen auch Wasser). Die Größe dieser Phasengrenzfläche entAbbildung I-1.9: Vereinfachte Darstellung spricht etwa der planimetrischen Oberfläche der einer unterkritisch pigmentierten Beschichtung auf einem Substrat (Querschnitt) Beschichtung. Von größter praktischer Bedeutung 22

Einführung ist, dass die Bewitterung einer Beschichtung an dieser Phasengrenzfläche (ggf. auch in Bereichen dicht darunter) abläuft. –– Zusätzlich kann es auch noch Phasengrenzflächen Bindemittel/Bindemittel geben, falls das Bindemittel aus verschiedenen Phasen besteht. In der Regel weicht die Bindemittelstruktur an allen Grenzflächen von der Struktur der Volumen-Bindemittelphase („bulk“) ab, worauf oben auch schon hingewiesen wurde.

1.6

Adhäsion/Haftung

Die Haftfestigkeit ist ein Maß für den Widerstand einer Beschichtung gegen ihre mechanische Abtrennung vom Untergrund (Einheit: Kraft/Fläche, N/mm² bzw. MPa). Die dauerhafte Haftung (auch bei Feuchtigkeitseinwirkung) einer Beschichtung auf dem Untergrund und innerhalb des Schichtaufbaus ist für die Schutzwirkung (z.B. Korrosionsschutz) erste Voraussetzung. Eine Ausnahme sind die sog. Abziehlacke (temporäre Transportschutzbeschichtungen).

1.6.1

Benetzung von Substraten

Notwendige (aber nicht hinreichende) Voraussetzung für eine gute Haftung ist eine ausreichende Benetzung des Untergrunds/Substrats durch den flüssigen Beschichtungsstoff bei der Applikation. Die Grenzfläche Substrat/Luft (Oberfläche) wird dabei in eine Grenzfläche Substrat/Flüssigkeit (Grenzfläche zwischen zwei kondensierten, nicht mischbaren Phasen) umgewandelt. Bei der anschließenden Trocknung bzw. Härtung des Lackfilms wird dieser fest (Abbildung I-1.10). Da der Begriff der Benetzung auch bei der Benetzung von Pigmenten (Kapitel 2.3) wichtig ist, muss er ausführlicher besprochen werden.

Oberflächen- und Grenzflächenspannung

In einer Flüssigkeit wie z.B. Wasser sind alle Moleküle im Innern der Flüssigphase gleichmäßig von Nachbarmolekülen umgeben. Damit sind diese Moleküle in allen Raumrichtungen den gleichen anziehenden Wechselwirkungen ausgesetzt, die sich gegenseitig aufheben (Abbildung I-1.11). An der Grenzfläche Wasser/Luft verändern sich diese Verhältnisse grund­

Abbildung I-1.10: Phasengrenzflächen auf festen Substraten (keine maßstäbliche Darstellung)

23

Teil I – Grundsätzliches legend, da hier ein Wassermolekül nur noch in der Grenzfläche und zum Flüssigkeitsinneren hin von anderen Wassermolekülen umgeben ist. Damit heben sich nicht mehr alle Anziehungskräfte auf; auf das Wassermolekül wirkt vielmehr eine Kraft, die in das Flüssigkeitsinnere weist (Abbildung I-1.11). Diese Kraft bewirkt, dass die Flüssigkeitsoberfläche möglichst klein wird. Ein Flüssigkeitstropfen im schwerelosen Raum ist daher kugelförmig, da die Kugel bei maximalem Volumen eine minimale Oberfläche besitzt. Diese Kraft muss quantifiziert werden. Unter der Grenzflächenspannung (γ) versteht man nun diejenige Kraft, die an 1 m einer gedachten, in der Grenzfläche zwischen zwei Phasen befindlichen Linie wirkt [Kraft/Länge = N/m; Angabe meist in mN/m, früher dyn/cm]. Ist eine Phase Luft, spricht man auch von einer Oberflächenspannung. Um die Oberfläche einer Flüssigkeit zu vergrößern, müssen Moleküle aus dem Inneren an die Oberfläche gebracht werden; d.h. Anziehungskräfte müssen über­wunden werden, was Arbeit bzw. Energieaufwand erfordert. Die folgende Umformung zeigt, dass eine Energie pro Fläche gleich einer Kraft pro Länge ist; d.h. die Oberflächenspannung gibt auch die Oberflächenenergie wieder, so als: Energie Fläche

=

J N·m N = = = m² m² m

Kraft Länge

d.h. Grenz- bzw. Oberflächenspannung

Beispiele für Oberflächenspannungen von Flüssigkeiten (Grenzflächenspannungen gegen Luft) werden in Tabelle I-1.3 gegeben. Je höher die Oberflächenspannung, desto höher ist die Kohäsion in der jeweiligen Phase, d.h. desto stärker die Wechselwirkungen der Atome bzw. Moleküle miteinander. Wassermoleküle sind durch Wasserstoffbrücken stark assoziiert, was eine hohe Kohäsion und damit hohe Oberflächenspannung bewirkt; die Wasseroberfläche verhält sich wie eine „Haut“. Je unpolarer die Flüssigkeiten sind, desto geringer wird dann auch ihre Oberflä­chenspannung.

Abbildung I-1.11: Kräftediagramm zur Erklärung der Oberflächenpannung

Abbildung I-1.12: Benetzung einer Festkörperoberfläche durch eine Flüssigkeit γS γL γSL Θ

24

Oberflächenspannung des Substrats (Feststoff) Oberflächenspannung der Flüssigkeit Grenzflächenspannung zwischen Substrat und Flüssigkeit R  andwinkel (Kontakt- bzw. Benetzungswinkel) der Flüssigkeit auf dem Substrat

Einführung Tabelle I-1.3: Oberflächenspannungen [mN/m] von Flüssigkeiten Oberflächen­ spannung Flüssigkeit [mN/m] Bemerkung Quecksilber 500 flüssiges Metall Wasser 73 Epoxidharze 45 – 60 Melaminharze 42 – 58 Alkydharze 33 – 60 Acrylharze 32 – 40 Butylglykol 32 Xylol 29 – 30 Testbenzin 26 – 27 Butylacetat 25 Butanol 23 Testbenzin aromatenfrei 18 – 22 Hexan 18

Tabelle I-1.4: Kritische Oberflächen­ spannungen [mN/m] von (festen) Substraten Oberflächen­ spannung Substrat [mN/m] Bemerkung Glas 73 Phosphatierter 43 – 46 Stahl PVC 39 – 42 Verzinnter ca. 35 Stahl Aluminium 33 – 35 32 – 39 Polyethylen 28 – 29 Polypropylen Stahl (unbe29 handelt) 19 Silicone bis Polydimethylsiloxan 24 Polytetrafluor19 ethylen

Benetzung

Die Benetzung einer Festkörperoberfläche (Substrat) durch eine Flüssigkeit ist vereinfacht in Abbildung I-1.12 dargestellt. Ein Maß für die Benetzung ist der Randwinkel Θ zwischen dem Festkörper und einem aufgetragenen Flüssigkeitstropfen (Abbildung I-1.12). Je kleiner der Randwinkel Θ, desto besser ist die Benetzung. Der Benetzungsvorgang wird durch die Young’sche Gleichung beschrieben: γS = γSL + γL · cos Θ Für die Spreitung, gleichbedeutend mit dem Auseinanderlaufen des Flüssigkeitstropfens auf dem Substrat, gilt Θ = 0° und damit cos Θ = 1. Eingesetzt in die Young’sche Gleichung ergibt sich γS = γSL + γL bzw. γL = γS - γSL. Daraus folgt: Soll eine Flüssigkeit (z.B. Lack) die Oberfläche eines festen Substrats benetzen, muss ihre Oberflächenspannung niedriger als die des Substrats sein (γL < γS). Mit anderen Worten, wenn eine Flüssigkeit eine höhere Oberflächenspannung als das Substrat hat, kann keine Benetzung erfolgen. In der Literatur findet man bei Metallen häufig Angaben von Oberflächenspannungen zwischen einigen Hundert und einigen Hundert mN/m (siehe Quecksilber in Tabelle I-1.3); diese Werte beziehen sich aber auf die flüssigen Metalle bei den jeweiligen Schmelztemperaturen [25]. Für die Benetzung ist jedoch die Oberflächenspannung (bei Raumtemperatur) der festen, mit Oxid- und Adsorbatschichten überzogenen Metalloberflächen wichtig (Tabelle I-1.4) Die kritische Oberflächenspannung von Feststoffen (Glas, Metall, Kunststoff) lässt sich indirekt über Benetzungsversuche (Messung von Randwinkeln, Zismann-Methode) bestimmen und ist in Tabelle I-1.4 angegeben [25 – 28]. Bei Substraten sind mögliche Veränderungen der Oberfläche (z.B. Oxidschichten, Formtrennmittel usw.) zu berücksichtigen, die einen großen Einfluss auf die Oberflächenspannung haben können (siehe Abbildung I-1.13). 25

Teil I – Grundsätzliches Tabelle I-1.5: Randwinkel von Wasser auf unterschiedlichen Aluminiumoberflächen Randwinkel Aluminium­ oberfläche Θ (± 5°) walzblank 63 22 gebeizt mit handels­ üblichem Beizmittel gebeizt mit NaOH 31

Metalloberflächen

Wenn die Voraussetzung für eine Benetzung γL < γS streng gilt, dann dürfte Wasser auf Metalloberflächen nicht spreiten (vgl. relativ niedrige Oberflächen­ spannungen von Metall­oberflächen in Tabelle I-1.4). Das zeigen Randwinkelmessungen von Wassertropfen auf unterschiedlich vorbehandelten Aluminiumblechen (Tabelle I-1.5); Wasser benetzt zwar in allen Fällen, aber in keinem Fall erfolgt Spreitung. Abbildung I-1.13 zeigt modellhaft eine Aluminiumoberfläche [11], die – wie alle Oberflächen von Gebrauchsmetallen – besser als Aluminiumoxidoberfläche bezeichnet werden sollte. Wenn die Kriterien für Abbildung I-1.13 streng gelten würden, müsste die hydratisierte Aluminiumoxid­oberfläche von Wasser vollständig benetzt werden, was aber nicht der Fall ist (Tabelle I-1.5). Abbildung I-1.13 stellt eine Vereinfachung der wahren Situation dar; ESCA/XPS-Messungen zeigen nämlich, dass unterschiedlich vorbehandelte Aluminiumoberflächen neben Aluminium und Sauerstoff einen erheblichen Anteil an Kohlenstoff aufweisen, der wahrscheinlich aus der Umgebung adsorbiert wurde (z.B. Kohlendioxid oder Kohlenwasserstoffe) [12, 15]. Zu schließen ist daraus, dass es noch kein klares Bild über die Struktur von Metalloberflächen gibt; sicher ist aber, dass Metalloxide vorliegen.

Abbildung I-1.13: Hydratisierte Aluminium(oxid)oberfläche (stark vereinfachte Modellvor­stellung) Ähnliche Verhältnisse für Fe/Fe₂O₂

26

Einführung

Kunststoffoberflächen

Noch komplizierter sind technische Kunststoffoberflächen aufgebaut [11]. Bei Kunststoffen besteht oft das Problem, dass die Volumeneigenschaften (Eigenschaften des Grundwerkstoffs, „bulk“) nicht den Oberflächeneigenschaften entsprechen. Die Ursachen dafür können sowohl in der Zusammensetzung des Kunststoffs als auch im Herstellungs- bzw. Verarbeitungsverfahren liegen. Meist hat man hier eine energiearme Oberfläche (niedrige Oberflächenspannung) vorliegen, was eine unzureichende Benetzbarkeit zur Folge hat.

Zusammensetzung von Kunststoffen

Viele Kunststoffe enthalten niedrigmolekulare Bestandteile, wie Additive (z.B. Stabilisatoren), Reste von Lösemitteln und teilweise Weichmacher. Alle diese Komponenten können, wenn sie an der Oberfläche vorhanden sind, die Lackhaftung beeinträchtigen. Viele niedrigmolekulare Bestandteile neigen auch dazu, zur Oberfläche zu wandern (migrieren) und sich dort anzureichern. Dadurch bildet sich an der Kunststoffoberfläche eine Trennschicht (Abbildung I-1.14).

Herstellungs- bzw. Verarbeitungsverfahren von Kunststoffen

a. Formtrennmittel Damit sich gespritzte oder gepresste Kunststoffteile problemlos von der Form trennen lassen, werden interne und externe Trennmittel eingesetzt. Interne Form­trenn­mittel werden bereits dem Kunststoffgranulat zugemischt und sind damit im ganzen Kunststoffteil verteilt; ein Anschleifen der Oberfläche ist dann nutzlos. Interne Form­trenn­mittel erzeugen Oberflächen, die schwer oder nicht benetzbar sind. Externe Form­trenn­mittel werden dagegen in das geöffnete Werkzeug gesprüht; sie basieren auf Paraffinen, Seifen und Ölen (auch Siliconöl). Bedingt durch die Verarbeitung befinden sich externe Form­trenn­ mittel später dann nicht nur in der Oberflächenschicht sondern auch in darunter liegenden Schichten. b. Verarbeitungsbedingte Oberflächeneigenschaften Beim Spritzgießen oder Pressen von Kunststoffteilen können sich Oberflächeneigenschaften ausbilden, die nicht mit den Volumeneigenschaften identisch sind. Diese Materialzonen werden in der Praxis als Spritz- oder Presshaut bezeichnet. Es handelt sich dabei um sehr glatte und verdichtete Oberflächen (orientierte Schichten, Abbildung I-1.14).

Verbesserung der Benetzung

Insbesondere bei Wasserlacken ist häufig γL > γS, was zu einer unzureichenden Benetzung führt. Es bieten sich grundsätzlich zwei Wege an, die Benetzung zu verbessern: –– Erniedrigung der Oberflächenspannung des Wassers (γL) durch Zusatz von Netzmitteln (siehe Kapitel I-2.3.2). –– Erhöhung der Oberflächenspannung des Subs­ trats (γS). Bei Metallen bietet sich hierfür z.B. das Phosphatieren an (siehe Tabelle I-1.4). Demgegenüber erzeugt die Oxidation von Kunststoffoberflächen (z.B. durch Beflammen) polare Gruppen (z.B. -OH, -COOH) auf der Oberfläche und erhöht somit ebenfalls die Werte für γS. Eine Abbildung I-1.14: Technische Kunstausführliche Beschreibung der Oberflächenvorbe- stoffoberfläche (Querschnitt) 27

Teil I – Grundsätzliches reitung bzw. -behandlung für verschiedenste Kunststoffe gibt [11]. Manchmal genügt schon Anschleifen oder Schmirgeln bzw. Reinigen mit Lösemitteln oder geeigneten wässrigen Reinigern, um die Benetzbarkeit von Kunststoffoberflächen zu verbessern. Darüber hinaus können bei der Kunststofflackierung noch haftungsfördernde Primer appliziert werden. Beispielsweise lassen sich Polyolefine (niedrige Oberflächenspannung, Tabelle I-1.4) mit chlorierten Polymeren beschichten, was die Oberflächenspannung erhöht.

1.6.2

Haftkräfte und -mechanismen

Bis heute gibt es noch keine alle Erscheinungen umfassende Adhäsionstheorie; nur Teilbereiche können theoretisch erklärt werden. Allerdings ist eine nur teilweise theoretische Deutung von Phänomenen wie Haftung bzw. Enthaftung immer noch besser als gar keine.

Adhäsion/Kohäsion

Die Adhäsion wird definiert als die Wirkung von Anziehungskräften an der Grenzfläche zwischen unterschiedlichen festen Phasen. Die Adhäsion ist eine Energie pro Fläche (vgl. Oberflächenspannung) in [J/m²] oder [N/m]. Im Gegensatz dazu ist die Haftfestigkeit eine Kraft pro Fläche in [N/m²] bzw. MPa. Das Gegenstück zur Adhäsion ist die Kohäsion; hierunter versteht man die Wirkung von Anziehungskräften innerhalb einer Phase (hier Lackfilmphase). Kohäsion ist ganz allgemein die Bezeichnung für den Zusammenhalt von Stoffen und ist damit als ein Sonderfall der Adhäsion anzusehen, bei der nur gleichartige Teilchen aneinander haften.

Schadensbilder

Beim Haftungsverlust von Beschichtungen können – je nach Stärke von Adhäsion und Kohäsion – folgende Schadensbilder auftreten. Adhäsion < Kohäsion Adhäsionsbruch: Adhäsion > Kohäsion (erwünscht) Kohäsionsbruch: beide Bruchbilder: Adhäsion ≈ Kohäsion Bruch im Substrat: Adhäsion bzw. Kohäsion > Substratfestigkeit (selten)

Abbildung I-1.15: Adhäsionsarten

28

Einführung Es muss allerdings darauf hingewiesen werden, dass viele Adhäsionsbrüche in Wirklichkeit Kohäsionsbrüche sind und zwar in einer grenzflächennahen Lack­schicht mit geringerer Festigkeit („weak boundary layer“), was man optisch häufig nicht erkennen kann. Die Zusammensetzung des Lacks bzw. die Anordnung der Polymermoleküle in der grenzflächennahen Schicht unterscheidet sich häufig von der in der „reinen“ Lackfilmphase (Volumeneigenschaften, „bulk“). Beispielsweise bildet sich so zwischen einem auf dem Substrat chemisorbierten Polymer (Monolage) und der Polymerphase eine Zone geringerer Festigkeit. Der Einfachheit halber wird dieses unerbild auch als Adhäsionsbruch wünschte Schadens­ bezeichnet.

Tabelle I-1.6: Bindungstypen und -energien [13] Bindungstyp Ionisch (Salzbildung) Kovalente Bindungen Permanente Dipole (Keesom) Induzierte Dipole (London) Dispersionskräfte (London) Wasserstoff­ brücken

Bindungs­ energie [kJ/mol] 600 – 1000 60 – 700 < 20 90° ergäbe sich eine negative Benetzungsgeschwindigkeit. Zusätzlich kann man noch Gleichung I-2.2 für die maximale Steighöhe hmax. von Flüssigkeiten in rundzylindrischen Kapillaren zur (näherungsweisen) Beschrei­bung der Benetzung von Pigment- bzw. Füllstoffagglomeraten heran­ziehen [14]. Bei Erreichen von hmax. befinden sich Kapillar- und Schwerkraft im Gleichgewicht (Gl. I-2.2). h = max.

2 · γL · cos Θ ρ · rP · g

(Gl. I-2.2)

ρ: Dichte der der flüssigen Phase g: Erdbeschleunigung Die Abhängigkeit der maximalen Steighöhe hmax. vom Randwinkel Θ und von der Oberflächenspannung γL (und damit der Einfluss von Netzmitteln) ist analog zur Washburn-Gleichung (Gl. I-2.1). Allerdings ist die Abhängigkeit der maximalen Steighöhe hmax. vom Radius rp umgekehrt wie in der Washburn-Gleichung (Gl. I-2.1): Je kleiner der Radius (der Kapilla­ ren), desto größer ist die Steighöhe, d.h. das Eindring­vermögen der flüssigen Phase in das Innere der Pigmentagglomerate. In feinteilige Pigmente (rp klein) sollte also die flüssige Phase weiter eindringen als in grobteilige (rp größer; Gl. I-2.2). Allerdings liefert Gleichung I-2.2 für hmax. keine Angaben zu der Zeit, in der der Vorgang abläuft; die Zeitabhängigkeit wird nur durch die Washburn-Gleichung beschrieben (Gl. I-2.1). Als Resümee aus Gleichung I-2.1 und I-2.2 kann man festhalten, dass in Agglomeraten feinteiliger Pigmente die flüssige Phase weiter, aber langsamer eindringt, während bei grobteiligen Pigmenten das Eindringen der flüssigen Phase weniger weit, aber dafür schneller vonstatten geht. Netzmittel haben auf den Eindringvorgang dank Verkleinerung des Randwinkels Θ einen positiven Einfluss. 61

Teil I – Grundsätzliches In der Praxis erleichtert man das vollständige Eindringen der Bindemittellösung in die Hohlräume der Pigmentagglomerate auch durch „Einsumpfen“ des Mahlguts über Nacht.

2.5 Literatur [1] [2] [3] [4] [5] [6] [7] [8] [9]

62

Wo.  Ostwald, Die Welt der vernachlässigten Dimensionen, 12. Aufl., Verlag Th. Steinkopff, 1944 Broschüre „Kolloide“ (Topics in Chemistry), BASF AG, 1995 D. H. Everett, Basic Principles of Colloid Science, RSC Paperbacks 1988 Datenblätter der Bayer AG über Eisenoxid­ rotpigmente K. Köhler, C. W. Schläpfer, Chemie in unserer Zeit, 27, 1993, Nr. 5, S. 248-255 M. Knospe, W. Scholz, Farbe & Lack 96 (1990) S. 120 ff. R Jérôme, Farbe & Lack 98 (1992) S. 325 – 329 A. Bouvy, Europ. Coat. Journ. 11/1996, S. 822 – 826 J. M. Reck, L. Dulog, Farbe & Lack 99 (1993) S. 95 ff.

[10] Th.  Brock, M. Groteklaes, P. Mischke, B. Strehmel, Lehrbuch der Lacktechnologie, 4. Aufl., Vincentz Verlag 2012 [11] H. Kittel, Lehrbuch der Lacke und Beschichtungen, Bd. 8, 2. Aufl., Hirzel 2004 [12] U. Demlehner, Farbe & Lack 95 (1989) Nr. 10, S. 708 – 714 [13] J. M. Oyarzún, Handbuch der Pigmentver­ arbeitung – Physikalisch-chemische Grund­ lagen, Vincentz Verlag, 1998 [14] B. Müller, Farbe & Lack 105 (1999) Nr. 1, S. 102 – 107 [15] S. Ljesic, Diplomarbeit, Hochschule Esslingen 2005 [16] C. Arz, Farbe & Lack, 104 (1998) Nr. 1, S. 49 ff.

Lackrezepturformulierung

3 Lackrezepturformulierung Jede zu entwickelnde Beschichtungszusammensetzung muss anforderungsgerecht sein, d.h. sich an den Forderungen des Kunden (z.B. Eigenschaften der Beschichtung, Substrat, Applikation), der Umwelt usw. orientieren. Die Kunst des Bearbeiters ist es nun, unter Berücksichtigung dieser Forderungen aus der Vielzahl der angebotenen Lackrohstoffe die geeignetsten auszuwählen und damit ein Lackrezept zu formulieren. Die Rezepturentwicklung – oder wie man heute auch sagt – das Rezepturdesign erfolgt in der Regel in einem Lacklabor. Ziel dieses Lehrbuches ist es unter anderem, z.B. Studenten einschlägiger Fachrichtungen auf die berufliche Praxis vorzubereiten. Daher muss man sich zuerst über die Arbeitsabläufe in einem betrieblichen Lacklabor klar werden [1]. Mittlerweile fließen bei der Lackentwicklung immer mehr statistische Versuchsplanungen ein, siehe [6]. In Abbildung I-3.1 ist der Versuch gemacht, diese Arbeiten schematisch vereinfacht darzustellen. Jede Lackentwicklung beginnt mit einer Problem- bzw. Aufgabenstellung. Daraus ergibt sich durch gedankliche Arbeit ein Lackrezept, das im Labor dann hergestellt wird und zu einem Lackmuster führt. Dieses Lackmuster wird auf das jeweilige Substrat appliziert, getrocknet bzw. gehärtet und die so erhaltene Beschichtung wird dann geprüft. Die erhaltenen Prüfergebnisse werden mit den sich aus der Problemstellung ergebenden Anforderungen verglichen, sie stimmen aber meistens damit noch nicht ganz überein. D.h. es schließen sich in der Praxis Optimierungsschritte in Bezug auf das Lackrezept an und der in Abbildung I-3.1 aufgezeigte Cyclus wird meist viele Male durchlaufen; die Optimierungs­ schritte werden dabei in der Regel von Cyclus zu Cyclus kleiner. „Input“ in diesen Lackentwicklungs-Cyclus ist die Problemstellung, „Output“ das Ergebnis (das Lackrezept) [1].

Abbildung I-3.1: Lackentwicklungs-Cyclus

63

Teil I – Grundsätzliches Ein Kalkulationsrezept enthält alle Angaben über die stoffliche Zusammensetzung eines Lacks; es wird für 100 Gew.-Teile formuliert. Im Kalkulationsrezept werden die Rohstoffe üblicherweise in folgender Reihenfolge angegeben: Bindemittel, Pigmente und Füllstoffe, Additive, Lösemittel. Ein Fertigungsrezept wird für die jeweilige Menge formuliert und enthält zusätzlich noch Angaben zum Herstellungsverfahren. Im Fertigungsrezept werden die Rohstoffe in der Reihenfolge ihrer Zugabe angegeben. In der betrieblichen Praxis schließen sich an das Rezept meist noch Angaben an über die Eigenschaften des Lackes bzw. der Beschichtung, über die entsprechenden Prüfmethoden und über zulässige Toleranzen. In die Leitlinien zur Lackrezepturformulierung einbezogen sind einige physikalische Grundparameter, die die technologischen Eigenschaften eines Anstrichs bzw. Lackfilms stark beeinflussen: –– Pigmentierungshöhe und Pigment-Volumen-Konzentration –– Teilchengröße und Packung von Pigmenten bzw. Füllstoffen Darüber hinaus spielen natürlich die Art (chemische Zusammensetzung) von Bindemitteln und Pigmenten bzw. Füllstoffen sowie die physikochemischen Wechselwirkungen zwischen Pigment- bzw. Füllstoffoberflächen und Bindemitteln (d.h. die Qualität des „Verbundwerkstoffs“ Lackfilm) eine große Rolle.

3.1

Verhältnis Bindemittel/Feststoffe

3.1.1

Pigmentierungshöhe und Pigment-Volumen-­ Konzentration

Nur der nichtflüchtige Anteil (nfA) eines Lacks verbleibt nach der Filmbildung in der Beschichtung (der nfA wird häufig noch als „Festkörper“ bezeichnet). Wichtige Rezepturparameter, wie Pigmentierungshöhe, Pigment-Volumen-Konzentration (PVK) und das Gewichtsverhältnis von Bindemitteln, beziehen sich immer auf den nichtflüchtigen Anteil (nfA). Unter der Pigmentierungshöhe versteht man das Gewichts-Verhältnis von Pigmenten sowie Füllstoffen zu Binde­mittel (nfA): P/B. Die Pigment-Volumen-Konzentration (PVK) ist das Verhältnis von Pigmentvolumen zum Gesamtvolumen des (getrockneten) Anstrichfilms [Vol.-%]; dabei wird unter Pigmentvolumen die Summe aus Pigment- und Füllstoffvolumina verstanden. VP + VF PVK = · 100 % VP + VF + VBm VP: Volumen der Pigmente Volumen der Füllstoffe VF: VBm: Trockenfilmvolumina aller Bindemittel (Summe aus Filmbildnern und 2K-Härtern, Weichmachern, Zusatzharzen usw.) Die Volumina (V) berechnen sich als Quotient aus Masse (m) und Dichte (ρ): m V= ρ 64

Lackrezepturformulierung Tabelle I-3.1: Gemittelte Trockenfilmdichten von gängigen Lackbindemitteln

Bindemittel Styrol-Acrylate SP, AK, EP, CAB, PF, AY, PUR, PVAC, CN UF, MF RUC

Trocken­ filmdichte [g/cm3] ca. 1,1 ca. 1,2 ca. 1,5 ca. 1,6

Tabelle I-3.2: Vereinfachtes Kalkulationsrezept für einen Einbrennlack Gew.-Teile Rohstoff 51,0 SP, 60 % in Solvesso 150/ Butylgykol 5,0 HMMM, ca. 100 %ig 35,6 Titandioxid Rutil 8,4 Lösemittel + Additive* 100,0 Summen

nfA 30,6 5,0 35,6 – 71,2

* In diesem ersten Beispiel sind der Einfachheit halber die Lösemittel und Additive nicht einzeln aufgeführt, da dies für die durchgeführten Berechnungen nicht notwendig ist. Beispiele für Bindemittel: Vialkyd AN 950 (SP) und Cymel 300 [HMMM: Hexakis(methoxymethyl)melamin]

Die Dichten von Pigmenten und Füllstoffen sind in den entsprechenden Datenblät­tern der Hersteller angegeben. Gemittelte Trockenfilmdichten von gängigen Binde­mitteln können der Tabelle I-3.1 entnommen werden [2]. Diese gemittelten Trockenfilmdichten sind für eine näherungsweise Berechnung der PVK ausrei­chend. Es ist zu beachten, dass bei angelösten Lackbinde­mitteln in den Datenblättern meist die Dichte der Anlöseform und nicht die Trocken­film­dichte zu finden ist. Beispielsweise haben glänzende Decklacke eine PVK von 10 bis 20 %, matte Disper­sionsfarben dagegen eine PVK von 40 bis 85 %. Lasuren können auch eine PVK von unter 10 % haben.

Kritische Pigment-Volumen-Konzentration

Die kritische Pigment-Volumen-Konzentration (KPVK) ist diejenige PVK, bei der die Bindemittelmenge gerade noch ausreicht, die Pigmente und Füllstoffe vollständig zu benetzen und deren Zwischenräume auszufüllen. Pigmente und Füllstoffe liegen dabei in dichtester Packung vor. Wird die KPVK überschritten, nimmt die Porosität des Lackfilms rasch zu. Die

Abbildung I-3.2: Eigenschaften der oxidativ gehärteten Beschichtungen in Abhängig­keit von der Pigmentierungshöhe

65

Teil I – Grundsätzliches Lage der kritischen PVK hängt stark von den Korngrößen(verteilungen) und Kornfor­men der eingesetzten Pigmente und Füllstoffe ab. Bei Dispersionsfarben liegt die KPVK bei ca. 60 %. An anderen Stellen dieses Buches werden REM-Aufnahmen von Beschichtungen oberhalb der KPVK gezeigt, die diese Porosität sichtbar machen (Abbildungen II-2.23, III-2.4 und III-2.6). Der Einfluss der PVK bzw. Pigmentierungshöhe auf die Eigenschaften von Beschichtungen soll an einem Beispiel verdeutlicht werden. Es wird ein oxidativ härtender Lack (langöliges Alkydharz) mit Eisenoxidrot : Bariumsulfat-Füllstoff = 1 : 1 gewählt. Die Pigmentierungs­höhen werden zu P/B = 1 : 1 und 4 : 1 festgelegt. Die PVK berechnet sich zu 21 % und 51 %. Die Eigenschaften der daraus hergestellten Beschichtungen sind in Abbildung I-3.2 zusammengefasst. Mit zunehmender Pigmentierungshöhe wird die Beschichtung deutlich weniger flexibel und der Glanz nimmt drastisch ab. Die Härte ändert sich wenig. Der praktische Umgang mit Pigmentierungshöhe und PVK wird an folgendem ersten Rechen­ beispiel verdeutlicht (in den weiteren Kapiteln des Buches werden noch mehr Rechen­beispiele folgen). Gegeben ist ein vereinfachtes Kalkulationsrezept für einen Einbrennlack (Tabelle I-3.2); unter einem Kalkulationsrezept wird in diesem Buch ein Rezept mit 100 Gew.-Teilen verstanden. In der Regel werden in Rezepturen alle Zahlen nur auf eine Stelle hinter dem Komma angegeben. Die Gew.-Teile (nfA) sind häufig in Richtrezepturen nicht angegeben und müssen berechnet werden. Berechnung der Pigmentierungshöhe: (Summe) Pigment (+ Füllstoffe): 35,6 Summe Bindemittel (nfA): 30,6 + 5,0 = 35,6 → Pigmentierungshöhe P/B = 35,6 : 35,6 = 1 : 1 Berechnung der PVK (Dichte Titandioxid Rutil 4,1 g/cm³; Trockenfilmdichten der Bindemittel siehe Tabelle I-3.1) PVK =

35,6/4,1 35,6/4,1 + 30,6/1,2 + 5/1,5

· 100 % = 23 %

Diese Berechnung der PVK hat nur Näherungscharakter, da die exakte Dichte des vernetzten Bindemittels (SP + HMMM) nicht gemessen wurde. Sie ist aber für viele An­wendungen ausreichend genau.

3.1.2

Abbildung I-3.3: Vereinfachte Darstellung der Kalottenmodelle von Leinöl (als Ester von Glycerin mit Öl-, Linol- und Linolensäure) und Stickstoff

66

Ölzahl

Unter der Ölzahl (auch Öladsorption oder OZ genannt) versteht man diejenige Menge an tropfenweise zugegebenem Leinöl (festgelegter Qualität, Säurezahl ca. 2,8 mg KOH/g), die eine bestimmte Menge Pigment bzw. Füllstoff beim Kneten mit einem Spatel auf einer Glasplatte bis zum Netzpunkt adsorbiert (DIN ISO 787 T.5); Ölzahl: g Leinöl/100 g Pigment. Eine Übertragung der Ölzahl auf andere Bindemittel ist – auch unter Beachtung unterschiedlicher Dichten – nicht zulässig, da die spezifische Benetzungs-

Lackrezepturformulierung Tabelle I-3.3: Daten von Pigmenten und Füllstoffen Primärteilchen Durchmesser, BET-Ober Ölzahl KPVK durchschnittfläche [g Leinöl/ Dichte (ρP) (für Leinöl Pigment bzw. Füllstoff lich [nm] [m²/g] 100 g] [g/cm³] [Vol.-%] Gasruß 13 460 620 1,8 8 Flammruß 95 20 280 1,8 16 Phthalocyaninblau 1 50 72 50 1,6 54 Phthalocyaninblau 2 100 36 45 1,6 56 gefälltes Calciumcarbonat 80 20 40 2,8 45 Marmormehl (CaCO₃) 2500 3,4 19 2,7 65 transparentes Eisenoxidrot 20 100 40 4,5 34 deckendes Eisenoxidrot 300 6 24 5,0 44

wirkung nicht berücksichtigt ist. Die Bestimmung der Ölzahl unterliegt großen Schwankungen (Absolutwerte bis zu 50 %). Tabelle I-3.3 zeigt deutlich, dass mit zunehmender spezifischer Oberfläche (BET) auch die Ölzahl ansteigt – aber nicht im gleichen Ausmaß. Mögliche Erklärungen dafür sind: –– Die Ölzahl charakterisiert nicht nur die Grenzfläche der Pigmente zu Leinöl, sondern auch das bei maximaler Packungsdichte zwischen den Pigmentteilchen vorhandene Volumen. Weiter besteht ein Zusammenhang zwischen der Ölzahl und der kritischen Pigment-Volumen-Konzentration (siehe unten). –– Vermutlich kann Leinöl insbesondere bei feinteiligen Pigmenten nur auf einem geringeren Anteil als der dem Stickstoff verfügba­ren Oberfläche adsorbiert werden. Dies wird durch die Annahme verständlich, dass das sehr kleine Stickstoffmolekül auch noch in extrem feinen Poren von Pigmentagglo­meraten absorbiert werden kann, in die das wesentlich größere Leinölmolekül nicht mehr ein­zudringen vermag; ein Größen­vergleich der beiden Moleküle macht dies plausibel (Abbildung I-3.3). –– Die Leinöladsorption kann – im Gegensatz zur unspezifischen Stickstoffadsorption – auch von der Polarität (Oleophilie) der Pigmentoberfläche beeinflusst werden. Als Zwischenergebnis kann daher festgehalten werden, dass die spezifische Oberfläche (nach BET) von Pigmenten und Füllstoffen die Größe der Phasengrenzflächen in Lacken nur

Abbildung I-3.4: Vergleich von deckenden, transparenten Pigmenten und Farbstoffen

67

Teil I – Grundsätzliches Tabelle I-3.4: Deckende und transparente Pigment-Typen

Pigment Typ Phthalocyaninblau transparent Eisenoxidrot transparent deckend Eisenoxidgelb transparent deckend Titandioxid Rutil transparent deckend * nadelförmig

Primärteilchendurchmesser, durchschnittlich [nm] 50 20 300

näherungsweise beschreibt. Lacktechnisch wichtiger ist die Ölzahl, die als Kenngröße für den Bindemittelbedarf von Pigmenten und Füllstoffen gilt. Aus der Ölzahl (OZ) lässt sich auch die KPVK (für Leinöl) berechnen (Werte siehe Tabelle I-3.3); dabei ist ρP die Dichte des Pigments und ρL die Dichte von Leinöl (0,93 g/cm³). ρP · OZ KPVK = 100 / (1 + ) ρL · 100

20 1500 x 100 * 10 bis 20 250 bis 300

Rechenbeispiel zur Berechnung der KPVK für deckendes Eisenoxidrot (ρP = 5,0 g/cm³): 5 · 24 KPVK = 100 / (1 + ) 0,93 · 100

KPVK = 43,7 ≈ 44 %

3.2 E  influss von Pigmenten auf Lack­ eigenschaften Hinweise auf den Einfluss der Teilchengröße von Pigmenten auf Lackeigenschaften sollen an dieser Stelle kurz eingefügt werden. Tabelle I-3.4 zeigt, dass die grobteiligen Pigmente deckend, die feinteiligen hingegen transparent sind. Geht man gedanklich zur kleinst möglichen Teilchengröße, dann kommt man zum Einzelmolekül; es liegt dann eine molekulardisperse Lösung vor und damit ein löslicher Farbstoff.

Abbildung I-3.5 (links): Packungsdichte von Pigment- und Füllstoffteilchen (keine maßstabsgerechte Darstellung) Abbildung I-3.6 (rechts): Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme von Talkum [3]

68

Lackrezepturformulierung Die Teilchengröße von Pigmenten hat aber noch weitere Konsequenzen (Abbildung I-3.4). Das Problem der Wetter- bzw. Lichtechtheit existiert nur bei organischen Pigmenten und Farbstoffen; anorganische Pigmente sind meistens lichtstabil (Abbildung I-3.4). Lösliche Farbstoffe sind so wenig lichtstabil, dass sie für Außenanwendungen nicht in Frage kommen. Farbruße absorbieren Strahlung im gesamten Spektrum des sichtbaren Lichts und zeigen bei höheren Einsatzmengen ein gutes Deckvermögen. Feinteilige Farbruße sind bei niedriger Einsatzmenge transparent und können in Lasuren eingesetzt werden. Farbruße sind auch extrem wetterbeständig und stellen unter den Pigmenten einen Sonderfall dar. Die Packungsdichte ist bei Verwendung von Pigmentteilchen unterschiedlicher Größe (heterodispers) größer als bei der Verwendung gleich großer Partikel (isodispers). Abbildung I-3.5 zeigt, dass bei einer heterodispersen Packung die KPVK ansteigt, da die Zwischenräume zwischen den größeren Teilchen durch kleine ausgefüllt werden. Auch mit plättchenförmigen Füllstoffen (z.B. Talkum, Abb I-3.6) kann man die pigmentarmen Zwischenräume füllen (Abbildung I-3.5); Barrierewirkung siehe unten. Plättchenförmige (lamellare) Pigmente dienen auch als passive Korrosionsschutzpigmente, da sie für Korrosionstimulatoren die Diffusionswege verlängern (Abbildung I-3.7). Darüber hinaus schützen sie das Bindemittel im Innern der Beschichtung vor Licht und damit vor Photooxidation. Geeignete plättchenförmige (lamellare) Pigmente sind z.B. Aluminiumpigmente oder Eisenglimmer (Abb. I-3.8), die bevorzugt in Decklacken von Korrosionsschutzbeschichtungsaufbauten eingesetzt werden.

3.3

Rezepturentwicklung

Die formale Vorgehensweise bei der Entwicklung einer einfachen Lackrezeptur ist Inhalt dieses Abschnitts. Das folgende Beispiel soll modellhaft eine Rezepturentwicklung verdeutlichen. Vorgegeben ist eine Aufgabenstellung; das Ziel ist die Erstellung eines Kalkulationsrezepts. Aufgabe: –– Einbrenndecklack weiß –– P/B = 0,6 : 1 (Pigmentierungshöhe) –– AK : MF = 7 : 3 (nfA/nfA) –– nfA bei Lieferviskosität (ca. 80 sec DIN 4): 60 bis 65 %

Abbildung I-3.7: Barrierewirkung von plättchenförmigen Pigmenten (keine maßstabs­gerechte Darstellung)

Abbildung I-3.8: Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme von Eisenglimmer

69

Teil I – Grundsätzliches Den ersten Schritt zur Lösung dieser Aufgabe zeigt Abbildung I-3.9; zu Beginn dieser Rezepturentwicklung werden die nichtflüchtigen Anteile mit 63 % festgelegt (dies ist eine willkürliche Abschätzung; etwa Mittelwert der Vorgabe). Der nächste Schritt besteht im Auswählen der Bindemittel-Typen, wobei die Verträglichkeit geprüft sein muss. Alkydharz: kurzöliges, nicht trocknendes, gilbungsbeständiges AK, z.B. Worléekyd C 628 (70 % in Xylol) Melaminharz: reaktives Melaminharz, z.B. Maprenal MF 580 (55 % in Alkoholen) Daraus ergibt sich: AK (nfA) 27,6 Gew.-Teile → 39,4 Gew.-Teile (70 %ig) MF (nfA) 11,8 Gew.-Teile → 21,5 Gew.-Teile (55 %ig) Als Lösemittel werden Aromaten, Methoxypropanol und etwas Butylglykolacetat (Hochsieder, Verlaufmittel) gewählt; auf weitere Additive und Abtönpigmente wird in diesem ersten Beispiel der Einfachheit halber verzichtet. Damit kann das Kalkulationsrezept erstellt werden (Tabelle I-3.5). Die PVK kann aus dem Kalkulationsrezept berechnet werden (Näherungsrechnung). PVK =

23,6/4,1 23,6/4,1 + 27,6/1,2 + 11,8/1,5

· 100 % = 15,7 %

Das Fertigungsrezept für 600 g Lack ist in Tabelle I-3.6 aufgeführt (Zahlen gerundet). Der Einfachheit halber wird das gesamte Alkydharz ins Mahlgut genommen; im Betrieb würde die Menge an Alkydharz durch Versuche minimiert werden, um die Maschinenlauf­zeit zu verkürzen (Energieersparnis). Darüber hinaus werden die Hochsieder ins Mahlgut genommen, um Verdunstungsverluste während des Dispergierens zu minimieren. Alle Lösemittelmengen können bei der ersten Rezepterstellung nur abgeschätzt werden; d.h. Lösemittel sind beim Laboransatz portionsweise zuzugeben, um ein Überverdünnen vermeiden. Ggf. müssen die Lösemittelzugabemengen nach unten oder oben hin korrigiert werden; d.h. die nichtflüchtigen Anteile können sich leicht verändern. Bei den auf den ersten Ansatz folgenden Optimierungsschritten kann die Lösemittelzugabe im Rezept dann genauer angegeben werden.

Abbildung I-3.9: Rezepturentwicklung Einbrenndecklack weiß (alle Angaben bezogen auf nfA)

70

Lackrezepturformulierung Tabelle I-3.5: Kalkulationsrezept Einbrenndecklack weiß; stark vereinfachtes Modell-Rezept (ohne Rheologieadditiv bzw. Abtönpigmente) Gew.-Teile 39,4 21,5 23,6 5,0 6,5 3,0 1,0 100,0

Rohstoff Worléekyd C 628 (70 %) Maprenal MF 580 (55 %) Titandioxid Rutil Xylol Solvesso 100 Methoxypropanol Butylglykolacetat Summe

nfA 27,6 11,8 23,6

63,0

flüchtig 11,8 9,7 5,0 6,5 3,0 1,0 37,0

Tabelle I-3.6: Fertigungsrezept für 600 g Einbrenndecklack weiß Gew.-Teile 237 6 18 12 142

Rohstoff bzw. Halbfabrikat Worléekyd C 628 (70 %) Butylglykolacetat Methoxypropanol Solvesso 100 Titandioxid Rutil 1. Dissolver, 2. Perlmühle bis 5 bis 10 µm Kornfeinheit 3. Auflacken 129 Maprenal MF 580 (55 %) 27 Solvesso 100 30 Xylol (bis 80 sec DIN 4) 600 Summe Aufbau des Beschichtungsstoffes [%] Bindemittel (nfA) 39,4 23,6 Pigmente und Füllstoffe (nfA) 37,0 Lösemittel (gesamt) – Additive (nfA)

3.4

Anstrichaufbau

Die von einem Anstrich insgesamt geforderten Eigenschaften können in der Regel nicht von einer Anstrichschicht allein erfüllt werden; d.h. mehrere aufeinander abgestimmte Anstrichschichten werden notwendig (Anstrichaufbau). Die verschiedenen Anstrichschichten können wie folgt bezeichnet werden. 1. Grundanstrichstoff (Grundlack, Grundierung); seine Funktionen sind: ºº „Fundament“ des Anstrichaufbaus ºº Haftung (Verbund) Substrat-Anstrich ºº Schutz des Substrats (Untergrunds) vor Umwelteinflüssen (z.B. Korrosion) ºº Schutz nachfolgender Anstrichschichten vor Einwirkungen des Substrats (z.B. vor der Alkalität von Beton oder vor der Weichmacherwanderung aus Kunststoffen): Sperrschicht 2. Zwischenanstrichstoff (Vorlack, Füller, Funktionsschicht) ºº Verstärkung der Sperrwirkung des Grundanstrichs 71

Teil I – Grundsätzliches ºº Schaffen eines optimalen Untergrunds für den Deckanstrich: Abdecken, Egalisieren von Unebenheiten des Untergrunds Schleifbarkeit sollte gegeben sein ºº Schicht für die Aufnahme mechanischer Belastungen (Steinschlag) 3. Deckanstrichstoff (Decklack) ºº Schutz des Anstrichaufbaus vor Einwirkungen von „außen“: Wetterbeständigkeit (z.B. UV-Licht, Regen bzw. Luftfeuchtigkeit) Chemikalienbeständigkeit (z.B. Akkumulator-Schwefelsäure, Vogelkot) Lösemittelbeständigkeit (z.B. Treibstoff) ºº optische Eigenschaften: Farbgebung Glanz Eine Abstimmung der einzelnen Schichten aufeinander ist erforderlich. Es gilt die Faustregel „von mager nach fett“. Die Pigmentierungshöhe im Grundlack übertrifft also die des Decklacks (Tabelle I-3.7), damit die Flexibilität im Grundlack niedriger ist als im Decklack (siehe

Abbildung I-3.10: Anstrichaufbau von Autolackierungen Basislacke: Metallic 10 bis 15 µm, Uni bis 30 µm

Abbildung I-3.11: REM-Aufnahme einer Phosphatierungsschicht auf Stahl

72

Abbildung I-3.12: REM-Aufnahme eines Querschnitts durch eine Automobillackierung (Dreischichtaufbau)

Lackrezepturformulierung auch Abbildung I-3.2 oben). Umgekehrt würde man auf einem flexibleren Grundlack mit einem spröden Decklack einen Reißlack erzeugen. Die Gesamtschichtdicken von Anstrichaufbauten gehen beim schweren Korrosionsschutz bis 1000 µm (1 mm); im Stahlwasserbau und bei der Behälterinnenbeschichtung u.U. noch höher. Anstrichaufbauten von Autolackierungen sind in Abbildung I-3.10 dargestellt. Abbildung I-3.11 zeigt einen Querschnitt durch einen Metallicaufbau.

Tabelle I-3.7: Grobe Richtwerte für Pigmentierungs­höhen von oxidativ härtenden Lacken Anstrichstoff Grund­ anstrichstoff Zwischen­ anstrichstoff Deck­ anstrichstoff

Pigmentierungshöhe (P/B) (2 bis 4) : 1 (1,5 bis 2,5) : 1 (0,1 bis 1) : 1

Alle Lackschichten bei der Autolackierung sind meist hochvernetzte Einbrennlacke. Die hauptsächlichen Funktionen der einzelnen, optimal aufeinander abgestimmten Autolackschichten (Abbildung I-3.10) sind: 1. Phosphatierung (Konversionsschicht, Metallvorbehandlung) Haftvermittlung und Korrosionsschutz 2. Kathodische Elektrotauchlackierung (KTL) Korrosionsschutz 3. Füller Abdecken des Untergrunds Steinschlagschutz 4. Bei den Decklacken gibt es zwei Varianten, den einschichtigen Uni-Decklack und die Zweischicht-Metalliclackierung (Abbildung I-3.10). a. E  inschichtdecklack Farbgebung, Glanz Schutz vor Bewitterung, Chemikalien und Lösemitteln b. Zweischicht-Metalliclackierung ºº Metallicbasislack Farb- und Effektgebung ºº Klarlack Glanz, Schutz vor Bewitterung, Chemikalien, Lösemitteln und mechanischen Belastungen (Kratzbeständigkeit).

Abbildung I-3.13: REM-Aufnahme eines Querschnitts durch eine Automobillackierung (Vierschichtaufbau)

Abbildung I-3.14: REM-Aufnahme der Oberfläche einer Eisenbahnwagonbeschichtung nach langer Bewitterungsdauer

73

Teil I – Grundsätzliches Das Beispiel Autolackierung zeigt, wie kompliziert ein Anstrichaufbau sein kann. Darüber hinaus gibt es neuerdings weitere, von denen in Abbildung I-3.10 abweichende Anstrichaufbauten für Autos, beispielsweise den Zweischichtaufbau für den „Smart“. Hier geht man aus von ca. 20 µm KTL und 70 bis 80 µm Pulverdecklack; im Steinschlagbereich der Karosserie wird partiell noch ein Pulverfüller aufgetragen. Die einzelnen Autolacke werden in den jeweiligen Kapiteln des Buches noch genauer beschrieben werden. Als Beipiele für Autobeschichtungen werden REM-Aufnahmen in den Abbildungen I-3.11 bis I-3.13 gezeigt [5]. Im Zusammenhang mit Decklacken war in diesem Abschnitt immer wieder von Bewitterungsbeständigkeit die Rede. Zur Illustration zeigt Abbildung I-3.14 als Schadensbild die rasterlektronenmikroskopische Aufnahme einer stark im Freien bewitterten Beschichtungsoberfläche [3]. Man kann deutlich erkennen, dass das Bindemittel durch Fotooxidation abgebaut wurde und Pigment- und Füllstoffpartikel auf der Oberfläche „freigelegt“ wurden [4].

3.5 Literatur [1] [2] [3] [4]

74

B.  Müller, Farbe & Lack, 106, Nr. 3 (2000) [5] S. 62 ff. H. Saechtling, Kunststofftaschenbuch, [6] 23. Ausg., S. 527, Hanser Verlag, 1986 Ph. Hofmann, R., Hofmann, Projektarbeit, Hochschule Esslingen 2009 Auf Bewitterung, Fotooxidation und Maß­ nahmen zur Verbesserung der Bewitterungsbeständigkeit wird ausführlich in „B. Müller, Additive kompakt“, Vincentz Network, 2009 und in B. Müller, Farbe + Lack, 116 (2010) Nr. 12, S. 30 ff. eingegangen.

C. Friedrich, Projektarbeit, Hochschule Esslingen Esslingen 2010 A. Rössler, Lackentwicklung mit statistischer Versuchsplanung, Vincentz Network, 2011

Bei Raumtemperatur filmbildende Lacke

Teil II Lösemittelhaltige Lacke 1 Bei Raumtemperatur filmbildende Lacke Lösemittelhaltige Lacke, die bei natürlichen Umgebungstemperaturen oder bei den in Gebäuden herrschenden Temperaturen Filme bilden, werden als „bei Raumtemperatur filmbildende (trocknende oder härtende) Lacke“ bezeichnet. Oft sind für diese Lacke Minustemperaturen (in °C) als Trocknungs- oder Härtungsbedingungen ausgeschlossen. Diese Gruppe von Lacken umfasst die Produkte, die ausschließlich durch eine physikalische Trocknung – d.h. nur durch Abgabe von Lösemitteln – Filme bilden, aber auch Systeme, die reaktionsfähige Gruppen enthalten, mit denen bei Umgebungstemperaturen die zu Filmbildung führenden Härtungsreaktionen (Vernetzungreaktionen) stattfinden.

1.1

Physikalisch trocknende Lacke

Lösemittelhaltige Lacke, die als Bindemittel gelöste Polymere enthalten, aus denen nur durch Lösemittelabgabe Filme entstehen, werden als „physikalisch trocknende Lacke“ bezeichnet. Um ausreichende Filmeigenschaften zu erhalten, handelt es sich bei den Bindemitteln fast ausschließlich um hochmolekulare Polymere, die dann noch aufgrund ihrer detaillierten molekularen Struktur die Eigenschaft haben, Lösemittel sehr schnell abzugeben. Solche Bindemittel haben den Nachteil, dass sie relativ viel Lösemittel benötigen, um die daraus hergestellten Lacksysteme in einen verarbeitungsfähigen Zustand (je nach Applikationsverfahren) zu bringen. Sie erfüllen daher oft nicht mehr die Forderungen aus den VOC-Regelungen. Aber trotz dieses Nachteils und obwohl sie in den Beständigkeitseigenschaften von den Reaktionslacken übertroffen werden, spielen physikalisch trocknende Lacke dank ihrer guten Lagerstabilität und ihrer einfachen Handhabung immer noch eine Rolle bei der Herstellung und Verarbeitung von Lacksystemen. Die Bindemittel, aus denen physikalisch trocknende Lacke hergestellt werden, sind [1 – 3]: –– Cellulosenitrat –– Andere Celluloseester –– Polyvinylhalogenide und ihre Mischpolymerisate –– Polyvinylester –– Polystyrol –– Kohlenwasserstoffharze –– Kautschukderivate –– Hochmolekulare Epoxidharze –– Polyamide –– Polycarbonate

75

Teil II – Lösemittelhaltige Lacke Die physikalische Trocknung mit schneller Lösemittelabgabe beruht oft auf der Eigenschaft von Polymermolekülen, leicht molekulare Assoziate (bis zur Teilkristallinität) zu bilden, die dann auch zu negativen Filmeigenschaften (Sprödigkeit) führen können. Viele der physikalisch trocknenden Polymere benötigen daher für ihren Einsatz in Lacksystemen die Zugabe von Weichmachern. Zusätzlich werden oft auch noch andere Bindemittelkomponenten benötigt, um die Füllkraft der genannten Polymere zu erhöhen. Für bestimmte physikalisch trocknende Lacksysteme müssen auch höhere Temperaturen eingesetzt werden (Organosole, Plastisole).

1.1.1

Lacke auf Basis von Cellulosenitrat

1.1.1.1

Aufbau und Eigenschaften von Cellulosenitrat

Die natürliche Cellulose, Gerüstbaustoff fast aller Pflanzen, bildet gemäß Abbildung II-1.1 ein hochmolekulares Kohlehydrat aus immer wiederkehrenden Einheiten von über β-1,4Glucosid-Brücken verknüpften Glucoseresten [4]. Es handelt sich um gestreckte, hochassoziierte und sehr große Molekülketten (106 g/mol). Aufgrund ihrer Molekülstruktur (sehr hohe Molmasse, Teilkristallinität) ist natürliche Cellulose nicht lösemittellöslich und nicht filmbildend. Es wurde schon sehr früh versucht Cellulose in für die Lackindustrie brauchbare Produkte umzuwandeln. Den größten Erfolg ergaben die Herstellung und der Einsatz von Cellulosenitrat (CN). Cellulosenitrat wird fälschlich oft als Nitrocellulose bezeichnet. Cellulosenitrat enthält aber Estergruppen und keine Nitrogruppen. Cellulosenitrat [1 – 3] wird aus Cellulose (früher fast ausschließlich aus den Baumwoll-Linters, die nicht zu Textilgarnen verarbeitet werden konnten, heute aber mehr aus KoniferenholzCellulose) durch Behandlung mit Nitriersäure bei erhöhter Temperatur gewonnen (Veresterungsverfahren). Nitriersäure ist ein Gemisch aus Schwefelsäure, Salpetersäure und Wasser (Eine zur Cellulosenitrat-Gewinnung geeignete Nitriersäure besteht z.B. aus: 57 % konzentrierter Schwefelsäure, 25 % konzentrierter Salpetersäure, 18 % Wasser.). Je nach Konzentration der Bestandteile, der Temperatur und der Behandlungszeit werden unterschiedlich viele OH-Gruppen der Cellulose in Salpetersäureester umgewandelt und gleichzeitig die Größe der Molekülketten abgebaut. Cellulosenitrat fällt nach der Abtrennung der wässrigen Phase des Herstellungsprozesses als flockiger Feststoff an, in der Umgangssprache noch oft als „Collodiumwolle“ oder nur als „Wolle“ bezeichnet. Cellulosenitrat ist explosiv und unterliegt daher bestimmten Sicherheits-

Abbildung II-1.1: Molekularer Aufbau der Cellulose (ß-1,4-Glycosid)

76

Bei Raumtemperatur filmbildende Lacke Tabelle II-1.1: Stickstoffgehalt in Abhängigkeit vom Veresterungsgrad

Tabelle II-1.2: Stickstoffgehalt und Veresterungsgrad der Cellulosenitrattypen

Anzahl der Nitrat­gruppen pro Struktur­ element

Theoretischer Gehalt an Stickstoff im CN

Cellulose­ nitrat-Typ

Gehalt an Stickstoff

Estergruppen pro Struktur­einheit

1

6,76 %

A

10,9 – 11,3 %

1,18 – 1,23

2

11,11 %

M

11,3 – 11,8 %

2,06 – 2,20

3

14,14 %

E

11,8 – 12,3 %

2,20 – 2,33

bestimmungen. Es wird nur angefeuchtet und zwar in Alkanolen (fast immer in n-Butanol, meist 1 : 2 mit Cellulosenitrat) oder in Kombination mit Weichmacher in Form von Chips gehandelt und gelagert. Die verschiedenen Typen des Cellulosenitrats unterscheiden sich im Nitratgehalt (Grad der Veresterung) und in der mittleren Molmasse, die sich deutlich auf die Lösungsviskostät auswirkt. Der Grad der Veresterung ist über den Stickstoffgehalt bestimmbar (siehe Tabelle II1.1). Der Veresterungsgrad beeinflusst deutlich die Löslichkeit und Verträglichkeit. Cellulosenitrat-Typen [8] mit hohem Veresterungsgrad sind gut löslich in Estern, Ketonen und Glykoletherestern und verschneidbar mit Alkoholen und Aromaten (siehe Abbildung II-1.2). Diese E-Typen des Cellulosenitrats sind gut verträglich mit verschiedenen anderen Bindemitteln. Cellulosenitrat-Typen mit geringerem Veresterungsgrad (A-Typen des Cellulosenitrats) sind gut löslich in Alkoholen, Glykolethern, Estern und Ketonen, geringer verschneidbar und mit anderen Bindemitteln geringer verträglich. Es gibt dazu noch Zwischentypen (M-Typen des Cellulosenitrats). Eine Übersicht der Merkmale von Cellulosenitrat-Typen zeigt Tabelle II-1.2. Die jeweiligen Molmassen der Cellulosenitrat-Typen machen sich in ihren Lösungsviskositäten bemerkbar. Die europäischen Hersteller haben sich zu einer Klassifizierung bekannt, die in der DIN ISO 14446 festgelegt ist. Definiert werden dort, – neben den Buchstaben – Angaben zum Veresterungsgrad, der Gehalt an nichtflüchtigem (vorgetrocknetem) Cellulosenitrat einer Lösung in Aceton (mit 5 % Wassergehalt), die im Kugelfallviskosimeter eine Viskosität von 400 ± 25 mPa·s ergibt. Die verschiedenen Cellulosenitrat-Hersteller schließen sich in der Bezeichnung ihrer Produkte dieser Definition an, oder sie wählen dafür Viskositätszahlen definierter Anlösungen, wie in Tabelle II-1.3 veranschaulicht ist.

Abbildung II-1.2: Molekülaufbau eines esterlöslichen Cellulosenitrats

77

Teil II – Lösemittelhaltige Lacke Tabelle II-1.3: Beispiele: Handelstypen und Bezeichnungen gängiger Cellulosenitrate [8] DIN 53 179 Norm-Bezeichnung 4E

%-Gehalt der Hersteller Messlösung Hagemann Hercules Wolff 4,0

H4

RS 1300”

E 1440

9E

9,0

H9

RS 15”

E 950

25 E

25,0





E 510

27 E

27,0

H 27

RS ¼”



28 E

28,0





E 400

27 A

27,0

AH 25

SS ½”

A 500

27 M

27,0





AM 500

Die Molmasse der verschiedenen Cellulosenitrat-Typen wirkt sich nicht nur auf die Viskosität und damit den Verarbeitungsfestkörper (nfA) aus. Größere Viskosität Reißder Cellulosenitrat-Moleküle können aufgrund ihrer VerMesslösung Dehnung festigkeit knäulung relativ flexible Filme bilden, kleinere Mo[%] [mPa·s] [N/mm²] leküle führen zu spröden Filmen. Diese Eigenschaft 1440 24 – 30 98 – 103 ergibt sich aus der Messung von Dehnfähigkeit und 1160 23 – 28 98 – 103 Reißfestigkeit von Cellulosenitratfilmen und lässt 950 23 – 28 88 – 98 sich in Abhängigkeit der Viskosität entsprechender Messlösungen darstellen (siehe Tabelle II-1.4 [5]). 840 20 – 25 88 – 98 Niedrigmolekularere, d.h. niedrig-viskosere Cellu620 12 – 18 78 – 88 losenitrat-Typen müssen daher mit Weichmachern 560 10 – 15 74 – 84 oder plastifizierend wirkenden Bindemitteln kombi510 8 – 12 69 – 78 niert werden. Cellulosenitrat gibt sehr schnell Lösemittel ab und ist 400 5 – 10 59 – 69 daher für schnell trocknende Lacksysteme vorgese375 100 Doppelhübe Bleistifthärte: F Flexibilität: T-Bend 0,5 i.O. 157

Teil II – Lösemittelhaltige Lacke Tabelle II-2.7: Formulierung eines weißen glänzenden Coil-Coating-Decklack Pos. Bestandteil Produkt Dispergieransatz 01 Polyesterlösung Uralac SN 831 S2SG3-60 (60 %ig in SE/BBG) [DSM] Kronos 2160 [Kronos] 02 Titandioxid 03 Dispergiermittel Disparlon L 1984 N (50 %ig in SN) [King Ind.] 04 Aromatisches Solvesso 150 [Exxon] Lösemittel 05 Butylglykol [BASF] Auflacken 06 Polyesterlösung Uralac SN 831 S2SG3-60 (60 % in SE/BBG) [DSM] 07 HMMM-Harz Cymel 303 [Allnex] 08 p-Toluolsulfonsäure- K-Cure (40 %ig in IP) Lösung [King Ind.] 09 nichtion. block. Dynapol BL 1203 p-Toluolsulfonsäure (50 % in X) [Evonik] 10 Aromatisches Solvesso 150 [Exxon] Lösemittel 11 Butylglykol [BASF] Summe

nfA Lösemittel Rezeptur [m-%] [m-%] [m-%] 11,07

18,45

33,10 0,29

33,10 0,58 6,92 2,31

16,68

27,80

4,96 0,23

0,35

4,96 0,58

0,93

0,92

1,85

23,68

2,59

7,79 32,74

0,86 100,00

67,26

Rezepturanalyse: Die Bindemittelbestandteile haben eine mittlere Dichte von 1,115 g/cm³. Aus den Mengenanteilen von Bindemitteln und Pigment errechnet sich die Pigment-Volumen-Konzentration (PVK) nach der Gleichung II-2.3 mit 25 Vol-% 

(Gl. II-2.3)

Das Verhältnis von Polyester zu Melaminharz beträgt 85 : 15 (Gleichung II-2.4)  (Gl. II-2.4) 

158

Einbrennlacke

2.3

Einbrennlacke auf Basis von Phenolharzen (Resolen)

Phenolharze werden durch Umsetzung von Phenol mit Formaldehyd hergestellt. Dabei erhält man je nach Reaktionsbedingungen und Molverhältnissen Novolake oder Resole (Abbildung II-2.13 und 14). Ein Nachteil aller Phenolharze ist ihre mehr oder weniger ausgeprägte Eigenfarbe, die dekorative Anwendungen meist ausschließt. Novolake (Abbildung II-2.13) sind nicht selbsthärtend. Sie werden als physikalisch trocknende Bindemittel, z.B. in Elektroisolierlacken, eingesetzt. Doch sollen Novolake nicht Thema dieses Abschnitts sein sondern die selbsthärtenden Resole (Abbildung II-2.14). Der Angriff von Formaldehyd am Phenolring kann in ortho- oder in para-Stellung zur Hydroxygruppe erfolgen. Anstelle von Phenol können bei Resolen (Abbildung II-2.14) auch andere Phenolderivate, wie Alkylphenole, Resorcin oder Bisphenol A, in Betracht kommen. Hervorzuheben ist die gute Haftung von Resolen auf Metallen, was modellhaft durch Bildung von Oberflächenchelaten des ortho-Hydroxybenzylalkohol-Strukturelements (siehe Abbildung II-2.14) erklärt werden kann [23]; siehe auch Kapitel I-1.6.2. Eine mögliche Formel für solch einen Komplex wird in Abbildung II-2.15 gezeigt (6-Ring-Chelat). Neuere Molekülrech-

Abbildung II-2.13: Vereinfachte Darstellung von Novolaken

Abbildung II-2.14: Vereinfachte Darstellung von Resolen

Abbildung II-2.15: Mögliche Chelatkomplexbildung von Resolen auf einer Metall(oxid)oberfläche

159

Teil II – Lösemittelhaltige Lacke nungen lassen auch ein zweites PF-Metall-Chelat plausibel erscheinen (8-Ring-Chelat in Abbildung II-2.15). 8-Ring-Chelate sind zwar in der Regel weniger stabil als 6-Ring-Chelate, könnten aber zumindest in Betracht gezogen werden (vgl. Kapitel I-1.6.2). Die Veretherung der Methylolgruppen, z.B. mit n-Butanol, führt zu mit aromatischen Kohlenwasserstoffen verdünnbaren Resolen. Die Vernetzung von Resolen erfolgt durch Polykondensation, säurekatalysiert oder bei erhöhter Temperatur, und führt zu spröden Duromeren (Resite, „Bakelite“). Da sich mit Resolen zu spröde Lackfilme ergeben, werden sie häufig durch Einbau geeigneter Harze (z.B. EP-Harze) oder Öle (pflanzliche Öle oder Polybutadienöl) plastifiziert (siehe Abbildung II-2.16). Die Härtung von Resolen erfolgt alternativ durch zwei Reaktionen: –– Selbstvernetzung (Homokondensation) über Methylol- oder Methylolether­gruppen (vgl. MF-Harze) –– Fremdvernetzung a. der Methylol- oder Methylolethergruppen mit geeigneten funktionellen Gruppen von verträglichen Cobindemitteln (z.B. -OH) b. mit ungesättigten Cobindemitteln (Abbildung II-2.16) In Tabelle II-2.8 wird ein Richtrezept für einen Einbrenngrundlack vorgestellt [24]. Die Einbrennbedingungen betragen (unkatalysiert) 30 bis 50 min/180 °C oder 15 bis 30 min/205 °C. Falls noch ein Einbrenn­decklack aufgebracht werden soll, wird der Grundlack, um die Zwischenschichthaftung zu verbessern, nicht vollständig ausgehärtet, z.B. 10 bis 20 min/175 °C oder 7 bis 12 min/190 °C. Die vollständige Vernetzung des Grundlacks soll erst beim Einbrennen des Decklacks erfolgen. Für katalysierte Lacke sind die Einbrenntemperaturen jeweils um 10 bis 20 °C niedriger. Es ist zu beachten, dass Untervernetzung zu spröden Lackfilmen mit unzureichender Chemi­kalienund Lösemittelbeständigkeit führt. Die überraschende Versprödung beim Unterbrennen (Untervernetzung) ist auf die relativ hohe Glastemperatur des Epoxidharzes vom Typ 7 zurückzuführen (Tg = 67 °C, siehe Tabelle II-1.19) [29]. EP/PF-Einbrennlacke sind gegen Überbrennen relativ unempfindlich (Ausnahme: Vergilbung). Zur Analyse der Rezeptur (Tabelle II-2.8) werden die Kenngrößen berechnet: EP: PF = 70 : 30 (nfA/nfA)

Chinonmethid

Resol

R R

OH

O CH2OH

CH2 - H2O

R

HC

R

C H

O

R'

Diels-AlderReaktion

CH

CH

R'

CH2

R

Abbildung II-2.16: Reaktion von Resolen mit ungesättigten Verbindungen (idealisierte Darstellung)

160

Einbrennlacke Tabelle II-2.8: Richtrezeptur für einen Einbrenngrundlack EP/PF Pos. 01 02 03 04 05 06

Rohstoff Epoxidharz Typ 7 Resol (65 % in Butanol) Eisenoxidrot Schwerspat (BaSO₄) Talkum Organoschichtsilicat

Gew.-Teile 12,4 8,2 12,5 8,5 4,0 1,0

nfA 12,4 5,3 12,5 8,5 4,0 0,1

Dichte [g/cm3] 1,2 1,2 5,0 4,3 2,7 (10 % in Xylol)

07 08 09 10

Isopropylglykol 23,8 Aromatisches Lösemittel 17,5 Methoxypropylacetat 8,5 n-Butanol 3,6 Summe 100 42,8 Pos. 01: EP-Äqui­va­lent­masse ca. 1875, EP-Wert ca. 0,053, Hydroxylwert ca. 0,37; z.B. Epikote 1007. Durch Zusatz von EP-Harz Typ 9 kann die Beschichtung flexibilisiert werden. Pos. 02: Hitzehärtbares, nichtplastifiziertes Phenol­harz, 65 %ig in Butanol; z.B. Phenodur PR 217 Pos. 06: Organoschichtsilicat als rheologisch wirksames Additiv; z.B. Bentone 34 Pos. 08: Siedebereich 165 bis 185 °C, Verdunstungszahl 46; z.B. Shellsol A Pos. 07: Siedepunkt 143 °C, Verdunstungszahl 65 (man könnte es auch mit Butylglykol versuchen) Optional: Katalysator: Morpholinsalz der para-Toluolsulfonsäure, Zusatz 0,5 bis 2 % (Salz bezogen auf Bindemittel nfA)

Pigmentierungshöhe:

P/B = (12,5 + 8,5 + 4): (12,4 + 5,3) = 1,4 : 1

12,5/5 + 8,5/4,3 + 4/2,7 · 100 % = 29 % PVK = 12,5/5 + 8,5/4,3 + 4/2,7 + 17,7/1,2 Zur Herstellung des Einbrenngrundlacks (Tabelle II-2.8) wird zuerst das feste EP-Harz angelöst, danach werden in dieser Lösung das Pigment, die Füllstoffe und die Organoschichtsilicatpaste dispergiert. Aufgelackt wird mit Resol und Lösemittel (ggf. noch mit dem Katalysator).

Die Eigenschaften von EP/PF-Einbrennlacken sind: –– –– –– –– ––

Hervorragende Chemikalien- und Lösemittelbeständigkeit Hohe Härte und Abriebfestigkeit Sehr gute Flexibilität und Haftfestigkeit Hohe Schlagfestigkeit Ausgezeichnete Temperaturwechselbeständigkeit und Sterilisationsfestigkeit

Anwendungen von EP/PF-Einbrennlacken sind: –– –– –– –– –– ––

Tuben- und Doseninnenlacke Innenanstriche für Tanks, Gebinde Innenanstriche für Ausrüstungsgegenstände in der Chemischen Industrie Anstriche für Laboratoriums- und Krankenhausgeräte Draht- und Elektroisolierlacke Grundierungen für Haushaltsgeräte oder Maschinen 161

Teil II – Lösemittelhaltige Lacke

2.4

Einbrennlacke auf Basis verkappter Polyisocyanate

2.4.1 Aufbau und Eigenschaften verkappter Polyisocyanate Die Reaktion von H-aciden Verbindungen mit Isocyanatgruppen unterliegt bei höheren Temperaturen einem Gleichgewicht, sie ist also reversibel. Die Temperatur bei der das Gleichgewicht angestoßen wird, ist vom Typ des Reaktionspartners abhängig. Verbindungen die bereits bei relativ niedrigen Temperaturen den Gleichsgewichtsbedingungen unterliegen, werden als sogenannte Verkappungsmittel oder Blockierungsmittel (engl. blocking agents) verwendet. Die damit hergestellten verkappten Polyisocyanate bilden bei Raumtemperatur mit OH-Gruppen enthaltenden Bindemitteln relativ lagerstabile Mischungen. Erst bei höherer Temperatur kommt es zur Reaktion der Isocyanate mit den OH-Gruppen der Partner-Bindemittel. Dabei wird nicht – wie früher angenommen – zuerst das Verkappungsmittel freigesetzt, damit dann das freie Isocyanat mit den OH-Gruppen der Bindemittel reagieren kann. Sondern – wie Analysen ergeben haben – ist die Reaktion zwischen verkapptem Isocyanaten und OH-Gruppen eine Austauschreaktion ist, d.h. eine Umurethanisierung, vergleichbar mit der Umesterung (SN2-Reaktion). Die Verkappungsmittel werden dabei freigesetzt. Nur bei sehr hohen Temperaturen wurden freie Isocyanate gefunden. Das Prinzip dieser Reaktion ist in der Abbildung II-2.17 dargestellt. Gebräuchliche Verkappungsmittel sind Phenole, ε-Caprolactam, 1,2,4-Triazol, Ketoxime (Methylethylketoxim), 3,5-Dimethylpyrazol, Acetoacetate (Ethylacetoacetat oder Acetessigsäureethylester), Malonate (Diethylmalonat). In dieser Reihenfolge steigt die Reaktivität. Werden aliphatische Polyisocyanate mit den genannten Verkappungsmitteln umgesetzt und werden dann damit hydroxyfunktionelle Polyester vernetzt, so ergeben sich mit den in der Abbildung II-2.18 dargestellten Verbindungen effektive Einbrenntemperaturen zwischen 180 und 130 °C (Einbrennzeiten 20 bis 30 Minuten).

Abbildung II-2.17: Prinzip der Wirkung verkappter Polyisocyanate

162

Einbrennlacke Phenole eignen sich zwar generell zur Verkappung aromatischer Polyisocyanate, aufgrund ihrer physiologischen Bedenklichkeit und der Verfärbungstendenz werden sie aber fast ausschließlich für Elektroisolierlacke (effektive Nachverbrennung der Ofenabluft, Farbton erwünscht) verwendet. 1,2,4-Triazol ergibt Produkte mit hohem Tg und relativ schlechter Löslichkeit, es wird daher vor allem in Pulverlacken eingesetzt. Verkappung mit Methylethylketoxim führt bei den aliphatischen bzw. cycloaliphatischen Polyisocyanaten zu Standardprodukten für hochwertige Einbrennfüller und Einbrenndecklacke. 3,5-Dimethylpyrazol zeigt gegenüber den Ketoximen verbesserte Reaktivität und Vergilbungsstabilität, es eignet sich daher besonders für wetterbeständige Decklacke und Klarlacke, ist aber relativ kostspielig. Ethylacetoacetat und Diethylmalonat reagieren bei besonders niedrigen Einbrenntemperaturen, und zwar mit Hydroxygruppen nicht durch eine Umsetzung an der verkappten Isocyanatgruppe, sondern, wegen dirigistischer Wirkung der ß-Diketogruppen, bevorzugt durch Umesterung an einer Estergruppe; das Abspaltprodukt ist Ethanol [16]. Bei Diethylmalonat findet diese Reaktion noch ausgeprägter statt als bei Ethylacetoacetat. Bei höheren Temperaturen wird aus diesen Verbindungen aber auch wenig Verkappungsmittel abgespalten. Einzelheiten zu den Reaktionen sind in Abbildung II-2.19 dargestellt. Die mit solchen CH-aciden Verbindungen verkappten aliphatischen und cycloaliphatischen Polyisocyanate reagieren bereits effektiv bei den Einbrennbedingungen für die Automobilserienlackierung (20 – 30 min bei 140 – 130 °C) und ergeben wetterbeständige Lackfilme, sie sind also in Decklacken und Klarlacken einsetzbar. Die mit Ethylacetoacetat verkappten Systeme neigen zur Vergilbung. Die Malonesterverkappung bedarf einiger besonderer Maßnahmen um die Löslichkeit der Produkte zu verbessern [22]. Bei Vernetzungstemperaturen über 200 °C können auch tertiäre und sekundäre Alkohole und Monoether von 1,2-Glykolen als Verkappungsmittel verwendet werden. Aminofunktionelle Bindemittel reagieren ebenfalls schneller als die hydroxyfunktionellen mit verkappten Polyisocyanaten. Es gibt spezielle Formulierungen, die niedrigviskos sind und schon bei Raumtemperatur vernetzen (siehe Teil IV: Lösemittelfreie Lacke).

Abbildung II-2.18: Verkappungsmittel und ihre effektiven Vernetzungstemperaturen

163

Teil II – Lösemittelhaltige Lacke Als Isocyanatgrundkörper werden zur Herstellung verkappter Polyisocyanate die gleichen Produkte verwendet, die auch für die Vernetzung von hydroxyfunktionellen Bindemitteln als freie Polyisocyanate eingesetzt werden. Dabei handelt es sich einmal um oligomere Urethane, wie das Reaktionsprodukt aus Trimethylolpropan und drei Molekülen Toluylendiisocyanat (TDI), ferner um die Isocyanurat-Trimere des Toluylendiisocyanats, des Hexamethylendiisocyanats (HDI) und des Isophorondiisocyanats (IPDI), und schließlich um das Biuret des Hexamethylendiisocyanats. Eine besondere Gruppe stellen die Uretdione dar, die wenig oder gar kein Verkappungsmittel enthalten. Uretdione spalten bei höherer Temperatur in freie Isocyanatgruppen auf und stehen dann für die Vernetzung zur Verfügung. Da polymere Uretdione relativ hochschmelzende Feststoffe sind, werden sie vor allem für Pulverlacke eingesetzt (siehe Teil IV). Die Reaktion der meisten verkappten Polyisocyanate kann durch die gleichen Katalysatoren beschleunigt werden, die auch sie für die Reaktion der freien Polyisocyanate verwendet werden. Bisher kommen bevorzugt Dibutylzinnverbindungen in Betracht. Alkylzinnverbindungen werden als bedenklich eingestuft, deshalb kommen inzwischen andere Katalysatoren zum Einsatz, beispielsweise Wismutverbindungen. Die Umesterung der mit CH-aciden Verkappungsmitteln verkappten Polyisocyanate wird durch solche Katalysatoren nicht beschleunigt. Beispiele für Handelsprodukte [8]: Desmodur BL-Typen (Covestro), Vestanat B-Tyypen (Evonik)

Ein besonderes Produkt kann zu den verkappten Polyisocyanat gerechnet werden. Dabei sind es nicht die Reaktionsprodukte der potentiellen Isocyanatgruppen, die bei relativ niedrigen Temperaturen ein Reaktionsgleichgewicht ergeben, sondern das potentielle Polyisocyanat selbst. Es handelt sich um ein Trisalkoxycarbamatotriazin (TACT), also formal um ein Triurethan des 2,4,6-Triisocyanato-1,3,5-Triazin. Die Monoalkohole des Produkts sind Methanol und n-Butanol. Die hohe Reaktivität dieser Carbamate ist in der dirigistischen Wirkung der Struktur des Triazins (Stickstoffatome und Doppelbindungen) begründet. In der Kombination mit OH-Gruppen enthaltenden Bindemitteln (Polyester, Alkydharze, Acrylatharze) entstehen zwischen 140 °C und 160 °C effektiv vernetzte Filme. Das Produkt hat eine sehr niedrige Äquivalentmasse, das bedeutet geringe Zugabemengen bei stöchiometrischer Vernetzung. Die Filme mit diesem Vernetzer zeichnen sich durch hohen Glanz, hohe Härte, sehr gute Vergilbungsbeständigkeit und – je nach Reaktionspartner – durch ausgezeichnete Wetterbeständigkeit aus. Beispiel für ein Handelsprodukt: Larotact 150 (BASF)

Abbildung II-2.19: Umesterungsreaktionen von Malonester-verkapptem Polyisocyanat mit hydroxyfunktionellem Acrylatharz

164

Einbrennlacke

2.4.2

Kombinationspartner für verkappte Polyisocyanate

Für die Kombination verkappter Polyisocyanate in Einbrennlacken kommen die gleichen Stoffklassen infrage, die auch zur Vernetzung mit Aminoharzen verwendet werden: bevorzugt sind Hydroxygruppen enthaltende Alkydharze, gesättigte Polyester und Acrylatharze [1, 2, 4, 6, 7, 33]. Für besondere Anwendungen ist auch der Einsatz von Epoxidharzen, Epoxidharzestern und Polyvinylharzen denkbar. Im Gegensatz zum komplizierten Reaktionsablauf beim Vernetzen dieser Bindemittel mit Aminoharzen, ist die Reaktion zwischen verkappter Isocyanatgruppe und Hydroxygruppe relativ einfach und eindeutig. Das heißt, es gibt nahezu ausschließlich eine Covernetzung. Dieser Tatsache wird insofern Rechnung getragen, als sich die Kombinationsverhältnisse aus der OH-Zahl des Bindemittels und der potenziellen NCO-Zahl des verkappten Polyisocyanats stöchiometrisch berechnen lassen. Meistens wird für die Lackformulierung von einem ausgewogenen stöchio-metrischem Verhältnis ausgegangen (nNCO = nOH). Um hohe Vernetzungsdichte und damit sehr gute Chemikalienbeständigkeit, Wetterbeständigkeit und Flexibilität (bevorzugt aus der Komponente Elastizität) zu erreichen, werden von den genannten Bindemittelklassen die mit relativ hohen OH-Zahlen bevorzugt. Die Carboxylgruppen, die in solchen Bindemitteln vorkommen, verhalten sich indifferent, wirken nicht katalytisch und können erst bei hohen Temperaturen mit den verkappten Isocyanatgruppen Amide bilden. Deshalb werden für die hier beschriebenen Kombinationen meist Bindemittel mit niedrigen Säurezahlen ausgesucht. Auch in anderen Fällen treffen die bei den Aminoharzen beschriebenen Eigenschaftstrends beim Vernetzen durch verkappte Polyisocyanate zu. Gesättigte Polyester ergeben wegen ihrer gut zugänglichen Hydroxygruppen ein Optimum an Beständigkeit und Flexibilität. Alkydharze zeigen aufgrund ihrer Fettsäuremodifizierung vorteilhaftes Verhalten im Hinblick auf Benetzung, Verlauf und Glanz. Acrylatharzen zeichnen sich aus – aufgrund ihrer verknäulten Molekülstrukur durch gute Antrocknung, hohe Beständigkeiten und – bei Auswahl geeigneter verkappter Polyisocyanate – gute Farbtonstabilität. Epoxidharze, Epoxidharzester und auch Polyvinylverbindungen zeigen in Verbindung mit verkappten Polyisocyanaten gute Haftung und Beständigkeiten.

2.4.3 Vergleich verkappter Polyisocyanate mit Aminoharzen als Vernetzer Wie die freien Polyisocyanate, als Vernetzer für hydroxyfunktionelle Bindemittel, ergeben die verkappten Polyisocyanate völlig andere Netzwerke als die Aminoharze [6]. Weil es sich dabei fast ausschließlich um eine Covernetzung handelt, entstehen einheitliche Netzwerke, die vermutlich ausgedehnter sind als die der Aminoharze, aber aufgrund der Bausteinstruktur auch weitmaschiger. Die temperaturbedingte Änderung der Reaktionsgeschwindigkeit verläuft bei den verkappten Polyisocyanaten flacher als bei den Aminoharzen. Die sich dabei bildenden Urethangruppen sind gegen saure Agenzien deutlich beständiger als die Methylolethergruppen bei der Aminoharz-vernetzung. Die aus der Umsetzung von hydroxyfunktionellen Bindemitteln mit verkappten Polyisocyanaten hervorgehenden Filme sind daher relativ beständig gegen viele Chemikalien und gegen Bewitterungseinflüsse. Zudem sind sie flexibler (elastische Komponente) und beständiger gegen mechanische Einwirkungen (Steinschlagbeständigkeit). Es gibt bei der Isocyanatvernetzung 165

Teil II – Lösemittelhaltige Lacke aber auch einige Nachteile gegenüber der Aminoharzvernetzung, wenn von Reaktionen mit hydroxyfunktionellen Bindemitteln ausgegangen wird. Denn die isocyanatvernetzten Filme sind aufgrund ihrer Struktur quellbar und damit weniger lösemittelfest. Sie neigen, je nach Typ von Polyisocyanat und Verkappungsmittel, eher zur Verfärbung, vor allem bei Überbrennung. Bei einigen Typen gibt es verminderte Zwischenhaftung, z.B. in der Reparaturlackierung. Verkappte Polyisocyanate werden als Vernetzer vor allem für Lacksysteme verwendet, die sich durch hohe Flexibilität und sehr gute Chemikalienbeständigkeit auszeichnen. Das sind vor allem hochwertige Industrieeinbrennlacke, flexible Grundierungen und Füller (Auto­ mobilserienfüller) und Blechlacke (Coil-Coating-Lacke, Can-Coating-Lacke). Kombinationen aus gesättigtem Polyester und mit Phenolen verkapptem, aromatischen Polyisocyanat spielen eine Rolle bei der Herstellung direkt verzinnbarer (lötbarer) Elektroisolierlacke (Drahtlacke). Um das insgesamt geforderte Eigenschaftsprofil eines Lackfilmes zu erfüllen, werden die verkappten Polyisocyanate oft mit Aminoharzen kombiniert. Je nach Verhältnis des verkappten Polyisocyanats zum Aminoharz wird eine Balance erreicht in Bezug auf die Eigenschaften Härte, Lösemittelbeständigkeit, Überarbeitbarkeit, Vergilbungsbeständigkeit gegenüber den Eigenschaften Chemikalienbeständigkeit, Flexibilität und Wetterbeständigkeit. Die möglicherweise unterschiedlichen Reaktionsgeschwindigkeiten der Vernetzertypen sind für das gesamte Eigenschaftsbild vorteilhaft. Es ist sinnvoll, zunächst für das verkappte Polyisocyanat das Vernetzungsverhältnis zu berechnen. Die Menge des rechnerisch verbleibenden hydroxyfunktionellen Bindemittels, ist dann, in auf Erfahrungswerten beruhenden Verhältnissen, mit der so resultierenden Menge des Aminoharzes zu kombinieren [16]. Die Kombination einer Vernetzung durch verkappte Polyisocyanate und Melaminharze hat sich u.a. bewährt zur Formulierung flexibler Einbrennfüller sowie für chemikalien- und wetterbeständiger Klarlacke, beides in der Automobilserienlackierung [30].

2.4.4 Formulierung von Einbrennlacken auf Basis verkappter Polyisocyanate Als Rezepturbeispiele für die Formulierung von Einbrennlacken auf Basis verkappter Polyisocyanate werden beschrieben: a. Industrie-Einbrenndecklack b. Automobilfüller (Serienlackierung) c. Automobil-Einbrennklarlack (Serienlackierung) a. Formulierung eines weißen Einbrenndecklacks mit verkapptem Polyisocyanat als Vernetzer Der Decklack [20] soll einen Gesamtfestkörper (nach Vernetzung) von 65 m-% haben. Das Pigment soll Titandioxid (Kronos 2310 von Kronos) sein, die Pigment-Volumen-Konzentration soll 18 Vol-% betragen. Als Bindemittel soll ein verzweigter OH-Polyester verwendet werden, der mit einem verkappten Polyisocyanat vernetzt wird. Der Polyester hat eine OH-Zahl von 88 mg KOH/g (bezogen auf nfA) und ist 75 %-ig in Solventnaphtha gelöst (Desmophen T 1775 von Covestro). Das Polyesterfestharz hat eine Dichte von 1,13 g/cm³. Der Vernetzer ist ein mit Methylethylketoxim verkapptes HDI-Isocyanurattrimer. Es ist 75 %-ig in Solventnaphtha gelöst. Der potentielle Isocyanatgehalt ist 166

Einbrennlacke Tabelle II-2.9: Formulierung eines weißen Einbrenndecklackes mit verkappten Polyisocyanat als Vernetzer Pos. 01 02 03 04 05 06 07 08 09

Bestandteil ges. OH-Polyester verk. Polyisocyanat Titandioxid Netzmittel Verlaufmittel Katalysator Solventnaphtha Methoxypropylacetat Butyldiglykolacetat Summe

Produkt Desmophen T 1775 (75 % SN) Desmodur BL 3175 (75 % SN) Kronos 2310 Borchi Gen 1051 (45 %) Baysilon Paint Additive OL 17 (10 % SN) Borchi Kat 0245 (5 % MPA)

nfA 28,21 8,28* 28,51 0,45 0,13

Rezeptur 37,61 15,92 28,51 0,10 1,30

0,04

0,80 6,76 6,50 2,50 100,00

65,62

* Berechneter Festkörper nach der Abspaltung des Verkappungsmittels

11,1 m-% bezogen auf die Lieferform (Desmodur BL 3175 der Covestro). Wenn bei der Vernetzungsreaktion das Methylethylketoxim abgespalten wird, ist der effektive Festkörper des Vernetzers 52 m-%, das im Film verbleibende Triisocyanat hat dann einen NCO-Gehalt von 20,2 m-% und eine Dichte von 1,16 g/cm³. Das Vernetzungsverhältnis nNCO : nOH soll 0,90 betragen. Das Mengenverhältnis der Bindemittel wird nach der Gleichung II-2.6 berechnet. 

(Gl. II-2.6)

Die mittlere Dichte der Bindemittel berechnet sich nach der Gleichung II-2.7 

(Gl. II-2.7)

Das Mengenverhältnis von Pigment und Bindemittel, und die Mengenanteile von Bindemittel und Vernetzer ergeben sich aus der Gleichung II-2.8:  (Gl. II-2.8)

Als Additive finden ein Netzmittel, ein Katalysator und ein Verlaufmittel Anwendung. Das Netzmittel ist ein hochmolekulares Polyurethan mit pigmentaffinen Gruppen (Borchi Gen 1051 von Borchers). Der zinnfreie Katalysator ist ein organisches Metallsalz (Borchi Kat 0245 167

Teil II – Lösemittelhaltige Lacke von Borchers) gelöst 5 %-ig in Methoxypropylacetat. Das Verlaufmittel ist ein polyethermodifiziertes Silikonöl (Baysilon Paint Additive OL 17) gelöst 10 %-ig in Solventnaphtha. Als Lösemittel werden Solventnaphtha, Methoxypropylacetat, und eine kleine Menge des hochsiedenden Butyldiglykolacetat zur Förderung des Verlaufs. Es ergibt sich die Rezeptformulierung die in der Tabelle II-2.9 dargestellt ist Das Pigment wird mit einem Teil der Polyesterlösung, einem Teil der Lösemittel und mit dem Dispergiermittel in einem Dissolver und danach einer Rührwerksmühle dispergiert. Das Dispergiergut wird mit der Lösung des verkappten Polyisocyanats, dem Verlaufmittel, dem Katalysator und den restlichen Lösemitteln komplettiert. Der Decklack wird auf Verarbeitungsviskosität verdünnt, auf gefüllerte Bleche appliziert und 20 min. bei 145 °C eingebrannt. Die Trockenfilmdicke beträgt 40 µm. Der Decklack zeichnet sich durch sehr gute Haftung, hohe Flexibilität, besonders gute Chemikalienbeständigkeit und gute Wetterbeständigkeit aus. b. Einbrennfüller, vernetzt mit verkapptem Polyisocyanat und Melaminharz Ausgewählt [21] wird ein gesättigter OH-Polyester (Uralac SN 822 S1-70 [DSM]) der für flexible Beschichtungen geeignet ist. Der Polyester hat eine OH-Zahl von 80 mg KOH/g (nfA). Als Vernetzer wird eine Kombination eines verkappten Polyisocyanats (Vestanat BL 1358 A [Evonik], Methylethylketoxim-verkapptes IPDI-Isocyanurat) mit einem reaktiven, mischveretherten Melaminharz (Luwipal 052 [BASF], 70 %-ig in n-Butanol) verwendet. Die Menge des Isocyanats soll stöchiometrisch auf die Hälfte der OH-Gruppen des Polyesters berechnet werden. Die Lieferform des verkappten Polyisocyanat (63 %-ig in Solventnaphtha) hat einen NCO-Gehalt von 8,0 m-%. Der effektive Festkörper – d.h. nach Abspaltung des Verkappungsmittels – ist 47 m-%, mit einem NCO-Gehalt von 17,0 m-%. Die formal andere Hälfte des Polyesters soll im Verhältnis 70 : 30 mit dem Melaminharz vernetzt werden. Die Abspaltung von Monoalkohol bei der Covernetzung des Melaminharzes wird nicht berücksichtigt. Das Verhältnis von Polyester zu den Vernetzern wird in den Gleichungen II-2.9 errechnet: (Gl. II-2.9)

Es resultieren 72,0 m-% Polyester, 12,7 m-% verkapptes Polyisocyanat (bezogen auf den effektiven Festkörper) und 15,3 m-% Melaminharz. Der ebenfalls geringere Festkörper des Melaminharzes durch teilweise Abspaltung des Veretherungsalkohols bei der Vernetzung wird nicht berücksichtigt. Die Pigmentierung soll aus Titandioxid und Bariumsulfat im Verhältnis 1 : 1 bestehen. Es sollen 4,00 m-% der Pigmente als Talkum und 0,30 m-% Farbruß zum Einsatz kommen. Die mittleren Dichten der Pigmentmischung und der Bindemittelmischung resultieren aus den Gleichungen II-2.10. 168

Einbrennlacke Tabelle II-2.10: Einbrennfüller mit verkapptem Polyisocyanat Pos. 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14

Bestandteil gesättigter Polyester verk. Polyisocyanat Melaminharz Titandioxid Bariumsulfat Talkum Farbruß kolloidale Kieselsäure Netzmittel Verlaufmittel Solventnaptha Solvesso 150 Methoxypropylacetat Butyldiglykol Summe

Produkt Uralac SN 822 (70 SN) [DSM] Vestanat BL 1358 A (63 SN) [Evonik] Luwipal 052 (70 BL) [BASF] Kronos 2310 [Kronos] Blanc fixe N [Sachtleben] Micro Talc IT extra [Mondo] Flammruß 101 [Evonik] Aerosil R 976 [Evonik] Disperbyk 116 [Altana-Byk] Modaflow [Allnex] [Exxon] [Exxon] [BASF] [BASF]

nfA [m-%] 24,21 4,27* 5,15 15,01 15,01 1,25 0,09 0,30 0,30 0,15

65,74

Rezeptur [m-%] 34,59 9,09 7,36 15,01 15,01 1,25 0,09 0,30 0,30 0,15 6,36 2,50 6,00 2,00 100,00

* Berechneter Festkörper nach der Abspaltung des Verkappungsmittels



(Gl. II-2.10)

Aus der PVK, den mittleren Dichten und der Festkörperangabe errechnet sich das Verhältnis von Bindemittel und Pigment und daraus die Anteile der Bindemittel- und Pigmentmischung, dargestellt in der Gleichung II-2.11.  (Gl. II-2.11)

Der Füller enthält folgende Additive: ein Acrylatcopolymer mit basischen pigmentaffinen Gruppen als Netzmittel (Disperbyk 116 [Altana-Byk]), eine kolloidale Kieselsäure zur Verbes169

Teil II – Lösemittelhaltige Lacke serung des Pigmenttragevermögens (Aerosil R 972 [Evonik]) und eine Acrylatcopolymer als Verlaufmittel (Modaflow [Allnex]). Als Lösemittel werden Solventnaphta, ein höher siedendes aromatisches Lösemittel (Solvesso 150 [Exxon]), Methoxypropylacetat, und Butyldiglykol als höher siedendes, polares Lösemittel zur Unterstützung des Verlaufs. Die resultierende Rezeptur ist in der Tabelle II-2.10 dargestellt. Die Pigmente und Füllstoffe und die kolloidale Kieselsäure werden in einem Teil des gesättigten Polyesters, und Zusatz des Dispergiermittels und einem Teil der Lösemittel auf die vorgegebene Feinheit dispergiert. Das Dispergiergut wird dann mit den beiden Vernetzerlösungen, dem Verlaufmittel und den restlichen Lösemitteln komplettiert. Der Füller wird auf grundierte Bleche appliziert und 20 min. bei 160 °C eingebrannt. Die Trockenschichtdicke sollte 35 µm betragen. Während der Füller der ausschließlich Melaminharz als Vernetzer enthält (Siehe Tabellen II2.3 und II-2.4), sich durch hohe Füllkraft, eine Unterstützung des Decklackstandes und relativ gute Flexibilität auszeichnet, ist der Füller mit der Kombination der Vernetzer aus verkapptem Polyisocyanat und Melaminharz besonders flexibel und sehr gut haftend. Diese sehr gute Steinschlagbeständigkeit wird von der relativ niedrigen PVK unterstützt. c. OEM-Einbrennklarlack, mit einer Vernetzerkombination Ausgewählt [22] wird ein OH-Acrylatharz (OH-Zahl: 89 mg KOH/g, SZ: 22 mg KOH/g, 55 %-ig in SN), ein hauptsächlich mit Diethylmalonat verkapptes Polyisocyanat und ein hoch mit Butanol verethertes Melaminharz mit freien NH-Gruppen (Maprenal MF 612, 70 % in n-Butanol [Ineos]). Der Klarlack enthält weiterhin eine Kombination eines Hydroxylphenylbenztriazols als UV-Absorbers (Tinuvin 384 [BASF]) und eines 4-substituierten 1,1,6,6-Tetramethyl-N-methylpiperidin (Tinuvin 292 [BASF]) als Lichtschutzmittel, ein polyethermodifiziertes Polydimethylsiloxans (Baysilon Paint Additive OL 44 [Borchers], 5 % in Xylol) als Verlaufmittel und Xylol und n-Butanol als Lösemittel. Die Formulierung ist in der Tabelle II-2.11 dargestellt. Der Klarlack wird mit Xylol auf eine Auslaufviskosität von 70 sec (ISO 2431, 4 mm Düse, 23 °C) eingestellt und über einen nur physikalisch vorgetrocknetem Wasserbasislack appliziert und dann gemeinsam mit dem Basislack für 20 min bei 140 °C eingebrannt. es resultiert eine Trockenfilmschicht von 43 µm für den Klarlack.

H N C O

O

H O

Acrylatharz

N C O

N

O

O

C

– HO

Abbildung II-2.20: Reaktion selbstvernetzender Acrylatharze

170

N

C Film

Tabelle II-2.11: Klarlack, mit einer Vernetzerkombination Tabelle II-2.11: Klarlack, mit einer Vernetzerkombination Pos. 01 02 03 04 05 06 07 08 09

Bestandteil OH-Acrylatharz verk. Polyisocyanat Melaminharz Butylglykol UV-Absorber Radikalfänger Xylol n-Butanol Verlaufmittel Summe

Produkt DE 4204518, Beispiel 2 (55 % in SN) DE 4204518, Beispiel 4 (59,6 % effektiv) Maprenal MF 612 (70 % n-BL) [Ineos] [BASF] Tinuvin 384 [BASF] Tinuvin 292 [BASF] [Shell] [BASF] Baysilon Paint Add. OL 44 [Borchers] (5 % in X)

nfA [m-%] 39,71 4,05 9,87 1,10 1,10

0,10 55,93

Rezept [m-%] 72,7 6,8 14,1 4,7 1,1 1,1 3,0 4,0 2,0 100,0

Vergleich der Klarlacke

Viele der industriell applizierten Lacksysteme basieren auf wässrigen Bindemitteln oder sind Pulverlacke. Aber Klarlacke basieren meist immer noch auf lösemittellöslichen Bindemitteln. Lösemittelhaltige Systeme garantieren dabei eher die Ausbildung glatter und glänzender Oberflächen und diese Klarlacke zeigen eine große Applikationssicherheit. Der im Abschnitt II-1.3.1.5 Beispiel a) beschriebene Zweikomponentenklarlack (Tabelle II1.16) zeichnet sich vor allem durch hohe Applikationssicherheit, durch hohe Reaktivität bei niedrigen Temperaturen, Fülle und Klarlackstand, und gute Beständigkeiten aus. Der im Abschnitt II-2.2.6, Beispiel d) beschriebene Einbrennklarlack mit Melaminharz als Vernetzer (Tabelle II-2.6) zeichnet sich durch gute Härte, guten Klarlackstand und hohe Lösemittelbeständigkeit aus. Der Einbrennklarlacke mit der Vernetzerkombination aus verkapptem Polyisocyanat und Melaminharz ist besonders flexibel – der Klarlack unterstützt die Steinschlagbeständigkeit, chemikalienbeständig, kratzfest und noch besser wetterbeständig im Vergleich zu den anderen Systemen.

2.5 Sonstige lösemittelhaltige Einbrennlacke 2.5.1

Selbstvernetzende Acrylatharze

Werden Copolymere von Acryl- oder Methacrylestern und Acryl- oder Methacrylamid mit Formaldehyd und Monoalkoholen polymeranalog umgesetzt oder werden solche Copolymere durch Einsatz veretherter Methylolacrylamide gebildet, so enstehen Acrylatharze [31], die bei höherer Temperatur wie Aminoharze selbstvernetzen [1, 2, 4]. Die bevorzugte Reaktion ist die zwischen den NH-Gruppen des einfach methylolierten Acrylamids und dem Alkylether an der Methylolgruppe, gemäß Abbildung II-2.20. Mit diesen Bindemitteln können Einbrennlacke formulieret werden, die denen aus hydroxyfunktionellen Acrylatharzen und Aminoharzen in der Zusammensetzung ähneln, mit dem Unterschied, dass sie nur ein Bindemittel, das selbstvernetzende Acrylatharz, und keinen zusätzlichen Vernetzer, enthalten. Bei Einbrenngrundierungen aus dieser Bindemittelklasse werden zwecks guter Haftung und guten Korrosionsschutzes Anteile aromatischer Epoxidharze verwendet. 171

Teil II – Lösemittelhaltige Lacke Die Vernetzung erfordert Temperaturen von 160 bis 180 °C, es können auch Säurekatalysatoren eingesetzt werden. Filme aus den selbstvernetzenden Acrylatharzen sind deutlich besser chemikalienbeständig als jene aus hydroxyfunktionellen Acrylatharzen und Aminoharzen. Das Einsatzgebiet der Stoffklasse sind Haushaltsgerätelacke (Kühlschränke, Waschmaschinen, so genannte „weiße Ware“). Zur Vermeidung von Lösemittelemissionen und zur Vereinfachung des Applikationsverfahrens sind in diesem Anwendungsgebiet jetzt Coil-CoatingLacksysteme und vor allem Pulverlacke (siehe Teil IV) zum Einsatz gekommen.

2.5.2

Selbstvernetzende Polyester

Selbstvernetzende Polyester spielen eine Rolle bei der Formulierung von Elektroisolierlacken (Drahtlacken). Dank der in den Applikationsanlagen erreichbaren hohen Temperaturen (Umlufttemperaturen von 350 bis 570 °C) und der geringen Schichtdicken solcher Lackierungen (Mehrfachlackierung mit Schichten unter 10 µm) lassen sich bestimmte Polyester verwenden, die durch Umesterung und Abspaltung eines Teils der Diolbausteine sehr effektive Netzwerke aufbauen. Diese Polyester enthalten dann vor allem besonders temperaturbeständige Bausteine. Solche Polyester bestehen z.B. aus Terephthalsäure, Trishydroxyethylisocyanurat als Triol und Ethylenglykol. Es wird ein hoher Alkoholüberschuss verwendet, daher entstehen zunächst relativ niedrigmolekulare Bindemittel. Die bilden dann aber beim Einbrennen durch Abspaltung von Ethylenglykol enge, beständige molekulare Netzwerke mit hoher Elastizität. Die Umsetzung wird bevorzugt durch Alkyl- oder Aryltitanate katalysiert. Zur Erhöhung der Wärmebeständigkeit kann Terephthalsäure partiell durch Heterocyclen enthaltende Bausteine ersetzt werden, wie Diimiddicarbonsäure aus aromatischen Diaminen und Trimellithsäureanhydrid oder durch Hydantoïndicarbonsäuren. Diese relativ schwerlöslichen Polyester werden bisher in Kresolen, Xylenolen und ggf. in N-Methylpyrrolidon gelöst zur Anwendung gebracht. Es wird versucht diese toxischen bzw. physiologisch bedenklichen Lösemittel durch andere, weniger bedenkliche Lösemittel zu ersetzen (Propylencarbonat, N-Ethylpyrrolidon).

2.5.3

Reaktion von Epoxidgruppen mit Säurederivaten

Die Reaktion aliphatischer oder cycloaliphatischer Epoxidgruppen mit Carbonsäuren erfordert höhere Temperaturen. Solche Systeme spielen vor allem zur Formulierung von Pulverlacken eine besondere Rolle (siehe Teil IV) [4]. Auf der Suche nach Alternativen zur Kombination hydroxyfunktioneller Acrylate mit Aminoharzen (für hochwertigere Lacksysteme) werden aber solche Bindemittel auch in lösemittelhaltigen Lacken eingesetzt. Es handelt sich um eine Kombination aus Epoxidacrylatharz und verschiedenen Carboxylgruppen enthaltenden Bindemittelkomponenten, z.B. niedrigmolekulare COOH-Polyester aus cycloaliphatischen Carbonsäuren. Solche Kombinationen können zur Formulierung wetterbeständiger Decklacke und Klarlacke verwendet werden. Die Lagerstabilität der Systeme ist aber begrenzt, sie können wie Zweikomponentenlacke verwendet werden.

2.5.4

Siloxane in Einbrennlacken

Siliconharze bilden sich aus bifunktionellen und trifunktionellen Alkoxyalkyl(aryl)silanen durch partielle Hydrolyse. Es sind relativ niedrigmolekulare, verzweigte Bindemittelmoleküle, die als funktionelle Gruppen Alkoxygruppen (fast immer Methoxygruppen) tragen [1, 2, 4, 33]. 172

Einbrennlacke Sie können durch weitere Hydrolyse verfilmen und sehr beständige, meist aber spröde Netzwerke aufbauen. Zur Optimierung der Eigenschaften werden diese Siliconharze mit hydroxyfunktionellen Bindemitteln kombiniert, vor allem mit Polyestern. Da die Verträglichkeit beider Stoffklassen problematisch ist, werden zunächst aus Siliconharz und Polyester Präkondensate (bei 180 °C) hergestellt. Die Vernetzungsreaktion ist bevorzugt eine Umsetzung der Hydroxygruppen des Polyesters mit den Methoxygruppen des Siliconharzes, unter Abspaltung von Methanol. Es werden Einbrenntemperaturen von 180 bis 200 °C benötigt, als Katalysator werden Lewis-Säuren (z.B. Butyltitanat) verwendet. Die sich so bildenden Filme sind besonders wetterbeständig, und auch besonders temperaturbeständig. Derartige Produkte finden daher Anwendung für CoilCoating-Lacke, z.B. bei der Fassadenverkleidung, oder für Motorenlacke (Auspuffe), Wärmeaustauscher und Ähnliches. Eine weitere Möglichkeit der Modifizierung von Bindemitteln mit Siloxanen besteht in der Umsetzung funktioneller Trialkoxysilane mit entsprechend reaktionsfähigen Gruppen verschiedener Bindemittel. So kann 3-Isocyanatopropyltrimethoxysilan an die OH-Gruppen verschiedener Bindemittel addiert werden. Oder ein 3-Hydroxypropyltrimethoxysilan wird mit einem Teil der Isocyanatgruppen eines Polyisocyanatvernetzers umgesetzt. Die dabei entstehenden Bindemittel mit Trialkoxysilangruppen können bei höheren Temperaturen mit OHGruppen reagieren – unter Abspaltung des Monoalkohols. Wenn die Alkoxysilangruppen durch den Einfluss von Luftfeuchtigkeit oder durch geeignete Katalysatoren bei höheren Temperaturen hydrolisieren, können die freigesetzten Silanol-Gruppen selbstvernetzen. Es entstehen dann Si-O-Si-Bindungen die sehr beständig sind. Solche Produkte werden z.B. für Einbrennklarlacke mit sehr guter Chemikalienbeständigkeit und hoher mechanischer Beständigkeit (u.a. Kratzbeständigkeit) verwendet [34].

2.6

Überlackierechtheit

Bei Verwendung von bestimmten, im Lackmedium geringfügig löslichen, organi­schen Pigmenten kann es – insbesondere bei Einbrennlacken – zum Schadens­bild des Ausblutens kommen [25, 26]. Allerdings kann es auch bei Raumtemperatur auftreten (z.B. CN-Lacke). Problematisch kann dieser Fall beispielsweise bei Pigment Red 3 [(Toluidinrot (Abbildung II2.21)] sein, das wegen seines günstigen Preises zu den weltweit 20 am häufigsten eingesetzten Pigmenten zählt. In einer Reihe von organischen Lösemitteln ist Pigment Red 3 (gering­ fügig) löslich. Aber auch andere Pigmente wie z.B. Pigment Yellow 1 (Abbildung II-2.22) neigen zum Ausbluten. Darüber hinaus zeichnen sich Beschichtungen mit Pigment Red 3 oder Pigment Yellow 1 durch eine schlechte Überlackierechtheit aus. Dieses Schadensbild zeigt sich besonders deutlich beim Beschichten eines farbigen Grundlacks mit einem weißen Decklack (Abbildung II2.21). Die organischen Pigmente migrieren dabei in den weißen Decklack und färben diesen mehr oder weniger an (Ausbluten), was sich visuell leicht beurteilen lässt. Wenn man derartige Versuche (Abbildung II-2.1) im Vergleich mit einem nichtblutenden organischen Pigment (z.B. Pigment Red 178) durchführt zeigt sich, dass bei den blutenden Pigmenten die Verfärbung des weißen Decklacks nicht auf eine mangelnde Deckfähigkeit zurückzuführen ist [27]. Es stellt sich nun die Frage, ob für die unzureichen­de Überlackier­echtheit der mit Pigment Red 3 oder Pigment Yellow 1 pigmentierten Beschichtungen nur die geringe Lösemittel­ 173

Teil II – Lösemittelhaltige Lacke echtheit der Pigmente verantwortlich ist [27]. Untersucht wurde dazu das Ausmaß des Ausblutens von Pigment Red 3 und zwar qualitativ, in Abhängigkeit von –– der Art des Lösemittels (organische Lösemittel oder Wasser) des Art der Lackbindemittels ºº physikalisch trocknende, z.B. Primärdispersionen, ºº chemisch härtende, z.B. oxidativ härtende AK sowie 2K-PUR und 2K-EP, Einbrennlacke (AK/MF bzw. AY/MF) –– der Temperatur. Es hat sich bewährt, im Grundlack das organische Rotpigment in Abmischung mit Titandioxid einzusetzen (Rotpigment : Titandioxid = 1 : 12 bis 1 : 15). Das Verhältnis Pigment : Bindemittel (Pigmentierungshöhe) war im roten Grundlack 0,7 : 1 und im weißen Decklack (nur Titandioxid) 1 : 1. Im Falle von Pigment Yellow 1 hat es sich als günstig erwiesen, Gelbpigment und Titandioxid im Verhältnis 1 : 1 zu mischen. Im Verlauf der Versuche stellte es sich heraus, dass die Lösemittel überraschenderweise keinen wesentlichen Einfluss auf die Überlackierechtheit haben; vergleichbare lösemittelhaltige und wässrige Lacksysteme verhielten sich ähnlich. Entscheidender Faktor war die Temperatur, bei der der weiße Decklack getrocknet oder gehärtet wird. Wird beispielsweise ein vollständig gehärteter (und damit vernetzter, sowie lösemittelfreier) roter 2K-PUR-Grundlack mit Pigment Red 3 oder Pigment Yellow 1 mit einem weißen 2KPUR-Decklack überlackiert, so zeigt sich nach der Decklackhärtung bei Raumtemperatur kein oder nur sehr geringes Ausbluten; unterschiedliche Lösemittel in Decklacken spielen dabei keine wahrnehmbare Rolle. Setzt man nun diesen gehärteten (und damit ebenfalls lösemittelfreien) weißen 2K-PUR-Decklack einer nachträglichen Temperaturbelastung aus, so wird mit zunehmender Temperatur das Ausbluten von Pigment Red 3 oder Pigment Yellow 1 in den

Abbildung II-2.21 (links): Strukturformeln von Pigment Red 3 (Toluidinrot) und Pigment Yellow 1 Abbildung II-2.22 (rechts): Beschichtungsaufbau von Prüfblechen

174

Einbrennlacke weißen Decklack deutlich größer. Manchmal kann es bei höheren Temperaturen sogar zum Ausblühen von Pigment Red 3 oder Pigment Yellow 1 kommen (Rekristallisation auf der Oberfläche des weißen Decklacks). REM-Aufnahmen [28] in den Abbildungen II-2.23 und II2.24 zeigen die Rekristallisation der Buntpigmente auf der Oberfläche der zweiten weißen Deckbeschichtung (Aufbau siehe Abbildung II-2.22); die Kristalle scheinen förmlich aus der Weißlackschicht „herauszuwachsen“. Neben der Kristallisation von Pigment Yellow 1 zeigt die REM-Aufnahme in Abbildung II-2.24 die Titandioxidpartikel im weißen Decklack, da dieser überkritisch pigmentiert ist und deshalb die Weißpigmente nicht vollständig vom Bindemittel umhüllt sind. Eine mögliche Erklärung für die vorgestellten Ergebnisse ist, dass sich bei erhöhter Temperatur Pigment Red 3 bzw. Pigment Yellow 1 im Bindemittel des weißen Decklacks löst und dort beim Abkühlen rekristallisiert. Ausblühen ist aber auch direkt auf Oberflächen von nicht überlackierten bunten Beschichtungen (mit Pigment Red 3 bzw. Pigment Yellow 1) möglich. In der Praxis werden Pigment Red 3 bzw. Pigment Yellow 1 zumeist nur in lufttrocknenden Lacken eingesetzt (Trocknung bzw. Härtung bei Raumtemperatur) [27].

Abbildung II-2.23: Ausblühen von Pigment Red 3 auf der Oberfläche eines weißen lösemittelhaltigen 2K-PUR Decklacks (unterkritische PVK) nach einer Temperaturbelastung von 60 min 150 °C (REM)

Abbildung II-2.24: Ausblühen von Pigment Yellow 1 auf der Ober­ fläche eines weißen wässrigen Einbrennlacks (überkritische PVK) nach einer Temperatur­ belastung von 5 h bei 160 °C (REM)

175

Teil II – Lösemittelhaltige Lacke

2.7 Literatur [1] [2] [3] [4]

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Wasserlöslichkeit bzw. -dispergierbarkeit von organischen Lackbindemitteln

Teil III 1

Wässrige Lacke

Wasserlöslichkeit bzw. -dispergierbarkeit von organischen Lackbindemitteln

Dieser Abschnitt soll grundlegende Zusammenhänge zwischen dem Aufbau von organischen Bindemitteln und der Art ihrer Verteilung in Wasser vermitteln, da ohne sie das Verhalten wässriger Lacke nicht zu verstehen ist. Wässrige Lacke und Beschichtungsstoffe werden aus zwei Gründen immer mehr eingesetzt: –– Ökologie: Verminderung der Emission von organischen Lösemitteln –– Ökonomie: Wasser ist billiger als organische Lösemittel und breit verfügbar Allerdings ist der Austausch von organischen Lösemitteln durch Wasser mit Problemen verbunden, da Wasser völlig andere physikalische und chemische Eigenschaften als organische Lösemittel besitzt, worauf im folgenden kurz eingegangen werden muss.

1.1 Sonderstellung von Wasser als Lacklösemittel Die physikalischen Eigenschaften von Wasser und einigen organischen Lösemitteln werden in Tabelle III-1.1 miteinander verglichen [1,  2]. Dabei zeigt sich, dass das sehr kleine Molekül Wasser seine polaren Eigenschaften der gewinkelten Struktur (siehe Abbildung III-1.1) und insbesondere den Wasserstoffbrückenbindungen verdankt. Die hohen Werte für Oberflächenspannung, Siedepunkt, Verdamp-

Abbildung III-1.1: Molekülmodelle von meta-Xylol und Wasser

177

Teil III – Wässrige Lacke Tabelle III-1.1: Physikalische Daten von Lösemitteln im Vergleich zu Wasser [1, 2] Wasser n-Butanol Butylglykol m-Xylol Siedepunkt bzw. -bereich (°C, 1 bar) Verdunstungszahl (Diethylether = 1) Verdampfungswärme (kJ/kg am Kp) Dichte [g/ml] Oberflächenspannung (mN/m, 20 °C) Elektrischer Widerstand [kΩ/cm] Kohlenstoffgehalt [mg/g]

Benzin Solvesso 100/140 150

100

116 – 118

167 – 173

136 – 139 110 – 140 177 – 206

80

33

160

13,5

7,6

115

2258

599

368

344

322

305

1,00

0,81

0,90

0,86

0,74

0,89

72,2

25,5

27,8

29,5

25,2

33,7

10

50

100

>10⁶

>10⁶

>10⁶

0

648

610

906

842

900

fungsenthalpie und Verdunstungszahl sind durch die Wasserstoffbrücken bedingt. Die hohe Oberflächenspannung (schlechte Benetzung unpolarer Substrate) und hohe Verdunstungszahl (lange Ablüftzeiten) sind für Anwendungen als Lacklösemittel negativ zu bewerten. Wasser besitzt zwar ein hervorragendes Lösevermögen für Salze, die relativ unpolaren (hydrophoben) Lackbindemittel allerdings lösen sich meist nicht oder nur schlecht in Wasser. Die Vorteile von Wasser im Vergleich zu organischen Lösemitteln sind Unbrennbarkeit und Ungiftigkeit, ganz im Gegensatz zu vielen als gesundheitsschädlich eingestuften organischen Lösemitteln. Hingegen ist Wasser chemisch sehr reaktiv insbesondere in Bezug auf Hydrolyseund Korrosionsreaktionen. Diese Tatsache wird aus der Alltagserfahrung heraus meist nicht so wahrgenommen, da Wasser ja lebensnotwendig ist, sie ist aber ein Nachteil für dessen Anwendung als Lacklösemittel. Beispielsweise können wässrige Lacke nur in Edelstahlapparaturen hergestellt oder verarbeitet werden, da andernfalls Korrosion aufträte.

1.2

Polymerverteilungen in Wasser

Organische Lackbindemittel (Oligomere oder Polymere) sind meist hydrophob und lösen sich deshalb nicht ohne weiteres in Wasser. Es gibt zwar wasserlösliche Bindemittel, die aber den Nachteil haben, auch nach der Filmbildung noch empfindlich gegenüber Wasser zu sein (Quellbarkeit). Sie werden daher nur als Kombinationsbindemittel oder als additive Bindemittel in relativ kleinen Mengen eingesetzt. Die Hydrophobie der meisten Lackbindemittel stellt in erster Linie einen Vorteil dar. Bindemittel für wässrige Lacke müssen daher speziell für diese Anwendung hergestellt werden. Die Wasserlöslichkeit solcher Bindemittel lässt sich beispielsweise durch eine höhere Säurezahl erreichen (siehe Kapitel III-1.4); die Carboxylgruppen werden beim Lösevorgang mit Aminen zu hydrophilen Carboxylatgruppen umgesetzt (Salzbildung, Gleichung III-1.1).

Pol-COOH + NR₃  Pol-COO⊝ + HNR₃⊕

(Gl. III-1.1)

Ein anderer Typ von wasserverdünnbaren Lackbindemitteln sind Polymerdispersionen. Hierbei handelt es sich um disperse Zweiphasensysteme mit mehr oder weniger hydrophoben Polymeren als disperser Phase und Wasser als Dispersionsmittel (siehe Kapitel III-1.3.1). 178

Wasserlöslichkeit bzw. -dispergierbarkeit von organischen Lackbindemitteln Tabelle III-1.2: Verteilungen von organischen Lackbindemitteln in Wasser Teilchengröße [nm] Aussehen * größer 1000 milchig weiß 1000 – 100 100 – 50

weiß bis bläulich bläulich halbtransparent

50 – 10

zunehmend transparent

10 – 1

transparent (Tyndall-Effekt)

Bezeichnung grobteilige Polymerdispersionen grobteilige Emulsionen feinteilige Polymerdispersionen feinstteilige Polymerdispersionen gelöste Hochpolymere ** Mikroemulsionen Hydrosole gelöste Polymere ** molekulare Lösungen ***

* Bei deutlichem Unterschied der Brechzahlen von Wasser und Lackbindemittel. ** Molekül­kolloide *** Lackbindemittel mit niedriger Molmasse (z.B. MF-Harze)

Zwischen den beiden Grenzfällen des (kolloidal) gelösten und des vollständig dispergierten Lackbindemittels sind alle Zwischenzustände möglich; bedingt z.B. durch Säurezahl und Molmasse der Lackbindemittel. Charakterisieren lässt sich die Verteilung eines Lackbindemittels in Wasser über die Teilchengröße des gelösten bzw. dispergierten Polymers (Tabelle III-1.2). Das in Tabelle III-1.2 beschriebene Aussehen von Polymerverteilungen in Wasser kann vereinfacht wie folgt erklärt werden. Trifft Licht auf Teilchen, die klein im Vergleich zu dessen Wellenlänge λ sind, wird es gestreut, und zwar nach dem Prinzip der Rayleigh-Streuung (Opaleszenz oder Tyndall-Effekt) [3]. Demzufolge ist der Streukoeffizient proportional zu 1/ λ4; d.h. kurzwelliges, blaues wird ca. 10 mal stärker gestreut als langwelliges, rotes Licht. Dies führt dazu, dass feinteilige (farblose) Polymerdispersionen in der Schrägsicht bläulich schimmern und in der Durchsicht scheinbar eine rötliche Farbe haben. Umgekehrt kann man davon ausgehen, dass, wenn dieser „Farbeffekt“ auftritt, die Teilchengröße der Polymerdispersion kleiner als die Wellenlänge des Lichts ist. Auch an dispergierten Teilchen, die größer als die Wellenlänge des Lichts sind, findet Lichtstreuung statt nach dem Mie-Streuungsprinzip; solche Dispersionen erscheinen aber nur farblos milchig trüb (z.B. grobteilige Polymerdispersionen). Bei der Beurteilung des Aussehens muss allerdings beachtet werden, dass meist eine mehr oder weniger breite Teilchengrößenverteilung vorliegt; wenige große Partikel am Ende der Teilchengrößenverteilung können die Trübung einer Dispersion stark erhöhen. Darüber hinaus können Dispersionen klar und transparent erscheinen, wenn der Unterschied der Brechzahlen zwischen Dispersionsmittel (Wasser) und disperser Phase (Polymer) sehr klein ist. Da Dispersionen mit Teilchengrößen von etwa 5 bis 1000 nm auch als Kolloide oder kolloidale Dispersionen bezeichnet werden (Teil I, Kapitel 2.1), sind die meisten Verteilungen von organischen Lackbindemitteln in Wasser dieser Kategorie zuzuordnen, d.h. es handelt sich um kolloidale Dispersionen bzw. Lösungen. Nur sehr grobteilige Polymerdispersionen (größer 1000 nm) und molekulare Lösungen niedrigmolekularer Lackbindemittel (kleiner 5 nm; z.B. HMMM-Harze) fallen nicht in den Bereich der Kolloide. Wasserlösliche Hochpolymere (z.B. bestimmte Polysaccharide oder Eiweißstoffe) können auch bei molekularer Lösung Partikelgrößen von bis zu 100 nm haben; sie werden als Molekülkolloide bezeichnet (Tabelle III-1.2). Ein Beispiel eines lacktechnisch wichtigen Molekülkolloids ist das wasserlösliche Polysaccharid Xanthan (Molmasse 2 Mio.), das als rheologisch wirksames Additiv Anwendung findet [4]. 179

Teil III – Wässrige Lacke

1.3

Bindemitteldispersionen und -emulsionen

Wässrige Polymerdispersionen sind thermodynamisch metastabile Zweiphasensysteme, mit einer festen dispersen Phase (Bindemittel) und mit Wasser als Dispersionsmittel.

1.3.1

Primärdispersionen

Unter Primärdispersionen (Latices) versteht man durch Emulsionspolymerisation [5] hergestellte Polymerdispersionen mit diskreter disperser Phase und mit scharfer Phasengrenzfläche zwischen disperser Phase (Polymer) und Dispersionsmittel (Wasser); Primärdispersionen sind häufig Dispersionskolloide. Die Eigenschaften von Primärdispersionsteilchen werden hauptsächlich bestimmt durch die Kolloideigenschaften (z.B. Stabilisierungssystem; siehe unten), die Partikeleigenschaften (z.B. Teilchengröße und -verteilung, Teilchenmorphologie) und die Polymereigenschaften (z.B. Molmasse, Art und Mengenverhältnis der verwendeten Monomere) [6]. Darüber hinaus beeinflussen die Partikel- und Polymereigenschaften auch die Eigenschaften der aus Primärdispersionen hergestellten Filme. Bei der einstufigen Emulsionspolymerisation entsteht aus der Monomerenmischung in der Regel eine homogene Dispersion mit einem mehr oder weniger statistischen Copolymer (Abbildung III-1.2). Um die für höherwertige Dispersionslacke gestellten Anforderungen nach guter Filmbildung bei Raumtemperatur und gleichzeitig hoher Härte zu erfüllen, wird die Emulsionspolymerisation hier häufig nach einem Mehrstufenverfahren durchgeführt [6,  7]. Bei der stufenweisen Emulsionspolymerisation werden meist zwei verschiedene Monomerenmischungen nacheinander zugegeben (Abbildung III-1.2). Man erhält damit heterogene Polymerdispersionen mit strukturierten Dispersionsteilchen, deren Teilchenmorphologie (Partikeleigenschaft) je nach Art des Polymers und des Herstel-

Abbildung III-1.2: Vereinfachte Darstellung der einstufigen und der stufenweisen Emulsions­ polymerisation.

180

Wasserlöslichkeit bzw. -dispergierbarkeit von organischen Lackbindemitteln lungsprozesses recht unterschiedlich sein kann (Abbildung III-1.3). In handelsüblichen Dispersionen für Dispersionslacke liegen häufig komplizierte Teilchenstrukturen vor, wie z.B. hemisphärische Teilchen oder die „Erdbeer“-Morphologie [6]. Die beiden Polymerphasen bestehen in der Regel aus einem harten Polymer (hohe Glastemperatur) und einem weichen Polymer (niedrige Glastemperatur). Primärdispersionen sind in der Regel in Bezug auf Koagulation thermodynamisch instabil (Kolloideigenschaft). Sie müssen deshalb elektrostatisch oder sterisch stabilisiert werden, d.h. in einen thermodynamisch metastabilen Zustand gebracht werden. Emulgatoren (niedrigmolekulare, häufig anionische Tenside) stabilisieren elektrostatisch und führen bei der Emulsionspolymerisation in der Regel zu feinteiligen Dispersionen. Dabei ist zu beachten, dass feinteilige Dispersionen eine große innere Phasengrenzfläche haben und somit einen hohen Emulgatorbedarf. Schutzkolloide (hochmolekulare wasserlösliche Polymere wie z.B. Polyvinyl-alkohol oder Celluloseether) stabilisieren sterisch und führen während der Emulsionspolymerisation meist zu grobteiligen Dispersionen. Je feinteiliger die Polymerdispersionsteilchen sind, desto größer ist die Pigmentbindekraft (und die kritische PVK), das Eindringvermögen in poröse Untergründe sowie die Homogenität und der Glanz von daraus hergestellten Filmen. Die bei der Emulsionspolymerisation zugesetzten Emulgatoren bzw. Schutzkolloide werden durch Kettenübertragungsreaktionen teilweise fest an das Polymer gebunden; sie orientieren sich als hydrophile Gruppen an die Oberfläche der Dispersionsteilchen. Darüber hinaus enthalten die Monomerenmischungen häufig polare Monomere, wie z.B. Acryl- oder Maleinsäure, die sich ebenfalls an der Teilchenoberfläche befinden und im alkalischen Lackmedium durch Salzbildung stabilisierende Ladungen erzeugen. Zusätzlich können geladene funktionelle Gruppen aus Initiatoren wie Peroxodisulfat stammen (Gleichung III-1.2).

O₃S–O–O–SO₃⊝  Polymer–O–SO₃⊝ (Gl. III-1.2)

Abbildung III-1.3: Mögliche Strukturen (Querschnitte) von Primärdispersionsteilchen bei der stufenweisen Emulsionspolymerisation von mindestens zwei Monomeren (heterogene Dispersionen)

181

Teil III – Wässrige Lacke Aus der Metastabilität der Primärdispersionen ergeben sich folgende anwendungstechnische Eigenschaften: –– Die Filmbildung (Koagulation auf dem Substrat) von Primärdispersionen ist thermodynamisch begünstigt. –– Starke Scherung (z.B. Dissolver, Pumpen) kann eine Koagulation hervorrufen. –– Temperaturerhöhung kann bei sterisch stabilisierten Dispersionen zur Koagulation führen. –– Einfrieren kann Koagulation bewirken. –– Salze (inbes. mehrwertige Kationen wie Ca²+, Fe³+ oder Al³+) können elektrostatisch stabilisierte Dispersionen zur Koagutation bringen; sterisch stabilisierte sind in dieser Hinsicht unempfindlicher. –– Erniedrigung des pH-Werts (Verringerung der stabilisierenden Ladungen) kann bei elek­ trostatisch stabilisierten Dispersionen zur Koagulation führen. Eine relativ moderne Form von Primärdispersionen sind die wässrigen Mikrogele; dabei handelt es sich um durch vernetzende Emulsionspolymerisation hergestellte intrapartikular vernetzte Primärdispersionen. Bei der vernetzenden Copolymerisation werden der Monomerenmischung einige Gew-% (manchmal bis 20 %) bifunktionelle Monomere (z.B. Allylacrylat, Divinylbenzol, Hexandioldiacrylat) zugesetzt. Geeignet formulierte Mikrogele können wie Primärdispersionen Filme bilden und als Lackbindemittel eingesetzt werden [8]. Abbildung III-1.4 zeigt bei zwei Polymerlösungen und zwei Polymerdispersionen die Abhängigkeit der Viskosität vom nichtflüchtigen Anteil. Die Polymerlösungen haben höhere Viskositäten, wobei die Viskosität mit steigender Molmasse größer wird. Der andersartige Viskositätsverlauf von Polymerdis­persionen (Abbildung III-1.4) beruht darauf, dass sich die Wirkungssphären der Polymerteilchen bei niedrigem und mittlerem nichtflüchtigen Anteil

Abbildung III-1.4: Vereinfachte Darstellung der Viskosität in Abhängigkeit vom nichtflüchtigen Anteil von zwei Polymerlösungen einerseits und zwei Polymerdispersionen andererseits. Molmasse des gelösten Polymers 1 < Molmasse Polymer 2 Teilchengröße der Polymerdispersion 1 < Teilchengröße Dispersion 2 ODER bei gleicher mittlerer Teilchengröße von Polymerdispersionen 1 und 2: Teilchengrößenverteilung der Polymerdispersion 1 schmaler als bei Dispersion 2

182

Wasserlöslichkeit bzw. -dispergierbarkeit von organischen Lackbindemitteln kaum beeinflussen und das näherungsweise unabhängig von der Molmasse (Polymereigenschaft). Bei höherem nichtflüchtigen Anteil wird der Abstand der Polymerteilchen verringert und die Viskosität steigt wegen der Wechselwirkung zwischen den Teilchen schnell an [9]. Allerdings gibt es auch einen Einfluss der Teilchengröße der dispersen Polymerteilchen (Partikeleigenschaft) auf das Viskositätsverhalten; die Viskosität steigt bei umso niedrigerem Polymergehalt an, je feinteiliger die Polymerteilchen sind (Abbildung III-1.4). Darüber hinaus spielt die Teilchengrößenverteilung (Partikeleigenschaft) eine Rolle; je breiter diese ist, umso dichter lassen sich die Polymerteilchen „packen“. In erster Linie wird also die Viskosität der Polymerlösungen von den Polymereigenschaften, die der Polymerdispersionen aber von den Partikeleigenschaften bestimmt. Der entscheidende anwendungstechnische Vorteil von vielen Polymerdispersionen, und insbesondere Primärdispersionen, gegenüber Polymerlösungen ist, dass die Viskosität einer Dispersion näherungsweise unabhängig von der Molmasse des dispersen Polymers ist. Damit werden Polymere mit sehr hohe Molmassen (1 Mio. und größer), die bereits ohne Vernetzung qualitativ hochwertige Beschichtungen ergeben, leicht verarbeitbar. Lacktechnisch wichtige Typen von Primärdispersionen sind – neben anderen – sog. Reinacrylatdispersionen (Copolymere verschiedener Ester der Meth/Acrylsäure) und die Styrol-Acrylat-Dispersionen (Copolymere aus Styrol und Estern der Acrylsäure) [10]. Diese in der Regel durch radikalische Copolymerisation hergestellten Makromoleküle enthalten in der Polymerhauptkette nur unverseifbare C-C-Bindungen und in den (Meth)acrylatseitenketten schwer verseifbare Estergruppen, was zu hohen Beständigkeiten der daraus hergestellten Beschichtungen führt. Die preisgünstigeren Vinylesterdispersionen sind meist leichter verseifbar und eignen sich damit für höherwertige Beschichtungen nicht so gut. Primärdispersionen werden insbesondere als Bindemittel im Bautenschutz eingesetzt, und zwar für physikalisch trocknende Dispersionsfarben. Darüber hinaus lassen sich mehrstufig hergestellte heterogene Primärdispersionen als Bindemittel für Dispersionslacke (z.B. für Holz) verwenden [6, 7]. Der Unterschied zwischen Dispersionsfarben und -lacken besteht in der unterschiedlichen Pigmentierungshöhe; bei Dispersionsfarben liegt die Pigment-VolumenKonzentration in der Regel zwischen 40 und 90 Vol-%, bei Dispersionslacken ist sie meist kleiner 25 Vol-%. Dispersionslacke können aufgrund des mehrstufigen Aufbaus der Dispersionsteilchen (core-shell-Aufbau, äußere Schale mit niedriger Glastemperatur) und der niedrigeren PVK geschlossene und glänzende Filme bilden. Zur Filmbildung von Primärdispersionen, die durch physikalische Trocknung erfolgt, soll an dieser Stelle nur gesagt werden, dass im gebildeten Lackfilm die einzelnen Polymerteilchen ihre Identität behalten [11]; siehe auch Kapitel III-2.1.1.

1.3.2

Bindemittelemulsionen

Emulsionen sind thermodynamisch metastabile Zweiphasensysteme mit einer flüssigen dispersen Phase (Bindemittel) und Wasser als Dispersionsmittel (Teilchengröße häufig 1 µm oder größer). Die disperse Phase bildet meist eine scharfe Phasengrenzfläche aus; in diesem Punkt ähneln Emulsionen Primärdispersionen und werden deshalb in diesem Abschnitt beschrieben. Beispiele sind Emulsionen von Siliconharzen oder von langöligen Alkydharzen und oxidativ härtenden Ölen. Es gibt auch flüssige, emulgatorhaltige Epoxidharze, die beim geeigneten Verdünnen mit Wasser eine Emulsion ergeben. Bindemittelemulsionen spielen allerdings im Vergleich zu den anderen Typen wässriger Lackbindemittel nur eine untergeordnete Rolle. 183

Teil III – Wässrige Lacke In der englischsprachigen Literatur wird der Begriff „emulsion paint“ häufig für Dispersionsfarbe verwendet, was sachlich falsch ist, denn unter einer Emulsion versteht man immer eine Verteilung zweier flüssiger Phasen, während eine Dispersion generell die fein Verteilung eines Feststoffs, also beispielsweise einer festen Bindemittelphase, in einem flüssigen Dispersionsmittel (hier Wasser) ist. Die irreführende Bezeichnung kommt von der Herstellung der Primärdispersionen durch Emulsionspolymerisation [5]. Sachlich richtig wäre die Bezeichnung „latex paint“, was aber leider nur sehr selten gebraucht wird.

1.3.3

Sekundärdispersionen

Sekundärdispersionen entstehen aus Polymeren, die konventionell hergestellt und aus einer Lösung oder Schmelze in die wässrige Dispersion überführt werden. Das bedingt, dass so hohe Molmassen wie bei Primärdispersionen hier meist nicht möglich sind. Nach der Filmbildung von Sekundärdispersionen durch physikalische Trocknung sind in der Regel – im Gegensatz zu den Primärdispersionen – keine diskreten Dispersionsteilchen mehr nachweisbar. Sekundärdispersionen stellen zwar ein disperses Zweiphasensystem dar, bei ihnen gibt es aber, ebenfalls im Gegensatz zu Primärdispersionen, keine scharfe Phasengrenzfläche zwischen disperser Phase (Bindemittel) und Dispersionsmittel (Wasser). Aus der Teilchenoberfläche können von Wasser solvatisierte Polymerschlaufen mit hydrophilen Gruppen (z.B. Carboxylatgruppen) herausragen; diese befinden sich in einem „lösungsähnlichen“ Zustand [12, 13]. Sekundärdispersionen liegen in ihren Eigenschaften zwischen molekular gelösten Polymeren und Primärdispersionen. Die Frage nach der thermodynamischen Stabilität von Sekundärdispersionen lässt sich damit nicht generell beantworten; es gibt sowohl thermodynamisch stabile (emulgatorfrei, „selbstdispergierend“) als auch metastabile Sekundärdispersionen.

1.3.3.1

Abbildung III-1.5: Vereinfachte Darstellung des Herstellungsprozesses von Acrylat-Primär- und Acrylat-Sekundärdispersionen

184

Acrylat-Sekundär­ dispersionen

In Abbildung III-1.5 sind die Unterschiede bei Herstellung von emulgatorfreien Acrylat-Sekundärbzw. emulgatorhaltigen Acrylat-Primärdispersionen vereinfacht dargestellt [14]. Eine Acrylat-Lösung mit geeigneter Säurezahl ergibt, wenn sie mindestens teilweise mit Aminen neutralisiert wird, beim Verdünnen mit Wasser spontan eine Sekundärdispersion (Selbstdispergier-Effekt) mit Teilchengrößen von 20 bis 200 nm [14]. Das üblicherweise bei der Herstellung der Acrylat-Sekundärdispersion verwendete wassermischbare organische Lösemittel dient zum Verdünnen des sonst zu hochviskosen Polymers und kann nach der Dispersionsbildung mit Wasser abdestilliert werden. Die Molmassen von Acry­lat-Sekundärdispersionen sind – mit 50 000 bis

Wasserlöslichkeit bzw. -dispergierbarkeit von organischen Lackbindemitteln 150 000 – herstellungsbedingt deutlich niedriger als die von Acrylat-Primärdispersionen (ca. 1 Mio.). Anwendung finden Acrylat-Sekundärdispersionen als Bindemittel für Korrosionschutzbeschichtungen [14], in wässrigen Einbrennklarlacken für Industrielacke und bei der Automobillackierung [15].

1.3.3.2

Polyurethan-Sekundärdispersionen

Die Eigenschaften von Sekundärdispersionen wurden insbesondere am Beispiel der schon länger bekannten emulgatorfreien Polyurethan(ionomer)-Dispersionen genau untersucht [16,  17]. Zwei wichtige Herstellungsverfahren für PUR-Dispersionen sollen kurz erläutert werden. Das sog. Keton-Verfahren ist in Abbildung III-1.6 dargestellt. Zuerst erfolgt eine Polyaddition von Diol (meist Polyesterdiol), Diisocyanat und Dimethylolpropionsäure zum PUR-Polymer. Wegen des Viskositätsanstiegs während der Polyaddition (Erhöhung der Molmasse) muss in Ketonlösung gearbeitet werden (z.B. in Aceton, MEK oder MIBK). Trotzdem sind die Molmassen nach oben begrenzt (ca. 50 000). Danach wird ein Amin zugesetzt, um die Carboxylgruppen zu neutralisieren (Salzbildung). Nun erfolgt der Zusatz von Wasser, was zu spontaner Bildung einer PUR-Ionomer-Dispersion („Fällungsdispergierung“) führt; auch bei PUR-Dispersionen ist eine ausreichende Zahl von Carboxylatgruppen für die spontane Dispersionsbildung wichtig. Zum Schluss wird das Keton abdestilliert und man erhält eine rein wässrige PUR-Dispersion (Abbildung III-1.6). Die erhaltene PUR-Dispersion kann weitere funktionelle Gruppen (OH-Gruppen) enthalten, die eine Vernetzung z.B. mit MF-Harzen ermöglichen. Das Präpolymer-Ionomer-Mischverfahren ist in Abbildung III-1.7 dargestellt. Zuerst erfolgt wieder eine Polyaddition von Diol (meist Polyesterdiol), Diisocyanat und Dimethylolpropionsäure (oder anderen Trägern Ionen bildender Gruppen) zu einem Isocyanat-terminierten Präpolymer; dieses kann wegen der lösemittelfreien Arbeitsweise nur eine relativ geringe Molmasse aufweisen. Danach wird ein tertiäres Amin ohne weitere funktionelle Gruppen (z.B. Triethylamin: TEA) zugesetzt und gleichzeitig mit Wasser verdünnt (Abbildung III-1.7), wodurch es spontan zur Bildung einer Präpolymer-Ionomer-Emulsion kommt (diese Isocyanatterminierte Emulsion ist in Wasser kurzzeitig stabil).

Abbildung III-1.6: Vereinfachte Darstellung der Herstellung von PUR-Sekundärdispersionen nach dem Ketonverfahren

185

Teil III – Wässrige Lacke Das zum Schluss zugegebene Hydrazin addiert sehr schnell an das Isocyanat-terminierten Präpolymer und führt zu einer Kettenverlängerung. Da die Kettenverlängerung (= Molmassenerhöhung) in disperser Phase durchgeführt wird, können nun hohe Molmassen erreicht werden. Mit Hydrazin kettenverlängerte PUR-Dispersionen zeichnen sich wegen der vielen Wasserstoffbrückenbindungen durch hervorragende physikalische Filmbildung und Kohäsion der Filme aus. Alternativ lässt sich auf das (toxische) Hydrazin verzichten und es wird die langsamere Reaktion mit Wasser abgewartet, die über Harnstoff-Verknüpfungen zu einer Kettenverlängerung führt. Man kann dieses Herstellverfahren auch in Gegenwart von Lösemitteln durchführen, bevorzugt solchen, die nicht abdestilliert werden, wie z.B. N-Methylpyrrolidon (siehe Abbildung III-1.11).

Abbildung III-1.7: Vereinfachte Darstellung der Herstellung von PUR-Sekundärdispersionen nach dem Präpolymer-Ionomer-Mischverfahren

Abbildung III-1.8: Anwendungen von PUR-Sekundärdispersionen

186

Wasserlöslichkeit bzw. -dispergierbarkeit von organischen Lackbindemitteln PUR-Dispersionen haben mittlere Teilchengrößen von 10 bis 500 nm bei meist relativ breiter Teilchengrößenverteilung. Mit zunehmender Hydrophilie (z.B. zunehmender Säurezahl) nimmt die Teilchengröße ab und die Viskosität zu; die Dispersionen werden stabiler [18]. Die spontane Dispersionsbildung (Selbstdispergier-Effekt) lässt die Vermutung zu, dass die hier beschriebenen Acrylat- und PUR-Sekundärdispersionen thermodynamisch stabil sind. Primärdispersionenen sind dagegen thermodynamisch nur metastabil (bei geeigneter Stabilisierung); siehe Kapitel III-1.3.1. Die unterschiedlichen Anwendungen von PUR-Dispersionen sind in Abbildung III-1.8 zusammengefasst. Die verschiedenen Typen von PUR-Sekundärdispersionen (Abbildung III-1.8) können sich hinsichtlich Molmasse und OH-Gehalt unterscheiden. So sind die PUR-Dispersionen für 2KPUR-Systeme vom Aufbau her denen für Einbrennlacke ähnlich; man hat hier niedrigere Molmassen und den für die Vernetzung notwendigen OH-Gehalt. Nur physikalisch trocknende PUR-Dispersionen haben dagegen relativ hohe Molmassen und kaum noch OH-Gruppen. Die oxidativ vernetzenden PUR-Dispersionen enthalten hydroxyterminierte Alkydharze mit ungesättigten Fettsäuren als Weichsegmente.

1.4

Wässrige Bindemittellösungen

1.4.1

Wasserlöslichkeit von Bindemitteln

Es gibt nur wenige lacktechnisch verwendbare Bindemittel, die im engeren Sinne wasserlöslich sind. Sie enthalten polare Bausteine, die mit Wasser Solvate bilden können. Dazu gehören nichtveretherte und viele methanolveretherten Aminoharze, einige Resole (Phenolharze), die Polyethylenglykolether und niedrigmolekulare Polypropylenglykolether. Bei den übrigen Bindemitteln, die üblicherweise eher hydrophobe Bausteine enthalten, bedarf es bestimmter Maßnahmen, um sie im weiteren Sinne des Wortes wasserlöslich zu machen. Die Maßnahmen bestehen darin, dass man diese Bindemittel mit hydrophilen Gruppen dotiert, die mit Wasser Solvate bilden können. Solche Gruppen sind zum einen hydrophile Polyetherketten, die in die Bindemittelmoleküle (meist als Seitenketten) eingebaut werden. Zum anderen erzeugt man im Molekül ionische Gruppen (Kationen oder Anionen), die mit Wasser Solvate bilden und dadurch eine gewisse Wasserlöslichkeit hervorrufen. Dazu werden in die Bindemittelmoleküle Gruppen eingebaut, die bei Zugabe eines Neutralisationsmittels Ionen bilden können. Anionisch wasserlösliche Bindemittel enthalten eine bestimmte Anzahl Carboxyl-, Sulfon-, Phosphon- oder Phosphorsäuregruppen. Die Wasserlöslichkeit entsteht hier durch Neutralisation mit Basen, vorzugsweise mit Aminen oder Ammoniak (Gleichung III-1.3). Pol-COOH + NR₃  Pol-COO⊝ + HNR₃⊕

(Gl. III-1.3)

Bei kationisch wasserlöslichen Bindemitteln (Kapitel III-4.4.3) weist das Bindemittelmolekül eingebaute Aminogruppen auf, die sich durch niedrigmolekulare Carbonsäuren protonieren lassen (Gleichung III-1.4). ⊕

Pol-NR₂ + R’–COOH  Pol-NHR₂ + R’–COO⊝

(Gl. III-1.4)

Die ebenfalls beschriebenen Sulfonate und Phosphonate spielen nur eine geringe Rolle. 187

Teil III – Wässrige Lacke Der Vorteil der ionisch wässrig gelösten Bindemittel besteht darin, dass sie bei der Filmbildung durch Verdunsten der Substanzen, die die Gegenionen gebildet haben, ihren ionischen Charakter und damit auch einen Großteil ihrer Hydrophilie verlieren. Das ist günstig für die Wasserstabilität der aus diesen Bindemitteln hergestellten Filme. Bindemittel, die als solche wasserlöslich sind, wie z.B. methanolveretherte Aminoharze, müssen ihre Wasserbeständigkeit durch eine Vernetzungsreaktion gewinnen. Wasserlösliche Polyether und Polyether-stabilisierte Bindemittel behalten auch nach der Filmbildung eine gewisse Hydrophilie und damit eine Empfindlichkeit gegenüber Wasser (Quellbarkeit). Da die als Neutralisationsmittel bei anionisch stabilisierten Bindemitteln eingesetzten Amine und Ammoniak relativ leicht flüchtig sind, kann man mit solchen Bindemitteln Lacksysteme formulieren, die bei Raumtemperatur trocknen oder bei mäßigen Einbrenntemperaturen verfestigen (60 bis 150 °C). Demgegenüber sind die Säuren, die man zur Neutralisation kationisch stabilisierter Bindemittel benötigt, schwerer flüchtig. Daher lassen sich solche Systeme nur bei relativ hohen Einbrenntemperaturen effektiv verfestigen (über 160 °C). Kationisch stabilisierte wässrige Lacksysteme findet man daher z.B. als Elektrotauchlacke, dort kommen bei der Applikation entsprechend hohe Einbrenntemperaturen vor (Kapitel III-4.4.3). Die ionisch stabilisierten wässrigen Bindemittel bilden kolloidale wässrige Lösungen. Es gibt einen gleitenden Übergang zu den elektrostatisch stabilisierten Sekundärdispersionen. Der Zustand einer wässrigen Lösung ist dann besonders ausgeprägt, wenn die Molmassen der Bindemittel relativ klein sind, deren Glastemperatur relativ niedrig ist, eine ausreichend hohe Zahl ionischer Gruppen verfügbar sind und bestimmte Mengen an Colösemittel mitverwendet werden (siehe Kapitel III-1.4.3). Lösliche Bindemittel für wässrige Lacksysteme werden in verschiedenen Formen angeboten: –– Festharze (hauptsächlich Druckfarbenbindemittel, wie z.B. Maleinat­harze, Styrol-­­MSA-­Copolymere) –– Als 60 bis 90 %ige Anlösungen in einem wasserlöslichen organischen Lösemittel (z.B. Butylglykol); in der Regel nicht neutralisiert (z.B. AK, SP, AY, MF) –– Als schon neutralisierte Anlösungen in einem hauptsächlich aus Wasser bestehenden Lösemittelgemisch, das in der Regel direkt mit Wasser weiter verdünnt werden kann (z.B. AK, SP, AY). –– Wässrige Anlösung ohne Neutralisationsmittel (spezielle MF)

1.4.2

Neutralisationsmittel

Carboxylgruppenhaltige Systeme sind die wichtigsten wasserlöslichen Bindemittel. Als Neu­ tralisationsmittel werden hier in der Regel Amine (Abbildung III-1.9) eingesetzt, die unter den Trocknungs- bzw. Härtungsbedingungen flüchtig sein sollten, um die Hydrophilie der Lackfilme zu reduzieren (Gleichung III-1.5). Pol-COO⊝

HNR₃⊕  Pol-COOH + NR₃

(Gl. III-1.5)

Für Einbrennlacke war DMEA bisher das wichtigste Neutralisationsmittel. Neuerdings wird DMEA mit dem Totenkopf gekennzeichnet; man könnte daher versuchen, es in wässrigen Einbrennlacken durch das unbedenklichere weil weniger toxische AMP zu ersetzen. Für lufttrocknende Lacke nimmt man leichter flüchtigen Spezies, wie z.B. Ammoniak. In Einzelfällen werden auch andere Amine eingesetzt. Alle Amine besitzen ein mehr oder weniger unangenehmen Geruch. 188

Wasserlöslichkeit bzw. -dispergierbarkeit von organischen Lackbindemitteln Für Dispersionsfarben kann auch das nichtflüchtige und geruchlose Kaliumhydroxid (KOH) verwendet werden. Amine haben auch einen unterschiedlichen Einfluss auf die Löslichkeit von Lackbindemitteln. Dabei ist weniger die Basizität der Amine von Bedeutung, sondern mehr ihre Eigenschaft als Lösevermittler. So nimmt z.B. in der Reihe DMEA > TEA > Ammoniak die Löslichkeit von Bindemitteln ab bzw. die Trübung der wässrigen Bindemittellösungen zu. Die zur 100 %-igen Neutralisation eines Lackbindemittels (Menge: mBm) notwendige Menge an Amin (Menge: mAmin; Molmasse: MAmin) kann über die Säurezahl (SZ: mg KOH/g) des Bindemittels berechnet werden: mAmin =

MAmin · SZ · mBm 56100

Weiter ist zu beachten, dass Amine von Pigmenten und Füllstoffen adsorbiert werden können (insbesondere von nachoxidierten sauren Farbrußen). Der Aminbedarf zur Einstellung des erforderlichen pH-Werts von ca. 8 kann daher in pigmentierten wässrigen Lacken deutlich höher als berechnet sein. Bei der Herstellung eines wässrigen Lacks sollte grundsätzlich bei jedem Arbeitsschritt der pH-Wert überprüft werden, um unliebsame Überraschungen, wie z.B. die Koagulation des Bindemittels, zu vermeiden. Beim Verdünnen von neutralisierten, carboxylgruppenhaltigen Lackbindemitteln (z.B. AK, SP, AY) mit Wasser wird häufig ein anomales Viskositätsverhalten beobachtet [19,  20]. Diese Visko-

Abbildung III-1.9: Beispiele lacktechnisch wichtiger Amine

189

Teil III – Wässrige Lacke sitätsanomalie („Wasserberg“) ist auf zwei gegenläufige Effekte zurückzuführen (Abbildung III-1.10): –– Der Verdünnungseffekt des Wassers führt zum Abfall der Viskosität. –– Wasser ist ein schlechtes Lösemittel für organische Bindemittel (Ausnahme bestimmte MF- oder UF-Harze); d.h. die Lösekraft des Mediums fällt beim Verdünnen mit Wasser, mit der Folge zunehmender Assoziation der Bindemittelmoleküle (ähnlich Sekundärdispersionen) und damit Ansteigen der Viskosität.

1.4.3

Colösemittel

Grundsätzlich wird durch organische, wassermischbare Colösemittel das Lösevermögen des Mediums verbessert und damit die viskositätserhöhende Assoziatbildung vermindert (Tabelle III-1.3, Abbildung III-1.11). Das beste Colösemittel zur Minimierung des „Wasserberges“ ist ohne Zweifel Butylglykol (Abbildung III-1.11). Die hydrophobe n-Butylgruppe assoziiert mit dem organischen, hydrophoben Bindemittel. Damit schwächt sich die Assoziation der Bindemittelmoleküle untereinander ab, wodurch auch der Viskositätsanstieg beim Verdünnen mit Wasser geringer oder gar verhindert wird. Zu beachten ist, dass viele Wasser-Butylglykol-Gemische ab Temperaturen von 50 bis 55 °C eine obere Mischungslücke aufweisen. Gute Colösemittel müssen nicht unbedingt vollständig mit Wasser mischbar sein (z.B. n-Butanol; siehe Tabelle III-1.3). Im Falle eines Hydrosols, einer Sekundär- oder einer Primärdispersion ist die Konzentration der üblichen protischen Colösemittel im dispersen Bindemittelteilchen meist größer als in der Wasserphase; disperse Bindemittel sind sogar in der Lage geringe Mengen an vollständig nichtwassermischbaren Lösemitteln, wie z.B. Testbenzin, in sich aufzunehmen, was zu einer Anquellung der Dispersionsteilchen und zu einem Viskositätsanstieg führen kann. Dies muss allerdings nicht für dipolar aprotische Lösemittel, wie z.B. N-Methyl-2-pyrrolidon (Abbildung

Abbildung III-1.10: Vereinfachte Darstellung des Viskositätsverlaufs eines neutralisierten, wasserlöslichen Lackbindemittels beim Verdünnen mit Wasser

190

Abbildung III-1.11: Formeln von Butylglykol und N-Alkyl-2-pyrrolidon

Wasserlöslichkeit bzw. -dispergierbarkeit von organischen Lackbindemitteln Tabelle III-1.3: Wichtige Colösemittel für wässrige Lacke Colösemittel 1. protische Colösemittel n-Butanol Butylglykol Butyldiglykol 2. dipolar aprotisches Colösemittel N-Methyl-2-pyrrolidon (NMP)

Wasserlöslichkeit bei 20 °C 8 Gew.-% unbegrenzt unbegrenzt unbegrenzt

III-1.11), gelten, die sich häufig in der Wasserphase anreichern (siehe Abb. III-4.2). NMP ist in einzelnen wässrigen PUR-Dispersionen enthalten und wird manchmal auch wässrigen Kunststofflacken zur Verbesserung der Haftung zugesetzt. Es muss angemerkt werden, das NMP heutzutage als toxikologisch sehr bedenklich angesehen wird. Das zwischenzeitlich als Ersatz für NMP empfohlene N-Ethyl-2-pyrrolidon (NEP; Abbildung III-1.11) wird mittlerweile auch als reproduktionstoxisch eingestuft, so dass von einer Verwendung abgeraten werden muss. Grundsätzlich sollte aus ökologischen Gründen der Anteil an organischen Colösemitteln in wässrigen Lacksystemen minimiert werden; der Idealfall vollständig lösemittelfreier wässriger Lacke ist aber nur langsam und schrittweise zu erreichen. Viele in organischen Colösemitteln angelöste Bindemittel für Wasserlacke werden deshalb zur Zeit auf wässrige Anlöseformen umgestellt. Dies ist allerdings mit Schwierigkeiten verbunden, da das chemisch aggressive Lösemittel Wasser (Kapitel III-1.1) bestimmte Bindemittel (insbesondere Polykondensate wie z.B. AK oder SP) hydrolytisch angreifen kann. Ab dem Zeitpunkt der Wasserzugabe beginnt die Hydrolyse (Verseifung); d.h. eine wässrige Bindemittelanlösung verlängert die Hydrolysezeit um die Lagerzeit für die Anlösung schon vor dem Herstellen des wässrigen Lacks. Für den Zeitraum der reinen Lagerung wässriger Lacke (ca. 6 bis 12 Monate) haben die Bindemittelhersteller dieses Problem aber mittlerweile weitgehend im Griff.

Resümee

Abschließend muss festgehalten werden, dass sich nur ein kleiner Teil der Lackbindemittel völlig klar (d.h. molekular) in Wasser löst (auch kolloidale Lösungen können u.U. klar erscheinen). Die meisten wässrigen Lackbindemittellösungen sind mehr oder weniger trüb; d.h. es bilden sich z.B. durch hydrophobe Wechselwirkungen Assoziate oder Sekundärdispersionen (Kapitel III-1.3.3). Ein und dasselbe Bindemittel kann je nach Lackrezeptur (pH-Wert, Amin, Colösemittelgehalt) molekular gelöst, assoziiert oder gar als Sekundärdispersion vorliegen. Die Bezeichnung „wasserlösliche Bindemittel“ ist deshalb nicht immer ganz korrekt; sie werden daher auch „wasserverdünnbare Bindemittel“ genannt, was aber ebenfalls keine präzise Benennung ist, da Primärdispersionen (Kapitel III-1.3.1) ja auch mit Wasser verdünnbar sind.

Abbildung III-1.12: Stark vereinfachte Darstellung von Eigenschaften verschiedener Verteilungen organischer Lackbindemittel in Wasser

191

Teil III – Wässrige Lacke In Wasser gelöste Lackbindemittel finden hauptsächlich in chemisch härtenden Lacken Anwendung, da wegen der meist niedrigen Molmasse die Neigung zur physikalischen Filmbildung gering ist (Abbildung III-1.12). Dies können bei Raumtemperatur härtende wässrige Lacke sein (z.B. 2K-PUR) oder auch wässrige Einbrennlacke (z.B. mit MF-Harzen vernetzende AK, SP oder AY). Interessant sind die sog. Hybrid-Systeme, bei denen reaktive, in Wasser gelöste Bindemittel mit Polymerdispersionen kombiniert werden. Damit erreicht man sowohl eine schnelle physikalische Antrocknung als auch – durch nachträgliche Vernetzung – die für chemisch gehärtete Beschichtungen typischen duromeren Filmeigenschaften (z.B. Lösemittelbeständigkeit).

1.5 Literatur [1] Stoffdaten und Merkblätter der Firmen BASF AG, Shell, Exxon [2] Ullmann‘s Encyclopedia of Industrial Chemistry, Vol. 18, Kapitel 3.3, S.434 ff., VCH 1991 [3] Wo. Ostwald, Licht und Farbe in Kolloiden, erster Teil, Verlag Th. Steinkopff, 1924 [4] R. Winwood, Phänomen Farbe, Nr. 6 (1998), S. 35 – 36 [5] Z. W. Wicks, F. N. Jones und S. P. Pappas, Organic Coatings – Science and Technology, 2. Aufl., Wiley-Interscience (1999), Kapitel 8 [6] U. Désor und S. Krieger, Welt der Farben, 7+8/1997, S. 6 – 12 [7] R. Baumstark et al., Farbe & Lack, 106 (2000) Nr. 11, S. 125 – 147 [8] Z. Vachlas, Journ. Oil Colour Chem. Assoc., 72 (1989) S. 139 – 144 [9] D. Stoye (Hrsg.), Lacke und Lösemittel, Verlag Chemie (1979), S. 23

192

[10] M. Schwartz und H. Kossmann, Farbe & Lack 103 (1997) Nr. 10, S. 109 – 122 [11] D. Distler und G. Kanig, Colloid & Polym. Sci., 256 (1978) S. 1052 – 1060 [12] D. Dieterich, Angew. Chem. 82 (1970) S. 53 ff. [13] O. Lorenz et al., Angew. Makromol. Chem. 172 (1989) S. 113 ff. [14] B. Schlarb, M. Gyopar Rau, S. Haremza, Progr. Org. Coat. 26 (1995) S. 207 – 215 [15] U. Kubillus, H. Oswald, Kunstharz-Nachrichten 29 (1993) S. 43 – 47 [16] D. Dieterich, Progr. Org. Coat. 9 (1981) S. 281 ff. [17] D. Dieterich, Angew. Makromol. Chem. 98 (1981) S. 133 ff. [18] U. Meier-Westhues: Polyurethane: Lack, Kleb- und Dichtstoffe, Vincentz Network (2007), S. 53 ff. [19] J. Dörffel, Farbe & Lack 81 (1975), S. 10 – 15 [20] H. J. Luthardt, Farbe & Lack 87 (1981), S. 456 – 460

Bei Raumtemperatur trocknende/härtende wässrige Lacke und Beschichtungen

2 Bei Raumtemperatur trocknende/härtende wässrige Lacke und Beschichtungen 2.1

Physikalisch trocknende Anstrichstoffe

Dispersionsfarbe ist eine Sammelbezeichnung für physikalisch trocknende Anstrichstoffe auf Basis von wässrigen Polymerdispersionen und Pigmenten sowie Füllstoffen. Im Englischen wird Dispersionsfarbe häufig irreführend als „emulsion paint” (Emulsions­farbe) bezeichnet; ein besserer englischer Begriff ist „latex paint“ [1]. In diesem Buch sollen unter Dispersionsfarben solche mit einer PVK >40 % verstanden werden; Dispersionslacke haben dagegen eine PVK 3000 6,5 Gew.-% 2. Colösemittel Butylglykol 119 unbegrenzt Butyldiglykol 1200 unbegrenzt 3. Sonstige 1000 unbegrenzt 1,2-Propylenglykol ** * Diethylether = 1 ** 1,2-Propylenglykol ist weder ein klassisches Colösemittel noch ein Filmbildehilfsmittel. In Dispersionsfarben wird es häufig als Wasserretentionsmittel eingesetzt; d.h. es verlängert die „offene Zeit“. Darüber hinaus ist es ein Frostschutzmittel.

sich auch in der Wasserphase und verdünnt damit die Farbe. Darüber hinaus reduzieren wasserlösliche organische Colösemittel wie Butyldiglykol die Grenzflächenspannung des Wassers und beeinträchtigen damit die Micellbildung (Assoziatbildung) der HEUR-Additive; auch dies führt zu einer Abnahme der Viskosität. Das teilweise wasserlösliche Butyldiglykolacetat (BDGA, Tabelle III-2.3) nimmt erwartungsgemäß eine Mittelstellung ein (Abbildung III-2.4).

Abbildung III-2.4: Einfluss von Filmbildehilfsmitteln auf die Viskosität von Dispersionsfarben mit HEUR-Additiven. Texanol = 2,2,4-Trimethyl-1,3-pentandiol-1-isobutyrat (Tabelle III-2.3, Abbildung III-2.3) BDGA = Butyldiglykolacetat (Tabelle III-2.3) BDG = Butyldiglykol (Tabelle III-2.3)

196

Bei Raumtemperatur trocknende/härtende wässrige Lacke und Beschichtungen Tabelle III-2.4: Fertigungsrezept für einen weißen Dispersionslack Pos. Rohstoff 01 Wasser 02 Dispergiermittel 03 Entschäumer 04 Konservierungsmittel 05 AMP-90 06 Propylenglykol 07 HEUR 08 Ammoniak 09 Titandioxid Rutil Mit dem Dissolver dispergieren 10 Dispersion (47 %ig) 11 Butylglykol 12 Methoxybutanol 13 HASE Summe

Gew.-Teile 12,8 0,8 0,2 0,2 0,2 4,0 2,5 0,3 21 53 2,0 2,0 1,0 100,0

nfA

Dichte [g/cm³]

21,0

4,1

24,9

ca. 1,2

45,9

Pos. 02: Pos. 03:

Dispergiermittel auf Basis Natriumpolyacrylat, z.B. Lopon 890 (45 % in Wasser) Entschäumer auf Basis Kohlenwasserstoffe und hydrophober pyrogener Kieselsäure, z.B. Agitan 295 (100 %ig) Pos. 05 und 08: AMP-90 (2-Amino-2-methyl-1-propanol) und Ammoniak, Amine zur pH-Wert-Einstellung Pos. 06: Wasserretentionsmittel und Frostschutzmittel Pos. 07: Hydrophob modifiziertes Ethylenoxid-Urethan, assoziativ wirkendes rheologisches Additiv, z.B. Borchigel VP 97105 - NT 40 (40 % in Wasser) Pos. 10: Styrol-Acrylat-Dispersion, 47 % in Wasser, Teilchengröße ca. 0,12 µm, MFT ca. 11 °C, z.B. Mowilith LDM 7450 Pos. 11 und 12: Filmbildehilfsmittel bzw. Colösemittel Pos. 13: Hydrophob modifizierte anionisch lösliche/quellbare Emulsion, assoziativ wirkendes rheologisches Additiv, z.B. Mowilith VDM 7000, 30 % in Wasser, pH 3,0

2.1.2

Dispersionslacke

Ein Dispersionslack (Dispersionslackfarbe) ist wie bereits beschrieben ein Anstrichstoff auf der Grundlage einer wässrigen Kunststoffdispersion; er ergibt einen Anstrichfilm mit dem Aussehen einer Lackierung, d.h. führt zu Beschichtungen mit vergleichsweise hohem Glanz. Für den Glanz eines Dispersionslacks sind hauptsächlich drei Faktoren verantwortlich: –– Die PVK sollte möglichst niedrig sein und für glänzende Dispersionslacke unter 20 % liegen. –– Die Polymerdispersion (meist Reinacrylat) sollte möglichst feinteilig sein: Teilchen­­größe 0,1 µm oder kleiner. –– Es sollten nur speziell für Dispersionslacke geeignete Rheologieadditive verwendet werden; z.B. solche auf Basis HEUR [4, 5], die den Vorteil haben, den Verlauf nicht zu beeinträchtigen und die im Gegensatz zu Schichtsilicaten nicht mattierend wirken. Tabelle III-2.4 zeigt ein Fertigungsrezept für einen weißen, glänzenden Dispersionslack [9]. Bei der Herstellung von Dispersionslacken und -farben wird die Polymerdispersion in der Regel erst nach dem Dispergieren des Pigments zugegeben, andernfalls bestünde das Risiko einer Koagulation durch die starke Scherung beim Dispergieren. 197

Teil III – Wässrige Lacke Tabelle III-2.5: Fertigungsrezept eines wässrigen 1K-PUR-Grundlacks für Kunststoffe Pos. 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11

Rohstoff PUR-Dispersion (30 %ig) DMEA (10 %ig in Wasser) Entschäumer (Teilmenge) Dispergieradditiv Schichtsilicat (3 %ig in Wasser) Titandioxid Rutil Talkum Ruß Dispergieren Entschäumer (Teilmenge) Verlauf- und Untergrundbenetzungsmittel VE-Wasser Summe

Gew.-Teile 58,0 4,3 0,3 0,4 7,7 22,0 3,9 2,3

nfA 17,4

0,2 22,0 3,9 2,3

0,6 0,5 0,5 100,0

45,8

Rohstoffe 01: Aliphatisches Polycarbonatpolyurethan, 30 % in Wasser (die Anlösung enthält auch 4,3 % Dipropylenglykoldimethylether sowie 1 % Methoxypropanol), Daotan TW 6450/30 WA (Allnex) 02: Neutralisationsmittel, Dimethylethanolamin 03: Siliconentschäumer, Byk 1798 04: Additol VXW 6208 (Allnex) 05: Rheologisches Additiv, Bentone EW 06: Kronos 2310, d = 4,0 g/cm3 07: Finntalc M 15, d = 2,7 g/cm3 08: Furnace Ruß, geperlt, Cabot BP 2000, d = 1,8 g/cm3 10: Additol VXW 6503 (Allnex)

Die Kenngrößen des weißen Dispersionslacks berechnen sich wie folgt: Pigmentierungshöhe P/B = 21: 24,9 = 0,84 : 1 PVK = [(21/4,1) : (21/4,1 + 24,9/1,2)] · 100 % = 20 % Die näherungsweise Berechnungen der Pigmentierungshöhe und der PVK wurden ohne Additive durchgeführt. Da HEUR- und HASE-Additive Polymere sind, könnten sie auch zum Bindemittel gerechnet werden. Dispersionslacke auf Basis von Primärdispersionen (Tabelle III-2.4) werden im Do-it-yourselfBereich (DIY), Handwerk, Holz, usw. verwendet. Das zweite Rezepturbeispiel (Tabelle III-2.5) ist ein industriell applizierbarer Dispersionslack auf Basis einer PUR-Sekundärdispersion (siehe Kapitel III-1.3.3.2), angewandt als Leitfähigkeits-Primer für die Kunststofflackierung. Leitfähige Grundierungen ermöglichen die elektrostatische Lackierung von Decklacken des ursprünglich nichtleitenden Kunststoffs [10]. Die Leitfähigkeit wird durch eine hohe Pigmentierung mit Ruß erreicht, was die Beschichtung natürlich dunkel färbt. Die PUR-Sekundärdispersion erlaubt eine Dispergierung der Pigmente und Füllstoffe im Bindemittel. Das Rezept in Tabelle III-2.5 beruht auf einer Richtrezeptur [11], die in leicht modifizierter Form realisiert worden ist [12]. Der Grundlack ist dunkelgrau und aufgrund der hohen Pigmentierung und Talkum als Füllstoff matt; die Haftung auf ABS ist sehr gut. Vergleicht man den Oberflächenwiderstand dieser Beschichtung (Tabelle III-2.5) mit einer analogen ohne Ruß, dann stellt ist festbar, dass der Ruß den Oberflächenwiderstand in Ohm um Zehnerpotenzen absinken lässt; dadurch steigt natürlich die Leitfähigkeit entsprechend an. 198

Bei Raumtemperatur trocknende/härtende wässrige Lacke und Beschichtungen Die Rezepturkenndaten (Tabelle III-2.5) berechnen sich wie folgt: P/B = (22 + 3,9 + 2,3) : 17,4 ≈ 1,6 : 1 PVK = [(22/4,0 + 3,9/2,7 + 2,3/1,8) : (22/4,0 + 3,9/2,7 + 2,3/1,8 + 17,4/1,2)] · 100 % ≈ 36 %

2.2

Fassaden­beschichtungen

Wasser ist, was die Zerstörung und Korrosion angeht, der Haupt­feind mineralischer Baustoffe. Der Wasserhaushalt (Wasseraufnahme und -abgabe) ist für alle Baustoffe ein wichtiges Kriterium, zu­mal Wasser auch eine Transportfunktion, z.B. für bauschädliche Salze, hat. Letzt­lich entscheidet der Wasserhaushalt über die Lebenserwartung eines Baustoffs. Fassadenbeschichtungen sollten möglichst eine hohe Wasserdampfdurchlässigkeit (Wasserdampfdiffusion, Atmungsaktivität) und gleichzeitig eine geringe kapillare Wasseraufnahme (Wasser­festigkeit, Schlag­regenbeständigkeit) aufweisen. Fassadenanstriche sind nicht nur schädlichen chemischen, mechanischen und biologischen Belastungen von außen ausgesetzt, sondern auch Einflüssen, die aus dem Baustoff kommen (z.B. Alkalien, Salze, sowie Feuchtigkeitsansammlungen unterhalb des Anstrichs). Als Haupt­ ursache von Anstrichschäden gilt die Hinterfeuchtung der Beschichtung. Die Phasengrenze An­strich/Untergrund ist somit die Schwachstelle des Beschichtungsaufbaus. Neben der Wahl der geeigneten Beschichtung ist es daher die Grundierung, der für die Wirk­sam­keit und Schutzdauer eines Anstrichsystems große Bedeutung zukommt. Hauptziel einer Grundiermaßnahme muss es sein, im Baustoff einen hydrophoben und flüssigkeitsabweisenden, also trockenen Bereich unmittelbar unterhalb des Anstrichs auszubilden. Zum einen wird dadurch das Saugvermögen des Untergrunds so stark reduziert, dass schädliche Hinterfeuchtung der Beschichtung ver­mieden wird. Darüber hinaus wird der Zutritt von Schlagregen in den Baustoff durch Haarrisse und Beschädigung der Beschichtung unterbunden, Risse im Untergrund werden inaktiviert. Um eine genügend breite hydrophobe Zone zu erzielen, ist es notwendig, Imprägniermittel mit ausreichender Eindringtiefe in den Baustoff einzusetzen. Unter einem Imprägniermittel (Einlassmittel) versteht man eine niedrigviskose, kapillaraktive Zubereitung zum Behandeln saugfähiger Substrate (z.B. Beton, Putz, Holz), deren Saugfähigkeit es zu verringern gilt und/oder die wasserabweisend gemacht oder verfestigt werden sollen. Imprägniermittel für mineralische Substrate werden häufig „Tiefgrund“, siliconhaltige Imprägniermittel auch „Hydrophobierungsmittel“ genannt [6]. Insbesondere sei auf wässrige Silicon-Mikroemulsionen als hydrophobierende Grundiermit­ tel [7] hingewiesen, die in ökologischer Hinsicht einen erheblichen Fortschritt brachten, da in der Vergangenheit mehr als 95 % der Lösemittelemission bei Fassaden­beschichtungen aus der (früher lösemittelhaltigen) Grundierung kamen.

2.2.1

Dispersionsfarben

Für preiswerte Dispersionsfarben für Innenräume gilt PVK > KPVK, was zu porenhaltigen Beschichtungen mit (erwünscht) hoher Wasserdampfdiffusion führt (Abbildung III-2.5); die kapillare Wasseraufnahme ist dann natürlich recht hoch, was in Innenräumen aber meistens keine Rolle spielt. Für hochwertige Dispersionsfarben an Außenfassaden gilt dagegen PVK