Kunstsoziologie [1. Aufl.] 9783839414873

Die Kunstsoziologie wird aktuell wiederentdeckt. In Zeiten der Ästhetisierung des Sozialen rückt die Untersuchung des Ve

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Kunstsoziologie [1. Aufl.]
 9783839414873

Table of contents :
Inhalt
I Einleitung
II Forschungsfeld und Forschungsfragen
1 Forschungsfeld
1.1 Kunst-, Literatur-, Musik-, Filmsoziologie und andere
1.2 Abgrenzungen zu anderen Disziplinen
2 Forschungsfragen: Produktion, Distribution, Rezeption – und mehr
III Entstehung und Etablierung der Kunstsoziologie
1 Vor- und Frühgeschichte der Kunstsoziologie
1.1 Kunstsoziologie avant la lettre
1.2 Die Künste bei den Soziologen der ersten Stunde
2 Die Kritische Theorie – und Gegenpositionen
2.1 Benjamin, Adorno und Co
2.2 Silbermann, Gehlen, Cultural Studies
2.3 … und außerdem: Norbert Elias
3 Die Entwicklung in Frankreich
4 Soziologische Kunsthistoriker und andere
IV Drei Soziologen, drei Begriffe
1 Pierre Bourdieu
1.1 Illegitime Künste – Fotografie
1.2 Legitime Künste – Kunstmuseen
1.3 Kunst, Kultur und Geschmack
1.4 Kunst, Kultur und Feld
1.5 … und außerdem: Bourdieu und Hans Haacke
2 Howard S. Becker
2.1 Musiker als Außenseiter
2.2 Kunst als kollektives Handeln
2.3 Methoden der Soziologie, Methoden der Kunst
2.4 … und außerdem: Becker und Hans Haacke
3 Niklas Luhmann
3.1 Die Entstehung des Kunstsystems
3.2 Die Kriterien des Kunstsystems
3.3 Die Funktion des Kunstsystems
3.4 … und außerdem: Luhmann und Art & Language
4 Kritische Betrachtung von Kunstfeld, -welt und -system
V Mehr Theorien, Tendenzen, Themen
1 Weitere Ansätze
1.1 Der Production-of-Culture-Ansatz
1.2 Die Soziologie der Mediation
1.3 … und außerdem: Die Gender-Perspektive
2 Weitere Forschungsschwerpunkte
3 Aktuelle Debatten
3.1 Das Kunstwerk
3.2 … und außerdem: Eine Soziologie der Artefakte
VI Rückblick, Ausblick, Conclusio
Anmerkungen

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Dagmar Danko Kunstsoziologie

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Inhalt I

Einleitung 5

II Forschungsfeld und Forschungsfragen 12 1 Forschungsfeld 12 1.1 Kunst-, Literatur-, Musik-, Filmsoziologie und andere 12 1.2 Abgrenzungen zu anderen Disziplinen 14 2 Forschungsfragen: Produktion, Distribution, Rezeption – und mehr 16 III Entstehung und Etablierung der Kunstsoziologie 18 1 Vor- und Frühgeschichte der Kunstsoziologie 18 1.1 Kunstsoziologie avant la lettre 18 1.2 Die Künste bei den Soziologen der ersten Stunde 22 2 Die Kritische Theorie – und Gegenpositionen 27 2.1 Benjamin, Adorno und Co. 27 2.2 Silbermann, Gehlen, Cultural Studies 33 2.3 … und außerdem: Norbert Elias 35 3 Die Entwicklung in Frankreich 37 4 Soziologische Kunsthistoriker und andere 40 IV Drei Soziologen, drei Begriffe 44 1 Pierre Bourdieu 44 1.1 Illegitime Künste – Fotografie 44 1.2 Legitime Künste – Kunstmuseen 47 1.3 Kunst, Kultur und Geschmack 50 1.4 Kunst, Kultur und Feld 55 1.5 … und außerdem: Bourdieu und Hans Haacke 58 2 Howard S. Becker 59 2.1 Musiker als Außenseiter 60 2.2 Kunst als kollektives Handeln 63

2.3 Methoden der Soziologie, Methoden der Kunst 68 2.4 … und außerdem: Becker und Hans Haacke 71 3 Niklas Luhmann 73 3.1 Die Entstehung des Kunstsystems 74 3.2 Die Kriterien des Kunstsystems 78 3.3 Die Funktion des Kunstsystems 83 3.4 … und außerdem: Luhmann und Art & Language 87 4 Kritische Betrachtung von Kunstfeld, -welt und -system 88 V Mehr Theorien, Tendenzen, Themen 95 1 Weitere Ansätze 95 1.1 Der Production-of-Culture-Ansatz 95 1.2 Die Soziologie der Mediation 100 1.3 … und außerdem: Die Gender-Perspektive 105 2 Weitere Forschungsschwerpunkte 107 3 Aktuelle Debatten 112 3.1 Das Kunstwerk 112 3.2 … und außerdem: Eine Soziologie der Artefakte 116 VI Rückblick, Ausblick, Conclusio 118 Anmerkungen 123 Literatur 127

I Einleitung 1 »Angesichts der Tatsache, daß die Kunst recht eigentlich ein Phänomen der Soziabilität ist, trägt sie unzweifelhaft einen sozialen Wert in sich« (Guyau 1987: 192). Diese Aussage, die bereits im 19. Jahrhundert von Jean-Marie Guyau (1854-1888) formuliert wurde, einem der ersten Kunstsoziologen überhaupt, zieht – mindestens – zwei Fragen nach sich: Welchen ›sozialen Wert‹ hat Kunst? Und lässt sich mit Gewissheit behaupten, dass Kunst ein Phänomen der ›Soziabilität‹ ist, ein gesellschaftliches Phänomen? Kunstsoziologen2 beantworten diese zweite Frage eindeutig mit Ja. Die erste, also welchen sozialen Wert Kunst hat oder auch welche Funktion sie in der Gesellschaft erfüllt bzw. welche Aufgabe sie darin übernimmt, gehört zu ihren zentralen Forschungsfragen. Weitere wären: Wie ist Kunst entstanden? Welche gesellschaftlichen Grundlagen und Bedingungen müssen gegeben sein, damit es Kunst gibt? Wer bestimmt, was Kunst ist? Wer macht Kunst? Wer ist ihr Publikum? Wie hängen Kunst und Gesellschaft zusammen? Die Kunstsoziologie hat viele Wege entdeckt und Verfahren entwickelt, diese Fragen anzugehen. Sie hat Theorien ausgearbeitet, die beschreiben, erklären und verstehen helfen, in welchem Verhältnis Kunst und Gesellschaft zueinander stehen, und sie hat sich auch Gedanken darüber gemacht, ob es überhaupt sinnvoll ist, Kunst und Gesellschaft analytisch voneinander zu trennen, und ob nicht die Verflechtungen der Künste mit ihrer jeweiligen Gesellschaft so vielfältig und komplex sind, dass Kunst grundsätzlich nur gesellschaftlich zu bestimmen ist. So sehr wir in der heutigen Zeit von der Vorstellung geleitet werden, dass die Schöpfung von Kunst (eines Gemäldes, Musikstückes oder Romans) einem einzelnen, besonderen Menschen obliegt, weil er, der Künstler, über einzigartiges Talent und einzigartige Kreativität verfügt, so sehr wissen wir, auch dank der Kunstsoziologie, dass der (soziale, kulturelle, politische, ökonomische) Kontext die Art und Weise der Produktion, Distribution, Rezeption, Interpretation des jeweiligen Kunstwerks prägt. Das zeigt sich auch an der Vorstellung des Künstlers als Genie selbst, die eine moderne und damit historische ist, das heißt nicht konstant gegeben und für alle Zeiten gültig. Das trifft auch auf den Begriff der ›Kunst‹ zu. Wir definieren 5

heute vieles als Kunst, was früher nicht als Kunst verstanden worden wäre (›kunstvoller‹ Schmuck alter Kulturen wird heute im Museum ausgestellt, Stille kann als Musikstück aufgefasst werden und einfaches Dasitzen als Performance gemeint sein), und einiges, was früher als Kunst galt, ist es heute nicht mehr (zum Beispiel Teile der Mathematik, die von der Antike bis zum Mittelalter neben anderen Fächern wie der Musik zu den artes liberales, den Freien Künsten, zählten). Das zeigt, dass sich unser Verständnis von Künstlern und Kunst von Epoche zu Epoche wandelt. Wie und warum dies passiert, gehört ebenfalls zu dem, worüber Kunstsoziologen forschen, und bringt die Erkenntnis mit sich, dass viele andere gesellschaftliche Figuren und Rollen, Organisationen, Institutionen und Strukturen, Begrifflichkeiten und Definitionen ebenfalls an ihre Zeit und ihren soziokulturellen Kontext gebunden sind. Das Vorhandensein von Kunst jedoch kann als Konstante betrachtet werden. Wir kennen keine Gesellschaft, in der es nicht die eine oder andere Form von künstlerischem Ausdruck gegeben hätte oder geben würde – wenngleich man dafür die relativ junge Vorstellung von Kunst als Selbstzweck aufgeben und einen weit gefassten Begriff von Kunst hinzuziehen muss. Tanz, Musik und auch Malerei sind – für magische bzw. religiöse Zwecke – Teil von Ritualen und Zeremonien, überall auf der Welt erzählen sich Menschen Geschichten oder singen sie sich vor. Es lässt sich beobachten, dass die Ausübung, Realisierung und Erfahrung von Kunst nicht nur individuell und subjektiv vollzogen und erlebt werden, sondern gerade auch das Gemeinschaftsleben organisieren, stabilisieren, vielleicht sogar möglich machen (was Antworten darauf wären, was der ›soziale Wert‹ von Kunst ist). Diese Dichotomie von Individuum und Gesellschaft wiederum, mit der sich die Soziologie grundsätzlich auseinandersetzt, ist ein wichtiges Thema der Kunstsoziologie, insofern die Soziologie, die im 19. Jahrhundert entstanden ist, ihren Fokus auf das soziale Zusammenleben der Menschen richtet, wohingegen Kunst seit derselben Zeit mit individuellem Können und subjektivem Empfinden in Verbindung gebracht wird. Theodor W. Adorno (19031969), einer der Soziologen, der sich am meisten den Künsten widmete, schrieb einmal: »Kunst ist die Erscheinung der gesellschaftlichen Dialektik von Allgemeinem und Individuellem durch den subjektiven Geist hindurch« (Adorno 2003: 451). Die Kunst6

soziologie nimmt sich der Kunst als fait social zu einer Zeit an, als diese ihre Autonomie gegenüber anderen gesellschaftlichen Bereichen behauptet. Sie erforscht ihre sich dennoch immer wieder neu herausbildenden Verbindungen zu Religion, Politik und Wirtschaft und das davon unberührte Bild von der Kunst als Ort für ›das Andere‹, gerade gegenüber diesen gesellschaftlichen Bereichen. So wird die soziologische Beschäftigung mit der Kunst immer wieder von der Frage begleitet, ob sie dem ›Wesen‹ der Kunst angemessen ist. Eine in Schriften zur Kunstsoziologie oft und gerne zitierte Bemerkung des französischen Soziologen Pierre Bourdieu (1930-2002) von 1980 besagt, dass sich Soziologie und Kunst ›nicht vertragen‹ (vgl. Bourdieu 1993b: 197). Dabei deutet die Aussage auf Französisch vielmehr auf eine schwierige ›Partnerschaft‹ hin – so eine etwas freiere, aber treffendere Übersetzung von ménage (im Englischen ist gar von bedfellows die Rede). Der Unterton der Originalversion meint also eine Situation, in der Kunst und Soziologie durchaus ›etwas miteinander haben‹, auch wenn diese Beziehung zahlreiche Fragen und Probleme aufwirft. Das Spannungsverhältnis von Kunst und Soziologie zieht beide an, treibt sie auseinander und führt sie doch wieder zusammen. In diesem Sinne ist ihre ménage von Kontinuität geprägt. Inwiefern die Problematik von Kunst und Soziologie in der ›Dialektik‹, in der Gegenüberstellung (oder Verflechtung, Spiegelung, Ergänzung – schon diese Begriffsfragen sind zu diskutieren) von Individuum und Gesellschaft, Subjekt und Objekt, von interner und externer Analyse liegt, wird von Kunstsoziologen immer wieder aufgegriffen. Wie der Gegensatz in Einklang zu bringen ist, dass Kunst mit besonderen Fähigkeiten einzelner, genialer Individuen in Verbindung gebracht wird, während die Soziologie für eine wissenschaftliche Disziplin steht, die sich mit Gruppen, Gemeinschaften, Gesellschaften, ihren Strukturen und ihrem Handeln beschäftigt, ist eine Herausforderung, der sich Kunstsoziologen stellen müssen. Eine Zusammenführung von Kunst und Soziologie zu Kunstsoziologie erfordert nicht weniger als die permanente, kritische Reflexion dieser gesetzten Konstellation. Damit bietet die Kunstsoziologie als Forschungsrichtung die Möglichkeit, die Soziologie als ›Ganzes‹ zu reflektieren, gar zu hinterfragen, ihre Instrumente, Theorien und Methoden auf den Prüfstand zu stellen und idealerweise zu verfeinern. Denn das 7

Spannungsverhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft betrifft nicht nur die Kunstsoziologie, sondern die gesamte Disziplin, egal, welchen Forschungsgegenstand sie sich vornimmt. Die französische Kunstsoziologin Nathalie Heinich (*1955) fasst die Herausforderungen und Chancen so zusammen: »[D]ie Kunst ermöglicht es, mehr als jeder andere Gegenstand, einige Einstellungen, Routinen, Denkgewohnheiten, die in der soziologischen Tradition verankert sind – oder zumindest in einer bestimmten Art, diese Disziplin zu praktizieren –, zu überdenken und manchmal auch aufzugeben oder umzustürzen« (Heinich 1998b: 8). So geht es im vorliegenden Buch auch um die ménage von Kunst und Soziologie. Einerseits wird in die Kunstsoziologie als Forschungsrichtung eingeführt, andererseits wird auf Ergebnisse innerhalb dieser Forschungsrichtung eingegangen, das heißt, es werden soziologische Antworten auf die Frage nach dem Verhältnis von Kunst und Gesellschaft präsentiert: Ist das eine Spiegel des anderen? Gibt es kausale Ursache-Wirkungs-Beziehungen? Hat die Kunst überhaupt eine Funktion für die Gesellschaft? Antworten auf diese und viele weitere Fragen zu diesem Themenkomplex werden in Form einzelner Überlegungen und Theorien von Kunstsoziologen vorgestellt. Da mit der Präsentation der Kunstsoziologie eine Reflexion der Kunstsoziologie einhergeht und dadurch eine Reflexion der Soziologie als solcher, sind die folgenden Darstellungen nicht nur für diejenigen Soziologen von Interesse, die sich den Künsten widmen, sondern für alle, die ihre Disziplin über eine andere Perspektive mit ›frischem‹ Blick betrachten wollen. Es gilt eine Feststellung aus einem früheren Einführungsbuch: »[D]ie soziologische Untersuchung von Kunst ist ausdrücklich nicht nur eine spezialisierte, akademische Ausübung […]. Sie ist nicht nur für diejenigen Menschen von Interesse, die ›Kunstliebhaber‹ sind. […] Stattdessen ist die Kunstsoziologie für all jene, die neugierig sind auf die Gesellschaft und Kultur, in der sie leben« (Inglis/Hughson 2005a: 2). Daher wird sich gegen Ende dieser Einführung auch die Frage stellen, ob sich Kunst und Soziologie vielleicht besser ›vertragen‹ als zunächst angenommen. Tatsache ist, dass innerhalb der Kunstsoziologie als ›Spezieller Soziologie‹ (oder ›Bindestrichsoziologie‹) schon sehr lange Forschung betrieben wird – im Grunde seit es die Soziologie überhaupt gibt. Das zeigt sich mitunter an der Person Guyaus, der ein8

gangs zitiert worden ist und kunstsoziologische Betrachtungen niederschrieb, als die Soziologie als Fach an den Universitäten noch nicht etabliert war. Gleichzeitig wird die Bedeutung der empirischen wie theoretischen soziologischen Analyse der Wechselbeziehung von Kunst und Gesellschaft daran ersichtlich, dass sich so gut wie alle Klassiker der Soziologie auch mit den Künsten auseinandergesetzt haben (einige werden in Kapitel III vorgestellt). Unabhängig davon konnte man allerdings noch Mitte der 2000er Jahre lesen: »In Deutschland spielt eine Soziologie der Kunst nicht dieselbe wichtige Rolle wie es in Frankreich, den Vereinigten Staaten oder sogar […] in Österreich der Fall ist« (Kirchberg/Wuggenig 2004: 8). In der Tat ist die Etablierung der Kunstsoziologie in den verschiedenen Sprachräumen lange Zeit unterschiedlich vorangeschritten. In Frankreich zum Beispiel erscheint die einzige Fachzeitschrift, die explizit und ausschließlich der Kunstsoziologie gewidmet ist (die seit 1992 bestehende Sociologie de l’Art – OPuS), und es gibt gleich mehrere Forschungsnetzwerke, während sich in Deutschland erst 2010 eines gründete.3 Solche Entwicklungen sind jedoch stets unabhängig von der eigentlichen Forschung verlaufen, wie schon an den Einführungen und Überblicksdarstellungen aus den unterschiedlichsten Jahrzehnten deutlich wird (vgl. Mierendorff/Tost 1957, Francastel 1970, Silbermann 1973, Thurn 1973, Hauser 1974, Duvignaud 1975, Kapner 1987, Zolberg 1990, Wolff 1993, Heinich 2001, Alexander 2003, Péquignot 2009; Aufsatzsammlungen: vgl. Wick/Wick-Kmoch 1979, Foster/Blau 1989, Gerhards 1997, Inglis/Hughson 2005b, Gaudez 2007, Girel/ Proust 2007, Le Quéau 2007; Reader mit Auszügen aus Originaltexten wichtiger Autoren: vgl. Albrecht/Barnett/Griff 1970, Bürger 1978, Tanner 2003)4. Im Unterschied zu den meisten hier genannten Einführungen, die vorwiegend nach bestimmten Themen gegliedert sind, wird in dieser Einführung hauptsächlich chronologisch vorgegangen. Dieses Ordnungsprinzip ermöglicht es, die Entwicklungslinien der Kunstsoziologie nachzuvollziehen. Gleichzeitig werden innerhalb der Kapitel inhaltliche Schwerpunkte gesetzt. So folgen zunächst Erläuterungen zum Forschungsfeld und den Forschungsfragen, die weitergehend klären, was die Kunstsoziologie ›ist‹ und was sie ›macht‹ (Kapitel II). Die darauf folgenden Kapitel zeichnen die typischen Etappen jeder Forschungsrichtung oder gar Disziplin nach: die Phase ihrer Entstehung (Kapitel III.1), Etablierung 9

(Kapitel III.2-4) und Ausdifferenzierung (Kapitel IV und V). Im Schlussteil wird ein kurzer Rückblick geboten und auf mögliche zukünftige Entwicklungen eingegangen (Kapitel VI). In Kapitel IV erfolgt eine besonders markante Schwerpunktsetzung auf drei Soziologen, namentlich den bereits genannten Pierre Bourdieu sowie Howard S. Becker (*1928) und Niklas Luhmann (1927-1998). Sie werden als die drei entscheidenden Autoren für die endgültige Etablierung der Kunstsoziologie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und die Ausdifferenzierung ihrer Themen, Theorien und Methoden vorgestellt. Als Klassiker der Kunstsoziologie, als ›Must-reads‹ (statt ›Must-haves‹), deren Überlegungen zu den Künsten bis dato maßgeblich auf die Kunstsoziologie einwirken, werden sie ausführlicher als alle anderen besprochen. Diese Zentralstellung gründet sich darauf, dass Bourdieu, Becker und Luhmann bestimmte Begriffe in die Kunstsoziologie eingeführt haben, die jedwede weitere Forschung auf diesem Gebiet wesentlich geprägt haben und nach wie vor prägen: Die Termini Kunstfeld (Bourdieu), Kunstwelt (Becker) und Kunstsystem (Luhmann) sowie die damit verbundenen Theorien und Methoden gehören zum festen Repertoire der Kunstsoziologie. Die Ansätze könnten unterschiedlicher kaum sein: Während es Bourdieu einerseits um das Handeln der einzelnen Akteure im Kunstfeld geht, andererseits um die dort gegebenen, vorherrschenden Strukturen, innerhalb derer sie agieren müssen (Kapitel IV.1), sucht Becker zu ergründen, wie eine Kunstwelt überhaupt erst durch die Aktionen Einzelner entsteht (Kapitel IV.2). Luhmann hingegen sieht von den Akteuren ab und analysiert vielmehr, wie sich das Kunstsystem selbst erhält (Kapitel IV.3). Offenkundig handelt es sich bei Bourdieu, Becker und Luhmann um je einen Vertreter aus dem französischen, angloamerikanischen und deutschen Sprachraum, und nicht zuletzt auch damit hängt der je unterschiedliche Blick auf die Kunst zusammen, da diese Soziologen aus unterschiedlichen Theorietraditionen heraus arbeiten (ein analysierender Vergleich wird in Kapitel IV.4 unternommen). Die Darstellung ihrer Kunstsoziologien beleuchtet somit zentrale Aspekte, Erkenntnisse und Ergebnisse zu den Künsten aus verschiedenen Theorierichtungen und Ländern. In Zusammenschau mit den kunstsoziologischen Analysen und Betrachtungen, die vor und nach ihnen unternommen wurden und werden, bietet die Einführung in diese Spezielle Soziologie letztlich auch eine Ein10

führung in die Geschichte und Grundlagen der Soziologie – denn so ›speziell‹ der Blick auf die Künste ist, so sehr umfasst er alle Bereiche des menschlichen Zusammenlebens.

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II Forschungsfeld und Forschungsfragen

1 Forschungsfeld

1.1 Kunst-, Literatur-, Musik-, Filmsoziologie und andere Der Gegenstand der Kunstsoziologie ist zunächst horizontal abzustecken und abzugrenzen. Auf horizontaler Ebene ist festzuhalten, dass der Begriff der ›Kunstsoziologie‹ bei Weitem nicht nur eine Soziologie der bildenden Kunst bezeichnet, wie es der alltägliche Sprachgebrauch nahelegt. Selbst in diesem speziellen Bereich ist die Engführung auf bildende Kunst seit dem 20. Jahrhundert problematisch, insofern zur Malerei, Grafik und Bildhauerei immer neue, künstlerische Ausdrucksformen hinzukommen, wie Installationen, Happenings oder Videokunst. Kunstsoziologie meint seit ihren Anfängen immer auch eine Soziologie der Literatur und nicht selten vor allem eine Soziologie der Literatur. Insbesondere in der Vor- und Frühgeschichte dieser Forschungsrichtung (siehe Abschnitt III.1) setzen sich die Autoren vorrangig mit literarischen Werken und Stilen auseinander; die Poesie beispielsweise hat für Guyau eminente Bedeutung, nicht nur weil er selbst auch als Dichter tätig wird, und auch Bourdieu behandelt ausdrücklich das literarische Feld. Die Bevorzugung der Literatur durch die (Kunst-) Soziologen hängt dabei sicherlich damit zusammen, dass sich die Soziologie unter anderem in Konkurrenz zur Literatur herausbildet (vgl. Lepenies 1985). Aber auch das Medium als solches, also Texte, liegen Geistes- und Sozialwissenschaftlern wohl prinzipiell näher als zum Beispiel Gemälde. Zusätzlich zu bildender Kunst und Literatur bezeichnet Kunstsoziologie fast immer auch die soziologische Auseinandersetzung mit Musik. Dort, wo explizit von einer ›Kunst- und Musiksoziologie‹ die Rede ist, wird der soziologischen Musikbetrachtung ein eigener Name gegeben. Wie bei Max Weber (1864-1920) noch zu sehen sein wird (siehe Abschnitt III.1.2), zählt auch diese von Beginn an zum festen Repertoire der Kunstsoziologie. Somit sind, neben dem Terminus Kunstsoziologie, vor allem die Bezeichnungen Literatursoziologie und Musiksoziologie geläufig. Abgesehen von diesem ›Kanon‹ gibt es viele weitere künstlerische Ausdrucksformen, mit denen sich Kunstsoziologen be12

schäftigen: Theater, Tanz, Fotografie und Film, um nur die offensichtlichsten zu nennen. Diese Bereiche werden oft außer von der Kunstsoziologie auch aus weiteren Forschungsrichtungen heraus untersucht, zum Beispiel der Soziologie des Körpers oder der Mediensoziologie. Um der Pluralität der Künste gerecht zu werden, verbreitet sich mehr und mehr die Anwendung des Plurals, sei es in der Benennung des Arbeitskreises »Soziologie der Künste« in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie oder der internationalen Netzwerke der Sociology of the Arts (in der ISA und ESA) oder der Sociologie des Arts (in der AFS). Welche Künste als Teil einer Kunstsoziologie verstanden werden oder verstanden werden sollen, wird erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts grundsätzlich problematisiert, als Unterschiede zwischen ›Hochkultur‹ und ›Populärkultur‹ sichtbar bzw. postuliert werden. Die Aufnahme einiger künstlerischer Ausdrucksformen unter den Sammelbegriff der ›Kunstsoziologie‹ ist somit lange Zeit weniger eine Frage der Gattungen und Genres, der Abgrenzung auf horizontaler Ebene, als vielmehr auf vertikaler Ebene eine Frage nach Aufnahme oder Ablehnung von ›Populärkultur‹. Eine Diskussion, die im Übrigen parallel zu jener innerhalb der ›Hochkunst‹ verläuft, die nach dem Zweiten Weltkrieg mit Richtungen wie der Pop-Art oder Arte povera auf die Nutzung ›minderwertiger‹ Bilder, Themen und Materialien, zum Beispiel aus der Werbung, setzt. Vergleichsweise früh zeigt sich dieses Unbehagen gegenüber der ›Massenkunst‹ am neuen Medium Film, das Arnold Hauser (1892-1978), Kunsthistoriker und Kunstsoziologe, 1951 in seine viel beachtete Sozialgeschichte der Kunst und Literatur aufnimmt. Im letzten Kapitel dieses Opus Magnum äußert sich Hauser nicht nur über den Film als neueste Kunstform, sondern auch über das Filmpublikum auf sehr kritische Art und Weise. Die von ihm mit Skepsis betrachtete »Demokratisierung der Kunst, die im Massenbesuch der Kinos ihren Höhepunkt erreicht« (Hauser 1990: 1019) ist negativ zu bewerten, weil der Film gerade kein differenziertes, gewachsenes, kunstverständiges Publikum hat, sondern lediglich eine ›amorphe‹ und ›anspruchslose‹ Masse an Kinogängern mobilisiert, die aus bildungsfernen Schichten kommt. Da die »Qualität und die Popularität der Kunst […] von jeher in einem gespannten Verhältnis zueinander [stehen]« (ebd.: 1020), plädiert Hauser dafür, die Monopolisierung der (Hoch-)Kunst durch eine kleine Bildungseli13

te dadurch aufzuheben, dass der Anteil der breiteren Schichten am kunstverständigen Publikum vergrößert wird. Das heißt, Hauser erkennt den Zusammenhang von Bildungsniveau und Kunstgenuss, der zu einem der wichtigsten kunstsoziologischen Themen überhaupt wird. An seinen Aussagen wird aber auch ersichtlich, dass er den Film und die Kinogänger gering schätzt und für ihn ein eklatanter Unterschied zwischen ›Hochkunst‹ und ›Massenkunst‹ besteht, den er alles andere als ›werturteilsfrei‹ betrachtet (vgl. Weber 1988). Eine Einstellung, die deutliche Parallelen zum Kunstverständnis der Kritischen Theorie bzw. Frankfurter Schule aufweist, zu der Hauser zahlreiche Berührungspunkte hat. Dieser ambivalente Umgang mit den verschiedenen künstlerischen Ausdrucksformen innerhalb der Kunstsoziologie ist lange Zeit Teil der Geschichte dieser Forschungsrichtung. Inzwischen hat sich die Ansicht durchgesetzt, hierarchisierende Dichotomien im Kunstverständnis als Setzungen zu verstehen, die nicht in der Natur der Dinge liegen, sondern selbst problematisiert werden müssen. Einfluss auf diese Haltung haben einmal die Wissenssoziologen, die nach der sozialen Bedingtheit von Wissen fragen, sowie unter anderem einige angloamerikanische Autoren, die dazu beitragen, den Kulturbegriff – und damit auch das Spektrum der Künste – weiter zu fassen, wie der Brite Raymond Williams (1921-1988), der schon früh, in Gesellschaftstheorie als Begriffsgeschichte. Studien zur historischen Semantik von »Kultur« (Culture and Society 1780-1950 von 1958), die Kritik an der ›Massenkultur‹ kritisiert (vgl. Williams 1972: 356ff.).

1.2 Abgrenzungen zu anderen Disziplinen Die Kunstsoziologie steht einerseits in Konkurrenz zu, andererseits in Austausch mit anderen Disziplinen und Forschungsrichtungen, die sich mit den Künsten beschäftigen. Vorrangig trifft das auf die Kunstgeschichte und die philosophische Ästhetik zu. Während sich die Kunstgeschichte bzw. die Kunst-, Musik- und Literaturwissenschaften Kunstwerke vornehmen, diese analysieren und interpretieren, ist die Erforschung der Kunstinhalte durch die (Kunst-)Soziologie bis heute ein strittiges Thema, das im weiteren Verlauf dieser Einführung mehrfach zur Sprache kommen wird. Im Unterschied zur philosophischen Ästhetik wiederum, die sich unter anderem mit der Wahrnehmung von Kunst und ästheti14

schen Urteilen auseinandersetzt, versteht sich die Kunstsoziologie als empirisch-beschreibende Wissenschaft, die vielmehr nach den gesellschaftlichen Grundlagen und Bedingungen für die Produktion und Rezeption von Kunst fragt. Wie jedoch im nächsten Kapitel an der Vor- und Frühgeschichte der Kunstsoziologie erkennbar wird, sind die Grenzen zu diesen und anderen Disziplinen nicht immer klar definiert. Die Kunstsoziologie bildet sich nicht erst zu einem Zeitpunkt heraus, an dem die Soziologie bereits etabliert ist, sondern begleitet ihre Entwicklung als Forschungsrichtung von Anfang an. Daher durchläuft die Kunstsoziologie auch alle Etappen der Soziologie als Disziplin, wozu wechselnde Auffassungen darüber gehören, wie sich die (Kunst-)Soziologie von welchen Disziplinen abgrenzen soll. Für viele hat die Eigenständigkeit der Soziologie, ihrer Themen und Methoden, oberste Priorität (vgl. Durkheim 1984). Das gilt auch für die Eigenständigkeit einer Kunstsoziologie, die zur Klärung der Sphäre des Zwischenmenschlichen beitragen soll, gegenüber der Kunstwissenschaft, die geschichtlich deutend vorgeht (vgl. Wiese 1931: 126f.). Andererseits spricht Weber nicht selten in einem Atemzug von Kunstgeschichte und Kunstsoziologie (vgl. Weber 1988: 520f.), und seine Studie Die rationalen und soziologischen Grundlagen der Musik (1921) trägt stark musikwissenschaftliche Züge. Fast gänzlich verschwimmen die Grenzen zwischen Kunstwissenschaft, Soziologie und philosophischer Ästhetik bei Georg Simmel (1858-1918). Inwiefern kunstsoziologische Fragestellungen und Methoden ›rein‹ soziologisch sein können oder sollen, wird auch heute von (Kunst-)Soziologen unterschiedlich gesehen. Die ›soziologische Ästhetik‹ und Sozialgeschichte der Kunst beispielsweise versteht Nathalie Heinich als vor- oder sogar nichtsoziologische Stadien der Kunstsoziologie, welche sich ihrer Auffassung nach allein durch empirische Studien legitimiert (vgl. Heinich 2001; im ersten Teil des Buches zur Geschichte der Kunstsoziologie unterstellt sie eine Evolution hin zu einer ›richtigen‹, nämlich empirischen Kunstsoziologie). Allerdings lässt sich behaupten, dass es keine spezifisch kunstsoziologisch zu nennenden, empirischen Methoden gibt, da soziologische Forschungsmethoden prinzipiell auf alle Gebiete der Soziologie anwendbar sind, was ebenso für die quantitative wie qualitative Sozialforschung gilt. Nicht selten jedoch zeigt sich auch, dass eine Anpassung der Methoden an den Gegenstand der 15

Kunstsoziologie erforderlich wird (vgl. Otte 2012, Zembylas 2012). Demgegenüber ist Howard S. Becker der Ansicht, dass einige der besten Untersuchungen, die auf dem Gebiet der Kunstsoziologie zu finden sind, nicht von Kunstsoziologen stammen, sondern zum Beispiel von Kunsthistorikern (vgl. Becker 2006: 29 und den Abschnitt III.4 in der vorliegenden Einführung). So bleiben die Abgrenzungsfragen der Kunstsoziologie zu anderen Disziplinen auch weiterhin Teil dieser Forschungsrichtung sowie Teil ihrer Reflexion der Soziologie, ihrer Aufgaben und Methoden. Seit den 1990er Jahren muss sich die Kunstsoziologie vermehrt gegenüber solchen Forschungsrichtungen positionieren, die sich im Rahmen des Iconic Turn (vgl. Boehm 1994: 13) herausgebildet haben oder Bildern stärker zugewandt haben, darunter die Bildwissenschaft. Letztere untersucht im Unterschied zur Kunstsoziologie nicht nur künstlerische Bilder, sondern vor allem auch Bilder aus Film und Fernsehen, in Printmedien und im Internet, und analysiert ihre Verwendung und Wahrnehmung durch die Betrachter im Alltag, in der Politik, der Wissenschaft usw. Während solche Bilder, Bildverwendungen und Bildfunktionen von Seiten der Soziologie eher innerhalb der Medien- oder Kommunikationssoziologie erforscht werden (dabei auch unter der Bezeichnung ›visuelle Soziologie‹, vgl. Raab 2008), geht das Forschungsinteresse der Kunstsoziologie über die rein visuelle Kunst hinaus und bezieht gleichermaßen Literatur, Musik und weitere Kunstformen ein (für eine Verortung der Kunstsoziologie innerhalb der Bildwissenschaft vgl. Schelske 2005).

2 Forschungsfragen: Produktion, Distribution, Rezeption – und mehr Die Kunstsoziologie beschäftigt sich mit den Wechselbeziehungen zwischen Kunst und Gesellschaft, einem ›komplexen Verhältnis‹ (vgl. Zitko 2000b), das über verschiedene Schwerpunktsetzungen auf diverse Theorien, Methoden und Themen untersucht wird. Dabei gibt es drei primäre Forschungsbereiche, deren Relevanz für kunstsoziologische Fragestellungen unstrittig ist: die Beschäftigung mit der Produktion, der Distribution bzw. Vermittlung sowie der Rezeption von Kunst. Das heißt, die vorrangigen Interessen sind die Analyse der gesellschaftlichen Grundlagen und 16

Bedingungen für künstlerische Produktion (z.B. wer sind Künstler und wie arbeiten sie?), die Analyse der Distributions- bzw. Vermittlungswege von Kunst und der entsprechenden Akteure und Instanzen (z.B. wer bringt Kunst ins Museum, wie kommt die CD zum Hörer?) sowie die Analyse der Rezeption von Kunstwerken, die größtenteils über Publikumsforschung betrieben wird (z.B. wer liest welches Buch?). Über diese Trias setzen sich Kunstsoziologen also mit dem sozialen Kontext von Kunstwerken auseinander. Es ist auffällig, wie oft sie in Einführungen in die Kunstsoziologie hinzugezogen wird, um Forschungsfragen oder -arbeiten danach zu sortieren (um nur ein prominentes Beispiel zu nennen, sei auf den Eintrag zur Kunstsoziologie im Wörterbuch der Soziologie verwiesen, vgl. Thurn 1994a). Wenngleich dieser ›kleinste gemeinsame Nenner‹ als ›unstrittig‹ bezeichnet worden ist, gibt es über diese Trias hinausgehend noch andere Schwerpunktsetzungen. Besonders um das Kunstwerk ›an sich‹, seine Stellung in der und seine Behandlung durch die Kunstsoziologie wird von Anfang an gerungen (siehe dazu unter anderem Abschnitt V.3.1). Inwieweit außer dem gesellschaftlichen Kontext von Kunst also noch andere Themen und Fragestellungen eine Rolle spielen, wird immer wieder neu ausgehandelt. Da jedoch diese, nun ›umstrittenen‹ Punkte regelmäßig Eingang in kunstsoziologische Fragestellungen finden, lässt sich sagen, dass zur Produktion, Distribution bzw. Vermittlung und Rezeption von Kunst die Auseinandersetzung mit dem Bild der Gesellschaft in der Kunst und das Betrachten von Kunst und Kunstwerken als Quelle soziologischer Erkenntnis hinzukommen. »Kunst zu betrachten ist ein hervorragender Weg, um die Gesellschaft zu betrachten. Ebenso können wir, wenn wir die Gesellschaft betrachten, viel über Kunst erfahren« (Inglis/Hughson 2005a: 1).

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III Entstehung und Etablierung der Kunstsoziologie Der Schwerpunkt dieser Einführung liegt auf der Kunstsoziologie seit Mitte des 20. Jahrhunderts bis heute. Gleichwohl gibt es eine Vor- und Frühgeschichte, in der sich bereits etliche der Fragestellungen und Konzepte abzeichnen, die nach wie vor behandelt werden. Abschnitt III.1 präsentiert somit einen kurzen historischen Abriss von 1800 bis Mitte des 20. Jahrhunderts. Ab diesem Zeitpunkt kann sich die Kunstsoziologie innerhalb von etwa zwei Dekaden vollends als Forschungsrichtung etablieren. Dazu trägt unter anderem die Frankfurter Schule maßgeblich bei. Während die entsprechenden Autoren und Theorien in Abschnitt III.2 vorgestellt werden und dabei ein Schwerpunkt auf die Geschichte der Kunstsoziologie in Deutschland gesetzt wird, geht Abschnitt III.3 auf die zeitgleich ablaufenden Entwicklungen in Frankreich ein. Abschnitt III.4 legt die Bedeutung von Kunsthistorikern und -theoretikern für die Kunstsoziologie dar.

1 Vor- und Frühgeschichte der Kunstsoziologie

1.1 Kunstsoziologie avant la lettre Die Soziologie ist eine vergleichsweise junge Disziplin, die sich erst um 1900 als Fachrichtung an den Universitäten etablieren konnte, je nach Land etwas früher (Frankreich, USA) oder später (Großbritannien, Deutschland). Die Auseinandersetzung mit den Verflechtungen von Kunst und Gesellschaft ist jedoch älter: Die Fragen, die die Kunstsoziologie berühren, lassen sich bis weit in die Vormoderne zurückverfolgen. Eines der ersten Werke, das effektiv einer Kunstsoziologie avant la lettre zugerechnet wird, ist die Abhandlung De la littérature considérée dans ses rapports avec les institutions sociales von 1800 von Germaine de Staël (1766-1817). Die französische Schriftstellerin Madame de Staël – zu ihrer Zeit eine sehr bekannte Person des öffentlichen, kulturellen Lebens – betreibt in dieser Analyse eine Interpretation vor allem literarischer Werke auf Grundlage ›externer‹ Faktoren. Darin stellt sie unter anderem die Forderung auf, dass sich Literatur und Gesellschaft in Einklang befinden sollten, dass also zum Beispiel politische Ideale der Zeit in der Literatur aufzugreifen sind (vgl. de Staël 1959). 18

Diese Form von Literaturkritik mit präsoziologischen Ansätzen entwickelt sich an der Schwelle zur Moderne, als die Künste Autonomie von Religion und Politik erlangen und als eigene Sphäre wahrgenommen werden. Dies stellt einen bedeutenden Wandel dar, mit dem sich rückblickend viele Kunstsoziologen auseinandersetzen. Prinzipiell ›boomt‹ die Kunstkritik im 19. Jahrhundert – man denke an eine prominente Figur wie Charles Baudelaire (1821-1867). Auch die Brüder Edmond (1822-1896) und Jules (18301870) de Goncourt sind als Kunst- und Literaturkritiker, die das Pariser Künstlermilieu jener Jahre genau kennen, tätig. Das Bemerkenswerte an ihren Schriften ist, dass sie mit einem Anspruch auf Wissenschaftlichkeit auch Dokumente wie Briefe auswerten, um Künstlerporträts zu erstellen, und dass sie ihre Darlegungen, zum Beispiel in Die Kunst des achtzehnten Jahrhunderts (L’art du dix-huitième siècle, entstanden 1859-1875), mit Quellenmaterial zu untermauern suchen (vgl. Goncourt/Goncourt 1908). In dieser Zeit sind Kritiker und Künstler Teil ein- und derselben Boheme, pflegen sehr engen Umgang miteinander und beeinflussen sich gegenseitig in ihrem Schaffen. Dies gilt auch für den französischen Vordenker des Sozialismus und Anarchismus Pierre-Joseph Proudhon (1809-1865). Er entwickelt seine Schrift Von den Grundlagen und der sozialen Bestimmung der Kunst (Du principe de l’art et de sa destination sociale, 1865) auch in Auseinandersetzung mit den Gemälden von Gustave Courbet (1819-1877), der zu den Begründern des Realismus gehört. Proudhons Text zählt zu den ersten systematischen Studien zum Wechselverhältnis von Kunst und Gesellschaft, die sich zum Ziel nehmen, eine allgemeine und allgemeingültige Theorie zu den Künsten in der Gesellschaft zu formulieren. Proudhon legt dafür unter anderem eine Interpretation der Geschichte der Kunst seit den Ägyptern bis zur französischen Revolution vor, der er eine Aussage über die Aufgabe der Kunst in der Gesellschaft voranstellt: »Ich definiere also die Kunst als eine idealistische Darstellung der Natur und unserer selbst mit dem Ziel der physischen und moralischen Vervollkommnung unserer Gattung« (Proudhon 1988: 98, Hervorhebung im Text). Forderungen wie diese nach einer Kunst, die die Gesellschaft ›vervollkommnen‹ soll, finden sich häufig bei den frühen Kunstsoziologen des 19. Jahrhunderts, in deren Vorstellung der Glaube an die Möglichkeit eines Fortschritts und der allmählichen Verbesserung der Gesellschaft noch fest verankert ist. Das ist einerseits einer 19

starken, politischen Motivation der Autoren selbst geschuldet, mit der sie oft an die sozialreformerischen Ideen von Claude Henri de Saint-Simon (1760-1825) anschließen; andererseits gründet sich die Idee der Gesellschaft als sich entwickelndem Organismus aber auch auf den neuen, evolutionstheoretischen Erkenntnissen auf Gebieten wie der Biologie: Diese schlagen sich in der Konzeption von ›natürlichen‹ Entwicklungsstadien der Gesellschaft nieder, in denen dann den Künsten ihr Platz zugewiesen wird. Solche Gedanken finden sich somit auch bei den zwei anderen, ›ersten‹ Kunstsoziologen des 19. Jahrhunderts, den Franzosen Hippolyte Taine (1828-1893) und Guyau (der am Anfang der Einleitung bereits zitiert wurde). Taine verfasst zwischen 1865 und 1869 mehrere Teile einer Philosophie der Kunst (Philosophie de l’Art), in der er die Idee einer Rangordnung künstlerischer, bei ihm vor allem literarischer Werte entwickelt, die seiner Ansicht nach ähnlich wie die Klasseneinteilung der Botanik und Zoologie funktioniert. Das heißt, dass Taine wie Proudhon bestimmte Kunstwerke und in extenso ihre Schöpfer, die Künstler, für höherrangig erachtet als andere. Diese Form von Werturteilen innerhalb wissenschaftlich intendierter Abhandlungen ist typisch für das 19. Jahrhundert und stellt ein Problem dar, dem sich auch die Kunstsoziologie des 20. und 21. Jahrhunderts immer wieder stellen muss. Gleichwohl strebt Taine gerade durch die häufigen Bezugnahmen zu den Naturwissenschaften (beispielsweise vergleicht er Kunstwerke oft mit Pflanzen und die künstlerischen Befähigungen der Menschen mit unterschiedlich keimenden Samen) nach einer gewissen Objektivität, was ihn von den eindeutig politischen Beweggründen eines Proudhon unterscheidet. Taine führt außerdem den Begriff des ›Milieus‹ ein, welches die Kunst determiniert. So beschreibt er, dass »das Milieu, das heißt der allgemeine Zustand der Sitten und des Geistes die Art des Kunstwerkes [bestimmt], indem er nur diejenigen zuläßt, die mit ihm übereinstimmen, alle anderen aber durch eine Reihe von Hindernissen und stetig sich wiederholender Angriffe ausschaltet« (Taine 1987: 56). Dem mag man so heute nicht mehr zustimmen, doch bleibt die Idee ›externer‹ Determinanten in Form eines ›geistigen Klimas‹, das auf die Künste einwirkt, bis heute bemerkenswert. Guyaus Die Kunst als soziologisches Phänomen (L’Art au point de vue sociologique) erscheint 1889 bereits posthum und beschäftigt 20

sich vorrangig damit, wie die Kunst auf die Gesellschaft einwirken kann und soll. In gewisser Weise geht es also um das Pendant zu Taines Konzepten. Dabei bezieht sich Guyau explizit auf die Soziologie, wobei genauso naturwissenschaftliche Bezüge zu finden sind, mit denen er seine Thesen zu belegen sucht. Nach seiner Vorstellung soll Kunst zur Stärkung der Solidarität zwischen den Menschen beitragen, indem das Gemeinschaftsgefühl angesprochen und die Tugendhaftigkeit gefördert wird: »Wo immer sich ihre Wirkung [die der Kunst; D.D.] geltend macht, führt sie dazu, die Gesellschaft entweder voranzubringen oder zurückzusetzen, je nachdem, ob sie mittels der Vorstellungskraft für eine ideal dargestellte bessere oder schlechtere Gesellschaft Sympathie empfinden läßt« (Guyau 1987: 192). Das bedeutet jedoch auch, dass die Darstellung von Lasterhaftigkeit und verdorbenen Charakteren (gerade in der Literatur) in der Lage ist, das soziale und moralische Band zwischen den Menschen zu schwächen. So herrscht bei Guyau noch die Idee einer direkten kausalen Beziehung zwischen Kunst und Gesellschaft vor. Das gilt auch für den Künstler, der bei ihm zum Genie stilisiert und gleichwohl verpflichtet wird, seinem Publikum Tugendhaftigkeit, die Bändigung der Leidenschaften und die richtige moralische Einstellung vorzuleben. Guyau prägt – wie gesehen – den Begriff der ›Soziabilität‹ von Kunst, postuliert also einen sozialen Charakter von Kunst, der dadurch bedingt ist, dass Kunst aus der Gesellschaft heraus entsteht und auf diese rückwirkt. Im Namen der Gesellschaft und in der Überzeugung, dass eine Gesellschaft ohne Laster und Konflikte möglich ist, urteilt er in seiner Abhandlung über Werke seiner Zeit im Hinblick darauf, wie gut sie seiner Meinung nach die Solidarität der Menschen fördern. Proudhon, Taine und Guyau sind insofern typische Vertreter ihrer Zeit, als sie klare Forderungen an die Kunst formulieren, die ihrer Meinung nach konkrete Aufgaben in und für die Gesellschaft zu erfüllen hat. Damit geht eine Form von Normativität einher, mit der Kunstsoziologen auch Jahrzehnte später noch regelrecht ›ringen‹. Wie sehr kann und darf sich der Kunstsoziologe auch als Kunstkritiker verstehen? Obwohl diese Zusammenführung von Kunstsoziologie und Kunstkritik seit dem 20. Jahrhundert größtenteils abgelehnt wird, kehrt sie in anderer Gestalt immer wieder zurück (z.B. bei Autoren der Kritischen Theorie). Interessant an diesen ersten Kunstsoziologien ist der Umstand, 21

dass zur gleichen Zeit in der Kunst das L’art pour l’art dominiert, das heißt die Vorstellung einer zweckfreien Kunst, die gerade keine Aufgaben erfüllt und keine Funktion für die Gesellschaft hat, sondern sich selbst genügt (vgl. Aulinger 1992: 30). Dabei ist die Diskrepanz zwischen Theorie und Kunstpraxis das eine; das andere ist die Tatsache, dass um 1900 die Grenzen zwischen der Kunst und einzelnen Wissenschaften überhaupt fließend sind, insbesondere zwischen der Literatur und der Soziologie (vgl. Lepenies 1985). Davon zeugt auch die direkte Verbundenheit der Kritiker und ersten Kunstsoziologen zu den Künstlern: Proudhon und Courbet waren befreundet, Hippolyte Taine nannte man »den Sohn Balzacs« (ebd.: VI), also des ›soziologischen Schriftstellers‹ Honoré de Balzac (1799-1850). Vor allem in Deutschland gelten Proudhon, Taine und Guyau als ›Klassiker der Kunstsoziologie‹, da ihre Texte Ende der 1980er Jahre in einer gleichnamigen Reihe (herausgegeben vom Kunstsoziologen Alphons Silbermann, siehe Abschnitt III.2.2) neu veröffentlicht wurden.

1.2 Die Künste bei den Soziologen der ersten Stunde Die Künste spielen auch bei den Soziologen der ersten Stunde eine Rolle, die die Auseinandersetzung mit den Künsten allerdings selten in den Mittelpunkt ihres Schaffens rücken. Der Franzose Auguste Comte (1798-1857), der den Begriff der ›Soziologie‹ überhaupt erst einführt und als ihr Begründer gilt, steht noch ganz in einer Reihe mit Proudhon, Taine und Guyau, da auch bei ihm die Vorstellung dominiert, dass die Kunst zur Verbesserung der Gesellschaft beiträgt. Ebenfalls maßgeblich von Saint-Simon beeinflusst, entwickelt er ein System der sozialen Reorganisation, an dem die Kunst wichtigen Anteil hat (vgl. Comte 1974: 350ff.). Comte vertritt die Ansicht, dass künstlerische Tätigkeiten erst auf der Basis alltäglicher, praktischer Tätigkeiten möglich sind, worin der spätere Gedanke von Karl Marx (1818-1883) anklingt, dass das gesellschaftliche Sein das Bewusstsein bestimmt. Marx und Friedrich Engels (1820-1895) haben zwar nie eine systematische Gesamtdarstellung ihrer Überlegungen zu Kunst verfasst, doch gibt es zahlreiche kürzere Abhandlungen sowie Passagen in Briefen und den bekannten Werken, in denen sie immer wieder auf die Künste, Stile und bestimmte Künstler eingehen und die in 22

der zweibändigen Aufsatzsammlung Über Kunst und Literatur zusammengestellt sind (vgl. Marx/Engels 1968). Diese werden von Kunstsoziologen jedoch kaum rezipiert (eine Ausnahme bildet Thurn 1976: 17-34). Von größerer Bedeutung ist ihr genereller Beitrag für ein Verständnis der ökonomischen Grundlagen von Kultur. Das heißt, dass Marx und Engels gerade, als der Kunstsphäre Autonomie zugesprochen wird, die Aufmerksamkeit darauf richten, dass Kultur – und damit auch die Kunst – Teil des Überbaus ist, der von der materiellen Basis bestimmt ist. Sie etablieren sozusagen den materialistischen Ansatz, der den idealistischen Ansatz – zum Beispiel eines Georg Wilhelm Friedrich Hegels (17701831) – umkehrt, der davon ausgeht, dass vielmehr ›Ideen‹ der alles bestimmende Faktor sind. Bei Marx’ Begräbnis berichtet Engels, wie sein Freund die Tatsache entdeckt habe, »daß die Menschen vor allen Dingen zuerst essen, trinken, wohnen und sich kleiden müssen, ehe sie Politik, Wissenschaft, Kunst, Religion usw. treiben können« (Engels 1968: 15). Die Thesen von Marx und Engels haben für die Kunstsoziologie weitreichende Konsequenzen: Einerseits ist der Bezug zwischen den Klassenverhältnissen und der Kunstproduktion und -rezeption ein seither immer wieder aufgegriffenes Thema (so bei Bourdieu), andererseits eröffnet sich die Möglichkeit bzw. Notwendigkeit, das Betrachten, Lesen oder Hören von Kunstwerken auch als eine Form des Konsums von Waren zu verstehen (so geht der Begriff des ›Warenfetisches‹ ebenfalls auf Marx zurück und wird von Autoren der Kritischen Theorie analysiert). Auch der amerikanische Ökonom und frühe Sozialwissenschaftler Thorstein Veblen (1857-1929) beschäftigt sich mit ökonomischen Aspekten von Kunst und Kultur und legt 1899 die viel beachtete Studie Theorie der feinen Leute (The Theory of the Leisure Class) vor. In dieser geht es um das Konsumverhalten der Oberklasse: Veblen findet heraus, dass diese ihre höhere, gesellschaftliche Stellung ganz bewusst mit demonstrativem Konsum offenlegt und untermauert. Anders als bei Marx und Engels – und später Bourdieu –, bei denen die Annahme vorherrscht, dass die ›wahren‹ Klassenverhältnisse den unteren Klassen verborgen bleiben, da die herrschende Klasse diese verschleiert, geht Veblen vielmehr vom bewussten ›Geltungskonsum‹ aus (vgl. Veblen 2007). Mit dem Franzosen Émile Durkheim (1858-1917) etabliert sich die Soziologie erstmals an den Universitäten. Sein Beitrag für die 23

Kunstsoziologie geht nicht auf eine konkrete Auseinandersetzung mit den Künsten zurück, sondern auf seine prinzipiellen Verdienste für die Soziologie: In Die Regeln der soziologischen Methode (Les règles de la méthode sociologique, 1894) erklärt er diese zu einer empirischen Wissenschaft, die ›soziologische Tatbestände‹ (faits sociaux) wie Dinge betrachten soll; die faits sociaux haben also der Gegenstand der soziologischen Forschung zu sein (vgl. Durkheim 1984: 115). Diese programmatische Definition ist auch für die Kunstsoziologen zu einem ›Fixstern‹ geworden, da ihnen die Künste – wie in der Einleitung schon angedeutet – als solcher fait social gelten. Einer von Durkheims methodologischen Grundsätzen lautet, dass ein soziologischer Tatbestand nicht ohne Berücksichtigung des spezifisch Sozialen erklärt werden kann (vgl. ebd.: 190); wenn also Kunst als soziologischer Tatbestand verstanden wird, lässt auch Kunst sich nur durch Soziales erklären, womit wiederum eine Kunstsoziologie ›legitimiert‹ werden kann. In seinem Spätwerk Die elementaren Formen des religiösen Lebens (Les formes élémentaires de la vie religieuse, 1912) vertritt Durkheim die Ansicht, dass die Kunst aus der Religion heraus entstanden ist und damit mit dem Bereich des ›Heiligen‹ – in Abgrenzung zum ›Profanen‹ – in Verbindung steht (vgl. Durkheim 1981: 512). Dieses Vokabular, der Dualismus zwischen Sakralem und Profanem, spielt in der Kunstsoziologie immer wieder eine Rolle (siehe für die Kunst des 20. Jahrhunderts beispielsweise die Übertragung des Vokabulars auf ein ›kulturelles Archiv‹ und einen ›profanen Raum‹, vgl. Groys 2002; vgl. Gephart 1998: 45-56 für den Versuch, Durkheims Konzeptionen direkt für die Kunstsoziologie fruchtbar zu machen). Der deutsche Soziologe Max Weber war, wie Durkheim in Frankreich, maßgeblich an der Etablierung der Soziologie in Deutschland beteiligt. Im Unterschied zu Durkheim jedoch stammt von ihm eine explizit kunst- bzw. musiksoziologische Schrift, die 1921 gleichwohl posthum erscheint und unvollendet geblieben ist: Die rationalen und soziologischen Grundlagen der Musik. Dabei handelt es sich um eine Soziologie der Tonsysteme, deren Entwicklung Weber mit der jeweiligen Epoche und Kultur in Verbindung bringt. Seine Absicht ist es, darzulegen, inwiefern die okzidentale Musikentwicklung und das daraus hervorgehende, moderne Tonsystem stark von ›Rationalisierungsprozessen‹ geprägt sind. Darunter zählt die Einführung der modernen Noten24

schrift, die tonalen Möglichkeiten bestimmter Instrumente und die Entstehung von Orchestern (vgl. Weber 1972). Der Text weist stark musikwissenschaftliche Züge auf, was sicherlich ein Grund dafür ist, dass er von Kunst- und Musiksoziologen eher wenig rezipiert wird. Es lässt sich jedoch der Grundgedanke herausfiltern, dass es des ›Zusammenspiels‹ vieler Akteure bedarf (Komponisten, Instrumentebauer, Musiker), um überhaupt Musik, wie wir sie kennen, entstehen zu lassen – ein Verständnis von Musik, das später bei Howard S. Becker wiederzufinden ist (auch wenn er sich nicht explizit auf Weber beruft). Weber hat außerdem das Postulat der Werturteilsfreiheit formuliert, nach der Wissenschaftler wie Soziologen die von ihnen untersuchten Phänomene nicht nach ›gut‹ oder ›schlecht‹ zu bewerten haben (vgl. Weber 1988, ein Aufsatz von 1917, in dem sich im Übrigen grundlegende Verweise auf Kunst und Musik finden, was auf die Bedeutung der Künste in Webers Soziologieverständnis hindeutet, vgl. Blaukopf 1982: 161-179). Dieser Aspekt von Webers Denken ist auch für die Kunstsoziologie im Lichte der bis dahin erfolgten Forschung von Bedeutung, da zuvor Künste danach bewertet wurden, ob sie beispielsweise zur Förderung und Stabilisierung der ›guten‹ Gesellschaft beitragen. Auch heute reklamieren einige Kunstsoziologen – auf Webers Forderung nach Werturteilsfreiheit zurückgreifend – einen Mangel an Neutralität in der kunstsoziologischen Forschung, die über Kunstwerke nicht urteilen soll (vgl. Heinich 1998b: 71). Demgegenüber gibt es eine Richtung in der Kunstsoziologie, die man als ›soziologische Ästhetik‹ bezeichnen kann und die auf den anderen großen deutschen Soziologen des beginnenden 20. Jahrhunderts zurückgeht, den Zeitgenossen Max Webers: Georg Simmel. Von allen bislang genannten Soziologen setzt sich Simmel am intensivsten mit den Künsten auseinander und publiziert in diesem Bereich zahlreiche Texte zur Malerei, Bildhauerei, Literatur, Musik und Architektur, die in diversen Anthologien zusammengestellt sind (vgl. Simmel 1922, Simmel 1957, Simmel 2008, Simmel 2009c). Simmels Verständnis der Wechselbeziehungen zwischen Kunst und Gesellschaft lehnt Kausalitätsdenken und Determinismus ab und sieht Kunst und (Sozial-)Leben sich vielmehr in unterschiedlichem Grade durchdringen. Dabei hat seine Konzeption von Soziologie (und Philosophie) prinzipiell einen ästhetischen ›Grund‹, der sich auch sprachlich in seinem Werk 25

zeigt. Als aufmerksamer Zeitdiagnostiker verfasst er essayistische Texte, in denen er seine Beobachtungen der gesellschaftlichen Umbrüche seiner Zeit immer wieder mit ästhetischen Fragen in Zusammenhang bringt. So beschreibt er beispielsweise in »Soziologische Ästhetik« (1896), dass ästhetische Kräfte Einfluss auf soziale Tatsachen wie den »modernen Konflikt zwischen sozialistischer und individualistischer Tendenz« (Simmel 2009a: 72) haben: Erstere drückt sich in einem Streben nach Symmetrie aus, Letztere bringt eher Asymmetrie hervor. »Symmetrie bedeutet im Ästhetischen Abhängigkeit des einzelnen Elements von seiner Wechselwirkung mit allen anderen, zugleich aber Abgeschlossenheit des damit bezeichneten Kreises; während asymmetrische Gestaltungen mit dem individuelleren Recht des Elements mehr Raum für frei und weit ausgreifende Beziehungen gestatten« (ebd.: 74). Solche Analogien durchziehen auch seine Kunstanalysen, zum Beispiel wenn er konstatiert, dass der Kunstgeschmack seiner Zeit den Reiz der Distanz gegenüber dem Reiz der Annäherung bevorzugt (vgl. ebd.: 77). Simmel bringt das unter anderem mit dem Phänomen der Auflösung der Familie in Zusammenhang, und es ist auch eine Verbindung zum späteren, sehr bekannt gewordenen Text »Die Großstädte und das Geistesleben« (1903) herzustellen, in dem Simmel beschreibt, wie sich die Stadtbewohner in den (damals neuen) Großstädten mit Reserviertheit oder gar Aversion begegnen (vgl. Simmel 2009b). Diese Form von soziologischer Ästhetik, in der einerseits ästhetische Fragen und Konzepte die Gesellschaftsanalyse durchdringen und andererseits soziologische Fragen und Konzepte die Analyse von Kunst, wird von einzelnen Soziologen auch heute betrieben, wobei sie nicht zwangsweise der Kunstsoziologie zuzuordnen sind (vgl. Maffesoli 2007, der explizit auf Simmel rekurriert). 1909 begründet Simmel zusammen mit Max Weber, Ferdinand Tönnies (1855-1936), Werner Sombart (1863-1941) und weiteren die Deutsche Gesellschaft für Soziologie (DGS), die 1910 den Ersten Deutschen Soziologentag abhält. Am Begrüßungsabend spricht Simmel im ersten ›offiziellen‹ Vortrag der DGS über die »Soziologie der Geselligkeit«. Darin vergleicht er den ›Geselligkeitstrieb‹ mit dem ›Kunsttrieb‹ und dem ›Spieltrieb‹ (Simmel 1911: 2; der Vortrag ist ebenfalls abgedruckt in Simmel 2009c: 163-175). Das heißt, dass die Künste von Anfang an von der Soziologie als Disziplin und Fach aufgegriffen werden. Das belegt letztlich nicht nur 26

Simmels Vortrag, sondern die allgemeine Präsenz der Künste bei den Soziologen der ersten Stunde. Etwas später kommt es 1930 auf dem 7. Deutschen Soziologentag zu einer regelrechten Streitdebatte über die Kunstsoziologie, ihre Aufgaben und Methoden. Im Rahmen einer ›Untergruppe‹ für die ›Soziologie der Kunst‹ werden drei Vorträge gehalten und im Anschluss ausgiebig diskutiert. Im einleitenden Vortrag hält Leopold von Wiese (1876-1969) fest, dass es sich bei einer Soziologie der Kunst um eine spezielle Soziologie handelt, die nicht nur als eine mögliche Betrachtungsweise innerhalb der Kunstwissenschaften zu gelten hat (vgl. Wiese 1931). Wie ›speziell‹ jedoch eine Kunstsoziologie verfahren kann oder soll, wird in der Diskussion unterschiedlich bewertet, je nachdem wie eng oder weit das Aufgabengebiet der Soziologie selbst gefasst wird. In den 1930er und 1940er Jahren kommt es historisch bedingt unter der Herrschaft der Nationalsozialisten zu einem Abbruch dieser Diskussion.

2 Die Kritische Theorie – und Gegenpositionen

2.1 Benjamin, Adorno und Co. In den Anfängen der Kunstsoziologie steht nicht nur die Analyse des Wechselverhältnisses von Kunst und Gesellschaft im Zentrum der Überlegungen, sondern die Suche nach den ›richtigen‹ Verknüpfungspunkten, die es ermöglichen, zu einer Weiterentwicklung von Kunst und Gesellschaft beizutragen. Der Grundgedanke, dass die Kunst in der Lage wäre, positiv auf die Gesellschaft einzuwirken, findet sich in den Theorien in der einen oder anderen Form im ganzen 20. Jahrhundert wieder. Gesellschaftliche Veränderungen und Erfahrungen wie die zwei Weltkriege lassen Fortschrittsglauben und Zukunftsoptimismus größtenteils verschwinden; die Kunst hingegen wird auf lange Sicht als Zufluchtsort vor Entfremdung verstanden, als Hort von Authentizität und mögliches Aktionsfeld des Widerstandes, sei er ästhetischer oder politischer Natur. Auch und vor allem in den kunstsoziologischen Betrachtungen der Autoren der Frankfurter Schule, den Vertretern der Kritischen Theorie, überwiegen diese Vorstellungen von Kunst und Gesellschaft. In diesem Umfeld lässt sich Walter Benjamin (1892-1940) 27

positionieren, der als Philosoph und Literaturkritiker seinerzeit wichtige Beiträge für die Kunstsoziologie leistet, die jedoch erst spät, gegen Ende der 1960er Jahre und in den 1970ern, dank neuer Herausgaben rezipiert und bekannt werden. Bereits in seiner Dissertationsschrift Der Begriff der Kunstkritik in der deutschen Romantik von 1919 finden sich Elemente, die aus kunstsoziologischer Perspektive von Interesse sind. Darin stellt Benjamin fest, dass Kunstkritik und Kunstwerk eng miteinander verbunden sind, insofern die Kunstkritik nicht nur als Vermittlerin zwischen dem Kunstwerk und den Betrachtern fungiert, sondern das Kunstwerk sogar ›vollendet‹ (vgl. Benjamin 1978: 63). Diese Analyse der Kunstkritik in der Zeit der Romantik, die die Grenzen zwischen den Ebenen von Produktion, Vermittlung und Rezeption undeutlich werden lässt, zeigt die Notwendigkeit auf, auch die Rolle der Kunstsoziologie innerhalb der Sphäre der Kunst zu reflektieren. Denn wenn sich Kunstsoziologen innerhalb der Sphäre der Wissenschaft einem Künstler oder Kunstwerk widmen, tragen sie schließlich – bewusst oder unbewusst, gewollt oder ungewollt – zu dessen Legitimation in der Kunstsphäre bei. Alle Vermittlungsinstanzen und -figuren beeinflussen die Entstehung und Wahrnehmung von Kunst, indem sie auswählen und interpretieren. Benjamins Konzeption der Kunstkritik wird vor allem von Jürgen Habermas (*1929) in seinen Werken aufgegriffen, der der zweiten Generation der Frankfurter Schule zugeordnet wird (vgl. Habermas 1987). Benjamins bekanntester Text, »Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit«, 1935 verfasst und zwischen 1936 und 1939 in unterschiedlichen Fassungen erschienen, ist nicht nur für die Kunstsoziologie, sondern für alle Bereiche, in denen Kunst und Medien von Belang sind, zu einer bis heute wichtigen Referenz geworden. In diesem Aufsatz thematisiert Benjamin die Produktionsbedingungen von Kunst, wobei er vorrangig auf die daraus folgenden Veränderungen für die Wahrnehmung von Kunst eingeht, und nähert sich somit der dialektisch-materialistischen Methode der Kritischen Theorie an. Die neuen Reproduktionstechniken, wozu die Fotografie und der Film zu zählen sind, bewirken, dass »das Hier und Jetzt des Kunstwerks – sein einmaliges Dasein an dem Orte, an dem es sich befindet« (Benjamin 1974: 437) ausfällt, dass die Geschichtlichkeit des Originals und sein Bezug zu Traditionen durch die massen28

weise Vervielfältigung verloren gehen. Diesen Verfall der ›Aura‹ sieht Benjamin allerdings nicht negativ: Da die Wahrnehmung des ›echten‹ Kunstwerks bis dato einen kultisch-religiösen Charakter hatte, emanzipiert es sich nach Benjamin nun vom Ritual und kann politisch werden. Gerade die Tatsache, dass die neuen Kunstformen – allen voran der Film – die Massen erreichen, bewertet Benjamin positiv, weil sie so Gegenstand ›simultaner Kollektivrezeption‹ werden und eine kathartische Wirkung entfalten können. Während also Arnold Hauser und die übrigen Vertreter der Kritischen Theorie den Unterhaltungswert der Massenkunst, die Suche nach Zerstreuung im Film ausschließlich negativ bewerten, vertritt Benjamin eine ganz andere, differenziertere Haltung, die mit der Hoffnung verbunden ist, dass sich die Massen die Künste aneignen, statt von der Ästhetisierung der Politik (bei Benjamin Merkmal des Faschismus) vereinnahmt zu werden (vgl. ebd.: 467ff.). Die Vorstellung einer positiven Wirkung von Kunst ist in Benjamins so berühmt gewordenem Text zum Verfall der Aura daher weiterhin präsent und wird bei ihm sogar auf die Massenkunst ausgeweitet. In einem Gegensatz dazu steht die Kulturindustrie-These von Adorno und Max Horkheimer (1895-1973), die diese 1947 in Dialektik der Aufklärung formulieren. Man muss sich vergegenwärtigen, dass Adorno und Horkheimer dieses Buch kurz nach dem Zweiten Weltkrieg veröffentlichen: Die mit Faschismus und Holocaust verbundenen Erfahrungen sind der wesentliche Grund dafür, dass sie eine Kritik der Aufklärung und des bis dahin so weit verbreiteten Fortschrittsoptimismus betreiben. Im Kapitel »Kulturindustrie. Aufklärung als Massenbetrug« vertreten sie die Ansicht, dass im Spätkapitalismus Kultur zu Ware geworden ist, da sie nunmehr industriell und kommerziell produziert und vertrieben wird. Deswegen bemisst sich ihr Wert allein nach ökonomischen Kriterien, während der Wert des autonomen Kunstwerks nach ästhetischen Kriterien bemessen wird bzw. wurde. Der Begriff der ›Kulturindustrie‹ deckt sich bei Adorno und Horkheimer mit dem der Unterhaltungsindustrie oder -kultur, jedoch nicht mit dem der Massenkultur: Es handelt sich bei den Produkten der Kulturindustrie gerade nicht um solche, die aus der Masse hervorgehen würden (also nicht Massenkultur als Kultur der Masse), sondern um solche, die massenhaft produziert werden (also um industriegemachte Standardgüter, die der Masse ›vorgesetzt‹ werden). 29

Die Kulturindustrie lässt die Massen nur scheinbar an der Kultur teilhaben, weswegen sie als ›Massenbetrug‹ bezeichnet wird. Somit ist ein wichtiger Punkt bei Adorno und Horkheimer, dass die Kulturindustrie herrschaftsstabilisierend ist und die Menschen zu diesem Zweck manipuliert, indem die Ermöglichung eines eigenständigen und kritischen Denkens (zuvor durch die ›authentische‹ Kunst befördert) unterbunden wird. Die Abnehmer der Kulturindustrie konsumieren die Kulturwaren des ›Amüsierbetriebs‹ passiv, kritik- und widerstandslos: »Die Produkte selber, allen voran das charakteristischste, der Tonfilm, lähmen ihrer objektiven Beschaffenheit nach jene Fähigkeiten [der Vorstellungskraft und Spontaneität; D.D.]. Sie sind so angelegt, daß ihre adäquate Auffassung zwar Promptheit, Beobachtungsgabe, Versiertheit erheischt, daß sie aber die denkende Aktivität des Betrachters geradezu verbieten, wenn er nicht die vorbeihuschenden Fakten versäumen will« (Adorno/Horkheimer 1998: 134f.). Der Film wird in Adornos und Horkheimers Text immer wieder als Negativbeispiel herangezogen; die Formulierungen erinnern dabei an die nur wenige Jahre später von Arnold Hauser ausgearbeiteten Überlegungen (siehe Abschnitt II.1.1). Im selben Jahr wie die Dialektik der Aufklärung erscheint die erste genuin filmsoziologische Untersuchung von Siegfried Kracauer (1889-1966), der zum weiteren Umfeld der Frankfurter Schule gezählt werden kann: Von Caligari zu Hitler. Eine psychologische Geschichte des deutschen Films (From Caligari to Hitler. A Psychological History of the German Film, 1947). Kracauer, der dank dieses Buchs als Pionier, wenn nicht Begründer der Filmsoziologie gilt, betreibt darin umfangreiche Werkanalysen, mit denen er die deutsche Mentalität in den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts zu ergründen sucht. In der Überzeugung, dass bestimmte Motive auf der Leinwand für Tendenzen sprechen, die »die Nation als ganze betreffen« (Kracauer 1984: 14), präsentiert er eine Geschichte des deutschen Films mit Blick auf die Elemente, die die deutsche Gesellschaft jener Zeit besser verstehen helfen. Er unternimmt damit eine Form von kunst- bzw. filmsoziologischer Betrachtung, die davon ausgeht, dass sich Gesellschaft in Kunst und Kultur widerspiegelt (vermeidet dabei jedoch die grundlegende Kritik an der Kulturindustrie, wie sie Adorno und Horkheimer formulieren). Auch die anderen Vertreter der Frankfurter Schule teilen die marxistisch-materialistische Lesart der Künste in der Gesellschaft, 30

die davon ausgeht, dass die materiellen (Lebens-)Verhältnisse auf die Erzeugung von (geistigen) Kulturprodukten einwirken. So arbeitet der Literaturwissenschaftler und -soziologe Georg Lukács (1885-1971) mit dieser sogenannten Widerspiegelungstheorie, indem er sich mit der Darstellung gesellschaftlicher Verhältnisse in der Literatur befasst. Dabei entwickelt Lukács eine dezidiert marxistische Ästhetik, die sich in einem realistischen Stil ausdrücken soll und dessen Verwirklichung zu einem Bewertungskriterium von Literatur wird (zahlreiche seiner Aufsätze von 1909 bis 1956 sind unter dem Titel Schriften zur Literatursoziologie zusammengetragen, vgl. Lukács 1961). Weitere wichtige Vertreter der Frankfurter Schule, die im Hinblick auf die Künste vorrangig Schriften über Literatur verfassen, sind Herbert Marcuse (1898-1979) und Leo Löwenthal (1900-1993). Marcuse setzt sich in seinen Schriften mit dem revolutionären Potenzial von Kunst auseinander, lehnt dabei jedoch allzu vereinfachende Basis-Überbau-Konzeptionen ab, nach denen zum Beispiel Schriftsteller die Pflicht haben, »die Interessen und Bedürfnisse der aufsteigenden Klasse (im Kapitalismus: des Proletariats) zu artikulieren« (Marcuse 1987a: 198) – was im Übrigen an die Theorien der frühen Kunstsoziologen erinnert. Vielmehr plädiert Marcuse, unter anderem 1977 in »Die Permanenz der Kunst. Wider eine bestimmte marxistische Ästhetik«, für eine autonome Kunst, die gerade durch diese Autonomie politische Relevanz erhält: ästhetische Qualität und politische Tendenz stehen in Zusammenhang, bilden aber keine unmittelbare Einheit (vgl. ebd.: 229; vgl. Marcuse 1987b für wichtige Texte zur Bedeutung von Kunst aus den 1970er Jahren). Einen differenzierten Zugang zur Massenkultur entwickelt der Literatursoziologe Löwenthal, der die moralisierende Verurteilung der Kulturindustrie ablehnt und nicht nur für mehr Objektivität plädiert, sondern auch auf die historische Entstehung der Massenkultur verweist, die er nicht für ein gänzlich neues Phänomen hält (vgl. Löwenthal 1980, eine Aufsatzsammlung mit Texten von den 1930er bis zu den 1960er Jahren). Eine Musiksoziologie im Sinne der Kritischen Theorie bringt vor allem Adorno selbst voran, dessen vehemente Kritik am Jazz weithin bekannt ist. Nennt Leopold von Wiese den Jazz 1930 noch wie selbstverständlich als möglichen Forschungsgegenstand der Kunstsoziologie (vgl. Wiese 1931: 131), lehnt Adorno den Jazz in einem Aufsatz von 1936/37 ab, weil er seinem Verständnis nach 31

Teil der von ihm und Horkheimer so heftig kritisierten Kulturindustrie ist (vgl. Adorno 1982). Es ist offensichtlich, dass sich Adorno zeit seines Lebens nicht von seinem eigenen Bildungshintergrund und damit einer als elitär zu bezeichnenden Grundlegung seiner Thesen lösen kann: Er schätzt auch als Komponist und versierter Klavierspieler vorrangig die Zwölftonmusik, die er als autonome, authentische Kunst versteht und als ›ernste‹ Musik bezeichnet. Der Jazz hingegen ist eine ›leichte‹ Musik, die nicht dazu beiträgt, die Hörer über den Zustand der Gesellschaft (als entfremdete und verdinglichte) aufzuklären, sondern sie entpolitisiert: »Die um der Verkäuflichkeit willen unerbittlich kontrollierte Banalität der gegenwärtigen leichten Musik brennt ihrer Physiognomik das Entscheidende ein: das Vulgäre. Fast könnte man argwöhnen, eben daran seien die Hörer am eifrigsten interessiert« (Adorno 1973: 206). Die Bezeichnung der Dichotomie von autonomer (Hoch-)Kunst und trivialer Unterhaltungsindustrie als E (ernster) und U (Unterhaltungs-)Musik bzw. Kunst ist längst in den alltäglichen Sprachgebrauch eingegangen und bietet Kunstund Kultursoziologen nach wie vor dort eine Reibungsfläche, wo der wertende, normative Charakter der Kunst- und Gesellschaftskritik Adornos sowie überhaupt der Kritischen Theorie problematisiert wird (vgl. Steinert 2003). Es muss bedacht werden, dass große Teile von Adornos Werk oftmals eher philosophischer als soziologischer Natur sind, darunter die 1970 posthum erschienene Monografie Ästhetische Theorie (aus der in der Einleitung bereits zitiert wurde), in der Adorno seine Überlegungen einerseits bekräftigt und andererseits auf eine abstraktere Ebene überträgt, auf der er seine Thesen zu Kunst und Gesellschaft theoretisch weiter ausarbeitet (vgl. Adorno 2003). Im Jahre 1967 jedoch publiziert er die sieben »Thesen zur Kunstsoziologie«, die diese Forschungsrichtung inhaltlich wie methodisch zu bestimmen suchen. Die zwei wichtigsten Punkte, die Adorno darin anspricht, sind erstens die Berücksichtigung der Kunstwerke selbst, da sich in ihnen die Beziehungen zwischen Kunst und Gesellschaft »kristallisieren« (Adorno 1967: 99), und zweitens der Verzicht auf eine gänzlich werturteilsfreie Kunstsoziologie, die nicht nur den Gehalt, sondern zudem die Qualität der Werke außer Acht lässt: »Wertfreiheit und sozialkritische Funktion sind unvereinbar« (ebd.: 100). Dabei ist die sozialkritische Funktion der Kunstsoziologie vonnöten, wenn sie nicht zu einer 32

Zuarbeiterin des Kulturbetriebs werden und ihr eigenes kritisches Potenzial gänzlich aufgeben möchte. Adorno erinnert daran, dass die Soziologie der Philosophie entsprungen ist und daher quantitative Ergebnisse kein Selbstzweck sein können, womit er sich gegen ein Verständnis der Soziologie als rein empirische Wissenschaft wendet. Namentlich richten sich die »Thesen zur Kunstsoziologie« gegen Alphons Silbermann (1909-2000), einen Kunstsoziologen, der sich gerade für die Empirie starkmacht.

2.2 Silbermann, Gehlen, Cultural Studies Zwischen Adorno und Silbermann findet eine Kontroverse über die Ausrichtung der Kunstsoziologie statt, die sich über mehrere Texte hinzieht, in denen sie jeweils aufeinander Bezug nehmen. Silbermann ist ein Verfechter der empirischen Kunstsoziologie (vgl. Silbermann 1973), deren Aufgaben und Methoden er bereits 1958 im Eintrag »Kunst« des Fischer-Lexikons Soziologie definiert. Unter anderem heißt es dort: »Da sich das Hauptinteresse der Kunstsoziologie auf den sozialen Prozeß, jenen bestimmten Gegenstand, der durch das Kunstwerk in Bewegung gesetzt wird, konzentriert, gehört es auch nicht zu den Aufgaben der Kunstsoziologie, das Verhältnis verschiedenartiger künstlerischer Niveaus zu behandeln« (Silbermann 1967: 166). Somit bleiben Kunstwerkanalysen Silbermanns Meinung nach – ganz im Gegensatz zu Adornos Auffassung – außerhalb kunstsoziologischer Betrachtungen. Dieser Beitrag von Silbermann, der in der überarbeiteten Neuausgabe des Soziologie-Lexikons 1967 wiederabgedruckt wird, ist ein Grund dafür, dass Adorno seine »Thesen zur Kunstsoziologie« verfasst, in denen er direkt auf Silbermann eingeht (gut nachzulesen ist dieser Disput in Bürger 1978: 145ff. im Kapitel III: »Empirische versus dialektische Kunstsoziologie«, in dem die Texte von Silbermann und Adorno wiederabgedruckt sind). Silbermann ist heute ungleich weniger bekannt als Adorno und spielt international betrachtet kaum eine Rolle. Dabei ist sein Einfluss auf die Kunstsoziologie in Deutschland seinerzeit größer als gemeinhin angenommen. Als Herausgeber zahlreicher Bücher zur Kunstsoziologie prägt er das Bild dieser Forschungsrichtung in Deutschland: 1979 erscheint die Anthologie Klassiker der Kunstsoziologie (vgl. Silbermann 1979b) und Ende der 1980er Jahre bringt er in einer gleichnamigen Reihe die Grundlagenwer33

ke von Proudhon, Taine und Guyau heraus (vgl. Proudhon 1988, Taine 1987, Guyau 1987). Neben dem erwähnten Eintrag im Lexikon Soziologie, dessen Herausgeber René König5 ist, verfasst er einen weiteren, einführenden Text in die »Soziologie der Künste« für das Handbuch der empirischen Sozialforschung (welches wiederum René König herausgibt; vgl. Silbermann 1979a). Gemeinsam mit König veröffentlicht er 1974 ein Sonderheft der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie zu kunstsoziologischen Themen (vgl. Silbermann/König 1974). So konnte sich neben der sozialphilosophischen, dialektischen Kunstsoziologie der Frankfurter Schule auch eine stark empirisch orientierte und der Werturteilsfreiheit verbundene Kunstsoziologie etablieren, eine Aufspaltung, die vergleichbar auch in anderen Ländern zu finden ist. Mit diesen zwei Richtungen sind die Strömungen in der deutschen Kunstsoziologie jener Jahre allerdings nicht ›abgedeckt‹. Eine ganz andere Gegenposition zur Kritischen Theorie der Frankfurter Schule, aber auch zu einer rein empirischen (Kunst-) Soziologie, nimmt Arnold Gehlen (1904-1976) ein. Gehlen legt 1960 die Monografie Zeit-Bilder. Zur Soziologie und Ästhetik der modernen Malerei vor, worin er vorrangig über die abstrakte Malerei referiert. Grundlegend ist dabei die Annahme, dass sich der jeweilige Zeitgeist und die jeweiligen Weltbilder einer Epoche in den Kunstwerken manifestieren, das heißt, er sieht die Notwendigkeit einer kunstsoziologischen Betrachtung, die auch den Gehalt der Kunstwerke analysiert. Somit weist der Konservative Gehlen durchaus Ähnlichkeiten zu Adorno auf, zu dem er ansonsten in Opposition steht. Beide kritisieren zeitgenössische Kunstformen; dennoch ist Gehlens Verständnis der Rolle und Aufgabe von Kunst in der Gesellschaft ein ganz anderes. Während bei Adorno sowie überhaupt bei den Autoren der Frankfurter Schule Kunst den kritischen Geist ihres Publikums fördern soll, wirkt Kunst nach Gehlens Konzeption ›entlastend‹: Der modernen Kunst gelingt »die Entlastung des Bewußtseins, denn der Staat liegt […] wie ein Gebirge auf uns, der Sozialdruck ist wie der atmosphärische so gewaltig, daß er in den Eigenzustand eingeht« (Gehlen 1986: 222). In der Kunst sind Freiheitsmomente möglich, die im öffentlichen Leben keinen Platz mehr haben, sodass Kunst dazu beiträgt, die gesellschaftliche Stabilität zu stützen, statt gesellschaftskritisch einzuwirken. Diese Vorstellung entspricht Gehlens allgemeiner Institutionenlehre, nach der der Mensch Institutio34

nen braucht, weil sie ihm einen Teil der zahlreichen Anforderungen einer immer komplexer werdenden Welt abnehmen und ihn damit entlasten. Gehlens ästhetische Reflexionen, die gleichzeitig eine Zeitkritik darstellen, weisen somit in Richtung einer interpretierenden Kunstsoziologie, die die Kunst in der Gesellschaft nicht nur beschreibt, sondern auch aus einem bestimmten Theorieverständnis heraus kritisiert, das in seinem Fall sehr von dem der Kritischen Theorie abweicht.6 Doch Kritik an den Theorien der Frankfurter Schule kommt nicht nur aus Deutschland selbst. Die der Kritischen Theorie prinzipiell zugrundeliegende Ablehnung der Kultur- bzw. Unterhaltungsindustrie, die unter anderem mit dem Argument begründet wird, dass die Konsumenten den Produkten passiv ›ausgeliefert‹ sind, wird von angloamerikanischen Denkschulen angefochten. Die British Cultural Studies erkennen demgegenüber vielmehr eine aktive Aneignung populärkultureller Phänomene durch die Konsumenten, zum Beispiel in der Begründung von Subkulturen oder der Nutzung neuer Kommunikationsmedien, die über kreatives, bisweilen subversives Potenzial verfügt (dazu noch einmal vgl. Williams 1972 sowie Hoggart 1957 und Hall/Hobson/Lowe/ Willis 1980). In den USA wiederum entsteht in jenen Jahren der Production-of-Culture-Ansatz, der den Kulturbetrieb in seinen vielfältigen Aufgaben und Funktionen zu analysieren, aber nicht zu werten sucht (siehe dazu Abschnitt V.1.1). So lässt sich festhalten, dass sich kunstsoziologische oder kunstsoziologisch relevante Theorien in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg stark ausdifferenzieren und die ›Werkzeugkammer‹ der Kunstsoziologie als Forschungsrichtung einen enormen Zuwachs an Ansätzen und Methoden erfährt.

2.3 … und außerdem: Norbert Elias In der Soziologie nimmt Norbert Elias (1897-1990) eine Sonderstellung ein, insofern als er sich Zuordnungen entzieht und eine eigene soziologische Perspektive entwickelt, die sich auch auf seine Kunstsoziologie überträgt. Elias formuliert seine Überlegungen schon Ende der 1930er Jahre, bekannt und rezipiert werden sie jedoch erst in den 1980er Jahren, und seine kunstsoziologische Publikation über Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) erscheint gar erst kurz nach seinem Tod im Jahre 1991. Darin exemplifiziert 35

Elias seine Figurations- bzw. Prozesssoziologie an der Person Mozarts, indem er ihn als einen Künstler auffasst, der in einer Übergangszeit gelebt hat, und indem er die Verflechtungszusammenhänge, in denen er sich befand, rekonstruiert. Elias geht es dabei darum, den in der Soziologie aufgestellten Gegensatz von Individuum und Gesellschaft zu überwinden und die beobachtbaren sozialen Gegebenheiten als Interdependenzen, als Figurationen zu verstehen, deren Prozesscharakter berücksichtigt werden muss. Das heißt, Elias betreibt keine reine Gegenwartsanalyse, sondern beobachtet die langfristigen geschichtlichen Entwicklungen und Zusammenhänge. »Die Rekonstruktion dessen, was die breite Veränderung des Verhältnisses von Kunstschaffenden und Kunstrezipienten für die Erfahrung und Lage der ersteren und so für die Gestaltqualität ihrer Werke bedeutete, erhöht und vertieft das Verständnis für einen einzelnen Künstler, der wie Mozart halb ziehend, halb gezogen ein paar Schritte in der Richtung dieses Prozesses tat« (Elias 1991: 63). Der Wandlungsprozess, den Elias anhand von Mozart darzustellen versucht, ist der vom Künstler in einem Patronagesystem, in dem die Auftraggeber Fürsten und Könige sind, hin zum freien, autonomen Künstler, der keine Auftragsarbeiten mehr leistet und seine Werke in einen anonymen Markt einbringt. An Mozarts Person und Leben zeigen sich die Transition von der Handwerkerkunst zur Künstlerkunst und die Schwierigkeiten bürgerlicher Künstler bzw. Musiker in einer (noch) höfischen Gesellschaft. Denn Mozart wird, so Elias, von den Mitgliedern der höfischen Gesellschaft nicht als genialer, singulärer Künstler wahrgenommen, sondern als Hofmusiker und damit als Bediensteter, weswegen er viel Unverständnis für seinen Drang nach Unabhängigkeit erfährt. Mozart tut mit seinem Weggang vom Hof nach Wien den Schritt zum freien, unabhängigen Künstler verfrüht, »zu einem Zeitpunkt, wo die Gesellschaftsentwicklung ihn zwar möglich machte, aber institutionell noch nicht ganz für ihn bereit war« (ebd.: 59). Die romantische Vorstellung vom genialen Künstler als einsamem Schöpfer ist zu Mozarts Lebzeiten noch nicht gegeben, sodass er selbst sein Scheitern innerhalb der vorhandenen spezifischen gesellschaftlichen Figuration noch nicht als notwendige Komponente eines singulären Künstlerlebens auffassen kann (was Elias dazu bewegt, anzunehmen, dass Mozart letztlich an diesem Gefühl, gescheitert zu sein, gestorben ist). Kunstsoziologisch ist an Elias’ Studie also zweierlei 36

von Interesse: Erstens bietet sie eine beispielhafte Künstleranalyse aus soziologischer Perspektive, die das Spektrum möglicher kunstsoziologischer Untersuchungen erheblich erweitert. Zweitens thematisiert sie, inwiefern das heutige Bild vom Künstler in der Gesellschaft das Produkt einer bestimmten Zeit und Epoche und damit nicht unveränderbar ist – was es notwendig macht, dieses Künstlerbild auch soziologisch zu hinterfragen.

3 Die Entwicklung in Frankreich In den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg wird die Entwicklung und Etablierung der Kunstsoziologie auch in Frankreich vorangetrieben. Dabei gibt es keine dominierende Denkrichtung wie die der Frankfurter Schule in Deutschland, sondern eine Reihe von sehr unterschiedlichen Autoren, die nacheinander den Grundstein für die heutige, reichhaltige kunstsoziologische Forschung in Frankreich legen. Bereits 1945 veröffentlicht Roger Bastide (1898-1974) seine Monografie Art et société, welche er in Brasilien verfasst, wo er lange Jahre als Soziologe und Anthropologe tätig ist – eine Konstellation, die auch sein Verständnis der Künste in der Gesellschaft beeinflusst. Obwohl in diesem Buch durchgängig von einer soziologischen Ästhetik die Rede ist, fordert Bastide ausdrücklich eine beschreibende, nichtnormative (Kunst-)Soziologie (vgl. Bastide 1977: 129). Das zeigt sich auch am Aufbau und den Kapitelüberschriften, die eindeutig in Richtung der Trias von Produktion, Distribution bzw. Vermittlung und Rezeption weisen und damit das Programm einer empirisch fundierten Kunstsoziologie vorgeben. Insofern ist Bastide einer der ersten Soziologen, die nicht nur kunstsoziologisch arbeiten, sondern grundlegend die Ausrichtung der Forschungsrichtung als solcher definieren. Ein Zeitgenosse von Bastide ist Pierre Francastel (1900-1970), der im Unterschied zu ihm jedoch über die Kunstgeschichte zur Kunstsoziologie findet. Insofern hat Francastel einen klaren Schwerpunkt auf bildender Kunst und publiziert seit den frühen 1930er Jahren viele Bücher zu diesem Bereich. Sicherlich aufgrund seiner Nähe zu kunstgeschichtlichen Fragestellungen ist Francastel ein prominenter Vertreter einer kunstsoziologischen Betrachtung der Kunstwerke selbst: »Eine Kunstsoziologie kann sich […] nur auf der Ebene einer tiefgehenden Analyse der Werke 37

konstituieren« (Francastel 1970: 15). In der Tat betreibt Francastel sozialgeschichtliche Untersuchungen bestimmter Stile, zum Beispiel der Renaissance und des Quattrocento (vgl. ebd., die Aufsätze datieren von 1951 bis 1970). Doch versteht er eine Soziologie des Kunstwerks nicht als interne, rein ästhetische Analyse, da für ihn Kunstwerke und Stile immer Produkt einer bestimmten Zeit und eines bestimmten Milieus sind. Letztlich bleibt die Zuordnung Francastels als Kunstsoziologe aber bis dato umstritten – so wird er mal als Kunstsoziologe gesehen (vgl. Péquignot 2009: 80ff.), mal als Kunsthistoriker (vgl. Heinich 2001: 23; ähnlich ambivalent bleibt im Übrigen auch die Zuordnung Arnold Hausers). Große Nähe zur Kritischen Theorie der Frankfurter Schule weist Lucien Goldmann (1913-1970) auf, der eine marxistische Literatursoziologie betreibt, die auf Georg Lukács’ Thesen aufbaut. Dessen Widerspiegelungstheorie setzt er das Konzept der Strukturhomologie entgegen. Demnach reflektiert sich die jeweilige Gesellschaftsform nicht einfach im Inhalt des Kunstwerks – vielmehr besteht eine strukturelle Entsprechung zwischen der (in diesem Falle kapitalistischen) Gesellschaft und dem Kunstwerk (der Romanform). Daher ist kunst- bzw. literatursoziologisch betrachtet statt einer Inhaltsanalyse vielmehr eine Strukturanalyse von Relevanz (vgl. Goldmann 1970). Der vierte Autor, der maßgeblich zur Etablierung der Kunstsoziologie in Frankreich beiträgt, ist Jean Duvignaud (1921-2007), der wiederum vor allem zur Theatersoziologie publiziert (vgl. Duvignaud 1965). Unabhängig von seinen eigenen Studien spielt er für die französischsprachige Kunstsoziologie auch deshalb eine wichtige Rolle, weil er mit Zur Soziologie der künstlerischen Schöpfung (Sociologie de l’art, 1967) die erste Überblicksdarstellung zur Kunstsoziologie veröffentlicht, die lange Zeit auch die einzige bleibt. Darin kritisiert er die diversen ›Mythen‹, die seiner Meinung nach das Kunstverständnis der Kunstsoziologen prägen, zum Beispiel die Annahme eines primitiven Ursprungs aller Kunst oder ihre Verbindung zur Religion (vgl. Duvignaud 1975: 6ff.). Dem möchte Duvignaud eine möglichst voraussetzungsfreie Kunstsoziologie entgegensetzen, die bestimmte Perspektiven nicht als Dogmen, sondern als Analyse-Werkzeuge versteht (vgl. ebd.: 27). Duvignaud gehört außerdem bereits der ersten Generation an, die sich kritisch von Bastide, Francastel und Goldmann abzugrenzen sucht. 38

Eminente Bedeutung für die Kunstsoziologie hat zudem Raymonde Moulin (*1924). Parallel zu den ersten kunstsoziologischen Studien von Pierre Bourdieu und seinen Mitarbeitern erarbeitet sie 1967 die erste grundlegende Untersuchung über den (französischen) Kunstmarkt und die Personen und Orte, die an der Distribution und Vermittlung von Kunst teilhaben: Händler, Sammler, Experten, Galerien usw. Dabei liegt ihr Schwerpunkt auf der Malerei bis ins 20. Jahrhundert. Moulin stellt dar, wie auf dem Kunstmarkt der ästhetische Wert der Werke in einen ökonomischen Wert übertragen wird, und rekonstruiert die Abhängigkeiten und Geschäftsabsprachen im Kunstbetrieb (vgl. Moulin 1967). So vollzieht sich mit der Person Moulins der Übergang zu einer empirischen Kunstsoziologie. Ein Vierteljahrhundert später greift sie den Forschungsgegenstand in L’artiste, l’institution et le marché (1992) wieder auf und wiederholt die Arbeit mit Blick auf die zeitgenössische Kunst (vgl. Moulin 1997). Stil und Inhalt ihrer Untersuchungen beeinflussen den Amerikaner Howard S. Becker dahingehend, dass sich dieser der Kunstsoziologie in Frankreich zuwendet und dort später selbst eine wichtige Rolle spielt (in seinem Hauptwerk verweist er mehrfach auf Moulins Studie von 1967, vgl. Becker 2008). 1985 nimmt er auch an einer von Raymonde Moulin organisierten, internationalen Kunstsoziologie-Konferenz in Marseille teil. Diese Konferenz hat großen Einfluss auf die seither erfolgte kunstsoziologische Forschung in Frankreich: Sie ist sozusagen zu einer ›Referenzveranstaltung‹ geworden, auf die sich zahlreiche Kunstsoziologen im Rahmen ähnlicher Konferenzen nach wie vor beziehen (vgl. Majastre/Pessin 2001, Le Quéau 2007). Die meisten der dort behandelten Fragen werden immer wieder diskutiert (vgl. Moulin 1986; der Konferenzband erfährt 1999 sogar eine zweite Auflage). Markanterweise hält Pierre Bourdieu auf dieser Konferenz keinen Vortrag, was auch darauf hindeutet, dass sich die französische Kunstsoziologie spätestens Mitte der 1980er Jahre in mehrere Richtungen ausdifferenziert. Auf der einen Seite operieren Bourdieu und seine Mitarbeiter mit der Feldtheorie bzw. -soziologie, auf der anderen unternehmen Moulin und andere Soziologen empirische Sozialforschungen auf dem Gebiet der Kunst (für weitere Richtungen, die wenig später zur kunstsoziologischen Landschaft in Frankreich hinzukommen, siehe Kapitel V).

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4 Soziologische Kunsthistoriker und andere Zur Geschichte der Kunstsoziologie gehören auch Arbeiten von Autoren, die keine Kunstsoziologen sind, aber wegweisende Studien oder Theorien für die Entwicklung dieser Forschungsrichtung vorgelegt haben. Schon im Abschnitt zur Vor- und Frühgeschichte der Kunstsoziologie wurde deutlich, dass vor allem in der Anfangsphase die Grenzen zwischen einer Philosophie, Geschichte und Soziologie der Kunst fließend sind. Auch im 20. Jahrhundert kommen trotz aller Abgrenzungsbemühungen und präziserer Definitionen der Theorien und Methoden Überschneidungen weiterhin vor, und eine Einführung in die Kunstsoziologie würde dieser Forschungsrichtung nicht gerecht, wenn sie nicht wenigstens einige dieser Untersuchungen integriert. Besondere Bedeutung kommt denjenigen Kunsthistorikern zu, deren Werke sich so selbstverständlich in kunstsoziologischen Einführungen und Überblicksdarstellungen finden, dass geradezu von einer ›Vereinnahmung‹ durch die Soziologie gesprochen werden kann. Howard S. Becker versteht dies als eine Form von Imperialismus, den er aber befürwortet: »Einiges, was zum Besten der Kunstsoziologie gehört, stammt wie man bekanntlich weiß von […] Nichtsoziologen« (Becker 2006: 29). Wie er zuvor mit Witz und Ironie bemerkt, ist es für eine soziologische Analyse der Künste nicht erforderlich, dass man zahlendes Mitglied einer der Gesellschaften für Soziologie ist. Auch in einem der neueren Reader zur Kunstsoziologie stellt der Herausgeber zu Beginn klar: »[D]ie beste Kunstgeschichte ist, zumindest implizit, soziologisch informiert« (Tanner 2003: ix). Daher verfolgt er einen interdisziplinären Ansatz, der über den ganzen Reader hindurch kunstgeschichtliche Elemente der Kunstsoziologie bzw. kunstsoziologische Aspekte der Kunstgeschichte berücksichtigt. Es gibt drei Arten solcher soziologisch informierter Studien und Theorien von Autoren aus der Kunstgeschichte, von denen hier nur eine Auswahl vorgestellt werden kann.7 Erstens sind Monografien zu nennen, die sich eine historisch zurückliegende Epoche vornehmen und Analysen durchführen, die den gesellschaftlichen Kontext und die Verflechtungen in der Kunstsphäre berücksichtigen. Der deutsch-britische Kunsthistoriker Nikolaus (Nicholas) Pevsner (1902-1983) beispielsweise legt 1940 eine erste, innovative Untersuchung der Kunstakademien vor (vgl. Pevs40

ner 1986). Margot Wittkower (1902-1995) und Rudolf Wittkower (1901-1971) veröffentlichen 1963 mit Künstler. Außenseiter der Gesellschaft (Born under Saturn) ein Buch zur Situation, aber auch zum Bild des Künstlers vor allem in der Zeit der Renaissance – einer Übergangsphase, an deren Ende Künstler nicht länger als Handwerker betrachtet werden. Dabei richten sie ihren Fokus auf die vermeintliche oder gegebene ›Andersartigkeit‹ von Künstlern, die sie akribisch anhand zahlreicher Dokumente nachzeichnen, was wiederum Alphons Silbermann dazu bewegt, für die zweite deutsche Ausgabe von 1989 das Vorwort zu schreiben (vgl. Wittkower/ Wittkower 1989). Ebenfalls 1963 publiziert der britische Kunsthistoriker Francis Haskell (1928-2000) Maler und Auftraggeber (Patrons and Painters), eine beispielhafte Arbeit über den Kunstmarkt und das Mäzenatentum im italienischen Barockzeitalter (vgl. Haskell 1996). Michael Baxandall (1933-2008), ebenfalls ein britischer Kunsthistoriker, veröffentlicht 1972 mit Die Wirklichkeit der Bilder (Painting and Experience in Fifteenth-Century Italy) eine Studie über den Malstil der italienischen Renaissance, in der er die Produktionsbedingungen der Werke analysiert und den kulturellen Kontext der Zeit einbezieht (vgl. Baxandall 1977). Die amerikanische Kunsthistorikerin Svetlana Alpers (*1936) wird mit der Untersuchung Rembrandt als Unternehmer (Rembrandt’s Enterprise, 1988) bekannt, in der sie den Blick weniger auf Rembrandt als Künstler richtet, als vielmehr auf seine unternehmerischen Aktivitäten, das heißt die Organisation seines Ateliers und sein Eingreifen in den Kunstmarkt (vgl. Alpers 1989). Zusammen mit Baxandall legt sie eine Künstlermonografie über Tiepolo vor (vgl. Alpers/Baxandall 1996). Auf deutscher Seite publiziert Horst Bredekamp (*1947) mit Kunst als Medium sozialer Konflikte eine Analyse des Phänomens der Bilderstürme von der Spätantike bis zur Vorreformation, in der er sie als Ausdruck der Gegenüberstellung bestimmter gesellschaftlicher Gruppen versteht (vgl. Bredekamp 1975). Martin Warnke (*1937) beschäftigt sich mit der spezifischen Figur des Hofkünstlers in der Vormoderne (vgl. Warnke 1996). Der Wert all dieser Arbeiten für die Kunstsoziologie liegt darin, dass sie in einer komparativen Perspektive die Verbindung zur Gegenwart erkennen lassen, was wiederum ähnlichen kunstsoziologischen Untersuchungen zugutekommt, die größtenteils gegenwartsbezogen ausgerichtet sind und auf diesen Studien aufbauen können (und müssen). 41

Zweitens gibt es soziologisch relevante Kunsthistoriker, die bestimmte Theorien und Methoden entwickeln, die Eingang in die Kunstsoziologie finden. Zweifelsohne ist das prominenteste Beispiel der deutsch-amerikanische Kunsthistoriker Erwin Panofsky (1892-1968). Panofskys Werk hat nicht nur auf Pierre Francastel großen Einfluss, sondern vor allem auch auf Bourdieu, der dessen Monografie Gotische Architektur und Scholastik (Gothic Architecture and Scholasticism) von 1951 in Frankreich herausgibt und mit einem Nachwort versieht. Darin behauptet Panofsky eine Homologie zwischen der mittelalterlichen Architektur und Philosophie und führt den Begriff des ›Habitus‹ ein, um den latenten Einfluss des sozialen Kontexts auf Künstler und damit auf den Stil von Kunstwerken zu umschreiben, ein Begriff, der in der Folge von entscheidender Bedeutung für Bourdieus Werk ist (vgl. Panofsky 1989). Panofsky wird 1979 sogar in die Anthologie Klassiker der Kunstsoziologie aufgenommen, worin vor allem seine ikonologische Interpretationsmethode besprochen wird, nach der Kunstwerke als Symptome außerkünstlerischer Inhalte zu analysieren sind (vgl. Hänseroth 1979 sowie Panofsky 2002)8. Neben Panofsky ist der österreichisch-britische Kunsthistoriker Ernst H. Gombrich (1909-2001) zu nennen, der in seinen Schriften immer wieder auf psychologische und soziologische Konzepte zurückgreift. Von besonderem Interesse für die Kunstsoziologie sind seine Thesen zur klassischen Kunst als Ideal und damit als Norm, an der alle Kunst gemessen wird (vgl. Gombrich 1985). Innovationen werden laut Gombrich dabei erst seit Aufkommen des Modernismus nicht mehr als ›beängstigender Verfall‹ angesehen, sondern als positive Entwicklungen im Sinne eines Fortschritts in der Kunst (vgl. Gombrich 2002). Somit zeigt Gombrich auf, inwiefern das Originalitätspostulat in der Kunst ein vergleichsweise neues Phänomen ist, was sich analog zu jenen Studien verhält, die das Bild des singulären, genialen Künstlers als moderne (und damit durchaus wandelbare) Auffassung begreifen (z.B. Elias’ Studie über Mozart, vgl. Elias 1991). Weitere für die Kunstsoziologie relevante Theorien und Methoden aus der Kunstgeschichte kommen beispielsweise vom deutschen Kunsthistoriker Hans Belting (*1935), der an der Entwicklung der Bildwissenschaft beteiligt ist, indem er sich zunehmend mit den Ursprüngen des Bildermachens und dem Umgang mit Bildern aus sozialgeschichtlicher Perspektive beschäftigt (vgl. Belting 2001). An solchen Arbeiten 42

wird ersichtlich, dass grundlegende Konzepte der Soziologie nicht nur Eingang in kunstgeschichtliche Forschung finden, sondern geradezu wie selbstverständlich übernommen werden. Drittens ist zusätzlich zu diesen soziologisch informierten, kunstgeschichtlichen Arbeiten eine weitere Gruppe von Autoren und Schriften zu nennen, die für die Kunstsoziologie von Interesse sind: jene, die weniger kunsthistorischen, als kunstphilosophischen Charakter haben. Darunter fällt die sogenannte Institutionstheorie der Kunst, die auf die Amerikaner Arthur C. Danto (*1924) und George Dickie (*1926) zurückgeht. Danto geht auf die Frage ein, wie in Bezug auf zeitgenössische Kunst ein Kunstwerk von einem ›gewöhnlichen‹ Objekt, das genauso aussieht, zu unterscheiden ist. So kommt er auf den bestimmenden Faktor, den Institutionen für die Definition von Kunst haben: »[G]erade so, wie wenn jemand allein deswegen ein Ehegatte ist, weil er bestimmten institutionell definierten Bedingungen genügt, selbst wenn er äußerlich vielleicht gar nicht anders erscheint als irgendein anderer Mann, so ist etwas ein Kunstwerk, wenn es bestimmte institutionell festgelegte Bedingungen erfüllt, auch wenn es äußerlich nicht anders aussehen mag als ein Objekt, das […] kein Kunstwerk ist« (Danto 1991: 56). Diese These – hier in einer Formulierung aus Die Verklärung des Gewöhnlichen (The Transfiguration of the Commonplace, 1981) – entwickelt Danto schon früher, 1964, in einer Auseinandersetzung mit Andy Warhols Brillo-Boxen (vgl. Danto 1994). Auf dieser aufbauend begründet Dickie in der Folge die Institutionstheorie, nach der der Status eines Objekts als Kunst nicht auf wahrnehmbare Eigenschaften zurückzuführen ist, sondern von Bedingungen determiniert wird, die ihm äußerlich sind (vgl. Dickie 1974). Solche kunstphilosophischen Theorien bieten der Kunstsoziologie dort hilfreiche Anstöße, wo Kunstinstitutionen wie Museen und ihr Charakter als Legitimationsinstanz von Kunst im Mittelpunkt der Forschung stehen.

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IV Drei Soziologen, drei Begriffe

1 Pierre Bourdieu Der Franzose Pierre Bourdieu war ein vielschichtiger Wissenschaftler mit vielseitigen Interessen. Er ist uns vorrangig als Soziologe in Erinnerung geblieben, war jedoch auch als Ethnologe, Philosoph und öffentlicher, politisch engagierter Intellektueller aktiv. Er forschte über die Sozialstruktur Algeriens, das französische Bildungswesen, die Fotografie, Museumsbesucher, über Heidegger, die Autonomisierung des Feldes der Literatur, männliche Herrschaft und Wissenschaften wie die Soziologie selbst – um nur einige seiner Interessengebiete zu nennen. Ein Punkt aber eint seine Forschungsprojekte: die Perspektive der sozialen Ungleichheit, die jede seiner Arbeiten wie ein roter Faden durchzieht. Was man daher von Bourdieus Blick auf die Künste lernen kann, ist, welche verdeckten sowie offenen Ungleichheitsverhältnisse den Kunstbetrieb und seine Akteure strukturieren und prägen. Dabei erfährt man gleichzeitig, auf welche Art und Weise solche Ungleichheitsverhältnisse in der Gesamtgesellschaft am Werke sind, wie sie konstruiert sind und wie sie konstruiert werden.

1.1 Illegitime Künste – Fotografie Bourdieu studiert zunächst Philosophie, schwenkt dann jedoch zu den Sozialwissenschaften um, eine Wende, die sich in den späten 1950er Jahren vollzieht, als er zuerst zum Wehrdienst einberufen in Algerien stationiert ist und danach dort lehrt und forscht. Zu dieser Zeit beginnt Bourdieu, das sich ihm bietende Gesellschaftsleben zu fotografieren. In Algerien und in der Folge auch in Frankreich entsteht eine umfangreiche Fotosammlung, die teilweise sogar ausgestellt und posthum in einem Band veröffentlicht wird (vgl. Bourdieu 2009). Es ist bezeichnend, dass Bourdieu vor seiner empirisch-theoretischen Auseinandersetzung mit der Fotografie selbst als Fotograf tätig ist: Es handelt sich hierbei um ein besonderes, da privates Wechselverhältnis von Kunst und Soziologie, das bei denjenigen Soziologen, die sich mit künstlerischen Praktiken auseinandersetzen, häufiger zu finden ist (z.B. bei Howard S. Becker). Eine der frühesten Publikationen, die Bourdieu zusammen mit 44

Luc Boltanski, Robert Castel, Jean-Claude Chamboredon, Gérard Lagneau und Dominique Schnapper herausgibt, Eine illegitime Kunst (Un art moyen, 1965), beschäftigt sich mit den sozialen Gebrauchsweisen der Fotografie. Zwar handelt es sich hierbei um eine Auftragsarbeit von Kodak-Pathé, die an ein von Bourdieu gegründetes Forschungszentrum und damit sein Team ging. Doch wird Bourdieus eigene fotografische Tätigkeit auch eine Rolle entweder bei der Vergabe oder der Annahme des Auftrags gespielt haben. Dieser Aspekt ist nicht unerheblich, da zu jener Zeit nicht nur die einzelnen Wissenschaftsdisziplinen einer hierarchisierenden Ordnung unterliegen (in der die Soziologie erst nach der prestigeträchtigen Philosophie und der Ethnologie kommt), sondern auch die Forschungsobjekte selbst: Innerhalb der Soziologie zählt die Beschäftigung mit kulturellen Praktiken zu den weniger ›legitimen‹ Interessenschwerpunkten, so wie innerhalb der Künste wiederum die Fotografie zu den weniger angesehenen, ›legitimen‹ künstlerischen Praktiken gehört. Damit ist der neuralgische Punkt von Bourdieus Forschungsarbeit bereits angesprochen: Zeit seines Lebens setzt er sich dafür ein, die Soziologie als die Wissenschaft zu etablieren, die aufgrund des ihr immanenten hohen Grades an Selbstreflexion verdeckte Strukturen erkennen und offenlegen kann, die auch der Philosophie verborgen bleiben (vgl. Bourdieu 2002: 23f.), und er wehrt sich gegen die Hierarchisierung von Forschungsobjekten, was insbesondere in einem Aufsatz zur Haute Couture von 1974 deutlich wird. Darin beschreibt er die Schwierigkeit junger Designer, sich gegen die älteren, etablierten zu behaupten, da diese das Feld der Haute Couture dominieren. Bourdieu zeichnet nach, dass es sich dabei um einen Kampf zwischen Jung und Alt, zwischen Innovation und Tradition handelt, der universell ist: »Ich habe in Elle oder Marie-Claire einen wunderbaren Artikel mit dem Titel: ›Gibt es einen Nachfolger für Chanel?‹ gefunden. Man hat sich ja lange gefragt, was mit der Nachfolge von General de Gaulle geschehen würde; das war ein würdiges Problem für Le Monde; die Nachfolge von Chanel ist gut für Marie-Claire; in Wirklichkeit ist es genau dasselbe Problem« (Bourdieu 1993a: 193). Bourdieu ist überzeugt, dass die von ihm beobachteten Strukturen von Dominanz und Unterdrückung – ein Vokabular, das offenkundig der marxistischen wie Kritischen Theorie entnommen ist – in allen Bereichen aktiv sind, weswegen sich vermeintlich unwichtige Ge45

biete genauso zu ihrer Erforschung eignen wie die (ge-)wichtigen Gebiete (in der Kunst die Malerei, innerhalb der Soziologie das Bildungswesen usw.). »So daß, wenn ich über die haute couture spreche, dabei immer auch von der haute culture die Rede ist. Also spreche ich über die Produktion von Marx- oder Heideggerkommentaren, über die Produktion von Gemälden oder Diskursen über Gemälde« (ebd.: 187). Und das in einem Aufsatz über Mode. Heute bewirkt die scheinbare Verwischung der Grenzen von Hochkunst und Populärkultur, dass es nicht leichtfällt, die starre Hierarchie von damals nachzuvollziehen. Es sei aber daran erinnert, dass in jenen Jahren der Nachkriegszeit gerade die Theorien der Frankfurter Schule bzw. Kritischen Theorie dominant waren, in denen von der Kulturindustrie als negativ zu bewertendem Phänomen gesprochen wurde (vgl. Abschnitt III.2). Insbesondere der Status der Fotografie hat sich in den vergangenen Jahrzehnten grundlegend geändert – zu jener Zeit aber hatte diese tatsächlich eine niedrige Stellung in der Künste-Hierarchie inne (vgl. Heinich 2007b: 126). Die Fotografie, stellen Bourdieu und seine Kollegen in den 1960er Jahren fest, ist keine Tätigkeit, die wie heute überall und von jedermann durchgeführt wird und aufgeteilt ist in Schnappschuss-Fotografie und museale Hochkunst-Fotografie. Als sie von der automatisierten Technik und dem finanziellen Aspekt her auch Laien und Geringverdienern zugänglich wird, ist die Fotografie eine von der Oberschicht geschnittene künstlerische Ausdrucksweise, gerade weil sie keine besonderen Fertigkeiten oder Mittel benötigt und es ihr damit an Exklusivität mangelt. Sie gehört nicht zu den hohen Künsten (Malerei, Theater, Oper), für die besondere Befähigungen und spezielles Wissen notwendig sind und die sich daher dazu eignen, als ›legitime‹ Künste dazu beizutragen, den sozialen Unterschied einer Oberschicht zu den niedrigen Schichten zu betonen. Des Weiteren ist von Bedeutung, dass auch die Art des Fotografierens, ihre Ästhetik, abhängig ist von der sozialen Position, die der Fotografierende innehat: Gerade Angehörige der unteren Klassen, so Bourdieu, befolgen unbewusste, inkorporierte Regeln, die den Blick, d.h. die Bildauswahl, leiten. Im Familienfoto hat der Vater mittig zu stehen, Personen werden frontal abgelichtet, sodass sie gut erkennbar sind, Detailaufnahmen von Kieselsteinen oder Blättern (die künstlerisch bewertet werden könnten) sind für 46

sie bedeutungslos, das Urlaubsfoto ist nur als solches erkennbar, d.h. gut, wenn im Hintergrund eine Palme oder der Eiffelturm auf den Urlaubsort hinweisen (Bourdieu und sein Team haben Interviews geführt und den Teilnehmern dabei eine Vielzahl von Fotografien vorgelegt, die diese zu kommentieren bzw. zu bewerten hatten). Das bedeutet, dass es sich hierbei um das genaue Gegenteil der Kantischen Ästhetik des ›reinen Geschmacks‹ handelt: »In der Tat liegt dem allgemeinen Bewußtsein [Bourdieu meint das der ›breiten Masse‹; D.D.] nichts ferner als der Gedanke, man könne und wolle sich ein ästhetisches Vergnügen vorstellen, das – [um] mit Kant zu sprechen – vom Wohlgefallen der Sinne unabhängig wäre. […] Es ist also genau der Geschmack der unteren Klassen, den Kant beschreibt: ›Der Geschmack ist jederzeit noch barbarisch, wo er die Beimischung der Reize und Rührungen zum Wohlgefallen bedarf‹« (Bourdieu 1981: 102f.). Bourdieu übernimmt Kants Vokabular und spricht fortan ebenfalls von ›barbarischem‹ und ›reinem‹ (oder ›feinem‹) Geschmack, Begrifflichkeiten, die – wie auch die ›Legitimität‹ – in dieser frühen Studie zum Tragen kommen und die er später ausführlich in seinem bekanntesten Œuvre, Die feinen Unterschiede (La distinction, 1979), behandelt. Der zentrale Aspekt von Eine illegitime Kunst, nämlich die Erkenntnis, dass die Fotografie – aber damit auch jede andere Kunst – nicht ›frei‹ praktiziert und genossen wird, wie es den Künsten immer wieder zugesprochen (nach Bourdieu: unterstellt) wird, sondern dass die soziale Position und der Habitus eine erhebliche Rolle dabei spielen, was man wie praktiziert und genießt, wird zum Leitmotiv Bourdieus kunstsoziologischer Untersuchungen. Den Begriff des ›Habitus‹ – ein Set verinnerlichter Dispositionen, ein System von Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsschemata, das durch Sozialisierung gewonnen wird – übernimmt er dabei vom Kunsthistoriker Erwin Panofsky.

1.2 Legitime Künste – Kunstmuseen Die ›illegitimen‹ Forschungsfelder Fotografie und Haute Couture sowie Comics, Foto-Romane, Illustrierte, der Jazz und das Kino, die von Bourdieus Mitarbeitern untersucht werden, stellen einen Bruch mit dem akademischen Formalismus dar (vgl. Jurt 2003: 68). In der Publikation Die Liebe zur Kunst (L’amour de l’art, 1966; 47

auf Deutsch erstmals erst 2006) geht es demgegenüber um das prestigereichste Gebiet innerhalb der Kunst und damit auch um ein ›legitimes‹ Forschungsfeld: die Malerei. Zusammen mit Alain Darbel, Dominique Schnapper und vielen weiteren Mitarbeitern analysiert Bourdieu darin die Museumsbesucher europäischer Kunstmuseen. Aufgrund der Befragungen kommen sie zu dem Ergebnis, dass es einen signifikanten Zusammenhang zwischen den sozialen Merkmalen dieser Museumsbesucher und ihrer Haltung bzw. Meinung gegenüber der Kunst gibt. Die zentrale Feststellung lautet, dass sich die Museumsbesucher nicht aus einem Querschnitt der Gesamtbevölkerung zusammensetzen, sondern dass trotz freien (nicht selten sogar kostenfreien) Zugangs zu den Museen Besucher mit hoher, oft akademischer Bildung überrepräsentiert sind. Bourdieu und seine Kollegen interpretieren diese Tatsache nun nicht über das Argument eben dieser Bildungselite, wonach die unteren Klassen über einen nur ›barbarischen‹ Geschmack verfügen und prinzipiell kein Verständnis für Hochkunst haben. Bourdieu kommt vielmehr zu dem Schluss, dass Hochkunst nur genießen kann, wer gelernt hat, dass und was es zu genießen gibt, sodass bei der Verteilung von ›reinem‹ und ›barbarischem‹ Geschmack gerade nicht von angeborenen Attributen gesprochen werden kann: »Die Einklammerung der sozialen Bedingungen, die Kultur und eine zur Natur gewordene Kultur ermöglichen, eine kultivierte Natur, die allem Anschein nach der Gnade und Gabe bedarf und dennoch eine erworbene, ›verdiente‹ ist, bleibt Bedingung der Möglichkeit einer charismatischen Ideologie, die der Kultur und insbesondere der ›Liebe zur Kunst‹ jenen zentralen Stellenwert zuweist, den sie in der bürgerlichen ›Soziodizee‹ einnimmt« (Bourdieu/Darbel et al. 2006: 163). Dieser zentrale Stellenwert ist der einer ›legitimen‹ Kunst, die sich dazu eignet, den Unterschied zu den unteren Klassen nicht nur zu betonen, sondern auch zu begründen, zu legitimieren: Dadurch, dass das Kunstwissen der gebildeten Oberschicht als ihre besondere Befähigung herausgegeben wird, lässt diese Oberschicht sich und die unteren Klassen glauben, dass die sozialen Ungleichheiten eine tatsächliche Berechtigungsgrundlage haben. Das Verdeckte, das Unbewusste (so, wie ja auch der Habitus unbewusstes, inkorporiertes, für selbstverständlich genommenes Denken und Handeln ist) bewirkt, dass sich diese Bildungsgemeinschaft als Denkge48

meinschaft darstellen kann (vgl. Bourdieu 1997a: 108). Indem die unteren Klassen diese Täuschung nicht durchschauen und ihre Ausgrenzung von der Hochkultur selbst mit betreiben, werden die sozialen Unterschiede stabilisiert und reproduziert. In einem 1970 wenige Jahre später erscheinenden Aufsatz erläutert Bourdieu die Bedeutung der Bildung für die Entwicklung des Kunstgeschmacks noch präziser anhand des Zusammenhangs von »Emissionsniveau« und »Rezeptionsniveau« (Bourdieu 1997b: 176f.). So steigt das Emissionsniveau eines Kunstwerks, je mehr Wissen für sein Verständnis nötig ist und vorausgesetzt wird: Zum Beispiel hat abstrakte Kunst ein höheres Emissionsniveau als figurative Kunst, da für den ungeschulten Betrachter in der Historienmalerei auch in Verkennung der genauen Geschichte immer noch eine konkrete Situation (z.B. eine Schlacht oder eine Krönung) erkennbar ist, während das monochrome Gemälde vom Betrachter verlangt, die Geschichte der Kunst selbst zu kennen. Je höher die Bildung, umso höher also das Rezeptionsniveau des Betrachters und umso geringer die Distanz zum Emissionsniveau des Werkes. Dies hilft auch zu erklären, warum gebildete Schichten moderne Kunst (heute müsste man sagen: zeitgenössische Kunst) eher schätzen als klassische: Werke wie die Readymades des französischen Künstlers Marcel Duchamp (1887-1968) setzen einerseits das Wissen um alle Kunst-Codes voraus und verlangen gleichzeitig, all dieses Wissen beiseite zu legen, um sich ganz dem Werk zu überlassen – was nach Bourdieu gleichbedeutend ist mit der Beherrschung des prinzipiellen Codes aller Codes (vgl. ebd.: 180). Der Glaube daran, dass es sich bei der Fähigkeit zum Kunstgenuss um einen angeborenen, ›reinen‹ Geschmack handelt und nicht um gelerntes Wissen, hilft dabei, die Dichotomie von Herrschern und Beherrschten, das Machtgefälle zwischen der Oberschicht und den unteren Klassen zu rechtfertigen und aufrechtzuerhalten. In anderen Worten – denen von Marx – handelt es sich um ein ›falsches Bewusstsein‹, das die Verhältnisse stabil hält. Aus diesem ›falschen Bewusstsein‹ müssen die unteren Klassen herausgeführt werden, indem der Glaube an den ›reinen‹ Kunstgeschmack von der Soziologie als Illusion aufgedeckt wird. Bourdieu sieht zahlreiche Parallelen zwischen Hochkunst und Religion, da es nicht nur den Glauben an eine naturgegebene Verteilung von ›reinem‹ und ›barbarischem‹ Geschmack gibt, son49

dern auch den Glauben an Kunstwerke als sakrale (Fetisch-)Objekte und die Vorstellung, dass Ausstellungsorte wie zum Beispiel Museen ähnlich wie Kirchen seien oder zu sein haben. Bereits in Die Liebe zur Kunst stellt er fest: »Diese heiligen Stätten der Kunst […] weisen in allem darauf hin, daß die Welt der Kunst der Welt des Alltags entgegengesetzt ist wie das Sakrale dem Profanen: Die Unantastbarkeit der Gegenstände, die religiöse Stille, die dem Besucher auferlegt wird« (Bourdieu/Darbel et al. 2006: 165). Diese Analogie zwischen Kunst und Religion verfolgt Bourdieu immer wieder – so auch in einem Aufsatz aus dem Erscheinungsjahr von Die Liebe zur Kunst mit dem Titel »Künstlerische Konzeption und intellektuelles Kräftefeld« im Unterkapitel »Propheten, Priester, Zauberer« (die Reminiszenz an Max Weber, der in Wirtschaft und Gesellschaft von 1922 ebenfalls eine Analyse des Verhältnisses von Priester, Prophet und Zauberer vorlegt, ist gewollt – Bourdieu verweist nicht nur in diesem Aufsatz mehrfach auf ihn). Genauso wie es in jeder Religion Orthodoxe gibt, die an Traditionen festhalten und diese weiterzugeben suchen, und Häretiker, die diese angreifen, indem sie neue Wege beschreiten, gibt es auch in Bezug auf Kultur und in extenso Kunst einerseits die Lehrenden und andererseits die Schaffenden. Die Kunstmuseen gehören zu den Ersteren, da sie eine Institution darstellen, die Anspruch erhebt auf die Macht der Bestimmung dessen, was als etabliert und bewahrenswert zu gelten hat und was nicht. Sie sind eine Legitimationsinstanz, die zu schätzende Kunst archiviert und zeigt und diese damit über einen Rückkoppelungseffekt erst wertvoll macht. Im Spannungsfeld zwischen den »Ordnern« und den »Aufrührern« (Bourdieu 1997a: 113) wird der Kampf um die Etablierung ausgetragen und so kultureller Wandel überhaupt möglich. Die Dichotomie von Herrschern (Etablierten) und Beherrschten (Neuen) prägt dementsprechend nicht nur das Verhältnis der einzelnen Kunst- und Kultursparten untereinander, sondern auch das Verhältnis der sozialen Akteure innerhalb jeder Kunst- und Kultursparte.

1.3 Kunst, Kultur und Geschmack Die umfangreiche Studie Die feinen Unterschiede von 1979 gilt als Bourdieus Hauptwerk, obwohl die meisten der darin vorgestellten Konzepte bereits in den früheren, hier oben besprochenen Wer50

ken zu finden sind. Vor allem im ersten Teil (»Gesellschaftliche Kritik des Geschmacksurteils«) sind Ergebnisse und Bildmaterial aus den vorangegangenen Forschungsarbeiten integriert, und bisweilen verweisen die Titel der dortigen Unterkapitel ganz klar auf die bereits gewonnenen Thesen, wie »Reiner und ›barbarischer‹ Geschmack« oder »Eine anti-kantianische ›Ästhetik‹«. Gleichwohl beschränkt sich Bourdieu in Die feinen Unterschiede empirisch nicht auf Fotografie, Mode und Kunstmuseen, sondern umfasst die möglichen Kultur- und Konsumgüter in ihrer ganzen Bandbreite mit dem Ziel, herauszufinden, welche französischen Bürger welche Kunstwerke und Konsumobjekte bevorzugen – und warum. So geht es in dieser Publikation neben den genannten kulturellen Praktiken ebenfalls um so disparate Gebiete wie den Musikgeschmack, Freizeitaktivitäten (inkl. Sport), Essgewohnheiten und Inneneinrichtung. Es werden Korrespondenzen zwischen sozialer Lage und Kunstgeschmack bzw. den weiteren Vorlieben gesucht und gefunden (nach Eine illegitime Kunst und Die Liebe zur Kunst konnte Bourdieu von solchen Korrespondenzen als Hypothese ausgehen), sodass die Lebensstile der Franzosen jener Zeit in ihrer Gänze analysiert und dargestellt werden (so spricht man inzwischen auch von ›Lebensstilanalyse‹). Es ist unter anderem dieser erschöpfende Charakter der Untersuchung, der bedingt, dass auf dieses Buch viel häufiger als auf alle anderen Werke Bourdieus Bezug genommen wird: Es ist nicht nur für Kunstsoziologen, sondern generell für Kultursoziologen, Bildungssoziologen und diejenigen Soziologen interessant, die sich mit der Sozialstruktur von Gesellschaften befassen. Dabei hat Die feinen Unterschiede den Anspruch, all diese Gebiete auch tatsächlich abzudecken. Nicht zuletzt war das Buch zusätzlich bei einem breiten, nichtakademischen Publikum ein Bestseller, da es seinerzeit ermöglichte, den eigenen Geschmack mit dem der übrigen Bevölkerung zu vergleichen. Ein weiterer Grund dafür, dass diese Publikation ein zentrales Referenzwerk der Soziologie werden konnte, ist die dort zu findende Erweiterung des ›Kapital‹-Begriffs. Versteht man unter ›Kapital‹ (zu Zeiten von Marx wie auch heute) gemeinhin ökonomisches Kapital, das mit einer bestimmten monetären Summe zu beziffern ist (Geld, Aktien, Eigentum wie z.B. ein Haus etc.), so kommen in Die feinen Unterschiede noch drei weitere Formen von Kapital vor, deren Gebrauch in der Soziologie seither etabliert 51

ist. Bourdieu unterscheidet neben dem ökonomischen Kapital das kulturelle, das soziale und das symbolische Kapital. Das sogenannte kulturelle Kapital bezeichnet den Grad an Bildung, über den jemand verfügt, das heißt ein hohes kulturelles Kapitalvolumen bedeutet einen hohen Bildungsgrad (ob ›geerbt‹ oder erworben) und damit im Hinblick auf Kunst beispielsweise das Wissen um die erwähnten Codes, anhand derer Kunstwerke zu entschlüsseln und zu genießen sind. Das soziale Kapital, über das man verfügen kann, bezieht sich auf die Quantität und Qualität sozialer Beziehungen: Verkehrt man zum Beispiel in guten Kreisen oder kennt viele wichtige Persönlichkeiten, ist man – wie man heute sagen würde – gut vernetzt und hat ein hohes soziales Kapitalvolumen. Das symbolische Kapital hingegen hat eine weniger präzise formulierbare Struktur, insofern als es die anderen Kapitalsorten in sich vereint und es möglich macht, zu ermessen, ob und wie sehr die Kapitalvolumina die eigene Position in der Gesellschaft tatsächlich beeinflussen. Wenn das jeweils zur Verfügung stehende ökonomische, kulturelle und soziale Kapital so wahrgenommen und dahingehend anerkannt wird, dass dem- oder derjenigen Kompetenz und Prestige zugesprochen werden und sich dadurch eine hohe soziale Position ergibt, kann man auch von einem hohen symbolischen Kapital sprechen. Laut Bourdieu ergibt sich in der Folge ein dreidimensionaler Raum, innerhalb dessen soziale Positionierungen und Vorlieben ein- und zugeordnet werden können. Eine der Dimensionen steht für das Kapitalvolumen, die nächste für die Kapitalstruktur und die dritte für die zeitliche Entwicklung, da er mit einbezieht, dass sich soziale Laufbahnen mit der Zeit (weiter-)entwickeln können (vgl. Bourdieu 1982: 195f.). Das Gesamtvolumen des Kapitals (das heißt die genaue Zusammensetzung der Kapitalsorten) und die Verteilung der sozialen Klassen korrespondieren miteinander, sodass anhand entsprechender Korrespondenzanalysen Diagramme entstehen, die den dreidimensionalen sozialen Raum zu verbildlichen suchen und in ihrer Komplexität sicherlich dazu beigetragen haben, Reiz und Ruhm von Die feinen Unterschiede mit zu begründen. So zeigt eines dieser Kreuzdiagramme die »Varianten des herrschenden Geschmacks« (ebd.: 409): Daran ist abzulesen, dass zum Beispiel Van Gogh und Kandinsky Maler sind, die von Personen geschätzt werden, die innerhalb der herrschenden Klasse zwar zu den Einkommensschwächsten, aber zugleich zu den 52

kulturell Kompetentesten gehören, während diejenigen Mitglieder der Bourgeoisie, die zu den Einkommensstärksten, aber kulturell Inkompetentesten gehören, eher etablierte Klassiker wie Da Vinci oder Raffael bevorzugen. Auf diese Weise wird überhaupt möglich, bestimmten Typen von Vorlieben Eigenschaftswörter zuzuordnen: ›feiner‹ bzw. ›distinguierter‹, ›kleinbürgerlicher‹ oder ›vulgärer‹ Geschmack sind nur vor dem Hintergrund verständlich, dass Geschmack eben keine rein individuelle Ausprägung ist, sondern maßgeblich durch Sozialisation und Umfeld mitbestimmt wird, also ein »Klassengeschmack« (ebd.: 401ff.) ist. Hier kommt wieder das Konzept des Habitus zum Tragen, der als Verknüpfungspunkt zwischen Individuum und Klasse gelten kann. Der Habitus ist inkorporiertes (Klassen-)Wissen, das dem Individuum so inhärent ist, dass jede Entflechtung und Aufteilung in einen individuellen und klassenverbundenen Teil so unmöglich wie nutzlos ist. Er ist »strukturierende Struktur« als auch »strukturierte Struktur« (ebd.: 279), indem er die Praxis und Wahrnehmung (z.B. den Kunstgeschmack) strukturiert, ›anleitet‹, aber auch selbst strukturiert ist, indem er die Verinnerlichung von Klassenunterschieden und ihren verschiedenen Ausprägungen ist. Der Habitus ist somit eine Form von chiastischer Struktur, die Bourdieu in seinen Theorien und seiner Sprache immer wieder einsetzt. Wenn Klassenzugehörigkeit und kulturelle Vorlieben korrespondieren, so bedeutet das im Umkehrschluss auch, dass der vermeintlich persönliche Geschmack die eigene soziale Position ›verrät‹: Ein teures Auto oder der Opernbesuch verweisen auf die Position, die man in der Gesellschaft innehat – und sollen das zumeist auch unmissverständlich tun. Ziel ist, sich von den anderen sozialen Klassen abzugrenzen und den »feinen Unterschied« zu betonen, denn: »[S]oziale Identität gewinnt Kontur und bestätigt sich in der Differenz« (ebd.: 279). Objekte werden so zu Statussymbolen, das heißt abstrakter formuliert zu Zeichen für die Klassenzugehörigkeit. Die angeeigneten Objekte sind »vergegenständlichte soziale (Klassen-)Beziehungen« (ebd.: 138). Diesen direkten Zusammenhang muss man gleichwohl infrage stellen, und tatsächlich lehnt Bourdieu selbst eine allzu vereinfachte Form von Determinismus ab. Die Wirksamkeit der einzelnen Kapitalsorten ist nicht automatisiert, sondern hängt vom Kontext ab, das heißt vom betreffenden Feld und seiner je eigenen 53

Logik, seinen jeweiligen Gesetzen (vgl. ebd.: 194). Weitergehend muss aber auch betont werden, dass die Ergebnisse der Korrespondenzanalysen aus Die feinen Unterschiede aus heutiger Sicht nicht mehr aktuell sind: Da Vinci und Raffael mögen nach wie vor etablierte Klassiker sein, das sind Van Gogh und Kandinsky jedoch ebenfalls, und eine bestimmte Automarke oder selbst der Opernbesuch sind nicht mehr zwangsweise Ausdruck eines bestimmten, tatsächlichen sozialen Status. Hier hat die poststrukturalistische Semiotik vielmehr die Idee ins Spiel gebracht, dass solche Zeichen nicht länger auf einen realen Inhalt, eine konkrete Bedeutung, sondern nur noch auf sich selbst als Zeichen verweisen. Konkreter formuliert hieße das beim Opernbesuch zum Beispiel, dass dieser nicht mehr ausschließlich von einer Oberschicht praktiziert wird, die sich damit von den unteren Schichten abgrenzen will (so wie der Besuch der Kunstmuseen in Die Liebe zur Kunst), sondern dass die Oper von allen möglichen Besuchern als ›Hochkunst-Ereignis‹ inszeniert, gar zelebriert wird. Damit verliert Hochkunst aber ihre Legitimationskraft, und Populärkultur wird auch für sozial gut Positionierte attraktiv. Einige Soziologen sprechen gegen Bourdieu vom cultural omnivore, vom ›kulturellen Allesfresser‹, der sich beim Einsatz und Genuss von Kultur- und Konsumgütern nicht mehr nach der Klassenzugehörigkeit richtet (vgl. Peterson/Kern 1996; siehe dazu Abschnitt V.1.2). Gleichwohl ist es vor allem die privilegierte Schicht, die zum cultural omnivore werden kann, da den benachteiligten Schichten der Konsum von Luxusgütern verwehrt bleibt: »Schaumwein statt Champagner, Kunstleder anstelle von Leder, Kitschbilder statt Gemälden« (Bourdieu 1982: 602) ist auch heute für die meisten Personen mit geringem ökonomischen, kulturellen, sozialen Kapital Realität. So bleibt bei aller berechtigten Kritik an Die feinen Unterschiede festzuhalten, dass die These des Zusammenhangs zwischen Kunst- und Kulturkonsum und sozialer Stellung (so wie an anderer Stelle zwischen Bildung und sozialer Stellung, vgl. z.B. Bourdieu/Passeron 1971) auch weiterhin ein ernsthaftes Mittel zur Analyse darstellt, eine These, die immer wieder geprüft werden muss, gerade hinsichtlich der Rezeption von Kunst. Zentral an Die feinen Unterschiede war und ist dabei das Unterfangen, strukturalistische Theorien mit Handlungstheorien zu verbinden, das heißt objektive Strukturen und handelnde Akteure in einen Zusammenhang zu bringen, in dem sie sich gegenseitig nicht aufheben, sondern 54

ergänzen. Makro- und Mikrosoziologie – eine Dichotomie, die auch die soziologische Auseinandersetzung mit Kunst prägt – werden integrativ eingesetzt.

1.4 Kunst, Kultur und Feld Mit Die Regeln der Kunst (Les règles de l’art, 1992) legt Bourdieu eine Studie vor, die von all seinen Schriften am eindeutigsten dem Schwerpunkt Kunstsoziologie zugeordnet werden kann: Es geht darin explizit um das literarische Feld, das auch im Untertitel des Buches angesprochen wird. Bourdieu beschreibt die Logik und Funktionsweise des gesamten Feldes der Literatur, aber auch der bildenden Kunst im Frankreich des 19. Jahrhunderts, wobei er sich an zwei konkreten Beispielen abarbeitet: einmal dem Schriftsteller Gustave Flaubert (1821-1880), dessen bekannteste Romane Madame Bovary von 1857 und Die Erziehung der Gefühle (L’Education sentimentale) von 1869 sind, und dem Maler Edouard Manet (1832-1883), zu dessen berühmtesten Werken die Gemälde Olympia von 1863 und Die Erschießung Kaiser Maximilians von Mexiko von 1867 zählen; beides sind Künstler, die als Wegbereiter der Moderne gelten. Der nicht geringe Anspruch, die Entstehung und Struktur eines Gebietes in ihrer Gesamtheit darzustellen, ist von Bourdieus vorherigen Untersuchungen bekannt, und auch der Fokus auf den Begriff des ›Feldes‹ ist für Leser von Bourdieus Werk keine unbekannte Größe. Allerdings vollzieht sich mit Die Regeln der Kunst dennoch eine einmalige Verschiebung des Blickwinkels, da es darin nicht um gegenwärtige Entwicklungen eines bestimmten Bereiches oder des Geschmacks geht, sondern primär um seine vergangene Geschichte. Die Regeln der Kunst gibt sich weniger deskriptiv als Bourdieus andere Werke, weil die historische Komponente nicht nur nach Beschreibung und Analyse verlangt, sondern zu einem gewissen Grad ebenfalls nach Interpretation. So wird in diesem Buch besonders gut deutlich, inwiefern eine Kunstsoziologie auch historisch arbeiten kann – und wie nah damit die Grenze zur Kunstgeschichte rückt. Der Umstand, der es Bourdieu überhaupt erst ermöglicht, historische Entwicklungen in den Blick zu nehmen, ist die Schwerpunktsetzung auf die Feldtheorie. Diese ist zum Zeitpunkt der Veröffentlichung von Die Regeln der Kunst zwar schon fester Be55

standteil von Bourdieus Vorstellung von Struktur und Funktionsweise von Gesellschaften (so bereits in Die feinen Unterschiede, vgl. Bourdieu 1982: 355ff.), kommt hier jedoch im vollen Umfang zum Tragen. Das ›Feld‹, le champ, ist ein alternativer Begriff zu ›Bereich‹, ›Domäne‹ oder ›Gebiet‹, wobei mit dem Feld am ehesten ein Aktionsfeld assoziiert wird, das heißt ein klar abgestecktes Terrain, auf dem etwas passiert: Schlachtfeld, Spielfeld – Bourdieu entscheidet sich bewusst dafür, diese ›kämpferische‹ Komponente zu betonen, da Kampf und Spiel in jedem Feld ausgetragen werden. ›Spiel‹ bezeichnet dabei kein harmloses Spiel, dessen Ausgang folgenlos bleibt, sondern eines, in dem es einen Einsatz gibt und die Spieler in Wettstreit zueinander treten. Agon ist der griechische Begriff dafür, und so sind auch die Bourdieu’schen Felder agonaler Natur. Der Wettkampf zwischen Herrschern und Beherrschten, zwischen Etablierten und Neuen, der bereits weiter oben skizziert wurde, findet im jeweiligen Kräftefeld statt: dem der Politik, Wirtschaft, Religion oder dem der Kunst. In diesem Spannungsfeld wechseln sich Vorstöße und Rückschläge ab und generieren auf diese Weise erst das eigentliche Feld. So vollzieht sich die Ausdifferenzierung der jeweils unterschiedlichen Felder in einem historischen Prozess der Autonomisierung – ein Prozess, den Bourdieu für das Feld der Literatur in Die Regeln der Kunst nachzeichnet. Die Person Flauberts ist dabei beispielhaft für diese Entwicklung, weil er einerseits mit seinem Werk zu dieser beiträgt und andererseits maßgeblich von dieser geprägt wird. Es handelt sich um eine Zeit, in der sich das autonome Feld der Literatur bzw. Kunst herausbildet, indem die darin zu verortenden Akteure ihre Arbeit zunehmend von den Anforderungen und Regeln anderer Felder loslösen, das heißt von staatlichen oder generell herrschaftlichen sowie religiösen Anforderungen (also Kunst im Dienste des Staates, der Religion usw.). Stattdessen sind das Kunstfeld und seine Akteure verstärkt in der Lage, sich eigene Regeln aufzustellen, was sich zunächst noch an Institutionen wie den Akademien zeigt. Doch selbst diese werden von Künstlern immer mehr als Herrschaftsinstanzen wahrgenommen, die nicht nachvollziehbare Regeln – vor allem stilistischer Natur – diktieren. Das hat zur Folge, dass sich die Vorstellung, gar Ideologie des L’art pour l’art durchsetzt (wörtlich ›Kunst für die Kunst‹), nach der Kunst niemandem zu dienen und keine Regeln zu befolgen habe außer den eigenen: Kunst als Selbstzweck. Es ist eine besondere Art »Kunst 56

zu erleben, die in einer Lebensart, einer Lebenskunst wurzelt, die mit dem bürgerlichen Lebensstil gebrochen hat, gründet sie doch in der Verweigerung jeder gesellschaftlichen Rechtfertigung von Kunst und Künstler« (Bourdieu 1999: 218f.). In dieser Situation kann sich der kantische Gedanke durchsetzen, dass das Publikum Kunst ›interesselos‹ wahrzunehmen habe, ohne nach möglichen Bedeutungen für und in der Politik, Religion und Ökonomie zu suchen. Diese Ausdifferenzierung eines autonomen Feldes der Literatur bzw. Kunst wird von vielen Autoren und Theoretikern beschrieben (so heißen die Felder beispielsweise bei Max Weber bzw. Jürgen Habermas ›Wertsphären‹ und bei Niklas Luhmann ›Subsysteme‹), doch bei Bourdieu ist das Feld als Austragungsort von Kämpfen zwischen Herrschern und Beherrschten sowie alt gegen neu ein Spezifikum. Flaubert sitzt dabei gleichsam ›zwischen den Stühlen‹: Er ist einerseits der bürgerlichen Kunst, der art bourgeois, entgegengesetzt und andererseits der sozial engagierten Kunst, der art social. So verdichtet und zeigt sich in seiner Person die oppositionelle Struktur des gesamten literarischen Feldes. Die Tatsache, dass sich Bourdieu in Die Regeln der Kunst vor allem mit Gustave Flaubert beschäftigt, ist nicht nur dessen besonderer Innovativkraft als Literat des 19. Jahrhunderts geschuldet, sondern ist auch als kritische Auseinandersetzung mit der Monografie Der Idiot der Familie. Gustave Flaubert 1821-1857 (L’idiot de la famille, 1971-1972) von Jean-Paul Sartre zu verstehen. Der französische Philosoph Sartre (1905-1980) war seinerzeit der führende Intellektuelle des Landes und untersuchte Flauberts Leben aus dem Blickwinkel der sogenannten existentiellen Psychoanalyse, indem er vor allem Flauberts Rolle und Position in seiner Familie beleuchtete. Bourdieu, der stets versuchte, die Soziologie gegen die Philosophie – auch und gerade gegen die die Öffentlichkeit dominierende Person Sartres – durchzusetzen und zu etablieren, hinterfragt in Die Regeln der Kunst Sartres Thesen und stellt dessen Version der Psychoanalyse eine ›Sozioanalyse‹ von Flaubert entgegen. Damit ist Die Regeln der Kunst gleichzeitig ein Buch über die Figur des öffentlichen Intellektuellen und beweist, dass kunstsoziologische Fragestellungen oft weit über die Grenzen der Künste hinausgehen. Ihre Tragweite wird jedoch nicht nur von diesem Hintergrund erhellt, sondern zeigt sich überall dort, wo Bourdieu selbst auf die Äquivalenz von Kunst- und anderen Analysen hin57

deutet: »Im weiteren Verlauf dieses Textes kann der Leser das Wort Schriftsteller jeweils durch Maler, Philosoph, Wissenschaftler usw. und literarisch durch künstlerisch, philosophisch, wissenschaftlich usw. ersetzen« (Bourdieu 1999: 341, Hervorhebung im Text).

1.5 … und außerdem: Bourdieu und Hans Haacke Bourdieu führt 1991 ein Gespräch mit dem deutsch-amerikanischen Konzept- und Installationskünstler Hans Haacke (*1936), das 1994 in Frankreich und ein Jahr später in Deutschland in Buchform veröffentlicht wird (unter dem Titel Freier Austausch; frz. Libre-échange). Haacke ist bekannt für seine politisch motivierte und engagierte Kunst und erhält 1993 für die Gestaltung des Deutschen Pavillons auf der 45. Biennale von Venedig den ›Goldenen Löwen‹ – also nach dem Gespräch mit Bourdieu, aber vor der Publikation des Buches, sodass das Werk Germania – Bodenlos darin integriert ist. Bourdieu und Haacke sprechen dabei nicht nur über Haackes Werke, sondern prinzipiell über den zeitgenössischen Kunstbetrieb und die starke Einflussnahme von Unternehmen bzw. ›des Kapitals‹ auf die Kunst. Unverhohlen bringt Bourdieu dabei seine Bewunderung von Haackes Position in der Kunst zum Ausdruck und ganz offenkundig stimmen sie darin überein, dass Kunst in jedem Sinne ›frei‹ und unabhängig zu sein habe. Die eher private Gesprächssituation erschwert eine kunstsoziologisch orientierte Rezeption dieser Veröffentlichung, weil man Bourdieu darin nicht mit dem Analytiker verwechseln darf, der im Aufsatz »Aber wer hat denn die ›Schöpfer‹ geschaffen?« von 1980 gerade in Bezug auf die gesellschaftliche Figur des Künstlers dessen vermeintliche Unabhängigkeit kritisch hinterfragt (im Übrigen ein exemplarischer Aufsatz zur strukturellen Äquivalenz von Kunst und Religion, in dem die Hochstilisierung des Künstlers zum sujet créateur thematisiert wird). In Freier Austausch ist Bourdieu vielmehr Beteiligter einer einvernehmlichen Diskussion über die Gefährdung der Kunst durch die private Förderung vonseiten von Großkonzernen, eine Rolle, die zu reflektieren ist. Gleichwohl bietet Freier Austausch gerade auch durch diese Wahrnehmungsverschiebung der Position Bourdieus im Kunstfeld eine interessante und durchaus unterhaltsame Lektüre innerhalb der Kunstsoziologie.

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Hierzulande ist Bourdieus Werk bislang vor allem auf das Konzept des Habitus, den praxeologischen Ansatz, seinen ›Kapital‹-Begriff und die Feldtheorie hin gelesen worden; eine Rezeption seiner dezidiert kunstsoziologischen Perspektive hat nur eingeschränkt stattgefunden, zum Beispiel in Form von Museumsbesucherstudien, die sich oft auf Die Liebe zur Kunst beziehen (vgl. Behnke/ Wuggenig 1994; siehe auch Abschnitt V.2). Weltweit werden Bourdieus kunstsoziologische Überlegungen vor allem als Methode genutzt, um beispielsweise zeitgenössische Kunstrichtungen zu beleuchten (vgl. Grenfell/Hardy 2007) oder werden als Methode insgesamt abgelehnt (vgl. Heinich 1998b). Inzwischen rückt jedoch auch Bourdieus Kunstsoziologie selbst in einigen neueren Publikationen verstärkt in den Vordergrund, sei es in Form einer Weiterentwicklung von Die Regeln der Kunst (vgl. Zahner 2006), die kritische Würdigung seiner Kunsttheorie (vgl. Kastner 2009) oder in Form von Überblicksliteratur (vgl. Schumacher 2011).

2 Howard S. Becker Der amerikanische Soziologe Howard S. Becker ist wie kaum ein anderer innerhalb äußerst disparater Bindestrichsoziologien tätig gewesen und nach wie vor aktiv: der Arbeits- bzw. Berufssoziologie, der Organisationssoziologie, der Norm- bzw. Devianzsoziologie und der Kunstsoziologie. Tatsächlich decken seine Forschungsarbeiten immer mehrere dieser Gebiete ab, sodass Überschneidungen die Regel sind. Vor allem was kunstsoziologische Erkenntnisse anbelangt, wird man in all seinen Schriften fündig. Das verbindende Element dieser Untersuchungen ist der qualitativ-empirische Ansatz, der auf die Chicago School und den Symbolischen Interaktionismus zurückzuführen ist und der für Becker solche Wichtigkeit hat, dass er gleich mehrere Bücher zu diesen Methoden verfasste (vgl. Becker 1994, 1998, 2007). Becker widmet sich allen erdenklichen Kunstsparten: der Musik, der bildenden Kunst, der Literatur, der Fotografie und dem Theater, wobei sein Schwerpunkt eindeutig auf Ersterer liegt. Das zentrale Element des Becker’schen Blicks auf die Künste ist der Fokus auf die Handlungen der betreffenden Personen, weswegen sein Ansatz der mikrosoziologischen Ebene zuzuordnen ist.

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2.1 Musiker als Außenseiter Howard S. Becker ist in Chicago geboren, hat dort studiert und promoviert und später dann lange Jahre gelehrt. Zu dieser Zeit floriert die Soziologie in Chicago, und so zählen zu seinen Lehrern prominente Vertreter der Chicago School (Everett C. Hughes, 1897-1983) und des Symbolischen Interaktionismus (Herbert Blumer, 1900-1987). Diese Genealogie ist für Beckers Schaffen entscheidend, da er unter anderem mit Hughes auch eng zusammenarbeitet, womit sich die Themen seiner ersten Publikationen erklären. In diesen beschäftigt sich Becker mit der Organisation und Arbeitsteilung in Ausbildungseinrichtungen wie Schulen und Colleges (vgl. u.a. Becker/Geer/Hughes/Strauss 1961, Becker/Geer/Hughes 1968) – Studien, die ihn zu Einsichten führen, die er in der Folge auch auf sein Verständnis der Künste überträgt, wie in seiner ersten eigenständigen Monografie von 1963, Außenseiter. Zur Soziologie abweichenden Verhaltens (Outsiders. Studies in the Sociology of Deviance, auf Deutsch erschienen 1973). Darin setzt sich Becker mit der gesellschaftlichen Figur des Außenseiters auseinander und wendet einen Ansatz an, der fortan hauptsächlich mit eben diesem Buch in Verbindung gebracht wird: die sogenannte labeling theory (besser: labeling approach), zu Deutsch Etikettierungstheorie. Der leitende Gedanke dahinter ist, die damals vorherrschende Meinung zu verabschieden, man müsse, um abweichendes, gar kriminelles Verhalten verstehen und erklären zu können, auf die Person des Abweichlers bzw. Kriminellen und seine besonderen Eigenschaften (auch die psychischen und genetischen) eingehen: Warum verhält sich jemand abweichend? Becker formuliert in seiner Studie diese Frage um: Vielmehr habe gerade die Soziologen zu interessieren, unter welchen Bedingungen, wann und wie Personen entscheiden, dass sich jemand abweichend verhält – womit nicht länger der Abweichler, sondern die Gruppe (Gemeinschaft, Gesellschaft), die diesen als solchen bezeichnet (also ›etikettiert‹), im Zentrum des Interesses steht. Die eingängige Definition lautet: »[A]bweichendes Verhalten ist Verhalten, das Menschen so bezeichnen« (Becker 1973: 8). Anders ausgedrückt: Abweichendes Verhalten ist eine soziale Konstruktion, da es gesellschaftliche Gruppen sind, die Regeln überhaupt erst aufstellen, deren Nichtbeachtung wiederum als abweichend empfunden und definiert wird. 60

Becker exerziert diese These anhand von zwei Fallbeispielen durch, Marihuana-Raucher und ›Tanzmusiker‹. Der Umstand, dass Becker für dieses Forschungsprojekt Musiker und ihr Zusammenwirken untersucht, begründet sich in der Tatsache, dass er selbst professioneller Pianist ist und vor allem in den 1940er und 1950er Jahren regelmäßig in Bars und im Rahmen von Hochzeiten, Bar-Mizwas oder Betriebsfeiern auftrat. Einer bislang nur auf Französisch erschienenen Publikation, Paroles et musique von 2003, liegt sogar die Audio-CD À Grenoble mit zehn Jazz-Stücken bei, darunter Klassiker des Genres wie »I remember you« oder »Just in time«. Mit ›Tanzmusiker‹ meint Becker also genau solche Musiker, die in Clubs und bei geselligen Ereignissen auftreten, Berufsmusiker, die Veranstaltungen begleiten, statt Konzerte zu geben, in denen es primär um sie und ihre Musik gehen würde. In Außenseiter sind diese Musiker ein Beispiel für eine Gruppe, die zwar keine Gesetze bricht, aber dennoch als abweichend empfunden wird – seinerzeit wurde ihr Lebensstil (noch) stärker als heutzutage als unkonventionell betrachtet, von den Etablissements, in denen sie spielten, ganz zu schweigen (neben Nachtclubs waren auch Striplokale dabei). Diese Berufsmusiker, die sich auf einer Skala, die Gehälter, Arbeitsbedingungen und gesellschaftliche Anerkennung misst, unterhalb der als erfolgreich einzustufenden Rundfunk-, Fernseh- und Theatermusiker (d.h. der hoch professionalisierten Orchestermusiker) befinden, teilt Becker ihrerseits noch einmal in zwei unterschiedliche Gruppen: So gibt es auf der einen Seite die genannten Tanz- und Schlagermusiker, die eher ›volkstümliche‹, ›kommerzielle‹ Musik spielen, also das, was ihre Auftraggeber und ihr Publikum hören wollen (erwähnt werden Rumbas und Polkas, Musik mit eingängigen, harmonischen Melodien, die sich zum Tanzen eignen, vgl. Becker 1973: 99, 108). Auf der anderen Seite wiederum gibt es die Jazz-Musiker, deren Musik bei den Auftraggebern und dem gewöhnlichen Publikum eher weniger Gefallen findet, die selbst aber davon überzeugt sind, die künstlerisch ›wertvollere‹, die »einzig spielenswerte« (ebd.: 74) Musik darzubieten. Bei der Lektüre dieser Feldforschung muss man sich dessen vergegenwärtigen, dass Becker dieses Milieu in den 1940er und 1950er Jahren untersucht, als es selbst in Chicago nur wenige ausgewiesene Jazz-Clubs und nur eine kleine Hörerschaft für diese Musikrichtung gibt. Aus heutiger Sicht mögen diese Zuweisun61

gen daher keinen Bestand mehr haben; diese Feststellung ändert gleichwohl nichts am kunstsoziologischen Erkenntnisgewinn aus diesen Studien, die bis heute als Grundlage für ähnliche, neue Forschungsprojekte dienen (vgl. Perrenoud 2007). Becker zählt beide untersuchten Musiker-Gruppen zu den Angehörigen eines Dienstleistungsgewerbes und beobachtet und beschreibt, wie er es in früheren Untersuchungen öfter unternommen hat, ihre Organisation und Arbeitsteilung. Ähnlich wie in Medizin und Industrie, so stellt er fest, gibt es eine ausgeprägte informelle Organisation in Form von Cliquen, die maßgeblich über die Verteilung von ›Jobs‹ (d.h. Engagements, Auftritten) und über mögliche Aufstiegschancen entscheiden. Wird ein Musiker auf einen frei gewordenen Arbeitsplatz angesprochen, wird er die anderen Musiker aus seiner Clique weiterempfehlen, vor allem wenn für einen Job eine ganze Band bzw. ein Tanzorchester benötigt wird. Das Zusammengehörigkeitsgefühl einer solchen Gruppe von Musikern ist durch die Stellung als gesellschaftliche Außenseiter bedingt; die Abgrenzungsbestrebungen sind denn auch nicht nur gegenüber anderen Musiker-Cliquen, sondern vor allem gegenüber den Nichtmusikern besonders auffällig. Diese Außenstehenden werden von allen Musikern als »Spießer« bezeichnet (Becker 1973: 76ff.), im Englischen square, was ein etwas veraltetes Wort aus der Umgangssprache für Spießbürger, Kleinbürger, Biedermann oder auch Hinterwäldler ist. Den Spießern wird das Verständnis für gute Musik pauschal abgesprochen; sie sind der ungeliebte Auftraggeber, der die Verantwortung dafür trägt, dass die Musiker, die sich alle als Künstler verstehen, kommerzielle Musik spielen müssen. Erfolg und Selbstverständnis der Musiker hängen davon ab, wie weit sie sich den Wünschen bzw. Anforderungen der Spießer beugen. Die kommerziellen Musiker sind eher erfolgreich, da sie vergleichsweise viele Jobs erhalten und mit regelmäßigen Einnahmen rechnen können (dafür spielen sie nicht das, was sie im Grunde gerne spielen möchten); die nichtkommerziellen Jazz-Musiker sind eher erfolglos, da sie weniger Jobs erhalten und daher weniger Einnahmen erzielen (wobei sie das gute Gefühl haben, sich nicht vom Geschmack der Spießer korrumpiert haben zu lassen). Wie bei den Marihuana-Rauchern konstatiert Becker eine »abweichende Laufbahn (d.h. die Entwicklung eines abweichenden Verhaltensmusters)« (ebd.: 92). Der Begriff der ›Laufbahn‹ bzw. 62

›Devianzkarriere‹, der sich seither in der Devianzsoziologie und Kriminologie etabliert hat, betont die prozessuale Entwicklung abweichenden Verhaltens, negiert also eine Initialhandlung, auf die ein abweichendes Verhalten zurückzuführen wäre. Bei den Musikern bedeutet das, dass ihr Außenseiterstatus nicht von vornherein gegeben ist, sondern dass es sich um einen Kreislauf handelt, innerhalb dessen sich die Zuschreibung als Außenseiter von außen und die Abgrenzung von den sich konventionell verhaltenden Nichtmusikern gegenseitig potenzieren. »Schwierigkeiten mit Spießern führen zu wachsender Isolierung, die ihrerseits die Möglichkeiten weiterer Schwierigkeiten verstärkt« (ebd.: 87). Es handelt sich um eine self-fulfilling prophecy, die – auf Beckers Studie zu den Tanzmusikern aufbauend – auf weitere Phänomene in den Künsten angewendet werden kann, so zum Beispiel auf die Vorstellung des Künstlers als Bohemien, dem aufgrund seines Status als Künstler besondere Freiheiten zugestanden werden, die er sich deshalb auch herausnimmt (vgl. Heinich 2005). Es ist festzuhalten, dass nach Becker Künstler nicht sui generis Außenseiter der Gesellschaft sind, sondern erst in und durch die Gesellschaft zu solchen werden, und dass sein Interesse in Außenseiter der typischen Zerrissenheit von Künstlern zwischen ›Kunst und Kommerz‹ gilt, die Künstlerkarrieren damals wie heute prägt. Außerdem zeigen die Kapitel zu den Tanzmusikern in Außenseiter exemplarisch, inwiefern Künstlergruppen wie andere gesellschaftliche Gruppen (z.B. bestimmte Berufsgruppen) zu untersuchen sind, das heißt in extenso inwiefern die Künste ein Untersuchungsgegenstand sind wie alle anderen auch. Letzterer Punkt wird mit ein Grund dafür sein, dass Becker die Verwendung des Begriffs ›Subkultur‹ für die Tanzmusiker (Becker 1973: 73) in der Folge zugunsten der neutraleren Bezeichnung der art worlds aufgibt.

2.2 Kunst als kollektives Handeln Die Studien zu den Tanzmusikern aus Außenseiter sind für Becker der Auftakt zu einer thematischen Neuorientierung, da er sich in der Folge fast ausschließlich mit den Künsten beschäftigt. Diese Überlegungen, oft in Aufsätzen vorveröffentlicht, fließen 1982 in die Monografie Art Worlds ein, die als ›verkannter Klassiker‹ der Kunstsoziologie gelten kann. Viele, vor allem empirische 63

Untersuchungen in diesem Forschungsbereich verweisen auf die darin vertretenen Thesen (siehe Abschnitt V.1.1 zum Productionof-Culture-Ansatz) – und zum 25-Jährigen erscheint 2008 eine erweiterte Jubiläumsauflage, die die Bedeutung dieses Werks unterstreicht. Der französische Musiksoziologe Antoine Hennion (*1952) spricht von der »falschen Bescheidenheit eines großen Buches« (so der Titel seines Beitrags in einem Becker gewidmeten Buch, vgl. Hennion 2004), womit er den Umstand thematisiert, dass Becker den Begriff ›Theorie‹ für seine Überlegungen ablehnt und das Understatement pflegt, während das Konzept der art worlds durchaus weitreichende Konsequenzen für die Kunstsoziologie hat.9 Wie bei der Bezeichnung labeling approach geht auch die Bezeichnung art worlds nicht erst auf Becker zurück. Vielmehr übernimmt er die art worlds vom Kunstphilosophen Arthur C. Danto, der diesen Begriff in einem Aufsatz von 1964 zum Einsatz bringt (vgl. Danto 1994). Allerdings sind die art worlds, die Kunstwelten, bei Becker keine Behelfskonstruktion, um die Existenz und Rolle nichtkünstlerischer Akteure im Kunstbetrieb (Galeristen, Händler, Kritiker usw.) zu berücksichtigen, sondern das zentrale Element seiner Konzeption des Kunstwerks: Die jeweilige art world ist die netzwerkartig miteinander verbundene Gruppe von Menschen, die gemeinsam das Kunstwerk ›macht‹. Der Künstler ist ein wichtiger Bestandteil dieser Gruppe, aber eben nur ein Teil: »All das, was von dem so definierten Künstler nicht gemacht wird, muß durch andere ausgeführt werden. So arbeitet der Künstler im Zentrum eines großen Netzwerkes von kooperierenden Personen, deren Arbeit für das Endprodukt wesentlich ist« (Becker 1997: 26). Becker nennt diese Akteure der art worlds, die selbst keine Künstler sind (d.h. die nicht von den Akteuren der art worlds als solche bezeichnet werden – auch hier greift wieder der labeling approach), »unterstützendes Personal« (support personnel) (ebd.: 25). Dieses Personal reicht von Lithografie-Druckern, Lektoren, Filmcuttern zu den Instrumentebauern und Kostümbildnern, um nur einige der zahlreichen Beispiele zu nennen, die in Art Worlds vorkommen. Dabei ist das unterstützende Personal keine notwendige Bedingung für die Entstehung des Kunstwerks, der Künstler kann auf diese Personen verzichten – so ist ein Schriftsteller denkbar, der einen Roman schreibt, ihn selbst lektoriert, setzt, druckt und vertreibt (wobei sich sogleich die Frage stellt, ob er auch die dafür 64

nötigen Computerprogramme selbst entwickelt und die Druckmaschinen selbst gebaut hat). Aber jede Entscheidung für oder gegen den Einsatz von unterstützendem Personal ändert das Kunstwerk: Das Hinzuziehen eines Lektors bedeutet womöglich, dass der Roman auf ein leserliches Maß heruntergekürzt wird; mit einem guten Verlag zusammenzuarbeiten heißt, dass der Roman in guten Buchhandlungen platziert werden kann und mehr Rezensenten darauf aufmerksam werden usw. Beckers Hauptaugenmerk liegt auf dem kollektiven Handeln, auf der Kooperation vieler, die gemeinsam ein Kunstwerk machen. Kooperation darf nicht missverstanden werden: Es geht nicht immer und ausschließlich um friedfertiges, gemeinsames Handeln. Das unterstützende Personal kann »eigene finanzielle Interessen und Karriereambitionen« haben, und genauso kann es »ästhetische Konflikte« geben (ebd.: 27). Beispielsweise berichtet er von einer kleinen Theatergruppe, bei der die meisten Mitglieder des unterstützenden Personals sehr konkrete Hintergedanken haben: Der Leiter hat das Problem, dass »sich viele Personen freiwillig für technische und andere, weniger wünschenswerte Arbeit meldeten, weil sie hofften, dass dies am Ende zu der Möglichkeit führen würde, Theater zu spielen« (Becker 2008: 90). Diese Verbindlichkeiten schränken das Programm des Theaters ein, da immer wieder Stücke ausgesucht werden müssen, bei denen viele Personen mitspielen können. Auch das ist eine Form von gemeinsamem Handeln, das zu Kunst führt. Kooperation ist daher als Zusammenarbeit zu verstehen, bei der durchaus Streitigkeiten, Konflikte, Kämpfe ausgetragen werden. An diesem Punkt ist Becker oft falsch ausgelegt worden: Der französische Kunstsoziologe Alain Pessin, der 2004 die erste und bislang einzige Einführung in das Werk von Becker veröffentlicht hat,10 weist darauf hin, dass es sich keinesfalls um berufliche oder auf Freundschaft basierende Verbrüderung handelt, wenn von Kooperation die Rede ist, sondern dass sich gemeinsames Handeln ebenso auf Formen der Opposition und der gegenseitigen Bekämpfung bezieht (vgl. Pessin 2004: 25). Gleichwohl basiert die Kooperation der Akteure der art worlds auf Konventionen, dem anderen wichtigen Begriff in Beckers Thesen, der durchaus in Richtung eines Konsenses weist. Mit Konventionen bezeichnet Becker Normen, Regeln, Bräuche oder auch Traditionen. Dennoch entscheidet er sich nicht für diese, in sozio65

logischen Theorien häufiger verwendeten Termini, da conventions stärker die Zusammenkunft von Personen betont, die sich auf etwas einigen oder einigen wollen, was sich für seine Auffassung von gemeinsamem Handeln besser eignet. Konventionen in den art worlds bedeuten Übereinkünfte, die nicht jedes Mal von Neuem ausgehandelt werden müssen. So ist beispielsweise von vornherein gesetzt, dass neue Stücke für Theater-, Ballett- oder Konzertaufführungen nur so lang sein sollten, dass sich das Publikum auf sie konzentrieren kann. Eine bestimmte Auftragsarbeit für ein Museum darf, wenn es sich um eine Installation oder Skulptur handelt, nur so schwer und nur so groß sein, dass sie in das Museum passt und vom dortigen Grund getragen werden kann. Komponisten arbeiten mit der konventionellen, westlichen chromatischen Tonleiter. In religiösen Gemälden symbolisiert der Apfel konventionellerweise den Sündenfall. Es sind Selbstverständlichkeiten, über die kaum einer wirklich nachdenkt: den Akteuren in den art worlds ist ihre Verwendung geradezu natürlich und klar, dem Publikum hingegen sind sie meist nicht bewusst. Alle Kunstwerke, die die Betrachter, Hörer und Leser genießen, sind bereits Selektionen unterworfen worden, die anhand von Konventionen gemacht worden sind. Diese Übereinkünfte bleiben lebendig, weil sie sich bewährt haben: Sie machen das gemeinsame Handeln am jeweils nächsten Kunstwerk einfacher. Der Künstler und das unterstützende Personal können ihre Tätigkeiten schneller und effektiver koordinieren. Das ist aber nur der eine, der praktische Grund für Konventionen. Der andere ist, dass es die Benutzung von Konventionen ist, die es ermöglicht, Kunstwerke emotional erfahrbar zu machen. Denn die Existenz von Konventionen weckt Erwartungen: Man erwartet, dass eine angefangene Melodie in einer bestimmten Tonart endet, oder dass eine Handlung ein bestimmtes Ende nimmt. Mit diesen Erwartungen, hervorgerufen durch Konventionen, kann der Künstler spielen. Daher kann ein »Komponist Erwartungen des Zuhörers im Hinblick auf das, was an Klang folgen wird, hervorrufen und manipulieren. Er kann die Erfüllung dieser Erwartungen aufschieben und enttäuschen, er kann Spannung erzeugen oder sie aufheben, indem er die Erwartungen schließlich befriedigt« (Becker 1997: 30; Becker bezieht sich hierbei auf Arbeiten des Musikwissenschaftlers Leonard B. Meyer). Kooperation und Konvention ergeben ein Bild von Beständig66

keit und Stabilität, welches nicht so ganz zu art worlds, die man sich doch vor allem als kreativ und innovativ vorstellt, passen will. Tatsächlich beschreibt Becker Situationen, in denen Konventionen infrage gestellt werden. So ist es für die Gründung neuer, kleiner Theatergruppen typisch, dass darin vieles ausdiskutiert und verhandelt wird, wozu es schon konventionelle Vorgehensweisen gibt. Konventionen sind standardisiert, aber »selten rigide und unveränderlich« (ebd.: 31). Becker führt als Beispiel die religiöse Renaissancemalerei an, für welche Symbole und Farbgebung vorgegeben waren, die dennoch die unterschiedlichsten Arbeiten hervorgebracht hat, da die Maler immer noch viele Entscheidungen innerhalb der gegebenen Konventionen selbst treffen konnten (vgl. ebd.). Wie grundlegende Neuerungen und Veränderungen, gar Revolutionen in den art worlds möglich sind, beschreibt Becker in einem der Schlussteile von Art Worlds. Es reicht nicht, dass ein Einzelner die bestehenden Konventionen für zu einschränkend hält und eine innovative Idee oder Technik einbringt, weil ihm in den meisten Fällen die Kooperation verweigert wird – sei es vom unterstützenden Personal oder dem Publikum. Becker nennt diese Künstler mavericks, Alleingänger, Abtrünnige. Um sich – wenigstens partiell – durchzusetzen, müssen sie oftmals die Institutionen der art worlds umgehen; so bleiben sie aber auch nur eine Fußnote der Geschichte ihrer Kunstgattung (vgl. Becker 2008: 233-246). Für graduelle oder auch dramatische Veränderungen in einer art world bedarf es nicht minder einer organisatorischen (Weiter-)Entwicklung. Damit sich eine grundlegende, die bestehenden Konventionen, Kooperationsmuster, Institutionen und Rezeptionsgewohnheiten umstürzende Veränderung etablieren kann, die zu einem permanenten Wandel wird, braucht es die konsequente Übernahme dieser Ressourcen (wie des Materials und des unterstützenden Personals), des Publikums (entweder im Sinne eines neu erschlossenen Publikums oder eines, das die Veränderung befürwortet und sogar einfordert) und der Vertriebsmöglichkeiten und -wege, ohne die die Veränderung ihren ›Siegeszug‹ überhaupt nicht antreten kann. Solch grundlegender Wandel, wenn er es schafft, alle Bereiche der jeweiligen art world zu infiltrieren, setzt sozusagen (fast) alles auf null: »Der Kubismus und die serielle Musik stellten grundlegende Veränderungen dar, weil sie von den Menschen verlangten, etwas zu tun, von dem 67

sie nicht wussten, wie es geht, sodass sie ihren Anteil an der kollektiven Handlung nicht ohne große Mühen beim Erlernen neuen Materials und neuer Wege, Dinge zu tun, übernehmen konnten. Das Publikum musste lernen, diesen ungewohnten Sprachen zu antworten und sie ästhetisch erfahren zu können« (ebd.: 305). Becker spricht von einem Angriff auf Gewohnheiten, auf bestehende Hierarchien und auf den Glauben an eine bestimmte Ästhetik, welcher es erfordert, Kräfte und Personen zu mobilisieren (wobei wiederholt sei, dass auch das eine Form von Kooperation darstellt). Nicht nur Konventionen, sondern ganze art worlds sind ununterbrochen dabei, sich zu ändern. Der letzte Aspekt gibt Anlass zu betonen, dass bei Becker nicht nur das gemeinsame Handeln mehrerer Akteure in den art worlds im Vordergrund steht, die alle zusammen das Kunstwerk machen, sondern auch, dass es sich dabei immer um Prozesse handelt. Parallel zum Konzept der Laufbahn, innerhalb derer Personen oder Gruppen Schritt für Schritt beruflich auf- oder absteigen können oder immer mehr zum Außenseiter werden, ist auch die Arbeit am Kunstwerk als Gesamtheit vieler verschiedener Etappen zu verstehen. Die Etappen der Konzeption, Produktion, Präsentation oder Distribution und Rezeption werden nicht nur einmal durchlaufen, sondern wechseln sich ständig ab. Das Kunstwerk ist mit Becker nie als Endprodukt, sondern stets als vorläufiges Resultat von kollektivem Handeln zu verstehen (siehe hierzu auch Abschnitt V.3.1).

2.3 Methoden der Soziologie, Methoden der Kunst Der prozessuale Charakter des Handelns erstreckt sich bei Becker nicht nur auf das kollektive Handeln, das der Soziologe untersucht, sondern auch auf das Handeln, in das er selbst eingebunden ist, das heißt seine eigenen Untersuchungen, sein ›Forschungshandeln‹. Becker favorisiert Methoden der qualitativen Sozialforschung und setzt bei seiner Arbeit vor allem auf Techniken der teilnehmenden und nichtteilnehmenden, offenen und verdeckten Beobachtung, die durch Interviewverfahren angereichert wird. Wenn hier nun die empirischen Verfahren von Becker zur Sprache kommen, dann weil es zwischen diesen soziologischen Methoden und genuin künstlerischen Methoden oder Praktiken auffällige Parallelen gibt, auf die er teilweise sogar selbst hinweist. 68

Zum einen betrifft das den Vorgang des Beobachtens. Becker hält es für eminent wichtig, alles Beobachtbare in Notizen festzuhalten, wie er es beispielsweise für seine Studie Außenseiter getan hat (vgl. Becker 1973: 75). Immer wieder weist er darauf hin, dass Soziologen Vorurteile und Voreingenommenheiten bei der Beobachtung nur dadurch ausklammern können, dass sie alles notieren – ohne Ausnahme und unabhängig davon, wie selbstverständlich oder banal ein Detail sein mag. Als bestes Beispiel dient ihm der französische Schriftsteller Georges Perec (1936-1982). Dessen Romane geben größtenteils Beschreibungen (von Dingen, Personen, Häusern, Straßen) wieder, die von einem extremen, exzessiven Detailreichtum sind und dabei nüchtern-deskriptiv auch das Alltäglichste nicht auslassen. Becker setzt sich mit drei der Romane näher auseinander, die Perec selbst als ›soziologisch‹ bezeichnete und von denen laut Becker Tentative d’épuisement d’un lieu parisien von 1975 (Versuch einen Platz in Paris zu erfassen, 2010) besondere Aufmerksamkeit verdient. Darin geht es um den titelgebenden Versuch, den Platz Saint-Sulpice in Paris mehrfach aufzusuchen und zu beschreiben, um am Ende eine erschöpfende Komplettbeschreibung des Ortes zu allen möglichen Tageszeiten vorliegen zu haben. Der Beobachter Perec beschreibt Passanten, zählt die vorbeifahrenden Busse auf, protokolliert das Verhalten der Tauben. »Die […] Bücher machen etwas, das Sozialwissenschaftler nicht besonders gut machen: alltägliche Erfahrung wiedergeben […]. Alle drei Bücher, jedes auf seine Weise, stützen sich auf ›grobe Beschreibung‹ als grundlegendes Mittel, mit dem dem Leser ›Wirklichkeit‹ nahegebracht wird« (Becker 2007: 266; der Text ist in einer anderen Fassung ursprünglich 2001 erschienen und bildet in Becker 2007 das Kapitel 15). Becker sieht darin einerseits eine durchaus als soziologisch zu benennende Beobachtungsstrategie, verneint aber andererseits die Frage, ob Perec selbst als Soziologe zu bezeichnen wäre. Perec ist Literat und nicht Wissenschaftler, da es ihm zum Beispiel schwerfällt, einige der Ausführungen konsequent durchzuziehen; so fällt das Notieren des Kommens und Gehens der Busse in den Aufzeichnungen manchmal einfach weg. Nichtzielgerichtetes Beobachten nützt dem Soziologen wenig: »Im Grunde ist das Buch […] eine Lektion darüber, wie und warum Forscher ihre Aufmerksamkeit auf etwas richten müssen« (ebd.: 264). Zum anderen zeigt sich die Ähnlichkeit zwischen soziologi69

schen und künstlerischen Verfahrensweisen bei der sogenannten induktiven Analyse, einer qualitativen Forschungsmethode, für die gerade auch Beckers Studie Außenseiter steht. Diese Methode räumt jedem Einzelfall dieselbe Bedeutung ein und fordert und fördert die Rücksichtnahme auf Ausnahmen, auf ›negative‹ Fälle, die es in die zu entwickelnde These zu integrieren gilt. Um die Parallele zu künstlerischen Praktiken bzw. Erfahrungen zu verdeutlichen, werden im Folgenden zwei etwas ausführlichere Passagen aus Beckers Werken gegenübergestellt. Über die induktive Analyse schreibt er: »Man formuliert eine Erklärung für den ersten Fall, sobald man Daten dazu gesammelt hat. Man wendet diese Theorie auf den zweiten Fall an, wenn man Daten dazu hat. Falls die Theorie diesen Fall angemessen erklärt und somit die Theorie bestätigt, kein Problem; man geht weiter zum dritten Fall über. Wenn man auf einen ›negativen Fall‹ stößt, einen, den die erklärende These nicht erklärt, ändert man die Erklärung von dem, was man zu erklären versucht« (Becker 1998: 195). Aus diesem Ausschnitt aus Tricks of the Trade wird ersichtlich, wie eine These Schritt für Schritt erstellt und mit jedem Fall einer neuen Prüfung unterzogen wird. Die These (bzw. das Arbeiten an der These) durchläuft mehrere Etappen, wird ›im Dialog‹ mit den Fällen optimiert, womit erneut die prozessualen und kooperativen Eigenschaften aller Aktivitäten betont werden. Demgegenüber schreibt Becker über das Betrachten eines Fotobandes: »[W]ir betrachten zwei Fotos auf einmal und sehen, was sie gemein haben […]. [M]an könnte sagen, dass wir eine Hypothese darüber aufstellen, dass diese Gemeinsamkeit das ist, worum es auf diesen Fotos geht. […] Wir betrachten ein drittes Foto und sehen, ob es die Kennzeichen hat, auf die unsere These über die Gemeinsamkeiten hindeutet. Wenn es sie nicht ganz genau hat, sondern nur teilweise, revidieren wir unsere These, unsere Idee darüber, worum es in der Sequenz geht. Und so weiter« (Becker 2007: 40; der Text ist in einer früheren Version ursprünglich 1998-1999 erschienen und bildet in Becker 2007 das Kapitel 3). Die Formulierungen sind fast deckungsgleich, und doch behandelt das zweite Zitat die Rezeption von Fotografien, darunter hauptsächlich den Fotoband American Photographs des Dokumentarfotografen Walker Evans von 1938. Evans fotografierte Menschen unterschiedlicher Schichten in unterschiedlichen Situationen, Städte, Landschaften, Freizeiteinrichtungen, Reklame 70

usw. und wählte aus seinem Archiv hundert Bilder für eine Ausstellung im Museum of Modern Art und daraus 87 für das Buch aus. Auch dieses Auswahlverfahren ließe sich mit soziologischen Verfahren des Samplings vergleichen, denen Becker in Tricks of the Trade ein ganzes Kapitel widmet (vgl. Becker 1998: 67-108). Becker setzt wissenschaftliche, soziologische Methoden nicht mit künstlerischen gleich; ganz im Gegenteil geht er in Artikeln oder Textpassagen wie den oben genannten detailliert auf die Unterschiede ein. Die Möglichkeiten und Schwierigkeiten sind nicht dieselben, je nachdem, ob man innerhalb einer art world oder scientific world tätig ist. Doch es besteht die Möglichkeit, Vergleiche zu ziehen, die diese Methoden erklären und verstehen helfen. Dabei bestätigt sich für Becker immer wieder seine Grundannahme, dass alles, auch Soziologie, auch Kunst, verschiedene Ausdrucksformen dessen sind, was Menschen ›zusammen machen‹.

2.4 … und außerdem: Becker und Hans Haacke Becker hat im Laufe seiner bislang 60 Jahre währenden Publikationstätigkeit Texte und Analysen zu allen erdenklichen Kunstgattungen veröffentlicht, präferiert jedoch ohne Zweifel die Musik, dann die Fotografie und schließlich die Literatur. Zu Künstlern und Werken bildender Kunst äußert er sich zwar ebenfalls immer wieder, jedoch selten schwerpunktmäßig. Daher ist der Artikel »Social Science and the Work of Hans Haacke« von 1975, verfasst in Koautorenschaft mit John Walton, von besonderem Interesse. Becker und Walton setzen sich darin mit konkreten Arbeiten von Hans Haacke auseinander und analysieren ihre Wirkung in der entsprechenden art world. Vorrangig geht es einerseits um Werke, die die Verflochtenheit von großen Kunstmäzenen wie der Familie Guggenheim mit Unternehmen darstellen, die in einigen Ländern eine unrühmliche Rolle spielen (dabei vor allem in Entwicklungsländern), andererseits um Arbeiten, die die meist komplizierte Provenienz berühmter Gemälde nachvollziehen, in deren Geschichte wiederum einflussreiche Personen eine große und nicht selten fragwürdige Rolle spielen. Becker und Walton unternehmen in ihrem Aufsatz ein Experiment, ähnlich dem Gedankenspiel, das Becker später für die Arbeiten von Walker Evans und Georges Perec vollführt: Was ist in Erfahrung zu bringen, was kann man lernen, wenn man Haa71

cke nicht nur als Künstler versteht, sondern auch als Sozialwissenschaftler? Becker und Walton interpretieren Haackes Werke als investigative Arbeit über die art world, an der er selbst teilhat; der ›Forschungsbereich‹, dem sie Haacke zuordnen, ist die Analyse von Machtstrukturen. Haacke bedient sich solcher Informationsquellen, die öffentlich zugänglich und leicht nachzuprüfen sind. Dennoch – oder gerade deshalb – stellt angesichts seiner Werke niemand die Frage nach der ›Wahrheit‹ und ›Richtigkeit‹ der dargestellten Fakten und Ereignisse. Becker und Walton konstatieren ebenfalls, dass Haacke selbst keine Interpretation seiner Rechercheergebnisse vorlegt – diese bleibt dem Betrachter überlassen, auch wenn es eine implizite Theorie gibt, die ohne Weiteres aus ihnen herauszulesen ist (Gleiches gilt für den Fotoband von Evans und Perecs deskriptive Romane). Solche äußerst relevanten Aspekte von Forschungsarbeit sind hier nicht vonnöten, da Haackes Werke innerhalb einer art world operieren, und nicht innerhalb einer scientific oder academic world. »Ein Sozialwissenschaftler wird wohl so vorgehen, dass er abwartet, welche Gegenargumente gemacht werden, um die Gültigkeit seiner theoretischen Behauptungen anzufechten […]. Wir haben keine Kenntnis davon, dass tatsächlich irgendjemand Haackes Ergebnisse bestritten hätte« (Becker/Walton 1986: 114). Das bedeutet jedoch nicht, dass Haackes Werke keine Wirkung entfalten – ganz im Gegenteil. Ausstellungen mit den beschriebenen Arbeiten wurden abgesagt, was wiederum als implizite Bestätigung von Haackes ›Ergebnissen‹ gewertet werden kann (und als Weiterführung des entsprechenden Werkes). Die Vehemenz der Reaktionen erklärt sich dadurch, dass Haacke aus seiner art world heraus die in ihr herrschenden Machtverhältnisse aufzeigt, während Sozialwissenschaftler von den Zentren sozialer Macht zu sehr entfernt sind, um darin mit ihren Ergebnissen ähnliche Effekte zu erzielen. »Ein Zeichen dafür, wie segregiert die universitäre Sozialwissenschaft von der Welt ist, die sie beschreibt, ist die Tatsache, dass es schwerfällt, sich auch nur vorzustellen, wie sie dieselben Resultate erzielen könnte« (ebd.: 118). Becker ist in der deutschen Soziologie nur wenig präsent. In kunstsoziologischen Forschungen wird sein Konzept der art worlds zwar mit einiger Selbstverständlichkeit gebraucht (wobei es meistens zu einer Fußnote verkürzt wird), und in einer der bislang letz72

ten, deutschsprachigen Aufsatzsammlungen zu einer Soziologie der Künste (vgl. Gerhards 1997) ist denn auch die Übersetzung des 1974 publizierten Aufsatzes »Art as Collective Action« erschienen. Eingehende Analysen, Diskussionen zu den Konsequenzen aus seinen Überlegungen oder der Einsatz seiner Thesen, zum Beispiel für kunstsoziologische Feldforschungen, haben jedoch Seltenheitswert. Sucht man eine solche fundierte Rezeption von Beckers Schriften, muss man nach Frankreich blicken, wo er eine feste Größe in der Forschungslandschaft der Kunstsoziologen ist (vgl. Blanc/Pessin 2004, Pessin 2004).11 Resümierend lässt sich festhalten, dass Becker mit seinem Konzept von Kunst als (stets vorläufig zu denkendem) Resultat der gemeinsamen Bestrebung mehrerer Akteure die Vorstellung eines einzelnen, singulären Künstlergenies ablehnt. Demgegenüber betont er die Bedeutung von Intermediären im Kunstbetrieb, die zu untersuchen eine klassische Domäne der Kunstsoziologie bildet. Diesen Ausführungen verleiht die Tatsache, dass Becker selbst in verschiedenen Bereichen künstlerisch aktiv ist (nicht nur als Pianist, sondern auch als Fotograf), eine zusätzliche Signifikanz, da er in seinen Darstellungen der art worlds oft von eigenen Erfahrungen ausgeht und eben kein Soziologe ist, der seine vorgefertigten Theorien von außen auf den Kunstbetrieb überträgt.

3 Niklas Luhmann Der deutsche Soziologe Niklas Luhmann ist als Systemtheoretiker bekannt geworden, der sich mit allen erdenklichen Gebieten des gesellschaftlichen Miteinanders beschäftigt hat. Gezielt und konsequent wendete er seine Theorien auf Bereiche wie die Politik, Wirtschaft, Religion und Wissenschaft, aber auch das Recht, Erziehungssystem und die Liebe an. Anzuführen ist ebenfalls, als gleichwertiger Forschungsgegenstand neben den anderen, die Kunst, mit der sich Luhmann in vielen Aufsätzen und der Monografie Die Kunst der Gesellschaft von 1995 auseinandergesetzt hat. Luhmanns Kunstsoziologie hat folglich die Besonderheit, explizit eine Systemtheorie der Kunst zu sein, das heißt Kunst unter der Prämisse zu analysieren, dass diese ein eigenständiges Subsystem der Gesellschaft darstellt. Wie dieses entstanden ist, wie es in unserer heutigen Zeit genau funktioniert und welche Bedeu73

tung, welche Funktion Kunst für die Gesellschaft hat, steht im Mittelpunkt seiner Betrachtungen. Insofern beziehen sich seine Überlegungen auf alle Kunstgattungen und Genres, auch wenn er auf bildende Kunst und Literatur häufiger als auf andere künstlerische Bereiche verweist. Die Kunstsystemtheorie erhebt somit den Anspruch, Kunst in ihrer Gesamtheit erfassen zu können und alle damit zusammenhängenden Vorgänge zu untersuchen und zu verstehen.12

3.1 Die Entstehung des Kunstsystems Als Luhmann 1995 Die Kunst der Gesellschaft publiziert, sind von ihm bereits zahlreiche Monografien zu anderen gesellschaftlichen Subsystemen erschienen, zum Beispiel zur Wirtschaft, Wissenschaft und dem Recht. Es könnte der Eindruck entstehen, Luhmann beschäftigt sich mit dem Kunstsystem nur, weil dieses in einer groß angelegten Gesellschaftstheorie nicht fehlen darf, und in der Tat tun Luhmanns eigene Aussagen im Vorwort zu Die Kunst der Gesellschaft diesem Eindruck keinen Abbruch (vgl. Luhmann 1995: 10). Dies würde jedoch bedeuten, die Tatsache zu verkennen, dass sich Luhmann der Kunst bzw. dem Kunstsystem, ganz im Gegenteil, seit Beginn seiner Zeit als Wissenschaftler widmet. Ab Mitte der 1970er Jahre erscheinen zahlreiche Aufsätze und Artikel, die später nicht selten wortgleich Passagen von Die Kunst der Gesellschaft bilden und die größtenteils auch in die posthume Zusammenstellung Schriften zu Kunst und Literatur von 2008 einfließen (auf die im Folgenden mehrfach verwiesen wird). Dabei stellt Luhmann in jedem Aufsatz die Grundideen, auf denen die These des ›Kunstsystems‹ basiert, vor und beleuchtet dann schwerpunktmäßig jeweils einen anderen Aspekt. Der zentrale Gedankengang ist, dass das Kunstsystem, wie alle anderen Sub- oder Teilsysteme, autonom ist, unabhängig von den jeweils anderen Systemen funktioniert und diesen sowie der Umwelt gegenüber geschlossen ist, das heißt, sich von diesen abgrenzt. Luhmann zitiert aus einem Pressebericht von 1994, nach dem es der Bundesverband Deutscher Galerien abgelehnt habe, »Kunstwerke (aber sind es denn ›Kunstwerke‹?) der australischen Aborigines zur Kölner Kunstmesse ›Art Cologne‹ zuzulassen mit der Begründung, es sei lediglich ›Volkskunst‹« (Luhmann 1995: 400f.). In dieser Aussage ist das ganze Prinzip der Funk74

tionsweise des Kunstsystems enthalten: Das Kunstsystem erweist sich als autonom, weil es kein Komitee von Politikern, kein Wirtschaftsrat und auch keine religiöse Gruppierung ist, die über die Kunstwerke auf der Art Cologne entscheiden, sondern der Bundesverband Deutscher Galerien, eine Organisation innerhalb des Kunstsystems, die eigene Entscheidungskompetenz hat – ohne Rückgriff auf politische, wirtschaftliche oder religiöse (oder rechtliche oder wissenschaftliche usw.) Aspekte. Das Kunstsystem ist den anderen Systemen und der Umwelt gegenüber geschlossen, weil es die Entscheidung fällt, dass die erwähnten Werke nicht aufgenommen werden, also eine Grenze zieht, an der das außen vor bleibt, was als Teil der Umwelt (und eben nicht: des Kunstsystems) verstanden wird. Luhmann erwähnt diese Begebenheit geradezu en passant, dabei handelt es sich um eine Situation, wie sie das Kunstsystem schon mehrfach erlebt hat. In anderen Versionen ging es früher um Gemälde von Edouard Manet (siehe bereits Abschnitt IV.1.4), die vom offiziellen Pariser ›Salon‹ abgewiesen worden waren (und von denen Le déjeuner sur l’herbe von 1863 in den ›Salon des réfusés‹ ausweichen musste, in den ›Salon der Abgewiesenen‹), oder um Fountain von Duchamp, das mit dem Pseudonym ›R. Mutt‹ signierte Urinal von 1917, das er bei einer New Yorker Kunstschau einreichte und bei der Jury zu heftigen Diskussionen führte. Heutzutage könnte es vielleicht um Comiczeichnungen oder um die Anerkennung von Musikclips als Form von Videokunst gehen. So lässt sich anhand des nicht besonders ungewöhnlichen Beispiels – nämlich dass sich Institutionen wie Galerien und Museen tagtäglich die Frage stellen (und stellen lassen müssen), was ausstellungswürdig ist und was nicht – erläutern, was Luhmann mit autonomen, geschlossenen Systemen meint (grundlegend für alle Systeme vgl. Luhmann 1984). Weitere Details der Funktionsweise und Eigenschaften des Kunstsystems können an diesem Fall aufgezeigt werden. Indem aus dem Überschuss an handwerklichen, möglicherweise künstlerischen Ausdrucksformen, die in der Umwelt des Kunstsystems vorhanden sind, ausgewählt wird, indem über die Zugehörigkeitsfrage ›ist Teil des Kunstsystems‹ und ›ist kein Teil des Kunstsystems‹ selegiert wird, wird überhaupt erst der Bestand des Kunstsystems gesichert. Hätten die Galerie-Vertreter aus dem Beispiel alles zur besagten Kunstmesse zugelassen (denn es ist ja durchaus vorstellbar, dass die Aborigines-Werke einen Stein ins Rollen 75

gebracht hätten und dann noch viel mehr Völker, Kulturen, Epochen, Gegenstände hätten aufgenommen werden müssen), hätte es keine Kunstmesse geben können, denn allein schon praktisch ist es nicht machbar, auf einer Kunstmesse alles zu zeigen. Es muss eine Auswahl getroffen werden, das heißt, die Galerie-Vertreter müssen überlegen, was an der Grenze des Kunstsystems mit bestimmten (Kunst-)Werken passieren soll: rein oder raus? Kunst oder Handwerk? Kunst oder Gebrauchsgegenstand? Kunst oder ›Volkskunst‹? Wenn entschieden wird, dass es keine Kunst ist, ist die Frage, als was die Werke bzw. Objekte dann zu bezeichnen sind, nicht mehr das Problem des Kunstsystems, sondern eine Frage, die zur Umwelt oder auch zu einem anderen System gehört. Ein konsequentes Ausgrenzen, Ausschließen, ein ›Außen‹ ist nötig, um ein ›Innen‹ zu erhalten und um entscheiden zu können, was darin integriert wird – in anderen Worten: ohne Grenze kein System. Gleichwohl sind die Systeme, bei aller Autonomie, nicht voneinander isoliert. Es gibt Verknüpfungspunkte, die Luhmann ›strukturelle Kopplungen‹ nennt und mit denen die Systeme untereinander verbunden sind. So kann die Frage, was zum Kunstsystem gehört und was nicht, wortwörtlich zum Politikum werden, aber die Entscheidung kann nicht ›ausgelagert‹ werden, sie verbleibt letztlich im Kunstsystem, weil kein System ein anderes ersetzen kann. Jedes System muss auf seine je eigene Art und Weise mit der Komplexität der Umwelt umgehen und Selektionen vornehmen. Deshalb ist die logische Konsequenz, dass die Systeme gleichrangig nebeneinanderstehen, weswegen bei Luhmann das Kunstsystem gleichberechtigt neben der Politik, Wirtschaft, Religion usw. behandelt wird. All diese Systeme haben sich allerdings erst allmählich herausgebildet. Ihre Existenz ist keine historische Konstante, sondern verdankt sich einem evolutionären Prozess, dessen Entwicklung in der Geschichte jedes Systems, hier also der Kunst, nachvollzogen werden kann. Zur Systembildung, das heißt der Ausdifferenzierung und Autonomisierung der Subsysteme, ist es erst in der Moderne gekommen. Zuvor waren die Bereiche, die wir heute als eigenständige Systeme wahrnehmen, noch ineinander verschränkt. Im Kunstsystem (oder konsequenterweise: im Bereich der Kunst) war es lange üblich, die Kunstfrage von Politik und/oder Religion beantworten zu lassen. Was als Kunst zu gel76

ten hatte oder nicht, wurde von Herrschern wie Fürsten, reichen Kaufmannsleuten oder Kirchenmännern wie den Päpsten diktiert. Diese Kunst hatte keine ›Eigenfunktion‹, sondern eine ›Stützfunktion‹ für die anderen Bereiche (vgl. Luhmann 1995: 226), indem in und mit den Werken beispielsweise Machtstellungen unterstrichen und legitimiert, der Glaube bekräftigt oder gar erzieherische Wirkungen erzielt werden sollten. Anders formuliert begegnete man Problemen des einen Bereichs mit Lösungsvorschlägen eines anderen Bereichs, und die Entscheidungen für einen Bereich wurden in einem anderen getroffen. Das galt nicht nur für die Kunst, die lange einem Patronagesystem verhaftet war. Zum Beispiel wurden Naturvorkommnisse von der Religion erklärt, Ehen verstand man als Rechtsverhältnisse. Erst mit der Zeit zeichneten sich auch hier Trennvorgänge ab, die Religion und Wissenschaft, das Recht und die Liebe voneinander lösten und die im Bereich der Kunst dazu führten, dass sich auf die Kunst selbst bezogene (›selbstreferentielle‹), ästhetische Vorstellungen bilden konnten, frei von religiösen und politischen Bezügen, frei von Kirche und Staat. Diese Entwicklung schritt zwar allmählich (eben: evolutionär) voran – dennoch kann man den Übergang zur Moderne, zur funktional differenzierten Gesellschaft, die Luhmann allein in Europa realisiert sieht, ›datieren‹: »Wenn man darauf abstellt, von wann ab die europäische Gesellschaft ihrer neuen Form bewußt wird und darauf zu reagieren beginnt, wird man die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts als Epochenschwelle ansehen müssen« (Luhmann 2008b: 118). Dies korrespondiert, was das Kunstsystem betrifft, mit einer bestimmten Zeit und Richtung: der Romantik (vgl. Luhmann 2008g). Sie ist Dreh- und Angelpunkt der Luhmann’schen Kunstsystemtheorie, insofern der Unterschied romantischer Kunst zu der Kunst früherer Epochen, das ›Besondere‹ an ihr, der Umstand ist, dass sie die Autonomie der Kunst wahrnimmt und vollzieht. Sobald mit der und durch die Romantik das Kunstsystem etabliert ist, wird diese Autonomie zum unhintergehbaren Faktum (außer das Kunstsystem fällt in sich zusammen oder löst sich auf). Somit funktioniert das Kunstsystem seither auf dieselbe Art und Weise; Luhmann erkennt keine grundlegenden Änderungen mehr an, auch wenn er Verschiebungen, die zum Beispiel durch Avantgarde oder Postmoderne erfolgt sind, diskutiert. Die Autonomie, Selbstreferentialität, Selbstbeobachtung 77

und -beschreibung des Kunstsystems bleiben von solchen weiteren Entwicklungen (bislang) unberührt. Das gilt, ex aequo, für alle anderen Teilsysteme auch, sodass die nunmehr über 200 Jahre lang bestehende, funktionale Differenzierung der Gesellschaft die letzte und aktuellste Entwicklungsstufe bezeichnet.

3.2 Die Kriterien des Kunstsystems Luhmann zielt mit seiner Systemtheorie nicht nur auf die Darstellung der allmählichen Ausdifferenzierung des autonomen Kunstsystems, sondern bezieht auch das einzelne Kunstwerk und den Umgang mit ihm ein. In seinem Verständnis sind Kunstwerke Kommunikation. Das umfasst sowohl ihre Eigenschaft als Kommunikation sowie den Umstand, dass sie Kommunikation in Gang setzen, ja, provozieren. Wenn Luhmann von Kommunikation spricht, ist das nicht im alltagssprachlichen Sinn gemeint, zum Beispiel als Sich-Unterhalten mehrerer Personen, in diesem Falle über Kunst. Kommunikation im Kunstsystem darf nicht missverstanden werden als Kommunizieren über die Kunstwerke, auch nicht in Form einer Kunstkritik oder wie dies von der Kunsttheorie oder Kunstgeschichte betrieben wird. Ein Kommunikationsakt, und damit jedes Kunstwerk als ›Kompaktkommunikation‹, bezeichnet den Dreischritt von Information, Mitteilung und Verstehen. Information und Mitteilung sind nicht dasselbe, zwischen ihnen besteht ein Unterschied: Im Aufsatz »Literatur als Kommunikation« von 1996 zieht Luhmann eine Parallele zur Semiotik, indem er die Information als signifié (Signifikat, Bezeichnetes) und die Mitteilung als signifiant (Signifikant, Bezeichnendes) bestimmt (vgl. Luhmann 2008h: 379). So kann es zwischen der Information und der Art der Mitteilung zu einer Diskrepanz kommen, womit das Verstehen als dritte und abschließende Etappe des Kommunikationsakts durchaus problematisch sein kann. Daher bezieht es auch Missverstehen mit ein: Versteht die eine Seite (z.B. Ego), was die andere Seite (z.B. Alter) meint? Versteht sie, dass es überhaupt etwas zu verstehen gibt? Hier geht es in anderen Worten um das Problem der sogenannten doppelten Kontingenz, mit der sich schon der Systemtheoretiker Talcott Parsons (1902-1979) auseinandergesetzt hat, an den Luhmann seine eigene Systemtheorie anschließt. Weitaus zentraler als die Frage, ob richtig oder falsch verstan78

den wird, ist in Luhmanns Verständnis des Kunstsystems jedoch, dass das Kunstwerk als Kommunikation überhaupt eine weitere Kommunikation provoziert und es so zu einem Kommunikationsprozess kommt, der immer weiterläuft. Für das Kunstsystem heißt das nichts anderes, als dass es immer neue Kunstwerke geben muss. Nur indem das Kunstsystem fortwährend neue Kunstwerke hervorbringt, kann es sich selbst erhalten. Mit den Medien anderer Systeme funktioniert das Prinzip der Selbsterhaltung nicht: Geld beispielsweise spielt im Kunstsystem natürlich durchaus eine wichtige Rolle, aber ohne die Kunstwerke ist es unbedeutend. So wie jede Kommunikation weitere Kommunikation braucht (sonst würde sie zum Erliegen kommen und wäre keine Kommunikation mehr) bedarf es im Kunstsystem neuer Kunstwerke, um dieses ›am Laufen‹ zu halten. Infolgedessen sind Kunstwerke das wichtigste Element des Kunstsystems – und nicht etwa die Künstler oder die Betrachter, Leser oder Hörer. Es wird ersichtlich, dass durch Luhmanns Absehen von den Individuen bzw. Akteuren auch die Wahrnehmung von Kunst – auf die Überlegungen wie Theorien zu Kunst meistens fokussieren – nicht der springende Punkt ist. Die Wahrnehmung ist nach Luhmann etwas Subjektives, ein Vorgang, der an ein einzelnes Subjekt gebunden ist. Sein soziologischer Blick jedoch richtet sich nicht auf den Einzelnen, sondern auf die Sozialität. An Kommunikation sind immer mehrere beteiligt, die jeweils verschieden wahrnehmen (vgl. Luhmann 2008e: 248). So wird es möglich, Kunstwerke immer schon als gesellschaftlich zu denken. Die Herstellung eines Kunstwerks ist nicht deshalb ein innerhalb der Gesellschaft verankerter Vorgang, weil man sich darüber austauschen kann, sondern weil bereits die Produktion eines Kunstwerks gesellschaftlich ist: Sie ist eine Kommunikation, die eine Anschlusskommunikation provozieren will, und Kommunikationen finden in Systemen statt, nicht in einzelnen Individuen. Aus dem Kunstsystem heraus werden die Elemente generiert, die notwendig sind, um es zu erhalten – also die Kunstwerke. Nachdem nunmehr gesetzt ist, dass Kunstwerke Kommunikationen sind, steht die Frage im Raum, wie der Umgang mit ihnen vereinfacht werden kann. Es ist ein wichtiger Teil von Systemtheorien, zu überlegen, wie ein System stabil bleibt und wie es seine Existenz garantieren kann. Auch Luhmann fragt in seiner Konzeption des Kunstsystems danach. So gibt es laut Luhmann be79

stimmte Kriterien, die er Codierungen nennt, die für jedes System spezifisch sind und die helfen, schnell und effektiv über Kommunikationen zu entscheiden. Um die Anschlussfähigkeit der Kommunikationen zu erhöhen, sind sie sehr einfach strukturiert. Im Kunstsystem handelt es sich dabei um den Code schön/hässlich bzw. stimmig/unstimmig. Die Codes sind immer binär angelegt, das heißt, es gibt eine ›positive‹ und eine ›negative‹ Seite. In der Wirtschaft beispielsweise lautet der Code haben/nicht-haben (von Geld oder Eigentum), im Recht rechtmäßig/unrechtmäßig (in Bezug auf Gesetze, Entscheidungen, Verfahren), in der Wissenschaft wahr/unwahr, in Beziehungen persönlich/unpersönlich usw. Die Codes fungieren als Filter. Sobald einer der Codes angewendet wird, ist der Entscheidungs- und Kommunikationsakt Teil des betreffenden Systems. Im Fall mit den Aborigines-Werken kam der Code schön/hässlich bzw. stimmig/unstimmig gar nicht erst zum Einsatz – es bestand die Annahme, dass für sie ein anderer Code gilt. Über ein Kunstwerk muss jedoch mit schön/hässlich bzw. stimmig/unstimmig entschieden werden – denn wenn es beispielsweise danach verlangen würde, als wahr angenommen oder unwahr abgelehnt zu werden, wäre es keine Kunstkommunikation. Gut nachvollziehbar ist dieser Punkt anhand der Unterscheidung von künstlerischen und dokumentarischen Fotografien oder Spiel- und Dokumentarfilmen, aber auch in Bezug auf die Zuordnung von Installationen wie denen von Hans Haacke, die auch aus Sicht von Howard S. Becker die Frage nach der ›Wahrheit‹ des Gezeigten nicht aufwerfen (siehe Abschnitt IV.2.4). Die Positiv/Negativ-Codes selbst sagen allerdings nichts über den Erfolg der Kommunikation (hier der Kunstwerke) aus. Die jeweilige Ausprägung dieses binären Codes (hier also schön oder hässlich, stimmig oder unstimmig) spielt bei der Frage, ob etwas zum Kunstsystem gehört, keine Rolle: Ein Kunstwerk als Kommunikation ist laut Luhmann ›erfolgreich‹, egal ob es schön oder hässlich, stimmig oder unstimmig ist. Daher ist auch der schlimmste Verriss, den ein Roman erhalten kann, die heftigste Kritik, die ein Werk erfährt, Ausdruck einer gelingenden Kunstkommunikation (getreu dem Prinzip ›schlechte Presse ist besser als keine Presse‹). Reaktionen in Form von Anschlusskommunikationen können annehmend oder ablehnend sein – Hauptsache, der Kommunikationsprozess wird fortgeführt. Somit sind auch Konflikte nicht auf ein Versagen von Kommunikation zu80

rückzuführen: »Konflikte dienen also gerade der Fortsetzung der Kommunikation durch Benutzung einer der Möglichkeiten, die sie offen hält: durch Benutzung des Nein« (Luhmann 1984: 530). Eine gescheiterte Kommunikation im Kunstsystem wäre aus Luhmanns Sicht vielmehr ein ›Kunstwerk‹, das nicht als Kunstwerk verstanden wird. Vorstellbar wird dies zum Beispiel anhand von Kunstwerken, für die von Alltagsgegenständen Gebrauch gemacht wird, wie die Badewanne von 1960 von Joseph Beuys (1921-1986). Es ist eine bekannte Anekdote, dass diese Badewanne, die unter anderem mit Verbandzeug versehen war, von Personen, die im Rahmen einer Feier am Ausstellungsort waren, gereinigt und als Spülschüssel benutzt wurde. Ähnliche Schwierigkeiten bringen manche Happenings und Performances mit sich, die vom Publikum nicht immer als Kunst erkannt werden (vor allem, wenn sie an keinem ›legitimierten‹ Ausstellungsort stattfinden, also beispielsweise im öffentlichen Raum). So ist möglich, dass diese als Kommunikation des Systems Politik angesehen werden (›Demo‹ statt ›Aktionskunst‹ – auch hier sei an Beuys erinnert und seine Theorie der ›Sozialen Plastik‹). Mit der Notwendigkeit der Anschlussfähigkeit von Kunst beschreibt Luhmann das Erfordernis, dass Kunst als Kunst erkennbar sein muss, und spricht daher in seinem ersten, dem Kunstsystem gewidmeten Aufsatz, »Ist Kunst codierbar?« von 1976, auch vom ›Anschlusszwang‹ (vgl. Luhmann 2008a: 39). Allerdings ist einzuräumen, dass in der modernen und zeitgenössischen Kunst absichtliche Verschleierungen des Kunstcharakters von Kunst wiederum als Kunstkommunikation konzipiert und eingesetzt werden. Auch Luhmann erkennt und diskutiert diese gewollte Irritation der an der Kunstkommunikation Beteiligten als vergleichsweise neue und seiner Auffassung nach eher problematische Entwicklung im Kunstsystem. Prinzipiell bleibt festzuhalten, dass die Frage nach den Bewertungsmaßstäben für Kunsturteile bei Luhmann ausgeklammert wird. Systemtheoretisch interessiert nur, dass es eine kunstsystemimmanente Codierung gibt und ob diese greift oder nicht. Dennoch ignoriert Luhmann nicht, dass es im Kunstsystem auch Entscheidungen für ein mehr oder weniger schön bzw. stimmig gibt. Dafür gibt es sogenannte Programme, die vorgeben, was als schön und was als hässlich gilt. Im Kunstsystem sind das die Stilprinzipien und Stilepochen. Sie sind keine ›Rezepte‹, die garantieren würden, dass ein Kunstwerk ›richtig‹ ausgeführt oder be81

urteilt wird (vgl. Luhmann 2008c: 158), aber sie sagen etwas über die Machart des Kunstwerks aus. »Der Stil eines Kunstwerkes ermöglicht es, zu erkennen, was es anderen Kunstwerken verdankt und was es für weitere, neue Kunstwerke bedeutet« (ebd.: 153). Das heißt, dass sich jedes Kunstwerk auf vergangene Kunstwerke – also die Geschichte der Kunst – beziehen muss. Gleichzeitig reicht es jedoch nicht, wenn das Kunstwerk andere Kunstwerke kopiert. »Wenn sie weder Copien sein dürfen noch Stil haben, verlieren sie ihre Bedeutung als Kunstwerk. Singularia lassen sich nicht einordnen, also auch nicht als Kunst verstehen und beobachten. In Stilzuordnungen macht sich mithin die Zugehörigkeit eines Kunstwerks zur Kunst kenntlich« (Luhmann 1995: 338). So macht es das Stilgebot bei Kopieverbot notwendig, gerade auch die Abweichung von Traditionen und die Abweichung von Stilen als Stilmittel zu verstehen. Das verhält sich parallel zur Unterscheidung eines gelungenen Kunstwerks von einem gescheiterten: Das Erstere provoziert eine Reaktion und eben nicht Indifferenz oder Ignoranz, genauso wie eine Stilabweichung einen Stil nicht ignoriert, sondern dessen Relevanz unterstreicht. Die Möglichkeit oder vielmehr die Notwendigkeit von Stilabweichungen ist für die Erhaltung des Kunstsystems äußerst wichtig, da die Prozessualität der Kommunikation ja nur durch neue Kunstwerke garantiert werden kann. Wiederholungen sind keine Neuerung – zum Beispiel reicht eine Neuauflage der Mona Lisa nicht; aber ein ironisierendes Wiederaufgreifen, wie bei Marcel Duchamps schnurrbärtiger Mona Lisa in L.H.O.O.Q. von 1919, kann eine neue Kommunikation darstellen. Ohne das permanente Angebot von künstlerisch Neuem würde die Kommunikationskette, und damit das Kunstsystem, zusammenbrechen (vgl. Luhmann 1995: 85). Damit unterliegt jedes Kunstwerk einem »Neuerungsdruck« (ebd.: 211), was auch dazu führt, dass sich die Neuerungen immer schneller abwechseln. Auf diesen Innovationsimperativ, der im Übrigen in jedem System zu beobachten ist (immer neue Produkte, neues Wissen, neue Gesetze, neue Beziehungen), muss das Kunstsystem reagieren. Das geschieht, indem es diese Entwicklung in Form von Kunstwerken reflektiert. Zwar birgt das die Gefahr, dass Kunst immer mehr um sich selbst kreist; andererseits tragen die neuen Kunstwerke wiederum zur Prozessualität der Kunstkommunikation bei.

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3.3 Die Funktion des Kunstsystems Luhmanns Thesen besagen, dass es seit der Romantik ein Kunstsystem gibt, das mit dem Code schön/hässlich bzw. stimmig/ unstimmig operiert und aus dem immer neue Kunstwerke hervorgehen, die als Kunst erkennbar sein müssen. Da Luhmann gleichzeitig behauptet, dass Systeme einander nicht ersetzen können und jeweils eine bestimmte Funktion erfüllen, stellt sich die Frage, welches die Funktion des Kunstsystems bzw. von Kunst überhaupt ist. Dafür muss erläutert werden, zu welcher fundamentalen Veränderung es aus Luhmanns Sicht in der Kunst der Romantik gekommen ist: Um diese Zeit herum findet der Übergang von der Objektkunst zur Weltkunst statt, die seither und bis dato künstlerisches Schaffen und Wahrnehmen prägt. Luhmann beschreibt dies ausführlich in seinem wohl bekanntesten Aufsatz zu Kunst, »Weltkunst«, der erstmals 1990 im Rahmen der Veröffentlichung Unbeobachtbare Welt. Über Kunst und Architektur erscheint, eine Gemeinschaftspublikation mit dem aus den USA stammenden, lange Jahre in Deutschland arbeitenden Künstler Frederick D. Bunsen (*1952) und dem Soziologen Dirk Baecker (*1955). Darin erläutert Luhmann, dass der Unterschied in der Verschiebung der Beobachterperspektive liegt, nämlich von der Beobachtung erster Ordnung zur Beobachtung zweiter Ordnung. Die Beobachtung erster Ordnung beobachtet Objekte (daher für das Kunstsystem der Begriff der ›Objektkunst‹). Alles andere ›gerät aus dem Blick‹ oder wird absichtlich ›außer Acht‹ gelassen, denn wenn man etwas beobachtet, kann man nicht gleichzeitig das beobachten, worauf sich die Augen gerade nicht richten. Dies stellt den ›blinden Fleck‹ der Beobachtung dar. Seit der Romantik jedoch ist Kunst Weltkunst, das heißt eine Beobachtung zweiter Ordnung. Diese beobachtet Beobachtungen erster Ordnung und kann daher auch die blinden Flecke dieser Beobachtung erster Ordnung sehen. Dies hat zur Konsequenz, dass der Beobachter zweiter Ordnung versteht, dass auch er blinde Flecke haben muss. Zu der Beobachtung kommt so das Moment der Selbstreflexivität hinzu und markiert den Übergang von Objektkunst zu Weltkunst. Das Wissen um den blinden Fleck auf der Ebene des Beobachters zweiter Ordnung, also das Wissen, dass keine Beobachtung in der Lage ist, alles zu beobachten, ist bei Luhmann das entscheidende

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Merkmal der Moderne bzw. der funktional ausdifferenzierten Gesellschaft. Weltkunst ist daher hochgradig selbstreflexiv: »Wir verstehen unter ›Weltkunst‹ nicht eine Kunst, die die Welt auf überlegene Weise repräsentiert, sondern eine Kunst, die die Welt beim Beobachtetwerden beobachtet« (Luhmann 2008d: 239). Das Weltkunst-Kunstwerk lässt an sich erkennen, dass es vieles gibt, das man nicht im Blick hat, dass es blinde, unbeobachtete Flecke gibt. Die moderne Kunst seit der Romantik weiß um diese Unbeobachtbarkeit der (Um-)Welt und kann dieses Wissen in das Kunstwerk mit einfließen lassen. Sie zeigt auf, dass es noch andere Welten gibt und andere Welten möglich sind. Auch Duchamps erwähnte L.H.O.O.Q. scheint sagen zu wollen: ›Es geht auch anders!‹ Die Welt, so wie sie ist, ist auch anders vorstellbar. Luhmann konkretisiert, was das unter anderem für die Machart von Kunst bedeutet: Mit dem Verzicht auf die lange gültige Tradition der imitatio oder mimesis (in der Kunst stets etwas abbildete oder repräsentierte) wird in der Kunst nun vielmehr versucht, einem neuartigen Abstand zur Realität Ausdruck zu verleihen, da ins Bewusstsein gerückt ist, dass diese Realität nicht mehr komplett erfasst werden kann. Stilmittel wie Verdoppelungen (Spiegel, Doppelgänger, Namenstausch, Zwillinge usw.), unglaubhafte Inszenierungen oder Paradoxien betonen diesen Abstand zur Realität (vgl. Luhmann 2008j: 329). So kommt es mit der Kunst der Romantik zu einer Trennung zwischen Fiktion und Realität – was wiederum bedeutet, dass Realität überhaupt erst erfahrbar wird. Im Aufsatz »Literatur als fiktionale Realität« von 1995 erklärt Luhmann: »[Die Kunst] bietet nur eine Position, von der aus [die reale Realität] beobachtet werden kann in ihrer Gewöhnlichkeit, ihrer Härte, ihrer Banalität« (Luhmann 2008f: 287). Dies ist nicht weniger als die ›Funktion‹ von Kunst. Sie macht – über die Offenlegung der Fiktionalität von Kunst – die reale Realität erkennbar und zeigt Alternativen, zeigt andere mögliche Realitäten auf. »Die reale Realität wird zum normalen Alltag, zum Bereich der vertrauten Erwartungen. Die fiktionale Realität wird zum Bereich der Reflexion anderer (unvertrauter, überraschender, nur artifiziell zu gewinnender) Ordnungsmöglichkeiten« (Luhmann 2008d: 199). Das Aufzeigen fiktionaler oder einfach ›anderer‹ Realitäten impliziert, dass die reale Realität nicht die einzige Realität ist, die möglich ist: Die Realität, die Ordnung der Welt, 84

ist zwar real, aber auch kontingent – das heißt, sie ist so, wie sie ist, möglich, aber eben auch anders möglich. Andere Versionen, andere (Welt-)Ordnungen sind vorstellbar. Das macht Weltkunst sichtbar. Sie lässt an sich erkennen, dass alles auch anders sein könnte, und ermöglicht so die Reflexion der Welt, wie sie ist. Dieses entscheidende, (selbst-)reflexive Element von Weltkunst gilt auch für zeitgenössische Kunst und die Kunst der Gegenwart, obgleich Luhmann immer nur von ›moderner‹ Kunst spricht. Keine der neuen Stilrichtungen des späten 19. oder des 20. Jahrhunderts stellt eine Epochenzäsur dar, wie sie von der Romantik repräsentiert wird: »Die moderne Selbstbeschreibungsgeschichte des Kunstsystems von der Romantik über die Avantgarde bis zur Postmoderne läßt sich unter einem Gesichtspunkt zusammenfassen – als Variation zu einem Thema« (Luhmann 1995: 489). Immerhin steht die Postmoderne auch für Luhmann für einen bestimmten Stil, nämlich die Verwendung von Stilen im Sinne einer Stilmischung. Diese darf sich, wie weiter oben bereits angedeutet, nicht als einfache Wiederholung bzw. Kopie äußern, sondern muss die Stilmischung als eine mögliche Wahl unter anderen kenntlich machen, sie – wie bei Duchamp gesehen – zum Beispiel ironisierend aufgreifen (in den Künsten bezeichnet man dieses Vorgehen als Collage, Assemblage oder Pastiche, als Zitat oder Appropriation, als Remix oder Sampling). Dabei sieht Luhmann die Gefahr einer Überbietung des L’art pour l’art durch ein L’art sur l’art (vgl. Luhmann 1995: 482), womit er Kunst meint, die zu Kunsttheorie wird. Weil »die interne Grenze zwischen der Selbstreflexion, also der Theorie des Systems, und seinen produktiven Operationen zusammengebrochen ist« (ebd.: 494), wird die Wahrscheinlichkeit von Anschlusskommunikationen geringer: Kunstwerke, die ihr eigenes Kunst-Sein reflektieren und thematisieren, lassen die an der Kunstkommunikation Beteiligten im Unklaren darüber, ob der kunstsysteminterne Code schön/hässlich bzw. stimmig/unstimmig angewendet werden soll oder nicht. Dieses Experimentieren mit dem vollständigen »Verzicht auf kunstwerkinterne Signale« (ebd.: 478) hat einerseits die Selbstnegation der Kunst zur Folge; andererseits versteht Luhmann diese Selbstnegation durchaus auch als Fortführung der Kunstkommunikation, da sie durch die Kunst reflektiert wird und daher in das Kunstsystem integriert ist. Prinzipiell ist ein Wechsel, ein Austausch der Referenzcodes, 85

für Luhmann nicht denkbar. Das Kunstsystem kann sich allenfalls Orientierung und ›Anleihen‹ bei den Referenzcodes anderer Systeme holen, zum Beispiel aus der Mode und den Massenmedien, deren Code in/out bzw. neu/alt lautet. So bedingt das »Originalitätspostulat« (Luhmann 2008c: 157) in der Kunst eine Zunahme des Tempos, in dem Stilwechsel stattfinden, entsprechend der Mode, die ein Steigerungsphänomen von immer neuen Stilen ist (die dafür eine kurze Verfallszeit haben). Es gibt allerdings nach wie vor einen entscheidenden Unterschied, weil Mode Nachahmung befördert, während Kunst Kopien verachtet (vgl. ebd.: 183). Strukturelle Kopplungen zwischen den Teilsystemen (in Form von Anregungs-, Unterstützungs- oder Erziehungsleistungen, vgl. Luhmann 2008a: 42) gehen nie so weit, dass die Grenzen zwischen ihnen verwischen würden. Doch gerade der Einfluss des Kunstmarkts auf die Kunstproduktion wird seit Mitte des 20. Jahrhunderts intensiv diskutiert und immer wieder heftiger Kritik unterzogen, wenn zum Beispiel ein erneuter ›Boom‹ die Verkaufspreise von Kunstwerken auf Messen und Auktionen in die Höhe schießen lässt. So ist Luhmann für sein Insistieren auf der Autonomie aller Teilsysteme denn auch oft und viel kritisiert worden (spezifisch auf das Kunstsystem bezogen vgl. Zitko 2000a: 367f.; Sevänen 2008: 134). Dennoch besteht er darauf, dass – durchaus bestehende – Einflussnahmen durch andere Funktionssysteme nicht dazu führen, dass ihre Codes an die Stelle derer des Kunstsystems treten. »Die Erzeugung immer neuer Stile oder Werkideen kann nur innerhalb des Kunstsystems erfolgen und nicht an der Börse, in Krankenhäusern oder Parteizentralen« (Luhmann 2008i: 396). Die Kriterien und Codes von Politik und Wirtschaft spielen nur mit Einschränkungen eine Rolle im Kunstsystem; und umgekehrt kann auch die Kunst mit ihren Codes Vorgänge in den anderen Teilsystemen nicht so kritisieren oder bewerten, dass sie maßgeblich auf diese einwirken könnte (schön/hässlich hat in Bezug auf Operationen in Politik und Wirtschaft keine Bedeutung). Die oft beschworene gesellschaftspolitische Funktion von Kunst, Kritik an ›den Systemen‹ zu üben, ist für Luhmann so nicht gegeben. Es ist die Autonomie des Kunstsystems, die es der Kunst ermöglicht, Wirkung zu entfalten: Das Kunstsystem zeigt »an sich selbst als exemplarischem Fall« (Luhmann 1995: 499) die Folgen der Ausdifferenzierung von Systemen und zeigt auf diese Weise auf, dass unsere Wirklichkeit kontingent und damit auch anders möglich ist. 86

3.4 … und außerdem: Luhmann und Art & Language 1995 findet eine Tagung mit dem Titel »Art & Language & Luhmann« statt, veranstaltet vom Institut für soziale Gegenwartsfragen Freiburg und dem Kunstraum Wien, die dazu 1997 die gleichnamige Publikation herausgeben. Art & Language sind eine seit den späten 1960er Jahren tätige, britische Künstlergruppe mit wechselnden Mitgliedern, die unter anderem in unregelmäßigen Abständen die Zeitschrift Art-Language herausbringen, in der sie das Wechselverhältnis von Kunst und Kunstdiskurs reflektieren, was – im Sinne einer Konzeptkunst – als der eigentliche Kern ihrer Arbeit zu verstehen ist. Die Tagung geht diesem Reflexivwerden von Kunst nach, mit dem sich nicht nur Art & Language beschäftigen, sondern eben auch Luhmann. Er rekurriert auch in Die Kunst der Gesellschaft auf die Künstlergruppe und ihr Konzept der redescription, bei dem es um die Wiederbeschreibung von Kunstwerken geht (ihre ›re-description‹), das heißt die Entstehung neuer Kunstwerke durch die künstlerische Neubeschreibung vorhandener Kunstwerke, die diese verändert. Luhmann beschreibt dies als »rekursive Vernetzung im Kunstsystem« (Luhmann 1995: 506), also als Bezugnehmen der Kunst auf sich selbst. Die zwei Vorträge, die Luhmann im Rahmen der Tagung hält, sind auch in der Aufsatzsammlung Schriften zu Kunst und Literatur (Luhmann 2008k) wiederabgedruckt und enthalten ansonsten die hier bereits vorgestellten Themen und Thesen. Luhmann ist vor allem im deutschsprachigen Raum eine Größe, was folglich auch für seine Darlegungen zum Kunstsystem gilt. Auffällig ist hierbei, dass sich Soziologen zwar eingehend mit seiner Systemtheorie auseinandersetzen, bislang aber kaum oder nur sehr wenig mit den konkreten Implikationen der Kunstsystem-Theorie. Dafür gibt es eine Vielzahl an Versuchen aus anderen Disziplinen, seine Systemtheorie nutzbar zu machen, zum Beispiel für die Kunstwissenschaft und -geschichte (vgl. Wyss 2006, Huber 2007) oder kunstphilosophische Anwendungen (vgl. Lehmann 2006, Koller 2007). Soziologen selbst nähern sich Luhmanns Verständnis der Kunst oftmals über einen Vergleich mit anderen Autoren (z.B. Bourdieu, vgl. Laermans 1997, Hartard 2010). In der Systemtheorie verankerte Soziologen setzen sich mit bestimmten Aspekten von Luhmanns Thesen zu Kunst ausein87

ander, so Dirk Baecker, der immer wieder den Unterschied von ›Kommunikation‹ und ›Wahrnehmung‹ auslotet (vgl. Baecker 1996), oder Elena Esposito im Hinblick auf den modernen Roman und das Konzept der ›Realitätsverdoppelung‹ im Kunstsystem (vgl. Esposito 2007). Weitere, soziologische Studien unternehmen den Versuch, an Luhmanns Überlegungen anzuschließen, um diese für die Kunstsoziologie weiterzuentwickeln und vor allem den Mangel an empirischen Befunden zu beheben (vgl. MüllerJentsch 2011).

4 Kritische Betrachtung von Kunstfeld, -welt und -system Bislang wurden Bourdieus Kunstfeld, Beckers Kunstwelten und Luhmanns Kunstsystem separat behandelt und mit ihren Implikationen für die Kunst vorgestellt. In diesem Abschnitt sollen sie einer konzisen, vergleichenden Analyse unterzogen werden. Ziel ist dabei nicht, die eine oder andere Theorie zu befürworten und letztlich als die einzig ›richtige‹ zu postulieren, auch wenn viele Kunstsoziologen entweder an Bourdieu oder an Becker oder an Luhmann anschließend arbeiten. Es sollen auch nicht die Mängel des einen Ansatzes mit den Vorzügen eines der anderen behoben und gleichsam ›aufgelöst‹ werden, bis am Ende ein vierter, dann ›richtiger‹ Weg steht, Künste soziologisch zu analysieren. Vielmehr ist es von Interesse, sie zu kontrastieren, um sowohl die Unterschiede als auch die Gemeinsamkeiten deutlich werden zu lassen. Der Vorteil dieser hier ausgewiesenen ›Must-reads‹ ist, dass mit ihnen nicht nur viel über die Künste und die Kunstsoziologie zu erfahren ist, sondern prinzipiell über die ›ganze‹ Soziologie. Sie stehen gewissermaßen exemplarisch für drei Richtungen in der Soziologie, was die präsentierten Ansätze verstehen hilft. Gleichzeitig ermöglicht dieser auf die Künste fokussierende Vergleich dabei auch, einen neuen Blick auf diese Soziologierichtungen zu werfen. Die offensichtlichsten Zuordnungen sind schnell abgesteckt: Mit Bourdieu ist ein Vertreter aus Frankreich vorgestellt, mit Becker ein Vertreter aus den Vereinigten Staaten bzw. aus dem angloamerikanischen Raum und mit Luhmann ein Vertreter aus Deutschland. Jeder nimmt mit seiner Theorie eine andere Per88

spektive ein und bezieht sich auf jeweils andere soziologische Theorieansätze oder auch ›Traditionen‹: Mit Becker kommt das interaktionistische Paradigma zum Zuge, mit Luhmann das systemtheoretische und mit Bourdieu das strukturalistische bzw. kritische Paradigma. Bourdieu ist kein ›reiner‹ Strukturalist, da neben seiner Feldtheorie auch der Habitus und damit subjektivistische, akteursbezogene Elemente eine wichtige Rolle spielen. Daher ist bei ihm auch eine Zuweisung zum kritischen Paradigma möglich und von Interesse, da dieses, wie in den vorherigen Kapiteln gesehen, bis weit in das späte 20. Jahrhundert hinein eine der wichtigsten Perspektiven auf die Künste war, die Soziologen für ihre Untersuchung wählten. Dieser je unterschiedliche Background und die jeweils unterschiedliche Position innerhalb der Soziologie ist mit ein Grund dafür, dass Bourdieu, Becker und Luhmann gegenseitig kaum aufeinander Bezug nehmen (meistens in kurzen Nebensätzen oder Fußnoten, so gut wie immer den Ansatz des anderen ablehnend). Es wäre natürlich weiter zu differenzieren, inwiefern zum Beispiel Luhmann auch für einen kommunikationstheoretischen Ansatz steht, doch das würde zu weit in die Theorieanalyse hineinführen. Der Schwerpunkt liegt hier auf den kunstsoziologischen Aspekten der Theorien, die dort, wo sie Gemeinsamkeiten aufweisen, als Weiterführung von Kapitel II (zum Forschungsfeld und den Forschungsfragen) zu sehen sind, weil sich daraus ein ›typisches‹ oder auch ›klassisches‹ Verständnis von Kunst durch die Soziologie herauskristallisieren lässt – wobei diese Gemeinsamkeiten und Parallelen gerade nicht als ›Übereinkünfte‹ oder ›Konsens‹ zu bezeichnen sind, da sie von anderen Kunstsoziologen durchaus angefochten werden (einige von ihnen sind im folgenden Kapitel V zu finden). Zentral ist bei allen drei die Annahme einer eigenen, selbständigen Sphäre der Kunst. Sie wird zwar von jedem anders benannt, einmal als Feld, einmal als Welt und einmal als System, doch dies ändert nichts daran, dass Bourdieu, Becker und Luhmann von der Ausdifferenzierung einer autonomen Kunstsphäre ausgehen, die sie entweder genau beschreiben (Bourdieu, Luhmann) oder die sie mit einiger Selbstverständlichkeit nicht einmal mehr thematisieren (Becker). Alle drei Soziologen gehen – mehr oder weniger – davon aus, dass Kunst sozial konstruiert ist. Bei Bourdieu sind Produktion 89

und Rezeption von Kunst beeinflusst von Herrschaftsverhältnissen und Klassenlagen: Der Künstler ist kein von der Gesellschaft unabhängiges Individuum, sondern hat im Sozialraum eine bestimmte Position inne und seine Werke werden nur von einer Bildungselite wirklich genossen. Bei Becker ist Kunst etwas, das Menschen miteinander machen: Ihre Interaktionen gerinnen im Kunstwerk, das zu jedem Zeitpunkt – auch wenn es materiell vorhanden ist wie ein Gemälde – von den Handlungen diverser Akteure abhängig ist (die Mona Lisa ist da, ist aber nur deshalb ein Kunstwerk, weil jeden Tag viele Menschen daran beteiligt sind, sie als Kunstwerk weiterexistieren zu lassen: die Verantwortlichen des Louvre, das Wachpersonal, die Kunstliebhaber und Touristen, die kommen, um sie zu sehen, und last, not least die Restauratoren, die ihren materiellen Zustand erhalten). Bei Luhmann ist das Kunstwerk eine Kommunikation: Das heißt eine Operation, an der a priori mehr als nur eine Person beteiligt ist und dessen Herstellung immer schon gesellschaftlich ist, weil der Künstler am Kunstwerk beobachtet, was der Betrachter daran beobachten wird. Insofern stehen alle drei essentialistischen Ansätzen, die nach dem ›Wesen‹ von Kunst fragen, nach dem ›Kunstwerk an sich‹ oder den ›besonderen Eigenschaften‹ des Künstlers, ablehnend gegenüber, das heißt, sie eint die Kritik an der Vorstellung vom genialen, singulären Schöpfer von Kunst, des sujet créateur, eine Kritik, die sie mal explizit, mal implizit äußern. Somit eint sie zugleich ihr damit einhergehendes, ambivalentes Verhältnis zur Figur des Künstlers: Bei Bourdieu hat der Künstler nämlich auch eine besondere Befähigung dazu, Widerstand zu leisten, und die Verpflichtung, den Vereinnahmungen der Kunst unter anderem durch die Wirtschaft entgegenzutreten (wie aus dem Gespräch mit Hans Haacke deutlich wird); auch bei Becker gibt es innerhalb des ›Pools‹ von Menschen, die gemeinsam Kunst machen, doch einen, der als Künstler bezeichnet wird, und wenn Luhmann davon spricht, dass »der Künstler eine Maschine zur Erzeugung von Zufällen« ist (Luhmann 2008d: 196), das heißt der Erzeugung der ersten Formentscheidung, nach der die Arbeit am Kunstwerk automatisiert abläuft, so wird trotz der eklatanten Reduktion der künstlerischen Möglichkeiten doch ersichtlich, dass es eines Künstlers bedarf, um den wichtigsten Schritt, nämlich den ersten, durchzuführen. Dieser problematische Umgang mit dem Künstler ist symptomatisch für kunstsoziologische Ansätze, die davon ausge90

hen, dass Kunst sozial konstruiert ist: Einerseits lebt und arbeitet der Künstler als Teil einer Gesellschaft, andererseits werden ihm von dieser Gesellschaft spezielle, außergewöhnliche Eigenschaften und Merkmale zugeschrieben, denen Rechnung zu tragen ist. In zugespitzter Form führt dies zur klassischen Opposition zwischen den Vertretern des ›Sozialen‹ und denen der ›individuellen Schöpfung‹, deren Austausch regelmäßig in eine Sackgasse führt, weil die Positionen inkompatibel scheinen. Auch deswegen gehen einige Tendenzen in der Kunstsoziologie dahin, die Frontstellung gegen die Aspekte der Singularität und Individualität in den Künsten aufzugeben, wie zum Beispiel bei Nathalie Heinich, die vorschlägt, die typisch soziologische Zurückführung der Kunst auf ›das Soziale‹ auf die Ebene des Forschungsgegenstandes zu verschieben: »In dieser Perspektive stellt sich jede Reduktion [ frz. auch Zurückführung, Herabsetzung; D.D.] auf das Kollektive, das Allgemeine, das Universale nicht mehr als Tatsachenfeststellung dar, sondern als – kritisches – Werturteil, genauso wie die Valorisation [ frz. auch Wertschätzung, Aufwertung; D.D.] des Individuellen, des Besonderen, des Singulären« (Heinich 1998b: 17f.). Eine Aussage, die bei ihr eng mit der Kunsterfahrung der Soziologie verknüpft ist, jedoch nicht spezifisch auf die Kunstsoziologie, sondern auf die ›ganze‹ Soziologie zutrifft, was ihre Auffassung unterstreicht, nach der die Künste eine Herausforderung für die Soziologie als Disziplin darstellen (vgl. Heinich 2001: 100). Darüber, inwiefern über die Theorien von Bourdieu, Becker und Luhmann hinauszugehen ist oder inwiefern sie selbst schon zu dieser »neuen Kunstsoziologie« (vgl. de la Fuente 2007) beitragen, herrscht Uneinigkeit. Während beispielsweise Heinich in dieser Hinsicht sowohl Bourdieu als auch Becker kritisch betrachtet (vgl. Heinich 2001: 80f.), ist bei Eduardo de la Fuente Art Worlds von Becker der Vorbote einer Kunstsoziologie, die ihren früheren Elitismus (verursacht durch den lang anhaltenden Impetus, die ›wahren‹ Verhältnisse in der Kunstsphäre ›aufdecken‹ zu wollen) aufzugeben sucht (vgl. de la Fuente 2007: 411). Unbestritten ist, dass alle drei Klassiker, Bourdieus Die Regeln der Kunst, Beckers Art Worlds und Luhmanns Die Kunst der Gesellschaft, nachhaltige Positionen in der Kunstsoziologie aufgestellt haben, an denen man sich sowohl orientieren als auch reiben kann. Im Folgenden bleiben einige der zentralen Unterschiede zwischen ihren kunstsoziologischen Analysen und Überlegungen 91

darzustellen, die sich in Form von Fragen formulieren lassen. ›Was sind die Machtverhältnisse im Kunstfeld, welche Position hat darin ein bestimmter Künstler oder ein bestimmtes Œuvre und was sagt das über Künstler und Kunstwerk aus?‹ sind Fragen, auf die Bourdieu zu antworten hilft. ›Welches sind die Personen, die an einem bestimmten Œuvre beteiligt sind, was tragen diese Personen zum Kunstwerk bei, was machen sie miteinander, wie arbeiten sie zusammen?‹ sind Fragen, denen man mit Becker nachgehen kann. ›Inwiefern ist ein bestimmtes Kunstwerk als Kunstwerk erkennbar und schafft es damit, Kommunikation zu provozieren? Wie behauptet es seine Unabhängigkeit, zum Beispiel vom Markt?‹ wären einige der möglichen Fragen, für die sich Luhmanns Ansatz eignet. Zwar heißt dies nicht, dass man die einzelnen Fragen nicht mit allen drei Theorien angehen könnte – doch man würde jedes Mal andere Antworten erhalten. Ein der kritischen Tradition verpflichteter (Post-)Strukturalist, ein Interaktionist und ein Systemtheoretiker haben einen jeweils anderen Blick auf die Dinge, sie setzen andere Schwerpunkte und weisen jeweils auf andere Auffälligkeiten hin, die soziologisch von Interesse sind. Somit hat auch jede Theorie ihre eigenen Stärken und Schwächen. Dementsprechend können diese Stärken und Schwächen um drei Themen oder ›Schlagwörter‹ herum gruppiert werden. Als erstes ist die Annahme einer Homo- oder Heterogenität der Kunstsphäre anzusprechen. Es ist auffällig, dass allein Becker seinen Begriff für diese Kunstsphäre(n) in den Plural setzt: Konsequent analysiert er art worlds und verwendet wenn, dann nur ›an art world‹, nicht ›the art world‹. Folglich ist jede Kunstsituation separat zu untersuchen, da die Möglichkeit besteht, dass jede Kunstwelt eigene Merkmale, Konventionen und Interaktionsschemata hat (was zudem methodisch gesehen eine Parallele zur induktiven Analyse bildet). Das wiederum erklärt die Kleinteiligkeit seiner Beschreibungen: Wenn jede art world einen gewissen Grad von Eigenständigkeit besitzt (weswegen er eine frühere Verwendung des Begriffs ›Subkultur‹, der bestimmte Hierarchien suggeriert, nicht weiterverfolgt), dann wird nur eine mikrosoziologische Perspektive der jeweiligen art world gerecht. So kann Becker neben bildender und darstellender Kunst und Musik auch folk art wie die Herstellung von Quilts in den Blick nehmen. Insbesondere Luhmann hingegen geht mit seiner Vorstellung eines Kunstsystems von einer absoluten Homogenität dieses Kunstsystems aus. 92

Das ist für die Aufrechterhaltung seiner Thesen notwendig, da zu eigenständige, heterogene künstlerische Subsysteme im Kunstsystem eher dafür sprechen würden, diese als komplett autonome Systeme unabhängig vom Kunstsystem zu definieren, was über ihre Ausdifferenzierung letztlich zu einer Auflösung des Kunstsystems (bzw. seiner Konzeption) führen würde. Problematisch bleibt damit die Zuordnung von künstlerischen Ausdrucksformen, die nicht zur ›Hochkunst‹ gezählt werden: »Die oft thematisierte Spaltung der modernen Kunst in hohe Kunst und Massenunterhaltung bleibt bei Luhmann auf eine sehr signifikante Weise beinahe unerwähnt« (Groys 1997: 63; für den Versuch einer systemtheoretischen Grundlegung des Populären vgl. Stäheli 2004). So entspricht die implizierte Idee eines homogenen Kunstsystems aber dem Anspruch der Systemtheorie, Phänomene in ihrer Gesamtheit fassen und erläutern zu können. Inwiefern es bei Bourdieu sowohl ›legitime‹ als auch ›illegitime‹ Künste gibt, wurde im entsprechenden Abschnitt dargestellt. Als zweites ist die unterschiedliche Bedeutung, gar Präsenz von Akteuren in den Theorien zu thematisieren. Akteure und ihre gemeinsamen Handlungen sind bei Becker das zentrale Element von Kunst, während bei Luhmann die Abwesenheit von solchen handelnden Subjekten deutlich hervorsticht, was ihm in anderem Zusammenhang teilweise vehement vorgeworfen wurde (so in der Auseinandersetzung mit Jürgen Habermas, bei der es auch um diesen Aspekt von Luhmanns Systemtheorie ging, vgl. Habermas/Luhmann 1971). Doch sogar Bourdieus Berücksichtigung von Akteuren, die im jeweiligen Feld positioniert und damit in seine Theorie integriert sind, sieht Becker kritisch: »Bourdieu beschrieb die sozialen Arrangements, in denen Kunst gemacht wird – das, was er als Feld bezeichnet – so, als ob es ein Kräftefeld der Physik wäre, statt viele Menschen, die zusammen etwas tun. […] Die Menschen, die in einem Feld agieren, sind keine Menschen aus Fleisch und Blut, mit all der Komplexität, die das mit sich führt« (Becker/Pessin 2008: 374). Becker fährt mit dieser Kritik fort, indem er beschreibt, dass Bourdieus Akteure immer nur genau das tun und lassen können, was innerhalb seiner Theorie möglich ist, ähnlich dem Modell des homo oeconomicus in den Wirtschaftswissenschaften. Das wirft die Frage auf, inwiefern sich Akteure aktiv in Prozesse einschalten und diese auch verändern können. Bei Bourdieu hat jeder Einzelne eine spezifische Position im Feld 93

inne, die er nicht einfach verlassen kann – was zum Beispiel auch für den aufstrebenden jungen Künstler gilt. Dieser reagiert auf die nach Bourdieu gegebenen, objektiven Strukturen im Kunstfeld und muss sich im »Turnier um die Etablierung« (Bourdieu 1997a: 112) behaupten. Veränderungen der eigenen Position im sozialen Raum und Wandel der objektiven Strukturen sind nur über langwierige Kämpfe zu erzielen. Damit ist bereits der dritte Punkt angesprochen, und zwar die Frage der Erklärungsmöglichkeiten bzw. -reichweite von Begriffen wie ›Kunstfeld‹, ›-welt‹ und ›-system‹. Während mit Bourdieu das Kunstfeld so untersucht werden kann, dass die Analyse zu einer Erklärung der darin herrschenden Machtverhältnisse gereicht, eignet sich Beckers Ansatz besser zur Beschreibung der Aktivitäten in den Kunstwelten. »Wenn Becker derjenige ist, der die Komplexität einer Kunstwelt aufzeigt, indem er hundertundein Beispiel nennt, versucht Bourdieu allgemeine Strukturen, Gesetze und Mechanismen in dieser komplexen Welt zu entdecken« (van Maanen 2009: 55). Weniger polemisch ausgedrückt ließe sich in Luhmanns Worten sagen, dass Bourdieu und Becker jeweils einen Teil der ›blinden Flecke‹ des anderen in den Blick nehmen. Beide haben zum Ziel, das Kunstfeld bzw. die Kunstwelten zu verstehen. Luhmann selbst will nicht die ›Natur‹ des Kunstsystems verstehen, sondern seine Entstehung, seine Selbsterhaltung und Funktionsweise. Schlussendlich zielt Luhmanns Systemtheorie damit auf eine bestimmte Interpretation der Kunstsphäre als Kunstsystem. Bourdieu, Becker und Luhmann bieten jeweils ganz unterschiedliche Ansätze für die soziologische Untersuchung der Künste. Der Hintergrund und das Ziel ihrer jeweiligen Theorie sind dabei ganz verschieden und stehen damit exemplarisch für drei Blickwinkel, die Soziologen für die Erforschung der Künste einnehmen und bieten können. Dem Eindruck einer ›Trinität‹, die den Kern der (Kunst-)Soziologie ausmachen würde, muss allerdings entschieden entgegengetreten werden. Weder die Kunstsoziologie noch die Soziologie reduzieren sich auf diese drei Theorien, auch wenn ihre Dominanz gegenüber weiteren Perspektiven und Herangehensweisen markant ist. Im nächsten Kapitel werden folglich weitere relevante, zumeist etwas neuere Ansätze präsentiert.

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V Mehr Theorien, Tendenzen, Themen Die folgenden Passagen beschäftigen sich mit aktuellen Aspekten der Kunstsoziologie. Der erste Abschnitt setzt sich mit weiteren Theorien bzw. Ansätzen auseinander, Künste soziologisch zu betrachten, die zurzeit – neben jenen von Bourdieu, Becker und Luhmann – von einiger Bedeutung sind. Im zweiten Abschnitt werden ausgewählte Bereiche vorgestellt, die Kunstsoziologen derzeit behandeln und die in Richtungen weisen, in denen die Kunstsoziologie neue Relevanz erlangt und, so ist anzunehmen, weiter erlangen wird. Im dritten und letzten Abschnitt werden die gegenwärtig neu diskutierten Möglichkeiten präsentiert, den größten ›Stein des Anstoßes‹ der Kunstsoziologie anzugehen: das Kunstwerk. Es handelt sich generell um Themen, die teilweise erst seit einiger Zeit in den Vordergrund gerückt sind, und es bleibt abzuwarten, wie sie sich weiterentwickeln werden. Dessen ungeachtet kann über einige schon ›rückblickend‹ berichtet werden.

1 Weitere Ansätze

1.1 Der Production-of-Culture-Ansatz Hinter dem Production-of-Culture-Ansatz steht weniger eine einzelne Person als vielmehr eine breit gefächerte Gruppe von Soziologen, die sich für ihre Forschung des Production-of-CultureAnsatzes angenommen haben. Dennoch lässt er sich mit dem Namen des US-Amerikaners Richard A. Peterson13 (1932-2010) in Verbindung bringen, insofern dieser ihn mit einem Vortrag auf einem Treffen der American Sociological Association (ASA) im Jahre 1974 lanciert und in den folgenden Jahrzehnten maßgeblich zu seiner Verbreitung beiträgt. Petersons Vortrag erscheint 1976 in einer Ausgabe der Fachzeitschrift American Behavioral Scientist, die sich ausschließlich mit dem Production-of-Culture-Ansatz beschäftigt und heute gewissermaßen als Gründungsdokument dieser ›Schule‹ gilt (noch im selben Jahr wurde diese Ausgabe zu einer eigenständig publizierten Anthologie zusammengefügt, vgl. Peterson 1976). Auch wenn die Bezeichnung production of culture erst einmal nicht automatisch auf die Künste hindeutet, ist deren soziologische Erforschung doch der ursprüngliche Impulsgeber 95

dieses Ansatzes. Es ist von Interesse, anzugeben, dass es zu jener Zeit in der ASA noch keine ›Culture Section‹ gab, die erst 1986 eingerichtet wurde und deren erster Vorsitzender kein Geringerer als Peterson selbst war. Dieser Zusammenhang zwischen production of culture, Richard A. Peterson und der Kultursoziologie à la américaine ist relevant, will man die Bedeutung dieses kunstsoziologischen Ansatzes gerade in den USA richtig ermessen. Peterson und die meisten anderen, ersten Vertreter des Production-of-Culture-Ansatzes kommen aus der Organisations-, Industrie-, Arbeits- und Berufssoziologie. Hierüber lässt sich die Verbindung zu Howard S. Becker herstellen, der ebenfalls aus diesen Bindestrichsoziologien heraus zur Kunstsoziologie kommt und seit den 1970er Jahren die wegweisenden Aufsätze publiziert, die letztlich zu Art Worlds führen. Inwieweit Becker zu den Vertretern des Production-of-Culture-Ansatzes zählt, wird verschieden gehandhabt: Genauso wie Becker beschäftigt sich der Production-of-Culture-Ansatz damit, wie Kunst von wem gemacht wird, statt der Frage nachzugehen, was Kunst ›ist‹ oder was Kunst für die Menschen ›bedeutet‹, und beide Ansätze wählen als Forschungsmethode empirische Fallstudien auf mikrosoziologischer Ebene. Allerdings wird der Fokus auf jeweils verschiedene Aspekte gerichtet: Interessiert Becker hauptsächlich das gemeinsame Handeln der betreffenden Akteure, interessiert im Productionof-Culture-Ansatz, »wie symbolische Elemente von Kultur durch die Systeme geformt werden, in denen sie geschaffen, verteilt, bewertet, gelehrt und bewahrt werden« (Peterson/Anand 2004: 311). Der Production-of-Culture-Ansatz zielt also etwas stärker auf Organisationen und Institutionen innerhalb der art worlds ab. So ist zu erklären, warum Becker und Peterson selbst ihre jeweiligen Ansätze als verschieden und bestenfalls komplementär betrachten (vgl. Santoro/Peterson 2008: 48), während sie in Überblicksdarstellungen meist als zusammengehörig behandelt werden (vgl. V. Alexander 2003: 65ff., Inglis/Hughson 2003: 190ff.). Peterson ist, was seine eigene Forschungsarbeit anbelangt, vorrangig an musiksoziologischen Fragestellungen interessiert und hat mehrfach zur Konstituierung und Etablierung populärkultureller Musikstile und -richtungen veröffentlicht. Eine seiner bekanntesten Studien beschäftigt sich mit der Entstehung der Rockmusik in den 1950er Jahren (vgl. Peterson 1990). Darin analysiert er das plötzliche Ablösen von Swing-Bands und Schlagersängern durch die Rockmu96

sik anhand von sechs ›Facetten‹, das heißt Veränderungen auf den Gebieten der Technologie, der Gesetzgebung und Regulierung, der Industriestruktur, Organisationsstruktur, der beruflichen Laufbahnen und des Marktes. Später weist er dieses Vorgehen als ›Sechs-Facetten-Modell‹ (six-facet model) aus und stellt die These auf, dass jedes Feld symbolischer Produktion aus diesen sechs konstitutiven Facetten besteht, die so ineinander verwoben sind, dass Veränderungen in nur einem Bereich umwälzende Veränderungen in allen anderen nach sich ziehen können: Der Produktionszusammenhang wird zuerst destabilisiert und dann reorganisiert (vgl. Peterson/Anand 2004: 318). Wie Kunst gemacht wird, was die Wege und Prozesse sind, in denen sie entsteht, ist eine genuin soziologische Fragestellung, die zunächst nichts Spezifisches an sich hat, das nur dem Production-of-Culture-Ansatz zuzuordnen wäre. So hatten gerade auch Bourdieus Arbeiten großen Einfluss auf die Entwicklung dieses Ansatzes, und die Kultursoziologen David Inglis und John Hughson zeichnen eine Verbindungslinie bis zur Kulturindustrie-These von Adorno und Horkheimer nach, auch wenn sie differenzieren: »Es werden verschiedene Kulturindustrien, und innerhalb von diesen bestimmte Unternehmen, untersucht, anstelle eines monolithischen Leviathans, wie sich ihn die frühen Frankfurter Denker vorgestellt haben« (Inglis/Hughson 2003: 201). Zu den Spezifika gehört allerdings, wie schon angedeutet, die Schwerpunktsetzung auf Organisationen und Institutionen, mit der Petersons wiederholte Hervorhebung einer frühen Veröffentlichung von Harrison C. White und Cynthia A. White einhergeht: Canvases and Careers von 1965. White und White analysieren darin die Geschichte der Durchsetzung und Etablierung des französischen Impressionismus und kommen zum Schluss, dass dieser Stilwandel weniger mit einem revolutionären, gesellschaftlichen Wandel oder einzelnen, ›genialen‹ Künstlern in Zusammenhang zu bringen ist als vielmehr mit Veränderungen, die die für die Malerei relevanten Institutionen und Organisationen betreffen: Die Akademien erleiden gegen Ende des 19. Jahrhunderts einen Bedeutungsverlust und werden sukzessiv durch ein ›Händler-Kritiker-System‹ ersetzt, das unkonventionelle Künstler wie die Impressionisten befördert (vgl. White/White 1965; auf Deutsch erschienen ist ein Aufsatz von 1964, der dasselbe Sujet verknappt behandelt, vgl. White/White 1997). Dieser Fokus auf die Institutionen hat nicht nur auf Pe97

terson, sondern auch auf den Amerikaner Paul DiMaggio (*1951) großen Einfluss. Letzterer ist einer der weiteren ›Pioniere‹ des Production-of-Culture-Ansatzes, der bei Harrison C. White (*1930) – der heute als prominenter Vertreter der soziologischen Netzwerkanalyse bekannt ist – promoviert. DiMaggio, dessen Name wiederum mit dem Neoinstitutionalismus in Verbindung zu bringen ist, arbeitet schon in jungen Jahren mit Peterson zusammen; seine kunstsoziologischen Studien zählen zu den ›Klassikern‹ des Production-of-Culture-Ansatzes. Dazu gehört eine Untersuchung des kulturellen Lebens im Boston des 19. Jahrhunderts, in der er feststellt, dass es zu Beginn dieses Jahrhunderts keine genauen Abgrenzungen zwischen einer Hochkunst und einer Populärkultur gibt. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts ist die Situation eine ganz andere: Die Ober- und Mittelschicht konvertiert ihr ökonomisches Kapital in kulturelles Kapital und separiert die ›legitimen‹ Künste von den ›illegitimen‹, indem sie für diese Hochkunst einen eigenen Markt und eigene Institutionen (wie das Museum of Fine Arts und das Boston Symphony Orchestra) schafft, mit denen diese Separierung aufrechterhalten und kontrolliert werden kann. Hochkultur, so die These, transzendiert soziale Klassenverhältnisse nicht, sondern ist sozial fabriziert und nur unter bestimmten institutionellen Bedingungen möglich (vgl. DiMaggio 1982). Es wird ersichtlich, wie groß die Nähe zu Bourdieu ist (dessen Arbeiten damals in den USA gerade erst langsam publik wurden, nicht zuletzt durch die Vertreter des Production-of-Culture-Ansatzes, vgl. bereits Peterson 1976). Allerdings wird auch deutlich, dass im Unterschied zu Bourdieu die Elemente aus der Organisationssoziologie und der Soziologie der Institutionen sehr prägend sind, ganz abgesehen davon, dass der Production-of-Culture-Ansatz auf der mikrosoziologischen Ebene bleibt. Der ursprüngliche Grund dafür war der Versuch einer Überwindung der damals vorherrschenden grand theories marxistischer oder funktionalistischer Ausprägung (Letztere repräsentiert durch Talcott Parsons); doch Peterson selbst bringt Jahre später die Möglichkeit einer Rückkoppelung an die Makroebene ins Spiel (vgl. Peterson/Anand 2004: 328). Das Verbleiben auf der mikrosoziologischen Ebene ist nicht der einzige Punkt, für den der Production-of-Culture-Ansatz kritisiert wird. Ein Aspekt, der als problematisch angesehen wird, ist die Tatsache, dass im Production-of-Culture-Ansatz die Spezifika von Kunst ignoriert werden – und zwar nicht so sehr im Unterschied 98

zur Populärkultur (was bedeuten würde, die ›alte‹ Trennung zwischen high und low wiederherzustellen), sondern »was sie von der Herstellung von Automobilen oder Schuhen unterscheidet« (V. Alexander 2003: 80). Letztlich weist das auf die Problemstellungen hin, die im vorherigen Abschnitt IV.4 kurz dargelegt wurden: Inwiefern kann die Soziologie den reflexartigen Gestus ablegen, die ›besondere Stellung‹ der Künste in der Gesellschaft als Illusion aufdecken zu wollen? Damit geht ein weiterer Kritikpunkt am Production-of-Culture-Ansatz einher, der bemängelt, dass der Bedeutungsgehalt von symbolischen Kulturgütern wie Kunst außer Acht gelassen wird (vgl. Eyerman/McCormick 2006). Dahinter steckt eine grundsätzliche Debatte innerhalb der US-amerikanischen Soziologie über die unterschiedlichen Ausrichtungen einer eher positivistischen Sociology of Culture, die Kultur als abhängige Variable versteht, und einer mehr erklärenden Cultural Sociology, die Kultur als die unabhängige Variable ansieht; Letztere wird vor allem vom Kultursoziologen Jeffrey C. Alexander (*1947) befürwortet, der als Kritiker des Production-of-CultureAnsatzes gilt (vgl. J. Alexander 1996: 4, Santoro/Peterson 2008: 51f.).14 DiMaggio versucht diesen Gegensatz aufzulösen, indem er die Ansicht vertritt, dass das Verfahren des Production-of-CultureAnsatzes, Veränderungen in Kunst und Kultur zu erklären (also z.B. wer oder was es ermöglichte, dass sich die Impressionisten bzw. die Rockmusik usw. durchsetzen konnten), als ›Stimulus‹ dafür zu verstehen ist, ein Verfahren für die Deutung von Kunst und Kultur zu entwickeln. Die zwei Ansätze sind seiner Auffassung nach also keine sich ausschließenden Unternehmungen (vgl. DiMaggio 2000: 131; dieser Aufsatz erscheint im Übrigen in einer Ausgabe der Fachzeitschrift Poetics, die ausschließlich Richard A. Peterson und seinen Schriften gewidmet ist). Inwieweit das Arbeiten mit dem Production-of-Culture-Ansatz die Integration anderer, weiterer Ansätze und Theorien nicht ausschließen muss, zeigt sich an der amerikanischen Musiksoziologin Tia DeNora (*1958). DeNoras Monografie Beethoven and the Construction of Genius von 1995 gilt als Klassiker des Productionof-Culture-Ansatzes, in welchem sie darstellt, warum Ludwig van Beethoven (1770-1827) als Genie angesehen wird. Statt die Argumente darauf auszurichten, dass Beethoven ›besser‹ war oder ist als andere Komponisten, vertritt sie die Ansicht, dass untersucht werden muss, wie es überhaupt zu dieser Einschätzung kommen 99

kann: »Darstellungen von Beethovens Erfolg, die den Fokus auf sein Talent richten, verwenden auf unangebrachte Art und Weise eine Sprache […], die den sozialen Kontext, in dem seine Identität ursprünglich gemacht wurde, verdunkelt« (DeNora 1995: 189). Daher behandelt sie unter anderem, was die institutionellen Faktoren für die Ermöglichung seines Rufs als Genie waren. DeNoras Vorgehen in dieser Studie – die in eine Reihe gestellt werden kann mit Elias’ Studie über Mozart sowie Nathalie Heinichs Studie über den posthumen Ruhm von Vincent van Gogh (vgl. Heinich 1991) – ist somit noch ganz dem Production-of-Culture-Ansatz verpflichtet. In späteren Publikationen jedoch wendet sich DeNora alternativen Möglichkeiten zu, Künste soziologisch zu analysieren, auf die im folgenden Abschnitt V.1.2 eingegangen wird, der unter dem Schlagwort ›Mediation‹ einen weiteren Ansatz präsentiert, wie Künste soziologisch untersucht werden können. Zusätzlich zu den genannten Publikationen sei hier noch auf die Monografie The Production of Culture. Media and the Urban Arts von 1992 von Diana Crane (*1933) hingewiesen, die als eine der wichtigsten Vertreterinnen des Production-of-Culture-Ansatzes gilt und dazu viele Veröffentlichungen beigetragen hat. Ihr Buch ist einerseits eine Synopsis des Ansatzes, andererseits jedoch auch eine eigenständige Studie, in der sie die Veränderungen in der production of culture in den USA von 1945 bis 1990 nachzeichnet (vgl. Crane 1992). In dieser und den übrigen Publikationen finden sich zahlreiche Hinweise auf weitere, wichtige Untersuchungen innerhalb des Production-of-Culture-Ansatzes.

1.2 Die Soziologie der Mediation Die Musiksoziologin DeNora bewegt sich mit den Jahren weg vom Production-of-Culture-Ansatz, hin zu einer Betrachtung von Musik ›in Aktion‹, die berücksichtigt, dass Musik nicht nur gemacht ist, sondern auf die Macher und Hörer auch zurückwirkt (vgl. DeNora 2000). Letztlich greift sie sogar Adornos musiksoziologische Konzepte, die sie zunächst noch für überholt hält, wieder auf und macht sich für eine Kunstsoziologie im Sinne von Art-Sociology (im Unterschied zur Sociology of Art) stark: Diese soll nicht länger versuchen, Kunst bzw. Musik als zu erklärendes Objekt anzusehen, sondern als aktive Kraft, die im Sozialleben tätig wird (vgl. DeNora 2003). 100

Diese Entwicklung ist Teil einer größeren Bewegung in der (Kunst-)Soziologie, die auf die Wissenschafts- und Techniksoziologie des Franzosen Bruno Latour (*1947) zurückgeht. Latour entwickelt die sogenannte Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) mit, die Objekte wie Kunstwerke nicht anhand ausschließlich sozialer Faktoren analysieren will, weil das erklärungsbedürftige Soziale nicht selbst als Erklärung fungieren kann. Diese Richtung wird auch als postkritische Soziologie bezeichnet, die sich von der kritischen Soziologie vor allem eines Pierre Bourdieu abgrenzen möchte: »Von der kritischen Soziologie ist kein anderer Bereich neben dem der Religion derart plattgewalzt worden wie die Kunstsoziologie. Jede Skulptur, jedes Gemälde, […] jeder Roman sind bis zur Nichtigkeit durch die sozialen Faktoren erklärt worden, die sich ›hinter ihnen verbergen‹« (Latour 2007: 406). Ein Argument, das bereits im Abschnitt IV.4 kurz dargelegt wurde. Ziel der ANT ist es, die Opposition zwischen ›interner‹, ästhetischer Erklärung einerseits und ›externer‹, sozialer Erklärung andererseits zu überwinden, indem eine ›Soziologie der Assoziationen‹ betrieben wird, die die Assoziationen zwischen menschlichen wie nichtmenschlichen Wesen gleichermaßen nachzeichnet. Einer der zentralen Punkte ist, dass es sich bei Akteuren folglich um jemand, aber auch etwas handelt, der bzw. das eine gegebene Situation modifiziert. Latour positioniert den Begriff der ›Mediatoren‹ (Mittler) gegen den Begriff der ›Intermediäre‹ (Vermittler): Mediatoren verändern die zu transportierenden Elemente, bei Intermediären bleibt der Input und Output derselbe. Latour adaptiert diesen Ansatz in Zusammenarbeit mit dem Musiksoziologen Antoine Hennion für die Künste. Beide arbeiten lange Jahre an demselben Forschungszentrum (das Centre de sociologie de l’innovation in Paris) und publizieren unter anderem einen gemeinsamen Artikel zur problematischen Stellung des Kunstwerks in der Soziologie, auf den weiter unten eingegangen wird (vgl. Hennion/Latour 1993).15 Hier interessiert Hennions bekannt gewordene Monografie La passion musicale. Une sociologie de la médiation von 1993. Darin führt Hennion anhand zahlreicher empirischer Analysen von Konzerten (Barock und Rock), Musikunterricht und Hilfsmitteln (Instrumente, Partituren, CDs) eine ›Soziologie der Mediation‹ ein, die den Vorgang der Vermittlung nicht mehr als nur zwischengeschaltetes Moment der Produktion und Rezeption von Kunst versteht. Hennion beschreibt, wie die 101

Streichung des Präfixes ›Inter-‹ ermöglicht, die Nachrangigkeit von Intermediären, die gleichsam zwischen den ›eigentlichen‹ Wirklichkeiten stehen, aufzuheben, während das Suffix ›-tion‹ darauf hinweist, dass eine Aktion stattfindet, die etwas hervorruft, statt hervorgerufen zu werden (vgl. Hennion 2007a: 31); Intermediäre werden ins Spiel gebracht, Mediatoren bringen sich selbst ins Spiel. Die Eigenschaft des ›In-Aktion-Seins‹, die auch DeNora für die Musik in Anspruch nimmt, ist zu einem häufig verwendeten Ausdruck geworden (vgl. Acord/DeNora 2008; siehe auch die Online-Fachzeitschrift Music & Arts in Action, an der Sophia Krzys Acord und Tia DeNora beteiligt sind16); dieser ist wieder auf Latour und sein Buch Science in Action von 1987 zurückzuführen (vgl. Latour 1987). Hennion geht dabei so weit, zu sagen, dass auch das Kunstwerk selbst, dass die Musik eine Mediation ist, insofern das zentrale Problem der Mediation das Oszillieren zwischen zwei Achsen ist: »die Musik-für-die-Musik und die Musik-für-das-Publikum, das alles-dem-Objekt, das alles-den-Menschen« (Hennion 2007a: 358, 370) – zwei Achsen, die man nicht gegeneinander auszuspielen braucht. Es ist auffällig, dass sich diese Soziologie der Mediation aus der Musiksoziologie heraus entwickelt hat und bislang vor allem dort angewendet wird. Um das »Triumvirat« (Prior 2011: 132) dieser revisionistischen Musiksoziologie zu vervollständigen, muss neben Antoine Hennion und Tia DeNora auch auf die britische Musiksoziologin und -anthropologin Georgina Born (*1955) hingewiesen werden, die gleichzeitig – wie so viele in diesem Forschungsbereich – selbst Musikerin ist. Born nutzt ebenfalls den Begriff der ›Mediation‹ und untersucht überdies die Bedeutung elektronischer und digitaler Musik und der entsprechenden Technologien (vgl. Born 2005). Einer der ihrer Meinung nach weiterzuentwickelnden Punkte ist, wie die Frage von Werturteilen neu behandelt werden kann. Ihre Absicht ist, »Fragen der Ästhetik und der Form, jetzt durch eine Analytik der Mediation flektiert, zu erneuern, und auf dieser Grundlage Werturteile auszusprechen und ihre Basis kenntlich zu machen, um die kritische Debatte wiederzubeleben, nicht einzustellen« (Born 2010: 199). Ein Unterfangen, das nicht unproblematisch ist, insofern die Gefahr besteht, dass diese postkritischen Ansätze wiederum zu sehr in die entgegengesetzte Richtung zur kritischen Soziologie hin tendieren und womöglich ausnahmslos alle Thesen und Methoden, 102

gerade eines Pierre Bourdieu, verwerfen. Vor allem die Hinwendung zum Kunstwerk selbst bleibt ambivalent: »Wie trennt man das ›Ding selbst‹ von den Diskursen über das Ding« (Prior 2011: 133)? Hier die richtige Balance zu finden bzw. einen gangbaren Weg ›auszudiskutieren‹ bleibt eine wichtige Aufgabe der Musiksoziologie der kommenden Jahre. Wie gut sich die Soziologie der Mediation auf andere Gebiete künstlerischer Praxis, auf die bildenden Künste, die Literatur usw. anwenden lassen wird, wird ebenfalls zu prüfen sein. Ein möglicher ›Umweg‹ bietet sich über die Behandlung der Frage nach dem Geschmack. Dieses Thema betrifft nicht nur eine Musiksoziologie, sondern eine Soziologie aller künstlerischen Ausdrucksformen (der Hoch- und Populärkultur), genauso wie die Konsumsoziologie. Wie gesehen stellt Bourdieu mit Die feinen Unterschiede die These auf, dass sich der Geschmack nach der Klassenzugehörigkeit richtet: Je höher das sozio-ökonomisch-kulturelle Kapital, desto stärker die Vorliebe für ›legitime‹ Künste. Viele Vertreter des Production-of-Culture-Ansatzes fechten dies an, allen voran Richard A. Peterson, der die These aufstellt, dass dies gerade in der Oberschicht nicht mehr der Fall ist: Statt ›snobistisch‹ ausschließlich klassische Musik und die Oper zu präferieren, eignen sich ihre Mitglieder wie ›Allesfresser‹ (omnivore) auch Country, Rock und Blues an (vgl. Peterson/Kern 1996; die omnivorousness-These klammert allerdings mitunter die Möglichkeit aus, dass dieser eklektische Geschmack die neue Form des ›richtigen‹ Habitus in diesen Kreisen darstellt, vgl. Bellavance/Valex/de Verdalle 2006: 135). Auch der französische Soziologe Bernard Lahire (*1963), der viel zu literatursoziologischen Themen publiziert, unternimmt eine kritische Lektüre von Die feinen Unterschiede und präsentiert seinerseits die These, dass die Frage des Geschmacks von der Ebene der sozialen Klasse oder Gruppe auf die Ebene des Individuums verlegt werden sollte, wo sich dann zeigt, dass der individuelle Geschmack stets ›dissonant‹ ist (statt elitär, aber auch statt omnivor oder eklektisch, vgl. Lahire 2004). Antoine Hennion schließlich rückt ebenfalls den Einzelnen wieder ins Zentrum der soziologischen Geschmacksanalyse und spricht schon 1993 in La passion musicale davon, den Hörer zu ›rehabilitieren‹ (vgl. Hennion 2007a: 367). Die Analyse des Geschmacks ist in den vergangenen zehn Jahren zu einem der Hauptbeschäftigungsfelder von Hennion geworden. Sein Ansatz folgt dahingehend der Idee einer 103

Soziologie der Mediation, dass auch hier eine Engführung des Geschmacks auf soziale Faktoren abgelehnt wird. Der Geschmack, so Hennion, ist keine Eigenschaft einer Person oder einer Sache, ist nicht sozial determiniert – und damit stabil und unveränderlich –, sondern eine reflexive Aktivität, bei der sich der Kunstliebhaber seinen Geschmack selbst erarbeitet und darüber hinaus die möglichen sozialen Determinanten seines Geschmacks sogar reflektiert und mit anderen Liebhabern diskutiert. Die Dualität von »Dingen, die auf der einen Seite autonom, aber leblos sind, auf der anderen Seite reine soziale Zeichen« ist zugunsten der Konzeption von Mediationen aufzugeben, bei denen »der Körper, der probiert [tastes] und der Geschmack [taste] des Objekts, die Gruppe, die es liebt und die Bandbreite der Dinge, die sie lieben, gemeinsam produziert werden, das eine durch das andere« (Hennion 2007c: 111f.). Somit ergibt sich die Möglichkeit, die in der Kunstsoziologie lang gehegte Vorstellung einer eher passiven Rezeption, gar einer ›Konsumhaltung‹ der Kunstbetrachter, Leser und Hörer zu revidieren. Überhaupt ist an vielen Punkten eine kritische Prüfung der (kunst-)soziologischen Prämissen vonnöten, insofern es einen ›Metadiskurs‹ gibt, der nicht nur die soziologische Betrachtung der Künste dominiert. In einem viel beachteten programmatischen Aufsatz von 2005 (der 2010 noch einmal in Sociologie de l’Art – OPuS erscheint) unterzieht David Inglis diesen Meta-Diskurs, den er geschichtlich weit zurückverfolgt, aber auch in der jüngeren Kunstsoziologie am Werke sieht, einer Kritik. Die unhinterfragte, als selbstverständlich erachtete Prämisse ist die Überzeugung (nicht die These!), dass es Kunst gar nicht gibt, dass »›Kunst‹ nur ein tendenziöses Label ist, das auf manche Objekte angewandt wird und auf andere nicht, von denen, die die Definitionsmacht zu ihrer Verfügung haben« (Inglis 2005: 100). Wenn es jedoch der Soziologie darum geht, diese Machtverhältnisse offenzulegen, so muss sie selbstkritisch ihr eigenes Streben nach Macht hinterfragen, durch das sie Kritik an der soziologischen Kritik als naiv, ignorant und als Ausdruck der von ihr analysierten Machtstrukturen abtut. Dieses ›Dogma‹, so Inglis, stellt nicht nur für eine Soziologie der Künste ein Problem und eine Herausforderung dar, sondern für die Soziologie als Disziplin.

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1.3 … und außerdem: Die Gender-Perspektive Die Gender Studies sind keine Theorie, sondern eine Forschungsrichtung und vielerorts ein institutionalisierter, universitärer Studiengang. Darin wird das Verhältnis zwischen den Geschlechtern untersucht und analysiert, inwiefern die Geschlechter bzw. Geschlechteridentitäten kulturell geprägt oder gar produziert sind. Da in den Gender Studies jedoch davon ausgegangen wird, dass es diese kulturelle Bestimmung des Geschlechts gibt, kann auch von einem ›Ansatz‹ in unserem Sinne gesprochen werden, weswegen die Gender-Perspektive auf die Künste hier in diesen Abschnitt eingeordnet wird. Die Untersuchung geschlechtsspezifischer Aspekte im Bereich der Künste ist – wie in anderen Bereichen auch – fast ausschließlich Frauendomäne. Markant ist dabei jedoch die starke Präsenz von Kunsthistorikerinnen, was einmal mehr auf die Verknüpfung von Soziologie und anderen Disziplinen wie der Kunstgeschichte, vermittelt über die Künste, hindeutet. Auf die Schriften der hauptsächlich in England tätigen Kunsthistorikerin Griselda Pollock (*1949) wird auch von Kunstsoziologinnen immer wieder verwiesen. Pollock betreibt eine feministische Kunstgeschichte, die sich kritisch mit der männlichen Dominanz in der Sphäre der Kunst und der damit einhergehenden Abwesenheit von Frauen im Kanon der Künste auseinandersetzt (vgl. Pollock 1999). Ähnliche Themen behandelt die amerikanische Kunsthistorikerin und -kritikerin Carol Duncan, die immer wieder auch eingehende Analysen des Bildes der Frau in der Malerei verschiedenster Epochen vorlegt (für eine Sammlung von Artikeln aus den 1970er und 1980er Jahren vgl. Duncan 1993). Für die ›Randposition‹ von Frauen in den Künsten interessieren sich auch Kunst- bzw. Musiksoziologinnen wie zum Beispiel die Französin Marie Buscatto, die mit Femmes du jazz (2007) eine Studie der ›Jazzwomen‹ in Frankreich vorlegt, deren Außenseiter-Status in einem von Männern dominierten Milieu ein Paradoxon darstellt: Weil man sich in der Welt des Jazz als freiheitsliebend und besonders tolerant versteht, wird die Marginalisierung der Frauen, obwohl nachweisbar, negiert (vgl. Buscatto 2007; das Vorwort zu dem Buch ist von Howard S. Becker). Nicht selten bemühen sich Kunstsoziologinnen auch, über die kritische Beschreibung der männlichen Dominanz in der Sphäre 105

der Kunst hinauszugehen, so wie eine der bekanntesten britischen Kunstsoziologinnen, Janet Wolff (*1943). Sie schlägt vor, Weiblichkeit dem Männlichen nicht länger als das ›Andere‹ gegenüberzustellen, und plädiert dafür, die bisherige Kunstgeschichte nicht nur zu ›korrigieren‹, sondern zu ›hinterfragen‹ (vgl. Wolff 2000). Denn: »Die schwierige Frage, die vom feministischen Revisionismus aufgeworfen wird, betrifft nicht, welche Künstlerinnen in den Kanon aufgenommen werden sollten. Es geht um die Kanonbildung selbst und um die Prinzipien ästhetischer Bewertung, die ihr implizit sind. Es geht um die Frage der Ästhetik nach dem Feminismus« (Wolff 2006: 149). Eine Gender-Perspektive auf die Künste muss sich in der Tat nicht nur zum Ziel nehmen, die männliche Dominanz und den damit verbundenen Diskurs zu analysieren, sei es, um ihn kritisch zu dekonstruieren oder Vorschläge zu seiner Überwindung vorzulegen. Nathalie Heinich analysiert in ihrer Monografie Das »zarte« Geschlecht. Frauenbilder in der abendländischen Literatur (États de femme. L’identité féminine dans la fiction occidentale, 1996) über 250 Romane vom 18. Jahrhundert bis heute, um eine Typologie möglicher weiblicher Identitäten zu erstellen, die Frauen zu ihrer Zeit annehmen konnten und die sich ihrer Meinung nach in diesen Romanen spiegeln, so die ›heroische Jungfrau‹, die ›aufsässige Gattin‹, das ›gefallene Mädchen‹ oder die ›alte Jungfer‹ (vgl. Heinich 1997; diese Studie ist eine der wenigen von Heinich, die auf Deutsch vorliegen). Die Gender-Soziologin Alexandra Howson wiederum bringt einen interessanten Punkt ins Spiel, der den Bezug von Kunst und Soziologie auf eine andere Ebene stellt: Hinsichtlich zeitgenössischer women’s art (von Frauen geschaffene Kunst, die den weiblichen Körper thematisiert) ist es unabdingbar, diese künstlerische Praxis nicht von der Theorie des Feminismus und ihrer Rezeption zu trennen, was Howson dazu veranlasst, eine eigene Definition einer feministischen Kunstsoziologie vorzulegen und zu diskutieren (vgl. Howson 2005). Auf solche Aspekte des engen Zusammenhangs von Theorie und Praxis, von Soziologie und Kunst wird im Ausblick in Kapitel VI näher eingegangen.

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2 Weitere Forschungsschwerpunkte Jede Zeit hat ihre Themen – das gilt auch für die Kunstsoziologie. Diese hat sich in den letzten Jahrzehnten zwar intensiv mit sich selbst beschäftigt, indem den Grenzen zu anderen Disziplinen nachgespürt, Methoden erprobt und Theorien diskutiert werden, was zu bestimmten Forschungsfragen wie der nach dem ›Geschmack‹ führt. Doch unabhängig von dieser Weiterentwicklung der Kunstsoziologie selbst gibt es selbstredend weitere Bereiche, die sich um die Jahrtausendwende herum bis heute ›durchgesetzt‹ haben, was ihre besondere Beachtung und Untersuchung betrifft. Manche stellen akute Probleme dar, andere Phänomene, die schon länger der genauen Erforschung bedürfen. Einige dieser Themenfelder werden im Folgenden kurz präsentiert – wobei es sich nur um ausschnitthafte ›Schlaglichter‹ auf einige aktuelle Forschungsarbeiten handelt. Auffällig ist, dass zwischen Untersuchungen der Produktion, der Vermittlung und der Rezeption von Kunst keine präzise Trennlinie zu ziehen ist, was für jene Wechselwirkungen und gegenseitigen Einflussnahmen spricht, denen verstärkt auch in den theoretischen Ansätzen Rechnung getragen wird. Der Künstler und seine Arbeitsbedingungen gehören seit Anbeginn kunstsoziologischer Forschung zu den klassischen Interessenschwerpunkten dieses Forschungsbereichs. Schon in dem 1974 erschienenen Sonderheft Künstler und Gesellschaft der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, herausgegeben von Alphons Silbermann und René König, setzen sich mehrere Aufsätze mit der sozialen und ökonomischen Lage des Künstlers auseinander (vgl. Silbermann/König 1974). Im Unterschied zur öffentlichen Fokussierung auf wenige Künstler-Stars, deren Werke exorbitante Preise erzielen, beschäftigen sich namhafte Studien der vergangenen zehn Jahre mit der Prekarität von Künstlerexistenzen. Der niederländische Soziologe und Künstler Hans Abbing (*1946) fragt beispielsweise, warum Künstler in der Regel ökonomisch schlecht dastehen, und analysiert, inwiefern in den Künsten wirtschaftliche Aspekte verschleiert werden. Den Grund dafür findet er im Bestreben, den ›sakralen‹ Charakter von Kunst aufrechtzuerhalten, der mit profanem Marktgeschehen nicht in Einklang zu bringen ist, was letztlich dazu führt, dass die Notwendigkeit von Spenden und Subventionen die Vorstellung unter107

mauern, dass in den Künsten keine ökonomischen Interessen herrschen (vgl. Abbing 2002). Solche Analysen des Zusammenhangs von künstlerischen Berufen mit prekären Lebensverhältnissen finden sich häufig in kunstsoziologischen Schriften, die den jeweiligen Status quo der Künste in der Gesellschaft zu fassen suchen (vgl. Moulin 1997: 327ff., Müller-Jentsch 2011: 85ff.). Besondere Aufmerksamkeit wurde zuletzt allerdings einer Studie zuteil, die im Unterschied zu Arbeiten wie der von Abbing darauf abzielt, zu zeigen, dass Künstlerexistenzen gerade nicht mehr als (tatsächliches oder inszeniertes) Gegenmodell zum kapitalistischen bzw. neoliberalen Wirtschaftssystem fungieren. In Der neue Geist des Kapitalismus (Le nouvel esprit du capitalisme, 1999) von Luc Boltanski (*1940; Jahrzehnte zuvor arbeitet Boltanski mit Bourdieu zusammen und grenzt sich später von dessen ›kritischer Soziologie‹ ab) und Ève Chiapello wird beschrieben, wie typische Merkmale des Arbeitslebens von Künstlern (Betonung von Kreativität und Innovation, Flexibilität, Selbstverantwortung, projektbezogenem Arbeiten usw.) seit den 1970er Jahren zum Vorbild für die kapitalistische Arbeitswelt werden. Boltanski und Chiapello argumentieren, dass die sogenannte Künstlerkritik an hierarchischen, standardisierten und bürokratischen Strukturen vom kapitalistischen System umgesetzt, sozusagen ›einverleibt‹ wird, zugunsten von mehr Autonomie und Freiheit, aber auch auf Kosten von (Arbeitsplatz-)Sicherheit, Stabilität und Kontinuität (vgl. Boltanski/Chiapello 2003). In eine ähnliche Richtung weist Kunst und Brot (Portrait de l’artiste en travailleur, 2002) des französischen Soziologen Pierre-Michel Menger (*1953), der ebenfalls darauf eingeht, wie Künstler zum Modell des idealen, da flexiblen und kreativen Arbeitnehmers geworden sind, was nach Menger die Frage aufwirft, was am Beispiel des Künstlers über die gegenwärtige Arbeitswelt zu lernen ist (vgl. Menger 2006). Das ambivalente Verhältnis der Sphäre der Kunst und der Sphäre des Marktes bringt immer wieder kunstsoziologische Analysen der entsprechenden Akteure hervor. So setzt sich der französische Kunstsoziologe Alain Quemin in einer viel beachteten Studie mit dem Beruf des Auktionators auseinander (vgl. Quemin 1997). Hans Peter Thurn (*1943), der ohne Zweifel als der profilierteste deutsche Kunstsoziologe zu bezeichnen ist, beschäftigt sich in einer seiner zahlreichen Publikationen mit der Figur des Kunsthändlers (vgl. Thurn 1994b; markanterweise tragen beide 108

Bücher, jenes von Thurn wie auch das von Quemin, den Untertitel Wandlungen eines Berufes). Über das grundsätzliche Wechselverhältnis von Kunst und Wirtschaft arbeitet seit Jahren der deutsche Ökonom und Soziologe Michael Hutter (*1948) (vgl. Hutter 2010). Es ist nur konsequent, dass auch solche Forschungsarbeiten gewisse Prominenz erfahren, die sich mit jenen Aspekten von Kunst und Kultur beschäftigen, die den Betrieb und das Management betreffen. Publikationen, die in diese Richtung gehen, sind in den letzten Jahren sowohl auf dem wissenschaftlichen wie populärwissenschaftlichen Buchmarkt verstärkt vertreten. Den Versuch einer Zusammenführung von kunst- und kultursoziologischen Diskursen mit kulturpolitischen und -ökonomischen unternimmt Tasos Zembylas (*1962), der neben zahlreichen Veröffentlichungen innerhalb der Kunstsoziologie auch eine interdisziplinäre ›Kulturbetriebslehre‹ entwickelt (vgl. Zembylas 2004). Zembylas gehört zu einer Reihe von deutschsprachigen Kunstsoziologen, die dieses Feld aktuell maßgeblich prägen und zu seiner Etablierung beitragen. Hier sind die – wie Zembylas – in Österreich und vor allem Wien tätigen Forscher äußerst aktiv, was auf Akteure wie Gerhardt Kapner (*1927) und Kurt Blaukopf (19141999) zurückzuführen ist, die den Forschungsbereich der Kunstbzw. Musiksoziologie in diesem Land fest verankern konnten (vgl. Kapner 1987, Blaukopf 1982). Neben Zembylas ist es in Wien vor allem der Musiksoziologe Alfred Smudits (*1954), der derzeit zu den zentralen Akteuren in Österreich gehört (vgl. Smudits 2008; zur Kunstsoziologie in Österreich vgl. Smudits/Staubmann 1997).17 Auch Ulf Wuggenig (*1950), der in Deutschland zu denjenigen gehört, die neben Hans Peter Thurn die Position der Kunstsoziologie festigen, war ursprünglich in Wien und ist nun seit Jahren an der Universität Lüneburg aktiv, wo die Kunstsoziologie für deutsche Verhältnisse sehr stark präsent ist. Neben vielen weiteren Forschungsprojekten bearbeiten Wuggenig wie auch sein Lüneburger Kollege Volker Kirchberg (*1956) solche, die sich dem Museum widmen, womit sie Anteil haben an den sogenannten Museum Studies. Diese im Deutschen eher unter Museumswissenschaft oder Museologie geläufige Forschungsrichtung beschäftigt sich mit der Rolle und Aufgabe, dem Wirken und Fungieren von Museen, einschließlich der Analyse des Museumspublikums, ein Themenfeld, das schon länger große Beachtung findet. 1996 erscheint eine von Paul DiMaggio herausgegebene Themenaus109

gabe der Fachzeitschrift Poetics zum Schwerpunkt »Museum Research«, mit Beiträgen, die sich hauptsächlich mit den Museumsbesuchern, ihrer Zusammensetzung und den Gründen für ihren Museumsbesuch beschäftigen (vgl. DiMaggio 1996). Wuggenig sowie Kirchberg (die zusammen den Aufsatz zur deutschsprachigen Kunst- und Kultursoziologie verfasst haben, der in der Einleitung erwähnt wird, vgl. Kirchberg/Wuggenig 2004) haben zurzeit laufende Forschungsprojekte in diesem Bereich: Wuggenig eine empirische Studie, die im migros museum für gegenwartskunst in Zürich anhand einer schriftlichen Befragung der Museumsbesucher durchgeführt wird (vgl. Wuggenig/Tarnai 2012); Kirchberg wiederum ist am Projekt »eMotion. Mapping museum experience« beteiligt, bei dem aus interdisziplinärer Perspektive das Experiment unternommen wird, die ästhetische Erfahrung von Besuchern des Kunstmuseums St. Gallen inklusive ihrer physiologischen Reaktionen zu ›messen‹ (vgl. Tröndle/Kirchberg/Wintzerith/van den Berg/Greenwood 2008). Kirchberg greift das Thema ›Museum‹ bereits in seiner Monografie Gesellschaftliche Funktionen von Museen von 2005 auf. Darin nimmt er die Verkündung des ›Museumsbooms‹ der 1980er und 1990er Jahre zum Anlass, um auf mikro-, meso- und makrosoziologischer Ebene Elemente des Wandels in der Museumslandschaft zu analysieren. Er kommt – gegen jene soziologistischen Ansätze, die alles auf ›das Soziale‹ zurückführen – zu dem Schluss, dass »Museumsbesuche […] sowohl Folgen sozialer Herkunft und suggestiver Angebote als auch Produkt frei gewählter Lebensführung und eigeninitiierter Nachfrage sein [können]« (Kirchberg 2005: 302). Damit reiht sich die Studie in die Reihe kunstsoziologischer Arbeiten ein, die versuchen, eine allzu deterministische Haltung hinter sich zu lassen. Das Museum als Institution wirft die Frage auf, welche anderen ›Kunst-Orte‹ möglich oder gar gegeben sind. In diesem Sinne ist vor allem Kunst im öffentlichen Raum ein Feld, das von Kunstsoziologen immer wieder angegangen wird. Gerade Wuggenig publiziert immer wieder hierzu, indem er unter anderem die Gemeinschaftsorientierung von ›öffentlicher Kunst‹ analysiert und empirisch untersucht, inwiefern diese als ›demokratischer‹ befunden wird (vgl. Wuggenig 1997). Auch André Ducret (*1950), einer der präsentesten Schweizer Kunstsoziologen, der Anfang der 1990er Jahre zusammen mit Nathalie Heinich und dem belgischen Kunst- und Kultursoziologen Daniel Vander Gucht die 110

Fachzeitschrift Sociologie de l’art gründet, setzt sich in einer seiner Veröffentlichungen mit dieser Kunstform auseinander und untersucht, auch anhand von Befragungen, Kunst im öffentlichen bzw. städtischen Raum in Basel und Genf. Ducret konstatiert in seinem Schlussteil: »Die Gegenwart von Kunst in der Stadt entspricht keiner Notwendigkeit, sie wird von den Einwohnern niemals als solche eingefordert, oft wird sie als überflüssig wahrgenommen« (Ducret 1994: 271). Mit diesen kontextuellen Schwierigkeiten muss sich folglich jeder Künstler, dem ein solcher Werkauftrag zugewiesen wird, auseinandersetzen. Andere ›Kunst-Orte‹, die von Kunstsoziologen immer wieder in den Blick genommen werden, sind temporäre Ausstellungen, die der ›bewahrenden‹ Logik des Museums widersprechen. Prominente Beispiele sind globale Kunst-›Events‹ wie die documenta in Kassel, die alle fünf Jahre stattfindet (vgl. Panzer 2005) und die Kunst-Biennale in Venedig (vgl. Glauser 2012). Schließlich gehören auch Aspekte von Kunst- und Kulturpolitik zu den Interessenschwerpunkten von Kunstsoziologen. Politiken liegen auch den bereits genannten Gebieten zugrunde: der Rolle des Künstlers in der Gesellschaft, dem Kunstmarkt und dem Management des Kunstbetriebs, der Definierung der Aufgaben von Museen und von Kunst im öffentlichen Raum. Besonders konkret kann die Beschäftigung mit Kunst und Politik dort werden, wo sie eng miteinander verwoben sind. In Deutschland verfasst hierzu Karl-Siegbert Rehberg (*1943) seit Jahrzehnten kunstsoziologisch ausgerichtete Schriften, in denen er sich mit der Kunstpolitik der DDR (d.h. in der Regel Auftragskunst nach bestimmten ästhetischen Vorgaben, die politisch bzw. ideologisch motiviert sind) und der DDR-Kunst an sich, vor allem ihrer Rezeption in Westdeutschland, auseinandersetzt. In einem von Rehberg mit herausgegebenen Sammelband zur »Kritik der deutschen Museumskultur« (vgl. Hieber/Moebius/Rehberg 2005) beschreibt Rehberg beispielsweise, wie im ersten Jahrzehnt nach der Wende Ausstellungen von DDR-Kunst als »Schauprozesse für die Künste« (Rehberg 2005: 74) wahrgenommen werden. Demgegenüber beschreibt er, wie die Bezeichnung ›Leipziger Schule‹ (eine berühmte Gruppe von Malern) zuerst zwar »Symbol der DDR-Kunst im Westen« war, wie aber heutzutage die »Nach-Wende-Generation« von diesem »Mythos profitieren« kann (Rehberg 2003: 54, 59). Dieser Text über die Leipziger Schule erscheint in einem Ausstellungskatalog über 111

Kunst in der DDR, was als Beispiel für die nicht selten anzutreffende Praxis gelten kann, Kunstsoziologen für Ausstellungskataloge anzufragen, was den ›außer-soziologischen‹ Bedarf an dieser Forschungsrichtung belegt. Ein weiteres, typisches Feld für die kunstsoziologische Auseinandersetzung mit Kunst und Politik bieten die Avantgarde-Bewegungen (vgl. Hieber/Moebius 2009). An Studien in diesem Bereich lässt sich prinzipiell erkennen, dass und wie kunstsoziologische Fragen durch andere Perspektiven ergänzt werden können, zum Beispiel durch gruppen- bzw. intellektuellensoziologische Ansätze (vgl. Orlich 2011). Aspekte der Kunst- und Kulturpolitik betreffen jedoch selbstredend nicht nur die Vergangenheit, sondern wirken ganz aktuell auf die Sphäre der Kunst ein. Ein Beispiel sind die Artists-in-Residence-Programme, mit denen ausgewählte Künstler zeitlich begrenzt in anderen Städten oder auch Ländern leben. Kunstsoziologen interessiert hier unter anderem, inwiefern diese Programme als neues Instrument der Künstlerförderung zu verstehen sind (vgl. Behnke/Dziallas/Gerber/Seidel 2008) und wie damit die »Ideale der Weltgewandtheit und des Kosmopolitismus« verbunden werden (Glauser 2009: 261).

3 Aktuelle Debatten

3.1 Das Kunstwerk Kunstsoziologen fordern immer wieder, das Kunstwerk selbst nicht aus dem Blick zu verlieren. Insofern kann man nicht von einem ›blinden Fleck‹ der Kunstsoziologie sprechen, da das Absehen vom Kunstwerk oder die Schwierigkeiten eines soziologischen Blicks auf das Kunstwerk regelmäßig thematisiert werden. Weiter oben wurde bereits gezeigt, dass nach der Dominanz von Theorien wie jener von Bourdieu oder dem Production-of-Culture-Ansatz in den letzten 20 Jahren vermehrt auf Konzeptionen wie die der ›Mediation‹ gesetzt wird, die dem Kunstwerk zu eigenem Recht verhelfen wollen. In einer Weiterentwicklung der Latour’schen Wissenschafts- bzw. Techniksoziologie kommt dem Kunstwerk eine eigene, aktive Rolle im Kunstgeschehen zu, womit diese Überlegungen großen Anteil an den intensiven Debatten haben, die vor allem in Frankreich um die Integration des Kunstwerks herum geführt werden. 112

Schon 1985 ist das Thema einer der vier ›runden Tische‹ auf der von Raymonde Moulin organisierten Kunstsoziologie-Konferenz in Marseille: »Ist eine Soziologie der Werke möglich« (Moulin 1986: 307)? Die nur wenig später gegründete Fachzeitschrift Sociologie de l’Art widmet die Ausgabe Nummer 6 von 1993 der Frage »Œuvre oder Objekt?«, die Nummer 10 von 1997 thematisiert die »Soziologie der Kunstwerke«, sogleich gefolgt von der Nummer 11 von 1998 zur »Soziologie der Kunstwerke II«; nach dem Relaunch der Zeitschrift bei einem neuen Verlag widmet sich die Nummer 13 von 2008 dem Schwerpunkt »Die Wege der Werkinterpretation« und die Nummer 14 von 2009 heißt: »Die Welten der Interpretation«. Zwischen 1998 und 2008 steht die Diskussion gleichwohl nicht still: 2001 erscheint die insgesamt fast 1000 (!) Seiten starke, zweibändige Aufsatzsammlung Vers une sociologie des œuvres (In Richtung einer Soziologie der Werke, eine Publikation, die auf einen Kongress im Jahre 1999 zurückgeht, auf dem die Frage von 1985 aufgegriffen wird, vgl. Majastre/Pessin 2001); danach erfährt die Diskussion durch weitere Veröffentlichungen neuen Auftrieb, die in Form von ersten monografischen Zusammenfassungen die Virulenz des Themas weiter bekräftigen: 2007 erscheinen die jeweiligen Monografien der französischen Kunstsoziologen Bruno Péquignot (*1947) und Jean-Pierre Esquenazi, die beide ein starkes ›Pro‹ für eine Soziologie der Kunstwerke in die Waagschale werfen (vgl. Péquignot 2007, Esquenazi 2007). Neben diesen (und vielen weiteren) Namen ist, wie angedeutet, auch Antoine Hennion an der Debatte beteiligt; ebenso Nathalie Heinich und Howard S. Becker. So handelt es sich um eine anhaltende, internationale Diskussion innerhalb der Kunstsoziologie, die die soziologische Betrachtung des Kunstwerks auch zukünftig und nachhaltig prägen wird. Welches sind also die Positionen, die verteidigt werden? Zu Beginn dieser Phase der Auseinandersetzung mit einer möglichen Kunstwerkesoziologie, zu einem Zeitpunkt, als der ›Kontext‹ des Kunstwerks noch ganz besonders im Mittelpunkt der kunstsoziologischen Aufmerksamkeit steht, stellen Hennion und Latour in einem Aufsatz das, was sie als ›Antifetischismus‹ bezeichnen, infrage. Denn: »[W]enn das soziologische Programm einstimmig darauf abzielt, die soziale Konstruktion des ästhetischen Subjekts und Objekts aufzuzeigen, bedeutet das nicht, dass es diese verneinen, sie in eine Fata Morgana ohne Wirklichkeit verwandeln 113

soll oder einfach den sozialen Charakter der Operationen, die sie produzieren, wiederherstellen soll, sondern dass es auch die Realitätseffekte berücksichtigt, die die Praktiken und die Werke produzieren« (Hennion/Latour 1993: 16). Der antifetischistische Reflex, mit dem Soziologen den Objekten also alle Eigenschaften absprechen und zu menschengemachten Projektionen erklären, muss, so Hennion und Latour, überwunden werden. Notwendig wird daher ein dem entgegenwirkender Reflex, den sie wiederum als ›antisoziologistisch‹ bezeichnen. Denn »[d]ie Objekte machen etwas, und vor allem machen sie uns« (ebd.: 21). Mit diesem ›Programm‹ erklärt sich auch Nathalie Heinich einverstanden: Ganz im Sinne ihres Buchtitels Ce que l’art fait à la sociologie (Was die Kunst mit der Soziologie macht, vgl. Heinich 1998b) befürwortet sie eine Soziologie des Kunstwerks, wenn es darum geht, zu ergründen, was die Kunstwerke mit den Akteuren machen. Sie äußert sich zugunsten einer ›pragmatischen Soziologie‹, die sich nicht zum Ziel nimmt zu untersuchen, wer oder was die Kunstwerke macht (ein Hinweis auf den Art-Worlds- und Productionof-Culture-Ansatz), was sie wert sind (im Sinne einer wertenden Kunstkritik) oder was sie bedeuten (im Sinne interpretativer bzw. hermeneutischer Verfahren), sondern die genau beobachtet und beschreibt, was die Kunstwerke machen (vgl. Heinich 2001: 8799, das Kapitel »La question des œuvres« baut auf einem früheren Aufsatz von 1997 in Sociologie de l’Art auf). Dabei behauptet sie an anderer Stelle: »Eine der Charakteristiken meiner Kunstsoziologie besteht ziemlich genau darin zu sagen, dass eine Soziologie der Werke wenig Chancen hat, interessant zu sein… Sie ist für gewöhnlich wenig soziologisch« (Heinich 2007a: 43). Heinich meint damit jene soziologischen Kunstwerkanalysen, die ihrer Ansicht nach besser den Kunsthistorikern zu überlassen sind. Polemische Aussagen wie diese rufen immer wieder heftige Reaktionen hervor, denn einerseits lässt sich sagen, dass Heinich selbst auf eine Soziologie der Kunstwerke zurückgreift (wenn sie Romane als Dokumente benutzt, um ihre Thesen zu entwickeln, vgl. Heinich 1997 und Heinich 2005, oder wenn sie darstellt, was zeitgenössische Kunstwerke ›machen‹, vgl. Heinich 1998a); andererseits provozieren solche Behauptungen all jene, die eine Kunstwerkesoziologie befürworten, nicht zuletzt Antoine Hennion und Bruno Péquignot. Während Hennion die Überlegung ins Spiel bringt, dass gerade das schwierige, ambivalente 114

Verhältnis der Soziologen zum Kunstwerk bedingt, dass diese ihr Forschungsobjekt genauer als andere Soziologen prüfen – was sie zu Vorreitern der ganzen Disziplin macht (vgl. Hennion 2007b: 26) –, kommt Péquignot in seinem Buch immer wieder auf Heinichs Thesen zurück, um sie zu entkräften. Beispielsweise laufe das wiederholte Argument, eine Kunstwerkesoziologie würde entweder dem Wunsch nach einer wertenden Kritik oder einer ›ultimativen‹ Deutung von Kunstwerken anheimfallen, ins Leere, da laut Péquignot kein einziger Soziologe so arbeite (vgl. Péquignot 2007: 292). Grundsätzlich macht sich Péquignot für eine Kunstwerkesoziologie unter anderem in Anschluss an Pierre Francastel stark, wonach eine soziologische Interpretation von Kunstwerken möglich und von einer etwaigen Hermeneutik zu unterscheiden ist: Interpretation in seinem Sinne bedeutet, interne und externe Analyse zu verbinden, das heißt sie zu kontrastieren, zu vergleichen und im Wechsel von der einen zur anderen Analyse zu überprüfen. Esquenazi wiederum versteht in seiner Monografie das Kunstwerk nicht als unveränderliches Objekt, sondern als sozialen Prozess, in dem das Objekt bzw. Werk mehrfach seinen Status ändert, weswegen eine soziologische Betrachtung des Kunstwerks auf das Kunstwerk-Werden kultureller Objekte, von ihrer Produktion bis zu ihrer Interpretation, abzielen sollte (vgl. Esquenazi 2007: 27). Esquenazis Position erinnert an Beckers Art-Worlds-Ansatz, mit dem er ein Kunstwerk immer als aktualisiertes Zwischenergebnis des gemeinsamen Handelns von Akteuren in der jeweiligen Kunstwelt ansieht. Becker spielt in dieser intellektuellen Streitdebatte eine gewichtige Rolle, da er auf einem Kongress in Grenoble im Jahre 1999 einen viel beachteten Vortrag mit dem Titel »L’œuvre elle-même« hält (»Das Kunstwerk selbst«, veröffentlicht in Majastre/Pessin 2001, Band 2: 449-463, wobei im Folgenden auf den englischsprachigen Wiederabdruck von 2006 verwiesen wird). Darin reformuliert Becker seine provokante These, dass es das Kunstwerk ›selbst‹ nicht gibt. Es gibt nach Becker nur Situationen, in denen ein Werk in Erscheinung tritt oder aufgeführt, gelesen oder betrachtet wird. Er nennt dies das »Prinzip der Fundamentalen Unbestimmtheit des Kunstwerks« (Becker 2006: 23) und bekräftigt seine Auffassung, nach der ein Kunstwerk nur durch einen kollektiven Definitionsakt als solches bezeichnet wird und deswegen ständigen Veränderungen unterworfen ist. Letzt115

lich führt auch diese Position zur Frage zurück, inwiefern Kunstsoziologen Kunstwerke in ihrem Symbolcharakter oder doch auch in ihrer Materialität analysieren sollen, wollen oder können.

3.2 … und außerdem: Eine Soziologie der Artefakte Howard S. Beckers gerade beschriebene Haltung ist und bleibt typisch für die (Kunst-)Soziologie. Auch Luhmann konstatiert, dass man über Kunstwerke als materielle Artefakte sprechen kann, dies jedoch nicht im Sinne einer Systemtheorie des Kunstsystems wäre (vgl. Luhmann 1995: 88). Der Kultursoziologe Wolfgang Eßbach (*1944) beschreibt das als tradierte Haltung der Soziologie den Artefakten gegenüber, insofern sie als Bedrohung wahrgenommen werden: Auf der einen Seite von der Technik, auf der anderen Seite von den Künsten in die Klemme genommen, weckt dies bei den Soziologen »die Angst, daß gehaltvoll Soziales unter die Räder des technischen Fortschritts gerät, und die Angst, daß sich der Ernst des Sozialen im Spiel der ästhetischen Imaginationen verflüchtigt« (Eßbach 2011: 82). Daher hat sich die Soziologie den Zugang zu technischen wie ästhetischen Artefakten verbaut und reagiert mit einer antitechnischen und antiästhetischen Haltung (vgl. Eßbach 2001: 123). Erst seit Ende des 20. Jahrhunderts, maßgeblich von den Schriften Latours und der ANT forciert, wird die »kulturtheoretische Marginalisierung des Materiellen durch das Sinnhafte und Symbolische« (Reckwitz 2008: 131) ein Stück weit überwunden. Für die Kunstsoziologie, und insbesondere für die Soziologie der bildenden Künste, bei denen sich das Kunstwerk in Form eines materiellen Artefakts präsentiert, stellt dies eine große Herausforderung dar. Soll zwischen dem ›reinen Objekt‹ und dem Kunstwerk unterschieden werden? Kann oder muss man das Kunstwerk ›an sich‹ anderen Disziplinen, wie der Kunstwissenschaft, überlassen oder ist es nicht vielmehr so, dass damit auch einem kunstsoziologischen Ansatz womöglich ›das Eigentliche‹ entgeht? Was kommt zuerst: die Zuschreibung eines Objekts als Kunst oder ein ›für sich‹ ästhetisches Werk, das deswegen zu Kunst ›deklariert‹ wird? Pragmatische Entscheidungen tun not: Objekte haben beides, ästhetischen und sozialen Charakter. Ein Ansatz nach dem ›Henne-oder-Ei-Problem‹, wonach das eine das andere bedingt und es »keine unabhängigen Variablen in diesem 116

Hühnerstall gibt« (Molotch 2003: 88), ermöglicht es, sich über diese Frage hinaus differenziert mit anderen Aspekten des Artefakts Kunstwerk auseinanderzusetzen. Von Interesse sind auch Studien über die Welt der Dinge, die sich ihnen unabhängig ihres etwaigen ästhetischen Charakters widmen. Die von der deutschen Soziologin Aida Bosch unlängst vorgeschlagene ›Objektesoziologie‹ berücksichtigt den Doppelcharakter der Dinge, das heißt ihre Materialität und ihren Symbolcharakter (vgl. Bosch 2010: 14). Das muss Kunstwerke nicht automatisch in die Nähe von Waren rücken und den Geist der Kulturindustrie-These wieder heraufbeschwören: Es ermöglicht erst einmal lediglich, die kunstsoziologische Perspektive auf Werke um eine weitere zu ergänzen. Diese Soziologie der Dinge bzw. Artefakte muss die Kunstsoziologie – neben ihrem Pendant, der ›Soziologie der Ästhetik‹ (vgl. Wolff 1993, Péquignot 1993, Lichtblau 1996) – in Zukunft im Blick behalten.

117

VI Rückblick, Ausblick, Conclusio Die Kunstsoziologie blickt auf eine Geschichte als Forschungsrichtung zurück, die so lang ist wie die der Soziologie selbst. Das bedeutet, dass zu den Phasen der Entstehung und Etablierung nunmehr auch die der Ausdifferenzierung getreten ist und sich die Kunstsoziologie in Theorien, Methoden und Forschungsfragen als breitgefächert präsentieren kann. Das bedeutet auch, dass es Klassiker gibt, die zu kennen unerlässlich ist, wenn man innerhalb der Kunstsoziologie arbeitet oder sich ein grundlegendes Bild von dieser Forschungsrichtung machen will. In dieser Einführung sind mit Bourdieu, Becker und Luhmann drei Klassiker bzw. Mustreads vorgestellt worden, die zweifelsfrei die drei wichtigsten und meistgenutzten Theorien und Begriffe der Kunstsoziologie entwickelt haben. Da diese drei Autoren zudem für verschiedene soziologische Theorietraditionen stehen, wie im Abschnitt IV.4 diskutiert, deutet das nicht nur auf Besonderheiten der Kunstsoziologie hin: In ihrer Geschichte spiegelt sich die ganze Geschichte der Soziologie als Disziplin. Dabei ist diese Reflexion wie gezeigt eine doppelte, denn an der soziologischen Auseinandersetzung mit den Künsten werden die Stärken wie die Schwächen der soziologischen Perspektive sichtbar, sodass eine kritische Selbstreflexion der Soziologie notwendig wird. Auch die gängige Erwartung, dass Soziologie mit Gesellschaftskritik einhergeht, muss einer solchen Reflexion unterzogen werden. Es hat sich gezeigt, dass es das Verständnis einer gesellschaftskritischen Soziologie in der sogenannten kritischen Soziologie gibt, sei es aufseiten der Autoren der Frankfurter Schule oder aufseiten Pierre Bourdieus. Es gibt aber auch andere Konzeptionen von Soziologie, die gerade danach streben, diesen kritischen Gestus aufzugeben (wie die Soziologie der Mediation) oder neutral-beschreibend auf gegebene Zustände hindeuten möchten (wie Howard S. Becker und die Vertreter des Production-of-Culture-Ansatzes). Diese Positionen stehen sich teilweise unversöhnlich gegenüber. Mit Blick auf die Künste stellt beispielsweise Luhmann fest: »Gegen Adorno gewendet, geht es dabei [beim Kunstsystem; D.D.] nicht um ›Verselbständigung der Gesellschaft gegenüber‹, sondern um Verselbständigung in der Gesellschaft; und wir sehen die Gesellschaftlichkeit der Kunst auch nicht in einer Negativität, in einer ›Gegenposition zur Gesellschaft‹, sondern darin, daß die Freisetzung für 118

eine spezifische Funktion nur als Vollzug von Gesellschaft möglich ist« (Luhmann 2008c: 142, Hervorhebungen im Text). Auch Nathalie Heinich legt in ihrer Einführung dar, inwiefern die Kunstsoziologie drei Etappen durchlaufen hat (das sind: die Auseinandersetzung mit Kunst und Gesellschaft, Kunst in der Gesellschaft und Kunst als Gesellschaft), von denen sie die letzte zur nun ›richtigen‹ Kunstsoziologie erklärt (vgl. Heinich 2001). Demgegenüber sind Form und Inhalt der vorliegenden Einführung als Plädoyer für einen Pluralismus in Theorie und Methode zu verstehen, insofern die unterschiedlichen Ansätze als sich vielmehr ergänzend, statt einander ausschließend betrachtet werden können. Damit soll keiner theoretischen oder methodologischen Unentschiedenheit Vorschub geleistet werden, sondern darauf aufmerksam gemacht werden, dass inhaltliche Bezüge, aber auch die zeitlichen, sozialen, politischen Entstehungsbedingungen berücksichtigt werden müssen. Genau dies ist eine der Erkenntnisse, die aus kunstsoziologischen Betrachtungen zu gewinnen ist: Die Akzeptanz oder Ablehnung bestimmter Stilrichtungen, das Bevorzugen oder Bemängeln bestimmter Kunstwerke und Künstler lässt sich – zumindest auch – auf Vorstellungen, Haltungen, Dispositionen zurückführen, die im wahrsten Sinne des Wortes im Auge des Betrachters liegen und nicht in der Natur der Sache, das heißt dem Kunstwerk und seinen ästhetischen Qualitäten. An dieser Stelle manifestiert sich also eine Entscheidung für Webers Werturteilsfreiheit, sei es in Bezug auf die ›gute‹ oder ›schlechte‹ Bewertung von Kunstwerken aus soziologischer Perspektive oder die ›Akzeptanz‹ oder ›Ablehnung‹ einiger der hier präsentierten Theorien. Mit jeder lässt sich ein anderer Aspekt beleuchten und Neues in Erfahrung bringen. All dies weist darauf hin, wohin eine soziologische Beschäftigung mit den Künsten führen kann: zu einer soziologischen Beschäftigung mit Werten. Indem eine Auseinandersetzung mit Künsten mit einer Auseinandersetzung ihrer Bewertung einhergeht, kommt man unweigerlich zu der Frage, wie diese Bewertungen und die entsprechenden Kriterien dafür entstehen. Demzufolge widmet sich beispielsweise eine Kunstsoziologin wie Raymonde Moulin, nachdem sie viel über das Distributionssystem bzw. die Vermittlungsnetzwerke im Kunstbetrieb gearbeitet hat, Analysen des Entstehens solcher Kunstwerte (vgl. Moulin 1995), und auch Nathalie Heinich führt die Beschäftigung mit dem ›Singularitätsregime‹ in der modernen und zeitgenössischen Kunst 119

dazu, zu untersuchen, wie die positive Vorstellung von Seltenheit und Außergewöhnlichkeit in die Kunstsphäre gekommen ist: »An meinen verschiedenen Forschungen beobachte ich, dass sich alles hauptsächlich um die Werteproblematik herum dreht und dort die Zusammenhänge zu finden sind. Deshalb orientiere ich mich mehr und mehr in Richtung einer Soziologie der Werte, vor allem – aber nicht nur – von der Kunst ›ausgehend‹« (Heinich 2007a: 95). Schon der frühe Prager Strukturalist Jan Mukařovský (18911975) erkennt die Notwendigkeit einer analytischen Trennung von Funktion, Norm und Wert hinsichtlich der Künste und stellt die These auf, dass gerade der ästhetische Wert derjenige ist, der außerästhetische Werte in das Kunstwerk integriert. In »Ästhetische Funktion, Norm und ästhetischer Wert als soziale Fakten« von 1935/1936 hält er fest: »Betrachten wir zunächst die Wandelbarkeit der aktuellen ästhetischen Wertung. Wir befinden uns damit gleich mitten im Bereich der Soziologie der Kunst« (Mukařovský 1974: 74). Daher ist zu erwarten, dass sich auch in Zukunft Vertreter der Kunstsoziologie immer wieder den Wertfragen in der Sphäre der Kunst zuwenden werden oder sogar vermehrt andere gesellschaftliche Sphären in ihre Analysen einbeziehen werden. Schließlich wären noch zwei Punkte anzusprechen: Wie verhält es sich mit Kunst als Soziologie? Und wie mit der Soziologie als Kunst? In der zeitgenössischen Kunst ist schon länger, seit den 1960er bzw. 1970er Jahren, zu beobachten, dass bestimmte Verfahrenstechniken der Soziologie verwendet werden, sei es direkt oder entfremdet, ernst gemeint oder als ironisches Zitat. Mit dem Ziel, sich mit ›dem Sozialen‹ auseinanderzusetzen oder aber diese Auseinandersetzung darzustellen – oft direkt auf den Kunstbetrieb bezogen – werden Daten gesammelt, dokumentiert, archiviert, systematisiert, wird Feldforschung betrieben und wird beobachtet, werden Befragungen durchgeführt und Statistiken erhoben. Die Frage, wie solche Kunst zu bezeichnen ist, wird unterschiedlich beantwortet. Ende der 1970er Jahre subsumiert der Kunsthistoriker Günter Metken (1928-2000) solche Kunst unter den Begriff ›Spurensicherung‹ (vgl. Metken 1996) und der Kunstsoziologe Rainer Wick übertitelt ein entsprechendes Themenheft der Zeitschrift Kunstforum International mit »Kunst als sozialer Prozeß« (vgl. Wick 1978). Darin wird unter anderem das Pariser Collectif d’art sociologique (Hervé Fischer, Fred Forest, Jean-Paul Thénot) vorgestellt, eine Künstlergruppe, die in den 1970er Jahren aktiv ist und ihre 120

Projekte mit soziologischen Konzepten zu untermauern sucht. Andere, seither immer wiederkehrende Künstlernamen sind Christian Boltanski (im Übrigen der Bruder des Soziologen Luc Boltanski), Jochen Gerz, Hans Haacke (mit dem sich ja auch Bourdieu und Becker auseinandersetzen), Andrea Fraser, Clegg & Guttmann oder seit einiger Zeit auch Sophie Calle. Der österreichische Künstler und Kunsttheoretiker Peter Weibel (*1944) entwickelt bereits Anfang der 1970er Jahre die »Kontext-Theorie der Kunst« (1971, vgl. Weibel 1994a), die er Mitte der 1990er Jahre systematisiert. Er reiht solche und ähnliche Arbeiten unter den Begriff der ›Kontextkunst‹ ein, die die soziale Konstruktion von Kunst thematisiert, das heißt ihren Entstehungskontext selbst kritisch hinterfragt (vgl. Weibel 1994b). Es handelt sich um eine Form von Metakunst, die, anders ausgedrückt, statt Luhmann’sche Weltkunst (Beobachtung zweiter Ordnung) zu sein, zu einer Form von Kunst übergeht, die eine Beobachtung dritter Ordnung vollzieht, die im gewissen Sinne also selbst zu Theorie wird (vgl. Luhmann 2008d: 223f.; wobei eingeräumt werden muss, dass Luhmann der Kunst die Möglichkeit zur Beobachtung dritter Ordnung absprechen würde). Direkt von einer ›soziologischen Kunst‹ spricht der Kunsthistoriker Christian Janecke, der den Begriff und die Kunstwerke gleichwohl kritisch hinterfragt und die Kontextkunst von soziologischer Kunst sogar abgrenzt, weil die Kontextkunst seiner Auffassung nach nicht wirklich auf Außerkünstlerisches zielt – ein Aspekt, den er als notwendige Bedingung für eine soziologische Kunst versteht (vgl. Janecke 2000: 71f.). Bei all dieser Skepsis gegenüber einer soziologischen Kunst, die größtenteils auch als wissenschaftliche Kunst bzw. wissenschaftlich auftretende Kunst bezeichnet werden könnte (einige der genannten Verfahren sind zum Beispiel auch aus der Ethnologie oder Archäologie bekannt, andere erinnern an Verfahren aus den Naturwissenschaften), ist festzuhalten, dass diese zeitgenössische Kunstform einer soziologischen Analyse besonders zugänglich ist. Eine Soziologie dieser Kunstwerke hat den Vorteil, sich auf einem Terrain zu bewegen, das ihr mehr liegt als klassische und moderne Kunst: Werkanalysen erfordern immer auch Kunstverständnis und -kenntnis (wie von Max Weber in seinem Aufsatz zur Musik eindrucksvoll bewiesen). Abschließend ist anzusprechen, dass immer wieder die Frage im Raum steht, ob die Soziologie selbst nicht vielmehr (oder auch) Kunst ist (oder sein sollte). Sucht man Argumente dafür, finden 121

sich zwei Typen von Antworten: In der Tradition von Georg Simmels ästhetisch-essayistischer Soziologie wird versucht, das Betreiben von Soziologie – das Beobachten und Beschreiben – in die Nähe künstlerischer Ausdrucksformen zu rücken. So beansprucht zum Beispiel der französische Soziologe Michel Maffesoli (*1944) das Recht, »über die gesellschaftliche Entwicklung zu poetisieren, zu ästhetisieren« (Maffesoli 1987: 460, Hervorhebungen im Text). Demgegenüber gibt es die Vorstellung, dass den Verfahren der Soziologie bzw. der Wissenschaften allgemein Prinzipien unterliegen, die entweder den Künsten entnommen sind oder dort ebenfalls anzutreffen sind. Der amerikanische Soziologe Robert Nisbet (1913-1996) vergleicht vor allem die Arbeit der frühen Soziologen (unter anderem Marx, Durkheim, Weber, Simmel) mit künstlerischen Praktiken: Ähnlich wie in der Kunst und Literatur ihrer Zeit haben diese ›Porträts‹ bestimmter gesellschaftlicher Typen (z.B. des ›Bourgeois‹) erstellt oder ›Landschaften‹ bestimmter gesellschaftlicher Gruppen, Strukturen oder neuer Phänomene (z.B. der Massen oder der Großstadt) gezeichnet (vgl. Nisbet 1976). Der österreichische Wissenschaftstheoretiker Paul Feyerabend (19241994) rückt die Wissenschaften allgemein in die Nähe der Künste, insofern es Künstlern wie Wissenschaftlern um die Darstellung der Wahrheit geht, die doch immer nur eine Wahrheit unter vielen möglichen ist; das bedeutet, dass nicht nur die Künste, sondern auch die Wissenschaften »Menschenwerk« sind (vgl. Feyerabend 1984: 77). So führen Fragen der Kunstsoziologie letztlich auch zu Fragen der Wissens- und Wissenschaftssoziologie. Damit jedoch ist diese Einführung an einen Punkt angelangt, an dem die Ausführungen zur Kunstsoziologie den darzustellenden Bereich verlassen und in andere Gebiete der Soziologie übergehen. Zu Beginn wurde in der Einleitung auf Bourdieus Diktum verwiesen, wonach sich Soziologie und Kunst nicht vertragen. Die Schwierigkeiten, die der soziologische Umgang mit den Künsten mit sich bringt, müssen vielmehr als Chance und Herausforderung verstanden werden. Eine Auffassung, die Bourdieu selbst teilen würde, insofern auch er zahlreiche Arbeiten im Gebiet der Kunstsoziologie vorgelegt hat und in seinem Ausspruch andeutet, dass Soziologie und Kunst durchaus in einer Beziehung zueinander stehen, in einer ménage – wenn auch seiner Meinung nach keiner besonders guten. Zu zeigen, dass es um diese ménage besser steht als angenommen, war Ziel dieser Einführung. 122

Anmerkungen 1

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Für anregende Kommentare und hilfreiche Anmerkungen danke ich Andrea Glauser und Max Orlich. Dank für ihre Unterstützung gebührt, wie immer, meinen Eltern. Das Buch widme ich mojím starým mamám, den Kunstliebhaberinnen Emilia und Erna. Die standardisierte männliche Form solcher Bezeichnungen wird in diesem Buch für eine bessere Lesbarkeit neutral verwendet. Die weibliche Form ist stets mitzudenken. Der Arbeitskreis »Soziologie der Künste« in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie ist der Sektion Kultursoziologie zugeordnet und verfolgt das erklärte Ziel, die soziologische Beschäftigung mit den Künsten in Deutschland zu fördern und die Forschenden zu vernetzen (vgl. Danko/Glauser/ Herrschaft/Moser 2012). Auf der Website kann man sich über die vergangenen, laufenden und zukünftigen Aktivitäten informieren, URL: http://www.soziologie-der-kunst.de, letzter Zugriff: 14.09.2011. Diese Literaturangaben beziehen sich nur auf diejenigen Publikationen, die explizit den Begriff ›Kunstsoziologie‹ oder Varianten davon im Titel tragen. Die Auflistung kann als kurze Bibliografie von Einführungen in die Kunstsoziologie verstanden werden, jedoch ohne Anspruch auf Vollständigkeit, da es sich nur um eine Auswahl deutsch-, englisch- und französischsprachiger Literatur handelt. Auf René König (1906-1992) geht die sogenannte Kölner Schule (in Opposition zur Frankfurter Schule) zurück, die sich für empirische Sozialforschung starkmacht und zu der auch Alphons Silbermann zu zählen ist. Gehlen prägt in Zeit-Bilder außerdem den Begriff der ›Kommentarbedürftigkeit‹ von Kunstwerken. Demnach werden mit der modernen Malerei zunehmend Erklärungen notwendig, um zu einem Bildverständnis zu gelangen – gerade hinsichtlich der abstrakten Malerei durch den Wegfall des Gegenstandes. Wo sich die Kommentarliteratur Gehlens Auffassung nach von den Werken löst und in rhetorischen Floskeln versteigt, kritisiert er sie heftig, räumt jedoch gleichzeitig ein, dass »das Kommentarproblem ins Innere der neuen Malerei

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hineinreicht« (Gehlen 1986: 169) und es daher trotz allem der Kommentare bedarf. 7 Gerade mit Blick auf die zunehmende Verpflichtung zu Interdisziplinarität in Graduiertenkollegs, Sonderforschungsbereichen und Forschungsnetzwerken wäre eine neue Geschichte der Kunstgeschichte und (Kunst-)Soziologie zu schreiben, ähnlich wie sie die Kunsthistorikerin Barbara Aulinger vor 20 Jahren unternommen hat (vgl. Aulinger 1992). Was im Folgenden für die Verknüpfungen zur Kunstgeschichte gilt, gilt ebenfalls für Autoren aus der Literatur-, Musikwissenschaft und anderen, ähnlichen Bereichen, auf die in diesem Exkurs allerdings nicht weiter eingegangen wird. 8 Panofsky veröffentlicht schon Ende der 1930er Jahre Schriften über den Unterschied von Ikonografie und Ikonologie. Die Ikonologie geht auf den deutschen Kunsthistoriker Aby Warburg (1866-1929) zurück. Am berühmten Aby-WarburgInstitut arbeiten seinerzeit unter anderem Rudolf Wittkower, Michael Baxandall und Ernst H. Gombrich. Für Panofskys Ikonologie-Konzeption sind wiederum Publikationen des Begründers der Wissenssoziologie Karl Mannheim (1893-1947) von Bedeutung, vor allem dessen »Theorie der Weltanschauungs-Interpretation« (vgl. Mannheim 1921/1922). 9 Vor allem hierzulande wird diesem Buch nur mäßig Beachtung geschenkt, was auch darin begründet ist, dass Art Worlds nicht auf Deutsch vorliegt. In Frankreich, wo Becker eine fast noch größere Rolle spielt als im angloamerikanischen Bereich, erscheint das Buch bereits 1988 in Übersetzung. Dafür gibt es eine 1997 erstmals erschienene deutsche Fassung des Aufsatzes »Art as Collective Action« (von 1974), der als Zusammenfassung ex ante der wichtigsten Ideen aus Art Worlds gelesen werden kann und im Übrigen in großen Teilen wortgleich das erste Kapitel von Art Worlds stellt (dort als »Art Worlds and Collective Activity«). 10 Eine zweite Einführung, diesmal in deutscher Sprache, ist zur Drucklegung dieses Buches in Arbeit (vgl. Danko 2013). Pessin hat außerdem zusammen mit Alain Blanc eine Howard S. Becker gewidmete Aufsatzsammlung herausgebracht (vgl. Blanc/Pessin 2004), was dessen Rolle in der französischsprachigen (Kunst-)Soziologie unterstreicht. 11 Das ist auch darauf zurückzuführen, dass Becker Kenntnis 124

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von den dortigen zahlreichen Publikationen auf diesem Gebiet haben wollte und dafür Französisch lernte – was zur Folge hatte, dass er dort seit Jahren bei Fachkonferenzen auftritt, vorträgt und mitdiskutiert und über dabei entstandene Freundschaften immer wieder die Möglichkeit erhält, auf Französisch zu publizieren. Viele ›Rezeptionsmysterien‹ der Soziologie – und bestimmt anderer Disziplinen auch – lassen sich mit solchen praktischen Umständen erklären. Ein Hinweis für den sprunghaften Leser: Im Unterschied zu den Kapiteln zu Pierre Bourdieu und Howard S. Becker, in denen die einzelnen Abschnitte gut für sich zu lesen sind, sollte das Folgende in seiner Gesamtheit rezipiert werden. Die Unterkapitel dienen dem besseren Verständnis von Luhmanns Systemtheorie, die ein zusammenhängendes Gedankengebäude ist, und stehen gerade nicht für separate Forschungsergebnisse. Interessierte Leser seien für ihre Recherche in Datenbanken und Suchmaschinen darauf hingewiesen, dass es sich bei Richard A. Peterson und Pete Peterson um dieselbe Person handelt – ›Pete‹ ist dessen geläufiger Rufname unter Wissenschaftlern, die ihn kannten. Für eine gute Darstellung dieser Grundsatzdebatte vgl. Inglis/ Blaikie/Wagner-Pacifici 2007. Sie ist prinzipiell aufschlussreich, insofern als die grundlegenden Positionen, die dort vertreten werden, viele kunst- und kultursoziologischen Zwiste prägen – und zwar unabhängig vom Land oder Sprachraum. An dieser Stelle sei noch angemerkt, dass das Buch von Eyerman und McCormick, auf das im Text gerade verwiesen wurde, in der Reihe »The Yale Cultural Sociology Series« veröffentlicht ist, die von Eyerman selbst, aber eben auch Jeffrey Alexander herausgegeben wird. J. Alexander macht sich gegen eine ausschließliche Fokussierung auf den ›Kontext‹ und für eine Berücksichtigung von Kultur, Handlungen, Institutionen usw. ›als Text‹ stark; es lässt sich eine Parallele ziehen zur vom deutschen Soziologen Ulrich Oevermann (*1940) entwickelten Objektiven Hermeneutik, mit der soziologische Kunstwerkanalysen »in Richtung eines Abbaus der relativistischen Mystifizierung von Kontextualität« ermöglicht werden sollen (vgl. Oevermann 1997: 20; grundlegend vgl. Oevermann 2003). 125

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Zu Latour lohnt der ergänzende Hinweis, dass er sich unter anderem als Kurator hervortut, so am Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe, wo er zusammen mit dem dort tätigen Peter Weibel 2002 die Ausstellung »Iconoclash – Jenseits der Bilderkriege in Wissenschaft, Religion und Kunst« (vgl. Latour/Weibel 2002) und 2005 die Ausstellung »Making Things Public. Atmosphären der Demokratie« realisiert (vgl. Latour/Weibel 2005). In beiden stehen Krisen und Problematiken von Repräsentation im Vordergrund: zunächst in der Kunst, dann in der Politik. 16 URL: http://musicandartsinaction.net/, letzter Zugriff: 14.09.2011. Sophia K. Acord, die u.a. bei DeNora promovierte, ist im Redaktionsteam, während DeNora in der Gutachterkommission ist. Die Artikel – mitunter von namhaften Autoren wie zum Beispiel Antoine Hennion oder Jeffrey C. Alexander – sind frei zugänglich. 17 Smudits’ Monografie zur Kunstsoziologie ist bei Drucklegung des vorliegenden Einführungsbandes noch in Vorbereitung (vgl. Smudits 2013). Darin wird die Geschichte der Kunstsoziologie von ihrer Entstehung aus der philosophischen Ästhetik heraus über die Etablierung konstruktivistischer Sichtweisen bis hin zu einer Soziologie der Ästhetik nachgezeichnet.

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Stephan Moebius Kultur (2., überarbeitete Auflage) 2008, 248 Seiten, kart., 14,80 €, ISBN 978-3-89942-697-7

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