Kunstgeschichte an Polytechnischen Instituten, Technischen Hochschulen und Technischen Universitäten: Geschichte - Positionen - Perspektiven [1 ed.] 9783205209164, 9783205209140

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Kunstgeschichte an Polytechnischen Instituten, Technischen Hochschulen und Technischen Universitäten: Geschichte - Positionen - Perspektiven [1 ed.]
 9783205209164, 9783205209140

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ROBERT STALLA (HG.)

KUNSTGESCHICHTE AN POLYTECHNISCHEN INSTITUTEN, TECHNISCHEN HOCHSCHULEN, TECHNISCHEN UNIVERSITÄTEN

Geschichte – Positionen – Perspektiven

Robert Stalla (Hg.)

Kunstgeschichte an Polytechnischen Instituten, Technischen Hochschulen, ­Technischen Universitäten Geschichte – Positionen – Perspektiven

Böhlau Verlag Wien Köln Weimar

Gedruckt mit Mitteln der Technischen Universität Wien und der Fakultät für Architektur und ­Raumplanung

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek  : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie  ; ­detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2021 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H & Co. KG, Wien, Zeltgasse 1, A-1080 Wien Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Korrektorat  : Ute Wielandt, Markersdorf Einbandgestaltung  : Michael Haderer, Wien Satz  : Michael Rauscher, Wien Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-205-20916-4

Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

  9

I. Fachgeschichte(n) vom 19. bis zum 21. Jahrhundert Robert Stalla

Kunstgeschichte am Polytechnischen Institut und an der Technischen Hochschule Wien (1810 – 1899). Anmerkungen zur Gründung und zur Positionierung des Fachs im 19. Jahrhundert. . . . . . . . . . . . . . . . . . .

 15

Maike Banaski

Emanzipation einer Hilfswissenschaft. Kunstgeschichte in Darmstadt 1812 – 1869 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

 39

Christiane Salge

Das Fach Kunstgeschichte an der Technischen Hochschule in Darmstadt von 1869 bis 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

 59

Anselm Wagner

»Hundert Dias am Tag«. Die Kunstgeschichte an der TH/TU Graz seit 1856 ..

 81

Alexandra Axtmann

Die Etablierung der Kunstgeschichte am Karlsruher Polytechnikum. . . . . . .

115

Gáspár Salamon

Architekturgeschichtslehre an der Josephs-Technischen Hochschule Budapest. Kompilationspraxis als Wissenstransfer und Selbstverortung in der öffentlichen Architekturdiskussion (1871 – 1902) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

137

Stefanie Fink

»Zur Förderung des idealen Sinnes«. Die kunsthistorische Ausbildung an der Architekturabteilung der Königlich Technischen Hochschule BerlinCharlottenburg (1879 – 1918) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

167

5

Inhalt

Markus Jager

Von der Dozentur zur Rektoratswürde. Kunstgeschichte und Kunsthistoriker an der TH Hannover – Chronik der ersten Jahrzehnte. . . . . . . . . . . . . .

191

Olaf Gisbertz

Kunstgeschichte und Architekturausbildung. Zur Hochschullehre an der TH/TU Braunschweig 1897 – 1980.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

223

Verda Bingöl/Zeynep Kuban

Art History Education at Istanbul Technical University . . . . . . . . . . . . .

235

Daina Lāce

Das Polytechnikum zu Riga.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

245

Jana Pohaničová/Katarína Ondruåová

The History of Architecture at the Slovak University of Technology. Between Tradition and Innovation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

259

Sabine Plakolm-Forsthuber

Der lange braune Schatten. Das Institut für Kunstgeschichte an der Technischen Hochschule Wien im Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

273

Alexander Markschies

Von der »Ergänzung des rein fachlichen Studiums« bis zur »begrenzten Funktion in der Architekten-Ausbildung«. Bemerkungen zur Geschichte der Kunstgeschichte an der RWTH Aachen (1947 – 1972). . . . . . . . . . . . . .

301

Tom Steinert

Kunstgeschichte als Motor der Erneuerung an der Architekturabteilung der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich . . . . . . . . . . . . . . . .

317

II. Vorbildersammlungen an technischen Hochschulen Atli Magnus Seelow

Geschichte als Modell – Modelle als Geschichte. Die Architektursammlung als Komplementär zur Kunstgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

6

341

Inhalt

Linda Schädler

Vom Anschauungsmaterial zum Erkenntnisinstrument. Die wissenschaftliche Zusammenarbeit der Graphischen Sammlung und des Departements Architektur an der ETH Zürich einst und heute . . . . . . . . .

369

III. Forscher, Forschung, Lehre Henrik Karge

Universale und nationale Kunstgeschichte an Technischen Hochschulen  : Wilhelm Lübke (1826 – 1893) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

389

Hermann Schefers

Freund und Mittler des Schönen  : Prof. Dr. Johann Georg Schaefer (1823 – 1908). Betrachtungen zu Leben und Werk . . . . . . . . . . . . . . . .

411

Martina Dlugaiczyk

Querdenker in Gemengelage  !  ? Max Schmid-Burgk und sein ›Bauhaus‹ – ein Kunsthistoriker der TH Aachen als Impulsgeber . . . . . . . . . . . . . . . . .

437

Maria Männig

Bruno Meyers Baugeschichtlicher Wandatlas. Ein Lehrmedium im Kontext von Kunst und Technik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

467

Caterina Cardamone/Francesca Torello

‘Renaissance oder Barock’  ? Architectural historiography in the pedagogy of the Technische Hochschule Vienna, 1875 – 1913. . . . . . . . . . . . . . . . . . .

491

Uta Hassler

Historismusfeindschaft, Architekten und die Baugeschichte an polytechnischen Schulen im 19. und 20. Jahrhundert  : Karlsruhe und Zürich ..

515

Andreas Putz

»Die Kerlchen freuen sich wie die Waldteufel auf ihr Titelchen und schuften ehrlich.« Wandlung des Fachs im Zuge der Einführung des Promotionsrechts an den Technischen Hochschulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

535

Berthold Hub

Neues auf alten Wegen. Italienreisen der Technischen Hochschule Wien um 1900 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

563 7

Inhalt

Buket Altinoba

›Kunst und Technik‹. Klaus Lankheit und das Weltausstellungsarchiv . . . . . .

593

Paulus Ebner

8

1968 – war da was  ? Neue Protestformen und künstlerische Avantgarde an der Technischen Hochschule in Wien.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

621

Beiträger_innenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vorwort

Vorliegender Band versammelt die Beiträge der internationalen Tagung Kunstgeschichte an Polytechnischen Instituten, Technischen Hochschulen, Technischen Universitäten. ­Geschichte – Positionen – Perspektiven, die am 10. – 12. Januar 2019 vom Forschungs­ bereich Kunstgeschichte der Technischen Universität Wien veranstaltet wurde. Ziel war der Versuch einer ersten Standortbestimmung hinsichtlich der Etablierung, Entwicklung und Bedeutung des Fachs im polytechnischen Kontext, respektive an Architekturfakultäten, was ein Desiderat darstellt. Zugleich sollten Forschungen, die bisher auf einzelne Institute beschränkt blieben, gebündelt und eine Plattform für einen universitätsübergreifenden wissenschaftlichen Fachdiskurs über die Geschichte der Kunstgeschichte geschaffen werden. Den konkreten Anlass, sich mit diesem Themenkomplex eingehend auseinanderzusetzen sowie die diesbezüglichen Archivalien umfassend zu sichten und auszuwerten, bot für uns das 200-jährige Jubiläum der Technischen Universität Wien. Sie schien auch als Tagungsort prädestiniert, da hier Kunstgeschichte im Zusammenhang mit der Gründung des »k. k. Polytechnischen Instituts« – und damit im internationalen Vergleich besonders früh – verankert ist  : Erstmals bestand Dokumenten zufolge 1810 die Absicht, das Fach als ordentlichen Lehrgegenstand zu etablieren. Auch wenn die kunsthistorische Lehrtätigkeit dann erst 1849/50 mit Rudolf Eitelberger einsetzte und die Einrichtung der bis heute bestehenden Professur für Kunstgeschichte erst 1867 mit der Berufung von Karl von Lützow erfolgte, steht Wien damit am Beginn einer europäischen Entwicklung, die eine Gründungswelle von kunstgeschichtlichen Lehrstühlen an den Polytechniken nach sich zog. Einen besonderen Rahmen für die Tagung bildete der Kuppelsaal der Technischen Universität Wien mit seiner offenliegenden Delormschen Holzbinderkonstruktion von 1815  : ein Manifest der polytechnischen Idee, das zur Entstehungszeit als vorbildhaft für die Verbindung von Kunst und Handwerk sowie als geeignetes Lehrmedium für Lehrer und Schüler galt. Die Ankündigung der Tagung, für die aufgrund der großen Anzahl kunsthistorischer Institute an Technischen Hochschulen und Technischen Universitäten ein Schwerpunkt auf den deutschen Sprachraum naheliegend erschien, fand große Resonanz und zeigte die Relevanz des Themas. Das breite Spektrum der Einsendungen lieferte zugleich grobe Umrisse für eine Gliederung des Materials  : Zeitlich spannt sich der Bogen von der Frühzeit des Fachs zu Beginn des 19. Jahrhunderts, mit einem Schwerpunkt von der Jahrhundertmitte bis ins frühe 20. Jahrhundert, und weiter über die Zeit des Nationalsozialismus und die Nachkriegszeit bis hin zur Gegenwart. Inhaltlich rückt die 9

Vorwort

Themenpalette ganz unterschiedliche Aspekte der Fachgeschichte an den Polytechnischen Instituten, Technischen Hochschulen und Technischen Universitäten in Aachen, Berlin, Bratislava, Braunschweig, Budapest, Darmstadt, Dresden, Graz, Hannover, Istanbul, Karlsruhe, München, Riga, Wien und Zürich ins Zentrum. Punktuell beleuchtet werden unter anderem der Stellenwert der Kunstgeschichte im polytechnischen Wissenschaftsdiskurs, ihre Einbettung in die Fakultäten sowie das Verhältnis zu den Nachbardisziplinen wie Baugeschichte und Denkmalpflege oder die Wechselbeziehung mit den Entwerfern. Beachtung finden ebenso Fragen nach dem Selbstverständnis des Fachs, dem Lehrangebot, den didaktischen Konzepten und den Forschungsschwerpunkten sowie solche nach der Bedeutung, Funktion und Verwendung der Lehrmedien beziehungsweise der Vorbildersammlungen. Im besonderen Fokus stehen auch die Fachvertreter, neben Eitelberger und Lützow beispielsweise Gottfried Kinkel, Wilhelm Lübke, Johann Georg Schäfer, Alfred Woltmann, Bruno Meyer, Cornelius Gurlitt, Josef Neuwirth, Max Schmid-Burgk, Hermann Beenken, Wolfgang Braunfels, Klaus Lankheit, Adolf Max Vogt und andere. An ihrem Wirken werden exemplarisch strukturelle Aufgaben und Schwierigkeiten, Kontinuitäten und Brüche, besondere Herausforderungen, Möglichkeiten und Grenzen sichtbar. Angesichts dieser Reihe prominenter Fachvertreter der Kunstgeschichte und ihrer großen wissenschaftsgeschichtlichen Bedeutung überrascht das bisherige Fehlen einer systematischen Erforschung des Fachs an den Polytechniken – erkannte doch schon Wolfgang Beyroth 1991, dass trotz der kunsthistorischen Lehrstühle an den Universitäten in Königsberg, Bonn und Wien »die Kunstgeschichte […] bis zum Wiener Fachkongress von 1873 eine Hochschuldisziplin war, die sich nur an den Polytechniken etabliert hatte«. An den Universitäten war sie damals, wie Bruno Meyer 1872 festhielt, »noch immer das Aschenbrödel unter den modernen Wissenschaften«. Sie konnte »ihren Siegeszug im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts vielerorts erst auf maßgebliches Betreiben gerade der Polytechniker antreten« (Beyroth). Dieser Tatbestand steht im krassen Widerspruch zum bisherigen Wissenschaftsdiskurs über die Geschichte des Fachs, der spätestens seit Ende der 1970er Jahre von Heinrich Dilly, Udo Kulturmann, Beyrodt und anderen angestoßen wurde und seither eine Vielzahl von Publikationen zu Einzelpersönlichkeiten, Schulzusammenhängen, Methodenfragen, oder zu spezifischen Zeitabschnitten und vielem anderen zeitigte. Ihnen gemeinsam ist, dass darin die Kunstgeschichte an den ehemaligen Polytechniken nur eine nebensächliche oder keine Rolle spielte. So versteht sich der vorliegende Tagungsband als Anstoß, eine seit Langem bestehende Forschungslücke zu schließen. Damit ist zugleich die Hoffnung verbunden, die Geschichte der Kunstgeschichte an den Technischen Hochschulen und Technischen Universitäten als offenes Untersuchungsfeld zu begreifen und dieses intensiv in Angriff zu nehmen. Erfreulich sind deshalb Initiativen wie die des Forschungsverbunds der École Pratique des Hautes Études in Paris (Équipe Histaria), der Technischen 10

Vorwort

Universität Dresden (Professur für Kunstgeschichte) und der Accademia di San Luca in Rom, der seit Sommer 2019 Workshops zur Geschichte der Architekturgeschichte ausrichtet. Die Aufgabe zukünftiger Forschungen kann u. a. darin gesehen werden, institutionelle, strukturelle und methodische Fragestellungen sowie solche zu personellen Netzwerken und einzelnen Zeitabschnitten – auch unter Einbeziehung des internationalen Horizonts – eingehender darzustellen. Verstärkt wird es dabei notwendig sein, die spezifische Rolle der Kunstgeschichte an den ehemaligen Polytechniken im historischen Kontext systematisch zu analysieren. Nur allzu vage stellen sich bisher die Etappen dar, die vom geschmacksbildenden Fach, das sich im 19. Jahrhundert gleichermaßen an angehende Architekten und Produktgestalter der Kunstindustrie wandte und damit durchaus wirtschaftliche Relevanz besaß, bis hin zum aktuellen Verständnis von Kunstgeschichte als Grundlagenfach für eine zeitgemäße Architekturausbildung führten. Gerade mit Blick auf den heutigen Architekturbetrieb, der zunehmend vom Umbau historischer Substanz und nicht mehr vom Neubau geprägt ist, erscheint es unabdingbar, das Profil des Fachs weiter zu schärfen, seinen Stellenwert im Verbund mit den Entwurfs-, Technik- und künstlerischen Fächern klarer zu positionieren, aber auch seine Schlüsselkompetenz gerade hinsichtlich Bewertungsfragen sichtbarer wahrzunehmen, um so ein Verständnis von Architektur zu befördern, das sich nicht mit der von ökonomischen Anforderungen, Bauordnungen usw. bestimmten Entwurfsleistung begnügt, sondern diese als kulturelle, politische und soziale Aufgabe begreift. Besonderer Klärung im wissenschaftlichen Diskurs über die Kunstgeschichte bedarf fernerhin die Frage nach ihrem Verhältnis an den verschiedenen Institutionen zueinander. Konkret  : Gibt es, was die bisherige Aufarbeitung der Fachgeschichte durchaus suggerieren könnte, wirklich mehrere Kunstgeschichten – an den Universitäten, an den Technischen Universitäten, an den Akademien, an den Fachschulen usw. –, oder doch nur eine  ? Wann setzte, im Widerspruch zu seiner ursprünglichen erstrangigen Bedeutung an den Polytechniken und Technischen Hochschulen, die unterdessen auch in der öffentlichen Wahrnehmung etablierte Umkehrung ein, Kunstgeschichte sei primär ein an Universitäten gelehrtes Fachgebiet, dem andernorts nun seinerseits die Rolle des Aschenbrödels zuwuchs – und was waren die Gründe für diese Umkehrung  ? Wann begann es, dass der Wechsel zwischen den verschiedenen Institutionen, der lange Zeit zur Selbstverständlichkeit in einer kunsthistorischen Vita gehörte, unüblich wurde  ? Diese Fragen gemeinsam mit Vertreter_Innen aus den unterschiedlichen universitären Einrichtungen, Fakultäten und Instituten zu diskutieren, könnte, was hier nur angedeutet werden kann, Bruchlinien deutlich machen sowie Ansätze für eine Geschichte der ungeklärten Verhältnisse und der Ausdifferenzierung des Fachs liefern. Eine erste Bruchlinie scheint sich für die 1920er Jahre abzuzeichnen, als Kunstgeschichte an den Universitäten, bis dahin mit dem teilweise bis heute geläufigen Vorurteil belegt, es sei ein ›Orchideenstudium‹ und damit eine Domäne der höheren Töchter 11

Vorwort

mit gesicherter finanzieller Existenz, zur führenden Disziplin innerhalb der Geisteswissenschaften aufstieg und prominente Vertreter methodische Grundlagenarbeiten vorlegten. In diesen Jahren begann für das Fach an den Technischen Hochschulen, die seit 1899 mit dem Promotionsrecht ausgestattet waren, was vielerorts zu einer beeindruckenden Fülle kunsthistorischer Dissertationen führte, infolge seiner vornehmlichen Verortung an Architekturfakultäten und des von der Moderne propagierten Diktums der Geschichtslosigkeit augenscheinlich eine Phase der Neuorientierung. Eine zweite Bruchlinie könnte im Zusammenhang mit der Bildungsexpansion der 1950er und 1960er Jahre und dem damit verbundenen Ausbau der Geisteswissen­schaf­ ten gesehen werden, wodurch, wie gezeigt, eine einseitige wissenschaftsgeschichtliche Darstellung von Kunstgeschichte als Universitätsfach einherging. In dieser Zeit setzte an den Technischen Hochschulen und Technischen Universitäten eine verstärkte Hinwendung zur zeitgenössischen Architektur und damit zur Architek­turgeschichte ein, während an Universitäten vielerorts die Präferenz historischer Themen dominierte und die Ausbildung des eigenen wissenschaftlichen Nachwuchses ins Zentrum rückte. Eine dritte Bruchlinie deutet sich im Zuge der in den 1980er Jahren geführten Diskussionen über »Das Ende der Kunstgeschichte  ?« (Hans Belting, 1984) und der darauf folgenden neuen Schwerpunktsetzung in den Bildwissenschaften an. Dies führte nahezu an allen Universitätsinstituten zur Einrichtung von Professuren für zeitgenössische Kunst und zugleich zur sukzessiven Preisgabe der Professuren für Architekturgeschichte. So ist dieses Fach heute weitgehend exklusiv als Teilgebiet der Kunstgeschichte an den Technischen Hochschulen und Technischen Universitäten verankert. Eine engere – interuniversitäre und interinstitutionelle – Zusammenarbeit zwischen den Fachkolleg_ Innen könnte eine Neusituierung der Kunstgeschichte ermöglichen. Tagung und Publikation hätten ohne die weitreichende Unterstützung zahlreicher Personen der Technischen Universität Wien nicht realisiert werden können. Mein herzlicher Dank geht an meine Kollegen Univ.-Ass. Atreju Allahverdy M. A., Univ.-Ass. Dipl.-Ing. Markus Gesierich, Univ.-Ass. Dr. Ralf Liptau und Univ.-Ass. Dr. Oliver Sukrow für die Mitarbeit an der Organisation, Konzeption und Durchführung der Tagung und der Herausgabe des Tagungsbands sowie für die Übernahme der Textredaktion. Für die großzügige finanzielle Unterstützung danke ich ebenso herzlich dem Rektorat der Technischen Universität Wien, hier insbesondere dem Vizerektor für Forschung und Innovation, Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. Johannes Fröhlich, dem Dekan und dem Studiendekan der Fakultät für Architektur und Raumplanung, Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Rudolf Scheuvens und ao.Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. Christian Kühn sowie dem Institut für Kunstgeschichte, Bauforschung und Denkmalpflege. Mein Dank gilt gleichfalls den Moderatoren der Tagung, Univ.-Prof. Dr. Vera Bühlmann, Univ.-Prof. Dr. Nott Caviezel, Univ.-Prof. Dr. Uta Hassler, Dr. Kathrin Pokorny-Nagel, Univ.-Prof. Dr. Raphael Rosenberg und Univ.-Prof. Dr. Michael Viktor Schwarz. Zu Dank verpflichtet bin ich ferner Herrn Dr. Paulus Ebner, dem Leiter des Universitätsarchivs. Ganz persönlich 12

Vorwort

danke ich Waltraut Hendler, meiner Sekretärin, Dipl.-Ing. Judith Mayr und Elisabeth Schnattler B. A., meinen Studienassistentinnen und Mag. Gerlinde Weilinger, die ein wunderbares Catering für die Abendveranstaltung organisierte. Frau Julia Beenken und Frau Mag. Eva Buchberger vom Böhlau Verlag übernahmen die sorgfältige Betreuung des Tagungsbands. Robert Stalla Wien, im September 2020

13

Robert Stalla

Kunstgeschichte am Polytechnischen Institut und an der Technischen Hochschule Wien (1810 – 1899) Anmerkungen zur Gründung und zur Positionierung des Fachs im 19. Jahrhundert

Die Einrichtung des kunsthistorischen Lehrstuhls am Polytechnischen Institut Wien erfolgte in mehreren Schritten, die zentrale Aspekte des Fachdiskurses im 19. Jahrhun­ dert widerspiegeln  : Die 1810 – 1812 anvisierte ordentliche Professur für Kunstgeschichte sollte die Geschmacksbildung der Studierenden fördern und der Produktgestaltung in den verschiedensten Gewerben zugutekommen. Hierfür, wie für die erstmals 1849/50 von Rudolf Eitelberger angebotene kunsthistorische Lehre, kam der hauseigenen Vor­ bildersammlung als Anschauungsmaterial ein besonderer Stellenwert zu. Die Beru­ fung Karl von Lützows auf die neu geschaffene Professur im Jahr 1867 wurde von e ­ inem Diskurs über die breite polytechnische Kontextualisierung des Fachs begleitet, dem bis 1899 – der Übernahme durch Josef Neuwirth – weitere Diskussionen über die genaue inhaltliche Ausrichtung folgten.

Vorliegender Beitrag untersucht die Gründung der Kunstgeschichte und ihre Positionierung am Polytechnischen Institut beziehungsweise an der Technischen Hochschule Wien im Zeitraum von 1810 bis 1899.1 Dieses Themenfeld blieb im bisherigen Wissenschaftsdiskurs über die Geschichte des Fachs weitgehend ausgeklammert. Das Folgende, das sich auf die erstmalige Auswertung aller verfügbaren Quellen stützt,2 gliedert sich in drei Zeitabschnitte  : Erstens interessiert die geplante Lehrstuhlgründung für Kunstgeschichte in den Jahren 1810 – 1812, im Vorfeld des 1815 eröffneten Wiener Polytechnikums. Sie wäre einer der ersten kunstgeschichtlichen Lehrstühle im deutschen 1 Dieser Beitrag ist die veränderte und erweiterte Fassung des Aufsatzes  : Stalla 2019. 2 Konsultiert wurden die Bestände des Österreichischen Staatsarchivs (AT-OeStA) sowie der Archive der Technischen Universität Wien (TUWA), der Universität Wien (AUW) und der Akademie der bildenden Künste Wien (UAAbKW). Die Sichtung des Materials erfolgte im Rahmen eines Forschungsprojekts zur Geschichte der Kunstgeschichte an der Technischen Universität Wien, das 2005 – 2006 von der Hochschuljubiläumsstiftung der Stadt Wien, Magistratsabteilung 8, finanziell gefördert wurde. Frau Agnes Rittinger möchte ich an dieser Stelle nochmals herzlich für die Transkription der Akten danken. Mein Dank gilt ebenso Herrn Dr. Paulus Ebner und Frau Dr. Juliane Mikoletzky, dem Leiter bzw. der ehemaligen Leiterin des Universitätsarchivs der Technischen Universität Wien, für die Unterstützung. Knappe zusammenfassende Darstellungen bei  : Neuwirth 1915, S. 532 – 541  ; Frodl 1965, S. 311 – 316.

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Robert Stalla

Sprachraum gewesen, die es im Kontext der Frühzeit des Fachs zu verorten gilt. Zweitens soll der hiesige Beginn der kunsthistorischen Lehrtätigkeit, die 1849/50 mit Rudolf Eitelberger einsetzte, analysiert werden. Diskussionspunkte zielen unter anderem auf seine Bewerbung, sein Lehrangebot und sein frühes Ausscheiden, die sowohl im Kontext mit seinen zeitgleichen Anstellungen an der Universität und an der Akademie der bildenden Künste als auch in ihrer Bedeutung für seine spätere Gründung des Österreichischen Museums für Kunst und Industrie betrachtet werden. Drittens werden die Rahmenbedingungen dargelegt, unter denen hier 1867 die außerordentliche Professur und 1882 die ordentliche Professur für Kunstgeschichte eingerichtet wurde – mit Karl von Lützow als erstem Lehrstuhlinhaber. Neben Fragen nach dessen Lehrangebot und den Aufgaben des Fachs sind die mehrmaligen Umbenennungen der Professur darzulegen, die bis 1899 – dem Berufungsjahr von Josef Neuwirth als neuem Lehrstuhlinhaber – weiterverfolgt werden. I. Die Jahre 1810 – 1812  : Der Plan für einen Lehrstuhl für Kunstgeschichte

Kunstgeschichte als ordentlichen Lehrgegenstand am neu zu gründenden Polytechnischen Institut in Wien zu etablieren, war eines der Anliegen Johann Joseph Prechtls (Abb. 1)  : ein studierter Jurist und Philosoph, wissenschaftlich hoch dekorierter Technologe und durchsetzungsstarker Organisator, der die neue Lehranstalt von 1815 bis 1849 als Direktor leitete.3 Im März 1810 erhielt Prechtl von der Studienhofkommission den Auftrag zur Ausarbeitung des Organisationsstatuts, in dem er festlegte  : »Endlich ist bei allen Ausführungen der Gewerbe überhaupt eine Bildung des Geschmacks zur gefälligen Darstellung der Formen nothwendig, welche Bildung weniger durch abstrakte Regeln als durch historisches Aufstellen gegebener Formen und deren Analyse nach den Regeln erlangt wird. Da dieses die Kunstgeschichte leistet, so kommt daher auch diese in den Unterricht, welcher übrigens auch den übrigen Sektionen gewinnschafflich ist.«4

Das Fach sollte Prechtls »Einteilung des Instituts in drei Sektionen« zufolge der »mathematisch-technischen Sektion« zugeordnet werden, die unter anderem auf die Ausbildung 3 Prechtl, der zunächst Rechtswissenschaften an der Universität Würzburg studierte, war ab 1802 als Reichsrat in Wien tätig, wo er zahlreiche physikalische und chemische Experimente durchführte und 1805 für seine Abhandlung über die Physik des Feuers von der Königlich Niederländischen Akademie der Wissenschaften ausgezeichnet wurde. 1809 war er in Triest mit der Errichtung und Leitung einer Real- und Navigationsschule betraut. Seit Februar 1810 war er als Lehrer für Naturgeschichte und Naturkunde an der St. Anna Realschule tätig. Zu Prechtl grundlegend  : Hantschk 1988  ; Weiß 1888, S. 539  ; Österreichische Akademie der Wissenschaften 1983, S. 251 f. 4 AT-OeStA/AVA Unterricht StHK Teil 2 318 2.

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Kunstgeschichte am Polytechnischen Institut

der »Zimmermeister, Maurermeister, Baumeister und der Mechaniker [… zum] Baue allerlei Maschinen« zielte.5 Konkret führte Prechtl über den neuen Lehrgegenstand aus  : »15. Die Kunstgeschichte   : Geschichte der Künste und Gewerbe, inwiefern Ästhetisches an ihren Produkten ist, weil dieser Unterricht zunächst nur die praktische Bildung des Geschmackes zur Absicht hat. Sie beginnt mit allgemeinen Bemerkungen über Kunst, deren Zweck und Mittel, und über das Ästhetische in der Form  ; die allgemeinen, in der Hinweisung auf Muster dargestellten Regeln der Ästhetik  ; die Mythologie, Altertumskunde, in kritischer Darstellung zur ferneren Anwendung der ästhetischen Grundsätze. Wöchentlich 3 Stunden.«6

Den hohen Stellenwert, den der zukünftige Di- Abb. 1: Johann Josef Prechtl (1778 – 1854), rektor von Anfang an der Kunstgeschichte bei- Porträt von Joseph Bermann, Punktierstich, maß, verdeutlicht unter anderem dessen Ent- 1854. ÖNB, PORT_00013319_01. schluss, dass der neu ernannte Professor auch der »Aufseher der Sammlung von […] Kunstprodukten« werden sollte, die »bei dem Vortrage […] teils als Muster aufgestellt« werden.7 Dieses k. k. National-Fabriksprodukten-­ Kabinett, das 1807 von Kaiser Franz I. gegründet, 1815 als Teil des ›Konservatoriums für Wissenschaften und Künste‹ dem Polytechnikum übergeben wurde und hier jeden Samstag öffentlich zugänglich war, avancierte schnell zu einer der bedeutendsten Sammlungen der Technik und Kunstindustrie in Europa.8 Damit wäre dem Professor für Kunstgeschichte eine Schlüsselposition in dem neuen Institut zugefallen. 5 Ebd. 6 Ebd. Ordnungsstatut vom 23. Oktober 1812. Geplant war, dass der »Professor der Kunstgeschichte [zugleich …] Sekretär und Kassier des Institutes ist, welches Geschäft für eine tägliche Stunde Lehrvortrag« anzusetzen ist. Er sollte ferner in einem Rechenschaftsbericht regelmäßig über die »Arbeiten und Fortschritte des Instituts, seine Geschichte und die Literatur jener Fächer, die es behandelt«, berichten  ; hierzu auch  : Neuwirth 1915, S. 31, 43. 7 AT-OeStA/AVA Unterricht StHK Teil 2 318 2, Ordnungsstatut vom 23. Oktober 1812, genannt sind u. a. Produkte der Kunst und der Industrie aus Eisen und Stahl, aus Tuch, Seide und Leder, hierzu auch  : Neuwirth 1915, S. 38. 8 Eine erste Würdigung in  : Polytechnischer Verein 1817, S. 660 – 664. Hierzu  : Hantschk 1988, S. 142 – 144  ; Lackner 1995, bes. S. 45 – 49  ; zu den Beständen siehe  : Technisches Museum 2004, S. 9 – 111.

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Robert Stalla

Die Stoßrichtung, die Kaiser Franz I. mit der Gründung seines Wiener Polytechnikums verfolgte, war eindeutig  :9 Er zielte auf die Neupositionierung der Habsburgermonarchie im internationalen Wettstreit der Industrienationen.10 Diesbezüglich genoss England, wie von Prechtl ausgeführt, einen sichtbaren Vorsprung, gefolgt von Frankreich, wo die 1794 gegründete École Polytechnique neue Impulse setzen sollte. 1797, nur drei Jahre später, forderte Kaiser Franz von der Studienhofkommission Vorschläge zur Einrichtung höherer technischer Institute  ; 1806 folgte die Gründung des Ständischen Polytechnischen Instituts Prag, 1811 diejenige des Joanneums in Graz.11 Der Führungsanspruch, der mit dem neuen Wiener Polytechnikum gestellt wurde, das Mitte des 19. Jahrhunderts eine internationale Spitzenposition einnahm,12 fand in Prechtls ambitioniertem Konzept seinen Ausdruck  : Neu war, im Unterschied zu Prag, der Gedanke eines universitätsähnlichen technischen Instituts mit wissenschaftlichem Anspruch sowie mit Lehr- und Lernfreiheit für Professoren und Studierende.13 Neu war auch, in bewusster Abgrenzung von Paris, die Anerkennung der »Eigenständigkeit aller technischen Disziplinen«.14Als richtungsweisend darf der Entschluss gelten, die im ausgehenden 18. Jahrhundert sich entwickelnde Kunstgeschichte, die in den ersten Jahrzehnten nicht »als autonomes Fachgebiet betrieben [wurde], sondern Teil eines akademischen Diskurses über die Kunst [war], der in verschiedenen Studien- und Forschungsbereichen geführt wurde«, nun erstmals auch in den breiten Kontext der technischen Fächer zu integrieren. Prechtls Ziel war es, neben der jeweiligen Fachausbildung eine ebenso umfassende wie systematische Geschmacksbildung zu garantieren.15 Dafür sollte zuvorderst die Kunstgeschichte zuständig sein, gemeinsam mit den Fächern »Geschichte der Künste und Gewerbe«, »geometrisches und Modell-Zeichnen«, »Ornament- und Architekturzeichnen« sowie »Formenlehre«.16

  9 AT-OeStA/AVA Unterricht StHK Teil 2 318 2, Ordnungsstatut vom 23. Oktober 1812  ; hierzu auch  : Neuwirth 1915, S. 21. 10 Ebd. 11 Zu den Zielen Kaiser Franz’ II. und den frühen Absichten Prechtls siehe  : Hantschk 1988, S. 92 – 117. Zu den polytechnischen Instituten in der Habsburgermonarchie siehe  : Pfammatter 1997, S. 209 – 221. 12 Hierzu Kuich 2015. 13 Zu Prechtls Verständnis der Lehr- und Lernfreiheit siehe  : Hantschk 1988, S. 110 – 117. Gegen dieses Verständnis wandte sich Franz Josef Gerstner, Direktor des Prager Polytechnikums, in seinem Gutachten. Das Gutachten mit den Erwiderungen Prechtls in  : AT-OeStA/AVA Unterricht Z.951/357 und 1136/299, J. 1813. Zum Prager Polytechnikum siehe  : Boehm 1991, S. 3 – 7 u. S. 54 – 62. 14 Hantschk 1988, S. 353. 15 Nämlich »in ›Archäologie und Kunstgeschichte‹, in ›Literatur- und Kunstgeschichte‹, innerhalb der Philosophie und hier wieder der philosophischen Ästhetik und innerhalb des akademischen Zeichenunterrichts, der fast an allen Universitäten erteilt wurde«. Siehe Dilly 1979, S. 175. 16 AT-OeStA/AVA Unterricht StHK Teil 2 318 2, Ordnungsstatut 1810  ; hierzu ebenso  : Pfammatter 1997, S. 217 f.; Neuwirth 1915, S. 49.

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Die Frage nach möglichen Vorbildern bzw. Anregungen für Prechtls geplante Verankerung der Kunstgeschichte im Curriculum seines neuen Instituts steht im Zusammenhang mit der Frage, wo vor 1810 überhaupt eine institutionalisierte Kunstgeschichte betrieben wurde  ? Hierbei treten besonders zwei Einflussfelder in den Vordergrund  : Akademien und Universitäten. Architektur- bzw. Ingenieurschulen wie die École Poly­ technique und die 1799 gegründete Bauakademie Berlin, wo jeweils Geschichte und Theorie der Architektur gelehrt wurde, dürfen hingegen an dieser Stelle wegen der Unterschiede zu dem in Wien geplanten kunsthistorischen Lehrstuhl unberücksichtigt bleiben.17 An Kunstakademien waren in dieser Zeit kunstgeschichtliche Inhalte im Rahmen des Kunstunterrichts vertreten.18 Selbständig wurde das Fach nur vereinzelt vorgetragen, wie von Karl Philipp Moritz und Aloys Hirt, die ab 1789 bzw. ab 1796 an der Akademie der Schönen Künste in Berlin über neuere Theorie und Geschichte der Schönen Künste lasen.19 An der Wiener Akademie der bildenden Künste war Ende der 1780er Jahre die Initiative des Staatskanzlers Wenzel Anton von Kaunitz-Rietberg, eine »Lehrkanzel für Mythologie, Kunstgeschichte, Philosophie und verwandte Fächer« einzurichten, gescheitert.20 Ob Prechtl von diesen Überlegungen Kenntnis hatte, ist unklar. Jedenfalls positionierte er sein Polytechnisches Institut – gerade die Ideen der Gewerbeförderung und der Geschmacksbildung – in auffallender Nähe zu den damaligen Aufgaben und Zielen der Akademie, die damals u. a. die Funktion einer Gewerbebehörde innehatte.21 Dies führte dazu, dass diese massiv gegen die Pläne des neuen Instituts opponierte und Prechtl bei seiner Eröffnungsrede am 6. November 1815 darum bemüht war, besonders die Unterschiede zwischen Polytechnikum und Akademie zu betonen.22 Im Bereich der universitären Kunstgeschichte könnten für Prechtl, der selbst in Würzburg studiert hatte, besonders zwei Institutionen in den Fokus getreten sein  : Zum einen die unter dem Reformgeist Johann Gottlieb Fichtes stehende Georgia Augusta in Göttingen, damals neben Halle die bedeutendste Universität Deutschlands,23 mit der man in Wien seit 1774 wegen der hiesigen Studienreform in engem Kontakt stand.24 17 Hierzu  : L’École Centrale 1789  ; Baltard 1794, S. 36 f.; Salge 2014, S. 120. 18 Vgl. hierzu Plank 1999, S. 115 – 140  ; Stöger 2013, S. 67 – 70. 19 Sedlarz 2014, S. 141 f. 20 Haslinger 2008, S. 103. 21 Am 17. Juni 1783 hatte eine kaiserliche Verordnung den Streit zwischen den zunftmäßig organisierten Handwerkern und der Akademie der bildenden Künste zugunsten der Zünfte entschieden. Hierzu  : Lützow 1877, S. 69 f. Zur Gewerbebehörde  : Haslinger 2008, S. 99 f. 22 Darin fragte Prechtl  : »Sollten denn die necessarien oder unentbehrlichen Künste, welche doch die Grundlagen der wichtigsten Fabriken, Manufakturen und technischen Gewerbe im Staate ausmachen, nicht wert sein, sie einer gleichen Aufmerksamkeit zu würdigen«. Zitiert nach  : Neuwirth 1915, S. 66 f. 23 Hierzu besonders  : Thiersch 1970  ; Dickerhof-Fröhlich 1979, S. 9 – 13. 24 Hierzu  : Arentin, 1993, S. 39.

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Sie verdient deshalb unser besonderes Interesse, da hier mit dem Ökonomieprofessor Johannes Beckmann nicht nur einer der »Begründer der technischen Wissenschaft«, sondern mit Domenico Fiorillo auch einer der frühesten Wegbereiter einer positivistischen Kunstgeschichtsschreibung lehrten.25 Fiorillo, ein ausgebildeter Maler, wurde 1799 zum außerordentlichen, 1813 zum ordentlichen Professor für Kunstgeschichte ernannt.26 Einen überregionalen Namen als Kunsthistoriker machte er sich mit seiner fünfbändigen, zwischen 1798 und 1808 veröffentlichten Geschichte der zeichnenden Künste, ein nach Ländern geordnetes Kompendium der europäischen Kunstgeschichte vom Mittelalter bis zum 18. Jahrhundert.27 Bereits 1791 publizierte er Über Groteske. Einladungsblätter zu Vorlesungen über die Geschichte und Theorie der bildenden Künste, in denen er wie in einem ›Lehrplan‹ eine schlagwortartige Gliederung des gesamten Materials vorstellte.28 Dabei zielte er, wie von Christian Gottlob Heyne, dem 1812 verstorbenen Göttinger Altphilologen und Altertumsforscher, ausgeführt, »auf die Bildung des Geschmacks, die Angewöhnung des Auges und des Sinnes für das Gute und Schöne«.29 Dies entsprach den Zielen, mit denen auch Prechtl in seinem Ordnungsstatut von 1810 die Aufgaben der Kunstgeschichte umriss. Anregungen könnte Prechtl zum andern auch von der bayerischen Landesuniversität Landshut bezogen haben  : die einzige Modelluniversität der rechtsrheinischen Gebiete mit der vollumfänglichen Umsetzung einer reformatorischen Organisationsstruktur, die hier Kurfürst Max IV. Josef 1804 initiierte.30 Dieser verfügte am 31. März, »zur Verbreitung des guten Geschmacks [die Einrichtung] einer ordentlichen Professur für bildende Kunst«, die mit dem Maler Simon Klotz besetzt wurde.31 Die Aufgaben, die Klotz mit dem Aufbau des Instituts, der Ausarbeitung des kunsthistorischen Lehrkonzepts und der Einrichtung eines Kunstmuseums zufielen, dürfen den Pionierleistungen der frühen akademischen Kunstgeschichte zugerechnet werden.32

25 Zur Bedeutung Beckmanns  : Kernbauer 1993. 26 Zu Fiorillo  : Middeldorf Kosegarten 1997  ; Vogt 1928, S. 91 – 107  ; van Kempen 1951, S. 1 – 23  ; Hölter 1993. 27 Fiorillo 1798 – 1808. 28 Fiorillo 1791, hier besonders S. 25 – 36. Hierzu  : Stalla 1999, S. 12 f. 29 Zitiert nach  : Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek 1979, S. 43. Fiorillo zufolge sind seine »Vorlesungen bloß für solche Liebhaber der schönen Künste bestimmt […], die denselben, um des Einflusses willen, den sie auf Uebung des Schoenheitssinnes und Ausbildung des Geistes ueberhaupt haben, während ihres akademischen Curses einige Stunden zu schenken geneigt sind«. Siehe Fiorillo 1791, S. 25. 30 Zur Ludwig-Maximilians-Universität Landshut grundlegend  : Boehm, Tausche 2003. 31 BayHSta MInn 23146/1, Brief von Max IV. Josef an den Akademischen Senat zu Landshut, 31. März 1804  : Die Professur war der Klasse ›allgemeine Wissenschaften‹, Sektion IV ›schöne Künste und Wissenschaften‹, zugeordnet. Vgl.: Stalla 1999, S. 11 – 18  ; ders. 2003a  ; ders. 2003b  ; ders. 2005, S. 195 – 214. 32 Stalla 2003a, S. 32 f.

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In seiner im Mai vorgelegten Programmschrift Die bildenden Künste als Lehrgegenstand an der Universität nannte Klotz im Wesentlichen drei Punkte, wie er das Fach in Landshut vertreten wollte  : »Erklärung des Hauptkarakters der bildenden Künste und ihrer Terminologie und hiemit ihrer wissenschaftlichen und freyen Elemente. Darstellung von deren Entstufe, […] Ausartung und Regeneration […]  : eigentliche Geschichte der Kunst. Würdigung […] nach ihren mannichfaltigen Formen – Architektur, Bildhauerey, Malerey und deren Abzweigungen«.33

Ergänzt werden sollte dieses Programm durch Zeichenunterricht, um »das Auge zu bilden für die Schönheit der Formen, aber auch im Zeichnen wissenschaftlicher Gegenstände eine objektive Darstellung zu gewähren«.34 Die Grundlage für diesen theoretischen und praktischen Kunstgeschichtsunterricht bot Klotz ein vorzüglich ausgestattetes und mit 40 × 7 Metern großzügig bemessenes Kunstmuseum, das er selbst in der ehemaligen Magdalena- und Maria-Hilf-Kapelle der säkularisierten Dominikanerklosterkirche einrichtete. Dieses umfasste laut Inventar von 1807 8207 Kupferstiche, 88 Originalzeichnungen, 87 Ölgemälde und 36 Gipsabgüsse.35 Als Aufgaben dieser Vorbildersammlung nannte Klotz u. a., eine »Übersicht nicht allein der Kunstgeschichte nach aufeinander folgenden Perioden deutlich [darzustellen], sondern auch die in der Zeit nebeneinander sich unterscheidenden Schulen der verschiedenen Nationen [sowie] eine überzeugende Vorstellung der Unterschiede und Vorzüge einer jeden Kunsterscheinung als Nationales und Kunstmäßiges darzubieten«.36

Im Gegensatz zu Göttingen, wo im späten 18. Jahrhundert an einer ›universitas litterarum‹ die Technologie und die Kunstgeschichte als selbstständige Fächer etabliert wurden, zielte Prechtl in Wien dezidiert auf die Gründung eines Technischen Instituts nach universitärem Vorbild – nun mit der Kunstgeschichte in zentraler Position. Von ihr erwartete der zukünftige Direktor, dem Fachverständnis von Fiorillo und Klotz folgend, die Bildung des Geschmacks, die, wie in Göttingen und Landshut präformiert und von ihm selbst in seinem Organisationsstatut von 1812 festgehalten, unter anderem durch die Etablierung des Zeichenunterrichts weiter unterstützt werden sollte. Hierbei kam den Vorbildersammlungen – trotz ihrer Unterschiedlichkeit – in Landshut und Göttingen für bildende Kunst, am Wiener Polytechnikum für Kunstindustrie – eine zentrale Rolle zu. In ihnen sollte gezeigt werden, dass die Kunstproduktion (hier im weitesten 33 Das Manuskript im BayHStA MInn 23416/1/56. Zum Lehrkonzept vgl. Stalla 2003a, S. 34 f. 34 Ebd. 35 BayHStA MInn 23146/1/56. Zum Museum und zum Inventar vgl. Stalla 2003a, S. 33 – 37. 36 BayHStA MInn 23146/1/56, Bericht von Klotz, 10. Mai 1805. Hierzu  : Stalla 2003a, S. 36.

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Sinn verstanden), wie von Prechtl in Übereinstimmung mit Klotz formuliert, »nicht durch abstrakte Regeln als [vielmehr] durch historisches Aufstellen gegebener Formen und deren Analyse« erlernbar sei.37 Dass bei der Eröffnung des Polytechnischen Instituts am 6. November 1815 der kunsthistorische Lehrstuhl fehlte, lag an der Entscheidung der Studienhofkommission. Sie berichtete im Frühherbst 1812 an die Hofkammer  : »Auch die Kunstgeschichte dürfte mehr an der Akademie der bildenden Künste an ihrem Platze seyn, als bey dem technischen Institute. Wenigstens für den ersten Anfang dieses Instituts scheint sie daselbst entbehrlich zu seyn«.38 Dieser Beschluss wurde von Staatskanzler Clemens Fürst Metternich, seit 1811 ›Curator‹ der k. k. Akademie der bildenden Künste, persönlich unterstützt und darf im direkten Zusammenhang mit der dortigen Einrichtung einer neuen Professur für Kunsttheorie gesehen werden, die als Reaktion auf Prechtls Pläne einer Professur für Kunstgeschichte vorangetrieben wurde.39 Die hier greifbare Konkurrenzsituation zwischen beiden Institutionen lässt sich auch am damaligen Antrag der Hofkammer fassen, die Ende des 18. Jahrhunderts von Kaunitz neu organisierte ›Architekturschule von der Akademie der bildende Künste abzuziehen‹ und dem neuen Polytechnischen Institut zu überantworten, was mit dem Hinweis verhindert werden konnte, dass die »Architektur […] die Grundlage zu allen Abtheilungen der bildenden Künste« sei.40 II. 1849 – 1850  : Eitelbergers Lehrtätigkeit am Polytechnischen Institut

Die kunsthistorische Lehre am Wiener Polytechnikum, wo Graf Eduard von Taaffe am 30. Juni 1827 in einem Revisionsbericht den »Vortrag einer technischen Ästhetik als eine wesentliche Ergänzung der bestehenden technischen Lehrfächer« gefordert hatte,41 setzte erstmals im Studienjahr 1849/50 mit der Tätigkeit Rudolf Eitelbergers (Abb. 2) ein. Sie erfolgte damit zeitgleich mit dessen Aufnahme kunsthistorischer Vorlesungen an der Universität Wien und mit dessen Gesuch, auch an der Akademie der bildenden Künste Kunstgeschichte zu unterrichten. Damit markiert sie den Beginn von Eitelbergers ­großer

37 AT-OeStA/AVA Unterricht StHK Teil 2 318 2. 38 Ebd. 39 UAAbKW, Verwaltungsakten 1811, fol. 416 und 417. Freundlicher Hinweis von Frau Univ.-Doz. Dr. Beatrix Bastl, ehem. Direktorin der Bibliothek der Akademie der bildenden Künste Wien. Zur Rolle Metternichs als Kurator und zur Neuorganisation der Akademie siehe  : Wagner 1967, S. 63 – 72. 40 UAAbKW, Verwaltungsakten Z. 951/257, fol. 223, J. 1813. Zur Neuregelung der Architekturklasse im späten 18. Jahrhundert in der Akademie der bildenden Künste in Wien siehe  : Wagner 1967, S. 72 – 88  ; ebenso Plank 1999, S. 260 – 264. 41 Neuwirth 1915, S. 536.

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Karriere, die ihn laut Julius Schlosser zum Ahnherrn der ›Wiener Schule der Kunstgeschichte‹ machte.42 Am 26. Juni 1848 stellte Eitelberger den Antrag »um Bewilligung[,] vom Anfange des nächsten Schuljahres am k. k. polytechnischen Institute populäre Vorlesungen über Kunstgeschichte ab­ halten zu dürfen[,] und zwar in der Art, dass einmal in der Woche über Architektur und verwandte Fächer für die Zöglinge der betreffenden Abtheilung und einmal in der Woche (etwa am Sonntage) für Gewerbsleute über Kunst in Bezug auf Handwerke, Handel, etc. gelesen würde.«43

Laut Beratungsprotokoll vom 1. August 1848 war sich das Professorenkollegium einig, dass »derlei Vorlesungen sehr zweckmäßig und belehrend seyn dürften […, und] dass über die Abb. 2: Rudolf Eitelberger von Edelberg Lehrtätigkeit des Bittwerbers kein Zweifel ob- (1817 – 1885), Porträt, Fotografie von Fritz walten könne«.44 Eine Woche später wurde »die Luckhardt, o. J. ÖNB, Pf 5158:C (3). Abhaltung dieser Vorlesungen« per ministeriellem Dekret gestattet,45 der Lehrbetrieb aber nach Schließung des Polytechnikums infolge des Engagements der Professoren und Studenten für die Revolution erst im Herbst 1849 wieder aufgenommen.46 Eitelberger, selbst Sympathisant des politischen Umsturzes,47 ist im Vorlesungsverzeichnis des Studienjahrs 1849/50 »an der kommerziellen Abtheilung« als Privatdozent »für die Kunstgeschichte« genannt.48 Der Titel seiner ersten Vor42 Von Schlosser 1934, S. 155 (zu Eitelberger S. 155 – 159). Zur Wiener Schule siehe ebenso  : BDA 2004  ; Lachnit 2005. 43 TUWA, Direktion des k. k. polytechnischen Instituts in Wien, Z. 38916, J. 1848, Schreiben der NÖ Landesregierung an Ministerium d. öffentlichen Unterrichts, 15. August 1848. 44 TUWA, Direktion des k. k. polytechnischen Instituts in Wien, Z. 1058, J. 1848, Beratungsprotokoll vom 1. August 1848. 45 Hierzu  : TUWA, Direktion des k. k. polytechnischen Instituts in Wien, Z. 38916, J. 1848, Schreiben der NÖ Landesregierung an Ministerium d. öffentlichen Unterrichts, 15. August 1848. 46 Hierzu  : Vorlesungsverzeichnisse des TUWA. 47 Zu Eitelbergers politischem Engagement und seiner Haltung siehe  : Borodajkewycz 1962, bes. S. 324 – 327. 48 Braumüller 1849, S. 5 – 6. Zu diesem Zeitpunkt gab es zwei Abteilungen am Polytechnikum  : die technische (u. a. mit den Fächern Elementar-Mathematik, reine höhere Mathematik, darstellende Geo­metrie, vorbereitender Zeichnungsunterricht und ebenso Landbaukunde in ihrem ganzen Umfange) und die

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lesung lautete schlicht Über Kunstgeschichte und wurde von 60 – 80 Hörern besucht.49 Im Vorlesungsverzeichnis für das Studienjahr 1850/51 ist seine Veranstaltung »beiden Abtheilungen«, also auch der technischen, zugeordnet und der Vorlesungstitel präzisiert  : »Über Kunstgeschichte, und zwar die Geschichte der bildenden Künste, vom Anfange der christlichen Zeitrechnung bis auf unsere Tage  ; […] Dienstag und Donnerstag von 4 bis 5 Uhr«.50 Doch bereits am 10. Dezember 1850, inmitten des neuen Studienjahrs, bat Eitelberger, zeitgleich mit seinem Rücktritt aus dem Professorenkollegium an der Universität,51 auch den Direktor des Polytechnikums um Freistellung, wozu er ausführte  : »[Das Ministerium hat] mich in das leitende Commite zur Reorganisation der hiesigen Akademie der bildenden Künste berufen und mir zugleich den ehrenden Auftrag gegeben, Vorlesungen über Kunst- und Weltgeschichte zu halten u. einen räsonierenden Catalog aller akademischen Kunstsammlungen zu verfassen.«

Zugleich gab er seiner Hoffnung Ausdruck, »im nächsten Schuljahr 1851/52 meine Vorträge im poly. Institute wieder aufnehmen zu können«, was nicht mehr erfolgte.52 Eitelbergers Engagement, in den späten 1840er Jahren in Wien in der Kunstgeschichte Fuß zu fassen, indem er Vorlesungen an drei Institutionen anbot, darf symptomatisch für die damalige Situation der akademischen Kunstgeschichte gelten. Denn das Fach, auch wenn in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts an verschiedenen Orten und in diversen Fachkontexten – u. a. im Zusammenhang mit der Ästhetik, der Archäologie, der Philologie und der bildenden Kunst – gelehrt, war in der Zeit als autonome akademische Disziplin weder an Polytechniken noch an Universitäten oder Akademien etabliert. Damit gab es für junge Kunsthistoriker wie Eitelberger zu diesem Zeitpunkt auch noch keinen klar definierten akademischen Karriereweg. Dies dürfte auch der Grund dafür gewesen sein, dass beispielsweise Franz Kugler, seit 1833 Privatdozent für Kunstgeschichte an der Universität Berlin, zehn Jahre später ins Kultusministerium wechselte.53 Ungeklärt waren damals ebenso die Aufgaben und Ziele des Fachs. Auch kommerzielle (u. a. mit den Fächern Handelswissenschaft, österreichisches Handels- und Wechselrecht, Geschäfts- und Korrespondenz-Styl für Kaufleute, Warenkunde, Handelsgeographie). 49 Braumüller 1849, S. 10. Hierzu auch  : Höflechner, Brugger 1992, S. 10. 50 Braumüller 1849, S. 7, 12 – 13. 51 AUW, PH PA 1553, Z. 57, J. 1850, Schreiben vom 3. November 1850. An der Universität Wien stellte Eitelberger den Antrag, auf Basis »der bekannten Lehrbücher, insbesondere [… von] Kuglers Kunstgeschichte«, in einer Zyklusvorlesung die Theorie und Geschichte der Malerei, der Plastik und der Architektur darzustellen. 52 TUWA, Personalakten Eitelberger, Z. 2647, J. 1850  ; am Polytechnikum ist Eitelberger das letzte Mal im Vorlesungsverzeichnis 1851/52 unter den Privat-Dozenten für beide Abtheilungen genannt, freilich ohne Hinweis auf eine Vorlesung, vgl. TUWA, Vorlesungsverzeichnis 1851, S. 8. 53 Beyrodt 1991, S. 316.

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wenn der Theologe und Kunstschriftsteller Gottfried Kinkel, seit 1846 außerordentlicher Professor für ›die Fächer der neueren Kunst, Literatur und Kulturgeschichte‹ an der Universität Bonn, in diesem Jahr gegenüber seinem Freund Jakob Burckhardt äußerte  : »Kunst- und Kulturhistoriker werden in ein paar Jahren hoffentlich reißend abgehen«,54 so dürfte dieser besonders die neuen Perspektiven »in der Journalistik und der Erwachsenenbildung […, welche] einen Beitrag zur ästhetischen Bewusstseinsbildung der Bevölkerung versprachen«, im Auge gehabt haben.55 Im Zentrum der damaligen Diskussionen über das Fach stand der Gedanke an eine Einflussnahme auf das öffentliche Leben.56 Die Aufgabe in der Ausbildung des eigenen wissenschaftlichen Nachwuchses zu sehen, war zu diesem Zeitpunkt noch undenkbar. An Eitelbergers Lehrangebot am Polytechnischen Institut verdient sein – oben zitiertes – Bewerbungsschreiben vom 26. Juni 1848 besonderes Interesse, in dem er seine kunstgeschichtlichen Vorlesungen an ein spezifisches Publikum adressierte. Darin wandte er sich an die Studenten der Architektur, für die hier erstmals 1839 ein zweijähriger Lehrgang bestand, womit er früh ein zentrales Bedürfnis der historistischen Bauwirtschaft bediente.57 Nur wenige Jahre später setzte eine Gründungswelle kunsthistorischer Professuren an Polytechniken bzw. Bauschulen ein  : 1855 die Berufung Burckhardts ans Polytechnikum in Zürich, 1857 die Wilhelm Lübkes an die Bauakademie Berlin, 1865 bis 1868 die Einrichtung der Stellen an den Polytechnischen Schulen in Stuttgart und München, am Polytechnischen Institut in Wien, an der Technischen Hochschule in Karlsruhe und an der Königlichen Gewerbeakademie in Berlin, 1869 dann an der Polytechnischen Schule Darmstadt.58 So hatte das Fach »Eingang in die Lehrpläne der Polytechniken gefunden, […] bevor es sich an den Universitäten durchsetzen konnte«.59 Seine Aufgabe bestand darin, »der Baukunst Anregungen und sichere Grundlagen [zu] vermitteln, zugleich aber der geistigen und künstlerischen Bildung der gesamten Studentenschaft neue Impulse [zu] geben«.60 Diesem allgemeinen Bildungsauftrag, der der Kunstgeschichte bald einen festen Platz im bürgerlichen Bildungsstreben der gründerzeitlichen Gesellschaft zusichern sollte,61 galt auch Eitelbergers zweite Zielgruppe am Polytechnikum  : die Gewerbeleute, für die er am Sonntag populäre Vorlesungen über Kunst in Bezug auf Handwerke, Handel 54 Zitiert nach  : Beyrodt 1979, S. 311. 55 Beyrodt 1991, S. 317. Franz Xaver Kraus, seit 1872 außerordentlicher Professor für die Geschichte der christlichen Kunst in Straßburg, bezeichnete noch 1874 die »Hebung des allgemeinen Geschmacks« als vorrangige Aufgabe der Kunstgeschichte. Kraus 1874, S. 13  ; hierzu auch  : Beyrodt 1991, S. 324. 56 Hierzu und zum folgenden  : Beyrodt 1991, S. 317. 57 Hierzu  : Pfammatter 1997, S. 220. 58 Hierzu  : Beyrodt 1991, S. 323. 59 Hierzu  : ebd., S. 323. 60 Rürup 1965, S. 417. Hierzu ebenso  : Lankheit 1966. 61 Hierzu  : Schlink 1992  ; Wissenschaftspopularisierung allgemein  : Daum 2002.

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etc. ­anbieten wollte. Dieser populär-öffentliche Anspruch der Kunstgeschichte, Maßstäbe für die Gestaltung der eigenen Gegenwart zu setzen – eines der Hauptanliegen Eitelbergers sowie seiner Schüler und ebenso von Kugler in Berlin kulturpolitisch vertreten – beschränkte sich in der Zeit aber nicht allein auf das Polytechnikum.62 Dies war auch im Stellenprofil von Eitelbergers außerordentlicher Professur für Kunstgeschichte an der Wiener Universität verankert, die 1852 – zeitgleich mit der Schaffung der kunstgeschichtlichen Professur in Bonn – eingerichtet wurde.63 Zwar hatte das Ministerium mit der neuen Professur für eine klare Abgrenzung von der Ästhetik gesorgt und für die wissenschaftliche Autonomie des Faches bedeutende Impulse gesetzt. Doch war für den neuen Stelleninhaber, wie schon 40 Jahre zuvor im Organisationsstatut des Polytech­nikums von 1812 präformiert, die »Bedeutung für die Bildung und Veredlung des Geschmacks der gewerblichen Tätigkeit« festgeschrieben.64 In diesem Sinn hielt auch Professor Ficker in seinem Gutachten über Eitelbergers Lehrgesuch an der Universität vom 19. November 1846 fest  : Dieser »scheint offenbar zugleich den jungen, den angehenden Künstler im Auge zu haben, darum geht er auch auf das Technische ein.«65 Dementsprechend bestand von den 200 inskribierten Hörern seiner Vorlesungen an der Universität folglich »ein Drittel aus Handwerkern, das zweite Drittel aus Malern und privaten Interessenten, das letzte Drittel aus Studenten«.66 Eitelbergers Lehrtätigkeit am Polytechnischen Institut verdient auch unter mediengeschichtlichen Aspekten Beachtung. Das methodische Konzept seiner kunstgeschichtlichen Vorlesungen, im Umfeld des Kunstsammlers Josef Daniel Böhm entwickelt, basierte bekanntlich auf zweierlei  : der Erschließung des Kunstwerks aus den Schriftquellen und seiner technisch-historischen Beschreibung.67 Gerade dafür war eine Vorbildersammlung unabdingbar, sodass Wilhelm Lübke, Professor für Kunstgeschichte am Polytechnikum Stuttgart, noch 1871 in seinem Beitrag Die Kunstgeschichte und die Universitäten forderte, neue Fachprofessuren nur in jenen Städten zu begründen, die auch über eine adäquate Sammlung verfügen würden.68 Im Gegensatz zur Universität Wien, wo Eitelberger Ende 1852 klagte, dass hier »ein solches [Material] nicht vorhanden ist«, was ihn zwinge, seine Vorlesungen in die Akademie zu verlegen, sodass »auf diese Weise […] der Mangel eines Museums für die Universität wenigstens einiger

62 Hierzu  : Stalla 2010, bes. S. 39 – 76. Beyrodt 1991, S. 317. 63 Hierzu  : Borodajkewycz 1962, bes. S. 321 – 324  ; Höflechner, Brugger 1992, S. 11 – 18. Zur Lehrstuhlgründung in Bonn  : Stange 1937  ; von Einem 1968  ; Dilly 1979, S. 239 – 241  ; Beyrodt 1991, S. 319 f. 64 Hierzu  : Borodajkewycz 1962, S. 322 – 323. 65 AUW, PH PA 1553, Z. 2850, J. 1846. 66 Borodajkewycz 1962, S. 323. 67 Hierzu  : Eitelberger 1879a, S. 198  ; von Schlosser 1934, S. 157  ; Jenni, Rosenberg 2015, bes. S. 122 – 124. 68 Allgemeine Zeitung, 29. Juni 1871, S. 3221 – 3223  ; Lübke veröffentlichte den Text nochmals in  : Lübke 1885, S. 42 – 49. Freundlicher Hinweis von Frau Dr. Alexandra Axtmann aus Karlsruhe.

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Maßen ausgeglichen würde«, stand ihm am Polytechnikum eine höchst prominente Sammlung zur Verfügung.69 Dieses ehemalige ›National-Fabriksprodukten-Kabinett‹, als Mustersammlung der frü­hen Industrialisierung der Habsburgermonarchie gegründet, schnell über die Landesgrenzen hinaus bekannt und 1842 nach Übernahme der Sammlung Kaiser Ferdinands I. in ›Kaiserlich-Königliches Technologisches Kabinett‹ umbenannt, verdient unter zweierlei Gesichtspunkten Aufmerksamkeit  : Zum einen bot es die besten Voraussetzungen für Eitelbergers Vorlesungen für Gewerbeleute.70 Hier war es ihm möglich, durch das Vorzeigen von Einzelexponaten seinen eigenen methodischen Anspruch der technisch-historischen Beschreibung der Artefakte umzusetzen, was zugleich wie eine späte Einlösung der Ideen Prechtls erscheint, der diese Form des Unterrichts am Wiener Polytechnikum ja bereits 1812 gefordert hatte. Zum andern wird damit nahegelegt, dass für Eitelbergers 1864 erfolgte Gründung des Österreichischen Museums für Kunst und Industrie nicht nur, wie von ihm ausgeführt und in der bisherigen Literatur konstatiert, das 1852 eröffnete South-Kensington Museum in London das Vorbild bot.71 Vielmehr wird in dem Zusammenhang wohl auch dem Technologischen Kabinett des Polytechnischen Instituts eine zentrale Rolle – vielleicht sogar eine Initialwirkung – zuerkannt werden müssen. Hier konnte Eitelberger, durch allerhöchstes Handschreiben vom 7. März 1863 befugt, aus den umfangreichen Beständen der Kunstindustrie all das auswählen, was ein Jahr später bei der Eröffnung des Österreichischen Museums zu dessen Grundstock zählte.72 III. 1867 bis 1899  : Die Gründung des Lehrstuhls – von der ›Geschichte der Baukunst‹ zur ›Kunstgeschichte, unter Berücksichtigung der Architekturgeschichte‹

Der 1867 erfolgten Einrichtung der Professur für Kunstgeschichte am Polytechnischen Institut in Wien – zunächst noch mit Einschränkung auf die ›Baukunst‹ – ging ein langwieriger Diskussionsprozess voraus. Die Rahmenbedingungen lieferte hier die 1866, inmitten der Bauarbeiten an der Ringstraße, erfolgte Gründung einer selbstständigen Bauschule mit einem vollständigen Lehrgang für Hochbau.73 Dafür war laut Organisationsstatut von 1864 im »5. Jahrgang die Geschichte der Baukunst« mit »3 Vorlesungsstunden« pro Woche vorgesehen.74 Die Entscheidung für diese neue, »ordentliche 69 AUW Z. 164, J. 1852, Schreiben Eitelbergers vom 13. Dezember 1852. 70 Hierzu  : Polytechnischer Verein 1817, Sp. 660 – 664  ; Hantschk 1988, S. 143. 71 Zur Gründungsgeschichte siehe  : Eitelberger 1879b, S. 81 – 117  ; Noever 2000  ; Dobslaw 2009, S. 34 – 35. 72 Neuwirth 1915, S. 277. 73 Hierzu  : Pfammatter 1997, S. 220 f. 74 TUWA, Entwurf eines Organisations-Statutes für das k. k. Polytechnische Institut in Wien (Manuskript), Wien 1864.

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Lehrkanzel« fiel unter anderem aus Konkurrenz zur Akademie der bildenden Künste, der man das »Gebiet der ›schönen Baukunst‹« nicht länger allein überlassen wollte.75 Ziel war es vielmehr, auch für die Absolventen des Polytechnischen Instituts den »Geschmacks- und Formensinn soweit zu entwickeln, als es [ihre] Anlagen gestatten, um die Anforderungen der Praxis zu bewirken«. Konkret wurde festgelegt  : »Der Zweck dieser Vorlesung ist[,] durch Erklärung der charakteristischen Ordnung dem Schüler Sinn für Schönheit und Form, ein richtiges Verständnis der Ornamente verschiedener Style und deren Anwendung, sowie die Kenntnis der Eigenthümlichkeiten der wichtigsten Stylgattungen beizubringen.«76

Im Weiteren heißt es  : »Die Anordnung des Stoffes ist die Historische. […] Zum Verständnis der Denkmäler [der verschiedenen] Stylarten sind Erklärungen über Geschichte und Culturzustände der Völker nothwendig«.77 Dieses neue Ordinariat für ›Geschichte der Baukunst‹ war im Organisationsstatut von 1865 als Teil einer großen Stellenoffensive ausgewiesen, zu der die Einrichtung weiterer Professuren – unter anderem für »allgemeine Geschichte, für österreichische Geschichte, […] für Geschichte der induktiven Wissenschaften, für deutsche Literatur, für Aesthetik« – gehörten.78 Damit sollte die Architekturausbildung an der neuen Bauschule des Wiener Polytechnikums auf gänzlich neue Grundlagen gestellt werden. Zum Jahresbeginn 1866 beantragte die Direktion des Polytechnikums beim Kultusministerium zunächst eine Honorardozentur für die ›Geschichte der Baukunst‹.79 In dem Bewerbungsverfahren am 14. März 1866 sprach sich das Professorenkollegium einstimmig für Karl von Lützow (Abb. 3) aus.80 Dieser, ein Freund Eitelbergers und seit dem 17. Oktober 1864 dessen Nachfolger »als Dozent der Kunstgeschichte an der Akademie der bildenden Künste«,81 nahm zwar noch im gleichen Monat den Ruf an, 75 Ebd., S.  98 – 99. 76 Ebd., S. 128. 77 Ebd., S. 128. Im Weiteren heißt es  : »Die bedeutendsten Denkmäler werden kurz beschrieben, und die darin vorkommenden Ornamente gezeichnet oder in Modellen vorgelegt und in constructiver und ästhetischer Beziehung erklärt. Besonders wird Rücksicht zu nehmen sein auf den Zusammenhang des Ornaments mit dem Ganzen, dessen etwaige symbolische Bedeutung und Entwicklung aus einer Grundform. Wo es möglich und zweckentsprechend ist, werden auch Ornamente, welche an Einrichtungsstücken etc. vorkommen, in Betracht gezogen.« 78 Organisationsstatut für das k. k. Polytechnische Institut Wien, in  : Wiener Zeitung, 29. Oktober 1865, S.  292 – 294. 79 Neuwirth 1915, S. 533. 80 Ebd. Beworben hatte sich u. a. auch Josef Karl Bayer, Privatdozent für Ästhetik und deutsche Literatur an der Universität Prag und zugleich für Geschichte der Baukunst am dortigen Polytechnikum. 81 UAAbKW, Personalakten, Rudolf Eitelberger, Z. 550, J. 1864  : Ernennung Lützows zur Dozentur der Kunstgeschichte an der Akademie der bildenden Künste.

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doch lag die Stelle aufgrund eingezogener Gelder zunächst auf Eis, sodass sich das Professorenkollegium mit Schreiben vom 1. Oktober 1866 an das Ministerium wandte und darin der sofortigen Besetzung der neuen Professur höchste Priorität einräumte  : Das Fach sei »ein wesentliches Bildungsmittel für die Baukunst, welche nach dem Stande der Wissenschaft der historischen Grundlage nicht entbehren könne«.82 Es handle sich um »ein Hauptfach, welchen Rang ihm alle Bauschulen mit Ruf und auch das Statut selbst einräumten, [und das] unter die Fächer der strengen Prüfung aufgenommen« werde. Nirgends in Wien, weder an der Universität noch an der Akademie, würde die »eigentliche Geschichte der Baukunst« gelehrt, wie es »für den Zweck des Instituts erforderlich sei«. Schließlich sei der Kandidat aufgrund höchster Qualifikation für diese Stelle geradezu prädestiniert. Die Eingabe hatte Erfolg, sodass Lützow am 5. No- Abb. 3  : Karl von Lützow (1832 – 1897), P­ orträt, Fotografie von Julius Gerstinger, um vember 1866 zum honorierten Dozenten der 1874 – 1883. Deutsches Museum, München, Geschichte der Baukunst und ein Jahr später Archiv, PT_02325_01_01 »mit Ministerialerlass vom 30. 11. 1867, zum außerordentlichen […] Professor (der Geschichte der Baukunst) ernannt« wurde.83 Karl von Lützow, ein studierter Archäologe, der an der Universität München promoviert und habilitiert wurde und dort ab 1859 als Privatdozent Vorlesungen über griechische Kunst und Lyrik hielt, war zum Zeitpunkt seiner Berufung, wie in der Ernennungsurkunde ausgeführt, bereits ein höchst anerkannter Kunsthistoriker.84 Sein 82 Hierzu und zum Folgenden  : Neuwirth 1915, S. 533 f. Siehe ebenso  : AT-OeStA/AVA Unterricht UM allg. Akten 3227, Z. 9905/ 726, J. 1867, Brief des Rektorats des Polytechnischen Instituts an das Kultusministerium vom 14. August 1867. 83 TUWA, Rektorat des k. k. polytechnischen Instituts in Wien, Z. 7594, J. 1866, Übertragung der Dozentur der Baukunst am Polytechnischen Institut an Lützow. Siehe ebenso die zusammenfassende Darstellung seiner Berufungen  : AT-OeStA/AVA Unterricht UM allg. Akten 322, Ernennung Lützows zum ordentlichen Professor, Schreiben vom 10. März 1880. 84 AT-OeStA/AVA Unterricht UM allg. Akten 3227, Ernennung des honorierten Dozenten der Baukunst, Karl v. Lützow zum ao. Prof., Schreiben vom 13. November 1867. Zu Lützows wissenschaftlicher Biografie und seinem Wiener Umfeld siehe  : Bastl 2016, S. 21 – 27  ; ebenso  : Betthausen, Feist, Fork 1999, S.  254 – 256.

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Interesse an diesem Fach fand er während einer gemeinsam mit Wilhelm Lübke und Karl Schnaase unternommenen Studienreise nach Italien. 1863 wechselte Lützow durch Vermittlung Eitelbergers von München nach Wien, »habilitierte sich […] an der […] Universität als Dozent für Geschichte der Kunst und Archäologie« und wurde zunächst Sekretär und Bibliothekar an der Akademie der bildenden Künste.85 Seit 1866 war er Herausgeber der von ihm neu gegründeten Zeitschrift für bildende Kunst, des wichtigsten Fachorgans im deutschen Sprachraum. Seine späteren Publikationen galten neben der Antike dem Kirchenbau, der Druckgrafik, den Kunstschätzen Italiens, der zeitgenössischen Malerei – hier insbesondere Anselm Feuerbach und Hans Makart – sowie den Neubauten an der Wiener Ringstraße. Dieser wissenschaftlichen Breite entsprach auch Lützows Lehrangebot am Wiener Polytechnikum. Anfänglich beschränkte er sich auf die Geschichte der Baukunst,86 die ab dem Studienjahr 1871 in Architekturgeschichte des Altertums, des Mittelalters und der Neuzeit umbenannt wurde.87 Doch schon nach kurzer Zeit erweiterten sich seine Themenfelder deutlich, die nun regelmäßig auch »Geschichte der griechischen Plastik, Geschichte der italienischen Malerei, Geschichte der niederländischen Malerei« – Letztere stets mit dem Zusatz  : »nebst Erklärung der hervorragendsten Gemälde des Belvedere« – umfassten.88 Im Studienjahr 1879/80 kamen noch die Quellenschriftsteller zur Architekturgeschichte dazu – mit Vorlesungen zu Vitruv, Alberti und Filarete. Anregungen, auch die Architekturtheoretiker der Antike und der Renaissance in sein Lehrprogramm aufzunehmen, verdankte er offensichtlich Eitelberger, der ab dem WS 1868/69 an der Universität Kollegien Über die Quellenschriften zur Kunstgeschichte abhielt und seit 1871 die erste Folge seiner 18-bändigen Quellenschriften zur Kunstgeschichte herausgab.89 Hierfür sollte Lützow laut Eitelbergers Ankündigung von 1870 die Schriften Albertis bearbeiten, was dann aber Hubert Janitschek übernahm.90 Mit Eitelberger waren noch zwei weitere Tätigkeitsfelder Lützows verbunden  : Er gehörte zu den Rednern des von diesem im Oktober 1864 im Österreichischen Museums für Kunst und Industrie ins Leben gerufenen, öffentlichen Vorlesungsprogramms, das innerhalb weniger Monate »zu einer kulturpolitisch wie volkspädagogisch erstrangigen Einrichtung der Stadt« avancierte  ;91 hier war die Kunstgeschichte interdisziplinär in ein breites Spektrum technischer, medizinischer und naturwissenschaftlicher Fächer ein85 AT-OeStA/AVA Unterricht UM allg. Akten 3227, Ernennung des honorierten Dozenten der Baukunst, Karl v. Lützow zum ao. Prof., Schreiben vom 13. November 1867. 86 Hierzu  : TUWA, Vorlesungsverzeichnisse 1867/68 bis 1870/71. 87 Hierzu  : TUWA, Vorlesungsverzeichnisse 1871/72 bis 1884/85. 88 Ebd. 89 Zum Kollegium siehe  : Rektorat der Universität Wien 1868  ; hierzu ebenso Stalla 2010, S. 36  ; g­ rundlegend  : Dobslaw 2009, bes. S. 38 – 139. 90 Hierzu  : Dobslaw 2009, S. 23 f. 91 Stalla 2010, S. 20.

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gebunden.92 Ebenso gehörte Lützow gemeinsam mit Eitelberger, mit Moriz Thausing, damals Leiter der Graphischen Sammlung des Erzherzogs Albrecht (Albertina) und mit Friedrich Lippmann, Kustos des Österreichischen Museums für Kunst und Industrie, zu den Veranstaltern des ersten Kunstwissenschaftlichen Kongresses, der 1873, parallel zur Wiener Weltausstellung, in der Bibliothek des Österreichischen Museums abgehalten wurde.93 Damals waren, symptomatisch für die Situation der Kunstgeschichte, alle Fachvertreter der Polytechniken vertreten, während Eitelberger, als Mitveranstalter, der alleinige Vertreter der universitären Kunstgeschichte blieb.94 Anfang 1870, drei Jahre vor diesem Kongress, hatte Lützow einen Ruf »als ordentlicher Professor für die Kunstgeschichte an die Akademie der bildenden Künste zu Amsterdam« erhalten.95 Dies nahm das Professorenkollegium des Wiener Polytechnikums zum Anlass, in einem Rufabwehrverfahren dessen Ernennung zum »ordentlichen Professor für Kunstgeschichte« zu betreiben.96 Diese Aufwertung der Professur und die damit verbundene Umbenennung des Fachs verweist zugleich auf das veränderte Anforderungsprofil, das seit Jahren an diese Ordinariate im deutschen Sprachraum gestellt wurde. Lützows Wiener Kollegen führten in ihrem Antrag aus, dass an allen technischen Hochschulen Deutschlands und auch in Zürich »schon längst ordentliche Lehrkanzeln für die Geschichte der bildenden Kunst« bestünden.97 Diese seien »nicht bloß dem engeren Fach der Architekturgeschichte gewidmet [und würden] dadurch die Zusammengehörigkeit aller und die gegenseitigen Beziehungen der einzelnen Kunstzweige wissenschaftlich feststellen«.98 Zentral erscheinen die weiteren Ausführungen  : »Die Notwendigkeit des inneren Zusammenhangs der Architektur mit Plastik und Malerei historisch zu begründen, erfordert jedoch noch eine bedeutende Erweiterung des kunstgeschichtlichen Lehrgebietes, eigentliche kunstgeschichtliche Vorlesungen, wie sie in Stuttgart 92 Neben Eitelberger und Lützow wurde die Kunstgeschichte von Jacob von Falke, Eitelbergers Stellvertreter am Museum und erster Kustos, sowie von Moriz Thausing, Schüler Eitelbergers, seit 1864 an der Graphischen Sammlung des Erzherzogs Albrecht (Albertina) tätig und späterer Professor für Kunstgeschichte an der Universität Wien, vertreten. Hierzu  : Fabiankowitsch 2000  ; Stalla 2010, S. 21 – 29. 93 Zu Reglement, Fragepunkten und Programm des Kongresses siehe  : Bucher 1873a, S. 1 – 5. Hierzu ebenso  : Schmidt 1983, bes. S. 7 – 22. 94 Zu den Teilnehmern und zum Kongress  : Bucher 1873b, S. 445 – 470. Hierzu  : Beyrodt 1991, S. 323. 95 AT-OeStA/AVA Unterricht UM allg. Akten 3227, Ernennung Dr. C. v. Lützow zum ordentlichen Professor der Kunstgeschichte, Bericht des Fachschulcollegiums der Bauschule an das Professoren-Collegium, 9. November 1870. 96 Ebd. 97 Hierzu auch die Auflistung der kunstgeschichtlichen Professuren an technischen Hochschulen in  : ATOeStA/AVA Unterricht UM allg. Akten 3227. 98 Hierzu und zum Folgenden  : AT-OeStA/AVA Unterricht UM allg. Akten 3227, Ernennung Lützows zum ordentlichen Professor, Schreiben vom 10. März 1880.

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von Lübke, in Karlsruhe von Woltmann, in Zürich von G. Rinkel tradiert werden und wie sie auch durch unsere Fachschule ohnehin im Laufe des Jahres beantragt worden wäre.«

Aus diesen Gründen könne dem Schreiben des Professorenkollegiums zufolge kein Zweifel bestehen, »Prof. Lützow zum ordentlichen Professor für Kunstgeschichte zu ernennen, als großen Gewinn für unsere Bauschule und das gesamte Kunstleben Wiens« zu betrachten.99 Die Berufung Karl von Lützows zum ordentlichen Professor der Kunstgeschichte der Technischen Hochschule Wien erfolgte erst am 17. Februar 1882, also mehr als zehn Jahre später.100 Damit war 70 Jahre nach Prechtls Bemühungen um die Etablierung des Fachs am Polytechnischen Institut in Wien und mehr als 30 Jahre nach Eitelbergers Anfängen der kunsthistorischen Lehre hier nun offiziell der Lehrstuhl für Kunstgeschichte eingerichtet. Ihm folgte am 30. Juli 1899 der in Prag habilitierte Josef Neuwirth, nun als »ordentlicher Professor der allgemeinen Kunstgeschichte mit besonderer Berücksichtigung der Architekturgeschichte« – so wie das Fach noch heute an der Technischen Universität Wien vertreten wird.101 Literatur Arentin 1993 – Karl Otmar von Arentin  : Das Alte Reich 1648 – 1806. Bd. 1  : Föderalistische oder hierarchische Ordnung 1648 – 1684, Stuttgart 1993. Baltard 1794 – Pierre Baltard  : Architecture, in  : Journal polytechnique ou Bulletin du Travail fait à l’École centrale des travaux publics III (1794), S. 15 – 37. Bastl 2016 – Beatrix Bastl  : Die »Altertumswissenschaften«, das »Migrationsproblem« und die »Disziplin-Losigkeit«, in  : Karl Krierer, Ina Friedmann (Hg.)  : Netzwerke der Altertumswissenschaften im 19. Jahrhundert. Beiträge der Tagung vom 30. – 31. Mai 2014 an der Universität Wien, Wien 2016, S. 21 – 27. BDA 2004 – Bundesdenkmalamt Wien, Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien (Hg.)  : Wiener Schule. Erinnerung und Perspektiven, in  : Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte 53 (2004). Betthausen, Feist, Fork 1999 – Peter Betthausen, Peter Feist, Christiane Fork u. a. (Hg.)  : Metzler Kunsthistoriker Lexikon, Stuttgart 1999. Beyrodt 1979 – Wolfgang Beyrodt  : Gottfried Kinkel als Kunsthistoriker. Darstellung und Briefwechsel, in  : Veröffentlichung des Stadtarchivs Bonn 23 (1979), S. 12 – 45.

 99 Ebd. 100 AT-OeStA/AVA Unterricht UM allg. Akten 3227, Ernennung Lützows zum ordentlichen Professor, Schreiben vom 17. Februar 1882. 101 AT-OeStA/AVA Unterricht UM allg. Akten 1355, Schreiben vom 18. Juli 1899  ; Neuwirth 1915, S. 535.

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Robert Stalla

Sedlarz 2014 – Claudia Sedlarz  : Morgenröte der Berliner Kunstgeschichte. Aloys Hirt an der Berliner Akademie der Künste und seine Zusammenarbeit mit Karl Philipp Moritz und Friedrich Rambach, in  : Astrid Fendt, dies., Jürgen Zimmer (Hg.)  : Aloys Hirt in Berlin. Kulturmanagement im frühen 19. Jahrhundert, Berlin, München 2014, S. 141 – 178. Schlink 1992 – Wilhelm Schlink  : »Kunst ist dazu da, um geselligen Kreisen das gähnende Ungeheuer, die Zeit, zu töten …«. Bildende Kunst im Lebenshaushalt der Gründerzeit, in  : Rainer M. Lepsius (Hg.)  : Bildungsbürgertum im 19. Jahrhundert. Teil 3  : Lebensführung und ständische Vergesellschaftung, Stuttgart 1992, S. 65 – 81. von Schlosser 1934 – Julius von Schlosser  : Die Wiener Schule der Kunstgeschichte. Rückblick auf ein Säkulum deutscher Gelehrtenarbeit in Österreich, in  : Mitteilungen des österreichischen Instituts für Geschichtsforschung 13.2 Ergänzungsband (1934), S. 145 – 228. Schmidt 1983 – Gerhard Schmidt  : Die internationalen Kongresse für Kunstgeschichte, in  : Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte 36 (1983), S. 7 – 16. Stalla 1999 – Robert Stalla  : Die »Kupferstichsammlung der Universität« München. Geschichte der Sammlung und des Kunsthistorischen Institut, in  : Ders.: Es muss nicht immer Rembrandt sein … Die Druckgraphiksammlung des Kunsthistorischen Instituts München, Ausstellungskatalog München, München, Berlin 1999, S. 11 – 39. Stalla 2003a – Robert Stalla  : Das »Institut der bildenden Künste« in Landshut und der Beginn der universitären Kunstgeschichte, in  : Laetitia Boehm, Gerhard Tausche (Hg.)  : Von der Donau an die Isar. Vorlesungen zur Geschichte der Ludwig-Maximilians-Universität 1800 – 1826 in Landshut, Berlin 2003, S. 219 – 250. Stalla 2003b – Robert Stalla  : Das Institut der bildenden Künste in Landshut unter der Leitung von Simon Klotz, in  : Christian Drude, Hubertus Kohle (Hg.)  : 200 Jahre Kunstgeschichte in München. Positionen. Perspektiven. Polemik. 1780 – 1980, München, Berlin 2003, S. 29 – 43. Stalla 2005 – Robert Stalla  : Das »Institut der bildenden Künste« in Landshut unter der Leitung von Simon Klotz, in  : Reinhold Wegner (Hg.)  : Kunst als Wissenschaft. Carl Ludwig Fernow – ein Begründer der Kunstgeschichte, Göttingen 2005, S. 195 – 214. Stalla 2010 – Robert Stalla (unter Mitarbeit von Andreas Zeese)  : »Künstler und Gelehrter«. Der Universalist Camillo Sitte. Ein Eitelberger-Schüler im Umfeld der »Wiener Schule für Kunstgeschichte«, in  : Ders., Klaus Semsroth, Christiane C. Collins u. a. (Hg.)  : Camillo Sitte. Bd. 5  : Schriften zu Kunsttheorie und Kunstgeschichte, Wien, Köln, Weimar 2010, S. 9 – 86. Stalla 2019 – Robert Stalla  : Rudolf Eitelberger und die Anfänge der Kunstgeschichte am Poly­ technischen Institut in Wien. Anmerkungen zur Entwicklung und zum Stellenwert der Diszi­plin in der ersten Hälfte 19. Jahrhunderts, in  : Eva Kernbauer, Kathrin Pokorny-Nagel, ­Raphael Rosenberg u. a. (Hg.)  : Rudolf Eitelberger von Edelberg. Netzwerker der Kunstwelt, Wien, Köln, Weimar 2019, S. 155 – 171. Stange 1937 – Alfred Stange  : Lehrstuhl und Institut für Kunstgeschichte an der Universität Bonn, Bonn 1937. Stöger 2013 – Veronika Stöger  : Zur Entwicklung der ersten Kunstakademien im deutschsprachigen Raum. Organisationsformen und Inhalte im 17. und 18. Jahrhundert. Nürnberg, Augsburg, Dresden, Wien und Berlin, Dipl. Arbeit, Wien 2013. Technisches Museum 2004 – Technisches Museum Wien (Hg.)  : Massenware Luxusgut. Technik

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Kunstgeschichte am Polytechnischen Institut

und Design zwischen Biedermeier und Wiener Weltausstellung 1804 bis 1803, Ausstellungskatalog Wien, Wien 2004. Thiersch 1970 – Hermann Thiersch  : Ludwig I. von Bayern und die Georgia Augusta, Nendeln 1970. Vogt 1928 – Willhelm Vogt  : Fiorillos Kampf um die Professur, in  : Universitätsbibliothek Göttingen (Hg.)  : Beiträge zur Göttinger Bibliotheks- und Gelehrtengeschichte, Göttingen 1928, S.  91 – 107. Wagner 1967 – Walter Wagner  : Die Geschichte der Akademie der bildenden Künste in Wien, Wien 1967. Weiß 1888 – Karl Weiß  : Johann Josef Ritter von Prechtl, in  : Historische Commission bei der Königl. Akademie d. Wissenschaften (Hg.)  : Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 26  : ­Philipp (III.) Hessen–Pyrker, Leipzig 1888, S. 539.

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Maike Banaski

Emanzipation einer Hilfswissenschaft Kunstgeschichte in Darmstadt 1812 – 1869

Bereits vor der Gründung eines eigenen Lehrstuhls für Kunstgeschichte an der Poly­ technischen Schule Darmstadt 1869 spielte die kunsthistorische Forschung in Darm­ stadt eine wichtige Rolle. In der Etablierungs- und Aufbauphase der Kunstgeschichte lassen sich Entwicklungsstadien identifizieren, die zur Emanzipation des Fachs als eigenständige Wissenschaft beigetragen haben. Der Paradigmenwechsel von einer, wie Goethe formulierte, »Mengerey von bildender Kunst, Poesie und Religion« zu den Anfängen des systematischen Kategorisierens und Dokumentierens geht zugleich mit politischen Neustrukturierungen des Großherzogtums Hessen-Darmstadt einher, deren Wechselspiel gemeinsam mit dem Wirken wichtiger Protagonisten dargestellt werden muss.

Schon vor der Gründung des Lehrstuhls für Kunstgeschichte an der Polytechnischen Schule Darmstadt 1869 spielte der Unterricht kunsthistorischer Themen im lokalen Hochschulwesen eine Rolle. Doch lässt sich in dieser Aufbauphase an der Polytechnischen Schule Darmstadt zwischen 1812 und 1869 bereits von Wissenschaft im heutigen Sinne, also dem systematischen Kategorisieren und Dokumentieren von Kunst, sprechen  ?1 Bis wann war Kunstgeschichte ein Grundlagenfach, eine Hilfswissenschaft und stand vielmehr zwischen den Disziplinen  ? Ab wann stellte sie möglicherweise eigene Verbindungen und Theorien her  ? War sie Bestandteil eines neuen modernen Wissenschaftssystems, das sich mit Beginn des 19. Jahrhunderts in Darmstadt herausgebildet hat, oder steht das Fach Kunstgeschichte durch die Einbettung in ein technisches Umfeld abseits  ? Hatten der wirtschaftliche Schwerpunkt in der Ausrichtung der Polytechnischen Schule und das Bestreben in der Produktion materieller Güter Einfluss auf die fachliche Ausrichtung kunsthistorischen Wissens  ?

1 Carsten Reinhardt folgend wird Wissenschaft als Teil eines historischen Prozesses nach drei Kriterien festgelegt  : 1. Objektivität und Rationalität. Wissenschaftliches Wissen ist nach rationalen Kriterien überprüfbar und korrigierbar. 2. Aspekte der Anwendbarkeit und Bedeutung. Wissenschaft soll nicht nur ökonomische Nützlichkeitspotentiale ausschöpfen, sondern diese ebenso propagieren. 3. Eine enge Allianz von Wissenschaft, Industrie und Militär sorgt zunehmend für die Lösung gesellschaftlicher Aufgaben. Siehe Reinhardt 2010, S. 81 – 99 und vgl. Samida 2011.

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I. Altertumsforschung und Denkmalpflege in Darmstadt 1816 – 1820

Werfen wir zunächst einen Blick auf die »Mengerey von bildender Kunst, Poesie und Religion« zu Beginn des 19. Jahrhunderts.2 Wie Johann Wolfgang von Goethe in seinen Aufzeichnungen Ueber Kunst und Alterthum in den Rhein und Mayn Gegenden (1817) feststellte, offenbarte sich mit den Anschauungen und Äußerungen der Romantiker ein neues Verhältnis zu Kunstwerken. Hören wir Novalis (1777 – 1801) zu, wie er sich stellvertretend für eine junge Generation am Ende des 18. Jahrhunderts in seinen ästhetischen Fragmenten äußerte. Hier wird der gegenwärtige Zustand deutlich  : »Die Galerien sind Schlafkammern der zukünftigen Welt. Der Historiker, der Philosoph und der Künstler der zukünftigen Welt ist hier einheimisch  ; er bildet sich hier und er lebt für diese Welt. Wer unglücklich in der jetzigen Welt ist, wer nicht findet, was er sucht, der gehe in die Bücher- und Künstlerwelt, in die Natur, diese ewige Antike und Moderne zugleich, und lebe in dieser Ecclesia pressa der bessern Welt. Eine Geliebte und einen Freund, ein Vater­ land und einen Gott findet er hier gewiß. Sie schlummern, aber weissagenden, vielbedeu­ tenden Schlummer.«3

Die veraltete »von Künstlern und Schriftstellern gemeinschaftlich ausgedachte Geschmackslehre« erforderte eine Reform, die zugleich eine gesellschaftliche Öffnung der Kunst, u. a. durch die Gründung von Kunstakademien und musealen Inszenierungen, nach sich zog. Diese Öffnung einer neuen »Bücher- und Künstlerwelt« hatte große Wirkung auf die sich zeitgleich herausbildende Kunstforschung. Auch in Darmstadt lässt sich eine sogenannte »Studier-Sucht«4 einer jungen Generation nachweisen. Diese versuchte man jedoch zunächst von staatlicher Seite zu unterdrücken. Ein Bericht in der Großherzoglich Hessischen Zeitung von 1812 erklärt  : »Demnach ist, um der dem Staat in mehrerm Betracht nachtheiligen Studier-Sucht Einhalt zu thun, aus der viele Bürgers- und Bauern-Söhne sich dem Studiren widmen, ohne daß von ihnen überlegt werde, ob sie die hierzu gehörige[n] Fähigkeiten und andere erforderliche Hülfsmittel besitzen, unterm 12ten December 1774 und 30ten April 1790 eine landesherrliche Verordnung ergangen und erneuert worden, daß künftig niemand von Bürgern und Bauern seine Kinder von der gemeinen Handthierung ab- und zum studiern erziehen lassen solle [… und] daß sie schon in den untern Klassen, wenn sie keine besonderen Fähigkeiten 2 Goethe 1817, S. 31. 3 Novalis sieht in der Philosophie »das Ideal der Wissenschaft überhaupt«. Die Welt können wir nur verstehen, wenn wir uns selbst verstehen. Echte Mathematik ist das »eigentliche Element des Magiers«. Sie ist echte Wissenschaft, weil sie »gemachte Kenntnisse enthält, Produkte geistiger Selbsttätigkeit«, siehe Kamnitzer 1929 und Heilborn 1901. 4 Großherzoglich Hessische Zeitung, 11. Juni 1812, S. 65.

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zeigen, durch die Lehrer von dem Studieren abgemahnet und den Eltern sachdienliche Vorstellungen gemacht werden.«5

Bezogen auf die Anfänge kunsthistorischer Forschung in Darmstadt verbreiteten insbesondere Schriften der Romantiker wie Novalis und Friedrich Schlegel (1767 – 1845) ein neues Verständnis für die »Überreste des Mittelalters« und machten einen Hang zum Altertümlichen »im Volk wach […], der nunmehr unter patriotisch-nationaler Form hervortrat«.6 Die Faszination für vormals sakrale Bauwerke, Innenausstattungen und ehemals geistlichen Besitz wie Bücher, Skulpturen, Malereien und liturgisches Gerät entfachte neben neuen Sammlungstätigkeiten auch das wissenschaftliche Interesse, insbesondere als Mittel zur Rechtfertigung der Hinwendung zum Alten  : »Eine gegen das Ende des vergangenen Jahrhunderts vorbereitete, in dem Gegenwärtigen aber sich mehr entwickelte [entwickelnde] Leidenschaft zu den Resten der alten Kunst, wie sie sich nach und nach aus dem trübern Mittelalter hervorthat, erhielt reichliche Nahrung, als Kirchen und Klöster aufgehoben, heilige Gemälde und Geräthschaften verkauft wurden.«7

Von dem Verkauf säkularisierter Gegenstände profitierten nicht nur Sammlungen und Galerien, die durch die neuen Objekte erweitert wurden, wodurch die vormals noch als Schlafkammern degradierten Galerien zu neuem Leben erweckten.8 In der Fortset­ zung der Funktion herrschaftlicher Kunstkabinette und Wunderkammern wurden die Sammlungen auch zu Orten der Wissenschaft. Zahlreiche Kunst- und Bauwerke wurden im Zuge eines neuen Bewusstseins für den Wert der Kunst durch Aufarbeitung und Kategorisierung vor dem Verfall gerettet. Auch im Großherzogtum Hessen-Darmstadt formierten sich, ausgelöst durch das aufkommende nationalstaatliche Bewusstsein nach den zahlreichen Zerstörungen wäh­­rend der napoleonischen Kriege, neue Verantwortlichkeiten im Umgang mit dem kulturellen Erbe.9 1816 berief der Großherzog und Landgraf Ludwig I. (1789 – 1830) den Kasseler Hofmaler Franz Hubert Müller (1784 – 1835, Amtszeit 1817 – 1835) nach Darmstadt. Als Galerieinspektor sollte dieser die großherzogliche Sammlung neu ordnen und an der neu gegründeten Zeichenschule im Residenzschloss Darmstadt allgemeine Zeichenlehre und deutsche Geschichtskunde unterrichten. In seinem Dienst als Galerieinspektor und Direktor der Gemäldegalerie tätigte Müller zudem Ankäufe für 5 Ebd. 6 Goethe 1817, S. 31  ; vgl. Lohner 1983 und Hessisches Landesmuseum Darmstadt 2015. 7 Siehe Goethe 1863, S. 662. 8 Als Beispiele seien hier u. a. die Sammlung Dalberg zu nennen, die den Grundstock zur Gründung des historischen Museums in Frankfurt lieferte, oder die Sammlung Adolf von Hüpsch, die den Grundstock für das Hessische Landesmuseum Darmstadt ausmachte. 9 Vgl. Haupt 1952, S. 54, Franz, Lachmann 2002 und Engels 2014.

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den Großherzog. Mit einem Blick auf das »Recht für die Gegenwart« wandte er den »Producten väterländischer Künstler« ein besonderes Augenmerk zu.10 Beim Ankauf und der Präsentation von Objekten war für Müller genauso wie für seinen Nachfolger Carl Ludwig Seeger (1808 – 1866, Amtszeit 1838 – 1866) ein nationales Interesse bestimmend. In Müllers Beiträge zur deutschen Geschichtskunde durch Kunstdenkmale mit vorzüglicher Berücksichtigung des Mittelalters setzt sich dieses Interesse auf wissenschaftlicher Ebene fort.11 Diese 1837 veröffentlichten Forschungsergebnisse über verschiedene Bauwerke Hessens dienten einerseits deren Restaurierung, andererseits aber zugleich als Vorlage zur Ideenfindung beim Entwurf neuer Bauwerke. Auch Müllers Erforschung und Dokumentation der Oppenheimer Katharinenkirche in einem opulenten Tafelwerk in acht Lieferungen sollte neben der Wiederherstellung des Originals vor allem als Vorbild für zeitgenössische Künstler dienen und ihnen nachahmenswertes Material an die Hand geben.12 Die neue Wertschätzung von Baudenkmälern als Wahrzeichen der kulturellen Entwicklung einer modernen Gesellschaft sowie die Bedeutung von Tradition und vergangenen nationalen Leistungen für zukünftige Entwicklungen wurden im Spannungsfeld der Herausbildung eines neuen Nationalbewusstseins im frühen 19. Jahrhundert zunehmend stärker. In einem Wechselspiel aus nationalem Bewusstsein und historischem Interesse entstanden auch die ersten Denkmalschutzgesetze. Die früheste Verordnung in Deutschland, die nicht nur die Sicherung historischer Funde, sondern auch den Erhalt bestehender Baudenkmäler sicherstellen sollte, erließ das Großherzogtum Baden im April 1812 nach dem Entwurf Friedrich Weinbrenners.13 Dem folgte 1818 Weinbrenners Schüler Georg Moller (1784 – 1852) mit einem Entwurf für Hessen-Darmstadt. Auf Mollers Anraten und als Reaktion auf zahlreiche Abrisse und Gefährdungen erließ Großherzog Ludwig I. im Jahr 1818 die erste umfassende Verordnung in Deutschland, die den Schutz und die Pflege der Denkmäler der Baukunst zum Inhalt hatte. Moller

10 Vgl. Bott 2003, S. 204 – 205, S. 251 und Jülich 2014. 11 Nach einem nicht abgeschlossenen Jurastudium begann Franz Hubert Müller 1801 als Autodidakt zu malen und arbeitete bis 1814 als Hofmaler in Kassel. Es folgten Reisen nach Moskau und St. Petersburg als Porträtmaler russischer Militärs. Anschließend ließ er sich in Frankfurt a. M. nieder und wurde 1816 nach Darmstadt berufen. 1818 gründete Müller in den Räumen des Museums eine Zeichenschule, in der sich junge Künstler wie Peter App und August Lucas an den Vorbildern der Sammlung und durch Naturstudien schulen konnten. Seit 1819 war Müller auch als Zeichenlehrer am Pädagog tätig. Die Initiative Georg Mollers für ein Gesetz zur Dokumentation und den Erhalt bedeutender Baudenkmäler im Großherzogtum veranlasste Müller, sich der Erforschung der Oppenheimer Katharinenkirche zu widmen, der er ein opulentes Tafelwerk widmete. 1824 verlieh ihm die Universität Gießen den Doktorgrad. Müller hatte sieben Kinder, von denen drei Söhne sowie ein Enkel Maler und Kupferstecher wurden. Vgl. Dotzert 2006. 12 Siehe Müller 1858. 13 Vgl. Böker 2017, S. 14.

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druckte sie in seiner Einleitung zu den Denkmälern der Deutschen Baukunst ab und urteilte selbst  : »Die Geschichte des menschlichen Geschlechts und seiner stufenweisen Entwicklung, das scheinbare Zurücksinken in manchen Perioden, und das Hervorgehen des Besseren und Schöneren aus dem Boden selbst, sind dem denkenden Menschen das lehrreichste und würdigste Studium und erfüllt ihn mit Verehrung und Anbetung der Vorsehung. Diese Geschichte besteht aber weder allein in todten Namensverzeichnissen, noch in der Erzählung immer wiederkehrender Kriege und aller Leiden und Verbrechen, welche Raubsucht und Ehrgeiz dem menschlichen Geschlecht bereitet haben, sondern vielmehr in den stilleren Gemälden der Sitten, der Religion, der bürgerlichen Verfassung, des Handels, der Künste und der Wissenschaften. Einen wesentlichen Teil dieses Gemäldes bildet die Geschichte der Baukunst, deren Werke für denjenigen, welcher sie gehörig betrachtet, die lebendigsten, ja aus manchen Perioden die einzig übrig gebliebenen Urkunden früherer Zeit sind, indem sie die lebhafteste und belehrendste Vorstellung der Eigenthümlichkeit, der Kenntnisse und der Macht ihrer Urheber geben.«14

Indem Moller die Geschichte der Baukunst als Teil der »stilleren Gemälden der S­ itten, der Religion, der bürgerlichen Verfassung, der Künste und der Wissenschaften« begreift, erweiterte er den Wirkungskreis des Architekten erstmals von einer städtebaulichen auf eine sozialgeschichtliche Funktion. Auch wenn Moller im Vergleich zu anderen wichtigen Protagonisten des Klassizismus wie Karl Friedrich Schinkel, Leo von Klenze oder Friedrich von Gärtner ›nur‹ Staatsarchitekt eines Kleinstaates und nicht einer Großmacht wie Preußen war, so spiegelt sich in seinem Wirken ein wichtiger Umbruch wider.15 Mit dem neuen Denkansatz, den Architekten zugleich als Bauforscher, Handwerker und Techniker zu begreifen, übte er großen Einfluss auf die nachfolgenden Generationen und die Ausbildung junger Architekten in Darmstadt aus. II. »In welchem Style wollen wir bauen  ?«16 Georg Moller und die Architektenausbildung an der Darmstädter Bauschule 1812 – 1836

Mit der Gründung des Rheinbundes 1806 verdoppelte sich die Fläche und Bevölkerungszahl des souveränen Großherzogtums Hessen-Darmstadt. Nach Zusammenschluss des Deutschen Bundes 1815 betrug die Einwohnerzahl des Großherzogtums rund 650.000 Einwohner_innen. Damit gehörte das Großherzogtum zu den größten 14 Siehe Moller 1831, S. 3 – 5. 15 Vgl. Groblewski 2015, S. 18 – 33. 16 Siehe Hübsch 1828.

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Mittelstaaten. Die mit dem Aufbau der neuen Landesverwaltung rasch wachsende Kapitale Darmstadt zählte 1820 bereits 18.000 Einwohner_innen, Mitte der 1830er Jahre stieg die Zahl auf 25.000.17 Ludwig I. avancierte zum Großherzog von Hessen und bei Rhein. Einen wichtigen Teil seiner politischen Neustrukturierung des Landes umfasste das Bildungswesen  : Männliche Bürger und Angehörige des Mittelstandes sollten fortan integriert und öffentliche Bildung zum Nutzen und zur Belehrung des Volkes durch die Öffnung von Bibliotheken und Sammlungen ermöglicht werden. Die neue, bürgerlich dominierte Gesellschaft sollte nicht abgeschottet, sondern dem starken bürgerlichen Element in Beamtenschaft und Offizierskorps Rechnung getragen werden  : »Erst allmählich gelang es dem Hof, auch die standesherrlichen und vormals reichsfreien Adelsfamilien der zwischen 1803 und 1815 hinzugewonnenen Gebiete voll in die Führungsschicht einzubinden. Wichtiger noch erscheint mir, daß sich der großherzogliche Hof von Anbeginn an nicht gegen die neue, bürgerlich dominierte Gesellschaft abgeschottet hat, daß er dem starken bürgerlichen Element in Beamtenschaft und Offizierskorps Rechnung trug.«18

Einen weiteren Schritt in der Neustrukturierung des Landes umfasste die am 21.12.1820 in Kraft getretene Verfassung für das Großherzogtum Hessen.19 Diese hatte ebenfalls Auswirkungen auf die Stadtverwaltungen, die neben zahlreichen Änderungen im J­ ustizund Gemeindewesen auch Neugründungen nach sich zogen  : Der Aufbau eines Stadtbauamts, das Aufgaben des Stadtausbaus und der Bauaufsicht von der staatlichen Verwaltung übernahm, sowie die wachsende Vielfalt neuer Bauaufgaben veränderte auch die Ansprüche an das Personal. So wurde die Position des Hofbaumeisters zu einer Position des Stadtbaumeisters verändert. Moller blieb auch nach der Umstrukturierung der Verwaltung in leitender Funktion und ging vom Dienst als Hofbaumeister und Hofbaudirektor des Großherzogtums Hessen-Darmstadt in die Leitung des Stadtbauamts als Oberbaurat über.20 In dieser Funktion begann er 1819 mit der Planung für eine Erweiterung und Umgestaltung der Nutz- und Wohnfläche Darmstadts, der sogenannten ›Moller-Stadt‹, die heute den westlichen Teil der Innenstadt ausmacht.21 Für die Wohnanlagen entwarf er das klassizistisch geprägte ›Moller-Haus‹ mit fensterlosem Hinterbau, quer gestelltem Vorderbau und Säulenportikus mit Freitreppe. Mit dem 17 Vgl. Möckl 1990, S. 185. Dazu auch Franz 1980 und Franz 1985, S. 291 – 302. 18 Siehe Möckl 1990, S. 176, vgl. Bott 1970, S. 7. 19 Dazu gehörte u. a. auch die Einführung einer neuen Justiz- und Gemeindeverfassung. Der Bürgermeister trat jetzt in neuer Funktion auf und bildete gemeinsam mit zwei Beigeordneten als Vertreter, dem Stadtrechner und dem Gemeinderat aus 18 weiteren Personen den Ortsvorstand. Jeder erwachsene Inländer konnte fortan das Ortsbürgerrecht erwerben, musste dazu jedoch ein gewisses Vermögen nachweisen. Siehe Franz 1980, S. 108 – 112. 20 Vgl. Franz, Kimmel 1978, S. 85 – 155. 21 Vgl. Werkbundakademie 2015 und Kartmann 2004.

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Bau der St. Ludwigskirche (1822 – 1827) mit Säulengang nach Vorbild des Parthenons oder dem Bau des Ludwigsmonuments (1836) wurden verstärkt auch technische Aspekte und Fragestellungen – wie statistische Berechnungen aus dem engeren Bereich des Bauingenieurwesens – Grundlage seiner Arbeiten.22 Der Architekt Moller war zugleich technischer Leiter und versuchte in seinen Texten eine möglichst große Zielgruppe anzusprechen. Mollers Beiträge setzen sich intensiv mit gestalterischen Fragen, Bauablauf und Baustellenorganisation sowie wirtschaftlichen Gesichtspunkten auseinander, um nach ›neuen‹ Konstruktionstechniken und eigenen Bauideen zu suchen. Mit seinem Brief an Goethe vom 8. November 1818 erhoffte sich Moller einen Rat darauf, wie »den Bestrebungen denkender Architekten eine Basis gegeben und diesem Theile der Baukunst in der gegenwärtigen Krisis vielleicht für Jahrhunderte die Richtung ertheilt würde. […] Alle Völker und selbst unsere Vorfahren hatten für ihre Tempel gewisse Normen, welche, weit entfernt dem Genie Fesseln anzulegen, dazu dienten ihm seine Richtung vorzuzeichnen.«23

Mollers Interesse an der antiken Kunst galt insbesondere den Konstruktionen frühchristlicher Basiliken und nicht – wie zunächst bei den Romantikern üblich, den ›Überresten des Mittelalters‹ oder antiken Ruinen. Die Suche nach Konstruktionstechniken und Bauideen brachte Moller immer wieder in Verbindung mit der romanischen und gotischen Kirchenbaukunst. Während seiner Italienreise 1807 fertigte er selbst Zeichnungen und Studienblätter nach Vorlage gotischer Kirchenbauten wie dem Straßburger und dem Freiburger Münster an, um sich dann selbst zu fragen  : »Wie kommt es, dass junge Baukünstler in Rom die Ruinen, die hundertmal gezeichnet und gestochen sind, noch einmal messen und zeichnen, ehe sie von den ihnen so nahe liegenden Werken ihrer Vorfahren nur eine oberflächliche Kenntnis haben  ?«24 Mollers Interesse an der Kopie und der Zeichnung architektonischer Vorbilder lässt sich auf seine Ausbildung bei Weinbrenner in Karlsruhe zurückführen. Hier entstanden seine ersten Architekturstudien zu den großen Kirchenbauten des Mittelalters. Moller knüpfte in seiner Arbeitsweise früh an eine Tradition von Kunstforschern an, die durch das Studium und die Kopie von bauhistorischen und kunsthistorischen Vorbildern nach ästhetischen Aspekten für eigene Arbeiten suchten. Als Vorbilder dieser Arbeitsweise zählt Moller Personen auf, die sich als wissenschaftliche Forscher und Zeichner verstanden  : Quaglio und Friedrich Gilly, unter den schreibenden Forschern insbesondere Büsching, Costenoble, Fiorillo, Frick, Hundeshagen, Stieglitz und Rumor.25 Zu 22 Neben seiner Tätigkeit als Architekt verfasste Moller auch theoretische Abhandlungen, u. a. zur deutschen und antiken Baukunst. Vgl. u. a. Moller 1831 und Moller 1833. 23 Zit. nach Frölich, Sperlich 1959, S. 243 – 244. 24 Zit. nach Frölich, Sperlich 1959, S. 243 – 244. 25 Vgl. Frölich, Sperlich 1959 und Werkbundakademie 2015.

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Beginn seiner Darmstädter Jahre traf Moller auf Sulpiz Boisserée (1783 – 1854), mit dem ihn das Interesse für Bauforschung und Denkmalpflege verband und der ihn als Zeichner und Bauhistoriker für eine Mitarbeit an der Fertigstellung des Kölner Doms anwarb. Erstmals handelte er hier als Denkmalpfleger und gab umfassende Ratschläge in der Bewertung des baulichen Zustands des Doms. Die in dieser Funktion entstandenen Zeichnungen für die Kupferstichvorlagen stellen einen Höhepunkt im zeichnerischen Werk Mollers dar.26 Mit seinen Abbildungen zielte Moller darauf ab, der heutigen Bauforschung entsprechend, auf einem Aufmaß beruhende Bauzeichnungen zu liefern, die eine exakte Vorstellung von den Gebäuden geben und eine Dokumentation der Bauten darstellten. Seine Entwürfe ausgeführter und zur Ausführung bestimmter Gebäude von 1821 gehen auf Vorläufer wie das Werk Gillys über die Marienburg von 1794 zurück, das als Stichwerk 1799 bis 1803 von Friedrich Frick unter dem Titel Schloss Marienburg in Preußen herausgegeben worden war.27 Fünf Jahre später lag Mollers dreibändiges, chronologisches Kompendium über die Denkmäler der deutschen Baukunst vor. Es war der erste Versuch einer umfassenden Darstellung der älteren Baugeschichte. Dem ersten Band von 1821 folgten 1822 bis 1831 der zweite in drei Teilen und der dritte Band 1843. Für fast alle Bauten lieferte der Baumeister selbst die Vorlagen und sah darin »die lebendigsten, ja aus manchen Perioden die einzig übrig gebliebenen Urkunden früherer Zeit«.28 Auch in seinen Beiträgen zu der Lehre von den Construktionen (1832 – 1844) stellte Moller die zeichnerische Analyse als das einzig adäquate Mittel für das Studium der Baukunst dar. Dabei trennt er systematisch die naturwissenschaftlich begründete Konstruktionslehre von der ästhetisch-philosophisch orientierten Baukunst. In den sieben Heften, die er zwischen 1832 und 1844 herausgab, prägte er den Begriff der Bauwissenschaft wie folgt  : »Unter den Bauwissenschaften verstehe ich jedoch hier nicht denjenigen Teil derselben, welcher als schöne Kunst ins Gebiet der Ästhetik gehört, sondern den für den materiellen Wohlstand weit wichtigeren, welcher sich mit der Construktion beschäftigt und auf der Kenntnis der mathematischen und Naturwissenschaften beruht.«29

Mit Fortschreiten seiner eigenen positivistischen bauhistorischen Studien und Lehren erkannte Moller, dass sich auch das technische Wissen im Bereich der »Civil-Baukunst« kumulativ, d. h. progressiv erweitern lässt  : 26 Mollers Architekturzeichnungen hielten später neben Malern wie Raffael und Rembrandt Einzug in die fürstliche Galerie und wurden lange im Kontext einer ›neudeutschen Schule‹ neben deutschen Künstlern wie den beiden Hofmalern Johann Heinrich Schilbach und August Lucas ausgestellt. Vgl. Hessisches Landesmuseum Darmstadt 2015. 27 Kartmann 2004, S. 43. 28 Moller 1833, Vorrede zum 1. Band. 29 Moller 1833, S. 11.

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»Es ist hier also von keiner neuen Erfindung die Rede, sondern von der Wiederanwendung eines sehr vorteilhaften und längst bekannten Prinzips. Das alte Bekannte ist aber nicht benutzt, nicht angewandt worden. Ob es verdient, zum Gesetz erhoben zu werden, darüber werden die Sachkenner entscheiden, wenn sie die nach demselben entworfenen Construktionen geprüft haben werden. […] Durch das Vorhandene belehrt, wird dann, wenn auch langsam doch sicher und ohne Rückschritte das Gebiet der Wissenschaft erweitert werden. Wünschenwerth ist es daher, dass alle praktische Bautechniker Deutschlands ihre Erfahrungen mittheilen wollen.«30

Die gesellschaftliche Verantwortung des aufgeklärten, denkenden Architekten legte Moller in seine Fähigkeit zur Reflexion der architekturtheoretischen und -historischen Zusammenhänge. Architektur verdiene diesen Namen nur, wenn sie normative Gebräuche erfülle, denn »alle Völker und selbst unsere Vorfahren hatten für ihre Tempel gewisse Normen«.31 Er forderte, dass die seit dem 16. Jahrhundert existierende Trennung zwischen Baumeister und Handwerker, also zwischen Gelehrtem und Ausführendem aufzuheben sei. Anhand der Verbindung historisch-ästhetischer und technischer Aspekte zeigte er, wie wichtig die Zusammenführung beider Bereiche ist  : »Das gotische Konstruktionssystem, das sich als Netz bzw. Knotensystem zeigt, übertrifft in Leichtigkeit und Festigkeit alle bisher dagewesenen Konstruktionssysteme.«32 Mit diesen Erfahrungen, maßgeblich geprägt durch die Arbeiten im Kreise der Kölner Dombauhütte, erkannte Moller auch die Notwendigkeit, Bauhandwerker anders auszubilden und zu schulen. Er sah, wie aus der Ausbildung der Handwerker und Architekten an der Dombauhütte wesentliche Künstler und Bauhandwerker für die neugotische Stilrichtung hervorgegangen waren, und konnte diese Qualitätssteigerung der Architekten und ihrer praktischen Fertigkeiten durch die objektnahe Ausbildung nicht hoch genug bewerten. Insbesondere die Möglichkeit, an derartigen Bauten experimentell neue Erkenntnisse in Materialkunde und Konstruktionslehre zu gewinnen, faszinierte ihn. Zwei Grundlagen lassen sich folglich als maßgebliche Zäsur in der Architektenausbildung an der Bauschule Darmstadt unter Georg Moller festlegen  : 1. Eine Intensivierung und Reflexion der Ideen- und Wissensproduktion durch architekturhistorische Abhandlungen, Vergleichsbeispiele und die Zusammenarbeit verschiedener Arbeitsbereiche und 30 Ebd. 31 Eine systematische Erfassung des Wirkens der Moller-Schule in Hessen steht nach wie vor aus. Zum Wirken Mollers als Architekt und Stadtplaner vgl. neben dem grundlegenden Band von Frölich, Sperlich 1959 den Moller gewidmeten Teil des Katalogbands von Franz, Kimmel 1978. Max Hessemer, Städel-Professor in Frankfurt, und Jakob Felsing, Professor in Darmstadt, gelten als Verfasser des Nachrufs auf Moller im Deutschen Kunstblatt 1852, siehe Frölich, Sperlich 1959. 32 Eine ganze Reihe architektonischer Verfahren sind mit seinem Namen verbunden, wie zum Beispiel der Mollersche Knoten oder Mollersche Verband. Siehe Frölich, Sperlich 1959, S. 243 und Kartmann 2004, S. 93.

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2. Eine veränderte Seherfahrung und Aneignung von Wissen durch die Anfertigung von Architekturzeichnungen als Vergleichsbeispiele und ›Inspiration‹. Der Wunsch zur Umsetzung dieser Ideen an der Bauschule durch Moller führte zu einer Öffnung im Lehrplan. Neben einer rein technischen Bauausbildung sollte es fortan möglich sein, sich auch in neuem Unterrichtsstoff weiterzubilden, u. a. im geometrischen Zeichnen, Optik, Perspektive sowie der Zeichnung von Grund- und Aufrissen. III. Erweiterung zur Höheren Gewerbeschule – Liberalisierung und Demokratisierung 1836 – 1847 »Durch die Beschränktheit der Mittel, welche der Regierung zu Gebote stehen, wird ein System des Unterrichts nothwendig. Aus diesem Umstande darf aber keine Beschränkung der Studienfreyheit entstehen. Der Beruf ist Zweck und alle Studien sind Mittel. Das System des Unterrichts muß sich daher auf eine Classification der Berufsarten gründen. In dieser Beziehung sind drey Klassen zu unterscheiden, nämlich  : 1) Es genüget der bloße elementare Schulunterricht  ; Oder 2) es ist das factische Wissen und Kennen der wissenschaftlichen Resultate noch hinreichend oder 3) es muss das Wissen scientivisch noch die letzten bekannten Gründe erreichen. Die Schulen für die Zwecke der dritten Klasse setzen eine consequente wissenschaftliche Vorbereitung voraus. Da der Beruf allein der Zweck alles Studierens ist, und das System des Unterrichtes immer nur auf einer Hypothese beruht, so muss freye Wahl der Studien bestehen.«33

Das Pariser Modell der École Polytechnique (gegr. 1794) fand, wie viele postrevolutionäre französische Einrichtungen, in ganz Europa Nachahmung und führte zur Gründung Polytechnischer Schulen, u. a. in Nürnberg 1823, Karlsruhe 1825, München 1827, Dresden 1828, Hannover 1831. Auch in Darmstadt war die Erweiterung von einer Bau- und Bildungsschule zu einer höheren Gewerbeschule eine Antwort auf den Paradigmenwechsel in der Wissenschaft. Als Vorstufe der Gründung einer Polytechnischen Schule in Darmstadt 1869 und Alternative zum Studium wurde für Bürger und Bauern 1821 zunächst das Auditorium der handwerklich ausgerichteten Bauschule des Großherzogtums Hessen um eine Realschule erweitert. Durch Öffnung der Schule 1826 zur Höheren Bürgerschule sollten sich fortan alle »Söhne des gebildeten Mittelstandes« einschreiben können.34 Der Bekanntmachung vom 15. August 1826 lässt sich zudem entnehmen, welcher Stellenwert der Baukunde und Architektur jetzt als nur noch einer von vielen Fachrichtungen zugesprochen wurde. Es sollte sich allen 33 Desberger 1827, S. 12. 34 Wagner 1829, S. 38.

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»bürgerlichen Ämtern, Geschäften und Gewerben« gewidmet werden, »wozu keine akademischen Studien nötig sind, also künftige Kaufleute, Manufakturisten, Fabrikan­ ten, Oekonomen, Künstler, Apotheker, Rechnungsbeamten, Kanzellisten. Diesem Zwecke gemäß wird darin von sechs angestellten Lehrern Unterricht über folgende Gegenstände ertheilt werden  : Religion und Religionsgeschichte, deutsche, französische und lateinische Sprache, Geschichte, Geographie, Naturlehre, Naturgeschichte, Technologie, Chemie, Mathematik, Rechnen, Schönschreiben, Zeichnen, Singen.«35 Der tägliche Unterricht umfasste vier Stunden und kostete jährlich ein Schulgeld von 14 Gulden. Der Schwerpunkt des Unterrichts war fortan eng mit den Realien verbunden, die zu einer bürgerlichen, d. h. kaufmännischen oder ökonomischen Berufsausbildung dazugehörten. Die Industrialisierung und starke Ausdehnung der Stadt brachte eine enorme Zunahme der Verwaltungstätigkeit mit sich und stellte nicht nur, wie im vorherigen Kapitel gezeigt, an den Städtebau neue Herausforderungen. Erstmals wurden auch Fachämter gebildet wie Steuerbüros und Standesämter. Der Ausbau der Schule zu einer Höheren Gewerbeschule des Großherzogtums Hessen-Darmstadt versprach wirtschaftlichen Nutzen und eine rasche Entwicklung der Industrie. Da aber die gelehrten Schulen nicht nur Vorbereitung für den Staatsdienst sein sollen, passte man die Bildungsmöglichkeiten den Bedürfnissen der aufstrebenden bürgerlichen Gesellschaft im Sinne einer Realbildung an.36 Das Volk sollte an geistigem Leben, an besseren bürgerlichen Einrichtungen, an Gewerbefleiß und Wohlstand teilhaben und so durch industrielle und technische Entwicklungen an der Steigerung der Produktion mitwirken.37 Unter der Leitung des Pädagogen Theodor Schacht (1836 – 1847) und in Absprache mit dem Stadtbaumeister Balthasar Harres (1804 – 1868, Amtszeit 1829 – 1869), der selbst ab 1841 als Lehrer der Architektur in der Höheren Gewerbeschule tätig war, entschied sich der Schulrat 1839 zu einer Ausdifferenzierung des bisherigen Unterrichts in untere und obere Klassen. Zugleich wurde die Spezialisierung in Fachklassen ermöglicht. Als Spezialklassen konnte man zwischen Chemischer Klasse, Bauklasse, Geodätischer Klasse, Mechanischer Klasse und ab 1849 auch einer Landwirtschaftlichen Klasse auswählen. Ziel und Zweck der Einrichtung war es, dass auf diese Weise gleichermaßen »mathematische und naturhistorische Lehrer, Angestellte im Steuer-, Post- und Rechnungsfache, Forst- und Landwirthe, Berg- und Hüttenbeamte, Apotheker, Chemiker, Ornamentiker und Musterzeichner in Fabriken, Mechaniker und Maschinenbaumeister, Offiziere, Ingenieure, Architekten, zeichnende Künstler, Buchhändler und Fabrikanten ihr Bildungsfundament«38 finden konnten. 35 Ebd. 36 Vgl. Desberger 1827 und Köhler 1830. 37 Vgl. Franz 1980 und Franz 1985. 38 Siehe Schacht 1845, S. 30 f.

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Bereits 1844 verkündete Schacht, die Schule habe 73 dem höheren Gewerbestande zugehörige Mechaniker, Fabrikanten, Apotheker und Künstler ausgebildet. Wiederum 25 der Schulabgänger, darunter sechs Architekten, nutzten die Ausbildung als Zusatzqualifikation, um auch ohne Abitur an einer Universität ein Examen abzulegen. Wie man einem erhaltenen Studienplan von 1839 entnehmen kann, lag der Schwerpunkt des Unterrichts an der Gewerbeschule weiterhin, vergleichbar mit den Bau- und Ingenieurschulen dieser Zeit, auf »Zeichnen, Geometrie, Mathematik und Construktion«.39 Wenig verwunderlich ist so auch die Nähe der Gewerbeschulen zu Kunst- und Bauakademien, wie beispielsweise in Frankfurt, wo man 1844 die Zusammenführung des Städel’schen Kunstinstituts mit einer Gewerbeschule plante  : »Die Vorarbeiten behufs Errichtung einer Gewerbeschule in unserer Stadt nehmen unter der ebenso eifrigen als einsichtsvollen Leitung unseres Mechanikers Wagner den erfreulichsten Fortgang. Derselbe hat darüber in diesen Tagen der Verwaltung des Gewerbevereins N ­ amens der hiezu ernannten Commissionen einen als Manuscript gedruckten Bericht erstattet, welcher diesen Gegenstand erschöpfend behandelt. […] Der Unterricht ingenieurwissenschaftlicher Hinsicht fehle fast ganz  ; wie nöthig er aber sey, werde wohl Niemand in Abrede stellen.«40

Auch Schacht beschäftigte der 1827 von Franz Eduard Desberger geäußerte Zweifel daran, dass die Gewerbe- und Bauschulen niedere Schulen seien und nur der Vorbereitung für den Staatsdienst dienten  : 39 UA Darmstadt Bestand 100  : Hochschulverwaltung vor 1945  : Matrikel- und Zensurbücher  : Zensurbuch der Höheren Gewerbeschule 1836 – 1841. 40 »Es muß dem Freunde einer gediegenen Schulbildung gewiss erfreulich sein, wenn er sieht, wie es sich gegenwärtig in unserem Schulwesen regt, und wie man allseitig bemüht ist, längst gefühlten und erstrebten Bedürfnissen zu entsprechen. Obschon es nach unserer Ansicht, eine der heiligsten Pflichten des Staates ist, für einen tüchtigen Schulunterricht zu sorgen, so wollen wir doch dankend anerkennen, was namentlich durch die in Kurzem zu eröffnende höhere Bürgerschule geboten wird. [… Die Gesellschaft zur Förderung nützlicher Künste] hat sich neuerdings durch die Gründung der Gewerbeschule die gerechtesten Ansprüche auf eine Anerkennung und Dankbarkeit erworben und sich bei der vorherrschend industriellen Richtung unserer Zeit ein ehrendes Denkmal ihrer gemeinnützigen Thätigkeit gesetzt. Diese im Fortschreiten begriffene Anstalt tritt mit nächstem Mai in ein neues wichtiges Stadium. Durch Errichtung einer höheren technischen Klasse und Aufhebung der Elementarklasse wird sie, wie wir aus dem jüngst erschienenen Prospectus ersehen, einen entschieden gewerblich-technischen Character gewinnen, und wenn auch die seitherigen Erfolge der jungen Anstalt schon als recht erfreuliche und ermunternde bezeichnet werden dürfen, so hegt man von der vorgenommenen Reorganisation umso größere Erwartungen […] Wir kommen nicht umhin auf einen ganz besonderen Vortheil des neuen Lehrplans aufmerksam zu machen, der nach verschiedenen Seiten hin große Würdigung verdient und wodurch man finden wird, daß er nämlich den Aufenthalt junger Techniker an auswärtigen polytechnischen Anstalten um mehrere Jahre abkürzt.« Siehe Frankfurter Nachrichten, 26. März 1857, S. 276, und Allgemeine Zeitung, Nr. 68, 1844, S. 537.

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»Wie aber, wenn die Pädagogik sich nicht damit [dem aktuellen Lehrplan, Anm. d. Autorin] zufrieden stellt  ? Wenn sie es dennoch bedenklich finden müsste, dass man bei Anlegung dieser Schulen nur gewisse Berufsarten, nur die Bildung künftiger Geschäfts- und Gewerbsmänner im Auge gehabt, und nicht das Menschliche allein  ? Wenn sie der Meinung wäre, die Wissenschaft werde hier zu irdischen Zwecken herabgewürdigt, und der Jugend, statt reiner Beweggründe zum Lernen, schon so frühe der unreine des Nutzens und Erwerbens eingepflanzt u. s. w.? […] thäte sie es wirklich, so müsste sie wohl die alten Schulen so gut wie die neuen tadeln, denn die alten haben den künftigen Beruf ihrer Zöglinge nicht minder im Auge, als die neuen […]. Außer der Religion, die sich von selbst versteht, finden Sie darin  : Sprachunterricht, im Deutschen und Französischen, ferner Arithmetik und Geometrie, Erdund Naturbeschreibung, durch alle vier Klassen  ; desgleichen Zeichnen und Schönschreiben. Allgemeine Welt- und Deutsche Geschichte ist nur den oberen zwei Klassen zutheil, wie auch die Englische Sprache.«41

Dass der Beruf folglich Zweck aller Studien ist, das lässt sich nicht bestreiten. Nur die Mittel der Studien und der Studienplan können die geforderte Freiheit des Studenten erlauben. Das System des Unterrichts blieb dementsprechend weiterhin in verschiedene Klassen unterteilt, um so jedem Anspruch im Sinne Desbergers gerecht zu werden  : »Poly­technische Schulen sind Schulen für die Naturwissenschaften. Da der Beruf allein der Zweck alles Studierens ist, und das System des Unterrichtes immer nur auf einer Hypothese beruht, so muss freye Wahl der Studien bestehen.«42 Mit der Erweiterung der vorhandenen Mittel durch Laboratorien und eine Bibliothek stiegen das Ansehen, die Spezialisierung und auch der Einfluss der Schule auf andere Einrichtungen.43 Die steigenden Studentenzahlen, die Erweiterung des Lehrangebots und die Stadtentwicklung Darmstadts erforderten zudem einen Neubau der Schule. Bis zu Mollers Tod 1852 und auch darüber hinaus bis zum Tod des Architekten Carl Balthasar Harres (1804 – 1868) blieben die Ideen und Grundlagen Mollers wegweisend für das Curriculum der Schule. IV. Zurück zu den Wurzeln oder Neuorientierung  ? August Lucas und Balthasar Harres als Wegbereiter des polytechnischen Unterrichts 1847 – 1868

In Weiterführung der Ideen Mollers, auf dem Weg zur Emanzipation der K ­ unstgeschichte als eigenständige Wissenschaft mit Professur an der Polytechnischen Schule Darmstadt, spielten Harres sowie der Künstler August Lucas eine entscheidende Rolle. 1839 wurde Harres als erster Stadtbaumeister eingestellt. Harres war zugleich als Architekt für den 41 Siehe Schacht 1845, S. 28 sowie Zensurbuch 1836. 42 Siehe Desberger 1827. 43 Siehe Grundrisse und Lagepläne im UA Darmstadt Bestand 100.

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Ausbau der Räumlichkeiten verschiedener Gebäude in städtischem Besitz zuständig. Die Vertreter im Landtag, von Seiten des neu gegründeten Gewerbevereins und in der Bürgerschaft, waren sich einig, dass die Neuorientierung des Schulwesens den politischen Veränderungen angepasst werden müsse. Ein Neubau der neu strukturierten Gewerbeschule musste her, um den steigenden Schülerzahlen gerecht zu werden. Im Stil der klassizistischen Architektur, die die ›Moller-Stadt‹ prägte, errichtete Harres 1842 am Kapellplatz nahe dem historischen Stadtkern ein Schulgebäude, das eine schlichte und zweckmäßige Einrichtung aufwies. Neben der Tätigkeit als Lehrer des Bau- und Maschinenfachs und für Architektur von 1841 bis 1868 leitete er 1862 – 1864 die Schule kommissarisch. Kurz nach Harres’ Übername der Lehrtätigkeit für das Bau- und Maschinenfach und für Architektur 1841 trat August Lucas (1803 – 1863) 1842 als ordentlicher Lehrer in Anstellung an der Gewerbe- und Realschule in Darmstadt ein.44 Die genauen Tätigkeitsbeschreibungen lauteten »Lehrer für das Freihandzeichnen« und »Lehrer für das Bau- und Maschinenfach«.45 Wie viele andere Architekten und Künstler übten Harres und Lucas neben ihren eigenständigen künstlerischen Arbeiten den Beruf des Lehrers als Brotberuf aus. Als Zeichenlehrer unterrichtete Lucas an zwei Tagen in der Woche jeweils vier Stunden »Freies Handzeichnen«.46 Der Zeichenkurs bildete offensichtlich einen Schwerpunkt und stellte ein allen anderen Klassen vorgesetztes Grundlagenfach als Vorschule dar. Welchen Inhalt Lucas vermittelte, lässt sich nur anhand seiner Biografie rekonstruieren. Auszuschließen ist, dass es sich um reines Plan- und Konstruktionszeichnen handelte, da dieses bereits durch den Lehrer Fischer abgedeckt wurde, der zugleich Englisch, Geometrie und Elementar-Mathematik unterrichtete.47 Harres hingegen lieferte als Architekt den thematischen Schwerpunkt im Unterricht der Fachklassen mit insgesamt 13 Wochenstunden, davon acht Stunden Baukonstruktionen und je eine Stunde Ornamentzeichnen und Baukunst. Er erkannte als kommissarischer Leiter der Schule die im Zuge der rapide wachsenden Industrie aufkommenden Anforderungen und drängte darauf, dem Ruf der Schule als niedere Ausbildungsanstalt entgegenzuwirken. Gleichzeitig war er sich aber auch der Tradition der Schule bewusst und drängte darauf, diese von der 1847 gegründeten reinen Handwerkerschule des Gewerbevereins abzugrenzen. Ähnlich wie die Professoren an der Landesuniversität in Gießen scheint Harres in der genauen thematischen Festlegung seines Unterrichtsstoffs freie Hand gehabt zu haben. Es lassen sich keine Nachweise darüber finden, auf welche Weise er das Maschinenfach unterrichtet haben könnte. Während beispielsweise das Karlsruher Polytechnikum bereits 1832 mit einer Forst- und Ingenieurschule verbunden war, gab es in Darmstadt weder Unterricht in Straßen-, Brücken-, Wasser- noch Eisenbahnbau. 44 Siehe Hof- und Staatshandbuch 1842, S. 85 und Dotzert 2006. 45 Ebd. 46 Siehe Guther 1980, S. 107 und Böhme, Viefhaus 1977. 47 Siehe Grundrisse und Lagepläne im UA Darmstadt Bestand 100.

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Diese und weitere von Harres bemängelte Umstände, wie beispielsweise die Tatsache, dass die Zulassung zur Staatsprüfung im Baufach ab 1853 nur noch nach akademischem Studium möglich war und die technische Schule zu einer Vorschule im Baufach degradiert wurde, führte mit Harres in der Leitung zur Gründung einer Kommission zur Reorganisation des Schulsystems. Er setzte sich für die Reorganisation der Höheren Gewerbeschule ein und erreichte kurz vor seinem Tod im März 1868 die Zustimmung der Hessischen Landstände zur Einrichtung der Polytechnischen Schule in Darmstadt. Die Abhängigkeit vom zentralen Gießener Lehrstuhl für Architektur und Ingenieurwesen verhinderte die ganzheitliche planmäßige Ausbildung von Ingenieuren und degradierte den Unterricht zu einer reinen Einführung in den Beruf durch praktische Übungen und Anschauungen. Nach zahlreichen Verhandlungen, insbesondere über die Vereinbarung des polytechnischen Unterrichtswesens mit einer humanistischen Bildung, wurde festgelegt, was das »Wesen polytechnischer Bildung« 100 Jahre nach der Gründung des Pariser Vorbilds noch sein konnte, welche Personengruppen dadurch angesprochen werden sollten und in welcher Rolle allgemeinbildende Fächer wie Sprachen, Religion und Kunst als Fächer am Polytechnikum Darmstadt integriert werden konnten  : »Die Polytechnische Schule ist eine technische Hochschule  ; sie ist bestimmt für eine für den technischen Beruf vollständige wissenschaftliche, sowie die erforderliche künstlerische Ausbildung, unterstützt durch geeignete praktische Übungen, zu gewähren [sic  !]. Insbesondere soll die Anstalt Gelegenheit bieten zur Ausbildung von Architekten, Ingenieuren, Maschinen- und chemischen Technikern, Fabrikanten, Gewerbetreibenden und Landwirten, zugleich wird sie auch anderen, wie Pharmazeuten, Geometeren usw. zur Erwerbung der erforderlichen Kenntnisse behilflich sein. In jedem der Hauptfächer wurde mindestens einem der Lehrer Charakter und Rang eines Universitätsprofessors erteilt. Es waren 10 ordentliche und 6 außerordentliche Professoren in Tätigkeit.«48

Angepasst an die historische Tradition der Institution Universität und die traditionelle Funktion als Gelehrtensprache wurde insbesondere auf Latein in den Vorkursen besonderer Wert gelegt. Ebenso wie an den alten Universitäten dienten die artistischen Fächer der allgemeinen Klasse als Vorbildung, die wiederum mit dem Bestehen der Maturitätsprüfung (ähnlich dem Abitur am Gymnasium) eigenständig abgeschlossen werden konnten. Der Einfluss der Künste sollte der moralischen Erziehbarkeit des Menschen dienen und die einseitige Ausbildung der Studierenden verhindern. Man vertrat die Ansicht, dass allgemeinbildende Fächer, wie neuere Sprachen, Welt-, Literatur-, Kulturgeschichte, Ästhetik, Turnen, Gesang und Nationalökonomie von ersten Kräften vorzutragen seien und

48 Siehe Schlink 1936, S. 9.

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»auf der Gesinnung nicht geringere Sorgfalt als auf die der [sic  !] speziellen Berufsfächer zu legen ist  ; wenn auch diese Fächer keine Fachwissenschaften oder Hilfswissenschaften seien, so gewähren ihre Kenntnisse doch eine höhere Bildung des Geistes und sind wichtig für die gesellschaftliche Stellung, für welche die technischen Hochschulen die letzte Ausbildung gewähren könnten.«49

Mathematik war mit einer ordentlichen und zwei außerordentlichen Professuren und Architektur als Hochbau mit zwei ordentlichen Professuren vertreten.50 Sie bildeten die Grundlage des polytechnischen Wissens und Könnens. Hinzu kamen die Naturwissenschaften, Landwirtschaft, Ingenieur- und Maschinenbauwesen sowie Darstellende Geometrie und Mechanik, Deutsch und Kunstgeschichte mit je zwei Semesterwochenstunden. Mit der Ernennung der Höheren Gewerbeschule zur Polytechnischen Schule 1869 – mit einem allgemeinen Kurs und fünf Fachschulen – erreichte die Schule »hochschulmäßigen Charakter«  : »Das Polytechnikum ist fortan als eine der Universität gleichstehende Anstalt anzusehen[,] was die Ausbildung in Mathematik und Naturwissenschaften und die Ausbildung von Lehrern an Mittelschulen angeht. Wenn wir gerade in der gegenwärtigen Zeit in verschiedenen deutschen Staaten mit regestem Interesse das Augenmerk auf die polytechnischen Schulen gerichtet sehen, so liegt das Bewusstsein zugrunde, daß unsere Konkurrenzfähigkeit mit den Nachbarstaaten größtenteils darauf beruht, daß wir durch höhere Intelligenz unserer leitenden Techniker zu ersetzen suchen, was uns an materiellen Hilfsmitteln abgeht […] Nur in Lernfreiheit kann sich ein höheres, wissenschaftliches Leben, ein gediegener Charakter entwickeln, die Lernfreiheit an und für sich, welche jedem Gelegenheit bietet, sich nach Bedürfnis und Vermögen auszubilden, ist ohne Zweifel eines der wesentlichsten und unentbehrlichsten und edelsten Attribute der deutschen Hochschulen, worauf ihr reges wissenschaftliches Leben und das vorzügliche Wissen beruht, welches eine allgemeine Unterrichtsanstalt der isolierten Fachschule voraus hat.«51

Auch Franz Reuleaux, der bei Gründung des Zürcher Polytechnikums dorthin berufen worden war, äußerte sich ähnlich  : »Man hat an den verschiedenen polytechnischen Lehranstalten immer mehr eingesehen, dass eine allseitige höhere Bildung das geistige Leben des Ingenieurs durchdringen muß.«52 Auf der siebten Hauptversammlung des Vereins Deutscher Ingenieure im Jahre 1864 wurde erklärt, dass,

49 Siehe Guther 1980, S. 107 und Böhme, Viefhaus 1977. 50 Vgl. Schlink 1936. 51 Siehe Guther 1980, S. 107, Schlink 1936 und Böhme, Viefhaus 1977. 52 Siehe ebd.

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»was diejenigen allgemein bildenden Fächer betrifft, welche, wie neuere Sprachen, Welt-, Literatur-, und Culturgeschichte, Ästhetik, Nationalökonomie, weder als Fachwissenschaften, noch Hülfswissenschaften bezeichnet werden können, deren Kenntnis dagegen eine höhere Bildung des Geistes gewährt, entsprechend der gesellschaftlichen Stellung, für welche die technische Hochschule die letzte Ausbildung gewähren soll, so neigt sich die allgemeine Ansicht mit Recht mehr und mehr dahin, solche Fächer dem Lectionsplan möglichst vollständig einzuverleiben und auf die geeigneten Lehrkräfte mit nicht geringerer Sorgfalt, als für die speciellen Berufsfächer, Bedacht zu nehmen.«53

Fast alle technischen Schulen hätten seit den 1850er Jahren ihre Gestaltung wesentlich geändert, vor allem aus dem Bewusstsein heraus, dass nur durch gediegene wissenschaftliche Schulen die Vormachtstellung der englischen Technik und Industrie gebrochen werden könne  : Als Produkt gesellschaftspolitischer Entwicklungen erhoben Regierung und Stände im Landtag die »niedere Anstalt« einer reinen Gewerbeschule aus dem bisherigen Mittelstand zu einem Polytechnikum als technische Hochschule.54 Nach der Eröffnung der Polytechnischen Schule 1869 erfolgte 1875 zudem die Aufhebung der Lehrstühle für Architektur, Bau- und Ingenieurwissenschaften an der Universität Gießen. Die Studierendenzahlen verdoppelten sich nahezu von 132 auf 254.55 V. Zusammenfassung

In den dargestellten Entwicklungen des Darmstädter Schul- und Hochschulwesens zwischen 1812 und 1869 wurden die politischen, wirtschaftlichen und wissenschaftshistorischen Gegebenheiten zusammengefasst. Mit der Besetzung des ersten Lehrstuhls für Kunstgeschichte an der Polytechnischen Schule Darmstadt mit dem Denkmalpfleger und Kunsthistoriker Hermann Schefers knüpfte man bewusst an die Tradition der Moller-Schule an, die in ihrer Rezeption seit dem Tod Mollers 1852 bis 1869 einen Wandel durchlief.56 Am Ende können drei Entwicklungsstadien identifiziert werden, die zur Emanzipation der Polytechnischen Hochschule und Etablierung von Kunstgeschichte zur eigenständigen Wissenschaft in Darmstadt geführt haben. 1. Eine ›Eingangsphase‹ legte den Grundstein für das Aufkommen von möglichen Motiven für eine neue Disziplin und zeigte erste Ansätze kunst- und bauhistorischer Kategorisierung im Zusammenspiel von Architektur als rein technischem Baufach und 53 Siehe Grashof 1864, S. 601. 54 Siehe Böhme, Viefhaus 1977. 55 Ebd. 56 Moraw 1984.

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artistischem Fach, der methodischen Einstellung Mollers sowie der Neustrukturierung des staatlichen Bewusstseins für das kulturelle Erbe. 2. In der ›Aufbauphase‹ formierten sich neue Konzepte und andere Forschungsansätze entstanden. Die Kategorisierung und Dokumentation säkularisierter Objekte, ihre Verschriftlichung und Historisierung, führte zugleich zu Fragen nach dem ästhetischen wie auch nach dem technischen Wert der Objekte. 3. Die Phase der ›Festigung und Vertiefung‹ definierte abschließend die wissenschaftliche Durchsetzung und Akzeptanz der Kunstgeschichte als neue Disziplin, deren Theoriebildung zunächst im Sinne eines allgemeinen Historisierungsschubs in Wissenschaft und Gesellschaft verlief. Kunstgeschichte als historisches Fach diente dem Studium historischer Vergleichsbeispiele und Vorbilder in den Bereichen der Kunst, der Architektur und der Technik. Zusammengefasst lässt sich sagen, dass der für die Polytechnische Schule in Darmstadt ausgearbeitete Lehrplan und damit auch der Lehrstuhl der Kunstgeschichte an eine Tradition anknüpfte, die zum einen mit dem Schwerpunkt der allgemeinen Bildung den humanitären Ansatz der Universitäten verfolgte und zum anderen historische Schwerpunkte der eigenen Geschichte des Darmstädter Hochschulwesens fortführte. Literatur Back 1909 – Friedrich Back  : Die Einrichtung der kunst- und historischen Sammlungen des Großherzoglichen Landesmuseums in Darmstadt, in  : Museumskunde V, Berlin 1909, S. 63 – 82. Böhme, Viefhaus 1977 – Helmut Böhme, Marianne Viefhaus (Hg.)  : 100 Jahre Technische Hochschule Darmstadt 1976/­77, Darmstadt 1977. Böker 2017 – Johann Böker (Hg.)  : Friedrich Weinbrenner. Worte und Werke, Bad Saulgau 2017. Bott 1970 – Gerhard Bott (Hg.)  : Das Museum der Zukunft, Köln 1970. Bott 2003 – Barbara Bott  : Gemälde hessischer Maler des 19. Jahrhundert im Hessischen Landesmuseum Darmstadt. Bestandskatalog, Darmstadt, Heidelberg 2003. Desberger 1827 – Franz Eduard Desberger  : Über öffentlichen Unterricht überhaupt und über polytechnische Schulen insbesondere, Augsburg 1827. Dotzert 2006 – Roland Dotzert (Hg.)  : Stadtlexikon Darmstadt, Stuttgart 2006. Engels 2014 – Peter Engels (Hg.)  : 150 Jahre Bauen für Darmstadt, 1864 – 2014, Darmstadt 2014. Franz, Kimmel 1978 – Eckhart G. Franz, Bernd Krimmel (Hg.)  : Darmstadt in der Zeit des Klassizismus und der Romantik. Katalog zur Ausstellung auf der Mathildenhöhe Darmstadt (19.11.1978 – 14.01.1979), Darmstadt 1978. Franz 1980 – Eckhart G. Franz (Hg.)  : Darmstadts Geschichte. Fürstenresidenz und Bürgerstadt im Wandel der Jahrhunderte, Darmstadt 1980. Franz 1985 – Eckhart G. Franz  : Der erste und der letzte Großherzog von Hessen. Fürstliche Kunstförderung in Darmstadt, in  : Karl Ferdinand Werner (Hg.)  : Hof, Kultur und Politik im

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Moller 1831 – Georg Moller  : Ueber die altdeutsche Baukunst. Als erläuternder Text zu den Denkmählern der deutschen Baukunst, 2. Aufl., Leipzig, Darmstadt 1831. Moller 1833 – Georg Moller  : Beiträge zu der Lehre von den Construktionen, Leipzig, Darmstadt 1833. Moraw 1984 – Peter Moraw  : Humboldt in Gießen. Zur Professorenberufung an einer deutschen Universität des 19. Jahrhunderts, in  : Geschichte und Gesellschaft 10 (1984), 1, S. 47 – 71. Müller 1858 – Franz Hubert Müller  : Die St. Katharinen-Kirche zu Oppenheim. Ein Denkmal teutscher Kirchenbaukunst aus dem 13. Jahrhundert  ; geometrisch und perspectivisch dargestellt und mit einem erläuterndem Texte begleitet, Darmstadt 1858. Reinhardt 2010 – Carsten Reinhardt  : Historische Wissenschaftsforschung, heute. Überlegungen zu einer Geschichte der Wissensgesellschaft, in  : Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 33 (2010), S.  81 – 99. Samida 2011 – Stefanie Samida (Hg.)  : Inszenierte Wissenschaft. Zur Popularisierung von Wissen im 19. Jahrhundert, Bielefeld 2011. Schacht 1845 – Theodor Schacht  : Die Realbildung und das jetzige Zeitalter. Eine Festrede gehalten am 19. December 1844 bei Einweihung des neuen Gebäudes der höhern Gewerb- und Realschule zu Darmstadt, Darmstadt 1845. Schlink 1936 – Schlink, Wilhelm (Hg.)  : Hundert Jahre Technische Hochschule Darmstadt 1836 bis 1936. Ein Bild ihres Werdens und Wirkens, Darmstadt 1936. Wagner 1829 – Georg Wilhelm Justin Wagner  : Statistisch-topographische-historische Beschreibung des Großherzogtums Hessen, Bd. 1, Darmstadt 1829. Werkbundakademie 2015 – Werkbundakademie Darmstadt (Hg.)  : Georg Moller (1784 – 1852). Bauten und Projekte des großherzoglichen Staatsbaumeisters in Hessen-Darmstadt, Berlin 2015. Wolf, Viefhaus 1977 – Christa Wolf, Marianne Viefhaus  : Verzeichnis der Hochschullehrer der TH Darmstadt. Kurzbiographien 1836 – 1945, Darmstadt 1977.

Quellen

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Christiane Salge

Das Fach Kunstgeschichte an der Technischen Hochschule in Darmstadt von 1869 bis 1945 In dem Beitrag wird die 150-jährige Geschichte des Fachs Kunstgeschichte an der Tech­ nischen Hochschule Darmstadt erstmals untersucht. Eingerichtet wurde das Fach 1869 in der damals neu gegründeten Polytechnischen Schule und ist bis heute fes­ ter Bestandteil der Architekturausbildung an der Technischen Universität. Anhand der nahezu lückenlos erhaltenen Jahresprogramme, der Vorlesungsverzeichnisse, der Studierendenverzeichnisse und Rektoratsreden werden die wichtigsten Etappen des Fachs Kunstgeschichte in Darmstadt aufgezeigt und seine sich wandelnde Bedeutung innerhalb der Architektur – aber auch der kunsthistorischen Ausbildung vor allem in den ersten 100 Jahren seines Bestehens herausgearbeitet.

Seit der Gründung der Polytechnischen Schule in Darmstadt im Jahr 1869 ist das Fach Kunstgeschichte fester Bestandteil des Vorlesungsprogramms. Dennoch ist die 150-jährige Geschichte dieses Fachs an der Technischen Hochschule Darmstadt ein Forschungsdesiderat. In dem vorliegenden Beitrag werden erstmals schlaglichtartig die wichtigsten Etappen des Fachs von 1869 bis 1945 aufgezeigt und die Professor_innen sowie ihre Lehrveranstaltungen vorgestellt.1 Zudem wird auf die Tätigkeit ihrer Mitarbeitenden, die Räumlichkeiten sowie die Lehrsammlung eingegangen und die Bedeutung der Kunstgeschichte innerhalb der Architekturausbildung herausgearbeitet. Dabei überrascht es, dass das Fach in Darmstadt im Gegensatz zu den Entwicklungen an 1 Die Untersuchung des Fachs Kunstgeschichte an der Technischen Hochschule Darmstadt wird auf die Jahre zwischen 1869 und 1945 begrenzt, da hier die Materiallage durch die für diese Zeit lückenlos vorliegenden, sehr ausführlichen Vorlesungsprogramme und Rektoratsberichte sehr gut ist. Vgl. Programm der Grossherzoglich Hessischen Polytechnischen Schule zu Darmstadt 1869/70 – 1877/78  ; Programm der Grossherzoglich Hessischen Technischen Hochschule zu Darmstadt 1878/79 – 1917/18  ; ­(Hessische) Technische Hochschule Darmstadt, Lehrplan 1919/20 – 1944/45. Die Vorlesungsprogramme sind alle digitalisiert (URL  : http://tudigit.ulb.tu-darmstadt.de [25. Mai 2019]) und werden im Folgenden abgekürzt zitiert (Vorlesungsprogramm und das entsprechende Jahr). Im Rahmen eines Forschungsprojekts wird 2020 die gesamte Geschichte des Fachs Kunstgeschichte in Darmstadt über 1945 hinaus untersucht werden (URL  : https://www.kunstgeschichte.architektur.tu-darmstadt.de/ku_ge/forsch_diss_kuge/­ 150jahrekunstgeschichte.de.jsp [17. April 2020]). Hier lehrten  : 1869 – 1902 Johann Georg Schae­fer, 1903 –  1911 Rudolf Kautzsch, 1911 – 1916 Wilhelm Pinder, 1916 – 1933 Paul Hartmann, 1934 – 1941 Heinz Rudolf Rosemann, 1942 – 1949 Oskar Schürer, 1950 – 1968 Hans Gerhard Evers, 1969 – 1988 G ­ eorg Friedrich Koch, 1989 – 2012 Wolfgang Liebenwein, 2012 – 2015 Sabine Heiser (Vertretungsprofessorin), seit 2017 Christiane Salge.

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anderen Technischen Hochschulen in dieser Zeitspanne immer als wichtiger Bestandteil der Architekturausbildung angesehen wurde, nie zur Disposition stand und die berufenen Persönlichkeiten immer Kunsthistoriker waren, die die Kunstgeschichte in ihrer gesamten Breite lehrten. Die Technische Hochschule in Darmstadt entstand 1869 aus der seit 1836 existierenden Höheren Gewerbeschule und war zunächst eine polytechnische Schule.2 Aber schon wenige Jahre später, 1877, erhob Großherzog Ludwig IV. von Hessen das Polytechnikum zur Technischen Hochschule und verlieh der Institution damit den Rang einer akademischen Einrichtung. Ein weiterer wichtiger Schritt in der Ausgestaltung der Hochschule war die Einführung des Promotionsrechts im Jahr 1899. Damit erwarb sie den Status einer Universität, den sie aber erst 1997 durch die Namensänderung in die Technische Universität Darmstadt auch sprachlich zum Ausdruck brachte. I. Das Lehrprogramm des Fachs Kunstgeschichte an der Technischen Hochschule Darmstadt von 1869 bis 1945

Mit Johann Georg Schaefer (1823 – 1908) gewann die Polytechnische Schule sowie die spätere Technische Hochschule Darmstadt 1869 einen Gelehrten, der bis 1902, also über 30 Jahre, das Fach Kunstgeschichte vertrat.3 Er war Mittelalterspezialist und hat sich vor allem mit seinen Publikationen zur karolingischen Architektur einen festen Platz in der frühen Kunstgeschichte gesichert. Der von Schaefer gehaltene Unterricht erstreckte sich zunächst über zwei Semester mit lediglich zwei Wochenstunden. Er absolvierte in den beiden Jahreskursen einen Zyklus, der von den Ursprüngen der bildenden Kunst über die Antike und die Kunst des Mittelalters bis hin zur Gegenwart reichte.4 Im Anschluss an seine Vorträge hat Schaefer die Inhalte seiner Vorlesung an ausgewählten Kunstwerken der großherzoglichen Sammlung im Museum und anhand der »kunstliterarischen

2 Zur Geschichte der Technischen Hochschule in Darmstadt siehe  : Festschrift 1886  ; Festschrift 1908  ; Schlink 1936  ; Kuntzsch, Viefhaus 1995 – 2000. 3 Zu Leben und Werk von Schaefer siehe den Beitrag von Hermann Schefers in diesem Band. Vgl. auch Wolf, Viefhaus 1977, S. 174  ; Schefers 1986. 4 So heißt es im Vorlesungsprogramm von 1870/71, S. 42  : »Erster Jahreskurs. Im Wintersemester  : Ursprung und erste Entwicklung der Kunst  ; Geschichte der bildenden Künste bei den Völkern des Orients und bei den Griechen. – Im Sommersemester  : Geschichte der bildenden Künste bei den Etruskern und bei den Römern  ; Geschichte der altchristlichen und byzantinischen Kunst sowie der Kunst des Islam. Zweiter Jahreskurs. Im Wintersemester  : Erste Entwicklung der Kunst des christlichen Mittelalters  ; Geschichte der bildenden Künste im karolingischen Zeitalter, in der romanischen und gothischen Epoche. – Im Sommersemester  : Geschichte der bildenden Künste vom Zeitalter der Renaissance bis zur Gegenwart.« Bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1903 wird dieser Passus im Vorlesungsprogramm identisch bleiben.

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Werke« bzw. der »artistischen Prachtpublicationen über Architectur, Plastik, Malerei und Kunstgewerbe« in der Kabinetts- und Hofbibliothek vertieft.5 Aus diesen Informationen kann man zwar keine genauen Rückschlüsse auf die inhaltlichen Schwerpunkte der Vorlesung ziehen, es wird aber deutlich, dass Schaefer die gesamte Breite der Kunstgeschichte über alle Gattungen hinweg lehrte. Unklar ist die exakte Abgrenzung von Schaefers Lehrinhalten zu dem Lehrangebot des Architekten Heinrich Wagner, der Professor für Baukunde war und Vorlesungen sowie Übungen zu den »Architectonischen Stilarten von der Antike bis in die Neuzeit« im Zusammenhang mit dem Entwurf anbot.6 Es wird auf jeden Fall deutlich, dass Schaefers Beitrag im Wesentlichen im Vermitteln eines Überblicks über die Kunst- und Architekturgeschichte bestand. Gemeinsam mit seinen Entwurfskollegen unternahm Schaefer zahlreiche Exkursionen.7 Diese führten zumeist per Eisenbahn zu den Bauwerken und Kunstdenkmälern der näheren und weiteren Umgebung. Vorwiegend wurden mittelalterliche Kirchen und Burgen besichtigt, aber auch barocke Schlösser wie Bruchsal (1875) oder die gerade erst in Wiesbaden von Johannes Otzen errichtete neugotische evangelische Kirche (1878) sowie die Stadt Nürnberg mit ihren Sammlungen (1876) waren Ziele dieser häufig in der Pfingstwoche unternommenen sechstägigen Exkursionen. Schaefers Nachfolger war Rudolf Kautzsch (1868 – 1945)8, für den die Stelle in Darm­stadt die erste ordentliche Professur in seiner Karriere bedeutete. Er war nur von 1903 bis 1910 Professor an der Technischen Hochschule, denn er übernahm 1910 zunächst einen Lehrstuhl in Breslau und folgte 1915 dem Ruf an die Universität in Frankfurt am Main. In Darmstadt hatte sich Kautzsch aber trotz seiner nur kurzen Zeit sehr stark an der Hochschule sowie darüber hinaus engagiert. So war er von 1907 bis 1910 Dekan der Abteilung Architektur9, von 1903 bis 1911 Mitglied des Denkmalrats des Großherzogtums Hessen-Darmstadt10 und seit 1906 nebenamtlicher Vorstand des neu gegründeten Denkmalarchivs in Darmstadt.11 Im Jahr 1906 wurde ihm die Ehre zuteil, die Festrede anlässlich des 34. Geburtstags des Großherzogs Ernst Ludwig von Hessen  5 Ebd.   6 Ebd., S. 38.   7 In den jährlichen Vorlesungsprogrammen der Polytechnischen Schule bzw. der Technischen Hochschule werden meist in der Einleitung in den kurzen Jahresberichten zu dem jeweils vergangenen Studienjahr die Exkursionen aufgelistet und deren Zielorte, Dauer und Lehrkräfte erwähnt.   8 Zu Kautzsch siehe  : Wolf, Viefhaus 1977, S. 98  ; Dilly 2002.   9 Wolf, Viefhaus 1977, S. 98. 10 Vgl. Jahresbericht der Denkmalpflege im Grossherzogtum Hessen Bd. 1, Darmstadt 1910, S. 8 f. Kautzsch war mit anderen im Ausschuss für die Werke der bildenden Künste einschließlich des Kunstgewerbes (mit Ausnahme der Baudenkmäler) und die Altertümer in der Provinz Starkenburg, Oberhessen und Rheinhessen. 11 Wolf, Viefhaus 1977, S. 98  ; Großherzoglich Hessisches Regierungsblatt 1907, Beilage 1, S. 8.

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Darmstadt zu halten. Als Thema wählte er Der Sieg der malerischen Tendenzen in der bildenden Kunst des 19. Jahrhunderts.12 Wie sein Vorgänger Schaefer war Kautzsch ebenfalls ein ausgewiesener Mittelalterspezialist, der sich bis zu seiner Berufung in Darmstadt vor allem mit der Buch- und Illustrationskunst beschäftigt hatte.13 Während seiner Zeit in Darmstadt publizierte er 1907 das Kunstdenkmälerinventar über die Stadt Wimpfen am Neckar, welche damals zum Großherzogtum Hessen gehörte. Unter ihm wurde der Kunstgeschichtsunterricht auf ein Lehrdeputat von acht Stunden ausgeweitet  : Kautzsch bot neben dem über zwei Jahre laufenden Vorlesungszyklus zur allgemeinen Kunstgeschichte, die das Altertum, das Mittelalter und die Renaissance umfasste und sich nun über vier Stunden pro Woche pro Semester erstreckte, auch noch die Veranstaltungen Ausgewählte Kapitel aus der Kunstgeschichte sowie Kunstgeschichtliche Übungen an.14 In diesen Seminaren bzw. Vorlesungen weitete er das zeitliche Spektrum der Themen auf den Barock aus und behandelte die Malerei des 17. bis 19. Jahrhunderts ebenso wie Aspekte der Grafik oder der Architekturtheorie.15 Dabei war er sehr darum bemüht, seine Lehre möglichst viel vor Originalen stattfinden zu lassen. So besuchte er mit den Hörern seiner Vorlesung Rembrandt und seine Zeitgenossen 1908 das Städel Museum in Frankfurt am Main.16 In den Kunstgeschichtlichen Übungen bot er regelmäßig alle 14 Tage Exkursionen im Winter nach Mainz, Frankfurt, Worms und Bruchsal an, um den Teilnehmern die Entwicklung der Barock- und Roko­ ko­dekoration zu erläutern, und im Sommer fuhr er u. a. nach Mainz, Arnsberg und 12 Siehe »Bericht über das Studienjahr 1906/07« im  : Vorlesungsprogramm 1907/08, S. I. Die Geburtstagsrede ist nicht im Druck erschienen. 13 Seine 1894 an der Universität verteidigte Promotionsschrift trägt den Titel Einleitende Erörterungen zur Geschichte der deutschen Handschriftenillustration im späteren Mittelalter (publiziert Straßburg 1894) und in der 1896 an der Universität Halle eingereichten Habilitationsschrift beschäftigt er sich mit dem Thema Die Holzschnitte der Kölner Bibel von 1479. 14 Vgl. die Vorlesungsprogramme für die Studienjahre zwischen 1903 und 1911. 15 Ebd. Themen seiner Veranstaltung Ausgewählte Kapitel der Kunstgeschichte waren  : 1906/07 Geschichte der Malerei im 17. und 18. Jahrhundert, Geschichte der deutschen Malerei im 19. Jahrhundert  ; 1907/08 Michelangelo, Barock und Rokoko in Deutschland, Kunstgeschichte Italiens während des Mittelalters  ; 1908/09 Rembrandt und seine Zeitgenossen, Die deutsche Malerei des 19. Jahrhunderts  ; 1909/1910 Barock und Rokoko in Deutschland, Kunstgeschichte Italiens während des Mittelalters. Themen seiner Veranstaltung Kunstgeschichtliche Übungen waren  : 1906/07 Einzelne Kapitel aus der Geschichte der deutschen Renaissance, Ausgewählte Schriften italienischer Theoretiker im Zeitalter der Renaissance  : Alberti, Leonardo, Vignola, Serlio und andere  ; 1907/08 Einzelfragen aus der Geschichte der Barockkunst, Untersuchungen zur Baugeschichte mittelalterlicher Denkmäler mit Exkursion  ; 1908/09 Betrachtung von Kunstwerken aus dem Gebiet der graphischen Künste im Museum, Untersuchungen zur Baugeschichte des 16. bis 18. Jahrhunderts mit Exkursion  ; 1909/10 Übungen zur Erläuterung der Geschichte der Plastik im Museum, Untersuchungen zur Baugeschichte des Mittelalters mit Exkursion. Vgl. die Vorlesungsprogramme aus dieser Zeit. 16 Siehe »Bericht über das Studienjahr 1908/09« im  : Vorlesungsprogramm 1909/10, S. VI.

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Gelnhausen, um Fragen der romanischen und gotischen Baukunst vor den Denkmälern zu erörtern.17 Da Kautzsch sich frühzeitig in der Denkmalpflege engagierte, hatte er zudem mehrmals die Übung Hilfswissenschaften in der Denkmalpflege angeboten, in der er die Studierenden einerseits in die »Epigraphik, Urkundenlehre, Chronologie, Ikonographie, Trachtenkunde und Heraldik, soweit sie für die Bestimmung von Kunstwerken in Frage kommen« einführte und ihnen anderseits die »Massregeln zum Schutz und zur Erhaltung von Werken der bildenden Kunst« erklärte.18 Dabei ist es wichtig zu betonen, dass nur die Vorlesungen in der allgemeinen Kunstgeschichte von Kautzsch zum Pflichtbereich des Architekturstudiums gehörten, der Rest der Veranstaltungen wurde für Hörer aller Abteilungen angeboten.19 Kautzsch engagierte sich auch überregional für das Fach Kunstgeschichte, so war er Gastgeber des vom 23. bis zum 26. September 1907 in Darmstadt stattfindenden achten internationalen Kunsthistorikerkongresses, auf dem neben fachinternen und organisatorischen Themen er selbst sowie sein Kollege Friedrich Back, der Direktor vom Landesmuseum in Darmstadt, Vorträge zu regionalen mittelalterlichen Themen hielten.20 Neben seiner Lehre an der Hochschule bot Kautzsch, so ist es zumindest für das Jahr 1904 überliefert, in Darmstadt »Kunstgeschichtliche Vorträge« für die interessierte Öffentlichkeit an, in denen er »über ausgewählte Meister und Werke des Barock (Michelangelo, Carlo Maderno und St. Peter, die italienische Malerei im Zeitalter des Barock, P. P. Rubens, Lorenzo Bernini und die letzte Phase des Barock in Italien und den Barock in Deutschland)« referierte.21 Ottilie Rady, die später in Frankfurt bei Kautzsch studierte und promovierte, charakterisierte ihn folgendermaßen  : »ein etwas trockener Mann, bei dem man aber methodisches Vorgehen lernte«.22 Gegen Ende der Lehrzeit von Kautzsch trat eine wichtige Veränderung ein, ab 1908 waren auch Frauen zum Studium an der Technischen Hochschule zugelassen. Kautzsch war Professor der Kunstgeschichte in einer Zeit, als die Stadt Darmstadt mit der vom Großherzog initiierten Künstlerkolonie auf der Mathildenhöhe zu einem Zentrum der neuen Jugendstilbewegung wurde. Ebenso wie bei seinen Architektenkol17 Siehe »Bericht über das Studienjahr 1907/08« im  : Vorlesungsprogramm 1908/09, S. XII–XIII. 18 Siehe Vorlesungsprogramm 1905/06, S. 42. Diese Übung hat er ab dem Jahr 1905 regelmäßig angeboten. 19 Auf diese Lehrveranstaltungen wird in den Vorlesungsprogrammen in der Rubrik »Allgemeinbildende Fächer« explizit hingewiesen. 20 Rudolf Kautzsch hielt einen Vortrag zu dem Thema »Beiträge zur mittelrheinischen Kunstgeschichte des Mittelalters« und Friedrich Back zu »Mitteilungen zur Geschichte der mittelrheinischen Plastik und Malerei des 15. Jahrhunderts«. Vgl. dazu  : Offizieller Bericht über die Verhandlungen des 8. Internationalen Kongresses in Darmstadt, Leipzig 1907  ; Schmidt 1983, S. 14  ; S. 27 f. 21 Siehe die Anzeige in der Darmstädter Zeitung  : Amtliches Organ der Hessischen Landesregierung 1904, Bd. 1, S. 200. Er hielt die Vorträge in der städtischen Oberrealschule in der Kapellstraße 5. Ich danke Hermann Schefers für den Hinweis. 22 Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum (GNM), Deutsches Kunstarchiv (DK), Nachlass Ottilie Thiemann-Stoedtner, 1A 7 Autobiographische Aufzeichnungen, S. 38.

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legen fanden diese neuen Strömungen aber keinen Reflex in der Lehre oder im Entwurf. Hier blieb die Technische Hochschule doch noch sehr stark dem traditionellen Baustil und den klassischen Themenfeldern der Kunstgeschichte verhaftet.23 Allerdings finden wir Kautzschs Namen unter den frühen Mitgliedern des Deutschen Werkbunds.24 Kautzschs Nachfolger war Wilhelm Pinder (1878 – 1947), der hier zwischen 1910 und 1916 wirkte.25 Diese Stelle in Darmstadt war seine erste Professur in seiner langen und erfolgreichen Laufbahn als Kunsthistoriker, zuvor war er in Würzburg Privatdozent gewesen. Er ist 1903 mit der Arbeit Einleitende Voruntersuchung zu einer Rhythmik romanischer Innenräume in der Normandie an der Universität Leipzig promoviert worden, ein Thema, das er in seiner Habilitationsschrift weiterführte. In der Darmstädter Zeit brachte er im engen Austausch mit dem Verleger Karl Robert Langewiesche die ersten drei Bände der sogenannten Blauen Bücher in hohen Auflagen zur Publikation, in denen die Architektur- und Kunstgeschichte populärwissenschaftlich aufbereitet wurde und die Texte mit sehr gutem Bildmaterial ausgestattet waren.26 In der Lehre setzte Pinder den Unterrichtsumfang von Kautzsch fort. Neben dem sich über zwei Jahre erstreckenden Vorlesungszyklus zur ›Allgemeinen Kunstgeschichte‹ (Altertum, Mittelalter und die Renaissance), der zumindest in den Ankündigungen im Vorlesungsprogramm thematisch dem seines Vorgängers Kautzsch entsprach, las er über die Kunst des Barock in Italien und Frankreich, die Kunstgeschichte Englands, zu Rembrandt, der Entwicklungsgeschichte der Plastik, aber auch zur modernen Kunst sowie den darstellenden Künsten des 19. Jahrhunderts.27 Wie sein Vorgänger unternahm Pinder regelmäßig Exkursionen, so studierte er 1911 mit seinen Hörer_innen an originalen 23 Vgl. hierzu das Kapitel Die Darmstädter Architektenschule um 1900, in  : Kuntzsch, Viefhaus 1995 – 2000, Bd. 6, S. 92 f. 24 URL  : https://www.wba-darmstadt.de/verein/1907-2007-werkbund-in-darmstadt/der-deutsche-werkbund/ (19. März 2019). 25 Zu Pinder siehe  : Wolf, Viefhaus 1977, S. 158  ; Halbertsma 1990  ; Bushart 2001  ; Pinder vertrat ab dem 1. Oktober 1910 zunächst die Professur Kunstgeschichte und war vom 1. April 1911 bis zum 30. September 1916 ordentlicher Professor an der Technischen Hochschule in Darmstadt. 26 Es handelt sich um folgende Titel  : Deutsche Dome des Mittelalters (1910), Deutscher Barock. Die großen Baumeister des 18. Jahrhunderts (1912), Deutsche Burgen und feste Schlösser aus allen Ländern deutscher Zunge (1913). Vgl. die sehr gute Arbeit von Britta Fritze (2014) zu diesem Thema, in der sie die Zusammenarbeit von Pinder und Langewiesche und die Intention der Reihe aufarbeitet. 27 Vgl. die Vorlesungsprogramme zwischen 1910 und 1916. Themen waren zudem  : 1910/11  : Rubens und seine Zeit, Baukunst des 18. Jahrhunderts, Übungen zur Geschichte der Malerei (Landesmuseum), Deko­ration und Ornament des 18. Jahrhunderts  ; 1911/12  : Kunst des Barock in Italien und Frankreich, Kunstgeschichte Englands, Übungen zur Entwicklungsgeschichte der Plastik, Baugeschichtliche Untersuchungen vornehmlich der mittelalterlichen Baukunst  ; 1912/13  : Rembrandt und seine Zeit, Renaissance und Barock in Frankreich, Übungen zur Entwicklungsgeschichte der Malerei, Baugeschichtliche Untersuchungen v. a. zur nachmittelalterlichen Baukunst  ; 1913/14  : Renaissance und Barock in Deutschland, Moderne Kunst, Übungen zur Entwicklungsgeschichte der Plastik, Baugeschichtliche Untersuchungen, vornehmlich zur mittelalterlichen Baukunst  ; 1914/15 und 15/16  : Niederländische Kunst des 17. Jahr-

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Bauwerken in Würzburg, Bruchsal und Frankfurt die Ornamentik des 18. Jahrhunderts, besuchte 1910 das Landesmuseum in Darmstadt oder im Wintersemester 1911/12 die gerade erst eröffnete Skulpturengalerie im Liebieghaus in Frankfurt.28 Höhepunkt seiner Exkursionen war sicherlich die zweieinhalbwöchige Exkursion, die er 1913 mit Studierenden an die Donau machte, um Städte zwischen Ulm und Wien zu besichtigen.29 Mit der Berufung Paul Hartmanns (1869 – 1944) im Jahr 1916/17 gelang es, einen Kunstgeschichtsprofessor für längere Zeit (bis 1933) an die Technische Hochschule zu binden.30 Hartmann hatte nach einem bereits abgeschlossenen Studium der ­Theologie noch einmal Kunstgeschichte studiert, 1899 in diesem Fach promoviert und sich 1907 in Straßburg habilitiert. Noch heute wird seine 1910 erschienene Publikation über Die gotische Monumentalplastik in Schwaben als wichtiges Grundlagenwerk rezipiert.31 Aus dem erhaltenen Bericht seiner Berufungskommission erfahren wir etwas über die Gründe für seine Wahl  : So heißt es, dass unter der großen Anzahl an Bewerbern auch zwei Dozenten gewesen seien, die auf dem Gebiet der Baugeschichte in hervorragender Weise tätig gewesen seien.32 Aber die Kommission stellte sich auf den gleichen Standpunkt wie bei der Berufung der Professoren Kautzsch und Pinder, »dass ein auf dem ganzen Gebiet der Kunstgeschichte gleichmässig unterrichteter Gelehrter zu berufen sei. Es liegt dies zweifellos im Sinn der Allgemeinen Abteilung. Aber auch für die Studierenden der Architektur ist es bei der Fülle des zu bewältigenden technischen und formalen Lehrstoffes durchaus notwendig, dass ein Lehrer gewonnen wird, der es versteht, die Dinge in einen grösseren geschichtlichen und kulturgeschichtlichen Zusammenhang zu rücken.«33

Hieraus wird deutlich, dass man in Darmstadt Anfang des 20. Jahrhunderts keinen Kunstgeschichtsprofessor mit einem Schwerpunkt in der Architekturgeschichte suchte, sondern bewusst eine Persönlichkeit, die die Kunstgeschichte in ihrer gesamten Breite und kulturgeschichtlichen Einordnung lehren konnte. Die Wahl fiel auf den in Straßhunderts, Darstellende Künste im 19. Jahrhundert, Übungen zur Entwicklungsgeschichte der Malerei, Baugeschichtliche Untersuchungen. 28 Siehe hierzu  : »Bericht über das Studienjahr 1910/11« im  : Vorlesungsprogramm 1911/12, S. VI  ; »Bericht über das Studienjahr 1911/12« im  : Vorlesungsprogramm 1912/13, S. VII. 29 Siehe »Bericht über das Studienjahr 1912/13« im  : Vorlesungsprogramm 1913/14, S. VII. 30 Zu Hartmann siehe  : Wolf, Viefhaus 1977, S. 75. Vgl. den Nachruf Zum Andenken an Professor Dr. Paul Hartmann von seiner Assistentin Ottilie Rady (Darmstadt, Stadtarchiv, Paul Hartmann). 31 Vgl. Paul Ferdinand Schmidt  : Rezension zu  : Paul Hartmann, Die gotische Monumentalplastik in Schwaben. Ihre Entwicklung bis zum Eindringen des neuen Stils zu Beginn des XV. Jahrhunderts, München 1910, in  : Monatshefte für Kunstwissenschaft Vol. 4, Nr. 4 (1911), S. 201 f. 32 Technische Universität Darmstadt, Universitätsarchiv (UA Darmstadt) 103 Nr. 681/18 Prof. Dr. Paul Hart­mann, Bericht der Berufungskommission für die Wiederbesetzung des Lehrstuhls für Kunstgeschichte vom 21. Juli 1916. 33 Ebd., S. 1.

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burg bei Georg Dehio arbeitenden Hartmann, der sich u. a. gegenüber Hans Jantzen, Hans Tietze und Ernst Polaczek durchsetzte.34 Der Umfang des Lehrdeputats von Hartmann entsprach dem seiner Vorgänger. Den Vorlesungszyklus führte Hartmann weiter und weitete ihn auf das Barock aus. In seinen anderen Vorlesungen und Übungen beschäftigte er sich vor allem mit der Malerei und Plastik der Renaissance und des Barock.35 Ab 1930 werden die fortgeschrittenen Studierenden im Vorlesungsprogramm aufgefordert, sich neben den Zyklusvorlesungen auch andere Vorlesungen wie die Ausgewählten Kapitel aus der Kunstgeschichte von Hartmann anzuhören.36 Ottilie Rady (1890 – 1987) berichtet in ihrer Autobiografie vom Ablauf seiner Vorlesungen, die sie ab 1922 als Assistentin begleitete  : »Ich saß am Lichtbilderapparat und mußte auf Anhieb das Diapositiv zeigen, das er gerade brauchte. Ein Vorordnen der Bilder gab es bei ihm nicht, darum mußten auch immer sehr viele mitgenommen werden. Und dabei brachte er es gelegentlich fertig, eine ganze Stunde nur über ein Bild zu sprechen. Er sprach ganz frei und wanderte dabei in dem verdunkelten Saal umher, bestieg sogar die Stufen des Amphitheaters wie ein Nachtwandler und man mußte darum zittern, daß er nicht stürzte. Er rang sehr um den schönen und präzisen Ausdruck seiner Gedanken. Daher konnte es durchaus vorkommen, dass er ein und dieselbe Vorlesung zweimal hielt, sie wiederholte, um sie zu intensivieren.«37

Es ist zu vermuten, dass Hartmann auch einige Doktorarbeiten in seiner Zeit betreut hat. Rady betont in ihrem Nachruf auf Hartmann seine vielseitige Bildung.38 34 Ebd. 35 Vgl. die Vorlesungsprogramme zwischen 1916 und 1933. Neben den Kunstgeschichtlichen Übungen mit Exkursionen bot Hartmann u. a. folgende Themen an  : 1917/18  : Mittelalterliche Plastik und Malerei  ; Malerei und Plastik der Renaissance, Übungen zur Entwicklungsgeschichte der Malerei, Architekturgeschichtliche Untersuchungen  ; 1918/19  : Einführung in die Barockkunst, Zur Entwicklungsgeschichte der Malerei und Plastik  ; 1919/20  : Deutsche Malerei des 15. und 16. Jahrhunderts, Italienische Malerei im 15. und 16. Jahrhundert  ; 1922/23  : Malerei der Hochrenaissance I und II  ; 1923/24 Malerei der Hochrenaissance (Rom, Florenz), Malerei der Hochrenaissance (Oberitalien)  ; 1924/25  : Malerei des Barock I und II  ; 1925/26  : Malerei des Barock III und IV  ; 1926/27 und 1927/28  : Malerei des Barock  ; 1928/29  : Malerei des Barock, Meisterwerke deutscher Kunst  ; 1929/30  : Malerei und Plastik des 18. Jahrhunderts, Renaissance und Barock in den romanischen und germanischen Ländern  ; 1930/31 und 1931/32  : Malerei und Plastik des 18. Jahrhunderts, Meisterwerke der Renaissance und des Barock in den romanischen und germanischen Ländern  ; 1932/33 und 1933/34  : Meisterwerke der Antike  ; Meisterwerke der Renaissance und des Barock in den romanischen und germanischen Ländern. 36 Vorlesungsprogramm 1930/31. 37 Nürnberg, GNM, DK, Nachlass O. Thiemann-Stoedtner, 1A 7 Autobiographische Aufzeichnungen, S. 43. 38 Vgl. den Nachruf »Zum Andenken an Professor Dr. Paul Hartmann« von seiner Assistentin Ottilie Rady (Darmstadt, Stadtarchiv, Paul Hartmann). So hat Paul Hartmann von 1898 zunächst als Redakteur und

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Nach der Machtergreifung im Jahre 1933 wurde Hartmann von den Nationalsozialisten aus seinem Amt gedrängt. Er wurde vom Rektor der Technischen Hochschule im Auftrag des Hessischen Staatsministeriums unter dem Betreff »Ruhestandsversetzung als nationale Tat« aufgefordert, seinen »Dienstplatz freiwillig zu räumen«. In einem Schreiben vom 26. September 1933 heißt es  : »Wir wissen, dass es für die Genannten im Augenblick eine Härte bedeutet, die Stätte ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit verlassen zu müssen […]. Dessen sind wir aber überzeugt, dass sie in ebenso solidarischer Weise ihren Posten gern einem dienstjüngeren Dienstnachfolger übergeben werden.«39

Unter dem starken politischen Druck erklärte Hartmann nur wenige Tage später (am 30. September) seine Bereitschaft zum Rücktritt und wurde zum 1. April 1934 kurz vor seinem 65. Geburtstag in den Ruhestand versetzt. Damit war – wie vom Ministerium gewünscht – der Weg frei für regimetreue jüngere Kollegen. Die Wahl fiel zunächst auf Heinz Rudolph Rosemann (1900 – 1977)40, der 1924 an der Universität München mit einer Arbeit über Die Hallenkirche auf germanischem Boden. Ein entwicklungsgeschichtlicher Versuch promoviert worden war und 1934 als Privatdozent in München tätig war. Er lehrte in Darmstadt von 1934 bis 1936 zunächst als außerordentlicher Professor, bevor er 1936 zum ordentlichen Professor für Kunstgeschichte befördert wurde. 1942 nahm er eine Professur an der Universität Göttingen an. Rosemann engagierte sich in seiner Darmstädter Zeit in der hessischen Denkmalpflege, so war er seit 1936 Mitglied des Denkmalrats Hessen und von 1938 bis 1942 als Denkmalpfleger für Rheinhessen zuständig. Rosemann war regimetreu  : Er war Mitglied der NSDAP (1937 bis 1944)41 und der wissenschaftlichen Abteilung der unter den Nationalsozialisten zum Propagandainstrument missbrauchten Deutschen Akademie in München42 sowie der Staatsakademie für Rassen- und Gesundheitspflege in Dresden (1940).43 Von 1939 bis 1945 arbeitete er als Referent für Kunstschutz der Militärverwaltung in Belgien und Frankreich. Ein Blick in die Vorlesungsverzeichnisse zu Zeiten Rosemanns und auch seines Nachfolgers Oskar Schürer in den 1930er und 1940er Jahren zeigt, dass sich an der später als Berater die Sammlung Göschen betreut, in der unterschiedlichster Lehrstoff in einem kompakten kleinen Band populärwissenschaftlich aufbereitet worden war. 39 UA Darmstadt 103 Nr. 681/18 Prof. Dr. Paul Hartmann  ; Hanel 2014, S. 95. 40 Zu Rosemann siehe  : Wolf, Viefhaus 1977, S. 170. Sein Nachlass im Deutschen Kunstarchiv im Germanischen Nationalmuseum umfasst nur Materialien seiner Göttinger Lehrzeit. 41 Hanel 2014, S. 188, 190, 213. 42 Fuhrmeister 2008 (zu Rosemann als Mitglied S. 318 f.). Auch Rosemanns Nachfolger Oskar Schürer war 1942 Mitglied in der Deutschen Akademie (ebd. S. 319). 43 Szabó 2000, S. 506, Anm. 11.

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Grundstruktur des kunsthistorischen Lehrprogramms an der Technischen Hochschule in Darmstadt, bestehend aus Vorlesungszyklus sowie vertiefenden Vorlesungen und Übungen, nicht viel verändert hatte. Der Vorlesungszyklus war nun auf drei Jahre ausgeweitet worden und umfasste die Kunstgeschichte von der Antike bis einschließlich des Klassizismus und der Romantik. 1941 spezifizierte Rosemann die Titel. Neben der Kunst der Antike las er die Kunst der deutschen Kaiserzeit (800–1250), die Kunst des Bürgertums (1250–1600) und die Kunst der Fürstenzeit (1600–1900). Zugleich wurde der neue Seminartitel Kulturelle Sondergebiete eingeführt. Welche Themen sich hinter dieser neuen Seminarform verbergen, ist nur für das Jahr 1940/41 zu belegen. Hier las Rosemann über Michelangelo und Rubens. Nach Rosemanns Weggang wurde Oskar Schürer (1892 – 1949)44 auf den Lehrstuhl berufen, den er von 1942 bis zu seinem Tod im Jahr 1949 innehatte. Er war mit einer Arbeit über Die Klosterkirche der Zisterzienser in Hainau 1927 an der Universität in Marburg promoviert worden und hatte sich 1932 in Halle mit dem Thema Die Kaiserpfalz in Eger habilitiert. Schürer wurde 1941 direkt vom Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung der Landesregierung in Hessen als potentieller Kandidat für die frei gewordene Professur vorgeschlagen.45 Ein Vorschlag, der von der Abteilung für Architektur angenommen wurde, auch weil es nicht einfach war, während des Kriegs andere geeignete Kandidaten zu finden.46 Oskar Schürer war zum Zeitpunkt seiner Berufung schon 50 Jahre alt und hatte sich neben seinen architekturhistorischen Qualifikationsarbeiten in den 1920er Jahren mit zeitgenössischen Künstlern und Architekten wie z. B. Le Corbusier, Pablo Picassso oder Franz Marc auseinandergesetzt und zu diesen publiziert.47 Während in Schürers Forschungsarbeiten selbst kaum oder nur wenig NS-ideologische Inhalte auszumachen sind,48 verstand er es – wie Christian Fuhrmeister herausgearbeitet hat –, seine früheren Forschungen zur tschechischen Kunst und Architektur als Arbeiten »zur Durchsetzung alter deutscher Kulturansprüche« anzupreisen, ja er erhob sogar den Anspruch, »der Reichspolitik vorgearbeitet zu 44 Zu Schürer siehe  : Gadamer 1952  ; Brosche 1969  ; Wolf, Viefhaus 1977, S. 189  ; Fuhrmeister 2005. Sein Nachlass (München, Stadtbibliothek, Monacensia, Konv. Oskar Schürer) ist für den vorliegenden Aufsatz noch nicht ausgewertet worden. Im Universitätsarchiv der Technischen Universität Darmstadt (UA Darmstadt 103 Nr. 65/2) hat sich seine Personalakte erhalten. Er war verheiratet mit der Kunsthistorikerin Elisabeth Schürer-von Witzleben. 45 UA Darmstadt 103 Nr. 65/2, Abschrift eines Schreibens des Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Bildung an den Reichstatthalter in Hessen vom 24. Oktober 1941  : »Die Fakultät für Bauwesen der genannten Hochschule ersuche ich, bereits jetzt zu veranlassen, Ersatzvorschläge in der üblichen Dreier­ zahl einzureichen und sich hierbei auch über die außerplanmäßige Professur für mittlere und neuere Kunstgeschichte an der Universität München Dr. Oskar Schürer zu äußern.« Vgl. dazu Hanel 2014, S. 202 – 205 (auch mit weiteren Literaturhinweisen)  ; Schmidt 2015, S. 321, Anm. 1419. 46 Ebd., vgl. den Berufungsbericht. 47 Vgl. dazu Brosche 1969. 48 Vgl. dazu auch Hanel 2014, S. 353 f.

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haben«.49 Zudem war Schürer ein sehr aktives Mitglied der Deutschen Akademie50 und ebenso wie sein Vorgänger Rosemann an einem der größten wissenschaftlichen Forschungsprojekte des ›Dritten Reichs‹ beteiligt, in dem die Geisteswissenschaften mit einem deutschnationalen Publikationsprogramm die kriegspolitischen Ideologien der Nationalsozialisten unterstützten.51 1942/43 hielt Schürer, wie eine in seiner Personalakte befindliche Liste überliefert, fast 50 Vorträge an unterschiedlichsten Stätten wie z. B. für das deutsche Volksbildungswerk, den Fliegerhorst in Osnabrück oder vor der Deutschen Akademie in München. Die Themen tragen eindeutig einen deutschnationalen Charakter  : Die Reichsidee in der deutschen Kunst, Prag und die deutsche Ostkultur, Wiens deutsche Sendung, ­Deutsche Kunst im Osten, Deutsche Bildschnitzer um 1500 und Landschaftsmalerei um 1500.52 Auch in Darmstadt beteiligte sich Schürer 1943 an einer von der Deutschen Akademie initiierten nationalsozialistischen Propagandaausstellung und Vortragsreihe über Die deutsche Kulturleistung in den Ländern des deutschen Ostens mit dem Thema Die Kunst des deutschen Ostens.53 Ein SS-Untersturmführer berichtet zu dem von Schürer gehaltenen Vortrag  : »Die Vortragsweise von Prof. Schürer ist stets geeignet, die Zuhörer zu fesseln (was auch aus seinen Vorlesungen bekannt ist). Dies war auch hier der Fall. In kulturellweltanschaulicher Hinsicht soll sein Vortrag einwandfrei gewesen sein.«54 Wird aus diesen Quellen Schürers politische Einstellung sehr deutlich, wirkt es geradezu grotesk, dass sich Schürer selbst in einem Fragebogen, in dem er nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs beweisen sollte, dass er politisch unbelastet ist, als eine Person einschätzt, die von den Nationalsozialisten in ihrer beruflichen Freiheit beschränkt gewesen sei. Er schrieb Folgendes  : »Da ich mich weigerte[,] in meinem Buch über ›Prag‹ wesentliche von der Partei verlangte Aenderungen durchzuführen, konnte die Neuauflage einige Jahre lang – bis zum Nachgeben der Partei – nicht erscheinen.«55 Ihm kam nach dem Zweiten Weltkrieg zugute, dass er weder Mitglied der NSDAP noch der SA oder SS gewesen war.56 49 Zitiert nach  : Fuhrmeister 2005, S. 232 – 234 (Zitat S. 233). 50 Fuhrmeister 2008, S. 326. Fuhrmeister sieht Schürer neben Wilhelm Pinder als eine »paradigmatische Forscherpersönlichkeit, die mit den Anliegen der Deutschen Akademie im Nationalsozialismus […] weitestgehend konform ging« (ebd.). 51 Vgl. Papenbrock 2005, S. 66. Hanel 2014, S. 354 f.; Hausmann 2002  ; Aurenhammer 2003. – Rosemann und Schürer waren 1941 Mitarbeiter in der von Bruno Grimschitz geleiteten Gruppe, die sich in Publikationen unter dem Reihentitel Ausstrahlungen der deutschen Kunst mit dem Themenfeld »Ungarn« (Zips, Siebenbürgen, Kirchenburgen, Ungarländischer [sic  !] Barock) in der Kampagne »Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften« auseinandersetzten. 52 UA Darmstadt 103 Nr. 65/2, Personalakte Schürer. 53 Technische Bildung in Darmstadt 1995, Bd. 4, S. 105 – 107. Vgl. dazu  : Fuhrmeister 2008, S. 327 – 331. 54 Technische Bildung in Darmstadt 1995, Bd. 4, S. 107. 55 UA Darmstadt 103 Nr. 65/2, Personalakte Schürer, Fragebogen im Zusammenhang mit dem Gesetz der Befreiung vom Nationalsozialismus und Militarismus 19.06.1945. Vgl. dazu auch Schmidt 2015, S. 189 f. 56 Hanel 2014, S. 214.

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Wird aus seinen Aktivitäten eine stark angepasste und deutschnationale Lehr- und Forschungstätigkeit in den 1930er und 1940er Jahren deutlich, so blieb Schürer in und außerhalb Darmstadts auch nach dem Zweiten Weltkrieg eine geachtete Persönlichkeit. Seine offensichtlich charismatische Art und eloquente Vortragsweise wird auch in seinen Nachrufen erwähnt.57 Hans-Georg Gadamer nannte ihn in seiner Gedächtnis­ rede »ein Genie der Freundschaft«.58 In der Sammlung des Fachgebiets Architekturund Kunstgeschichte der TU Darmstadt befindet sich eine Büste Schürers von seinem Freund und Kollegen, dem Bildhauer Hermann Geibel (1889 – 1972), der ab 1934 Lehrer für angewandte Plastik und Aktzeichnen an der Technischen Hochschule in Darmstadt war. II. Räumlichkeiten, Personal, Prüfungen, Sammlungen

Die Abteilung Architektur war bei der Gründung der Polytechnischen Schule im Jahre 1869 zunächst in dem schon bestehenden Gebäude der höheren Gewerbeschule am Kapellplatz untergebracht, bevor sie 1895 in das zweite Obergeschoss des neu errichteten Hauptgebäudes der Technischen Hochschule zog und dort weite Teile des dreiflügeligen Geschosses einnahm (Abb. 1).59 Das Fach Kunstgeschichte hatte einen eigenen Raum für seine Sammlung (Nr. 168) und teilte sich den Hörsaal (Nr. 170) mit den Fächern Mechanik und Höhere Mathematik. Für die Dozenten gab es mehrere Räume. Im Zuge der Erweiterungen des Hauptgebäudes 1908 wurde diese Raumaufteilung verändert und im Anschluss an die Aula eine große »Halle für Kunstsammlungen« (25 × 10 Meter) angebaut, die zu dem sich anschließenden Querflügel vermittelte.60 Die Halle »diente zur Aufstellung von Gipsabgüssen«.61 Im Zweiten Weltkrieg wurde das Hauptgebäude stark beschädigt, nach dem Krieg aber schnell wiederhergestellt und die Abteilung Architektur fand hier erneut ihren Sitz. Erst 1967 kam es zum Neubau des eigenständigen Architekturgebäudes auf dem Campusgelände der sogenannten Lichtwiese am südöst57 So Schürers Student Brosche in seinem recht subjektiven, aber inhaltlich sehr informativen Nachruf (1969, S. 430)  : »Wenn er am Vortragspult das Mitgehen seiner Hörer spürte – und wer wüßte sich zu er­ in­nern, dass der Funke nicht gleich nach den ersten Worten übergesprungen wäre –, dann konnte er mit wuchtigen Worten, mit denen er aus einem reichen Sprachschatz immer wieder neue starke Bilder formte, den erwählten Stoff mit einer Begeisterung darbieten, der sich keiner entziehen konnte und die lange nachwirkte  ; dementsprechend war sein Einfluß vor allem pädagogischer Natur.« 58 Gadamer 1952. 59 Festschrift 1895  ; Festschrift 1908  ; Guther 1980  ; Kuntzsch, Viefhaus 1995 – 2000, Bd. 6, S. 48 – 99 (mit weiteren Literaturhinweisen). 60 Vgl. Tafel 17, S. 45 in  : Festschrift 1908 [URL  : http://tudigit.ulb.tu-darmstadt.de/show/57-A-119 (26. Mai 2019)]. 61 Ebd., S. 51.

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Abb. 1  : Darmstadt, Technische Hochschule, Hauptgebäude, Grundriss des zweiten Obergeschosses 1895. Repro aus  : Richard Lepsius (Redakteur)  : Die neuen Gebäude der Grossherzoglichen Technischen Hochschule zu Darmstadt, Darmstadt 1895 (im Archiv der Autorin).

lichen Stadtrand Darmstadts, das 1969 bezogen wurde. Hier befindet sich auch heute noch das Fachgebiet Architektur- und Kunstgeschichte. Obwohl zwischen 1869 und 1945 durchgehend nur eine ordentliche Professur das Fach Kunstgeschichte betreute, ergänzten ab 1882 immer wieder Privatdozenten und eine Privatdozentin das verpflichtende kunsthistorische Lehrangebot an der ­Technischen Hochschule.62 So bot von 1898 bis 1926 Dr. Friedrich Back, der Direktor der Gemäldesammlung des nahegelegenen Landesmuseums, dem 1902 von Seiten der Hochschule die Venia Legendi für das ganze Fach Kunstgeschichte verliehen wurde, regelmäßig Unterricht in der Betrachtung von Kunstwerken (Malerei und Plastik) vor 62 Die Informationen zu den Privatdozenten entstammen ebenfalls den Vorlesungsverzeichnissen aus den jeweiligen Jahren. So wurde Professor Schaefer zum Beispiel von 1882 bis 1898 von dem Inspektor am Landesmuseum, Dr. Rudolph Adamy, unterstützt, der außerordentlicher Professor für Ästhetik und allgemeine Kunstgeschichte war.

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dem Original im Museum an.63 Veranstaltungen zum Kunstgewerbe übernahm zudem von 1919 bis 1935 der Direktor des Darmstädter Gewerbemuseums, Georg Haupt, der außerordentlicher Professor für Kunstgewerbe und Baugeschichte war. Relativ früh wurden auch archäologische Lehrveranstaltungen angeboten, zumeist von Mitarbeitern des Römisch-Germanischen Zentralmuseums in Mainz.64 Von 1922 bis 1936 lehrte die Kunsthistorikerin Ottilie Rady (1890 – 1987), später verheiratete Thiemann-Stoedtner, an der Darmstädter Architekturabteilung Kunst­ geschichte.65 1929 habilitierte sie sich hier als erste Frau in Deutschland im Fach Kunstgeschichte mit einer Arbeit über das Thema Johann Baptist Scholl d. J., ein hessi­ scher Bildhauer, Zeichner und Maler der Spätromantik. Aus ihrer Autobiografie erfahren wir eini­ges über den Ablauf der damaligen Habilitationsverfahren. Wie sie berichtete, musste sie dafür zum einen ihre Habilitation veröffentlichen und zum anderen zwei Vorträge halten, »einen zur Erlangung der venia legendi und eine sogenannte Antrittsvorlesung«.66 Selbstbewusst schreibt sie  : »Der erste fand vor dem Professorenkollegium statt und war eine Art Prüfung. Ich erläuterte (mit Lichtbildern selbstverständlich) die Skulpturen an der Kathedrale von Reims und gliederte sie stilgeschichtlich. Der zweite Vortrag war öffentlich und mußte in 45 Minuten das Thema erschöpfen. Ich wählte den italienischen Bildhauer Verrocchio, einen meiner Lieblinge. Beide Vorträge waren reine Kunsthistorikerarbeit und gingen etwas über das Niveau einer T. H. hinaus.«67

1934 wurde die Privatdozentin für Kunstgeschichte Rady zur außerordentlichen Professorin an der Technischen Hochschule ernannt. Damit war sie die erste Frau als Professorin an der Darmstädter Architekturabteilung. Als sie 1936, wie sie selbst schrieb, »auf Antrieb der Nazis« ihre Assistentenstelle und damit auch ihren Unterhalt verlor, ließ sie sich beurlauben, zog nach Berlin und arbeitete an dem Institut für wissenschaftliche Projektion von Franz Stoedtner.68 In ihrem Nachlass hat sie die Themen ihrer Lehrveranstaltungen zusammengestellt.69 Zu ihrer Seminarreihe schreibt sie in ihrer Autobiografie  : 63 Vgl. seine Seminarthemen in den Vorlesungsprogrammen von 1898 bis 1926. 64 1896 – 1898 Dr. Ferdinand Noack, Privatdozent für Klassische Archäologie, 1919 – 1922 Prof. Dr. Eduard Anthes, Denkmalpfleger für die Altertümer, Privatdozent für Archäologie, 1914 – 1945 Prof. Dr. Friedrich Behn, Dir. Ass. des Römisch-Germanischen Zentralmuseums zu Mainz, Privatdozent für Altertumskunde. 65 Nürnberg, GNM, DK, Nachlass O. Thiemann-Stoedtner  ; Wolf, Viefhaus 1977, S. 162. 66 Nürnberg, GNM, DK, Nachlass O. Thiemann-Stoedtner IA 2, S. 45. 67 Nürnberg, GNM, DK, Nachlass O. Thiemann-Stoedtner IA 2, S. 45 f. Die Manuskripte ihrer Habilitationsvorträge haben sich im Nachlass erhalten (IB 4). 68 Ebd., IB 5. 69 Im Rahmen eines Forschungsmoduls an der Technischen Universität in Darmstadt haben die beiden

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»Nachdem die Vorlesungen des Professor[s] Hartmann die Studenten auf das Examen vorbereiten mußten, blieb ihm keine Zeit mehr für Vorlesungen allgemeiner Art, die auch das Stadtpublikum angezogen hätten. Diese konnte ich nun abhalten – und es war sicher ein guter Griff, daß ich mir ›berühmte Kunststätten‹ vornahm. Mein Ziel war, nach und nach alle europäischen Kunst- und Hauptstädte baugeschichtlich vorzuführen und im Anschluß deren Hauptstücke aus ihren Museen zu zeigen. Das war eine vorzügliche Reisevorbereitung für ein gebildetes Publikum und ein solches hat fortab meine Vorlesung bevölkert.«70

Aus dieser Äußerung wird ersichtlich, dass das von den zusätzlichen Lehrkräften angebotene Vorlesungsprogramm für alle Studierenden, vor allem aber für die Bildungsbürger der Stadt Darmstadt gedacht war. Rady las aber auch über Malerei und Plastik des 19. Jahrhunderts. Sie ergänzte damit das bestehende Angebot an kunsthistorischen Vorlesungen sehr gut, da dies eine Epoche war, die »von Prof. Hartmann überhaupt nicht behandelt« wurde.71 Rady war die erste Assistentin am kunsthistorischen Lehrstuhl in Darmstadt. Mit diesen Assistentenstellen hatten die Lehrstuhlinhaber nun die Möglichkeit, zumindest in einem gewissen Rahmen auch jüngeren Kunsthistorikern eine Ausbildungsstelle zu vermitteln. 1945 holte Oskar Schürer als Assistenten Josef Adolf Schmoll gen. Eisenwerth nach Darmstadt, der den Lehrstuhl ab 1946 aufgrund der schweren Erkrankung Schürers bis zur Neubesetzung 1949 vertrat.72 Er ist später Professor für Kunstgeschichte in Saarbrücken geworden. Vom Jahr 1899 an, dem Jahr, in dem die Technische Hochschule das Promotionsrecht erhielt, bis zum Studienjahr 1921/22 wurden die an der Abteilung Architektur abgeschlossenen Promotionen im Vorlesungsverzeichnis der Technischen Hochschule Studierenden Katrin Kreuels und Wei Sun erstmals den Nachlass von Ottilie Rady (später ThiemannStoedtner) gesichtet und ausgewertet. Die hier von mir gemachten Aussagen zu Rady gehen auf die Materialsammlung der beiden Studierenden zurück, denen ich sehr zu Dank verpflichtet bin. Nürnberg, GNM DK, Nachlass O. Thiemann-Stoedtner IA 2, S. 47 f.: 1929/30 Florenz und seine Kunst  ; 1930  : Deutsche Malerei des 19. Jahrhunderts  ; 1930/31  : Rom zur Zeit der Renaissance und des Barock  ; 1931  : Deutsche Plastik des 19. Jahrhunderts  ; 1931/32  : Wien, die Stadt und ihre Schätze  ; 1932  : Französische Malerei des 19. Jahrhunderts, verglichen mit der deutschen Malerei desselben Jahrhunderts  ; 1932/33  : Paris, die Stadt und ihre Kunstschätze  ; 1933  : Französische Plastik des 19. Jahrhunderts, verglichen mit der deutschen Plastik desselben Jahrhunderts  ; 1933/34  : London, die Stadt und ihre Kunstschätze  ; 1934  : englische Malerei des 19. Jahrhunderts  ; 1934/35  : Berlin, die Stadt und ihre Kunstschätze  ; 1935  : Kunst der engeren Heimat, Teil I  : Mittelalter  ; 1935/36  : Florenz und die Kunst der Toskana  ; 1936  : Kunst der engeren Heimat, Teil II  : Renaissance und Barock  ; 1936/37  : Kunst der engeren Heimat, Teil III  : Rokoko bis Neuzeit. 70 Nürnberg, GNM, DK, Nachlass O. Thiemann-Stoedtner IA 2, S. 46 f. Siehe vorige Anmerkung. Laut ihren Aufzeichnungen haben im Wintersemester 1935/36 »28 eingeschriebene Hörer, meist Gäste aus der Stadt Darmstadt« ihre Vorlesung besucht. 71 Nürnberg, GNM, DK, Nachlass O. Thiemann-Stoedtner IA 2, S. 46. 72 Vgl. dazu Schmoll 1990, S. 290 f.

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Darmstadt aufgelistet, leider ohne Nennung der jeweiligen Erstbetreuer.73 Insofern ist es nicht ganz einfach, diese zuzuordnen, bei einigen ist es aber aufgrund des eindeutig kunsthistorischen Themas relativ sicher, dass die Betreuung von Seiten des kunsthistorischen Lehrstuhlinhabers erfolgte. Die erste Promotion an der Technischen Hochschule überhaupt stammt aus dem Jahr 1902 und war eine architekturhistorische Arbeit über Das Auftreten der Gotik am Dom zu Mainz von Ernst Vetterlein, Erstgutachter war Carl Schaefer.74 Wilhelm Pinder dürfte noch die 1916 abgeschlossene Doktorarbeit des Architekten Joseph Schlippe betreut haben, die sich dem Thema Louis Remy de la Fosse und seine Bauten widmete. Des Weiteren sind sehr viele Doktorarbeiten aus der Zeit Paul Hartmanns überliefert.75 Daraus ist zu schließen, dass es den Kunstgeschichtsprofessoren an den Technischen Hochschulen zwar nicht möglich war, eine eigene vergleichbare ›kunsthistorische Schule‹ wie an den geisteswissenschaftlichen Universitäten auszubilden, dennoch dürften sie maßgeblichen Anteil an der Betreuung der im wesentlichen architekturhistorischen Doktorarbeiten der Architekten gehabt haben. Schon zu Schaefers Zeiten werden im Vorlesungsverzeichnis für den Unterricht in der Kunstgeschichte umfangreiche Lehrmittel, wie »Zeichnungen, Kupferstiche, Photo­ graphien, Gypsabgüsse« aus der Sammlung des ehemaligen Polytechnikums erwähnt, zudem konnten die Kunstsammlungen und die Hofbibliothek des Großherzogs für den Lehrbetrieb genutzt werden.76 Es ist zu vermuten, dass spätestens mit der Übernahme des Lehrstuhls durch Rudolf Kautzsch im Jahre 1903 die kunsthistorische Lehre anhand von 73 Folgende architekturhistorische Arbeiten sind bis 1916/17 an der Technischen Hochschule in Darmstadt geschrieben worden, die Betreuung ist nicht immer geklärt (siehe dazu auch Trommsdorff 1914, S. 68)  : Ernst Vetterlein  : Das Auftreten der Gotik am Dom zu Mainz, 1902  ; Hans Waag  : Der Bolongaro-Palast zu Höchst am Main, 1904  ; Emerich Forbát  : Der Bau der Städte an Flüssen in alter und neuer Zeit, 1904  ; Ludwig Hercher  : Grossstadterweiterungen. Ein Beitrag zum heutigen Städtebau, Göttingen 1904  ; Ludwig Lipp  : Beiträge zum ländlichen Schulhausbau, 1907  ; Heinrich Göbel  : Darstellung der Entwicklung des süddeutschen Bürgerhauses, Dresden 1908  ; Hans Vogts  : Das Mainzer Wohnhaus im 18. Jh., 1909  ; Arthur Carius  : Ornamentik am oberhessischen Bauernhause, Frankfurt am Main, 1910  ; Eduard Jobst Siedler  : Die Gärten und Gartenarchitekten Friedrichs des Großen, Berlin 1911  ; Franz Schmitt  : Die Kirchen des Kreises Lauterbach (Oberhessen). Ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichte des protestantischen Kirchenbaues 1911. Ab 1911/12 werden nur noch die Namen der Promovierten im Vorlesungsverzeichnis aufgelistet  : Rudolf Esch, Karl Jelkmann, Adolf Wiegand (1911/12)  ; Max Händel (1912/13)  ; Ferdinand Döbler  ; Max Stirn (1913/14)  ; Ernst Kaftan, Friedrich Schnell (1914/15)  ; Friz Dorst, Karl Hamens (1915/16)  ; Joseph Schlippe, Leonhard Kraft (1916/17). 74 Das geht aus dem Titelblatt der veröffentlichten Doktorarbeit hervor. 75 1920  : Alfred Kray  : Die Einwirkung des Krieges auf das Groß-Berliner Baugewerbe, Bernhard Wehl  : Zur Praxis der Stadterweiterungen, Heinrich Biebel  : Gezimmerte Glockenstühle  ; 1921  : Hans Freyberg  : Die mittelalterlichen Turmhelme und Dachreiter Oberhessens, Heinrich Knipping  : Münchener Grabmalplastik von 1500 – 1800, Hans Wellmer  : Jacob Kesselhut, ein Baumeister des 16. Jahrhunderts in HessenDarmstadt. 76 Vgl. Vorlesungsprogramm 1870/71, S. 42.

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Lichtbildern vermittelt wurde. In dem von der Architektur genutzten Erweiterungsbau des Hauptgebäudes waren die 1908 neu errichteten größeren und kleineren Hörsäle mit »Verdunkelungsvorrichtungen für Lichtbildervorträge« ausgestattet, sodass seit dieser Zeit ideale Bedingungen für die Diapräsentationen im Fach Kunstgeschichte herrschten.77 Aus der Autobiografie von Rady erfahren wir, wie um 1920 die Sammlung an der Technischen Hochschule aussah  : »Der Vorgänger von Prof. Hartmann auf dem Darmstädter Lehrstuhl war Wilhelm Pinder gewesen. Jawohl[,] der ›berühmte‹ Pinder  ! Da er ganz ohne Assistent gewirtschaftet hatte und dann ganz plötzlich ins Feld mußte, da er zudem ein genialer Mensch war, der zwischen seinen Vorlesungen komponierte, läßt sich denken, in welchem Zustand er das Institut hinterließ. Es waren immerhin ca 15 000 Lichtbilder vorhanden, dazu Bücher und Mappenwerke und Fotos, letztere zumeist sehr groß, und nach meinem Ermessen kostbar. Sie stammten noch aus der Zeit, wo es noch keine Lichtbilder gab und man anhand solcher Unterlagen unterrichtete. Diesen ganzen Bestand zu ordnen und endlich einmal zu inventarisieren war eine meiner Aufgaben.«78

Die von Rady erwähnte umfangreiche kunsthistorische Sammlung ist komplett im Zuge der Bombardierungen Darmstadts 1944 zerstört worden, es waren vom kunstgeschichtlichen Lehrstuhl »weder Räume, noch Möbel, noch Bücher, noch Abbildungen, noch Lichtbilder übrig geblieben«.79 Daher bemühten sich Oskar Schürer sowie sein Nachfolger Hans Gerhard Evers nach dem Krieg sehr intensiv darum, die kunsthistorische Diasammlung und die Bibliothek wieder neu aufzubauen.80 So sind auf Initiative Schürers 1947 die Bestände des Kunsthistorischen Instituts der 1946 weitgehend aufgelösten Universität Gießen nach Darmstadt gelangt, es handelt sich dabei um ca. 1330 kunsthistorische Bücher und 5000 Diapositive.81 III. Die Rolle des Fachs Kunstgeschichte innerhalb der Technischen Hochschule in Darmstadt von 1869 bis 1945

An der 1869 in Darmstadt eingerichteten Grossherzoglichen Hessischen Polytechnischen Schule gab es sechs Abteilungen  : die Allgemeine Schule und fünf technische 77 Ebd., S. 65. 78 Nürnberg, GNM, DK, Nachlass O. Thiemann-Stoedtner IA 2, S. 43. 79 Dies schreibt der Nachfolger von Schürer, der Professor Hans Georg Evers 1951 in einem Brief an den Darmstädter Magistrat (UA Darmstadt 303 Nr. 56). 80 Die Sammlung des derzeitigen Fachgebiets für Architektur- und Kunstgeschichte der Technischen Universität Darmstadt wird aktuell von Dr. Susanne Lang aufgearbeitet. 81 Schmidt 2015, S. 132. Vgl. UA Darmstadt 105/418.

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Schulen, das waren die Bau-, die Ingenieur- und die Maschinenbauschule sowie die chemisch-technische und die landwirtschaftliche Schule. Von Anfang an existierte, besetzt mit Georg Schaefer, eine ordentliche Professur im Fach Kunstgeschichte. Damit gehört Darmstadt zu einer der sehr frühen deutschen Institutionen mit einer Kunstgeschichtsprofessur.82 Diese Professur war aber zunächst nicht der Bauschule, sondern der Allgemeinen Schule zugeordnet, sie diente also auch zur allgemeinen wissenschaftlichen Bildung aller Studenten und der interessierten Öffentlichkeit. Zugleich sind die beiden Lehrveranstaltungen von Schaefer aber fester Bestandteil des Studienplans der Bau- und Ingenieurschule gewesen. Das heißt, Schaefer verblieb zwar personell in der Rubrik der Allgemeinen Schule, seine Kurse in Kunstgeschichte waren aber zumindest für die Studenten der Bauschule und bis 1879 auch für jene der Ingenieurschule verpflichtend. Erst im Studienjahr 1896/97 wurde die Kunstgeschichtsprofessur direkt der Abteilung Architektur zugeordnet. Im Vorlesungsverzeichnis heißt es, dass die Allgemeine Kunstgeschichte nun »Mit besonderer Berücksichtigung der Architektur« gelesen ­werde.83 Diese Zuordnung zur Architektur änderte sich auch in der Folgezeit bis 1928 unter den neuen kunsthistorischen Professoren Kautzsch, Pinder und zunächst auch unter Hartmann nicht. Auf die nicht immer ganz leichte Rolle eines Kunstgeschichtsprofessors an einer Architekturabteilung wies Pinder 1912 hin. Als der Verleger Langewiesche 1912 Pinder als Autor für ein Blaues Buch über die aktuelle Baukunst gewinnen wollte, lehnte dieser mit den Worten ab  : »Die Darmstädter Kollegenschaft, von der ich doch allerhöchstens nur den Pützesschen Bahnhof bringen würde, müsste mir den Ausschluss ihrer sämtlichen, übrigens an sich meist tüchtigen, Leistungen schwer verübeln. Für den Kunsthistoriker einer Techn. Hochschule ist die Angelegenheit zu heikel  !«84

Sehr schön bringt Pinder hier die Grenzen einer zeitgenössischen Kunstgeschichte an einer Technischen Hochschule auf den Punkt. Auch Ottilie Rady wies auf die Schwierigkeit des Fachs Kunstgeschichte an einer Architekturabteilung hin  : »Prof. Hartmann war ja im Grunde genommen an einer T. H. nicht am richtigen Platz. Hier galt Kunstgeschichte nur als Nebenfach der jungen Architekten, so blieb es ihm versagt, selbst echte Kunsthistoriker auszubilden.«85 82 Dilly 1979, S. 21. Der erste Lehrstuhl für Kunstgeschichte entstand 1860 an der Universität Bonn. 83 Vorlesungsprogramm 1896/97, S. 29. 84 Wilhelm Pinder  : Brief an Karl Robert Langewiesche, 22. Dezember 1912, Frankfurt/Main, Deutsche Nationalbibliothek, Langewiesche Archiv 256, Allgemeiner Schriftverkehr P, Q, R 1912, zitiert nach Fritze 2014, S. 92. 85 Nürnberg, GNM, DK, Nachlass Ottilie Thiemann-Stoedtner, 1A 7 Autobiographische Aufzeichnungen, S. 36.

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Erst im Wintersemester 1928/29 gab es eine Änderung. Offensichtlich auf Betreiben von Paul Hartmann wurde das Fach Kunstgeschichte der Abteilung für Kultur- und Staatswissenschaften zugeordnet.86 Hiermit sollte zum Ausdruck kommen, wie es von Seiten dieser Abteilung heißt, »daß die Kunstgeschichte nicht bloß als eine Fachangelegenheit der Architektur zu gelten hat, sondern auch als eine Wissenschaft von allgemeinem Bildungswert im Zusammenhang der kulturwissenschaftlichen Disziplinen ihren Platz finden soll.«87 Dieser Zustand währte allerdings nicht besonders lang, denn schon 1930 wünschte die Abteilung Architektur diese Veränderung rückgängig zu machen, was auch 1931 umgesetzt wurde. Hierzu heißt es in der Akte zur ›Wiedereingliederung des Lehrstuhls Kunstgeschichte an die Abteilung für Architektur‹, dass beide, der damalige Lehrstuhlinhaber Prof. Dr. Hartmann und die Architekturabteilung, diesen Prozess für notwendig erachten, »weil Kunstgeschichte für die Studierenden der Architektur, die auch fast die gesamte Besucherzahl der Vorlesungen und Uebungen stellen, ein Hauptfach und neuerdings auch Pflichtprüffach ist und ihre geeignete Verbindung mit den übrigen kunsthistorischen etc. Fächern wie ihre zweckmäßige Einordnung in den Studienplan der Abteilung den engeren Konnex des Lehrstuhls mit der Abteilung für Architektur zur Bedingung macht.«88

Ein erhaltenes Diplomzeugnis der Studentin Gerda Rothamel aus dem Jahre 1934 zeigt, dass ›Allgemeine Kunstgeschichte‹ wirklich damals zum festen Prüfungsprogramm von Architekturstudierenden gehörte, während dies 1922 noch ein frei zu wählendes Prüfungsfach gewesen war.89 Letztlich blieben die Kunstgeschichtsvorlesungen weiterhin – trotz Zuordnung zur Architekturabteilung – auch für die Studierenden der Kultur- und Staatswissenschaften offen. Dem Aktenvorgang zur Wiedereingliederung der Kunstgeschichte in die Abteilung der Architektur ist ein undatierter Zettel beigefügt, auf dem von anonymer Hand notiert ist, wie es sich mit der Zugehörigkeit des Lehrstuhls Kunstgeschichte an den anderen deutschen Technischen Hochschulen verhielt  : Die Hälfte aller Lehrstühle sei zu diesem Zeitpunkt, also um 1930, den Abteilungen der Architektur bzw. dem Bauwesen (Aachen, Braunschweig, Breslau, Danzig, Hannover) zugeordnet gewesen und die 86 Vorlesungsprogramm 1927/28, S. 72. 87 UA Darmstadt 103 Nr. 681/1, Prof. Dr. Paul Hartmann, Wiedereingliederung des Lehrstuhls Kunstgeschichte an die Abteilung für Architektur, Schreiben von Prof. Dr. E. Stiasny am 11. Juni 1931 an das Rektorat der Technischen Hochschule Darmstadt. 88 Ebd., Schreiben des Vorstands der Abteilung für Architektur an den Rektor der Technischen Hochschule am 9. Dezember 1930. 89 UA Darmstadt 102 Nr. 8092, Diplom-Hauptprüfungszeugnis von Gerda Rothamel für das Hochbaufach vom 30. Juni 1934. Das Diplomzeugnis des Studenten Karl Lochner aus dem Jahr 1922 zeigt hingegen, dass Kunstgeschichte damals noch kein Pflichtfach war (UA Darmstadt 102 Nr. 5931, Karl Lochner).

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andere Hälfte – wie Darmstadt – den allgemeinen Wissenschaften bzw. den Kulturwissenschaften (Berlin, Dresden, Karlsruhe, München, Stuttgart).90 Dies zeigt, dass es damals keine einheitliche Zuordnung des Fachs Kunstgeschichte an den Technischen Hochschulen gab, sondern dies an jeder Hochschule anders gehandhabt wurde.91 1931/32 kam es dann in Darmstadt nach zähen Verhandlungen zur Wiedereingliederung des Fachs Kunstgeschichte in die Abteilung für Architektur. Ein Zustand, an dem sich bis in die heutige Zeit nichts mehr verändern sollte. Mit dieser Entscheidung war 1931 einerseits verhindert worden, dass man an der Technischen Hochschule Darmstadt eine eigenständige Ausbildung im Fach Kunstgeschichte etablierte, andererseits war damit zugleich der Weg für eine sehr breit aufgestellte Kunst- und Architekturgeschichte an der Architekturabteilung geebnet worden. Ein Zustand, der sich noch heute in den drei historischen Fachgebieten an der Technischen Universität widerspiegelt, denn hier gibt es drei Lehrstühle für Klassische Archäologie, Architektur- und Kunstgeschichte sowie Geschichte und Theorie der Architektur. Aus dem Vorangegangenen wird deutlich, dass es an der Technischen Hochschule in den ersten knapp hundert Jahren nur wenige Auseinandersetzungen zwischen dem Fach Kunstgeschichte und der Abteilung Architektur gab. Es wurden immer Kunsthistoriker berufen, die zwar einen wissenschaftlichen Schwerpunkt im Bereich der Architekturgeschichte hatten, aber zugleich Kompetenzen eingefordert, die eine möglichst breite und umfassende Lehre in der Kunstgeschichte ermöglichten. Den Wunsch, diese Stelle mit einem Architekten zu besetzen, scheint es in Darmstadt, im Gegensatz z. B. zu den Entwicklungen des Fachs Kunstgeschichte in Karlsruhe, nicht gegeben zu haben.92 Natürlich hatten die Professoren generell an den Technischen Hochschulen nicht die Möglichkeit, wie an den geisteswissenschaftlichen Fakultäten eine große Schar an kunsthistorischen Schüler_innen auszubilden. Lediglich unten den Assistent_innen, die es aber erst seit den 1920er Jahren im Fach Kunstgeschichte an der Technischen Hochschule in Darmstadt gegeben hat, konnten sie sich einen eigenen Nachwuchs heranziehen.93 Für Ottilie Rady war die Assistenz an einer Technischen Hochschule eine besonders gute Möglichkeit, Karriere zu machen  ; dies wäre an den geisteswissenschaftlichen Universitäten aufgrund der männlichen Konkurrenz sicherlich schwieriger gewesen. Das Fach Kunstgeschichte an der Technischen Hochschule in Darmstadt war zwar nicht durchgehend der Architekturabteilung zugeordnet, aber dennoch fester und offensichtlich auch wichtiger und geschätzter Bestandteil der Architekturausbildung. 90 UA Darmstadt 103 Nr. 681/1, Prof. Dr. Paul Hartmann, Wiedereingliederung des Lehrstuhls Kunstgeschichte an die Abteilung für Architektur. 91 Papenbrock 2005, S. 61 f. 92 Ebd., S. 62. 93 Nach dem Krieg waren dem kunsthistorischen Professor Schürer sogar zwei Assistenzstellen zugeordnet, die Josef Adolf Schmoll genannt Eisenwerth, der später Professor an der Technischen Universität München wurde, und Martin Klewitz, der spätere Landeskonservator des Landes Saarland, innehatten.

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Das Fach Kunstgeschichte an der Technischen Hochschule in Darmstadt

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Lepsius 1895 – Richard Lepsius (Red.)  : Die neuen Gebäude der Grossherzoglichen Technischen Hochschule zu Darmstadt, Darmstadt 1895. Papenbrock 2005 – Martin Papenbrock  : Kunstgeschichte an Technischen Hochschulen in Deutschland in den Jahren 1933 bis 1945. Das Beispiel Karlsruhe, in  : Nikola Doll, Christian Fuhrmeister, Michael H. Sprenger (Hg.)  : Kunstgeschichte im Nationalsozialismus, Weimar 2005, S.  61 – 70. Papenbrock 2006 – Martin Papenbrock  : Der Lehrstuhl für Kunstgeschichte in Karlsruhe. Ein Rückblick, in  : Katharina Büttner, Ders. (Hg.)  : Kunst und Architektur in Karlsruhe. Festschrift für Norbert Schneider, Karlsruhe 2006, S. 179 – 191. Rosemann 1936 – Heinz Rudolf Rosemann  : Die Abteilung für Architektur, in  : Wilhelm Schlink (Hg.)  : Technische Hochschule Darmstadt 1836 bis 1936. Ein Bild ihres Werdens und Wirkens. Zur Jahrhundertfeier im Auftrag der Technischen Hochschule, Darmstadt 1936, S. 50 – 69. Rürup 1965 – Reinhard Rürup  : Friedrich Theodor Vischer und die Anfänge der Kunstgeschichte an der Technischen Hochschule in Karlsruhe, in  : Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 113 (1965), S. 415 – 427. Schefers 1986 – Hermann Schefers  : Johann Georg Schaefer. Professor der Kunstgeschichte (1823 – 1908). Ein Lebensbild, in  : Archiv für hessische Geschichte und Altertumskunde N. F. 44 (1986), S.  433 – 443. Schlink 1936 – Wilhelm Schlink  : Entwicklung und Gestaltung der Technischen Hochschule mit besonderer Berücksichtigung Darmstadts, in  : Ders. (Hg.)  : Technische Hochschule Darmstadt 1836 bis 1936. Ein Bild ihres Werdens und Wirkens. Zur Jahrhundertfeier im Auftrag der Technischen Hochschule, Darmstadt 1936, S. 9 – 34. Schmidt 1983 – Georg Schmidt  : Die internationalen Kongresse für Kunstgeschichte, in  : Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte 36, H. 1 (1983), S. 7 – 16 und Anhang II  : Die Vortragsprogramme der Kongresse 2 (Nürnberg 1893) bis 24 (Bologna 1979), S. 23 – 102. Schmidt 2015 – Isabel Schmidt  : Nach dem Nationalsozialismus. Die TH Darmstadt zwischen Vergangenheitspolitik und Zukunftsmanagement (1945 – 1960), Darmstadt 2015. Schmoll 1990 – Josef Adolf Schmoll gen. Eisenwerth  : Frühe Wege zur Kunstgeschichte, in  : Martina Sitt (Hg.)  : Kunsthistoriker in eigener Sache. Zehn autobiographische Skizzen, Berlin 1990, S.  274 – 298. Szabó 2000 – Anikó Szabó  : Vertreibung, Rückkehr, Wiedergutmachung. Göttinger Hochschullehrer im Schatten des Nationalsozialismus, Göttingen 2000. Trommsdorff 1914 – Paul Trommsdorff  : Verzeichnis der bis Ende 1912 an den Technischen Hochschulen des Deutschen Reiches erschienenen Schriften, Berlin 1914. Vorlesungsprogramm 1869/80 – 1877/78 – Programm der Grossherzoglich Hessischen Polytechnischen Schule zu Darmstadt 1869/70 – 1877/78. Vorlesungsprogramm 1878/79 – 1917/18 – Programm der Grossherzoglich Hessischen Technischen Hochschule zu Darmstadt 1878/79 – 1917/18. Vorlesungsprogramm 1919/20 – 1944/45 – (Hessische) Technische Hochschule Darmstadt, Lehrplan 1919/20 – 1944/45. Wolf, Viefhaus 1977 – Christa Wolf, Marianne Viefhaus  : Verzeichnis der Hochschullehrer der Technischen Hochschule Darmstadt. Teil 1  : Kurzbiographien 1836 – 1945, Darmstadt 1977.

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»Hundert Dias am Tag« Die Kunstgeschichte an der TH/TU Graz seit 1856

Kunstgeschichte spielte an der Grazer Architekturfakultät nie eine größere Rolle, und ein dementsprechend geringes Interesse bringt man hier bis heute der Architekturge­ schichte entgegen. Auch aus diesem Grund ist die Postmoderne an Graz nahezu spur­ los vorübergegangen. Dabei wurden die ersten kunsthistorischen Vorlesungen an der Technischen Hochschule bereits 1856 gehalten – lange, bevor es Vergleichbares an der Universität gab. Allerdings gelang die Einrichtung eines eigenen Lehrstuhls erst 1967, der in dieser Form bis 2001 bestand. Durch die Hinzunahme der Kulturwissenschaf­ ten (2003) und der Architekturtheorie (2007) in das Institutsprofil geriet die Kunst­ geschichte immer mehr ins Hintertreffen, um heute nur mehr ein Schattendasein zu führen.

Das Institut für Architekturtheorie, Kunst- und Kulturwissenschaften an der Architekturfakultät der Technischen Universität Graz ist aus dem 1967 gegründeten Institut für Kunstgeschichte hervorgegangen. Wiewohl die Forschungstätigkeit des Instituts nach wie vor die Kunstgeschichte mit dem Schwerpunkt Architekturgeschichte umfasst,1 ist heute die Lehre davon weitgehend ausgeschlossen. Als Lehrfach führt die Kunstgeschichte an der TU Graz derzeit ein Schattendasein und daran wird sich, wie es derzeit (März 2020) aussieht, in absehbarer Zeit auch nichts ändern. Man kann also von einer – vorerst – abgeschlossenen Entwicklung sprechen, die hier erstmals in ihrer Gesamtheit dargestellt werden soll. Bislang war nur die Kunstgeschichte an der Universität Graz Gegenstand der Forschung,2 während die institutionell weniger etablierte, aber wesentlich ältere kunsthistorische Forschung und Lehre an der Grazer Technik bis jetzt nahezu vollkommen unbeachtet blieb.3 Die TU Graz trägt ihren Titel seit 1975, als die technischen Hochschulen Österreichs in den Universitätsrang erhoben wurden.4 Sie geht auf die 1864/65 eingerich-

1 Die kunsthistorische Forschung des Instituts konzentriert sich einerseits auf die steirische Architektur des 20. Jahrhunderts, andererseits auf die buddhistische Architektur des westlichen Himalaya  ; vgl. URL  : http://akk.tugraz.at/forschung/ (22. Mai 2019). 2 Vgl. Höflechner, Pochat 1992. In diesem Werk wird die Kunstgeschichte an der Technischen Hochschule, an der z. T. auch die Professoren der Grazer Universität wirkten, komplett ignoriert. 3 Die einzige Ausnahme bildet Küttner 2017, S. 57 – 59, 72 – 74. 4 Dies geschah im Zuge des Universitäts-Organisationsgesetzes 1975  ; vgl. Binder, Edlinger 2002, S. 58.

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tete »landschaftl. technische Hochschule am Joanneum zu Gratz« zurück,5 die 1874 als »k. k. Technische Hochschule« in Staatsverwaltung übernommen worden war und sich aus der 1811 von Erzherzog Johann (1782 – 1859) ins Leben gerufenen s­ tändischen Lehr- und Bildungsanstalt Joanneum entwickelt hatte.6 Aus diesem ging auch das gleichnamige Landesmuseum (heute  : Universalmuseum Joanneum) als naturwissenschaftlich-technische und kunsthistorische Sammlung hervor.7 Damit ist die Grazer Hochschule in ihrem Ursprung zwar etwa gleich alt wie die Polytechnischen Institute in Prag (gegründet 1806)8 und Wien (gegründet 1815)9 und gehört damit zu den ältesten Europas, war verglichen mit diesen aber anfangs mehr eine »Volkshochschule«10 bzw. »Realschule«11 und wurde erst im Laufe der 1840er Jahre den Polytechniken schrittweise gleichgestellt.12 I. Anläufe mit abruptem Ende  : Carl Haas, August Essenwein und Hippolyt Tauschinski (1856 – 1874)

Obwohl ein eigener Lehrstuhl für Kunstgeschichte erst seit 1967 besteht, haben sich kunsthistorische Forschung und Lehre an der Grazer Technik schon ein gutes Jahrhun­ dert früher etabliert. Am 15. November 1856 begann der erste steirische Landesarchäo­ loge Carl Haas (1825 – 1880, Abb. 1), der an der Wiener Akademie der bildenden Künste Malerei studiert hatte, aber als Kunsthistoriker und Archäologe Autodidakt war, mit wöchentlichen »außerordentlichen Vorlesungen« über Christliche Kunstgeschichte und Archäologie und ihre Hilfswissenschaften.13 Es waren dies die ersten kunsthistorischen Vorlesungen der Steiermark, lange bevor es Ähnliches an der Grazer Universität gab,14 denen in Österreich nur die ein Jahrzehnt zuvor in Wien einsetzenden Vorle 5 So der offizielle Titel laut Jahresbericht 1867. Das Statut erhielt 1864 die kaiserliche Genehmigung und trat mit dem Studienjahr 1865/66 in Kraft  ; vgl. Dimitriou 1978a, S. 402  ; Binder, Edlinger 2002, S.  49 – 52.   6 Vgl. Binder 1983, S. 39 – 190.   7 Vgl. Raffler 2011  ; Muchitsch 2011.   8 Dem Prager Polytechnikum ging allerdings eine bereits 1717/18 gegründete Ingenieurschule voraus  ; vgl. Stark 1906, S. 1 – 7  ; Binder 1983, S. 5 – 9.   9 Vgl. Binder 1983, S. 17 f. Auch hier fungierte als Vorläuferin die 1718 gegründete kaiserliche Ingenieurschule, vgl. ebd., S. 14 f. 10 Dimitriou 1978a, S. 401. 11 Binder, Edlinger 2002, S. 47. 12 Vgl. ebd., S. 48 f.; Binder 1983, S. 187. 13 Göth 1861, S. 222 f. 14 Vgl. Küttner 2017, S. 56. An der Universität Graz begann kunsthistorische Lehre erst 1877 mit der Einrichtung des Lehrstuhls für klassische Kunstarchäologie, die natürlich auf die Klassische Antike beschränkt blieb  ; vgl. Höflechner 1992, S. 72.

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sungen von Rudolf Eitelberger (1817 – 1885) vorangingen.15 Initiiert wurden die Vorträge vom Historischen Verein für Steiermark,16 der mit dem Joanneum, das nicht nur eine technisch-naturwissenschaftliche, sondern auch eine archäologische Sammlung besaß, eng kooperierte. Die abendlichen Vorlesungen illus­trierte Haas mit großformatigen, von ihm selbst bei seinen Reisen angefertigten Zeichnungen von Bauwerken und Kunstobjekten, die an der Schultafel befestigt und von zwei Lampen beleuchtet wurden.17 Nicht nur die Studenten des Joanneums, sondern ein breites Publikum aus der gesamten Grazer Gesell­ schaft wurde davon angezogen (es ist von »nahe 100 Zuhörern aus allen Ständen«,18 an anderer Stelle von einer »die Anzahl von hundert schon übersteigend[en]« Menge die Rede19). Sogar Damen begehrten Zutritt, was ihnen jedoch von der Direktion des Joanne- Abb. 1  : Ferdinand Mallitsch (?)  : Porträt Carl ums »aus den ›bekannten‹ Gründen« verwei­ Haas, um 1852, Öl auf Leinwand. Privatbesitz gert wurde.20 Der Erfolg der illustrierten (Foto  : Hans-Christian Haas). Vorträge war so groß, dass selbst die Wiener Zeitung davon berichtete und ihnen den Sex-Appeal eines Paganini-Konzerts zusprach  : »Herr Haas könnte wahrlich, wenn er sein Album einmal beendet hat, mit diesem mit eben so viel Aussicht auf Erfolg reisen, wie die Virtuosen, und die schönen Wienerinnen aus der guten Gesellschaft würden ihm gewiß ein aufmerksames Ohr leihen.«21 Inhalt von Haas’ Vorträgen waren »die Kunst in den Katakomben, die altchristlichen Symbole, die Basiliken und ihre Einrichtung, der byzantinische Styl, Ravenna und seine Bauten, die langobardischen Kirchen, der romanische Styl und seine Übergangsformen, die romanische Bildnerei, der gothische Styl mit seinen Ausartungen, die gothische Bildnerei, das Kirchengebäude, dessen äußere Eint15 Vgl. Dobslaw 2009, S. 30. 16 Vgl. Göth 1861, S. 196  ; Küttner 2017, S. 55 – 57. 17 Vgl. Küttner 2017, S. 56. 18 Jahresbericht 1857, S. 24. 19 Vgl. Grazer Briefe II, in  : Wiener Zeitung, 18. Februar 1857, Nr. 38, S. 154, zit. n. Küttner 2017, S. 56. 20 Küttner 2017, S. 56. 21 Grazer Briefe II, in  : Wiener Zeitung, 18. Februar 1857, Nr. 38, 154, zit. n. Küttner 2017, S. 56.

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heilung und innere Einrichtung, Altar, dessen Stellung, Tabernakel, Kanzel, Orgel, Glocken, Grabdenkmäler, gottesdienstliche Geräthe, Priesterkleidung, Bücher, die kirchlichen Feierlichkeiten, Epigraphik, Heraldik, Ikonologie, biblische und historische Symbole, weltliche Bilder, Trachten, kriegerische Bilder, Heiligenbilder.«22

Der große Anklang von Haas’ Vorlesungen wurde auch von Ottokar Maria Graf von Attems (1815 – 1867), dem Fürstbischof von Graz-Seckau, wahrgenommen, der Haas aufforderte, »einen Cyclus solcher Vorträge während des Winters an der theologischen Lehranstalt in Gratz zu halten, welchem ehrenvollen Rufe Herr Haas mit größter Bereitwilligkeit« entsprach.23 Diese Vorträge wurden zwar nur im Wintersemester 1856/57 abgehalten, prägten aber »eine ganze Generation von Theologen«, wie Monika Küttner feststellt.24 1859 habilitierte sich Haas sogar am Joanneum für Architektur und Kunstgeschichte25 und hielt bis 1861 als Privatdozent außerordentliche Vorlesungen über ­Geschichte der Architektur besonders für die Hörer der Baukunst.26 Der Lehrstuhl für Baukunde beziehungsweise Baukunst war 1846 eingerichtet und 1847 mit dem Wiener Architekten Moritz Wappler (1821 – 1906) besetzt worden.27 1853 wurde der Lehrstuhl in Bauwissenschaft umbenannt und hieß ab 1865 Hochbau.28 Damit wurde in Graz die Kunstgeschichte neun Jahre nach Einrichtung einer Architekturprofessur zu einem – wenn auch nicht verpflichtenden – Lehrfach. Haas begründete sein Ansuchen auf Verleihung einer Venia Legendi selbstbewusst, nämlich damit, dass kunsthistorische Bildung für jeden Ingenieur obligatorisch sei  : »Nicht blos den Architekten[,] sondern auch den Baumeister und Ingenieur ist die Kenntniß der verschiedenen Style und ihrer charakteristischen Unterscheidungen, der Vorzüge und Mängel derselben, namentlich der historischen Entwicklung des Einen aus dem Anderen von großer Wichtigkeit und die eigentliche höhere Ausbildung in diesen Fächern kann nur im Vereine mit kunstgeschichtlichen Studien erfolgen.«29

Haas’ Vorlesung hieß Ueber Geschichte der Architektur in Verbindung mit den Epochen allgemeiner Kunstgeschichte und wird im Vorlesungsverzeichnis folgendermaßen beschrieben  : 22 Göth 1861, S. 223. 23 Jahresbericht 1857, S. 25. 24 Küttner 2017, S. 57. 25 Vgl. Göth 1861, S. 196  ; Küttner 2017, S. 72 f. 26 Göth 1861, S. 196. 27 Vgl. Göth 1861, S. 181  ; Binder 1983, S. 116 f.; Prokop 2018. 28 Vgl. Binder 1983, S. 148 f. 29 Rektoratsakten 1859/114, Archiv der TU Graz, zit. n. Küttner 2017, S. 72.

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»Dieser Gegenstand wird rücksichtlich des baugeschichtlichen Theiles nach Lübke, rücksicht­ lich des kunstgeschichtlichen Theiles nach Kugler und Schnaase, so wie nach eigenen Forschungen vorgetragen, und zwar in zwei Abteilungen  : I. Die Vorstufen der Baukunst ­(indische, babilonische, persische, kleinasiatische, ägyptische Baukunst)  ; classische Kunst (grie­chische, römische, etruskische Architektur). II. Altchristliche Kunst und Architektur, mohamedanische Baukunst, christliche-mittelalterliche Baukunst, Renaissance. In jeder Ab­ theilung finden practische Uebungen im Zeichnen Statt, und zwar besonders nach Abgüssen architektonischer Detaile.«30

1861 umfasst diese Lehrsammlung »eine größere Zahl von Abbildungen, 29 Gyps-Modelle und 11 sehr schöne Modelle aus Kork, darstellend  : das Colosseum, das Pantheon, den Tempel der Vesta, die Triumphbögen Constantin’s und Septim. Severus insgesammt in Rom, den Tempel der Sibylla in Tivoli, des Neptun und der Ceres in Neapel, die Basilica von Neapel und zwei Särge aus Pästum.«31

Als Dozent für Kunstgeschichte wirkte Haas am Joanneum nur in den Wintersemestern 1859/60 und 1860/61  ; in den folgenden Jahren ließ er seine Vorlesungen ausfallen, weil er mit den ihm zugewiesenen Räumlichkeiten unzufrieden war und sich außerdem beruflich neu zu orientieren begann.32 Haas verkörpert die für die Frühzeit der Kunstwissenschaft noch typische Doppelrolle eines Künstlers und Kunsthistorikers, dessen zahlreiche Zeichnungen vor allem mittelalterlicher Bauwerke Kunstwerke und wissenschaftliche Dokumente in einem sind. Darüber hinaus diente sein Zeichenunterricht für die Baukunst-Studenten auch der Entwicklung von deren zentraler Fähigkeit, dem Zeichnen, das sich im frühen romantischen Historismus vor allem an mittelalterlicher Architektur orientierte (auch der erste Grazer Professor für Baukunst, der Architekt Moritz Wappler, war zuvor Zeichenlehrer an der Realschule gewesen).33 Erforschen und Entwerfen von Architektur gingen Hand in Hand und bedienten sich desselben Mediums, der Zeichnung. Als Forscher legte Haas unter anderem im Auftrag von Erzherzog Johann Übersichtskarten der mittelalterlichen Architektur der Steiermark an und publizierte zum romanischen Dom von Gurk.34 Wie sehr das dokumentarische Nachschaffen sich verselbstständigen konnte, beweist seine weitere Biografie  : Mit gal30 Personalstand 1860, S. 8  ; Göth 1861, S. 222 f. 31 Göth 1861, S. 208. Vgl. den Text von Atli Magnus Seelow in diesem Band. 32 Vgl. Küttner 2017, S. 73 f. Der 1863 gefasste Beschluss, die 1862 geplante Bauschule doch nicht einzurichten, kann im Gegensatz zu Küttners und Binders Meinung für Haas’ bereits am 1. April 1862 erfolgte Resignation als Landesarchäologe und die Beendigung seiner Lehrtätigkeit mit März 1861 allerdings nicht ausschlaggebend gewesen sein  ; vgl. Küttner 2017, S. 74  ; Binder 1983, S. 168, 265 Anm. 6. 33 Vgl. Göth 1861, S. 181  ; Prokop 2018. 34 Vgl. Küttner 2017, S. 51 f., 59 f.; Haas 1860.

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vanoplastischen Nachbildungen von mittelalterlichen Goldschmiedearbeiten wurde er so erfolgreich, dass er 1862 seinen Dienst beim Land Steiermark quittierte, um sich schließlich in Wien als Metallwarenfabrikant niederzulassen.35 1866 übernahm er schließlich die Leitung des galvanoplastischen Ateliers des Museums für Kunst und Industrie, das Vorlagenwerke für Kunstgewerbler produzierte, und stieg zum k. k. HofMetallwarenfabrikanten auf.36 In einem 1880 publizierten Nachruf wird seine ambivalente Rolle zwischen Kunst und Wissenschaft als Besonderheit dargestellt  : »Er gehörte zu den wenigen Kunstindustriellen, welche eine umfassende wissenschaftliche Bildung und eine ganz specielle Einsicht in die Kunsttechniken des Mittelalters besitzen, und er hat manche Frucht seiner archäologischen und kunsttechnischen Studien veröffentlicht.«37

Drei Jahre nach Haas’ Ausscheiden bot sich 1865 durch die Berufung des Architekten August Essenwein (1831 – 1892) zum Professor für Hochbau ein mehr als würdiger Ersatz.38 Essenwein hatte am Karlsruher Polytechnikum Architektur studiert, sich mit dem Tafelwerk Norddeutschlands Backsteinbau im Mittelalter 39 einen Namen als Bauhistoriker gemacht und sich ab 1856, nachdem er in den Dienst der k. k. Staatseisenbahn in Wien getreten war, intensiv mit mittelalterlicher Kunst- und Architekturgeschichte beschäftigt und dazu umfänglich publiziert.40 Er war deshalb prädestiniert, die Vorlesung zur Geschichte der Architektur zu übernehmen, die er allerdings nur ein Semester lang hielt,41 weil er bereits im Januar 1866 als Vorstand des Germanischen Museums nach Nürnberg wegberufen wurde.42 Essenweins im Juni 1866 berufener Nachfolger, der Wiener Architekt Josef Horky (1828 – 1909),43 hatte als reiner Entwerfer keine vergleichbaren Ambitionen, sodass die Architekturgeschichte-Vorlesungen in den Folge­ jahren ausfielen. Erst im Oktober 1870 erhielt der Wiener Historiker Hippolyt Tauschinski (1839 –  1905, auch unter der Schreibweise Tauschinsky)44 die Zulassung »als Privatdozent für deutsche und allgemeine Literaturgeschichte und für Kunstgeschichte mit besonderer

35 Vgl. Küttner 2017, S. 76 f., 89 f. 36 Vgl. Küttner 2017, S. 91 – 100. 37 Karl Haas (Nachruf ), in  : Mittheilungen des k. k. Österreichischen Museums für Kunst und Industrie 8 (1880), S. 21  ; zit. n. Küttner 2017, S. 105. 38 Vgl. Jahresbericht 1867, S. 8  ; Deneke, Kahsnitz 1978, S. 1118 f. 39 Vgl. Essenwein o. J. 40 Vgl. die Auflistung der Aufsätze Essenweins in Kramny 1909, S. 9. 41 Vgl. Techniker 1911, S. 93. 42 Vgl. Jahresbericht 1867, S. 36. 43 Vgl. Brandstetter 2011. 44 Vgl. Venus 2015. Für den Hinweis auf Tauschinski danke ich Bernhard Reismann, Archiv der TU Graz.

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Berücksichtigung der Baukunst«.45 Diese Zulassung erfolgte trotz der Einsprüche des steirischen Landeshauptmanns und des Unterrichtsministeriums, denn Tauschinski war in Wien als sozialdemokratischer Agitator aufgefallen und hatte noch nie etwas zu Literatur- oder Kunstgeschichte publiziert.46 Tauschinski ist vor allem als Gründer und erster Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei, die er im April 1874 ins Leben rief,47 in die Geschichte eingegangen. Aus diesem Grund im Juli 1874 in Graz verhaftet und zu neun Monaten Kerker verurteilt, verlor Tauschinski neben seinem Doktortitel auf Anweisung des Unterrichtsministeriums auch den Lehrauftrag an der Technik,48 obwohl ihn der Rektor gerne weiter beschäftigt hätte.49 Ob er jemals Kunst- und Architekturgeschichte las, lässt sich nicht sagen, da das einzige vollständige Vorlesungsverzeichnis aus dem fraglichen Zeitraum nur eine Vorlesung Tauschinskis zur deutschen Literatur im Sommersemester 1873 anführt50 und auch in der Aufstellung aller Vorlesungen in der Festschrift zur Jahrhundertfeier 1911 nur Tauschinskis Literaturvorlesung aufscheint.51 II. Josef Wastler, der erste Professor für Architekturgeschichte (1872 – 1899)

Der nach Essenwein zweite Professor des Joanneums, der kunsthistorische Vorlesungen hielt, wurde 1858, also zwei Jahre nach Beginn der Lehrtätigkeit von Haas, berufen  : Josef Wastler (1831 – 1899, Abb. 2). Allerdings übernahm der damals erst 27-jährige Oberrealschullehrer aus Ofen keinen Lehrstuhl für Kunstgeschichte, sondern für praktische Geometrie (später in Geodäsie umbenannt). Der aus Oberösterreich stammende Wastler hatte 1846 – 1852 am Wiener Polytechnikum studiert, danach ein Jahr Architektur an der Akademie der bildenden Künste absolviert, um 1855 die Lehramtsprüfung für Darstellende Geometrie und Mathematik abzulegen.52 Als Kunsthistoriker war Wastler ebenso wie Haas Autodidakt, der aber inhaltlich und methodisch mit der Konzentration auf Quellenkunde und Archivarbeit auf der fachlichen Höhe seiner Zeit war  : So publizierte er ab 1868 zu kunsthistorischen Themen in einschlägigen Fachzeitschriften wie den Mittheilungen der k. k. Central-Commission für Kunstdenkmale, der Kunstchronik oder dem Repertorium für Kunstwissenschaft. In Würdigung seiner kunsthistorischen Verdienste ernannte ihn die k. k. Central-Commission zur Erforschung und Erhaltung der Kunst- und historischen Denkmale in Österreich 1882 zu ihrem 45 Jahresbericht 1872, S. 27  ; vgl. Pittner 1954, S. 11. 46 Vgl. Pittner 1954, S. 11 f. 47 Vgl. ebd., S. 39 – 44. 48 Vgl. ebd., S. 71 f. 49 Vgl. ebd., S. 58 – 61. 50 Vgl. Programm 1872, S. 15. 51 Vgl. Techniker 1911, S. 95. 52 Vgl. Allmer 2001, S. 199 f., 28 – 33, 164 f.

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Korres­pondenten.53 Zu seinen wichtigsten Werken zählen das Steirische Künstler-Lexicon54 und seine Monografie über die Baugeschichte des Grazer Landhauses,55 beides Früchte peniblen, jahrzehntelangen Quellenstudiums, die bis heute als Standardwerke gelten. Interessant ist die Motivation, mit der Wastler im Vorwort seines Künstlerlexikons die Bedeutung von lokaler Kunstgeschichtsschreibung begründet, denn auch das Mittelmaß, nicht nur die Genies, seien von Bedeutung  : »Um zu erfahren, was die deutsche Kunst geleistet hat, dürfen wir nicht blos die Stätten besuchen, an denen Dürer und Holbein wirkten, wir müssen die Leistungen jedes einzelnen Landes kennen lernen, denn das Ganze ergibt sich nur aus der Kenntnis der einzelnen Theile. Wir müssen daher nachforschen, wie dort und da die von den Führern geschaffenen Errungenschaften verwerthet und modificirt wurden, und Abb. 2  : Anonym  : Porträt Josef Wastler, o. J. können dabei auch Jenen unsere AufmerksamAus  : Verband ehemaliger Grazer Techniker (Hg.)  : Festschrift zur Jahrhundertfeier des keit nicht versagen, mögen sie nun bedeutend Joanneums, Graz 1911, S. 41. oder minder bedeutend sein, welche die Träger der Kunst in ihrem engeren Vaterlande waren. […] Steiermark hat keine Raffael’s und Dürer’s  ; aber von dem, was es hatte, die historische Überlieferungen zu sammeln, die Werke, welche im Lande geschaffen wurden, der Vergessenheit zu entreissen, selbst dann, wenn diese thatsächlich nicht mehr bestehen oder wenigstens verschollen sind, und von den biographischen Nachrichten der Künstler zu retten, was noch zu retten ist, dafür besteht eine patriotische Pflicht und diese glaube ich hiemit zu erfüllen.«56

Die Steiermark besaß schon im 19. Jahrhundert ein ausgeprägtes Landesbewusstsein, das sich spätestens seit den Reformen von Erzherzog Johann vor allem in der Opposition zu Wien definierte. Ab den 1880er Jahren kam mit dem stetigen Aufstieg des Deutschnationalismus die Abgrenzung von allem Slawischen hinzu. Den Widerspruch, dass die 53 Vgl. Allmer 2001, S. 199 f. 54 Vgl. Wastler 1883. 55 Vgl. Wastler 1890. 56 Wastler 1883, S. III–V.

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Leistungen der deutschen Kunst auf steirischem Boden im 16. und 17. Jahrhundert fast ausschließlich auf eingewanderte Italiener zurückzuführen waren, die Wastler in seinem Lexikon auch alle anführt, konnte er natürlich nicht auflösen. Dennoch diente Wastlers Künstlerlexikon einer Art steirischem ›Nation Building‹. Wastler trat aber nicht nur als faktenklaubender Historiker, sondern auch als wortgewaltiger Kritiker von zeitgenössischer Kunst und Architektur auf, worüber er sich regelmäßig in der Wiener Freien Presse oder der Grazer Tagespost äußerte. So ist es nicht zuletzt seinem Eintreten zu verdanken, dass für die Grazer Herz-Jesu-Kirche nicht ein von ihm als medioker kritisierter Entwurf, sondern der Plan von Georg Hauberrisser d. J. (1841 – 1922) zur Ausführung kam.57 In Anbetracht seiner kunsthistorischen Expertise wurde Wastler 1872 beauftragt – also noch während der Lehrtätigkeit Tauschinskis –, eine zweistündige Vorlesung Geschichte der Architektur zu übernehmen, die er zunächst 18 Jahre lang als Allgemein bildende Vorlesung (heute würde man sagen  : freies Wahlfach) hielt, die insbesondere »den Hörern der Ingenieurschule empfohlen« wurde.58 Mit der Errichtung einer eigenen Bauschule im Jahre 1890,59 welche die Ingenieur-, Maschinenbau- und chemisch-technischen Schulen ergänzte, stieg Wastlers Architekturgeschichtsvorlesung zum Pflichtfach auf und wurde schrittweise auf einen viersemestrigen Zyklus erweitert  :60 Ab Wintersemester 1892/93 umfasste der I. Kurs Vorgriechische Stile und Griechisch, Kurs II Römischer Stil und Ausgänge der Antike, Kurs III Romanischer und Gothischer Styl und Kurs IV Renaissance.61 Wie schon bei Haas 30 Jahre früher fällt die Überbetonung der Antike (bei Weglassen der außereuropäischen Architektur) und das Ausklammern der Architekturgeschichte seit der Renaissance auf. Was zu dieser Zeit bereits ziemlich rückwärtsgewandt anmutet, wurde aber auch von Wastlers Architektenkollegen Wilhelm Edler von Löw vertreten, der als Professor für Baukunst parallel zu Wastler zwei Kurse Baukunst las  : Die sechsstündige Vorlesung Baukunst I umfasste die Profanbaukunst von der Antike bis zur Renaissance und den Städtebau von der Antike bis zur Moderne, die ebenfalls sechsstündige Baukunst II die Kirchenbaukunst vom Frühchristentum bis zur Renaissance sowie den Bau von Moscheen, Synagogen und Friedhöfen (Löw hielt diese Vorlesungen bis zu seiner Emeritierung 1924).62 Löws Vorlesungen waren im Sinne des Historismus anwendungsorientiert – er gab auch Zeichenkurse zu historischen Stilformen –, während jene von Wastler – soweit man dies heute noch beurteilen kann – wohl stärker historisch ausgerichtet waren. Damit 57 Vgl. Josef Wastler  : Die Pläne der neuen Herz-Jesu-Kirche in Graz, in  : Tagespost, Morgenblatt, 17. April 1879  ; abgedr. in  : Allmer 2001, S. 108 f. 58 Programm 1872, S. 15, 18. Aus dem Programm geht nicht hervor, ob Wastler mit der Vorlesung im Wintersemester 1872/73 oder im Sommersemester 1873 begann. 59 Vgl. Programm 1890, S. 7. 60 Vgl. Programm 1891, S. 51, 58. 61 Programm 1892, S. 51. 62 Vgl. Programm 1891, S. 50  ; Programm 1923, S. 34.

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spaltete sich auf, was beim Künstler-Kunsthistoriker Haas noch in einer Hand war, und etablierte sich auch an der Grazer Technischen Hochschule die Doppelung von geisteswissenschaftlicher Architekturgeschichte einerseits und architekturwissenschaftlicher Baukunst (oder Baugeschichte) andererseits. Als Wastler am 1. April 1899 starb, wurde er in der Traueranzeige der Technischen Hochschule als »Professor für Geodäsie und Architekturgeschichte« bezeichnet.63 Die Venia für Letztere war ihm 1892 offiziell übertragen worden.64 De facto war er damit der erste Professor für Kunstgeschichte an der Grazer Technischen Hochschule. Da damit aber keine Gründung eines eigenen Lehrstuhls einherging, war Wastlers langem Wirken ebenso wenig Nachhaltigkeit beschieden wie den wesentlich kürzeren Lehrtätigkeiten von Haas oder Essenwein. III. Die Zeit der externen Lehrenden (1895 – 1967)

Ab Ende des 19. Jahrhunderts wurden die kunsthistorischen Lehrveranstaltungen an externe Lehrbeauftragte bzw. Gastdozenten vergeben. Hier bediente man sich vor allem an der 1892 – parallel zu Architekturgeschichte-Venia von Wastler – eingerichteten außerordentlichen Professur für Kunstgeschichte der geisteswissenschaftlichen Fakultät der Karl-Franzens-Universität Graz. Als erster (anfangs noch unbezahlter) Professor war hier Josef Strzygowski (1862 – 1941) berufen worden, 65 der bereits ab dem Wintersemester 1895/96 – also noch parallel zu Wastlers obligatorischer Architekturgeschichte – »allgemein bildende Vorlesungen« für die Hörer aller Fachschulen der Technik vortrug. Strzygowski war nicht nur der erste promovierte und habilitierte Kunsthistoriker, der an der Grazer Technik lehrte, sondern auch der mit Abstand prominenteste, der 1922 sogar für den Nobelpreis vorgeschlagen wurde,66 während er aufgrund seiner gewagten, rassistisch gefärbten Thesen bis heute einer der umstrittensten Vertreter seines Faches ist. Strzygowski bot zunächst Vorlesungen an zu Themen wie Antike und RenaissancePlastik – eine Parallele 67 oder Rubens’ Leben und Werke.68 Nach Wastlers Tod ­übernahm Strzygowski auch dessen viersemestrigen Architekturgeschichtszyklus, gab ihm die einschlägige nationalistische Schlagseite, für die er eigentlich erst später berüchtigt wurde (Teil II hieß zum Beispiel Werden und Blüte der germanischen Baukunst),69 berücksichtigte aber nicht nur erstmals die Architektur des Barock, sondern auch des 63 Vgl. Allmer 2001, S. 160. 64 Vgl. Programm 1892, S. 66. 65 Höflechner 1992, S. 74 f. Strzygowskis Ernennung zum Ordinarius mit entsprechenden Bezügen erfolgte erst 1894  ; vgl. ebd., S. 78. Die Einrichtung eines Instituts erfolgte erst 1894  ; vgl ebd., S. 86. 66 Vgl. Eberlein 2010, S. 83. 67 Programm 1895, S. 60. 68 Programm 1898, S. 58. 69 Programm 1899, S. 56.

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19. Jahrhunderts,70 die er ab 1904 durch die Moderne Architektur ergänzte.71 Die Wahlfach-Vorlesung zur Geschichte der bildenden Kunst wurde ebenfalls zu einem viersemestrigen Zyklus ausgedehnt, von der Antike bis ins 19. Jahrhundert geführt und ebenfalls ab 1903/04 um die »moderne Kunst« erweitert.72 1900/1901 ist im Studienführer auch erstmals von einer »Sammlung der Lehrkanzel für Architekturgeschichte« die Rede,73 obwohl dieser Lehrstuhl gar nicht bestand. Als Sammlungsleiter fungierte ebenfalls Strzygowski. Den Kern der Sammlung bildeten wohl die 1861 erwähnten Gips- und Korkmodelle  ;74 sie ist bis 1916 nachweisbar, danach verliert sich ihre Spur.75 Strzygowski hielt seine letzte Vorlesung 1906 und ging 1909 an die Universität Wien,76 sodass der Dichter und Philosoph Emil Ertl (1860 – 1935), damals Bibliothekskustos an der Technischen Hochschule, für zwei Semester einsprang.77 Die bewährte Methode, auf kunsthistorische Amateure im eigenen Haus zurückzugreifen, wurde mit Ertl nicht zum letzten Mal angewandt. Nach einem kurzen Interregnum war ab Wintersemester 1909/10 für ein Jahrzehnt der Kunsthistoriker Wilhelm Suida (1876 – 1959) als Honorardozent für die architektur- und kunsthistorischen Vorlesungen verantwortlich.78 Der aus Niederösterreich stammende Suida hatte in Heidelberg bei Henry Thode (1857 – 1920) studiert und sich nach einer Assistenz am Deutschen kunsthistorischen Institut in Florenz 1905 in Wien bei Franz Wickhoff (1853 – 1909) habilitiert.79 Die Lehrtätigkeit an der Technik diente ihm als Sprungbrett für weitere Positionen in Graz  : 1910 wurde Suida, ein Spezialist für italienische Malerei des Spätmittelalters und der Renaissance und selbst ein leidenschaftlicher Kunstsammler, Leiter der Bildergalerie des Landesmuseums Joanneum80 und 1911 außerordentlicher Universitätsprofessor für Kunstgeschichte an der KarlFranzens-­Universität (allerdings ohne Gehalt, sondern nur mit Lehrremuneration).81 70 Vgl. ebd. 71 Programm 1904, S. 30. 72 Vgl. Programm 1899, S. 59  ; Programm 1903, S. 34. 73 Vgl. Programm 1900, S. 79. 74 Vgl. Göth 1861, S. 208. 75 Vgl. Programm 1916, S. 47. 1980 plante Sokratis Dimitriou ein 50 Objekte umfassendes Modell- und 40.000 Blätter umfassendes Grafikarchiv, dem auch ein 150 qm großer Ausstellungsraum zugeordnet sein sollte, um damit ein kleines Architekturmuseum ins Leben zu rufen  ; vgl. Sokratis Dimitriou  : Raumbedarfserhebung Institut für Kunstgeschichte, Manuskript 25. Februar 1980, Archiv TU Graz. Smlg. Sokratis Dimitriou. 76 Vgl. Techniker 1911, S. 102  ; Programm 1906, S. 30. Vgl. Höflechner 1992, S. 103. 77 Vgl. Bietak 1959  ; Programm 1907, S. 31, 35. 78 Vgl. Techniker 1911, S. 105. Da er vermutlich während des Jahres eingestiegen ist, scheint er im Programm 1909 noch nicht auf. 79 Vgl. Höflechner 1992, S. 116. 80 Vgl. Wendland 1999, S. 673  ; Höflechner 1992, S. 117. 81 Vgl. Wendland 1999, S. 673  ; Höflechner 1992, S. 109.

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Für seine Lehre an der Technischen Hochschule übernahm Suida die grobe Gliederung von Strzygowski, allerdings, wie schon sein Vorgänger Ertl, unter Weglassung des »Germanischen«,82 gehörte er doch zu jenen Kunsthistorikern, die Österreich 1938 verlassen mussten.83 Als Suida 1921 als Extraordinarius der Universität ein ordentliches Gehalt zugestanden bekam,84 gab er seine Stellungen am Joanneum und an der Technik auf. Seinen dortigen Lehrauftrag übernahm Hermann Egger (1873 – 1949), der zeitgleich mit ihm zum Extraordinarius, aber auch zum Vorstand des Grazer kunsthistorischen Instituts ernannt worden und mit Suida in inniger Feindschaft verbunden war (so strengte ­Egger ein Disziplinarverfahren gegen Suida wegen dessen angeblichen Verstrickungen im Kunsthandel an).85 Egger war aber wohl auch der architekturaffinere Partner für die Technik, hatte er doch von 1891 – 1896 an der Hochbauabteilung der Technischen Hochschule Wien studiert und ein Jahr als Baubeamter der niederösterreichischen Landesregierung gearbeitet, bevor er 1897 in Wien das Studium der Kunstgeschichte aufnahm und daneben als Assistent am Lehrstuhl für technisches und ornamentales Zeichnen arbeitete.86 1900 promovierte er und begann als Volontär am Kupferstichkabinett der Hofbibliothek, wo er die Architekturzeichnungen betreute, die zeit seines Lebens sein Hauptforschungsgebiet bleiben sollten.87 1902 habilitierte sich Egger bei Josef Neuwirth (1855 – 1934) an der Technischen Hochschule Wien für neuere Kunstgeschichte, bevor er sich 1905 nochmals an der Universität Wien für allgemeine Architekturgeschichte habilitierte.88 In den 35 Jahren, in denen er das kunsthistorische Institut der Grazer Universität leitete, forschte er vor allem über die Architektur und Kunsttopografie Roms.89 Mit Wintersemester 1927/28 trat an der Grazer Technik ein neuer Lehrplan in Kraft, der neben dem obligatorischen viersemestrigen Kunstgeschichte-Zyklus in den ersten beiden Jahren eine Vorlesung zur Denkmalpflege im dritten Jahr brachte, die ebenfalls Egger übernahm, und im vierten Jahr eine Spezialausbildung in einer Meisterschule oder am kunsthistorischen Seminar – das aber an der Technik selbst auch weiterhin nicht existierte, sondern nur über externe Lehraufträge bzw. über Mitbelegung an der Karl-Franzens-Universität bewerkstelligt werden konnte.90 Das einerseits große Gewicht bei gleichzeitig prekärem Status, das die Kunstgeschichte dadurch bekam und 82 Vgl. Programm 1913, S. 37, 41. 83 Vgl. Wendland 1999, S. 673. 84 Vgl. Höflechner 1992, S. 117  ; Wiedemann o. D., S. 6. 85 Vgl. Höflechner 1992, S. 110 f., 118 f.; Wiedemann o. D. 86 Vgl. Höflechner 1992, S. 109. 87 Vgl. ebd. 88 Vgl. ebd. 89 Vgl. ebd., S. 113 f.; Ploder 1992. 90 Vgl. Programm 1927, S. 41.

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bis zur Studienplanreform von 1967 beibehielt, ist durchaus bemerkenswert. Parallel dazu wurde die Kunstgeschichte schrittweise rückgebaut  : Die Geschichte der Malerei und Bildhauerei wurde auf zwei Stunden reduziert und scheint ab 1929 gar nicht mehr auf  ; 1932 wird die Denkmalpflege von zwei auf eine Stunde gekürzt.91 1942 löste Hans Riehl (1891 – 1965) den aus Altersgründen ausscheidenden Hermann Egger ab und hielt die kunsthistorischen Vorlesungen ein Vierteljahrhundert lang, bis zu seinem Tod am 5. Juni 1965.92 Riehl war eine äußerst schillernde Figur  : Promovierter Philosoph (1928) und promovierter Staatswissenschaftler (1923) und Schüler des Ständestaatphilosophen Othmar Spann (1878 – 1950), hatte er Philosophie, Rechtsgeschichte, Kunstgeschichte und Archäologie studiert und sich 1928 an der Universität Graz im Fach Gesellschaftslehre habilitiert, die ihm ein Jahrzehnt später auch eine außerordentliche Professur verlieh.93 1929 – 1937 firmierte er auch als Korrespondent des Bundesdenkmalamtes.94 Bei der Heimwehr und im Steirischen Heimatschutz aktiv, wurde er nach dem Anschluss kurzfristig von der Universität Graz suspendiert, trat aber bereits im Mai 1938 der NSDAP bei und wurde wieder außerplanmäßiger Professor für Gesellschaftslehre an der Universität Graz (eine Venia, die man nach seiner Entnazifizierung auf Soziologie der Kunst einschränkte).95 1941 wurde er zum Gründungsdirektor der von ihm initiierten Neuen Galerie am Landesmuseum Joanneum ernannt, die er bis 1956 leitete.96 Riehl hielt einen zweisemestrigen Vorlesungszyklus mit dem Titel Kunstgeschichte, der Folgendes enthielt  : »Überblick über die Gesamtent­wicklung der bildenden Kunst Europas, auf dem Gebiet der Baukunst, der Plastik und der Malerei, eingehende Kenntnis der wichtigsten Denkmäler. Darstellung der formbildenden Kräfte im Ablauf der Entwicklung europäischer Kunst und Behandlung der Grundfragen künstlerischen Schaffens.«97 Daneben bot er eine Vorlesung Heimatschutz und Denkmalpflege und als Wahlfach eine kunsthistorische Spezialvorlesung zu wechselnden Themen an.98 Nach Kriegsende dürfte Riehl von der TH im Gegensatz zur Universität Graz nicht suspendiert worden sein, jedenfalls scheint er durchgängig in den Vorlesungsverzeichnissen auf, nur die Denkmalpflege-Vorlesungen wurden ab jetzt nicht mehr von ihm, sondern von den jeweiligen Landeskonservatoren gehalten (die bis 1955 ebenfalls ehemalige Nationalsozialisten waren).99 Nach Auskunft seiner ehemaligen Hörer war Riehl ein äußerst 91 Vgl. Programm 1932. 92 Vgl. Führer 1942, S. 42, 71  ; Riehl 1961, S. 250. 93 Vgl. Riehl 1961, S. 249  ; Müller 1991, S. 12 f. 94 Vgl. Müller 1991, S. 13. 95 Vgl. ebd., S. 13 f. 96 Vgl. ebd.; Riehl 1961, S. 250. 97 Vgl. Führer 1947, S. 36. 98 Vgl. Führer 1942, S. 42. 99 1946 – 1948 Walter Semetkowski, 1949 – 1955 Walter Frodl, 1956 – 1982 Ulrich Ocherbauer  ; vgl. Führer 1946, S. 36  ; Führer 1949, S. 36  ; Programm 1956, S. 76.

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begeisternder Vortragender, der die Kunstgeschichte als Teil der Kultur- und Geistesgeschichte verstand und sie im Sinne der konservativen Abendland- und Ganzheits-Ideologie des Spann-Kreises deutete. In Riehls Aufsatz­sammlung, die als Festschrift zu seinem 70. Geburtstag 1961 erschien, finden sich Texte zur Philosophie, zur Gesellschaftslehre, zur Staatslehre (Ständestaat  !), zur Kunst allgemein, zur bildenden Kunst, zur Dichtung (Goethe), zur Musik (Mozart und Beethoven), zur Kunsterziehung und zu Kulturfragen.100 Nach Riehls Tod übernahm der eben pensionierte Bibliotheksdirektor Alfred Schmidt (1900 – 1975), ein promovierter Philosoph und Musikwissenschaftler, für zwei Jahre den Kunstgeschichtezyklus  ;101 man griff also auf eine ähnliche Lösung zurück wie ein halbes Jahrhundert zuvor mit Emil Ertl. IV. Das Institut für Kunstgeschichte  : Sokratis Dimitriou und Karin Wilhelm (1967 – 2001)

Riehls Ableben beförderte die Idee, die Kunstgeschichte nun endlich durch eine eigene Professur zu vertreten, die 1966 ausgeschrieben wurde. Maßgeblich war hier der Architekt Ferdinand Schuster (1920 – 1972), der 1964 zum neuen Professor für Baukunst berufen worden war und 1969 Dekan wurde.102 Schuster, so der Hinweis seines ehemaligen Schülers und Mitarbeiters Holger Neuwirth (*1940), betrieb die Trennung der Architekten von den Bauingenieuren, die damals noch in einer Fakultät vereint waren, und sah wohl auch in der Einrichtung eines geisteswissenschaftlichen Lehrstuhls zusätzlich zu den fünf Architekturlehrstühlen ein geeignetes Mittel der Distinktion von den reinen Technikern.103 Schuster, der nicht nur ein bedeutender Architekt, sondern auch ein ambitionierter Theoretiker war (so hielt er Vorlesun­gen über Informationstheorie und Ästhetik und auch die ersten Vorlesungen über Architekturtheorie),104 hatte für den Kunstgeschichts-Lehrstuhl hochfliegende Pläne  ; so bemühte er sich um den norwegischen Architekturhistoriker und -theoretiker Christian Norberg-Schulz (1926 – 2000), der es allerdings ablehnte, nach Graz zu kommen.105 Berufen wurde schließlich mit 21. Juni 1967 der Wiener Theaterwissenschaftler und Architekturpublizist Sokratis Dimitriou (1919 – 1999, Abb. 3).106 100 Vgl. Heinrich 1961. 101 Vgl. Bergmann-Pfleger 2010, S. 62 f.; Programm 1966, S. 204. 102 Vgl. Schuster o. J. 103 Freundliche Mitteilung von Holger Neuwirth, der 1961 – 68 an der TH Graz Architektur studierte, ab 1969 Schusters Assistent war und bei ihm 1972 promovierte  ; vgl. URL  : http://akk.tugraz.at/team/ holger-neuwirth/ (13. März 2020). 104 Vgl. Programm 1967, S. 116. 105 Freundliche Mitteilung von Holger Neuwirth. 106 Dimitriou wird in der Literatur fälschlicherweise meist als Kunsthistoriker und Architekt bezeichnet.

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Dimitriou107 wurde 1919 als Sohn griechischer Eltern in Detmold in Nordrhein-Westfalen geboren. 1923 übersiedelte die Familie nach Hamburg, wo Dimitriou 1928 – 1933 das humanistische Gymnasium Johanneum besuchte. 1933 emigrierte er mit seinen Eltern nach Thessaloniki und legte 1937 die deutsche Reifeprüfung am dortigen Reformrealgymnasium ab. 1938 erhielt er auch ein griechisches Reifezeugnis und diente dann bis 1941 (wohl bis zur Besetzung Griechenlands durch die deutsche Wehrmacht im April 1941) in der griechischen Armee. Ab 1942 studierte er an der Technischen Hochschule in Wien Architektur, musste dieses Studium aber 1944 abbrechen. 1945 – 1949 folgte ein Studium an der philosophischen Fakultät der Universität Wien in den Fächern Theaterwissenschaften bzw. Germanistik und Kunstgeschichte.108 Warum Dimitriou sein Architekturstudium nicht abschloss, ist nicht bekannt. 1949 promovierte er mit einer Dissertation zu den

Abb. 3  : Anonym  : Porträt Sokratis Dimitriou. Archiv TU Graz, Smlg. Sokratis Dimitriou.

Fest steht, dass er in Theaterwissenschaften promovierte und zuvor ein Architekturstudium nach zwei Jahren abgebrochen hatte. Wie lange und intensiv er Kunstgeschichte studierte, konnte ich nicht feststellen. 107 Die biografischen Angaben bis 1949 folgen, sofern nicht anders angegeben, dem Lebenslauf in Dimitriou 1949, S. 128. 108 Die einzelnen Fächer werden in Dimitriou 1949, S. 128, nicht angegeben. In Dimitrious Lebenslauf in Österreichische Gesellschaft für Architektur 1969, o. S., werden »Germanistik, Kunstgeschichte« genannt, ebenso in List 1968. In der Kurzbiografie in Dimitriou 1979a, S. 211, heißt es hingegen  : »Studium der Theaterwissenschaften und Kunstgeschichte an der Universität Wien«, ebenso in Sokratis Dimitriou  : Lebenslauf, Manuskript o. J. (ca. 1986), Archiv TU Graz, Smlg. Sokratis Dimitriou  ; ders.: Lebenslauf, Manuskript o. J. (ca. 1988), Archiv TU Graz, Smlg. Sokratis Dimitriou  : »Kunstgeschichte und Theaterwissenschaft in München und Wien«. Die letztgenannte Vorrangstellung der Kunstgeschichte ist eindeutig eine spätere Projektion, denn die Theaterwissenschaft war Dimitrious Haupt- und Promotionsfach. Warum zunächst Germanistik und erst später Theaterwissenschaft aufscheint, hängt vermutlich auch damit zusammen, dass die damaligen Lehrenden an beiden Instituten tätig und auch die Fächer nicht klar getrennt waren. Da München in den sonst recht ausführlichen Lebensläufen von 1949 und 1969 und auch 1979 nicht erwähnt wird, handelte es sich wohl nur um ein kurzes Gastsemester.

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Griechendramen von Gerhard Hauptmann an der Universität Wien.109 Doktorvater war der Germanist und Leiter des theaterwissenschaftlichen Instituts Eduard Castle (1875 – 1959), als zweiter Gutachter fungierte der Sprachphilosoph und Literaturhistoriker Friedrich Kainz (1897 – 1977). Dimitriou bezeichnete Castle und Kainz am Ende seiner Dissertation als seine »sehr verehrten Lehrer«, denen er seinen »innigst empfundenen Dank für die Förderung meiner Studien« aussprach.110 Einen Bezug zur Kunstgeschichte sucht man in dieser Personenkonstellation wie auch in der Dissertation vergebens, wenn man davon absieht, dass Kainz 1948 zwei Bücher zur Ästhetik veröffentlicht hatte.111 Die Belletristik stand zu dieser Zeit eindeutig im Fokus, denn Dimitriou dürfte sich in den 1940er und 50er Jahren ernsthaft mit dem Gedanken getragen haben, eine Schriftstellerkarriere einzuschlagen. In seinem Nachlass finden sich die undatierten Manuskripte eines Dramas,112 einer Kriegsnovelle in Form eines (inneren) Monologs,113 eines im Wien der Nachkriegszeit spielenden Gesellschaftsromans114 und eines besonders originellen Science-Fiction-Briefromans, der in den 1960er bis 70er Jahren angesiedelt ist.115 Da Dimitriou keinen seiner literarischen Versuche veröffentlichen konnte, schlug er sich zunächst als Übersetzer durch,116 stellte aber schließlich seine schriftstellerische Begabung in den Dienst seines ersten, abgebrochenen Studiums  : der Architektur.117 Nach eigenen Angaben begann Dimitriou seine Berufslaufbahn als Mitarbeiter und Redakteur der 1956 gegründeten Forschungsgesellschaft für den Wohnungsbau in Wien,118 einer Fachgruppe des Österreichischen Ingenieur- und Architektenvereins  ; er scheint aber nur in einer einzigen Publikation von 1959 als Mitautor auf.119 Wichtiger war aber wohl, dass er dort seinen späteren Grazer Mentor Ferdinand Schuster 109 110 111 112

Vgl. Dimitriou 1949. Dimitriou 1949, S. 128. Vgl. Kainz 1948a  ; Kainz 1948b. Vgl. Sokratis Dimitriou  : Die Geschwister, Manuskript o. J., Archiv TU Graz, Smlg. Sokratis Dimitriou, Karton 1, Heft 1. 113 Vgl. Sokratis Dimitriou  : Das Verhör. Aufzeichnungen eines 1944 in Kreta gefallenen deutschen Unteroffiziers, Manuskript o. J., Archiv TU Graz, Smlg. Sokratis Dimitriou, Karton 1, Heft 1. 114 Vgl. Sokratis Dimitriou  : Wien ist eine Mausefalle, Manuskript o. J., Archiv TU Graz, Smlg. Sokratis Dimitriou, Karton 1, Heft 1. 115 Vgl. Sokratis Dimitriou  : Experiment Kopf, Manuskript o. J., Archiv TU Graz, Smlg. Sokratis Dimitriou, Karton 1, Heft 1. 116 Vgl. Maximos 1956. 117 Dimitrious langjähriger Assistent Gerd Hlawka berichtet, Dimitriou habe ihm erzählt, dass er schon während des Studiums als Architekturkritiker tätig war  ; vgl. Gerd Hlawka  : Gedenkvortrag Sokratis Dimitriou, 14. März 2012, Manuskript, Archiv der TU Graz, Smlg. Sokratis Dimitriou. 118 Vgl. URL  : http://www.fgw.at/fgw/fgw.php (9. Mai 2019). Seit 1969 nennt sich die FGW Forschungsgesellschaft für Wohnen, Bauen und Planen. 119 Vgl. Dimitriou 1959.

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kennenlernte.120 1959 bekam Dimitriou die »technische Schriftleitung« der monatlich erscheinenden Architekturzeitschrift Der Aufbau,121 die vom Wiener Stadtbauamt unter der Ägide des Stadtplaners Rudolf J. Boeck (1907 – 1964) herausgegeben wurde und die er bis Boecks Tod 1964 innehatte.122 Dimitrious Aufgaben beschränkten sich hier anfangs auf das Organisatorische und das Verfassen von Buchbesprechungen, während die inhaltliche Linie von Boeck vorgegeben wurde. Erst ab 1962 erschienen größere Beiträge von ihm, meist zur Geschichte des Städtebaus.123 1962 – 1967 arbeitete Dimitriou auch als freier Mitarbeiter des ebenfalls von Boeck initiierten und geleiteten Österreichischen Instituts für Bauforschung, wobei er für die Redaktion von dessen Publikationen zuständig war.124 Darunter fielen bautechnische Untersuchungen wie zu Sperrbeton, Flachdächern oder Fußboden-Unterkonstruktionen oder zur Ausbildung und den Arbeitsbedingungen von Bauarbeitern.125 1965 wurde zum bis dahin wichtigsten Jahr von Dimitrious Karriere  : Er wurde Mitbegründer und erster Vorsitzender der ÖGFA, der Österreichischen Gesellschaft für Architektur, und geschäftsführender Redakteur der reformierten bau. Schrift für Architektur und Städtebau. Zusammen mit seinen Redaktionskollegen Günther Feuerstein, Hans Hollein und Gustav Peichl machte Dimitriou den bau zur wichtigsten, auch international beachteten Avantgardezeitschrift Österreichs, verließ die Redaktion allerdings zusammen mit Feuerstein nach einem Jahr wieder (das Magazin wurde dann bis zu seiner Einstellung 1971 von Hollein weitergeführt).126 1965 begann auch Dimitrious akademische Laufbahn  ; zum einen 120 Dies geht aus einem undatierten handschriftlichen Redeentwurf Dimitrious anlässlich einer Gedenkfeier (?) für den am 11. Juli 1972 aus dem Leben geschiedenen Schuster hervor, in dem er die persönlichen Begegnungen mit diesem auflistet  : »Begegnung 1 Forschungsgesellschaft für Bauen und Wohnen«  ; vgl. Sokratis Dimitriou  : ohne Titel [Entwurf einer Gedenkrede zu Ferdinand Schuster], Manuskript, ca. 1972, in  : Archiv TU Graz, Smlg. Sokratis Dimitriou, Karton 1, Heft 1. 121 So die Bezeichnung in Dimitrious Lebenslauf in Österreichische Gesellschaft für Architektur 1969, o. S. Verifizieren lässt sich diese Angabe nicht, da es im Aufbau im fraglichen Zeitraum kein Impressum gibt. – Die biografische Lücke zwischen 1949 und 1959 wird in den verschiedenen Lebensläufen Dimitrious meist überspielt oder schlicht verfälscht, wie bei List 1968, wo er »seit 1952« statt 1962 als »Konsulent des Österreichischen Instituts für Bauforschung« firmiert, oder im Lebenslauf von ca. 1988, wo es heißt  : »Seit Studienabschluß leitende Positionen in österreichischen Architekturzeitschriften«, Sokratis Dimitriou  : Lebenslauf, Manuskript o. J. (ca. 1988), Archiv TU Graz, Smlg. Sokratis Dimitriou. 122 Vgl. Jäger 1986. 123 Vgl. Dimitriou 1962, Dimitriou 1964. Das Themenheft über Dänemark (Der Aufbau 18 (1963), H. 11/12) ist weitgehend von Dimitriou verfasst. 124 Vgl. Dimitrious Lebenslauf in  : Österreichische Gesellschaft für Architektur 1969, o. S. 125 Vgl. Dimitriou 1965a  ; Dimitriou 1965b  ; Dimitriou 1965c  ; Dimitriou 1966b  ; Dimitriou 1966c  ; Dimitriou 1966d  ; Dimitriou 1967a  ; Dimitriou 1967b  ; Dimitriou 1967c. 126 Hollein, Pichler und der neu hinzugezogene Oswald Oberhuber nutzen den bau dann vor allem als Plattform für ihre eigenen Entwürfe und Projekte. Während Feuerstein weiter als freier Mitarbeiter für den bau tätig war, erschienen von Dimitriou im Laufe des Jahres 1966 nur mehr einige (vielleicht schon 1965 verfasste) Buchbesprechungen und dann gar keine Beiträge mehr.

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als Lehrbeauftragter an der Wiener Hochschule für angewandte Kunst, wo er über Geschichte der modernen Architektur und architektonische Funktionslehre las, und zum anderen als Lehrbeauftragter an der Wiener Hochschule für Bodenkultur, an der er Vorlesungen zur Geschichte der Gartenkunst hielt.127 Dimitriou war also in der Wiener Architekturszene der 1960er Jahre fest verankert und einer ihrer wesentlichen Akteure. Außerdem verfügte er über beste Kontakte zur SPÖ-dominierten Wiener Stadtverwaltung, wodurch sich auch eine politische Nähe zu Ferdinand Schuster, der u. a. als SPÖ-Gemeinderat im steirischen Kapfenberg tätig war, ergab. Andererseits war Dimitriou kein Wissenschaftler im herkömmlichen Sinn und als Kunsthistoriker eigentlich gar nicht ausgewiesen. Seine einzige von ihm verfasste Buchpublikation – Griechenland. Landschaft und Kunst auf dem griechischen Festland von 1961 –128 war ein im Stil eines Reiseführers für humanistisch Gebildete verfasster Bildband ohne wissenschaftlichen Apparat, der mit dem 1. Österreichischen Staatspreis als »schönstes Buch des Jahres« ausgezeichnet worden war. Griechenland existiert dort nur in seiner zeitlosen archaischen Landschaft und den antiken und byzantinischen Denkmälern – die Moderne bleibt konsequent ausgeblendet, sodass man nie auf die Idee käme, dass der Verfasser sich sonst eigentlich für zeitgenössische Architektur engagierte. Allerdings besticht das Buch durch seine profunde, offensichtlich auf eigener Anschauung beruhenden Kenntnis der Denkmäler und eine an klassischer Literatur geschulte Sprache, die auf Fachjargon verzichtet. Dimitriou war schriftlich wie mündlich ein Mann des elegant geschliffenen Wortes, und die Professoren der Grazer Architekturfakultät erhofften sich von ihm vermutlich, dass er als eine Art Sprachrohr der Fakultät und wohl auch ihrer eigenen Architektur fungieren würde – eine Erwartung, der er durchaus gerecht werden sollte. Seine auf große Resonanz in den lokalen Medien stoßende Antrittsvorlesung hielt Dimitriou am 31. Mai 1968 mit dem Titel Geschichte und Gegenwart der Kunst.129 Darin plädierte er für eine Kunstgeschichte, die alte und zeitgenössische Kunst gleich behandelt  : »Große Kunst ist nicht zeitlos, sondern immer aktuell. Die aktuelle Kunst jedoch […] ist historisch in dem Augenblicke, in dem es [sic  !] Gestalt annimmt. Der Kunsthistoriker muß den künstlerischen Phänomenen seiner eigenen Zeit und denen der Vergangenheit in gleicher Weise wertend gegenüberstehen. Beide sind sie Geschehenes, beide unterliegen sie der Geschichtlichkeit. Er wird ihnen gegenüber daher auch die gleichen Methoden anwenden.«130 127 Vgl. Dimitrious Lebenslauf in  : Österreichische Gesellschaft für Architektur 1969, o. S. 128 Vgl. Dimitriou 1966a. 129 List 1968 führt Rezensionen in Die Neue Zeit, Südost-Tagespost und Kleine Zeitung auf, die alle am 1. Juni 1968 erschienen sind. 130 Dimitriou 1968, S. 6.

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Das war zu einer Zeit, in der nicht nur in Wien die Kunstgeschichte spätestens mit dem Kubismus endete – »als ich Kunstgeschichte hörte, endete sie beim Kubismus«,131 sagt Dimitriou – beziehungsweise von alten Nazis vertreten wurde, durchaus revolutionär. Bemerkenswert ist auch Dimitrious Definition der Funktion von Kunstgeschichte an einer Technischen Hochschule  : »Das Kunsthistorische Institut an einer Technischen Hochschule, das an der Ausbildung der Architekten teilhat, wird sich um die Darstellung der historischen Entwicklung der Kunst, die Information über das künstlerische Geschehen in der Gegenwart und um die Deutung der geistesgeschichtlichen Zusammenhänge bemühen und dadurch bei einer sonst vornehmlich technisch orientierten Ausbildung ausgleichend wirken können.«132

Aus dieser Bemerkung spricht ganz klar die Intention Ferdinand Schusters, die Kunstgeschichte als Gegengewicht zur reinen Technik der Bauingenieure aufzubauen und die Architektur dadurch zu verwissenschaftlichen. Doch auch sonst versuchten viele Technische Hochschulen zu dieser Zeit durch die Aufnahme von Geisteswissenschaftlern ihr wissenschaftliches Profil zu stärken, um nicht mehr »nur« als Techniker zu gelten (und im Fall der Technischen Hochschulen Österreichs wurden diese Bemühungen 1975 durch die Erhebung zu Technischen Universitäten belohnt), während gleichzeitig die Kunsthochschulen durch die verstärkte Aufnahme von Technikern vom Image loskommen wollten, »bloß« Künstler zu sein. Mit dem Antritt Dimitrious trat gleichzeitig eine Studienplanreform in Kraft, welcher den Kunstgeschichtezyklus von acht auf sechs Stunden reduzierte, dafür aber eine Reihe von Vorlesungen und Seminaren als Wahlfächer vorsah. Dimitriou bot hier u. a. Veranstaltungen zu Österreichs Beitrag zur Moderne, Analyse und Wertung von Werken der bildenden Kunst oder Architektur der Gegenwart in Theorie und Praxis an.133 Legendär war aber Dimitrious dreisemestriger Zyklus, auf den jeder und jede, der oder die damals bei ihm studiert hat, auch heute noch sofort zu sprechen kommt. Offenbar vertrat Dimitriou die Ansicht, Studierende der Architektur müssten möglichst umfassende Denkmalkenntnisse besitzen, und ertränkte sie förmlich in einer Flut von Tausenden von Dias. Dabei bemühte er sich durchaus um Multimedialität  : »Zu den jeweiligen Vorlesungen werden die entsprechenden Bücher zur Einsicht aufgelegt, passende Musik wird mit Schallplatten über die Stereoanlage abgespielt.«134 Zur Prüfungsvorbereitung wurden alle Vorlesungsdias nochmals tagelang im Gang des Instituts projiziert, und die 131 Ebd. 132 Ebd. 133 Vgl. Programm 1968, S. 63  ; Programm 1970, S. 60. 134 O. V.: Das Institut für KUNSTGESCHICHTE an der Technischen Hochschule in Graz, Manuskript o. J. (ca. 1968), Archiv TU Graz, Smlg. Sokratis Dimitriou.

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Studenten versammelten sich darum in kleinen Grüppchen und versuchten die Bilder an nicht immer wissenschaftlichen Merkmalen wiederzuerkennen. »Wann immer man bei uns in den fünften Stock kam«, berichtet Dimitrious langjähriger Assistent Gerd Hlawka (*1945), »ob Sonntag in der Nacht oder zeitig am Morgen, irgendwer saß fast immer drin und lernte Dias auswendig, denn die Prüfung, deren erster Teil schriftlich war, bestand aus dem Erkennen der Bildinhalte.«135 Man kann nur vermuten, dass diese Art des ›Diapositivismus‹ Dimitrious Studium in Wien geschuldet war, wo man diese Lehrmethode teilweise noch bis Anfang des 21. Jahrhunderts erleben konnte. Auffällig ist, dass Dimitriou in seiner gesamten 22-jährigen Amtszeit mit einer einzigen Ausnahme nur Architekten,136 in der Regel Absolventen der eigenen Hochschule, als Assistenten an sein Institut holte. Entweder hielt er Kunsthistoriker nicht für geeignet oder er fürchtete sie als Konkurrenz, hatte er Kunstgeschichte doch nur im Nebenfach studiert. Sein erster Assistent war übrigens der aus Wien stammende Architekt Wolfdieter Dreibholz (*1941),137 der ab 1978 als führender Landesbeamter das »Modell Steiermark« im Wohnbau auf den Weg brachte, das international Furore machte.138 Das erste Jahrzehnt von Dimitrious Grazer Zeit war vor allem durch seine Tätigkeit als Chefredakteur der Zeitschrift bauforum geprägt, der er im Gegensatz zu Aufbau und bau seinen persönlichen Stempel aufdrücken konnte. Ende 1967, wenige Monate nach seiner Berufung nach Graz, hatte er den Vorsitz des siebenköpfigen Redaktions­ komitees der eben gegründeten und vom Österreichischen Bauzentrum in Wien herausgegebenen Fachzeitschrift für Architektur, Bautechnik, Bauwirtschaft, Industrial Design – so der Untertitel – übernommen. Neben einem Nachrichtenteil zu Veranstaltungen, neuen Produkten, Bauwirtschaft, Design und Literatur und einer von der TU Wien betreuten fortlaufenden Dokumentation über »Österreichische Bauten 1900 bis heute« enthielt jedes Heft einen thematischen Schwerpunkt, der stets von Dimitriou eingeleitet wurde. Die Breite der Themenpalette, die von aktuellen politischen Fragen über Gebäudetypologien, Innovationen in der Bautechnik bis zur Architektur einzelner Regionen und Länder und zu historischen Themen reichte, spiegelte nicht 135 Gerd Hlawka  : Gedenkvortrag Sokratis Dimitriou, 14. März 2012, Manuskript, Archiv der TU Graz, Smlg. Sokratis Dimitriou, S. 4  ; ebenso in  : o. V.: Lern- und Prüfungsanleitung in KG I, II, III, Manuskript o. J. (um 1980), Archiv TU Graz, Smlg. Sokratis Dimitriou, S. 1  : »Der erste Teil (der Prüfung) ist schriftlich, ein sogenannter Quiz, bei dem eine Anzahl Dias projiziert werden und vom Prüfling nach ihrer stilistischen Zugehörigkeit erkannt und beschrieben werden sollen. Besonders wichtige Objekte, sogenannte Hauptwerke, die extra aufgelistet sind, müssen mit Namen genannt und genauer beschrieben werden.« 136 Die Kunsthistorikerin Hildegard Kolleritsch (*1948) war von 1977 – 1980 Vertragsassistentin am Institut für Kunstgeschichte  ; vgl. Studienführer 1977, S. 50  ; Studienführer 1979, S. 52. 137 Dreibholz war von 1968 – 1973 Hochschulassistent am Lehrstuhl und am Institut für Kunstgeschichte  ; vgl. Programm 1968, S. 227  ; Studienführer 1972, S. 51, 77. 138 Vgl. Jany 2019.

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nur Dimitrious breite Interessen und Kenntnisse und sein Gespür für relevante Fragestellungen wider, sondern machte das bauforum auch zur wichtigsten (und nebenbei auflagenstärksten) österreichischen Architekturzeitschrift der 1970er Jahre.139 Dies vor allem deshalb, weil sich das Magazin nicht – wie man aufgrund seines Herausgebers vielleicht vermuten könnte – als affirmatives Propagandablatt der Bauwirtschaft verstand. Ziel war es vielmehr, »den widersprüchlichen Meinungen einen Ort für faire Auseinandersetzungen zu bieten und das Realisierte in das gesamte Baugeschehen einzuordnen. […] Im ›bauforum‹ werden Bauten analysiert und kritisiert, wenn sie aus irgend einem Grund zu einer Analyse oder Kritik herausfordern. Das gilt auch für öffentliche Stellen, deren Leistungen und Bestrebungen gleichermaßen kritisch untersucht werden«, hielt Dimitriou im Editorial des Jubiläumshefts 10 Jahre Bauforum fest.140 Zu den ständigen Mitarbeitern des bauforum zählte u. a. Friedrich Achleitner (1930 – 2019), der in den Themenheften zu den westlichen österreichischen Bundesländern Vorarbeiten zu seinem späteren Architekturführer publizieren konnte und mit dessen erstem Band, der diese Region abdeckte,141 dann auch 1981 bei Dimitriou an der TU Graz promovierte.142 Geschickt verstand es Dimitriou, seine Grazer Kollegen und Mitarbeiter in das bauforum einzubinden oder darin deren Werke vorzustellen. Besonders oft scheinen, neben Ferdinand Schuster,143 der Städtebau-Professor Hubert Hoffmann (1904 – 1999)144 und Josef Klose (1928 – 2014), Professor für Raumkunst,145 auf. Aber auch seine Assistenten Wolfdieter Dreibholz und Friedrich Bouvier (*1943) – Letzterer wurde später Landeskonservator der Steiermark –146 bekamen u. a. die Gelegenheit, Zusammenfassungen ihrer Dissertationen im bauforum zu veröffentlichen.147 139 Vgl. Dimitriou 1970a, S. 21. 140 Dimitriou 1978c. 141 Vgl. Achleitner 1971a  ; Achleitner 1971b  ; Achleitner 1971c  ; Achleitner 1971d  ; Achleitner 1973  ; Achleitner 1974a  ; Achleitner 1974b  ; Achleitner 1974c  ; Achleitner 1974d  ; Achleitner 1974e  ; Achleitner 1975a  ; Achleitner 1975b  ; Achleitner 1975c  ; Achleitner 1975d. 142 Vgl. Achleitner 1980 (als Dissertation an der TU Graz eingereicht am 29. Juni 1981)  ; Achleitner 1983  ; Achleitner 1990 – 2010. 143 Vgl. Schuster 1968  ; Dimitriou 1969a  ; Dimitriou 1969b  ; Schuster 1969  ; Dimitriou 1971b  ; Ecker 1971  ; Dimitriou 1971c  ; Dimitriou 1972b. 144 Vgl. Hoffmann 1969  ; Hoffmann 1971b  ; Hoffmann 1972. Der Berliner Bauhaus-Schüler Hoffmann war 1959 – 1975 Professor für Städtebau und Entwerfen an der TH Graz  ; vgl. Hoffmann 1971a, S. 205  ; Eisenhut 1999. 145 Vgl. Dimitriou 1970b  ; Dimitriou 1972b. Klose war 1974 – 1997 als Professor für Raumkunst und Entwerfen bzw. für Raumgestaltung und zuvor als Assistent am Institut für Baukunst an der TU Graz tätig gewesen  ; vgl. Uitz 2014. 146 Bouvier hatte 1971 an der Grazer Architekturfakultät diplomiert, war von 1973 bis 1985 Assistent am Institut für Kunstgeschichte, promovierte 1977, trat 1985 in das Bundesdenkmalamt ein und war von 1989 bis 2007 Landeskonservator der Steiermark  ; vgl. URL  : https://web.archive.org/web/20110606110801/ http://www.graz.at/cms/beitrag/10112315/1356400/ (17. Mai 2019). 147 Vgl. Bouvier 1975  ; Dreibholz 1977.

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Als Dimitriou 1978 seinen Redakteursposten räumte, weil das Bauzentrum im Jahr zuvor wegen der Wirtschaftskrise in Konkurs gegangen war und die Zeitschrift auf eigenen wackeligen Beinen stehen musste,148 konnte er auf die stolze Zahl von 55 Themenheften (darunter acht Doppelnummern) zurückblicken. Neben seiner Rolle als kritischer Kommentator der (nicht nur) österreichischen Architekturszene tat sich Dimitriou in seiner Grazer Zeit vor allem durch seinen Einsatz für die Grazer Altstadt hervor. 1979 erschien unter seiner Ägide und im Auftrag des Stadtmuseums das Grundlagenwerk zur Grazer Gründerzeitarchitektur Stadterweiterung von Graz,149 das man als späten Reflex auf Renate Wagner-Riegers (1921 – 1980) Ringstraßenwerk150 betrachten kann. Erstmals wurde der Nachweis erbracht, dass der Grazer Städtebau von der Mitte des 19. Jahrhunderts »bis zum Ende Ersten Weltkriegs planmäßig erfolgte« und »als ein Musterfall bürgerlicher Stadtentwicklung in jener Zeit zu bezeichnen ist.«151 Das Mitarbeiterteam setzte sich aus drei Dissertanten Dimitrious,152 zwei Dissertantinnen des Instituts für Kunstgeschichte der Universität Graz und einem Stadtplaner zusammen.153 Das bis heute als Standardwerk geltende Buch unterstützte maßgeblich die Pläne zur Ausdehnung des Schutzgebietes des Grazer Altstadterhaltungsgesetzes über die ehemaligen Stadtmauern hinaus  ; und tatsächlich wurden 1980 die Gründerzeitviertel in das Schutzgebiet aufgenommen. Als Mitglied der Altstadt-Sachverständigenkommission – von ihrer Gründung 1974 bis 1979 –154 war Dimitriou ein streitbarer Intellektueller, der sich auch in der Tagespresse regelmäßig zu Wort meldete, um für architektonische Qualität im historischen Bestand einzutreten.155 Er saß in unzähligen Kommissionen, fungierte 1983 bis 1987 als Dekan, war 1988 Gründungsmitglied des Hauses der Architektur – des ersten seiner Art in Österreich – und kuratierte eine Reihe von Ausstellungen, u. a. die Architekturvision 1984 im Rahmen des steirischen herbstes, die am und im Grazer Schlossberg stattfand und bei der junge Architekturbüros eigene ortsspezifische Installationen entwickelten.156 Als Dimitrious Nachfolgerin wurde mit 1. März 1991 Karin Wilhelm berufen,157 die zugleich als erste Frau überhaupt ins Professorenkollegium der TU Graz eintrat. 1947 148 149 150 151 152 153 154

Vgl. Dimitriou 1978c. Vgl. Dimitriou 1979a. Vgl. Wagner-Rieger 1969 – 1981  ; vgl. Dimitriou 1971a. Dimitriou 1979a, S. 8 f. Friedrich Bouvier, Wolfgang Burgstaller, Alfred Lengger  ; vgl. Dimitriou 1979a, S. 211 f. Christiane Bulfon, Gertrude Fink, Walter Felber  ; vgl. ebd. Vgl. Sokratis Dimitriou  : Lebenslauf, Manuskript o. J. (ca. 1986), Archiv TU Graz, Smlg. Sokratis Dimitriou, S. 1. 155 Vgl. o. V.: VP gefährdet fachliche Diskussion um Altstadt. Prof. Dr. Dimitriou  : »Für mich ist dieser Querschuß nur ein Böller«, in  : Neue Zeit, 08. Februar 1975  ; Dimitriou 1978b  ; Dimitriou 1979c. 156 Vgl. Sokratis Dimitriou  : Lebenslauf, Manuskript o. J. (ca. 1986), Archiv TU Graz, Smlg. Sokratis Dimitriou, S. 1  ; Dimitriou 1984  ; Wagner, Walk 2017. 157 Vgl. Studienführer 1991, S. 59. Die folgenden biografischen Daten nach Wilhelm 2019.

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in Zeven in Niedersachsen geboren und in Bremen aufgewachsen, hatte sie zunächst Soziologie in Hamburg (1966/67) und anschließend in Heidelberg (1967 – 1970) mit den Nebenfächern Psychologie und Kunstgeschichte studiert. 1970 wechselte sie an die Universität München, wo sie die Kunstgeschichte zu ihrem Hauptfach machte und 1973 bei Norbert Huse (1941 – 2013) ihre Magisterprüfung ablegte. Anschließend begann sie ein Doktoratsstudium der Kunstgeschichte mit den Nebenfächern Soziologie und Philosophie bei Tilmann Buddensieg (1928 – 2013) an der Freien Universität Berlin und beteiligte sich an Ausstellungen über den Sozialen Wohnbau der Weimarer Republik und Peter Behrens und die AEG. 1981 promovierte sie bei Heinrich Klotz (1935 – 1999) an der Universität Marburg mit einer Arbeit über die Industriebauten von Walter Gropius, in der sie u. a. die gläserne ›curtain wall‹ von Gropius’ Fabriken als »demokratische Architekturform« interpretierte.158 Es folgten Lehraufträge an der Architekturabteilung der Hochschule der Künste Berlin (1982 – 1990) sowie Gastprofessuren an der dortigen Designabteilung (1986), der Gesamthochschule Kassel (1987) und der Universität Oldenburg (1990). Daneben arbeitete sie 1983 an der Internationalen Bau-Ausstellung in Berlin mit und organisierte 1989 eine Ausstellung über die Architektin Lucy Hildebrand. Im Vergleich zum journalistisch geschulten und humanistisch gebildeten Universalgelehrten Dimitriou war Wilhelm eine akademische Kunsthistorikerin mit deutlichem Forschungsschwerpunkt auf dem Bauhaus, das sie aus linker Perspektive vor allem als sozialpolitisches Projekt mit Gegenwartsrelevanz verstand. In diesem Sinne hielt sie ihre Antrittsvorlesung am 18. März 1993 mit dem Titel »Zum Ungehorsam der Ideen« – der Avantgardismus in der (Bau-)Kunst, in der sie für eine Fortsetzung des avantgardistischen Projekts künstlerischer Selbstkritik plädierte, die »Kritik an der Gesellschaft […] einschließt.«159 Zu dieser Thematik veranstaltete sie auch die Symposien Kunst als Revolte  ? Von der Fähigkeit der Künste, Nein zu sagen und Utopie heute  ? 160 Das bot direkte Anknüpfungspunkte zum Dekonstruktivismus der ›Grazer Schule‹, die damals gerade ihren Zenit erreichte und deren prominentester Vertreter Günther Domenig (1934 – 2012) zeitgleich mit Wilhelm eine Professur für Gebäudelehre innehatte. Domenigs Hauptwerk, seinem Steinhaus am Ossiacher See in Kärnten, ist auch der Kunst als Revolte-Band gewidmet.161 So gesehen war es folgerichtig, dass Wilhelm 1995/96 Daniel Libeskind (*1946) als Gastprofessor nach Graz holte, der das Entwurfsstudio Where Angels Walk anbot.162 Allerdings distanzierte sich Wilhelm von der postmodernen Ästhetisierung der Zerstörung als nur scheinbar kritischem Akt, wie sie ihn bei 158 159 160 161 162

Vgl. Wilhelm 1983, S. 62 – 65. Vgl. Wilhelm 1996a, S. 101. Vgl. Wilhelm 1996b  ; dies. 1993. Vgl. Wilhelm 1996b, S. 7. Vgl. URL  : https://www.karin-wilhelm.com/vita (17. Mai 2019), Studienführer 1995, S. 50, 127.

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Dekonstruktivisten wie CoopHimmelb(l)au, Rem Koolhaas oder Lebbeus Woods ausmachte.163 Hinsichtlich der Lehre richtete Wilhelm das Institut komplett neu aus  : Als erstes schaffte sie den Kunstgeschichtezyklus ab und ersetzte ihn durch eine einzige Spezialvorlesung zur Kunst der Moderne zu wechselnden Themen und führte zwei verpflichtende Seminare zur Kulturgeschichte und eine Pflichtvorlesung zur Architektur- und Kunsttheorie ein.164 Als Wahlfächer initiierte sie unter anderem eine Vorlesung zur Ästhetik und Methodik der Kunst- und Architekturgeschichte165 sowie ein Privatissimum Wissenschaftstheorie.166 Die spätere Verlagerung des Institutsschwerpunkts hin zur Architekturtheorie und Kulturwissenschaft wurde daher schon vom stark theoretisch ausgerichteten Lehrprogramm Wilhelms eingeleitet. Ein bemerkenswertes Resultat davon war zum Beispiel eine schonungslose Abrechnung mit Martin Heideggers – bei Architekten bis heute beliebtem – Bauen Wohnen Denken durch eine Studentengruppe des Seminars Kulturgeschichte, die Wilhelm auch publizierte.167 Personalpolitisch bewies Wilhelm eine glückliche Hand. Als Assistentinnen, zu denen nun auch Kunsthistorikerinnen gehörten, engagierte sie u. a. Irene Nierhaus (*1955), die seit 2009 als Professorin für Kunstwissenschaft und Ästhetische Theorie an der Universität Bremen lehrt,168 oder Brigitte Franzen (*1966), die spätere Direktorin des Forum Ludwig in Aachen.169 Das Institutsklima wird von Wilhelms ehemaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern allerdings einhellig als schlecht und äußerst konflikt­reich beschrieben, was auch mit ein Grund dafür war, dass Wilhelm, obwohl gerade erst zur Dekanin gewählt, 2001 einem Ruf der TU Braunschweig folgte und dort die Professur für Geschichte und Theorie der Architektur und Stadt übernahm. Auch aus der Fachperspektive der Kunstgeschichte ist Wilhelms Erbe zwiespältig zu betrachten, denn ihre Schwerpunktsetzung auf Theorie und Kulturgeschichte, als so sinnvoll und notwendig man sie im Kontext einer Architekturfakultät auch erachten mag, leitete die schrittweise Abschaffung der Kunstgeschichte ein.

163 164 165 166 167 168

Vgl. Wilhelm 1996a, S. 105 – 107. Vgl. Studienführer 1992, S. 133. Vgl. Studienführer 1992, S. 229. Vgl. Studienführer 1998, S. 114. Vgl. Höfler u. a. 1995. Nierhaus war von 1992 – 1996 Assistentin, vgl. URL  : https://www.uni-bremen.de/kunst/personen/prof-­ dr-irene-nierhaus/ (16. Mai 2019). 169 Brigitte Franzen war von 2001 – 2005 Assistentin, ließ sich aber bereits 2003 karenzieren. 2009 – 2015 war sie Direktorin des Ludwig Forums für Internationale Kunst in Aachen und ist seither Vorstand der Peter und Irene Ludwig-Stiftung, vgl. URL  : https://deu.archinform.net/arch/3882.htm (17. Mai 2019).

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V. Von den Kulturwissenschaften zur Architekturtheorie (seit 2003)

Als erster Schritt in diese Richtung wurde das Institut 2003 in Institut für Kunst- und Kulturwissenschaften umbenannt, was man auch als Reflex auf die in den 1990er Jahren in Deutschland stark boomenden, in Österreich aber nicht recht vom Fleck kommenden Kulturwissenschaften verstehen muss. Als neue Professorin wurde mit 1. Oktober 2003 auch keine Kunsthistorikerin mehr, sondern die aus Mönchengladbach stammende Kulturwissenschaftlerin Susanne Hauser (*1957) berufen.170 Hauser hatte Linguistik, Geschichte, Philosophie, Germanistik und Kunstgeschichte in Bonn, Freiburg und Berlin studiert, war 1983 – 1988 als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Arbeitsstelle für Semiotik der TU Berlin tätig gewesen und dort 1989 mit der Arbeit Der Blick auf die Stadt. Semiotische Untersuchungen zur literarischen Wahrnehmung bis 1910 promoviert worden.171 Nach Forschungsaufenthalten u. a. in Paris und Washington übernahm sie 2000 – 2003 eine Gastprofessur für Landschaftsästhetik an der Universität Kassel. 2001 erschien die Druckfassung ihrer 1999 an der Humboldt-Universität Berlin approbierten Habilitationsschrift Metamorphosen des Abfalls. Konzepte für alte Industrieareale, in der sie Michael Thompsons Abfalltheorie auf in Landschaftsparks umgewandelte Industrie­ brachen anwandte.172 Herzstück ihrer Lehre war die Vorlesung Kunst- und Kulturwissenschaft, in der sie eine Kulturgeschichte der vier Elemente vortrug, während sie die Vorlesung Architektur- und Kunstgeschichte an eine Assistentin, die Kunsthistorikerin Elfriede Wiltschnigg (*1964), abtrat.173 Als weitere Assistenten holte sie 2004 den Bochumer Kultur- und Medienwissenschaftler Daniel Gethmann (*1963) und den Verfasser nach Graz. Hausers Professur war allerdings nur ein kurzes Intermezzo, denn bereits im Oktober 2005 folgte sie einem Ruf an die Universität der Künste in Berlin, wo sie heute noch als Professorin für Kunst- und Kulturgeschichte lehrt. Hausers frühzeitiger Abgang führte zu einer Rochade innerhalb der Fakultät. Der Architekturtheoretiker Ullrich Schwarz (*1950),174 der 2004 von Hamburg nach Graz gekommen war und das nun in Institut für Architekturtheorie und Baukunst umbenannte Nachbarinstitut übernommen hatte, wechselte 2007 als neuer Vorstand an das Institut für Kunst- und Kulturwissenschaften, das ab jetzt Institut für Architekturtheorie, Kunst- und Kulturwissenschaften hieß. Schwarz’ ehemaliges Institut wurde in Institut für Stadt- und Baugeschichte umbenannt und als deren Leiterin die Berliner Kunst- und Architekturhistorikerin Simone Hain (*1956) berufen.175 Hain hatte 170 Zu Hausers Lebenslauf vgl. Wagner 2012, S. 314  ; URL  : https://www.udk-berlin.de/personen/detailansicht/person/show/susanne-hauser/ (21. Mai 2019). 171 Vgl. Hauser 1990. 172 Vgl. Hauser 2001. 173 Vgl. TU Graz 2004/05. 174 Zu Schwarz’ Biografie vgl. Wagner 2012, S. 317 f. 175 Zu Hains Biografie vgl. URL  : https://de.wikipedia.org/wiki/Simone_Hain (21. Mai 2019).

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Kunstgeschichte in Brünn und Städtebau in Ostberlin studiert, war 1990 Leiterin der Abteilung »Theorie und Geschichte« des Instituts für Städtebau der Bauakademie der DDR in Berlin geworden und hatte anschließend Baugeschichte in Hamburg und Weimar gelehrt. Das Konzept dieser Rochade bestand in der Annahme, man könne Geschichte und Theorie voneinander trennen und in zwei separaten Instituten unterbringen. Schwarz verließ jedoch bereits nach einem Jahr Graz wieder, um eine Professur an der HafenCity Universität Hamburg zu übernehmen, und als sein Nachfolger wurde der Verfasser – nach einer Gastprofessur in den USA – mit 1. März 2010 berufen. Aus der Perspektive der Kunstgeschichte könnte man sagen, dass jetzt geradezu paradiesische Zustände anbrachen, verfügte doch die Architekturfakultät nun über den Luxus von gleich zwei Kunsthistorikern im Professorenrang. Ganz so war es jedoch nicht, denn Simone Hain hatte vor meinem Dienstantritt als Vorsitzende der Studienkommission fast alle architekturhistorischen Fächer an ihr Institut verlagert, sodass an meinem Institut kaum mehr eine kunsthistorische Pflichtlehre übrig geblieben war. Das, was ich an Kunstgeschichte in Forschung und Lehre bis heute betreibe, mache ich trotz, nicht wegen unseres Studienplanes. Nachdem Hain 2016 in den Ruhestand trat, beschlossen die Architektinnen und Architekten in meiner Kollegenschaft gegen meinen erfolglosen Protest, ihre Nachfolge mit einem ausübenden Architekten beziehungsweise einer Architektin zu besetzen und das Institut in Institut für Baugeschichte und Denkmalpflege mit dem Schwerpunkt Bauen im Bestand umzubenennen. Man war der Meinung, dass die Architektur- und Kunstgeschichte besser von jemandem vertreten werden solle, der aus der Entwurfs- und Baupraxis kommt. Als dieses Berufungsverfahren 2019 scheiterte, erfolgte im März 2020 eine neuerliche Ausschreibung unter dem Titel »Entwerfen im Bestand und Denkmalpflege«, wobei die Architektur- und Kunstgeschichte im Ausschreibungstext keine Erwähnung mehr fand. Wer die Lehre in diesem Bereich in Zukunft übernehmen wird, ist derzeit (Mai 2020) ungewiss  ; im schlimmsten Fall wird sie – wie derzeit übergangsmäßig praktiziert – vorwiegend an externe Lehrende delegiert werden.176 Damit wären wir wieder auf jene Stufe zurückgeworfen, die wir 1967 überwunden haben. VI. Resümee

Welche Lehren kann man aus dem vorläufigen Ende der Kunstgeschichte an der TU Graz ziehen  ? Abgesehen von der notorischen Aversion der Architekten gegen die Kunsthistoriker, die sich seit der Moderne hartnäckig hält, und abgesehen von historischen 176 Zumindest ist es gelungen, die Pflichtvorlesung Architektur- und Kunstgeschichte der Moderne vorübergehend wieder an das Institut für Architekturtheorie, Kunst- und Kulturwissenschaften zu holen, wo sie von der promovierten Kunsthistorikerin Antje Senarclens de Grancy gehalten wird.

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Zufällen und persönlichen Unzulänglichkeiten, die hier natürlich auch eine Rolle spielten, können grosso modo eine interne und eine externe Fehlentwicklung ausgemacht werden. Intern war der Versuch von Karin Wilhelm, die Kunstgeschichte durch die Hinzunahme von Kulturwissenschaften und Architekturtheorie zu modernisieren, eine Fehlentscheidung, denn sie führte nicht zur Modernisierung, sondern zur Abschaffung der Kunstgeschichte. Die Frage lautet, ob es zwischen der zu Recht als veraltet empfundenen Hundert-Dia-Kunstgeschichte eines Sokratis Dimitriou einerseits und einer nur mehr aus Kunsttheorie und Diskursanalyse bestehenden Kunstwissenschaft andererseits nicht einen dritten Weg hätte geben können. Über die externen Faktoren kann ich nur spekulieren, aber ich denke, dass die Entscheidungen, die zu diesem Resultat geführt haben, keinen Grazer Sonderweg darstellen, sondern mit der Krise des Faches Kunstgeschichte insgesamt zusammenhängen. So hat nicht zuletzt das Paradigma Bildwissenschaft, dem sich die universitäre Kunstgeschichte in den letzten 20 Jahren weitgehend unterworfen hat, zu einer groben Vernachlässigung der Architektur geführt.177 Alle methodischen Neuerungen und Paradigmenwechsel, welche die Kunstgeschichte in den letzten Jahrzehnten vorzuweisen hat, spielten sich auf dem Gebiet der bildenden Kunst ab, während die Architektur davon nahezu unberührt blieb und weitgehend noch immer so erforscht und gelehrt wird wie vor 50 Jahren. Eine Kunstgeschichte, die sich zur Bildwissenschaft erweitern zu müssen glaubte (sich aber tatsächlich verengte, weil sie ihr ehemals zweites Standbein, die Architektur, links liegen ließ), darf sich nicht wundern, wenn die Architektinnen und Architekten sie nun für verzichtbar halten.178 Literatur Achleitner 1971a – Friedrich Achleitner  : »Alpenfestung« Architektur, in  : bauforum 4 (1971), H. 23, S. 21 – 29. Achleitner 1971b – Friedrich Achleitner  : Hallenbad Paul Flora, in  : bauforum 4 (1971), H. 23, S. 31. Achleitner 1971c – Friedrich Achleitner  : Haus Schlegel, in  : bauforum 4 (1971), H. 23, S. 30. Achleitner 1971d – Friedrich Achleitner  : Jugendhort, in  : bauforum 4 (1971), H. 23, S. 32. Achleitner 1973 – Friedrich Achleitner  : Moderne Architektur in Oberösterreich, in  : bauforum 6 (1973), H. 38, S. 37 – 44. Achleitner 1974a – Friedrich Achleitner  : Architektur des 20. Jahrhunderts in Salzburg, in  : bauforum 7 (1974), H. 46, S. 21 – 27. Achleitner 1974b – Friedrich Achleitner  : Katholisches Volksbildungsheim Aigen, in  : bauforum 7 (1974), H. 46, S. 30 – 31. Achleitner 1974c – Friedrich Achleitner  : Mercedes-Benz-Zentralersatzteillager, in  : bauforum 7 (1974), H. 46, S. 34 – 35. 177 Vgl. Ruhl 2014. 178 Für wertvolle Hinweise danke ich Bernhard Reismann vom Archiv der TU Graz.

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Anselm Wagner

Achleitner 1974d – Friedrich Achleitner  : ÖFAG-Neubau, in  : bauforum 7 (1974), H. 46, S. 32 –  33. Achleitner 1974e – Friedrich Achleitner  : Pfarrzentrum St. Vitalis, in  : bauforum 7 (1974), H. 46, S.  28 – 29. Achleitner 1975a – Friedrich Achleitner  : Bauen in Vorarlberg, in  : bauforum 8 (1975), H. 52, S. 11 –  16. Achleitner 1975b – Friedrich Achleitner  : Evangelischer Pfarrhof, Bregenz, in  : bauforum 8 (1975), H. 52, S. 17. Achleitner 1975c – Friedrich Achleitner  : Reihenhaussiedlung Ruhwiesen, in  : bauforum 8 (1975), H. 52, S. 17. Achleitner 1975d – Friedrich Achleitner  : Siedlung »An der Ach«, Bregenz, in  : bauforum 8 (1975), H. 52, S. 18 – 19. Achleitner 1980 – Friedrich Achleitner  : Österreichische Architektur im 20. Jahrhundert. Bd. 1  : Oberösterreich, Tirol, Salzburg, Vorarlberg, Salzburg, Wien, St. Pölten 1980. Achleitner 1983 – Friedrich Achleitner  : Österreichische Architektur im 20. Jahrhundert. Bd. 2  : Kärnten, Steiermark, Burgenland, Salzburg, Wien, St. Pölten 1983. Achleitner 1990 – 2010 – Friedrich Achleitner  : Österreichische Architektur im 20. Jahrhundert. Bd. 3  : Wien, 3 Teilbände, Salzburg, Wien, St. Pölten 1990 – 2010. Allmer 2001 – Franz Allmer  : Josef Wastler (1831 – 1899). Professor für Geodäsie an der Technischen Hochschule Graz (1858 – 1899), Graz 2001. Bergmann-Pfleger 2010 – Katharina Bergmann-Pfleger  : Geschichte der Universitätsbibliothek Graz 1938 – 45, phil. Diss. Universität Wien 2010. Bietak 1959 – Wilhelm Bietak  : Ertl, Emil, in  : Otto zu Stolberg-Wernigerode (Hg.)  : Neue deutsche ­Biographie, Bd. 4, Berlin 1959, S. 633 – 634, URL  : http://daten.digitale-sammlungen. de/~db/ausgaben/zweiseitenansicht.html?id=00016320&seite=647&image=bsb00016320_ 00647.jpg&fip=193.174.98.30 (14. Mai 2019). Binder 1983 – Dieter A. Binder  : Das Joanneum in Graz. Lehranstalt und Bildungsstätte. Ein Beitrag zur Entwicklung des technischen und naturwissenschaftlichen Unterrichts im 19. Jahrhundert, Graz 1983. Binder, Edlinger 2002 – Dieter A. Binder, Maria Edlinger  : Vom Museum zur Pilotuniversität, in  : Josef W. Wohinz (Hg.)  : Die Technik in Graz. Vom Joanneum zur Erzherzog-JohannUniversität, Graz, Wien, Köln 2002, S. 45 – 65. Bouvier 1975 – Friedrich Bouvier  : Das städtebauliche Ensemble am Beispiel einer Grazer Platzfolge, in  : bauforum 8, 50 (1975), S. 16 – 19. Brandstetter 2011 – Jutta Brandstetter  : Josef Horky, in  : Architektenlexikon Wien 1770 – 1945 (2011), URL  : http://www.architektenlexikon.at/de/1119.htm (15. Mai 2019). Deneke, Kahsnitz 1978 – Bernward Deneke, Rainer Kahsnitz (Hg.)  : Das Germanische Nationalmuseum Nürnberg 1852 – 1977, München, Berlin 1978. Dimitriou 1949 – Sokratis Dimitriou  : Griechischer Frühling, Der Bogen des Odysseus, Der Perianderentwurf, Iphigenia in Aulis, Iphigenia in Delphi von Gerhart Hauptmann. Stellung im Gesamtwerk und Beziehungen zur attischen Tragödie, phil. Diss. Universität Wien 1949. Dimitriou 1959 – Sokratis Dimitriou  : Größe, Funktion und Ausstattung einer Wohnung, in  : Baurechtliche Vorschriften des Wohnungsbaues in Österreich, Wien 1959, S. 41 – 47.

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»Hundert Dias am Tag«

Dimitriou 1961 – Sokratis Dimitriou  : Griechenland. Landschaft und Kunst auf dem griechischen Festland, Wien 1961. Dimitriou 1962 – Sokratis Dimitriou  : Die Wiener Gürtelstraße, in  : Der Aufbau 17 (1962), S.  491 – 502. Dimitriou 1964 – Sokratis Dimitriou  : Groszstadt Wien. Städtebau der Jahrhundertwende, in  : Der Aufbau 19, (1964), S. 188 – 200. Dimitriou 1965a – Sokratis Dimitriou (Hg.)  : Derzeitiger Stand der Bauarbeiterausbildung und Möglichkeiten des Ausbaues, Wien 1965. Dimitriou 1965b – Sokratis Dimitriou (Hg.)  : Fußboden-Unterkonstruktionen. Forschungsprojekt 15a, Wien 1965. Dimitriou 1965c – Sokratis Dimitriou (Hg.)  : Rationalisierung und Baulandaufschließung. Kollektoren, Bd. 1  : Darstellung und Kritik der bekannten Ausführungen, Wien 1965. Dimitriou 1966a – Sokratis Dimitriou  : Griechenland. Landschaft und Kunst auf dem griechischen Festland, Wien 21966. Dimitriou 1966b – Sokratis Dimitriou (Hg.)  : Bessere Arbeitsbedingungen auf Baustellen, Wien 1966. Dimitriou 1966c – Sokratis Dimitriou (Hg.)  : Rationalisierung und Baulandaufschließung. Kollektoren, Bd. 2  : Vorschlag für ein Kollektorsystem, Wien 1966. Dimitriou 1966d – Sokratis Dimitriou (Hg.)  : Rationalisierung und Baulandaufschließung. Kollektoren, Bd. 3  : Wärmehaushalt und Wärmezustand in städtischen Kollektoren, Wien 1966. Dimitriou 1967a – Sokratis Dimitriou (Hg.)  : Sperrbeton. Forschungsprojekt 37, Wien 21967. Dimitriou 1967b – Sokratis Dimitriou (Hg.)  : Betonzusatzmittel. Forschungsprojekt 36, Wien 21967. Dimitriou 1967c – Sokratis Dimitriou (Hg.)  : Flachdächer. Forschungsprojekt 35, Wien 21967. Dimitriou 1968 – Sokratis Dimitriou  : Geschichte und Gegenwart der Kunst, in  : bauforum 1 (1968), H. 5/6, S. 5 – 6. Dimitriou 1969a – Sokratis Dimitriou  : Dampfkraftwerk Neudorf-Werndorf, in  : bauforum 2 (1969), H. 14, S. 24 – 25. Dimitriou 1969b – Sokratis Dimitriou  : Fernheizkraftwerk Graz-Süd, in  : bauforum 2 (1969), H. 14, S.  20 – 23. Dimitriou 1970a – Sokratis Dimitriou  : Lehrkanzel und Institut für Kunstgeschichte, in  : Technische Hochschule in Graz. Situationsbericht 1970, Graz 1970, S. 20 – 21. Dimitriou 1970b – Sokratis Dimitriou  : Wohnhaus für einen Industriellen, in  : bauforum 3 (1970), H. 19, S. 47 – 50. Dimitriou 1971a – Sokratis Dimitriou  : (Rezension) Elisabeth Lichtenberger  : »Wirtschaftsfunktion und Sozialstruktur der Wiener Ringstraße«, in  : bauforum 4 (1971), H. 23, S. 91. Dimitriou 1971b – Sokratis Dimitriou  : Seelsorgezentrum. Eisteichsiedlung Graz, in  : bauforum 4 (1971), H. 25, S. 24 – 29. Dimitriou 1971c – Sokratis Dimitriou  : Schulanlage Kapfenberg Walfersam, in  : bauforum 4 (1971), H. 28, S. 30 – 35. Dimitriou 1972a – Sokratis Dimitriou  : Ferdinand Schuster. Ein Nachruf, in  : bauforum 5 (1972), H. 32, S. 13.

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Anselm Wagner

Dimitriou 1972b – Sokratis Dimitriou  : Umbau eines Citygeschäftes in Graz, Herrengasse, in  : bauforum 5 (1972), H. 33, S. 27 – 30. Dimitriou 1978a – Sokratis Dimitriou  : Die Technische Universität Graz, in  : Wilhelm Steinböck (Hg.)  : 850 Jahre Stadt Graz. 1128 – 1978. Festschrift, Graz, Wien, Köln 1978, S. 399 – 416. Dimitriou 1978b – Sokratis Dimitriou  : Grazer Dachlandschaft ist schwer gefährdet …, in  : Kleine Zeitung, 13. April 1978, S. 27. Dimitriou 1978c – Sokratis Dimitriou  : Zehn Jahre »bauforum«, in  : bauforum 11 (1978), H. 62/ 63, S. 13. Dimitriou 1979a – Sokratis Dimitriou (Red.)  : Stadterweiterung von Graz. Gründerzeit, Graz 1979. Dimitriou 1979b – Sokratis Dimitriou  : Die Grazer Stadtentwicklung 1850 bis 1914, in  : Dimitriou 1979a, S. 8 – 37. Dimitriou 1979c – Sokratis Dimitriou  : Umbau der Grazer Oper. Breite Diskussion wäre notwendig, in  : Neue Zeit, 14. Oktober 1979. Dimitriou 1984 – Sokratis Dimitriou (Red.)  : Architekturvision 1984. Ein Skizzenbuch, Ausstellungskatalog Graz, Graz 1984. Dobslaw 2009 – Andreas Dobslaw  : Die Wiener »Quellenschriften« und ihr Herausgeber Rudolf Eitelberger von Edelberg, München 2009. Dreibholz 1977 – Wolfdieter Dreibholz  : Die Internationale Werkbundsiedlung, Wien 1932, in  : bauforum 10 (1977), H. 61, S. 19 – 28. Eberlein 2010 – Johann Konrad Eberlein  : Josef Strzygowski. Gedanken über die Zeitlosigkeit eines Typs, in  : Lukas Madersbacher, Thomas Steppan (Hg.)  : De re artificiosa. Festschrift für Paul von Naredi-Rainer zu seinem 60. Geburtstag, Regensburg 2010, S. 81 – 93. Ecker 1971 – Dietrich Ecker  : Kolpinghaus Kapfenberg, in  : bauforum 4 (1971), H. 28, S. 27 – 29. Eisenhut 1999 – Günter Eisenhut  : Hubert Hoffmann (8. Mai 1999), URL  : http://kultur. wkstmk.at/comart/hubert-hoffmann/hubhoffbio.htm (10. Mai 2019). Essenwein o. J. – August Essenwein  : Norddeutschlands Backsteinbau im Mittelalter, Karlsruhe o.  J. (1855 – 1856). Führer 1942 – Führer und Studienplan der Technischen Hochschule Graz 1942/43, Graz 1942. Führer 1946 – Führer und Studienplan der Technischen Hochschule Graz 1946/47, Graz 1946. Führer 1947 – Führer und Studienplan der Technischen Hochschule Graz 1947/48, Graz 1947. Führer 1949 – Führer und Studienplan der Technischen Hochschule Graz 1949/50, Graz 1949. Göth 1861 – Georg Göth  : Das Joanneum in Gratz, geschichtlich dargestellt zur Erinnerung an seine Gründung vor 50 Jahren, Graz 1861. Haas 1860 – Carl Haas  : Der romanische Dom von Gurk in Kärnten, in  : Gustav Adolph Heider (Hg.)  : Mittelalterliche Kunstdenkmale des Österreichischen Kaiserstaates, Bd. 2, Stuttgart 1860, S.  144 – 172. Hauser 1990 – Susanne Hauser  : Der Blick auf die Stadt. Semiotische Untersuchungen zur literarischen Wahrnehmung bis 1910, Berlin 1990. Hauser 2001 – Susanne Hauser  : Metamorphosen des Abfalls. Konzepte für alte Industrieareale, Frankfurt a. M. 2001.

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»Hundert Dias am Tag«

Heinrich 1961 – Walter Heinrich (Hg.)  : Festschrift Hans Riehl. Gesammelte Aufsätze. Aus Anlaß des 70. Geburtstags, Graz 1961. Höflechner, Pochat 1992 – Walter Höflechner, Götz Pochat (Hg.)  : 100 Jahre Kunstgeschichte an der Universität Graz. Mit einem Ausblick auf die Geschichte des Faches an den deutschsprachigen österreichischen Universitäten bis in das Jahr 1938, Graz 1992. Höflechner 1992 – Walter Höflechner  : Die Kunstgeschichte an der Universität Graz, in  : Höflechner, Pochat 1992, S. 72 – 143. Höfler u. a. 1995 – Margit Höfler, Bernd Knaller-Vlay, Margarethe Müller u. a.: Mensch und Raum. Zu Martin Heideggers »Bauen Wohnen Denken«, in  : Karin Wilhelm, Gerd Hlawka, Irene Nierhaus (Hg.)  : Gespräche an der Fakultät für Architektur. Technische Universität Graz/Austria, Graz 1995, S. 37 – 50. Hoffmann 1969 – Hubert Hoffmann  : Erholungsdörfer, in  : bauforum 2 (1969), H. 15, S. 23 – 24. Hoffmann 1971a – Hubert Hoffmann  : die wiederbelebung des bauhauses nach 1945, in  : Eckhard Neumann (Hg.)  : Bauhaus und Bauhäusler. Bekenntnisse und Erinnerungen, Bern 1971, S.  205 – 210. Hoffmann 1971b – Hubert Hoffmann  : Musterhof Josef Zwing, in  : bauforum 4 (1971), H. 26, S.  28 – 33. Hoffmann 1972 – Hubert Hoffmann  : Stadtberge – Schichtenstadt, in  : bauforum 5 (1972), H. 30, S. 22. Jahresbericht 1857 – 25. Jahresbericht des steiermärkisch-ständischen Joanneums zu Gratz für das Schuljahr 1856, Graz 1857. Jahresbericht 1867 – Jahresbericht der landschaftl. technischen Hochschule am Joanneum zu Gratz für das Studienjahr 1865 – 66, Graz 1867. Jahresbericht 1872 – Jahresbericht der landschaftl. technischen Hochschule Joanneum zu Gratz für das Studienjahr 1870/71, Graz 1872. Jäger 1986 – Werner Jäger  : Rudolf J. Boeck, in  : Der Aufbau 31 (1986), S. 216 – 217. Jany 2019 – Andrea Jany  : Experiment Wohnbau. Die partizipative Architektur des Modell Steier­mark, Berlin 2019. Kainz 1948a – Friedrich Kainz  : Vorlesungen über Ästhetik, Wien 1948. Kainz 1948b – Friedrich Kainz  : Einführung in die Philosophie der Kunst. Allgemeine Kunstwissenschaft, Wien 1948. Kramny 1909 – Josef Kramny  : Register zum Jahrbuch 1856 – 1861 und zu den Mitteilungen 1856 – 1902 der k. k. Central-Kommission für Kunst und historische Denkmale. I. Verzeichnis der Autoren, Wien 1909. Küttner 2017 – Monika Küttner  : Carl Haas und Karl Haas. »Verschmelzung« und »Entflechtung« zweier gleichnamiger Künstlerpersönlichkeiten des 19. Jahrhunderts, Graz 2017. List 1968 – Rudolf List  : Dimitriou, Sokratis, in  : Ders.: Kunst und Künstler in der Steiermark. Ein Nachschlagewerk, 3. Lieferung, Ried im Innkreis 1968, S. 84. Maximos 1956 – Penelope Maximos  : Kuluri. Ferien auf einer griechischen Insel, übers. v. Sokra­ tis Dimitriou, Wien 21956. Muchitsch 2011 – Wolfgang Muchitsch  : Vom innerösterreichischen »Musäum« zur GmbH, in  : Peter Pakesch, ders. (Hg.)  : 200 Jahre Universalmuseum Joanneum 1811 – 2011, Graz 2011, S.  24 – 27.

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Anselm Wagner

Müller 1991 – Reinhard Müller  : Hans Riehl (1891 – 1965). Kunsthistoriker, Philosoph, Soziologe, Dichter, in  : Archiv für die Geschichte der Soziologie in Österreich. Newsletter 5 (1991), S. 12 –  15, URL  : http://agso.uni-graz.at/webarchiv/agsoe02/publ/nlfiles/nl05.pdf (16. Mai 2019). Österreichische Gesellschaft für Architektur 1969 – Österreichische Gesellschaft für Architektur (Hg.)  : Österreichische Architektur 1960 – 1970, Ausst.-Kat. La-Chaux-de-Fond, Wien 1969. Personalstand 1860 – Personalstand und Vorleseordnung an der ständisch-technischen Lehranstalt in Gratz im Studienjahr 1860, Graz 1860. Pittner 1954 – Anneliese Pittner  : Hippolyt Tauschinski (1839 – 1905). Ein österreichisches Akademikerschicksal zwischen Liberalismus und Sozialismus, phil. Diss. Universität Graz 1954. Ploder 1992 – Josef Ploder  : Hermann Egger und seine römischen Studien. Versuch einer kritischen Würdigung, in  : Höflechner, Pochat 1992, S. 265 – 281. Programm 1872 – Programm der Technischen Hochschule am Steiermärkisch-Landschaftlichen Joanneum in Graz für das Studienjahr 1872/73, Graz 1872. Programm 1890 – Programm der Kais. Königl. Technischen Hochschule in Graz. Für das StudienJahr 1890/91, Graz 1890. Programm 1891 – Programm der Kais. Königl. Technischen Hochschule in Graz. Für das StudienJahr 1891/92, Graz 1891. Programm 1892 – Programm der Kais. Königl. Technischen Hochschule in Graz. Für das StudienJahr 1892/93, Graz 1892. Programm 1895 – Programm der Kais. Königl. Technischen Hochschule in Graz. Für das StudienJahr 1895/96, Graz 1895. Programm 1898 – Programm der Kais. Königl. Technischen Hochschule in Graz. Für das StudienJahr 1898/99, Graz 1898. Programm 1899 – Programm der Kais. Königl. Technischen Hochschule in Graz. Für das Studien-Jahr 1899/1900, Graz 1899. Programm 1900 – Programm der Kais. Königl. Technischen Hochschule in Graz. Für das StudienJahr 1900/01, Graz 1900. Programm 1903 – Programm der Kais. Königl. Technischen Hochschule in Graz. Für das StudienJahr 1903/04, Graz 1903. Programm 1904 – Programm der Kais. Königl. Technischen Hochschule in Graz. Für das Studien-Jahr 1904/05, Graz 1904. Programm 1906 – Programm der Kais. Königl. Technischen Hochschule in Graz. Für das StudienJahr 1906/07, Graz 1906. Programm 1907 – Programm der Kais. Königl. Technischen Hochschule in Graz. Für das StudienJahr 1907/08, Graz 1907. Programm 1913 – Programm der K. K. Technischen Hochschule in Graz für das Studienjahr 1913/14, Graz 1913. Programm 1916 – Programm der K. K. Technischen Hochschule in Graz für das Studienjahr 1916/17, Graz 1916. Programm 1923 – Programm der Technischen Hochschule Graz. Studienjahr 1923/24, Graz 1923. Programm 1927 – Programm der Technischen Hochschule Graz. Studienjahr 1927/28, Graz 1927.

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Programm 1932 – Programm der Technischen Hochschule Graz. Studienjahr 1932/33, Graz 1932. Programm 1956 – Programm und Studienplan der Technischen Hochschule Graz 1956/57, Graz 1956. Programm 1966 – Programm und Studienplan der Technischen Hochschule Graz 1966/67, Graz 1966. Programm 1967 – Technische Hochschule in Graz. Programm, Studienpläne und Personalverzeichnis für das Studienjahr 1967/68, Graz 1967. Programm 1968 – Technische Hochschule Graz. Programm, Studienpläne, Personalverzeichnis 1968/69, Graz 1968. Programm 1970 – Technische Hochschule Graz. Programm, Studienpläne, Personalverzeichnis 1970/71, Graz 1970. Prokop 2018 – Ursula Prokop  : Wappler, Moritz, in  : Österreichisches Biographisches Lexikon 1815 – 1950, Bd. 15  :Tumlirz Karl–Warchalowski August, Wien 2018, S. 486 – 487, URL  : h ­ ttps:// www.biographien.ac.at/oebl/oebl_W/Wappler_Moritz_1821_1906.xml (10. Mai 2019). Raffler 2011 – Marlies Raffler  : Joanneum und nationale Identität, in  : Peter Pakesch, Wolfgang Muchitsch (Hg.)  : 200 Jahre Universalmuseum Joanneum 1811 – 2011, Graz 2011, S. 16 – 19. Riehl 1961 – Hans Riehl  : Mein Leben, in  : Walter Heinrich (Hg.)  : Festschrift Hans Riehl. Gesammelte Aufsätze. Aus Anlaß des 70. Geburtstags, Graz 1961, S. 249 – 250. Ruhl 2014 – Carsten Ruhl  : Vom Nutzen und Vorteil der Architektur für die Kunstgeschichte. Bemerkungen zu einem vernachlässigten Forschungsgebiet, in  : kunsttexte.de 1 (2014), URL  : https: //edoc.hu-berlin.de/bitstream/handle/18452/7469/ruhl.pdf  ?sequence=1&isAllowed=y (22. Mai 2019). Schuster o. J. – Ferdinand Schuster (1920 – 1972) Biografie, URL  : http://www.ferdinand-schus ter.tugraz.at/biographie/ (9. April 2020). Schuster 1968 – Ferdinand Schuster  : Architektur und Landwirtschaft, in  : bauforum 1, (1968), H. 7/8, S. 18 – 22. Schuster 1969 – Ferdinand Schuster  : Architektur und Apparat, in  : bauforum 2, (1969), H. 14, S.  28 – 30. Stark 1906 – Franz Stark (Red.)  : Die k. k. deutsche technische Hochschule in Prag 1806 – 1906. Festschrift zur Hundertjahrfeier, Prag 1906, URL  : https://archive.org/details/diekkdeutschetec00prag/page/n7 (2. Mai 2019). Studienführer 1972 – Studienführer der Technischen Hochschule in Graz 1972/73, Graz 1972. Studienführer 1977 – Studienführer der Technischen Universität Graz 1977/78, Graz 1977. Studienführer 1979 – Studienführer der Technischen Universität Graz 1979/80, Graz 1979. Studienführer 1991 – Studienführer der Technischen Universität Graz 1991/92, Graz 1991. Studienführer 1992 – Studienführer der Technischen Universität Graz 1992/93, Graz 1992. Studienführer 1996 – Studienführer der Technischen Universität Graz 1995/96, Graz 1996. Studienführer 1998 – Studienführer der Technischen Universität Graz 1998/99, Graz 1998. TU Graz 2004/05 – TU Graz online, Lehrveranstaltungsangebot Studienjahr 2004/05, URL  :­ https://online.tugraz.at/tug_online/webnav.navigate_to?corg=569&cperson_nr=53557  (21. Mai 2019).

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Anselm Wagner

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Die Etablierung der Kunstgeschichte am Karlsruher Polytechnikum Am Karlsruher Großherzoglichen Polytechnikum wurde 1868 nach drei Jahren Planung die erste Professur für Kunstgeschichte eingerichtet und mit dem Holbeinspezialisten Alfred Woltmann besetzt. Auf diesen folgten 1874 bis 1884 Bruno Meyer, 1885 bis zu seinem Tod 1893 Wilhelm Lübke und von 1893 bis 1919 der Architekt und Kunsthisto­ riker Adolf von Oechelhäuser. Der Beitrag gibt einen Überblick über diese erste Phase der Kunstgeschichte in Karlsruhe  : die inhaltlichen Diskussionen im Zuge der Etablie­ rung als Lehrfach in der Architekturabteilung und die weiteren Aufgaben innerhalb des Polytechnikums, die Lehrinhalte sowie die erste Verlegung des Faches 1919 in die Allgemeine Abteilung. »So stellt sich also die Kunstgeschichte an den Universitäten als eine in natürlichem Verlaufe vom Geschichtsstudium abgezweigte Sonderwissenschaft im Gefüge der übrigen geschichtlichen Disciplinen dar und von diesen als solche unlöslich. Ganz anders bei den Technischen Hochschulen. Hierhin ist die Kunstgeschichte im Erstlingsstadium ihrer Entwicklung von den Universitäten verpflanzt worden, zunächst zum Zwecke der Unterweisung der jugendlichen Architekten, dann aber auch zur Ergänzung des Gebietes der sogen. allgemein bildenden Fächer, die schon früher, ebenfalls von der Universität hierher übertragen worden waren.«1

Am Karlsruher Großherzoglichen Polytechnikum, dem heutigen Karlsruher Institut für Technologie (KIT), wurde 1868 eine Professur für Kunstgeschichte eingerichtet, die damit neben Stuttgart und Darmstadt zu den frühen süddeutschen Professuren innerhalb der Fachdisziplin gehört und wie an vielen polytechnischen Hochschulen zuvorderst für die Ausbildung von Architekten vorgesehen war. Besetzt wurde die Stelle zunächst mit dem jungen und gerade als Holbeinspezialist habilitierten Alfred Woltmann (1841 – 1880), welcher kurze Zeit später an der Diskussion um die Echtheitsfrage der Dresdner versus Darmstädter Madonna von Hans Holbein d. J. beteiligt war, welche gleichzeitig zu der ersten großen Methodenreflexion in der jungen Fachgeschichte führte.2 Danach folgten Bruno Meyer (1840 – 1917) und Wilhelm Lübke (1826 – 1893) als Professoren, die sich beide ebenfalls in dem sogenannten Holbeinstreit beteiligt und 1 Oechelhäuser 1902, S. 15. 2 Zum Holbeinstreit Bader 2013  ; vgl. Papenbrock 2006, S. 180  ; Locher 2010, S. 47 f.

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mit weiteren elf Kunsthistorikern und Woltmann für die Echtheit des Darmstädter Exemplars votiert hatten.3 Alle drei kannten sich also gut und entstammten dem Netzwerk der Berliner Kunstgeschichte um Friedrich Eggers (1819 – 1872), Franz Kugler (1808 – 1858) und Carl Schnaase (1798 – 1875), dessen Einfluss in der Besetzungspolitik in Karlsruhe eine wesentliche Rolle spielte, wie Reinhard Rürup4 und Martin Papenbrock5 dargelegt haben und wie anhand der erhaltenen universitären und ministerialen Berufungsakten nachvollzogen werden kann.6 In dem vorliegenden Beitrag soll es jedoch nicht um die Netzwerkgeschichte der frühen Fachvertreter oder deren methodische und theoretische Standpunkte gehen,7 sondern um die konkreten inhaltlichen Diskussionen im Zuge der Etablierung der Kunstgeschichte als Lehrfach in der Architekturabteilung des Karlsruher Polytechnikums und die Entwicklung der Lehrinhalte und thematischen Ausrichtung zwischen 1868 und 1919, als nämlich nach der Emeritierung des vierten Professors Adolf von Oechelhäuser (1852 – 1923) die Kunstgeschichte in die Allgemeine Abteilung verlegt wurde. Die Zäsursetzung 1919 erfährt zusätzlich ihre Berechtigung durch die daraufhin erfolgte Berufung des Architekten Karl Wulzinger (1886 – 1949) als neuen Professor für Kunstgeschichte im Jahr 1920, mit welchem als späterem Mitglied der NSDAP das Thema der kunstgeschichtlichen Lehrstühle in der Zeit des Nationalsozialismus eingeleitet würde – ein eigenes Thema, wozu bereits einige Beiträge vorliegen.8 Inhaltlich beginnt in dieser Phase ab 1920 auch die wechselhafte Geschichte des Faches zwischen der Differenzierung und Grenzziehung von Kunst- und Baugeschichte sowie der mehrmaligen gänzlichen oder teilweisen Verlegung innerhalb der Architektur- und der Allgemeinen Abteilung, später der Fakultät für Geistes- und Sozialwissenschaften.9 Im Folgenden will ich mich also auf die Frage konzentrieren, weshalb in Karlsruhe die Kunstgeschichte – wie es Oechelhäuser im Eingangszitat nannte – »verpflanzt« wurde und welche Aufgaben sie hier übernehmen sollte, um damit einen Beitrag zur Bestandsaufnahme der frühen Fachgeschichte an polytechnischen Hochschulen zu leis3 4 5 6

Vgl. Bader 2013  ; Lützow 1871, S. 355. Rürup 1965. Papenbrock 2006. Lehrstelle für Kunst- und Baugeschichte und deren Besetzung (1865 – 1950), Karlsruhe, Generallandesarchiv 235 Nr. 30473 (im Folgenden abgekürzt als GLAK) und Lehrstuhl für Kunstgeschichte, Berufungen und Lehrstuhlangelegenheiten (1865 – 1920), Karlsruhe, KIT-Archiv 10001,2394 (alte Signatur  : 448/2394)  ; letztere Akte war gemeinsam mit weiteren der Technischen Hochschule (Abteilung 448) bis 2018 im GLAK aufbewahrt worden und befindet sich nun wieder im KIT-Archiv. Weiteres zu Carl Schnaase v. a. Karge 1996  ; Karge 2010  ; Karge 2020. 7 Karge 2006  ; zur Genese der modernen deutschsprachigen Kunstgeschichte einschließlich der Architekturgeschichte und den biografischen Verflechtungen der Protagonisten Karge 2020/21. 8 Held, Papenbrock 2003  ; Angermeyer-Deubner 2003  ; Papenbrock 2005  ; Hassler 2010, S. 100 f. 9 Vgl. Jaeggi 2004, S. 102 f.; Papenbrock 2005, S. 62.

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ten.10 Die Basis meiner Ausführungen liefern die erhaltenen Akten zu den Berufungen, Lehrmitteln und Aversen, die sich im Generallandesarchiv in Karlsruhe und dem KITArchiv befinden und partiell in den bereits genannten und wenigen anderen Texten, aber größtenteils noch unpubliziert sind und deshalb an einigen Stellen in umfangreicherem Maße abgedruckt werden.11 I. 1865 – 1868  : Vorüberlegungen zur Einrichtung einer kunstgeschichtlichen Professur

Die 1825 gegründete Großherzoglich Badische Polytechnische Schule in Karlsruhe wurde 1865 als eine der ersten Bildungsanstalten in Deutschland zur Technischen Hochschule erhoben.12 Jene Institutionen, die im 19. Jahrhundert zum Teil nach dem Vorbild der Pariser École Polytechnique gegründet wurden, forderten im verstärkten Maße zusätzlich zu den Fachwissenschaften, also den technischen Fächern wie Maschinenbauwesen, Ingenieur- und Naturwissenschaften, eine humanistische Allgemeinbildung durch den Unterricht in geisteswissenschaftlichen Disziplinen.13 Entscheidende Impulse gab in Karlsruhe Ferdinand Redtenbacher (1809 – 1863), der als Begründer des Maschinenbaus und Direktor des Polytechnikums in den Jahren 1857 bis 1862 seinen Studierenden nicht nur sein Fach vermitteln, sondern diese auch durch die Beschäftigung mit kulturwissenschaftlichen Fächern wie Literatur, Philosophie und Geschichte, Ethik, Nationalökonomie oder populäre Staats- und Rechtskunde zu bildungsbürgerlichen Ingenieuren erziehen wollte.14 Im Zuge dessen wurde neben der Fachausbildung Wert auf jene allgemeinbildenden Fächer gelegt und bereits 1860/61 eine Professur für Geschichte und Literatur und 1865 ein Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre eingerichtet.15 10 Zur Entwicklung allgemein Dilly 1979  ; Beyrodt 1991, darin zu den Technischen Hochschulen S. 323 f. 11 Angermeyer-Deubner 2003  ; Papenbrock 2006  ; Hassler 2010. Eine Auswahl der Akten wurde von dem ehemaligen Kunstgeschichte-Assistenten Joachim Hotz transkribiert und liegt in einem maschinenschrift­ lichen, unpaginierten Manuskript im Fachgebiet Kunstgeschichte am KIT vor (Hotz 1965). Die unter­ schiedlichen Aktenauszüge wurden von ihm chronologisch sortiert, es fehlt allerdings eine Zusammenstellung oder Übersicht, was die Zuordnung und Bearbeitung etwas erschwert. Die im vorliegenden Beitrag zitierten Auszüge wurden von der Autorin allesamt an den Originaldokumenten überprüft. Etliche Dokumente innerhalb der einzelnen Akten wurden bei Hotz aus bisher unerfindlichen Gründen nicht berücksichtigt, auch nicht als ausgelassen verzeichnet, bieten allerdings weitere wichtige Informationen. 12 Zur Geschichte der Polytechnischen Schule Hotz 1975  ; Hoepke 2007  ; zur Erhebung zur Hochschule v. a. Hoepke 2007, S. 52 – 72. 13 Vgl. Hoepke 2007, S. 10 f., 25 f.; Oechelhäuser 1902, S. 9. 14 Vgl. Hoepke 2007, S. 10 f.; zur Ära Redtenbacher v. a. S.  52 – 72. 15 Der erste Professor für Geschichte und Literatur war Hermann Baumgarten (1825 – 1893), für Volkswirtschaftslehre Arwed Emminghaus (1831 – 1916)  ; vgl. Jaeggi 2004, S. 101  ; Hoepke 2007, S. 65 f.

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In diese Zeit fallen die ersten Überlegungen seitens der Bauschule des Polytechnikums für einen gesonderten kunstgeschichtlichen Unterricht, der eigens für die Architektenausbildung eingeführt werden sollte.16 Als Vorlesungsgegenstand hatte Baurat Jakob Hochstetter (1812 – 1880), der seit 1842 als Professor an der Bauschule lehrte und nach Redtenbacher in den Jahren 1864 bis 1866 auch Direktor desselben war, bereits zeitweilig Architekturgeschichte behandelt.17 Seit dem Studienjahr 1855/56 las Hochstetter für die Architekten im dritten Studienjahr zweistündig die Geschichte der Baukunst des Alterthums und im vierten Studienjahr die Geschichte der Baukunst des Mittelalters und der neuern und neuesten Zeit (ebenfalls zweistündig),18 nachdem im Studienjahr zuvor, 1854/55, bereits ein vierstündiger Curs über höhere Baukunst und Geschichte der Baukunst im Curriculum und Vorlesungsverzeichnis verankert worden war – allerdings noch unter N. N. –, es also wohl schon Überlegungen zu einem geeigneten Dozenten gegeben haben könnte.19 Nach diesen nicht quellenkundigen frühen Planungen für eine erste kunstgeschichtliche Professur in Karlsruhe begannen jene im Oktober 1865 mit einer Initiativbewer­ bung an Fahrt aufzunehmen. Wohl aus Kenntnis oben skizzierter Überlegungen ging ein Schreiben Friedrich Giebes im Großherzoglichen Ministerium des Innern ein, welcher daraufhin von Hochstetter eingeladen und fachlich geprüft wurde – auch wenn Giebe zuvor vermittelt worden war, dass eine Berufung nicht auf diesem Wege zustande kommen könne.20 Zusammen mit einem Protokoll der Prüfungsfragen, die Giebe übrigens nur unzureichend gut beantworten konnte, legte Hochstetter am 20. November 1865 dem Ministerium seine weiteren Anforderungen für eine Professur und eine Liste mit den seiner Ansicht nach drei geeignetsten Kandidaten Robert Curtius, Jacob Burckhardt und Friedrich Theodor Vischer vor.21 Weiter nannte er die fünf möglichen »Ersatz-Kandidaten«  : Karl von Lützow, Alfred Woltmann, Hermann Melwill, Hermann Grimm und Friedrich Eggers.22 16 Vgl. Rürup 1965, S. 417  ; Hoepke 2007, S. 66 f. 17 Vgl. Hoepke 2007, S. 63, 163  ; Technische Hochschule Karlsruhe 1892, S. LXVI. 18 Vgl. Anzeige der Vorlesungen an der Großherzoglich Badischen Polytechnischen Schule zu Carlsruhe für das Jahr 1855 – 1856, S. 11 f. 19 Vgl. Anzeige der Vorlesungen an der Großherzoglich Badischen Polytechnischen Schule zu Carlsruhe für das Jahr 1854 – 1855, S. 11. 20 Vgl. Friedrich Giebe an Staatsrat Lamey (Präsident des Großherzoglichen Ministeriums des Innern), 5. Oktober 1865, GLAK 235 Nr. 30473  ; Baurat Hochstetter an Staatsrat Lamey, 20. November 1865, GLAK 235 Nr. 30473  ; vgl. Hotz 1965. Außer den von Giebe in seinem Brief genannten Informationen ist über ihn nichts bekannt  : Er war in Danzig und Thorn aufgewachsen und hatte eine Ausbildung zum Architekten begonnen, die er aber nach zwei Jahren abgebrochen und danach in Berlin philosophische, ästhetische und kunstgeschichtliche Vorlesungen gehört hatte. Ohne einen Studienabschluss oder eine Staatsprüfung arbeitete er ab 1857/58 als Redakteur bei verschiedenen Zeitungen in Berlin, Düsseldorf, Frankfurt und Mannheim, bevor er nach Karlsruhe kam und sich am Polytechnikum bewarb. 21 Vgl. Baurat Hochstetter an Staatsrat Lamey, 20. November 1865, GLAK 235 Nr. 30473  ; vgl. Hotz 1965. 22 Ebd.; vgl. Rürup 1965, S. 418  ; Jaeggi 2004, S. 101  ; Papenbrock 2006, S. 179.

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Während der Zeit der konkreten Verhandlungen mit Eggers, Johann Rudolf Rahn und Vischer bis zur Berufung Woltmanns 1868 wurden mehrere Stellungnahmen verfasst und jeweils die Vor- und Nachteile der einzelnen Forscherpersönlichkeiten besprochen. So unterschiedlich diese auch waren, einig war man sich von Seiten der Architekten stets über die Aufgabe, welche die Kunstgeschichte innerhalb der Architek­ tenausbildung erfüllen und in welcher Form dies geschehen sollte. So sollte »die Kunstgeschichte mit besonderer Rücksicht auf die Architecturgeschichte des Alter­thums durch einen speciellen Fachmann eingehender gelehrt werde[n], als es durch die vorhandenen Lehrkräfte [also Hochstetter] bisher geschehen konnte.«23 Es sollten zwei Vorlesungen eingeführt werden  : »ein den Polytechnikern aller Fachschulen zu empfehlender etwa 2stündiger Vortrag über allgemeine Kunstgeschichte und ein speciell für die Studirenden der Bauschule bestimmter etwa 4stündiger Vortrag, vorbehaltlich der in dieser Hinsicht, u. A. auch mit Rücksicht auf eine etwas besondere Behandlung der Aesthetik, mit dem zu berufenden Professor selbst demnächst zu treffenden näheren Vereinbarung.«24

Um möglichst vielen die Teilnahme an der allgemeinen Vorlesung, darunter auch den Studierenden der Großherzoglich Badischen Kunstschule, der Akademie, zu ermöglichen, wurde vorgeschlagen, die allgemeine Vorlesung auf die Abendstunden zu legen.25 Die Akademie teilte jedoch mit, dieses Angebot nicht nutzen zu wollen, sondern äußerte den Wunsch nach einer eigenen, speziellen Malerei-Vorlesung.26 Die Verhandlungen zwischen Akademie und Hochschule führten später dazu, dass die Kunstgeschichte-Professoren der Polytechnischen Hochschule lange einen gesondert vergüteten Lehrauftrag für die Akademie wahrnahmen.27 Noch vor Berufung des Professors wurde bereits die explizit kunstgeschichtliche Vorlesung im Curriculum der Architektur dem dritten Kurs zugeordnet und im Vorlesungsverzeichnis des Studienjahres 1867/68 unter dem Titel Kunstgeschichte unter besonderer Berücksichtigung der Architekturgeschichte des Alterthums (N. N.) sowie unter den 23 Direktion der Polytechnischen Schule an Ministerium des Innern, 24. November 1867, GLAK 235 Nr. 30473  ; vgl. Hotz 1965  ; Papenbrock 2006, S. 179. 24 Direktion der Polytechnischen Schule an Ministerium des Innern, 24. November 1867, GLAK 235 Nr. 30473  ; vgl. Hotz 1965. 25 Vgl. Hotz 1965. 26 Hans Gude, Vorstand der Direktion der Großherzoglich Badischen Kunstschule an Ministerium des Innern, 16. Dezember 1867, GLAK 235 Nr. 30473  ; vgl. Hotz 1965. 27 Z. B. die Akten Vorlesungen über Kunstgeschichte an der Landeskunstschule in Karlsruhe (1876 – 1944), GLAK 235 Nr. 6180. Diese Tätigkeit der frühen Kunstgeschichte-Professoren im Austausch mit den bildenden Künstlern und Kunsthandwerkern wäre ebenfalls ein lohnendes Thema für eine nähere Untersuchung.

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Historischen Vorträgen für alle Polytechniker aufgeführt. Die bisher von Hochstetter gehaltene architekturgeschichtliche Vorlesung führte dieser bis zur Berufung des ersten Professors als Geschichte der Baukunst des Mittelalters und der neueren Zeit (zweistündig) weiter fort.28 Ab dem Studienjahr 1868/69 war dann die Allgemeine Kunstgeschichte als weitere geisteswissenschaftliche Vorlesung wie die zur Geschichte und französischen Literatur fest im Programm des Polytechnikums integriert.29 II. 1868 – 1873  : In welchem Style sollen wir lehren  ?30 Der Beginn der Kunstgeschichte in Karlsruhe

Woltmann nahm die Professur 1868 an und hielt bis zu seinem Weggang die von Hochstetter etablierte, zweisemestrige baugeschichtliche Vorlesung unter dem Titel Architekturgeschichte I – Alterthum und Architekturgeschichte II – Mittelalter und Neuzeit. Zusätzlich führte er jeweils im Sommersemester eine Stunde wöchentlich für Erklärungen der Kunstwerke in den großherzoglichen Sammlungen ein, die unter seinen Nachfolgern weitgehend beibehalten wurden, nur unter Meyer pausierten und stattdessen die kunstgeschichtliche Sammlung geöffnet wurde.31 Woltmann vermittelte in seinen Vorlesungen die Zusammenhänge der Künste und einen Überblick, also die zu jener Zeit allseits geforderte theoretische und historische Fundierung für die Architekten durch die Kunstgeschichte,32 die um die Lehre vor Ort ergänzt wurde, welche wohl in den Besetzungsgutachten in der Bewertung der Kandidaten eine große Rolle spielte, aber von den Architekten für die Lehre nicht zwingend gefordert wurde.33 Noch vor Beginn seiner Tätigkeit äußerte Woltmann sich in einem Schreiben an den Professor der Geschichte und Literatur, Hermann Baumgarten, über die für ihn als gerade habilitierter und in der Lehre noch unerfahrener Kunsthistoriker anstehende Aufgabe. Er war sich bewusst, dass die Lehre für die Architekten wohl eine andere sein müsse als für die Studierenden der anderen Fächer, für beide jedoch die Kunstgeschichte für eine breite kulturgeschichtliche Grundlage zu sorgen habe  :

28 Vgl. Programm der Grossherzoglich Badischen Polytechnischen Schule zu Carlsruhe für das Jahr 1867 – 68, S. 6. 29 Vgl. Programm der Grossherzoglich Badischen Polytechnischen Schule zu Carlsruhe für das Jahr 1868 – 69, S. 6. 30 In Anlehnung an Heinrich Hübschs In welchem Style sollen wir bauen  ?, Karlsruhe 1828. 31 Vgl. Programme der Grossherzoglich Badischen Polytechnischen Schule zu Carlsruhe für die Jahre 1868/ 69 bis 1919/20. 32 Vgl. Rürup 1965, S. 427  ; Dilly 1979, S. 55 – 56. 33 Diverse Dokumente in GLAK 235 Nr. 30473  : z. B. 20. November 1865, 13. Mai 1868 (Schnaase an Hochstetter), 25. Oktober 1873, 16. Dezember 1873, 26. April 1893  ; vgl. Papenbrock 2006, S. 179.

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»Mir scheint nämlich, daß es gerade darauf ankommt, dem Architekten den innigen Zusammenhang seiner eignen Kunst mit den andern bildenden Künsten darzulegen. Nichts fehlt der ästhetischen Ausbildung der heutigen Baumeister gewöhnlich so sehr wie das Bewußtsein hiervon, und dieselbe kann, meiner Ansicht nach, am besten gefördert werden, wenn man von Schinkel’s Grundsatz ausgeht  : der Architekt müsse ein Veredler aller menschlichen Verhältnisse sein, in seinem Wirkungskreise die gesammte schöne Kunst umfassen. – Freilich dürfte bei einer derartigen allgemein-kunstgeschichtlichen Vorlesung nie vergessen werden, daß sie in erster Linie für Architekten da ist.«34

Unsicher war er sich noch, was den zeitlichen Umfang »der gesammten Baugeschichte« betraf, also die architekturgeschichtliche Überblicksvorlesung für die Architekten, und ob diese überhaupt innerhalb von zwei Semestern gegeben werden könne oder nicht. Noch vor Antritt wollte er sich daher von den befreundeten erfahrenen Professoren Anton Springer (1825 – 1891) und Lübke beraten lassen.35 Die allgemeinen, kunstgeschichtlichen Vorlesungen wurden von Beginn an in den anderen Abteilungen oder Schulen des Polytechnikums teilweise in die Curricula aufgenommen, so zum Beispiel für die Ingenieurschule im ersten und zweiten Curs oder in der Chemie im zweiten Curs.36 Die Lehre für die Architekten umfasste in der Anfangszeit die Architekturgeschichte der Antike, wobei diese schon bald auf Mittelalter und Renaissance und im WS 1873/74 durch eine Vorlesung zu den Denkmälern Badens und des Elsass erweitert wurde.37 In der allgemeinen Vorlesung, die in den ersten Semestern nur unter Allgemeiner Kunstgeschichte in den Verzeichnissen aufgeführt wurde, vermittelte Woltmann die Kunstgeschichte Italiens im Mittelalter und in der Renaissance, niederländische und deutsche Kunst im 15. und 16. Jahrhundert sowie griechisch-römische Plastik, jeweils auch unter Einbeziehung der Objekte in den großherzoglichen Sammlungen,38 für welche er vom damaligen Direktor der Gemäldesamm­lung Julius Lessing als wissenschaftlicher Fachberater hinzugezogen worden war, um die Präsenta34 Woltmann an Professor Baumgarten, 15. Juni 1868, GLAK 235 Nr. 30473  ; vgl. Hotz 1965. 35 Vgl. ebd. 36 Z. B. Programm der Grossherzoglich Badischen Polytechnischen Schule zu Carlsruhe für das Jahr 1870/71, S. 16, 22. »Curs« bedeutet hier Studienjahr. Eine detaillierte Auswertung der Zuordnung der Kunstgeschichte zu den anderen Studiengängen steht noch aus. 37 Vgl. Programme der Grossherzoglich Badischen Polytechnischen Schule zu Carlsruhe für das Studienjahr 1868/69 bis 1873/74. – Etliche Kunsthistoriker der Zeit (z. B. auch Wilhelm Lübke) erkundeten verstärkt nach dem Deutsch-Französischen Krieg das neu formierte Elsaß-Lothringen und seine Kunstschätze. Woltmann hatte sich schon im Zuge seiner Holbeinstudien mit dem Elsass beschäftigt, konnte dies nun in Karlsruhe durch die räumliche Nähe in eigener Anschauung intensivieren, sodass er nach einigen Aufsätzen in Fachzeitschriften dann 1876 seine Geschichte der deutschen Kunst im Elsass veröffentlichen konnte. 38 Vgl. Programme der Grossherzoglich Badischen Polytechnischen Schule zu Carlsruhe für die Studienjahre 1871/72 und 1873/74.

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tion der Gemälde neu zu konzipieren. Woltmann nahm daraufhin eine Neuhängung und teilweise Neu-Zuschreibungen von Kunstwerken vor.39 III. 1874 – 1884  : Die Erweiterung der Lehrinhalte und Lehrmittel

Im Zuge von Woltmanns Weggang nach Prag 1873 und den Diskussionen um dessen Nachfolge wurde von den Architekten verstärkt die theoretische und ästhetische Bildung für die Lehre gefordert. In der Eingabe der Direktion an das Ministerium war zu lesen, dass eine »umfassende allgemeine Bildung sowie ein hervorragendes Lehrtalent Bürgschaft dafür gewähren [müsse], daß der zu Berufende im Stande sein werde, den größten Kreisen geistig wenig vorbereiteter junger Leute nicht nur geschichtliches Wissen mitzutheilen, sondern ihre ästhetische Bildung zu fördern, ihnen eine neue Welt der Vorstellung und des Geisteslebens zu erschließen und jenen Sinn für das Ideale bei ihnen zu wecken, der gerade als Ergänzung zu der reinen berufsmäßigen und praktischen Ausbildung wünschenswerth ist.«40

Diese Formulierungen übernahm die Berufungskommission aus einem Gutachten Woltmanns vom 25. Oktober 1873, welches dieser dem verstärkten kleinen Rat der Polytechnischen Schule noch vor seiner Abreise vorgelegt und darin explizit Meyer als geeigneten Nachfolger vorgeschlagen hatte – mit Verweis auf dessen jüngst erschienenes Buch Aus der ästhetischen Pädagogik41, das »bei populärer Form doch eine wahrhaft wissenschaftliche Leistung auf dem Felde der Aesthetik und wesentlich durch Schärfe und Klarheit der philosophischen Deduktion bedeutend« sei.42 Bei der genannten Schrift handelt es sich allerdings um keine eigenständige Monografie, sondern eine Veröffentlichung von sechs öffentlichen Vorträgen, die Meyer im Berliner Verein für Familienund Volkserziehung gehalten, nachdem er bereits 1868 einen ebendort gehaltenen Vor39 Vgl. Meyer 1880, S. 305  ; Jacob-Friesen 2014, S. 80. 40 Direktion der Polytechnischen Schule an Ministerium des Innern, 11. November 1873, GLAK 235 Nr. 30473  ; vgl. Hotz 1965  ; Rürup 1965, S. 427. 41 Meyer 1873. – Woltmann und Meyer kannten sich aus Berlin und hatten gerade gemeinsam mit dem Schriftsteller Adolph Görling die vierbändige populärwissenschaftliche Reihe Deutschlands Kunstschätze herausgegeben (Woltmann, Meyer 1871 – 1872)  ; es folgten weitere gemeinsame Buchprojekte. Meyer widmete nach seiner Berufung nach Karlsruhe Woltmann seinen Sammelband früher Schriften und nannte ihn darin im Vorwort denjenigen, der ihn »auf die Bahn des Kunstschriftstellers geführt« habe (Meyer 1877, S. VII)  ; für die Zeitschrift für Bildende Kunst schrieb Meyer dann auch den Nachruf auf Woltmann (Meyer 1880). 42 Woltmann an den verstärkten kleinen Rat der Polytechnischen Schule, 25. Oktober 1865, KIT-Archiv 10001,2394  ; vgl. Hotz 1965  ; Jaeggi 2004, S. 102.

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trag unter dem Titel Das Aesthetische als Erziehungsmittel und Unterrichtsgegenstand 43 publiziert hatte, den er in der Folge einfach ergänzte und ausführlicher darlegte. Mit Meyer, zuvor Dozent an der Königlichen Kunstschule in Berlin, der die Professur auch tatsächlich bekam und annahm, erfuhr die Karlsruher Kunstgeschichte dann einige Veränderungen in der Lehre. Er setzte sich dafür ein, dass 1880 der große Hörsaal im dritten Stockwerk mit einem Projektionsapparat für die Lichtbildprojektion ausgestattet wurde  ;44 seitdem wurde diese zur gängigen Praxis in den kunstgeschichtlichen Vorlesungen. Daher wurde auch in dem Neubau des Aulagebäudes im NeorenaissanceStil von Josef Durm (1895 – 1898)45, in dem die Architektur dann ihren Platz fand, der größere und opulenter ausgestattete Hörsaal gleich von Beginn an mit einem solchen ausgestattet (zu Meyer und seinen Lehrmedien siehe den Beitrag von Maria Männig in diesem Band).46 Eine Ästhetik-Vorlesung führte Meyer allerdings nicht ein, ebenso wenig wie seine zwei Nachfolger. Erst rund 40 Jahre später hielt im Sommersemester 1913 der außerplanmäßige Professor Albert Erich Brinckmann (1881 – 1958) eine solche unter dem Titel Einführung in Geschichte und Ästhetik der Architektur.47 Die von Woltmann sich lediglich über zwei Semester erstreckende Architekturgeschichte-Vorlesung erweiterte Meyer auf eine viersemestrige Reihe Geschichte der Baukunst, wobei das vierte Semester für die Renaissance vorbehalten blieb.48 Die Themen der allgemeinen Vorlesungen, welche bis dahin vor allem das Altertum, die Skulptur und italienische Renaissance behandelt hatten, erweiterte Meyer um das 19. Jahrhundert49 und auch erstmals um 43 Meyer 1868. 44 Vgl. Jaeggi 2004, S. 102  ; Papenbrock 2006, S. 180 f.; diverse Akten Lehrmittelsammlung und Aversen für Kunstgeschichte, ab 1937 Institut für Baugeschichte (1869 – 1948)  : 7. Oktober 1880, 15. Oktober 1880, 11. Dezember 1880, 7. Januar 1881  ; alle GLAK 235 Nr. 4422. 45 Vgl. Hotz 1975, S. 41 – 47  ; Hoepke 2007, S. 85 f. 46 Vgl. Technische Hochschule Karlsruhe 1899, S. 32. – Im unmittelbaren Weitergang der Karlsruher Kunstgeschichte wurde jedoch Meyers neue technische Errungenschaft nicht weiter ausgebaut bzw. verfolgt. Sein Nachfolger Lübke nutzte lieber die Zeichnung und tradierten Lehrmedien wie druck- und fotografische Reproduktionen. Dieser für die Fachgeschichte spannende Aspekt der Nutzung unterschiedlicher Medien in der Lehre kann hier nicht vertieft werden. Er war kürzlich Gegenstand der Tagung Lehrmedien der Kunstgeschichte im Deutschen Dokumentationszentrum für Kunstgeschichte, Bildarchiv Foto Marburg (November 2018) und wird in dem gleichnamigen Tagungsband, hg. von Hubert Locher und Maria Männig, thematisiert werden. 47 Vgl. Fridericiana. Grossherzoglich Badische Technische Hochschule zu Karlsruhe, Programm für das Studienjahr 1912/1913, S. 5. 48 Vgl. Programme der Grossherzoglich Badischen Polytechnischen Schule zu Carlsruhe für die Studienjahre 1874/75 bis 1884/85. Einteilung der Vorlesungen  : Geschichte der Baukunst im Alterthum bis zum Zeitalter Alexanders des Grossen, Geschichte der etruskischen, römischen und altchristlichen Baukunst, Baukunst des Mittelalters und Baukunst der Renaissance. 49 Vgl. ebd.: Ueberblick über die Entwicklung der modernen Kunst etwa von 1789–1850 (WS 1876/77) oder Kunstgeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts (WS 1879/80, WS 1882/83).

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monografische, zu einzelnen Künstlern wie Michelangelo und Raffael50 – in Karlsruhe danach vor allem in der Ära Oechelhäuser oft wiederholte Dauerthemen.51 Zudem wurde in seiner Amtszeit im Curriculum der Architekten das Kunsthandwerk als weiteres Themengebiet eingeführt. Nach ersten Überlegungen schon seit Ende 1869, noch mit Woltmanns Beteiligung, waren in unmittelbarem Zusammenhang mit den Industrie- und Weltausstellungen mehrere Anträge zur Einführung von kunstgewerblichem Unterricht in Karlsruhe gestellt und darin umfassend dargelegt worden, welche Bedeutung dies nicht nur für die Architektenausbildung böte, deren Schule man dieses Fach klar zuordnete.52 Ein weiterer Grund für die Forcierung war auch, so ist den entsprechenden Stellungnahmen zu entnehmen, dass man mit dem benachbarten württembergischen Polytechnikum in Stuttgart konkurrieren wollte, wo bereits 1869 ein solcher Unterricht eingeführt worden war.53 Im September 1874 wurde Professor Gustav Kachel von der Landesgewerbeschule ein Lehrauftrag für die Abhaltung einer Vorlesung über Geschichte des Kunsthandwerks erteilt54, welche dieser ab 1875 bis zu seinem Tod 1882 zweistündig in zwei Teilen, mit teilweise zusätzlichen zweistündigen kunstgewerblichen Übungen, hielt, und die ab 1883 unter dem Dach der Kunstgeschichte von dem außerplanmäßigen Professor Marc Rosenberg (1852 – 1930) und nach dessen Fortgang ab dem Wintersemester 1912/13 von Brinckmann fortgeführt wurde  ; zugeordnet wurde diese Thematik dem dritten und vierten Curs, also den beiden Oberkursen im Architekturstudium.55 IV. 1885 – 1893  : Kunstgeschichte und populäre Vermittlung

Nachdem sich bis in die 1870er Jahre die Kunstgeschichte als Fachdisziplin durch die Einrichtung mehrerer Lehrstühle langsam etablieren konnte und damit eine zuneh50 Vgl. ebd.: Michelangelo (WS 1877/78), zusammen mit Raffael (WS 1880/81). 51 Oechelhäuser las Michelangelo in drei Wintersemestern (WS 1893/94, 1903/04, 1921/22), Rafael und Michelangelo in fünf Wintersemestern (WS 1906/07, 1909/10, 1912/13, 1914/15, 1917/18). Vgl. Programme der Grossherzoglich Badischen Technischen Hochschule zu Karlsruhe für die Studienjahre 1893/94 bis 1919/20. 52 Diverse Dokumente in der Akte, KIT-Archiv 10001,2394  : 11. November 1869, 25., 26., 29. November 1869, 7. Dezember 1869, 17. Juni 1874  ; vgl. Oechelhäuser 1902, S. 11 f. 53 Vgl. Prof. Wiener an den Großen Rat der Polytechnischen Schule, 26. November 1869, KIT-Archiv 10001,2394  ; vgl. Hotz 1965. 54 Vgl. Erlass des Ministeriums des Innern vom 19. September 1874, KIT-Archiv 10001,2394  ; vgl. Hotz 1965. 55 Vgl. Programme der Grossherzoglich Badischen Polytechnischen Schule zu Carlsruhe/ Grossherzoglich Badische Technische Hochschule zu Karlsruhe für die Studienjahre 1874/75 bis 1919/20  ; Technische Hochschule Karlsruhe 1892, S. LVII, LXVIII. Siehe auch die Akte Vorlesungen der dekorativen Kunst, des Kunstgewerbes und der Kleinkunst an der Technischen Hochschule Karlsruhe 1893–1917, GLAK 235 Nr. 4403.

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mende Verwissenschaftlichung einhergegangen war, die sich nach der anfänglichen Kulturgeschichte und Künstlerbiografik zunächst der Detailforschung und Spezialstudien widmete, setzten bereits recht früh die ersten Diskussionen um das Fach, dessen Inhalte und bisher etablierte Methoden ein. Jene wurden zunächst in den wissenschaftlichen Periodika geführt, aber auch zum Teil in der Tagespresse und bildungsbürgerlichen Journalen, wobei nicht selten die ab diesen Jahren verstärkt politischen, nationalstaatlichen Stellungnahmen der Kunsthistoriker gegeneinander ins Feld geführt wurden.56 Nach dem Holbeinstreit der Kunstkenner versus Kunsthistoriker, d. h. ästhetischem Urteil versus historischer Forschung, im Jahr 1871 und dem ersten Kunsthistorikerkongress 1873 in Wien wurde zunehmend die Forderung nach der Beachtung neuer formaler, stilistischer oder wahrnehmungspsychologischer, aber auch vernachlässigter Aspekte wie den ästhetischen laut.57 Diese Entwicklung des Faches wurde von den Architekturprofessoren in Karlsruhe beobachtet und beeinflusste dann auch die Diskussionen um die Nachbesetzung Meyers.58 Die Kommission war sich einig, dass die Kunstgeschichte an der Technischen Hochschule »in erster Linie als allgemein bildendes Fach« zu betrachten sei und man deshalb auch keinesfalls einen Spezialisten, sondern einen Generalisten benötigte.59 Zudem wurde wieder der Wunsch nach ästhetischen Kenntnissen des zu Berufenden geäußert  : »Sie [die Kunstgeschichte] soll für die Studierenden aller Disciplinen gleich anregend und bildend wirken, das Studium derselben soll die Empfaenglichen befähigen Kunstwerke zu genießen, auch verstehen und richtig beurteilen zu lernen.«60 Der zu Berufende solle »seine Liebe und Begeisterung für die Kunst auch auf weitere Kreise übertragen und anregend und fruchtbringend auf das Kunstleben am hiesigen Platze und im Lande wirken […]. Nicht nur das Polytechnicum allein, sondern die verschiedenen Kunstinstitute der Residenz und des Landes haben an dieser Berufung ein hohes Interesse und würden alle gewinnen, wenn ein so wichtiges Fach mit einer ausgezeichneten Kraft besetzt würde, deren Namen schon in der Welt einen guten Klang hat.«61

Diese in einem fünfseitigen Brief vom 18. Juli 1884 formulierten Gedanken von Baurat Heinrich Lang (1824 – 1893) und Durm brachten des Weiteren unter Berufung auf eine von Springer eingeholte Stellungnahme sehr deutlich die Vorbehalte der Karlsru56 Vgl. Locher 2010, S. 54, 441  ; Meyer 1880, S. 194 – 200. 57 Vgl. Locher 2010, S. 47 f., 390 f.; Bader 2013. 58 Zu den verschiedenen Kandidaten Papenbrock 2006, S. 181. 59 Vgl. Direktion an Ministerium 20. Juli 1884, GLAK 235 Nr. 30473  ; vgl. Hotz 1965. 60 Lang und Durm  : Referat über die Nachbesetzung des Lehrstuhles für Kunstgeschichte am Grosh. Polytechnikum zu Carlsruhe, Carlsruhe, 18. Juli 1884, GLAK 235 Nr. 30473, S. 1 f. (nicht in Hotz 1965). 61 Ebd.

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her Architekten gegenüber den Inhalten und der Fachkompetenz der Kunstgeschichte zum Ausdruck. Nach dem zitierten Springer, dessen Brief allerdings in den Akten nicht erhalten ist, solle sich der Kunsthistoriker an einem Polytechnikum »dem Praktiker, welcher die Baustile nach ihrer Construction erlaeutert, darstellt, fügen und lassen[,] was nicht seines Amtes ist, d. h. nicht eine Entwicklungsgeschichte der Formen zu geben versuchen. Dies führt zu leicht zu Conflicten sachlicher Natur, zumal gerade bei den Theoretikern die Neigung herrscht, in solchen Dingen ihr Licht leuchten zu lassen. Der Kunsthistoriker namentlich an einem Polytechnikum, muss sich darauf beschraenken, dass er die aeussere Geschichte der Architektur erzählt und nur den Zusammenhang mit den anderen Künsten besonders eingehend darlegt. Er wird den Bauschülern doch nur Auszüge bieten können, dem eigentlichen Fachmanne es überlassen müssen, die strengen Baukenntnisse zu überliefern. Wenn er auch für sich ein Baugelehrter ist, den Zuhörern gegenüber muss er Kunstbildung zunaechst betonen.«62

Durm und Lang ergänzten weiter  : »Das technisch oder künstlerisch Wissenswerthe, welches den Studierenden zum Producieren in einem Kunstzweige anregen und befähigen soll oder Unterweisungen in diesem Sinne zu geben, ist daher nicht Sache des Kunsthistorikers, ebensowenig wird es seine Aufgabe sein[,] am Polytechnikum Kunsthistoriker heranzubilden.«63 Mit Lübke schien nach gescheiterten Verhandlungen mit Franz Reber der geeignete Kandidat gefunden,64 der ab Sommersemester 1885 nicht nur die Professur an dem im selben Jahr in Technische Hochschule umbenannten Polytechnikum in Karlsruhe übernahm,65 sondern auch gleichzeitig die Direktorenstelle der Gemäldesammlung, der heutigen Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe. Die gewünschte Wirkung in die Stadt und deren Kunstinstitute wurde somit eingelöst.66 Überdies hatte Lübke schon viel Lehrerfahrung, auch für Architekten, vorzuweisen, da er bis dahin bereits an zwei Polytechnika gelehrt hatte  : Nach einigen Jahren als Professor für Kunstgeschichte am Eidgenössischen Polytechnikum in Zürich in der Nachfolge Burckhardts (ab 1861) hatte er 1866 die erste Professur am 1865 neu eingerichteten Lehrstuhl am Stuttgarter Polytechnikum übernommen und dort fast zwei Jahrzehnte das Fach vertreten.67 Aufgrund seiner enormen wissenschaftlichen wie populärwissenschaftlichen Publikationstätigkeit war er einer der bekanntesten Kunsthistoriker der Zeit, dem als ursprünglich ausgebildeter Pädagoge die Vermittlung an breite Bevölkerungsschichten von Beginn an ein 62 Ebd., S. 1. 63 Ebd. 64 Zu den Verhandlungen mit Reber Papenbrock 2005, S. 180 f. 65 Vgl. Hotz 1975, S. 37. 66 Vgl. Axtmann, Gawlik 2019, S. 7 – 44. 67 Vgl. ebd., S. 22 – 34.

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Bedürfnis war, weshalb auch der Großteil seiner kunsthistorischen Handbücher und Überblickswerke in erster Linie nicht an die Fachwelt gerichtet waren.68 Damit erfüllte Lübke als Generalist zusätzlich den Wunsch von Durm und Lang nach einem bekannten und reputierlichen Kunsthistoriker – sein Name hatte in der Tat »in der Welt schon einen guten Klang«.69 In Karlsruhe führte er seine vorherigen architekturgeschichtlichen Vorlesungen weiter und nutzte hierfür seine teilweise bereits in Zürich und Stuttgart verfassten Manuskripte als Grundlagen, wie man aus den in der Badischen Landesbibliothek in Karlsruhe befindlichen Exemplaren schließen kann.70 Lübke verlegte 1888 die Architekturgeschichte-Vorlesung, wie in einer Eingabe an das Ministerium zu lesen ist, »aus Mangel an Theilnahme aus den betreffenden Kreisen [und] um auch den Studirenden der anderen Fachschulen die Möglichkeit zu bieten, solchen Veranstaltungen beizuwohnen«,71 von vormittags auf nachmittags und änderte gleichzeitig die Thematik dahingehend, dass er die anderen Künste verstärkt integrierte. Der Titel der architekturgeschichtlichen Vorlesung wurde, wie Meyer zuvor schon ein paar Mal durchgesetzt und sich damit an den ersten Vorlesungen Woltmanns orientiert hatte,72 von Geschichte der Baukunst auf Allgemeine Kunstgeschichte geändert, die mit den Orientalen und Griechen begann und dann nach Epochen fortgesetzt wurde (zu der inhaltlichen Ausrichtung siehe den Beitrag von Henrik Karge in diesem Band). Bis nach Oechelhäuser blieb diese Vorlesung nun auf den Nachmittag terminiert, wie die allgemeine Vorlesung, die bereits von Anfang an auf diesen gelegt worden war. Thematisch führte Lübke die Vorlesungen zu Einzelpersönlichkeiten weiter  : Neben Raffael und Michelangelo kamen nun Dürer und Holbein hinzu sowie die Malerei des 15., 16. und 17. Jahrhunderts mit dem Schwerpunkt Italien.73 Es spiegelte sich in der Lehre also auch seine nach der ersten Italienreise 1858/59 entflammte RenaissanceLeidenschaft wider, die ihn mit zu einem der Hauptunterstützer der Neo-Renaissance 68 Vgl. ebd. (ausführliches Schriftenverzeichnis, S. 105 – 143). 69 Durm und Lang, 18. Juli 1884, GLAK 235 Nr. 30473, S. 1 (nicht in Hotz 1965). 70 Vgl. Axtmann, Gawlik 2019, S. 31 f., 43, Fußnote 182. Die Vorlesungen befinden sich in der Badischen Landesbibliothek in Karlsruhe unter der Signatur K 1296. Ein Aufsatz der Autorin zu Lübkes kunstgeschichtlichen Vorlesungen ist in Vorbereitung und wird im Tagungsband Lehrmedien der Kunstgeschichte erscheinen (vgl. Anm. 46). 71 Wilhelm Lübke an Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts, 26. April 1888, GLAK 235 Nr. 30473  ; vgl. Hotz 1965. 72 Ab Wintersemester 1881/82  ; bei Woltmann von WS 1868/69 bis SoS 1871. Vgl. Programme der Grossherzoglich Badischen Polytechnischen Schule zu Carlsruhe/ Grossherzoglich Badische Technische Hochschule zu Karlsruhe für die Studienjahre 1868/69 bis 1884/85. 73 WS 1885/86, 1890/91  : Italienische Malerei der Frührenaissance  ; WS 1889/90, 1892/93  : Die Malerei des 17. Jahrhunderts (Rubens, Rembrandt, Murillo, Velasquez und Zeitgenossen)  ; WS 1891/92  : Italienische Malerei des 16. Jahrhunderts. Vgl. Programme der Grossherzoglich Badischen Technischen Hochschule zu Karlsruhe für die Studienjahre 1884/85 bis 1893/94.

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und des Historismus werden ließ.74 Wie diese Auffassung innerhalb der Karlsruher Architekturabteilung im Austausch mit den ab dieser Zeit sich vom Historismus ab- und mehr der Avantgarde zuwendenden Architekten vielleicht zu Diskussionen führte, wäre in einem weiteren Beitrag zu untersuchen.75 V. 1893 – 1919  : Thematische Erweiterung und die Verlegung der Kunstgeschichte in die Allgemeine Abteilung

Nach dem Tod Lübkes im April 1893 wurde der Architekt und Kunsthistoriker Oechelhäuser zum Professor ernannt, der in seiner langjährigen Tätigkeit vom Wintersemester 1893/94 bis zum April 1919 auch zwei Mal das Rektorenamt innehatte (1902/03 und 1909/10).76 In den Kommissionsgesprächen, erneut angeführt von Durm und Lang, wurde auf die bereits durch Lübke bestehende Wirkung in die Stadt und den Austausch mit der Akademie sowie den Kunstsammlungen insistiert, ebenso wie eine Persönlichkeit gefordert, die »zur Kunst entflammen und begeistern können« solle77 – wohl ebenfalls mit Rückblick auf Lübke, dessen glühende Sprache und Begeisterungsfähigkeit vielfach in Nachrufen gewürdigt worden war.78 Oechelhäuser selbst betonte in seiner späteren Antrittsrede als Rektor 1902, in der er wie etliche seiner Vorgänger und Nachfolger die Aufgaben und Herausforderungen des kunstgeschichtlichen Unterrichts an einer Technischen Hochschule im Vergleich zu dem an einer Universität nach einem historischen Rückblick der Lehrstuhlgründungen bis zu seiner Zeit thematisierte, die Wichtigkeit eines begeisternden Vortrags mit folgenden Worten  : »Bezüglich der publica befinden sich die Kollegen von der Universität und der Hochschule ungefähr in gleicher Lage. Hier wie dort handelt es sich für den Vortragenden weniger um fachmännische Vertiefung in den Gegenstand, als um das Erwecken allgemeinen Interesses und Verständnisses, wie solche dem Ingenieur und Elektrotechniker ebensogut frommen, als dem Mediziner und Theologen. Hier kommt es nicht auf wissenschaftliche Maulwurfs­ 74 Vgl. Axtmann, Gawlik 2019, S. 13 – 22, 26 – 28  ; zu Lübke und der Renaissance Meier 1985. 75 Vgl. Jaeggi 2004, S. 102. 76 Vgl. Staatsministerium an Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts, 6. Juli 1893  ; vgl. Hotz 1965  ; Papenbrock 2006, S. 182 f. 77 Dr. Durm und Oberbaurath Lang, Gutachten, 26. April 1893  ; GLAK 235 Nr. 30473  ; vgl. Hotz 1965  ; zu den verschiedenen Kandidaten Papenbrock 2006, S. 182 f. In den Akten finden sich mehrere Eingaben des damaligen Professors für Geschichte und Literatur, Arthur Böhtlingk, der sich mehrmals zu geeigneten Kandidaten äußert und sich beschwert, dass er als Geisteswissenschaftler nicht in der Kommission mitarbeiten durfte. KIT-Archiv 10001,2394  : 10. Mai 1893  ; GLAK 235 Nr. 30473  : 16. Mai 1893  ; vgl. Hotz 1965. 78 Vgl. Pietsch 1877, S. 272  ; Fontane 1880, S. 344.

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arbeit, sondern auf zusammenfassenden Überblick an, mehr auf grosszügige Anschauung, als auf subtile Untersuchung, vor allem aber auf einen schwungvollen, fesselnden Vortrag. Hier heisst es  : heruntersteigen vom hohen Kothurn der Wissenschaft, nicht das Mindeste bei seinen Zuhörern voraussetzen, ihnen aber sein Bestes geben, populär sein im edelsten Sinne des Wortes, ohne oberflächlich zu werden.«79

Im Vergleich zu den vorherigen Besetzungen sind in den Berufungsakten allerdings keine ausführlichen Äußerungen hinsichtlich der Lehrinhalte zu finden, lediglich die schlussendlich für Oechelhäuser ausschlaggebende Aussage, dass »an vielen deutschen technischen Hochschulen wie Berlin, Hannover, Darmstadt etc. […] der Schwerpunkt der Architekturgeschichte in der Hand eines Architekten [liege], dessen Unterricht am fruchtbringendsten sein dürfte.«80 Deutlich wird hier die bereits angesprochene neue Ausrichtung der Architekten dieser Zeit und deren Divergenzen mit einer historischen Geisteswissenschaft, die zu einer Präferenz für einen Baugeschichtslehrenden mit Kenntnissen der konstruktiven und materialorientierten Seite der Bauten führten.81 Da Oechelhäuser nun sowohl Kunstgeschichte als auch Architektur vertreten konnte, war er letztlich der geeignetste Kandidat und nahm die Stelle auch an. Er erweiterte die viersemestrige Epochenvorlesung für die Architekten teilweise um ein Semester bis zum Barock und Klassizismus, wodurch Unregelmäßigkeiten im Curriculum der Architekten entstanden. Thematische Erweiterung erfuhren die großen Meister in der allgemeinen Kunstgeschichte  : Rubens und Rembrandt kamen als regelmäßige Vorlesungen hinzu und er plante für das Wintersemester 1919/20 auch eine erste Vorlesung zu Geschichte und Ziele der Denkmalpflege, obwohl er zum Oktober 1919 emeritieren sollte.82 Mit Ende seiner Amtszeit kam es im Sommersemester 1919 zur Verlegung der Kunstgeschichte in die Allgemeine Abteilung, die der Philosophischen Fakultät an Universitäten entsprach und der das Fach an anderen Technischen Hochschulen bereits von Beginn an angehörte.83 Hatte noch im Juli 1918 das Ministerium in einem Schreiben an den Senat – wohl auf eine erste, nicht erhaltene Eingabe – festgehalten, dass »in Übereinstimmung mit der Anschauung des Senats [man] z. Zt. keinen hinreichenden Anlass [sehe], den Lehrstuhl der Kunstgeschichte in die allgemeine Abteilung zu verlegen«,84 so war dies ein Jahr später nach etlichen Diskussionen nicht mehr abzuwenden. Die Ar79 Oechelhäuser 1902, S. 20. 80 Lang und Dr. Warth, Beilage zum Referat über die Wiederbesetzung des vakanten Lehrstuhls für Kunstgeschichte, 14. Mai 1893, GLAK 235 Nr. 30473  ; vgl. Hotz 1965. 81 Vgl. Jaeggi 2004, S. 102 f. 82 Vgl. Programme der Grossherzoglich Badischen Technischen Hochschule zu Karlsruhe für das Studienjahr 1893/94 bis 1919/1920. 83 Vgl. Papenbrock 2005, S. 61. 84 Ministerium an den Senat der Technischen Hochschule, 12. Juli 1918, GLAK 235 Nr. 30473 (nicht in Hotz 1965).

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chitekturabteilung bestand auf eine Verlegung, da die Kunstgeschichte, auch wenn sie im Curriculum der Architekten verankert sei, zu der philosophischen Fakultät gehöre. Zudem äußerte sie die Befürchtung, »daß der Kunsthistoriker als Mitglied der Abteilung einen zu großen Einfluß auf allein von den Architekten zu beherrschende Fragen erhalte, der nur dann nicht bedenklich sei, wenn der Dozent, wie jetzt Herr von Oechelhäuser[,] selbst eine bautechnische Ausbildung genossen habe.«85

In einer ausführlichen Stellungnahme der Architekturabteilung ist zu lesen, dass die ehemals eingeführte Lehre der Kunstgeschichte aus dem vorigen Jahrhundert stamme und man deshalb eben noch heute die Kunstgeschichte als Prüfungsfach habe. Allerdings sei dies eine »Verwechslung zwischen Kunst und Kunstgeschichte«, eigentlich habe man ja die baukünstlerische Seite beziehungsweise Bildung fördern wollen und nicht die Kunstgeschichte.86 In der Neuordnung der Diplomprüfung wurde daraufhin die Kunstgeschichte »auf das wirklich notwendige Maß beschränkt«87 und mehr Wert auf »Bautradition und traditionelle Formensprache«, also die Baustilkunde, gelegt. Schließlich könne man »Architektur […] lehren ohne kunstwissenschaftlichen – das heißt auch bauwissenschaftlichen Unterricht«, da »die wirklich schöpferischen Architekturepochen eine Kunstwissenschaft in unserm Sinne überhaupt nicht gehabt« haben.88 In diplomatischer Absicht wurde mehrmals beteuert, dass eine Verlegung ursprünglich nicht von der Architektur ausgegangen sei, man sich lediglich den aktuellen Neuordnungsbestrebungen anpasse, und wenn man überhaupt eine Neuausrichtung innerhalb der Architektur in Erwägung ziehen sollte, eher die Einrichtung einer Professur für Baugeschichte begrüßen würde.89 Auf dem Wege der Akten ist leider nicht mehr zu ergründen  ; vielleicht ließen sich auf Basis der Auseinandersetzungen um die Architektur- und Formsprache jener Zeit die Differenzen zwischen den Architekten und Kunsthistorikern nachzeichnen. Auf jeden Fall stand die Neuzuordnung in Zusammenhang mit den nach dem Ende des Ersten Weltkrieges angestrebten Reformen innerhalb der Karlsruher Hochschule, den bisherigen Fächerkanon vor allem in den geisteswissenschaftlichen und allgemeinbildenden Fächern zu erweitern.90

85 Rektor und Senat an Ministerium des Kultus und Unterrichts, 26. Juni 1919, GLAK 235 Nr. 30473  ; vgl. Hotz 1965. 86 Vgl. Architekturabteilung an Rektor und Senat, 28. Juni 1919, GLAK 235 Nr. 30473  ; vgl. Hotz 1965. 87 Ebd. 88 Ebd.; vgl. Papenbrock 2006, S. 183 f. 89 Vgl. Architekturabteilung an Rektor und Senat, 28. Juni 1919, GLAK 235 Nr. 30473  ; vgl. Hotz 1965. 90 Vgl. Hoepke 2007, S. 104.

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Oechelhäuser hatte im Mai 1919 noch versucht, in einem längeren Votum diese Verlegung zu verhindern.91 Seiner Meinung nach könne die Kunstgeschichte nur innerhalb der Architektur-Abteilung für die Architekten von Nutzen sein und diene eben nicht nur einer »Uebermittlung allgemeiner kunstgeschichtlicher Kenntnisse an die Allgemeinheit der Studierenden«.92 Eine Verlegung sei auch für ihn nur dann sinnvoll, wenn in der Architekturabteilung ein gesonderter Lehrstuhl für Baugeschichte eingerichtet würde93 – ein später realisierter Vorschlag. Nachdem auch die Allgemeine Abteilung einer bereits wiederholt gewünschten Verlegung mit der Begründung zugestimmt hatte, dass die »Kunstgeschichte, ebenso wie die Geschichte selbst, zu den allgemeinbildenden Fächern gehört und daher ihren natürlichen Platz in der allgemeinen Abteilung hat«,94 wurde per Beschluss vom 12. Juli 1919 die Kunstgeschichte jener zugeordnet.95 VI. 1868 – 1919  : Kunstgeschichte in Karlsruhe – Fazit und Ausblick

Die Kunstgeschichte in Karlsruhe wurde von 1868 bis 1919 für die Architekturstudierenden der Polytechnischen, später Technischen Hochschule, eingerichtet und erfüllte in diesen Jahren in erster Linie die Aufgabe der Überblicksvorlesung zur Bau- und Architekturgeschichte von der Antike bis in die Renaissance mit einem Fokus auf die jeweiligen kultur- und geisteswissenschaftlichen Kontexte. Nach einigen Jahrzehnten führten die Professoren aufgrund ihrer Forschungsinteressen sowie der Verbindungen mit den Großherzoglichen Sammlungen verstärkt kunsthistorische Themen in die Vorlesungen ein. Dies und die vorwiegend historische beziehungsweise historisierende Me91 Vgl. Oechelhäuser an Senat und Rektor, 25. Mai 1919, GLAK 235 Nr. 30473  ; vgl. Hotz 1965  ; Papenbrock 2006, S. 183 f.; Hassler 2010, S. 121, Fußnote 162. 92 Oechelhäuser an Senat und Rektor, 25. Mai 1919, GLAK 235 Nr. 30473  ; vgl. Hotz 1965. – Oechelhäuser befürwortete aufgrund des mangelnden wissenschaftlichen Rahmens an Technischen Hochschulen im Vergleich zu Universitäten auch keine Ausbildung von berufsmäßigen Kunsthistorikern. Vgl. Oechelhäuser 1902, S. 17. 93 Vgl. ebd. 94 Prof. Kranz, Abteilungsvorstand der Allgemeinen Abteilung der Technischen Hochschule an Ministerium des Kultus und Unterrichts, 29. Juni 1919, GLAK 235 Nr. 30473 (nicht in Hotz 1965). – Gleichzeitig äußerte Kranz in dieser Stellungnahme die »Gefahr […] daß beim Verbleiben der Professur für Kunstgeschichte in der Architekturabteilung später einmal diese bei der Berufung des Kunsthistorikers ihre Interessen zu einseitig zur Geltung bringen würde, da sie bei den Berufungsverhandlungen zur Zuziehung außerhalb stehender Professoren nicht verpflichtet ist, während andererseits die allgemeine Abteilung nach unseren Satzungen die Berufung des Kunsthistorikers niemals ohne Mitwirkung der Architekturabteilung vornehmen könnte. […].« Ebd. 95 Rektor und Senat der Technischen Hochschule an Ministerium des Kultus und Unterrichts, 12. Juli 1919, GLAK 235 Nr. 30473  ; vgl. Hotz 1965.

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thodik und Betrachtungsweise von Architektur und Kunst führte zu einer bis heute immer wieder neu zu verhandelnden Positionsbestimmung der Kunstgeschichte innerhalb der Architekturabteilung, was in Karlsruhe dann langfristig dazu führen sollte, dass sich die Kunst- und Baugeschichte zu eigenen Fachgebieten ausdifferenzierten.96 Diese Schwierigkeit für die Kunstgeschichte, sich innerhalb der Architekturausbildung auszurichten, hatte Oechelhäuser bereits in seiner ersten Rektoratsrede 1902 mit folgenden Worten treffend formuliert  : »Der junge Architekt soll während einer bestimmten Anzahl Semester einen möglichst vollständigen Überblick über das ganze weite Gebiet des menschlichen Kunstschaffens erhalten, oder wenigstens in die Hauptepochen eingeführt werden, nicht etwa nur im Hinblick auf ein event. Examen, sondern vom Standpunkt der allgemeinen Fachbildung aus. Natürlich ist dies nur denkbar bei weiser Beschränkung auf die Hauptsachen, umsomehr, da ja die Architektur aus nahe liegenden Gründen stets im Vordergrunde zu stehen haben wird. Wie weit dabei der Zusammenhang mit Kultur- und Zeitgeschichte zu wahren, und das litterarische oder Quellenmaterial zu berücksichtigen, wie weit die nationale Kunst zu betonen ist und dabei doch die Fühler in die Kunst der Nachbarländer oder der aussereuropäischen Kulturvölker nach rechts und links auszustrecken sind, an welchem Zeitpunkt zu beginnen, wo Halt zu machen, was zu überspringen, was besonders zu betonen, in wie weit die ältere Forschung zu berühren und lokalen Verhältnissen Rechnung zu tragen ist, diese und tausend andere dabei auftretende wichtige Fragen sind natürlich dem Ermessen des Lehrers anheim zu stellen und werden wohl überall eine andere Beantwortung finden.«97

Der weitere Fortgang der Kunstgeschichte an der Technischen Hochschule mit ­deren Wiedereingliederung in die Architekturabteilung 1937 unter Karl Wulzinger, die Neuorientierung und Umwidmung in ein reines Institut für Baugeschichte Mitte der 1950er unter Arnold Tschira (1910 – 1969), die Neueinrichtung eines Instituts für Kunstgeschichte ab 1957 mit Klaus Lankheit (1913 – 1992) oder die zumindest formelle und nominelle ›Wiedervereinigung‹ in ein Institut für Kunst- und Baugeschichte ab 2009 und die Rolle innerhalb des im selben Jahr konstituierten KIT als Forschungsuniversität in der Helmholtz-Gesellschaft sind nun jedoch andere Themen in der wechselvollen Karlsruher Kunstgeschichte, die Lankheit betreffend von Buket Altinoba in diesem Band behandelt werden. Für die Nachbesetzung der Professur für Baugeschichte 2017/18 wurde jüngst die Denomination von Baugeschichte in Bau- und Architekturgeschichte geändert – eine Definitions- und Verständnisfrage des Fachs Baugeschichte, die vielleicht Gegenstand einer weiteren Tagung sein könnte.

96 Vgl. Jaeggi 2004, S. 102 f.; Papenbrock 2006, S. 184 – 187. 97 Oechelhäuser 1902, S. 19.

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Die Etablierung der Kunstgeschichte am Karlsruher Polytechnikum

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Alexandra Axtmann

Waller (Hg.)  : Franz Theodor Kugler. Deutscher Kunsthistoriker und Berliner Dichter, Berlin 2010, S.  83 – 104. Karge 2020 – Henrik Karge  : The Formation of Global Architectural History in the Middle of the 19th Century. Wilhelm Lübke’s ›Geschichte der Architektur‹ (1855) in the Context of the Art Historical Works of Karl Schnaase and Franz Kugler, in  : Petra Brouwer, Martin Bressani, Christopher Drew Armstrong (Hg.)  : World Histories of Architecture. The Emergence of a New Genre in the Nineteenth Century, Princeton, NJ, 2020 (im Druck). Karge 2020/21 – Henrik Karge  : Die Genese der modernen Kunstgeschichte im 19. Jahrhundert. Schnaase – Kugler – Burckhardt – Semper, Hildesheim 2020/21 (in Vorbereitung). Locher 2010 – Hubert Locher  : Kunstgeschichte als historische Theorie der Kunst 1750 – 1950, 2., korr. u. um ein Nachw. erg. Auflage, München 2010. Lützow 1871 – Carl von Lützow  : Ergebnis der Dresdner Holbein-Ausstellung, mit Erklärung der 14 Kunsthistoriker zur Echtheit des Darmstädter Exemplars, in  : Zeitschrift für Bildende Kunst 6 (1871), S. 349 – 355. Meier 1985 – Nikolaus Meier  : Wilhelm Lübke, Jacob Burckhardt und die Architektur der Renaissance, in  : Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde 85 (1985), S. 151 – 212. Meyer 1868 – Bruno Meyer  : Das Aesthetische als Erziehungsmittel und Unterrichtsgegenstand. Vortrag, gehalten und herausgegeben zum Besten des Vereins für Familien- und Volkserziehung in Berlin am 16. Januar 1867, Berlin 1868. Meyer 1873 – Bruno Meyer  : Aus der ästhetischen Pädagogik, Berlin 1873. Meyer 1877 – Bruno Meyer  : Studien und Kritiken, Stuttgart 1877. Meyer 1880 – Bruno Meyer  : Alfred Woltmann (Nachruf ), in  : Zeitschrift für Bildende Kunst 15 (1880), S.  193 – 200, 242 – 250, 301 – 315. Oechelhäuser 1902 – Adolf von Oechelhäuser  : Der kunstgeschichtliche Unterricht an den deutschen Hochschulen. Festrede bei dem feierlichen Akte des Rektorats-Wechsels an der Grossherzoglichen Technischen Hochschule zu Karlsruhe am 15. November 1902, gehalten von dem Rektor des Jahres 1902/03, Karlsruhe 1902. Papenbrock 2005 – Martin Papenbrock  : Kunstgeschichte an Technischen Hochschulen in Deutschland in den Jahren 1933 bis 1945. Das Beispiel Karlsruhe, in  : Nikola Doll, Christian Fuhrmeister, Michael H. Sprenger (Hg.)  : Kunstgeschichte im Nationalsozialismus, Weimar 2005, S.  61 – 70. Papenbrock 2006 – Martin Papenbrock  : Der Lehrstuhl für Kunstgeschichte in Karlsruhe. Ein Rückblick, in  : Katharina Büttner, Martin Papenbrock (Hg.)  : Kunst und Architektur in Karlsruhe. Festschrift für Norbert Schneider, Karlsruhe 2006, S. 179 – 191. Pietsch 1877 – Ludwig Pietsch  : Wilhelm Lübke, in  : Nord und Süd. Oktober 1877, S. 268 – 280. Rürup 1965 – Reinhard Rürup  : Friedrich Theodor Vischer und die Anfänge der Kunstgeschichte an der Technischen Hochschule in Karlsruhe, in  : Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 113 (1965), S. 415 – 427. Technische Hochschule Karlsruhe 1892 – Technische Hochschule Karlsruhe (Hg.)  : Festgabe zum Jubiläum der vierzigjährigen Regierung seiner königlichen Hoheit des Grossherzogs Friedrich von Baden in Ehrfurcht dargebracht von der Technischen Hochschule in Karlsruhe, Sonderabdruck, Carlsruhe 1892. Technische Hochschule Karlsruhe 1899 – Technische Hochschule Karlsruhe (Hg.)  : Die Groß-

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Die Etablierung der Kunstgeschichte am Karlsruher Polytechnikum

herzoglich Technische Hochschule Karlsruhe. Festschrift zur Einweihung der Neubauten im Mai 1899, Stuttgart 1899. Woltmann, Meyer 1871 – 1872 – Alfred Woltmann, Bruno Meyer  : Deutschlands Kunstschätze. Eine Sammlung der hervorragendsten Bilder der Berliner, Dresdner, Münchner, Wiener, Casseler und Braunschweiger Galerien. Eine Reihe von Porträts der bedeutendsten Meister. Mit erläuterndem Text von Adolph Görling. Mit biographischen Notizen von Alfred Woltmann, Bruno Meyer, 4 Bde., Leipzig 1871 – 1872.

Quellen

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Gáspár Salamon

Architekturgeschichtslehre an der Josephs-Technischen Hochschule Budapest Kompilationspraxis als Wissenstransfer und Selbstverortung in der öffentlichen Architekturdiskussion (1871 – 1902)1

Die vorliegende Studie setzt sich mit einem Segment der inhaltlichen Tendenzen in der ungarischen Architekturlehre des ausgehenden 19. Jahrhunderts auseinander  : Prakti­ ken, Strategien und Motive der Fachliteraturverarbeitung und -kompilation in Bezug auf die architekturhistorischen Vorlesungen an der Josephs-Technischen Hochschule Budapest werden anhand von Vorlesungsskripten und Mitschriften untersucht. Am Beispiel der regen Rezeption von Überblickswerken der ›Berliner Schule der Kunstge­ schichte‹ in der Architekturgeschichtslehre lassen sich dabei die Transformation der Fachliteratur zum Lehrmaterial und zugleich die Anknüpfungspunkte dieses Wissen­ stransfers an die aktuelle Architekturdiskussion und Baupraxis aufzeigen.

I. Einführung und Problemstellung

Streng genommen kann die im Jahre 1864 am Josephs-Polytechnikum in Buda etablierte Professur für Architektur und Kunstgeschichte als der erste Lehrstuhl in Ungarn betrachtet werden, dessen Fokus auf der Kunstgeschichte als historische Disziplin lag.2 Am 1856 gegründeten Josephs-Polytechnikum stellte Architektur bis dahin einen 1 In der Arbeit werden Zwischenergebnisse aus meinem am Institut für Kunst- und Bildgeschichte der Humboldt-Universität zu Berlin laufenden Dissertationsprojekt über die ungarische Architekturlehre veröffentlicht. Mein besonderer Dank gilt dem Betreuer der Dissertation, Kai Kappel, sowie Katja Bernhardt für ihre Hinweise und Anregungen. Tamás Csáki und Pál Ritoók danke ich für ihre Hilfe bei der Lokalisierung etlicher der hier präsentierten Manuskripte. 2 Die Bezeichnung der Professur in Originalsprache lautet ›Mű- és díszépítési tanszék‹. Die hier verwendete deutsche Variante wurde von einem deutschsprachigen Jahresausweis aus dem Jahr 1868 übernommen, auf dem Antal Szkalnitzky als »provis. Professor der Architektur und Kunstgeschichte« genannt wird. (Budapesti Műszaki és Gazdaságtudományi Egyetem, Levéltár [Archiv der Technischen und Wirtschaftswissenschaftlichen Universität Budapest], 2/b/19. 1868/69. 715). Die Professur für Kunstgeschichte an der Universität Budapest wurde im Jahr 1872 unter der Führung von Imre Henszlmann, dem Nestor der ungarischen Kunstgeschichtsschreibung, ins Leben gerufen. Wenngleich es durchaus lohnend wäre, die disziplinäre und institutionelle Entwicklung der ungarischen ›professionellen‹ Kunstgeschichtswissenschaft in der vorliegenden Arbeit einzubeziehen und dadurch die ›polytechnische‹ kunstgeschichtliche

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Gáspár Salamon

lediglich geringen Teil des vorgesehenen Curriculums im Ingenieurstudium dar. Der defizitäre Zustand der Architektenausbildung3 wurde 1863 vom Rat des Josephs-Polytechnikums so konstatiert  : »Die Architekturlehre am Polytechnikum in Buda kann nur die Ansprüche eines zukünftigen Ingenieurs befriedigen, wobei diese die Konstruktion monumentaler Bauten nicht umfassen kann.«4 Zur Verstärkung der Architektenausbildung wurde der an der Berliner Bauakademie ausgebildete Architekt Antal Szkalnitzky (1836 – 1878) im Jahre 1864 berufen. Zu den Lehrzielen der neu gegründeten Professur zählten dabei »die Erlernung verschiedener Baustile und die Entfaltung des […] Kunstsinns«.5 Die erwähnten Äußerungen kündigen bereits die Position beziehungsweise die Funktionalisierung der Architekturgeschichtslehre in der Architektenausbildung an. Zum einen stand ›monumental‹ im Sprachgebrauch der zeitgenössischen kunsthistorischen Forschung für den historischen und ästhetischen Mehrwert von alten Baudenkmälern und der Monumentalcharakter mag deshalb in diesem Zusammenhang auf eine Entwurfspraxis hindeuten, die mit formalen Analogien und Zitaten aus historischen Bauten operiert. Diese setzte das eingehende historische Studium der Architektur voraus.6 Zum anderen verweist die »Entfaltung des Kunstsinns« auf die Standardisierung der geschmacklichen Allgemeinbildung der Architekten, wobei – wie im Folgen­ den gezeigt wird – der Historizität eine beinahe normative Bedeutung eingeräumt wurde. Neue, mit dem historischen Studium der Baukunst verbundene Lehrbereiche, wie die praktische Formenlehre und die theoretisch orientierte Entwicklungsgeschichte, kamen noch akzentuierter vor, nachdem bei der Neuorganisation des Polytechnikums als Josephs-Technische Hochschule (in der Folge TH Budapest)7 im Jahre 1871 und der Etablierung des eigenständigen Lehrgangs für Architektur 1874 weitere Professoren für Architektur berufen worden waren und die Lehre eine Neuprofilierung erfuhr.8 Im Anschluss an Szkalnitzkys Weggang wurden die beiden Lehrstühle für Architektur und Kunstgeschichte mit zwei jungen, aber bereits etablierten Architekten, Imre Steindl (1839 – 1902) und Alajos Hauszmann (1847 – 1926), besetzt. Sie dozierten – später um weitere Kollegen ergänzt – die Formenlehre und Geschichte der Architektur, jeweils mit

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Tätigkeit als einen eher rezeptiven als produktiven Sonderzweig jener zu kontextualisieren, würde dies weit über den thematischen Rahmen und Umfang dieser Studie hinausreichen. Zur Geschichte der ungarischen Kunstgeschichte grundlegend  : Marosi 1983. Da weibliche Studierende in Budapest erst nach Ende des hier untersuchten Zeitraums zugelassen wurden, wird im Folgenden ausschließlich die männliche Form verwendet. Magyar Nemzeti Levéltár, Magyar Országos Levéltár [Ungarisches Nationalarchiv, Staatsarchiv, in der Folge  : MNL OL], D220/142. Fol. 200 [Übersetzung d. Verf.]. MNL OL, D220/143. Fol. 638 [Übersetzung d. Verf.]. Jüngst und weiterführend Rüdiger 2015, insb. S. 186 – 192, 227. Der Einfachheit halber wird auf die Institution als ›TH Budapest‹ verwiesen, wiewohl die ungarische Hauptstadt unter diesem Namen erst im Jahre 1873 vereinigt wurde. Über die Institutionalisierung der ungarischen Architektenausbildung grundlegend Szentkirályi 1971, zusammenfassend Salamon 2019.

Architekturgeschichtslehre an der Josephs-Technischen Hochschule Budapest

Vorlesungen und Übungen, sowie die Entwurfslehre in den darauffolgenden Jahrzehnten nach historischen Epochen beziehungsweise Stilen strukturiert. Unter diesen Prämissen wird in der vorliegenden Arbeit die auffallend dominante Rezeption der Handbücher der ›Berliner Schule der Kunstgeschichte‹ in der Architekturgeschichtslehre an der TH Budapest problematisiert. Die ›Schule‹ als willkürliche historiografische Kategorie wird oft von einer gewissen Durchlässigkeit bezüglich ihrer ›Mitgliedschaft‹ gekennzeichnet.9 Im vorliegenden Fall ist diese Problematik besonders relevant, weil es sich um eine ortsbezogene Kategorisierung von Gelehrten handelt, die relativ häufig ihren Wohn- und Arbeitsort wechselten, wie etwa Karl Schnaase oder Wilhelm Lübke. Dennoch werden beide zusammen mit Franz Kugler als Teil der ›Berliner Schule der Kunstgeschichte‹ wahrgenommen.10 Über ihre längere oder kürzere Berliner Tätigkeit hinaus verbinden sie – unter anderen – zwei Charakteristika,11 die angesichts der aktuellen Problemstellung von großer Signifikanz sind  : Zum einen das Anliegen, kunsthistorisches Wissen durch Handbücher zu synthetisieren und zu verbreiten, welche von einer möglichst alle Völker und Epochen umfassenden Totalität gekennzeichnet sind und zugleich die bis dahin monografisch aufgearbeiteten Wissensfragmente in die klare Struktur einer ›allgemeinen Kunstgeschichte‹ einordnen.12 Kuglers Handbuch der Kunstgeschichte (1841/42) und Geschichte der Baukunst (1856 – 1859), die sie­benbändige Geschichte der bildenden Künste von Schnaase (1843 – 1864) und Lübkes Geschichte der Architektur (1855) sollen hier in erster Linie Erwähnung ­finden.13 Zum anderen ist für die ›Berliner‹ eine Synopse der Historie der Kunst und deren Gegenwartsrelevanz bezeichnend.14 Dies exemplifizieren die Schlüsselkapitel der Handbücher von Kugler und Lübke über die Gegenwartskunst (oder -architektur) als Fazit ihrer ­kunsthistorischen   9 Vgl. hierzu die kritischen Anmerkungen von Dilly 2012, S. 30 – 34. 10 Karge 2010a, S. 98 – 99 zählt zu Recht auch Lübke zur ›Berliner Schule der Kunstgeschichte‹ (siehe Kultermann 1966, S. 161 – 175  ; Bickendorf 2007), denn er agierte intensiv im Berliner Kreis und hielt sich konsequent an das auf das Verfassen von kunsthistorischen Handbüchern gerichtete Programm Kuglers und Schnaases. 11 Zu weiteren Aspekten siehe Schalenberg 2010, S. 114 – 116. 12 Vgl. hierzu in erster Linie Karge 2010a sowie Schwarzer 1995 S. 25 – 28  ; Karge 2012. 13 Kugler 1842  ; Schnaase 1843 – 64  ; Lübke 1855  ; Kugler 1856 – 59. Über die einzelnen Überblickswerke  : Karge 2010a  ; Karge 2012, S. 35 – 40  ; Karge 2016  ; Engel 2016  ; Brouwer 2018. – In der vorliegenden Arbeit wird grundsätzlich auf die Erstausgaben verwiesen. Bei der Auswertung einzelner Vorlesungsskripte und Mitschriften werden allerdings jene berücksichtigt, die zur Zeit der Entstehung der jeweiligen Manuskripte als aktuellste Ausgaben für die Professoren aller Wahrscheinlichkeit nach greifbar waren – anhand der immer noch erhaltenen Bestände der damaligen Zentral- und Zweigbibliotheken der TH Budapest, sowie eines jüngst veröffentlichten Inventariums (hierzu Krähling, Fehér, Jobbik 2018). Eine Ausnahme bildet Steindl, da im Manuskript deutlich auf die fünfte Ausgabe der Geschichte der Architektur hingewiesen wurde. 14 Vgl. hierzu Podro 1982, S. 31 – 43. Über die zukunftsgerichtete Aktualisierung kunsthistorischen Wissens siehe Karge 2013, S. 4 – 17.

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Überblicke,15 oder aber das, was Lübke in seinen Lebenserinnerungen über seine fruchtbaren Berliner Jahre in den ausgehenden 1850er Jahren zurückblickend formulierte  : »Sich von den Schöpfungen, die aus dem Strom unsrer Zeit auftauchen, und in denen unser eignes Denken und Empfinden pulsirt, stolz und vornehm abzuwenden, habe ich niemals für die Aufgabe des Kunsthistorikers gehalten. Vielmehr soll er an der Hand der von ihm erforschten Vergangenheit die Gegenwart zu verstehen suchen.«16

Diese Ansicht teilte ebenfalls Schnaase in seinem Archäologischen Rückblick auf das Jahr 1857  : »Die heutige Kunst ist eben nur die Nachfolgerin der früheren, sie hat ein nahes und lebendiges Interesse, mit ihr in Verbindung zu bleiben.«17 In demselben Aufsatz positionierte er sich gegen die Zeitschrift Organ für christliche Kunst und damit die durch August Reichensperger repräsentierte Richtung der ultramontanen, den deutschen politischen Katholizismus verkörpernden Kölner ›Gotiker‹.18 Schnaase übte dabei nicht bloß an der von den Kölnern geforderten exklusiven Verwendung der Gotik in der Gegenwartsarchitektur Kritik, sondern er verteidigte auch Lübke, der im Organ mehrfach angegriffen worden war  ;19 allem voran, da er das Verständnis der Gotik als »das ›alleinseligmachende‹ Prinzip der modernen Architektur« missbilligte.20 Auch Henrik Karge hat darauf verwiesen, dass dieser Zusammenhalt der ›Berliner‹ in dieser turbulenten Debatte im Todesjahr Kuglers symbolisch die wissenschafts- und weltanschauliche Kohärenz der ›Schule‹ darstellte,21 gerade in einer Polemik, die um die zeitgenössische Anwendbarkeit der historischen Stilrichtungen, sprich um die Möglichkeiten und Aussichten einer ›kunsthistorischen Architektur‹ entflammte.22 Die Problemstellung aus einer Doppelperspektive steht mit den oben skizzierten zwei Wesenszügen der ›Berliner Schule der Kunstgeschichte‹ im Einklang. Die R ­ ezeption ihrer Handbücher in der Architekturgeschichtslehre an der TH Budapest wird im vorliegenden Beitrag als ein zweistufiger Transfer problematisiert  : Einerseits wird die Rolle der Handbücher als Wissensvermittler hinterfragt  : Auf welche Art und Weise sind sie 15 Kugler 1842, S. 853 – 860  ; Lübke 1855, S. 376 – 380. Zum Ersteren siehe Karge 2013, S. 7. 16 Lübke 1891, S. 213. 17 Schnaase 1858, S. 144. 18 Hierzu grundlegend Lewis 1993. 19 o. A. 1856a  ; o. A. 1856b  ; o. A 1857. 20 Lübke 1855, S. 379. Vgl. mit der Reaktion des Organ-Zirkels  : o. A. 1856b, S. 166 – 168. 21 Karge 2010a, S. 98 – 99. Zur Person Lübkes und seiner Tätigkeit in dem Berliner Zirkel siehe den Aufsatz von Henrik Karge im vorliegenden Band sowie Axtmann, Gawlik 2019, S. 9 – 23. 22 Der Begriff wurde von Badstübner 2006, S. 286, übernommen, der die Problematik der Reziprozität kunsthistorischer Forschung und historischer Architekturzitate am Beispiel von Berliner Bauten analysierte. Mit ähnlicher Annäherung untersucht Karge 2008 die Verflechtungen der kunsthistorischen Diskussion und der Praxis der Neorenaissance in Paris, Dresden, Berlin und Budapest.

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Architekturgeschichtslehre an der Josephs-Technischen Hochschule Budapest

in der Lehre rezipiert worden und was veränderte sich im Zuge des Wissenstransfers  ?23 Grundsätzliches Erkenntnisinteresse liegt in der Frage, wie wissenschaftliche Erzeugnisse einer ›allgemeinen Kunstgeschichtsschreibung‹ an bestimmte Ziele, Aufgaben und Methoden der Architekturlehre angepasst wurden. Andererseits ist auszuloten, wie beim Kompilieren die verschiedenen Auffassungen und Wertvorstellungen der Überblickswerke in puncto Gegenwartsbezug der historischen Architektur übernommen oder aber abgelehnt wurden.24 Hierbei soll eine Art Selbstpositionierung der ungarischen Profes­ soren im zeitgenössischen öffentlichen Gespräch über das Bauen ersichtlich werden, die aus den Lehrinhalten erkennbar wird. All dies vor dem Hintergrund öffentlicher Diskussion über die aktuelle Bautätigkeit und die damit verbundenen strategischen Aussichten der ungarischen Architektur, die im ausgehenden 19. Jahrhundert und um die Jahrhundertwende immer lebhafter geworden ist. Diese bezog sich hauptsächlich auf die Auseinandersetzung über ästhetische Positionen, die Reflexionen über die gesellschaftlichen und politischen Ansprüche an die Architektur (mit Rückbezug auf das Berufsbild) sowie auf Standes- und Gruppeninteressen der ungarischen Architekten. Die Medien waren dabei hauptsächlich fachinterne oder aber an die breitere Öffentlichkeit gerichtete Periodika.25 Der vorliegenden Studie liegt die Darstellung von Kompilationspraktiken der Professoren mithilfe der Analyse erhaltener Vorlesungsskripte und Mitschriften zugrunde.26 Da die Quellenauswahl bei der Rekonstruktion der Lehrpraktiken einer Institution an sich stets eine interpretative Selektion darstellt, ist die Klärung der Auswahlkriterien unerlässlich  : Die Wahl fiel dabei auf Manuskripte, die mit der Kunst- und Architekturgeschichte inhaltlich verbunden sind und sich mit Sicherheit oder großer Wahrscheinlichkeit bestimmten Lehrveranstaltungen im Lehrprogramm der TH Budapest zuordnen lassen.27 Die auszuwertenden Manuskripte gehören zudem zu Professoren, die als wirkungsreiche Hochschullehrer jahrzehntelang tätig waren und als führende Köpfe des ungarischen Architekturdiskurses und der -produktion wahrgenommen wurden (und immer noch werden). Bezüglich der Diversität der präsentierten Quellengattungen ist noch bemerkenswert, dass sie unterschiedliche Rezeptionsebenen darstellen  : So erlaubt ein autografisches Vorlesungsskript einen engeren philologischen Umgang, während 23 Vgl. hierzu weiterführend Ash 2006. 24 Die Handbücher vermittelten nämlich nicht nur historisches Wissen, sondern sie stellten hierdurch auch ästhetische Kanons auf. Siehe Locher 1999. 25 Hierzu gibt Sisa 2016, S. 452 – 455 einen ausführlichen Überblick. 26 Der Ausdruck ›Kompilation‹ ist nicht unbedingt abwertend gemeint, sondern er betont die praktischen Bezüge der Fachliteraturrezeption. 27 Über die hier dargestellten Archivalien hinaus existieren in ungarischen Archiven und im Privatbesitz weitere mutmaßlich im Zusammenhang mit der Architekturlehre entstandene architekturhistorische Notizen, die aber – bis dato – mit konkreten Lehrveranstaltungen der TH Budapest nicht verknüpfbar waren oder aber geringeren Quellenwert besitzen.

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die von den Studierenden notierten Mitschriften oder eine Abschrift, angefertigt von einem Professorenkollegen, vielmehr annähernde strukturelle oder inhaltliche Tendenzen erkennen lassen. Schließlich können die jeweiligen Quellen im Bezugshorizont der ›Berliner Schule der Kunstgeschichte‹ verschiedenartig verortet werden, wobei die Art und Weise der Rezeption sich zwischen den Gegenpolen einer bloßen neutralen Übertragung des Faktenmaterials ihrer Handbücher und einer ausgesprochenen Wahlverwandtschaft mit der Kunstanschauung der ›Berliner‹ bewegt. II. Rekonstruierte Vorlesungszyklen II.1. Antike und altchristliche Architektur von Alajos Hauszmann

Im Teilnachlass Alajos Hauszmanns im Ungarischen Architekturmuseum ist das Manuskript eines Vorlesungszyklus über die antike sowie die altchristliche Architektur erhalten.28 Im Text lassen sich zahlreiche spätere Modifikationen wie hinzugefügte Randbemerkungen, begriffliche Präzisierungen und die Streichungen einiger Textteile beobachten. Dies deutet darauf hin, dass der Text in der Tat als Vorlesungsskript Verwendung fand, wobei die Abwandlungen Änderungen von Lehrkonzeptionen und Unterrichtspraktiken markieren. Der Haupttext wird weiterhin von eingesetzten oder gar seitenfüllenden Illustrationen ergänzt. Das Manuskript ist nicht präzise datierbar, entstand aber höchstwahrscheinlich um 1870.29 In der Textgliederung markieren die folgenden Kapitel beziehungsweise Stichpunkte die thematischen und inhaltlichen Schwerpunkte des Textes  : »Hellenische oder griechische Architektur« (mit den Unterkapiteln »Dorischer Stil«, »Ionischer Stil«, »Korinthischer Stil«, »Epochen«), »Etruskische Kunst«, »Römische Architektur«, »Altchristliche Epoche« (mit den Unterkapiteln »Monumente von Ravenna«, »Monumente von Byzanz«, »Monumente im Norden«).30

28 Magyar Építészeti Múzeum és Műemlékvédelmi Dokumentációs Központ, Magyar Építészeti Múzeum [Un­garisches Architekturmuseum und Dokumentationszentrum für Denkmalpflege, Ungarisches Architekturmuseum, in der Folge  : MÉM MDK], Inv. Nr. 69. 018. 27. 170 × 205 mm, Tusche und stellenweise Bleistift auf Papier, insg. 32 Folien mit 1 – 72 nummerierten Seiten (die Seiten 33 – 40 fehlen), mit 41 Abbildungen. Die Spuren eines früheren Einbandes sind erkennbar. Nach dem Schriftbild handelt es sich um die Handschrift von Hauszmann. 29 Das Anfangsjahr von Hauszmanns Lehrtätigkeit (1868) bietet einen möglichen Terminus post quem  ; es können noch weitere zeitliche Einschränkungen aus dem Maßstabsystem des Textes geschlossen werden. Die konsequente Verwendung des Fußmaßstabs sowie dessen spätere Umrechnung in Meter (im Text wurden die alten Werte gestrichen und die neuen darübergeschrieben) verweisen auf die Entstehung des Manuskriptes vor dem 1875/76 erfolgten Beitritt Österreich-Ungarns zur internationalen Meterkonvention und deuten somit zugleich auf seine Benutzung in der weiteren Folge hin. 30 MÉM MDK, Inv. Nr. 69. 018. 27 (Anm. 28) [Übersetzungen d. Verf.].

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Das Manuskript ist gemäß der Datierung wohl während der Anfangsphase der Tätigkeit Hauszmanns als Hochschullehrer entstanden. Er begann sein Architekturstudium 1864 am Josephs-Polytechnikum unter Antal Szkalnitzky und auf den Rat seines Lehrers hin bildete er sich zwischen 1866 und 1868 an der Berliner Bauakademie weiter. Von Berlin aus nahm Hauszmann den Ruf Szkalnitzkys zur Assistentenstelle am Polytechnikum in Buda im Jahre 1868 an und stieg vier Jahre darauf zum ordentlichen Professor auf. Anfangs dozierte Hauszmann als Assistent technisches und Ornamentenzeichnen und stellvertretend die Lehrveranstaltungen Szaklnitzkys.31 Als ordentlicher Professor hielt er dann die Übungen und Vorlesungen in der Baukonstruktionslehre, in der Formenlehre und Geschichte der Architektur sowie im Entwerfen in historischen Stilen.32 Die inhaltliche Ausrichtung des Vorlesungsskriptes stimmt nun mit dem Lehrprofil zweier Vorlesungen Hauszmanns über die Antike, und zwar der Architekturgeschichte I und der Architektonischen Formenlehre I überein.33 Auch wenn der Text keine Quellenangaben enthält, lassen sich die im Zuge der Zusammenstellung des Lehrmaterials verwendeten Bücher und Bildsammlungen mithilfe textlicher und visueller Entsprechungen mit Gewissheit zuordnen. Das ganze Textmaterial des Vorlesungsskriptes beruht auf dem Grundriss der Kunstgeschichte aus der Feder von Wilhelm Lübke34 (Abb. 1 – 2). Von demselben Werk her rührt die Mehrheit der Zeichnungen, ergänzt durch Illustrationen aus Karl Böttichers Tektonik der Hellenen und dem Werk von Johann Matthäus Mauch mit dem Titel Die architektonischen Ordnungen der Griechen und Römer und der neueren Meister.35 Mit Lübkes Grundriss wurde, laut dem Vorwort des Verfassers, eine Darstellung der »grossen Grundzüge des Entwicklungsganges« der bildenden Künste zum Ziel gesetzt, die »auf das Studium der umfassenden Werke Kugler’s und Schnaase’s« vorbereiten würde.36 Das Werk war folglich ein an breiteres Publikum adressiertes Derivat von den programmatischen Überblickswerken der ›Berliner Schule‹. Die philologische Analyse des Vorlesungsskriptes durch den Vergleich mit dem Grundriss verweist darauf, dass wortwörtlich übertragene Textteile aus Lübkes Werk seinen Haupttext bilden. Eine genaue Befolgung des Originaltextes zeigt sich dabei sowohl durch eine wortgetreue Übersetzung als auch durch die Entlehnung der Gliederung des Grundrisses. Die entsprechenden Kapitel Lübkes sind »Die griechische Architektur«, »Die römische Architektur«, »Die altchristliche Architektur«.37 Einige Charakteristika der Übertragung lassen eine gewisse Unerfahrenheit und Unsicherheit Hauszmanns in der Übersetzungspraxis erahnen. Etwa die direkte Übernahme syntaktischer Ver31 Hauszmann 1995, S. 53. 32 Lehrprogramm 1874, S. 18. 33 Ebd. 34 Lübke 1864. 35 Mauch 1862  ; Bötticher 1862. 36 Lübke 1864, S. VII. 37 Lübke 1864, S. 80 – 105, S. 172 – 192, S. 212 – 134.

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Abb. 1  : Alajos Hauszmann  : Vorlesungsskript zur Antike und altchristlichen Architektur, um 1870. Quelle  : Magyar Építészeti Múzeum és Műemlékvédelmi Dokumentációs Központ, Magyar Építészeti Múzeum [Ungarisches Architekturmuseum und Dokumentationszentrum für Denkmalpflege, Ungari­ sches Architekturmuseum], Inv. Nr. 69.018.27, S. 12.

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Abb. 2  : Wilhelm Lübke  : Grundriss der Kunstgeschichte, Stuttgart 21864, S. 85.

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bindungen des deutschen Originaltextes, welche das Verständnis in ungarischer Sprache kaum begünstigte, geschweige denn in einer mündlichen Lehrsituation. Mehrere spätere Modifikationen der Zeichensetzung und der Satzbildung zeigen, dass Hauszmann – wahrscheinlich bereits wegen seiner Lehrerfahrungen – die sprachliche Feinabstimmung des Textes für erforderlich hielt. Der Mangel an einer konsensuell etablierten architekturhistorischen Terminologie in der ungarischen Sprache mündete wiederum darin, dass Hauszmann an mehreren Stellen entweder die originalen griechischen Begriffe, gegebenenfalls mit der Angabe des deutschen Äquivalents in Klammern, oder eigenschöpfte ungarische Termini verwendete.38 II.2. Renaissance- und Barockarchitektur von Alajos Hauszmann

Das Archiv des Kiscell-Museums in Budapest bewahrt zwei weitere Dokumente auf, die über Hauszmanns Vorlesungen Auskunft geben. Es handelt sich um zwei Mitschriften im Nachlass des ungarischen Architekten Kálmán Löllbachs. Ein Manuskript wurde entsprechend den einzelnen Vorlesungen präzise datiert, wonach es zwischen 27. September 1900 und 18. Mai 1901 entstanden ist (Abb. 3).39 Die zweite Mitschrift mit dem launigen Titel »Architekturgeschichte der Renaissance, beziehungsweise die kontinuierliche Mitschrift zu den Vorlesungen des göttlichen H[auszmanns]«40 wurde von einem Mitschüler Löllbachs, Ferenc Császár, ebenso im akademischen Jahr 1900/1901 verfasst.41 Zu welcher Lehrveranstaltung der TH Budapest die reich illustrierten Mitschriften gehören, legen die Datierungen Löllbachs nahe  : Vergleicht man diese – in die Jahreskalender der Jahre 1900 und 1901 eingetragen – mit dem zeitgenössischen Stundenplan des Lehrganges für Architektur,42 so erweisen sich die Mitschriften als zugehörig zu Hauszmanns Kurs Architekturgeschichte der Renaissance, der im vierten – gemäß der Studienordnung letzten – Jahrgang unterrichtet worden ist  ; im ersten Semester machte er als Vorlesungen drei Stunden wöchentlich aus, wobei dieselben Vorlesungen 38 So liest man etwa auf Seite 11. des Vorlesungsskriptes  : »A Fris felett hatalmas kiugrással fekszik a főpárkány Geyson, alsó lapján megfelelő összhangzatban a Metopek és Triglypheknek az ugynevezett Mutuli (Dillenköpfe), […]«. Vgl. Lübke 1864, S. 85. – Des Weiteren stehen im Text manche durch Hauszmann improvisierten ungarischen Varianten, die in der später verfeinerten Fachsprache nicht kanonisiert wurden. So steht im Text »Kupolya« für die Kuppel (S. 47.) oder aber »felálló csurgó« für die Sima (S. 7.). 39 Budapesti Történeti Múzeum, Kiscelli Múzeum, Térkép-, Kézirat, és Nyomtatványgyűjtemény [Historisches Museum Budapest, Kiscell Museum, Karten-, Handschriften- und Druckschriftensammlung, in der Folge  : BTM KM], ohne Inv. Nr. 161 × 200 mm, Tusche und stellenweise Bleistift auf Papier, insg. 191 Seiten (davon 1 – 183. nummeriert zzgl. drei nummernlose und fünf leere Seiten), mit ca. 235 Illustra­tio­ nen, Einband. 40 »Renaissance építéstörténet, illetőleg  : az isteni H. felolvasásának folyományos jegyzése.« 41 BTM KM, ohne Inv. Nr. 167 × 205 mm, Bleistift auf Papier, insg. 159 unnummerierte Seiten (davon sieben leer), mit ca. 300 Illustrationen, Einband. 42 Stundenplan 1900/01 WS, S. 6.; Stundenplan 1900/01 SoS, S. 6.

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Abb. 3  : Kálmán Löllbach  : Mitschrift zu den Vorlesungen über die Architektur der Neuzeit, 1900 – 1901. Quelle  : Budapesti Történeti Múzeum, Kiscelli Múzeum, Térkép-, Kézirat, és Nyomtatványgyűjtemény [Historisches Museum Budapest, Kiscell Museum, Karten-, Handschriften- und Druckschriftensamm­ lung], ohne Inv. Nr.

im zweiten Halbjahr mit sechs Stunden Übungen ergänzt wurden. Die Kurzbeschreibung des Kurses weist ebenso auf eine inhaltliche Berührung mit den Mitschriften hin  : »Die Entwicklungsgeschichte der Architektur vom Mittelalter bis zur neuesten Zeit.«43 Hauszmann hielt ab dem akademischen Jahr 1877/1878 Vorlesungen für Architekten, deren Fokus explizit auf der neueren Architekturgeschichte lag,44 dennoch befasste er sich mit der Neuzeit bereits früher, spätestens ab dem akademischen Jahr 1874/75, im Rahmen des Kurses Kunstgeschichte der Architektur I.45 Obwohl sie mitunter an mehreren Stellen inkongruent sind, ähneln die beiden Mitschriften einander sowohl inhaltlich als auch in puncto Textstruktur. Die Oberkapitel wurden anhand geografischer Einheiten festgesetzt, wobei die Unterkapitel sich anhand epochaler Verteilung untergliedern. So beginnen die Mitschriften mit der italienischen Renaissance, zunächst mit einer Einleitung in die allgemeine Formenlehre und einem historischen Überblick über einzelne Bauwerke der Hoch- und Frührenaissance. An diese Kapitel schließt sich unmittelbar die Darstellung des italienischen Barocks an. 43 Lehrprogramm 1900, S. 30. 44 Lehrprogramm 1877, S. 23. 45 Lehrprogramm 1874, S. 18.

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Darauf folgt das Kapitel über die französische Architektur, die in Unterkapitel über die Früh- und Hochrenaissance, den Barock und das Rokoko aufgeteilt ist. Die folgenden Kapitel stellen die Früh- und Hochrenaissance einschließlich des Barocks und des ­frühen Klassizismus in Deutschland, Österreich und in der Schweiz, die Renaissance in England, inklusive des Barocks und des Klassizismus, und die Renaissance in Spanien dar. An dieser Stelle unterscheiden sich die Mitschriften  : Während bei Császár eine sechsseitige Darstellung über die Architektur des 19. Jahrhunderts sowie eine kurze, stichwortmäßige Übersicht des Materials am Ende stehen, fehlen beide in der Mitschrift von Löllbach. Durch die Textauswertung der Mitschriften lassen sich sowohl der Aufbau als auch der Inhalt des Vorlesungszyklus’ von Hauszmann rekonstruieren. Hierbei bilden die Fachliteraturrezeption und -bearbeitung den springenden Punkt. In den Mitschriften werden hierzu weder in Form von Literaturhinweisen noch durch Bibliografien Informationen gegeben, dennoch lassen sich die Quellen der Kompilationen anhand offensichtlicher oder aber wahrscheinlicher textlicher Entsprechungen eruieren. Als meistverwendete Quelle kann dadurch die Geschichte der Architektur von den ä­ ltesten Zeiten bis auf die Gegenwart von Lübke identifiziert werden.46 Für den überwiegenden Teil der Texte findet man sein beinahe oder ganz wortgetreues Äquivalent in Lübkes Geschichte der Architektur. Genauso prägend erscheint das Illustrationsmaterial der Geschichte der Architektur in den Mitschriften, die zahlreiche, wohl nach den Stichen in Lübkes Werk übertragene Zeichnungen enthalten. Darüber hinaus liegt die Kongruenz der Gliederung nahe  : Die Texteinheiten der Mitschriften entsprechen in ­ihren Grundzügen (in Bezug auf die Periodisierung, die geografische Orientierung und die Reihenfolge einzelner Bauwerke) den Kapiteln »Die Renaissance in Italien«, »Die Renaissance in den übrigen Ländern« und »Die Baukunst im neunzehnten Jahrhundert« in Lübkes Werk.47 Die Geschichte der Architektur, deren Rezeption in allen Textteilen der Mitschriften sowohl inhaltlich als auch strukturell vorkommt, galt mithin als ­roter Faden des Vorlesungszyklus’, während aber aus mehreren weiteren Büchern und Bildsammlungen geschöpft wurde. Darunter sind Fachtexte und Bildbände, die sich mit je einzelnen Perioden, historischen Stilrichtungen oder mit der Architektur e­ iner bestimmten Örtlichkeit befassen. Bei der italienischen Renaissance wurden vor allem zwei Werke Jacob Burckhardts, Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens und die Geschichte der Renaissance in Italien samt zahlreichen weiteren Monografien und Bildbänden verwendet.48 Auf mehrere Werke, allen voran Die Spät46 Lübke 1886. 47 Ebd., S.  249 – 397, S.  397 – 515, S.  515 – 552. 48 Hauptsächlich wurden Textteile aus den entsprechenden Kapiteln von Burckhardt 1884, S. 83 – 140, S. 209 – 275  ; Burckhardt 1891 pass., übernommen. Als mögliche Quellen des Illustrationsmaterials konnten die folgenden Werke identifiziert werden  : Letarouilly 1840 – 1857  ; Peyer im Hof 1870  ; Grandjean de Montigny, Famin 1874  ; o. A. 1886  ; o. A. 1887  ; o. A. 1888  ; Raschdorff 1888. Als Exempel dient hierzu

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Renaissance. Kunstgeschichte der europäischen Länder von der Mitte des 16. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts von Gustav Ebe,49 stützte sich Hauszmann beim italienischen Barockstil, den Lübke nur ziemlich wortkarg schilderte.50 Den Vorlesungen über die französische Architektur der Neuzeit lag über die Geschichte der Architektur hinaus wiederum das bereits erwähnte Werk Ebes zugrunde.51 Neben der Geschichte der Archi­tektur können Lübkes Geschichte der Renaissance in Frankreich, die einschlägige Lieferung der Denkmäler der Baukunst und die von Ebe reproduzierten Abbildungen als hauptsächliche Quellen für das Zeichnungsmaterial in Bezug auf Frankreich wiedererkannt werden.52 Hauszmann verwendete vorwiegend das Text- und Bildmaterial der Geschichte der Architektur bei den Teilen, die der Darstellung der Architektur des deutschsprachigen Raums, Englands und Spaniens, sowie speziell der Baukunst des 19. Jahrhunderts gewidmet worden sind, aber er hatte wiederum Ebes Spät-Renaissance nach wie vor zur Hand.53 II.3. Architektur des Mittelalters von Imre Steindl

In der Handschriftensammlung der Bibliothek der Ungarischen Akademie der Wissenschaften befindet sich ein weiteres Manuskript, das die Vorlesungen von Imre Steindl darstellt. Dies wurde vom Nachfolger Steindls, Frigyes Schulek (ordentlicher Professor für die Architektur des Mittelalters 1903 – 1914) mit dem Titel Der Inhalt der Hefte von Steindl verfasst.54 Die Schrift, welche eine verdichtete Zusammenfassung des Vorlesungsskripts von Steindl beinhaltet, wurde wahrscheinlich unmittelbar nach dem Tod des Professors im Jahre 1902 vom neu zum Professor ernannten Schulek verfasst.55 Die insgesamt fünfseitige Kurzfassung stellt zwar verkürzt, jedoch sorgfältig die Struktur und den Inhalt des Vorlesungszyklus’ Steindls dar, indem die Stichpunkte der Gliederung und prägende inhaltliche Elemente übertragen worden sind. Nach der Kopie Schuleks wurden zunächst eine Einleitung samt eingehender Analyse der gotischen For-

die Abb. 4, wobei der Text stellenweise Lübke 1886, S. 284, S. 290 f. folgt und die Quellen der Bilder die folgenden sind  : Raschdorff 1888, Taf. 82  ; Peyer im Hof 1870, Taf. 46, Taf. 74. 49 Ebe 1886. 50 Lübke 1886, S. 380 – 386. 51 Lübke 1885  ; Lübke 1886, S. 408 – 432  ; Ebe 1886, S. 197 – 211. 52 Ebe 1886  ; o. A. 1897. 53 Lübke 1886, S. 432 – 443, 468 – 515  ; Ebe 1886, pass. 54 Magyar Tudományos Akadémia, Könyvtár és Információs Központ, Kézirattár és Régi Könyvek Gyűjteménye [Ungarische Akademie der Wissenschaften, Bibliothek und Informationszentrum, H ­ andschriftenund Rara-Sammlung, in der Folge  : MTA KIK K], Nachlass Frigyes Schulek, Inv. Nr. Ms 5029/31. fol. 76 – 78. 210 × 340 mm, Bleistift auf Papier, insg. zwei Bifolien (mit drei leeren Seiten). 55 Salamon 2017, S. 72.

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menlehre und danach die Beschreibung der gotischen Bauwerke einzelner Länder, und zwar Frankreichs, der Schweiz, Belgiens und der Niederlande, präsentiert. Wann und wie die in der Kopie Schuleks erhaltenen Vorlesungsskripte von Steindl entstanden sind beziehungsweise dargelegt wurden, bleibt unklar. Gleichwohl findet man in den Studienordnungen die Lehrveranstaltungen, an die das Manuskript inhaltlich anknüpft. Entweder die mit Vorlesungen ergänzte Übung zur mittelalterlichen Formenlehre oder die Vorlesungen über die Architekturgeschichte des Mittelalters kommen dabei in Frage. Beide dozierte Steindl spätestens ab 1874 über drei Jahrzehnte hinweg unter unterschiedlichen Titeln und mit variierender Stundenzahl.56 Als Experte für mittelalterliche Architektur und Denkmalkunde hatte Steindl bereits im Jahre 1870 seine ordentliche Professur an der TH Budapest angenommen. Er hatte zuvor am Josephs-Polytechnikum Architektur studiert und war für kurze Zeit auch als Assistent dort beschäftigt. Darauf folgte ein mehrjähriger Aufenthalt in Wien, wo Steindl zunächst die Meisterschule Friedrich Schmidts an der Akademie der Bildenden Künste besuchte und anschließend im Atelier seines Meisters mitarbeitete. Was man über die gut dreißig Jahre lange Lehrtätigkeit Steindls weiß, deutet darauf hin, dass die Praxis der Denkmalkunde und des Architekturzeichnens – wohl nicht unabhängig von der individualisierten und praxisorientierten Methodik Schmidts – zuungunsten der theoretischen Vorlesungen in den Vordergrund rückten.57 Trotzdem zeichnen sich anhand des vorliegenden Manuskriptes eine wissenschaftliche Sorgfalt und eine relativ sichere Orientierungsfähigkeit in der deutschsprachigen kunsthistorischen Literatur ab.58 Die philologische Untersuchung des Manuskriptes stützt sich auf die im Text markierten Literaturhinweise auf der einen Seite und textliche Entsprechungen mit Passagen aus der Fachliteratur auf der anderen.59 Dementsprechend lassen sich die überwiegende Mehrheit des Textinhaltes sowie die Gliederungsmerkmale des Manuskriptes auf die Geschichte der Architektur von Lübke zurückführen, und zwar auf die Kapitel »Das System der gothischen Architektur« und »Die äußere Verbreitung des gothischen Styls«.60 Des Weiteren erscheinen mehrere, allerdings weniger akzentuierte Passus im Text, die aus einem anderen maßgebenden Überblickswerk der ›Berliner Schule der 56 Lehrprogramm 1874, S. 19. 57 Vgl. hierzu Foerk 1927, S. 305  ; Salamon 2017, S. 70. 58 Dies wurde auch von der reichlich ausgerüsteten Bibliothek des ›mittelalterlichen Lehrstuhls‹ ermöglicht. Siehe Krähling, Fehér, Jobbik 2018. 59 Eine eingehende Analyse mit ausführlichem philologischem Apparat siehe Salamon 2017. – Da die Kopie von Schulek eine zusätzliche Rezeptionsebene des originalen Manuskriptes von Steindl darstellt, sind die präsentierten philologischen Zusammenhänge teilweise als hypothetisch zu betrachten. Es ist nämlich kaum erkennbar, welche Modifikationen und Einschübe im Zuge des Kopierens durch Schulek vorgenommen wurden. Auch wenn man davon ausgehen darf, dass dem Kopieren eines Textes das Anliegen gewisser formaler und inhaltlicher Präzision innewohnt. 60 Lübke 1875, S. 484 – 561.

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Kunstgeschichte‹, nämlich der Geschichte der bildenden Künste von Karl Schnaase, übertragen wurden. Dabei fanden die Textteile über die Formenlehre der Gotik im Vorlesungszyklus ihre Verwendung.61 Außerdem wurde Lübkes Unterkapitel über die Gotik in der Schweiz mit Texten ergänzt, die aus Ernst Försters Werk mit dem Titel Denkmale deutscher Baukunst herrühren.62 Im Manuskript wurden zugleich Hinweise auf die ­Tafeln der Kirchlichen Baukunst des Abendlandes, vermutlich als einschlägige Anschauungsmittel, angegeben.63 III. Von der ›allgemeinen Kunstgeschichte‹ zur Architekturgeschichte für Architekten

Vor allem der Mangel an Fach- und Lehrbüchern in ungarischer Sprache trug dazu bei, dass die Überblickswerke der ›Berliner Schule‹ in der Architekturgeschichtslehre an der TH Budapest so eine lebhafte Rezeption erfuhren. Hauszmann erinnerte sich etwa klagend daran zurück, wie mühsam er in den ersten Jahren als Hochschullehrer anhand der an der Bauakademie verfassten Notizen und »deutscher Werke« das Lehrmaterial zusammengetragen habe.64 Dieser Übersetzungs- und Kompilationszwang, positiver formuliert  : eine Konjunktur der Rezeption ausländischer Wissensgüter und -strukturen, bestand bis zur Jahrhundertwende und darüber hinaus fort.65 Dass in dieser zur Tradition gewordenen, jahrzehntelangen Fachliteraturrezeption an der TH Budapest die Überblickswerke der ›Berliner Schule der Kunstgeschichte‹, und in erster Linie die Werke von Lübke, als Lehrbuchersatz eine zentrale Rolle spielten, wird – über die präsentierten Archivquellen hinaus – von einem 1892 in der Architekturzeitschrift Építészeti Szemle (Architektonische Rundschau) veröffentlichten Artikel attestiert  : »[…] an der ungarischen Technischen Hochschule wäre es doch nicht möglich, den Lehrgang für Architektur zu absolvieren, wenn Lübkes deutschsprachige ›Geschichte der Architektur‹ nicht existieren würde, da die einschlägigen französischen und englischen Werke unseren Jungen noch weniger greifbar sind und keiner von den Professoren ein ungarisches [Werk] geschrieben hat.«66

61 Schnaase 1870, S. 147 – 193. 62 Förster 1855, S. 29  ; Förster 1861, S. 36. 63 Dehio, von Bezold 1888, Taf. 156, 158, 161  ; Dehio, von Bezold 1894, Taf. 395. 64 Hauszmann 1995, S. 54. 65 Papp 2008, S. 420 – 426. 66 Bobula 1892, S. 176 [Übersetzung d. Verf.].

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Für Hauszmanns dezidierte Präferenz für die Werke Lübkes scheint zwar sein Berliner Bildungshintergrund eine plausible Erklärung zu bieten,67 allerdings darf man ihrer Rezeption in der Architekturlehre wohl auch generelle praktisch-didaktische Motive zuschreiben.68 Lübkes Werken kommt ein hoher didaktischer Wert zu, indem sie die größten Errungenschaften der Überblickswerke der ›Berliner Schule‹ synthetisierten. Gemeint ist damit beispielsweise die systematische Anordnung der Bauwerke anhand einer Architekturmorphologie, was jedoch nicht ohne die Berücksichtigung der parallelen historischen und kulturellen Entwicklungstendenzen erfolgte.69 Zur Anwendbarkeit von Lübkes Werken auf die Lehrpraxis trugen zugleich folgende Faktoren bei  : eine übersichtliche Gliederung, eine klare Epocheneinteilung, eine strenge chronologische Reihenfolge, eine konsequente geografische Orientierung (bei der Verbreitung jeweiliger Stilprägungen vom ›Zentrum‹ in die ›Peripherien‹) und nicht zuletzt das zu der Zeit unvergleichlich reiche Bildmaterial. Mithilfe der Analyse erhaltener Vorlesungsskripte und Mitschriften wird nicht nur die wissenschaftshistorische Verortung der ungarischen Professoren in der europäischen Kunsthistoriografie-Landschaft ermöglicht, die eine besondere Vorliebe für kunsthistorische Werke aus oder mit Bezug zu Berlin, vor allem für diejenigen von Wilhelm Lübke andeutet. Sondern auch die didaktisch-lehrmethodischen Motive der Kompilationspraxis lassen sich im engen Zusammenhang mit der eigentlichen Architekturlehre mittels eines soliden Quellenmaterials ans Licht bringen. Dabei ist der Transferprozess zu hinterfragen, im Zuge dessen die Professoren der TH Budapest den Inhalt der ›allgemeinen‹,70 das heißt der auf ›globale‹ geografische Reichweite und auf die weitmöglichste Zeitspanne gerichteten Kunstgeschichtsbücher auf die jeweiligen Lehrziele, -aufgaben und -methoden abgestimmt und auf diesem Weg spezielle ›Architekturgeschichten‹ für angehende Architekten zustande gebracht haben. Hierzu dienen die Manuskripte zu den Vorlesungen Hauszmanns über die Antike und die Neuzeit als treffende Exempel. Zwar fußte das Vorlesungsskript von Hauszmann über die Antike auf Lübkes Grund­riss als alleinigem Ausgangstext, dem es genau und wortgetreu folgte. Jedoch erlaubt die Textanalyse des Manuskriptes der wörtlichen Übertragung zum Trotz, didak­tischen Motiven und Strategien hinter der Kompilation nachzuspüren  : Bei der 67 Vgl. Papp 2008, S. 423 f. 68 Es ist auch erwähnenswert, dass die Werke von Lübke auch den ›professionellen‹ Kunsthistorikern und Archäologen weithin bekannt und allgemein gebräuchlich waren. Erwähnt seien hier Czobor 1875, S. XIV  ; Henszlmann 2016, S. 69, S. 193  ; Pasteiner 1885, S. 724 (mit verräterischem Titel)  ; Tagányi 1885, S. 238 f.; Pasteiner 1887, S. 73 f. 69 Dadurch bilden Lübkes Handbücher einen goldenen Mittelweg zwischen Kuglers strengem morphologischem Umgang und Schnaases markanter kulturhistorischer Orientierung. Vgl. hierzu Karge 2010a  ; Karge 2010b. 70 Vgl. hierzu Karge 2010a.

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selektiven Strategie der Literaturverarbeitung Hauszmanns ist grundsätzlich, dass die Kapitel des Grundrisses über die Bildkünste ganzumfänglich eliminiert worden sind und ausschließlich die Architektur-Kapitel entlang einer chronologischen Achse als eine selbstständige ›Architekturgeschichte‹ zusammengefügt wurden. Hauszmann hat zudem die Kapitelstruktur des Grundrisses mit zusätzlichen Unterkapiteln weiter untergliedert, was zur optimalen Terminierung kürzerer thematischer Einheiten während des Vorlesungsablaufs beitragen konnte. Den kohärenten Fließtext von Lübke unterbrechen wiederum Verweise oder gar schriftlich festgestellte Exklamationen, die auch auf die didaktische Inszenierung der Vorlesungen hindeuten  : »Schauen wir uns demnach den Grundriss des Tempels an, der sich auf die folgende Weise zeigt  !«71 Des Weiteren zeichnen sich inhaltliche Schwerpunkte dadurch ab, wie die einzelnen Kapitel Lübkes in ein neues Verhältnis zueinander gebracht wurden. Obwohl die Kapitel »Die griechische Architektur«, »Die römische Architektur«, »Die altchristliche Architektur« in Lübkes Werk mit beinahe gleichem Umfang und Stellenwert vorkommen, ist eine Schwerpunktverschiebung auf die griechische Architektur im Vorlesungsskript zu beobachten. Diese Verschiebung besteht darin, dass Hauszmann die Kapitel über die römische und altchristliche Architektur ansatzweise und verdichtet (jedoch die einzelnen Passus nach wie vor wortgleich) übertrug, während die Texte Lübkes über die griechische Baukunst so gut wie vollständig übernommen wurden. Dadurch stellt sich eine intendierte Asymmetrie her, wobei entgegen der ausbalancierten Kapitelverteilung in Lübkes ›allgemeiner Kunstgeschichte‹ der Fokus sich nun dezidiert auf die hellenische Baukunst und allem voran deren Formenlehre verschob. Dem grundlegenden Studium der antik-griechischen Architekturmorphologie kam durch die Vermittlung der Säulenordnungen und Grundrisse eine Schlüsselrolle in der Architekturlehre zu. Durch die griechische Formenlehre, die in den Lehrplänen der TH Budapest als »die erschöpfende und eingehende Erörterung der dorischen, ionischen und korinthischen Style« programmatisch vorkommt,72 wurde eine Propädeutik konzipiert. Sie hatte dabei eine verwendungsorientierte und auf die Zeichenpraxis ausgerichtete Fundierung eines soliden historischen Formenrepertoires der Studenten zum Ziel. Dies belegt auch die Auswahl des zeichnerischen Vorlagenmaterials, das einen reichhaltigen Bestand von Säulenordnungen, Gesims-, Gebälk- und Sockelprofilen sowie ornamentalen Details enthält, während die Grundrisse nur stellenweise, Interieur- und Fassadendarstellungen aus Lübkes Grundriss gar nicht eingetragen wurden. Wenngleich die Geschichte der Architektur von Lübke die strukturellen und inhaltlichen Leitlinien der Vorlesungen Hauszmanns über die neuzeitliche Architektur prägte, zeichnet sich eine tiefgreifende, zur wissenschaftlichen Akribie tendierende Bearbeitung 71 MÉM MDK, Inv. Nr. 69.018.27 (Anm. 28), S. 4. »Ha eszerint a szentély alaprajzát tekintjük meg következőképpen mutatkozik.” 72 Lehrprogramm 1874, S. 18.

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der Literatur und ihre höchst kombinative Neufassung anhand der Mitschriften ab. In ihren Richtlinien folgte die Vorlesungsreihe hinsichtlich der Reihenfolge einzelner Epochen der Gliederung der Geschichte der Architektur  : Exemplarisch sind etwa die nach einzelnen Ländern bestimmte Hauptstruktur oder aber die Behandlung des Barock­ stiles zusammen mit der Renaissance als ihre »dritte Epoche«.73 Hierbei wurden die Hoch- und Spätrenaissance, der Barock und teilweise der Klassizismus in der Kapitelstruktur unter dem gemeinsamen Oberbegriff ›Műreneszánsz‹ (frei übersetzt  : Prachtrenaissance) subsumiert, die über Lübkes Gliederung hinaus zugleich auf die Spät-Renaissance-Konzeption von Gustav Ebe verweisen mag.74 Hauszmann behielt gleichwohl nicht rigide die Struktur der Geschichte der Architektur bei. Dies zeigt beispielsweise die Umstrukturierung des Narrativs der italienischen Frührenaissance nach Gebäudetypen beziehungsweise Bauaufgaben anstelle der ursprünglichen Präsentation nach einzelnen Regionen und Architekten. Die Art und Weise der Übertragung und der Neugliederung lassen wiederum Rückschlüsse auf Lehrkonzepte und didaktische Anliegen zu. Lehrfokusse und thematische Schwerpunktverschiebungen können dabei quantitativ und qualitativ im Text- und Bildmaterial festgestellt werden. Nachzugehen ist der Frage, welche Teile des Vorlesungszyklus’ bezüglich des Umfanges oder der Tiefe der Literaturbearbeitung akzentuiert erscheinen. Auffällig ist in erster Linie die Dominanz des Palastbaues der italienischen Renaissance, der an und für sich mehr als ein Viertel der gesamten Vorlesungsreihe in Anspruch nahm – noch viel deutlicher, als er von Lübke diskutiert wird.75 Diese Objektgruppe war im ausgehenden 19. Jahrhundert in Ungarn von großer Bedeutung, da sie den aktuellen Bauaufgaben von Miethäusern und Wohnpalästen sowie den allgemeinen geschmacklichen Präferenzen am meisten entsprach.76 Auf eine besondere Bezugnahme auf die aktuelle Baupraxis deutet ebenfalls exemplarisch die Auswahl der Abbildungen zum italienischen Palastbau hin, wobei die prävalenten Fassadendarstellungen die ästhetisch-repräsentativen Aspekte wie das Formenrepertoire, die Proportionierung oder aber die Material- und Schattenwirkung hervorheben (Abb. 3). In der Lehrsituation hat sich Hauszmann einen gewissen Spielraum auch bezüglich der visuellen Veranschaulichung sichern können, indem die Studenten die Illustrationen nicht unbedingt direkt anhand von Vorlageblättern, sondern nach den eigenen, an die Ta-

73 Lübke 1886, S. 380 – 397. 74 Vgl. hierzu Engel 2018, S. 260 f. 75 Eine plausible Erklärung für diese Vorliebe ist, dass die italienische Renaissance ein besonderes Forschungs­ interesse Hauszmanns bildete. Er hob bezüglich seiner 1869 – 1870 unternommenen Studienreise in ­Italien hervor, dass er »zwei Wochen in Florenz und sechs Wochen in Rom verbracht« habe, wobei sein Interesse »vorwiegend die prächtigen Werke der Architektur des XV. und XVI. Jahrhunderts erregten.« Hauszmann 1995, S. 19 [Übersetzung d. Verf.]. 76 Vgl. hierzu weiterführend Sisa 2016, S. 434 – 439.

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fel gezeichneten Darstellungen des Professors kopierten (Abb. 4).77 Durch die Bearbeitung und Involvierung der aktuellen Fachliteratur setzte sich Hauszmann mit den rudimentären oder summarischen Kapiteln der Geschichte der Architektur ergänzend oder sogar korrigierend auseinander. Bemerkenswert ist vor allem der Fall des Barockstils, wobei er, der zu dieser Zeit selbst führender Architekt der neobarocken Umgestaltung des ungarischen Königspalastes war, sich von der abwertenden Blickweise Lübkes distanzierte. Der Professor stellte nun den Barock, gewiss nicht ohne Anlehnung an Ebe,78 als ebenbürtig unter den historischen Stilen dar und lobte insbesondere seinen italienischen Zweig. Das Anliegen, das Studium architekturhistorischer Erscheinungen auf die zeitgenössische Baupraxis zu beziehen und aus der Historie Abb. 4  : Ferenc Császár  : Mitschrift zu den praktische Lehren herauszuziehen, artikulierte Vorlesungen über die Architektur der Neu­ sich stellenweise in Form von expliziten zeit- zeit, 1900 – 1901. Quelle  : Budapesti Történeti Múzeum, Kiscelli Múzeum, Térkép-, Kézirat, genössischen Analogien oder von Parallelen és Nyomtatványgyűjtemény [Historisches der jüngsten Vergangenheit. Beispielsweise Museum Budapest, Kiscell Museum, Kar­ hob Hauszmann beim Palazzo Bevilacqua in ten-, Handschriften- und Druckschriften­ Verona hervor, dass dessen »gute Nachahmung sammlung], ohne Inv. Nr. bei dem Gebäude der alten Kunsthalle in Budapest sichtbar ist.«79 Er erkannte wiederum das Nachleben der Grundrissbildung der Basilica di Santa Maria Assunta in Genua bei der räumlichen Gestaltung der Basiliken in Esztergom und Budapest. Wenn hier entweder von vereinzelten ausdrücklichen Verweisen oder von impliziten Schwerpunktverschiebungen der Lehre die Rede ist, so ist doch eine deutliche Tendenz erkennbar  : Absichtlich wurde eine Brücke zwischen den historisch dargestellten Stilprägungen und der aktuellen Architekturpraxis geschlagen. Die zeitgenössische und zeitgemäße Implementierung formaler, konstruktiver, raumbildnerischer und städtebaulicher Lösungen der Renaissance und des Barocks wirft die Problematik des Gegenwartsbezuges historischer Architektur auf  ; ein stets brisantes 77 Dies belegt auch sein Schüler, Kós 2014, S. 64. – »[Hauszmann] zeichnete routiniert, geschmackvoll, präzise und flott an die Tafel.” [Übersetzung d. Verf.]. 78 Vgl. hierzu Engel 2018, S. 260 – 268. 79 BTM KM, ohne Inv. Nr., Mitschrift von Kálmán Löllbach (Anm. 39) [Übersetzung d. Verf.].

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Thema im ungarischen Architekturdiskurs des ausgehenden 19. Jahrhunderts und der Jahrhundertwende. IV. Kompilation als Selbstpositionierung in der öffentlichen Architekturdiskussion

Die Architekturlehre an der TH Budapest entwickelte sich nicht im hermetisch isolierten Rahmen der Institution, sondern sie war mit der öffentlichen Diskussion über die Architektur eng verflochten. Die in diesem diskursiven Raum verhandelte Grundproblematik war das Verwendungspotential historischer Stile, also das Know-how über die Implementierung historisch studierter Stilprägungen, oder aber ab den 1890er Jahren gerade der Stilverzicht. Hierbei sind die Archivalien bezüglich Hauszmanns Renaissance- und Barock-, sowie Steindls Mittelaltervorlesungen hervorzuheben. In dieser Hinsicht ist allen voran die Mitschrift von Ferenc Császár besonders inhaltsschwer  : Sie dokumentiert die Schlussvorlesung Hauszmanns mit dem Titel Die Baukunst des XIX. Jahrhunderts, bei der der Professor sich immer noch auf Lübkes Geschichte der Architektur, und zwar auf das Kapitel über »Die Baukunst im neunzehnten Jahrhundert«, stützte.80 Hauszmann übernahm hierbei manche von Lübkes Urteilen über die moderne Architektur. Er bezeichnete beispielsweise den ›Maximiliansstil‹ als »künstlerische Anarchie« und folgte ebenfalls Lübkes Anschauung bezüglich der »Hegemonie Deutschlands«, ferner der Führungsrolle Berlins in der Architekturentwicklung des 19. Jahrhunderts.81 Diese stark auf Berlin gerichtete Erzählart kann als ein Topos der Handbücher der ›Berliner Schule‹ angesehen werden, der bereits in Kuglers Handbuch der Kunstgeschichte aufgetaucht war.82 Zudem teilte Hauszmann mit seinen Studenten eigene Überlegungen über seine Zeitgenossen. Etwa warf er Theophil Hansen vor, dass der Däne am Anspruch, »sich an den Puritanismus der Antike zu halten«, scheiterte.83 Dem Narrativ Lübkes folgend kam Schinkel eine Schlüsselrolle zu und dem postschinkel’schen Berlin – das er selbst als junger Student auch persönlich erlebt hatte – widmete Hauszmann ebenfalls besondere Aufmerksamkeit  : Die Architekten dieser Periode, wie Friedrich Hitzig, Friedrich August Stüler, Martin Gropius und Richard Lucae subsumierte er unter der Kategorie der »Berliner Renaissance«, für welche in Lübkes Text nun die Bezeichnung »Neuere Berliner Schule« steht.84 Beachtenswert ist dies, da von Hauszmann als Vertreter der ›Berliner Renaissance‹ zeitgenössisch die 80 Lübke 1886, S. 515 – 552. 81 Ebd., S.  515 – 518. 82 Kugler 1842, S. 853 – 860. Vgl. hierzu Karge 2013, S. 7. 83 BTM KM, ohne Inv. Nr., Mitschrift von Ferenc Császár (Anm. 41) [Übersetzung d. Verf.]. 84 Ebd.; Lübke 1886, S. 534.

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Rede war. In seinem eigenen Œuvre – am prägendsten von den späten 1860er bis in die 1880er Jahre hinein – artikulierte sich dies in Form eines frei variierten Formenrepertoires, das ein breites Spektrum divergenter formaler Lösungen von der tektonischen Fassadengliederung über die formalen Analogien des Cinquecentos bis hin zur mit Terrakotten verzierten Backsteinrenaissance abdeckte.85 Der an dieser Stelle fragmentarische Text der Mitschrift von Császár über die Ausrichtung der »Berliner Renaissance« auf die »moderne Bequemlichkeit« deutet auf die einschlägige Passage der Geschichte der Architektur über die Vorteile der Renaissance in der zeitgenössischen Baupraxis hin  :86 »Die unendliche Mannichfaltigkeit der Aufgaben, welche dem modernen Profanbau gestellt sind, lassen sich im Sinne der italienischen, französischen und deutschen Früh- und Hochrenaissance mit einem Reichtum der Ausdrucksmittel lösen, wie kein anderer Styl sie zu bieten vermag.«87

An einer anderen Stelle  : »Auch scheint die Berliner Schule […] sich ernsthafter mit dem Studium derjenigen Epoche zu beschäftigen, deren Schöpfungen durch reiche Mannichfaltigkeit, Originalität und Lebensfülle sowie Adel der Durchbildung den modernen Bedürfnissen vorzugsweise entsprechen  : der Renaissance.«88

Dies mag dabei nicht nur den auf den – allen voran italienischen – Palastbau der Renaissance gelegten thematischen Fokus der Vorlesungen Hauszmanns verdeutlichen, sondern verortet zugleich die Vorlesung in einem breiteren Diskussionsraum. Verwandte Gedanken formulierte nämlich Hauszmann im Jahre 1903 in seiner Inaugurationsrede als Rektor der TH Budapest.89 Die Rede, die in mehreren Zeitschriften sowie im gedruckten Lehrprogramm veröffentlicht wurde,90 galt als Manifest gegen den eigenschöpferischen Nationalstil von Ödön Lechner (1845 – 1914).91 Letzterer amalgamierte in seiner idiosynkratischen ›ungarischen Formensprache‹ die einheimische vernakuläre Ornamentik mit einer orientalisierenden Formenwelt und stellte sich 1902 mit einer Programmschrift der historischen Stilarchitektur entgegen.92 Im Kontext eines breite85 Sisa 2008, S. 453 – 458. 86 BTM KM, ohne Inv. Nr., Mitschrift von Ferenc Császár (Anm. 41). 87 Lübke 1886, S. 536. 88 Ebd., S. 535. 89 Hauszmann 1903. 90 Die Antrittsrede übernahmen die führenden Architekturzeitschriften (u. a. Budapesti Építészeti Szemle, Építő Ipar, Vállalkozók Lapja), und sie löste dadurch ein reges Echo aus. 91 Über Lechner weiterführend Sisa 2014b  ; Keserü 2015. 92 Lechner 1902.

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ren Diskurses lassen sich deshalb die Äußerungen in Hauszmanns Antrittsrede über die moderne Adaptabilität und den großstädtischen Charakter der Renaissance sogar als Plädoyer für das Wiederbeleben historischer Stile als Triebkraft der Architekturentwicklung verstehen  : »[d]iese Kunstform [die der Renaissance, G.S.] entspricht am besten den modernen Ansprüchen. […] Die rationelle Raumausnutzung […] war nur mit der Verwendung dieser Kunstform möglich. […] Die Voraussetzung der Bequemlichkeit, die harmonische Gestaltung der Räumlichkeiten, von der einfachsten bürgerlichen Wohnung bis hin zum prächtigsten Saal eines Palastes, waren nur mittels dieser Kunstform erfüllbar.«93

Wie noch weitere klare textliche Überlappungen der Programmrede und der Geschichte der Architektur zeigen,94 wurde Lübkes Werk nicht nur als Unterrichtsmaterial kompiliert und tradiert, sondern es fand auch seinen Weg in die breitere Öffentlichkeit der Architekturdiskussion. Durch solche Selbstpositionierung Hauszmanns zeigt sich sehr nachvollziehbar eine Rückbindung an Lübkes speziell ›Berliner‹ Erzählung und an den diskursiven Entstehungskontext der Geschichte der Architektur. Jener Kontext war gerade von einem anderen Stilstreit durchdrungen  : Von der Polemik der 1850er Jahre um die Wahl zwischen der geistlich-politischen, fundamentalistischen Orientierung an der Gotik und der »freien[n] Verwendung« historischer Formen.95 Dieses Dilemma mündete bei Lübke bereits in den 1860er Jahren – in der dritten, durchgearbeiteten Ausgabe der Geschichte der Architektur – in die dezidierte – jedoch nicht ohne kritischen Sinn formulierte – Propagierung der Renaissance als zeitgemäßes Gestaltungsmittel.96 Anders verhielt sich Steindl zur Frage der Stilwahl. Geprägt durch seine Lehrlingsjahre in der Meisterschule und im Büro von Friedrich Schmidt, hatte er als Wiederhersteller mittelalterlicher Denkmäler und entwerfender Architekt jahrzehntelang konsequent sein eigenes Image als ›Gotiker‹ ausgebildet.97 Während seines gut dreißig Jahre 93 Hauszmann 1903, S. 42 [Übersetzung d. Verf.]  ; vgl. Lübke 1886, S. 536. 94 Beispielsweise Hauszmann 1903, S. 38. – »Csak utalni akarok a mult század 40-es éveiben Münchenben emelt Maximilian-Strasse-ra, […] a melynek alkotásában a legkiválóbb művészek vettek részt, kimerítve erejöket és föláldozva tehetségüket a hamis istenség oltára előtti hódolattal.« Vgl. Lübke 1886, S. 524. – »Die tüchtigen und gebildeten Architekten, die diesem Belieben sich zu fügen zu schwach waren, ruinierten sich, indem sie ihr Talent auf dem Altar eines falschen Götzen abschalten ließen.« Hauszmann 1903, S. 39. – »Talán a rómaiak kivételével nem találunk példát a históriában, hogy oly számos külön jellegű, a modern élet követelményeiből származó, teljesen új föladat megoldása alkotta volna az építészet tárgyát, mint a jelenkorban.« Vgl. Lübke 1886, S. 551. – »Ein so vielseitiges, umfassendes Bauschaffen hat die Welt seit der Römerzeit nicht mehr gesehen  ; ja an Mannichfaltigkeit der Bedürfnisse steht die Gegenwart selbst jener Epoche überlegen da.« 95 Lübke 1855, S. 379. Vgl. Schnaase 1858, S. 147 f. 96 Lübke 1865, S. 755. 97 Über seine Wahlverwandtschaft mit Schmidt siehe Sisa 1985. Vgl. hierzu auch Sisa 2005, S. 24 – 32.

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langen Agierens beteiligte er sich an der Inventarisierung und Restaurierung bedeutender Denkmäler Ungarns und fertigte zugleich Dutzende Entwürfe für Monumentalbauten an, wobei er am liebsten aus dem Formenfundus der Gotik schöpfte.98 Als Entwerfer des ab 1885 gebauten ungarischen Parlamentsbaus rangierte er weit vorn unter den ungarischen Architekten. Das gigantische Bauprojekt dauerte knapp zwanzig Jahre lang und war das letzte – aber zugleich wohl das großformatigste – der internationalen Neogotik im ausgehenden 19. Jahrhundert.99 Die gotische Architektur galt bei ihm wiederum nicht nur als Entwurfsprinzip und grundlegender Formenbestand, sondern auch als ein identitätsstiftendes Dogma. So erinnerte sich Gyula Sándy, der um die Wende der 1880er und 1890er Jahre sein begeisterter Student war, an Steindl als Professor zurück  : »Er [Steindl] hat mich auf die Werke Viollet-le-Ducs und Friedrich Schmidts aufmerksam gemacht. […] Als Restaurator mittelalterlicher Denkmäler konnte er begeistert und begeisternd über diesen Stil [die Gotik, G. S.] reden.«100 Steindl hat es Sándy – wohl auch konkurrierend mit den Professorenkollegen – sogar ans Herz gelegt, »nie einmal in der Antike oder im Barock zu entwerfen.«101

Die strenge Ausrichtung auf die Gotik kennzeichnete Steindls Arbeits- und Lehrmethoden und dadurch sind sein Lehrstuhl an der TH Budapest und seine ›Bauhütte‹ bei der Baustelle des Parlamentsgebäudes Ausgangs- und Treffpunkt einer ganzen Generation junger Architekten geworden, die sich speziell für die mittelalterlichen Stilrichtungen interessierten.102 Grundsätzlich formulierte Steindl seine Ansicht über das Verhältnis der Gotik zur zeitgenössischen Architekturpraxis in seiner Antrittsrede an der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, indem er seine Motive beim Entwerfen des Parlamentshauses im gotischen Stil erläuterte  : »Dieser prächtige Stil des Mittelalters stellt durch seine begeisternde, ideale Schönheit, durch seine emporstrebenden, markanten Formen die Verbindung der materiellen Welt mit der geistlichen Welt am schönsten dar, und er vermag jede Tätigkeit unseres Lebens auch äußerlich auszudrücken […] [D]ieser Stil wird – an den Charakter der jeweiligen Nation angepasst und an den zur Verfügung stehenden Materialen gemessen – national.«103  98 Ebd., S. 35 – 102, S. 157 – 174  ; Sisa 2004.  99 Vgl. hierzu Sisa 2014a  ; Sisa 2016, S. 792 – 802. 100 Sándy 2005, S. 27 [Übersetzung d. Verf.]. 101 Ebd., S. 27 f. 102 Vgl. hierzu Salamon 2017  ; Balogh, Kelecsényi 2018. 103 Steindl 1899, S. 118 [Übersetzung d. Verf.].

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Eine ganz konträre Meinung liest man nun in der Geschichte der Architektur über die moderne Verwendbarkeit der Gotik. Dies betrifft vor allem den Passus von Lübke, der als Stein des Anstoßes in der Polemik zwischen den ›Berlinern‹ und ›Kölnern‹ in den späten 1850er Jahren gilt  :104 »Uns aber will es bedünken, als ob der gothische Styl weder, wie Jene [die Gotiker, G. S.] meinen, der natürlichste, noch der nationalste, noch der für unser Klima und unsere Verhältnisse passendste sei. Bei der Schilderung seines Systems ist darüber ausführlicher geredet worden.«105

Lübke hielt nämlich die Gotik nicht nur als zeitgenössisch wiederbelebten Stil für ungeeignet, sondern nahm im Unterkapitel »Kritik des gothischen Styles« auch gegen die historische Gotik eine kritische Stellung ein. Lübke moniert ihre Einseitigkeit und dekorative Überladenheit und schlussfolgert, dass »Wahrheit, Natur, Zweckmäßigkeit durch diese Architektur empfindlich verletzt werden«.106 Aus diesem Blickwinkel ist es beachtenswert, dass Steindl bei der Vorbereitung seines Vorlesungsmanuskriptes vornehmlich die Kapitel aus der Geschichte der Architektur durchgearbeitet hat. Dies deutet zum einen an, dass die der Gotik-Auffassung Steindls entgegenwirkende, kritische Grundposition des Handbuchs bei der Zusammensetzung des Lehrmaterials von den lehrmethodischdidaktischen Verdiensten desselben in den Hintergrund gedrängt wurde. Zum anderen wird, soweit die in fragmentarischer Kopie erhaltenen Vorlesungsskripte diese Lesart erlauben, deutlich, dass Steindl das kritische Kapitel von Lübke im Zuge der Kompilation eliminierte, obgleich er sich nach der Struktur und dem Inhalt des Handbuchs im Übrigen ausgesprochen diszipliniert richtete. Von einer Übertragung des Tatsachenmaterials der Geschichte der Architektur und zugleich von der ›Neutralisierung‹ des kritischen Blickwinkels Lübkes mag folglich im Falle Steindls die Rede sein. V. Fazit

Beim Problemkomplex architekturhistorischer Fachliteraturrezeption in der Architekturlehre scheinen anhand der hier dargestellten Beispiele zwei Fragen relevant zu sein. Zum einen zeichnen sich Kompilationspraktiken ab, wobei das Instrumentarium von einer allenfalls minimal modifizierten, wortgetreuen Übertragung bis zur grundlegenden, kombinativen Literaturbearbeitung reicht. Wie dabei die Überblickswerke der ›Berliner Schule‹ der Kunstgeschichte in der Architekturgeschichtslehre ihre Verwendung fanden, 104 Siehe Anm. 19. 105 Lübke 1875, S. 819. 106 Ebd., S. 505.

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wurde von den Zielen, Aufgaben und der Art und Weise der Architekturlehre determiniert  : Die nach dem wissenschaftlichen Programm der ›Berliner Schule der Kunstgeschichte‹ allgemein ausgerichteten Handbücher ließen sich dabei dem Anliegen anpassen, im Zuge einer verwendungsorientierten Lehre zur Erlernung und Vertiefung eines immensen Formenrepertoires und zugleich zu einer grundlegenden ästhetischen und historisch-kritischen Sensibilisierung beizutragen. Die auf diese Weise erzeugte, speziell für Architekten entwickelte ›Architekturgeschichte‹ charakterisierte die implizite oder aber direkte Bezugnahme auf die Ansprüche der zeitgenössischen Baupraxis. Zum anderen, nicht ohne Zusammenhang mit dem Letzteren, sondern als Stimulanz und zugleich Konsequenz dessen, mag die Kompilationspraxis die Position des jeweiligen Professors in der je aktuellen Diskussion rund um die Architektur markieren. Im Falle Hauszmanns handelt es sich um die Übernahme ästhetischer Wertungen oder sogar argumentativer Schablonen der ›Berliner Schule‹, die er in der zeitgenössischen Diskussion über die gegenwärtige Relevanz historischer Stile als Gestaltungsmittel umcodiert wiederverwendete. Oder umgekehrt  : In seiner Kompilationsstrategie positionierte sich Steindl anscheinend entgegengesetzt zu demjenigen Standpunkt, den die Handbücher bezüglich seiner präferierten Stilrichtung vertraten. Literatur o. A. 1856a – [o. A.]  : Aus Westfalen, in  : Organ für christliche Kunst 6 (1856), 13, S. 153 – 154. o. A. 1856b – [o. A.]  : Zum Schlusskapitel von Lübke’s Geschichte der Architektur, in  : Organ für christliche Kunst 6 (1856), 14, S. 166 – 168. o. A. 1857 – [o. A.]  : Ein Ausspruch des Herrn W. Lübke, in  : Organ für christliche Kunst 7 (1857), 6, S. 71. o. A. 1886 – [o. A.]  : Denkmäler der Baukunst, zusammengestellt, autographisch gezeichnet und herausgegeben von Studierenden der Königl. Technischen Hochschule (Abthlg. I u. II) zu Berlin, Lief. 17  : Baukunst der Renaissance, Berlin 1886. o. A. 1887 – [o. A.]  : Denkmäler der Baukunst, zusammengestellt, autographisch gezeichnet und herausgegeben von Studierenden der Königl. Technischen Hochschule (Abthlg. I u. II) zu Berlin, Lief. 18  : Baukunst der Renaissance, Berlin 1887. o. A. 1888 – [o. A.]  : Denkmäler der Baukunst, zusammengestellt, autographisch gezeichnet und herausgegeben von Studierenden der Königl. Technischen Hochschule (Abthlg. I u. II) zu Berlin, Lief. 19  : Baukunst der Renaissance, Renaissance in Spanien, Berlin 1888. o. A. 1897 – [o. A.]  : Denkmäler der Baukunst, zusammengestellt, autographisch gezeichnet und herausgegeben von Studierenden der Königl. Technischen Hochschule (Abthlg. I u. II) zu Berlin, Lief. 20 – 22  : Baukunst der Renaissance in Frankreich, Berlin 1897. Axtmann, Gawlik 2019 – Alexandra Axtmann, Ulrike Gawlik  : Aspekte der Biografie Wilhelm Lübkes und seines wissenschaftlichen Werdegangs, in  : Dies. (Hg.)  : Wilhelm Lübke (1826 –  1893). Aspekte seines Lebens und Werkes, Karlsruhe 2019, S. 7 – 44.

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Architekturgeschichtslehre an der Josephs-Technischen Hochschule Budapest

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Gáspár Salamon

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Stefanie Fink

»Zur Förderung des idealen Sinnes« Die kunsthistorische Ausbildung an der Architekturabteilung der Königlich Technischen Hochschule Berlin-Charlottenburg (1879 – 1918)1

Der kunsttheoretische Unterricht nahm in der Architektenausbildung der 1879 gegrün­ deten Technischen Hochschule Berlin-Charlottenburg einen wesentlichen Bestand­teil ein. Lehrer wie Eduard Dobbert, Max Georg Zimmermann oder Julius Lessing vermittel­ ten den angehenden Hochbauern fundierte Kenntnisse über die bedeutendsten euro­ päischen Werke und deren Entstehungsprozesse. Sie sollten den angehenden Bau­ künstlern als grundlegendes Werkzeug für ihre eigene schöpferische Tätigkeit dienen, sie vom »sklavischen« Nachahmen (Dobbert) abhalten und Maßstäbe zur Bewertung der eigenen Leistungen vermitteln. Der Aufsatz beschreibt die Entwicklung und die Inhalte der Lehrstühle für Kunstgeschichte und Kunstgewerbe.

Wie befremdlich muss den angehenden Technikern der Vortrag des amtierenden Rektors Eduard Dobbert (1839 – 1899) vorgekommen sein, den er ihnen 1886 unter dem Titel Die Kunstgeschichte als Wissenschaft und Lehrgegenstand anlässlich des Kaisergeburtstages in der Aula der Technischen Hochschule Berlin-Charlottenburg präsentierte.2 Hierin schwärmte er anhand der »ernsten majestätischen Schönheit« eines Phidias oder des »sinnige[n], träumerische[n] Blick[s]« des Hermes von Olympia vom Geist vergangener Epochen – ein den Studierenden der technischen Wissenschaften auf den ersten Blick eher fernes Wissensgebiet.3 Dobberts ordentliche Professur für Allgemeine Kunstgeschichte und Ästhetik gehörte der Architekturabteilung der Berliner Hochschule an. Zusammen mit der außerordentlichen Professur für Kunstgewerbe oblag beiden Lehrstühlen die »Vervollständigung des historischen Wissens« durch die Vermittlung der bildenden und angewandten Künste vergangener Epochen.4 Ihre Unterrichtsinhalte nahmen gegen Ende des 19. und am Beginn des 20. Jahrhunderts eine zunehmend höhere Bedeutung in der Ausbildung angehender Architekten ein, vermittelten sie doch grundlegende Werkzeuge für deren spätere schöpferische Tätigkeit. Erst nach dem Ersten Weltkrieg wurden sie aufgrund 1 Da im Untersuchungszeitraum nur fünf Frauen Architektur studiert haben – für Frauen war das Studium an den Technischen Hochschulen erst ab 1909 regulär möglich – wird im Folgenden auf das generische Maskulinum zurückgegriffen. 2 Dobbert 1886. 3 Ebd., S. 7 f. 4 Ebd., S. 9.

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neuer inhaltlicher Schwerpunktsetzungen in der Lehre in die Abteilung für Allgemeine Wissenschaften integriert und zusammengelegt. Der folgende Abriss geht aus diesen Gründen über die alleinige Betrachtung des kunsthistorischen Unterrichts hinaus und skizziert die Entwicklungen beider Lehrstühle unter Berücksichtigung der personellen und inhaltlichen Veränderungen. Aus Platzgründen muss an dieser Stelle jedoch die Baugeschichtslehre außer Acht bleiben, die mit Namen wie Friedrich Adler und Richard Borrmann verbunden ist. Den Vorlesungsverzeichnissen zufolge nahm sie an der Technischen Hochschule (TH) Berlin mit dem primären Ziel, Wissen über historische Stile und Bautechniken zu vermitteln, das den angehenden Architekten Anregungen für eigene Entwürfe liefern sollte, stets einen großen Raum ein.5 I. Die Architekturausbildung an der Technischen Hochschule BerlinCharlottenburg

Die TH Berlin-Charlottenburg (seit 1946 Technische Universität Berlin) ging 1879 aus der Berliner Bauakademie und der Gewerbeakademie hervor (Abb. 1). Ihre Architekturabteilung genoss über das Königreich Preußen hinaus Anerkennung, sodass sich von den insgesamt neun Hochschulen innerhalb des Deutschen Reiches jeder dritte bis vierte Architekturstudent hier ausbilden ließ.6 Um 1900 waren ein Viertel aller deutschen Architekturprofessoren hier beschäftigt, die von knapp der Hälfte aller Privatdozenten und fast 60 Prozent aller Assistenten, die an deutschen Hochbauabteilungen unterrichteten, in ihrer Lehre unterstützt wurden.7 Die Berliner Hochbauabteilung konnte dadurch mit dem umfangreichsten und vielfältigsten Programm an Lehrveranstaltungen für Architekturstudenten aufwarten.8 Die Ausbildung zum Architekten umfasste vier Jahre. In den ersten vier Studienhalbjahren bis zur Vorprüfung erwarben die angehenden Architekten fundierte Kenntnisse auf mathematisch-naturwissenschaftlichen und technisch-konstruktiven Gebieten. Daran schlossen sich Entwurfsübungen an. Die praktische und theoretische ästhetische Erziehung erfolgte von Beginn an einerseits durch künstlerische Kurse wie Malen, Aquarellieren oder Modellieren, andererseits durch bau- und kunsthistorische sowie kunstgewerbliche Lehrveranstaltungen. Die Ausbildung endete für diejenigen, die eine Anstellung im Staatsdienst anstrebten, mit dem Ersten Staatsexamen zum Regierungsbauführer. Alle anderen Studierenden verließen die Hochschule ohne eine Prüfung und erhielten lediglich ein Abgangszeugnis, welches die von ihnen besuchten Veranstaltungen ohne eine Benotung auswies. Erst 5 Technische Hochschule zu Berlin 1879 – 1918. 6 Dies geht aus einer Analyse der Studierendenzahlen hervor, aufgeführt u. a. bei Jänecke 1902, S. 191. 7 Lexis 1904, S. 35. 8 Ebd.

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Abb. 1  : Hermann Rückwardt (Fotograf), Hauptgebäude der Technischen Hochschule Berlin, Lichtdruck auf Karton, 1885. Technische Universität Berlin, Architekturmuseum, Inv.-Nr. 45632.

1902 führte die Charlottenburger Hochbauabteilung als reichsweit letzte die Diplomprüfung ein, die fortan auch das staatliche Examen ersetzte.9 Damit war es auch künftigen freiberuflichen oder in einem privaten Architekturbüro angestellten Architekten möglich, die während des Studiums erworbenen Kenntnisse in Form eines mit Noten versehenen Zeugnisses nachzuweisen. II. Eduard Dobbert – Der erste Inhaber des Lehrstuhls für Kunstgeschichte

Der erste Lehrstuhlinhaber für Allgemeine Kunstgeschichte und Ästhetik an der Architekturabteilung der Berliner TH war der im estnischen Dorpat (Tartu), Jena und Berlin zum Historiker ausgebildete Eduard Dobbert. Seine ordentliche Professur ging aus einer 1850 erstmals mit Ernst Guhl besetzten Dozentur an der Berliner Bauakademie 9 Anonym 1902  ; Minister der öffentlichen Arbeiten 1903.

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hervor, die der Förderung der Allgemeinbildung der angehenden Baumeister diente.10 Dobbert übernahm nach seiner 1873 erfolgten Habilitation an der Münchener Universität die Lehrstühle für Kunstgeschichte von Friedrich Eggers an der Berliner Bau- und der Gewerbeakademie sowie der Akademischen Hochschule für die bildenden Künste, einer von der Akademie der Künste 1875 begründeten Ausbildungsstätte.11 Er behielt die 1878 zur ordentlichen Professur erhobene Stelle auch nach dem Übergang der Bauakademie in die TH bei.12 In seinen ersten kunsthistorischen Arbeiten hatte er sich zeitgenössischen Künstlern wie Ernst Rietschel und Friedrich Kaulbach gewidmet.13 Seinen Studierenden stellte Dobbert die mitteleuropäische Malerei, Skulptur und teilweise auch Architektur sämtlicher Epochen vor und ließ auch das 17., 18. und 19. Jahrhundert nicht aus.14 Damit ging er über den ursprünglich für den kunsthistorischen Unterricht an der TH Berlin angedachten Rahmen des Lehrgebietes hinaus, der sich auf die Zeit von der Antike bis in die Renaissance hätte beschränken sollen.15 Im Gegensatz zur Berliner Bauakademie handelte es sich bei den Vorträgen an der TH nicht mehr nur um Überblicks-, sondern um Spezialvorlesungen.16 Diese bot Dob­ bert gesondert nach Epochen an (Kunstgeschichte des Altertums, Kunstgeschichte des Mittelalters, Kunstgeschichte des 19. Jahrhunderts etc.), die sich vornehmlich an Studierende der ersten vier Semester richteten. Darüber hinaus nahm er aber auch entsprechend seinen eigenen wissenschaftlichen Schwerpunkten Fokussierungen beispielsweise auf die Geschichte der italienischen Kunst im Zeitalter der Renaissance oder die deutsche Kunst im Zeitalter der Reformation vor.17 Eine vom ehemaligen Studenten Friedrich Seesselberg angefertigte Mitschrift aus der Vorlesung zur Geschichte der deutschen Kunst im Zeitalter Dürers und Holbeins und der niederländischen Kunst im Zeitalter Rubens’ und Rembrandts im Sommersemester 1891 stellt unter Beweis, wie fundiert Dobberts Kunstgeschichtsvorlesungen ausfielen.18 Die im Manuskript festgehaltenen Informatio­ 10 Suckale 2000, S. 78. Leider sind in diesem Beitrag zentrale Aussagen nicht mit Quellenangaben belegt. 11 Dobbert, Meyer 1899, S. 157  ; Königliche Technische Hochschule zu Berlin 1900, S. 128f  ; Deutsches Biographisches Archiv (DBA), Eintrag Dobbert, Eduard, Microfiche-Nr. 242, Frame-Nr. 275  ; Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (GStA PK), I. HA Rep. 89 Geheimes Zivilkabinett jüngere Periode, Nr. 21706, fol. 96r. 12 Dobbert, Meyer 1899, S. 157. 13 Dobbert 1869. 14 Königliche Technische Hochschule zu Berlin 1879 – 1880 bis 1898 – 1899. 15 GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium, Vb Sekt. 4 Tit. III Nr. 6 Bd. 6, fol. 30r – 30v. 16 Dobbert, Meyer 1899, S. 147. 17 Königliche Technische Hochschule zu Berlin 1893, S. 13  ; Königliche Technische Hochschule zu Berlin 1886, S. 15. 18 Technische Universität Berlin, Architekturmuseum (TUB-AM), Inv.-Nr. 40194, fol. 278 – 287. Die Kollegniederschrift ist undatiert. Seesselberg war vom Sommersemester 1889 bis zum Sommersemester 1891 und nochmals im Wintersemester 1892/93 an der Berliner Architekturabteilung immatrikuliert (Technische Universität Berlin, Universitätsarchiv (TUB-UA), Matrikelbücher Studierende, Bd. 3, fol. 311v – 312r  ;

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nen belegen, dass sein Unterricht von einem beachtlichen Umfang und einer großen Tiefe gewesen sein muss. Er stellte die wichtigsten niederländischen und deutschen Maler, Grafiker und Bildhauer des 15. und 16. Jahrhunderts vor, darunter Michael Wolgemut, Albrecht Dürer, Bartholomäus Zeitblom oder Veit Stoß. Anhand einzelner Werke erläuterte er die verschiedenen künstlerischen Techniken, wie den Kupferstich und Holzschnitt oder das Zeugdruckverfahren, aber auch die Zeichentechniken einzelner Künstler, wie die Dürers.19 Datierungsmöglichkeiten über den Faltenwurf von Bekleidung ließ Dobbert ebenfalls nicht aus.20 In Ergänzung zu seinen Ausführungen verwies er dabei immer auf wesentliche Literatur oder die in Berliner Museen befindlichen Originale. Denn ergänzend zu seinen Vorlesungen nutzte der Historiker stets auch die Bestände der königlichen Museen der deutschen Hauptstadt, in die er regelmäßig seinen Unterricht verlegte.21 Ihm ging es schließlich um nichts weniger als darum, seinen Studierenden das kunsthistorische Wissen mit möglichst systematischer Vollständigkeit und entsprechend den aktuellen Forschungsergebnissen zu vermitteln.22 III. Die Kunsthistorischen Bilderbogen

Um das eben skizzierte, von Dobbert verfolgte Unterrichtsziel zu erreichen, bediente sich der Professor, wie sein Schüler Seesselberg notierte, der Bilderbogen als wichtiges Hilfsmittel.23 Hierbei handelte es sich um die vom Leipziger Verleger Ernst Arthur Seemann herausgegebenen Kunsthistorischen Bilderbogen – ein mehrbändiges Bildkompendium mit Abbildungen der bedeutendsten Werke der Malerei, Plastik, Architektur und angewandten Künste der abend- und teilweise auch morgenländischen Geschichte. Es sollte dem »Gebrauch bei akademischen und öffentlichen Vorlesungen, sowie beim Unterricht in der Geschichte und Geschmackslehre an Gymnasien […]« dienen (Abb. 2).24 Das durch Dobberts Unterstützung entstandene Werk hatte sich zum Ziel TUB-UA, Matrikelbücher Studierende, Bd. 4, fol. 54v – 55r). Da das Heft mit den Notizen zur Geschichte der Baukunst des Mittelalters beginnt, eine Vorlesung, die Friedrich Adler im Wintersemester 1889/90 anbot, handelt es sich bei den am Ende des Heftes befindlichen sechsseitigen Notizen zu Dobberts als »niederl. u. deutsche Kunst« bezeichneten Veranstaltung vermutlich um die Vorlesung zur Geschichte der deutschen Kunst im Zeitalter Dürers und Holbeins und der niederländischen Kunst im Zeitalter Rubens’ und Rembrandts vom Sommersemester 1891 (Königliche Technische Hochschule zu Berlin 1890, S. 13). 19 TUB-AM, Inv.-Nr. 40194, fol. 279 – 283. 20 TUB-AM, Inv.-Nr. 40194, fol. 281. 21 Königliche Technische Hochschule zu Berlin 1879 – 1880 bis 1898 – 1899. 22 Meyer, Wulff 1900, S. 12. 23 TUB-AM, Inv.-Nr. 40194, fol. 280. 24 Seemann 1879a. Ich danke Kai Wenzel vom Kulturhistorischen Museum Görlitz für die Hilfe bei der Entschlüsselung dieses Literaturkürzels und die Zurverfügungstellung der Kunsthistorischen Bilderbogen aus dem Bestand des Museums für Recherchezwecke.

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Abb. 2  : Kunsthistorischer Bilderbogen, 2. Supplementband, Nr. 351, Holzstich auf Papier, 1883. Foto  : Stefanie Fink.

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gesetzt, »eine Illustration der gesammten Kunstgeschichte« zu bilden.25 Die darin enthaltenen, nach Epochen, Gattungen und Ländern systematisierten Stiche stammten aus eigenen Beständen des Seemann-Verlags, wurden aber auch von anderen Verlegern angekauft, die grundlegende wissenschaftliche Abhandlungen wie Johannes Overbecks Geschichte der griechischen Plastik, Eugène Viollet-le-Ducs Dictionnaire de l’Architecture française oder Lübkes Geschichte der deutschen Renaissance herausgegeben hatten.26 Der 1877 erschienene erste Band der Bilderbogen konnte aufgrund der stets voranschreitenden kunsthistorischen und archäologischen Forschungen, beispielswiese durch die ersten Ausgrabungsergebnisse in Olympia, schnell erweitert werden. Er erfuhr zudem aufgrund des »über alle Erwartung große[n] Erfolg[es], den diese Bilderbogen weit über die Grenzen Deutschlands zu verzeichnen« hatte, bereits zwei Jahre später die dritte Auflage.27 Die Bögen im Quer-Folio-Format konnten gebunden oder einzeln bezogen werden. Ab 1879 erschien ergänzend ein umfangreiches Textbuch zu Seemann’s kunsthistorischen Bilderbogen, für welches sich erst in der zwei Jahre später erschienenen zweiten Auflage der Kunsthistoriker Anton Springer als Autor zu erkennen gab.28 Die Idee eines Lehrbuches, das Professoren in ihrem Unterricht als Grundlage dienen sollte, war dabei keineswegs neu. Bereits 1829 hatte Franz Passow die Grundzüge der Griechischen und Römischen Litteratur- und Kunstgeschichte für den »Gebrauch bey academischen Vorlesungen« veröffentlicht.29 In seinen Vorlesungen scheint Dobbert jedoch nicht auf das Textbuch seines Kollegen Springer zurückgegriffen zu haben  ; dagegen sprechen einerseits eine abweichende Reihenfolge der behandelten Künstler, andererseits aber auch vom Textbuch divergierende Datierungen. IV. Eduard Dobberts Bedeutung als Kunsthistoriker

Als Dobbert 1899 starb, hinterließ er zahlreiche Publikationen. Durch seine Untersuchungen zur frühmittelalterlichen, speziell zur byzantinischen Kunst und deren Verhältnis zur abendländischen Entwicklungsgeschichte sowie zu verschiedenen ikono25 Seemann 1879a, Vorwort. 26 Ebd. 27 Ebd. Dieser erste Teil enthielt Abbildungen zur griechischen und römischen, ägyptischen und vorderasiatischen und altchristlichen Kunst (Architektur und Plastik), zur Baukunst und Ornamentik des Islam, zur Architektur und Plastik des Mittelalters und der italienischen Renaissance. Der zweite Teil zeigte die bedeutendsten Kunstwerke der Bildhauerei in Deutschland, Frankreich und Italien vom 15. bis zum 18. Jahrhundert, die Architekturentwicklung nördlich der Alpen, das europäische und orientalische Kunstgewerbe bis ins 18. Jahrhundert sowie die Geschichte der Malerei vom Altertum bis ins 18. Jahrhundert (Seemann 1879b). 28 Springer 1881. 29 Passow 1829. Die Erstausgabe von 1816 behandelte noch nicht die Kunstgeschichte (Passow 1816).

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grafischen Themata, insbesondere dem Abendmahl, hatte er die Anerkennung seiner Zeitgenossen gefunden.30 Seine Bücher verdeutlichen, dass der Professor sich stets kritisch mit aktuellen Forschungen zu einzelnen Themen auseinandersetzte und versuchte, individuelle Leistungen in ihrem historischen Kontext zu verorten.31 Aus seiner intensiven Beschäftigung mit den bedeutendsten Künstlern des Trecento, darunter Pisano und Giotto, gingen zahlreiche Abhandlungen hervor.32 Ein eigenes Handbuch zur Kunstgeschichte hatte er zwar nicht verfasst, allerdings an Carl Schnaases fünftem Band zur mittelalterlichen Kunst Italiens in dessen Geschichte der bildenden Künste im Mittelalter mitgewirkt und diesen nach Schnaases Tod 1875 auch beendet.33 Die Zwitterstellung der Professur für Kunstgeschichte an der Architekturabteilung der TH formulierte sein Kollege Alfred Gotthold Meyer im Nachruf auf Dobbert wie folgt  : »Als Historiker stand Dobbert zwischen Vertretern solcher Berufe, die gewohnt sind, vor allem den Forderungen der Gegenwart zu entsprechen, als Theoretiker zwischen Künstlern, als Ästhetiker zwischen Technikern«.34 Nichtsdestotrotz habe Dobbert seine Aufgabe zeitlebens darin gesehen, den angehenden (Bau-)Künstlern »das tiefere Eindringen in die Errungenschaften älterer Kunstepochen« zu ermöglichen und »die Vertrautheit mit den geschichtlichen Bedingungen, unter denen die Werke ganz anders gearteter Zeiten entstanden«, herzustellen.35 Denn nur diese Fähigkeit halte den Künstler vom »sklavischen, oberflächlichen Nachahmen« ab und lehre ihn, das an den Werken der Vergangenheit für alle Zeiten Gültige von dem Vergänglicheren zu unterscheiden.36 In diesem Sinn vermöge nur die Kunstgeschichte es, »den Künstler über die Stellung zu belehren, welche der Kunst seiner Zeit, an der er mitzuwirken berufen ist, innerhalb der gesamten Kunstentwicklung gebührt  ; nur die geschichtliche Betrachtung kann ihm Aufschlüsse geben über das Woher und Wohin der Bewegung seiner Kunst  ; sie giebt ihm den Maassstab für die Beurtheilung seiner eigenen Schöpfungen an die Hand, denn sie lehrt ihn die Meisterwerke der Vergangenheit verstehen, an denen er den Werth seiner Leistungen ermessen mag.«37

Insgesamt trug Dobbert zufolge die Kunstgeschichte an den Technischen Hochschulen zur »Förderung des idealen Sinnes« bei.38 Und insbesondere wegen der »Zugehörigkeit 30 Meyer, Wulff 1900, S. 8 – 9. 31 Dobbert 1886, S. 4  ; Dobbert 1876. 32 Dobbert 1894. 33 Schnaase 1876, S. Vf. 34 Meyer, Wulff 1900, S. 14. 35 Ebd., S. 13. 36 Dobbert 1886, S. 11 f. 37 Ebd., S. 12. 38 Ebd., S. 10.

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derselben zu dem einen der an den technischen Hochschulen vertretenen Gebiete des Wissens und Könnens, zum Studium der Architektur«, gehörte sie unzweifelhaft an die Hochbauabteilung.39 V. Dobberts Nachfolger Max Georg Zimmermann

Nach Dobberts Tod im Jahr 1899 wählte die Architekturabteilung den im heute polnischen Elbląg (Elbing) geborenen Max Georg Zimmermann (1861 – 1919) zu seinem Nachfolger.40 Nach einem Studium der Kunstgeschichte und Archäologie in Berlin und München mit anschließender Promotion hatte er eine Tätigkeit als Konservator der Kunstsammlungen an der Königlichen Kunstakademie in Düsseldorf ausgeübt und eine Dozentur für Kunstgeschichte und Literatur an derselben übernommen.41 Ab 1894 widmete sich Zimmermann der Bearbeitung des Kompendiums Allgemeine Kunstgeschichte, das in drei Bänden die Epochen von der Antike bis zur Neuzeit abdeckte, und übernahm fünf Jahre später die Redaktion der Zeitschrift für bildende Kunst.42 Nicht zuletzt waren es aber sicher auch seine Vorstandstätigkeit beim Kunsthistorischen Kongress 1893 in Nürnberg und besonders seine Arbeit im geschäftsführenden Ausschuss des 1897 eröffneten Kunsthistorischen Instituts in Florenz, die das Charlottenburger Kollegium bei seiner Wahl überzeugten.43 Zimmermanns Vorträge an der Berliner Hochbauabteilung erfreuten sich von Beginn an solcher Beliebtheit, dass nicht nur die Studenten der Architektur, sondern auch der anderen Fachbereiche zur Überfüllung der Hörsäle beitrugen.44 Das Kollegium erkannte dadurch in den kunsthistorischen Vorlesungen ein Interesse aller Studierenden nach kunsthistorischer Bildung und sah sich in ihrer mit der Berufung Zimmermanns geäußerten Bitte gegenüber dem Kultusminister bestätigt, eine zweistündige unentgeltliche Vorlesung für alle Studierenden der Hochschule einführen zu dürfen, um »den Sinn und Geist zeitweise einmal von dem ausschließlichen Fachstudium abzulenken und ihn auf die hervorragendsten Epochen der allgemeinen Kulturentwicklung hinzuweisen«.45 Solche kulturgeschichtlichen Vorlesungen – und hierbei waren nicht nur solche zur Kunst-, sondern auch zur Sozial-, Politik39 Ebd. 40 GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium, Vb Sekt. 4 Tit. III Nr. 6 Bd. 6, fol. 39r – 39v. Die von Dob­ bert begonnene Hochschulchronik (Dobbert, Meyer 1899) setzte Alfred Gotthold Meyer fort, der nach Dobberts Tod vertretungsweise auch dessen Vorlesungen übernahm. 41 GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium, Vb Sekt. 4 Tit. III Nr. 6 Bd. 6, fol. 31r – 32r. 42 Ebd.; Knackfuss, Zimmermann 1897  ; Dies. 1900  ; Knackfuss, Zimmermann, Gensel 1903. 43 GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium, Vb Sekt. 4 Tit. III Nr. 6 Bd. 6, fol. 32r. 44 GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium, Vb Sekt. 4 Tit. III Nr. 6 Bd. 6, fol. 112r – 112v. 45 GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium, Vb Sekt. 4 Tit. III Nr. 6 Bd. 6, fol. 37r – 37v  ; GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium, Vb Sekt. 4 Tit. III Nr. 6 Bd. 6, fol. 112v.

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und allgemeinen Geschichte gemeint –, schienen dem Architekturkollegium geeignet, »an den Ereignissen der Vergangenheit das Urtheil über die Gegenwart […] und das Interesse für die Entwickelung der sozialen Verhältnisse zu fördern«.46 Die Kunstgeschichte sollte also den Auftakt für ein Studium generale an der TH bilden. Leider konnten von Zimmermanns Veranstaltungen bisher keine Mitschriften aufgefunden werden. Allein die Vorlesungsverzeichnisse lassen aber den Schluss zu, dass er, wie auch Dobbert, über die für die Architekturstudierenden von der Abteilung vorgesehenen Themen hinausging. Neben der Behandlung der obligatorischen Epochen Antike, Mittelalter und Renaissance führte auch er in die Kunst des 17. und 18. Jahrhunderts ein und unterrichtete die Malerei der Gegenwart oder die Kunst Europas im 19. Jahrhundert.47 Wie bereits bei seinem Vorgänger, richteten sich Zimmermanns Veranstaltungen anfangs an die Studierenden der ersten vier Semester. Dass sie ab 1904/1905 nur noch für diejenigen des fünften bis achten Semesters vorgesehen waren, steht vermutlich im Zusammenhang mit der Einführung der Diplomprüfung 1902, die erstmals auch Fragen aus dem Gebiet der Kunstgeschichte vorsah, womit das Lehrgebiet als prüfungsrelevantes Fach an Bedeutung gewann.48 Möglicherweise ergaben sich dadurch jedoch Mängel im kunsthistorischen Wissen bei den jüngeren Studierenden, denn ein paar Jahre später, ab dem Studienjahr 1910/1911, galten Zimmermanns Vorlesungen schließlich endgültig für alle Semester.49 Als Kunsthistoriker scheint Zimmermann ein wahrer Allrounder gewesen zu sein. Mit Themen wie Die Farbe im Stadtbild, Künstlerische Lehren aus der Geschichte des Städtebaus, Giotto und die Kunst Italiens im Mittelalter oder Die bildenden Künste am Hof Herzog Albrechts V. von Bayern erstreckten sich seine Interessensbereiche, zu denen er Veröffentlichungen vorlegte, über verschiedene Epochen und Gattungen der Kunstgeschichte und bis hin zum Städtebau.50 Hinzu kamen Beschreibungen über Sizilien in der Reihe Berühmte Kunststätten oder zwei Bände über Alte Bauten in Bulgarien, die Cornelius Gurlitt herausgab.51 VI. Die sinkende Bedeutung der Kunstgeschichte für die Architekturausbildung

Nach Zimmermanns Tod 1919, also knapp 20 Jahre nach seiner Berufung, schienen die Bedürfnisse für einen Kunstgeschichtslehrstuhl an der Architekturabteilung verändert. Das 46 GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium, Vb Sekt. 4 Tit. III Nr. 6 Bd. 6, fol. 113r. 47 Königliche Technische Hochschule zu Berlin 1907, S. 28  ; Königliche Technische Hochschule zu Berlin 1910, S. 31. 48 Königliche Technische Hochschule zu Berlin 1904, S. 26  ; Technische Hochschule Berlin 1902, S. 11. 49 Königliche Technische Hochschule zu Berlin 1910 – 1911 bis 1918 – 1919. 50 Zimmermann 1895  ; Ders. 1899  ; Ders. 1909  ; Ders. 1915. 51 Zimmermann 1905  ; Ders. 1916  ; Ders. 1922.

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Kollegium stellte die weitere Notwendigkeit einer solchen Professur in Frage und wollte sie stattdessen in eine bisher fehlende für Kulturgeschichte umwandeln.52 Dazu kam es einerseits, da die Kunstgeschichte künftig als Prüfungsfach entfallen sollte, andererseits, da mit den noch bestehenden Lehrstühlen für Baugeschichte und Kunstgewerbe eine umfassende kunsthistorische Lehre existiere. Das Kollegium bezog sich dabei auf die Wünsche der Studierenden, denen kulturgeschichtliche Vorträge mit einem breiter angelegten Kunstbegriff »einschliesslich der Dichtung, Musik und aller Schöngeistigkeit« fehlten  : »Wenn schon Kunst in höherem Sinne ohne die sie erzeugende und bedingende Kulturgrund­ lage garnicht [sic  !] verstanden werden kann, und die Heranbildung starker künstlerischer Naturen ohne ausreichende Verinnerlichung aus einem gesunden Schöngeistestum nicht möglich ist, so würde ein Unterricht von der erstrebten Art auch ganz allgemein das Bildungs­ niveau im Hochbaufache heben helfen und zugleich inmitten der vielen nüchternen Lehrgebiete für den Studierenden menschlich eine grosse Wohltat darstellen.«53

Der Lehrstuhl sollte jedoch der Hochbauabteilung zugehörig bleiben.54 Nachdem jedoch auch die Abteilung für Allgemeine Wissenschaften eine solche Professur beantragt hatte, zogen die Architekten ihre Wünsche zurück. Möglicherweise befürchteten sie, die Professur ganz zu verlieren. Stattdessen benannten sie als mögliche Nachfolger für Zimmermann die Kunsthistoriker Paul Schubring (1869 – 1935), der an der Architekturabteilung die Dozentur für Kunstgewerbe innehatte, Albert Erich Brinckmann, Hermann Schmitz, August Grisebach und den Österreicher Moritz Dreger.55 Für den Erstgenannten setzten sich auch Paul Clemen, Vorsitzender des Denkmalrates der Rheinprovinz, und Heinrich Wölfflin ein, der Schubrings umfassende Bildung hervorhob und in ihm einen oft unterschätzten Kunsthistoriker sah (»Es mag zugegeben werden, dass ihm eine Originalität im höchsten Sinne versagt ist, aber wie oft kommt diese überhaupt vor  ?«).56 Die in mehreren Schreiben betonte Beliebtheit Schubrings bei seinen Studierenden zeigte sich auch in deren Einsatz beim Kultusministerium für die Berücksichtigung ihres Lehrers bei der Neubesetzung.57 Letztlich folgte Schubring 52 GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium, Vb Sekt. 4 Tit. III Nr. 6 Bd. 11 (unpag.), 8. März 1920, Schreiben des Vorstehers der Architekturabteilung Friedrich Seesselberg an den Kultusminister. 53 Ebd. 54 Ebd. 55 GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium, Vb Sekt. 4 Tit. III Nr. 6 Bd. 11 (unpag.), 15. Mai 1920, Schreiben des Vorstehers der Abteilung für Architektur Friedrich Seesselberg an den Kultusminister. 56 GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium, Vb Sekt. 4 Tit. III Nr. 6 Bd. 11 (unpag.), 30. März 1920, Abschrift eines Schreibens von Heinrich Wölfflin an einen unbenannten Lehrer der Technischen Hochschule Berlin. 57 GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium, Vb Sekt. 4 Tit. III Nr. 6 Bd. 11 (unpag.), 3. Februar 1921, Schreiben des Architekturstudenten Hesse an den Kultusminister.

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1920 einem Ruf an die TH Hannover, möglicherweise auch deswegen, weil die Professur für Kunstgeschichte an der Berliner Hochbauabteilung erneut zur Debatte stand.58 Im Zuge sich anbahnender Reformprozesse in der Architekturausbildung sollte eine Einschränkung des theorielastigen kunsthistorischen Unterrichts zugunsten einer praxisorientierteren Ausbildung stattfinden und Bau- und Kunstgeschichte zukünftig nur noch von einem Lehrer unterrichtet werden.59 Dabei sollten einerseits baugeschichtliche Studien mit zeichnerischen Bauaufnahmen erfolgen.60 Andererseits wurde »anstelle der Beschäftigung mit der Kunstwissenschaft eine solche mit der freien Kunst selber gefordert in dem Sinne, das die jungen Architekten nicht so sehr die Geschichte der Malerei und Plastik studieren als vielmehr mit jungen Malern und Bildhauern zusammen arbeiten und deren Gestaltungsweise kennen lernen sollen und umgekehrt«, wofür eine Zusammenarbeit mit der Hochschule der Künste angedacht war.61 Da im gleichen Jahr die Neubesetzung dreier weiterer ordentlicher Professuren anstand, ­sollten verschiedene inhaltliche Veränderungen in diesen Lehrgebieten zu einer »Verstärkung der handwerklichen Grundlagen« führen und eine »unmittelbare und innige Verbindung mit den Schwesterkünsten der Malerei und Bildhauerei« hergestellt werden, »deren Fehlen seit langem schmerzlich empfunden wurde«.62 Die Baugeschichte sollte fortan nicht mehr getrennt von der Geschichte der Malerei und Plastik unterrichtet, sondern stattdessen sollte »in Zusammenfassung aller Künste unter Voranstellung der Baukunst ein Gesamtbild der Kunstentwicklung gegeben werden, wie es der Student der Architektur als Grundlage für Sonderstudien braucht«.63 Der etatmäßige Lehrstuhl für Kunstgeschichte erfuhr durch die 1922 erfolgte Umstrukturierung der Hochschule einen maßgeblichen Einschnitt  : Er wurde mit der Dozentur für Kunstgewerbe zum außerordentlichen Lehrstuhl für Kunstgewerbe, dekorative Kunst, Stillehre und Kulturgeschichte zusammengelegt und wechselte mit dem Vermerk »künftig wegfallend« von der Abteilung für Architektur an die Fakultät für Allgemeine Wissenschaften.64 Dort zeichnete fortan der an der Marburger Universität habilitierte Kunsthistoriker Constans Franz Bock (1876 – 1944) für die kunsthistorischen und -gewerblichen Vorlesungen für 58 GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium, Vb Sekt. 4 Tit. III Nr. 6 Bd. 11 (unpag.), 13. Oktober 1920, Entwurf zu einem Schreiben des Kultusministeriums an den Rektor der Technischen Hochschule Berlin. 59 GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium, Vb Sekt. 4 Tit. III Nr. 6 Bd. 11 (unpag.), 7. März 1921, Schreiben des Vorstehers der Architekturabteilung Erich Blunck an den Kultusminister. 60 GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium, Vb Sekt. 4 Tit. III Nr. 6 Bd. 11 (unpag.), 5. März 1921, Schreiben des Vorstehers der Architekturabteilung Erich Blunck an den Kultusminister. 61 Ebd. 62 Ebd. 63 GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium, Vb Sekt. 4 Tit. III Nr. 6 Bd. 11 (unpag.), 7. März 1921, Schreiben des Vorstehers der Architekturabteilung Erich Blunck an den Kultusminister. 64 GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium, Vb Sekt. 4 Tit. III Nr. 6 Bd. 11 (unpag.), 23. September 1920, Entwurf zu einem Schreiben des Kultusministers an den Finanzminister.

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alle Abteilungen verantwortlich.65 Er bot Vorlesungen wie Einführung in die deutsche Malerei und Grafik, Stilkunde der frühen Neuzeit oder Die großen Künstler – Eyck, Rubens und Hals an.66 Mit dem Übergang der Professur für Allgemeine Kunstgeschichte in die Fakultät für Allgemeine Wissenschaften war die Abspaltung einer fundierten kunsthistorischen Lehre von der Architektenausbildung personell vollzogen. VII. Der Lehrstuhl für Kunstgewerbe unter Julius Lessing

In Hinblick auf die genannten Diskussionen um den kunsthistorischen Lehrstuhl darf derjenige für das Kunstgewerbe nicht unberücksichtigt bleiben, diente er doch ebenfalls der theoretischen künstlerischen Ausbildung der angehenden Architekten. Seit 1870 führte der in Berlin und Bonn zum klassischen Philologen und Archäologen ausgebildete Julius Lessing (1843 – 1908) Vorträge über das Kunstgewerbe an der Bau- und der Gewerbeakademie und später auch an der Hochbauabteilung der Berliner TH durch.67 Lessing übernahm 1873 das Direktorat des Kunstgewerbemuseums und erweiterte es durch eine rege Erwerbspolitik um prominente Bestände wie das Lüneburger Ratssilber und große Teile der brandenburgisch-preußischen Kunstkammer zu einer der bedeutendsten deutschen Sammlungen ihrer Art.68 In seinen zwischen 1879 und 1897 gehaltenen Hochschulvorlesungen, die sich an die Studierenden des siebten und achten Studienhalbjahres richteten, behandelte er die Geschichte des Kunstgewerbes vom Altertum bis zur Neuzeit, die Holz- und Metallarbeit, Kunsttöpferei sowie -weberei.69 Die Veranstaltungen zu den verschiedenen Handwerkstechniken fanden dabei ausnahmslos im Kunstgewerbemuseum statt, was auf eine objektnahe und anwendungsbezogene Lehre hindeutet. Seine Überblicksvorträge zur Geschichte des Kunstgewerbes hielt Lessing jeweils zur Hälfte in den königlichen Museen und im Hörsaal der Hochschule ab. In Letzterem verwendete er zur Veranschaulichung sicherlich auch die von ihm herausgegebenen Vorbilder-Hefte. Hierin waren die bedeutendsten Objekte aus den einzelnen Abteilungen des Kunstgewerbemuseums systematisiert nach Sammlungsgruppen, Epochen und Ländern – beispielsweise Möbel der Gotik, aus der Zeit Louis XVI. oder aus dem 16. Jahrhundert in Italien – in Form von Fotografien oder kolorierten Stichen mit Maßangaben abgebildet (Abb. 3).70 65 Technische Hochschule zu Berlin 1922, S. 49  ; Deutsches Biographisches Archiv, Eintrag Constans Franz Bock, Microfiche-Nr. 0090, Frame-Nr. 155. 66 Technische Hochschule zu Berlin 1922, S. 49. 67 Schmitz 1908, S. 199 f. 68 Königliche Museen zu Berlin 1897, S. 53  ; Staatliche Museen zu Berlin Preußischer Kulturbesitz 1998, S.  7 f. 69 Königliche Technische Hochschule zu Berlin 1879 – 1880 bis 1896 – 1897. 70 Lessing 1889  ; Ders. 1893a  ; Ders. 1898.

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Abb. 3  : Julius Lessing, Vorbilder-Hefte aus dem Kgl. Kunst­gewerbemuseum Berlin, ­Gothische Möbel, Tiroler Schrank von 1539, Druck, 1889. Foto  : Stefanie Fink.

Aus Lessings Vorlesungen zur Kunsttöpferei und -weberei sind ebenfalls Mitschriften von Seesselberg erhalten geblieben, die zwischen 1890 und 1893 datieren.71 Sie zeigen, dass Lessing in seinem Unterricht der Ausstellungssystematik im von Martin Gropius entworfenen Museumsgebäude folgte, die nach Handwerkstechniken beziehungsweise Gattungen und innerhalb dieser nach Epochen gegliedert war, wobei insbesondere Möbel und Holzarbeiten, dekorative Plastik und Malerei, Kunsttöpferei, Glas- und Metallarbeiten sowie Textilien präsentiert wurden.72 Lessing verdeutlichte seine Auffassung vom künstlerischen Anspruch der Gebrauchsgegenstände im Nachgang der Wiener Weltausstellung von 1873  : Das deutsche Handwerk habe sich im Vergleich zu Frankreichs Kunstgewerbe, das die handwerklichen Traditionen aufrecht71 TU-AM 8156. Diese Kollegniederschrift ist ebenfalls undatiert (siehe Anm. 18). Die Mitschrift zur Geschichte der Kunsttöpferei ist vermutlich im Winterhalbjahr 1890/1891 entstanden, für die Notizen aus der Vorlesung zur Geschichte der Kunstweberei kommen das Sommerhalbjahr 1891 oder das Winterhalbjahr 1892/93 in Betracht, die ein beziehungsweise zwei Studierende besucht hatten (GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium, Vb Sekt. 4 Tit. III Nr. 6 Bd. 5, fol. 24r – 26v, hier fol. 26r). 72 Kunstgewerbe-Museum zu Berlin 1882, S. 7 – 9.

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erhalten habe, als geschmacklos offenbart.73 Die nachfolgenden Generationen sollten wieder »zu technischer und künstlerischer Gediegenheit« erzogen werden, wofür er die deutsche Renaissance als geeignetes Vorbild bezeichnete.74 Dass diese jedoch zwanzig Jahre später zu einem »dekorative[n] Renaissanceaufputz« für Massenprodukte minderwertiger Qualität verkommen war, verurteilte Lessing scharf.75 In seinem Bericht über die Weltausstellung in Chicago 1893 zeigte er sich dann als Anhänger des modernen amerikanischen Kunstgewerbes. Dieses beruhe »nicht auf Launen […], welche mit dem Modegeschmack wechseln«, sondern gebe in manchen Fällen die »Kunstformen« auf und bilde, da es aus der Zweckbestimmung heraus konstruiert würde, »neue, gefällige Formen« aus.76 In seinen Anforderungen konzentriere es sich auf »höchste Zweckangemessenheit, auf Einfachheit und damit verbundene Billigkeit der Herstellung«.77 Die »Selbständigkeit« des amerikanischen Kunstgewerbes wurzle dabei »in den Grundelementen der modernen auf Maschinenarbeit aufgebauten Industrie« und entspreche damit der modernen Forderung, »einfache, leicht herstellbare und leicht verwendbare Formen für die großen Massen der Bevölkerung« herzustellen und dabei ohne »historischen Ballast« alle Errungenschaften der modernen Technik zu nutzen.78 Für das europäische Kunstgewerbe erachtete Lessing es als unerlässlich, dass Kunstschaffende sich von der strengen Konstruktion und der Modernität der amerikanischen Kunst leiten lassen, womit er sich als ein Verfechter eines modernen, von historischen Stilen befreiten Kunstgewerbes positionierte.79 VIII. Lessings Nachfolger Adolf Gotthold Meyer

Lessing schied 1897 aus gesundheitlichen Gründen aus dem Hochschulverband aus.80 Obwohl sein Unterricht zuletzt nur noch auf geringes Interesse bei den Studierenden gestoßen war, wollte das Kollegium seine Vorlesungen zur Geschichte des Kunstgewerbes aufgrund der »engen Beziehungen der Architektur zum Kunsthandwerk« aufrecht erhalten und wählte den Kunsthistoriker Adolf Gotthold Meyer (1864 – 1904) zum Nachfolger auf den außerordentlichen Lehrstuhl.81 Dieser hatte nach seinem Studium in 73 Schmitz 1908, S. 203. 74 Ebd. 75 Ebd., S. 207. 76 Lessing 1893b, S. 5, 44. 77 Ebd., S. 5. 78 Ebd., S. 44. 79 Ebd. 80 GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium, Vb Sekt. 4 Tit. III Nr. 6 Bd. 5, fol. 154r – 157v. 81 GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium, Vb Sekt. 4 Tit. III Nr. 6 Bd. 5, fol. 11r – 11v, fol. 24r – 26v, 154r – 157v, 159r – 160v.

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Berlin und Leipzig zunächst als Direktorialassistent am Städtischen Museum in Leipzig und anschließend am Berliner Kunstgewerbemuseum gewirkt und sich 1894 zur Dekorationsweise und Stillehre der lombardischen Renaissance an der Berliner Architekturabteilung habilitiert.82 Seine einstündigen Vorlesungen, die er seitdem innerhalb und außerhalb der Hochschule durchgeführt hatte, beschäftigten sich mit der Stilgeschichte, der Geschichte der dekorativen Künste, des Ornaments und des Kunstgewerbes. Sie zeugen von einer breiten inhaltlichen Vielfalt  : So lehrte er in seinen ersten drei Jahren als Privatdozent unter anderem die Hausausstattungen und Möbel von der Renaissance bis ins 18. Jahrhundert, die Geschichte des deutschen Hauses von den ältes­ten Zeiten bis zum Ende des Mittelalters (Raumdisposition, Dekoration, Möbel), bot eine geschichtliche Übersicht über die Dekoration der Backsteinbauten und der Terracotta­plastik an, las zur Geschichte und Technologie des deutschen Kunstgewerbes, brachte in Stilgeschichtlichen Übungen seinen Zuhörern die kunsthistorische Bestimmung einzelner Baudenkmäler nach stilkritischen Merkmalen bei oder lehrte sie auf Exkursionen die Stilgeschichte älterer Bauten und Kunstdenkmäler Berlins in ihrer Beziehung zu den dekorativen Künsten und zum Kunstgewerbe.83 Ab 1897 übernahm er Lessings Überblicksvorlesung Encyklopädie des Kunstgewerbes und der dekorativen Künste, die die verschiedenen Handwerkstechniken und Materialien (Metall, Email, Glasmalerei, Holz, Baukeramik, Kunsttöpferei, Mosaik, Intarsien, Textilkunst) umfasste und sich an die Studierenden des dritten und vierten Studienhalbjahres statt wie bisher des fünften bis achten richtete.84 Zusätzlich lehrte er für die höheren Semester weiterhin die Hausausstattungen und Möbel sowie die Stilgeschichte in Dekoration und Kunstgewerbe von der Antike bis ins 19. Jahrhundert.85 Das Lernen vor und mit den Originalen schien Meyer auch weiterhin von großer Bedeutung und so nutzte er für seinen Unterricht Museen, Kirchen und Schlösser in Berlin und Brandenburg, die er auf Exkursionen mit seinen Studierenden erkundete. Zusätzlich führte er sie in verschiedene Werkstätten wie das Institut für Glasmalerei in Charlottenburg, in eine der drei Bronzegießereien der Familie von Hermann Gladenbeck in Friedrichshagen, in die Werkstatt von Ferdinand Paul Krüger, einem der führenden Kunstschmiede, oder in die Fabrik Ernst March & Söhne, die hochwertige Terrakotten beispielsweise für das Berliner Kunstgewerbemuseum, den Görlitzer Bahnhof oder das Rote Rathaus hergestellt hatte.86 Die erstmalig 1898 an der Berliner Architekturabteilung von ihm durchgeführten »Lichtbilder-Demonstrationen« ermöglichten ihm zudem einen anschaulichen

82 Königliche Technische Hochschule zu Berlin 1905, S. 133  ; GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium, Vb Sekt. 4 Tit. III Nr. 6 Bd. 4, fol. 287r – 288v. 83 Königliche Technische Hochschule zu Berlin 1894 – 1895 bis 1896 – 1897. 84 Königliche Technische Hochschule zu Berlin 1897 – 1898 bis 1904 – 1905. 85 Ebd. 86 Königliche Technische Hochschule zu Berlin 1898, S. 151  ; Königliche Technische Hochschule zu Berlin 1902, S. 171.

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Unterricht auch im Hörsaal.87 Hierbei verwendete er das ab den 1870er Jahren von dem Berliner Archäologen Bruno Meyer entwickelte Skioptikon, durch das sich Reproduktionen von Kunstwerken mittels Diapositiven vorführen ließen.88 Zwei Jahre später bot er als erster Lehrer der Abteilung seine Veranstaltungen nicht mehr nur als Vorträge an, sondern als eine Kombination aus Vorlesung und Übung mit Lichtbildern und vor Originalen auf Exkursionen.89 Mit dieser Themenvielfalt und der anwendungsbezogenen Lehre auch mit ­modernen Unterrichtsmitteln, die nicht nur wie bei Lessing im Kunstgewerbemuseum ­stattfand, konnte Meyer überzeugen  : Obwohl seine Veranstaltungen keine Relevanz für die Prüfun­gen besaßen, zog er binnen kurzer Zeit an die einhundert Zuhörer an, die er »zur Begeisterung hinriß«.90 Das große Interesse der Studierenden erklärte sich das Kollegium aber nicht nur mit Meyers pädagogischen Kompetenzen, sondern auch d ­ amit, dass bei der Innenausstattung von Gebäuden die Bauherren zunehmend einen größeren Luxus erwarteten und die Architekten immer öfter auch für die Gestaltung von Ausstattung und Hausrat verantwortlich seien.91 Auch die Industrie lasse sich von ihnen vorzugsweise die Entwürfe für dekorations- und kunstgewerbliche Gegenstände anfertigen.92 Dieser gestiegenen Bedeutung des kunstgewerblichen Unterrichts für die Architekturausbildung wollte die Abteilung mit einer Ausweitung des Lehrstuhls zu einer etatmäßigen Professur entsprechen – ein Wunsch, der beim Kultusministerium aus nicht überlieferten Gründen jedoch keine Unterstützung fand.93 Im Alter von 40 Jahren verstarb Meyer im Jahr 1904.94 Die Hochschule würdigte ihn als »ausgezeichneten Lehrer« und »tüchtigen Pädagogen«, der seine Studierenden zu begeistern vermocht habe.95 Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er zahlreiche Publikationen vorgelegt, die sich mit der Kunst der italienischen Renaissance sowie einzelnen Künstlern wie Giovanni di Balduccio, Reinhold Begas oder Antonio Canova beschäftigten.96 Die von Eduard Dobbert begonnene Chronik zur Geschichte der TH Berlin hatte Meyer nach dessen Tod 1899 rechtzeitig zur Hundertjahrfeier der Hochschule fertiggestellt.97 Sein dreibändiges Werk Das neunzehnte Jahrhundert in der Stilgeschichte blieb 87 Königliche Technische Hochschule zu Berlin 1898, S. 21  ; Königliche Technische Hochschule zu Berlin 1902, S. 25. 88 Zu Bruno Meyers Lehrmedienprojekten ausführlicher siehe der Beitrag von Maria Männig in diesem Band. 89 Königliche Technische Hochschule zu Berlin 1900, S. 20. 90 GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium, Vb Sekt. 4 Tit. III Nr. 6 Bd. 6, fol. 146r – 147v, 22.8.1901  ; Königliche Technische Hochschule zu Berlin 1905, S. 134. 91 GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium, Vb Sekt. 4 Tit. III Nr. 6 Bd. 6, fol. 146r – 147v 92 Ebd. 93 Ebd. 94 GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium, Vb Sekt. 4 Tit. III Nr. 6 Bd. 8, fol. 27r. 95 Königliche Technische Hochschule zu Berlin 1905, S. 134. 96 Meyer 1893  ; Ders. 1897a  ; Ders. 1897b  ; Ders. 1898  ; Ders. 1900. 97 Dobbert, Meyer 1899.

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aufgrund seines frühen Todes unvollendet. Lediglich den ersten Band veröffentlichte Wilhelm Freiherr von Tettau postum unter dem Titel Eisenbauten – ihre Geschichte und Ästhetik.98 Seine ab 1902 herausgegebenen Tafeln zur Geschichte der Möbelformen, in denen er mit der Abbildung bedeutender Werke des Kunstgewerbes das Prinzip der Kunsthistorischen Bilderbogen aufgegriffen hatte, führte der Kunsthistoriker Richard Graul in mehreren Bänden bis 1920 fort.99 IX. Paul Schubring

Nach Meyers Ableben erhielt Paul Schubring ab 1905 die Professur für Kunstgewerbe und dekorative Künste.100 Schubring war zunächst als Theologe tätig gewesen, bevor er Kunstgeschichte, Archäologie und Geschichte in Leipzig studierte. Nach einem Volontariat am Kunstgewerbemuseum und einer Anstellung im Alten Museum unterrichtete er nach Dobberts Tod 1899 Kunstgeschichte an der Akademischen Hochschule für bildende Künste in Berlin.101 An der Charlottenburger Architekturabteilung hatte sich Schubring 1904 über Italienische Kunstgeschichte des Mittelalters und der Renaissance habilitiert.102 Zu diesem Zeitpunkt hatte er hierüber erste Veröffentlichungen, beispielsweise zur Schule Donatellos und der Sieneser Plastik im Quattrocento, aber auch kunsthistorische Beschreibungen bedeutender Städte wie Pisa oder Florenz vorgelegt.103 Wie sein Vorgänger Meyer las er an der TH unter Verwendung von Lichtbildern über die Geschichte des Kunstgewerbes und die Hausausstattungen und Möbel der verschiedenen Epochen und bot Stilkritische Übungen in den Museen an, die sich an alle Studierenden der verschiedenen Studienjahre richteten.104 Ab 1908 kamen unter dem Titel Bilder aus der Kulturgeschichte unentgeltlich gehaltene Vorlesungen hinzu, in denen Schubring sich allgemeineren kulturgeschichtlichen Themen wie dem deutschen Mittelalter, der italienischen Renaissance oder der griechischen Mythologie widmete.105 Seine Vorlesungen über Hausausstattungen von der Antike bis ins 19. Jahrhundert ergänzte er um Kirchen- und Schlossausstattungen.106 Die Architekturstudierenden unterrichtete  98  99 100 101 102 103 104 105 106

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Meyer, Tettau 1907. Meyer, Graul 1902 – 1920. GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium, Vb Sekt. 4 Tit. III Nr. 6 Bd. 8, fol. 148r. GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium, Vb Sekt. 4 Tit. III Nr. 6 Bd. 7 (unpag.), ohne Datum, Lebenslauf von Paul Schubring. GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium, Vb Sekt. 4 Tit. III Nr. 6 Bd. 7 (unpag.), 24. Februar 1904, Schreiben des Vorstehers der Architekturabteilung Zimmermann an den Kultusminister. Schubring 1902a  ; Ders. 1902b  ; Ders. 1903a  ; Ders. 1903b. Königliche Technische Hochschule zu Berlin 1906 – 1907 bis 1908 – 1909. Königliche Technische Hochschule zu Berlin 1908 – 1909 bis 1912 – 1913. Königliche Technische Hochschule zu Berlin 1910 – 1911 bis 1917 – 1918.

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er im Unterscheiden der Stilarten und bot erstmals auch Übungen über den Altar und die Kirchenausstattung und zur Entwicklung der Museen und der Museumstechnik an.107 Schubrings Leidenschaft blieben jedoch die bildenden Künste. Sein 1909 erstmals veröffentlichtes Hilfsbuch zur Kunstgeschichte erfuhr bis in die 1920er Jahre mehrere Auflagen.108 Während des Ersten Weltkrieges erschien in der Reihe Handbuch der Kunstwissenschaft sein umfangreicher und reich bebilderter Band zur italienischen Plastik des Quattrocento.109 Als Schubring 1920 einen ordentlichen Lehrstuhl für Kunstgeschichte an der TH Hannover übernahm, konnte er sich wieder inhaltlich seiner eigentlichen Profession widmen und es erschienen neben seinem umfangreichen Buch zur Kunst der Hochrenaissance in Italien in der Propyläen Kunstgeschichte einzelne monografische Abhandlungen beispielsweise zu Luca della Robbia, Donatello oder Francesco di Angelo Gaddi.110 Ab 1933 gehörte Schubring zu jenen Professoren, die das Bekenntnis zu Adolf Hitler und dem nationalsozialistischen Staat unterschrieben.111 Schubrings Wechsel nach Hannover markiert das Ende des kunstgewerblichen Unterrichts an der Berliner Architekturabteilung. Seine Dozentur für Kunstgewerbe wurde im gleichen Jahr mit der seit 1919 vakanten etatmäßigen Professur für Kunstgeschichte in einen außerordentlichen Lehrstuhl umgewandelt und wechselte in die Fakultät für Allgemeine Wissenschaften.112 Durch den Wegfall des umfangreichen kunsthistorischen und kunstgewerblichen Unterrichts konnte sich die Architekturlehre nun auf die rein architektonischen Fächer konzentrieren. Neue, den zeitgenössischen Anforderungen an die Architekten angepasste Lehrinhalte wie der Wohnungs- und Städtebau, die Gartenkunst oder Handwerkskunde sowie zunehmend notwendiger gewordene wirtschaftsund rechtswissenschaftliche Kurse wurden ab 1922 eingeführt.113 X. Privatdozenturen

Während die Professoren für Kunstgeschichte und Kunstgewerbe ihre Lehrgebiete zumeist in Form von Überblicksdarstellungen vermittelten, besaßen die den Lehrstühlen zugehörigen Privatdozenten weitaus größere Spielräume hinsichtlich einer inhaltlichen 107 Ebd. 108 Schubring 1909. 109 Schubring 1915. 110 GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium, Vb Sekt. 4 Tit. III Nr. 6 Bd. 11 (unpag.), 23. September 1920, Entwurf zu einem Schreiben des Kultusministers an den Finanzminister  ; Schubring 1921  ; Ders. 1922  ; Ders. 1924  ; Ders. 1926. 111 Nationalsozialistischer Lehrerbund Deutschland-Sachsen o. J., S. 134. 112 GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium, Vb Sekt. 4 Tit. III Nr. 6 Bd. 11 (unpag.), 23. September 1920, Entwurf zu einem Schreiben des Kultusministers an den Finanzminister. 113 Technische Hochschule zu Berlin 1922 – 1925.

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Schwerpunktsetzung. In Vorträgen und Übungen fand bei ihnen eine hohe Spezialisierung der angehenden Architekten statt. So hielt beispielsweise Oscar Bie, der sich an der Berliner Hochschule bei Friedrich Adler im Bereich der Archäologie habilitiert hatte, ab 1901 Vorlesungen zur Modernen Kunst.114 Vermutlich behandelte er hierbei auch die in seinem zeitgleich entstandenen Buch thematisierten Werke von Otto Eckmann, Melchior Lechter, Max Liebermann, Gustav Klimt oder Théophile-Alexandre Steinlen.115 Zu den weiteren Habilitanden in den historischen Fächern der Architekturabteilung gehörten unter anderen auch die Kunsthistoriker Georg Voß, späterer Konservator der Kunstdenkmäler in Thüringen, und Max Schmidt, später Schmidt-Burgk, der 1894 einen ordentlichen Lehrstuhl für Kunstgeschichte und Ästhetik an der TH Aachen übernahm und das dortige Reiff-Museum zu einem wichtigen Ausstellungsort für moderne Kunst ausbaute.116 Mit seiner Schrift Die Entstehung der Kunstkritik im Zusammenhange der Geschichte des europäischen Kunstlebens kam Albert Dresdner 1915 als Privatdozent hinzu.117 Dresdner lehrte die Kunstgeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts, die Geschichte des europäischen Kunstlebens und Kunstpolitik.118 XI. Fazit

Die genannten Professoren und Privatdozenten hielten ein beachtliches Angebot unterschiedlichster Themen bereit, um den Architekturstudierenden eine fundierte kunsthistorische und -gewerbliche Ausbildung zu ermöglichen. Der Lehrstuhl für Kunstgeschichte spielte dabei eine zunehmend wichtigere Rolle  : Mit der Einführung des Diploms 1902 gingen erstmals auch Fragen zur Plastik und Malerei in die Prüfungen ein, womit dem Unterricht neben den technischen, naturwissenschaftlichen, entwerfenden und zeichnerischen Fächern eine gleichwertige Bedeutung innerhalb des Curriculums zukam. Parallel hatte die Zahl kunsthistorischer und -gewerblicher Vorlesungen und Übungen seit den 1890er Jahren stetig zugenommen, was insbesondere mit einer steigenden Anzahl an Privatdozenten zusammenhing. Eine Habilitation für Kunstge114 Königliche Technische Hochschule zu Berlin 1899 – 1900 bis 1905 – 1906. 115 Bie 1905. 116 GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium, Vb Sekt. 4 Tit. III Nr. 6 Bd. 10, fol. 325r und 351r  ; GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium, Vb Sekt. 4 Tit. III Nr. 6 Bd. 2, fol. 62r – 63r  ; GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium, Vb Sekt. 4 Tit. III Nr. 6 Bd. 4, fol. 96r – 97v. Zu Max Schmidt-Burgk und seiner Bedeutung für das Reiff-Museum siehe den Beitrag von Martina Dlugaiczyk in diesem Band. 117 GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium, Vb Sekt. 4 Tit. III Nr. 6 Bd. 11 (unpag.), 16. Juli 1915, Schreiben des Vorstehers der Architekturabteilung Borrmann an den Kultusminister. 118 GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium, Vb Sekt. 4 Tit. III Nr. 6 Bd. 11 (unpag.), 16. Juli 1915, Schreiben des Vorstehers der Architekturabteilung Borrmann an den Kultusminister  ; Technische Hochschule zu Berlin 1915 – 1916 bis 1933 – 1934.

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schichte an der Berliner Architekturabteilung war attraktiv geworden und Gesuche mussten zeitweilig aufgrund zunehmender inhaltlicher Überschneidungen der vorgeschlagenen Forschungsthemen abgelehnt werden – und dies, obwohl die renommierte Friedrich-Wilhelms-Universität mit Hermann Grimm, Heinrich Wölfflin oder Harry Bresslau in Reichweite lag, an der einige der an der Charlottenburger Architekturabteilung Habilitierten auch studiert hatten.119 Hatte sich der kunsttheoretische Unterricht an der Bauakademie lediglich auf die Baugeschichte und das Kunstgewerbe beschränkt, so ging es an der TH ab 1879 zunehmend darum, durch den Erwerb fundierter Kenntnisse in allen Bereichen der Kunst ein tieferes Verständnis für vergangene Epochen zu erlangen. Von mittelalterlicher Buchmalerei bis zur Jugendstilzeichnung, von antiken Hermen bis zur barocken Skulptur – das Spektrum der Gattungen und Epochen, welche die Lehrer den Architekturstudierenden vermittelten, erreichte eine erstaunliche Breite. In einer Zeit, in der das möglichst authentische Kopieren historischer Formensprachen einen Ausdruck für qualitätvolle Baukunst darstellte und der Architekt nicht nur für den Bau, sondern auch dessen Ausstattung inklusive des Hausrates verantwortlich zeichnete, spielten solche Kenntnisse eine herausragende Rolle. Erst mit der Neugestaltung des Lehrplans nach dem Ersten Weltkrieg verlor der kunsthistorische Unterricht an Bedeutung und musste neuen Dozenturen weichen. Zur »Förderung des idealen Sinnes« besaß die Kunstgeschichte als Prüfungsfach jedoch weiterhin Relevanz.120 Literatur Anonym 1902 – Anonym  : Eine Diplomprüfung für Architekten ist an der Technischen Hochschule in Berlin […], in  : Deutsche Bauzeitung 36 (1902), S. 391. Bie 1905 – Oscar Bie  : Die moderne Zeichenkunst, Berlin 1905. Dobbert 1869 – Eduard Dobbert  : Die monumentale Darstellung der Reformation durch Rietschel und Kaulbach, Berlin 1869. Dobbert 1873 – Eduard Dobbert  : Ueber den Styl Nicolo Pisano’s und dessen Ursprung, München 1873. Dobbert 1876 – Eduard Dobbert  : Das Wiederaufleben des griechischen Kunstgeistes. Vortrag gehalten am Schinkelfest den 13. März 1876, Berlin 1876. Dobbert 1886 – Eduard Dobbert  : Die Kunstgeschichte als Wissenschaft und Lehrgegenstand. Rede zum Geburtsfeste Seiner Majestät des Kaisers und Königs in der Aula der Königlichen Technischen Hochschule zu Berlin am 21.3.1886 gehalten, Berlin 1886. Dobbert 1894 – Eduard Dobbert  : Zur byzantinischen Frage. Die Wandgemälde in S. Angelo in Formis, Berlin 1894.

119 GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium, Vb Sekt. 4 Tit. III Nr. 6 Bd. 5, fol. 19r – 20v. 120 Preußische Technischen Hochschulen 1922, S. 14.

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Dobbert, Meyer 1899 – Eduard Dobbert, Alfred Gotthold Meyer  : Chronik der Königlichen Technischen Hochschule zu Berlin 1799 – 1899, Berlin 1899. Jänecke 1902 – Wilhelm Jänecke  : Der Architekt, Hannover 1902. Knackfuss, Zimmermann 1897 – Hermann Knackfuss, Max Georg Zimmermann  : Allgemeine Kunstgeschichte. Bd. 1  : Kunstgeschichte des Altertums und des Mittelalters bis zum Ende der romanischen Epoche, Bielefeld 1897. Knackfuss, Zimmermann 1900 – Hermann Knackfuss, Max Georg Zimmermann  : Allgemeine Kunstgeschichte. Bd. 2  : Kunstgeschichte der Gotik und Renaissance, Bielefeld 1900. Knackfuss, Zimmermann, Gensel 1903 – Hermann Knackfuss, Max Georg Zimmermann, Walther Gensel  : Allgemeine Kunstgeschichte. Bd. 3  : Kunstgeschichte des Barock, Rokoko und der Neuzeit, Bielefeld 1903. Königliche Museen zu Berlin 1897 – Königliche Museen zu Berlin (Hg.)  : Kunsthandbuch für Deutschland. Verzeichnis der Behörden, Sammlungen, Lehranstalten und Vereine für Kunst, Kunstgewerbe und Altertumskunde, Berlin 51897. Königliche Technische Hochschule zu Berlin – Königliche Technische Hochschule zu Berlin  : Programme für die Studienjahre 1879 – 1918, mehrere Bände, Berlin 1879 – 1918. Kunstgewerbe-Museum zu Berlin 1882 – Kunstgewerbe-Museum zu Berlin (Hg.)  : Führer durch die Sammlung, Berlin 41882. Lessing 1889 – Julius Lessing (Hg.)  : Vorbilder-Hefte aus dem Kgl. Kunstgewerbe-Museum. Heft 8  : Gothische Moebel, Berlin 1889. Lessing 1893a – Julius Lessing (Hg.)  : Vorbilder-Hefte aus dem Kgl. Kunstgewerbe-Museum. Heft 14  : Italienische Moebel XVI. Jahrhundert, Berlin 1893. Lessing 1893b – Julius Lessing  : Kunstgewerbe. Sonderabdruck aus dem Amtlichen Bericht über die Weltausstellung in Chicago 1893, Berlin 1893. Lessing 1898 – Julius Lessing (Hg.)  : Vorbilder-Hefte aus dem Kgl. Kunstgewerbe-Museum. Heft 21  : Moebel aus der Zeit Louis XVI. (Zopfstil), Berlin 1898. Lexis 1904 – Wilhelm Lexis  : Das Unterrichtswesen im Deutschen Reich. Aus Anlaß der Weltausstellung in St. Louis. IV. Band  : Das technische Unterrichtswesen, 1. Teil  : Die Technischen Hochschulen, Berlin 1904. Meyer 1893 – Adolf Gotthold Meyer  : Lombardische Denkmäler des vierzehnten Jahrhunderts. Giovanni di Balduccio da Pisa und die Campionesen. Ein Beitrag zur Geschichte der oberitalienischen Plastik, Stuttgart 1893. Meyer 1897a – Adolf Gotthold Meyer  : Oberitalienische Frührenaissance. Bauten und Bildwerke der Lombardei. Bd. 1  : Die Gothik des Mailänder Domes und der Übergangsstil, Berlin 1897. Meyer 1897b – Adolf Gotthold Meyer  : Reinhold Begas. Mit 117 Abbildungen nach Skulpturen, Gemälden und Zeichnungen, Bielefeld 1897. Meyer 1898 – Adolf Gotthold Meyer  : Canova. Mit 98 Abbildungen nach Skulpturen und Zeichnungen, Bielefeld 1898. Meyer 1900 – Adolf Gotthold Meyer  : Oberitalienische Frührenaissance. Bauten und Bildwerke der Lombardei. Bd. 2  : Die Blüthezeit, Berlin 1900. Meyer, Graul 1902 – 1920 – Adolf Gotthold Meyer, Richard Graul  : Tafeln zur Geschichte der Möbelformen, mehrere Bände, Leipzig 1902 – 1920.

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Meyer, Tettau 1907 – Adolf Gotthold Meyer, Wilhelm Freiherr von Tettau  : Eisenbauten. Ihre Geschichte und Ästhetik, Esslingen 1907. Meyer, Wulff 1900 – Adolf Gotthold Meyer, Oskar Wulff (Hg.)  : Eduard Dobbert. Reden und Aufsätze kunstgeschichtlichen Inhalts, Berlin 1900. Minister der öffentlichen Arbeiten 1903 – Minister der öffentlichen Arbeiten  : Ersetzung der Vorprüfung und der ersten Hauptprüfung für den Staatsdienst im Baufache durch die Diplomprüfung, in  : Zentralblatt für die gesamte Unterrichtsverwaltung in Preußen 8 (1903) S.  409 – 411. Nationalsozialistischer Lehrerbund Deutschland-Sachsen – Nationalsozialistischer Lehrerbund Deutschland-Sachsen  : Bekenntnis der Professoren an den deutschen Universitäten und Hochschulen zu Adolf Hitler und dem nationalsozialistischen Staat, o. O., o. J. Passow 1816 – Franz Passow  : Grundzüge der Griechischen und Römischen Litteraturgeschichte. Zum Gebrauch bey academischen Vorlesungen entworfen, Berlin 1816. Passow 1829 – Franz Passow  : Grundzüge der Griechischen und Römischen Litteratur- und Kunst­geschichte zum Gebrauch bey academischen Vorlesungen entworfen, Berlin 21829. Preußische Technische Hochschulen 1922 – Preußische Technische Hochschulen  : Diplomprüfungs-Ordnung für die Preußischen Technischen Hochschulen, o. O. 1922. Schnaase 1876 – Carl Schnaase  : Geschichte der bildenden Künste im Mittelalter. 5. Bd.: Das Mittelalter Italiens und die Grenzgebiete der abendländischen Kunst, Düsseldorf 1876. Schmitz 1908 – H. Schmitz  : Julius Lessing (gest. 14. März 1908), in  : Deutsche Kunst und Dekoration. Illustrierte Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst und künstlerische Frauen-Arbeiten 22 (1908), S. 199 – 208. Schubring 1902a – Paul Schubring  : Pisa, Leipzig 1902. Schubring 1902b – Paul Schubring  : Florenz 1. Die Gemälde-Galerien der Uffizien und des Palazzo Pitti, Stuttgart 1902. Schubring 1903a – Paul Schubring  : Urbano da Cortona. Ein Beitrag zur Kenntnis der Schule Donatellos und der Sieneser Plastik im Quattrocento, Strassburg 1903. Schubring 1903b – Paul Schubring  : Florenz 2. Bargello, Domopera, Akademie, kleinere Sammlungen, Stuttgart 1903. Schubring 1909 – Paul Schubring  : Hilfsbuch zur Kunstgeschichte. Heiligenlegenden, Mythologie, Technik, Zeittafeln, Berlin 1909. Schubring 1915 – Paul Schubring  : Die italienische Plastik des Quattrocento, Berlin 1915. Schubring 1921 – Paul Schubring  : Luca della Robbia und seine Familie, Bielefeld 1921. Schubring 1922 – Paul Schubring  : Donatello. Des Meisters Werke in 278 Abbildungen, Stuttgart 1922. Schubring 1924 – Paul Schubring  : Die Bücher des Francesco di Angelo Gaddi in Florenz, Leipzig 1924. Schubring 1926 – Paul Schubring  : Die Kunst der Hochrenaissance in Italien, Berlin 1926. Seemann 1879a – Ernst August Seemann  : Kunsthistorische Bilderbogen, für den Gebrauch bei akademischen und öffentlichen Vorlesungen, sowie beim Unterricht in der Geschichte und Geschmackslehre an Gymnasien, Real- u. höheren Töchterschulen zusammengestellt. 1. Hälfte, Bogen 1 – 120, Leipzig 31879. Seemann 1879b – Ernst August Seemann  : Kunsthistorische Bilderbogen, für den Gebrauch

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bei akademischen und öffentlichen Vorlesungen, sowie beim Unterricht in der Geschichte und Geschmackslehre an Gymnasien, Real- u. höheren Töchterschulen zusammengestellt. 2. Hälfte, Bogen 121 – 246, Leipzig 21879. Seemann 1879c – Ernst Arthur Seemann  : Seemanns Kunsthistorische Bilderbogen. 2. Textbuch, Leipzig 1879. Springer 1881 – Anton Springer  : Textbuch zu den kunsthistorischen Bilderbogen, Leipzig 21881. Staatliche Museen zu Berlin Preußischer Kulturbesitz 1998 Staatliche Museen zu Berlin Preußischer Kulturbesitz (Hg.)  : Kunstgewerbemuseum Berlin, München 1998. Suckale 2000 – Robert Suckale  : 150 Jahre Kunstgeschichte. Zwischen Dienstleistung und hochschulgemäßer Profilierung, in  : Karl Schwarz (Hg.)  : 1799 – 1999. Von der Bauakademie zur Technischen Universität Berlin. Geschichte und Zukunft. Ausstellungskatalog Berlin, Berlin 2000, S.  78 – 83. Technische Hochschule Berlin 1902 – Technische Hochschule Berlin  : Diplomprüfungs-Ordnung für die Abteilung für Architektur an der Königlichen Technischen Hochschule zu Berlin, Berlin 1902. Technische Hochschule zu Berlin 1919 – 1925 – Technische Hochschule zu Berlin  : Programme für die Studienjahre 1919 – 1925, mehrere Bände, Berlin 1919 – 1925. Zimmermann 1895 – Max Georg Zimmermann  : Die bildenden Künste am Hof Herzog Al­ brecht’s V. von Bayern, Strassburg 1895. Zimmermann 1899 – Max Georg Zimmermann  : Giotto und die Kunst Italiens im Mittelalter. Bd. 1  : Voraussetzungen und erste Entwicklungen von Giottos Kunst. Leipzig 1899. Zimmermann 1905 – Max Georg Zimmermann  : Sizilien, Teil 2  : Palermo. Leipzig 1905. Zimmermann 1909 – Max Georg Zimmermann  : Künstlerische Lehren aus der Geschichte des Städtebaus, in  : Joseph Brix, Felix Genzmer  : Städtebauliche Vorträge aus dem Seminar für Städtebau an der Königlichen Technischen Hochschule zu Berlin. Bd. 2.5, Berlin 1909. Zimmermann 1915 – Max Georg Zimmermann  : Die Farbe im Stadtbild, in  : Joseph Brix, Felix Genzmer  : Städtebauliche Vorträge aus dem Seminar für Städtebau an der Königlichen Technischen Hochschule zu Berlin. Bd. 8.1, Berlin 1915. Zimmermann 1916 – Max Georg Zimmermann  : Alte Bauten in Bulgarien. Bd. 1, Berlin 1916. Zimmermann 1922 – Max Georg Zimmermann  : Alte Bauten in Bulgarien. Bd. 2, Berlin 1922.

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Von der Dozentur zur Rektoratswürde Kunstgeschichte und Kunsthistoriker an der TH Hannover – Chronik der ersten Jahrzehnte

Der Beitrag widmet sich den ersten Kunsthistorikergenerationen an der TH Hannover von 1891 bis 1955. Er zeichnet die anfänglichen Bemühungen um die Etablierung der Disziplin Kunstgeschichte an der TH Hannover nach und legt die zahlreichen Wand­ lungen im Selbstverständnis des Faches sowie dessen Rollenzuweisung im Gesamtge­ füge des Architekturcurriculums dar. Der Bogen reicht von Heinrich Holtzinger bis zu Hermann Deckert, der 1951 nicht nur als erster Kunsthistoriker, sondern überhaupt als erster Geisteswissenschaftler an der TH Hannover zum Rektor gewählt wurde.

Im Unterschied zu anderen Technischen Hochschulen hat sich in Hannover die Kunstgeschichte vergleichsweise spät als eigenes Fach und als eigenständige Professur etabliert. Erst 1891 wurde mit Heinrich Holtzinger erstmals ein Ordinarius für Kunstgeschichte berufen. Über die Jahrzehnte wandelte sich sowohl das Selbstverständnis des Faches als auch seine Rolle innerhalb des Curriculums der Architekturausbildung. Das hängt nicht zuletzt mit der Entwicklung des Faches Baugeschichte zusammen, das in jenen Jahrzehnten ebenfalls einen Wandel durchmachte. Eine Darstellung der Disziplin Kunstgeschichte an der TH Hannover ist daher nicht von der gleichzeitigen Entwicklung der Baugeschichte zu trennen. Im Rahmen der Architekturausbildung war es schon im 19. Jahrhundert üblich, die Lehre nicht ausschließlich in die Hände von Architekten zu legen, sondern auch Fachleute angrenzender Disziplinen einzubeziehen. Dazu gehörten Statiker, Maschinen­bauer, Baustoffkundler und andere mehr. Lange Zeit umschloss dieser Kreis die sogenannten polytechnischen Fächer. Mit der Zeit kamen dann auch andere Fachvertreter hinzu, etwa Zeichenlehrer, Juristen, Ökonomen – und Kunsthistoriker. Die Erwartungshaltung an diese Disziplinen war üblicherweise nicht die, dass sie sich voll entfalten (wie an ihren Mutterfakultäten), sondern dass sie sich im Dienste der Architektur einbringen, sich gleichsam unter das Dach der Architektur begeben. Das kann Synergien freisetzen, es kann aber auch als Beschränkung empfunden werden. So hatten Kunsthistoriker an Technischen Hochschulen damit zu kämpfen, dass sie dort keinen ›eigenen‹ Nachwuchs ausbilden und auch keine philosophischen Promotionen verleihen konnten, die sie in ihrem akademischen Werdegang selbst erlangt hatten. Unter Kunsthistorikern galt ein Lehrstuhl an einer Technischen Hochschule mitunter als ein Lehrstuhl zweiter Klasse. Diese Vorbehalte scheinen auch in der Be191

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rufungsgeschichte an der TH Hannover immer wieder durch. Als Heinrich Wölfflin 1891 auf der Berufungsliste für Hannover stand, sprach er mit seinem Mentor Heinrich Brunn über die Sorge, »der Universität entfremdet zu werden«.1 Dieselbe Sorge sollte später auch August Grisebach haben. Andererseits eröffnen sich der Kunstgeschichte an einer Technischen Hochschule Möglichkeiten und Perspektiven, die »keine klassische Universität bieten kann«, wie es Robert Suckale einmal formuliert hat.2 Daraus kann ein fruchtbarer Mehrwert entstehen. Diejenigen, die diese Möglichkeiten für sich erkannten und nutzten, sahen sich an der Technischen Hochschule nicht in einer Nische. Zu ihnen zählte Hermann Deckert. Als Kunsthistoriker genoss er unter seinen Kollegen eine so große Wertschätzung, dass er 1951 sogar zum Rektor der TH Hannover gewählt wurde. Damit war er nicht nur der erste Kunsthistoriker in diesem Amt, sondern überhaupt der erste Geisteswissenschaftler, der die TH Hannover leitete. I. Die Entwicklung vor 1891  : Von Conrad Wilhelm Hase zu Konrad Lange

Dass sich in Hannover die Kunstgeschichte erst relativ spät als eigenständige Professur etablierte, hängt zu einem Gutteil mit der Person Conrad Wilhelm Hase (1818 – 1902) zusammen. Hase unterrichtete am Polytechnikum mehr als vier Jahrzehnte ›Baukunst‹ (i. e. Hochbau). Er zählte zu den einflussreichsten Lehrpersönlichkeiten der Hochschule und entfaltete auch über die Institution hinaus eine große Wirkung.3 In den ersten Jahrzehnten ruhte die Architekturausbildung in Hannover auf zwei Lehrern. In den 1830er und 1840er Jahren waren dies Ernst Ebeling und Friedrich Osten, ihnen folgten dann Hase (ab 1849) und Ludwig Debo (ab 1851). Angesichts dessen ist es keineswegs verwunderlich, dass die ersten Lehrer ein breites Fächerspektrum abdeckten, um ein mehrjähriges Architekturcurriculum anbieten zu können. Hase und Debo teilten sich die Architekturlehre so untereinander auf, dass Debo eher den baupraktischen Teil unterrichtete (Baukonstruktion, Baumaterialien, Gebäudelehre und Kostenanschläge), während Hase sich stärker auf das ästhetische Fach konzentrierte (Baustile, Ornamentik, Perspektive und Geschichte der Baukunst). Als in späteren Jahren weitere Lehrer und Dozenten an die Seite von Hase und Debo traten, gaben diese einzelne Lehrgebiete an die Kollegen ab. Die Geschichte der Baukunst indessen behielt sich Hase über alle Jahrzehnte bis zu seinem Ausscheiden 1893 selbst vor. 1 Heinrich Wölfflin an August Grisebach (2. September 1919) unter Bezugnahme auf seinen möglichen Ruf nach Hannover im Jahre 1891. Zit. nach  : Maurer 2007, S. 175. 2 Suckale 2000, S. 83. 3 Zu Hase und seiner Wirkung als Lehrer zuletzt  : Jager 2019 (dort weitere Literatur). Siehe ferner Kokkelink 1981.

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Von der Dozentur zur Rektoratswürde

Zu Hases Zeiten wurde die Baugeschichte nicht als Grundlagen- und Einführungsfach im ersten Studienjahr unterrichtet, sondern im letzten Studienjahr, gleichsam als Zielpunkt der Ausbildung. Geschichte der Baukunst war kein allgemeinbildendes Fach, sondern den höheren Semestern vorbehalten. Mit dem Anwachsen des Lehrkörpers wandelte sich die Baugeschichte mehr und mehr zu einem stilkundlichen Entwerfen. So lehrte Hase neben der allgemeinen Baugeschichte auch das Entwerfen im mittelalterlichen Stil. Sein 1863 berufener Kollege Heinrich Köhler war für das Entwerfen im Geiste der Antike und der Renaissance verantwortlich. Seither gingen Baugeschichte und eine an den historischen Stilen orientierte Entwurfslehre (sowie entsprechende Lehrstuhldenominationen) über Jahrzehnte Hand in Hand. Das sollte sich in Hannover erst im 20. Jahrhundert allmählich wandeln. Neben der Baugeschichte etablierten sich in der Zeit um 1880 die Geschichte der Kunst und die Geschichte des Kunstgewerbes als eigene Lehrgebiete der Architektenausbildung. Es ist die Zeit, in der das Polytechnikum den Status einer Hochschule erlangte. Im Mai 1877 wurde erstmals eine Dozentur für Kunstgeschichte ausgeschrieben, die Geschichte des Kunstgewerbes war ab 1881 im Curriculum vertreten. Bei der Suche nach einem geeigneten Dozenten für Kunstgeschichte erkundigte man sich bei Wilhelm Lübke in Stuttgart und bei Friedrich Wieseler in Göttingen nach Kandidaten.4 In Anbetracht der bescheidenen Möglichkeiten, die eine solche Dozentur eröffnete, scheint der Bewerberkreis überschaubar geblieben zu sein. Schließlich war man froh, den in Hannover ansässigen und an den dortigen Museen tätigen Johannes Heinrich Müller (1828 – 1886) gewinnen zu können, der ab 1878 Allgemeine Kunstgeschichte lehrte. Das Vorlesungsverzeichnis führte ihn als »ausserhalb des Lehrkörpers der polytechnischen Schule stehende[n] Docenten« an.5 Damit fand er sich in einer Reihe mit den Lehr­ beauftragten für Englisch und Französisch sowie für Recht und Volkswirtschaft. Die Geschichte des Kunstgewerbes wurde ab 1881 von Hubert Stier vorgetragen, der 1883 sogar zum ordentlichen Professor ernannt wurde. Müller gehörte zu den Gründungsfiguren der Hannoverschen Museen und der landesgeschichtlichen Archäologie. Er hatte in Göttingen Geschichte, Archäologie sowie Kunst- und Kulturgeschichte studiert und war 1852 in Gießen zum Dr. phil promoviert worden.6 Anschließend ging er nach Nürnberg und wirkte als Assistent von August Essenwein beim Aufbau des Germanischen Nationalmuseums mit. 1860 wechselte Müller nach Hannover, wo er Kustos des Welfenmuseums wurde. Vier Jahre später wurde er auch zum Konservator der vaterländischen Altertümer ernannt, worin er nach der Zäsur von 1866 (Annexion des Königreichs Hannover durch Preußen) von der preußischen Regierung bestätigt wurde. 4 Kanold 1931, S. 129. 5 Programm der Königlichen Polytechnischen Schule zu Hannover für das Jahr 1878/79, Hannover 1878, S. 6. 6 Zu Müller siehe Philipps 1936.

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Als Provinzialkonservator verfügte Müller über wertvolle baugeschichtliche und landeskundliche Kenntnisse. Für die allgemeine Kunstgeschichte war er indessen kein ausgewiesener Fachmann. Im Bewusstsein dessen hatte Müller seinerzeit auf die Anfrage um Übernahme der Dozentur zunächst zurückhaltend reagiert. In entwaffnender Offenherzigkeit antwortete er dem Rektor des Polytechnikums, dass ihm die Kunstgeschichte »ein größtenteils fremdes und daher neu zu studierendes Fach« sei.7 Müller hat sich jedoch beflissen dieser Aufgabe angenommen, in die er sich nicht gedrängt hatte. Er nahm sie bis zu seinem Tode 1886 wahr. Als sich die Polytechnische Schule 1877 um einen geeigneten Kopf für die Kunstgeschichte bemühte, hatte sich die Suche als schwierig erwiesen. Schon wenige Jahre später war die Situation eine andere. Aus der Schule war 1879 eine Technische Hochschule geworden. Ihr bot sich 1883 ein Kunsthistoriker an. Es war Georg Galland (1857 – 1915), der im Jahr zuvor mit einer Studie über niederländische Renaissance zum Dr. phil promoviert worden war.8 Galland hatte in Berlin Kunstgeschichte und Klassische Archäologie bei Hermann Grimm und Ernst Curtius studiert. Davor war er kurze Zeit an der Bauakademie eingeschrieben und hatte nebenher in einem Architekturbüro gearbeitet. Damit verfügte er über jene Doppelqualifikation, die ihn für eine Architekturfakultät prädestinierte. Galland erkundigte sich am 6. Januar 1883 bei der Hochschule nach einer ›Dozentur für allgemeine Kunstgeschichte‹. Daraufhin teilte man ihm mit, dass die Dozentur besetzt sei, dass aber die Möglichkeit bestünde, sich als Privatdozent zu habilitieren. Bereits eine Woche später reichte Galland sein Habilitationsgesuch ein. Für den 21. Februar 1883 wurde er zu einem Vortrag geladen, an dem die fünf ordentlichen Professoren der Architekturabteilung zugegen waren. Offenbar waren sie zufrieden. Am 2. April 1883 wurde die Habilitation vom Berliner Kultusministerium genehmigt. Damit hatte die TH Hannover ihren ersten habilitierten Kunsthistoriker. Ab dem Sommersemester 1884 hielt Galland Vorlesungen über Kunst- und Kulturgeschichte der Renaissance. Sie dürften die Grundlage für sein Buch Italienische Renaissance gewesen sein, das 1886 in der Reihe der Klassiker-Bibliothek der bildenden Künste erschienen ist.9 Obwohl Galland vor seiner Habilitation keinen näheren Kontakt zu Hannover gehabt hatte, sah er in der Hochschule nicht nur ein Sprungbrett. Allem Anschein nach hatte er die Hoffnung und ernste Absicht, in Hannover Fuß zu fassen. 7 Müller an Rektor Launhardt im Oktober 1878, zit. nach Philipps 1936, S. 123. 8 Galland 1882. Bibliothekarisch ist diese Schrift nicht als Promotionsschrift nachgewiesen, Galland hat aber angegeben, dass er mit dieser Schrift in Tübingen zum Dr. phil promoviert worden ist, vgl. den Le­benslauf Gallands im Anhang zu dessen Habilitationsgesuch, in  : Personalakte des Privatdozenten Galland, Archiv der TIB/Universitätsbibliothek Hannover, Hann. 146 A, Acc. 88/81, Nr. 132 (unfol.). Ich danke Herrn Lars Nebelung vom Archiv der TIB/Universitätsarchiv Hannover für die Möglichkeit der umfangreichen Akteneinsicht. 9 Galland 1886.

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Darauf deuten zumindest seine Forschungen zur lokalen Kunstgeschichte, die er in jenen Jahren betrieb.10 Nachdem Johann Heinrich Müller im Jahre 1886 gestorben war, entschloss sich die Architekturabteilung, die Einrichtung einer ordentlichen Professur für Kunstgeschichte zu beantragen. Dieses Ansinnen wurde vom Kultusministerium in Berlin zunächst abgelehnt. Stattdessen sollte »Prof. Lange« von der Universität Göttingen die Vorlesungen über allgemeine Kunstgeschichte halten, was bedeutete, dass dieser neben Göttingen auch Hannover mitbedienen sollte. Es war eine Lösung, die keine Gewinner, sondern nur Verlierer hervorbrachte. Konrad Lange (1855 – 1921) hatte in Leipzig promoviert und sich 1884 an der Universität Jena über die Königshalle in Athen (Stoa basileios) habilitiert.11 Im Jahr darauf publizierte er seine Schrift über Haus und Halle in der Antike, womit er sich in die Debatte um den Ursprung der christlichen Basilika einbrachte und eine Gegenposition zu Georg Dehio einnahm.12 Im Unterschied zu Müller und Galland war Lange also stärker in der antiken Archäologie verwurzelt. Gegenüber Galland hatte Lange zudem den Professorentitel voraus. Eine gesicherte Stellung hatte er aber auch in Göttingen noch nicht. Die Entscheidung des Berliner Kultusministeriums dürfte den Privatdozenten Galland aus Hannover vergrault haben. Bereits 1889 habilitierte sich Galland an die TH Charlottenburg um, wo seine akademische Laufbahn ungleich glücklicher verlief. Die Tätigkeit von Konrad Lange an der TH Hannover sollte indessen ebenfalls nur von kurzer Dauer sein. Sie währte nur drei Studienjahre. Langes Lehrauftrag wurde immer nur für ein Jahr bewilligt. Mit dieser provisorischen Lösung konnte er nicht zufrieden sein, daher nutzte er die alljährlichen Anfragen zu Verhandlungen. Offenbar muss Lange im Sommer 1890 Forderungen gestellt und die Hochschule bis zum Semesterbeginn im Unklaren darüber gelassen haben, ob er zum Wintersemester 1890/91 weiterhin zur Verfügung steht. Darauf reagierte man in Hannover recht verschnupft und wandte sich im Oktober 1890 an den Kultusminister in Berlin, um auf die für alle Seiten unerquickliche Situation hinzuweisen. Minister von Goßler antwortete so, wie es ihm die Hochschulleitung in den Mund gelegt hatte  : Lange wurde von der Dozentur entbunden. Stattdessen wurde zum Studienjahr 1891/92 eine »etatmäßige Professur« bewilligt. Wie groß der Unmut über Lange war, dokumentiert der Zusatz des Ministers, dass Lange bei der Ausschreibung keine besondere Berücksichtigung finden solle, weil er die »Anstalt wiederholt durch seine Weigerungen in peinliche Lage brachte«.13 Der Groll des Ministers 10 Galland 1884, Galland 1887a und 1887b. 11 Lange 1879 und Lange 1884. 12 Lange 1885. Zur Kontroverse zwischen Lange, Dehio und Holtzinger s. Holtzinger 1886. 13 Kultusminister Gustav v. Goßler an den Rektor der TH Hannover, 1. Dezember 1890  : »Dabei bemerke ich, daß der Professor Lange, indem er trotz aller ihm gemachten Vorstellungen fortfuhr, die Fortsetzung seiner Thätigkeit an unerfüllbare Bedingungen zu knüpfen, und die Anstalt wiederholt durch seine Weigerung in peinliche Lage brachte, den Anspruch verloren hat, bei der Auswahl der Kandidaten für die

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scheint jedoch nicht allzu lange nachgewirkt zu haben, denn schon zwei Jahre später erhielt Lange den Ruf auf eine Professur in Königsberg. Im Jahr darauf wechselte er nach Tübingen, wo er 1894 – 1921 erster Ordinarius für Kunstgeschichte war und das dortige kunsthistorische Institut aufbaute. II. 1891 – 1907  : Heinrich Holtzinger – Der erste Ordinarius für Kunstgeschichte

Nachdem das Berliner Kultusministerium im Dezember 1890 der TH Hannover eine ordentliche Professur für Kunstgeschichte bewilligt hatte, beriet das Kollegium der Abteilung Architektur über die Berufungsliste. Am 8. Mai 1891 übersandte Rektor Dolezalek dem Kultusminister die Vorschlagsliste. Auf dieser Liste standen vier Namen  : Prof. Vischer (Aachen), Prof. Holtzinger (Tübingen), Privatdozent Wölfflin (München) und Privatdozent v. Oettingen (Marburg). Der Rektor wies jedoch darauf hin, dass das Architektur-Kollegium hinsichtlich der Reihung keinen Konsens hatte finden können. Lediglich im Falle von Robert Vischer, der seit 1885 an der RWTH Aachen lehrte, waren sich alle einig, dass er die erste Wahl sei. Da man offenbar darauf gefasst war, dass Vischer nur schwer zu bekommen sein würde, konzentrierte sich das Kollegium auf die nachfolgend Gereihten. Im Falle von Heinrich Holtzinger (1856 – 1940) und Heinrich Wölfflin (1864 – 1945) war man uneins darüber, wer an Platz zwei gelistet werden sollte. Darüber wurde offenbar heftig gerungen. Debo und Hase favorisierten Holtzinger, die Kollegen Köhler, Stier und Schröder indessen Wölfflin. Aus heutiger Perspektive und in dem Wissen um Wölfflins große Karriere mag das verwundern. Damals, im Jahr 1891, stellte sich die Situation durchaus in einem anderen Licht dar. Wölfflin hatte zwar schon mit seiner Dissertation Prolegomena zu einer Psychologie der Architektur (1886) sowie mit Renaissance und Barock (1888) zwei seiner bedeutenden Schriften vorgelegt. Doch Holtzinger war zu jener Zeit thematisch breiter und auch archäologisch versierter aufgestellt als der junge Wölfflin. Holtzinger deckte von der Antike bis in die Neuzeit alle Epochen ab, wobei sein Schwerpunkt im Bereich der Antike und des Frühchristentums lag. Der gebürtige Oldenburger hatte 1875 – 1879 an den Universitäten Bonn, Leipzig und Tübingen studiert, wo er 1879 promoviert wurde. Ein engerer Austausch mit Architekten dürfte sich dann an den Archäologischen Instituten in Rom und Athen ergeben haben, an denen er sich unmittelbar nach der Promotion aufhielt. Neben Italien und Griechenland bereiste er in jener Zeit auch Tunesien. 1883 habilitierte er sich in Tübingen, sechs Jahre später wurde er dort zum außerordentlichen Professor ernannt.14 zu besetzende Professur besonders berücksichtigt zu werden.« Personalakte Holtzinger, Archiv der TIB/ Universitätsarchiv Hannover, Hann. 146 A, Acc. 88/81, Nr. 181b (unfol.). 14 Angaben nach Personalakte Holtzinger. Welches die Dissertations- und die Habilitationsschrift war, geht

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Holtzinger war ein Kunsthistoriker mit einem ausgeprägten baugeschichtlichen und archäologischen Schwerpunkt. Er hatte über Grundsatzprobleme der A ­ rchitektur geforscht, namentlich über den Ursprung und die Bedeutung der Doppelchöre sowie über die Genese der frühchristlichen Basiliken.15 Themen, an denen auch der Konsistorialbaurat Hase sicher großes Interesse gehabt hat. Mit seinem Werk über die Altchristliche Architektur hatte Holtzinger zudem eine profunde Gesamtdarstellung vorgelegt, die lange Zeit Bestand hatte.16 Darüber hinaus hatte er im engen Austausch mit Architekten und Archäologen geforscht und Bauaufnahmen begleitet. Zudem betrieb er philologische Quelleneditionen (etwa zur ältesten überlieferten Biografie Brunelleschis) und beteiligte sich am großen Feld der Renaissanceforschungen, ohne die damals kein Kunsthistoriker etwas werden konnte.17 Und schließlich erschien just im Jahre 1891 die dritte Auflage von Jakob Burckhardts Geschichte der Renaissance in Italien, die von Holtzinger bearbeitet worden war, wodurch auf ihn auch der Glanz des großen Kulturhistorikers fiel.18 Aus der Perspektive des Jahres 1891 musste Holtzinger nicht nur als ein vielversprechendes Talent erscheinen, er war bereits eine etablierte Größe. So fiel die Wahl nicht auf den 27-jährigen Wölfflin, sondern auf den acht Jahre älteren Holtzinger.19 Im Juli 1891 erhielt Holtzinger sein Rufschreiben zum ›Professor der Kunstgeschichte‹. Holtzinger war damit der erste Ordinarius für Kunstgeschichte in Hannover und der erste Geisteswissenschaftler im Professorenkollegium der Architekturabteilung. Neben Hase, Debo, Köhler, Schröder und Stier war Holtzinger der sechste ordentliche Professor. In dem Rufschreiben an Holtzinger heißt es, dass er »das ganze Gebiet der Kunstgeschichte« zu vertreten habe. Darüber hinaus äußerte der Minister gegenüber Holzinger die Bitte, sich mit dem Kollegium vor Ort darüber zu verständigen, »ob zur Zeit, wo der Geheime Regierungsrath Professor Hase die Geschichte der Architektur liest, Sie Ihrerseits nicht auf einen solchen besonderen Vortrag zu verzichten haben.«20 Tatsächlich hielt Hase noch zwei Jahre die Vorlesung zur Baugeschichte. Holtzinger übernahm sie daraus nicht hervor. Personalakte Holtzinger, Archiv der TIB/Universitätsarchiv Hannover, Hann. 146 A, Acc. 88/81, Nr. 181a (unfol.). 15 Holtzinger 1881a und Holtzinger 1883. 16 Holtzinger 1889. 17 Holtzinger 1881b  ; Holtzinger 1882  ; Holtzinger 1885  ; Holtzinger 1887. 18 Burckhardt, Holtzinger 1891. Auch die vierte Auflage (1904) wurde von Holtzinger bearbeitet. 19 Zu direkten Verhandlungen mit Wölfflin scheint es nicht gekommen zu sein. Allerdings wusste dieser, dass er zum engeren Kandidatenkreis gehörte, wie er sich rückblickend gegenüber seinem Schüler August Grisebach äußerte, als dieser 1919 seinerseits den Ruf nach Hannover erhielt  : »Zufälligerweise war Hannover auch meine erste Möglichkeit[,] d. h. ich war der Candidat gewisser Leute und es schien einmal, das Los würde mich treffen und nicht den Holtzinger.« Heinrich Wölfflin an August Grisebach, 2. September 1919. Zit. nach  : Maurer 2007, S. 175. 20 Rufschreiben des Kultusministers Graf Zedlitz, 10. Juli 1891, in  : Personalakte Holtzinger, Archiv der TIB/ Universitätsarchiv Hannover, Hann. 146 A, Acc. 88/81, Nr. 181a (unfol.).

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ab dem Studienjahr 1893/94, zusätzlich zur Allgemeinen Kunstgeschichte.21 Ungewöhnlich ist, dass Holtzinger die Vorlesung zur Baugeschichte nur bis zum Sommersemester 1897 hielt. Danach verschwand sie aus dem Curriculum. Holtzinger bot fortan ausschließlich kunstgeschichtliche Themen an. Stattdessen hatten sich seine entwerfenden Kollegen die Baugeschichte einverleibt. Ab 1897 boten die Professoren Köhler, Stier und Mohrmann Formenlehre und Entwerfen an, jeweils mit unterschiedlicher Ausrichtung auf Antike und Renaissance (Köhler), Altchristliche und romanische Architektur (Stier) sowie Gotik (Mohrmann). Baugeschichtliches Wissen war zum bloßen Vehikel einer eklektizistischen Entwurfslehre degradiert. Als wissenschaftliche Disziplin war die Baugeschichte nicht existent. Ein Urteil über Holtzingers Wirken in Hannover fällt nicht leicht. Das liegt nicht allein daran, dass er 1907 vorfristig die Hochschule verließ und in Folge dessen auch seine wissenschaftliche Tätigkeit mehr oder minder einstellte. Anlass für diesen Schritt war ein privates Ereignis. Im November 1906 starb Holtzingers Frau. Davon hat er sich allem Anschein nach nicht mehr erholt. Er ließ sich zunächst beurlauben und bat 1907 um vorzeitige Pensionierung, die ihm auch gewährt wurde. Anschließend zog er sich von der Hochschule und auch aus Hannover zurück. Gestorben ist Holtzinger erst 1940. Während seiner Zeit in Hannover hat Holtzinger an seinen früheren Forschungsfeldern festgehalten. Neue Themen hat er nicht aufgegriffen, er blieb auf seinen Pfaden, hat aber sein Wissen publizistisch gestreut und veredelt. Die frühchristliche Architektur blieb sein Hauptgegenstand, wobei die byzantinische Architektur expliziter in das Sichtfeld rückte. Neben diversen Aufsätzen und kleineren Publikationen gipfelten die Forschungen in dem entsprechenden Band des Handbuches der Architektur, der 1899 herauskam. Er ersetzte den 1886 erschienenen Vorgängerband von August Essenwein.22 Dieses Werk war sicherlich sein bedeutendster Beitrag für die architekturwissenschaftliche Forschung jener Jahre. Bemerkenswert ist zudem die Tatsache, dass Holtzinger der erste Kunsthistoriker war, der als Autor für das Handbuch der Architektur hinzugezogen wurde. Daneben bündelte Holtzinger seine stadtrömischen Forschungen zu einem archäologischen Führer, der unter dem Titel Rom. Antike Kunst (1904) erschien und eine Beschreibung der antiken Ruinen der Stadt enthält.23 Anknüpfend an seine archäologischen Reisen von 1880 widmete sich Holtzinger auch der römischen Provinzialarchitektur in Nordafrika, namentlich Timgad.24 1899 war den Technischen Hochschulen in Preußen das Promotionsrecht verliehen worden, um das sie lange hatten ringen müssen. Kurioserweise war genau dieses Promo21 Programm der Königlichen Technischen Hochschule für das Studien-Jahr 1893/94, Hannover 1893, S. 44. 22 Holtzinger 1899. 23 Holtzinger 1904. 24 Holtzinger 1906.

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tionsrecht ein weiteres Element, das den Geisteswissenschaftlern an den THs neuerlich ihre Sonderstellung aufzeigte. Bis dato waren die mit einem Dr. phil. ausgestatteten Kollegen geholt worden, weil sie den Nimbus des universitären, forschenden Wissenschaftlers hatten. Der Preis, den sie für den Wechsel an die THs hatten zahlen müssen, war der Verzicht auf eigene Promovenden. Mit dem neuen Promotionsrecht hatte sich für die Kunstgeschichte diese Situation jedoch kaum verändert. Denn es blieb unklar, ob ein geisteswissenschaftlich ausgewiesener Forscher eine Ingenieursdissertation als Erstbetreuer begleiten konnte. Für Holtzinger scheint das jedenfalls keine Option gewesen zu sein. Zumindest hat er unter den sieben Dissertationen, die an der Architekturabteilung bis zu Holtzingers vorfristigem Ausscheiden verliehen wurden, keine als Erstbetreuer begleitet. Bei dreien war er jedoch als Zweitbetreuer involviert.25 Auch darin offenbart sich ein typisches Dilemma des Faches Kunstgeschichte an den Technischen Hochschulen. Denn kunstgeschichtlicher Nachwuchs im engeren Sinne (gar mit einer geisteswissenschaftlichen Promotion) war im Unterschied zu den Universitäten nicht möglich. Daran änderte auch die Reform von 1899 nur wenig. Anders verhält es sich im Falle von Habilitationen. In diesem Feld war es an Technischen Hochschulen möglich, geisteswissenschaftlichen Nachwuchs zu fördern, wie das Beispiel von Georg Galland gezeigt hat. In der Ära von Holtzinger gab es einen weiteren Kunsthistoriker, der sich an der Architekturabteilung der TH Hannover habilitierte. Es war Wolf Heinrich von der Mülbe (1879 – 1965). Er habilitierte sich 1905 mit einer Arbeit über die ›englischen Prae-Raphaeliten‹. In der Lehre legte er jedoch kein allzu großes Engagement an den Tag und ließ sich mehrfach beurlauben. 1912 habilitierte er sich an die Universität Heidelberg um.26 III. 1907 – 1919  : Bernhard Roß – Ein Architekt als Ordinarius für Kunstgeschichte

Der vorzeitige Rückzug Holtzingers traf die Abteilung Architektur unvorbereitet. Sie war kurzfristig gezwungen, sich um eine Nachfolge zu bemühen. Die Art und Weise, in der dies geschah, dokumentiert, dass die Kunstgeschichte unter Holtzinger noch keinen fest etablierten Stellenwert erlangt hatte. Die Nachbesetzung des Lehrstuhls Kunstgeschichte war zudem von der Frage bestimmt, mit welchen Methoden künftig die Baugeschichte gelehrt werden sollte  : den geisteswissenschaftlichen oder den ingenieurwissenschaftlichen  ? 25 Jänecke 1903 (Referent Prof. Schröder, Korreferent Prof. Holtzinger). Eichwede 1904 (Referent Prof. Stier, Korreferent Prof. Holtzinger). Cube 1906 (Referent Prof. Schulz, Korreferent Prof. Holtzinger). Vgl. Nachweisung über Doktor-Ingenieur-Promotionen 1901 – 1909, in  : Archiv der TIB/Universitätsarchiv Hannover, Akz. 2011/18, Nr. 5. 26 Vgl. Personalakte v. d. Mülbe, Archiv der TIB/Universitätsarchiv Hannover, Hann. 146 A, Acc. 109/79, Nr. 181.

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Die Bemühungen um die Nachbesetzung des Lehrstuhls Kunstgeschichte verliefen kurios und ohne die übliche Dreierliste. Während man im Jahre 1877 für die erste kunstgeschichtliche Dozentur deutschlandweite Erkundigungen eingeholt und 1891 anlässlich der erstmaligen Besetzung des kunstgeschichtlichen Ordinariats um die besten Namen gerungen hatte, zeigte man nun keinerlei Interesse an einer geisteswissenschaftlichen Koryphäe. Stattdessen wurde eine Lösung herbeigeführt, bei der einer der Architekten der Abteilung den Lehrstuhl für Kunstgeschichte kurzerhand übertragen bekam. Es war Bernhard Roß (1865 – 1919). Seine kunsthistorische Tätigkeit ist vollkommen unbekannt geblieben, wie auch sein Wirken als Architekt über die Grenzen Hannovers hinaus kaum Beachtung gefunden haben dürfte. Nachdem im Frühjahr 1907 Holtzinger zunächst für das Sommersemester beurlaubt worden war, hatte Roß die kunstgeschichtliche Lehre vertretungsweise übernommen. Nach Ablauf der Vorlesungszeit wandte sich im Juli 1907 der Vorsteher der Architekturabteilung, Prof. Wilhelm Schleyer, der bereits 1895 die Habilitation von Roß begleitet hatte, in einem ungewöhnlich langen Schreiben an den Kultusminister in Berlin. Darin warb er dafür, dem Inhaber der ordentlichen Professur für Statik und Mechanik den Lehrstuhl Kunstgeschichte zu übertragen. Und er legte auch dar, weshalb die Kunstgeschichte besser in den Händen eines Architekten läge  : »Zweifellos bedarf die Technische Hochschule eingehender und sorgfältiger Pflege der Kunstgeschichte auf allen ihren Zweiggebieten  ; aber die Geschichte der Malerei und Plastik steht hier an Bedeutung der Geschichte der Baukunst nach, deren Kenntnis und Verständnis für den Architekten unerlässlich ist. Es genügt deshalb nicht, in der allgemeinen Kunstgeschichte die Baukunst gleichwertig mit den Schwesterkünsten zu behandeln  ; sie muss vielmehr in bevorzugter Weise und von einem anderen Standpunkte aus betrachtet werden, der sich aus der Erwägung ergiebt, dass die Geschichte der Baukunst in wesentlichen Teilen Geschichte der Konstruktionen ist, ohne deren sachverständige Kenntnis die Entwickelungsgeschichte der Baukunst nicht verstanden und nicht erläutert werden kann. In wirklich erfolgreicher und insbesondere für die Ziele der Technischen Hochschule geeigneter Weise kann deshalb die Geschichte der Baukunst nur von einem Architekten gelehrt werden, was die glänzenden Erfolge von Wilhelm Stier und Friedrich Adler in Berlin und C. W. Hase in Hannover bestätigen. Während bei den Universitäten der Unterricht in der Kunstgeschichte sich anschließt an philosophisch-philologische Studien, hat er sich bei den Technischen Hochschulen an die künstlerisch-tektonische Vorbereitung des Architekten anzulehnen. Kunstgeschichtlich gebildete Architekten sind deshalb als Lehrer dieses Faches an einer Technischen Hochschule den philosophisch gebildeten Kunsthistorikern bei aller Anerkennung der Leistung der Letzteren auf ihren Spezialgebieten entschieden überlegen.«27

27 Wilhelm Schleyer (Vorsteher der Abteilung Architektur) an Kultusminister Ludwig Holle (Entwurf ),

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Da Architekten mit kunstgeschichtlicher Bildung rar seien, müsse die seltene Gelegenheit genutzt werden, dem Kollegen Roß die Kunstgeschichte zu übertragen. Im Kultusministerium scheint der Vorschlag nicht für Irritation gesorgt zu haben. Am 21. August 1907 zeigte sich das Ministerium mit dem Vorschlag einverstanden. Roß war zum Wintersemester 1907/08 Ordinarius für Kunstgeschichte. Wer aber war Bernhard Roß  ? Er hatte 1885 – 1889 an der TH Hannover Architektur studiert. Danach ging er in den Staatsdienst und betreute verschiedene öffentliche Bauvorhaben, unter anderem den Neubau der Tierärztlichen Hochschule Hannover. Daneben war Roß seit 1893 als Assistent an der Architekturabteilung tätig. Er entwickelte sich zu einem Allround-Talent, dem die unterschiedlichsten Themengebiete anvertraut wurden. Im Jahr darauf wurde er Schwiegersohn des Architekturprofessors Heinrich Köhler. Seither nahm seine akademische Karriere einen rasanten Verlauf. 1895 reichte er seine Habilitation ein mit dem Thema  : Grundzüge der Raumakustik mit besonderem Bezug auf den Theaterraum. Die Venia Legendi erhielt er für das Lehrgebiet  : ›Ausbildung der Gebäude mit Rücksicht auf Hören und Sehen‹.28 1897 wurde ihm die Dozentur für architektonisches Zeichnen übertragen, die besser besoldet war als eine Assistentenstelle. 1899 erhielt Roß vorfristig das Prädikat Professor. Die ordentliche Professur erlangte er schließlich 1903. Es war die damals neu an der Abteilung geschaffene Professur für Mechanik und Statik für Architekten. Bis dato war das Lehrgebiet von der zentralen Abteilung angeboten worden. Bernhard Roß hatte also nacheinander diejenigen Lehrgebiete übernommen, die zuvor von Nicht-Architekten angeboten worden waren. Mit ihm setzte sich die Auffassung durch, dass neben dem technischen Zeichnen, der Akustik und der Statik nun auch die Kunstgeschichte von einem Architekten gelehrt werden sollte. Nach Auffassung des Architekten Paul Kanold, der 1931 einen kurzen Rückblick auf die Fakultätsgeschichte verfasste, sei dies »ein grundsätzlicher Fehler« gewesen.29 Der Umstand, dass ein Professor für Mechanik und Statik kurzerhand auf den Lehrstuhl für Kunstgeschichte wechselte, gehört sicherlich zum größten Kuriosum in der Geschichte der Kunstgeschichte an der TH Hannover. Allerdings sollte man sich von den Denominationen nicht zu sehr täuschen lassen. Es war nicht so, dass ein Bauingenieur auf einen philosophischen Lehrstuhl gewechselt wäre. Tatsächlich hat Roß als Architekt Baugeschichte für Architekten unterrichtet. Das ist nichts Ungewöhnliches. Ungewöhnlich ist jedoch, dass man die mit der Professur für Kunstgeschichte erst kurz 15. Juli 1907, in  : Personalakte Bernhard Roß, Archiv der TIB/Universitätsarchiv Hannover, Hann. 146 A, Acc. 109/79, Nr. 228 V (unfol.). 28 Zum Habilitationsverfahren 1894/95 (und dem gemeinsam von Schleyer und Mohrmann verfassten Gutachten) siehe die Personalakte des Privatdozenten Roß, Archiv der TIB/Universitätsarchiv Hannover, Hann. 146 A, Acc. 109/79, Nr. 228 IV (unfol.). 29 Kanold 1931, S. 132.

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zuvor implementierten geisteswissenschaftlichen Methoden bereits wieder in Frage stellte. Weder die kunstgeschichtliche noch die baugeschichtliche Forschung hat von Roß in nennenswerter Weise profitiert. Als Autor ist er in seiner Zeit als Ordinarius nicht in Erscheinung getreten.30 Aus baugeschichtlicher Perspektive ist ihm zugute zu halten, dass er ab 1908 die Geschichte der Baukunst wieder als eigenständiges Lehrgebiet neben der Allgemeinen Kunstgeschichte im Curriculum verankerte. In der Zeit, in der Roß als Ordinarius für Kunstgeschichte tätig war, habilitierte sich abermals ein Kunsthistoriker an der Architekturabteilung. Es war neuerlich ein Kandidat von außen. Im Unterschied zu seinen beiden Vorgängern als Privatdozenten für Kunstgeschichte, Galland und von der Mülbe, sollte er ungleich länger an der Fakultät wirken und dort über 30 Jahre lehren. Es war Victor Curt Habicht (1883 – 1945), der 1911 in Heidelberg mit einer Arbeit über Ulmer Münsterplastik 1391–1421 mit besonderer Berücksichtigung der Arbeiten Meister Hartmanns zum Dr. phil. promoviert worden war. Seit Anfang 1913 war er als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter am Kestner-Museum in Hannover tätig. Im November desselben Jahres wandte sich Habicht mit einem Habilitationsgesuch an die Abteilung Architektur. Die eingereichte Habilitationsschrift trug den Titel Ulmer Plastik 1377–1430. Sie dürfte große Überschneidungen mit seiner Dissertationsschrift gehabt haben. Die Gutachter Roß und Mohrmann hatten diesbezüglich keine Bedenken. Am 3. März 1914 erhielt Habicht die Zulassung zum Privatdozenten. Statt Süddeutschland rückte fortan Niedersachsen als Kunstlandschaft in das Zentrum seiner Studien. Als Lehrer und Autor war Habicht ungemein fleißig. Was Roß als Ordinarius nicht vermochte, kompensierte der Privatdozent Habicht. Neben der mittelalterlichen und regionalen Kunstgeschichte31 befasste er sich auch mit neuzeitlicher deutscher Architekturtheorie und barocker Architekturgeschichte.32 Habicht ging ganz in seinen Forschungen auf und ließ ein ernstes Interesse erkennen, sich dauerhaft in der Fakultät einzubringen. Gegen Ende des Ersten Weltkrieges lotete er die Möglichkeiten aus, an der Architekturabteilung den Status eines Professors zu erlangen. Das Kollegium stand diesem Ansinnen zurückhaltend gegenüber. Das lag zum einen daran, dass er erst wenige Jahre in der Fakultät tätig war. Zum anderen hielten es die Kollegen für angemessener, zunächst den Dozenten Dr.-Ing. Uvo Hölscher mit dem Prädikat ›Professor‹ auszustatten, auf den weiter unten noch zurückzukommen sein wird. Das Ministerium folgte der Empfehlung der Fakultät und verlieh im September 1918 zunächst Hölscher 30 Von Roß stammt lediglich eine Datensammlung zur Kunstgeschichte, die offenbar als Skript zu seiner zweisemestrigen Vorlesung gedacht war. Es ist eine reine Auflistung von Kunstwerken, Künstlernamen und Entstehungsdaten ohne jedwede Darstellung aus eigener Feder. Vgl. Roß 1912. 31 Habicht 1914, Habicht 1915a und b, Habicht 1917a und b. 32 Habicht 1916a und b, Habicht 1916 – 1918, Habicht 1917c.

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und bereits im Dezember desselben Jahres auch Habicht den Titel eines außerordentlichen Professors. IV. 1919/1920  : August Grisebach – ». . . der Universität entfremdet«  ?

Am 9. März 1919 starb der Ordinarius für Kunstgeschichte, Bernhard Roß, unerwartet im Alter von 54 Jahren. Damit sah sich die Abteilung nur drei Monate, nachdem Habicht zum außerordentlichen Professor ernannt worden war, in der Situation, den ordentlichen Lehrstuhl für Kunstgeschichte neu besetzen zu müssen. Während man 1907 bei der Nachfolge Holtzingers auf eine hausinterne Lösung hingewirkt hatte, tat man nun alles dafür, den Lehrstuhl Kunstgeschichte mit einem Gesicht von außen zu besetzen. Mit August Grisebach (1881 – 1950) erhielt wieder ein namhafter Kunsthistoriker den Ruf. Nach Auffassung des Architekten Paul Kanold hatte die Abteilung damit den »Fehler«, den sie 1907 mit der Besetzung des kunstgeschichtlichen Lehrstuhls durch einen Architekten gemacht hatte, »wieder beseitigt«.33 Grisebach zählte zum Schülerkreis von Wölfflin und bot im Unterschied zu seinem Vorgänger Roß ein ausgewiesenes kunstgeschichtliches Profil und reichlich Forschungserfahrung. Andererseits hatte Grisebach über seinen Vater Hans eine handfeste Nähe zur Architektur in die Wiege bekommen (Hans Grisebach war unter den Berliner Großstadtarchitekten ein Vertreter der deutschen Neorenaissance). Die Nähe zur Architektur spiegelte sich auch in den Forschungsthemen seines Sohnes August wider. Dieser hatte seine Dissertation 1906 an der Berliner Universität bei Wölfflin über Das deutsche Rathaus der Renaissance verfasst.34 Dem folgte eine Stadtmonografie Danzigs (1908) sowie seine 1910 an der TH Karlsruhe, wo er seit 1908 unterrichtete, eingereichte Habilitationsschrift über den Garten. Eine Geschichte seiner künstlerischen Gestaltung.35 Mit dieser Schrift erwies sich der damals 29jährige weniger als nüchterner Analytiker, sondern als meinungsstarker Thesensetzer, dessen Beobachtungen bisweilen in apodiktische Behauptungen umschlagen konnten. In der Einleitung setzte Grisebach den Ton  : »Zu allen Zeiten, in denen die Architektur in Blüte stand, war das Prinzip des formalen Gartens etwas Selbstverständliches.«36 Auch scheute sich Grisebach nicht, eine ganze Epoche in ihrer Relevanz in Frage zu stellen. Seine Geschichte des Gartens setzte in nachantiker Zeit ein und endete um 1800. Im Englischen Garten landschaftlicher Prägung sah er den Niedergang der Gartenkunst eingeläutet. Eine gewagte These, die nicht nur aus heutiger Perspektive unhaltbar ist, sondern auch zum Zeitpunkt des 33 Kanold 1931, S. 132. 34 Grisebach 1907. 35 Grisebach 1910. 36 Ebd., S. V.

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Erscheinens manchen Widerspruch provoziert hat. Grisebach hat dabei hautnah erfahren können, welche Blickverschiebungen in der eigenen wissenschaftlichen Arbeit eintreten können, wenn man zu einseitig die Perspektive der künstlerisch praktizierenden Zeitgenossen einnimmt und die historische Distanz aufgibt. Der Kunsthistoriker Grisebach entpuppt sich in seiner Habilitationsschrift als Wortgänger von Max Laeuger, der seinerzeit Gartenkunst an der TH Karlsruhe lehrte und zu den einflussreichen Wortführern formaler Gartenkunst zählte – und offenbar nachhaltigen Einfluss auf den jungen Grisebach ausübte.37 Wie sehr Grisebach über das Spannungsfeld von kritisch-distanzierter Wissenschaft und subjektivem Ästhetizismus, dem man sich als Kunsthistoriker an einer Architekturfakultät ungleich mehr aussetzt als an einer Philosophischen Fakultät, nachgedacht hat, entzieht sich unserer Kenntnis. Als 1912 Albert E. Brinckmann den Ruf nach Karlsruhe erhielt, habilitierte sich Grisebach von der TH Karlsruhe an die Berliner Universität um. In der Berliner Zeit blieben Architektur und Gartenkunst weiterhin im Fokus seiner Interessen. Nach sechs Jahren erhielt Grisebach das Prädikat ›Professor‹, mit dem jedoch kein Lehrstuhl verbunden war. Diese »Körperlichkeit«, wie es Grisebachs Mentor Wölfflin nannte, wurde ihm erst mit dem Ruf nach Hannover zuteil. Weshalb Grisebach nach nur einem Jahr Hannover wieder verließ und an die Universität Breslau wechselte, ist unklar. Allem Anschein nach hatte Grisebach mit einer Position an einer Technischen Hochschule gehadert, zumindest scheint er es so gegenüber seinem Mentor Wölfflin zum Ausdruck gebracht zu haben. Dieser antwortete ihm aufmunternd  : »Daß es nun doch Hannover ist, brauchen Sie nicht tragisch zu nehmen. […] Ich möchte Sie auch nicht gerne dauernd an einer technischen Schule wissen.«38 Neben diesen Bedenken kamen attraktive Verlockungen hinzu  : Die 1920 angebotene Stelle in Breslau war höher dotiert und auch mit der ehrenvollen Nachfolge Wilhelm Pinders verbunden – wohingegen Hannover bis dato im Konzert der kunstgeschichtlichen Lehrstühle Deutschlands ungleich blasser dastand. Die Delle, die das Renommee der Kunstgeschichte durch die Besetzung mit Roß 1907 erhalten hatte, wirkte offenkundig nach. V. 1920 – 1935  : Paul Schubring – Ein ›Künstler unter den Kunstgelehrten‹

Durch Grisebachs Wechsel nach Breslau musste der Lehrstuhl Kunstgeschichte nach nur kurzer Zeit neuerlich besetzt werden. Die Wahl fiel auf Paul Schubring (1869 – 1935). 37 Der Einfluss Laeugers auf Grisebachs Habilitationsschrift wurde in der Beurteilung von Golo Maurer nicht gesehen, der dessen ungeachtet aber viele andere hilfreiche Einschätzungen bietet. Vgl. Maurer 2007, S.  45 – 48. 38 Heinrich Wölfflin an August Grisebach, 2. September 1919, zit. n. Maurer 2007, S. 175.

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Er war der erste Kunsthistoriker in Hannover, der auf eine längere Erfahrung an einer Technischen Hochschule zurückblicken konnte und eine Architekturfakultät auch im Alltag der Lehre kannte. Das dürfte damals schwer gewogen haben. Denn natürlich wollte man vermeiden, dass neuerlich ein Kunsthistoriker Hannover nur als Interim nutzen würde, um dann doch wieder an eine philosophische Fakultät zu wechseln. Das drohte bei Schubring nicht. Schubring hatte über eineinhalb Jahrzehnte an der TH Charlottenburg gelehrt, wo er sich 1904 mit dem Segen von Richard Borrmann als Privatdozent für Italienische Kunstgeschichte des Mittelalters und der Renaissance habilitierte. Nach dem Tode von Alfred Gotthold Meyer war ihm in Charlottenburg die Dozentur für die Geschichte des Kunstgewerbes übertragen worden (die Kunstgeschichte wurde seit 1900 von Max Georg Zimmermann vertreten). 1909 erreichte Schubring der Ruf als Ordinarius für Kunstgeschichte an die Universität Basel. Was von vielen Kollegen als Krönung ihrer Laufbahn empfunden worden wäre, war für Schubring offenbar ein Unglück. Nach nur wenigen Monaten signalisierte er dem Preußischen Kultusminister, dass er liebend gern wieder nach Charlottenburg zurückberufen werden würde. So kam es auch, obschon mancher seiner ehemaligen Kollegen das zu verhindern suchte.39 Nach der Rückkehr entstand Schubrings bekanntes Cassoni-Buch, ein Kompendium der italienischen Truhenbilder und Profanmalerei des Quattrocento.40 Aus der Perspektive der TH Hannover musste Schubring 1920 als der richtige Mann erscheinen  : Er war keine junge Nachwuchshoffnung mehr wie Grisebach oder seinerzeit Holtzinger, sondern ein gestandener Kunsthistoriker im sechsten Lebensjahrzehnt mit Italienschwerpunkt und einer ausgeprägten Neigung zur Kulturgeschichte. Er brachte sich als selbstbewusster und wortgewaltiger Renaissancespezialist in die Fakultät ein, der den Austausch mit Architekten und praktizierenden Künstlern schätzte. Es sollte für beide Seiten eine glückliche Allianz werden. Schubring erlebte goldene Jahre, hielt zahlreiche Vorträge und publizierte weiterhin eifrig. Er wurde von den Kollegen geschätzt, allen voran von Paul Kanold, der ihn 1929 zu seinem 60. Geburtstag in einem Zeitungsartikel mit den Worten würdigte, »daß uns unter den Kunstgelehrten in Schubring ein Künstler gegenübersteht«.41 Das war keine Floskel, sondern die aufrichtige Wertschätzung eines praktizierenden Architekten. In den 1920er Jahren war die Kunstgeschichte, die an der TH Hannover so lange ein stiefmütterliches Dasein geführt hatte, unversehens breit aufgestellt. Neben dem Ordinarius Schubring und dem ao. Prof. Habicht lehrten noch zwei weitere Kunsthistoriker 39 Siehe die Stellungnahme von Prof. Laske und insbesondere das Gutachten von Prof. Zimmermann vom 10. Februar 1910 in  : Personalakte Paul Schubring, in  : Archiv der TIB/Universitätsarchiv Hannover, Hann. 146 A, Acc. 88/81, Nr. 337a (unfol.). 40 Schubring 1915. 41 Paul Kanold  : Paul Schubring zu seinem 60. Geburtstag am 28. Januar 1929, Zeitungsartikel ohne Nachweis, abgelegt in  : Personalakte Paul Schubring, in  : Archiv der TIB/Universitätsarchiv Hannover, Hann. 146 A, Acc. 88/81, Nr. 337b (unfol.).

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an der Fakultät. Das waren Alexander Dorner und Georg Hoeltje. Dorner (1893 – 1957) ist vor allem als Museumsreformer der Weimarer Republik bekannt geworden.42 Im damaligen Provinzialmuseum (heute Landesmuseum) zeigte und sammelte er Gegenwartskunst, die später als ›entartet‹ diffamiert wurde. Mit neuen Präsentationsformen und räumlichen Transformationen gehörte Dorner darüber hinaus zu denjenigen, die den Museums- und Ausstellungsraum konzeptionell neu dachten und ihm Impulse verliehen, die bis heute nachwirken.43 Wer um die Bedeutung Dorners als Museumsreformer weiß, wird überrascht sein, dass er als Habilitationsschrift eine Studie über Romanische Bauornamentik Sachsens einreichte. Sie übertrug den Gegenstand seiner Dissertation (Romanische Hausteinornamentik in der Mark) auf den sächsischen Raum. Als Erstgutachter fungierte noch Grisebach, der aber zum mündlichen Vortrag nicht mehr in Hannover anwesend war. An dessen Stelle trat dann Schubring. Am 10. Dezember 1920 war die Habilitation vollzogen. Bis zu seiner erzwungenen Emigration 1937 war Dorner der Fakultät über 16 Jahre verbunden, zunächst als Privatdozent, seit 1928 als außerordentlicher Professor. Dorners Hochschultätigkeit wurde bislang nicht eigens untersucht. Sie wäre jedoch ein spannendes Fallbeispiel, um der Frage nachzugehen, wie sich die Disziplinen Kunstgeschichte und Architektur wechselseitig zu beeinflussen vermögen. Mit anderen Worten  : Hat der junge Dorner mit seinen frischen Ideen und umfangreichen Kontakten in die junge Kunst hinein auf die angestaubte Fakultät gewirkt und dort Auffassungen und Ideen implementiert, die zu deren Entschlackung geführt haben  ? Oder verlief es andersherum  : War es der Architekturfakultät und den entwerfenden Kollegen zu verdanken, dass aus dem Mittelalter-Forscher Dorner innerhalb kurzer Zeit ein Museumsmensch der Gegenwartskunst wurde  ? Hat Dorner Ideen, die er im Austausch mit seinen künstlerisch tätigen Hochschulkollegen sammeln konnte, für seine Tätigkeit als Kurator und Ausstellungsmacher anwenden und fruchtbar machen können  ? Vieles spricht für das Letztere, denn als Lehrender bot er über all die Jahre vergleichsweise konventionelle Themen an.44 Dass sich Dorner als Kurator und Autor so intensiv mit Raumfragen in der bildenden Kunst befasste,45 scheint doch wesentlich auf seinen Aus42 Cauman 1958, Flacke-Knoch 1985, Katenhusen 1993, Katenhusen 2010. 43 Ab 1923 unterzog Dorner die 44 Räume der Kunstsammlung des Provinzialmuseums einer grundlegenden Revision und Neugestaltung. Die bis dato übliche Petersburger Hängung ersetzte er durch ›einreihige und weite Hängung‹. Zudem versah er die Säle mit verschiedenen Farben. Die Raumflucht mündete im sogenannten ›Abstrakten Kabinett‹, für dessen Gestaltung Dorner den damals in Hannover ansässigen El Lissitzky gewinnen konnte. 44 Über viele Jahre bot Dorner Überblicksveranstaltungen zur deutschen Malerei und Plastik an. Nominell lassen sie nichts vom Furor des Museumsreformers erkennen. Eine Ausnahme bildet das Studienjahr 1932/33, in dem er eine Vorlesung über Die Entwicklung der Raumvorstellung in der Baukunst von den Ägyptern bis zur Gegenwart hielt. 45 Dorner 1929. Im Sommersemester 1931 bat Dorner bei der Fakultät um Beurlaubung von der Vorlesung,

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tausch mit Architekten zurückzugehen, auch wenn er dazu neigte, sich selbst als Impulsgeber darzustellen. Im Unterschied zu Habicht, der in der Kunstgeschichte vor allem eine sinnstiftende Disziplin sah, glaubte Dorner, mit einer modernen Kunstgeschichte die künftige Entwicklung mitgestalten zu können, einer »lebendigen Baukunst« aktiv den Weg ebnen zu können.46 Dieses Selbstbewusstsein teilte Dorner unter anderem mit dem Kunsthistoriker Sigfried Giedion, der ihn anfangs schätzte, sich aber später mit ihm überwarf. Als Dorner 1931 anlässlich der Hundertjahrfeier der Hochschule den Architekturführer 100 Jahre Bauen in Hannover verfasste, handelte es sich weniger um eine historische Rückschau, sondern zu einem Gutteil um ein Kaleidoskop zeitgenössischer Architektur.47 Nach 1933 änderte sich die Situation für Dorner schlagartig. Zunächst versuchte er, sich dem neuen nationalsozialistischen System anzudienen. Das hat seiner Glaubwürdigkeit sehr geschadet.48 Für die Nazis war er Persona non grata, und auch frühere Weggefährten distanzierten sich. Die Kunst, die er gefördert hatte, galt nunmehr als ›entartet‹. Derjenige, der eifrig in dieses Horn blies und einer bodenständig-deutschen Kunst das Wort redete, war sein Fakultätskollege Habicht. 1937 emigrierte Dorner schließlich in die USA, wo er als Kurator und Hochschullehrer versuchte, den in der Weimarer Republik beschrittenen Weg fortzusetzen. Neben Dorner sollte Ende der 1920er Jahre noch ein weiterer Kunsthistoriker an der Fakultät Fuß fassen. Es war Georg Hoeltje (1906 – 1996), der seit 1929 Assistent von Paul Schubring war und sich 1932 mit einer Arbeit zur Stadtbaugeschichte Hannovers habilitierte.49 Nach der Emeritierung Schubrings (1935) hielt Hoeltje auf dem vakanten Lehrstuhl die Stellung. Als seine Assistentenstelle 1936 auslief, bemühte sich die Fakultät, ihn zu halten. Obwohl Hoeltje von vielen Kollegen der Fakultät geschätzt wurde, zeichnete sich ab, dass neben Habicht, der von politischer Seite protegiert wurde, auf Dauer keine weitere kunstgeschichtliche Dozentur zu erlangen war. Die Fakultät unterstützte Hoeltje 1939 jedoch bei der Umhabilitierung an das Kunsthistorische Institut Bonn, um ihm eine alternative akademische Zukunft zu eröffnen.50 Zu diesem da er sein Buchmanuskript Die Entwicklung der Raumvorstellung in der bildenden Kunst seit 1800 zum Abschluss bringen wollte. Ein solches Buch kam nicht zustande, allerdings seine Vorlesung im Studienjahr 1932/33, vgl. Anm. 44. 46 Vgl. die Aufsätze beider in der Fakultätsfestschrift von 1931, Habicht 1931 und Dorner 1931a. 47 Dorner 1931b. 48 Katenhusen 2008. 49 Hoeltje hatte 1924 ein Architekturstudium in Hannover aufgenommen. Anschließend ging er nach München, wo er zur Kunstgeschichte wechselte. Von 1926 – 1929 studierte er in Halle bei Paul Frankl, bei dem er das Studium mit einer Dissertation zur Spätgotik abschloss (Hoeltje 1930). Nach dem Wechsel nach Hannover rückte die Stadt in den Fokus seiner Forschungen. Zudem wurde er zu einem Experten für das 19. Jahrhundert, insbesondere für das Werk des Architekten G. L. F. Laves (Hoeltje 1931 und 1932). 50 Vgl. die Personalakte des Privatdozenten Georg Hoeltje, Archiv der TIB/Universitätsarchiv, Hann. 146 A, Acc. 88/81, Nr. 178, fol. 78 – 94.

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Schritt, der bereits genehmigt war, kam es nicht. Hoeltje war unterdessen nach Brasilien emigriert. Erst 1954 kehrte er wieder nach Deutschland zurück. Ab 1955 nahm er neuerlich Lehraufträge in Hannover wahr. Im Oktober 1956 wurde er zum Nachfolger des verstorbenen Hermann Deckert als Ordinarius für Bau- und Kunstgeschichte berufen. VI. 1937 – 1947  : Uvo Hölscher | 1938 – 1945  : Victor Curt Habicht – Ordinariat und Extraordinariat

Die Bemühungen um die Nachfolge des 1935 verstorbenen Schubring zogen eine zweijährige Vakanz nach sich. In dieser Zeit vollzog die Architekturabteilung eine Neugewichtung im Binnenverhältnis der Fächer Kunstgeschichte und Baugeschichte, in deren Folge die Kunstgeschichte an die zweite Stelle rückte. Aus Sicht der Kunstgeschichte mag dieser Schritt als eine Zurücksetzung erscheinen. Betrachtet man den Vorgang aus der Perspektive der Architekturausbildung, dann war die Aufwertung der Baugeschichte ein überfälliger und notwendiger Schritt, der auch im Gesamtgefüge des Curriculums sinnfällig war. Zum ersten Mal in der Fakultätsgeschichte war die Baugeschichte mit einem Ordinariat vertreten. Die Baugeschichte hatte sich endlich emanzipiert und als wissenschaftliche Disziplin etabliert. Sie war ein eigenes Fach und Lehrgebiet geworden und nicht mehr Dienstleister einer an den historischen Stilen orientierten Entwurfslehre. Berufungen in der Zeit nach 1933 erfolgten bekanntlich unter besonderen politischen Vorzeichen. Das war auch in Hannover nicht anders. Der Architekturabteilung ist es jedoch gelungen, sich die Nachbesetzung Schubrings nicht vollends von den weltanschaulichen Erwägungen der Nazis diktieren zu lassen. Nach zähem Ringen wurde statt des ›strammen‹ Habicht der ungleich kosmopolitischere und fachlich versiertere Uvo Hölscher auf die Nachfolge Schubrings berufen. Das war nicht nur für die Person Hölscher ein überfälliger und fachlich gerechtfertigter Schritt, sondern eine Entscheidung, von der auch die Fakultät sehr profitiert hat. Der Kunsthistoriker Habicht hatte sich zum Ende der Weimarer Republik immer weiter radikalisiert. Auch als Wissenschaftler artikulierte er zunehmend völkische und antisemitische Gedanken. Schon unmittelbar nach der ›Machtergreifung‹ der Nationalsozialisten fiel er mit denunziatorischen Worten auf.51 Trotz Parteimitgliedschaft, os51 So bat er den Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung im Herbst 1933 um ­Druckförderung für eine Edition des Brandenburger Evangelistars. »Meine Versuche«, so Habicht, »dieses h ­ ervorragende Denkmal unserer bodenständigen Kunst am gegebenen Orte, nämlich in den ­Veröffentlichungen des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft erscheinen zu lassen, sind leider gescheitert, was nicht ­weiter zu verwundern ist, da die Veröffentlichungen des Deutschen Vereins für K ­ unstwissenschaft seit­her fast ausschließlich von Juden oder von Schülern A. Goldschmidts, G. Swarzenski’s usw. ­ge­liefert worden sind, darunter die erst kürzlich erschienene Publikation von P. Frankl.« Bekanntlich w ­ aren auch Habichts Fa-

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tentativem Antisemitismus und einer publizistischen Ausrichtung auf »Blut und Boden in der bildenden Kunst« 52 war Habichts Reputation selbst in braunen Kreisen keineswegs unumstritten. Als die TH Hannover im Herbst 1937 bei mehreren Kunsthistorikern anderer Hochschulen, darunter Wilhelm Pinder in Berlin und Alfred Stange in Bonn, Stellungnahmen über Habicht einholte, brachten die Kontaktierten zum Ausdruck, dass sie sich lieber nicht über ihn äußern würden.53 Obwohl sich unter den Fachkollegen kaum noch Fürsprecher für Habicht fanden, bewilligte Reichsminister Rust für Habicht eine »hauptamtliche Dozentur für Kunstgeschichte«.54 Damit rückte die Kunstgeschichte nunmehr in den Status eines Extraordinariats. Für Habicht war es der Gipfel seiner Karriere. Er ließ sich 1940 von dem Maler Alfred Wissel, den er seit 1933 publizistisch protegiert hatte, mit Hakenkreuz am Revers porträtieren.55 Das Ordinariat wurde 1937 mit Uvo Hölscher besetzt, nachdem die Architekturabteilung zuvor die Umwidmung der Kunstgeschichte in Baugeschichte beschlossen hatte. Hölscher (1878 – 1963) war der Fakultät seit 1898 verbunden. Er hat an ihr nahezu alle Stufen durchlaufen, die es zu durchlaufen gibt. Und er hat den in jenen Jahrzehnten vollzogenen Wandel der Disziplin Baugeschichte selbst durchlebt und mitgestaltet. Neben Hannover hatte Hölscher um 1900 mehrere Semester in München bei Friedrich von Thiersch und Carl Hocheder studiert. Zurück in Hannover absolvierte Hölscher 1903 die erste Staatsprüfung (Regierungsbauführer) ›mit Auszeichnung‹, wofür er ein Reisestipendium erhielt. Da ihm als Bauführer lediglich sechs Wochen Urlaub gewährt wurden, kam er 1903 nur bis Italien. Diese Reise wurde für Hölscher zu einem Initial, aber nicht aus den üblichen Gründen  : Er sah die großen Bauten Italiens weniger mit den Augen des Entwerfers, sondern mit denen des Historikers. In seinem Reisebericht, den er dem Ministerium zu übermitteln hatte, schreibt Hölscher, dass er den Bauten der Renaissance »mehr archäologisches als ästhetisches Interesse« abgewinnen könne.56 Obwohl Hölscher ein begabter Zeichner kultätskollegen Dorner und Hoeltje Schüler von Goldschmidt und Frankl. Habicht an Minister Rust, 28. Oktober 1933, in  : Personalakte Habicht, Archiv der TIB/Universitäts­archiv Hannover, Hann. 146 A, Acc. 88/81, Nr. 152, fol. 101. 52 Vgl. Habichts Aufstellung der derjenigen Schriften, »in denen die nationalsozialistische Forderung (Blut und Boden in der bildenden Kunst) berücksichtigt ist«, in  : Personalakte Habicht, Archiv der TIB/Universitätsarchiv Hannover, Hann. 146 A, Acc. 88/81, Nr. 152, fol. 170. 53 Vgl. Personalakte Habicht, Archiv der TIB/Universitätsarchiv Hannover, Hann. 146 A, Acc. 88/81, Nr. 152, unter anderem fol. 140, 145 und 162. 54 Reichsminister Rust an das Rektorat der TH Hannover, 7. Mai 1938, in  : Personalakte Habicht, Archiv der TIB/Universitätsarchiv Hannover, Hann. 146 A, Acc. 88/81, Nr. 152, fol. 212. Nach Aussage von Ingeborg Lindau, die in jenen Jahren in Hannover studierte, soll Habicht ein Intimus des Hannoverschen Gauleiters gewesen sein, vgl. das Schreiben von Ingeborg Lindau an Graf Finck von Finckenstein, 27. September 1999, das mir dankenswerterweise von Cord Meckseper zugänglich gemacht wurde. 55 Siehe Bloth 1994, T. 25. 56 Bericht des Regierungsbauführers Uvo Hölscher an den Minister für öffentliche Arbeiten über seine Stu-

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war, scheint er die mit dem Stipendium verbundene Erwartung, die besichtigten Bauten auch in schönen Zeichnungen festzuhalten, als ein notwendiges Übel empfunden zu haben. Hölscher sinnierte über den Zweck solcher Studienreisen und schloss seinen Bericht mit den bemerkenswerten Worten  : »Denn nicht dadurch, daß wir die Profile etc. vergangener Bauperioden nachahmen, werden wir den alten Meistern gerecht, sondern indem wir wie sie aus der Aufgabe zu machen suchen, was daraus zu machen ist.«57 In diesen Worten des jungen Hölscher spricht der Unmut über das bloße Kopieren historischer Vorbilder. Es ist ein Aufbegehren gegenüber einer eklektizistischen Architekturlehre, die an so vielen Architekturfakultäten jener Zeit noch immer gängige Praxis war. Nachdem Hölscher 1906 die zweite Staatsprüfung absolviert und den Status eines Regierungsbaumeisters erlangt hatte, wäre der Weg frei für eine Laufbahn im Staatsdienst gewesen. Doch Hölscher hatte wenig Neigung, die Hochbauten des Preußischen Staates zu realisieren. Mehrfach ließ er sich in den kommenden Jahren beurlauben, um an archäologischen Ausgrabungen mitzuwirken. Das Ziel seiner Reisen und Forschungen war nicht länger Italien, sondern Ägypten, wo er an den Grabungen von Ludwig Borchardt teilnahm. Die erste Reise erfolgte 1906/07 (Abusir),58 die zweite 1907/08 (Abusir und Tell el Amarna, wo er auch das Expeditionshaus errichtete), die dritte 1910/11 (erneut in Tell el Amarna). In dieser Zeit wurde er zum Bauforscher und Archäologen. Schon bei seiner ersten Expedition reflektierte er zentrale Methodenfragen von Archäologie, Bauforschung und Denkmalpflege, die bis heute nicht an Relevanz verloren haben  : Auf der Rückreise von Abusir wählte er den Weg über die Levante, um die dortigen archäologischen Stätten zu besichtigen. In Baalbek, so Hölscher, »musste ich auch der Ausgrabungstätigkeit der deutschen Architekten und Archäologen meine grösste Bewunderung zollen, die es verstanden haben, trotz ihrer wissenschaftlichen Untersuchungen doch den Zauber der Ruinenstätte nicht zu zerstören. Denn an manchen anderen Stätten grosser Geschichte habe ich es schmerzlich empfunden, wie die nüchterne Forschung der Gelehrten mit der pietätvollen Liebe des Geschichtsfreundes und dem Schönheitssinne des Malers in Konflikt gekommen ist.«59

In Ägypten stieß er auch auf den Ort, der den Gegenstand seiner Dissertation bilden und dem er in jahrzehntelanger Forschung verbunden bleiben sollte. Es ist Medinet dienreise in Italien, 1. Juli 1904, in  : Personalakte Hölscher des Ministeriums für öffentliche Arbeiten, Archiv der TIB/Universitätsarchiv Hannover, Hann. 146 A, Acc. 109/79, Nr. 112 (unfol.). 57 Ebd. 58 Vgl. Loeben 2010. 59 Bericht des Regierungsbaumeisters Uvo Hölscher an den Minister für öffentliche Arbeiten über seine Studienreise in Ägypten und Vorderasien, 21. Juni 1907, in  : Personalakte Hölscher des Ministeriums für öffentliche Arbeiten, Archiv der TIB/Universitätsarchiv Hannover, Hann. 146 A, Acc. 109/79, Nr. 112 (unfol.).

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Habu bei Theben. Seine Untersuchung über das Hohe Tor von Medinet Habu reichte er Anfang 1909 als Dissertation ein. Bezeichnenderweise nicht in Hannover bei Roß, sondern an der TH Charlottenburg bei Richard Borrmann.60 Vom Ministerium für öffentliche Arbeiten war Hölscher die Ausführung des Amtsgerichtsgebäudes in Goslar übertragen worden. Diese Tätigkeit scheint ihn leidlich ausgefüllt zu haben, aber die Stadt und die dortige Kaiserpfalz sollten ihn seither als Forscher beschäftigen.61 1911 holte ihn dann sein ehemaliger Lehrer Karl Mohrmann zurück an die Hochschule und gab ihm eine der wenigen Assistentenstellen der Architekturabteilung. Darüber hinaus übertrug ihm Mohrmann auch eine bessergestellte Dozentur. Hölscher, der als Dozent die Entwurfslehre betreute, war zu jener Zeit einer der wenigen in der Architekturabteilung, der auch forschte. Unmittelbar nachdem er seine Tätigkeit an der Hochschule aufgenommen hatte, widmete er sich der Bau- und Kunstgeschichte jenes Klosters, an dem einst sein Vater als Theologe (und der Übervater Hase als Restaurator) gewirkt hatten, nämlich Loccum. Die Arbeit erschien 1913.62 Anlässlich der Emeritierung von Mohrmann gab es 1924 Überlegungen, dessen Nachfolge Hölscher anzuvertrauen. Es wäre eine ähnliche Lösung wie einst bei Mohrmann, der seinem Lehrer Hase auf dem Lehrstuhl gefolgt war. Es war Mohrmann selbst, der mit diesem Vorschlag an das Berliner Kultusministerium herantrat, wobei er sich auf das einstimmige Votum des Berufungsausschusses stützte. Bemerkenswert ist, dass Mohrmann zwar auf personeller Ebene Kontinuität anstrebte, aber auf fachlicher Ebene eine Neuausrichtung einzuleiten gedachte. Die Neubesetzung, so Mohrmann, beanspruche einen Fachmann, »der anschließend an den Lehrstuhl für allgemeine Kunstgeschichte die Baugeschichte als Künstler und Forscher beherrscht«.63 Dieser Vorstoß von Mohrmann zielte darauf, die Baugeschichte von der unmittelbaren Entwurfslehre zu entkoppeln, sie mit einem eigenen Ordinariat auszustatten und ihr den Rang einer wissenschaftlichen Disziplin zuzugestehen. Der Hase-Schüler Mohrmann hatte diese Rechnung jedoch ohne die Hase-Schule gemacht. Offenbar hatte sich herumgesprochen, dass der ehemalige Hase-Lehrstuhl künftig die Denomination ›mittelalterliche Baukunst‹ verlieren sollte. Das galt unter den Hase-Jüngern im Hannover der 1920er Jahre noch immer als Frevel. In der wichtigsten Lokalzeitung erschien 1924 ein Artikel mit der Überschrift Der Lehrstuhl für mittelalterliche Baukunst in Hannover in Gefahr.64 Dieser Aufschrei vereitelte den von 60 Hölscher 1909. 61 Hölscher 1927. 62 Hölscher 1913. Sie fand ihre Fortsetzung in Hölschers Studie über die mittelalterlichen Klöster Niedersachsens, die er 1924 publizierte (Hölscher 1924). 63 Karl Mohrmann als Vorsitzender des Berufungsausschusses (für die Nachfolge Mohrmann) an das Kultusministerium, 30. Juni 1924, Akte »Lehrstuhlbesetzungen 1921 – 1937«, Archiv der TIB/Universitätsarchiv Hannover, Hann. 146 A, Acc. 63/81, Nr. 28 (unfol.). 64 Geheimrat Knoch [i. e. August Knoch]  : Der Lehrstuhl für mittelalterliche Baukunst in Hannover in

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Mohrmann erhofften Weg. Die Denomination ›mittelalterliche Architektur‹ musste beibehalten werden. Besetzt wurde der Lehrstuhl 1925 mit dem aus Danzig stammenden Friedrich Fischer, einem Vertreter der Backsteinarchitektur. Obschon für mittelalterliche Architektur berufen, verkörperte Fischer tatsächlich eine Haltung der gemäßigten Moderne und führte die Backsteinarchitektur zu neuen Ufern. Die Baugeschichte war jedoch weiterhin nicht unter den Ordinarien vertreten. Dessen ungeachtet blieb Hölscher der Fakultät als außerordentlicher Professor verbunden. Da er ab 1924 Mohrmanns Nachfolge als Konsistorialbaumeister antrat und ab 1926 im Auftrag der University of Chicago wieder alljährlich in den Wintermonaten in Ägypten auf Grabungsexpedition war, unterrichtete er nur jedes zweite Semester. Als Forscher war er in jenen Jahren die Koryphäe der Fakultät, und auch an internationaler Sichtbarkeit tat es ihm niemand gleich.65 Mochte Hölscher seinerzeit die ordentliche Professur in Hannover verwehrt bleiben, so erhielt er in Anerkennung für seine Leistungen 1931 von der Universität Göttingen die Ehrendoktorwürde verliehen.66 Vor diesem Hintergrund erschließt sich, weshalb die Fakultät im Mai 1935 bei Minister Rust beantragte, »das frei werdende Ordinariat für Kunstgeschichte in ein solches für Baugeschichte umzuwandeln und den bisherigen Inhaber der Dozentur für Baugeschichte Prof. Dr.-Ing. Dr. phil h. c. Uvo Hölscher zum Ordinarius zu ernennen.«67 Bis die von der Fakultät vorgeschlagene Neugewichtung vom Ministerium genehmigt wurde, vergingen 14 Monate, wobei damit noch kein grünes Licht für die Person Hölschers verbunden war. Dieser musste weitere Konformitätsprüfungen über sich ergehen lassen, womit nicht zuletzt die Parteimitgliedschaft verbunden war. Ein weiteres Jahr später, im Juni 1937, wurde Hölscher dann schließlich zum Ordinarius ernannt – fast vierzig Jahre, nachdem er sich als Student an der Hochschule eingeschrieben hatte.68 War Hölscher derjenige, der die Kunstgeschichte an der TH Hannover m ­ arginalisiert hat  ? Mitnichten. Das hat auch keiner der ihm nachfolgenden Kunsthistoriker so gese­ hen. Derjenige, der die Kunstgeschichte tatsächlich in Misskredit gebracht hat, war Habicht. Er hat sich in einem Maße zum Handlanger einer braunen Ideologie gemacht, die ihn nicht nur von manchen Kollegen, sondern auch von den Studierenden isolierte. Während zu Zeiten von Hase, Holtzinger und Schubring die kunstgeschichtlichen VorGefahr, in  : Hannoverscher Anzeiger, 2. Oktober 1924, Nr. 232, Beilage 1 (dass. in  : Akte »Lehrstuhlbesetzungen 1921 – 1937«, Archiv der TIB/Universitätsarchiv Hannover, Hann. 146 A, Acc. 63/81, Nr. 28 (unfol.). 65 Hölscher 1933, 1934 – 1954. 66 Personalakte Hölscher der TH Hannover (1911 – 1947), Archiv der TIB/Universitätsarchiv Hannover, Bestand 5, Nr. 1625, fol. 76. 67 Dekan der Fakultät Bauwesen an Minister Rust, 9. Mai 1935, Akte »Lehrstuhlbesetzungen 1921 – 1937, Archiv der TIB/Universitätsarchiv, Hann. 146 A, Acc. 63/81, Nr. 28 (unfol.). 68 Personalakte Hölscher der TH Hannover (1911 – 1947), Archiv der TIB/Universitätsarchiv Hannover, Bestand 5, Nr. 1625, fol. 135 f.

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lesungen die größten Hörsäle füllten und ein Publikum begeisterten, das nicht nur aus Studierenden, sondern auch aus der interessierten Stadtöffentlichkeit bestand, soll Habicht in den dreißiger Jahren vor ziemlich leeren Reihen vorgetragen haben.69 Dass der Bauforscher Hölscher die kunstgeschichtlichen Methoden als einen selbstverständlichen und integralen Bestandteil des Methodenfächers der Baugeschichte schätzte und praktizierte, ist unstrittig. Dies ließe sich anhand seiner eigenen Forschungen und Publikationen darlegen. Es genügt aber auch der simple Hinweis auf seine Lehrstuhlassistenz. Mit der Übernahme des Ordinariats hatte Hölscher endlich die Möglichkeit, eine wissenschaftliche Mitarbeiterstelle zu besetzen. Dabei wählte er eine doppelt ungewöhnliche Lösung  : Er entschied sich nicht nur für eine Frau – was an den Architekturfakultäten jener Jahre noch immer eine Besonderheit war –, sondern auch für eine Kunsthistorikerin. Es war Liselotte Vossnack (1908 – 1997), die 1936 bei Brinckmann am kunsthistorischen Institut in Frankfurt am Main über den Architekten Pierre Michel d’Ixnard promoviert hatte.70 Mit ihr arbeitete Hölscher die folgenden zehn Jahre bis zu seiner Emeritierung 1947 zusammen. 1951 sollte Liselotte Vossnack die dritte Kunsthistorikerin in Deutschland sein, die sich an einer Technischen Hochschule habilitierte.71 VII. 1949 – 1955  : Hermann Deckert – Ein Kunsthistoriker als Rektor der Technischen Hochschule

Mit der 1947 vollzogenen Emeritierung von Hölscher wurde die Neubesetzung des Lehrstuhls für Baugeschichte akut. Darüber hinaus war mit dem Tod von Habicht Ende 1945 die außerordentliche Professur für Kunstgeschichte erloschen. Obwohl es nicht an Bemühungen gefehlt hat, diese Tandemstruktur aus baugeschichtlichem Ordinariat und kunstgeschichtlichem Extraordinariat für die Zukunft beizubehalten,72 waren die Umstände in der unmittelbaren Nachkriegszeit nicht so, dass dies möglich gewesen 69 So die Überlieferung von Ingeborg Lindau, die in jenen Jahren in Hannover Architektur studierte. Vgl. Anm. 54. 70 Vossnack 1938. 71 Liselotte Vossnack war nach Ottilie Thiemann-Stoedtner (Habil. TH Darmstadt 1929) und Margarete Baur-Heinhold (Habil. TH München 1950) die dritte Kunsthistorikerin in Deutschland, die sich an einer Technischen Hochschule habilitiert hatte, vgl. Bischoff 1989, S. 11 f. Vossnacks Habilitationsschrift galt Sir Christopher Wren. Grundlage war offenbar ihr ausführlicher Wren-Artikel im Thieme-Becker, die Habilitationsschrift selbst ist leider nie publiziert worden. 72 Siehe das dreiseitige von Uvo Hölscher verfasste Memorandum zur Frage der Lehrstühle für Kunstgeschichte und Baugeschichte an der Architektur-Abteilung der Technischen Hochschule Hannover vom Frühjahr 1948, in  : Besetzung des Lehrstuhls für Baugeschichte, Archiv der TIB/Universitätsarchiv, Nds. 423, Acc. 11/85, Nr. 261 (unfol.).

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wäre. Dies führte dazu, dass am 1. April 1949 der Kunsthistoriker und damalige Landeskonservator Hermann Deckert (1899 – 1955) zum ›Professor für Kunst- und Baugeschichte‹ ernannt wurde.73 Damit waren nominell beide Professuren für einige Jahre wieder in einer Person vereint. Erst später, nach Deckerts Tod, sollte mit Hoeltje und Vossnack wieder eine Tandemlösung etabliert werden, auf die hier jedoch aus Kapazitätsgründen nicht mehr eingegangen werden kann.74 Deckert verfügte über eine große Lokalkompetenz, was in der Situation nach den verheerenden Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs von großer Wichtigkeit war.75 Dass Deckert als Landeskonservator über die förmliche Denomination ›Kunst- und Baugeschichte‹ hinaus auch das Lehrgebiet Denkmalpflege mit einzubringen vermochte, war sicherlich ein weiterer Bonus.76 Wie seine Vorgänger Schubring und Hölscher war auch Deckert ein Pastorensohn. Das ist mehr als eine biografische Fußnote, im Falle von Deckert umschreibt es ein Wesensmerkmal, das auch für sein Verhältnis zu den Ingenieuren charakteristisch war, worauf noch einmal zurückzukommen sein wird. Deckert hatte Kunstgeschichte in Berlin, Leipzig und Marburg studiert. Als seine wichtigsten Lehrer bezeichnete er Richard Hamann, Adolph Goldschmidt und Wilhelm Pinder.77 Das Marburg der 1920er Jahre unter Hamann bildete für Deckert eine besonders fruchtbare und glückliche Zeit. Neben dem Studium war er intensiv für das der Hochschule angegliederte Bildarchiv Foto Marburg tätig und hat diverse Fotokampagnen begleitet, eine gute Vorbereitung für seine spätere Tätigkeit als Denkmalinventarisator. 1927 promovierte Deckert in Marburg zum Dr. phil. mit der Arbeit Die lübischbaltische Skulptur im Anfang des 16. Jahrhunderts.78 Bereits im Jahr darauf erlangte er die Venia Legendi. Dass dies in so kurzer Folge möglich wurde, lag daran, dass für den beurlaubten Hamann kurzfristig eine Vertretung benötigt wurde.79

73 Personalakte Deckert, Archiv der TIB/Universitätsarchiv Hannover, Hann. 146 A, Acc. 88/81, Nr. 108, fol. 13. 74 Der Kunsthistoriker Georg Hoeltje (1906 – 1996) war seit Oktober 1956 Ordinarius für Bau- und Kunstgeschichte. Mit der Ernennung von Liselotte Vossnack (1908 – 1997) zur außerplanmäßigen Professorin für Kunstgeschichte im Sommer 1960 war damit annähernd die Situation, wie sie vor 1945 bestanden hatte, wieder erreicht. Erst 1967 wurde Vossnack zur Beamtin auf Lebenszeit ernannt. Beide hatten sich an der TH Hannover habilitiert, Hoeltje im Jahr 1932, Vossnack im Jahr 1951. 75 Deckert, Roggenkamp 1952. 76 Deckert 1949/50. 77 Selbstverfasster Lebenslauf, 8. März 1948, in  : Personalakte Hermann Deckert, Archiv der TIB/Universitätsarchiv Hannover, Hann. 146 A, Acc. 88/81, Nr. 108, fol. 1 – 5, hier S. 1. 78 Deckert 1927. 79 So wurde als Habilitationsschrift Deckerts ein bereits vier Jahre zuvor publizierter Aufsatz über hanseatische Plastik angenommen (Deckert 1924), weil nicht der Druck des bereits abgeschlossenen Manuskriptes über die Naumburger Domskulpturen abgewartet werden sollte, das Deckert eigentlich als Habilitationsschrift verfasst hatte. Dieses Manuskript war Bestandteil eines auf insgesamt vier Bände angelegten Werkes

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Nach sieben Jahren als Privatdozent legte Deckert 1934 seine Venia in Marburg nieder. Nach eigenem Bekunden waren weniger die politischen Umstände dafür verantwortlich, sondern ›persönliche Gründe‹ und weil Deckert in die Denkmalpflege wechseln wollte. Dabei wurde er vom preußischen Staatskonservator Hiecke unterstützt. Ihm und dem Hannoverschen Finanzrat Hartmann verdankte es Deckert, dass er »in der hannoverschen Denkmalpflege ohne Bindung an die Partei festen Fuss fassen konnte«.80 Seit 1934 war er gemeinsam mit anderen mit der Inventarisation in der ­Provinz Hannover betraut. Dieses Team war ungemein fleißig. In den Jahren 1937 – 1943 konnte Deckert als Herausgeber neun Bände der Schriftenreihe Die Kunstdenkmale der Provinz Hannover publizieren. Ab 1938 nahm er die Aufgaben des Provinzialkonservators wahr, ein Amt, das er auch nach Gründung des Bundeslandes Niedersachsen 1946 als Landeskonservator fortsetzte. Als einer der wenigen Amtsträger, die nicht in die Partei eingetreten waren, wurde er von der britischen Militärregierung 1945 in seinem Amt bestätigt. Zusätzlich war er seit Ende 1945 als Referent für Kulturpflege tätig, zunächst in der Militärregierung, dann im neu gegründeten niedersächsischen Kultusministerium. Zurück zur TH Hannover. Im Unterschied zu früheren Zeiten (und auch zur späteren Praxis) wurde in der Nachkriegszeit an der TH Hannover das Rektoratsamt nur für ein Jahr übertragen, danach wechselte es turnusmäßig. In der Zeit vom 1. Juli 1951 bis zum 30. Juni 1952 wurde der Ordinarius für Kunst- und Baugeschichte, Deckert, zum Rektor der TH Hannover gewählt. Deckert war damit nicht nur unter den hiesigen Kunsthistorikern der Erste, dem die Rektoratswürde zuteilwurde. Er war überhaupt der erste Geisteswissenschaftler, der an der TH Hannover das Rektoratsamt übernahm. Diese Tatsache verdient eigens gewürdigt zu werden, zumal sie zeigt, dass zu diesem Zeitpunkt die Kunstgeschichte und ihre Methoden nicht nur an der Abteilung Architektur eine Selbstverständlichkeit geworden waren, sondern dass man als Geisteswissenschaftler auch im Kontext der gesamten Technischen Hochschule als Primus inter Pares gelten konnte. In seiner Eigenschaft als Rektor hat Deckert zwei bedeutende Reden gehalten. Darin positionierte er sich als Brückenbauer zwischen den Ingenieur- und Geisteswissenschaften und warb für eine wertschätzende Begegnung auf Augenhöhe. Die eine Rede war seine Antrittsrede als Rektor und befasste sich mit der aktuellen Frage des Wiederaufbaus. Die andere hielt er als Festredner auf der Jahreshauptversammlung des Vereins Deutscher Ingenieure. Sie war der ›Verantwortung‹ des Ingenieurs in der modernen Welt gewidmet.

über den Naumburger Meister. Wie so manches Großvorhaben wurde es leider nie zu Ende gebracht, sodass auch die schon vorliegenden Teile unpubliziert geblieben sind. 80 Selbstverfasster Lebenslauf, 8. März 1948, in  : Personalakte Hermann Deckert, Archiv der TIB/Universitätsarchiv Hannover, Hann. 146 A, Acc. 88/81, Nr. 108, fol. 1 – 5, hier S. 2.

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Die Rektoratsrede hatte den Titel Aufbau – Tradition – Restauration.81 Es war einer­ seits eine Reflexion über den Wiederaufbau, andererseits eine Auseinandersetzung mit einer aktuellen kunstgeschichtlichen Debatte. Denn Deckerts Rede war zugleich eine Replik auf Hans Sedlmayrs Schrift Verlust der Mitte von 1948. Wie Sedlmayr sah auch Deckert in der Entwicklung des 19. Jahrhunderts einen Wendepunkt. Auch teilte ­Deckert die Sorge vor »Disharmonie und Chaos« in Stadtbild und Gesellschaft. Im Unter­schied zu Sedlmayr mochte Deckert aber die Geschichte von Kunst und Architektur des 19. Jahrhunderts nicht einseitig »als Geschichte von Krankheits- und Verfallssymptomen« beschreiben. »Es mag«, so Deckert, »ein richtiger Kern darin liegen, wenn man vom ›Verlust der Mitte‹ spricht, aber es steckt eine große Gefahr darin, ja ein Gift in dieser einleuchtenden These  : wir seien nicht schuld – und es gäbe ein Heilmittel, die Rückkehr zu dem bis in den Barock, bis zur Aufklärung oder gar bis vor dem 16. Jahrhundert Gewesenen.«82 Einer solchen Restauration wollte der Denkmalpfleger Deckert nicht das Wort reden. Vielmehr erkannte er den grundlegenden, über mehrere Generationen vollzogenen Wandel im Bauen (neue Baumaterialien, neue Bauherrenstrukturen, neue Bauaufgaben sowie die zunehmende Entkoppelung der Disziplinen Architektur, Bauingenieurwesen, Städtebau und Verkehrsplanung) als unausweichliches Faktum an, das sich nicht mehr zurückdrehen lasse. Dennoch wollte er nicht als unkritischer Wortführer der Moderne missverstanden werden. Vielmehr riet er zu einem verantwortungsvollen Umgang mit den historischen Bauten auf. So wenig er Stahl und Glas als Baumaterialien in Frage stellte, so sehr plädierte er dafür, im Gegenzug auch den Gebrauch traditioneller Baumaterialien nicht anzuzweifeln. Im Unterschied zu Sedlmayr waren für Deckert die Bauten früherer Zeiten aber kein Normativ für gegenwärtiges Bauen. Deckert wollte keine restaurative Architektur, sondern eine in der Gegenwart wurzelnde Architektur mit der Fähigkeit zum Respekt gegenüber älteren Bauten. Nur wenige Wochen nach seiner Rektoratsrede hielt Deckert am 1. August 1951 den Festvortrag auf der in Hannover stattfindenden Hauptversammlung des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI). Diese Rede war ein Appell an die Zunft der Ingenieure, ihre gestiegene Verantwortung in den modernen Gesellschaften anzunehmen und die Tatsache anzuerkennen, dass ihr Wirken nicht nur innerfachliche Dinge berühre, sondern große Auswirkungen auf das menschliche Dasein erlangt habe. Dabei nahm Deckert nicht allein Bezug auf die aktuelle Debatte um die Verantwortung bei der Entwicklung von Atom- und Vernichtungswaffen. Er ging ungleich ausführlicher auf eine weiter zurückreichende Debatte ein, die Jahrzehnte zuvor von den Ingenieuren selbst angestoßen worden war. Dabei hatten sie ihrerseits mehr Verantwortung in Staat und Verwaltung

81 Deckert 1952. 82 Ebd., S. 18.

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reklamiert in der Absicht, die tradierte Dominanz der Juristen aufzubrechen und partiell durch Techniker zu ersetzen. Deckert erinnerte die Ingenieure an diesen selbst formulierten Anspruch auf mehr administrative und gesellschaftliche Teilhabe. Unter Verweis auf die Juristen, die sich seit jeher als gesellschaftstragende Elite begriffen hätten, legte Deckert dar, welcher außerfachlichen Eigenschaften es bedürfe, um einer solchen Rolle gerecht zu werden. Grund für den großen Einfluss der Juristen sei »die Tatsache, daß das Bildungsniveau dieses Standes hoch war und er durch lange Teilnahme am verantwortungsvollen Leben über sein juristisches Spezialistentum hinaus Erfahrung und Wissen um Gesamtzusammenhänge tatsächlich erworben hatte«.83 Wenn die Ingenieure den Anspruch hätten, mehr gesellschaftliche Verantwortung wahrzunehmen, dann sollten sie sich darin die Juristen zum Vorbild nehmen. Dabei hob Deckert drei Aspekte besonders hervor. Zum einen sei es nötig, das »Nur-Spezialistentum« zu überwinden. Zum anderen müsse die Bereitschaft entwickelt werden, sich von einer unbedingten Nutzorientierung frei zu machen – zumal dann, wenn sie zu eindimensional auf Fragen der Wirtschaftlichkeit fokussiert sei. »Es gibt anderen Nutzen als materiellen  : Gesundheit, Frieden, Stille, Befriedigung in der Arbeit und vor allem  : Muße.«84 Und schließlich wäre es hilfreich, wenn die Bereitschaft vorhanden sei, Irrationalitäten anzuerkennen. Der künftige, verantwortungsvolle Ingenieur, so Deckert, sollte »dem Musischen und dem Religiösen aufgeschlossen sein.« 85 In dieser verkürzten Form mögen die Sätze wie Kanzelworte klingen. Dies umso mehr, als Deckert seine Rede mit den Worten aus dem 84. Psalm schloss  : »Wohl den Menschen, die durch das Jammertal gehen und machen daselbst Brunnen.« An diesen Worten wird jedoch deutlich, dass Deckert mitnichten eine Disziplinschelte im Sinn hatte, sondern dass er in die Ingenieure große Hoffnung setzte. Sie waren in seinen Augen prädestiniert dafür, sich als jene ›Brunnenmacher‹ zu betätigen, die es in der Hand haben, Wege aus der Krise erfolgreich zu ebnen. Während viele Zeitgenossen in den Ingenieuren die Verursacher der aktuellen Katastrophe sahen, wollte der Kunsthistoriker Deckert in ihnen die Pioniere für den Ausweg aus der Krise sehen. Deckert seinerseits hat vor allem als Brückenbauer gewirkt. Als Brückenbauer in der ›Querelle des Anciens et des Modernes‹ im deutschen Wiederaufbau. Und als Brückenbauer zwischen den Geistes- und Ingenieurwissenschaften. Dabei hat er die Ingenieure ernst genommen und ist ihnen mit Wertschätzung begegnet. Er hat in ihnen nicht Wissenschaftler zweiter Klasse gesehen. Deckert war kein Kunsthistoriker, der sich an der Technischen Hochschule in eine Nische zurückgezogen hat. Er fürchtete auch nicht wie Wölfflin, Grisebach und andere, an der TH »der Universität entfremdet« zu wer83 Deckert 1951, S. 914. 84 Ebd. 85 Ebd.

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den. Hermann Deckert hat vielmehr im Sinne von Wölfflins Mentor Heinrich Brunn gehandelt, der auf die Sorge vor einer möglichen Entfremdung geantwortet hatte  : »Das kommt ganz allein auf Sie an  !«86 Literatur Bischoff 1989 – Cordula Bischoff  : Professorinnen der Kunstwissenschaft. Geschichte, Gegenwart, Zukunft, in  : Frauen Kunst Wissenschaft. Rundbrief 3 (Mai 1989), H. 5/6, S. 9 – 19. Bloth 1994 – Ingeborg Bloth  : Adolf Wissel. Malerei und Kunstpolitik im Nationalsozialismus, Berlin 1994. Burckhardt, Holtzinger 1891 – Jacob Burckhardt  : Geschichte der Renaissance in Italien, 3. Aufl., bearb. v. Heinrich Holtzinger, Stuttgart 31891. Cauman 1958 – Samuel Cauman  : The living Museum. Experiences of an Art Historian and Museum Director – Alexander Dorner, New York 1958. Cube 1906 – Gustav von Cube  : Über die römische Scenae Frons in den pompejanischen Wandbildern 4. Stils, Berlin 1906. Deckert 1924 – Hermann Deckert  : Studien zur hanseatischen Skulptur im Anfang des 16. Jahrhunderts, in  : Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft 1 (1924), H. 1, S. 55 – 98. Deckert 1927 – Hermann Deckert  : Die lübisch-baltische Skulptur im Anfang des 16. Jahrhunderts, Marburg 1927. Deckert 1949/50 – Hermann Deckert  : Kunstgeschichte, Baugeschichte, Denkmalpflege, in  : Jahrbuch der Technischen Hochschule Hannover (1949/50), S. 57 – 59. Deckert 1951 – Hermann Deckert  : Die Aufgabe und Verantwortung des Ingenieurs in der modernen Welt, in  : Zeitschrift des Vereines Deutscher Ingenieure 93 (1951), S. 911 – 915. Deckert 1952 – Hermann Deckert  : Aufbau – Tradition – Restauration (Vortrag bei Übernahme des Rektorats am 30. Juni 1951), in  : Jahrbuch der Technischen Hochschule Hannover (1952), S.  17 – 20. Deckert, Roggenkamp 1952 – Hermann Deckert, Hans Roggenkamp  : Das alte Hannover, München 1952. Dorner 1929 – Alexander Dorner  : Die Entwicklung der Raumvorstellung in den Reliefs des Trecento und Quattrocento, in  : Tancred Borenius (Hg.)  : Italienische Studien. Paul Schubring zum 60. Geburtstag gewidmet, Leipzig 1929, S. 32 – 59. Dorner 1931a – Alexander Dorner  : Kunstgeschichte und lebendige Baukunst, in  : Robert Otzen (Hg.)  : Führung zur Baukunst. Zur Hundertjahrfeier der Technischen Hochschule Hannover 1831 – 1931, Hannover 1931, S.  181 – 187. Dorner 1931b – Alexander Dorner  : 100 Jahre Bauen in Hannover. Zur Hundertjahrfeier der Technischen Hochschule Hannover 1931, Hannover 1931.

86 »Ich besprach mich danach mit [Heinrich] Brunn in München und ließ einige Bemerkungen fallen über die Gefahr der Universität entfremdet zu werden, worauf er einfach und richtig antwortete  : Das kommt ganz allein auf Sie an  !« Heinrich Wölfflin an August Grisebach (2. September 1919) unter Bezugnahme auf seinen möglichen Ruf nach Hannover im Jahre 1891. Zit. nach  : Maurer 2007, S. 175.

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Eichwede 1904 – Ferdinand Eichwede  : Beiträge zur Baugeschichte der Kirche der Kaiserlichen Stifter zu Königslutter, Hannover 1904. Flacke-Knoch 1985 – Monika Flacke-Knoch  : Museumskonzeptionen in der Weimarer Republik. Die Tätigkeit Alexander Dorners im Provinzialmuseum Hannover, Marburg 1985. Galland 1882 – Georg Galland  : Die Renaissance in Holland in ihrer geschichtlichen Hauptentwicklung dargestellt. Mit erläuternden Zeichnungen, Berlin 1882. Galland 1884 – Georg Galland  : Das Karmarsch-Denkmal in Hannover, in  : Kunstchronik 19 (1884), Sp. 53 – 55. Galland 1886 – Georg Galland  : Italienische Renaissance, Leipzig 1886. Galland 1887a – Georg Galland  : Hannovers Grabdenkmäler der Renaissance, Hannover 1887. Galland 1887b – Georg Galland  : Der Meister des Leibnizhauses zu Hannover, in  : Kunstchronik 22 (1887), Sp. 680 – 682. Grisebach 1907 – August Grisebach  : Das deutsche Rathaus der Renaissance, Berlin 1907. Grisebach 1910 – August Grisebach  : Der Garten. Eine Geschichte seiner künstlerischen Gestaltung, Leipzig 1910. Habicht 1914 – Victor Curt Habicht  : Hannover, Leipzig 1914. Habicht 1915a – Victor Curt Habicht  : Mittelrheinische Kunst in Nordwestdeutschland, in  : Rheinlande 12 (1915), S. 401 – 407 Habicht 1915b – Victor Curt Habicht  : Die niedersächsischen mittelalterlichen Chorgestühle, Straßburg 1915. Habicht 1916a – Victor Curt Habicht  : G. F. Dingerlinger. Ein Beitrag zur Geschichte der Barockarchitektur in Hannover, in  : Hannoversche Geschichtsblätter 19 (1916), S. 271 – 287. Habicht 1916b – Victor Curt Habicht  : Die Herkunft der Kenntnisse Baltasar Neumanns auf dem Gebiete der »Civilbaukunst«, in  : Monatshefte für Kunstwissenschaft 9 (1916), S. 46 – 61. Habicht 1916 – 1918 – Victor Curt Habicht  : Die deutschen Architekturtheoretiker des 17. und 18. Jahrhunderts, in  : Zeitschrift für Architektur und Ingenieurwesen (1916), Sp. 1 – 30, 261 – 288 und ebd. (1917), Sp. 209 – 244 und ebd. (1918), Sp. 157 – 187, Sp. 201 – 230. Habicht 1917a – Victor Curt Habicht  : Die mittelalterliche Plastik Hildesheims, Straßburg 1917. Habicht 1917b – Victor Curt Habicht  : Die Gobelins im Rittersaale des Domes zu Hildesheim, in  : Monatshefte für Kunstwissenschaft 10 (1917), S. 275 – 280. Habicht 1917c – Victor Curt Habicht  : Joseph Furttenbachs Hochzeit-Haus-Gebäw. Ein Beitrag zur ulmischen Kunst- und Kulturgeschichte, in  : Württembergische Vierteljahrhefte für Landesgeschichte 26 (1917), S. 121 – 130. Habicht 1931 – Victor Curt Habicht  : Kunstgeschichte und Architektur. Formenwandlung und Sinngebung, in  : Führung zur Baukunst. Zur Hundertjahrfeier der Technischen Hochschule Hannover 1831 – 1931, Hannover 1931, S. 167 – 180. Hölscher 1909 – Uvo Hölscher  : Das Hohe Tor von Medinet Habu. Eine baugeschichtliche Untersuchung, Leipzig 1909. Hölscher 1913 – Uvo Hölscher  : Kloster Loccum. Bau- und Kunstgeschichte eines Cisterzienserklosters, Hannover, Leipzig 1913. Hölscher 1924 – Uvo Hölscher  : Die mittelalterlichen Klöster Niedersachsens, Bremen 1924. Hölscher 1927 – Uvo Hölscher  : Die Kaiserpfalz Goslar, Berlin 1927.

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Hölscher 1933 – Uvo Hölscher  : Medinet Habu. Ausgrabung des Oriental Institutes der Universität Chicago. Ein Vorbericht, Leipzig 1933. Hölscher 1934 – 1954 – Uvo Hölscher  : The excavation of Medinet Habu, 5 Bde., Chicago 1934 – 1954. Hoeltje 1930 – Georg Hoeltje  : Zeitliche und begriffliche Eingrenzung der Spätgotik innerhalb der Architektur von Deutschland, England und Frankreich, Weimar 1930. Hoeltje 1931 – Georg Hoeltje  : Hannover. Aufgenommen von der Staatlichen Bildstelle, Berlin 1931. Hoeltje 1932 – Georg Hoeltje  : Die Geschichte der hannoverschen Stadterweiterung von den Befreiungskriegen bis zur Einführung der Eisenbahn, Habil. TH Hannover 1932 (Wiederabdruck in  : Hannoversche Geschichtsblätter N. F. 2 (1932/33), S. 187 – 243). Holtzinger 1881a – Heinrich Holtzinger  : Über den Ursprung und die Bedeutung der Doppelchöre. Eine Studie aus der Baugeschichte des Mittelalters, Leipzig 1881. Holtzinger 1881b – Heinrich Holtzinger  : Der Clitumnustempel bei Trevi, in  : Zeitschrift für bildende Kunst 16 (1881), S. 313 – 318. Holtzinger 1882 – Heinrich Holtzinger  : Pienza. Aufgenommen und gezeichnet von K. Mayreder und C. Bender, Wien 1882. Holtzinger 1883 – Heinrich Holtzinger  : Die christliche Basilika in ihrer Entwickelung und Beziehung zur Antike. Eine kunstgeschichtliche Studie, Oldenburg 1883. Holtzinger 1885 – Heinrich Holtzinger  : Die Sakristei von Santo Spirito zu Florenz. Aufgenommen von K. Mayreder und C. Bender, in  : Allgemeine Bauzeitung 49 (1885), S. 23 – 24, T. 14 –  18. Holtzinger 1886 – Heinrich Holtzinger  : Über den Ursprung des Kirchenbaus, in  : Ders.: Kunsthistorische Studien, Tübingen 1886, S. 1 – 40. Holtzinger 1887 – Heinrich Holtzinger (Hg.)  : Filippo Brunellesco di Antonio di Tuccio Manetti. Mit Ergänzungen aus Vasari und anderen, Stuttgart 1887. Holtzinger 1889 – Heinrich Holtzinger  : Die Altchristliche Architektur in systematischer Darstellung. Form, Einrichtung und Ausschmückung der altchristlichen Kirchen, Baptisterien und Sepulchralbauten, Stuttgart 1889 (Reprint Darmstadt 2012). Holtzinger 1899 – Heinrich Holtzinger  : Geschichte der altchristlichen und byzantinischen Baukunst, Stuttgart 1899. Holtzinger 1904 – Heinrich Holtzinger  : Rom. Antike Kunst, Stuttgart 1904. Holtzinger 1906 – Heinrich Holtzinger  : Timgad und die römische Provinzialarchitektur in Nordafrika, in  : Die Baukunst, 3. Serie, 1 (1906), S. 1 – 24. Jänecke 1903 – Wilhelm Jänecke  : Über die Entwickelung der Akanthusranke im französischen Rokoko. Dargestellt an Stücken französischer Meister in der Zeit von 1650 – 1750, Hannover 1903. Jager 2019 – Markus Jager  : Hannoversche Schule und/oder Hase-Schule  ? Akademische Selbstbehauptung in Zeiten Preußischer Annexion, in  : Ders., Thorsten Albrecht, Jan Willem Hunte­brinker (Hg.)  : Conrad Wilhelm Hase. Architekt – Hochschullehrer – Konsistorialbaumeister – Denkmalpfleger, Petersberg 2019, S. 14 – 29. Kanold 1931 – Paul Kanold  : Die Entwicklung des architektonischen Unterrichts, in  : 100 Jahre

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Von der Dozentur zur Rektoratswürde

Technische Hochschule Hannover. Festschrift zur Hundertjahrfeier am 13. Juni 1931, hg. im Auftr. v. Rektor und Senat, Hannover 1931, S. 121 – 135. Katenhusen 1993 – Ines Katenhusen (Red.)  : Überwindung der Kunst. Zum 100. Geburtstag des Kunsthistorikers Alexander Dorner, Hannover 1993. Katenhusen 2008 – Ines Katenhusen  : Ein Museumsdirektor auf und zwischen den Stühlen. Alexander Dorner (1893 – 1957) in Hannover, in  : Ruth Heftig, Olaf Peters, Barbara Schellewald (Hg.)  : Kunstgeschichte im »Dritten Reich«, Berlin 2008, S. 156 – 170. Katenhusen 2010 – Ines Katenhusen  : »… nicht der übliche Typus des Museumsdirektors. Ale­ xander Dorner und die Gemäldegalerie des Landesmuseums der Zwischenkriegszeit, in  : Maike Steinkamp, Ute Haug (Hg.)  : Werke und Werte. Über das Handeln und Sammeln von Kunst im Nationalsozialismus, Berlin 2010, S. 173 – 190. Kokkelink 1981 – Günther Kokkelink  : Conrad Wilhelm Hase. Architekt und Lehrer der Baukunst, in  : Rita Seidel (Hg.)  : Universität Hannover 1831 – 1981. Festschrift zum 150jährigen Bestehen der Universität Hannover, Bd. 1, Stuttgart, Berlin, Köln u. a. 1981, S. 180 – 192. Lange 1879 – Konrad Lange  : Das Motiv des aufgestützten Fusses in der antiken Kunst und dessen statuarische Verwendung durch Lysippos, Leipzig 1879. Lange 1884 – Konrad Lange  : Die Königshalle in Athen, Leipzig 1884. Lange 1885 – Konrad Lange  : Haus und Halle. Studien zur Geschichte des antiken Wohnhauses und der Basilika, Leipzig 1885. Loeben 2010 – Christian E. Loeben  : Uvo Hölscher in Abusir. Ein Meilenstein in der Geschichte der ägyptischen Bauforschung, in  : Vinzenz Brinkmann (Hg.)  : Sahure. Tod und Leben eines großen Pharao, München 2010, S. 143 – 151. Maurer 2007 – Golo Maurer  : August Grisebach (1881 – 1950). Kunsthistoriker in Deutschland. Mit einer Edition der Briefe Heinrich Wölfflins an Grisebach, Ruhpolding, Mainz, 2007. Philipps 1936 – Otto Philipps  : Studienrat Dr. Johannes Heinrich Müller. Ein Leben im Dienste niedersächsischer Vorzeitforschung, in  : Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte 13 (1936), S.  96 – 130. Roß 1912 – Bernhard Roß  : Materialien zur Kunstgeschichte. 2 Bde., Bd. 1  : Antike und Mittelalter. Bd. 2  : Renaissance und neueste Zeit. Hannover 1912. Schubring 1915 – Paul Schubring  : Cassoni. Truhen und Truhenbilder der italienischen Frührenaissance. Ein Beitrag zur Profanmalerei im Quattrocento, Leipzig 1915. Suckale 2000 – Robert Suckale  : 150 Jahre Kunstgeschichte. Zwischen Dienstleistung und hochschulgemäßer Profilierung, in  : Karl Schwarz (Hg.)  : 1799 – 1999. Von der Bauakademie zur Technischen Universität Berlin. Geschichte und Zukunft, Ausstellungskatalog Berlin, Berlin 2000, S.  78 – 83. Vossnack 1938 – Liselotte Vossnack  : Pierre Michel d’Ixnard 1723 – 1795. Französischer Architekt in Südwestdeutschland, Remscheid 1938.

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Olaf Gisbertz

Kunstgeschichte und Architekturausbildung Zur Hochschullehre an der TH/TU Braunschweig 1897 – 1980

Der Beitrag zeichnet die wechselvolle Geschichte der Kunstgeschichte an der heutigen TU Braunschweig nach. Dabei werden ihre Akteure in Forschung und Lehre vorgestellt. Das Thema ist ein Desiderat, standen bisher doch Werk und Wirkungen der an der ›Braunschweiger Schule‹ tätigen Architekten im Vordergrund des Forschungsinteres­ ses. Die Geschichte der Kunstgeschichte in Braunschweig, die durch hochschulstrate­ gische Aus-, Um- und Neuorientierungen des Faches gekennzeichnet war, spiegelt aber in einem besonderen Maße die Brüche und Kontinuitäten in der Architektenausbil­ dung an den polytechnischen Hochschulen wider.

Das Fach Kunstgeschichte an der Technischen Universität Braunschweig stand bisher kaum im Fokus der historischen Forschung, vielmehr waren es Werk und Wirkungen der an der ›Braunschweiger Schule‹ tätigen Architekten von Konstantin Uhde über Carl Mühlenpfordt bis hin zu Friedrich Wilhelm Kraemer, Dieter Oesterlen und Walter Henn.1 Der Geschichte der Kunstgeschichte in Braunschweig, die durch hochschul­ strategische Aus-, Um- und Neuorientierungen des Faches gekennzeichnet war, spiegelt aber in einem besonderen Maße die Brüche und Kontinuitäten in der Architekturausbildung an den polytechnischen Hochschulen seit dem 19. Jahrhundert wider. Es war der Architekt Friedrich Wilhelm Kraemer, der sein privates Umfeld wie ein Studiolo eines kunstbeflissenen Gelehrten ausstattete, gleich dem Ambiente eines ›Hl. Hieronymus im Gehäus‹ (Abb. 1), bestückt mit Vasen, Figuren, Büsten, Büchern und Schaukästen. Der Arbeitsplatz bot Ausblick auf eine aus den Trümmern gerettete Säulenspolie des 1960 abgebrochenen Braunschweiger Schlosses von Theodor Ottmar. Vergeblich hatte sich die Architekturfakultät der ›Braunschweiger Schule‹ für dessen Erhalt ausgesprochen.2 So sehr sich die Architekturlehrer der ersten Stunde in Braunschweig nach 1945 – wie hier Kraemer – in die örtlichen Künstlerviten der Kunstgeschichte einschreiben wollten, so wenig gab es in den Aufbaujahren der jungen Bundesrepublik in der Welfenstadt einen eigenen Lehrstuhl für Kunstgeschichte. Das Fach war über mehrere Jahrzehnte überhaupt nicht im Curriculum der Architekturausbildung verankert. Und der Blick

1 Wilhelm, Gisbertz, Jessen-Klingenberg, Schmedding 2007  ; Schmedding 2011  ; Buttolo, Lippert 2012  ; Krafczyk 2016  ; Knufinke, Funke 2017. 2 Gisbertz 2017, S. 63.

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Abb. 1  : Haus Kraemer II, Arbeits­ platz der Frau, Erdgeschoss, 1955 (= Die Kunst und das schöne Heim. 55. Jg. 1957. H. 12, S. 478)/Antonello da Messina, Hl. Hieronymus im Gehäus, 1474, Detail, National Gallery London (= wikipedia commons).

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Kunstgeschichte und Architekturausbildung

auf die Geschichte der Kunstgeschichte der TH Braunschweig zeigt so auch ein wechselvolles Auf und Ab in der Wertschätzung des Faches für die Architekturausbildung. I. Zur Vorgeschichte

Die Architekturausbildung in Braunschweig geht zurück auf die Gründung des Collegium Carolinum 1745 in Braunschweig, an dem eine allgemeine Ausbildung in technischen und militärischen Wissenschaften angeboten wurde,3 daneben Kurse im Zeichnen und Malen für besonders begabte Studenten, unter ihnen kein Geringerer als Leo von Klenze, der zwischen 1798 und 1800 in Braunschweig eingeschrieben war. Im frühen 19. Jahrhundert erfolgte eine Neuausrichtung zur Verbindung von Baukunst, Bauwissenschaft und Mechanik unter der Ägide des vom Herzog berufenen Johann Carl Kahnt, der zuvor die Wiener Bauakademie besucht hatte.4 Es dauerte aber ein weiteres halbes Jahrhundert, bis das Collegium in ein Polytechnikum überführt wurde, das dann auch ein breites Fächerspektrum mit ausgereiftem Lehrplan anbot. Im Zuge dieser Neuorientierung zur Zeit des Gründungsbooms der polytechnischen Hochschulen in ganz Europa (Paris, Wien, Prag, Karlsruhe) erfolgten zahlreiche Neuberufungen bis zur Umwidmung 1872 in Herzogliche Technische Hochschule Carolo-Wilhelmina5. Das Fach Kunstgeschichte blieb an der Braunschweiger Hochschule allerdings lange außen vor  : In den Neubauplanungen von Constantin Uhde für das Hochschulgebäude im Norden der Okerumflut war das Fach noch nicht im Raumprogramm vertreten. Erst 1897 wurde ein Lehrstuhl für Allgemeine Kunstgeschichte eingerichtet, 1903 trat die Neuere Kunstgeschichte hinzu. Beide Fächer gingen aber Mitte der 1920er Jahre im Lehrangebot der Baugeschichte auf, bis 1965 wieder ein eigener Lehrstuhl für Kunstgeschichte entstand. Das Fach war als philosophisch-historische Wissenschafts­ disziplin so über die Zeitenwende 1968 hinaus für die Architekturausbildung in Braunschweig relevant, als die Hochschule nach Eingliederung der Pädagogischen Hochschule (Kant-Hochschule) den Status einer Technischen Universität erlangte. Unter wechselnden Präferenzen gehörte die Kunstgeschichte schließlich bis 1984 zum Curriculum der Architekturausbildung. Es gilt im Folgenden, die wechselvolle Geschichte der Kunstgeschichte an der TU Braunschweig nachzuzeichnen. Dabei werden ihre Akteure ebenso vorgestellt wie ihre Lehrinhalte. Es erscheint besonders lohnend, den Blick auf die Gründungsphase der Kunstgeschichte in Braunschweig unter Paul Jonas Meier (1897 – 1927) und Berthold Otto Daun (1903 – 1920) zu richten, wie auch auf die Zeitenwende der 1960er Jahre, 3 Pump-Uhlmann 1995, S. 231. 4 Böttcher, Hartmann, Lemke-Kokkelink 1995, S. 93. 5 Pump-Uhlmann 1995, S. 238 f.

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als die Kunstgeschichtsprofessur für Martin Gosebruch (1965 – 1984) neu gegründet wurde und eine inhaltliche Autonomie erhielt. Schließlich war das Fach zuvor nicht unumstritten, denn mehr als 30 Jahre lang war die Kunstgeschichte unter dem Städtebauer Herman Flesche (1927 – 1955) und dem Bauhistoriker Konrad Hecht (1956 – 1980)6 im Bereich der Baugeschichte verortet. Zugleich eröffnete der Ausbau der Kunsthochschule in Braunschweig, der heutigen Hochschule der Bildenden Künste7, der Kunstgeschichte neue Perspektiven, sodass Auf- und Abstieg des Faches in Braunschweig auch im Wechselspiel mit der Entwicklung zweier Hochschulen in einer Stadt gesehen werden müssen. II. Paul Jonas Meier (1857 – 1949)

Die Gründungsphase des Faches Kunstgeschichte an der TH Braunschweig ist eng mit dem Namen Paul Jonas Meier verbunden.8 Meier, 1857 geboren in Magdeburg, wechselte nach dem Studium der Klassischen Philologie in Tübingen bei Wilhelm Sigmund Teuffel, dessen Geschichte der römischen Literatur 9 zu den Standardwerken des Faches gehörte, zum Studium nach Bonn. Hier setzte er nicht etwa seine Studienrichtung fort, sondern immatrikulierte sich für das Fach Archäologie. Mit dem Umbau des alten Anatomiegebäudes zum Akademischen Kunstmuseum hatte die Antikensammlung der Universität Bonn mit über 500 Abgüssen antiker Statuen und Reliefs und weit mehr als 2000 Originalen der Antike ab 1872 am Südrand des Bonner Hofgartens einen Hotspot für die archäologische Forschung erhalten.10 Es ist in diesem Zusammenhang bemerkenswert, dass die Bonner Universität im Schloss gegenüber 1860 den »ersten offiziellen Lehrstuhl für Kunstgeschichte«11 weltweit eingerichtet hatte und Meier offensichtlich von diesem Aufbruch in Kunst und Wissenschaften profitieren konnte. Die Auseinandersetzung Meiers mit den Bonner Sammlungsbeständen schulte nicht nur sein archäologisches Urteil, sondern auch seine Kenntnisse im Umgang mit größeren Sammlungsbeständen. 1882 siedelte Meier »aufgrund persönlicher Beziehungen«12 nach Braunschweig über, wo er zunächst als Lehrer am Martino-Katharineum und Wilhelm-Gymnasium beschäftigt war und nebenbei im bald eröffneten Herzog-Anton-Ulrich-Museum Studien zum Bestand des Münzkabinetts, den Sammlungen der   6 In Klammern sind die Beschäftigungsjahre an der TH/TU Braunschweig angegeben.   7 Bei der Wieden 2013.   8 Siehe im Folgenden  : Luckhardt 1992  ; Jarck, Scheel 1996, S. 408.   9 Böttcher, Hartmann, Lemke-Kokkeling 1995, S. 121. 10 Himmelmann 1972  ; Lützeler 1968. 11 Zur Institutsgeschichte siehe URL  : https://www.khi.uni-bonn.de/de/Institut/Institutsgeschichte (30. Februar 2019). 12 Hundert Jahre Wilhelm-Gymnasium, 1985, S. 63.

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Gemmen und Gipsabdrücke aufnahm. Es mag ein Zufall gewesen sein  : Aber auch in Braunschweig hatten sich mit dem Neubau des Herzog-Anton-Ulrich Museums (eröff­ net 1887) die bildungsliberalen Tendenzen zur Förderung von Kunst und Wissenschaften im Kaiserreich gerade Ausdruck verschafft. Meier sollte nur ein Jahr nach der Museumseröffnung zum Museumsinspektor ernannt werden und 1901 sogar Hermann Riegels Nachfolge als Museumsdirektor in Braunschweig antreten. In dieser Position, 1911 vom Herzog zum Geheimen Hofrat ernannt, gelang es ihm, durch einzelne Neuerwerbungen nicht nur die Porzellan- und Münzsammlungen zu erweitern, sondern im Museum auch Säle für antike Abgusssammlungen einzurichten. Sein Studium in Tübingen und Bonn, der versierte Umgang mit den Sammlungsbeständen und seine gymnasiale Lehre prädestinierten Meier schon 1894 in besonderer Weise auch für eine Professur an der TH Braunschweig. Hier waren die Verhandlungen um die Neueinrichtung des Faches Kunstgeschichte innerhalb der Architekturfakultät gerade aufgenommen worden,13 nicht ohne dass sein Name schnell die Runde machte. Zu dieser Zeit unterrichtete sein Vorgänger am Herzog-Anton-Ulrich Museum, Hermann Riegel, über zwei Semester Die Geschichte der Baukunst unter Vorlage zahlreicher Denkmalwerke, Kupferstiche und anderer Abbildungen.14 Es ist ein Lehrprogramm, das die Studierenden mit Bauten Alt-Ägyptens, West- und Vorderasiens ebenso vertraut machte wie mit »Mohammedanischen Bauwerken« und dem »Gothischen Styl«15 gleich einem Ideenreservoir für die historisierende Entwurfsarbeit an den Braunschweiger Architektur-Lehrstühlen der Jahrhundertwende unter Uhde, Stadtbaurat Winter und Hermann Pfeiffer. Meiers erste Vorlesung fiel in das Jahr 1897, in dem er Allgemeine Kunstgeschichte zwei Stunden wöchentlich las,16 ohne im Vorlesungsverzeichnis namentlich genannt zu werden. Dies folgte erst ein Semester später. Was unter ›Allgemeiner Kunstgeschichte‹ im polytechnischen Kontext der Hochschule zu verstehen war, eröffnet sich mit Blick auf das Repertoire seiner Lehr- und Forschungsthemen  : Ein besonderes Interesse entwickelte Meier an der Denkmalinventarisation Niedersachsens, wo er durch verschiedene Inventare für die Stadt Braunschweig, Wolfenbüttel und Goslar zu einem »Wegbreiter der Denkmalinventarisation und Denkmalpflege«17 avancierte. Den Auftrag hierfür hatte er schon 1892 durch den damaligen Braunschweiger Oberbaurat Ernst Wiehe (1842 – 1894) erhalten. Mit der Übernahme dieser Aufgabe beendete Meier seine Lehrertätigkeit an den Gymnasien und konnte sich ganz Themen der historischen Städtebauforschung widmen. Diese Bemühungen mündeten 1922 in seinem Hauptwerk, dem Niedersächsischen Städteatlas18, 1928 – vier Jahre nach seiner Emeritierung – folgte 13 UniA BS (Universitätsarchiv Braunschweig), A I  : 235. 14 Vorlesungsverzeichnis 1894, S. 12. 15 Vorlesungsverzeichnis 1897, S. 36. 16 Ebd. 17 Meibeyer 2007, S. 4 – 6. 18 Meier 1922.

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die für die Geschichte der Montanindustrie wegweisende Veröffentlichung zum Goslarer Rammelsberg19, 1929 die reich bebilderte Städtemonografie zu Braunschweig im Deutschen Kunstverlag.20 Mit diesen objektbezogenen Arbeiten eröffnete Meier der Kunstgeschichte in Braunschweig um 1900 auch neue methodische Zugangswege in einer Zeit, in der das Fach – nach Wilhelm Waetzoldts Deutsche Kunsthistoriker – »mitten im Übergang« begriffen war, um sich »von den bisher stoffordnenden zu neuen formenausdeutenden Arbeitsverfahren, von Tatsachenforschung zu Begriffsforschung, von europäischen zu weltwissenschaftlichen Perspektiven«21 zu entwickeln. III. Berthold Otto Daun (1872 – 1934)

Neuere Perspektiven für die Kunstgeschichte sollten sich in Braunschweig durch Ber­ thold Otto Daun eröffnen, der rund 20 Jahre jünger war als Paul Jonas Meier.22 Ebenso wie Meier wurde Daun 1872 in Magdeburg geboren. Ihre biografischen Spuren kreuzten sich aber erst in Braunschweig, als Daun nach einem Studium der Kunstgeschichte an der Berliner Universität und einer Dozentur an der Humboldt-Akademie – der Berliner Volkshochschule – an die Architekturfakultät an die Herzoglich Technische Hochschule Carolo Wilhelmina zu Braunschweig kam.23 Hier habilitierte er sich im Jahr 1904 und wurde Privatdozent für das Fach Neuere Kunstgeschichte. Zuvor hatte Daun bei Wilhelm Frey 1896 in Berlin eine Dissertation über den mittelalterlichen Bildhauer Adam Krafft vorgelegt24, was für die Braunschweiger Architekturlehre von Bedeutung schien, besaß die Fakultät bis 1918 doch noch einen Lehrstuhl für Mittelalterliche Baukunst. Seine Braunschweiger Zeit währte rund ein Jahrzehnt. Daun zog spätestens im Kriegsjahr 1914 wieder nach Berlin, wo er in das Dezernat für Kunst- und Theaterangelegenheiten wechselte und 1929 zum Regierungsrat ernannt werden sollte.25 In Braunschweig hatte er umfangreiche Studien in der Kunstgeschichte veröffentlicht  : die 1906 erschienene Künstlermonografie über den Bildhauer Rudolf Siemering,26 einen Schüler der Berliner Bildhauerschule in der Nachfolge Christian Daniel Rauchs. 19 Meier 1928. 20 Meier 1929. 21 Waetzoldt 1921/24. Zit. nach Dilly 1990, S. 10. 22 Lüdtke 1941, S. 280. 23 Herzogliche Technische Hochschule Carolo-Wilhelmina zu Braunschweig. Programm für das Studienjahr 1904 – 1905, S. 14. URL  : https://publikationsserver.tu-braunschweig.de/servlets/MCRFileNodeServlet/ dbbs_derivate_00019524/ WiSe1904 _05undSoSe1905.pdf (16. April 2020). 24 Daun 1897. 25 Der Cicerone. 12 (1920), S. 861 – 862, URL  : https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/cicerone1920/0912 (28. April 2020). 26 Daun 1906.

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Aber auch der mittelalterliche Bildhauer Veit Stoß und dessen Einfluss in Deutschland, Polen und Ungarn gehörte zum Forschungsfeld des jungen Kunsthistorikers.27 ­Daneben hielt Daun Vorträge zu Künstlergrößen wie Albrecht Dürer, Leonardo, Tizian, Correggio sowie zur französischen Malerei im 19. Jahrhundert von Jacques Louis David bis Jean-François Mille, nicht ohne dabei neueste Bildprojektionstechniken einzusetzen.28 Die Allgemeine und Neuere Kunstgeschichte koexistierten so etwa bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges nebeneinander an der TH Braunschweig. Nach Kriegsende führte Meier im Gegensatz zu Daun seine Vorlesungen bis zu seiner Pensionierung fort. Zur Zeit der Weimarer Republik wurden jedoch Ausbildungsreformen angestoßen, die unter einem neuen Rektorat an der TH konsequent umgesetzt wurden. Es war der neu berufene Architekturprofessor Carl Mühlenpfordt, der 1923 programmatisch eine »Neue Zeitkunst« und die Reform der Hochschullehre im Fach Architektur ausrief  :29 »Es kommt darauf an, sich entweder für die weitere Pflege romantischer Baukunst auf kunstwissenschaftlicher Grundlage oder für das Streben nach einer eigenen Zeitkunst zu entscheiden.«30 Das Fach Kunstgeschichte verlor mit dieser Neuausrichtung an Bedeutung, vor allem nach der Pensionierung Meiers  : Alle kunstwissenschaftlichen Kompetenzen wurde den Lehrstühlen Baugeschichte und Städtebau übertragen, womit man sich ganz im Sinne Camillo Sittes auf die gestalterischen Grundsätze von Architektur und Städtebau besann. Es sollte rund 40 Jahre dauern, bis 1965 wieder ein neuer Lehrstuhl für Kunstgeschichte eingerichtet wurde. Sowohl personell als auch inhaltlich stand die Professur mit der Berufung des Kunsthistorikers Martin Gosebruch (Jg. 1919) unter neuen Vorzeichen.31 IV. Martin Gosebruch (1919 – 1992)

Martin Gosebruch hatte, wie viele aus seiner Generation, erst nach seiner Freilassung aus der Kriegsgefangenschaft ein Studium begonnen  : Sicherlich nicht ohne Vorprägung – sein Vater war bis 1933 Museumsdirektor des Essener Folkwang-Museums gewesen – wählte er 1947 Kunstgeschichte, Klassische Archäologie und Philosophie. Er ging hierfür an die Universität nach München und promovierte sich schon 1950 bei Hans Jantzen über das Thema Die Bildermacht der burgundischen Skulptur im frühen 12. Jahrhundert.32 Danach folgten eine Assistenz an der Hamburger Kunsthalle und ein zweijähriges Stipendium an der Bibliotheca Hertziana in Rom, wo er sich vornehmlich mit architekturwissenschaftlichen Studien befasste, die 1958 in eine Habilitations27 Kaemmerer 1918. 28 Daun 1899  ; Daun 1900. 29 Gisbertz 2018, S. 40. 30 Mühlenpfordt 1923, S. 5. 31 Poeschke 1993, S. 592 – 596. 32 Gosebruch 1950.

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schrift an der Universität Freiburg mündeten  : Florentiner Kapitelle von Brunelleschi bis zum Tempio Malatestiano und der Eigenstil der Frührenaissance.33 Mit diesen Arbeiten zur mittelalterlichen Kunst und zu Stilproblemen der Frührenais­ sance empfahl er sich 1965 für den neu gegründeten Lehrstuhl für Kunstgeschichte an der TH Braunschweig, die nur drei Jahre später unter Gründung einer philosophischen Fakultät zur Universität aufstieg. In Braunschweig konzentrierten sich seine Forschungen weiterhin auf die früh- und hochmittelalterliche Kunstgeschichte Italiens, die Kunstgeschichte Frankreichs und Deutschlands und die italienische Renaissance. Einen weiteren Schwerpunkt setzte er mit der Hinwendung zur Kunst des 20. Jahrhunderts und auf Methodologische Beiträge zur Kunstgeschichtswissenschaft34. Letztere setzten seine bereits in Freiburg begonnenen Studien fort, die man als »Standortbestimmung des Faches«35 werten kann. Als Mitglied in der Braunschweigischen Wissenschaftlichen Gesellschaft stand Gosebruch dann lange Jahre auch der Kommission für Niedersächsische Bau- und Kunstgeschichte vor, die mehrere Symposien veranstaltete. Dieses Engagement für die regionale Bau- und Kunstgeschichte setzte er nach seiner Emeritierung 1984 fort, häufig unterstützt von einer Schar von Fachkolleg_innen und seinen Schüler_innen  : Zu seinen wissenschaftlichen Assistenten zählten zunächst Reinhard Liess (Jg. 1937) in den Jahren 1965 – 1970 sowie Harmen Thies (Jg. 1941) in den Jahren 1971 – 1976. Während Liess nach einigen Jahren auf eine Professur nach Osnabrück wechselte, blieb Thies der TU Braunschweig nach verschiedenen Zwischenstationen verbunden, nicht zuletzt durch seine Berufung auf den Lehrstuhl für Baugeschichte in Nachfolge von Konrad Hecht 1983. Nur ein Jahr später endete die Geschichte der Kunstgeschichte an der TU Braunschweig. Der Lehrstuhl wurde nach dem Ausscheiden Gosebruchs nicht wiederbesetzt. Ob generelle Skepsis gegenüber dem Fach Kunstgeschichte einen Einfluss auf diese Entscheidung hatte, bleibt dahingestellt. Aber in Kreisen von Architekten und Bauforschern kursiert häufig das cliché, wie es der ›Privatphilosoph‹ Reger in Thomas Bernhards Wiener Tirade Alte Meister zu der Zeit formulierte  : »Das Geschäft der Kunsthistoriker ist das übelste Geschäft, was es gibt. (…) Kunsthistoriker sind die eigentlichen Kunstvernichter. (…) das ist die Wahrheit.«36 Es fehlte der Kunstgeschichte in Braunschweig jedenfalls die Akzeptanz für die Architekturausbildung. So endete die zweite Karriere der Kunstgeschichte in Braunschweig, wenn auch 1980 mit Kristiana Hartmann (Jg. 1938) und 2002 mit Karin Wilhelm (Jg. 1947) zwei u. a. bei Tilmann Buddensieg und Heinrich Klotz ausgebildete Kunsthistoriker_innen an das Institut für Bau- und Stadtbaugeschichte der TU Braunschweig/Fachgebiet Geschichte und Theorie von Architektur und Stadt (seit 2002 gtas) berufen wurden. 33 Gosebruch 1958, S. 63 – 193. 34 Gosebruch 1979. 35 Poeschke 1993, S. 595. 36 Bernhard 2018, S. 34 – 35. Vgl. Beyrodt 1991, S. 313 – 333.

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Abb. 2  : Hochschulforum der TU Braunschweig mit (v. r. n. l.) Auditorium maximum, 1957 – 1960 (Wol­ kenplastik von Hans Arp), Rektorat und Fakultät I, 1958 – 1960 und Universitätsbibliothek 1969 – 1971, Friedrich Wilhelm Kraemer in Zusammenarbeit mit Neue Heimat Hamburg (= Olaf Gisbertz, itubs).

Der Lehrstuhl für Kunstgeschichte wurde aufgelöst und die Bibliotheksbestände in den Keller der Universitätsbibliothek überführt. Es ist jener Bau, den Friedrich Wilhelm Kraemer in Korrespondenz mit einer neu geschaffenen Agora dem Hauptgebäude der Universität von Constantin Uhde gegenübergestellt hatte. Dieses Hochschulforum steht für universitären Neubeginn in Braunschweig nach 1945 (Abb. 2), nicht aber für die Kontinuität der Kunstgeschichte in Forschung und Lehre. Das Fach verlor 1984 seine Autonomie und Relevanz für die Architekturausbildung in Niedersachsen. V. Schlussbemerkung

Die Kunstgeschichte in Braunschweig hatte über die wenigen Jahrzehnte ihres Bestehens an der TH stets einen schweren Stand in der Architekturfakultät, insbesondere nach dem Ausscheiden der ersten Generation von Architekten der ›Braunschweiger Schule‹, deren Mitglieder sich wie der Architektur- und Hochschullehrer Friedrich Wilhelm Kraemer noch als General- und Universalisten der Architektur verstanden haben. Sie waren kunstund kulturbeflissen und zählten die Kunstgeschichte noch zu den Grundlagenfächern der Architekturausbildung. Mit der zunehmenden Spezialisierung des Architekturberufs bei wachsenden Anforderungen an die technischen Erfordernisse der Architektur, mit der 231

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Hinwendung zu den Großstrukturen der 1970er Jahre, verlagerte sich der Schwerpunkt der Ausbildung von der künstlerisch-bildnerischen zu einer technisch-architektonischen, ja sogar soziologisch motivierten Disziplin. Das Fach Kunstgeschichte zählte in Braunschweig seitdem weniger zu den Kernfächern der Architekturausbildung an der Technischen Universität, sondern avancierte eher an der Hochschule der Bildenden Künste (HBK) zu einem Hauptfach der dort gelehrten Kunst- und Kulturwissenschaften. Für die HBK hatte übrigens das Nachfolgebüro von Friedrich Wilhelm Kraemer, KSP, nach einem siegreichen Wettbewerb von 2002 das Bibliotheksgebäude entworfen. Der Kubus mit seiner markanten, weißen Rasterfassade zeichnet sich durch die Wiederverwendung von Bauteilen aus dem mexikanischen Pavillon der Expo 2000 von Ricarado Legoreta aus. Nachhaltigkeit durch Recycling wäre aber ein Thema für einen anderen Beitrag. Literatur Buttolo, Lippert 2012 – Susann Buttolo, Hans-Georg Lippert (Hg.)  : Halter Henn. Die Ästhetik des Funktionalen, Dresden 2012. Bei der Wieden 2013 – Claudia Bei der Wieden  : 50 Jahre HBK Braunschweig. Geschichte einer Kunsthochschule und ihrer Vorgängereinrichtungen, Braunschweig 2013. Bernhardt 2018 – Thomas Bernhard  : Alter Meister. Komödie, Frankfurt a. M., 182018. Beyrodt 1991 – Wolfgang Beyrodt  : Kunstgeschichte als Universitätsfach, in  : Kunst und Kunsttheorie 1400 – 1900, hg. v. Peter Ganz, Nikolaus Meier, Martin Warnke, Wiesbaden 1991, S.  313 – 333. Böttcher, Hartmann, Lemke-Kokkelink 1995 – Roland Böttcher, Kristiana Hartmann, Monika Lemke-Kokkelink  : Die Architekturlehrer der TU Braunschweig 1914 – 1995, hg. anlässlich des 250-jährigen Jubiläums der Technischen Universität Braunschweig, Braunschweig 1995. Daun 1897 – Berthold Daun  : Adam Krafft und die Künstler seiner Zeit. Ein Beitrag zur Kunstgeschichte Nürnbergs, Berlin 1897. Daun 1899 – Berthold Daun  : Albrecht Dürer, Düsseldorf 1899 (= Projektionsvorträge aus der Kunstgeschichte, H. 1). Daun 1900 – Berthold Daun  : Leonardo, Tizian, Correggio, Düsseldorf 1900 (= Projektionsvorträge aus der Kunstgeschichte, H 3). Daun 1906 – Berthold Daun  : Rudolf Siemering, Bielefeld, Berlin, Leipzig 1906. Dilly 1990 – Heinrich Dilly  : Altmeister Moderner Kunstgeschichte, Berlin 1990. Gisbertz 2017 – Olaf Gisbertz  : Aktualität des Zeitgeistes. Probleme historischer Authentizität in der (Nachkriegs-) Moderne, in  : Gebaute Geschichte. Historische Authentizität im Stadtraum, hg. v. Christoph Bernhardt, Martin Sabrow, Achim Saupe. Göttingen 2017, S. 63 – 81. Gisbertz 2018 – Olaf Gisbertz  : Mühlenpfordt – Neue Zeitkunst. Reformarchitektur und Hochschullehre, Berlin 2018. Gosebruch 1950 – Martin Gosebruch  : Über die Bildmacht der burgundischen Skulptur im frühen 12. Jahrhundert. Beiträge zu einer Bestimmung des Stiles, Dissertation, München 1950. Gosebruch 1958 – Martin Gosebruch  : Florentinische Kapitelle von Brunelleschi bis zum Tem-

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pio Malatestiano und der Eigenstil der Frührenaissance (Habilitationschrift), in  : Römisches Jahrbuch für Kunstgeschichte 8 (1958), S. 63 – 193. Gosebruch 1979 – Martin Gosebruch  : Unmittelbarkeit und Reflexion. Methodologische Beiträge zur Kunstgeschichtswissenschaft, hg. v. Joachim Poeschke, München 1979. Himmelmann 1972 – Nikolaus Himmelmann  : Das Akademische Kunstmuseum der Universität Bonn, Berlin 1972. Hundert Jahre Wilhelm-Gymnasium Braunschweig. – Hundert Jahre Wilhelm-Gymnasium Braun­schweig. 1885 – 1985. Hrsg. von Schulleitung und Kollegium des Wilhelm-Gymnasiums. Braunschweig, 1985. Jarck, Scheel 1996 – Horst-Rüdiger Jarck, Günter Scheel (Hg.)  : Braunschweigisches Biographisches Lexikon. 19. und 20. Jahrhundert, Hannover 1996. Krafczyk 2016 – Christina Krafczyk  : Constantin Uhde. Bauen in Braunschweig, hg. v. Braunschweiger Geschichtsverein, Braunschweig 2016. Kaemmerer 1918 – o. V. Kaemmerer  : Rezension  : Berthold Daun  : Veit Stoß und seiner Schule, in  : Monatshefte für Kunstwissenschaft 11 (1918), H. 6, S. 176 – 177. Kertz, Albrecht 1995 – Walter Kertz, Peter Albrecht (Hg.)  : Technische Universität Braunschweig. Vom Collegium Carolinum zur Technischen Universität 1745 – 1995, Hildesheim, New York 1995. Knufinke, Funke 2017 – Ulrich Knufinke, Norbert Funke (Hg.)  : Achtung modern  ! Architektur zwischen 1960 und 1980, hg. für die Braunschweiger Landschaft e. V., Petersberg 2017. Luckhardt 1992 – Jochen Luckhardt  : Meier, Paul Jonas, in  : Luitgard Camerer, Manfred R. W. Garzmann, Wolf-Dieter Schuegraf (Hg.)  : Braunschweiger Stadtlexikon, Braunschweig 1992, S. 156. Lüdtke 1941 – Gerhard Lüdtke (Hg.)  : Kürschners Deutscher Gelehrten-Kalender, begr. v. Joseph, Kürschner. Teil 1  : A–K, Berlin 61941. Lützeler 1968 – Heinrich Lützeler  : Die Bonner Universität. Bauten und Bildwerke, Bonn 1968. Meibeyer 2007 – Wolfgang Meibeyer  : Paul Jonas Meier (1857 – 1946)  : Zur 150. Wiederkehr des Geburtstages des Wegbereiters der modernen Denkmalinventarisation und Denkmalpflege im Braunschweigischen, in  : Braunschweigische Heimat 93 (2007), Ausgabe 2, S. 4 – 6. Meier 1922 – Paul Jonas Meier (Bearb.)  : Die braunschweigischen Städte. Mit 16 Tafeln sowie 112 Stadtansichten und 2 Wüstungskarten im Text. Im Auftrag der Historischen Kommission für Hannover, Oldenburg, Braunschweig, Schaumburg-Lippe und Bremen. Hannover 1922 (Niedersächsischer Städteatlas, Abt. 1) Meier 1928 – Paul Jonas Meier  : Der Streit Herzog Heinrichs des Jüngeren von BraunschweigWolfenbüttel mit der Reichsstadt Goslar um den Rammelsberg, Goslar 1928. Meier 1929 – Paul Jonas Meier  : Braunschweig. Aufgenommen von d. Staatlichen Bildstelle, hg. mit Unterstützung d. Rates d. Stadt Braunschweig, Berlin 1929. Mühlenpfordt 1923 – Carl Mühlenpfordt  : Die Architektur und die technische Hochschule. Professor Karl Mühlenpfordt zur Hochschulfeier der Technischen Hochschule, Braunschweig am 18. Januar 1923, Braunschweig 1923. Poeschke 1993 – Joachim Poeschke  : Martin Gosebruch (20. 6. 1919 – 17. 9. 1992), in  : Z ­ eitschrift für Kunstgeschichte 56 (1993), H. 4, S. 592 – 596. Pump-Uhlmann 1995 – Holger Pump-Uhlmann  : Architektur- und Bauingenieurwesen. Diffe-

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Olaf Gisbertz

renzierung und Entwicklungslinien der Ausbildung – Braunschweig 1745 bis 1918. In  : Kertz, Albrecht 1995, S. 231 – 253. Schmedding 2011 – Anne Schmedding  : Dieter Oesterlen (1911 – 1994). Tradition und zeitgemäßer Raum, Tübingen, Berlin 2011. Vorlesungsverzeichnis 1894 – Herzogliche Technische Hochschule Carolo-Wihelmina zu Braunschweig. Programm für das Studienjahr 1894 – 1895. Braunschweig 1894 Vorlesungsverzeichnis 1897 – Herzogliche Technische Hochschule Carolo-Wihelmina zu Braunschweig. Programm für das Studienjahr 1897 – 98. Braunschweig 1897 Waetzoldt 1921 – 1924 – Wilhelm Waetzoldt  : Deutsche Kunsthistoriker, 2 Bde., Leipzig 1921/24. Wilhelm, Gisbertz, Jessen-Klingenberg, Schmedding 2007 – Karin Wilhelm, Olaf Gisbertz, Detlef Jessen-Klingenberg u. a. (Hg.)  : Gesetz und Freiheit. Der Architekt Friedrich Wilhelm Krae­mer 1907 – 1990, Berlin 2007.

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Art History Education at Istanbul Technical University

This paper evaluates the different forms of art history education at Istanbul Technical University (ITU) from its foundation to the present. The focus is on the postgraduate program of art history, but for a chronological order, the paper briefly includes the ear­ liest stages of the university as well.

I. How it Began

The roots of Istanbul Technical University go back to the Ottoman Empire, when it was founded in 1773 as a military engineering school, first for the Navy, and in 1795 for “land engineering”. They were supposed to provide the Ottoman army with western style engineering education,1 focusing on roads, mining and construction. Therefore, already in 1847 courses in architecture were added to the curriculum. However, they did not include any subjects in art or architecture history. In 1909, the school was renamed into Mühendis Mekteb-i Âlisi (Higher Engineering School), consequently training architects within the section of civil engineering – again without art and architecture history subjects.2 As with many aspects of life, much changed with the establishment of the Turkish Republic in 1923, including higher education. The engineering school also benefited from the revisions and for the first time in fall term of 1928 – 1929, courses on art history and history of architecture started to appear on the course schedules of the architecture branch. It seems that it was a good decision, as even the engineering branch decided to offer art history courses from 1938 onwards to second year students. From 1941 until the foundation of the independent architecture faculty, the number of art history and architecture history courses were increased.3 In 1944 the Higher Engineering School was changed into İstanbul Teknik Üniversitesi (Istanbul Technical University/ITU), and architecture became an independent faculty within it. The new faculty’s first dean was Emin Onat (1908 – 1961), a graduate of ETH Zurich. As a professor and a practicing architect, he was highly influential in the young republic. Gustav Oelsner (1879 – 1956) from Hamburg, Clemens Holzmeister (1886 – 1983) from Vienna and Paul Bonatz (1877 – 1956) from Stuttgart who were 1 History of ITU  ; URL  : http://www.itu.edu.tr/en/about-itu/general/history (April 27th, 2020). 2 Kolay, Kuban 2009, p. 675. 3 This information comes from unclassified archival materials, see bibliography.

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active in Turkey in the 1930s and 1940s in the creation of public architecture, were also involved in training the future architects of the country at ITU.4 Between 1940 and 1949 Holzmeister5 taught compulsory architecture history courses, and led a design studio at the new School of Architecture of ITU. He stated  : “I held this position for nine years with very interesting, surprising results.”6 Consequently, the curriculum of the architecture faculty had strong notions from Germany, Austria and Switzerland, where art history courses were a part of an architecture education. II. Art History Courses for Architects as Part of the General Education

Together with history of architecture, art history courses (Art History I, II and III) were implemented as compulsory courses into the architecture education. These courses were first taught in 1946 by Hilmi Ziya Ülken (1901 – 1974), who was not an art historian at all. He had studied political science and philosophy, and was a professor of sociology, lecturing on ethics, logic and different branches of philosophy at Istanbul and Ankara Universities.7 His interests were not limited only to these specific academic areas  ; he was an avid painter, and regularly held literary and philosophical discussions8 with prominent painters, writers and poets of his time at his house.9 His assistant at ITU was the archaeologist Mükerrem Usman (1924), who had studied with Kurt Bittel (1907 – 1991) at Istanbul University.10 After Ülken left ITU in 1949 in order to concentrate on his duties at Istanbul University, his friend Sabahattin Eyüboğlu (1908 – 1973) took up this position.11 Eyüboğlu came from an intellectual, prominent family of painters, architects and writers. He studied French literature, and was a film producer, translator, teacher and writer. He lectured on art history not only at ITU, but also at Istanbul State Academy of Fine Arts. His lectures were on European and Turkish Art, with a specific focus on Anatolia – its arts, people, culture and architecture.12 One striking aspect   4 Dogramaci 2008, p. 166.   5 Nicolai 2000, p. 116. Before Holzmeister’s teaching position at the university, he was already a well-known figure in Turkey as a state-architect, who was responsible for designing government buildings for the new capital Ankara between 1927 and 1935. During the war and afterwards until 1954, he lived in Turkey.   6 Holzmeister 1976, p. 114.   7 Aslan 2010, p. 7 f.   8 Ülken 2011, p. 9.   9 Artunkal 2011, pp. 1 – 8. 10 Nağış, Yalçın 2011. She spent 26,5 years at ITU’s architecture history department, before moving to İzmir to establish the archaeology department at Ege University in 1974. 11 Sanay 1986, p. 12. 12 Eyüboğlu also directed many documentary films. Some that are on Anatolian cultural heritage are  : Karagözün Dünyası (The World of Karagöz) – 1972, Ana Tanrıça (Mother Goddess) – 1966, Eski Antalya’nın Suları (Waters of Ancient Antalya) – 1965, Nemrut Tanrıları (The Nemrud Gods) – 1964, Surname (Book

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of his courses was that he taught by using color slide projection, an uncommon method during those days in Turkey.13 As may be seen, the professors conducting the courses were not trained art historians, but autodidacts whose personal interests and ability to combine art history with their own research areas have earned them the proficiency to lecture in art history. The reason for this was simple  : there were no trained art historians in Turkey before the 1950s, unless they had received a degree abroad. The first art history department was established only in 1943 at Istanbul University, Faculty of Letters. It was founded by the art history professor Ernst Diez (1878 – 1961) from University of Vienna, a former student of Josef Strzygowski. His assistant was Oktay Aslanapa (1914 – 2013), who had received his PhD in art history in 1943 at the University of Vienna with the dissertation Die Osmanischen Beiträge zur Islamischen Baukunst (Ottoman Contributions to Islamic Architecture). Only after the first students had graduated in the early 1950s did the concept of a trained art historian emerge in Turkey, and they began to teach the art history courses at ITU and the Istanbul State Academy of Fine Arts and founded art history departments elsewhere in Turkey. Through different educational reforms and the emergence of trained art historians, at the beginning of the 1970s, titles and contents of the compulsory art history courses at ITU in the architecture undergraduate curriculum changed from I, II, III to courses such as Introduction to Art History, Turkish Art History and Cultures and Styles, and they remained in the curriculum of architecture education.14 III. An Art History Program at ITU Begins

As a result of the military coup of 1980 the Council of Higher Education (YÖK) was established with the Law No. 2547 dated 6 November 1981.15 With the introduction of YÖK, the universities lost their autonomies and all academic, institutional and administrative aspects of higher education were centralized in Ankara in the hands of this council. With the changes through YÖK, the education at ITU, that until then had been more or less inspired by the German academic system, changed into an Anglo-American university system. In this new system, the institutions for undergraduate and graduate studies were separated and every university was obliged to establish graduate education institutes. At ITU, the first two institutes, founded in 1982, were Graduate School of Science, Engineering and Technology and Graduate School of Arts and Social Sciences. of Festivities Miniature) – 1959, Anadolu’da Roma Mozaikleri (Roman Mosaics in Anatolia) – 1958, Siyah Kalem (Siyah Qalam, an early painter of the 15th century) – 1957, Hitit Güneşi (Hittite Sun) – 1956 (Silver Bear in Berlinale 1956). 13 Savaş 2012, p. 243. 14 Kolay, Kuban 2009, p. 675. 15 History of YÖK  ; URL  : https://www.yok.gov.tr/en/institutional/history (April 27th, 2020).

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These graduate schools have no academic teaching staff positions and they function as bureaucratic management entities. In 1986, the first director of the Graduate School of Arts and Social Sciences persuaded art historians at the architecture faculty to develop a program for this institute. They were until then not very active in art history because the Technical University did not have a suitable education for it. That is how the art history program at ITU came into existence in 1986 within the Graduate School of Arts and Social Sciences, offering masters and PhD degrees. The core academic staff, Semra Ögel (1932, art historian, head of the program), Metin Sözen (1936, art historian), Ayla Ödekan (1940, art historian), Filiz Özer (archaeologist), Afife Batur (1935 – 2018, architecture historian) were officially recruited at the Department of Architecture History at the School of Architecture. With three art historians, one archaeologist and one architecture historian, it brought a fresh atmosphere not only to ITU among its architects and engineers, but also to graduate studies of art history in Turkey, because it also enabled students from different backgrounds to get a master’s degree in art history. The new program gave the art historians at ITU, who were until then only teaching compulsory architecture history and art history courses, the chance to engage in art history at a higher level. However, the political and administrative developments at ITU also brought an end to the previously compulsory undergraduate art history courses offered in the Faculty of Architecture. Architecture education was generalized with a minimum of four years (eight semesters) of undergraduate, and a minimum of two years of graduate programs and only compulsory courses for history of architecture remained. IV. The Structure of the Program

Currently, the structure and requirements of the art history graduate program at ITU are as follows  : the Master of Arts program takes at least four, at most six semesters. Before starting their theses, students first have to take 24 course credits, equaling eight courses, four of them being compulsory and four elective. In compulsory courses, like Research Methods in Art History, Art History and Culture, Theories of Art, Analysis of Art Works, the focus is mostly on academic writing and conducting a research, as well as basic art history theories and methods to interpret artworks. These courses have been designed specifically for students with different undergraduate backgrounds. On the other hand, the elective courses change every year, depending on the lecturers’ and the students’ research areas. Some of the elective courses offered since 1987 are  : Traditional Hand Crafts, Analysis and Interpretation in Art History, Contemporary Art, Ottoman Art in the Westernization Period, Critical Thinking, Philosophy of Art and Aesthetics, Historio­ graphy, Mythology and Art, Iconography in Byzantine and European Art, Visual Arts in Republican Era, Far Eastern Arts, Ornamentation in Medieval Islamic Countries, Art and Power and Verbal and Visual Imagery in Miniature Painting. Moreover, since the estab238

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lishment of the department, the education has been additionally enriched by various courses of guest lecturers from Turkey and abroad. Especially the dual agreement with the art history department of Technische Universität Berlin, as a partner department before the establishment of the Erasmus program at ITU, has been quite beneficial in this respect. Some of the courses offered through this agreement were  : Mimesis  : Painted Reality in European Art, Venice  : The Development and Art of the City, Renaissance Art in Italy, European Architecture and Art in the Middle Ages, Expressionism, Avant-garde Art in Europe (1910–1939), Japanese Art after 1945 and Land Art. The structure of the PhD program is similar, however, it requires more time, ranging from eight to 16 semesters. During the first two years, students are required to take 24 credit courses, followed by a qualifying exam that allows the students officially to start their PhD thesis. All courses offered at PhD level are elective and since 1987 some of them have the following titles  : Research on the Sources of Style and Expression in Turkish Art, Relationship Between Industry and Art in the 20th Century, Documents on Modern Art, Cultural Heritage in Turkey, Archaeology of Istanbul, Anatolia as Center and Periphery, Ottoman Palaces, Architectural Decoration, Islamic Art and Architecture, Visual Culture and Art and Thought. V. Interdisciplinary Aspect of the Graduate Program

The program has always accepted students from a variety of fields, with the aim of connecting art history to a wide range of study areas. Students have been encouraged to combine the knowledge from their undergraduate education with their thesis subjects.16 Hence the focus of the program has always been interdisciplinary. This interdisciplinary aspect also stems from the background of the lecturers, for example, emeritus professors Semra Ögel and Ayla Ödekan. Ögel graduated in 1954 as one of the early graduates of the Department of Art History at Istanbul University. She studied with Oktay Aslanapa and Kurt Erdmann (1901 – 1964), who was working in the Islamic Arts section of the Museums of Berlin, before being appointed at Istanbul University as a professor to teach Turkish and Islamic arts in 1951.17 Funded with a scholarship, she spent two semesters at University of Munich (1954 – 1955) following the courses of Hans Sedlmayr among others. During her undergraduate education in Istanbul, Ögel took part in the excursions throughout Anatolia that Erdmann conducted for his research on Seljuk architecture. She was also the simultaneous translator from German to Turkish for all of Erdmann’s lectures. Erdmann’s interest in caravanserais, carpets, Seljuk and Sassanian 16 As examples  : an environmental engineer studied the works of artists engaged in environmental issues, or a mechanical engineer investigated the machines that Jean Tinguely had built. 17 Naumann, Aslanapa 1969, p. IX.

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arts encouraged his students to take up similar research areas, leading Ögel to work and get her doctorate on the stone ornamentation of Anatolian Seljuk architecture. She continued to work on broader areas of both Seljuk and Ottoman art and architecture, such as iconography and symbolism of Seljuk ornaments and plan typologies and meaning in Ottoman art and architecture. Taking up a completely different turn later on, she wrote a book in 1977 on environmental art, which was a contemporary, brand new subject, on which there were no publications in Turkish before.18 As the main coordinator of architecture history and art history programs at ITU, she has been the advisor for 40 theses. The aforementioned long-standing ties with TU Berlin started already in the beginning of the 1990s with the initiative of Ögel and Wolfgang Wolters (1935) from TU Berlin Art History Program. They were engaged in supporting the exchange agreement of young researchers between the two universities.19 With this agreement, the academic staff has been able to teach in the form of seminars in the respective universities for a period of five to six weeks  ; additionally, conferences and publications have been co-organized. Ögel also initiated an academic journal series called Sanat Tarihi Defterleri (Kunsthistorische Hefte) in 1996.20 The issues all have specific themes, covering various and broad aspects of Turkish, Byzantine and Ottoman art.21 The contributors have been mainly from the academic staff of art and architecture history and restoration departments of ITU, but their graduates and art historians from other universities have also contributed with articles to the journal. One issue, Orient und Occident, was published in 2002 as the proceedings of a colloquium, organized in joint collaboration with TU Berlin. After thirteen years as the chair of the art history program and 30 years in total as a lecturer at ITU, Ögel retired in 1999, and her post was taken over by Ayla Ödekan. Also a graduate of the Department of Art History of Istanbul University, Ödekan got her master’s degree from the University of Chicago in 1967, and her PhD degree in architecture history at ITU in 1976, with the dissertation Osmanlı Öncesi Anadolu Türk Mimarisinde Mukarnaslı Portal Örtüler (Portals with Muqarnas in Pre-Ottoman Turkish Architecture). Between 1967 and 1976 she worked as a research assistant, and between 1976 and 1988 as a faculty member in the same department. From 1988 to 1999 she held positions at the departments of art history at Istanbul University and the Istanbul State Academy of Fine Arts. Her research areas include Byzantine art and architecture, Anatolian Turkish art and architecture, European art and architecture, modern art and architecture, historical environment, cultural studies, art criticism, and folk 18 Ögel 1977. This is also one of the early examples that any technical university had published a book on contemporary art. 19 ITU Graduate School of Arts and Social Sciences, Administration Board’s Decision Record, Meeting Nr. 41 (May 25th, 1993). 20 There is no official English translation of this publication. 21 For more information, see  : Sanat Tarihi Defterleri 1 – 17.

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art.22 Similar to her research areas, the theses that she conducted throughout her career were the most diverse ones in terms of subjects, ranging from Byzantine architecture to contemporary Turkish art practices and museology. When she became the head of the art history program at ITU in 1999, she worked to increase the visibility of the program along with her academic duties. Through her initiation, from 2001 to 2009, a conference series called Young Academics in Art History was organized. Its aim was to bring together graduates of art history, architecture history and museum studies from all over Turkey who had completed their theses (master’s and PhD) in that year to discuss and promote their works. A total of 210 graduates had been able to present their theses to fellow art historians in these conferences. Additionally, she led other side-projects such as a summer academy in Göcek called Art History and Philosophy and a conference series called Understanding Art History. Such organizations made the program outstanding, helped networking and increased the recognition. VI. Conclusion

Art history courses at Istanbul Technical University have long been a part of its architecture faculty. The Graduate Program of Art History brought along a new form of education that the academia of Turkey profited from. Its 110 graduates (67 master’s and 43 PhD) have mostly gone on to work in academia, as museum professionals, curators, editors and translators. Together with its unique position, the program’s being a part of a technical university has its strengths and weaknesses. The weakness lies within the administrative direction. As a university with mostly engineering faculties, art history holds a tiny part within the whole of ITU, so it tends to be ignored by the engineer-dominated management – for them perhaps an ambiguous discipline. It actually has an important potential for offering stimulating graduate-level courses that anyone can enroll in, but this fact seems to be overlooked. The requests for academic and administrative positions, budget and office space are not granted. At the same time, the professors at the architecture history department, who traditionally supported the art history program also as solidarity to the “founding mothers” emeriti, have slowly been stepping out of the program by giving less and less courses and not advising master’s and PhD students in art history in recent years. As a consequence, the program struggled to keep up. That was when it began to open itself to other possibilities within ITU. ITU’s endeavor for international recognition brought unexpected novelties that the program benefited from. The desire for accreditation through ABET, the Accreditation Board of Engineering and Technology (of the USA), brought the requirement that the university had to offer courses in social 22 Lynch 2016.

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sciences or arts, to keep the accredited programs. Therefore, a considerable number of staff in social sciences and humanities have been employed within various departments to fulfill these accreditation requirements. The art history program has taken this chance to cooperate with those sociologists, archaeologists, philosophy professors, and artists. They now contribute to the graduate program as advisors for master’s and PhD students and also by offering more challenging and specific courses in broader areas. The program has re-defined itself throughout the different and sometimes difficult periods. Since it does not have a bachelor’s program and a department of its own, it does not have its own faculty members. At the same time this makes the cooperation much more peaceful and fruitful as there are no clashes or conflicts of interest among the lecturers, because all of them work with a voluntary engagement to be part of the art history program. As a result, the program lives on with commitment and personal efforts, continuing the 34-year-old tradition. Bibliography Artunkal 2011 – Gülseren Artunkal  : Hayatı ve Eserleriyle Babam Ülken, in  : Istanbul Journal of Sociological Studies 17 (2011), pp. 1 – 8. Aslan 2010 – Talip Aslan  : Hilmi Ziya Ülken’in Türk Düşüncesine Bakışı, unpublished MA thesis, Erciyes University 2010. Dogramaci 2008 – Burcu Dogramaci  : Kulturtransfer und nationale Identität, Berlin 2008. Holzmeister 1976 – Clemens Holzmeister  : Architekt in der Zeitenwende. Clemens Holzmeister, Salzburg 1976. Kolay, Kuban 2009 – İlknur Kolay, Zeynep Kuban  : İTÜ Mimarlık Fakültesi Mimarlık Tarihi Anabilim Dalı’nın Tarihi, in  : Türkiye Araştırmaları Literatür Dergisi 7 (2009), pp. 673 – 683. İTÜ Mimarlık Fakültesi Mimarlık Tarihi Anabilim Dalı Üyeleri 2000 – İTÜ Mimarlık Fakültesi Mimarlık Tarihi Anabilim Dalı Üyeleri (ed.)  : Foreword, Semra Ögel’e Armağan. (Festschrift Semra Ögel) Mimarlık ve Sanat Tarihi Yazıları, Istanbul 2000. Lynch 2019 – Michelle Lynch  : Ayla Ödekan, 2016, URL  : https://archnet.org/authorities/6457 (March 28th, 2019). Naumann, Aslanapa 1969 – Rudolf Naumann, Oktay Aslanapa  : Vorwort, in  : Oktay Aslanapa, Rudolf Naumann (ed.)  : Forschungen zur Kunst Asiens. In Memoriam Kurt Erdmann, Istanbul 1969, pp. IX–X. Nağış, Yalçın 2019 – Murat Nağış, Hanife Yalçın  : Prof. Dr Mükerrem Usman Anabolu, interview 2011, URL  : http://www.aktuelarkeoloji.com.tr/prof-dr-mukerrem-usman-anabolu (March 28th, 2019). Nicolai 2000 – Bernd Nicolai  : “Zeichen geordneter Macht”. Clemens Holzmeister und die Türkei, in  : Georg Rigele, Georg Loewit (ed.)  : Clemens Holzmeister, Innsbruck 2000, pp. 116 – 137. Ögel 1996 – 2017 – Semra Ögel (ed.)  : Sanat Tarihi Defterleri 1 – 17, Istanbul 1996 – 2017. Ögel 1977 – Semra Ögel  : Çevresel Sanat, Istanbul 1977. Sanay 1986 – Eyyüp Sanay  : Hilmi Ziya Ülken, Ankara 1986.

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Savaş 2012 – N. Figen Savaş  : Sabahattin Eyüboğlu’nun Sanat ve Sanat Tarihine Bakışının Yazıları Üzerinden Değerlendirilmesi, unpublished MA thesis dissertation at Istanbul Technical University 2012. Ülken 2011 – Hatice Ülken  : Eşim Hilmi Ziya’nın Özel Hayatı, in  : Istanbul Journal of Sociological Studies 17 (2011), pp. 9 – 11. History of the council of higher education, URL  : https://www.yok.gov.tr/en/institutional/his tory (April 27th, 2020). – History of Istanbul Technical University, URL  : http://www.itu.edu. tr/en/about-itu/general/history (April 27th, 2020).

Archival Materials

Course Plan of 1928, 1928‘in Yüksek Mühendis Mektebi, Istanbul 2001. Course Plans of Various Departments of the Higher Engineering School for 1937 – 1938, Istanbul 1937. (1940, September 24), Course plan of 1940 – 1941, Higher Engineering School’s Board of Education’s 175th Meeting Records. (1942, January 20), Course plan of 1942 – 1943, Higher Engineering School’s Board of Education’s 197th Meeting Records. (1993, May 25), ITU Graduate School of Arts and Social Sciences, Administration Board’s Decision Record, Meeting Nr. 41, Archive of ITU Graduate School of Arts and Social Sciences, Istanbul, Turkey.

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Das Polytechnikum zu Riga

Der Beitrag befasst sich mit der Geschichte der ersten technischen Hochschule in den baltischen Ländern. Das Polytechnikum zu Riga war in den ersten 35 Jahren seines Be­ stehens eine private Hochschule mit Deutsch als Unterrichtssprache. Zum Professor an der Abteilung für Architektur wurde Gustav Hilbig berufen. Hilbig war der Architekt des Neubaus des Polytechnikums. Die Fassaden aus gelben Backsteinen mit dekorati­ ven Bändern mit Rosetten aus Terrakotta und violett glasierten Ziegeln stellten eine Neuheit in der Baukunst von Riga dar. 1896 wurde das Polytechnikum zu einer staatli­ chen Hochschule – dem Polytechnischen Institut zu Riga – reorganisiert mit Russisch als Unterrichtssprache.

Am 16. (28.) Mai1 des Jahres 1861 unterzeichnete Zar Alexander II. in St. Petersburg die »Statuten der Rigaer Polytechnischen Schule« (Abb. 1).2 Die Initiatoren für eine technische Hochschule waren das Rigasche Börsenkomitee sowie einige progressiv gesinnte Ratsherren, Kaufleute und Industrielle. Die Überlegungen zur Gründung einer technischen Lehranstalt sowie einer passenden Bezeichnung waren über mehrere Jahre entwickelt worden. Es war gleichzeitig auch eine Diskussion um die Ausrichtung der Studienprogramme entbrannt  : Sollte es eine mittlere Bildungseinrichtung oder eine Hochschule werden  ? Auf Empfehlung des Professors T. S. Franke aus Hannover, der in Riga eine Vorlesung hielt und dem Beispiel Deutschlands und der Schweiz zu folgen riet, entschied man sich in Riga für die Gründung einer technischen Hochschule – der Rigaer Polytechnischen Schule – mit acht Abteilungen.3 Anfänglich war das Polytechnikum eine private Hochschule. Finanziert wurde es durch die »Baltischen Ritterschaften, die Stadt Riga und die Rigaer Börsenkaufmannschaft. Die Hochschule wurde auch durch den unterstützt, der ihr offizieller Kurator war.«4 1 In den Ostseeprovinzen des Russischen Kaiserreichs bestanden bis zur Revolution 1917 gleichzeitig zwei Kalender oder Zeitzählungen – der westeuropäische und der ›alte Stil‹ oder julianischer Kalender. Schon seit der Mitte des 19. Jahrhunderts wurden zur Vermeidung von Missverständnissen in der deutschsprachigen Presse der Ostseeprovinzen konsequent beide Zeitzählungen angegeben, die zwölf Tage auseinanderlagen. Hingegen finden sich in den Kirchenbüchern und anderen Schriftquellen nur eine Datumsangabe mit dem Hinweis »nach dem ›alten Stil‹«. Das heißt, hierbei müssen zwölf Tage hinzugerechnet werden. 2 Stradiņš 1994, S. 21. 3 Ebd., S. 23. 4 Ebd., S. 25.

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Abb. 1  : Gustav Hilbig, Polytechnikum zu Riga, 1866 – 1869, Stahlstich nach Zeichnung von Gustav Hilbig und Fotografie von Alfons Behrmann. Aus  : Rigascher Almanach für 1869, Riga 1868.

Bis zur Reform des Jahres 1896 fand der Unterricht im Rigaer Polytechnikum auf Deutsch statt, die Aufnahme in die Hochschule erfolgte ohne Prüfungen, aber das jährlich zu entrichtende Schulgeld gehörte zu den höchsten im Russischen Reich.5 In der Zeit vom 2. (14.) Oktober 1862 bis 1892 bestand am Rigaer Polytechnikum eine Vorschule, in der die Kandidaten auf das Studium vorbereitet werden sollten. In den ersten 20 Jahren ihres Bestehens (1862 – 1881) unterstand sie der Leitung von Carl Friedrich Bornhaupt (1802 – 1889).6 Den Studenten und dem Lehrkörper stand eine umfangreiche Bibliothek zur Verfügung. Mit der Gründung des Rigaer Polytechnikums entstand (neben der Bibliothek des Technischen Vereins zu Riga) eine zweite Sammlung wissenschaftlicher technischer Literatur. Nachrichten darüber finden sich seit 1872 in mehreren veröffentlichten Katalogen (Abb. 2, 3).7 Aus dem ersten Katalog weiß man, dass hier für Studenten und Lehrkräfte ein breites Angebot an Fachliteratur in verschiedenen Sprachen zugänglich war – von der Abhandlung Die vier Bücher zur Architektur von Andrea Palladio bis zu den ersten vierzig Heften des in Berlin herausgegebenen 5 Ebd. 6 Zigmunde 2008, S. 12 – 15. 7 Hoyer 1872, S. 119 – 139  ; Hoyer 1875  ; Hoyer 1895, S. 292 – 371.

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Das Polytechnikum zu Riga

Abb. 2  : Katalog der Bibliothek des Polytechnikums zu Riga, 1872. Abb. 3  : Erster Nachtrag zum Katalog der Bibliothek des Polytechnikums zu Riga, 1875.

Architektonischen Skizzenbuchs mit 240 Beispielen jüngster Baukunst. Die meisten Bücher in der Bibliothek waren auf Deutsch, nur einige auf Französisch, Englisch und Russisch. Aus dem 1896 erschienenen Katalog der Bibliothek der Rigaer Polytechnischen Schule (ab 1896  : Polytechnisches Institut) erfährt man, dass für die Bibliothek regelmäßig neueste Fachliteratur angeschafft wurde. Die Bibliothek besaß auch einzelne ­allgemeine kunsthistorische Titel, doch den verhältnismäßig größten Teil in der Abteilung Kunstwissenschaft bildeten Fachbücher zum vertieften Studium von (historischen und techno­logischen) Fragen der Architektur. Die Studienfächer der Architekturabteilung und deren Lerninhalte wurden bislang wenig erforscht. Das bisher zugängliche Material hierzu lässt annehmen, dass am Rigaer Polytechnischen Institut Kunstgeschichte als Studienfach erst in der zweiten Hälfte der 1890er Jahre eingeführt wurde, zu einer Zeit, als auch der Architekt und Verfasser der ersten Abhandlung zur baltischen Kunstgeschichte, Wilhelm Neumann (1849 – 1919), Dozent am Polytechnikum wurde. Das neugegründete Polytechnikum in Riga war zunächst auf gemietete Räume angewiesen. Für den Bau eines eigenen Gebäudes wurde nach dem Schleifen der Stadtbefes247

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tigungen (1857 – 1863) ein Baugrundstück in dem neu entstandenen Boulevard-Ring reserviert. Den Entwurf für den Neubau des Polytechnikums lieferte der Architekt Gustav Hilbig (1822 – 1887), der Kenner der Berliner Schule des Historismus. Anfang der 1860er Jahre kam er nach Riga, um sich an der Ausarbeitung des Neubauprojekts des Polytechnikums zu beteiligen und an dieser ersten baltischen technischen Hochschule eine Architekturabteilung einzurichten, die 1869 eröffnet wurde. Hilbig führte in die Architektur öffentlicher Gebäude am Rigaer Boulevard die Materiapolychromie ein (Abb. 4).8 Hilbig hatte die Königliche Kunst- und Bauhandwerksschule in seiner Heimatstadt Breslau (heute Wrocław, Polen) besucht und sich danach am Gewerbe-Institut in Berlin und an der dortigen Bauakademie weitergebildet.9 Von 1846 bis 1852 war er unter Leitung von Friedrich August Stüler am Bau des Neuen Museums in Berlin tätig und 1851 wurde er Lehrer an der neugegründeten Gewerbeschule in Krefeld. 1863 erhielt er den Ruf zum Professor am Polytechnikum in Riga.10 Der wichtigste Beitrag Hilbigs für die Architektur des Historismus in Riga war seine Beteiligung am Bauprojekt des Gebäudes des Polytechnikums. Das Bauvorhaben am neueingerichteten Boulevardring, am heutigen Raiņa-Boulevard 19, wurde finanziell von den Kurländischen, Livländischen und Estländischen Ritterschaften11, dem Rigaer Börsenkomitee und einzelnen Städten getragen.12 Die Anfänge der Baugeschichte dieses Gebäudes können auf das Jahr 1859 datiert werden, als Ludwig Debo, Professor an der Polytechnischen Schule Hannover, einen ersten Entwurf im Rundbogen-Stil erarbeitet hatte, dessen Formbildung eng mit der ausgeführten Fassade des Polytechnikums zu Riga verbunden ist.13 Demnach plante man 1859 ein dreigeschossiges Gebäude mit einem prächtigen Mittelrisalit, der in Höhe des Dachfirstes mit einer Balustrade abgeschlossen werden sollte. Die dekorative Ausgestaltung des fünf Fensterachsen breiten Mittelrisalits nahm nach oben hin zu – von asketischen Fensteröffnungen im ersten Geschoss über renaissancepalastähnliche Fenster im mittleren Geschoss bis zur obersten Reihe von sieben Fenstern im dritten Geschoss, die nach oben hin von einem Vierpassfries ergänzt werden sollte. Im Entwurf wurde der Mittelrisalit beiderseits und über alle drei Geschosse von je sieben rundbogigen Fensterachsen flankiert. Die Fassadenkomposition wurde im Entwurf von Debo lediglich durch einen dekorativen Fries unterhalb der Fenster des zweiten Geschosses belebt. Verhandlungen und Gespräche über die Gründung der ersten technischen Schule in den Ostseeprovinzen zogen sich über   8 Lāce 2008, S. 17 – 31.   9 Neumann 1908, S. 68 – 69. 10 Ebd., S. 68. 11 Der Ausdruck ›Ritterschaft‹ bezeichnete im Allgemeinen den niederen Adel. Als Teil der Landstände bildeten sie die Ritterschaft auf den Landtagen. URL  : https://de.wikipedia.org/wiki/Ritterschaft (15. März 2020). 12 Asmuß 1868, S. I–II, 1 Bl. Ill. 13 Krastiņš 1988, S. 129.

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Das Polytechnikum zu Riga

Abb. 4  : Gustav Hilbig, Polytechnikum zu Riga (heute Hauptgebäude der Universität Lettlands), Raiņa Boulevard 19, 1866 – 1869. Foto  : Imants Prēdelis, 2017.

einen längeren Zeitraum hin. Die Vorlesung von Franke und der Entwurf von Debo verweisen auf Hannover als Quelle sowohl für die Aufstellung der Studienprogramme am Rigaer Polytechnikum als auch die Architektur des Gebäudes. Doch die letzte Fassung des Entwurfs wurde von Hilbig erarbeitet. Die Bauarbeiten begannen 1866, im darauffolgenden Jahr war das Gebäude bereits im Rohbau fertiggestellt, der Innenausbau dauerte bis zum 1. September 1869 an.14 Hilbig nutzte für diesen Neubau mehrere für die Architektur in Riga innovative Lösungen – das Gebäude wurde aus gelben Backsteinen errichtet (unverputzt) und dessen Fassaden mit Bändern aus Terrakotta-Rosetten sowie Friesen aus violett glasierten Ziegeln verziert. Obwohl der Bau der Universität Lettlands heute die gesamte Fläche innerhalb der sie umgebenden Straßenzüge einnimmt, erstreckte sich der ursprüngliche Bau der 1860er Jahre lediglich über einen Teil und war mit der Hauptfassade zum Thronfolger-Boule­ vard (heute Raiņa bulvāris) hin ausgerichtet, wo die Räume beiderseits eines längs angelegten Flurs angeordnet waren (Abb. 5).15 Nach Auskunft von Napoleon Asmuß (1805 – 1879), einem deutschen Pädagogen und Publizisten, hatte der dreigeschossige Bau des Polytechnikums am Anfang 14 Becker 1898, S. 102  ; Hoffmann 1903, S. 215 – 217, Abb. 188 – 189. 15 Hilbig 1868, Taf. I–II.

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»elf Hörsäle und vier Zeichensäle, fünfzehn Unterrichtsräume, eine Aula und einen weiteren Saal, acht großzügige Räume für die Sammlungen von Anschauungsobjekten, sieben Räume für die chemischen Laboratorien, zwei Räume für die Hochschulleitung, zehn Büros für die Dozenten, einen Versammlungssaal, ein Observatorium, einen Erholungsraum für Studenten sowie einige Hilfsräume.«16

Eine neue Lösung in der Architektur in Riga um die Mitte des 19. Jahrhunderts stellten die vier gusseisernen Säulen als Deckenstützen im Vestibül dar. Mit dem Bau des Polytechnikums wurde es in Riga üblich, die Bauten von Bildungseinrichtungen so zu planen, dass die Aula oder der große Festsaal in die oberen Geschosse des zentralen Bereichs des Gebäudes verlegt wurde und die Fenster zur Hauptfassade hin ausgerichtet waren.17 Das dreigeschossige Gebäude mit einem Mittel- und zwei Eckrisaliten wurde aus gelbem Backstein errichtet. Die plastische und dekorative Gestaltung der Fassade wird akzentuiert durch die die Geschosse optisch anzeigenden Gesimse, horizontale Bänder mit Rosetten aus Terrakotta, violett glasierten Ziegeln und Reliefs aus Metallguss mit Emblemen der neun Fakultäten sowie den heraldischen Kompositionen der drei Ostseeprovinzen des russischen Zarenreichs – Estland, Livland und Kurland. Besondere Sorgfalt galt der plastischen Ausformung des Dachgesimses, das durch einen romanisierenden Bogenfries ergänzt wird und eine Balustrade trägt, sowie den dreigeschossigen Pilastern zur Betonung der Ecken der Risalite, die über dem Dachgesims mit kleinen Türmchen bekrönt werden. Die zwei letztgenannten Details zeigen direkte Parallelen zu Lösungen an Bauten der Hannoveraner Architekten Heinrich Tramm, Ludwig Droste und Hermann Hunaeus. Eine wichtige Rolle für die Gestaltung der Fassade des Rigaer Polytechnikums spielte wohl das von Tramm entworfene Gebäude der Technischen Hochschule in Hannover (1857 – 1866).18 Dekore wie Rosetten, Profilbänder, Halbsäulen und zwei gekuppelte Fenster im dritten Geschoss wurden der Architektur der Renaissance entlehnt. Die horizontalen, polychrom gestalteten Gurte hingegen entstanden vermutlich unter dem Einfluss byzantinischer Architektur, ähnlich wurden sie auch an Bauten in Hannover verwendet. Die Verwendung verschiedenfarbiger Materialien im Fassadendekor wurde in Hannover bereits seit den 1840er Jahren praktiziert. Zu den beeindruckendsten Beispielen für diese Art der Gestaltung, die sich bis heute erhalten haben, gehört das Gebäude des Museums für Kunst und Wissenschaft (heute Künstlerhaus Hannover, 1853 – 1856, Architekt Conrad Wilhelm Hase). Hase hat an diesem 16 Asmuß 1871, S. 39 – 40. 17 ›Das Lomonossowgymnasium‹, ›Das Alexandergymnasium‹, ›Die Stadt-Töchterschule‹, ›Die Stadt-Elementarschule am Todlebenboulevard‹, ›Die Realschule Kaiser Peter I.‹, ›Das Gymnasium Kaiser ­Nikolai I.‹. Hoffmann 1903, S. 224 – 234, Abb. 196, 199, 203, 205, 209, 216  ; Lāce 2008, S. 19 – 27. 18 Kokkelink, Lemke-Kokkelink 1998, S. 44 – 45, Abb. 45 – 46.

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Das Polytechnikum zu Riga

Abb. 5  : Gustav Hilbig, Entwurf des Grundrisses des Polytechnikums zu Riga. Aus  : Notizblatt des techni­ schen Vereins zu Riga, 1868, Bl. II.

Bau neben rotem und gelbem Backstein auch Sandstein verwendet. Mit dem Rigaer Polytechnikum verwandt ist nicht nur die Verwendung ähnlicher dekorativer Elemente, sondern insgesamt der kompositionelle Aufbau der Fassade mit drei Risaliten und je vier dazwischenliegenden Fensterachsen. Neben dem genannten Museum für Kunst und Wissenschaft wurde in den 1850er Jahren in Hannover auch das Kriegshospital in der Adolfstraße gebaut (Architekt Hermann Hunaeus), dessen Fassade ebenfalls auf der Grundlage der klassisch anmutenden Komposition der drei Risalite gestaltet wurde. Die Entwürfe dieser beiden öffentlichen Bauten wurden 1859 in einem Periodikum des Architekten- und Ingenieur-Vereins Hannover veröffentlicht.19 Die von Hilbig abweichend gestalteten Proportionen der drei Geschosse verweisen möglicherweise darauf, dass er sich durch die Arbeiten seines Berliner Arbeitgebers Stüler hat beeinflussen lassen, der während seines Aufenthaltes in Berlin 1848 mehrere Entwürfe für den Bau des Nationalmuseums in Stockholm erarbeitet hatte.20 Hilbig hat das Grundschema 19 Ebd. S. 33, Abb. 27, 29. 20 Börsch-Supan, Müller-Stüler 1997, S. 225 – 233, Taf. 405.

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der Fassade von Stüler weiterentwickelt, indem er dem Gebäude zwei Seitenrisalite hinzufügte, das Flachdach mit einer Balustrade verdeckte und die Fensterformen gering abwandelte, doch im zweiten Geschoss identische gekuppelte Fenster beibehielt. Verwandt ist auch das von Stüler entworfene Gebäude der Universität Königsberg (1844 – 1861) mit einer sehr ähnlichen Formensprache. Der Weiterbau oder die baulichen Erweiterungen des Rigaer Polytechnikums setzten sich in den 70er und 80er Jahren des 19. Jahrhunderts und im Jahre 1909 nach Entwürfen von Otto Hoffmann (1866 – 1919) fort, bis das Hochschulgebäude das gesamte Viertel zwischen dem heutigen Raiņa-Boulevard, Arhitektu-Straße, Merķeļa-Straße und Inženieru-Straße einnahm. Obwohl der Bau in mehreren Phasen errichtet wurde, blieben die Polychromie der Fassaden und ihre Stilistik einheitlich. Das Gebäude des Rigaer Polytechnikums war der erste öffentliche Bau auf dem Boulevard-Ring, an dem die Vielfarbigkeit der Materialien bewusst zur ästhetischen Gestaltung des Gebäudes eingesetzt wurde. In direkter Nachfolge des Polytechnikums gestaltete der Architekt Jānis Frīdrihs Baumanis die Fassade des von ihm entworfenen Baus des Lomonossow-Gymnasiums für Mädchen (1869 – 1871) ebenfalls mit vielfarbigen Materialien (Abb. 6). Die von Hilbig gegründete Abteilung für Architektur am Polytechnikum zu Riga wurde im September 1869 eröffnet. Zunächst schrieben sich lediglich zwei Studenten für ein Studium ein.21 Von 1863 bis 1887 war Hilbig Professor für Bauwissenschaft und von 1870 bis 1887 auch Dekan der Fakultät für Architektur am Polytechnikum.22 Den Zeichenunterricht gab John Clark (1830 – 1905). Der Absolvent des St. Petersburger Instituts für zivile Ingenieurwissenschaften und Livländischer GouvernementsArchitekt Julius von Hagen (1829 – 1909) war hingegen Dozent für Baurecht und Bauvorschriften am Polytechnikum.23 In den ersten Jahrzehnten der Architekturabteilung unterrichteten dort auch Robert Pflug (1869 – 1875) und Karl Felsko (1872 – 1882).24 Seit 1884 war Johann Koch (1850 – 1915), der aus dem Polytechnikum Prag berufen worden war, Dozent für Architekturgeschichte, Architekturformen und Zivilarchitektur. Der Dekan der Fakultät, Hilbig, war weiterhin Dozent für Fächer im Bereich der Bautechnik und Baukonstruktion. Im Jahre 1887 wurde Koch Dekan der Architekturabteilung.25 In den 1880er Jahren begannen Absolventen der Architekturabteilung des Polytechnikums hier als Dozenten zu arbeiten. Nach dem Studium in Riga (1877 – 1882) bildete sich Hermann Hilbig (1860 – 1939), der Sohn von Gustav Hilbig, an der Technischen Hochschule in Berlin weiter (1882 – 1883), im Jahre 1884 wurde er zum Assistenten am Polytechnikum zu Riga und arbeitete später auch als Dozent für 21 Festschrift zum fünfzigjährigen Jubiläum des Rigaschen Polytechnischen Instituts 1912, S. VII. 22 Historisches Staatsarchiv Lettlands (künftig HSAL), Bestand Nr. 7175, Register Nr. 1, Akte Nr. 148. 23 Briedis 2002, S. 179, S. 196. 24 Lāce 2005, S. 48  ; Lāce 2019, S. 259. 25 Lāce 2019, S. 265.

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Das Polytechnikum zu Riga

Abb. 6  : Jānis Fridrihs Baumanis, Lomonosow-Gymnasium zu Riga, 1869 – 1871. Postkarte.

Bauwissenschaft (1886 – 1893).26 Zu Beginn seiner professionellen Tätigkeit unterrichtete der Architekt August Reinberg (1860 – 1908) darstellende Geometrie am Rigaer Polytechnikum.27 Die Kurse von Gustav Hilbig am Rigaer Polytechnikum hatte von 1887 bis 1892 Karl Mohrmann (1857 – 1927) übernommen, der ein Schüler von Conrad Wilhelm Hase war, dem Professor am bereits erwähnten Polytechnikum zu Hannover. Nach aktiver Tätigkeit am Polytechnikum in Riga und an der Rekonstruktion des Doms zu Riga wurde Mohrmann 1892 Rektor an der Technischen Hochschule Hannover und überarbeitete und ergänzte unter anderem das Lehrbuch der gotischen Konstruktionen von Georg Gottlob Ungewitter, indem er darin auch den Grundriss der Rigaer St. Johannis­­­ kirche einfügte.28 Das auf einer Grundlage von technischen Fächern fußende Lehrprogramm am ­Rigaer Polytechnikum wurde anfänglich nach den Vorbildern deutscher technischer Hochschulen aufgestellt. Rückschlüsse zum thematischen Inhalt des Lehrprogramms sind anhand von Überlieferungen zu Prüfungsfächern, Aufgaben und Diplomexamina möglich. So hatten im Jahre 1882 die Absolventen der Architekturabteilung Rudolf 26 HSAL, Bestand Nr. 7175, Register Nr. 1, Akte Nr. 149. 27 Album Academicum des Polytechnikums zu Riga 1912, S. 84, Nr. 1299. 28 Ungewitter, Mohrmann 1901, Bd. 1, Taf. LXII.; Lāce 2019, S. 201.

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Zirkwitz (1857 – 1926), Hermann Hilbig, Robert Kordes (1855 – 1931), August Reinberg (1860 – 1908) und Hugo von Wolffeldt (1849 – 1907) zum Abschluss ihrer Studien die alljährlichen Prüfungen in einem breiten Spektrum von Fächern abgelegt, das Mathematik, Mechanik, Experimental-Physik und Chemie, Mineralogie, Geodäsie sowie weitere, der Architektur und dem Bauwesen nahestehende Disziplinen wie Baukonstruktionslehre und Baumaterialienkunde, architektonische Formenlehre, Entwerfen, Bauleitung und nicht zuletzt Ökonomie und sogar Buchführung umfasste.29 Darüber hinaus bekamen sie obligatorische Aufgaben in darstellender Geometrie, im »Situa­ tions­zeichnen«, in der Geodäsie, im Ornament- und Freihandzeichnen, in der Baukonstruktion, im Entwerfen steinerner Bauten nach einem vorgegebenen Programm, in der architektonischen Formenlehre und im Entwerfen architektonischer Details. Zum Schluss legte man Diplomexamina in darstellender Geometrie, in der Baukonstruktionslehre, Baumaterialienkunde, in der architektonischen Formenlehre und Geschichte der Baukunst ab und löste weitere Prüfungsaufgaben zu einem bestimmten Thema.30 Das Programm des Architekturstudiums wurde in den folgenden Jahren vervollständigt, indem man Fächer wie das Nivellieren, Freihandzeichnen und Modellieren, Stilkunde, Entwerfen künstlerischer Details, Innenausstattung sowie die malerische Perspektive und das Aquarellieren einführte. Am Ende der 1880er Jahre hatte man im Lehrprogramm ein gewisses Gleichgewicht zwischen dem architektonisch-künstlerischen und ingenieurtechnischen Lehrstoff erreicht. Die vom Rigaer Polytechnikum ausgestellten Diplome der 1870er Jahre bestätigten im Fließtext, dass der »Zögling« praktische, schriftliche und mündliche Prüfungen abgelegt habe, als Architekt nun gewisse professionelle Fähigkeiten besitze und ihm mit diesem Attest verbundene Rechte und Vorteile verliehen werden.31 Seit 1881 wurden auf den vom Polytechnikum ausgestellten Abschlussdiplomen die absolvierten Fächer angegeben (Abb. 7).32 Wenn auch deren Zusammenstellung und Anzahl wechseln konnte, mussten Abschlussexamina bis 1890 dennoch stets in fünf Fächern wie etwa der darstellenden Geometrie, Baukonstruktionslehre, Baumaterialienkunde, architektonischen Formenlehre und Geschichte der Baukunst abgelegt werden. Bis Ende 1888 gehörte auch das Zeichnen der antiken Skulptur zum Prüfungsfach an der Architekturabteilung.33 Alle Diplomanwärter dieser Fakultät erarbeiteten ein Projekt zu einem im jeweiligen Jahr aus29 HSAL, Bestand Nr. 7175, Register Nr. 1, Akte Nr. 1849, S. 151 – 152. 30 Ebd. S.  151 – 152, 159 – 164a. 31 Ebd., S. 35. Es war den Absolventen des Rigaer Polytechnikums gestattet, als privat tätige Architekten Entwürfe zu unterzeichnen, auch Bauarbeiten zu leiten, doch durften sie nicht verbeamtet werden und als Beamte entlohnt werden oder sonstige Vorzüge erhalten. Anwärter auf eine Beamtenstelle im russischen Zarenreich benötigten den Abschluss einer staatlichen Hochschule, beispielsweise ein Examen an der Architekturabteilung an der St. Petersburger Kunstakademie. Hasselblatt 1886, S. 177 – 194. 32 HSAL, Bestand Nr. 7175, Register Nr. 1, Akte Nr. 1849, S. 77 – 82. 33 Ebd., Akte Nr. 1851, S. 62, 63.

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gelobten Thema. Es waren darunter Themen wie »Entwurf für ein Gymnasium mit Kostenvoranschlag« (1881)34, »Entwurf für eine Villa eines reichen Grundbesitzers mit Nebengebäuden in einer bergigen Gegend« (1882), »Project eines Kurhauses nebst Wannen-Badeanstalt in einem von bewaldeten Bergen umgebenen Thale mit einer warmen Quelle« (1884), »Project einer Evangelisch-Lutherischen Kirche auf einem freien, geräumigen Platze in einer Provinzialstadt nebst Kostenanschlag« (1885), »Project eines grösseren Vereinshauses auf einem freien mit Gartenanlagen umgebenen Bauplatze nebst Erläuterungsbericht und Kostenanschlag« (1886), »Project eines Miethhauses an der Ecke zweier frequenter Strassen einer grossen Stadt« (1887), »Project eines Theaters mit 1200 bis 1500 Sitzplätzen« (1888) und »Entwurf einer Votivkirche für 1000 bis 1200 Andächtige nach gegebenem Programm nebst Erläuterungsbericht und Kostenanschlag« (1890). Bis 1890 haben 34 Architekten ihr Studium Abb. 7  : Diplom der Polytechnischen Schule an der Architekturfakultät des Rigaer Polytech- zu Riga für Rudolf Zirkwitz, 1882. Aus  : nikums absolviert. Die Herkunft der Studen- Historisches Staatsarchiv Lettland (HSAL), ten war geografisch weit gefasst, beschränkte Bestand Nr. 7175, Register Nr. 1, Akte Nr. 1849, sich aber vor allem auf die Regionen des russi- S. 161. schen Zarenreichs. Als Erster erhielt Oscar Baar (1848 – 1914) das Architekturdiplom für den Entwurf des Kunstmuseums in Riga.35 Im Jahre 1878 wurden Architektendiplome in Deutsch und Russisch ausgestellt für Friedrich Petersen (1851–  ?) und Heinrich Ehmcke (1852 – 1932), 1879 für Bruno von Staal (1850 – 1898) aus Estland, 1881 für einen Entwurf eines Gymnasiums für den Freiherrn Emilian Lesser (1847 – 1912) aus Warschau, für Apoloniusz Nieniewski (1856 – 1922) aus Kalisz und für den deutschen Staatsbürger Ernst Lüer (1858–  ?) aus Moskau.36 Man 34 Ebd., diese und andere Themen genannt in  : Akte Nr. 1849. l., S. 77 – 82, 151 – 152, 159 – 164  ; Akte Nr.  1850., S.  155 – 162, 327 – 332, 369 – 370, 427 – 430, 443 – 444  ; Akte Nr.  1851. l., S.  49 – 52, 61 – 63, 233. 35 Ebd., Akte Nr. 1847. l., S. 161 – 162  ; Briedis 2002, S. 178. 36 Ebd., Akte Nr. 1848. l., S. 211 – 214  ; 1849. l., S. 35, 77 – 82.

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Abb. 8  : Wilhelm Bockslaff, Die Commerzschule in Riga (heute Kunstakademie Lettland), Kalpaka ­Boulevard 13, 1902 – 1904. Postkarte.

kann zwei Abschlussjahrgänge der ersten Hälfte der 1880er Jahre hervorheben. Im Jahre 1882 konnten Rudolf Zirkwitz aus Włocławek, Hermann Hilbig, der aus Reval stammende Robert Kordes, August Reinberg und Hugo von Wolffeldt das Architekturstudium abschließen.37 Im Jahre 1885 begannen Wilhelm Bockslaff (1858 – 1945), Nikolai Hugenberger (1855 – 1915) und Konstantīns Pēkšēns (1859 – 1928) ihre Architektenlaufbahn.38 Die Architekten Zirkwitz, Reinberg, Bockslaff und Pēkšēns errichteten im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts und zu Beginn des 20. Jahrhunderts bedeutende Bauten im historischen Stadtzentrum von Riga,39 als ein Beispiel sei hier der Neubau der Kommerzschule genannt (heute Kunstakademie Lettlands, Kalpaka bulvāris 13) (Abb. 8). Von 1885 bis 1891 hatte die Architekturabteilung des Rigaer Polytechnikums jedes Jahr Absolventen.40 Gemäß den Bestimmungen des Russischen Reiches durften die Absolventen des Polytechnikums bis zur Reorganisation der Hochschule im Jahre 1896 als selbstständige Architekten tätig sein. Um in den Staatsdienst zu kommen, mussten die Anwärter einer Stelle ein entsprechendes Examen im Innenministerium in St. Petersburg ablegen. 37 Ebd., Akte Nr. 1849. l., S. 151 – 152, S. 159 – 164. 38 Ebd., Akte Nr. 1850. l., S. 327 – 332, S. 369 – 370.; Krastiņš, Bratuškins, Treija 2019, S. 13. 39 Krastiņš 2002, S. 29, S. 54 – 55, S. 153 – 165, S. 174 – 193. 40 HSAL, Bestand Nr. 7175, Register Nr. 1, Akte Nr. 1850, S. 155 – 162, S. 369 – 372, S. 427 – 430, S. 443 – 444  ; Akte Nr. 1851, S. 49 – 52, S. 61 – 64, S. 155, S. 233, S. 311.

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Das Polytechnikum zu Riga

Im Jahre 1896 wurde die Rigaer Polytechnische Schule nach einem Erlass des russischen Zaren Nikolai II. von einer privaten Hochschule in eine staatliche Hochschule, das Rigaer Polytechnische Institut mit Russisch als Unterrichtssprache, umgewandelt. Einzig der aus Prag angeworbene Johann Koch (1850 – 1915) durfte seine Lehrveranstaltungen zur Geschichte der Architektur auf Deutsch abhalten. Seit den frühen 1890er Jahren wurden mehrere frühere Absolventen des Rigaer Polytechnikums zu Dozenten am Rigaer Polytechnischen Institut, wie beispielsweise die Architekten Wilhelm Bocks­ laff (1858 – 1945), Wilhelm von Stryk (1864 – 1928), Otto Hofmann (1866 – 1919), Konstanty Raczewski (1875 – 1935) und Eižens Laube (1880 – 1967).41 Während des Ersten Weltkriegs wurde das Polytechnische Institut nach Zentralrussland, nach Ivanovo-Vosnesensk (heute Ivanovo) evakuiert. In der etwa 254 Kilometer nordöstlich von Moskau gelegenen Polytechnischen Universität von Ivanovo befinden sich bis heute unter dem Namen ›Rigaer Goldfonds‹ Unterlagen und die Bibliothek des Rigaer Polytechnischen Instituts. Nach dem Ersten Weltkrieg konnte man Architektur in Lettland an der 1919 gegründeten Universität Lettlands studieren. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde infolge der sowjetischen Hochschulreform das Fach Architektur an das neu entstandene Rigaer Polytechnische Institut verlegt. Nach Erlangung der staatlichen Unabhängigkeit Lettlands wurde das Polytechnische Institut in ›Rigaer Technische Universität‹ umbenannt.42 Übersetzung Dr. Agnese Bergholde-Wolf Literatur Album 1912 – Album Academicum des Polytechnikums zu Riga, 1862 – 1912, Nr. 1299, Riga 1912. Asmuß 1868 – Napoleon Asmuß  : Das baltische Polytechnicum, in  : Rigascher Almanach für das Jahr 1869, Riga 1868. Asmuß 1871 – Napoleon Asmuß  : Das baltische Polytechnicum zu Riga, in  : Album von Riga, Riga 1871, S. 39 – 40. Briedis 2002 – Juris Briedis (Hg.)  : Augstākās tehniskās izglītības vēsture Latvijā, Rīga 2002. Becker 1898 – Bernhard Becker  : Aus der Bauthätigkeit Rigas und desselben Umgebung in der zweiten Hälfte des XIX. Jahrhunderts, Riga 1898. Börsch-Supan, Müller-Stüler 1997 – Eva Börsch-Supan, Dietrich Müller-Stüler  : Friedrich August Stüler, 1800 – 1865, München 1997. Bucholtz 1912 – Fedor Bucholtz  : Festschrift zum fünfzigjährigen Jubiläum des Rigaschen Polytechnischen Instituts, 1862 – 1912, Riga 1912. Grosa 2014 – Silvija Grosa  : Architecture, in  : Eduards Kļaviņš (Hg.)  : Art History of Latvia. Volume IV  : 1890 – 1915. Period of Neo-Romanticist Modernism, Riga 2014, S. 403 – 549. 41 Grosa 2014, S. 424 – 426. 42 Krastiņš, Bratuškins, Treija 2019, S. 88 – 127.

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Hasselblatt 1886 – Julius Hasselblatt  : Historischer Ueberblick der Entwicklung der Kaiserlich Russischen Akademie der Künste in St. Petersburg, St. Petersburg, Leipzig 1886. Hilbig 1868 – Gustav Hilbig  : Der Bau des Polytechnicum-Gebäudes, in  : Notizblatt des Technischen Vereins zu Riga 7 (1868), S. 19 – 23, Taf. I–III. Hoffmann 1903 – Otto Hoffmann  : Unterrichtsanstalten, in  : Riga und seine Bauten, hg. v. Rigaschen Technischen Verein u. v. Rigaschen Architekten-Verein Riga 1903., S. 215 – 217, S. 224 –  234. Hoyer 1872 – Egbert Hoyer (Hg.)  : Katalog der Bibliothek des Polytechnikums zu Riga, Riga 1872. Hoyer 1875 – Egbert Hoyer (Hg.)  : Erster Nachtrag zum Katalog der Bibiliothek des Polytechnikums zu Riga, Riga 1875. Hoyer 1895 – Egbert Hoyer (Hg.)  : Katalog der Bibliothek der Polytechnischen Schule zu Riga, Riga 1895. Kokkelink, Lemke-Kokkelink 1998 – Günther Kokkelink, Monika Lemke-Kokkelink  : Baukunst in Norddeutschland. Architektur und Kunsthandwerk der Hannoverschen Schule, 1850 –  1900, Hannover 1998. Krastiņš 1988 – Jānis Krastiņš  : Eklektisms Rīgas arhitektūrā, Rīga 1988. Krastiņš 2002. – Jānis Krastiņš  : Rīgas arhitektūras meistari, 1850 – 1940 = The masters of archi­ tecture of Riga, 1850 – 1904, Rīga 2002. Krastiņš, Bratuškins, Treija 2019 – Jānis Krastiņš, Uģis Bratuškins, Sandra Treija  : Arhitektūras izglītībai Latvijā 150 = Architectural Education in Latvia 150, Rīga 2019. Lāce 2005 – Daina Lāce  : Jaunākie pētījumi par Vidzemes guberņas 19. gadsimta arhitektiem = Latest Researches on Vidzeme Province Architects in the 19th Century, in  : Mākslas Vēsture un Teorija 5 (2005), S. 38 – 52. Lāce 2008 – Daina Lāce  : Skolas Rīgas bulvāru lokā 19. gadsimta otrajā pusē = Schools on Riga’s Ring of Boulevards during the 2nd half of the 19 century, in  : Mākslas Vēsture un Teorija 10 (2008), S.  17 – 31. Lāce 2019 – Daina Lāce  : Architecture, in  : Eduards Kļaviņš (Hg.)  : Art History of Latvia. Vol. 3, Book 2  : 1780 – 1890, Rīga 2019, S. 174 – 289. Neumann 1908 – Wilhelm Neumann (Hg.)  : Lexikon baltischer Künstler, Riga 1908. Stradiņš 1994 – Jānis Stradiņš  : Akadēmiskā izglītība Baltijā un Latvijas Universitātes priekšvēsture, in  : Latvijas Universitāte 75, Rīga 1994, S. 13 – 44. Ungewitter, Mohrmann 1901 – Georg Gottlob Ungewitter, Karl Mohrmann  : Lehrbuch der gotischen Konstruktionen, Bd. 1, Leipzig 41901. Zigmunde 2008 – Alīda Zigmunde  : Karls Fridrihs Bornhaupts un Rīgas Politehnikums = Carl Friedrich Bornhaupt and the Riga Polytechnic, in  : Rīgas Tehniskās universitātes zinātniskie raksti = Scientific Proceedings of Riga Technical University 13 (2008) S. 12 – 15.

Quellen

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Jana Pohaničová/Katarína Ondruåová

The History of Architecture at the Slovak University of Technology Between Tradition and Innovation

Teaching history of architecture has a more than 70 years long tradition at the Faculty of Architecture of the Slovak University of Technology in Bratislava. Alongside traditional educational methods, innovation plays an important role in teaching it, too. The new approach to familiarizing students with historical architecture is represented by the method of thematic education mapping the work of the most significant architects in the territory of present-day Slovakia through modelling and digitizing of their key works. The process of modelling a building (both physical model and a 3D animation) becomes an instrument of developing theoretical as well as creative skills of students.

Teaching history of architecture as an integral part of art history at the Slovak University of Technology (formerly Slovak Polytechnic) in Bratislava, the oldest technical university in Slovakia, has a long tradition.1 This tradition, which is more than seventy years long, began with establishing the institution and plays a vital role in education of future architects until this day.2 The first course in history of architecture was run in winter semester 1946 at the Department of Architecture and Structural Engineering of Slovak Polytechnic (SVŠT). Ever since then it was run continuously, although there were some organizational and institutional changes. During the period of 1950 – 1960, the course was run by the newly established Faculty of Architecture and Construction Engineering, then, between 1960 and 1976, by the Faculty of Civil Engineering, and finally, since 1976, it has been run by the Faculty of Architecture (Fig. 1). 1 The contribution was written within the project VEGA No. 1/0444/17  : Tradícia a inovácia v architektúre ako fenomén dlhého storočia. (Tradition and Innovation in Architecture as a Phenomenon of the Long Century). Head of the project  : Jana Pohaničová (working at the Institute of History and Theory of Architecture and Monument Restoration of the Faculty of Architecture of the Slovak University of Technology in Bratislava). The research team includes Katarína Ondrušová (PhD. Student at the Institute of History and Theory of Architecture and Monument Restoration of the Faculty of Architecture of the Slovak University of Technology in Bratislava). 2 In the academic year 2016/2017, the Faculty of Architecture of the Slovak University of Technology in Bratislava celebrated the fortieth anniversary of its establishment and seventy years of teaching architecture. Vitková 2016, p. 6.

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Fig. 1  : Faculties and workplaces at the Faculty of Architecture of the Slovak University of Technology. Source  : URL  : https://www. stuba.sk/sk/fakulty. html?page_id=2990 (27th February 2019).

Before we focus on teaching history of architecture and art at the Faculty of Architecture of the Slovak University of Technology, it is important to mention the particular character of the faculty itself, in comparison to other organizational units that the Slovak University of Technology consists of. The Slovak University of Technology used to consist solely of technical faculties  : the Faculty of Civil Engineering, the Faculty of Mechanical Engineering, the Faculty of Electrical Engineering and Information Technology, the Faculty of Chemical and Food Engineering, the Faculty of Material Science and Technology in Trnava and the Faculty of Informatics and Information Technologies. The only exception is the Faculty of Architecture. Its exceptionality derives directly from the nature of the field of study. Architecture (program Architecture and Urbanism in all three degree levels) – in its interdisciplinary character it oscillates between science, technology and art. Ever since the beginning of architectural education in Slovakia, there have been several types of courses that formed the profile of a future architect, an absolvent of the faculty  : studio work, structural engineering, history, typology and graphic disciplines. 260

The History of Architecture at the Slovak University of Technology

Fig. 2  : The proportional share of the most significant course blocks in the education process at the study program of the Faculty of Architecture at Technical University of Bratislava between 1960 and 1970 as well as between 2000 and 2018. Source  : ãpaček, ãíp 2016, p. 13. Visualization of data  : Pohaničová, Ondruåová 2018.

Over time, these were enriched by new types of courses, such as interior, sustainability, ecology, computer design, etc. (Fig. 2). Nevertheless, the history of architecture and art has always been one of the cornerstones of education of future architects.3 History of architecture and art as a course at the Slovak University of Technology was established by employing the specialists – art historians, art theoreticians and architecture historians. The most significant personalities who taught at the Slovak University of Technology, even though briefly, were Alžbeta Mayerová-Günterová (1946 – 1947) and Vladimír Wagner (1946 – 1947)  ; and historian, philosopher and art historian Jaroslav Dubnický (1948 – 1949). Many Czech architects, theoreticians and architecture historians also had great influence on the education of young architects  : Jan Evangelista Koula (1947 – 1970), Alfred Piffl (1947 – 1957) and many others who enriched the spectrum of traditional technical courses with courses focused on architecture and art 3 Pohaničová, Šoltésová 2014 – 2015, p. 7.

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Fig. 3  : Prof. Dr. Ing. arch. Alfred Piffl, CSc., the first dean of the Faculty of Architecture and Structural Engineering at Slovak Poly­ technic in Bratislava (1950 – 1952). Source  : Archive of the Piffl family.

history, aesthetics as well as theory and philosophy of art.4 Ever since the inception of the institution, the school has been creating a tradition of employing significant professionals and this tradition has been kept until this day. Just as the organisation of the school changed with time, the form of teaching (lecture, tutorial, seminar), proportion of courses, and their integration with other course blocks changed as well. History of architecture and art has always played a significant role in the education of future architects – for a short period of time, they were part of the graphic disciplines, but after the establishment of the Faculty of Architecture and Construction Engineering and later the Faculty of Architecture, they were thought of under the term history. The integrated model of teaching history of architecture and art developed mainly after 1947 with the establishment of a separate department (the Department of History of Architecture, today the Institute of History and Theory of Architecture and Monument Restoration) that employed influential specialists – professors and associate professors specialised in the field of history of architecture and art, conservation, monument restoration, and de-

sign in historical environment.5 This interdisciplinary scope of the course block ‘History’ in early forming stages of Slovak architectural education in Slovakia is represented mainly by Alfred Piffl, the first dean of the Faculty of Architecture and Structural Engineering at Slovak Polytechnic in Bratislava (1950 – 1952, Fig. 3).6 Thanks to him, teaching history of architecture became one of the cornerstones of the education of young architects. In 1948, the Education Commission of Division of Civil Engineering of Slovak Polytechnic established the Institute of Architectural History and named Alfred Piffl its head. Teaching courses on history of architecture and art began on 1st April 1947. They were provided by Piffl, 4 Bencová 2016a, pp. 16 – 17. 5 Pohaničová, Vodrážka 2016, p. 86. 6 Pohaničová 2008, pp. 10 – 11.

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Fig. 4  : The study of Bratislava castle restoration. Author  : Alfred Piffl et al., 1st December 1955. Source  : Archive PÚ SR.

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who was awarded the first professor of architecture title in the history at Slovak Polytechnic on 30th May 1948.7 The ten years he spent at the Slovak Polytechnic were closely associated with architectural history, scientific research, monument restoration, archaeological research, documentation, preservation and restoration of the Bratislava castle (Fig. 4, 5). During this time, he began the trend of interdisciplinary cooperation and set the standard for educating aspiring architects. As far as teaching architectural history is concerned, Piffl created a lasting theoretical basis and wrote textbooks on this topic for the students to study from. Thanks to his humanistic approach, he was able to develop creative dialogue with his students on the history of architecture and art in all its shapes and forms. He attempted to interpret it in both practical and theoretical terms. To educate students on this subject, he didn’t use just lectures and seminars, but he introduced visits to galleries and museums, field trips, and most importantly, researching historical architecture in situ (Fig. 6). All the acquired knowledge concerning related disciplines, such as art history, monument restoration, history, and archaeology, was integrated to the creative process of designing architecture as an integral part of the studio work.8 This created an important foundation for combining teaching history of architecture and art with architectural design for the future, when, later, Piffl fell victim to communist reprisals and fabricated trials and was replaced by his successors. Among them were such personalities as Ján Evangelista Koula, Ján Lichner, Mikuláš Bašo, Daniel Majzlík, Ivan Kuhn, Ladislav Foltyn, Karol Kňava or Ľubica Fašangová, Janka Krivošová and Elena Lukáčová.9 This happened at the Department of Architecture Development and Art (led by Ján E. Koula). After 1976, the name changed to the Department of Theory and History of Architecture, Drawing and Modelling, later, the Department of Theory and History of Architecture (led by Daniel Majzlík, Mikuláš Bašo, Matúš Dulla and Janka Krivošová), and today it is the Institute of History and Theory of Architecture and Monument Restoration (led by Peter Vodrážka, and more recently by Pavol Paulíny). During all this time, history of architecture and art was an integral part of the integrated studying model – influencing, along with other related courses, designing in historical environment. Nowadays, this interdisciplinary model of teaching architectural history at the Institute of History and Theory of Architecture and Monument Restoration is further developed by a collective of architects and art scientists – specialists in the field of history of art and architecture. Currently, the Institute employs Matúš Dulla, Jana Pohaničová, Henrieta Moravčíková, Peter Vodrážka, Nadežda Hrašková and Jarmila Bencová, who in collaboration with specialists in monument restoration and architectural 7 Pohaničová 2011, pp. 125 – 130. 8 For more information on life and work of Alfred Piffl see Pohaničová 2008, pp. 10 – 29. 9 Bencová 2016b, pp. 52 – 53.

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Fig. 5  : Alfred Piffl with the model of the Bratislava castle. Source  : Archive of the Piffl family. Fig. 6  : Alfred Piffl in his favourite role of pedago­ gue. Source  : Archive PÚ SR, Archive of the Piffl family.

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theory guarantee the highest quality of architectural history courses at the Faculty of Architecture of the Slovak University of Technology on all three degree program levels (bachelor’s degree studies  : Architecture and Urban-Planning, Master’s degree study  : Architecture, Urban-Planning, doctoral degree studies  : Architecture). This framework of study enables absolvents of the Faculty of Architecture of the Slovak University of Technology to familiarise with a wide spectrum of views on history of architecture and art as a vital and irreplaceable tool when acquiring knowledge of architecture. It is also an integral part of an interdisciplinary approach to the protection of cultural heritage and monument restoration, but it can also be applied to other spheres of architecture, urban-planning, landscape architecture, as well as design.10 Respecting current accreditation (valid until 2020), teaching history of architecture and art in the first degree program reflects the needs of acquainting students with the topic. The study is divided into six lecture cycles with corresponding seminars – Introduction to Architectural History (prehistory, antiquity), History of Architecture and Art I (the Middle Ages), History of Architecture and Art II (the Renaissance and Baroque), History of Architecture and Art III (19th century), History of Architecture and Art IV (20th century) and History of Town Planning. Afore-mentioned courses focus not only on the chronology of architectural development, but also on issues and great topics in a broader context of European as well as global development with an emphasis on architectural development in the territory of present-day Slovakia. It reflects the architectural development of all building types since the primeval times until now and emphasises regional specifics, circumstances surrounding buildings’ origin as well as significant architects. Lectures take up approximately one third of the designated course span. Alongside with the aspiration to outline the basic styles and their characteristics, the courses focus on a historical point of view on individual works and their creators in the context of building types, composition principles, philosophy of the author’s intention, theoretical reflexion, tradition and innovation, progressive construction solutions, urban-planning concepts and particular patterns of establishing and forming of towns.11 Closely linked pedagogic and research activities of the staff members enable them to offer information on Slovak architectural history with its specifics as well as to interpret it in the European context. This approach to architectural history helps the understanding of fundamentals of the creative process when designing buildings, as well as understanding the broader period, sociocultural, political and socioeconomic context. It also helps to identify the artistic potential of buildings. Papers written for seminars draw from the theoretical knowledge acquired during the lectures. Assigned topics are presented either in both written and oral form with necessary picture documentation (drawings and photos), or as architectural models of 10 Pohaničová, Vodrážka 2016, p. 86. 11 Ibid., p. 87.

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historical buildings. In this way, students adopt formerly acquired knowledge of the most significant works of architecture, their authors, and period specific styles. The character of the assignments helps the students to develop research abilities and inspires them to analyse social, economic, cultural, artistic and period contexts and mechanisms as well as the ways in which they influence the architecture. It also helps to eliminate stereotypes when assessing particular architectural tendencies and enhance the ability to ask questions about the circumstances under which the building was erected. Students acquire a basic overview of history of art, history, conservation and monument restoration, and similar disciplines. They also learn to work with relevant literature, visit archives and conduct research. This helps them to adopt a specific set of skills needed to systemise their knowledge and acquire an alternate approach to information, abstract thinking, and application of theoretical knowledge in the creative architectural process. This stimulates students to think independently, to adopt methods of scientific work with the vision of their application in their studio work in the field of monument restoration and building design in historical environment in general.12 In the second degree study, the emphasis shifts from the history of architecture to contemporary architecture, art, and the theory of architecture. Through specialized series of courses, both compulsory and elective, students are acquainted with the history of contemporary architecture and its most significant personalities (in Slovakia and abroad). The course focuses on current trends, concepts, theory, and philosophy of architecture. The aim is to introduce students to all the directions in which architecture is developing, to understand the connections and complementarity in broader cultural and creative context. Courses support the ability of students to identify with architectural trends of their preference and seek their predecessors in history of architecture and art. This way, historical-theoretical potential of creative work can be applied outside the historical environment, too. Let us once again mention the pillar of education at the Faculty of Architecture of the Slovak University of Technology  : the tradition – its past, present and future is lined with significant personalities. Out of forty-five professors of the study programs Architecture and Urban-Planning at Slovak Polytechnic and later at the Faculty of Architecture of the Slovak University of Technology, seven were specialized in architectural history. Those were (and are) Alfred Piffl, Daniel Majzlík, Mikuláš Bašo and Matúš Dulla, but also the first female professor in study program Architecture  : Janka Krivošová and her two successors Henrieta Moravčíková and Jana Pohaničová.13 These personalities represent the concept of education and teaching architectural history mentioned above. Their activities are bound to the Institute of History and Theory 12 Pohaničová, Šoltésová, 2014 – 2015, p. 8. 13 For the list of all the professors at the Faculty of Architecture of the Slovak University of Technology in Bratislava and their biographies see Špaček, Šíp, 2016b.

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Fig. 7  : International cooperation in the field of architectural history, together with TU Vienna  : An Architectural Guide for the city of Bratislava. Source  : Braun-Verlag/Markus Gesierich.

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of Architecture and Monument Restoration. Their research and creative activities led to many publications. Many grant schemes led to unusual research projects, resulting in singular scientific and research publications, encyclopaedias, exhibition catalogues or fundamental monographic articles in scientific and research journals in renowned databases. It is impossible not to mention the collaboration of the Institute of History and Theory of Architecture and Monument Restoration with monument restoration institutions, cultural-educational activities, and exhibitions represented by many successful events in Slovakia as well as abroad. Pedagogues strive to include students in these activities (for example, since 2017 there is a project for an architectural guide on Bratislava in collaboration with the Department of History of Art, Building Archaeology and Monument Restoration at the TU Vienna, Fig. 7).14 Among students, the most popular are architectural models of historical buildings, which are results of their research in architectural history seminars (Fig. 8 a, b). They were exhibited at thematic expositions – e. g. Religious architecture in Slovakia, Invisible architecture (Architecture for visually impaired), Famous Slovak villas, Feigler family phenomenon or Michal Milan Harminc, doyen of Slovak architecture. They present an interesting reflexion of dialogue between students and pedagogues on the story of architectural history. In its character, approach, and method of teaching, education in the field of architectural theory reacts to contemporary framework of this discipline. The need of more complex knowledge of their work and application of scientific knowledge directly in the teaching process led to an idea of thematic education. We focused our attention on methods of getting to know historical architecture through mapping the work of influential personalities of Slovak architecture (Harminc, Feigler family, Hudec, Weinwurm et al.) through modelling and digitizing their works as an innovative component of education of future architects. This approach, next to developing interactive student-pedagogue dialogue and interconnection of science, research and education, should help students to acquire knowledge of historical architecture and perfect their digital abilities, test the innovative processes of imaging (3D modelling) and their combination with traditional techniques (physical models) for researching history of architecture.15 These activities help students do develop special perception and to realise the composition principles that can be utilised when designing buildings in historical environment as a part of their seminars. 14 Since 2018, the Faculty of Architecture of the Slovak University of Technology in Bratislava is the partner of the TU Wien, the leader of the project SAIA no. 2018-10-15-003 Action Austria – Slovakia. 15 In 2015, Jana Pohaničová was awarded a prestigious prize BRILIANTT 2015 (an award for implementing innovation into education) for progressive teaching of the history of architecture through modelling and thematic education. The prize was awarded by the International Institute for Interdisciplinary Research and the University of Ss. Cyril and Methodius in Trnava, Slovakia.

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Fig. 8a/b  : Michal Milan Harminc – physical and digital models assigned as seminar projects to students in 3rd and 4th years of study (History of Architecture and Art III and IV). Students’ work was supervised by Jana Pohaničová. Photos  : Matej Kováč.

All of the above-mentioned activities create a complex model of architectural education. Teaching history of architecture and art can be viewed as an integral part of the education at the Faculty of Architecture of the Slovak University of Technology in Bratislava on all three degree levels, as well as in the interdisciplinary preparation and training of educated professionals, specialised in the field of history of architecture and art with their application in the field of monument restoration and preservation, as well as in architectural praxis. The position of history of architecture in the education of future architects is irreplaceable and helps the appreciation of values of historical architecture as well as crea270

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tive reflection of such values in contemporary architectural design. In the end, famous French architect and designer Jean Nouvel defined “modernity as the best way of using historical memory”.16 Where is history of architecture and art heading, then  ? Its future is in the integration and combination of diverse scientific and artistic fields and disciplines. This was best summed up by Swiss architect and architectural theoretician Jacques Herzog (atelier Herzog & de Meuron, winners of Pritzker prize for architecture 2001). His characterisation of the role of art in architecture represents conceptual vision  : “Architecture should start an interaction, a dialogue with other disciplines such as painting or sculpture, because it cannot reflect itself only, the picture of its own history, but it must open itself to other spheres. Such a sphere is the fine arts, which is more critical, more radical, it better reflects the changes in society. Next to fine arts, it is necessary to look up to film, music or fashion as a source of inspiration for creating and drafting ideas and designs.”17

Bibliography Bencová 2016a – Jarmila Bencová  : Architektonické školstvo na Slovensku, in  : Robert Špaček, Lukáš Šíp (Hg.)  : Vzdelávanie architekta na Fakulte architektúry STU v Bratislave. Publikácia o histórii, obsahu, formách a metódach výučby, Bratislava 2016, S. 16 – 30. Bencová 2016b – Jarmila Bencová  : Výtvarné umenie vo výučbe architektov, in  : Robert Špaček, Lukáš Šíp (Hg.)  : Vzdelávanie architekta na Fakulte architektúry STU v Bratislave. Publikácia o histórii, obsahu, formách a metódach výučby, Bratislava 2016, S. 47 – 54. Pohaničová 2008 – Jana Pohaničová  : Keď archívy rozprávajú … alebo Alfred Piffl mnohodimenziálna komplexnosť, in  : Anna Holmanová (Hg.)  : Profesor Alfred Piffl  : Zborník príspevkov z medzinárodnej konferencie, Bratislava 2008, S. 10 – 29. Pohaničová 2011 – Jana Pohaničová  : Poznačený dobou, ale nezlomený … alebo  : Bratislavský príbeh prof. Alfreda Piffla, in  : Matej Medvedcký (Hg.)  : Fenomén Bratislava  : Zborník z medzinárodnej vedeckej konferencie, Ústav pamäti národa Bratislava 2011, S. 118 – 149. Pohaničová, Šoltésová 2014 – 2015 – Jana Pohaničová, Danica Šoltésová  : Dejiny architektúry inak, in  : ILFA 8 (2014 – 2015), S.  7 – 8. Pohaničová, Vodrážka 2016 – Jana Pohaničová, Peter Vodrážka  : Dejiny, in  : Robert Špaček, Lukáš Šíp (Hg.)  : Vzdelávanie architekta na Fakulte architektúry STU v Bratislave. Publikácia o histórii, obsahu, formách a metódach výučby, Bratislava 2016, S. 86 – 91. Špaček, Šíp 2016a – Robert Špaček, Lukáš Šíp (Hg.)  : Vzdelávanie architekta na Fakulte architektúry STU v Bratislave. Publikácia o histórii, obsahu, formách a metódach výučby, Bratislava 2016. Špaček, Šíp 2016b – Robert Špaček, Lukáš Šíp  : Profesori, in  : Robert Špaček, Lukáš Šíp (Hg.)  :

16 Translation by the author. Pohaničová, Vodrážka, 2016, p. 88. 17 Translation by the author. Bencová 2016b, p. 57.

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Vzdelávanie architekta na Fakulte architektúry STU v Bratislave. Publikácia o histórii, obsahu, formách a metódach výučby, Bratislava 2016, S. 148 – 162. Vitková 2016 – Ľubica Vitková  : Príhovor dekanky FASTU v Bratislave, in  : Robert Špaček, ­Lukáš Šíp  : Profesori, in  : Robert Špaček, Lukáš Šíp (Hg.)  : Vzdelávanie architekta na Fakulte architektúry STU v Bratislave. Publikácia o histórii, obsahu, formách a metódach výučby, ­Bratislava 2016, S. 6.

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Sabine Plakolm-Forsthuber

Der lange braune Schatten Das Institut für Kunstgeschichte an der Technischen Hochschule Wien im Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit

Der Beitrag thematisiert die engen Bindungen und subtilen Konkurrenzen zwischen den 1936 berufenen Kunsthistorikern Karl Ginhart und Hans Sedlmayr, die in der NSZeit an der Technischen Hochschule Wien bzw. am Kunsthistorischen Institut der Uni­ versität Wien lehrten. Beide vertraten die NS-Ideologie in Forschung und Lehre und wirkten bis in die Nachkriegszeit. 1960 übernahm Walter Frodl die Nachfolge Ginharts. Mit Frodl, einem Anhänger und Profiteur der NS-Kunstpolitik, setzte die TH Wien auf eine zweifelhafte Kontinuität.

1936 wurden die beiden Lehrstühle für Kunstgeschichte an der Universität Wien und an der Technischen Hochschule Wien neu besetzt, den an der Universität erhielt Hans Sedlmayr, jenen an der Technischen Hochschule Karl Ginhart. Sedlmayr (1896 – 1984) trat die Nachfolge von Julius von Schlosser an.1 Er brachte mit der von der Gestaltpsychologie inspirierten Methode der ›Strengen Kunstwissenschaft‹ einen neuen Ansatz in die bis dahin von der Stilgeschichte dominierte ›Wiener Schule der Kunstgeschichte‹. Seine Befassung mit den Strukturgesetzen des Einzelkunstwerks fand Anerkennung, dazu trug freilich auch seine pronazistische, antisemitische Haltung, die sich im Laufe seines Lebens zu einer erzkonservativen, nahezu pathologischen Aversion gegenüber der Moderne verfestigen sollte, bei.2 Weniger bekannt und kaum erforscht sind Leben und Werk von Karl Ginhart (1888 – 1971), der 1936 als Nachfolger von Moritz Dreger (1868 – 1939)3 als Extraordinarius an die Technische Hochschule berufen wurde. Von Interesse ist, welche Inhalte Ginhart in Lehre und Forschung während der Zeit des sogenannten Ständestaates und im Nationalsozialismus vertrat, weiters, wie er das Fach im Rahmen der Fakultät und 1 Sedlmayr 1938. 2 Aurenhammer 2003  ; Aurenhammer 2004, S. 11  ; Frodl-Kraft 1991  ; Männig 2017. 3 Moritz Dreger studierte bei Franz Wickhoff und Alois Riegl an der Universität Wien. Er war Absolvent des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung. 1891 erfolgte die Promotion. 1897 wurde Dreger Kustos und später Vizedirektor am Österreichischen Museum für Kunst und Industrie (Textilsammlung), 1901 Privatdozent der Universität Wien und ab 1917 ordentlicher Professor an der Universität Innsbruck. Von 1926 – 1936 war Dreger Ordinarius für Kunstgeschichte an der Technischen Hochschule in Wien. Dregers Interesse an der handwerklichen Qualitätsarbeit wie an den Entwicklungen der Moderne belegt seine Mitgliedschaft im Österreichischen Werkbund.

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im Architekturdiskurs positionierte und welche Handlungsfelder sich für ihn innerhalb dieser autoritären politischen Strukturen eröffneten. Zu thematisieren ist auch, inwiefern die Kunstgeschichte als geisteswissenschaftliches Fach,4 das ja nicht wie etwa die Chemie, Luftfahrt oder der Tunnelbau als kriegswichtiges Forschungsgebiet galt,5 von politischer Relevanz war.6 Nach Kriegsende wurde Ginhart als NSDAP-Mitglied von seinem Lehrstuhl enthoben, aber relativ rasch entnazifiziert. Von 1947/48 an hatte er bis zu seiner Emeritierung 1960 erneut die Professur inne, weshalb auch die Frage nach der fachlichen und ideologischen Kontinuität gestellt werden muss. Im Übrigen konnte Hans Sedlmayr, gleichfalls NSDAP-Mitglied, nach einer kurzen Phase der Enthebung ebenfalls seine Lehrtätigkeit wieder aufnehmen, zwar nicht in Wien, sondern ab 1951 in München und ab 1965 in Salzburg. Beide, Sedlmayr und Ginhart, haben ­ähnliche Berufskarrieren durchschritten, ihre Wege kreuzten sich mehrmals, und dies im Spannungsfeld zwischen den Fachinstituten der Universität Wien und der Technischen Hochschule. I. Karl Ginhart, ein Schüler von Josef Strzygowski

Ginhart, der 1888 in St. Veit an der Glan/Kärnten geboren wurde, promovierte 1912 in Rechtswissenschaften, und – nach dem Einsatz als Kriegsfreiwilliger an der italienischen Front sowie im sogenannten Kärntner Abwehrkampf (1915 – 1919) – 1919 auch in Kunstgeschichte. Thema seiner Dissertation war Das altchristliche Kapitell.7 Im Unterschied zu Sedlmayr, der bei Max Dvořák und Schlosser, den Vertretern des zweiten Kunsthistorischen Instituts der Universität Wien, studiert hatte, war Ginhart in das von Josef Strzygowski geleitete erste Kunsthistorische Institut an der gleichen Hochschule eingetreten. Strzygowski (1862 – 1941), einer der umstrittensten und schon zu Lebzei­ ten polarisierenden Kunsthistoriker, gilt als Begründer der ›Vergleichenden Kunstforschung‹, der ein kunstgeografischer Ansatz zugrunde liegt.8 Durch die Ausdehnung seines Forschungsinteresses auf den Osten (zum Beispiel Armenien, Iran, Indien oder Ostasien),9 den er auch intensiv bereiste, eröffnete er der Kunstgeschichte neue Forschungsfelder, die heute unter dem Schlagwort ›Weltkunstgeschichte‹ laufen. Allerdings interpretierte er die erworbenen Erkenntnisse von dem sogenannten ›Nordstandpunkt‹ 4 5 6 7 8 9

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Ash, Nieß, Pils 2010. Mikoletzky 2016a. Doll, Fuhrmeister, Sprenger 2005, S. 9. Ginhart 1923. Müller 2015, S. 314. Im Vorwort zu seinem Buch Aufgang des Nordens beschreibt Strzygowski die chronologische Abfolge seiner Forschungsgebiete folgendermaßen  : »Von der Entdeckung Irans über die vergleichende Kunstforschung zum hohen Norden.« Vgl. Strzygowski 1936b.

Der lange braune Schatten

Abb. 1  : Karl Ginhart (1888 – 1971), Porträtfotografie. Quelle  : Bildarchiv der ÖNB  : Pf 6.386  : C(1). Abb. 2  : Hans Sedlmayr (1896 – 1984), Reprofoto nach Portraitfotografie, retuschiert (Ernst Gersdorff). Quelle  : Bildarchiv der ÖNB  : Pf 49158  : B(1). Abb. 3  : Josef Strzygowski (1862 – 1941), Porträtaufnahme. Quelle  : Festschrift Josef Strzygowski. Zum 70. Geburtstag dargebracht von seinen Schülern, Klagenfurt 1932.

aus. Seine ganze Forschung basierte auf der Idee der ideologischen Überlegenheit des germanischen Nordens gegenüber dem Süden, was er insbesondere durch die sogenannte ›Volks- und Stammeskunst‹ zu belegen suchte. Sein antihumanistischer Ansatz verstieg sich zu der bizarren These, dass die Kunst des Mittelmeerraumes reine ›Machtkunst‹ sei. Ihr stellte er die bodenständige Kunst des Nordens gegenüber. Durch die zunehmende Radikalisierung der Ausdrucksweise gilt er als Vorreiter einer völkisch deutsch-nationalen, rassistischen Ideologie und Kunstgeschichtsschreibung. Ab November 1932 diskutierte man an der Philosophischen Fakultät der Universität Wien und in der Presse ausführlich über die drohende Schließung des ersten Kunsthistorischen Instituts.10 Angesichts der bevorstehenden Emeritierung Strzygowskis 1933 schien der Fortbestand seines Institutes gefährdet. Strzygowski hob deshalb in einer an das Professorenkollegium gerichteten Denkschrift noch einmal die Bedeutung seines Instituts gegenüber dem von Schlosser geleiteten hervor. Sollte es zu Einsparungen kommen, so forderte er, dass die verbleibende Lehrkanzel »an dieser deutschen Universität […] nicht den romanischen, sondern den Nordstandpunkt zu vertrete[n]« habe.11 Den Christlichsozialen war die völkische, antiklerikale Ausrichtung von Strzygowskis Forschungen vermutlich ein Dorn im Auge, weshalb sein Institut schließlich doch aufgelöst wurde. Ab September 1933 gab es nur mehr ein Kunsthistorisches Institut an 10 Strzygowski 1933, S. 1. 11 Ebd., S. 15.

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der Universität, das von Schlosser und, ab 1936, von Sedlmayr geleitet wurde. Man könnte auch sagen, dass sich auf Universitätsebene die Wiener Schule der Kunstgeschichte gegenüber der Vergleichenden Kunstforschung durchgesetzt hatte. Aber schon mit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten veränderte sich der Blick auf Strzygowskis Forschungen und Lebenswerk. Die Wiener Stadtregierung beabsichtigte, dem »illegalen Parteigenossen«12 1939 den Ehrenring der Stadt Wien zu verleihen, und würdigte Strzygowski rückblickend als »Führer deutsch-völkischer Kunstanschauung« und sein Institut als »eines der bedeutendsten Forschungsinstitute«, das durch die »Systemregierung« aufgelöst worden sei.13 Zum Institut Strzygowskis gehörten viele ausländische Studierende, darunter auch jüdische und einige weibliche Studentinnen, die sich wie eine »Sekte«14 um ihn scharten. Er forderte die Übernahme seiner positivistischen Arbeitsweise und ideologischen Haltung ein, darüber hinaus aber eine fast persönliche Loyalität. Der Mythos vom ›Norden‹ war eine weltanschauliche Konstante in Strzygowskis Publikationen  ; wenig überraschend, dass man dieselbe Anschauung auch bei seinem langjährigen Assistenten (1919 – 1926) Ginhart findet. Zur Genugtuung Strzygowskis hatte er sich der bis dahin vernachlässigten österreichischen Kunstgeschichte,15 insbesondere seiner Heimat Kärnten, zugewandt. Intensivieren konnte Ginhart sein Forschungsinteresse durch seine zusätzliche Tätigkeit für das Bundesdenkmalamt ab 1923, als er mit Inventarisationsarbeiten für das Dehio-Handbuch (Kärnten, Steiermark, Tirol etc.) und die Österreichische Kunsttopographie begann. Ab 1926 wurde er zum Staatskonservator (bis 1936) und ab 1931, nach dem Abgang von Dagobert Frey (1883 – 1962), zum Vorstand des Kunsthistorischen Instituts der Zentralstelle für Denkmalschutz ernannt, das er bis 1939 leitete.16 Für eben diese Stelle hatte sich im Übrigen auch Sedlmayr beworben, der seit seiner Promotion 1923 ohne feste Anstellung war. Die Begründung seiner Ablehnung  ? Man traue dem »hochbegabten Theoretiker« die Befassung mit den »rein praktischen 12 Aufgrund des zunehmenden NS-Terrors erließ die österreichische Bundesregierung am 19. Juni 1933 ein Verbot der NSDAP einschließlich sämtlicher Unterorganisationen. Alle Personen, die sich bis zum ›Anschluss‹ weiterhin zur NSDAP bekannten oder für sie tätig waren, nannte man illegale Nationalsozialisten oder ›Illegale‹. 13 Wiener Stadt- und Landesarchiv (WStLA), M. Abt. 350, A1 – 24, Allg. Reg. 1941, Zl. 3905/39. Vgl. Stellungnahmen von Dr. Karl Wagner, Städtische Sammlungen, 18. Oktober 1939 und von Dr. Robert Kraus, Obermagistratsrat für Kulturelle Angelegenheiten, 25. Oktober 1939. Ob die Verleihung des Ehrenrings tatsächlich zustande kam, ist ungewiss. Im offiziellen Verzeichnis der Preisträger taucht sein Name nicht auf. 14 Dilly 2015, S. 35. 15 Ginhart 1958. 16 Bundesdenkmalamt Wien (BDA), Personalakt (PA) Karl Ginhart. Ginhart stellte am 21. Dezember 1939 das Ansuchen, ihn »von er Leitung des bisher bestandenen Kunsthistorischen Instituts der Zentralstelle für Denkmalschutz« aufgrund seiner »außerordentlichen Beanspruchung« durch seine Professur an der Technischen Hochschule und an der Akademie zu entheben. Dies erfolgte offiziell per 20. Jänner 1940.

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und administrativen Angelegenheiten« nicht zu, war wohl eine vorgeschobene Argumentation.17 II. Kunsthistorische Habilitationen an der Technischen Hochschule Wien

Ginharts Beziehungen zur Technischen Hochschule setzten 1927 ein. Auf Anregung von Karl Holey18 (1879 – 1955), Baukunst-Professor und Generalkonservator des Bundes­ denkmalamtes (1915 – 1932), beantragte Ginhart seine Habilitierung mit einer Arbeit zum Thema Über die Zweiachsigkeit im nordischen Baudenken des Mittelalters.19 Als Gutachter fungierte Moritz Dreger, der Vorstand der Kunsthistorischen Lehrkanzel. Er fand einige von Ginharts Thesen zwar »eigenartig, aber fruchtbar«.20 Dreger bezog sich möglicherweise darauf, dass Ginhart den Mittelpfeiler von Kirchenportalen oder Chormittelsäulen von den »verkümmerten Resten und unverdrängbaren Wurzelelementen der urtümlichen nordischen Holzbauweise« herleitete oder zweischiffige Räume als eine der »Antike entgegengesetzte nordische Raumbildung« interpretierte.21 Da man jedoch seine Erfahrungen in der praktischen Denkmalpflege schätzte, wurde ihm einstimmig die Venia Legendi für »Kunstgeschichte mit besonderer Berücksichtigung der Denkmalkunde und der österreichischen Kunstgeschichte des Mittelalters« verliehen.22 In der Lehre wollte sich Ginhart nicht nur mit der ästhetischen Interpretation von Kunstwerken befassen, sondern auch mit den »landschaftlichen und stammesgeschichtlichen Besonderheiten«, so sein Konzept.23 Damit erwies er sich als Anhänger der Strzy­ gowski’schen Theorien  ; er folgte ihm aber auch kunstdidaktisch, da er wie dieser in der Kunstvermittlung auf die Diaprojektion setzte. Als begeisterter Fotograf verfüge er über »einen Grundstock von mehreren Hundert Diapositiven« und beabsichtigte »denselben allmählich für die Vorlesungen auszubauen.«24 Tatsächlich sollte Ginhart die Foto- und Diapositiv-Sammlung des Lehrstuhls während seiner Professur deutlich erweitern.25 Sein 17 BDA, PA Hans Sedlmayr, Fortunat von Schubert-Soldern an Hans Sedlmayr, 30. März 1931. 18 Ginhart 1954. 19 Ginhart 1927. 20 Österreichisches Staatsarchiv, Archiv der Republik (ÖSTA, AdR), UWFuK BMU, PA Karl Ginhart, Z. 21712/ex 1926/27, Moritz Dreger, Bericht über die Habilitationsangelegenheit des Herrn Dr. jur. et phil. Karl Ginhart in der Sitzung des Professorenkollegiums der Technischen Hochschule in Wien, am 13. Juni 1927. 21 Ebd. 22 Ebd. 23 ÖSTA, AdR, UWFuK BMU, PA Karl Ginhart, Z. 1661/1927, Karl Ginhart an das Professorenkollegium der Bauschule (Architekturschule) der Technischen Hochschule, 29. April 1927. 24 Ebd. 25 Ginhart übermittelte folgende Zahlen  : Die Zahl der Fotos wurde während seiner Professur von 542 auf 4478 und diejenige der Diapositive von 8321 auf 19.754 vermehrt. Vgl. Ginhart 1958, S. 18 – 20. Einige

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Interesse an der Fotografie zeigte sich auch darin, dass er ab 1931 im Aufsichtsrat der Österreichischen Lichtbildstelle saß. 1931 habilitierte sich Ginhart zusätzlich an der Universität Wien.26 Aufgrund der großen persönlichen und fachlichen Differenzen zwischen den beiden Lehrstuhlinhabern, Strzygowski und Schlosser, wäre dieses Vorhaben beinahe gescheitert. Nach Feststellung der Eignung des Kandidaten beantragte die Habilitations-Kommission die Nachreichung einer weiteren Arbeit, die seine Fähigkeit zur »selbständige[n] Problemstellung« belegen sollte.27 Unter Verweis auf einen Formfehler im Habilitationsverfahren gelang es Strzygowski, die verlangte Nachreichung einer zusätzlichen Arbeit zu unterbinden und das Verfahren ohne weitere Verzögerung durchzuziehen. Nach Auswechslung des Gutachters Schlosser durch den Archäologen Emil Reisch konnte Ginhart am 24. Februar 1931 sein Kolloquium erfolgreich ablegen.28 »Die unerquicklichen Streitereien« zwischen den beiden Lehrstuhlinhabern anlässlich Ginharts Habilitationsverfahrens waren der Beginn des Niedergangs von Strzygowskis Institut, war es doch schon damals im Professorenkollegium zu einer Abstimmung »über die Zukunft und Fortbestand von Institut und Lehrkanzel« gekommen, die Strzygowski jedoch noch für sich entscheiden konnte (»54 gegen 7 Stimmen«).29 Ginharts primäres Ziel war es, alsbald die Nachfolge Strzygowskis anzutreten, dessen Emeritierung eben für 1933 anstand. Schon ab 1930 hatte er sich für diverse Professuren beworben, an deutschen Universitäten, aber auch in Los Angeles.30 Um seiner Bewerbung für Jena Nachdruck zu verleihen, war er am 30. November 1930 der d ­ amals noch nicht verbotenen NSDAP beigetreten.31 Nachdem aus der Berufung nichts geworden war, sei er, wie er später im Zuge seines Entnazifizierungsverfahrens erklärte,

ab den 1920er Jahren entstandene Leica-Aufnahmen befinden sich im Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek. 26 Ginhart 1958, S. 16. 27 ÖSTA, AdR, UWFuK BMU, PA Karl Ginhart, Z. 9368/31, Dekanat der Philosophischen Fakultät an das Bundesministerium für Unterricht (BMU), 9. März 1931. 28 Ebd. Aber es gab auch den umgekehrten Fall  : Beim Rigorosum von Sedlmayr 1923 soll dieser, in weiser Voraussicht, was der Prüfer Strzygowski von ihm hören wollte, auf die Frage zum Thema gotische Kathe­ dralen angemerkt haben  : »›Herr Hofrat, wenn ich mir eine private Bemerkung erlauben darf  : Mir scheint, dass auch die nordischen Stabkirchen bei der Entstehung der Kathedrale eine Rolle spielen‹. Strzygowski  : ›Sie sagen das auch – und mir glaubt man’s nicht‹«. Vgl. Czepel 2015. 29 Strzygowski 1933, S. 2. 30 Ginhart erwähnt Berufungen nach Los Angeles (1930), Jena (1931 und 1938), Prag, Hamburg und Heidelberg. TU Wien, Universitätsarchiv (TUWA), Mappe Rektorat, Ginhart an den Rektor der TH Wien, 9. April 1940. 31 ÖSTA, AdR, Gauakt Karl Ginhart, NSDAP Reichsleitung, Reichsschatzmeister Hauptmitgliedschaftsamt München an den Gauschatzmeister des Gaues Wien Erich Schulze, 25. Oktober 1941. Ginhart hatte die NSDAP-Mitgliedsnummer 360.317 vom 8. November 1930 bis 30. September 1931 inne.

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aus »Interesselosigkeit« am 30. September 1931 wieder ausgetreten.32 Dem Gauakt vom 12. Mai 1938 zufolge – also in jener Zeit, als er sich Hoffnungen auf die Umwandlung seiner außerordentlichen Professur an der Technischen Hochschule in ein Ordinariat machte – begründete Ginhart seinen Austritt gegenüber der Partei hingegen damit, dass ihm »bedeutet« worden sei, dass er als »Nationalsozialist keine Aussicht hätte, jemals die Lehrkanzel Strzygowski […] zu bekommen«.33 Diese dem jeweiligen Zeitgeist geschuldeten Interpretationen sind typisch für Ginharts Werdegang. Die Parteieintritte und -austritte wurden je nach der aktuellen politischen Konstellation verschieden ausgelegt. Ginhart ist, wie noch zu zeigen sein wird, das Paradebeispiel eines akademischen Opportunisten. Die Berufslaufbahn von Hans Sedlmayr ist vergleichbar, allerdings objektiv erfolgreicher. Er hatte nach seinem Kriegseinsatz von 1918 bis 1920 zunächst an der Technischen Hochschule Architektur studiert, sich dann aber bald der Kunstgeschichte zugewandt. 1930 bis 1932 war er der NSDAP beigetreten und wurde nach dem ›Anschluss‹ rückwirkend mit 1. Jänner 1938 sofort wieder in die Partei aufgenommen.34 In der Zwischenzeit machte er akademische Karriere. Sedlmayr habilitierte sich 1933 an der Technischen Hochschule mit seinem Buch Zum Œuvre Fischers von Erlach.35 Wie bei Ginhart fungierte auch bei ihm Dreger als Gutachter. Trotz der oft »ziemlich weitgehenden ›Abstraktion‹« bemühe sich der Kandidat, so Dreger, »möglichst klar und verständlich« zu sein, »was heute bekanntlich nicht immer der Fall ist«.36 Er erhielt die Venia für die »Allgemeine Kunstgeschichte unter besonderer Berücksichtigung der Geschichte des Städtebaus und der Gartenkunst« – der Zusatz ging auf einen Antrag Dregers zurück.37 Das von Sedlmayr an der Technischen Hochschule vorgelegte Lehrprogramm war der künstlerischen Stadt- und Gartengestaltung, der Bautechnik, der Architekturzeichnung sowie den »Architekturphantasien«38 gewidmet. Die einzige Vorlesung, die er an der Technischen Hochschule damals und später hielt, hatte den Titel Kunstgeschichte der Stadt. Einführung in die Geschichte der künstlerischen Stadtgestaltung anhand der Analyse einzelner typischer Stadtformen von Städten des alten Orients bis zur Gegenwart im Wintersemester 1933/34.39 Die anderen angekündigten Vorlesungen 32 Technische Universität Wien, Universitätsarchiv (TUWA), Personalstandesblatt Karl Ginhart, Abschrift der Entscheidung der Beschwerdekommission, 1. Juni 1953. 33 ÖSTA, AdR, Gauakt Karl Ginhart, Fragebogen des Reichsstatthalters/Staatskommissar, 12. Mai 1938. 34 Aurenhammer 2004, S. 23. 35 Sedlmayr 1933a. 36 TUWA, Habilitationsakt Hans Sedlmayr, Moritz Dreger, Habilitationsgutachten vom 11. Dezember 1932, verlesen in der Sitzung vom 16. Dezember 1932. 37 Ebd. 38 Ebd. 39 TUWA, PA Hans Sedlmayr, Sedlmayr an das Rektorat, 3. Juni 1935. Darin heißt es  : »Ich erlaube mir dabei daran zu erinnern, dass ich im WS 1933/34 vor einem starken Auditorium gelesen und im WS 34/35 eine

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wurden aus Arbeitsüberlastung abgesagt oder vom Kustos der Österreichischen Galerie Bruno Grimschitz (1892 – 1964) gehalten, der sich 1932 ebenfalls an der Technischen Hochschule habilitiert hatte.40 1934 erreichte Sedlmayr die für ihn wichtigere Habilitation an der Universität Wien,41 1936 erfolgte dann die Berufung zum Ordinarius und Vorstand des Instituts für Kunstgeschichte an der Universität Wien. Die Venia an der Technischen Hochschule legte Sedlmayr am 20. Jänner 1937 zurück.42 Nachdem sich Ginharts Hoffnung auf Übernahme des 1933 aufgelösten Strzygowski-Instituts zerschlagen hatte, bewarb er sich an der Technischen Hochschule für die Nachfolge Dregers.43 Allerdings kam es in dem damals ausgerufenen sogenannten Ständestaat zu laufenden Umstrukturierungen.44 Im Zuge der Neubesetzung der Lehrkanzel für Kunstgeschichte machte der Architekt Siegfried Theiss (1882 – 1963) den Vorschlag, das Kunsthistorische Seminar, das seiner Meisterschule als Voraussetzung für die Erlangung der Befugnis eines Zivilarchitekten gleichgestellt war, einzustellen. Auch sollten die Vertreter der Kunstgeschichte »nicht mehr dem engeren Fachausschuss der Fakultät« angehören.45 Dagegen sprach sich besonders der Stadtplaner Erwin Ilz (1891 – 1954) aus. Theiss’ Antrag wurde im Fakultätskollegium wohl erörtert, aber nicht weiter verfolgt.46 Sein Anliegen war es, die Bedeutung des Faches Kunstgeschichte im Rahmen der postgradualen Architekturausbildung herabzusetzen. Das Ergebnis dieser Querelen und Interessenkonflikte  ? Erstmals seit Implementierung des Lehrstuhls für Kunstgeschichte an der Technischen Hochschule genehmigte das Ministerium für den Nachfolger nur ein Extraordinariat, was natürlich die Auswahl an potentiellen Bewerber_innen deutlich einschränkte. Auch kamen der Wunschkandidat Dagobert Frey, ein Absolvent und Dozent der Technischen Hochschule sowie Vorlesung angekündigt hatte, die wegen meiner damaligen dienstlichen Verhinderung entfallen musste.« Die im Studienjahr 1934/35 angekündigte Vorlesung ›Die Entstehung der modernen Baukunst. Historische Einführung in die Eigenart des ›modernen‹ Bauens seit der Französischen Revolution‹ wurde an der TH demnach nie gelesen. Vgl. Männig 2017, S. 65 – 96. Hinweis auf Typoskript im Sedlmayr-Nachlass. 40 TUWA, PA Hans Sedlmayr. ÖSTA, AdR, UWFuK BMU, PA Bruno Grimschitz. Grimschitz erhielt 1932 die Venia für ›Kunstgeschichte und Museumskunde‹. 1937 habilitierte er sich auch an der Universität Wien. Ab 1. Mai 1938 war Grimschitz Mitglied der NSDAP. 1939 – 1945 erfolgte die Ernennung zum Direktor der Österreichischen Galerie, Belvedere, 1940 – 1941 zum kommissarischen Leiter und Direktor der Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums und 1941 die zum ao. Prof. an der Universität Wien. 1947 wurde er in den dauernden Ruhestand versetzt. Seine 1945 aberkannte Venia an der Universität wurde ihm 1956 wieder zuerkannt. 41 Er erhielt die Venia für die mittlere und neuere Kunstgeschichte. Sedlmayr 1933b. 42 TUWA, PA Hans Sedlmayr, Schreiben von Sedlmayr an das Rektorat vom 19. Oktober 1936. 43 Ginhart 1939c. 44 TUWA, Rekoratsmappe Karl Ginhart, Moritz Dreger, Promemoria, 10. Mai 1936 zu 1898-35/36. 45 TUWA, PA Karl Ginhart, Rektoratsmappe, Ausschuss für die Wiederbesetzung der Lehrkanzel für Architekturgeschichte nach Prof. Dreger, 4. Juni 1936 und Sitzungsniederschrift von Erwin Ilz, 17. Juni 1936. 46 Ebd.

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promovierter Kunsthistoriker (1915), der seit 1931 eine Professur in Breslau innehatte, oder andere Professoren aus Prag oder Brünn nicht mehr in Frage. Nach intensiven Diskussionen einigte man sich darauf, auf die hauseigenen Privatdozenten zurückzugreifen und sie nach den Jahren ihrer Zugehörigkeit zu reihen. Erstgereihter war Ginhart (1927), die zweite Position ging ex aequo an Bruno Grimschitz (1932) und Sedlmayr (1933) und die dritte Stelle ex aequo an Eduard Coudenhove-Erthal und Vinzenz Oberhammer. Ginhart trat am 1. Dezember 1936 das Extraordinariat für Kunstgeschichte an der Technischen Hochschule an. Seine Lehrtätigkeit umfasste Vorlesungen in Architekturgeschichte, die Abhaltung des 1923 eingeführten Kunsthistorischen Seminars, aber auch den Unterricht für die »Lehramtskandidaten für das Zeichenfach«, die hier ihre Prüfung ablegen mussten. Ab 1934 – 1946 unterrichtete er wie zuvor Dreger zusätzlich an der Akademie der bildenden Künste  ; an der 1941 neu gegründeten ›Meisterschule für Kunsterziehung‹ hielt er die Pflichtvorlesungen. Ergänzt wurde seine umfangreiche Unterrichtstätigkeit durch Vorlesungen über Kunst und Geschichte als Fremdenverkehrsfaktor an der Hochschule für Welthandel (1940 – 1943).47 Der letzte Antrag auf eine Habilitation eines Kunsthistorikers an der Technischen Hochschule vor dem ›Anschluss‹ stammt von Otto Benesch (1896 – 1964).48 Am 7. ­April 1937 reichte der Grafikspezialist Benesch, der seit 1923 als Kustos an der Albertina angestellt war, seine Habilitierung für das »Gesamtgebiet der Bildkünste (Plastik, Malerei und der zeichnenden Künste)« ein.49 Diese gewünschte Venia musste er auf Anregung des Professorenkollegiums (Sitzung vom 12. Februar 1938) am 15. Februar 1938 auf »Geschichte der europäischen Malerei, Graphik und Zeichnung« abändern.50 Trotz des positiven Gutachtens von Ginhart (8. Februar 1938) zog Benesch sein Ansuchen am 2. Mai 1938 mit der (vorgeschobenen) Begründung einer »starken dienstlichen Inanspruchnahme als Beamter der Albertina« und wegen der »Durchführung umfangreicher wissenschaftlicher Arbeiten« zurück.51 Eigentlicher Grund war jedoch seine Frau Eva Benesch, geb. Steiner (1905 – 1983), die aus einer in Wien bekannten jüdischen Familie stammte. Ungewöhnlich ist, dass sie, Tochter des Industriellen Hugo Steiner und der Malerin Lilly Steiner, für die Adolf Loos 1910 die bekannte Villa Steiner in Hietzing erbaut hatte, im Ausschussprotokoll der Professorenschaft eigens erwähnt wurde. In einem Lebenslauf aus dem Jahr 1947 berichtet Benesch, dass er 1937 sein Buch Österreichische Handzeichnungen des 15. und 16. Jahrhunderts als Habilitationsschrift an der Technischen Hochschule eingereicht hatte. 47 ÖSTA, AdR, UWFuK BMU, PA Karl Ginhart. 48 TUWA, Habilitationsakt Otto Benesch 1937/38. 49 Ebd. 50 Ebd. 51 Ebd.

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»Die Habilitation wurde nicht abgelehnt, aber durch clandestine Nazi-Umtriebe an beiden Hochschulen so lange verzögert, bis sie sich 1938 von selbst erledigte. Meine Entlassung aus dem Staatsdienst erfolgte in diesem Jahre aufgrund des § 3 der Verordnung zur Neuordnung des Österreichischen Berufsbeamtentums vom 31. Mai 1938.«52

Da Benesch demzufolge als ›jüdisch versippt‹ galt, wurde er 1938 an der Albertina entlassen und emigrierte im September 1938 mit seiner Frau über Frankreich und England in die USA. 1947 bis 1962 war er Direktor der Albertina. Der Zeitpunkt der beabsichtigten Habilitation von Benesch fiel in die Phase des politischen Umbruchs, der sich im Februar 1938 klar abzeichnete. Da wollte man an der Technischen Hochschule einem Kunsthistoriker mit einer jüdischen Ehefrau offensichtlich keine Venia erteilen. III. Die Gesellschaft für vergleichende Kunstforschung

1934 hatten Ginhart und der emeritierte Strzygowski die Gesellschaft für vergleichende Kunstforschung, ein Auffangbecken ihrer Schüler_innen und Gesinnungsgenoss_innen, gegründet. Nach Strzygowskis Tod am 2. Jänner 1941 übernahm Ginhart deren Leitung.53 Die Gesellschaft entfaltete bald eine rege Vortrags-, Führungs- und Publikationstätigkeit. Ab 1940 fanden die sehr gut besuchten Vorträge im Elektrotechnischen Institut der Technischen Hochschule statt. Exemplarisch sei auf die 1936 bis 1943 von Ginhart herausgegebene sechsbändige Die bildende Kunst in Österreich hingewiesen, die den Mitgliedern als Jahresgabe überreicht wurde. Schon im ersten Band, der mit der Urgeschichte einsetzt, wird der NS-affinen Elite der Anthropologen und Prähistoriker54 die Möglichkeit gegeben, ihre kruden Rassentheorien auszubreiten. Strzygowski im Original  : »Wir fragen nach dem Anteil von Lage, Boden und Blut in der Bildenden Kunst des heutigen Österreichs, möchten das Einheimische klar von Fremdem trennen […].«55 Ginhart ergänzend  : Es gehe in allen Beiträgen darum, die österreichische Kunst als »reindeutsche« darzustellen.56 Für Richard Kurt Donin war sie, kurz zusammenfasst, die »modernste und ausführlichste Kunstgeschichte Österreichs vom deutschen, völkischen Standpunkt«.57 In den folgenden Bänden kommen zahlreiche Strzygowski-Schüler zu

52 ÖSTA, AdR, UWFuK BMU, PA Otto Benesch, Personenstandesblatt Albertina, Curriculum Vitae, 1947. 53 Ginhart 1944. 54 Das betraf z. B. die Autoren Eduard Geyer, Oswald Menghin, Richard Pittoni oder Kurt Willvonseder. Vgl. Urban 2010, S. 371 – 395. 55 Strzygowski 1936a, S. 185. 56 Ginhart 1936, Vorwort. 57 WStLA, M. Abt. 350, A1 – 1, Allg. Reg., 1939, Richard Kurt Donin an die Magistrats-Abteilung 50, 10. Jänner 1939.

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Wort, viele davon Parteimitglieder, aber auch Otto Demus und Otto Benesch,58 die beide emigrierten. Im letzten Band, 1943 erschienen und der Kunst bis zur Gegenwart gewidmet, werden auch die neuesten Entwicklungen, nämlich die seit dem ›Anschluss‹, gewürdigt. Walther Buchowiecki verherrlichte die Bauten und Planungen Hitlers für Linz und Ginhart den Kärntner Maler Herbert Boeckl, der bis zur ersten Staatsprüfung 1918 an der Technischen Hochschule einige Semester Architektur studiert hatte. Anzunehmen ist, dass sich die beiden Kärntner aus dem Umkreis der Nötscher Künstler59 gut kannten, immerhin hatte Boeckl 1929 von Ginhart ein Porträt angefertigt. Ginhart schwärmte von Boeckl als dem »kraftvollsten unter den alpenländischen Malern« […], weshalb er – man schrieb das Kriegsjahr 1943 – auch bestens geeignet sei, das »glühendste Kriegsbild [zu] malen.«60 Boeckl, dessen expressive Malweise wohl kaum dem NS-Kunstgeschmack entsprach, zog sich als Vertreter der ›Systemzeit‹ eher aus der Öffentlichkeit zurück. Als NSDAP-Mitglied (ab 1. Jänner 1941) hatte sich Boeckl, wie es scheint, mit dem »NS-Regime arrangiert«.61 Größere Probleme bereitete Ginhart sein Kärntner Jugendfreund Anton Kolig. Dieser hatte 1929/30 zusammen mit seinen Stuttgarter Akademieschülern Fresken in ­einem Sitzungssaal des Klagenfurter Landhauses gemalt, die von Kärntner National­ sozialisten seit 1931 diffamiert, 1935 verhängt und 1938 abgeschlagen wurden. Ginharts Ausführungen ist deutlich zu entnehmen, dass er den unkonventionellen Malstil des Freundes zu entschuldigen suchte  : »In seinen Bildern überwuchert die Farbe in oft gefährlicher Weise die Form, die dadurch an architektonischer Haltung verliert und barock zerflattert.«62 Den Fehler bei den Landtagsfresken meint Ginhart im gewählten Impressionismus zu erkennen, der eben für einen Monumentalauftrag nicht geeignet sei.63

58 Beide publizierten in Ginhart 1938a. Otto Demus  : Die gotische Wandmalerei in Österreich, S. 108 – 125 und Otto Benesch  : Die Tafelmalerei im 1. Drittel des 16. Jahrhunderts in Österreich, S. 137 – 148. 59 Zum Nötscher Kreis zählten die Maler Sebastian Isepp, Franz Wiegle, Anton Kolig, Anton Mahringer und Herbert Boeckl. 60 Ginhart 1943b, S. 231. 61 Klamper 1990, S. 49. 62 Ginhart 1943b, S. 232. 63 Ginhart vermerkt in der Fußnote, die Bilder seien verhüllt worden. Hier war er nicht auf dem Laufenden, da sie seit 1938 nicht mehr existierten. Vgl. ebd., S. 234, Fn. 28. – Der »Fall Kolig« sei, so Eva Frodl-Kraft, mit ein Grund gewesen, weshalb man gegen ihren Mann »drei Jahrzehnte später […] den Vorwurf der Barbarei und Nazihörigkeit« erhoben habe, obwohl Walter Frodl erst nach dem Abschlagen der Fresken informiert worden sei. Walter Frodl habe das Abschlagen der Fresken nicht veranlasst, sondern sei im Nachhinein davon informiert worden. Frodl-Kraft 1997, S. 142, Fn. 273. Gegen die Anfeindungen Koligs hätte sich einzig Otto Demus in seiner Funktion als Landeskonservator von Kärnten 1930 – 1936 eingesetzt.

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Am 8. November 1944 hielt Sedlmayr in der Gesellschaft für vergleichende Kunstforschung einen Vortrag. Das war meines Wissens das einzige Mal, dass Ginhart und Sedlmayr nachweislich zusammentrafen. Möglicherweise suchte Sedlmayr, dessen Lehrtätigkeit an der Universität Wien durch seinen Kriegseinsatz 1942/43 unterbrochen worden war, ein Auditorium und einen Raum (Elektrotechnisches Institut), da sein eigenes Institut auf der Universität Wien zu diesem Zeitpunkt schon von Bomben getroffen und nicht mehr benutzbar war. Der um acht Jahre ältere Ginhart konnte indessen während des Krieges durchgängig unterrichten, da er seit Herbst 1941 ›UK‹ (unabkömmlich)64 gestellt war. Sedlmayr sprach über ein schon mehrfach referiertes Thema, nämlich Das Schicksal der Kunst seit der französischen Revolution,65 das als eine Kritik an den Publikationen des Wiener Kunsthistorikers und Dvořák-Schülers Emil Kaufmann (1891 – 1953) zu verstehen war, der erste Ansätze zur Entstehung der Moderne in der französischen Revolutionsarchitektur (Claude-Nicolas Ledoux, Étienne-Louis Boullée) ausmachte.66 Kaufmann, an den sich Sedlmayr abschätzig als »kleinen Bankangestellten«67 erinnerte, musste 1940 emigrieren. Dem erhaltenen Manuskript von 1944 ist zu entnehmen, dass Sedlmayr in diesem Vortrag schon einige Thesen seines Buches Verlust der Mitte vorwegnahm.68 Das Zeitalter der »Wohnmaschine« sei charakterisiert durch das Entfernen von der Mitte, so Sedlmayr schon 1944. »Auf die Vergötterung der Natur folgt die der Kunst, am Schluss die der Maschine. Erst dann setzen zur Mitte zurückstrebende Kräfte ein«.69 Er beklagt 64 ÖSTA, AdR, UWFuK BMU, PA Karl Ginhart, UK Karte, 14. Oktober 1941. Den Antrag auf UK-Stellung begründete Rektor Fritz Haas in einem Schreiben vom 13. Oktober 1941 an das Wehrbezirkskommando folgendermaßen  : Ginhart sei, da er in zwei Jahrgängen der Architektur Kunstgeschichte unterrichte und für einen dritten Jahrgang dieser Abteilung Kunstgeschichtliche Übungen abhält, unabkömmlich. »Er ist der einzige Kunsthistoriker«, es gäbe »keinen Dozenten dieses Faches, der ihn vertreten könnte«. Zudem sei die Kunstgeschichte »ein unentbehrliches Pflicht- und Prüfungsfach«, weshalb eine UK-Stellung für Ginhart »dringend notwendig« sei. 65 Vgl. Aurenhammer 2004, S. 37 – 41. BDA Sedlmayr, Manuskripte, Typoskript Das Schicksal der Kunst seit der französischen Revolution, 1944. 66 In einem von dem bekannten österreichischen Biologen und Aktivisten der Ökologiebewegung Bernd Lötsch mit Sedlmayr 1980 geführten Interview kommt er erneut auf Kaufmann zu sprechen. »In Verlust der Mitte habe ich dann zeigen können, dass Kaufmann das Phänomen vollkommen richtig gesehen, es nur falsch bewertet hat, mit einem positiven Vorzeichen statt mit einem negativen Vorzeichen, denn tatsächlich beginnt in der französischen Revolutionsarchitektur sehr vieles von dem, was uns heute bedrängt, nämlich in erster Linie die Abstraktion […] Denn eines der Gebrechen der Revolutionsarchitektur war, dass sie schon kosmopolitisch war und sein wollte, international.« Am stärksten irritierte ihn die »unerhörte Idee, ich nenne so etwas eine kritische Form, die Kugel als Gebäude, an der sich ja die Bodenlosigkeit ganz unmittelbar spiegelt«. Vgl. BDA Sedlmayr, Manuskripte, Transkription des Interviews mit Bernd Lötsch, 1. Februar 1980. Vgl. Männig 2017, S. 72 – 96. 67 BDA Sedlmayr, Interview Lötsch, 1. Februar 1980. 68 Sedlmayr 1948. 69 Sedlmayr 1944 (Anm. 65).

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den Verlust der »Einheitlichkeit des Stils«, wie er im hohen Mittelalter (Kathedrale) noch gegeben war. Als positives Gegenbeispiel verweist er im Manuskript auf die Ausführungen des Nazis, Anthroposophen und »Reichslandschaftsanwalts der Reichsautobahnen« Alwin Seiferts in dessen 1941 publiziertem Buch Im Zeitalter des Lebendigen.70 Wie nachhaltig Sedlmayr von Seiferts Thesen geprägt war, belegt ein weiterer, 1975 auf Anregung des Baukunst-Professors Hans Koepf (1916 – 1994) an der Technischen Universität gehaltener Vortrag mit dem Titel Lebloses Bauen (anlässlich des Europäischen Denkmalschutzjahres 1975), das als eine Tirade gegen die moderne Architektur bezeichnet werden kann.71 Industrielles Bauen, das für ihn ausschließlich lebloses Bauen bedeutete, zeige sich im Gegensatz zum lebendigen Bauen »exemplarisch bei Gropius. Das Bauhaus fordert die Gleichheit der Bauaufgaben auf einem niederen Niveau.«72 Oder auch in der »Kristallwelt eines Mies van der Rohe«, dessen Bauten an »Leblosigkeit nicht übertroffen werden« könnten.73 Die Schuld gibt er u. a. den »leblosen Baustoffen« (Glas oder Stahlbeton).74 Seine Ausführungen kennzeichnen die Unversöhnlichkeit von Technik und Natur gepaart mit einem Aufruf zum Landschafts- und Umweltschutz (im Wesentlichen ging es Sedlmayr, der seit 1965 Ordinarius in Salzburg war und maßgeblich zum Altstadterhaltungsgesetz von 1967 beigetragen hatte, um die Verhinderung von modernen Bauvorhaben, die das Stadtbild Salzburgs aus seiner Sicht zu zerstören drohten).75 Männig charakterisiert Sedlmayrs Aussagen als »völkisch inspirierte Kulturkritik«, die der aufkommenden ökologischen Bewegung der 1970er Jahre wichtige »Argumentationsvorlagen« geliefert habe.76 Damit zurück zur Gesellschaft für vergleichende Kunstforschung. Festzuhalten ist, dass sich Ginharts persönliches und berufliches Netzwerk an den Autoren der Bände widerspiegelt. Es überrascht nicht weiter, dass er 1937 bei der ›Wiener Gesellschaft für Rassenpflege‹ einen Vortrag mit dem Titel Beziehungen zwischen Rasse und Kunst in Spanien hielt und Kontakte zur Forschungsgemeinschaft ›Deutsches Ahnenerbe‹ der SS unterhielt.77 Möglicherweise verdankte er auch diesen Kontakt Strzygowski, der 1937 für diese Forschungsgemeinschaft publiziert hatte,78 oder dem Urgeschichtler und Co70 Seifert 1941. 71 BDA, Sedlmayr, Manuskripte, Brief von Sedlmayr an Hans Koepf, 9. Dezember 1975, Typoskript des Vortrages Lebloses Bauen. 72 Ebd. 73 Ebd. 74 Ebd. 75 Sedlmayr 1965. 76 Männig 2017, S. 263. 77 Exner 2004, S. 354  ; Kater 2009, S. 84. Im Juli 1938 richtete SS-Obersturmbannführer Wolfram Sievers die Anfrage an Ginhart, ob er bereit sei, einen Forschungsauftrag des Ahnenerbes zum Thema Germanen­ tum und Christentum zu übernehmen. Sievers wurde im Nürnberger Ärzteprozess 1947 zum Tode verurteilt und 1948 hingerichtet. 78 Vgl. Aurenhammer 2004, S. 44, Anm. 115  ; Strzygowski 1937.

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Autor Kurt Willvonseder, den Ginhart von der Zentralstelle für Denkmalschutz kannte. Wie sehr sich Ginhart diesen nationalsozialistischen Forschern verbunden fühlte, mag auch eine Würdigung des ehemaligen Strzygowski-Schülers, Antisemiten und Dichters Bruno Brehm (1892 – 1974) verdeutlichen, dem die zweifelhafte Ehre zuteilwurde, 1944 von Hitler in die ›Gottbegnadeten-Liste‹ der wichtigsten NS-Schriftsteller aufgenommen zu werden. Unter dem wenig aussagekräftigen Titel Der Kunsthistoriker fasste Ginhart seine Erinnerungen an die gemeinsame Studienzeit zusammen und zog den Schluss, dass Brehm als Wissenschaftler zwar seinen Platz ausgefüllt habe, aber als »deutscher Dichter steht er an ganz anderer, ungleich wichtigerer Stelle«.79 Einen Sonderdruck des Artikels, der in einer Festschrift zu Bruno Brehms 50. Geburtstag 1942 erschien, mit Beiträgen von Arthur Seyß-Inquart, damals Reichskommissar in den Niederlanden, und von Konrad Henlein, Reichsstatthalter in dem von den Nazis einverleibten ›Sudetengau‹, vermachte Ginhart im Februar 1943 Rektor Heinrich Sequenz (in dieser Funktion Dezember 1942 – 1945) »in dankbarer Verehrung«.80 Nach 1945 wurde Ginhart die Leitung der Gesellschaft für vergleichende Kunstforschung entzogen. Die Präsidentschaft übernahm fortan der Kunsthistoriker und Strzygowski-Schüler Donin (1881 – 1963), der als ehemaliger Kommissarischer Leiter der Gesellschaft mehrmals in Die bildende Kunst in Österreich publiziert hatte, aber kein Parteimitglied gewesen war. In einem Vortrag, gehalten am 7. Juni 1945, formulierte Donin die Zukunftsaufgaben der Gesellschaft wie folgt  : Intensivierung der Forschung über österreichische Kunst und die Volkskunst, Weiterführung der Inventarisation sowie die Einrichtung eines institutionell unabhängigen kunsthistorischen Zentralinstituts, vergleichbar mit jenen in Florenz und Rom.81 IV. Karl Ginharts Gutachtertätigkeit für die Zentralstelle für Denkmalschutz

Trotz seiner Berufung an die Technische Hochschule blieb Ginhart von 1936 bis Dezember 1939 weiterhin als (ehrenamtlicher) Leiter des Kunsthistorischen Instituts der Zentralstelle für Denkmalschutz tätig. Kraft dieser Funktion war der Kunsthistoriker massiv in die politischen Agenden der Jahre 1938 und 1939 involviert. Zu den Aufgaben als Konsulent gehörten auch die Ausfuhrbeschauen, das heißt die Bewertung von Kunstgegenständen, die die meist jüdischen Emigrierenden ins Exil mitzunehmen 79 Ginhart 1942, S. 6. 80 Ebd. In Nachkriegs-Bibliografien listet Ginhart diesen Artikel nicht mehr auf. 81 Donin 1945. WStLA, M. Abt. 350, A1 – 1, Allg. Reg., 1939, Richard Kurt Donin an die MagistratsAbteilung 50, 10. Jänner 1939. De facto vertraten Donin und Ginhart die gleichen Ansichten, was dem Subventionsansuchen klar zu entnehmen ist  : »Da sich nun die Verhältnisse verändert [haben] und jene Ordnung politischer Art den Sieg errang, die auf geistig-künstlerischem Gebiet mit vorbereitet zu haben die Gesellschaft sich rühmen darf […]«.

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gedachten. Ginhart führte diese Begutachtungen zusammen mit seinem Studienkollegen Otto Demus82 durch, der zunächst Landeskonservator von Kärnten war und 1936 als Staatskonservator an die Zentralstelle für Denkmalschutz in Wien berufen worden war. Demus bereitete die Regelung und Durchführung des Ausfuhrverbotes »schlaflose Nächte«,83 ja sie stürzte ihn in arge Gewissenskonflikte, sodass er einen bewilligten Aufenthalt in Palermo nutzte, um 1939 nach England zu emigrieren.84 Anders Ginhart, der willfährig und pragmatisch sogar die Bildung eines Fonds vorschlug, »um hochwertige bewegliche Kunstgegenstände, die anlässlich der Erteilung von Ausfuhrbewilligungen für die Wohnungseinrichtungen der abwandernden Juden jetzt in Wien vielfach zum Vorschein kommen, rasch für den Staat ankaufen zu können. Oder, noch besser, man sollte in das allgemeine, für das gesamte großdeutsche Reich geltende Devisengesetz neben den Edelmetallen und Edelsteinen auch hochwertige Kunstwerke aufnehmen.«85

Wie wichtig, ja scheinbar unabkömmlich Ginhart in der ›Arisierung‹ jüdischer Kunstgüter war, erfolgt aus einer anderen Quelle. Einem Brief des persönlichen Referenten Odilo Globocniks, Heinz Capra, vom 24. November 1938 an Friedrich Plattner (Staatssekretär im Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten), der der Abwehr einer beabsichtigten Berufung Ginharts an die Universität Jena dienen sollte, ist Folgendes zu entnehmen  : Ginhart habe »bereits in der illegalen Zeit mit dem Gauleiter [damals Globocnik (1904 – 1945), d. V.] gearbeitet« und dieser wolle ihn auch »in diesen Tagen mit der Wahrung der einschlägigen Aufgaben im Kulturamt der Gaustadt Wien betrauen. In Anbetracht der riesigen, zum großen Teile noch unausgewerteten Kunststücke der Gaustadt Wien, ist Prof. Ginhart für den Gauleiter unentbehrlich.«86 Diese und andere Dokumente87 gehen von einer gewissen Vertrautheit der beiden Männer aus, die sich mögli82 Demus hatte sich 1937 an der Universität Wien habilitiert und erhielt die Venia für ›Geschichte der byzantinischen Kunst und Ikonographie‹. 83 Demus 1938, S. 131. 84 ÖSTA, AdR, UWFuK BMU, PA Otto Demus, Demus, 25. April 1946  : »Im Juni 1939 begab ich mich, um mich ernsthafter Gefährdung durch das nationalsozialistische Regime zu entziehen, nach England, wo ich am Courthauld Institute der Universität London als Dozent lehrte.« 85 Nachtrag in Ginhart 1938b, S. 132. 86 ÖSTA, AdR, Gauakt Karl Ginhart, Brief von Heinz Capra an das Ministerium für Inneres und kulturelle Angelegenheiten, Prof. Plattner, 24. November 1938. 87 Einem Aktenvermerk der NSDAP-Gauleitung Wien von 8. Juli 1938 ist zu entnehmen, dass »Gauleiter Globocnik im Einvernehmen« mit der Geheimen Staatspolizei zum »Zwecke der Behebung der Wohnungsnot« vorschlug, »alle jene Einrichtungsgegenstände, welche in Wohnungen geflüchteter Juden stehen, aber nicht beschlagnahmt wurden, 1.) durch Ginhart zu sammeln und zu überprüfen und dann 2.) Kunstschätze zu verwahren und den Museen etc. einzuverleiben, 3.) den Rest im Versteigerungswege zu verkaufen und den Erlös einem eigenen Konto zuzuführen, über dessen Verwendung nach Durchführung der Verfahren gegen die geflüchteten Juden entschieden wird.« Vgl. Dokument 58, in  : Heim 2009, S. 212 – 213.

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cherweise aus ihrer Zeit beim sogenannten Kärntner Abwehrkampf oder von Globocniks Funktion als illegaler Landesleiter der NSDAP in Kärnten (1936) kannten. Jedenfalls sah Globocnik in Ginhart einen dienstbeflissenen Experten, der ihm bei der Verwertung von geraubten Kunstgegenständen aus jüdischem Besitz zur Hand gehen sollte. Nach dem Krieg hatte das Bundesdenkmalamt für Ginhart keine Verwendung mehr. Das Kunsthistorische Institut wurde ab 1945 von dem aus Breslau zurückgekehrten Dagobert Frey geleitet, der an NS-Kunstraubaktionen in Warschau und Krakau betei­ ligt war und ein Institut für ›kunstgeschichtliche Ostforschung‹ im besetzten Polen betrieben hatte, das den Anteil des ›Deutschtums‹ in Kunstwerken Osteuropas nachweisen sollte und letztendlich die Annektion legitimierte.88 Otto Demus, der sich in den Nachkriegsjahren als Fürsprecher für seine ehemaligen Kollegen Frey, Ginhart und auch Walter Frodl einsetzen sollte, wurde 1946 als Leiter des Bundesdenkmalamtes von England nach Wien berufen (bis 1964) und 1963 bis 1973 zum Ordinarius für Kunstgeschichte an der Universität Wien ernannt.89 V. Die Technische Hochschule nach dem ›Anschluss‹  : Erwartungshaltungen

Der sogenannte ›Anschluss‹ war an der Technischen Hochschule freudig begrüßt worden. Unter den wissenschaftlichen Bediensteten gab es etwa im Vergleich zur Universität Wien wenige Entlassungen aus rassistischen oder politischen Gründen. Dies hat seine Ursache darin, dass ab 1923 an der Technischen Hochschule eine antijüdische Besetzungspolitik verfolgt worden war.90 Karl Holey, der 1937 – 1938 als Rektor fungierte, legte wenige Stunden nach der Freudenbekundung zum ›Anschluss‹ am 12. März 1938 seine Funktion zurück.91 Als Repräsentant des Ständestaates – er bekleidete von 1934 – 1938 die Funktion des Bundeskulturrates und ab 1937 (bis 1955) die des Dombaumeisters von St. Stephan – war Holey nach dem ›Anschluss‹ nicht mehr tragbar, konnte aber immerhin seine Lehrtätigkeit fortsetzen. Das nationalsozialistische Bekenntnis der Technischen Hochschule wurde auch nach außen sichtbar gemacht. Ilz 88 Marquard-Twarowski 2016. 89 Aurenhammer 2004, S. 53. 1960 trat Demus die Nachfolge von Karl Maria Swoboda (1889 – 1977) an. Versuche seitens des Ministeriums und der Mehrheit der Professoren der Philosophischen Fakultät, Sedlmayr aus München nach Wien zu berufen, scheiterten am Widerstand zahlreicher Dozenten und an der Rücktrittsdrohung von Demus. 90 Um den Zustrom von Studierenden aus den Nachfolgestaaten Österreich-Ungarns, unter denen sich viele jüdischer Herkunft befanden, einzudämmen, wurde 1923 eine Art Numerus clausus eingeführt, der den Anteil der jüdischen Hörerschaft auf weniger als zehn Prozent pro Fakultät beschränkte. Vgl. Mikoletzky, Ebner 2016b. Mikoletzky geht von 11,7 Prozent des wissenschaftlichen Personals aus, das im März 1938 enthoben wurde. Vgl. Mikoletzky 2016b, S. 25. 91 Mikoletzky 2016c, S. 13.

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war für die Beflaggung, Embleme und Effektbeleuchtung verantwortlich92 und Theiss für den Entwurf einer Führerbüste für den Festsaal. Insbesondere die Architekt_innen hegten große Erwartungen, die mit den Ausbauplänen der Stadt zu ›Groß-Wien‹ in Verbindung standen. Theiss verfasste schon am 9. April 1938 in der Neuen Freien Presse eine Huldigung an den ›Führer‹ und träumte von einer »neuen Baugesinnung«.93 Motiviert von der viel zitierten Rede Hitlers am selbigen Tag im Wiener Rathaus, in der er Wien als »Perle« bezeichnete, die er »in jene Fassung bringen [werde], die dieser Perle würdig ist,«94 setzten sogleich intensive Planungen ein, die von den Kunsthistorikern und den nun wichtiger werdenden Raumforschern angetrieben wurden.95 Was deren Pläne anbelangt, so möge man sich vorstellen, dass sie aus dem zweiten Halbjahr 1938 und wenig später stammten. Für die Architekten war der 2. Bezirk (Leopoldstadt), das Wohngebiet mit hohem jüdischen Bevölkerungsanteil, ein zur Planung bereits freigegebenes Areal, über das die Achsen bis hin zur Donau gezogen wurden. Es gab freilich schon früher ähnliche Überlegungen. Theiss hatte mit seiner Meisterschule schon 1933, anlässlich einer Faschings­ dekoration im Künstlerhaus zum Motto »Stadtvision für das Jahr 3000«, einen Plan entworfen, der im 2. Bezirk einen monumentalen Rundtempel vorsah, der sich über Grundrissen von Hakenkreuzen erhebt.96 Für seinesgleichen und viele Kunsthistoriker hatte die Leopoldstadt keinen bauhistorischen Wert. Ginhart etwa meinte, dass im »2. Bezirk, […] wo die Juden wohnen, einige Häuser […] aus dem […] 19. Jht. verschwinden, um die [es, sic  !] nicht schade ist.«97 Sedlmayr träumte von einer »modernen Großstadt des nationalsozialistischen Reiches« und einem neuen Stadtkern, der »Hitlerstadt«, die »an Stelle der ehemaligen Judenstadt« entstehen solle.98 Auch Strzygowski tat die Ansicht kund, dass, bezogen auf den 2. Bezirk, »Luft geschaffen werden müsse«, und zwar »gründlich«.99 Im Unterschied zu den reichsdeutschen und Wiener Stadtplanern, deren Visionen imaginäre Achsen durch die Innenstadt über den Donaukanal hinweg quer durch den Augarten bis hin zur Donau vorsahen, hatten sich die Kunsthistoriker in dieser Frage auf den Erhalt und Schutz der Innenstadt verstän92 Mikoletzky 2016d, S. 89 – 111. 93 Theiss 1938. 94 O. A.: »›Auch diese Stadt wird eine neue Blüte erleben  !‹ Des Führers Dank an Wien«, (11 Uhr 49), in  : Neues Wiener Journal, 10. April 1938, S. 3, zit. nach  : Holzschuh, Platzer 2015, S. 29. 95 Aurenhammer 2004, S. 29, Fn. 61  ; Svatek 2009. Zu den maßgebenden Wiener NS-Raumforschern zählte auch der Sohn von Josef Strzygowski, Walter Strzygowski (1908 – 1970), der am Geographischen Institut der Universität Wien wirkte und seine in der NS-Zeit entwickelten Raum- und Verkehrskonzepte für Wien in der Nachkriegszeit reaktivierte. Die Pläne für Die Neugestaltung der Stadt Wien aus dem Jahre 1948 zeigen frappante Analogien zu NS-Planungen. Strzygowski 1948. 96 Holzschuh 2015, S. 28 – 45. 97 Brief Karl Ginharts an Friedrich Otto (Mannheim), 23. Dezember 1938, zit. nach Knauer 2018, S. 238. 98 Sedlmayr 1939/40, S. 159. Männig 2017, S. 154 – 165. 99 Strzygowski 1939, S. 33 – 34.

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digt – ein indirektes Statement gegen die urbanistischen Projekte eines Le Corbusier für Paris wie dem Plan Voisin (1925).100 Die Wohnviertel »der arbeitenden Bevölkerung«101 verortete Sedlmayr in seinem aus drei konzentrischen Kreisen bestehenden Stadterweiterungskonzept ­radial jenseits des Wald- und Wiesengürtels. Anders Strzygowski, der im Wienerwald das »gediegene Villenviertel der Zukunft« sah, oder Ginhart, der auf die geplanten Großsiedlungen am Südrand der Stadt verwies.102 Radikal war der Plan von Ilz, der mit Robert Oerley 1938 eine städtebauliche Studie vorlegte. Sie sah eine von der Hofburg durch die Innenstadt führende Prachtstraße vor, die zu einem an der Donau zu errichtenden Partei- und Kulturzentrum führen sollte. Seinem Konzept der Auflockerung und Funktionsentmischung entsprechend, situierte er die neuen Siedlungsgebiete im Norden, Osten und Süden entlang der Ausfallstraßen  ; hingegen wollte er an die Innenstadt drei große »Grünkeile«103 heranführen. Begleitet wurden seine Planungen von einem umfassenden Verkehrskonzept. Dass das Konzept all dieser Maßnahmen die Umsiedlung von geschätzt 470.000 Menschen im Großraum Wien zur Folge gehabt hätte, erwähnte er nur beiläufig.104 Zurück zur Technischen Hochschule. Noch im Februar 1938 hatte sich das Kollegium für die Umwandlung von Ginharts Planstelle in eine ordentliche Professur ausgesprochen. Das war unter dem Gesichtspunkt der politischen Entwicklung nicht wirklich günstig. Die Professur von Erwin Ilz, der seit 1932 Mitglied der NSDAP war, wurde 1939 genehmigt  ; Ginhart, der auf Anraten von Ilz am 23. Mai 1938 seine Wiederaufnahme in die NSDAP beantragt hatte, ging trotz der Zusage und des Antrags vorerst leer aus  ; er war eben, wie es hieß, »kein alter Kämpfer«.105 Das hinderte Ginhart nicht daran, die Erlangung der ordentlichen Professur weiter voranzutreiben. Die Parteimitgliedschaft wurde ihm erst 1944, rückwirkend mit 1. Jänner 1941, zugesprochen.106 Regelmäßige, ab Juli 1938 nach Berlin gerichtete Ansuchen der Wiener Rektoren hatten erst am 1. Oktober 1942 Erfolg.107 Ginhart konnte fortan das ›Extra‹ im Ordinarius 100 Sedlmayr 1939/40, S. 160. »Die Neustadt wäre der beste Schutz für die Altstadt. […] Die Opfer, die in der Leopoldstadt gebracht werden müssten, sind im Verhältnis zu denen, die dadurch vermieden werden, erträglich.« Zu Sedlmayrs Auseinandersetzung mit Le Corbusier vgl. Männig 2017, S. 200 – 214. 101 Sedlmayr 1939/40, S 158. 102 Ginhart 1941, S. 21. 103 Ilz 1938, S. 437. 104 Ebd., S. 430 – 438  ; Mattl, Pirhofer 2015, S. 12 – 25. 105 ÖSTA, AdR, Gauakt Karl Ginhart, Mitgliedschaftswesen, Gauschatzmeister Erich Schulze an die ­NSDAP München, 19. April 1941. 106 ÖSTA, AdR, Gauakt Karl Ginhart, NSDAP Reichsleitung, Reichsschatzmeister, Amt für Mitgliedschafts­ wesen München an den Gauschatzmeister des Gaues Wien Erich Schulze, 13. September 1944. Ginhart hatte die NSDAP-Mitgliedsnummer 9.909.984. 107 ÖSTA, AdR, UWFuK BMU, PA Karl Ginhart, Brief des Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung Berlin (REM) an den Kurator der wissenschaftlichen Hochschulen in Wien, 16. Dezember 1942.

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streichen. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass man von der Technischen Hochschule aus sogar bereit war, den unbesetzten Hochbau-Lehrstuhl des verstorbenen Professors Emil Artmann (1871 – 1939) zugunsten der Kunstgeschichte aufzugeben, was in Berlin einiges Befremden hervorrief.108 Da mussten dann doch andere Geschütze aufgefahren werden. Der Architekt Fritz Haas schrieb in seiner Funktion als Rektor der Technischen Hochschule nach Berlin, Ginhart sei »seit Strzygowski der beste Wiener Kunsthistoriker« und habe 1936 »wegen Naziverdachts – der allerdings begründet war  !« nur ein Extraordinariat erhalten.109 Außerdem werde er »als kunstwissenschaftlicher Berater von Partei und Staat vielfach in Anspruch genommen.«110 Möglicherweise waren diese Informationen überzeugend. VI. Karl Ginhart und das Kunsthistorische Institut nach 1945

Nach Kriegsende wurden dem Verbotsgesetz vom 8. Mai 1945 entsprechend vorerst alle Illegalen und NS-Parteimitglieder an der Technischen Hochschule ihrer Stellen enthoben111 und die weiteren definitiven Entscheidungen den Sonderkommissionen des Bundesministeriums übertragen.112 Mitläufertum und Parteieintritte aus Karriere­ gründen wurden meist nachsichtig beurteilt.113 Ginhart hatte sich im Sommer 1945 nach Kärnten zurückgezogen. Die Zeit seiner Enthebung nutzte er für Inventarisationsarbeiten, außerdem übernahm er Aufträge des Landesdenkmalamtes in Klagenfurt und der britischen Militärregierung. Von Letzterer sei er deshalb »fallweise herangezogen« worden, »weil der Landeskonservator als illegaler Nazi nicht mehr amtierte«.114 Der hier angeschwärzte Kollege war sein späterer Nachfolger Walter Frodl. Die Technische Hochschule hatte in der Nachkriegszeit mit der großen Zahl an ehemaligen Parteimitgliedern ihre liebe Not. Einerseits wollte man ein Zeichen setzen, an108 TUWA, PA Karl Ginhart, Mappe Rektorat, Brief des REM an Fritz Haas, 20. September 1940  : »Es liegen an der dortigen Technischen Hochschule noch eine ganze Reihe von Anträgen vor bezüglich der Umwandlung von Extraordinariaten in Ordinariate. Solange nicht auf den rein technischen wichtigen Gebieten die Wünsche der Hochschule befriedigt sind, kann für die Kunstgeschichte ein anderes Ordinariat nicht freigemacht werden.« Deshalb muss die Ernennung »zur Zeit noch zurückgestellt werden.« 109 TUWA, PA Karl Ginhart, Mappe Rektorat, Fritz Haas an Heinrich Nipper, Ministerialrat im REM, Konzept (vertraulich), 30. Juni 1941. 110 Ebd. 111 TUWA, PA Karl Ginhart, Standesausweis. Ginhart wurde am 11. August 1945 von der Lehrtätigkeit an der Technischen Hochschule enthoben. 112 Sonderkommissionen bestanden aus Vertretern der Hochschulen und des Staatsamtes für Unterricht, Volksaufklärung und Erziehung. 113 Mikoletzky 2003, S. 43 – 44. 114 ÖSTA, AdR, PA Karl Ginhart, Ginhart an Dr. Goldberg, Leiter der Verwaltungsstelle der wiss. Hochschulen, 30. Juni 1946.

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dererseits benötigte man die erfahrenen Lehrenden für die Wiederaufnahme des Unterrichts. Das schien, wenn überhaupt, nur möglich, wenn eine positive Beurteilung durch die Sonderkommissionen vorlag. Man befand sich in einer »moralischen« Zwickmühle, was einem Bericht des Rektors, des Bauhistorikers Max Theuer, am 1. Februar 1946 zu entnehmen ist.115 Der Senat wollte sich nicht dem Vorwurf aussetzen, »alle von der Sonderkommission positiv bewerteten Herren wieder einzustellen. Es darf nicht vergessen werden, dass gerade die Technische Hochschule als ›Hochburg des Nationalsozialismus‹ gegolten hat und alles daran zu setzen hat, diesem üblen Ruf wirksam zu begegnen. Es scheint auch ganz ausgeschlossen, gegen politisch belastete Hörer rigoros vorzugehen, wenn so und so viele Naziprofessoren wieder in Amt und Würde sind.«116

Trotz dieser allgemeinen Vorbehalte sprach sich der Senat für die Wiedereinstellung von Ginhart für das Sommersemester 1946 aus. Die Sonderkommissionen nahmen ihre Tätigkeit rasch auf, weshalb nicht von einer intensiven Recherchetätigkeit ausgegangen werden kann. Ginhart war schon am 19. November 1945 positiv beurteilt worden.117 Dennoch sollte seine Wiedereinstellung noch einige Zeit dauern. Der von Rektor Adalbert Duschek befürwortete Antrag zur Wiedereinsetzung Ginharts erging am 9. Dezember 1946 an das Ministerium für Unterricht.118 Das Ministerium selbst hatte vorerst noch überprüfungsbedingte Vorbehalte. Erst mit dem Nationalsozialistengesetz von 1947, das die Kategorien der politisch Belasteten und Minderbelasteten einführte, wobei zu den Letzteren auch Ginhart gezählt wurde,119 war die Wiedereinstellung ab Oktober 1947 möglich. In Briefen aus Kärnten an den Rektor versuchte er sein Verfahren anzutreiben. Er gestand seine Schuld ein und sprach von einer »Verwirrung« durch die »Nazipropaganda«.120 Im Vergleich zu anderen, mittlerweile rehabilitierten Parteimitgliedern sehe er sich aber als Opfer,

115 TUWA, PA Karl Ginhart, Rektor Max Theuer an das BMU, 1. Februar 1946. 116 Ebd. 117 ÖSTA, AdR, PA Karl Ginhart, Abschrift der Erkenntnis der Sonderkommission, 19. November 1945. Darin heißt es  : Die Parteimitgliedschaft 1930/31 sei nur »aus der Nötigung heraus erfolgt«, 1938 sei er »nur Anwärter« (aus Schutzmaßnahmen) und »nicht Parteigenosse« gewesen […]. Seine Vorträge ließen nicht erkennen, »dass er nationalsozialistisch eingestellt sei« […]. »Seine Veröffentlichungen enthalten wohl Bemerkungen über den Anschluss, jedoch finden sich keine nationalsozialistischen Tendenzen oder eine dem österr. Vaterlande abträgliche Stellungnahme«. 118 ÖSTA, AdR, PA Karl Ginhart, Adalbert Duschek an das BMU, 9. Dezember 1946. 119 ÖSTA, AdR, PA Karl Ginhart, Entscheidung der Beschwerdekommission BK 408/52 vom 28. April 1953. Da ihm das Parteibuch nachweislich nie überreicht worden war, galt er weder als Parteianwärter noch als Parteimitglied und war deshalb in den »besonderen Listen der Nationalsozialisten nicht zu verzeichnen«. 120 TUWA, PA Karl Ginhart, Ginhart an den Rektor, 10. September 1947.

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das »ins Exil verbannt«121 war, und mobilisierte Fürsprecher, die seine demokratische Gesinnung bestätigten. Wiederum war es Holey, der Ginhart besonders unterstützte. Da alle in der NS-Zeit erfolgten Ernennungen 1945 ihre Rechtswirksamkeit verloren hatten, musste Ginhart zur Wiedererlangung seiner Professur ein Gnadengesuch beim Bundespräsidenten einreichen, das am 22. Jänner 1948 genehmigt wurde.122 Der Lehrauftrag an der Akademie wurde ihm hingegen 1946 zugunsten des aus der englischen Emigration zurückberufenen Kunsthistorikers Ludwig Münz (1889 – 1957) entzogen, obwohl sich Herbert Boeckl als Rektor im März 1946 für Ginharts »Rehabilitierung zwecks Reaktivierung«123 eingesetzt hatte. Der Rembrandt-Forscher Münz übernahm Ginharts Vorlesungen der »Kunstgeschichte und Kunstbetrachtung« und wurde zum Leiter der Gemäldegalerie der Akademie bestellt. Die Jahre nach der Wiedereinsetzung bis zur Emeritierung waren von Ginharts Bemühen gekennzeichnet, eine Kompensation der erlittenen finanziellen Verluste durchzusetzen. Da seine Berufung aufgrund des ›Anschlusses‹, so seine letzte Argumentation, verzögert erfolgt sei, sah er sich als politisches Opfer, dem schweres Unrecht widerfahren sei.124 In der Lehre setzte er dort an, wo er aufgehört hatte, indem 1947 die Skripte aus dem Jahre 1943 wiederverwendet wurden. Inhaltlich gab es kleine Akzentverschiebungen, wie beispielsweise ein Vergleich eines Wien-Buches von 1941125 mit jenem von 1948126 zeigt, wo nun sozusagen politisch korrekt auch die jüdischen Architekten wie Oskar Strnad, Josef Frank oder der von den Nazis als ›entartet‹ eingestufte Oskar Kokoschka positiv erwähnt werden. Im Gegensatz zu Sedlmayr kann Ginhart nicht als Theoretiker bezeichnet werden. Kennzeichen seiner Publikationen ist die additive Aufzählung von Kunstwerken, die miteinander verglichen, kunsthistorisch bewertet 121 Ebd. 122 ÖSTA, AdR, PA Ginhart, Präsidentschaftskanzlei, Zl 18.830, 1948. 123 ÖSTA, AdR, UWFuK BMU, PA Karl Ginhart, Brief von Herbert Boeckl an die Sonderkommission, 4. März 1946. Obwohl Ginhart seine Vorlesungstätigkeit bereits aufgenommen hatte, wurde die Akademie angewiesen, den Vertrag mit Ginhart per 30. September 1946 zu kündigen. Brief an das BMU, 31. Mai 1946. Bis zum »Eintreffen des aus England berufenen Dr. Münz« sollten die Vorlesungen für Kunstgeschichte von Frau Dr. Margarethe Poch-Kalous suppliert werden. Vgl. Schreiben des BMU an die Akademie, 2. Mai 1946. 124 ÖSTA, AdR, PA Karl Ginhart, Ginhart an das BMU, 17. Oktober 1949, worin er schreibt  : »Ich habe durch die Okkupation Österreichs besonders schwer gelitten. Denn ich wurde nicht am 1. Juli 1938 zum Ordinarius ernannt […]«. In der Folge berechnet er die durch die verzögerte Berufung und das Berufsverbot erfolgten finanziellen Verluste und beklagt, dass er »dauernd für [sein] ganzes Leben finanziell bestraft« worden sei. 125 Ginhart 1941. 126 Bereits im ersten Satz würdigt Ginhart den 1938 in die Emigration getriebenen Wiener Kunsthistoriker Hans Tietze (1880 – 1954)  : »Seit dem 1918 erschienenen ausgezeichneten Buche von Hans Tietze (Wien, Berühmte Kunststätten, Bd. 67) ist keine ausführliche Kunstgeschichte Wiens mehr erschienen.« Ginhart 1948, S. 5.

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oder in einen ›volks- oder stammesgeschichtlichen‹ Kontext gestellt werden. Sein wahrer Fokus lag, wie bei Demus, Frodl oder Grimschitz, über Jahrzehnte auf der Kärntner Kunstgeschichte. 1960 emeritierte Ginhart. Als Nachfolger und Professor für Kunstgeschichte und Denkmalpflege wurde Walter Frodl (1908 – 1994), der gleichfalls eine einschlägige NSVergangenheit aufzuweisen hatte, bestellt. Als Illegaler hatte der in Graz promovierte Kunsthistoriker und Denkmalpfleger im ›Gau Kärnten‹ eine steile Karriere hingelegt.127 1938 trat er die Nachfolge des nach Wien berufenen Demus als Landeskonservator an und war 1942 zum Direktor des ›Kärntner Reichsgaumuseums‹ bestellt worden. Wie den Erhebungen der Landespolizeidirektion Klagenfurt vom 22. November 1948 zu entnehmen ist, stand Frodl »im Dienste des Reichsführers SS (Lehr- und Forschungsinstitut ›das Ahnenerbe‹) und hatte seine Forschungsaufträge im Umsiedlungsgebiet Südtirol bestens erfüllt. Auch wurde ihm damals (1944) für hervorragende, kriegswichtige Tätigkeit im adriatischen Küstenlande, ein Erholungsurlaub in Bad-Gastein von der Gauleitung befürwortet. Weiters wurde ermittelt, dass Genannter während der NS-Zeit zu den höchsten Stellen der OT [OT steht für die Organisation Todt, eine paramilitärische Bautruppe, d. V.], Verbindung hatte und sich längere Zeit in Berlin, bei Dr. Todt aufgehalten hat.«128

Aus Frodls Habilitationsgutachten an der Universität Graz vom Dezember 1942 erfährt man Genaueres über diese und andere Tätigkeiten  : »Im November 1941 wurde Frodl von Reichsminister Dr. Todt zu dessen persönlichen Referenten für alle Fragen der Kunstund Reichsautobahnbaues usw. berufen«129 (bis zu Todts Tod am 8. Februar 1942). Die Beschreibung von Frodls praktischen Tätigkeiten nehmen in dem Gutachten deswegen so breiten Raum ein, da die Kommission Argumente für die fehlende »Verarbeitung und ausführliche Begründung seiner kunsthistorischen Forschungsergebnisse«130 vorzubringen gedachte. Frodl hatte aufgrund seiner beruflichen Inanspruchnahme keine Zeit, eine eigene Habilitationsschrift vorzulegen, weshalb er einzelne Schriften kumulativ eingereicht hatte. Das war damals in den Geisteswissenschaften eher unüblich.

127 ÖSTA, AdR, UWFuK BMU PA Walter Frodl, Personenstandesblatt BDA vom 24. Februar 1949  : Frodl war von Mai 1933 bis März 1934 und ab September 1938 bis 1945 Mitglied bei der NSDAP (Mitgliedsnummer 1.629.470 ab 1933) und Sommer bis Herbst 1938 SA-Scharführer. 128 ÖSTA, AdR, UWFuK BMU PA Walter Frodl, Landespolizeidirektion Klagenfurt an das BMU, 21. November 1948. 129 ÖSTA, AdR, UWFuK BMU PA Walter Frodl, Gutachten von Arnold Schober und Hermann Egger, 9. Dezember 1942. Die Lehrbefugnis für Kunstgeschichte und Denkmalpflege wurde Frodl am 8. Mai 1943 verliehen. 130 Ebd.

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Die hier aufgezählten und inhaltlich nicht gewerteten Fakten erfahren durch die sorgfältigen, quellenbasierten Forschungen Michael Wedekinds eine etwas andere Gewichtung.131 So hatte sich Frodl schon 1939 in Polen bei der Beschaffung von Kunstwerken für das geplante Führermuseum in Linz hervorgetan und seit 1940 Kunstwerke aus jüdischem Besitz für sein Klagenfurter Museum beansprucht. 1943 forderte er beispielsweise von Gauleiter Friedrich Rainer bei »Judenplünderungen« volle Berücksichtigung.132 Unterstützt wurde er bei der Verwertung von Kunstwerken aus jüdischem Besitz von seiner Mitarbeiterin, der deutschen Kunsthistorikerin Erika Hanfstaengel (1912 – 2003). Frodl war, wie Wedekind nachweist, an NS-Verbrechen und Raubzügen 1943 – 1945 in der »Operationszone ›Adriatisches Küstenland‹« beteiligt.133 In diversen Lebensläufen der Nachkriegszeit beschreibt Frodl seine Arbeiten in der »Operationszone ›Adriatisches Küstenland‹« ausschließlich als kriegswichtige, denkmalpflegerische Tätigkeit (Erstellung von Schutzbauten für Denkmäler, Vorsorge für Bergungsdepots oder Vermittlung zwischen deutschen und italienischen Dienststellen). Im Dezember 1945 erfolgte Frodls Entlassung aus dem Dienst und die Aberkennung seiner Lehrbefugnis. Nach einem »laschen Entnazifizierungsverfahren«134 – Frodl wurde als minderbelastet eingestuft – wurde ihm die Venia am 6. Juli 1948 wieder verliehen.135 Am 25. September 1948 konnte er die Stelle als Landeskonservator der Steiermark antreten. Von besonderem Interesse ist, dass sich Otto Demus in einer ausführlichen Erklärung für seinen Kollegen und Freund Frodl eingesetzt hatte. Seine Parteimitgliedschaft entschuldigte er als »Ausdruck seines jugendlichen Arbeitsdranges« in der Annahme, »er könne als Mitglied der Partei besser für die Belange der österreichischen Denkmalpflege eintreten«.136 Abschließend sei noch ein kurzer Blick auf das Berufungsverfahren für die Nachfolge von Ginhart geworfen. Erinnert sei nur daran, dass an dritter Stelle, nach Frodl und dem ehemaligen NSDAP-Mitglied und Sedlmayr-Assistenten Karl Oettinger (1906 – 1979), der Architekt und Kunsthistoriker Eduard Sekler (1920 – 2017) gereiht war. Er hatte 1941 – 1945 als sogenannter ›Mischling‹ an der Technischen Hochschule sein Studium absolviert, war im Widerstand tätig und lehrte seit 1955 als Visiting Professor an der Harvard Graduate School of Design.137 Die Gründe für seine Reihung an dritter Stelle  ? 131 Wedekind 2012. 132 Walter Frodl an Friedrich Rainer, Amtsvermerk, betr. »Beschlagnahme jüdischen Vermögens – Zuweisung von Kunstwerken«, Klagenfurt, 28. Dezember 1943, zit. nach Wedekind 2012, S. 157  ; Schallmeiner o. D. (Zugriff 17. März 2019). 133 Wedekind 2012, S. 162 – 164. 134 Ebd., S. 158. 135 ÖSTA, AdR, UWFuK BMU, PA, Walter Frodl, Brief des Dekanats der Philosophische Fakultät Graz an das BMU, 1. Oktober 1948. 136 ÖSTA, AdR, UWFuK BMU, PA Walter Frodl, Otto Demus, Erklärung, 17. August 1947. 137 Platzer 2017, S. 218 – 221. Sekler war ab 1945 Holeys Assistent. 1946 ging er mit einem Stipendium

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»Seine wichtigsten Arbeiten befassen sich mehr mit Architekturkritik und Gegenwartsproblemen der Architektur, weniger mit allgemein kunsthistorischen Studien«.138 Festzuhalten ist also, dass die Technische Hochschule einem Kärntner ›Gaukonservator‹ gegenüber einem Vertreter einer unbelasteten, freien Gesinnung, wie es der auch international erfahrene Sekler war, den Vorzug gab und damit auf eine mehr als zweifelhafte Kontinuität setzte. Literatur Ash, Nieß, Pils 2010 – Mitchell Ash, Wolfram Nieß, Ramon Pils (Hg.)  : Geisteswissenschaften im Nationalsozialismus. Das Beispiel der Universität Wien, Wien 2010. Aurenhammer 2003 – Hans H. Aurenhammer  : Hans Sedlmayr und die Kunstgeschichte an der Universität Wien 1938 – 1945, in  : Jutta Held, Martin Papenbrock (Hg.)  : Kunst und Politik. Jahrbuch der Guernica-Gesellschaft (Schwerpunkt  : Kunstgeschichte an den Universitäten im Nationalsozialismus), Göttingen 2003, S. 161 – 194. Aurenhammer 2004 – Hans H. Aurenhammer  : Zäsur oder Kontinuität  ? Das Wiener Kunsthistorische Institut in Ständestaat und im Nationalsozialismus, in  : Wiener Schule 2004, S. 11 – 54. Bundesdenkmalamt Wien, Institut für Kunstgeschichte 2004 – Bundesdenkmalamt Wien, Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien (Hg.)  : Wiener Schule. Erinnerungen und Perspektiven, Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte 53 (2004). Czepel 2015 – Robert Czepel  : Kunstgeschichte  : »Herr Hofrat, von Ihrem Buch halte ich nichts«, in  : Der Standard, 9. November 2015, URL  : https://derstandard.at/2000025025097/Kunst geschichte-Herr-Hofrat-von-Ihrem-Buch-halte-ich-nichts (31. Januar 2019). Demus 1938 – Otto Demus  : Der Kampf um die Erhaltung des beweglichen KunstdenkmälerBesitzes in Österreich, in  : Deutsche Zeitschrift für Kunst und Denkmalpflege, 1938, S. 128 – 132. Dilly 2015 – Heinrich Dilly  : Schule machen, durch eine Schule gehen, aus der Schule plaudern usw. Alltagskategorien der Kunst- und Wissenschaftsforschung, in  : Piotr Otto Scholz, Magdalena Anna Dlugosz (Hg.)  : Von Biala nach Wien. Josef Strzygowski und die Kunstwissenschaften, Wien 2015, S. 23 – 41. Doll, Fuhrmeister, Sprenger 2005 – Nikola Doll, Christian Fuhrmeister, Michael H. Sprenger  : Kunstgeschichte im Nationalsozialismus. Aufriss und Perspektiven, in  : Dies. (Hg.), Kunstgeschichte im Nationalsozialismus. Beiträge zur Geschichte einer Wissenschaft zwischen 1930 und 1950, Weimar 2005, S. 9 – 25. Donin 1945 – Richard Kurt Donin  : Zukunftsaufgaben österreichischer Kunstforschung, Wien 1945. nach England, wo er am Warburg Institute/London in Kunstgeschichte promovierte (The Development of the British Staircase, PhD-Thesis, London 1948). 1952 erfolgte die Habilitation an der TH Wien zum Thema Das Punkthochhaus im europäischen Wohnungsbau. 1951 war Sekler UNECSO-Konsulent für Denkmalpflege/Kathmandu, 1952 Mitglied von CIAM Österreich, 1955 erfolgte die Berufung als Visiting Professor an der Harvard Graduate School of Design, ab 1960 die zum ordentlichen Professor. 138 ÖSTA, AdR, UWFuK BMU, PA Walter Frodl, Ausschussbericht zur Besetzung des Ordinariates für Kunstgeschichte, 5. Oktober 1959.

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Exner 2004 – Gudrun Exner  : Eugenik in Österreich bis 1938, in  : Rainer Mackensen (Hg.)  : Bevölkerungslehre und Bevölkerungspolitik im »Dritten Reich«, Opladen 2004, S. 337 – 358. Frodl-Kraft 1991 – Eva Frodl-Kraft  : Hans Sedlmayr, in  : Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte 44 (1991), S.  7 – 46. Frodl-Kraft 1997 – Eva Frodl-Kraft  : Gefährdetes Erbe. Österreichs Denkmalschutz und Denkmalpflege 1918 – 1945 im Prisma der Zeitgeschichte, Wien, Köln, Weimar 1997. Ginhart 1923 – Karl Ginhart  : Das christliche Kapitell zwischen Antike und Spätgotik, Wien 1923. Ginhart 1927 – Karl Ginhart  : Über die Zweiachsigkeit im nordischen Baudenken des Mittelalters, in  : Belvedere 11 (1927), S. 127 – 140. Ginhart 1936 – Karl Ginhart (Hg.)  : Die bildende Kunst in Österreich. Bd. 1  : Voraussetzungen und Anfänge  : Von der Urzeit bis um 600 n. Chr., Baden b. Wien 1936. Ginhart 1937 – Karl Ginhart (Hg.)  : Die bildende Kunst in Österreich. Bd. 2  : Vorromanische und Romanische Zeit (von etwa 600 bis um 1250), Baden b. Wien 1937. Ginhart 1938a – Karl Ginhart (Hg.)  : Die bildende Kunst in Österreich. Bd. 3  : Gotische Zeit (von etwa 1250 bis um 1530), Baden b. Wien 1938. Ginhart 1938b – Karl Ginhart  : Nachtrag zu dem Artikel von Otto Demus, Der Kampf um die Erhaltung des beweglichen Kunstdenkmäler-Besitzes in Österreich, in  : Deutsche Zeitschrift für Kunst und Denkmalpflege (1938), S. 132. Ginhart 1939a – Karl Ginhart (Hg.)  : Die bildende Kunst in Österreich. Bd. 4  : »Renaissance« und Barock (von etwa 1530 bis um 1690), Baden b. Wien 1939. Ginhart 1939b – Karl Ginhart (Hg.)  : Die bildende Kunst in Österreich. Bd. 5  : Barock und Rokoko (von etwa 1690 bis um 1780), Baden b. Wien 1939. Ginhart 1939c – Karl Ginhart  : Moritz Dreger †, in  : Forschungen und Fortschritte 15 (1. Juni 1939), 16, S. 216. Ginhart 1941 – Karl Ginhart  : Wien. Antlitz einer Stadt in Bildern, Wien 1941. Ginhart 1942 – Karl Ginhart  : Der Kunsthistoriker, in  : Buch des Dankes. Bruno Brehm zum 50. Geburtstag, Karlsbad, Leipzig 1942 (Sonderdruck). Ginhart 1943a – Karl Ginhart (Hg.)  : Die bildende Kunst in Österreich. Bd. 6  : Vom Ausgang des 18. Jahrhunderts bis zur Gegenwart, Wien, München, Brünn 1943. Ginhart 1943b – Karl Ginhart  : Die bildende Kunst in Kärnten von etwa 1780 bis zur Gegenwart, in  : Ginhart 1943a, S. 197 – 234. Ginhart 1943c – Karl Ginhart  : Kunstgeschichte III, Wien 1943. Ginhart 1944 – Karl Ginhart  : Das geistige Erbe Josef Strzygowskis, in  : Deutschlands Erneuerung (1944), H. 4/6, S. 99 – 113. Ginhart 1947 – Karl Ginhart  : Kunstgeschichte I, II, Wien 1947. Ginhart 1948 – Karl Ginhart  : Wiener Kunstgeschichte, Wien 1948. Ginhart 1958 – Karl Ginhart  : Mein Lebenslauf, in  : Ders.: Eine spätgotische Kreuzgruppe in St. Veit an der Glan, in  : Kärntner Museumsschriften 18 (1958), S. 9 – 24. Ginhart 1954 – Karl Ginhart  : Dombaumeister Professor Dipl.-Ing. Arch. DDr. Karl Holey – 75 Jahre alt, in  : Mitteilungen der Wiener Katholischen Akademie 5 (1954), Folge 4, S. 61 – 63.

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Heim 2009 – Susanne Heim (Hg.)  : Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933 – 1945, Bd. 2, München 2009. Holzschuh, Platzer 2015 – Ingrid Holzschuh, Monika Platzer (Hg.)  : »Wien. Die Perle des Reiches«. Planen für Hitler, Ausstellungskatalog Wien, Wien 2015. Holzschuh 2015 – Ingrid Holzschuh  : Verlorene Stadtgeschichten. Hitlers Blick auf Wien, in  : Holzschuh, Platzer 2015, S. 28 – 45. Ilz 1938 – Erwin Ilz  : Der Gau Wien im Rahmen der Landes- und Stadtplanung, in  : Zeitschrift Raumforschung und Raumordnung 2 (1938), S. 430 – 438. Kater 2009 – Michael H. Kater  : Das »Ahnenerbe« der SS 1935 – 1945. Ein Beitrag zur Kulturpolitik des Dritten Reiches, Oldenburg 2009. Klamper 1990 – Elisabeth Klamper  : Zur politischen Geschichte der Akademie der bildenden Künste 1918 bis 1948. Eine Bestandsaufnahme, in  : Hans Seiger, Michael Lunardi, Peter J. Populorum (Hg.)  : Im Reich der Kunst. Die Wiener Akademie der bildenden Künste und die faschistische Kunstpolitik, Wien 1990, S. 5 – 64. Knauer 2018 – Birgit Knauer  : Die Assanierung der Stadt Wien (1934 – 38). Regulierungsmaßnahmen zwischen Stadtgestaltung und Denkmalschutz, Diss., Techn. Univ. Wien 2018. Männig 2017 – Maria Männig  : Hans Sedlmayrs Kunstgeschichte. Eine kritische Studie, Wien 2017. Marquard-Twarowski 2016 – Juliane Marquard-Twarowski  : Ex Libris Dr. Dagobert Frey, in  : Magdalena Bushart, Agnieszka Gasior, Alena Janatková (Hg.)  : Kunstgeschichte in den besetzten Gebieten 1939 – 1945, Köln, Wien, Weimar 2016, S. 211 – 237. Mattl, Pirhofer 2015 – Siegfried Mattl, Gottfried Pirhofer  : Wien. »Tor zum Südosten«, Stadtund Regionalplanung im Kontext imperialer Raumpolitik, in  : Holzschuh, Platzer 2015, S.  12 – 25. Mikoletzky 2003 – Juliane Mikoletzky  : »Von jeher ein Hort starker nationaler Gesinnung«. Die Technische Hochschule in Wien und der Nationalsozialismus, Wien 2003. Mikoletzky, Ebner 2016a – Juliane Mikoletzky, Paulus Ebner  : Die Geschichte der Technischen Hochschule in Wien 1914 – 1955, 2 Teile. Teil 1  : Verdeckter Aufschwung zwischen Krieg und Krise (1914 – 1937). Teil 2  : Nationalsozialismus – Krieg – Rekonstruktion (1938 – 1955), Wien 2016. Mikoletzky, Ebner 2016b – Juliane Mikoletzky, Paulus Ebner  : Politik und Hochschulautonomie. Lehrende und Studierende 1918 – 1925, in  : Mikoletzky, Ebner 2016a, S. 91 – 114. Mikoletzky 2016a – Juliane Mikoletzky  : Forschen für den »Endsieg«. Die TH in Wien als Teil der Kriegswirtschaft, in  : Mikoletzky, Ebner 2016a, S. 121 – 141. Mikoletzky 2016b – Juliane Mikoletzky  : Die »Säuberung« des Lehrkörpers, in  : Mikoletzky, Ebner 2016a, S. 23 – 47. Mikoletzky 2016c – Juliane Mikoletzky  : Die Machtübernahme der Nationalsozialisten an der Technischen Hochschule in Wien, in  : Mikoletzky, Ebner 2016a, S. 11 – 22. Mikoletzky 2016d – Juliane Mikoletzky  : Die TH in Wien im Nationalsozialismus. Hochschulalltag und Hochschulpolitik, in  : Mikoletzky, Ebner 2016a, S. 89 – 111. Müller 2015 – Mathias F. Müller  : Die positivistisch-politische Kunstgeschichtsschreibung von Josef Strzygowski, in  : Scholz, Dlugosz 2015, S. 309 – 320.

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Platzer 2017 – Monika Platzer  : Gegen den Kanon erzählt. Positionen, Akteure und Netzwerke der Wiener Nachkriegsarchitektur im Kalten Krieg, Diss., Univ. Wien 2017. Schallmeiner o. D. – Anneliese Schallmeiner  : Walter Frodl, in  : Lexikon der österreichischen Provenienzforschung, hg. v. d. Kommission für Provenienzforschung beim Bundesministerium Kunst, Kultur, öffentlicher Dienst und Sport, c/o Bundesdenkmalamt, Wien 2014 ff., URL  : www.lexikon-provenienzforschung.org/frodl-walter (7. Jänner 2019). Scholz, Dlugosz 2015 – Piotr Otto Scholz, Magdalena Anna Dlugosz (Hg.)  : Von Biala nach Wien. Josef Strzygowski und die Kunstwissenschaften, Wien 2015. Sedlmayr 1933a – Hans Sedlmayr  : Zum Œuvre Fischers von Erlach, Wien 1933. Sedlmayr 1933b – Hans Sedlmayr  : Das erste mittelalterliche Architektursystem, in  : Kunstwissenschaftliche Forschungen II (1933), S. 25 – 62. Sedlmayr 1938 – Hans Sedlmayr  : Abschied von Julius von Schlosser, in  : Völkischer Beobachter, 4. Dezember 1938, S. 13. Sedlmayr 1939/40 – Hans Sedlmayr  : Wien  : Stadtgestaltung und Denkmalschutz (I), in  : Deutsche Zeitschrift für Kunst und Denkmalpflege 41 (1939/40) S. 151 – 161. Sedlmayr 1948 – Hans Sedlmayr  : Verlust der Mitte, Salzburg, Wien, 1948. Sedlmayr 1965 – Hans Sedlmayr  : Die demolierte Schönheit. Ein Aufruf zur Rettung der Altstadt Salzburgs, Salzburg 1965. Sedlmayr 1976 – Hans Sedlmayr  : Verlust der Mitte. Die Bildende Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts als Symptom und Symbol der Zeit, Salzburg 91976. Seifert 1941 – Alwin Seifert  : Im Zeitalter des Lebendigen. Natur, Heimat Technik, Dresden, Planegg vor München 1941. Strzygowski 1933 – Josef Strzygowski  : Das Ordinariat für Kunstgeschichte und das I. Kunsthistorische Institut der Universität Wien, Wien 1933. Strzygowski 1936a – Josef Strzygowski  : Der Ostalpenvorraum als Kreuzweg in der Zeit der Kunstgürtel und Kunstströme, in  : Ginhart 1936, S. 185. Strzygowski 1936b – Josef Strzygowski  : Aufgang des Nordens. Lebenskampf eines Kunstforschers um ein deutsches Weltbild, Leipzig 1936. Strzygowski 1937 – Josef Strzygowski  : Morgenrot und Heidnischwerk in der christlichen Kunst (Deutsches Ahnenerbe, 2. Abt., Fachwissenschaftliche Untersuchungen, Bd. 8), Berlin-Lichterfelde 1937. Strzygowski 1939 – Josef Strzygowski  : Blick in die bauliche Zukunft der Stadt Wien, in  : Neues Wiener Tagblatt (Sonntagsbeilage), 23. April 1939, S. 33 – 34. Strzygowski 1948 – Walter Strzygowski  : Die Neugestaltung der Stadt Wien, Wien 1948. Svatek 2009 – Petra Svatek  : Die Institutionalisierung der Raumforschung in Österreich. Kontinuitäten und Wandlungen von der NS-Zeit bis zur Zweiten Republik am Beispiel der Universität Wien, in  : Heinrich Mäding, Wendelin Strubelt (Hg.)  : Vom Dritten Reich zur Bundesrepublik. Beiträge einer Tagung zur Geschichte von Raumforschung und Raumplanung, Arbeitsmaterial der ARL 346, Hannover 2009, S. 226 – 240, URL  : https://www.ssoar.info/ ssoar/handle/document/28455 (15. April 2020). Theiss 1938 – Siegfried Theiss  : Adolf Hitler und der neue deutsche Baustil, in  : Neue Freie Presse, 9. April 1938, S. 12. Urban 2010 – Otto H. Urban  : Die Urgeschichte an der Universität Wien vor, während und nach

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der NS-Zeit, in  : Mitchell Ash, Wolfram Nieß, Ramon Pils (Hg.)  : Geisteswissenschaften im Nationalsozialismus. Das Beispiel der Universität Wien, Wien 2010, S. 371 – 395. Wedekind 2012 – Michael Wedekind  : Kunstschutz und Kunstraub im Zeichen von Expansions­ streben und Revanche. Nationalsozialistische Kulturpolitik in den ›Operationszonen Alpenvorland‹ und ›Adriatisches Küstenland‹ 1934 – 1945, in  : Christian Fuhrmeister, Johannes Griebel, Stephan Klingen u. a. (Hg.)  : Kunsthistoriker im Krieg. Deutscher Militärischer Kunst­schutz in Italien 1943 – 1945, Köln, Weimar, Wien 2012, S. 153 – 171.

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Alexander Markschies

Von der »Ergänzung des rein fachlichen Studiums« bis zur »begrenzten Funktion in der Architekten-Ausbildung« Bemerkungen zur Geschichte der Kunstgeschichte an der RWTH Aachen (1947 – 1972)1

Die Geschichte der Kunstgeschichte an der RWTH Aachen von der Berufung Karl Lem­ ckes auf das Ordinariat für Allgemeine Kunstgeschichte und Ästhetik im Jahre 1876 bis heute ist noch ungeschrieben – sieht man einmal von verstreuten Hinweisen in Jubiläumsschriften oder dem Katalog über das Reiff-Museum der Hochschule ab.2 Die nachfolgenden Bemerkungen, die sich vor allem als Materialsammlung verstehen, nehmen die Zeit nach 1945 in den Blick, explizit die Professor_innen Hermann Beenken, Wolfgang Braunfels, Hans Holländer und Eleanor von Erdberg  ; Grundlage sind die Ak­ ten des Archivs der Hochschule und die Schriften der Personen, auf die Einbindung der Erinnerungen von Zeitzeug_innen wird verzichtet.

I. Eleanor von Erdberg (1907 – 2002)

Aus dem Reigen der Ordinarien fällt Eleanor von Erdberg als Frau zeitbedingt typisch heraus, sie hielt zunächst ab 1951 als international renommierte, unter anderem am Fogg Museum in Harvard tätige Expertin für asiatische und ostasiatische Kunstgeschichte Vorlesungen im Wahlbereich der Architekturstudierenden. Wie sie in ihrer 1994 veröffentlichten Autobiografie schreibt, wurde sie zunächst »mit Misstrauen betrachtet«, »geschnitten, selbst wenn man an einem Festabend am selben Tisch saß«, und sie beschreibt sich als den »Nichtordinarien« zugehörig  : »sie wussten und ­leisteten so viel wie ein Ordinarius, aber sie hatten keinen eigenen Lehrstuhl«.3 Als Angestellte der Kunstgeschichte mit der Arbeit betraut, die Bibliothek zu katalogisieren, wurde sie 1955 zum »Privatdozenten« [sic  !] ernannt und erhielt die Venia Legendi für Asia­ tische Kunst und Architekturgeschichte  ; 1961 wurde sie »wissenschaftliche Rätin« 1 Die Zitate im Titel sind der Laudatio auf Hermann Beenken und einer Selbstaussage von Hans Holländer entnommen (Anhang 1 sowie unten, Anm. 30). Dem Hochschularchiv der RWTH Aachen danke ich für die freundliche Unterstützung. 2 Dlugaiczyk, Markschies 2008. Eine umfängliche Zusammenstellung der Geschichte der Fakultät für Architektur bereitet zurzeit Gerhard Curdes vor. 3 von Erdberg 1994, S. 332 f.

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[sic  !] – 1994 schrieb sie, dass sie seitdem »zur Fakultät gehörte […], ich wurde beachtet und anerkannt«.4 Eine Anekdote aus der Autobiografie sei wörtlich zitiert – sie macht die universitären Inklusions- wie vor allem Exklusionsmechanismen anschaulich, sie erhellt die gerne im sozialen und machtpolitischen Gefüge von Universitäten funktionalisierten Distinktionsinstrumente und lässt schließlich die Vorgaben für die autobiografische Selbstkonstruktion deutlich werden  :

Abb. 1  : Prof. Dr. Eleanor von Erdberg beim Auszug aus der Aachen-Münchener Halle nach der feierlichen Rektoratsübergabe am 11. 11. 1958. Foto  : Hochschularchiv der RWTH Aachen, Fotosammlung Album 3.2.1.

»Früher stand vor dem Hauptgebäude der Technischen Hochschule ein kleiner, drahtiger Wachmann mit einem großen Schäferhund. Jeden Morgen, wenn ich vorbeikam, begrüßte er mich  : ›Guten Morgen, Fräulein‹. Ich hätte ihm so gerne die Aufklärung erspart  ; sie geschah, als ich am Tage der Rektoratsübergabe im Talar im feierlichen Zuge der Professoren die Aula betrat. Er wurde blass, und es war zu Ende mit dem morgendlichen Gruß« (Abb. 1).5

Die Lektüre der Autobiografie ist für jede_n Leser_in noch heute ein Schockerlebnis im Hinblick auf die individuelle Erfahrung von Ausgrenzungen, so berichtet von Erdberg, dass der Ordinarius für Kunstgeschichte bei der Begrüßung »die Hände über dem Kopf zusammenschlug  : ›Was soll ich mit einer Chinesin  !‹.«6 Für eine vergleichende Analyse bietet sich die Perspektive an, die Barbara Lange in ihren Forschungen zu Aenne Liebreich, Lilli Fischel und Frida Schottmüller entwickelt 4 Ebd., S. 334 f. Zur Position der »wissenschaftlichen Räte und Rätinnen« vgl. Felgentraeger 1956. Material zum Thema enthält auch Hochschularchiv der RWTH Aachen, Sign. 13287. Die ›Titelgeschichte‹ von Eleanor von Erdberg könnte man sehr viel ausführlicher erzählen, vgl. Hochschularchiv der RWTH Aachen, Sign. PA 9025  : so darf sie bereits 1952 mit Genehmigung des Kultusministers des Landes Nordrhein-Westfalen vom 15. Mai den Titel des »Professors« führen, 1955 wird für sie eine »Diätendozentur« beantragt, die Ernennung zur »Dozentin unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf« erfolgt am 30. Mai 1956. Im Januar 1958 wird sie zum »außerplanmäßigen Professor« vorgeschlagen (Ernennung am 21. März 1959). Zur Geschichte des ausgebliebenen Rufes auf den Lehrstuhl für Ostasiatische Kunstgeschichte in Bonn siehe von Erdberg 1994, S. 388 f. 5 Ebd., S. 336. 6 Ebd., S. 332.

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Bemerkungen zur Geschichte der Kunstgeschichte an der RWTH Aachen

hat  :7 Frauen waren bis weit in das zwanzigste Jahrhundert hinein nicht nur die Karrierewege, wie sie den Männern offenstanden, verwehrt, zugleich haben sie die fachlichen Perspektiven der Kunstgeschichte inhaltlich und methodisch erheblich geweitet, eben gerade weil sie abseits des Kanons gearbeitet haben, ja arbeiten mussten  : Eleanor von Erdberg mit ihren Forschungen zum japanischen Haus, zur Archäologie Chinas, zur Funktion von Kunst für Magie und Religion und anderes mehr.8 Sie selbst schreibt in ihrer Autobiografie, dass »die Mitglieder der Fakultät […] keine Konkurrenz in ihrer Mitte großziehen wollten. Als sie merkten, dass von mir gar keine Gefahr drohte, sahen sich mich freundlicher an – oder gar nicht.«9 Und in einem resümierenden Passus heißt es  : »Ich war damals in der Fakultät für Bauwesen die einzige Frau […] Man hat in den letzten Jahren mehrfach versucht, mich in Statistiken zu verwerten oder als Vorbild zu verwenden […] Gerade zu der Zeit, als man offiziellen Verlautbarungen zufolge das weibliche Element in den Lehrkörpern der Universitäten stärken wollte, erlitt ich meine schwersten Rückschläge. Um als Frau Erfolg zu haben, muss man natürlich so viel können wie ein Mann. Damals musste man in vielem sogar mehr können als ein Mann, oder wenigstens mehr tun.«10

II. Hermann Beenken (1896 – 1952)

Der diskret verschwiegene Name des kunstgeschichtlichen Ordinarius, der Eleanor von Erdberg so zeitbedingt typisch begrüßt hat, war Hermann Beenken, 1947 auf das Ordinariat berufen und 1952 auf einer Exkursion mit Studierenden durch Herzschlag aus dem Leben gerissen. Man wird ihn als »Stilanalytiker reinsten Wassers«11 charakterisieren dürfen, also als klassischen Kunsthistoriker, den vor allem die Autorschaft und der Individual- und Epochenstil interessierten, nahsichtig auf die Kunstwerke, einfühlend und sprachmächtig zugleich.12 Durchaus spannend ist dabei seine 1925 postulierte, auf die Beschreibung von Kulturphänomenen zielende Zukunftsaufgabe der Kunstgeschichte, »Alles mit Allem zu vergleichen  ! Reims mit Tell el Amarna, Cézanne mit einer karolingischen Miniatur.«13

  7 Lange 1994. Vgl. auch Kroos 2007.   8 Vgl. etwa von Erdberg 1955/56.   9 von Erdberg 1994, S. 332. 10 von Erdberg 1994, S. 338. 11 Gross 1952, S. 154. 12 Auf die z. T. wörtlichen Übernahmen seiner Forschungen zur Altniederländischen Malerei in Erwin Panofs­kys Early Netherlandish Painting von 1953 hat mich Stephan Kemperdick (Berlin) hingewiesen. 13 Beenken 1925, S. 429.

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In der Laudatio als Begründung seiner Erstplatzierung an das zuständige Ministerium in Düsseldorf vom 20. Oktober 1948 explizit hervorgehoben wurde sein »sehr mutiges«14 Buch über die deutsche Kunst des 19. Jahrhunderts  ; was genau mit diesem Lob intendiert ist, lässt sich indes allenfalls erahnen (Anhang 1). Weiterhin heißt es in dem knapp einseitigen Text  : »Seine Einstellung zu den Problemen der Kunst ist überaus lebendig und keineswegs rein formalistisch, so dass er der Fakultät für die Erziehung der jungen Architekten besonders geeignet erscheint. Er hat einen weiten Blick in alle Kulturzusammenhänge, der ihn vor einem engen Spezialistentum bewahrt und stellt seine Fachwissenschaft immer in den großen kulturgeschichtlichen Rahmen der abendländischen Entwicklung […]. Er wird im Stande sein, seine Fachwissenschaft in den Dienst dieser großen, gerade an Technischen Hochschulen besonders wichtigen Erziehungs- und Bildungsaufgabe zu stellen.«15

Beenken hat – so würde man heute resümieren – 1947 den Ruf erhalten wegen der moderaten und willkommenen Ausweitung des Kanons, passend für eine im Kern bis dato konservative Architekturschule, und wegen der in der Laudatio namhaft gemachten kulturgeschichtlichen Kompetenz. Seiner offenbar frischen Art der Stilanalyse, die ihn noch heute interessant erscheinen lässt, schenkte man dagegen keinen besonderen Blick. In Aachen hat Hermann Beenken dann – laut Vorlesungsverzeichnissen – neben der Zyklusvorlesung Kunst der Antike bis zur Renaissance regelmäßig eine Vorlesung (plus Kolloquium) mit dem Titel Die Kunst unserer Zeit und ihre Probleme angeboten, eine Veranstaltung, die übrigens bereits Max Schmid-Burgk eingeführt hatte – dessen Nachfolger Hans Karlinger beschränkte sich dann wieder auf das 19. Jahrhundert. Hingewiesen sei auch auf das Kolloquium im Sommersemester 1951 zusammen mit den Lehrstühlen für architektonisches Entwerfen zur Baukunst des 20. Jahrhunderts, ein architekturgeschichtliches Seminar hat Beenken in jedem Semester angeboten. (Vgl. Anhang 2). In den publizierten Schriften von Hermann Beenken spielt Architektur dagegen eher eine Nebenrolle, sieht man einmal ab von dem durchaus auch methodisch fokussierten Text zum Thema der Bauaufgabe seit dem Barock, eben nicht als ›Formgelegenheit‹ verstanden, wie man es üblicherweise zeitgenössisch formuliert hätte, sondern als ›Aufgabe‹ im Sinne von Jacob Burckhardt und damit durchaus modern.16 Auch ein zweiter Text, zur Architektur des Historismus – ellenlang und vollkommen in Vergessenheit geraten –, ist einschlägig, denn einleitend wird die Architektur dieser Epoche als Krankheit 14 Hochschularchiv der RWTH Aachen, Sign. PA 1617, S. 23. 15 Hochschularchiv der RWTH Aachen, Sign. PA 1617, S. 23. 16 Beenken 1937a, weitgehend übernommen in Beenken 1944, S. 15 – 48. Zur »Kunstgeschichte nach Aufgaben« im Sinne Burckhardts vgl. Huse 1977.

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bezeichnet  : »Man muss es schon eine Krankheit nennen, was die europäische Baukunst […] befallen und was ihre organische Weiterentwicklung in so hohem Grade in Frage gestellt hat«.17 Selbst wenn die Architekten und Entwurfslehrer der Fakultät den Text nicht gelesen haben, Beenkens Haltung zum Historismus fanden sie sicher gut, namentlich Hans Schwippert, der gerade eben als expliziter Vertreter der Moderne nach Aachen berufen worden war. III. Wolfgang Braunfels (1911 – 1987)

Nach Beenkens Tod hat man die Denomination des Lehrstuhls für Kunstgeschichte ändern wollen, in ein Ordinariat für Baugeschichte. Der entsprechende Antrag wurde durch den Kultusminister mit Schreiben vom 24. Oktober 1952 aber abgelehnt (Anhang 3).18 Und so hat man 1955 einen zweiten Lehrstuhl im Themenfeld der Kunstund Architekturgeschichte eingerichtet, für Baugeschichte und Denkmalpflege. Berufen wurde hier der Architekt Willi Weyres, zugleich Dombaumeister in Köln und einer der Hauptverantwortlichen für den Wiederaufbau der romanischen Kirchen ebenda, als sein Nachfolger 1972 der – den Freund_innen der italienischen Renaissancearchitektur wohl bekannte –, jüngst verstorbene Günter Urban, ein Kunsthistoriker. Für den Lehrstuhl für Kunstgeschichte suchte man 1953 ausdrücklich einen in der Architekturgeschichte versierten Kunsthistoriker, weit mehr, als dies bei Hermann Beenken der Fall gewesen war. Die Gründe sind nachvollziehbar  : Mit der Moderne im Entwurf – nach Hans Schwippert gelang 1951 die Berufung von Rudolf Steinbach auf das Ordinariat für Baukonstruktionslehre – stellte sich unmittelbar die Frage danach, wer in Lehre und Forschung die historische Architektur vertreten sollte, denn, um es salopp zu formulieren, in ihren Vorlesungen verhandelten die Architekten jetzt Mies van der Rohe und Le Corbusier und nicht mehr Brunelleschi, Bramante, Bernini und Semper. Zum Lehrstuhlinhaber wurde Wolfgang Braunfels am 1. November 1953 ernannt. Noch heute ist er in Erinnerung durch die von ihm initiierte Europaratsausstellung zu Karl dem Großen (Aachen 1965) nebst ihren zahlreichen begleitenden Publikationen,19 die auch ins Englische, Spanische und Japanische übersetzte Abendländische Klosterbaukunst – 1969 publiziert, als er schon seit vier Jahren an der LMU München Pro17 Beenken 1937b, S. 27  ; auch dieser Aufsatz fand, leicht gekürzt, Eingang in Beenken 1944 (S. 49 – 78). Die Haltung, den Historismus als »Krise« und »Krankheit« zu verstehen, ist auch bestimmend für Beenken 1952 (vgl. ebd., S. 8), einer posthum publizierten Schrift, deren Thema und Recherchen besonders zu Haller von Hallerstein bereits durch die Dissertation aus dem Jahr 1920 bei Heinrich Wölfflin über »Das allgemeine Gestaltungsproblem in der Baukunst des deutschen Klassizismus« vorbestimmt worden sind. 18 Hochschularchiv der RWTH Aachen, Sign. 1173. 19 Vgl. dazu Cordez 2014.

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fessor war –, das von ihm mitherausgegebene Lexikon der christlichen Ikonographie mit der Alleinverantwortung für die Ikonographie der Heiligen (1968 – 1976) oder die siebenbändige Kunst im Heiligen römischen Reich (1979 – 1989). Unvollendet geblieben, wirkt letzteres Werk auch in seinem methodischen Zugriff nach wie vor frisch, als umfängliches Forschungsprojekt angelegt, belegt es nicht zuletzt das Talent von Wolfgang Braunfels für die Organisation von Wissenschaft. Braunfels hatte bis zu seiner Berufung nach Aachen nicht sonderlich viel publiziert, die Dissertation über Cuvilliés (Bonn 1937) – ein zeittypisch schmales, aber im Druck vorliegendes Bändchen –, ein paar kürzere Aufsätze zu den verschiedensten Themen, inhaltlich und methodisch breit gestreut, ein paar kleine Kirchenführer sowie – zusammen mit Eckart Peterich – die Kleine Kunstgeschichte Italiens (Frankfurt/Main 1939)  : ein Buch, dem man noch heute in überaus positivem Sinne anmerkt, dass Braunfels nach dem Studium seinen Lebensunterhalt als Reiseführer bestritten hatte. Erfahrungen in der universitären Lehre konnte Wolfgang Braunfels bis dato nicht nachweisen. Der vermutlich neben dem Text zu den Kanzeln der Pisani bedeutendste Aufsatz aus dieser Zeit, Nimbus und Goldgrund von 1950, 1979 in einer Auswahl der Schriften Braunfels’ wiederabgedruckt und auch heute noch gelegentlich zitiert, wird für die Kommission wohl kaum eine Rolle gespielt haben, zu fern liegen seine Thesen von den Kernthemen einer Architekturfakultät.20 Entscheidend für die Berufung war das neue Buch von Braunfels, die Druckfassung der Kölner Habilitationsschrift zur Mittelalterlichen Stadtbaukunst in der Toskana. Das Werk – nur so viel sei konstatiert – schlug in seiner Kombination von detailgenauer, anschaulicher Analyse und einem klugen Umgang mit den Schriftquellen, vor allem Baugesetzen und Stadtstatuten, wie eine Bombe ein. Die Forschungen zur Urbanistik auf ein vollkommen neues Niveau hebend, im Handstreich den Mythos der ›gewachsenen Stadt‹ erledigend, war das Buch für die Italienforschung geradezu eine Sensation im Hinblick auf – wie man es heute nennen würde – Kontextorientierung und Interdisziplinarität. Sinngemäß werden diese Qualitäten in der knappen Laudatio für die Erstplatzierung auch entsprechend gewürdigt, hinzu kommt noch die Instrumentalisierung der »schöpferischen Kräfte seines Vaterhauses« (Anhang 4).21 ›Secondo et aequo loco‹ – also gleichberechtigt auf Platz zwei – folgten Herbert Siebenhüner und Hans Weigert. Vor dem Hintergrund der bisherigen Karriere von Braunfels darf man der Kommission die Inanspruchnahme eines gehörigen Maßes an Prospektion unterstellen. 20 Braunfels geht es in dem Text darum, wie sich der Goldgrund in der Malerei des Spätmittelalters vom Symbol zum Gegenstand einer genuin künstlerischen Auseinandersetzung mit der Realität wandelt  ; Magie gehe verloren, Ästhetik trete an ihre Stelle – der »Realitätscharakter des Kunstwerks«, so Braunfels einleitend, »ist die eigentlich moderne Frage an die Kunst« (Braunfels 1979, S. 9). 21 Der Vater war Komponist und Pianist, 1925 – 1933 und wieder ab 1947 Direktor der Hochschule für Musik in Köln, Großvater mütterlicherseits war Adolf von Hildebrand (vgl. Traeger 1987, S. 519).

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IV. Hans Holländer (1932 – 2017)

Institutionsgeschichtlich gesehen, hat sich die Kunstgeschichte noch zu Braunfels’ Zeiten weiter aufgefächert, durch den zweiten Lehrstuhl für Baugeschichte und Denkmalpflege, und ab der Mitte der 1960er Jahre durch die Einführung neuer Studiengänge, den Magister Kunstgeschichte in Haupt- und Nebenfach sowie den Magister Baugeschichte (ebenfalls in Haupt- und Nebenfach  ; m. W. dem einzigen in Deutschland)  ; für kurze Zeit konnte man in Aachen – mit entsprechender Beteiligung der Kunstgeschichte – zudem Kunst als Fach für das Lehramt an Schulen aller Stufen studieren, bedingt durch die hochschulpolitische Entscheidung, die RWTH Aachen auch zum Zentrum der Ausbildung von Lehrer_innen werden zu lassen. Diese strukturbildenden Maßnahmen hatten auch Konsequenzen für die inhaltliche Ausrichtung – und für die Personalausstattung  : Ab 1965 gab es eine zweite Professur in der Kunstgeschichte, die zunächst mit dem noch von Braunfels habilitierten Lorenz Dittmann besetzt worden war und danach mit Götz Pochat  ; 1987 fiel sie weg, durch – so Hans Holländer – »ungeschicktes und desinteressiertes Taktieren der Architekturfakultät«.22 Spätestens mit der Berufung von Hans Keutner auf den Lehrstuhl zum 1. April 1967 wird sich das Fach als genuine Kunstgeschichte verstanden haben – und eben nicht als Kunst- und Architekturgeschichte. Keutner ging 1969 als Direktor an das Kunsthistorische Institut in Florenz. Im Rahmen der Nachfolge hat man dann offenbar die Rolle der Kunstgeschichte ausführlich diskutiert, den potentiellen Bewerber_innen wurde auf Nachfrage ein mehrseitiges Schreiben des Berufungs- und des Strukturausschusses der Fachabteilung zur Verfügung gestellt, in dem es unter anderem heißt  : »Es wird erwartet, dass eine ständige Reflexion der Funktion, der Methoden und des Gegenstandsbereiches der Kunstwissenschaft stattfindet, wie auch die Reflexion der gesellschaftlichen Zusammenhänge der Kunst unter Berücksichtigung der Aspekte einer kritischen Kunstwissenschaft (Entwicklung ideologiekritischen Bewusstseins, Erweiterung des bisherigen Gegenstandsbereiches der Kunstwissenschaft – Tendenz zu einer ›Allgemeinen Bildwissenschaft‹). Schwerpunkte für den Fachbereich Architektur 19. und 20. Jahrhundert, jedoch nicht rein baugeschichtlich.«23

Zur Didaktik »wird erwartet, dass der Bewerber auf der terra inkognita der Hochschuldidaktik neue Formen des Lehrens und Lernens entwickelt.«24 Hinzu kommt noch ein dreiseitiges Schreiben der Studierenden, in dem die »bestehende Kunstgeschichte […] 22 Holländer 2016, S. 90. 23 Hochschularchiv der RWTH Aachen, Sign. 4064. 24 Ebd.

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als unkritisch, affirmativ, irrelevant, irrationalistisch, isolationistisch und ahistorisch« kritisiert wird.25 Stattdessen müsse sie sich als »kritische Kunstwissenschaft verstehen«, als ein »Beitrag zu der allgemeinen Anstrengung, eine Welt zu schaffen, die den Bedürfnissen und Kräften der Menschen genügt.«26 Die Bewerber haben auf diese Gedanken und Forderungen durchaus unterschiedlich reagiert, es mag ausreichen, auf Reiner Haussherr zu verweisen, der schreibt, »dass mir solche Texte schon rein sprachlich nicht leicht fallen«, und auf Heinrich Klotz, der sie als »fruchtbarer empfindet, als das ewige sich-Drehen im Kreise der Ästheten und Ikonologen.«27 Der Listenvorschlag platzierte Lorenz Dittmann und Hans Holländer ›aequo loco‹ auf Platz 1 und Günter Urban auf Platz 2. (Vgl. Anhang 5). Berufen wurde Hans Holländer. Auch aus heutiger Sicht vollkommen plausibel wird in der Laudatio auf Hans Holländer die Bandbreite seiner Publikationen hervorgehoben, die bis zum Zeitpunkt der Berufung neben den Qualifikationsschriften – der Dissertation zum romanischen Tympanon und der Habilitation zum Evangelistenbild – ein Überblickswerk über die Kunst des frühen Mittelalters sowie Aufsätze zu Parmigianino, Goya, zum Surrea­ lismus und zu Giacometti umfasst, mithin eine enorme Bandbreite bei deutlichem Schwerpunkt im Mittelalter. Im Folgenden hat Hans Holländer unter anderem die Perspektiven des Faches insofern erweitert, als er sich explizit als Professor an einer Technischen Hochschule verstanden hat, zunächst und vor allem mit dem umfänglichen Forschungsprojekt zur Bildgeschichte von Naturwissenschaften und Technik.28 Dies darf man durchaus als geradezu mustergültige Umsetzung des Postulats bezüglich der Rolle der Kunstgeschichte an den Technischen Hochschulen verstehen, wie sie von Klaus Lankheit in seiner Karlsruher Rektoratsrede aus dem Jahr 1965 erhoben worden ist.29 In einem Rückblick schreibt Hans Holländer, dass die Kunstgeschichte »im Rahmen des Fächerkataloges der Architekten-Ausbildung nur eine begrenzte Funktion gehabt hätte«.30 Kurz und bündig resümiert er damit eine Funktion, die für die Rolle und die Grenzen des Faches an der RWTH Aachen und für viele Technische Universitäten offenbar schon immer bestimmend gewesen ist  : Besonders anschaulich wird dies in der Rektoratsrede von Klaus Lankheit, in der es heißt, der Anlass sei für ihn, 25 Ebd. 26 Ebd. 27 Ebd. Der Ordner enthält alle Bewerbungen (Christian Beutler, Günther Binding, Rudolf M. Bisanz, Lorenz Dittmann, Ulrich Gertz, Reiner Haussherr, Hans Holländer, Heinrich Klotz, Reinhard Liess, Karl Noehles, Ludwig Schreiner, Günter Urban, Claus Zoege von Manteuffel) sowie die Protokolle der Berufungskommissionssitzungen. 28 Holländer 2000. 29 Lankheit 1966. 30 Holländer 2016, S. 90.

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»die Kunstgeschichte als für die Hochschule anscheinend so untypisches Fach vorzustellen  !«31 Weiter unten wird in dem Text die Anekdote überliefert, der Stuttgarter Rektor hätte dem neuen Ordinarius Otto Schmitt bei dessen Antrittsbesuch kurz und bündig erklärt, die »Kunstgeschichte sei nicht das fünfte, sondern das siebente Rad am Wagen der Hochschule.«32 Möglicherweise wird sich diese Einschätzung geändert haben, ja haben müssen, weil Otto Schmitt sich bis zu seinem frühen Tod in höchstem Maße und sehr erfolgreich in institutionellen Belangen an der Technischen Universität Stuttgart engagiert hat, zunächst als Dekan und dann als Rektor. Aber hier wäre vermutlich zu differenzieren zwischen Person und fachlicher Verantwortung, denn noch von seinem Nachfolger auf dem Lehrstuhl für Kunstgeschichte, dem Mediävisten Hans Wentzel, heißt es, dieser habe die Kunstgeschichte an der Architekturfakultät für eigentlich überflüssig gehalten und sich selbst viel eher an eine Universität gewünscht.33 V. Zusammenfassung und Ausblick

Ob man die Geschichte der Kunstgeschichte in Aachen – von ihrer Rolle am Polytechnikum bis an der RWTH Aachen University – in institutionsgeschichtlicher Sicht als paradigmatisch verstehen kann, wird erst in einem vergleichenden Blick ersichtlich werden, der zurzeit aber noch nicht möglich ist. Auch ihre Mikrogeschichte könnte man sehr viel genauer und facettenreicher erzählen, darüber hinaus mit einer anderen Perspektive, wenn man sie als Fach sui generis untersucht  : Paul Schoenen, Lorenz Dittmann, Götz Pochat, Volker Plagemann oder andere würden dann eine sehr viel größere Rolle spielen. Zudem verlohnte es sich durchaus, Interviews mit Zeitzeug_innen einzubinden. Mehr als gerne wüsste ich zum Beispiel, wie stark die Kunstgeschichte an Vorträgen wie dem von Wolf Vostell am 9. November 1967 beteiligt gewesen ist (Abb. 2), am legendären Festival der neuen Kunst am 20. Juli 1964 oder an der Performance von Günter Brus Die Architektur des hellen Wahnsinns am 6. Februar 1968, bzw. wie sie sich dazu verhalten halt.34 Was aber angesichts des hier vorgestellten Materials deutlich werden kann, sind Aspekte von Habitus, Programmatik und Position der Kunstgeschichte an einer Architekturschule. Dabei erweist sich unter anderem, wie stark das Renommee von den Personen bestimmt wird und wie einschneidend sich die Aufkündigung von Selbstverständlichkeiten auswirken kann  : Ungemein erhellend ist hier beispielsweise die von der Fakultät im Jahre 1952 beantragte Verlagerung der Inhalte von einer Kunstgeschichte 31 Lankheit 1966, S. 5. 32 Ebd., S. 9. 33 Mdl. Mitteilung Reiner Haussherr. 34 Vgl. dazu Oellers 2011.

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im umfassenden Sinne zu einer Baugeschichte. Die über 60 Jahre alte Antwort auf den Antrag würde noch heute die besten Argumente für eine Positionsbestimmung der Kunstgeschichte an Technischen Hochschulen liefern (Anhang 3).

Anhang 1

Laudatio Hermann Beenken, dat. 20. Oktober 1948 (nach Hochschularchiv der RWTH ­Aachen, Sign. PA 1617) »Er ist ein so bekannter und geschätzter Vertre­ter seines Faches, dass sich umfangreiche Erkundigungen in Fachkreisen erübrigen. Er hat 1944 das sehr mutige Buch ›Das neunzehnte Jahrhundert in der Deutschen Kunst‹ erscheinen lassen, das zum Besten gehört, was über das 19. Jahrhundert geschrieben wurde. Ebenso wertvoll sind seine zahlreichen aus Abb. 2  : Vortragsankündigung Wolf Vostell. dem Publikationsnachweis zu ersehenden Foto  : Foto Dietmar Spiegel, Aachen. Schriften über die romanische Plastik, die Brüder v. Eyck, den Meister v. Naumburg u. a. m. Professor Beenken ist 1896 in Bremen geboren und steht also in den besten und fruchtbarsten Jahren der wissenschaftlichen Arbeit. Er ist Schüler von Heinrich Wölfflin und habilitierte sich in Leipzig bei Wilhelm Pinder, vertritt also die beste Tradition der deutschen Kunstgeschichte. Seine Einstellung zu den Problemen der Kunst ist überaus lebendig und keineswegs rein formalistisch, so dass er der Fakultät für die Erziehung der jungen Architekten besonders geeignet erscheint. Er hat einen weiten Blick in alle Kulturzusammenhänge, der ihn vor einem engen Spezialistentum bewahrt und stellt seine Fachwissenschaft immer in den großen kulturgeschichtlichen Rahmen der abendländischen Entwicklung. Seine Arbeit ist getragen von der Idee des deutschen Idealismus und christlichen Humanismus, so dass er für die akademische Jugend ein sehr guter Erzieher sein wird. Er wird im Stande sein, seine Fachwissenschaft in den Dienst dieser großen, gerade an Technischen Hochschulen besonders wichtigen Erziehungsund Bildungsaufgabe zu stellen. Die Fakultät hat auch durch seinen Probevortrag über ›die Entdeckung des Menschlichen in der Kunst‹ den einmütigen Eindruck, dass er der richtige Mann ist, den die Fakultät zur Ergänzung des rein fachlichen Studiums braucht und nennt ihn deshalb an erster Stelle.« 310

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Anhang 2

Titel der Lehrveranstaltungen von Hermann Beenken (nach den jeweiligen Vorlesungsverzeichnissen) Sommersemester 1949  : Allgemeine Kunstgeschichte (Antike und Mittelalter), Vorlesung, vierstündig  ; Abendländische Architekturentwicklung, Übung, zweistündig  ; Kolloquium über Politik und politische Ethik, Ü2. Wintersemester 1949/50  : Kunstgeschichte I (Antike und Mittelalter), V4  ; Baukunst der Renaissance und des Barock, Ü2  ; Die Kunst unserer Zeit und ihre Probleme, V2. Sommersemester 1950  : Kunstgeschichte I (Antike und Mittelalter), V4  ; Baukunst der Renaissance und des Barocks, Ü2  ; Die Kunst unserer Zeit und ihre Probleme, V2. Wintersemester 1950/51  : Kunstgeschichte II (Mittelalter), V4  ; Baukunst der Renaissance und des Barock, Ü2  ; Die Kunst unserer Zeit und ihre Probleme, V2. Sommersemester 1951  : Allgemeine Kunstgeschichte III (Spätmittelalter und Renaissance), V4  ; Architekturgeschichtliches Seminar (18. und 19. Jahrhundert), Ü2  ; Die Baukunst des 20. Jahrhunderts (Kolloquium in Gemeinschaft mit den Lehrstühlen für architektonisches Entwerfen), Ü2. Wintersemester 1951/52  : Die großen Meister der Hochrenaissance und des Manierismus, V4  ; Architekturgeschichtliches Seminar, Ü2  ; Das Raumproblem in der abendländischen Architekturentwicklung, Ü2. Sommersemester 1952  : Die großen Epochen der abendländischen Architekturentwicklung, V4  ; Architekturgeschichtliches Seminar  : Der Profanbau vom 15. – 19. Jahrh. Anhang 3

(nach Hochschularchiv der RWTH Aachen, Sign. 1173) »Der Kultusminister des Landes Nordrhein-Westfalen 24. Oktober 1952 Betr.: Umwandlung des Lehrstuhls für Kunstgeschichte Ich bedaure, der beantragten Umwandlung des Ordinariats für Kunstgeschichte in ein Ordinariat für Baugeschichte nicht zustimmen zu können. Die ordentlichen Lehrstühle für Kunstgeschichte an den Technischen Hochschulen haben seit jeher im Rahmen der Gesamtaufgabe der Hochschule eine begründete und notwendige Stellung, auf die nicht zu Gunsten eines Spezialgebietes wie der Baugeschichte verzichtet werden sollte. Damit würde eine Einengung des kunstgeschichtlichen Lehrstuhls erfolgen, die nicht im Sinne der allgemeinen heutigen Bestrebungen liegt. Auch für die Studierenden der Architektur würde sich eine solche Maßnahme auf die Dauer nachteilig auswirken. Schließlich ist auch zu bedenken, dass die bisherige Einrichtung des kunsthistorischen Ordinariats für die gesamte Kulturpflege der Stadt Aachen von Bedeutung gewesen ist 311

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und wesentlich zu der kulturellen lebendigen Verbindung zwischen Stadt und Hochschule beigetragen hat. Aus allen diesen Gründen kann ich dem Umwandlungs-Antrag der Fakultät für Bauwesen nicht entsprechen.« Anhang 4

(nach Hochschularchiv der RWTH Aachen, Sign. PA 1680) Begründung der Wahl von Dr. Wolfgang Braunfels auf Platz 1 (dat. 29.6.1953) »Die Ankündigung seines Buches über ›Mittelalterliche Stadtbaukunst in der Toskana‹ bestärkte die Fachabteilung für Architektur, Herrn Dr. Braunfels zu einem Probevortrag am Lehrstuhl für Kunstgeschichte aufzufordern. Bei der Darstellung des Wettbewerbs um das Florentiner Dommodell, den er zum Thema seiner Vorlesung gewählt hatte, verzichtete er auf die hergebrachten formengeschichtlichen Spekulationen und stellte die bei der Entstehung des Bauwerks tätigen, lebendigen Kräfte heraus. So gewannen die Studierenden Einblick in das Wesen des baulichen Geschehens, in die soziologische Auseinandersetzung und in den Widerstreit der Generationen und der künstlerischen Bestrebungen. Die bestechende Sachtreue der Darstellung ließ Raum genug für die Erkenntnis des lebendigen Kräftespiels, in dem der mittelalterliche Baumeister zum ersten Mal hinter den Baukünstler neuer Prägung zurücktrat. Das stilgeschichtliche Ergebnis erschien auf diese Weise in neuer Sicht. Die gleiche Methode ist in Braunfels’ neuem oben aufgeführten Buche in breiterer Ebene durchgeführt. Strenger Gelehrtenfleiß zeichnet es neben der Neuartigkeit der Gesichtspunkte aus. Für die schwierige Aufgabe, junge Architekten an die Kunstgeschichte heranzuführen, erscheint uns Dr. Braunfels als die geeignete Persönlichkeit. Ein Vortrag, den er im Laufe des Wintersemesters im Aachener Museumsverein über Picasso hielt, ließ erkennen, dass er auch zur modernen Kunst ein lebendiges Verhältnis hat. In einer glücklichen Weise kommen Herrn Dr. Braunfels die schöpferischen Kräfte seines Vaterhauses zu Hilfe, die es ihm heute gestatten, über den eigentlichen Arbeitsbereich des Kunsthistorikers hinaus, den lebendigen Kontakt mit den Problemen der Umwelt zu erhalten, soweit sie sich mit der sichtbaren Formung des Zeitgeistes auseinandersetzen. So ist es ihm vergönnt, jedes Einzelproblem immer wieder in den Bezug auf das Ganze einer zeitbedingten Situation zu sehen, eine Eigenschaft, die ihn in seiner schriftstellerischen Tätigkeit auszeichnet. Vorliegende Angebote zur Besetzung gut bezahlter Stellen in In- und Ausland hat Dr. Braunfels im Interesse seiner zielstrebigen wissenschaftlichen Forschung zurückgestellt, nicht zuletzt, um sich selbst nicht untreu zu werden. Diese Eigenschaft mag besonders hoch angerechnet werden, da sie sich immer wieder als beispielhaft für die Erziehung des Nachwuchses auswirken wird.«

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Anhang 5

(nach Hochschularchiv der RWTH Aachen, Sign. 4064) Berufungsvorschlag für das Ordinariat »Kunstgeschichte«, dat. 11.2.1971 »Dr. phil. Lorenz Dittmann, 43 Jahre Herr Dittmann hat nach dem Studium in München bei Hans Sedlmayr promoviert. Er war von 1955 – 1956 für die Bibliographie zur Bayerischen Kunst beschäftigt, hatte 1956 ein Stipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft, absolvierte 1957 den Volontärkurs der Staatlichen Museen in München und wurde 1958 Wissenschaftlicher Assistent an der Technischen Hochschule Aachen. Er habilitierte sich 1965 mit einer Arbeit über ›Stil – Symbol – Struktur, Studien zu Kategorien der Kunstgeschichte‹ und wurde 1966 zum Dozenten ernannt  ; seit 1970 ist er WR [Wissenschaftlicher Rat] und Professor. Herr Dittmann hat den Lehrstuhl für Kunstgeschichte seit November 1969 vertreten. Er stand im Juli 1966 an 3. Stelle der Berufungsliste in Aachen. Die wissenschaftlichen Veröffentlichungen Herrn Dittmanns zeigen ein breites Spektrum, das die Neuzeit von der Renaissance bis zur Gegenwart umfasst. Ausgehend von Themen seiner Dissertation ›Die Farbe bei Grünewald‹ hat er seine Forschungen über die Farbe auf die Zeit der deutschen und italienischen Renaissance, des 19. und 20. Jahrhunderts ausgedehnt. Daneben hat er sich intensiv mit der Verflechtung von Kunstgeschichte und Philosophie befasst, wie eine Reihe von kunstgeschichtlichen und methodologischen Arbeiten ausweist. Herr Dittmann gilt als ausgeprägter und sicherlich bedeutendster Vertreter der Schule von Kurt Badt. In Vorlesungen und Seminaren hat Herr Dittmann ein inhaltlich konsequent entwickeltes Lehrprogramm vertreten  ; es umfasst das gesamte Stoffgebiet des Faches. Herr Dittmann übertrifft in dieser Beziehung die anderen Kandidaten. Er verfügt über die Gabe einer einprägsamen Darstellung und ist in der Lage, eine verhältnismäßig große Hörerzahl anzusprechen. Herr Dittmann ist zur Kooperation sowohl mit den Studenten als auch mit den Vertretern anderer Fachgebiete bereit. Dr. phil. Hans Holländer, 39 Jahre Herr Holländer hat nach Studien in Hamburg, Tübingen und Freiburg 1959 in Tübingen promoviert. Er war bis 1961 Volontär am Museum in Karlsruhe, arbeitete 1 Jahr als Lektorats-Assistent bei Kohlhammer in Stuttgart und wurde 1962 Wissenschaftlicher Assistent in Tübingen. 1964 habilitierte er sich mit einer Arbeit über ›Das abendländische Evangelistenbild im frühen Mittelalter‹. Er ist seitdem Dozent für Kunstgeschichte in Tübingen und wurde 1970 zum apl. Professor ernannt. Herrn Holländers wissenschaftliche Veröffentlichungen zeigen eine Fülle von Einzelinteressen, die sich über das ganze Gebiet der Kunstgeschichte erstrecken. Bei der Durchdringung unterschiedlicher Stoffe entwickelte er eine spezifische und nuancierte Methodik  ; die einzelnen Arbeiten sind inhaltlich, methodisch und sprachlich ausge313

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zeichnet. In ihnen geht Herr Holländer über die ihn besonders interessierenden ikonographischen und ikonologischen Probleme im Sinne der allgemeinen Kunstwissenschaft hinaus und bezieht Probleme anderer Disziplinen ein. Die Themen seiner Lehrveranstaltungen bestätigen den Eindruck, dass bei ihm die gewünschte genügende Breite im Spektrum vorhanden ist. In seinem Vortrag hat Herr Holländer gezeigt, dass er ein schwieriges Thema ausgezeichnet darstellen und vermitteln kann [Anm. AM  : Thema war ›Anamorphotische Gemälde bei Jean François Niceron‹]. Er ging von einer spezifischen Fragestellung aus und stellte diese in einen übergeordneten geisteswissenschaftlichen Zusammenhang. In der Diskussion zeigte sich seine Bereitschaft zur Kooperation mit Studenten und verwandten Fachdisziplinen.« Literatur Beenken 1925 – Hermann Beenken  : Konsequenzen und Aufgaben der Stilanalyse, in  : Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft 18 (1925), S. 417 – 437. Beenken 1937a – Hermann Beenken  : Die Bauaufgabe. Zu ihrer Geschichte in Deutschland seit dem Ende des Barock, in  : Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 15 (1937), S. 544 – 577. Beenken 1937b – Hermann Beenken  : Der Historismus in der Baukunst, in  : Historische Zeitschrift 157 (1937), S. 27 – 68. Beenken 1944 – Hermann Beenken  : Das neunzehnte Jahrhundert in der deutschen Kunst. Aufgaben und Gehalte. Versuch einer Rechenschaft, München 1944. Beenken 1952 – Hermann Beenken  : Schöpferische Bauideen der deutschen Romantik, Mainz 1952. Braunfels 1979 – Wolfgang Braunfels  : Nimbus und Goldgrund, in  : Ders.: Nimbus und Goldgrund. Wege zur Kunstgeschichte 1949 – 1975, Mittenwald 1979, S. 9 – 27. Cordez 2014 – Philippe Cordez  : 1965  : Karl der Große in Aachen. Geschichten einer Ausstellung, in  : Peter van den Brink, Sarvenaz Ayooghi (Hg.)  : Karl der Große, Bd. 3  : Karls Kunst, Dresden 2014, S. 17 – 29. Dlugaiczyk, Markschies 2008 – Martina Dlugaiczyk, Alexander Markschies (Hg.)  : Mustergültig. Gemäldekopien in neuem Licht. Das Reiff-Museum der RWTH Aachen, Ausstellungskatalog Aachen, München, Berlin 2008. von Erdberg 1955/56 – Eleanor von Erdberg  : Das japanische Haus, in  : Alma Mater Aquensis 1955/56, S.  71 – 77. von Erdberg 1994 – Eleanor von Erdberg  : Der strapazierte Schutzengel. Erinnerungen aus drei Welten, Waldeck 1994. Felgentraeger 1956 – Wilhelm Felgentraeger  : Die wissenschaftlichen Räte, in  : Mitteilungen des Hochschulverbandes 4 (1956), S. 1 – 7. Gross 1952 – Werner Gross  : Hermann Beenken, in  : Kunstchronik 5 (1952), S. 153 – 156. Holländer 2000 – Hans Holländer (Hg.)  : Erkenntnis, Erfindung, Konstruktion. Studien zur

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Bildgeschichte von Naturwissenschaften und Technik vom 16. bis zum 19. Jahrhundert, Berlin 2000. Holländer 2016 – Hans Holländer  : Hans Holländer, in  : Gerhard Curdes (Hg.)  : Architektur an der RWTH Aachen. Rückblicke 1960 – 2000, Aachen 2016, S. 90 – 95. Huse 1977 – Norbert Huse  : Anmerkungen zu Burckhardts »Kunstgeschichte nach Aufgaben«, in  : Friedrich Piel, Jörg Träger (Hg.)  : Festschrift Wolfgang Braunfels, Tübingen 1977, S. 157 – 166. Kroos 2007 – Renate Kroos  : Frau und Kunstgeschichte. Frauen und Kunst, in  : Jeffrey F. Hamburger, Carola Jäggi (Hg.)  : Frauen – Kloster – Kunst. Neue Forschungen zur Kulturgeschichte des Mittelalters. Beiträge zum internationalen Kolloquium vom 13. bis 16. Mai 2005 anlässlich der Ausstellung »Krone und Schleier«, Turnhout 2007, S. 15 – 24. Lange 1994 – Barbara Lange  : Aenne Liebreich. Facetten einer Hochschulkarriere in den zwanziger und dreißiger Jahren, in  : Kritische Berichte 22 (1994), S. 22 – 34. Lankheit 1966 – Klaus Lankheit  : Kunstgeschichte unter dem Primat der Technik. Rektoratsrede, gehalten bei der Jahresfeier am 4. Dezember 1965, Karlsruhe 1966. Oellers 2011 – Adam C. Oellers  : Fluxus +– RWTH Aachen  !  ? Technikstudenten erleben vier Jahre lang ein höchst erstaunliches Kulturprogramm, in  : Brigitte Franzen (Hg.)  : Nie ­wieder störungsfrei  ! Aachen Avantgarde seit 1964, Ausstellungskatalog Aachen, Bielefeld 2011, S.  22 – 39. Traeger 1987 – Jörg Traeger  : Wolfgang Braunfels, Kunsthistoriker (1911 – 1987), in  : Georg Schwaiger (Hg.)  : Christenleben im Wandel der Zeit, Bd. 2  : Lebensbilder aus der Geschichte des Erzbistums München und Freising, München 1987, S. 518 – 528.

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Kunstgeschichte als Motor der Erneuerung an der Architekturabteilung der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich Die 1967 erfolgte Gründung des Instituts für Geschichte und Theorie der Architektur (gta) an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH) kann als Folge ei­ nes Erneuerungsprozesses verstanden werden, der um 1959 begonnen hatte und in dessen Rahmen auch die Kunstgeschichte zu neuer Prominenz gelangte. Vorangegan­ gen war 1958 der Rücktritt des 70-jährigen Privatdozenten Sigfried Giedion. Als Gene­ ralsekretär des Congrès International d’Architecture Moderne (CIAM) war er einer der einflussreichsten Kunsthistoriker beim Umbruch von der traditionellen zur modernen Architekturausbildung. Es lässt sich nachzeichnen, wie die Kunstgeschichte nach 1960 zum wirksamen Motor der Erneuerung wurde, mit einer zunehmenden Ausrichtung der ETH-Architekturabteilung auch auf geisteswissenschaftliche Inhalte.

Das Thema des folgenden Beitrags ist das Wechselverhältnis von Kunstgeschichte und Architekturausbildung an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich in den beiden Zeiträumen vor und nach 1959. Vorab sei erwähnt, dass es neben der Kunstgeschichte auch andere ›Motoren der Erneuerung‹ gab, so die Neuberufungen von Professoren im Allgemeinen, die zunehmende Größe und Diversifizierung der ETHArchitekturabteilung oder die Studierendenproteste, welche 1968 – 1972 genau in jene Zeit fielen, in welcher der Entwurfsprofessor Bernhard Hoesli (1923 – 1984) Vorsteher der Architekturabteilung war. 25 Jahre davor, von 1943 bis 1948, hatte Hoesli selbst das ETH-Architekturstudium durchlaufen. Entsprechend seinen Schilderungen muss das Architekturstudium der 1940er Jahre wohl als solide, aber auch einseitig und überholt gekennzeichnet werden.1 Einer Technischen Hochschule durchaus angemessen, handelte es sich im Wesentlichen um eine Berufsausbildung, in welcher gestalterisches Experiment und geisteswissenschaftlicher Diskurs keine besondere Rolle spielten – im Gegensatz zu der Zeit nach 1959. Ab 1959 trug Hoesli als Dozent maßgeblich zur Erneuerung der Zürcher Architekturausbildung bei. Mein Beitrag soll allerdings nicht vom damals eingeführten

1 Vgl. unter anderem Hoesli 1980a  ; Hoesli 1980b, S. 92  ; Steinert 2014, S. 185. Diese Einschätzung bestätigt sich, wenn man die anlässlich der Ausstellung 100 Jahre Architekturunterricht an der ETH (1969) veröffentlichte Dokumentation der Semester- und Diplomarbeiten heranzieht  : Ronner 1971a–c.

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Grundkurs handeln, für den Hoesli im Verlauf von gut 20 Jahren (1959 – 1981) berühmt geworden ist.2 Wie sich zeigen wird, war es nicht zuletzt der Architekturlehrer Hoesli, welcher aufgrund seiner eigenen Erfahrungen dazu beitrug, dass die Kunstgeschichte beim notwendigen Erneuerungsprozess eine bedeutende Position erhielt. Er selbst scheint eine gewisse Prädisposition für die Kunstgeschichte gehabt zu haben. So hob er im Lebenslauf, den er 1959 anlässlich seiner Bewerbung als Dozent für den neu einzurichtenden ETH-Grundkurs übersandte, hervor, dass er vor seinem Architekturstudium »kunstund literaturgeschichtliche Vorlesungen« an der Universität Zürich besucht habe.3 Bedeutsamer für Hoeslis Haltung gegenüber der Kunstgeschichte war aber offenbar seine während des ETH-Studiums gemachte Bekanntschaft mit dem durchaus eigenwilligen Sigfried Giedion (1888 – 1968), der als studierter Kunsthistoriker an der ETH unterrichtete. Wie alles aus Hoeslis Frühzeit, bleiben Charakter und Intensität ihrer Beziehung mit Ausnahme weniger Dokumente4 im Halbdunkel. I.

Dreh- und Angelpunkt meines Beitrags ist die schrittweise Etablierung der Kunstgeschichte in der Architekturausbildung im Verlauf der 1960er Jahre. Ein bis heute weithin sichtbares Zeichen dieses um 1959 begonnenen Erneuerungsprozesses ist das 1967 gegründete Institut für Geschichte und Theorie der Architektur. Im Zusam­menhang mit dieser Gründung gelangte die Kunstgeschichte zu kaum gekannter Prominenz. Die maßgeblichen Personen bei der Institutsgründung waren neben Hoesli die Kunsthistoriker Adolf Max Vogt (1920 – 2013) und Paul Hofer (1909 – 1995). Angesichts dieser charakterstarken Persönlichkeiten verblasst das Bild Erwin Gradmanns (1908 – 1985), der als Kunsthistoriker ebenfalls dem gta angehörte.5 2 Vgl. dazu Stöckli 1989  ; Simmendinger 2010  ; Steinert 2014, S. 190 f. sowie Anm. 4.40 auf S. 362. Diesen ersten Jahreskurs der Architekturausbildung an der ETH musste jede(r) neu aufgenommene Architekturstudierende durchlaufen, und entsprechend prägend konnten Hoesli und seine Kollegen hier auf die Studierenden wirken. Für den Grundkurs wurden neben Hoesli (architektonisches Entwerfen) nacheinander noch Hans Ess (zeichnerisches und farbiges Gestalten) sowie Heinz Ronner (konstruktives Entwerfen) verpflichtet. Für einen allgemeinen Überblick über die Veränderungen an der ETH-Architekturabteilung von Mitte der 1950er bis Anfang der 1960er Jahre vgl. Roth 1980. 3 [Bernhard Hoesli]  : [Lebenslauf ], April 1959, Photokopie des Typoskripts, ETH Zürich, gta Archiv, Nachlass Bernhard Hoesli, Aktenordner Katalog. BH Ausst. Allg. 1985/86. 4 Vgl. Geiser 2018, S. 282 sowie Anm. 108 und 111 auf S. 343  ; Steinert 2014, Anm. 4.9 f. auf S. 359. 5 Dass die Gründungsinitiative von Vogt ausging, welcher denn auch zum ersten Institutsvorsteher e­ rnannt wurde, scheint unbestritten. Eher schon herrscht gelegentliche Uneinigkeit darüber, ob oder welche Bedeutung den übrigen Beteiligten bei der Gründung zukam. Stellvertretend für die Auffassung, das maßgebliche Triumvirat habe aus Vogt, Hofer und Hoesli bestanden, möchte ich Katharina Medici-Mall

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Alle drei – Vogt, Hofer und Hoesli – beschäftigte eine Frage, mit welcher bereits Giedion die Architekturabteilung konfrontiert hatte  : In welchem Verhältnis stehen Geschichte und Gegenwart zueinander  ? Oder spezifischer  : Wie kann die Geschichte in der Gegenwart beziehungsweise im Entwurf wirksam werden  ? Paradoxerweise war mit dieser vielleicht konservativ erscheinenden Frage in der Folge eine Modernisierung der Architekturausbildung verbunden. Ein wenig pathetisch und etwas pauschal könnte man von der Etablierung eines ›historischen Bewusstseins‹ bei den zukünftigen Architekten sprechen.6 Das so entstandene Reflexionsbedürfnis lässt sich bis weit in die 1970er Jahre hinein verfolgen, bis zu den Gastdozenturen des intellektuellen Architekten Aldo Rossi (1931 – 1997) und Hofers Beteiligung als Historiker an einer Reihe von Entwurfskursen.7 Frühes Beispiel einer Zusammenarbeit ist das von Hofer, Hoesli und Vogt im Wintersemester 1966/67 versuchsweise zu dritt veranstaltete Wahlfach Kommen­tare zu Bild und Bau heute.8 Wie angedeutet, hatte Hoesli die eigene Studienzeit an der ETH-Architekturabteilung als wenig prägend empfunden. Obwohl Giedion ab dem Wintersemester 1946/47 Lehraufträge an der ETH wahrnehmen konnte und mit seinem missionarischen Charakter dafür sorgte, dass die moderne Architektur den dortigen Studierenden stärker gegenwärtig wurde, gab Hoesli 1980 rückblickend folgende Einschätzung  : »Während des Studiums […] wurde uns nichts von Le Corbusier gesagt. […] Ich denke, dass wir, die damals ausgebildet wurden, zu den ersten einer neuen Architektengeneration gehörten. Die Anfänge der Modernen Architektur lagen für uns nicht nur schon weit zurück, sondern waren verschüttet. Eine systematische Beschäftigung mit der Moderne gab es nicht  ; sie wurde verdrängt. Von der heroischen Zeit des Neuen Bauens waren wir getrennt – deren erwähnen, welche 1985 die Festschrift für Adolf Max Vogt als »Festgabe von Schülern und jüngeren Kollegen in und außerhalb des gta als Dank an den Gründer Adolf Max Vogt und damit auch an die Mitbegründer, allen voran Bernhard Hoesli und Paul Hofer« annoncierte. – Medici-Mall 1985, S. 7. 6 Hier kann ich nochmals auf Medici-Mall verweisen, welche Vogts Auffassung des kunsthistorischen Unterrichts für angehende Architekten folgendermaßen charakterisierte  : »Kunstgeschichte nur als Motivgeschichte zur freien Benützung verfügbar machen, war ihm zu wenig. Er wollte beim Architektennachwuchs das historische Bewußtsein wecken, ohne das es keine Modernität gibt. […] Sein Ziel war, das Nicht-mehr mit dem Noch-nicht [zu] verschränken und dadurch aufzuzeigen [zu] versuchen, was geschichtliche Zeit ist. […] Nur mit diesem diachronischen Denken macht sich der Historiker dem Architekten verständlich, vermag er selbst überhaupt Architektur zu denken.« – Ebd., S. 6. 7 Vgl. Steinert 2014, S. 80 f. 8 Vgl. Burgerbibliothek Bern, Nachlass Paul Hofer, Dossier 223 (5). Die Zusammenarbeit gleich dreier Professoren – zweier Historiker und eines Architekten – war ungewöhnlich. Hierin kommt etwas zum Ausdruck, das Hoesli bereits 1954 gemeinsam mit Colin Rowe in einem Positionspapier für die Architekturschule in Austin, Texas, formuliert hatte  : die Überzeugung, dass das historische Bewusstsein notwendige Grundlage für das Bauen in der Gegenwart sei (vgl. unten, Abschnitt IV). Der Titel des Wahlfachs machte den Wunsch der Historiker Vogt und Hofer deutlich, sich explizit auch zu den Entwicklungen der Gegenwart zu äußern.

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Pioniere und Protagonisten, die noch lebten und aktiv waren, konnten nicht wirklich als unsere Zeitgenossen empfunden werden. Wir entdeckten ihr Werk wie etwas in der Vergangenheit, die aber auch Zukunft war. Ich hatte in Büchern die Bauten von Le Corbusier […] als Vorboten einer kommenden, neuen Welt gesehen – ich fand sie bei einem ersten Besuch im Sommer 1946 mit schockiertem Wiedererkennen als moderne Ruinen. Eine architektonische Zukunft erwies sich als das Vergangene und zugleich war dieses Vergangene Gegenwart. Das musste prägend wirken.«9

Ebenfalls 1980 schrieb Hoesli in der Festschrift zu 125 Jahren ETH Zürich  : »Die Moderne Architektur wurde an der ETH seit dem Ausscheiden von Professor Karl ­Moser, 1929, verdrängt  ; eine systematische Auseinandersetzung mit dem neuen Bauen der zwanziger und dreissiger Jahre war vernachlässigt worden.«10 Wie war das möglich, wo doch Giedion Vorlesungen über moderne Kunst und Architektur hielt  ? Um Hoeslis Einschätzung zu verstehen, muss man sich die bescheidene Stellung Giedions an der ETH und die mindestens ambivalente, teils strikt ablehnende Haltung der ETH-Architekturabteilung ihm gegenüber vergegenwärtigen. Ausführlich nachzulesen ist Giedions beinahe verzweifelter Versuch, in der Nachkriegszeit an der ETH Fuß zu fassen, in Reto Geisers kürzlich erschienener Dissertation.11 Der Typus des engagierten Kunsthistorikers war damals, 1946, noch nicht sehr erwünscht. II.

Ein Blick in die Institutionengeschichte der ETH anlässlich der Neubesetzung der Kunstgeschichte-Professur 1934 hilft die damalige Stellung des Fachs zu verstehen. Vor allem die Sitzungsprotokolle des Schweizerischen Schulrats geben detailliert und mit erstaunlicher Offenheit Auskunft über die damaligen Entscheidungsrichtlinien, Argumente und Abwägungen. Zum Ende des Sommersemesters 1934 war der bisherige Inhaber der Professur für Kunstgeschichte und Archäologie, Joseph Zemp (1869 – 1942), mit dem Erreichen der Altersgrenze von 65 Jahren von seinem Amt zurückgetreten.12 Die daraufhin erfolgte   9 Hoesli 1980a, S. 14. 10 Hoesli 1980b, S. 92. Karl Moser (1860 – 1936) war 1915 – 1928 ETH-Professor für Architektur und 1928 Gründungspräsident des CIAM, nachdem er 1927 im Wettbewerb für den Völkerbundpalast in Genf das Projekt von Le Corbusier und Pierre Jeanneret, Paris, mit einem ersten Preis (ex aequo) versehen hatte. 11 Vgl. Geiser 2018, S. 252 – 273 und 340 – 342 (Anm.). Vgl. ferner die einschlägigen Sitzungsprotokolle des Schweizerischen Schulrats aus dieser Zeit, als Digitalisat einsehbar unter URL  : https://www.sr.ethbib.ethz. ch (8. April 2019). 12 Vgl. Sitzungsprotokoll des Schweizerischen Schulrats vom 16. Juni 1934, S. 69 – 73, als Digitalisat einsehbar unter URL  : https://www.sr.ethbib.ethz.ch (8. April 2019).

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Neuausschreibung war mit der Frage verbunden, ob eine eventuelle Neuausrichtung der Professur wünschenswert sei. Im Sitzungsprotokoll des Schweizerischen Schulrats vom 16. Juni 1934 heißt es dazu  : »Die Abteilung für Architektur hat […] geantwortet, dass sie grundsätzlich an einem Unterricht in Kunstgeschichte festhalten möchte, dass aber doch gegenüber der heutigen Unterrichtsart Aenderungen am Platze wären. Für Architekten sei es weniger wichtig, eine ausführliche Schilderung der verschiedenen Zeitalter in kunsthistorischer Beziehung zu erhalten, als die lebendige und methodische Betrachtung weniger charakteristischer Bauten der einzelnen Epochen […] Auch wäre es wünschenswert, dass der Unterricht in Kunstgeschichte nicht bloss bis zum 18. Jahrhundert geführt werden könnte.«13

Hier klingt an, dass in der Ära Zemp ein vergleichsweise traditioneller Unterricht in Kunstgeschichte geherrscht hatte. Nun wünschte sich zumindest die Architekturabteilung eine Art ›Kunstgeschichte für Architekten‹, im Überblick reduziert, dafür konkreter auf die Interessen zukünftiger Architekten zugeschnitten. Staunen machen kann uns die erwähnte Zeitgrenze »bis zum 18. Jahrhundert«, die sich heute in ihr Gegenteil verkehrt hat  : Geschichtsvorlesungen und -seminare für Architekturstudierende geben häufig dem 19. und 20. Jahrhundert den Vorzug. Aus der im Sitzungsprotokoll folgenden Diskussion über eine mögliche grundsätzliche Neuorientierung der Kunstgeschichte-Professur möchte ich stellvertretend einige Auszüge wiedergeben. Nationalrat Heinrich Walther (1862 – 1954) ergriff für die Beibehaltung einer traditionellen Kunstgeschichte Partei  : »Von verschiedenen Seiten wurde ich angefragt, ob der Schweiz. Schulrat an der bisherigen Tradition festhalten oder sich den Bestrebungen der modernen Architekten anschliessen werde. Es bestehen grösste Bedenken, den Unterricht in Kunstgeschichte an der E. T. H. zurückzudrängen. Dieser Unterricht hat nicht nur Bedeutung für die fachliche Ausbildung der Architekten, sondern in weiterm Umfang auch für die allgemeine kulturelle Bildung. Ich teile durchaus die Auffassung des verstorbenen Nationalrat[s] Dr. Waldvogel, der vor dem Brotstudium gewarnt und besonders den Wert der Kunstgeschichte für die allgemeine Bildung hervorgehoben hat. […] Es wäre als kultureller Rückgang zu bezeichnen, wenn nicht mehr die eigentliche Kunstgeschichte, sondern nur noch eine moderne Architekturaesthetik gelehrt würde. – Die neue Richtung in der Baukunst kommt an unserer Abteilung für Architektur heute in richtigem Masse zur Geltung, aber sie überwuchert noch nicht.«14

13 Ebd., S. 70. 14 Ebd., S. 71.

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Der Schulratspräsident Arthur Rohn (1878 – 1956) pflichtete ihm im Sinne eines universalen Bildungsanspruchs der ETH und gegen eine zu starke Ausrichtung auf die Praxis bei  : »Es kann sich unter keinen Umständen darum handeln, an der E. T. H. das Brotstudium zu fördern. Allerdings haben besonders in den letzten Jahren die Abteilungskonferenzen bei den Studienplanberatungen Anträge eingereicht, die in dieser Richtung gingen. Wir haben jedoch immer ein Veto eingelegt dagegen. [Die] von der Abteilung für Architektur im Unterricht der Kunstgeschichte gewünschte grössere Betonung des Zusammenhanges der Kunstgeschichte mit den allgemeinen kulturellen Verhältnissen der betreffenden Epochen, d. h. die Darstellung der verschiedenen Stile und architektonischen Formen als Ergebnis der Baustoffe, der technischen Mittel und der geistigen und religiösen Anschauungen der betreffenden Zeitabschnitte dürfte immerhin beachtet werden.«15

Dies war ein zurückhaltendes Plädoyer für eine leichte Modernisierung des kunsthistorischen Unterrichts, welcher stärker die Punkte herausstellen sollte, die für Architekturstudierende von Interesse sind. Regierungsrat Leo Merz (1869 – 1952) konterte  : »Für den modernen Kunsthistoriker bedeuten die Begehren der Abteilung für Architektur, vornehmlich die Darstellung der Kunstgeschichte als Ergebnis einer bestimmten Kulturepoche[,] eine Selbstverständlichkeit. Allerdings hat auch der Unterricht in Kunstgeschichte im Rahmen einer sachlichen und objektiven geschichtlichen Betrachtung zu erfolgen.«16

Die vorherrschende Tendenz bezüglich der Neubesetzung fasste Merz folgendermaßen zusammen  : »Gegenüber dem heutigen Zustand ist es wünschenswert, die kunstgeschichtliche Darstellung bis auf die Gegenwart auszudehnen. Mit den modernen Stilkämpfen hätte sich jedoch der Kunsthistoriker nicht zu befassen. Wichtig ist ferner, dass nach wie vor die ganze bildende Kunst zur Darstellung gelange, nicht nur die Baukunst.«17

Aus diesem Statement sprach die 1934 in der Schulleitung bestehende Neigung, einen traditionell arbeitenden Kunsthistoriker zu berufen, nicht einen, der in besonderem 15 Ebd., S. 71 f. 16 Ebd., S. 72. 17 Ebd. Die erwähnten »modernen Stilkämpfe« hatten auch die Schweiz keineswegs verschont. Man denke nur an den Wettbewerb von 1926/27 für den Völkerbundpalast in Genf. Das Projekt von Le Corbusier und Pierre Jeanneret, Paris, gehörte zu den neun (!) ersten Preisen und wurde nur Tage nach Bekanntgabe des Juryentscheids von dem mit Le Corbusier befreundeten Giedion publizistisch unterstützt. – Vgl. Oechslin 1988, S. 65 und Anm. 49 auf S. 64. Gebaut wurde schließlich ein traditionalistischer Entwurf.

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Maße ›Kunstgeschichte für Architekten‹ lehren würde.18 Eine Person wie der damals bereits 46-jährige Giedion, der sich seit 1928 als Generalsekretär des Congrès International d’Architecture Moderne für die Durchsetzung der Moderne verwendete, hatte damit keine Aussicht auf die Stelle. Ohnehin hatte er zu spät von der Ausschreibung erfahren.19 Im Sitzungsprotokoll wurde des Weiteren in doppeldeutiger Weise ›klargestellt‹, dass die in der Denomination enthaltene Archäologie »nur in geringem Masse berücksichtigt werden könne«.20 Die Weiterbehandlung der fälligen Neubesetzung wurde dann auf die nächste Sitzung verschoben. Das Sitzungsprotokoll vom 21. Juli 1934 nennt neun Bewerber, darunter Rudolf Bernoulli (1880 – 1948), welcher 1923 zum Konservator der Kupferstich- und Handzeichnungssammlung der ETH ernannt worden war21 und seit 1924 als Privatdozent Kunstgeschichte lehrte. Ein weiterer Bewerber war der Architekt Peter Meyer (1894 – 1984), Redakteur der Zeitschrift Das Werk. Seine Bewerbung genoss vor allem von Seiten der Architektenverbände große Unterstützung.22 Wenngleich er in die engere Wahl genommen wurde, heißt es im Sitzungsprotokoll über Meyer  : »Es sind bei ihm auch Befürchtungen zu hegen mit Bezug auf seine polemische Ader. Der Vertreter der Kunstgeschichte muss sich harmonisch zu seinen Architektenkollegen einstellen. Uebrigens sind auch unsere drei Architekturprofessoren nicht unbedingte Anhänger Peter Meyers.«23

18 Nicht vergessen werden darf an dieser Stelle, dass der Inhaber der Professur für Kunstgeschichte und Archäologie außer zur Lehre an der Abteilung für Architektur auch zum Lehrangebot der Allgemeinen Abteilung für Freifächer beizutragen hatte. Die Tradition, mittels eines obligatorischen Freifachangebots die Allgemeinbildung der Studierenden zu fördern, bestand am Eidgenössischen Polytechnikum beziehungsweise der ETH bereits seit 1866. – Vgl. Tschanz 2015, S. 158 f. Insofern war die Forderung, »dass […] die ganze bildende Kunst zur Darstellung gelange, nicht nur die Baukunst«, durchaus berechtigt. 19 Giedions Ambitionen auf diese Professur fanden keinen Niederschlag in den Sitzungsprotokollen. Vgl. daher die Darstellung bei Huber 1987, S. 22 – 25, sowie ferner bei Geiser 2018, S. 257 und Anm. 23 auf S. 340. 20 Sitzungsprotokoll des Schweizerischen Schulrats vom 16. Juni 1934, S. 73, als Digitalisat einsehbar unter URL  : https://www.sr.ethbib.ethz.ch (8. April 2019). 21 Vgl. Sitzungsprotokoll des Schweizerischen Schulrats vom 2. Juni 1923, Traktandum Nr. 101, als Digitalisat einsehbar unter URL  : https://www.sr.ethbib.ethz.ch (8. April 2019). 22 Vgl. Sitzungsprotokoll des Schweizerischen Schulrats vom 21. Juli 1934, S. 112 – 116, hier  : S. 113, 116, als Digitalisat einsehbar unter URL  : https://www.sr.ethbib.ethz.ch (8. April 2019). So veröffentlichte Meyer in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit seiner Bewerbung eine entsprechende prise de position im »Organ des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins und der Gesellschaft ehemaliger Studierender der Eidgenössischen Technischen Hochschule«  : Meyer 1934. 23 Sitzungsprotokoll des Schweizerischen Schulrats vom 21. Juli 1934, S. 114, als Digitalisat einsehbar unter URL  : https://www.sr.ethbib.ethz.ch (8. April 2019). Die drei Architekturprofessoren sind William ­Dunkel (1893 – 1980), Friedrich Hess (1887 – 1962) und Otto Rudolf Salvisberg (1882 – 1940).

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Die Wahl fiel dann auf den Kunsthistoriker Linus Birchler (1893 – 1967),24 während man dem Architekten Meyer attestierte, dass er zu sehr auf die Baugeschichte spezialisiert sei.25 Für dieses Gebiet stellte man ihm aber einen Lehrauftrag in Aussicht. Birchler wurde per Wintersemester 1934/35 zum Professor für Kunstgeschichte und Archäologie ernannt. Damit war die Kunstgeschichte an der ETH für gut ein Vierteljahrhundert neu besetzt. Seine Lehre folgte großenteils einem sich wiederholenden Schema, das Kunst und Architektur der Antike, des Mittelalters, der Renaissance und des Barock umfasste. Ergänzt wurde diese allerdings durch Vorlesungen der erwähnten Bernoulli beziehungsweise später Gradmann sowie Meyer und ab 1946 Giedion. So herrschte trotz der konservativen Besetzung des Ordinariats eine gewisse Vielfalt. Gerade Meyer hatte, wenngleich mit grundsätzlich anderer Ausrichtung als Giedion, Interesse auch an der Gegenwart. III.

Von seinem Amt trat Birchler zum 30. September 1960, im Alter von 67 Jahren, zurück. Erst zu diesem Zeitpunkt wurde eine grundsätzliche Neuausrichtung der Kunstgeschichte an der ETH wieder möglich. Bereits 1958 war außerdem der Rücktritt des 70-jährigen Giedion erfolgt. Dieser war als jahrzehntelanger CIAM-Generalsekretär und Hochschuldozent in den USA einer der einflussreichsten Kunsthistoriker beim Umbruch von der traditionellen zur modernen Architekturausbildung gewesen. Mit seiner Art der Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart hatte er neue Wege beschritten. An der ETH aber hatte er anfangs lediglich mit Lehrauftrag beziehungsweise ab Oktober 1948 als Privatdozent unterrichtet, und auch das nur gegen Widerstände.26 Kurz seien die wichtigsten Stationen des nun einsetzenden Erneuerungsprozesses benannt  : 1961 erfolgte die Berufung Gradmanns sowie Vogts als außerordentliche Professoren für Kunstgeschichte. Beide traten damit Birchlers Nachfolge an. Gradmann leitete seit 1947 bereits die Graphische Sammlung der ETH. Vogt wiederum war 1948 – 1950 Gradmanns Assistent an der Graphischen Sammlung gewesen. Nach der Promotion arbeitete er ab 1951 für die Neue Zürcher Zeitung, wo er der Architektur prominenteren

24 Vgl. ebd., S. 114 – 116. 25 Vgl. ebd., S. 114 f. Meyers »polemische Ader« kommt auch zum Tragen, wenn er sich in seinen Autobiographischen Notizen über Birchlers Wahl äußert. – Vgl. Meyer 1998, S. 427. 26 Zu der nach Kontroversen schlussendlich doch erfolgten Habilitation Giedions an der ETH vgl. das Sitzungsprotokoll des Schweizerischen Schulrats vom 2. Oktober 1948, S. 259 – 265, als Digitalisat einsehbar unter URL  : https://www.sr.ethbib.ethz.ch (8. April 2019). Ferner wurde festgestellt  : »Wegen seines Alters hat er neben einer Tätigkeit als Privatdozent an unserer Hochschule aber keine weitern Zukunftsmöglichkeiten mehr.« – Ebd., S. 264.

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Raum zu geben suchte und 1955 – 1960 verantwortlicher Kunstredakteur war.27 Damit hatte man jeweils einen eher traditionell arbeitenden und einen eher gegenwartsbezogenen, publizistisch in Erscheinung tretenden Professor berufen. Ab 1964 wurden sie von Hofer unterstützt, welcher sich ebenfalls schon auf die Birchlernachfolge beworben hatte. Hofer wurde in Nachfolge des 1963 ausgeschiedenen Ernst Egli (1893 – 1974) für die Fächer Geschichte des Städtebaus und allgemeine Denkmalpflege berufen. Zuvor hatte er an der Universität Bern und an der École polytechnique universitaire de Lausanne (EPUL) unterrichtet. Mit der Berufung dreier Kunsthistoriker kurz hintereinander hatte sich das Gewicht der historischen Disziplin an der Architekturabteilung merklich vergrößert. Die wenig später mit der gta-Gründung erfolgte Institutionalisierung der historischen Forschung an der Architekturabteilung erscheint nur als folgerichtig. Damit war das Jahr 1967 der vorläufige Höhepunkt einer schrittweisen Etablierung der Kunstgeschichte, verbunden mit einer Umwandlung der Extraordinariate Gradmann, Vogt und Hofer in ordentliche Professuren. Im Übrigen wurde auch das gta-Gründungsmitglied Hoesli 1967 zum ordentlichen Professor befördert. IV.

Nach diesem Exkurs in die Institutionengeschichte komme ich nun zu einer Auseinan­ dersetzung mit der Ideengeschichte. Es soll angedeutet werden, wie Hoesli und H ­ ofer unabhängig voneinander eine bestimmte Vorstellung über das Verhältnis von Vergangenheit und Gegenwart entwickelten, die dann während ihrer ETH-Zeit wirksam wurde. Der Gedanke dabei ist, dass der eine Generation ältere Giedion womöglich für beide einen gemeinsamen Bezugspunkt darstellte. Bei Hofer liegt dies offen zutage,28 bei Hoesli nicht. Wenige Jahre nach seinem ETH-Diplom arbeitete Hoesli als Dozent an der Univer­ sity of Texas in Austin an der Neuausrichtung der dortigen Architekturausbildung. Ab Januar 1954 wurde er dabei vom Architekturkritiker und -historiker Colin Rowe (1920 – 1999) unterstützt. Nur Wochen nach dessen Ankunft in Austin verfassten beide zusammen im März und im Mai 1954 zwei Positionspapiere, in denen sie die beiden in den USA damals vorherrschenden Architekturströmungen gleichermaßen für untauglich erklärten  : »Two major systems have within the past fifty years enjoyed a conspicuous 27 In diese Zeit fällt übrigens der erste Kontakt zwischen Hofer und Vogt. Erhalten ist der Briefwechsel, in welchem Vogt 1954 Hofer um Mitwirkung an einer breiteren Auseinandersetzung mit Architektur in der Neuen Zürcher Zeitung ersuchte. – Vgl. Burgerbibliothek Bern, Nachlass Paul Hofer, Dossier 177 (7). Das Ergebnis war eine Art Rezension der kurz zuvor erschienenen italienischen Ausgabe von Sigfried Giedions Space, Time and Architecture  : Hofer 1954. 28 Vgl. Hofer, Stucky 1971  ; vgl. ferner Steinert 2014, S. 117 und 142.

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success – those of the Ecole des Beaux-Arts and of the Bauhaus. […] Neither in the light of the present day appears completely adequate for our requirements.«29 Sie stellten fest, dass es beiden Strömungen auf jeweils unterschiedliche Weise eines Geschichtsbewusstseins ermangele. Aus dieser Zeit datierte Hoeslis Einsicht in die Notwendigkeit eines geschichts- und theoriebetonten Unterrichts in der Architekturausbildung. Das Positionspapier von Mai 1954, welches eine Neuausrichtung der Architekturausbildung in Austin forderte, enthält bereits Passagen, die den Vorstellungen an der ETH-Architekturabteilung nach 1959 und den Gründungsgedanken des gta nahe sind. Eingangs legten Hoesli und Rowe dar, dass eine »clearly stated philosophy of architectural education«30 notwendig sei. Sie führten aus, dass die Architekturdozenten die Studierenden bislang den Architekturjournalen überließen und sich lediglich als Kritiker im engsten Wortsinne verhielten, indem sie die Vorschläge der Studierenden annähmen oder zurückwiesen, diese aber nicht informierten  ; sie entzögen sich ihrer Verantwortung, in den Köpfen der Studierenden irgendeine Idee zu etablieren, indem sie erklärten, dass sie diese nicht beeinflussen wollten.31 Es sei verantwortungslos, sich einer Beurteilung der Gegenwart zu enthalten, auch wenn dies als Rücksichtnahme gegenüber der Wahlfreiheit der Studierenden dargestellt werde. Nur mit einem entsprechenden Wissenshintergrund könne man von ihnen eine freie und unabhängige Wahl erwarten.32 Es folgte eine Passage, die Gedanken aus Vogts gta-Eröffnungsrede von 1967 vorwegnahm. Hoesli und Rowe erklärten, dass die Betonung der Gegenwart keineswegs die Ablehnung der Vergangenheit bedeute  : »To emphasize the present is not to repudiate the past. Only through the present can we understand the past.«33 Indem die Studierenden den Willen ihrer eigenen Zeit erkundeten, könnten sie den Zeitwillen anderer Epochen verstehen. Indem sie die Gegenwart als den lediglich jüngsten Geschichtsabschnitt begriffen, werde es ihnen möglich, die Gegenwart zu überwinden. Sie müssten in die Lage versetzt werden, die Zukunft anders zu begreifen denn lediglich als eine unaufhörliche Fortsetzung der Gegenwart. Damit spielten Hoesli/Rowe auf den amerikanischen Erfolg der Bauhaus-Moderne in Gestalt von Walter Gropius’ (1883 – 1969) Graduate 29 Rowe, Hoesli 1996, S. 48  ; vgl. ferner Steinert 2014, Anm. 4.6 auf S. 358. 30 Rowe, Hoesli 1996, S. 45. 31 »Because we give him [the student] no principles of design, he is aware only of effects. We avoid the responsibility of installing any idea in the mind of the student by declaring that we don’t want to influence him. In so doing we toss him to the magazines and all other dealers in the most recent effects. In leaving him to the magazines we are abdicating as teachers. We are critics in the narrowest sense of the term – accepting or rejecting, never informing.« – Ebd. 32 »The suspension of judgement upon the present day, of which all are at some time guilty, is usually explained as a respect for the student’s freedom of choice. But, instead of respect, it is in fact irresponsibility. Freedom of choice cannot exist without information, and information can hardly be considered bias. Only from a background of knowledge can the student be expected to make a free, emancipated choice.« – Ebd., S. 47. 33 Ebd.

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School of Design (GSD) in Harvard an. Zugleich würde durch eine Bindung an die Gegenwart ein Rückfall in die Vergangenheit vermieden – womit Hoesli/Rowe auf die andere dominierende Strömung der Beaux-Arts-Tradition anspielten. Es gehe gleichermaßen um eine historisch informierte Urteilsfähigkeit in Bezug auf die Gegenwart und eine Sicht auf die Vergangenheit vom gegenwärtigen Standpunkt aus.34 Analoge, wenngleich weniger konkrete Vorstellungen äußerte Vogt 1967 in seiner gta-Eröffnungsrede  : »Das Geviert zwischen Geschichte, Gegenwart, Theorie und Praxis ist […] keineswegs nur das Feld des Geisteswissenschafters. Es ist auch das Andreaskreuz des Architekten, es geht auch ihn an, er kommt nicht darum herum, ob er nun selber baut oder dem ersten Semester die erste Aufgabe stellt.«35

Zum Beispiel von Marc-Antoine Laugiers (1713 – 1769) Urhütte sagte Vogt  : »Die Frage ist nicht, ob uns diese Theorie heute eher verschroben vorkomme oder nicht. Die Frage ist, was sie damals bewirkt hat. […] Auch verschrobene Theorien können gewaltige ›Facts‹ – nämlich ganze Bauepochen – hervorbringen.«36 Auch Vogt sprach hier die Notwendigkeit eines historischen Bewusstseins und eines entsprechenden Urteilsvermögens an, nicht nur unter den Historikern, sondern auch unter den praktischen Architekten. Noch deutlicher als auf Vogt verweisen Hoesli/Rowes Ausführungen über das Verhältnis von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft allerdings auf Giedion. Auch wenn offenbleiben muss, wie stark der Eindruck gewesen sein mag, den Giedion auf ­Hoesli während dessen Zürcher Studienzeit gemacht hat, darf man annehmen, dass dieser Giedions berühmtes Bauen in Frankreich, Bauen in Eisen, Bauen in Eisenbeton, welches 15 Jahre vor Hoeslis Architekturstudium erschien, gekannt hat. Darin positionierte Giedion sich gleich zu Beginn mit später viel zitierten Sätzen  : 34 »By discovering the will of his own time the student is able to understand the wills of other times. In assessing the present he is making an historical judgement. In seeing the present as the most recent historical sequence, he is able to escape the present. By recognizing that certain creative acts are possible only at a certain moment in history, one is able to think of the future as something other than a perpetuation of the present. Attachment to the present prevents an anachronistic lapse into the past, and an understanding of the past prevents a belief in the present as a final and definite state. It is this historical judgement of the present and this contemporary judgement of history which alone can sanction a critical standard to which all can give assent.« – Ebd. 35 Vogt 1968, S. 13. Mit dem Architekten, der »dem ersten Semester die erste Aufgabe stellt«, war ganz direkt Hoesli angesprochen, als Professor für den Grundkurs und Mitbegründer des gta. Vogt bezog sich in seiner gta-Eröffnungsrede folglich nicht nur auf die Arbeit als Forschungsinstitut, sondern ebenso auf die Architekturausbildung. 36 Ebd., S. 14 f.

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»Auch der Historiker steht in der Zeit, nicht über ihr. […] Wir haben keine Furcht vor der Vergangenheit. Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft, sind für uns ein untrennbarer Prozeß. Aber wir leben nicht nach rückwärts, wir leben nach vorn. Die Vergangenheit stärkt uns, denn sie gibt Sicherheit, daß unser Wille nicht individuell begrenzt ist. Aber wichtiger, gleichviel wie sie ausfallen möge, erscheint uns die Zukunft. – Die erste Sorgfalt gehört den Dingen, die werden […]. Aufgabe des Historikers ist es, vorab die Keime zu erkennen, und – über alle Verschüttungen hinweg – die Kontinuität der Entwicklung aufzuzeigen. L ­ eider benützte der Historiker den Überblick, den seine Beschäftigung mit sich brachte, um die ewige Berechtigung des Vergangenen zu verkünden, und die Zukunft damit totzuschlagen. Zumindest aber, um hemmend die Entwicklung aufzuhalten. Die Aufgabe des Historikers scheint uns heute die entgegengesetzte zu sein  : Aus dem ungeheuren Komplex einer vergangenen Zeit jene Elemente herauszuschälen, die zum Ausgangspunkt der Zukunft werden.«37

Nicht nur finden wir hier beim 40-jährigen Giedion vollgültig formuliert, was auch in seinen späteren Werken eine Grundlage bilden würde  : die Erzählung der Vergangenheit in Hinblick auf die Gegenwart und mögliche zukünftige Entwicklungen  ; nicht nur hören wir hier, im Gründungsjahr des CIAM, den engagierten Vorkämpfer der Moderne heraus  ;38 wichtiger erscheint mir die offensichtliche gedankliche Nähe zwischen Giedions Überzeugung und dem Positionspapier, welches Hoesli und Rowe 26 Jahre später in Austin verfassten. In beiden Fällen wird Geschichte als etwas betrachtet, dessen Kenntnis wichtig ist, um in der Gegenwart zu einer eigenen Haltung zu finden. Die Arbeit des Historikers ist dann nicht länger retrospektiv, sondern erfolgt in Hinblick auf zukünftige Entwicklungen.39

37 Giedion 1928, S. 1. 38 Zum unmittelbaren Bezug zwischen Giedions Buch und der CIAM-Gründung vgl. auch die Ausführun­ gen Jos Bosmans  : »1928 wurde der Verein im Schloß von La Sarraz in der französischen Schweiz gegründet (CIAM I). Anlaß war der Wettbewerbssieg (ein erster Preis ex aequo) Le Corbusiers beim Völkerbundpalast in Genf 1927, der als Durchbruch der Moderne empfunden wurde. Giedion stellte dies bereits 1928 aus einer historischen Perspektive in seinem Buch Bauen in Frankreich dar, das kurz vor dem ersten Kongress herauskam und den eingeladenen Architekten zugeschickt wurde. Das Buch schuf eine Grundlage, um die Distanz zwischen der Pariser (Le Corbusier) und der Stuttgarter (Deutscher Werkbund) Position zu überbrücken.« – Bosman 1998, S. 66. 39 Zu Giedions Positionsbezug zur Gegenwart vgl. auch Sokratis Georgiadis, welcher feststellte, dass Giedion »im Hinblick auf die historiographische Methodik einen gänzlich neuartigen Typus des Historikers schuf, bei dem der Gedanke der Neutralität gegenüber dem Tatsachenbestand programmatisch aufgegeben und die aktive Parteinahme als unerläßliche Bedingung jeglicher Geschichtsschreibung postuliert wird«. – Georgiadis 1989, S. 10.

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V.

Mir scheint, dass sich im Papier von 1954 ein Einfluss der Giedionschen Sichtweise bemerkbar macht, der gleichwohl nicht explizit werden konnte, da der Mitverfasser Rowe Giedion und Gropius bekanntermaßen kritisch gegenüberstand. Es waren ja gerade das von Giedion publizistisch unterstützte Bauhaus und die GSD, welche in diesem Papier – neben der Beaux-Arts-Tradition – kritisiert wurden. In diesem Zwiespalt einer offenbar vorhandenen Prägung durch Giedion einerseits, einer unbedingten Unterstützung der Roweschen Position andererseits ist es verständlich, dass Hoesli sich in einem Podiumsgespräch 1970, abgedruckt im gta-Band Hommage à Giedion, zwei Jahre nach dessen Tod immer noch bedeckt hielt. Im Laufe des Gesprächs sagte der eng mit Hofer befreundete Architekt Ulrich Stucky (1925 – 2003) zunächst Folgendes  : »[W]enn ich zurückdenke an die Zeit meiner unmittelbarsten Kontakte […] mit [Sigfried Giedion] als Lehrer, dann ist mir unvergeßlich, wie er es verstand, Geschichte in die Gegenwart einzubeziehen. Ich erinnere an das ETH-Seminar von 1949  : in vergleichenden Analysen des griechischen, römischen und mittelalterlichen Städtebaus trieb er mit uns nicht positivistische Geschichtswissenschaft, sondern untersuchte und ordnete die historischen Fakten durchaus analog einer Analyse moderner Architektur. Da sind für mich vollständig neue Arbeits- und Auffassungsmöglichkeiten entstanden […].«40

Auch Hofer bekannte in erstaunlicher Offenheit  : »Wenn ich in den Jahren kurz nach 1950 den Absprung fand von der quellennahen Historie, von Kunsttopographie und reiner Kunstgeschichte zu Architektur und Städtebau meiner eigenen Zeit […] so ist aus dieser Wende die Begegnung […] mit der publizistischen Tätigkeit [Sigfried Giedions] nicht wegzudenken  ; ich begann damals, in den frühen fünfziger Jahren, an der Universität Bern als erstes mit Vorlesungen über [Le Corbusier], Gropius und Mies  ; an Seminarien über die städtebauliche Struktur Berns nahmen neben Ulrich Stucky auch die noch ganz jungen Leute aus dem eben gegründeten Atelier 5 teil und diese Studien spielten mitten in die Genesis der Halensiedlung hinüber  ; in allen diesen Anfängen war [Sigfried Giedion] in schwer definierbarer hinter- oder vordergründiger Weise gegenwärtig. Wo ich versuchte, Vergangenes nicht zu aktualisieren, sondern, durch intensive Befragung, in die Gegenwart hereinzuholen, war er anwesend, nicht allein, wohl aber, kontrapunktiert mit Bruno Zevi und einigen andern, im vordersten Rang. […] [Sigfried Giedion] war die Schlüsselfigur  ; sein Hereinwirken in diese für mich entscheidenden Jahre kann ich nicht vergessen.«41 40 Hofer, Stucky 1971, S. 167. 41 Ebd., S. 172 f.

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Hoesli hingegen wich im weiteren Verlauf des Podiumsgesprächs der Gelegenheit aus, sich zur eigenen Prägung oder Nichtprägung durch Giedion zu äußern. Er sagte lediglich  : »Wir hörten die interessanten Kurzcharakteristiken der Wirkung [Sigfried Giedions] auf Jüngere, kurz vor und nach 1950. Ich hätte hier meine persönliche Erfahrung nachzutragen, aber ich gehe anders vor, ich frage danach, was damals an dieser Schule zu leisten war, und ich vergleiche damit die Anfänge und den bisherigen Abschnitt meiner Arbeit hier an der Hochschule. Auf neuer Ebene und mit andern Mitteln war 1959 noch einmal zu leisten, was uns [Sigfried Giedion] nach 1945 eröffnet und ermöglicht hat  : die Auseinandersetzung mit der Moderne.«42

Man kann diese Sätze als einen sehr diplomatischen Ausdruck davon lesen, dass ­Hoesli, der Rowes intellektuell-kritische Haltung assimiliert hatte, sich der Schwächen der Giedionschen Propaganda längst bewusst war, dies aber anlässlich des Giediongedenkens – und wohl auch sonst – nicht äußern wollte. Hoeslis offenbarer Zwiespalt zwischen früher Giedionerfahrung und Rowe zu verdankender intellektueller Reife würde auch die auffallende Anmerkung in Hoeslis deutscher Transparency-Übersetzung von 1968 erklären, in welcher er ausgerechnet am neuralgischen Punkt von Rowe/Slutzkys Argumentation, nämlich der Kritik an Giedions Gegenüberstellung von Lucia Moholy-Nagys Fotografie der Glasecke des Dessauer Werkstattflügels und Pablo Picassos analytischem Kubismus in Gestalt der Arlésienne, Giedion beisprang. In dieser Anmerkung schrieb Hoesli  : »Das Anführen gerade dieser Zitate [aus Giedions Space, Time and Architecture] […] ist unverkennbar polemisch  ; das ist im Gedankengang nicht notwendig und trägt zur Beweisführung nichts bei (der Übers.).«43 Genau das Gegenteil ist der Fall  : Giedions leichtfertige Verknüpfung von Bauhausgebäude und Kubismus war Auslöser und Grundlage von Rowe/Slutzkys Essay.44 VI.

Ähnlich wie Hoesli/Rowe 1954, hatte auch Hofer sich bereits vor seiner Berufung an die ETH Gedanken über den Sinn eines kunsthistorischen Unterrichts an einer Technischen Hochschule gemacht. Anlass war seine Berufung als außerordentlicher Professor an die École polytechnique universitaire de Lausanne, also an die ETH der Westschweiz, die heutige École polytechnique fédérale de Lausanne (EPFL). In seinem Konzeptpa42 Ebd., S. 173. 43 Rowe, Slutzky, Hoesli 1968, Anm. 24 auf S. 22. 44 Vgl. Steinert 2014, S. 214 – 217.

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pier von 1962 grenzte Hofer zunächst ab  : »Im Hinblick auf die zweistündige Hauptvorlesung über allgemeine Kunstgeschichte an der Faculté des lettres […] konzentriert sich der kunstgeschichtliche Unterricht an der EPUL auf Architektur und Städtebau.«45 Seine Lehrmethode stellte Hofer ganz auf die Bedürfnisse des Architekturstudiums ab  : »Auf ein vollständiges Gerüst aus Daten, Namen und Begriffen wird verzichtet. Einige wenige Eckpunkte der Architekturgeschichte genügen. Non multa, sed m ­ ultum  : Weniges intensiv, statt Vieles extensiv. Zurückdrängung des stilgeschichtlichen Details.«46 Er fasste zusammen  : »Architektursysteme, nicht -strömungen […]  ; systematische Analyse statt genetisch horizontale Abwicklung im ›Gänsemarsch der Stile‹.«47 Zur Zielrichtung formulierte Hofer präzisierend  : »Allgemeine Kunstgeschichte für Kunsthistoriker (Faculté des Lettres) und Architekturgeschichte für Architekten (Ecole polytechnique) sind, trotz Ueberschneidung de[r] gegebenen Stoffgebiete, zweierlei  : jene hat den Gesamtverlauf möglichst gleichmässig zu vermitteln (Geschichte als Folge ineinandergreifender Verwandlungen)  ; diese wendet sich dem einzelnen Bauwerk zu, um durch dieses hindurch zur Struktur der grossen Architektursysteme vorzudringen.«48 45 Paul Hofer  : Aufbau und Grundlinien des kunstgeschichtlichen Unterrichts an der Ecole d’Architecture der Universität Lausanne, 10. Oktober 1962, Typoskript, Burgerbibliothek Bern, Nachlass Paul Hofer, Dossier 212 (11). 46 Ebd. Bereits hier erstrebte Hofer das Lernen am Fallbeispiel, am konkreten Objekt, anstelle einer Gesamtschau der Epochen. Neun Jahre später würde er in entsprechender Weise an der ETH darum bitten, seine Epochenvorlesung umwandeln zu dürfen  : »Seit Beginn meiner Dozentur Herbst 1964 lese ich zweistündig über ›Epochen des Städtebaus‹. […] Ich möchte mich, ab WS 1971/72, von diesem Prokrus­tesbett der Epochenfolge lösen. Dieser Zwang ist für historische Vorlesungen von universitärem, klar positivistischem Zuschnitt wohl noch immer selbstverständlich. Ich bilde aber nicht Fachhistoriker des Städtebaus aus, noch unterrichte ich zukünftige Archäologen. Es zeigt sich im Gebot der Chronologie ein für Architekturstudenten ungeeignetes, hemmendes Prinzip. […] Besser wäre es, den in zwei Semestern und zwei Wochenstunden immer weniger zu bewältigenden Stoffberg thematisch, nämlich nach Hauptaspekten und Hauptleistungen durchzugliedern. Ich kann dadurch meine Vorlesung […] ungleich freier auf die Hauptzugänge der Hörer zur Materie – Probleme, Aufgaben und Grundaspekte statt historische oder kulturregionale Aufschlüsselung – ausrichten. Mein Gesuch lautet  : Umdeklarierung des Pflichtkollegs als ›Grundformen des Städtebaus‹. Das stoffliche Gebiet bleibt. Seine Inhalte würden umgeschichtet und anders, schärfer und zugleich ›durchlässiger‹ gegliedert.« – Brief Paul Hofers an Hans Heinrich Hauri, Präsident der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich, 24. August 1971, Typoskript, Burgerbi­ bliothek Bern, Nachlass Paul Hofer, Dossier 221 (2). 47 Paul Hofer, Aufbau und Grundlinien des kunstgeschichtlichen Unterrichts an der Ecole d’Architecture der Universität Lausanne, 10. Oktober 1962, Typoskript, Burgerbibliothek Bern, Nachlass Paul Hofer, Dossier 212 (11). Mit dem ›Gänsemarsch der Stile‹ griff Hofer eine Formulierung seines Münchner Lehrers Wilhelm Pinder (1878 – 1947) auf. – Vgl. Pinder 1926, S. 24 f. 48 Paul Hofer  : Aufbau und Grundlinien des kunstgeschichtlichen Unterrichts an der Ecole d’Architecture der Universität Lausanne, 10. Oktober 1962, Typoskript, Burgerbibliothek Bern, Nachlass Paul Hofer, Dossier 212 (11).

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Hier kommt Hofers Vorstellung ins Spiel, wie eine Bezugnahme von Vergangenheit und Gegenwart aussehen solle. Dazu formulierte er grundlegende, auch später immer wiederkehrende Gedanken  : »Hauptziel  : die Herausarbeitung einiger weniger, dafür präziser und differenzierter Leitbilder grosser Architektur. Diese wird nicht als ein Vergangenes und Abgeschlossenes, sondern als ein zunächst fernes Gegenwärtiges verstanden. In dieses Ferne eindringend decken wir die Quellen lebendigen, aktiv auf uns einwirkenden Schaffens auf. Ehrgeiz des Unterrichts […]  : Umwandlung scheinbar toter ererbter Substanz in Gestaltungen unmittelbaren schöpferischen Geistes  ; aus Ferne wird Gegenwart. So verstanden[,] ist Architekturgeschichte nicht mehr […] Museum von Denkmälern verstorbener Geschlechter, sondern Teil und Mitglied unserer Welt.«49

Zum Abschluss zitierte Hofer den gebürtigen Westschweizer Le Corbusier  : »Je vais vous confesser que je n’ai jamais eu qu’un maître  : le passé  ; qu’une formation  : l’étude du passé«.50 In seiner Abschiedsvorlesung an der Universität Bern schlug Hofer 1964 im Vorausblick auf die Zeit an der ETH Zürich noch einmal den Bogen von der Kunstgeschichte zu den Architekturstudierenden »irgendeiner Technischen Hochschule«. Zum Verhältnis zwischen diesen beiden unterschiedlichen Feldern führte er aus  : »Worin liegen […] Gegenwart und unmittelbare Zukunft [der Kunstgeschichte]  ? […] Ich bitte Sie, sich auf einige Augenblicke in den Stand eines Besuchers zu versetzen, der den hellen Zeichensaal im obersten Geschoß irgendeiner Technischen Hochschule betritt. Um einen großen Tisch sind Architekturstudenten der Diplomklasse versammelt  ; nicht Kunsthistoriker und Archäologen […] Mit Überraschung stellt der Besucher fest, daß die in strenge analytische Arbeit vertiefte Gruppe sich über aufgeschlagene Pläne des Apollonions von Didyma beugt  : steingerechte Pläne, große Detailschnitte, ausgefaltete Situationspläne. Gegenstand der Analyse bildet, anhand der monumentalen Grabungspublikation von 1942, die Interpretation von Innenraum, Portiken, Höfen und Außenräumen über eine Folge gestufter Niveaus hinweg. Zeitferne schlägt um in Gegenwart. Das dritte vorchristliche Jahrhundert antwortet dem 20. nachchristlichen in direkter, wechselseitiger Erhellung. Die Aufgabe, ein System geschlossener, halboffener und offener Räumlichkeiten über eine Mehrzahl von Niveaus hinweg zu staffeln, ist nicht Sache eines bestimmten fernen oder nahen Jahrhunderts, sondern klar gestelltes Problem. […] Der Architekt von Didyma ist anwesend. Es ist ihm eine Auf49 Ebd. 50 Ebd. Vgl. Le Corbusier 1930, S. 34. »Ich will euch gestehen, daß ich immer nur einen Lehrmeister hatte  : die Vergangenheit, und immer nur eine Bildung  : das Studium der Vergangenheit.« – Le Corbusier 1964, S. 43.

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gabe gestellt, und er löst sie. In sein Werk eindringend, nehmen wir teil an einem großartigen Prozeß. Das fertige Produkt selbst steht nicht im Brennpunkt.«51

An sein Konzeptpapier für die EPUL anknüpfend, formulierte Hofer in der Berner Abschiedsvorlesung, die Kunstgeschichte werde »die rapid geschwundene Frische zurückgewinnen, wenn sie sich entschließt, die großen epischen Modelle eine Zeitlang ins Depot zu stellen, um bewußt diskontinuierlich, sprunghaft, wählend, intermittierend zu arbeiten  : schmale Einstiege ins Innere statt Nachzeichnen und Nachmalen der breit abrollenden Entwicklungen.«52

Dies kann man als eloquente Rechtfertigung dafür lesen, dass Hofer nicht vorhatte, in seinen bevorstehenden ETH-Vorlesungen einen vollständigen Epochenüberblick zu geben. Gleichwohl ist zuzugeben, dass seine Art des historischen Unterrichts – die exemplarische Analyse weniger Fallbeispiele auf ihre Grundprinzipien, unabhängig von stilistischen Fragen – den Bedürfnissen der Architekturstudierenden entgegenkam. Im Übrigen trifft sich seine Auffassung mit jener Hoeslis, welcher im Architekturunterricht nicht Bautypen, sondern ›Problemtypen‹ untersuchen und bearbeiten ließ. Beide Auffassungen lassen sich unter das Stichwort des ›konzeptionellen Denkens‹ subsumieren. Gut 15 Jahre nach der Berner Abschiedsvorlesung konstatierte Hofer rückblickend auf seine ETH-Zeit, dass die Lehrtätigkeit an der Technischen Hochschule für einen Forscher zwar auch Verzicht bedeute, aber  : »Es wurde mir, […] nach Jahren tastender Anläufe, ein ganz Anderes zuteil. Es öffnete sich der Weg in den Kernbereich des Architekturunterrichts, in den Entwurf, in das Werden statt in das Sein architektonischer und städtebaulicher Substanz.«53 Noch einmal ein Jahrzehnt später stellte Hofer umgekehrt aber auch fest, wie sehr sich die schwungvolle Sprache des Kunsthistorikers im Laufe seiner ETH-Zeit diszipliniert hatte.54 51 Hofer 1970, S. 214 f. 52 Ebd., S. 215 f. 53 Paul Hofer, Auszug aus der letzten Vorlesung der Vorlesungsreihe Grundformen des Städtebaus (ETH Zürich, Wintersemester 1979/80), 21. Februar 1980, Fassung von Oktober 1983, Typoskript, Burgerbibliothek Bern, Nachlass Paul Hofer, Dossier 221 (1). Zu Hofers Beteiligung an ETH-Entwurfskursen vgl. den Hinweis in Anm. 7. 54 1994 notierte Hofer  : »Welches waren die prägenden, reliefgebenden Wirkungen auf mich  ? […] mindestens die Kurve von der im Grundstock konservativen, durch Feller, Carossa, Jünger und [das] Gesamtprofil des Inselverlages geprägten Entwicklungszeit der Dreissigerjahre zur Ausbildung progressiver Schübe durch Lausanne und Zürich, die Verwandlung der Sprache vom emotionellen Schwung der Dissertation […] zur rationalen, intellektuellen Disziplin von ›Palladios Erstling‹.« – Paul Hofer, Zweiundfünfzig Figuren vor meinem Lebenshorizont, 1994, handschriftlich korrigiertes Typoskript, Burgerbibliothek Bern, Nachlass Paul Hofer, Dossier 365 (2), Blatt 41. ›Palladios Erstling‹  : Hofer 1969.

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VII.

Nochmals zurück zu Vogt  : Den zweiten Teil seiner gta-Eröffnungsrede 1967 begann er mit einer Reverenz vor dem anwesenden Giedion. Er führte aus, dass es in den vergangenen Jahrzehnten niemandem »mit so viel Wirkung geglückt« sei wie Giedion »zu sagen, was eigentlich vor sich geht«.55 Weiter sagte er  : »[D]as intensive Geschichtsbild des 20. Jahrhunderts, so wie es Giedion entwirft, ruht auf bestimmten Grundüberzeugungen […] Es wird sich lohnen, die theoretischen Prinzipien aus Giedions Werk herauszukristallisieren und zu untersuchen, wie die Architekten auf sein Buch gewirkt, wie umgekehrt sein Buch zurück auf die Architektur gewirkt hat. […] Kein Zweifel […], daß auch die moderne und modernste Architektur mit Theorie ›geladen‹ ist […].«56

Hier fühlt man sich an Hoesli/Rowes Forderung erinnert, die Architekturlehre intellektuell zu durchdringen, aufgrund einer »clearly stated philosophy of architectural edu­ cation«.57 Auch an der ETH Zürich ging es nach 1959 analog zu Austin 1954 um die Schaffung einer kritischen Reflexionsebene, um die Integration von Kritikvermögen, Urteilsfähigkeit und Selbstreflexion in die Architekturabteilung beziehungsweise in das Architekturstudium. Die Gründung des gta war dabei nur die Institutionalisierung dessen, was vor allem Hoesli, Vogt und Hofer seit ihrer Berufung an die ETH betrieben hatten. Die gta-Gründung kann dementsprechend als Folge eines Erneuerungsprozesses verstanden werden, der um 1959 mit Hoeslis Berufung als Architekturlehrer begonnen hatte und in welchem auch die Kunstgeschichte zu neuer Prominenz gelangte. VIII.

Nachdem ich die zunehmende Bedeutung der Kunstgeschichte an der Architekturabteilung dargelegt habe, möchte ich das Bild mit einigen Briefstellen vervollständigen. Sie belegen, dass der Typus des engagierten Kunsthistorikers auch in den 1960er Jahren noch keineswegs selbstverständlich war. Sie belegen ferner den Gesinnungswandel, 55 Vogt 1968, S. 16. 56 Ebd., S. 18. 57 Rowe, Hoesli 1996, S. 45. Paradox sind das Interesse und die Anerkennung, welche Giedion nun am gta zuteilwurden, gleich in zweifacher Hinsicht  : einmal in Bezug auf seine oben erwähnten Versuche, an der ETH als Dozent Fuß zu fassen, zum anderen angesichts der engen Freundschaft des gta-Gründungsmitglieds Hoesli zu Rowe, der nicht gerade ein Giedionanhänger war. – Vgl. beispielsweise Rowe 1996, S. 20 – 22. Unmittelbar einsichtig wird Vogts Würdigung Giedions in der Eröffnungsrede, wenn man bedenkt, dass er zugleich die Hoffnung äußerte, das CIAM-Archiv in den Bestand des aufzubauenden Instituts überführen zu können. – Vgl. Vogt 1968, S. 18 f.

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welcher an der Architekturabteilung stattgefunden hatte  : Aus dem früheren Wunsch nach einer traditionellen und tendenziell universalistischen Kunstgeschichte war der Wunsch nach einer für die Studierenden wirksamen Kunstgeschichte geworden. Kunstgeschichte war nicht länger verzichtbares Wissensfach, sondern wurde bestenfalls zu einer Grundlage für den Entwurf  ; nicht im Sinne postmoderner Stilkopien, sondern, wie Hoesli es ausdrückte, »als Horizont, als Nährboden, als Fundament«.58 Der Architekturlehrer Hoesli verband mit der Anwesenheit Vogts und Hofers an der ETH die Hoffnung, einen ungenügenden, veralteten Zustand in der Architekturausbildung zu überwinden. Seine Hoffnung, aber auch seine spätere Enttäuschung über die geringe Fruchtbarkeit aller Bemühungen kommen in den ausgewählten Briefstellen zum Ausdruck. Diese stammen aus den Jahren 1964 – 1969, aus der Zeit unmittelbar vor Hofers Berufung an die ETH bis kurz nach der gta-Gründung und der Umwandlung der außerordentlichen Professuren Hoeslis, Vogts und Hofers in Ordinariate. Am 11. März 1964 schrieb Hoesli an Hofer  : »[N]un sind die langwierigen und oft komplizierten Verhandlungen um Ihre Berufung an die ETH im entscheidenden Stadium. Ich möchte […] Sie wissen lassen, wie sehr ich hoffe, dass Sie sich entschliessen[,] an die ETH zu kommen. Ich schreibe Ihnen nicht nur als Mitglied der Architekturabteilung, sondern noch viel mehr, weil ich persönlich froh und dankbar wäre, Sie bei uns in Zürich zu haben. Wir wissen, was Ihre Persönlichkeit für die Abteilung bedeuten würde  ; noch wertvoller ist mir persönlich die Möglichkeit, Ihre Arbeit aus der Nähe zu verfolgen – und, wie ich hoffe, auf Ihre Hilfe in der Arbeit zählen zu können. Es wäre für mich […] ein Schritt weiter in der Bemühung um die Sache der Architektur in der Schweiz […].«59

Ein ausschlaggebender Grund für Hoeslis Interesse am Kunsthistoriker Hofer war sicherlich, dass dieser sich für das Bauen der Gegenwart engagierte und auch publizistisch Stellung bezog. Beispielsweise sei daran erinnert, dass Hofer zu jenen gehörte, die sich 1954 für die Erhaltung von Häusern in der Berner Altstadt oder 1955 für die Errichtung der vom Atelier 5 in einer Le-Corbusier-Tradition geplanten Halensiedlung eingesetzt hatten – wo Hofer 1961 selbst einzog. Auch Vogt, damals Redakteur der Neuen Zürcher Zeitung, hatte bereits in der Frühzeit des Kontakts zu Hofer in einem Brief vom 10. April 1954 festgestellt  : »Es ist für mich ein ganz besonderes Ereignis, einmal unter hundert schwarzen Schafen einen Akademiker zu finden, der die Gegenwart nicht verachtet und die Probleme der letzten fünfzig Jahre ernst zu nehmen gewillt und imstande ist.«60 58 Burgerbibliothek Bern, Nachlass Paul Hofer, Dossier 259 (7). 59 Ebd. 60 Burgerbibliothek Bern, Nachlass Paul Hofer, Dossier 177 (7).

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Am 30. Juni 1965 schrieb Hoesli voll Aufbruchsstimmung an den inzwischen an die ETH berufenen Hofer  : »[D]ie Möglichkeiten an unserer Abteilung sind jetzt besser als je seit einem halben Jahrhun­ dert […] sodass es später einmal deutlich werden wird, dass mit uns eine Epoche war. Wir müssen, – ich weiss es eigentlich seit meiner Studienzeit – eine Epoche überwinden und zugleich die Grundlage schaffen, für das, was kommen wird.«61

Am 2. August 1966 schrieb Hoesli an Hofer bezüglich des für das Wintersemester 1966/67 zu dritt mit Vogt geplanten Wahlfachs Kommentare zu Bild und Bau heute  : »Ich freue mich auf unser gemeinsames Vorhaben mit AMV  ; als einen möglichen Ansetzpunkt für unsere Kommentare habe ich an die betrüblichen Projekte des Zürcher Universitätswettbewerbes gedacht  ; von da aus kann man in verschiedene Richtungen vorstossen  !«62

1967 nahm Hoesli dann am Architekturwettbewerb für einen Geschäftshausneubau ›Zum Raben‹ in Zürich teil, wobei sein Projekt im Januar 1968 auf den 5. Platz gesetzt wurde. Am 7. Februar 1968 schrieb Hoesli in Reflexion der Wettbewerbsprojekte an Vogt und Hofer  : »[H]eute morgen habe ich nun die Ausstellung der Wettbewerbsprojekte für den RabenNeubau gesehen, und ich muss Euch schreiben darüber. Natürl[ich] bin ich dabei Partei […] Aber ich glaube, dass [ich] davon abstrahieren und objektiv sehen kann. Ich bin erschüttert von der Situation in architektonischen Dingen, die durch diesen Wettbewerb offenbar wird  ; und darum muss ich Euch schreiben, Ihr müsst als Historiker, die schliesslich an der Gegenwart interessiert sind, diese Arbeiten sehen. […] Die Sache  : eine Aufgabe, die vom Bauprogramm her keinesfalls schwierig ist […] Also als Testfall nahezu ideal […] Und was hat man  : eine Ansammlung von Architekturformen[,] deren Vulgarität, Naivität und Brutalität nicht mehr zu unter- oder überbieten ist. […] Das alles ist deprimierend […] Im Grunde fand das Preisgericht alles in bester Ordnung. Und in den Besprechungen[,] die nun in der Presse erscheinen, nimmt man alles ernst, akzeptiert, wo man sich distanzieren müsste.«63

Die beiden Briefstellen unterstreichen, wie sehr sich die Rolle der Kunsthistoriker an der ETH-Architekturabteilung im Laufe der Jahrzehnte gewandelt hatte. Anstelle des früher gepflegten Aneinander-Vorbei der Architekten und Historiker erwartete Hoesli geradezu die Stellungnahme der beiden engagierten Kunsthistoriker zu den Architektur­ 61 Burgerbibliothek Bern, Nachlass Paul Hofer, Dossier 259 (10). 62 Burgerbibliothek Bern, Nachlass Paul Hofer, Dossier 259 (7). 63 Ebd.

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entwürfen der Gegenwart. Am 28. Januar 1969 schrieb Hoesli, zu dieser Zeit als Vorsteher der Architekturabteilung mit den Studierendenprotesten beschäftigt, an Hofer  : »Immer wieder auch das Gefühl, dass soviel möglich wäre auch an unserer Schule  : ein geistiger Bereich – nicht nur eine Unterrichtsstätte. Die Bemühung von Jahren – und so wenig erreicht […] woran liegt es denn, dass immer (noch) soviel Mittelmass, soviel Dürftigkeit, soviel Eigennutz vor allem andern stehen  ?«64

Hier hat Resignation sich bereits eine Bresche geschlagen. Im Grunde ist es das Eingeständnis, dass die Architekturausbildung an einer Technischen Hochschule nur allzu selten einem intellektuellen Anspruch gerecht zu werden vermag. Es könnte daran liegen, dass die Erwartungen einer Mehrzahl der Studierenden und sich in dieser Weise engagierender Dozierenden weit auseinanderklaffen. Dieses Grundproblem konnten offenkundig auch Vogt, Hofer und Hoesli nicht prinzipiell überwinden  ; allenfalls waren es glückliche Ausnahmen, wenn es gelang.65 Noch ein abschließendes Beispiel, was Hoesli sich von seinen Kunsthistorikerkollegen erwartete. In einem Brief vom 29. Oktober 1969 schrieb er an Hofer  : »Du kennst eine meiner Überzeugungen zur gegenwärtigen Lage  : wir brauchen nichts so sehr wie ein Bewusstsein der Geschichte – als Horizont, als Nährboden, als Fundament. Sonst haben wir keinen Bestand, keine Hoffnung gegen den sowohl trübseligen wie auch gefährlichen ad-hoc[-]Pragmatismus des Technikers […].«66

IX.

Dass mit der gta-Gründung ein Intellektualisierungsschub und eine Verwissenschaftlichung an der Architekturabteilung einhergehen würden, ist bereits dem der Gründung 64 Ebd. 65 Eines der gescheiterten Projekte war das Kolloquium Die Stadt als Problem des 20. Jahrhunderts, welches Hofer gemeinsam mit Adolf Muschg (geb. 1934, seit Oktober 1970 außerordentlicher Professor für deutsche Sprache und Literatur) im Sommersemester 1972 durchführte. In einem Brief vom 1. Dezember 1974 schrieb Muschg an Hofer  : »[A]uf Kollegen-Umwegen erfahre ich, daß Sie unsere seinerzeitige gemeinsame Übung zum Thema ›Stadt‹ für kommentar- und hoffnungslos missraten hielten. Missraten war sie gewiss, für Sie und mich vielleicht sogar schmerzhaft missraten. Aber ob sie so in einem einzigen scharfen Wort zusammengefasst zu werden verdient […]  ?« – Burgerbibliothek Bern, Nachlass Paul Hofer, Dossier 266 (28). Noch in seiner Antwort vom 31. Januar 1980 auf die Einladung zu Hofers Abschiedsvorlesung an der ETH erwähnte Muschg das gemeinsame Seminar. – Ebd. Die Schlussthesen der beiden Dozenten im Seminar wurden 1973 von Hofer veröffentlicht. – Vgl. Steinert 2014, S. 418 f. Die gemeinsame Beschäftigung mit der Stadt scheint somit bei beiden Dozenten noch längere Zeit nachgewirkt zu haben. 66 Burgerbibliothek Bern, Nachlass Paul Hofer, Dossier 259 (7).

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vorausgehenden Beschluss des Schweizerischen Schulrats zu entnehmen. Nach einem Überblick zu inhaltlichen und organisatorischen Aspekten des neu zu schaffenden Instituts resü­mierte Schulratspräsident Jakob Burckhardt (1913 – 1996) auf der Sitzung vom 8. bis 9. Juli 1966  : »Aus der künftigen Tätigkeit des Instituts ist vor allem auf die vorgesehene Publikation wissenschaftlicher Abhandlungen aus dem Gebiet der Architektur, der Kunstgeschichte und der Denkmalpflege hinzuweisen. Wie die Initianten […] erwähnt haben, war es während vieler Jahre an der Abteilung für Architektur nicht gerne gesehen, dass Dissertationen eingereicht und andere Arbeiten publiziert wurden. Es darf als erfreuliche Aenderung in der Gesinnung der Abteilung festgestellt werden, wenn heute besonders aus den Gebieten der Kunstgeschichte und der Denkmalpflege die Veröffentlichung von wissenschaftlichen Abhandlungen in Aussicht genommen wird.«67

Die Absicht meines Beitrags war nachzuzeichnen, wie die Kunstgeschichte nach 1959 zum wirksamen Motor einer Erneuerung an der ETH-Architekturabteilung wurde und welcher Personenkreis daran in der Hauptsache beteiligt war. Im Rahmen dieses Erneue­rungsprozesses fanden gewisse Schwerpunktverlagerungen statt. Hierzu gehörte die zunehmende Ausrichtung der Architekturausbildung, welche bislang im Wesentlichen eine Berufsausbildung gewesen war, auch auf geisteswissenschaftliche Inhalte. Hierzu gehörte ferner die Institutionalisierung der geisteswissenschaftlichen Forschung an der Architekturabteilung im Rahmen des gta.68 Literatur Anderson 2004 – Stanford Anderson  : HTC at MIT. Architectural History in Schools of Archi­ tecture, in  : Sylvia Claus, Michael Gnehm, Bruno Maurer u. a. (Hg.)  : Architektur weiterdenken. Werner Oechslin zum 60. Geburtstag, Zürich 2004, S. 330 – 338. Bosman 1998 – Jos Bosman  : CIAM, in  : Vittorio Magnago Lampugnani (Hg.)  : Hatje-­Lexikon 67 Sitzungsprotokoll des Schweizerischen Schulrats vom 8. – 9. Juli 1966, S. 538 – 541, hier  : S. 540, als Digitalisat einsehbar unter URL  : https://www.sr.ethbib.ethz.ch (8. April 2019). 68 Weitere Aspekte einer Geschichte der Kunstgeschichte an der ETH Zürich kommen unter anderem in folgenden Publikationen zur Sprache  : die Kunstgeschichte in den Anfängen der Bauschule Mitte des 19. Jahrhunderts in Tschanz 2015, S. 144, 152 – 159 und 236 – 239 (Anm.)  ; die inhaltlichen und personellen Interdependenzen zwischen dem Institut gta und dem wenig später begründeten Ph. D. Program in History, Theory and Criticism of Art, Architecture and Environmental Studies des Massachusetts Institute of Technology in Anderson 2004. Lesenswert als lakonischer Kontrapunkt zur Wahrnehmung des gta als Ort gesteigerter Wissenschaftlichkeit sind die Zeitzeugenberichte über dessen Anfangsjahre in Heinze-Greenberg 2017 (Gespräche mit Martin Fröhlich, Martin Steinmann und Adolf Max Vogt). Dort enthalten ist auch das dem 2012 am gta eingerichteten Doctoral Program in History and Theory of Architecture zugrunde liegende Konzeptpapier.

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Kunstgeschichte als Motor der Erneuerung

der Architektur des 20. Jahrhunderts, vollst. überarb. Neuaufl., Ostfildern-Ruit 1998, S. 66 –  68. Caragonne 1995 – Alexander Caragonne  : The Texas Rangers. Notes From an Architectural Underground, Cambridge, Mass., London 1995. Geiser 2018 – Reto Geiser  : Giedion and America. Repositioning the History of Modern Architecture, Zürich 2018. Georgiadis 1989 – Sokratis Georgiadis  : Sigfried Giedion. Eine intellektuelle Biographie, [Zürich] 1989. Giedion 1928 – Sigfried Giedion  : Bauen in Frankreich, Bauen in Eisen, Bauen in Eisenbeton, Leipzig, Berlin [1928]. Heinze-Greenberg 2017 – Ita Heinze-Greenberg u. a. (Hg.)  : gta-re-vue Doktorat 1967 – 2017, Zürich 2017. Hoesli 1980a – Bernhard Hoesli  : Atelier 5. Über das Zusammenwirken von Geschichte und Entwurf, in  : Werk, Bauen + Wohnen, August 1980, S. 14 – 15. Hoesli 1980b – Bernhard Hoesli  : [Lehre und Forschung. Die Abteilung für Architektur.] Entwicklung und Herausforderung, in  : Rektor der ETH Zürich (Hg.)  : Eidgenössische Technische Hochschule Zürich. 1955[!] – 1980. Festschrift zum 125jährigen Bestehen, Zürich 1980, S.  92 – 104. Hofer 1954 – Paul Hofer  : Atlantisches Gespräch. Zur Architektur des 19. und 20. Jahrhunderts, in  : Neue Zürcher Zeitung, 12. September 1954, Blatt 4 recto und verso. Hofer 1969 – Paul Hofer  : Palladios Erstling. Die Villa Godi Valmarana in Lonedo bei Vicenza, Basel, Stuttgart 1969. Hofer 1970 – Paul Hofer  : Zum gegenwärtigen Standort der Kunstgeschichte (Abschiedsvorlesung an der Universität Bern am 9. Juli 1964), Teilabdruck in  : Ders.: Fundplätze, Bauplätze. Aufsätze zu Archäologie, Architektur und Städtebau, Basel, Stuttgart 1970, S. 211 – 216. Hofer, Stucky 1971 – Paul Hofer, Ulrich Stucky (Hg.)  : Hommage à Giedion. Profile seiner Persönlichkeit, Basel, Stuttgart 1971. Huber 1987 – Dorothee Huber [Hg.]  : Sigfried Giedion. Wege in die Öffentlichkeit. Aufsätze und unveröffentlichte Schriften aus den Jahren 1926 – 1956, [Zürich] 1987. Le Corbusier 1930 – Le Corbusier  : Précisions sur un état présent de l’architecture et de l’urbanisme avec un prologue américain, un corollaire brésilien, suivi d’une température parisienne et d’une atmosphère moscovite, Paris 1930. Le Corbusier 1964 – Le Corbusier  : Feststellungen zu Architektur und Städtebau. Mit einem amerikanischen Prolog und einem brasilianischen Zusatz, gefolgt von ›Pariser Klima‹ und ›Mos­kauer Atmosphäre‹, Berlin, Frankfurt a. M., Wien 1964. Medici-Mall 1985 – Katharina Medici-Mall  : Vorwort, in  : Dies. (Hg.) : Institut für Geschichte und Theorie der Architektur. Fünf Punkte in der Architekturgeschichte. Festschrift für Adolf Max Vogt, Basel, Boston, Stuttgart 1985, S. 6 – 8. Meyer 1934 – Peter Meyer  : Kunstgeschichte an der Techn. Hochschule, in  : Schweizerische Bauzeitung. Wochenschrift für Architektur, Ingenieurwesen, Maschinentechnik, 23. Juni 1934, S.  289 f. Meyer 1998 – [Peter Meyer]  : Autobiographische Notizen. Eine Collage aus Briefen, einem Lebens­lauf für die Habilitation von 1943 und Erinnerungen für seine Enkel aus den siebziger

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Jahren, in  : Katharina Medici-Mall  : Im Durcheinandertal der Stile. Architektur und Kunst im Urteil von Peter Meyer (1894 – 1984), Basel, Boston, Berlin 1998, S. 413 – 436. Oechslin 1988 – Werner Oechslin (Hg.)  : Le Corbusier & Pierre Jeanneret. Das Wettbewerbs­ projekt für den Völkerbundspalast in Genf 1927. À la recherche d’une unité architecturale, Zürich 1988. Pinder 1926 – Wilhelm Pinder  : Das Problem der Generation in der Kunstgeschichte Europas, Berlin 1926. Ronner 1971a – Heinz Ronner [Hg.]  : Die Bauschule am Eidgenoessischen Polytechnikum Zue­ rich 1855 – 1915, Zürich 1971. Ronner 1971b – Heinz Ronner [Hg.]  : Die Architekturabteilung der Eidgenoessischen Technischen Hochschule 1916 – 1956, Zürich 1971. Ronner 1971c – Heinz Ronner [Hg.]  : Die Architekturabteilung der Eidgenoessischen Technischen Hochschule Zuerich 1957 – 1968, Zürich 1971. Roth 1980 – Alfred Roth  : [Lehre und Forschung. Die Abteilung für Architektur.] Grundlagen der Entwicklung, in  : Rektor der ETH Zürich (Hg.)  : Eidgenössische Technische Hochschule Zürich. 1955[!] – 1980. Festschrift zum 125jährigen Bestehen, Zürich 1980, S. 89 – 91. Rowe 1996 – Colin Rowe  : Henry-Russell Hitchcock. Written 1988, in  : Alexander Caragonne (Hg.), Colin Rowe  : As I Was Saying. Recollections and Miscellaneous Essays, Band  1  : Texas, PreTexas, Cambridge, Cambridge, Mass., London 1996, S. 11 – 23. Rowe, Hoesli 1996 – [Colin Rowe, Bernhard Hoesli ] : Comments of Harwell Hamilton Harris to the Faculty, May 25, 1954, in  : Alexander Caragonne (Hg.), Colin Rowe  : As I Was Saying. Recollections and Miscellaneous Essays, Band 1  : Texas, Pre-Texas, Cambridge, Cambridge, Mass., London 1996, S. 41 – 53. Rowe, Slutzky, Hoesli 1968 – Colin Rowe, Robert Slutzky, Bernhard Hoesli  : Transparenz, Basel, Stuttgart 1968. Simmendinger 2010 – Pia Simmendinger  : Heinrich Bernhard Hoeslis Entwurfslehre an der ETH Zürich. Eine Untersuchung über Inhalte, Umsetzung und Erfolg seines Grundkurses von 1959 – 1968 (Dissertation ETH Zürich), Zürich 2010. Steinert 2014 – Tom Steinert  : Komplexe Wahrnehmung und moderner Städtebau. Paul Hofer, Bernhard Hoesli und ihre Konzeption der ›dialogischen Stadt‹, Zürich 2014. Stöckli 1989 – Hanspeter Stöckli  : Lehren im Grundkurs/Teaching the Basic Course, in  : Jürg Jansen, Hansueli Jörg, Luca Maraini u. a.: Architektur lehren. Bernhard Hoesli an der Architekturabteilung der ETH Zürich/Teaching Architecture. Bernhard Hoesli at the Department of Architecture at the ETH Zurich, Zürich 1989, S. 17 – 77. Tschanz 2015 – Martin Tschanz  : Die Bauschule am Eidgenössischen Polytechnikum in Zürich. Architekturlehre zur Zeit von Gottfried Semper (1855 – 1871), Zürich 2015. Vogt 1968 – Adolf Max Vogt  : Das Institut, seine Aufgabe, seine Verpflichtung, in  : Jakob Burckhardt, Adolf Max Vogt, Paul Hofer  : Institut für Geschichte und Theorie der Architektur. Reden und Vortrag zur Eröffnung, 23. 6. 1967, Basel, Stuttgart 1968, S. 11 – 19.

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Geschichte als Modell – Modelle als Geschichte Die Architektursammlung als Komplementär zur Kunstgeschichte

Die Etablierung der Architekturgeschichte als wissenschaftliche Disziplin ist eng ver­ bunden mit dem Aufkommen der Grand Tour und dem Aufbau von Architektursamm­ lungen, in denen diese Bildungsreisen auf verschiedene Weise dokumentiert werden. Modelle vereinen als Medium unterschiedliche Funktionen und avancieren daher nicht nur zu den zentralen Bestandteilen von Architektursammlungen, sondern tragen auch dazu bei, dass sich diese als Komplementär zur Kunstgeschichte zu eigenständigen Forschungs- und Lehrinstrumenten entwickeln, wie exemplarisch an der Architektur­ sammlung der Technischen Universität München nachgezeichnet werden soll.

I. Modelle und andere Souvenirs der ›Grand Tour‹

Die Etablierung der Architekturgeschichte als wissenschaftliche Disziplin ist eng verbunden mit dem Aufkommen der ›Grand Tour‹ und dem Aufbau von Architektursammlungen, in denen diese Bildungsreisen auf verschiedene Weise dokumentiert werden. Gerade Modelle vereinen als Medium verschiedene Funktionen und avancieren daher – wie im Folgenden dargestellt werden soll – nicht nur zu ›den‹ zentralen Bestand­teilen von Architektursammlungen, sondern sie tragen auch dazu bei, dass sich diese als Komplementär zur Kunstgeschichte zu eigenständigen Forschungs- und Lehrinstrumenten entwickeln. Ab dem ausgehenden 17. Jahrhundert werden von jungen Adligen sowie bürgerlichen Künstlern und Intellektuellen Bildungsreisen unternommen, um die Stätten der Antike und der Renaissance zu besuchen und zu studieren – zu den Pflichtstationen zählen Florenz, Rom, Neapel, Venedig und Vicenza, ab der Mitte des 18. Jahrhunderts rücken auch Griechenland und Kleinasien in den Fokus.1 In dieser Zeit richtet sich der Blick zunehmend auf die archäologischen Zeugnisse der Antike, was durch die damals begonnenen Ausgrabungen in Herculaneum, Pompeji und Stabiae (1738, 1748 bzw. 1749) befeuert wird sowie durch die etwa von Johann Joachim Winckelmann (1717 – 1768) erhobene Forderung, die Antike am Original zu studieren, da man »nicht 1 Beispielsweise bietet die 1996 in der Londoner Tate Gallery veranstaltete Ausstellung einen Überblick über die verschiedenen Aspekte der Grand Tour (›The Travellers‹, ›The Journey‹, ›The Places‹, ›The ­Antique‹), siehe Wilton, Bignamini 1996.

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aus Kupfern urtheilen könne.«2 Einem humanistischen Bildungsideal folgend stützen sich viele Reisende nicht nur auf Reiseführer und einen Cicerone vor Ort, sondern bemühen sich auch um eine möglichst gründliche Rezeption und Dokumentation. Die Antike ist nicht nur geistig-philosophisches Ideal, sondern Altertümer werden auch als künstlerische und architektonische Vorbilder betrachtet, die man in persona besichtigt und auf verschiedene Art und Weise festhält  :3 Wichtige Werke der Plastik werden durch Abgüsse und andere Formen der zwei- und dreidimensionalen Reproduktion dokumentiert.4 Bedeutende Bauten und Monumente werden zum einen in schriftlicher und zeichnerischer Form durch Beschreibungen, Veduten und Aufmaße festgehalten, was zu einer Flut von Reiseliteratur5 sowie einer Reihe von Traktaten führt – zu den römischen Altertümern sind hier etwa Les edifices antiques de Rome (1682) von Antoine Desgodetz (1653 – 1728) und zu den griechischen Les ruines des plus beaux monuments de la Grèce (1758) von Julien-David Le Roy (1724 – 1803) sowie The Antiquities of Athens (1762 – 1816) von James Stuart (1713 – 1782) und Nicholas Revett (1720 – 1804) als wichtigste Pionierschriften zu nennen, die Vorbild für viele weitere sind.6 Zum anderen werden auch dreidimensionale Objekte zusammengetragen  : Neben Fragmenten, die man vor Ort sammelt, werden auch Abgüsse und Modelle hergestellt bzw. erworben. Dabei werden verschiedene Techniken und Materialien eingesetzt  : Ab den 1760er Jahren werden erstmals in Italien – allen voran von den römischen Modellbauern Agostino Rosa (1738 – 1784), der als Erfinder der Technik bezeichnet wird, und Antonio Chichi (1743 – 1816) sowie dem Neapolitaner Giovanni Altieri (1767 – 1790) – Korkmodelle, sogenannte ›Phelloplastiken‹, angefertigt.7 Diese werden hauptsächlich nach Literaturangaben und nur zum Teil nach Aufmaßen vor Ort gefertigt und zeigen die antiken Bauten maßstäblich verkleinert im Ruinenzustand. Das Material Kork kommt der Anmutung steinerner Ruinen entgegen, ist vergleichsweise leicht und robust (leichter als Holz und weniger anfällig für Feuchtigkeit und Schädlingsbefall) und daher einfacher zu transportieren.8 Chichi, der erfolgreichste und produktivste Korkmodellbauer sei2 Winckelmann kritisiert etwa in Geschichte der Kunst des Althertums (1764) an mehreren Stellen andere Autoren dafür, dass sie ihre Urteile nur anhand von sekundären Quellen und Darstellungen fällen, und ermahnt den Leser zum Studium des Originals, siehe Winckelmann 1764, S. XV, XIX, XXVI, 32, hier S. 43. 3 Siehe Richter 2000, S. 61 – 74. Richter hebt hervor, dass es im ausgehenden 18. Jahrhundert rund 5000 gedruckte Reiseführer gibt, die sich allein mit Italien beschäftigen. 4 Siehe ausführlich Schreiter 2014. 5 Vgl. Chaney 1996. 6 Desgodetz 1682  ; Le Roy 1758  ; Stuart, Revett 1762 – 1816. Zur Einordnung siehe etwa Kruft 1991, S.  233 – 244. 7 Der Begriff geht auf Karl August Böttiger (1760 – 1835) zurück und wird erstmals 1800 in einem Aufsatz von Jakob Dominikus (1762 – 1819) für die Korkmodelle von Carl Joseph May verwendet, siehe Dominikus 1800, S. 325 – 326. 8 Zu Korkmodellen allgemein siehe Stenger 1927  ; Büttner 1986  ; Kockel 1993a  ; Forssman 1993.

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Geschichte als Modell – Modelle als Geschichte

ner Zeit, entwickelt ein Repertoire von 36 Modellen antiker Bauten in verschiedenen Maßstäben (von 1  : 100 bis 1  : 25), die er in kleiner Auflage herstellt. Über Agenten vor Ort, wie etwa den ab 1763 in Rom tätigen Cicerone Johann-Friedrich Reiffenstein (1719 – 1793), oder Kunsthändler, wie etwa den Leipziger Kunsthändler Carl Christian Heinrich Rost (1742 – 1798, ›Rostische Kunsthandlung‹), werden einzelne Modelle an wohlhabende Sammler verkauft und ganze Serien an europäische Höfe vermittelt.9 Im ausgehenden 18. Jahrhundert wird der Modellbau von einer Reihe von Nachahmern aufgegriffen und auch nördlich der Alpen fortgeführt  :10 In Deutschland werden ab ungefähr 1792 von dem zunächst in Erfurt und dann in Aschaffenburg tätigen Hofkonditor Carl Joseph May (1747 – 1822) Korkmodelle nach Chichis Vorbild hergestellt, die etwa vom kurmainzischen Koadjutor und späteren Erzkanzler Carl Theodor von Dalberg (1744 – 1817) sowie von Ludwig I. von Bayern (1786 – 1868) erworben werden  ; später wird die Produktion von Mays Sohn Georg (1790 – 1853) fortgeführt.11 Darüber hinaus werden etwa ab den 1780er Jahren in Paris von Jean-Pierre Fouqet (1752 – 1829) und seinem Sohn François (1787 – 1872) Modelle antiker Bauten aus Gips, ›Plâtre de Paris‹, hergestellt, darunter auch erstmals Monumente der griechischen Antike. Diese werden rein nach Literaturangaben produziert und zielen auf eine möglichst genaue Rekonstruktion eines Idealzustands.12 Die Verwendung von Kork und Gips ist also mit zwei grundsätzlich verschiedenen Betrachtungsweisen verbunden – Kork für ­Ruinen und Gips für Rekonstruktionen –, die in den Verarbeitungseigenschaften und ästhetischen Qualitäten des jeweiligen Materials begründet liegen. Es ist daher nicht erstaun­ lich, dass diese Verknüpfung von Material und Darstellungsabsicht von wenigen Ausnahmen abgesehen etwa bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts gilt.13

  9 Vgl. Reineck 1986. – Einen Überblick über Chichis Repertoire findet man bei Szambien 1998, S. 122. Erich Stenger versucht 1927 in seinem Buch, eine vollständige tabellarische Übersicht über die insgesamt »mehr als 210« bekannten Modelle von Chichi, May sowie dem wenig bekannten, Anfang des 19. Jahrhunderts in Marseille tätigen Stephane Stamati zu geben. Er führt zum einen die von der Kunsthandlung Rost in Leipzig angebotenen Modelle auf, zum anderen die Bestände der Sammlungen in Kassel, Darmstadt, Gotha, Berlin, Aschaffenburg, Würzburg, München und Schwerin, siehe Stenger 1927, S. 24 – 25. Diese Angaben sind in Bezug auf die einzelnen Sammlungen seither vielfach korrigiert und präzisiert worden, siehe im Einzelnen unten. 10 Siehe Stenger 1927, S. 20 – 23  ; Kockel 1993a, S. 19 – 23. 11 Siehe Dominikus 1800  ; vgl. Helmberger 1993  ; Kockel 1993b. – Werner Helmberger zufolge hat erst Johann Friedrich Hugo von Dalberg (1760 – 1812), der 1788 – 1789 zusammen mit Johann Gottfried Herder (1744 – 1803) in Rom weilt, May auf die Idee des Baus von Korkmodellen gebracht, die dann vornehmlich von seinem Bruder, Karl Theodor von Dalberg, erworben werden. Letzterer steht zwar auch in engem Kontakt mit Johann Wolfang von Goethe. Doch May beginnt erst lange nach Goethes Reise nach Italien mit dem Bau von Modellen. 12 Siehe Cuisset 1990. 13 Vgl. Kockel 2010, S. 421 – 426.

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Ab dem ausgehenden 18. Jahrhundert werden auch erstmals in umfassendem Maße Gipsabgüsse von Architekturelementen, sogenannte ›Moulagen‹, angefertigt. Obgleich die Technik seit der Renaissance wohl bekannt ist, um Plastiken zu reproduzieren, wird sie erst ab diesem Zeitpunkt zur Reproduktion von Architekturelementen – von einzelnen Bauformen und Ornamenten bis zu ganzen Kapitellen – eingesetzt.14 Allen voran Léon Dufourny (1754 – 1818) setzt ab 1782 systematisch Abgüsse ein, um während eines zwölfjährigen Rom-Aufenthaltes eine umfangreiche Sammlung zusammenzutragen, welche später im Bestand der Pariser Académie des Beaux-Arts aufgeht.15 Mit den jeweiligen Medien und Methoden der Dokumentation und Reproduktion sind nicht nur verschiedene Maßstäbe oder Stufen der Präzision verbunden, sondern damit gehen auch bestimmte Formen der historischen Rezeption einher, welche die entsprechenden Geschichtsauffassungen beeinflussen –, das heißt, der Blick auf die Geschichte steht in einem engen Verhältnis zu dem jeweiligen Medium. Bei den schriftlichen und zeichnerischen Darstellungen kann man die variierende Genauigkeit der Beschreibung bzw. die Maßhaltigkeit der Bauaufnahmen und Zeichnungen als Ausdruck unterschiedlich präziser Sichtweisen auf die Geschichte interpretieren. Während beispielsweise Desgodetz mit seiner Exaktheit nach »certitude« (›Gewißheit‹) strebt, um das »Mysterium der Proportion« zu ergründen, relativiert Le Roy mit der Kombination von Bauaufnahme, pittoresker Ruinendarstellung und Rekonstruktion das Vorbild der Antike, von dem sich schließlich Giovanni Battista Piranesi (1720 – 1778), wie HannoWalter Kruft resümiert, zugunsten eines »Plädoyer[s] für Stilpluralismus und Stileklektizismus« löst.16 Unter den Souvenirs der ›Grand Tour‹ nehmen Modelle eine Sonderstellung ein, da sie als Medium – über die Traktatliteratur, die Zeichnung oder andere Formen der Dokumentation und Reproduktion hinaus – verschiedene Funktionen in sich vereinen  : zum einen dienen sie bei der historischen Betrachtung als Stellvertreter von Bauten und Monumenten  ; zum anderen werden sie seit der Renaissance in wachsendem Maße auch eingesetzt, um Entwürfe zu erarbeiten und zu präsentieren.17 Im ausgehenden 18. Jahrhundert widerlegen gerade Modelle die gängige Einschätzung, nach der sich Bauten und Monumente nur in situ studieren lassen, während Gemälde sich kopieren und Plastiken abformen lassen. Mehr noch als die perspektivische Zeichnung sind Modelle das leistungsfähigste Präsentationsmedium, mit dem Bauten und Monumente betrachtet werden können, ohne in persona zu ihnen reisen müssen. So werden beispielsweise 14 Vgl. ebd., S. 426 – 432. 15 Siehe Szambien 1998, S. 22 – 27. 16 Desgodetz 1682, Preface  ; vgl. Kruft 1991, S. 153 – 155, 224 – 228, 233 – 238, hier S. 227. Im Einzelnen vgl. Herrmann 1958, S. 23 – 33, 39 – 44  ; Middleton 2004, S. 59 – 134  ; Wittkower 1938. 17 Zur Geschichte des Architekturmodells bis zum 18. Jahrhundert siehe etwa Mosser 1981  ; Reuther 1981  ; Lepik 1994  ; vgl. Oechslin 2011. – Einen Überblick über die Geschichte des Architekturmodells bis zur Gegenwart bietet Mindrup 2019.

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Mays Korkmodelle von einem Zeitgenossen dafür gelobt, dass sie »alle Monumente des Alterthums, ohne dem Orte seine Zierde zu rauben, transportabel gemacht« hätten.18 Ihre Wirkung resultiert aus einer Kombination von Räumlichkeit, Maßstäblichkeit, Abstraktion und einer Materialität, die durch Haptik und Textur etwa des Korks sowie manchmal auch eine farbige Fassung oder naturalistische Ausschmückung gesteigert wird. Im Unterschied zu anderen Medien zeigen sie räumlich, multiperspektivisch, auf einen Blick und gleichzeitig bis ins Detail genau die Bauten und Monumente der Antike und werden daher beinahe als deren Stellvertreter betrachtet. Dies wird in zeitgenössischen Publikationen fast als Sensation gefeiert, wie dies beispielsweise 1779 in den Miscellaneen artistischen Inhalts geschieht  : »Man verfertigt jetzt zu Rom Abbildungen alter Denkmähler, die von Kork nach verjüngtem Maasstabe gemacht sind, und die deutlichste und genaueste Vorstellung davon geben, die ie [sic  !] möglich ist. Man kann nichts täuschenders sehen. Alles ist bis auf die geringste Fuge, den kleinsten Stein, das kleinste Graßplätzchen und Schutthaufen ausgemessen, und dargestellt, und der Kork giebt ihm ganz das verfallene, ehrwürdige Ansehen im Ruin stehender Gebäude, mit den eingestürzten Säulen und dem von der Zeit zermalmten Gemäuer. […] Man glaubt davor zu stehen.«19

Und 1799 heißt es im Almanach der Fortschritte, neuesten Erfindungen und Entdeckungen in Wissenschaften, Künsten, Manufakturen und Handwerken »Ueber Meys Fortschritte in der Felloplastik oder Bildnerey in Kork«  : »Das Monument scheint durch seine Masse – den löcherichen Kork, und die Farben, die der Künstler der mahlenden Zeit gleichsam abgestohlen hat, – für das Alterthum zu sprechen, wohin es gehört. Alle Schattirungen, Figuren, Mauern, Thüren, Pfosten, Säulen, Gänge, Wölbungen, Bogen, Inschriften, Auszierungen, der ganze innere und äußere Schmuck, alle verfallene, verwitterte, bemooste [sic  !] Theile, kurz alles, was die Zeit übrig gelassen und was sie angehängt hat, alle Einsenkungen in die Erde, Verschüttungen oder Verstümmelungen sind mit der w a h r s t e n Nachbildung dargestellt.«20

Die Herstellung abgeschlossener Serien von Modellen bedeutender Bauten und Monumente der griechischen und römischen Antike zeigt zudem, dass sich zu diesem Zeitpunkt – ähnlich wie bei anderen Modellsammlungen in der Kunst und der Naturwissenschaft dieser Zeit, wie etwa Daktyliotheken, Gesteinssammlungen oder Holz-

18 Dominikus 1800, S. 331. 19 R.-d. 1779. 20 o. A. 1801, S. 403 – 404.

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bibliotheken – allmählich ein enzyklopädischer Kanon herauskristallisiert.21 Darüber hinaus werden die verschiedenen Funktionen von Modellen erst dadurch ermöglicht, dass sich im 18. Jahrhundert der Modellbegriff maßgeblich weiterentwickelt. Dieser wandelt sich von der seit der Antike rein philosophisch geprägten Auffassung insbesondere durch Gottfried Wilhelm Leibniz (1646 – 1716) zu einem Begriff, welcher sowohl geistig-theoretische als auch physisch-haptische Ebenen umfasst.22 Dies ermöglicht nicht nur die verschiedenen Anwendungen, sondern führt auch zu den Eigenschaften, die Modellen heute zugeschrieben werden, nämlich Abbildung, Vereinfachung und nicht-eindeutige Zuordnungsfähigkeit.23 II. Modelle in Kunst- und Wunderkammern

Die ›Grand Tour‹ hat als Bildungsreise einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf Kultur und Wissenschaft in Nordeuropa. So werden Amateur- und Gelehrten-Gesellschaften zum Studium der griechischen und römischen Antike gegründet  ; am bekanntesten ist die 1732 erstmals in London zusammengetretene Society of Dilettanti, welche beispielsweise später Reisen von Nicholas Revett (1721 – 1804) fördert. Darüber hinaus bilden die Souvenirs der ›Grand Tour‹ oft den Grundstock für höfische und private Sammlungen von Architekturobjekten. Diese sind zunächst oft ein Teil von Kunst- und Wunderkammern, welche ihren Ursprung im Studiolo des 16. Jahrhunderts haben und sich im Laufe der Zeit von einem Gelehrtenstübchen zu einem dekorativ gestalteten Raum für Preziosen und Kunstwerke entwickeln. Die Objekte in diesen Kunst- und Wunderkammern umfassen verschiedene Kategorien, wie etwa ethnologische und exotische Objekte (›Exotica‹), Staunenswertes aus der Natur (›Naturalia‹), Kunstwerke (›Artificilia‹) und wissenschaftliche Instrumente (›Scientifica‹). Diese Kunst- und Wunderkammern sind getragen von dem humanistischen Bestreben, die der Welt innewohnenden Zusammenhänge durch Kunst und Wissenschaft zu ergründen, den Makrokosmos – analog zur Enzyklopädie – in dem Mikrokosmos der Sammlung abzubilden.24 Das Sammeln selbst ist beinahe unweigerlich mit einer anthologischen Auswahl und Bildung eines Kanons verbunden, die in gewisser Weise eine eigene Form der Geschichtsschreibung darstellen. Dies manifestiert sich sogar als eigenes Sujet in der Malerei, beispielsweise in den Capricci von Giovanni Paolo Pannini (1691 – 1765), einem 21 Vgl. Streckhardt 2018. 22 Beispielsweise definiert 1807 der Lexikograf Immanuel Johann Gerhard Scheller (1735 – 1803) den Begriff ›Modell‹ von lateinisch ›modulus‹ zum einen als ›Muster, modulus, exemplar, exemplum‹ und zum anderen als ›Abriß, designatio, forma‹. Siehe Scheller 1807, S. 511  ; vgl. Kammel 2016  ; Wallenstein 2018. 23 Siehe Stachowiak 1973, S. 131 – 133  ; vgl. Überblick über die verschiedenen Modelltheorien etwa bei Dierks, Knobloch 2008. 24 Vgl. Liebenwein 1977, S. 128 – 164  ; Minges 1998.

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der führenden römischen Ruinenmaler seiner Zeit. Die beiden Gemäldegalerien mit Ansichten des antiken Rom (›Roma Antica‹, 1754 – 1757) und Gemäldegalerien mit Ansichten des zeitgenössischen Rom (›Roma Moderna‹, 1757), anthologische Capricci, die vom Herzog von Choiseul (1719 – 1785) als Erinnerung an seine Zeit als Botschafter in Rom (1753 – 1757) in Auftrag gegeben werden, zeigen eine ähnliche Auswahl antiker bzw. zeitgenössischer römischer Monumente, wie sie auch in der Traktatliteratur beziehungsweise den Modellserien dieser Zeit zu finden sind.25 Im ausgehenden 18. Jahrhundert werden an einigen Höfen zum Teil bedeutende Sammlungen mit umfangreichen Beständen an Modellen zusammengetragen, die von aufgeklärten Fürsten als Souvenirs der ›Grand Tour‹ in Kunst- und Wunderkammern ausgestellt werden. Allen voran erwirbt Landgraf Friedrich II. von Hessen-Kassel (1720 – 1785) 1776 – 1777 auf seiner Italienreise bei Chichi in Rom eine Serie von Korkmodellen zur Bestückung seines gerade im Bau befindlichen Museums Fridericianum in Kassel (1769 – 1779). Zuvor waren in den Jahren 1768 – 1774 bereits eine Reihe von Gipsabgüssen angeschafft worden. 1779 legt der Architekt des Fridericianums, der Hofbaumeister Simon Louis du Ry (1726 – 1799), ein Projekt für den Neubau einer eigenständigen Modellkammer vor, die diese Korkmodelle sowie die ab 1711 im Rahmen der Hofbautätigkeit des Landgrafen Karl von Hessen-Kassel (1654 – 1730) angefertigten Modelle umfassen soll  ; doch dieses Projekt wird nie realisiert. Die Modelle der Kasseler Sammlung werden zwar von der 1781 gegründeten Architektur-Abteilung der örtlichen Akademie für die Lehre genutzt, befinden sich jedoch im Fridericianum.26 Die zweite bedeutende frühe Sammlung ist die von Herzog Ernst II. von Sachsen-Gotha-­Altenburg (1745 – 1804). Im Zuge der Bemühungen zur Entwicklung Gothas zu einem kulturellen Zentrum begründet er 1772, dem Jahr seines Regierungsantritts, eine Abgusssammlung und erwirbt ab 1779 – im Anschluss an die Italienreise 1777 – 1778 seines Bruders August (1747 – 1806) und vermutlich auf dessen Empfehlung – eine Sammlung von insgesamt 13 Korkmodellen von Bauten der römischen Antike  ; zehn dieser Modelle stammen von Chichi und jeweils eines von May beziehungsweise Padiglione.27 Weitere bedeutende höfische Modellsammlungen dieser Zeit sind in St. Petersburg, Stockholm und Darmstadt zu finden. Katharina die Große (1729 – 1796) erwirbt 1769 zunächst sechs Modelle von Chichi und 1778 dann eine komplette Serie für das Museum der Kunstakademie in Sankt Petersburg  ;28 König Gustav III. von Schweden (1746 – 1792) bereist 1783 – 1784 Italien und kauft acht Korkmodelle, von denen sechs von Giovanni Altieri stammen  ; etwas später, 1790 – 1791, erwirbt Landgraf Ludwig X. von Hessen25 Vgl. Wilton 1996, S. 277 – 278. 26 Siehe Zimmermann-Elseify 1986  ; Gercke 1986  ; vgl. Inventar bei Gercke, Zimmermann-Elseify 1986  ; Schreiter 2014, S. 75 – 88. 27 Siehe Wallenstein 2002  ; Wallenstein 2004  ; Eberle 2017, S. 9 – 23, insbes. S. 13 – 23, Katalog S. 25 – 115  ; vgl. Schreiter 2014, S. 64 – 70. 28 Siehe Sawinowa 1986  ; Tatarinova 2006.

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Darmstadt (1753 – 1830) ebenfalls eine komplette Serie bei Chichi.29 Zum Teil dienen die Modelle in diesen Sammlungen als repräsentative Souvenirs. So ist beispielsweise überliefert, dass der bereits erwähnte Carl Theodor von Dalberg seine drei privat erworbenen Korkmodelle vornehmlich als Tafelaufsatz verwendet, als Mittelpunkt ebenso gelehrter wie geselliger Tischrunden.30 Über die Repräsentation hinaus leisten Modelle in diesen Sammlungen jedoch einen wichtigen Beitrag zur Antikenrezeption und tragen gerade bei Nichtgereisten dazu bei, ein Bild von der Antike zu prägen.31 Dieses ist, wie Joachim Rees herausgearbeitet hat, einerseits vom Reiseführer-Diskurs und andererseits von Anschauungen bestimmt, die aus solchen Sammlungen gewonnen sind.32 So ist beispielsweise Johann Wolfgang von Goethes (1749 – 1832) erste Impression von Rom medial vorgeformt von den Eindrücken der zuvor besuchten Sammlungen. Er notiert über sein Eintreffen am 1. November 1786 in Rom, wie in seiner Italienischen Reise (1816/17) nachzulesen  : »Alle Träume meiner Jugend seh’ ich nun lebendig  ; […] und alles, was ich in Gemälden und Zeichnungen, Kupfern und Holzschnitten, in Gips und Kork schon lange gekannt, steht nun beisammen vor mir […].«33 In diesem Zusammenhang ist bekannt, dass Goethe die Sammlung von Gipsabgüssen im Mannheimer Antikensaal besuchte  ; ob er auch die – unweit von Weimar in Gotha gelegene – Korkmodellsammlung von Herzog Ernst II. von Sachsen-Gotha-­ Altenburg kannte, ist jedoch nicht gesichert.34 III. Lehrsammlungen, Privatsammlungen und Museen

Bereits mit dem Aufkommen der ›Grand Tour‹ werden Sammlungen zusammengetragen, die nicht nur im weitesten Sinne der geschmacksbildenden Antikenrezeption oder der höfischen Repräsentation dienen und bei denen die künstlerische Erziehung nur eine Nebenrolle spielt, sondern die dezidiert als akademisches Unterrichtsmittel oder auch als Objekt eines an breitere Schichten gerichteten Ausstellungswesens eingesetzt werden. In Deutschland entstehen Lehrsammlungen vornehmlich im Zusammenhang mit den Kunstakademien. Und analog dazu, dass die Architektur dort nur eine Kunstgattung unter mehreren ist, fokussieren diese Sammlungen nicht auf Architekturmo29 Siehe Kockel 1998. 30 Siehe o. A. 1799, S. 459  ; vgl. Helmberger 1993, S. 80. 31 Dietrich Neumann hat auch darauf hingewiesen, dass neben Modellen eine Reihe weiterer Medien dazu eingesetzt wurde, um Nichtreisenden die Sehenswürdigkeiten der Grand Tour medial zu vermitteln, wie etwa Panoramen oder später stereoskopische Fotografien  ; siehe Neumann 2008. 32 Siehe Rees 2003. 33 Goethe 1962, S. 111. 34 Vgl. Tausch 2006, S. 64 – 75.

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delle, vielmehr umfassen sie verschiedene Arten von Altertümern, wobei den Schwerpunkt meist Gipsabgüsse von Skulpturen bilden.35 Die umfangreichste und bedeutendste Sammlung dieser Art ist der Mannheimer Antikensaal, der auf den Düsseldorfer Kurfürsten Johann Wilhelm von der Pfalz (1658 –  1716) zurückgeht, welcher bereits 1707 mit dem Erwerb von Abgüssen beginnt  ; die Sammlung wächst rasch auf rund einhundert Stücke und wird mit der Verlegung des kurfürstlichen Hofs nach Mannheim gebracht, wo sie ab 1767 im Hof der Akademie ausgestellt wird und rasch überregionalen Ruhm erlangt.36 Auch die 1696 gegründete Akademie in Berlin, welche lange Zeit die größte im deutschsprachigen Raum ist, verfügt über eine ansehnliche Sammlung. Allerdings fällt diese 1743 einem Brand zum Opfer  ; erst nach dem Tod Friedrichs II. (1712 – 1786) wird wieder regelmäßiger Unterricht abgehalten.37 Ende des 18. Jahrhunderts, mit dem Ausbau der Architekturausbildung, verändert sich der Charakter der Sammlungen. 1798, im Zusammenhang mit Plänen zur Gründung einer Bauakademie, in der Zivilbaukunst gelehrt werden soll, wird der Aufbau einer Sammlung von Architekturmodellen erwogen  ; diese sollen nicht mehr primär der Antikenrezeption dienen, sondern, wie es Heinrich August Riedel (1748 – 1810), der zweite Direktor der Oberbaudeputation, in seinem »Plan zu einer Bauschule« formuliert, der Konstruktionslehre  : »Es wird eine Modellkammer angelegt, und so viel möglich mit Modellen von allen Gattungen und Arten von Gebäuden und Maschinen, so wie von einzelnen die Konstruction lehrenden Baustücken, nach und nach versehen.«38 Die vergleichsweise bescheidene Sammlung der Bauakademie umfasst sieben Korkmodelle von Chichi, die 1798 bei der jährlichen Ausstellung der Akademie der bilden­ den Künste und mechanischen Wissenschaften ausgestellt werden und danach für den Bestand der Bauakademie erworben werden  ;39 dazu kommen noch einige w ­ eitere Modelle, wie etwa des Brandenburger Tors, Heinrich Gentz’ (1766 – 1811) Alter Münze am Werderschen Markt (1798 – 1800) sowie einige weitere Modelle vornehmlich technischer Bauten und Konstruktionen. Diese werden im dritten Stock der Alten Münze, dem ersten Sitz der Bauakademie, aufgestellt. Sie werden, wie Gentz schreibt, in »sämmtliche Säle und Zimmer […], auf Consolen und Tabletten« verteilt, so dass sie als »eine Art der Verzierung, welche Nutzen und Schönheit zugleich gewährt«, dienen. Dabei sollen »die schönen Korkmodelle der antiken Monumente […] den Zeichensaal, das Hauptzimmer dieser Etage verzieren […].«40 35 Siehe Stemmer 1996, S. 67 – 74. – Einen Überblick über den Bestand dieser Sammlungen gibt Schreiter 2014, S.  41 – 100. 36 Siehe Schreiter 2012  ; Maaz 1996. 37 Siehe Schreiter 2014, S. 45 – 47. 38 Riedel 1798, S. 109. 39 Siehe Stenger 1927, S. 10 – 11, 24 – 25. 40 Gentz 1800, S. 21.

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Die Weiterentwicklung höfischer und akademischer Sammlungen zu Architektursammlungen und -museen, die eine übergeordnete historiografische Konzeption verkörpern und gleichermaßen auf Forschung und Lehre, Architekturentwurf und die breite Öffentlichkeit ausgerichtet sind, vollzieht sich zuerst in anderen europäischen Ländern. In England werden im ausgehenden 18. Jahrhundert die ersten öffentlichen Ausstellungen organisiert und es werden die ersten großen bürgerlichen Sammlungen zusammengetragen  : Richard Du Bourg (1737 oder 1738 – 1826), ein Londoner Künstler, der bei einem längeren Aufenthalt in Frankreich und Italien in den 1760er Jahren mit den italienischen Korkmodellbauern dieser Zeit in Kontakt kommt, beginnt 1770 nach seiner Rückkehr nach London mit dem Bau von Korkmodellen. Diese verkauft er zum einen an wohlhabende Sammler und zum anderen präsentiert er diese in den Jahren 1776 – 1785 und 1799 – 1819 bei öffentlichen Wanderausstellungen, für deren Besuch Eintrittsgeld zu bezahlen ist.41 Ebenfalls im ausgehenden 18. Jahrhundert beginnt der englische Architekt John Soane (1753 – 1837) mit dem Aufbau einer Sammlung von Antiquitäten, die im Laufe seiner langen und erfolgreichen Karriere zur größten Privatsammlung seiner Zeit anwächst. Sie ist in Soanes Haus untergebracht, das er 1812 – 1814 selbst erbaut und bis 1826, unter Einbeziehung der beiden Nachbargebäude, zu einem Privatmuseum erweitert. Die Sammlung umfasst eine große Bandbreite von Objekten  : neben Gemälden, Skulpturen, Originalfragmenten, Gipsabgüssen, Büchern und Zeichnungen auch insgesamt 252 Architekturmodelle, darunter neben 118 Modellen eigener Projekte auch 20 Gipsmodelle von Fouquet und 14 Korkmodelle. Soane misst den Architekturmodellen eine besondere Bedeutung bei, die sich u. a. in dem 1834 – 1835 eingerichteten eigenen »model room« seines Privatmuseums niederschlägt.42 Wie kaum ein anderer Architekt seiner Zeit betrachtet Soane Modelle als Anregung und als historischen Fundus für seine Arbeit und hält auch seine Mitarbeiter und seine Studenten zu ihrem Studium an, wie dies etwa auch in den von seinen Mitarbeitern Joseph Michael Gandy (1771 – 1843) und Henry Parke (1790 – 1835) angefertigten Capricci seiner Sammlung zum Ausdruck kommt.43 Darüber hinaus nimmt Soanes Privatmuseum einige Aspekte späterer Architektursammlungen und -museen vorweg. Die Ausstellung ist als »Union of Architecture, Sculpture, and Painting« konzipiert, die mit verschiedenen ästhetischen und szenischen Mitteln darauf angelegt ist, eine Sicht auf die Architektur als vornehmlich historisches Phänomen zu vermitteln und den Betrachter in die Vergangenheit eintauchen zu lassen. Die Objekte werden in den vergleichsweise kleinen Räumlichkeiten so miteinander kombiniert und in Szene gesetzt, dass zum Beispiel die gezeigten Bauten und Monumente durch maßstäblich verkleinerte Modelle und Stiche in einen architektonischen oder historischen Kontext 41 Siehe Gillespie 2017. 42 Siehe Soane 1835  ; vgl. Summerson 1977  ; Dorey 1992  ; Dorey 2008. 43 Vgl. Lukacher 1987.

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eingebettet werden, während Abgüsse und Fragmente zusätzlich eine möglichst lebensnahe taktile und haptische Erfahrung vermitteln.44 Die Institutionalisierung öffentlicher Architektursammlungen und -museen vollzieht sich jedoch zuerst in Frankreich. Dies geschieht vor dem Hintergrund der Sammlung der 1671 gegründeten Académie Royale d’Architecture in Paris, die ein umfangreiches Inventar an Zeichnungen, Abgüssen und Modellen umfasst, das zum einen aus königlichen Beständen und zum anderen aus Schenkungen und Nachlässen von Akademiemitgliedern stammt und sowohl zur Fachdiskussion wie zur Architekturausbildung dient.45 In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhun­ derts Architekturzeichnungen und -modelle – neben Malerei und Skulptur – erst allmählich als gleichberechtigte Träger einer künstlerischen Idee anerkannt werden und eine Vermischung der Kunstgattungen bzw. eine Nivellierung der Gattungshierarchien noch lange verpönt ist. So kommt es 1771 noch zu einem Eklat, als der französische Architekt Charles de Wailly (1730 – 1798) im Louvre-Salon das Modell einer Treppe für das Schloss Montmusard neben seinen eigenen Zeichnungen ausstellt.46 Ab 1790 werden im Zuge der Französischen Revolution Konzepte für die Umwandlung des L ­ ouvre zu einem öffentlichen Museum mit einem umfassenden enzyklopädischen Charakter entwickelt, das neben den schönen Künsten, Literatur, Geschichte und Naturwissenschaften auch Architektur beinhalten soll. Mit dem Aufstieg von Charles-François ­Lebrun (1739 – 1824) wird diese ehrgeizige Museumskonzeption wieder aufgegeben, und der Louvre ist heute, wie allseits bekannt, ein reines Malerei- und Skulpturenmuseum  ; nur in den ägyptischen und orientalischen Abteilungen findet man als Überrest dieser Museumskonzeption einzelne Architekturobjekte.47 Unabhängig davon etablieren im Jahr 1800 Jacques-Guillaume Legrand (1753 – 1807) und Jacques Molinos (1743 –  1831) in der Pariser Rue Saint-Florentin das ›Museum der dorischen Ordnung‹ (Musée de l’ordre dorique), für das sie erstmals eine eigenständige Museumsarchitektur für eine Architektursammlung entwickeln – mit einer eigens erfundenen Fassadenordnung und Anspielungen auf die Antike zur Außendarstellung.48 Wesentliche Impulse für die historiografische Konzeption der Entwicklung der Architektursammlung hin zu einem Studienmuseum im Sinne eines Komplementärs zur Kunstgeschichte gehen jedoch von der Privatsammlung des Zeichners und Landschaftsmalers Louis-François Cassas (1756 – 1827) aus, der ab 1778 ausgiebig Italien und den Nahen Osten bereist.49 Er trägt dabei eine Kollektion von Modellen, Abgüssen und Zeichnungen von insgesamt 44 Siehe Britton 1827  ; vgl. Lending 2017, S. 30 – 40. 45 Eine Übersicht der Modellsammlung findet man bei Szambien 1998, S. 131 – 134. 46 Vgl. Chafee 1977, S. 61 – 77. Zu den Modell- und Abgusssammlungen vgl. auch Mosser 1981  ; Kader, Schreiter 1999. 47 Siehe Szambien 1998, S. 29 – 45. 48 Ebd., S.  49 – 53. 49 Vgl. Gilet, Westfehling 1994  ; Join-Lambert, Gilet 2015.

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Abb. 1  : Architekturgalerie von Louis-François Cassas (1756 – 1827) in der Rue de Seine in Paris, 1806. L. Bonvallet  : Galerie d’Architecture de Mr. Cassas, 1806, in  : Athenaeum ou Galerie française des productions de tous les arts, 1806 – 1807.

100 antiken Bauten und Monumenten zusammen, die er 1806 – 1813 in seiner Pariser Wohnung in der Rue de Seine ausstellt. Erstmals werden die Modelle durch Cassas kontextualisiert, d. h. er platziert diese vor Zeichnungen bzw. Stichen der Ursprungsorte, so dass der Betrachter diese in einen architektonischen Zusammenhang setzen kann und gleichzeitig einen historischen Überblick erhält (Abb. 1).50 Es folgen eine ganze Reihe von Sammlungen, die weitere Schritte auf dem Weg zu einem Architekturmuseum sind. Große Teile des Inventars dieser Sammlungen, insbesondere die Kollektionen von Dufourny und Cassas, gehen am Ende in der Studiensammlung der École d’Architecture und später der École des Beaux-Arts auf. Dufourny, ab 1804 Nachfolger von Le Roy und Konservator der Galerie d’Architecture, entwickelt eine Konzeption für die Sammlung der damals im Collège des Quatre-Nations untergebrachten École d’Architecture, die sich als wegweisend für weitere Architekturmuseen erweist  : Er nimmt historische Periodisierungen vor und vereint die verschiedenen Medien der Sammlung – Zeichnung, Modell, Abguss und Fragment  ; außerdem steigert er mit verschiedenen gestalterischen Mitteln die Wirkung der Exponate, obwohl die Ausstellung einer Ausbildungsinstitution angegliedert ist. Schließlich wird die Sammlung in das von François Debret begonnene und von Félix Duban (1798 – 1879) vollen50 Siehe Legrand 1806  ; vgl. Szambien 1998, S. 61 – 66, Rekonstruktion der Sammlung S. 155 – 173  ; Royo 2015.

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dete Palais des Études (1820, 1832 – 1838) überführt und in dem überglasten Innenhof sowie den angrenzenden Räumlichkeiten Grand Vestibule, Galerie Grecque, Galerie Romaine, Salle de l’Ornement und Salle de l’Olympie ausgestellt.51 IV. Die Modelle der Architektursammlung der Technischen Universität München

Um die Bedeutung von Modellen für die Entstehung von Architektursammlungen sowie ihre Bedeutung für die Lehre – als Komplementär zur Kunstgeschichte – deutlicher herauszuarbeiten, soll im Folgenden genauer auf das Beispiel der Architektursammlung der Technischen Universität München eingegangen werden. Sie gilt heute als eine der größten und bedeutendsten Sammlungen und erfüllt eine duale Funktion, zum einen als Forschungsinstitution innerhalb der Architekturfakultät der Hochschule, zum anderen als öffentliches Museum mit Ausstellungsräumen in der Pinakothek der Moderne.52 Die Anfänge der Münchner Sammlung lassen sich – ähnlich wie bei mehreren der bereits erwähnten Sammlungen – auf eine höfische Sammlung, nämlich die 1563 – 1567 eingerichtete bayerische Kunstkammer, zurückverfolgen. Ihre ältesten Modelle, die 1568 – 1574 von Jakob Sandtner geschreinerten Modelle fünf bayerischer Residenzstädte (Straubing, München, Landshut, Ingolstadt und Burghausen) sowie das ebenfalls Sandtner zugeschriebene Modell des biblischen Jerusalem, spielen jedoch für die Architektursammlung noch keine Rolle. Erst Anfang des 19. Jahrhunderts, parallel zur Etablierung der akademischen Architektenausbildung in Bayern, werden Modelle erworben, die den Grundstock der Lehrsammlung bilden. Ludwig I., der seine Kronprinzenjahre 1816 – 1825 in Würzburg verbringt, lernt dort May kennen und beauftragt ihn mit dem Bau eines Korkmodells des Heidelberger Schlosses, das bis 1828 von Mays Sohn Georg fertiggestellt wird. Außerdem erwirbt Ludwig auf einer seiner zahlreichen Italienreisen 1818 in Neapel ein monumentales Modell des Poseidontempels in Pae­ stum von Domenico Padiglione. Nach der Thronbesteigung 1825 verfolgt er die Idee einer größeren Modellsammlung und stattet Georg May mit einem Stipendium für eine sechsmonatige Italienreise aus. Dieser interpretiert die Reise als Auftakt für eine größere, alle Länder und Epochen umfassende Schausammlung – eine Geschichte der Architektur in Form dreidimensionaler Modelle, die nicht nur geschichtsaufklärend, sondern auch geschmacksbildend wirken soll – und fertigt bis 1854 insgesamt zehn weitere Modelle. Außerdem werden sukzessive einige weitere Modelle erworben, wie etwa 1841 das Korkmodell des Hauses des Sallust von Agostino Padiglione und Giu51 Siehe Szambien 1998, S. 57 – 75 sowie ausführliche Darstellung der Ausstellung S. 79 – 104. Zur Baugeschichte und der Geschichte der Institution vgl. Marmoz 1982  ; Chafee 1977, S. 65 – 95. 52 Siehe Überblick der Geschichte bei Nerdinger 2011b  ; Meissner 2014. Siehe zum Vergleich die Geschichte der Zürcher Lehrsammlung bei Wilkening-Aumann 2019.

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seppe Abbate. Die wachsende Sammlung dient zu diesem Zeitpunkt nicht der Lehre, sondern wird an verschiedenen Orten öffentlich gezeigt  : Ab 1841 werden drei Modelle (das Heidelberger Schloss, der Tempel in Paestum und das Haus des Sallust) zusammen mit verschiedenen Antiquitäten in der Glyptothek ausgestellt  ; 1844 wird mit der Gründung der ›Vereinigten Sammlungen‹ der gesamte Bestand am Hofgarten versammelt, ein 1846/47 herausgegebener Führer zählt zu diesem Zeitpunkt 13 Modelle auf. 1869 wird die Sammlung in das Ausstellungsgebäude am Königsplatz, die heutige Staatliche Antikensammlung, gebracht und 1872 dann ins Erdgeschoß der Pinakothek  ; schließlich werden nach dem Bau des Bayerischen Nationalmuseums einige Modelle zusammen mit Sandtners Stadtmodellen dort in einem Modellsaal ausgestellt.53 Der Aufbau der Lehrsammlung beginnt zunächst unabhängig von dieser höfischen Modellsammlung mit der Etablierung der akademischen Architekturausbildung in Bayern.54 Carl von Fischer (1782 – 1820), der 1806 zum ersten Professor für Baukunst an der Bauschule der Münchner Akademie der Bildenden Künste berufen wird, trägt 1806 – 1808 auf einer Reise nach Paris und Rom den Grundstock dieser Lehrsammlung zusammen. Er selbst fertigt »große Sepiazeichnungen nach antiken Ornamentreliefs« und nach Architekturtraktaten an – insbesondere von Vorbildern der römischen Antike, etwa des Pantheons nach Desgodetz  ; außerdem werden Gipsabgüsse erworben, die in dem neuen Antikensaal im Wilhelminischen Kolleg aufgestellt werden. Fischers Architekturauffassung, die in einer vitruvianischen Tradition steht, von Vignola, Blondel und Leitbegriffen wie Charakter, gutem Geschmack und Einfachheit geprägt ist, bestimmt auch die Lehre. Sie fokussiert auf das Studium von Vorlagenblättern, das Abzeichnen von Ornamenten und Abgüssen und zielt darauf ab, den Charakter einer Bauaufgabe mit Blick auf vornehmlich antike Vorbilder herauszuarbeiten.55 Friedrich von Gärtner (1791 – 1847), der 1820 nach Fischers Tod dessen Nachfolger wird, entwickelt die Architekturlehre an der Münchner Akademie weiter und führt diese zu internationaler Bedeutung. Anstelle des reinen Kopierens erlaubt er fortgeschrittenen Studenten »eigene Entwürfe nach gegebenem Programm« und führt den Rundbogenstil sowie Durands Rastermethode ein. 1845 fordert er »die Ausdehnung des Unterrichts […] auf die Übungen im Modellieren von Ornamenten sowie in der Kon­ struktion architektonischer Modelle aus Holz, Pappe oder Stein«, um sich nicht nur »in der Kenntnis und geschmackvollen Behandlung des Ornaments […] zu üben«, sondern auch »die Regeln und die Grundsätze der Baukonstruktionen durch die praktische Anwendung und Ausführung im Kleinen anschaulich und gründlich kennen zu lernen.« 53 Siehe Helmberger 1993, S. 81  ; Kockel 1993b  ; Helmberger, Kockel 1993b, S. 121 – 126, Inventar der Sammlung S.  126 – 133. 54 Siehe Nerdinger 2008. 55 Siehe Springorum-Kleiner 1982, S. 11 – 13, 15 – 20  ; W. N. 1982a, S. 9 – 10  ; W. N. 1982b  ; W. N. 1982c  ; vgl. Nerdinger 2008, S. 307 – 309.

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Auch in Bezug auf die Sammlung verfolgt Gärtner eine neue Politik. Statt des Ankaufs der 250 Modelle mittelalterlicher deutscher Bauwerke von Georg Gottfried Kallenbach (1805 – 1865) – sie werden 1848 vom Neuen Museum in Berlin erworben – befürwortet er die Ergänzung der bislang auf die römische Antike und die italienische Renaissance fokussierten Sammlung um Abgüsse von Denkmälern der griechischen Antike.56 Nach Einführung der realgymnasialen Schulbildung 1864 in Bayern und der Gründung der Polytechnischen Schule in München 1868 wandert der Schwerpunkt der bayerischen Architekturausbildung dorthin,57 1873 wird die Bauschule der Akademie geschlossen. Zunächst wird die Lehre von einigen Professoren sowie einem Assistenten bestritten, anfangs sind das Gottfried von Neureuther (1811 – 1887, Professor für Höhere Architektur und Geschichte der Baukunst), Rudolph Gottgetreu (1821 – 1890, Professor für Bauzeichnen, Baumaterialienlehre und Konstruktionslehre), Albert Geul (1828 – 1898, Professor für bürgerliches, landwirtschaftliches und Fabrik-Bauwesen), Joseph Mozet (Professor für Ornament-, Figuren- und Landschaftszeichnen), der Bildhauer Konrad Knoll (1829 – 1899), sowie als Assistent August Thiersch (1843 – 1917), der ab 1875 als außerordentlicher Professor für Bauformenlehre, Perspektive und Schattenkonstruktion und 1886 – 1908 als ordentlicher Professor für Antike Baukunst fungiert. Ihnen stehen verschiedene Lehrsammlungen zur Verfügung  : ›die Modellsamm­lung für Hochbaukunde‹, ›die Baumaterialiensammlung‹, ›die Sammlung für Bauzeichnen‹, welche u. a. Fischers Vorlagenblätter aus dem Akademiebestand enthält, ›die Sammlung für Zivilbaukunde‹, ›die Sammlung für Planzeichnen‹, ›die kunstgeschichtliche Sammlung‹ sowie ›die Sammlung für Modellieren und Bossieren‹, welche über 600 Gipsabgüsse, Ornamente und Fragmente umfasst. Diese Sammlungen sind zunächst einzelnen Professuren zugeordnet, beispielsweise wird ›die Modellsammlung für Hochbaukunde‹, die ab 1869/1870 – nachdem ein Jahr zuvor die ersten Fotografien erworben wurden – als »architektonische Sammlung« bezeichnet wird, erst von Neureuther betreut, ab 1879 von dessen Assistenten Friedrich von Thiersch (1852 – 1921), der ihm 1882 nachfolgt. Bis zum Ersten Weltkrieg werden die Sammlungen beständig erweitert, durch Schenkungen, Übernahmen, Ankäufe sowie Nachlässe von an der Hochschule tätigen Profes­ soren. Bedeutende Zugänge sind etwa 1884 die Übereignung der vom Bayerischen Staatsministerium erworbenen Originalabgüsse von Renaissance-Denkmälern sowie 1897/1898 die 1884 vom Landtag erworbene sogenannte ›Moninger-Sammlung‹ mit ungefähr 3000 Zeichnungen von Friedrich von Gärtner und dessen Schülern.58 56 Siehe Schickel 1992, S. 175, 181 – 182. 57 Die Polytechnische Schule in München wird 1877 in Technische Hochschule umbenannt und 1970 in Technische Universität. 1901 erhält die Technische Hochschule das Promotionsrecht. 58 Siehe Meissner 2014, S. 34 – 46. Zum Aufbau der Fotosammlung siehe Nerdinger 2011d, S. 6 – 9. Die sogenannte ›Moninger-Sammlung‹ wurde von Hans Moninger, Sohn des Gärtner-Schülers Johann Monin­ ger, zusammengetragen, vgl. Nerdinger 1992, S. 220.

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Von Anfang an, d. h. von der Gründung des Polytechnikums 1868 an, gibt es auch einen Lehrstuhl für Kunstgeschichte und Ästhetik, der damit sogar älter ist als seine bekannteren Pendants an der Ludwig-Maximilians-Universität und der Akademie, die 1890 bzw. 1906 gegründet werden. Bis 1941 ist der Lehrstuhl am Polytechnikum der Abteilung der Allgemeinen Wissenschaften zugeordnet und nicht der Fakultät für Architektur. Seine Veranstaltungen sind für die Studierenden der Architektur verpflichtend und werden auch denen des Bauingenieurwesens empfohlen.59 Im Vergleich nehmen die Architektursammlungen eine wesentlich zentralere Rolle in der historistischen Architekturlehre ein als die Kunstgeschichte. Die Studierenden erwerben durch Anschauen, Studieren und Abzeichnen der Vorlagenblätter, Modelle und Abgüsse nicht nur Fähigkeiten in der Darstellung und Komposition, sondern die Sammlungen bieten ihnen auch ein museales Panorama der Architekturgeschichte, mit dem sie sich ein historisches Repertoire an Formen und Motiven erschließen, das ihnen das Entwerfen in verschiedenen historischen Stilen erst ermöglicht. Beispielsweise hält Neureuther mithilfe der ›Modellsammlung‹ beziehungsweise der ›architektonischen Sammlung‹ sowohl Vorlesungen über die Geschichte der mittelalterlichen und modernen Baukunst als auch »architektonische Komponierübungen« in »Höherer Baukunst«, das heißt das »Entwerfen von größeren öffentlichen und Privatgebäuden, sowie von Monumentalbauten«.60 1912 werden die verschiedenen Sammlungen und Bestände unter der Bezeichnung Architektursammlung zusammengelegt  ; in diesem Zusammenhang kommen 1913 auch elf Korkmodelle von den Wittelsbachern als Leihgabe dazu. Der wachsenden Bedeutung der Sammlung entsprechend wird sie in dem von Friedrich von Thiersch errichteten südöstlichen Flügel des Erweiterungsbaus an der Gabelsbergerstrasse (1908 – 1912) im 2. Obergeschoß in einer eigenen, repräsentativ ausgestatten Raumflucht mit fünf Räumen untergebracht (Abb. 2 – 3). Diese umfasst neben dem langgestreckten Saal der Architektursammlung selbst die Räume der Baustoffsammlung, Ausleihe, Architekturbibliothek sowie das Kustodenbüro. Die Gipsabgüsse werden im Geschoß darüber im Übungssaal für Freihandzeichnen aufgestellt bzw. in zwei weiteren Sammlungsräumen aufbewahrt (Abb. 4). Zur Verwaltung der Sammlung wird ein Fakultätsausschuss gebildet und ein eigener Kustos berufen.61 Diese Stelle wird von jungen Kunsthistorikern bekleidet, 1912 – 1919 von Joseph Popp (1867 – 1932), Privatdozent für Ästhetik und 59 1869 – 1907 wird der Lehrstuhl von Franz von Reber (1834 – 1919) geleitet  ; ihm folgen 1907 – 1917 Karl Voll (1867 – 1917), 1917 – 1930 Joseph Popp (1867 – 1932), 1930 – 1933 vertretungsweise der Privatdozent Luitpold Dussler (1895 – 1976), dann 1933 – 1944 Hans Karlinger (1882 – 1944), ab 1944 Dussler als Vertretung und 1947 – 1966 als Ordinarius, 1966 – 1980 Josef Adolf Schmoll gen. E ­ isenwerth (1915 – 2010), 1980 – 2007 Norbert Huse (1941 – 2013) und von 2009 bis heute Dietrich Erben (*1961). – Siehe Melters 2010. 60 Zur Lehre in der Ära Neureuther siehe W. N. 1978  ; vgl. Nerdinger 1993a, S. 52 – 57. Zur Lehre in der Zeit von Thiersch siehe Nerdinger 1993b, S. 59 – 65. 61 Siehe Popp 1917  ; vgl. Meissner 2014, S. 46 – 56.

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Abb. 2  : »Hauptsaal der Architektursammlung« der Technischen Hochschule München, 1917 – Saal im 2. Obergeschoß in dem von Friedrich von Thiersch (1852 – 1921) errichteten Erweiterungsbau an der Gabelsbergerstrasse (1908 – 1912). Im Vordergrund Korkmodell des Titusbogens (1835) von Georg May (1790 – 1853), im Hintergrund Korkmodell des Pantheons (1845), ebenfalls von Georg May. o. A.: Die K. B. Technische Hochschule zu München. Denkschrift zur Feier ihres 50-jährigen Bestehens, München 1917, Tafel 43.

Kunstgeschichte und ab 1919 Professor für Bau- und Kunstgeschichte, 1919 – 1926 von Hans Karlinger (1882 – 1944), ab 1926 Professor für Kunstgeschichte an der RWTH Aachen und Direktor des Reiff-Museums, 1926 – 1935 schließlich von Manfred Bühlmann (1885 – 1949), 1920 – 1934 außerordentlicher Professor für Geschichte der Architektur. Danach wird diese Aufgabe bis zum Zweiten Weltkrieg nur vertretungsweise wahrgenommen, zuerst von Adolf Abel (1882 – 1968), Professor für Baukunst und Städte­bau, 1935 – 1945 ehrenamtlich von Friedrich Krauss (1900 – 1977), der zunächst Assistent des 1934 ›entpflichteten‹ Professors für Antike Baukunst, Hubert Knackfuß (1866 – 1948), war und nach dem Zweiten Weltkrieg (1946 – 1965) Professor für Bauforschung und Baugeschichte wurde.62

62 Zu Knackfuß, Bühlmann und Krauss siehe Busen 2018, S. 23 – 41, 68 – 69, 74.

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Abb. 3  : »Hauptsaal der Architektursammlung« der Technischen Hochschule München, 1917 – In der Mitte Korkmodell des Kolosseums (1854) von Georg May und Maximilian May. o. A.: Die K. B. Technische Hochschule zu München. Denkschrift zur Feier ihres 50-jährigen Bestehens, München 1917, Tafel 44.

Wie der erste Kustos Popp 1917, in einer Festschrift zum 50-jährigen Jubiläum der Hochschule, über »die Architektursammlung« schreibt, dient die Vereinigung der Sammlungen in den neuen repräsentativen Räumlichkeiten der »Nutzbarmachung« der Architektursammlung, um »in die Vergangenheit und Gegenwart der Baukunst vielseitig einzuführen.« Das Ziel, wie Popp weiter ausführt, ist es, »eine solche Erschließung der Bestände zu schaffen, daß sie durch ihre Anschaulichkeit und büchereigemäße Benützung möglichst fruchtbar wurden.« Diese Einheit von Anschauen, Studieren, Zeichnen und Entwerfen manifestiert sich nicht nur in der speziell von Thiersch entworfenen Einrichtung, sondern auch in einer Erschließung der Bestände, bei der der Aufstellung der Modelle eine zentrale Bedeutung zukommt. In der bereits erwähnten Festschrift werden Einrichtung und Sammlung ausführlich dargestellt und von Popp genau beschrieben  : »Eine besondere Anziehung bilden die elf Korkmodelle antiker Bauten«, die fast durchweg auf freistehenden Tischen aufgestellt sind – der Eingangsbereich wird von dem Prunkstück der Sammlung beherrscht, dem mehr als drei Meter langen Korkmodell des Kolosseums von Georg May und Sohn, während der lange Lesesaal auf das Korkmodell des Pantheons, ebenfalls von Georg May, ausgerichtet ist. Es wurden »im unmittelbaren 358

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Abb. 4  : »Übungssaal für Freihandzeichnen« der Technischen Hochschule München, 1917 – Saal im 3. Obergeschoß mit der Sammlung der Gipsabgüsse. o. A.: Die K. B. Technische Hochschule zu München. Denkschrift zur Feier ihres 50-jährigen Bestehens, München 1917, Tafel 48.

Anschluß an die Fensterpfeiler […] Schränke mit aufgebauten Glaskästen errichtet«, die der »Aufbewahrung von Mappen, Tafelwerken und Folianten« dienen, »die wechselnde Ausstellung einzelner Blätter und ganzer Buchwerke« ermöglichen, »zur bequemeren Benützung Schubfächer« besitzen und »auf den oberen Abschlüssen die Modelle der Kapitälsammlung« tragen. »An der den Fenstern gegenüberliegenden Wand dient eine lange Reihe von Schränken dem wichtigen Unterrichtsmittel der Photographien« und »darüber befindet sich eine Vorrichtung, um größere Blätter im Rahmen auszustellen.« Diese, von Popp als »kojenmäßige Aufstellung« bezeichnete Einrichtung dient, wie er resümiert, dazu, »ein ruhiges Arbeiten an den für Lesen und Zeichnen eingerichteten Tischen« zu ermöglichen.63 Die Konsolidierung der Sammlungen und die repräsentativen Räumlichkeiten können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass dies vergleichsweise spät und in gewisser Weise gegenläufig zu dem seit der Jahrhundertwende wirkenden Antihistorismus und zur Entwicklung von einer Stilschule zur Konstruktionsschule geschieht. Als eindrück63 Popp 1917  ; siehe Abbildungen und Grundrisse der Räume o. A. 1917, Tafeln 26 – 27, 43 – 45  ; vgl. Rekon­ struktion der Modellaufstellung bei Helmberger, Kockel 1993b, S. 122 – 125.

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lichstes Beispiel für den Antihistorismus dieser Zeit kann man darauf verweisen, dass 1921 nach dem Tod von Thiersch, der ausgiebig auf die Architektursammlung zurückgreift, unter seinem Nachfolger German Bestelmeyer (1874 – 1942) Thierschs Pläne und Unterlagen zum Teil vernichtet werden und der Rest an das Deutsche Museum geht. 1935 schreibt Adolf Abel in der Denkschrift über die Entstehung, das Wesen und die Aufgaben der Architektursammlung, dass ein Ausbau der Modell- und »Plansammlungen wegen zu geringer Mittel nicht weiter geführt« werden soll und dass man sich für die moderne, nicht an historischen Vorbildern orientierte Lehre stattdessen auf die Anschaffung von Büchern, Fotografien und Projektionslichtbildern beschränken werde.64 Im Zweiten Weltkrieg kann die Sammlung rechtzeitig nach Weihenstephan ausgelagert werden, die Räumlichkeiten werden jedoch bis auf den Lesesaal der Bibliothek zerstört, nur einige Regale aus der Sammlung finden ihren Weg in die Räumlichkeiten des Lehrstuhls für Baugeschichte. Die Sammlung erlebt in der Nachkriegszeit eine wechselvolle Geschichte. Sie lagert im Depot auf verschiedene Standorte verstreut und untersteht dem jeweiligen Leiter des Instituts für Bauforschung und Baugeschichte, 1946 – 1965 Friedrich Krauss, P ­ rofes­sor für Baugeschichte, Baubeschreibung und Bauformenlehre, und dann 1966 – 1986 Gottfried Gruben (1929 – 2003), 1966 – 1994 Professor für Baugeschichte  ; doch deren Tätigkeit fokussiert auf die Lehre sowie die Bauforschung zur Antike.65 In dieser Zeit wird nicht systematisch gesammelt, vielmehr verändert sich das Inventar der Sammlung beträchtlich  : Nach dem Krieg werden die Korkmodelle nach Aschaffenburg gebracht und zusammen mit der übrigen Sammlung von Dalbergs im Schloss Johannisburg ausgestellt.66 Schriftliche Unterlagen der Sammlung gehen an das 1964 gegründete Archiv für Bildende Kunst des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg. Die ersten Neuzugänge sind Anfang der 1950er Jahre der umfangreiche Nachlass von Theodor Fischer (1862 – 1938) und 1957 der von Martin Elsaesser (1884 – 1957) sowie 1970 die ab 1961 von Heinz Thiersch (1906 – 1990), dem Enkel August Thierschs, betreute architekturgeschichtliche Sammlung der Stadt München, die u. a. die Nachlässe von Bestelmeyer, Hermann Billing (1867 – 1946) und Richard Riemerschmid (1868 – 1957) umfasst – bis auf Billing alles frühere Professoren der Technischen Hochschule München. Die Sammlung spielt jedoch in der Lehre, die auf eine angeblich ahistorische Moderne ausgerichtet ist, praktisch keine Rolle mehr.67 Mit Winfried Nerdinger (*1944), der 1975 als Akademischer Rat an die Sammlung kommt und diese 1986 – 2012 als Professor für Geschichte der Architektur und Baukonstruktion leitet, erhält die Sammlung eine 64 Siehe Meissner 2014, S. 52 – 56, hier S. 54. Zur Lehre zwischen 1918 – 1933 sowie 1933 – 1945 siehe Nerdinger 1993c und Nerdinger 1993d, hier S. 93. 65 Zu Krauss und Gruben siehe Busen 2018, S. 33 – 52, 69 – 70. 66 Siehe Helmberger, Kockel 1993b, hier S. 124, Bestandskatalog S. 171 – 325. 67 Siehe Meissner 2014, S. 52 – 56, hier S. 54.

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neue Bedeutung. Er verfolgt das Ziel, Nachlässe und größere Bestände zu übernehmen, wissenschaftlich zu bearbeiten, didaktisch aufzubereiten und durch Ausstellungen einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren. Es werden bedeutende Sammlungen vorwiegend deutscher Architekten des 19. und 20. Jahrhunderts gesammelt, insbesondere die Vorund Nachlässe der Münchner Architekturlehrer als eine Art ›Gedächtnis der Fakultät‹  ; es werden systematisch Modell-, Foto- und Archivaliensammlungen aufgebaut und ab 1992 digital erfasst – bei Nerdingers Emeritierung 2012 ist die Sammlung auf 550.000 Zeichnungen von 700 Architekten, 1100 Modelle und 200.000 Fotografien angewachsen und die größte ihrer Art in Deutschland. Nerdinger prägt die Sammlung als ›forschendes Hochschulmuseum‹, als ›Forschungs-, Lehr- und Ausstellungseinrichtung‹, die wissenschaftliche Forschung und Lehre, didaktische Aufbereitung und kritische Darstellung miteinander verbindet. Die Sammlung ist fest in die Forschung und Lehre eingebunden – die Forschungs- und Ausstellungsprojekte werden über mehrere Jahre hinweg, oft in Zusammenarbeit mit verschiedenen Lehrstühlen der Fakultät oder anderen Forschungsinstitutionen, erarbeitet. Ab 1977 werden in Zusammenarbeit mit dem Münchner Stadtmuseum fast jährlich Ausstellungen zu Themen aus dem Sammlungsbestand gezeigt, die kritisch aufgearbeitet und präsentiert werden. 1989 wird die Sammlung im Zuge erster Planungen für ein eigenes Museum in Architekturmuseum der Technischen Universität München umgetauft. 1995 erhält es mit der wiederhergestellten BucheggerVilla eine Zweigstelle in Augsburg, das Architekturmuseum Schwaben, und seit 2002 verfügt es über eigene Räumlichkeiten in der Pinakothek der Moderne.68 Welch zentrale Bedeutung das Architekturmodell für die Sammlung als ein Medium hat, das wie kein anderes historische Forschung, universitäre Lehre, architektonischen Entwurf und museale Präsentation miteinander verknüpft, lässt sich anhand von zwei Beispielen illustrieren  : 1973 – 1996 werden von den Studenten von Friedrich Kurrent (*1931), Professor für Entwerfen, Raumgestaltung und Sakralbau, Raummodelle von Wohnhäusern des 20. Jahrhunderts angefertigt, darunter insbesondere Serien der Häuser von Adolf Loos (1870 – 1933) und Le Corbusier (1887 – 1965), die später in die Sammlung des Architekturmuseums übernommen werden. Die Modelle dienen nicht nur dazu, das räumliche Denken der Studenten zu schulen, sondern auch die dreidimensionale Raum- und Baugestalt, nicht zuletzt auch der nicht realisierten Entwürfe, nachzuvollziehen und Bewegungsabläufe, Raumfolgen und Lichtführung zu vermitteln.69 Umgekehrt kommt Modellen wegen ihrer Fähigkeit, komplexe räumliche Zusammenhänge auf einen Blick wiederzugeben, bei der Präsentation der Ausstellungen eine herausgehobene Bedeutung zu. Für jede Ausstellung wird auch jeweils ein e­ igenes Raumkonzept entwickelt, um dies zu unterstützen. Bei der Eröffnungsausstellung 68 Siehe Nerdinger 2011b, S. 12, 15  ; vgl. Meissner 2014, S. 66 – 115, hier S. 66 – 95. – Einen Überblick über die Ausstellungen gibt Nerdinger 2007  ; Nerdinger 2011a  ; Nerdinger 2012. 69 Kurrent 1997a  ; Kurrent 1997b  ; Kurrent 1998.

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des Architekturmuseums in der Pinakothek der Moderne, Exemplarisch. Konstruktion und Raum in der Architektur des 20. Jahrhunderts (2002/03), wird die Entwicklung der beiden Leitbegriffe vornehmlich durch eine gezielte Auswahl von Modellen aus dem Sammlungsbestand gezeigt.70 Bei der Musealisierung von Sammlungen – insbesondere bei der biografischen oder thematischen Präsentation zeitgenössischer Architektur –, besteht jedoch die Gefahr, wie Nerdinger im Rückblick auf seine Ausstellungsarbeit resümiert, dass diese nur zu einer Präsentationsplattform der jeweiligen Architekturauffassung wird. Dass es bei Ausstellungen von ›Stararchitekten‹ meist vornehmlich um die Selbstdarstellung geht, widerspricht der Architektursammlung als einer Institution, die sich der kritischen historischen Betrachtung verpflichtet weiß.71 Literatur Britton 1827 – John Britton  : The Union of Architecture, Sculpture, and Painting. Exemplified by a Series of Illustrations, with Descripitive Accounts of the House and Galleries of John Soane, London 1827. Büttner 1986 – Anita Büttner  : Korkmodelle, in  : Gercke, Zimmermann-Elseify 1986, S. 12 – 22. Busen 2018 – Tobias Busen  : Baugeschichte. Bauforschung. Denkmalpflege an der Technischen Universität München 1868 – 2018, München 2018. Chafee 1977 – Richard Chafee  : The Teaching of Architecture at the Ecole des Beaux-Arts, in  : Arthur Drexler (Hg.)  : The Architecture of the Ecole des Beaux-Arts, New York 1977, S.  61 – 109. Chaney 1996 – Edward Chaney  : The Grand Tour and the Evolution of the Travel Book, in  : Andrew Wilton, Ilaria Bignamini (Hg.)  : Grand Tour. The Lure of Italy in the Eighteenth Century, Ausstellungskatalog London, London 1996, S. 95 – 97. Cuisset 1990 – Geneviève Cuisset  : Jean-Pierre et François Fouquet, artistes modeleurs, in  : Gazette des beaux-arts. La doyenne des revues d’art 132 (1990), H. 115, S. 227 – 240. Desgodetz 1682 – Antoine Desgodetz  : Les edifices antiques de Rome, dessinés et mesurés très exactement, Paris 1682, Paris 1729, London 1771. Dierks, Knobloch 2008 – Ulrich Dierks, Eberhard Knobloch  : Modelle. Probleme und Perspektiven, in  : Dies.: Modelle, Frankfurt a. M. 2008, S. 9 – 28. Dominikus 1800 – Jakob Dominikus  : Ueber Herrn Mey’s Felloplastik, in  : C. M. Wieland (Hg.)  : Der Neue Teutsche Merkur I, Weimar 1800, S. 325 – 341  ; Nachdruck in  : Helmberger, Kockel 1993a, S.  85 – 87. Dorey 1992 – Helen Dorey  : Soane as a Collector, in  : Peter Thornton, dies. (Hg.)  : A Miscellany of Objects from Sir John Soane’s Museum. Consisting of Paintings, Architectural Drawings and other Curiosities from the Collection of Sir John Soane, Ausstellungskatalog London, London 1992, S. 122 – 126. 70 Siehe Nerdinger 2002. 71 Siehe Nerdinger 2011c, S. 28 – 29.

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Neumann 2008 – Dietrich Neumann  : Instead of the Grand Tour. Travel Replacements in the Nineteenth Century, in  : Perspecta 41 (2008), S. 47 – 53. o. A. 1799 – o. A.: May. Abbildungen alter Denkmähler und Ruinen durch geschnittenen Kork, in  : Almanach der Fortschritte, neuesten Erfindungen und Entdeckungen in Wissenschaften, Künsten, Manufakturen und Handwerken III (1797/1798), Erfurt 1799, S. 458 – 461. o. A. 1801 – o. A.: Ueber Meys Fortschritte in der Felloplastik oder Bildnerey in Kork, in  : Almanach der Fortschritte, neuesten Erfindungen und Entdeckungen in Wissenschaften, Künsten, Manufakturen und Handwerken V (1799/1800), Erfurt 1801, S. 402 – 411. o. A. 1917 – o. A.: Die K. B. Technische Hochschule zu München. Denkschrift zur Feier ihres 50-jährigen Bestehens, München 1917. Oechslin 2011 – Werner Oechslin  : Architekturmodell. ›Idea materialis‹, in  : Wolfgang Sonne (Hg.)  : Die Medien der Architektur, München 2011, S. 131 – 155. Popp 1917 – Joseph Popp, Die Architektursammlung, in  : o. A. 1917, S. 128 – 130. R.-d. 1779 – R.-d.: Fragment einer Nachricht aus Gotha, in  : Johann Georg Meusel (Hg.)  : Miscellaneen artistischen Inhalts. Erstes Heft, Erfurt 1779, S. 59. Rees 2003 – Joachim Rees  : Itinerar – Interieur – Imagination. Zum Verhältnis von Architektur­ bild und Reisebeschreibung im 18. Jahrhundert, in  : Harald Tausch (Hg.)  : Gehäuse der Erinnerung. Architektur als Schriftform der Erinnerung, Göttingen 2003, S. 311 – 333. Reineck 1986 – Michael Reineck  : Zwischen Vorbildtreue und Serienfertigung. Beobachtungen an den Korkmodellen Antonio Chichis, in  : Gercke, Zimmermann-Elseify 1986, S. 23 – 27. Reuther 1981 – Hans Reuther  : Wesen und Wandel des Architekturmodells in Deutschland, in  : Daidalos 2 (1981), S. 98 – 110. Richter 2000 – Wolfgang Richter  : Italienfahrt im Jahrhundert Winckelmanns. Zum Wandel ihrer Motivationen und Erlebnishorizonte, in  : Max Kunze (Hg.)  : Altertumskunde im 18. Jahrhundert. Wechselwirkungen zwischen Italien und Deutschland, Stendal 2000, S. 61 – 74. Riedel 1798 – [Heinrich August] Riedel (der Ältere)  : Nachricht wegen Fortsetzung der allgemeinen Betrachtungen über die Baukunst, in  : Sammlung nützlicher Aufsätze und Nachrichten, die Baukunst betreffend. Für angehende Baumeister und Freunde der Architektur, Berlin 1798, S.  107 – 116. Royo 2015 – Manuel Royo  : Les Maquettes de Rome et de Tivoli, in  : Sophie Join-Lambert, Annie Gilet (Hg.)  : Voyages en Italie de Louis-François Cassas, 1756 – 1827, Mailand 2015, S.  277 – 287. Sawinowa 1986 – Ekaterina Sawinowa  : Die Petersburger Korkmodelle von Antonio Chichi, in  : Gercke, Zimmermann-Elseify 1986, S. 28 – 44. Scheller 1807 – Immanuel Johann Gerhard Scheller  : Lateinisch-deutsches und deutsch-lateinisches Handlexicon, Leipzig 1807. Schickel 1992 – Gabriele Schickel  : Der Lehrer als Akademiedirektor, in  : Nerdinger 1992, S.  175 – 183. Schreiter 2012 – Charlotte Schreiter  : Berliner Abguss-Sammlungen des 17. – 19. Jhs. im europäischen Kontext, in  : Nele Schröder, Lorenz Winkler-Horacek (Hg.)  : Von Gestern bis Morgen. Zur Geschichte der Berliner Abguss-Sammlung(en), Berlin 2012, S. 5 – 13, 273 – 274. Schreiter 2014 – Charlotte Schreiter  : Antike um jeden Preis. Gipsabgüsse und Kopien antiker Plastik am Ende des 18. Jahrhunderts, Berlin, Boston 2014.

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Geschichte als Modell – Modelle als Geschichte

Soane 1835 – John Soane  : Description of the House and Museum on the North Side of Lincoln’s Inn Fields, London 1835. Springorum-Kleiner 1982 – Ilse Springorum-Kleiner  : Karl von Fischer 1782 – 1820, München 1982. Stachowiak 1973 – Herbert Stachowiak  : Allgemeine Modelltheorie, Wien 1973. Stenger 1927 – Erich Stenger  : Phelloplastik, die Kleinkunst der Korkbildnerei, Charlottenburg 1927. Stemmer 1996 – Klaus Stemmer  : Antikenstudium nach Abgüssen an den Kunstakademien des 18. Jahrhunderts, in  : Ingeborg Allihn, Monika Hingst (Hg.)  : »Die Kunst hat nie ein Mensch allein besessen«. Dreihundert Jahre Akademie der Künste, Hochschule der Künste, Ausstellungskatalog Berlin, Berlin 1996, S. 67 – 74. Streckhardt 2018 – Christoph Streckhardt (Red.)  : Gotha VorBildlich  ! Modellsammlungen um 1800, Ausstellungskatalog Gotha, Gotha 2018. Stuart, Revett 1762 – 1816 – James Stuart, Nicholas Revett  : The Antiquities of Athens I–IV, London 1762 – 1816, London 1825 – 1830. Summerson 1977 – John Summerson  : A new Description of Sir John Soane’s Museum, London 1977. Szambien 1998 – Werner Szambien  : Le Musée d’architecture, Paris 1998. Tatarinova 2006 – Irina Tatarinova  : Architectural models at the St Petersburg Academy of Fine Art, in  : Journal of the History of Collections 18 (2006), H. 1, S. 27 – 39. Tausch 2006 – Harald Tausch  : Goethe und Cassas. Zur Architektur der Italienischen Reise, in  : Paolo Chiarini, Walter Hinderer (Hg.)  : Rom – Europa. Treffpunkt der Kulturen 1780 – 1820, Würzburg 2006, S. 59 – 102. Wallenstein 2002 – Uta Wallenstein  : Zur Sammlung antiker Korkmodelle im Schlossmuseum Gotha, in  : Gerhard Kaldewei (Hg.), Kork. Geschichte, Architektur, Design 1750– 2002, Ostfildern-Ruit 2002, S. 148 – 151. Wallenstein 2004 – Uta Wallenstein  : Herzog Ernst II. als Sammler von Altertümern. Die Sammlung antiker Korkmodelle von Antonio Chichi, in  : Roma Mildner-Spindler (Hg.)  : Die Gothaer Residenz zur Zeit Herzog Ernsts II. von Sachsen-Gotha-Altenburg (1772 – 1804), Ausstellungskatalog Gotha, Gotha 2004, S. 229 – 244. Wallenstein 2018 – Uta Wallenstein  : Modelle. Aspekte zur Begrifflichkeit, in  : Christoph Streckhardt (Hg.)  : Gotha VorBildlich  ! Modell-Sammlungen um 1800, Ausstellungskatalog Gotha, Gotha 2018, S. 17 – 20. Wilkening-Aumann 2019 – Christine Wilkening-Aumann  : Lehrsammlungen für die Architektenausbildung, in  : Uta Hassler, Torsten Meyer, Christoph Rauhut (Hg.)  : Versuch über die polytechnische Bauwissenschaft, München 2019, S. 348 – 391. Wilton 1996 – Andrew Wilton  : Memoirs of Italy, in  : Wilton, Bignamini 1996, S. 271 – 303. Wilton, Bignamini 1996 – Andrew Wilton, Ilaria Bignamini (Hg.)  : Grand Tour. The Lure of Italy in the Eighteenth Century, Ausstellungskatalog London, London 1996. Winckelmann 1764 – Johann Joachim Winckelmann  : Geschichte der Kunst des Alterthums, Dresden 1764. Wittkower 1938 – Rudolf Wittkower  : Piranesi’s ›Parere su L’Architetture‹, in  : Journal of the Warburg Institute 2 (1938), H. 2, S. 147 – 158.

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Zimmermann-Elseify 1986 – Nina Zimmermann-Elseify  : Zur Geschichte der Kasseler Modellsammlung, in  : Gercke, Zimmermann-Elseify 1986, S. 7 – 11.

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Vom Anschauungsmaterial zum Erkenntnisinstrument Die wissenschaftliche Zusammenarbeit der Graphischen Sammlung und des Departements Architektur an der ETH Zürich einst und heute

Der Blick geht zurück auf die Anfänge des Eidgenössischen Polytechnikums und seine frühen Professoren für Kunstgeschichte und Archäologie. Einer davon war Gottfried Kinkel, der 1867 das Kupferstichkabinett (heute Graphische Sammlung ETH Zürich) als klassische Studien- und Lehrsammlung gründete. Wie im Beitrag herausgearbeitet wird, hat sich die Funktion der Sammlung, die heute rund 160.000 hochkarätige Werke umfasst, inzwischen verändert. Sie dient nicht mehr nur der Anschauung, sondern ist selbst zu einem wissenschaftlichen Erkenntnisinstrument geworden. Wichtig ist sie als Referenzsammlung für aktuelle Forschungen und für wissenschaftsgeschichtliche Fragestellungen. Zudem regt sie – meist ausgehend von ihren Sammlungsbeständen – selbst Forschungsfragen an, die in enger Zusammenarbeit zum Beispiel mit dem ETHDepartement Architektur untersucht werden. »Wie sehr muss es den jungen Polytechniker anziehen, neben dem Studium seiner technischen Fächer, neben den praktischen Arbeiten in den Werkstätten auch Vorlesungen über die interessantesten Gebiete der Naturwissenschaften, über allgemeine und vaterländische Geschichte, über deutsche, französsische, italienische, englische Sprache und Litteratur, über Alterthumskunde und Kunstgeschichte, über öffentliches Recht und Volkswirthschaftslehre anhören zu können  ! Welch’ wohlthätigen Einfluss auf eine harmonische Ausbildung von Verstand und Gemüth muss eine solche Organisation der Anstalt ausüben, und nur bei einer harmonischen Ausbildung der Geisteskräfte werden technische Anstalten diejenigen Früchte bringen, welche man von denselben zu erwarten berechtigt ist.«1

Mit diesen enthusiastischen Worten umschrieb 1855 der Präsident des schweizerischen Schulrates, Dr. Johann Konrad Kern, an der Eröffnungsfeier des Polytechnikums dessen Ausrichtung. Das Eidgenössische Polytechnikum, wie die heutige Eidgenössische Technische Hochschule (ETH Zürich) bis 1911 hieß, umfasste bei seiner Gründung fünf selbstständige Schulen  : die Bauschule, die Ingenieurschule, die mechanisch-technische, die chemisch-technische und die Forstschule.2 Um der »harmonischen Ausbildung der Geisteskräfte« – wie sie von Kern gepriesen wurde – gerecht zu werden, wurden diese 1 Rede 1855, S. 5. 2 Reglement 1854, S. 5. Diese Schulen waren auch befugt, Diplome zu erteilten. Siehe ebd. S. 27.

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technischen Fächer von der philosophischen und staatswirtschaftlichen Abteilung ergänzt, wie schon im Hochschulgesetz aus dem Jahre 1854 vom Bundesrat eingefordert.3 Eine solch enge Verschränkung von spezialisierten Ausbildungsgängen und breitem Angebot an Allgemeinfächern sollte sich zwar im Verlaufe des 19. Jahrhunderts zum Standard entwickeln, jedoch war das Zürcher Polytechnikum die erste technische Hochschule in Europa, die diese Struktur umgesetzt hatte.4 Am Karlsruher Großherzoglichen Polytechnikum, das 30 Jahre zuvor den Unterricht aufnahm, wurde erst 1868 die erste Professur für Kunstgeschichte eingerichtet. Das Eidgenössische Polytechnikum war daher diesbezüglich vorbildlich für andere Bildungsinstitutionen. Das Bekenntnis zu einem Angebot an Allgemeinfächern hatte zur Folge, dass die für das 19. Jahrhundert üblichen Lehr- und Forschungssammlungen auch den Geisteswissenschaften zugeordnete Bestände umfassen sollten. Ihre angemessene Präsentation war von Beginn an vieldiskutiertes Thema, insbesondere, weil sich das Polytechnikum bis 1864 mit verschiedenen provisorischen Räumen begnügen musste, die in der Altstadt Zürichs verteilt waren. So wurden beispielsweise die Forstschule, die Bibliothek, verschiedene Sammlungen und Hörsäle im Gebäude der Universität am Fröschengraben (heutige Bahnhofstrasse) untergebracht. Das chemisch-technische Laboratorium, die Bauschule und die Kunstfächer wiederum waren in der ›Stiftsverwalterei‹ an der Kirchgasse einquartiert. Diese bereits bestehenden, für die Hochschule zum großen Teil umgenutzten Gebäude entsprachen weder den Anforderungen an Hörsäle noch an adäquate Ausstellungsformen von Sammlungsbeständen. Die prekäre Situation – bemängelt wurden damals auch die Wegstrecken zwischen den Gebäuden – konnte mit dem Neubau von Gottfried Semper, den er gemeinsam mit dem kantonalen Bauinspek­tor Johann Caspar Wolff geplant hatte, verbessert werden.5 Wie Uta Hassler und Christine Wilkening-Aumann herausarbeiteten, bildeten im neuen Hauptgebäude die Sammlungen »den materiellen Kernbestand für Forschung und Didaktik«.6 Entsprechend wurde ihnen ausladend Platz eingeräumt  : Für die Mineralogie und die umfangreichen geologisch-paläontologischen Sammlungen reservierte man große Räume in der ers3 Noch 100 Jahre später wurde auf die Wichtigkeit dieser Fächer hingewiesen  : »Auch für die Pflege der allgemein bildenden Fächer werden schon im Gründungsgesetz besondere Professuren bestellt, die in der sog. philosophischen und staatswissenschaftlichen Abteilung vereinigt sind. Mit Recht sehen wir heute in ihr einen Vorläufer jener Studienorganisationen, die den überall laut werdenden Wunsch nach einem Studium generale an einer technischen Hochschule zu befriedigen suchen.« Siehe  : Pallmann 1956, S. 25. 4 Tschanz 2015, S. 14. In Zürich standen die Fächer der sogenannten VI. Abteilung auch den Studierenden der Universität Zürich offen, siehe z. B. Weidmann 2010, S. 387. 5 Wie unter anderen Dietrich Weidmann darlegte, entstanden die Entwürfe unter schwierigen Bedingungen, wobei der im Wesentlichen von Semper entworfene Hauptbau und das frei stehende Chemielaboratorium von Wolff zu zahlreichen Diskussionen zwischen den beiden Architekten und Vertretern aus Politik und Schule führte. Siehe  : Weidmann 2010. 6 Hassler, Wilkening-Aumann 2014, S. 75.

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Vom Anschauungsmaterial zum Erkenntnisinstrument

ten Etage, für die zoologische Sammlung und weitere kleinere Konvolute Räume im zweiten Stockwerk.7 Den Gipsabgüssen nach antiken Statuen schenkte man besonderes Augenmerk, und mit ihrer Präsentation in der Haupthalle verfolgte man zwei Ziele  : Besucher_innen wurden an prominenter Stelle repräsentativ empfangen, gleichzeitig dienten die Skulpturen dem Studium und der Lehre. Nur drei Jahre nach dem Umzug in das neue Hauptgebäude wurde die Graphische Sammlung ETH Zürich gegründet, die damals noch den Namen ›Kupferstichkabinett‹ trug. Im Folgenden stehen diese Sammlung und ihr Bezug zur Lehre im Zentrum, wobei insbesondere herausgearbeitet wird, unter welchen Umständen sie gegründet wurde und welche Funktion sie damals wie heute innerhalb der Hochschule hat. Dazu wird zuerst schlaglichtartig die Ernennung der ersten Kunstgeschichts- und BauschuleProfessoren und ihr Unterricht beleuchtet, anschließend die Tätigkeit von Gottfried Kinkel, dem Professor für Kunstgeschichte und Archäologie und gleichzeitigen Gründer des Kupferstichkabinetts, untersucht, und schließlich ein Blick auf die Gegenwart gerichtet. I. Erste Kunstgeschichts- und Bauschule-Professoren am Eidgenössischen Polytechnikum

Wie erwähnt strebte das Polytechnikum danach, den spezialisierten technischen Schulen eine philosophische und staatswirtschaftliche Abteilung zur Seite zu stellen, zu der von Beginn an auch eine Professur in Kunstgeschichte und Archäologie gehörte. Im Reglement von 1854 wurde die technische und ästhetische Ausbildung insbesondere für Studierende an der Bauschule explizit hervorgehoben  : »Die Bauschule bildet Baumeister für den Zivil- und Monumentalbau theoretisch, sowol [sic  !] in technischer als ästhetischer Beziehung, und leitet sie zur Ausführung der praktischen Arbeiten des Baumeisters an.«8 Erster Professor der Bauschule war Semper selbst. Die Professur für Kunstgeschichte und Archäologie wiederum konnte mit dem renommierten Forscher Jacob Burckhardt besetzt werden, der sich mit seinen wissenschaftlich fundierten Untersuchungen zur italienischen Renaissance einen Namen gemacht hatte. Der Unterricht der beiden Professoren – der damals noch in den baulich verstreuten Provisorien stattfinden musste – war anfangs jedoch nicht so eng aufeinander abgestimmt,9 wie man es aufgrund des Reglements für die Bauschule erwartet hätte, das auf theoretischer 7 Siehe die entsprechenden Grundrisspläne Gottfried Sempers  : 20-300-1-50 sowie 20-300-1-51, gta Archiv, ETH Zürich (Nachlass Gottfried Semper). Zur Baugeschichte siehe ausführlich die beiden Bände  : Hassler, Kainz 2016. 8 Reglement 1854, Artikel 3, S. 6. 9 Tschanz 2015, S. 153.

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Ebene nicht nur die Technik, sondern auch die Ästhetik als zentral erachtete. Ein ausgeprägtes Geschichtsbewusstsein und vertiefte Kenntnisse von Kunst und Architektur früherer Jahrhunderte wurden für angehende Architekten zur damaligen Zeit als unabdingbar eingestuft. Jedoch gab es am Anfang zeitliche Überschneidungen im Unterricht von Burckhardt und Semper. Zwar konnten die Vorlesungen zu Archäologie, nicht aber diejenigen zu Kunstgeschichte von Studierenden der Bauschule besucht werden, da gleichzeitig verschiedene obligatorische Fächer aus ihrem Bereich angesetzt waren. Dies wurde nach einem Jahr korrigiert und 1861 Kunstgeschichte schließlich fest in das Programm der Bauschule integriert.10 Gelehrt wurde sie seit dem frühen Weggang von Burckhardt im Jahre 1858 von dessen Nachfolger Wilhelm Lübke. Seine Übersichtsvorlesung im ersten Studienjahr war obligatorisch. Sie wurde um eine für fortgeschrittene Studierende gedachte Wahlfach-Kunstvorlesung ergänzt. Eine Geschichtsvermittlung, die eng mit der Architektentätigkeit verbunden war, übernahmen jedoch weder Burckhardt noch Lübke, sondern Semper selbst. Wie Tschanz ausführt, war »sein Blick […] allerdings ein anderer als der seiner (Kunst-)Historikerkollegen.«11 Wie aus Sempers Publikation Der Stil (1860) zu entnehmen ist, wollte er »[…] die bei dem Prozesse des Werdens und Entstehens von Kunsterscheinungen hervortretende Gesetzlichkeit und Ordnung im Einzelnen aufsuchen, aus dem Gefundenen allgemeine Prinzipien, die Grundzüge einer empirischen Kunstlehre, […] ableiten.«12 Wo Semper also in einzelnen historischen Phänomenen das Gesetzmäßige suchte, verfolgte Burckhardt einen Ansatz, der auch auf die Kulturgeschichte abzielte, und zwar unter Berücksichtigung der Aufgaben, die der Kunst gestellt wurden. Sein Nachfolger Lübke war seinerseits bestrebt, Kunst verschiedener Epochen und Kulturen auf eine Weise zusammenzuführen, dass Kunstgeschichte auch einem breiteren Publikum zugänglich und dem Fach eine größere Anerkennung zuteilwurde. Allerdings gab es zu Lübke einige kritische Stimmen, die ihm eine allzu starke Vereinfachung der behandelten Thematik vorwarfen. So auch am Polytechnikum. Beispielhaft sei hier Johann Rudolf Rahn erwähnt, der Lübke zwar zugestand, ein »[…] fliessender Redner [zu sein], der seine Vorträge mit rasch und geschickt entworfenen Zeichnungen illustrierte.« Jedoch  : »Geistreich und glänzend [sind] seine Kollegien nicht, aber gut geordnet und gleichmässig fesselnd durch die ruhige Übersichtlichkeit und die anschauliche Methode […]«.13 Während der Amtszeit Lübkes bezog das Polytechnikum Sempers Neubau, sodass dort ab 1864 Vorlesungen gehalten werden konnten. Nachdem Lübke 1866 an die Technische Hochschule Stuttgart gewechselt hatte, wurde dessen früherer Lehrer Gott10 ETH-Bibliothek, Archive, SR2  : Schulratsprotokolle 1861, Sitzung Nr. 4 vom 10. August 1861, Traktandum 40, sowie Tschanz 2015, S. 153 – 154. 11 Tschanz 2015, S. 154. 12 Semper 1860, S. VI. 13 Rahn 1920, S. 1.

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Vom Anschauungsmaterial zum Erkenntnisinstrument

fried Kinkel als sein Nachfolger bestimmt. Die Unterrichtsstruktur übernahm er von seinem Vorgänger  : Das obligatorische Haupt- und das zusätzliche Nebenkolleg blieben für die Bauschule weiterhin verbindlich.14 Kinkel hatte sich bereits 1860 um eine Professur am Polytechnikum bemüht – allerdings erfolglos. Wie der Forscher aus seinem Londoner Exil im Sommer 1860 Georg Klapka schrieb, hatte er sich »auf Anfrage des eidgenössischen Schulraths (indirecte Anfrage) als Candidat für die vakante Professur der Kunstgeschichte am Polytechnikum« gemeldet.15 Er vermutete jedoch, dass gewichtige Professoren gegen ihn waren, und sah den Grund der Opposition darin, dass man ihn im Bereich Kunstgeschichte als Dilettanten bezeichnen würde.16 Lübke erhielt damals den Zuschlag, ohne gewusst zu haben, dass sich sein Lehrer ebenfalls gemeldet hatte, wie er in einem Brief an ihn erläuterte. Er sei dem Ruf von Berlin nach Zürich gerne nachgekommen, da ihn das Enge und Kleinliche der Berliner Praxis je länger desto mehr bedrückt habe. »Dennoch hätte ich nimmermehr den Ruf nach Z. angenommen, wenn ich eine Idee davon gehabt hätte, dass Sie in Frage standen.«17 1866 sollte es doch noch mit der Berufung Kinkels klappen. Der aus der Nähe von Bonn stammende Wissenschaftler hatte vorerst Theologie studiert, bevor er von der theologischen in die philosophische Fakultät der Universität Bonn zwangsversetzt wurde. Er gehörte zu den führenden Persönlichkeiten der demokratischen Bewegung und wurde als Abgeordneter in die Preußische Kammer gewählt. Als 1849 eine reaktionäre Regierung an die Macht kam und das demokratische gewählte Parlament auflöste, schloss sich Kinkel dem im Großherzogtum Baden ausgebrochenen Aufstand an. Er geriet jedoch in preußische Gefangenschaft, aus der ihm im November 1850 die Flucht nach London gelang. Zu seinem großen Bedauern fand er im Exil zu wenig Zeit für eigene Forschungsvorhaben, da ihn der tägliche Unterricht (seit 1854 am Bedford College for Women) völlig absorbierte. So war er höchst erfreut, dass er auf das Wintersemester 1866/67 schließlich seinen Dienst in Zürich antreten konnte.18 Seinem ältesten Sohn schrieb er nach seinem Umzug in die Schweiz  : »Du hattest Recht, mein Sohn, ich bin hier in das mir gemäße Element hineingekommen, und gegen früher schwebe ich wie ein Vogel in der Luft […].«19 Obwohl er am Polytechnikum ab Winter 1867/68 nebst Vorlesungen in Kunstgeschichte und Archäologie auch solche über Literatur und 14 Tschanz 2015, S. 156. 15 Hervorhebung im Original. 16 Brief Nr. 37, Kinkel an Georg Klapka, 12. Juli 1860. Wiederabdruck in  : Beyrodt 1979, S. 353 – 357, hier S. 354. 17 Brief Nr. 38, Lübke an Kinkel, 14. August 1860. Wiederabdruck in  : Beyrodt 1979, S. 357 – 360, hier S. 359. 18 Die Annahme seines Rufes ist in den Präsidialverfügungen festgehalten  : Siehe  : ETH-Bibliothek, Archive, SR2  : Präsidialverfügungen 1866, Präsidialverfügung Nr. 117 vom 12. Mai 1866. 19 Brief Kinkels an seinen Sohn Gottfried, Zürich, 16. Dezember 1866. Wiederabdruck in  : Miekley 1912, S. 304.

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Rhetorik hielt, nahmen ihn seine Lehrverpflichtungen nicht in gleichem Maße in Anspruch wie in London. In Zürich begann er 1867/68 im Bereich Kunstgeschichte und Archäologie mit zwei Vorlesungen, deren Titel Antike Kunstgeschichte von Ägypten bis Pompeji sowie Geschichte der modernen Malerei seit Erfindung der Ölfarbe die zeitliche Ausrichtung erkennen lassen. Erstere sollte er bis zu seinem Tod 1882 mindestens einmal jährlich halten. Ab 1870/71 wechselte das zweite Thema mit Geschichte der Kunstgeschichte der Renaissance, Kunstgeschichte des Mittelalters und weiteren Schwerpunkten ab beziehungsweise wurde von diesen abgelöst.20 Als Kinkel 1866 den Ruf an das Polytechnikum erhielt, wurde er zugleich zum Direktor der archäologischen Abgusssammlung ernannt. Der Beginn dieser Sammlung lag weit vor der Gründung des Polytechnikums und stand in engem Zusammenhang mit der Universität Zürich. In der Vereinigung der Zürcher Universitäts-Dozenten waren zahlreiche Professoren unterschiedlichster Fachrichtungen verbunden – Professuren für Kunstgeschichte und Archäologie im eigentlichen Sinne gab es damals noch nicht. Sie beschlossen 1850 den Aufbau der Sammlung, erhielten aber von öffentlicher Hand keine finanziellen Mittel. Daraufhin verwendeten die Professoren die Einnahmen aus ihren sogenannten Rathausvorträgen – es handelte sich hierbei um Lehrveranstaltungen, die sich explizit an eine interessierte Allgemeinheit wendeten –, für den Ankauf von Gipsabgüssen antiker Skulpturen. Diese Gepflogenheit wurde 1855 auch von den Professoren des Polytechnikums übernommen. 1865, das heißt ein Jahr nach Bezug von Sempers Hauptgebäude, fanden die Gipsabgüsse in der Skulpturenhalle des Polytechnikums eine würdige Präsentation, die auch repräsentativ gegen außen wirkte (Abb. 1).21 Kinkel war sich von Beginn weg bewusst, dass die Sammlung nicht nur einen repräsentativen, sondern ebenso einen pädagogischen Wert besaß, der seiner Ansicht nach allerdings nicht auf die Studierenden und Forschenden beschränkt bleiben sollte. Er begann mit einer Öffnung zu einem breiten Publikum hin, indem er gegen eine kleine Gebühr Führungen anbot, die von bis zu hundert Personen besucht wurden. Nicht zuletzt diese große Resonanz veranlasste ihn, eine Schrift über die Gipsabgüsse zu verfassen, die sich auch an eine kunstinteressierte Öffentlichkeit richten wollte, wie er im Vorwort schrieb  : »Denn das Schöne gehört nicht den Gelehrten  : an ihm sich zu erfreuen ist jedem fühlenden Herzen gegeben […]«22 Gleichzeitig hielt Kinkel regelmäßig Veranstaltungen 20 Siehe Aufstellung seiner Zürcher Lehrveranstaltungen in Beyrodt 1979, S. 462 – 465. Auf Ende September 1871 trat Semper als Professor und Vorsteher der Bauschule zurück. Eine Nachfolge zu finden war schwierig, sodass vom Schulratsplenum entschieden wurde, Kinkel interimistisch die Vorsteherschaft der Bauschule zu übertragen. Er sollte ihr bis 1873 vorstehen. Siehe ETH-Bibliothek, Archive, SR2  : Schulratsprotokolle 1871, Sitzung Nr. 3 vom 7. August 1871, Traktandum 65 sowie Schweizerisches Bundesblatt 1872, S. 320  ; dazu auch Weidmann 2010, S. 180 – 183. 21 Zum Aufbau und Geschichte der Abgusssammlung siehe z. B. Zimmermann 1996, S. 41 – 56. 22 Kinkel 1871, Vorrede S. V. Das Studium der Architektur, das sich zwischen Technik und künstlerischem Anspruch aufspann, war dafür prädestiniert, sich auch mit Sammlungsbeständen auseinanderzusetzen,

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Vom Anschauungsmaterial zum Erkenntnisinstrument

Abb. 1  : Archäologische Sammlung des Eidgenössischen Polytechnikums in Zürich vor dem Abbruch im Februar und März 1916. gta Archiv / ETH Zürich, Gottfried Semper.

für die Studierenden des Polytechnikums vor den Abgüssen ab. Wie bereits kurz nach seinem Antritt im Schweizerischen Bundesblatt über die Geschäftsführung des Bundesrates im Jahr 1867 hervorgehoben wurde, bot der Professor im Wintersemester im Antikensaal eine Demonstration über ›antike Kunst‹ sowie im Sommersemester eine Vorlesung zu Erklärung der Skulpturen des archäologischen Museums an. Beide waren große Erfolge, Letztere war sogar von rund 120 Studierenden besucht worden.23

die über die rein architektonischen, wie zum Beispiel Modelle, hinausgingen. Die Gipsabgüsse in der Haupthalle hätten sich hervorragend geeignet  ; interessanterweise besaß die Bauschule jedoch ihre eigenen Bestände, weshalb sie nicht oder ganz selten darauf zurückgriff. 23 Schweizerisches Bundesblatt 1868, S. 265.

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II. Gründung des Kupferstichkabinetts zur »Illustration der modernen Kunstgeschichte«

Nebst der aktiven Nutzung der Gipsabgüsse verfolgte Kinkel das Ziel, eine Kupferstichsammlung anzulegen, die ebenfalls in der Lehre eingesetzt werden sollte. Seiner Ansicht nach war die griechische Skulptur in der Sammlung schon ausreichend vertreten, daher setzte er bereits kurz nach seinem Stellenantritt einen Teil des neuen ordentlichen Jahreskredits statt für Gipsabgüsse nunmehr für Druckgrafik ein, wie auch der Bericht des Schweizerischen Bundesrats zum Jahre 1867 beweist  : »Betreffend die Anschaffungen hat Herr Kinkel in Berücksichtigung der obwaltenden Bedürfnisse nur den kleinern Theil des ordentlichen Jahreskredites für Gipsabgüsse […], die Hauptsumme von zirka 700 Fr. dagegen für Anlegung einer Kupferstichsammlung verwendet und zu diesem Zweke eine Zahl von 63 Kupferstichen erworben, in welchen mit Ausnahme der Periode vor 1550 und der allerneuesten Stiche alle hervorragenden Schulen des Kupferstichs bereits mit einem oder mehrern Hauptblättern in meist guten und theilweise selbst vortrefflichen Abdrücken vertreten sind.«24

Auch im Jahr darauf kaufte Kinkel nur noch drei kleine Gipsabgüsse für die archäologische Sammlung, das übrige Budget setzte er hingegen für die Kupferstichsammlung ein, die inzwischen rund 400 Blätter umfasste.25 Ab 1869 galt es als selbstverständlich, dass der Professor das ordentliche Budget, das für die archäologische Sammlung reserviert war, jeweils vollumfänglich für Druckgrafik verwendete. Zudem erhielt Kinkel verschiedentlich funktionsgebundene Etats, so etwa 1869 insgesamt 1.000 Franken, um die Sammlung einem »kunstliebenden Publikum« zugänglich zu machen.26 Nachdem Kinkel in den ersten Jahren seiner Tätigkeit eine Zahl von Blättern »aus dem Vorrath hiesiger Kunsthandlungen« erworben hatte, wie er in seiner Schrift über das Kupferstichkabinett retrospektiv festhielt,27 konnte er 1870 erstmals ein großes Konvolut für die Sammlung ankaufen. Zwar hatte er schon früher geplant, die hochkarätige Privatsammlung von Bernhard Keller aus Schaffhausen zu gewinnen. Dieses Ansinnen zerschlug sich allerdings, weil der Sammler weniger daran interessiert war, seine Bestände als Ganzes zusammen zu halten, als sie posthum auktionieren zu lassen und anderen Sammlerpersönlichkeiten den Erwerb (auch) von Einzelblättern zu ermöglichen. 1870 gelang es Kinkel schließlich, ein umfangreiches Konvolut von Johann Rudolf Bühlmann anzukaufen, wodurch er die Bedeutung des Kupferstichkabinetts 24 Ebd., S. 265. 25 Schweizerisches Bundesblatt 1869, S. 855. 26 Schweizerisches Bundesblatt 1870, S. 289. 27 Kinkel 1876, S. II.

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deutlich erhöhen konnte. Der Schweizer Landschaftsmaler Bühlmann – damals schon seit 34 Jahren in Rom wohnhaft – hatte vorwiegend italienische Veduten gemalt, die auf dem Kunstmarkt großen Absatz fanden. Aus dem Erlös seiner Bilder kaufte er regelmäßig Kupferstiche und Radierungen der wichtigsten Künstler europäischer Grafik des 16. bis 18. Jahrhunderts. Er wollte sie 1870 verkaufen, um mit den gewonnenen finanziellen Mitteln in die Schweiz zurückzukehren. Nach eingehender Prüfung und unter Einbezug einer Fachkommission erwarb das Polytechnikum eine große Werkgruppe. Wie Kinkel ausführte, waren es »10’500 Blätter in Mappen, 132 gebundene Kupferwerke und 73 Bücher über Kupferstichkunde und Kunstgeschichte«, wozu später im Jahr 208 Blätter hinzukamen, die Bühler »zur Completierung« erworben hatte. Man einigte sich auf einen Kaufpreis von rund 40.000 Franken inklusive Spesen der involvierten Experten.28 Glücklicherweise konnte das Institut für diesen Erwerb auf zwei Legate zurückgreifen29 und erhielt zudem finanzielle Mithilfe durch Zürcher Kunstfreunde, durch Stadt und Kanton sowie durch einen vom Bundesrat gewährten Kredit. Die Sammlung wurde noch im Ankaufsjahr von Rom nach Zürich transportiert und für die »Erstellung der nöthigen Einrichtungen zur Unterbringung der Bühlmann’schen Sammlung« erhielt Kinkel einen außerordentlichen Etat von 1.500 Franken.30 Die ersten Ankäufe für die Kupferstichsammlung aus dem Etat der archäologischen sowie die Tatsache, dass Kinkel beiden Sammlungen als Direktor vorstand, führte in der Wahrnehmung zu einer Engführung. Dies manifestierte sich in den entsprechenden amtlichen Berichten aus der Professorenzeit Kinkels, in denen Beschlüsse mit ›Archäologische Sammlung, incl. Kupferstichsammlung‹ betitelt waren.31 Erst später sollte sich eine Trennung deutlicher abzeichnen. Zum einen lag der Grund in der Bestellung einer Aufsichtskommission für das Kupferstichkabinett und in der Verabschiedung eines (vorerst noch provisorischen) Reglements durch den Schulrat im Jahre 1871.32 Zum anderen sind weitere Gründe in den komplizierten Besitzverhältnissen der Gipsabgüsse, deren Finanzierung auch durch Universitäts- und ETH-Professoren ermöglicht worden war, sowie in den räumlich bald beengenden Verhältnissen in der Skulpturenhalle des Polytechnikums zu suchen. Letztere führten schließlich nach den Renovationsarbeiten von Gustav Gull in den 1920er Jahren dazu, dass die Präsentation in der Halle aufgelöst wurde.33 28 Ebd., S. IV. 29 Substantiell war das Legat des Bürgermeisters Johann Jakob Hess. 30 Schweizerisches Bundesblatt 1871, S. 275. Im Jahre 1870 begann Kinkel, ein Eingangsbuch für das Kupferstichkabinett zu führen. Ein Verzeichnis der größeren Geschenke und Ankäufe seit 1868 bis Ende 1875 ist zudem in seinem Text über das Kabinett zu finden. Siehe Kinkel 1876, S. VI–VII. 31 Z. B. in Schweizerisches Bundesblatt 1872, S. 316. 32 ETH-Bibliothek, Archive, SR2  : Schulratsprotokolle 1871, Sitzung Nr. 5 vom 9. August 1871, Traktandum 113. 33 Im Detail dazu siehe  : Zimmermann 1996, S. 51 – 53.

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Für Kinkel waren Sammlungen und insbesondere eine Sammlung von Druckgrafik eine Conditio sine qua non für die Lehre, denn – wie er in seinem Text über das Kupferstichkabinett meinte –   : »[…] alles Werk der bildenden Kunst tritt uns durch’s Auge näher als durch’s Ohr.«34 So war es für ihn eine Selbstverständlichkeit, die von ihm gesammelten Bestände in die Lehre zu integrieren. Im Vorlesungsverzeichnis aufgeführt war ab 1872/73 eine fast jährlich stattfindende Veranstaltung zu Themen wie Geschichte des Kupferstichs und Holzschnittes, Geschichte der Malerei vom Mittelalter bis zum Schluss des 16. Jahrhunderts oder Geschichte der Malerei im 16. und 17. Jahrhundert, die alle jeweils »mit Vorweisungen im Kupferstichkabinett« durchgeführt wurden. Es mag erstaunen, dass Kinkel auch eine Geschichte der Malerei anhand der Bestände des Kabinetts vermittelte. Der Grund liegt darin, dass im 19. Jahrhundert die sogenannte Reproduktionsgrafik – also Druckgrafik, die Gemälde von wichtigen Kunstschaffenden möglichst präzise wiedergab – zentrales Anschauungsmedium war. Die in einer Auflage produzierten druckgrafischen Blätter waren kostengünstig und wurden in Europa distribuiert, sodass sich gerade in einer Zeit, in der das Reisen einer kleinen begüterten Schicht vorbehalten war, über die Blätter ein eigentliches Bildgedächtnis ausbildete. Auch Kinkel verwies in seiner Abhandlung über das Kupferstichkabinett auf diese Funktion, wenn er schrieb, dass »[…] ein Cabinet vorherrschend Illustration der modernen Kunstgeschichte sein soll, also den historischen Gang und Fortschritt darzustellen hat.«35 Diesem Anspruch an eine grafische Sammlung entsprach auch der Fokus von Kinkels Lehre, die er in der Sammlung hielt. Die bereits erwähnten Vorlesungen zeigen, dass er sich auf Übersichtsdarstellungen konzentrierte, die eine kunsthistorische Entwicklung implizierten. Einzelpositionen oder spezifische Themata behandelte er nicht. Wichtig für den Unterricht war, dass man die Sammlung im Hauptgebäude selbst untergebracht hatte. Da sie jedoch drei Jahre nach Fertigstellung und Bezug des Semper-Baus eingerichtet wurde, waren in der Planungsphase noch keine Räume für sie vorgesehen. Zunächst befand sie sich in Schränken eines Zimmers innerhalb der Räume der Bauschule, ab 1890 im Untergeschoss und ab 1924 schließlich im bis heute aktuellen südwestlichen Flügel des Hauptgebäudes. Der große Ecksaal war nicht wie heute als Ausstellungsraum konzipiert, sondern enthielt einen Studiensaal mit 40 Plätzen (Abb. 2). Dort legte Kinkel die druckgrafischen Blätter den Studierenden aller Fächer – und insbesondere denjenigen der Bauschule – vor. Sie waren integraler Bestandteil seiner Lehre. Auch wenn die Sammlung dem Publikum bald zwei Mal pro Woche geöffnet werden konnte, blieb ihr Nutzen im Unterricht – sowohl für Studierende des Polytechnikums und der Universität, die bis 1914 ebenfalls im Semper-Bau untergebracht war – unbestritten. So hieß es auch im Bundesblatt von 1875  : 34 Kinkel 1876, S. I. 35 Ebd. S. VIII.

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Abb. 2  : Studiensaal (später Ausstellungsraum) der Graphischen Sammlung ETH Zürich mit der Einrich­ tung von 1924, Fotograf unbekannt, nach 1920. ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv, Ans_03597.

»Über diese allgemeine Benuzung hinaus beginnt aber die Sammlung auch speziell zum Vortheile des kunsthistorischen Unterrichtes ihren Zwek ausgiebig zu erfüllen. Sowohl mit den Vorlesungen am Polytechnikum, als mit denen an der Universität wurden Vorweisungen der einschlägigen Stiche im Kabinet verbunden. Dass die Studirenden hieran Interesse haben, beweist der Umstand, dass zum Besuche des Kabinetes die Zuhörer in Gruppen getheilt werden mussten.«36

Die Funktion des Kupferstichkabinetts lag klar in der Lehre, was für universitäre Sammlungen der damaligen Zeit charakteristisch war. Anders als noch die Wunderkammern früherer Jahrhunderte waren sie nicht mehr als enzyklopädische Universalsammlungen 36 Schweizerisches Bundesblatt 1875, S. 275. Die ETH-Professoren für Kunstgeschichte und Archäologie hatten meist eine Doppelprofessur inne und lehrten vielfach auch an der Universität Zürich. Als die Universitätsfakultät mit dem Erziehungsdepartement 1912 darüber verhandelte, ob man von nun an lauter selbstständige, von der ETH losgelöste Professuren wollte, wurde dagegen entschieden. Ein Grund dafür war die Befürchtung, dass dann die Benutzung des Kupferstichkabinetts durch die Universität leicht lahmgelegt werden könnte. Reinle 1976, S. 82.

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angelegt, die – vergleichbar mit einem Mikrokosmos – den Makrokosmos der Erde und des Himmels repräsentieren sollten. Bei ihnen stand nicht das Seltene, Kuriose und Außergewöhnliche im Zentrum. Vielmehr zielten insbesondere Universitätssammlungen im Bereich der Bildenden Kunst auf Artefakte ab, die repräsentativ für bestimmte Strömungen oder Epochen standen. Da der lehrende Professor zugleich der Leiter der Sammlung war, bestimmte er, welche Werke gesammelt und im Unterricht eingesetzt werden sollten. Kinkel dachte die Funktion als Studien- und Lehrsammlung beim Aufbau des Kupferstichkabinetts aus diesem Grunde stets mit. So wie seine Vorlesungen auf einen Überblick angelegt waren, stimmte er auch die Bestände möglichst auf einen Überblick ab. Seine selbst gewählte Leitlinie sah vor, sowohl reproduzierende als auch eigenständige, von einer Vorlage freie Druckgrafik vom 15. Jahrhundert bis zur Gegenwart in die Sammlung aufzunehmen. Wie Kinkel in seiner Abhandlung über das Kupferstichkabinett festgehalten hatte, sollte die Sammlung zwingend der Illustration der modernen Kunstgeschichte dienen.37 Weil Kunstwerke sowohl der Untersuchungsgegenstand der Kunstgeschichte wie auch ihr konstitutiver Bestandteil sind, schrieb Kinkel unweigerlich immer auch selbst Kunsthistorie mit. Dabei orientierte er sich überwiegend an bereits etablierten Positionen, sodass er die Bedeutung solcher Positionen über die Sammlungstätigkeit und über die Vermittlung im Unterricht weiter festigte.38 Trotzdem sind gewisse Bestände auch aufgrund zufällig sich ergebender Möglichkeiten erworben worden, wie etwa das Beispiel über den Ankauf von Bühlmanns Sammlung zeigt. Sein Konvolut war im Einzelnen nicht von Kinkel selbst ausgewählt worden, entsprach aber zumindest seinen Leitlinien. Eine Sammlung muss daher immer zugleich als »gezieltes und kontingentes Resultat einer wissenschaftlichen und kulturellen Praxis« bezeichnet werden.39 Indem Kinkel die Sammlung auf einen Überblick anlegte und zugleich auf einige etablierte Positionen setzte, nahm ihre Bedeutung kontinuierlich zu und war auch außerhalb der Hochschule rasch geschätzt und anerkannt. III. Die Graphische Sammlung als Erkenntnisinstrument heute

Zur Zeit Kinkels war es, wie erwähnt, selbstverständlich, grafische Blätter zu studieren und das Kupferstichkabinett aktiv in den Unterricht zu integrieren  ; Präsentationen, die für ein kunstinteressiertes Publikum gedacht waren, gab es zwar auch, sie standen aber weniger im Fokus. Dies hat sich im Laufe der Zeit geändert – nicht zuletzt auch durch die veränderte Größe und Bedeutung des Kupferstichkabinetts, der heutigen 37 Kinkel 1876, S. I. 38 Zum Beispiel besaß die Graphische Sammlung ETH Zürich früh sehr viel Druckgrafik von Albrecht Dürer. 39 te Heesen, Spary 2001, S. 8.

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Graphischen Sammlung ETH Zürich. Durch kontinuierliche Ankäufe und zahlreiche Geschenke wuchs die Kollektion seit dem späten 19. Jahrhundert weit über den ursprünglichen Rahmen einer Studiensammlung hinaus  : Die Institution ist zu einer international renommierten grafischen Einrichtung geworden, die rund 160.000 hochkarätige Blätter vom 15. Jahrhundert bis zur Gegenwart besitzt und die weiterhin aktiv Kunst auf Papier ankauft oder als Schenkungen erhält. Die Graphische Sammlung ETH Zürich wirkt aus diesem Grund nicht mehr nur nach innen, sondern ebenfalls nach außen und ist auch auf ein kunstinteressiertes Publikum ausgerichtet. Obwohl auch Kinkels Nachfolger unterrichteten, veränderte sich insbesondere gegen Ende des 20. Jahrhunderts der Stellenwert der Graphischen Sammlung in Bezug auf die Lehre an der ETH Zürich. Im Jahre 2011 wurden schließlich die Seminare des damaligen Leiters der Graphischen Sammlung, Paul Tanner, im Zuge der Bologna-Reform zur Gänze eingestellt. Die Entwicklung bis hin zur Streichung der Unterrichtstätigkeit kann hier nicht herausgearbeitet werden. Es soll jedoch ein Sprung in die Gegenwart unternommen und danach gefragt werden, wie sich eine grafische Sammlung in einer Technischen Hochschule/Universität heutzutage positionieren kann. Nachfolgend wird dafür plädiert, dass ihr Potential im Bereich des sogenannten ›Critical Thinkings‹ liegt, mit dem insbesondere die ETH Zürich nicht nur Fachwissen auf Spitzenniveau vermitteln, sondern auch die institutionelle Diversität fördern und ihre Studierenden zu kritisch denkenden Wissenschaftler_innen ausbilden will.40 Die Graphische Sammlung kann dabei eine wichtige Partnerin sein, weshalb sie sich insbesondere seit 2017 bei der Erarbeitung von interdisziplinären und systemorientierten Problemstellungen aktiv einbringt. Einerseits geschieht dies durch die Wiederaufnahme der Lehrtätigkeit durch die Leiterin. Dadurch wird die Sammlung, deren Gründung auf die Lehre des Professors für Kunstgeschichte und Archäologie zurückgeht, wieder an ihre ursprüngliche Funktion als Studien- und Lehrsammlung herangeführt. Andererseits passiert dies durch die Etablierung von wissenschaftlichen Kooperationen mit Departementen der Hochschule an der Schnittstelle zu anderen, auch naturwissenschaftlichen Fächern. Dabei ist wichtig, dass die Sammlung nicht auf eine Illustratorin von wissenschaftlichen Phänomenen reduziert wird. Vielmehr soll der wissenschaftliche Austausch dezidiert wechselseitig gestaltet werden, sodass Erkenntnisse gemeinsamer Projekte stets auch auf die eigenen Bestände wirken. Da im ersten Teil dieses Beitrags der Bezug von Kunstgeschichte, grafischer Sammlung und Architektur im 19. Jahrhundert herausgearbeitet wurde, soll in diesem Kapitel zur Gegenwart ebenfalls dieses Verhältnis beispielhaft im Fokus stehen. Seit Herbst 2018 lehrt die Leiterin und Autorin dieses Beitrags wieder regelmäßig an der ETH Zürich, wobei die Seminare im 1967 gegründeten Institut für Geschichte und Theorie der Architektur (gta) stattfinden, an dem auch die Professur für Kunst- und Ar40 URL  : https://www.ethz.ch/de/die-eth-zuerich/organisation/schulleitung/praesident/critical-thinking.html (20. März 2019).

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chitekturgeschichte angesiedelt ist.41 Die Lehrveranstaltungen beschränken sich nicht mehr ausschließlich auf die genaue Betrachtung und Analyse von einzelnen Blättern aus der Graphischen Sammlung ETH Zürich, sondern erweitern den Fokus unter dem Schwerpunkt Reflexionen über Ausstellungs- und Kunstpraxis heute. Nebst dem Studium von Werken aus den Beständen waren schon im ersten Seminar ebenso die Lektüre von Texten, das Erkunden von künstlerischen und institutionellen Ordnungssystemen wie auch die Hinterfragung von Handlungsmacht Thema. Dabei wurde explizit ein ­Bezug zur gleichzeitig stattfindenden Ausstellung RELAX (chiarenza & hauser & co). was wollen wir behalten  ? (what do we want to keep  ?) hergestellt und auch das Seminar gemeinsam mit Daniel Hauser vom Künstlerkollektiv RELAX durchgeführt. Die Studierenden erhielten die Möglichkeit, im Laufe des Semesters eine der Ausstellungsvitrinen zu kuratieren. Auf diese Weise wurden Theorie und kuratorische Praxis eng ineinander verzahnt, und es kamen unterschiedliche Arten der Wissensvermittlung zum Zuge. So wie im ersten Seminar zielen auch die folgenden Lehrveranstaltungen darauf ab, mit den Studierenden Geschichte, Struktur und Funktion der Graphischen Sammlung zu erarbeiten, die Institution zu kontextualisieren und sich zugleich mit einzelnen Kunstwerken auseinanderzusetzen. Der zweite Aspekt, der die Verankerung der Graphischen Sammlung in der ETH Zürich fördert, ist es, sie als wichtige Partnerin für gemeinsam an der ETH zu erforschende Themen aktiv einzubringen. Gerade im Zusammentreffen unterschiedlicher Disziplinen lassen sich ungewohnte, andere Perspektiven auf Personen, Positionen und Themen anwenden, die zu neuen Erkenntnissen führen. Beispielhaft für diese Herangehensweise soll ein Projekt beleuchtet werden, das mit dem Institut gta am Departement Architektur erarbeitet wurde. Zu ihm gehören unter anderem die beiden Bereiche gta Archiv und gta Ausstellungen. Das gta Archiv sammelt und archiviert Originaldokumente zu Architektur, Städtebau, Bauingenieurwesen, Design und Landschaftsgestaltung von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis heute. gta Ausstellungen wiederum fungiert als Schnittstelle zwischen Theorie und Praxis und präsentiert die Forschung und Lehre im Departement Architektur. Voraussetzungen für die drei Projektpartner waren die Beschäftigung mit einem Thema aus dem Bereich Druckgrafik, um die Kompetenzen der Graphischen Sammlung einzubringen, sowie die Möglichkeit, bisher nicht gehobene Schätze aus dem gta Archiv wissenschaftlich zu bearbeiten und in einen größeren Zusammenhang zu stellen. Ziel waren eine Ausstellung mit begleitender Publikation und ein interdisziplinär angelegtes Vermittlungsprogramm. Die Themenwahl fiel auf den englischen Künstler Richard Hamilton und auf den Schweizer Kunst- und Architekturhistoriker Sigfried Giedion, dessen Nachlass sich 41 Tanners Lehrveranstaltungen waren demgegenüber am Departement Geistes-, Sozial- und Staatswissenschaften angesiedelt, wie die Abteilung VI inzwischen heißt. Dort gibt es allerdings keine Professur für Kunstgeschichte und Archäologie wie noch zur Gründerzeit des Polytechnikums.

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im gta Archiv befindet. Über beide wurde für sich genommen sehr viel geforscht und publiziert, da es sich zweifellos um zwei zentrale Protagonisten aus der Kunst- und Architekturgeschichte handelt. Bisher wurden sie jedoch noch nicht oder nur oberflächlich zueinander in Bezug gesetzt, obwohl es einen wichtigen Berührungspunkt bereits am Beginn von Hamiltons Karriere gibt  : Die Grafik-Serie Reaper (dt. Getreidemäher, 1949) ist als direkte Reaktion auf Giedions Buch Mechanization Takes Command von 1948 entstanden. Darin beschrieb der Schweizer Kunst- und Architekturhistoriker die Geschichte der Mechanisierung und deren Auswirkungen auf das Alltagsleben. In sieben Kapiteln schilderte er anhand des vorwiegend in Verkaufskatalogen, Patentschriften und Büchern vorgefundenen Materials die »anonyme Geschichte« der technischen Entwicklung, wobei er sich auch »äusserlich bescheidenen Dingen« zuwandte – denn, so sein berühmtes Diktum in Mechanisation Takes Command  : »Auch in einem Kaffeelöffel spiegelt sich die Sonne.«42 Auffällig ist die zentrale Rolle, die Giedion den rund 500 Abbildungen zusprach, die aus höchst unterschiedlichen Quellen stammten  : Erfinderpatente stehen neben Kunstwerken und Skizzen neuer Gerätschaften neben Fotografien von Gebäuden. Der Forscher verfolgte eine spezifische Bildstrategie, in der das Visuelle parallel zum Text einen eigenständigen Diskurs führt. Einer Collage vergleichbar sind auf den Doppelseiten Lauftext, Abbildungen und ausführliche Bildlegenden sorgfältig zueinander in Beziehung gesetzt. Zu den ersten Lesern von MTC gehörte Hamilton. Es inspirierte ihn bereits 1949 zu einer Grafik-Serie, als er noch an der Londoner Slade School studierte. In Giedions Buch faszinierte ihn insbesondere das Kapitel über die Getreidemäher, auf das er sich in seiner Reaper-Serie bezog. In diesem Kapitel beschrieb Giedion die Mechanisierung der Landwirtschaft und den damit einhergehenden Strukturwandel. Es enthält zahlreiche Abbildungen, die eine hundertjährige Entwicklung von der verbesserten Sense bis zum traktorgezogenen Mähdrescher vermitteln. Die Veränderung von der handwerklichen zur industriellen Herstellung wurde dadurch visuell ablesbar. Wie in der Ausstellung sichtbar gemacht werden konnte, waren die Abbildungen aus Giedions Buch für Hamil­ton allerdings nur Ausgangspunkt für eine freie künstlerische Interpretation, bei der er unterschiedliche druckgrafische Techniken ausprobierte. Er verfolgte keine naturnahe Darstellung, sondern ließ seine Druckgrafik zwischen erkennbaren Elementen, wie etwa Rädern oder Sitzen, und abstrakten Formen oszillieren. Bei seiner künstlerischen Transformation wurde der Maschinenführer, also der Bauer, ausgeblendet und Landschaft, wenn überhaupt, dann bloß angedeutet. Damit kommt in Hamiltons Inter­pretation die Ambivalenz der Mechanisierung, die bei Giedion angelegt war, auf künstlerische Weise zum Ausdruck. Der Mensch wird mehr und mehr überflüssig und vom Gerät verdrängt.43 42 Giedion 1982, S. 19. 43 Siehe im Detail  : Schädler, Fischli, Olsen u. a. 2017, S. 6 – 10.

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Abb. 3  : Ausstellungsansicht »Reaper. Richard Hamilton und Sigfried Giedion« von 2017. Graphische Sammlung ETH Zürich, Fotograf  : Livio Baumgartner.

Die Graphische Sammlung stellte zum ersten Mal überhaupt die vollständige ReaperSerie ausgewählten Bildvorlagen Giedions gegenüber (Abb. 3). Aufgrund der engen Zusammenarbeit mit gta Archiv und gta Ausstellungen und unter Einbezug von zumeist jüngeren internationalen Wissenschaftler_innen für die Publikation konnte der Prozess von Giedions wissenschaftlicher Recherche zu Hamiltons künstlerischer Heran­ gehensweise mit einer Tiefenbohrung vergleichbar herausgearbeitet werden. Die kuratorische Gegenüberstellung im Ausstellungsraum machte anschaulich, wie der Getreidemäher als kulturtechnisches Phänomen von technischen Zeichnungen bis hin zu künstlerischen Abstraktionen aufgenommen wurde, ja wie er von einem Kontext zum anderen zirkulierte. In diesem Zusammenhang war auch die Beschäftigung mit Hamiltons druckgrafischer Technik wichtig. Sehr oft wird gerade der Tiefdruck (und hier insbesondere die Radierung) mit dem Ziehen von Furchen auf einem landwirtschaftlich genutzten Feld verglichen, woraus sich bei der Reaper-Serie eine Engführung von Motiv und Technik ergibt. Gleichzeitig wurden in der Ausstellung Fragestellungen neu belebt, die sowohl bei Giedion als auch bei Hamilton latent vorhanden waren  : Wie wirkt der Mensch auf die Natur ein  ? Wie setzt der Mensch hierfür Maschinen ein  ? Wie verändert dieser Prozess die Natur  ? Wie verändert er uns  ? Diese Fragen wurden in der wissenschaftlichen Publikation von den Autor_innen vertieft. Aufgrund des Einbezugs 384

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des unterschiedlichen Bildmaterials und aufgrund der Texte mit ihren multiperspektivischen Schwerpunkten konnten – ausgehend vom Getreidemäher als Scharnierstelle – zahlreiche neue Erkenntnisse gewonnen werden. Es ging im Projekt also – ausgehend von Werkgruppen zweier zentraler Protagonisten der Kunst- und Architekturgeschichte – um die wissenschaftliche Erarbeitung einer konzis zu fassenden, bislang allerdings wenig erforschten Schnittstelle von Kunstwerk, Kunsthistorie und Architekturgeschichte. Die intensive Beschäftigung ermöglichte in einem zweiten Schritt eine Kontextualisierung von Hamiltons und Giedions Arbeit. Ihre Werke wurden in einen größeren, auch sozio-politischen und wirtschaftlichen Zusammenhang gestellt. Dafür wurden, zuerst mit Blick auf Giedion und Hamilton und erweiternd auf die damalige Nachkriegszeit, verschiedene Berührungspunkte der Bereiche Kunst, Architektur und Landwirtschaft untersucht. Im Laufe der Recherche hatte sich gezeigt, dass die Fragen nach dem Verhältnis von Mensch und Natur von größter Wichtigkeit waren, seit in der Mitte des 19. Jahrhunderts mechanische Geräte die menschliche Arbeit auf den Höfen zu verdrängen begannen. Diese Relation oder genauer  : dieses Ungleichgewicht zwischen Mensch und Natur ist bis heute virulent geblieben, sodass mit einem historisch angelegten Thema ein Phänomen aufgegriffen werden konnte, das bis in die Gegenwart aktuell geblieben ist. In verschiedenen öffentlichen Diskussionen wurden solche Fragestellungen denn auch mit ETH-Fachleuten, zum Beispiel aus der Technikgeschichte, verhandelt. Schluss

Das Reaper-Projekt kann als Beispiel dafür stehen, dass eine Sammlung im wechselseitigen Austausch mit weiteren Fachrichtungen neue wissenschaftliche Erkenntnisse generieren kann. Sie vermag ein historisches Phänomen aufzugreifen, das, wie im konkreten Fall, in der Gegenwart aktualisiert wird, beziehungsweise den Blick auf zeitgenössische Aspekte verändern und erhellen kann. Auch die wiedereingeführte Lehrtätigkeit bietet die Möglichkeit, nebst dem Studium der Einzelblätter auch die historische Entwicklung der Graphischen Sammlung nachzuzeichnen und sie als Wissensplattform im universitären und künstlerischen Umfeld zu verorten. Die Graphische Sammlung tritt auf diese Weise nicht mehr ausschließlich als ›Lieferantin von Anschauungsmaterial‹ oder in den Worten Kinkels  : als Illustratorin der modernen Kunstgeschichte auf, auch wenn ihre Bestände selbstredend immer noch wichtige Studienobjekte bleiben. Die Beschäftigung mit dem Original, die immer auch eine bestimmte mediengebundene Sehschule hervorbringt, bleibt unabdingbar. Die Sammlung ermöglicht aber darüber hinaus die Erzeugung von (auch) interdisziplinärem neuem Wissen, das aktiv vermittelt wird. In diesem Falle kann sie als Erkenntnisinstrument bezeichnet werden, dessen Spezifität darin besteht, dass ihre Werke einen untrennbar 385

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miteinander verknüpften Doppelcharakter aufweisen, der nebst der kognitiv-begrifflichen immer auch eine sinnlich-anschauliche Komponente enthält. Was Günter Abel im Allgemeinen über Sammlungen schreibt, trifft in diesem Sinne auch auf die Graphische Sammlung ETH Zürich zu. Sie kann verstanden werden als »[…] Ort der Präsentation (nicht nur der Re-Präsentation) und darüber hinaus [als] Ort des Sichtbarmachens der Wechselspiele unterschiedlicher Formen, Praktiken und Dynamiken von Wissen […].«44 Es braucht kaum eigens betont zu werden, dass auch die Struktur und der Ort der Sammlung selbst wichtige Untersuchungsgegenstände darstellen – auch wenn in diesem Beitrag auf diese Aspekte nicht eingegangen werden konnte. Aufgrund ihrer Bestände lassen sich die Entwicklung und Veränderung von Wissensordnungen und Klassifikationsverfahren erforschen. Es lässt sich aber auch untersuchen, wie sich das Wechselverhältnis zwischen physischer Ordnung der Werke und spezifischen Ausprägungen der Architektur zeigt. Damit kann die Sammlung mehrere Funktionen erfüllen  : Sie ist Referenzsammlung sowohl für aktuelle Forschungen als auch für wissenschaftsgeschichtliche Fragestellungen, zudem regt sie, ausgehend von ihren Sammlungsbeständen, selbst Forschungsfragen an, die in enger Zusammenarbeit mit Departementen der ETH untersucht werden. Sie ist zu einem wissenschaftlichen Erkenntnisinstrument geworden. Literatur Abel 2014 – Günter Abel  : Sammlungen als epistemische Objekte und Manifestationen von Ordnungen des Wissens, in  : Uta Hassler, Torsten Meyer (Hg.)  : Kategorien des Wissens. Die Sammlung als epistemisches Objekt, Zürich 2014, S. 109 – 132. Beyrodt 1979 – Wolfgang Beyrodt  : Gottfried Kinkel als Kunsthistoriker. Darstellung und Briefwechsel, Bonn 1979. Chan, Graphische Sammlung, Schädler 2017 – Carson Chan, Graphische Sammlung ETH Zürich, Linda Schädler u. a. (Hg.)  : Reaper. Richard Hamilton. Sigfried Giedion, Zürich 2017. Giedion 1982 – Sigfried Giedion  : Die Herrschaft der Mechanisierung. Ein Beitrag zur anonymen Geschichte, Frankfurt a. M. 1982. Hassler, Wilkenning-Aumann 2014 – Uta Hassler, Christine Wilkening-Aumann  : »Den Unterricht durch Anschauung fördern«. Das Polytechnikum als Sammlungshaus, in  : Uta Hassler, Torsten Meyer (Hg.)  : Kategorien des Wissens. Die Sammlung als epistemisches Objekt, Zürich 2014, S. 75 – 98. Hassler, Kainz 2016 – Uta Hassler, Korbinian Kainz  : Die Polytechnische Welt. Wissensordnung und Bauideal. Planmaterialien zum Zürcher Polytechnikum, Bd. I und II, München 2016. te Heesen, Spary 2001 – Anke te Heesen, Emma C. Spary (Hg.)  : Sammeln als Wissen. Das Sammeln und seine wissenschaftsgeschichtliche Bedeutung. Göttingen 2001. Kinkel 1871 – Gottfried Kinkel  : Die Gypsabgüsse der Archäologischen Sammlung im Gebäude des Polytechnikums in Zürich, Zürich 1871. 44 Abel 2014, S. 115.

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Kinkel 1876 – Gottfried Kinkel  : Das Kupferstich-Cabinet des Eidgenössischen Polytechnikums, Zürich 1876. Vignau-Wilberg, von Tavel 1976 – Peter Vignau-Wilberg, Hans Christoph von Tavel (Hg.)  : Kunst­wissenschaft an Schweizer Hochschulen, Zürich 1976 Miekley 1912 – Walter Miekley  : Gottfried Kinkel in Zürich (1866 – 1882) (unter Benutzung bisher unveröffentlichter Briefe des Dichters), in  : August Sauer (Hg.)  : Euphorium, Zeitschrift für Literaturgeschichte 19 (1912), S. 302 – 323. Pallmann 1956 – Rede des Präsidenten des Schweizerischen Schulrates, Prof. Dr. H. Pallmann, in  : Reden zur Feier des hundertjährigen Bestehens der Eidgenössischen Technischen Hochschule, gehalten am 21. und 22. Oktober 1955, Nr. 92, Zürich 1956, o. S. Reinle 1976 – Adolf Reinle  : Der Lehrstuhl für Kunstgeschichte an der Universität Zürich bis 1939, in  : Peter Vignau-Wilberg, Hans Christoph von Tavel (Hg.)  : Kunstwissenschaft an Schweizer Hochschulen, Zürich 1976, S. 71 – 88. Rede 1855 – Rede des Präsidenten des schweizerischen Schulrathes Herrn Dr. Kern, bei der Eröffnung der eidgen. Polytechnischen Schule in Zürich, 13. Oktober 1855, in  : Beilage der Neuen Zürcher Zeitung, 15. Oktober 1855, S. 5. Reden 1956 – Reden zur Feier des hundertjährigen Bestehens der Eidgenössischen Technischen Hochschule, gehalten am 21. und 22. Oktober 1955, Nr. 92, Zürich 1956. Reglement 1854 – Reglement für die eidgenössische polytechnische Schule (vom 31. Heumonat 1854). Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Bern 1854. Rahn 1920 – Johann Rudolf Rahn  : Erinnerungen aus den ersten 22 Jahren meines Lebens (2. Teil), in  : Zürcher Taschenbuch auf das Jahr 1920, hg. mit Unterstützung der Antiquarischen Gesellschaft von einer Gesellschaft Zürcherischer Geschichtsfreunde, Zürich 1920. Schädler, Fischli, Olsen u. a. 2017 – Linda Schädler, Fredi Fischli, Niels Olsen u. a.: Vorwort, in  : Chan, Graphische Sammlung, Schädler 2017, S. 6 – 11. Schweizerisches Bundesblatt 1868 – Schweizerisches Bundesblatt. Bericht des Schweiz. Bundesrathes an die h. Bundesversammlung über seine Geschäftsführung im Jahre 1867, XX. Jahrgang, Bd. II, Nr. 20, 7. Mai 1868. Schweizerisches Bundesblatt 1869 – Schweizerisches Bundesblatt, Bericht des Schweizerischen Bundesrathes an die h. Bundesversammlung über seine Geschäftsführung im Jahre 1868, XXI. Jahrgang, Bd. I, Nr. 16, 24. April 1869. Schweizerisches Bundesblatt 1870 – Schweizerisches Bundesblatt, Bericht des Schweizerischen Bundesrathes an die h. Bundesversammlung über seine Geschäftsführung im Jahr 1869, XXII. Jahrgang, Bd. II, Nr. 19, 14. Mai 1870. Schweizerisches Bundesblatt 1871 – Schweizerisches Bundesblatt, Bericht des Schweizerischen Bundesrathes an die h. Bundesversammlung über seine Geschäftsführung im Jahr 1870, XXIII. Jahrgang, Bd. II, Nr. 19, 17. Mai 1871. Schweizerisches Bundesblatt 1872 – Schweizerisches Bundesblatt, Bericht des Schweizerischen Bundesrathes an die h. Bundesversammlung über seine Geschäftsführung im Jahr 1871, IIXV. Jahrgang, Bd. II, Nr. 23, 29. Mai 1872. Schweizerisches Bundesblatt 1875 – Schweizerisches Bundesblatt, Bericht des Schweizerischen Bundesrathes an die h. Bundesversammlung über seine Geschäftsführung im Jahr 1874, ­XXVII. Jahrgang, Bd. II., Nr. 18, 28. Mai 1875.

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Semper 1860 – Gottfried Semper  : Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder praktische Ästhetik. Ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde, Frankfurt a. M. 1860. Tanner 2005 – Paul Tanner  : Die Graphische Sammlung der ETH Zürich, in  : Tanner, Matile 2005, S.  7 – 21. Tanner, Matile 2005 – Paul Tanner, Michael Matile  : Graphische Sammlung der ETH Zürich. Ein Bildhandbuch, Basel 2005. Tschanz 2015 – Martin Tschanz  : Die Bauschule am Eidgenössischen Polytechnikum in Zürich. Architekturlehre zur Zeit von Gottfried Semper (1855 – 1871), Zürich 2015. Weidmann 2010 – Dieter Weidmann  : Gottfried Sempers »Polytechnikum« in Zürich. Ein Heiligtum der Wissenschaften und Künste, Bd. I und II, Zürich 2010. Zimmermann 1996 – Adrian Zimmermann  : »… unserer Landesausstellung zur nothwendigen Vervollständigung, dem Polytechnikum zur bleibenden Zierde …«  : Vom Schicksal der Abgüsse nach Frührenaissance-Skulpturen aus dem Kanton Tessin, in  : Georges-Bloch-Jahrbuch des Kunstgeschichtlichen Seminars der Universität Zürich 3 (1996), S. 41 – 56.

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Henrik Karge

Universale und nationale Kunstgeschichte an Technischen Hochschulen  : Wilhelm Lübke (1826 – 1893) Als ›Schüler‹ und persönlicher Vertrauter Karl Schnaases und Franz Kuglers hat Wilhelm Lübke (1826 – 1893) deren unterschiedliche Ansätze zur wissenschaftlichen Erschlie­ ßung des Kunstbestands aller Epochen und Weltkulturen in populären Synthesen (1855 das Pionierwerk Geschichte der Architektur) zusammengeführt. Damit trug er wesent­ lich zur Konstituierung der neuen Disziplin Kunstgeschichte bei, die sich großenteils nicht an den Universitäten, sondern an den Technischen Hochschulen vollzog. Im Zuge seines Berufswegs von Berlin über Zürich und Stuttgart nach Karlsruhe verschoben sich die wissenschaftlichen Interessen Wilhelm Lübkes  : von der Kunst des Mittelalters in seinem Frühwerk Die mittelalterliche Kunst in Westfalen (1853) zur Renaissancekunst in seinen späteren Schriften, von den von Kugler und Schnaase entwickelten globalen Konzeptionen der Kunstgeschichte in den frühen Handbüchern zur ›Entdeckung‹ der nationalen Renaissance in der kurz nach der Reichsgründung publizierten Geschichte der deutschen Renaissance (1873).

Betrachtet man die Entfaltung der Disziplin Kunstgeschichte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den deutschsprachigen Ländern1 und die Etablierung des Fachs an den Technischen Hochschulen im Zusammenhang, so wird der Blick fast automatisch auf eine zentrale Persönlichkeit gelenkt  : Wilhelm Lübke (Abb. 1). Angesichts der traditionellen Fokussierung der Wissenschaftsgeschichte auf die universitäre Kunstgeschichte ist es bemerkenswert, dass der in publizistischer Hinsicht wohl erfolgreichste Kunsthistoriker des 19. Jahrhunderts an keiner einzigen Universität, dafür aber nacheinander an vier verschiedenen Technischen Hochschulen – der Berliner Bauakademie und den Hochschulen von Zürich, Stuttgart und Karlsruhe – gelehrt hat. Zu Lübkes Lehre in Karlsruhe, wo sogar eine von Heinrich Weltring geschaffene Skulptur aus den Jahren 1893 – 1895 an den Professor erinnert, liegt bereits eine Studie von Martin Papenbrock vor, und sie wird im vorliegenden Band in Alexandra Axtmanns Beitrag zur Etablierung des Fachs Kunstgeschichte an der Karlsruher Hochschule behandelt.2 Da die Autorin zudem vor Kurzem zusammen mit Ulrike Gawlik eine bio1 Der Verf. bereitet derzeit eine umfangreiche Publikation zur frühen deutschen Kunsthistoriografie vor, in die auch die Forschungen zu Wilhelm Lübke einbezogen werden sollen  : Karge 2020/21. Vgl. auch Karge 2022. 2 Papenbrock 2006.

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Abb. 1  : Wilhelm Lübke, Jugendbildnis. Aus  : Briefe von W. Lübke an H. Kestner aus den Jahren 1846 – 1859, Karlsruhe 1895, Front­ispiz.

grafische Studie zu Lübke3 publiziert hat, können sich die folgenden Ausführungen auf das wissenschaftliche Profil und die publizistischen Leistungen des Gelehrten konzentrieren, die in den bisherigen Forschungen zur Geschichte der Kunstgeschichte auffallend wenig Aufmerksamkeit gefunden haben. Zum Verständnis der wissenschaftlichen Ausrichtung und Methodik Wilhelm Lübkes ist es allerdings notwendig, einen Blick auf das intellektuelle und soziale Umfeld der ihn prägenden Berliner Jahre um 1850 zu werfen. In eben diesem Jahr 1850, nach Abschluss des Referendariats am Werderschen Gymnasium in Berlin, stand der 24-Jährige vor der Wahl, als Gymnasiallehrer im brandenburgischen Prenzlau fest angestellt zu werden oder den unsicheren Weg eines freischaffenden Kunsthistorikers einzuschlagen. In den 1891, kurz vor seinem Tod, erschienenen Lebenserinnerungen schildert Lübke seine Situation wie folgt  :

»Die feste Stellung hätte wohl Manchen, der so wie ich fortwährend mit Mangel, selbst mit Noth zu kämpfen hatte, verlocken können. Ich aber schwankte keinen Augenblick  ; mein leidenschaftlicher Hang zur Kunstgeschichte hatte sich in den letzten Jahren immer entschiedener ausgebildet. Der Gedanke, mich ausschließlich dieser Wissenschaft zu widmen, trat bei mir immer klarer hervor. Ich theilte dem Direktor meine Absichten mit. In väterlicher Güte versuchte er mich davon abzubringen, indem er mir in der Gymnasiallaufbahn bei meinem entschiedenen pädagogischen Talent eine schöne Zukunft verhieß. Was bot dagegen die Kunstgeschichte  ? Gab es denn überhaupt unter den akademischen Lehrfächern eine solche Disziplin  ? Was für Aussichten eröffneten sich bei diesem Studium  ? An Universitäten bekleidete damals nur [Gottfried] Kinkel eine kunstgeschichtliche Professur [in Bonn] […] Außerdem hatte [Gustav Friedrich] Waagen an der Berliner Universität als Nebenamt eine Lehrstelle für Kunstgeschichte. Das war Alles  ; nirgends zeigte sich das Bestreben, dem ganz neuen Fach auf den Universitäten eine Stätte zu bereiten. Die technischen Hochschulen, 3 Axtmann, Gawlik 2019 (zum Denkmal  : S. 35). In diesem Band auch eine verdienstvolle Bibliografie der zahlreichen Schriften Wilhelm Lübkes  : S. 109 – 143. Weitere biografische Studien zu Lübke  : Meier 1985  ; Karlholm 1996, S. 92 – 95  ; Betthausen 1999.

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welche später zur Förderung der Kunstgeschichte so viel beigetragen haben, standen damals noch in den Kinderschuhen. Sie waren bestenfalls nur technische Fachschulen, ohne eine Ahnung der späteren glänzenden Entfaltung auch der humanistischen Fächer. Ich würde also beim Verfolgen dieser Bestrebungen auf ein höchst prekäres Privatdozententhum angewiesen sein. Diesen mühsamen und langsamen Weg aber bei völliger Mittellosigkeit zu verfolgen, erschien geradezu als Tollkühnheit.«4

Diese Darstellung stellt keine retrospektive Romantisierung dar  : Lübke stammte tatsächlich aus einfachen sozialen Verhältnissen – als ältestes von sieben Kindern eines Volksschullehrers wurde er 1826 im noch vorindustriellen Dortmund geboren.5 Die katholische Volksschule und damit auch die Wohnräume der Lehrerfamilie waren im ehemaligen Dominikanerkloster eingerichtet worden, und Lübke selbst beschreibt in seinen Lebenserinnerungen, wie das historische Ambiente in ihm schon früh das Interesse an den frühen Epochen der Kunstgeschichte geweckt hatte. Zwischen 1845 und 1848 studierte Lübke Klassische Philologie an den Universitäten Bonn und Berlin und schlug danach die erwähnte Schullaufbahn ein, die er jedoch bald aufgab, um sich als freier Schriftsteller in Berlin seiner Leidenschaft für die Kunstgeschichte zu widmen.6 So verfasste er mehrere Artikel für das in Berlin neu gegründete Deutsche Kunstblatt, mit dessen Chefredakteur Friedrich Eggers er eng befreundet war.7 Vor allem aber nutzte der junge Kunsthistoriker die günstige Konstellation, dass seit dem Ende des Revolutionsjahrs 1848 die zwei prägenden Köpfe der neuen Disziplin Kunstgeschichte, Karl Schnaase und Franz Kugler, in Berlin lebten und wirkten, und er suchte offenbar gezielt die persönliche Nähe zu beiden Gelehrten, die untereinander trotz unterschiedlicher methodischer Ausrichtung ein von Sympathie und Respekt geprägtes Verhältnis pflegten.8 Franz Kugler (1808 – 1858) war bereits seit den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts eine dominierende Persönlichkeit im kulturellen Leben Berlins und nach 1850 der Mittelpunkt der geselligen Kreise ›Rütli‹ und ›Ellora‹, die die bedeutendsten deutschen Schriftsteller jener Zeit – Theodor Fontane, Theodor Storm, Paul Heyse und Emanuel Geibel – in unterschiedlichen Konstellationen vereinigten. Die Freundschaft mit Kugler war für Lübke das Eintrittsbillet in eine heiter-turbulente intellektuelle Welt, zu der als Fernpartner auch Jacob Burckhardt gehörte.9 Zugleich bildete Kuglers 1842 4 Lübke 1891, S. 146 f. 5 Die Lebensumstände der Familie gehen deutlich aus dem autobiografischen Bericht des Vaters (»Aus dem Leben eines Volksschullehrers«) hervor, den Wilhelm Lübke seinen eigenen Lebenserinnerungen vorangestellt hat  : Lübke 1891, S. 1 – 46. 6 Vgl. Lübke 1891, S. 47 – 132  ; Axtmann, Gawlik 2019, S. 7 – 9. 7 Vgl. Trautmann-Waller 2010. 8 Vgl. dazu Karge 2010a. 9 Das komplexe intellektuelle Milieu Berlins um die Mitte des 19. Jahrhunderts ist bislang vor allem von

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erschienenes Handbuch der Kunstgeschichte als erste universale Gesamtdarstellung der Disziplin10 das Urmodell all der kunsthistorischen Synthesen, die Lübke im Laufe seines Lebens herausbrachte. Es war nicht das Einzige  : Der gegenüber Kugler ein Jahrzehnt ältere Karl Schnaase (1798 – 1975, Abb. 2) hatte neben seinen beruflichen Pflichten als Staatsanwalt in Düsseldorf 1843 eine weit umfassendere Gesamtdarstellung der Kunstgeschichte, die Geschichte der bildenden Künste, begonnen, die aufgrund ihrer komplexen gedanklichen Struktur in der Verschränkung stil- und kulturgeschichtlicher Aspekte in sieben Bänden bis 1864 über das 14. Jahrhundert nicht hinauskam.11 Im hier behandelten Kontext ist die zwischen 1866 und 1876 erschienene zweite Auflage dieses Monumentalwerks von erheblicher BedeuAbb. 2  : Karl Schnaase, Bildnis, von Marie tung, da Schnaase als Doyen des Fachs nahezu Wiegmann, 1861 (Berlin, Nationalgalerie). Foto  : Andres Kilger. die gesamte Korona der jungen Professoren der Kunstgeschichte an den Technischen Hochschulen – Carl von Lützow, Alfred Woltmann, Eduard Dobbert und eben auch Wilhelm Lübke – in die Neubearbeitung der Bände einzubinden wusste.12 Lübke verfolgte in den 1850er Jahren bereits intensiv die Genese der Geschichte der bildenden Künste und widmete den Bänden euphorische Besprechungen im Deutschen Kunstblatt.13 Zu Schnaase, der 1848 eine neue Stellung als Richter am preußischen Obertribunal in Berlin angetreten hatte, fand Lübke offenbar eine noch größere persönliche Vertrautder Fontane-Forschung erschlossen worden. Genannt sei  : Nürnberger 1997  ; Stadtmuseum Berlin 1998. Wichtige Beiträge der kunsthistorischen Forschung  : Espagne, Savoy, Trautmann-Waller 2010  ; Bredekamp, Labuda 2010  ; Schalenberg 2010. Lübke 1891, S. 146 f. 10 Kugler 1842. Vgl. Karlholm 1996, S. 127 – 129  ; Niegsch 2010  ; Tauber 2010. 11 Schnaase 1843 – 1864. Vgl. Karlholm 1996, bes. S. 129 – 131  ; Karge 2010b, S. 394 – 399  ; ausführlich nun in  : Karge 2020/21. 12 Schnaase 1866 – 1876  ; Bd. 8 erschien posthum  : Schnaase 1879. Lübke hatte zuvor zusammen mit Alwin Schultz an der 1871 erschienenen Neuauflage des 4. Bands zur romanischen Kunst mitgewirkt. 13 Beispielhaft genannt sei Lübkes Besprechung des 1855 erschienenen 5. Bands (1. Abt., 1. Hälfte) zur frühgotischen Architektur in Frankreich und England in  : Deutsches Kunstblatt 7, 1856, S. 40 – 43, 50 f. Im selben Jahrgang des Deutschen Kunstblatts (S. 76 – 78) rezensierte er Anton Springers ebenfalls 1855 erschienenes Handbuch der Kunstgeschichte ausgesprochen kritisch.

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heit als zu Kugler. Bei einer seiner frühen Kunstwanderungen durch Westfalen und Niedersachsen besuchte er seinen Mentor bei einem Kuraufenthalt in Bad Driburg. Aufschlussreich sind vor allem die überlieferten Briefe an den Jugendfreund Hermann Kestner, etwa derjenige vom 12. Januar 1852, dessen Abschluss eine kurze Schilderung seines intellektuellen Umfelds in Berlin bildet  : »Ab und zu verkehre ich mit Eggers, der Dich freundlich grüßen läßt  ; zu Kugler komme ich manchmal  ; Waagen ladet mich öfters ein  ; am meisten bin ich bei Schnaase, der mit einer bezaubernden Liebenswürdigkeit mich zu sich heranzieht, und den ich jeden Tag höher schätze und verehre. Solche tief humane Naturen, von so umfassender, gediegener Bildung, sind rarae aves.«14

Umgekehrt trat Schnaase für seinen Freund Lübke auch publizistisch ein und verteidigte ihn 1858 vehement gegen einen Angriff August Reichenspergers im ultramontanen Organ für christliche Kunst.15 Nach außen hin festigte sich auf diese Weise der Eindruck einer geschlossenen ›Berliner Schule der Kunstgeschichte‹.16 In seinen Briefen an Eggers und Burckhardt vergaß Schnaase so gut wie nie, von dem ›gemeinsamen Freund‹ Lübke zu sprechen, den er manchmal mit seinem Rütli-Pseudonym ›Irus‹ nannte.17 Diese Bindung wurde nach dem frühen Tod Kuglers im Jahr 1858 noch enger. Prägend war offenbar die gemeinsame Reise im Sommer 1858  : Karl und Charlotte Schnaase hatten zunächst Jacob Burckhardt in Basel besucht18 und sich in Weißbad bei Appenzell erholt, bevor sie mit dem Ehepaar Lübke und Carl von Lützow am Bodensee zusammentrafen. Hier löste sich Schnaase von seiner Frau und begleitete die drei Freunde über Chur zum Comer See und in die Lombardei.19 Als Lübke und Lützow nach Florenz und Rom weiterreisten, kehrte Schnaase über Venedig nach Deutschland zurück. Lübke gibt in seinen Lebenserinnerungen eine lebendige Schilderung des Reisealltags mit Schnaase  : 14 Lübke 1895, S. 175 – 180, hier S. 180. Hervorhebungen im Originaltext, so auch in allen folgenden Fällen  ; Sperrungen werden grundsätzlich kursiv wiedergegeben. 15 Schnaase 1858, bes. S. 148. 16 Vgl. Bickendorf 2007  ; Bredekamp, Labuda 2010  ; Schalenberg 2010. Gáspár Salamon zeigt in seinem Beitrag in dem vorliegenden Band, dass die Schriften Schnaases und Lübkes eine wichtige Rolle in der Architekturausbildung an der Technischen Hochschule in Budapest spielten. Vgl. dazu Karge 2008. 17 Zu verweisen ist auf die vielen Briefe an Eggers, die in dessen Nachlass in der Schleswig-Holsteinischen Landesbibliothek in Kiel erhalten sind. 18 Vgl. einen Brief Schnaases aus Weißbad an Burckhardt vom 26. August 1858 (Staatsarchiv Basel, JacobBurckhardt-Archiv, PA 207, 52 S 13). In einem Brief an Paul Heyse vom 14. August 1858 berichtet Burckhardt  : »Schnaase war neulich hier und stellte mich auch seiner Gemahlin vor, welche mir eine ganz angenehme Dame zu sein scheint.« (Petzet 1916, Nr. 24, S. 70 – 72, hier S. 71). 19 Ausführlich beschrieben in  : Lübke 1891, S. 236 – 248.

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»Jeder bereitete sich auf das Pensum des Tages in früher Morgenstunde vor, indem Förster’s Handbuch (damals gab es noch keinen Baedeker) zu Grunde gelegt, der unvergleichlichste Führer aber, Burckhardt’s Cicerone, fleißig nachgeschlagen wurde. Rückten wir dann aus, so wurde Alles gemeinschaftlich betrachtet, erörtert und notirt, Abends aber beim gemeinsamen Pranzo das Gesehene vielfach discutirt und die Notizen manchmal berichtigt und vervollständigt. Dies gemeinsame Schauen und Besprechen mußte nothwendig den Eindruck beträchtlich vertiefen. Man sah nicht bloß mit den eigenen Augen, sondern auch mit denen der Gefährten.«20

Die während der gemeinsamen Italienreise angestellten kunsthistorischen Studien fanden ihren Niederschlag in zwei Aufsätzen, die Schnaase und Lübke 1860 in den Wiener Mittheilungen der Kaiserl. Königl. Central-Commission zur Erforschung und Erhaltung der Baudenkmale veröffentlichten  ; Lübkes »Reisenotizen über die mittelalterlichen Kunstwerke in Italien« sind zudem mit mehreren akkurat ausgeführten Zeichnungen des Autors ausgestattet, die teilweise während der gemeinsamen Besichtigungen in Norditalien entstanden waren.21 Wilhelm Lübke berichtet in seinen Lebenserinnerungen auch von einer gemeinsam mit Schnaase im Sommer 1860 unternommenen Belgienreise, bei der die »­ Eindrücke der früheren Reise […] erneuert und vertieft« werden sollten. »Löwen, Brüssel, Antwerpen, Gent und das herrliche mittelalterlich träumerische Brügge waren unsere Hauptstationen. Einen besonderen Ausflug machten wir nach Tournay, wo die gewaltige Kathedrale uns lange fesselte.«22 Lübke, der kurz vor Antritt der Reise von seiner Berufung nach Zürich erfahren hatte, besuchte danach noch verschiedene französische Städte, während Schnaase nach Berlin zurückkehrte. Eine weitere gemeinsame Reise führte die zwei Kunsthistoriker im Jahre 1861 durch das Salzkammergut und die Steiermark nach Wien. Schnaase lernte hier Rudolf Eitelberger von Edelberg kennen, den reformorientierten Professor für Kunstgeschichte und nachmaligen Gründer des Österreichischen Museums für Kunst und Industrie, und blieb ihm auch später in Sympathie verbunden.23 20 Lübke 1891, S. 243 f. Eine noch intensivere Schilderung der Reise in Lübkes Nekrolog  : Lübke 1875, hier S.  296 f. 21 Schnaase 1860  ; Lübke 1860b. Leider finden sich in dem reichen Bestand an Notizbüchern Wilhelm Lübkes in der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe gerade nicht die Notizen zu der gemeinsamen Reise mit Schnaase und von Lützow. Es gibt zwar ein Notizbuch K 1284 aus dem Jahr 1858, aber dieses beginnt erst am 5. November in Rom. Für den Hinweis auf die Karlsruher Nachlassbestände Lübkes bin ich Alexandra Axtmann zu Dank verpflichtet. 22 Lübke 1891, S. 337 – 340. Lübke bezieht sich mit dieser Bemerkung auf Schnaases Reise durch Holland und Belgien im Revolutionsjahr 1830, aus deren Erfahrung heraus das Frühwerk Niederländische Briefe (1834) entstanden ist. 23 Mehrere Briefe Schnaases an Rudolf Eitelberger sind in dessen Nachlass in der Wiener Stadt- und Landes-

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Schließlich sei erwähnt, dass Lübke auch noch die letzten Reisen Schnaases, der im Alter nach Wiesbaden gezogen war, begleitete und sich nach dem Tod des Mentors im Jahre 1875 um dessen Witwe Charlotte kümmerte. Außerdem hat er dem 1879 posthum erschienenen achten Band der Geschichte der bildenden Künste zur Kunst des 15. Jahrhunderts eine ausführliche Lebensskizze Schnaases vorangestellt, die hinsichtlich der frühen Jahrzehnte allerdings aus der Feder von Charlotte Wolff, der Witwe des mit Schnaase befreundeten Schriftstellers Karl Immermann, stammt.24 Parallel zu der lebenslangen Freundschaft mit Schnaase entwickelte sich die beeindruckende Kette der Publikationen Lübkes. Er hatte, ausgehend von den Kindheitserlebnissen im ehemaligen Dominikanerkloster von Dortmund, früh ein besonderes Interesse an den Kirchenbauten seiner westfälischen Heimat entwickelt und machte sich 1853 mit einem zweibändigen Werk über Mittelalterliche Kunst in Westfalen (mit eigenen Zeichnungen), in dem er besonders auf die in dieser Region verbreiteten roma­ nischen und gotischen Hallenkirchen einging, einen Namen.25 Dieses Werk, das Lübkes Mentoren Kugler und Schnaase gemeinsam gewidmet ist, reiht sich zugleich in eine Reihe kunsthistorischer Untersuchungen zu einzelnen deutschen Regionen ein, für die Kuglers Pommersche Kunstgeschichte von 184026 vorbildlich gewesen sein dürfte. Auf der anderen Seite fühlte Lübke von Anfang an das Bedürfnis, das Gesamtgebiet der Kunstgeschichte oder einzelne Epochen oder Gattungen in Synthesen von eher populärwissenschaftlichem Zuschnitt zu behandeln. So erschien 1851 sein erstes Buch Vorschule zur Geschichte der Kirchenbaukunst im Mittelalter – die vier Jahre später publizierte Geschichte der Architektur von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart bedeutete gegenüber diesem Erstlingswerk eine entschiedene Ausweitung der Perspektive, worauf unten näher eingegangen werden soll. 1860 kam Lübkes Grundriss der Kunstgeschichte heraus, seine am stärksten global ausgerichtete Publikation, und 1863 folgte nach dem Muster der Architekturgeschichte eine Geschichte der Plastik.27 Die meisten dieser Werke erschienen in mehreren Auflagen, und sie wurden in verschiedene Sprachen, darunter ins Schwedische und Russische, übersetzt.28 bibliothek vorhanden. Vgl. zu Eitelberger  : Dobslaw 2009. Vgl. den Beitrag von Robert Stalla im vorliegenden Band. 24 Lübke 1879. Im Weimarer Immermann-Nachlass befindet sich das allerdings nur bis zum Jahr 1845 reichende Manuskript dieses Texts  : Weimar, Stiftung Weimarer Klassik, Goethe- und Schiller-Archiv, Nachlass Familie Immermann, ohne Signatur. Es ließ sich nachweisen, dass die Handschrift mit derjenigen in Briefen von Marianne Immermann/Wolff identisch ist. Bis auf einige fortgelassene Namen gibt es keine Unterschiede zwischen dem Manuskript Marianne Wolffs und dem publizierten Text Wilhelm Lübkes. 25 Lübke 1853. Vgl. nun  : Böker 2019. Vgl. auch Schenkluhn 1989. Der Begriff der Hallenkirche ist offenbar bereits kurz nach 1830 im Düsseldorfer Kreis von Schnaase und Immermann aufgekommen. 26 Kugler 1840. Franz Kugler stammte selbst aus Stettin in Pommern. 27 Zu den Handbüchern Lübkes, insbesondere zum Grundriss der Kunstgeschichte  : Karlholm 1996, S. 123 –  126, 132 f. 28 Vgl. dazu das Schriftenverzeichnis in Axtmann, Gawlik 2019, S. 109 – 143.

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Diese vielfältigen Synthesen verhalfen Wilhelm Lübke zu einer Bekanntheit weit über kunsthistorische Fachkreise hinaus, und sie förderten bis zu einem gewissen Grad auch seine Karriere. 1857 wurde er als Nachfolger Wilhelm Stiers zum Dozenten für Architekturgeschichte an der Berliner Bauakademie ernannt, und 1861 folgte er Burckhardt, der an die Universität Basel wechselte, auf dessen Lehrstuhl am Eidgenössischen Polytechnikum in Zürich. Von 1866 bis 1885 lehrte Lübke Kunstgeschichte an der Technischen Hochschule Stuttgart und danach bis zu seinem Tod im Jahre 1893 am Polytechnikum in Karlsruhe,29 wo er auch die Leitung der Kunsthalle übernahm. Eine der größten Leistungen Lübkes besteht darin, das Studium der Kunstgeschichte für Frauen geöffnet zu haben – seine Erfolge bei der weiblichen Zuhörerschaft trugen ihm im deutschen Südwesten allerdings ebenso Anfeindungen ein wie seine nationalliberale politische Haltung und Ausrichtung nach Preußen.30 Es fällt auf, dass Lübke nach den architekturhistorischen Anfängen an der B ­ erliner Bauakademie stets Kunstgeschichte an technischen Hochschulen unterrichtete, wo seine weiten historischen Übersichten ausgesprochen gut zur Ausbildung von Architek­ ten und Ingenieuren geeignet waren. Weniger zuträglich waren sie seiner Reputation in kunsthistorischen Fachkreisen, denn sie passten weder zu der im späteren 19. Jahrhundert zunehmenden Spezialisierung der kunsthistorischen Forschung31 noch zu der gegenläufigen Tendenz zur Überschreitung der engeren Fachgrenzen hin zu Feldern wie der Wahrnehmungspsychologie. Dennoch kann man einigen der synthetischen Handbücher Lübkes eine b­ eträchtliche wissenschaftsgeschichtliche Bedeutung zuerkennen. Dies gilt vor allem für die 1855 publizierte Geschichte der Architektur von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart, auf deren Analyse sich die folgenden Überlegungen konzentrieren sollen.32 Zusammen mit dem im selben Jahr 1855 erschienenen Illustrated Handbook of Architecture von James Fergusson markiert es nichts weniger als den Beginn der modernen Architekturhistoriografie.33 Tatsächlich handelt es sich um die ersten illustrierten Darstellungen der Geschichte der Baukunst von den altorientalischen Kulturen bis in neuere Zeiten in einem über Europa hinausgreifenden geografischen Rahmen. Diese auf eine gleichmäßige Präsentation der bedeutendsten Bauwerke verschiedenster Kulturen und ihrer architekturhistorischen Verknüpfung zielenden Handbücher haben ein methodisches 29 Vgl. Papenbrock 2006, S. 181 f., 189. Nach Papenbrock (S. 182) stand Lübkes Berufung noch in der Tradition der Einflussnahme Schnaases, der für die Berufungen von Alfred Woltmann und Bruno Meyer nach Karlsruhe gesorgt hatte. 30 Informativ zu den Jahrzehnten in Stuttgart und Karlsruhe  : Meier 1985, S. 203 – 212. 31 Lübke kritisierte in einem Brief an Jacob Burckhardt vom 9. Januar 1892 scharf »die kümmerlichste Kleinarbeit und Spezialistik«  ; ähnliche Worte in einem Brief an Gottfried Kinkel vom 14. Juli 1879. Dazu  : Meier 1985, S. 211 f. (Zitat S. 211). 32 Lübke 1855. 33 Vgl. Brouwer 2018  ; Karge 2020/21.

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Muster ausgebildet, dem die meisten architekturhistorischen Überblickswerke bis in die Gegenwart folgen. Von der Kunst- zur Architekturgeschichte  : Lübkes »Geschichte der Architektur« nach dem Vorbild Schnaases

Man kann allerdings den skizzierten Innovationsschub der Zeit um 1855 nicht begreifen, wenn man allein die Werke betrachtet, die ausschließlich der Architekturgeschichte gewidmet sind. Entscheidend für die Herausbildung des neuen wissenschaftlichen Modells ist die Wechselbeziehung von Kunst- und Architekturgeschichte, die Wilhelm Lübke gleich in den ersten Sätzen seiner Geschichte der Architektur thematisiert. Hier bemerkt er ein gravierendes Defizit an Architekturkenntnissen im breiten Publikum, während sich »Malerei und Skulptur […] in weiten Kreisen allgemeiner Theilnahme, wachsenden Verständnisses« erfreuten.34 Dagegen mangele es selbst in gebildeten Kreisen an einem Verständnis der Architektur, obwohl »sie die älteste, allgemeinste und ehrwürdigste unter den bildenden Künsten« sei.35 Vor allem fehle es noch »an einer populären Darstellung der Baugeschichte«36, und diesem Defizit wollte er Abhilfe verschaffen. Mit diesen Worten blendet Lübke kommentarlos die noch recht unprofessionellen Versuche architekturhistorischer Überblickswerke aus, die bereits im Deutschland der 1820er Jahre von Autoren wie Christian Ludwig Stieglitz und Carl Friedrich von Wiebeking unternommen worden waren.37 Stattdessen nimmt er im Vorwort seiner Architekturgeschichte ausdrücklich Bezug auf Franz Kuglers Handbuch der Kunstgeschichte und Karl Böttichers Tektonik der Hellenen (1852), von zentraler Bedeutung aber ist ihm das Vorbild Schnaases, vor allem hinsichtlich der Verbindung der Architekturgeschichte mit der Gesamtentwicklung der Menschheit  : »Dass hierbei die meisterhaften kulturgeschichtlichen Darstellungen, welche Schnaase in seiner ›Geschichte der bildenden Künste‹ gegeben hat, als Anhalt dienten, wird den Kundigen nicht verborgen bleiben.«38 In der Tat lassen sich, was bislang noch nicht bemerkt worden ist, nahezu alle theoretischen Überlegungen in der Einleitung zu Lübkes Architekturgeschichte auf die Schriften Schnaases zurückführen. Diesen Bezug stellt Lübke bei der Definition der Architektur selbst her  : »Die Baukunst ist sonach, um mit Schnaase’s treffendem Worte zu reden, die Darstellung des Schönen in der unorganischen Natur.«39 Die Vorlage findet 34 Lübke 1855, S. V. 35 Ebd. 36 Ebd., S. VI. 37 Wiebeking 1821 – 1825  ; Stieglitz 1827. 38 Lübke 1855, S. VI. Der letzte hier einbezogene Band von Schnaases Geschichte der bildenden Künste war Bd. 4, Abt. 2 zur europäischen Romanik, der 1854 erschienen war. 39 Lübke 1855, S. 3.

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sich in der kunstphilosophischen Einleitung im 1843 erschienenen ersten Band der Geschichte der bildenden Künste  : ,,Sie ist nichts anderes, als die Darstellung des Schönen in der unorganischen Natur. Sie behandelt den Stoff der bildenden Künste, die körperliche und äussere Masse, nach seinen eigenen Gesetzen, regelt und verbindet diese durch den einigen Geist künstlerischer Thätigkeit und stellt so ein Abbild der höhern Weltordnung dar.«40

Diese Definition hatte Jacob Burckhardt, der ebenfalls in freundschaftlichem Kontakt zu Lübke stand, bereits 1844 in seine Baseler Vorlesung zur Geschichte der Baukunst aufgenommen.41 Im Sinne Schnaases führt Lübke weiter aus, dass die Architektur aufgrund der »Gesetze der Schwere und des inneren Zusammenhaltes«, denen sie unterworfen sei, »jene Gesetze zur klareren, schärferen Erscheinung« bringen müsse und so in ­einem deutlichen Gegensatz zum »bunten Teppich des Lebens« stehe, der der Gegenstand der bildenden Künste sei.42 »Diese Gebundenheit an die statischen Gesetze, denen die Baukunst sich nicht zu entziehen vermag, verleiht ihren Schöpfungen den Charakter der Ordnung und Gesetzmässigkeit […].«43 So gewinne die Architektur »mehr als jede andere Kunst den Charakter strenger Objektivität«.44 Mit dieser objektiven Ausrichtung hänge wiederum zusammen, dass die Architektur weniger als andere Künste von der Individualität einzelner Meister geprägt sei, »sondern den Geist einer Zeit, eines Volkes« spiegele, und dieser blitze aus den Formen heraus »wie aus dem Körper die Seele«.45 Diesen Zusammenhang der Architektur mit dem jeweiligen Zeit- und Volksgeist hatte Schnaase bereits in den 1834 erschienenen Niederländischen Briefen skizziert46 und in der Einleitung zu seiner Kunstgeschichte systematisch entwickelt – man kann Lübkes Darstellung als eine prägnante Zusammenfassung der Theorie Schnaases ohne deutliche eigene Akzente bezeichnen. Dies gilt auch für die Ablehnung von Zahlensymbolik als Erklärung für bestimmte Proportionen der Architektur – »nirgend liegt der Geist in solchen Formeln verborgen«47 –, die sich ausführlich bereits in Schnaases 1828 erschienener Rezension von Stieglitz’ Geschichte der Baukunst und dann wieder in der Kunstgeschichte-Einleitung von 1843 findet.48 So ist auch Schnaases allgemeinere 40 Schnaase 1843 – 1864, Bd. 1, S. 54. 41 Vgl. Karge 1996a, S. 405 f., 427. Zum Verhältnis Lübkes zu Jacob Burckhardt  : Meier 1985. 42 Lübke 1855, S. 3. 43 Ebd. 44 Ebd., S. 4. 45 Ebd. 46 Schnaase 1834, passim. Zum Verständnis der zeittypischen Konnotationen des Volksgeistbegriffs  : Karge 1996b. 47 Lübke 1855, S. 4. 48 Schnaase 1828, S. 258 f.; Schnaase 1843 – 1864, Bd. 1, S. 50 – 52.

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These vorbildlich für Lübke  : »Die Kunst stellt überall die Sache selbst dar, das Werk spricht selbst, und es ist ihr entgegen, wenn damit noch ein Sinn verbunden werden soll, der nicht darin liegt.«49 Eine einzige Passage der Einleitung zur Architekturgeschichte dürfte durch Lübkes anderen Mentor, Franz Kugler, inspiriert worden sein. Zu Beginn dieser Einleitung macht sich Lübke Gedanken über die Ursprünge monumentaler Architektur und postuliert eine Ausrichtung früher Gesellschaften auf herausragende Persönlichkeiten  : »Das Andenken solcher Helden zu ehren, thürmte das Volk auf ihren Gräbern mächtige Erdhügel auf oder wälzte kolossale Steinmassen darüber, und es entstanden die ältesten Formen des Denkmales.«50 Diese Formulierung erinnert an den ersten Satz im Haupttext von Kuglers Handbuch der Kunstgeschichte, eine der ganz wenigen theoretischen Äußerungen des Autors  : »Der Ursprung der Kunst liegt in dem Bedürfniss des Menschen, seinen Gedanken an eine feste Stätte zu knüpfen und dieser Gedächtnisstätte, diesem ›Denkmal‹ eine Form zu geben, welche der Ausdruck des Gedankens sei.«51 Der letzte Satz der Einleitung zeigt schließlich, dass Wilhelm Lübke sich auch an dem dritten im Vorwort genannten Werk, der 1852 erschienenen Tektonik der Hellenen von Carl Bötticher52, orientiert hat, denn die von Bötticher postulierte Einheit von Konstruktion und Dekor im griechischen Tempel erschien auch Lübke als Modell guter Architektur, in der die Konstruktion dem Zweck weitestgehend entspreche, indem der Architekt »in einer schönen, klar verständlichen Formensprache den Grundplan und die Konstruktion vor Aller Augen darlegt, dass er durch angemessene Gliederungen das Bauwerk als einen lebendigen Organismus hinstellt, der selbst seine Ornamentik wie durch ein Naturgesetz hervortreibt.«53

Gerade dieses sowohl von den Neugotikern als auch von der klassizistischen Berliner Schule verfochtene Postulat der organischen Architektur mit dem Primat der Konstruktion wurde von Schnaase – ähnlich wie wenig später von Gottfried Semper – kritisch 49 Schnaase 1843 – 1864, Bd. 1, S. 51. Lübke 1855, S. 4, formuliert  : »[N]irgends strebt die wahre Kunst, das Skelett abstrakter Gedanken mit ihren lebensvollen Gliedern zu umkleiden […]«. 50 Lübke 1855, S. 1. 51 Kugler 1842, S. 3. Der Frage des Ursprungs der Kunst in den frühen Kulturen der Menschheit hat sich Schnaase m. W. nie gewidmet. 52 Bötticher 1852. In diesem grundlegenden Werk, das Schinkel und dem Archäologen Carl Otfried Müller gewidmet ist, wird vor allem die konstruktive Seite der griechischen Architektur betont – Gottfried Semper entwickelte wenig später in seinem Hauptwerk Der Stil seine Bekleidungstheorie als Gegenentwurf zu Bötticher. Weiterführend  : Mayer 2004. 53 Lübke 1855, S. 6.

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betrachtet. Lübke dürfte dieser Widerspruch in seinem aus verschiedenen Quellen synthetisierten Theoriegebäude allerdings kaum aufgefallen sein. Lübkes Geschichte der Architektur von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart ist prinzipiell universal ausgerichtet, übernimmt jedoch nicht den radikalen globalen Zuschnitt von Kuglers Handbuch der Kunstgeschichte.54 So finden sich bei Lübke weder Kapitel zur präkolumbischen Kunst Amerikas noch solche zu den Kulturen des Fernen Ostens. Stattdessen folgt Lübkes Architekturgeschichte dem Modell einer Globalität mittlerer Reichweite, das durch Schnaases Geschichte der bildenden Künste vorgegeben war – Kugler selbst übernahm dieses Modell kurz danach ebenfalls in seiner ab 1856 erschienenen Geschichte der Baukunst. So behandelt Schnaase im ersten Band seiner Kunstgeschichte die alten Kulturen in drei großen Einheiten, die von Ost nach West aufgereiht sind  : zuerst die »Kunst der alten Inder«, dann die »Kunst der westasiatischen Völker« – Babylonier, Perser, Phönizier und Juden –, schließlich die »Kunst der Aegypter«. Dies ist nicht als chronologische Abfolge konzipiert – Schnaase war das besonders hohe Alter der ägyptischen Kultur bewusst –, sondern als Präsentation dreier Kulturkreise, die in verschiedenartiger Weise als Fundamente der griechischen Antike verstanden werden konnten. Lübke folgt diesem Konzept, vereinfacht es jedoch zugleich, indem er in vier relativ knappen Kapiteln nacheinander die indische (Abb. 3), die babylonisch-assyrische, die persische und die ägyptische Baukunst behandelt und damit die Architektur der Phönizier und Juden auslässt. In jeder dieser Kulturen, so meint Lübke, sei eine Architektur geschaffen worden, »in der die Besonderheit des jedesmaligen Volksgeistes sich mit aller Schärfe der Einseitigkeit ausspricht.«55 Dieser Gedanke einer »Theilung der Arbeit«56 geht interessanterweise auf Schnaases Frühwerk der Niederländischen Briefe zurück, in dem eine solche Arbeitsteilung der Nationen auf das kulturelle Wechselspiel der Völker Europas bezogen wird.57 Auch der weitere Aufbau der Architekturgeschichte Lübkes orientiert sich an Schnaases Geschichte der bildenden Künste  : Die »klassische Architektur« der Griechen, Etrusker und Römer, die »Uebergangsstufen« der altchristlichen und byzantinischen Baukunst, verknüpft mit den Kirchenbautypen der Basilika und des Zentralbaus, die »muhamedanische Baukunst« und darauf folgend die »christlich-mittelalterliche B ­ aukunst«, gegliedert nach den Baustilen der Romanik und der Gotik. Mit diesem Kapitel überholte Lübke seinen Mentor in gewissem Sinne, denn der Gotikband in Schnaases Monumentalwerk sollte erst 1856 erscheinen. Die komplexe Struktur von Schnaases Bänden zur 54 In seinen späteren Grundriss der Kunstgeschichte (1860) hat Lübke dagegen auch die präkolumbische Kunst Amerikas einbezogen. Weiterführend zu Kuglers Modell der globalen Kunstgeschichte  : Karge 2016a und ausführlich in Karge 2020/21. 55 Lübke 1855, S. 9. 56 Ebd. 57 Schnaase 1834, S. 16. Brief, S. 472-474. Dazu  : Karge 1996b.

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Abb. 3  : Indische Baukunst, Pagode von Madura. Aus  : Wilhelm Lübke  : Geschichte der Architektur, Leipzig 1855, S. 19.

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mittelalterlichen Kunst mit ihrer Dialektik von historischen Epochen und künstlerischen Stilen wurde von Lübke ohnehin nicht übernommen, der sich in dieser Hinsicht an das einfachere stilgeschichtliche Muster Kuglers hielt.58 Für die jüngeren Epochen bildete das knappe Kapitel zur »modernen Architektur« in Kuglers Handbuch der Kunstgeschichte die Grundlage der Darstellung Lübkes  : Die Gliederung ist nahezu identisch, allerdings sorgte Lübke für eine Erneuerung der Termi­nologie, indem er den inzwischen üblich gewordenen Begriff der Renaissance und – in diesem Fall sehr früh – des Barock als Stilbegriff einsetzte, der erstmals 1845 von Franz Mertens im Zusammenhang der Prager Architektur systematisch verwendet worden war.59 Der »Barockstyl« bezeichnet in Lübkes Architekturgeschichte die italienische Baukunst in der weiten Zeitspanne zwischen 1580 und 1800.60 Lübke sieht im 17. Jahrhundert eine »Zeit mächtiger Individuen«, die in den Bildkünsten Italiens, Spaniens und der Niederlande »eine Fülle hochbedeutsamer Leistungen« hervorgebracht habe  ; eben dieser kraftvolle Individualismus habe sich jedoch in der Architektur negativ ausgewirkt.61 Schärfer noch als Jacob Burckhardt im zeitgleich publizierten Cicerone verurteilt er daher den italienischen Barockstil als äußerste »Entartung« des architektonischen Systems der Renaissance  : »Es ist, als ob in jenem Aufbäumen, jenen Schnörkeln und Verrenkungen der Geist der Architektur sich seufzend unter der Hand seiner Peiniger winde.«62 Wie Ute Engel jüngst gezeigt hat, finden sich in Lübkes Handbuch mehrere polemische Einschätzungen der barocken Architektur Italiens, die als Schlagworte besonders in der populärwissenschaftlichen Literatur lange nachgewirkt haben.63 Interessanterweise scheut sich Lübke allerdings, den Barockbegriff auf die Architektur außerhalb Italiens anzuwenden  ; allein die von dem italienischen Architekten Gaetano Chiaveri entworfene Dresdner Hofkirche ist ihm »ein interessantes Beispiel stattlichen Barockstyles«.64 Der Dresdner Zwinger vertritt dagegen »den üppigsten Rokokostyl in glänzendster Weise«65 – der Begriff des Rokoko ist ansonsten allein der französischen Architektur und Ornamentik des 18. Jahrhunderts zugeordnet und wird von Lübke trotz einer gewissen Anerkennung für die »ausgezeichnet schönen Verhältnisse« einiger Bauten 58 Zu den grundlegenden Unterschieden der Werke Kuglers und Schnaases hinsichtlich der Epochen- und Stileinteilung  : Karge 2006, S. 47 – 54  ; Karge 2012. 59 Mertens 1845, bes. S. 34 f. Diese frühe Quelle der Barockkonzeption, auf die sich auch Burckhardt bezogen hat, ist in der wissenschaftsgeschichtlichen Forschung bislang unerkannt geblieben. Näheres in Karge 2020/21. 60 Lübke 1855, S. 367 – 369. 61 Ebd., S. 368. 62 Ebd. 63 Ausführlich zu Lübkes Rezeption des Barockstils  : Engel 2018, S. 159 – 166. 64 Lübke 1855, S. 376. 65 Ebd. Die Verbindung des Dresdner Zwingers mit dem Rokoko französischer Prägung findet sich bereits in Burckhardts 1848 erfolgter Neubearbeitung von Kuglers Handbuch der Kunstgeschichte  ; Burckhardt hat ohnehin den Rokokobegriff im Deutschen wesentlich geprägt. Dazu  : Engel 2018, S. 205 – 210.

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grundsätzlich negativ beurteilt  : »Er ist recht eigentlich der Repräsentant jenes frivolen, üppigen Hoflebens, das von Frankreich aus die Sitten der vornehmen Stände vergiftete.«66 Das letzte Kapitel der Architekturgeschichte Wilhelm Lübkes gilt der »Baukunst im neunzehnten Jahrhundert« und bezieht sich allein auf die aktuellen Entwicklungen in Deutschland. Ähnlich wie bereits Kugler in dem entsprechenden Kapitel über die »Kunstbestrebungen der Gegenwart«, umreißt Lübke auf der einen Seite die Entwicklung der neugotischen (»romantischen«) Kirchenbauten67 und hebt auf der anderen Seite die besondere Leistung Karl Friedrich Schinkels hervor, der die griechischen Formen »in’s Leben« eingeführt habe  : »Nur an einem so streng und einfach organischen Style vermochte die Architektur endlich wieder zum Gefühl des Organischen, zur Ueber­einstimmung von Inhalt und Form, zur klaren, zweckentsprechenden Gestaltung des Details und der Gliederungen zu gelangen.«68 Auf dieser Grundlage habe Gottfried Semper in Dresden »für die Erfordernisse des heutigen Daseins den Renaissancestyl am geeignetsten« gefunden, »die Detailformen desselben jedoch durch griechische Bildungsweise zu veredeln und zu läutern« gesucht. »In diesem Geiste ist manches Bedeutungsvolle geschaffen worden.«69 Eine solche anerkennende Bemerkung über seinen Erzfeind Semper findet sich bei Kugler natürlich nicht.70 Die kritischen, teilweise polemischen Bemerkungen zur französischen Architektur und Kultur im 18. Jahrhundert lassen eine problematische Seite der Persönlichkeit Lübkes zum Ausdruck kommen  : seine Neigung zum Nationalismus. Dass er 1855 die erste professionelle Architekturgeschichte globalen Zuschnitts veröffentlichte, sollte man nicht als Ausweis der Weltläufigkeit verstehen, denn der junge Kunsthistoriker kannte zu diesem Zeitpunkt nicht einmal Frankreich oder Italien aus eigener Anschauung. Lübke gelang es überzeugend, die weitgespannten kunsthistoriografischen Systeme seiner Vorbilder Schnaase und Kugler zu adaptieren und für ein breites internationales Publikum in knapper Form und eleganter Stilistik aufzubereiten. Eigenständig erschlossen hatte er sich dieses Material nur zum geringsten Teil. Französische und deutsche Renaissance

Jenseits dieser Synthesen einer globalen Kunst- und Architekturgeschichte entwickelte Lübke im Laufe seines Lebens eine immer stärkere nationale Perspektive. Schon früh finden sich Zeugnisse einer ausgeprägten Antipathie gegenüber Frankreich, so etwa in 66 Lübke 1855, S. 373. Vgl. zum Neurokoko  : Stalla 2014. 67 Lübke 1855, S. 378 – 380. 68 Ebd., S. 378. 69 Ebd.; vgl. Karge 2007. 70 Semper und Kugler lieferten sich über Jahrzehnte einen erbitterten Streit über die Polychromie der antiken Bauten und Skulpturen  ; vgl. dazu Karge 2019, S. 19 – 23.

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scherzhaftem Ton in einem Brief vom 24. September 1854 an Hermann Kestner, der gerade seine Hochzeitsreise im Elsass erlebte  : »So recht  ! Es ist und bleibt doch eine Schande, daß das urdeutsche Land uns entrissen ist  : Du hast jetzt mit seiner Wiedereroberung den Anfang gemacht, und was für einen glorreichen Anfang   ! Mögen Tausende braver, deutscher Jünglinge Dir folgen, und die alte Schmach wird ausgewetzt sein, der befleckte Ehrenschild Deutschlands wieder spiegelblank glänzen  !«71

Vor diesem Hintergrund ist es allerdings bemerkenswert, dass Lübke 1868 eine profunde Geschichte der Renaissance Frankreichs vorzulegen vermochte und damit ein kunsthistorisches Feld bestellte, das in Deutschland zuvor höchstens am Rande berührt worden war.72 (Abb. 4) Einer seiner größten Erfolge war jedoch die 1873 veröffentlichte Geschichte der deutschen Renaissance, die mit einem Hymnus auf die »Renaissance des deutschen Geistes« beginnt  : »›O Jahrhundert, die Geister erwachen, die Studien blühen  : es ist eine Lust zu Abb. 4  : Wendeltreppe im Schloss zu Blois. Aus  : Wilhelm Lübke  : Geschichte der Renais­ leben  !‹ Mit diesem Jubelruf begrüsst Ulrich sance Frankreichs, Stuttgart 1868, Fig. 3 bei von Hutten das Zeitalter der Renaissance in S. 24. Deutschland. Und in der That  : eine gewaltigere Epoche tiefer Erregung, völliger Neugestaltung hat das deutsche Volk nimmer gesehen.«73 Die Parallele zur gründerzeitlichen Gegenwart – das Deutsche Kaiserreich war zwei Jahre zuvor nach dem Sieg über Frankreich im Spiegelsaal von Versailles gegründet worden – liegt auf der Hand, und das von Lübke neu erschlossene Material der Renais­ sancebauten nördlich der Alpen (Abb. 5) hat offensichtlich dazu beigetragen, die Welle 71 Lübke 1895, S. 187 – 189, hier S. 187. 72 Lübke 1868  ; erschienen in der Fortsetzung von Kuglers Geschichte der Baukunst. Zur Entwicklung der Renaissance-Vorstellungen in Frankreich und Deutschland  : Karge 2016b. 73 Lübke 1873, Bd. 1, S. 3. Die in der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe verwahrten Notizbücher Lübkes zeugen von zahlreichen Reisen durch Deutschland, auf denen der Kunsthistoriker recht viele Skizzen sowohl von mittelalterlichen als auch von Renaissancebauten anfertigte.

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Abb. 5  : Schlosshof zu Torgau. Aus  : Wilhelm Lübke  : Geschichte der deutschen Renaissance, 2. Aufl., Stuttgart 1882, Bd. 2, Fig. 324.

der gebauten deutschen Neorenaissance in Schwung zu bringen.74 Ralf Mennekes hat darauf hingewiesen, dass Lübkes Prägung eines neuen Stilbegriffs der »deutschen Renais­sance« – im Unterschied zur bloßen »Renaissance in Deutschland« – höchst einflussreich gewesen sei  : »Der erste Schritt war getan, die deutsche Renaissance nicht mehr als bloße Variante der Renaissance aufzufassen, sondern ihr einen eigenen Charakter zuzuschreiben.«75 Daneben ist jedoch festzuhalten, dass Lübke in seinen späteren Jahren, wie auch aus der Gliederung seiner Vorlesungen76 hervorgeht, ganz allgemein ein glühender Verfechter der Renaissancekunst gewesen ist. So sah er in der Geschichte der deutschen Renaissance den Renaissancestil als denkbar größten Gegenpol zur überwundenen Gotik  : »In dem Kampfe des neuen Stiles mit den Formen der mittelalterlichen Kunst erkennen

74 Vgl. dazu  : Mennekes 2005. 75 Mennekes 2005, S. 391 f., hier S. 392. 76 Vgl. den Beitrag von Alexandra Axtmann in diesem Band.

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wir den Kampf zweier entgegengesetzter Weltanschauungen.«77 Damit vertrat Lübke schließlich doch eine Auffassung, die im Gegensatz stand zu einer grundlegenden These seines Mentors Karl Schnaase, denn dieser hatte stets betont, dass die Neuerungen der Renaissance nur aus den Voraussetzungen der mittelalterlichen Kultur heraus zu begreifen und teilweise auch von dieser geprägt gewesen seien.78 Eine seiner letzten Schriften war ein 1874 erschienener Aufsatz zur deutschen Renaissance »mit Bezugnahme auf Lübke’s Geschichte derselben«, und in diesem hob Schnaase bei aller Anerkennung der Leistung Lübkes noch einmal seine Position hervor, »daß die wahre Regeneration der Kunst nicht durch einseitige leidenschaftliche Nachahmung der Antike, sondern nur durch die Vereinigung aller Quellen des abendländischen Lebens, durch die Verbindung des Antiken und des Mittelalterlichen erlangt werden könne.«79 Literatur Axtmann, Gawlik 2019 – Alexandra Axtmann, Ulrike Gawlik  : Aspekte der Biografie Wilhelm Lübkes und seines wissenschaftlichen Werdegangs, in  : Dies. (Hg.)  : Wilhelm Lübke (1826 –  1893). Aspekte seines Lebens und Werkes, Karlsruhe 2019, S. 7 – 44. Betthausen 1999 – Peter Betthausen  : Lübke, Wilhelm, in  : Ders., Peter H. Feist, Christiane Fork  : Metzler Kunsthistoriker Lexikon. Zweihundert Porträts deutschsprachiger Autoren aus vier Jahrhunderten, Stuttgart, Weimar 1999, S. 249 – 251. Bickendorf 2007 – Gabriele Bickendorf  : Die »Berliner Schule«. Carl Friedrich von Rumohr (1785 –  1843), Gustav Friedrich Waagen (1794 – 1868), Karl Schnaase (1798 – 1875) und Franz Kugler (1808 – 1858), in  : Ulrich Pfisterer (Hg.)  : Klassiker der Kunstgeschichte, Bd. 1 – 2, München 2007 – 2008, Bd. 2  : Von Winckelmann bis Warburg, München 2007, S. 47 – 60. Böker 2019 – Johann Josef Böker  : Wilhelm Lübkes ›Die mittelalterliche Kunst in Westfalen nach den vorhandenen Denkmälern‹, in  : Alexandra Axtmann, Ulrike Gawlik (Hg.)  : Wilhelm Lübke (1826 – 1893). Aspekte seines Lebens und Werkes, Karlsruhe 2019, S. 45 – 77. Bredekamp, Labuda 2010 – Horst Bredekamp, Adam S. Labuda (Hg.)  : Kunstgeschichte, Universität, Museum und die Mitte Berlins 1810 – 1873, in  : Dies. (Hg.)  : In der Mitte Berlins. 200 Jahre Kunstgeschichte an der Humboldt-Universität, Berlin 2010, S. 35 – 54. Brouwer 2018 – Petra Brouwer  : The Pioneering Architectural History Books of Fergusson, Kugler, and Lübke, in  : Getty Research Journal 10 (2018), S. 105 – 120. Burioni 2016 – Matteo Burioni (Hg.)  : Weltgeschichten der Architektur. Ursprünge, Narrative und Bilder 1700 – 2016, Ausstellungskatalog München, Passau 2016. Dobslaw 2009 – Andreas Dobslaw  : Die Wiener »Quellenschriften« und ihr Herausgeber Rudolf Eitelberger von Edelberg. Kunstgeschichte und Quellenforschung im 19. Jahrhundert, Berlin, München 2009.

77 Lübke 1873, Bd. 1, S. 46. Vgl. mit weiteren Zitaten  : Mennekes 2005, S. 391. 78 So schon in den Niederländischen Briefen. Schnaase 1834, S. 217 f. 79 Schnaase 1874, S. 214. Vgl. auch Mennekes 2005, S. 392.

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Universale und nationale Kunstgeschichte an Technischen Hochschulen

and Popular Account of the Different Styles of Architecture Prevailing in All Ages and Countries, 2 Bde., London 1855. Kugler 1840 – Franz Kugler  : Pommersche Kunstgeschichte. Nach den erhaltenen Monumenten dargestellt, Stettin 1840. Kugler 1842 – Franz Kugler  : Handbuch der Kunstgeschichte, Stuttgart 1842. Kugler 1856 – 1859 – Franz Kugler  : Geschichte der Baukunst, 3 Bde., Stuttgart 1856 – 1859. Lübke 1853 – Wilhelm Lübke  : Die mittelalterliche Kunst in Westfalen. Nach den vorhandenen Denkmälern dargestellt, Text- u. Bildbd., Leipzig 1853. Lübke 1855 – Wilhelm Lübke  : Geschichte der Architektur von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart, Leipzig 1855. Lübke 1860a – Wilhelm Lübke  : Grundriss der Kunstgeschichte, Stuttgart 1860. Lübke 1860b – Wilhelm Lübke  : Reisenotizen über die mittelalterlichen Kunstwerke in Italien, in  : Mittheilungen der Kaiserl. Königl. Central-Commission zur Erforschung und Erhaltung der Baudenkmale 5 (1860), 4 – 8, S. 112 – 120, S. 134 – 140, S. 160 – 173, S. 191 – 203, S.  222 – 231. Lübke 1863 – Wilhelm Lübke  : Geschichte der Plastik von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart, Leipzig 1863. Lübke 1868 – Wilhelm Lübke  : Geschichte der Renaissance Frankreichs, Stuttgart 1868. Lübke 1873 – Wilhelm Lübke  : Geschichte der deutschen Renaissance, Stuttgart 1873. Lübke 1875 – Wilhelm Lübke  : Karl Schnaase, in  : Zeitschrift für bildende Kunst 10 (1875), S.  289 – 301. Lübke 1879 – Wilhelm Lübke  : Carl Schnaase. Biographische Skizze, in  : Wilhelm Lübke (unter Mitwirkung von Oscar Eisenmann) (Hg.)  : Carl Schnaase  : Geschichte der bildenden Künste im 15. Jahrhundert, Stuttgart 1879, S. XVII–LXXXIV. Lübke 1891 – Wilhelm Lübke  : Lebenserinnerungen, Berlin 1891. Lübke 1895 – Wilhelm Lübke  : Briefe von W. Lübke an H. Kestner aus den Jahren 1846 – 1859, hg. v. seiner Gattin, Karlsruhe 1895. Mertens 1845 – Franz Mertens (gez. F. M.)  : Prag und seine Baukunst, in  : Allgemeine Bauzeitung 10 (1845), S. 15 – 38. Petzet 1916 – Erich Petzet (Hg.)  : Der Briefwechsel von Jakob Burckhardt und Paul Heyse, München 1916. Schnaase 1828 – Karl Schnaase, Rezension von  : Christian Ludwig Stieglitz, Geschichte der Baukunst vom frühesten Alterthume bis in die neuern Zeiten, Nürnberg 1827, in  : Berliner Conversationsblatt für Poesie, Literatur und Kritik 60 – 63, 65 (1828), S. 238 f., S. 243 f., S. 248, S. 251 f., S. 257–260. Schnaase 1834 – Karl Schnaase  : Niederländische Briefe, Stuttgart, Tübingen 1834  ; Neuedition  : Niederländische Briefe. Mit einer Einleitung und einem Themenverzeichnis, hg. v. Henrik Karge, Hildesheim, Zürich, New York 2010. Schnaase 1843 – 1864 – Carl Schnaase  : Geschichte der bildenden Künste, 7 Bde., Düsseldorf 1843 – 1864. Schnaase 1858 – Carl Schnaase  : Archäologischer Rückblick auf das Jahr 1857, in  : Deutsches Kunstblatt 9 (1858), S. 144 – 148, S. 170 – 175. Schnaase 1860 – Karl Schnaase  : Zur Kunstgeschichte von Oberitalien, in  : Mittheilungen der

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Henrik Karge

Kaiserl. Königl. Central-Commission zur Erforschung und Erhaltung der Baudenkmale 5 (1860), 1, S.  1 – 10. Schnaase 1866 – 1876 – Carl Schnaase  : Geschichte der bildenden Künste, 7 Bde., 2. Aufl., Düsseldorf 21866 – 1876. Schnaase 1874 – Carl Schnaase  : Die deutsche Renaissance. Mit Bezugnahme auf Lübke’s Geschichte derselben, in  : Zeitschrift für bildende Kunst 9 (1874) S. 203 – 214. Schnaase 1879 – Carl Schnaase  : Geschichte der bildenden Künste im 15. Jahrhundert, hg. v. Wilhelm Lübke unter Mitwirkung von Oscar Eisenmann, Stuttgart 1879. Stieglitz 1827 – Christian Ludwig Stieglitz  : Geschichte der Baukunst vom frühesten Alterthume bis in die neuern Zeiten, Nürnberg 1827. Wiebeking 1821 – 1825 – Carl Friedrich von Wiebeking  : Theoretisch-practische bürgerliche Baukunde durch Geschichte und Beschreibung der merkwürdigsten Baudenkmahle und ihrer genauen Abbildungen bereichert, 6 Bde., München 1821 – 1825.

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Freund und Mittler des Schönen  : Prof. Dr. Johann Georg Schaefer (1823 – 1908) Betrachtungen zu Leben und Werk

Johann Georg Schaefer (1823 – 1908), Historiker, wurde nach seiner Beschäftigung als Hofmeister des Fürsten Hohenzollern-Sigmaringen und einer mehrjährigen Phase ­einer autodidaktischen Aneignung der Kunstgeschichte als Kunstsammler und Denk­ mallobbyist im Großherzogtum Hessen als Gründungsprofessor für das Fach Kunstge­ schichte an die spätere TH Darmstadt berufen. Schaefer folgte einem von den Nazare­ nern geprägten Kunstideal und gilt als einer der maßgeblichen Vertreter eines eigenen karolingischen Stilbegriffs in Bau- und Zierkunst. Der Entdecker der Einhard-Basilika von Michelstadt-Steinbach war Initiator der ersten systematischen Kunstdenkmälerin­ ventarisation in Hessen.

Zu Unrecht ist Georg Schaefer (1823 – 1908, Abb. 1) nahezu in Vergessenheit geraten. Immerhin war er der erste Ordinarius für Kunstgeschichte an der 1877 zur Technischen Hochschule avancierten und 1899 mit Promotionsrecht ausgestatteten Polytechnischen Schule in Darmstadt.1 Ab 1878 war er Initiator und in den Folgejahren der Verfasser der ersten drei Bände des ersten umfangreichen Kunstdenkmälerinventars des Großherzogtums Hessen, des Weiteren ein bedeutender Kunstsammler (wenngleich auch nicht zu verwechseln mit seinem weitaus prominenteren Schweinfurter Namensvetter, dem Unternehmer und Kunstsammler Georg Schäfer) und gefragter Experte ›altdeutscher‹ Meister. Schließlich dürfen wir in ihm einen der Pioniere der Vorstellung von einem spezifisch karolingischen Stilbegriff in Zier- und Baukunst erblicken. Mit dieser Studie soll der Versuch einer etwas detaillierteren Biografie und einer ersten Würdigung der wissenschaftlichen Leistungen Georg Schaefers unternommen werden.2

1 Vgl. hierzu die Texte von Christiane Salge und Maike Banaski in diesem Band. 2 Die überaus inspirierende Wiener Tagung ›Kunstgeschichte an Polytechnischen Instituten, Technischen Hochschulen, Technischen Universitäten. Geschichte – Positionen – Perspektiven‹ vom 10. bis 12. Januar 2019 bot willkommene Gelegenheit zu einem dringend notwendigen Ersatz meines ersten, unbeholfenen Versuchs zu Schaefers Leben und Werk  : Schefers 1986. Der nun vorzulegende Beitrag verarbeitet überdies auch viele Hinweise und Anregungen, für die ich stellvertretend für so viele insbesondere Frau Prof. Dr. Christiane Salge (Darmstadt) und Frau Maike Banaski M. A. (Frankfurt am Main) danken möchte.

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I. Frühe Jahre und erste Prägungen (1823 – 1848)

Georg Schaefer stammte aus einer Familie, die sich aus einfachsten Anfängen in Detten­ see im Südosten des heutigen Landkreises Freuden­stadt (Nordschwarzwald) durch handwerklichen Fleiß, aber auch durch r­äumliche Mobilität stetig nach oben gearbeitet hatte. Georgs Großvater Franz Xaver Schaefer (1742 bis nach 1811) gehörte zu den vielen Migranten aus dieser Armutsregion, die im Rhein-Main-Gebiet auf ersprießlichere Perspektiven hofften, als sie ihnen in ihrer Heimat gegeben schienen. Der Wirtschaftsflüchtling Franz Xaver fand Ausbildung und Arbeit bei ­einem hugenottischen Glaubensflüchtling aus Frankreich, dem Samtweber Jean Hammart (1713 – 1791) in Offenbach am Main, das damals zur Herrschaft Isenburg gehörte. Als Gattin führte der katholische Franz Xaver die Tochter eines calvinistischen PfeifenröhrenmaAbb. 1  : Johann Georg Schaefer. Aufnahme chers vom anderen, kurhessischen Mainufer des Ateliers Backofen (Darmstadt) ohne heim, um schließlich irgendwann nach 1797 Jahr, vermutlich von 1880. Archiv des Autors. in das durch den Frieden von Campo Formio Frankreich zugeschlagene Mainz zu wechseln, wo Gewerbefreiheit und Aufhebung des Zunftzwangs lockten. Hier finden wir Franz Xaver als Plüschweber zum letzten Mal 1811 in einem standesamtlichen Dokument. Franz Xavers Sohn, Martin Schaefer (1782 – 1854), ist noch in Offenbach geboren, nach calvinistischem Ritus getauft worden, bevor er in Mainz im städtischen Holz-Großhandel und der aufstrebenden Möbelindustrie gutes Geld verdiente und weitreichende Geschäftskontakte pflegte. Er legte Wert auf einen bürgerlichen, streng religiös orientierten Lebensstil, sprach mit seinen Kindern bei Tisch nur französisch und unterrichtete sie, da ihn der von den Kultusbehörden des jungen Großherzogtums Hessen angebotene Lehrstoff der katholischen Volksschulen nicht zu überzeugen vermochte,3 zu Hause, wobei er den Naturwissenschaften, Latein und Religion besondere Aufmerksamkeit zugestand, auch für die Mädchen.4 Er ermöglichte seinen beiden Söhnen eine humanistisch-gymnasiale Bildung 3 Kozelka 1925, S. 9. 4 Anonyma 1916, S. 272 f.: »A l’école paternelle, les six enfants qui composaient la famille apprirent de

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und, wie auch zweien seiner Töchter, längere Aufenthalte in französischen Pensionaten in der Schweiz und in Frankreich. Martin Schaefer war, in welcher Form auch immer, wieder in den Schoß der katholischen Kirche zurückgekehrt, und nicht nur das  : Er übertrug das asketische, von ständig schuldbewusster Gewissenserforschung geprägte Modell jesuitischer Frömmigkeit auf seine Familie. Georg Schaefer, geboren am 16. April 1823 in Mainz, besuchte nach dem väterlichen Privatunterricht das Gymnasium in Mainz, verbrachte zwei Jahre in einem jesuitischen Pensionat im französischen Angers, kehrte dann nach Mainz zurück und machte hier vermutlich 1842 sein Abitur.5 Der väterliche Katholizismus wurde auch ihm zum Maßstab – man kann sagen  : ein Leben lang und alle Lebensbereiche durchdringend, am auffälligsten sicherlich in seiner politischen Orientierung, die wir vom Revolutionsjahr 1848 an verfolgen können. Schaefer war ein Anhänger der großdeutschen Reichsidee, hing sein Leben lang dem Zentrum an, war ein eifernder Gegner des bismarckschen Kulturkampfs und orientierte sich gesellschaftlich vor allem am katholischen Niederadel, der eine auffällige Rolle im sonst protestantischen Beamtenapparat des Großherzogtums spielte,6 und hegte besondere Sympathien für zum Katholizismus Konvertierte  : Hinzuweisen wäre hier vor allem auf den engeren Kreis um die Königin von Sachsen, Carola geb. Wasa-Holstein-Gottorp (1833 – 1907), auf das Umfeld des Nazarenermalers und Enkels Moses Mendelssohns (1726 – 1786), Philipp Veit (1793 – 1877), aber auch schon auf Friedrich von Schmidt (1825 – 1891), den späteren Wiener Dombaumeister und engsten Freund Schaefers. Auch die Kunst wird aus diesem, und nur aus diesem Blickwinkel wahrgenommen  : Für Schaefer, und dies wird aus seiner 1877 gehaltenen Grabrede für den Maler Philipp Veit deutlich, besteht vollendete Kunst in der Verschmelzung katholischer Spiritualität und germanisch-deutscher Innigkeit – von der Zeit der Karolinger über die Gotik zur Kunst der Präraffaeliten und altdeutschen Meister, ihre Vollendung aber im Werk der von Idealismus durchglühten Lukasbrüder, die wir heute besser als Nazarener kennen, zu denen und deren Epigonen Schaefer zahlreiche Kontakte pflegt. Italia und Germania.7 Der krasse Gegenentwurf dazu ist nicht etwa der Barock, mit dessen Daseinsbonne heure la crainte et l’amour de Dieu, dans les principes d’une piété éclairée ainsi que l’attachement à la Ste Église et le respect de toute autorité légitime. Autant que ses occupations le lui permettaient, M. Schæfer prenait une part directe aux premières études de ses enfants, leur enseignant les éléments des sciences et langues étrangères, sourtout le latin et le français. ›En fait d’éducation, toujours le meilleur‹, tel était le principe suivi par ce père modèle, fût-ce au prix du sacrifice et de la separation.« 5 Schefers 1935, S. 3. 6 Zu denken ist an die Familien von Biegeleben, von Hertling, von Krane, von Briesen und andere mehr. 7 Schaefer 1877. Bei dem genannten Gemälde handelt es sich um  : Friedrich Overbeck, Italia und Germania, 1828, Öl auf Leinwand, 94,5 × 104,7 cm, Bayerische Staatsgemäldesammlungen – Neue Pinakothek München, Inventarnummer  : WAF 755, URL  : https://www.sammlung.pinakothek.de/de/bookmark/art work/QKGBzA2zGB (19. April 2020).

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berechtigung auch in Fragen der Denkmalpflege sich Schaefer leidlich zurechtfindet, sondern der Klassizismus als Stil des immer wieder heraufbeschworenen und doch abgeschüttelten »gallischen Joches«. Schaefers Tochter Agnes (1864 – 1939) schreibt, ihr Vater habe nach seinem glänzenden Mainzer Abitur in Gießen studiert und sich dort zum Doktor der Philosophie promoviert.8 Beides stimmt  : Im Wintersemester 1844/1845 sehen wir Georg tatsächlich in Gießen als Student der philosophischen Fakultät eingeschrieben, aber ohne Angabe der genaueren Fachrichtung und ohne Zweifel auch nur dieses eine Wintersemester.9 In Gießen hätte er bei dem nur sechs Jahre älteren Privatdozenten Moritz Carrière (1817 – 1895) Allgemeine Kunstgeschichte und Aesthetik hören können,10 oder bei Hugo von Ritgen (1811 – 1889), dem Wiedererbauer der Wartburg (seit 1835). Wir wissen bis heute nicht, wo und was er davor oder auch danach bei wem studiert hat. Sein Sohn Karl merkt in seinen Lebenserinnerungen an, sein Vater habe Geschichte und Sprachen studiert und sich erst später, als Autodidakt, seine kunsthistorischen Kenntnisse angeeignet.11 Der Erwerb des Doktortitels Ende 1851 geschieht in absentia, wir hören nichts von einer Dissertation oder einer Doktorprüfung.12 Seine wenigen historischen Arbeiten verraten eine solide philologische Schulung  ; Schaefer beschäftigt sich mit hochmittelalterlichen Überlieferungen des Klosters Lorsch13 ebenso wie mit spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Akten der Kirche von Nierstein  ;14 gerade in der Mediävistik haben wir ganz offensichtlich keinen vollständigen Autodidakten vor uns. Als Freunde aus Jugendzeiten bezeichnet Schaefer selbst den Bildhauer Christian Mohr (1823 – 1888)15 und den Steinmetzen und späteren Star-Architekten und NeoGotiker von Schmidt.16 Die frühen Spuren beider führen nach Köln auf die Baustelle des Kölner Doms in die Zeit um 1850. Welche Rolle gerade diese Baustelle als Impulsgeber für die deutsche Kunstgeschichte und vor allem für die vielen Vollendungen und Rekonstruktionen namentlich gotischer Bauwerke in Deutschland und darüber hinaus gespielt hat, bedarf hier keines näheren Eingehens. Für die Biografie Schaefers,   8 Schefers 1935, S. 3. Grossherzoglich Hessisches Regierungsblatt 24/1852, S. 180  ; Universität Gießen, Dekanatsbuch Phil. C 4/Bd. 3.   9 Kössler 1976, S. 162. 10 Vorlesungsverzeichnis der Universität Gießen, Wintersemester 1844/45, S. 5 – 8. 11 Schaefer 1916/17, S. 89. 12 Diese Möglichkeit gab es in Gießen bis 1862  ; Grossherzoglich Hessisches Regierungsblatt 24/1852, S. 180  ; Universität Gießen, Dekanatsbuch Phil. C4/Bd. 3  ; Neubert 1905, Sp. 1239 f. gibt die Information, dass die Promotion im Fach Geschichte erfolgt sei  : »promovierte 1851 als Historiker«. 13 Schaefer 1874a  ; vgl. Schaefer 1874b. 14 Schaefer 1868, S. 41 – 55. 15 Schaefer 1906, S. 12  : »[…] meinem unvergesslichen Jugendfreund und Dombildhauer […] Christian Mohr«. 16 Schaefer 1898, S. 209 (Fußnote)  : »Der Tod trat dazwischen […] und löste die irdischen Bande einer vierzigjährigen Freundschaft«.

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die in den vierziger Jahren sehr lückenhaft ist, mag die Begegnung mit dem (Kunst-) Handwerk prägend gewesen sein, die Schaefer einen nicht unerheblichen Sachverstand eintrug. Nach dem Studium sehen wir Georg Schaefer als Fünfundzwanzigjährigen aus wirtschaftlichen Gründen wohl etwas halbherzig eine journalistische Betätigung einschla­ gen  : Er wurde zweiter Redakteur einer der ältesten deutschen Zeitungen, der Ober­post­ amtszeitung in Frankfurt am Main.17 Das war 1848 und Georg Schaefer soll eifriger Gast der Besuchertribüne der Paulskirche gewesen sein. Sein Blatt stand dem von Heinrich von Gagern (1799 – 1880) geführten ›Casino‹ nahe,18 in dem bekanntlich verschiedene Strömungen zusammentrafen  ;19 zusätzlich gab es katholische Zirkel und Salons,20 in denen Schaefer verkehrt haben dürfte. In diese Zeit gehen seine Verehrung für spätere Zentrums-Größen, aber wohl auch für Veit zurück, der seit 1830 als Direktor dem Städel vorstand und einen viel besuchten Salon führte.21 Der Journalistenberuf lag Schaefer nicht. Im Herbst 1848 traf er in einem Frankfurter Hotel mit einem Baron von Straßberg zusammen, der angab, im Auftrage des Fürsten Carl Anton von Hohenzollern-Sigmaringen (1811 – 1885) nach einem Erzieher für die Kinder des Fürsten zu suchen. Schaefer bewarb sich und bekam die Stelle, die er im Januar 1849 antrat. Und als er auf Schloss Krauchenwies dem Fürsten ein erstes Mal gegenübertrat, stellte sich heraus, dass Carl Anton kein anderer war als eben jener Baron von Straßberg  ! Seinen Arbeitsvertrag unterschrieb Georg Schaefer nicht etwa als Redakteur, sondern als »Privatgelehrter aus Mainz« am 1. Januar 1849.22 II. In fürstlichen Diensten (1849 – 1859)

Fürst Carl Anton hatte in jenen Tagen, die für Georg so folgeträchtig sein sollten, in Frankfurt mit von Gagern über eine »Abtretung der Regierung seines Fürstentums an 17 Schefers 1935, S. 3 f. (»Die wenig günstigen Vermögensverhältnisse machten es notwendig, in Brot und Stellung zu kommen«), und Darmstädter Zeitung vom 22. August 1908. Als Redakteur der Oberpostamtszeitung hat sich Schaefer bisher nicht nachweisen lassen. 18 Bundesarchiv Frankfurt am Main (Dr. Hans Schenk), Auskunft vom 11. Juli 1988. 19 Roth 1996, S. 346 – 355. 20 So etwa der intrafraktionelle ›Katholische Klub‹, eine der Keimzellen des Zentrums, die katholische Gruppe des ›Pariser Hofes‹ (einer Abspaltung des Casinos) und der Salon Philipp Veits. Hierzu u. a.: von Steinle 1896, S. 56  ; oder Suhr 1977, S. 56. 21 Ebd. 22 Staatsarchiv Sigmaringen, Bestand Hofverwaltung NVA 15302, Gen. Rubrik No. 11  ; Kremnitz 1894, S. xx–xxi, notiert dazu  : »Die Wahl des Fürsten fiel auf einen ihm von vielen Seiten empfohlenen jungen Mann, der seinen Erwartungen zu entsprechen schien  ; derselbe hatte nach Beendigung seiner Studien sich der journalistischen Thätigkeit zugewandt, er beherrschte, was an einem Hofe immer eine Art Wichtigkeit hat, die französische Sprache und nahm den Fürsten durch seine liberalen Ansichten ein.«

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die Reichsregierung von Frankfurt« verhandelt  ;23 der revolutionäre Verlauf der Ereig­ nisse ließ ihn davon wieder Abstand nehmen und die Herrschaft über sein Fürstentum dem König von Preußen antragen. Schaefer erlebte diesen geschichtsträchtigen Moment in Sigmaringen, wo es ihm aufgetragen war, in erster Linie Prinz Karl (1839 –  1914)24 zu unterrichten, zeitweise die Prinzen Anton (1841 – 1866)25 und ­Friedrich (1843 – 1904)26 »in ihren Lernbeschäftigungen zu überwachen« und Prinzessin Stepha­ nie (1837 – 1859)27 »in der deutschen Sprache zu unterweisen«.28 Schaefer arbeitete an einer Monografie über die Geschichte der Hohenzollern im Mittelalter und erschloss sich dabei sowohl das Archiv des Fürsten, seine Bibliothek, als auch die Kunstsammlungen,29 an deren erster musealen Präsentation er mitgewirkt hat.30 1859 legte er das Ergebnis seiner Studien in Form einer mächtigen, französisch geschriebenen und in Paris verlegten Monografie vor.31 Viel Zeit war ihm in Sigmaringen nicht beschieden. Carl Anton bekam als preußischer General ein Kommando in Neiße (Nysa), die Familie begab sich bereits 1850 nach Dresden, wo die drei Prinzen Karl, Anton und Friedrich zusammen mit ihrem 1853 in den Stand der Ehe getretenen Hofmeister, dessen junger Frau, einer Köchin, einem fürstlichen Diener und Kutscher sowie einer Nichte Schaefers geräumige Wohnungen an der Bautzener Straße, später in der Königsbrücker Straße bezogen. Zu den Dresdner Freunden und Bekannten gehörten Gustav Friedrich Held (1804 – 1857), 1848 kurze Zeit sächsischer Ministerpräsident, der Archidiakon Louis Bernhard Rüling (1822 – 1896) und der bekannte Organist und Komponist Edmund Kretschmer (1830 – 1908), mit dem Schaefer ein Leben lang in Verbindung blieb. Schaefers Erziehungsstil erscheint uns heute extrem patriarchalisch, autoritär, stark ritualisiert, aus der Sicht der Zeit aber auffallend ›demokratisch‹-bürgerlich, das Selbstund Standesbewusstsein stärkend, die eigene Reflexion immer wieder herausfordernd. Der Fürst bestand auf einem strengen Unterricht, der dazu führte, dass die Zöglinge ihre Schulzeit, die sie mit weiteren Privatlehrern und einigen Wochenstunden im Vitz­ thumschen Gymnasium verbrachten, als »freudlos« empfanden.32 23 Zingeler 1911, S. 32. 24 Prinz Karl wurde 1866 Fürst und 1881 erster König von Rumänien. 25 Prinz Anton starb 1866 an den Folgen seiner bei der Schlacht von Königgrätz erlittenen Verletzungen. 26 Prinz Friedrich schlug eine Militärkarriere ein. 27 Prinzessin Stephanie heiratete 1858 König Pedro V. von Portugal. 28 Staatsarchiv Sigmaringen, Bestand Hofverwaltung NVA 15 302. 29 Kaufhold 1969, S. 36 f. 30 Quartalblätter des historischen Vereins für das Großherzogthum Hessen (QuBl) 2 – 4/1866, S. 12. 31 Schaefer 1859. Das Werk umfasst 390 Druckseiten und mehrere Stiche des französischen Kupferstechers S. Huyot. 32 Kremnitz 1894, S. 23  : »Der Erzieher führte ein strenges Regiment, und Prinz Karls Lernjahre würden freudlos gewesen sein, wäre nicht sein weiches Gemüt durch den Verkehr mit den Eltern … beglückt gewesen.« Lindenberg 1906, S. 10  : »Der Erzieher hatte seine Aufgabe streng erfasst und stellte grosse Anforderungen an seine Zöglinge. Von dem demokratischen Zuge der Zeit war auch er durchdrungen, denn

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Schaefer hatte sich 1852 in Mainz verlobt und heiratete 1853 in Dresden Maria Finck (1831 – 1889), die ältere Tochter des Kaufmanns Philipp Finck (1800 – 1884), der mit dem Handel von Kaffee und Zucker en gros ein beträchtliches Vermögen aufgebaut hatte und seit einigen Jahren mit der Einrichtung eines großen Gutsbetriebs mit Acker-, Vieh-, vor allem aber Weinwirtschaft in Nierstein am Rhein beschäftigt war.33 Seine Frau, Anna Finck, geb. Gergens (1804 – 1897), war die Tochter des kurmainzischen Ingenieurs, Mathematikprofessors und Genieobristen Peter Gergens (1764 – 1816). Die Ehe Schäfers war mit vier Kindern gesegnet  : Maria (1854 – 1944) und Karl (1855 – 1943) wurden noch in Dresden geboren, mit einigem Abstand folgen Agnes (1864 – 1939) und Philipp Otto (1868 – 1947). 1856 zog Schaefer von Dresden nach Düsseldorf. Der Fürst hatte dort das Schloss Jägerhof als Residenz bezogen  ; Georg wohnte mit seiner Familie in der Jägerhofstraße, deren Adressverzeichnis sich wie ein ›Who is who‹ der ›Düsseldorfer Schule‹ liest.34 Schaefer hatte an dem reichen Kulturleben teil, Clara Schumann (1819 – 1896) gab den Prinzessinnen Klavierunterricht, Wilhelm Camphausen (1818 – 1885) war Nachbar Schaefers, Theodor Mintrop (1814 – 1870) wurde ein enger Freund, der Maler Franz Itten­bach (1813 – 1879) war ganz auf der Linie Schaefers, der eine Sammlung von Zeichnungen Ittenbachs besaß.35 1856 unternahm Schaefer mit dem Prinzen Karl eine Wanderreise nach Zermatt zum Gorner Grat, nach Chamonix, über Aosta nach Osten zu den großen oberitalienischen Seen weiter bis nach Venedig, von wo aus die Reise über Mailand nach Genua und wieder zurück in die Schweiz führte.36 Hier trennten sich die Wege des Hofmeisters und seines Zöglings, der einen Militärgouverneur zugeteilt bekam. Schaefer kehrte nach Düsseldorf zurück, wo er die jüngeren Brüder, die Prinzen Anton und Friedrich, auf das ihnen zugedachte Universitätsstudium in Bonn vorbereiten sollte. Aber es sollte anders kommen. 1859 endete sein Dienst vorzeitig  :37 Fürst Carl Anton war 1858 zum preußischen Ministerpräsidenten aufgestiegen und die politische Lage, der österreichisch-italienische Konflikt in Oberitalien, drohte sich durch die gegebenen Bündnisverhältnisse auch zu einem Krieg zwischen Preußen und Frankreich auszuweiten. Statt des geplanten Studiums bekamen nun auch die beiden jüngeren Prinzen Militärgouverneure an die Seite gestellt und sollten nun ihrerseits eine militärische Ausbildung in Berlin erhalten. Im Frühjahr des Jahres 1859 begleitete Schaefer seine beiden Zöglinge nach Berlin, während der Düsseldorfer Haushalt aufgelöst wurde, Gemahlin und Kinder mit dem er prägte den Prinzen ein, dass sie sich viel Mühe geben müssten, damit die Menschheit ihnen vergäbe, dass sie als Prinzen geboren seien.« 33 Schefers 2014, S. 4 – 35. 34 Adressbuch der Oberbürgermeisterei Düsseldorf auf das Jahr 1859, S. 27. 35 Schaefer 1906. 36 Kremnitz 1894, S. 25. 37 Staatsarchiv Sigmaringen, Bestand Hofverwaltung NVA 15 302.

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Schiff von Düsseldorf nach Mainz fuhren, um dort im Haus der Schwiegereltern eine provisorische Wohnung zu beziehen.38 III. Autodidakt und Kunstsammler (1859 – 1864)

Die Familie verbrachte zunächst ein knappes Jahr in Mainz (1859/60),39 um dann 1860 nahe der Residenz in Würzburg eine Wohnung zu beziehen.40 Während die Kinder die öffentliche Volksschule besuchten und daneben Privatunterricht in Religion und Rechnen erhielten, ging Schaefer seinen Interessen wie oftmals langen Reisen sowie der Geschichte der Kunst, Architektur und Malerei nach. Sein Sohn Karl schreibt in seinen Erinnerungen an seine Jugendzeit, dass sein Vater diese Studien bereits mit dem Ziel einer späteren beruflichen Tätigkeit begonnen habe  ;41 aber es gibt genügend Indizien dafür, dass er sich auch andere Perspektiven offenhielt. Fürst Carl Anton, der Schaefer die Stelle eines fürstlichen Hofarchivars in Sigmaringen angeboten hatte, gewährte seinem Hofmeister noch zwei Jahre lang die vollen Bezüge und anschließend, bis an dessen Lebensende, eine Rente, von der die Familie mit gehobenem bürgerlichem Lebensstil sattsam hätte leben können. Georg Schaefer verfügte über ein ausreichendes Vermögen, um in dieser Zeit auch seine bedeutende Kunstsammlung zusammenzutragen, die sich aus diversen privaten Sammlungen speiste. So erwarb er vermutlich schon 1860 aus der Sammlung des Aschaffenburger Rentamtmanns Karl Kees (1781 – 1852) von dessen in Würzburg lebender Witwe Lucas Cranachs Madonna in der Engelglorie 42 und 1861 aus der zur Versteigerung gelangten Sammlung Gotthard Martinengo (1764 – 1857) Cranachs Urteil des Paris43 sowie alle sieben Tafeln aus der Passionsfolge Hans Holbeins des Älteren (ca. 1465 bis ca. 1524) aus dem Hochaltar der Frankfurter Dominikanerkirche, die um 1810 widerrechtlich aus ihrem Frankfurter Depot in den Handel gelangt waren. Während sich diese bedeutenden Werke heute glücklicherweise in öffentlichem Besitz befinden44 und der Verbleib der wahrscheinlich Anthonis van Dyck (1599 – 1641) oder seiner Schule zuzuweisenden Porträts des Ehepaars Jean Charles und 38 Schaefer 1916/17, S. 18  ; Mainzer Adressbuch 1860, S. 103 und 201. 39 Rheinstraße 81  : Mainzer Adressbuch 1860, S. 103  ; 201. 40 Stadtarchiv Würzburg, Auskünfte vom 10. September 1987 und 22. November 2013. 41 Schaefer 1916/1917, S. 28  : »Mein Vater studirte selbst Kunstgeschichte. Er bereitete sich, nachdem er viele Reisen im In- und Ausland mit seinen Zöglingen, den Prinzen, gemacht hatte, viele Kunstgallerien, Dome und Denkmale gesehen hatte, im Stillen in Würzburg auf einen neuen Beruf vor. Oft saß er im Würzburger Hofgarten an einem lauschigen Plätzchen auf einer Bank und las dort in Büchern und kunstgeschichtlichen Werken.« 42 Schaefer 1906, S. 7. Heute Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, Inv. Nr. 2749. 43 Schaefer 1906, S. 7. Heute Kunstmuseum Basel. 44 Frankfurt am Main, Städel.

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Jacqueline van Caestre bekannt ist, fehlen Nachrichten über das Schicksal vieler weiterer Bilder und Kunstwerke, die nach Schaefers Tod verkauft wurden  : Zu nennen wären hier eine Kreuzigung aus der Schule Holbeins d. Ä., die zusammen mit einer Kreuzabnahme aus dem 16. Jahrhunderts vermutlich sogar erst nach 1948 in den Verkauf gelangte, von Herri met de Bles (genannt Civetta, ca. 1500 bis ca. 1555/60) eine Anbetung der heiligen drei Könige, die noch 1941 in Familienbesitz gewesen ist, ein Luis de Morales (ca. 1509 bis 1586) zugeordnetes Ecce Homo, das möglicherweise über eine noch vorhandene Kopie der ältesten Tochter Schaefers, Maria Schaefer, identifizierbar sein könnte, eine Wirtshausschlägerei von Adriaen Brouwer (ca. 1605 bis 1638), die Julius Böhler und Wilhelm Bode beide übereinstimmend für eine Arbeit Pieter Quasts (1605/1606 – 1647) hielten,45 weiter von Quast ein Bauer in Pelzmütze (signiert), zwei »holländische Oelbildnisse eines bürgerlichen Ehepaars in Radkragen«, dann von Johann Conrad Seekatz (1719 – 1768) eine Vertreibung der Hagar, Zwei Mosellandschaften von Christian Georg Schütz dem Älteren (1718 – 1791) und schließlich ein Prospekt von Dresden von Bernardo Bellotto (1721/22 – 1780), genannt Canaletto.46 Ein weiteres, bedeutendes Bild, das der Direktion des Städel als »ein prachtvoller Ruysdael – wol der schönste, den ich gesehen« beschrieben wurde,47 kennen wir nur aus einer brieflichen Beschreibung Schaefers an von Bode, der das Werk als junger Mann 1869 im Haus Schaefers gesehen hatte und sich lange sicher war, dieses Bild Jan Vermeer dem Älteren (1632 – 1675) zuweisen zu können.48 Auch der Verbleib dieses Bildes ist heute unbekannt – Schaefer hatte es selbst noch verkauft, um seiner älteren Tochter Maria ein Studium der Malerei in Wien und Düsseldorf ermöglichen zu können. In allen Zimmern der geräumigen Würzburger Wohnung hingen Alte Meister.49 Schaefer verkaufte und kaufte Bilder und recherchierte ihre Geschichte, forschte zu den Malern und erkannte so beispielsweise auch Zusammenhänge zwischen dem Holbein-Zyklus und den in Basel liegenden Vorzeichnungen, die er vor Ort studiert haben muss.50 Sein Verkauf der Holbein-Bilder an das Frankfurter Städel brachte ihm 45 Expertise Julius Böhler an Philipp Otto Schaefer (?), Berlin 10. Dezember 1908. Fotokopie einer Abschrift im Familienarchiv. 46 Der gesamte Bilderbestand findet sich in Schaefer 1906 aufgeführt. 1908 wurden die Bilder taxiert, zu den bedeutenderen gibt es Expertisen Wilhelms von Bode, Max Jakob Friedländers und des Münchener Kunsthändlers Julius Böhler. 47 Frankfurt am Main, Städelsches Kunstinstitut, Archiv P1 3 (12. Februar 1866). 48 Georg Schaefer an Wilhelm Bode, Darmstadt 4. Juni 1866 (= Staatliche Museen Berlin, Zentralarchiv NL Bode 4759, 1869.06.04.). 49 Schaefer 1916/1917, S. 23  : »Unsere ganze Würzburger Fünf-Zimmerwohnung in der Hofpromenade wurde so schließlich eine alte Bildergallerie und das zweite Altertumskabinett.« 50 Dass Schaefer den Holbein-Zyklus ›entdeckt‹ und als erster die Zusammenhänge mit den Vorzeichnungen im Basler Kupferstichkabinett entdeckt haben soll, ist eine Fehlinformation, die Neubert 1905, Sp. 1239 f. verbreitete. Im Archiv des Städel sind zwei Schreiben eines Dr. Griesinger an den Direktor des Städel vom 3. und 12. Februar 1866 erhalten sowie ein Dankschreiben der Verwaltung des Städel vom 20. Februar

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einen erheblichen Gewinn, der ihn eine Zeit lang vielleicht daran denken ließ, selbst als Kunsthändler tätig zu werden, sah er sich doch über seine Sammelleidenschaft mit vielen Kunstkennern und den bedeutenderen europäischen Galerien hervorragend vernetzt. Auch wenn sein Name in der Holbein-Forschung immer wieder genannt wird, kennen wir doch bisher keine diesbezügliche Publikation Schaefers. Hingegen wissen wir, dass Elisabeth Prinzessin von Hessen und bei Rhein (1815 – 1885) Schaefer mit einer Expertise zu ihrer Darmstädter Madonna, dem bekannten Basler Epitaph des Jakob Meyer zum Hasen51 und seiner Familie, beauftragte – ein Auftrag, den Schaefer mit Schreiben vom 29. Dezember 1871 an die Prinzessin nach einem Vortrag von Wilhelm Lübke (1826 – 1893) als obsolet betrachtete. Der ›Holbein-Streit‹, die Frage also, ob das Darmstädter Bild das Original ist oder das in der Dresdener Galerie Alter Meister gezeigte Gemälde gleichen Sujets, gipfelte in einer Ausstellung in Dresden, bei der beide Bilder nebeneinander gezeigt wurden und Anfang September die Koryphäen der Kunstgeschichte zusammentraten, um am 5. September 1871 dem Darmstädter Bild den Rang des Originals zuzuweisen. Schaefer gehörte nicht zu der in Dresden versammelten Expertenrunde, stand aber nachweisbar mit einigen der Teilnehmenden in persönlicher Verbindung.52 Es ist bemerkenswert, dass Schaefer 1871 für die Beschreibung seines Verhältnisses zu Lübke das Neue Testament bemüht  : Lübke sei »ein Meister in der kunsthistorischen Darstellung, dem ich die Schuhriemen aufzulösen nicht würdig bin«.53 In Würzburg, wo sich Schaefer mit dem bekannten Theologen und Prälaten Franz Hettinger (1819 – 1890) und dem Regierungsdirektor Georg Henner (1809 – 1887) befreundete, fand er Anschluss an den historischen Verein für Unterfranken und Aschaffenburg, knüpfte Kontakte zu dem Bad Kissinger Regierungsrevisor, Kunstsammler und Riemenschneiderexperten Ökonomierat Karl Streit (1833 – 1902), aber auch zu dem kunstbegeisterten Landrichter Andreas Debon (1821 – 1882). Die Erinnerungen seines Sohns Karl lassen uns teilhaben an den gesellschaftlichen Ereignissen, an denen Georg Schaefer offensichtlich viel Freude hatte  : Bälle und Konzerte in der ›Harmonie‹, Kaffeeplaudereien, kirchliche Prozessionen, militärische Paraden, Ausflüge in die nähere Umgebung,54 wo

1866. Aus diesen umfangreichen Schreiben ist die damalige Forschungslage klar ersichtlich. So scheint die Frage nach dem Standort der Bilder erst Ende der fünfziger Jahre für ein paar Jahre unklar gewesen zu sein. 51 Schwäbisch Hall, Sammlung Würth, Inv. 14910. 52 Nachweisbar sind Wilhelm von Bode (1845 – 1929), Wilhelm Lübke (1826 – 1893), Carl v. Lützow (1832 – 1897), Alfred Woltmann (1841 – 1889) und Karl Woermann (1844 – 1933). 53 Vergleiche Mk 1,7, Lk 3,16, Joh 1,27 und Apg 13,25. Den Brief Schaefers an Prinzessin Elisabeth, Darmstadt 29. Dezember 1871 siehe Hessisches Staatsarchiv Darmstadt, Briefe von Gelehrten, Dichtern und Künstlern an Prinzessin Elisabeth von Hessen, Teil 2  : D 23 Nr. 37/10, das Zitat findet sich auf S. 1. 54 Schaefer 1916/1917, S. 23 – 25, 36 – 39a, 41 – 45, um nur einige (wenige) Beispiele zu nennen.

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wir Schaefer auf den Wiesen außerhalb der Festungswälle Würzburgs mit seinem Sohn Schmetterlinge fangen sehen.55 1864 zog die Familie nach Darmstadt, wo Schaefer sofort im Vorstand des historischen Vereins für das Großherzogtum Hessen aktiv wurde. Der Verein gab seit den Anfängen seines Bestehens mit den Quartalblättern eine Zeitschrift heraus und berichtete regelmäßig in mehreren Sektionen über historische Bauten, archäologische Funde, volkskundliche Bemerkungen, Flurdenkmale, Rechtsaltertümer, Numismatik, Aktivitäten in anderen deutschen Ländern und über neue Fachliteratur. Es ist dieser 1833 gegründete Verein, in dem sich ebenso wie in den naturforschenden Gesellschaften die Crème des Bürgertums sammelte und viele, deren Ausbildung in ganz andere Richtungen wiesen, vor allem aber Offiziere, Juristen, Geistliche und Lehrer, sich oft erstaunliche Kenntnisse und Fertigkeiten aneigneten. Zu erinnern sei nur an die Bedeutung des Stabsoffiziers Karl August von Cohausen (1812 – 1894) für die Limesforschung, die des Leutnants Heinrich Gieß (1841 – 1918) für die Bodendenkmalpflege in der südhessischen Provinz Starkenburg, an die des Mainzer Prälaten Friedrich Schneider (1836 – 1907) für die Baudenkmalpflege in Rheinhessen und Starkenburg, an den rheinhessischen Gerichtspräsidenten Georg Bockenheimer (1836 – 1914), der für seine wegweisenden historischen Arbeiten noch zu Lebzeiten Mainzer Ehrenbürger wurde, aber auch an den vermögenden Wormser Lederfabrikanten und Mäzen Maximilian von Heyl zu Herrnsheim (1844 – 1925). Dieser Verein steht hinter fast allen wichtigen Maßnahmen zur Bauforschung und Archäologie im Großherzogtum, beauftragt Grabungen, finanziert Publikationen, diskutiert Entwürfe. Hier findet Schaefer sein Publikum, generiert er Meinungen. Er hält Vorträge,56 führt Exkursionen durch,57 die mehr als einmal in dem Niersteiner Weingut seines betuchten Schwiegervaters enden,58 und er publiziert in den Zeitschriften des Vereins.59 Müsste man kurz vor der 1868 noch nicht absehbaren Berufung Schaefers sein wissenschaftliches Profil resümieren, so ergäbe sich vor allem das Bild eines polyglotten Autodidakten 55 Schaefer 1916/1917, S. 28. 56 1865  : Martin Schongauer (QuBl. 3/1865, S. 1)  ; 1866  : Die Hohenzollernsche Kunstsammlung (QuBl. 2 – 4/1866, S. 12)  ; 1867  : Das mittelalterliche Email im grossherzoglichen Museum (QuBl. 2 – 3/1867, S. 20)  ; 1869  : Geschichte der Elfenbeinkunst mit besonderer Berücksichtigung der im Darmstädter Museum befindlichen Kunstwerke (QuBl. 2 – 3/1869, S. 3 – 6)  ; 1870  : Archäologische Grabungen auf dem Palatin, in der Callixtus-Katakombe in Rom und in Pompeji (QuBl. 2 – 4/1870, S. 35)  ; 1872  : Über belgische Profanbauten, insbesondere Rathäuser aus der gotischen Epoche (QuBl. 4/1872, S. 2)  ; 1873  : Die karolingische Profan-Baukunst und ihre Denkmale, insbesondere am Mittelrhein (Abdruck des Vortrags QuBl. 3 – 4/1873, S. 2 – 22)  ; 1874  : Über die Denkmäler der bildenden Kunst des Mittelalters und der Renaissance in den nördlichen Theilen der Provinz Oberhessen (QuBl.4/1874, S. 1 – 57). 57 1865  : Worms (QuBl. 3/1865, S. 1)  ; 1869  : Ladenburg (QuBl. 2 – 4/1869, S. 3 – 6)  ; 1873  : MichelstadtSteinbach (QuBl. 3 – 4/1873, S.  1 – 2). 58 Allein zu 1865 siehe die Vereinsprotokolle in den Quartalblättern des historischen Vereins 1, 3 und 4/1865, jeweils S. 1. 59 Schaefer 1868, S. 41 – 55, Schaefer 1874b, S. 1 – 18.

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und Netzwerkers, der neben einer voluminösen französischsprachigen Monografie über die mittelalterliche Geschichte des Hauses Hohenzollern die mustergültige Edition e­ ines spätmittelalterlichen Rechtsdokuments vorlegen konnte, als Sammler und Forscher mit dem Schwerpunkt in der ›altdeutschen‹ und in der Blüte der niederländischen Malerei durchaus auch als Wissenschaftler Spuren hinterlassen hat und mit allen, die als Kunstwissenschaftler damals Rang und Namen hatten, in enger Verbindung stand. Hinzu kommt, dass Schaefer weit gereist war, sein Auge und seinen Kunstsinn bei jeder Gelegenheit zu bilden und zu schärfen verstand. Und so geradlinig der Weg zur Kunstgeschichte als seiner Hauptprofession zu führen scheint, so unentschieden war seine persönliche Lage noch 1868, als sein jüngster Sohn Philipp Otto in Darmstadt geboren wurde. Den Spätsommer 1868 verbrachte er in Italien, wo er in dem Rektor des deutschen Hospizes und des Campo Santo Teutonico am Vatikan, Philipp Müller (1804 – 1870), einen ihm geistesverwandten und auch in politisch-kirchlichen Überzeugungen nahestehenden Freund wusste.60 Es war bereits die dritte Reise nach Italien, wie wir aus dem am Campo Santo erhaltenen Schreiben Schaefers an Müller wissen.61 Wieder war das Studium der Kunst und der in Rom und Pompeji vorankommenden Archäologie sein zentrales Anliegen  ; gleichzeitig aber war er täglich darauf gefasst, von einem Telegramm nach Hause gerufen zu werden, hatte er sich doch vor seiner Reise nicht ganz ohne Aussichten62 um ein Amt im diplomatischen Dienst des Großherzogtums beworben. In seinem Schreiben an den großherzoglich hessischen Ministerpräsidenten (und Außenminister) Carl Friedrich von Dalwigk zu Lichtenfels (1802 – 1880) wiederholt Schaefer »seine auf staatsdienstliche Verwendung im auswärtigen Amt gerichteten Wünsche«. IV. Professor der Kunstgeschichte (1869 – 1902)

Aus dem diplomatischen Dienst wurde nichts  ; die Gründe dafür bleiben verborgen. Aber eine andere berufliche Perspektive zeichnete sich ab  : 1869 erfolgte eine erhebliche Erweiterung des Lehrkörpers der Polytechnischen Schule in Darmstadt, die zwar den alten Namen beibehielt, aber innerhalb des Großherzogtums zur zweiten universitären Einrichtung neben der Landesuniversität Gießen erhoben wurde. Die Professoren 60 Lemke 2018. 61 Città del Vaticano, Campo Santo Teutonico, Archivio, 13 151. 62 Aus dem Schreiben Schaefers an von Dalwigk (Hessisches Staatsarchiv Darmstadt, Politischer Nachlass des Ministers Freiherrn von Dalwigk. Correspondenzen Sa-Schw  : D 22 Nr. 31) wird deutlich, dass es einen prominenten Unterstützer seiner Interessen gegeben hat, der aber 1868 keinen Einfluss mehr hatte  : »die Vermittlung eines hochverehrten Gönners […] Diese theure Vermittlung – sie ist leider nicht mehr möglich  !« Zu vermuten ist eine Persönlichkeit, die sowohl von Dalwigk als auch Schaefer nahestand. Es könnte sich um Ludwig von Biegeleben (1812 – 1872) handeln, der in österreichischen Diensten die Deutschlandpolitik Kaiser Franz Josephs zumindest bis 1866 maßgeblich beeinflusste.

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waren ihren Gießener Kollegen gleichgestellt, das Polytechnikum durfte sich aber erst 1877 Technische Hochschule nennen und weitere 22 Jahre vergingen, bis die Hochschule vom Großherzog auch das Promotionsrecht verliehen bekam. Schaefer wurde zum ersten Professor für Kunstgeschichte berufen, zeitgleich erhielt der Architekt Heinrich Wagner (1834 – 1897) die Professur für Baukunde, die sich in der Bau- bzw. Architekturgeschichte mit dem Ressort Schaefers berührte und gelegentlich überlappte. 1873 wurde der Fachbereich Architektur durch eine weitere Professur erweitert, die Erwin Marx (1841 – 1901) übernahm. Schaefer bot seine Vorlesung zunächst über ein Jahr an (Wintersemester 1869/70  : Geschichte der bildenden Künste bei den Völkern des Orients, bei den Griechen und Römern  ; Sommersemester 1870  : Geschichte der bildenden Künste im Mittelalter, der Renaissance und der Neuzeit),63 um sie dann, ab dem Wintersemester 1870/71, auf zwei Jahre (vier Semester) zu erweitern  : 1870/71 las er im ersten Wintersemester über Ursprung und erste Entwickelung der Kunst sowie über die Geschichte der bildenden Kunst bei den Völkern des Orients und bei den Griechen  ; im darauffolgenden Sommersemester über die Geschichte der bildenden Künste bei den Etruskern und bei den Römern, aber auch über die Geschichte der altchristlichen und byzantinischen Kunst, sowie der Kunst des Islam  ; das nächste Wintersemester widmete er der Entwickelung der Kunst des christlichen Mittelalters, der Geschichte der bildenden Künste im karolingischen Zeitalter, in der romanischen und gothischen Epoche, um den Zyklus im darauffolgenden Semester mit der Geschichte der bildenden Künste vom Zeitalter der Renaissance bis zur Gegenwart abzuschließen. An dieser Abfolge hat sich bis zu Schaefers Emeritierung nach dem Wintersemester 1901/02 nichts geändert. Es ist zu vermuten, dass das Lehrangebot weiter durch zeitlich nicht festgelegte und im Vorlesungsverzeichnis nicht angekündigte praktische Übungen in den Sammlungen der Polytechnischen Schule oder des Großherzoglichen Museums, der grafischen Sammlung und der Hofbibliothek ergänzt wurde. 1875/76 gelangten mit der Verlagerung des Instituts für Bau- und Ingenieurwissenschaft der Landesuniversität auch dessen Lehrmittelsammlungen nach Darmstadt. Das Lehrangebot wurde erweitert durch Exkursionen, die üblicherweise in der Pfingstzeit und ab 1876 jährlich stattfanden. Schaefer beteiligte sich sporadisch an ­diesem Angebot  : 1872, und dann 1876 bis 1882 jedes Jahr und immer in Begleitung eines oder mehrerer Kollegen. Dabei kamen ihm die reichen Erfahrungen und Beobachtungen seiner eigenen Reisen und Forschungswanderungen in den 1860er Jahren zugute, die ihn in alle drei Landesteile des Großherzogtums geführt hatten. Einen Eindruck davon vermittelt Schaefers launiger Bericht über eine Wanderung vom damals preußischen Fulda in die großherzoglich hessische Provinz Oberhessen.64 63 Programm der Grossherzoglich Hessischen Polytechnischen Schule zu Darmstadt für das Jahr 1869 – 1870, S. 29. 64 Schaefer 1874c.

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Über Schüler Schaefers wissen wir noch sehr wenig. Erst ab 1897 gibt es für jedes Semester ein Anmelderegister für die einzelnen Lehrveranstaltungen, für die durch die Studierenden und die »Hospitanten« Gebühren entrichtet werden mussten.65 So ist zu erfahren, dass Schaefer etwa im Sommersemester 1897 immerhin 65 Hörer hatte, die auch namentlich genannt werden. Eine weitere Quelle sind Fußnoten, aus denen wir Nachrichten über Studenten Schaefers extrahieren können, die ihrem Professor zuarbeiteten  : So erwähnt Schaefer die »dankenswerthen Aufnahmen« der Steinbacher Arkadenpfeiler, die von »Studirenden der Darmstädter Technischen Hochschule« gemacht wurden, die Schaefer als »Hörer meines Kollegs für Kunstgeschichte« bezeichnet.66 So auch namentlich dem »Stud. arch. Sior in Darmstadt«, der für den ersten Kunstdenkmälerband vier maßstäbliche Zeichnungen beisteuerte.67 Sior wird mit dem Darmstädter Otto Sior identisch sein, der sich 1880 im Alter von 16 Jahren in die Akademie für Bildende Künste in München inskribierte,68 und um 1905 offenbar zu den gefragten Villen-Architekten in Berlin gehörte. Am bekanntesten ist die 1906 von ihm gebaute Villa Sarre im Potsdamer Villenviertel Neubabelsberg. Weiter begegnet uns ein Anton Decker aus Mainz  ; er steuert im Studienjahr 1874/75 der Plansammlung des Lehrstuhls eine Aufnahme des »Arcadensystems« der Steinbacher Basilika bei, Georg Zipolle aus Harburg die »Pfeiler-, Capitäl- und Basementprofilierungen« in Steinbach. Der erste Studierende, der sich bei Schaefer und Friedrich Pützer (1871 – 1922) im Fach Kunstgeschichte promovierte, war Ernst Vetterlein (1873 – 1950) mit einer Arbeit über Das Auftreten der Gotik am Dom zu Mainz (32 Seiten, zwei Tafeln).69 Er war im deutschsprachigen Raum einer der ersten an einer technischen Hochschule promovierten Kunsthistoriker überhaupt. Auch Vetterleins im selben Jahr veröffentliche Habilitationsschrift über Die Aufnahme des frühgotischen Chores zu Hirzenach am Rhein (15 Seiten, sechs Tafeln) behandelt ein kunsthistorisches Thema. Einen Namen hat sich Vetterlein später als Professor für Städtebau und als Rektor der Technischen Hochschule Hannover gemacht. Die folgenden Darmstädter Dissertationen von Hans Waag (1904), Emerich Forbát (1904), Ludwig Hercher (1904) und Ludwig Lipp (1907) wären auf einen Anteil 65 Darmstadt, Archiv der TU Darmstadt, Best. 101, Nrn. 1 – 4, 8 – 11  : Großherzogliche Technische Hochschule zu Darmstadt, Anmelde-Register nebst Verzeichnis der belegten Vorlesungen und Übungen und der dafür angesetzten Unterrichtsgebühren für  : Sommersemester 1897, Wintersemester 1897/98, Wintersemester 1899/1900, Sommersemester 1900, Sommersemester 1901, Wintersemester 1901/1902, Wintersemester 1902. 66 Schaefer 1891a, S. 257, Fußnote. 67 Schaefer 1885, S. 211, Fig. 66  ; S. 213, Fig. 67  ; S. 214 f., Fig. 68, Fig. 69  : steingenaue Ansichten und Schnitte  ; siehe auch S. 253. 68 Akademie der Bildenden Künste München, Matrikelbücher, 03796 Otto Sior, Matrikelbuch 1841 – 1884  : URL  : http://matrikel.adbk.de/05ordner/mb_1841-1884/jahr_1880/matrikel-03796 (14. August 2011). 69 Vetterlein 1902.

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Schaefers an der Themenfindung bzw. der Formung kunsthistorischer Interessen noch durchzusehen.70 V. Denkmallobbyist und Bauforscher (1872 – 1898)

Das Spektrum der kunstwissenschaftlichen Interessen Schaefers ist beträchtlich  : Mit seinem ersten bedeutenderen kunsthistorischen Werk, einer Monografie über die Elfenbeine des Großherzoglichen Museums Darmstadt, führte er sich in die Kunstgeschichte ein.71 Die Rezension Carl Adolf Rosenbergs (1850 – 1906) in der von Carl von Lützow herausgegebenen Kunstchronik weiß zwar den Umstand zu würdigen, dass mit Schaefers Arbeit die erste zusammenfassende Darstellung mittelalterlicher Elfenbeine vorgelegt worden war, kritisierte aber, dass die »Beschreibungen […] ausführlicher und genauer« hätten sein müssen, um vom »auswärtigen Kunstforscher und Kunstfreund […] wissenschaftlich verwerthet werden zu können«.72 Immerhin galt Schaefer nun als Experte für frühmittelalterliche Elfenbeine und der kunstsinnige Prälat Schneider bat ihn um eine Stellungnahme zu dem 1872 auf dem Kunstmarkt aufgetauchten bekannten MosesThomas-Diptychon des Echternacher Meisters.73 Schaefer vertiefte sich in Email-Arbeiten der Merowingerzeit74 und begann sich ab 1868 mit der karolingischen Basilika von Seligenstadt zu beschäftigen, einem Bau des Karlsbiografen Einhard (ca. 770 – 840) und Zentrum der im Zuge der Säkularisation aufgehobenen Benediktinerabtei  ; dort hatte der Abbruch der Reste einer in der Barockzeit überformten romanischen Zweiturm- und Portalanlage für kurze Zeit den karolingischen Westabschluss des Einhardbaus sichtbar werden lassen,75 der dann aber der »Restauration« in Form einer neoromanischen Fassade weichen musste. Schaefer hatte auch die Möglichkeit, die aus Backsteinen aufgemauerten Arkadenpfeiler näher zu betrachten, und das wiederum brachte den entscheidenden Impuls für seine bedeutendste wissenschaftliche Leistung  : Die Entdeckung der bis dahin in der Michelstädter Stadtkirche aufgegangen geglaubten Einhardsbasilika im nahen Ortsteil Steinbach unweit des Schlosses Fürstenau im Juni 1873. Schaefer konnte nun den Beweis führen, dass 70 Für die Hinweise auf die Dissertation von Vetterlein und die Darmstädter Dissertationen bzw. Habilitationen danke ich Christiane Salge. 71 Schaefer 1872. Bereits 1869 referierte Schaefer über dieses Thema vor dem historischen Verein. 72 Rosenberg 1873, Sp. 429 – 431. 73 Georg Schaefer an Friedrich Schneider, Brief vom 25. Oktober 1872 (Mainz, Dom- und Diözesanarchiv NL Friedrich Schneider)  ; das Diptychon befindet sich heute in den Staatlichen Museen Berlin und wurde 1935 aus der Sammlung Albert Figdor erworben (frdl. Auskunft von Dr. Petra Winter, Leiterin des Zentralarchivs, vom 17. November 2017). 74 QuBl. 2 – 3/1867, S. 20. Aus diesem Vortrag scheint keine Veröffentlichung hervorgegangen zu sein. 75 Braden 1873.

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diese Basilika nicht nur noch existierte, sondern mit einem profan genutzten Sakralbau identisch ist, der durch das Grafenhaus zu Erbach-Fürstenau immer instandgehalten worden war. Von entscheidender Bedeutung für diese Zuweisung war das Backsteinmauerwerk der Arkaden, dessen flache Ziegel und breite, mit Ziegelsplitt durchsetzte Mörtelfugen die entscheidenden Parallelen zu Seligenstadt darstellten, aber eben auch einen Hinweis auf das Weiterwirken römischer Bautechnik lieferten. Gerade der kunsttechnologische Aspekt gab somit den entscheidenden Ausschlag für die Identifikation des Bauwerks, seine Datierung und damit seine einen eigenen Stilbegriff fordernde Position innerhalb der Architekturentwicklung – und das in einer Zeit, in der man die vorgotische Baukunst noch ohne Binnendifferenzierung summarisch als ›Rundbogenstil‹ bezeichnete. Schaefer stellte seine Entdeckung wenige Wochen später anlässlich einer gemeinsam mit der Darmstädter Kunstgenossenschaft unternommenen Exkursion des historischen Vereins vor76 und veröffentlichte seine Befunde umgehend.77 Die intensive Beschäftigung mit der Bau- und Zierkunst des Frühmittelalters veranlasste Schaefer in dieser Zeit auch zur Untersuchung des zu seiner Zeit noch nicht einheitlich benannten Karolingerbaus innerhalb der aufgegebenen Klosteranlage von Lorsch. Während bereits Georg Moller das im Volksmund schlicht »Kapellchen« genannte Bauwerk mit seinem selbst im europäischen Kontext ungewöhnlichen Fassadenschmuck als »fränkisch« angesprochen hatte, erweiterte Schaefer dessen Argumente um eine Reihe kunsttechnologischer Beobachtungen und schloss sich einer älteren Forschungsmeinung an, die in dem zu seiner Zeit ohne Geschossunterteilung als hohe, querrechteckige Halle erscheinenden Bau die Begräbnisstätte König Ludwigs des Deutschen (†876) erblickte, die ›ecclesia varia‹ der Quellen, die Schaefer noch in der Mannheimer Akademie-Edition des 18. Jahrhunderts zugänglich waren.78 Während der Nachweis der ursprünglichen Zweigeschossigkeit erst sechzig Jahre später geführt werden konnte, entbrannte über die Frage nach der Funktion ein Gelehrtenstreit, der neben anderen Gründen zu einem tiefen Zerwürfnis Schaefers mit dem historischen Verein, insbesondere aber mit seinem Kollegen Rudolf Adamy (1850 – 1898) und seinem geistlichen Freund Schneider führte, die beide der Hypothese Schaefers die (später ebenso als falsch erwiesene) Überlegung entgegenhielten, dass es sich, wie bereits Moller annahm, bei dem Bau um die Hauptpforte des Klosters gehandelt haben müsse. Und so waren es auch Schneider und Adamy, die vom historischen Verein 187679 und 1888 mit archäologischen Grabungen 76 Schaefer 1873a. 77 Schaefer 1873b, ders. 1874a, ders. 1874b, ders. 1896. Die Resonanz auf die Entdeckung Schaefers scheint beträchtlich gewesen zu sein. So schreibt Schaefer am 7. März 1874 an Friedrich Schneider  : »Mein Aufsatz scheint einiges Aufsehen in der kunstarchäologischen Welt zu machen. Von mehreren Seiten wurde ich zu der mir geglückten Entdeckung beglückwünscht, sogar durch Telegramme« (Mainz, Dom- und Diözesanarchiv, NL Friedrich Schneider). 78 Schaefer 1875. 79 Schneider 1878.

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in und um die »Torhalle« beauftragt wurden. Und Adamy, der im Auftrag des Vereins auch in Steinbach gegraben hatte, gab die beiden ersten bauhistorischen Monografien zu Steinbach80 wie Lorsch81 heraus. Schaefer wird das als eine schwerwiegende Demü­ tigung empfunden haben. Die Frage nach der Funktion des Bauwerks in Lorsch ist übrigens bis heute offen geblieben. Während Schaefer 1872 noch die in Darmstadt stattfindende Generalversammlung deutscher Geschichts- und Altertumsvereine als Forum für die Darstellung seiner Überzeugungen nutzte, seine Arbeit über die Darmstädter Elfenbeine als Festschrift publizierte und auch nachhaltig wirksame Impulse zur Pfalzenforschung auf den Weg bringen konnte, hatte der unselige und schnell auch persönliche Züge annehmende Streit eine wissenschaftliche Neuorientierung zur Folge. Bis dahin hatte sich Schaefer oft in Opposition zu den »Olympiern« staatlicher und kirchlicher Baubehörden für größere Restaurierungsprojekte starkgemacht, wie etwa die Renovierung der Wimpfener Renaissancefresken durch seinen Kollegen und Freund August Noack (1822 – 1905),82 den Wiederaufbau der Oppenheimer Katharinenkirche durch Friedrich und Heinrich von Schmidt (1850 – 1928),83 die Verhinderung von seiner Meinung nach nicht denkmalgerechten Sanierungsvorhaben in Nierstein84 und Mainz,85 und – ihn sehr bewegend – den Ersatz der nach seinem Dafürhalten unpassenden Eisenkuppel Mollers über dem östlichen Vierungsturm des Mainzer Doms (1874).86 Wenig später kritisiert er die Pläne einer Umgestaltung der Darmstädter Ludwigskirche durch Pierre Cuypers (1827 – 1921), der einen Lettner plante, den Schaefer als »ein ins Innere der Kirche geschleudertes fremdes Stückwerk« kritisiert, »ein unmonumentales Gestäbe, das an den Mimbar der islamitischen Gebetshallen erinnert«.87 Die geplante Änderung unterblieb, stattdessen wurden in den 1880er Jahren einige der 80 Adamy 1885. 81 Adamy 1891. 82 Schaefer 1871. 83 Schaefer 1880. 84 Brief an Friedrich Schneider vom 26. Januar 1874 (Mainz, Dom- und Diözesanarchiv, NL Friedrich Schneider). 85 Deutschhauskapelle  ; Brief an Friedrich Schneider vom 15. November 1874 (Mainz, Dom- und Diözesanarchiv, NL Friedrich Schneider). 86 Siehe vor allem den Brief an Friedrich Schneider vom 30. November 1874 (Mainz, Dom- und Diözesanarchiv, NL Friedrich Schneider), ein interessantes Dokument, das offenbar einen entscheidenden Moment in der Diskussion um die Ostpartie des Mainzer Doms markiert  : Architekt Pierre Cuypers (1827 – 1921) wird anlässlich einer Generalversammlung der Darmstädter Kunstgenossenschaft von Schaefer mit Ministerpräsident Julius Rinck Freiherrn von Starck (1825 – 1910) zusammengebracht. Cuypers überzeugt so sehr mit seinen Entwürfen, dass auch Hugo von Ritgen (1811 – 1889), immerhin Schüler Georg Mollers, sich für die Planungen Cuypers’ ausspricht. Schaefer resümiert zufrieden  : »ja ich behaupte die Bekanntschaft mit dem Minister (…) wird nicht zu gering anzuschlagen sein.« 87 Katholische Innenstadtkirche St. Ludwig Darmstadt, Mitteilungen Winter 2010/2011, o. S., mit Verweis auf Hessische Volksblätter 1910, S. 284 f.

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Interkolumnien des Umgangs verschlossen und somit die Bauidee Mollers ad absurdum geführt. Hinter diesen Entscheidungen ist Schaefer zu vermuten, zumal damals sowohl seine ältere Tochter Maria als auch sein jüngerer Sohn Philipp Otto mit der Ausführung des Altarbilds (Maria) bzw. der vier Evangelistenporträts (Philipp Otto) zwischen den Säulen beauftragt wurden. Schaefer war der Überzeugung, dass unvollendete oder zu Schaden gekommene Kunstwerke der Vergangenheit vollendet und im Geist ihrer Entstehungszeit auch wieder ergänzt und funktionsfähig gemacht werden dürfen und sollen – programmatisch äußert er sich dazu über die Ergänzung der beschädigten monumentalen Darstellung des Jüngsten Gerichts am Ostabschluss des Nordtransepts der Stiftskirche von Wimpfen aus dem Jahre 1515 durch Noack, dem es gelungen sei, »Arbeiten, die durch die Unbill der Zeit gelitten, wieder das rechte, dem Geist der Entstehungszeit entsprechende Leben einzuflössen«.88 Verwiesen sei auch auf seine Begleitung der Wiedererrichtung der Oppenheimer Katharinenkirche und schließlich auch auf seine großformatige Publikation über die Wiederherstellung des Doms von Fünfkirchen in Ungarn durch Friedrich von Schmidt und August Kirstein (1856 – 1939).89 Statt im historischen Verein engagierte sich Schaefer nun verstärkt für die Darmstädter Kunstgenossenschaft,90 in deren Namen er 1877 am offenen Grabe Veits sprach.91 1883 inszenierte er eine perfekt choreografierte Festveranstaltung zur Rafael-Feier im Darmstädter Saalbau, bei der auch die großherzogliche Familie zugegen war.92 Es schmeichelte ihm sehr, als Otto Volger (1822 – 1897) ihm die Ehrenmitgliedschaft als ›Meister‹ im Freien Deutschen Hochstift antrug, möglicherweise empfohlen von seinem Jugendfreund von Schmidt und von Lützow, beide ebenfalls bereits ›Meister‹ des Hochstifts. Das Freie Deutsche Hochstift hatte 1863 Goethes Geburtshaus in Frankfurt am Main erworben und verstand sich in dieser Zeit als vom Bürgertum getragene, nicht staatliche, unpolitische, überkonfessionelle, aber durchaus elitäre Einrichtung der höheren Erwachsenenbildung außerhalb der universitären Sphäre. Auch der Handwerker und die an den Fragen der Zeit interessierte Frau, keineswegs nur akademisches Publikum sollte Zugang haben zu der gut sortierten Bibliothek des Goethehauses und zu den Vorträgen der ›Meister‹. Volger mag der Urheber dieser Idee einer Art ›Volkshochschule‹ gewesen sein und kümmerte sich persönlich um die Gewinnung immer neuer Spezialisten auf allen bedeutenderen Wissensgebieten. Schaefers Briefe an das Freie Deutsche Hochstift, dem er bis zu seinem Tode verbunden blieb, sind – vermut88 Schaefer 1871, S. 277. 89 Schaefer 1891b (zitiert nach einem separat gebundenen und paginierten Sonderdruck, den Georg Schae­ fer dem ungarischen Gesandten in Darmstadt, Alexander Okolicsány von Okolicsna, dedizierte). 90 Das genaue Jahr lässt sich nicht angeben  ; die Mitgliedschaft bestand aber sicher zwischen 1873 und 1908. 91 Schaefer 1877. 92 Darmstädter Zeitung 87, 30. März 1883, S. 504.

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lich sogar vollständig – erhalten.93 Diesem Briefwechsel ist zu entnehmen, dass Schaefer während seiner ersten Mitgliedsjahre als Referent sehr gefragt war  : Er referierte über Peter von Cornelius (1880), den er für den größten Künstler seiner Zeit hielt,94 über Michelangelo (1881), Rafael (1882)  ; seinen Vortrag über die Kunst des Islam (1883) rezensierte er selbst für die erste Ausgabe des neu aufgestellten Stiftsorgans – insofern eine interessante Quelle, als sie uns auch eine Vorstellung davon verschafft, wie Schae­ fers entsprechende Vorlesungs-Einheit aufgebaut gewesen sein wird.95 Weiter ist dem Schriftwechsel mit der Stiftsverwaltung der enorme Aufwand zu entnehmen, der mit der notwendigen Illustration kunstwissenschaftlicher Vorträge vor dem Zeitalter des Epidiaskops und des Diapositivs einherging. Für seine Vorträge hielt Schaefer Hunderte auf Karton aufgezogener, großformatiger Fotografien (Lichtbilder), Stiche oder Zeichnungen vor, einige auch gerahmt, die in speziell nach seinen Angaben hergestellten hölzernen Transportbehältern untergebracht96 und mittels nicht näher beschriebener Heftstiftchen (»Wanzen«) an Wänden befestigt werden konnten. Für einen Vortrag von 1 ½ bis 2 Stunden Länge benötigte er zwischen 30 und 70 dieser Anschauungshilfen.97 VI. Vater der hessischen Kunstdenkmälerinventarisation

1878 unterbreitete Schaefer dem Großherzoglichen Staatsminister Julius Rinck Freiherr von Starck (1825 – 1910) ein Memorandum mit der Empfehlung einer ersten Kunstdenkmälertopografie für das Großherzogtum Hessen. Die Idee dazu ist schon einige Jahre zuvor anlässlich der Generalversammlung der deutschen Altertumsvereine 1872 in Darmstadt aufgekommen und in der Form eines Antrags »wegen Schutz und Inventarisirung der Kunstdenkmale in Hessen« vom Vorstand des historischen Vereins

93 Freies Deutsches Hochstift, Hs. 19811, Mitgliedsakte, Hs. 21982, zu ergänzen aus  : Universitätsbibliothek Frankfurt am Main 3505/14 und Bayerische Staatsbibliothek München, Steinleana II. Die Briefe reichen von 1880 bis 1899. 94 Georg Schaefer an Otto Volger, Brief vom 18. Mai 1880 (Frankfurt am Main, Freies Deutsches Hochstift Hs 19811)  : »… der größte Künstler unseres Jahrhunderts, Peter Cornelius selbst, der nach eigenem Bekenntniß es für nothwendig erachtete, die künstlerischen Bahnen von Jahrhunderten zu durchmessen, um der vaterländischen Kunst, an Stelle der durch fremden Einfluß entstellten u. ausgetretenen alten Pfade, neue, eigene Wege zu eröffnen«. 95 Schaefer 1884. 96 Georg Schaefer an Hermann Junker, Brief vom 8. November 1882 (Freies Deutsches Hochstift, Mitgliedsakte). 97 Georg Schaefer an die Verwaltung des Freien Deutschen Hochstifts, Brief vom 10. November 1881 (Freies Deutsches Hochstift, Mitgliedsakte), Georg Schaefer an Georg Stadler, Brief vom 16. November 1882 (Freies Deutsches Hochstift, Mitgliedsakte), vgl. Georg Schaefer an die Verwaltung des Freien Deutschen Hochstifts, Brief vom 4. November 1883 (Freies Deutsches Hochstift, Mitgliedsakte).

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für das Großherzogtum der Regierung zugestellt worden.98 Erst der Vorstoß Schae­ fers aber hatte Erfolg und dieser war sicher dem Umstand geschuldet, dass der 1877 zur Regierung gelangte Großherzog Ludwig IV. (1827 – 1892) sich sehr für Geschichte interessierte und nicht nur nominell lange Jahre Ehrenpräsident des historischen Vereins gewesen war. Vergleichbare Kunsttopografien gab es damals in Deutschland noch nicht viele  : Das Königreich Württemberg hatte 1866 den Anfang gemacht, es folgte die preußische Provinz Hannover 1871, und die in Hessen alsbald gebildete Kommission empfahl, die in den anderen deutschen Ländern »beobachteten Verfahren im Allgemeinen und so weit als thunlich vorbildlich zu betrachten«.99 Die Großherzogliche Kommission übernahm die Konzeption Schaefers wörtlich und betonte nun ihrerseits die »Anerkennung des hohen Werthes, den eine vollkommene Kenntnis der Denkmäler des Landes nach verschiedenen Seiten hin – für den bildenden Künstler als Hülfsmittel beim Studium vaterländischer Kunst, für den Kunstgelehrten als Archiv und Repertorium zu fachwissenschaftlichen Arbeiten, für den Kunstfreund zur Kenntnis und Würdigung der Monumente, für den Architekten, Bildhauer, Maler und Kunsttechniker in practischen Fragen der Erhaltung und stylvollen Erneuerung solcher Werke, wie nicht minder für die gesunde Fortentwickelung der Kunst der Gegenwart und des eigenen Landes – haben musste.«100

Bemerkenswert ist ein weiterer Aspekt in der Vorbemerkung der Regierungskommis­ sion, die im Ansatz und bis hinein in Einzelheiten der Diktion die Handschrift Schaefers trägt  : Ein Kunstdenkmälerinventar solle nicht nur Behörden helfen, Erhaltenswertes zu erkennen, zu kennen und zu achten  ; es solle auch »den Sinn und die Theilnahme der Bewohner für die Erhaltung der Alterthümer erwecken und beleben«,101 Achtsamkeit gegenüber dem historischen Erbe und Teilhabe an den Hinterlassenschaften der Vergangenheit durch kulturelle Bildung. Im Grunde begegnen wir hier dem zentralen Credo Schaefers, seiner Überzeugung vom Wert und der Bedeutung, ja der gesellschaftlichen Relevanz nicht nur des ersten hessischen Kunstdenkmälerinventars, sondern seines Fachs überhaupt. Wir sehen, dass der das ganze Werk Schaefers durchziehende Gedanke einer intensiven Aneignung des kulturellen Erbes unter dem Aspekt des Anwendbar-Nützlichen im Grunde der Kunstwissenschaft eine Zweckorientierung verschafft, die freilich nicht im Gegensatz zur grundsätzlichen Zweckfreiheit als defi­nitorischem Bestandteil des Begriffs von Wissenschaft zu verstehen ist, sondern als akzessorisches Element. Als Lebensmotto, mit dem er 1906 auch sein Testament überschrieben hat, hatte er sich  98 Quartalblätter für das Grossherzogthum Hessen 3 – 4/1873, S. 1 f.  99 Schaefer 1885, Vorbemerkung der Kommission, S. I–VI, hier S. IV. 100 Ebd., S. I. 101 Ebd., (Vorbemerkung der Kommission), S. II.

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den berühmten Vers aus Goethes Faust erwählt  : »Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen«.102 Schaefer war zu sehr Pädagoge, um den vermittlungsbezogenen Aspekt seiner Wissenschaft geringer zu bewerten als die Forschung. Der pädagogische Impetus war wichtig für sein Selbstverständnis als akademischer Lehrer, er leitete ihn als Mitglied großer Vereine – wie des historischen Vereins für das Großherzogtum Hessen,103 der Darmstädter Kunstgenossenschaft,104 des Freien Deutschen Hochstifts105 und – bis 1870 – auch der ›Société d’archéologie et d’histoire de la Moselle‹ in Metz,106 er leitete ihn bei seiner regen, leider bisher nicht dokumentierbaren Vortragstätigkeit, die ihn in zahllose Städte des In- und Auslands führte,107 und er führte dazu, dass in Schaefers Vorlesungen neben den Studierenden auch stets interessiertes und fachkundiges Publikum Platz nahm. Das großherzogliche Ministerium des Innern und der Finanzen versandte Anfang Juni 1882 einen Fragebogen an alle Bürgermeistereien des Lands mit 21 Positionen  :108 Gefragt wurde nach gedruckten oder handgeschriebenen Chroniken, nach kommunalen und privaten Archiven, Weistümern, Urkunden, Karten und Manuskripten aller Art, nach Siegeln, Stempeln von Körperschaften aller Art, nach dem Vorhandensein und Alter von Sakralbauten, auch solcher, die nicht mehr genutzt werden  ; gefragt wurde nach liturgischen Ausstattungen, Grabmälern, Inschriften, nach kommunalen, sakralen oder öffentlichen Gebäuden vor 1801, nach ihrem Alter und baulichen Zustand, nach bemerkenswerten Privatgebäuden und ihren früheren Nutzungen, nach noch vorhandenen oder inzwischen abgegangenen Ortsbefestigungen, Wall- und Grabenanlagen, Schlössern und Burgen, nach einstigen und bestehenden Kirch- und Friedhöfen, gefragt wurde nach Skulpturen aller Art, Wappen, Jahreszahlen, Steinmetzzeichen, Inschriften, Wandmalereien, Glasmalereien, nach Flurkreuzen wie überhaupt nach Flurdenkmalen im weitesten Sinne inklusive der alten Gewann- und Flurnamen, einbezogen in die Fragen sind Erkundigungen nach Brunnen und Wasserleitungen, Schanzen und Ring102 Goethe 1986, S. 682 f. 103 1865 – 1876  : QuBl. 1/1865, S. 1, und 2/1876, S. 10. Die genauen Hintergründe seines Austritts sind unklar, eine Krise des Vereins deutet Karl Esselborn in Archiv für Hessische Geschichte und Altertumskunde N. F. 18/1934, S. 64 f. nur an. 104 Spätestens 1873 bis 1908. 105 Schaefer wurde 1880 als Ehrenmitglied und Meister des Freien Deutschen Hochstifts berufen  ; er blieb bis zu seinem Tode Mitglied des Hochstifts. 106 Bulletin de la Société d’archéologie et d’histoire de la Moselle 10 (1867), S. 155. Der Verein wurde 1896 aufgelöst. 107 Schaefer 1906, S. 2  : Seine Einkünfte bestanden nicht nur aus den Vergütungen aus beruflicher Tätigkeit, »sondern auch durch schriftstellerische Arbeit, sowie durch gewinnreiche Wandervorträge in fast allen grösseren und zahlreichen mittleren Städten Deutschlands, eine bis zur Vollendung meines siebzigsten Lebensjahres fortgesetzte aufreibende öffentliche Tätigkeit, die zumeist mitten in den Winter fiel …«. 108 Hessisches Staatsarchiv Darmstadt G 15 Alsfeld B 17.

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wällen aus vor- und frühgeschichtlicher Zeit, nach alten Verkehrswegen und den mit ihnen verknüpften Überlieferungen, prähistorischen Bestattungsorten und Menhiren. Gefragt wurde schließlich nach Fundstücken aller Art in kommunalem oder privatem Besitz, nach Sagen und Legenden und am Ende, mit Frage 21, nach dem Vorhandensein von Sammlungen von Gemälden, Bildwerken, Gefäßen, Waffen – auch einzelnen Stücken in privater Hand. Zu diesem Fragebogen gibt es eine siebenseitige Anleitung zur Beantwortung, die binnen sechs Wochen erwartet wurde und so zu konzipieren war, dass »auch Ortsfremde die bezügliche Stelle sich veranschaulichen und leicht auffinden können«.109 Die ausgefüllten Fragebögen waren also Wegweiser für eine Schar dazu ausersehener Altertumsexperten,110 die nun die Mühe auf sich nahmen, Kreis für Kreis, Ort für Ort sich die für merkwürdig gehaltenen Relikte einstigen Kunstschaffens und Gewerbefleißes zeigen zu lassen, Gebäude zu besichtigen, Sakristeien und Archive zu durchstreifen, Dachwerke und Türme zu erklimmen, Ruinen und Bodendenkmäler zu inspizieren, sich Funde vorweisen, Geschichten erzählen zu lassen. 1885 erschien mit dem Kreis Offenbach in der Provinz Starkenburg der erste der auf 18 Bände angelegten Reihe. 1898 waren schon sechs Kreise abgearbeitet, dann kam das Projekt ins Stocken und wurde erst 1914 und auf neuer Grundlage fortgeführt  : Es folgten die Kreise Bergstraße (1914), Gießen (1918) und Stadt und Kreis Mainz, 1919 vorgelegt von Schaefers Nachfolger Rudolf Kautzsch (1868 – 1945), der damals allerdings schon nicht mehr in Darmstadt, sondern bereits in Frankfurt lehrte. Drei Bände hat Schaefer vorgelegt  : 1885 den Kreis Offenbach, 1891 den Odenwaldkreis und 1898 den Kreis Wimpfen. VII. Späte Jahre (1892 – 1908)

Offenbar bildet das Jahr 1892 einen Wendepunkt in Schaefers Leben. Ohne dass wir wüssten, was die Ursache war, erkrankte er schwer,111 möglicherweise lebensbedrohlich. Aber weder endete damals seine Lehrtätigkeit an der Technischen Hochschule, noch beendete er seine Arbeit an den Kunstdenkmälern, deren letzter Band 1898 erschien. Aber wir sehen Schaefer keine Reisen mehr unternehmen (außer gelegentliche Kuren in Bad Kissingen und Karlsbad) und spüren eine gewisse Distanz zu der sich sehr stark naturwissenschaftlich-technisch orientierenden Hochschule, die ihn 1902 sehr ehrenvoll entlässt und ihm bis zu seinem Lebensende einen Platz im Senat einräumt. 1906, als 109 HStA Darmstadt G 15 Alsfeld B 17, Anleitung S. 4 f. 110 HStA Darmstadt G 15 Alsfeld B 17, Anleitung S. 3  : »Die endliche Bearbeitung des Werkes wird durch einige damit von uns betraute Fachmänner und Gelehrte vorgenommen werden«. 111 Schaefer 1906.

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Schaefer sein umfangreiches Testament aufsetzt, ist er das älteste Mitglied des Professorenkollegiums der TH Darmstadt. In seinen letzten Lebensjahren dominiert das Bild eines altwerdenden Menschen, der nicht den Eindruck vermittelt, über einer Vielzahl unvollendeter Arbeiten und Vorhaben von seinem Lebensende überrascht worden zu sein. Vielmehr überwiegen die Hinweise auf einen alten Herrn, der sein Erbe wohlgeordnet hinterließ, mit rheumatischen Beschwerden zu kämpfen hatte und mit zunehmendem Alter auch schlechter gesehen hat. Seine Ehe stand unter keinem guten Stern  ; 1889 war seine Frau gestorben, die bis dahin nur noch selten an seiner Seite zu sehen war. Schaefer starb am Morgen des Samstags, 15. August 1908, in seiner Wohnung in der Zimmerstraße 10 in Darmstadt.112 Zwei Tage später, am 17. August 1908, abends, wurde er auf dem Darmstädter Friedhof beigesetzt. Am offenen Grab sprachen Heinrich Walbe (1865 – 1954), damals auch Rektor der TH. Für die Hinterbliebenen und Freunde richtete Landgerichtspräsident Karl Georg Bockenheimer (1836 – 1914), der Patensohn des Verstorbenen, das Wort an die Trauergemeinde. Das Grab bestand bis 1949. Es wurde aufgelöst, die Bronzeplatte mit Inschrift ging damals an das Kunsthistorische Institut der Technischen Universität Darmstadt.113 Sie nennt Schaefer einen »Freund und Mittler des Schönen, in dessen Heimath er einging«. Literatur Adamy 1885 – Rudolf Adamy  : Die Einhard-Basilika zu Steinbach im Odenwald, Darmstadt 1885. Adamy 1891 – Rudolf Adamy  : Die Fränkische Thorhalle und Klosterkirche zu Lorsch an der Bergstraße, Darmstadt 1891. Anonyma 1916 – Anonyma  : Mère Jenny Schaefer (1826 – 1913), in  : Lettres Annuelles de la Société du Sacré Cœur de Jésus Teil I, Bd. 2 (1914 – 1916), S. 271 – 289. Braden 1873 – Stephan Braden  : Die Pfarrkirche zu Seligenstadt vor der Restauration im Jahre 1868, in  : Archiv für hessische Geschichte und Alterthumskunde 13 (1873), S. 100 – 117. Goethe 1986 – Johann Wolfgang von Goethe  : Faust. Der Tragödie erster Teil. Nacht. Faust mit sich allein, in  : Erich Trunz (Hg.), Goethes Werke III. Dramatische Dichtungen 1, München 131986. Kaufhold 1969 – Walter Kaufhold  : Fürstenhaus und Kunstbesitz, 100 Jahre Fürstl. Hohenzollernsches Museum, Sigmaringen 1969. Kössler 1976 – Franz Kössler (Bearb.)  : Register zu den Matrikeln und Inscriptionsbüchern der Universität Gießen. WS 1807/08 – WS 1850, Gießen 1976. Kozelka 1925 – Leo Kozelka  : Die Simultanschule in Hessen, Mainz 1925.

112 HStA Marburg, Standesamt Darmstadt, Best. 901, Nr. 370, S. 147 (Nr. 734). 113 Digitale Sammlung der Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt, Darmstädter Friedhofsbücher fd-A-2 Alter Friedhof Darmstadt  : I-C-48 (S. 435 f.).

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Kremnitz 1894 – Mite Kremnitz (Hg.)  : Aus dem Leben König Karls von Rumänien. Aufzeichnungen eines Augenzeugen, Bd. 1, Stuttgart 1894. Lemke 2018 – Volker Lemke  : Philipp Müller (1804 – 1870). Ein Pionier der Wissenschaft und vergessener Vorgänger Anton de Waals, in  : Stefan Heid, Karl-Joseph Hummel (Hg.)  : Päpstlichkeit und Patriotismus. Der Campo Santo Teutonico. Ort der Deutschen in Rom zwischen Risorgimento und Erstem Weltkrieg (1870 – 1918), Freiburg i. Br., Basel, Wien 2018, S.  507 – 546. Lindenberg 1906 – Paul Lindenberg  : König Karl von Rumänien. Ein Lebensbild, Berlin 1906. Neubert 1905 – Franz Neubert  : Deutsches Zeitgenossenlexikon. Biographisches Handbuch deutscher Männer und Frauen der Gegenwart, Leipzig 1905. Rosenberg 1873 – Carl Adolf Rosenberg  : o. T., in  : Kunst-Chronik. Beiblatt zur Zeitschrift für bildende Kunst 8 (1873), Sp. 429 – 431. Roth 1996 – Ralf Roth  : Stadt und Bürgertum in Frankfurt am Main. Ein besonderer Weg von der ständischen zur modernen Bürgergesellschaft 1760 – 1914, München 1996. Schaefer 1859 – Georg Schaefer  : Histoire de Hohenzollern au moyen âge, Paris 1859. Schaefer 1868 – Georg Schaefer  : Weisthum des Sends zu Nierstein, in  : Archiv für hessische Geschichte und Alterthumskunde 12 (1868), S. 41 – 55. Schaefer 1871 – Georg Schaefer  : Das jüngste Gericht. Wandgemälde in der Stadtkirche zu Wimpfen am Berg, in  : Zeitschrift für bildende Kunst 6 (1871), S. 273 – 277. Schaefer 1872 – Georg Schaefer  : Die Denkmäler der Elfenbeinplastik des Grossherzoglichen Museums zu Darmstadt in kunstgeschichtlicher Darstellung, Darmstadt 1872. Schaefer 1873a – Georg Schaefer  : Die karolingische Profan-Baukunst und ihre Denkmale, insbesondere am Mittelrhein, in  : Quartalblätter 3 – 4 (1873), S.  2 – 22. Schaefer 1873b – Georg Schaefer  : Die Einhards-Basilika bei Michelstadt im Odenwald, in  : Kunst-Chronik. Beiblatt zur Zeitschrift für bildende Kunst 8 (1873), Sp. 677 f. Schaefer 1874a – Georg Schaefer  : Die Einhard-Basilika bei Michelstadt im Odenwald, in  : Zeitschrift für bildende Kunst 9 (1874), S. 129 – 145. Schaefer 1874b – Georg Schaefer, Die Einhard-Basilika bei Michelstadt im Odenwald, in  : Quartalblätter des historischen Vereins für das Grossherzogthum Hessen 1 (1874), S. 1 – 18. Schaefer 1874c – Georg Schaefer  : Ueber die Denkmäler der bildenden Kunst des Mittelalters und der Renaissance in den nördlichen Theilen der Provinz Oberhessen, in  : Quartalblätter des historischen Vereins für das Grossherzogthum Hessen 4 (1874), S. 1 – 57. Schaefer 1875 – Georg Schaefer  : Die Karolinger-Grabkapelle zu Lorsch, in  : Monatsschrift für rheinisch westfälische Geschichtsforschung und Alterthumskunde 1 (1875), S. 453 – 460. Schaefer 1877 – Georg Schaefer  : Trauerrede für Philipp Veit, gehalten am Grabe des großen Altmeisters auf dem Friedhofe zu Mainz, am 20. Dezember 1877, Mainz 1877. Schaefer 1880 – Georg Schaefer  : Die St. Katharinenkirche zu Oppenheim und der Entwurf für die Wiederherstellung. Mit Illustrationen, in  : Zeitschrift für bildende Kunst 15 (1880), S.  129 – 139, 176 – 184. Schaefer 1884 – Georg Schaefer  : Die Kunst des Islam, in  : Berichte des Freien Deutschen Hochstifts in Frankfurt am Main, Jg. 1883 – 84 (November 1883 bis Mai 1884), Frankfurt a. M. 1884, S.  48 – 55.

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Schaefer 1885 – Georg Schaefer  : Kunstdenkmäler im Grossherzogthum Hessen. A. Provinz Starkenburg. Kreis Offenbach, Darmstadt 1885. Schaefer 1891a – Georg Schaefer  : Kunstdenkmäler im Grossherzogthum Hessen. A. Provinz Starkenburg. Kreis Erbach, Darmstadt 1891. Schaefer 1891b – Georg Schaefer  : Der Dom zu Fünfkirchen und seine Wiederherstellung durch Friedrich Freiherrn von Schmidt, in  : Zeitschrift für bildende Kunst 1891 (Sonderdruck mit eigener Paginierung). Schaefer 1896 – Georg Schaefer  : Bilderkalender für das Großherzogthum Hessen 1896. Schaefer 1898 – Georg Schaefer  : Kunstdenkmäler im Grossherzogthum Hessen. A. Provinz Starkenburg. Ehemaliger Kreis Wimpfen, Darmstadt 1898. Schaefer 1906 – Georg Schaefer  : Testament (hand-, teilweise maschinenschriftlich), Darmstadt 1906, in  : Archiv Amtsgericht Darmstadt, o. Sign., heute verloren  ? Schaefer 1916/1917 – Karl Schaefer  : Selbstbiographie, Rorschach (hdschr.) 1916/1917 (= Stadtarchiv Mainz, NL Schäfer, Karton 1, Fasz. 2). Schefers 1935 – Agnes Schefers, geb. Schaefer  : Erinnerungen meines Vaters und seiner Familie (Typoskript), Amorbach 1935. Schefers 1986 – Hermann Schefers  : Johann Georg Schaefer, Professor der Kunstgeschichte (1823 –  1908), in  : Archiv für hessische Geschichte und Altertumskunde, Neue Folge 44 (1986), S. 433 – 444. Schefers 2014 – Hermann Schefers  : »Auf der Glöck pfeift jetzt ein Fink sein Lied«. Das Weingut Philipp Josef Finck – ein Kapitel Niersteiner Weingeschichte, in  : Niersteiner Geschichtsblätter, Sonderausgabe Juli 2014, Nierstein 2014. Schneider 1878 – Friedrich Schneider  : Der karolingische Thorbau zu Lorsch, in  : Correspondenzblatt des Gesammtvereins der deutschen Geschichts- und Alterthumsvereine 26 (1878), S. 1 – 4. von Steinle 1896 – Alphons Maria von Steinle  : Edward von Steinle’s Briefwechsel mit seinen Freunden. Herausgegeben und durch ein Lebensbild eingeleitet, Bd. 1, Freiburg i. Br. 1896. Suhr 1977 – Norbert Suhr  : Philipp Veit. Porträts aus dem Mittelrheinischen Landesmuseum Mainz und aus Privatbesitz, Mainz 1977. Vetterlein 1902 – Ernst Vetterlein  : Das Auftreten der Gotik am Dom zu Mainz. Von der Technischen Hochschule zu Mainz zur Erlangung der Würde eines Doktor-Ingenieurs genehmigte Dissertation, Straßburg 1902. Zingeler 1911 – Karl Theodor Zingeler  : Karl Anton Fürst von Hohenzollern. Ein Lebensbild nach seinen hinterlassenen Papieren, Stuttgart, Leipzig 1911.

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Querdenker in Gemengelage  !  ? Max Schmid-Burgk und sein ›Bauhaus‹ – ein Kunsthistoriker der TH Aachen als Impulsgeber

Max Schmid-Burgk (1860 – 1925) dient als Fallbeispiel par excellence für einen an einer TH tätigen Kunsthistoriker Anfang des 20. Jahrhunderts, da sich anhand seiner Person (Herkunft, Ausbildung, Werdegang), den Bewerbungsunterlagen, dem allgemeinen Etablierungsprozess der THen (Bildung/Ausbildung, Profilbildung), der institutionsei­ genen Entwicklung der Architekturfakultät an der Aachener TH und der innovativen Genese des hochschuleigenen Reiff-Museums (Privatsammlung, Stiftung, Schaus­ ammlung und Wechselausstellungen) die Möglichkeiten und Grenzen ausloten lassen, welche Rolle inhaltlicher und struktureller Form Kunsthistoriker an Architekturfakultä­ ten Technischer Hochschulen einnehmen konnten.

Getreu der Bauhaus-Vision, die Bereiche Architektur, Kunst und Gestaltung, I­ ndustrie und Handwerk neu und vernetzt zu denken, stellt 2019 das 100-jährige Jubiläum den perfekten Rahmen dafür dar, das Staatliche Bauhaus Weimar in seiner historischen Herleitung um eine Personalie zu erweitern  : Max Schmid-Burgk (1860 – 1925, Abb. 1), Ordinarius für Kunstgeschichte an der Technischen Hochschule Aachen in den Jahren 1893 bis 1925 und Direktor des hochschuleigenen Reiff-Museums innerhalb der Architekturfakultät.1 Versteht man das Bauhaus nicht als Neubeginn, sondern als fulminanten Kulminationspunkt einer seit dem Ende des 19. Jahrhunderts angestoßenen Reihe von Entwicklungen, gingen auch von der TH Aachen Reformimpulse aus.2 Dabei war es – analog zum Bauhaus – im ersten Zugriff nicht die Institution, sondern die Person, mehr noch die Persönlichkeit Schmid-Burgk, die in ihrer Rolle als Professor für Kunstgeschichte den institutionellen wie fachgeschichtlichen Rahmen innovativ, experimentell und mit enormem Enthusiasmus gegen jeden Widerstand zu formen verstand.3

1 Vgl. Dlugaiczyk 2008a, S. 74 – 85. 2 Vgl. Funk-Jones, Müller 1984  ; Tummers 1972. 3 Max Schmid ändert seinen Namen ab ca. 1914 in Schmid-Burgk. Die Gemeinde Burgk liegt in unmittelbarer Nähe seines Geburtsortes Weimar. Aus Gründen der Vereinheitlichung wird er im Text – außer in den bibliografischen Angaben – immer unter Schmid-Burgk geführt.

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Martina Dlugaiczyk

Abb. 1  : H. M. Davringhausen  : Schmid-Burgk, 1924 (o. r.), © Renata Davringhausen, Flyer Kleinwohnungs­ bau, 1913 (u. r.)  ; Ausstellung Fahrenkamp, 1913 (o. l.), W. Kandinsky  : Improvisation 24 (u. l.), Archiv der Autorin  ; Collage.

I. Kunsthistoriker versus Architekt – ein kurzer Schlagabtausch

So stellte sich Schmid-Burgk etwa unmittelbar Hermann Muthesius entgegen, als dieser sich 1911 auf der Dresdner Jahresversammlung des Deutschen Werkbundes wortgewaltig über die »Gedanken-Blässe« insbesondere der an Technischen Hochschulen tätigen Kunsthistoriker ausließ.4 Im hitzigen Tenor der Zeit begründete der Architekt und Beamte im Preußischen Handelsministerium sein Statement damit, dass »[…] im heutigen Unterrichtsbetriebe [die] übliche bloße Aneignung der architektonischen Äußerlichkeiten […] fern von der Allgemeinkunst vor sich geht« und somit eher »spätere 4 Muthesius 1909, S. 105.

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Querdenker in Gemengelage  !  ?

Räte vierter Klasse« und nicht dem künstlerischen Reformanspruch entsprechend »[…] Baukünstler erster Klasse« ausgebildet würden, da man sich allein »der Kunst von ­einem systematisierenden Standpunkte aus nähert, [und] ihre Erzeugnisse in fertig bereit gehaltene Fächer ein[schachtelt]«.5 Und vor allem – so führt er weiter aus –, »man lehrt dem Unwissenden fertig geprägte Urteile […].«6 Während Muthesius mit seiner Rede im Fachkollegenkreis auf breite Zustimmung hoffen konnte – Hermann Billing etwa hatte kurz zuvor gezielt ein Exponat aus der für ihn den verstaubten Akademismus symbolisierenden kunst- und bauhistorischen Lehrsammlung der TH Karlsruhe als vermeintlichen Befreiungsschlag für die künstlerische Freiheit zerstört – setzte SchmidBurgk mit Verve zur Gegenrede an.7 Schließlich würden die Ausführungen völlig unberücksichtigt lassen, dass in einigen der Lehr- und Schausammlungen von Architekturfakultäten an THs bereits neue Assoziations- und Denkräume modernen, synergetischen Zuschnittes entstanden seien, in denen die Prozesshaftigkeit von Wissenschaft und Kunst theoretisch wie praktisch vermittelt werde. Dazu gehörte in seinem Selbstverständnis auch die gattungsübergreifende, konstruktive Konfrontation von Alter und Neuer Kunst. Zudem stünden die Lehrmittelsammlungen neben den Studierenden bereits zumindest bedingt der Öffentlichkeit zur Verfügung, da es eben gelte, nicht nur ein interessiertes akademisches Publikum, sondern ganz im Sinne des Werkbundes und der Reformpädagogik auch die anonyme Masse in ästhetischen Fragen zu unterrichten.8 Selbst Beratungsstellen seien eigens eingerichtet worden. Dazu später mehr. Während Muthesius also gegen die Kunsthistoriker als Sezierer am »Leichnam der verstorbenen Kunst«9 ätzte, Billing quasi als Bilderstürmer agierte und beispielsweise die Architekten- und Ingenieurvereine im Zuge der (Aus-)Bildungsreform eine umfassende Einführung in Literatur-, Musikgeschichte und Nationalökonomie forderten, stand Schmid-Burgk bereits mit keinem Geringeren als Wassily Kandinsky in Kontakt, um eine Ausstellung dessen abstrakter Werke für das universitätseigene Museum und damit zur Unterweisung der Studierenden innerhalb der TH Aachen zu organisieren.10 1911  ! Nur zwei Jahre später folgte am 16. November 1913 die Ausstellungseröffnung.11 Damit aber nicht genug  : Trotz heftigster Diskussionen und Anfeindungen gelang SchmidBurgk sogleich ein weiterer fulminanter Coup, indem er zwei der präsentierten Gemälde für die akademische Lehrsammlung, das Reiff-Museum der TH Aachen, erwarb.12   5 Muthesius 1912, S. 21  ; ders., 1909, S. 102 f.   6 Muthesius 1909, S. 103.   7 Gruber 1961, S. 134 f.   8 Schmid 1912, S. 31 f.   9 Muthesius 1909, S. 109. 10 Darüber wurde bereits ausführlich an anderer Stelle verhandelt, vgl. Turck 1994, S. 81 – 90  ; Dlugaiczyk 2011, S.  33 – 54. 11 Vgl. die negative Ausstellungskritik von Isitnot 1913, 2. Blatt. 12 Kandinsky notierte dazu  : »Dem Reiffmuseum habe ich 2 Bilder auf Auszahlung verkauft […]  : Improv.

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So leidenschaftlich sich Schmid-Burgk für die Belange der Kunst einzusetzen verstand, so sachlich kommentierte er die Situation gegenüber Muthesius und dem ­illustren Kollegenkreis13  : »Es existiert […] heute an den technischen Hochschulen eine starke Tendenz, die rein künstlerische Entwicklung gegenüber der einseitig formalen und wissenschaftlichen in den Vordergrund zu stellen«.14 Damit agierte er gleichermaßen klug wie diplomatisch, denn dieser Zurückhaltung – er hätte auf seine zahlreichen Projekte explizit hinweisen können – liegt die allgemeine Entwicklung in den Architekturfakultäten von THen zugrunde, da die »Tendenz«, wie er es formuliert, eben noch nicht von »höheren Instanzen« wie z. B. dem Kultusministerium oder niedrigschwelliger von den eigenen Kollegen mitgetragen wurde. So schreibt Schmid-Burgk etwa 1907 in einem Brief an Muthesius bezüglich der vakanten, zuvor durch Friedrich Klingholz besetzten Professur für Renaissance  : »Für diese Stelle resp. für unsere Hochschule wäre es höchst erwünscht, eine jüngere und vor allem künstlerisch begabte Kraft hierher zu ziehen. […] Sie selbst werden ja von der Notwendigkeit überzeugt sein, dass in den Lehrmethoden unserer Technischen Hochschulen, insbesondere der Abteilung I, verschiedenes geändert wird und dass vor allem neue und künstlerische Kräfte hier heranzuziehen sind«.15

Leider ist Muthesius’ Antwortschreiben nicht überliefert, dafür aber die Antwort aus Aachen  : »Besten Dank für Ihren freundlichen Rat. Ich muss leider hier auf den Gedanken, Künstlern die Wege zur Dozentur zu bahnen, bei der derzeitigen Zusammensetzung des Lehrkörpers der Abteilung I vollständig verzichten«.16 Schmid-Burgk wusste also um die Fragilität der Situation, aber auch um das Alleinstellungsmerkmal seiner Tätigkeit und der Wirkungsstätte. 24 und Blauer Berg (der jetzt hier unter dem Zettel ›Besitz Reiffm.‹ hängt). Museumskäufe sind wichtig«. Staatsbibliothek zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz, Handschriftenabteilung  : Sturm-Archiv, M. 5070, 2.1.1914, Bl. 154,2. Dass in dem von Kandinsky geführten Hauskatalog der Jahre 1909 – 1916 nur unter der Improvisation 24 und nicht auch unter dem Gemälde Blauer Berg der neue Besitzer eingetragen wurde, darf als Indiz dafür gewertet werden, dass Schmid-Burgk für letzteres zwar die Option erwirkte, das Werk aber aus unbekannten Gründen nicht angekauft hat. Heute befindet es sich im Guggenheim Museum zu New York, während die Improvisation 24 als verschollen gilt, vgl. Roethel, Benjamin 1982, S. 248, Kat. 260 (Blauer Berg) und S. 414 – 415, Kat. 426 – 27  ; Kandinsky 1913, Nr. 46. 13 Im Plenum saßen u. a. Karl Ernst Osthaus aus Hagen, Theodor Fischer aus München und Cornelius Gurlitt aus Dresden. 14 Schmid 1912, S. 31. 15 Neben den an das Ministerium gerichteten offiziellen Schreiben (Geheimes Staatsarchiv Berlin und Hochschularchiv RWTH Aachen, vgl. Dlugaiczyk 2008a, S. 74 – 85), hat sich ein Konvolut an Briefen an Hermann Muthesius erhalten, in denen er zuweilen die schwierigen abteilungsinternen Abläufe und Gruppenbildungen kommentiert, hier Werkbundarchiv Berlin, D 102 – 5515 A/B (6. Dezember 1907). 16 D 102 – 5514 A (16. Dezember 1907), Werkbundarchiv Berlin. Letztlich trat Hans Hausmann die Professur an.

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Neben seinem sicheren Gespür für avantgardistische Strömungen und der Courage, sie zu fördern und in den Lehrbetrieb zu integrieren, – mit der Kandinsky-Ausstellung konnte er in Aachen bereits auf eine fünfjährige Ausstellungspraxis mit Werken von Max Klinger, Max Slevogt, Paul Klee, August Macke, Karl Schmidt-Rottluff, Max Pechstein, Lovis Corinth, Fritz Erler oder Hanns Bolz zurückblicken –, leistete er im klassischen Sinne kunsthistorische Basisarbeit. Dazu gehörte die Abfassung von Handbüchern wie etwa dem Grundriss der Kunstgeschichte. Ein Hülfsbuch für Studierende auf Veranlassung der Königlich Preussischen Unter­ richtsverwaltung,17 ferner der Kunstgeschichte des XIX. Jahrhunderts (3 Bde, ab 1904) oder der Kunstgeschichte nebst einem kurzen Abriss der Geschichte der Musik und Oper von Clarence Sherwood (1903). Unter den Künstlermonografien sind seine Abhandlungen über Rethel (1898) und Max Klinger (1913) und im Bereich der Denkmal-Inventare die Mitarbeit an den Bänden Belgische Kunst-Denkmäler (1923) oder Die Kunstdenkmäler der Stadt Aachen. Die profanen Denkmäler und Sammlungen (1924) zu nennen. Hinzu kamen zahlreiche Artikel über Archäologie, Kunstgewerbe, Architektur, Denkmalpflege, moderne Kunst, Künstler und christliche Kunst. Insbesondere im letztgenannten Themenfeld hatte er nicht nur seine Qualifikationsschrift Die Darstellung der Geburt Christi in der bildenden Kunst (1890) verortet, sondern zudem die Sonder-Ausstellung für Christliche Kunst in Aachen 1907 eigenverantwortlich und in Düsseldorf 1909 anteilig kuratiert.18 Frühzeitig stellte er seine kunsthistorischen wie fachspezifischen Fragestellungen auf Kongressen zur Diskussion – etwa auf dem Kunsthistorischen Kongress in Amsterdam 1898 oder eben auf der eingangs erwähnten Jahresversammlung des Deutschen Werkbundes (1911).19 Ferner reflektierte er in allen Medien über methodische Zugriffsmöglichkeiten und Bedingtheiten, wobei er zunächst und vor allem die Kunstgeschichte an THs fokussierte. So notierte er 1921 rückblickend  : »Theorie und Praxis, Kunstlehre und Kunstbetrachtung eng zu verbinden, Geschmacksbildung durch Wort und Tat zu vermitteln, das muß das Ziel der Kunstgeschichte an Technischen Hochschulen sein«.20 Zudem sollte 17 Nachdem Freiherr Friedrich Goeler unerwartet verstorben war, redigierte laut Vorwort Schmid-Burgk als Nachfolger des Verstorbenen im Lehramt an der Kgl. Kunstschule zu Berlin die zweite Auflage, die dann erst 1903 und die dritte Auflage 1912 erschien. 18 Die Sonder-Ausstellung in Aachen war Teil einer Gewerbeausstellung, über die die Leistungsfähigkeit des Aachener Handwerks und Kunstgewerbes der breiten Öffentlichkeit vorgestellt werden sollte, vgl. u. a. die dazu erschienene Ausstellungs-Zeitung, Stadtarchiv Aachen. Zur Ausstellung in Düsseldorf ist ein umfangreicher Katalog erschienen, vgl. Ausstellungskatalog Düsseldorf 1909  ; Schmid 1909, S. 73 – 82. Für beide Ausstellungen war Schmid-Burgk mehrfach in England unterwegs und holte sich dafür Informationen und Kontakte bei Muthesius ein, vgl. D 102 35511 A/B  ; D 102 5512 A/B  ; D 102 5513 A/B  ; D 102 5986 A/B, Werkbundarchiv Berlin. 19 Vgl. die Programmankündigung in der Kunstchronik, Oktober 1897, S. 273. 20 Gast 1921, S. 210.

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»im kunstgeschichtlichen Unterricht das Wissen von den Kunstwerken zurücktreten gegenüber dem Sehen, Beobachten, Einfühlen. Grundlegend ist das Anschauungsmaterial. […] Der Studierende mag aus meinem kleinen Handbuch der Kunstgeschichte die fehlenden Daten und Tatsachen durch eigenes Studium ergänzen. Er kann es, wenn er sehen gelernt hat.«21

Die Frage keimt, welche Voraussetzungen und Grundlagen es in Aachen für diesen – für Zeit und Ort – ungewöhnlich progressiven kunstgeschichtlichen Unterricht gab. II. Ein Blick zurück nach vorn – Kunstgeschichte von/für Architekten

Die Bedingungen für diese durch Schmid-Burgk initiierte Seh-Schule liegen bereits in den Anfängen der heutigen RWTH Aachen begründet. Über die Etablierung kulturwissenschaftlicher Fächer war in den Jahren 1858 bis 1870 – also zwischen Gründungsidee, Grundsteinlegung und Eröffnung der Königlich Rheinisch-Westfälischen Polytechnischen Schule zu Aachen – lebhaft diskutiert worden. Aber im ersten Zugriff konnte das Ziel, statt eines reinen Brotstudiums eine Bildungsanstalt zu etablieren, nicht umgesetzt werden. Erst als »1876 eine neue Staatsprüfungsordnung für Regierungsbauführer publiziert [worden war, erfolgte] 1878 die Konstituierung einer Fachschule für Architektur ›als einer von der Fachschule für Bauingenieurwesen gesonderten und selbständigen Abteilung‹«.22 Unmittelbar mit Beschlussfassung hatte sich die Architekturabteilung – um nicht zuletzt auf eine »mehr künstlerische Ausbildung«23 der Studierenden hinzuarbeiten – programmatisch dahin gehend geäußert, dass Vorlesungen über Kunstgeschichte – was in dem Fall inklusive Literaturgeschichte, Ästhetik und Kulturgeschichte hieß – notwendig seien.24 Bis dahin war von den Architekten Heinrich Damert, Wilhelm Tochtermann und Karl Henrici Architektur und Kunstgeschichte gelesen worden, »allerdings in Beschränkung auf die Baugeschichte«.25 Es folgte die Berufung von Karl Lemcke als ersten Ordinarius für Kunstgeschichte am Polytechnikum Aachen. Dass man der neuen Fachdisziplin jedoch skeptisch gegenüberstand, deren Wertigkeit im Allgemeinen und im Speziellen hinterfragte, vermittelt sich darin, dass man Lemcke anfänglich auf Empfehlung des Ministers nicht das volle Gehalt eines Ordinarius in Höhe von 4800 Mark plus 660 Mark Wohnungszuschuss zahlen wollte.26 Dessen Veto 21 Ebd., S. 207 f., vgl. Schmid 1912. 22 Gast 1921, S. 178. 23 Ebd. 24 Gast 1921, S. 178, vgl. hierzu auch  : ebd., Kap. IV, Lehrstuhl für Kunstgeschichte und Reiffmuseum, S. 205 – 210. Karl Lemcke (1876 – 1885) folgten Robert Vischer (1885 – 1893) und Max Schmid-Burgk (1893 – 1925). 25 Gast 1921, S. 178  ; S. 183  ; S. 199  ; S. 202. 26 Gast 1921, S. 206.

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war jedoch von Erfolg beschieden, nicht zuletzt aufgrund des Hinweises, dass selbst das volle Gehalt im internationalen Vergleich nicht bestehen könne  : Der Rijksakademie in Amsterdam war Lemckes wissenschaftliche Arbeit umgerechnet knapp 6400 Mark wert gewesen.27 In diesem Kontext wäre eine systematische Bezüge-Erhebung von Interesse, denn mit der Etablierung des Faches und den damit einhergehenden An- und Abwerbungsstrategien stiegen die Jahresgehälter inklusive finanzieller Anreize etwa in Form von erhöhten Pensionsleistungen aufgrund der Anerkennung vorheriger Tätigkeiten.28 In den ersten Jahrzehnten ist der Zu- und Abgang in der Professorenschaft jedoch noch stark von der inhaltlichen Ausrichtung des Faches bestimmt. III. Karl Lemcke (1831 – 1913)

Nachdem also unter der Ägide des Abteilungsvorstehers Franz Ewerbeck, der seit 1870 in der Architektur-Abteilung die Professur für Formenlehre der Baukunst und Ornamentik innehatte, beim »Minister die Anstellung eines Lehrers für Kunstgeschichte [ge-]fordert« worden war, trat Lemcke 1876 seinen Dienst am Polytechnikum an.29 Anfänglich las er zwei Stunden Ästhetik und drei Stunden Kunst-, Kultur- und Literaturgeschichte, wobei insbesondere Literatur und Musik einen Schwerpunkt bildeten. Denn Lemcke verdingte sich parallel unter dem Pseudonym Karl Manno als Lieddichter und Romanautor und ließ diese Qualitäten in seine Lehre einfließen. So heißt es etwa in der Festschrift von 1921  : »Lemcke war mehr Ästhetiker als Historiker. Er nahm die Kunstwerke, die er zeigte, stets zum Anlaß allgemeiner ästhetischer Betrachtung. Seine Unterrichtsart war die eines interessanten Erzählers, der durch das Einflechten von allerhand Lebenserfahrung und Erlebnissen seinen Darlegungen eine persönliche Note zu geben wußte. Er sprach zu uns wie ein alter, gemütlicher Papa.«30

Neben dieser despektierlich anmutenden Note, die im Duktus der Zeit jedoch ohne Geringschätzung gemeint ist, finden sich weitere Notizen wie etwa  : Lemcke, »Schwager von Geheimrat Wüllner [Prof. für Physik und zw. 1883 – 1886 Rektor]« und »starke Persönlichkeit an der Hochschule« sei »ein rassiger Mecklenburger«, von »gedrungener, 27 Vgl. ebd. 28 Vgl. etwa den Fall des Kunsthistorikers Adelbert Matthaei, der als ordentlicher Professor 1904 von der Universität Kiel an die TH Danzig wechselte und dort ein Jahresgehalt von 6500 Mark bezog, vgl. Bernhard 2015, S. 62. 29 Gast 1921, S. 178. Henrici notierte, dass ihm ›acht Fächer‹ bei Amtsantritt übertragen wurden, deren Anzahl er »zu verringern [gedachte], um die Möglichkeit der Vertiefung in die verbleibenden zu gewinnen. Zuerst wurde erreicht, daß ein besonderer Lehrstuhl für Kunstgeschichte errichtet wurde«, ebd., S. 199. 30 Die Chronik für die Abteilung I stellte Schmid-Burgk zusammen und ließ immer wieder Zeitzeugen und Kollegen zu Wort kommen. Hier ist es Henrici, der über Lemcke berichtet  ; Gast 1921, S. 178 f.

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kraftstrotzender Gestalt«, der »vornehme Gastfreundschaft« pflege und sich in seinen Vorlesungen »auch wohl auf Fragen, die etwas abseits lagen [vorbereite], z. B. Körperpflege, etwa auf das meist ungenügende Waschen derjenigen Körperteile, die man nicht sieht und dergleichen mehr«.31 Wichtiger als diese Anekdoten ist indes folgende Reflexion  : »Wenn diese Art des Unterrichts auch mit der damals gerade aufkommenden exakten Kunstbetrachtung in gewissem Widerspruch stand, so gab sie uns doch viele gute Anregungen zum Nachdenken mit auf den Weg«.32 Dem Grunde nach deckte Lemcke mit seinen Vorlesungen einen Großteil dessen ab, was an anderen Institutionen in den Allgemeinen Abteilungen verhandelt wurde. In Aachen formulierte man prägnant  : »Der Lehrer für Kunstgeschichte soll die humanistische Bildung vertreten«.33 Gleich­zeitig weist der Hinweis auf die methodische Ausdifferenzierung eindrücklich darauf hin, dass man sich mit den Bedingtheiten der Kunstgeschichte als Fachdisziplin auseinandersetzte und sie nicht nur als schmückendes Beiwerk verstand. Noch fehlte dem Fach allerdings ein adäquater Adressatenkreis. Während Lemckes »Zeit war die Schülerzahl besonders in der Architekturabteilung an sich sehr schwach, und dazu kam, daß ein erheblicher Teil der Hörer sich aus dem Unternehmerstande rekrutierte. Das waren meist Leute, die nur das Ziel hatten, demnächst in das väterliche Geschäft einzutreten, um das ›akademische Studium‹ als Aushängeschild zu benutzen.« Daneben  : »4 – 5 ernsthaft zu nehmende Schüler«, so dass »die allgemein-künstlerischen Fächer wie Malen, Modellieren und Kunstgeschichte, mehr oder weniger der Liebhaberei einzelner Eifriger überlassen blieben«.34 Verhandelt wurde in klassischer Abfolge im Wintersemes­ ter Antike und Mittelalter, im Sommer Romanik, Gotik, Renaissance und Neueste Zeit. Während also in der Polytechnischen Schule die Ästhetik im Vordergrund stand – die Chronik vermerkt, dass »auf die Lehre der Ästhetik im Sinne philosophischer abstrakter Begriffe und Systeme […] die Abteilung keinen Wert« gelegt hat, sondern mehr auf die »volkstümliche Darstellung dieser Probleme«35 –, Kunstgeschichte neben Literatur und Kulturgeschichte nur anteilig gelesen wurden, änderte sich 1880 mit der Aufwertung der Polytechnischen Schule zur TH die Schwerpunktsetzung  : Nunmehr lag der Fokus auf der Allgemeinen Kunstgeschichte mit erhöhtem, vier Stunden umfassendem Lehrdeputat. Aus der Professur für ›Ästhetik und Kunstgeschichte‹ wurde die Professur für

31 Gast 1921, S. 178 f. 32 Ebd. 33 Ebd., S. 205. 34 Gast 1921, S. 183. 35 Ebd., S. 206. Ein Grund für die Entscheidung, Karl Lemcke zu berufen, dürfte auch sein Werk über Populäre Ästhetik gewesen sein, Lemcke 1870. Laut Muthesius waren Ästhetik und Archäologie Wissenschaften, die das Leben der Kunst nicht fördern, sondern erschüttern würden »wie falsche Medikamente«. Für Muthesius war »der Schrei nach Kunst« berechtigt am Ende eines Jahrhunderts, das »in Wissenschaft förmlich erstarrte«, zit. nach Hubrich 1980, S. 85.

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›Kunstgeschichte‹. Literatur und Musik wurden zunehmend aus dem Lehrplan gestrichen, was Lemcke 1885 letztlich zum Weggang aus Aachen bewegt haben dürfte. IV. Robert Vischer (1847 – 1933)

Im Juli 1885 nahm Robert Vischer den Ruf nach Aachen an. Seine »Lehrweise […]« – so notierte Henrici – »war ganz anderer Art als die Lemckes. Sie war überaus sachlich, systematisch. Jede Vorlesung auf Grund sorgfältigster Vorbereitung wohl durchdacht, klar geordnet und in prägnanter Ausdrucksweise vorgetragen. Vischer behandelte die Kunstgeschichte in chronologischer Folge. Er stellte sehr hohe Anforderungen an den Zuhörer, ebenso wie an sich selbst. Trotzdem wurden seine Vorlesungen mit großer Regelmäßigkeit besucht. […] Besonders fesselnd waren seine Einleitungsvorträge bei jedem neuen Zeitabschnitt«, wo er es bravourös verstanden habe, »in den Geist des Kunstwerks einzuführen, die Feinheiten der einzelnen Stile gegeneinander abzuwägen und sie voneinander unterscheiden zu lehren«.36 Schmid-Burgk merkte an, dass ­Vischer es bereits zu Beginn seiner Professur ablehnte, Ästhetik, Literatur- und Kultur­ geschichte zu dozieren, seinen Lehrauftrag damit wesentlich konzentrierter anging als Lemcke, wenngleich er die Themenbereiche in seine kunstgeschichtlichen Abrisse zur Erläuterung einfließen lassen wolle. Weiter führte Schmid-Burgk aus, dass Vischers »Vorträge tiefer und weiter in die Sondergebiete der Kunstgeschichte ein[drangen], als in einem Polytechnikum für die Mehrzahl der Hörer notwendig gewesen wäre. Es war strenge Wissenschaft, die er gab, und er wollte auch davon nicht abweichen, selbst wenn die ohnehin geringe Hörerzahl sich noch mehr vermindern würde.«37 Ebenso wie von Lemcke zeichnet die 1921 erschienene Festschrift auch von Vischer eine Art Charakterbild  : Der »kurz angebundene Schwabe«, der mit »seinem großen Schlapphut, seinem derben Stock und seinem getreuen Spitz […]« gleich seinem berühmten Vater durch die Stadt gehe, der »für Aachen als Stadt [und] für seine Bevölkerung […] unverhüllte Abneigung« zeige, »dem es […] grundsätzlich zuwider war, die Mundart eines anderen deutschen Volksstammes sich zu eigen zu machen« und dem »schon das Wohnen im Dreifensterhaus […] ganz und gar nicht [passte]  : ›Es ist ja, als ob man bei sich selbst zur Miete wohnte  !‹«38 Vischer, der sich in Forschung und Lehre verstärkt dem Gebiet der ästhetischen Einfühlungstheorie zuwandte und hier vornehmlich den empirischen Ansatz vertrat, 36 Gast 1921, S. 180. Vischer las zweistündig Architektur und analog zur jeweilig vorgestellten Epoche dreistündig Plastik und Malerei, vgl. ebd., S. 206. 37 Gast 1921, S. 206. »Während im Jahr 1876 die Abteilung 114 Studierende hatte, waren es 1878 nur noch 74, 1879 nur noch 44 und die Hörerzahl sank schließlich auf 18«, ebd., S. 181. 38 Gast 1921, S. 180.

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verließ Aachen 1893 vermutlich aufgrund fehlender Resonanz in der Hörer- und Kollegenschaft zugunsten der Universität Göttingen. Regen Zulauf hingegen erhielt die ab 1891/92 vom Architekten Josef Buchkremer – dem späteren Aachener Dombaumeister – angebotene Lehrveranstaltung zum Kunstgewerbe, ein Themengebiet, welches innerhalb der Aachener Kunstgeschichte erst ab 1900 in den Lehrplan integriert wurde. Dazu an späterer Stelle mehr. Zuvor gilt es, auf eine überaus wichtige, parallel verlaufende Entwicklungslinie hinzuweisen, welche die Grundlage für die inhaltliche und strukturelle Ausrichtung der Fachdisziplin Kunstgeschichte an der TH Aachen bildete. Denn es wurde in der Abteilung für Architektur noch an einer anderen Stelle intensiv und leidenschaftlich Kunstgeschichte betrieben. V. Franz Reiff (1835 – 1902)

Der Historienmaler und Ordinarius für Figuren- und Landschaftsmalerei Franz Reiff (Abb. 2) band frühzeitig Teile seiner privaten Gemäldesammlung in die Unterweisung angehender Architekten mit ein. Reiff sammelte zwar auch Skulpturen und Möbel, aber gerade Gemälde (Abb. 2) – vorzugsweise die der Alten Meister (im Original und Kopie) – galten ihm als Garanten für die Schulung des ästhetischen Empfindens und Einfühlens.39 Ferner konnten daran Oberflächenbeschaffenheiten (Malduktus, Firnis usw.), Stil- und Qualitätsmerkmale, Kompositionen sowie das harmonische Zusammenspiel der Farben studiert und nachempfunden werden. Die Idee, Gemälde in den Unterricht zu integrieren, dürfte bei Reiff frühzeitig, vielleicht sogar bereits mit seiner 1873 erfolgten Berufung entstanden sein, war er doch als Vertreter eines künstlerischen Faches an der Forderung nach einer »mehr künstlerischen Ausbildung«40 von Architekten beteiligt, deren proklamiertes Ziel es war, »nicht nur solid, sondern auch schön [zu] bauen«.41 Ende des Jahrhunderts trat er mit der Idee einer Stiftung seiner um die 300 Gemälde umfassenden Privatsammlung an die TH Aachen heran. Als einzige Bedingung knüpfte er an die Stiftung ein seinen Namen tragendes Galeriegebäude  : das Reiff-Museum. Heftige Diskussionen über Kosten und Nutzen folgten. So kommentierte etwa die Frankfurter Zeitung 1901  : »Der Plan war schlecht, aber neu, denn bisher fehlt es selbst den größten und bestdotierten technischen Hochschulen des In- und Auslandes an einer Galerie moderner Gemälde und

39 Vgl. Dlugaiczyk 2008b. An anderer Stelle müsste einmal erforscht werden, ob und gegebenenfalls wie Robert Vischer einen Umgang mit der Reiff-Sammlung suchte und fand. 40 Gast 1921, S. 178. 41 Ebd., S. 117.

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Abb. 2  : Franz Reiff Porträt, vor 1900 (o. l.)  ; Auswahl Reiff-Gemälde­sammlung (o. r.)  ; Postkarte Reiff­ museum der Techn. Hochschule (u.), nach 1908, Archiv der Autorin  ; Collage.

einer Lehrmittelsammlung in der Gestalt von Kopien alter Meister zur Heranbildung von Baumeistern, Ingenieuren und Elektrotechnikern«.42

Auch in den eigenen Reihen wurde der Vorschlag heftig diskutiert. So richtete sich etwa Henrici mit einem Separat-Votum direkt an den Minister (13. März 1901), um 42 GStA PK, HA Rep. 76Vb Sec. 6, Tit. XV, Nr. 6, Bd. 1, S. 64 und 66 (Bericht in der AC Kunstchronik und Frankfurter Zeitung vom 5. Dezember 1901).

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die Errichtung des Reiff-Museums zugunsten einer umfänglichen Gipssammlung zu verhindern. Schmid-Burgk kommentierte die angespannte Situation gegenüber Muthe­ sius bissig  : »Henrici, der ja sonst ein sehr liebenswürdiger und hilfsbereiter Mann ist – auch sonst nichts zu thun hat und sich gewiss für Sie […] die Beine ausreissen wird […]. Momentan ist er nur dabei beschäftigt, eine Schenkung von 200.000 M Wert, die der kunstgeschichtl. Sammlung (also meiner Sammlung) zufallen soll[,] mit Hilfe der Ultramontanen Kunstfreunde zu hintertreiben. […] Na – etc.etc. – Ihnen ist diese Sorte Wissenschaftlicher Betrieb ja noch viel mehr wurscht[,] als er mir hier sein kann.«43

Ungeachtet dieser Querelen – das Alleinstellungsmerkmal ließ man sich nicht entgehen  : Das Reiff-Museum wurde am 4. November 1908 unter der Direktion des Lehrstuhls für Kunstgeschichte eröffnet. Das eigens dafür errichtete Gebäude, welches die Architekturfakultät und das ReiffMuseum mit jeweils eigenem Eingang beherbergt, wurde etwa bei auf Außendarstellung bedachten Postkarten anfänglich ebenso tituliert  : »Aachen, Technische Hochschule, Architekturgebäude u. Reiff-Museum«.44 Doch bereits in den in kurzer Frist nachfolgenden Auflagen findet sich nur noch der alleinige Hinweis »Aachen – Reiffmuseum der (Kgl.) techn. Hochschule.45 Eine Petitesse  ? Keineswegs. Vielmehr lassen sich daran die Wirkmacht des akademischen Museums und der Grad der Alleinstellung aufzeigen. VI. Max Schmid-Burgk (1860 – 1925)

Bereits Jahre, bevor das Reiff-Museum eröffnet wurde, »bahnte [Schmid-Burgk] eine gründliche Reform des kunstgeschichtlichen Unterrichts an«.46 Aus den von Vischer ab 1887 gelesenen fünf Stunden zur Allgemeinen Kunstgeschichte extrahierte SchmidBurgk ab 1894 zwei Lehreinheiten, in denen er Ausgewählte Gebiete der Kunstgeschichte thematisierte, wobei er sich hier insbesondere auf die moderne Kunst der jeweils zehn zurückliegenden Jahre (1890 bis Heute  ; 1900 bis Heute usw.) fokussierte. 43 D102-5516 A/B (27. August 1902), Werkbundarchiv Berlin. 44 »Zur Aufnahme des Reiffmuseums und der kunstgeschichtlichen Sammlung war ein Neubau projektiert, der sich bald zu einem ›Architekturgebäude‹ auswuchs, das für die Bedürfnisse der Abteilung in jeder Hinsicht Raum bot«, Gast 1921, S. 190. Zum Gebäude vgl. Raabe, Borchert, Elebe u. a. 2008, S. 60 – 73  ; Turck 1994, S. 21 – 35. 45 Drei unterschiedliche Exemplare der Postkarte befinden sich im Besitz der Autorin. Auf zwei dieser Postkarten finden sich auf der Schauseite Vermerke in Form eines X, die im Text kommentiert wurden und den oder die jeweilige Verfasser_in als Student_in bzw. Besucher_in im Reiff-Museum ausweisen. 46 Gast 1921, S. 185.

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Obwohl die Studierenden der Architektur seit 1891 von Buchkremer in das Kunstgewerbe eingeführt worden waren, bot Schmid-Burgk ab 1900 ebenfalls eine Lehrveranstaltung dazu an. Möglicherweise erfolgten keine Absprachen aufgrund persönlicher Differenzen. Im August 1902 schrieb Schmid-Burgk aus Brügge an Muthesius  : »Ich bin aber auch nicht im Stande, Ihnen eine Empfehlung an den Museumsdirektor Dr. Kisa zu geben – der gehört nämlich zur Gruppe Henrici, Buchkremer und Consorten. Eine Empfehlung von mir würde also bewirken, dass Herr Aymer Vallance, dessen vortreffliches Buch ich kenne, überhaupt nicht in das Museum hineinkäme«,

und bezüglich dessen fachlicher Kompetenz schreibt er weiter  : »Thatsächlich ist Buchkremers Abschnitt über das von Gülpen-Haus ein Rattenschwanz von Flüchtigkeiten […]«.47 Inhaltlich thematisierte Schmid-Burgk im Wintersemester Beispiele aus unterschiedlichen Epochen, während er im Sommer die »wichtigsten Kunstverfahren«48 (Grafik, Fotografie, Buchdruck, Stoffe, Guss, Email usw.) und »Kunst in Anwendung auf das kaufmännische Leben«49 thematisierte wie etwa  : Plakat, Annoncen, Verpackung, Ausstellung (vom Schaufenster über das Warenhaus bis zur Weltausstellung) und Kunsthandel (Kunstmarkt, Export und Import). Aufgrund der Erhöhung des Lehrdeputats auf sechs Stunden gab Schmid-Burgk ab 1909 zudem eine Übersicht über die Stillehre, ab 1914 thematisierte er ferner die Technik der Kunst, ab 1921 Städtebau und Gartengeschichte. »Alles das mit Auswahl, nicht mit der Absicht, jedes Thema ganz zu erschöpfen. […]. Nicht auf die Quantität, sondern auf die Qualität des Gesehenen kommt es […] an«.50 Dabei bildete für Schmid-Burgk »die Analyse des Kunstwerks, die Einfühlung in das Wollen und Erreichen des Künstlers […] die Grundlage kunstgeschichtlicher Betrachtungen an technischen Hochschulen. Die Persönlichkeit des Künstlers muss dabei aus dem Kunstwerk heraus entwickelt und nach ihrem künstlerischen Werdegang erläutert werden. Allgemeine kulturgeschichtliche und geschichtliche Ausführungen müssen den Rahmen hierfür bilden und die Entwicklung der 47 D102-5516 A/B, Werkbund Archiv, Berlin. 48 Vgl. dazu die Programme der TH Aachen. 49 Ebd. 50 Gast 1921, S. 207. Der an der TH Dresden tätige Fritz Schumacher notierte in der Rückschau, dass anfänglich die Einrichtung einer »Allgemeinen Abteilung« oberstes Ziel gewesen sei, »in welcher G ­ eschichte und Philosophie, mathematische Fächer und Naturwissenschaften, Literatur und Physik von wissenschaft­ lichen Autoritäten ersten Ranges gepflegt wurden. […] All diese Fächer wurden gelehrt, als wären sie der eigentliche Zweck der Anstalt. Mit dem wirklichen inneren Erstarken der Hochschule aber hatte sich ein ganz anderes Ziel eingestellt  : man sah immer deutlicher die Aufgabe vor sich, die Technische Hochschule aus sich heraus völlig anders als eine Universität zu entwickeln«, Schumacher 1935, S. 222.

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Kunstepoche aus dem Wesen des Volkes und der zeitlichen Bedingungen herleiten. So, von der Analyse ausgehend, muss das ganze doch zur Synthese gelangen.«51

Nicht zuletzt aus diesem Grunde unternahm er mit seinen Studierenden in dichter Abfolge Atelier- und Werkstattbesuche, um neben der Beschäftigung mit Alten Meistern aller Epochen und Gattungen auch das Wesen und das Wesentliche der zeitgenössischen Kunst im doppelten Wortsinn ›begreifen‹ zu lernen. Neben den technischen Vorgängen stellte die Material- und Werkzeugkunde immer einen wichtigen Bestandteil der Exkursionen dar. Analog zu seiner Lehre baute Schmid-Burgk das Reiff-Museum auf, verband es zudem mit der Kunstgeschichtlichen Sammlung, erweiterte es durch Ankäufe und Ausstellungen. Klassische Epochen- und Gattungsgeschichte wechselten sich ab mit Präsentationen von ›A‹ wie Archäologie bis ›Z‹ wie zeitgenössische Kunst – etwa von Kan­dinsky. Flankierend wurden unterschiedlichste Bereiche aus dem Kunstgewerbe und stets Herstellungstechniken und Materialkunde theoretisch wie praktisch – also anwendungsbezogen – thematisiert, es wurden fakultätsinterne Werkstätten und Ateliers heranzogen, um etwa aus zu zeichnenden Naturvorlagen Lehrmittel zu generieren, Vorträge, Führungen und Übungen abgehalten, aber auch Bauberatungen angeboten, das Museum an einem Vormittag pro Woche für Besucher aus den Gewerbeschulen geöffnet, am Wochenende für das allgemeine Publikum. Kurzum  : Die Diversität und Taktung in der Lehr-Sammlung waren enorm, zudem  : Subjekt und Objekt in steter Bewegung. Entweder gingen die Studierenden hoch ins Reiff-Museum oder ausgewählte Objekte wurden per Lastenaufzug eigens in den zwei Etagen tiefer liegenden Hörsaal transportiert. Vorlagenmappen und Lichtbilder rundeten die Medienvielfalt ab, die in ausgewählten Museumsräumen ebenfalls zum Einsatz kamen.52 Dass »ein Museum für Lehr- und Lernzwecke durchaus anders beschaffen sein [muss], als eines[,] das der Aufbewahrung von Seltenheiten dient« hatte bereits 1890 Herman Grimm – Ordinarius für Neuere Kunstgeschichte an der Universität Berlin, der heutigen Humboldt-Universität – gefordert  : Dafür würden Säle benötigt, die an drei Seiten die in Frage kommenden Exponate als Kopie, Replik, Handzeichnungen, Fotografien oder im Original zeigen, so »daß deren Entwicklungsgeschichte aus dem bloßen Anblicke schon hervortritt«. Die vierte Wand stünde den »naturentsprechenden Lichtbildern« zur Verfügung, wodurch »die vergleichende Betrachtung sofort in Wirksamkeit« trete.53 Und weiter heißt es  : 51 Gast 1921, S. 207. 52 Zum Reiff-Museum als Lehrsammlung und Ausbildungsmodul für Architektur-Studierende in unterschiedlichen Kontexten vgl. Turck 1994  ; Dlugaiczyk 2008a  ; dies. 2008b  ; dies. 2011  ; dies. 2012a  ; dies. 2014  ; dies. 2015a  ; dies. 2015b  ; dies. 2017  ; dies. 2018. 53 Alle Zitate in diesem Absatz aus Grimm 1890 – 1891, S. 354 – 377.

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»Für die Auswahl würden die Vorschläge sämtlicher Universitäten und Polytechniken einzufordern sein und es eher darauf ankommen, auszuscheiden, als allzuweit zu umfassen, denn nicht ein Museum mit dem Streben nach Vollständigkeit, sondern Lehrmaterial mit Berücksichtigung nur des am meisten Erprobten, Inhaltsreichsten käme hier in Frage«.54

In diesem Statement über Sammlungs- und Vermittlungsstrategien, welches vermutlich nicht unerheblich von Gottfried Sempers Denkschrift Wissenschaft, Industrie und Kunst (1851) bzw. zum Idealen Museum (1852/1889/1903) geprägt ist, zeichnet sich die Keimzelle der Schmid-Burgk’schen Gedankenwelt ab, zumal er in Berlin nicht nur den offen ausgetragenen Disput zwischen Grimm und Bode unmittelbar verfolgen konnte, sondern insbesondere u. a. bei Grimm Kunstgeschichte studiert hatte.55 Dass er neben seiner kunsthistorischen Ausbildung museums- und verwaltungskund­ liche sowie künstlerische Erfahrungen (Malerei und architektonisches ­Zeichnen) – in Summe die Verzahnung theoretischer, genuin kunsthistorischer wie anwendungsorientierter Kompetenzen in der Wissensvermittlung vorweisen konnte, zudem in Akademien, Schulen und Vereinen im Lehrbetrieb tätig und damit im Umgang mit heterogenen Adressatengruppen geschult war, gab letztlich den Ausschlag für seine Berufung an die TH Aachen. Denn »buntgemischt in Bezug auf ihre Vorbildung waren die ›Schüler‹ der Architekturabteilung. Nur wenige hatten das ›Abitür‹ als Abschluss ihrer Vorbildung abgelegt und diese beabsichtigten fast ausnahmslos in den Staatsdienst einzutreten«.56 Den Bewerbungsunterlagen Schmid-Burgks ist zu entnehmen, dass auch er das Gymnasium ohne Reifezeugnis verlassen hat.57 Während also an der Berliner Universität die Idee eines neuen Museums theoretisch verhandelt wurde und die TH Charlottenburg neben der klassischen Sammlungspräsentation bereits neue Sichtachsen anzubieten versuchte – indem sie Kultur und Technik gleichberechtigt und in ihrer gegenseitigen Bedingtheit präsentierte – setzte SchmidBurgk in Aachen die Idee eines neuen Museumstypus tatsächlich um.58 Frühzeitig holte er sich dafür etwa Anregungen aus dem von Karl Ernst Osthaus 1902 gegründeten Museum Folkwang in Hagen, wobei ihn insbesondere die Verschränkung von Kunst, Kunsthandwerk und Industrie, aber auch die kulturpolitische Idee einer Lebensreform durch Kunst, Architektur und Kunsthandwerk interessierte.59 Osthaus’ Vorgabe, das Kunstverständnis in Hagen heben und in allen Schichten und Lebensbereichen veran54 Grimm 1890 – 1891, S. 375. 55 Vgl. Wingler 1966, S. 27 – 71  ; S. 72 – 79  ; Nerdinger, Oechslin 2003. 56 Gast 1921, S. 176. »Damals genügte für die Aufnahme als Studierender die Primarreife. Die Ordnungen von 1903 und 1910, an denen die Bauverwaltung beteiligt gewesen ist, machten sich von der Aufnahmefrage frei und schieben das Reifezeugnis einer Vollanstalt vor«, ebd., S. 244. 57 Vgl. Dlugaiczyk 2008a, S. 74 – 76  ; vgl. dazu auch den Beitrag von Andreas Putz in diesem Band. 58 Vgl. Dlugaiczyk 2012b  ; dies. 2011. 59 Hochschularchiv Aachen, Reiff-Akte 397b (1906).

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kern zu wollen, da es nicht »der Zweck unserer Anstalt [sei], die Menschheit vor Entwicklungen zu schützen«, trieb auch Schmid-Burgk in Aachen um.60 »Frische Blüten, kein Herbarium« lautete das Motto.61 Während sich in Hagen aus dem Museum eine Lehranstalt generierte, verlief die Entwicklung in Aachen gegenteilig. Auch in den pädagogischen Absichten lassen sich Analogien finden, da Osthaus u. a. eine »Sammlung von Vorbildern zum Schulen des Geschmacks […] schaffen [wollte], nicht eine Sammlung von Vorlagen, […], sondern die beispielhafte Vorführung von qualitätsvollen Gegenständen, die unter Berücksichtigung der Gesichtspunkte von Funktion und Materialgerechtigkeit entstanden waren«.62

Nicht zuletzt aus diesem Grunde verlagerte Schmid-Burgk die Gemäldekopien (Abb. 3, o. l.) aus der Sammlung Reiff bereits kurz nach der Eröffnung des Museums in weiten Teilen ins Untergeschoss, um Platz zu schaffen für thematisch breit aufgestellte Wechselausstellungen und Verkaufspräsentationen (Abb. 3, u. r.). Zudem wurden die Werkstätten und Ateliers der Abteilung I als Produktionsstätten und für die Materialkunde genutzt, Schüler_innenarbeiten in die Präsentationen integriert und überkommene Exponate wie etwa seriell hergestellte Gipsabgüsse in neue Kontexte überführt, indem man sie beispielsweise einfärbte, um aktuelle Fragen etwa über die Wirkung von Farben generieren zu können. Ferner fragte Schmid-Burgk für seine Ausstellungen wiederholt Künstler aus dem Hagener Netzwerk an  : Darunter Christian Rohlfs, Jan Thorn Prikker oder Otto Karow, der sich als Architekt an der Kunstgewerbeschule Aachen mit den von Hagen rezipierten englischen Gartenstadtprojekten auseinandersetzte und seine Siedlungsentwürfe in der Ausstellung für Kleinwohnungswesen im Reiff-Museum 1913 präsentierte.63 Obwohl es bislang keine Belegstellen gibt, dürfte Schmid-Burgk über Osthaus auch mit Henry van de Velde in Kontakt gekommen sein. Insbesondere während der Jahre 1906 bis 1908, in denen van de Velde die Osthaus-Villa Hohenhof entwarf, standen SchmidBurgk und Osthaus im regen sachlichen wie persönlichen Austausch über die neuesten 60 Zit. nach Funk-Jones, Müller 1984, S. 34. 61 Gast 1921, S. 209. 62 Funk-Jones, Müller 1984, S. 70. Semper hatte ebenfalls »die Einrichtung exemplarische[r] Mustersammlungen vorgeschlagen, mit denen ein ›allgemeiner Volksunterricht des Geschmacks‹ durchgeführt werden sollte. Über Lehrveranstaltungen zu ›Kunst und Industrie‹ sollten die Bereiche Keramik, Textil, Holz und Stein sowie eine vergleichende Baulehre im Hinblick auf ein ›Zusammenwirken‹ unter dem ›Vorsitz der Architektur‹ vermittelt werden«, Nerdinger 2018, S. 11. 63 Rohlfs lebte ab 1901 bei Osthaus, während Thorn Prikker in unmittelbarer Nachbarschaft zum ›Hohenhof‹ am ›Stirnband‹ in Hagen ein eigenes Atelierhaus zugeteilt bekam. Mit beiden Künstlern waren Osthaus und die Stadt Hagen eng verbunden. Ausstellungen mit Werken von Rohlfs wurden im Reiffmuseum 1921 und 1923, mit Werken von Thorn Prikker 1924 präsentiert, vgl. Turck 1994, S. 69 f.

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Abb. 3  : Alte Meister-Saal Reiff-Museum, 1910 (o. l.)  ; Einladung Vortrag Hanns Bolz, 1913 (o. r.) Einladung Ausstellung künstlerische Frauenhandarbeit (r. m.), Archiv der Autorin  ; Kinderkappe (u. l.) Kat. Muster­ gültig  ; Wechselausstellung Seitensaal Reiff-Museum, 1913 (u. r.), © Nachlass Brandis  ; Collage.

Entwicklungen im Museumsbau und -wesen. Zudem war Schmid-Burgk ein großer Verfechter des von van de Velde geprägten Konzeptes des Gesamtkunstwerkes. Unabhängig davon  : Bereits hier vermittelt sich eindringlich, dass die Entwicklung der Lehrformate im kunsthistorischen Institut zu Aachen samt angeschlossenem ReiffMuseum im besten Sinne nicht geradlinig, sondern in unterschiedlich ausgeprägten Volten verlief, da die Technischen Hochschulen insgesamt sich nach wie vor in der hybriden Situation ihres Etablierungsprozesses befanden, Fächergrenzen noch nicht 453

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ausdifferenziert waren und es Spielräume für Neuerungen gab. Damit boten die Bereiche Lehre, akademisches Lehrmuseum, Forschung und die kunsthistorische Fachdisziplin selbst ein breit aufgefächertes Experimentierfeld.64 In dieser Gemengelage – die von Aushandlungsprozessen, Konfliktsituationen, aber auch Freiräumen geprägt war – fand der Querdenker Schmid-Burgk seinen Nährboden. Dabei basiert seine Erfolgsgeschichte nicht zuletzt auf dem Umstand, dass er sich von Beginn an auf die speziellen Bedingungen einer Technischen Hochschule einließ und sie für die von ihm vertretene Fachdisziplin zu nutzen, respektive diese auf die Bedingtheiten der TH auszurichten verstand. Hinzu kam, dass Schmid-Burgk bereits in seinen Berliner Jahren verstärkt den interdisziplinären Austausch auch mit technischen Fächern suchte, sich mit aktuellen Vermittlungsformaten auseinandersetzte und Frauen samt ihren fachlichen Qualitäten wertschätzend in eine institutionelle Zusammenarbeit überführte. VII. Fräulein Dr. Schmidt – oder Schmid-Burgk als Frauenförderer

1925 vermerkt ein Anonymus, dass Schmid-Burgk »der Erste in Aachen war, der ­Damen zu seinem Colleg zuließ«.65 Obwohl in dieser Notiz keine weiterführenden Angaben beigestellt wurden, lässt sich der im Text adressierte Zeitrahmen konturieren. In Preußen war das Studium für Frauen erst ab 1908 offiziell zulässig, Aachen – im äußersten Westen Preußens gelegen – folgte dem Erlass ab 1909. Allerdings findet sich in den Statuten der Aachener Programmhefte erst 1919 folgende Bekanntmachung  : »Frauen, die sich im Besitze des Reifezeugnis[ses] einer Studienanstalt befinden, werden als Studierende zugelassen. Das Reifezeugnis eines Oberlyzeums berechtigt dagegen nur zur Annahme als Hörerin […]. Personen, welche an einzelnen Vorträgen oder Übungen teilzunehmen wünschen, ihrer äußeren Lebensstellung nach, etwa weil sie schon in einem Beruf stehen, aber weder als Studierende noch als Hörer eintreten können, darf von dem Rektor im Einverständnis mit dem betreffenden Lehrer gestattet werden, dem Unterricht des letzteren als ›Gastteilnehmer‹ beizuwohnen.«66

Damit erklärt sich die eingangs zitierte Notiz aber nur bedingt. Zeitungsberichten zufolge nahmen viele Frauen an den öffentlichen Vorträgen im Reiff-Museum teil. Teilnehmer_innenlisten zu den Veranstaltungen liegen jedoch nicht vor. Allerdings lässt 64 In diesem Kontext dürfte es keine unerhebliche Rolle gespielt haben, dass das anfänglich als Hilfswissenschaft deklarierte Fach Kunstgeschichte parallel zwar zur eigenständigen Fachdisziplin erwuchs, aber innerhalb der Architekturfakultäten sich erst zeitversetzt zu einem selbstständigen Studiengang entwickelte. 65 Anonym 1925. 66 Programm 1919/20, S. 3 – 4.

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sich bei Durchsicht der Programmhefte im Abgleich mit der für die TH 1921 erschienenen Festschrift feststellten, dass Schmid-Burgk bereits 1907 »Fräulein« Erna Klinkenberg als Assistentin für Kunstgeschichte verpflichten konnte.67Allerdings hatte sie den Posten nur bzw. positiv gewendet ein Jahr inne. Gleichwohl insgesamt nur spärliche Informationen über die Mitarbeiter_innen vorliegen, sollen sie im Nachfolgenden mittels eines chronologischen Überblickes gelistet werden, da sich hierüber etwa aufzeigen lässt, dass neben der klassischen Assistent_innenstelle auch sogenannte Volontär-Assistent_innen eingestellt werden konnten.68 So folgte Erna Klinkenberger 1908 Josef Schumacher, 1909/10 Dr. Albert Erich Brinckmann, als Volontär-Assistent Hans Bisegger und als Unterpersonal Kastellan und Sammlungsdiener Philipp Nau.69 1910/11 findet sich Brinckmann als Privatdozent und Assistent ausgewiesen (ab 1912 Professor TH Karlsruhe),70 Bisegger blieb Volontär-Assistent, 1912/13 übernahm Dr. Erich Grill (später Direktor der städtischen Sammlungen in Worms) die Assistenz, bevor 1913/14 mit Helene Bähring der zweiten Frau dieser zentrale Posten im kunsthistorischen Institut übertragen wurde. Gast notierte, dass Bähring »später erfolgreich im Kunstverlag tätig« gewesen sei. Nach Beendigung des Ersten Weltkrieges trat 1919 Bisegger, nunmehr Dr. Ing., in Bährings Fußstapfen.71 Es folgten Dipl.-Ing. Liertz, ab 1921 Student Weitz als Hilfsassistent und 1922 Dr. Wilhelm Luz, bevor ab 1923 »Fräulein« Dr. Schmidt als Assistentin und ab 1924 Frau Dr. Krauß als Hilfsassistentin am Kunsthistorischen Institut wirkten.72 Letztere war nach Schmid-Burgks Tod 1925 sogar für die Vertretung der vakanten Professur Kunstgeschichte vorgesehen, die dann allerdings von Hans Karlinger besetzt wurde.73 Unter Schmid-Burgks Ägide lassen sich 67 Vgl. Gast 1921, S. 212. Vgl. dazu auch das im Geheimen Staatsarchiv verwahrte Dokument ›Errichtung einer Handelshochschule in Verbindung mit der Technischen Hochschule Aachen  : Zulassung von Frauen, speziell der Erna Klinkenberg als ordentliche Studierende an der Handelshochschule 1905‹, I. HA Rep. 76, Vb Sekt. 17 Nr. 3 Bd. 2. Vgl. im Allgemeinen und Speziellen Frida Schottmüller als Fallbeispiel, Nützmann 1996, S. 236 – 244. 68 Ob die Volontär-Assistent_innen vornehmlich im Reiff-Museum wirkten bzw. welchen Tätigkeitsbereich sie abdeckten, ist bislang unklar. 69 Sofern nicht weiter ausgewiesen, entstammen die Angaben aus den jeweiligen Programmheften der TH zu Aachen, Abteilung I, Kunstgeschichte. Neben dem Lehrkörper gab es ferner den »getreuen Bickendorf«, der als »kärglich besoldeter Hilfsdiener Professoren und Studenten eifrig bediente, zugleich aber als lebendige Vermittlungsstelle für Abteilung I in bestem Öcher Dialekt alle die wichtigen Ereignisse verbreitete, die als tiefstes Geheimnis ihm allseits anvertraut wurde«, Gast 1921, S. 212. 70 Zu Brinckmann vgl. Kurzbiografie und Schriftenverzeichnis unter URL  : https://kg.ikb.kit.edu/727.php (4. März 2019)  ; Gast 1921, S. 212. 71 Bisegger (Dissertation) 1916, Gutachter Schmid-Burgk und Karl Henrici  ; Druck Aachen 1920. Vgl. auch die von Schmid-Burgk kuratierte Ausstellung für Wohnkunst nach den Entwürfen von Dipl.-Ing. Decker und Dipl.-Ing. Bisegger, 10. Mai bis 15. Juni 1914, Reiffmuseum Aachen. 72 Vgl. Gast 1921, S. 212. Zu Wilhelm Luz vgl. Ehringhaus unter URL  : http://www.revidet.de/assets/ms_ luz_2_13.pdf (4. März 2019). 73 Vgl. Hochschularchiv Aachen, Akte 534.

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somit für den Zeitraum 1907 – 1925 nicht weniger als vier Frauen, darunter zwei mit Promotion, ausmachen. Hinzu kommt Dr. Grete Ring, die 1912 bei Heinrich Wölfflin in München promoviert hatte, mit der er in seiner Funktion als Abteilungsleiter zwischen 1916/17 und 1918 im Kontext der unter Leitung von Paul Clemen stehenden Fotoinventarisierung Kunstschutz in Belgien zusammengearbeitet hatte.74 Schmid-Burgk war, bevor er dem Ruf auf die Professur für Kunstgeschichte nach ­Aachen folgte, im Kunstgewerbe-Museum und an der Zeichenschule des Künstlerin­ nen­vereins in Berlin tätig.75 Frühzeitig setzte er sich nicht nur mit den neuesten kunsthistorischen Strömungen auseinander, sondern agierte auch g­esellschaftspolitisch ­modern, in dem er etwa Mitarbeiterinnen anstellte, Frauen zu seinen Seminaren zuließ oder die traditionell als ›weiblich‹ definierten angewandten Künste durch ein hochkarätiges Ausstellungsprogramm und Leihgeber (Wiener Werkstätten, HohenzollernKunstgewerbehaus Berlin, Dresdner Königliches Kunstgewerbemuseum, Aachener Kunstgewerbeschule) aufwertete und förderte. Den Katalogen ist zu entnehmen, dass das begleitende Vortragsprogramm auch soziale Aspekte der künstlerischen Arbeit – etwa die Kauf- und damit Gestaltungskraft oder Erwerbsmöglichkeit der Frau im modernen Kunstgewerbe – explizit thematisierte.76 Gemäß der Angaben in den Vorleseverzeichnissen widmete Schmid-Burgk sich ferner eine Stunde im Semester anwendungsbezogen der Materie »Kunst und Kunsthandwerk in ihrer Anwendung auf den kaufmännischen Betrieb«. Gerade die Verzahnung von Theorie und Praxis – etwa die Vorführungen und Anleitungen zum Buchdruck, Stickereien oder Modellbau und die Präsentation von Schüler-/Laienarbeiten – stellte für den Professor für Kunstgeschichte eine reformbildende Grundkonstante in seinem Wirken dar. VIII. Gelebte Avantgarde-Architektur – Schmid-Burgk im Kreise von Albert Schneiders, Emil Fahrenkamp und Mies van der Rohe

Mindestens drei Mal ist Schmid-Burgk in Aachen umgezogen  : Von der Monheimsallee (1895 – 1896) ging es in die Kaiserallee (1897 – 1900) im Frankenberger Viertel und von dort mit Frau und nunmehr zwei Söhnen – später kamen noch ein weiterer Sohn und eine Tochter hinzu – in die unweit gelegene, sich noch sukzessiv im Ausbau be74 Vgl. dazu Kott 2016, S. 180. Kott, Claes 2018. Grete Ring arbeitete ab Anfang der 1920er Jahre im Ausstellungsbetrieb und Kunsthandel, insbesondere im Kunstsalon Cassirer. Nach dem Freitod von Paul Cassirer übernahm sie die Leitung des Salons. Vgl. Feilchenfeldt 2005, S. 131 – 150. Zu Schmid-Burgks Teilnahme an der akademischen Sanitätskolonne bzw. den Hilfsgüter-Sendungen, den sogenannten »Lie­ besgabenfahrten« im Ersten Weltkrieg, die ihn insbesondere nach Lüttich, Charleroi, Guis, Vitry-leRheims und Tahure führten, vgl. Gast 1921, S. 191 f. 75 Die Angaben entstammen seinen Bewerbungsunterlagen, vgl. Dlugaiczyk 2008a, S. 75. 76 Ausstellungskatalog Aachen 1914a, S. 19 – 20.

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findliche Viktoria Allee.77 Neben den Aachener Adressbüchern dient – insbesondere für die letztgenannte Station – sein privater Adressstempel als Quelle, mit dem er nicht nur seinen regen Schriftverkehr, sondern ab circa 1902 auch Arbeitsmaterialien wie etwa ein umfangreiches Konvolut an großformatigen Reproduktionen versah. Dies war vermutlich notwendig geworden, da er seinen eigenen, heute in Teilen im Kunsthistorischen Institut verwahrten Handapparat an Vergleichsabbildungen verstärkt in die Lehre mit einband. Während Titel (Dr./Professor/Geheimrat78) und Name (bis 1914 Schmid, danach Schmid-Burgk) Änderungen unterlag, blieb seine Adresse nahezu 25 Jahre konstant  : Viktoria Allee 14. Für das zweiachsige, im Formengepräge dem zeittypischen Eklektizismus folgende Wohnhaus – in welchem die Familie Schmid-Burgk ab 1901 erst als Mieterin, dann ab 1909 als Eigentümerin lebte – zeichnete, wie Maike Scholz und Daniel Lohmann erst unlängst publiziert haben, der im Frankenberger Viertel umtriebig wirkende Architekt Albert Schneiders (1871 – 1922) verantwortlich.79 Mit dem Architekt und Bauherren blieb Schmid-Burgk über Jahre zumindest punktuell in Kontakt – etwa über die Mitgliedschaft im Museumsverein, der Architekturfakultät im Allgemeinen oder etwa der Aachener Bauberatungsstelle im Reiff-Museum im Speziellen. Konkrete Schnittmengen folgten  : Neben den repräsentativen Bauten für das gehobene Bürgertum entwickelte Schneiders in den 1910er Jahren kostengünstige Wohnbauten, die Schmid-Burgk im März und April 1913 in der Kleinwohnungswesen-Ausstellung (Abb. 1) unter dem Motto ›Im Kleinen Groß [sic  !] sein‹ in der Rubrik ›Moderne Bauten Aachen‹ im Seitensaal des Reiff-Museums (Abb. 3, u. r.) präsentierte.80 Ferner lassen sich im umfangreichen Begleitkatalog einige Architekten lokalisieren, die im Architekturbüro von Schneiders gelernt haben  : Ferdinand Goebbels ist hier bei77 Über Schmid-Burgks Familienaufstellung ist wenig bekannt. Auf einer Postkarte nennt er einen Bruder namens Paul, der vermutlich in Berlin als Rechtsanwalt tätig war  : »Ich bin fleißig am Bücher schreiben. Ebenso mein Bruder Paul in Berlin«, Postkarte an Dr. Lorsch, 1900, vgl. URL  : https://www.kiefer.de/ auktion_artikel_details.aspx?KatNr=4051&Auktion=80#top (25. Februar 2019). Vgl. Postkarte (März 1900) aus der Kaiserallee 48 an Finanzassessor Dr. Hermann Lorsch mit dem Hinweis, dass der Klapperstorch (als Bild) ihm zwei Buben gebracht habe, vgl. URL  : https://www.kiefer.de/auktion_artikel_details. aspx?KatNr=4051&Auktion=80#top (25. Februar 2019). Von den drei Söhnen und einer Tochter ist bislang nur der in der Abfolge dritte Sohn Edgar (*29. Juli 1902 Aachen, ab 1945 vermisst) bekannt, der ebenfalls in Kunstgeschichte promovierte und 1935 dem Propagandaministerium angehörte, vgl. Dlugaiczyk 2008a, S. 84. An Muthesius schreibt Max Schmid-Burgk am 27. August 1902  : »Uns geht es gut. Vor vier Wochen besuchte uns der Storch und brachte den dritten Buben – Das genügt.«, D 102 – 5516, Werkbundarchiv Berlin. 78 »Personalien  : Professor Max Schmid in Aachen ist zum Geheimen Regierungsrat ernannt worden«, in  : Kunstchronik, NF 22, 1911, S. 83. 79 Vgl. Scholz, Lohmann 2019, S. 12. Den beiden Autor_innen sei für den regen Austausch und die Vorabeinsicht in das Manuskript gedankt. 80 Ausstellungskatalog Aachen 1913.

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spielsweise zu nennen. Darüber hinaus erhielt Emil Fahrenkamp, der, bevor er u. a. bei Schneiders tätig wurde, einige Semester an der Kunstgewerbeschule und an der TH Aachen hospitiert hatte, 1914 eine 36 Entwürfe umfassende Einzelausstellung im ReiffMuseum (Abb. 1).81 Dass Fahrenkamp zu diesem Zeitpunkt Aachen bereits zugunsten von Düsseldorf verlassen hatte und dort als Architekt und Lehrer an der Gewerbeschule wirkte, stellt ein weiteres Indiz dafür dar, das Schmid-Burgk die personellen und künstlerischen Entwicklungen im alle Epochen und Gattungen umfassenden Kulturbetrieb aufmerksam verfolgte. Umtriebig suchte Schmid-Burgk ständig nach herausragenden Künstlerpersönlichkeiten, die es gleichermaßen zu fordern wie zu fördern galt, um der Moderne bzw. einem künstlerischen Anspruch in Aachen Vorschub zu leisten.82 Zudem band er wiederholt Aachener Architekten in seine überregionalen Projekte mit ein. So zeichnete z. B. Emil Felix für den von Schmid-Burgk kuratierten Part für die Architektur der Düsseldorfer Ausstellung Christliche Kunst von 1909 verantwortlich.83 Nachfolgend präsentierte Felix 1913 analog zu Schneiders und Goebbels im Reiff-Museum Siedlungs-Entwürfe, wobei sein Fokus auf den Meisterwohnhäusern der Herzogenrather Spiegel-Glas-Fabrik lag. 1921 verfasste Schmid-Burgk einen ausführlichen Bericht über das von Felix 1921 errichtete Haus Neuerburg in Köln.84 Schmid-Burgk pflegte nicht nur einen regen Austausch mit regional, national wie international tätigen Architekten, besuchte beständig mit und ohne Studierenden Ateliers, Werkstätten und Architekturbüros, kuratierte Ausstellung, war gefragtes Jurymitglied in unterschiedlichsten Wettbewerben, hielt offene Beratungen ab, sondern nutze auch sein privates Umfeld in der Viktoria Allee 14 für Sprechstunden und offene Salons. Ebenda dürfte der Zulauf überaus rege gewesen sein, da auch seine Frau, die dem Verein für neue Frauenkleidung und Frauenkultur vorstand und etwa die Ausstellung über künstlerische Frauenhandarbeiten im Reiff-Museum (Febr./März 1914, Abb. 3) nicht nur beratend, sondern auch kuratorisch begleitete, das Wohnhaus als Ort für den kulturellen Austausch nutzte.85 Das 81 Insgesamt 36 Arbeiten weist der Ausstellungskatalog Aachen 1914b aus, darunter etwa das 1911 errichtete Rathaus in Hitdorf  ; Gast 1921, S. 210. 82 Schmid-Burgk fordert in Bezug auf Kunst und Kultur immer vehement die Entscheidungshoheit durch Fachleute ein, denn etwa bei Vertretern der Städtischen Körperschaften »fragt [es] sich, wie weit die ›Erziehung zur Kunst‹ bei diesen gediehen ist  ?«, vgl. Schmid 1905, S. 90. Siehe dazu auch seine Forderungen etwa gegenüber Architekten im Wettbewerb zum Bismarck-Denkmal, Bingen (siehe dazu weiter unten im Text) und die daraus resultierende Einrichtung des Kunstausschusses. 83 Max Schmid-Burgk war für die Sonder-Ausstellung Aachen (Raum 17 und 17a  ; Architekt  : Felix) und die belgischen, holländischen und englischen Kunstwerke (Säle 35 – 40) zuständig, darunter Werke von Fernand Khnopff und Edward Burn-Jones  ; vgl. Ausstellungskatalog Düsseldorf 1909, S. 57 – 62. 84 Vgl. Schmid-Burgk 1924, S. 159 – 176. 85 Ausstellungskatalog Aachen 1914a, S. 16, 18. Über Frau Geheimrat Schmid-Burgk ist nur wenig bekannt. Sie hatte mit ihrem Mann vier Kinder (drei Söhne, eine Tochter), vgl. Anonym 1925. Während des Ersten Weltkrieges begleitete sie die akademische Sanitätskolonne, eine Art freiwillige Krankenpflege, der unter

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Thema der Reformkleider war in Künstler-/Architekten-innenkreisen überaus virulent wie etwa bei van de Velde oder Muthesius, dessen Frau Anna eigens ein Buch mit dem bezeichnenden, auf die Handarbeit verweisenden Titel Das Eigenkleid verfasst hat.86 Schmid-Burgk stand mit Muthesius nicht nur im engen brieflichen Kontakt, sondern besuchte ihn auch wiederholt, was sicherlich einen Austausch über Kunst und Leben bzw. das Kleid der Frau als Teil des Gesamtkunstwerkes bedingte. Es darf angenommen werden, dass Frau Schmid-Burgk ihren Gatten bei einigen der Reisen begleitete und einen Austausch mit Anna Muthesius über die Reformbestrebungen pflegte.87 Kurzum  : Nicht nur das Ehepaar Schmid-Burgk, sondern auch ihr privates Wohnhaus dürfen quasi als kulturelle Institution in Aachen bezeichnet werden. Hinzu kommt der von Schmid-Burgk maßgeblich geprägte Hotspot des Reiff-Museums innerhalb der TH – Schnittmengen inklusive. Vor dieser Folie ist zu vermuten, dass Schmid-Burgk auch mit Mies van der Rohe in Kontakt stand. Nicht nur, dass der junge Architekt in Schneiders’ Architekturbüro erste Berufserfahrungen (1904 – 1905) gesammelt und enge freundschaftliche Kontakte in Aachen auch nach seinem Fortgang nach Berlin (1905) gepflegt hat. Er kehrte zudem im Juli 1910 in sein Aachener Elternhaus mit dem Ziel zurück, sich ebenda als freier Architekt zu etablieren.88 Um es vorwegzunehmen  : Er blieb nur ein knappes Jahr in Aachen. Trotz fehlender Quellen liegt es nahe, dass es für den ambitionierten Architekten in dieser Zeit Schnittmengen mit dem in der Architekturfakultät beheimateten Reiff-Museum gegeben haben dürfte, da es für die Öffentlichkeit zugänglich war, das progressive Aachener Bürgertum sich dort engagierte, die Institution ständig in der Tagespresse besprochen wurde und ebendort neben klassischer Kunst und Architektur – »der Baukunst wurde natürlich hier reichlicher, als sonst in Kunstausstellungen üblich, Raum geboten«89 – insbesondere zeitgenössische Strömungen thematisiert wurden (Abb. 1).90 Zudem thematisierte Schmid-Burgk mit der ersten Ausstellung nach Eröffnung des Reiff-Museums (1908) das ihn nicht nur seit Längerem beschäftigende, sondern auch brandaktuelle Gebiet der Drucksachen (1909), insbesondere der Plakatkunst.91 Ein Entwurfsfeld, in welchem sich auch Mies eingebracht hatte und 1907/08 ihrer Leitung u. a. »mehrere Aachener Professorentöchter als Schwestern« unterstellt war  ; Schmid-Burgk in Gast 1921, S. 191. Es liegen Briefe vor, in denen Künstler etwa gegenüber Frau Schmid-Burgk die dringende Bitte vortragen, bei ihrem Mann ein Wort für sie einzulegen, vgl. Bestand Kunsthistorisches Institut der RWTH Aachen. 86 Vgl. Ewers-Schultz 2018, 146 – 157. 87 Max Schmid-Burgk stand mit Muthesius in regem Briefaustausch und besuchte ihn auch in seinem privaten Umfeld und stand in Kontakt mit Anna Muthesius, vgl. Werkbundarchiv, Berlin. 88 Vgl. zum Mies-Frühwerk die neuesten Forschungsergebnisse bei Scholz, Lohmann 2017, S. 7 – 15. 89 Schmid-Burgk in Gast 1921, S. 210. 90 Umfassende Ego-Dokumente von Schmid-Burgk konnten bislang nicht eruiert werden. 91 »Die jahrelange Belehrung über die Prinzipien der Plakatkunst, die im Verein mit anderen Zeitschriften

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prämiert worden war.92 Hinzu kommt, dass Mies mit seinem Bruder Ewald zeitlich parallel einen Wettbewerbsbeitrag mit dem Motto Deutschlands Dank für das BismarckNationaldenkmal auf der Elisenhöhe bei Bingerbrück-Bingen entwarf, in dessen prominent besetzter Jury eben auch Schmid-Burgk vertreten war. Neben seinem Amt als Preisrichter und Vertreter im Kunstausschuss fungierte er als Erster Schriftführer, was zur Folge hatte, dass es sämtliche Wettbewerbsunterlagen über die Viktoria Alle 14 zu beziehen galt und sich dort auch die Geschäftsstelle des Kunstausschusses verortet fand.93 Insgesamt zehn Künstler aus Aachen bezogen die Unterlagen, darunter die Gebrüder Mies.94 Bekanntlich wurde der Entwurf der Gebrüder Mies einstimmig abgelehnt, »schon wegen offensichtlicher Ueberschreitung der Baukostensumme«95, während die Grundidee positiv beurteilt wurde. »Sehr einfach und doch eindrucksvoll ist die Lösung von Gebr. Mies, Aachen, die zwischen zwei Pylonen im Halbrund die Bismarckfigur setzen und davor einen rechteckigen Platz durch Pfeilernstellung [sic] abgrenzen«.96 Nachfolgend wurden sämtliche der en détail ausgearbeiteten und schriftlich erläuterten 379 Entwürfe unter maßgeblicher kuratorischer Beteiligung von Schmid-Burgk vom 11. Februar bis 19. März 1911 im Düsseldorfer Kunstpalast ausgestellt und zogen über 14.000 Besucher_innen an  : »Ein Erfolg, der wohl selten einer Ausstellung beschieden ist, die vorwiegend architektonische Entwürfe bringt, und die an das Verständnis des Publikums so bedeutende Anforderungen stellt«.97 Mies dürfte diese raumgreifende Leistungsschau seiner Kolleg_innenschaft gesehen haben, bevor er im Mai desselben Jahres Aachen wieder verließ. Selbst wenn man davon ausgehen würde, dass sich SchmidBurgk und Mies trotz der erheblichen Schnittmengen in Aachen oder in und über Berlin fachlich tatsächlich nicht begegnet sein sollten, lässt sich daran dennoch in bester Manier aufzeigen, wie ungemein breit aufgestellt, engagiert und kritisch Schmid-Burgk agierte und dies in seine Vermittlungsstrategien einfließen ließ.98

die ›Deutsche Kunst und Dekoration‹ unermüdlich brachte, hat Früchte getragen. Der ›Plakatstil‹ ist Allgemeinbesitz der Künstlerschaft geworden und nur einige provinziale Lithographen haben den Anschluss verpasst«, Schmid 1905, S. 90. 92 Vgl. Scholz, Lohmann 2017, S. 11. Mit dem Hohenzollern-Kunstgewerbehaus stand Schmid-Burgk für Ausstellungs-Leihgaben im Kontakt, vgl. etwa Ausstellungskatalog Aachen 1914a, S. 8. 93 Den Hinweis, dass es für das Gelingen des Wettbewerbs unerlässlich sei, eine »Anzahl erster Künstler und Kunstsachverständiger bei den vorbereitenden Maßnahmen um Rat zu fragen, erhielt das Komitee erst, als ihm der Kunsthistoriker der Aachener Technischen Hochschule, Professor Max Schmid beitrat«, Hellwag 1912 – 1913, S.  44. 94 Hundert Entwürfe 1911, S. 18. 95 Ebd., S. 21. 96 Ebd., S. 42. 97 Ebd., S. 24. 98 Schmid-Burgk pflegte enge private wie berufliche Kontakte in Berlin.

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IX. Nekrolog – ein Schritt vor, zwei zurück  ?

So fasst denn auch der kurz nach seinem Tode am 14. März 1925 publizierte Nekrolog zusammen  : »eine d[e]r hervorragendsten Persönlichkeiten Aachens und des Rheinlandes […], der wie kein zweiter in rastloser Arbeit schöpferisch tätig war und immer mit der Geschichte der Stadt Aachen verbunden bleiben wird […] war nicht bloß ein hervorragender Künstler, er umspannte darüber hinaus noch viele Gebiete des Wissens und trat überall als Förderer auf, wo es den Fortschritt galt. Er […] ist auch hervorgetreten durch eine äußerst positive schriftstellerische Betätigung auf dem Gebiete der Kunst und der Kunstgeschichte. Als wissenschaftlicher Lehrer genoß er ein großes Ansehen, und immer waren seine Hörsäle überfüllt. […]. Galt es eine gute Sache zu fördern, so war es sicher Schmid-Burgk, der an der Spitze stand.«99

Als besondere Ehrerbietung darf zudem gelten, dass 1925 auf der Jahrtausendausstellung in Köln in der die TH Aachen repräsentierenden Koje unter den »Photographien bekannter Lehrer« eigens der Kunsthistoriker Schmid-Burgk vertreten war.100 Innerhalb der Abteilung I der TH bot sich jedoch ein anderes Bild. Unmittelbar mit seinem Ableben gab es nämlich die Forderung, die kunstgeschichtliche Fachvermittlung wieder einem Architekten zu übertragen. Hatte Schmid-Burgk die Zeichen der Zeit nicht richtig gedeutet  ? 1921 hatte er sich noch nahezu euphorisch über die inhaltliche wie strukturelle Neuausrichtung der Abteilung für Architektur ausgesprochen  : »Die neuen Forderungen der Zeit einerseits, die neuen Professoren anderseits haben dem Unterricht an Abteilung I ein ganz anderes Gesicht gegeben. Lehrprogramm und Prüfungsordnung werden baldigst demgemäß gründlich reformiert werden, wenn auch Abteilung I sich darüber klar ist, daß es viel weniger auf das ›Programm‹ ankommt, als auf den Geist, in dem es ausgeführt wird. Zur Not könnte selbst mit dem unveränderten alten Programm moderner Unterricht erteilt werden.«101

Vier Jahre später folgte der Rückschritt, der fast einem Niedergang gleichkam. Nicht nur das weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannte und renommierte akademische Museum samt Ausstellungs- und Vermittlungsprogramm, sondern auch die Sammlung wurden auf ein Mindest- und damit Mittelmaß gestutzt.102 Insbesondere die Moderne  99 Anonym 1925, o. S. 100 Vgl. Ewald, Kuske 1925, S. 349. 101 Gast 1921, S. 194. 102 Über den schwierigen Umgang von Seiten der RWTH Aachen mit ihrem eigenen kulturellen Erbe informiert Turck 1994 ausführlich.

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verbannte man aus dem Ausstellungs- und Lehrbetrieb.103 Zudem keimte die Idee, den Lehrstuhl für Kunstgeschichte mit einem Lehrer zu besetzen, dessen Arbeitsschwerpunkte in der Architekturgeschichte lagen und der Erfahrungen aus der Baupraxis mitbrachte, weil die Architekturabteilung (bzw. Abt. für Baukunst) der RWTH Aachen im Sinn hatte, den Lehrstuhl für (allgemeine) Kunstgeschichte und die baugeschichtliche Formenlehre zu vereinigen und im Idealfall von einem Architekten vortragen zu ­lassen.104 Während aber der Minister 1874 noch dafür plädiert hatte, den Professor für Kunstgeschichte mit einem niedrigeren Salär als üblich anzustellen, 1911 den neuen Tendenzen noch skeptisch gegenüber stand, war es nun – nahezu 50 Jahre später – eben das Preußische Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volkskunde, welches den Antrag der Fakultät für Bauwesen negativ beschied und den Lehrstuhl für Kunstgeschichte in seiner Fachkompetenz bestärkte.105 Abteilungsintern wurde die Entscheidung bedingt mitgetragen  : Normalbetrieb hielt Einzug, zumal die Gemengelage ausgemerzt war, Impulse in der Spitze ausgereizt.106 Der Kunsthistoriker Schmid-Burgk und die auf das Engste an seine Person geknüpfte Idee eines den Belangen der TH folgenden ›Bauhauses‹ respektive Reiff-Museums fand nach siebzehn rasanten kunst-, kultur- und hochschulpolitischen Jahren 1925 ein Ende. Literatur Anonym 1925 – Anonym  : Nekrolog (Max Schmid-Burgk), in  : Volksfreund, 16. März 1925 (o. S.). Ausstellungskatalog Düsseldorf 1909 – Ausstellung für christliche Kunst Düsseldorf 1909, unter dem Protektorat seiner Kaiserlichen und Königlichen Hoheit des Kronprinzen des Deutschen Reiches und von Preussen vom 15. Mai bis 3. Oktober 1909, Düsseldorf 1909. Ausstellungskatalog Aachen 1913 – Katalog Ausstellung für Kleinwohnungswesen, hg. v. Max Schmid, Reiffmuseum der TH Aachen, März–April 1913. Ausstellungskatalog Aachen 1914a – Katalog Ausstellung künstlerischer Frauenhandarbeit, Vorwort v. Max Schmid, Reiffmuseum der TH Aachen, 22. Februar bis 16. April 1914.

103 Vgl. Dlugaiczyk 2008a, S. 74 – 85. 104 Wild 2017, S. 36. GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium, Vb Sekt. 7 Tit. III Nr. 3 A Bd. 1  : Max Schmid-Burgk, Fak. für Bauwesen der RWTH Aachen, den 16.12.1924, an Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, Berlin. Vorstellungen, Vorschläge und Kandidaten-Beurteilungen für den Lehrstuhl Formenlehre. 105 GStA PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium, Vb Sekt. 7 Tit. III Nr. 3 A  : Berufungsvorschläge für den Kunstgeschichte-Lehrstuhl. Die Bezeichnung der Architekturfakultät wechselte von 1880 ›Abteilung I für Architektur‹ in 1922/23 ›Fakultät für Bauwesen. Abteilung für Architektur‹ und nachfolgend 1923 ›Fakultät für Bauwesen, Abteilung für Baukunst‹. 106 Das Reiff-Museum wurde ab 1925 verstärkt nur noch von den abteilungsinternen Professoren ohne Vermittlungsformate bespielt und verlor damit in kurzer Frist Rang und Namen.

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Ausstellungskatalog Aachen 1914b – Katalogfaltblatt Ausstellung Architektonischer Entwürfe von E. Fahrenkamp, hg. v. Max Schmid, Reiffmuseum der TH Aachen 1914. Bernhard 2015 – Katja Bernhard  : Stil – Raum – Ordnung. Architekturlehre in Danzig 1904 –  1945, Berlin 2015. Bisegger 1920 – Hans E. Bisegger  : ›Das Krämviertel in Aachen‹ nach dem großen Brand bis zur preußischen Zeit, 1656 bis nach 1815  ; eine architektonisch-historische Bearbeitung dieses Gebietes, Aachen 1920. Dlugaiczyk 2008a – Martina Dlugaiczyk  : Das System Schmid-Burgk, in  : Martina Dlugaiczyk, Alexander Markschies (Hg.)  : Mustergültig. Gemäldekopien in neuem Licht. Das Reiff-Museum der RWTH Aachen. Ausstellungskatalog Aachen, München, Berlin 2008, S. 74 – 85. Dlugaiczyk 2008b – Martina Dlugaiczyk  : Eine Sammlung greift Raum. Franz Reiffs Wohn- und Künstlerhaus, in  : Martina Dlugaiczyk, Alexander Markschies (Hg.)  : Mustergültig. Gemälde­ kopien in neuem Licht. Das Reiff-Museum der RWTH Aachen, München, Berlin 2008, S.  18 – 25. Dlugaiczyk 2011 – Martina Dlugaiczyk  : ›Ein neuer Museumstypus‹ für Technische Hochschulen. Aachens Beitrag zur Museumsdiskussion Anfang des 20. Jahrhunderts, in  : Ulrike WollfThomsen, Sven Kuhrau (Hg.)  : Geschmacksgeschichte(n). Öffentliches und privates Kunstsammeln in Deutschland 1871 – 1933, Kiel 2011, S. 33 – 54. Dlugaiczyk 2012a – Martina Dlugaiczyk  : Gips im Getriebe. Abguss-Sammlungen an Technischen Hochschulen, in  : Charlotte Schreiter (Hg.)  : Gipsabgüsse und antike Skulpturen. Präsentation und Kontext, Berlin 2012, S. 333 – 354. Dlugaiczyk 2012b – Martina Dlugaiczyk  : Ein mattes Glanzstück. Das Gipsmuseum in BerlinCharlottenburg, in  : Nele Schröder, Lorenz Winkler-Horacek (Hg.)  : … von gestern bis morgen … Zur Geschichte der Berliner Gipsabguss-Sammlung(en) von 1696 bis heute, Rahden/ Westfalen 2012, S. 161 – 169. Dlugaiczyk 2014 – Martina Dlugaiczyk  : Architektur im Labor. Lehrsammlungen als Mittel der Wissensproduktion und -kommunikation, in  : Anke te Heesen, Margarethe Vöhringer (Hg.)  : Wissenschaft im Museum. Ausstellung im Labor, Berlin 2014, S. 64 – 88. Dlugaiczyk 2015a – Martina Dlugaiczyk  : Science goes public um 1900. Ausstellungen an Technischen Hochschulen, in  : neues museum. Die österreichische Museumszeitschrift. Sonderheft  : Universitätssammlungen 1 (2015), 15, S. 20 – 23. Dlugaiczyk 2015b – Martina Dlugaiczyk  : Vom Stand- aufs Spielbein. Dauerpräsentationen und Wechselausstellungen von Architektur in Lehrsammlungen Anfang des 20. Jahrhunderts, in  : Carsten Ruhl, Chris Dähne (Hg.)  : Architektur ausstellen. Zur mobilen Anordnung des Immobilen, Berlin 2015, S. 148 – 163. Dlugaiczyk 2017 – Martina Dlugaiczyk  : Showrooms & Think tanks. Atelierinszenierungen als Vermarktungsstrategien. Ein Blick in Akademien, Künster-Villen und Technische Hochschulen, in  : Lutz Hieber (Hg.)  : Gesellschaftsepochen und ihre Kunstwelten, Hannover, Leipzig 2017, S.  179 – 196. Dlugaiczyk 2018 – Martina Dlugaiczyk  : ›Architectonicidae Architectonica‹. Architekt(ur)en und Naturwissen. Über die Wirkmacht von Lehrsammlungen in Technischen Hochschulen zu Beginn der Moderne, in  : Annerose Keßler, Isabelle Schwarz (Hg.)  : Objektivität und Imagination. Naturgeschichte in der Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts, Bielefeld 2018, S. 203 – 224.

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Ehringhaus 2011 – Sibylle Ehringhaus  : Dr. Wilhelm August Luz. Kunsthändler ohne Bekenntnis, in  : URL  : http://www.revidet.de/assets/ms_luz_2_13.pdf (4. März 2019). Ewald, Kuske 1925 – Wilhelm Ewald, Bruno Kuske (Hg.)  : Katalog der Jahrtausend-Ausstellung der Rheinlande in Köln 1925, Ausstellungskatalog Köln, Köln 1925. Ewers-Schultz 2018 – Ina Ewers-Schultz  : »Das Wesentliche ist die individuelle Anpassung an die Trägerin«. Anna Muthesius’ Eigenkleid der Frau, in  : Ina Ewers-Schultz, Magdalena Holzhey (Hg.)  : Auf Freiheit zugeschnitten. Das Künstlerkleid um 1900 in Mode, Kunst und Gesellschaft, Ausstellungskatalog Krefeld, München 2018, 146 – 157. Faymonville 1924 – Karl Faymonville, Joseph Laurent, Richard Pick u. a. (Hg.)  : Die profanen Denkmäler und Sammlungen, in  : Paul Clemen (Hg)  : Die Kunstdenkmäler der Stadt Aachen, Bd. III, Düsseldorf 1924. Feilchenfeldt 2005 – Rahel E. Feilchenfeldt  : Grete Ring als Kunsthistorikerin im Exil. In  : Ursula Hudson-Wiedenmann, Beate Schmeichel-Falkenberg (Hg.)  : Grenzen Überschreiten. Frauen, Kunst und Exil, Würzburg 2005, S. 131 – 150. Funk-Jones, Müller 1984 – Anna-Christa Funk-Jones, Johann Heinrich Müller (Red.)  : Der westdeutsche Impuls 1900 – 1914. Kunst und Umweltgestaltung im Industriegebiet. Die Folk­wang-Idee des Karl Ernst Osthaus, Ausstellungskatalog Hagen, Hagen 1984. Gast 1921 – Paul Gast  : Die Technische Hochschule zu Aachen 1870 – 1920. Eine Gedenkschrift, Aachen 1921. Goeler von Ravensburg 1903 – Friedrich Goeler von Ravensburg, Max Schmid  : Grundriss der Kunstgeschichte. Ein Hülfsbuch für Studierende auf Veranlassung der Königlich Preussischen Unterrichtsverwaltung, Berlin 21903. Grimm 1890 – 1891 – Herman Grimm  : Das Universitätsstudium der neueren Kunstgeschichte, in  : Halbjahreshefte der Deutschen Rundschau, hg. v. Julius Rodenberg, 1890 – 91, Bd. II, S. 354 –  77. Gruber 1961 – Karl Gruber  : Friedrich Ostendorf, Karl Weber und die Schäferschule im Wandel der Generation, in  : Ruperto Carola. Zeitschrift der Vereinigung der Freunde der Studentenschaft der Universität Heidelberg, 13 (1961), 23, S. 124 – 149. Hellwag 1912 – 1913 – Fritz Hellwag  : Der Wettbewerb um das Bismarck-Nationaldenkmal in Bingerbrück, in  : Die Kunst für alle. Malerei, Plastik, Graphik, Architektur 28 (1912 – 1913), S. 44 –  48. Hubrich 1980 – Hans-Joachim Hubrich  : Hermann Muthesius. Die Schriften zur Architektur, Kunstgewerbe, Industrie in der ›Neuen Bewegung‹, Berlin 1980. Hundert Entwürfe 1911 – Hundert Entwürfe aus dem Wettbewerb für das Bismarck-NationalDenkmal auf der Elisenhöhe bei Bingerbrück-Bingen, hg. im Auftrag der Denkmal-Ausschüsse, Düsseldorf 1911. Isitnot 1913 – Isitnot  : Bezüglich der Futuristen …, in  : Echo der Gegenwart  ; 5. Dezember 1913, Nr. 284, 2. Blatt. Kandinsky 1913 – Kandinsky. Kollektiv-Ausstellung 1902 – 1912, Berlin o. J. (Januar 1913). Kott 2016 – Christina Kott  : Préserver l’art de l’ennemi  ? Le Patrimoine artistique en Belgique et en France occupées, 1914 – 1919, Brüssel 2016. Kott, Claes 2018 – Christina Kott, Marie-Christine Claes  : Le patrimoine de la Belgique vu par l’occupant. Un héritage photographique de la Grande Guerre, Paris 2018.

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Lemcke 1870 – Karl Lemcke  : Populäre Ästhetik, Leipzig 1870. Muthesius 1909 – Hermann Muthesius  : Zeichenunterricht und Stillehre (1899), in  : Ders.: Kultur und Kunst, 2. Aufl., Jena 1909, S. 100 – 116. Muthesius 1912 – Hermann Muthesius  : Wo stehen wir  ?, in  : Durchgeistigung der deutschen Arbeit. Wege und Ziele in Zusammenhang von Industrie, Handwerk und Kunst. Jahrbuch des Deutschen Werkbundes, Jena 1912, S. 11 – 26. Nerdinger, Oechslin 2003 – Winfried Nerdinger, Werner Oechslin (Hg.)  : Gottfried Semper 1803 – 1879. Architektur und Wissenschaft, Zürich 2003. Nerdinger 2018 – Winfried Nerdinger  : Das Bauhaus. Werkstatt der Moderne, München 2018. Nützmann 1996 – Hannelore Nützmann  : Ein Berufsleben. Frida Schottmüller, in  : Mitteilungen des Kunsthistorischen Institutes in Florenz 40 (1996), 1/2, S. 236 – 244. Programm 1919/20 – Programm der TH zu Aachen 1919/20, S. 3 – 4. Raabe, Borchert, Elebe u. a. 2008 – Christian Raabe, Ivonne Borchert, Miriam Elebe u. a.: Das Reiff-Museum zwischen Gestern und Heute, in  : Martina Dlugaiczyk, Alexander Markschies (Hg.)  : Mustergültig. Gemäldekopien in neuem Licht. Das Reiff-Museum der RWTH A ­ achen. Ausstellungskatalog Aachen, München, Berlin 2008, S. 60 – 73. Roethel, Benjamin 1982 – Hans K. Roethel, Jean K. Benjamin (Hg.)  : Kandinsky. Werkverzeichnis der Ölgemälde, 2 Bde., München 1982. Schmid 1890 – Max Schmid  : Die Darstellung der Geburt Christi in der bildenden Kunst, Stuttgart 1890. Schmid 1898 – Max Schmid  : Rethel, Bielefeld 1898. Schmid 1900 – Max Schmid  : Ein Aachener Patrizierhaus des XVIII. Jahrhunderts, Stuttgart 1900. Schmid 1903 – Max Schmid  : Kunstgeschichte nebst einem kurzen Abriss der Geschichte der Musik und Oper von Clarence Sherwood, Neudamm 1903. Schmid 1904 – Max Schmid  : Kunstgeschichte des XIX. Jahrhunderts, 3. Bde, Leipzig 1904 – 1905. Schmid 1905 – Max Schmid  : Plakat Konkurrenz der Stadt Aachen, in  : Deutsche Kunst und Dekoration XV (1904 – 1905), S. 90. Schmid 1909 – Max Schmid  : Ausstellung für Christliche Kunst Düsseldorf 1909, in  : Die Kunst für alle 25 (1909), S. 73 – 82. Schmid 1912 – Max Schmid  : Wechselrede über ästhetische Fragen der Gegenwart (auf der Jahresversammlung 1911), in  : Jahrbuch des Deutschen Werkbundes, 31912, S. 31 – 32. Schmid 1913 – Max Schmid  : Max Klinger, Bielefeld 1913. Schmid-Burgk 1923 – Max Schmid-Burgk  : Das Mittelalterliche Bürgerhaus im Hennegau, in  : Paul Clemen (Hg.)  : Belgische Kunst-Denkmäler, München 1923, Bd. 1, S. 179 – 202. Schmid-Burgk 1924 – Max Schmid-Burgk  : Das Haus Neuerburg zu Köln, in  : Innendekoration. Mein Heim, mein Stolz  ; die gesamte Wohnkunst in Bild und Wort 35 (1924), S. 159 – 176. Scholz, Lohmann 2017 – Maike Scholz, Daniel Lohmann  : »Zur Neuen Welt«. Towards the New World. Ludwig Mies and his Architectural Youth in Aachen, in  : Docomomo Journal 56  : The Heritage of Mies 1 (2017), S. 7 – 15. Scholz, Lohmann 2019 – Maike Scholz, Daniel Lohmann  : Der Architekt Albert Schneiders  : Ein Wegbereiter der Aachener Moderne, in  : Denkmalpflege im Rheinland 36 (2019), 1, S. 1 – 15.

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Martina Dlugaiczyk

Schumacher 1935 – Fritz Schumacher  : Stufen des Lebens. Erinnerungen eines Baumeisters, Stuttgart 1935. Tummers 1972 – Nic Tummers  : Der Hagener Impuls. Das Werk von J. L. M. und sein Einfluß auf die Architektur und Formgebung, Hagen 1972. Turck 1994 – Martin Turck  : Das Reiff-Museum der Technischen Hochschule Aachen, Weimar 1994. Wild 2017 – Moritz Wild  : Architekturlehre und Städtebau der zwanziger bis fünfziger Jahre im Regierungsbezirk Aachen. René von Schöpfer (1883 – 1954), Dissertation RWTH Aachen 2017  ; URL  : https://publications.rwth-aachen.de/record/698367 (13. April 2020). Wingler 1966 – Hans M. Wingler (Hg.)  : Gottfried Semper  : Wissenschaft, Industrie und Kunst und andere Schriften über Architektur, Kunsthandwerk und Kunstunterricht, Mainz 1966.

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Maria Männig

Bruno Meyers Baugeschichtlicher Wandatlas Ein Lehrmedium im Kontext von Kunst und Technik

Der vorliegende Beitrag fragt, wie sich die Vermittlung wissenschaftlicher Inhalte innerhalb des Etablierungsprozesses der Kunstgeschichte als universitärer Disziplin konstituierte. Mit dem Fallbeispiel Karlsruher Polytechnikum steht einer der Nuklei der frühen akademischen Kunstgeschichte im Fokus. Besprochen wird ein bislang un­ bekanntes Lehrmittelprojekt des Pioniers der kunsthistorischen Diaprojektion, Bruno Meyer, der zwischen 1874 und 1884 als Ordinarius in Karlsruhe wirkte. Meyers Baugeschichtlicher Wandatlas (1879) wird dabei in dem spezifischen institutionellen Umfeld insbesondere innerhalb des naturwissenschaftlichen Fächerkanons verortet. Unter­ sucht wird er in Hinblick auf die gleichzeitigen Bemühungen um die Herstellung von Anschaulichkeit. Der Archivfund wird im Kontext von Meyers Schriften analysiert und somit als charakteristisches Wissensmedium des 19. Jahrhunderts vorgestellt.

I. »Die Menschen wollen sehen«

Alexander von Humboldts 1805 geäußertem Credo, »die Menschen wollen sehen«1, kam weitreichende Bedeutung für die Wissensvermittlung des 19. Jahrhunderts zu. Dabei zeichneten sich Humboldts Bücher nicht nur durch ihre aufwändigen und komplexen Illustrationen, sondern zudem durch ihre besonders anschauliche, mitreißende Sprache aus. Der vorliegende Beitrag verfolgt diese Stimulanz des Visuellen anhand der Diskurse um die Vermittlung wissenschaftlicher Inhalte der sich gerade als universitäre Disziplin etablierenden Kunstgeschichte. Dass es sich hierbei um keinen singulären Prozess handelte, zeigt der Blick auf die Naturwissenschaften. Exemplarisch wird dieses Nahverhältnis am Fall des Karlsruher Polytechnikums zu erörtern sein. Im Zentrum der Auseinandersetzung steht der dort zwischen 1874 und 1884 als Ordinarius für Kunstgeschichte wirkende Bruno Meyer. Die schottische Universität St. Andrews teilte Anfang des Jahres 2019 mit, man habe die bislang älteste erhaltene Schautafel des Periodensystems entdeckt.2 Der spektakuläre 1 Zitiert nach  : Bruhns 2017 [1872], S. 405. Unmittelbar bezieht sich diese Aussage auf Humboldts berühmtes Naturgemälde. Zu Papier brachte er sie gegenüber seinem Genfer Verleger in französischer Sprache  : »Les hommes veulent voir, et je leur montre un microcosme sur un feuille [Hervorhebung lt. Original].« Wulf 2018, S. 168. 2 Römer 2019. Den Hinweis darauf verdanke ich Huberta Weigl.

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Maria Männig

Fund wurde pünktlich zum 150. Jubiläum der theoretischen Grundlegung des Perioden­ systems der Elemente publiziert. Dieses ordnet die Elemente gemäß den Atomgewichten an und macht sie somit vorhersagbar. Der Fund belegt die dem System eigene Progno­ sekraft in seiner historischen Dimension, denn wiewohl die Bezeichnung des erst 1885 entdeckten Germaniums auf der Tafel noch fehlt, ist dessen Position hier bereits verzeichnet. Hieraus ergibt sich ein Terminus ante quem für die Datierung des Objekts. In Wien gefertigt, diente es vornehmlich Vermittlungszwecken. Formal lehnt es sich an die in diesen Jahren übliche Darstellung des Periodensystems als Tabelle an, wie sie auch in den zeitgenössischen Publikationen zu finden ist. Die heute verbindlich gewordene Rasterstruktur mit den charakteristischen Kästchen, in welche die jeweiligen Elemente eingeschrieben sind, ist hier noch nicht ausdifferenziert. Wie die Kunstgeschichte befand sich auch das Fach Chemie in den 1870er Jahren in einer Phase der akademischen Etablierung. Einer der Erfinder des Periodensystems, Lothar Meyer3, stritt daher vehement für die Verbesserung von schulischer wie universitärer Ausbildung, die er als aufeinander ausgerichtetes Kontinuum begriff. Wiewohl auf die Naturwissenschaften gemünzt, artikulierte Meyer Forderungen nach einem universalen Bildungsanspruch einerseits und nach Anschaulichkeit der Lehrinhalte andererseits. Mit diesen ähnlich gelagerten Interessen musste der Chemieprofessor seinem Namensvetter, dem Kunstwissenschaftler Bruno Meyer, auffallen. Bevor sich die Wege der beiden Bildungsaktivisten des 19. Jahrhunderts jedoch schließlich 1874 in Karlsruhe kreuzen sollten, hatten sich beide Meyers bereits über ihre Schriften gegenseitig zur Kenntnis genommen sowie korrespondiert.4 Als Beleg für diese Wahrnehmung lässt sich erstens Bruno Meyers umfangreicher Kommentar zu Lothar Meyers Die Zukunft der Deutschen Hochschulen und ihrer Vorbildungs-Anstalten (1873) und zweitens seine Rezension der Meyer-Schrift Akademie oder Universität. Den deutschen Forst- und Landwirten gewidmet anführen.5 Beide veröffentlichte Bruno Meyer im Jahre 1874 in seiner damaligen Funktion als Redakteur der Kulturzeitschrift Deutsche Warte. Umschau über das Leben und Schaffen der Gegenwart.6 Die publizistische Tätigkeit, die Bruno Meyer als Redakteur ausfüllte, kann stellvertretend für das breite berufliche Spektrum stehen, das ihn als typischen Vertreter

3 Lothar Meyer entwickelte das Periodensystem unabhängig von Dimitri Mendelejew, beide Wissenschaftler wurden daher 1882 mit der Davy-Medaille ausgezeichnet. Zu den Leistungen Meyers bzw. zum Prioritätsstreit und den Unterschieden zwischen den beiden Forschern  : Danzer 1974, S. 49 – 54  ; Kluge, Kästner 2014, S.  111 – 123. 4 Siehe  : Meyer 1874a, S. 264. 5 Ebd. und Meyer 1874b. 6 Die Kulturzeitschrift erschien ab 1871 zweimal im Monat als Nachfolgerin der Ergänzungsblätter zur Kenntnis der Gegenwart zunächst im Verlag des Bibliographischen Instituts Hilburghausen, dann bei Wigand in Leipzig und zuletzt bei Braun in Karlsruhe. 1875 wurde das Erscheinen eingestellt.

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der frühen Kunstgeschichte ausweist  :7 Wie aus dem von Alfred Woltmann verfassten Berufungsgutachten hervorgeht, war er darüber hinaus als Lehrer, Dozent und Kunstschriftsteller gleichermaßen tätig gewesen.8 Als Karlsruher Ordinarius wird Meyer ein Feld betreten, welches wohl als charakteristisch für die florierende Privatwirtschaft des 19. Jahrhunderts zu bezeichnen ist, sich aber schlussendlich als inkompatibel mit dem System Universität erweisen wird. Die Rede ist hier von Meyers unternehmerischen Aktivitäten, die er als Fotograf und Bildverleger entfaltete.9 Vor diesem Hintergrund einer von der Industrialisierung geprägten Gründerkultur ist er nicht nur als Erfinder der kunsthistorischen Diaprojektion, sondern in diesem Zusammenhang auch als Foto­ pionier zu sehen. In den letzten Wochen des Jahres 1880 begann Bruno Meyer, seine Vorlesungen am Karlsruher Polytechnikum mithilfe des Skioptikons zu illustrieren.10 1883 erschien sein 4000 Einträge umfassendes Verzeichniss der Glasphotogramme für den kunstwissenschaftlichen Unterricht.11 Meyer hatte das Projekt bereits seit etwa 1870 verfolgt. Im Rahmen des Ersten Internationalen Kunsthistorikerkongresses 1873 demonstrierte er das neue Medium der Kollegenschaft, konnte diese aber nicht vom Nutzen der fotografischen Diaprojektion überzeugen.12 Die Ursachen für dieses anfängliche Scheitern mögen vielfältig gewesen sein  ; Meyer selbst führte es auf die Unzulänglichkeit des Bildmaterials zurück.13 Plausibel erscheint dies vor dem zeitgenössischen Hintergrund der technischen Entwicklung der Fotografie im Allgemeinen und des Diapositivwesens im Speziellen. So stellte die exakte Tonwertwiedergabe im Verlauf des 19. Jahrhunderts eine Herausforderung dar, was insbesondere die fotografische Reproduktion von Gemälden einschränkte. Bis zur Erfindung der Autotypie, des ersten Offsetdruckverfahrens, gestaltete sich die mechanische Vervielfältigung von fotografischen Vorlagen als äußerst schwierig.14 Der Mangel an hochwertigen Foto-Vorlagen übertrug sich auch auf das Diapositivwesen. Für die Projektion bildeten Lichtechtheit sowie ein hoher Kontrastumfang zusätzliche Erfordernisse. Nach gescheiterten Joint Ventures15 bündelte Meyer sukzessive   7 Man denke hier an Zeitgenossen wie den ersten österreichischen Ordinarius für Kunstgeschichte Rudolf Eitelberger, der sich als Netzwerker »auf allen Feldern der Künste aktiv gestaltend« hervorgetan hat, wie es in der einleitenden Würdigung in dem anlässlich seines 200. Geburtstags erschienenen Tagungsband heißt. Kernbauer, Pokorny-Nagel, Rüdiger 2019, S. 16.   8 GLA 448 / 2394  : Gutachten Woltmann vom 25. Oktober 1873.   9 Männig 2019. 10 Papenbrock 2006, S. 181. 11 Meyer 1883b. 12 Dilly 1975, S. 153 – 172  ; ders. 1995, S. 39 – 44  ; ders. 2009, S. 91 – 116. 13 Meyer 1883b, Sp. III–VIII. 14 Peters 2007, S. 179 – 244  ; Heß 1999. 15 Meyer hatte zunächst mit dem Görlitzer Unternehmen Max Fritz Optisches und Mechanisches Institut.

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sämtliche Produktions- und Vertriebsprozesse in seiner Person und spezialisierte sich auf das aufwändige Verfahren des Kohle- bzw. Pigmentdrucks, für den sowohl die sepiafarbene Tönung als auch die detaillierte Durchzeichnung der Diapositive charakteristisch ist.16 Wie eine Zeitkapsel konservieren die Meyer-Diapositive die oben angerissenen Herausforderungen für die frühe Fotografie. Aufgrund der besseren Tonwertwiedergabe fotografierte Meyer Gemälde nach Stichen, also manuellen Reproduktionen. Technik- und kulturhistorisch betrachtet, erfährt das Medium der Projektion während der 1870er und 1880er Jahre einen gravierenden Imagewechsel. Dafür sind zwei Aspekte grundlegend  : Die Erfindung der projizierbaren Fotografie durch die Brüder Wilhelm und Frederic Langenheim (1851)17 einerseits und die Weiterentwicklung der Laterna magica zu dem wesentlich lichtstärkeren Skioptikon (1872) durch Lorenzo J. Marcy18 andererseits. Im Zuge dieser Neuerungen wurde die bereits zu pädagogischen Zwecken seit dem 18. Jahrhundert eingesetzte Laterna magica zu einem voraufklärerischen Unterhaltungsinstrumentarium umgedeutet, von dem sich die neuartige, rationalisierte Form der Wissensvermittlung abzusetzen hatte.19 Die folgenden Ausführungen sollen Meyers Aktivitäten im Bereich der Diaprojektion lediglich grob umreißen, um den Kontext zu erklären. Der vorliegende Text richtet den Fokus jedoch auf ein in Vergessenheit geratenes Lehrmittelprojekt von Bruno Meyer, welches dennoch in unmittelbarem Zusammenhang zu den Glasphotogrammen steht. II. Meyers Baugeschichtlicher Wandatlas

Im Laufe des Jahres 1879 brachte Bruno Meyer einen Baugeschichtlichen Wandatlas heraus, der architektonische Bauwerke von der Antike bis zur Gegenwart präsentieren sollte.20 Im Vorfeld hatte sich Meyer an das badische Ministerium des Innern gewandt, um dieses als Unterstützer für das Projekt zu gewinnen.21 Meyers Vorschlag bestand in einer Beteiligung des Ministeriums in Form einer Subskription von 50 Exemplaren. Noch heute ist diese Praxis etwa im Buchhandel üblich, mit der die Herstellungskosten durch verbindliche und kostenpflichtige Vorbestellungen finanziert werden. Meyers Wandtafelwerk zielte, wie er ausführt, nicht nur auf den universitären, sondern auf den gesamten schulischen Bereich bis hin zu den höheren TöchterschuVerlags- und Lehrmittelhandlung sowie im Anschluss mit der Firma Liesegang kooperiert. Siehe Männig 2019, S.  278 – 281. 16 Männig 2019, S. 281. 17 Ruchatz 2003, S. 70 – 75. 18 Vogl-Bienek 2018, S. 106. 19 Dazu grundlegend  : Ruchatz 2003. 20 Meyer 1879. 21 GLA 76 / 9998  : Bruno Meyer an Ministerium, 10. Januar 1879.

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len. Während man in Baden laut Aktenvermerk trotz Meyers hochfliegender Pläne »nur auf eine geringe Verbreitung zu hoffen«22 wagte, den Preis monierte und das Projekt daher nicht unterstützte, sprang das Königlich Preußische Ministerium der Geistlichen Unterrichts- und Medicinalangelegenheiten als Sponsor ein, sodass das Tafelwerk erscheinen konnte. Sowohl die Diaprojektion als auch die Wandtafel verpflichteten das Auditorium auf eine zentrale visuelle Form der Darstellung, anhand derer mündliche Erörterungen erfolgten. Wie diese Vermittlungssituation konkret aussah, geht aus Meyers Korrespondenz mit dem Ministerium hervor. Er schreibt  : »Bei jedem kunst- oder culturgeschichtlichen Unterricht, bei der Stillehre u. s. w. macht sich insbesondere gegenüber grösseren Zuhörerkreisen – der Mangel eines Anschauungsmateriales empfindlich fühlbar, welches die hauptsächlichsten Gegenstände in deutlichen Zügen allen Anwesenden zusammen leicht erkennbar zugleich mit dem Worte des Vortragenden vorführte. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass das richtige Material hierzu Wandtafeln wären, die bei hinreichender Grösse klar genug gezeichnet sind, um weithin in ihren Einzelheiten mit dem Auge deutlich aufgefasst zu werden, und gleichzeitig sorgfältig und detailliert genug, um nicht nur die ganz groben Eigenthümlichkeiten der Form wiederzugeben, sondern auch namentlich bei der Betrachtung aus mässigerem Abstand über Feinheiten und bis zu einem gewissen Grade selbst Einzelheiten (Details) Rechenschaft zu geben.«23

Hinsichtlich der angestrebten Disposition der Betrachtenden ist diese Passage besonders aussagekräftig  : Wie bei der Diaprojektion verpflichtete auch die Wandtafel das Publikum auf eine verbindliche Anschauungssituation, in der die belehrende Instruktion in Gestalt eines »performativen Dreiecks«24 stattfinden kann. Wie Robert Nelson für den Diavortrag herausgearbeitet hat, lässt sich die zugrundeliegende Kommunikationssituation als performatives Dreieck charakterisieren.25 Neben Vortragenden und Publikum tritt das Bild nicht nur als drittes Element in Erscheinung, sondern ihm kommt als visuellem Zeichen auch eine zentrale Rolle zu.26 In diesem Zusammenhang ist insbesondere auf Meyers biografischen Hintergrund zu verweisen  : So war er mehrere Jahre als Lehrer in der Berliner Dorotheenstädtischen Realschule tätig und war daher mit den Verhältnissen, die er als »Massenunterricht«27 bezeichnete, bestens vertraut. Zu Meyers Zeit, Mitte der 1860er Jahre, betrugen die Klassenstärken in der Dorotheenstädtischen 22 GLA 76 / 9998  : Aktenvermerk vom 28. November 1879. 23 GLA 76 / 9998  : Bruno Meyer an Ministerium, 10. Januar 1879. 24 Nelson 2000. 25 Ebd., S. 415. 26 Ebd., S. 422. 27 Meyer 1879, S. 3.

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Realschule zwischen vierzig und fünfzig Schüler.28 Nicht nur im Layout, der Größe und der Gestaltung, sondern auch in der thematischen Ausrichtung adressierte Meyers Wandtafelprojekt also insbesondere auch die Schulen. Von der Forschung wurde bisher vernachlässigt, dass diese breite Ausrichtung gleichermaßen auf die Glasphotogramme zutrifft. Eine ähnliche Indifferenz zwischen Schule und Universität lässt sich für den Bereich der kunsthistorischen Lehr- und Handbücher und darüber hinaus auch für die Naturwissenschaften feststellen.29 Den schulischen wie universitären Ausbildungsalltag qua Anschaulichkeit zu verbessern kann als Meyers persönliche Passion bezeichnet werden. Diese Forderung formuliert der Autor bereits im Jahre 1868 und konkretisiert sie nach und nach in Hinblick auf die Leistungen der Fotografie bzw. der fotografischen Diaprojektion.30 Aus der Perspektive von Meyers Fixierung auf die Fotografie und die fotografische Projektion mag die Bevorzugung der (gedruckten) Planzeichnung als medienhistorischer Rekurs erscheinen. Möglicherweise verbirgt sich darin die konventionalisierte Form der Betrachtung von Architektur, deren konstitutives Element seit der Gotik die Planzeichnung war.31 Aus seinen Äußerungen gegenüber dem Ministerium geht jedenfalls hervor, dass Meyer die Relevanz des Grundrisses für die analytische Betrachtung von Werken der Baukunst betonte und somit an die Praxis der klassischen Architekturanschauung anschloss. Als nicht unerheblicher Faktor mag sich jedoch auch ein technisches Problem herausgestellt haben  : Wie Meyer an anderer Stelle erörterte, hatte die Fotografie vor allem im Bereich der Reproduktion von Grafik mit Solarisationseffekten, die durch den hohen Anteil an Weißraum verursacht wurden, zu kämpfen.32 Bei der Solarisation kommt es im Extremfall zu einer Art Negativeffekt, bei dem besonders helle Flächen dunkel wiedergegeben werden. Im Verlauf des 20. Jahrhunderts sollten die architektonischen Grundrisse schließlich mittels Diaprojektion mediatisiert werden. Aus Meyers publizierten Texten geht hervor, dass der Urheber seinen Baugeschichtlichen Wandatlas und die Glasphotogramme als Gesamtkomplex betrachtete, in dem die beiden Angebote mit der Architekturanalyse einerseits und der Kunstbetrachtung andererseits unterschiedliche Bedürfnisse adressierten.33 In dem hier vorliegenden Text soll erörtert werden, inwieweit das Wandtafelprojekt im Umfeld des Karlsruher Polytechnikums möglicherweise von der Konfrontation mit dem Chemiker Lothar Meyer inspiriert worden sein könnte. Dafür sprechen eine Reihe von Indizien, die im Anschluss dargelegt werden. 28 Kleiber 1866a, S. 74  ; Lehrpersonal wie Schülerschaft der Gymnasien und Realschulen, um die es hier geht, waren zur damaligen Zeit ausschließlich männlich. 29 Boeck 2015, S. 47 – 74, Anm. Nr. 98. 30 Meyer 1868. 31 Philipp 2017, S. 200 – 211. Dazu grundlegend  : Sonne 2011. 32 Meyer 1883b, Sp. V. 33 Meyer 1879, S. 3 – 4  ; ders. 1883a, S. 92 – 93.

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Wie weiter oben bereits ausgeführt, adressierten Bruno Meyers reformpädagogische Ansätze den Bereich der ästhetischen Bildung. Das Pendant dazu lieferte der für einen »guten Anschauungsunterricht«34 optierende Lothar Meyer aus naturwissenschaftlicher Perspektive. Dieser sollte die Schüler dazu anregen, »richtige sinnliche Wahrnehmungen zu machen und sich derselben klar bewußt zu werden.«35 Weiterhin sollten die – zum damaligen Zeitpunkt als homogen männlich gedachten – Schüler »[…] die wesentlichen und charakteristischen Merkmale der betrachteten Gegenstände möglichst selbstständig auffinden und auffassen, dann aber auch mündlich, schriftlich und graphisch richtig klar und vollständig wiedergeben lernen.«36 Das Vermögen »genauer Vergleichung und Unterscheidung« sollte eingeübt und die Schüler sollten somit dazu befähigt werden, »Methoden der wissenschaftlichen Classification selbst [zu] erfinden oder entdecken.«37 Das hier angesprochene aufklärerische Paradigma der Klassifikation beherrschte, wie noch zu zeigen sein wird, die natur- und geisteswissenschaftlichen Wissenssysteme des 19. Jahrhunderts gleichermaßen. Wie seine Vorgänger38 betrachtete Lothar Meyer das chemische Experiment im Unterricht mit Skepsis, vielmehr favorisierte er das Üben der Elemente bzw. der stöchio­ metrischen Gesetze.39 Letztere bilden die mathematische Grundlage für Berechnungen, etwa von chemischen Reaktionen. Damit forcierte der Autor einen allgemeinen Überblick über Naturgesetzlichkeiten, insbesondere über das Kerngebiet seiner eigenen Forschung, die Bestimmung der Elemente nach dem Atomgewicht. In einem Bericht von 1893 erläutert Meyer, wie er die anorganische Chemie im Rahmen eines insgesamt auf achtzig Einheiten angelegten Vorlesungszyklus »schon seit längerer Zeit«40 vermittle. Illustriert wird der Stoff durch Experimente sowie durch Lehrmittel  : »Da die Zuhörer mit dem Begriffe des Atomgewichtes und den Regeln, nach denen es bestimmt wird, nach den vorhergehenden Betrachtungen vertraut sind, so kann ich die stets an der Wand des Hörsaales hängende Tafel des natürlichen Systemes der Elemente jetzt erläutern, wobei ich zugleich noch ein zweites, auf einen drehbaren Cylinder aufgezogenes Exemplar zu benutzen pflege.«41

Besonders interessant ist, dass ergänzend zur statischen Wandtafel ein bewegliches Objekt zur Anwendung kam. Mittels der sukzessiven Rotation auf dem Zylinder wurden 34 Meyer 1873, S. 40. 35 Ebd., S. 39. 36 Ebd., S. 40. 37 Ebd. 38 Siehe  : Arendt 1869. 39 Meyer 1873, S. 42 – 43. 40 Meyer 1893, S. 1233. 41 Ebd., S. 1237. Hinweis auf die Quelle von Gisela Boeck.

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die einzelnen Spalten isoliert zu sehen gegeben, erklärbar gemacht und zugleich als Teil eines Kontinuums bzw. eines größeren Zusammenhangs präsentiert. Animationen zur Visualisierung des Sonnensystems wurden etwa im Bereich der Astronomie in Form von mechanisch betriebenen Laterna-magica-Bildern eingesetzt.42 Zwei Jahre nach Veröffentlichung dieses Textes fand die erste Filmvorführung der Brüder Lumière statt. Was Meyers auf sechzig Tafeln angelegten Atlas von vergleichbaren Angeboten – etwa der zeitgleich im E. A. Seemann Verlag Leipzig erschienenen Bilderbogen43 – unterscheidet, ist seine außerordentliche Dimension. Mit einer Kantenlänge von 190 mal 146 Zentimetern ist das Wandtafelprojekt meiner Kenntnis nach einzigartig und explizit auf ein größeres Auditorium hin optimiert. In Relation zu der kurz darauf im Hörsaal realisierten Projektionsfläche von drei Metern im Quadrat gedacht, nimmt die Wandtafel davon etwa ein Drittel ein. Aufgrund des damit erzielten Maximalkontrasts unterstützt die grafische Reduktion auf Schwarz-Weiß die intendierte Fernwirkung zusätzlich. So lobte der damals noch am Stuttgarter Polytechnikum lehrende Kunsthistoriker Wilhelm Lübke  : »Die Auswahl der Denkmäler und die durchdachte Art, wie ihre charakteristische Gestaltung mit steter Berücksichtigung der constructiven Momente und der historischen Entwickelung im grössten für die Entfernungen der geräumigsten Hörsäle berechneten Massstabe zur Erscheinung gebracht wird, verdient, musterhaft genannt zu werden [Hervorhebung lt. Original].«44

Dabei beschränkten sich die Wandtafeln auf Planzeichnungen, also Grund- und Aufrisse. Gelehrt werden sollte damit das »verständnisvolle Anschauen architektonischer Zeichnungen«45, wie Meyer in der zugehörigen Broschüre bemerkt. Die Baurisse grenzte er klar von den sogenannten »›malerische[n]‹ Ansichten«46 ab, zu denen er auch die Fotografie zählt. Der Fokus wurde also bewusst auf eine analytische Präsentation von Architektur gelegt – als Plan auf Papier. Im Gegensatz zum Wandtafelwerk bietet die Diaprojektion den vielbeschriebenen Fokus auf das leuchtende Bild, die dem Kinodispositiv47 verwandt ist, aber eine hochgradig performative Komponente beinhaltet, die sich in Ko-Präsenz mit dem Publikum, der Unwiederholbarkeit des Aufführungsereignisses sowie seiner Liveness manifestiert.48

42 Pons, Pitarch 2017, S. 83 – 99. 43 Seemann 1879. 44 Meyer 1879, S. 6. 45 Ebd., S. 3. 46 Ebd. 47 Baudry 2003. Vgl. Wenk 1999. 48 Fischer-Lichte 2004.

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Inwiefern das Wandtafelwerk als Konzession auf die zum Teil als skandalös diskutierte Lichterscheinung im dunklen Raum gewertet werden kann, muss offen bleiben. Meyers Wandtafelatlas und das Diaprojekt zielen jeweils auf den Frontalunterricht, was im Rückblick selbstverständlicher erscheinen mag, als es sich aus der Perspektive des 19. Jahrhunderts zunächst darstellt. Die später verbindliche Form der Ausrichtung der Schulbänke in Richtung eines für die Lehrperson vorgesehenen Pults, hinter der ggf. eine Tafel angebracht ist, kristallisierte sich erst im Laufe des 19. Jahrhunderts heraus. Wie sich der zeitgenössischen Literatur entnehmen lässt, wurde dies während der 1860er und 1870er Jahre die Norm.49 Im Zuge der Reformpädagogik, die im Falle des Kunstunterrichts keineswegs erst ein Thema der Kunsterziehungsbewegung um 1900 war, sondern bereits um die Jahrhundertmitte eingefordert worden war,50 ging es stets darum, die Anschaulichkeit des Unterrichts zu verbessern. In diesem Zusammenhang spielte Kunst bzw. die Einführung des Kunstunterrichts eine entscheidende Rolle. So entwickelt Meyer bereits im Jahre 1868 in Das Ästhetische als Erziehungsmittel und Unterrichtsgegenstand einen höchst brisanten Gedanken, in dem er Kunst selbst als Anschauungsmittel – oder wie man heute sagen könnte, als Medium – definiert  : »Bildhauerei und Malerei aber bieten dem Unterricht ein Object, das an vielseitiger Brauchbarkeit als Unterrichtsmittel und an selbständigem pädagogischen Werthe nirgends seines Gleichen findet.«51 III. Die Sankt-Peter-Tafel

Bei der einzigen bisher aufgefundenen Wandtafel handelt es sich um ein Demonstra­ tionsexemplar, das Meyer 1879 dem Ministerium zugesendet hatte und welches dementsprechend im Personalakt abgeheftet worden ist.52 Aufgrund der historischen Lagerung, die gemäß badischer Archivordnung horizontal durch Bindung zwischen Karton erfolgt ist, waren die Ränder des Plans geknickt und eingerissen, daher wurde das sonst gut erhaltene Blatt 2019 von der Restaurierungsabteilung des Generallandesarchivs geöffnet. Im geöffneten Zustand erkennen wir einen Baualtersplan des Petersdoms in Rom, der die Entwicklung einzelner Bauphasen von der mittelalterlichen Basilika zum barocken Zentralbau demonstriert (Abb. 1). Meyer hatte demnach eines der komplexesten Werke der europäischen Kunstgeschichte ausgewählt, um seine potentiellen Geldgeber zu überzeugen. Dass dies im Falle Badens missglückte, mag der Komplexität der Darstellung geschuldet sein, die sich einem Beamten vor allem auch in Hinblick auf den 49 Kleiber 1866b, S. 39 – 44. 50 Oelkers 2005, S. 44 – 46. 51 Meyer 1868, S. 25. 52 GLA 76 / 9998.

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Anspruch der Vermittlung an ein breiteres Publikum nicht notwendigerweise erschloss. Ein im Prospekt erwähnter »erläuternde[r] Text«, der genau dies hätte leisten sollen und somit vor allem Lehrern in »gedrängter Form und in rein sachlicher Haltung, leicht verständlich und alles Wichtige erschöpfend […] alles gerade Wissenswerthe darbieten«53 sollte, ist nicht im Akt vorhanden. Die übereinander projizierten Grundrisse geben wohl Auskunft über die Entwicklungsgeschichte von St. Peter, werden einem Laienpublikum gegenüber jedoch erst durch eine begleitende, die Darstellung aktivierende Erklärung vollständig wirksam. Der visualisierte Prozess muss durch die Sprache zum Verstehen gegeben werden. Heute bieten Animationen in PowerPoint sowie Formen der 3D-Modellierung Möglichkeiten, baugeschichtliche Entwicklungen zu visualisieren. Wie oben bereits angedeutet, wurden performativere Formen der visuellen Wissensvermittlung mit den zur Verfügung stehenden Mitteln im 19. Jahrhundert vielfach erprobt. Auf den ersten Blick ist Meyers Darstellung epigonal und basiert auf Geymüllers Synopse der Bauphasen, die auf Tafel 45 in dem 1875 erschienenen Band Die ursprünglichen Entwürfe für Sanct Peter in Rom abgebildet ist (Abb. 2).54 Der Grazer Architekturhistoriker Josef Ploder bezeichnete sie als »ein Meisterwerk der Anschaulichkeit und gedanklicher Durchbildung«.55 Unterschiede werden auf den zweiten Blick deutlich  ; diese betreffen sowohl die Gesamtaussage der Darstellung als auch Details in der Interpretation der Baugeschichte, auf die an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden kann. Auf die entsprechende Größe skaliert, zeichnet sich die Meyer-Fassung durch eine rein grafische Interpretation der Darstellung aus. Gestrichelte und gepunktete Linien sowie gegenläufige Schraffuren in variierender Dichte zeigen die jeweilige Bauphase an. Die bei Geymüller links unten vorhandene Legende wurde etwas herauf gerückt und aufgeteilt, so dass sie sich an zentralerer Stelle links und rechts des Grundrisses befindet. Die Namen der Baumeister sind vergrößert und erscheinen damit insgesamt prominenter. Geymüllers Bildunterschrift weist den Plan als »Jetziger Zvstand der Basilika mit der Reihenfolge der Umaenderungen des bramantischen Baves und seine gaenzliche Entstellung unter Pavl V«56 aus. In normativer Absicht legt der Autor seinen Fokus auf den Renaissance-Bau, während er die barocken Umbauten als minderwertig abqualifiziert. Der Meyer-Plan erscheint dagegen zugunsten einer Gesamtbetrachtung neutralisiert. Die Legende startet nicht nur mit Alt St. Peter, dessen Grundriss auch im Gesamtplan deutlich erkennbar ist, sondern deutet gar die antike Zirkusarena an. Diese Verdichtung mag dem Konzept Wandtafel geschuldet sein, die eine synoptische Darstellung eher motiviert als das Medium Buch, 53 Meyer 1879, S. 5. 54 Geymüller 1875. Hinweise hierauf habe ich Nott Caviezel, Friedrich Polleroß und Alexander Markschies zu verdanken. 55 Ploder 2009, S. 135. 56 Geymüller 1875, Taf. 45.

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in welchem die Argumentation über mehrere Tafeln bzw. den Text entwickelt werden kann.57 Dieser Verdichtungsthese entspricht auch die Ergänzung durch einen Lageplan unten links, der den aktuellen Zustand inklusive des Petersplatzes veranschaulicht. Dennoch protokolliert der Meyer-Plan um einiges nüchterner den Fortschritt. Wie Meyer dem Ministerium gegenüber betont, entsteht das Wandtafelprojekt im Umfeld des Karlsruher Polytechnikums in Kooperation mit den dort tätigen Architekten  : »Für die Ausführung stehen mir die Kräfte der hiesigen Bauschule zur Verfügung, und die Herren Lehrer der Baukunst haben mir ihre Mitwirkung bei der Überwachung und Leitung der Arbeiten zugesagt.«58 Der auf dem Plan verzeichnete Name des Architekten und späteren Professors für Baugeschichte an der Technischen Hochschule, Eduard Doerr, bestätigt diese Ankündigung (Abb. 1). IV. Formen visueller Wissens(an)ordnungen  : Tabelle, Verzeichnis, Diagramm

Was die eigentlich vertriebenen Artefakte wie die Wandtafeln bzw. die Glasdiapositive selbst anbelangt, so ist die Überlieferungslage im Falle von Meyers Lehrmittelprojekten als schlecht zu bezeichnen. Eine besondere Rolle kommt daher den zugehörigen Verzeichnissen zu. Im Falle des Verzeichnisses der Glasphotogramme für den kunstwissenschaftlichen Unterricht (im Folgenden  : Glasphotogramme) bzw. des Baugeschichtlichen Wandatlasses gewähren diese einen Eindruck der thematischen Ausrichtung des Gesamtvorhabens. Die Verzeichnisstrukturen konstituieren einen spezifischen Kanon sowie Hierarchien, die diesem eingeschrieben sind. Die Verzeichnisse sind daher als autonome Wissensmedien zu behandeln. Im Rahmen der akademischen Etablierung des Fachs adressierte Meyer sowohl die allgemeine Kunstgeschichte als auch die Schulen. Wie das in der Begleitbroschüre zum Wandatlas erhaltene Verzeichnis bezeugt, präsentierte das Werk jenseits der griechischrömischen Antike Indien, Ägypten und den Vorderen Orient, bevor es über Rom und die Spätantike zum Mittelalter gelangte und mit der italienischen bzw. deutschen Renaissance endete. Erhalten hat sich hier ein Kulturstufenmodell, das sein Vorbild bei Hegel findet.59 Demgemäß startet der Rundgang durch die Weltgeschichte im Osten, in der Symbolischen Epoche. Daran schließt sich die Klassische Periode des antiken Griechenlands an. Die letzte bzw. Romantische Epoche nimmt ihren Ausgang im europäischen Mittelalter. Dieses Modell wurde in einer Weise ergänzt, dass es mit seiner »Globalität mittlerer Reichweite« (vgl. Beitrag Henrik Karge in diesem Band) für die zeitgenössische Kunstgeographie typisch ist. Als solches inkludiert es die weißen 57 Hinweis von Alexander Markschies. 58 GLA 76 / 9998  : Bruno Meyer an Ministerium, 10. Januar 1879. 59 Wyss 1985, S. 14 – 135  ; ders. 1991.

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Abb. 1  : Bruno Meyer, St.-Peter-Tafel, 1879. Quelle  : Generallandesarchiv Karlsruhe, GLA 76 /9998.

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Abb. 2  : Heinrich von Geymüller, Tafel 45 aus Entwürfe für St. Peter, 1875. Quelle  : Heinrich von Geymüller  : Die ursprünglichen Entwürfe für Sanct Peter in Rom von Bramante Raphael Santi, Fra Giocondo, den Sangallo’s u. a. m. 2 Bde., Bd. 2, Wien, Paris 1875, Tafel 45. URL  : https://doi.org/10.11588/diglit.22096 (2. Mai 2020).

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Flecken, etwa Zentralasien, Amerika und Subsahara-Afrika. Analog dazu konstituiert sich dieses Geschichtsmodell nicht nur in den gerade gegründeten öffentlichen Museen, sondern auch in den Handbüchern. Im Vergleich zu den Glasphotogrammen erscheint der Architektur-Kanon im Baugeschichtlichen Wandatlas insgesamt ausgeglichener. Obwohl in den Glasphotogrammen antike Hochkulturen und islamische Kunst vertreten sind, entfallen mehr als die Hälfte der 4000 Diapositive auf die Antike. Eine Erklärung mag in der Verfügbarkeit von Vorlagen liegen  ; insbesondere Meyers Foto-Kampagne im Berliner Olympia-Museum hatte ihm die Gelegenheit geboten, eine Vielzahl von Objekten aufzunehmen. Zudem war eine Fortsetzung der Glasphotogramme geplant, die »viele der klaffenden Lücken«60 hätte füllen sollen, allerdings nie erschien. Offensiver noch als im Wandatlas erhebt Meyer mit dem späteren Werk »Anspruch auf den Charakter einer wissenschaftlichen Arbeit [Hervorhebung lt. Original].«61 Wenn er den Anspruch auf Systematik und Vollständigkeit beschreibt, wird deutlich, dass Meyer durch den für die Kunstgeschichte elementaren »Eifer im Jagen und Sammeln«62 angetrieben ist  ; dieser äußert sich im Falle der Glasphotogramme im Medium der Fotografie. Das Verzeichnis lässt sich daher als imaginäres Museum interpretieren (Tabelle 1). Die Tätigkeiten des Jagens, Sammelns sowie des darauffolgenden Systematisierens und Klassifizierens der Denkmäler bildet die historische Wurzel des Fachs Kunstgeschichte. Bereits in den 1970er Jahren machte Jack Goody darauf aufmerksam, dass Klassifikationssysteme maßgeblich mit der geschriebenen Sprache zusammenhängen.63 Die Verschriftlichung von Beobachtungen, so der Autor, konstituiere listen- bzw. verzeichnishafte Strukturen, die ihrerseits Hierarchien implizieren würden. Dem entspricht die Beobachtung des Tabellenforschers Robert Stein aus dem Jahre 1916, der die tabellarische Form durch die Menschheitsgeschichte aller Zeiten und Völker zurückzuverfolgen suchte.64 Dennoch kristallisiert sich heraus, dass die in der Frühen Neuzeit artikulierten humanistisch-enzyklopädischen Wissensansprüche jene »Kulturen der Ordnung«65 etablierten, die schließlich zu einem regelrechten Boom der Tabellenproduktion im 17. und 18. Jahrhundert führten.66 Überdies manifestierten sich merkantile Macht- und Herrschaftsstrukturen in tabellarischer Form in den Staatstafeln, wie Barbara Segelken aufzeigte.67

60 Meyer 1883b, S. VIII. 61 Meyer 1883b, S. VIII. 62 Wyss 1991, S. 239. 63 Vgl. Goody 2017 [1977]. 64 Stein 1916. 65 Siegel 2009, S. 18. 66 Steiner 2008, S. 131 – 141. 67 Segelken 2010, S. 89 – 98.

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Vorläufiges summarisches Inhaltsverzeichniss. I.

Indien.

XXXII.

St. Marien im Capitol, Köln.

II.

Aegypten, Pyramiden.

XXXIII.*

Die drei mittelrheinischen Dome.

III.

Aegypten, Grottentempel.

XXXIV.

Laach.

IV.*

Aegypten, Freitempel.

XXXV.

Kaiserpfalzen.

V.*

Assyrien.

XXXVI.*

S. Marco, Venedig.

VI.*

Tempel zu Jerusalem.

XXXVII.

Dom, Pisa.

VII.

Persien. Vorderasien.

XXXVIII.*

Notre Dame du Porte, Clermont.

VIII.*

Dorischer Stil.

XXXIX.

Vèzelay.

IX.

Selinus.

XL.*

Gothik  ; Grundriss u. Inneres.

X.*

Akropolis von Athen.

XLI.*

Gothik  ; Aeusseres.

XI.

Parthenon.

XLII.

Noyon. Limburg a. d. Lahn.

XII.*

Ionischer Stil.

XLIII.

Notre Dame, Paris.

XIII.*

Korinthischer Stil.

XLIV.*

Amiens. Kölner Dom.

XIV.*

Das antike Theater.

XLV.

Hallenkirche.

XV.

Etruskische Architektur.

XLVI.

Trier, Dom und Liebfrauenkirche.

XVI.*

Das römische Wohnhaus.

XLVII.

Kleinere Anlagen.

XVII.*

Pantheon.

XLVIII.*

Kloster.

XVIII.

Circusbauten.

XLIX.*

Burg.

XIX.*

Thermen.

L.

Städtische Wohnhausarchitektur.

XX.*

Triumphbogen. Römisches Capitell.

LI.*

Sta. Maria del fiore, Florenz.

XXI.*

Forum.

LII.

Kirchenbau der Renaissance.

XXII.*

Altchristliche Basilica.

LIII.

Palastbau der Renaissance

XXIII.

S. Lorenzo, Mailand.

LIV.*

Renaissance in Rom.

XXIV.

S. Vitale, Ravenna.

LV.

S. Peter, Rom.

XXV.*

Hagia Sophia, Constantinopel.

LVI.

Bibliothek, Venedig.

XXVI.

Münster zu Aachen.

LVII.

Vicenza.

XVII.

Moschee.

XXVIII.*

Alhambra.

LVIII.

XXIX.

Ispahan. Delhi.

Entwickelung des modernen Kuppel­ baus

XXX.*

Flachgedeckte romanische Basilica.

LIX.*

Französische Renaissance.

XXXI.*

Gewölbte romanische Basilica.

LX.*

Deutsche Renaissance.

* Durch Beisetzung eines Sternes ist die im Allgemeinen als die vortheilhafteste erscheinende [sic  !] Auswahl von 30 Blatt angedeutet. Erschienen als erste Lieferung  : Tafel V, X, XVI, XXIII, XLVI und LV. Tabelle 1  : Verzeichnis der geplanten Wandtafeln.

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Tabellen dienten und dienen der Sammlung und Organisation von Informationen und zugleich als mnemotechnisches Hilfsmittel bzw. didaktisches Instrument.68 Wie Arndt Brendecke herausarbeitet, präsentiert die »tabellarische Disposition«69 Daten optisch übersichtlich in einer Art Koordinatensystem und macht darüber hinaus ein komplexes Gefüge von Relationen sichtbar. In diesem Zusammenhang ist noch einmal auf das Periodensystem zu verweisen. Bekannt ist, dass Lothar Meyer und Dimitri Mendelejew dieses unabhängig voneinander erstellten, also in die tabellarische Form brachten. Gegenüber Meyers Natürlichem System der Elemente konzentriert sich Mendelejew stärker auf die Vorhersagefunktion. Grundlegend dafür sind die durch die Tabelle sichtbar gewordenen Leerstellen, die es ermöglichen, bislang unbekannte Elemente zu bestimmen (Abb. 3). Mit Sibylle Krämer wird die Tabelle spätestens an diesem Punkt zum Diagramm, zur »graphischen Apparatur« und damit zum »Erkenntnisinstrument«.70 Wie Gisela Boeck gezeigt hat, implizieren die Tabellen bei beiden Autoren jedoch auch ein didaktisches Moment, da sie insbesondere für die Lehrbücher entwickelt wurden.71 Im Falle des Prioritätenstreits um das Periodensystem gewinnt dieser Vermittlungsaspekt noch einmal besondere Brisanz. So hatte Lothar Meyer das Beweisstück, das damals unpublizierte Manuskript mit der Ordnungstabelle, bei seinem Weggang nach Karlsruhe im Jahre 1868 seinem Nachfolger an der dortigen Forstakademie zu Lehrzwecken überlassen.72 Ein Blick auf historische Tabellenwerke zeigt, dass nicht nur die Naturwissenschaften, sondern insbesondere die Geschichtswissenschaft dieses spezifische Aufschreibesystem favorisierte, um historische Entwicklungen übersichtlich aufzubereiten bzw. synoptisch darzustellen.73 In diesem Kontext lässt sich auch das von Johann Wolfgang Goethe und Johann Heinrich Meyer seit 1811 bearbeitete und 1826 veröffentlichte Tabellenwerk Übersicht der Geschichte der Kunst der Griechen betrachten.74 Verzeichnisstrukturen der kunsthistorischen Mappen- und Tafelwerke, aber auch der Handbücher basieren auf diesen bestehenden grundlegenden Ordnungs- und Hierarchiesystemen. Historiografisch lassen sie sich somit – jenseits der Naturwissenschaft – auch aus genuin geisteswissenschaftlichen Denktraditionen ableiten. Damit lässt sich das von Henrik Karge vorgetragene Argument, dass vor allem der Einfluss evolutionsbiologischer Modelle auf die Kunstgeschichte überbewertet wurde, stützen.75 68 Rößler 2014. 69 Brendecke 2015. 70 Krämer 2016, S. 70 – 71. 71 Boeck 2015, S. 48. 72 Ebd., S. 51. 73 Steiner 2008. 74 Rößler 2014. 75 Karge 2014, S. 42.

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Abb. 3  : Lothar Meyers Natürliches System der Elemente in einer Fassung von 1893. Quelle  : Lothar Meyer  : Ueber den Vortrag der anorganischen Chemie nach dem natürlichen Systeme der Elemente, in  : Berichte der deutschen chemischen Gesellschaft 26 (1893) H. 2, S. 1230 – 1250, S. 1232.

Qua Format (188 × 153 cm) ist die von Goethe und Johann Heinrich Meyer erstellte Übersicht auf Raumwirkung hin optimiert. Neben anderen großformatigen Schautafeln gehörte sie zur Ausstattung von Goethes Haus am Weimarer Frauenplan, wurde allerdings auch von dem Autorenduo vertrieben.76 Als mnemotechnisches Werkzeug kann sie von mehreren Personen gleichzeitig betrachtet und diskutiert werden. Der umfangreiche Text und die Kleinteiligkeit des Layouts sprechen jedoch eher für eine vorwiegend private Rezeption, die gut in ein biedermeierliches Interieur und das Selbstverständnis des Privatgelehrten passt. Das diagrammatisch-visuell aufbereitete Großformat des Baugeschichtlichen Wandatlas adressiert dagegen die Öffentlichkeit eines Hörsaal-Auditoriums. Wie das Prinzip Tabelle veranschaulicht auch das Diagramm die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. Die Darstellung überführt diachrone Zeitläufe in optische Simultaneität.77 Diagrammatische Darstellungen geben Aufschluss über geplante Verläufe – etwa von Projekten. Wie im Falle des Periodensystems eignet ihnen der Charakter der Vorhersage. In diesem Sinne sind sie nicht nur informativ, sondern handlungswirksam.78 Die Handlungsmacht von Geymüllers Baualterplan bzw. Meyers St.-Peter-Tafel liegt demnach in den Denkprozessen, die sie auslösen. So konstituiert ein derartiger Plan auch eine These, die in Bezug auf die Baugeschichte – mit Ranke gesprochen – zeigen soll, ›wie es eigentlich gewesen‹ ist. Beide Tafeln zielen demgemäß ebenfalls auf

76 Rößler 2014. 77 Krämer 2016, S. 73. 78 Ebd., S. 75

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eine Vorhersage, wiewohl diese Aussage – retrospektiv – auf die Beurteilung der Vergan­ genheit zielt. V. Zwischen Kunst und Technik

Wie Wolfgang Beyrodt ausgeführt hat, war die Kunstgeschichte zum Zeitpunkt des ersten kunstgeschichtlichen Fachkongresses 1873 als akademische Disziplin nur an den Polytechniken etabliert.79 Obschon im Rückblick schwer nachvollziehbar, muss man sich diese Tatsache immer wieder vergegenwärtigen. In seiner Antrittsvorlesung von 1874 streicht Bruno Meyer die Rolle Karlsruhes in Form einer Captatio Benevolentiae heraus  : »denn die Karlsruher polytechnische Hochschule hat fast zuerst unter allen deutschen Anstalten die Einsicht gewonnen, in welcher Weise der jüngsten Wissenschaft Rechnung zu tragen geziemt«,80 und trägt damit seiner zuvor in dem Aufsatz Das Aschenbrödel unter den modernen Wissenschaften (1872) geäußerten Forderung der Implementierung der Kunstgeschichte an den Universitäten Rechnung.81 Dass die Kunstgeschichte diesbezüglich nicht singulär steht, belegen die eingangs erwähnten öffentlichkeitswirksam vorgetragenen Einlassungen beider Meyers zum Verhältnis von klassischen Universitäten zu praktisch-technisch ausgerichteten Hochschulen. Die neuen Fächer reklamieren einen gleichberechtigten Platz innerhalb der Universitäten. Demgemäß plädiert Bruno Meyer für eine »Gleichberechtigung der Kunstwissenschaft mit den übrigen Disziplinen.«82 Vertreter wie Meyer repräsentieren das Fach in seiner akademischen Frühphase. Selbst nicht als Kunsthistoriker ausgebildet, sondern vor allem in den Fächern Philo­ sophie und Philologie geschult, konservieren sie in ihren Texten die älteste Schicht der Disziplin, die Ideen der Aufklärung und des Idealismus birgt. Überdeutlich bildet Hegels Ästhetik die Folie von Meyers ältestem Text.83 Wie oben ausgeführt, zeichnet sich Hegels Kulturstufenmodell ebenfalls in Meyers kunsthistorischer Systematik ab. Wie Beat Wyss argumentierte, hatte sich Hegel auf dem Gebiet der Kunst breite Kennerschaft angeeignet und hieraus letztlich jenen Geschichtsrelativismus hergeleitet, der schließlich grundlegend für das Fach Kunstgeschichte werden sollte.84 Mit der umstrittenen – und oft verkürzt wiedergegebenen – These vom Ende der Kunst trat Hegel den romantischen Sehnsuchtsideologien nach der Restitution der Vergangenheit entschieden entgegen. 79 Beyrodt 1991, S. 324. 80 Meyer 1874c, S. 323. 81 Meyer 1872. 82 Meyer 1874c, S. 323. 83 Hegel 1986. 84 Wyss 1991.

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Der folgende Abschnitt lässt sich als Paraphrase zu Hegels Synthese, »In allen diesen Beziehungen ist und bleibt die Kunst nach der Seite ihrer höchsten Bestimmung für uns ein Vergangenes«85 lesen  : »Was früheren Jahrhunderten spielend gelang, was sie Großes schufen ohne Ansträngung, das muß bei uns als Frucht berechnender Klugheit und umfassender Einsicht, eiserner Beharrung und angesträngter Bemühung hervortreten. Unsere Zeit ist den Kinderschuhen der Menschheit entwachsen, das Spiel der Kunst füllt ihren Geist nicht mehr aus, andere Ideen nehmen den breiten Raum im Interesse des Tages vorweg. Da muß die Kunst gepflegt werden  ; wir müssen ihr die Stelle bereiten, wenn wir uns selbst lieb haben. Alle Blüthen phantasievoller Träume der Vorzeit hat die reifere Erkenntnis abgestreift  ; ihr Kranz liegt entblättert am Boden.«86

Obwohl Meyer Hegels Geschichtsrelativismus, wie oben dargestellt, grundsätzlich übernimmt und auch die Rolle des erkennenden Verstehens betont, so vollzieht er letztlich einen gravierenden Deutungswandel. Wenn Hegel konstatiert »Die Kunst lädt uns zur denkenden Betrachtung ein, und zwar nicht zu dem Zweck, Kunst wieder hervorzurufen, sondern, was die Kunst sei, wissenschaftlich zu erkennen«87, dann fordert Meyer  : »Wir müssen diese Kunst, die mitten in das Leben hineingreift, wieder gewinnen.«88 Der kunstwissenschaftliche Unterricht ist demgemäß für Meyer der Schlüssel für die geplante Erneuerung der Kunst. Die entscheidende Rolle kommt dabei der spezifischen Auswahl an Werken bzw. des zu Anschauungszwecken zu etablierenden Lehrkanons zu. Dieser Paradigmenwechsel ist im Kontext der seit der Jahrhundertmitte virulent gewordenen Kunstgewerbebewegung zu verstehen, die auf die Avantgarden des 20. Jahrhunderts vorausweist. In seiner Karlsruher Antrittsvorlesung von 1874 schließt Bruno Meyer an seine früheren Überlegungen an und präzisiert sie in Hinblick auf das konkrete Umfeld des Karlsruher Polytechnikums. Schon im Titel fragt der Autor daher  : Wie und was lernt der moderne Künstler durch die Geschichte der Kunst  ? 89 Die Rolle des Fachs am Karlsruher Polytechnikum sei es, Kunstgeschichte in spezifischem Maße als Baugeschichte zu betreiben, mit dem Ziel der praktischen Ausübung der Baukunst, so Meyer. Ziel seiner Tätigkeit sei es demnach nicht, »Wissenschaft um ihrer selbst willen zu pflegen, wohlgerüstete Kunstgelehrte und eifrige, erfolgreiche Forscher auf dem Gebiete der 85 Hegel 1986 (Bd. 1), S. 25. 86 Meyer 1868, S. 29. 87 Hegel 1986 (Bd. 1), S. 26. 88 Meyer 1868, S. 30. 89 Meyer 1874c.

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Kunstwissenschaft heranzubilden«90, sondern vielmehr betont er die »Zugehörigkeit der kunstwissenschaftlichen Kenntnisse zur allgemeinen Bildung«91. Meyer erörtert daraufhin die Frage, inwiefern sich ein Verständnis der Gegenwart nur aus jenem der Vergangenheit ergeben kann, und präzisiert einzelne Handlungsfelder, in denen die Architekten vom Wissen über die Kunstgeschichte profitieren können  : Die erste Kategorie, die Meyer hierzu einführt, ist jene der Technik. Technik, im Sinne von ›techné‹, versteht er als diejenige Form von Praxiswissen, die es erlaubt, einen künstlerischen Prozess vom Entwurf bis zur Ausführung zu bewältigen. Im Zusammenhang mit der Technik taucht hier ein zweiter Begriff auf, der aufgrund seiner Relevanz für das 20. Jahrhundert zunächst überraschen mag  ; der Begriff der Abstraktion. Damit bezeichnet Meyer die produktionsästhetische Verwertung eines Vorbildes – sei es die Natur oder beispielsweise die antike Kunst. In dem so entwickelten Denkkonstrukt lokalisiert Meyer die materiell-technische Ebene von Kunstwerken, die bei einem Studium auch einen Erkenntnisgewinn verspricht, zugleich als Basis. Technische Fertigkeiten bzw. das Studium künstlerischer Techniken bilden die Grundvoraussetzung für das künstlerische Schaffen bzw. das Verständnis desselben. Hierauf aufbauend, erörtert Meyer zunächst den Aspekt des Motivs, also des Gehalts der Darstellung, und danach den Aspekt der Form, der sich in der spezifischen stilistischen Ausgestaltung des jeweiligen Stoffes manifestiert. Anschließend setzt er beide Elemente in ein dialektisches Verhältnis zueinander. Damit greift er eine Diskursfigur von Schiller auf, die dieser in der Ästhetischen Erziehung des Menschen vorgetragen hatte.92 Aus dieser Argumentation heraus will Meyer – mit Semper – eine »praktische Ästhetik«93 entwickeln. Wenn auch Invektive gegen »den modernen Stilwirrwarr«94 eingestreut sind, so ist die Perspektive Meyers dennoch eine unverrückbar hoffnungsvolle. Wie in früheren Beiträgen ausgeführt, ist er in unerschütterlicher Weise davon überzeugt, dass die Pädagogik der ästhetischen Erziehung des Menschen im Sinne einer allumfassenden Bildung dienen kann und soll. Der aufklärerische Impetus wird auch durch die direkten Referenzen auf Schiller und Lessing verstärkt, die Meyer einstreut. Für Meyer ist es demnach die Rolle der Kunstgeschichte, die gestalterischen Gesetzmäßigkeiten zu erkennen, zu ordnen und zu vermitteln, um somit die Kunstentwicklung aktiv mitzugestalten. Diese Scharnierfunktion zwischen Theorie und Praxis wurde meines Erachtens bislang zu wenig thematisiert.

90 Meyer 1874c, S. 322. 91 Ebd. 92 Schiller 1962, S. 636 – 641. 93 Semper 1860  ; Meyer 1874c, S. 333. 94 Meyer 1874c, S. 333.

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Für Meyer lässt sich abschließend festhalten, dass sein Denken aufs Engste mit der zeitgenössischen Kunstgewerbe-Bewegung verbunden ist und nur hieraus zu verstehen ist. Diese Verknüpfung resultiert erstens aus seiner Biografie. So war Meyer, bevor er nach Karlsruhe berufen wurde, bereits an der Königlichen Kunstschule in Berlin tätig gewesen. Zweitens schlägt sich dies auch in der Rolle nieder, die er ganz explizit einnimmt – und zwar diejenige des Kunstvermittlers. Diese Rolle realisiert sich drittens ganz entscheidend in dem institutionellen Umfeld des Polytechnikums mit seinem Fokus auf der praktischen Bildung. In einzigartiger Weise schlägt sich dieses Potential in Meyers Lehrmedienprojekten nieder, die darauf abzielen, eine breite Öffentlichkeit zu adressieren. Mit diesen Projekten ist Meyer nicht nur Theoretiker, sondern vollzieht selbst die Wandlung zur praktischen Ästhetik. Literatur Arendt 1869 – Rudolf Arendt  : Der Anschauungsunterricht in der Naturlehre, Leipzig 1869. Baudry 2003 – Jean-Louis Baudry  : Das Dispositiv. Metapsychologische Betrachtungen des Rea­ li­tätseindrucks, in  : Robert Riesinger (Hg.)  : Der kinematographische Apparat. Geschichte und Gegenwart einer Debatte, Münster 2003, S. 41 – 62. Beyrodt 1991 – Wolfgang Beyrodt  : Kunstgeschichte als Universitätsfach, in  : Peter Ganz, M ­ artin Gosebruch, Nikolaus Meier u. a. (Hg.)  : Kunst und Kunsttheorie 1400 – 1900, Wiesbaden 1991, S.  313 – 333. Boeck 2015 – Gisela Boeck  : The Periodic System and Its Influence on Research and Education in Germany between 1870 and 1910, in  : Manasori Kaji, Helge Kragh, Gábor Palló (Hg.)  : Early Responses to the Periodic System, Oxford 2015, S. 47 – 74. Brendecke 2015 – Arndt Brendecke  : Information in tabellarischer Disposition, in  : Frank Grunert, Anette Syndikus (Hg.)  : Wissensspeicher der Frühen Neuzeit. Formen und Funktionen, Berlin, Boston 2015, S. 43 – 59. Bruhns 2017 [1872] – Carl Bruhns  : Alexander von Humboldt. Eine wissenschaftliche B ­ iographie. 3 Bde., Bd. I, Leipzig 1872 (Repr. Norderstedt 2017). Danzer 1974 – Klaus Danzer  : Dmitri I. Mendelejew und Lothar Meyer. Die Schöpfer des Perio­ densystems der chemischen Elemente, 2. Aufl., Leipzig 21974. Dilly 1975 – Heinrich Dilly  : Lichtprojektion. Prothese der Kunstbetrachtung. In  : Irene Below (Hg.)  : Kunstwissenschaft und Kunstvermittlung, Gießen 1975, S. 153 – 172. Dilly 1995 – Heinrich Dilly  : Bildwerfer. 121 Jahre wissenschaftliche Dia-Projektion, in  : Zwischen Markt und Museum. Beiträge der Tagung »Präsentationsformen der Fotografie« am 24. und 25. Juni 1994 im Reiß-Museum der Stadt Mannheim (Rundbrief Fotografie. Sammeln, Bewahren, Erschließen, Vermitteln, Sonderheft 2 (1995)), S. 39 – 44, URL  : http://www.kunstgeschichte.huberlin.de/wp-content/uploads/2010/05/Dilly_Diawerfer_1995.pdf (12. April 2020). Dilly 2009 – Heinrich Dilly  : Weder Grimm noch Schmarsow, geschweige denn Wölfflin … Zur jüngsten Diskussion über die Diaprojektion um 1900, in  : Costanza Caraffa (Hg.)  : Fotografie als Instrument und Medium der Kunstgeschichte, Berlin 2009, S. 91 – 116. Fischer-Lichte 2004 – Erika Fischer-Lichte  : Ästhetik des Performativen, Frankfurt a. M. 2004.

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Geymüller 1875 – Heinrich von Geymüller  : Die ursprünglichen Entwürfe für Sanct Peter in Rom von Bramante, Rafael Santi … nebst zahlreichen Ergänzungen und einem Texte, 2 Bde., Bd. 2  : Tafeln, Wien, Paris 1875. Goody 2017 [1977] – Jack Goody  : Schreiben und Auflisten [1977], in  : Birgit Schneider, Christoph Ernst, Jan Wöpking (Hg.)  : Diagrammatik Reader, Berlin 2017, S. 151 – 155. Hegel 1986 – Georg Wilhelm Friedrich Hegel  : Vorlesungen über die Ästhetik, 3 Bde., Frankfurt a. M. 1986. Heß 1999 – Helmut Heß  : Der Kunstverlag Franz Hanfstaengl und die frühe fotografische Kunst­reproduktion. Das Kunstwerk und sein Abbild, München 1999. Karge 2014 – Henrik Karge  : System und Entwicklung. Die Taxonomien der Architekturgeschichte und ihre naturwissenschaftlichen Parallelen in der Mitte der 19. Jahrhunderts, in  : Wolfgang Cortjaens, Karsten Heck (Hg.)  : Stil-Linien diagrammatischer Kunstgeschichte, Berlin, München 2014, S. 34 – 49. Kernbauer, Pokorny-Nagel, Rüdiger 2019 – Eva Kernbauer, Kathrin Pokorny-Nagel, Julia Rü­ diger u. a.: Zur Einleitung  : drei Institutionen blicken auf ihren Gründer, in  : Dies. (Hg.)  : Rudolf Eitelberger von Edelberg. Netzwerker der Kunstwelt, Wien, Köln, Weimar 2019, S. 15 –  32. Kleiber 1866a – L. Kleiber (Hg.)  : Jahresbericht über die Dorotheenstädtische Realschule, Berlin 1866. Kleiber 1866b – L. Kleiber  : Gelegentliche Gedanken über Schulbauten und die Einrichtung von Schulzimmern, in  : Ders. (Hg.)  : Jahresbericht über die Dorotheenstädtische Realschule, Berlin 1866 – 1867, S.  39 – 44. Kluge, Kästner 2014 – Harald Kluge, Ingrid Kästner  : Ein Wegbereiter der Physikalischen Chemie im 19. Jahrhundert – Julius Lothar Meyer (1830 – 1895), Aachen 2014. Krämer 2016 – Sybille Krämer  : Figuration, Anschauung, Erkenntnis. Grundlinien einer Diagrammatologie, Berlin 2016. Männig 2019 – Maria Männig  : Bruno Meyer and the Invention of Art Historical Slide Projection, in  : Julia Bärnighausen, Costanza Caraffa, Stefanie Klamm u. a. (Hg.)  : Photo-Objects. On the Materiality of Photographs and Photo-Archives in the Humanities and Sciences, Berlin 2019, S. 275 – 291. Meyer 1868 – Bruno Meyer  : Das Ästhetische als Erziehungsmittel und Unterrichtsgegenstand, Berlin 1868. Meyer 1872 – Bruno Meyer  : Das Aschenbrödel unter den modernen Wissenschaften, in  : Deutsche Warte. Umschau über das Leben und Schaffen der Gegenwart 2 (1872), S. 641 – 661. Meyer 1874a – Bruno Meyer  : Die Zukunft der Deutschen Hochschulen und ihrer VorbildungsAnstalten, in  : Deutsche Warte. Umschau über das Leben und Schaffen der Gegenwart VII (1874), H. 5, S. 257 – 273. Meyer 1874b – Bruno Meyer  : [Rezension zu] Akademie oder Universität. Den deutschen Forstund Landwirten gewidmet, in  : Deutsche Warte. Umschau über das Leben und Schaffen der Gegenwart VII (1874), H. 9, S. 574 – 575. Meyer 1874c – Bruno Meyer  : Wie und was lernt der moderne Künstler durch die Geschichte der Kunst  ? Eine akademische Antrittsrede, in  : Deutsche Warte. Umschau über das Leben und Schaffen der Gegenwart VI (1874), S. 321 – 334.

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Meyer 1879 – Bruno Meyer  : Prospect. Baugeschichtlicher Wandatlas für Hoch-, Mittel- und Fachschulen, Karlsruhe 1879. Meyer 1883a – Bruno Meyer  : Bericht über die Verhandlungen der 36. Versammlung, in  : Jahrbücher für Philologie und Pädagogik 182 (1883), S. 90 – 93. Meyer 1883b – Bruno Meyer  : Glasphotogramme für den kunstwissenschaftlichen Unterricht, Karlsruhe 1883. Meyer 1873 – Lothar Meyer  : Die Zukunft der Deutschen Hochschulen und ihrer VorbildungsAnstalten, Breslau 1873. Meyer 1893 – Lothar Meyer  : Ueber den Vortrag der anorganischen Chemie nach dem natürlichen Systeme der Elemente, in  : Berichte der deutschen chemischen Gesellschaft 26 (1893), H. 2, S.  1230 – 1250 Nelson 2000 – Robert S. Nelson  : The Slide Lecture, or the Work of Art »History« in the Age of Mechanical Reproduction, in  : Critical Inquiry 26 (2000), H. 3, S. 414 – 434. Oelkers 2005 – Jürgen Oelkers  : Reformpädagogik. Eine kritische Dogmengeschichte, 4., überarb. Aufl., Weinheim 42005. Papenbrock 2006 – Martin Papenbrock  : Der Lehrstuhl für Kunstgeschichte in Karlsruhe. Ein Rückblick, in  : Katharina Büttner, ders. (Hg.)  : Kunst und Architektur in Karlsruhe. Festschrift für Norbert Schneider, Karlsruhe 2006, S. 179 – 191. Peters 2007 – Dorothea Peters  : Die Welt im Raster. Georg Meisenbach und der lange Weg zur gedruckten Fotografie, in  : Alexander Gall (Hg.)  : Konstruieren, Kommunizieren, Präsentieren. Bilder von Wissenschaft und Technik, Göttingen 2007, S. 179 – 244. Philipp 2017 – Klaus Jan Philipp  : Von der ichnographia Vitruvs zur DIN 1356 – 1. ­Prolegomena zu einer Geschichte der Grundrissdarstellungen, in  : Monika Melters, Christoph Wagner (Hg.)  : Die Quadratur des Raumes. Bildmedien der Architektur in Neuzeit und Moderne, Berlin 2017, S. 200 – 211. Ploder 2009 – Josef Ploder  : Kat. 50, in  : Josef Ploder, Georg Germann (Hg.)  : Heinrich von Gey­müller (1839 – 1909). Architekturforscher und Architekturzeichner, Ausstellungskatalog Basel, Graz, Basel 2009, S. 135. Pons, Pitarch 2017 – Jordi Pons, Daniel Pitarch  : History of a Fantascope  : A Device for Education in Nineteenth-Century Girona, in  : Early Popular Visual Culture 15 (2017), H. 1, S. 83 – 99. Römer 2019 – Jörg Römer  : Ältestes Poster des Periodensystems entdeckt, in  : Spiegel Online, URL  : http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/schottland-aeltestes-poster-des-periodensystemsentdeckt-a-1248777.html (30. März 2019). Rößler 2014 – Johannes Rößler  : Goethe und Johann Heinrich Meyers Tabelle zur antiken Kunstgeschichte (1826), in  : Wolfgang Cortjaens, Karsten Heck (Hg.)  : Stil-Linien diagrammatischer Kunstgeschichte, Berlin, München 2014, S. 112 – 131. Ruchatz 2003 – Jens Ruchatz  : Licht und Wahrheit. Eine Mediumgeschichte der fotografischen Projektion, München 2003. Schiller 1962 – Friedrich Schiller  : Über die ästhetische Erziehung des Menschen, in  : Ders.: Sämtliche Werke, Bd. 5, München 31962. Seemann 1879 – E. A. Seemann (Hg.)  : Kunsthistorische Bilderbogen für den Gebrauch bei akademischen und öffentlichen Vorlesungen, sowie beim Unterricht in der Geschichte und

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Geschmackslehre an Gymnasien, Real- und höheren Töchterschulen zusammengestellt, mehrere Bde., Leipzig 1879. Segelken 2010 – Barbara Segelken  : Bilder des Staates. Kammer, Kasten und Tafel als Visualisierun­ gen staatlicher Zusammenhänge, Berlin 2010. Semper 1860 – Gottfried Semper  : Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder praktische Ästhetik  : ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde, Bd. 1  : Die textile Kunst für sich betrachtet und in Beziehung zur Baukunst, Frankfurt a. M. 1860. Siegel 2009 – Steffen Siegel  : Tabula. Figuren der Ordnung um 1600, Berlin 2009. Sonne 2011 – Wolfgang Sonne (Hg.)  : Die Medien der Architektur, Berlin, München 2011. Stein 1916 – Robert Stein  : Alte und neue Übersichtstafeln. Ein Beitrag zur Geschichte der Unterrichtsmittel und eine Anregung zu erneuter Verwendung, in  : Deutsche Geschichtsblätter. Monatsschrift für Erforschung deutscher Vergangenheit auf landesgeschichtlicher Grundlage XVII (1916), H. 7 u. 8/9, S. 167 – 192, S. 226 – 248. Steiner 2008 – Benjamin Steiner  : Die Ordnung der Geschichte. Historische Tabellenwerke in der Frühen Neuzeit, Wien, Köln, Weimar 2008. Vogl-Bienek 2018 – Ludwig Vogl-Bienek  : eLaterna – Digitale Editionen von Werken der historischen Projektionskunst, in  : editio.Internationales Jahrbuch für Editionswissenschaft 32 (2018), H. 1, S. 104 – 118. Wenk 1999 – Silke Wenk  : Zeigen und Schweigen. Der kunsthistorische Diskurs und die Diaprojektion, in  : Sigrid Schade (Hg.)  : Konfigurationen  : zwischen Kunst und Medien, München 1999, S.  292 – 305. Wulf 2018 – Andrea Wulf  : Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur, München 2018. Wyss 1985 – Beat Wyss  : Trauer der Vollendung. Zur Geburt der Kulturkritik, München 1985. Wyss 1991 – Beat Wyss  : Der letzte Homer. Zum philosophischen Ursprung der Kunstgeschichte im Deutschen Idealismus, in  : Peter Ganz, Martin Gosebruch, Nikolaus Meier u. a. (Hg.)  : Kunst und Kunsttheorie 1400 – 1900, Wiesbaden 1991, S. 231 – 253.

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‘Renaissance oder Barock’  ? Architectural historiography in the pedagogy of the Technische Hochschule Vienna, 1875 – 1913

This contribution brings attention to the role of design professors in mediating a vision of history to their students, a particularly significant issue at the turn of the century. Our case study reconsiders the writings of Carl König (1841 – 1915) and Karl Mayreder (1856 – 1935) to understand the nuances and contradictions of their teaching at the Vienna Technische Hochschule, and how it filtered late 19th-century historiography. We argue that this analysis is relevant to understand how König’s and Mayreder’s students, the generation of ‘Moderne’ working during the 1920s, developed their own vision of history and modernity.

I. History in Practice “My reflections will be dedicated to the field of the science of architecture, but in particular to this subject’s inherent worth for the practicing architect. […] Scientific research, which has the history and the essence of this art as focus, does not only present a theoretical interest, but has a great importance because of its practical relevance.”1

With these words Carl König, newly elected rector of the Technische Hochschule (TH) Vienna,2 introduced the core content of his public address for the inauguration of the

1 “Meine Betrachtungen mögen dem Gebiete der Wissenschaft von der Architektur, vornehmlich aber dem dieser Lehre innewohnenden Werthe für den praktischen Architekten gewidmet sein. […] Schon die Thatsache, daß die meisten Künstler sich zu theoretischem Nachsinnen über ihre Kunst angetrieben fühlen, und die lebhafte Anziehung, welche die Zeugen vergangener Kunstepochen auf sie ausüben, sprechen dafür, daß wissenschaftliche Forschungen, welche die Geschichte und das Wesen der Kunst zum Gegenstande haben, nicht nur an und für sich ein theoretisches Interesse darbieten, sondern daß denselben auch eine praktische Bedeutung beizumessen sei.” See König 1901a, pp. 43 – 44. 2 König started his career at the TH in 1866 as assistant of Heinrich von Ferstel. He was appointed ‘Außerordentlicher Professor’ in 1873  ; ‘Ordentlicher Professor’ in 1882 and ‘Dekan der Bauschule’ for the period 1884 – 1888. He taught at the TH till 1913 as ‘Ehrenprofessor’. For biographical aspects, Kristan 1999, pp. 8 – 37  ; archival material in Personalakte König, Archiv der Technischen Universität Wien. On the “remarkably long run” of the ‘Königsschule’, Long 2018, p. 129.

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academic year 1901/02. König’s account is therefore a fundamental text for the discussion of historiographical issues in his teachings at the TH Wien.3 König and his former collaborator and later colleague Karl Mayreder are relevant figures of practicing architects and professors of the Viennese turn of the century,4 whose activity takes place right at the turning point of the passage to the ‘Moderne’. Representatives of ‘Späthistorismus’, they were the recognized educators of an entire generation, which would include both traditionalists and key figures of modern architects working during the 1920s, such as Josef Frank, Victor Lurje, Richard Neutra, Rudolph Schindler, Walter Sobotka, Oskar Strnad, and Oskar Wlach – a unique ensemble of extraordinarily successful architects, each one following a distinct personal trajectory.5 While the central concern of this volume is to trace the long history and institutio­ nal relevance of the teaching of art history in technical schools, with this essay we are proposing a complementary approach  : to take into consideration another relevant source of historical teaching in those same schools, namely the teachings of architects and professors in charge of design classes, at the time steeped in the historicist tradition. The significance of investigating this aspect is clear, even just considering the enormous influence exerted by design professors on their students, particularly concerning the reception of a historical tradition. What we propose is a first approach to the historiographical vision they mediated, in order to start gauging the relevance and impact of the art historical discourse beyond its disciplinary and institutional boundaries. At the background of our inquiry is the broader question of the reception of the art historical debate in the context of professional architects’ practice in the late 19th and early 20th century. Which art historical works did Viennese architects read  ?6 Which site visits were relevant for their direct knowledge of historical buildings, and which volumes were used as guides in these travels  ? How impactful was their own school education and early practical training, often in their teacher’s office  ? We can broadly assume that the work of the art historians of the period, whether teaching in the same schools or not, was known to these architects and educators and relevant for their historical thinking. 3 The Rektorsrede had a good reception and circulation. It was published both as a booklet by the Verlag der k. k. technischen Hochschule (König 1901a) and in three instalments in the Viennese technical press (in Der Bautechniker, König 1901b, 1901c, 1901d). 4 A first outline of Karl Mayreders biography in Cardamone 2002, pp. 350 – 353, based on Personalakte ‘Mayreder Karl 797’, Archiv der Technischen Universität Wien. On Mayreder’s role in Vienna’s urban development  : Jager 2018. 5 A list of König’s students, albeit not exhaustive, in Kristan 1999, pp. 144 – 145. On König as educator of the generation of the ‘Moderne’ Pozzetto 1985, pp. 27 – 29  ; Welzig 1998, pp. 13 – 15  ; Kristan 1999  ; Long 2001, p. 24  ; Long 2002, p. 7  ; Kristan 2007  ; Pozzetto 2008  ; Hub 2015  ; Long 2018, in particular p. 132. 6 For König we have a fundamental document at our disposal, the inventory of his library and his art collection, sold in an auction in May 1917 (Sammlung 1917).

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Fig. 1  : Karl and Julius Mayreder, Karlsbad Competition Entry for the Colonnades, 1907. Source: Der Architekt 13 (1907), Illustrations, p. 7. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek.

The difficult task to explore with precision the effects of personal interaction, shared elite milieus or institutional environments – from salons to official boards and commissions – as well as participation in public debates, for example in the press, is for the most part still awaiting scholarly attention. The question of reception is made even more relevant and urgent, in the case at hand, by the role of these architects as educators at the TH. In fact, their historicist training, their involvement in the art historical debates of their times, finally, to define it broadly, their entire reading of history certainly filtered through to their students. Yet, while their students uniformly praise the quality of the teaching they received, they seem to give wildly divergent accounts of its contents and orientations, and later adopted an entirely different attitude towards history in their own work. The goal of this paper is to start to investigate the contradictory aspects related with the approach towards the history of art, and the history of architecture in particular, in the work of the educators, König and Mayreder, and to suggest a few interpretations that emerge from the reading of their own writings. It is crucial, in our view, to start 493

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Fig. 2  : Karl König, Industriehaus/Schwarzenbergplatz, Vienna, 1911. Source  : Der Bautechniker, n. 2, (1911), Supplement, Fig. 2. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek.

shedding light on the contrast between what these architects produced in their professional practice – as a neo-baroque and an eclectic architect respectively, to use the common labels – and the content and method of their teaching at the TH, to be able to understand its effects on the next generation. II. Traditionalists and Progressives

As the main representative of the school at the TH, König has long been made to play a prominent role in the ‘game of opposites’ in the Vienna of the times, often pitched against Otto Wagner and his school at the Academy of Fine Arts.7 A significant passage in Der Bautechniker, written by one of König’s colleagues at the TH, August Prokop, complicates this game by proposing a triad, in which Wagner is portrayed as the leading 7 On the school of König’s reputation as ‘conservative’ and ‘reactionary’ in contrast to the Otto-Wagner-­ Schule at the Academy, customarily labelled as ‘progressive’ and ‘modern’, Long 2018, pp. 132 – 133.

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figure of the modernist field, König as that of the neo-baroque and Emil Förster as the main representative of the Renaissance school.8 In fact, the reality of the debate at the turn of the century is a lot more nuanced than these divisions seem to imply. We mention in passing a few cases that complicate the picture of clearly divided and antagonist fields  : Max Fabiani was König’s assistant at the TH and Wagner’s collaborator in the professional practice9  ; a number of students attended both the TH and the Academy at the same time  ;10 and while König forbade his students to attend Adolf Loos’ private school,11 Loos, who had worked in Mayreder’s atelier at the very beginning of his career,12 praised König’s neo-baroque buildings.13 The labels of traditionalist and progressive, in conclusion, do not seem to apply as straightforwardly as our desire to create clear-cut categories would require. It is meaningful for our discourse that Prokop’s scheme appears decidedly upset in a later passage by a ‘Königschüler’, Walter Sobotka  : “Two schools of architecture flourished [in Vienna] at the turn of the century, one at the Academy of Art, under the famous Otto Wagner, the initiator of modern architecture in the movement of the Secession […], the other at the Technological Institute under the guidance of Carl König, the refined representative of a traditional direction related to the classical principles of the École des Beaux-Arts of Paris. The first direction developed into the well-known Wiener Werkstätte […], the second into a new evolutionary direction based on traditional values and initiated by a group of young architects under the spirited leadership of the ingenious Oscar Strand [sic], assisted by Josef Frank and Oscar Walch [sic].”14

Both König and Mayreder taught courses which were not strictly historical  : at the TH, it was Carl von Lützow first and Joseph Neuwirth after 1899 who were in charge of the   8 “Was nun die Architektur der neuesten Zeit betrifft, laufen jetzt vornehmlich drei Architekturrichtungen nebeneinander  : die italienische Renaissance, die Wiener Barocke und die ‘Moderne’. […] Als Träger der oben erwähnten drei Wiener Richtungen können bezeichnet werden  : Hofrath Emil Ritter von Förster, Professor Carl König und Oberbaurath Wagner.” See Prokop 1899, p. 178.   9 On Max Fabiani (1865 – 1962), whose role in the education of the generation of the ‘Moderne’ is indisputable, Pozzetto 1983  ; Pozzetto 1998  ; Hub 2015. Further research could be needed on Fabiani as a teacher at the TH. 10 Kristan 1999, pp. 144 – 145. 11 Long 2018, p. 133 and footnote 10 with reference to Loos 1931, p. 66. 12 Rukschcio, Schachel 1982, pp. 35 – 36 13 Ibid., pp. 43, 187. Loos appreciated the door handle König designed for Kohlmarkt 3 (Kristan 1999, WV 1895/3, pp. 81 – 82) as the best in Vienna (Kristan 1999, p. 17 with reference to Loos’ 1898 article  ; see Loos 1981). Loos visited and apparently openly praised buildings by König during the Vienna tours with his students in 1913 – 14 (Kristan 1999, p. 17 with reference to Rukschcio, Schachel 1982, p. 190). 14 Sobotka 1970, p. 363. The same position in Sigfried Theiss (1932) quoted in Long 2018, p. 133  : “Baroque students [from the TH] have broken their way through modernism, whereas most of Otto Wagner’s students […] are finding their way back to tradition”.

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courses on the history of art and architecture.15 Still, these practicing architects and theorists wrote on the history of architecture16 and taught history as a discipline “of great importance because of its practical relevance”, as a fundamental component of design studio practice. König taught Architektonische Zeichen- und Kompositionsübungen (since 1867) and Propaedeutik der Baukunst (since 187317 exercises after ex cathedra history courses), while Mayreder was in charge for Architektonische Formenlehre, Architektonisches Zeichnen, and Malerische Perspektive.18 Their teachings, outside the conventional channels of art and architectural history courses, as it has already been noted, affected the relationship with history – and the reception of tradition – of an entire generation of architects educated at the TH. An example of the likely relevance of their legacy is provided by the curriculum studiorum of Josef Frank at the TH, where he matriculated in 1903. With König, Frank took the course Architektonische Zeichen- und Kompositionsübungen in his third year and Baukunst der Renaissance in his fifth year. He attended Mayreder’s courses during every one of his five years of tenure at the TH, from Architektonische Formenlehre, to Malerische Perspektive and Städtebau.19 Moreover, together with the art historian Neuwirth, Mayreder was Frank’s supervisor for his doctoral thesis on Leon Battista Alberti’s religious buildings, defended in December 1910.20 Despite the relevance that he had in the education of an outstanding architect such as Frank, no recent monographic study exists on Mayreder.21

15 Carl von Lützow (1832 – 1897) taught at the TH since 1867 as ‘ausserordentlicher Professor’ and since 1882 as ‘ordentlicher Professor für Architekturgeschichte’ (ÖBL V 1972, p. 355). Josef Neuwirth (1855 – 1934) was appointed 1899 as ‘ordentlicher Professor der Kunstgeschichte mit besonderer Berücksichtigung der Baukunst’ (ÖBL VII 1978, p. 107). This is not the place to analyse their historiographical approach which was however profoundly different – as was the focus of their respective research. We have evidence that both König and Mayreder had exchanges with Neuwirth and attended Lützow’s courses. We are grateful to Dr. Paulus Ebner, Director of the Archiv der TU, who attracted our attention to Mayreder’s shorthand notes, taken from von Lützow’s lessons (dating back to the period 1875 – 1877), kept in Mayreder’s Nach­lass in the archive. As for König, we know from the Vorwort des Herausgebers written by Max Theuer for his German translation of Leon Battista Alberti’s De re aedificatoria that his advisor König had provided him with handwritten notes on Alberti by von Lützow’s, on which the art historian had based his lessons (Theuer 1912, pp. XXII–XXIII). This material is also kept in the conspicuous Nachlass von Lützows at the Archiv der TU. 16 König, Schwengberger 1866  ; for Mayreder, e. g. Mayreder 1881  ; Mayreder 1882  ; Mayreder 1885  ; Mayr­ eder 1899. 17 A reconstruction of König’s academic career in Kristan 1999, pp. 21 – 23  ; König was also in charge for the ex cathedra lessons of Baukunst der Antike (since 1879) und Baukunst der Renaissance (since 1883). 18 Kristan 1999, pp. 22 – 23 and Cardamone 2002, pp. 11 – 14. 19 A reconstruction of Josef Frank’s curriculum in Cardamone 2002, pp. 14 – 17 and 345 – 347 based on the Hauptkataloge (under the different academic years) and Frank’s Meldungsbuch in the Archiv der TU. 20 Rigorosen-Journal, Rigorosenakten, Archiv der TU Wien, 13. Dezember 1910. 21 A brief remark about Mayreder’s influence on Loos’ interest in classical architecture (in Rukschcio, Schachel 1982, p. 36) proves to be of great importance. On Mayreder  : Lechner 1942  ; Wagner-Rieger

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On the opposite, König’s role in the education in the classical tradition of the generation working in Vienna during the 1920 is widely acknowledged in historiography and in the statements of the students themselves. 22 However, many questions remain unsolved about the particular use of history in design-oriented courses, the historiographical approach, the reception of historical models – if restrained by the requirements imposed by practice. Concerning the content of König’s classes, for instance, we have contradictory information. If Fabiani reviews König, after his death, as an unconditional supporter of Italian High Renaissance and Greek art,23 Karl Holey firmly states König’s predilection for the French Renaissance, as it emerged in his lessons focusing on the “style François premier”, and dismisses – in a sort of direct rebuttal – Fabiani’s statement. König’s education in the Gothic tradition by Friedrich Schmidt, in Holey’s view, would explain his interest in the French Renaissance, as “it is precisely in the French Renaissance that can be vividly recognized the two pillars on which the newly born style is rooted, that is to say Gothic and antiquity”.24 Sobotka’s and Frank’s statements on König’s education in a Beaux Arts tradition also need to be further detailed.25 In addition, resources that illustrate his teaching practices are scarce. What we have, together with the reports written much later by König’s students, are names of courses, a few programmes,26 and a handful of König’s and Mayreder’s own writings. 1970  ; Kieslinger 1972  ; Wehdorn 1979  ; Plakolm-Forsthuber 1985, all mentioned in Mayreder’s profile  : URL  : http://www.architektenlexikon.at/de/395.htm (February 25th, 2019). 22 See note 5. The most relevant work on this topic is still Long 2001. Christopher Long’s own re-evaluation of the question (Long 2018) was in press while we were at work on the conference paper from which the present essay stems. Long 2018 is an extremely relevant addition to the works on König, and further emphasizes the importance of the educator by analysing the work of his students. 23 Fabiani 1915, p. 61  : “Diese Eigentümlichkeit erweckte oft den Schein [von Königs] Vorliebe für französische Kunst, die ich nicht wahrnehmen konnte  ; im Gegenteil, in seinen Vorlesungen beispielsweise berührte er die französische Kunst äußerst flüchtig, die noch wichtigere französische Hoch- und Spät­ renaissance gar nicht, hingegen hatte König einen unbegrenzten Respekt für die entwickelte griechische Kunst und für die italienische Hochrenaissance. Letarouilly war für ihn […] das Buch der Bücher.” 24 Holey 1916, p. 10  : “Man wird hie und da daran erinnert, daß Königs erste Gehversuche in der Kinderstube der Gotik unter Schmidt erfolgten. Mir ist keine Äußerung Königs über diese Frage bekannt, und doch scheint mir in seinen Werken je später, desto stärker ein Ringen nach dem Ausgleich der beiden Grundkräfte der Architektur zu sein. Diese Erkenntnis erklärt eine Vorliebe für die französische Spielart der Renaissance. Diese Vorliebe bestand unleugbar, und wenn er der französischen Renaissance auch keinen überwiegenden Raum in seinen Vorlesungen einräumte, so hat er doch besonders die Werke des Style François premier eingehend zergliedert und oft genug seinen Schülern das Studium französischer Vorlagewerke, wie Sauvageot, Raquenet und vieler anderer, empfohlen. Denn gerade in der französischen Renaissance sind die beiden Pfeiler, auf denen das Gebäude des wiedergeborenen Stiles errichtet wurde, die Gotik und der Antike, besonders markant erkenntlich.” 25 Sobotka 1970, p. 363  ; Frank 1930, p. 392. 26 Fabiani 1915, p. 61 about König’s “Korrekturen”  ; Mayreder 1915, p. 529, about the function of drawing in Architektonische Formenlehre.

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Even the reconstruction of study trips, with its chasms, raises questions rather than answering them.27 III. König in the Viennese Context

A brief mention of the Viennese context is in order at this point, to provide a broader picture of the background against which the figures of König and Mayreder stand out. At the time we describe, almost at the turn of the century, the School of Art History in Vienna, created around Rudolf von Eitelberger at the University, was solidly established, if somewhat riveted by internal controversies among some of its leading figures.28 The effort of being ‘wissenschaftlich’, i. e. scientific, initiated by Eitelberger in his endeavor to define a new discipline,29 had also become the motto of the artists and architects that referred to Gottfried Semper – from the 1880s opposed by another faction, those who aimed to be ‘patriotisch’, i. e. patriotic, by adopting clear references to Habsburg dynastic models, as it emerges from the debate around the Baroque in Albert Ilg’s pamphlet Die Zukunft des Barockstils (1880).30 What is relevant is that while this position was criticized as a political stratagem in the art historian Ilg, König’s built work in a neo-Baroque style, beginning with his Philipp-Hof (also Zierer-Hof ) of the same year, received instead a mostly positive reception in the Viennese press.31 Still, the two seem to echo each other. In particular in this excerpt from the Rektorsrede (1901) – in a crucial passage for the education of the young generation in a sort of aesthetical relativism  : “Observe the porches of the Karlskirche, when its stairs and atrium are filled with people, enter the space of the dome, where the devoted are gathered, and you will feel the power of architectural forms, which is essentially the same whether people are wearing clothes of the 18th- or of the 20th-century. […] Is the architecture of palaces embellishing our ancient streets really at odds with the needs of our modern life, does it really oblige us to have only platonic feelings towards it  ?”32 27 A partial reconstruction of study trips could be based on the various Publikationen des Vereines Wiener Bauhütte, in which TH students’ travel drawings and sketches are occasionally published, and on the annual report in occasion of the inauguration of the academic year published by the TH itself (Bericht über die feierliche Inauguration), recording – however not systematically – study trips of the previous academic year. Cardamone 2002, pp. 49 – 50  ; Hub 2015. See also Berthold Hub’s article in this volume. 28 It is impossible to offer here even a partial bibliography on the many relevant figures of art historians active in Vienna at this time. For a general overview of the Vienna school, see Rampley 2013. 29 Rampley 2011. 30 Torello 2015. 31 As an example, see Köstlin 1885. 32 “Betrachten Sie den Portikus der Karlskirche, wenn seine Treppen und Hallen von Menschen erfüllt sind,

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König’s words seem an answer to Ilg’s famous passage, “Wir sind schon lange Barock”  : “[As models] for our residence the Pompeian villa or the gothic castle are of no use, nor the German Renaissance house with its deep rooms and stepped gables. Instead the model from that time can absolutely [serve us], whether we want to live as Prinz Eugen in palaces by Fischer von Erlach or in those cute, comfortable little townhouses, like the ones you can still find on the marketplaces of old cities.”33

If König and his school were certainly in contact with the controversies of the art historians, König oriented his teaching of history to play a different role for the young architects he was educating. In his own profile (1913), he proudly describes how the TH adopted lectures and exercises that he had proposed and devised himself  : “In the meantime, it was my personal undertaking and my project to introduce propaedeutic courses in the architecture of antiquity (architecture, Formenlehre) in the study program at the TH. They were linked to the exercises for architectural drawing and intended to clarify them and to familiarize the students with the general principles of classical architecture early

treten Sie ein in den Kuppelraum, in dem sich die Andächtigen versammelt haben, und Sie werden die mächtige Wirkung der architektonischen Formen empfinden, neben der es völlig gleichgültig ist, ob die Menschen in der Tracht des achtzehnten Jahrhunderts oder des zwanzigsten sich eingefunden haben. […] Ist die Architektur der Paläste, die unsere alten Straßen schmücken, den Anforderungen des modernen Lebens wirklich so sehr widersprechend, daß wir ihnen nur mit platonischen Gefühlen gegenübertreten sollten  ?” See König 1901a, pp. 52 – 53. 33 Ilg 1880, p. 22  : “Für unsere Behausung taugt uns weder das pompeianische Atrium noch die gothische Ritterburg, noch die deutsche Renaissance-Wohnung mit ihren tiefen Sälen und hohen Treppengiebeln, vollständig aber das Modell aus jener Zeit, ob wir nun wie Prinz Eugen in Palästen Fischer’s von Erlach wohnen wollen oder in jenen närrischen, behaglichen Bürgerhäuschen, wie sie auf den Märkten alter Städte noch zu finden sind”. Ilg continues  : “In unserer Ringstrassenarchitektur sind wir eigentlich schon lange barock, obgleich es die Wenigsten merken und zwar unter denen, die sich darüber täuschen, am allerwenigsten die Vertreter der Renaissance selber. In einem fort schwätzen sie vom fälschen [sic  !] Cinquecentopalast, dem sie die Zinskaserne nachgeformt haben – was aber besitzt der kolossale Kasten in Wahrheit von seinem Vorbild, das nicht blöß äußerlich daraufgekleckst, darangegypst und schablonirt wäre  ? Der alte Palazzo, nur einer Familie dienend, hatte ein Noblegeschoß mit breiten und hohen Fens­ tern  ; dazwischen aber mächtige Pfeiler. […] das Ganze ist einfach im Großen, groß im Einfachen – was Alles aber der Ringstrassenhausherr nicht brauchen könnte, um auf seine Interessen zu kommen. Die stolzen Cornichenfenster mußten daher zusammenschrumpfen und eng an einander rücken, ferner vierbis fünfmal über einander aussteigen, damit die Miethkaserne ihrem Zweck genüge – kurz, konstruktiv genommen geht daraus jenes himmelhohe Wohngebäude mit seinen vielen Fensterreihen hervor, wie es eben Wiens Baugeschichte seit der zweiten Türkenbelagerung so vielfach aufzuweisen hat, Wiens Barockarchitektur  !” (Ibid., p. 23).

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in their career. In sketching them, I followed Semper’s train of thought in his work Der Stil in den technischen Künsten.”34

From this passage, we can deduct that these were not conventional art historical lectures, which at the time were starting to be a well-defined category, but used a different method. König searched sources for architectural invention  : “The study of the examples that the past offers us is a main source of architectural invention, stimulates the imagination and gives it direction, without which it would endlessly lose its way”.35 Similar observations characterize König’s description of the ‘Methode’ adopted by his own mentor at the TH, Heinrich von Ferstel. According to König, Ferstel’s lessons could be considered based on history only in the search of architectural principles in their continuous mutation.36 It is interesting to consider how in this time of definition of disciplinary boundaries and of the rise of art history, the architects were claiming their own specific approaches to the learning of history, defining their main goal against arid archaeological precision37, as the application and elaboration of the historical precedent in new and creative work. In this sense, it is particularly relevant to mention a quote by the art historian Lützow, reading in König a productive overcoming of his own artistic training, and the application of the separation of teaching from his own art  :

34 König 1913, p. 130  : “Inzwischen waren an der Bauschule über meinen Antrag und nach meinem Plane propädeutische Vorlesungen über die Baukunst des Altertums (Architektur, Formenlehre) als lehrplanmäßiger Gegenstand eingeführt worden. Sie schlossen sich den Übungen im arch. Zeichnen erläuternd an und hatten den Zweck, die Schüler schon frühzeitig mit den allgem. Grundsätzen der klassischen Baukunst vertraut zu machen. Bei ihrer Ausarbeitung folgte ich dem Gedankengang in Sempers Werk ‘Der Stil in den techn. Künsten’.” 35 König 1901a, p. 53  : “Das Studium der Vorbilder, die uns die Vergangenheit liefert, ist eine Hauptquelle der architektonischen Erfindung, es befruchtet die Phantasie und gibt ihr die Richtung, ohne welche sie ins Unendliche sich verirren muß.” 36 König 1999, p. 132  : “Ein Architekt, der, so wie Ferstel, das moderne Wesen in seinem geschichtlichen Zusammenhange mit der Vergangenheit erfaßte, der mußte auch als Lehrer der Baukunst jedem Bestreben ferne bleiben, irgend einem besonderem Baustile ein unbedingtes Vorrecht vor anderen einzuräumen oder gar denselben als alleinberechtigt hinzustellen. Im Gegenteil erblickte Ferstel gerade in der Vertrautheit mit den verschiedenen Formen […] ein Mittel, die besondere Art einer jeden Aufgabe, welche sich dem Architekten darbietet, in der Erscheinung des Bauwerks zu verständlichem Ausdruck zu bringen. Nicht als ob Ferstel für eine bestimmte Kategorie von Bauwerken auch einen besonderen Stil als allein zulässig erklärt hätte, aber er war sich klar darüber, daß zahlreiche Probleme der Baukunst ihre vollendete Lösung in bestimmten Typen gefunden haben, die dem Architekten bei seiner Arbeit im Geiste vorschweben und seinen Ideen die Richtung geben müssen. In diesem Sinne hatte Ferstel seine Vorlesungen eingerichtet. Sie waren historisch nur insofern, als es die Darstellung der Principien der Baukunst in ihrer allmählichen Entwicklung unbedingt erforderte.” 37 Ilg 1880, p. 7, speaks of the “dry steppe of the German applied arts” (“Die dürre Steppe deutscher Kunst­ industrie”).

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“The modern architect will first become an artist when what he has learned in school becomes a freely managed tool of expression of his own thinking. This separation of art from school, freedom from imitation begins to finally pierce the general consciousness of today’s architectural field […].”38

IV. The teaching of König and Mayreder

In this general context, in which the teaching of history was an instrument for design practice, some aspects of the teaching of König and Mayreder may help to define their historiographical approach with more precision. The first aspect is the legibility of architecture as a result of historical continuity  : history, more than offering precise models, creates the premise for the work’s legibility. König expresses himself explicitly against the opacity of architectural work that does not have a recognizable historical root – each attempt to create a new style appears grotesque, as “leeres Hirngespinnst”  ; the reference to the contemporary architectural debate and to the publishing of Moderne Architektur, in 1901 König’s Rektorsrede, is evident  :39 “A work of art that should give us pleasure should never ask us a riddle. Everything should be self-explanatory, we should have the impression that it is necessarily just as it is.”40 And he continues  : “Stating that the forms of architecture are pure products of the imagination is a mistake. The statement is based on the erroneous conviction that these forms lack any empirical content. It is the history of their origin that gives them content, and only through this they are understandable for us. For this reason, arbitrary products of the imagination are not only incomprehensible but also in most cases distasteful. They belong to the realm of the grotesque, and all attempts by individual architects to create a new style are at best empty delusions. In this consists the meaning of tradition for the progress of architecture  ; to abandon tradition means the destruction of architecture.”41 38 von Lützow 1894, p. 2  : “Kuenstler wird der moderne Architekt erst dann sein, wenn ihm das in der Schule Gelernte zum frei gehandhabten Ausdrucksmittel des Gedankens geworden ist. Diese Trennung von Kunst und Schule, von Freiheit und Nachahmung beginnt endlich auch in der heutigen Baukunst zum allgemeinen Bewusstsein durchzudringen.” 39 On this point Long 2018, p. 132. 40 König 1901a, p. 53  : “Ein Kunstwerk, das unser Wohlgefallen finden soll, darf uns vor Allem kein Räthsel aufgeben. Alles muss sich von selbst erklären, wir sollen den Eindruck empfangen, daß es nothwendig so sein müsse, wie es ist.” 41 Ibid., p. 56  : “Die Behauptung, die Formen der Architektur seien reine Erzeugnisse der Phantasie, ist eine irrige  ; sie beruht auf der falschen Meinung, daß sie jeglichen empirischen Inhaltes entbehren. Ihren Inhalt liefert ihnen ihre eigene Entstehungsgeschichte, und durch ihn allein können sie uns verständlich werden. Deßhalb sind willkürliche Produkte der Phantasie nicht nur unverständlich, sondern zumeist auch abstoßend  ; sie gehören in das Gebiet des Grotesken, und alle Versuche der Einzelnen, einen neuen Baustil

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The second issue is that “Formenlehre”, at the TH, appears as an expression of collective disciplinary progress. “For the architects, the familiarity with the historical development is a necessary part of this foundation. We do no longer believe that certain works of the past can serve as unerring models that we have to accept or imitate faithfully. We are mature enough to consider them critically and to draw parallels between them, in order to recognize what are the continuities and repetitions in the endless change of appearances.”42

On this issue, a passage in König’s essay about the teachings of his mentor Ferstel is relevant. König, as Ferstel before him, recognizes that some buildings of the past have represented an ideal solution to an architectural problem. The use of these ‘models’ does not limit individual creativity, but does constitute a “disciplinary advancement” that should not be lost in an evolutionary mode – it makes no sense to work individually, starting anew every time.43 In the teaching of König, this thinking is expressed both in the teaching of “Formenlehre” and in the practice of modelling three-dimensionally those buildings that constituted remarkable solutions44. In their reception of history, both König and Mayreder – as Ferstel before them45 – acted as a filter in the transmission of Semper’s work in Vienna. Der Stil emerges then as a fundamental text for the education of the younger generation. This is confirmed also by the works of some of the graduate students at the TH, such as the doctoral dissertation of Strnad, defended in 1904 at the TH and focused on the decorative principle of early Christian architecture.46 The reference to Semper emerges explicitly from König’s writings and from TH

zu erfinden, sind im besten Falle leeres Hirngespinnst [sic]. Darin liegt die Bedeutung der Tradition für den Fortschritt der Baukunst  ; sie aufheben, hieße die Architektur vernichten.” 42 Ibid., p. 60  : “Für den Architekten ist die Vertrautheit mit der geschichtlichen Entwicklung ein unentbehrlicher Theil dieses Fundamentes. Wir sind darüber hinaus, irgend welche Werke der Vorzeit als untrügliche Muster gläubig hinzunehmen und nachzuahmen. Wir sind zu ihrer kritischen Betrachtung und Vergleichung reif geworden, durch welche wir das Bleibende und Gesetzmäßige in dem unendlichen Wechsel der Erscheinung erkennen.” 43 König 1999, p. 132. 44 Pozzetto 1985, p. 305 quoted in Kristan 1999, p. 24. 45 Ibid.: “In den Abschnitten, welche die ältesten Kunstepochen und das klassische Altertum behandelten, schloß sich Ferstel den Anschauungen Sempers an, dessen hervorragende Verdienste gerade auf diesem Gebiete der Kunstwissenschaft er rückhaltlos anerkannte.” 46 Oskar Strnad’s unpublished Das Prinzip der Dekoration der fruehchristlichen Kunst. Eine kritische Studie ihrer toreutischen Stereotomie mit besonderer Ruecksichtnahme der bezueglichen Werke Roms und Ravennas (Archiv TU, 2/093 – 1901-11) is a first example of his continuous attention to Semper’s theoretical work through the lens, later on, of Adolf Loos’ writings. A strong reflection on the ‘Bekleidungsprinzip’ is evident e. g. in Strnad 1913, f. 21  ; Strnad 1914, ff. 7 – 8 (Cardamone 2002, pp. 155 – 156).

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programs. Architektonische Formenlehre,47 for instance, was based on Der Stil in the structure of the course, and referred to the principles expressed in the Prolegomena and to its contents  : “Architektonische Formenlehre (propaedeutic of architecture). A. General tasks in architecture, with regard to art and technique. B. Decorative forms derived from the textile art, with a particular attention to eurhythmy, symmetry, proportion and direction. C. Classical artistic forms of ceramics. D. of tectonic E. of stereotomy. F. The Greek temple and orders. G. The Roman temple, orders and arc system.”48

The reference becomes even more explicit in a document dated 1915, in which König appears as a key figure in the reception  : “The lessons about architectural Formenlehre (three hours per week during a semester) focused principally on the work of Gottfried Semper Der Stil in den technischen Künsten. Its contents and arguments were however repeatedly adapted and expanded by König to meet the needs of ex cathedra lessons.”49

The interest in Semper’s theoretical work clearly lead to an overt appreciation for the Renaissance as the cradle of modernity and the beginning of a scientific era. It is in the study of this era that principles for 19th-century architectural practice could be found  : “If these researches [in Der Stil, about the origin of Greek and Roman architecture] lead to principles and norms for architectural practice, it is not surprising that the literary masterpiece of such a creative architect [as Semper] would bring about a new tendency, that to indicate with precision the duties of Modern Architecture. Semper expresses his reflections on this issue explicitly. He attributes to the High Renaissance a clear superiority with regard to preceding styles, included even Greek architecture. And yet, he states, the Renaissance 47 It is interesting to note that the name of König’s and Mayreder’s course Architektonische Formenlehre could be read as a reference to the title originally conceived for Der Stil, which was Kunst-Formenlehre (Mallgrave 2004, pp. 17, 20). 48 Lektionskatalog 1903, pp. 37 – 38  : “Architektonische Formenlehre (Propädeutik der Baukunst). A. Allgemeine Aufgaben der Baukunst in technischer und künstlerischer Beziehung. B. Dekorative Formen, welche der textilen Kunst entlehnt sind unter Akzentuierung der Eurhythmie, Symmetrie, Proportion und Richtung. C. Die klassischen Kunstformen der Keramik. D. der Tektonik. E. der Stereotomie. F. Der griechische Tempel und die griechischen Ordnungen. G. Der römische Tempel, die römische Ordnungen und Bogenstellungen.” 49 Mayreder 1915, pp. 228 – 229  : “Die Vorträge über architektonische Formenlehre (drei Stunden wöchentlich während eines Semesters) stützen sich hauptsächlich auf das Werk Gottfried Semper’s Der Stil in den technischen Künsten, doch hat König dessen Gedankengang mit Rücksicht auf die Vortragsform mehrfach abgeändert und erweitert.”

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has completed only half of its evolution before that was interrupted by the untimeliness of modern attitude. He considered the period between Bramante and the architects of Baroque as the only one that, together with the era of Phidias, could free itself from barbarism. Several times he makes references to the principle of ‘Stoffverneinung’,50 which dominates the design of classical art.51”

In synthesis, from König’s own writings emerges an aspect that is unanimously confirmed by his students, that the Renaissance is not to be intended as a stylistic category – nor can the study of other written sources or the analysis of study trips to Italy give more precise information about the formal preferences, or a more precise image of Renaissance – in König and in his pupils.52 In König’s eyes, the Renaissance is above all associated with a tradition of thought, namely the rise of a scientific world view, and with the architecture that expresses and serves the new society defined by it  : “In the 15th century we recognise the raise of a powerful change of the spirit and the architecture takes a shape that gives the best expression to the cultural thought of this time. It is the modern culture which comes to light and the architecture that represents this culture is the Renaissance. […] Nothing is more akin to us than the architecture of the Renaissance. The many nuances of architectural expression, […] its flexibility […]  ; we admire the intensification in pathos which it is able to attain and also the constraint that it allows when the circumstances require it.”53 50 On “Stoffverneinung”, Semper writes  : “The […] destruction of reality, of the material, is necessary if form is to emerge as a meaningful symbol, as an autonomous human creation.” (Mallgrave 2004, pp. 438 – 439, quoted in Hildebrand 2014, p. 8). 51 König 1901a, pp. 48 – 49  : “Führen schon diese Untersuchungen zu Grundsätzen und Normen des praktischen Schaffens, so kann es auch nicht überraschen, daß das literarische Hauptwerk eines Architekten von der schöpferischen Kraft Semper’s die Tendenz hervortreten lasse, der Aufgabe der modernen Baukunst eine bestimmte Fassung zu geben. […] Er erkennt der Hochrenaissance eine entschiedene Ueberlegenheit im Vergleiche mit allem Vorherdagewesenen zu, selbst die griechische Baukunst nicht ausgenommen  ; und dennoch habe die Renaissance, wie er sagt, kaum die Hälfte ihres Entwicklungsganges zurückgelegt, in welchem sie durch die Ungunst des modernen Zeitgeistes unterbrochen worden. Die Zeit zwischen Bramante und den Architekten des Barockstiles gilt ihm neben der des Phidias als diejenige, welche sich allein von allem Barbarenthum lossagte. Wiederholt hebt er das Princip der Stoffverneinung hervor, durch welches die Formbildung der classischen Kunst beherrscht sei.” 52 Cardamone 2005  ; Hub 2015. 53 König 1901a, p. 62  : “Hier aber sehen wir im fünfzehnten Jahrhundert eine mächtige Bewegung der Geister entstehen, und die Architektur nimmt die Gestalt an, die dem Culturgedanken dieser Zeit den genauesten Ausdruck gibt. Es ist die moderne Cultur, die ins Leben tritt, und die ihr entsprechende Architektur ist die Renaissance. […] Nichts aber ist uns so nahe verwandt, wie die Baukunst der Renaissance. Die zahllosen Abstufungen des architektonischen Ausdruckes […] ihre Anpassungsfähigkeit […]  ; wir bewundern die pathetische Steigerung, deren sie fähig ist, und nicht minder die Einschränkung, die sie gestattet, wenn es die Umstände so erfordern.”

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This idea has a wide reach in 19th century historiography. It could have its roots in Burckhardt,54 but, in the Viennese context, it can be found explicitly expressed in a writing by Rudolf Redtenbacher, published in Vienna in 1881  : “Today’s architecture cannot be based on arbitrariness  ; we still belong to the modern time, which started with the renaissance of art, with the reform of faith, with the freedom of thought, with the invention of the press and the discovery of world and mankind. We are still at the standpoint that we could very generally call the Renaissance  ; we cannot pretend that history did not happen, we cannot go back to the Middle Ages.”55

It is the lack of a scientific approach that leads, in König’s words, to “Nester für Menschen, kahl und nackt”  : “An architecture without self-reflection, what does remain for us  ? Nest for men, bald and bare, or questionably decorated  ; maybe very practical and solid, respecting all hygienic needs, but the architecture would have completely disappeared.”56

Architectural expression of a scientific ‘Weltanschauung’,57 in König’s writings, the Renaissance also appears as the result of a method of assimilation that leads to an inclusive stylistic approach.58 Antiquity and Renaissance – that should serve as models for contemporary architects – are in fact presented as eclectic periods that use and model forms 54 Despite the appearance of generality, the reference to Burckhardt is not out of place here. It is interesting to note that one of the Königschüler, Josef Frank, in his dissertation on Leon Battista Alberti quotes (together with Rudolf Redtenbacher 1886) three texts by Burckhardt (Burckhardt 1855, 1860 and 1867  ; Frank 1910, p. 116). Burckhardt, moreover, is the only art historian explicitly quoted in Frank 1931, p. 87 (Cardamone 2016, pp. 19 – 20). 55 Redtenbacher 1881 p. 19  : “Unsere heutige Baukunst kann sich nicht auf einen willkürlichen Standpunkt stellen, wir gehören immer doch der Neuzeit an, die mit der Renaissance der Kunst, mit der Reformation des Glaubens, mit der Freiheit des Denkens, mit der Erfindung der Buchdruckerkunst und der Entdeckung der Welt und des Menschen begann. Wir stehen immer doch auf dem Standpunkte, den wir ganz allgemein als Renaissance bezeichnen dürfen[,] und wir können die Geschichte nicht ungeschehen machen, nicht zum Mittelalter zurückkehren.” 56 König 1901a, p. 52  : “Eine Architektur ohne Architektonik, was bliebe da übrig  ? Nester für Menschen, kahl und nackt oder mit allerlei fragwürdigem Zierrath ausgestattet, vielleicht sehr praktisch und solid, allen Anforderungen der Hygiene entsprechend, die Architektur aber wäre uns unter den Händen entschwunden. […] Die Kunst strebt einem höheren Ziele zu, als der Befriedigung rasch wechselnder Neigungen. Von diesem Gedanken waren auch die großen Baumeister der Vergangenheit erfüllt, ihre Werke scheinen ihn auszusprechen, der bloße Anblick derselben überzeugt uns von der Kraft der Ideen, die sie enthalten.” 57 To what extent König’s teaching on this topic had an influence on his students’ writings is a question that still deserves attention. To begin with, see Frank post 1945, ff. 17 – 18 and Sobotka 1970, p. 57. 58 In this sense, the interest of König’s students in the Renaissance category of varietas (in Frank and in Sobotka, see note 57) could also be linked with the teachings at the TH. See also the following passage

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and stimuli from other countries and eras. This aspect emerges with striking clarity in König’s writings  : “Fundamental changes in style correspond with historical processes in the intellectual life of peoples  : they cannot be produced by individual will. In our opinion, a process of assimilation intervenes in these changes as a determining factor. As a consequence of compelling influences and internal causes, elements derived from extraneous formal contexts are adapted to traditional types and organically inserted into the existing scheme. This process goes hand in hand with the transformation of the local forms and principally by exclusion of elements which resist this adaptation or which have become useless. From what it seems, Greek architecture was the result of such a process that, following Goethe, we could call eclectic.”59

In König’s teaching, therefore, the Renaissance seems to have an almost baroque tinge to it, in its eclectic ‘Lebendigkeit’ [vitality] and in its variety.60 In Mayreder also emerges a tolerance to different and disparate styles in the same building – a fascination for the superposition of different layers through historical eras, which recalls König’s inauguration speech of 1901  : “The craftsmen of that time could not build if not in their own style, in the style of their time. For sure, however, it was not offensive for them to see artworks of different ages and of different tendencies grouped together, if it was a single artist who gave the direction.”61 about the eclectic roots of classical architecture, which had an enormous success in the young audience (Cardamone 2016, 2018). 59 König 1901a, pp. 54 – 55  : “Fundamentale Wandlungen des Stils sind geschichtliche Vorgänge in dem Geistesleben der Völker, die von dem individuellen Willen nicht hervorgerufen werden können. Soweit unser Urtheil reicht, ist es auch ein Proceß der Assimilation, der als bestimmender Factor hinzutritt. Als eine Folge von unwiderstehlichen Einwirkungen und inneren Bestimmungsgründen werden den traditionellen Typen fremden Formenkreisen entlehnte Elemente angepaßt und dem alten Schema organisch eingefügt. Dieser Proceß geht Hand in Hand mit einer Umgestaltung des heimischen Formenmaterials und zumeist auch mit einer Ausscheidung solcher Elemente, die der Anpassung widerstreben oder unbrauchbar geworden sind. Die griechische Architektur war, allem Anscheine nach, das Ergebniß eines solchen Processes, der im Goethe’schen Sinne als ein eklektischer zu bezeichnen ist. (Ein Eklektiker ist ein Jeder, der aus dem, was ihm umgibt, aus dem, was sich um ihn ereignet, sich dasjenige aneignet, was seiner Natur gemäß ist).” 60 In Frank 1927, p. 298, moreover, a similar idea recurs about the definition of a ‘Formenwelt’, about changes in style  : “Man kann alles verwenden, was man verwenden kann. Was unbrauchbar wird, das wird von selbst abgestoßen.” 61 Mayreder 1899, pp. 390 – 391  : “Die Meister jener Zeit konnten allerdings nichts anders gestalten als in ihrem eigenen Stile, im Stile ihrer Zeit. Aber gewiss hatte es nichts Verletzendes für sie, Kunstwerke verschiedener Zeiten und Richtungen nebeneinander zu sehen, sofern nur eine künstlerische Hand die Anordnung traf.” For König see König, Schwengberger 1866, p. 90  : “Notwithstanding the enormous quantity of disparate elements, the majestic and simple clarity of the schema was not weakened by the historical superposition of decoration. This circumstance, on the contrary, reinforces the general impression of the observer” (translated by the authors). (“Trotz dieses Vermengens so heterogener Elemente wurde

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V. Contradictions

From this complicated context emerges a very contradictory framework. The most evident inconsistencies appear, as already noted, in what we know about the contents of König’s teaching, if we compare his students’ statements about the actual issues dealt with during König’s lessons. Discrepancies, furthermore, can also be found in the effects that König and Mayreder’s teaching of history produced in the generation of their students, that is to say, in the following generation’s reading of history. This is most evident in a very specific and circumstantial example  : two doctoral theses on the same historical subject, originating from the same context around König and Mayreder, written at a distance of a few months from each other (end of 1910 and 1911) and both dealing with the architecture of Leon Battista Alberti. The image of the Renaissance architect that emerges is not homogenous – a modern functionalist in Theuer,62 and an architect attracted by the artifices which are necessary to ‘venustas’ in Frank’s work.63 We do not want to suggest an automatic learning process, a mechanical passage of the teachings of the instructors in the reflection of the two students. It is however most striking that two historiographical readings, coming from the exact same context, could be so diverging. The consolidated idea of a monolithic “Königschule” clearly needs to be reconsidered, at least from the point of view of its relationship with history – and certainly needs to be further investigated. The last, and probably most relevant aspect is the discrepancy between teaching and theoretical work on one side, and professional practice on the other. This contradiction emerges clearly in the question of the teaching of the Renaissance as a model and as a method, by a respected neo-baroque architect. The often-repeated explanation, die grossartige und einfache Klarheit der Hauptanlage in Folge der geschickten Vertheilung der bereits vollendet zugeführten Verzierungen nicht abgeschwächt, sondern der Totaleindruck auf den Beschauer nur noch erhöht.”) 62 Theuer 1912, pp. L, LII  : “Bei allen Bauten ist jedoch die zweckentsprechende Durchbildung von innen heraus unbedingte Voraussetzung. […] Hier wird sich die Renaissance zum ersten Male ganz deutlich bewußt als die Architektur des Raumes und der Massen [footnote by Theuer  : “Jakob Burckhardt, Geschichte der Renaissance in Italien, Stuttgart 1878, p. 166”] […] Die Großzügigkeit seiner Anschauungen, welche ihn dabei leitet  ; sein Bestreben, jedes Bauwerk nicht nur von der künstlerischen, sondern vor allem von der zweckmäßigen Seite in Betracht zu ziehen  ; seine Forderung nach Licht und Luft  ; sein Verlangen nach einer der Anforderungen der Hygiene entsprechenden Ausgestaltung namentlich der öffentlichen Wohlfahrtsanstalten  ; seine humane Gesinnung, die auch dem Schwerverbrecher das Recht auf Menschlichkeit nicht versagt, erheben ihm zum ersten modernen Architekten.” 63 Frank 1910, p. 52  : “Schönheit, Festigkeit und Annehmlichkeit sind Albertis Leitsterne. Ihm selbst war es wohl hauptsächlich um die Schönheit zu tun. Er empfiehlt gewölbte Decken wegen ihrer grösseren Haltbarkeit / VII, 11 / gegenüber den flachen, die den Vorzug besserer Akustik haben, und führt sie dann aus Holz und Stuck aus. ‘Wenn wir die Augen zum Himmel heben’, schreibt er VI, 2, ‘und die herrlichen Werke Gottes sehen, so bewundern wir sie wegen die Schönheit, die wir sehen, und nicht wegen die Nützlichkeit, die wir fühlen’”.

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that until the publication of Renaissance und Barock by Heinrich Wölfflin, in 1888, the Baroque was considered as the last formal expression of the Renaissance, seems to be utterly unsatisfying.64 In König’s writings, in fact, a distinction clearly emerges between the two historiographical periods  ;65 the contrast is less evident in Mayreder’s writings. “The idea of a purity of style that excludes everything extraneous stands only as long as we do not have a distinctive style any more. The periods that preceded us did not know it in this sense. The Middle Ages have very comfortably installed themselves in antique temples  ; the Renaissance has been decorating Gothic churches ‘for three centuries’ with the richness of its invention”.66

The choice of the Baroque as an individual stylistic preference in König’s own practice could be explained with a series of well-known considerations  : one related with the functional aspect – as the Baroque responds well to the needs of contemporary Viennese society  ; and of course one related with the nationalistic, Austrian argument, which connects the Baroque to the local tradition, and even more clearly with the Habsburg dynasty.67 Considering the focus on Städtebau [urban planning], especially in Mayreder,68 a motivation could be found in the complex urban context of the newly metropolitan Vienna of the turn of the century. The topic needs to be researched further, but seems to offer a very promising line of investigation, as a few studies already tie from various vantage points the sensibility of the Baroque with life in the “Großstadt”.69 A most interesting possible explanation for this contradiction is given by Fabiani in 1915. He highlights König’s personal inclination for the Baroque on the one hand, and, on the other, the idea of a ‘distance’ that makes the Renaissance out of place in the contemporary time  : 64 Kristan (1999, pp. 12 – 13) quotes von Lützow 1886, p. 88 and Holey 1910, p. 255. Both saw in the Baroque the last phase of Renaissance. 65 The neat distinction between the period of Bramante and the architecture of Baroque emerges in the passage quoted above, see footnote 51. 66 Mayreder 1889, pp. 390 – 391  : “Der Begriff der alles Fremde ausschliessenden Stilreinheit besteht erst so lange, als wir keinen eigenen Stil mehr besitzen. Frühere Zeiten kannten ihn in diesem Sinn nicht. Das Mittelalter hat sich’s in antiken Tempeln allenthalben recht wohnlich gemacht […] und die Renaissance schmückte die gothischen Kirchen drei Jahrhunderte lang mit allem Reichtum ihrer Erfindung.” 67 For a discussion of both aspects, see Torello 2015. 68 Mayreder gave the first Städtebau course at the TH in the academic year 1901 – 1902, thus filling a gap with other European architecture schools at that time. Mayreder 1915, p. 529. On Mayreder’s engagement with urban questions, Jager 2018. 69 Narath 2015 and Skansi 2015.

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“König had an unlimited respect for mature Greek art and for Italian High Renaissance. […] He refused, however, to work according to the spirit of this art. He considered it as an ideal which our time is no longer able to achieve. Actually, only his personal attitude and sensibility could give a measure to his work. They lead him to express great plastic force in his projects and great monumentality of his works. In this sense he was really modern”.70

The same idea of a distance emerges also in Mayreder, with regard to nineteenth century and its re-capitulation of all past tendencies  : “In the past centuries, as people were still caught up in the exclusive value of a specific style, this method had a certain justification. Now, however, as we have already passed through the roster of all styles, we look at all of them with the same objectivity”.71

Fig. 3  : Walter Sobotka, Main Entrance to Haus Granichstädten, Vienna, 1927. Source  : Innendekoration 38, (1927), p. 8. Heidelberg University Library.

70 Fabiani 1915, p. 61  : “[…] hingegen hatte König einen unbegrenzten Respekt für die entwickelte griechische Kunst und für die italienische Hochrenaissance. […] Er lehnte es jedoch ab, im Geiste dieser Kunst etwas zu entwerfen. Es schien ihm das Ideal, welches für unsere Zeit nicht mehr erreichbar sei. In Wirklichkeit war nur seine persönliche Veranlagung und sein persönliches Gefühl für die Arbeitsweise massgebend. Sie führte ihn zur kolossalen plastische Geschlossenheit seiner Entwürfe und zur grossen Monumentalität seiner Werke. In diesem Sinn war er wirklich Moderner.” 71 Mayreder 1899, p. 392  : “In früheren Jahrzehnten, als man noch ganz befangen von dem ausschliesslichen Wert eines bestimmten Stiles was, hatte diese Methode noch ihre Entschuldigung. Heute aber, da wir den Turnus durch alle Stilarten bereits durchgemacht haben, stehen wir doch jedem der verschiedenen Stile mit der gleichen Objektivität gegenüber.” Ibid., pp. 391 – 392  : “Dann kam dieses merkwürdige neun­ zehnte Jahrhundert mit seiner Rekapitulation aller früherer Richtungen in Literatur, bildender Kunst und Mode. […] Alle Stile wurden der Reihe nach studiert, copirt, wiederbelebt und nachempfunden […]. Monumente der Baukunst, die Jahrhunderte lang nicht beachtet, ja verachtet gewesen waren, wurden von der Verfalle geschütz und ausgebessert, und die unvollendet gebliebenen mit immer tieferem Eingehen in den Geist ihrer Urheber ergänzt und vollendet. […] So entwickelt sich naturgemäss die ‘stilgerechte Renovierung’ alter Baudenkmale zu einem künstlerischen Problem.” This idea of a ‘distance’ and of possible ‘objectivity’ towards the styles of the past, now that the cycle of their historical revival has been completed, is clearly present in the literature of this era, for example in Sitte 1889, p. 54  : “Wohin wir gelangen, wenn auch diese letzte mögliche Restauration einer alten Kunstwelt hinter uns liegt, werden wir ja sehen. Stehen bleiben können wir unbedingt nicht.” (cited in Semsroth, Mönninger, Collins 2010, pp. 185 – 187).

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In an article published in 1916 and dedicated to the memory of his professor, Holey recognizes the end of an era and already anticipates the success of his generation  : “One of the last witnesses of a great era of Viennese architecture has left us. But today we know – or better, we foresee – the art of Carl König really is a conclusion, but it is not an end, it is – and we will experience it more and more – a vigorous beginning for a new bloom of our art.”72

Our analysis of “Königschule” at the TH has begun to shed light on how the reading of history and the methods of teaching of professors of practice, themselves historicist architects, might have supported the ‘new bloom’ of an entire generation of students. Much remains to investigate, with at least two possible directions clearly identified as productive  : the question of the distance and objectivity towards the styles of the past, that implies the passing, the crossing towards a new era, and the importance of the new metropolitan context, both as a source of new anxieties and as a framework to respond to. The attention towards history as an instrument for the legibility of the architectural work, the teaching of Formenlehre, and the reception of Semper as a filter for history into practice are just a few of the aspects that seem to be at play in this crossing. The frequent reference to the Renaissance, read as the heterogeneous and eclectic expression of a scientific “Weltanschauung”, seems to be its most important ingredient. Bibliography Burckhardt 1855 – Jakob Burckhardt  : Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuß der Kunstwerke Italiens, Basel 1855. Burckhardt 1860 – Jakob Burckhardt  : Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch, Stuttgart 1860. Burckhardt 1867 – Jakob Burckhardt  : Geschichte der Renaissance in Italien, Stuttgart 1867. Cardamone 2002 – Caterina Cardamone  : La tradizione classica negli scritti di architettura di Josef Frank, PhD-Thesis, Università degli studi di Firenze 2002. Cardamone 2005 – Caterina Cardamone  : Gli architetti austriaci e l’Italia intorno al 1900, in  : Storia dell’urbanistica. Toscana (Architetti in viaggio, suggestioni e immagini) 11 (2005), pp. 93 – 114. Cardamone 2016 – Caterina Cardamone  : Josef Frank and the History of Architecture. Gothic and the Renaissance, Leon Battista Alberti and Albrecht Dürer in Architectural Discourse on Neues Bauen at the Beginning of the 1930s, in  : Journal of Art Historiography, 14 (June 2016), URL  : https://arthistoriography.files.wordpress.com/2016/05/cardamone.pdf (9th April 2020). 72 Holey 1916, p. 1. “Einer der letzten Zeugen einer grossen Zeit der Wiener Baukunst ist von uns gegangen. Aber heute wissen wir es – oder besser, wir ahnen es – die Kunst Karl Königs ist wohl ein Abschluss, aber kein Ende, sie ist – und wir werden das immer mehr erfahren – ein lebenskräftiger Anfang zu einer neuen Blüte unserer Kunst.”

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Caterina Cardamone/Francesca Torello

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‘Renaissance oder Barock’  ?

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Caterina Cardamone/Francesca Torello

Deutsche übertragen eingeleitet und mit Anmerkungen und Zeichnungen versehen durch Max Theuer, Wien, Leipzig 1912. Torello 2015 – Francesca Torello  : Engaging the past. Albert Ilg’s Die Zukunft des Barockstils, in  : Andrew Leach, John Macarthur, Maarten Delbeke (Eds.)  : The Baroque in Architectural Culture, 1880 – 1980, Farnham 2015, pp. 13 – 27. von Lützow 1886 – Carl von Lützow  : Die Wiener Architektur des XIX. Jahrhunderts, in  : Die österreichische Monarchie in Wort und Bild. Wien und Niederösterreich, 1. Abteilung  : Wien, Wien 1886. von Lützow 1894 – Carl von Lützow  : Neue Bahnen in der Kunst, in  : Zeitschrift für Bildende Kunst N. F., V (1894), pp. 1 – 6. Wagner-Rieger 1969 – Renate Wagner-Rieger  : Das Kunstwerk im Bild, in  : Renate Wagner-Rieger (Hg.)  : Die Wiener Ringstraße. Bild einer Epoche, Bd. I, Wiesbaden 1969. Wagner-Rieger 1970 – Renate Wagner-Rieger  : Wiens Architektur im 19. Jahrhundert, Wien 1970. Wehdorn 1979 – Manfred Wehdorn  : Die Bautechnik der Wiener Ringstraße, in  : Manfred Weh­dorn, Franz Baltzarek, Renate Wagner-Rieger (Hg.)  : Die Wiener Ringstraße. Bild einer ­Epoche, Bd. XI, Wiesbaden 1979. Welzig 1998 – Maria Welzig  : Josef Frank 1885 – 1967. Das architektonische Werk, Wien, Köln, Weimar 1998.

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Uta Hassler

Historismusfeindschaft, Architekten und die Baugeschichte an polytechnischen Schulen im 19. und 20. Jahrhundert  : Karlsruhe und Zürich Verfügbarkeit fotografischer Aufnahmen* verändert Bau- und Kunstwissenschaft  : ­Gelehrte wie Jakob Burkhardt und Heinrich Wölfflin legten Sammlungen an und ent­ wickelten so neue Grundbegriffe. In der Architekturlehre war Fotografie lange umstrit­ ten, man hielt Traditionen von Konstruktions-Zeichnung und Bauforschung hoch. Eine Karlsruher Sammlung ist Dokument jener Diskurs- und Mediengeschichte. Sie zeigt Entscheidungsprozesse zu Vorbildern und Kanonbildung in der Architekturlehre (Aus­ wahl, Katalogisierung und Vermittlungstradition). Karlsruhe hatte eine große Vergan­ genheit in der Bauforschung und Kontakte zur Schweizer Kunstwissenschaft. Der Bei­ trag diskutiert den integralen Erhalt der Sammlungsbestände und dessen Bedeutung für die Wissenschaftsgeschichte von Kunst und europäischer Baugeschichte. * FAZ vom 1. April 2020, Wolfgang Kemp, S. N3. Lichtbildprojektion durch Wölfflin seit 1901 als Doppel­ projektion. Siehe auch Pohlmann 2020, S. 28 – 33.

I. Kanon und ›Metaepistemik‹ – die Bedeutung der Sammlung für die Wissenschaft

Seit Mitte des 19. Jahrhunderts wurden an der Karlsruher Bauschule Sammlungen angelegt – nirgendwo sonst weltweit gibt es einen Bestand, der die Forschungsgeschichte polytechnischer Schulen (Karlsruhe war direktes Vorbild der Eidgenössisch Technischen Hochschule (ETH) Zürich) idealer abbilden würde als die Materialien im heutigen Fachgebiet Architektur- und Baugeschichte am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Zeitschriftenreihen zum Bau- und Maschinenwesen reichen zurück bis in die 1850er Jahre, Lehrtafeln und Mappenwerke, wertvolle Fotografien aus der Mitte des 19. Jahrhunderts und frühe Lichtbilder für die Projektion sind als Gesamtbestand am Ursprungsort die am besten tradierten Sammlungsbestände technischer Hochschulen für das Feld Baugeschichte.1 1 Ein Sonderfall ist an der RWTH Aachen das ehemalige Reiff-Museum der Architekturfakultät mit den Kopien großer Meister, die heute im Depot der Fakultät verwahrt werden  ; dazu Dlugaiczyk, Markschies 2008. In München ging das heutige Architekturmuseum der dortigen TU aus der alten Baugeschichts-

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Uta Hassler

An der ETH Zürich sind entsprechende Zeugnisse, die gegenwärtig für die Forschung hoch relevant sind, kaum mehr vorhanden – dort hat die Architekturgeschichte eine Tradition seit 1967,2 wohingegen in Karlsruhe ein Kontinuum baugeschichtlicher polytechnischer Lehre und Forschung durch ›forschende Architekten‹ seit den 1830er Jahren zu verzeichnen ist. Die Karlsruher Einflüsse reichten weltweit, das Karlsruher Institut für Baugeschichte war neben jenen in München und Berlin das bedeutendste seiner Art.3 Die Bauforscher Karl Wulzinger4 und Arnold Tschira5 führten im 20. Jahrhundert am Karlsruher Polytechnikum die Forschungsschwerpunkte der Schulgründer von 1825 (Friedrich Weinbrenner und Gottfried Tulla)6 und von Heinrich Hübsch, seit 1832 Leiter der Baufachschule,7 sowie Josef Durms Arbeiten zu antiker römischer und griechischer Baukunst in neuen Generationenfolgen weiter. Sie waren wie die Berliner Kollegen im Vorderen Orient aktiv (Wulzinger war mit dem Berliner Theodor Wiegand im Ersten Weltkrieg Mitglied des Deutsch-Türkischen Denkmalschutzkommandos8), aber wie die meisten von den Polytechnika geprägten Architekten des ausgehenden 19. Jahrhunderts auch zu regionalen Themen der Baugeschichte9 in Lehre und Forschung tätig. Wulf Schirmer führte seit den 1970er Jahren die Schwerpunkte Türkei, Süditalien und Nordafrika weiter, verfolgte aber auch (wie schon Tschira) vielfältige Themen des 19. und 20. Jahrhunderts. Das Institut war unter Schirmers Leitung engagiert im Sonderforschungsbereich 315 »Erhalten historisch bedeutsamer Bauwerke«  ; in den 1970er Jahren hat Schirmer durch den Ausbau der Sammlung und die anschließende Gründung des Südwestdeutschen Archivs für Architektur und Ingenieurbau (saai, 1989) für die

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sammlung der polytechnischen Schule hervor, dort besteht allerdings kein Lehr-Kontinuum in Bezug auf die Materialien mehr  : am dortigen Institut für Baugeschichte, Historische Bauforschung und Denkmalpflege sind nur noch Reste erhalten, die Buchbestände mussten in die Zentralbibliothek überführt werden. An der Berliner Humboldt-Universität haben sich beachtliche Bestände von Glasplattendias des Kunsthistorischen Instituts erhalten, siehe Schelbert 2018. Zu den Entwicklungen des Fachs Architektur an der ETH Zürich und seiner Sammlungen siehe u. a.: Hassler, Meyer, Rauhut 2019, Wilkening-Aumann, von Kienlin 2014. Zur Karlsruher Forschungstradition und den Bezügen zu Zürich siehe Hassler 2010, darin die Abschnitte ›Polytechnische Wurzeln der Bauforschung  : Das 19. Jahrhundert und die Architekturlehre‹ (S. 82 – 85), ›Historismusfeindschaft und der ›Weg in die Kunst‹. Der Fall Karlsruhe‹ (S. 98 f.), ›Das ›Bildungsfach‹ Baugeschichte und die Betonung des ›Entwurfs‹ (weiterhin das Beispiel Karlsruhe)‹ (S. 99 – 101). Zu Karl Wulzinger siehe Sack, Schirmer 1989. Karl Wulzinger war nach seinem Architekturstudium in München Mitarbeiter von Friedrich Thiersch, seit 1920 Professor für Kunst- und Baugeschichte an der TU Karlsruhe, 1928 dort Rektor, seit 1937 Mitglied der NSDAP. Böhner 1969. Das Polytechnikum entstand aus Bauschule (Weinbrenner) und Ingenieurschule (Tulla). Hassler 2010, S. 82. Schmitt 1984, S. 19. Vgl. Bührig 2017. In Karlsruhe betont vor allem Friedrich Eisenlohr die Beschäftigung mit regionaler Architektur, in Zürich ist es zuerst Ernst Gladbach. Siehe Hassler, Meyer, Rauhut 2019, Kap. III.

Historismusfeindschaft, Architekten und die Baugeschichte an polytechnischen Schulen

Abb. 1  : Räume des Instituts für Baugeschichte der Technischen Hochschule Karlsruhe, Foto, um 1915. Foto  : Institut für Baugeschichte.

baugeschichtliche Forschung zum 19. und 20. Jahrhundert Renommee erworben. Seit der Jahrtausendwende ging die Leuchtkraft des Instituts zurück, die Ausstattung wurde reduziert, Forschungsprojekte entstanden vor allem zu Spezialthemen. Der Lehrstuhl Architekturtheorie betreut seit Kurzem die Materialien der unter Schirmer erworbenen Archivbestände,10 neue Forschungsfragen zur Theorie- und Architekturgeschichte sind noch wenig sichtbar, Ausstellungsunternehmen wurden zu Einzelœuvres durchgeführt. Im Keller des nach Plänen von Durm in den 1890er Jahren errichteten Aulabaus finden sich aber bis heute bedeutende Lehrmaterialien und die alte Handbibliothek der Baugeschichte mit Zeitschriftenbeständen seit Mitte des 19. Jahrhunderts  ; Reste der Lehr-Gipssammlung stammen teilweise noch aus der Karlsruher Kunsthalle.11 Dazu kommen be10 Auf der Webseite des saai sind Gründung und Aufbau des Archivs durch Wulf Schirmer nicht mehr vermerkt  ; es wird lediglich mitgeteilt, das Archiv beruhe »auf einem historischen Bestand der Architekturabteilung der ehemaligen Polytechnischen Schule Karlsruhe« und die Sammlung sei »seit den 1970er Jahren […] durch Schenkungen bedeutender und umfangreicher Nachlässe zeitgenössischer Architekten erweitert« worden, URL  : http://www.saai.kit.edu/ (11. Februar 2019). 11 In Karlsruhe war Wilhelm Lübke neben seinem Amt als Lehrstuhlinhaber für Kunstgeschichte am Polytechnikum auch Direktor der Kunsthalle. Zu den Karlsruher Stücken siehe Roos 2017.

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deutende frühe Fotosammlungen (zum Beispiel die großartigen Ägypten-Fotos Laurents) wie auch eine umfangreiche Sammlung früher Glasplattendias und Messbilder, die für die Lichtbildprojektion (in Karlsruhe schon um 1900) genutzt wurden. Eine Fotografie der Institutsräume, wohl aus der Zeit um den Ersten Weltkrieg, zeigt die Durm’schen Kappendecken, frühe elektrische Beleuchtung und die heute im Keller aufgestellten Sammlungsschränke, durch die geöffnete Türe sieht man ein Epidiaskop (Abb. 1).12 Bei den Karlsruher Beständen handelt es sich um ein einzigartiges Kontinuum. Der Bestand ist Dokument einer Forschungstradition, der in der internationalen Forschungsgeschichte bis in die USA eine wichtige Rolle zukommt und die heute in ihrem Kontext eine großartige Basis neuer Forschungsaktivitäten bilden kann. Die lange Tradition des KIT (als erster polytechnischer Schule in Deutschland und Vorbild der ETH) ist hier exemplarisch dokumentiert – wesentlich ist allerdings die Erhaltung als integraler Bestand (Abb. 2, 3). Die Rolle wissenschaftlicher Sammlungen und historischer Lehrmittel für die Wissenschaft und die Disziplinenbildung wird erst seit Beginn des 21. Jahrhunderts systematisch erforscht. Vor allem an den Architekturfakultäten von technischen Hochschulen gingen Sammlungszusammenhänge fast überall verloren, während in den philosophisch-geisteswissenschaftlichen Fächern von Universitäten früher verstanden wurde, wie stark Ordnung und Auswahl von Artefakten und Objekten der Naturgeschichte die Formulierung wissenschaftlicher Kategorien und Theorien beeinflusst haben – und damit den Weg auch künftiger Wissenschaften.13 In der Architekturlehre wurde im 20. Jahrhundert der etablierte Kanon historischer Referenzen brüchig. Im Verständnis der Moderne wurden entwicklungsgeschichtliche Deutungen vereinfacht und oftmals »zu bloßer Metapher reduziert«,14 die wissenschaftlichen Sammlungen nicht mehr als »unerläßliche Bedingung eines erfolgreichen Unterrichtes«15 gesehen. Für Verständnis und Analyse, vor allem aber auch für die Zukunft wissenschaftlicher Beschäftigung mit Architektur ist es freilich ein zentrales Kriterium, ob und wie heutige Wissenschaft die eigene epistemische Tradition noch verstehen und weiter entwickeln kann  : Eine rein phänomenologische Beschäftigung mit den überlieferten Sammlungsbeständen wird der Herausforderung kritischer Interpretation nicht gerecht. Günter Abel hat in seiner Arbeit Sammlungen als epistemische Objekte und Manifestationen von Ordnungen des Wissens gezeigt, dass Sammlungsstücke eben nicht nur als ›Beispiele‹ mit Eigenwert gesehen werden dürfen, sondern die »symbolisierende Kraft der Sammlungsstücke« – die »Exemplifikation«16 für Wissenschaft zwingend ist. 12 Von den höhenverstellbaren Hockern auf dem Foto haben sich im Keller ebenfalls Stücke erhalten. 13 So z. B. an der Universität Göttingen für die eigenen Sammlungen, URL  : https://sammlungen.uni-goet tingen.de/ (14. Februar 2019), und das Projekt der Humboldt-Universität Berlin zur Erfassung aller deutschen Universitätssammlungen, URL  : http://www.universitaetssammlungen.de/ (14. Februar 2019). 14 Hassler, Meyer 2014, S. 14. 15 Hassler, Wilkening-Aumann 2014, S. 77. 16 Abel 2014, S. 127.

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Historismusfeindschaft, Architekten und die Baugeschichte an polytechnischen Schulen

Abb. 2 – 3  : Erhaltener Sammlungs­ schrank mit Gipsabgüssen und Bibliotheksraum im Souterrain des Aulabaus, heute noch Bestand des Fachgebiets Architektur- und Baugeschichte, Karlsruher Institut für Technologie, Foto, Januar 2019. Fotos  : Atelier Dirk Altenkirch, Karlsruhe, 2019.

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Um die Veränderung des Kanons und die ›Metaepistemik‹ der historischen Objekte zu verstehen, ist ein Blick auf die Rolle der historischen Wissenschaften an den polytechnischen Schulen notwendig  : Die Architekturlehre verändert sich bereits im 19. Jahrhundert von einer Disziplin, die Konstruktionswissenschaft durch historische Referenzen etablieren wollte und entwicklungsgeschichtliches Denken als Grundlage der Lehre verstand, hin zu einem Fachverständnis, das architektonische Form verstärkt als künstlerische Dimension sehen will und antiquarisches Wissen bewusst zur Entsorgung preisgibt. Die Entwicklungen sind prominent festzumachen am Karlsruher Polytechnikum und der Leitgründung der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, der ETH Zürich. An diesen beiden Schulen zeigt sich, wie der Kanon etabliert wird, in einer Neugründungsphase differenziert und erneuert, im 20. Jahrhundert dann weitgehend aufgegeben und im beginnenden 21. Jahrhundert als wissenschaftliche Fragestellung neu entdeckt wird. II. Paris, Karlsruhe und Zürich – Schulhäuser als ›Lehrbauten‹, historisches Wissen als Horizont

Die polytechnischen Schulen der Mitte des 19. Jahrhunderts waren allesamt Sammlungsbauten17 – Wissenschaften und Disziplinen der Neugründungen definierten sich über Fachsammlungen, die auch der Öffentlichkeit gezeigt wurden. Die ETH Zürich wurde in den 1850er Jahren nach dem Vorbild des Karlsruher Polytechnikums eingerichtet  ; Fakultätszuschnitte, einzelne Lehrbücher und Lehrinhalte wurden übernommen, es gab in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vielfältige Kontakte und einen Austausch von Materialien. Die Zürcher Schule greift freilich bereits die Formate der zweiten Phase des Karlsruher Polytechnikums seit der Schulreform aus der Mitte des Jahrhunderts auf. Die Frühzeit der Karlsruher Bau- und Ingenieurschule, deren Gründer Weinbrenner und Tulla Strukturen der Pariser École Polytechnique nachbildeten, hatte humanistische Wissensbestände noch in den Hintergrund gerückt.18 An der École polytechnique war die ältere Praxisorientierung architektonischer und technischer Wissensbestände zugunsten einer Theoretisierung vermittelten Basiswissens – Mathematik und Mechanik, Physik und Chemie – zunächst weniger verfolgt worden. Der Rang der Architektur als Wissenschaft wurde durch »rationale Reflexion praktischer Problemlagen« vor allem in Gaspard Monges Géométrie descriptive betont.19 In Paris wurde disziplinenspezifisches Wissen zunächst in aufbauenden Spezialschulen gelehrt, den Écoles des ponts et chaussées, der École des mines, oder der École du génie 17 Zur ETH Zürich als Sammlungshaus siehe Hassler, Wilkening-Aumann 2014. 18 Zu den Schultraditionen siehe Hassler, Meyer, Rauhut 2019, Kap. II. Zur Vorgeschichte Schmidt 2019. 19 Monge [1798]  ; Hassler, Meyer, Rauhut 2019, S. 68 f., Zitat S. 69.

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maritime. Die deutschen Gründungen polytechnischer Schulen bildeten mehrheitlich bereits »das zweistufige französische System […] in einer Institution ab«.20 Akademisierte technische Bildung schien seit den 1830er Jahren als ein »strategisches Feld politischen Handelns«  ;21 die Polytechnika entstanden meist in den Residenzstädten und bildeten Beamte für den ›höheren technischen Staatsdienst‹ aus (bis heute gibt es in den deutschen Bundesländern die Ausbildung zum ›höheren bautechnischen Verwaltungs­dienst‹ mit einer zweiten Staatsprüfung). Allgemeinbildende Fächer wurden in Vorkur­sen vermittelt. Seit den 1860er Jahren zeichnete sich mit der Bildung Allgemeiner Abteilungen an technischen Hochschulen eine Veränderung der Konzepte ab  ; das damals »dominierende positivistische Wissenschaftsverständnis« schätzte die allgemeinbildenden Fächer zur »Erhöhung des Sozialprestiges der akademischen Techniker«.22 Die polytechnischen Schulen der Jahrhundertmitte und der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts »orientierten sich an den universitären Normen der Bildung«.23 Auch der architektonische Ausdruck der Bauten war jetzt neu  : Sempers Zürcher Polytechnikum (1860 – 1864)24 und Gottfried von Neureuthers Hochschulbau in München (1865 – 1868) waren »Initialbauten der deutschen Neorenaissance«.25 Ganz anders der Gründungsbau in Karlsruhe  : Für die 1825 gegründete Polytechnische Schule hatte Heinrich Hübsch einen Bau entworfen und 1833 – 1836 realisiert,26 der in seinem architektonischen Gestus ganz eigenständig war und die frühe polytechnische Ambition formbildender Konstruktion verfolgte. Hübsch hatte zeitweise Mathe­ matik studiert und folgte in seinem professionellen Leben als Hochschullehrer und Architekt dem Ideal der polytechnischen Denkschule – Wissenschaftlichkeit, TheoriePraxis-Bezug, Interdisziplinarität –, aber er folgte auch den Überzeugungen, die bis zum Ersten Weltkrieg Leitbild für die Arbeiten der Polytechniker waren  : • die Vorstellung, das Konstruieren nach wissenschaftlichen Methoden verbessern und entwickeln zu können, • die feste Überzeugung, dass historisches Wissen als Wissen über die Entwicklungsgeschichte der Architektur zu besten Ergebnissen für das Bauen führen müsse. Hübsch hat als Lehrer in seinen Prüfungen am Karlsruher Polytechnikum baugeschichtliche Themen selbstverständlich erörtert. Er stellte Prüfungsfragen zu den damals ak20 Ebd., S. 69 f., Zitat S. 70. 21 Ebd., S. 70. 22 Ebd., S. 72. 23 Ebd. 24 Zur Entwurfs- und Baugeschichte des Hauptgebäudes der ETH Zürich siehe Hassler, Kainz 2016, Bd. I, S.  5 – 237. 25 Nägelke 1998, S. 111. 26 Hassler, Kainz 2016, Bd. I, S. 10, 14 und Abb. 18, 19.

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tuellen Themen antiker Polychromie, und er rechnete und experimentierte mit einer frühen Form der ›Modellstatik‹, indem er die Kettenlinienexperimente Robert Hookes auf die Formfindung eigener Wölb-Konstruktionen anwandte.27 Beim Gebäude für das Polytechnikum folgte Hübsch daher dem Gedanken einer Amalgamierung bautechnischer, mathematischer, ingenieurwissenschaftlicher und materialwissenschaftlicher Wissensbestände. Das Wissen über die Kultur- und Architekturgeschichte der Menschheit war damit selbstverständlich verknüpft und nicht im Verdacht einer ›Zitatenkiste historischer Formbeispiele‹. Der Bau des neuen Karlsruher Hauptgebäudes ist ein ›Lehrbau‹  : Er ist gebautes Beispiel und spiegelt auch die erste institutionelle Reorganisation der Schule 1832. Jetzt erst wurden Tullas und Weinbrenners Schulen zusammengeführt, Hübsch erhielt eine Professur, der aus Wien abgeworbene Franz Keller wurde für das Bauwesen engagiert. III. Grenzen mathematischer Regeln, Maschinenbauer als Entwerfer und Theoretiker polytechnischer Ausbildung, Architekten des 19. Jahrhunderts als Wissenschaftler

In den 1840er Jahren wurde in Karlsruhe die analytische Mechanik gestärkt, die Berufungen des bis heute gerühmten Ferdinand Redtenbacher für den Maschinenbau und Karl Weltziens für die Chemie brachten Prestige und waren Indizien eines sich neu formierenden theoretisch-methodischen polytechnischen Selbstverständnisses, das Lehre und Forschung verknüpfte. Der spätere Direktor des Polytechnikums Redtenbacher formulierte in seinen 1852 erschienenen Prinzipien der Mechanik und des Maschinenbaues die Grenzen mathematischer Formalisierung des Konstruierens  : »Auch ist die Zahl der Größen, die man für einen Maschinenentwurf wissen muß, so außerordentlich groß, daß ihre Berechnung, auch wenn sie möglich wäre, zu endlosen Rechnungen Veranlassung geben muß. Diese ausschließlich rechnende Methode ist also ganz zu werfen«.28

Franz Reuleaux, der bei Redtenbacher studiert hatte und später in Zürich lehrte, bezog sich ausdrücklich auf seinen Lehrer. Er schrieb 1865 in seinem berühmten Buch Der Constructeur über die ›Grenzen der angewandten Mechanik‹. Reuleaux betonte die Bedeutung der »festen allgemeinen Grundlehren«, aber auch die »Freiheit […], 27 Vgl. Hassler 1993, S. 26 – 38, und der Katalog der Ausstellung des Karlsruher Stadtarchivs und des Instituts für Baugeschichte  : Hübsch 1984, hier vor allem der Beitrag Graefe 1984, dort der Hinweis auf Robert Hookes Stützlinientheorie (S. 186). Die Arbeiten Graefes wurden zwischenzeitlich mehrfach in neueren Arbeiten aufgegriffen, nicht immer mit entsprechenden Zitiervermerken (so z. B. bei Ulrich Maximilian Schumann). 28 Redtenbacher 1852, S. 291.

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welche dem Construierenden in der Wahl der Formen zusteht«.29 Bei »unablässigem Hinführen auf die[se] hellste Seite seiner Thätigkeit« erkenne der Studierende des Maschinenbaus, dass »seine aus abstrakten Vorstudien gesogene Anschauung, als ob das Maschinen-Entwerfen nur im Vollstrecken strenger mathematischer Gesetze bestehe, ein blindes Vorurtheil sei«.30 Der Karlsruher Architekt Hübsch verlangte (im Grundsatz ganz ähnlich, allerdings eher deduktiv argumentierend) 1847 in seiner Schrift Die Architectur und ihr Verhältniß zur heutigen Malerei und Sculptur nach »monumentaler Construction«31 – einer Ausbildung der wesentlichen Teile des Baus, sodass die räumliche Disposition nach den ›Bedingungen der Construction‹ gestaltet werde. Der räumliche Hauptcharakter ergebe sich aus der Baukonstruktion – das »Fortschreiten der Technik, und zwar hauptsächlich der Constructions-Statik«, nehme einen »regelmäßigen Entwicklungsgang«, weil keine frühere Erfahrung verlorengehe, sondern in den »erhaltenen Baudenkmalen den Nachkommen vor Augen« stehe.32 Hübsch betont die Wichtigkeit der Kenntnis der Antike, griechischer und römischer, wie auch der Renaissance-Architektur  : »Um […] einen gesunden richtigen Standpunkt für eine der Gegenwart entsprechende Architectur zu gewinnen, ist ein historischer Ueberblick der verschiedenen hinter uns liegenden Bauarten unerläßlich«.33 Bemerkenswert ist der Punkt, dass der Polytechniker Hübsch hier nicht über architektonische Form, sondern über ›Bau-Art‹ spricht, die konstruktiven Bedingtheiten selbstverständlich mitdenkend. Sein Vorschlag für eine neu gedachte Tektonik verknüpft konsequent technische Rahmenbedingungen des Bauens mit der Herausforderung großer Spannweiten und bedenkt Grenzen zeitgenössischer Bautechnik  : Das Hauptgebäude des Polytechnikums ist Demonstration und Lehr-Gebäude. Die Zürcher Polytechnikumsgründung übernahm das akademische Konzept der Karlsruher Schule zu Beginn dieser zweiten Gründungsphase. Ebenfalls Mitte des Jahrhunderts realisierte Semper den Zürcher Neubau – dieser illustriert den Wandel zu einem neuhumanistischen Ideal, das sich auch in der Konzeption der Fächer und Abteilungen manifestiert. In der Gründungsrede des ersten Präsidenten 1855 wird das deutlich. Konrad Kern spricht von der »Wahrheit, daß neben der sogenannten gelehrten Bildung auch für eine tüchtige technische Ausbildung gesorgt werden müsse«  ;34 die Neue Zürcher Zeitung titelte  : »Das Polytechnikum als Zentralinstitut der Industrie«.35 Von Beginn an bestand in Zürich eine (zunächst freilich nicht so genannte) ›Allgemeine Abteilung‹, dort waren – für die Studierenden damals allerdings nicht obligatorisch – 29 Reuleaux 1865, S. XI. 30 Ebd. 31 Hübsch 1847, S. XXII. 32 Ebd., S. 21. 33 Ebd., S. 22 f. 34 Zit. n. Hassler, Meyer, Rauhut 2019, S. 81. 35 Ebd., S. 82.

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geisteswissenschaftliche Fächer, Mathematik und naturwissenschaftliche Felder versammelt.36 Sammlungen, Laboratorien, Werkstätten, Versuchsgärten und -wälder waren Teil der Schule und der Öffentlichkeit zugänglich – das Zürcher Polytechnikum war Sammlungshaus und wiederum Vorbild für die deutschen Neugründungen der zweiten Generation ab den 1860er Jahren.37 IV. ›Bauende Baugeschichtler‹ oder ›forschende Architekten‹  ?

Die Rolle der historischen Fächer veränderte sich zur Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert sowohl in der Architekturausbildung selbst wie auch in Bezug auf den Anspruch der polytechnischen Gründungsidee, ein Studium generale als Bildungshorizont und interdisziplinäres Übungsfeld für alle Studierenden der technischen Fächer anzubieten. In Karlsruhe versuchte man, die großen Heroen der frühen architekturgeschichtlichen Überblicksdarstellungen des 19. Jahrhunderts Jacob Burckhardt und Wilhelm Lübke aus Zürich anzuwerben  ; ein Denkmal für Lübke steht bis heute neben dem Karlsruher Aulabau. Der Streit um Adolf Oechelhäuser und die Allgemeine Abteilung am Karlsruher Polytechnikum bezeichnet den Übergang zu einer neu profilierten Kunstwissenschaft – zentrale Themen waren jetzt Denkmalpflege, die wissenschaftliche Inventarisation der Regionen und (zumindest im Badischen) der Kampf um das historische Original und den Wiederaufbau des Heidelberger Schlosses. In Karlsruhe rücken Kollegen von der Kunstgewerbeschule um Hermann Billing ans Polytechnikum  ; Friedrich Ostendorf verbindet historisches Interesse mit eigener Baupraxis  ; der ältere Durm, der noch erfolgreich gewesen war als Forscher, wissenschaftlicher Autor, Leiter der Staatlichen Hochbauverwaltung und Hochschullehrer, wird aber aus der Schule gedrängt, man macht ihm nach dem Ersten Weltkrieg deutlich, dass seine Schwerpunkte nicht mehr zeitadäquat seien.38 Die wissenschaftliche Ambition der beiden ersten Generationen (1830er und 1860er Jahre) deutschsprachiger polytechnischer Schulen hatte sich auf internationale Themen gerichtet – die baupraktische auf den Aufbau des (regionalen) Staatswesens  ; die Professoren der ersten Generationen (in Karlsruhe Weinbrenner, Hübsch, Durm, Jakob 36 Gegründet als philosophische und staatswirtschaftliche Abteilung, ebd., S. 82, Anm. 68. 37 Ebd., S. 83. 38 Hassler 2010, S. 96 – 101. In den beiden Personalakten Durms im Karlsruher Generallandesarchiv (GLA) finden sich vielfältige Belege dafür, dass Durm nur ungern seine Ämter und Aufgaben abgegeben hat. GLA, Personalakte der Baudirektion, 76/10441 (zur Pensionierung Durms von seinem Amt als Oberbaudirektor 1902)  ; Personalakte des Polytechnikums, 235/1909 (zur Pensionierung von der Lehrtätigkeit am Polytechnikum 1919). Im Ersten Weltkrieg fiel einer seiner Söhne, die Nachlassmaterialien seiner Skizzenbücher, die im Kupferstichkabinett der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe erhalten blieben, geben ebenfalls Zeugnis von einer kritischen Lebensphase.

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Hochstetter) übten Haupttätigkeiten für das staatliche Bauwesen aus und hatten nur sehr wenige privatwirtschaftliche Aufträge. Nach dem Ersten Weltkrieg wird die privatwirtschaftliche Bürotätigkeit wichtiger  : Jetzt werden auch die Lehrstuhlbezeichnungen geändert in ›Entwerfen und …‹  ; alle Entwurfslehrer vertreten ähnliche Lehrkon­zepte.39 Ostendorf publiziert noch, seine Bücher vom Bauen40 sind aber nicht mehr baugeschichtliche Werke, sondern Anleitungen und Vorbildsammlungen. Die ›forschende Baugeschichte‹ der ausgebildeten Architekten richtet sich weiterhin auf Themen der Weltarchitektur, die Denkmalpflege hingegen konzentriert sich auf regionale Objekte und die Praxis der Erhaltung. An den heute noch greifbaren Resten der Karlsruher baugeschichtlichen Sammlungen lässt sich diese Entwicklung zeigen  : Unter anderem wird deutlich • wie die frühen Parallelitäten historischer Themen in der Kunst- und Baugeschichte aussahen (Durm, Jacob Burckhardt und Lübke), • wie durch die Reformergeneration Themen der Antike ›ästhetisiert‹ wurden (Wilhelm Worringers Thesen über Ägypten, die Arbeiten Robert Koldeweys, Babylon als ästhetisches Vorbild bis in die 1930er Jahre), • wie die Berliner Regierung auf die Universitäten Einfluss nahm, • und schließlich, wie Tendenzen der Selbsthistorisierung an die Kunstwissenschaften und Archive delegiert werden (ein Trend der Diversifikation). V. Weltbaugeschichte als polytechnischer Anspruch oder »Bildgeschichte digital greifbar«41  ?

Der Karlsruher Fotograf Wilhelm Kratt besuchte bei Lübke in Karlsruhe Vorlesungen in Kunstgeschichte und eröffnete 1905 sein Institut für kunsthistorische Photographie  ;42 er lieferte einen Teil der Fotosammlungen – Glasdias, Negative und Abzüge – für die Lehrveranstaltungen an das Polytechnikum. Ein größerer Teil der Bilder stammt dagegen aus Berlin, von dem Institut für wissenschaftliche Projektionsphotographie des dort promovierten Kunsthistorikers Franz Stoedtner  ;43 einige Bestände kamen aus

39 Ein guter Überblick ist immer noch der kleine Jubiläumsband Fridericiana 1975. 40 Ostendorf 1913 – 1920. 41 So der Titel eines Vortrags, siehe Schelbert 2018. 42 Pretsch 2009, S. 11, 13. Wilhelm Kratt war für die Inventarisation als Fotograf tätig, sein Badisches Denkmälerarchiv umfasste etwa 12.000 Glasplatten, siehe Kieser 2009. 43 Zu Franz Stoedtner siehe Schelbert 2018, S. 13. Vgl. Stoedtner 1908. Zum Einfluss der Architekturfotografie siehe Sachsse 2011.

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Leipzig. Unklar ist, inwieweit die ›forschenden Architekten‹ des 19. Jahrhunderts eigene Arbeiten dokumentierten und in die Sammlung einfügten.44 In der Kunstwissenschaft sind die Zusammenhänge der bereits in den 1870er Jahren einsetzenden Lichtbildprojektion mit der Geschichte des Fachs heute weitgehend bekannt und diskutiert,45 ebenso die Bedeutung früher Fotografien für die kunsthistorischen Überblickswerke etwa Wilhelm Lübkes. Es wird aktuell auch überlegt, welche Bestände der kunsthistorischen Institute zu digitalisieren sind und wie man Zugriffe über Online-Datenbanken schaffen kann. Die Karlsruher Sammlung ist freilich insofern ein Unikat, als sie eben nicht (nur) eine kunstwissenschaftliche Sammlung darstellt, sondern von ›forschenden Architekten‹ (mit) aufgebaut wurde und auch in der Lehre über fast das gesamte 20. Jahrhundert weiter benutzt wurde und einflussreich blieb. Die Kunstwissenschaftler fanden ja früher als die Architekten zur Fotografie in der Lehre, weil sie Fragen der Baukonstruktion weniger in den Fokus nahmen – es gibt zwar einige Ausnahmen, zum Beispiel die Baustellenfotos des Speyerer Doms, an dem Hübschs Westwerk in der Mitte der 1850er Jahre errichtet wurde, oder auch spätere Dokumentationen der Bauten Durms. Im Wesentlichen war die frühe Fotografie aber eher ein Lehrmedium der Kunstgeschichte als der Bauforschung und Baugeschichte. Dennoch wurden unter dem Architekten und Bauforscher Karl Wulzinger die großen Bestände der Karlsruher Glasplattendiasammlung angeschafft (Abb. 4). Wulzinger führte nicht nur die (jetzt auch außereuropäische) Weltbaugeschichte von den USA bis zum Orient in der Lehre weiter, sondern auch die Diskussion jeweils aktueller Architektur. Er las zum zeitgenössischen Ingenieurbau, dem Kunstgewerbe und zeigte regionale Referenzen – eine bewundernswerte Breite, eine fabelhafte Tiefe, Beleg profunden aktuellen Wissens seiner Zeit. Bemerkenswert ist, dass die älteren bauhistorischen Sammlungen an der Karlsruher Hochschule bis in die 1990er Jahre weitergeführt und weiterverwendet46 wurden, als historische Materialien in neuere Diskurse integriert wurden und das jeweils neue Bauen von ihnen gespiegelt wurde. Die Bestände sind nicht nur Dokument der Mediengeschichte, sondern auch der Erkenntnis- und Wissenschaftsgeschichte. Eindrucksvoll ist unter anderem die politische Dimension  : In den Karlsruher Beständen finden sich etwa Bezüge zu den Berliner Debatten der Reichskulturpolitik der NSZeit, zu Werner Lindners Publikationen und Schriften (zum Beispiel Die Ingenieurbauten in ihrer guten Gestaltung 47) und auch Dokumente des Nürnberger Reichsparteitags. 44 An einigen Glasplatten fehlt die Firmenbezeichnung, ein Vergleich der Beschriftungen und weitere Provenienzforschungen würden sicherlich weiterführen. 45 Siehe u. a. Dilly o. J. 46 Hans Kollhoff erinnert sich ebenso wie die Autorin des Beitrags daran, dass die Glasplattendias in Vorlesungen von Arnold Tschira und Wulf Schirmer noch ab und an Verwendung fanden als Referenzobjekte früherer Diskurse. 47 Lindner, Steinmetz 1928.

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Abb. 4  : Niketempel auf der Akropolis in Athen, Glasplattendias, um 1900, unter anderem von Wilhelm Kratt und Franz Stoedtner, von Karl Wulzinger für die baugeschichtliche Lehre verwendet, gegebenen­ falls durch Josef Durm veranlasst. Foto  : Atelier Dirk Altenkirch, Karlsruhe, 2019.

Die Kunstwissenschaft hat über die Auswirkungen des ›vergleichenden Sehens‹ auf die Architektur- und Kunstgeschichte geforscht,48 Heinrich Wölfflin und der Einfluss der Doppelprojektion wurden vielfach debattiert.49 Auch das Vorbild der Antike – etwa der Rekonstruktionszeichnungen der Bauforscher der Jahrhundertwende auf die Architekturproduktion der beginnenden Moderne – ist bekannt  : Robert Koldeweys Ansicht des 48 Vgl. Oechslin 1989, Georgiadis 1989. Neuerdings zu Giedion die Ausstellung in der Graphischen Sammlung der ETH Zürich, vgl. Chan, Schädler, Wagner 2017. 49 Dilly 2009. In der genannten Initiative zur Digitalisierung der Berliner Glasplattendias wird bedauert, dass nicht mehr rekonstruiert werden könne, welche Materialien Heinrich Wölfflin in den Vorlesungen verwendet hat (Schelbert 2018, S. 17 f.). Am Kunsthistorischen Institut der Universität Zürich werden in einem Forschungsprojekt Heinrich Wölfflins gesammelte Werke in einer kommentierten kritischen Edition herausgegeben, URL  : https://www.khist.uzh.ch/de/chairs/neuzeit/res/hwgw.html (14. Februar 2019).

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Babylonischen Turms wurde durch die architektonische Avantgarde und Werner Lindner rezipiert,50 ebenso durch Worringer die ägyptischen Funde51 und ihre Schwarz-WeißDokumentation in den Kunstgeschichtswerken des beginnenden 20. Jahrhunderts. Über den im Karlsruhe der 1930er Jahre verfolgten ›Weg in die Kunst‹ von Max Laeugers Kunsthandbüchern und die Auseinandersetzung der Reformer mit den Polytechnikern wurde vielfach berichtet.52 1935 erschien in Berlin ein Band zum Thema Menschenschönheit. Gestalt und Antlitz des Menschen in Leben und Kunst. Ein Bilderwerk in sieben Schau-Kreisen geordnet und gedeutet von Hans W. Fischer unter Mitwirkung führender Lichtbildner.53 Hier sind Fotografien von Leichtathleten direkt mit Bildern antiker Skulpturen verglichen, unter dem Motto »Zucht des Willens«54 spricht der Autor über die »Herausbildung eines Typus«, einer »Hochform«55. Es folgt im »Fünften Kreis« die »Würde des Volkstums« – deutlicher Ausweis nationalsozialistischer Ideologie. Die Quellen der in diesem Buch gezeigten Lichtbilder und Bildarchive reichen von Kairo und Wien bis München und Berlin. Aus dem Kunstgeschichtlichen Seminar in Marburg56 kommen ebenfalls Materialien in diesem Buch, wie wir sie ganz ähnlich bei den Glasnegativen finden, die für die Karlsruher Lehre Verwendung fanden.57 Studien, die die Zusammenhänge nicht kennen, können die Bilder und ihr Weiterleben in der Kunstwissenschaft und Architekturgeschichte nicht deuten, deshalb ist die In-situ-Erhaltung der Materialien so hilfreich. Die Kenntnis der Mediengeschichte der Vermittlung jeweils aktueller Forschung ist sicherlich ein Qualitätsmerkmal der technischen Hochschulen – durch fragmentarische Überlieferung und die durch Neuberufungen wechselnden Forschungsinteressen sind historische Zusammenhänge aber nicht immer leicht rekonstruierbar. Seit den 1970er Jahren werden an vielen Hochschulen Büronachlässe von praktizierenden Architekten auch mit ihren zeitgenössischen Kontexten und Materialien für die künftige Forschung bewahrt, es werden aber immer noch Nachlässe getrennt und entsorgt.58 Die ETH Zürich hat mit den Sammlungsbeständen des gta Archivs schon unter Werner Oechslin 50 Allgemein zum Thema Hassler 1999. 51 Vgl. Worringer 1927 und noch einflussreicher Worringer 1907. Unter anderem Spiegel 1959. 52 Rüdiger 1937  ; Laeuger 1937/38. Zu diesem Thema u. a. Hassler 2009. 53 Fischer 1935. 54 Ebd., S.  71 – 96. 55 Einige der Beispiele (z. B. der Giebelskulpturen in Olympia) nahezu gleichzeitig auch in Max Laeugers Kunsthandbüchern, siehe Laeuger 1937/38. 56 Die 1913 von Richard Hamann begründete Fotosammlung existiert noch heute, als Deutsches Dokumentationszentrum für Kunstgeschichte – Bildarchiv Foto Marburg, URL  : https://www.uni-marburg.de/de/ fotomarburg/ueberuns (15. Februar 2019). Zur Geschichte im Nationalsozialismus siehe Sprenger 2005. 57 Bemerkenswert ist die technische Ambition der Bände der 1930er Jahre, wie auch die technische Qualität der älteren Lehrmittel und der Messbilder auf den Glasdias. Fast nirgendwo finden sich stürzende Linien. 58 An der heutigen TU Dortmund wurde 1995 das Archiv für Architektur und Ingenieurbaukunst NRW (A  :AI) gegründet, dort werden Nachlässe weitgehend integral erhalten. Dazu Hassler, Nußbaum 1998.

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die Dokumentation verstetigt, auch die überlebenden Bestände der Gründungsjahre der Schule werden dort gut betreut. Die Allgemeine Abteilung ist ebenfalls noch existent  : Am Departement Geistes-, Sozial und Staatswissenschaften sind auch Philosophen beschäftigt und es wird die Wissenschaftsgeschichte der Schule erforscht  ; die Aktivitäten der Professuren, die am Architekturdepartement historische Themen vermitteln, sind vielfältig und gut verankert. Die Tradition der ›forschenden und bauenden Architekten‹ blieb allerdings vereinzelt, kunstwissenschaftliche Zugänge sind an der ETH stärker vertreten als die Tradition historischer Bauforschung. Was geschieht, wenn Sammlungsobjekte nur noch als antiquarische Relikte gesehen werden, zeigt ein neuer Trend in der Museumswelt  : In Wien stellte das Kunsthistorische Museum den ,Setzkasten als Grabmal aller Kultur‹ aus – eine ästhetische Versammlung dekorativer Fundstücke (Spitzmaus Mummy in a Coffin and other Treasures59). Dietmar Dath bemerkt dazu  : »Vom Staunen meinte Platon, es sei der Anfang der Erkenntnis. Das waren noch Zeiten, als man so denken konnte  ; inzwischen haben Kunst und Wissenschaften der Beschreibung von allem, worüber man staunen kann, den Zuständigkeitsbereich durch die Entdeckung immer abstrakterer Gegenstände der Betrachtung so mitleidlos geschmälert, dass die meisten Laien […] gar nicht mehr sagen können, was sie sehen. […] Fach- und Sachtexte […] sind rhapsodisch geworden. […] Der Grabstein der Idee ›Museum‹ wird sehr klein sein. Es muss nur draufstehen  : ausgestaunt, Abendland«.60

Digitalisierung (und Musealisierung) helfen nur bedingt beim Verständnis der real überlebenden historischen Architekturen und Sammlungsbestände. Gebaute Architektur und das Wissen über Bau- und Konstruktionsgeschichte können im 21. Jahrhundert nur dann lebendig bleiben und ins Zentrum der Ausbildung rücken, wenn die letzten Inseln der ›longue durée‹ erhalten bleiben. Neue Erschließung bedeutet hier nicht Kuratieren, Ausstellen bereits gesammelter Materialien, sondern kritische Interpretation, neue Deutung, neue Forschungsfragen, Neugier und (informiertes) Staunen. Architekturlehre braucht immer den direkten Zugang und Bezug zum gebauten Objekt und seiner Geschichte, zum ›Musée imaginaire‹ der Weltarchitektur  : nicht als romantisches Märchen, Erinnerung an verlorene Territorien oder Restbestand antiquarischer Traditionen, sondern als Herausforderung für Qualitätsdebatten über aktuelles Bauen, Forschen und Lehren. Ein Programm zur Rückeroberung und Neudefinition polytechnischer Forschung und Lehre könnte an einige Traditionslinien neu anknüpfen  : Es wäre zu fragen, inwieweit die ›entwerfenden und konstruierenden Fächer‹ Maschinenbau, Bauingenieurwe59 Wes Anderson und Juman Malouf, Wien 2019. 60 Dath 2019.

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sen und Architektur über gemeinsame Konzepte verfügen – und über ein gemeinsames Verständnis zur Entwicklung allgemeiner Lösungen. Erfindungstheorie und kritische Evaluation des ›Neuen‹ in den jeweiligen Disziplinen kann zu erneuerten Heuristiken für Planen und Bauen führen, aber auch zu Entwicklungen an den Rändern tradierter Fächer. Die Kunst- und Bildwissenschaften sind womöglich weniger als ›Bildungsfächer‹ gefragt, sondern vielmehr als Partner zur Entfaltung kritischer Diskurse über Vergangenheit und Zukunft polytechnischer Wissenschaften. Literatur Abel 2014 – Günter Abel  : Sammlungen als epistemische Objekte und Manifestationen von Ordnungen des Wissens, in  : Uta Hassler, Torsten Meyer (Hg.)  : Kategorien des Wissens. Die Sammlung als epistemisches Objekt, Zürich 2014, S. 109 – 131. Böhner 1969 – Kurt Böhner  : Zum Gedenken an Arnold Tschira, in  : Jahrbuch des RömischGermanischen Zentralmuseums Mainz 16 (1969), S. VII–XII. Bührig 2017 – Claudia Bührig  : Theodor Wiegand und das Deutsch-Türkische Denkmalschutzkommando für Syrien und Palästina im Ersten Weltkrieg, in  : Uta Hassler (Hg.)  : Langfristperspektiven archäologischer Stätten. Wissensgeschichte und forschungsgeleitete Konservierung / Archaeological Sites in Long-Term Perspectives. The History of Archaeological and Epistemic Conservation, München 2017, S. 182 – 199. Chan, Schädler, Wagner 2017 – Carson Chan, Linda Schädler, Filine Wagner u. a. (Hg.)  : Richard Hamilton, Sigfried Giedion. Reaper, Ausstellungskatalog Zürich, Zürich o. J. [2017]. Dath 2019 – Dietmar Dath  : Wes Anderson in Wien. Ein Sarg für die Mumie einer Spitzmaus, in  : Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29. Januar 2019, URL  : https://www.faz.net/-gsa-9j8py (11. Februar 2019). Dilly o. J. – Heinrich Dilly  : Die Bildwerfer. 121 Jahre kunstwissenschaftliche Dia-Projektion, in  : Arbeitsgruppe »Fotografie im Museum« des Museumsverbandes Baden-Württemberg e. V. in Zusammenarbeit mit der Sektion Geschichte der Deutschen Gesellschaft für Photographie e. V. (DGPh) (Hg.)  : Zwischen Markt und Museum. Beiträge der Tagung »Präsentationsformen von Fotografie« am 24. und 25. Juni 1994 im Reiß-Museum der Stadt Mannheim, Göppingen o. J. (Rundbrief Fotografie. Sammeln, Bewahren, Erschließen, Vermitteln, Sonderheft 2), S.  39 – 44. Dilly 2009 – Heinrich Dilly  : Weder Grimm, noch Schmarsow, geschweige denn Wölfflin …, in  : Costanza Caraffa (Hg.)  : Fotografie als Instrument und Medium der Kunstgeschichte, Berlin 2009, S.  91 – 116. Dlugaiczyk, Markschies 2008 – Martina Dlugaiczyk, Alexander Markschies  : Mustergültig – Gemäldekopien in neuem Licht. Das Reiff-Museum der RWTH Aachen. Ausstellungskatalog Aachen, München, Berlin 2008. Fischer 1935 – Hans W. Fischer  : Menschenschönheit. Gestalt und Antlitz des Menschen in Leben und Kunst. Ein Bilderwerk in sieben Schau-Kreisen, Berlin 1935. Fridericiana 1975 – Rektor und Senat der Universität Karlsruhe (Technische Hochschule) (Hg.)  :

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150 Jahre Universität Karlsruhe 1825 – 1975. Architekten der Fridericiana. Skizzen und Entwürfe seit Friedrich Weinbrenner, Ausstellungskatalog Karlsruhe, Karlsruhe 1975. Georgiadis 1989 – Sokratis Georgiadis  : Sigfried Giedion und die Krise der kritischen Historiographie, in  : Institut für Geschichte und Theorie der Architektur (gta) in Zusammenarbeit mit Museum für Gestaltung Zürich (Hg.)  : Sigfried Giedion 1888 – 1968. Der Entwurf einer modernen Tradition, Ausstellungskatalog Zürich, Zürich 1989, S. 224 – 231. Graefe 1984 – Rainer Graefe  : Heinrich Hübsch als Konstrukteur, in  : Stadt Karlsruhe (Hg.)  : Heinrich Hübsch 1795 – 1863. Der große badische Baumeister der Romantik, Ausstellungskatalog Karlsruhe, Karlsruhe 1984, S. 184 – 189. Hassler 1993 – Uta Hassler  : Die Kunsthalle als Kunstwerk. Bilder aus ihrer Baugeschichte, Karlsruhe 1993. Hassler 1999 – Uta Hassler  : Umbau, Sterblichkeit und langfristige Dynamik, in  : Dies., Niklaus Kohler, Wilfried Wang (Hg.)  : Umbau. Über die Zukunft des Baubestandes, Tübingen, Berlin 1999, S.  39 – 59. Hassler 2009 – Uta Hassler  : Baugeschichtliches Wissen oder Geschmacksbildung für Architekten  ? Die Kunsthandbücher von Max Laeuger, in  : Juliane Mayer (Hg.)  : Festschrift für Rainer Graefe. Forschen, Lehren und Erhalten, Innsbruck 2009, S. 191 – 214. Hassler 2010 – Uta Hassler  : Zur polytechnischen Tradition der Bauforschung, in  : Dies. (Hg.)  : Bauforschung. Zur Rekonstruktion des Wissens, Zürich 2010, S. 80 – 131. Hassler, Kainz 2016 – Uta Hassler, Korbinian Kainz  : Die polytechnische Welt. Wissensordnung und Bauideal. Planmaterialien zum Zürcher Polytechnikum, Bd. I–II, München 2016. Hassler, Meyer 2014 – Uta Hassler, Torsten Meyer  : Die Sammlung als Archiv paradigmatischer Fälle, in  : Dies., ders. (Hg.)  : Kategorien des Wissens. Die Sammlung als epistemisches Objekt, Zürich 2014, S. 6 – 73. Hassler, Meyer, Rauhut 2019 – Uta Hassler, Torsten Meyer, Christoph Rauhut  : Versuch über die polytechnische Bauwissenschaft, München 2019. Hassler, Nußbaum 1998 – Uta Hassler, Norbert Nußbaum  : Das Archiv für Architektur und Ingenieurbaukunst NRW, Dortmund 1998. Hassler, Wilkening-Aumann 2014 – Uta Hassler, Christine Wilkening-Aumann  : »den Unterricht durch Anschauung fördern«. Das Polytechnikum als Sammlungshaus, in  : Uta Hassler, Torsten Meyer (Hg.)  : Kategorien des Wissens. Die Sammlung als epistemisches Objekt, Zürich 2014, S. 74 – 95. Hübsch 1847 – Heinrich Hübsch  : Die Architektur und ihr Verhältniß zur heutigen Malerei und Sculptur, Stuttgart, Tübingen 1847. Hübsch 1984 – Stadt Karlsruhe (Hg.)  : Heinrich Hübsch 1795 – 1863. Der große badische Baumeister der Romantik, Ausstellungskatalog Karlsruhe, Karlsruhe 1984. Kieser 2009 – Clemens Kieser  : Wilhelm Kratts große Leistung für die Denkmalpflege. Eine Würdigung, in  : H. Felix Gross, Clemens Kieser, Peter Pretsch u. a.: Der Fotograf Wilhelm Kratt (1869 – 1949). Schöpfer des Badischen Denkmälerarchivs, hg. v. Stadtarchiv Karlsruhe […] durch Peter Pretsch, Karlsruhe 2009, S. 26 – 31. Laeuger 1937/38 – Max Laeuger  : Kunsthandbücher, hg. v. NS-Kulturgemeinde e. V. Berlin, Bd. 1  : Farbe und Form in der Bau- und Raumkunst mit Ausschnitten aus anderen Gebieten,

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Pinneberg bei Hamburg 1937  ; Bd. 2  : Grundsätzliches über Malerei, Städtebau, Gartenkunst und Reklame mit Ausschnitten aus anderen Gebieten, Pinneberg b. Hamburg 1938. Lindner, Steinmetz 1928 – Werner Lindner in Verbindung mit Georg Steinmetz (Hg. u. Bearb.)  : Die Ingenieurbauten in ihrer guten Gestaltung, Berlin 1928. Monge [1798] – Gaspard Monge  : Géométrie descriptive. Leçons données aux écoles normales, l’an 3 de la République, Paris An VII [1798]. Nägelke 1998 – Hans-Dieter Nägelke  : Gelehrte Gemeinschaft und wissenschaftlicher Großbetrieb. Hochschulbau als Spiegel von Wissenschaftsidee und -praxis im 19. und frühen 20.  Jahrhundert, in  : Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 21 (1998), S. 103 – 114. Oechslin 1989 – Werner Oechslin  : Fragen zu Sigfried Giedions kunsthistorischen Prämissen, in  : Institut für Geschichte und Theorie der Architektur (gta) in Zusammenarbeit mit dem Museum für Gestaltung Zürich (Hg.)  : Sigfried Giedion 1888 – 1968. Der Entwurf einer modernen Tradition, Ausstellungskatalog Zürich, Zürich 1989, S. 191 – 205. Ostendorf 1913 – 1920 – Friedrich Ostendorf  : Sechs Bücher vom Bauen. Enthaltend eine Theorie des architektonischen Entwerfens, Bd. 1 – 3, Berlin 1913 – 1920, Supplement Bd. 1, Berlin 1914. Pohlmann 2020 – Ulrich Pohlmann  : Zum Handeln und Sammeln von Fotografien im 19. Jahrhundert, in  : Ulrich Pohlmann, Dietmar Schenk, Anastasia Dittman (Hg.)  : Vorbilder Nachbilder. Die fotografische Lehrsammlung der Universität der Künste Berlin 1850 – 1930, Berlin, München 2020, S. 28 – 33. Pretsch 2009 – Peter Pretsch  : Wilhelm Kratt. Ein Lebenslauf, in  : H. Felix Gross, Clemens Kieser, Peter Pretsch u. a.: Der Fotograf Wilhelm Kratt (1869 – 1949). Schöpfer des Badischen Denkmälerarchivs. Hg. v. Stadtarchiv Karlsruhe […] durch Peter Pretsch, Karlsruhe 2009, S.  10 – 19. Redtenbacher 1852 – Ferdinand Redtenbacher  : Prinzipien der Mechanik und des Maschinenbaues, Mannheim 1852. Reuleaux 1865 – Franz Reuleaux  : Der Constructeur. Ein Handbuch zum Gebrauch beim Maschinen-Entwerfen. Für Maschinen- und Bau-Ingenieure, Fabrikanten und technische Lehranstalten, 2., erw. Aufl., Braunschweig 21865. Rüdiger 1937 – Wilhelm Rüdiger  : Weg in die Kunst, in  : Völkischer Beobachter, 27. November 1937. Roos 2017 – Dorothea Roos (Hg.)  : Gipse. Historische Abformungen und Modelle von Architekturgliedern und Baudekor in der Sammlung des Fachgebiets Baugeschichte am Karlsruher Institut für Technologie, Tübingen 2017. Sachsse 2011 – Rolf Sachsse  : Architekturfotografie. Das analoge Bild der klassischen Moderne. Zur gegenseitigen Historisierung von Fotografie und Architektur im 19. und 20. Jahrhundert, in  : Wolfgang Sonne (Hg.)  : Die Medien der Architektur, München 2011, S. 85 – 97. Sack, Schirmer 1989 – Dorothee Sack, Wulf Schirmer  : Erinnerungen an Karl Wulzinger, in  : Istanbuler Mitteilungen 39 (1989), S. 463 – 481. Schelbert 2018 – Georg Schelbert  : Bildgeschichte digital greifbar. Die Glasdiasammlung des Instituts für Kunst- und Bildgeschichte der Humboldt-Universität zu Berlin. Bericht von einem work in progress, Berlin 2018, URL  : https://edoc.hu-berlin.de/bitstream/handle/18452/20233/

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Historismusfeindschaft, Architekten und die Baugeschichte an polytechnischen Schulen

Schelbert_Georg_Bildgeschichte_digital_greifbar.pdf  ?sequence=3&isAllowed=y (14. Februar 2019). Schmidt 2019 – Hartwig Schmidt  : Zur Architekten- und Ingenieurausbildung im 18. und 19. Jahrhundert. Vorgeschichte und Anfänge des polytechnischen Bildungssystems in Frankreich, in  : Uta Hassler, Torsten Meyer, Christoph Rauhut  : Versuch über die polytechnische Bauwissenschaft, München 2019, S. 392 – 432. Schmitt 1984 – Heinz Schmitt  : Heinrich Hübsch. Ein biographischer Abriß, in  : Stadt Karlsruhe (Hg.)  : Heinrich Hübsch 1795 – 1863. Der große badische Baumeister der Romantik, Ausstellungskatalog Karlsruhe, Karlsruhe 1984, S. 10 – 21. Spiegel 1959 – Anonym  : Worringer. Ziehvater der Abstrakten, in  : Der Spiegel, 17. Juni 1959, S.  53 – 54. Sprenger 2005 – Michael H. Sprenger  : Das Kunstgeschichtliche Seminar und das Preußische Forschungsinstitut der Marburger Universität im Nationalsozialismus, in  : Nikola Doll, Christian Fuhrmeister, Michael H. Sprenger (Hg.)  : Kunstgeschichte im Nationalsozialismus. Beiträge zur Geschichte einer Wissenschaft zwischen 1930 und 1950, Weimar 2005, S. 71 – 84. Stoedtner 1908 – Stoedtner, Franz  : Deutsche Kunst in Lichtbildern. Ein Katalog, zugleich ein Kompendium für den Unterricht in der Kunstgeschichte, Berlin 1908. Wilkening-Aumann, von Kienlin 2014 – Christine Wilkening-Aumann, Alexander von Kienlin  : »zum Umgange mit dem Schönen gezwungen«. Die Gipsabguss-Sammlungen der ETH und Universität Zürich, in  : Uta Hassler, Torsten Meyer (Hg.)  : Kategorien des Wissens. Die Sammlung als epistemisches Objekt, Zürich 2014, S. 192 – 207. Worringer 1907 – Wilhelm Worringer  : Abstraktion und Einfühlung. Ein Beitrag zur Stilpsychologie, München 1907. Worringer 1927 – Wilhelm Worringer  : Aegyptische Kunst. Probleme ihrer Wertung, München 1927.

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»Die Kerlchen freuen sich wie die Waldteufel auf ihr Titelchen und schuften ehrlich.«1 Wandlung des Fachs im Zuge der Einführung des Promotionsrechts an den Technischen Hochschulen

Mit der Verleihung des Promotionsrechts nach 1899 trat für die Kunstgeschichte an den Technischen Hochschulen neben Bildung und Vermittlung der Auftrag zur Forschung. In Dresden führte dies im Umfeld Cornelius Gurlitts zu einer überragenden Zahl an Dissertationen von Architekt_innen. Die wissenschaftliche Qualifikation wurde nicht nur aus Gründen des Prestiges angestrebt, sondern diente der Öffnung des beruflichen Selbstverständnisses. Die Arbeiten Gurlitts und seiner Doktorand_innen befassten sich in der Durchquerung oft randständiger Themen und mit Schwerpunkt auf Phasen kul­ turellen Wandels vor allem mit den Bedingungen von Architektur. Mit Blick auf diese Doktorierendenschule ist zu fragen, in welchem Verhältnis die Forschung der Archi­ tekt_innen zur universitären Kunstgeschichte stand, und nach der ihr eigenen Bedeu­ tung und Qualität.

I. ». . . der erste Fall solcher Ernennung eines Architekten.«2

Hermann Muthesius (1861 – 1927) gehörte zu den ersten Architekten, die zu Beginn des letzten Jahrhunderts die neu geschaffene Möglichkeit ergriffen, an den Technischen Hochschulen den Grad des Doktor-Ingenieurs zu erlangen. Seine Dissertation steht einerseits in der Tradition historischer Forschung und Reflektion, wie sie dem Fach Architektur im 19. Jahrhundert zu eigen war. Gleichzeitig erbrachte er – wie auch andere reformorientierte Architekt_innen seiner Generation – damit bewusst den Nachweis der Befähigung zur eigenständigen wissenschaftlichen Arbeit auf bau- und architekturhistorischem Gebiet. Bis heute wird Architekt_innen diese gerne abgesprochen, und gerade das Verhältnis zum universitären Fach Kunstgeschichte erscheint oft nicht geklärt. 1 Cornelius Gurlitt an Wilhelm Gurlitt, Brief 032/158 vom 22. November 1902 (Nachlass Cornelius Gurlitt, Universitätsarchiv TU Dresden). 2 Centralblatt der Bauverwaltung, 22 (1902), H. 41, S. 256  ; vollständiger Text der Bekanntmachung  : »Regierungs-Baumeister Muthesius in London ist nach einer ›mit Auszeichnung‹ bestandenen Prüfung von der Technischen Hochschule in Dresden zum Doctor-Ingenieur ernannt worden. Es ist dies u. W. der erste Fall solcher Ernennung eines Architekten.«

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Andreas Putz

Im Briefwechsel zwischen Muthesius und Cornelius Gurlitt (1855 – 1931), seinem späteren Doktorvater, taucht die Frage einer möglichen »Doktorarbeit« an der Kgl. Sächsischen Technischen Hochschule in Dresden erstmals im Dezember 1900 nachweislich auf, einen Antrag hatte Muthesius zu diesem Zeitpunkt offenbar bereits gestellt.3 Die Möglichkeit einer Promotion im ordentlichen Verfahren eröffnete sich für den preußischen Regierungs-Baumeister jedoch erst mit der sächsischen Diplomprüfungsordnung vom Sommer 1901,4 in der erstmals Bestimmungen für die Anerkennung der bisherigen staatlichen Examensleistungen vorgesehen waren. Entsprechend hatte Muthesius seine Abschlussarbeit des Zweiten Staatsexamens an der Hochbauabteilung in Dresden nochmals einzureichen, eine Vorgabe, die auf beleidigte Ablehnung seitens der Berliner Baubeamtenschaft gestoßen war.5 Für Muthesius, der ohnehin mit dem »Berliner Ministerialbürokratismus« haderte,6 stellte dies aber offensichtlich kein Hindernis dar. Ende des Wintersemesters 1901/02 war aus dem preußischen Regierungs-Baumeister Herrmann Muthesius ein sächsischer Diplom-Ingenieur geworden,7 womit er die formale Voraussetzung für die Erlangung des Grads eines Doktor-Ingenieurs erfüllte. Die Findung eines geeigneten Termins für die Promotionsprüfung in Dresden gestaltete sich schwierig, befand sich Muthesius seit 1896 bekanntlich als technischer Attaché an der deutschen Botschaft in London. Erste Überlegungen für Anfang März 1902 wurden zugunsten eines Termins im Mai aufgegeben.8 Mit Beginn des neuen akademischen Jahres 1902/1903 aber hatte Gurlitt das Dekanat der Hochbauabteilung an der TH in Dresden übernommen, und in dieser Funktion auch die Leitung des Prüfungskolloquiums. Auch wenn von einem förmlich korrekten wilhelminischen Protokoll auszugehen 3 Muthesius an Gurlitt, Brief 079/001 vom 08. Dezember 1900 (Nachlass Cornelius Gurlitt, Universitätsarchiv TU Dresden). 4 Vgl. Centralblatt der Bauverwaltung 21 (1901), H. 77, S. 476. 5 »Der Architektenverein in Berlin hat mit Bedauern davon Kenntniss genommen, dass nach der ersten bisher bekannt gewordenen neuen Diplom-Prüfungsordnung, nämlich derjenigen der Technischen Hochschule in Dresden, behufs Erlangung der Ernennung zu Diplom-Ingenieuren die Regierungs-Bauführer nach Ablegung der ersten Staatsprüfung noch eine sogenannte Diplomarbeit nachliefern […] sollen. Diese Vorschriften entsprechen so wenig den billigen Ansprüchen des höheren Baufaches […]«, in  : Centralblatt der Bauverwaltung 21 (1901), H. 84, S. 516. 6 Muthesius an Gurlitt, Brief 079/004 vom 17. Oktober 1901 (Nachlass Cornelius Gurlitt, Universitätsarchiv TU Dresden). 7 Vgl. Jahrbuch Kgl. Technische Hochschule Dresden 1901/02. Zwei weitere Regierungs-Baumeister, Julius Baer und Walter Dietrich, ließen sich wie Muthesius in diesem akademischen Jahr einen Abschluss zu Diplom-Ingenieuren bescheinigen. Der spätere Doktorand Gurlitts, Otto Schubert, erwarb den DiplomIngenieur als gerade examinierter Regierungs-Bauführer. Fünf weitere Diplom-Ingenieure, unter ihnen zwei zukünftige Dresdner Doktoranden, schlossen ihr Studium in diesem Jahr regulär mit dem DiplomIngenieur ab. 8 Muthesius an Gurlitt, Brief 079/006, vom 4. Februar 1902 (Nachlass Gurlitt, Universitätsarchiv TU Dresden)  ; Gurlitt an Muthesius, Brief vom 5. Februar 1902 (Muthesius Briefnachlass, Werkbund Archiv Berlin).

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ist, lässt der Briefverkehr darauf schließen, dass die Verteidigung für den Kandidaten eher angenehm ausfiel.9 Für die Dissertationsschrift hatten sich Gurlitt und Muthesius zuvor auf dessen Arbeit zum englischen Kirchenbau verständigt. Diese Abhandlung, die bis heute eine gute und über weite Strecken gültige Übersicht über die Entwicklungen und Tendenzen des Kirchenbaus in Großbritannien im 19. Jahrhundert gibt, war zu diesem Zeitpunkt bereits publiziert. Ursprünglich unter dem Titel Der neuere protestantische Kirchenbau in England (1899 – 1900) in der Zeitschrift für Bauwesen als Folge von vier Artikeln erschienen,10 kann sie als späte Entgegnung auf den folgenreichen Bericht Friedrich August Stülers von 1858 über den neugotischen Kirchenbau in England in der gleichen Zeitschrift gelesen werden,11 der sich auch im Nachlass Muthesius’ erhalten hat. Muthesius’ Ausführungen zum Kirchenbau blieben sein einziger Beitrag in der renommierten, seit 1851 publizierten Fachzeitschrift des staatlichen preußischen Bauwesens. Eine nur unwesentlich überarbeitete Fassung von Muthesius’ Artikelserie wurde 1901 als eigenständige Monografie unter dem Titel Die Neuere Kirchliche Baukunst in England (1901) im Hausverlag des preußischen Staatsbauamts von Wilhelm Ernst & Sohn verlegt. Man kann darin ein Indiz für den eigentlichen Auftrag Muthesius’ in London sehen. Seine beiden anderen Monografien aus dieser Zeit, Die englische Baukunst der Gegenwart (1900) und Das englische Haus (1904/05), erschienen bei Cosmos in Leipzig bzw. Ernst Wasmuth in Berlin. Die eigentliche Dissertationsschrift Der Kirchenbau der Englischen Secten (1902) umfasste schließlich aus Gründen der Sparsamkeit nur den letzten Teil über die Bauten der Nonkonformisten und ließ den umfangreicheren ersten Teil über die neugotische Architekturentwicklung der anglikanischen Hochkirche aus. Die wesentlichen Aussagen in den Schlussbemerkungen wurden jedoch im Sinne Gurlitts zugespitzt. Sie finden sich teils wörtlich erneut im ersten Teil von Muthesius’ wegweisender Schrift Stilarchitektur und Baukunst (1902) wieder, die auf zwei Vorträge zurückging, die er im Winter 1901 gehalten hatte. Letztlich diente die Arbeit Muthesius’ dazu, eine These zu untermauern, die von Cornelius Gurlitt und Otto March (1845 – 1913) bereits ein Jahrzehnt zuvor postuliert worden war.12 Aus den Kirchenbauten der Nonkonformisten seien »wertvolle Fingerzeige«   9 »Im April bin ich schon Abtheilungsvorstand. Dann werde ich also auch das Colloquium leiten. Das ist noch amüsierlicher als wenn [Weißbach] es zu tun hätte.« Gurlitt an Muthesius, Brief vom 17. Februar 1902 (Muthesius Briefnachlass, Werkbund Archiv Berlin). 10 Muthesius 1899 – 1900. 11 Stüler 1858. 12 Vgl. Gurlitt 1890a  ; sowie March 1892 und March 1893. Die Anregung, sich mit dem gesamten Kirchenbauwesen in England zu beschäftigen, stammte von March (March 1892, S. 352). Muthesius, der mit March in freundschaftlichem Kontakt stand, widmete ihm denn auch seine Publikation von 1901. March wiederum bat Gurlitt um wohlwollende Rezension von Muthesius’ Werk, vgl. March an Gurlitt, Brief 073/015 vom 27. April 1901 (Nachlass Gurlitt, Universitätsarchiv TU Dresden).

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für die zeitgemäße Lösung neuer Bauaufgaben abzuleiten, so Muthesius, »die sich nicht mehr so ohne weiteres mit der gotischen Phrase lösen lassen werden.«13 Gemeint waren Forderungen und Aufgaben im Kirchenbau, die in Deutschland von der innerevangelischen Reformbewegung ausgegangen waren, die um Pfarrer Emil Sulze (1832 – 1914) in Dresden eines ihrer Zentren hatte. In einer vermeintlichen Rückbesinnung auf die historischen Wurzeln protestantischen Kirchenbaus, Andachtsraum und Predigtsaal, hatte er eine Vorstellung des Kirchenbaus als Gemeindezentrum entworfen, welches die spirituellen, seelsorgerischen und sozialen Bedürfnisse des Gemeindelebens in einer freien architektonischen Komposition zweckentsprechend in sich vereinigen ­sollte.14 Zusammengefasst wurden Sulzes Forderungen in Emil Veesemayers (1857 – 1944) Wiesbadener Programm von 1891.15 Die Diskurse um den protestantischen Kirchenbau, die wenige Jahre später mit Gurlitts Beitrag über Kirchen im Handbuch der Architektur16 und im zweiten Kongress zum evangelischen Kirchenbau in Dresden 1906 in der Abschaffung des Eisenacher Regulativs von 1861 münden sollten,17 hatten für die Vertreter des reformorientierten Lagers in der Architektur die Richtung einer ästhetischen, aber auch beruflichen Erneuerung gewiesen. An die Stelle formelhaften stilistischen Könnens und aufgesetzter Schmuckformen trat die Forderung nach strenger Sachlichkeit, räumlicher Gliederung und Zweckerfüllung, und damit auch nach einem veränderten Verhältnis des Architekten zu seinen Auftraggeberinnen, den Kirchgemeinden. Nur aus diesem Kontext heraus erklärt sich die damalige Relevanz des zunächst befremdlichen Themas der Dissertation Muthesius’. Die historische Würdigung dieser eher eigentümlichen als formschönen Bauwerke bedurfte einer gewissen Faszination für das Hässliche, Grenzwertige und Alltägliche, wozu etwa die Ästhetik eines Friedrich Theodor Vischer Anleitung gab.18 Für die damalige universitäre Kunstgeschichte lagen diese Produkte des neueren Bauschaffens jedenfalls noch sehr fern. Am 20. Mai 1902 erschien im preußischen Centralblatt der Bauverwaltung die Mitteilung, dass Hermann Muthesius an der Kgl. Sächs. Technischen Hochschule zu Dresden als erster deutscher Architekt den Titel eines Doktor-Ingenieurs erworben habe. Jedoch sind die von Muthesius korrigierten Druckfahnen der Dissertationsschrift auf den 20. Mai 1902, also auf den Tag der Erscheinung der öffentlichen Mitteilung, datiert (Abb. 1).19 Offenbar war es Muthesius wichtig gewesen, mit erfolgter mündlicher Prü13 Vgl. Muthesius 1902, S. 59 – 60 und Muthesius 1899 – 1900, S. 516. 14 Vgl. Sulze 1884  ; Sulze 1891  ; Sulze 1893/94. 15 Veesenmeyer 1895. 16 Gurlitt 1906. 17 Vgl. Seng 1995. 18 Vischer 1846 – 1857  ; vgl. Oesterle 2011. Gurlitt hatte während seiner Zeit in Stuttgart bei Vischer studiert und beschrieb ihn auch später noch als prägend, vgl. Gurlitt 1924b, S. 5. In Gurlitts Kreis finden sich wiederholt Verweise, die die anhaltende Relevanz Vischers bezeugen, vgl. u. a. Schumacher 1938. 19 Noch am 30. Mai äußert sich Gurlitt brieflich zu Formalia der Titelseite der Dissertationsschrift, die zu

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Abb. 1  : Hermann Muthesius  : Der Kirchenbau der englischen Secten. Händisch korrigierte Druckfahne der Dissertationsschrift, Datumstempel der Buchdruckerei des Waisenhauses vom 20. Mai 1902. Quelle  : Nachlass Muthesius, Werkbundarchiv Berlin.

fung, aber noch vor formalem Abschluss des Verfahrens, zu dem die Einreichung von 200 Belegexemplaren gehörte, die Promotion gegenüber den Fachkollegen zu verkünden. Noch im Juni 1902 erhielt Muthesius das Angebot einer Professur für Kunstgeschichte an der Großherzoglichen Technischen Hochschule in Darmstadt.20 Statt nach Hessen wechselte er jedoch nach seiner Rückkehr aus London 1904 in das preußische Handelsministerium, verantwortete neben seiner freiberuflichen Tätigkeit als Architekt und Publizist maßgeblich die Reform der Kunstgewerbe- und Fachschulen und trat 1907 eine Professur an der Handelshochschule Berlin an. Zuvor schon hatte sich 1903 der Bund Deutscher Architekten als elitäre Vereinigung freiberuflicher Architekten gegründet, die sich durch freie Entwürfe und künstlerische Befähigung hervorzuheben hatten.21 Cordiesem Zeitpunkt daher noch nicht eingereicht worden sein kann. Brief Gurlitt an Muthesius vom 30. Mai 1902 (Briefnachlass Muthesius, Werkbundarchiv Berlin). 20 A. Weber an Muthesius, Brief vom 26. Juni 1902 (Briefnachlass Muthesius, Werkbundarchiv Berlin). 21 In den Worten Gurlitts  : »Das Ziel ist sehr einfach  : Befreiung der Baukunst und des Baukünstlers von bureaukratischen Einflüssen.« Gurlitt 1921  ; vgl. Gurlitt 1928.

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nelius Gurlitt, der zwar in Berlin, Wien und Stuttgart Architektur studiert hatte, aber über keinen formalen Bildungsabschluss verfügte,22 war eines der Gründungsmitglieder des BDA,23 neben vielen anderen Verpflichtungen von 1920 bis 1926 dessen Präsident und späterer Ehrenpräsident. II. Zur Einführung des Promotionsrechts an den Technischen Hochschulen

Bis heute stellen promovierte Architekt_innen eine Ausnahme dar. Überragende Geltung behauptet das berufliche Selbstbild des autonom schöpferischen Entwerfers,24 das im deutschsprachigen Raum maßgeblich zu Beginn des letzten Jahrhunderts von Protagonisten der Reformbewegung wie Gurlitt und Muthesius propagiert und in den Ausbildungswegen installiert wurde.25 Es bedarf daher einer Erklärung, warum die Erlangung der Doktorwürde unmittelbar nach der Einführung des Promotionsrechts an den Technischen Hochschulen offenbar gerade im reformorientierten Umfeld angestrebt wurde. Denn im Gegensatz dazu stieß die Einführung des Doktor-Ingenieurs besonders auf Seiten der Berliner Baubeamten zunächst auf vehemente und lautstark geäußerte Kritik.26 In der preußischen Baubeamtenschaft muss die Meldung der Promotion Hermann Muthesius’ noch im Mai 1902 als bewusster Affront verstanden worden sein, wurde doch dadurch eine Entwicklung bekräftigt, die die Beamten aus ihrer Vormachtstellung im Fach Architektur endgültig verdrängen sollte. Noch bis zum Ende des Deutschen Reichs erschien den Absolventen der Technischen Hochschulen die freiberufliche Tätigkeit kaum als erstrebenswert.27 Der bevorzugte Karriereweg im Staatsdienst sicherte eine vermeintlich krisenfeste Anstellung und einen höheren gesellschaftlichen Rang. Die Einführung des Promotionsrechts stieß in die laufenden Abgrenzungsbestrebungen zwischen gewerblich tätigen Baumeistern, Privat-Architekten und Baubeamten, die, wie Eckhard Bolenz aufgezeigt hat, zur Herausbildung und Festigung des modernen Berufsbilds des Freien Architekten in Deutschland führen sollte.28 Die 22 Eine der Person und dem umfangreichen Werk Cornelius Gurlitts gerecht werdende wissenschaftliche Biografie liegt bis heute nicht vor. Einen Überblick gibt Paul 2001  ; Paul 2003. 23 Gurlitt war zuvor bereits Gründungsmitglied und Vorstandsmitglied der Vereinigung Berliner Architekten gewesen, der Vereinigung der freischaffenden Architekten in Abgrenzung zum Architektenverein zu Berlin der Baubeamten. 24 Das Selbstbild der Architekten war bei seiner Einführung männlich konnotiert – und ist es leider vielfach bis heute. 25 Vgl. aus den Debatten der Zwischenkriegszeit u. a. Gurlitt 1924a  ; Muthesius 1925  ; Gurlitt 1926  ; Gurlitt 1931. 26 Vgl. die umfangreiche Sammlung Wallé 1902. 27 Vgl. Konter 1982, S. 303  ; Lippert 2007, S. 185. 28 Bolenz 1991.

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Konkurrenz zwischen Privatarchitekten und Baubeamten, die besonders in Berlin deutlich wurde, war bereits 1870 von James Hobrecht (1825 – 1902) als Kampf zwischen Materialismus und Idealismus beschrieben worden.29 Tatsächlich standen die Absolventen der Bauabteilungen der Technischen Hochschulen nicht nur vor der Wahl zweier unterschiedlicher Karrierewege. Anerkennung gegenüber dem mehrheitlich juristisch gebildeten Verwaltungsdienst zu erlangen, war lange das hauptsächliche Anliegen der Vertreter der Baubeamtenschaft gewesen. Eine Gleichstellung erschien aber nur möglich, wenn man den Zugang zum Studium an den Technischen Hochschulen und die Zulassung zur höheren Staatsbauprüfung an das Abitur band, wie dies für die universitären Ausbildungswege der Ärzte, Theologen, Philologen und Juristen verpflichtend war.30 Die verhältnismäßig kleine Elite der oberen Beamtenschaft und akademischen Berufe rekrutierte sich im Deutschen Reich fast ausschließlich aus den Absolventen der Gymnasien. Aufbauend auf einer neuhumanistischen Tradition vermittelten diese – und in Fortsetzung die Universitäten – einen Begriff von Wissenschaft und Bildung mit einseitig philologisch-altertumskundlichem Schwerpunkt. Den hierin geprägten Gymnasial­ leh­rern und Dozenten der Universitäten kam es darauf an, die Fähigkeit zu vermitteln, »ein Stück Vergangenheit in bewährter Methode zu rekonstruieren oder zu interpretieren.«31 Angestrebt wurde die Bildung einer Persönlichkeit und eines intellektuellen Geschmacks, der am altgriechischen und lateinischen Vorbild geschult war. Die Vermittlung kultureller, historisch fundierter Werte zur humanistischen Bildung der zukünftigen technischen Staatsdiener war zunächst auch die vorgebliche Aufgabe der kunstgeschichtlichen Lehre an den Technischen Hochschulen gewesen. Von den praktischen Anforderungen der Gegenwart aber hielt sich dieses Bildungsideal bewusst fern, rationalistisches Nützlichkeitsdenken oder Anwendungsbezogenheit wurden mit Abscheu betrachtet.32 Unabhängig von der und parallel zur neuhumanistischen Tradition der Gymnasien und Universitäten existierte in Deutschland hingegen eine Realschultradition, die Ende des 19. Jahrhunderts auch auf die Reformpädagogik einwirkte.33 Angestrebt wurde hier die Vermittlung praktischer und nützlicher Kenntnisse und Erfahrungen, die in Beruf und Alltag Anwendung finden sollten. Dieses Bildungskonzept ging von einem eigenständigen und selbsttätigen Schüler aus, der intuitiv und aus unmittel-

29 Vgl. Lippert 2007, S. 185 sowie Konter 1982. 30 Vgl. Wallé 1891, S. 27. 31 Fuhrmann 2001, S. 201. 32 Ebd., S.  185 – 186. 33 Einer der Wortführer der Reformpädagogik und Mitbegründer der Wandervogelbewegung war der jüngere Bruder Cornelius Gurlitts, Ludwig Gurlitt (1855 – 1931), der mit Muthesius freundschaftlich verbunden war.

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barer Erfahrung der begreifbaren Welt lernt.34 Obwohl verschiedene Ansätze einer realistischen Bildungstradition seit der Zeit der Aufklärung existierten,35 geht wohl der größte Einfluss auf diese Richtung auf den Pietismus August Hermann Franckes (1663 – 1727) in Halle an der Saale zurück. Nicht zuletzt durch die Tätigkeit der den Francke’schen Stiftungen angeschlossenen Buchdruckerei des Waisenhauses36 sollte der Pietismus weithin Verbreitung finden. Er wurde bestimmend für bürgerliche protestantische Tugenden wie Fleiß, Nützlichkeit, Sorgfalt und Frömmigkeit.37 Durch das ebenfalls angeschlossene Lehrerseminar wurde die Hallenser Gründung darüber hinaus Vorbild für eine Vielzahl an Bürgerschulen, die in den protestantischen Teilen Deutschlands die praxisorientierte Schulbildung des städtischen Bürgertums übernehmen sollte. Dieser Bildungsweg konnte durchaus an die höheren Gewerbeschulen und technischen Bildungseinrichtungen führen, nicht jedoch an die Universitäten und in den Staatsdienst. Die damit verbundene Vormachtstellung der neuhumanistischen Bildungstradition wurde erst im späten 19. Jahrhundert in Frage gestellt. Hinterfragt wurde die übermäßige Rolle, die dem Lateinischen und Altgriechischen im gymnasialen Unterricht zukam und die für moderne Sprachen oder Naturwissenschaft kaum Platz ließ. Wirkmächtige Unterstützung erhielt die Kritik der gymnasialen Bildung durch den jungen Kaiser Wilhelm  II. (1859 – 1941, Regierung 1888 – 1918).38 Die Schulreformen, die in zwei Schulkonferenzen 1890 und 1900 verhandelt wurden39 und die gegen Ende des Jahrhunderts ein dreigliedriges System der Sekundarschulen mit formell gleichem Bildungsabschluss etablierten,40 bedeuteten – unter dem Mantel einer nationalen Rhetorik, die dem Deutschaufsatz und der körperlichen Ertüchtigung besondere Bedeutung zuschrieb – eine Öffnung des Hochschulzugangs für Angehörige der unteren bürgerli-

34 Vgl. Schlagenhauf 1997  ; Schlagenhauf 2004. 35 Zu verweisen ist etwa auf Johann Amos Comenius (1592 – 1670), den letzten Bischof der Böhmischen Brüder, der späteren Herrnhuter Brüdergemeinde, und einen der Väter der neuzeitlichen Pädagogik. Außerhalb der pietistischen Francke’schen Stiftungen, aber in enger Verbindung zu dieser, wurden die ersten Realschulen von Christoph Semmler (1669 – 1740) und Johann Julius Hecker (1707 – 1768) begründet. Insgesamt war das Realschulwesen stark protestantisch geprägt. 36 Hier erfolgte im Übrigen auch der Druck der Dissertationsschrift Hermann Muthesius’. 37 Fuhrmann 2001, S. 92. 38 Vgl. Wilhelm II. Eröffnungsrede zur Schulkonferenz von 1890 in  : Giese 1961, S. 196  ; hinsichtlich der Rolle Wilhelm II. bei der technischen Modernisierung vgl. König 2007. 39 Sogenannte Dezember-Konferenz, preußische Schulkonferenz vom 4. bis 17. Dezember 1890, und sogenannte Juli-Konferenz, preußische Schulkonferenz vom 4. bis 8. Juni 1900 in Berlin. 40 Dem traditionellen, altsprachlichen Gymnasium wurden das reformorientierte, neusprachliche Realgymnasium und die reformierte Oberrealschule, die neu auch Lateinunterricht anboten, formell gleichgestellt. Alle drei Schulformen führten zum Abitur und ermöglichten so Zugang zu den Universitäten und höheren Ämterlaufbahnen, mit Ausnahme der Theologie, für die das gymnasiale Abitur allein verbindlich blieb.

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chen Mittelschicht.41 Dass dennoch auf das humanistische Gymnasium als »die geeignetste Anstalt zur Vorbildung für den juristischen Beruf« verwiesen wurde,42 bezeugt, wie sich das etablierte deutsche Bildungsbürgertum gegen die sozialen Aufsteiger, die Ingenieure und Techniker, zu behaupten suchte.43 Seitens der Baubeamten waren jedoch bereits die Beschlüsse der Dezember-Konferenz von 1890 auf Kritik gestoßen.44 Denn entgegen ihren Bestrebungen sollten Oberrealschüler beim Zugang an die Technischen Hochschulen gegenüber Gymnasiasten bevorzugt werden, wie ihnen auch die Berechtigung zur Staatsprüfung im Baufach zuerkannt wurde. Die Vorbildung an den Oberrealschulen wurde gegenüber den Gymnasien hingegen als minderwertig angesehen, wie Prof. Peter Wallé (1845 – 1904) als Fürsprecher des ›höheren Baufachs‹ festhielt. Er befürchtete, dass dadurch »die Baubeamten doch lediglich zu ›Technikern‹ und Beamten zweiter Klasse herabgedrückt würden. Die Gleichstellung der Regierungs-Baumeister mit den Assessoren ist ein Vermächtnis Kaiser Wilhelm I., das wohl Niemand [im Original gesperrt, Anm. d. Verf.] antasten wollte, daß [sic  !] aber jetzt in Frage kommt.«45

Wallé kritisierte auch, dass die Beschlüsse der Schulkonferenz quasi unter Ausschluss des Baufachs erfolgten, denn der einzige Vertreter der Berliner Technischen Hochschule an der Konferenz war Prof. Hermann Ende (1829 – 1907) gewesen. Ende wirkte mit dem Büro Ende & Böckmann als Privatarchitekt und leitete an der Hochschule ein sogenanntes Meister-Atelier, war also dem Staatsbaudienst fern.46 Eben bei Ende hatte Muthesius studiert und war anschließend von 1891 bis 1893 für dessen Büro in Tokio tätig gewesen. Aber nicht nur die gesellschaftliche Herabsetzung gegenüber dem administrativen und juristischen Staatsdienst wurde seitens der Baubeamten befürchtet. Die Abkehr von der altsprachlich-historischen Bildungstradition erschien auch als Abkehr vom klassischen, stilprägenden Vorbild für die Architektur und stellte ihre mühsam erworbene Rolle am Katzentisch der universitären Wissenschaften in Frage. So schrieb Wallé  : 41 Dies galt jedoch nur für junge Männer. Die Öffnung des Schul- und Hochschulzugangs für junge Frauen verlief davon getrennt. 1896 konnten erste Absolventinnen privater Gymnasialkurse in Berlin die Abiturprüfung ablegen. In fortschrittlichen Baden wurde 1893 das erste Mädchengymnasium eröffnet, 1899 der Zugang von Mädchen an Jungengymnasien erlaubt. Bis 1908 wurden in allen Ländern des Deutschen Reichs Frauen formal die Möglichkeit zum Hochschulstudium eröffnet. 42 Zitiert nach  : Deutscher Reichsanzeiger vom 1. Februar 1902, Erlass zum juristischen Studium  ; siehe Hortleder 1970, S. 78. 43 Vgl. zum Widerstand, der den Ingenieuren in ihrer Bemühung um gesellschaftliche Anerkennung entgegenstand, die Ausführungen des Komponistensohns und Eisenbahningenieurs von Weber 1877, S. 5. 44 Vgl. Wallé 1891. 45 Ebd., S. 27. 46 Ebd., S. 13.

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»Glücklich sind wir dahin gelangt, dass deutsche Architekten – der alten Sprachen mächtig – die Reconstruction der herrlichsten Bauten des Alterthums unserer Zeit zu bieten vermögen, wodurch die Arbeiten der Philologen eine werthvolle Unterstützung finden.«47

Im Vorgriff auf die Schulkonferenz im Juni 1900 verlieh jedoch Wilhelm II. in seiner Eigenschaft als König von Preußen am 11. Oktober 1899 anlässlich der 100-Jahr-Feier der Kgl. Technischen Hochschule Berlin den Technischen Hochschulen in Preußen das Promotionsrecht, die Bedeutung realistischer Bildung und die Erfolge der technischen Wissenschaften betonend.48 Innerhalb kurzer Zeit zogen die anderen Souveräne der deutschen Teilstaaten nach und erteilten ihren jeweiligen Technischen Hochschulen ebenfalls das Promotionsrecht.49 Damit wurden formal die Ingenieurwissenschaften den etablierten akademischen Disziplinen an den Universitäten gleichgestellt.50 Die Kronorder von 1899 führte jedoch nicht nur den neuen Titel eines ›DoktorIngenieurs‹ ein, sondern schuf auch den des ›Diplom-Ingenieurs‹. Auch hierin unterschied sich der neue Doktortitel – in altdeutscher Schrift und mit Bindestrich – von der Promotion an den vier traditionellen Fakultäten der Universitäten (›Doctor t­ heologiae‹, ›Doctor juris‹, ›Doctor medicinae‹, ›Doctor philosophiae‹), die gemeinhin nur den Ausweis des Abschlusses eines dreijährigen Studiums markierten und deren wissenschaftliche Qualität oft beanstandet worden war.51 Hatte ein Diplomabschluss an manchen Bauabteilungen, insbesondere im südwestdeutschen Raum, wie auch in der Schweiz und in Österreich, schon länger bestanden, so handelte es sich bei dem Diplom-Ingenieur um eine Neuschöpfung, die von den bisherigen Abschlüssen zu unterscheiden ist. Tatsächlich waren an den betreffenden deutschen Hochschulen die vorhandenen Diplomabschlüsse akademische Zertifikate für jene gewesen, die sich nicht für die Staatsprüfungen anmelden konnten, insbesondere ausländische Studierende. Gegenüber den 47 Ebd., S. 31. 48 Allerhöchster Erlass betreffend der Verleihung des Rechts zur Erstellung wissenschaftlicher Grade an die Technischen Hochschulen, vom 11. Oktober 1899, in  : Centralblatt der Bauverwaltung XIX (1899), H. 83, S. 501. 49 Entsprechend einer Erhebung durch Friedrich Eiselen in Deutsche Bauzeitung 35 (1901), H. 33, S. 205 – 206 erfolgte die Verleihung des Promotionsrechts in folgender Chronologie  : 11. Oktober 1899 Königreich Preußen (TH Berlin, TH Aachen, TH Hannover), 25. November 1899 Großherzogtum Hessen (TH Darmstadt), 28. Dezember 1899 Großherzogtum Baden (TH Karlsruhe), 12. Januar 1900 Königreich Sachsen (TH Dresden), 22. Januar 1900 Königreich Württemberg (TH Stuttgart), 8. Mai 1900 Großherzogtum Braunschweig (TH Braunschweig), 10. Januar 1901 Königreich Bayern (TH München). Die österreichischen Technischen Hochschulen erhielten mit Verordnung vom 13. April 1901 das Recht, den – von der Benennung im Deutschen Kaiserreich abweichenden – Titel eines Doctor technicae (Dr. techn.) zu verleihen. 50 Vgl. Hänseroth 2003, S. 113. 51 Zur Kritik der universitären Promotionen wiederholt Theodor Mommsen, u. a. Mommsen 1876a  ; Mommsen 1876b  ; vgl. auch Oberbreyer 1878 sowie von Amira 1913. Siehe auch Rasche 2007.

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staatlichen Examen stellten die bisherigen Diplome niedrigere Anforderungen und wurden entsprechend auch als weniger wertig erachtet.52 Die eigentliche Qualifikation, auf die das Studium der Architektur an einer Technischen Hochschule im Deutschen Reich gegen Ende des 19. Jahrhunderts hinführte, war das konsekutive Staatsexamen. Der ersten Staatsprüfung zum Regierungs-Bauführer schloss sich eine mehrjährige praktische Tätigkeit an, bevor die Zweite Staatsprüfung zum Regierungs-Baumeister folgte.53 Dem entgegen bestanden für den Maschinenbau, die technische Chemie und die aufkommende Elektrotechnik an den Technischen Hochschulen keine allseits anerkannten Abschlüsse, mit denen höheren Standards wissenschaftlich fundierter Qualifikation Ausdruck zu verleihen war.54 Indem der königliche Erlass den Diplom-Ingenieur zur Voraussetzung für den Doktor-Ingenieur machte, wurde gleichsam das bestehende System zweier konsekutiver Staatsprüfungen adaptiert. Der wesentliche Unterschied ergab sich jedoch daraus, dass das Vorrecht der Prüfung nicht länger bei den Bauämtern – genauer  : den technischen Prüfungsämtern –, sondern bei den Hochschulen selbst angesiedelt war. Die Titel qualifizierten denn auch für mehr als nur eine Karriere im Amt, nicht zuletzt für die Privatwirtschaft und die Wissenschaft. Die Einführung des Diplom-Ingenieurs resultierte somit in der staatlichen Anerkennung einer von Einmischung weitgehend unabhängigen Prüfung und Bestätigung wissenschaftlicher Qualifikationen. Ob die neuen Abschlüsse auch für das Baufach Anwendung finden sollten, wo es eingeführte Abschlüsse bereits gab, war zu Beginn keinesfalls ausgemacht.55 Während der prestigeträchtige Titel des Doktors lockte, schreckte der bis dato minderwertigere Diplomabschluss ab.56 So mündete der hoheitliche Erlass des Promotionsrechts zwar zeitnah in Promotionsordnungen, die Einführung von Diplomprüfungsordnungen verzögerte sich aber aufgrund des Widerstands der Baubeamten um mehr als zwei Jahre. Erst nach langwierigen Debatten wurde 1902 das Erste Staatsexamen zugunsten der

52 Während die Prüfung zum Regierungs-Bauführer ein vierjähriges Studium voraussetzte, konnten Diplome bereits nach dreijährigem Studium erworben werden. Sie bestanden zumeist aus einer Entwurfsaufgabe, für die den Kandidaten mehrere Wochen Zeit eingeräumt wurde, während die Staatsexamina neben der häuslichen Probearbeit i. W. in Klausur als schriftliche Prüfung in einer Mehrzahl an Fächern abgehalten wurden. 53 Vgl. Konter 1982, S. 297 – 298. 54 Allerdings wurden in diesen Fächern an der TH Berlin seit 1888 Diplome vergeben. 55 Vgl. u. a. den Brief an die Herausgeber in Deutsche Bauzeitung 33 (1899), S. 625 – 626 und die Diskussionen anlässlich der 30. Jahresversammlung des Verbands deutscher Architekten- und Ingenieur-Vereine in Königsberg im August 1901, in  : Centralblatt der Bauverwaltung 21 (1901), H. 68, 1901, S. 417 – 419. 56 Die widersprechenden Argumente können in einer Vielzahl an Artikeln und Leserbriefen in der Deutschen Bauzeitung, dem Verkündigungsblatt des VDAI, und im Centralblatt der Bauverwaltung verfolgt werden. Der Reichstagsabgeordnete Sänger sowie Prof. Wallé erscheinen als Wortführer des Widerstands gegen die Neuregelungen, vgl. Bolenz 1991, S. 134 – 135.

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Anerkennung des Hochschuldiploms abgeschafft.57 Die freiberufliche Tätigkeit beruhte fortan auf der gleichen akademischen Qualifikation wie die Laufbahn im Staatsdienst. Für Muthesius und Gurlitt, der das Gymnasium ohne Abschluss abgebrochen hatte und ohne formalen Bildungsabschluss blieb, bildete die Frage der beruflichen Qualifizierung der Architekten ein zentrales Thema. In ihrem Widerspruch gegen formale Abschlüsse und Examen entsprachen beide den Ansichten im Umfeld von Kunstwart und Dürerbund. Den Autoren des Kunstwarts, so Johannes Heinßen, ging es eben nicht darum, einen humanistischen Bildungskanon wiederzubeleben, sondern die ästhetische Wertschätzung über die Grenzen dessen hinaus zu erweitern, was bisher dem am klassischen Vorbild geschulten Bildungsbürgertum angemessen erschienen war. Die Plattform für die Integration breiter Schichten, die sie damit schufen, beruhte auch auf dem Abbau bisheriger Bildungshürden.58 Auch Gurlitt verwies gerne auf seine Abneigung gegen Prüfungen. »Meine Ansicht als Lehrer war von vornherein, dass in den Abschlussprüfungen von den jungen Baukünstlern zu viel Wissen gefordert wurde.«59 Seine Missachtung für die Normen der gymnasialen Ausbildung und die Prüfungsversessenheit der Hochschule stand nur scheinbar in Widerspruch zu der großen Zahl an Doktorarbeiten, die bei ihm geschrieben wurden, worauf er später in seiner Autobiografie nicht ohne Ironie verweisen sollte.60 III. Umfang und Gegenstand der Promotionen an der Technischen Hochschule in Dresden

Cornelius Gurlitt war 1895 auf eine außerordentliche Professur für ›praktische Ästhetik‹ an der Hochbau-Abteilung der Technischen Hochschule in Dresden berufen worden, mit der besonders die Fortführung der Denkmalinventarisation im Königreich Sachsen verbunden war, die Richard Steche (1837 – 1893) begonnen hatte.61 Erst mit der Übernahme der ordentlichen Professur für ›Baugeschichte und historische Kunstlehre‹ 1899 hielt Gurlitt auch regulär Vorlesungen über Baukunst. Um die Jahrhundertwende sollte Gurlitt schließlich die bestimmende Größe an der Hochbau-Abteilung werden. Zwei57 Bekanntmachung betreffend der Ersetzung der Bauführerprüfung durch die Diplomprüfung und Zulassung der staatlich geprüften Bauführer und Baumeister zur Doctor-Ingenieur-Promotion, in  : Centralblatt der Bauverwaltung 22 (1902), H. 95, 1902, S. 580 und Centralblatt der Bauverwaltung 22 (1902), H. 99, S. 609. 58 Heinßen 2003, S. 339. 59 Gurlitt 1924b, S. 19. 60 Ebd., S. 20. 61 Im Sommersemester 1893 las Gurlitt Stillehre der technischen und tektonischen Künste, Gurlitt selbst bezeichnete es als Geschichte des Kunstgewerbes, siehe Gurlitt 1924b, S. 18  ; allerdings las Gurlitt bereits im Wintersemester 1897/98 über Geschichte der Baukunst des Barock, des Rokoko und der Neuzeit.

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mal, 1904/05 und 1915/16, war er Rektor der Technischen Hochschule. Er bestimmte die Berufungspolitik der Abteilung maßgeblich und konnte eine Reform des Architekturstudiums durchsetzen, die das Lehrangebot für neue Strömungen des Fachs öffnete.62 Auch unterstützte er die Einrichtung von Wahlfächern, wobei er auch sein eigenes Fach als solches ansah. »Ich wollte lieber mit Studenten arbeiten, die für die Sache ein Herz haben, als eine Menge mit durchzuschleppen, der sie gleichgültig, gar lästig war.«63 Gurlitt scheint von Beginn an die Möglichkeiten erkannt zu haben, die sich nach der Jahrhundertwende mit der Promotion für das Fach Architektur und seine eigenen Forschungsinteressen boten. Fritz Schumacher, der von Gurlitt nach Dresden geholt worden war, sollte sich später erinnern  : »Für Gurlitts Art, mutig an große kunstgeschichtliche Probleme heranzugehen, war die Einführung der Doktorarbeit an der Technischen Hochschule eine Notwendigkeit. Jetzt erst hatte er das Instrument, um kunstforschend in die Breite wirken zu können, […] Nachdem ein Muthesius die Reihe der architektonischen Doktoringenieure in Dresden ehrenvoll eröffnet hatte, standen die Kandidaten bald, durch Gurlitts Einfluss herbeigelockt, in langen Reihen vor dem Portal der akademischen Ehren und verlangten eine Eintrittskarte.«64

In einem Brief an seinen älteren Bruder, den Grazer Professor der Archäologie, Wilhelm Gurlitt (1844 – 1905), schrieb Cornelius 1902 weniger pathetisch  : »Ich habe die Freude, dass ich ein paar sehr nette Doktordissertationen herausbringe. In diesem Jahr etwa sechs bis acht. Es sind das die ersten Architekturdoktoren (Dr. ing. arch.) der Welt. Die Kerlchen freuen sich wie die Waldteufel auf ihr Titelchen und schuften ehrlich.«65

Während andernorts die Promotion im Fach Architektur nur schleppend Fahrt aufnahm, sollten an der Hochbau-Abteilung der TH Dresden bis zur Emeritierung Gurlitts im Jahr 1921 tatsächlich fast einhundert Architekt_innen zu Doktor-Ingenieur_innen promoviert werden (Abb. 2). Bei über sechzig Arbeiten wirkte Gurlitt als Erst- oder Zweitgutachter. Der Einfluss, der von seinen Arbeiten auch über die Grenzen Dresdens hinausging, kann kaum überschätzt werden. Noch in der Zwischenkriegszeit sollte Dresden eine mit Abstand führende Rolle bei den Architekturpromotionen im deutschsprachigen Raum einnehmen, und dies, obwohl die Hochbau-Abteilungen der TH Berlin und TH München deutlich mehr Studierende aufwiesen.66 62 Paul 2003, S. 33. 63 Gurlitt 1924b, S. 20. 64 Schumacher 1935, S. 225 – 226. 65 Cornelius Gurlitt an Wilhelm Gurlitt, Brief 032/158 vom 22. November 1902 (Nachlass Cornelius Gurlitt, Universitätsarchiv TU Dresden). Man beachte die abweichende Abkürzung des Titels. 66 Insgesamt sind die Promotionen an den Architekturfakultäten der Technischen Hochschulen nur schlecht

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Abb. 2  : Übersicht der zwischen 1902 und 1913 im Deutschen Reich an den Technischen Hoch­schulen erfolgten Promotionen in Architektur und Bauingenieurwesen, sowie Anzahl der Promotionen in Architektur an der Technischen Hochschule Wien im gleichen Zeitraum (Angaben entsprechend Einzelmeldungen im Centralblatt der Bauverwaltung und der Deutschen Bauzeitung (1902 – 1908), dem fortlaufenden Verzeichnis der wissenschaftlichen Abhandlungen zur Erlangung der Würde eines DoktorIngenieurs bei der Technischen Hochschule im Centralblatt der Bauverwaltung (1909 – 1913), sowie Wal­ ther 1913. Angaben zu Wien entsprechend Doktoranden der Studienrichtung Architektur seit dem Jahre 1902, in  : Aufbau 20 (1965), Oktoberheft (150 Jahre Technische Hochschule Wien – 100 Jahre Bauschule), S. 503. Quelle  : Grafik des Verfassers.

Zu den Dresdner Doktorand_innen der ersten beiden Jahrzehnte gehören einige der wichtigsten Architekturtheoretiker der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts – neben Muthesius etwa Walter Curt Behrendt, Werner Lindner oder Leo Adler – ebenso wie praktisch tätige Architekten – etwa Fritz Block,67 Walter Klingenberg,68 William Dunkel oder Rudolf Kühn.69 Unter den ansonsten männlichen Doktoranden Gurlitts findet sich mit Marie Frommer auch die erste promovierte Architektin.70 Ein nicht geringer Teil der promovierten Dresdner Architekt_innen schlug aber tatsächlich eine wissenschaftliche Karriere ein. Zu den späteren Hochschulprofessoren zählten neben dokumentiert. Eine Ausnahme bildet die TH Danzig, für die Bernhardt 2015 Zahlen vorgelegt hat, die jedoch mit den zeitgenössischen zentralen Statistiken nicht übereinstimmen. Schwierigkeiten der Auswertung liegen u. a. darin, dass die Arbeiten teilweise nur bedingt einzelnen Abteilungen eindeutig zuordbar sind. Auch ergeben sich Unsicherheiten für die Zeit des Ersten Weltkriegs, als viele Verfasser bereits eingereichter Arbeiten im Felde blieben. 67 Block & Hochfeld in Hamburg, Emigration 1938, ab 1938 Los Angeles. 68 Klingenberg & Werner Issel, Industrieanlagen und Kraftwerksbauten. 69 1914 Stadtbaurat Altenburg, 1920 – 1934 in Forst, 1934 – 1937 Breslau, danach Berlin. 70 Ab 1925 freiberuflich in Berlin tätig, Emigration 1936, ab 1946 in New York.

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dem bereits erwähnten William Dunkel (ab 1929 ETH Zürich) etwa Arthur Mäkelt (ab 1929 TH Berlin), Hermann Phleps (TH Danzig), Fritz Rauda (1906 Staatsbauschule Zittau, ab 1924 TH Dresden), Oskar Reuther (1920 Nachfolger Gurlitts an der TH Dresden), Otto Schubert (TH Dresden), Karl Wulzinger (ab 1920 TH Karlsruhe), Walter Mackowsky (TH Dresden) oder Heinrich Sulze (TH Dresden). Die Hälfte der Gründungsmitglieder der 1926 begründeten Koldewey-Gesellschaft (ursprünglich Arbeitsgemeinschaft archäologischer Architekten) waren Schüler Gurlitts  : Walter Andrae, Julius Jordan, Felix Langenegger, Conrad Preusser, Oscar Reuther, Heinrich Sulze, Karl Wulzinger.71 Ebenfalls bauarchäologische Forschungen betrieben Walter Bachmann und William Gerber. Für Bachmann, ab 1920 erster Sächsischer Landeskonservator und Leiter des Amts für Denkmalpflege Sachsen, wies die Promotion den Weg in die Denkmalpflege, ähnlich wie für Aloys Holtmeyer,72 Hugo Rahtgens,73 Fritz Rauda, Hubert Ermisch74 oder Max Zimmermann.75 Eine Beamtenlaufbahn schlug Kurt Biebrach an, einziger Mitarbeiter des Reichskunstwarts Edwin Redslob in der Weimarer Republik und ab 1933 im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda tätig, u. a. als Leiter der Abteilung Beutekunst. In ihrer überwiegenden Zahl handelte es sich bei den Promotionen an der Dresdner Hochbauabteilung in den ersten beiden Jahrzehnten um baugeschichtliche Arbeiten.76 Das thematische Spektrum der Dissertationen reichte von lokalen Themen, wie Alfred Barths Zur Baugeschichte der Dresdner Kreuzkirche (1907), zu eher exotischen Arbeiten wie Karl Döhrings Das Phradechi in Siam (1912). Neue Themengebiete, wie die Geschichte des Gartenbaus (z. B. Hugo Koch  : Sächsische Gärten, 1909) oder neuzeitliche Gebäudetypologien (z. B. Martin Hammitzsch  : Der moderne Theaterbau, 1906) wurden ebenso erschlossen wie bisher unbeachtet gebliebene Regionen (z. B. Max Zimmermann  : Beiträge zur Kenntnis christlicher Baudenkmäler in Bulgarien, 1913). Im Wesentlichen aber können die Arbeiten seiner Doktorand_innen den breit gefächerten Forschungsinteressen und Publikationen Gurlitts zugeordnet werden. Ähnlich wie bei Muthesius’ Arbeit über den englischen Kirchenbau ergeben die vertiefenden Einzelstudien und Fallbeispiele netzwerkartige Verflechtungen mit zeitgenössischen Diskursen, Vorträgen und Artikeln. So spiegelt sich Gurlitts Interesse am Städtebau – er hielt ab 1902 Vorlesungen zum Städtebau und begründete 1910 das Dresdner städtebauliche 71 Armin von Gerkan und Arnold Nöldeke hatten bei Gurlitt studiert, durften aber aus formalen Gründen, beide hatten keinen Abschluss als Diplom-Ingenieure, nicht in Dresden promovieren. 72 1913 – 1926 Bezirkskonservator Kassel, ab 1927 Konservator Erzdiözese Köln. 73 Assistent Paul Clemen in Bonn, 1914 – 1919 Denkmalinventarisation Elsaß-Lothringen, 1919 – 1930 Inven­tarisator in Lübeck. 74 Bis 1942 Leiter Zwingerbauhütte in Dresden. 75 Zwingerbauhütte, 1951 – 1962 deren Leiter. 76 Gurlitt selbst gab zweimal überblicksartig eine Darstellung des Promotionswesens an der Hochbau-Abteilung, vgl. Gurlitt 1910a  ; Gurlitt 1915.

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Seminar mit – in der Arbeit Karl Späths über Die Umgestaltung von Alt-Brüssel (1914), William Dunkels Beiträge zur Entwicklung des Städtebaues in den Vereinigten Staaten von Amerika (1917) oder aber Otto Schillings Innere Stadterweiterung (1915/1921), das als Pendant zu Gurlitts eigenem Handbuch des Städtebaues (1920) zu lesen ist.77 Otto Schuberts umfangreiche Dissertation Geschichte des Barock in Spanien (1908) und Paul Klopfers zweites Buch nach der Dissertation, Von Palladio bis Schinkel (1911), schlossen die von Gurlitt fortgesetzte Reihe der Geschichte der Neueren Baukunst ab. Auch in die laufende Denkmalinventarisierung in Sachsen band Gurlitt seine Studierenden ein, so ist die Dissertation seines langjährigen Assistenten Fritz Rauda, Die mittelalterliche Baukunst Bautzens (1905), eine vertiefende Ergänzung zu den Inventarbänden 31 und 32 zur Amtshauptmannschaft Bautzen (1908), an denen Rauda maßgeblich mitgewirkt hatte. Gurlitts Beteiligung an der Inventarisation in Dalmatien (mit Georg von Kowalczyk  : Denkmäler der Kunst in Dalmatien, Berlin 1910) verhalfen William Gerber zu seinen bauforscherischen Untersuchungen und Rekonstruktionen an altchristlichen Kultbauten in Salona (Wien 1911). Gurlitts nach 1905 ausgeprägtes Interesse an der osmanischen Baugeschichte, der die Publikationen zu Konstantinopel (Konstantinopel, Berlin 1908, Die Baukunst Konstantinopels, Berlin 1907 – 1912) und einige lesenswerte Reportagen aus Kleinasien entstammen, entsprachen die teils abenteuerlichen Berichte, die seine Doktoranden aus Mesopotamien zurück brachten  : Conrad Preussers Nordmesopotamische Baudenkmäler altchristlicher und islamischer Zeit (1911), Bachmanns Kirchen und Moscheen in Armenien und Kurdistan (1913), Karl Müllers Die Karawanserei im vorderen Orient (1920). Oskar Reuthers Das Wohnhaus in Bagdad und anderen Städten des Irak (1910) und Felix Langeneggers Beiträge zur Kenntnis der Baukunst des Irâq (1911) erweiterten maßgeblich die bautechnischen und bauhistorischen Kenntnisse über die Architektur dieser Region und haben ihren Einfluss auf die Projekte des Werkbund-Wettbewerbs zum Haus der Freundschaft in Konstantinopel von 1916 und die babylonisch inspirierten Formenspiele in der Weimarer Republik nicht verfehlt. Die Arbeiten wurden neben der jeweiligen Beschäftigung als Grabungsassistent bei den Ausgrabungen der Deutschen Orientgesellschaft verfasst, wohin beide wie viele andere Dresdner Absolventen auf persönliche Vermittlung Gurlitts gelangten. Der erste, der auf Empfehlung Gurlitts an den Ausgrabungen im Nahen Osten teilnahm, war Walter Andrae gewesen, der mit einer umfangreichen bauarchäologischen Arbeit über den Anu-Adad-Tempel in Assur 1909 promoviert wurde. Insgesamt zeigte sich Gurlitt als umsichtiger Doktorvater, der seine Doktoranden nicht nur vermittelte, sondern auch um die Finanzierung der Reisen, etwa durch die damals noch umfangreichen Mittel der Stiftung der Sächsischen Industrie oder der Friedrich-Siemens-Stiftung, besorgt war. Auch die durch Gurlitt neu geschaffenen Assis­tenzstellen kamen seinen Doktoranden zugute. Als Gurlitt von 1904 bis 1913 in 77 Vgl. Richter 1997.

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den Aufsichtsrat der Ernst Wasmuth AG berufen wurde, flossen, einer Vereinbarung mit dem Kultusministerium entsprechend, die ihm zustehenden Tantiemen ebenfalls der Unterstützung der wissenschaftlichen Arbeiten zu.78 Seine engen Verbindungen in die Verlage wusste Gurlitt für die Veröffentlichung der in seinem Umfeld entstandenen Promotionen zu nutzen. Eine eigene Reihe für ihre Publikation bildete die von ihm ins Leben gerufenen Beiträge zur Bauwissenschaft. Spätere Dissertationen finden sich, teils in gekürzter Fassung, in der von Gurlitt gemeinsam mit Bruno Möhring (1863 – 1926) 1919 begründeten Halbmonatsschrift Stadtbaukunst alter und neuer Zeit wieder. Auch jenseits der Dissertationen erwies sich Gurlitt hier als Förderer des Architekturdiskurses, finden sich doch in dieser Zeitschrift als Beilage auch die Hefte des Frühlichts von Bruno Taut wie die Ausgaben der Farbigen Stadt. Dass jedoch eine große Anzahl an Promotionen keineswegs ein Zeichen für Qualität darstellt, wurde zeitgenössisch auch schon Heinrich Wölfflin (1864 – 1945) vorgeworfen.79 In seiner Berliner Zeit zwischen 1901 und 1913 sollten 27 Kunsthistoriker bei Wölfflin promoviert werden, eine Zahl, die sich durchaus mit derjenigen Gurlitts im gleichen Zeitraum vergleichen lässt.80 Der überragende Historiker Theodor Mommsen (1817 – 1903) hingegen hielt einen Doktoranden alle drei Jahre für dieses Spezialgebiet für angemessener.81 Auch wenn man in Dresden bestrebt war, den Doktorand_innen ein möglichst eng umgrenztes Gebiet zuzuweisen, so ließen doch das weite thematische Spektrum, wie auch die umfangreiche Zahl an Dissertationen, so Gurlitt, den Wunsch des Dozenten in sich zusammenfallen, das Material auf seine Richtigkeit nachzuprüfen. »Die Abteilung oder die Referenten können dies nur dadurch tun, dass sie die Arbeit auf ihre Methode untersuchen  : Die eigentlichen Ergebnisse zu vertreten ist Aufgabe dessen, der sie herbeibrachte.«82 IV. Verhältnis zur Kunstgeschichte an den Universitäten

In Gurlitts eigenen Worten sollten die Doktor-Ingenieure den »Universitäts-Doktoren« keine Konkurrenz machen, sondern in ihren Arbeiten leisten, was jene nicht könnten.83 Worin aber die fachliche Besonderheit der baugeschichtlichen Dissertationen bei Gurlitt – jenseits ihrer schieren Menge – lag, ist keinesfalls einfach zu sagen. Kokettierte er 78 Vgl. Briefwechsel Gurlitt und Kultusministerium im Sächs. Landeshauptarchiv Dresden Nr. 15367  ; »Acta den Professor Dr. Cornelius Gurlitt an der Technischen Hochschule in Dresden betr.« (Sächsisches Staatsarchiv – Hauptstaatsarchiv Dresden). 79 Vgl. autobiografischen Rückblick im Jahr 1944 in Wölfflin 1965. 80 Vgl. u. a. Trommer, Windisch 2010. 81 Wölfflin 1965. 82 Gurlitt 1910a. 83 Ebd.

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selbst doch damit, seinen Doktoranden nie Systematik oder Methodik vorgetragen zu haben.84 Tatsächlich finden sich kaum theoretische Erörterungen im umfangreichen Werk Gurlitts. Eine wiederholte Formel verweist jedoch auf die Bedeutung des Zeichnens und der Bauaufnahme am Objekt. »Das Werk der Architekten und Ingenieure wird weder geschrieben noch gesprochen, noch gerechnet, sondern gezeichnet. Am Zeichenbrett und fast hier allein bestätigt sich sein schöpferischer Geist  : hier denkt und erfindet er, hier baut er auf. […] Er braucht das Zeichnen wie der Dichter das Schreiben  !«85

So waren auch zumeist Bauwerke Ausgangspunkt der Dissertationen, deren zeichnerische Darstellung von Interesse war.86 Die Betonung einer ›zeichnerischen‹ Methode der Techniker war für Gurlitt nicht zuletzt ein Gegenentwurf zur »beschreibenden Wissenschaft« an den Universitäten.87 Es handelt sich im besten Sinn um Darstellungen, die der Herausarbeitung von Wesenheiten aus größeren, komplexen Zusammenhängen dienen. Die »gezeichnete, nicht geschriebene Wissenschaft«88 kam gleichwohl nicht ohne schriftliche Reflektion und Bewertung der erfassten Sachverhalte aus. Zeichnerische Darstellung und Bauaufnahme war bei Gurlitt Mittel der Erkenntnisgewinnung und Vermittlung, nicht Selbstzweck, wie in der berüchtigten Karlsruher Dissertation Karl Grubers (1885 – 1966), Bilder der Entwicklungsgeschichte einer deutschen Stadt von 1914, die kaum mehr als ein Dutzend phantasievolle Perspektivdarstellungen umfasste.89 Die großartigen Bauaufnahmen in vielen der Dresdner Dissertationen – neben den Arbeiten Andraes und Gerbers etwa die drei Arbeiten zu den Klosterbauten der Cisterzienser in Belgien (Berlin 1916) von Eduard Fucker, Willy Zschaler und Erwin Krone – lassen vermuten, dass historische Bauaufnahme in Dresden, wenn auch nicht von Gurlitt persönlich, gelehrt wurde. Tatsächlich wurde sein langjähriger Assistent Fritz Rauda 1924 als außerordentlicher Professor für ›Bauaufnahme und Geschichte der Bau- und Handwerkskunst Sachsen‹ berufen. Die Lehrtätigkeit Gurlitts erfolgte wesentlich in den baugeschichtlichen und städtebaulichen Seminaren, die einen weitaus ergiebigeren Austausch in der Interaktion mit den Studierenden ermöglichten als die Vorlesungen. Viele der Dissertationen hatten ih84 Gurlitt 1924b, S. 20. 85 Gurlitt 1910b, S. 191. 86 Ebd. 87 Cornelius Gurlitt an Wilhelm Gurlitt, Brief 032/159 vom 20. Dezember 1902 (Nachlass Cornelius Gurlitt, Universitätsarchiv TU Dresden). 88 Gurlitt 1915. 89 Tatsächlich hatte die erste österreichische Promotionsordnung »mit fachmännischer Beschreibung und wissenschaftlicher Begründung versehene Konstruktionsentwürfe« als Gegenstand der ingenieurwissenschaftlichen Dissertation benannt, vgl. Wallé 1902.

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ren Ausgang in Referaten, die in diesen Seminaren »mit anschließender Diskussion«90 gehalten wurden. Zentraler Ort und Gegenstand der seminaristischen Tätigkeit bildete – spätestens seit ihrer Neueinrichtung im Hauptgebäude der Hochschule 1905 – die sogenannte ›Sammlung für Baukunst‹ (Abb. 3).91 Gurlitt hatte die bestehende, rudimentäre Sammlung für Baukunst und technische Künste seit 1895 neu ordnen und systematisch ausbauen können, unterstützt seit dem Studienjahr 1896/97 durch einen aus Hochschulmitteln finanzierten Assistenten.92 Ab dem Studienjahr 1902/03 sollte der promovierte Kunsthistoriker Robert Bruck (1863 – 1942) ständiger Mitarbeiter und in Vertretung Gurlitts Direktor der ›Sammlung für Baukunst‹ werden.93 Umfasste die Sammlung 1899 noch 25.000 Blatt Abbildungen als Vorlageblätter und einige Handzeichnungen,94 wurden in den Folgejahren bedeutende Bestände historischer Handzeichnungen als Deposit des Hofbauamts und der Landbauämter erworben und der Bestand an fotografischen Abbildungen deutlich gesteigert.95 Auch die als verpflichtender Bestandteil der Ausbildung angefertigten Bauaufnahmen, die Vorarbeiten und die Ergebnisse der Dissertationen und die Zeichnungen für die Inventarbände wurden nach Besprechung im Seminar integriert.96 1910 verwies Gurlitt nicht ohne Stolz auf einen Umfang der Sammlung von 100.000 Abbildungen und 6000 originalen Planzeichnungen aus dem 16. bis frühen 19. Jahrhundert, zeitgenössische Bauaufnahmepläne und eine umfangreiche Handbibliothek. Zusätzlich war seit 1908 das Kgl. Sächsische Denkmalarchiv als eigenständiger Dokumentenbestand am gleichen Ort untergebracht, welches aus den Akten und Unterlagen der Denkmalkommission bestand.97 Bereits zeitgenössisch fand der überaus umfangreiche Bestand an Abbildungen und Planzeichnungen Würdigung.98 Die Sammlung stand den Studierenden und Dozenten der Hochschule wie auch Externen offen, ein Angebot, welches offenbar reichlich genutzt wurde.99 Darüber hinaus be90 Vgl. z. B. im Bericht über die Königl. Sächs. Technische Hochschule, Dresden zum Studienjahr 1909/10 (Universitätsarchiv TU Dresden), die Liste auf S. 8 – 9. 91 Vgl. zum Ausbau der Sammlung um die Jahrhundertwende Bruck 1906. 92 Jahresbericht der Kgl. Sächs. Technischen Hochschule, Studienjahr 1896/97, Dresden 1897, der die reorganisierte Sammlung erstmals als Teil der Sammlungen und Laboratorien der TH aufzählt und damit ihre erkenntnisorientierte Ausrichtung bezeugt. 93 Robert Bruck habilitierte sich 1903 an der Technischen Hochschule, wo er als Privatdozent ›Geschichte der Künste‹ an der Hochbau-Abteilung lehrte. Ab 1906 Extraordinarius für Kunstgeschichte und ab 1912 Ordinarius für Mittlere und Neuere Kunstgeschichte, später Direktor des Kunsthistorischen Instituts der TH und 1927/28 Rektor. 94 Jahresbericht der Kgl. Sächs. Technische Hochschule, Studienjahr 1898/99, Dresden 1899, S. 9. 95 Jahresbericht der Kgl. Sächs. Technische Hochschule, Studienjahr 1899/1900, Dresden 1900. 96 Gurlitt 1915, S. 27. 97 Gurlitt 1910a, S. 628. 98 Erstmals Jessen 1899. 99 Der Jahresbericht nennt für 1900/01 bereits die stattliche Zahl von 1577 Besuchern. In den folgenden Jahren werden über 3000 Besucher jährlich verzeichnet.

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gann man, Blätter der Sammlung für Studienzwecke und bau- und kunstgeschichtliche Publikationen deutschlandweit auszuleihen. In den Seminaren konnte also unmittelbar an und mit den Plänen und Abbildungen gearbeitet werden, die nicht zuletzt auch aus den Dissertationen weiter vermehrt wurden. Begleitend fanden unter Gurlitt umfangreiche regionale und überregionale Exkursionen statt.100 Die Plan- und Bildsammlung als Arbeitsmittel und Gegenstand eines seminaristischen Lehr- und Forschungsprinzips, in dem Forschungsarbeiten entstanden, Publikationen und Exkursionen vorbereitet und besprochen wurden, bildete tatsächlich einen Gegenpol zu den an den kunsthistorischen Lehrstühlen der Universitäten zeitgleich ins Zentrum rückenden Vorlesungen mit Diaprojektion.101 Hineinversunken ins Dunkle des Vortragssaals, wurde hier das sprichwörtliche ›Erklären von Kunstwerken‹ (Heinrich Wölfflin, Leipzig 1921) anhand der an die Wand geworfenen, ungreifbaren Abbilder zum publikumswirksamen, konsumierbaren Erlebnis. Zuvor waren in den kunsthistorischen Vorlesungen der Universitäten Kunstwerke im Wesentlichen beschrieben, selten noch Mappen zur Anschauung herumgereicht worden. Wie eine Auswertung der Lehrinhalte an der heutigen Humboldt-Universität gezeigt hat, fand in Berlin etwa keine einzige kunsthistorische Vorlesung zwischen dem Wintersemester 1869/70 und Sommersemester 1887 vor einem realen Kunstwerk statt, lediglich ab Wintersemester 1887/88 erfolgten vereinzelte Übungen durch Assistenten vor Originalen.102 Dieser Unterschied der Lehr- und Forschungsmethode muss Gurlitt durchaus bewusst gewesen sein. Er zielt auf den Kern einer Auseinandersetzung unmittelbar vor seiner Berufung nach Dresden zwischen dem ersten Professor für Neuere Kunstgeschichte an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin, Hermann Grimm (1828 – 1901), und dem Generaldirektor der königlichen Museen, Wilhelm von Bode (1845 – 1929), der als ›Berliner Streit‹ in die Geschichte der Kunstgeschichte eingegangen ist. An der Kontroverse, die sich an der Missachtung der vorhandenen Originale in den Berliner Sammlungen durch Grimm und dem Inhalt kunsthistorischer Bildung allgemein entzündete, beteiligten sich bald eine Vielzahl hochrangiger Vertreter des Fachs.103 Gurlitts Haltung findet sich in seiner Rezension von August Schmarsows (1853 – 1936) vermittelnder Position.104 Seiner Meinung nach unterlagen die universitären Kunsthistoriker einem Missverständnis, wenn sie annähmen, dass die Studierenden tatsächlich an Kunstgeschichte interessiert seien. Tatsächlich sei es aber die Kunst selbst, die sie verstehen wollten.105 Mit Bezug auf 100 Erstmals in Jahresbericht der Königl. Sächs. Technischen Hochschule, Studienjahr 1893/94, Dresden 1894, S. 11  ; wie auch in den folgenden Jahresberichten. 101 Zur Diaprojektion vgl. Neubauer 2002/03  ; Dilly 2009. 102 Vgl. Schweers 2010. 103 Vgl.: von Bode 1890a  ; von Bode 1890b  ; Grimm 1891  ; Lange 1891  ; Schmarsow 1891  ; Schumann 1892. 104 Schmarsow 1891  ; Gurlitt 1891. 105 »Nicht Kunstgeschichte will und soll jeder Gebildete in der Nation verstehen lernen, sondern Kunst  !« Gurlitt 1891, S. 392.

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Abb. 3  : Die Sammlung für Baukunst nach ihrer Neueinrichtung im Hauptgebäude der Technischen Hochschule 1905. Quelle  : Bruck 1906, S. 27.

John Ruskin betonte Gurlitt, dass ein Verständnis der Kunst nicht durch Beschreibung oder Illustration eines Ideals, sondern nur durch eigenes künstlerisches Handeln erworben werden könne, oder aber durch die Erfahrung der individuellen künstlerischen Praxis. Für Gurlitt führte der deskriptive kunsthistorische Ansatz in formalistische und normative Systematisierungen und war daher ungeeignet, die tatsächlichen Entwicklungen in der Kunst zu begreifen. Natürlich kritisierte hier Gurlitt zunächst einmal Hermann Grimm und dessen »erkenntnistheoretische Aufwertung der biografischen Gattung«,106 bei dessen ›Intimfeind‹ Anton Springer in Leipzig er selbst in absentia promoviert hatte. Jedoch ist Gurlitts Hadern mit einer von ihm in der Zeit des Kulturkampfs als ›katholisch‹ diffamierten Kunstgeschichte auch als eine generelle Abneigung gegenüber den vorherrschenden idealistischen und neuhumanistischen Tendenzen des Fachs zu werten.107 Gegenüber den kunsthistorischen Systemen seiner Zeit – Heinrich Wölfflins Formanalytik, Alois Riegls Stilanalyse, August Schmarsows Einfühlungsästhetik, Wilhelm Worringers kulturanthropologischen Ansätzen, Aby Warburgs Ikonologie – sollte Gurlitt zeitlebens Abstand halten.108 Auch umgekehrt scheint der fachliche Außenseiter Gurlitt in der Kunstge106 Rößler 2010, S. 75. 107 Vgl. u. a. Gurlitt 1889 und Gurlitt 1890b. 108 Paul 2001, S. 207.

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schichte keinen bleibenden Eindruck hinterlassen zu haben. Spuren seines Wirkens finden sich jedoch durchaus. So basiert die Dissertation Siegfried Giedions (1888 – 1968) Spätbarocker und romantischer Klassizismus von 1922 bei Wölfflin in München in wesentlichen Teilen auf Arbeiten von Schülern Gurlitts, wie das überschaubare Literaturverzeichnis zeigt. Im Gegensatz zu Gurlitts Ansatz geht es in Giedions Epigonenarbeit um die Bestätigung und Ordnung vorhandenen Wissens, nicht um das Hinterfragen eines Modells oder eines Kanons. Bezeichnend auch, dass Giedion darauf verzichtet hat, in seiner Dissertation auf Gurlitt einzugehen, der für die Sattelzeit im Übergang zum 19. Jahrhundert gänzlich andere Prozesse identifizierte, als es die formalanalytische Gegenüberstellung linearer und malerischer Gestaltungselemente erlaubte. Einen anderen Fall stellt die Habilitationsschrift Die Entwicklungsphasen der ­Neueren Baukunst (Leipzig/Berlin 1914) Paul Frankls (1878 – 1962) dar. Frankl hatte sein Architekturstudium in München und Berlin 1904 erfolgreich abgeschlossen. Nach einigen Jahren beruflicher Tätigkeit begann er 1908 ein Studium der Kunstgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München und promovierte dort 1910 bei Ber­thold Riehl (1858 – 1911) mit einer Dissertation über Glasmalerei im 15. Jahrhundert. Die Habilitationsschrift entstand unter dem Eindruck der Sommervorlesungen Wölfflins 1912 in München. Frankls groß angelegte Entwicklungsgeschichte der Architektur kommt ohne Literaturverzeichnis und mit nur wenigen Quellenangaben in den Fußnoten aus,109 allerdings dienten ihm Gurlitts drei Bände zur neueren Baugeschichte offenbar als Reiseführer.110 Die Arbeit zeigt ebenfalls einen gänzlich anderen Weg zu Kunst- und Architekturgeschichte auf als jenen, der bei Gurlitt hätte beschritten werden können, der aber gleichwohl den studierten Architekt_innen an den Universitäten offenstand. V. Stilarchitektur und Baukunst – Stilgeschichte und Bauforschung  ?

Der in langjähriger Tätigkeit für das Feuilleton der Zeitschrift Die Gegenwart geschulte Vielschreiber Gurlitt setzte sich kritisch und diskursiv mit seinen Gegenständen auseinander. Seine vielen Rezensionen zeitgenössischer Publikationen sowie Besprechungen von Gebäuden und städtebaulichen Projekten zeigen ein aufmerksames Gespür für sprachliches und architektonisches Können, ebenso wie für geistige wie gesellschaftliche Kontexte kultureller Schöpfungen. Sicherlich beschränkte sich Gurlitt empirisch auf sinnlich wahrnehmbare, überprüfbare Befunde und schreckte vor philosophischen Erörterungen oder Thesenbildungen zurück. Oft genug dienten die von ihm ans Licht 109 »Die Leser, für die das Buch bestimmt ist, kennen die Literatur oder finden leicht die Wege zu ihr.« Frankl 1914, S. VI. 110 Ebd.

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gebrachten Beispiele zur Falsifikation bestehender Erklärungs- und Theoriemodelle, worin auch ein wesentliches Charakteristikum der bei ihm verfassten Dissertationen zu sehen ist. Die Lust am Widerspruch, an der ironischen und auch selbstironischen Brechung, daran, den Etablierten aus der Rolle des Dilettanten und Emporkömmlings aufzuzeigen, dass es so wie vorgestellt und allseits angenommen doch nicht gewesen sein kann, durchzieht sein gesamtes Werk. Ein weiteres Merkmal ist die wiederholt aufgegriffene Form von Reise- oder Fahrtenberichten, in kleinerer Form auch von Spaziergängen. Hier werden Beobachtungen oder Meinungen im Vorbeigehen lebendig und dialektisch gegenübergestellt. Lesende werden mitgenommen auf eine intellektuelle Bewegung, die oft in einer offenen Frage mündet. Bezeichnend ist für diese Methode Gurlitts die Betonung der Subjektivität der wiedergegebenen Eindrücke, die anschaulich gemachten zeitlichen und räumlichen Bedingungen der Beobachtung.111 Die Architekturgeschichte ist bei Gurlitt kein durchgehendes Band, aus dem sich zukünftige Entwicklungen ableiten ließen. Ihn interessierten kulturhistorische Momente des Wandels, Brüche und Veränderungen, die er schlaglichtartig in den Blick nahm, um die besondere historische Situation seiner Zeit, die er als Transformationsphase begriff, erklären zu können. Nicht Baustile oder Gestaltungsformen werden von Gurlitt erklärt, sondern die Bedingungen des Machens von Architektur. Eher kritisch äußerte sich Alois Riegl  : »Gurlitt scheint überhaupt von der Möglichkeit, durch die Geschichtsforschung allgemein verbindliche Wahrheiten zu ermitteln, sehr skeptisch zu denken, so dass man fast an die fatale Lehre von der Relativität aller sogenannten Wahrheiten erinnert wird.«112

Ging es in der polytechnischen Tradition der Architekturausbildung des 19. Jahrhunderts um die Vermittlung und Bildung eines Wissenskanons, um das Heranzüchten von Könnerschaft, Befähigung in der zielgerichteten Anwendung eines komplexen, aber spezifischen Vokabulars an Lösungen und Formeln, so verweist die Einführung der Promotionen an den Technischen Hochschulen auf die Befähigung zur Forschung als wissenschaftlicher Qualifikation. Neue Erkenntnisse entstehen jedoch aus dem Infrage­ stellen von Wissen. Obwohl die Arbeiten an der Dresdner Hochbau-Abteilung fast ausschließlich einen historischen Gegenstand zum Inhalt hatten, zielten sie nicht auf eine Ausweitung oder Bestätigung des Motivschatzes historistischen Vokabulars ab. Sie stehen gerade im Gegensatz zu dem oben zitierten Bildungsideal Wallés. Das offene, vernetzte Modell von Forschung, das sich in der ›Sammlung für Baukunst‹ Gurlitts 111 Vgl.: »Die Objektiven sind eben Gelehrte, nicht Männer der Wissenschaft, Belehrte nicht Lehrer.« Cornelius Gurlitt an Wilhelm Gurlitt, Brief 032/142 vom 14. Oktober 1900 (Nachlass Cornelius Gurlitt, Universitätsarchiv TU Dresden). 112 Riegl 1902.

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manifestierte, zeigte eine andere Form an als die zeitgleichen synthetisierenden Großprojekte des Handbuchs der Architektur oder der Großinventare der Denkmalerfassung, und war dennoch mit diesen verbunden. Gemäss Bruno Reichlin müssen die Architekt_innen auch heute »mit ihren professionellen und praktischen« Kompetenzen an der Etablierung einer Geschichte der Architektur des 20. Jahrhunderts, die das heutige Baugeschehen integriert, teilnehmen.«113 Diese Geschichte wird erst aus dem gegenseitigen, fachübergreifenden Austausch spannend, und wie die Einführung des Promotionsrechts im Fach Architektur zeigt, sind womöglich die Technischen Universitäten der geeignetste Ort für eine solche wechselseitige Reibung – keineswegs in einer Konkurrenz der Fächer, sondern als Ansporn und Grundlage des gemeinsamen Gesprächs. Literatur von Amira 1913 – Karl von Amira  : Reform der Doktorpromotion, in  : Akademische ­Rundschau. Zeitschrift für das gesamte Hochschulwesen und die akademischen Berufsstände (1913), S. 564 –  585. Bernhardt 2015 – Katja Bernhardt  : Stil – Raum – Ordnung. Architekturlehre in Danzig 1904 –  1945, Berlin 2015. von Bode 1890a – Wilhelm von Bode  : Rembrandt als Erzieher von einem Deutschen, in  : Preussische Jahrbücher 65 (1890) S. 301 – 314. von Bode 1890b – Wilhelm von Bode  : Die neuere Kunstgeschichte auf der Berliner Universität, in  : Preussische Jahrbücher 65 (1890), S. 481 – 483. Bolenz 1991 – Eckhard Bolenz  : Vom Baubeamten zum freiberuflichen Architekten. Technische Berufe im Bauwesen (Preußen/Deutschland, 1799 – 1931), Frankfurt a. M. 1991. Bruck 1906 – Robert Bruck  : Die Sammlung für Baukunst an der Königlich Sächsischen Technischen Hochschule zu Dresden, in  : Taschenbuch der Technischen Hochschule zu Dresden. Wintersemester 1906/07, Dresden 1906, S. 26 – 30. Dilly 2009 – Heinrich Dilly  : Weder Grimm, noch Schmarsow, geschweige denn Wölfflin … Zur jüngsten Diskussion über die Diaprojektion um 1900, in  : Constanza Caraffa (Hg.)  : Fotografie als Instrument und Medium der Kunstgeschichte. Berlin, München 2009, S. 91 – 116. Frankl 1914 – Paul Frankl  : Die Entwicklungsphasen der Neueren Baukunst, Leipzig, Berlin 1914. Fuhrmann 2001 – Manfred Fuhrmann  : Latein und Europa. Geschichte des gelehrten Unterrichts in Deutschland von Karl dem Großen bis Wilhelm II., Köln 22001. Giese 1961 – Gerhadt Giese (Hg.)  : Quellen zur deutschen Schulgeschichte seit 1800, Göttingen 1961. Grimm 1891 – Hermann Grimm  : Das Universitätsstudium der Neueren Kunstgeschichte, Berlin 1891.

113 Reichlin 2012, S. 34.

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Wandlung des Fachs im Zuge der Einführung des Promotionsrechts

Gurlitt 1889 – Cornelius Gurlitt  : Die Gothik und die Confessionen, in  : Die Gegenwart. Wochenschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben 36 (1889), H. 38, S. 179 – 182. Gurlitt 1890a – Cornelius Gurlitt  : Kirchenneubauten in England und Deutschland, in  : Die Gegenwart. Wochenschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben 38 (1890), H. 52, S. 409 – 410. Gurlitt 1890b – Cornelius Gurlitt  : Katholische Kunstwissenschaft, in  : Die Gegenwart. Wochenschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben 37 (1890), H. 24, S. 379 – 380. Gurlitt 1891 – Cornelius Gurlitt  : Die Kunstgeschichte an unserer Hochschule, in  : Die Gegenwart. Wochenschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben 13 (1891), H. 51, S. 391 – 392. Gurlitt 1906 – Cornelius Gurlitt  : Kirchen. Handbuch der Architektur. Vierter Teil  : Entwerfen, Anlage und Einrichtung der Gebäude. 8. Halbband  : Kirchen, Denkmäler und Bestattungsanlagen. Heft 1, Stuttgart 1906. Gurlitt 1910a – Cornelius Gurlitt  : Das Promotionswesen an der Hochbauabteilung der Dresd. Hochschule, in  : Deutsche Bauzeitung 44 (1910), Nr. 77 und 78. S. 610, S. 614 – 616, S. 622, S.  627 – 628. Gurlitt 1910b – Cornelius Gurlitt  : Zur Organisation der Technischen Hochschulen, in  : Sueddeutsche Bauzeitung 20 (1910), Nr. 23, 24 und 26, S. 178 – 180, 189 – 191, 204 – 206. Gurlitt 1915 – Cornelius Gurlitt  : Die baugeschichtlichen Dissertationen der Hochbau-Abteilung. In  : Jahresbericht der Technischen Hochschule Dresden, Studienjahr 1914/15. Dresden 1915, Anlage 3, S. 25 – 34. Gurlitt 1921 – Cornelius Gurlitt  : Der Bund Deutscher Architekten B. D. A., in  : Stadtbaukunst alter und neuer Zeit (1921), H. 8, S. 126 – 127. Gurlitt 1922 – Cornelius Gurlitt  : Beamtete und Selbstständige Architekten, in  : Stadtbaukunst alter und neuer Zeit (1922), H.23, S. 360 – 362. Gurlitt 1924a – Cornelius Gurlitt  : Baubeamter oder Baukünstler  ?, in  : Deutsche Bauzeitung 58 (1924), Nr. 9/10, S. 47 – 48. Gurlitt 1924b – Cornelius Gurlitt  : Cornelius Gurlitt, in  : Johannes Jahn (Hg.), Die Kunstwissenschaft der Gegenwart in Selbstdarstellungen, Leipzig 1924, S. 1 – 32. Gurlitt 1926 – Cornelius Gurlitt  : Zur Ausbildung der Architekten, in  : Stadtbaukunst alter und neuer Zeit 7 (1926), H. 3, S. 33 – 34. Gurlitt 1928 – Cornelius Gurlitt  : Beiträge zur Geschichte des Bundes Deutscher Architekten, in  : Die Baugilde 10 (1928), H. 12, S. 868 – 876. Gurlitt 1931 – Cornelius Gurlitt  : Die Berufsbezeichnung »Architekt«, in  : Die Baugilde 13 (1931), H. 12, S. 1010 – 1012. Hänseroth 2003 – Thomas Hänseroth  : Die »Luxushunde« der Hochschule. Zur Etablierung der Allgemeinen Abteilung im Kaiserreich als symbolisches Handeln, in  : Ders. (Hg.)  : Wissen­schaft und Technik  : Studien zur Geschichte der TU Dresden, Köln, Weimar, Wien 2003, S. 109 –  134. Heinßen 2003 – Johannes Heinßen  : Historismus und Kulturkritik. Studien zur deutschen Geschichtskultur im späten 19. Jahrhundert, Göttingen 2003. Hortleder 1970 – Gerd Hortleder  : Das Gesellschaftsbild des Ingenieurs. Zum politischen Verhalten der Technischen Intelligenz in Deutschland, Frankfurt a. M. 1970. Jessen 1899 – Peter Jessen  : Die Sammlung für Baukunst an der kgl. Technischen Hochschule zu Dresden, in  : Deutsche Bauzeitung 33 (1899), H. 42, S. 270 – 271.

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König 2007 – Wolfgang König  : Wilhelm II. und die Moderne. Der Kaiser und die technischindustrielle Welt, Paderborn, München, Wien, Zürich 2007. Konter 1982 – Erich Konter  : Architekten-Ausbildung im Deutschen Reich, in  : Ekkehard Mai, Hans Pfohl, Stephan Waetzoldt (Hg.)  : Kunstpolitik und Kunstförderung im Kaiserreich. Kunst im Wandel der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Berlin 1982, S. 285 – 308. Lange 1891 – Konrad Lange  : Die Kunstwissenschaften an unseren Universitäten, in  : Die Grenzboten. Zeitschrift für Politik, Literatur und Kunst 4 (1891), H. 50, S. 449 – 467. Lippert 2007 – Hans-Georg Lippert  : Zwischen Kunst und Wissenschaft. Architektenausbildung im 19. Jahrhundert, in  : Henrik Karge (Hg.)  : Gottfried Semper – Dresden und Europa  : Die moderne Renaissance der Künste. Akten des Internationalen Kolloqiums der Technischen Universität, München, Berlin 2007, S. 175 – 186. Magirius 1994 – Heinrich Magirius  : Cornelius Gurlitt – zwischen denkmalpflegerischer Theorie und denkmalpflegerischer Praxis, in  : Denkmalpflege in Sachsen, Mitteilungen des Landesamtes für Denkmalpflege Sachsen 1 (1994), S. 14 – 20. Mommsen 1876a – Theodor Mommsen  : Die deutschen Pseudodoktoren, in  : Preußische Jahrbücher XXXVII (1876), S. 17 – 22. Mommsen 1876b – Theodor Mommsen  : Die Promotionsreform, in  : Preußische Jahrbücher XXXVII (1876), S. 335 – 352. Neubauer 2002/03 – Susanne Neubauer  : Sehen im Dunkeln – Diaprojektion und Kunstgeschichte, in  : Georges-Bloch-Jahrbuch des Kunsthistorischen Instituts der Universität Zürich (2002/03), Bd. 9/10, S. 177 – 189. March 1892 – Otto March  : Über evangelischen Kirchenbau in England, in  : Deutsche Bauzeitung 26 (1892), H. 59, S. 352 – 354 und H. 61, S. 361 – 363. March 1893 – Otto March  : England und Nordamerika, in  : Vereinigung Berliner Architekten [K. E. O. Fritzsch] (Hg.)  : Der Kirchenbau des Protestantismus von der Reformation bis zur Gegenwart, Berlin 1893, S. 489 – 530. Muthesius 1893 – Hermann Muthesius  : Ist die Architektur eine Kunst oder ein Gewerbe  ?, in  : Centralblatt der Bauverwaltung 13 (1893), H. 32, S. 333 – 335. Muthesius 1899 – 1900 – Hermann Muthesius  : Der neuere protestantische Kirchenbau in England, in  : Zeitschrift für Bauwesen 49 (1899), H. VII–IX, Spalte 361 – 402, H. X–XII  ; Spalte 485 – 554, Zeitschrift für Bauwesen 50 (1900), H. VII–IX, Spalte 301 – 344, H. X–XII, Spalte 455 – 492. Muthesius 1902 – Hermann Muthesius  : Der Kirchenbau der Englischen Sekten, Halle a. d. Saale 1902. Muthesius 1925 – Hermann Muthesius  : Die Erziehung des baukünstlerischen Nachwuchses, Berlin 1925. Oberbreyer 1878 – Max Oberbreyer (Hg.)  : Die Reform der Doctorpromotion. Statistische Beiträge, Eisenach 1878. Oesterle 2011 – Günter Oesterle  : An den Grenzen des Ästhetischen. Friedrich Theodor Vischers Arbeit an einer Kulturgeschichte und an Inklusionen/Exklusionen des Hässlichen, in  : Barbara Potthast, Alexander Reck (Hg.)  : Friedrich Theodor Vischer. Leben – Werk – Wirkung, Heidelberg 2011, S. 231 – 248. Paul 2001 – Jürgen Paul  : Cornelius Gurlitt (1850 – 1938), in  : Johannes Rohbeck, Hans-Ulrich

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Wandlung des Fachs im Zuge der Einführung des Promotionsrechts

Wöhler (Hg.)  : Auf dem Weg zur Universität. Kulturwissenschaften in Dresden 1871 – 1945, Dresden 2001, S. 196 – 217. Paul 2003 – Jürgen Paul  : Cornelius Gurlitt. Ein Leben für Architektur, Kunstgeschichte, Denkmalpflege und Städtebau, Dresden 2003. Riegl 1902 – Alois Riegl  : Rezension  : Eine neue Kunstgeschichte. Über C. Gurlitt, Geschichte der Kunst, 1901, in  : Wiener Abendpost, 20. Januar 1902. Rasche 2007 – Ulrich Rasche  : Geschichte der Promotion in absentia. Eine Studie zum Modernisierungsprozess der deutschen Universitäten im 18. und 19. Jahrhundert, in  : Rainer Christoph Schwinges (Hg.)  : Examen, Titel, Promotionen. Akademisches und staatliches Qualifikationswesen vom 13. bis zum 21. Jahrhundert, Basel 2007, S. 275 – 351. Reichlin 2012 – Bruno Reichlin  : Überlegungen zur Erhaltung des architektonischen Erbes des 20. Jahrhunderts, in  : Elise Feiersinger, Andreas Vass, Susanne Veit (Hg.). Bestand der Moderne. Zürich 2012, S. 30 – 39. Richter 1997 – Gerhard Richter  : Cornelius Gurlitt. Lehrer und Förderer der städtebaulichen Aus- und Weiterbildung an der Technischen Hochschule Dresden, Dresden 1997. Rößler 2010 – Johannes Rößler  : Erlebnisbegriff und Skioptikon. Hermann Grimm und die Geisteswissenschaften an der Berliner Universität, in  : Horst Bredekamp, Adam S. Labuda (Hg.)  : In der Mitte Berlins. 200 Jahre Kunstgeschichte an der Humboldt-Universität, Berlin 2010, S.  69 – 90. Schlagenhauf 1997 – Wilfried Schlagenhauf  : Historische Entwicklungslinien des Verhältnisses von Realschule und Technischer Bildung, Frankfurt a. M. 1997. Schlagenhauf 2004 – Wilfried Schlagenhauf  : Ansätze einer technikbezogenen Bildung in Schulkonzepten um 1700, in  : Lars Bluma, Karl Pichol, Wolfhard Weber (Hg.)  : Technikvermittlung und Technikpopularisierung. Historische und didaktische Perspektiven, Berlin 2004, S. 197 –  211. Schmarsow 1891 – August Schmarsow  : Die Kunstgeschichte an unseren Hochschulen, Berlin 1891. Schumacher 1935 – Fritz Schumacher  : Stufen des Lebens. Erinnerungen eines Baumeisters, Stuttgart 1935. Schumacher 1938 – Fritz Schumacher  : Der Geist der Baukunst, Stuttgart 1938. Schumann 1892 – Paul Schumann  : Die Kunstgeschichte an unseren Hochschulen, in  : Kunstwart. Rundschau über alle Gebiete des Schönen 5 (1892), S. 109 – 112. Schweers 2010 – Simone Schweers  : Kunstgeschichte und (Aus-)Bildung  ? Das Studium vor Originalen 1810 – 1910, in  : Horst Bredekamp, Adam S. Labuda (Hg.)  : In der Mitte Berlins. 200 Jahre Kunstgeschichte an der Humboldt-Universität, Berlin 2010, S. 147 – 157. Seng 1995 – Eva-Maria Seng  : Der evangelische Kirchenbau im 19. Jahrhundert. Die Eisenacher Bewegung und der Architekt Christian Friedrich von Leins, Tübingen 1995. Stüler 1858 – Friedrich August Stüler  : Ueber den Bau neuer evangelischer Kirchen in England, mit besonderer Rücksicht auf den Kirchenbau unseres Landes, in  : Zeitschrift für Bauwesen 8 (1858), Sp.  373 – 410. Sulze 1884 – Emil Sulze  : Über die Aufgaben der Evangelischen Kirche gegenüber den sozialen Fragen der Gegenwart, Dresden 1884. Sulze 1891 – Emil Sulze  : Die evangelische Gemeinde, Zimmers Handbibliothek der praktischen Theologie, Gotha 1891.

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Sulze 1893/94 – Emil Sulze  : Der evangelische Kirchenbau, Anhang zum Correspondenzblatt der Ev. Conferenz f. das Grossh. Hessen 9 (1893/94). Trommer, Windisch 2010 – Vivien Trommer, Laura Windisch  : »… in den allgemeinen Verhältnissen wohl unterrichtet«. Untersuchungen zur kunstgeschichtlichen Promotion um 1900, in  : Horst Bredekamp, Adam S. Labuda (Hg.)  : In der Mitte Berlins. 200 Jahre ­Kunstgeschichte an der Humboldt-Universität, Berlin 2010, S. 159 – 170. Veesenmeyer 1895 – Emil Veesenmeyer  : Der Kirchenbau des Protestantismus und das sogenannte Wiesbadener Programm, in  : Evangelisches Gemeindeblatt (1895), acht Aufsätze ab Heft 15. Vischer 1846 – 1857 – Friedrich Theodor Vischer  : Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen, 9 Bde., Stuttgart 1846 – 1857. von Weber 1877 – Max Maria Freiherr von Weber  : Die Stellung der deutschen Techniker im staatlichen und sozialen Leben, in  : Populäre Erörterungen von Eisenbahn-Zeitfragen, Kap. VI, Wien, Pest, Leipzig 1877. Wallé 1891 – Peter Wallé  : Die Schulconferenz und das Baufach. Eine zeitgemäße Beleuchtung der Dezemberbeschlüsse, Berlin 1891. Wallé 1902 – Peter Wallé (Hg.)  : Materialien zur Kritik des Doctor-Ingenieurs. Ein Beitrag zum Promotionsrecht der Technischen Hochschulen, Berlin 1902. Walther 1913 – Carl Walther (Bearb.)  : Bibliographie der an den deutschen Technischen Hochschulen erschienenen Doktor-Ingenieur-Dissertationen in sachlicher Anordnung 1900 bis 1910, Berlin 1913. Wölfflin 1965 – Heinrich Wölfflin  : Rückblick. Rede am 09. März 1944 im Zürcher PEN-Klub, Nachschrift von Gotthard Jedlicka, in  : Gotthard Jedlicka (Hg.)  : Heinrich Wölfflin, Erinnerungen an seine Jahre in Zürich (1924 – 1945), Zürich 1965, S. 35 – 44.

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Neues auf alten Wegen Italienreisen der Technischen Hochschule Wien um 1900

Oskar Strnad, Oskar Wlach und Josef Frank studierten an der TH Wien zur selben Zeit und unter denselben Lehrern, um schließlich die erst seit 1901 bestehende Möglichkeit zu ergreifen, den Titel eines ›Doktors der technischen Wissenschaften‹ zu erwerben. Ihren Dissertationen ist ein Interesse für die Inkrustationsarchitektur der sog. ›Proto­ renaissance‹ sowie für die Bauten des Leon Battista Alberti in Florenz gemeinsam. Aus­ gehend vom Fall der drei Studenten fragt der Beitrag nach dem spezifischen Wiener Kontext um 1900, der Funktion der italienischen Kunstgeschichte und der Italienreisen im Curriculum der Studierenden, dem Verlauf dieser Reisen, schließlich nach ihrer Be­ deutung für das Programm einer ›gemäßigten‹ Moderne.

Als Student der Architektur nach Italien zu reisen war zu Beginn des 20. Jahrhunderts keine Selbstverständlichkeit mehr. Der Architekt Otto Wagner (1841 – 1918) riet den Schülern seiner »Specialschule für Architektur« an der Akademie der bildenden Künste in Wien davon ab. In seinen Lehrbüchern Moderne Architektur (1896) bzw. Die Baukunst unserer Zeit (4. Auflage 1914), im Abschnitt über die Ausbildung des Architekten, bemerkt er, dass er die nach dem Studium übliche Reise in den Süden nicht billige  : »[…] Eine Reise nach Italien, um dort Aufnahmen gewöhnlich ganz unrichtig gewählter Bauwerke anzufertigen, kann nur als Zeichenübung angesehen werden  ; diese aber – wie es häufig der Fall ist – dazu zu benützen, um eine Sammlung von Architekturmotiven anzulegen, deren Inhalt nach der Rückkehr bei jeder Gelegenheit à tout prix verwendet werden soll, ist fast als Verbrechen, sicher als Fehler zu bezeichnen.«

Gleichwohl rechtfertige »ein gewisses Sehnen nach Freiheit und Schauen, das sich in diesem Lebensalter [nach Abschluss des Studiums] immer einstellt«, eine Reise  ; und »dass eine solche Reise vorerst nach Italien geht, möchte ich beinahe anraten. Der hier angedeutete Zweck ist aber in 3 – 5 Monaten [statt der üblichen zwei Jahre] völlig erreicht  ; nach etwa einmonatiger Rast mögen vom Kunstjünger die Großstädte und jene Orte, wo

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moderner Luxus zu Hause ist, aufgesucht werden und dort möge er sich im Schauen und Wahrnehmen der Bedürfnisse der modernen Menschheit gründlich einüben.«1

Einem seiner Schüler, Aloys Ludwig, der ihn um Unterstützung bei der Erlangung eines Reisestipendiums für Italien bat, soll Wagner entsprechend geantwortet haben  : »Schauen S’ Ihnen den alten Dreck nicht zu lange an, fahren S’ lieber nach Paris und schauen Sie sich dort um.«2 I. Kunst- und architekturgeschichtlicher Unterricht

An der Technischen Hochschule Wien unter Karl König (1841 – 1915) hingegen wurden angehende Architekten zeitgleich nicht nur zu über 500 Unterrichtsstunden in historischer Bauformenlehre, Architekturgeschichte und Zeichnen nach historischen Vorlagen verpflichtet, sondern ihnen wurden auch regelmäßig »Excursionen« nach Italien angeboten  ; ja die Studenten der TH konnten sogar einen italienischen Sprachkurs und (bis zum Studienjahr 1908/1909) Vorlesungen über italienische Literatur (»im Zusammenhange mit der Entwicklung der italienischen Kunst«) besuchen.3

Ich bedanke mich herzlich bei Dr. Paulus Ebner, Leiter des Universitätsarchivs der TU Wien, für seine freundliche Unterstützung bei der Recherche und für wertvolle Hinweise. 1 Wagner 1896  ; hier zit. nach der 3. Auflage, Wien 1902, S. 39 – 43, 41 f. Der Passus findet sich identisch in der 4. Auflage von 1914  : Wagner 1914, S. 26 f. 2 Zit. nach Sekler 1982, S. 17. Der Rompreis wurde freilich weiterhin vergeben. Zu den Italien-Reisen der Wagner-Schüler siehe – neben den einschlägigen Monografien zu Joseph Maria Olbrich, Josef Hoffmann, Leopold Bauer, Jan Kotěra und Jože Plečnik – Garms 1999  ; Cardamone 2005, S. 95 – 97. Wagner selbst hat während seiner Tätigkeit an der Akademie zwischen 1894 und 1915 nie eine Exkursion nach Italien unternommen, im Gegensatz zu seinem Vorgänger Carl Hasenauer und zu den Professoren der anderen »Specialschule für Architektur«, Viktor Luntz (1891 – 1903) und Friedrich Ohmann (1904 – 1923). Aus der Meisterklasse des Letzteren, der zuvor (1885 – 1888) Karl Königs Assistent an der TH gewesen war, finden sich die meisten italienischen »Reise-Aufnahmen« in den Mittheilungen der Architekten-Vereinigung Wiener Bauhütte. 3 Beide Kurse für Hörer aller Studienrichtungen wurden jedes Semester angeboten und von Philipp Zamboni gehalten, Privatdozent für italienische Literatur und Lektor für italienische Sprache (und Professor an der Handelsakademie  ; an der TH wurde vom Professorenkollegium mehrmals vergeblich beim Ministerium der Titel eines ao. Prof. beantragt  ; TU Wien, Universitätsarchiv [TUWA], Personalakt [PA] Zamboni). Bei seiner »Resignation« im Studienjahr 1908 – 1909 wurde die Stelle eines Lektors für italienische Sprache mit Carlo Battisti neu besetzt  ; während die Weiterführung der Vorlesung zur italienischen Literatur vom Ministerium für Kultus und Unterricht abgelehnt wurde, »weil eine Notwendigkeit für Vorlesungen über italienische Literatur an der Wiener technischen Hochschule nicht besteht.« TUWA, PA Battisti, R.Z. 1341 – 1908/09. – Das Vorlesungsverzeichnis der TH vermerkt bisweilen zur Vorlesung über italienische Literatur  : »Geschichte der italienischen Literatur im Zusammenhange mit der Entwicklung der italienischen Kunst.« Siehe beispielsweise Die K. K. Technische Hochschule in Wien. Programm für das

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Der Studienplan hatte sich seit dem späten 19. Jahrhundert nicht geändert und sah bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges folgende verpflichtende Kurse vor  : 1. Jahr  : Architektonische Formenlehre (Propädeutikum der Baukunst  ; 3 Semesterwochenstunden  ; Karl Mayreder) und Architektonisches Zeichnen I. Teil (Mayreder  ; 12 Semesterwochenstunden)  ; 2. Jahr  : Architekturgeschichte I. Teil (Joseph Neuwirth  ; 4 Semesterwochenstunden) und Architektonisches Zeichnen II. Teil (Mayreder  ; 20 Semesterwochenstunden), wobei das Vorlesungsverzeichnis als Inhalt des zweijährigen Zeichenkurses die »Darstellung des griechischen Tempelbaues und der römischen Säulenordnungen und Bogenstellungen nach Beispielen der classischen Baukunst« angibt  ; 3. Jahr  : Architekturgeschichte II. Teil (Neuwirth  ; 4 Semesterwochenstunden) und Baukunst des Altertums (Karl König  ; 6 Semesterwochenstunden)  ; 4. Jahr  : Altchristliche Baukunst und Baukunst des Mittelalters (Max von Ferstel  ; 4 Semesterwochenstunden)  ; 5. Jahr  : Baukunst der Renaissance (König  ; 4 Semesterwochenstunden).4 Hinzu kam der von König und Ferstel geleitete obligatorische dreijährige Kurs Architektonische Zeichnungs- und Kompositionsübungen (I. Teil  : 3. Jahr, König, 16 Semesterwochenstunden  ; II. Teil  : 4. Jahr, ­Ferstel, 21 Semesterwochenstunden  ; III. Teil  : 5. Jahr, König, 24 Semesterwochenstunden). Ursprünglich waren auch die »kunstwissenschaftlichen« Vorlesungen Ästhetik der bildenden Künste (Joseph Bayer, ab 1902 Friedrich Jodl  ; 4 Semesterwochenstunden) und Malerische Perspektive (Mayreder  ; 6 Semesterwochenstunden) verpflichtend vorgesehen, aber ab dem Studienjahr 1902/1903 war ihr Besuch nur noch »empfohlen«. Ergänzt wurde dieses umfangreiche Pflichtprogramm von Wahlfächern zur Architektur- und Kunstgeschichte, insbesondere Österreichs, Deutschlands und Italiens, und hier insbesondere der Renaissance und des Barock, die von den Privatdozenten Hermann Egger und Cyriak Bodenstein gehalten wurden. Das Angebot weist insgesamt einen Schwerpunkt in der griechisch-römischen Antike und der italienischen Hochrenaissance auf und ist deutlich vom österreichischen Späthistorismus im Allgemeinen und von Königs ›barocker Neorenaissance‹ geprägt.5 Studienjahr 1900–1901, Wien 1900, S. 143. Vgl. Joseph Neuwirth, B. Sprachen und Literaturgeschichte, in  : Neuwirth 1915, S. 559  : »Am 11. August 1871 wurde die Bestätigung des Dr. Philipp Zamboni zum Privatdozenten und am 14. Oktober seine Ernennung zum Lehrer der italienischen Sprache mit einer Lehrverpflichtung von sechs Wochenstunden vollzogen. Seine Dozentenbestätigung hob hervor, dass er in seinen Vorlesungen besonders die älteren Autoren über Kunst und technische Gegenstände berücksichtigen solle. Im Sinne dieses Auftrages erscheinen darunter Übungen aus den technischen und architektonischen Abhandlungen des F. [Francesco di] Giorgio Martini, eines sienesischen Architekten des 15. Jahrhunderts, und Vorlesungen über Leonardo da Vinci und Benvenuto Cellini als Schriftsteller.« 4 Zu den an der TH Wien unterrichteten architektur- und kunstgeschichtlichen Fächern und Kursen und den vorgeschriebenen Studienplänen siehe Programme der Technischen Hochschule in Wien 1872 – 1903  ; Lektionskataloge, Studienpläne und Personalstände der Technischen Hochschule in Wien 1903 – 1906  ; Vorlesungsverzeichnisse, Studienpläne und Personalstände der Technischen Hochschule in Wien 1907 – 1937  ; Bibliothek der TU Wien, Sign. 4800 I. Siehe auch Neuwirth 1915, S. 523 – 541. Vgl. Long 2001. 5 Vgl. Karl Königs Antrittsrede als Rektor des Studienjahres 1901/1902, welche er mittels einer Eloge auf

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II. Exkursionen

Dieselbe Schwerpunktsetzung weisen auch die Exkursionen der Bauschule der TH Wien auf, welche neben Österreich insbesondere nach Norditalien, aber auch nach ­Florenz, Rom und Süditalien führten. Zur Rekonstruktion ihrer Frequenz und ihrer Wege stehen, neben einzelnen verstreuten Nachrichten, die Jahresberichte der Rektoren, die »Dienst-Tabellen« und Curricula Vitae der Professoren sowie die studentischen »ReiseAufnahmen« zur Verfügung, welche in regelmäßigen Abständen in der Wiener Bauhütte veröffentlicht wurden  ; schließlich einige wenige Reiseskizzenbücher und -blätter, welche sich im Archiv der TU Wien erhalten haben.6 Die wichtigste Quelle stellen sicherlich die »Verzeichnisse der fachwissenschaftlichen Excursionen« dar, welche einen Teil der Reden des abtretenden Rectors bzw. (ab dem Studienjahr 1880 – 1881) der Jahres-Berichte bildeten, die jährlich gemeinsam mit der Rede des neuen Rektors zur Eröffnung des Studienjahres von der TH Wien in Druck gegeben wurden. Aus ihnen erfahren wir beispielsweise, dass – nachdem bereits Ferstels Assistent August Gunolt in der ersten Augusthälfte mit den Hörern des 3. und 4. Studienjahres nach Oberitalien (Venedig, Vicenza, Palladiovillen, Verona) gefahren war – König in der zweiten Hälfte des August 1874 mit den Hörern des 1. und 2. Jahres eine Studienreise nach Pola und Spalato unternommen hatte und vom 28. September bis zum 15. Oktober noch einmal »mit den Hörern der Bauschule« nach Istrien und Gottfried Semper zu einer langen Apologie der »Stoffverneinung« und der Neorenaissance sowie eines entsprechenden Unterrichtes nutzte  ; König 1901, S. 48  : »Er [Semper] erkennt der Hochrenaissance eine entschiedene Ueberlegenheit im Vergleiche mit allem Vorherdagewesenen zu, selbst die griechische Baukunst nicht ausgenommen […]. Die Zeit zwischen Bramante und den Architekten des Barockstils gilt ihm neben der des Phidias als diejenige, welche sich allein von allem Barbarenthum lossagte. Wiederholt hebt er das Princip der Stoffverneinung hervor, durch welches die Formenbildung der classischen Kunst beherrscht sei. Den Gothikern, – er nennt sie die Materiellen – die den Stoff und die technischen Bedingungen als formbestimmende Faktoren in den Vordergrund stellen, tritt er mit Entschiedenheit entgegen und verweist auf das Beispiel der Natur, die den Knochenbau der höher organisierten Thiere verhülle, ohne ihm durch die sichtbare Erscheinung zu widersprechen.« – Vgl. Fabiani 1915a, S. 61  : König habe »einen unbegrenzten Respekt für die entwickelte Griechische Kunst und für die italienische Hochrenaissance” gehabt. Fabiani 1915b, S. 34  : »Die italienische Renaissance übte einen mächtigen Einfluss auf ihn [König] aus und fortan war er der begeistertste Verkünder derselben in Wort und Tat.« – Karl König (1841 – 1915) war ab 1866 Assistent von Heinrich von Ferstel, ab 1873 außerordentlicher und ab 1875 ordentlicher Professor für ›Propädeutik der Baukunst‹ (›Architektonische Formenlehre‹). Nach dem Tod Ferstels 1883 übernahm er dessen ›Lehrkanzel für Baukunst‹, welche 1885 in die ›Lehrkanzel für Altchristliche und Mittelalterliche Baukunst‹ (Victor Luntz  ; seit 1892 Max von Ferstel) und ›Lehrkanzel des Altertums und der Renaissance‹ (Karl König) aufgeteilt wurde. 1901 – 1902 übernahm König das Rektorat, 1913 emeritierte er. Siehe Kristan 1999, S. 21 – 26  ; vgl. Welzig 1998, S. 13 – 16  ; Long 2001  ; Long 2002, S. 6 – 11  ; auch König 1910. 6 Beispielsweise zwei Skizzenhefte von Friedrich Leonhard von einer Florenz-Reise im Jahre 1893  ; TUWA, NL Friedrich Leonhard, W2 und W3  ; Cardamone 2005, S. 102 – 103. Vgl. Anm. 50.

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Dalmatien gereist war.7 Am Ende der Sommerferien 1876 unternahm König mit seinen Studenten eine 14-tägige Reise nach Venedig. (»Die zahlreichen an Ort und Stelle gefertigten Skizzenblätter bilden ein werthvolles Material für die Studien in den Zeichensälen, deren Resultate wie bisher durch den Verein ›Wiener Bauhütte‹ publiziert werden.«8). Für die Sommerferien der beiden folgenden Jahre ist jeweils eine »grössere Excursion nach Oberitalien und Toscana« unter der Leitung Königs vermerkt.9 Und auch 1879 fuhr König wieder »mit den Hörern der Bauschule« vom 20. September bis zum 10. Oktober nach Oberitalien. »Das Programm […] umfasste das Studium der wichtigsten Baudenkmale in Verona, Brescia, Mailand und Umgebung, Piacenza, Bologna und Venedig. […] Das Ergebnis dieser Excursion besteht in nahe an 200 Skizzenblättern, welche den Arbeiten in den Constructionssälen während des Studienjahres als Grundlage zu dienen bestimmt sind.«10

Auf diese Praxis des Sammelns von Vorbildern und Vorlagen für Unterricht und Entwurf an der TH war sicherlich Wagners eingangs zitierte Ablehnung der Italienreise gemünzt, in welcher er »eine Sammlung von Architekturmotiven anzulegen« als »Verbrechen« und »Fehler« bezeichnet.11 Die Exkursionen der TH Wien in den drei letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts hat bereits Caterina Cardamone gut nachgezeichnet.12 Für die Jahre nach 1900 erweist  7 Reden gehalten bei der feierlichen Inauguration des für das Schuljahr 1874/75 gewählten Rectors …, Wien 1874, S. 6 f. Vgl. Fabianis Nachruf auf König, Fabiani 1915b, S. 34  : »[…] Außer diesen Lehrverpflichtungen wurde König im Jahre 1878 die Abhaltung der Vorlesungen über die Baukunst des Altertums und der Unterricht in den zugehörigen Kompositionsübungen übertragen. Ein ansehnlicher Teil der Hauptferien war außerdem Exkursionen gewidmet.«  8 Reden gehalten bei der feierlichen Inauguration des für das Schuljahr 1876/77 gewählten Rectors …, Wien 1876, S. 11.  9 Reden gehalten bei der feierlichen Inauguration des für das Schuljahr 1878/79 gewählten Rectors …, Wien 1878, S. 15. 10 Reden gehalten bei der feierlichen Inauguration des für das Schuljahr 1879/80 gewählten …, Wien 1879, S. 17 f. Dann vergehen mehrere Jahre, bis wir wieder von einer Italien-Exkursion Königs erfahren. Im Sommer 1885 finden wir »Professor C. König unter Mitwirkung des Assistenten Mayreder mit den Hörern der Bauschule« auf einer »Studienreise nach Ober-Italien mit dem Endziele in Como.« Reden gehalten bei der feierlichen Inauguration des für das Schuljahr 1985/86 gewählten Rectors …, Wien 1886. Die restlichen Jahre des Jahrhunderts scheint König nicht mehr in den Süden gereist zu sein, doch sind die Aufzeichnungen keineswegs vollständig, denn manche der »Jahres-Berichte« verzeichnen überhaupt keine Exkursion, was jedoch für die TH insgesamt ausgeschlossen ist. – Für Sommer 1895 ist noch eine Studienreise nach Venedig, Padua, Vicenza und Verona unter der Leitung von Max von Ferstel vermerkt. Siehe Bericht über die am 19. Oktober 1895 stattgefundene feierliche Inauguration des für das Studienjahr 1895/1896 gewählten Rectors …, Wien 1895, S. 40. Zu den Reisen Fabianis ab Sommer 1900 siehe weiter unten. 11 Wagner 1896, S. 41 f.; Wagner 1914, S. 26 f. 12 Cardamone 2005, S. 101 – 104.

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sich eine solche Rekonstruktion jedoch als bedeutend schwieriger, denn zum einen weisen die Jahresberichte der Rektoren ab dem Studienjahr 1901 – 1902 kein »Verzeichnis der fachwissenschaftlichen Excursionen« mehr auf, sodass uns keine Quelle mehr für die Sommer-Exkursionen zur Verfügung steht, insofern die Vorlesungsverzeichnisse nur jene Exkursionen anführen, welche unmittelbar mit einer Vorlesung verbunden waren und während des Semesters stattfanden. Hinsichtlich der Italienreisen betrifft dies beinahe ausschließlich die Wahlfächer Bodensteins. Laut Vorlesungsverzeichnis waren folgende Vorlesungen des »Privat-Dozenten für Kunstgeschichte« von Italien-Exkursionen begleitet, ohne dass wir den Zeitraum oder die Itinerarien erfahren würden  : Studienjahr 1900 – 1901  : Architekturgeschichte der Renaissance, des Barock in Italien  ; 1901 – 1902  : Architekturgeschichte des Barock in Italien  ; 1903 – 1904  : Architekturgeschichte Italiens vom XI. bis zum Ende des XIV. Jahrhunderts  ; 1903 – 1904  : Architekturgeschichte Italiens vom Ende des XIV. Jahrhunderts bis zum Aufkommen des Barockstiles und Geschichte des Barockstiles in Italien.13 In den folgenden Studienjahren führten die Exkursionen des bereits sechzigjährigen Bodenstein nicht mehr über die Grenzen Österreichs hinaus. Er war jedoch nicht der Einzige, der nach 1900 mit seinen Studenten nach Italien reiste. So schreibt Mayreder in seinem anlässlich des 100-jährigen Jubiläums der TH Wien verfassten Rückblick 1915, er habe, als er 1885 den Lehrstuhl für architektonische Formenlehre und architektonische und malerische Perspektive, Kollegium für Städtebau von König, dessen Assistent er gewesen war, übernommen hatte, »den bisherigen Lehrgang der drei Fächer unverändert bei[behalten], nur […] im architektonischen Zeichnen auch Studien nach der Renaissance ein[geführt] und […] ein größeres Gewicht auf die Veranstaltung wissenschaftlicher Exkursionen mit seinen Hörern (1903 Aquileia – Udine, 1904 Vicenza – Venedig, 1906 Verona […]) und die Verwertung der gewonnenen Reisestudien im Zeichensaale« gelegt.14 Die genannten Italien-Exkursionen Mayreders, die sich auch in den »Reise-Aufnahmen« der Wiener Bauhütte nieder13 Die in den Reden des abtretenden Rectors bzw. den Jahres-Berichten ausführlich verzeichneten Italienreisen Bodensteins »mit den Hörern der Kunstgeschichte« vor 1900 geben uns eine gewisse Vorstellung von Zeitpunkt (Ostern), Umfang (ca. zehn Tage), Gegenstand (Venedig, Padua, Bologna, Ravenna, Florenz), ja sogar über die Teilnehmerzahl (20 bis 29) und die Finanzierung (Bodenstein bedankt sich für Ermäßigungen und kleine Förderungen staatlicher Institutionen  ; einmal bemerkt er, dass von den 20 ordentlichen Hörern, die teilgenommen hatten, »zehn gänzlich mittellos« gewesen seien  ; für sie habe er die für die Reise nötigen Geldmittel »durch Sammlung« aufgetrieben – woraus wir übrigens schließen können, dass es von Seiten der TH Wien keine finanzielle Unterstützung für die Exkursionsteilnehmer gab  ; jedenfalls bin ich bei meiner Recherche im Universitätsarchiv der TU Wien auf keinen einzigen dahingehenden Hinweis gestoßen). Siehe  : Bericht über die am 14. Oktober 1891 stattgefundene feierliche Inauguration des für das Studienjahr 1891/1892 gewählten Rectors …, Wien 1892, S. 31 f.; Bericht über die am 14. Oktober 1893 stattgefundene feierliche Inauguration des für das Studienjahr 1893/1894 gewählten Rectors …, Wien 1894, S.  58 – 60  ; Bericht über die am 19. Oktober 1895 stattgefundene feierliche Inauguration des für das Studienjahr 1895/1896 gewählten Rectors …, Wien 1895, S. 46. 14 Mayreder 1915, S. 529.

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geschlagen haben,15 scheinen jedoch nicht im Vorlesungsverzeichnis auf, woraus man schließen kann, dass sie in der Sommerpause stattgefunden haben und von entsprechend längerer Dauer waren. In der Wiener Bauhütte von 1902 und 1907 – 1908 finden sich auch »unter L ­ eitung des k. k. Prof. König« angefertigte »Reise-Aufnahmen«, doch tragen sie kein Datum, sodass wir nicht wissen, wann die entsprechenden Reisen stattgefunden haben.16 Grundsätzlich könnten die Zeichnungen auch aus der Zeit vor 1900 stammen, denn, wie aus vereinzelten handschriftlichen Datierungen der »Aufnahmen« hervorgeht, war bisweilen eine Zeitspanne von mehreren Jahren zwischen der Reise und der Veröffentlichung vergangen.17 Doch eine der König zugeordneten Zeichnungen (von Santa Maria della Consolazione in Todi) stammt von Alois Breyer, der – 1885 geboren – erst im Studienjahr 1903 – 1904 zu studieren begonnen hatte, sodass wir davon ausgehen können, dass König auch nach 1900 noch Sommer-Exkursionen nach Italien geleitet hat.18 Möglicherweise war er dabei von seinem »Constructeur« Max Fabiani begleitet, der jedoch, seit 1902 mit dem Titel eines ao. Professors ausgestattet, sicherlich auch bereits eigenständig Exkursionen nach Italien leitete. 15 Mittheilungen der Architekten-Vereinigung Wiener Bauhütte XXVI (1904), Nr. 12 – 14  : Grosses Mausoleum in Aquileia, und XXVII (1905 – 1906), Nr. 1 – 5  : Antike Grabmäler aus Aquileia, jeweils »Reiseaufnahmen der Architekturschule an der k. k. technischen Hochschule in Wien 1903 unter Leitung des Prof. Karl Mayreder und Assistenten F. Keller«. XXIX (1909 – 1910), Nr. 1 – 3  : Palazzo Antonin in Udine, »Reise-Aufnahme der Bauschule a. d. k. k. techn. Hochschule in Wien unter Leitung von Prof. K. Mayreder und Assist. A. Rodler, gez. Marian von Kontkiewicz 1907«. XXX (1911 – 1912), Nr. 1 – 6  : Villa Valmerana bei Vicenza, und Nr. 7  : Palazzo Antonin in Udine, jeweils »Reise-Aufnahme der Bauschule a. d. k. k. techn. Hochschule in Wien unter der Leitung von Prof. K. Mayreder u. Assist. A. Rodler« (o. J.). 16 Mittheilungen der Architekten-Vereinigung Wiener Bauhütte XXV (1902), Nr. 58  : Palazzo Verzi in Verona, »Reise-Aufnahme der Bauschule a. d. k. k. technischen Hochschule in Wien, Prof. Karl König«. XXVIII (1907 – 1908), Nr. 2  : Sa. Maria della Consolazione zu Tódi [sic], und Nr. 3  : Fassade eines Hauses in der via del Orso in Rom, jeweils »Aufnahme an der k. k. Technischen Hochschule in Wien unter Leitung des k. k. Prof. König.« Ferner XXX (1911 – 1912), Nr. 8  : Halle der Innocenti in Florenz, »Gezeichnet an der Bauschule der k. k. technischen Hochschule in Wien unter der Leitung von Professor Karl König.« Doch ist hier fraglich, ob es sich ursprünglich um eine »Reise-Aufnahme« handelt. (Die Zeichnung ist eigentlich Mayreder zugeordnet, doch findet sich auf der unpaginierten S. 5 eine Berichtigung zu König.) 17 Siehe beispielsweise Mittheilungen der Architekten-Vereinigung Wiener Bauhütte XXV (1902), Nr. 12  : »Vom Lettner der Basilika S. Miniato al Monte bei Florenz, Glasmosaiken aus S. Francesco in Assisi, aufgenommen vom Architekten Robert Dammer.« Die beiden Zeichnungen wurden »Deponiert 1901«, doch sie sind von Dammer selbst signiert mit den Daten »28.3.91« bzw. »23.1.95«. Es handelt sich hierbei nur um ein Beispiel von vielen. Vgl. Anm. 18. 18 Mittheilungen der Architekten-Vereinigung Wiener Bauhütte XXVIII (1907 – 1908), Nr. 2. Für Breyers Studienzeit, die exakt mit jener von Josef Frank übereinstimmt, siehe TUWA, Prüfungsprotokolle der 2. Staatsprüfung der Hochbauschule Z. 354 (1907/8). Alois Breyer (1885 – 1948) schloss sein Studium an der TH Wien mit einer Dissertation über »Die hölzernen Synagogen in Galizien und Russisch-Polen aus dem 16., 17. und 18. Jahrhundert« ab  ; TUWA, Dissertationen 1912/13,28. Vgl. Goldman-Ida 2014.

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Der im heutigen Slowenien geborene und aus einer italienisch-deutschen Familie stammende Fabiani (1865 – 1962) hatte an der TH Wien studiert und als Assistent an der TH Graz gearbeitet, war – ausgestattet mit dem prestigeträchtigen Ghega-Stipendium – zwei Jahre lang durch Italien, Griechenland, Deutschland, Frankreich, Belgien und England gereist19 und anschließend im Atelier Wagners tätig gewesen, bevor er 1896 Assistent von König am Lehrstuhl für Baukunst der TH Wien wurde (Abb. 1).20 Ende des Jahres 1898 stieg Fabiani zum »Constructeur« auf, worunter wir am ehesten eine Art Oberassistenten zu verstehen haben, der insbesondere die Zeichen- und Entwurfskurse (»Constructionsübungen«) für seinen Professor weitgehend übernahm. Im Studienjahr 1900 – 1901 vertrat er König offiziell und übernahm auch dessen Vorlesung Architekturgeschichte des Altertums.21 Im folgenden Jahr wurde Fabiani der Titel eines ao. Prof. verliehen, ohne dass er die Stellung eines Constructeurs und damit die Funktion eines Assistenten für König hinter sich gelassen hätte.22 Deshalb lässt sich das Ausmaß seines Unterrichtes nicht bestimmen. Im Vorlesungsverzeichnis wird nur König selbst als Vortragender oder Lehrveranstaltungsleiter angeführt, sogar im erwähnten Jahr, in welchem er von Fabiani vertreten wurde. Doch man kann annehmen, dass sich der alternde und von immer mehr Verpflichtungen beladene berühmte Architekt immer mehr seines inzwischen erfahrenen und bewährten Constructeurs bediente und ihm große Teile des Unterrichts überließ. 19 In den Publikationen des Vereines Wiener Bauhütte XXIII (1898), Nr. 10, haben sich sechs Skizzen dieser Reise aus Rom, Pompeji und Palermo vom Sommer 1893 erhalten  ; XXIV (1900), Nr. 8 – 11 und 21 – 22, vier detaillierte und kotierte Aufnahmen von zwei Renaissance-Grabmälern in Rom bzw. Florenz, letztere datiert 23. Dezember 1893  ; in den Mittheilungen der Architekten-Vereinigung Wiener Bauhütte XXVIII (1907 – 1908), Nr. 41, neun Skizzen aus Siena, Viterbo, Montepulciano und vor allem Florenz, November und Dezember 1893. 20 TUWA, PA Fabiani  ; Pozzetto 1983  ; Pozzetto 1998  ; Hrausky, Kozelj 2015, sowie Ursula Prokop, in Architektenlexikon Wien 1770–1945  ; URL  : http://www.architektenlexikon.at (14. Juli 2019). Zu Fabianis Lehrtätigkeit siehe vorläufig Pozzetto 1983, S. 18 f. 21 K. K. Technische Hochschule in Wien. Programm für das Studienjahr 1899–1900, Wien 1899, S. 66  : »Maximilian Fabiani […] Constructeur bei der Lehrkanzel für Baukunst, betraut mit der Supplierung der Vorträge über Architekturgeschichte des Altertums.« Die von Fabiani eigenhändig ausgefüllte Dienst-Tabelle (TUWA, PA Fabiani) gibt seltsamerweise davon abweichend an  : »Supplent für Kunstgeschichte des Altertums an der k. k. techn. Hochschule in Wien im Studienjahr 1898/99.« 22 Ab dem Studienjahr 1903/04 findet sich Fabiani in den Vorlesungsverzeichnissen geführt als »Konstrukteur bei der Lehrkanzel für Baukunst mit dem Titel eines außerordentlichen Professors«. Lektionskataloge, Studienpläne und Personalstände der Technischen Hochschule in Wien, 1903–1906, Personalstand. Erst 1910 erhält er einen eigenen Lehrstuhl, nämlich den von Oswald Gruber übernommenen für Ornamentik (Innendekoration). Ab dem Studienjahr 1910 – 1911 leitet er eigenverantwortlich die Kurse ›Ornamentzeichnen für Hörer der Bau(Architektur)schule I. Teil‹ und ›Ornamentzeichnen für Hörer der Bau(Architektur) schule II. Teil‹ (jeweils 6 Semesterwochenstunden). Zum o. Professor wird Fabiani jedoch erst im Studienjahr 1916 – 1917 ernannt, gleichzeitig mit der von ihm betriebenen »neuen Systematisierung« der Lehrstühle und der Übernahme des Lehrstuhls für Baukunst I (TUWA, PA Fabiani. R.Z. 592 und 1267 / 1916 – 17).

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Abb. 1  : Karl König und sein Assistent Max Fabiani im Kreise ihrer Studenten an der TH Wien, um 1902. Aus  : Pozzetto 1983, S. 2.

Dies gilt nicht zuletzt für die Exkursionen. In Fabianis Dienst-Tabelle aus dem Jahre 1912 findet sich der eigenhändige Vermerk  : »Exkursionsleiter der Hörer der Bauschule nach Trient – Oberitalien im Aug. 1900, nach Zara – Cattaro im Aug. 1903, im Aug. 1908 nach Toscana, im Sept. 1910 nach Brindisi, Metapont, Pompeji, Tivoli bei Rom.«23 Dieselbe Liste findet sich in Fabianis Curriculum Vitae von 1916, jedoch ist dort zusätzlich noch »Rimini – Rom im August 1907« aufgeführt.24 Wie die Monatsangaben verraten, handelt es sich um umfangreichere Sommer-Exkursionen, wie sie die früheren Reden und Berichte der Rektoren für König bezeugt hatten (weshalb sie auch nicht im Vorlesungsverzeichnis zu finden sind). Die genannte Reise im Jahre 1900 (das Jahr der Vertretung Königs) bestätigt noch das vorletzte uns erhaltene »Verzeichnis der fachwissenschaftlichen Excursionen im Studienjahr 1899/1900«  : »[Excursionsleiter und Hörergruppe  :] In Vertretung des verhinderten Professors König der Constructeur dipl. Architekt Maximilian Fabiani. Mit den Hörern der Bauschule. [Gegenstand des Studiums  :] Die Theilnehmer bewerkstelligten eine Aufnahme der alten bischöflichen Residenz in Trient und besichtigten die Baudenkmäler in Riva, Desenzano und Verona.«25 Die Dalmatien-Reise im Jahre 1903 bestätigt uns der Lebenslauf Oskar Strnads, der sich weiter unten zitiert findet. Die letzte in Fabianis Dienst-Tabellen angeführte Reise wird uns von Walter Sobotka bestätigt  : 23 TUWA, PA Fabiani. 24 »Excursionsleiter der Hörer der Bauschule nach Triest [sic, nicht Trient], Oberitalien im August 1900, nach Zara Cattaro im August 1903, nach Toscana im August 1908, nach Rimini – Rom im August 1907, nach Brindisi, Pompeji, Tivoli, Rom im September 1910.« TUWA, PA Fabiani, Mappe Kopien. 25 Bericht über die feierliche Inauguration des für das Studienjahr 1900/01 gewählten Rectors …, Wien 1901, S. 26.

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»1910 (?) war ich mit anderen Studenten […] unter Fabianis Führung auf einer längeren Ex­kursion nach Italien (von Triest, Ragusa, nach Brindisi, Sorrent, Salerno, Paestum, ­Neapel, Rom und schließlich Tivoli, wo wir in der Villa d’Este Aufnahmen gemacht haben, die wir später in seinem Kolleg über dekorative Kunst [Ornamentzeichnen für Hörer der Bau(Architektur)schule] bearbeitet haben).«26

III. Dissertationen

Wenn wir vor diesem Hintergrund nach den Auswirkungen der Italienreisen auf die Studenten der Bauschule fragen, müssen wir uns auf das Zeugnis der Dissertationen beschränken. Das Promotionsrecht an der TH Wien war erst auf Betreiben Königs während seiner Tätigkeit als Rektor im Studienjahr 1900 – 1901 eingeführt worden, und der erste, der diese Möglichkeit, den Titel eines »Doktor der technischen Wissenschaften« zu erwerben, ergriff, war sein Assistent bzw. »Constructeur« Fabiani.27 In den folgenden Jahren bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges promovierten weitere 21 Studenten der Architektur, davon 16 im Bereich der Architekturgeschichte (73 %  !), davon wiederum sechs über italienische Themen.28 Strnad (1879 – 1935) verfasste seine Abschlussarbeit 1904 über Das Prinzip der Dekoration der frühchristlichen Kunst. Eine kritische Studie ihrer toreutischen Stereotomie mit besonderer Rücksichtnahme der bezüglichen Werke Roms und Ravennas  ; Alfred Teller (1881 – 1938  ?) 1904 über Pietro Berrettini da Cortona. Ein Beitrag zum Verständnis der römischen Barockarchitektur  ;29 Oskar Wlach (1881 – 1963) 1906 über Die farbige Inkrustation in der Florentiner Protorenaissance. Eine Studie über die Verwendung der Farbe in der Aussenarchitektur  ; Silvio Mohr (1882 – 1965) 1909 über Sta. Fosca di Torcello und deren Stellung zu einzelnen Bauwerken Veneziens, Ravennas und Istriens  ;30 und Josef Frank (1885 – 1968) 1910 Über die ursprüngliche Gestalt der Kirchenbauten des Leone 26 Brief von Walter Sobotka an Carmela Haerdtl vom 20. Februar 1967  ; zit. nach Pozzetto 1983, S. 18. Die Stelle fährt fort  : »[…] Einmal standen wir vor dem Palazzo Vidoni-Caffarelli (Raffael) mit der langen Front von Doppelsäulen  : in seiner teuflischen Art versuchte er, es herabzusetzen, es sei doch eigentlich, was wir in der Architektur eine ›Spargelarchitektur‹ nennen. Als dann die anderen zustimmten […], sagte er in seinem typischen Akzent  : ›Und doch ist es das Beste, was wir chaben (haben).‹« 27 Fabiani 1899  ; zugleich Dissertation TH Wien 1901  ; TUWA, Dissertationen 1901/10,16. 28 Die Dissertationen der Technischen Hochschule Wien 1955, S.  27 – 40. 29 TUWA, Dissertationen 1901/10,83. Referenten  : Karl König und Joseph Neuwirth. 30 Die Dissertation, mit der Sign. Dissertationen 1901/11,258, ist im Universitätsarchiv der TU Wien nicht mehr auffindbar. (Möglicherweise wurde sie 1944 mit der Aberkennung des Doktortitels entsorgt, als Mohr aufgrund einer ihm nachgesagten Homosexualität aller seiner Ämter enthoben und inhaftiert worden war.) Erhalten hat sich jedoch der Rigorosenakt (Referenten  : Joseph Neuwirth und Max Ferstel) mit dem beigelegten Lebenslauf  ; siehe unter Anm. 49. Vgl. die Kurzfassung der Dissertation  : Mohr 1911. Vielleicht handelt es sich bei den in den Mittheilungen der Architekten-Vereinigung Wiener Bauhütte XXIX

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Battista Alberti. Hinzu kommt Max Theuer, dessen Übersetzung von Albertis De re aedificatoria 1911 als Dissertation angenommen wurde.31 Die Dissertationen von Strnad, Wlach und Frank können das größte Interesse für sich beanspruchen.32 Denn während Mohr und Theuer in der Folge ihrer historischen Studien in den Lehrkörper der TH Wien aufgenommen wurden – Mohr wurde 1911 Assistent am Lehrstuhl für Hochbau und 1929 ao. Professor für Enzyklopädie des Hochbaus, Theuer 1912 Assistent am Lehrstuhl für Baukunst (anfangs bei König, später bei Franz von Krauss), 1921 ao. Prof. für architektonische Formenlehre, schließlich o. Prof. für Baukunst I (in der Nachfolge Fabianis) – und Teller als Architekt stilistisch seinem Doktorvater König folgte, wurden die drei jüdischen und miteinander befreundeten Studenten nach dem Ersten Weltkrieg zu bekannten Vertretern der Wiener Moderne. Strnad und Wlach, die beiden älteren, betrieben bereits ab 1906 gemeinsam ein Büro, dem 1913 dann auch Frank beitritt.33 1909 wurde Strnad (auf Empfehlung ­Josef Hoffmanns) an die Kunstgewerbeschule des Österreichischen Museums für Kunst und Industrie berufen, wo er eine von drei Architekturklassen übernahm. Strnad und Wlach traten 1908, Frank 1910 dem Deutschen Werkbund bei. 1912 gehörten alle drei zu den Gründungsmitgliedern des Österreichischen Werkbundes.34 Aus der Zeit vor dem Ausbruch des Krieges stammen mehrere gemeinsame Wettbewerbsentwürfe, Ausstellungsarchitekturen und Wohnungsausstattungen, und schließlich auch erste Einfamilienhäuser, die in den einschlägigen Zeitschriften Österreichs, aber teilweise auch Deutschlands und Englands veröffentlicht und diskutiert wurden. Trotz der Auflösung der Bürogemeinschaft 1919 arbeiteten die drei Freunde auch nach dem Ersten (1909 – 1910), Nr. 9 – 11, veröffentlichten Bauaufnahmen von Santa Fosca um Illustrationen der verlorengegangenen Dissertation. 31 TUWA, Dissertationen, 1911/12,4 (Referenten  : Karl König und Joseph Neuwirth). Die Dissertation ist bis heute die einzige Übertragung ins Deutsche  : Alberti 1912. Die originalen, auf Karton aufgezogenen Tuschezeichnungen, die sich auch in der Neuauflage von 2005 mit abgedruckt finden, werden im Archiv der TU Wien aufbewahrt. Theuers Dissertation steht den Interessen Strnads, Wlachs und insbesondere Franks nahe, doch scheint ihr christlicher Autor mit seinen drei jüdischen Kollegen nicht näher befreundet gewesen zu sein. Zu Max Theuer, mit dem sich bis heute niemand näher auseinandergesetzt hat, s. vorläufig den Eintrag von Ursula Prokop im Architektenlexikon Wien 1770–1945  ; URL  : http://www.architektenlexikon.at (17. Juli 2019). 32 Die Dissertationen von Strnad und Wlach wurden bisher allein von Capresi 2011 und Hub 2019 eingehender gewürdigt. Zur Dissertation von Frank siehe Cardamone 2016a  ; Cardamone 2018. 33 Aus den zahlreichen Veröffentlichungen zu Josef Frank seien hier lediglich die Monografien und jüngsten Ausstellungskataloge genannt  : Welzig 1998  ; Long 2002  ; Meder 2008  ; Ott-Wodni 2015  ; Thun-Hohenstein, Czech, Hackenschmidt 2016. Zu Oskar Strnad siehe Eisler 1936  ; Niedermoser 1965  ; Meder, Fuks 2007. Zu Oskar Wlach siehe Wallner 2009 sowie den Eintrag von Ursula Prokop im Architektenlexikon Wien 1770–1945  ; URL  : http://www.architektenlexikon.at (17. April 2019). 34 Gmeiner, Pirhofer 1985.

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Weltkrieg oft und eng zusammen. 1925 gründeten Frank und Wlach (und Walter Sobotka) die Einrichtungsfirma Haus & Garten.35 1927 wurde Frank von Gustav Stotz und Ludwig Mies van der Rohe als einziger österreichischer Architekt eingeladen, für die unter den Titel Die Wohnung gestellte Werkbundsiedlung in Stuttgart, Weißenhof, ein Haus zu errichten.36 Wlach wurde von Peter Behrens beauftragt, eines seiner beiden Häuser einzurichten.37 1928 nahm Frank teil an der Gründung des CIAM (Congrès International d’Architecture Moderne).38 1932 wurde unter seiner Leitung auch in Wien eine Werkbundsiedlung errichtet, an der alle drei Protagonisten mit Häusern und Inneneinrichtungen vertreten waren.39 Höhepunkt der Zusammenarbeit zwischen Frank und Wlach (Strnad hatte sich inzwischen immer mehr der Bühnenbildnerei zugewandt) stellte das um 1930 errichtete Haus für den Industriellen Julius Beer dar  ; eine Ikone der Moderne, auf einer Stufe mit Adolf Loos’ Haus Müller in Prag und Mies van der Rohes Haus Tugendhat in Brünn.40 Anlässlich der Niederschlagung des Februaraufstandes und der Errichtung des Ständestaates unter Engelbert Dollfuß 1934 emigrierte Frank nach Schweden, wo er weitere Wohnhäuser errichtete, vor allem aber mit Entwürfen für Möbel und Stoffe für die noch heute bestehende Stockholmer Firma Svenskt Tenn bekannt wurde. 1935 verstarb Strnad 56-jährig. Nach der ›Arisierung‹ der Firma Haus & Garten 1938 emigrierte schließlich auch Wlach in die USA, wo er an die Wiener Erfolge nicht anschließen konnte und 1963 in ärmlichen Verhältnissen verstarb. Als Dissertanten teilten Strnad, Wlach und Frank ein Interesse für Wandverkleidungen im Allgemeinen und die Inkrustationsarchitektur der von Jacob Burckhardt so genannten Protorenaissance im Besonderen.41 Im Falle von Frank traten die Wandverkleidungen der frühen Bauten des Leon Battista Alberti in Florenz hinzu. Das Interesse für die Protorenaissance ist für das Jahrzehnt vor dem Ersten Weltkrieg nicht ganz ungewöhnlich. Den bekanntesten Fall stellt Behrens dar, der sich nach mehreren Italienreisen von den Florentiner Inkrustationsarchitekturen zwischen 1905 und 1910 beim Entwurf mehrerer Ausstellungsgebäude sowie des Krematoriums in Hagen inspirieren ließ, welches schon von den Zeitgenossen »ein modernes San Miniato« ge35 Long 2002, S. 85 – 102  ; Wallner 2009  ; Ott-Wodni 2015, S. 51 – 93. 36 van Doesburg 1927  ; Brief von Paul Meller an J. J. P. Oud, zit. in  : Kirsch 1987, S. 201 f. Vgl. Kirsch 1987, S. 172 – 175  ; Welzig 1998, S. 101 – 104  ; Long 2002, S. 104 – 110. 37 Kirsch 1987, S. 184 – 193. 38 Welzig 1998, S. 139  ; Long 2002, S. 110 – 113  ; Ott-Wodni 2015, S. 108 – 110. 39 Nierhaus 2012, S. 126 – 129 (Frank), S. 130 – 133 (Strnad), S. 162 – 165 (Wlach). 40 Frank 1931  ; Eisler 1932  ; etc. Vgl. Welzig 1998, S. 129 – 135  ; Long 2002, S. 143 – 154. Das renovierungs­ bedürftige Haus Beer (Wenzgasse 12) befindet sich derzeit im Besitz der Dr. Strohmayer Stiftung Gemeinnützige Privatstiftung, mit weiterhin ungewisser Zukunft. 41 Burckhardt 1868, v. a. S. 22 – 32, »III. Kapitel. Die Protorenaissance und das Gotische« (Burckhardt 2000, S.  21 – 31).

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nannt wurde.42 Doch war Behrens nicht der einzige, der sich zu dieser Zeit in Deutschland für die Proto- und Frührenaissance interessierte. So schrieb beispielsweise Adolf Behne, der später als Kritiker der modernen Architektur bekannt werden sollte, 1912 an der Friedrich-Wilhelms- (heute Humboldt-) Universität Berlin eine Dissertation mit dem Titel Der Inkrustationsstil in Toscana.43 Im selben Jahr erschien Friedrich Rupps Inkrustationstil der romanischen Baukunst zu Florenz.44 In Wien promovierte Karl Maria Swoboda 1913 mit einer Arbeit über das Baptisterium in Florenz.45 Das Interesse für die Inkrustationsarchitektur der Protorenaissance und für die Frührenaissance ist also um 1910 weder in Deutschland noch in Wien ganz ungewöhnlich, aber äußerst ungewöhnlich für Architektur-Studenten der TH Wien. Unsere Durchsicht der erhaltenen Quellen erlaubt den Schluss, dass das Interesse für die Renaissance zwar groß war, dass dabei aber – ganz in Übereinstimmung mit der von König vertretenen ›barocken Neorenaissance‹ – die Architektur des 16. Jahrhunderts im Vordergrund stand, während die Bauten des 15. Jahrhunderts kaum Beachtung fanden und die Architektur der Protorenaissance und jene Albertis gar keine, obwohl Florenz durchaus zu den Stationen der Reisen zählte.46 Und dennoch ist das Interesse für die Inkrustationsarchitektur aus dem Unterricht an der TH Wien und vor allem aus den Italien-Exkursionen der Bauschule hervorgegangen. Sowohl Strnad und Wlach als auch Frank waren bereits während ihres Studiums nach Italien gereist, um schließlich für ihre Dissertationen nochmals längere Zeit dort zu verbringen. Aus dem Hörerkatalog für das Studienjahr 1901 – 1902 geht hervor, dass sowohl Strnad als auch Wlach die Vorlesung Architekturgeschichte des Barock in Italien von Bodenstein besucht haben, mit welcher laut Vorlesungsverzeichnis eine Exkursion verbunden war.47 Strnad schreibt in seinem dem Rigorosen-Journal beigelegten Curriculum Vitae, dass er während des Studiums (ohne Jahresangabe) dank 42 Hoeber 1913, S. 25 – 76, S. 62. Vgl. Behne 1912a  ; sowie Asche 1992  ; Moeller 1991  ; Rückbrod 1994. 43 Behne 1912a. Rez. von Zucker 1920. Siehe auch Behne 1914, S. 55 – 60. 44 Rupp 1912. Bemerkenswert auch Otto Steins Dissertation an der TH Karlsruhe, welche erstmals auch Alberti, Filarete und Francesco di Giorgio Martini berücksichtigt  ; Stein 1914. 45 Swoboda 1918. 46 Zu diesem Schluss kommt auch Cardamone 2005, S. 103 – 104  ; Cardamone 2018, S. 87. 47 TUWA, Haupt-Katalog Studienjahr 1901 – 1902. Im entsprechenden Bericht über die feierliche Inauguration des für das Studienjahr 1902/03 gewählten Rectors …, Wien 1902, findet sich leider kein Verzeichnis der Exkursionen, so dass wir nicht wissen, wohin die Exkursion Bodensteins geführt hat. – Die Kataloge, welche für jeden Studenten die im jeweiligen Studienjahr belegten Kurse verzeichnen, führen leider die Exkursionen grundsätzlich nicht an. Sie sind für unsere Zusammenhänge dennoch interessant, insofern man von ihnen erfährt, welche Wahlfächer unsere Protagonisten besucht haben. Dabei fällt auf, dass alle drei sich insbesondere für künstlerisch-praktische Fächer interessiert haben. Strnad und Wlach besuchten im ersten Jahr ihres Studiums gemeinsam die Kurse ›Übungen im Landschaftszeichnen und Aquarellieren‹ und ›Actzeichnen nach lebendem Modell‹ (Wenzel Ottokar Noltsch)  ; Strnad ebenso in den folgenden drei Studienjahren  ! Frank wiederum schrieb sich jedes (!) Studienjahr in ›Die Lehre vom Bau und den

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des Honorars für ein Ölportrait eine lange Reise nach Rom unternommen habe, um »seine Studien der frühchristlichen Kunst fortzusetzen und ihre eigentliche Größe, ihre Farbenherrlichkeit kennen zu lernen.« Und nach der Ablegung der 2. Staatsprüfung im Herbst 1903 »beteiligte er sich an der Exkursion des Herrn Prof. Dr. Max Fabiani nach Dalmatien. Anschließend daran setzte er seine Studien frühchristlicher Werke durch einen fast zweimonatlichen [sic  !] Aufenthalt in Rom und Ravennna fort.«48 Wlach wiederum schreibt in seinem Lebenslauf, dass er nach seiner 2. Staatsprüfung im August 1905 damit begonnen habe, sich »mit Studien über farbige Decorationen in der Architektur zu beschäftigen. Eine nothwendige Studienreise führte mich im Herbst 1905 nach Florenz, Prato, Empoli, Siena, Pisa, Lucca, Pistoia, Bologna, Ravenna, Vicenza, Verona und Venedig und setzte mich in den Besitz des Materials für Text und Zeichnungen der vorliegenden Dissertationsarbeit Die farbige Incrustation in der florentiner Protorenaissance.«49

Frank schließlich vermerkt in seinem verhältnismäßig kurzen Curriculum Vitae  : »Hauptsächlich widmete ich mich dem Studium der Kunst der italienischen Renaissance und machte auch während der Studienzeit mehrere kleinere Reisen nach Italien. […] Während eines siebenmonatigen Aufenthaltes in Italien arbeitete ich die nachliegende Dissertation aus.«50 Proportionen der menschlichen Figur‹ (Hermann Vinzenz Heller) ein. Für Frank ist schließlich sogar der Besuch der Vorlesung ›Italienische Sprache und Literatur‹ (Philipp Zamboni) belegt. 48 Strnad spricht von sich in der dritten Person. TUWA, Rigorosen-Journal in 2/93 / 1901 – 1910. Letztere Angabe stimmt mit Fabianis eigenhändig ausgefüllten Dienst-Tabellen von 1912 (»August 1903 Zara und Cattaro«) und 1916 (»nach Zara Cattaro im August 1903«) überein. Siehe Anm. 22 und 23. 49 TUWA, Rigorosen-Journal in 2/148 / 1901 – 1910. Für 1905 ist keine Reise Fabianis bezeugt. Dass es sich um eine Exkursion Bodensteins handelt (in diesem Studienjahr war die Vorlesung ›Architekturgeschichte Italiens vom Ende des XIV. Jahrhunderts bis zum Aufkommen des Barockstiles‹ von einer Exkursion begleitet), ist eher unwahrscheinlich, dafür ist die Liste der aufgezählten Stationen zu lang. Es ist deshalb davon auszugehen, dass Wlach seine Reise eigenständig unternahm. 50 TUWA, Rigorosen-Journal in 2/304 / 1901 – 1910. – Vgl. den Lebenslauf von Max Theuer (TUWA, Rigorosen-Journal in 2/4 / 1911 – 1912)  : »Nach einer mehrmonatlichen [sic  !] Reise durch Italien [nach Ablegung der zweiten Staatsprüfung im Februar 1903] trat ich sodann im Oktober desselben Jahres als Baupraktikant der n. ö. Stadthalterei in den Staatsdienst ein. […] Nach Beendigung dieser Bauaktion [Erweiterungsbau der k. k. technischen Hochschule in Wien] wurde mir vom Juni 1910 beginnend, seitens des Arbeitsministeriums ein anderthalbjähriger Urlaub bewilligt, den ich größtenteils in Italien verbrachte, um mich hier dem Studium der Renaissancebaukunst, im Besonderen dem Schaffen L. B. Albertis zu widmen. Das Ergebnis meiner Studien bildet die von mir eingereichte Bearbeitung der zehn Bücher Albertis über die Baukunst.« Alfred Teller (TUWA, Rigorosen-Journal in 2/83 / 1901 – 1910)  : »Während der letzten Studienjahre unternahm er wiederholt Studienreisen nach Italien und verbrachte den Herbst 1903 (Oktober, November) in Rom, während welcher Zeit er sich eingehend mit dem Studium der römischen

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Diese Reise wird wohl zwischen der 2. Staatsprüfung 1908 und der Promotion 1910 stattgefunden haben. Das Bezirksmuseum Wieden verwahrt undatierte Reise-Aufnahmen Franks, die aus dieser Zeit stammen könnten  : Sechs aquarellierte Zeichnungen mit Motiven des 15. Jahrhunderts (und nicht des 16. Jahrhunderts, notabene) aus Rimini (Portal von San Francesco/Tempio Malatestiano), Florenz (San Lorenzo, Kreuzgang von San Lorenzo, Fresko Boccaccios in den Uffizien von Andrea del Castagno), Rom (Grabmal des Giovanni Basso della Rovere in Santa Maria del Popolo, dem Umkreis Mino da Fiesoles zugeschrieben  ; und Grabmal des Kardinals Cusano in San Pietro in Vincoli von Andrea Bregno).51 Auch der Entwurf zu Franks erstem Stoffdruck Florens von 1920 dürfte auf seiner Italienreise zur Recherche zur Dissertation entstanden sein oder war zumindest Frucht dieser Reise. Der Stoffstreifen zeigt in spielerischer Anordnung neben einer im Wasser stehenden weiblichen Gestalt, die unweigerlich an Botticellis Geburt der Venus erinnert, und zahlreichen Blumen und Schmetterlingen eine von den Inkrustationsarchitekturen der toskanischen Protorenaissance inspirierte Fassade.52 Wie aus dem oben genannten Curriculum Vitae Fabianis aus dem Jahre 1916 hervorgeht, hatte er im Sommer 1907 eine Exkursion nach Rimini und Rom geleitet. Möglicherweise war diese Reise der unmittelbare Auslöser für Franks Interesse an AlberBarockarchitektur beschäftigt hat.« Bei Silvio Mohr (TUWA, Rigorosen-Journal in 2/258 / 1901 – 1910) lesen wir  : »Die durch mehrere Reisen nach Süddeutschland und Oberitalien, sowie durch Fahrten im Vaterlande gebotene Gelegenheit, die Denkmäler der besuchten Städte an Ort und Stelle zu studieren, unterstützte und ergänzte die an der Hochschule erworbene[n] Kenntnisse insbesondere auf dem Gebiete der ›Baukunst‹. Ein mehrwöchiger Aufenthalt in Venedig, Torcello, Ravenna, Grado und Aquileia im Jahre 1907 war den eingehenden Studien und vergleichenden Untersuchungen altchristlicher und frühromanischer Denkmäler der genannten Gebiete gewidmet, deren Ergebnis die vorliegende Dissertation ebenso bildet, als sie das Resultat wissenschaftlicher Forschung in der einschlägigen Literatur darstellt.« 51 Hinzu kommt ein Skizzenheft von neun Blättern mit ornamentalen Details von einer Reise nach Venedig. Die Objekte wurden im Jahre 2005 von Gustav Szekely angekauft, dem Sohn von Trude Waehner, mit welcher Frank längere Zeit in der Wiedner Hauptstrasse 64 gewohnt hatte. Allein die aquarellierte Skizze des Grabmales in Santa Maria del Popolo findet sich publiziert in  : Meder 2008, S. 6. 52 17,8 × 95 cm. Svensk Tenn Archive Stockholm. Siehe Stritzler-Levine 1996, S. 140 und Kat. Nr. 3, S. 158. – Als Frank 1912 ein Zimmer für die Frühjahrsausstellung am Österreichischen Museum für Kunst und Industrie ausstattete, hängte er an die Wand eine Ansicht von Florenz, eine Reproduktion des berühmten Kettenplans von ca. 1500, die er anschließend für sein eigenes Wohnzimmer in der Wiedner Hauptstraße verwendete. Siehe Long 2002, S. 25 f., Abb. 17, 18  ; oder Ott-Wodni 2015, S. 78, Abb. 54, S. 31, Abb. 9. – Dass Frank sich auch noch in späteren Jahren für die florentinische Inkrustationsarchitektur interessierte, zeigt uns ein Widmungsblatt an Max Ferstel zu dessen 70. Geburtstag (»April 1929. In dankbarer Verehrung Josef Frank« – im selben Jahr, in dem er den Auftrag zur Villa Beer erhält  !)  : Eine ornamentale, geometrische Komposition in Grün und Weiß, die deutlich von den Bauten der Protorenaissance und Leon Battista Albertis inspiriert ist. Wien Museum, Inv. Nr. HMW 78399, Widmungsmappe mit 28 Blättern und einer Widmungsurkunde zum 70. Geburtstag (8. Mai 1929) des Architekten Prof. Hofrat Max Freiherr von Ferstel von seinen Schülern. Ich bedanke mich herzlich bei Andreas Nierhaus für diesen Hinweis.

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tis Tempio Malatestiano.53 Der mit allen drei Protagonisten gut befreundete Sobotka wird jedenfalls später bezeugen, »dass Frank sein [Fabianis] Schüler war und […] dass auch Strnad und Wlach ihn als Assistent Königs und in seiner eigenen Zeichenklasse hatten.«54 Von Frank, dem bekanntesten unserer Protagonisten, erwartet man sich am meisten, aber seine Dissertation Über die ursprüngliche Gestalt der Kirchenbauten des Leone Battista Alberti enttäuscht, abgesehen von den großformatigen, aquarellierten Illustra­ tionen, die sich im Archiv der TU Wien erhalten haben.55 Nach einer sehr kurzen Einleitung folgt eine katalogartige Analyse und Rekonstruktion der Sakralbauten Albertis in Rimini, Mantua und Florenz. Der Schluss ist noch kürzer als die Einleitung. Wir erfahren an keiner Stelle, wozu er diese Arbeit unternommen hat, doch scheint seine Motivation der (vermeintliche) Ornamentreichtum von Albertis Architekturen gewesen zu sein, den er wiederholt lobt.56 In diesem Sinne werden auch zahlreiche Textpassagen aus Albertis De re aedificatoria tendenziös übersetzt.57 Und entsprechend 53 1907 reiste übrigens auch Le Corbusier durch die Toskana und fertigte u. a. Skizzen und Aquarelle vom Baptisterium und von Santa Maria Novella in Florenz an, doch ein besonderes Interesse für die Inkrusta­ tionsarchitektur ist nicht erkennbar. Siehe Gresleri 1987, unpag. Abb. 19 – 27  ; vgl. Talamona 2012, S. 41 –  66. 54 Brief an Carmela Haerdtl vom 20. Februar 1967  ; zit. nach Pozzetto 1983, S. 18. Walter Sobotka hatte 1925 gemeinsam mit Frank und Wlach die Einrichtungsfirma Haus & Garten gegründet (s. Anm. 34) und führte, in die USA emigriert, zwischen 1942 und 1966 eine reiche Korrespondenz mit Frank in Schweden  ; publiziert in  : Sobotka 1970, S. 366 – 427. 55 Frank 1910, 57 Blatt, 20 Tafeln. TUWA, Dissertationen 1901/11,304. Die Illustrationen finden sich erstmals komplett publiziert in  : Cardamone 2018. Vgl. Cardamone 2016a  ; ferner Acidini, Morolli 2006, S. 186 – 188, Kat. Nr. 65 – 67, S. 214 f., Kat. Nr. 83, S. 264, Kat. Nr. 94, S. 269 f., Kat. Nr. 98 (Katalogeinträge von Caterina Cardamone)  ; sowie Cardamone 2005, S. 12 – 14, Taf. V–VII und S. 106, Abb. 16. 56 Siehe z. B. Frank 1910, S. 16 (zu San Francesco in Rimini)  ; oder S. 44 f. (zum Heiligen Grab in San Pancrazio). Beachte auch S. 52, wo Frank (anlässlich der Vermutung, dass man sich das ursprüngliche Innere von Sant’Andrea in Mantua wohl freskiert vorzustellen habe) den Grundsatz Albertis, wonach Fresken eines Kircheninneren unwürdig seien (De re aedificatoria, VII, 10), mit der (obendrein unrichtigen) Bemerkung beiseiteschiebt, dass Alberti zu dem Zeitpunkt, als er diesen Grundsatz aufstellte, Masaccio noch nicht kennengelernt hatte. 57 Siehe beispielsweise Frank 1910, S. 4, Alberti zitierend  : »›Ich würde die Tempel so reich verzieren, dass alle Einbildung sich nicht schöneres an seine Stelle denken kann. Und jede Stelle so verziert, dass es alle Zuschauer mit Vergnügen und Lust erfüllt, wenn sie so viele edle und ausgezeichnete Dinge betrachten, und dass sie gezwungen werden auszurufen  : Das ist gewiss Gottes würdig.‹« Im lateinischen Original (De re aedificatoria, VII, 3) liegt jedoch der Akzent keineswegs auf der Dekoration. Vgl. Theuer 1912, S. 350  : »Deshalb möchte ich, dass der Tempel solche Schönheit besitze, dass man sich gar nichts Prächtigeres ausdenken kann, und ich wünsche ihn in jeder Beziehung derart ausgeführt, dass die Eintretenden verblüfft erschauern in Bewunderung all der Großartigkeit und sich kaum enthalten können, in Ausrufen zu gestehen, es sei wahrlich ein für Gott würdiger Ort, den sie erblicken.« Meine Hervorhebungen. Auf der folgenden Seite findet sich ein weiteres Zitat, das drei Textpassagen aus demselben Kapitel (VII, 3) aus ihren Zusammenhängen reißt und zu einem Satz montiert, in welchem Alberti ein Maximum an

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reich geschmückt sind dann auch Franks aquarellierte Rekonstruktionszeichnungen der Sakralbauten Albertis, in welche er an zahlreichen Stellen dekorative Elemente einfügt, für die der Befund am Objekt selbst keinerlei Anhalt bot. Kurz, Frank macht in seiner Dissertation Alberti zum Fürsprecher eines reichen Oberflächenornaments.58 Strnads Dissertation Das Prinzip der Dekoration der frühchristlichen Kunst. Eine kritische Studie ihrer toreutischen Stereotomie mit besonderer Rücksichtnahme der ­bezüglichen Werke Roms und Ravennas59 ist stark geprägt von Gottfried Sempers Der Stil von 1860 –  1863.60 Dem Text waren Illustrationen beigefügt, die sich jedoch nicht erhalten h ­ aben.61 Der Titel ist irreführend, denn von Metall ist kaum die Rede. Auch geht es keineswegs nur um die frühchristliche Kunst, sondern ebenso um die Entwicklung der Wanddekoration in den folgenden Jahrhunderten, bis hin zur Inkrustationsarchitektur der Protorenaissance. Strnad definiert zunächst Dekoration als ein der Funktion fremdes Element, welches der Konstruktion von außen hinzugefügt ist. Sie ist also keineswegs notwendig, aber Ornament zu verlangen scheint. Frank 1910, S. 5  : »›Es missfällt mir nicht, Tempel so zu erbauen, dass es schwer wird, noch irgendetwas hinzuzufügen, Ornamente gibt es ja in unendlicher Menge.‹« Vgl. Theuer 1912, S. 350. Max Theuers Übersetzung war zwar zu diesem Zeitpunkt noch nicht erschienen, aber schon in Arbeit. Frank hat sich offenbar nicht an seinen Studienkollegen um Hilfe bei der Übersetzung gewandt oder bewusst die eigene vorgezogen. 58 Einen differenzierteren Blick auf Franks Verhältnis zur klassischen Tradition bieten die Arbeiten von Caterina Cardamone. Siehe Cardamone 1997  ; Cardamone 2016a  ; Cardamone 2016b  ; Cardamone 2018. 59 Strnad 1904, 51 Blatt. TUWA, Dissertationen, 1901/11,93, Kopie. Ein Original hat sich in der Österreichischen Nationalbibliothek erhalten. 60 Semper 1860 – 1863. Die Abhängigkeit von Sempers Der Stil wird auch von Max Ferstel in seinem Gutachten der Dissertation hervorgehoben  ; TUWA, Rigorosen-Journal in 2/93 / 1901 – 1910. Sempers Schriften spielten bereits im Unterricht an der TH Wien eine große Rolle. Karl König preist ihre große Bedeutung in seiner Antrittsrede als Rektor des Studienjahres 1901 – 1902  ; König 1901, S. 48 f.; wiederabgedruckt in  : König 1910, S. 7 – 11  ; Kristan 1999, S. 38 – 44. In seinem 1913 verfassten Lebenslauf (TUWA, PA König, Standestabelle Nr. 368) schreibt König zu den ihm 1870 übertragenen ­›Vorlesungen über die Baukunst des Altertums (architektonische Formenlehre)‹  : »Bei ihrer Ausarbeitung folgte ich dem Gedankengange in Sempers Werk ›Der Stil in den techn. Künsten‹.« Und auch die später von Karl Mayreder gehaltene ›Architektonische Formenlehre (Propädeutikum der Baukunst)‹ war an Sempers Stil orientiert, wie der kursorische Vorlesungsplan zeigt. Siehe Lektionskatalog, Studienpläne und Personalstand der Technischen Hochschule in Wien für das Studienjahr 1903/1904, S. 37 f., Nr. 136. Vgl. auch Mayreder 1915, S. 528 f.: »Die Vorträge über architektonische Formenlehre […] stützten sich hauptsächlich auf das Werk Gottfried Sempers  : ›Der Styl in den technischen Künsten‹ […].« 61 Strnad verweist jedoch nur an einer Stelle (S. 48) auf eine »beiliegende Skizze« (des Mosaiks von Santa Pudenziana in Rom), sodass sich heute nicht einmal die Zahl der Abbildungen rekonstruieren lässt. Max von Ferstel hebt in seinem Gutachten der Dissertation das hohe Niveau des »Skizzenmaterials« hervor  ; TUWA, Rigorosen-Journal in 2/93 / 1901 – 1910. Eine gewisse Vorstellung von der Art und Qualität der Illustrationen können uns vielleicht zwei im Universitätsarchiv der TU Wien erhaltene, aquarellierte Aufnahmen der Schönbrunner Gloriette geben, vidiert von Karl König am 20. Juli 1903, woraus man schließen kann, dass sie aus dem Kurs ›Architektonische Zeichnungs- und Kompositionsübungen‹ hervorgegangen sind.

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ein dem natürlichen und ursprünglichen Trieb zur Gestaltung entsprungenes »Plus« an den Hervorbringungen des Menschen.62 Je nach Umgang mit dem verwendeten Material unterscheidet Strnad sodann »materialistische Kunstanschauung« und »idealistische Kunstanschauung«, wobei er den jeweiligen »geistigen Intellect des Volkes« dafür verantwortlich macht, ob die eine oder die andere der beiden Möglichkeiten zum Tragen kommt  : ob man bei den technisch-materiellen Aspekten stehen bleibt oder – das Material negierend – einen höheren Symbolismus anstrebt.63 Diese Unterscheidung überträgt Strnad schließlich auf die Unterscheidung von Völkern, die ihre Kunst stärker von der reinen Materialschönheit bestimmt haben wollen (die orientalischen), und solchen, die den Materialien verschiedene Symbolbedeutungen oder ideelle Werte einschreiben (die okzidentalen, Griechenland und Rom).64 Strnad schlägt sich entschieden auf die Seite der Materialisten, welche die Verkleidung von Flächen mit wertvollen Materialien anstreben. Im Hauptteil seiner Arbeit verstrickt sich Strnad zunächst in Theorien über die Herkunft und Wanderung dieses »Bekleidungsmaterialismus« über Palästina und Syrien nach Byzanz und Ravenna, dann nach Rom und schließlich nach Florenz.65 Sodann katalogisiert er – Sempers Stil folgend – die Kunstproduktion nach den verwendeten Materialien Metall, Keramik, Holz und Stein.66 Im Falle der Verkleidungen in Stein ist das Prinzip der Dekoration das der Stereotomie, »eine aus einzelnen Elementen aufgebaute Gesamtheit mit ausdrücklichem Hervorheben der Elemente. […] Es ist eine Dekoration der Fläche durch zahlreiche, prinzipiell gleichwertige Elemente, die bei größter Verschiedenheit von Farbe und Form in ihrer Gesamtheit eine prickelnde Einheit bilden, es ist ›das Prinzip der gleichmäßigen Verteilung von Farben und Formen im Gegensatz zu dem hellenischen Prinzip der Unterordnung und Autorität‹

62 Strnad 1904, S. 3  : »Jede künstlerische Formbildung, die nicht absolut zwecklich-formal ist, ist Dekoration, sie ist ein Plus, das nicht weiter in der notwendigen Form enthalten ist und nur durch das Verlangen des Menschen nach einer gewissen Gesetzmäßigkeit […] bedingt wird. Das Verlangen nach Dekoration ist die unbewusste Äusserung des bewussten Willen[s] zum Leben.« 63 Strnad 1904, S. 4  : »Es wird nun vom geistigen Intellect des Volkes abhängen, ob es bei der Erkenntnis des Materiell-Technischen bleibt oder ob es das höhere Symbol des Materiellen, seine Struktivität, erkennt. Im ersten Fall wird ihm die künstlerische Behandlung des Materials genügen mit dem natürlichen Hervortreten des Materials selbst, im zweiten Fall wird es das Material geradezu negieren und nur seine Symbolik oft sogar durch anderes Material betonen. Das erste Mal ist also ideelle Bedingung ein materialistischer Sinn für das Kostbare, Wertvolle der Materie selbst, das zweite Mal ist es ein Idealismus, der die Idee der Sache höher stellt als ihren materialistischen Wert.« 64 Strnad 1904, S. 4 – 6. 65 Strnad 1904, S. 7  ; vgl. S. 13 – 16. 66 Semper 1860 – 1863, Bd. 2  : Keramik, Tektonik, Stereotomie, Metallotechnik, für sich betrachtet und in Beziehung zur Baukunst.

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­[Semper67]. Es äußert sich hierin der Materialismus, der Befriedigung an dem prunkhaften Reiz des Materials hat, und dem daher ein über Alles gleichmäßig verteilter Reichtum mehr zusagt als die Konzentration auf einen einzigen Punkt und die Wertschätzung der formalen Schönheit, wie es der Idealismus durchführt.«68

Strnad sieht dieses orientalische Dekorationsprinzip der Stereotomie wirksam von den frühchristlichen Mosaiken bis zur Inkrustationsarchitektur der Protorenaissance. Mit der Renaissance hätte dann die griechisch-römische, »materiell-struktive Symbolik« die Oberhand gewonnen.69 Die Arbeit stellt den bemerkenswerten, aber problematischen Versuch dar, Sempers Theorien von der Genese der Materialien der Architektur mit Josef Strzygowskis Hypothese von der orientalischen Genealogie der Formen zu verbinden. Andererseits ist Strnads Dissertation die einzige Arbeit, die einen unmittelbaren Zusammenhang mit den späteren architektonischen Arbeiten erkennen lässt. Ersetzt man in der eben zitierten, zentralen Stelle seiner Dissertation ›Fläche‹ mit ›Raum‹, vermag man eine Umsetzung des Prinzipes der Stereotomie im Verhältnis von Architektur und Raumausstattung in den späteren Arbeiten und in den entsprechenden theoretischen Äußerungen Strnads zu erkennen.70 IV. Florentiner Protorenaissance und Wiener Moderne

Die interessanteste der drei Dissertationen scheint mir dennoch jene von Wlach zu sein  : Die farbige Inkrustation in der Florentiner Protorenaissance. Eine Studie über die Verwendung der Farbe in der Aussenarchitektur.71 Sie ist die eigenständigste Arbeit und die einzige, die explizit auf die aktuelle architektonische Praxis Bezug nimmt und derart Licht auf zeitgenössischen Auseinandersetzungen unter den Wiener Architekten wirft. 67 Strnad zitiert hier Semper in leicht veränderter Wortstellung. Siehe Semper 1860 – 1863, Bd. 2, S. 522  : »Dort hieß es  : Ruhe als Resultat raschester Vibration, Einförmigkeit des Reichthums sei das eigentlich orientalische Prinzip der Ornamentation in Formen und Farben, das Prinzip der gleichmässigen Vertheilung, im Gegensatz zu dem hellenischen Prinzipe der Unterordnung und Autorität.« Semper bezieht sich hier zurück auf Bd. 1, S. 49 (Drittes Hauptstück. Textile Kunst. Allgemein Formelles. § 14. Verschiedene Methoden der Farbenzusammenstellung)  : »Ich glaube, es sind nur zwei Methoden denkbar, wonach Ruhe und Harmonie in den Farben (sowie in den räumlichen Verbindungen) erreicht wird. Die erste beruht auf dem Prinzipe der gleichmässigen Vertheilung, die andere auf dem der Subordination oder der Autorität.« Vgl. dazu Strnad 1904, S. 48. 68 Strnad 1904, S. 8. 69 Strnad 1904, S. 13. 70 Vgl. dazu vorläufig Capresi 2011. 71 Wlach 1906, 83 Blatt. TUWA, Dissertationen, 1901/11,93. Zum folgenden etwas ausführlicher Hub 2019.

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Leider ist auch im Falle Wlachs der Abbildungsteil verlorengegangen. Wie die Verweise im Text zeigen, bestand dieser aus zahlreichen Fotografien und 13 großen Tafeln mit aquarellierten Zeichnungen, die man sich wohl ähnlich wie jene von Frank vorzustellen hat.72 Das Vorwort expliziert Wlachs Motivation  : »Bei Abfassung der vorliegenden Arbeit war mein hauptsächliches Bestreben dahin gerichtet, jene prinzipiellen Ursachen zu erkennen, welche eine gleichzeitige oder eine getrennte Verwendung von Farbe und Plastik in der Aussenarchitektur bedingen. Angeregt und gefördert wurde dieses Interesse durch die jüngste intensive Bewegung zu Gunsten einer farbigeren Behandlung der Fassaden unserer Stadtbauten […]. In den historischen Beispielen suchte ich das Denken und Fühlen zu erkunden, welches frühere Zeiten dieser Kunstübung widmeten. Am Mustergültigsten, d. h. am Einfachsten und Vollendetsten [sic  !] fand ich es in den Fassaden der Florentiner Protorenaissance ausgedrückt, deren Würdigung diese Dissertation sich zur Aufgabe macht.«73

In der darauffolgenden Einleitung behauptet Wlach zunächst, dass es für das Auge nichts Eintönigeres und Unerfreulicheres gäbe als monochrome Architektur, »eine in kühler Glätte prangende Wand«. Wie die Natur keine mathematisch gerade Linie kenne, so auch keine einfarbige Fläche. Deshalb könne auch die Kunst dem Betrachter nur mit farbigen Reizen »einen künstlerischen (malerischen) Genuss verschaffen«.74 Zur Entfaltung ihrer Wirkung benötige die Farbe jedoch die glatte Fläche. Zur Stützung dieser Ansicht beruft sich Wlach mehrfach interpretierend auf Adolf von Hildebrands Problem der Form in der bildenden Kunst von 1893.75 Farbe müsse selbstständig wirken, keinesfalls dürfe sie an eine plastische Form gebunden sein. Denn plastische Formen stehen insbesondere am Außenbau unter der Wirkung von Licht und Schatten.76 »Ein Farbenwechsel an den Formen […] wird immer eine Unruhe, eine Inkonsequenz der Komposition hervorrufen müssen.«77 Aus demselben Grund seien Farben nur bei kleinteiligen Formen zu vermeiden.78 72 Der Tafelteil lässt sich folgendermaßen rekonstruieren  : 1. Florenz, Baptisterium, 2. Florenz, Badia Fieso­ lana, 3. Florenz, San Miniato al Monte, 4. Empoli, Sant’Andrea, 5. Florenz, San Jacopo Soprarno, 6. Florenz, San Salvatore al Vescovo, 7. [?], 8. Florenz, Dom Santa Maria del Fiore, Detail des südlichen Querschiffes, 9. Florenz, Santa Maria Novella, 10. Pisa, Dom, 11. Prato, Dom, 12. Prato, San Domenico, 13. Prato, Santa Maria delle Carceri. 73 Wlach 1906, unpaginiertes Vorwort. 74 Wlach 1906, S. 1. 75 Wlach 1906, S. 4. Siehe Hildebrand 1893, S. 61, S. 60. 76 Wlach 1906, S. 5. Vgl. Hildebrand 1893, S. 61 f. 77 Wlach 1906, S. 6. 78 Wlach 1906, S. 6.

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Der Hauptteil der Arbeit besteht in einem Überblick über die geschichtliche Entwicklung der Inkrustationsarchitektur vom orientalischen »Bekleidungsmaterialismus«79, gekennzeichnet von einem »bloß teppichartigen richtungslosen Charakter der Dekoration«, hin zu einer mehr architektonischen Komposition in der römischen Inkrustationsarchitektur, wie es beispielsweise das Pantheon vorführt, und – davon abhängig – die frühchristliche Kunst der Katakomben.80 Wahre Inkrustationsarchitektur sei jedoch erst – nachdem der orientalische »Bekleidungsmaterialismus« die Entwicklung noch einmal zurückgeworfen habe – mit der romanischen Architektur möglich geworden, deren additiver Massen-, d. h. Flächenbau die Voraussetzung für den künstlerischen Höhepunkt der Entwicklung gebildet habe  : die Inkrustationen der toskanischen Protorenaissance.81 Bei ihrer Entstehung sei von einer gegenseitigen Bedingung von Architektur und Verkleidung auszugehen  : »Und wie man die Zurückhaltung der Plastik an diesen Fassaden damit erklären kann, dass dadurch der Wirkung der Farbe bewusst der Vorrang eingeräumt werden sollte, ebenso lässt sich umgekehrt mit dieser geringen Plastik die Notwendigkeit des Hinzutretens farbiger Inkrustationen auf diesen grossen weissen Flächen erklären, welche sonst nichts als die kalte Pracht ihres Marmors aufzuweisen gehabt hätten. Damit ging naturgemäß der Schwerpunkt des architektonischen Ausdrucks in die Fläche über. Die Öffnungen sind […] überall auf das Mindestmass reduziert und dort, wo sie vorhanden sind, nicht sonderlich betont. Die Steigerung der Dekoration strebt vielmehr immer zum Mittelpunkt der erhaltenen Flächen.«82

Wlach beruft sich auf Jacob Burckhardt, der die Inkrustation – die Verkleidung der Architektur mit Marmorplatten – als charakteristisch für das Phänomen der ›Protorenaissance‹ erklärt hatte.83 Er kritisiert den berühmten Kunsthistoriker jedoch dafür, dass er Florentiner und Pisaner Beispiele vorschnell zusammengeworfen habe. Die beiden Modelle – das Baptisterium von Florenz und der Dom von Pisa – stünden vielmehr für zwei gegensätzliche Konzeptionen, »total verschiedene Tendenzen der formalen Ausdrucksmittel«  : Der Dom von Pisa sei ein Beispiel für einen dreidimensionalen Zugang der Architekten, charakterisiert durch räumliche Tiefe und das Spiel von Licht und Schatten, hervorgerufen durch die von der Wand abgesetzten Elemente. Beim Florentiner Baptisterium hingegen – und dasselbe gelte für alle anderen Floren79 Semper 1860 – 1863, Bd. 1, S. 503. 80 Wlach 1906, S. 8 – 17, hier zit. S. 10. Die Griechen hätten zwar das für diese Entwicklung notwendige »hellenische Prinzip von Unterordnung und Autorität (Semper)« (S. 12) in die Architektur eingeführt, doch durch die Polychromierung der Architektur wieder außer Kraft gesetzt. 81 Wlach 1906, S. 17. 82 Wlach 1906, S. 19. 83 Burckhardt 1868, S. 22 – 32, bzw. Burckhardt 2000, S. 21 – 31.

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tiner Beispiele, inklusive der Fassadenergänzung von Santa Maria Novella durch Alberti – sei die Dreidimensionalität möglichst weit auf Zweidimensionalität, auf die ­Oberflächen reduziert.84 Die Florentiner Architektur wirke nicht durch das plastische Spiel von Licht und Schatten, sondern allein durch geometrische und chromatische Effekte der Oberflächenverkleidung. »Ruhig geschlossene Baukörper« zeichnen sie aus, deren Inkrustation nicht nach dem orientalischen Teppichprinzip ungebunden, sondern nach »architektonischen Gesichtspunkten« gestaltet sei, insbesondere nach dem »Prinzip von Rahmen und Füllung«.85 Das bedeute freilich nicht, dass die Gestaltung der Flächen der Konstruktion folge, sondern nur, dass einzelne Flächen separiert und durch vorzugsweise geometrische Binnenzeichnung zueinander in eine ruhige, harmonische Beziehung gesetzt worden seien. Neben dem Baptisterium in Florenz führe das untere Geschoß von San Miniato al Monte die in dieser Hinsicht beste Lösung vor.86 Am Ende seiner Arbeit versucht Wlach, die Ergebnisse seiner Untersuchung auf die zeitgenössische Architektur anzuwenden. Zu Beginn der Renaissance habe die Ausbildung der Architekten als »Plastiker« (Bildhauer und Goldschmiede), welche dreidimensional gedacht hätten und deshalb mehr an räumlicher Tiefe und dem Spiel von Licht und Schatten interessiert gewesen seien, zwar zu einem Ende des Gebrauches der Farbe geführt.87 Gegenwärtig, im städtischen Wohnungsbau, verwende man jedoch endlich wieder Farbe für auf die Fläche applizierte Dekoration. »Wenn auch der Einführung der Marmorinkrustation vielfach ökonomische Hindernisse im Wege stehen, die Fassadenmalerei an ihrer geringeren Standhaftigkeit scheitert, besitzen wir dennoch eine Anzahl anderer technischer Mittel, der monochromen Eintönigkeit unserer Strassen und Plätze zu steuern [sic]. Hierher gehört vor Allem die Keramik mit ihrer in jüngster Zeit am Häufigsten [sic  !] angewandten Form der Plattenverkleidung. Dieses Material nähert sich in seiner Funktion, in seiner Behandlungsweise und auch in seiner Dauerhaftigkeit am Ehesten [sic  !] der Inkrustation mit Marmorplatten. Beider Dekorationsprinzipien, beider Zeichnungsmotive werden also sehr ähnlich sein müssen.«88 84 Wlach 1906, S. 19 f., zit. S. 19. Die Besprechung des Florentiner Baptisteriums erstreckt sich von S. 20 – 32  ; auf S. 41 f. wird dem Dom von Pisa San Miniato al Monte pointiert gegenübergestellt. 85 Wlach 1906, S. 22, 28. 86 Wlach 1906, S. 40 – 49. 87 Wlach 1906, S. 78 f.: »Bildhauer in Florenz waren es, welche die Renaissancebewegung eröffneten, der grosse Teil der Architekten der Frührenaissance, mit Brunelleschi an der Spitze, begann als Bildhauer, Goldschmid oder gehörte den nahe verwandten Zünften der Steinmetze, Holzbildhauer, der tagliapietris und legnaiolis an. […] Sie waren Plastiker, als Plastiker kamen sie zur Architektur. Natürlich sahen sie in der Gestaltung einer Fassade nur ein Abwägen der Verhältnisse von Licht und Schatten, einen Rhythmus in der Bewegtheit der Massen nach vor- und rückwärts. Und als Michel Angelo seinen Einfluss gewann und die Architektur gänzlich unter die Herrschaft seines Geistes geriet, […] musste eine Auffassung der Architektur als rein plastische Kunst, eine jede andere verdrängen. […]« 88 Wlach 1906, S. 80. Meine Hervorhebung.

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An dieser Stelle kritisiert Wlach direkt einen zeitgenössischen Bau, nämlich das 1899 an der Linken Wienzeile 40 errichtete sog. Majolikahaus von Wagner. Dieser hatte erstmals die Hierarchisierung der Geschoße aufgegeben und die Fensterachsen horizontal und vertikal seriell aneinandergereiht. Auch der florale, in die Fliesen eingebrannte Dekor überzieht die Fassade, ohne ein Geschoß besonders zu akzentuieren.89 Doch genau darin sieht Wlach einen »Irrtum«, der »in der Folge bei weiterem Umsichgreifen dieser Technik zu vermeiden wären«. Denn  : »Zu allererst muss an dem Grundsatz festgehalten werden  ; jedes Inkrustationselement repräsentiert ein Dekorationselement, d. h. jede Kachel muss einfärbig sein und darf keine Zeichnung aufweisen, welche erst mit mehreren Platten zusammengesetzt, ein Ganzes bildet.«90 Wlach wendet sich also gegen figürliche oder ornamentale Zeichnungen, die über die einzelne Kachel hinausgehen  ; Zeichnung wie Farbe müsse auf ein Verkleidungselement beschränkt bleiben. Das Oberflächenmuster dürfe sich nur aus der Zusammenstellung der Kacheln als eigenständige Elemente der Wirkung ergeben. Was die Verwendung der Farben betrifft, so sei darauf zu achten, dass kein bestimmter, entschiedener Farbton vorherrsche, denn dies würde die angestrebte Ruhe der Fläche stören. Auch dürfe die Verteilung der Farben weder der tatsächlichen Konstruktion folgen noch ein ideelles tektonisches Gerüst repräsentieren  : »Eine inkrustierte Dekoration muss in erster Linie die eigene Funktion ausdrücken, die ­eines fellartigen Ueberzugs über das Mauerwerk. Das Prinzip der Verkleidung muss in ihr klar werden, nicht aber die verborgenen Funktionen des dahinter liegenden Mauerwerks, d ­ essen Tragfähigkeit etc.; deshalb ist ein Motiv, welches das Abnehmen der Last von unten nach oben symbolisch darstellt, ausgeschlossen  ; die Intensität der Verkleidung ist überall die gleiche.«91

Bei all dem dürfte Wlach die Fassade des in den Jahren 1899 – 1900 errichteten Geschäfts- und Wohnhauses Portois & Fix (Abb. 2) seines Lehrers Fabiani in Wien vor Augen gehabt haben, des Assistenten von König, mit welchem Wlach auf Exkursion nach Italien gereist war.92 Zumindest scheint Fabiani die Ansätze Wagners ganz im Sinne Wlachs zu radikalisieren  : Während Parterre und Mezzanin mit poliertem schwedischem 89 Ab 1898 wird die Kachelverkleidung mit vegetabilem Dekor ein wichtiges Thema der Wagnerschule, deren Entwürfe jährlich in einem Supplementband (Aus der Wagnerschule) von Der Architekt veröffentlicht werden. Siehe etwa mehrere Fassadenentwürfe von Hans Schlechta aus dem Jahre 1901, reproduziert in  : Graf 1969, unpag. Abb. 46 – 47  ; und Zednicek 2008, Abb. S. 73. 90 Wlach 1906, S. 80 f. Meine Hervorhebung. Die Stelle fährt fort  : »Diese Zeichnung soll auch aus ästhetischen Gründen nur geometrische Linien aufweisen, weil die Maschine nicht imstande ist, Linien, welche von den Gefühlen der Hand geleitete Kurven bedeuten, anders als auf dem Wege mechanischer Reproduktion wiederzugeben. Die Architektur gehört aber nicht zu den Reproduktionskünsten in der Art der Buchillustration.« 91 Wlach 1906, S. 82. 92 Haiko 2008  ; Pozzetto 1983, S. 63 – 70.

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Granit verkleidet sind und von Geschäftsräumen und Auslagenfenstern eingenommen werden, sind die drei Stockwerke darüber mit viereckigen hellgrünen und bräunlichen, in verschiedenen Nuancen spielenden Platten von Pyrogranit inkrustiert, und zwar ungestört, da alle herkömmlichen Gliederungen vermieden sind und nicht einmal ein Hauptgesims vorhanden ist. Die glatte Oberfläche wird nur von den Fenstereinschnitten durchbrochen. Marco Pozzetto hat zu Recht von einer »Entmaterialisierung der Masse« gesprochen, »die in farbige Oberfläche transformiert wird und ihre Intensität je nach Farbe und Lichteinfall verändert«.93 An der TH Wien hat man vielleicht Wlachs Kritik an Wagner zu schätzen gewusst, aber sicherlich nicht seine Begeisterung für die Inkrustationsarchitektur der Protorenais­ sance, sein Eintreten für die Verwendung von Farbe und seine Bevorzugung der Fläche über die plastische Durchbildung der Fassade, bedeutete doch all dies eine radikale Zurückweisung der klassischen Tradition seiner Schule. Bei seinem Rigorosum erhält er deshalb von drei Professoren nur die Note ›Genügend‹, während König ihm zunächst gar ein ›Nicht-Genügend‹ erteilt.94 Dasselbe gilt für Franks Interesse für Alberti, welches ihm zwei ›Nicht-Genügend‹ einbringt.95 Allein Strnads Dissertation wird sehr gut bewertet, doch liegt der Schwerpunkt seiner Arbeit nicht auf der offenbar gering geschätzten Proto- bzw. Frührenaissance, sondern in Einklang mit dem von Max von Ferstel geführten und von Sempers Stil geprägten Lehrstuhl für Altchristliche und Mittelalterliche Baukunst.96 Die TH Wien kann in dieser Zeit jedenfalls nicht als Förderer moderner oder zumindest alternativer Tendenzen in der Architektur bezeichnet werden. Dass die Wiener Hochschule das eher wider Willen war, bezeugt uns ein im Archiv der TU Wien erhaltenes Dokument, welches ein starkes Licht auf die konservative Richtung der Hochschule wirft und einen guten Eindruck von der Gegnerschaft gibt, der sich die Vertreter einer modernen Architektur ausgesetzt sahen. Es handelt sich um ein Schreiben vom 29. April 1902, in welchem ein Komitee der Bauschule unter der Leitung Königs das Professorenkollegium der TH auffordert, beim Ministerium eine außerordentliche Professur für Fabiani zu beantragen. »Es soll nicht unbemerkt bleiben«, schreibt König, »dass Dr. Fabiani mit einigen nach seinen Entwürfen ausgeführten Bauten zum Theile einer Richtung sich angeschlossen hat, die mit den unverrückbaren Grundsätzen der Architektur und mit der an unserer Hochschule befolgten 93 Pozzetto 1983, S. 63. 94 TUWA, Rigorosen-Journal in 2/148 / 1901 – 1910. 1. Referent Mayreder  : »genügend«  ; 2. Referent Ferstel  : »genügend«  ; Neuwirth  : »genügend«  ; König  : »genügend« (»ungenügend« ausgestrichen)  ; »Kommissionsbeschluss  : einstimmig genügend«. 95 TUWA, Rigorosen-Journal in 2/304 / 1901 – 1910. 1. Referent Mayreder  : »gut«  ; 2. Referent Neuwirth  : »genügend-nichtgenügend«  ; König  : »gut«  ; Emil Artmann  : »nicht-genügend«  ; »approbiert mit Stimmenmehrheit«. 96 TUWA, Rigorosen-Journal in 2/93 / 1901 – 1910. 1. Referent Neuwirth  : »sehr gut«  ; 2. Referent Ferstel  : »vorzüglich«  ; König  : »sehr gut«, August Prokop  : »sehr gut«  ; »ausgezeichnet mit Stimmeneinhelligkeit«.

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Abb. 2  : Max Fabiani, Geschäfts- und Wohnhaus Portois & Fix, 1899 – 1900, Wien 3, Ungargasse 59 – 61, Detail. Foto  : Wikimedia Commons – Thomas Ledl, 2015.

Unterrichtsmethode nicht in Einklang zu bringen ist. Allein in seiner Mitwirkung beim Unterrichte blieb Fabiani stets der großen Verantwortung des Lehrers eingedenk, und seiner in jüngster Zeit wiederholt ausgesprochenen Versicherung, dass er seinen früheren Irrthum einsehe, darf unbedingt Glauben geschenkt werden.«97 Fabiani wird kurz darauf tatsächlich den in die Moderne eingeschlagenen Weg wieder verlassen und zur ›barocken Neorenaissance‹ seines Lehrers König zurückkehren.98 Im 97 TUWA, PA Fabiani. R.Z. 2576 / 1901 – 1902. Unterzeichnet von Josef Finger, Joseph Neuwirth, Karl Mayreder, Karl König, Christian Ulrich und Max von Ferstel. Der erhaltene Entwurf weist die Handschrift Königs auf. Vgl. einen von Karl König, Joseph Neuwirth, Karl Mayreder, Max von Ferstel u. a. unterschriebenen Antrag an das Professorenkollegium der TH vom 4. März 2014, Fabiani in den Stand eines ordentlichen Professors zu befördern, in welchem Fabianis »Lehrmethode« am Lehrstuhl für Ornamentzeichnen dafür gelobt wird, dass sie »zu der freien Auffassung der Antike und Renaissance führt, welche unsere Hochschule nach ihren alten Traditionen unverrückbar als Grundlage auch des Wirkens eines modernen Architekten erkennt.« TUWA, PA Fabiani, R.Z. 923 – 1913/14. (Fabiani wird erst 1917 zum o. Prof. ernannt.). 98 Fabianis Nationalheim in Triest aus dem Jahre 1902 zeigt noch einmal eine ähnliche Oberflächenbehandlung wie das Geschäfts- und Wohnhaus Portois & Fix, wenn auch in verschiedenfarbigen Ziegeln ausgeführt. Siehe Hrausky, Kozelj 2015, S. 130 – 137. Das Haus Bartoli von 1906, ebenfalls in Triest, zeigt jedoch wieder ein (in den Verputz gezeichnetes) vegetabiles Ornament, das die Fassade großflächig

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selben Jahr erhält er von Kronprinz Franz Ferdinand den Auftrag für die Renovierung des Schlosses Konopist in Böhmen und wird künstlerischer Ratgeber des erzkonservativen Thronfolgers.99 Und dennoch dürfte es nicht zuletzt seinem Unterricht an der TH Wien und seinen Italien-Exkursionen zu verdanken sein, dass sich auf den alten Wegen neue Türen für die Entwicklung der Architektur öffneten. Literatur Acidini, Morolli 2006 – Cristina Acidini, Gabriele Morolli (Hg.)  : L’uomo del Rinascimento. Leon Battista Alberti e le arti a Firenze tra religione e bellezza, Ausstellungskatalog Florenz, Florenz 2006. Alberti 1912 – Leon Battista Alberti  : De re aedificatoria. Zehn Bücher über die Baukunst, ins Deutsche übertragen, eingeleitet und mit Anmerkungen und Zeichnungen versehen durch Max Theuer, Wien 1912 (Diss. TH Wien 1911). Architekturzentrum – Architekturzentrum Wien (Hg.)  : Architektenlexikon Wien 1770 – 1945  ; URL  : http://www.architektenlexikon.at (14. Juli 2019). Behne 1912a – Adolf Behne  : Der Inkrustationsstil in Toskana, Berlin 1912. Behne 1912b – Adolf Behne  : Peter Behrens und die toskanische Architektur des 12. Jahrhunderts, in  : Kunstgewerbeblatt N. F. 23 (1912), S. 45 – 50. Behne 1914 – Adolf Behne  : Inkrustation und Mosaik, in  : Monatshefte für Kunstwissenschaft 7 (1914), S.  55 – 60. Asche 1992 – Kurt Asche  : Peter Behrens und die Oldenburger Ausstellung 1905. Entwürfe – Bauten – Gebrauchsgraphik, Berlin 1992. Burckhardt 1868 – Jacob Burckhardt  : Geschichte der Renaissance in Italien, Stuttgart 1868. Burckhardt 2000 – Jacob Burckhardt  : Die Baukunst der Renaissance in Italien. Nach der Erstausgabe der ›Geschichte der Renaissance in Italien‹, hg. v. Maurizio Ghelardi, München 2000. Capresi 2011 – Vittoria Capresi  : L’attenzione di Vienna verso i Primitivi toscani. Oskar Strnad, Oskar Wlach, Josef Frank. Dallo studio delle incrostazioni marmoree al »moderno moderato«, in  : Bollettino della Società di Studi Fiorentini 20 (2011), S. 281 – 289. Cardamone 1997 – Caterina Cardamone  : Was ist modern  ? Loos e Frank sulla questione dell’ornamento, in  : Quasar 17 (1997), S. 23 – 30. Cardamone 2005 – Caterina Cardamone  : Gli architetti austriaci e l’Italia intorno al 1900, in  : Gabriella Orefice (Hg.)  : Architetti in viaggio. Suggestioni e immagini, Rom 2005, S. 93 – 114. Cardamone 2015 – Caterina Cardamone  : Classical Tradition in Josef Frank’s Writings, in  : En­ tan­gled Histories, Multiple Geographies. Papers from the International Scientific Thematic

überzieht. Siehe Hrausky, Kozelj 2015, S. 144 – 149. Letzteres Werk trifft Wlachs Kritik an Otto Wagners Majolikahaus. Zu dieser Zeit war Fabiani andernorts bereits zur ›barocken Neorenaissance‹ zurückgekehrt, wofür exemplarisch das bekannteste seiner Werke, das 1909 – 1910 errichtete Volksbildungshaus der Urania, genannt sei. 99 Pozzetto 1983, S. 16 – 17.

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Berthold Hub

Graf 1969 – Otto Antonia Graf  : Die vergessene Wagnerschule, Wien 1969. Gresleri 1987 – Giuliano Gresleri  : Le Corbusier. Il Viaggio in Toscana, Venedig 1987. Haiko 2008 – Peter Haiko  : Das Haus Portois & Fix, in  : Monika Wenzl-Bachmayer (Hg.)  : Pariser Esprit und Wiener Moderne. Die Firma Portois & Fix, Ausstellungskatalog Wien, Wien 2008, S.  29 – 49. Hildebrandt 1893 – Adolf von Hildebrand  : Problem der Form in der bildenden Kunst, Straßburg 1893. Hoeber 1913 – Fritz Hoeber  : Peter Behrens, München 1913. Hrausky, Kozelj 2015 – Andrej Hrausky, Janez Kozelj  : Max Fabiani. Wien – Ljubljana – Triest, Ljubljana 2015. Hub 2019 – Berthold Hub  : Oskar Wlachs Reise zur »farbigen Incrustation in der Florentiner Protorenaissance« und die Wiener Moderne, in  : Kai Kappel, Erik Wegerhoff (Hg.)  : Blickwendungen. Architektenreisen nach Italien in Moderne und Gegenwart, München 2019, S.  37 – 56. Kirsch 1987 – Karin Kirsch  : Die Weissenhofsiedlung. Werkbund-Ausstellung »Die Wohnung« – Stuttgart 1927, Stuttgart 1987. König 1901 – Carl König  : Antritts-Rede des Rectors o. ö. Professors der Baukunst Carl König, in  : Bericht über die feierliche Inauguration des für das Studienjahr 1901/1902 gewählten Rectors o. ö. Professors für Baukunst Carl König am 26. October 1901, Wien 1901, S. 39 – 63. König 1910 – Carl König  : Bauten und Entwürfe von Carl König, herausgegeben von seinen Schülern, Wien 1910. Kristan 1999 – Markus Kristan  : Carl König, 1841 – 1915  : Ein neubarocker Großstadtarchitekt in Wien, Wien 1999. Long 2001 – Christopher Long  : An Alternative Path to Modernism. Carl König and Architectural Education at the Vienna Technische Hochschule, 1890 – 1913, in  : Journal of Architectural Education 55 (2001), S. 21 – 30. Long 2002 – Christopher Long  : Josef Frank. Life and Work, Chicago 2002. Mohr 1911 – Silvio Mohr  : Sta. Fosca auf Torcello und ihre Stellung zu einzelnen Bauwerken Veneziens, Ravennas und Istriens, in  : Allgemeine Bauzeitung (1911), S. 1 – 11  ; URL  : http:// anno.onb.ac.at/cgi-content/anno-plus  ?apm=0&aid=abz (14. Juli 2019). Mayreder 1915 – Karl Mayreder  : Die Lehrkanzel für architektonische Formenlehre, architektonisches Zeichnen und malerische Perspektive, Kollegium für Städtebau, in  : Joseph Neuwirth (Hg.)  : Die k. k. Technische Hochschule in Wien 1815 – 1915. Gedenkschrift, Wien 1915, S.  528 – 530. Meder, Fuks 2007 – Iris Meder, Evi Fuks (Hg.)  : Oskar Strnad. 1879 – 1935. Ausstellungskatalog Wien, Salzburg 2007. Meder 2008 – Iris Meder  : Josef Frank. 1885 – 1967. Eine Moderne der Unordnung, Salzburg 2008. Moeller 1991 – Gisela Moeller  : Peter Behrens in Düsseldorf. Die Jahre von 1903 bis 1907, Weinheim 1991. Neuwirth 1915 – Joseph Neuwirth (Hg.)  : Die k. k. Technische Hochschule in Wien 1815 – 1915. Gedenkschrift, Wien 1915. Niedermoser 1965 – Otto Niedermoser  : Oskar Strnad. 1879 – 1935, Wien 1965.

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Neues auf alten Wegen

Nierhaus 2012 – Andreas Nierhaus  : Werkbundsiedlung Wien 1932. Ein Manifest des neuen Wohnens, Ausstellungskatalog Wien, Wien 2012. Ott-Wodni 2015 – Marlene Ott-Wodni  : Josef Frank 1885 – 1967. Raumgestaltung und Möbeldesign, Ausstellungskatalog Wien, Wien 2015. Pozzetto 1983 – Marco Pozzetto  : Max Fabiani. Ein Architekt der Monarchie, Wien 1983. Pozzetto 1998 – Marco Pozzetto  : Max Fabiani, Triest 1998. Rückbrod 1994 – Konrad Rückbrod  : Die Außenhaut des Krematoriums von Peter Behrens in Hagen. Die Geschichte der Restaurierung, in  : Westfalen. Hefte für Geschichte, Kunst und Volkskunde 72 (1994), S. 662 – 671. Rupp 1912 – Friedrich Rupp  : Inkrustationstil der romanischen Baukunst zu Florenz, Straßburg 1912. Sekler 1982 – Eduard F. Sekler  : Josef Hoffmann. Das architektonische Werk. Monographie und Werkverzeichnis, Salzburg 1982. Semper 1860 – 1863 – Gottfried Semper  : Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder praktische Aesthetik. Ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde, 2 Bde., Frankfurt a. M. 1860 – 1863. Sobotka 1970 – Walter Sobotka  : Principles of Design, New York 1970. Stein 1914 – Otto Stein  : Die Architekturtheoretiker der italienischen Renaissance, Karlsruhe 1914. Stritzler-Levine 1996 – Nina Stritzler-Levine (Hg.)  : Josef Frank, Architect and Designer. An Alternative Vision of the Modern Home, Ausstellungskatalog New York, New York 1996. Strnad 1904 – Oskar Strnad  : Das Prinzip der Dekoration der frühchristlichen Kunst. Eine kritische Studie ihrer toreutischen Stereotomie mit besonderer Rücksichtnahme der bezüglichen Werke Roms und Ravennas, Diss. TH Wien 1904. Swoboda 1918 – Karl Maria Swoboda  : Das Florentiner Baptisterium, Berlin 1918. Talamona 2012 – Marida Talamona (Hg.), L’Italia di Le Corbusier, Ausstellungskatalog Rom, Mailand 2012. Technische Hochschule Wien 1955 – Technische Hochschule Wien (Hg.)  : Die Dissertationen der Technischen Hochschule Wien aus den Jahren 1901 – 1953, Wien 1955. Teller 1904 – Alfred Teller  : Pietro Berrettini da Cortona. Ein Beitrag zum Verständnis der römischen Barockarchitektur, Diss. TH Wien 1904. Thun-Hohenstein, Czech, Hackenschmidt 2016 – Christoph Thun-Hohenstein, Hermann Czech, Sebastian Hackenschmidt (Hg.)  : Josef Frank – Against Design. Das anti-formalistische Werk des Architekten, Ausstellungskatalog Wien, Basel 2016. Vetter 1932 – Hans Adolf Vetter (Hg.)  : Kleine Einfamilienhäuser mit 50 bis 100 Quadratmeter Wohnfläche, Wien 1932. Wagner 1896 – Otto Wagner  : Moderne Architektur. Seinen Schülern ein Führer auf diesem Kunstgebiete, Wien 1896. Wagner 1914 – Otto Wagner  : Die Baukunst unserer Zeit. Dem Baukunstjünger ein Führer auf diesem Kunstgebiete, Wien 1914. Wallner 2009 – Martina Wallner  : Haus & Garten. Frank & Wlach. Ein Beitrag zur österreichischen Wohnkultur, Graz 2009. Welzig 1998 – Maria Welzig  : Josef Frank (1885 – 1967). Das architektonische Werk, Wien 1998.

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Berthold Hub

Wlach 1906 – Oskar Wlach  : Die farbige Inkrustation in der Florentiner Protorenaissance. Eine Studie über die Verwendung der Farbe in der Aussenarchitektur, Diss. TH Wien 1906. Zednicek 2008 – Walter Zednicek  : Otto Wagner und seine Schule, Wien 2008. Zucker 1920 – Paul Zucker  : Rez. von Adolf Behne  : Der Inkrustationsstil in Toskana, Berlin 1912, in  : Monatshefte für Kunstwissenschaft 13 (1920), S. 327 – 328.

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Buket Altinoba

›Kunst und Technik‹ Klaus Lankheit und das Weltausstellungsarchiv

In den 1960er Jahren legte der Kunsthistoriker Klaus Lankheit in Karlsruhe ein Instituts­ archiv mit Schriften, Katalogen und Bildmaterial zum Thema Weltausstellung an. Die Errungenschaften der Großausstellung im Bereich der Kunstindustrie sind Teil seiner Rektoratsrede unter dem Titel Kunstgeschichte unter dem Primat der Technik (1965). Lankheit zielte damit auf die Bedeutung von ›Kunst und Technik‹ für Forschung und Lehre in Karlsruhe ab. Die direkte Nachbarschaft mit den technischen Fächern diente Lankheit – im Zuge des Ausbaus der Fridericiana zu einer Universität (1967) – als Anreiz und wurde von ihm gleichzeitig als Möglichkeit begriffen, eine neue Methodik für die Kunstgeschichte zu entwickeln.

Einleitung

Im Jahr 1965 hielt der Kunsthistoriker Klaus Lankheit (1913 – 1992), der gerade zum Rektor der Karlsruher Fridericiana berufen worden war, eine Antrittsrede mit dem Titel Kunstgeschichte unter dem Primat der Technik. Dieser ein Jahr darauf als Aufsatz abgedruckte Vortrag kann aufgrund seiner inhaltlich-programmatischen Ausrichtung als Auftakt zur Begründung einer Karlsruher Denkschule, die es an einer um die geisteswissenschaftlichen Disziplinen erweiterten Technischen Hochschule zu etablieren galt, verstanden werden. Erstmals in diesem Umfang wurde das Thema Weltausstellung in Bezug auf die bildenden Künste, insbesondere die Plastik im 19. Jahrhundert erörtert und der in diesem Kontext relevanten Fragestellung nach dem Einsatz neuer Materialien, Werkstoffe und serieller Fertigungsmethoden im Bereich der Kunstindustrie nachgegangen. Das zu diesem Zweck angelegte und über die Jahre sukzessive aufgebaute Weltausstellungsarchiv mit Schriften, Katalogen und Bildmaterial sollte dieses Vorhaben in Forschung und Lehre unterstützen. In seiner Doppelfunktion als Rektor und Ordinarius zielte Lankheit damit nicht nur auf die Bedeutung einer bis dato »von der Zunft vernachlässigten«1 Epoche (womit das 19. Jahrhundert gemeint ist), sondern auch auf die Ausdehnung der Kunstgeschichte, die in Karlsruhe seit Gründung des Fachs an der ehemaligen Polytechnischen Schule im Jahre 1868 zunächst eine Zulieferfunktion in die Lehre der Architekt_innen und Bau1 Lankheit 1966, S. 15.

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ingenieur_innen erfüllte.2 Unter besonderer Berücksichtigung der Umstände, dieses Universitätsfach zu einem grundständigen Studium für die Ausbildung von Kunsthistoriker_innen umstrukturieren zu können, galt es, die kunsthistorische Forschung in einen erweiterten Rahmen zu stellen. Damit sollten die Geisteswissenschaften an einer Technischen Universität, zu der die Fridericiana ab 1967 wurde,3 für die mathematischnaturwissenschaftlichen Fächer offen stehen. Der vorliegende Beitrag will zunächst die besondere durch die Kunsthistoriker_innen, Architekt_innen und Ingenieur_innen geprägte Kultur an der Vorgängerinstitution des heutigen Karlsruher Instituts für Technologie beleuchten – nicht zuletzt, weil das Hochschulmodell auch als Vorbild für Einrichtungen wie etwa die Zürcher Eidgenössische Technische Hochschule (ETH) oder das Massachussetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge (Massachusetts) diente.4 Es handelt sich hierbei allerdings nicht um das Ziel, eine lückenlose Instituts­geschichte zu schreiben, zumal diese in Form einer »Geschichte der Berufungsverfahren«5 bei Martin Papenbrock bereits vorliegt.6 Vielmehr gilt es, Lankheits richtungsweisenden Aufsatz zum Thema Kunst und Technik in Bezug auf den Komplex der Weltausstellung zu analysieren, um in einem darauffolgenden Schritt diesen in den Kontext bestehender Diskurse, wie sie um die Mitte des 20. Jahrhunderts aktuell waren, zu stellen. Die direkte Nachbarschaft mit den technischen Fächern diente Lankheit als Anreiz und wurde von ihm gleichzeitig als Möglichkeit begriffen, eine neue Methodik für die Kunstgeschichte zu entwickeln. Es liegt hier die Vermutung nahe, dass – obwohl selbst Historiker – Lankheit sich ganz bewusst einem ›Praktiker-Thema‹ widmete und damit an seine Vorgänger in Karlsruhe anknüpfte  : Indem er sich auf den Architekten und Denkmalpfleger Adolf von Oechelhäuser (Rektorat 1902 – 1903  ; 1909 – 1910) bezog, sollte seine Forderung nach »fruchtbarer Begegnung zwischen Theorie und Praxis«7 legitimiert werden. Ein Blick auf die Anfänge des Fachs in Karlsruhe zeigt zudem, dass die Theorie-Praxis-Frage in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch von Seiten intellektuell interessierter Ingenieure und Maschinenbauer wie etwa Ferdinand Jacob 2 Vgl. Lankheit 1966, S. 6. Anm.: Dabei war die Zulieferfunktion der Kunstgeschichte in die Lehre der Architekt_innen und Bauingenieur_innen ebenso Routine wie die Zulieferung der Mathematiker_innen an die Ingenieur_innen. Schriftliche Korrespondenz mit Dr. Klaus Nippert, dem Direktor des KIT-Archivs in Karlsruhe am 6. Mai 2020. 3 Das Promotionsrecht erhielt die Technische Hochschule in Karlsruhe im Jahre 1899. Siehe Hoepke 2007, S. 185 und siehe Festgabe 1892. Der Namenswechsel von 1967 ist rein nominell und bezeichnet keinen inhaltlichen Wendepunkt. Schriftliche Korrespondenz mit Klaus Nippert, dem Direktor des KIT-Archivs in Karlsruhe am 6. Mai 2020. 4 Hierzu siehe Hartmann 2013, S. 15  ; vgl. auch Hoepke 2007, S. 10. – Anm.: Zum Thema der polytechnischen Schulen, die zwischen 1821 und 1836 im deutschsprachigen Raum gegründet und ab 1870 zu technischen Hochschulen umgewidmet wurden, siehe Heymann 2005, S. 40. 5 Papenbrock 2006, S. 179. 6 Siehe ebd., S. 179 – 193. 7 Lankheit 1966, S. 13.

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›Kunst und Technik‹

Redtenbacher (1809 – 1863) gestellt worden war.8 Dies soll den Überlegungen zu einer ›Kunstgeschichte unter dem Primat der Technik‹ vorangestellt werden. I.

Bevor der Kunsthistoriker Lankheit mit seinen Ausführungen über die aus seiner Sicht aktuellen Anforderungen an das Fach einhundert Jahre nach dessen Entstehung am Großherzoglichen Polytechnikum in Karlsruhe (gegr. 1825) beginnt, fasste er, wie es nur in einer Jubiläumsrede erwartet werden kann, die Institutionsgeschichte ­zusammen. Gleich zu Beginn erfahren wir, dass noch im Jahr der Verlautbarung des Instituts 1865 die Polytechnische Schule »ein neues Organisationsstatut« erhielt, welcher sie in den »Rang einer Wissenschaftlichen Hochschule«9 stellte. Dass dies in der Tat einen strategisch günstigen Zeitpunkt für die Einrichtung eines Lehrstuhls für Kunstgeschichte markiert, zeigt sich allerdings erst bei genauerer Betrachtung. So fiel zwar die Entscheidung der »hohe[n] Staatsregierung« zur Anstellung eines »Lehrer[s] der Kunstgeschichte«10 zeitlich mit dem neu formulierten Bildungsauftrag des Polytechnikums zusammen. Dieser sah jedoch, angesichts der fortschreitenden Entwicklungen in der Industrie, vor allem die »Ausbildung von technischen Spezialisten, die zugleich in den Naturwissenschaften bewandert waren«11, vor. Was im ersten Moment (sowie in Anbetracht der nach Koselleck benannten ›Sattelzeit‹12 und einer damit ab 1800 zunehmenden Ausdifferenzierung kultureller und technischer Zuständigkeitsbereiche) zunächst widersprüchlich erscheinen mag, erklärt sich, wenn die besondere Entwicklung der Ingenieurkultur um die Jahrhundertmitte genauer vor Augen geführt wird. Die nach dem Vorbild der École Polytechnique in Paris aufgebaute Karlsruher Schule stand – aufgrund der Zusammenführung der bereits im 18. Jahrhundert als architektonische Zeichenschule eröffneten und später von Friedrich Weinbrenner (1766 – 1826) geleiteten Bauschule mit der von Johann Gottfried Tulla (1770 – 1828) im Jahr 1807 gegründeten Ingenieurschule13 – nicht nur von Anfang an in engem Bezug zur Architek  8 Zum Thema des ›Methodenstreits‹ der Ingenieure in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts siehe  : Banse 1997 und König 1999. – Anm.: Für das 19. Jahrhundert wird die männliche Schreibweise für das Ingenieurwesen und den Maschinenbau verwendet.   9 Lankheit 1966, S. 5. 10 Ebd. 11 Hoepke 2007, S. 10. 12 Zur begriffsgeschichtlichen Auslegung und Analyse der Übergangsphase in die moderne Zeit siehe Koselleck 2006. 13 Vgl. Hartmann 2013, S. 14. – Der Vollständigkeit halber zu ergänzen wäre hier die private Gewerbsschule Freiburg, die als dritte Anstalt eine Rolle beim Aufbau der Karlsruher Hochschule einnahm. Vgl. Hoepke 2007, S. 185.

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tur und Baukonstruktion,14 sondern kennzeichnete auch wie keine andere Institution im deutschsprachigen Raum den Übergang von einer handwerklich geprägten Praxis zu einer theoretisch-wissenschaftlichen Bau- und Maschinenlehre.15 Diese besondere Entwicklung vollzog sich zwischen 1850 und 1930 an vielen deutschen Hochschulen und kennzeichnet eine Zeit des »symbolischen Kampfes der Ingenieure«16 um sozialen Aufstieg und gesellschaftliche Anerkennung.17 In der Person Redtenbachers, der von Beginn an die Nobilitierung der Ingenieurtätigkeit im Blick hatte, kulminierten diese Aspekte. Im Jahre 1857 zum Direktor des Polytechnikums ernannt, wirkte »der Akteur der frühen Verwissenschaftlichung« bereits seit 1841 als Professor für Maschinenbau und trug »mit zahlreichen Grundlagenwerken, aber auch Handbüchern für die Praxis an die Öffentlichkeit«18 zur Etablierung der Maschinenwissenschaft im deutschsprachigen Raum bei. Für die Zeit seines Wirkens sind auch der kunstgeschichtliche Unterricht sowie Bestrebungen für den Aufbau eines Lehrstuhls für Kunstgeschichte in Karlsruhe nachweisbar.19 In ihrem 2012 erschienenen Buch Mann und Maschine. Eine genealogische Wissenssoziologie des Ingenieurs und der modernen Technikwissenschaften, 1830–1930 wird Redtenbacher von Tanja Paulitz im Kontext einer bis dato praktischen Tätigkeit des Konstruierens, die es auf ein wissenschaftliches Niveau zu heben und in »das akademische Berufsbild des Ingenieurs«20 zu integrieren galt, als eine Person mit kultureller Affinität beschrieben. So bezieht sich Paulitz auf den 1865 in der Zeitschrift des VDI (Vereins Deutscher Ingenieure) erschienenen Nachruf, welcher Redtenba14 So »waren [es] die Architekten der Bauschule, auf deren Initiative die Einrichtung einer kunstgeschichtlichen Professur ›mit besonderer Rücksicht auf die Architekturgeschichte des Alterthums‹, wie es in dem Brief an das zuständige Großherzoglich Badische Ministerium des Innern aus dem Jahr 1867 formuliert wurde, zurückging«. Zit. nach Papenbrock 2006, S. 179. 15 Zum Thema siehe  : König 1999  ; Heymann 2005 und Paulitz 2012. 16 Mitschrift des Vortrags »Rationalität und Fortschritt vs. schöpferische Naturbegabung. Männlichkeitskonstruktionen der Technik um 1900« von Tanja Paulitz im Rahmen der Konferenz ›Gesamtkunstwerk Weltausstellung‹. Revisioning World’s Fairs des KIT und der TU Darmstadt, 27. und 28. April 2018, Institut Kunst- und Baugeschichte, KIT. – Es handelt sich Paulitz zufolge hierbei neben dem Bestreben nach sozialer Anerkennung des Berufsbilds der Ingenieure auch um Männlichkeitskonzepte, wie sie für die eigene Argumentation und Abgrenzung zu anderen (auch niedrigeren) Berufsgruppen konstruiert wurden. 17 Zur zeitlichen Einordnung dieser Entwicklung siehe König 1999, S. 15 f. 18 Zit. und vgl. Paulitz 2012, S. 105. 19 »Den ersten Unterricht in der Kunstgeschichte an unserer Anstalt ertheilte Baurath [sic] Professor H o c h s t e t t e r [sic], der am 21. Oktober 1842 angestellt wurde. Als dann eine ordentliche Professur der Kunstgeschichte errichtet ward, wurde Dr. Alfred Woltmann am 20. Juni 1864 [sic, 1868] berufen, der bis zu seinem Abgang an die Universität Prag im Herbst 1873 dieses Amt versah.« Zit. aus der Festgabe 1892, S. LXVI. Hier erfahren wir auch die Aufgabe, die Woltmann zu Beginn aufgegeben worden war  : »Sein Augenmerk ging dahin, für die Vorlesungen und Demonstrationen eine kunstgeschichtliche Lehrmittel­ sammlung anzulegen, deren ersten Grundstock, hauptsächlich aus Photographien bestehend, für die Technische Hochschule er geschaffen hat.« Ebd. 20 Paulitz 2012, S. 33.

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cher und sein Schaffen »aus einer fachwissenschaftlichen Perspektive [würdigt], wobei das breite Interesse des Verstorbenen an Kunst und Philosophie ausdrücklich erwähnt wird«.21 Werden weitere Schriften zu Ehren Redtenbachers wie die von dessen Zeitgenossen und Kollegen Adam von Burg aus dem Jahr 1863 hinzugezogen, dann stellt sich heraus, dass der kulturell interessierte Maschinenbauprofessor auch einer Amateurbeschäftigung als Landschaftsmaler nachging  : »Ueberblicken wir die Reihe dieser literarischen Arbeiten, denen allen mehr oder weniger der Stempel der Genialität aufgedrückt ist, so müssen wir über die schöpferische Kraft dieses ausserordentlichen Mannes, welcher ausserdem vor einem zahlreichen Auditorium wochentlich [sic  !] 12 Vorlesestunden zu halten, in den letzten sechs Jahren die Directionsgeschäfte zu führen, und die verschiedenartigsten wissenschaftlichen Gutachten abzugeben hatte, um so mehr erstaunen, als alle diese Leistungen die Elasticität seines Geistes so wenig zu erschöpfen vermochten, dass ihm noch Zeit und Musse blieb, sich in den weiten Räumen der Kunst und philosophischen Wissenschaften zu ergehen. Bei seiner grossen Fertigkeit im Zeichnen, die ihn in Stand setzte, augenblicklich an der Tafel Maschinen und ganze Fabriks- oder Industrie-­Anlagen zu entwerfen und zu skizziren, führte er mit Vorliebe und in trefflicher Weise Bleistiftzeichnungen idyllischer Landschaften aus, die er auch zum Theil in Oel malte. Am auffallendsten jedoch zeigte sich sein künstlerisches Talent in der Ausführung von Panoramen, und es dürften in der Schweiz vielleicht wenig berühmte Höhen existieren, von denen er nicht solche in vortrefflicher Weise aufgenommen hätte.«22

Es besteht Grund zur Annahme, dass Redtenbachers Bestrebungen, die sich in der Ingenieurausbildung und seinen Konstruktionslehrbüchern niederschlugen,23 ein ästhetisches Konzept offerierten, bei dem sich technisch-konstruktives Denken und Kunstauffassung verflechten.24 Einen Hinweis für ein solches Verständnis könnten schriftliche 21 Ebd., S. 120. 22 von Burg 1863, S. 13. 23 Zur Publikationstätigkeit Redtenbachers siehe König 1999, S. 18. 24 Als Lehrmedium und zur Verständigung zwischen Entwicklung und Ausführung wurde der technischen Zeichnung seit Beginn der Industriellen Revolution große Bedeutung beigemessen – über deren Gestaltung und Einsatz in England erfahren wir bei König wie folgt  : »Schon in der Zeit der Frühindustrialisierung besaßen manche technische Zeichnungen eine hohe Qualität. Ein markantes Beispiel hierfür stellen die Zeichnungen von James Watt dar, […] die schon bemaßt und koloriert waren. Die Farben dienten dazu, das Material, aber auch – eher unüblich – die Funktion des Maschinenteils zu kennzeichnen. Boulton & Watt benötigten hochwertige technische Zeichnungen zur Kommunikation mit Fremdfirmen, in denen sie Teile ihrer Dampfmaschinenanlagen fertigen ließen. Doch sollte die hohe Qualität dieser und anderer Zeichnungen in der britischen Frühindustrialisierung nicht darüber hinwegtäuschen, daß auch in Großbritannien – wie bei dem von uns für Deutschland herausgearbeiteten Typ ›Meisterkonstruktion‹ – neue Maschinen in der Regel in der Werkstatt entwickelt und konstruiert wurden, wobei eine Vielzahl bildlicher Hilfsmittel bei der Gestaltung zum Einsatz kam. Dazu gehörten mit Kreide auf Tafeln

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Buket Altinoba

Bemerkungen zur technischen Zeichnung aus dieser Zeit bieten, wie sie in Form des Handbuchs von Sebastian Haindl aus dem Jahr 1843 Die Linear-Zeichnung als Vorbereitung für die wissenschaftliche und technische Zeichnung in Gebrauch waren  : »Die technische Zeichnung besteht bis zu einem gewissen Grade aus Kunstzeichnung  ; indeß [sic] sind es hauptsächlich die Lehren des wissenschaftlichen Zeichnens, welche hierbei vielfache Anwendung finden, besonders auf materielle Bedürfnisse.«25

Gerade in der technischen Zeichnung sah Redtenbacher selbst »ein Mittel, wodurch derselbe [Mechaniker] seine Gedanken und Vorstellungen mit einer Klarheit, Schärfe und Uebersichtlichkeit darzustellen vermag«26. Die technische Zeichnung bzw. »gezeichnete Maschine« war für Redtenbacher nicht nur eine material- und kostengünstigere Variante in Zeiten knapper Ressourcen zu Beginn der Industrialisierung in Deutschland, sondern darüber hinaus auch eine »ideale Verwirklichung«27 von e­ iner Maschine, die nicht zwingend gebaut werden musste.28 Die vor Ort in der Natur erstellten Skizzen, die seinen pastos aufgetragenen Landschaftsbildern (Abb. 1) mit hoher Wahrscheinlichkeit zugrunde lagen, scheinen in Analogie mit dem Konstruktionsprozess der Maschine zu treten  : Hilfsmittel wie etwa der Skizzenblock und Überlegungen zum Disegno als »Prozess der Materialisierung der Idee«29 – in der Renaissance Kunst, Wissenschaft und Technik gleichermaßen verpflichtet – verbanden sich mit der technischen Zeichnung auf dem Weg bis zur fertigen Maschine. So lesen wir bei Ulrich Reck darüber, dass dies »gerade auch für das Entwerfen von gedanklichen Zusammenhängen oder nur theoretisch bildbaren Gliederungen und mitnichten nur für den evidenten Kult der verehrten Gattung der Zeichnung [gilt], in der der Betrachter dem Entwurf körperlich nahe kommt und es leicht zu verstehen ist, was eine Bildidee ist, wie sie zustande gekommen ist und wirkt. Also auch für die Maschinenbauer ist nicht das ›Construieren‹, sondern das Erfinden das eigentlich noble Geschäft. Deshalb ist das dem Ingenieur und Techniker Wichtigste, im Beruf wie in der Ausbildung, die Phantasie bezüglich einer solchen Art des Erfindens.«30

angebrachte Skizzen, Zeichnungen auf Holzbrettern oder auch direkt auf dem Werkstück sowie Modelle vor allem aus Holz, die im britischen Maschinenbau längere Zeit üblich waren als im kontinentalen.« Vgl. und zit. nach König 1999, S. 177 f. 25 Haindl 1843, S. 2. 26 Redtenbacher 1859, S. 312. 27 Ebd. 28 Vgl. ebd. 29 Busch 2009, S. 92. 30 Reck 2005, S. 154.

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›Kunst und Technik‹

Abb. 1  : Ferdinand J. Redtenbacher, Hohentwiel bei Konstanz, 1858, Eichenrahmen mit eingesetztem vergoldeten Inneneinsatz, 32,9 x 41,7, KIT-Archiv (KITA 28501/18). Mit freundlicher Genehmigung des KITArchivs. Mein besonderer Dank gilt hier dem Direktor des Archivs, Dr. Klaus Nippert.

Wenn dieser Gedankengang mit den Ausführungen von Paulitz zusammengebracht wird, kann für Redtenbacher eine auf der »Konzeption von subjektiver Autorschaft«31 aufbauende Vorgehensweise festgestellt werden. Hier tritt die Maschine als Ergebnis eines »inneren kraftvollen nicht-rationalen« Entstehungsprozesses in Konkurrenz zum Kunstwerk, so dass – an dieser Stelle verkürzt – »das technische Konstruieren nunmehr ein Mysterium zu umgeben scheint«32. Laut Paulitz kann das Anknüpfen an eine künstlerische Tätigkeit der Ingenieure mit dem in diesem Jahrhundert erwachenden »Geniediskurs des deutschen Idealismus« sowie der Romantisierung der Künstlerfigur »als

31 Siehe Anm. 16. 32 Siehe Anm. 16. – An der Person von Max Eyth macht Paulitz diese Feststellung einer »Dichter-IngenieurKonzeption« fest und betont das besondere Zusammenwirken der »Poesie und Technik«, welche konstitutiv für die Profilierung der eigenen Profession war. Leisten wir diesen Ausführungen Folge, dann muss auch bei Redtenbacher, der leidenschaftlich malte, festgestellt werden, dass dies ein »emphatisches programmatisches Leistungskriterium des Männlichkeitskonzepts« darstellt und dass dies als konstituierend für das Ingenieurbild verstanden werden kann. Vgl. und zit. Paulitz 2012, S. 240.

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Ausnahmesubjekt der Moderne«33 zusammengebracht werden. Die Überlegung, ­einen intuitiven Vorgang »rational zu rekonstruieren«34, um ihn für die Lehre fruchtbar zu machen,35 prägt den Fachdiskurs der Ingenieure in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Bereits in seiner 1848 publizierten Schrift zur Maschinenbaulehre lesen wir, dass Redtenbachers Theorie des Entwurfs von Maschinen formanalytische Überlegungen wie etwa »Zusammensetzungssinn, Anordnungssinn und Formensinn«36 beinhaltet. Auch dessen berühmter Schüler, der Maschinenbauwissenschaftler Franz Reuleaux (1829 – 1905), beschäftigte sich in der 1875 erschienenen Schrift Theoretische Kinematik  : Grundzüge einer Theorie des Maschinenwesens intensiv mit den »massiven ästhetischen Qualitäten« der Maschine, obwohl er deren »Form des tragenden Körpers […] für den kinematischen Vorgang« primär als »gleichgültig«37 verstand. So schlug er vor, »sie ähnlich zu gestalten, wie Architekturtheile [sic]«38. Scheinarchitektur und eiserne Säulenverkleidungen, die für die Gestaltung der Maschine in dem 1872 in dritter Auflage erschienenen Handbuch Der Constructeur durchdekliniert werden,39 sowie ein Dreistufenmodell, das den Entstehungsprozess von innen heraus und als nicht erlernbar, sondern instinktiv erklärt, stehen dem rein rationalisierten Verfahren entgegen, wie etwa drei Jahre später in Theoretische Kinematik propagiert  : »Auf jedem neuen Gebiete geistiger Schöpfung schafft der Erfinder ähnlich dem Künstler.«40 Um die Idee von einem »geistig tätige[n] Maschinenwissenschaftler«41 am Polytech­ nikum verwirklichen zu können, musste eine humanistische Ausrichtung in der Lehre erfolgen, die schon für Redtenbacher langfristig durch die Etablierung der literarischen, historischen, ideengeschichtlichen und der an den bildenden Künsten orientierten Teilfächer gewährleistet werden konnte.42 Sowohl der Ausbau der Geisteswissenschaften, die seit Gründung des Polytechnikums im Jahr 1825 – wie etwa die Literatur und Geschichte – als einzelne Unterrichtsstunden in der Grundausbildung angeboten wurden, als auch der Aufbau eines institutionellen Bibliothekswesens sollte »den Ingeni33 Siehe Anm. 16. 34 König 1999, S. 96. 35 Vgl. ebd. und siehe Heymann 2005, S. 16. 36 Redtenbacher 1848, S. IV. 37 Reuleaux 1875, S. 51. – Nach König ließ sich »Reuleaux in seiner Kinematik mehr von Logik und Philosophie leiten«. Zit. König 1999, S. 97. 38 Reuleaux 1875, S. 51 f. 39 Siehe hierzu Reuleaux 1872, S. 328 – 341. 40 Reuleaux 1875, S. 8. 41 Paulitz 2012, S. 141. – Anm.: Diese Bezeichnung verwendet Paulitz in Zusammenhang mit einer privilegierten Männlichkeitskonzeption der Ingenieure, wie sie spätestens um 1900 in Abgrenzung zu anderen gesellschaftlichen Gruppen (z. B. Frauen) konstruiert wurde. 42 Vgl. Hoepke 2007, S. 10.

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eurwissenschaften Einlass in den Bildungskosmos«43 ermöglichen. In die sogenannte ›Ära Redtenbacher‹ fällt somit, trotz dessen unerwarteten Todes im Jahr 1863, die Anstrengung der Schulleitung und des Ministeriums, einen kunstgeschichtlichen Lehrstuhl einzurichten.44 Bevor der zweitälteste Lehrstuhl für Kunstgeschichte an einer deutschen Hochschule als einer der drei neuen Lehrstühle und »Kern des allgemeinbildenden Bereichs«45 in Karlsruhe eingerichtet werden konnte, mussten jedoch Hürden genommen werden, die mitunter selbst verschuldet waren  : »Bei der Kandidatenauswahl griff Karlsruhe, das darf ohne Übertreibung behauptet werden, nach den Sternen. Die Vorschlagsliste des Schuldirektors eröffnen erlesene Namen  : Ernst Curtius, Friedrich Theodor Vischer, Jacob Burckhardt  ; auch die übrigen Nennungen verrieten hohe Ansprüche. Weil alle drei Favoriten abwinkten, legte man den Plan vorübergehend beiseite, ehe bei einem abermaligen Anlauf das Los 1868 auf Alfred Woltmann fiel.«46

Ebenso ließ die weitere Entwicklung im Laufe der nächsten Jahrzehnte zu wünschen übrig, zumal das »etwas sprunghafte Verfahren […] sich – ähnlich wie bei den anderen Abteilungen – gelegentlich mit Extraordinariaten, in der Regel jedoch mit Honorarprofessuren und Lehraufträgen durchhalten [ließ]«.47 Dies hatte mitunter zur Folge, dass sich Redtenbachers einstige Idealvorstellung von einer »wechselseitige(n) Befruchtung von Geisteswissenschaften und Ingenieurwissenschaften« als überaus gutgläubig erwiesen hatte.48 Nichtsdestotrotz hatte das Zusammenwirken dieser beiden Bereiche Kunst und Technik, denen auch Lankheit zufolge zu Unrecht lange Zeit ein ambivalentes Verhältnis unterstellt wurde,49 folgenreiche Auswirkungen. Bei den Ingenieuren äußerte sich dies, wie an dieser Stelle lediglich grob zusammengefasst werden kann, wie folgt  : In der gegen Ende des 19. Jahrhunderts von Peter Klimentisch von Engelmeyer formulierten »Selbstthätigkeit des Maschinenbauers« als »schöpferisches Element«50 wird Paulitz zufolge ein solches Selbstverständnis von Akteuren wie das des Ingenieurs als Künstler greifbar und verdeutlicht Ansprüche, die für den eigenen Tätigkeitsbereich geltend gemacht werden konnten  : Der an der Technischen Hochschule in Aachen und Berlin wirkende Alois

43 Zit. und vgl. ebd., S. 63. 44 Die Formulierung einer Epoche als die ›Ära Redtenbacher‹ geht auf den Titel des Kapitels »Die Ära Redtenbacher. Die Grundlegung der wissenschaftlichen Hochschule« zurück. Siehe ebd., S. 52. 45 Ebd. 46 Ebd., S. 66 47 Ebd., S. 67 48 Zit. und vgl. ebd. 49 Siehe 2. Abschnitt des vorliegenden Beitrags. 50 Klimentisch von Engelmeyer 1893, S. 539, zit. in  : Paulitz 2012.

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Riedler (1850 – 1936) sprach 1896 erstmals von der Figur des »Künstleringenieurs«51. Dass es sich hier um einen ganz bestimmten »Künstleringenieur« gehandelt hat, erfahren wir bei König  : »Leonardo da Vinci [wurde] in der Ingenieurwelt zur Leitfigur«, wodurch die »Ingenieure den Stellenwert der Kreativität im Ingenieurschaffen«52 hervorzuheben versuchten. Indem sich einige Professoren für Maschinenbau in ihren Vorlesungen und Schriften bewusst auf Leonardo da Vinci bezogen und den Renaissancekünstler damit zur zentralen Leitfigur machten,53 kann der Wunsch, Technikgeschichte zu schreiben, festgestellt werden  : Annäherungen und Abweichungen in der Wahrnehmung der Ingenieure zur künstlerischen Praxis und Theorie finden sich in den einzelnen Vorträgen herausragender Rhetoriker wie eben am Polytechnikum in Karlsruhe bei Redtenbacher, dem in Karlsruhe ausgebildeten und an gestalterischen Fragestellungen interessierten Maschinenbauer Reuleaux und etwas später bei dessen Gegenspieler Riedler, der die Idee von »praktischer, schaffender Ingenieurskunst«54 vertrat. Vor allem den beiden Letzteren gemein sind zum einen das »Streben nach Schönheit […] im Konstruktionsalltag der Ingenieure«55 sowie zum anderen die Durchführung von Reformen, unter anderem mit dem Ergebnis, dass das Ingenieurwesen den Naturwissenschaften gleichgestellt wurde, was gleichbedeutend mit der Anerkennung des Promotionsrechts für Ingenieure war. Auf ihre soziale Anerkennung bedacht, forderten Ingenieure gerade angesichts der tiefgreifenden Umwälzung der Gesellschaftsklassen im Kaiserreich das Recht auf kulturelle Teilhabe ein. Der distinkte Wunsch, sich über die praktische Tätigkeit hinaus aktiv zu beteiligen, gipfelte noch vor der Jahrhundertwende in dem Versuch der Ingenieure, sich als Ästheten und Connaisseurs in die zeitgenössische Hochkultur einschreiben zu wollen. Angeregt durch diese ›Wiederentdeckung‹ da Vincis wurde dem ›Universalgenie‹ die Vereinigung beider Instanzen – sowohl von Seiten der Ingenieure als auch der Kunsthistoriker – im jeweiligen sich in dieser Zeit konstituierenden Diskursfeld zuerkannt. II.

In seiner neuen Funktion als Rektor hatte sich Lankheit, der seit 1960 als ordentlicher Professor des wieder eingerichteten Lehrstuhls wirkte,56 für die »Erweiterung der 51 Riedler 1896, S. 302. 52 König 2010, S. 74. 53 Laut Paulitz wurden in der Zeitschriftenreihe Civilingenieur »über zehn Jahre lang regelmäßig ›Historische[] Notizen‹« publiziert, »die vor allem auch historische Figuren wie Leonardo […] behandeln.« Siehe Paulitz 2012 S. 188. 54 Heymann 2005, S. 68. 55 Wölfel 2012, S. 216. 56 1958 wird der Dozent Klaus Lankheit zum außerordentlichen und 1960 zum ordentlichen Professor der

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Themenkreise wie der Methoden von Forschung und Lehre«57 seines Universitätsfachs ausgesprochen. Sein Plädoyer für die Einbeziehung der Kunstgeschichte in den Fächerkanon der Technischen Hochschule Karlsruhe scheint nicht zufällig gewählt, ergibt sich doch bei der Einsichtnahme in die Akten des Universitätsarchivs folgendes Gesamtbild  : Im Februar 1963, und damit knapp drei Jahre vor Lankheits Ansprache, stellte eine für den Ausbau der Technischen Hochschule einberufene Senatskommission »Grundgedanken und Vorschläge«58 für die Erweiterung der Karlsruher Bildungseinrichtung und ihrer Curricula vor. Neben vielversprechenden (jedoch nicht realisierten) Projektplänen wie etwa der Errichtung einer Juristischen und Medizinischen Fakultät59 wurde vor allem die Verbindung von »klassischer Universität einerseits und der Stätten wissenschaftlicher Ingenieurausbildung andererseits«60 gefordert. Unter Bezugnahme auf das französische Hochschulsystem, das eine solche Trennung nicht kenne,61 sollte damit das langfristige Ziel einer themenübergreifenden Forschungsinstitution für den Karlsruher Standort initiiert werden. Die Verdichtung von einzelnen geisteswissenschaftlichen Lehrstühlen zu einer repräsentativen Größe hätte den technischen und naturwissenschaftlichen Fächern ein Lehrangebot ermöglichen sollen, das über ein gewöhnliches Studium generale hinausreicht.62 Denn nur so, und so wird es auf den nächsten Seiten weiter ausgeführt, könnten »Philosophie, Anthropologie, Sprachwissenschaft, Geschichtswissenschaft und Kunstwissenschaft […] zur Erhellung des Phänomens Technik und zum Selbstverständnis des Menschen in der technischen Welt beitragen.«63 Über dieses neue »Verhältnis zwischen Technikwissenschaften und Geisteswissenschaften«,64 das es an der TH zugunsten einer universitären Einrichtung auszubauen galt, hat Lankheit in seiner »vielbeachteten Rektoratsrede [] öffentlich Rechenschaft abgelegt«  :65 »Denn mindestens seit den letzten hundert Jahren hat sich mit der Welt das Phänomen ›Kunst‹ gewandelt  ; und damit haben sich zwangsläufig die wissenschaftlichen FragestellunTechnischen Hochschule Fridericiana berufen. Siehe KIT-Archiv Bestandsnummer 28002 Signatur 272. Nachweis der Berufung Lankheits findet sich ebenso in der Personalakte KIT-Archiv 21011/665. 57 Lankheit 1966, S. 12. 58 Siehe KIT-Archiv Karlsruhe Bestandsnummer 27019 Signatur 7. 59 Es folgten weitere Anträge in den Jahren 1964 – 1966. Siehe ebd. – Dieses Vorhaben wurde vom Senat 1967 abgelehnt. Siehe hierzu Hoepke 2007, S. 143. 60 KIT-Archiv Karlsruhe Bestandsnummer 27019 Signatur 7, S. 3. 61 Ebd. 62 Ebd. 63 Ebd. S. 6. – Das Originaldokument weist Hervorhebungen an den Stellen auf, die den Begriff ›Kunst‹ enthalten, z. B. ist das Begriffspaar ›Kunst und Technik‹ unterstrichen. Etwa in dem folgenden Absatz  : »Dabei sollte man insbesondere auch Verhältnissen nachgehen, wie sie z. B. in den Bezugssystemen Sprache und Technik, Geschichte und Technik, Kunst und Technik, Religion und Technik vorkommen.« Zit. ebd. 64 Ebd. 65 Herzner 1992, S. 35.

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gen, haben sich Themen und Methoden der Kunstgeschichte gewandelt. Diese kann heute nicht mehr innerhalb der bisherigen Grenzen angegangen werden. Unser Fach ist in ein Stadium des Ertastens neuer Möglichkeiten eingetreten. Vielleicht ist die Lösung manchen Problems gerade zu finden in den Schwesteranstalten, zu deren Wesensmerkmalen von jeher das Experiment gehört, in dem therapeutischen Klima innerhalb der Gefilde unserer vielgescholtenen, beargwöhnten ›Ingenieursmentalität‹.«66

Obgleich hier die Rede von praktischen Belangen wie etwa dem »Experiment« oder der klassischen »Ingenieursmentalität« ist, werden weder die Maschinenbaulehre noch die Ingenieure adressiert, geschweige denn wird auf die Person Redtenbachers oder Releaux’ und dessen ästhetisches Anliegen eingegangen. Vielmehr formuliert Lankheit entlang der Historie des kunstgeschichtlichen Instituts und dessen Protagonisten den neuen Schwerpunkt und das Ziel des Fachs, welches das »künstliche[-] Vakuum zwischen Kultur und Technik«67 aufheben soll. Hierzu bezieht sich Lankheit zunächst auf seine Vorgänger, die in Architektur ausgebildeten Kunsthistoriker am Karlsruher Lehrstuhl. Die Architekten der Fakultät bestimmten seit der Nachfolge Wilhelm Lübkes (Ruf 1885  ; bis 1893) die Besetzung des Lehrstuhls, weshalb anzunehmen ist, dass die Wahl auf Kunsthistoriker mit einer Architekturausbildung und archäologischer Ausgrabungskenntnis fiel.68 In der Liste der vielen Namen legt Lankheit einen Schwerpunkt auf den Nachfolger Lübkes, den Architekten, Denkmalpfleger und Kunsthistoriker Adolf von Oechelhäuser (Ruf 1893  ; bis 1919), welchen er sinngemäß als programmatisch bezeichnet und mit einem Auszug aus dessen eigener Antrittsrede den Vortrag beginnt  : »Eine ›Persönlichkeit von fast goethischem Habitus‹, hatte er bereits ein abgeschlossenes Studium der Architektur hinter sich, als er den Doktorhut in Kunstgeschichte erwarb. So waren in ihm Theorie und Praxis beispielhaft vereint. Und eben aus dieser doppelten Einsicht heraus hielt er es – das mußte damals freilich utopisch erscheinen – für ›heilsam und wünschenswert … wenn der (auf der Universität studierende) angehende Kunsthistoriker für einige Semester den Betrieb seiner Wissenschaft auch in unserer Architekturabteilung in engerer Berührung mit der praktischen Kunstübung kennen lernen würde.‹«69

Das Hervorheben dieser Merkmale diente einem bestimmten Vorhaben und sollte eigene Reformen des Studiengangs, wie etwa in der Denkmalpflege, voranbringen.70 Oechelhäuser, der gleich zweimal das Amt des Rektors an der TH Karlsruhe bekleiden 66 Lankheit 1966, S. 12. 67 Vgl. ebd. 68 Vgl. Papenbrock 2006, S. 182 f. Zur Person Lübkes siehe den in diesem Sammelband vorliegenden Beitrag von Alexandra Axtmann. 69 Lankheit 1966, S. 8. 70 »Von seiten [sic] der Universitäten ist freimütig zugegeben worden  : ›… die allgemeine Kunstgeschichte,

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durfte, hatte bereits in seiner Festrede bei dem feierlichen Akte des Rektoratswechsels im Jahre 1902 über Den kunstgeschichtlichen Unterricht an den deutschen Hochschulen und sieben Jahre später bei seiner Wiederernennung zum Rektor der Fridericiana über die Wege, Ziele und Gefahren der Denkmalpflege gesprochen. Und so lobte auch Lankheit in seiner eigenen Rektoratsrede von 1965 nicht nur die Leistungen des in Kunstgeschichte habilitierten Architekten auf dem Gebiet der Denkmalpflege, sondern baute gar darauf seine Kritik der »Vormaschinenkultur«71 auf. Lankheit beklagte nicht nur die kaum vorhandenen Kenntnisse seiner Zunft über das 19. Jahrhundert, sondern auch Wissenslücken über »den ersten gußeisernen Dachstuhl«, die Erfindung des modernen Betons oder »die ersten [maschinell hergestellten] Möbel«.72 Um aus dieser »Dunkelzone«73 heraustreten zu können, müsse Lankheit zufolge die Technik als der »gestaltende Faktor dieses Jahrhunderts und unserer Zeit«74 anerkannt werden. Mit diesem Carl-WursterZitat, aber auch indem er Heinz Ladendorfer zitierte, dass den bildenden Künsten ein »fruchtbares Verhältnis zur Technik und damit zu dem sogenannten Technischen Zeitalter«75 fehle, positionierte er sich in einer Linie mit seinem Vorgänger Oechelhäuser, in dessen Person Lankheit eine notwendige Vereinigung von Theoretiker und Praktiker erkannt hatte. Entsprechend wird im zweiten Abschnitt der Rede ein Plädoyer für mehr Praxisbezug eingelegt  : Nicht minder euphorisch reflektiert er den Begriff der ›Kunstindustrie‹ und bekundet ein großes Interesse an den englischen ›Industrial Arts‹, denen er die »Erhebung der Technik in den Rang der Künste und Wissenschaften«76 zuspricht. Gerade in den historischen Weltausstellungen sieht Lankheit einen Ort des »Ideen- und Wissenstransports«, an deren Anfang die Great Exhibition in London 1851 als »Kulminationspunkt entscheidender Ideen in der Jahrhundertmitte«77 gestanden habe. In aller Ausführlichkeit werden Verfahren wie das Elektroplattieren, bei dem Kupfer mittels des elektrischen Stroms einen hauchdünnen Überzug aus Edelmetall bekam, beschrieben  : Lankheit hebt nicht nur die für das Kunstgewerbe wichtige Errungenschaft der Galvanoplastik (1838) hervor, sondern beschäftigt sich auch mit dem das Museumswesen und die Denkmalpflege haben sich … voneinander gelöst.‹« Zit. und vgl. ebd., S. 14 und S. 15. 71 Lankheit 1966, S. 10. 72 Mehr oder weniger verloren stünde man Lankheit zufolge »vor einem hervorragend gearbeiteten Stück des Kunsthandwerks aus dem historisierenden 19. Jahrhundert, weil ihm zu dessen Würdigung die Kriterien fehlen und weil nicht gut sein kann, was nicht gut sein darf«. Ein Vergleich mit den benachbarten Literaturwissenschaften, deren Vertreter_innen durchaus ihre Studien auf den Schriften der Literaten und Philosophen des 19. Jahrhunderts aufbauten, sollte an dieser Stelle die Diskrepanz sowie die Sackgasse, in der das eigene Fach sich befand, verdeutlichen. Vgl. und zit. ebd. S. 10 f. 73 Ebd. S. 15. 74 Carl Wurster zit. in Lankheit 1966, S. 15. 75 Ebd., S. 11. 76 Ebd., S. 17. 77 Lankheit 1966, S. 16.

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großen Thema des Patents sowie – über den Vortrag hinaus – mit Erfindern wie etwa Moritz Hermann von Jacobi (dessen Publikation sich im Lankheit-Archiv befindet), dem Urheber des »Electro-Plate-Verfahren[s]«78. Der Trag- und Reichweite serieller Reproduktion indes geht er am Beispiel von James Watt nach. Dieser hatte – als Ingenieur und Erfinder der Dampfmaschine – interessiert an künstlerischen Fragestellungen »im Alter an verschiedenen Ausführungen einer ›Skulpturenmaschine‹ für die Vervielfältigung von Bildwerken«79 gearbeitet. Im Kontext solcher Kopiermaschinen, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zur Verkleinerung von Skulpturen dienten und 1844 patentiert wurden, stellt sich für Lankheit die Frage nach der »Geschichte […] der maschinellen Reproduktion«80. Als weiterer Künstleringenieur wird neben Watt den Zuhörer_innen William Beattie vorgestellt. Als Physiker, Dichter und an den Künsten interessierte Persönlichkeit hatte er nicht nur eine »vier Fuß hohe Vase entworfen und modelliert«81, sondern auch das bisherige kunsthistorische Motivrepertoire um neue Bildthemen erweitert. Unter dem im Ausstellungskatalog geführten Titel Der Triumph von Wissenschaft und Kunstindustrie 82 wurden hier die neuen Allegorien im Zeitalter der Frühindustrialisierung vorgestellt – die an »den Ecken des Gefäßkörpers […] unter Baldachinen [stehenden] vier Gestalten  : Shakespeare für die Dichtung, Bacon für die Philosophie, Newton für die Astronomie und James Watt für die Mechanik«83. Industriell gefertigte Kunstprodukte wie eben diese von Beattie im Namen der englichen Firma Elkington eigens für die Londoner Great Exhibition 1851 entworfene Prunkvase fassen Lankheit zufolge »die historische Problematik wie in einem Brennspiegel zusammen«84. Indem er mitunter den ehemaligen Direktor des Berliner Kunstgewerbemuseums, Julius Lessing, zitiert, wird die Aufmerksamkeit auf die Ästhetik des Materials als großes Thema gelenkt und damit die Frage nach dem Ersatzwerkstoff unter Berücksichtigung der damaligen »Debatte um Materialgerechtigkeit«85, welche »Vorstellungen von Echtheit, Ehrlichkeit und Geschmack [berührte]«86, in den Mittelpunkt gerückt  : »Selbst ein so bedeutender Gelehrter wie Julius Lessing […] nannte die galvanoplastische Vervielfältigung ›eines der glänzendsten Resultate der modernen Wissenschaft … Für alle 78 Ebd. 79 Ebd. 80 Vgl. ebd. – Das Thema der Skulpturmaschine wird aktuell im Rahmen des DFG-Projekts »Skulpturmaschinen. Wettstreit der Reproduktionstechniken 1770 – 1880« an der Ludwig-Maximilians-Universität München untersucht. 81 Ebd. S. 17  ; siehe auch Pevsner 1951, S. 3. 82 Ebd. 83 Ebd. – Lankheit zufolge wurde James Watt damit »gleichsam zum neuen Heiligen erhoben«. Ebd. 84 Ebd., S. 16. 85 Wagner 2003, S. 138. 86 Ebd., S. 135.

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künstlerischen Wirkungen‹, schrieb er, ›wird ein guter Niederschlag das Original vollständig ersetzen‹. Schon vorher hatte man sich anderen Verfahrens bedient  : der Imitation und Vervielfältigung von Stein und Bronze in Zinkguß. Die Zinkbronze, heißt es in einer zeitgenössischen Veröffentlichung, ›ersetzt die echte Bronze in solcher Treue, daß [sic] nur der Kenner beide Materialien sicher zu unterscheiden vermag‹.«87

Auf Lessing bezog sich Lankheit sicherlich, weil dieser mehrere Weltausstellungen besucht und diesen in seinen Berichten eine gewisse tragende Bedeutung zugesprochen hatte.88 Aber auch die Ingenieure Reuleaux und Riedler als dessen Zeitgenossen machten ähnliche Ansprüche geltend, wie es bei König und Heymann zu lesen ist. Beide, Reuleaux und Riedler, hatten die Weltausstellungen in Philadelphia (1876) und Chicago (1893) besucht und kamen zu einem nicht unähnlichen Entschluss wie einst Gottfried Semper, der nach seinem Besuch der Great Exhibition im Jahr 1851 Kritik an den hier zur Schau gestellten Kunstgewerbeartikeln übte, indem er diese als »kindische Tändelei« bemängelte und die Frage nach dem Gebrauchswert erörterte.89 Und so scheint auch Riedlers »Diktum billig und schlecht«90, mit dem er 1876 die in Philadelphia ausgestellten vor allem kunstgewerblichen Produkte der deutschen Industrie kritisierte,91 ein Indikator dafür zu sein, sich in diese Reihe der großen Reformer einschreiben zu wollen. Damit, um wieder mit Lankheit zu sprechen, handelt es sich hier nicht um bloße »Randerscheinungen«92, sondern wichtige Themen für die Kunstgeschichte, in deren Rahmen sich mit den »neuen Werkstoffen« und ihrer Bearbeitung sowie »industrielle[r] Formgebung«93 näher befasst werden müsse. Mit der Stilfrage und dem Versuch, Surrogate in ihrer materiellen Abstufung zu klassifizieren, scheint sich Lankheit an Sempers Schrift und einer in diesem Sinne formulierten ›Praktischen Ästhetik‹94 zu orientieren. So zitiert er nicht nur den an den kunstgewerblichen Reformen interessierten Architek87 Lankheit 1966, S. 17 f. – Zumal sich für den »›Vortheil weit leichterer Masse«, die schwere Bauteile ersetze, kein Geringerer als der »größte[] Baumeister des Jahrhunderts« Karl Friedrich Schinkel ausspreche. Siehe ebd. 88 Unter einer Vielzahl an Publikationen sind hervorzuheben  : Lessing 1874, Lessing 1900. 89 Für Sempers Kritik siehe  : Semper 1852 und zum Thema der Kunstgewerblichen Reformen  : Semper 1856. – Für Riedlers Berichterstattung der Chicagoer Weltausstellung siehe Riedler 1894. 90 Riedler zit. in König 1999, S. 36. Bei Heymann lesen wir über den Methodenstreit der Ingenieure, der dadurch ausgelöst wurde  : »Ein ›Katalysator‹ für das erneute Aufflammen eines Theorie-Praxis-Streits war die Weltausstellung 1893 in Chicago, die einmal mehr die Leistungsfähigkeit der amerikanischen Industrie demonstrierte. […] Riedler führte die Erfolge der amerikanischen Technik auf die praxisorientierte Ausbildung der Ingenieure an den amerikanischen Schulen und Universitäten zurück […].« Heymann 2005, S. 64. 91 Vgl. König 1999, S. 36. 92 Ebd., S. 18. 93 Lankheit 1966, S. 20. 94 Semper 1860.

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ten zusammen mit dem ebenfalls an materialimitierenden Oberflächen interessierten Baumeister Schinkel,95 sondern widmet später diesem und dem Thema unter dem Titel Gottfried Semper und die Weltausstellung auch einen vollständigen Aufsatz.96 Das heißt, die in diesem Zusammenhang relevanten Fragen nach dem Umgang mit den neuen Materialien, Werkstoffen und Fertigungsmethoden sowie der Gestaltung, dem Entwurf (Design) und Stil im Bereich der zeitgenössischen Kunstindustrie wurden somit durch Lankheit (in Nachbarschaft zur ETH Zürich) ein knappes Jahrhundert nach Semper von Neuem aufgeworfen. Die Idee, die Kunstproduktion unter dem Aspekt des Gemachten, des Artefakts zu betrachten, kann in Karlsruhe bis auf die ersten angestellten Kunsthistoriker zurückverfolgt werden. Mit dem Wechsel von Bruno Meyer auf Alfred Woltmann wurde am kunstgeschichtlichen Lehrstuhl ein fester Lehrauftrag für dekorative Kunst, Kunstgewerbe und Kleinkunst angeboten, welcher zwischen 1883 und 1911 von Marc R ­ osenberg durchgeführt wurde. Der am Polytechnikum zunächst als Privatdozent tätige und später als ordentlicher Honorarprofessor wirkende Rosenberg gelangte Lankheit zufolge vor allem für sein »Lebenswerk [… ,] die vierbändigen ›Goldschmiedemerkzeichen‹ und die siebenbändige ›Geschichte der Goldschmiedekunst auf technischer Grundlage‹«,97 zu internationaler Bekanntheit. Der Kunst- und Kulturwissenschaftler Aby Warburg hielt später die Trauerrede für Rosenberg, die Lankheit wiederum als »literarisch ein Meisterstück«98 bezeichnet. Auch die Rosenberg-Rezeption muss hier genannt werden, insofern die Ablöse durch Albert Erich Brinckmann das Interesse an der Goldschmiedekunst im Kontext seiner Barockforschung forttrug und vertiefte. Interessanterweise lesen wir bei Papenbrock, dass 1919 Brinckmann als erster Kandidat für die Nachfolge Oechelhäusers in Frage kam und, obwohl er in der Lankheitschen Vortragsschrift nicht weiter hervorgehoben wird, von größerer Bedeutung für die Institutsgeschichte gewesen sein muss  : »Stärker in Erinnerung geblieben als Oechelhäuser, zumindest aus kunsthistorischer Sicht, ist Albert Erich Brinckmann, […] der im WiSe 1912/13 als außerordentlicher Professor einen Lehrauftrag für dekorative Kunst, Kunstgewerbe und Kleinkunst übernahm.«99

Dass Brinckmann sich mit Übernahme der neuen Aufgabe Gedanken über die Ziele und Herausforderungen des kunstgeschichtlichen Fachs an einer Technischen Hochschule machte, wird bei genauerer Betrachtung eines Artikels, der kurz nach Antritt der 95 Siehe Lankheit 1966, S. 19. – Schinkel lobt die Vorzüge »leichterer Massen« für die Herstellung von Antikenkopien. Zit. nach Schinkel in Lankheit 1966, S. 18. 96 Lankheit  : 1976, S. 23 – 47. 97 Lankheit 1966, S. 8. 98 Ebd. 99 Papenbrock 2006, S. 183.

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eigenen Stelle in der Architektonischen Rundschau im Jahre 1913 veröffentlicht wurde, ersichtlich. Unter Berücksichtigung der aus unterschiedlichen Fächern stammenden Zuhörer_innenschaft bestand »ihre höhere und tiefere Aufgabe darin, über die technisch-rechnerischen Dinge hinauszugehen und die Begabung zum künstlerischen Gestalten zu fördern«.100 Für Brinckmann war ein Praxisbezug offensichtlich wichtig, sodass er die Ausbildung an der Fakultät mit Blick auf die Architektur, die Bauforschung und die Entwurfslehre ausrichtete. Im Lankheit-Archiv befindet sich dieser Aufsatz Brinckmanns, welcher interessanterweise Spuren der intensiven Lektüre aufweist. Dass mit dem Text gearbeitet wurde, verdeutlichen beim genauen Lesen mit Bleistift gesetzte Markierungen wie Ausrufezeichen sowie durch Unterstreichungen hervorgehobene Textstellen.101 Diese Passagen, die Lankheit hier markiert haben könnte, sind von besonderem Interesse, wie etwa die unterstrichene Formulierung »zu einer selbstständigen Disziplin wie an Universitäten kann sich das Fach hier nicht auswachsen«102 – versucht doch Lankheit gerade mit seiner aus der Rede hervorgegangenen Schrift das Gegenteil zu beweisen. Lankheit äußert hier nicht nur seine kritischen Überlegungen zum »Trennungsdenken«103 in den bildenden Künsten, sondern forderte auch dessen Aufhebung durch eine zunehmende Verschaltung von Theorie und Praxis im Kontext jener Themen, denen er sich selbst von Beginn seiner wissenschaftlichen Laufbahn an gewidmet hatte  : »Säkularisierung und Denkmalskult auf der einen, Trivialisierung, Popularisierung und kunstindustrielle Massenproduktion, anlässlich der Weltausstellungen, auf der anderen Seite.«104 Die Vorteile der kunsthistorischen Ausbildung an einer TH sieht Lankheit insbesondere für die Berufszweige Denkmalpflege und Museumskunde geboten.105 Deshalb legt er in einem weiteren Antrag aus dem Jahre 1964 der für den Ausbau zuständigen Senatskommission die Bedingungen für die »Möglichkeiten der Intensivierung des Studiums der Kunstgeschichte« vor  : Zum einen galt es, die Vertiefung bereits bestehender Verbindungen zur Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe zu fördern, andererseits sollte die Einrichtung eines Lehrauftrags für »Technologie der Kunst« die »enge örtliche und persönliche Verbindung zur Staatlichen Denkmalspflege« garantieren und Studierende an die »Diskussion über Probleme der Denkmalspflege, Restaurierung 100 Brinckmann 1913, S. 45. 101 Es ist davon auszugehen, dass Lankheit diesen Text gelesen, Markierungen gemacht und daraus Überlegungen abgeleitet hat. Manche sind in seinem Manifest herauszulesen, andere hingegen hat er nicht übernommen. 102 Brinckmann 1913, S. 47 103 Lankheit 1966, S. 13. 104 Bringmann 1992, o. S. 105 So sei gerade der »Denkmalpfleger […] heute stärker als früher zu wegtragenden Entscheidungen in den Fragen der Konservierung, Wiederherstellung und Rekonstruktion aufgerufen«, weshalb hierfür die Verbindung von »schöpferischer Einfühlung […] mit einem Mindestmaß an architektonischer Kenntnis« unbedingt gefordert sei. Vgl. und zit. nach Lankheit 1966, S. 14

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usw.«106 heranführen. Die Frage nach den seit der Industrialisierung neuen Werk- und Ersatzstoffen, den Techniken sowie ihrem sinnvollen Einsatz in den bildenden Künsten, wie etwa im Kontext des Bronze- und Zinkgussverfahrens zur Rekonstruktion, Nachahmung und Kopie antiker Kunstwerke stand der im 20. Jahrhundert aktuellen kulturkritischen Debatte um die Reproduktion als Kopie des Originals entgegen. Eine intensive Auseinandersetzung mit der kulturhistorischen Debatte um die Replik als Kopie des Originals reichte für ihn über die historisch-epochale Dimension hinaus  : »In unseren Tagen hat die Faksimile-Reproduktion technisch eine Höhe erreicht, daß man vor einem Dilemma steht. Die ästhetische Erfahrung war bisher an das ›Original‹ gebunden. Zum Begriff des Originals aber gehören diejenigen der Echtheit und Einmaligkeit. Walter Benjamin hat zudem von der ›Aura’ des Kunstwerks gesprochen. Eignet diese Aura auch der maschinell hergestellten Kopie  ? Ist Echtheit der Vervielfältigung zugänglich  ? Läßt sich Einmaligkeit mechanisch reproduzieren  ?«107

Dass Lankheit sich nicht nur mittels dieser kritischen Fragen in den damals aktuellen Diskurs einbrachte, sondern sich auch mit den der maschinellen Reproduktion verbundenen Vorgängen der Herstellung, Vervielfältigung und Verbreitung beschäftigte und in diesem Kontext ebenso mit seinen Fachkollegen ausgetauscht haben könnte, belegt ein Dankesbrief von Egon Eiermann, dem Architekten und damaligen Dekan der Architekturfakultät. Äußerst humorvoll verbalisiert wird hier der der Serialität innewohnende Aspekt der Quantität, deren Bedeutung mehr Wert zugesprochen wird als dem Inhalt (Abb. 2)  : »Meine Frau und ich würden es dankbar begrüssen, wenn Sie Alle einer Einladung, die längst fällig ist, demnächst Folge leisteten. Dabei wird sich weniger die Qualität des Champagners steigern lassen, als die Menge. Seriell  !«108 Die eigentliche Pointe folgt auf der Rückseite des Briefs  : Zu sehen sind hier mehrere Reihen mit ein und derselben Champagnerflasche, die der auch als Designer tätige Eiermann – eigenhändig gezeichnet – als visualisiertes Versprechen für den Kollegen und Freund in Aussicht gestellt hat (Abb. 3). Fragestellungen zur Serialität und Faksimilereproduktion interessierten Lankheit genauso sehr wie der Diskurs über das Kunstwerk auf dem Weg zur Ware und Konsumartikel  : »Seit der technischen und politischen Revolution um 1800 haben sich die Schichten der Kunstempfänger verändert und die Kunstkonsumenten vervielfacht«, weshalb Lankheit zufolge der Kunsthistoriker per se dazu aufgefordert sei, »in die Niederungen der ›Gebrauchskunst‹ für die Masse herabzusteigen und jene Zonen zu erfor106 Siehe und zit. nach KIT-Archiv Karlsruhe Bestandsnummer 22006 Signatur 115, S. 5 f. 107 Ebd., S. 19. 108 Mithilfe der Erbin und Tochter Anna Eiermann, der an dieser Stelle mein besonderer Dank gilt, konnte der handschriftlich verfasste Brief entziffert werden.

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Abb. 2  : »Champagnerflasche – seriell  !«, Brief von Egon Eiermann an Klaus Lankheit, Vorderseite, KITA 27019/14. Mit freundlicher Genehmigung der Erben Anna und Andreas Eiermann. Abb. 3  : »Champagnerflasche – seriell  !«, Brief von Egon Eiermann an Klaus Lankheit, Rückseite, KITA 27019/14. Mit freundlicher Genehmigung der Erben Anna und Andreas Eiermann.

schen, die durch den bequemen, aber unzureichenden Begriff ›Kitsch‹ eher verunklärt werden«109. Die Forderung Lankheits nach einer Auseinandersetzung mit dem Thema Kitsch und Trivialkultur,110 welche in den modern-avantgardistischen Künstler_innenkreisen bereits überwunden war und Künstler_innen sich als ›Bricoleur‹ inszenierten,111 galt es als Postulat in die eigenen Reihen der noch stark vom bildungsbürgerlichen Begriff der Hochkunst geprägten Vertreter seines Fachs einzuführen. Dieses Interesse an einer kunstwissenschaftlichen Debatte, die im High-Art-/Low-Art-Diskurs verortet werden kann und das Kunstgewerbe (im Englischen  : ›design‹) als kunsthistorisches 109 Ebd., S. 20. 110 Für eine Ausstellung in der Kunsthalle Bremen stellte er 1974 einen Bilderbogen zur Verfügung. Genauso geht aus der schriftlichen Korrespondenz mit dem Badischen Landesmuseum ein Interesse an der Volkskultur des 19. Jahrhunderts hervor. Siehe Briefe im KIT-Archiv Karlsruhe Bestandsnummer 27019 Signatur 38. 111 Zum Künstler als Erfinder in den Avantgarden siehe Cousseau 2015 und Umlauf 1995.

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Anliegen benennt, greift er auf unterschiedliche Weise in seinen Publikationen auf. So vertieft er in einem nur wenige Jahre später, 1968, herausgegebenen Tagungsband, in der Reihe Bibliographie zur Kunstgeschichte des 19. Jahrhunderts zum Thema der Plastik des 19. Jahrhunderts nicht nur die in der Rektoratsrede erwähnten Beispiele, sondern fügt auch weitere hinzu, wie etwa ein kunsthistorisch weniger bekanntes Denkmal, das auf der Pariser Weltausstellung 1867 von der Firma Cristofle & Cie zu Ehren der ›Erfindung‹ der Galvanoplastik aufgestellt wurde.112 III.

Diese besondere Ausgangssituation der Kunstgeschichte in Karlsruhe kann hier als ein Erklärungsversuch dafür gewertet werden, aus welcher Motivation heraus Lankheit in den 1960er Jahren ein Archiv zum Thema der Weltausstellungen angelegt und sukzessive über die Jahre aufgebaut hat.113 Sein besonderes Interesse am 19. Jahrhundert betonte er bereits dem Ruf nach Karlsruhe folgend im Jahre 1958 mit seiner Antrittsvorlesung Die Kunst des 19. Jahrhunderts. Auch seine Vorlesungen und Seminare waren mit den Themen Kunst und Kitsch sowie der Idee und Gestalt der Weltausstellungen dem ›langen Jahrhundert‹ gewidmet. Die Mappenunterlagen und Dias im Institutsarchiv belegen seine ausführlichen Beschreibungen der historischen Industrie- und Gewerbeschauen in London und Paris als Auftakt der langen Reihe von Weltausstellungen, die bis heute als EXPO eine feste Größe im globalen Ausstellungswesen darstellt. Die Errungenschaften des internationalen Ausstellungsformats proklamierte Lankheit mit den für ihn aktuellen Themen ›Kunst und Technik‹ unter dem Titel seiner Rektoratsrede. Tatsächlich setzte er dieses Vorhaben in der Lehre produktiv um  : Nachweisbar sind die Seminare zum Thema der historischen Weltausstellung, die er im Sommersemester 1964 und Wintersemester 1964/65 und dann nach einer etwas längeren Pause wieder im Sommersemester 1972 gehalten hat. Der thematische Schwerpunkt lag hier 112 »Die berühmte, noch heute bestehende Firma Christofle und Cie. in Paris errichtete jenem galvanoplastischen Verfahren ein riesiges Denkmal. Vielleicht kein zweites Monument in der überreichen Geschichte des Denkmals ist so bezeichnend für den Geist des Jahrhunderts gewesen. Den hohen Sockel schmückt die Tür der Sakristei von San Marco in Venedig, die beiden überlebensgroßen Büsten sind Porträts der Komponisten Halévy und Rossini von der Fassade der Opéra, die krönende Gruppe ist die galvanoplastische Abformung des marmornen ›Milon von Croton‹ Pujet’s aus dem Louvre.« Lankheit 1968, S. 19 f. 113 Nach wie vor verfügt das Institut für Kunst- und Baugeschichte über das Archiv, das für den Zeitraum von 1851 bis 1958 gesammelte Materiale (Kataloge, Berichte, Karten, Reiseführer, Verzeichnisse, etc.) beinhaltet und damit eine Grundlage für die Forschung zum Thema der Weltausstellungen am Karlsruher Institut für Technologie bietet. Es gehört zu den Sondersammelgebieten der Bestände der Institutsbibliothek mit insgesamt 21.200 Dokumenten zu den Themen ›Festwesen‹, ›Denkmäler‹ und ›Industrie-, Gewerbe- und Weltausstellungen‹.

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sowohl auf den Errungenschaften der internationalen Produktion als auch auf den bildenden Künsten mit dem Palais des Beaux Arts als Hauptaustragungsort, aber auch der ›Ingenieurskunst‹ am Beispiel des Eiffelturms oder der Galerie des Machines, wie nach Einsicht in die Referate und Seminararbeiten im Archiv erkennbar wird. Was fehlt und hier nicht gefunden werden konnte, ist die Rolle Karlsruhes als Landeshauptstadt des Großherzogtums Baden, das für diese besondere Entwicklung im 19. Jahrhundert durchaus hätte in Betracht gezogen werden können.114 Dennoch  : Lankheits positivistische Forschung einerseits, aber auch sein »Spürsinn für weisse Flecken auf der Landkarte der Kunstgeschichte« andererseits wurden »unter Beweis gestellt – indem er ›unbekanntes Material an Bildern und schriftlichen Quellen‹ sowie ›verschollen geglaubte Hauptwerke‹ ausfindig machte und kunsthistorisch erschloss.«115 In der direkten Nachbarschaft mit den naturwissenschaftlich-technischen Fächern erkannte er im eigenständigen Fach Kunstgeschichte eine Relaisfunktion zwischen Kultur, Technik und Industrie. Dieses Wissen plante er für die Entwicklung »neue[r] Fragestellungen und neue[r] Methoden der Kunstgeschichte«116 nutzbar zu machen. Ein an Lankheit adressierter Antwortbrief vom 26. Juli 1960 vom Londoner Warburg Institut117 scheint Auskunft über sein Interesse an der kulturgeschichtlichen Forschung zu geben. Dies lässt – wenn auch nur bedingt – Rückschlüsse auf die angestrebte Methodik in Anlehnung an die Forschung im Bereich der ›materiellen Kultur‹, wie sie seit Alois Riegl und Aby Warburg unter Berücksichtigung der funktionalen und ästhetischen Aspekte fortge-

114 Eine Neuauflage des Themas in Seminarform unter dem Titel ReVisioning Worlds Fairs im Hochschuljahr 2017/18 brachte Professoren, Schüler_innen und Absolvent_innen der 1854 gegründeten Großherzoglichen Kunstschule (heute Staatliche Kunstakademie) und der 1878 eröffneten Großherzoglichen Kunstgewerbeschule mit ihren auf den verschiedenen Weltausstellungen präsentierten Erfindungen und Arbeiten zum Vorschein. Insbesondere in der seminarbegleitenden Übung, durchgeführt von Katja Förster, wurde das von Klaus Lankheit angelegte Weltausstellungsarchiv zur Vorbereitung und Durchführung der Lehrveranstaltungen intensiv genutzt  : Intarsien- und Glasarbeiten, Möbel, Keramik und Skulptur sowie ganze Rauminterieurs, die gesamtkünstlerisch inszeniert wurden, wie etwa von dem Karlsruher Architekten und Sezessionisten Hermann Billing für die Weltausstellungen von Saint-Louis (1904) und Brüssel (1908), konnten untersucht werden. Als weitere prominente Beispiele traten hervor  : Der Ingenieur und Automobilpionier Carl Benz (vertreten Anwerpen 1885, Paris 1889 und 1900), der Architekt Hermann Billing (St. Louis 1904 und Brüssel 1908) sowie der Architekt Egon Eiermann (Berlin 1957 und Brüssel 1958). 115 Bringmann 1992, o. S. 116 Lankheit 1966, S. 23. 117 KIT-Archiv Karlsruhe Bestandsnummer 27019 Signatur 14. – In diesem Schreiben wird die aktuelle Publikation Lankheits Das Triptychon als Pathosformel besprochen. Interessant ist, dass trotz der Kritik und Zweifel an der richtigen Anwendung des Begriffs der ›Pathosformel‹ im Kontext der »Säkularisierung der Themenwahl um 1800« wie folgt von Seiten des hiesigen Instituts eingeräumt wird  : »Ich glaube[,] Sie hatten ganz recht[,] (sic) wenn Sie glaubten, mit dieser Arbeit in Warburgs Spuren zu wandeln – und das […] hätte Warburg sicherlich gefallen.« Vgl. und zit. ebd.

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führt und weiterentwickelt wurde, zu.118 Im 20. Jahrhundert hatte dieses »Studium des Menschen anhand aller seiner Objekte«119 in vielen Feldern der Forschung, wie etwa in der Ethnologie und Anthropologie vertreten durch Marcel Mauss, mit der Henri-Focil­lon-­­ Schule und dem Kunsthistoriker George Kubler an Aufschwung genommen. Der amerikanische Fachkollege Lankheits und Panofsky-Schüler verwies in seinem Aufsatz The Shape of Time (1962) auf die Bedeutung einer interdisziplinären Verfahrensweise, welche die kunsthistorischen Methoden wie die Formanalyse mit kulturanthropologischen und wissenschaftsgeschichtlichen Ansätzen zusammenbringt.120 Aktuelle Debatten der Globalisierung und Digitalisierung des Fachs vorwegnehmend vereinte Kubler nicht nur die eigenen kunstwissenschaftlichen Ansätze mit den geistes- und naturwissenschaftlichen Fächern, sondern deutete auch auf die Disziplin der Informationstheorie, die es für die eigene Forschungsarbeit zu berücksichtigen galt.121 Mit André Leroi-Gourhan, einem weiteren Schüler Focillons, führte sich ein zweiter Weg der Analyse der von Menschen hergestellten Artefakte und »Objekte in ihren sozialen Produktionsbedingungen« fort  : Ausgehend von Ernst Kapps ›Arbeitsbegriff‹ und Theorie der Organprojektion (1877) hatte sich ein technologisches Verständnis sogenannter »Körpertechniken«122 ­entwickelt.123 Dies führte – an dieser Stelle verkürzt – zur Genese der kulturellen Technik­ wissenschaften, die mit ihrem Vertreter André Leroi-Gourhan insbesondere von Frankreich aus wirkte. Seit den späten 1950er Jahren lässt sich seitens der Kunstgeschichte ein Interesse an dieser besonderen Medien- und Technikgeschichte beobachten. Als Vorreiter für die Kunstgeschichte kann hier der französische Kunsthistoriker Pierre Francastel (1956) gelten, der früh die Notwendigkeit erkannt hatte, die Geschichte des ambivalenten Verhältnisses von Kunst und Technik aufzuarbeiten  : »So vertrat Francastel (1900 – 1970) eine Soziologie der Kunst, die der technischen Entwick­ lung einen entscheidenden Platz zuwies. Die französische technologie culturelle inspiriert auch historische Arbeiten, die nicht zuletzt kunsthistorische Objekte betreffen, so etwa zur Baugeschichte.«124

118 Die Möglichkeit zur Eröffnung einer neuen methodischen Dimension stand dabei im Zeichen der kulturgeschichtlichen Forschung, deren frühe Vertreter Alois Riegl und Aby Warburg bereits im Sinne einer materiellen Kultur mit Bezeichnungen wie etwa dem »Gerät« oder dem »neuen Terminus Kunstobjekt (bzw. objet d’art)« operiert hatten. Vgl. und zit. nach Cordez 2012, S. 6. 119 Ebd. 120 Zum Thema siehe Maupeu, Schankweiler, Stallschuss 2011. – Kubler 1982 (1961  : The Shape of Time. Remarks on the History of Things). 121 Vgl. Tagungsexposé unter URL  : http://www.uni-koeln.de/kubler/download/expose.pdf (16. April 2020). 122 Vgl. und zit. nach Cordez 2012, S. 8. 123 Zum Thema siehe ebd., S. 7 f. 124 Ebd., S. 8.

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Ich sehe Lankheits indirekte Forderung der Einführung einer technologie culturelle im deutschsprachigen Raum, die damit von Karlsruhe aus eine für die Kunstgeschichte vergleichende historische Soziologie als Methode angestrebt hätte. So boten doch gerade »die Weltausstellungen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts […] durch die enzyklopädisch-didaktische Akkumulation von Dingen und Objekten, die als Artefakte aus aller Welt sichtbar und erfahrbar gemacht wurden«,125 die Möglichkeit der (kritischen) Analyse und zur Reflexion des Verhältnisses von Künsten, Kunsthandwerk, Architektur und Technik. Dies könnte als eine Erklärung für Lankheits Interesse an der Weltausstellung als Gegenstand der langjährigen Forschung dienen – wenngleich sie – abgesehen von der Buchausgabe aus dem Jahr 1968 – keinen wesentlichen Einfluss auf weitere Publikationen hatte.126 Ebenso überrascht die Kehrtwende, die Lankheit am Ende der eigenen akademischen Karriere zu vollziehen scheint. In seiner Abschiedsvorlesung aus dem Jahr 1983 zieht Lankheit eine kritische Bilanz und scheint sich von den einstigen Überlegungen zu distanzieren  : »Und wenn es so etwas wie eine ›Karlsruher Schule‹ der Kunstgeschichte geben sollte (einige meiner Schüler behaupten das), so läßt sie sich zunächst negativ definieren  : als Kampf gegen Wortgeklingel, das gerade in meinem Fach grassiert. Die möglichst klare Beschreibung eines künstlerischen Tatbestandes erscheint mir als die zentrale Aufgabe der Lehre. […] Kunstgeschichte muß Schule des Sehens sein, und Sehen muß man lernen. Hier – in der Schärfung der Sensibilität – liegt der beste Dienst, den der Kunsthistoriker leisten kann – nicht aber, indem er ›die reziproken Effekte im sozial relevan-ten [sic] Kunstfeld mehrdimensional (zu) reflektieren‹ lehrt.«127

Schlussbemerkung

25 Jahre lang, von 1958 bis zu seiner Emeritierung 1983, hatte Lankheit den Lehrstuhl für Kunstgeschichte an der Technischen Hochschule Karlsruhe inne,128 die sich später, 1967, in Universität umbenannte. Lankheits Reformbemühungen für eine Modernisierung des Fachs fallen in diese Zeit, in der die TH/Universität Karlsruhe einen umfangreichen Ausbau erlebte.129 Bis in die 1970er Jahre erfolgte eine Ausdifferenzierung der 125 Tagungsexposé ›Gesamtkunstwerk Weltausstellung‹. Revisioning World’s Fairs des KIT und der TU Darmstadt, 27. und 28. April 2018, Institut Kunst- und Baugeschichte, KIT. 126 Zur Publikationstätigkeit Lankheits siehe  : Herzner 1992. 127 Siehe KIT-Archiv Bestandsnummer 27019 Signatur 38. 128 Siehe KIT-Archiv Bestandsnummer 28002 Signatur 272. 129 Allerdings hat sich der für die Geisteswissenschaften im Auftrag des Karlsruher Wissenschaftsrats ab 1960 geplante Ausbau nicht ganz erfüllt. Anstelle des vorgesehenen Ausbaus der geisteswissenschaftlichen Fächer wurden 1970 die neuen Bereiche Informatik und Wirtschaftsingenieurwesen gegründet.

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einzelnen Disziplinen, welche durch die Einrichtung von Fakultäten langfristig etabliert wurden. Lankheit wollte »die besonderen Aufgaben und Rahmenbedingungen der Kunstgeschichte an einer Technischen Hochschule« nutzen, »um die Modernisierung des Faches voranzutreiben«130 und sie damit von ihrem Status als Zulieferer-Fach zu befreien. Allerdings waren die Voraussetzungen und Ausgangsbedingungen für eine moderne Kunstwissenschaft zum Zeitpunkt seiner Ankunft aus Heidelberg nicht gegeben, zumal in Karlsruhe die Kunstgeschichte nicht mal mehr als Institut existierte. Das Problem der zwischen 1949 und 1955 vakanten Stelle der Institutsleitung hatte man einfach durch die Umwandlung des Kunstgeschichtlichen in das Baugeschichtliche Institut gelöst. Erst unter Egon Eiermanns Gesuch vom Jahr 1953, ein Extraordinariat einzurichten, wurde das Anliegen eines grundständigen Lehrstuhls für Kunstgeschichte wieder aufgenommen.131 Die kurze Übergangsphase überbrückte der Direktor der Karlsruher Kunsthalle Kurt Martin – jedoch auf den Ruf 1957 folgend – erst 1958. Der Wunsch, in Karlsruhe die Kunstgeschichte als Gegengewicht zu den technischen Fächern aufzubauen, ging mit dem Ziel, das Institut neu zu begründen, einher. Die von Lankheit angestrebten Reformen waren nicht nur in Anbetracht der besonderen Dringlichkeit der Situation nach Kriegsende gefordert  : weshalb der »Denkmalpfleger […] ›heute stärker als früher zu wegtragenden Entscheidungen in den Fragen der Konservierung, Wiederherstellung und Rekonstruktion aufgerufen‹ [sei]«. Sondern Lankheit formulierte damit gleichzeitig die Vorteile der kunsthistorischen Ausbildung an einer TH, die er als idealen Ort für das »Dreiergespräch zwischen Kunsthistoriker, Museumsbeamten und Architekten«, insbesondere mit Blick auf die Zeit nach dem kunsthistorischen Studium im Beruf, verstand.132 Die Verbindung von »schöpferischer Einfühlung […] mit einem Mindestmaß an architektonischer Kenntnis«133 legitimierte für ihn den Berufsstand des Kunsthistorikers für die Zukunft  : »Wer auf seinem täglichen Weg in das Institut für Kunstgeschichte an den unablässig surrenden Rechenmaschinen vorbeikommt, merkt eher, daß er im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts lebt, als derjenige, der immer nur Klassischen Philologen und Mittelalterlichen Latinismen begegnet.«134

130 Papenbrock 2006, S. 185. 131 Vgl. ebd., S. 184 und siehe auch Boeker, der in der Gedenkschrift zu Arnold Tschira die Rolle des Bauhistorikers für die personelle Trennung der Kunstgeschichte von der Baugeschichte zugunsten eigenständiger Lehrstühle hervorhebt. Vgl. Boeker, Ohr 2017 S. 26. 132 Vgl. und zit. ebd., S. 14. – Das aufgelöste Verhältnis zwischen allgemeiner Kunstgeschichte und den Bereichen der Denkmalpflege und des Museumswesens sollte wiederhergestellt werden. 133 Vgl. und zit. Lankheit 1966, S. 14. – Es sollten für die Lehre Experten gewonnen werden  ; allerdings scheint sich dieses Vorhaben in Lankheits Zeit nicht verwirklicht zu haben. 134 Ebd., S. 15.

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Gegen Ende seiner Rektoratsrede wird Lankheit dann auch Lösungsansätze wie »Kunstgeschichte im Computer« oder »Dürer elektronisch«135 anbringen und damit Themen und Methoden ansprechen, wie sie bereits in der Geschichts- und Medientheorie der 1960er Jahre diskutiert wurden und – angesichts Big Data und Web 4.0 – aktueller sind denn je. Mit der Figur Lankheits, dessen militärische Zeit konstitutiv für dessen Persönlichkeit gewesen ist,136 sind somit wichtige das Fach betreffende Fragen und Themen der Nachkriegszeit verbunden. Zum einen steht aufgrund einiger Versäumnisse angesichts aktueller politischer Ereignisse und der studentischen Bewegungen die ambivalente Wahrnehmung Lankheits als Konservativer (z. B. »Captain Horror« und »Brauner Reiter« 137) zur Debatte. Zum anderen können die institutsgeschichtliche Entwicklung des Fachs und damit verbundene Brüche und Kontinuitäten im Fachdiskurs seit den 1960er Jahren festgestellt werden. Damals unternahm die Kunstgeschichte den Versuch, sich disziplinär fest zu verankern und ihre Positionen, Felder und Ziele auch angesichts des Einzugs der Soziologie und der Kulturwissenschaften neu abzustecken. Mit den durch Strategen wie den Kunsthistoriker und Rektor Klaus Lankheit (aber auch den Karlsruher Maschinenbauer Ferdinand Redtenbacher) in das KIT-Stammbuch eingeschriebenen Forschungen können die in der Kunst und Wissenschaft gegensätzlichen Pole von Wissen und Kompetenzen sowie die auf diskursiver Ebene geführten Debatten über die Monopolstellung und Festlegung von Zuständigkeiten besprochen und auf aktuelle Herausforderungen sowie Aktualität des Themas ›Kunst und Technik‹ angewandt werden. Literatur Banse 1997 – Gerhard Banse  : Engineering Design. Konstruktionshandeln und Technikphilosophie, in  : Ders. (Hg.)  : Auf dem Wege zur Konstruktionswissenschaft. Recherchen im Bereich der Konstruktionstheorie und -methodologie aus der Sicht der Technikphilosophie, Cottbus 1997, S.  7 – 82. Brinckmann 1913 – Albert Erich Brinckmann  : Kunstgeschichte an Technischen Hochschulen, in  : Architektonische Rundschau 29 (1913), S. 45 – 48.

135 Lankheit 1966, S. 22. 136 Im Nachruf wird Lankheits Arbeitsethos wie folgt beschrieben  : »Kennzeichen höchstes Pflichtbewusstsein und strengste Selbstdisziplin«. Universitätsarchiv Karlsruhe Bestandsnr. 28002 Signatur 272 Presseinformation der Universität Fridericiana Karlsruhe TH Nr. 18/92 10. April 1992 VH/mht. 137 Zit. nach Papenbrock 2006, S. 185. – Genaueres hierzu erfahren wir bei Papenbrock  : »So sehr sich Lankheit in den 1960er Jahren für die inhaltliche Öffnung des Faches einsetzte, so sehr verschloss er sich später gegen die Politisierung des Faches durch die Studentenbewegung.« Mit der Emeritierung Lankheits 1980 verspürten die Studierenden, »das heißt die damals äußerst engagierte Fachschaft Architektur in Karlsruhe«, die Gelegenheit für eine »›andere Kunstgeschichte‹, [] eine kritische und auch politisch argumentierende Kunstgeschichte«. Vgl. und zit. ebd.

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Buket Altinoba

Reuleaux 1875 – Franz Reuleaux  : Theoretische Kinematik  : Grundzüge einer Theorie des Maschinenwesens, Braunschweig 1875. Riedler 1896 – Alois Riedler  : Die Technischen Hochschulen und die wissenschaftliche Forschung, in  : Zeitschrift des Vereines deutscher Ingenieure 40 (1896), S. 301 – 309. Riedler 1894 – Alois Riedler  : Ein Rückblick auf die Weltausstellung in Chicago. Vortrag gehalten im Verein zur Beförderung des Gewerbfleisses von Prof. A. Riedler, Berlin 1894. Semper 1852 – Gottfried Semper  : Wissenschaft, Industrie und Kunst. Vorschläge zur Anregung nationalen Kunstgefühles, bei dem Schlusse der Londoner Industrie-Ausstellung, Braunschweig 1852. Semper 1856 – Gottfried Semper  : Über die formelle Gesetzmäßigkeit des Schmuckes und dessen Bedeutung als Kunstsymbol, Berlin 1856. Semper 1860 – Gottfried Semper  : Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder praktische Ästhetik. Ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde. Bd. 1  : Die textile Kunst für sich betrachtet und in Beziehung zur Baukunst, Frankfurt a. M. 1860. Umlauf 1995 – Joachim Umlauf  : Mensch, Maschine und Natur in der frühen Avantgarde. Blaise Cendrars und Robert Delaney [sic], Würzburg 1995. Wagner 2003 – Monika Wagner  : »Materialgerechtigkeit«. Debatten um Werkstoffe in der Architektur des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, in  : Bayrisches Landesamt für Denkmalpflege (Hg.)  : Historische Architekturoberflächen Kalk – Putz – Farbe, München 2003, S. 135 – 138. Wölfel 2012 – Sylvia Wölfel  : Fortschritt, Technik und ›Gute Form‹. Industriedesign in der technokratischen Hochmoderne, in  : Uwe Fraunholz, dies. (Hg.)  : Ingenieure in der Technokratischen Hochmoderne. Thomas Hänseroth zum 60. Geburtstag

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1968 – war da was  ? Neue Protestformen und künstlerische Avantgarde an der Technischen Hochschule in Wien

In der bisherigen Literatur zum Thema 1968 hat die TH in Wien bisher kaum eine Rolle gespielt. Dabei sind gerade in den Jahren 1967 – 1970 drei sehr interessante Prozesse auf unterschiedlichen Ebenen zu beobachten  : auf der Ebene der Hochschule der Ent­ stehungsprozess und die Verabschiedung des Technikstudiengesetzes mit der Akade­ misierung des Studiums und Regelung der studentischen Mitbestimmung, in der Studienrichtung Architektur der Kampf um die Erhaltung der Lehrveranstaltung zur Gegenwartsarchitektur und schließlich auf einer künstlerischen Ebene die Arbeiten von Gruppen von Architekturstudenten, die große Wirkung erzielten.

Beschränkt man sich bei der Analyse der Ereignisse des Jahres 1968 wirklich exakt auf diesen kalendarischen Zeitraum, dann sind damit in Österreich – ganz im Gegensatz zu Nachbarstaaten wie der ČSSR, der BRD oder Italien – keine nennenswerten Umbrüche verbunden. Wie in den meisten europäischen Kleinstaaten war allerdings auch in Österreich allerorten eine tiefgreifende Unruhe und Aufbruchsstimmung spürbar, in den Medien, in der Kunst, an den Universitäten, vor allem aber im Lebensgefühl, in der Lebenspraxis. Um das zu konstatieren, reicht schon ein Blick auf die Medien, also in die Zeitungen und in den ab 1967 runderneuerten ORF. Spätestens ab 1970 wurden auch in Österreich tiefgreifende Reformen umgesetzt, die das Land so grundlegend umgestalten sollten, wie dies vorher in Friedenszeiten nur selten der Fall gewesen war. Ist der Umfang der Literatur zum Themenkomplex ›1968 in Österreich‹ insgesamt durchaus überschaubar, so spielt in keiner der bisher vorliegenden Arbeiten die Technische Hochschule in Wien (THW) eine Rolle.1 Es bedarf schon eines genaueren Blicks, um Hinweise auf die Auswirkungen der sozialen und kulturellen Bewegungen, die unter dieser Chiffre subsumiert werden, an der THW zu finden. In der Folge soll gezeigt werden, dass dies eine Unterschätzung dieser Hochschule darstellte und darstellt, und dass ›1968‹ vor allem in der Studienrichtung Architektur durchaus bedeutende Folgen hatte. Wenn anderswo in West-, aber auch in Osteuropa gerade die Hochschulen und Universitäten beim tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel eine wichtige Rolle gespielt 1 Eine Auswahl  : Keller 2008  ; Welzig 1985  ; Danneberg 1998  ; Ebner, Vocelka 1998  ; Löw 2007  ; Dippelreiter, Dippelreiter 2018.

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haben, so blieb die THW in den 20 Jahren nach der Gründung der Zweiten Republik wie alle anderen österreichischen Hochschulen geradezu ein Muster an politischer Zurückhaltung. Dies änderte sich erst in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre. 1968 laufen an der THW mindestens drei Prozesse gleichzeitig und – so wenigstens der Eindruck – weitgehend unverbunden ab  : Zunächst lässt sich ein geschicktes und selbstbewusstes Agieren der ›offiziellen‹ Studierendenpolitik beobachten, die möglichst große und allgemeine Reformen innerhalb der Hochschule erreichen will und dabei auch ganz stark auf Partizipation setzt, durchaus im Gegensatz zu einer gewissen Zurückhaltung in der Vergangenheit. Als zweite Ebene wird der nicht von der Österreichischen Hochschülerschaft (ÖH) gesteuerten und administrierten ›Unruhe‹ in der Studienrichtung Architektur, damals noch in einer gemeinsamen Fakultät mit dem Bauingenieurwesen verbunden, nachgegangen. Diese Unruhe war vor allem von Kämpfen um die Gestaltung des Studienplans geprägt, der die gesellschaftlichen und künstlerischen Veränderungen der 1960er Jahre abbilden sollte. Als dritter Prozess gilt es, die ästhetische Neuorientierung einer Gruppe von Architekturstudierenden aufzuzeigen. Diese schlug sich zum einen in einer gegenüber den in den 1950er und 1960er Jahren akzeptierten Modellen radikal veränderten Lebenspraxis nieder und ließ zum anderen eine künstlerische Produktion entstehen, die sich sehr weit von den an der THW herrschenden Traditionen abheben sollte. Eine ästhetische Revolte, die hier aber nur im Feld der Architektur zu beobachten war. I. 1965 bis 1969 – eine Hochschule im Wandel

Welch signifikanter Wandel an der THW innerhalb kürzester Zeit eingetreten sein muss, zeigt der Kontrast zwischen der pompösen Feier zur 150. Wiederkehr der Gründung der Anstalt im Jahr 1965 und den Aktionen des März 1969 zur Erhaltung einer von der Absetzung bedrohten Lehrveranstaltung. Die ausgerechnet von Heinrich Sequenz2 1965 organisierte 150-Jahr-Feier demonstrierte noch einmal die ›alte Technik‹ in voller Pracht  : Fackelzug, eine Festwoche mit Veranstaltungen an den repräsentativsten Orten der Stadt, eine Fülle von Ehrungen, wie etwa 19 Ehrendoktorate (u. a. für Alvar Aalto und Clemens Holzmeister) mit einer hundertprozentigen Männerquote (das gilt für alle Ehrungen dieses Jahres), und eine feierliche Enthüllung eines Kriegerdenkmals. Was die Studierenden betrifft, so waren schlagende, deutschnational orientierte Burschenschaften, katholische Cartellverbands (CV)-Verbindungen und die Österreichische Hoch2 Heinrich Sequenz (1895 – 1987) war von 1939 – 1945 und von 1954 – 1970 ordentlicher Professor und von 1943 – 1945 auch Rektor der THW. Seine durch die Entnazifizierung ungebrochene deutschnationale Weltanschauung tritt in der 1970 publizierten Autobiografie Jahrgang 1895 deutlich zutage  : Sequenz 1970  ; Lebenslauf in Mikoletzky 2015, S. 120.

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schülerschaft der Technischen Hochschule (ÖHTHW) in Wien gleichermaßen und gut austariert an den Festlichkeiten beteiligt. Aktivitäten, die auch eine intellektuell interessierte Öffentlichkeit angesprochen hätten, wie es sie etwa bei der ebenfalls 1965 stattfindenden 600-Jahr-Feier der Uni Wien (wenn auch erst auf studentische Initiative) mit dem Symposium 600 – Gestaltung der Wirklichkeit 3 durchaus gegeben hat, wurden nicht angeboten. Die Feierlichkeiten des Jahres 1965 unterstrichen und verstärkten das Bild einer zwar technisch fortschrittlich orientierten, ästhetisch und weltanschaulich aber äußerst konservativen Institution. Es passt ins Bild, dass dieses Jubiläum von einem Professor geplant wurde, der – wie gar nicht wenige seiner Kollegen – nach der dem Zweiten Weltkrieg folgenden Phase der Entnazifizierung in den 1950er Jahren wieder an seine Hochschule zurückgekehrt war. Bei den Studierenden lassen sich allfällige Veränderungen der politischen Grundstimmung jedenfalls nicht anhand der Ergebnisse der ÖH-Wahlen ablesen  : Die Ergebnisse zur ÖHTHW sind seit den frühen 1950er Jahren, also seit der Zulassung des RFS (Rings Freiheitlicher Studierender), extrem konstant  : Das Resultat von 1967 mit sechs Mandaten für den ÖVP-nahen Wahlblock Österreichischer Akademiker, vier Mandaten für den RFS und einem Sitz für den VSStÖ (Verband Sozialistischer Studenten) erfuhr 1969 nur eine leichte Veränderung  : Die neu formierte, nun etwas weniger CV-dominierte ÖSU (Österreichische Studenten-Union) konnte um ein Mandat auf sieben zulegen, der RFS verlor eines und blieb bei drei, dem VSStÖ blieb erneut nur ein Mandat. Auch wenn es in den 1950er und 1960er Jahren eine ungebrochene Dominanz von bürgerlichen und deutschnationalen Studierenden gab und die Linke nie über 15 Prozent Stimmenanteil hinausgekommen ist, so lassen sich trotzdem klare Signale der Veränderung feststellen. Gerade junge Intellektuelle innerhalb des CV wie der Mediziner Werner Vogt und der Physiker (und TH-Absolvent) Manfred Leeb sahen etwa schon 1964 dringenden Reformbedarf für die österreichische Hochschullandschaft.4 Immer wieder wurden – auch von Studierenden, die dem konservativen Wahlblock österreichischer Akademiker angehörten – dabei kritische, reflektierte Techniker_innen und nicht die im Sinne von Wirtschaft und Politik funktionierenden Technokrat_innen als Bildungsziel postuliert.5 Ein entscheidender Schritt in Richtung einer Neuausrichtung der Technischen Hochschulen war die Vorbereitung und die intensive Diskussion über das Technikstudiengesetz in den Jahren 1968 und 1969. Mit diesem Gesetz wurde das Studium an Technischen Hochschulen auf eine neue Grundlage gestellt  : Durch die Abschaffung der Staatsprüfungen wurde der ›Diplom-Ingenieur‹ zum ersten Mal in der österreichischen 3 Vgl. dazu Perger 2015. 4 Leeb, Vogt 1964. 5 Vgl. dazu die Beispiele in Ebner 2020.

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Republik ein akademischer Titel. Diese Akademisierung des Studiums bedeutete den wesentlichen Schritt hin zum Status einer Universität. Auch das Lehrangebot an den Technischen Hochschulen wurde neu geordnet, neue Studienrichtungen wie Informatik und Raumplanung waren nun gesetzlich vorgesehen und mussten von den beiden österreichischen Technischen Hochschulen – also neben Wien auch Graz – eingerichtet werden. Quo vadis, das Organ der ÖHTHW, ist voll mit Stellungnahmen und Diskussionsaufrufen zum Technikstudiengesetz. Die Einbindung der Studierenden war deswegen von allen Seiten erwünscht, weil das Technikstudiengesetz die sofortige Einsetzung von drittelparitätisch (Professoren6, Mittelbau, Studierende) besetzten Studienkommissionen vorsah.7 Nachdem das Gesetz schließlich im Juli 1969 beschlossen worden war, herrschte doch so etwas wie allgemeine Zufriedenheit. Was studentische Protestformen nach 1945 betrifft, so waren diese sehr stark geprägt von der gesetzlich vorgegebenen Struktur der ÖH, durch die alle politisch relevanten Kräfte zur Zusammenarbeit gezwungen waren. Dazu kam, dass die Studierenden den Kampf gegen die Unterfinanzierung der Universitäten in engem Schulterschluss mit der Professorenkurie und der Österreichischen Rektorenkonferenz führten.8 Ernsthafte Konflikte zwischen Studierendenschaft und Rektorat gab es hier nur in eigener Sache, wenn es etwa um die Kontrolle der ÖH-Wirtschaftsbetriebe ging. Diese enge Zusammenarbeit mit der Professorenkurie in Sachen Hochschulreform und Dotation begann gerade in den Jahren um 1968 zu bröckeln, nicht zuletzt durch das gesteigerte Selbstbewusstsein der Studierenden. Angespornt oder aufgeschreckt (je nach Perspektive) durch die Proteste in der Bundesrepublik Deutschland, Frankreich und Italien, propagierte selbst die unter absoluter Mehrheit der konservativen ÖVP-nahen Studierenden agierende Spitze der ÖH den Slogan »Reform oder Revolution«9. Wobei die Chiffre »Revolution« in dieser Entscheidungsfrage natürlich als Schreckgespenst und nicht als Ziel fungierte. Sehr bald stießen die Studierenden mit ihren Anliegen auch an der THW an eine gläserne Decke. Einerseits wurde etwa von Rektoren wie Rudolf Wurzer (ab 1969 im Amt) immer wieder von Demokratisierung und Mitbestimmung gesprochen, so auch durch die Einladung einer ÖHTHW-Abordnung in die Sitzungen des Akademischen Senats 6 Wenn es nachweislich keine Frauen in der entsprechenden Position gegeben hat, dann wird dieser Umstand durch die Verwendung der männlichen Form ausgewiesen. 7 Die Einrichtung von Studienkommissionen war bereits durch das Allgemeine Hochschulstudiengesetz (AHStG) von 1966 festgelegt worden. Vgl. dazu Ebner 2019. 8 Vgl. dazu Ebner 2011, S. 11. 9 »Reform oder Revolution  ?« Aus Gesprächen mit Unterrichtsminister Dr. Theodor Piffl-Perčević und Sepp-Gottfried Bieler, dem Vorsitzenden des Zentralausschusses der Österreichischen Hochschülerschaft, in  : Bilanz  : das österreichische Studentenmagazin. Organ des Zentralausschusses der Österreichischen Hochschülerschaft Jg. 6 (1968), H. 5/6, S. 6.

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seit April 1969. Andererseits beklagten die Studierenden, dass es sich dabei um reine Symbolpolitik handle. Entscheidungen würden bereits vorher bei informellen Treffen ausgehandelt, die Sitzung sei dann nur mehr ein Formalakt. Öffentlich geäußerte Kritik an akademischen Würdenträgern war ab 1968 jedenfalls auch an der TH kein Tabu mehr. II. Wo ist Feuerstein  ? »neuer gegenstand  : gegenwartsarchitektur – endlich keine tempel mehr, exkursion in wien zum naschmarkt, die zwei wagnerhäuser, das majolikahaus – das ornament überwindet die untergeordnete funktion, die blumen überziehen das ganze haus, schwärmt ziegenbart feuerstein, lädt zu einem kleinen imbiss, die institutskassa zahlt’s, sehr ansprechend. Die studenten sollen was sagen zum gesehenen – da sitzen wir studenten und keiner bringt den mund auf, wir sind eben zum studieren da und nicht zum diskutieren. Der griff zum nächsten schluck apfelsaft wird zur peinlichen expedition, um himmels willen nichts verschütten, aufgehäufte peinlichkeiten, das schweigen tropft und drückt die jugend von nachkriegsösterreich, die kolleginnen adrett im sauber gefalteten schottenrock und die studenten im shetlandpulli – reden war eben nicht gefragt, nicht vorgesehen, nicht gelernt.«10

Diese sehr anschauliche Beschreibung einer Lehrveranstaltung an der TH Wien in den 1960er Jahren stammt aus der Autobiografie von Otmar Bauer (1945 – 2004), seit 1965 Architekturstudent, später Aktionist und enger Mitarbeiter von Otto Mühl (1925 – 2013), dem späteren Begründer der größten österreichischen Kommune am Friedrichshof im Burgenland. Der erste Teil dieses Werks mit dem Titel 1968 stellt eine der wenigen literarischen Arbeiten dar, die das Studium an der TH Wien zum Thema haben. Bei der Persönlichkeit, die im Zitat mit Namen genannt wird, handelt es sich um den damaligen Lehrbeauftragten Günther Feuerstein (*1925). Sein Wirken ist untrennbar mit dem Thema ›1968 an der TH‹ verbunden. Feuerstein hatte nach Studium und Ziviltechnikerprüfung zunächst im Atelier des Architekten und THW-Professors Karl Schwanzer (1918 – 1975) gearbeitet und war danach als dessen Assistent am Institut für Gebäudelehre und Entwerfen tätig. 1966 dissertierte er mit Archetypen des Bauens (Erstbetreuer war Schwanzer, Zweitbetreuer der Kunsthistoriker Walter Frodl). Ab dem Studienjahr 1967/68 bot er die Lehrveranstaltung Tendenzen der Gegenwartsarchitektur an. Diese war die einzige im Vorlesungsangebot, die sich schon im Titel mit der Moderne beschäftigte. Schon zuvor hatte er mit dem Klubseminar der Architekturstudenten einen Ort geschaffen, um auf eine ungewohnt freie Art einen Architektur-Diskurs zu führen,

10 Bauer 2004, S. 12.

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der an die Gegenwartskunst angekoppelt war.11 Für die Formation und Entwicklung von Architektengruppen wie ZÜND-UP, Haus-Rucker-Co und Coop Himmelb(l)au waren diese intellektuellen Resonanzräume jedenfalls von großer Bedeutung. Ohne die Unterstützung seines Vorgesetzten Schwanzer, Vorstand des Instituts für Gebäudelehre 1 und Entwerfen 2, wäre das Zustandekommen dieser Lehrveranstaltung nicht möglich gewesen. Und animiert durch die Lehrveranstaltungen von Feuerstein und Schwanzer veränderte sich auch das Selbstbewusstsein der Studierenden. Die im Text von Bauer geschilderte Zurückhaltung wich bei einigen sehr schnell einem durchaus offensiven Auftreten in Lehrveranstaltungen, die subversiv unterlaufen wurden  : So lieferten etwa im Jahr 1968 in der Städtebau-Übung 1 die Mitglieder von ZÜND-UP und Coop Himmelb(l)au folgende Präsentation ab  : »Ein Spiegelei – im Dotter ein Hakenkreuz eingebraten – wird präsentiert. Dazu werden Texte über undemokratische Vorgangsweisen der Planung, das Fehlen von Bevölkerungsbeteiligung und soziale Ansätze verlesen. Als zweiter Teil der Übungen wird eine gebrauchte männliche Unterhose aufgelegt, aus deren Schlitz ein Glaskörper – ewiges Licht mit bläulich schimmerndem Kreuz – ragt. Texte zu überholten, traditionellen und verkrusteten Realitätsstrukturen werden verteilt und verlesen.«12

Diese (es gab noch mehrere Aktionen dieser Art) mit hohem Provokationspotential verbundenen, dabei aber unmissverständlich auf Grundprobleme der österreichischen Gesellschaft, also Verdrängung des Nationalsozialismus, fehlende Partizipation und obrigkeitliche Missachtung von Bürgerinteressen, verweisenden Aktivitäten waren ohne Zweifel neu für die TH Wien. Die Reaktion des Lehrveranstaltungsleiters, vermutlich Prof. Wurzer, auf die Präsentation ist leider nicht überliefert. Sehr wohl eine Reaktion eines Lehrveranstaltungsleiters gab es in der Gartenbau-Übung, als Michael Pühringer, Mitglied von ZÜND-UP, eine ebenfalls als Provokation verstandene Arbeit abgab und der Lehrveranstaltungsleiter (vermutlich Professor Wladar) aus Protest den Hörsaal verließ.13 Der zentrale Konflikt an der Studienrichtung Architektur entzündete sich aber nicht an solchen bisher an der TH unüblichen Aktionen, sondern am von studentischer Seite geführten Kampf um den Erhalt des Lehrauftrags für Feuerstein. Seine Tendenzen der Gegenwartsarchitektur wurden zum Treffpunkt für avantgardebegeisterte, fortschrittlich orientierte Studierende. Als bekannt wurde, dass Feuersteins Lehrauftrag nicht mehr 11 Vgl. dazu Kuhlmann 2016, S. 79 sowie den Eintrag im Austria-Forum auf URL  : https://austria-forum. org/af/AustriaWiki/Günther_Feuerstein (19. Juli 2019) mit einer Reihe weiterführender Links zu Interviews, Radiosendungen u. a. 12 Nachzulesen auf URL  : https://www.zuend-up.com/68-1.html (10. Juli 2019). 13 Nachzulesen auf URL  : https://www.zuend-up.com/68-1.html (10. Juli 2019).

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verlängert werden sollte, kam es zu studentischen Protesten, die Ende 1968/Anfang 1969 immer aktivistischer wurden und auch in der Tagespresse große Resonanz erhielten. Die Gründe für den Entfall des Lehrauftrags wurden formal mit dem Studienplan begründet. Seine unkonventionelle Einladungspolitik (er hatte unter anderem auch Wiener Aktionisten wie Mühl in seiner Lehrveranstaltung eine Plattform geboten) war auf das Missfallen der Mehrheit des Professorenkollegiums der Fakultät gestoßen. Dazu kam noch, dass angesichts der sensiblen Gesamtlage jeder Konflikt auf österreichischem Hochschulboden automatisch auf großes Interesse der Öffentlichkeit stieß. Der Lehrbeauftragte Feuerstein stand in den Jahren 1968/69 jedenfalls so sehr im Fokus des öffentlichen Interesses wie kein anderer Angehöriger der TH. Interviews für Zeitungen und Journale aller politischen Ausrichtungen waren an der Tagesordnung, kaum eine Tageszeitung Abb. 1  : Studentisches Flugblatt aus dem März 1969 mit Vergleich von Stundenzah­ verzichtete auf ein Porträt des Lehrbeauftrag- len. TUWA, Sammlungs- und Zeitungsaus­ ten.14 Als Reaktion auf die Nachricht, dass ab schnittmappe Günther Feuerstein. 1969/70 die Tendenzen der Gegenwartsarchitektur tatsächlich gestrichen werden sollten, bildete sich – außerhalb der ÖH-Strukturen – ein spontanes Aktionskomitee, das die Rücknahme der Entscheidung forderte und unter anderem damit argumentierte, dass aus dem Bereich Gegenwartskunst nur zwei Stunden angeboten würden. Dies sei im Vergleich zu anderen Lehrangebotsbereichen also ohnehin bereits verschwindend wenig. Das Aktionskomitee ließ Unterschriftenlisten kursieren. Nachdem offizielle Reaktionen auf diesen Protest ausgeblieben waren, wurden anfangs März 1969 die Zeichensäle, aber auch die Aula mit einer Reihe von Wandzeitungen und -zeichnungen ›ausgestaltet‹, der Hauptslogan lautete  : »Wo ist Feuerstein  ?«15 Dass hochschuleigene Räume in großem Stil für studentischen Protest genutzt und ›bearbeitet‹ wurden, hatte es an der TH nach 1938 nicht mehr gegeben. Feuerstein 14 TUWA, Zeitungsausschnittsammlung Feuerstein. 15 Maßgeblich daran beteiligt waren ZÜND-UP  : URL  : https://www.zuend-up.com/68-1.html (15. Juli 2019).

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machte es seinen Anhänger_innen aber nicht leicht und forderte von ihnen mehr als Aktionismus ein, er rief in Gegenplakaten zu einer fundamentalen Reform des Studiums auf. Nach langem Hin und Her, Befassung des Akademischen Senats, nach intensiver Beschäftigung des Unterrichtsministeriums und wohl auch auf öffentlichen Druck – die Position Feuersteins und der Studierenden wurde von den Zeitungen, die darüber berichteten, unterstützt – wurde der Lehrauftrag an Feuerstein für das Studienjahr 1969/70 dann doch wieder erteilt. Ob auch das Fach Kunstgeschichte von den Protestaktionen betroffen war, und welche Rolle es in dieser speziellen Konstellation des Jahres 1968 spielte, lässt sich anhand der zur Verfügung stehenden Literatur leider nicht feststellen. In keiner mir bekannten Äußerung von Studierenden dieser Jahre gibt es auch nur eine Erwähnung von Walter Frodl, der seit 1960 als ordentlicher Professor für Kunstgeschichte und Denkmalpflege an der THW amtierte. Es findet sich aber immerhin ein wichtiger Hinweis in einem studentischen Flugblatt aus dem März 1969, in dem die suggestive Frage gestellt wird, ob wirklich 19 Stunden aus Kunstgeschichte und Denkmalpflege (je acht Stunden für Kunstgeschichte und Baukunst und drei Stunden Denkmalpflege) gerechtfertigt seien, wenn für zwei Wochenstunden für Gegenwartsarchitektur im Studienplan kein Platz sein sollte.16 Pflichtveranstaltungen aus dem Bereich Kunstgeschichte und Denkmalpflege waren zwei vierstündige Vorlesungsblöcke (Von der Antike bis zur Neuzeit  ; Von der Renaissance bis zur Gegenwart), im zweiten und dritten Studienjahr. Im vierten und letzten Studienjahr war eine dreistündige Lehrveranstaltung aus der Denkmalpflege Pflicht. Das Lehrangebot des Instituts blieb zwischen 1965/66 und 1968/69 komplett unverändert. Das galt auch für die wenigen Freifächer, die unter anderem von Herta Haselberger, der ersten Frau in der Geschichte der THW, die sich an einem Architekturinstitut habilitieren konnte,17 angeboten wurden. Haselberger, die regelmäßig in den Sommersemestern über Renaissance und Barock in Süd- und Mittelamerika las, hatte seit 1960 die Venia Legendi für Kunstgeschichte der Renaissance und des Barocks an der TH inne, auch wenn der Schwerpunkt ihrer Forschungs- und Publikationstätigkeit schon in den 1950er und erst recht in den 1960er Jahren auf afrikanischer Kunstgeschichte und Architektur lag. Erst ab dem Studienjahr 1969/70 kam es zu einer Verbreiterung des Lehrveranstaltungsangebots des Instituts. Eine Entwicklung, die durchaus als Reaktion auf die veränderten Interessen und Anforderungen der Studierenden verstanden werden kann. So wurde die Venia von Haselberger 1970 um Kunstgeschichte ›mit besonderer Berücksichtigung der Entwicklungsländer‹ erweitert. Im Studienjahr 1969/70 bot sie erstmals eine Lehrveranstaltung zu Afrikanische Architektur – Kunst der Entwicklungsländer an. 16 TUWA, Flugblattsammlung, Flugblatt vom 6.3.1969. 17 URL  : https://www.frauenspuren.at/daten_und_fakten/ (15. Juli 2019).

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Abb. 2  : Günther Feuerstein forderte von seinen Anhängern inhaltliche Arbeit anstatt anonymer Unter­ stützung. TUWA, Sammlungs- und Zeitungsausschnittmappe Günther Feuerstein.

Laut Habilitationsakt wäre ein vier Semester umfassender Zyklus über Architekturund Kunstentwicklungen in Afrika, Ozeanien, Asien und Südamerika geplant gewesen. Doch nach dem zweiten Teil wurde der Zyklus abgebrochen.18 1969/70 erhielt auch Alfred Schmeller19 einen Lehrauftrag  : Mit Malerei und Plastik der Gegenwart begab sich das Institut auf bisher nicht betretenes Terrain. Da Schmeller im Hauptberuf seit 1969 an der Spitze des für die zeitgenössische österreichische Kunstszene eminent wichtigen 20er-Hauses, also eines Museums für die Kunst des 20. Jahrhunderts, stand, stellte dies eine wichtige inhaltliche und personelle Erweiterung des bislang sehr statischen Angebots der Kunstgeschichte dar. In einem Schreiben an das 18 Vgl. TUWA, Habilitationsakt Herta Haselberger. Leider ist dieser Akt unvollständig. Herta Haselberger habilitierte sich 1972 noch einmal an der Universität Wien, und zwar für ›Kunstethnologie‹, und hielt keine weiteren Lehrveranstaltungen an der TU Wien. 1974 verstarb sie im Alter von 47 Jahren. 19 Alfred Schmeller (1920 – 1990) hatte an der Universität Wien Kunstgeschichte studiert und war nach der Befreiung Österreichs eng mit der österreichischen Kunstszene, insbesondere mit dem art club verbunden.

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zuständige Bundesministerium für Unterricht vom 3. Juni 1969 wurden die Gründe für die Notwendigkeit der Verleihung dieses Lehrauftrags von Institutsvorstand Frodl deutlich angesprochen. Frodl betonte, dass dies dem »allgemeinen Bemühen nach Aktualisierung« entspreche, und argumentierte, dass man durch Schmellers »unmittelbaren ­persönlichen Kontakt mit den Künstlern von jener Lebensnähe ausgehen kann, die das Interesse der Studierenden vor allem fesseln wird.«20 Diese ästhetischen, gesellschaftlichen und künstlerischen Entwicklungen an der THW waren in diesen Jahren nur in Einzelfällen auch politisch, aber keineswegs in organisierter Weise und nicht in einer Weise, die sich bei Hochschulwahlen niedergeschlagen hätte. Sieht man sich die Wahlergebnisse bei den Architekturstudent_innen an, dann gab es auch 1969 (wie immer seit 1946) eine a­bsolute Mehrheit für die ÖVP-nahe Liste, also für die Abb. 3  : Studentisches Flugblatt mit einer ÖSU. Aber in den darauffolgenden acht JahCollage von Äußerungen bei der Hörerver­ ren setzte eine Radikalisierung der Architeksammlung am 12. März 1969. TUWA, Samm­ turfakultät ein und verwandelte diese in ein lungs- und Zeitungsausschnittmappe veritables Zentrum der K-Gruppen21 in Wien  : Günther Feuerstein. So entfielen bei den Fachschaftswahlen 1977 von den zu vergebenden fünf Mandaten in der Studienrichtungswahl drei auf den MLS (Marxistisch-Leninistischer Studentenbund), eine maoistisch-stalinistische Gruppe mit besonderer Vorliebe für das Kambodscha der Roten Khmer und das Albanien Enver Hodschas, eines ging an eine Liste, die dem moskautreuen KSV (Kommunistischen Studentenverband) zuzuordnen war, und nur ein einziges entfiel auf einen ÖSU-Vertreter. Die politische Revolte setzte also an der TU Wien erst deutlich nach der ästhetischen ein und hatte letztlich viel weniger Folgewirkungen.

20 TUWA, Lehrauftragsakt Alfred Schmeller, Schreiben von Institutsvorstand Frodl an das Bundesministerium für Unterricht vom 3. Juni 1969, R. Z. 1640/1969. 21 Vgl. dazu Svoboda 1998.

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III. Kunst und Revolte

Das soll aber nicht heißen, dass es 1968/69 keine Anzeichen von Politisierung gegeben hat, diesbezügliche Quellen fehlen allerdings weitgehend. Das Gemenge aus ä­ sthetischer Revolte und politischem Aktivismus macht auch den Fall von Otmar Bauer so interessant  : Der aus Oberösterreich stammende Architekturstudent war vermutlich der einzige im Jahr 1968 an einer österreichischen Universität Inskribierte, der an der Aktion Kunst und Revolution am 7. Juni 1968 im Neuen Institutsgebäude der Universität Wien (NIG), Hörsaal I, dem Fanal des österreichischen 1968, auf der Bühne teilgenommen hatte. Eine Teilnahme, die sich auf einen untergeordneten Hilfsdienst beschränkte  : Er schrieb die Ergebnisse eines Weit-Pinkelwettbewerbs, der vom Katheder aus abgehalten wurde, auf die Tafel.22 Allein die Teilnahme an der bald »Uniferkelei« genannten Aktion veränderte für den 23-jährigen, verheirateten Bauer alles. Von einem Tag auf den anderen brach seine Familie mit ihm, sein Vater erklärte öffentlich, keinen Sohn mehr zu haben, sein Konterfei war auf dem Titelblatt von Boulevard-Medien zu sehen, er wurde polizeilich gesucht und musste sich schließlich auch an der THW einem Disziplinarverfahren stellen. In seiner schonungslosen Autobiografie aus dem Jahr 2004 schilderte Bauer sein Ankommen in der Wiener Kunstszene, den frühen Kontakt mit Mühl und dessen Kreis, daneben aber auch seine Beteiligung an politischen Aktivitäten, wie etwa der Gründung des kurzlebigen SÖS (Sozialistischer Österreichischer Studentenbund), die er ohne große Überzeugung abwickelte.23 Kunst und Revolution blieb die einzige Veranstaltung des bald danach aufgelösten Vereins. An der THW bewegte er sich im Umkreis der Architektengruppe ZÜND-UP, war aber bald stärker in den Wiener Aktionismus involviert. Bauer schildert in seiner Autobiografie anschaulich, in welchem Hassklima das studentische Ehrengericht abgehalten wurde. Die offizielle Disziplinarverhandlung wurde erst danach durchgeführt.24 Als Vertreter der Anklage agierte ausgerechnet Prof. Heinrich Sequenz (s. Fußnote 2). Das Urteil lautete auf endgültige Relegierung und wurde ausgesprochen, obwohl das Unterrichtsministerium der TH gegenüber durchblicken ließ, dass eine Berufung dagegen erfolgreich sein werde. Dieses Verfahren war insofern richtungsweisend, als dass es für die ÖH einen Anlass bedeutete, die Disziplinarkommissionen an den Universitäten und Hochschulen nicht mehr zu beschicken und somit weitgehend lahmzulegen.25 Bauer nahm jedenfalls sein Studium nicht mehr auf und wurde Gründungsmitglied der Mühl-Kommune. Später brach er aber mit Mühl und trat im Prozess gegen die Kommunenführung als Belastungszeuge auf. 22 Bauer 2004, S. 36 – 38. 23 Ebd., S.  27 – 30. 24 Ebd., S.  38 – 40. 25 Gegen diese Praxis opponiert Karl Glatzel  : Die fragwürdige Disziplin, in  : Bilanz 6 (1968), Nr. 8, S. 1 – 2.

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In Bauers Autobiografie tauchen immer wieder Personen aus dem Umkreis von ZÜNDUP auf. Es ist eine echte Besonderheit, dass an der THW binnen kurzer Zeit fünf wichtige Gruppen an der Schnittstelle zwischen Architektur und Avantgarde-Kunst, also Coop Himmelb(l)au, Haus-Rucker-Co, Missing Link, Salz der Erde und ZÜND-UP, entstanden sind.26 Sowohl der Umstand, dass unter den Studierenden keine Einzelpersönlichkeiten, sondern ausschließlich Gruppen auftraten, als auch die zeitliche Nähe, die ein enges Interagieren unter diesen Formationen möglich machte, ist in der Geschichte der Architekturausbildung an der TH/TU Wien einzigartig. Diese Verbindungen hatten, ebenfalls untypisch für die Architekturausbildung an der TH, eine ausgeprägt künstlerische Schlagseite. Dabei stellten Rückkoppelungen an die Kunst- und Architekturgeschichte absolute Ausnahmen dar, Referenzen finden sich vielmehr fast ausschließlich in der unmittelbaren Gegenwartskultur. Die starke Fokussierung auf ›ungebaute Architektur‹, auf möglichst freie, nicht durch einengende Vorgaben gebrochene Entwürfe zeichnete zunächst alle drei Gruppen aus. Trotzdem waren die vorgefundenen Rahmenbedingungen an der TH in Wien (vielleicht auch ex negativo) ganz entscheidend für die Gruppenbildungen. Das Phänomen, dass sich aus mindestens drei Personen bestehende Formationen bildeten, die gemeinsam die Architektur neu denken wollten, lag international durchaus im Trend,27 hatte aber natürlich auch andere Auslöser. Immer wieder werden von den THW-Akteuren zeitgenössische Philosophen wie Theodor W. Adorno oder Marshall McLuhan genannt. Des Weiteren ist der Wiener Aktionismus bei allen genannten Formationen präsent.28 Somit blieb die Arbeit dieser Gruppen nicht auf die Architektur beschränkt, wobei das Ausmaß der Beschäftigung mit Performance, Bildender Kunst und Experimentalfilm sehr unterschiedlich gewesen ist, sehr stark etwa bei Missing Link und Salz der Erde. Die das Lebensgefühl der 1960er Jahre tragende Rockmusik stellt einen weiteren ganz wesentlichen Einflussfaktor dar. ZÜND-UP selber betonen auch deren starken Einfluss, insbesondere von Jimi Hendrix oder den Rolling Stones auf ihren Arbeits- und Lebensstil.29 Auch Coop Himmelb(l)au, insbesondere Helmut Swiczinsky, wiesen in einem Interview auf die Analogie der Entwicklung von architektonischen Ideen mit dem Entstehen eines Rocksongs hin  : »Wir haben uns immer vorgestellt, dass Architektur so sein müsste, solche Eigenschaften haben müsste, wie Rockmusik.«30 Mit der Rockmusik der ausgehenden 1960er Jahre korrespondiert auch der Umstand, dass es sich bei den handelnden Personen fast ausschließlich um Männer handelte. 26 Ausführlich dazu  : Porsch 2018, S. 337 – 361 (Projektmontage), S. 362 – 431 (Montage aus Primär- und Sekundärliteratur und Interviews). Vgl. auch Listl 2014, S. 121 – 125. 27 Vgl. die Auflistung bei Listl 2014, S. 431 – 434. 28 Nur ein Beispiel  : URL  : https://www.zuend-up.com/67.html (19. Juli 2019). 29 Vgl. Die Röhren des Jahrhunderts – ZÜND-UP stirbt noch lange nicht. Ein Film von Ulrike Schmitzer und Matthias Widter (Österreich 2003). 30 Helmut Swiczinsky in  : Himmelb(l)au. Ein Film von Doris Fercher (ORF 1995).

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1968 – war da was  ?

Als Inspirationsquelle sicher nicht zu vernachlässigen ist die Raumfahrt. Haus-Rucker-­ Co nennen diese explizit als Vorbild, ganz offensichtlich wurde dies etwa mit der Installation Gelbes Herz 1968 in der Baugrube der Bundespolizeidirektion Wien.31 Und als ein weiteres wichtiges Element erwähnte Laurids Ortner 1992 auch noch die Mitte der 1960er Jahre »noch nicht verpönten« halluzinogenen Substanzen.32 Weitere Auffälligkeiten wie der überaus hohe Anteil von aus Oberösterreich stammenden Architekten und der selbst für die damaligen Geschlechterverhältnisse an der THW noch überproportional hohe Männeranteil sollen hier nur ergänzend angeführt werden. Hier ein Überblick über die zwischen 1967 und 1970 an der TH Wien entstandenen Formationen. Angeführt sind nur die Gründungsmitglieder in alphabetischer Reihenfolge  : • Haus-Rucker-Co, gegründet 1967 von den beiden TH-Absolventen Laurids Ortner (*1941) und Günther Zamp Kelp (*1941), seit 1967 Assistent bei Karl Schwanzer, und dem Künstler Klaus Pinter (*1940)  ; • Zünd-Up, formiert 1967 von Timo Huber (*1944), Bertram Mayer (1943 – 2013), Walter M. Pühringer (*1945) und Hermann Simböck (1945 – 1997) (alles Studenten der THW)  ; eng damit verbunden war  : • Salz der Erde, 1970 gebildet von den TH-Studenten Wolfgang Brunbauer, Timo Huber, Günther Matschiner, Bertram Mayer, Hermann Simböck und dem Künstler Johann Jascha (*1942)  ; • Coop Himmelb(l)au, 1968 gegründet von Michael Holzer (*1943), Wolf D. Prix (*1942), Helmut Swiczinsky (*1944), alle drei Architekturstudenten an der THW  ; • Missing Link, 1970 formiert von Angela Hareiter (*1944), Otto Kapfinger (*1949) und Adolf Krischanitz (*1946), ebenfalls Studierende der THW. Es kann hier nicht im Detail auf diese Formationen eingegangen werden, aber dass die erste Großausstellung, die Haus-Rucker-Co gewidmet war, ausgerechnet vom THLehrbeauftragten Alfred Schmeller33 1970 im 20er Haus ausgerichtet wurde, war wohl kein Zufall  : Live 1 war ein großer Erfolg und fand bald seine Fortsetzung in New York und danach in Düsseldorf. Es ist weiters interessant, dass zwar einige der hier angeführten Akteur_innen eine akademische Karriere gemacht haben, dass aber abgesehen von Gastprofessuren und vereinzelten Lehraufträgen keine_r an die TU Wien berufen wurde. 31 Laurids Ortner in  : Blick zurück in die Zukunft. Ein Film von Krista Fleischmann und Claudia Teissig (ORF 1992). 32 Laurids Ortner in  : ebd. 33 Alfred Schmeller war mit Martha Jungwirth verheiratet, die der Gruppe Wirklichkeiten angehörte, der bekanntesten in dieser Zeit außerhalb der TH entstandenen, ähnlich strukturierten, aber nicht auf dem Gebiet der Architektur tätigen Kunst-Formation.

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Paulus Ebner

Literatur Bauer 2004 – Otmar Bauer  : 1968. Autobiographische Notizen zu Wiener Aktionismus, Studen­ tenrevolte, Underground, Kommune Friedrichshof, Mühl Ottos Sekte, Maria Enzersdorf 2004. Danneberg 1998 – Bärbel Danneberg (Hg.)  : Die 68er – eine Generation und ihr Erbe, Wien 1998. Dippelreiter, Dippelreiter 2018 – Maria Dippelreiter, Michael Dippelreiter (Hg.)  : »1968« in Österreich. Aufbruch und Scheitern, Wien 2018. Ebner, Vocelka 1998 – Paulus Ebner, Karl Vocelka  : Die zahme Revolution. ’68 und was davon blieb, Wien 1998. Ebner 2011 – Paulus Ebner  : Hochschulen. »Armenhäuser von heute«, in  : TU frei.haus. Online Magazin für Mitarbeiter_innen der TU Wien 20 (2011), S. 11. Ebner 2019 – Paulus Ebner  : Anekdota. Auf dem Weg zur Universität – Das Technikstudiengesetz von 1969, in  : TU frei.haus. Online Magazin für Mitarbeiter_innen der TU Wien 49 (2019), URL  : https://freihaus.tuwien.ac.at/technikstudiengesetz/ (17. Juli 2019). Ebner 2020 – Paulus Ebner  : Alles neu  ? Die ÖH und die österreichischen Studierenden in den 1960er und 1970er Jahren, in  : Maria Wirth (Hg.)  : Neue Universitäten. Österreich und Deutschland in den 1960er und 1970er Jahren (= Zeitgeschichte 47.Jg. – Sonderheft). Wien 2020, S. 35–53. Keller 2008 – Fritz Keller, Wien  : Mai ’68. Eine heiße Viertelstunde, 2., erw. Aufl., Wien 22008. Kuhlmann 2016 – Dörte Kuhlmann  : Kritische Architekturtheorie, in  : Rudolf Scheuvens (Hg.)  : Die Fakultät für Architektur und Raumplanung. The Faculty of Architecture and Planning, Wien, Köln, Weimar 2016, S. 79 – 84. Listl 2014 – Matthias Listl  : Gegenentwürfe zur Moderne. Paradigmenwechsel in Architektur und Design 1945 – 1975, Wien, Köln, Weimar 2014. Löw 2007 – Raimund Löw  : Die Fantasie und die Macht. 1968 und danach, Wien 2007. Leeb, Vogt 1964 – Manfred Leeb, Werner Vogt  : Anregungen zur Reform der wissenschaftlichen Hochschulen in Österreich, Wien 1964. Mikoletzky 2015 – Juliane Mikoletzky (Hg.)  : Eine Sammlung von außerordentlicher Geschlossenheit. Die Rektorengalerie der Technischen Universität Wien. A Collection of Unusual Completness. The Gallery of Rectors of the TU Wien, Wien, Köln, Weimar 2015. Perger 2015 – Werner A. Perger  : Symposium 600. Drei Tage im Mai, in  : Die Zeit, 29. April 2015, (Österreich-Ausgabe). Porsch 2018 – J. [=Johannes] Porsch  : 1.8. – 2.9.2017, 16.8.2018. Projektmontage, in  : Johannes Porsch, Hedwig Saxenhuber, Georg Schöllhammer (Hg.)  : Wer war 1968  ? Kunst Architektur Gesellschaft, Ausstellungskatalog Linz, Salzburg 2018, S. 337 – 431. Sequenz 1970 – Heinrich Sequenz  : Jahrgang 1895, Wien 1970. Svoboda 1998 – Wilhelm Svoboda  : Sandkastenspiele. Eine Geschichte linker Radikalität in den 70er Jahren, Wien 1998. Welzig 1985 – Elisabeth Welzig  : Die 68er. Karrieren einer rebellischen Generation, Wien, Graz 1985.

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Buket Altinoba – Buket Altinoba, Dr. phil., forscht im DFG-Projekt an der Ludwig-­ Maximilians-Universität München, 2012 Promotion am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), 2013 – 2018 (mit Unterbrechungen) Wissenschaftliche Mitarbeiterin für Kunstgeschichte am KIT  ; Vertretungsprofessuren  : Universität Regensburg (SoSe 2019)  ; Staatliche ­Akademie der Bildenden Künste Stuttgart (WiSe 2016/17  ; WiSe 2019/20)   ; Stipendien   : 2014  –  2016 Fellow im Mathilde-Planck-Lehrauftragsprogramm  ; 2008 – 2010 DFG-Promotionsstipendiatin an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe. Alexandra Axtmann – Studium der Kunstgeschichte an der Universität Karlsruhe (TH) und Musikwissenschaft an der Staatlichen Hochschule für Musik Karlsruhe. 2012 Promotion am Karlsruher Institut für Technologie über Harald Duwe und den deutschen Nachkriegsrealismus. 2012–2018 Akademische Mitarbeiterin am Fachgebiet Kunstgeschichte ebd., seit 2019 an der KIT-Bibliothek. Aktuelle Forschungsthemen sind die Geschichte der Kunstgeschichte und des Weißschnitts. Maike Banaski – Maike Banaski studierte Germanistik, Kunst- und Architekturgeschichte sowie Museumswissenschaften an den Universitäten in Köln und ­Frankfurt. Während des Studiums war sie in der Kunstvermittlung und als freie Kuratorin in Frankfurt, Hamburg, Köln und New York tätig. Zurzeit arbeitet und promoviert sie an der Goethe-Universität und der Senckenberg Gesellschaft in Frankfurt über die Wissenschaftsgeschichte der Kunstgeschichte. Verda Bingöl – Verda Bingöl (MA) is a PhD candidate and research assistant at Istanbul Technical University, Graduate School of Art and Social Sciences, Art History program. Her thesis concentrates on the history of art history education in Turkish universities and their connections to German speaking countries, spanning the period between 1943 and 1980. Caterina Cardamone – Caterina Cardamone (independent scholar) wrote her PhD in History of Architecture at the Università di Firenze (2002). She worked as a lecturer at the UCLouvain-la-Neuve in Belgium (2011 – 2016) and at the Universität Trier in Germany (2004 – 2008). Her research focuses principally on the reception of the clas635

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sical tradition in Vienna at the beginning of the 20th century. Recently, she edited the volume Josef Frank, L’architettura religiosa di Leon Battista Alberti (Milan, Electa 2018). Martina Dlugaiczyk – Studium der Kunstgeschichte, Promotion an der Universität Kassel, Graduiertenförderung des Landes Hessens, 2003 – 2012 wiss. Assistentin am Institut für Kunstgeschichte, RWTH Aachen und Kuratorin a. Z. des Reiff-Museums  ; 2009 – 2012 Postdoc-Stipendiatin der Exzellenzinitiative, 2012 – 2016 wiss. Mitarbeiterin im ERC-Projekt artifex, Trier, seit 2017 wiss. Referentin, Bistum Münster, Abt. Kunst und Kultur. Paulus Ebner – Paulus Ebner, geb. 1963, Studium der Geschichte und Germanistik an der Universität Wien, Mitarbeit an kultur- und wissenschaftshistorischen Forschungsprojekten, seit 2001 am Universitätsarchiv der TU Wien, seit 2016 dessen Leiter. Publikationen (u. a.)  : Die zahme Revolution. ’68 und was davon blieb (gem. mit Karl Vocelka, 1998), Hochschule und Politik (2002), Die Geschichte der Technischen Hochschule in Wien 1914 – 1955 (gem. mit Juliane Mikoletzky, 2 Bde., 2016). Stefanie Fink – Studium der Kunstgeschichte und Erziehungswissenschaften an der FU und TU Berlin, 2015 – 2016 wissenschaftliche Mitarbeiterin der Stiftung »FürstPückler-Park Bad Muskau«, seit 2016 Promotion an der TU Berlin zur Architektenausbildung an der TH Berlin 1879 – 1922, 2016 – 2019 Promotionsstipendiatin des Evangelischen Studienwerks Villigst. Olaf Gisbertz – Olaf Gisbertz (PD, Dr., M.A.), leitet das Zentrum Bauforschung + Kommunikation + Denkmalpflege in der iTUBS. 2015/16 Habilitationsschrift zu Aspekten der Reflexion und Transformation der (Nachkriegs-)Moderne. Lehraufträge an der FH und Universität Augsburg, seit 2017 Vertretungsprofessur für »Baugeschichte, Architekturtheorie und Denkmalpflege« der FH Dortmund. Uta Hassler – Uta Hassler, Professur für Denkmalpflege und Bauforschung an der ETH Zürich 2005 – 2016. Distiguished affiliated Professor an der TU München seit 2017. Ehrenpromotion TU Braunschweig. Nach Architekturstudium in München und Karlsruhe Promotion an der TU Karlsruhe und Zweite Staatsprüfung, Staatliche Hochbauverwaltung und Führungsakademie des Landes Baden-Württemberg (1986 – 1991). Professur für Denkmalpflege und Entwerfen an der TU Dortmund (1991 – 2005). Publikationsliste und Forschungsschwerpunkte unter URL  : www.utahassler.ch. Berthold Hub – Berthold Hub studierte Theologie, Philosophie und Kunstgeschichte und promovierte 2006 mit einer Arbeit zu dem Thema Die Perspektive der Antike. Archäologie einer symbolischen Form (Frankfurt a. M.: Lang, 2008). Nach As636

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sistenzen am Institut gta der ETH Zürich und dem Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien sowie Gastprofessuren an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und der Universität Zürich habilitierte er sich 2017 an der Universität Wien mit der Qualifikationsschrift Filarete. Der Architekt der Renaissance als Demiurg und Pädagoge (Wien  : Böhlau, 2020). Derzeit ist er Gastprofessor für Architekturgeschichte und Architekturtheorie an der Beuth Hochschule für Technik Berlin. Markus Jager – Markus Jager, Professor für Bau- und Stadtbaugeschichte an der Leibniz Universität Hannover (vormals TU Hannover)  ; Studium der Kunstgeschichte in Berlin und Zürich  ; Promotion über den Berliner Lustgarten, 2004 ausgezeichnet mit dem Theodor-Fischer-Preis des Zentralinstituts für Kunstgeschichte in München  ; nach Tätigkeiten in den Landesdenkmalämtern in Berlin und Brandenburg 2008 – 2016 Assistent am Lehrstuhl Geschichte und Theorie der Architektur der TU Dortmund  ; 2016 Ruf nach Hannover. Henrik Karge – Prof. Dr. Henrik Karge, geb. 1958, Studium in Mainz und Granada, Promotion 1986 über die Kathedrale von Burgos (Publik. 1989). Assistent an der Universität Kiel, Habilitation 1994 über Karl Schnaase. Seit 1997 Professor für Kunstgeschichte an der TU Dresden. Auf seinen Forschungsgebieten – spanische Kunst vom Mittelalter bis zum 19. Jh., deutsche Architektur und Kunsthistoriografie vom 18. bis zum frühen 20. Jh. – hat er zahlreiche Publikationen vorgelegt. Gesamtedition der Schriften Gottfried Sempers (5 Bde., 2008 – 14). In Kürze erscheint Die Genese der modernen Kunstgeschichte im 19. Jh. – Schnaase, Kugler, Burckhardt, Semper. Zeynep Kuban – Zeynep Kuban (Prof. Dr.) studied Archaeology and Art History at Istanbul University, and completed her graduate studies at ITU History of Architecture. Between 1987 and 1999 she was a teaching and research assistant. Since 1999 she has held academic positions in the School/Faculty of Architecture at ITU History of Architecture program. She is currently the chair of the Graduate Program of Art History at ITU. Daina Lāce – Dr. Daina Lāce, 2010 Promotion an der Kunstakademie Lettland mit dem Thema Der erste Stadtarchitekt von Riga Johann Daniel Felsko. 1813–1902  ; seit 2002 Mitarbeiterin des Instituts für Kunstgeschichte an der Kunstakademie Lettland  ; seit 2013 Mitarbeit am Forschungsprojekt »Kunstgeschichte Lettlands zum hundertsten Jahrestag des Bestehens des Staates Lettland«. Forschungsschwerpunkt Architektur des 19. Jahrhunderts, zuletzt Publikationen dazu u. a. im Band 3 der Kunstgeschichte Lettlands. 1780–1890 (03/2019).

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Maria Männig – Dr. Maria Männig ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kunstwissenschaft und Bildende Kunst an der Universität Koblenz-Landau. Zuvor war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin im Ergänzungsbereich Medientheorie und -praxis am Institut für Germanistik  : Literatur, Sprache, Medien des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) sowie MARA-Postdoc-Stipendiatin der Universität Marburg. Gegenwärtig forscht sie zur Geschichte der kunsthistorischen Diaprojektion. 2017 erschien ihre Dissertation Hans Sedlmayrs Kunstgeschichte. Eine kritische Studie im Böhlau Verlag. Alexander Markschies – Alexander Markschies ist seit 2006 Professor für Kunstgeschichte an der Architekturfakultät der RWTH Aachen University und qua Amt auch Direktor der universitätseigenen Kunstsammlung. Die Forschungsinteressen erstrecken sich auf das gesamte Gebiet der europäischen Kunst- und Architekturgeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart, mitunter auch auf Fragen der Wissenschaftsgeschichte. Aktuell steht der Grundriss als abstrakte Bildform besonders im Fokus. Katarína Ondrušová – Katarína Ondrušová is an art historian. She got her master’s degree at the Department of Art History at the Comenius University. In her thesis, she researched the early 20th century bank buildings in Slovakia as a building type. Currently, she works on her dissertation under tutelage of Jana Pohaničová at Slovak University of Technology. She further develops the topic, focusing on the most influential Slovak financial institutions. Sabine Plakolm-Forsthuber – Sabine Plakolm-Forsthuber, Kunsthistorikerin. 1986 Promotion an der Universität Wien, 2000 Habilitation an der TU Wien. Dozentin am Institut für Kunstgeschichte der TU Wien sowie der Universität Wien. Forschungsschwerpunkte  : Kunst und Architektur des 19. bis 21. Jahrhunderts, österreichische Künstlerinnen und Architektinnen des 20. Jahrhunderts, Architektur italienischer Frauenklöster im 15. und 16. Jahrhundert, zeitgenössischer Schulbau in Österreich, Architektur in Steinhof und Kunst im Nationalsozialismus. Jana Pohaničová – Jana Pohaničová is an architectural historian. Her research results are published in prestigious domestic as well as foreign scientific journals. She is the author of the first monograph about 19th-century architecture in Slovakia as well as of multiple other books, studies and exhibitions concerning with history of architecture in a broader European context. Furthermore, she made significant contributions to promoting Slovakia’s cultural heritage. Andreas Putz – Studium der Architektur an der TU Dresden, University of Edinburgh und ETH Zürich, danach angestellter Architekt in Basel und später Dresden. 638

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2015 Promotion an der ETH Zürich bei Uta Hassler. Anschließend freiberufliche Tätigkeit als Architekt und Postdoc in Berlin und Zürich. Seit 2018 Assistant Professor (Tenure Track) für Neuere Baudenkmalpflege und Sprecher der Graduate School der Fakultät für Architektur der Technischen Universität München. Christiane Salge – Prof. Dr. Christiane Salge ist Kunst- und Architekturhistorikerin. Von 2003 bis 2012 war sie Juniorprofessorin an der Freien Universität Berlin und im Anschluss Projektleiterin des DFG-Projekts »Baukunst und Wissenschaft – Architektenausbildung um 1800 am Beispiel der Berliner Bauakademie«. Seit 2017 arbeitet sie als Professorin für Architektur- und Kunstgeschichte am Fachbereich Architektur der Technischen Universität Darmstadt. Gáspár Salamon – Gáspár Salamon M. A.: 2010 – 2016 Studium der Kunstgeschichte und Geschichte in Budapest und Berlin. Seit 2017 Doktorand am Institut für Kunst- und Bildgeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin, seit 2019 zugleich wissenschaftlicher Mitarbeiter am Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europa (GWZO) in Leipzig. Linda Schädler – Dr. Linda Schädler ist seit 2016 Leiterin der Graphischen Sammlung ETH Zürich. In ihrer Funktion strebt sie eine deutliche Öffnung nach außen und eine stärkere Verankerung der Sammlung in der ETH an. Vorher war sie als Postdoc am Lehrstuhl für moderne und zeitgenössische Kunst des Kunsthistorischen Instituts der Universität Zürich sowie am Lehrstuhl für Kunst- und Architekturgeschichte der ETH Zürich tätig. Bevor ihre Promotion »James Coleman und die Anamorphose. Der Blick von der Seite« erschien (2013), arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Kunstmuseum Basel und als Kuratorin / Assistenzkuratorin im Kunsthaus Zürich. Hermann Schefers – Dr. Hermann Schefers, geboren 1962 in München, ist Historiker mit den Schwerpunkten Frühmittelalter und Mittelalterrezeption. Er betreut als Fachgebietsleiter der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten seit 1992 die UNESCO-Welterbestätte Kloster Lorsch in Hessen. Neben der Wahrnehmung von Lehraufträgen an verschiedenen deutschen Hochschulen ist Schefers Mitglied der Hessischen Historischen Kommission. Atli Magnus Seelow – Atli Magnus Seelow (geb. 1975), Studium der Architektur an der Technischen Universität München, 2001 Dipl.-Ing. (Univ.), 2009 Promotion in Baugeschichte, ebenfalls an der TU München, 2017 Privatdozent für Theorie und Geschichte der Architektur an der Chalmers University of Technology, Göteborg  ; er ist derzeit Associate Professor an der Chalmers University of Technology und Lehrbeauf639

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tragter am Institut für Kunstgeschichte der Friedrich-Alexander-Universität ErlangenNürnberg. Robert Stalla – Studium der Kunstgeschichte in München und Florenz  ; Stipendien der Studienstiftung des Deutschen Volkes, der Bibliotheca Hertziana in Rom und der DFG  ; Hans-Jantzen-Preis der Akademie der Wissenschaften Göttingen  ; Lehrtätigkeit an den Universitäten in München, Erlangen, Düsseldorf und der ETH Zürich  ; seit 2003 Lehrstuhl für Kunstgeschichte an der TU Wien und Honorarprofessur an der Universität Wien  ; Forschungen u. a. zur Architekturgeschichte der Neuzeit und zur Geschichte der Kunstgeschichte. Tom Steinert – Architekturdiplom (2003) und Promotion (2012) an der BauhausUniversität Weimar  ; 2004 – 2012 ebenda wissenschaftlicher Mitarbeiter für Entwerfen und Städtebau  ; 2013 – 2018 wissenschaftlicher Mitarbeiter für Architekturtheorie an der Technischen Universität Berlin  ; diverse Lehraufträge  ; Auszeichnung der Dissertation mit dem Theodor-Fischer-Preis und dem Wolfgang-Metzger-Preis  ; Forschung und Lehre an den Schnittstellen von Architektur und Städtebau, Kunstgeschichte und Wahrnehmungspsychologie, künstlerischen Positionen, Wissenschafts-, Ideen- und Begriffsgeschichte. Francesca Torello – Francesca Torello is currently Special Faculty with the Carnegie Mellon University School of Architecture in Pittsburgh, USA. She writes on the role of history in architectural education and practice and is engaged in digital humanities projects that explore architecture’s latent virtuality. Anselm Wagner – Anselm Wagner, geb. 1965, Studium der Kunstgeschichte, Philo­ sophie und Klassischen Archäologie in Salzburg und München, danach Galerieleiter, Kunstkritiker und Redakteur von frame und spike. Gastprofessuren u. a. an der TU Wien und der University of Minnesota in Minneapolis/USA. Seit 2010 Professor für Architekturtheorie und Vorstand des Instituts für Architekturtheorie, Kunst- und Kulturwissenschaften der TU Graz.

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